Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft [1 ed.] 9783428581771, 9783428181773

Nicht selten kommt es zu Interessenkonflikten im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft. Abgesehen von den bislang fehlende

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German Pages 354 Year 2021

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Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft [1 ed.]
 9783428581771, 9783428181773

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 181

Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft Von

Moritz Meyer

Duncker & Humblot · Berlin

MORITZ MEYER

Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 181

Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft Von

Moritz Meyer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten © 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18177-3 (Print) ISBN 978-3-428-58177-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Die Gutachten haben Professor Dr. Ingo ­Saenger und Professor Dr. Johann Kindl erstellt. Für die Drucklegung konnten Literatur und Rechtsprechung bis einschließlich August 2020 berücksichtigt werden. Das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) und der Deutsche Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019 waren bei der Entstehung der Arbeit bzw. im Zeitpunkt ihrer Abgabe bereits in der Diskussion bzw. verabschiedet und wurden vorgreifend in die Überlegungen einbezogen. Ihrem zwischenzeitlichen Inkrafttreten wurde für die Veröffentlichung ebenfalls Rechnung getragen, ohne dass dies Auswirkungen auf die zuvor gewonnenen Erkenntnisse hatte. Meinem Doktorvater Professor Dr. Ingo Saenger danke ich für die Betreuung dieser Dissertation, welche während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Gesellschaftsrecht am Institut für Internationales Wirtschaftsrecht entstanden ist. Meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl gebührt Dank für die Durchsicht des Manuskripts. Insbesondere Dr. Niklas Gustorff und Sebastian Kunzmann danke ich für bereichernde Diskussionen und Anregungen. Den Herausgebern der „Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“ bin ich für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Schriftenreihe verbunden. Bei Dr. Andreas Austmann bedanke ich mich für wertvolle Gespräche und seine hilfreichen Anmerkungen zum Manuskript, vor allem aber für das anhaltende Interesse am Inhalt und am Fortgang der Arbeit. Meiner Partnerin Dr. Christina Austmann danke ich herzlich für ihre Hilfe, ihr Verständnis und ihren steten Zuspruch während der Entstehung der Dissertation. Meiner Großmutter Margret Hiegemann möchte ich für ihre Unterstützung in meiner gesamten Zeit in Münster danken. Mein größter Dank gilt meinen Eltern Margret und Matthias Meyer. Ihre Anteilnahme und der mir vermittelte bedingungslose Rückhalt auch während dieses Ausbildungs- und Lebensabschnitts bedeuten mir viel. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im April 2021

Moritz Meyer

Inhaltsübersicht § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 § 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . B. Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten . . . . . . . D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30 30 44 57 85

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten durch den präventiven Aus­ schluss bestimmter Personen von der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention . . . . . . . . . . . . . . . B. Kein Wettbewerbsverbot als Mittel zur Konfliktprävention . . . . . . . . . . C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 . . . . . . . . . . . . . .

106 106 119 120 136

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung: Der Pflichtenkatalog bei Inte­ ressenkonflikten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . 145 B. Weitere Maßnahmen und Pflichten des Konfligiertenund der übrigen Aufsichtsratsmitglieder – eigenes Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 . . . 233 D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II – ein die Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat prägendes Faktum?  246 § 5 Die möglichen Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens des Konfli­ gierten und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . B. Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen der Nichtbefolgung von Pflichten im Umgang mit Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 4 . . .

256 259 272 276 311

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . 317 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 § 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . 30 A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . 30 I. Die Organe der AG und ihre Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Der Vorstand: Zentrales Organ der Geschäftsführung . . . . . . . 31 2. Die Hauptversammlung: Willensbildungsorgan der Aktionäre  33 3. Der Aufsichtsrat: „Aufsicht“ und „Rat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Laufende Überwachung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Informations- und Einsichtsrechte . . . . . . . . . . . . . . . 37 bb) Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 cc) Sonstige Mittel der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Einfluss auf die Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Weitere Kompetenzen und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 40 d) Verhaltensanforderungen und Verantwortlichkeit . . . . . . . 41 II. Das von den Aufsichtsratsmitgliedern der AG zu wahrende Unternehmensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 B. Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Zusammensetzung und Organisation des Aufsichtsrats . . . . . . . . . 45 1. Komposition des Gremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Persönliche und gremiumsbezogene Voraussetzungen der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Innere Ordnung des Aufsichtsrats und Zustandekommen von Aufsichtsratsbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Konfliktpotenzial aufgrund pluralistischer Interessenvertretung . . 52 C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten . . . . . . . 57 I. Begriff des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Kumulation (teil‑)inkompatibler Interessen in einer Person (Interessengegensatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. „Relevanzschwelle“ im Sinne der Vernachlässigungsgefahr für eines der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Zwischenergebnis: Eigene Definition des Interessenkonflikts und deren Übertragung auf den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Notwendigkeit der rechtlichen Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

12 Inhaltsverzeichnis III. Feststellung von Interessenkonflikten einschließlich ihrer rechtlichen Adressierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formell-typisierter und entgrenzter Konfliktbegriff . . . . . . . . . 2. Perspektive zur Feststellung von „Interessenkonflikten“ . . . . . IV. Arten von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einordnung anhand der Frequenz der aus einem Interessengegensatz entstehenden Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einordnung anhand des relativen Ausmaßes des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abstufung: Reale und (nur) potenzielle Interessenkonflikte . . 4. Unterscheidung: Interne und externe Interessenkonflikte . . . . V. Verhältnis der Begriffe „Interessenkonflikt“, „Interessenkolli­ sion“ und „Interessenwiderstreit“ zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestandsaufnahme: Gelegentliche Verwendung des Begriffs „Pflichtenkollision“ mit nur oberflächlichen Erläuterungen . . . . . II. Prüfung und Stellungnahme: Überhöhung eines tatsächlich oft nicht existenten Phänomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermeidung von Pflichtenkollisionen durch den Grundsatz der Rollentrennung (Sphärendifferenzierung) . . . . . . . . . . . . . a) Trennung nach Pflicht- bzw. Tätigkeitsbereichen . . . . . . . b) Folgerung: Meist keine Pflichtenkollision zwischen mehreren Aufsichtsratsmandaten aufgrund der Konzen­ tration auf den jeweiligen Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . c) Keine abweichenden Anforderungen aufgrund der Schaffgotsch-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkollisionen aufgrund der auch außerhalb der Unternehmenssphäre bestehenden Verschwiegenheitspflicht? . . . . . 3. Zwischenergebnis: „Pflichtenkollision“ als mindestens partieller Phantombegriff im Zusammenhang mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine wechselseitige Verbindung der Unterscheidung von „Interessenkonflikten“ und „Pflichtenkollisionen“ zur Frage der Herkunft des Interessenkonflikts . . . . . . . . b) Keine abweichende rechtliche Behandlung von Interessenkonflikten und Pflichtenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . III. Unabhängigkeit der Annahme von Interessenkonflikten vom (Nicht‑)Vorliegen von Pflichtenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 70 71 74 75 77 79 83 84 85 87 88 89 89 91 92 94 97 99 100 102

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten durch den präventiven Aus­ schluss bestimmter Personen von der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . 106 A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention . . . . . . . . . . . . . . . 106 I. Gesetzliche Hinderungsgründe für die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied und der dahinterstehende Normzweck . . . . . . . 108

Inhaltsverzeichnis13 II.

Ungeschriebene Bestellungshindernisse aufgrund von Interessenkonflikten in Analogie zu den gesetzlich geregelten Inkompatibilitäten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Keine planwidrige Regelungslücke  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Exkurs und eigener Ansatz: Zur vergleichbaren Interessen­ lage – Einpassung bestehender Inkompatibilitätsvorschriften in die Konfliktdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Kein Wettbewerbsverbot als Mittel zur Konfliktprävention . . . . . . . . . . 119 C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 I. Keine Unabhängigkeitsvorgaben des Aktiengesetzes de lege lata und der bisherigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Anforderungen der Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Inhalt der Empfehlung der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Bedeutung der Empfehlung der EU-Kommission als solche . . 123 3. Bedeutung der Empfehlung der EU-Kommission vermittels nationaler Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Empfehlungen des DCGK zur Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Kein schlussendlich überzeugendes Verständnis der Merkmale von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. sowie von Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Eigener Ansatz: Übertragung des zu Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) entwickelten Begriffsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Verbindliche Ausschaltung konfliktträchtiger Personalia im Aufsichtsrat in nur überschaubarem Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Schaffung eines Querbezugs zwischen dem Unabhängigkeitspostulat im DCGK und Inkompatibilitäten im Aktiengesetz  . . . . 138 III. Mögliche Folgerungen für das Verhältnis von Interessenkonflikten und Unabhängigkeit nach den Vorgaben des DCGK . . . . . . . 139 § 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung: Der Pflichtenkatalog bei Inte­ ressenkonflikten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung als notwendige Vorbedingung weiterer Maßnahmen und eigenständiger Beitrag zur Bewältigung des Konflikts . . . . . III. Empfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Meinungsstand betreffend den Empfänger der Offen­ legung vor der DCGK-Reform 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herleitung des richtigen Empfängers der Offenlegung aus der Kompetenzverteilung zwischen dem Gesamtaufsichtsrat und dem Aufsichtsratsvorsitzenden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143 145 146 147 149 150 153

14 Inhaltsverzeichnis a) Allgemeine Möglichkeit zur Begründung einer Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Grundlagen der Kompetenzverteilung zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Aufsichtsratskollektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Überblick über die Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Lückenhaftigkeit der Kompetenzverteilung und deren Überbrückung in Theorie und Praxis . . . . . . . 161 b) Eigene Begründung der Empfangskompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden und Beseitigung bestehender Unklarheiten im Zusammenhang mit der Behandlung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) Grundsätzliche Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) (Partielle) Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden für Interessenkonfliktmaßnahmen aus zeitlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Notwendigkeit der Information des Aufsichtsratsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 dd) Keine unmittelbare Information des Aufsichtsratsplenums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 ee) Verpflichtende Information des Gesamtaufsichtsrats über Interessenkonflikte durch den Aufsichtsratsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Umfang und Spannungsverhältnis zur Verschwiegenheitspflicht . 167 1. Drohende Verletzung der Verschwiegenheitspflicht etwa gegenüber einer anderen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Exkurs: Drohende Verletzung der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der in der Konfliktbewältigung befindlichen Gesellschaft durch daneben bestehende Empfehlungen und Pflichten zur Offenlegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Zur Konfliktoffenlegung nach Empfehlung E.1 S. 2 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F.) . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Zur Reichweite der §§ 131, 171 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . 172 V. Nähere Bestimmung der Schwelle der Offenlegungspflicht . . . . . 174 1. Offenlegung nur bei realen Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . 175 2. Offenlegung jedes Interessenkonflikts als praktikable Regel . 177 3. Offenlegung in der Praxis auch beim bloßen Verdacht eines Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 B. Weitere Maßnahmen und Pflichten des Konfligiertenund der übrigen Aufsichtsratsmitglieder – eigenes Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Kompetenzen des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Aufsichtsratsplenums – das zu erwartende weitere Verfahren im

Inhaltsverzeichnis15 Anschluss an die Offenlegung des (vermeintlichen) Interessenkonflikts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Tätigwerden des Aufsichtsratsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Beurteilung und Verhängung von Maßnahmen durch den Aufsichtsratsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Informationsweitergabe an das Aufsichtsratsplenum . . . . 185 2. Tätigwerden des Aufsichtsratsplenums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Verhängung von Interessenkonfliktmaßnahmen bei erstmaliger Feststellung eines Interessenkonflikts . . . . . . 187 b) Zugrundelegung des durch den Aufsichtsratsvorsitzenden festgestellten Interessenkonflikts durch das Aufsichtsratsplenum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Prüfung durch das Gericht: Mögliche Revision nach vorheriger Beschlussfassung des Aufsichtsratskollektivs . 189 II. Vorbemerkung: Verbindliches Handlungsprogramm anstelle eines von der Konfliktstärke abhängigen Stufensystems  . . . . . . . 190 1. Ohnehin bestehende Unsicherheiten bei der Beschränkung des Stimmrechts im Sinne einer Interessenkonfliktmaßnahme  190 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Kein allgemeines Stimmverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Erweitertes Stimmverbot und Möglichkeit eines Stimmrechtsausschlusses neben der analogen Anwendung von § 34 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Recht oder gar Pflicht zur Stimmenthaltung? . . . . . . . . . 196 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Eigener Ansatz: Erhöhte Rechtssicherheit und Praktikabilität durch den Verzicht auf die Konfliktstärke als Determinante . . 198 III. Teilnahmeausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Modalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Materielle Voraussetzung eines Teilnahmeausschlusses: Vorliegen eines Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Teilnahmeausschluss bei jedem Interessenkonflikt . . . . . . 208 b) Ausnahme bei der organinternen Entscheidungsfindung des Aufsichtsrats ohne Sanktionsnatur . . . . . . . . . . . . . . . 210 4. Korrespondierende Pflicht des Konfligierten zum Teilnahmeverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Ausschluss vom Informationsfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Modalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Materielle Voraussetzung eines Ausschlusses vom Informa­ tionsfluss: Vorliegen eines Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . 217 4. Korrespondierende Pflicht des Konfligierten zum Informa­ tionsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

16 Inhaltsverzeichnis V. Ruhenlassen des Mandats? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 VI. Beendigung des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Abberufung aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Rechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Modalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) „Wichtiger Grund“ in der Person des Abzuberufenden . . 224 2. Mandatsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Pflicht zur Amtsniederlegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Auslöser der Niederlegungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Verhältnis von Abberufung und Mandatsniederlegung . . . . . . 231 C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 . . . 233 I. Schaffung eines klaren Systems zur Behandlung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Schaffung begrifflicher Stringenz im Rahmen des Systems zur Behandlung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Erleichterte Herausbildung einer Kasuistik mit Vorteilen für die Identifikation von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 IV. Votum gegen die vorschnelle Annahme von Interessenkonflikten  236 V. Bedrohung des Gleichgewichts in paritätisch mitbestimmten Aufsichtsräten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 VI. Kein illegitimer Eingriff in die Rechte des Konfligierten . . . . . . . 238 1. Keine kritikwürdige Pauschalität der vorgeschlagenen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Notwendigkeit eines Teilnahmeausschlusses zur Beseitigung der Gefahr konfliktbeeinflussten Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Wahrung der Interessen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 VII. Ausschussbildung statt Interessenkonfliktmaßnahmen? . . . . . . . . 244 VIII. Resümee und Hinweise für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II – ein die Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat prägendes Faktum?  246 I. Kritik am Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Keine Hinweise bezüglich des Begriffsinhalts und der Dogmatik des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 III. Keine allgemeine Vorgabe für die Auswahl von Interessenkonfliktmaßnahmen – Einpassung von § 111b Abs. 2 AktG in das herausgearbeitete System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 § 5 Die möglichen Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens des Konfli­ gierten und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . I. Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse und ihre Rechtsfolgen . . . . . II. Ungenügende Reaktion auf einen bestehenden Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überschießende Reaktion auf einen tatsächlich nicht bestehenden Interessenkonflikt (der nötigen Art) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256 259 260 264 267

Inhaltsverzeichnis17 B. Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen der Nichtbefolgung von Pflichten im Umgang mit Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I. Haftung des (nicht) konfligierten Aufsichtsratsmitglieds . . . . . . . 273 II. Haftung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I. Keine Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte zugunsten des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds im Konfliktfall . . . . . . . . . 278 1. Kein nur potenzieller Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Vorliegen eines Interessenkonflikts nach allgemeinen Maßstäben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Neutralisierender Effekt einer Beachtung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Grundsätzliche Möglichkeit der Anwendung der Business Judgment Rule trotz des Vorliegens eines Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Rückgriff auf die Maßnahmen zur Konfliktbewältigung . 286 c) Konkret: Die nötigen Maßnahmen zum Erhalt der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 II. Entfall der Haftungserleichterungen für die übrigen Gremiumsmitglieder wegen des Interessenkonflikts eines Aufsichtsratsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 1. Mehrheitsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3. Einzelbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4. Stellungnahme: Individualvoraussetzung mit zusätzlichen Wertungsgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Die Freiheit von Sonderinteressen als individuelles Kriterium bei grundsätzlicher Unabhängigkeit von der Offenlegung des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 b) Eigener Ansatz: Ausschluss von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bei „vernünftigerweise“ fehlender Berechtigung zur Annahme eines Handelns auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Keine Kenntnis der übrigen Aufsichtsratsmitglieder von dem Interessenkonflikt mangels Offenlegung und anderweitiger Informationsquellen . . . . . . . . . . . 301 bb) Durch Offenlegung oder anderweitig erlangte Kenntnis der übrigen Aufsichtsratsmitglieder von dem Interessenkonflikt – die nötigen Maßnahmen zum Erhalt der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . 304 D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 4 . . . 311 I. Erzielung einer verhaltenssteuernden Wirkung der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Beseitigung dogmatischer Friktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

18 Inhaltsverzeichnis III. Erneut: Schaffung begrifflicher Stringenz im Rahmen des Systems zur Behandlung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . 316 § 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . 317 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort ABl. EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABl. EU Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis ADHGB Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AG Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft – Zeitschrift für deutsches, europäisches und internationales Aktien‑, Unternehmensund Kapitalmarktrecht AIFM-UmsG Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsge­setz) AktG Aktiengesetz allg. A. allgemeine(‑r) Ansicht a. M. am Main Anm. Anmerkung ArbHdbAR Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder AReG Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesetz) Art. Artikel (auch im Plural) ARUG II Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie Aufl. Auflage BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BB Betriebs-Berater Bd. Band Bearb. Bearbeiter BeckHdbAG Beck’sches Handbuch der AG BeckOGK-AktG beck-online.GROSSKOMMENTAR AktG BeckOGK-SE-VO beck-online.GROSSKOMMENTAR SE-VO

20 Abkürzungsverzeichnis BeckRS beck-online.RECHTSPRECHUNG Begr. Begründer (auch im Plural) BegrRefE

Begründung des Referentenentwurfs

BegrRegE

Begründung des Regierungsentwurfs

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BilMoG

Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmo­ dernisierungsgesetz)

BOARD

BOARD – Zeitschrift für Aufsichtsräte in Deutschland

BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BR-Drucks. Bundesrats-Drucksache BT-Drucks. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht bzw. beziehungsweise CFL

Corporate Finance law

DAV

Deutscher Anwaltverein e. V.

DB

Der Betrieb

DCGK

Deutscher Corporate Governance Kodex

d. h.

das heißt

Diss. Dissertation DJT

Deutscher Juristentag

DrittelbG

Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz)

DStR

Deutsches Steuerrecht

DZWir

Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ebd. ebenda EG

Europäische Gemeinschaften

EGAktG

Einführungsgesetz zum Aktiengesetz

Empf. Empfehlung etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

e. V.

eingetragener Verein

f., ff.

folgende (Singular, Plural)

Abkürzungsverzeichnis21 Fn. Fußnote FS Festschrift gem. gemäß GenG

Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz)

GesR Gesellschaftsrecht GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

ggf. gegebenenfalls GK-AktG

Großkommentar zum Aktiengesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GO NRW

Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

Grds. Grundsatz GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

GWR

Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

Habil. Habilitationsschrift Hdb. Handbuch HGB Handelsgesetzbuch h. M.

herrschende Meinung

Hrsg. Herausgeber (auch im Plural) hrsg. herausgegeben Hs. Halbsatz InvG Investmentgesetz i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

JZ JuristenZeitung KAGB Kapitalanlagegesetzbuch Kap. Kapitel KapGesR Kapitalgesellschaftsrecht KG Kammergericht KK-AktG

Kölner Kommentar zum Aktiengesetz

KonTraG

Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich

LG Landgericht lit.

littera (Buchstabe)

MgVG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung

MitbestG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz)

22 Abkürzungsverzeichnis MitbestErgG

Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie

MontanMitbestG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-Mitbestimmungsgesetz)

MüHdbGesR

Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts

MüKoAktG

Münchener Kommentar zum Aktiengesetz

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr. Nummer NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

OLG Oberlandesgericht PAO Patentanwaltsordnung PatAnwAPrV

Verordnung über die Ausbildung und Prüfung der Patentanwälte (Patentanwaltsausbildungs- und -prüfungsverordnung)

RefE Referentenentwurf RGBl. Reichsgesetzblatt RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rn. Randnummer S.

Satz; Seite

SE

Societas Europaea

SE-VO

Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)

sog.

sogenannt(‑e, ‑er, ‑en)

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

TransPuG

Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz)

u. a.

unter anderem; und andere

UAbs. Unterabsatz u. d. T.

unter dem Titel

UMAG

Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts

Univ. Universität US

United States (of America)

Abkürzungsverzeichnis23 Var. Variante vgl. vergleiche VorstAG Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vs. versus WEG Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) WiPrO Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung) WM Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WPg Die Wirtschaftsprüfung WpPG Gesetz über die Erstellung, Billigung und Veröffentlichung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem organisierten Markt zu veröffentlichen ist (Wertpapierprospektgesetz) WRP Wettbewerb in Recht und Praxis z. B. zum Beispiel ZfPW Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziff. Ziffer ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zit. zitiert als ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht zugl. zugleich ZVglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

§ 1 Einführung „Unfassbar, das geht einfach nicht“, befindet Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V.)1, mit Blick auf die Gemengelage beim Industriedienstleister Bilfinger im Kontext der seinerzeit erwogenen Regressnahme bei einer ganzen Reihe von dessen Ex-Vorstandsmitgliedern. Zu diesen zählt Roland Koch, der im Zuge der drohenden Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen beim Aufbau eines wirksamen Compliance-Systems zur Korruptionsvermeidung jedenfalls bis zum 31. Dezember 2018 von der Kommunikationsagentur WMP EuroCom beraten wurde. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Bilfinger SE, Eckhard Cordes, war zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der WMP EuroCom AG.2 Aus der Sicht von Tüngler hätte der Aufsichtsrat von Bilfinger darin einen „erheblichen Interessenkonflikt“ sehen müssen. Das ist aber nicht der Fall und, so wiederum Tüngler, „zeigt, dass hier etwas richtig falsch läuft“. Dass Cordes bei Entscheidungen über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder befangen gewesen ist und die übrigen Aufsichtsratsmitglieder beeinflusst hat, sei keinesfalls auszuschließen.3 Dass sich Divergenzen zeigen oder begründetermaßen vermuten lassen zwischen den Anforderungen, die unternehmensseitig an die Aufsichtsratsmitglieder gestellt werden, sowie solchen Motiven, die außerhalb des Unter1  Siehe die Homepage der DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V.), https://www.dsw-info.de/ueber-uns/gremien/geschaeftsfuehrung/ (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). 2  Siehe die Vita auf der Homepage der Bilfinger SE, https://www.bilfinger.com/ unternehmen/vorstand-aufsichtsrat/aufsichtsrat/dr-eckhard-cordes/ (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). Über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG 2001 L 294, S. 1, gilt für die SE neben weiteren Rechtsquellen in einem nicht unerheblichen Umfang auch deutsches Aktienrecht; näher dazu Casper, in: BeckOGKSE-VO, Stand: 01.07.2020, Art. 9 Rn. 6 ff., insbesondere Rn. 15. Die Organisationsverfassung der SE entspricht weitgehend den §§ 76 ff. AktG, vgl. Saenger, GesR, Rn. 835. 3  Zum ganzen Absatz, einschließlich der hier wiedergegebenen wörtlichen Zitate, Eschbacher, „Herr Cordes belastet Bilfinger“, Mannheimer Morgen online vom 03.04.2019. Die von der dortigen Darstellung abweichende Eigenschreibweise der WMP EuroCom AG ist deren Homepage zu entnehmen, https://wmp-ag.de/ueber-uns/ die-wmp-ag/ (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020).

26

§ 1 Einführung

nehmens ihren Ursprung, aber für das einzelne Aufsichtsratsmitglied Bedeutung haben, ist jedoch beileibe keine Sache des Einzelfalls. Von Repräsentanten von Banken, konkurrierenden Unternehmen, Großaktionären und Konzernunternehmen über etwaige Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie über Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertreter bis hin zu Personen, die Geschäftspartnern zuzuordnen sind – der Hintergrund der in deutschen Aktiengesellschaften aktiven Aufsichtsratsmitglieder ist ebenso vielgestaltig wie die ganz regelmäßig damit einhergehenden externen Bindungen, Einflüsse und Verpflichtungen, denen sie ausgesetzt sind, die sich aber nicht notwendigerweise mit dem Interesse der Gesellschaft vertragen. Nicht minder problematisch sind trotz der doch für gewöhnlich zu unterstellenden Charakterstärke, Erfahrenheit und Standhaftigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern solche Situationen, in denen das zugunsten der Gesellschaftsbelange angezeigte Verhalten im Rahmen der Aufsichtsratstätigkeit in einem Gegensatz zu den persönlichen Vorstellungen, Überzeugungen und Absichten des Aufsichtsratsmitglieds steht. Paradigmatisch ist der Fall, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied im Aufsichtsrat in die Verlegenheit gerät, mögliche Fehler aus der eigenen Amtszeit als Vorstandsmitglied als solche zu identi­ fizieren und sachgerecht aufzuarbeiten oder aber aus Sorge um die eigene Reputation und eine etwaige Haftung zumindest teilweise davon abzusehen. Für das einzelne Aufsichtsratsmitglied relevante Drittinteressen oder ausreichend starke persönliche Interessen können dazu führen, dass ein Aufsichtsratsmitglied zum Nachteil seines Unternehmens handelt. Parallel ausgeübte Funktionen in anderen Unternehmen, Körperschaften und Institutionen sowie die denkbare Erlangung persönlicher Vorteile bzw. Abwendung persönlicher Nachteile durch die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied verleihen der Situation abhängig vom Gegenstand einer zu treffenden Entscheidung mehr als nur einen Beigeschmack. Es ist dabei nur schwer zu sagen, ob die Zweifel an der Loyalität des betreffenden Amtsträgers im Einzelfall noch unbegründet sind oder ob diesbezüglich eine berechtigte Skepsis besteht. Das Aufsichtsratsmitglied befindet sich in allen Fällen in einem Interessenkonflikt, falls die vorstehende Überlegung zu dem Ergebnis führt, dass ein Handeln wider die Interessen des Unternehmens befürchtet werden muss – ein schon allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kritischer Zustand, der das grundlegende Bedürfnis nach Intervention, Organisation und Reaktion von (aktien‑)rechtlicher Seite zeitigt.

A. Gegenstand der Arbeit Interessenkonflikte im Aufsichtsrat bilden den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Zwar sind diese bereits in der Vergangenheit wiederholt themati-



A. Gegenstand der Arbeit27

siert worden.4 In Ansehung des gegenwärtigen Diskussionsstands muss jedoch festgestellt werden, dass gerade aus der Sicht des Rechtsanwenders keine einheitlichen Maßstäbe hinsichtlich der Behandlung von Interessenkonflikten zu ermitteln sind. Im Umgang mit Interessenkonflikten sind gewisse Tendenzen erkennbar,5 doch besteht auch wegen des nur sehr spärlichen Normmaterials kein belastbarer, klarer und praxistauglicher Konsens betreffend die zu ergreifenden Maßnahmen in Reaktion auf Interessenkonflikte und ihre Voraussetzungen. Schließlich wirkt die Adressierung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat in unterschiedlichen Zusammenhängen nicht kohärent und lässt einen ganzheitlichen Ansatz vermissen. Übereinstimmend werden in der Literatur das Fehlen eines „vollends stimmige[n] Gesamtkonzept[s]“ bei der Reaktion auf Interessenkonflikte6 und die lückenhafte Dogmatik bzw. Terminologie angemerkt: So findet sich die These, dass „die Konfliktdogmatik in der Gesamtschau aller Regelungsfelder [nicht mehr] stringent und in sich geschlossen ist“7. An anderer Stelle heißt es in Bezug auf Interessenkonflikte (und die „Unabhängigkeit“ von Aufsichtsratsmitgliedern), „dass die praktische Bedeutung der relevanten Fragen in einem auffälligen Missverhältnis zu ihrer dogmatischen Durchdringung steht“8. Noch grundlegender ist das Verdikt, einen einheitlichen Begriff des Interessenkonflikts gebe es nicht9. Zu untersuchen ist, wie de lege lata mit Interessenkonflikten von Aufsichtsratsmitgliedern verfahren wird und werden muss. Es soll insofern ein schlüssiges System herausgearbeitet und entwickelt werden, das in erster Linie die zu ergreifenden Maßnahmen im Fall eines bestehenden Interessenkonflikts im Aufsichtsrat umfasst, des Weiteren aber auch die Rechtsfolgenseite berücksichtigt und alledem vorgelagerte, durch Interessenkonflikte bedingte Anforderungen und Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Auswahl und der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern mit einbezieht. In Wechselwirkung dazu muss hiermit angesichts des Status quo der Diskussion eine 4  Siehe monografisch Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, passim; des Weiteren Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, passim; Matthießen, Stimmrecht, passim; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, passim; daneben Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, passim. 5  Vgl. dem Grunde nach überstimmend, jedoch noch weitergehend Koch, ZGR 2014, 697, 698 f. („recht umfassende Dogmatik des Interessenkonflikts“ vorhanden). 6  Siehe T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 128. 7  Koch, ZGR 2014, 697, 700. 8  Löbbe/Reichert, ZGR 2014, 693, 694. 9  Koch, ZGR 2014, 697, 706 und 730. Nach Martinek, WRP 2008, 51, 54, wird „[d]ie Grenzziehung zwischen tolerablen und sanktionsbedürftigen Interessenkonflikten […] unterschiedlich vorgenommen [und] eine ausdifferenzierte und allgemein konsentierte Dogmatik hierzu hat sich noch nicht ausgeformt“, wobei sich letztere ihm zufolge „doch allmählich anzubahnen“ scheinen soll.

28

§ 1 Einführung

terminologische wie dogmatische Aufarbeitung einhergehen. Umgekehrt müssen terminologische und dogmatische Aspekte stärker als bislang als Elemente und zugleich Maßstab eines besser zugänglichen, in sich stimmigen Systems hinter der Adressierung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat fungieren.

B. Gang der Untersuchung Die Untersuchung erfolgt in vier Abschnitten. Zu Beginn (§ 2) wird zunächst – soweit erforderlich unter punktueller Skizzierung der Organisationsverfassung der AG – erarbeitet, welche Einwirkungsmöglichkeiten der Aufsichtsrat auf das relevante Unternehmensinteresse besitzt und warum der Aufsichtsrat mit Blick auf letzteres als besonders anfällig für Interessenkonflikte gilt. Als Fundament der weiteren Ausführungen und Baustein einer profunden Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand erscheint es sodann geboten, den Begriff des Interessenkonflikts näher zu beleuchten. Der Begriff des Interessenkonflikts und weitere Aspekte terminologischer bzw. dogmatischer Natur müssen dabei schon mit Rücksicht auf die späteren Ausführungen betrachtet werden. Zu fragen ist, warum die Notwendigkeit der rechtlichen Behandlung von Interessenkonflikten besteht und wie diese rechtstechnisch zu erfassen sind. Von besonderer Bedeutung ist die Einteilung bzw. Differenzierung von Interessenkonflikten unter bestimmten Gesichtspunkten. Schließlich ist auf das Verhältnis des Interessenkonfliktbegriffs zu dessen tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Synonymen und den Begriff der „Pflichtenkollision“ einzugehen. Der darauf folgende Abschnitt basiert auf der Erwägung, eine besonders konfliktträchtige Personalie bei der Besetzung des Aufsichtsrats von vornherein für unzulässig zu befinden und auf diese Weise Interessenkonflikte zu vermeiden (§ 3). Hierbei ist an gesetzlich geregelte oder auf Analogiebasis anzunehmende Inkompatibilitäten zu denken, aufgrund derer im Fall bestimmter Umstände, die in einem potenziellen Aufsichtsratsmitglied liegen oder diesem anhaften, eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat womöglich ausscheidet. Weitere Ansatzpunkte sind ein mögliches Wettbewerbsverbot sowie das bisweilen für Aufsichtsratsmitglieder bestehende Unabhängigkeitspostulat. Im letztgenannten Fall und insgesamt im Rahmen einer Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse ist ein Rückbezug zum Begriff und zur Typologie von Interessenkonflikten herzustellen. Innerhalb des Gesamtkonzepts zur Adressierung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat geht es im nächsten Abschnitt schwerpunktmäßig und im Detail um das Verfahren zur Behandlung der sich trotz aller Bemühungen zu ihrer Vermeidung ergebenden Interessenkonflikte im Aufsichtsrat (§ 4). Die



B. Gang der Untersuchung29

Behandlung von Interessenkonflikten erfolgt auf der Basis einer Reihe verschiedener Interessenkonfliktmaßnahmen, unter denen die Offenlegung eines etwaigen Interessenkonflikts über eine Schlüsselfunktion verfügt. Im Anschluss an die Untersuchung der Offenlegungspflicht müssen das auf die Offenlegung folgende Verfahren skizziert und die übrigen Interessenkonfliktmaßnahmen zunächst festgelegt und dann erörtert werden. Abgesehen von der Identifikation der jeweiligen Rechtsgrundlage aller Interessenkonfliktmaßnahmen ist die Erörterung darauf angelegt, deren jeweilige Modalitäten und materielle Voraussetzungen im Einzelnen darzulegen und zu ermitteln. Es sind wiederum der Begriff und die Typologie von Interessenkonflikten in die Ausführungen einzubeziehen, wozu sich auch und gerade die erneute Bewertung der vorherigen Ergebnisse anbietet. Konsequenterweise ist zuletzt auf die Folgen eines Verstoßes gegen die bis dahin herausgearbeiteten Pflichten des von einem Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglieds und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder einzugehen (§ 5). Zu denken ist an die Auswirkungen eines hinter den Erwartungen zurückbleibenden Umgangs mit Interessenkonflikten oder aber einer übermäßigen Beschränkung der Rechte eines Aufsichtsratsmitglieds aus dem Blickwinkel von Interessenkonflikten auf sodann gefasste Aufsichtsratsbeschlüsse. In gleicher Weise muss die mögliche Haftung sowohl des Konfligierten10 als auch der übrigen Aufsichtsratsmitglieder für entsprechende Verstöße im Kontext jener Pflichten untersucht werden. Von besonderem Interesse ist dann die Frage der Anwendbarkeit der Business Judgment Rule, die im Fall eines Interessenkonflikts nach Lage der Dinge speziell in Bezug auf den von diesem Betroffenen, aber durchaus auch hinsichtlich der übrigen Aufsichtsratsmitglieder verneint wird. Unter Berücksichtigung der vorherigen Untersuchungsergebnisse ist dabei der bislang fehlenden Abstimmung und Verzahnung mit den Grundsätzen zur Behandlung von Interessenkonflikten nachzugehen. Neben entsprechenden dogmatischen Überlegungen ist abermals auf typologische Aspekte zu rekurrieren, was in beiderlei Hinsicht ebenso für die auch an dieser Stelle vorzunehmende Bewertung der erzielten Resultate gilt. Am Schluss werden die wesentlichen Untersuchungsergebnisse in Thesen zusammengefasst (§ 6).

10  Die vorliegende Untersuchung spricht alle Geschlechter gleichermaßen an. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde, wo kein geschlechtsneutraler Begriff eingesetzt ist, nur die männliche Sprachform verwendet. Diese ist deshalb als geschlechtsneutral anzusehen.

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat Interessenkonflikte tauchen in einer Vielzahl unterschiedlicher Bereiche auf. So werden im Strafrecht etwa Interessenkonflikte bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers1 und im öffentlichen Recht solche im Rahmen eines Vergabeverfahrens2 adressiert. Dort und auf etlichen weiteren Feldern kann das mögliche Vorkommen von Interessenkonflikten als gegeben betrachtet werden. Die Grundannahme und zugleich Dikussions- und Regelungsanlass ist in allen Fällen die drohende ungebührliche und irreguläre Vernachlässigung eines bestimmten Interesses. Das gilt auch für den Aufsichtsrat. Dass hier Interessenkonflikte auftreten können, muss außer Frage stehen, doch ist nachzuzeichnen, warum Aufsichtsratsmitglieder sogar besonders anfällig für Interessenkonflikte sind. Kann der Inhalt des Begriffs des Interessenkonflikts bis zu diesem Punkt noch dahinstehen, bedarf er sodann einer näheren Bestimmung. Diese Untersuchung des Interessenkonfliktbegriffs sowie die Einteilung von Interessenkonflikten anhand unterschiedlicher Kriterien müssen gründlich und mit Bedacht vorgenommen werden. Sie bilden den Grundstein eines bislang fehlenden, stringenten Systems zur Erfassung und Behandlung von Interessenkonflikten und ermöglichen die Herstellung und Erläuterung verschiedener dogmatischer Zusammenhänge.

A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats Der Auseinandersetzung mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat liegt die Annahme zugrunde, aus ihnen könnten Nachteile für das Unternehmensinteresse der jeweiligen AG folgen. Dafür sind zwei Aspekte maßgeblich: Erstens ist von Bedeutung, inwieweit der Aufsichtsrat das Unternehmensinteresse beeinflussen kann. Die entsprechenden Einwirkungsmöglichkeiten sind abhängig von den Zuständigkeiten und Befugnissen des Aufsichtsrats im Organgefüge der AG. Zweitens ist ausschlaggebend, wie das Unternehmensinteresse der AG bemessen ist und inwieweit eine Berührung des Unterneh1  Vgl.

BGH, NStZ 2016, 115, 115. Kaufmann, in: Pünder/Schellenberg, § 124 Rn. 63 ff., zu § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB, worin explizit auf das Vorliegen eines Interessenkonflikts abgestellt wird. 2  Vgl.



A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats 31

mensinteresses durch die Aktivitäten des Aufsichtsrats anstelle eines dahingehenden Nachteils in Wahrheit dessen Verwirklichung bedeutet.

I. Die Organe der AG und ihre Kompetenzen Die AG ist Körperschaft sowie juristische Person.3 Um rechtsgeschäftlich zu handeln, bedarf die AG daher bestimmter Organe. Drei solche existieren zwingend: Neben dem Aufsichtsrat (§§ 95 ff. AktG) sind dies der Vorstand (§§ 76 ff. AktG) und die Hauptversammlung (§§ 118 ff. AktG). Die daraus abzuleitende Trias von Leitung, Überwachung und Eigentum (bzw. von ­Leitung, Aufsicht und Willensbildung4) vereint die Gedanken der organisa­ torischen Trennung von Leitung und Kontrolle sowie der Trennung von Management und Kapital. Derweil besteht keine Hierarchie, sondern vielmehr eine Machtbalance zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung.5 In diesem „System der Gewaltenteilung“6 bzw. der „checks and balances“7 verfügen die Organe der AG über einen individuellen und selbstständig wahrzunehmenden Kompetenzbereich.8 Wegen der in § 23 Abs. 5 AktG normierten Satzungsstrenge sind dabei Organisationsverfassung und Zuständigkeitsverteilung der AG zwingend. 1. Der Vorstand: Zentrales Organ der Geschäftsführung Dem Vorstand obliegt gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Leitung der Gesellschaft unter eigener Verantwortung. Unter den Begriff der Leitung fallen „grundlegende Entscheidungen […] sowie andere Entscheidungen von größerer Bedeutung“9, wodurch zugleich die Führungs- bzw. Unternehmerfunkaller Saenger, GesR, Rn. 520. allgemein K. Schmidt, GesR, S. 408 f.; Schürnbrand, Organschaft, S. 30 f. 5  Hüffer/Koch, § 118 Rn. 4; ebenso Bürgers, in: Bürgers/Körber, § 76 Rn. 2; Herrler, in: Grigoleit, § 118 Rn. 1; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 19; Reger, in: Bürgers/Körber, § 118 Rn. 1; vgl. auch BVerfG, NZG 2000, 192, 193 („Aktionäre [sind] den anderen Gesellschaftsorganen nicht übergeordnet“) – Wenger/ Daimler-Benz. 6  K. Schmidt, GesR, S. 781. 7  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 19; Saenger, GesR, Rn. 607. 8  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 146; Hoffmann, in: BeckOGKAktG, Stand: 01.07.2020, § 118 Rn. 7; vgl. auch Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 1. 9  Mi. Oltmanns, in: Heidel, § 76 AktG Rn. 5, der exemplarisch Zielkonzeption, Organisation, Führungsgrundsätze, die Besetzung von Führungspositionen, Unternehmensplanung, Strategie und Geschäftspolitik nennt. Hinzu kommen die dem Vorstand gesetzlich zugewiesenen Leitungsaufgaben (etwa §§ 83, 90, 91, 92, 110 Abs. 1, 119 Abs. 2, 121, 170, 245 Nr. 4 AktG), so Bürgers, in: Bürgers/Körber, § 76 Rn. 9. 3  Statt 4  Vgl.

32

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

tion des Vorstands zum Ausdruck kommt.10 Die in der Norm statuierte Eigenverantwortlichkeit markiert hierbei vor allem die Freiheit von Weisungen (des Aufsichtsrats, der Hauptversammlung oder von Aktionären).11 Die Leitung des Unternehmens repräsentiert einen besonderen Teilausschnitt der Geschäftsführung.12 Die Geschäftsführung steht dem Vorstand nach § 77 Abs. 1 AktG zu. Sie ist weiter gefasst und beinhaltet alle tatsächlichen wie rechtlichen Handlungen für die AG.13 Die Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis kann gemäß § 82 Abs. 2 AktG beschränkt werden, während die Vertretungsmacht im Außenverhältnis (§ 78 Abs. 1 S. 1 AktG), kraft derer der Vorstand rechtsgeschäftlich gegenüber Dritten im Namen der AG handelt, im Grundsatz gar unbeschränkbar ist, § 82 Abs. 1 AktG.14 Leitung der Gesellschaft, Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft sind Recht und Pflicht des Vorstands zugleich.15 Das Aktiengesetz und andere Gesetze sehen diverse weitere (Verhaltens‑)Pflichten der Vorstandsmitglieder vor. Als generalklauselartige Auffangnorm für die objektiven Verhaltenspflichten der Vorstandsmitglieder fungiert § 93 Abs. 1 S. 1 AktG,16 welcher die den Vorstandsmitgliedern obliegende Sorgfaltspflicht beschreibt. Danach haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Zusätzlich folgt aus der Organstellung der Vorstandsmitglieder eine Treuepflicht gegenüber der AG,17 deren einzelne Ausprägungen von Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitet wurden und zum Teil gesetzlich verankert sind. Neben dem Wettbewerbsverbot aus § 88 Abs. 1 S. 1 und 2 AktG und der in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG gesondert kodifizierten Pflicht zur Ver-

10  Mk. Weber, in: Hölters, § 76 Rn. 8; Wentrup, in: MüHdbGesR IV, § 19 Rn. 16 m. w. N. 11  Mi. Oltmanns, in: Heidel, § 76 AktG Rn. 7; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, § 76 Rn. 34. 12  H. M., siehe Hüffer/Koch, § 76 Rn. 8; Kort, in: GK-AktG, § 76 Rn. 28; Wentrup, in: MüHdbGesR IV, § 19 Rn. 16. 13  Bürgers, in: Bürgers/Körber, § 77 Rn. 2; Grigoleit, in: Grigoleit, § 77 Rn. 2; Mi. Oltmanns, in: Heidel, § 76 AktG Rn. 5; Wentrup, in: MüHdbGesR IV, § 19 Rn. 16. 14  Vgl. statt aller Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 82 Rn. 1; instruktiv zu den gesetzlichen Beschränkungen der Vertretungsbefugnis Spindler, in: MüKoAktG, § 82 Rn. 18–26. 15  Statt vieler Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 25 Rn. 1. 16  Ganz h. M., Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 15; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 43; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 5; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 11; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 6. 17  Frodermann/von Eiff, in: Frodermann/Jannott, 7. Kap. Rn. 172; Liebscher, in: BeckHdbAG, § 6 Rn. 123; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 21; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 13.



A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats 33

schwiegenheit18 zählt zu diesen u. a. auch das Postulat, Geschäftschancen der Gesellschaft für diese wahrzunehmen.19 Das alleinige Augenmerk des Vorstands muss auf dem Wohl der Gesellschaft und darf nicht auf dem eigenen Vorteil oder demjenigen Dritter liegen.20 Mit der Verantwortlichkeit des Vorstands korreliert gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG eine strenge Haftung, da hiernach Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet sind. Dabei hat § 93 Abs. 1 S. 1 AktG insoweit eine Doppelfunktion, als die Norm auch den Maßstab für das Verschulden darstellt,21 für welches die Vorstandsmitglieder wiederum die Exkulpationslast tragen, § 93 Abs. 2 S. 2 AktG.22 Die Wahrnehmung der unternehmerischen Leitungsfunktion wird durch den Zwiespalt zwischen der Ergreifung risikobehafteter Geschäftsgelegenheiten und der persönlichen Haftung im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags gekennzeichnet. An dieser Stelle kommt den Vorstandsmitgliedern die in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG normierte Business Judgment Rule23 zugute und sie haften jedenfalls dann nicht, wenn sich die getroffene Entscheidung im Vorhinein unter Beachtung der einschlägigen Voraussetzungen als richtig und vernünftig dargestellt hat. 2. Die Hauptversammlung: Willensbildungsorgan der Aktionäre Ihre Rechte in Gesellschaftsangelegenheiten üben die Aktionäre größtenteils24 in der Hauptversammlung aus, § 118 Abs. 1 S. 1 AktG. Dadurch findet 18  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 93 Rn. 74, 79  f.; für die Einordnung des ­ ettbewerbsverbots als gesetzliche Ausprägung der Treuepflicht ebenso Sailer-CoceW ani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 21. Für die Einordnung der Verschwiegenheitspflicht als Konkretisierung der Treuepflicht Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 193; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 29; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 130; dagegen führen Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 113 m. w. N., die Verschwiegenheitspflicht auch auf die Sorgfaltspflicht zurück. 19  Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 21; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 125; vgl. auch Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 237, 250 und 279. 20  Zusammenfassend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 227 m. w. N. 21  Siehe die in § 2 Fn. 16 Genannten. 22  Frodermann/von Eiff, in: Frodermann/Jannott, 7. Kap. Rn. 228; K. Schmidt, GesR, S. 816. 23  Vorliegend wird der insgesamt stärker verbreiteten und in den USA vorherrschenden Schreibweise von „judgment“ gefolgt, der sich auch der Gesetzgeber bedient, siehe etwa BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 10 f.; im Britischen „judgement“. 24  Vgl. Hoffmann, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 118 Rn. 8. Von den versammlungsgebundenen Aktionärsrechten sind danach die nicht versammlungsgebundenen Aktionärsrechte zu unterscheiden, siehe im Einzelnen Kubis, in: MüKoAktG, § 118 Rn. 35 ff.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

einerseits eine Mediatisierung der Rechte des einzelnen Aktionärs statt, andererseits wird der Einfluss der Aktionäre gebündelt, strukturiert und organisiert.25 Die Hauptversammlung dient ihnen – den Gesellschaftern bzw. Mitgliedern der AG – erstens als Willensbildungsorgan, in (wenigen) Ausnahmefällen wird die Gesellschaft vermittels der Hauptversammlung durch sie vertreten.26 Neben jener funktionalen Kennzeichnung des entsprechenden Organs steht die Hauptversammlung zweitens für das in Anbetracht dieser Zwecksetzung und anhand der §§ 121 ff. AktG ordnungsgemäß einberufene und durchgeführte Zusammentreffen der Aktionäre an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit.27 Als „ordentliche“28 solche findet sie zur Ausei­ nandersetzung und Beschlussfassung über die zwingend jährlich zu behandelnden Tagesordnungspunkte29 jedenfalls einmal pro Jahr statt,30 sodass auch eine regelmäßige Aussprache mit den ebenfalls anwesenden Verwaltungsorganen31 möglich ist. Grundsätzlich sind sämtliche Aktionäre zur Teilnahme berechtigt.32 Die Hauptversammlung entscheidet durch Beschluss, vgl. § 133 AktG. In diesem manifestiert sich dabei der gemeinsame Aktionärswille.33 Von den Vermögens- und Verwaltungsrechten der Aktionäre34 ist daher neben dem 25  Koch, GesR, §  30 Rn. 31; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 118 Rn. 2. K. Schmidt, GesR, S. 844, spricht von der Hauptversammlung als „Sitz der Aktionärsdemokratie“. 26  Drinhausen, in: Hölters, § 118 Rn. 5; Kubis, in: MüKoAktG, § 118 Rn. 1, vgl. außerdem Hoffmann, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 118 Rn. 6; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 118 Rn. 12 f. 27  Drinhausen, in: Hölters, § 118 Rn. 6; Kubis, in: MüKoAktG, § 118 Rn. 1; Reger, in: Bürgers/Körber, § 118 Rn. 1; die Regeln in §§ 121 ff. AktG zu Einberufung und Ablauf dienen dabei vor allem den Belangen der Aktionäre, siehe nur M. Müller, in: Heidel, § 121 AktG Rn. 2. 28  Das Aktiengesetz erwähnt diesen Begriff nur in der amtlichen Überschrift vor den §§ 175, 176 AktG, so Kubis, in: MüKoAktG, § 118 Rn. 2. Jede zu anderen Zwecken einberufene bzw. erforderliche Hauptversammlung ist dagegen „außerordentlich“, wobei die abweichende Deklaration keine rechtliche Bedeutung hat und stets die §§ 118 ff. AktG einschlägig sind, Steiner, in: Heidel, § 175 AktG Rn. 2. 29  Sog. Regularien; dazu Bungert, in: MüHdbGesR IV, § 35 Rn. 78 ff.; Drinhausen, in: Hölters, § 175 Rn. 4; Herrler, in: Grigoleit, § 118 Rn. 2. 30  Siehe etwa den Wortlaut von § 120 Abs. 1 S. 1 AktG („alljährlich“). 31  Für diese Funktion der Hauptversammlung Drinhausen, in: Hölters, § 118 Rn. 1. 32  Auch ohne ausdrückliche Regelung ist dies allgemein anerkannt, siehe die entsprechenden Ausführungen bei Hoffmann, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 118 Rn. 12. Zu Grenzen des Teilnahmerechts Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 118 Rn. 35, 45. 33  Austmann, in: MüHdbGesR IV, § 40 Rn. 1. 34  Ausführlich zu den aus der Mitgliedschaft folgenden Befugnissen Rieckers, in: MüHdbGesR IV, § 17 Rn. 3 ff.



A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats 35

Teilnahmerecht das relativ zur Beteiligungshöhe bestehende Stimmrecht hervorzuheben, § 134 AktG. Die Zuständigkeit der Hauptversammlung beschränkt sich nach § 119 Abs. 1 AktG auf die im Gesetz und in der Satzung explizit geregelten Fälle. Die Aufzählung in § 119 Abs. 1 AktG ist gleichwohl nur exemplarisch35 und knüpft vielmehr an einige der anderenorts im Aktiengesetz zu findenden Kompetenzregelungen zugunsten der Hauptversammlung an.36 Neben den laufenden Angelegenheiten unterfallen vor allem Grundlagenentscheidungen der Verantwortlichkeit der Hauptversammlung.37 Kraft der entsprechenden höchstrichterlichen Judikatur ist die Hauptversammlung über den Gesetzeswortlaut hinaus auch generell in Angelegenheiten von grundlegender Relevanz einzuschalten.38 Dem Bundesgerichtshof zufolge besteht ausnahmsweise ein Zustimmungserfordernis bei Maßnahmen, die Satzungsänderungen ähneln und damit die entsprechende Kernkompetenz der Hauptversammlung berühren.39 Indes ist die Hauptversammlung unter Vorbehalt eines dahingehenden Verlangens des Vorstands explizit von der Geschäftsführung ausgeschlossen, § 119 Abs. 2 AktG. Hauptversammlungsbeschlüsse unterliegen der Beschlusskontrolle (vgl. §§ 241 ff. AktG), durch welche ihre Rechtmäßigkeit sichergestellt werden soll. Gesetzes- und Satzungsverletzungen können dementsprechend die Nichtigkeit (§ 241 AktG) oder die Anfechtbarkeit (§ 243 AktG) von Hauptversammlungsbeschlüssen zur Folge haben. 35  Herrler,

in: Grigoleit, § 119 Rn. 7; Reger, in: Bürgers/Körber, § 119 Rn. 3. diesen zählen u. a. § 101 Abs. 1 S. 1 Var. 1 AktG (Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats, vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG), § 120 Abs. 1 AktG (Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG) und § 179 AktG (Satzungsänderungen, vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 6 AktG). Außerhalb von § 119 Abs. 1 AktG hat die Hauptversammlung die Möglichkeit des Vertrauensentzugs gegenüber Vorstandsmitgliedern (§ 84 Abs. 3 S. 2 AktG) und ist u. a. zuständig für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 103 Abs. 1 AktG), für die Bewilligung einer etwaigen Vergütung des Aufsichtsrats (§ 113 AktG) sowie für den Abschluss und die Änderung von Unternehmensverträgen (§§ 293 Abs. 1 und 2, 295 AktG). 37  Siehe die Zusammenstellung bei Veil, in: Raiser/Veil, § 16 Rn. 9. 38  BGHZ 83, 122, 122 – Holzmüller. Dort heißt es: „Bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre […] kann der Vorstand ausnahmsweise […] verpflichtet sein, […] eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen.“ Erfasst sind danach (siehe ebd., 131) „grundlegende[n] Entscheidungen, die […] so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreifen, daß der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe sie in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen.“ 39  BGH, NZG 2004, 575, 575 – Gelatine II; BGH, NJW 2004, 1860, 1860 – Gelatine I; dies ist vor allem bei einer Mediatisierung des Aktionärseinflusses anzunehmen. Grundlegend BGHZ 83, 122 – Holzmüller. Ausführlich zu alledem Hoffmann, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 119 Rn. 25 ff. 36  Zu

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

3. Der Aufsichtsrat: „Aufsicht“ und „Rat“ Die Aktionäre sind regelmäßig, speziell bei einem breit gestreuten, anonymen Anlegerkreis, als Gruppe nicht im Stande, eine zielführende Kontrolle der Unternehmensführung – des Vorstands – zu bewirken.40 Gerade deshalb ist an ihrer Stelle der Aufsichtsrat zur Überwachung des Vorstands berufen. Die Kontrollaufgabe sticht aus dem vielseitigen wie heterogenen Aufgabenspektrum des Aufsichtsrats41 hervor, das sich aus diversen im Aktiengesetz verteilten Normen ergibt, wenngleich sein Tun nicht darauf reduziert werden darf. a) Laufende Überwachung des Vorstands Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Überwachung des Vorstands ergibt sich aus § 111 Abs. 1 AktG. Die entsprechende Pflicht wird im Gesetz jedoch nur unvollkommen beschrieben.42 Die Prüfung hat am Maßstab des Gesellschaftszwecks zu erfolgen43 und reicht dabei in ihrem Umfang von der Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns und der ordnungsgemäßen Organisation bis hin zur Zweckmäßigkeit (Wirtschaftlichkeit) der Entscheidungen des Vorstands44. Gegenstand der Überwachung ist dem Gesetzeswortlaut zufolge die „Geschäftsführung“. Trotz dieser allgemeinen Bezeichnung verbirgt sich dahinter allein die Tätigkeit der Vorstandsmitglieder.45 Hier wiederum ist insofern eine Eingrenzung vorzunehmen, als das Objekt der Überwachung die Leitungsaufgabe des Vorstands i. S. v. § 76 Abs. 1 AktG ist.46 Erfasst wird

40  Vgl. Koch, GesR, § 30 Rn. 24; in der GmbH mit ihrer regelmäßig vergleichsweise überschaubaren Gesellschafterzahl ist dagegen die Gesellschafterversammlung das oberste Kontroll- und Überwachungsorgan, siehe § 46 Nr. 6 GmbHG. 41  In diesem Zusammenhang konstatiert Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 1, dass sich die zahlreichen Aufgaben des Aufsichtsrats „nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen“. 42  Nach Israel, in: Bürgers/Körber, § 111 Rn. 1, gibt die Norm Mindestanforderungen und Grenzen für die Überwachungstätigkeit vor. 43  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 39. 44  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 111 Rn. 20 f.; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 39; Hüffer/Koch, § 111 Rn. 14. 45  Nach h. M. betrifft die Überwachung dagegen nicht geschäftsführende Maßnahmen der Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG, siehe stellvertretend Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 111 Rn. 6. Zu der umstrittenen Frage, ob leitende Angestellte zu überwachen sind, Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 25. 46  Israel, in: Bürgers/Körber, § 111 Rn. 3; Hüffer/Koch, § 111 Rn. 2; von Schenck, in: von Schenck, § 7 Rn. 39; im Einzelnen Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 111 Rn. 111 ff. Zur Leitungsaufgabe des Vorstands siehe schon oben § 2 A. I. 1.



A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats 37

demnach die strategische Unternehmensführung.47 Eine Prüfung sämtlicher Geschäftsführungsmaßnahmen ist hingegen „weder möglich noch sinnvoll“48. Die Prüfung ist dabei auf eine retrospektive, vergangenheitsbezogene Kontrolle und eine zukunftsorientierte Überwachung gleichermaßen ausgerichtet.49 Die präventive Komponente schließt dabei notwendigerweise die Beratung des Vorstands ein.50 Die Überwachungs- und Prüfungspflicht des Aufsichtsrats wird durch § 171 Abs. 1 S. 1 AktG konkretisiert,51 indem darin eine Pflicht zur Prüfung von Jahresabschluss, Lagebericht und Gewinnverwendungsvorschlag statuiert wird. aa) Informations- und Einsichtsrechte Als Mittel der Überwachung sind im Aktiengesetz verschiedene Informationsrechte des Aufsichtsrats respektive Informationspflichten zu dessen Gunsten niedergelegt. Nach § 90 Abs. 1 AktG ist der Vorstand zur unaufgeforderten, primär periodischen, teilweise anlassbedingten Berichterstattung gegenüber dem Aufsichtsrat verpflichtet; hinzu kommen nach § 90 Abs. 3 AktG Anforderungsberichte auf Verlangen des Aufsichtsrats.52 Die Verschwiegenheitspflicht der Vorstandsmitglieder relativiert die Pflicht zur Informationsweitergabe dabei nicht.53 Außerdem hat der Aufsichtsrat das Recht zur Einsicht von Büchern, Schriften und Vermögensgegenständen der Gesellschaft (§ 111 Abs. 2 S. 1 AktG) und zur Erteilung diesbezüglicher Prüfungsaufträge (§ 111 Abs. 2 S. 2 AktG).

47  Habersack,

in: MüKoAktG, § 111 Rn. 12. in: Grigoleit, § 111 Rn. 35; zugleich allg. A., siehe nur Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 111 Rn. 11 m. w. N. Detailliert zu den Anforderungen an den Aufsichtsrat Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 111 Rn. 16. 49  BGH, NJW 1991, 1830, 1831; Huthmacher, Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 30 ff.; Hüffer/Koch, § 111 Rn. 13. 50  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 111 Rn. 18 f.; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 33; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 111 Rn. 26. Zur Verortung der Beratungspflicht Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 111 Rn. 274 m. w. N. (Bestandteil der Überwachungsaufgabe). 51  Für diese Einordnung E. Vetter, in: Henssler/Strohn, § 171 AktG Rn. 1. Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 4, sehen darin (zusammen mit anderen Vorschriften) den Ausgangspunkt der vergangenheitsbezogenen Kontrolle der Geschäftsführung. 52  Mit dieser Unterscheidung nach dem „Berichtsimpuls“ Fleischer, in: BeckOGKAktG, Stand: 15.01.2020, § 90 Rn. 7. Der Aufsichtsrat muss allerdings aktiv auf die Informationsweitergabe hinwirken, er hat insofern eine Holschuld, Israel, in: Bürgers/ Körber, § 90 Rn. 7. 53  Israel, in: Bürgers/Körber, § 111 Rn. 7; Hüffer/Koch, § 90 Rn. 3. 48  Grigoleit/Tomasic,

38

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

bb) Zustimmungsvorbehalte Das wichtigste Instrument zur präventiven Kontrolle ist das bzw. die in § 111 Abs. 4 S. 2 AktG normierte Recht bzw. Pflicht des Aufsichtsrats, Zustimmungsvorbehalte für bestimmte Arten von Geschäften vorzusehen.54 Trifft die Satzung eine Regelung über die zustimmungsbedürftigen Geschäfte, so ist diese nicht abschließend, vielmehr kann der Aufsichtsrat den in der Satzung niedergelegten Katalog solcher Geschäfte ergänzen.55 Verzichtet die Hauptversammlung auf die Aufnahme von Zustimmungsvorbehalten in die Satzung, muss der Aufsichtsrat tätig werden.56 Die Zustimmungsvorbehalte bewirken faktisch eine Limitation des in § 111 Abs. 1 und 4 S. 1 AktG verankerten dualistischen Aufgabenmodells.57 cc) Sonstige Mittel der Überwachung Neben expliziten Zustimmungsvorbehalten kann der Aufsichtsrat gemäß § 77 Abs. 2 AktG auch mittels einer Geschäftsordnung des Vorstands diesem organisatorische Vorgaben machen. Als Hilfsmittel dient ihm ferner das gemäß § 91 Abs. 2 AktG vom Vorstand zu implementierende Früherkennungssystem für existenzgefährdende Entwicklungen, dessen Einrichtung ebenfalls der Überwachung durch den Aufsichtsrat unterliegt.58 Der Abschlussprüfer hat eine Hilfsfunktion zugunsten des Aufsichtsrats.59 Bei der Erteilung des Prüfungsauftrags nach § 111 Abs. 2 S. 3 AktG kann der Aufsichtsrat Prüfungsschwerpunkte definieren.60

54  Zum Kreis (möglicher) zustimmungspflichtiger Geschäfte bzw. Maßnahmen siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 120 ff. Wesentliche Voraussetzung ist danach jeweils eine grundlegende Bedeutung für die Gesellschaft. 55  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 111 AktG Rn. 30; Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 29 Rn. 21; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 111 Rn. 641. 56  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 111 Rn. 54; Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 117 („Auffangzuständigkeit“); Hüffer/Koch, § 111 Rn. 38; a. A. aber offenbar Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 21, dem zufolge der Satzungsgeber aktiv werden muss, wenn der Aufsichtsrat keine Zustimmungsvorbehalte festlegt. 57  Vgl. Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 2, Hüffer/Koch, § 111 Rn. 33, und tendenziell Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 111 Rn. 74. 58  Israel, in: Bürgers/Körber, § 111 Rn. 8. 59  BegrRegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 16; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 1 Rn. 71; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 111 Rn. 4. 60  Habersack, in: MüKoAktG, § 111 Rn. 90 und 96; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 111 Rn. 378; Hüffer/Koch, § 111 Rn. 29.



A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats 39

b) Einfluss auf die Unternehmenspolitik Im Rahmen der mit der Überwachungsaufgabe untrennbar einhergehenden Beratung begleitet der Aufsichtsrat den Vorstand bei dessen Entscheidungen und dient diesem als Ansprechpartner. Der Aufsichtsrat ist dabei vor allem über die laufende gemeinschaftliche Erörterung von Grundfragen61 der Unternehmenspolitik und der betrieblichen Entwicklung am Entscheidungsprozess des Vorstands und an den daraus resultierenden Maßnahmen beteiligt.62 Diese Rolle hat erheblich an Bedeutung gewonnen.63 Freilich ist die in § 111 Abs. 4 S. 1 AktG angelegte Funktionstrennung zu beachten – von der Geschäftsführung ist der Aufsichtsrat ausgeschlossen. Seit jeher verfügt der Aufsichtsrat über die Personalkompetenz aus § 84 AktG und entscheidet folglich über die Bestellung der Vorstandsmitglieder, § 84 Abs. 1 S. 1 AktG, und damit einhergehend über den Abschluss des (Vorstands‑)Anstellungsvertrags, § 84 Abs. 1 S. 5 AktG, spiegelbildlich über den Widerruf der Bestellung, § 84 Abs. 3 S. 1 AktG, und die Kündigung des Anstellungsvertrags, § 84 Abs. 3 S. 5 i. V. m. § 112 AktG.64 Die Hauptversammlung kann zwar Eignungsvoraussetzungen für Vorstandsmitglieder in der Satzung festlegen, jedoch darf das Auswahlermessen des Aufsichtsrats nicht ausgehöhlt werden.65 Eine wesentliche Komponente des Anstellungsvertrags bilden Vereinbarungen über die Bezüge der Vorstandsmitglieder, wobei der Aufsichtsrat die Vorgaben aus § 87 AktG beachten

61  Diese Beschränkung entspricht derjenigen im Rahmen der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat, siehe oben § 2 A. I. 3. a). 62  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 111 Rn. 33 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 58. Siehe auch Grundsatz 2 DCGK, Grundsatz 6 Abs. 1 DCGK und Grundsatz 13 DCGK. 63  Vgl. nur Bachmann, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 337, 337 („vom reaktiven Überwacher zum proaktiven Berater“), und Lutter, DB 2009, 775, 775 („vom […] Kontrolleur zum […] Mitunternehmer“), ferner Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 13; kritisch, im Hinblick auf die jedenfalls anzunehmende Teilhabe des Aufsichtsrats an der Leitungsaufgabe des Vorstands jedoch letztlich übereinstimmend Wentrup, in: MüHdbGesR IV, § 19 Rn. 15. 64  Für die Kündigung gelten gemäß § 84 Abs. 3 S. 5 AktG die allgemeinen Vorschriften, insbesondere § 626 BGB, siehe im Einzelnen Hüffer/Koch, § 84 Rn. 48 ff. Weitere personalbezogene Zuständigkeiten ergeben sich aus § 89 AktG (Entscheidung über Kreditgewährungen an Vorstandsmitglieder, Prokuristen und Generalbevollmächtigte sowie an deren Angehörige), § 114 AktG (Zustimmung zu Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern) und § 115 AktG (Entscheidung über die Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder sowie an deren Angehörige). 65  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 20; Kort, in: GK-AktG, § 76 Rn. 274; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 333.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

muss.66 Durch § 32 MitbestG und § 15 MitbestErgG wird dem Aufsichtsrat außerdem eine Entscheidungsbefugnis der Art verliehen, dass sich der Vorstand der paritätisch mitbestimmten AG bei der Ausübung der Mitgliedsrechte in der ebenso paritätisch mitbestimmten Untergesellschaft im Zusammenhang mit bestimmten Personal- und Strukturentscheidungen nach den Beschlüssen des Aufsichtsrats zu richten hat und von diesen abhängig ist.67 Entsprechend dem Zweck von § 32 MitbestG, bei der Verbindung zweier mitbestimmter Gesellschaften einer Potenzierung der Arbeitnehmermitbestimmung entgegenzuwirken,68 kommt es dabei ausdrücklich auf die Mehrheit der Stimmen der Anteilseignervertreter an (§ 32 Abs. 1 S. 2 MitbestG bzw. § 15 Abs. 1 S. 2 MitbestErgG). c) Weitere Kompetenzen und Aufgaben Im Zusammenhang mit der Hauptversammlung ist der Aufsichtsrat zu deren Einberufung berechtigt und verpflichtet, wenn das Wohl der Gesellschaft es erfordert, § 111 Abs. 3 S. 1 AktG.69 Gemäß § 124 Abs. 3 S. 1 AktG hat er zu jedem Gegenstand der Tagesordnung, über welchen die Hauptversammlung Beschluss fassen soll, sowie zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Prüfern Vorschläge zur Beschlussfassung zu machen. Über das Ergebnis der Prüfung von Vorlagen (§ 171 Abs. 1 S. 1 AktG) und die Prüfung der Geschäftsführung (§ 111 AktG) des Vorstands berichtet der Aufsichtsrat nach § 171 Abs. 2 AktG schriftlich an die Hauptversammlung.70

66  Bei börsennotierten Gesellschaften sind zudem §§ 87a, 120a AktG sowie Empfehlung G.1 DCGK bis Empfehlung G.16 DCGK von Belang, im Überblick Wentrup, in: MüHdbGesR IV, § 21 Rn. 35 f. 67  Über die Wirkung von § 111 Abs. 4 S. 2 AktG hinaus ist der Vorstand nicht nur in seiner Geschäftsführungsbefugnis beschränkt und intern zur Einholung der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats verpflichtet, sondern auch in seiner externen Vertretungsmacht limitiert – der Sache nach führt hier der Aufsichtsrat die Geschäfte, so Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 85. 68  Annuß, in: MüKoAktG, § 32 MitbestG Rn. 1; Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 29 Rn. 81. 69  Notwendig ist laut Hüffer/Koch, § 111 Rn. 30, dass die Hauptversammlung über den betreffenden Gegenstand Beschluss fassen kann und dieser bestimmten Interessen der AG dient, die sonst nicht ohne Weiteres gesichert werden könnten. Ein etwaiges Einberufungsrecht des Aufsichtsrats zwecks bloßer Erörterung von Geschäftsführungsfragen ist umstritten, dafür etwa Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 111 Rn. 46, dagegen etwa Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 111 Rn. 68, jeweils m. w. N. 70  Zu den einzelnen Berichtspunkten siehe Hennrichs/Pöschke, in: MüKoAktG, § 171 Rn. 187 ff.



A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats 41

Des Weiteren kann der Aufsichtsrat bei einer Übertragung der entsprechenden Befugnis durch die Hauptversammlung zur Änderung der Satzungsfassung71 befugt sein, § 179 Abs. 1 S. 2 AktG. Durch seine gemäß § 202 Abs. 3 S. 2 AktG bzw. § 204 Abs. 1 S. 2 AktG notwendige Zustimmung ist er bei der Ausnutzung genehmigten Kapitals involviert.72 Neben dem Vorstand trifft ihn die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex nach § 161 Abs. 1 AktG. Zwar wird der Abschlussprüfer von der Hauptversammlung bestellt (§ 119 Abs. 1 Nr. 5 AktG), die Erteilung des Prüfungsauftrags und der Abschluss des Prüfungsvertrags obliegt gemäß § 111 Abs. 2 S. 3 AktG jedoch dem Aufsichtsrat73. Dieser stellt außerdem den Jahresabschluss fest, § 172 AktG. Schließlich vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern, § 112 AktG. Zur Überwachungsaufgabe zählt dementsprechend auch die Prüfung von Ersatzansprüchen gegen (ehemalige) Vorstandsmitglieder.74 d) Verhaltensanforderungen und Verantwortlichkeit Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind der Gesellschaft bei Pflichtverletzungen unter den Voraussetzungen von § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet. Die Regelungen aus § 93 AktG betreffend Sorgfaltspflicht, Treuepflicht und Haftung der Vorstandsmitglieder75 gelten insofern grundsätzlich sinngemäß.76 Zur Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft ist aufgrund von § 78 Abs. 1 AktG regelmäßig der Vorstand berufen.77 Für die Aufsichtsratsmitglieder folgt die Verschwiegenheitspflicht aus § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG sowie aus § 116 S. 2 AktG. Die Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kommt

71  Das sind allerdings nur solche Änderungen ohne sachlichen Regelungsgehalt, so Ehmann, in: Grigoleit, § 179 Rn. 9. 72  Die Zustimmung gemäß § 204 Abs. 1 S. 2 AktG ist dabei Wirksamkeitsvoraussetzung für den Aktieninhalt, Ausgabebedingungen und einen Bezugsrechtsausschluss, so Apfelbacher/Niggemann, in: Hölters, § 204 Rn. 8. Demgegenüber ist § 202 Abs. 3 S. 2 AktG als Sollvorschrift ausgestaltet, Wamser, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 202 Rn. 92. 73  Siehe schon oben § 2 A. I. 3. a) cc). 74  Stellvertretend Breuer/Fraune, in: Heidel, § 111 AktG Rn. 12. 75  Dazu oben § 2 A. I. 1. 76  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 70; Saenger, GesR, Rn. 603; zur Pflichtenbindung im Einzelnen Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 116 Rn. 2 ff. Unterschiede bestehen hinsichtlich des Wettbewerbsverbots, dazu noch unten § 3 B. 77  Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 77; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 90; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 116 AktG Rn. 15; Hoffmann-­ Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 70.

42

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

den Aufsichtsratsmitgliedern dem Grunde nach ebenfalls zugute.78 Die Aufsichtsratsmitglieder sind zur Wahrung des Unternehmensinteresses verpflichtet.79

II. Das von den Aufsichtsratsmitgliedern der AG zu wahrende Unternehmensinteresse Das Unternehmensinteresse stellt die einheitliche Verhaltensmaxime der Aufsichtsratsmitglieder der AG dar,80 den Maßstab, an welchem sie sich bei der Ausübung ihrer organschaftlichen Befugnisse zu orientieren haben. Eine prägnante und abschließende Bestimmung dessen, was sich hinter dem diffusen Begriff des Unternehmensinteresses verbirgt, hat die wissenschaftliche Diskussion bislang nicht hervorgebracht.81 Zumindest eine Gleichsetzung des Unternehmensinteresses mit den Inte­ ressen allein der Anteilseigner (Aktionäre) wird in der AG überwiegend abgelehnt.82 Stattdessen sind die Unternehmensorgane gehalten, neben den Interessen der Aktionäre der betreffenden Gesellschaft auch diejenigen anderer mit dem Unternehmen verbundener Anspruchsgruppen („Stakeholder“) zu

78  Stellvertretend Breuer/Fraune, in: Heidel, § 116 AktG Rn. 4  f.; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 13 und 19; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 67; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 44. 79  BGHZ 135, 244, 252 f. – ARAG/Garmenbeck; BGH, NJW 1975, 1412, 1413; BGHZ 36, 296, 306; Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 11; Hambloch-Gesinn/ Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 13; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 8 und 24; siehe auch Thomas, Haftungsfreistellung, S. 41 ff. Weitere Nachweise bei Löbbe, Unternehmenskontrolle, S. 46 Fn. 1; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 2 Fn. 13; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 13. Auch im DCGK kommt die Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse zum Ausdruck, siehe für den Aufsichtsrat Präambel Abs. 1 S. 2 und 3 DCGK, Grundsatz 10 S. 4 DCGK und Grundsatz 19 S. 1 DCGK. 80  Siehe die Nachweise in § 2 Fn. 79. Kritisch Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 50. Teilweise wird auch von einer Verpflichtung auf das „Gesellschaftsinteresse“ gesprochen; ein sachlicher Unterschied zum Unternehmensinteresse besteht indes aus heutiger Perspektive nicht, siehe Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 46; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 51 ff.; Mk. Weber, in: Hölters, § 76 Rn. 23 (bezogen auf den Vorstand). Näher zu den Termini Kuhner, ZGR 2004, 244, 246 ff. 81  Insoweit kritisch zum Begriff des Unternehmensinteresses etwa Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 30; siehe zudem die Nachweise bei Habersack, in: MüKoAktG, Vor § 95 Rn. 13 Fn. 40. 82  Vgl. auch Kuhner, ZGR 2004, 244, 270 ff., der eine alleinige Orientierung am „Shareholder Value“ im Rahmen des Unternehmensinteresses für nicht tragfähig erklärt.



A. Wirkungsbereich und Verhaltensmaxime des Aufsichtsrats 43

beachten.83 Zu den Interessengruppen zählen neben den Aktionären in jedem Fall die Arbeitnehmer, darüber hinaus – nach teilweise vertretener Ansicht – die Gläubiger und Geschäftspartner, etwa Lieferanten,84 und schließlich – in einem gewissen Maße – die Allgemeinheit85. Jener Gedanke des „Stakeholder Value“86 und seine Entwicklung stehen dabei im Zeichen der Prämisse, zur grundsätzlichen Ausrichtung der AG gehöre auch eine soziale Komponente.87 Gute Gründe sprechen allerdings dafür, die Aktionärsinteressen bei der Abwägung der Interessen vorrangig zu berücksichtigen.88 Das Unternehmensinteresse ist kein unveränderliches Maß, sondern im konkreten Fall unter Einbeziehung der relevanten Interessen zu bestimmen.89 Der Begriff ist letztlich nicht klar zu umreißen.90 Aus Praktikabilitätsgründen besteht offenbar ein Konsens der Art, dass typischerweise der Fortbestand 83  Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 13; von Werder, in: Kremer/ Bachmann/Lutter u. a., Rn. 131; vgl. auch BGH, NJW 1975, 1412, 1413. Zum Ausdruck kommt dies auch in Präambel Abs. 1 S. 3 DCGK. 84  Reese/Ronge, AG 2014, 417, 418; für Gläubiger auch Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 13; Henze, BB 2000, 209, 212 (bezogen auf den Vorstand); a. A. Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 47; betreffend Gläubiger Semler, Leitung und Überwachung, Rn. 55. 85  Bezogen auf den Vorstand Bürgers, in: Bürgers/Körber, § 76 Rn. 12 f.; Henze, BB 2000, 209, 212; zurückhaltend K. Schmidt, GesR, S. 805 m. w. N. 86  Vgl. statt vieler Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 76 Rn. 29 (hier bezogen auf den Vorstand), wonach das dem gegenüberstehende Konzept des „Shareholder Value“ auf die größtmögliche Steigerung des Unternehmenswertes im Sinne des Wertes des Eigenkapitals abstellt und demnach auf die Belange der Aktionäre ausgerichtet ist. 87  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 30. Analog dazu ist der Aufsichtsrat nunmehr von Interessenpluralität geprägt anstatt nur als (reiner) Aktionärsausschuss zu fungieren, dazu noch unten § 2 B. II. Im Einzelnen zur Sozialbindung der AG wiederum Spindler, ebd., § 116 Rn. 25 ff. Der Gedanke der Allgemeinwohlverpflichtung von Unternehmen liegt auch den gesetzgeberischen Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene und der damit einhergehenden Diskussion im Zusammenhang mit dem Aspekt der Unternehmensverantwortung bzw. der Corporate Social Responsibility (CSR) in den vergangenen Jahren zugrunde, vgl. Spindler, ebd., § 116 Rn. 26 f. 88  Sog. moderates Shareholder-Value-Konzept, dazu mit Blick auf den Vorstand Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 76 Rn. 28 und 37 f., sowie Mk. Weber, in: Hölters, § 76 Rn. 21 f. Dagegen aber die h. M. und so die in § 2 Fn. 83 Genannten; kritisch auch Kort, AG 2012, 605, 606 und 608 f. 89  So die h. M., etwa Buchta/van Kann, DStR 2003, 1665, 1667; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 893; Raiser, ZGR 1978, 391, 397; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 3; ferner Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 12. Konkretisierende Wirkung entfalten hierbei Regelungen in der Satzung, vgl. Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 26. 90  Übereinstimmend statt vieler Dreher, JZ 1990, 896, 897 („Unternehmensinte­ resse gibt keinen allgemeinen, positiv ausformulierbaren Handlungsmaßstab“).

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

des Unternehmens und die Gewährleistung der dauerhaften Rentabilität im Unternehmensinteresse liegen.91 Dem ist zu folgen.92 Ähnlich dazu definiert der DCGK die Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse als „Verpflichtung […], im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft […] für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen“93. Festzuhalten ist im Übrigen, dass die Verfolgung persönlicher Partikular- oder Gruppeninteressen im Aufsichtsrat durch das Unternehmensinteresse begrenzt wird94, soweit sie nicht wie erwähnt in diesem aufgehen.95

B. Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat Die dem Aufsichtsrat heute zugeschriebene Funktion und Struktur sind auf zwei wesentliche Aspekte hinsichtlich seiner Zusammensetzung und Organisation zurückzuführen. Die Einführung der Arbeitnehmermitbestimmung bedeutete die Abkehr von der bloßen Vertretung der Anteilseigner. Neben der Wahl bzw. der Entsendung durch die Hauptversammlung bzw. die Aktionäre sorgt sie gemeinsam mit dem typischerweise nebenamtlichen bzw. teilzeitmäßigen Zuschnitt der Aufsichtsratstätigkeit für eine interessenpluralistische

91  Siehe Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 155; Dreher, JZ 1990, 896, 897; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 13; Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 26; siehe auch Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 814 f. (äußere Grenze), und Reese/Ronge, AG 2014, 417, 418 (kleinster gemeinsamer Nenner); kritisch Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 49. Im Einzelnen Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 33  ff. Näher zur dahinterstehenden Unterscheidung zwischen normativem und aktuellem Unternehmensinteresse Weninger, Mitbestimmungsspezifische Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 44 ff. 92  Auf eine eingehende Erörterung des Begriffs und des Inhalts des Unternehmensinteresses wird vorliegend verzichtet. Die weitere Darstellung betrifft davon unabhängig die Frage, wie mit dem möglichen Konflikt zwischen diesem und anderweitigen Interessen in der Person der Aufsichtsratsmitglieder umzugehen ist. Zum Unternehmensinteresse aus dem insoweit unüberschaubaren Schrifttum aus der jüngeren Zeit Krämer, Unternehmensinteresse, S. 27 ff., und Kuhner, ZGR 2004, 244, passim; mit Blick auf den Vorstand Kort, AG 2012, 605, passim. 93  Präambel Abs. 1 S. 3 DCGK; näher zum DCGK noch unten § 2 C. 94  Jeweils ohne den nachfolgenden Zusatz Habersack, in: MüKoAktG, Vor § 95 Rn. 13; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 130; Knapp, Die Treuepflicht, S. 213; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 42, 45, 60 und 109; Matthießen, Stimmrecht, S. 391. Vgl. ferner Mertens/Cahn, in: KK-AktG, Vorb. § 95 Rn. 13. 95  Siehe auch P. Doralt/W. Doralt, in: ArbHdbAR, § 14 Rn. 177; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 108 f.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 29. Vgl. hierzu die (im konkreten Fall erfolglose) Argumentation des Antragsgegners in der Entscheidung des OLG Hamburg, ZIP 1990, 311, 311 f. – HEW/Jansen.



B. Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat45

Komposition des Aufsichtsrats, die jedoch ein nicht unerhebliches Potenzial von Interessenkonflikten birgt.

I. Zusammensetzung und Organisation des Aufsichtsrats Das Aktiengesetz bestimmt die Größe und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, §§ 95–99 AktG. Die Mitglieder gelangen unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe der §§ 100–106 AktG in ihr Amt, für das ihnen § 113 Abs. 1 S. 1 AktG zufolge eine Vergütung gewährt werden kann. Der Aufsichtsrat ist ein Kollegialorgan.96 Seine innere Ordnung richtet sich nach den §§ 107–110 AktG und, soweit vorhanden, ergänzenden Regelungen in der Satzung der AG und der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats.97 1. Komposition des Gremiums Der gesetzlichen Grundregel in § 95 S. 1 AktG zufolge besteht der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern. Die Satzung kann eine höhere, nicht aber eine niedrigere Mitgliederzahl vorsehen, § 95 S. 2 AktG. Der generelle Grundsatz der Dreiteilbarkeit der Mitgliederzahl ist durch die Änderung von § 95 S. 3 AktG im Zuge der Aktienrechtsnovelle 201698 entfallen.99 Die Höchstzahl von Mitgliedern ist abhängig vom Grundkapital der betreffenden Gesellschaft und kann die Zahl von 21 Mitgliedern nicht übersteigen, vgl. § 95 S. 4 AktG. Für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der AG existieren verschiedene gesetzliche Formen. Maßgeblich sind vorrangige mitbestimmungsrechtliche Regelungen. § 96 Abs. 1 AktG verweist auf fünf spezialgesetzlich geregelte Mitbestimmungsformen (Var. 1–5) und nennt abschließend – als aktienrechtliche Grundform der Aufsichtsratszusammensetzung – den nur mit Vertretern der Aktionäre besetzten Aufsichtsrat (Var. 6). Nach dem Grad der Mitbestimmung der Arbeitnehmer ergeben sich drei denkbare Kompositionen des Aufsichtsrats: Eine paritätische Mitbestimmung, eine drittelparitätische Mitbestimmung und, wenn keine der speziellen mitbestimmungsrechtlichen 96  Stellvertretend Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 8 und 43, und Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540, 2542. 97  Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 1. Die Kompetenz des Aufsichtsrats, sich selbst eine Geschäftsordnung zu geben, ist allgemein anerkannt, siehe Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 126, und vgl. zudem Empfehlung D.1 DCGK. 98  Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22.12.2015, BGBl. I 2015, S. 2565. 99  Die Dreiteilbarkeit gilt fortan nur noch im Anwendungsbereich des DrittelbG, dazu Simons, in: Hölters, § 95 Rn. 7 f. m. w. N.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

Regelungen eingreift, den mitbestimmungsfreien Aufsichtsrat.100 Bestehen Zweifel, welches gesetzliche Modell für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der betreffenden Gesellschaft anzuwenden ist, kann das in §§ 97 ff. AktG geregelte Statusverfahren durchgeführt werden.101 a) Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder Die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder kann sich in fünf an unterschiedlichen Stellen im Aktiengesetz normierten Formen vollziehen.102 Sonderfälle darunter sind letztlich die Bestellung des ersten Aufsichtsrats durch die Gründer (§ 30 Abs. 1 S. 1 AktG) und die Bestellung durch das Gericht, das nur ersatzweise bei Beschlussunfähigkeit und bei mehr als dreimonatiger Unterbesetzung tätig wird (§ 104 Abs. 1 und 2 AktG)103. In paritätisch mitbestimmten Gesellschaften ergibt sich die von § 104 Abs. 2 S. 2 AktG zur Ergänzung des Aufsichtsrats vor Ablauf der Dreimonatsfrist geforderte Dringlichkeit ohne Weiteres aus der Störung der Parität (vgl. § 104 Abs. 3 Nr. 2 AktG), sodass der Antrag auf Ergänzung jederzeit gestellt werden kann.104 Im Allgemeinen werden die Aufsichtsratsmitglieder nach § 101 Abs. 1 S. 1 AktG durch die Hauptversammlung gewählt. Infolge der ihr zustehenden Wahlfreiheit ist diese insbesondere nicht an Vorschläge des ­ Aufsichtsrats gemäß § 124 Abs. 3 AktG oder der Aktionäre gemäß § 127 AktG gebunden.105 Die Wahl durch die Hauptversammlung steht jedoch dem Gesetzeswortlaut zufolge unter dem Vorbehalt, dass für die entsprechenden Posten keine Entsendungsrechte i. S. v. § 101 Abs. 2 AktG bestehen und keine Wahl nach mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften stattzufinden 100  Simons, in: Hölters, § 96 Rn. 10, wonach mitbestimmungsfreie Gesellschaften indes einen faktisch mitbestimmten Aufsichtsrat durch die freiwillige Wahl von Arbeitnehmervertretern einrichten können. Diese sind rechtlich aber weiterhin als ­ Anteilseignervertreter zu qualifizieren und zu behandeln, siehe Simons, ebd., § 96 Rn. 83. 101  Dazu instruktiv Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 28 Rn. 54 ff. 102  Hüffer/Koch, § 101 Rn. 1; Simons, in: Hölters, § 101 Rn. 1. 103  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 104 Rn. 1 und 4. 104  Stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 104 Rn. 29. Der Antrag auf Ergänzung ist auch in diesem Fall erforderlich, siehe nur Simons, in: Hölters, § 104 Rn. 19. 105  Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 7. Ausnahmen vom Grundsatz der Wahlfreiheit folgen in Übereinstimmung mit § 101 Abs. 1 S. 2 AktG für die Arbeitnehmervertreter, das weitere Mitglied i. S. v. § 4 Abs. 1 S. 2 lit. b MontanMitbestG und das weitere Mitglied i. S. v. § 4 Abs. 1 S. 2 lit. c MontanMitbestG aus §§ 6, 8 MontanMitbestG sowie für das weitere Mitglied i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 2 lit. c Mitbest­ ErgG aus § 5 Abs. 3 S. 2 MitbestErgG, der u. a. auf § 8 MontanMitbestG verweist, dazu Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 9 und 29.



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hat.106 Durch Entsendungsrechte erhalten einzelne Aktionäre oder Aktionärsgruppen vorrangige Bestellungsrechte für Aufsichtsratsmitglieder. Die Zahl der entsandten Aufsichtsratsmitglieder ist auf ein Drittel der aus Gesetz oder Satzung folgenden Zahl der Anteilseignervertreter begrenzt (§ 101 Abs. 2 S. 4 AktG). Wird die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied angenommen, entsteht zwischen dem betreffenden Mitglied und der AG ein korporationsrecht­ liches Verhältnis.107 Dessen Inhalt richtet sich nach den organschaftlichen Rechten und Pflichten, die sich aus den für den Aufsichtsrat geltenden Vorschriften des Gesetzes und der Satzung oder aus den sie ausfüllenden Beschlüssen der Hauptversammlung ergeben.108 Ob daneben ein Anstellungsverhältnis auf vertraglicher Basis besteht,109 ist umstritten.110 Da sich für ein separates schuldrechtliches Verhältnis auf vertraglicher Basis im Gesetz jedoch keine Anhaltspunkte finden lassen, ist richtigerweise kein solches anzunehmen. Es gibt ipso iure auch kein Organ, das die AG beim „Vertragsschluss“ mit den Aufsichtsratsmitgliedern vertreten könnte.111 Eine fiktive Vertragskonstruktion ist zu vermeiden.112 Ob die persönlichen Rechte und Pflichten einem weiterhin ausschließlich körperschaftsrechtlichen Rechtsverhältnis zuzuordnen sind,113 dieses zu einem Rechtsverhältnis mit 106  Zu diesen zählen laut § 101 Abs. 1 S. 1 AktG die Vorschriften des MitbestG, des MitbestErgG, des DrittelbG sowie des MgVG. 107  Statt aller Hüffer/Koch, § 101 Rn. 2; synonym dazu ist die Bezeichnung als organschaftliches Verhältnis, so bei Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 101 Rn. 8. 108  Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 67; Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 33 Rn. 11; Simons, in: Hölters, § 101 Rn. 7. 109  Beim Vorstand ist dies zweifelsohne der Fall, vgl. § 84 Abs. 1 S. 5 AktG und siehe insofern nur Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 84 Rn. 7 f.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 84 Rn. 4 ff. 110  Dafür RGZ 152, 273, 278; RGZ 146, 145, 152; RGZ 123, 351, 354; Baumbach/A. Hueck/G. Hueck, § 101 Rn. 7; Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 783; dagegen – heute allg. A. – Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 101 Rn. 2; Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 67; Israel, in: Bürgers/Körber, § 101 Rn. 2; Hüffer/ Koch, § 101 Rn. 2; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 101 Rn. 5; Simons, in: Hölters, § 101 Rn. 7. 111  Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 67; Simons, in: Hölters, § 101 Rn. 7; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 101 Rn. 9; ebenso Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 101 Rn. 27 (keine Vertretungskompetenz der Hauptversammlung). 112  Vgl. Breuer/Fraune, in: Heidel, § 101 AktG Rn. 2; Simons, in: Hölters, § 101 Rn. 7; dem zustimmend Hüffer/Koch, § 101 Rn. 2. 113  Dafür Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 101 Rn. 27; Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 67; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 101 Rn. 111; Israel, in: Bürgers/ Körber, § 101 Rn. 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 842; Singhof,

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

korporations‑ und schuldrechtlicher Doppelnatur wird114 oder ob neben ihm ein gesetzliches Schuldverhältnis anzunehmen ist, das durch die Bestellung und deren Annahme zustande kommt,115 wirkt sich praktisch nicht aus,116 da jedenfalls keine Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder durch individuelle schuldrechtliche Abreden begründet, erweitert oder begrenzt wer­den können117. b) Persönliche und gremiumsbezogene Voraussetzungen der Aufsichtsratstätigkeit Die Vorgaben zur Größe und zur gruppenmäßigen Formation des Aufsichtsratsgremiums werden ergänzt und die Wahlfreiheit der Hauptversammlung wird begrenzt durch gesetzlich normierte persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder, die entweder die notwendige Qualifikation positiv definieren oder aber eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat ausschließen. Nach § 100 Abs. 1 AktG kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person, für die kein Einwilligungsvorbehalt i. S. v. § 1903 BGB angeordnet ist, Mitglied des Aufsichtsrats sein. Über den Verweis in § 100 Abs. 3 AktG gelten für Arbeitnehmervertreter und die „weiteren Mitglieder“ der Montanmitbestimmung118 darüber hinaus die sich aus den Mitbestimmungsgesetzen ergebenden Voraussetzungen. Weitere satzungsmäßige Kriterien sind möglich, können aber gerade nicht für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer aufgestellt werden, vgl. § 100 Abs. 4 AktG.119 Generelle BeAG 1998, 318, 319; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 101 Rn. 8 f.; ebenso, wenn auch in der Darstellung zum Teil unklar (siehe § 2 Fn. 115) Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 101 Rn. 2; wohl auch Simons, in: Hölters, § 101 Rn. 7. 114  Dafür Breuer/Fraune, in: Heidel, § 101 AktG Rn. 2; Hüffer/Koch, § 101 Rn. 2. 115  Dafür E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 29 Rn. 29.2. Die Bezeichnung als „gesetzliches Schuldverhältnis“, jedoch ohne Einordnung als zweites Rechtsverhältnis neben dem körperschaftsrechtlichen Rechtsverhältnis, findet sich auch bei Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 101 Rn. 2, bei Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 33 Rn. 11, sowie bei Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 101 Rn. 111. 116  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 11; Mertens/Cahn, in: KKAktG, § 101 Rn. 5. 117  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 11; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 842. 118  Siehe die Normverweise in § 2 Fn. 105. 119  Zum Anwendungsbereich von § 100 Abs. 4 AktG (insbesondere Anteilseignervertreter) Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 50. Nach ­Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 10, sind Satzungsregelungen betreffend zu wählende Aufsichtsratsmitglieder zulässig, solange nicht der Kandidatenkreis faktisch auf bestimmte Personen reduziert und das Wahlrecht der Hauptversammlung dadurch zu sehr beschränkt wird.



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deutung entfalten indes die in § 100 Abs. 2 AktG aufgestellten Hinderungsgründe.120 So ist durch § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AktG insbesondere ausgeschlossen, dass der gesetzliche Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens dem Aufsichtsrat angehört. Zugunsten einer unvoreingenommenen und effektiven Überwachung soll einer mittelbaren Selbstkontrolle vorgebeugt werden,121 weshalb jedenfalls eine Paralleltätigkeit im Vorstand der abhängigen und im Aufsichtsrat der herrschenden AG nicht in Betracht kommt.122 Eng damit verbunden ist die durch § 105 Abs. 1 AktG statuierte Inkompatibilität, wonach Mitglieder des Aufsichtsrats nicht zugleich Mitglieder des Vorstands der Gesellschaft sein bzw. die vom Gesetz genannten leitenden Funktionen wahrnehmen dürfen.123 Unbeschadet spezialgesetzlicher persönlicher Voraussetzungen der Aufsichtsratstätigkeit124 tritt neben die gesetzlichen und satzungsmäßigen Anforderungen und Ausschlusskriterien das in § 100 Abs. 5 AktG (und über den entsprechenden Verweis ferner in § 107 Abs. 4 AktG) enthaltene Erfordernis der Mitgliedschaft mindestens eines Finanzexperten im Aufsichtsrat und der „Sektorvertrautheit“ der Gremiumsmitglieder insgesamt. Bei den von der Norm erfassten Gesellschaften muss wenigstens eine Person im Aufsichtsrat „Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ vorweisen können, während die Mitglieder des Aufsichtsrats zusammen betrachtet über hinreichende Kenntnisse und Erfahrungen in der einschlägigen Branche bzw. im Geschäftsfeld des Unternehmens verfügen müssen.125 Für börsennotierte Gesellschaften, die den paritätischen Mitbestimmungsregelungen unterfallen, gilt nach § 96 Abs. 2 AktG bezogen auf den Aufsichtsrat eine verbindliche Geschlechterquote. Es müssen mindestens 30 Prozent der Mitglieder weiblich und zugleich mindestens 30 Prozent der Mitglieder

120  Diese gelten sowohl für die Aktionärs- als auch für die Arbeitnehmervertreter, vgl. Breuer/Fraune, in: Heidel, § 100 AktG Rn. 35. 121  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 27, ohne Nennung des hier dargestellten übergeordneten Ziels. 122  Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 78, anderenfalls liege ein Widerspruch zum „natürlichen Organisationsgefälle“ vor (so ursprünglich Kropff, AktG 1965, S. 136). 123  Das Verbot der (auch nur partiellen) Personalunion zwischen Leitung und Überwachung effektuiert die für die AG charakteristische (Funktions‑)Trennung zwischen den betreffenden Organen (zu dieser oben § 2 A. I.) auch auf organisatorischer Ebene, siehe Simons, in: Hölters, § 105 Rn. 1, und von Werder, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 113g. 124  Außerhalb des Aktiengesetzes geregelte Hinderungsgründe für Aufsichtsratsmitglieder bleiben im Rahmen der vorliegenden Arbeit außer Betracht. Zu diesen im Einzelnen Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 21, 41 und 52. 125  Instruktiv zu diesen Anforderungen Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 8–20.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

männlich sein. Gesetzliche Vorgaben zugunsten einer zwingenden personellen Vertretung der Aktionärsminderheit bestehen dagegen bisher nicht.126 2. Innere Ordnung des Aufsichtsrats und Zustandekommen von Aufsichtsratsbeschlüssen Für die innere Ordnung des Aufsichtsrats, die Beschlussfassung, die Teilnahme an Sitzungen und deren Einberufung gelten zunächst die Bestimmungen des Aktiengesetzes. Diese stellen jedoch keine umfassende oder abschließende Regelung dar und es ist – neben dem Rückgriff auch auf das Vereinsrecht – eine detailliertere Ausgestaltung des Verfahrens im Aufsichtsrat durch die Satzung und die Geschäftsordnung möglich.127 Nach § 107 Abs. 1 S. 1 AktG hat der Aufsichtsrat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter zu wählen. Schon der Wortlaut offenbart, dass – anders als im Fall der Ernennung eines Vorstandsvorsitzenden nach § 84 Abs. 2 AktG128 – eine entsprechende Pflicht aller Aufsichtsratsmitglieder anzunehmen ist129. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist wie sein Stellvertreter „gesetzlich vorgeschriebener Funktionsträger“130, jedoch kein Organ der AG131. Er ist u. a. für die Einberufung und die Leitung der Sitzungen zuständig,132 die mindestens zweimal pro Kalenderhalbjahr statt126  Habersack, in: MüKoAktG, § 101 Rn. 7; ebenso Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 161 m. w. N. 127  Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 2; zur Reichweite von Satzungsregelungen Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 21. 128  In § 84 Abs. 2 AktG ist festgelegt, dass bei einem mehrköpfigen Vorstand der Aufsichtsrat eines der Mitglieder zum Vorsitzenden ernennen kann, siehe stellvertretend als Beleg Mk. Weber, in: Hölters, § 84 Rn. 57. 129  So auch Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 3, und Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 26. Ohne entsprechende Begründung auch Breuer/Fraune, in: Heidel, § 107 AktG Rn. 2; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 12; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 11. Mit zusätzlichen Erwägungen Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 17, der den obligatorischen Charakter der Wahl auf die Aufgaben zurückführt, die der Vorsitzende nach dem Gesetz hat; so zuvor schon Kropff, AktG 1965, S. 147. 130  Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 17; diese Bezeichnung findet sich auch bei Hüffer/Koch, § 107 Rn. 4. 131  Ganz h. M., stellvertretend Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 4; Hopt/ M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 85; Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 2; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 677; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 38; mit näherer Begründung von Schenck, AG 2010, 649, 655; a. A. Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 187 ff. und 213 f.; Schürnbrand, Organschaft, S. 60 f. 132  Exemplarisch Hüffer/Koch, § 107 Rn. 8. Im Einzelnen zu den Aufgaben und Befugnissen des Aufsichtsratsvorsitzenden noch unten § 4 A. III. 2. a) bb).



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zufinden haben, § 110 Abs. 3 S. 1 AktG133. Der Teilnehmerkreis der Sitzungen wird durch § 109 AktG bestimmt. Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluss (§ 108 Abs. 1 AktG), es sei denn, es handelt sich um tatsächliche Handlungen oder Äußerungen etwa gegenüber dem Vorstand (Stellungnahmen, Beanstandungen oder Anregungen), die keine Willenserklärungen darstellen und somit keines Beschlusses bedürfen.134 Grundsätzlich genügt zur Beschlussfassung die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.135 Nach § 107 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 AktG ist die Bildung von Ausschüssen möglich.136 Diese können insbesondere der Vorbereitung der Beratung und Beschlussfassung oder der Überwachung der Ausführung von Beschlüssen des Aufsichtsrats dienen, § 107 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 AktG. Die im Umkehrschluss aus § 107 Abs. 3 S. 7 AktG folgende Möglichkeit, den Ausschüssen noch dazu Beschlusskompetenz zu verleihen, findet jedoch ihre Grenze in den dort genannten Delegationsverboten.137 Es gilt der Grundsatz der Gesamtverantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder für die Willensbildung und Beschlussfassung.138

133  Bei nicht börsennotierten Gesellschaften genügt eine Sitzung pro Halbjahr, wenn der Aufsichtsrat dies gemäß § 110 Abs. 3 S. 2 AktG beschließt. Die Satzung kann ungeachtet dessen einen dichteren Turnus vorsehen, siehe Hüffer/Koch, § 110 Rn. 1. 134  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 2; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 6; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 9. 135  Allg. A., stellvertretend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 38 m. w. N.; zu Ausnahmen von diesem Mehrheitserfordernis Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 25 ff. Die Zahl gültiger Ja-Stimmen muss die der gültigen Nein-Stimmen übertreffen, siehe Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 7. 136  Verpflichtend ist nur die Bildung eines Vermittlungsausschusses nach § 27 Abs. 3 MitbestG bei einer dem Mitbestimmungsgesetz unterliegenden AG, siehe nur Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 91; allerdings kann die Pflicht des Aufsichtsrats zur sachgerechten Selbstorganisation die Pflicht zur Ausschussbildung mit sich bringen, so Breuer/Fraune, in: Heidel, § 107 AktG Rn. 28; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 94 m. w. N. 137  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 107 AktG Rn. 48; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 93; Hüffer/Koch, § 107 Rn. 18 f. Die Aufzählung der Delegationsverbote ist nicht abschließend, zudem werden die nur vorbereitenden bzw. ausführenden Ausschüsse nicht von ihnen erfasst, siehe Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 28. 138  Grooterhorst, NZG 2011, 921, 924; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 81; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 13 und § 111 Rn. 17; Szalai/Marz, DStR 2010, 809, 810 f.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

II. Konfliktpotenzial aufgrund pluralistischer Interessenvertretung Die Zusammensetzung und die Organisation des Aufsichtsrats werden einerseits geprägt durch die dem Aufsichtsrat konzeptionell zugedachte Eigenschaft als Kollegium von Aktionären oder von durch diese vorgesehenen Personen und zugleich als Ort der Arbeitnehmermitbestimmung. Andererseits tragen die Zusammensetzung und die Organisation des Aufsichtsrats maßgeblich zur Wahrnehmung des Aufsichtsratsamtes als Nebenamt bzw. als Teilzeitberuf bei. Mit dem dadurch bedingten Interessenpluralismus im Aufsichtsrat geht mittelbar eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten einher. Der Aufsichtsrat ist seit jeher „Repräsentativorgan der Aktionäre“139. Er erhält seine Berechtigung grundsätzlich durch die Hauptversammlung,140 die die Vertreter der Anteilseigner wählt.141 Schon nach dem ADHGB von 1861 diente er der Verfolgung der Interessen der Anteilseigner, was sich auch im Rahmen nachgehender Reformen und trotz einer phasenweise angenommenen Gemeinwohlorientierung nicht grundlegend geändert hat.142 Historisch fest verankert ist damit das Wirken des Aufsichtsrats als Aktionärsausschuss.143 Ihren stärksten Ausdruck findet diese Funktion unbeschadet des ohnehin gegebenen Wahlrechts der Hauptversammlung darin, dass bis zu ein Drittel der Anteilseignervertreter durch Entsendung bestellt werden kann.144 Diese Aufsichtsratsmitglieder „im Auftrag“145 sind dabei regelmäßig noch 139  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 19; Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 2. 140  Vgl. Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 2. 141  Dazu oben § 2 B. I. 1. a). 142  Zur Historie Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 808 ff., und Vogelbusch, NZG 2018, 1161, 1162 – ergänzen lässt sich hier, dass der zentrale Art. 225 ADHGB im Abschnitt über das „Rechtsverhältniß der Aktionaire“ verortet ist, siehe die Verkündung im Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, S. 404, 447. 143  Bürgers, in: FS Marsch-Barner, 2018, S. 83, 86; Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, 225; Diekmann/Bidmon, NZG 2009, 1087, 1090; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 83 und 91; Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 806; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 1. Ebenso Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 10 f., wo aber nicht deutlich genug wird, dass die Funktion als Aktionärsausschuss neben möglichen hinzugetretenen Zielsetzungen nach wie vor Bestand hat (siehe aber ebd., S. 181). Mit Einschränkungen Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 78 f., 352 und 808 f. A. A. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 125 ff. – dem lässt sich entgegnen, dass die Charakterisierung als Aktionärsausschuss nicht automatisch bedeutet, dass diese Funktion (noch heute) exklusiv ist. 144  Dazu oben § 2 B. I. 1. a). 145  So die schlagende Bezeichnung durch Kropff, in: FS Huber, 2006, S. 841, 841, allgemein bezogen auf Fälle, in denen das Aufsichtsratsmitglied noch über seine Wahl



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stärker als die gewählten Anteilseignervertreter geneigt, die Interessen des dahinterstehenden – und in diesem Fall entsendenden – Aktionärs in den Vordergrund ihres Tuns zu rücken.146 Hinzugekommen ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, die inzwischen aber ebenso auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Ausgehend etwa vom Betriebsrätegesetz147 noch zu Zeiten der Weimarer Republik hat der Gesetzgeber nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und seit den 1950er-Jahren durch eine Reihe von Gesetzen eine normative Repräsentation der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat etabliert148. Diese dient dazu, „den klassischen Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit zu überbrücken“149. Dabei besteht typischerweise die Gefahr, dass die Arbeitnehmervertreter die Interessen der von ihnen repräsentierten Gruppe dem Unternehmensinteresse vorziehen.150 In Abhängigkeit vom Geschäftsgegenstand und vor allem von der Größe der Unternehmen richtet sich der Umfang der Beteiligung der Arbeitnehmer nach den verschiedenen Mitbestimmungsformen, die sich aus § 96 Abs. 1 AktG unter Verweis auf die mitbestimmungsrechtlichen Spezialregelungen ergeben.151 Die Kodifikation der Arbeitnehmermitbestimmung war der Beginn einer Transformation vom (reinen) Aktionärsausschuss zum „Interessenausgleichsorgan“152, da fortan in gewissen Entscheidungssituationen die Interessen zweier Gruppen in Einklang zu bringen waren, die nicht selten gegenläufig sind. Schon allein deshinaus durch ein besonderes Rechtsverhältnis den Interessen eines Dritten verbunden ist. 146  Vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 160 f. 147  Betriebsrätegesetz vom 04.02.1920, RGBl. 1920, S. 147 (hier § 70); siehe im Zusammenhang damit das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15.02.1922, RGBl. I 1922, S. 209. Zur Geschichte der Unternehmensmitbestimmung Bayer, NJW 2016, 1930, 1930 f., und Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 657. 148  Hervorzuheben ist exemplarisch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 04.05.1976, BGBl. I 1976, S. 1153. 149  Bayer, NJW 2016, 1930, 1930; ähnlich Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 96 Rn. 1 („Zweck des sozialen Ausgleichs zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite“) und Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 657, sowie Veil, in: Raiser/Veil, § 13 Rn. 22. 150  Dazu statt aller Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 158. 151  Zu den Aufsichtsratssystemen in § 96 Abs. 1 AktG siehe oben § 2 B. I. 1. Über die dynamische Verweisung in § 96 Abs. 1 AktG erfolgt eine Verzahnung der mitbestimmungsrechtlichen Regelungen mit dem Aktiengesetz, siehe stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 96 Rn. 1. 152  Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 40; in der Sache ferner Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 277 und 429; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 99. Allerdings ist die Funktion als Aktionärsausschuss – daher der Klammerzusatz – damit nicht gänzlich obsolet, vgl. auch die in § 2 Fn. 143 Genannten.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

halb muss das Zusammentreffen divergierender Interessen im Aufsichtsrat als typisch gelten. Zu beachten ist darüber hinaus die verbreitete Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten als Nebentätigkeit bzw. im Sinne eines Teilzeitberufes. Die Einordnung als Nebenamt153 geht dabei auf das Aktiengesetz zurück:154 Nach § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG können bis zu zehn – und unter den Voraussetzungen von § 100 Abs. 2 S. 2 AktG bis zu 15 – Aufsichtsratsmandate parallel ausgeübt werden. Das Verbot der Überkreuzverflechtung in § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AktG impliziert, dass das Aufsichtsratsmitglied neben seinem Amt (oder seinen Ämtern) einem Hauptberuf nachgeht. Durch § 110 Abs. 3 S. 1 AktG wird nur eine recht geringe Sitzungsfrequenz von vier Sitzungen pro Jahr statuiert,155 wiewohl nach Angaben aus berufenem Mund bei börsennotierten Gesellschaften in der Praxis die Zahl der Sitzungen bei normalem Geschäftsgang etwa das Doppelte betragen dürfte. Nach § 90 Abs. 2 AktG sind die Berichte gemäß § 90 Abs. 1 AktG in einem vergleichsweise langen Turnus zu erstatten. Schließlich sieht § 113 Abs. 1 AktG eine (nur) fakultative Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder vor, die im Übrigen durch eine Angemessenheitsklausel begrenzt wird.156 Davon abgesehen wird der nebenamtliche Charakter der Aufsichtsratstätigkeit vielfach als weit ver153  Dafür Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 161; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 1 und 11 m. w. N.; ferner Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 7; Cahn, WM 2013, 1293, 1301; Diekmann/ Fleischmann, AG 2013, 141, 144; Dreher, JZ 1990, 896, 897; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 17; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 894 m. w. N.; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 82 f.; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1364; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 39 m. w. N.; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604. Ebenso Hüffer/Koch, § 100 Rn. 5, und Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 13 f. mit Fn. 1 auf S. 14, die jedoch auf die hiervon abweichenden tatsächlichen Rahmenbedingungen der Aufsichtsratstätigkeit in der Praxis hinweisen. Damit übereinstimmend konstatiert Kiem, in: FS Stilz, 2014, S. 329, 329, inzwischen werde die Aufsichtsratstätigkeit als Hauptbetätigung wahrgenommen. 154  So die ausführliche Darstellung bei Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 1 und 11 f.; unter Nennung einzelner Normen etwa Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 271; Dreher, JZ 1990, 896, 897; Hüffer/ Koch, § 100 Rn. 5; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 82; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604; W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 257; im Ergebnis auch Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 13 f. 155  Nach § 110 Abs. 3 S. 2 AktG kann diese bei nichtbörsennotierten Gesellschaften noch reduziert werden. 156  Selbst wenn eine Vergütung gezahlt wird, halten nicht wenige diese jeden­ falls im Mittelstand für „zu niedrig beziehungsweise eher zu niedrig“, vgl. Dämon, Die Anforderungen steigen, die Gehälter nicht, WirtschaftsWoche online vom 28.01.2016.



B. Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat55

breitetes Faktum der Praxis begriffen,157 wenngleich diese Beschreibung nach allem nicht dazu verleiten darf, die aus dem Aufsichtsratsamt folgenden Anforderungen zu unterschätzen, und es sich um eine essenzielle berufliche Tätigkeit handelt, deren teilzeitmäßige Ausübung neben anderen Beschäftigungen allein als typisch gelten kann und insofern den Begriff des Nebenamtes ausfüllt. Die Möglichkeit, dass jemand ein Aufsichtsratsmandat zusätzlich zu seinen schon existierenden Verpflichtungen übernimmt, trägt zur noch weiteren Streuung der im Aufsichtsrat repräsentierten Interessen bei. Die Interessenpluralität im Aufsichtsrat ist für diesen prägend.158 Kehrseite dieser durchaus begrüßenswerten159 Interessenpluralität ist, dass im Aufsichtsrat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Interessenkonflikte besteht.160 Die Vertreter der Anteilseigner orientieren sich tendenziell an den Belangen der sie wählenden bzw. entsendenden Aktionäre, während sich die Arbeitnehmervertreter den Wünschen der Belegschaft verpflichtet sehen und dazu teilweise Gewerkschaften vertreten (vgl. § 7 Abs. 2 MitbestG). Sie handeln womöglich konträr zum Unternehmensinteresse. Der Nebenamtscharakter bzw. der Teilzeitzuschnitt der Aufsichtsratstätigkeit trägt insbesondere auf Anteilseignerseite noch zusätzlich dazu bei, dass die Aufsichtsratsmitglieder

157  BGH, NJW 2016, 2569, 2571 („meist nebenberufliche[n] Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied“); Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 161 m. w. N.; Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540, 2541. 158  Siehe Bokelmann, Personelle Verflechtungen, S. 42 („interessenpluralistische[n] Zusammensetzung“); Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 116 Rn. 12 („interessenpluralistische Struktur“). Ferner Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 144; Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 47; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 12. Zur Repräsentationsfunktion des Aufsichtsrats siehe Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S.  653 ff. 159  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 12, weist auf die „positive[n] Effekte des […] gruppendynamischen Prozesses“ hin. Durch die Herkunft der Mitglieder aus unterschiedlichen Bereichen können Geschäftsbeziehungen gepflegt und eine Vielfalt von Wissen und Erfahrungen genutzt werden, so MarschBarner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 84; ähnlich Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S.  161 m. w. N. 160  Ähnlich Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 80 m. w. N., und Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 161, wobei sich Letzterer an entsprechender Stelle allein auf den Nebenamtscharakter der Aufsichtsratstätigkeit stützt. Ebenso aus diesem Blickwinkel, aber tendenziell zurückhaltender Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 14 („Entstehung […] begünstigt“), sowie Dreher, JZ 1990, 896, 897, und Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 89; deutlicher Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 56 („geradezu vorprogrammiert“), und Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 12 („vorprogrammiert“); ferner BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 18 („ganz bewusst im System angelegt“).

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

oftmals einen Hauptberuf und/oder weitere Aufsichtsratsmandate ausüben.161 Hinter diesen stehen weitere potenziell abweichende Interessen. Eine Repräsentation z. B. von bestimmten Körperschaften, Institutionen und anderen Unternehmen ist zur Beziehungspflege oder aus strategischen Gründen mitunter gerade gewollt. Zudem ist der Kreis derer, die im Hinblick auf die Fachkenntnisse, Erfahrung und Beratungskapazität das für Aufsichtsratsmitglieder geltende Anforderungsprofil erfüllen, in der Regel überschaubar.162 Womöglich kommt es der Gesellschaft schließlich auf das Ansehen und das Renommee ihrer Aufsichtsratsmitglieder an.163 Im Aufsichtsrat befinden sich im Ergebnis Personen, bei denen ein verhältnismäßig großes Risiko besteht, dass sie dem Zwiespalt zwischen den Interessen der AG und Eigen‑164 oder Drittinteressen ausgesetzt sind.165 Exemplarisch für dieses dem Aufsichtsrat strukturell inhärente Konfliktpotenzial166 steht der Wettbewerber im Aufsichtsrat.167 Neben daraus folgenden Interessenkonflikten und Interessenkonflikten, welchen Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat 161  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 1 f. und 12; ähnlich Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 83. 162  Näher zu den Gründen für die parallele Ausübung mehrerer Aufsichtsratsmandate Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 67 ff. 163  Dreher, JZ 1990, 896, 899; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 14. Das Vertrauen von Geschäftspartnern und Kreditgebern soll so erhöht werden. 164  Das Konfliktpotenzial zwischen Interessen der Gesellschaft und Eigeninteressen des Aufsichtsratsmitglieds ist allerdings nur so weit auf die pluralistische Interessenvertretung im Aufsichtsrat zurückzuführen, wie die betreffende Person möglicherweise aus einem Handeln zugunsten eines parallel repräsentierten (Dritt‑)Interesses mittelbar auch persönliche Vorteile ziehen kann. 165  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 2. Der bei Koch, ZGR 2014, 697, 701, zu findenden, allerdings auch von diesem selbst im Nachgang eingeschränkten These, „dass der Aufsichtsrat aufgrund seines Aufgabenzuschnitts für Interessenkonflikte weniger anfällig ist“, kann zwar insoweit gefolgt werden, als das nur begrenzte exekutive Tätigwerden des Aufsichtsrats die Konfliktanfälligkeit reduziert; neben dem geäußerten Befund liegt darin jedoch nur ein Faktor und stellt diesen daher nicht infrage. 166  Koch, ZGR 2014, 697, 700 f., spricht von der „Konflikttoleranz“ des Aktiengesetzes; ebenso Martinek, WRP 2008, 51, 53; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 1; grundsätzlich auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 162. Ähnlich von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 226, der vertritt, dass Interessengegensätze (siehe aber zum Begriff noch unten § 2 C. I. 1.) „nach der Wertung des AktG nicht erheblich“ sind und in Kauf genommen werden. Im Ergebnis auch Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 173; Dreher, JZ 1990, 896, 902; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 235 (Interessenkonflikt ist vom Gesetzgeber „akzeptiert“); tendenziell ebenso Dreher, JZ 1990, 896, 897 („Vielleicht“). 167  Die Mitgliedschaft von Repräsentanten konkurrierender Unternehmen im Aufsichtsrat ist gesetzlich grundsätzlich zulässig, vgl. unten § 3 A. im Ganzen.



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 57

unterliegen können168, sind etwa bei einer (feindlichen) Übernahme die zum Aufsichtsrat der Zielgesellschaft gehörenden Repräsentanten von Banken und anderen Unternehmen, soweit diese von der Übernahme profitieren, regelmäßig Interessenkonflikten ausgesetzt. Auch jede Nähebeziehung zu Geschäftspartnern der Gesellschaft kann Interessenkonflikte zur Folge haben.169 Freilich können nicht zuletzt persönliche Interessen des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds zu einem Interessenkonflikt desselben führen,170 wobei diese finanzieller, aber auch immaterieller bzw. emotionaler Natur sein können171. So sind auch solche Konstellationen darunter zu fassen, in denen es mittelbar um konfligierende Interessen nahestehender natürlicher Personen, Gesellschaften und Organisationen geht, die in Ermangelung einer rechtlich fundierten Verantwortung des Aufsichtsratsmitglieds ihnen gegenüber aber genau genommen erst wegen der persönlichen Beziehung zwischen ihnen und dem Aufsichtsratsmitglied für das Aufsichtsratsmitglied zu einem Interessenkonflikt führen. Der Interessenkonflikt beruht mit dem aus persönlicher Verbundenheit folgenden Gefühl der Verpflichtung den Genannten gegenüber auf einem persönlichen Interesse des Aufsichtsratsmitglieds.172 Insgesamt ist zu konstatieren: „Interessenkonflikte von Aufsichtsratsmitgliedern sind so alt wie die Aktiengesellschaft selbst. […] Eine […] Einbindung in weitere Interessensbereiche [sic!] ist […] üblich und vom Gesetzgeber in gewisser Weise selbst angelegt.“173

C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten Die Bedeutung des Auftretens von Interessenkonflikten erschließt sich, wenn klar ist, was sich im Einzelnen hinter dem Begriff des Interessenkonflikts verbirgt. Mit der für sich genommen wenig erhellenden Umschreibung, 168  Dazu Weninger, Mitbestimmungsspezifische Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, passim. 169  Vgl. Reese/Ronge, AG 2014, 417, 425 ff. 170  Zu den diversen Erscheinungsformen von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat siehe insbesondere Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 194 ff.; des Weiteren etwa Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 108 ff. 171  Vgl. übereinstimmend bezogen auf den Geschäftsführer einer GmbH Gantenberg, Interessenkonflikte von GmbH-Geschäftsführern, S. 170 f. 172  Insoweit nicht präzise genug Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 202; Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 423; Letzterem folgend auch Koch, ZGR 2014, 697, 703 ff. Anders offenbar bezogen auf den Geschäftsführer einer GmbH Gantenberg, Interessenkonflikte von GmbH-Geschäftsführern, S. 170. 173  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 1. Siehe auch § 2 Fn. 166.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

es handele sich um einen „aus einem Interessengegensatz resultierende[n] Konflikt“174, ist es dabei nicht getan. Die rechtliche Beurteilung von Interessenkonflikten muss auf einer sorgsam hergeleiteten Definition des Interessenkonfliktbegriffs fußen, die alle relevanten Konstellationen erfasst, zugleich aber nicht ins Uferlose geht. In diesem Kontext ist zu ergründen, warum Interessenkonflikte einer adäquaten rechtlichen Behandlung zuzuführen sind. Ob die an deren Anfang stehende Feststellung von Interessenkonflikten, die jeweils ein subjektives Phänomen markieren, aus einer subjektiven oder aber aus einer objektiven Perspektive zu erfolgen hat, ist eine dabei zu beachtende Folgefrage. Unbeschadet der Definition des Interessenkonflikts sind Interessenkonflikte von unterschiedlicher Gestalt. Dem ist durch eine wohlüberlegte Kennzeichnung und Gegenüberstellung verschiedener Arten von Interessenkonflikten Rechnung zu tragen. Eine punktuelle Bezugnahme auf die Bestimmungen des Deutschen Cor­ porate Governance Kodex erscheint lohnenswert, wenn auch den Vorgaben des DCGK eine rechtliche Bindungswirkung fehlt und sie sich grundsätzlich nur an einen begrenzten Adressatenkreis richten: Die Bestimmungen des DCGK haben keine Rechtsnorm- bzw. Gesetzesqualität.175 Rechtlich bindend ist dagegen die in § 161 AktG statuierte Erklärungspflicht: Durch § 161 Abs. 1 AktG werden die Organe von kapitalmarktorientierten Gesellschaften zur jährlichen Abgabe einer sog. Entsprechenserklärung verpflichtet.176 In dieser informieren sie die Kapitalmarktteilnehmer über die Befolgung des DCGK in der Vergangenheit und für die Zukunft.177 Durch die Erklärungspflicht erhält der DCGK mittelbar eine – begrenzte – rechtliche Bedeutung.178 Der DCGK 174  „Interessenkonflikt“ auf Duden online, https://www.duden.de/node/71712/ revision/71748 (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). 175  Grundlegend Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158 ff.; ebenso BGH, NJW 2009, 2207, 2210 f. – Kirch/Deutsche Bank; OLG München, NZG 2009, 508, 509; OLG München, NZG 2008, 337, 338; Grigoleit/Zellner, in: Grigoleit, § 161 Rn. 4; Hölters, in: Hölters, § 161 Rn. 3; E. Vetter, in: Henssler/Strohn, § 161 AktG Rn. 4; Wittmann/ Kirschbaum, in: Heidel, § 161 AktG Rn. 3 (soft law bzw. Regelwerk sui generis). Übereinstimmend schon BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21 („unverbindliche Verhaltensempfehlungen“). Es geht beim Kodex auch nicht um Handelsbräuche i. S. v. § 346 HGB, siehe Hüffer/Koch, § 161 Rn. 3 m. w. N. 176  Zum Adressatenkreis der Kodexbestimmungen auch Präambel Abs. 7 S. 1 DCGK. Allerdings wird auch nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften zur Orientierung an den Empfehlungen und Anregungen des Kodex geraten, Präambel Abs. 7 S. 2 DCGK. 177  Kiefner, NZG 2011, 201, 201; dazu stellvertretend Runte/Eckert, in: Bürgers/ Körber, § 161 Rn. 11 ff., und Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 161 Rn. 28 f. 178  Vgl. Wittmann/Kirschbaum, in: Heidel, § 161 AktG Rn. 72 ff. Zur Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit von § 161 AktG Hüffer/Koch, § 161 Rn. 4 f., und Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 161 Rn. 11 ff. Entscheidend ist nichtsdestoweniger der mit der Offenlegung der Befolgung bzw. Nichtbefolgung der Kodexempfehlungen verbun-



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 59

beinhaltet „Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften, die national und international als Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung anerkannt sind“.179 Der Kodex wird von der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex erlassen und von dieser in regelmäßigen Abständen geprüft und nötigenfalls aktualisiert.180 Die aktuelle Fassung, auf die Bezug zu nehmen ist, datiert vom 16. Dezember 2019. Sie ist am 20. März 2020 mit der Bekanntmachung im amtlichen Teil des Bundesanzeigers (vgl. § 161 Abs. 1 S. 1 AktG) in Kraft getreten.181 Der „­Interessenkonflikt“ wird darin als solcher in verschiedenen Regelungen a­ ngesprochen, die sich insbesondere auf den Aufsichtsrat beziehen (siehe Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK, Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK, Empfehlung E.1 S. 1 DCGK, Empfehlung E.1 S. 2 DCGK, Empfehlung E.1 S. 3 DCGK182).

I. Begriff des Interessenkonflikts Im Aktiengesetz tauchte der Begriff „Interessenkonflikt“ in der Vergangenheit nicht auf. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) im Jahr 2020 hat sich dies geändert und der Begriff Einzug in eine Reihe von Normen gehalten.183 Der Gesetzgeber dene wirtschaftliche Druck, die Empfehlungen zu beachten, vgl. dazu statt aller Leyens, in: GK-AktG, § 161 Rn. 36 ff. Der Gesetzgeber wollte den Empfehlungen „einen besonderen Nachdruck“ verleihen (BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21). 179  Präambel Abs. 3 S. 2 DCGK. 180  Ausführlich zum Auftrag der Kodexkommission Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn.  28 ff. 181  Siehe die Bekanntmachung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im elektronischen Bundesanzeiger vom 20. März 2020, https:// www.bundesanzeiger.de/pub/publication/5JK04En2np4amYCKabv/content/5JK04 En2np4amYCKabv/BAnz %20AT %2020.03.2020 %20B3.pdf?inline (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). Da die Veröffentlichung im Bundesanzeiger für das Inkrafttreten des Kodex maßgeblich ist, ist die aktuelle Fassung des DCGK, offiziell vom 16. Dezember 2019, auch nach Auskunft der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex gegenüber dem Verfasser (und entgegen der teils abweichenden Bezeichnung in der Literatur als „DCGK 2019“) einzuordnen als „DCGK 2020“, wobei auf diesen Zusatz so lange verzichtet werden kann, bis in der Zukunft eine neue Fassung des DCGK an ihre Stelle tritt. 182  Zur Zeit der Geltung der Fassung des DCGK vom 7. Februar 2017 waren hier – in ihrem Wortlaut teils identisch – Ziff. 5.4.1 Abs. 2 S. 2 DCGK a. F., Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F., Ziff. 5.5.2 DCGK a. F., Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. und Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. zu nennen. 183  Siehe die §§ 87a Abs. 1 S. 2 Nr. 10, 107 Abs. 3 S. 6, 111b Abs. 2, 134b Abs. 1 Nr. 5, 134c Abs. 4 S. 3 Nr. 5, 134d Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 AktG. Näher zum ARUG II noch unten § 4 D. im Ganzen.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

definiert den Interessenkonflikt jedoch nur im dortigen Sachzusammenhang184 und nicht abstrakt, weshalb die Gesetzesänderung letztlich ohne Einfluss auf die schon zuvor geführte Diskussion um den Interessenkonfliktbegriff bleibt und bei dessen Bestimmung nicht weiterhilft. Eine allgemein gültige Definition des Begriffs „Interessenkonflikt“ hat sich bisher nicht durchgesetzt. Erstaunlich ist, dass selbst einige der Unter­ suchungen, die Interessenkonflikte fokussieren, ohne eine dahingehende Begriffsbestimmung auskommen.185 Terminologische Annäherungsversuche gingen nichtsdestotrotz schon früh in Richtung der „jedem aus Erfahrung bekannte[n] Lebenslage, in der es nicht möglich ist, alle bestehenden Wünsche zugleich zu befriedigen, so daß die Notwendigkeit eintritt, auf gewisse Wünsche zugunsten anderer zu verzichten“186. Demnach ist ganz offensichtlich und bereits rein logisch eine Mehrzahl von Interessen erforderlich. Anzulegen ist dabei das theoretisch denkbare Minimum von zwei Interessen, da sich das entscheidende Charakteristikum schon auf dieser Grundlage einstellen kann: Hinzu kommt nämlich, dass eine vollständige Berücksichtigung der betreffenden Interessen in der relevanten Situation nicht parallel gewährleistet werden kann und die Sicherstellung des einen Interesses automatisch die Hintanstellung des anderen bedeutet.187 Dieses vor allem von einem persönlichen Standpunkt geprägte Dilemma des Betroffenen genügt indes zur Annahme eines „Interessenkonflikts“ nicht: Entscheidend ist nicht der Status quo, sondern die mit und wegen der fortschreitenden Zeit unausweichliche Perspektive, dass durch seine Aktivität oder auch durch seine Inaktivität einem der Interessen nicht Genüge getan wird. Diese Perspektive muss im 184  Mit Blick auf die von der Gesetzesänderung adressierten Geschäfte der Gesellschaft mit nahestehenden Personen heißt es in der BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77: „Ein Interessenkonflikt ist anzunehmen, wenn Gründe vorliegen, aufgrund derer das Aufsichtsratsmitglied seine Entscheidung nicht allein am Unternehmensinteresse, sondern auch an dem Interesse der nahestehenden Person orientieren könnte. Es kann sich bei den Gründen insbesondere um Beziehungen geschäft­ licher, finanzieller oder persönlicher Art handeln.“ 185  Siehe die auf Interessenkonflikte im Aufsichtsrat bezogenen Arbeiten von Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, passim; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, passim. 186  Heck, AcP 142 (1936), 129, 180. Hierauf nehmen nachfolgend Kumpan, Inte­ ressenkonflikt, S. 22, und Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 8, Bezug, die in dieser allgemeinen Beschreibung den Interessenkonflikt im Sinne der Interessenjurisprudenz sehen. Ein Verweis allein auf die Tatsache, dass zwei betroffene Interessen nicht gleichgerichtet sind (so bei Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 65) ist jedenfalls ungenügend. 187  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 11 f., der von einer „Situation der konfligierenden Interessenkumulation“ spricht und hierin (also in dem genannten Automatismus) das Unterscheidungsmerkmal zum Interessenkonflikt im Sinne der Interessenjurisprudenz (vgl. § 2 Fn. 186) erblickt.



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 61

Rahmen der Bestimmung des Begriffs des „Interessenkonflikt“ berücksichtigt werden. 1. Kumulation (teil‑)inkompatibler Interessen in einer Person (Interessengegensatz) Für Interessenkonflikte prägend ist das Aufeinandertreffen mehrerer Interessen in einer Person, die nicht gleichzeitig ohne Einschränkungen verwirklicht werden können. Ein Interesse setzt ein Subjekt und ein Objekt voraus:188 Jemand bzw. etwas muss einem materiellen oder immateriellen Gegenstand im positiven Sinne Bedeutung beimessen.189 Als Subjekt und damit als Interessenträger kommen vor allem Menschen und Gesellschaften in Betracht, während die möglichen Objekte grenzenlos sind. Zu beachten ist hierbei, dass Interessen nicht stets originär auf das sie in sich tragende Subjekt zurückzuführen sind. Das Subjekt kann sich auch fremde Interessen zu eigen machen. Insbesondere bei Verträgen der Fremdinteressenwahrung geht es darum, dass eine Partei die Wahrung der Interessen der anderen Partei verspricht.190 Dann oder bei einer Verpflichtung zur Wahrung fremder Interessen aus anderen Gründen liegt ein Interessenwahrungsverhältnis vor.191 Ausgehend von der Unterscheidung zwischen Eigeninteressen und Fremdinteressen ist folglich ein Zusammen- bzw. Aufeinandertreffen mehrerer eigener, eigener und fremder oder auch mehrerer fremder Interessen denkbar, wobei divergierende Eigeninteressen nicht mehr als die persönliche Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen bedeuten und als solche nicht weiter von Belang sind192. Die in den verbleibenden beiden 188  Kumpan, Interessenkonflikt, S. 15 und 17; ebenso Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 8, allerdings (nur) im Zusammenhang mit dem subjektiven Interesse (zum Begriff siehe § 2 Fn. 189). 189  Bei der Bestimmung der Interessen wird differenziert: Zu den Charakteristika des subjektiven Interesses soll zählen, dass „tatsächlich“ die positive Bezogenheit eines Subjekts zu einem Gegenstand vorliegt (Kumpan, Interessenkonflikt, S. 17). Bei dem davon zu unterscheidenden objektiven Interesse soll stattdessen eine verobjektivierende Typisierung erfolgen, durch die das (Interessen‑)Objekt bewertet wird (Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 8). Ungeachtet dessen und entgegen dem von Berner hervorgerufenen Eindruck (vgl. § 2 Fn. 188) ist stets, also aus beiden Blickwinkeln, eine „Subjekt-Objekt-Beziehung“ im genannten Sinne anzunehmen, so recht deutlich Kumpan, Interessenkonflikt, S. 17. 190  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 10. 191  Eingehend Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 15 ff., der anhand des Treuhandmodells von Löhnig, Treuhand, S. 115 ff., eine Verbindung zum Innenverhältnis der Treuhand herstellt. Dazu auch Kumpan, Interessenkonflikt, S. 48 f. 192  Siehe insoweit auch Koch, ZGR 2014, 697, 699; U.  H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 476.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

Konstellationen involvierten Interessen müssen in dem entscheidenden Zeitpunkt jedenfalls zum Teil inkompatibel sein.193 Das ist nicht der Fall, soweit sich die Interessen decken bzw. soweit ein Interesse von dem anderen absorbiert wird und in diesem aufgeht, sodass trotz zweier formal zu trennender Interessen im Ergebnis eine Kongruenz zwischen diesen besteht. Als Beispiel kann das Unternehmensinteresse der AG gelten, in das in einem gewissen Umfang Partikular- und Gruppeninteressen einfließen können, wodurch insoweit gerade keine Inkompatibilität der Interessen angenommen werden kann.194 Die so als Aufeinanderprallen (teil‑)inkompatibler Interessen umschriebene Lage sollte als „Interessengegensatz“ (oder auch als Interessen­ inkompatibilität) bezeichnet werden: Ein Interessengegensatz liegt vor, „wenn […] in einem Subjekt mehrere Interessen (Eigen- und/oder zu wahrende Fremdinteressen) [zusammentreffen] und [für das Subjekt nicht miteinander zu vereinen sind], weil im entscheidenden Zeitpunkt die gleichzeitige vollständige Wahrung aller beteiligten Interessen nicht möglich ist.“195

Zumindest für das Aktienrecht stellt dies zugleich die erste Facette einer dringend angezeigten Ordnung des Vokabulars im Kontext von Interessenkonflikten dar. Die schnell erkennbare Vielzahl von Termini, die jeweils uneinheitlich zur Kennzeichnung unterschiedlicher, aber auch identischer Sachverhalte herangezogen werden, verstellt den Blick auf die systematischen Interdependenzen verschiedener Gegebenheiten und Umstände tatsächlicher wie rechtlicher Art und erschwert dadurch letztlich den Umgang mit Interessenkonflikten. Ein homogenes, wohlüberlegtes Begriffsverständnis schafft auf dem weithin ungeregelten Feld von Interessenkonflikten im Aktienrecht ein nicht zu unterschätzendes Maß an Praktikabilität. Ausdrücklich ist daher an dieser Stelle einem Verständnis von „Interessengegensätzen“ als Synonym zu „Interessenkonflikten“196 oder auch als deren Subkategorie197 oder gar beides zugleich198 eine Absage zu erteilen. 193  Anders offenbar Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Grds. 19 DCGK Rn. 10. 194  Vgl. dazu oben § 2 A. II. und insbesondere Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 49, und Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 109, der statt eines Interessenkonflikts letztlich von einem „Scheinkonflikt“ spricht; daneben mit abweichendem Kontext Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 295. 195  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 12 m. w. N., der so allerdings den Begriff „Interessenkonflikt“ definiert. Der „Interessenkonflikt“ wird durch die obige Beschreibung aber in seinen Wesensmerkmalen nicht vollständig erfasst, siehe dazu den nachfolgenden Abschnitt, § 2 C. I. 2. 196  So offenbar Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 1 (siehe aber § 2 Fn. 198); außerdem Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 29. 197  So offenbar Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 23, und W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 257.



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2. „Relevanzschwelle“ im Sinne der Vernachlässigungsgefahr für eines der Interessen Entgegen mancher Stimmen in der Literatur beinhaltet der Begriff des Interessenkonflikts mehr als nur einen Interessengegensatz bzw. mehr als die hinter jenem Begriff stehende Kumulation (teil‑)inkompatibler Interessen199. Die letztere stellt so gesehen ein Minus gegenüber einem Interessenkonflikt bzw. dessen Grundlage dar.200 Der Unterschied liegt in einer „Relevanzschwelle“, die als dem Interessenkonfliktbegriff inhärent zu betrachten ist. Die Ansehung einer Relevanzschwelle als definitorisches Merkmal des Interessenkonflikts hat unlängst vehemente Kritik erfahren. Behauptet wird, sie verursache unüberwindbare Abgrenzungsschwierigkeiten.201 Die Konfliktstärke sei zugleich der maßgebliche – dynamische – Parameter zur Auswahl von zu ergreifenden Interessenkonfliktmaßnahmen.202 Anschließend heißt es: „Wenn man von vornherein für jede Maßnahme den Interessenkonflikt unter Einbeziehung einer anderen Konfliktstärke anders definiert, müsste man folglich zu einer Vielzahl von Interessenkonfliktsdefinitionen [sic!] gelangen. Dies führt […] zu einer unnötigen Spaltung des Interessenkonfliktsbegriffs [sic!].“203 Dennoch greifen die Vorbehalte gegenüber einer bereits im Begriff des Interessenkonflikts angelegten Relevanzschwelle nicht durch. Es ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum der Interessenkonflikt im Zusammenhang mit möglichen Interessenkonfliktmaßnahmen jeweils anders definiert werden sollte. Dabei wird insinuiert, ein Eintreten für eine dem Interessenkonfliktbegriff inhärente Relevanzschwelle habe dies zum Ziel oder zumindest bewusst zur Konsequenz. Dem ist zu widersprechen. Erstens kommt in der schlagwortartigen Bezeichnung des in Rede stehenden Aspekts als „Schwelle“, diese wiederum verstanden als Synonym von 198  So offenbar Schütz, in: von Schenck, Exkurs 1 zu § 100 Rn. 12, und von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 226 und 233; ferner Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 2 bzw. 6 (siehe aber § 2 Fn. 196). 199  Dazu oben § 2 C. I. 1. 200  Wie hier im Umkehrschluss Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 143. Anders insbesondere Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 12 (siehe dessen im Sinne eines Interessengegensatzes abgewandelte Definition des Interessenkonflikts oben in § 2 C. I. 1.), und – ähnlich – Kumpan, Interessenkonflikt, S. 57, sowie die in § 2 Fn. 196, § 2 Fn. 197 und § 2 Fn. 198 Genannten; bezogen auf den Geschäfts­ führer einer GmbH Gantenberg, Interessenkonflikte von GmbH-Geschäftsführern, S. 27 f. und 163. 201  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 157. 202  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 157. 203  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 157.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

„Grenze“, nicht mehr und nicht weniger zum Ausdruck als ein Minimalwert, ab welchem ein Interessenkonflikt anzunehmen sein soll. Die mögliche Abschichtung unterschiedlich ausgeprägter Interessenkonflikte zur Festlegung etwaiger Interessenkonfliktmaßnahmen kann hiernach theoretisch über At­ tribute (z. B. „klein“, „groß“, „schlimm“) erreicht werden. An dem bereits in dem Begriff enthaltenen Minimalwert ändert sich dadurch nichts. Wie schon der Wortsinn nahelegt, ergibt sich dadurch mithin auch keine Mehrzahl von Interessenkonfliktdefinitionen. Zweitens wird anhand der vorzugswürdigen Bezugsgröße der Schwelle (bzw. des erläuterungshalber genannten Minimalwerts) deutlich, dass es dieser bedarf. Die Heranziehung des Terminus „Konfliktstärke“ verschleiert unabhängig vom dahinterstehenden Verständnis die Tatsache, dass es entscheidend auf die Neigung ankommt, eines der betreffenden Interessen zu vernachlässigen. Anzumerken ist, dass das persönliche Dilemma desjenigen, der einen Interessengegensatz erlebt, überhaupt nur dann die Außenwelt berührt, wenn mindestens auf einer Seite ein Fremdinteresse vorliegt, und nur dann eine rechtliche Bedeutung aufweist, wenn sich letzteres de lege lata, bisweilen de lege ferenda, gegenüber dem Eigen- oder dem anderen Fremd­ interesse durchzusetzen hat. Hinsichtlich der im Interessengegensatz angelegten Bipolarität zweier Interessen erweist sich demgemäß nur ein Handeln entgegen einer im Einzelfall bestehenden bzw. anzunehmenden Richtungsentscheidung bzw. Wertung des Rechts als problematisch, wonach sich eines der beiden beteiligten Interessen im Verhältnis zueinander oder im Verhältnis zu sämtlichen anderen Interessen und damit im konkreten Zusammenhang durchsetzen soll. Dem Geltungsanspruch des Rechts wird zur Durchsetzung verholfen, wenn das betreffende Interesse gewahrt wird. Umgekehrt ist zu spezifizieren, dass es, um dieses Interesse proaktiv zu schützen (oder das genannte Ziel im Fall des Zuwiderhandelns über eine angemessene Kompensation zu erreichen), bezüglich der angesprochenen Neigung zur Vernachlässigung eines Interesses darauf ankommt, dass gerade dieses Interesse vernachlässigt zu werden droht. Zunächst ist daraus zu schließen, dass der gesamten Betrachtung so eine gewisse Einseitigkeit innewohnt: Im Subtext wird stets von der Warte eines Interesses aus gesprochen. Das muss nicht zwangsläufig auch dasjenige Interesse sein, welches sich letztlich durchsetzen soll, da dies speziell beim Interessengegensatz zwischen Fremdinteressen nicht immer auf Anhieb ermittelt werden kann. Unter dem Vorbehalt, dass es sich tatsächlich um das de iure dem anderen Interesse übergeordnete Interesse handelt, ist entscheidend, ob eine Gefahr für dessen Durchsetzung besteht. Das führt mit etwas anderen Worten zu der Frage nach der Gefahr, dass der vom Interessengegensatz Betroffene unrechtmäßigerweise das andere Interesse vorzieht und in der Konsequenz das an sich übergeordnete Interesse nicht (vollständig) verwirklicht werden kann. Jene Gefahr markiert



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die Bezugsgröße der oben genannten (Relevanz‑)Schwelle, die richtigerweise im Interessenkonfliktbegriff selbst enthalten ist. Besteht vom Blickpunkt eines Interesses her die Gefahr im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieses wegen des parallel vorliegenden, entgegenstehenden Interesses verletzt wird?204 Die theoretische Möglichkeit dessen genügt nicht, umgekehrt ist keine Gewissheit darüber zu verlangen. Die Gefahr für das Interesse folgt nicht erst aus dem Interessenkonflikt,205 sondern ist Ausdruck und gleichzeitig konstituierendes Merkmal des Interessenkonflikts. Anstatt den Kreis der „Interessenkonflikte“ durch ein alleiniges Abstellen auf die Kumulation unvereinbarer Interessen, die theoretisch in etlichen Fällen anzunehmen wäre, praktisch endlos weit zu ziehen, nur um dann eine Eingrenzung zugunsten derjenigen Interessenkonflikte vorzunehmen, die rechtlich problematisch sind, sprechen die besseren Gründe für eine Relevanzschwelle, die vorzugsweise als Gefahr der Interessenverletzung zu verstehen ist.206 Das steht nach Sinn und Zweck zudem im Einklang mit Normen, innerhalb derer der „Interessenkonflikt“ ohne Attribute bzw. ohne solche Attribute, die zwangsläufig die Bedeutung des Sub­ stantivs modifizieren, ein Tatbestandsmerkmal darstellt (so z. B. in Empfehlung E.1 S. 1 DCGK und Empfehlung E.1 S. 2 DCGK bzw. zuvor in Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. und Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F.207). Das Vorliegen eines Interessengegensatzes rechtfertigt nach alledem nicht zugleich die Annahme eines Interessenkonflikts.208 Schließlich decken sich 204  Zugunsten eines Gefahrenkriteriums als Teil des Interessenkonfliktbegriffs auch OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 235 („gesellschaftsfremde Interessen […], deren Gewicht […] so groß ist, dass […]“); Conzen, Unabhängigkeit und Diversity, S. 35 f.; Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 143; Reese/Ronge, AG 2014, 417, 422 f.; Stephanblome, NZG 2013, 445, 449. Jedenfalls in diese Richtung Hüffer/Koch, § 108 Rn. 12; Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 423 („Situation […], von der man […] nicht sicher sein kann, dass das betreffende Organmitglied dennoch und unbedingt allein die Interessen seiner Gesellschaft verfolgen wird“). Vgl. auch Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 3 und 18, und – allerdings nur implizit und beiläufig – Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 334 (siehe aber § 5 Fn. 144). Dies verkennend Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 147. 205  Dagegen Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 51. 206  Unbeschadet der in § 2 Fn. 204 Genannten spricht sich im Ergebnis vor allem auch Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 41, dafür aus. Der Begriff der „Relevanzschwelle“ findet sich auch bei Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/ Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 5 und 9. 207  Zwar wird in Empfehlung E.1 S. 2 DCGK bzw. zuvor in Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. auf „aufgetretene Interessenkonflikte“ abgestellt, jedoch ist dies ohne Bedeutung für das Verständnis des Begriffs „Interessenkonflikt“ an sich. 208  Zutreffend Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 143 und ebenso 144 und 147.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

die vorstehenden Ausführungen mit dem wohl vorherrschenden Sprachgebrauch innerhalb der Bevölkerung und in den Medien: „Interessenkonflikte“ werden regelmäßig im Zusammenhang mit einem von einer bestimmten Person (vermeintlich) zu wahrenden Interesse diskutiert, das von dieser Person (vermeintlich) vernachlässigt zu werden droht. Damit ist auch die negative Konnotation des Begriffs zu erklären. Solange ein entsprechender Verdacht nicht besteht, wird eine Kumulation selbst konfligierender Interessen nicht als anrüchig empfunden. 3. Zwischenergebnis: Eigene Definition des Interessenkonflikts und deren Übertragung auf den Aufsichtsrat Zusammenfassend kann der „Interessenkonflikt“ wie folgt abstrakt definiert werden: Ein Interessenkonflikt liegt vor, wenn in einem Subjekt mehrere nicht vollständig miteinander vereinbare Eigen- und/oder durch dieses zu wahrende Fremdinteressen zusammentreffen und aus dem Blickwinkel eines der Interessen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dem anderen Interesse von dem Subjekt der Vorzug gegeben wird.

Diese Definition ist auf den Aufsichtsrat zu übertragen. Der Aufsichtsrat ist Interessenwahrer der AG: Die AG verfügt über eine eigene Rechtspersönlichkeit (§ 1 Abs. 1 S. 1 AktG) und damit auch über eine eigenständige Interessensphäre.209 Der Aufsichtsrat hat gemessen daran mit der Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse die grundlegende Verpflichtung zur „stellvertretenden“ Wahrnehmung fremder Interessen.210 Das gesellschaftsrechtliche Organverhältnis stellt dafür einen validen Rechtsgrund dar. Schließlich besitzt der Aufsichtsrat aufgrund der Organisationsverfassung der AG eine gewisse Macht,211 in deren Rahmen er auf die Interessensphäre der AG einwirken kann.212 Bezogen auf die Mitglieder des Aufsichtsrats als Subjekt und damit von der Warte des Unternehmensinteresses der betreffenden AG aus 209  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 120; im Ergebnis auch Kumpan, Interessenkonflikt, S. 115. 210  Siehe oben § 2 A. I. 3. d) und § 2 A. II. 211  Vgl. oben § 2 A. I. 3. im Ganzen. 212  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 117  f., der im Anschluss (ebd., S. 118 ff.) insbesondere darlegt, dass allein die AG die Interessenwahrungsmandantin und Treueberechtigte des Aufsichtsrats ist und hingegen kein Interessenwahrungsverhältnis zwischen dem Aufsichtsrat und den Aktionären besteht. Für die Einordnung des Aufsichtsratsmandats als Interessenwahrungsverhältnis auch Hopt, ZGR 2004, 1, 2 und 5; Kumpan, Interessenkonflikt, etwa S. 98 und 117; Löhnig, Treuhand, S. 117 in der Zusammenschau mit S. 224. Zum Hintergrund und zum Begriff des ­Interessenwahrungsverhältnisses wiederum Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 15 ff. und speziell S. 26.



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gesprochen, an welches die Aufsichtsratsmitglieder gebunden sind, kann die Bedeutung des Begriffs „Interessenkonflikt“ wie folgt – allgemein213 – festgelegt werden: Ein Aufsichtsratsmitglied befindet sich in einem Interessenkonflikt, wenn in seiner Person das von ihm zu wahrende Unternehmensinteresse und ein nicht vollständig damit vereinbares Eigen- oder durch das Aufsichtsratsmitglied zu wahrendes Fremdinteresse zusammentreffen und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dem anderen Interesse gegenüber dem Unternehmensinteresse von dem Aufsichtsratsmitglied der Vorzug gegeben wird.

II. Notwendigkeit der rechtlichen Behandlung Die mögliche Konsequenz, dass ein Interesse aufgrund eines inkompatiblen anderen Interesses nicht gewahrt wird, schafft das Bedürfnis, den entsprechenden Interessenkonflikt rechtlich zu erfassen und zu behandeln.214 Dieses wird auch dadurch begründet, dass Interessenkonflikte im Aufsichtsrat einerseits die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb des Aufsichtsrats stören können und andererseits zu einer Beeinträchtigung der Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat führen können: Das Arbeitsklima im Aufsichtsratsplenum wird durch den „bösen Schein“ eines Interessenkonflikts belastet, vor allem aufgrund der Befürchtung von Indiskretionen. Gleiches gilt im Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, insbesondere im Rahmen der Berichterstattung des Vorstands an den Aufsichtsrat.215 Vor allem die (Verpflichtung zur) Wahrnehmung von Fremdinteressen beinhaltet eine gesteigerte Brisanz. Die in aller Regel begründete Sorge der involvierten Personen, Stellen und Organisationen um die adäquate und damit vollumfängliche Wahrung der eigenen Interessen durch den Interessenwahrer verlangt rechtliche Leitlinien und Schutzmechanismen. Dass dieser die zu wahrenden Interessen vernachlässigt, ist nicht sicher, aber möglich.216 213  Darin ist die Überlegenheit gegenüber der in § 2 Fn. 184 wiedergegebenen Definition des Gesetzgebers zu sehen, die auf Geschäfte mit nahestehenden Personen zugeschnitten und so nur in jenem Sachzusammenhang zu gebrauchen ist. 214  Vor dem Hintergrund der insofern zu verlangenden (Mindest‑)Wahrscheinlichkeit einer Vernachlässigung des in den Blick genommenen Interesses (siehe oben § 2 C. I. 2.) ist Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 143, zuzustimmen, die zwischen einem „aktienrechtlich unbeachtliche[n]“ Interessengegensatz und einem „aktienrechtlich bedeutsamen“ Interessenkonflikt differenzieren. 215  Vgl. zum Vorstehenden Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 75  f., wenngleich nicht nachvollziehbar ist, warum die genannten Auswirkungen neben ­Interessenkonflikten erwähnt werden statt als deren Folge. 216  Insoweit ist auch auf Erkenntnisse der Ökonomie zu verweisen, die die Gefahr einer Realisierung von Interessenkonflikten verdeutlichen, dazu im Einzelnen Kumpan, Interessenkonflikt, S. 59 ff. Insbesondere zählt dazu die sog. Principal-Agent-

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

Der Interessenkonflikt ist insofern dem Grunde nach nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Möglichkeit, der Interessenwahrer werde das eine Interesse bevorzugen und dadurch das andere – nämlich das ihm überantwortete – Interesse vernachlässigen.217 Davon abzugrenzen ist die Lage, in der sich diese Gefahr in einem „(interessen‑)konfliktbeeinflusste[n] Verhalten“218 niederschlägt und es tatsächlich zu einer Missachtung eines Interesses kommt.219 Eine rechtliche Intervention muss in Anbetracht dieser Abgrenzung auf zwei Ebenen stattfinden. Zweifelsohne muss das Recht Antworten auf ein tatsächlich konfliktbeeinflusstes Verhalten des Interessenwahrers220 bereithalten. Die zu kompensatorischen Zwecken vorgesehenen Konsequenzen bzw. möglichen Schritte reichen von Schadensersatzansprüchen bis hin zu der Option, die eigenen Interessen (mit außerordentlicher Wirkung) nicht weiter in die Hände des Interessenwahrers zu legen.221 Schon im Vorfeld ist jedoch von Bedeutung, wie eine Realisierung der Gefahr, d. h. die Vernachlässigung eines relevanten Interesses, verhindert werden kann. Angesprochen ist damit der Interessenkonflikt. Naturgemäß besagt eine Gefähr­ dungslage nicht automatisch, dass auch ein nachweisbarer, „harter Schaden“ Theorie, nach deren Modell im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem die Gefahr eigennützigen, opportunistischen Verhaltens des Beauftragten (des Agenten) besteht. Das Verhältnis zwischen der Hauptversammlung bzw. der Gesamtheit der Anteilseigner und dem Aufsichtsrat ist hiernach als Principal-Agent-Beziehung einzuordnen, siehe Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 8; Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 632; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 74; Oehlrich, NZG 2019, 1049, 1050; Velte, WM 2012, 537, 538. 217  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 29 („Element des Potentiellen“); ebenso Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1101 („Element der Eventualität“). Es ist darauf hinzuweisen und zugleich zu bemängeln, dass dieselbe Formel an anderer Stelle von Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 84, mit abweichendem Verständnis benutzt wird. Anders als dort behauptet, liegt ein ­Interessenkonflikt entweder vor oder nicht, fraglich ist allein die Realisierung der ihm innewohnenden Gefahr für das eine bzw. andere Interesse. 218  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 29. 219  Näher zu möglichen Formen des konfliktbeeinflussten Verhaltens Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 29 f. Das äußert sich in der Berücksichtigung von Sonderinteressen im Rahmen der Beschlussfassung und mittelbar in Vermögensverschiebungen der Gesellschaft, hinzu kommen negative Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats und der Eindruck, das Unternehmen verfüge über keine hinreichend effiziente Corporate Governance, siehe Nordhues, CFL 2010, 327, 328. 220  Dieses kann in einem aktiv interessenwidrigen Tun, genauso aber auch in einem Dulden oder Unterlassen liegen, siehe Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 30. 221  Vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 30.



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 69

eintritt.222 Allerdings bauen die Mandanten, denen gegenüber die Verpflichtung zur Interessenwahrung besteht, – typischerweise nicht zuletzt aufgrund der Vertrauensbeziehung zum Interessenwahrer – in legitimer Weise darauf, der Interessenwahrer werde sich in einer Konfliktsituation „richtig“ verhalten, also insbesondere ihr Interesse gerade nicht vernachlässigen. Bei einem hinzutretenden, womöglich auch nicht vorhergesehenen konfligierenden Interesse kann eine Offenbarung des Konflikts angezeigt sein. Aber auch wenn der Mandant den Interessenwahrer in Kenntnis eines (möglichen) Konflikts mit der Wahrung seiner Interessen betraut, darf er eine gewisse Vorhersehbarkeit des Verhaltens des Interessenwahrers erwarten und auch, dass dieser den Weg beschreitet, der für den Mandanten keine oder jedenfalls die im Vergleich geringsten negativen Auswirkungen hat.223 Überhaupt kann der Mandant die Risiken so oft besser abschätzen. Es bedarf Lösungsmechanismen, die den Interessenwahrer in der aufgezeigten Zwickmühle leiten und dem regelmäßig sanktionsbewehrten, tatsächlichen konfliktbeeinflussten Verhalten entgegenwirken oder dies aus der Sicht des Mandanten zumindest entschärfen.224 Dem letztlich vorgeschaltet stellt sich die Frage, ab wann die Interessenkumulation, die den Interessenkonflikt begründet, für das potenziell hintangestellte Interesse generell derart prekär ist, dass sie von vornherein unterbunden werden muss. Derartige Ansätze und Überlegungen lassen sich für viele verschiedene Fälle von Interessenkonflikten formulieren. Damit einhergehend hat sich ein universelles Gerüst von Interessenkonfliktmaßnahmen bzw. allgemein von Möglichkeiten zur Adressierung von Interessenkonflikten herausgebildet. Sie können auf einer Metaebene so zusammengefasst und gegliedert werden, 222  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 30. Dass ein Schaden im weiteren Sinne vorliegt, lässt sich umgekehrt in Anbetracht des in § 2 C. I. 1. benannten Dilemmas jedoch auch nicht sicher ausschließen – auch das Mitglied eines Kollegialorgans, dass sich aufgrund des eigenen Interessenkonflikts in einer Sitzung bewusst nicht beteiligt, verursacht theoretisch einen Schaden, indem von seiner Expertise in der entsprechenden Beratung kein Gebrauch gemacht werden kann. 223  Aus der Sicht des Mandanten macht es beispielsweise durchaus einen Unterschied, ob sich der vom Interessenkonflikt Betroffene, der einem mehrköpfigen Gremium angehört, wegen der Bevorzugung des anderen, konfligierenden Interesses (nur) enthält oder aktiv gegen eine eigentlich vorteilhafte Maßnahme stimmt. Etwa bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats zählt eine Stimmenthaltung nicht als Stimmabgabe und auch nicht als Nein-Stimme, siehe stellvertretend Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 29. 224  Zuzustimmen ist insofern der prägnanten Feststellung von Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 18, „dass außer dem Appell an das Pflichtgefühl der Aufsichtsratsmitglieder und nachgelagerten Schadensersatzansprüchen im Fall der Pflichtverletzung präventive Konfliktbewältigungsmechanismen erforderlich sind, um Gesellschaften vor nachteiligen Folgen von Interessenkonflikten ihrer Aufsichtsratsmitglieder zu schützen“.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

dass daraus eine grundlegende gedankliche Abfolge aus Konfliktvermeidung, Konfliktoffenlegung und Konfliktlösung hervorgeht.225

III. Feststellung von Interessenkonflikten einschließlich ihrer rechtlichen Adressierung Grundlegende Bedeutung entfaltet die Frage, wie bzw. aus welcher Per­ spektive das Vorliegen eines Interessenkonflikts festzustellen ist und wie dieser vor allem tatbestandlich adressiert werden kann. Das ist die Voraussetzung jeder rechtlichen Anknüpfung an und jedes rechtlichen Zugriffs auf Interessenkonflikte. 1. Formell-typisierter und entgrenzter Konfliktbegriff Die Unterscheidung zwischen dem formell-typisierten Konfliktbegriff und dem entgrenzten Konfliktbegriff226 beinhaltet mit ersterem die Möglichkeit, an typisierte und damit einfacher zu subsumierende Sachverhalte anzuknüpfen.227 Tatsächlich zog es der Gesetzgeber wenigstens bis zum Inkrafttreten des ARUG II im Jahr 2020 vor, im Aktiengesetz Rechtsfolgenanordnungen für solche Sachverhalte zu treffen, anstatt den Begriff „Interessenkonflikt“ auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.228 Als Beispiel kann § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG herangezogen werden, wonach nicht Mitglied des Aufsichts225  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 88 ff., und Kumpan, Interessenkonflikt, S. 4 und 6 sowie 126 ff., allerdings in abweichender Reihenfolge. Die vollzogene Abweichung liegt darin begründet, dass, soweit bestimmte Normen die Entstehung der konfligierenden Interessenkumulation präventiv unterbinden, mangels eines Konflikts dessen Offenlegung schon logisch ausscheidet. Wie hier dann selbst Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 174 ff. In Teilen auch U. H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 478. Zur Frage, ob die Konfliktoffenlegung als eigenständige Stufe zu betrachten oder der Konfliktlösung zuzurechnen ist, siehe unten § 4 A. II. 226  Begriffe nach Koch, ZGR 2014, 697, 698 f., wobei die Bezeichnung als formell-typisiert offenbar auf Kumpan, Interessenkonflikt, S. 41, zurückgeht. Anstelle des ersteren spricht Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 161, im Zusammenhang mit Stimmverboten aufgrund von Interessenkonflikten von der „kasuistische[n] Methode“, was sich verkürzt als kasuistischer Interessenkonflikt bezeichnen lässt. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 84, dessen mögliche Einordnung als „Kategorie“ von Interessenkonflikten nicht zu überzeugen vermag, unterscheidet zwischen abstrakten und konkreten bzw. formellen und materiellen Interessenkonflikten. Kumpan, Interessenkonflikt, S. 41, differenziert ebenfalls zwischen abstrakten und konkreten Interessenkonflikten. 227  Vgl. Koch, ZGR 2014, 697, 698. 228  Siehe schon oben § 2 C. I. zur entsprechenden Änderung des Aktiengesetzes. Näher zum ARUG II noch unten § 4 D. im Ganzen.



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 71

rats sein kann, wer in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft war: Ein „Interessenkonflikt“, um den es in der Sache geht und dem die Regelung entgegenwirken soll229, muss nicht festgestellt werden.230 Das Gesetz stellt allein auf die in der Norm genannte Karenzzeit von zwei Jahren ab. Der Interessenkonflikt ist gedanklicher Ausgangspunkt der Schaffung leichter handhabbarer Tatbestandsmerkmale.231 Demgegenüber muss im Fall des entgrenzten Konfliktbegriffs der Interessenkonflikt als solcher festgestellt werden. Anstelle starrer objektiver (konfliktanzeigender) Kriterien erfolgt eine umfassende Abwägung und Betrachtung der Umstände im Einzelfall232, die eine Annährung über Fallgruppen aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit indes nicht prinzipiell ausschließt233. Die tatbestandlich-kasuistische Betrachtungsweise greift nämlich in bestimmten Fällen zu kurz.234 Zu diesen zählen keineswegs allein die Betrachtung aus empirischen Gründen oder die bloße Erfassung des tatsächlichen Phänomens „Interessenkonflikt“. Auch von Seiten des Rechts wird teilweise auf „Interessenkonflikte“ abgestellt235 bzw. muss im Bedarfsfall im ungeschriebenen Bereich an sie angeknüpft werden, was aber nicht selten erhebliche Schwierigkeiten bereitet. 2. Perspektive zur Feststellung von „Interessenkonflikten“ Bei der wortwörtlichen Feststellung von „Interessenkonflikten“, folglich verstanden im Sinne des entgrenzten Konfliktbegriffs236, kommt es maßgeb229  Siehe übereinstimmend etwa Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 34; weitere Nachweise in § 3 Fn. 22. 230  Allgemein Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 102. 231  Koch, ZGR 2014, 697, 701. 232  Vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 85; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 41. 233  Näher dazu Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 86 f. 234  Vgl. Koch, ZGR 2014, 697, 698 („lückenhaft“); Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 174 („ungleiche[r] Behandlung gleichschwerer Konfliktslagen [sic!]“, Umgehungsgefahr). 235  Wie erwähnt gilt das anders als in der Vergangenheit inzwischen auch für das Aktiengesetz (siehe auch schon oben § 2 C. I. und die Liste der Normen, in welche der Begriff „Interessenkonflikt“ Einzug gehalten hat, in § 2 Fn. 183; zum Dasein des Interessenkonflikts als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal bei § 93 Abs. 1 S. 2 AktG siehe aber unten § 5 C. I.). Siehe außerhalb des Aktiengesetzes exemplarisch etwa § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB und § 2 Fn. 289 sowie die Aufzählung bei Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 85 Fn. 347, bzw. bei Kumpan, Interessenkonflikt, S. 12 Fn. 9. Auch im DCGK zählen „Interessenkonflikte“ mitunter zum Tatbestand der jeweiligen Regelung, siehe oben § 2 C. 236  Dazu oben § 2 C. III. 1.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

lich auf die dabei einzunehmende Perspektive an. Hinter dem für den Inte­ ressenkonflikt prägenden Gefahrenmoment steht das Geneigtsein des Interessenwahrers, ein bestimmtes Interesse zu vernachlässigen. Dabei handelt es sich um innere Tatsachen, die erfahrungsgemäß nur schwer nachweisbar sind. Die Tendenz des Interessenwahrers, entsprechend zu agieren, wird durch dessen innere Präferenzen determiniert. Im Übrigen können schon bei der Feststellung eines Interessengegensatzes Schwierigkeiten auftreten: Das Vorliegen eines Eigeninteresses, das sich sodann mit dem anderen (Fremd‑) Interesse überschneidet, ist schon für sich genommen eine subjektive Tatsache. Hinsichtlich des Vorliegens eines Fremdinteresses fällt die Beurteilung im Ausgangspunkt zumindest insoweit leichter, als objektive Umstände (etwa ein Auftragsvertrag oder eine Organstellung) das Bestehen eines Interessenwahrungsverhältnisses signalisieren und die Reichweite des jeweiligen Inte­ resses jedenfalls abstrakt indizieren.237 Die Herausforderung der Anknüpfung an subjektive Tatsachen besteht jedoch fort, wenn es jedenfalls um die (Mindest‑)Wahrscheinlichkeit geht, dass das betreffende Interesse verletzt wird. An sich kann nur der Interessenwahrer selbst seine innere Haltung verbindlich beurteilen. Doch auch dies mag schon nicht unproblematisch sein, bedenkt man aufgrund allgemeiner Erwägungen, dass ein Mensch sich seiner Wünsche, Vorlieben und Interessen nicht permanent und in jeder Situation präzise bewusst ist.238 Die subjektive Sicht des Interessenwahrers kann daher nicht für maßgeblich befunden werden.239 Es ist notwendigerweise eine objektive Perspektive anzulegen.240 Es kann nicht ausschlaggebend sein, ob eine Beeinflussung des Interessenwahrers durch das jeweils andere Interesse aus dessen eigener Sicht erwogen 237  Vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 82. Zu den Begriffen „Eigeninteresse“ und „Fremdinteresse“ siehe schon oben § 2 C. I. 1. Die nicht immer eindeutige Abgrenzung von Eigen- und Fremdinteressen (dazu auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 54) kann am ehesten erfolgen, indem nach dem generellen Vorhandensein einer rechtlich fundierten Verpflichtung gegenüber dem (dann Fremd‑)Interesse einer anderen natürlichen oder einer juristischen Person gefragt wird. Inwieweit hieraus konkrete Handlungspflichten zu dessen Gunsten abzuleiten sind, ist an dieser Stelle nicht entscheidend. Vgl. zur Annahme eines Eigen­ interesses im Fall eines bloßen Pflichtgefühls gegenüber Dritten schon oben § 2 B. II. 238  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 82 f. 239  Zu Recht wird in der BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77, betont, dass es irrelevant ist, ob ein Aufsichtsratsmitglied sich selbst in einem Interessenkonflikt sieht. 240  Dafür Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 422 f.; ferner Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 8; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 45. Vgl. auch BGH, NJW 2009, 2207, 2210 – Kirch/ Deutsche Bank. Siehe für weitere, unterschiedliche Positionen hierzu im Kontext der Business Judgment Rule die Nachweise in § 5 Fn. 125.



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 73

wird, denn ansonsten ist der gesamte Komplex von Interessenkonflikten kaum zugänglich. Damit lässt sich der Hinweis verbinden, dass die in der Praxis häufige Einlassung von Aufsichtsratsmitgliedern, sie würden sich in der betreffenden Sache ganz unbefangen fühlen, ohne Relevanz ist. Die objektive Perspektive kann durch eine Anknüpfung an objektive Hilfstatsachen eingenommen werden, die die Ableitung eines Interessenkonflikts gestatten (Sicht eines neutralen bzw. objektiven Beobachters).241 Ausschlaggebend ist, welche objektiven Umstände, namentlich äußere Faktoren, typischerweise die Annahme rechtfertigen bzw. die überwiegende Wahrscheinlichkeit begründen, dass ein Interesse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vernachlässigt wird. Das gilt sowohl im Fall der Kumulation inkompatibler Eigen- mit Fremdinteressen als auch im Fall zweier solcher Fremdinteressen und jeweils schon bei der Vorfrage, ob überhaupt eine entsprechende Kumulation konfligierender Interessen vorliegt. Als Beispiel lässt sich die engere Verwandtschaft zwischen dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied und einem Vorstandsmitglied anführen, dessen Entscheidungen vom Aufsichtsrat geprüft werden sollen. Zwar kann es sein, dass tatsächlich keine enge familiäre Beziehung zwischen den beiden Verwaltungsmitgliedern vorliegt. Deutlich wahrscheinlicher ist aber, dass das Aufsichtsratsmitglied ein von vornherein erhöhtes oder gar „blindes“ Vertrauen in die Entscheidungen seines Angehörigen hat und diese daher weniger kritisch überprüft als diejenigen von beliebigen anderen Vorstandsmitgliedern.242 Diese bei genauem Hinsehen doppelte Wahrscheinlichkeitsbetrachtung droht letztlich aber nicht. An dieser lässt sich vielmehr der Charakter der anzustellenden Prüfung verdeutlichen: Die Feststellung des „tatsächlichen“ – vielmehr so unterstellten – Vorliegens eines Interessenkonflikts trägt streng genommen keinen Absolutheits- bzw. Wahrheitscharakter in sich, sondern erfolgt näherungsweise. Praktisch-psychologische Annahmen und Erfahrungen auf der Basis der Relativität äußerer Fakten legitimieren jedoch diese Vorgehensweise in der Theorie und mehr noch mit der fortlaufenden Herauskristallisierung einer dahingehenden Kasuistik. Die genannte „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit ist Ausdruck des Schlusses von objektiven (Hilfs‑)Tat­ sachen auf subjektive Tatsachen. Sie muss nicht eigens bedacht werden und wird auch nicht gesondert geprüft. Es bleibt bei der Frage nach der zu fordernden hinreichenden Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung eines Interesses, die im Begriff des Interessenkonflikts angelegt ist. Aus praktischer Sicht 241  Dies voraussetzend Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 45 f. Näher Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 83, der auf die Ähnlichkeit zur Feststellung subjektiver Tatsachen im Zivilprozess hinweist. Im Ergebnis auch Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1100. 242  Beispiel nach Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 84.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

ist die genannte Vorgehensweise alternativlos. Der Begriff des Interessenkonflikts wird insoweit verobjektiviert.243 Zu verlangen ist bei alledem jedoch, dass die betreffende Person von den objektiven Tatsachen bzw. Umständen, die danach den Interessenkonflikt begründen, Kenntnis hat.244 Es kann gerade nicht typischerweise angenommen werden, dass ein Interesse um eines anderen willen vernachlässigt wird, wenn entweder das andere Interesse oder für dieses prägende Umstände dem Betreffenden nicht bekannt sind.245

IV. Arten von Interessenkonflikten Aus der Vielgestaltigkeit von Interessenkonflikten im Privatrecht246 speist sich der Gedanke, aus einer Fallgruppenbildung hilfreiche Rückschlüsse zugunsten ihrer rechtlichen Behandlung zu ziehen. Die Bildung von Kategorien ist unter verschiedenen Gesichtspunkten möglich. Sie kann zunächst abstrakt und somit losgelöst von einzelnen Interessenwahrungsverhältnissen erfolgen.247 In Orientierung daran kann eine spezifische Einteilung von Interessenkonflikten stattfinden, die typischerweise im Rahmen eines bestimmten Interessenwahrungsverhältnisses zutage treten.248 Eine entsprechende Klassifikation aus dem einen oder dem anderen Blickwinkel kann zur Entwicklung und Auswahl adäquater Interessenkonfliktmaßnahmen beitragen und deren Relation verdeutlichen.249 Die gegenwärtig ohne Weiteres erkennbare, kaum 243  Begriff

S. 82.

„verobjektiviert“ nach Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten,

244  Prägnant Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 46 („subjektive Kenntnis objektiver Konfliktgründe […] ist […] für die Annahme eines Interessenkonflikts konstitutiv“). Siehe auch Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Grds. 19 DCGK Rn. 10. Für diesbezügliche Stimmen im Kontext der Business Judgment Rule siehe § 5 Fn. 125. 245  Ein taugliches Beispiel betrifft Interessenkonflikte wegen einer persönlichen Verwandtschaftsbeziehung: Ist der in den Blick genommenen Person schon die verwandtschaftliche Beziehung zum Dritten nicht bekannt, kann die Feststellung eines Interessenkonflikts nicht getroffen werden. 246  Siehe hierzu die eindrucksvolle Arbeit von Kumpan, Interessenkonflikt, passim. 247  Ausführlich Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 53 ff., 84 ff. 248  Für den Aufsichtsrat Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 194 ff.; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 65 ff. Da eine parallele Berücksichtigung sämtlicher Differenzierungsmerkmale zu einer unübersichtlichen Darstellung führen würde, erfolgt die spezifische Einteilung dort (nur) unter einem der möglichen Gesichtspunkte zur Kategorisierung von Interessenkonflikten. 249  Insoweit positiv Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 7 („für die Entwicklung von Regeln zur Bewältigung von Interessenkonflikten […] sicherlich nützlich“).



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 75

überschaubare Vielzahl von Attributen bzw. Beiwörtern des „Interessenkonflikts“ trägt dazu bei, dass die möglichen Vorteile einer entsprechenden (Ein‑) Ordnung in Wissenschaft und Praxis nur bedingt nutzbar gemacht werden können. Die Subsumtion einzelner Sachverhalte unter verschiedene Begriffe ist bislang nicht hinreichend konsistent und konsentiert. Der Status quo erfordert und gestattet an dieser Stelle insofern eine Systematisierung, welche in Teilen mit dem bisherigem Sprachgebrauch bricht und neue bzw. veränderte Differenzierungsmerkmale bzw. Kategorien von Interessenkonflikten beinhaltet. Das Augenmerk muss stärker als in der Vergangenheit darauf liegen, eine nicht nur terminologisch überzeugende ­ Lösung zu entwickeln, sondern – offenbar erstmals – zugleich eine solche, die sich an anderer Stelle250 durchgehend stimmig in die aktienrechtliche, namentlich aufsichtsratsbezogene Interessenkonfliktdogmatik einfügt. Die an sich abstrakte Herausarbeitung verschiedener Arten von Interessenkonflikten im Sinne einer Kategorienbildung muss vor diesem Hintergrund auf dem zum Aufsichtsrat vorhandenen Normmaterial und den diesen betreffenden Äußerungen in Rechtsprechung und Schrifttum aufbauen. 1. Einordnung anhand der Frequenz der aus einem Interessengegensatz entstehenden Interessenkonflikte Erwähnenswert251 ist das Gegensatzpaar bzw. die Einteilung in punktuelle und dauerhafte252 bzw. punktuelle und generelle253 Interessenkonflikte. Kaum etwas anderes mag hinter der Unterscheidung zwischen punktuellen und permanenten Interessenkonflikten254 stehen. Schließlich spricht der DCGK mehrfach von einem „nicht nur vorübergehenden“ Interessenkonflikt (Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK, Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK), was zunächst allein unter sprachlichen Gesichtspunkten der soeben erwähnten Dauerhaftigkeit gleichzusetzen ist.255 250  Siehe bzw. vgl. – auch nachweishalber – unten § 3 A. II. 2. und § 3 C. III. 2., des Weiteren § 4 A. V. 1., § 4 B. III. 3. a), § 4 B. III. 4., § 4 B. VI. 1. c) und § 4 B. VI. 2. b) sowie § 5 C. I. 1. 251  Auf eine Darstellung aller denkbaren Unterscheidungsmerkmale wird verzichtet, siehe dazu etwa Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 53 ff. 252  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 55; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 41; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 108 ff. bzw. 133 ff.; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 4; vgl. auch Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 165 f. 253  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 28 ff. 254  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 65 ff. bzw. 267 ff. 255  Gleiches galt schon zuvor in Bezug auf Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a.  F. und Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

Nach Ansicht der Literatur zeichnen sich punktuelle Interessenkonflikte dadurch aus, dass sie die Aufsichtsratsarbeit – anders als permanente (dauerhafte) Interessenkonflikte – nicht durchgehend belasten, sondern bei den unterschiedlichen Mitgliedern nur in einzelnen Fällen bzw. Situationen zutage treten.256 Ein Interessenkonflikt sei punktuell, wenn er sich „auf eine einzelne Angelegenheit beschränkt, die Aufsichtsratstätigkeit im übrigen [sic!] aber unberührt läßt“257. Im hiervon abzugrenzenden Fall werde „die Amtsführung generell behindert. Anders gesagt: eine ordnungsgemäße Amtsausübung kann […] nicht nur ausnahmsweise nicht erwartet werden, sondern überhaupt nicht. Der Geschäftsunfähige wird das Amt nicht bloß in einer einzelnen Frage fehlerhaft ausüben, sondern generell.“258 Aus dem Vorstehenden ist richtigerweise abzuleiten, dass die Unterscheidung anhand der Einzelfallbezogenheit zu erfolgen hat. Ein einzelfallbezogener Interessenkonflikt ist danach als punktuell zu betrachten.259 Dem werden Interessenkonflikte mit Dauercharakter gegenübergestellt260 oder es wird eine Einteilung nach der Konfliktdauer vorgenommen261. Von einem solchen oder ähnlich gelagerten Sprachgebrauch ist jedoch abzuraten, da der unzutreffende Eindruck erweckt wird, es ginge um eine temporäre Betrachtung. Eine solche, wie sie offenbar auch in der Literatur mitunter irrtümlicherweise zum Ausdruck gebracht wird262, ist abzulehnen. Die Dauer eines Interessenkonflikts in einer Sachfrage ist schwer zu bestimmen, zumal gerade bei mehrstufigen Prozessen der Interessengegensatz in verschiedenen Situationen (erneut) virulent werden kann. Von derselben, zusammenhängenden Konfliktsituation kann dann aber nicht gesprochen werden. Die „Dauer des Konflikts“ verstellt insgesamt den Blick dafür, dass es um die Frequenz geht, in welcher sich in verschiedenen Situationen, die auch Teil desselben mehr­ stufigen Prozesses sein können, ein Interessengegensatz so zuspitzt, dass ein Interessenkonflikt anzunehmen ist. Es geht um ein Nacheinander oder auch ein Nebeneinander von Konfliktsituationen, das einerseits zeitlich-organisa256  Krebs,

Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 65. Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 29 f. 258  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 28. Wegen des Gebrauchs von Begriffen wie beispielsweise „auf Dauer“ nicht ganz eindeutig, aber wohl in diesem Sinne, Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 511, sowie Decher, ZIP 1990, 277, 287, und Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 788. 259  Zutreffend Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 92. 260  So etwa Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 92. 261  So etwa Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 55. 262  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 58 („Dauer der Konfliktsituation“). Es ist aber von einer unglücklichen Formulierung auszugehen, da innerhalb der vorherigen Ausführungen (ebd., S. 55) darauf abgestellt wurde, ob der Interessenkonflikt einzelfallbezogen ist. 257  Wardenbach,



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 77

torisch bedingt sein kann, wenn sich exakt dieselbe Konstellation erneut einstellt, etwa im Rahmen eines mehrstufigen Prozesses, und das andererseits aus unterschiedlichen Sachgegenständen folgen kann, in Bezug auf welche die beteiligten Interessen aufeinanderprallen. Jene Frequenz ist als Unterscheidungsmerkmal vorzuschlagen. Dem punktuellen Interessenkonflikt ist nach hier vertretener Ansicht der wiederkehrende Interessenkonflikt gegenüberzustellen, der bei genauer Betrachtung eine Mehrzahl einzelner Interessenkonflikte auf der Basis desselben Interessengegensatzes in einem bestimmten Zeitraum markiert.263 Der wiederkehrende Interessenkonflikt schließt die begründete Prognose mit ein, dass dieser Zustand jedenfalls auf absehbare Zeit anhält.264 An ihn ist konsequenterweise zu denken, wenn wie in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK, Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK auf einen „nicht nur vorübergehenden“ Interessenkonflikt abgestellt wird.265 Auf die Attribute „dauerhaft“, „permanent“ und „generell“ ist dagegen zu verzichten. Eine zeitliche Komponente der Art, dass die tatsächliche zeitliche Dauer des Konflikts bzw. einer Konfliktsituation abgebildet wird, verbirgt sich schließlich wie festgestellt hinter dem Vorstehenden nicht. 2. Einordnung anhand des relativen Ausmaßes des Interessenkonflikts Anzuregen ist eine Einordnung von Interessenkonflikten anhand ihres relativen Ausmaßes im Verhältnis zur Beziehung der jeweiligen Person zu dem gefährdeten (Fremd‑)Interesse. Das betrifft im Fall von Aufsichtsratsmitgliedern das Verhältnis zur Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied, in deren Rahmen eine Bindung an das einschlägige Unternehmensinteresse besteht. Es geht abstrakt um die Frage, welcher Anteil der gesamten, auf das in den Blick genommene Interesse gerichteten Tätigkeit des von einem Interessenkonflikt betroffenen Interessenwahrers durch den Interessenkonflikt beeinträchtigt wird.266 Besteht weiterhin ein nennenswerter Bereich innerhalb des Interes263  Dazu passen womöglich die Ausführungen von Hüffer/Koch, § 100 Rn. 40, betreffend Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK: Dauerhaft sei ein Konflikt, „wenn er nicht [eine] singuläre Interessenkollision betrifft, sondern sich über längere Abschnitte der Bestellperiode erstreckt“. Zugleich wird deutlich, dass das Gegensatzpaar aus „einzelfallbezogen“ und „dauerhaft“ nicht überzeugend ist. Siehe in diesem Zusammenhang noch unten § 3 C. III. 1. 264  Vgl. Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 9. 265  Gleiches galt schon zuvor in Bezug auf Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a.  F. und Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. Näher zur Einheitlichkeit des geschilderten Begriffsverständnisses innerhalb der erwähnten Kodexempfehlungen unten § 3 C. III. 2. 266  Soweit ersichtlich wird dies bislang nicht vertreten – die von Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 166 ff., angedachte Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls, darunter der „Umfang der Auswirkungen des Interessenkon-

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

senwahrungsverhältnisses, in welchem kein Interessenkonflikt zutage tritt, liegt ein unwesentlicher – keinesfalls aber irrelevanter – Interessenkonflikt vor. Das gegenteilige Extremum stellt ein wesentlicher Interessenkonflikt dar, der anzunehmen ist, wenn das Interessenwahrungsverhältnis deutlich mehrheitlich von dem Interessenkonflikt tangiert wird.267 Entscheidend ist, ob faktisch in jeder Sitzung Angelegenheiten erörtert werden, bezüglich welcher ein Interessenkonflikt vorliegt, der abstrakt dieselben konfligierenden Interessen involviert. Das kann einheitlich auf einen besonders wichtigen ­ Sachgegenstand zurückzuführen sein. Es ist jedoch ebenso möglich, dass ein grundlegender Interessenkonflikt in Bezug auf mehrere oder gar diverse Sachgegenstände gleichzeitig konkretisiert wird,268 die dann in ihrer Summe gemäß dem Vorstehenden zu beurteilen sind. Der DCGK bezieht sich an mehreren Stellen ausdrücklich auf „wesent­ liche“ Interessenkonflikte (Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK, Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK).269 Das wird in der Literatur als Fingerzeig verstanden, dass über die dem Interessenkonflikt ­ ohnehin innewohnende (Mindest‑)Gefahr270 hinaus eine erhöhte Gefahr dafür bestehen muss, dass eines der involvierten Interessen verletzt wird.271 Das flikts auf die Überwachungstätigkeit“ (ebd., S. 167), unter dem Begriff der Wesentlichkeit des Interessenkonflikts verleiht letzterem einen mehrdimensionalen Charakter, der aus Gründen der Klarheit gerade vermieden werden sollte. 267  Hierin geht möglicherweise auch die von Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 927, gewählte Bezeichnung von Interessenkonflikten als „breitflächig“ auf. Ebenso könnte hier die von Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 29, beschriebene Prognose eingeordnet werden, dass „die betreffende Person in wesentlichen Aufgabenbereichen so weitgehend an einer ordnungsgemäßen Amtsausübung gehindert ist, daß sie als Aufsichtsrat nicht tragbar erscheint“, welche dieser aber – nicht ganz überzeugend – punktuellen Interessenkonflikten gegenüberstellt (siehe oben § 2 C. IV. 1. mit § 2 Fn. 253). Bei Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 31, wird auch im Nachgang deutlich, dass dieser nicht klar zwischen den Ebenen Zeit bzw. (besser) Frequenz und Breite bzw. Ausmaß des Interessenkonflikts differenziert. 268  Vgl. schon oben § 2 C. IV. 1. Von nicht unwesentlicher Bedeutung ist letztlich in vielen Fällen die sachgegenständliche Breite der Zusammenhänge, in welchen ein Interessengegensatz zwischen zwei bestimmten Interessen denkbar ist. Etwa im Fall des Wettbewerbers im Aufsichtsrat dürfte sie grundsätzlich groß sein. 269  Zur Zeit der Geltung der Fassung des DCGK vom 7. Februar 2017 waren hier – in ihrem Wortlaut teils identisch – Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK und Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK zu nennen. 270  Vgl. dazu oben § 2 C. I. 2. 271  Vgl. zu Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK etwa Hüffer/Koch, § 100 Rn. 40 („risikoorientierte Betrachtung, bei der zu fragen ist, wie groß Anreiz […] ist, Interessen der AG hinter anderweitige Interessenbindung zurückzustellen“), was aber auch für Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK gelten soll (ebd., § 100 Rn. 46); zu Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. Hasselbach/Jakobs, BB 2013, 643, 646.



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 79

vorgeschlagene Begriffsverständnis weicht hiervon ab. Das ist damit zu rechtfertigen, dass die mit dem in der Literatur verbreiteten Ansatz vorgenommene Betrachtung der „Stärke des Interessenkonflikts“272 letztlich auf die Frage nach der Wahrscheinlichkeit hinausläuft, dass ein Interessenkonflikt auch ein konfliktbeeinflusstes Verhalten des Interessenwahrers nach sich zieht. Eine Abstufung auf dieser Skala ist aber nur wenig belastbar und würde die infolge des prognostischen Charakters des Interessenkonflikts ohnehin bestehende Unsicherheit noch weiter potenzieren. Auch in der Literatur zum DCGK wird ein Interessenkonflikt vereinzelt für „wesentlich“ gehalten, „wenn ein Aufsichtsratsmitglied wegen des Konflikts mehr oder weniger ständig gezwungen ist, den Beratungen und Abstimmungen im Aufsichtsrat fernzubleiben“273. Das Kriterium der Wesentlichkeit in Empfehlung E.1 S. 3 DCGK sollte verstanden werden als eine Betrachtung des Umfangs, in welchem das jeweilige Interessenwahrungsverhältnis von mehreren im Kern übereinstimmenden Interessenkonflikten und somit abstrahiert von „dem ­Interessenkonflikt“ betroffen bzw. beeinträchtigt wird.274 3. Abstufung: Reale und (nur) potenzielle Interessenkonflikte Eine Einteilung von Interessenkonflikten kann zudem anhand des tatsächlichen Vorliegens von Interessenkonflikten erfolgen.275 Insoweit ist zwischen realen und potenziellen Interessenkonflikten zu unterscheiden. Der Begriff des Interessenkonflikts beinhaltet stets einen Faktor des Potenziellen.276 Zudem konfligieren nicht immer tatsächlich verschiedene Interessen, sondern es genügt, dass objektiv festzustellende Hilfstatsachen bzw. Umstände das Vorliegen eines Interessenkonflikts hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Infolge der entsprechenden Verobjektivierung des Interessenkonfliktbegriffs ist aber von einem realen Interessenkonflikt auszugehen und dieser als solcher zu behandeln.277 Der potenzielle Interessenkonflikt ist 272  Siehe etwa Dürr, in: Szesny/Kuthe, 6. Kap. Rn. 69, und Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 213, die bezogen auf das Wesentlichkeitsmerkmal in Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F., mit welcher Empfehlung E.1 S. 3 DCGK wörtlich übereinstimmt, von der „Schwere“ des Interessenkonflikts sprechen. Zur Stärke des Interessenkonflikts auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 54 f. 273  Zu Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. Paschos/Goslar, NZG 2012, 1361, 1363; insoweit praktisch deckungsgleich Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 8. 274  Gleiches galt schon zuvor in Bezug auf Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. Zur Übertragbarkeit dieses Begriffsverständnisses auf Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (bzw. Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) unten § 3 C. III. 2. 275  So bei Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 57 und 84 ff. 276  Vgl. oben § 2 C. II. und siehe dabei § 2 Fn. 217. 277  Siehe oben § 2 C. III. 2.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

nicht mit dem genannten Faktor des Potenziellen zu verwechseln. Er verfügt über eine eigenständige Bedeutung und kennzeichnet eine Situation, „in der nach verobjektivierter Sichtweise zwar noch kein Interessenkonflikt vorliegt, ein solcher jedoch durch das Hinzutreten bestimmter, nicht allzu fernliegender Umstände, [sic!] entstehen könnte“.278 Letztlich findet hier eine weitere Wahrscheinlichkeitsbeurteilung statt.279 Zieht man zur Veranschaulichung die Konstellation heran, dass ein Aufsichtsratsmitglied in den Aufsichtsrat entsandt wurde, liegt kein Interessenkonflikt vor, soweit sich das Unternehmensinteresse und das Interesse des Entsendungsberechtigten decken. In der Gesamtschau befindet sich das Aufsichtsratsmitglied allerdings in einem themenbezogenen potenziellen Interessenkonflikt.280 Um den Begriff des potenziellen Interessenkonflikts nicht zu weit zu fassen, ist praktisch jedenfalls zu verlangen, dass die beiden Interessen, aus denen ein Interessengegensatz und sodann ein Interessenkonflikt folgen könnte, dem Grunde nach schon in einer Person vorhanden bzw. von dieser zu wahren sind. Die Unterscheidung zwischen realen und potenziellen Inte­ ressenkonflikten hängt vom Schnittbereich zwischen diesen beiden Interessen ab. Besteht ein solcher nicht, fehlt zwangsläufig jeglicher denkbare Inte­ ressenkonflikt. Besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit281 dafür, dass es zu Überschneidungen kommen wird, die dann zugleich die „Relevanzschwelle“ übertreffen, liegt ein potenzieller Interessenkonflikt vor. Ein Interessenkonflikt im eigentlichen Sinne ist allerdings schon nach der Wortbedeutung (noch) zu verneinen. Tritt die Überschneidung ein, liegt definitionsgemäß ein Interessenkonflikt vor.282 Eine eindeutige Festlegung in dieser Frage ist naturgemäß nicht immer ohne Weiteres möglich.283 Die insofern maßgebliche Beurteilung, ob eine Überschneidung vorliegt, hängt davon ab, wie weit man die Kreise der involvierten Interessen zieht. Bei einer großzügigen 278  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 88. Im Ergebnis übereinstimmend Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1101, der den potenziellen Interessenkonflikt als „möglicherweise erst in der Zukunft drohenden Interessenkonflikt“ definiert, und Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145. 279  Siehe schon oben § 2 C. I. 2. (darauf basiert § 2 C. II.) und § 2 C. III. 2. 280  Beispiel angelehnt an Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 88. 281  Scholderer, NZG 2012, 168, 171, spricht von potenziellen Interessenkonflikten, „die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten können“. Ähnlich Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 92, der das „Überschreiten einer gewissen Signifikanzschwelle“ verlangt. Siehe auch Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1321 („Interessenkonflikte absehbar oder wahrscheinlich“). 282  Dazu passend Scholderer, NZG 2012, 168, 171: Ein Interessenkonflikt liegt vor, „wenn im Aufsichtsrat ein Beratungs- oder Beschlussgegenstand ansteht, bei dem sich das Unternehmensinteresse und die anderweitigen Interessen des Aufsichtsratsmitglieds aktuell gegenüberstehen“. 283  Zutreffend Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 88.



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 81

und zunehmend abstrakten Sichtweise wächst der Überschneidungsbereich. Eine darauf basierende uferlose Annahme potenzieller bzw. realer Interessenkonflikte ist jedoch lebensfremd. Nicht selten wird der reale Interessenkonflikt daher auch als konkreter Interessenkonflikt bezeichnet284 bzw. dies als Gegenbegriff zum potenziellen Interessenkonflikt verwendet285. Es kommt auf eine in der Sache hinreichend konkrete (konturierte) Konfliktlage an.286 Das ist jedoch schon im Begriff des Interessenkonflikts angelegt. Das Attribut „konkret“ ist daher zu vermeiden. Auch die (Zusatz‑)Bezeichnung als „realer“ Interessenkonflikt, die aus Gründen der Einheitlichkeit der Bezeichnung als „tatsächlicher“ Interessenkonflikt287 vorzuziehen ist, beinhaltet über das Vorliegen eines Interessenkonflikts hinaus kein Mehr an Information und ist grundsätzlich entbehrlich. Sie kann aber der Abgrenzung von potenziellen Interessenkonflikten dienen. Ein potenzieller Interessenkonflikt bleibt auf rechtlicher Ebene im Grundsatz288 ohne Auswirkungen und bedarf keiner speziellen rechtlichen Behandlung. In den seltenen Fällen, in denen der Begriff Erwähnung gefunden hat, beispielsweise in Ziff. 5.4.1 Abs. 2 S. 2 DCGK a. F., die bis zum Inkrafttreten der jüngsten Fassung des DCGK galt, deren Bezugnahme auf potenzielle Interessenkonflikte in der aktuellen Fassung des DCGK aber durch keine Regelung entsprochen wird,289 diente bzw. dient dies präventiven Zwecken etwa Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 802 ff. etwa Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145. 286  Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1100. 287  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. 288  Unbeschadet dessen besteht jedoch eine Relevanz potenzieller Interessenkonflikte für die Frage der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder, siehe unten § 3 C. III. im Ganzen und § 3 D. III. 289  Zu erwähnen ist hier auch § 7 WpPG a. F. i. V. m. den Anhängen (u. a. Anhang I Ziff. 14.2., Anhang IV Ziff. 10.2., Anhang IX Ziff. 9.2.) zur Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Informationen sowie das Format, die Aufnahme von Informationen mittels Verweis und die Veröffentlichung solcher Prospekte und die Verbreitung von Werbung, ABl. EU 2004 L 149, S. 1, letztmals geändert durch Art. 13 Delegierte Verordnung (EU) 2016/301 der Kommission vom 30. November 2015 zur Ergänzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Billigung und Veröffentlichung des Prospekts und die Verbreitung von Werbung und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission, ABl. EU 2016 L 58, S. 13. An die Stelle von Richtlinie und Verordnung ist die neue Europäische Prospektverordnung getreten – Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. EU 2017 L 168, S. 12 (siehe Mt. Weber, NJW 2018, 995, 996). § 7 WpPG a. F. wurde aufgehoben, vgl. das Gesetz zur weiteren Ausfüh284  Siehe 285  Siehe

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

bzw. Informationszwecken, indem jeweils – freilich recht allgemein – das Risiko von Interessenkonflikten ermittelt bzw. mitgeteilt wird.290 Der mitunter verwendete Begriff „institutioneller“291 bzw. „struktureller“292 Interessenkonflikte steht nicht außerhalb dessen und führt auch nicht zu einer abweichenden rechtlichen Bedeutung: Gekennzeichnet wird die Tatsache, dass der entsprechende Konflikt letztlich im Gesetz angelegt ist293. Es liegt jeweils ein potenzieller Interessenkonflikt vor, der in konkreten Situationen zu einem (realen) Interessenkonflikt führen kann. Wegen der regelmäßig für eine bestimmte Zeit anhaltenden, den potenziellen Interessenkonflikt begründenden Umstände, etwa die Arbeitnehmereigenschaft und die parallele Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat über einen mehrjährigen Zeitraum, sind potenzielle Interessenkonflikte in gewisser Weise chronisch. Das ändert aber nichts daran, dass (noch) kein Interessenkonflikt vorliegt.294 Und dennoch ist eine Gleichsetzung „institutioneller“ und „dauerhafter“ Interessenkonflikte abzulehnen, da rung der EU-Prospektverordnung und zur Änderung von Finanzmarktgesetzen vom 08.07.2019, BGBl. I 2019, S. 1002, 1004. Nunmehr nimmt aber die Delegierte Verordnung (EU) 2019/980 der Kommission vom 14. März 2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Aufmachung, des Inhalts, der Prüfung und der Billigung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission, ABl. EU 2019 L 166, S. 26, in ihren Anhängen (z. B. Anhang 1 Punkt 12.2) Bezug auf potenzielle Interessenkonflikte. 290  In Bezug auf Ziff. 5.4.1 Abs. 2 S. 2 DCGK a. F. hält es Kremer, in: Kremer/ Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1321, für sachgerecht, dass auf „potenzielle“ Interessenkonflikte abgestellt wird, da der Aufsichtsrat solche Kandidaten, bei denen eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit für Interessenkonflikte vorliegt, gar nicht erst zur Wahl vorschlagen sollte (siehe auch Koch, ZGR 2014, 697, 723). Bei § 7 WpPG a. F. i. V. m. der bisherigen EU-Prospektverordnung (dazu § 2 Fn. 289) stand der Anlegerschutz im Mittelpunkt, vgl. stellvertretend Schnorbus, in: Berrar/A. Meyer/C. Müller u. a., Vor §§ 1 ff. Rn. 3 am Anfang. Das wird auch für die an ihre Stelle getretenen Vorschriften zu gelten haben. 291  So etwa bei Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 929; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 12; ferner bei Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1462. 292  So etwa bei Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 100 Rn. 21; Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 50; ferner im Bericht der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex an die Bundesregierung, November 2010, S. 28 f. Allgemein, nicht nur bezogen auf den Aufsichtsrat, auch bei Kumpan, Interessenkonflikt, S. 40 und 366. 293  Vgl. dazu oben § 2 B. II.; außerdem Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 929. 294  Irreführend ist insoweit die Darstellung von U.  H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 478, der u. a. in Bezug auf Arbeitnehmervertreter von einem „Dauerkonflikt“ bzw. einem „Interessenkonflikt“ spricht, den das Gesetz hinnehme und für den es kein Stimmverbot vorsehe. Es liegt allein wegen der tendenziell entgegengesetzten Interessen gerade kein durchgehender Interessenkonflikt vor, sondern nur,



C. Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten 83

neben der Kritik an der Bezeichnung von Interessenkonflikten als „dauerhaft“295 im Anschluss an die erläuterte Kongruenz von „institutionellen“ und „potenziellen“ Interessenkonflikten auch eine Gleichsetzung „dauerhafter“ und „potenzieller“ Interessenkonflikte daraus folgen würde, die sich in dieser Pauschalität nicht gestattet.296 Es sollte einheitlich von einem potenziellen Interessenkonflikt gesprochen werden. Das gilt auch hinsichtlich der durchaus zutreffenden, aber nicht zur Klarheit der Materie beitragenden Umschreibung als „latent angelegter, schwelender Konflikt“297. 4. Unterscheidung: Interne und externe Interessenkonflikte In Ansehung der Definition des Interessenkonflikts und des ihm zugrunde liegenden Interessengegensatzes298 ist eine Einteilung nach der Herkunft des Konflikts zu befürworten. Trifft ein Fremdinteresse mit einem weiteren Fremdinteresse zusammen und muss der Mandatar beide wahren, kann in der jeweiligen Situation aber zumindest eines der beiden Interessen nicht umfassend realisiert werden, liegt vorbehaltlich der Erfüllung der Definition im Übrigen ein externer Interessenkonflikt299 vor. Ein interner Interessenkonflikt liegt dagegen vor, wenn ein vom Mandatar zu wahrendes Fremdinteresse mit einem Eigeninteresse des Mandatars zusammentrifft.300 wenn sich diese in Erfüllung der Definition des Interessenkonflikts (siehe zu dieser oben § 2 C. I. 3.) in Bezug auf konkrete Fragen widersprechen. 295  Siehe oben § 2 C. IV. 1. 296  Daher abzulehnen ist das Verständnis von Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1462, und dem (noch zur Vorauflage) folgend Kort, ZIP 2008, 717, 724, und Priester, ZIP 2011, 2081, 2082, wo einzelfallbezogene und „dauerhafte (‚institutionelle‘)“ Interessenkonflikte einander gegenübergestellt und „institutionelle“ und „dauerhafte“ Interessenkonflikte somit gleichgesetzt werden. Ebenso abzulehnen ist die Unterscheidung zwischen „strukturell angelegten“ und „situativen“ Interessenkonflikten im Bericht der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex an die Bundesregierung, November 2010, S. 28 f. 297  So die Formulierung bei Koch, ZGR 2014, 697, 728. Auch auf die etwa von T.  Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 103, gebrauchte, wohl synonyme Bezeichnung als „latente“ Interessenkonflikte ist zu verzichten. 298  Dazu oben § 2 C. I. im Ganzen, speziell § 2 C. I. 3. und § 2 C. I. 1. 299  Teilweise wird hierfür der Begriff „Pflichtenkollision“ verwendet (siehe Kumpan, Interessenkonflikt, S. 38, oder auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 896). Mit Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 53 Fn. 198, ist jedoch von einer Vorzugswürdigkeit der Benennung als „externer Interessenkonflikt“ auszugehen, da so vor allem eine klare begriffliche Abgrenzung zu konfligierenden Eigeninteressen des Aufsichtsratsmitglieds erreicht wird, die dementsprechend einen internen Interessenkonflikt begründen. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“ unten § 2 D. im Ganzen. 300  Für den ganzen Absatz Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 53 f. Zur Abgrenzung von Eigen- und Fremdinteressen § 2 Fn. 237.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

V. Verhältnis der Begriffe „Interessenkonflikt“, „Interessenkollision“ und „Interessenwiderstreit“ zueinander Anstelle von „Interessenkonflikten“ ist im Schrifttum bisweilen auch von „Interessenkollisionen“ die Rede. Jene Begriffe sind synonym zu verstehen,301 selbst wenn es hinsichtlich ihrer Bedeutung unterschiedliche Auffassungen geben mag. Mit dem zusätzlichen Argument, dass der DCGK allein diesen Begriff enthält, sollte nichtsdestoweniger einheitlich von „Interessenkonflikten“ gesprochen werden. Das gilt im Ergebnis auch, soweit es um den Begriff „Interessenwiderstreit“ geht.302 Zwar wird vor dem Hintergrund berufsrechtlicher Vorschriften behauptet, der Begriff „Interessenwiderstreit“ sei enger als der des Interessenkonflikts und beschreibe „einen besonders qualifizierten Gegensatz von Interessen mindestens zweier Parteien“, deren Ziele „sich zwingend gegenseitig ausschließen“, indem sie „kontradiktorisch in Bezug auf denselben Lebenssachverhalt gegeneinander stehen“.303 Die involvierten Interessen seien „unmittelbar darauf gerichtet, das jeweils andere Interesse auszuschließen“.304 Es wird im entsprechenden Kontext auf § 43a Abs. 4 BRAO und § 53 Hs. 1 WiPrO abgestellt,305 wenngleich hier jeweils von „widerstreitenden Interessen“ gesprochen, der Begriff also nicht unmittelbar verwendet wird. Indes legt etwa § 31 Abs. 2 Nr. 1 GO NRW, wo neben weiteren Vorschriften, insbesondere kommunalrechtlichen Vorschriften der Länder, explizit nach einem „Interessenwiderstreit“ gefragt wird, nahe, auch dort in der Sache dem Verständnis des Begriffs „Interessenkonflikt“306 zu folgen, während das vorstehende Begriffsverständnis unpassend erscheint. Die Aussagekraft dieser Feststellung wird auch nicht durch einen Verweis auf das Rangverhältnis zwischen Rechtsnormen des Bundes und der Länder (siehe u. a. Art. 31 GG) geschmälert. Im Übrigen ergibt sich der genannte Befund auch mit Blick auf § 31 Abs. 5 PatAnwAPrV307, der die Entstehung eines „Interessenwider301  Siehe exemplarisch die Wortwahl in BGH, NJW 2009, 2207, 2210 f. – Kirch/ Deutsche Bank, und daneben von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 226. 302  Folglich müssen auch die Begriffe „Interessengegensatz“ und „Interessenwiderstreit“, anders als bei von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 226, hinreichend deutlich voneinander getrennt werden, da die Begriffe „Interessenkonflikt“ und „Interessengegensatz“ gerade nicht synonym zu verstehen sind, vgl. oben § 2 C. I. im Ganzen. 303  Kumpan, Interessenkonflikt, S. 35 f. 304  Kumpan, Interessenkonflikt, S. 236. 305  Siehe Kumpan, Interessenkonflikt, S. 29 ff. 306  Dazu oben § 2 C. I. im Ganzen. 307  Verordnung über die Ausbildung und Prüfung der Patentanwälte (Patent­ anwaltsausbildungs- und -prüfungsverordnung – PatAnwAPrV) vom 22.09.2017, BGBl. I 2017, S. 3437.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“85

streits“ aufgrund von Nebentätigkeiten betrifft und dabei auf § 39a Abs. 4 PAO verweist, der sich wiederum praktisch mit § 43a Abs. 4 BRAO deckt. In den berufsrechtlichen Vorschriften ließe sich auch von „konfligierenden Interessen“ sprechen.308 Ihre klare Rechtsfolge, dass der jeweilige Berufsträger das Mandat stets niederzulegen hat bzw. es gar nicht erst übernehmen darf, zeichnet im Verhältnis zu anderen Zusammenhängen, in denen der jeweilige Interessenwahrer möglicherweise nur eine Beschränkung seines Handlungsspielraums im Rahmen eines weiterhin bzw. trotz allem ausgeübten Mandats erfährt, keinen unterschiedlichen Begriffsinhalt vor. Vorzugswürdig ist vielmehr ein einheitliches Begriffsverständnis, während sich die an den Begriff geknüpften Rechtsfolgen nach dem jeweiligen Kontext richten.309 So verwundert es nicht, wenn „Interessenkonflikt“ und „Interessenwiderstreit“ in der Literatur synonym verstanden und gebraucht werden,310 dennoch ist ein einheitlicher Sprachgebrauch im Sinne des weitestmöglichen – im gegebenen Zusammenhang vollständigen – Verzichts auf den Begriff „Interessenwiderstreit“ anzuregen. Es bleibt bei der Unterscheidung zwischen Interessengegensätzen und Interessenkonflikten311 sowie der Einteilung von Interessenkonflikten in verschiedene Arten312.

D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“ Von vornherein kein Synonym zum „Interessenkonflikt“ stellt der Begriff der „Pflichtenkollision“ dar,313 auf welchen im Kontext von Interessenkonflikten durchaus regelmäßig abgestellt wird314. Dass der Begriff der „Pflichauch Henssler, in: Henssler/Prütting, § 43a BRAO Rn. 171. offenbar anders Kumpan, Interessenkonflikt, S. 37 und 236. Das Ziel, das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant und zugleich über das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Zuverlässigkeit der Anwaltschaft das Gemeinwohlinteresse an der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu schützen (mit weiteren Erläuterungen Henssler, in: Henssler/Prütting, § 43a BRAO Rn. 161), erklärt beispielsweise, warum von § 43a Abs. 4 BRAO die Vertretung bzw. Wahrung zweier entsprechender Interessen gänzlich untersagt wird. 310  Exemplarisch Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S.  129  ff.; Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 142 f.; des Weiteren (jedenfalls u. a., siehe § 2 Fn. 198) Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 2 ff. 311  Dazu oben § 2 C. I. 1. und § 2 C. I. 2. 312  Dazu oben § 2 C. IV. im Ganzen. 313  Insofern jedenfalls undifferenziert in der Wortwahl Scholderer, NZG 2012, 168, 176; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 6; siehe daneben BGH, NJW 1980, 1629, 1630 – Schaffgotsch, wo „Interessenkollisionen“ und „Pflichterfüllung“ bzw. „Pflichtverletzung“ zueinander in Bezug gesetzt werden. 314  Siehe stellvertretend Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 894  ff. und dort exemplarisch Rn. 896 und die Überschrift zu Rn. 907 ff. 308  Vgl. 309  Vgl.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

tenkollision“ nämlich die Konstellation kennzeichnet, in welcher in einer Person „widerstreitende Pflichten aufeinandertreffen“,315 liegt jedenfalls schon nach dem Wortsinn auf der Hand. Es überrascht auch nicht, wenn mitunter betont wird, eine Pflichtenkollision sei für den Betroffenen eine größere Herausforderung als ein Interessenkonflikt316. Es besteht das ­Dilemma, mit der Erfüllung der einen Pflicht die andere Pflicht zu verletzen.317 Für das Begriffsverständnis ist damit aber noch nicht viel gewonnen. Offen ist danach insbesondere, welches tatsächliche Phänomen dem Begriff der „Pflichtenkollision“ zugrunde liegt, welche Situationen den Begriff also faktisch ausfüllen und wann also Aufsichtsratsmitglieder im Einzelnen Pflichtenkollisionen unterliegen. Es muss geklärt werden, wo und inwieweit der Ausdruck „Pflichtenkollision“ im Gesamtkontext verortet werden kann. Dazu ist auch die Überlegung zu zählen, ob es sich bei der Pflichtenkollision womöglich um eine spezielle Erscheinungsform von Interessenkonflikten oder um ein zusätzliches, neben einem möglichen Interessenkonflikt bestehendes Phänomen handelt. Da ein Eigeninteresse nicht durch eine Rechtspflicht unterlegt sein kann,318 ist zumindest klar, dass eine Pflichtenkollision in einer Person zwei Fremdinteressen involvieren muss. Infolgedessen ist für die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Pflichtenkollision vornehmlich die Konstellation von Relevanz, dass ein Aufsichtsratsmitglied ein weiteres Aufsichtsrats- bzw. Vorstandsmandat in einer anderen Gesellschaft ausübt. 315  Deckert, DZWir 1996, 406, 408; so oder ähnlich auch Abeltshauser, Leitungshaftung, S. 397; A. Anders, Vorstandsdoppelmandate, S. 135; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 241; Decher, Personelle Verflechtungen, S. 135; Dreher, JZ 1990, 896, 900 (dort als „Pflichtenkonflikt“ bezeichnet); Habersack, in: M ­ üKoAktG, § 100 Rn. 92; Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 23; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 67; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 896; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 99; U.  H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 476; Schütz, in: von Schenck, Exkurs 1 zu § 100 Rn. 12; Singhof, AG 1998, 318, 323 („echte Pflichtenkollision“); W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 257. 316  Siehe Deckert, DZWir 1996, 406, 408; Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 23; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 99; ähnlich W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 257 („wesentlich bedeutsamer“). 317  Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 23 f.; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 110. Zirkelschlussartig ist dagegen die Angabe, eine Pflichtenkollision setze voraus, dass sich der Betroffene „in einem schwerwiegenden, dauernden und unlösbaren Pflichtenwiderstreit befindet“ (A. Anders, Vorstandsdoppelmandate, S. 135), zumal die verwendeten Attribute nicht überzeugen können. Dahinter steht vermutlich ein Passus aus LG Hamburg, ZIP 1990, 102, 102 („in einer tiefgreifenden, andauernden und unlösbaren Pflichtenkollision“) – HEW/Jansen. 318  Eine gegen sich selbst gerichtete (Rechts‑)Pflicht gibt es nicht. Dies würde ansonsten zu der konfusen Situation führen, dass die betreffende Person hinsichtlich der vermeintlichen Pflichtenbindung Berechtigter und Verpflichteter zugleich ist.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“87

I. Bestandsaufnahme: Gelegentliche Verwendung des Begriffs „Pflichtenkollision“ mit nur oberflächlichen Erläuterungen Das Schrifttum und die Rechtsprechung bieten auf die Fragen nach dem Inhalt und der thematischen Verknüpfung des Begriffs „Pflichtenkollision“ mit dem Gesamtkomplex der Interessenkonflikte im Aufsichtsrat keine nennenswerte Hilfe. Der entsprechende Diskussionsstand erweist sich bei näherer Betrachtung als überaus unübersichtlich. Sofern Pflichtenkollisionen angenommen werden, wird ihr Vorkommen unterschiedlich beurteilt.319 Zum Teil werden ganze Fallgruppen – Arbeitnehmervertreter bzw. Repräsentanten öffentlicher Einrichtungen im Aufsichtsrat, aber auch personelle Verflechtungen im Konzern und unter Beteiligung von Bankenvertretern – als Pflichtenkollisionen präsentiert und entsprechend überschrieben320 oder diverse Situationen aufgezählt, in denen Pflichtenkollisionen vorliegen sollen321. Vereinzelt wird jedenfalls der Eindruck erweckt, dass die Tätigkeit bei mehr als einer Gesellschaft generell zu einem permanenten Aufeinanderprallen der den Gesellschaften gegenüber jeweils bestehenden Treuepflichten führt.322 Andere nehmen an, nur in besonderen Einzelfällen könne es zu Pflichtenkollisionen kommen.323 Nicht selten wird der Begriff „Pflichtenkollision“ auf eine eher unreflektierte Weise verwendet, ohne dass nämlich eine Auseinandersetzung mit seiner Bedeutung erfolgt.324 Zugleich aber fehlt es an (nachvollziehbaren) Beispielen.325 ausdrücklich auch Deckert, DZWir 1996, 406, 408 Rn. 44. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 907 ff.; daneben Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 241 f. 321  Siehe von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 234; weniger extensiv Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 36. Unspezifisch für die Möglichkeit der Entstehung von Pflichtenkollisionen Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 808, sowie unter Verweis auf den nebenberuflichen Charakter der Aufsichtsratstätigkeit Israel, in: Bürgers/Körber, § 116 Rn. 8. 322  Siehe die Darstellung von Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 427. Etwa für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat konkurrierender Unternehmen geht Decher, ZIP 1990, 277, 282, von einer „Perplexität der auf gegensätzliche Interessen ausgerichteten Pflichtenkreise“ aus. 323  Siehe Deckert, DZWir 1996, 406, 408; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 99; W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 257. 324  Siehe OLG Hamburg, ZIP 1990, 311, 313 („Pflicht- und Interessenwiderstreit“) – HEW/Jansen, und LG Hamburg, ZIP 1990, 102, 102 – HEW/Jansen; in deren Folge Breuer/Fraune, in: Heidel, § 103 AktG Rn. 16; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 11; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 37; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 36. Unabhängig davon auch OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; Breuer/Fraune, in: Heidel, § 103 AktG Rn. 17; Buck-Heeb, AG 2015, 801, 808; 319  So

320  Siehe

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

Auch bei der Bestimmung des Verhältnisses von Interessenkonflikten und Pflichtenkollisionen bestehen offenbar Schwierigkeiten. Es heißt beispielsweise, dass Interessenkonflikte zu Pflichtenkollisionen werden, „wenn sie unvermeidlich sind“,326 oder auch dass ein Interessenkonflikt ab einer bestimmten Intensität zur Pflichtenkollision führt327. Teilweise werden auch der Begriff der Pflichtenkollision und der des Interessenkonflikts abwechselnd benutzt: So soll eine Unfähigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern zur Bewältigung „der Pflichtenkollision“ eine Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG begründen, was anzunehmen sein soll, „wenn sich die aus dem Interessenkonflikt erwachsende abstrakte Beeinträchtigung des Unternehmenswohls zum berechtigten Verdacht einer konkreten Beeinträchtigung verdichtet“.328 Woanders wird auf die Berücksichtigung möglicher Interessenkonflikte bei der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern hingewiesen – „[w]ürde im Fall [der] Bestellung […] eine gravierende, unlösbare Pflichtenkollision bestehen, dann müsste eine andere Person ausgewählt werden“329. Für Klarheit sorgen die vorstehenden Ausführungen insgesamt nicht. Durch das Schrifttum selbst wird bemängelt, dass die Abgrenzung von Interessenkonflikten und Pflichtenkollisionen durchaus Schwierigkeiten unterliegen kann.330

II. Prüfung und Stellungnahme: Überhöhung eines tatsächlich oft nicht existenten Phänomens Im Einklang mit dem Wortsinn kommt es für die Bejahung einer Pflichtenkollision auf das situative Vorhandensein zweier gegenläufiger, miteinander unvereinbarer Pflichten einer Person an. In deren Schnittpunkt bzw. Schnittbereich liegt eine Pflichtenkollision vor. Da es sich bei den beiden Pflichten Martinek, WRP 2008, 51, 57 ff.; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 122; R. Werner, WM 2016, 1474, 1476. 325  Nebulös sind die Ausführungen von Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 99, wonach Pflichtenkollisionen in der Praxis zwar nur selten vorkommen dürften, aber z. B. bei „Mandaten in Unternehmen mit verwandten Tätigkeiten“ denkbar seien. Womöglich sind damit Aufsichtsratsmandate bei konkurrierenden Unternehmen gemeint, ein nachvollziehbares Beispiel wird damit aber nicht gegeben. Die von von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 234, genannten Beispiele überzeugen im gegebenen Kontext nicht. 326  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 80. 327  Implizit Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 8. Dort bezieht sich die Aussage auf einen Interessenwiderstreit anstelle eines „Interessenkonflikts“, allerdings werden die Begriffe von den Autoren synonym verstanden (siehe ebd., 2). 328  Siehe Hüffer/Koch, § 103 Rn. 13b. 329  LG Hannover, ZIP 2009, 761, 762 – Continental/Schaeffler. 330  Siehe Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 269; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 39; T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 101.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“89

um solche gegenüber Dritten handeln muss,331 ist für das Vorliegen von Pflichtenkollisionen von ausschlaggebender Bedeutung, inwieweit die Pflichten aus dem einen Bereich in den anderen Bereich hineinreichen und umgekehrt, wobei die Pflichten aus dem einen Bereich in den Pflichten des in den Blick genommenen Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der betreffenden Gesellschaft zu sehen sind. 1. Vermeidung von Pflichtenkollisionen durch den Grundsatz der Rollentrennung (Sphärendifferenzierung) Die Aufsichtsratsmitglieder unterliegen kraft ihrer organschaftlichen Stellung einer Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft und sind dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Es gilt ausgehend von dem nicht untypischen Fall, dass ein Aufsichtsratsmitglied zugleich ein weiteres Aufsichtsratsamt bei einer anderen Gesellschaft ausübt: Je weniger Limitationen diese Direktive bei näherer Betrachtung unterworfen ist, desto größer ist damit infolge des für beide Ämter anzunehmenden Vorrangs des Unternehmensinteresses die Überschneidung der dahingehenden Pflichten aus beiden Ämtern. Überschneidet sich die Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse der einen Gesellschaft mit der Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse der anderen Gesellschaft, liegt eine Pflichtenkollision vor. Wenn – in der Theorie – jedes Tun oder Unterlassen der betreffenden Person simultan ein Agieren im Rahmen des einen wie auch des anderen Aufsichtsratsmandats darstellt und jeweils der unbeschränkte Vorrang des Unternehmensinteresses gilt, dann ist das Feld konfligierender Pflichten letztlich grenzenlos und es können in allen diesen Fällen nicht beide Treuepflichten gewahrt werden. Letztlich kommt es so auf die Reichweite der organschaftlichen Treubindung der Aufsichtsratsmitglieder an, die zumindest für die Ausübung mehrerer Aufsichtsratsmandate über das Vorkommen von Pflichtenkollisionen Aufschluss gibt. a) Trennung nach Pflicht- bzw. Tätigkeitsbereichen Da die Wahrnehmung des Aufsichtsratsamtes typischerweise eine Nebentätigkeit bzw. einen Teilzeitberuf darstellt,332 kann nicht erwartet werden, dass das Aufsichtsratsmitglied dem Unternehmensinteresse der jeweiligen AG jederzeit den unbedingten Vorrang einräumt.333 So hat sich in der Literatur eine Trennung nach den unterschiedlichen Pflicht- bzw. Tätigkeitsberei331  Siehe

oben § 2 D. insofern schon die in § 2 Fn. 153 Genannten. 333  Mit diesem Argument etwa Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, §  116 Rn. 53; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 116 AktG Rn. 8; Hüffer/Koch, § 116 Rn. 7; 332  Siehe

90

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

chen etabliert. Diese Differenzierung nach Handlungssphären ist allgemein anerkannt.334 Es gilt der Grundsatz der Rollentrennung.335 Dieser sieht eine Differenzierung zwischen einem Tätigwerden innerhalb und außerhalb der Organfunktion vor.336 So muss das Aufsichtsratsmitglied dem Unternehmensinteresse stets den Vorrang einräumen, soweit es im Rahmen des Aufsichtsratsamtes tätig ist.337 Davon umfasst sind vor allem Beratung und Stimmabgabe338 bzw. allgemein die Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe und sonstiger Aufgaben des Aufsichtsrats339. Außerhalb der Organfunktion besteht dagegen keine Pflicht zur aktiven Förderung des Gesellschaftswohls und damit des Unternehmensinteresses, sondern allenfalls eine Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf das Unternehmensinteresse.340 Insbesondere die VerschwiegenSeibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1371; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 80; zuvor bereits Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606. 334  So bereits Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 137 Fn. 76. Die in Bezug darauf von Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 17 Fn. 9, geäußerte Bemerkung, diese Annahme sei unzutreffend, ist mindestens aus heutiger Sicht unberechtigt. Wie hier Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 149, und Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 28. 335  Die Bezeichnung „Grundregel der Rollentrennung“ geht wohl zurück auf Dreher, JZ 1990, 896, 900, siehe den Nachweis bei Singhof, AG 1998, 318, 323 Fn. 50. Sie wurde übernommen von Deckert, DZWir 1996, 406, 408 und 409, während sich bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 897, und Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 98, die Bezeichnung „Grundsatz der Rollentrennung“ findet. Letzteren folgend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 149. Von der „Zwei-Hüte-Theorie“ spricht dagegen Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 598. 336  Für eine solche statt vieler Henssler, in: Henssler/Strohn, § 116 AktG Rn. 8. Weninger, Mitbestimmungsspezifische Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 50 ff., unterscheidet insoweit zwischen der „aktiven“ und der „passiven“ Treuepflicht. Die Diskussion prägend Ulmer, NJW 1980, 1603, 1904 ff. 337  OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; Deckert, DZWir 1996, 406, 408 und 409; P. Doralt/W. Doralt, in: ArbHdbAR, § 14 Rn. 175; Drygala, in: K. Schmidt/ Lutter, § 116 Rn. 27; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 116 Rn. 12; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 53; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 116 AktG Rn. 8; Hüffer/Koch, § 116 Rn. 8; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 17; Möllers, ZIP 2006, 1615, 1615 f.; Nordhues, CFL 2010, 327, 328; von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 229; Singhof, AG 1998, 318, 323; Wirth, ZGR 2005, 327, 346. 338  Statt aller Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 171, sowie Deckert, DZWir 1996, 406, 408. 339  Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1457. 340  Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 231; Dreher, JZ 1990, 896, 900 („allgemeine Treuepflicht“); Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 50; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 53; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 150; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 26; von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 230; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 80; ­Weninger, Mitbestimmungsspezifische Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 55.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“91

heitspflicht gilt aber insofern auch außerhalb der Sphäre der Gesellschaft.341 Im Übrigen ist die Verfolgung eigener oder fremder Interessen gestattet,342 selbst wenn sich dies als für die Gesellschaft nachteilig herausstellen sollte343. Der aus der Treuepflicht folgende Vorrang des Unternehmensinteresses344 wird insoweit durch den Grundsatz der Rollentrennung begrenzt.345 Das Aufsichtsratsmitglied hat zwischen seinen Rollen, die mit verschiedenen Interessen verknüpft sind, zu unterscheiden.346 b) Folgerung: Meist keine Pflichtenkollision zwischen mehreren Aufsichtsratsmandaten aufgrund der Konzentration auf den jeweiligen Pflichtenkreis Nach dem Grundsatz der Rollentrennung hat das mehrfache Aufsichtsratsmitglied in der Praxis bei seinem Tun im jeweiligen Amt nur das Interesse der jeweiligen Gesellschaft zu beachten.347 Parallel wahrgenommene Mandate sind im Umkehrschluss in diesem Zusammenhang bzw. zu diesem Zeitpunkt im Allgemeinen nicht zu berücksichtigen.348 Aus der Abgrenzung der Pflichtenkreise über die Treuepflichten349 ergibt sich, dass jedenfalls in den meisten Situationen, wenn nämlich die Rücksichtnahmepflichten aus dem jeweils anderen Amt nicht berührt werden, gar keine Pflichtenkollision vorliegt: Während beim Handeln in der einen Organfunktion nur die Pflicht besteht, dem Unternehmensinteresse der entsprechenden Gesellschaft den Vornur Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 47. DZWir 1996, 406, 408; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 28; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 116 Rn. 14; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 53; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 150; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 1006; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 98 und 104; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 31. 343  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 28; Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 47 und 51; weniger deutlich P. Doralt/W. Doralt, in: ArbHdbAR, § 14 Rn. 183 („Entscheidungen […], die die Interessen der Gesellschaft berühren“). 344  Vgl. Möllers, in: Hdb. Corporate Governance, S. 423, 431; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1370 f. 345  Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 98. 346  Deckert, DZWir 1996, 406, 409; Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 598. 347  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 897; Schütz, in: von Schenck, Exkurs 1 zu § 100 Rn. 41. 348  Vgl. allgemein Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 235; Möllers, in: Hdb. Corporate Governance, S. 423, 434. Es erfolgt eine Isolierung der Pflichtenstellungen – der mehrfach Verpflichtete habe innerhalb des einen Pflichtenkreises den bzw. die anderen vollständig auszublenden, siehe Decher, Personelle Verflechtungen, S. 132. 349  Dafür auch Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 269; Möllers, in: Hdb. Corporate Governance, S. 423, 434. 341  Siehe

342  Deckert,

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

rang zu geben, liegt bezogen auf die andere Gesellschaft ein Handeln außerhalb der Organfunktion vor und es ist gerade erlaubt, die Interessen der erstgenannten Gesellschaft zu verfolgen. Das gilt im umgekehrten Fall entsprechend. Bei der Ausübung mehrerer Aufsichtsratsmandate in verschiedenen Aktiengesellschaften entsteht typischerweise keine Pflichtenkollision. Müsste hinsichtlich der Reichweite der Verpflichtung von Aufsichtsratsmitgliedern auf das Unternehmensinteresse350 angenommen werden, die Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse einschließlich der verbindlichen Erwartung, dass diesem der Vorrang eingeräumt wird, würde stets und überall gelten, wären außerdem parallele Aufsichtsratsmandate wegen der dann permanenten Pflichtenperplexität351 und der daraus folgenden Bewegungsunfähigkeit des Mehrfachmandatars ausgeschlossen – das kann aber schon allein mit Blick auf § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG nicht der Fall sein.352 c) Keine abweichenden Anforderungen aufgrund der Schaffgotsch-Rechtsprechung Einer Abgrenzung der Handlungssphären voneinander könnte entgegenstehen, dass der Bundesgerichtshof beim Handeln außerhalb des jeweiligen Amtes womöglich weiter eine Pflichtenbindung von Organmitgliedern annimmt. Im berühmten Schaffgotsch-Urteil vom 21. Dezember 1979353 heißt es: „Die Spaltung einer Person mit kollidierenden Pflichten in solche Verhaltensweisen, die nur dem einen, nicht aber zugleich dem anderen Verantwortungsbereich zugeordnet werden könnten, ist, wenn tatsächlich beide Bereiche betroffen sind, nicht möglich. Interessenkollisionen sind, wenn ein Aufsichtsratsmitglied zwei Gesellschaften angehört, auch grundsätzlich nicht in dem Sinne entlastend, daß die Pflichterfüllung gegenüber der einen die Pflichtverletzung gegenüber der anderen Gesellschaft rechtfertigen könnte […]. Veranlaßt ein Aufsichtsratsmitglied […] seine Gesellschaft zum Abschluß eines für sie schädlichen Geschäfts mit einem Unternehmen, dem er [sic!] selbst interessenmäßig verbunden und dessen vertre350  Siehe

oben § 2 A. I. 3. d) und § 2 A. II. im Ansatz schon oben § 2 D. II. 1. 352  Vgl. mit diesem Grundgedanken auch Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604; dies offenbar nicht berücksichtigend Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S.  17 ff. 353  BGH, NJW 1980, 1629 – Schaffgotsch. Mitunter wird die Entscheidung als Schaffgotsch I betitelt, während ein späteres Urteil des Bundesgerichtshofes die Bezeichnung Schaffgotsch II tragen soll (BGH, WM 1983, 957); insoweit exemplarisch Paal, DStR 2005, 382, 382 Fn. 2. Aufgrund der unzweifelhaft größeren Bedeutung und Bekanntheit der früheren Entscheidung ist es jedoch vorzugswürdig, zur Vermeidung von Missverständnissen – auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit – allein diese als Schaffgotsch zu benennen, was im Schrifttum der klare Regelfall ist. 351  Vgl.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“93 tungsberechtigtes Organ er [sic!] ist, so ist das trotz gegenläufiger Interessen und Pflichten in seiner Person gegenüber jener Gesellschaft pflichtwidrig und von ihm zu vertreten.“354

Die Entscheidung beruhte auf der Feststellung des Gerichts, dass das beklagte Aufsichtsratsmitglied, das zugleich persönlich haftender Gesellschafter ihrer Mehrheitsaktionärin war, seinen Einfluss auf den Vorstand ausgenutzt hat, um diesen zu einem für die betreffende AG nachteiligen Rechtsgeschäft zu verleiten. Dieses lag in der Ausstellung eines Wechsels zugunsten eines Bankhauses, dessen persönlich haftender Gesellschafter das Aufsichtsratsmitglied der AG ebenfalls war und das einer finanziell weitgehend von der AG gestützten Gesellschaft, an der die AG Anteile hielt, Kredite gewährt hatte. Sicherheiten zugunsten der AG für den Fall von deren Inanspruchnahme wurden nicht vereinbart. Dass die von der AG finanzierte Gesellschaft den Wechsel selbst nicht würde einlösen können, war für das Aufsichtsratsmitglied der AG erkennbar. Schlussendlich ohne Erfolg berief sich das Aufsichtsratsmitglied darauf, es habe nur als Vertreter des Bankhauses mit der AG verhandelt.355 Ausgehend von der Tatsache, dass der Bundesgerichtshof, „wenn tatsächlich beide Bereiche betroffen sind“, die „Spaltung einer Person mit kollidierenden Pflichten in solche Verhaltensweisen“ ablehnt, „die nur dem einen, nicht aber zugleich dem anderen Verantwortungsbereich zugeordnet werden könnten“,356 ist erwogen und auch vertreten worden, dies beinhalte in gewisser Weise eine Ablehnung des Grundsatzes der Rollentrennung.357 Dies bedarf einer Klarstellung. In der Schaffgotsch-Entscheidung statuierte der Bundesgerichtshof nicht mehr, aber auch nicht weniger als den Grundsatz, dass eine Exkulpation über das Interesse einer anderen Gesellschaft, das jemand ebenfalls zu wahren hat, nicht möglich ist. Die vom Bundesgerichtshof verneinte „Spaltung einer Person mit kollidierenden Pflichten“ betrifft allein das Handeln innerhalb des Aufsichtsratsamtes. Mehr noch als um das Bestehen von Pflichten geht es darum, dass dieses Handeln nicht künstlich dem anderen Bereich zugeordnet und als Teil dessen dargestellt werden kann. Trotz des Entscheidungswortlauts („mit kollidierenden Pflichten“, „Pflicht­ NJW 1980, 1629, 1630 – Schaffgotsch. zum ganzen Absatz BGH, NJW 1980, 1629, 1629 – Schaffgotsch. Der Name des Urteils rührt her vom Nachnamen des beklagten Aufsichtsratsvorsitzenden, siehe statt vieler Dreher, JZ 1990, 896, 900 Fn. 51, und Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 3. 356  BGH, NJW 1980, 1629, 1630 – Schaffgotsch. 357  So Bokelmann, Personelle Verflechtungen, S. 40 (Kritik und Ablehnung gegenüber einem strikten Rollentrennungsansatz); in diese Richtung auch Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 18 f. Eine Klarstellung als nötig erachtend offenbar Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604 f. bzw. 1606 und 1607. 354  BGH, 355  Vgl.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

erfüllung gegenüber der einen [und] Pflichtverletzung gegenüber der anderen Gesellschaft“) kann nicht unterstellt werden, dass der Bundesgerichtshof in der entscheidungserheblichen Situation tatsächlich auch Pflichten aus dem anderen Bereich angenommen hat, sondern eher betonen wollte, dass selbst deren mögliche Existenz seine Einschätzung in Bezug auf die Pflichten beim Handeln innerhalb einer Sphäre nicht beeinflussen (siehe auch die Wortwahl im Übrigen: „interessenmäßig verbunden“).358 Zur Pflichtenbindung von Aufsichtsratsmitgliedern außerhalb ihrer Amtsfunktion lässt sich der Entscheidung nichts entnehmen.359 Letztlich korrespondieren die Ausführungen des Bundesgerichtshofes hinsichtlich des Prinzips, dass beim Tätigwerden von Aufsichtsratsmitgliedern innerhalb der betreffenden AG der Vorrang des Unternehmensinteresses trotz möglicher weiterer Mandate und Funktionen und möglicher daraus folgender, abweichender Pflichten uneingeschränkt gilt, mit dem Grundsatz der Rollentrennung.360 Das Aufsichtsratsmitglied kann sich nicht durch den Verweis auf eine etwaige gegenläufige, außerhalb des Aufsichtsratsamtes zu verortende Pflicht exkulpieren. Die Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds ändern sich – soweit sie reichen – nicht durch das Vorhandensein einer weiteren Organmitgliedschaft.361 Abzuleiten ist daraus eine „ungeschmälerte Verpflichtung […] im jeweiligen Pflichtenkreis“362, aber auch nicht mehr. 2. Pflichtenkollisionen aufgrund der auch außerhalb der Unternehmenssphäre bestehenden Verschwiegenheitspflicht? Die nach dem Grundsatz der Rollentrennung auch bei einem Handeln außerhalb der Unternehmenssphäre bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Unternehmensinteresse reicht im Fall mehrerer Aufsichtsratsmandate trotz allem in die Sphäre des anderen Aufsichtsratsmandats hinein. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass praktisch ausschließlich solche Fälle zur Illustration des Begriffs der Pflichtenkollision herangezogen werden, die sich auf das Problem zurückführen lassen, dass im Rahmen des Handelns in der Sphäre eines Unternehmens womöglich die Pflicht zur Preisgabe von Informationen besteht, die für dieses Unternehmen nützlich sind, jedoch aus der 358  Im Ergebnis ähnlich Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 207; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 148 f. 359  Ähnlich Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 29. 360  Siehe insofern exemplarisch den Verweis auf BGH, NJW 1980, 1629 – Schaffgotsch, bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 915 Fn. 236. 361  M. Schmidt, in: FS Imhoff, 1998, S. 67, 81. 362  Decher, Personelle Verflechtungen, S. 132, der dies auch den „Grundsatz der uneingeschränkten Doppelverpflichtung“ nennt (ebd., S. 135).



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“95

Sphäre des anderen Unternehmens stammen und der diesem gegenüber bestehenden Verschwiegenheitspflicht unterfallen.363 Zwei Konstellationen wer­ den typischerweise thematisiert: Beispielsfall 1:364 X ist Aufsichtsratsmitglied der Y‑AG und der Z‑AG, die zum Teil im Wettbewerb zueinander stehen. Der Vorstand der Y‑AG geht davon aus, dass die Z‑AG ein Konkurrenzprodukt auf den Markt bringen wird. Aus diesem Grund regt er gegenüber dem Aufsichtsrat der Y‑AG eine reine Abwehrinvestition an. Der Aufsichtsrat der Y‑AG will das Vorhaben ablehnen, weil er nicht von der Einführung des Konkurrenzprodukts ausgeht. X weiß aus seiner Tätigkeit bei der Z‑AG, dass diese tatsächlich bevorsteht. Beispielsfall 2:365 Die K‑AG will die T‑AG übernehmen. Die feindliche Übernahme soll durch einen Konsortialkredit unter Führung der D-Bank, der D‑AG, erfolgen. C ist Vorstandsmitglied der D‑AG und zugleich Aufsichtsratsmitglied der T‑AG.

In beiden Fällen ist davon auszugehen, dass im Rahmen des Aufsichtsratsmandats (bei der Y-AG bzw. der T-AG) schon keine Pflicht (entsprechend gegenüber der Y‑AG bzw. der T‑AG) besteht, solche Informationen preiszugeben, die der aktienrechtlichen oder einer vergleichbaren Verschwiegenheitspflicht gegenüber Dritten (hier gegenüber der Z‑AG bzw. der K‑AG) unterliegen.366 Worin nach Ansicht derer, die hinsichtlich des erstgenannten Beispielsfalls eine Pflichtenkollision annehmen, die vermeintlich konfligie-

363  Ähnlich Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 155, welchem zufolge „meist nur ein Konflikt zwischen dem bei der Organtätigkeit zu beachtenden Unternehmensinteresse und der Verschwiegenheitspflicht denkbar“ ist, der aber gerade keine darüber hinausgehenden Fälle anführt. 364  So ursprünglich bei Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 232; danach etwa bei Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 114; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  175 f.; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Vo­ raussetzung, S. 154. 365  So bei Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 175; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 155. Dahinter steht die gescheiterte Übernahme der Thyssen AG durch Krupp (Fried. Krupp AG HoeschKrupp) im Frühjahr 1997 (siehe dazu und mit Blick auf das Jahr 1997 die Homepage der thyssenkrupp AG, https://www.thyssenkrupp.com/de/unternehmen/historie [zuletzt aufgerufen am 31.10.2020]), die von der Deutschen Bank (mit‑)finanziert werden sollte, deren Vorstandsmitglied Ulrich Cartellieri zum Aufsichtsrat der Thyssen AG zählte, vgl. Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 807, und Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 4. 366  Dafür auch Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 269; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 155. Etwas anderes ließe sich allenfalls in Bezug auf vertragliche Verschwiegenheitspflichten annehmen, die gegenüber der gesetzlichen Treuepflicht und der Bindung an das Unternehmensinteresse, die eine Offenlegung der Informationen verlangen, zurückstehen müssen.

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§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

renden Rechtspflichten bestehen sollen, legen diese teilweise nicht dar.367 Eine zum Teil im Schrifttum bejahte „Redepflicht“ gegenüber dem Unternehmen, für das agiert wird,368 besteht gerade nicht.369 Eine „geistige Leibeigenschaft“, die das Aufsichtsratsmitglied zur Preisgabe jeglichen Wissens und jeglicher Überzeugungen zwingt, unabhängig davon, ob es dieses bzw. diese privat oder in anderen Funktionen erlangt hat, ist abzulehnen. Es ist einem Unternehmen gerade nicht das Recht des Zugriffs auf solche Informationen zuzuerkennen, die eines seiner Aufsichtsratsmitglieder bei der Wahrnehmung eines weiteren Aufsichtsratsamtes erhält. Würde das Aufsichtsratsmitglied das entsprechende Amt nämlich nicht wahrnehmen, blieben dem Unternehmen die Informationen von vornherein verborgen. Aus der Sicht des Unternehmens handelt es sich damit um „Bonusinformationen“, deren Offenbarung nicht rechtlich geschuldet ist.370 Auch das Aktiengesetz lässt im konkreten Fall keine Begrenzung der Verschwiegenheitspflicht erkennen.371 Die Verschwiegenheitspflicht genießt insofern Vorrang gegenüber der an sich angezeigten Verfolgung des Unternehmensinteresses in einem weiteren Amt,372 wobei dieser Vorrang schon dazu führt, dass keine Pflichtenkollision vorliegt373. Dementsprechend wird auch allgemein in Bezug auf Mehrfach367  Siehe etwa Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 157, dessen Schlussfolgerung einer Stimmrechtsenthaltung nicht einleuchtet. 368  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 248 f. 369  Häuser, Interessenkollisionen, S.  92; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 143; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 45; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 157; vgl. auch W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265. 370  Ähnlich, jedoch weniger ausführlich Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 158. 371  Vgl. im Ergebnis Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn.  121 f. 372  Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 155. Mit hohem Begründungsaufwand wird versucht, dieses Ergebnis herzuleiten: So wird vertreten, Unterlassungspflichten (wie die Verschwiegenheitspflicht) zugunsten eines Unternehmens würden Vorrang gegenüber Handlungspflichten zugunsten einer anderen Gesellschaft (wie die Pflicht zur Nutzung vorhandener Informationen) beanspruchen, siehe Knapp, Die Treuepflicht, S. 298 ff.; im Ergebnis ganz ähnlich aus der Sicht des österreichischen Rechts Strasser, Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder, S. 134 f., der einen Vorrang passiver Treuepflichten (etwa der Verschwiegenheitspflicht) vor konfligierenden aktiven Pflichtenbindungen annimmt. Kritisch dazu, wenngleich in der Bezugnahme auf und der Verortung im Bereich der Interessenkonflikte nicht überzeugend Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 92, der die permanente Verletzung einer der beiden Pflichten befürchtet, die aber, wenn man von einer Begrenzung der Handlungspflichten durch etwaige Unterlassungspflichten ausgeht, tatbestandlich nicht vorliegt. 373  Insofern anders Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, §  116 Rn. 122.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“97

mandate konstatiert, es komme hier nicht zu Pflichtenkollisionen,374 wobei diese Schlussfolgerung hier allerdings nicht in dieser Absolutheit getroffen bzw. übernommen werden kann, da Überlegungen zur Reichweite der Treuepflicht(‑bindung) bei Vorstandsmandaten im Rahmen der vorliegenden Untersuchung notwendigerweise unterbleiben müssen375. 3. Zwischenergebnis: „Pflichtenkollision“ als mindestens partieller Phantombegriff im Zusammenhang mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat Schon aus faktischen Gründen muss der Wert der Differenzierung zwischen „Interessenkonflikten“ und „Pflichtenkollisionen“ hinterfragt werden. Es treten bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes der Rollentrennung insgesamt weit weniger Pflichtenkollisionen bei der Ausübung verschiedener Ämter und Funktion auf, als es ein Teil der Literatur suggeriert. Jedenfalls bei der Ausübung mehrerer Aufsichtsratsmandate ist kein Risiko von Pflichtenkollisionen anzunehmen. Wegen der hier nicht zu klärenden Reichweite der Treuepflicht aus möglichen parallelen Vorstandspositionen und der Reichweite sonstiger Pflichten, denen das Aufsichtsratsmitglied etwa als beruflicher Interessenwahrer unterliegt, kann jedoch kein abschließendes Urteil über das Vorkommen von Pflichtenkollisionen gesprochen werden. Im Hinblick darauf, welche Situationen den Begriff der Pflichtenkollision faktisch ausfüllen, kann aber festgestellt werden, dass es sich um ein zumindest teilweise in seiner Bedeutung überschätztes Phänomen handelt. Einige Darstellungen in der Literatur sind insofern tendenziell irreführend und vermitteln in dieser Hinsicht ein falsches Bild. Sie erschweren damit zugleich die Erfassung des Themengebiets von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat insgesamt.376

374  Siehe Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 269; Mertens/Cahn, in: KKAktG, § 100 Rn. 17. 375  Ein Beispiel, das tendenziell willkürlich anmutet, hier aber nicht geprüft werden kann, findet sich bei Dreher, JZ 1990, 896, 900 Fn. 54: Ein Vorstandsmitglied einer Bank zählt zum Aufsichtsrat einer AG. Ist im Aufsichtsrat über eine Kreditaufnahme oder eine Kapitalerhöhung zu entscheiden, soll Dreher zufolge keine Rechtspflicht gegenüber der Bank bestehen, nur für Geschäfte mit dieser zu stimmen. Wenn es im Aufsichtsrat dagegen um die Ersetzung der betreffenden Bank als Hausbank der AG geht, liegt nach Dreher eine Pflichtenkollision vor zwischen der Treuepflicht gegenüber der Bank und der Treuepflicht in Form der Pflicht zur Verfolgung des Unternehmensinteresses der AG. In beiden Fällen eine Pflichtenkollision erwägend Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 115 Fn. 34. 376  Ebenso kritisch gegenüber der Literatur Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 110.

98

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

In Anbetracht des Grundsatzes der Rollentrennung stellt sich heraus, dass auch im Einzelnen oftmals Fälle als Pflichtenkollisionen beschrieben werden, die tatsächlich „nur“ Interessenkonflikte darstellen.377 Die Rechtsprechung ist beispielsweise von einer „tiefgreifenden, andauernden und unlösbaren Pflichtenkollision“ ausgegangen, als es um die Abberufung des für die atomrechtliche Aufsicht zuständigen Ministers aus dem Aufsichtsrat einer mehrheitlich aus Kernenergie Strom erzeugenden AG wegen der kritischen Einstellung des Ministers zur Kernenergie ging.378 Die Bezeichnung als „Pflichtenkollision“ wurde vom Schrifttum übernommen.379 Allerdings liegt nur ein Interessenkonflikt vor, da eine Pflicht des Aufsicht führenden Energieministers, eine Schließung von Kernkraftwerken anzustreben, nicht erkennbar ist und dieses Ansinnen wohl allein der politischen Auffassung des betreffenden Ministers bzw. Aufsichtsratsmitglieds entsprach, welcher insofern ein dem Unternehmensinteresse widersprechendes Eigeninteresse verfolgt. In der Entscheidung selbst heißt es in Bezug auf den Minister: „Als Aufsichtsratsmitglied ist [Hervorhebung durch den Verfasser] er dem Wohle seiner Gesellschaft verpflichtet [Hervorhebung durch den Verfasser] […]. In seiner Eigenschaft als verantwortlicher Minister über der zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde […] hält er sich für verpflichtet [Hervorhebung durch den Verfasser] und setzt unablässig alles daran, die Kernkraftwerke […] abzuschaffen.“380 Eine Pflichtenkollision lässt sich dem nicht entnehmen. Und auch in Fällen, in denen Verschwiegenheitspflichten tangiert werden, erscheint die Annahme einer Pflichtenkollision bisweilen fragwürdig.381

377  So auch Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 110. 378  LG Hamburg, ZIP 1990, 102, 102 – HEW/Jansen. 379  Siehe etwa Hüffer/Koch, § 103 Rn. 11; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 36. 380  LG Hamburg, ZIP 1990, 102, 102 – HEW/Jansen. Ähnlich OLG Hamburg, ZIP 1990, 311, 313 – HEW/Jansen, wo von einem „Pflicht- und Interessenwiderstreit“ die Rede ist, aber darauf abgestellt wird, dass „die Verpflichtung [Hervorhebung durch den Verfasser], sich als Mitglied des Aufsichtsrats für das Wohl des Unternehmens einzusetzen, in einen unüberbrückbaren Konflikt mit dem Pflichtverständnis [Hervorhebung durch den Verfasser] gerät, mit dem der Antragsgegner das Hauptamt als Minister wahrnimmt“. In demselben Kontext ist von einer „gegen die Unternehmensinteressen gerichtete[n] Zielsetzung [Hervorhebung durch den Verfasser]“ die Rede. 381  Vgl. oben § 2 D. II. 2. mit den dort genannten Beispielen.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“99

a) Keine wechselseitige Verbindung der Unterscheidung von „Interessenkonflikten“ und „Pflichtenkollisionen“ zur Frage der Herkunft des Interessenkonflikts Einer Klarstellung bedarf der Aspekt, auf welche Weise die Begriffe „Interessenkonflikt“ und „Pflichtenkollision“ mit der Herkunft des Interessenkonflikts382 assoziiert sind. So wird in der Literatur danach unterschieden, welche Interessen konfligierend zusammentreffen: Steht dem zu wahrenden Fremdinteresse ein Eigeninteresse des Mandatars entgegen, soll es sich um eine „Interessenkollision im engeren Sinne“ handeln, dagegen sollen „Pflichtenkollisionen“ vorliegen, wenn zwei Fremdinteressen kollidieren.383 Tatsächlich involvieren Pflichtenkollisionen immer zwei Fremdinteressen, da ein Eigeninteresse nicht durch eine Rechtspflicht unterlegt sein kann.384 Umgekehrt muss der Konflikt zwischen zwei Fremdinteressen nicht zwangsläufig eine Pflichtenkollision darstellen, wie die Anwendung des Grundsatzes der Rollentrennung auf die parallele Ausübung zweier Aufsichtsratsämter zeigt:385 Insbesondere wegen der grundsätzlichen Verpflichtung zur Wahrung des Unternehmensinteresses besteht jeweils ein Interessenwahrungsverhält­ nis,386 das die Interessen der betreffenden Gesellschaften zu Fremdinteressen macht. Hiervon ausgehend liegt bei einem Handeln innerhalb der einen oder anderen Organfunktion in entsprechend gelagerten Zusammenhängen ein Interessenkonflikt, jedoch aufgrund der Sphärendifferenzierung durchaus nicht immer eine Pflichtenkollision vor. Die genannte, offenbar wechselseitig gedachte Verknüpfung zwischen der Herkunft des Interessenkonflikts und der Unterscheidung zwischen Interessenkonflikten (im engeren Sinne) und Pflichtenkollisionen lässt sich aus diesem Grund nicht herstellen.387 Die grundlegende Verpflichtung zur Wahrung eines (Fremd‑)Interesses, anhand der die Abgrenzung von Fremd- und Eigeninteressen voneinander erfolgt388, rechtfertigt nicht automatisch zugleich die Annahme einer Pflichtenkollision. 382  Dazu

oben § 2 C. IV. 4. Interessenkonflikt, S. 38; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 896; vgl. zudem Priester, ZIP 2011, 2081, 2082; dagegen will Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 53 f., für die Einteilung nach dem Ursprung des Konflikts zwischen internen und externen Interessenkonflikten unterscheiden (siehe auch ebd., S. 53 Fn. 198). 384  Siehe schon oben § 2 D. 385  Siehe oben § 2 D. II. 1. im Ganzen. 386  Vgl. oben § 2 C. I. 3. 387  Bei der Einteilung von Interessenkonflikten nach der Herkunft des Konflikts ist auch aus diesem Grund vorzugsweise zwischen internen und externen Interessenkonflikten zu differenzieren (so im Ergebnis schon oben § 2 C. IV. 4. mit § 2 Fn. 299). 388  Vgl. dazu § 2 Fn. 237. Fehlt es im Hinblick auf nahestehende natürliche Personen, Gesellschaften und Organisationen an einer rechtlich fundierten Verantwortung 383  Kumpan,

100

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

b) Keine abweichende rechtliche Behandlung von Interessenkonflikten und Pflichtenkollisionen Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass es aus der Sicht des Unternehmens, zu dessen Aufsichtsrat die betreffende Person zählt, keinen speziell zu berücksichtigenden Unterschied macht, ob von einem Interessenkonflikt oder einer Pflichtenkollision in der betreffenden Person ausgegangen wird. Bei einem Interessenkonflikt von Aufsichtsratsmitgliedern geht es um die Gefahr, dass das relevante Unternehmensinteresse, an das diese gebunden sind, aufgrund eines konfligierenden Interesses vernachlässigt wird. Nimmt man indes bei einer Pflichtenkollision die entsprechende Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse und die Möglichkeit in den Blick, dass das Aufsichtsratsmitglied einer gegenläufigen Verpflichtung folgt, der es nach dem Verständnis des Begriffs „Pflichtenkollision“ unterliegt, wodurch die Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse zwangsläufig missachtet wird, so geht es im Vorfeld dessen letztlich wieder um die damit einhergehende, mögliche Verletzung des Unternehmensinteresses und im Ergebnis um die Gefahr, dass dieses verletzt wird. Gerade diese ist aber auch das Charakteristikum von Interessenkonflikten. Für das betreffende Unternehmen stellt sich bei Interessenkonflikten und bei Pflichtenkollisionen letztlich gleichermaßen die Frage, ob das Aufsichtsratsmitglied entgegen dem Unternehmensinteresse zu handeln droht. Das etwaige Vorhandensein einer Pflicht, die der mit dem Aufsichtsratsmandat verbundenen Pflicht zur Wahrung des Unternehmensinteresses widerspricht, indiziert aus diesem Grund auf rechtlicher Ebene keine abweichende Behandlung der Situation. Ohne Begründung, aber im Ergebnis zu Recht, werden auch von Seiten des Schrifttums im Fall von Pflichtenkollisionen keine grundsätzlich anderen Rechtsfolgen vorgesehen als im Fall von Interessenkonflikten.389 Verschiedentlich wird sogar ausdrücklich eine einheitliche rechtliche Beurteilung be-

ihnen gegenüber, liegt insofern kein Interessenwahrungsverhältnis vor und ihre Inte­ ressen sind keine Fremdinteressen. Die Beachtung ihrer Belange stellt letztlich ein Eigeninteresse des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds dar. 389  So lässt etwa Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 85, keine abweichende Handhabung erkennen. Stattdessen bilden „Interessen- und Pflichtenkollisionen“ ein Begriffspaar. Laut Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 8, ist bei einer Pflichtenkollision eine Beendigung der Aufsichtsratstätigkeit angezeigt, dasselbe wird aber auch im Fall eines „dauernden Interessenwiderstreits“ vorgesehen. Sowohl im Fall einer Pflichtenkollision als auch im Fall eines Interessenkonflikts geht Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 241 f., von einer Nichtteilnahme des Betroffenen an der Beratung bzw. Sitzung aus.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“101

fürwortet.390 So stellt etwa Seibt heraus, dass „sich die rechtliche Beurteilung von Interessen- und Pflichtenkollisionen kategorial nicht unterscheidet“.391 Das Schrifttum im Übrigen lässt eine unterschiedliche Behandlung von Interessenkonflikten und Pflichtenkollisionen bis auf Ausnahmen nicht erkennen. Es fehlen fundierte, begründete Überlegungen, wie mit Pflichtenkollisionen zu verfahren ist, was den vorstehenden Befund tendenziell untermauert. Teilweise wird ein den einzelnen Interessenkonfliktmaßnahmen392 vergleichbares Vorgehen abgelehnt und darauf verwiesen, dass das „Hinnehmen einer Situation, in der eine Person zwangsläufig eine Pflichtverletzung vornimmt, inakzeptabel erscheint“.393 Dem ist jedoch zu widersprechen. Es ist nicht zwangsläufig die Aufgabe des Rechts, zugunsten desjenigen Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, der sich selbst durch das Eingehen mehrerer Verpflichtungen, die nun nicht gleichzeitig erfüllt werden können, in eine missliche Lage versetzt hat. Zu denken ist an den im allgemeinen Zivilrecht wohl klassischen Fall des mehrfachen Abschlusses eines Kaufvertrags unter der jeweiligen Vereinbarung einer Stückschuld hinsichtlich derselben Sache. Ferner erkennen auch die Vertreter der genannten Ansicht, dass eine Beendigung des Amtes bei jeder auch nur punktuellen Pflichtenkollision weder verhältnismäßig ist noch im Interesse der involvierten Unternehmen liegen dürfte.394 Letztlich gelangen sie doch zu einer punktuellen Einschränkung der Parti­ zipation des Betroffenen an der Aufsichtsratsarbeit,395 wie sie grundsätzlich auch bei Interessenkonflikten zu erwägen ist, wenn sie nicht in Ausnahmefällen sogar auf einen nicht näher spezifizierten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund ausweichen müssen396.

390  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 92; Lieder, ZGR 2018, 523, 570 f.; T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 101; von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 311; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1365; tendenziell Kumpan, Interessenkonflikt, S. 39, mit Blick auf die von ihm vorgenommene Unterscheidung zwischen „Pflichtenkollision“ und „Interessenkollision im engeren Sinne“. 391  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1365. 392  Dazu unten § 4 im Ganzen. 393  Siehe Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 111, der später (ebd., S. 156) bekräftigt, es sei als unzumutbar anzusehen, „das [Aufsichtsratsmitglied] zu einer Pflichtverletzung [zu] nötigen“. 394  Vgl. Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 155 f.; in der Sache ebenso Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 180. 395  So Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 156, mit der etwas zusammenhangslosen Annahme, das betroffene Aufsichtsratsmitglied solle sich der Stimme enthalten dürfen, wenn es durch die Stimmabgabe zwangsläufig eine Rechtspflicht verletzt; in der Sache ebenso Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  180 f. 396  So Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 262 f.

102

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

Alles in allem handelt es sich bei der Abgrenzung der mit den Begriffen „Interessenkonflikt“ und „Pflichtenkollision“ gekennzeichneten Sachverhalte voneinander um ein rechtstheoretisches Problem, von welchem die Bewältigung der konkreten, als kritisch empfundenen Situation nicht bestimmt wird. Für die Untersuchung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat kann der Begriff der Pflichtenkollision mithin außer Betracht bleiben.

III. Unabhängigkeit der Annahme von Interessenkonflikten vom (Nicht‑)Vorliegen von Pflichtenkollisionen Mit besonderem Nachdruck muss am Schluss darauf hingewiesen werden, dass die Nichtannahme einer Pflichtenkollision etwa bei der parallelen Wahrnehmung mehrerer Aufsichtsratsämter in verschiedenen Aktiengesellschaften im konkreten Fall gerade nicht die Annahme eines behandlungsbedürftigen Interessenkonflikts ausschließt. Der Begriff „Interessenkonflikt“ ist weiter als der Begriff „Pflichtenkollision“. Interessenkonflikte können auch konfligierende Eigeninteressen involvieren.397 Das ist nicht der Fall bei „Pflichtenkollisionen“.398 Bei „Pflichtenkollisionen“ liegt aber zugleich ein Interessenkonflikt vor,399 da die für diesen prägende Befürchtung einer Hintanstellung des Unternehmensinteresses regelmäßig noch stärker ist, wenn die betreffende Person anstelle nicht rechtlich verbindlich zu wahrender Eigeninteressen vor dem Hintergrund eines konfligierenden Fremdinteresses einer Pflicht unterliegt, die sich mit der Bindung an das Unternehmensinteresse nicht verträgt. Damit lässt sich erklären, warum Habersack zusammenfassend vom „Begriff des Interessenkonflikts in einem weiten, auch den Tatbestand der Pflichtenkollision umfassenden Sinn“ spricht400 und dass im Schrifttum zum Teil zwischen Pflichten­ kollisionen und Interessenkonflikten im engeren Sinne differenziert wird401, die mitunter auch als „einfache Interessenkonflikte“ tituliert werden402. Als 397  Vgl.

nur die Definition des Interessenkonflikts, oben § 2 C. I. 3. schon oben § 2 D. 399  Vgl. auch Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1018, bei der ergänzt werden kann „Interessen- und [zugleich] Pflichtenkonflikt[s]“, sowie Kumpan, Interessenkonflikt, S. 39, und umgekehrt Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570, 575; nicht explizit Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 241; U. H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 476. 400  Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 92; in der Sache übereinstimmend Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1365. 401  So bei Kumpan, Interessenkonflikt, S. 38. 402  So wiederum bei Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 92; ferner bei Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 241, und bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 896, dort aber jeweils unter Beteiligung von konfligieren398  Vgl.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“103

Relativierung der (auch) Interessenkonflikten (im engeren Sinne) inhärenten Gefahr darf Letzteres aber gerade nicht verstanden werden.403 Zwar ist vereinzelt betont worden, bei widerstreitenden Pflichten sei ein „rechtlich relevantes Konfliktpotenzial möglich“404, sodass im Umkehrschluss offenbar nur dann, nicht aber bei den an entsprechender Stelle so bezeichneten „rein tatsächlichen Interessenkonflikten“405, eine Konfliktbehandlung bzw. ‑lösung erforderlich sein soll. Der damit einhergehenden Annahme, nur eine Pflichtenkollision, nicht aber jeder Interessenkonflikt sei problematisch,406 kann wegen der Notwendigkeit der rechtlichen Behandlung von Interessenkonflikten407 aber nicht gefolgt werden.408 Vielmehr unterliegt die Maxime, bei der Ausübung eines Mandats stets allein dem Vorrang des Unternehmensinteresses der jeweiligen Gesellschaft zu folgen, praktischen Grenzen. Dem Aufsichtsratsmitglied wird es oftmals nicht gelingen, die Interessen aus anderen Pflichtenkreisen auszublenden.409 Es ergibt sich „die normative Überforderung einer Person in einer Doppelrolle“.410 Eine ungekürzte Befolgung des Grundsatzes der Rollentrennung erscheint vielfach nicht möglich.411 Das auch in der Literatur zum Ausdruck kommende Unbeden Eigeninteressen. Dagegen sprechen manche in diesem Kontext von einem „Interessengegensatz“, beispielsweise Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 23, womöglich ebenso Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 2 (siehe aber § 2 Fn. 196), was aber schon wegen der Bedeutung des entsprechenden Begriffs (dazu oben § 2 C. I. 1.) ausscheidet. 403  Ähnlich Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 111. 404  A. Anders, Vorstandsdoppelmandate, S. 134. 405  A. Anders, Vorstandsdoppelmandate, S. 134. 406  Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 250; bezogen auf Vorstandsdoppelmandate A. Anders, Vorstandsdoppelmandate, S. 135. 407  Dazu oben § 2 C. II. 408  Im Ergebnis übereinstimmend Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 23. 409  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 898; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 91; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4 (Annahme, eine den Erwartungen entsprechende, vollständige Trennung der Pflichtenkreise sei möglich, erscheint „weltfremd“); a. A. Singhof, AG 1998, 318, 323. 410  Säcker, AG 2004, 180, 183. Ähnlich bezogen auf Vorstandsdoppelmandate Fonk, NZG 2010, 368, 369; prägnant auch Streyl, Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 173 („Durch diesen Verhaltensmaßstab wird dem Mandatsinhaber […] ein Pflichtenkanon zugemutet, der die Fähigkeit und den Willen zur Umsetzung übersteigen kann.“). 411  Ähnlich Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 244 (offenbar im Widerspruch dazu aber ebd., S. 246: „Unterscheidung zwischen den voneinander getrennten Pflichtenkreisen […] stellt den Doppelmandatar vor keine besondere Herausforderung“), und insbesondere Borning/Wünschmann, Konzern-Doppelmandate bergen Fallstricke, Börsen-Zeitung vom 21.10.2017, S. 9, die Befolgung des

104

§ 2 Das Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat

hagen ob der trotz des Grundsatzes der Rollentrennung bestehenden Gegebenheiten ist darauf zurückzuführen, dass der etwaige Interessenkonflikt weiterhin vorliegt, „denn dass das [Aufsichtsratsmitglied] nur einem Interesse folgen darf, verhindert nicht, dass ein anderes Interesse es an der vollen Erfüllung dieser Pflicht faktisch hindert, und nur hierauf kommt es an“412. Und ohne Zweifel können Interessen Dritter in einer Person, wenn sie in der konkreten Situation auch nicht rechtlich verpflichtend zu wahren sind, per definitionem einen Interessenkonflikt auslösen.413 Es macht für die Annahme eines Interessenkonflikts keinen Unterschied, ob die Gefahr, dass das Unternehmensinteresse vernachlässigt wird, auf eine gegenläufige Verpflichtung gegenüber einem anderen Unternehmen zurückzuführen ist oder ob bloß eine nicht von einer Pflicht unterfütterte, innere Neigung bzw. „gefühlte Verpflichtung“ dahintersteht. Der Grundsatz der Rollentrennung bewirkt zwar, dass es bei der Ausübung mehrerer Aufsichtsratsmandate nicht zu Pflichtenkollisionen kommt, er ermöglicht aber gerade keine Auflösung von Interessenkonflikten und beseitigt diese nicht.414 Auch aus der Schaffgotsch-Entscheidung des Bundesgerichtshofes, durch welche primär die Pflichten von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber ihrer Gesellschaft im Fall anderweitiger Pflichtenbindungen bekräftigt wurden,415 lässt sich insofern keine praxistaugliche Verhaltensregel ableiten.416 Die BefürchGrundsatzes stoße hier in ihrer Absolutheit an Grenzen. A. A. bezogen auf Vorstandsdoppelmandate A. Anders, Vorstandsdoppelmandate, S. 133. 412  Treffend Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1103. 413  Zum Begriff des Interessenkonflikt siehe oben § 2 C. I. im Ganzen. 414  Vgl. Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 98 („Trennung der verschiedenen Pflichtenkreise löst […] nicht alle Probleme“); Wardenbach, AG 1999, 74, 76 („ ‚Rollentrennung‘ führt nicht zu einer Lösung [von] Interessenkollisionen, sondern zu deren Ignorierung“); ebenso Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 91; weniger spezifisch dagegen noch Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 17 f., dessen Vorbehalte gegenüber der Trennung der Pflichtbereiche wohl daher rühren. Zur Trennung der Pflichtbereiche oben § 2 D. II. 1. a). Abgesehen davon ist die Formulierung von Deckert, DZWir 1996, 406, 408, zu beanstanden, Interessenkonflikte seien nach der Grundregel der Rollentrennung aufzulösen. Dem ebenfalls von Deckert, DZWir 1996, 406, 409, hervorgerufenen, damit übereinstimmenden Eindruck – dass nämlich mit dem Verweis auf die vom Aufsichtsratsmitglied zu leistende Sphärendifferenzierung der Interessenkonflikt vollständig gelöst ist – ist zu widersprechen. Nicht vollständig nachvollziehbar ist auch die Aussage von Dreher, JZ 1990, 896, 900, die Grundregel der Rollentrennung helfe „nur im Konfliktfall zwischen der rechtlichen Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse und dem Bestehen sonstiger rein tatsächlicher Interessen“. Durch sie wird etwa bei mehreren Aufsichtsratsämtern in vielen Fällen erst dieser Zustand erreicht und die Situation auf die Weise entschärft, dass keine Pflichtenkollision vorliegt. 415  Vgl. oben § 2 D. II. 1. c). 416  Vgl. dahingehend auch Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1021.



D. Zum Begriff der „Pflichtenkollision“105

tung eines Fehlverhaltens der Art, dass sich eben nicht das in der jeweiligen Situation von Rechts wegen zu priorisierende Interesse – hier das Interesse der AG, als deren Aufsichtsratsmitglied jemand agiert – durchsetzt, besteht weiterhin und führt zum Kern des Interessenkonflikts zurück, der unverändert einer rechtlichen Behandlung zugeführt werden muss.417

417  Zum

rechtlichen Interventionsbedürfnis bei Interessenkonflikten oben § 2 C. II.

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten durch den präventiven Ausschluss bestimmter Personen von der Aufsichtsratstätigkeit Unbeschadet der Notwendigkeit der rechtlichen Behandlung von Interessenkonflikten ab dem Zeitpunkt ihres Vorliegens1 stellt sich auf einer vorgelagerten Stufe die Frage, inwieweit Interessenkonflikte schon im Vorfeld verhindert werden können und werden sollten.2 Der Ansatz geht dahin, solche Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse absehbar in Interessenkonflikte geraten, präventiv von der Ausübung eines Aufsichtsratsmandats fernzuhalten. Mit Blick auf das geltende Aktienrecht und die Vorgaben des DCGK sind zwei Ansätze denkbar, um dies zu erreichen: Inkompatibilitätsnormen bzw. Bestellungshindernisse und Vorgaben zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Ein Wettbewerbsverbot für Aufsichtsratsmitglieder – das lässt sich vorwegnehmen – besteht dagegen nicht.

A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention Bezogen auf den Aufsichtsrat wird durch gesetzliche Inkompatibilitätsvorschriften bzw. Bestellungshindernisse ein bestimmter in einer Person liegender oder mit ihr verbundener Umstand für mit der Wahrnehmung eines Aufsichtsratsamtes unvereinbar erklärt.3 Als mit einer Person verbundener Umstand kommt vor allem die Ausübung anderweitiger Funktionen bzw. Ämter innerhalb und außerhalb der Gesellschaft in Betracht. Von den persönlichen Voraussetzungen abgesehen, die für eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat erfüllt werden müssen und einer solchen im Fall ihres Nichtvorliegens entgegenstehen, enthält das Aktiengesetz mit den Hinderungsgründen aus § 100

1  Zu

zen.

den Maßnahmen zum Umgang mit Interessenkonflikten unten § 4 im Gan-

2  Aus der grundlegenden Kategorisierung aller Ansatzpunkte im Umgang mit Interessenkonflikten (siehe oben § 2 C. II. am Ende) ist damit der Komplex der Konfliktvermeidung angesprochen. 3  Ganz ähnlich Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 25 f. Diesem zufolge bezeichnet der Begriff einer bestellungsrechtlichen Inkompatibilität „allgemein eine Situation, mit der die Bekleidung eines Aufsichtsratsamtes unvereinbar ist“ (ebd., S. 26).



A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention107

Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 105 Abs. 1 AktG eine Reihe ausdrücklicher Bestellungshindernisse bzw. Inkompatibilitätsnormen.4 Nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG ist die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung nichtig, wenn die gewählte Person im Zeitpunkt des geplanten Amtsantritts gemessen an § 100 Abs. 1 und 2 AktG nicht wählbar war. Dasselbe gilt, wenn in der Bestellung ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 AktG liegt.5 § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG wird insofern analog angewendet.6 Der in der noch in den Aufsichtsrat zu wählenden Person liegende oder mit ihr verbundene Umstand, der nicht mit der Tätigkeit im Aufsichtsrat kompatibel ist, ist in den genannten Fällen bereits gegeben bzw. wird in diesen als gegeben vorausgesetzt. Da sich die von der Norm erfasste Unverträglichkeit durch die Bestellung in den Aufsichtsrat realisiert, handelt es sich um eine anfängliche Inkompatibilität.7 Sie steht einer Bestellbarkeit zum Aufsichtsratsmitglied im hiesigen Kontext ausweislich der Rechtsfolge von § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG entgegen. Ebenso kann aber – nach der Bestellung – in der Person eines amtierenden Aufsichtsratsmitglieds oder mit ihr verbunden ein Umstand eintreten, der mit der Tätigkeit im Aufsichtsrat unvereinbar ist. Bei dieser nachträglichen Inkompatibilität tritt das Amtshindernis erst während der Amtszeit ein.8 Vom Gesetz wird die nachträgliche Inkompatibilität nicht ausdrücklich behandelt. Das betrifft etwa die nach Amtsantritt eintretende Abhängigkeit einer Gesellschaft, deren gesetzlicher Vertreter – entgegen § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AktG – dem Aufsichtsrat der nunmehr herrschenden Gesellschaft angehört. In diesen Fällen erlischt das Aufsichts-

4  Dazu

schon im Überblick oben § 2 B. I. 1. b). Verweis auf den Wortlaut oder auch den Zweck von § 105 Abs. 1 AktG wird dessen Anwendung ebenso bejaht, wenn ein Geschäftsleiter zum Aufsichtsratsmitglied gewählt wird (Prioritätsprinzip), siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 105 Rn. 9 und 18; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 105 Rn. 28; Hüffer/Koch, § 250 Rn. 11; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 105 Rn. 18; dies voraussetzend BGH, NJW 1975, 1657, 1658. 6  Ganz h. M., LG München I, NZG 2004, 626, 627; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 105 Rn. 11; Habersack, in: MüKoAktG, § 105 Rn. 19; Henssler, in: Henssler/ Strohn, § 105 AktG Rn. 6; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 105 Rn. 30; Israel, in: Bürgers/Körber, § 105 Rn. 4; Hüffer/Koch, § 105 Rn. 6 und § 250 Rn. 11; Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, § 250 Rn. 5; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 105 Rn. 18; allgemein für die Analogiefähigkeit von § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 788 ff. Kritisch Simons, in: Hölters, § 105 Rn. 27 und § 250 Rn. 19. 7  Begriff nach Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 31. Vgl. auch Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 44. 8  Begriff nach Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 31. 5  Unter

108

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

ratsamt kraft Gesetzes ex nunc.9 Für entsandte Aufsichtsratsmitglieder und die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmervertreter gelten die genannten Rechtsfolgen des Fehlens oder des Wegfalls persönlicher Voraussetzungen entsprechend.10 Sofern es sich bei den Unvereinbarkeiten mit dem Aufsichtsratsamt um solche handelt, die Umstände betreffen, bei deren Vorliegen eine Person im Rahmen ihrer etwaigen Tätigkeit im Aufsichtsrat ansonsten leicht in Interessenkonflikte geraten würde, bieten Inkompatibilitäten einen Weg, um die Entstehung entsprechender Interessenkonflikte treffsicher zu vermeiden.

I. Gesetzliche Hinderungsgründe für die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied und der dahinterstehende Normzweck Mitglied des Aufsichtsrats kann nicht sein, wer bereits in zehn Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben, Aufsichtsratsmitglied ist (§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG; für Zu- und Abrechnungen siehe § 100 Abs. 2 S. 2 und 3 AktG).11 Die simultane Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Gesellschaft und im Vorstand eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist untersagt (§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AktG). Unzulässig ist ferner, dass jemand zum Aufsichtsrat der Gesellschaft zählt, der gesetzlicher 9  H. M., Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 100 Rn. 39; Hopt/M. Roth, in: GKAktG, § 100 Rn. 255; Israel, in: Bürgers/Körber, § 100 Rn. 12; Hüffer/Koch, § 100 Rn. 30; Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 65; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 90; ausführlich Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 64 ff. Zur Bestimmung des im Fall der Überkreuzverflechtung (§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AktG) erlöschenden Mandats siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 65, und Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 259. Die Überschreitung der Höchstzahl nach § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG führt allerdings nur zur Nichtigkeit (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG) des zuletzt gefassten Wahlbeschlusses. Entsprechendes gilt für den Wegfall des Konzernprivilegs sowie die nachträgliche Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden einer anderen Gesellschaft, durch welche die Höchstzahl überschritten wird (vgl. § 100 Abs. 2 S. 2 AktG bzw. § 100 Abs. 2 S. 3 AktG); hier ist nur die zuletzt erfolgte Bestellung bzw. der zuletzt erfolgte Rechtsakt (etwa die Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden) nichtig, siehe Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 65. Die indirekt von § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG statuierte Voraussetzung kann, wenn sie einmal erfüllt ist, nicht nachträglich entfallen. A. A. (und für alleinige Möglichkeit einer Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG) Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 320. 10  Im Einzelnen Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 250 und 260 f. 11  Zu erwähnen ist in diesem Kontext noch Empfehlung C.4 DCGK, welcher zufolge ein Aufsichtsratsmitglied, das keinem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, insgesamt nicht mehr als fünf Aufsichtsratsmandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbare Funktionen wahrnehmen soll, wobei ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt zählt.



A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention109

Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft ist, deren Aufsichtsrat wiederum ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft angehört (§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AktG). Ein ehemaliges Vorstandsmitglied einer börsennotierten Gesellschaft kann grundsätzlich frühestens nach Ablauf von zwei Jahren seit seinem Ausscheiden aus dem Vorstand zum Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft werden (§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG). Aus § 105 Abs. 1 AktG ergibt sich die unternehmensinterne12 Inkompatibilität von Geschäftsleitung (insb. des Vorstands) und Überwachung (des Aufsichtsrats). Das übergeordnete Ziel der §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG ist die Gewährleistung einer effektiven Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats.13 Dabei sollen sie jedenfalls auch dem Auftreten von Interessenkonflikten vorbeugen.14 So heißt es in Bezug auf § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AktG, die darin genannte Konstellation widerspreche dem „natürlichen Organisationsgefälle im Konzern“.15 Dahinter steht nach Angaben aus dem Schrifttum die Überlegung, dass derjenige, der in seinem Vorstandsamt von dem Aufsichtsrat abhängig ist, den er als Aufsichtsratsmitglied des herrschenden Unternehmens selbst überwacht, nicht über die nötige Unabhängigkeit und Unbefan-

12  Doppelmandate im Konzern sind daher nicht Gegenstand von § 105 Abs. 1 AktG, vgl. statt aller Simons, in: Hölters, § 105 Rn. 10. 13  Auch unter Nennung von § 100 Abs. 1 und 3 AktG Drygala, in: K. Schmidt/ Lutter, § 100 Rn. 1; auch unter Nennung von § 100 Abs. 1, 3 und 4 AktG Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 1; allein, jedoch pauschal für § 100 AktG Breuer/Fraune, in: Heidel, § 100 AktG Rn. 1; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 1; pauschal für § 100 AktG Henssler, in: Henssler/Strohn, § 100 AktG Rn. 1 und § 105 AktG Rn. 1; ohne Erwähnung von § 105 Abs. 1 AktG Hüffer/Koch, § 100 Rn. 1. 14  Zutreffend (teilweise vor Einführung von § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG) OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 669; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 10; Kort, ZIP 2008, 717, 717 und 723 f.; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 437; Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S.  438 f.; Martinek, WRP 2008, 51, 57; Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 602; Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 804; Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 1; Spindler, ZIP 2005, 2033, 2039; des Weiteren Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 172; im Ergebnis ebenso Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 6, der von der Sicherung der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder spricht, damit aber ganz offensichtlich (siehe auch ebd., § 30 Rn. 5) auf die Vermeidung von Inte­ ressenkonflikten abzielt. Die getroffene Feststellung gilt nicht auch für § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG, da dieser eine andere Schutzrichtung hat, indem sichergestellt werden soll, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied über hinreichende Kapazitäten für eine wirksame Amtsführung verfügt, vgl. Kropff, AktG 1965, S. 136; wie hier tendenziell Bürgers, in: FS Marsch-Barner, 2018, S. 83, 85. Soweit einige der vorstehend Genannten auf einen entsprechenden Hinweis verzichtet haben, ist dies der jeweiligen Darstellung geschuldet und daraus nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Dies verkennend aber Martinek, WRP 2008, 51, 52. 15  Kropff, AktG 1965, S. 136.

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genheit verfügt, um seiner Überwachungsaufgabe gerecht zu werden.16 Das kann auch als Sorge vor Interessenkonflikten der entsprechenden Art verstanden werden.17 Dem Verbot der Überkreuzverflechtung aus § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AktG liegt einerseits der Gedanke zugrunde, dass durch dieses einer allzu starken Konzentration von Aufsichtsratsmandaten entgegengewirkt werden soll und Aufsichtsratsmandate stattdessen nicht nur von einem verhältnismäßig kleinen Personenkreis ausgeübt werden.18 Andererseits wird es für „erforderlich“ gehalten, „um Gefahren, die sich aus der Überkreuzverflechtung für die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat ergeben können, vorzubeugen“.19 Wer in der betreffenden Gesellschaft andere Personen überwachen soll, darf nicht in einer anderen Gesellschaft seinerseits von einer dieser Personen überwacht werden. Ansonsten käme es zu einem Interessenkonflikt.20 Die von § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG vorgeschriebene Karenzzeit für ehemalige Vorstandsmitglieder hinsichtlich eines Wechsels in den Aufsichtsrat geht auf Bedenken zurück, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied „den neuen Vorstand behindern und die Bereinigung strategischer Fehler oder die Beseitigung von Unregelmäßigkeiten aus der eigenen Vorstandszeit unterbinden könnte.“21 Insbesondere mit dem letztgenannten Aspekt werden wiederum Interessenkonflikte adressiert.22 Die das dualistische 16  Vgl. Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 31; Mutter, in: von Schenck, § 100 Rn. 34. 17  Vgl. Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 23. Im Ergebnis ferner Gündel, Interessenwahrung bei der Besetzung des Aufsichtsrates, S. 34; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 68 und 281; Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 511; Reichert/M. Schlitt, AG 1995, 241, 242; Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 33 („potentiell konfliktträchtige Konstellation“). Die Norm unter der Überschrift „Konfliktgeneigte Konstellationen“ erläuternd Israel, in: Bürgers/Körber, § 100 Rn. 6. 18  Kropff, AktG 1965, S. 136. So allgemein für § 100 Abs. 2 AktG Hüffer/Koch, § 100 Rn. 1, bzw. für § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 AktG Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 1. 19  Kropff, AktG 1965, S. 136. 20  Gündel, Interessenwahrung bei der Besetzung des Aufsichtsrates, S. 34; Reichert/ M. Schlitt, AG 1995, 241, 242; die Norm unter der Überschrift „Konfliktgeneigte Kon­ stellationen“ erläuternd Israel, in: Bürgers/Körber, § 100 Rn. 6; in diese Richtung schließlich Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 35. A. A. Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 511 Fn. 6; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 23 Fn. 23; zurückhaltend Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 68 und 281. 21  Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtausschusses VorstAG, BTDrucks. 16/13433, S. 11. Durch die Regelung sollen danach „systematische Kontrolldefizite […] und die faktische Kooptation der Aufsichtsratsbesetzung durch den Vorstand in diesem speziellen Punkt“ vermieden werden. 22  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 100 AktG Rn. 20; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 100 Rn. 14; Mutter, in: von Schenck, § 100 Rn. 50; Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 36; siehe auch schon oben § 2 C. III. 1.



A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention111

System kennzeichnende Funktionstrennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat beabsichtigt § 105 Abs. 1 AktG.23 Es sollen Interessenkonflikte vermieden werden, die zwangsläufig entstehen könnten, wenn sich jemand in seinem Tun als Geschäftsführungsorgan selbst beaufsichtigen würde.24

II. Ungeschriebene Bestellungshindernisse aufgrund von Interessenkonflikten in Analogie zu den gesetzlich geregelten Inkompatibilitäten? Das Aktiengesetz statuiert keine allgemeine Inkompatibilität aufgrund von Interessenkonflikten,25 sondern beschränkt sich mit den §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG auf die formell-typisierte Erfassung26 einzelner als besonders konfliktträchtig empfundener Konstellationen. In der Zusammenschau mit den persönlichen Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder und der in § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG genannten Höchstzahl von Aufsichtsratsmandaten erweisen sich die Bestellungsvoraussetzungen und Hinderungsgründe im Aktiengesetz als „fragmentarische Regelung“.27 In der Praxis kann das Credo, dass über die im Gesetz genannten Bestellungsvoraussetzungen und Hinderungsgründe hinaus keine weiteren persönlichen Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder existieren, allerdings Fragen aufwerfen. Die theoretisch denkbaren Konsequenzen sind nahezu grotesk, könnte doch der Aufsichtsrat selbst einer großen AG – wenn man von § 100 Abs. 5 AktG absieht – allein gemessen am Aktiengesetz mit 18-jährigen Schülern auf Anteilseignerseite und Gesellen auf Arbeitnehmerseite besetzt 23  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 105 AktG Rn. 2; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 105 Rn. 1; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 105 Abs. 1; Habersack, in: MüKoAktG, § 105 Rn. 1; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 105 Rn. 6 f.; Hüffer/Koch, § 105 Rn. 1. 24  So auch Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 105 Rn. 1; Gündel, Interessenwahrung bei der Besetzung des Aufsichtsrates, S. 34; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 68 und 281; Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 511; Reichert/M. Schlitt, AG 1995, 241, 242; Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 781; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 22 f.; a. A. Habersack, in: MüKoAktG, § 105 Rn. 1; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 105 Rn. 10; zumindest gegen eine „Abwendung wirtschaftlicher [Hervorhebung durch den Verfasser] Interessenkonflikte“ durch § 105 Abs. 1 AktG BGH, NZG 2006, 138, 140. 25  Mit diesem offensichtlichen Befund auch Deckert, NZG 1998, 710, 713; Dreher, JZ 1990, 896, 898; Martinek, WRP 2008, 51, 52. 26  Zur Unterscheidung zwischen dem formell-typisierten und dem entgrenzten Konfliktbegriff oben § 2 C. III. 1. 27  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S.  9. Zu den ­persönlichen Voraussetzungen der Aufsichtsratstätigkeit im Überblick oben § 2 B. I. 1. b).

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werden.28 Aus diesem Grund wird beispielsweise im Ergebnis einmütig an Aufsichtsratsmitglieder die Forderung einer gewissen Sach- und Fachkunde gerichtet29, wenn auch nicht in Gestalt eines präventiven Bestellungshindernisses, sondern als Haftungs- und Abberufungsgrund30. Danach bleibt es aber nichtsdestotrotz bei den Bestellungsvoraussetzungen de lege lata. Daraus, dass die Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Bestellung im Einzelfall die Annahme eines wichtigen Grundes i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG rechtfertigen würden, kann kein Bestellungshindernis hergeleitet werden.31 Durch ein solches würde die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, nur einige bestimmte Unvereinbarkeiten anhand starrer Kriterien zu regeln, vollständig vernachlässigt, wenngleich es in der Praxis natürlich widersinnig wäre, eine Person zum Aufsichtsratsmitglied zu bestellen, die im ent­ sprechenden Einzelfall absehbar gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG abberufen werden müsste32. Immerhin erscheint es denkbar, eine Pflichtverletzung der Aufsichtsratsmitglieder darin zu sehen, dass diese wissentlich eine solche Person zur Wahl in den Aufsichtsrat vorschlagen (§ 124 Abs. 3 S. 1 AktG), in welcher schon zum Zeitpunkt der Bestellung ein Abberufungsgrund i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG vorliegt. Einzig das gerichtliche Auswahlermessen im Rahmen der Entscheidung nach § 104 AktG ist bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Abberufung aus wichtigem Grund im entscheidungserheb­ lichen Zeitpunkt entsprechend begrenzt.33 Auch die formell-typisierte An28  Einschließlich des Beispiels, aber noch ohne den Einschub Wardenbach, Inte­ ressenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 10. 29  Grundlegend BGHZ 85, 293, 295 f. – Hertie. Aus dem Schrifttum etwa Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 100 Rn. 30 („natürlich […] unabdingbar“), und Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 21 („Selbstverständlichkeit“). 30  Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 16; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 32 und 34; insoweit missverständlich Henssler, in: Henssler/Strohn, § 100 AktG Rn. 4. Vgl. auch Hoffmann-Becking, in: FS Havermann, 1995, S. 229, 231 f. 31  So aber U. H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 480 f., jedoch unter nicht nachvollziehbarer Belegführung. Insbesondere kann die Entscheidung OLG Hamburg, ZIP 1990, 311 – HEW/Jansen, an dieser Stelle nicht herangezogen werden, da es dort nicht um ungeschriebene Bestellungshindernisse, sondern allein um eine Abberufung gemäß § 103 Abs. 3 S. 3 AktG und das Vorliegen der dafür nötigen Tatbestandsvoraussetzungen ging (insofern wie hier Oulds, Auflösung von Interessenkonflikten, S. 45; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 133). Einzig das LG Hannover, ZIP 2009, 761, 762 – Continental/Schaeffler, äußert sich in diese Richtung, siehe aber § 3 Fn. 33. Vgl. wie hier offenbar Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 42; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 37. 32  Vgl. auch OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; LG Hannover, ZIP 2009, 761, 762 – Continental/Schaeffler. 33  Vgl. Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 104 Rn. 9; Simons, in: Hölters, § 104 Rn. 28. So ist dann auch die Entscheidung des LG Hannover, ZIP 2009, 761, 762 – Continental/Schaeffler (siehe schon § 3 Fn. 31), zu verstehen.



A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention113

nahme eines wichtigen Grundes i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG in bestimmten Konstellationen und unabhängig vom konkreten Einzelfall, etwa bei einer jeden Tätigkeit für ein konkurrierendes Unternehmen, ist abzulehnen, da effektiv Bestellungshindernisse statuiert würden, die der Gesetzgeber aber an anderer Stelle verortet hat, und dies außerdem der in § 103 Abs. 3 S. 1 AktG angelegten Beurteilung im Einzelfall34 widersprechen würde.35 Ein ungeschriebener Hinderungsgrund, der in der Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit parallelen Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen diskutiert wurde,36 ließe sich nur aufgrund einer analogen Anwendung der §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG37 annehmen. Vorauszusetzen ist dafür das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und die Annahme einer vergleichbaren Interessenlage.38 Es ist jedoch einzuräumen, dass schon erstere fehlt. 1. Keine planwidrige Regelungslücke Der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke hinsichtlich Inkompatibilitäten für Aufsichtsratsmitglieder wurde schon in der Vergangenheit und 34  Vgl. statt vieler BGHZ 39, 116, 123; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 10; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 34. 35  Im Ergebnis wie hier Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 301 und 318; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 159. 36  Für die Unzulässigkeit einer Paralleltätigkeit in den Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen insbesondere Lutter, ZHR 159 (1995), 287, 303; Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, passim; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 236 f.; in der Folge u. a. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 22 f.; Reichert/M. Schlitt, AG 1995, 241, 244 ff.; Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 788; Scheffler, DB 1994, 793, 795; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 62 ff. Dagegen (h. M.) OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; Deckert, DZWir 1996, 406, 406 f.; Dreher, JZ 1990, 896, 900; Häuser, Interessenkollisionen, S. 91 f.; Hoffmann-Becking, in: FS Havermann, 1995, S. 229, 233 f.; Hüffer/Koch, § 100 Rn. 4; Kübler, in: FS Claussen, 1997, S. 239, 241  ff.; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 144; Matthießen, Stimmrecht, S. 202; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 14 m. w. N.; Oulds, Auflösung von Interessenkonflikten, S. 114 f. und 141; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 5; Wiedemann, Organverantwortung, S. 30 f.; Wirth, ZGR 2005, 327, 345. Die diesbezügliche Diskussion muss hier – gerade auch betreffend die schwierige Frage, wann zwischen zwei Unternehmen ein relevantes Konkurrenzverhältnis anzunehmen ist (dazu etwa Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 291 ff.) – nicht vertieft werden. 37  Die methodische Frage, ob anstelle einer etwaigen Einzelanalogie zu den genannten Vorschriften im entsprechenden Fall auch eine Gesamtanalogie zu dem in den §§ 100 Abs. 1 und 2, 105 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG angelegten Regelungssystem möglich ist, wird hier nicht behandelt. Siehe dazu die Ausführungen bei Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 57 ff. 38  Statt aller BGH, NJW 2007, 992, 993 m. w. N.

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nicht allein aus dem Blickwinkel von Unvereinbarkeiten aufgrund von Inte­ ressenkonflikten widersprochen. Es sei § 103 Abs. 3 S. 1 AktG die Notwendigkeit einer Abwägung im Einzelfall zu entnehmen.39 Die Befürworter einer im Wege der Analogie zu schließenden Regelungslücke argumentierten demgegenüber, dass hinter den gesetzlichen Inkompatibilitätsregeln Interes­ senkonflikte stünden, es weitere solche Interessenkonflikte gebe und nicht nachvollziehbar sei, warum der Gesetzgeber nur die erstgenannten behandelt habe; es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diese erkannt oder gezielt offen gelassen habe.40 Das Schweigen des Gesetzes stehe der Annahme ungeschriebener Inkompatibilitäten nicht entgegen und solche würden auch nicht die in § 103 Abs. 3 S. 1 AktG geregelte Option der Abberufung verdrängen.41 Da die Gesetzesmaterialien trotz der grundlegenden Bedeutung der Frage weiterer Interessenkonflikte keinen Hinweis auf eine absichtliche Beschränkung auf die Fälle der §§ 100 Abs. 1 und 2, 105 Abs. 1 AktG enthalten und zu vermuten sei, dass der Gesetzgeber „mangels praktischer Anschauung“ weitere Inkompatibilitätsfälle nicht registriert habe, lägen Indizien für eine planwidrige Regelungslücke vor.42 Hätte der Gesetzgeber im Übrigen weitere Inkompatibilitätsfälle erkannt, wäre ihm nur geblieben, den Ausschluss der Bestellbarkeit anzuordnen.43 Der Wortlaut von § 250 Abs. 1 AktG („nur dann nichtig“) könne nicht als Argument gegen eine planwidrige Regelungslücke herangezogen werden.44 Speziell für parallele Tätigkeiten in konkurrierenden Unternehmen hat der Gesetzgeber im Verlauf der Entstehung des KonTraG45 jedoch Forderungen

39  Dreher, JZ 1990, 896, 899; tendenziell auch Kübler, in: FS Claussen, 1997, S. 239, 242. 40  Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 515 f. und 518; Reichert/M. Schlitt, AG 1995, 241, 247; Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 788 ff. und 804 f. 41  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 39 ff., der im Übrigen das von der Gegenseite (etwa Dreher, JZ 1990, 896, 899 Fn. 36; siehe für Aufsichtsratsmandate in Konkurrenzunternehmen auch die Nachweise bei Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 44 Fn. 165) gebrauchte Argument der Rechtsunsicherheit durch unwirksam bestellte Aufsichtsratsmitglieder zurückweist. Dem Verweis auf § 103 Abs. 3 S. 1 AktG entgegentretend auch Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 513 f. 42  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 51  ff. (wört­ liches Zitat von S. 52). 43  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 53 ff. 44  Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 789 f., sowie Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 55, der die gleiche Feststellung anschließend (ebd., S. 56 f.) auch in Bezug auf § 100 Abs. 3 AktG und § 100 Abs. 4 AktG trifft. 45  Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.04.1998, BGBl. I 1998, S. 786.



A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention115

nach der Einführung dahingehender Verbote46 eine Absage erteilt.47 Stattdessen soll es betreffend die Anteilseignervertreter im Ermessen der Hauptversammlung als gesetzlich berufenes Bestellungsorgan liegen, ob bei einer Person die Gefahr von Interessenkonflikten besteht und – bejahendenfalls – ob diese dennoch Mitglied des Aufsichtsrats werden soll.48 Im Übrigen soll die Rechtsprechung im Einzelfall über Inkompatibilitäten entscheiden können.49 Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist eine planwidrige Regelungslücke hinsichtlich Inkompatibilitäten für Aufsichtsratsmitglieder aufgrund von Interessenkonflikten zu verneinen.50 Somit lassen sich ungeschriebene Inkompatibilitäten von Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund von Interessenkonflikten in Analogie zu den §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG von vornherein nicht begründen.51 46  Mit dem Vorschlag, § 100 Abs. 2 S. 1 AktG zu erweitern, der Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 13/9716, S. 4; zuvor entsprechend der Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz, BR-Drucks. 561/97, S. 1 f. nach Neubeginn der Paginierung. Mit einem anderen Ansatz der Gesetzentwurf von Abgeordneten und der Fraktion der SPD, BT-Drucks. 13/367, S. 13, worin die Einführung eines § 25a GWB vorgesehen ist, dem zufolge die Kartellbehörde die Aufsichtsrats- bzw. Geschäftsführungstätigkeit in einem in Wettbewerb stehenden Unternehmen untersagen sollte; zustimmend Raiser, NJW 1996, 2257, 2260; dies erwägend auch der Antrag von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 13/7737, S. 5 und 18. Aus dem Schrifttum etwa noch Baums, ZIP 1995, 11, 17; Heermann, WM 1997, 1689, 1692; Reichert/M. Schlitt, AG 1995, 241, 253 f. Aus jüngerer Zeit Conzen, Unabhängigkeit und Diversity, S. 147. 47  Vgl. BegrRegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15 f. und ferner 17, sowie die konträre Stellungnahme des Bundesrates, ebd., S. 33, wiederum mit der Entgegnung der Bundesregierung, ebd., S. 37; schon zuvor in diese Richtung BegrRefE KonTraG, ZIP 1996, 2129, 2133. Näher zu alledem Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn.  134 ff. 48  BegrRegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17. Das entsprechende Vertrauen des Gesetzgebers in die Auswahlentscheidungen der Hauptversammlung ist dabei historisch verankert, vgl. Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 693 f. 49  BegrRegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17. 50  Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 133 und 142; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  283 ff.; Langenbucher, ZGR 2007, 571, 585; Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 500; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 100; T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 61; Nowak, Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds, S. 225; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 5; Spindler, in: BeckOGKAktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 45; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 136; im Ergebnis ferner OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; a. A. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 23, wenngleich diese den Verweis auf den Entstehungsprozess des KonTraG für stichhaltig erklären; Martinek, WRP 2008, 51, 55 und 58. 51  Im Ergebnis ebenso, jedoch mit der Begründung, dass tendenziell keine griffigen Tatbestände formuliert werden könnten, Götz, AG 1995, 337, 346. Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke bezogen auf personelle Verflechtungen im Konzern Löbbe, Unternehmenskontrolle, S. 63 f.; Wöller, Drittanstellung und

116

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

2. Exkurs und eigener Ansatz: Zur vergleichbaren Interessenlage – Einpassung bestehender Inkompatibilitätsvorschriften in die Konfliktdogmatik Ungeachtet des (Nicht‑)Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke würde eine Analogie zu den §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG eine in rechtlicher Hinsicht vergleichbare Interessenlage zu den §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG verlangen. Die nähere Untersuchung der theoretisch nötigen vergleichbaren Interessenlage trägt trotz der Ablehnung einer Analogie zum Verständnis der bestehenden Vorschriften bei und gestattet die Einordnung von Inkompatibilitäten in das Gesamtsystem zur rechtlichen Adressierung von Interessenkonflikten. Eine vergleichbare Interessenlage erfordert, dass für den vergleichshalber zu beurteilenden Sachverhalt „angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen“52. Hinter der Annahme einer Inkompatibilität verbirgt sich generell die „situativ typisierte Verhaltenserwartung“, bei der die Umstände des Einzelfalls außer Betracht bleiben53 und nach welcher die jeweilige Konstellation stattdessen abstrakt betrachtet eine ordnungsgemäße Amtsausübung als Aufsichtsrat in wesent­ lichen Aufgabenbereichen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so weit ausschließt, dass die betreffende Person als Mitglied des Aufsichtsrats untragbar erscheint.54 Solche Umstände, die per analogiam einer ungeschriebenen Inkompatibilität unterfallen sollen, müssen ihrerseits diese Annahme begründen, damit eine vergleichbare Interessenlage bejaht werden kann. Für Interessenkonflikte, die mit Ausnahme von § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AktG den erwähnten Normen gedanklich und gegenständlich zugrunde liegen, ist dies weiter zu spezifizieren. Eine in der Literatur vereinzelt angenommene Verengung des Vergleichsmaßstabs auf Interessenkonflikte, die aus Drittvergütung, S. 27. Gegen die Notwendigkeit der Schaffung weiterer Inkompatibilitätsvorschriften W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 267. 52  BGH, NZG 2019, 505, 506; BGH, NZG 2015, 511, 512; BGH, NJW 2010, 1144, 1146; BGH, NJW 2007, 992, 993; BGH, NJW 2003, 1932, 1933. 53  Vgl. insoweit auch Kumpan, Interessenkonflikt, S. 438. 54  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 26  ff. (wört­ liches Zitat von S. 26). Das Gesetz unterstelle im Fall der darin enthaltenen Inkom­ patibilitäten, dass niemand die genannte Verhaltenserwartung entkräften könne und arbeite demnach mit „situativ typisierten Verhaltenserwartungen“ (ebd., S. 27). Vgl. in die letztgenannte Richtung auch Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 511.



A. Inkompatibilitäten als Mittel zur Konfliktprävention117

konfligierenden Eigeninteressen resultieren,55 ist von vornherein zurückzuweisen, da verkannt wird, dass es erstens entscheidend auf den vorstehend beschriebenen Effekt des Interessenkonflikts ankommt und nicht auf dessen Struktur und dass zweitens ein Interessenkonflikt per definitionem ebenso sehr auf zwei konfligierende Fremdinteressen zurückzuführen sein kann. Ferner muss es als nicht hinreichend differenziert bewertet werden, wenn der Interessenkonflikt, der neben anderen Motiven den jeweiligen Regelungsanlass darstellt, allein als „dauerhaft“ klassifiziert wird.56 Einerseits bestehen schon generell Bedenken, Interessenkonflikte als „dauerhaft“ einzuordnen,57 andererseits greift eine eindimensionale, dem Begriff nach allein an der zeitlichen Dauer bzw. dem wiederholten Auftreten von Interessenkonflikten ausgerichtete Betrachtung im gegebenen Zusammenhang zu kurz. Der für Inkompatibilitäten maßgeblichen, „ex ante anzustellenden Prognose eines generellen Ausfalles als Aufsichtsrat“58, die den Maßstab für die hier abstrakt im Kontext von Interessenkonflikten zu ermittelnde vergleichbare Interessenlage bildet, wird sie in ihrem Gewicht nicht gerecht, da ein dauerhafter Interessenkonflikt zwar durchgehend existieren, gemessen an der gesamten Aufsichtsratstätigkeit aber eventuell nur eine untergeordnete Rolle spielen mag. Eine Umschreibung der gesetzlich geregelten Inkompatibilitäten als „besonders schwerwiegende Interessenkonflikte“59 ist indes nicht griffig genug und bedeutet ebenfalls nur eine eindimensionale Betrachtung (hier der Stärke des Interessenkonflikts). Zudem bestehen Bedenken gegenüber einer Abstufung von Interessenkonflikten auf einer Stärkeskala.60 Daher sollte auch nicht von „schwerwiegenden und dauerhaften Interessenkonflikten“61 gesprochen werden. Dennoch bestehen keine Zweifel, dass nicht jeder Inte­ ressenkonflikt automatisch auch eine Inkompatibilität darstellt,62 wird doch im Schrifttum treffend erfasst, dass das Charakteristikum der als Analogie­basis heranzuziehenden Vorschriften bei abstrakter Betrachtung in einem Interessenkonflikt zu sehen ist, „der eine korrekte Ausübung des Aufsichtsrats­amtes per se, von vornherein und auf Dauer unmöglich macht“63. 55  So allein Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 135. 56  So bei Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 44; dies voraussetzend offenbar auch Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 788. 57  Siehe oben § 2 C. IV. 1. 58  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 30. 59  Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 715 (synonym ebd., S. 694). 60  Siehe oben § 2 C. IV. 2. 61  Martinek, WRP 2008, 51, 58 und 60. 62  Zutreffend Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 28. 63  Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 515 (noch allein in Bezug auf §§ 100 Abs. 1 Nr. 2, 105 AktG).

118

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

Zugunsten des Verständnisses der vorhandenen Normen und für den Fall, dass sich die Haltung des Gesetzgebers zu weiteren Inkompatibilitäten aufgrund von Interessenkonflikten ändern sollte, ist ein Rückgriff auf das Kriterium der Frequenz der aus einem Interessengegensatz entstehenden Interessenkonflikte64 und zugleich auf dasjenige des relativen Ausmaßes des Inte­ ressenkonflikts65 anzuregen. In Empfehlung E.1 S. 3 DCGK, die in ihren Tatbestandsvoraussetzungen für beide Kriterien Pate stehen kann, ist wie schon in Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. die Beendigung des Aufsichtsratsamtes bei wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikten in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds vorgesehen. Daraus ist zu folgern, dass wesentliche und nicht nur vorübergehende – vorzugsweise zu bezeichnen als „wiederkehrende“66 – Interessenkonflikte mit der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat unvereinbar sind. Ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt lässt die Aufsichtsratstätigkeit gerade im Hinblick auf eventuelle Einschränkungen der Teilnahme- bzw. Mitwirkungsrechte durch hier gegebenenfalls permanent anzuordnende, repressive Interessenkonfliktmaßnahmen67 unmöglich erscheinen und sorgt faktisch für den generellen Ausfall des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds. Diese zweidimensionale Perspektive ist geeignet, die betreffend die Aufsichtsratstätigkeit untragbaren Konstella­tionen bzw. Umstände als solche zu identifizieren. Hinzu kommt jedoch das schon erwähnte prognostische Element, dass auch im Fall von Interessenkonflikten Geltung beansprucht:68 Dass es unter den jeweiligen Verhältnissen womöglich unmittelbar zu einem wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikt in der betreffenden Person kommt, muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorherzusagen sein. Das diesbezügliche Urteil muss dabei losgelöst vom Einzelfall und insbesondere der Person Gültigkeit beanspruchen können. Die Annahme einer vergleichbaren Interessenlage zur Begründung einer Inkompatibilität im Zusammenhang mit Interessenkonflikten setzt zusammengefasst voraus, dass unabhängig von der konkreten Person unter den für inkompatibel zu befindenden Umständen ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt in jeder Person vorprogrammiert ist, in welcher die Umstände vorliegen bzw. mit welcher sie verbunden sind.

64  Dazu

oben § 2 C. IV. 1. oben § 2 C. IV. 2. 66  Siehe oben § 2 C. IV. 1. 67  Im Einzelnen zur Reaktion auf im Aufsichtsrat auftretende Interessenkonflikte noch unten § 4 im Ganzen. 68  Im Ansatz zutreffend, jedoch in einem anderen Kontext und vor allem mit zu geringen Anforderungen Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 514, der es für entscheidend erklärt, „ob der Aufsichtsrat sich wahrscheinlich mit Fragen zu befassen hat, bei denen aufgrund [der Umstände] die Interessenkollision auftreten wird“. 65  Dazu



B. Kein Wettbewerbsverbot als Mittel zur Konfliktprävention 119

B. Kein Wettbewerbsverbot als Mittel zur Konfliktprävention Ein etwaiges Wettbewerbsverbot für alle Aufsichtsratsmitglieder kommt als Mittel zur Vermeidung von Interessenkonflikten von Aufsichtsratsmitgliedern, die infolge der Bindung an ein konkurrierendes Unternehmen auftreten, nicht in Betracht. Dabei stellen Wettbewerbsverbote eine geschäftsbezogene Erscheinungsform des Gebotes dar, Interessenkonflikte zu vermeiden.69 Sie sind präventiver Natur und sollen schon der Entstehung eines Interessenkonflikts entgegenwirken.70 Vorstandsmitglieder dürfen ohne Einwilligung des Aufsichtsrats weder ein Handelsgewerbe betreiben noch im Geschäftszweig der Gesellschaft für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen, § 88 Abs. 1 S. 1 AktG, und ohne Einwilligung auch nicht Mitglied des Vorstands oder Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer anderen Handelsgesellschaft sein, § 88 Abs. 1 S. 2 AktG.71 Ein Wettbewerbsverbot für Aufsichtsratsmitglieder kennt das Gesetz demgegenüber nicht.72 Der Aufsichtsrat vermag, da er keine geschäftlichen Entscheidungen mit Außenwirkung fällen kann, das Handeln der AG nicht eigenmächtig zu steuern, weshalb das Gefährdungspotenzial geringer ist und ein Wettbewerbsverbot unverhältnismäßig wäre.73 Auf den Aufsichtsrat ist § 88 AktG nicht (entsprechend) anwendbar.74 Dahinter steht der „Charakter des Aufsichtsratsamtes als Nebenamt […], das dem Aufsichtsratsmitglied die Tätigkeit bei anderen Unternehmen erlaubt“75. Einen entsprechenden Rückschluss gestattet auch § 105 Abs. 2 S. 4 AktG, der bestimmt, dass das Wettbewerbsverbot aus § 88 AktG für Stellvertreter nach 69  Kumpan,

Interessenkonflikt, S. 357. Interessenkonflikt, S. 359. 71  Die Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandats in einer anderen Gesellschaft durch Vorstandsmitglieder wird dagegen von § 88 Abs. 1 S. 2 AktG nicht erfasst, siehe nur Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, § 88 AktG Rn. 6. 72  Statt vieler Langenbucher, ZGR 2007, 571, 583; Marsch-Barner, in: ArbHdb­AR, § 13 Rn. 91 und 145; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 14. Indes ist in Empfehlung C.12 DCGK vorgesehen, dass Aufsichtsratsmitglieder keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben und nicht in einer persönlichen Beziehung zu einem wesentlichen Wettbewerber stehen sollen. 73  Vgl. Kumpan, Interessenkonflikt, S. 360 f. 74  Hopt, in: FS P. Doralt, 2004, S. 213, 219; Hüffer/Koch, § 88 Rn. 2; Kort, in: GK-AktG, § 88 Rn. 14; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 360 Fn. 18; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 100. 75  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 105 Rn. 38; vgl. auch Kort, ZIP 2008, 717, 722. Zur Einordnung des Aufsichtsratsamtes als Nebenamt bzw. Teilzeitberuf oben § 2 B. II. 70  Kumpan,

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§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

§ 105 Abs. 2 S. 1 AktG nicht gilt.76 Die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat eines konkurrierenden Unternehmens bedeutet kein Bestellungshindernis; die Wahl eines solchen Mitglieds ist weder nichtig noch anfechtbar.77 Unter der Voraussetzung, dass überhaupt ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Konzerngesellschaften anzunehmen ist, kommt ein Wettbewerbsverbot als Mittel zur Prävention von Interessenkonflikten nicht in Betracht.

C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention Zu einem bedeutenden Diskussionsgegenstand im Bereich der Corporate Governance ist die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern geworden.78 Anhand der Tatsache, dass „Unabhängigkeit“ bisweilen als Freiheit von Interessenkonflikten79 verstanden wird, zeigt sich, dass beide Bereiche, Unabhängigkeit und Interessenkonflikte, terminologisch wie auch thematisch eng bzw. gar untrennbar miteinander verknüpft sind.80 Eine konzise, vereinigende Definition des Begriffs der „Unabhängigkeit“ gibt es – von einzelnen Versuchen abgesehen – nicht.81 Das Aktiengesetz hilft an dieser Stelle nicht weiter. Auch deshalb ist bei den einzelnen Regelwerken, Vorschriften und Äußerun-

76  OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 89, der § 105 Abs. 2 S. 4 AktG aber in einer Art Zirkelschluss an anderer Stelle (ebd., § 105 Rn. 34) gerade als Folge des fehlenden gesetzlichen Wettbewerbsverbots darstellt; Heinzelmann, Mehrfachmandate, S. 89; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 145; U.  H. Schneider, BB 1995, 365, 367; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 100 Rn. 45 Fn. 175 m. w. N., jedoch fälschlicherweise unter Verweis auf § 105 Abs. 2 S. 2 AktG. 77  Vgl. oben § 3 A. im Ganzen. Entsprechende Satzungsregelungen sind gleichwohl möglich, siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 58 und 90. 78  Siehe aus der Vielzahl der Veröffentlichungen zur Unabhängigkeit etwa ­Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 136–208; Conzen, Unabhängigkeit und Diversity, S. 23–170; Nowak, Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds, passim; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, passim. 79  Beispielsweise spricht die Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern/ börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats (2005/162/EG), ABl. EU 2005 L 52, S. 51, in Erwägungsgrund 7 von der „Abwesenheit jeglicher signifikanter Interessenskonflikte [sic!]“. Siehe aber zur obigen Formulierung noch unten § 3 D. III. mit § 3 Fn. 187. 80  So bereits Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 92. Im Ergebnis auch Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Grds. 19 DCGK Rn. 2. 81  Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 802 Fn. 1. Nähere Ausführungen dazu finden sich aber bei Kumpan, Interessenkonflikt, S. 139 ff.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention121

gen (supra‑)nationaler Organe und Institutionen anzusetzen, die eine Forderung nach unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern enthalten.82 Es ist zu erörtern, wie die Unabhängigkeitsvorgaben des nationalen bzw. europäischen Gesetzgebers oder des DCGK zur Vermeidung von Interessenkonflikten beitragen (können). Hinter ihnen steht wie schon im Fall von Interessenkonflikten der Umgang mit anderweitigen Interessenbindungen von Aufsichtsratsmitgliedern, der Bindung an Interessen des Vorstands, an Inte­ ressen anderer externer Interessenträger oder an sachfremde Eigeninteressen.83 Es soll eine als negativ empfundene (Fehl‑)Leitung der Aufsichtsratsmitglieder bei ihrer Tätigkeit durch daraus folgende, außerhalb des Unternehmensinteresses liegende Beweggründe verhindert werden.84 Angesichts dessen ergibt sich auch die Gelegenheit, einen Bezug zum Begriff und zur Typologie von Interessenkonflikten85 herzustellen.

I. Keine Unabhängigkeitsvorgaben des Aktiengesetzes de lege lata und der bisherigen Rechtsprechung Die Unabhängigkeit einer Person wird als Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat ipso iure – vorbehaltlich spezialgesetzlicher Anforderungen – nicht verlangt.86 Eine gesetzliche Bestimmung des Begriffs der Unabhängigkeit findet sich nicht.87 Relevante aktienrechtliche Regelungen in diesem Zusammenhang, die die Unabhängigkeit indirekt und allgemein adressieren, sind § 100 Abs. 2 AktG und § 105 Abs. 1 AktG.88 Eine eigenständige abstrakte Forderung nach unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern hat auch die Rechtsprechung bislang nicht erhoben, wenngleich sie die Unabhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats als „zentrales Gebot einer effizienten Überwachung“89 betrachtet.

82  Allgemein zur tatbestandlichen Erfassung von Unabhängigkeitserfordernissen Kumpan, Interessenkonflikt, S. 148 ff. 83  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 5. 84  Ähnlich Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 5. 85  Dazu oben § 2 C. I. im Ganzen und § 2 C. IV. im Ganzen. 86  Übereinstimmend Bürgers, in: FS Marsch-Barner, 2018, S. 83, 84. Vgl. noch ausführlich unten § 3 C. II. 3. 87  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 100 AktG Rn. 41; Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 30 Rn. 5. 88  Kumpan, Interessenkonflikt, S. 206, und implizit Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 83. Näher zu diesen Vorschriften auch oben § 3 A. II. im Ganzen. Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 6, nennt noch die §§ 114, 115 AktG. 89  OLG München, NZG 2009, 508, 510.

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§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

II. Anforderungen der Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar 2005 Die EU-Kommission hat im Jahr 2005 eine Empfehlung betreffend die Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren und Aufsichtsratsmitgliedern90 erlassen. Gemäß Ziff. 2.6 werden explizit auch die Aufsichtsratsmitglieder des dualistischen Systems von der Empfehlung erfasst. Die in der Empfehlung enthaltenen, an die Mitgliedstaaten gerichteten Forderungen dienen dabei dem Schutz der Interessen der Aktionäre und der anderen Anspruchsgruppen („Stakeholder“)91 bzw. Dritter. Daraus resultiere das Erfordernis einer „effektive[n] und hinreichend unabhängige[n] Aufsicht“ über die Geschäftsführung.92 Denn – so die offensichtliche Annahme – nur oder jedenfalls vor allem unabhängige Aufsichtsratsmitglieder seien „in der Lage […], den Entscheidungen der Geschäftsführung entgegenzutreten“93. 1. Inhalt der Empfehlung der EU-Kommission Eine „hinreichend unabhängige Aufsicht“ betrachtet die EU-Kommission als gegeben, wenn die Aufsichtsratsmitglieder in ausreichender Zahl unabhängig sind.94 Dementsprechend wird von Ziff. 4 der Empfehlung der EUKommission eine ausreichende Zahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder vorgesehen. Einer genauen Bestimmung des entsprechenden Anteils unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder auf Gemeinschaftsebene stünden derweil die unterschiedlichen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten entgegen.95 Unabhängigkeit ist nach der EU-Kommission zu verstehen „als die Abwesenheit jeglicher signifikanter Interessenskonflikte [sic!]“96. In Ziff. 13.1 heißt es: „Ein Mitglied der Unternehmensleitung gilt als unabhängig, wenn es in keiner geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zu der Gesellschaft, 90  Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern/börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats (2005/162/EG), ABl. EU 2005 L 52, S. 51. 91  Vgl. stellvertretend zum Begriff Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 71 und 75, und Mk. Weber, in: Hölters, § 76 Rn. 21; zudem oben § 2 A. II. 92  Erwägungsgrund 7 der Empfehlung der EU-Kommission (§ 3 Fn. 90). 93  Erwägungsgrund 7 der Empfehlung der EU-Kommission (§ 3 Fn. 90). Für die vorliegende Deutung spricht der Gesamtzusammenhang des wiedergegebenen Passus. 94  Siehe Erwägungsgrund 8 wie auch Erwägungsgrund 15 der Empfehlung der EU-Kommission (§ 3 Fn. 90). 95  Erwägungsgrund 8 der Empfehlung der EU-Kommission (§ 3 Fn. 90). 96  Erwägungsgrund 7 der Empfehlung der EU-Kommission (§ 3 Fn. 90), siehe bereits § 3 Fn. 79.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention123

ihrem Mehrheitsaktionär oder deren Geschäftsführung steht, die einen Inte­ ressenkonflikt begründet, der sein Urteilsvermögen beeinflussen könnte.“ Die Mitgliedstaaten sollen dabei Kriterien für die Beurteilung der Unabhängigkeit definieren (Ziff. 13.2), wobei sie zwischen dem für die CorporateGovernance-Kodizes vieler Mitgliedstaaten üblichen „Comply-or-explain“Prinzip und dem Gesetzesweg wählen können97. Die Leitlinien in Anhang II der Empfehlung sollen berücksichtigt werden (Ziff. 13.2). Tendenziell gegen die Unabhängigkeit einer Person spricht auf diese Weise z. B. die in Anhang II Ziff. 1 S. 5 lit. a genannte Eigenschaft als geschäftsführendes Verwaltungsrats- bzw. Vorstandsmitglied der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft, einschließlich der Ausübung eines solchen Amtes innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Ein gewisses Ausschlussverhältnis von Unabhängigkeit und Interessenkonflikten ist demnach unmittelbar in Ziff. 13.1 der Empfehlung der EU-Kommission angelegt. Sofern vor dem Hintergrund der Empfehlung der EUKommission auf das Vorhandensein unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder in deren Sinne Wert gelegt wird, können damit einhergehend auch Interessenkonflikte im Aufsichtsrat jedenfalls bis zu einem bestimmten Grad vermieden werden. Jedoch ist angesichts des Wortlauts von Ziff. 4 der Empfehlung der EU-Kommission klar, dass nicht sämtliche Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sein müssen, wodurch die beschriebene Wirkung nicht zwangsläufig den ganzen Aufsichtsrat erfasst. Zudem werden etwaige Interessenkonflikte aufgrund abweichender Eigeninteressen oder aufgrund von Fremdinteressen, die außerhalb der genannten Beziehungen liegen, z. B. wegen einer Verbindung zu einem Geschäftspartner der Gesellschaft, nicht berührt. Ohnehin ist mit den genannten Vorgaben der Empfehlung der EU-Kommission noch nichts dazu gesagt, inwieweit diese in der Praxis überhaupt Verbindlichkeit entfalten. 2. Bedeutung der Empfehlung der EU-Kommission als solche Die Empfehlung der EU-Kommission hat selbst weder Rechtsqualität noch sind daraus zwingende Vorgaben abzuleiten. Nach Art. 288 Abs. 5 AEUV sind Empfehlungen und Stellungnahmen nicht verbindlich. Es besteht keine rechtliche Bindungswirkung.98 Ein Befehlscharakter ist zu verneinen. Ein aus 97  Ziff. 1.1 sowie Erwägungsgrund 4 der Empfehlung der EU-Kommission (§ 3 Fn. 90). 98  Biervert, in: Becker/Hatje/Schoo u. a., Art. 288 AEUV Rn. 37. Ohnehin bildet das monistische Verwaltungsmodell den primären gedanklichen Ausgangspunkt der Empfehlung der EU-Kommission, weshalb aus ihr eine tendenziell übermäßige Belastung für dualistisch strukturierte Unternehmen resultiert, die auf einzelstaatlicher Ebene eine Abweichung von der Empfehlung gestattet, sofern die Unabhängigkeit der

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§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

der Empfehlung resultierender Harmonisierungsdruck, wie er zum Teil angenommen wurde, konnte nur mit der allgemeinen Beobachtung begründet werden, dass Empfehlungen, denen nicht hinreichend nachgekommen wird, womöglich in Gestalt von Richtlinien Verbindlichkeit erlangen.99 Zwar ist die Empfehlung der Beleg dafür, dass sich die EU-Kommission mit dem Thema der Unabhängigkeit im Aufsichtsrat beschäftigt, weshalb zukünftige Bewegungen in diese Richtung nicht auszuschließen sind. Doch hat die Entwicklung auf europäischer Ebene bislang keine Fortsetzung gefunden: So behandeln etwa die Grünbücher100 der EU-Kommission aus den Jahren 2010101 und 2011102 das Thema der Unabhängigkeit als solches nicht. Infolge der Neufassung der Abschlussprüferrichtlinie103 haben die Mitgliedstaaten vielmehr die Möglichkeit erhalten, nach deren Art. 39 Abs. 5 n. F. von einem gesetzlichen Unabhängigkeitserfordernis104 hinsichtlich des Aufsichtsrats bzw. Prüfungsausschusses abzusehen.105 Insgesamt wurden die Vorgaben zur Unabhängigkeit damit eher gelockert. Gegenwärtig sind demnach keine Bestrebungen der EU-Kommission erkennbar, die Unabhängigkeitsvorgaben weiter zu verschärfen und sie für verbindlich zu erklären.

Aufsichtsratsmitglieder auf andere Weise gewährleistet wird, so Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 702. 99  Spindler, ZIP 2005, 2033, 2033 f.; ebenso Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 139. Im Ergebnis übereinstimmend Biervert, in: Becker/Hatje/ Schoo u. a., Art. 288 AEUV Rn. 37, wonach Empfehlungen oftmals „Vorstufe und Vorbedingung für den Erlass verbindlicher Rechtsakte“ sind. 100  Eine allgemein gültige Definition zum Begriff des Grünbuchs fehlt. Grünbücher enthalten typischerweise einen umfassenden Entwurf für eine EU-Politik auf einem bestimmten Feld, lassen die Optionen und Details im Einzelnen aber zugunsten einer Diskussion offen. Vgl. insofern Nemitz, in: Becker/Hatje/Schoo u. a., Art. 17 EUV Rn. 5. 101  EU-Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, KOM(2010) 284 endgültig (02.06.2010). 102  EU-Kommission, Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen, KOM(2011) 164 endgültig (05.04.2011). 103  Richtlinie 2014/56/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, ABl. EU 2014 L 158, S. 196. 104  So noch Art. 41 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/ EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl. EU 2006 L 157, S. 87. 105  Davon hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht, siehe statt aller Schüppen, NZG 2016, 247, 254, und im Übrigen noch unten § 3 C. II. 3.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention125

3. Bedeutung der Empfehlung der EU-Kommission vermittels nationaler Rechtsnormen Trotz der fehlenden Verbindlichkeit der Empfehlung der EU-Kommission selbst entfaltet diese insofern Bedeutung, als Empfehlungen von den Gerichten zur Auslegung nationaler Vorschriften heranzuziehen sind106. Von verbindlichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften abgesehen betrifft dies nationales Recht, das zur Durchführung von Gemeinschaftsrecht ergangen ist.107 Entsprechende Normen sind somit das Einfallstor dieser „quasi-normativen Wirkung“108 der EU-Empfehlung. Neben dieser auslegungsleitenden Wirkung von Empfehlungen stellt sich mit Blick auf die Verweisung auf die konkrete Empfehlung in Erwägungsgrund 24 der überarbeiteten Abschlussprüferrichtlinie109 die Frage, ob die Kommissionsempfehlung so bereits über eine richtlinienorientierte Auslegung mittelbare Geltung erlangt.110 Im Aktiengesetz wurde der Terminus der Unabhängigkeit im Hinblick auf Aufsichtsratsmitglieder nur einmal gebraucht.111 Der durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz112 eingefügte § 100 Abs. 5 AktG a. F. sah vor, dass bei Gesellschaften i. S. v. § 264d HGB mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss. Für solche kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften folgte daraus das Erfordernis eines sog. unabhängigen ­Finanzexperten.113 Der Unabhängigkeitsbegriff wurde dabei auch in § 100 Abs. 5 AktG a. F. nicht definiert. Stattdessen verwies die zugehörige Gesetzesbegründung auf jene Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar

106  EuGH, EuZW 1993, 287, 288; EuGH, NZA 1991, 283, 285; Biervert, in: Becker/Hatje/Schoo u. a., Art. 288 AEUV Rn. 37; Schroeder, in: Streinz, Art. 288 AEUV Rn. 128; dem entsprechend Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, 228. 107  Scholderer, NZG 2012, 168, 169. 108  Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, 228; ähnlich Habersack, in: FS Goette, 2011, S. 121, 127. 109  Richtlinie 2014/56/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, ABl. EU 2014 L 158, S. 196. 110  T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 295 f., der anmerkt, dass die in einer Gesetzesbegründung enthaltene Bezugnahme des deutschen Gesetzgebers auf eine europäische Empfehlung eine historische Auslegung begründet. 111  Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 5. 112  Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) vom 25.05.2009, BGBl. I 2009, S. 1102. 113  Zur Verwendung dieses Begriffs siehe exemplarisch Henssler, in: Henssler/ Strohn, § 100 AktG Rn. 1. Oftmals wird auch vom „Financial Expert“ gesprochen, so etwa bei Scholderer, NZG 2012, 168, 168.

126

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

2005 und auf Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.114 Durch § 100 Abs. 5 AktG a. F. erhielt die Unabhängigkeit – sieht man von dem inzwischen aufgehobenen § 6 Abs. 2a InvG a. F. ab115 – erstmals die Bedeutung eines allgemeinen gesetzlichen Tauglichkeitskriteriums.116 Die fehlende Definition des Unabhängigkeitsbegriffs im Gesetz führte zu „großen Interpretationsproblemen“.117 Auch und gerade deshalb wurde die Unabhängigkeit im Schrifttum vermehrt thematisiert.118 Seit Inkrafttreten des Abschlussprüfungsreformgesetzes119 fordert § 100 Abs. 5 AktG die Unabhängigkeit des weiterhin vorgesehenen Finanzexperten allerdings nicht mehr. Durch dieses wurde der persönliche Anwendungsbereich von § 100 Abs. 5 AktG erweitert und die Norm dahingehend geändert, dass die Mitglieder in ihrer Gesamtheit über Branchenkenntnis verfügen müssen, die Unabhängigkeitsvorgabe aber nicht weiter gilt. Dahinter steht Art. 39 Abs. 5 der Abschlussprüferrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten von den in Art. 39 Abs. 1 UAbs. 4 der Abschlussprüferrichtlinie enthaltenen Unabhängigkeitsanforderungen absehen können120. Der deutsche Gesetzgeber hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht, denn durch § 105 Abs. 1 AktG und die dadurch bedingte institutionelle Trennung von Prüfungsausschuss und Geschäftsleitung sei „bereits ein allgemein hohes Maß an Unabhängigkeit sichergestellt“.121 Damit soll unterstrichen werden, dass auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG erfüllen können und die strittige Frage ihrer Unabhängigkeit außen vor zu lassen ist.122 114  Siehe BegrRegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 101 f. Zu den Unabhängigkeitsvorgaben des DCGK noch unten § 3 C. III. im Ganzen. 115  Als Nachfolgeregelung kann aber § 18 Abs. 3 KAGB gelten, vgl. BegrRegE AIFM-UmsG, BT-Drucks. 17/12294, S. 212, und Winterhalder, in: Weitnauer/Box­ berger/D. Anders, § 18 Rn. 19. 116  Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, 221 f. 117  Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 801; übereinstimmend Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, 222 („virulente Frage [der] Auslegung“ des Unabhängigkeitsbegriffs); kritisch insoweit T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 441 f. 118  Monografisch zu § 100 Abs. 5 AktG a. F. etwa Bahreini, Der unabhängige Finanzexperte, passim; T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, passim; Nowak, Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds, passim. 119  Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG) vom 10.05.2016, BGBl. I 2016, S. 1142. 120  Siehe schon oben § 3 C. II. 2. am Ende. 121  BegrRegE AReG, BT-Drucks. 18/7219, S. 56. Siehe zudem schon oben § 3 C. II. 2. am Ende. 122  BegrRegE AReG, BT-Drucks. 18/7219, S. 56.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention127

Im Rahmen von § 100 Abs. 5 AktG hat die Empfehlung der EU-Kommission seither keine Relevanz.123 Auf die nicht unwesentlich weiteren Vorgaben des DCGK wirkt sich die Änderung von § 100 Abs. 5 AktG nicht aus.124

III. Empfehlungen des DCGK zur Unabhängigkeit Der DCGK adressiert als einen der Kritikpunkte an der deutschen Unternehmensverfassung in verschiedenen Regelungen die, wie befunden wird, mangelhafte Unabhängigkeit des Aufsichtsrats.125 Bei den Kodexempfehlungen handelt es sich nicht um rechtlich verbindliche Verhaltensanweisungen, sie entfalten aber Relevanz im Zuge der von § 161 Abs. 1 AktG geforderten Entsprechenserklärung, wenn auch nur für einen begrenzten Adressatenkreis.126 Der DCGK sieht vor, dass auf Anteilseignerseite127 eine nach deren Einschätzung angemessene Anzahl seiner Mitglieder unabhängig sein soll, Empfehlung C.6 Abs. 1 Hs. 1 DCGK.128 Dies war schon vor der jüngsten Änderung des DCGK – dabei allerdings ohne Beschränkung auf die Anteilseignerseite – Ziff. 5.4.2 S. 1 Hs. 1 DCGK a. F. zu entnehmen. Eine Definition des 123  So auch Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 85. Die zwischenzeitlich um § 100 Abs. 5 AktG ausgebrochene Diskussion (siehe etwa die in § 3 Fn. 118 genannten Beiträge aus dem Schrifttum) ist damit weitestgehend obsolet. Das aus einer vermeintlichen Verbindlichkeit der Empfehlung der EU-Kommission für den Unabhängigkeitsbegriff in § 100 Abs. 5 AktG a. F. folgende Schreckensszenario der Art, dass zumindest ein Aufsichtsratsmandat außerhalb des Einflusses des Mehrheitsaktionärs stehen muss und letztlich ein Minderheitsvertreter auf Anteilseignerseite eingeführt wird, steht letztlich nicht weiter zu befürchten. 124  Bezugnehmend auf die Fassung des DCGK vom 5. Mai 2015 BegrRegE AReG, BT-Drucks. 18/7219, S. 46. Entsprechend Schüppen, NZG 2016, 247, 254, und im Zusammenhang mit der aktuellen Fassung des DCGK weiterhin Hüffer/Koch, § 100 Rn. 25. Womöglich aber sei es nun leichter, an dieser Stelle im Rahmen der Entsprechenserklärung nach § 161 Abs. 1 AktG Non-Compliance zu erklären. 125  Im Einzelnen (mit Ausnahme des Einschubs) Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 33. 126  Siehe oben § 2 C. 127  Kritisch zu dieser Beschränkung etwa Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929, 958 f. und 995. 128  Die „angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder“ wird durch die quotalen bzw. zahlenmäßigen Vorgaben von Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 1 DCGK bzw. Empfehlung C.9 Abs. 1 DCGK konkretisiert, Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/ Ghassemi-Tabar, Empf. C.7, C.8 DCGK Rn. 1. Zu beachten ist auch die von Empfehlung C.10 DCGK vorgesehene (Teil‑)Unabhängigkeit einiger besonderer Funktionsträger. Zur schon bei Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. relevanten Frage nach einer Einschätzungsprärogative der Anteilseignerseite bei der Beurteilung der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder Busch/S. P. Link, ebd., Empf. C.6 DCGK Rn. 9 ff.

128

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

Unabhängigkeitsbegriffs enthielt der DCGK selbst bis zum Inkrafttreten der Fassung vom 16. Dezember 2019 nicht.129 Baums hat die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds als „innere Haltung“ beschrieben, „die gewährleistet, dass [das Aufsichtsratsmitglied] bei der Erfüllung seiner Aufgaben vorrangig das Unternehmensinteresse verfolgt, und, wo erforderlich, Entscheidungen des Vorstands oder des kontrollierenden Aktionärs und der ‚abhängigen‘ Aufsichtsratsmitglieder entgegentritt“130. Orientierung bot in der Vergangenheit Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.: Ausweislich dessen war ein Aufsichtsratsmitglied „insbesondere dann nicht als unabhängig anzusehen, wenn es in einer persönlichen oder einer geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft, deren Organen, einem kontrollierenden Aktionär oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“.131 Gleichwohl ergaben sich Schwierigkeiten im Umgang mit den Vorgaben des DCGK „[a]ngesichts dieser vom Normgeber bewusst in Kauf genommenen Unschärfe des Begriffs der Unabhängigkeit“.132

129  So auch OLG Celle, NZG 2018, 904, 906; Kremer, in: Kremer/Bachmann/ Lutter u. a., Rn. 1377. Anders zumindest dem Begriff nach etwa Stephanblome, NZG 2013, 445, passim, der fortwährend von der „Unabhängigkeitsdefinition“ des Kodex spricht. Zudem wird verbreitet von einer „Negativdefinition“ in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. gesprochen (siehe beispielsweise Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/ Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.6 DCGK Rn. 5, oder von der Linden, in: BeckHdb­AG, § 25 Rn. 69), was aber vermutlich primär aus Gründen der Praktikabilität geschieht. Der genannte Befund wird aber bestätigt durch die Begründung des Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019, S. 2, direkt verfügbar auf der Homepage der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, https://dcgk.de//files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/1912 16_Begruendung_DCGK.pdf (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020), wo es heißt: „Der Kodex hat bislang darauf verzichtet, eine positive oder negative Definition der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern […] festzulegen.“ 130  Baums, ZHR 180 (2016), 697, 702. 131  Speziell die Tatsache, dass auch eine Beziehung zum kontrollierenden Aktionär als möglicherweise unabhängigkeitsschädlich zu betrachten war, hat verbreitet Kritik hervorgerufen, die hier nicht im Einzelnen wiedergegeben wird. Siehe stattdessen die zusammenfassende Darstellung bei Koch, ZGR 2014, 697, 727, sowie die von Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 805 f., vorgebrachten Argumente. Eine Zusammenstellung kritischer Stimmen findet sich bei Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 173 Fn. 774. 132  Siehe (einschließlich des wörtlichen Zitats) OLG Celle, NZG 2018, 904, 906, welches das Merkmal der Unabhängig eines Aufsichtsratsmitglieds für „nicht hinreichend bestimmt“ hielt, um im relevanten Fall eine fehlerhafte Entsprechenserklärung „mit der im Sinne des Beschlussmängelrechts erforderlichen Eindeutigkeit festzustellen“; daneben der Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2017, 57, 60.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention129

In Empfehlung C.6 Abs. 2 DCGK heißt es nach der umfassenden Überarbeitung der Empfehlungen des DCGK zur Unabhängigkeit133 nunmehr, ein Aufsichtsratsmitglied sei „im Sinne dieser Empfehlung als unabhängig anzusehen, wenn es unabhängig von der Gesellschaft und deren Vorstand und unabhängig von einem kontrollierenden Aktionär ist“. Diese im Rahmen der Fassung des DCGK vom 16. Dezember 2019 neu geschaffene Vorgabe macht deutlich, dass die Beurteilung der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder schlussendlich von der kumulativen Unabhängigkeit von verschiedenen „Beziehungsadressaten“ abhängt.134 Es ist zwischen der Unabhängigkeit von der Gesellschaft und deren Vorstand und der Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Aktionär zu differenzieren. Auf beide geht der DCGK in der Folge näher ein: So ist gemäß Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK ein Aufsichtsratsmitglied „unabhängig von der Gesellschaft und deren Vorstand, wenn es in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“.135 Nach Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK ist ein Aufsichtsratsmitglied „unabhängig vom kontrollierenden Aktionär, wenn es selbst oder ein naher Familienangehöriger weder kontrollierender Aktionär ist noch dem geschäftsführenden Organ des kon­ trollierenden Aktionärs angehört oder in einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zum kontrollierenden Aktionär steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“.136 Insoweit existiert, da der Unabhängigkeitsbegriff nicht losgelöst vom Beziehungsadressaten definiert wird, auch weiterhin keine allgemeine, abstrakte Definition von „Unabhängigkeit“, auch nicht in Gestalt von Empfehlung C.6 Abs. 2 DCGK137. Dennoch enthält der DCGK mit den davor genannten Empfehlungen seit seiner letzten Änderung faktisch zwei (Positiv‑)Definitionen von Unabhängigkeit138 – genau genommen zweier Arten von Unabhängigkeit –, die durch den jeweiligen Beziehungsadressaten bestimmt werden: „Unabhängigkeit von der Gesellschaft und deren Vorstand“ und „Unabhänim Überblick von Werder, DB 2019, 1721, 1724 ff. dem entsprechenden Begriff ebenso Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/ Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.6 DCGK Rn. 6. 135  Zur Ergänzung dessen anhand der in Empfehlung C.7 Abs. 2 DCGK enthaltenen Indikatoren Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.7, C.8 DCGK Rn. 2–5 und 15 ff. 136  Kritisch zu der vom DCGK empfohlenen, so verstandenen Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Hüffer/Koch, § 100 Rn. 44. Die Diskussion wurde bereits zuvor mit Blick auf Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. geführt, siehe § 3 Fn. 131. 137  Insoweit unzutreffend Hopt/Leyens, ZGR 2019, 929, 959; von Werder, DB 2019, 1721, 1724 f. Anderenfalls wäre von einer fehlerhaften Zirkeldefinition auszugehen. 138  Im Ergebnis wie hier etwa Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 7. 133  Dazu 134  Mit

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§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

gigkeit vom kontrollierenden Aktionär“.139 Denkbar erscheint es allenfalls, aus der Zusammenschau von Empfehlung C.6 Abs. 2 DCGK, Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK das Verständnis des DCGK von „Unabhängigkeit“ abzuleiten,140 die dieser als solche wie erwähnt nicht definiert. Bereits im Hinblick auf Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. zeigte sich unbeschadet ihres näheren Gehalts anhand ihrer grundlegenden Ausrichtung, dass das mögliche Auftreten von Interessenkonflikten in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds zulasten seiner Unabhängigkeit geht. Die Bejahung der Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds im Einklang mit dem DCGK beinhaltete im Umkehrschluss die Annahme, dass in einem gewissen Umfang nicht mit Interessenkonflikten dieser Person zu rechnen ist. Diese Prägung des Unabhängigkeitsbegriffs durch die Frage nach dem (Nicht‑)Vorhandensein von Interessenkonflikten einer bestimmten Art wurde mit der neuen Fassung des DCGK beibehalten. Soweit die Unabhängigkeit dort definiert wird, kommt es unverändert darauf an, ob unter bestimmten Umständen ein wesentlicher und nicht nur vorübergehender Interessenkonflikt begründet werden kann. Der entsprechende Passus bzw. die entsprechenden Tatbestandsmerkmale findet bzw. finden sich wortgleich in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. wie auch in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK („Beziehung […], die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann“). Einzig die Satzstruktur ist getauscht worden, indem mittlerweile sprachlich nicht mehr davon ausgegangen wird, wann die Unabhängigkeit zu verneinen ist (es liegen Umstände vor, die einen entsprechenden Interessenkonflikt begründen können), sondern festgelegt wird, wann die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds anzunehmen ist (es liegen keine Umstände vor, die einen entsprechenden Interessenkonflikt begründen können). Dadurch, dass in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK auf das noch in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. enthaltene Wort „insbesondere“ verzichtet wird, welches dort das Konditionalgefüge einschränkte, erscheinen der offenbare Konnex und die 139  Wie hier offenbar, wenn auch nicht ausdrücklich, Busch/S. P. Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.6 DCGK Rn. 4. Von „zwei spezielleren Definitionen für […] Teilunabhängigkeiten“ spricht von Werder, DB 2019, 1721, 1725. 140  Dabei ergäbe sich: Ein Aufsichtsratsmitglied ist als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann, und es selbst oder ein naher Familienangehöriger weder kontrollierender Aktionär ist noch dem geschäftsführenden Organ des kontrollierenden Aktionärs angehört oder in einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zum kontrollierenden Aktionär steht, die einen wesentlichen und nicht nur vo­ rübergehenden Interessenkonflikt begründen kann.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention131

Verzahnung zwischen der Unabhängigkeit und wesentlichen, nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikten, die unter bestimmten Umständen begründet werden könnten, dabei sogar noch unmittelbarer als bislang.141 Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Wortlaut von Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK im Übrigen: Soweit in Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK alternativ auf die Eigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds oder eines nahen Familienangehörigen als kontrollierender Aktionär oder die Zugehörigkeit des einen oder anderen zum geschäftsführenden Organ des kontrollierenden Aktionärs abgestellt wird, werden damit nur Umstände formell-typisiert erfasst142, bei denen außer Frage steht, dass sie jeweils gleichermaßen einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen können. Dafür spricht schon in systematischer Hinsicht die anzunehmende Vergleichbarkeit der Tatbestandsalternativen von Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK. Zwar lässt der Wortlaut von Empfehlung C.6 Abs. 1 Hs. 1 DCGK und zuvor Ziff. 5.4.2 S. 1 Hs. 1 DCGK a. F. in gleicher Weise wie im Fall der Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar 2005 erkennen, dass nicht die Unabhängigkeit aller Aufsichtsratsmitglieder erwartet wird. Und vor allem sind die Empfehlungen des DCGK nicht rechtlich verbindlich.143 Die zuletzt 100-prozentige Befolgungsquote aller börsennotierten Gesellschaften betreffend Ziff. 5.4.2 S. 1 Hs. 1 DCGK a. F.144 macht gleichwohl deutlich, dass die Unternehmen dem Unabhängigkeitspostulat nachkommen wollen. In der praktischen Anwendung kommt so auch Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (wie zuvor Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) mit dem darin jeweils enthaltenen Querbezug zu Interessenkonflikten eine gesteigerte Bedeutung zu. 1. Kein schlussendlich überzeugendes Verständnis der Merkmale von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. sowie von Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK im Schrifttum Hinsichtlich Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK ist entscheidend, ob es aufgrund der darin beschriebenen Um141  Allenfalls im Ansatz Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.7, C.8 DCGK Rn. 6, welche sich mit der Feststellung begnügen, die Kriterien zur Beurteilung der Unabhängigkeit seien durch die Streichung des mit dem Wort „insbesondere“ verbundenen Beispielcharakters nun auf persönliche und geschäftliche Beziehungen beschränkt. 142  Dazu oben § 2 C. III. 1. 143  Insoweit zur Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar 2005 oben § 3 C. II. 1. bzw. § 3 C. II. 2. 144  von Werder/Danilov, DB 2018, 1997, 2003.

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§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

stände jeweils zu einem wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Inte­ ressenkonflikt kommen kann. Das galt so bereits zuvor im Zusammenhang mit Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F., weshalb die hier angestellten Erwägungen in die eine wie die andere Richtung übertragbar sind. Der Wortlaut macht einerseits ohne jeden Zweifel deutlich, dass die Beurteilung der Unabhängigkeit anhand (nur) potenzieller Interessenkonflikte erfolgt („begründen kann“).145 Dafür spricht nicht zuletzt ein Vergleich mit der vormaligen Formulierung des DCGK an dieser Stelle, wonach die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds davon abhängen sollte, dass „es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet [Hervorhebung durch den Verfasser]“146. Andererseits werden bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit des potenziellen Interessenkonflikts erhoben,147 welcher nämlich „wesentlich“ und „nicht nur vorübergehend“ sein muss. Bezüglich der einzelnen Merkmale wird – teilweise zum DCGK a. F. – vertreten, der Konflikt sei nicht nur vorübergehend bzw. „dauerhaft“, „wenn er nicht [eine] singuläre Interessenkollision betrifft, sondern sich über längere Abschnitte der Bestellperiode erstreckt“148. Trotz der anderenorts zu findenden Einordnung dessen unter den Begriff der „Zeitschiene“149 ist aus der Erläuterung, in deren Rahmen auf eine „nicht [nur] singuläre Interessenkollision“ abgestellt wird, jedenfalls zu schließen, dass der Interessenkonflikt nicht sachgegenständlich bzw. auf eine einzelne Situation oder Frage be145  Übereinstimmend Hüffer/Koch, § 100 Rn. 40 und 46; von der Linden, DStR 2019, 1528, 1530; ohne ausdrückliche Nennung des Begriffs Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.7, C.8 DCGK Rn. 12; zu Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a.  F. Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 194; Bayer, NZG 2013, 1, 11; Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 175 f.; Florstedt, ZIP 2013, 337, 339; Hasselbach/Jakobs, BB 2013, 643, 645; Heldt, in: Heidel, DCGK Rn. 63; Scholderer, NZG 2012, 168, 172. 146  So Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK in der Fassung des DCGK vom 26. Mai 2010, die im Zuge der nachfolgenden Kodexreform entscheidend geändert wurde, siehe die änderungsmarkierte Fassung des DCGK vom 15. Mai 2012, direkt verfügbar auf der Homepage der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, https://dcgk.de/files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/D_CorGov_Endfassung_ 2012_markiert.pdf (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). Auf das Vorliegen eines realen Interessenkonflikts kommt es im Rahmen der Unabhängigkeit seither nicht mehr an, siehe stellvertretend Paschos/Goslar, NZG 2012, 1361, 1362. 147  Übereinstimmend von der Linden, DStR 2019, 1528, 1530. 148  Hüffer/Koch, § 100 Rn. 40. Das ganz offensichtlich synonyme Verständnis von „nicht nur vorübergehend“ und „dauerhaft“ zeigt sich auch bei Koch, ZGR 2014, 697, 728, dort zu Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F., sowie bei von der Linden, DStR 2019, 1528, 1530. Von der „Langfristigkeit“ des Interessenkonflikts sprechen Busch/S. P. Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.6 DCGK Rn. 12. 149  Zu Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. Koch, ZGR 2014, 697, 728.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention133

grenzt sein soll.150 Hinsichtlich der Wesentlichkeit des Interessenkonflikts wird teilweise eine Betrachtung befürwortet, die an das Risiko auf Seiten des Aufsichtsratsmitglieds und den damit korrespondierenden Anreiz für das Aufsichtsratsmitglied anknüpft, die Interessen der Gesellschaft zugunsten anderweitiger, gegenläufiger Eigen- bzw. Fremdinteressen zu vernachlässigen.151 Woanders beschränken sich die Überlegungen darauf, der Begriff beinhalte eine „gewisse Relevanzschwelle“, was an entsprechender Stelle insofern spezifiziert wird, als es eines „starken“ Interessenkonflikts bedürfe.152 Insgesamt wird deutlich, dass – wie dies schon bei Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. der Fall war – im Einzelnen Schwierigkeiten bestehen, die in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK aufgeführten Merkmale plausibel zu definieren, und es umgekehrt keinen Konsens über die Bedeutung der Voraussetzungen dieser Kodexvorgaben gibt. 2. Eigener Ansatz: Übertragung des zu Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) entwickelten Begriffsverständnisses Richtigerweise ist in Übereinstimmung mit Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) anzunehmen, dass für Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (wie zuvor für Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) ein (potenzieller) wesentlicher und wiederkehrender Inte­ ressenkonflikt vorliegen muss. Ein solcher erfüllt die Voraussetzung eines „wesentlichen und nicht nur vorübergehenden“ Interessenkonflikts, dessen es trotz des unterschiedlichen Regelungszusammenhangs im Ergebnis nach allen genannten Vorschriften bedarf. Im Schrifttum wird zum DCGK a. F. teilweise vertreten, das wortgleich in Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. enthaltene Merkmal des „wesentlichen und nicht nur vorübergehenden“ Interessenkonflikts sei abweichend von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. zu verstehen.153 Andere sprechen sich aber zu Recht für eine Heranziehung des für Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. geltenden Begriffsverständ150  Auch Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1389, und – implizit – Heldt, in: Heidel, DCGK Rn. 63, setzen – noch bezogen auf Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. – die Begriffe „einzelfallbezogen“ und „vorübergehend“ gleich. 151  So etwa Hüffer/Koch, § 100 Rn. 40 und 46; ähnlich zu Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. Hasselbach/Jakobs, BB 2013, 643, 646 (siehe schon § 2 Fn. 271). 152  Siehe zu Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 176. Die im wörtlichen Zitat genannte Relevanzschwelle ist nicht zu verwechseln mit derjenigen, die richtigerweise als Teil des Interessenkonfliktbegriffs anzusehen ist (dazu oben § 2 C. I. 2.). 153  Siehe etwa Florstedt, ZIP 2013, 337, 339 Fn. 18; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1387 und 1480.

134

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

nisses bei Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. aus.154 Für ein paralleles Verständnis der Passagen spricht der vollkommen identische Wortlaut. Angesichts dessen und aufgrund des in Gestalt des Aufsichtsrats übereinstimmenden Kontexts wäre es aus der Sicht des Kodexanwenders schlichtweg unverständlich, den DCGK an den genannten Stellen unterschiedlich auszulegen. Auch Wilsing nimmt noch in Bezug auf den DCGK a. F. an, im Zweifel verwende der Kodex einen Begriff durchgängig mit einer einheitlichen Bedeutung.155 All dies kann und muss auf die aktuellen Kodexvorgaben übertragen werden.156 Die Annahme einer inhaltlichen, nicht nur wörtlichen Überschneidung zwischen Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) auf der einen Seite und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) auf der anderen Seite ist auch sachgerecht. Ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt zeichnet sich dadurch aus, dass ein Nacheinander oder auch ein Nebeneinander von Konfliktsituationen festzustellen ist und zugleich in der Gesamtbetrachtung die Tätigkeit des Konfligierten im Aufsichtsrat deutlich mehrheitlich von dem Interessenkonflikt tangiert wird.157 Dieser Zustand rechtfertigt es, von einer Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit insgesamt auszugehen, indem allein die Behandlung des Interessenkonflikts in der jeweiligen Situation den Aufsichtsrat wiederholt und insgesamt mit einem erheblichen Mehraufwand belastet und der Betroffene allzu häufig Einschränkungen seiner Teilnahme- bzw. Mitwirkungsrechte ausgesetzt ist, aufgrund derer er keinen oder nur einen signifikant verminderten Beitrag zur Gremiumsarbeit leisten kann. Konsequenterweise ist hier nach Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) auf eine Beendigung des Mandats hinzuwirken. Es überzeugt sodann, wenn mit der Bezugnahme auf potenzielle Interessenkonflikte in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (wie zuvor in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) auf die nicht allzu fernliegende Möglichkeit abgestellt wird, dass ein solcher Zustand während der Amtszeit der betreffenden Person eintritt158. 154  Siehe etwa Paschos/Goslar, NZG 2012, 1361, 1363. Dies voraussetzend Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 176, obschon er den hier behandelten Aspekt zuvor (ebd., S. 175) als ungeklärt bezeichnet. 155  Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 4. 156  Für ein insoweit einheitliches Begriffsverständnis ebenso Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 28, in diese Richtung möglicherweise von der Linden, DStR 2019, 1528, 1530. 157  Vgl. in der Gesamtschau oben § 2 C. IV. 1. und § 2 C. IV. 2. Die innerhalb des Satzes nicht einheitliche Reihenfolge der Merkmale und ihrer jeweiligen Bedeutungen ist dem von der Reihenfolge der obigen Darstellung abweichenden Wortlaut der Vorgaben des DCGK geschuldet. 158  Zum Begriff des potenziellen Interessenkonflikts oben § 2 C. IV. 3.



C. Unabhängigkeit als Mittel zur Konfliktprävention135

Auch punktuelle Interessenkonflikte beeinträchtigen die Arbeit des Aufsichtsrats, lassen sich aber nicht vollständig verhindern.159 Es ist auch deshalb sinnvoll, zugunsten der Unabhängigkeit einer angemessenen Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern (Empfehlung C.6 Abs. 1 Hs. 1 DCGK), die letztlich die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats insgesamt verbessern soll160, an genau diejenigen, besonders konfliktträchtigen Beziehungen161 anzuknüpfen, die den Aufsichtsrat mit einem Interessenkonflikt der genannten Art beschweren könnten. Die Anknüpfung an diese mögliche maximale Folgeerscheinung interessenkonfliktträchtiger Beziehungen schließt für die nach alledem unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder jedenfalls ex ante eine Vielzahl von Interessenkonflikten auf der Basis jener Grundkonstellationen aus. Diese Interessenkonflikte würden ansonsten den überwiegenden Teil der Tätigkeit des Betroffenen im Aufsichtsrat negativ beeinflussen. Gerade diejenigen Interessenkonflikte, durch welche „die Arbeitsfähigkeit des Aufsichtsrats insgesamt in Frage [ge]stellt“ wird, sollen von vornherein vermieden werden.162 Durch die hohen Anforderungen an die Art des potenziellen Interessenkonflikts kann einerseits das mit dem Unabhängigkeitspostulat verbundene Ziel effektiv verfolgt werden, andererseits wird nicht indirekt schon aus einzelnen Interessenkonflikten die überzogene Schlussfolgerung gezogen, jeder von ihnen stünde der Annahme der Unabhängigkeit des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds, gerade verstanden als dessen „geistige Unabhängigkeit“163, generell entgegen.164 Die Unabhängigkeitsvorgabe wäre ansonsten nur schwer zu 159  Vgl. insofern zur Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat oben § 2 B. im Ganzen. 160  Stellvertretend noch zu Ziff. 5.4.2 S. 1 DCGK a.  F. Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.4.2 Rn. 6. 161  Näher zu diesen noch im Zusammenhang mit Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a.  F. Reese/Ronge, AG 2014, 417, 419 f. 162  Wörtliches Zitat nach Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u.  a., Rn. 1480, noch im Zusammenhang mit Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. Der dort (und ebd., Rn. 1387, siehe schon § 3 Fn. 153) aufgestellten Behauptung, die unterschiedlichen Zielsetzungen von Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. und Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. würden, soweit sich der Wortlaut deckt, ein unterschiedliches inhaltliches Verständnis nahelegen (siehe schon oben zu Beginn dieses Abschnitts), ist insbesondere in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen nicht zu folgen. 163  Begriff nach Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1368. 164  Zurückzuweisen ist somit – nunmehr im Hinblick auf Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK – die jedenfalls unglückliche Bezeichnung der qualitativen Anforderungen an den potenziellen Interessenkonflikt in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. als „Bagatellschwelle“ bzw. „Bagatellgrenze“ (siehe Florstedt, ZIP 2013, 337, 339 Fn. 18, bzw. Hasselbach/Jakobs, BB 2013, 643, 646). Jene „Schwelle“ ist zudem nicht zu verwechseln mit derjenigen Relevanzschwelle, die richtigerweise als Teil des Interessenkonfliktbegriffs anzusehen ist (dazu oben § 2 C. I. 2.). Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist außerdem der noch zu

136

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

erfüllen. So aber wird gerade verhindert, dass die individuellen Anforderungen für die Erfüllung des Unabhängigkeitskriteriums insgesamt zu streng ausfallen.165 Umgekehrt kann die ermittelte Bedeutung der Merkmale von Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) dazu beitragen, dass ein Aufsichtsratsmitglied nicht vorschnell als abhängig betrachtet wird, was in gewisser Weise ebenfalls der Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat166 Rechnung trägt und außerdem die zum Teil geführten Diskussionen um die Sachgerechtigkeit von Art und Adressaten der ebendort als konfliktträchtig eingestuften Beziehungen167 entschärfen könnte.168 Ein Aufsichtsratsmitglied ist nicht als unabhängig i. S. v. Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (zuvor Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) anzusehen, wenn – von den übrigen nunmehr in Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK aufgezählten Umständen169 abgesehen – aufgrund einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung der darin genannten Art ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt entstehen kann.

D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 Insgesamt zeigt sich, dass der Ansatz, solche Personen von vornherein von der Ausübung eines Aufsichtsratsmandats fernzuhalten, die aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse absehbar in Interessenkonflikte geraten, jedenfalls de lege lata nur bedingt zum Tragen kommt. Auch wenn dies wegen der interessenpluralistischen Struktur des Aufsichtsrats an der Notwendigkeit eines adäquaten Umgangs mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat nichts ändert, kann dem Gedanken der Konfliktvermeidung letztlich nur eine eingeschränkte Bedeutung attestiert werden. In der Praxis bleibt es der Hauptversammlung unbenommen, durch Satzungsregelungen i. S. v. § 100 Abs. 4 AktG für die Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. geäußerten Kritik, nach der die „Regelungstechnik“ des DCGK an dieser Stelle „problematisch“ sei (Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 176), zu widersprechen. 165  Im Ansatz mit diesem Blickwinkel – noch bezogen auf Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.  – Hasselbach/Jakobs, BB 2013, 643, 645 f., und Heldt, in: Heidel, DCGK Rn. 63. 166  Dazu oben § 2 B. im Ganzen. 167  Vgl. § 3 Fn. 131 und die darin Genannten im Hinblick auf die Beziehung zum kontrollierenden Aktionär. 168  Bei einer gewissenhaften Subsumtion unter die Merkmale von Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (und zuvor von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) gemäß dem hier vertretenen Ansatz dürfte es nicht übermäßig häufig zu der Einordnung eines Aufsichtsratsmitglieds als abhängig kommen. 169  Eigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds oder eines nahen Familienangehörigen als kontrollierender Aktionär bzw. Zugehörigkeit des einen oder anderen zum geschäftsführenden Organ des kontrollierenden Aktionärs, näher dazu oben § 3 C. III.



D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2137

Anteilseignervertreter Eignungsvoraussetzungen bzw. Ausschlussgründe zu schaffen (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 6 AktG), durch welche Interessenkonflikten vorgebeugt werden soll.170

I. Verbindliche Ausschaltung konfliktträchtiger Personalia im Aufsichtsrat in nur überschaubarem Umfang Einen verbindlichen Ausschluss sicher vorhersehbar konfligierter Personen von der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat bewirken allein die wenigen im Ak­ tiengesetz enthaltenen Inkompatibilitätsnormen der §§  100 Abs.  2 S.  1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG. Ihre Anwendung auf andere Tatbestände im Wege der Analogie ist in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke nicht möglich. Von diesen Normen abgesehen ist die Bestellung auch konfliktgefährdeter oder gar absehbar konfligierter Aufsichtsratsmitglieder möglich. Aus (auch strukturellen) Interessenkonflikten folgt insofern kein Bestellungshindernis.171 Im Grundsatz kann dies auch nicht infrage gestellt werden, da die Annahme einer Inkompatibilität für die wohl mehrheitlich nur punktuellen Interessenkonflikte sachlich unangemessen wäre172. Ein Wettbewerbsverbot für Aufsichtsratsmitglieder kann ebenso nicht in Betracht gezogen werden. Die nicht durch das Aktiengesetz oder die Rechtsprechung, jedoch von der Empfehlung der EU-Kommission aus dem Jahr 2005 und Empfehlung C.6 Abs. 1 Hs. 1 DCGK (Ziff. 5.4.2 S. 1 Hs. 1 DCGK a. F.) vorgesehene Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern stellt jeweils nur eine gremiums­ bezogene Vorgabe der Art dar, dass nur ein gewisser Anteil aller Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sein muss. Unter dieser Prämisse bestehen keine individuellen Unabhängigkeitsanforderungen, zumal sowohl die Empfehlung 170  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  302  f.; vgl. ferner Langenbucher, ZGR 2007, 571, 586 f.; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  228 ff.; Wirth, ZGR 2005, 327, 346 f. Zu § 100 Abs. 4 AktG noch § 2 Fn. 119 und die dortigen Nachweise. 171  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 100 AktG Rn. 30; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 100 Rn. 21; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 50 und 89–91; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 133 ff.; Israel, in: Bürgers/Körber, § 100 Rn. 7; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 13b („nicht generell unzulässig“); Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 17; Simons, in: Hölters, § 100 Rn. 50 („keine generelle ‚Mandatsunfähigkeit‘ des Konfligierten“); a. A. im Fall der Absehbarkeit von Einschränkungen bzw. der absehbaren Notwendigkeit, das Mandat zu beenden, Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 100 Rn. 28. Der genannte Befund harmoniert mit der u. a. von Koch, ZGR 2014, 697, 700 f., angenommenen „Konflikttoleranz“ des Aktiengesetzes (dazu oben § 2 B. II. mit § 2 Fn. 166). 172  Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 49, der treffend feststellt, das Aktienrecht könne und müsse sich bei punktuellen Interessenkonflikten „damit begnügen, den Interessenkonflikt ebenfalls punktuell und zielgerichtet zu lösen“; des Weiteren Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 68.

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§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

der EU-Kommission als auch der DCGK nicht rechtlich verbindlich ist. Letztlich bestehen kaum obligatorische Vorgaben, die eine Ausschaltung von Interessenkonflikten bewirken würden. Eine Konfliktvermeidung erfolgt nur, soweit die Bestellungsorgane auf solche Aufsichtsratsmitglieder verzichten, die mit großer Wahrscheinlichkeit oder gar mit Sicherheit in Interessenkonflikte geraten werden. In diese Richtung zielen jedenfalls die Transparenz- und Offenlegungsbestimmungen in § 124 Abs. 3 S. 4 AktG und – für börsennotierte Gesellschaften – in § 125 Abs. 1 S. 5 AktG, die dem Bestellungsorgan die Kontrollüberlegung ermöglichen sollen, ob der Kandidat aufgrund seiner anderweitigen beruflichen Aktivitäten womöglich Interessenkonflikten ausgesetzt sein wird und ob daher von seiner Bestellung abgesehen werden sollte.173 Im Fall börsennotierter Unternehmen kommen hier Empfehlung C.13 S. 1 DCGK und Empfehlung C.14 DCGK hinzu. Von Bedeutung sind jedoch vor allem die Empfehlungen des DCGK zur Unabhängigkeit.174

II. Schaffung eines Querbezugs zwischen dem Unabhängigkeitspostulat im DCGK und Inkompatibilitäten im Aktiengesetz Eine nähere Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Inkompatibilitätsnormen bzw. Bestellungshindernissen und Vorgaben zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern gestattet unter Rückgriff auf die Typologie von ­Interessenkonflikten175 die Herstellung einer gedanklich-tatbestandlichen Verknüpfung zwischen den §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG und Empfehlung C.6 Abs. 1 Hs. 1 DCGK bzw. Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK. Auf einer abstrakten Ebene sind wesentliche und wiederkehrende Interessenkonflikte gedanklich bzw. tatbestandlich prägend sowohl für die Normen im Aktiengesetz176 als auch für die Kodexvorgaben177. Ist ein entsprechender Interessenkonflikt sicher vorherzusagen, ist es legitim, dass der Gesetzgeber die jeweilige Konstellation bzw. die ihr zugrunde liegenden Umstände für mit dem Aufsichtsratsamt unverein173  Vgl. BegrRegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17, wo daneben der Aspekt der Arbeitsbelastung bzw. -überlastung genannt wird. 174  Bis zum Inkrafttreten der jüngsten Fassung des DCGK war hier auch die Empfehlung in Ziff. 5.4.1 Abs. 2 S. 2 DCGK a. F. zu nennen, die vorsah, dass der Aufsichtsrat für seine Zusammensetzung auch potenzielle Interessenkonflikte berücksichtigen soll (näher dazu oben § 2 C. IV. 3. mit § 2 Fn. 290). 175  Dazu oben § 2 C. IV. im Ganzen. 176  Vgl. oben § 3 A. II. 2. 177  Vgl. oben § 3 C. III. 2.



D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2139

bar erklärt. Kann eine derartige Vorhersage nicht getroffen werden, besteht aber eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Interessenkonflikt jener Art, ist es zwar nicht gerechtfertigt, die Auswahlmöglichkeiten der Bestellungsorgane bei der Besetzung des Aufsichtsrats durch eine individuelle Ausschlussregelung zu verengen. Doch kommt es der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats zugute, wenn durch eine zahlenmäßige Vorgabe unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder einer kritischen Häufung solcher, ähnlich oder gleich gerichteter Wahrscheinlichkeiten für Interessenkonflikte vorgebeugt wird. Die Tatsache, dass sich jeder als wahrscheinlich zu betrachtende Sachverhalt auch realisieren kann, ist dabei natürlich eine Trivialität, trägt aber zur weiteren Verdeutlichung des nachvollziehbaren Grundgedankens des Unabhängigkeitspostulats bzw. Unabhängigkeitsverständnisses des DCGK bei. Die konsequente Verfolgung einer einheitlichen begrifflichen Systematik begünstigt auf diese Weise die Ermittlung und Entwicklung eines plausiblen Gesamtsystems zur rechtlichen Adressierung von Interessenkonflikten, wobei die Vorgaben des DCGK nicht nur, aber auch in sprachlicher Hinsicht eine veritable Hilfe bieten178.

III. Mögliche Folgerungen für das Verhältnis von Interessenkonflikten und Unabhängigkeit nach den Vorgaben des DCGK Auf der Basis der Erörterung von Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK, die Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. einschließt,179 können in dogmatischer Hinsicht Rückschlüsse auf das Verhältnis von Inte­ ressenkonflikten und Unabhängigkeit gezogen werden, das bisher selbst von einem erst kürzlich ausgeschiedenen Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex als „dogmatisch unklar“ und „im Detail unscharf“ bezeichnet wird180. Die „Unabhängigkeit“ kann zusammengefasst als Status der Freiheit von potenziellen Interessenkonflikten verstan178  Das gilt hier namentlich für Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.). Dem tendenziell widersprechend aber offenbar Koch, ZGR 2014, 697, 706, wonach Gerichtsentscheidungen, die den DCGK betreffen, nicht für eine Aus­ einandersetzung mit dem Begriff „Interessenkonflikt“ im Aktienrecht herangezogen werden können. 179  Oben § 3 C. III. 1. und § 3 C. III. 2. 180  Siehe Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1454, in Bezug auf die „Abgrenzung zwischen Interessenkonflikt und mangelnder Unabhängigkeit“. Siehe zu den ehemaligen Mitgliedern der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex deren Homepage, https://dcgk.de/de/kommission/ehemalige-mitglieder. html (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). Hiernach war Kremer Kommissionsmitglied von 2013 bis 2020.

140

§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

den werden:181 Ein Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig, wenn in seiner Person keine potenziellen Interessenkonflikte der geforderten Art und Schwere (mit dem in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK bzw. Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK genannten personalen Bezugspunkt) vorliegen. Dies war bereits zur Zeit der Geltung von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. tendenziell182 anzunehmen.183 Wenn jedoch anderweitige Interessen bestehen, die in einen hinreichend gewichtigen Konflikt mit dem Unternehmensinteresse geraten können, fehlt es an der Unabhängigkeit. Freilich ist das erst recht der Fall, wenn bereits im beurteilungserheblichen Zeitpunkt ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt vorliegt. Es muss betont werden, dass das (Nicht‑)Vorliegen der genannten potenziellen Interessenkonflikte in einer Person das ausschlaggebende Kriterium für die Beurteilung der Unabhängigkeit bildet.184 Ein potenzieller wesent­ licher und wiederkehrender Interessenkonflikt lässt die Unabhängigkeit entfallen. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen entsprechend gewichtigen Interessenkonflikt besteht. Dessen tatsächliches Auftreten verhindert das Unabhängigkeitspostulat aber gerade nicht, sofern die Person dennoch zum Aufsichtsratsmitglied bestellt wird, was ohne Weiteres möglich ist und bleibt. Abhängige Mitglieder werden nicht vollständig aus dem Aufsichtsrat ausgeschlossen. Einschränkungen ergeben sich aus der Sicht des DCGK ausweislich Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) erst, wenn sich das der jeweiligen Perähnlich Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 92. Einschränkung folgt aus der nicht abschließenden Formulierung von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. („insbesondere“). 183  Im Wesentlichen übereinstimmend Kumpan, Interessenkonflikt, S. 151; Scholderer, NZG 2012, 168, 171; ferner Diekmann/Bidmon, NZG 2009, 1087, 1090 (noch – formal nicht nachvollziehbar – zur Fassung des DCGK vom 18. Juni 2009). Zwar scheint bzw. schien Baums, ZHR 180 (2016), 697, 702, noch im Zusammenhang mit Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. davon auszugehen, nicht nur Interessenkonflikte, sondern etwa auch „eine dem Unternehmensinteresse widersprechende Beeinflussung seiner Entscheidungen durch andere Personen“ schließe die Unabhängigkeit aus, jedoch kann dem nicht gefolgt werden, da die Beeinflussung durch eine andere Person, soweit sie tatsächlich nicht mit dem Unternehmensinteresse übereinstimmt, eine Verbundenheit zu dieser Person voraussetzt, was dann aber schon einen (möglicherweise potenziellen) Interessenkonflikt wegen eines auf sie gerichteten Eigeninteresses begründet. Siehe zu der noch im Rahmen von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. diskutierten Frage der Relevanz von Drittbeziehungen für die Beurteilung der Unabhängigkeit Reese/Ronge, AG 2014, 417, 420 f. – angesichts der klaren, abschließenden Formulierung von Empfehlung C.6 Abs. 2 DCGK dürfte sich die Frage nach der jüngsten Änderung des DCGK aber nicht mehr stellen. 184  Die Annahme von Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 88, der Kategorisierung von tatsächlichen (konkreten) und potenziellen Interessenkonflikten komme nur eine begrenzte Bedeutung zu, greift daher zu kurz. 181  Ganz

182  Diese



D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2141

son attestierte Risiko realisiert.185 Dass es jemals dazu kommt, ist indes keineswegs sicher. Umgekehrt kann das Auftreten auch nur einzelner – zum Teil als „konkret“ bezeichneter – Interessenkonflikte nicht ausgeschlossen werden, was zuvorderst die als abhängig betrachteten Aufsichtsratsmitglieder betrifft, aber auch für Interessenkonflikte jedes sonstigen Ursprungs bei ihnen und Interessenkonflikte jeder Art auf Seiten derjenigen Aufsichtsratsmitglieder gilt, welche an sich als unabhängig angesehen werden.186 Auf die Umschreibung der Unabhängigkeit als Freiheit von potenziellen Interessenkonflikten (der in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK und zuvor in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. genannten Art) ist daher mit Blick auf die Kodexbestimmungen Wert zu legen.187 Nach alledem sowie in Anbetracht der nachvollziehbaren Überschneidung zwischen Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) auf der einen Seite und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) auf der anderen Seite188 ergibt sich, dass sich das Unabhängigkeitspostulat einschließlich der Aufzählung der unabhängigkeitsschädlichen Umstände in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) insbesondere wegen des Abstellens auf potenzielle Interessenkonflikte überzeugend in die Interessenkonfliktdogmatik einfügt.189 Das setzt allerdings ein entsprechendes Verständnis „potenzieller“ Interessenkonflikte voraus.190 Richtigerweise kennzeichnet das jeweilige Unabhängigkeitskriterium eine abstrakte Gefährdungslage hinsichtlich der Wahrung des Unternehmensinteresses und 185  Stellvertretend noch zu Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. Butzke, in: FS HoffmannBecking, 2013, S. 229, 233. Im Einzelnen zur bereits de iure angezeigten Beendigung des Aufsichtsratsmandats in diesen Fällen noch unten § 4 B. VI. im Ganzen. 186  Vgl. Bicker/Preute, in: Fuhrmann/Linnerz/Pohlmann, Ziff. 5 Rn. 224; Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 233. Das schließt solche Interessenkonflikte ein, die in keinem Zusammenhang zu den in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) genannten Umständen stehen (a. A. Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 14). 187  Die oben in § 3 C. eingangs erwähnte Formel ist somit im Ergebnis unvollständig und muss zwingend um das Wort „potenziell“ erweitert werden. Ein entsprechender Klammerzusatz, wie er bei Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 92, zu finden ist, genügt nicht. Wie hier Scholderer, NZG 2012, 168, 174. 188  Vgl. dazu oben § 3 C. III. 2. 189  In dieser Hinsicht ist Kritik, nach der die „Regelungstechnik“ in Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F. „problematisch“ sei (Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 176), zurückzuweisen. Gleiches gilt für die u. a. von Paschos/Goslar, NZG 2012, 1361, 1362 Fn. 4 m. w. N., geäußerte Kritik an der mit der Fassung des DCGK vom 15. Mai 2012 erfolgten Ausrichtung des Tatbestands auf potenzielle Interessenkonflikte (siehe oben § 3 C. III. 1. mit § 3 Fn. 146). 190  Im Einzelnen oben § 2 C. IV. 3.

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§ 3 Vermeidung von Interessenkonflikten

knüpft an eine solche an,191 weil die Maßgeblichkeit konkreter Situationen (etwa ein laufender Übernahmeversuch bei zeitgleicher Repräsentanz des Bieters im Aufsichtsrat) eine situationsbezogene Bewertung nach sich ziehen würde, welche weder praktikabel wäre noch der Funktion des Unabhängigkeitspostulats gerecht würde.192 Beschränkt auf einen Teil der Sitze sollen solche Personen nicht dem Aufsichtsrat angehören, die nicht allein aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten zum Beurteilungszeitpunkt nicht unabhängig sind, sondern während ihrer möglichen Amtszeit aufgrund anderweitiger Beziehungen vorhersehbar ein hinreichend großes Risiko in sich tragen, dass es ihrerseits zu wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikten kommt. Entscheidend ist die mittel- bzw. langfristige Perspektive mit dem aus verschiedenen Gründen verfolgten Ziel, einen zumindest im entsprechenden Umgang konfliktfreien Aufsichtsrat zu schaffen.193 Insoweit wirkt die Unabhängigkeitsvorgabe präventiv und fungiert als Mittel zur Konfliktvermeidung.194 Kommt es aber wie dargelegt infolge der tatsächlichen Gegebenheiten im Kontext der in Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK (Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK a. F.) genannten Beziehungen oder aus sonstigen Gründen zu Interessenkonflikten oder gar zu wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikten der abhängigen oder auch der unabhängigen Mitglieder, gilt dagegen das Programm zur Behandlung von bestehenden Interessenkonflikten195.

191  Vgl. Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. C.7, C.8 DCGK Rn. 12; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 7; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 151; Scholderer, NZG 2012, 168, 171; im Ansatz Koch, ZGR 2014, 697, 728. Vgl. zudem Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.4.2 Rn. 12, mit impliziter Kritik an der vormaligen Fassung des DCGK, die noch auf reale Konfliktsituationen abstellte (siehe oben § 3 C. III. 1. mit § 3 Fn. 146). 192  Vgl. T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 103. Nicht weitgehend bzw. deutlich genug Conzen, Unabhängigkeit und Diversity, S. 37, und Koch, ZGR 2014, 697, 728, wonach die die Berücksichtigung „auch“ potenzieller Interessenkonflikte „durchaus ratsam“ sein „kann“ bzw. die Anforderungen an die Konfliktlage niedriger angesetzt werden „können“. 193  Vgl. Koch, ZGR 2014, 697, 728 („zukunftsorientierte Stoßrichtung“). Näher zum Rechtsgrund und zum Zweck von Unabhängigkeitserfordernissen Kumpan, Interessenkonflikt, S.  141 ff. 194  Vgl. zugunsten dieser präventiven Funktion Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 802; Reese/Ronge, AG 2014, 417, 417; U.  H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 478. 195  Ausführlich dazu nachfolgend § 4 im Ganzen. Im Übrigen weist Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.4.2 Rn. 7, darauf hin, dass die mangelnde Unabhängigkeit als solche keinen Grund für eine Abberufung nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG darstellt.

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung: Der Pflichtenkatalog bei Interessenkonflikten im Aufsichtsrat Das Gesetz bietet bei der rechtlichen Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat keine unmittelbare Hilfe.1 Dieser grundlegende Befund verliert seine Gültigkeit auch nicht dadurch, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) Geschäfte von börsennotierten Gesellschaften mit nahestehenden Personen der Zustimmung des Aufsichtsrats bzw. eines von ihm bestellten Aufsichtsratsausschusses unterworfen wurden (§ 111b Abs. 1 AktG) und, soweit der Aufsichtsrat selbst darüber entscheidet, bei der Beschlussfassung diejenigen Aufsichtsratsmitglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben können, die an dem Geschäft als nahestehende Personen beteiligt sind oder bei denen die Besorgnis eines Interessenkonfliktes auf Grund ihrer Beziehungen zu der nahestehenden Person besteht (§ 111b Abs. 2 AktG). Die Regelung betrifft nur einen speziellen Einzelfall.2 Dass es aber generell einer rechtlichen Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat und dementsprechender Vorgaben bedarf, steht letztlich außer Frage.3 Es ist im Ausgangspunkt auf die Stufenfolge, den Katalog oder auch den Kanon von Maßnahmen4 zurückzugreifen, der verbreitet bei Interessenkonflikten im Aufsichtsrat vorgesehen wird.5 Ob einzelne Maßnahmen in Betracht kommen, wird zumeist unterschiedlich beantwortet. Typischerweise zu ihnen gezählt werden die Offenlegung des Konflikts, ein Stimmverbot bzw. eine 1  Vgl. übereinstimmend Dreher, JZ 1990, 896, 897 f.; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  66 f.; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1370. 2  Näher dazu noch unten § 4 D. im Ganzen. 3  Vgl. Spindler, ZIP 2005, 2033, 2039, und insbesondere oben § 2 C. II. 4  Vgl. auch Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1372 („Fünfstufige Reak­ tionsleiter“ bzw. „Pentalogisches Reaktionssystem“). Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 244, spricht von den „gängigen Repressionsmittel[n] für Interessenkonflikte“. 5  Vermutlich aufgrund der Tatsache, dass der Aufsichtsrat durch Beschluss entscheidet (siehe oben § 2 B. I. 2.), und zur Abgrenzung von Überlegungen in Bezug auf die Bedeutung von Interessenkonflikten für die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule (dazu noch unten § 5 C. im Ganzen) nennt Koch, ZGR 2014, 697, 713 bzw. 719 bzw. 725, all dies u. a. die „beschlussrechtliche Konfliktdogmatik“, die „beschlussrechtlichen Regeln“ bzw. das „beschlussrechtliche Instrumentarium“.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Pflicht zur Stimmenthaltung, ein Teilnahmeausschluss und/oder ein Entfall des Informationsrechts, das Ruhenlassen der Organstellung und schließlich die Niederlegung des Aufsichtsratsamtes bzw. die Abberufung des Konfligierten.6 Gewiss sorgt eine Konfliktbewältigung nicht dafür, dass der Interessenkonflikt dem Grunde nach entfällt, jedoch wird die dem Interessenkonflikt inhärente Gefahr für das Unternehmensinteresse isoliert, indem der Betroffene je nach Bedarf in unterschiedlicher Form in seiner Amtsausübung beschränkt oder von dieser entbunden wird. Dass explizite gesetzliche Vorgaben zu Interessenkonfliktmaßnahmen – sieht man von § 111b Abs. 2 AktG ab – letztlich vollständig7 fehlen, war und ist der Grund, diese zu entwickeln, und steht dahingehenden rechtsfortbildenden Überlegungen gerade nicht entgegen, soweit sie auf eine rechtliche Grundlage aufgebaut und mit den aktiengesetzlichen Rahmenbedingungen vereinbart werden können. Unter dieser Voraussetzung sind Rationalitäts- und Opportunitätserwägungen nicht nur erlaubt, sondern sollten zum Anspruch zählen, der an Überlegungen auf nicht normiertem Terrain zu stellen ist. Da jeweils „Interessenkonflikte“ der Auslöser von Maßnahmen und so gewissermaßen Tatbestandsmerkmal sind8, bestehen die Schwierigkeiten bei der Subsumtion unter den unbestimmten Rechtsbegriff des Interessenkonflikts unweigerlich fort. Dabei ist nicht zu verhehlen, dass einhergehend mit der vielfältigen Literatur zu gewissen Arten von Interessenkonflikten und zu Interessenkonflikten allgemein bereits zusammenhängende Ausführungen betreffend die möglichen Maßnahmen bei Interessenkonflikten (im Aufsichtsrat) vorhanden sind9 und dass diese zumindest hinsichtlich der schon genannten Alternativen, die überhaupt erwogen werden, durchaus Überschneidungen aufweisen. Gleichwohl weiß keine dieser Darstellungen gänzlich zu überzeugen. Ein klarer Handlungsleitfaden ist vor allem für die Praxis aus der vorhandenen Literatur und der wenigen Rechtsprechung in diesem Kontext nur schwer zu gewinnen.10 Einzelne (Detail‑)Fragen werden nicht oder nur unzureichend themati6  Vgl. im Wesentlichen und stellvertretend Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1373 ff., der die hier aufgeführte Abberufung des Konfligierten jedoch nicht gesondert als Maßnahme listet; im Überblick Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 49. 7  Nicht mehr als einen Anhaltspunkt bietet § 103 AktG, der die Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder u. a. bei Vorliegen eines wichtigen Grundes regelt – auch dort werden Interessenkonflikte aber nicht direkt angesprochen. 8  Vgl. zum insoweit einschlägigen entgrenzten Konzernbegriff oben § 2 C. III. 1. 9  Siehe etwa Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  65  ff., Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 91 ff., und Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1372 ff. 10  Das liegt nicht zuletzt daran, dass – wie Martinek, WRP 2008, 51, 59, konstatiert – das Schrifttum „sehr unübersichtlich und uneinheitlich“ ist.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts145

siert. Es ist eine dogmatisch und auch gemessen am Vokabular11 stringente Lösung zu entwickeln. In dem Bewusstsein um die fehlende rechtliche Bindungswirkung und den vor allem über § 161 Abs. 1 AktG begrenzten Adressatenkreis des DCGK12 verträgt sich diese Lösung im Idealfall mit allen Kodexbestimmungen, die den unmittelbaren Umgang mit Interessenkonflikten zum Gegenstand haben (siehe Empfehlung E.1 S. 1 DCGK, Empfehlung E.1 S. 2 DCGK und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK13).

A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts Anerkannt ist, dass Interessenkonflikte durch den Betroffenen offenzulegen sind.14 Es mag zwar vorkommen, dass in bestimmten Situationen ein vergleichsweise verlässlicher Rückschluss auf einen Interessenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds möglich erscheint.15 Doch ist das nicht die Regel.16 Vielmehr noch geht es zum einen um eine situationsadäquate Gefahrenabwehr, die nicht auf den Risiken und Unwägbarkeiten der vermeintlichen Erkennbarkeit durch Dritte basieren sollte. Indem der Konfligierte sich auf die Erkennbarkeit und ein Einschreiten durch Dritte verlässt, der Interessenkonflikt von diesen aber womöglich nicht erkannt und umgekehrt auf die Offenbarung möglicher unerkannter Interessenkonflikte gebaut wird, besteht die Gefahr, dass der Interessenkonflikt schließlich überhaupt nicht behandelt wird. Zum anderen entsteht unnötigerweise eine Unsicherheit bezüglich der Frage, wann die Umstände derart offensichtlich auf eine Konfliktlage hindeuten, dass der Interessenkonflikt erkennbar war bzw. als bekannt gelten kann und eine Offenlegung unterbleiben darf. Die Pflicht zur Offenlegung des Interessenkonflikts ist daher unabhängig von einer Erkennbarkeit des Konflikts durch Dritte.17 11  Zu Begriff, Dogmatik und Typologie von Interessenkonflikten oben § 2 C. im Ganzen. 12  Siehe oben § 2 C. 13  Zur Zeit der Geltung der Fassung des DCGK vom 7. Februar 2017 waren hier – in ihrem Wortlaut überwiegend identisch – Ziff. 5.5.2 DCGK a. F., Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. und Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. zu nennen. 14  Vgl. noch die zahlreichen Nachweise sogleich unten in § 4 A. I. 15  Das ist beispielsweise der Fall, wenn das Aufsichtsratsmitglied zuvor dem Vorstand angehörte und es um die nachträgliche Beurteilung der Vorstandstätigkeit geht (siehe aber die Regelung in § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG). 16  So konstatieren Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 144, zu Recht, Interessenkonflikte seien „oftmals für die anderen Organmitglieder nicht erkennbar“. 17  Ähnlich Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 179 f., der die treffende Frage aufwirft, wie ansonsten Klarheit darüber herrschen sollte, dass beispielsweise ein Aufsichtsratsmitglied eine freundschaftliche Beziehung mit einem der Vorstandsmitglieder unterhält (vgl. auch § 4 Fn. 16). Grundsätzlich auch Seibt, in: FS

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

I. Rechtliche Grundlage Ausdrückliche Erwähnung findet die Offenlegungspflicht im (Aktien‑)Gesetz nicht.18 In Empfehlung E.1 S. 1 DCGK ist dagegen ausdrücklich vorgesehen, dass jedes Aufsichtsratsmitglied Interessenkonflikte offenlegen soll. Bis zur jüngsten Änderung des DCGK war dies Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. zu entnehmen. Zum Teil wird vertreten, dass die Pflicht zur Offenlegung aus dem Gesetz folgt, ohne dass dies jedoch näher spezifiziert wird.19 Manche führen sie (auch) auf die organschaftliche Sorgfaltspflicht zurück.20 Die Begründung, dass der Gesellschaft Reputationsnachteile und Schäden durch entgangene Geschäftschancen und Risikoabschläge und -aufschläge drohen würden, wenn der bloße Anschein von Interessenkonflikten erweckt wird,21 was unausgesprochen der Sorgfaltspflicht zuwiderlaufen soll, wirft Zweifel auf: Mit derselben Erwägung ließe sich nämlich die gehörige Erfüllung jedweder Pflichten unter die Sorgfaltspflicht fassen. Nach der ganz herrschenden Ansicht ist die Offenlegungspflicht aus der allgemeinen, organschaftlichen Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder abzuleiten.22 Dahinter steht, dass die Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1373 f., der aber eine Ausnahme bei der erneuten Befassung mit einem Sachgegenstand vorsieht, wenn eine pflichtgemäße Offenlegung einmal erfolgt ist und erwartet werden kann, dass die übrigen Aufsichtsratsmitglieder bei sorgfältiger Amtsführung noch Kenntnis davon haben. Dem ist aus den genannten Gründen nicht zuzustimmen. Anders jedoch daneben Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 109 Rn. 26; des Weiteren (auch) im Kontext von Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. Dürr, in: Szesny/Kuthe, 6.  Kap. Rn. 66; Kocher/Freiherr von Falkenhausen, AG 2016, 848, 851; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1465; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 253; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 2 und 19. Möglicherweise ebenfalls abweichend R. Werner, BOARD 2016, 57, 60, der von der Offenlegung „verdeckter“ Interessenkonflikte spricht. Daraus lässt sich aber nicht zweifelsfrei ableiten, dass R. Werner bei Interessenkonflikten, die für andere, etwa die übrigen Aufsichtsratsmitglieder, erkennbar oder diesen bekannt sind, die Offenlegungspflicht für hinfällig hält. 18  Bezogen auf den Vorstand für eine Regelung de lege ferenda (konsequenterweise dann aber wohl auch für den Aufsichtsrat) Faßbender, NZG 2015, 501, 505. 19  So etwa bei Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 81, und bei Hopt, ZGR 2004, 1, 25. 20  Dürr, in: Szesny/Kuthe, 6. Kap. Rn. 66; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1371 f.; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 3 und 6; Theisen, Information und Berichterstattung, S. 63; Wagner, in: ArbHdbAR, § 2 Rn. 110; wohl ebenso Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 108, und Martinek, WRP 2008, 51, 63, die etwas undifferenziert von der „Sorgfalts- und Treuepflicht“ sprechen. 21  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1371 f. 22  Siehe Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 205 (zuvor schon ebd., S. 69 mit Fn. 282); Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145; Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 431; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 100; Habersack, in:



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts147

Treuepflicht das rechtsfunktionale Gegenstück zum treuhandspezifischen Machtüberhang des Interessenwahrers in Interessenwahrungsverhältnissen darstellt und die ordnungsgemäße Durchführung des Interessenwahrungsverhältnisses sichern soll. Insoweit fungiert sie als Generalklausel zur Gefahrenabwehr.23 Interessenwahrer ist vorliegend das Aufsichtsratsmitglied. Dementsprechend hat Empfehlung E.1 S. 1 DCGK wie die zuvor in Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. statuierte Empfehlung nur deklaratorische Bedeutung.24 Sie kann allerdings als Vorlage dienen, wenn die Offenlegungspflicht – ebenfalls klarstellend – in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats verankert wird.25

II. Bedeutung als notwendige Vorbedingung weiterer Maßnahmen und eigenständiger Beitrag zur Bewältigung des Konflikts Die Bestimmung in Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. wird zum Teil auf den Zweck zurückgeführt, dass der Aufsichtsrat den Interessenkonflikt eines Mitglieds erkennen und darauf adäquat reagieren kann26, zum Teil wird die Intention beschrieben, „dass die Konfliktsituation bei der Meinungs- und Willensbildung des Aufsichtsrates Berücksichtigung findet“27. Es geht jedenfalls um die Schaffung von Transparenz.28 All das hat sich mit der Einführung von Karlsruher Forum 2009, S. 5, 23; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 302; Kiem, in: FS Stilz, 2014, S. 329, 341; Koch, ZGR 2014, 697, 709 und 723; Lippert, Überwachungspflicht, S. 95 und 119; Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 420; Mertens/ Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 18; Nordhues, CFL 2010, 327, 328; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1371; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 48; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 29 Rn. 29.27; R. Werner, BOARD 2016, 57, 60 („im Zweifel“); Wiedemann, Organverantwortung, S. 28; implizit Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 16; womöglich auch Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 29, der den Zweck der Offenlegung in einer professionellen Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats sieht, und Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 53, die die Offenlegung unter dem Gliederungspunkt „Treuepflichten“ erwähnen; noch bezogen auf den Vorstand Blasche, AG 2010, 692, 697; Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 404. A. A. Dreher, JZ 1990, 896, 904; tendenziell auch Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1464. 23  Zum Vorstehenden Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 205; näher zum Zusammenhang zwischen Treuepflicht, Interessenkonflikt und Interessenkonfliktmaßnahmen siehe instruktiv ebd., S. 59 ff., insbesondere S. 76 f. und 79. 24  Zu Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. Habersack, in: Karlsruher Forum 2009, S. 5, 23 (dort fälschlicherweise als „5.5.3“ angegeben); Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 18. 25  Vgl. Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 81. 26  Vgl. Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145, und Mertens/Cahn, in: KKAktG, § 100 Rn. 18. 27  Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 53. 28  Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1462.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Empfehlung E.1 S. 1 DCGK, die Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. im Wesentlichen entspricht, nicht geändert29 und gilt auch, soweit die Offenlegungspflicht abseits des DCGK aus der Treuepflicht abzuleiten ist30. Hierdurch werde die dem Interessenkonflikt anhaftende Gefahr negativer Auswirkungen auf das Unternehmensinteresse signifikant reduziert oder gar eliminiert.31 Die Bedeutung der Offenlegung resultiert einerseits daraus, dass sie den Ausgangspunkt für andere Maßnahmen darstellt32 und somit die Grund­ voraussetzung eines angemessenen Umgangs mit Interessenkonflikten ist33. Derjenige Akteur, der Interessenkonfliktmaßnahmen veranlassen und gegebenenfalls durchsetzen darf, kann diese Funktion nur ausüben, wenn er überhaupt von der Existenz des Interessenkonflikts weiß. Ein substanzieller Verdacht oder gar die vermeintliche Evidenz aus der Sicht eines objektiven Dritten führt nicht etwa dazu, dass die Kenntnis des anordnungsbefugten Akteurs vorausgesetzt werden könnte.34 Andererseits kommt der Offenlegung auch eine eigenständige Wirkung zu: Sie bewirkt eine Selbstdisziplinierung des vom Interessenkonflikt betroffenen Organmitglieds, das sich selbst bezüglich des Vorliegens von Interessenkonflikten stärker hinterfragen wird.35 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Offenlegung auch für sich genommen als Interessenkonfliktmaßnahme gewertet werden kann: Ihr Anteil an der Abwehr der aus dem Interessenkonflikt resultierenden Risiken liegt allgemein darin, dass die übrigen Mitglieder des mehrköpfigen Organs, wenn sie infolge der Offenlegung um den Interessenkonflikt wissen, weniger stark gefährdet sind, durch den Betroffenen absichtlich oder unabsichtlich im Sinne des mit dem Unternehmensinteresse konfligierenden Interesses gesteuert zu werden.36 29  Vgl. die Ausführungen zu Empfehlung E.1 S. 1 DCGK von Busch/S. P. Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 12, und Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 33 Rn. 81. 30  Zur rechtlichen Grundlage der Offenlegungspflicht oben § 4 A. I. 31  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 144. 32  Dafür auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 179, und Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 103; implizit Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 33 Rn. 81; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 18 und 20. 33  Im Ergebnis Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 144 f.; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 103. 34  Vgl. dazu oben § 4 A. mit den in § 4 Fn. 17 Genannten. 35  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 180 (sowie 208), der dies nicht allein auf den redlichen Willen des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds, sondern auch auf die drohenden Konsequenzen eines Verstoßes gegen die Offenlegungspflicht (dazu noch unten § 5 im Ganzen) zurückführt. Zugunsten einer Selbstkontrolle im Gremium auch Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1374. 36  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 180 f., mit der zusätzlichen Überlegung, dass ein durch den Interessenkonflikt verursachtes beeinflussendes Ver-



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts149

III. Empfänger Zu klären ist, welchem Gesellschaftsorgan bzw. Akteur gegenüber der Interessenkonflikt offengelegt werden muss. Das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist Adressat der Offenlegungspflicht – als Adressat der Offenlegung kommen prinzipiell der Vorstand, der Aufsichtsrat, die Hauptversammlung aber auch ein einzelner Aktionär in Betracht. Der Vorstand ist das zentrale Organ der Geschäftsführung und verfügt als solches über weitreichende Kompetenzen.37 Hiervon ausgehend ist grundsätzlich an eine Stellung des Vorstands auch als Adressat der Offenlegung zu denken. Allerdings lässt sich eine entsprechende Zuständigkeit dem Aktiengesetz nicht entnehmen, während dem Aufsichtsrat die Überwachung des Vorstands zugewiesen wird (§ 111 Abs. 1 AktG). Angesichts dessen bestünde auch ein Widerspruch zur gesetzlichen Aufgabenverteilung, wenn der Kon­ trollierte im konkreten Fall den Kontrolleur kontrollieren würde.38 Eine Offenlegung gegenüber den Aktionären bzw. gegenüber der Hauptversammlung39 mit dem Gedanken der Beseitigung der aus Interessenkonflikten folgenden Gefahren ist aus praktischen Erwägungen abzulehnen: Die Aktionäre sind nicht zur Anordnung oder Durchsetzung von Interessenkonfliktmaßnahmen befugt und eine Hauptversammlung findet regelmäßig nur einmal im Jahr statt. Eine potenzielle Abberufung (§ 103 AktG) oder die Verweigerung der Entlastung (§ 120 AktG) wirken nur nachträglich, weshalb – sieht man von einer möglichen Disziplinierung durch die dem Aufsichtsrat auferlegte Rechenschaftspflicht gegenüber der Hauptversammlung ab – dem Ziel eines adäquaten Umgangs mit Interessenkonflikten gerade dann, wenn diese akut werden, nicht geholfen wäre.40 Außerdem steht einer Offenlegung gegenüber den Aktionären die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder enthalten des jeweiligen Organmitglieds oft schon gar nicht mehr stattfindet, da die selbstdisziplinierende Funktion der Offenlegung und die Furcht, einen unprofessionellen Eindruck im Umgang mit dem Interessenkonflikt zu erwecken, dem entgegenwirken. 37  Dazu oben § 2 A. I. 1. 38  Zum Ganzen Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 206, der weitere Argumente gegen eine Offenlegung gegenüber dem Vorstand vorbringt und hierbei u. a. darauf verweist, dass eine § 112 AktG entsprechende Regelung zur Verhinderung von Interessenkonflikten zugunsten des Vorstands nicht existiert (ebd., S. 207). 39  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 217, weist treffend darauf hin, dass sich eine Adressatenstellung der Aktionäre nicht aus einem originären Treueverhältnis zwischen diesen und dem Aufsichtsrat ergeben kann, sondern allenfalls aus der Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft (vgl. oben § 4 A. I.). Zu Empfehlung E.1 S. 2 DCGK siehe noch unten § 4 A. IV. 2. a). 40  Zum Ganzen Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 217 f.; in Teilen zudem Kumpan, Interessenkonflikt, S. 270 f.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

gegen, weil und soweit es sich bei Interessenkonflikten und ihrer Behandlung um Aspekte handelt, die der Gremienvertraulichkeit unterfallen.41 Damit verbleibt nur die Option, den Interessenkonflikt gegenüber dem Aufsichtsrat offenzulegen, wodurch aber noch nicht die Frage beantwortet ist, ob die Offenlegung unmittelbar gegenüber dem Gesamtgremium zu vollziehen ist oder ob der Aufsichtsratsvorsitzende auf die eine oder andere Weise als Empfänger fungiert und unter Umständen das Aufsichtsratsplenum informiert bzw. einschaltet. Möglicherweise muss auch der Konfligierte für eine Information des Aufsichtsratsplenums Sorge tragen. Das Gesetz bietet hier keine Anhaltspunkte. Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. konnte nur die Aussage entnommen werden, dass jedes Aufsichtsratsmitglied Interessenkonflikte „dem Aufsichtsrat gegenüber“ offenlegen soll. Das richtige Verständnis dieses Passus erschloss sich jedoch nicht auf Anhieb. Die Rechtsprechung hat sich mit der Frage soweit ersichtlich noch nicht befasst. 1. Der Meinungsstand betreffend den Empfänger der Offenlegung vor der DCGK-Reform 2020 Der Meinungsstand zur Frage des Empfängers der Offenlegung erweist sich insgesamt als ausgesprochen unübersichtlich, wenn man jedenfalls die diesbezügliche Festlegung des DCGK außer Acht lässt, welche mit der Änderung des DCGK im Jahr 2020 getroffen wurde42 und das Spektrum der vertretenen Ansichten in Zukunft prägen dürfte. Mit Blick auf Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. geht Hoffmann-Becking davon aus, dass der Konfligierte „in der Regel“ seiner Offenlegungspflicht gerecht wird, wenn er den Aufsichtsratsvorsitzenden informiert. Es liege dann an diesem, „nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und inwieweit er die anderen Aufsichtsratsmitglieder ins Bild setzt“.43 Für diese Lösung soll of41  Eingehend Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 218  ff. Offenbar vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Verschwiegenheitspflicht eine Ausprägung der Treuepflicht darstellt (siehe zum Vorstand – bei sinngemäßer Geltung für den Aufsichtsrat gemäß § 116 S. 1 AktG – oben § 2 A. I. 1.) konstatiert Berner (ebd., S. 221), die Treuepflicht gebiete nicht nur keine Offenlegung gegenüber den Aktionären (diesbezüglich übereinstimmend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 302), sondern verbiete (damit) eine solche vielmehr. Im Übrigen ist der Aufsichtsrat regelmäßig auch kompetenzmäßig nicht zur Offenlegung gesellschaftsinterner Informationen berechtigt (siehe wiederum Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 221 f., und vgl. Mader, Informationsfluss im Unternehmensverbund, S. 477 ff.). 42  Dazu noch unten § 4 A. III. 2. 43  Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 808. Für die grundsätzliche Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden (ohne Bezugnahme auf den DCGK) auch Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 234 („wohl nur ausnahmsweise“



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fenbar sprechen, dass so ein – abhängig von dem Grund für den Interessenkonflikt – unverhältnismäßig großer Eingriff in die Privat- bzw. Interessensphäre des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds vermieden wird, indem dieses sich nicht zwangsläufig gegenüber dem vollzähligen Plenum offenbaren muss.44 Im Ergebnis ähnlich äußert sich u. a. Habersack: „Grundsätzlich“ sei die Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden ausreichend; dieser müsse das weitere Vorgehen festlegen.45 Dem fügt er hinzu, dass der Aufsichtsratsvorsitzende „im Allgemeinen das Plenum informieren wird“46 – im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass eine entsprechende Pflicht zur Information des Plenums nicht angenommen wird. Ein Begründungsansatz geht dahin, auf die „Innenorganisation des Aufsichtsrats gem. § 107 Abs. 1 S. 1 AktG“ zu verweisen.47 Doch wird der Aufsichtsratsvorsitzende auch als „Ansprechpartner“ im Kontext der Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsrat gemäß Ziff. 5.5.2 DCGK a.  F. betrachtet, der „den Gesamtaufsichtsrat informiert“,48 was auf die Annahme einer dahingehenden Pflicht hindeutet. Nach abweichender Ansicht ist der Aufsichtsratsvorsitzende Offenlegungs­ adressat, auf dessen Verlangen hin sodann der Gesamtaufsichtsrat.49 Ein direkt gegenüber dem Plenum). Anders Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147 f., die dies nur auf der Basis einer dahingehenden Regelung in der Geschäftsordnung annehmen und eine Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsratsplenum verlangen (siehe noch weiter unten in diesem Abschnitt mit § 4 Fn. 54). 44  Siehe Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 808, mit dem Beispiel, dass bei einem möglichen oder sich anbahnenden Vertragsschluss mit einem anderen Unternehmen das Aufsichtsratsmitglied ein Verhältnis mit der Assistentin des Vorstandsvorsitzenden jenes Unternehmens hat. Allgemein zu den denkbaren Begleitfolgen der Offenlegung für das betroffene Aufsichtsratsmitglied und die Aufsichtsratsarbeit Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 181 f. 45  Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 100; übereinstimmend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 302; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 270; Nordhues, CFL 2010, 327, 328; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.67; ohne Einschränkung Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 104 und 204. 46  Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 100; übereinstimmend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 302; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 270; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 104 und 204; Nordhues, CFL 2010, 327, 328; siehe auch Bicker/Preute, in: Fuhrmann/Linnerz/Pohlmann, Ziff. 5 Rn. 300. 47  Siehe Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 104. 48  Siehe Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1468; übereinstimmend Nordhues, CFL 2010, 327, 328; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 20; ähnlich Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 203 f., wonach der Aufsichtsratsvorsitzende „in der Regel“ das Aufsichtsratsplenum informiert; ebenso Dürr, in: Szesny/ Kuthe, 6. Kap. Rn. 66, der ohne weitere Angabe von einer Information des Aufsichtsratsplenums ausgeht – offenbar erfolgt diese aus seiner Sicht in allen Fällen. Teils implizit Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 319; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 98. 49  Siehe Martinek, WRP 2008, 51, 63; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 3.

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weiterer Ansatz geht dahin, die Empfängerstellung des Aufsichtsratsvorsitzenden auf dessen (Primär‑)Zuständigkeit für Interessenkonfliktmaßnahmen zurückzuführen, die an entsprechender Stelle angenommen wird; der Aufsichtsratsvorsitzende befindet danach über das weitere Vorgehen und „kann“ u. a. den Konflikt gegenüber dem Aufsichtsratskollektiv offenlegen.50 Die Gegenposition vertritt offenbar Seibt, dem zufolge die Offenlegung „gegenüber sämtlichen Mitgliedern des jeweiligen Gremiums der Willensbildung (Gesamtgremium oder Ausschuss)“ – folglich gegenüber sämtlichen Aufsichtsratsmitgliedern – zu erfolgen hat.51 Dies lässt sich aber auch so verstehen, dass es Seibt auf jenes Ergebnis ankommt, ohne dass er es als zwingend erachten würde, dass der Konfligierte selbst sämtliche Aufsichtsratsmitglieder informiert. Demnach wäre auch ein Szenario denkbar, in welchem der Aufsichtsratsvorsitzende in irgendeiner Weise in die Information des Aufsichtsratsplenums eingebunden ist und insoweit als Informationsmittler zwischen dem Offenlegungspflichtigen und dem Aufsichtsratsplenum fungiert. Doch gehen auch weitere Stimmen betreffend die von Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. empfohlene Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsrat teilweise ausdrücklich davon aus, unter letzterem sei der Gesamtaufsichtsrat zu verstehen.52 Ergänzende Angaben erfolgen nicht, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass an entsprechender Stelle eine direkte Kommunikation gegenüber dem Aufsichtsratsplenum in den Blick genommen wird. Andere sehen den Zweck der Offenlegung darin, dass der Aufsichtsrat bzw. der Aufsichtsratsvorsitzende gegebenenfalls Maßnahmen zur Konfliktlösung initiieren können und, ebenso, dass die übrigen Mitglieder die Beiträge des Konfligierten angemessen beurteilen können53 – die Offenlegung „dem Aufsichtsrat 50  Siehe Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 216 f. Ebenso für eine Offenlegung primär gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden und nur ausnahmsweise direkt gegenüber dem Aufsichtsratsplenum, jedoch ohne nähere Begründung, Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 231 und 234. 51  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1373; schon zuvor für eine Offenlegung „dem Gesamtgremium gegenüber“ Seibt, AG 2003, 465, 472. 52  Siehe Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S.  423, 433; Marsch-Barner, in: ArbHdb­AR, § 13 Rn. 183; Pfitzer/Höreth, in: Pfitzer/Oser/Orth, S. 195. So wohl im Ergebnis auch Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 109 Rn. 4, die, unmittelbar nachdem von einer Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsrat gesprochen wird und ein Verweis auf Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. erfolgt, eine Diskussion des Interessenkonflikts im Gremium vorsehen, was möglicherweise auf eine direkte Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsratsplenum hindeutet. Ferner Kumpan, Interessenkonflikt, S. 259, siehe aber § 4 Fn. 45. 53  Siehe Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 18; mit letzterem Gedanken ebenso Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 108; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 546; Priester, ZIP 2011, 2081, 2082; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 63; vgl. möglicherweise auch Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 420.



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gegenüber“ muss gemessen daran als Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsratsplenum verstanden werden. Den wiedergegebenen Ausführungen ähnelt eine weitere Einschätzung im Schrifttum, wonach die Offenlegung „grundsätzlich [Hervorhebung durch den Verfasser] gegenüber dem gesamten Aufsichtsrat“ erfolgen muss.54 Der Verweis auf § 103 Abs. 3 S. 1 AktG55 dient auf die Weise offenbar einer Begründung, dass das Gesamtorgan schließlich auch antragsberechtigt und letztlich verantwortlich ist für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern aus wichtigem Grund. Der Konfligierte habe „dafür Sorge zu tragen, dass eine Information des Plenums erfolgt“.56 Es wird, wohlgemerkt, der ausdrücklich so bezeichnete Rat ausgesprochen, in der Praxis sei „eine Vorabinformation und Abstimmung mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden über den Umfang einer angemessenen Information des Plenums“ vorzunehmen.57 2. Herleitung des richtigen Empfängers der Offenlegung aus der Kompetenzverteilung zwischen dem Gesamtaufsichtsrat und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Die in der Vergangenheit zu verzeichnenden Unsicherheiten in Bezug auf den Empfänger der Offenlegung mögen Anlass für die mit der aktuellen Fassung des DCGK vom 16. Dezember 2019 vollzogene Klarstellung seitens der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex gewesen sein: So entspricht Empfehlung E.1 S. 1 DCGK im Wesentlichen Ziff. 5.5.2 DCGK a. F., wurde im Vergleich zu dieser jedoch erweitert, indem die Offenlegung nunmehr ausdrücklich gegenüber dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats erfolgen soll.58 In der Begründung zur neuen Fassung des DCGK heißt es: „Schon bei der Empfehlung in Ziff. 5.5.2 DCGK 2017 war es klar, dass Ansprechpartner für die Offenlegung von Interessenkonflikten bei Aufsichtsratsmitgliedern der Aufsichtsratsvorsitzende ist, der den Gesamtaufsichtsrat informiert. Die Offenlegung von solchen Interessenkonflik54  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145. Dagegen treffen Kocher/Freiherr von Falkenhausen, AG 2016, 848, 851, keine Festlegung bezüglich des Empfängers der Offenlegung; diese soll danach offenbar wahlweise gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden oder dem gesamten Aufsichtsrat erfolgen. 55  Siehe Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145. 56  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145. 57  Siehe Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145. 58  Insofern ist nicht nachzuvollziehen, dass Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 902, unverändert – nunmehr aber unter Verweis auf Empfehlung E.1 S. 1 DCGK und diese letztlich einschränkend – davon ausgehen, die Information der übrigen Aufsichtsratsmitglieder betreffend den Interessenkonflikt erfolge „ggf. über den Aufsichtsratsvorsitzenden“.

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ten erfolgt in der Praxis somit de facto zu Recht gegenüber dem Aufsichts­ ratsvorsitzenden.“59 Angesichts der bei näherer Betrachtung festzustellenden Vielzahl von Meinungen zu der Frage, wem gegenüber der Interessenkonflikt offenzulegen ist60, überrascht die These, schon bislang sei mit Blick auf Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. klar gewesen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende der Ansprechpartner für die Offenlegung von Interessenkonflikten ist. Selbst in der Stellungnahme des DAV zur neuen Fassung des DCGK („während der Kodex bislang in Nr. 5.5.2 DCGK 2017 die Offenlegung gegenüber dem ganzen Aufsichtsrat vorsieht“)61 muss – trotz der möglicherweise unglücklichen, nicht ganz eindeutigen Formulierung – statt einer wohlwollenden Kenntnisnahme der nunmehr vorgenommenen Klarstellung noch eher der Beleg für die auch vom DAV geteilte – und spätestens nach der Neufassung des DCGK unzutreffende – Annahme verstanden werden, dass Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. bislang tatsächlich die Offenlegung gegenüber dem ganzen Aufsichtsrat und damit gegenüber allen seinen Mitgliedern vorsah. Allein der Wortlaut von Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. ließ ein solches Verständnis bisher durchaus zu. In der Tat ist die jetzt unmissverständliche Formulierung des DCGK in Empfehlung E.1 S. 1 DCGK zu begrüßen. Mit deren Inkrafttreten kann die Frage nach dem Empfänger der Offenlegung des Interessenkonflikts für die Praxis, welche nicht zuletzt gemäß der Begründung zu Empfehlung E.1 S. 1 DCGK schon zuvor entsprechend verfahren ist, als abschließend geklärt gelten. Dass zur Zeit der Geltung von Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. in der Sache nichts anderes anzunehmen war, wird durch die Begründung zu Empfehlung E.1 S. 1 DCGK zwar vorgezeichnet. Eine tragfähige Erklärung für die Empfängerstellung des Aufsichtsratsvorsitzenden, die schon bislang erstaunlicherweise nicht zu existieren schien, liefert diese jedoch nicht. Einer solchen sind jedoch gleich mehrere Feststellungen vorauszuschicken, die mit ihr in einem engen Zusammenhang stehen und sie prägen: Erstens 59  Begründung des Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019, S. 12, direkt verfügbar auf der Homepage der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, https://dcgk.de//files/dcgk/ usercontent/de/download/kodex/191216_Begruendung_DCGK.pdf (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). 60  Siehe oben § 4 A. III. 1. 61  Handelsrechtsausschuss und Ausschuss Corporate Social Responsibility und Compliance des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2019, 252, 255, zum Entwurf eines geänderten Deutschen Corporate Governance Kodex der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex vom 25.10.2018. Der Entwurf ist direkt verfügbar auf der Homepage der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, https://dcgk.de/de/konsultationen/archiv/konsultation-2018/19.html? file=files/dcgk/usercontent/de/Konsultationen/2019/181106%20Entwurf%20ueber arbeiteter%20DCGK.pdf (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020).



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kann abschließend nur das Gericht über das Vorliegen eines Interessenkonflikts entscheiden, jedoch muss (insofern vorläufig) auch innerhalb der Gesellschaft jemand zur (bis dahin) verbindlichen Entscheidung darüber berufen sein, ob ein Interessenkonflikt gegeben ist62. Das ist jedenfalls nicht das einzelne Aufsichtsratsmitglied.63 Zweitens und auf die gleiche Weise muss es einen Akteur geben, der gegebenenfalls zu ergreifende Interessenkonfliktmaßnahmen festlegt, womit zugleich die Kompetenz zur Verhängung der entsprechenden Maßnahmen in das Blickfeld rückt. a) Allgemeine Möglichkeit zur Begründung einer Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten Die Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden werden im Aktiengesetz nicht zusammenhängend in einer Vorschrift, sondern nur punktuell erwähnt und hierbei nicht abschließend geregelt.64 Neben den ihm ausdrücklich zugewiesenen Pflichten und Kompetenzen65 hat der Aufsichtsratsvorsitzende diejenigen Aufgaben und Befugnisse, die für gewöhnlich in der Hand des Vorsitzenden eines Kollegialorgans liegen66.

62  Vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 211 f. Zum nur vorläufigen Charakter der Entscheidung auch Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386. 63  Vgl. zu Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. und Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. Seibt, AG 2003, 465, 472. 64  Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 44; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 8; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 84 – zu nennende Normen sind u. a. §§ 90 Abs. 1 S. 3, Abs. 5 S. 3, 107 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 2, 110 Abs. 1 S. 1 und 176 Abs. 1 S. 2 AktG, exemplarisch für die Mitwirkung bei der Anmeldung von Kapitalmaßnahmen zum Handelsregister § 188 Abs. 1 AktG. 65  Abgesehen von den gesetzlichen Regelungen im Aktiengesetz sind mitbestimmungsrechtliche Vorschriften und solche in der Satzung und der Geschäftsordnung zu nennen, siehe stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 44. Zu den satzungsmäßigen Kompetenzen zählt für gewöhnlich die Leitung der Hauptversammlung, siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 107 Rn. 8. 66  Allg. A., siehe stellvertretend Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 338; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 19; Hüffer/Koch, § 107 Rn. 8; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 44; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 55; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 677; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 40; C. Schlitt, DB 2005, 2007, 2008; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.7. Für viele der Genannten prägend ist die amtliche Begründung zu § 92 AktG 1937, abgedruckt bei Klausing, AktG 1937, S. 78. Kritisch dazu Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S.  27 ff.

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aa) Grundlagen der Kompetenzverteilung zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Aufsichtsratskollektiv Keine ausreichende Beachtung findet oft die Tatsache, dass ein Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats(‑kollektivs) und der Leitungskompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden67 besteht, das bei näherer Betrachtung als Regel-Ausnahme-Verhältnis68 einzuordnen ist. Diese Tendenz lässt sich trotz des wenigen Normmaterials auch dem Gesetz entnehmen: Grundsätzlich werden dem Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit Kompetenzen verliehen, während die punktuelle Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden auf die enumerativ genannten Fälle beschränkt ist69. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass das Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats den begrenzenden Faktor der ­Leitungsbefugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden bildet. Dahinter steht das Recht, aber auch die Pflicht des Aufsichtsrats, vorbehaltlich gesetzlicher Vorschriften das eigene Verfahren und die eigene Organisation selbst zu gestalten.70 Relevant ist dies vor allem für organisatorische Fragestellungen, welche durch obligatorische Ge- und Verbotsvorschriften nicht angemessen bewältigt werden können.71 Durch entsprechende Abreden und Maßnahmen hat der Aufsichtsrat seine Arbeitsfähigkeit und ein effizientes Organhandeln zu gewährleisten, sodass er die ihm gesetzlich verliehenen Aufgaben in ­adäquater Weise erfüllen kann.72 Das Ermessen bezüglich der Ausgestaltung der eigenen Organisation umfasst beispielsweise die Entscheidung über die Bildung und die Zusammensetzung von Ausschüssen,73 aber auch die 67  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 212; in der Sache auch Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 41. 68  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 212; in diesem Sinne wohl auch Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386. 69  Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 524 f., bezogen auf die Kommunikation des Aufsichtsrats. 70  Habersack, in: MüKoAktG, Vor § 95 Rn. 16  f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 654; zur entsprechenden Pflicht auch von Schenck, in: ArbHdbAR, § 1 Rn. 41; die „Möglichkeit“ der Verfahrensgestaltung betonend auch Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 41. Näher dazu Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 625 ff. m. w. N. 71  Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 626; im Ansatz auch Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 254. 72  BGH, NJW 1982, 1525, 1527; Habersack, in: MüKoAktG, Vor § 95 Rn. 16; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 254. Im Einzelnen Habersack, ZSR 2005 II, 533, 564 f., und von Schenck, in: ArbHdbAR, § 1 Rn. 41 f. 73  Vgl. Hüffer/Koch, § 107 Rn. 22 und 23; ebenso und zu weiteren Facetten des Selbstorganisationsrechts im Hinblick auf die anvisierte Effizienz des Handelns des Aufsichtsrats Habersack, in: MüKoAktG, Vor § 95 Rn. 16.



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­ ntscheidung über den Umgang mit Interessenkonflikten soll darunter falE len74. bb) Überblick über die Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden Die Aufteilung der einzelnen Aufgaben des Aufsichtsratsvorsitzenden variiert im Schrifttum mitunter stark,75 doch lassen sie sich grosso modo am ehesten zwei Bereichen zuordnen:76 Einerseits leitet und koordiniert der Aufsichtsratsvorsitzende die Tätigkeit des Aufsichtsrats, andererseits hat er eine unterschiedlich ausgeprägte repräsentative Funktion. Die Leitung und Koordination der Aufsichtsratstätigkeit durch den Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgt innerhalb und außerhalb von Sitzungen und betrifft auch die Arbeit von Ausschüssen.77 Der Aufsichtsratsvorsitzende ist somit zuständig für die Einberufung der Sitzung78 und ihre Vorbereitung79 einschließlich der Festlegung und Bekanntgabe der Tagesordnung80. Hinsichtlich der Sitzung an sich bestimmt er über ihren Ablauf81 und leitet die Diskussion82 74  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, Vor § 95 Rn. 16; für eine entsprechende Organisationspflicht, jedoch ohne das Selbstorganisationsrecht begrifflich zu erwähnen, auch Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 181. 75  Siehe exemplarisch Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 16 ff., und wohl dem folgend u. a. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 210; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 19; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 677: Drei Bereiche (interne Verfahrensleitung, Repräsentation gegenüber Vorstand und Hauptversammlung, Repräsentation der Gesellschaft). Auch Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 48, will in drei Bereiche gliedern, die allerdings unterschiedlich zugeschnitten sind. Anders Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 19 ff. (zwei Bereiche), und von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 38 (vier Bereiche). 76  Im Grundsatz übereinstimmend Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 19 ff. 77  Vgl. stellvertretend Breuer/Fraune, in: Heidel, § 107 AktG Rn. 9; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 107 Rn. 12; Hüffer/Koch, § 107 Rn. 8. 78  Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 51; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 31; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 105. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht danach nicht, entnehmen lässt sich dies aber § 110 AktG. Letzterer bildet zugleich den Rahmen für die Entscheidung, ob, wann und wie oft Sitzungen stattfinden, siehe Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 105. 79  Im Einzelnen statt vieler Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 34. 80  Statt aller Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 32; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 106; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 9. 81  Stellvertretend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 126 und 131, und Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 46 und 48. 82  Stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 56; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 9; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 56; zur Diskussionskultur Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 141 f.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

und die Beschlussfassung83. Er muss die Anfertigung einer Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung sicherstellen und die Verwahrung der Aufsichtsratsprotokolle besorgen, wobei er den Vorstand einbinden kann.84 Im Allgemeinen hat er für die Recht- und Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens und die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Aufsichtsrats zu sorgen.85 Ihm obliegt dabei auch die Entscheidung von Rechtsfragen im Kontext der vom Aufsichtsrat zu treffenden Entscheidungen.86 Geht es um Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden in Verfahrensfragen hinsichtlich der genannten Gegenstände, unterliegt dieser einer Kontrolle durch das Aufsichtsratsplenum, das seine Entscheidungen aufheben und abweichende Entscheidungen treffen kann.87 Darin kommt das Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats zum Ausdruck,88 das die Befugnis des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Disposition über Verfahrensfragen begrenzt89. Ausgelöst durch den Widerspruch eines Aufsichtsratsmitglieds gegen das vom Aufsichtsratsvorsitzenden vorgesehene Verfahren entscheidet der Aufsichtsrat dann per Beschluss.90 Nach umstrittener, aber herrschender Ansicht unterliegen seine Entscheidungen in Rechtsfragen dage-

83  Stellvertretend Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 57 ff.; Hopt/ M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 132. 84  Statt vieler Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, §  107 Rn. 40, und von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 104 f. und 157. 85  Allg. A., Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 55; Henssler, in: Henssler/ Strohn, § 107 AktG Rn. 9; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 42; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S.  65 ff.; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 156  ff.; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 107 Rn. 55. 86  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 19; Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 9; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 42. 87  Allg. A., Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 19; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 53; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 61; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 9; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 120; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 89 und 104 ff.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 707; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 41; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S.  79 ff.; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 79 und 169. Davon ausgenommen sind dem Aufsichtsratsvorsitzenden exklusiv verliehene Entscheidungsbefugnisse, etwa nach § 109 Abs. 2 AktG, siehe statt aller Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 9. 88  Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 53; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 35; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 120. 89  Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 9. Siehe auch oben § 4 A. III. 2. a) aa). Bis dahin trägt der Aufsichtsratsvorsitzende jedoch als Impulsgeber maßgeblich zur Selbstorganisation des Aufsichtsrats bei, vgl. Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 748. 90  Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 40 und 78; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 54; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 707; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 79 und 169.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts159

gen nicht der Revision durch das Aufsichtsratsplenum,91 sodass nur eine gerichtliche Überprüfung in Betracht kommt. Die repräsentative Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden umfasst vor allem das Auftreten für den Aufsichtsrat gegenüber anderen Organen und bisweilen gegenüber der Öffentlichkeit, daneben die Vertretung der AG in bestimmten Fällen. Ihm obliegt die Informationsvermittlung zwischen dem Aufsichtsrat und den anderen Organen der AG:92 Insbesondere fungiert der Aufsichtsratsvorsitzende als ständiger Ansprechpartner und Berater des Vorstands und unterhält zu diesem eine laufende Kommunikation.93 Dabei ist er Adressat für Berichte aus sonstigen wichtigen Anlässen nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG. Nach § 176 Abs. 1 S. 2 AktG soll der Aufsichtsratsvorsitzende zu Beginn der Hauptversammlung den Bericht des Aufsichtsrats erläutern.94 Daneben repräsentiert er den Aufsichtsrat gegenüber der Öffentlichkeit,95 wobei zuletzt vor allem die Zulässigkeit der Kommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden mit Investoren im Zentrum der Diskussion stand96. Schließlich 91  Für eine ausschließliche Entscheidungskompetenz (h. M.) Drinhausen/MarschBarner, AG 2014, 337, 338; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 53; HamblochGesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 31 und 35; Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 31 Rn. 58; Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 9; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 42; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 88 sowie 160 und 168; C. Schlitt, DB 2005, 2007, 2008; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 107 Rn. 55; speziell bezogen auf die Feststellung von Stimmverboten Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 706; a. A. (Möglichkeit der Revision durch das Aufsichtsratsplenum auch bei Entscheidungen in Rechtsfragen) Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 212 und 216; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 121 f. und 162; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 65 ff., 113 f.; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386; wohl auch E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.38, der die Entscheidung über das Vorliegen eines Stimmverbots, die gemeinhin als Rechtsfrage angesehen wird (siehe die in § 4 Fn. 227 Genannten), für reversibel hält. 92  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 679; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 138 ff.; für das Verhältnis zum Vorstand daneben ausdrücklich Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 20; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 110. 93  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 4 und 22; Hüffer/Koch, § 107 Rn. 8; Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 748 (Teil der „Scharnierfunktion“); Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 107 Rn. 43; siehe auch Empfehlung D.6 DCGK. 94  Zu den nicht gänzlich unumstrittenen Konsequenzen der Ausgestaltung der so bezeichneten „Erläuterungspflicht“ als „Sollvorschrift“ Hennrichs/Pöschke, in: MüKoAktG, § 176 Rn. 22 f. 95  Dazu Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 152 ff., und Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 61; siehe auch Grundsatz 7 S. 2 letzter Satzteil DCGK und Anregung A.3 DCGK. 96  Näher dazu Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, passim.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

wirkt er ausnahmsweise in Vertretung der AG bei der Anmeldung von Kapitalmaßnahmen zur Eintragung ins Handelsregister mit.97 Generell verfügt der Aufsichtsratsvorsitzende nämlich weder für den Aufsichtsrat noch für die Gesellschaft über eine aktive Vertretungsmacht.98 Eine Ausnahme in Gestalt einer ungeschriebenen Vertretungsmacht besteht ansonsten nur für Hilfsgeschäfte im Namen der Gesellschaft, derer es zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben bedarf.99 Umgekehrt ist der Aufsichtsratsvorsitzende passiv vertretungsbefugt und damit empfangszuständig für Willenserklärungen gegenüber dem Aufsichtsrat als Organ,100 soweit die aktive Vertretungsmacht des Aufsichtsrats besteht101.

97  Etwa nach Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 58, ist dies zur Repräsentationsaufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden zu zählen. Relevante Fälle sind §§ 184 Abs. 1 S. 1, 188 Abs. 1, 195 Abs. 1 S. 1, 203 Abs. 1, 207 Abs. 2 S. 1, 223, 229 Abs. 3, 237 Abs. 2 S. 1 AktG. 98  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 107 Rn. 13; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 47; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 143; für die Vertretung der Gesellschaft ferner BGH, NJW 1964, 1367, 1367; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 107 Rn. 47; für die Vertretung des Aufsichtsrats ferner BGH, AG 2008, 894, 895; OLG Düsseldorf, AG 2004, 321, 322. In den Fällen etwa der §§ 111 Abs. 2 S. 2, 111 Abs. 3 S. 1, 112, 246 Abs. 2 S. 2 AktG ist gerade der Aufsichtsrat als Organ für die Vertretung zuständig, siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 59. 99  Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 10; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 23; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 681; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 53; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 107 Rn. 48. Ein Beispiel ist die Anmietung von Räumlichkeiten für Aufsichtsratssitzungen. Zur möglicherweise konkludenten, nach a. A. nicht erforderlichen Ermächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden durch den Aufsichtsrat zur Kundgabe von dessen Willen, wodurch der Aufsichtsratsvorsitzende (aber nur) Erklärungsvertreter des Aufsichtsrats ist, Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 60. Angesprochen ist neben ihrer Veröffentlichung insbesondere die Ausführung von Beschlüssen, siehe dazu auch Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 8. 100  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 23; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 61; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 53; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 10; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 151; Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 8; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 59; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 148. Einer Ermächtigung bedarf es insoweit nicht, anders soweit ersichtlich nur Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 107 Rn. 47. Wegen § 112 S. 2 AktG können Willenserklärungen inzwischen allerdings auch jedem anderen Aufsichtsratsmitglied zugehen; kritisch Habersack, in: MüKoAktG, § 112 Rn. 25. 101  von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 149; ebenso Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 8; dies offenbar als generelle Bedingung der Passivvertretung ansehend Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 104, und Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 682.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts161

cc) Lückenhaftigkeit der Kompetenzverteilung und deren Überbrückung in Theorie und Praxis In Anbetracht der Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden zeigt sich, dass in der Realität für den Aufsichtsratsvorsitzenden oft ein da­ rüber hinausgehendes Handeln naheliegend ist oder gar von diesem erwartet wird, die dafür nötige Legitimation in Ermangelung eines Beschlusses des Aufsichtsrats im Einzelfall aber fraglich ist. Im Unterschied zum Vorstand ist der Aufsichtsrat als Gremium nicht durchgehend aktiv, sondern wird überwiegend in einer geringen Zahl jährlicher Sitzungen tätig. Der Aufsichtsratsvorsitzende steht dagegen permanent mit dem Vorstand in Kontakt und muss dabei agieren und reagieren. Sowohl das Aktiengesetz als auch der DCGK berücksichtigen dies nicht in ausreichendem Umfang.102 Deutlich wird das etwa anhand der laufenden Kommunikation zwischen dem Vorstand, insbesondere dessen Vorsitzenden oder Sprecher, und dem Aufsichtsratsvorsitzenden, die diesem allein so im Gesetz nicht zugeschrieben wird, letztlich aber rein tatsächlich erforderlich ist, was ihn zu einem entsprechenden Handeln zwingt.103 Noch dazu wird im Übrigen betont, der Aufsichtsratsvorsitzende könne abgesehen von Hilfsgeschäften nicht anstelle des Aufsichtsrats entscheiden104 bzw. nicht von sich aus für die Gesellschaft tätig werden, sondern nur in den explizit im Gesetz vorgesehenen (Einzel‑)Fällen – „regelmäßig“, so heißt es, „handelt er auf der Grundlage eines Beschlusses des Aufsichtsrats und in dessen Auftrag“105. Das aber führt zu der Feststellung zurück, dass gerade ein solcher in praxi oft nicht vorliegt und nicht bzw. nicht rechtzeitig einholbar ist. Mit Blick auf die Kompetenzen des Aufsichtsratsvorsitzenden stellt sich heraus, dass die Legitimation für ein tatsächliches Handeln des Aufsichtsratsvorsitzenden regelmäßig nicht aus dessen Repräsentationsfunktion abgeleitet werden kann, weil und soweit es nicht um eine bloße Repräsentationsaufgabe geht, sondern der Aufsichtsratsvorsitzende – unter Umständen vorläufig – anstelle des Aufsichtsratskollektivs tätig wird.106 Auch eine Subsumtion unter die vielerorts vorausgesetzte Annexkompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden 102  von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 2 („zwischen gesetzlicher Regelung und Rechtswirklichkeit ein breites Delta“); von Schenck, AG 2010, 649, 649 und 651. 103  Mit weiteren Erläuterungen von Schenck, AG 2010, 649, 652. 104  Siehe Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 21. Ähnlich Hopt/ M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 143: Danach ist eine „Vertretung des Aufsichtsrats bei der Willensbildung […] grundsätzlich nur auf ausdrücklichen Aufsichtsratsbeschluss hin und in den Grenzen von § 111 Abs [sic!] 6 möglich“. 105  Siehe von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 40. 106  Betreffend den Dialog mit „Stakeholdern“ Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 525.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

für Hilfsgeschäfte107 ist nicht möglich, da diese Rechtsgeschäfte darstellen, welche nötig sind, damit der Aufsichtsratsvorsitzende seinen Pflichten gerecht werden kann – jedwedes tatsächliches Handeln fällt nicht ohne Weiteres darunter.108 Vergegenwärtigt man sich gleichwohl das Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen den Zuständigkeiten bzw. dem Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats und den Befugnissen des Aufsichtsratsvorsitzenden109, so bedarf es einer Begründung bzw. Rechtfertigung, wenn nicht das Aufsichtsratskollektiv, sondern der Aufsichtsratsvorsitzende zuständig und legitimerweise handlungsbefugt sein soll. Insoweit geht es um nicht normierte, originäre Kompetenzen des Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Rechtsprechung befasst sich mit diesem Aspekt soweit ersichtlich nicht. Diesbezügliche Äußerungen der Literatur finden sich nur ganz vereinzelt, zu Recht wird aber insoweit eine Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden angenommen, wenn ein Handeln des (Gesamt‑)Aufsichtsrats „tatsächlich nicht möglich, nicht zeitnah möglich oder nicht opportun ist“.110 Die erweiternde Auslegung bzw. Definition der Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden muss aber, anders als es im Schrifttum den Anschein macht, nicht im leeren Raum und ohne Bezug zu den hergebrachten Aufgaben und Befugnissen des Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgen. Es kann auf die viel beschriebenen, üblichen Befugnisse des Leiters eines Kollegialorgans rekurriert werden, über die der Aufsichtsratsvorsitzende nach quasi einhelliger Meinung verfügen soll111: In den genannten Situationen muss anstelle des Kollektivs zwangsläufig ein Einzelner handeln. Kraft seiner he­ rausgehobenen Position ist dies der Aufsichtsratsvorsitzende. Er repräsentiert

107  Siehe

die in § 4 Fn. 99 Genannten. Schenck, AG 2010, 649, 654. 109  Vgl. dazu oben § 4 A. III. 2. a) aa). 110  Siehe einschließlich des wörtlichen Zitats insbesondere von Schenck, AG 2010, 649, 655, dem zufolge „kein anderer, dogmatisch befriedigender Weg [bleibt], um die […] tatsächliche Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden rechtlich zu definieren und abzusichern“. Auch Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 71 ff., erachtet Zweckmäßigkeitserwägungen zur Bestimmung der dem Aufsichtsratsvorsitzenden zugewiesenen Befugnisse als zulässig, dieser könne so „für solche Regelungen zuständig sein, die überhaupt nicht oder nicht sicher genug vom Kollegium durch Beschluß getroffen werden können“ (ebd., S. 71). Implizit Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 525; zurückhaltend Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 47. Auch bei Zustimmungsvorbehalten gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG wird aber in Eilfällen letztlich von einer Entscheidungskompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden ausgegangen, siehe etwa Rodewig, in: ArbHdbAR, § 8 Rn. 58, und Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 111 Rn. 106, wenn auch eine nachträgliche Zustimmung des (Gesamt‑)Aufsichtsrats in diesem Fall weiter erforderlich sein soll. 111  Siehe die in § 4 Fn. 66 Genannten. 108  von



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts163

den Aufsichtsrat nicht nur nach außen oder im Intraorganverhältnis, sondern im Bedarfsfall auch gegenüber einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern. b) Eigene Begründung der Empfangskompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden und Beseitigung bestehender Unklarheiten im Zusammenhang mit der Behandlung von Interessenkonflikten Aufbauend auf die grundsätzliche Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden in allen Fällen, in denen ein Handeln des Aufsichtsratsplenums tatsächlich nicht möglich, nicht rechtzeitig möglich oder nicht opportun ist,112 stellt sich die Frage, inwieweit dies im Zusammenhang mit der Behandlung von Interessenkonflikten einschlägig ist und welche Konsequenzen sich daraus für die Frage nach dem Empfänger der Offenlegung ergeben. aa) Grundsätzliche Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats Der Gedanke, dass unter Umständen ein Einzelner – der Aufsichtsratsvorsitzende kraft seiner herausgehobenen Position – überhaupt bzw. besser als das Aufsichtsratskollektiv zur Vornahme einer Handlung bzw. Entscheidung innerhalb der Sphäre des Aufsichtsrats oder mit Bezug vom Aufsichtsratsorgan nach außen geeignet ist, darf nicht als Freibrief des Aufsichtsratsvorsitzenden für ein zunehmend selbstständiges, vom Aufsichtsratskollektiv unabhängiges Wirken verstanden werden.113 Aus diesem Grund bedarf die Annahme einer ungeschriebenen Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden stets einer hinreichenden Begründung in der jeweiligen Konstellation. Vorbehaltlich einer entsprechenden Begründung ist von der Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats auszugehen. Übertragen auf das Thema „Interessenkonflikte“ hat dies zur Konsequenz, dass der Gesamtaufsichtsrat prinzipiell auch zum Umgang mit Interessenkonflikten berufen ist und bleibt.114 Diese Zuständigkeit lässt sich auch am Gesetz festmachen, indem die Wirksamkeit von interessenkonfliktanfälligen Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängt (§ 114 Abs. 1 AktG) und auch eine Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder der Einwilligung des Aufsichtsrats unterliegt (§ 115 Abs. 1 AktG). 112  Dazu oben § 4 A. III. 2. a) cc). Es erscheint noch klarer und daher vorzugswürdig, anstelle eines nicht „zeitnah“ möglichen – siehe das wörtliche Zitat in § 4 A. III. 2. a) cc) am Ende – von einem nicht „rechtzeitig“ möglichen Handeln des (Gesamt‑) Aufsichtsrats zu sprechen. 113  Vgl. dem Grunde nach von Schenck, AG 2010, 649, 655. 114  Vgl. dazu oben § 4 A. III. 2. a) aa); im Ansatz wie hier Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386.

164

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

bb) (Partielle) Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden für Interessenkonfliktmaßnahmen aus zeitlichen Gründen Bestimmte Interessenkonfliktmaßnahmen erfordern ein schnelles Handeln, damit das mit ihnen verfolgte Ziel erreicht werden kann. Wird nämlich an verschiedener Stelle ein Ausschluss des Konfligierten vom Informationsfluss als Teil des Programms zur Bewältigung von Interessenkonflikten genannt,115 so bedingt die laufende Zirkulation von Informationen im Aufsichtsrat, etwa durch die Übersendung von Unterlagen im Vorfeld von Aufsichtsratssitzungen116, dass der Informationsausschluss umgehend erfolgen muss, um so z. B. bestimmte Vorhaben bis auf Weiteres vor dem insoweit Konfligierten zu verbergen. Würde aber das Aufsichtsratsplenum über den Informationsausschluss befinden, so käme dieser, da der Aufsichtsrat seine Entscheidungen innerhalb von Sitzungen trifft, zu spät, um den beabsichtigten Zweck zu erfüllen. Einen vor der nächsten Aufsichtsratssitzung gegebenenfalls auch nur prophylaktischen Informationsausschluss kann nur der Aufsichtsratsvorsitzende rechtzeitig vornehmen, dem folglich eine dahingehende, unter zeitlichen Gesichtspunkten zu begründende Zuständigkeit zukommt. Die mit abweichender Erläuterung zu findende These, es bestehe insgesamt eine Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden für Interessenkonfliktmaßnahmen117, muss richtigerweise unter dem Vorbehalt stehen, dass, soweit das Gesetz keine Regelung trifft, in allen Fällen eine so oder ähnlich, etwa unter praktischen Gesichtspunkten, herzuleitende Zuständigkeit gegeben ist. cc) Notwendigkeit der Information des Aufsichtsratsvorsitzenden Der Aufsichtsratsvorsitzende muss allein deshalb, damit er seiner aus zeitlichen Gründen bestehenden Zuständigkeit für einen etwaigen Informationsausschluss gerecht werden kann, Kenntnis von dem jeweiligen Interessenkonflikt haben. Die Frage nach einer Zuständigkeit für einen potenziellen Ausschluss des Stimmrechts bzw. von der Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung ändert daran nichts und kann an dieser Stelle offen bleiben. Allein die 115  So bei Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146 f., und Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1382 f.; ferner Hopt, ZGR 2004, 1, 33, Kremer/von Werder, AG 2013, 340, 345, und Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4. 116  Dazu Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 32. 117  Siehe Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 214, und Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1385 f. Die bei Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 39 (teilweise mit Letztentscheidungsbefugnis des Plenums, siehe ebd., § 109 Rn. 4), und bei von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 163, zu findenden, umfangreichen Aufzählungen möglicher Maßnahmen des Aufsichtsratsvorsitzenden deuten ebenso in diese Richtung.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts165

Tatsache, dass jedenfalls eine der denkbaren Interessenkonfliktmaßnahmen aus zeitlichen Gründen vom Aufsichtsratsvorsitzenden zu treffen ist, verlangt dessen Information über den Interessenkonflikt. Die Entscheidung über den möglichen Informationsausschluss setzt dabei notwendigerweise die Entscheidung über das (tatsächliche) Vorliegen eines Interessenkonflikts voraus bzw. schließt diese ein. Zutreffend wird im Schrifttum auf den Konnex zwischen der Befugnis zur Verhängung von Interessenkonfliktmaßnahmen und der Frage nach dem Adressaten der Offenlegung von Interessenkonflikten abgestellt.118 Die Offenlegung von Interessenkonflikten hat danach gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu erfolgen. Dieser ist damit auch passiv zur Entgegennahme entsprechender Informationen befugt. Eine Parallele kann insofern zu § 90 Abs. 1 S. 3 AktG gezogen werden: Auch Sonderberichte sind zugunsten einer gegebenenfalls erforderlichen schnellen Reaktion119 dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu erstatten.120 Ist der Aufsichtsratsvorsitzende selbst von einem Interessenkonflikt betroffen, muss er seinen Interessenkonflikt gegenüber dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden offenlegen.121 Dabei geht es nicht um die Frage, ob eine Verhinderung und somit ein Vertretungsfall gemäß § 107 Abs. 1 S. 3 AktG vorliegt. Schon in konstruktiver Hinsicht ist klar, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nicht Träger einer Pflicht sein kann, die er gegenüber sich selbst zu erfüllen hätte. Zwar wird darauf hingewiesen, der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende habe außerhalb des Vertretungsfalls grundsätzlich die gleiche Stellung wie alle anderen Aufsichtsratsmitglieder.122 Das kann dem Gesetz allerdings so nicht zwingend entnommen werden. Wenn wegen der Lückenhaftigkeit der Kompetenzverteilung zwischen dem Aufsichtsrat und dem Aufsichtsratsvorsitzenden solche Kompetenzen, die der Aufsichtsrat selbst nicht adäquat erfüllen kann, dem Aufsichtsratsvorsitzenden zugewie-

Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 212. Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 25 Rn. 72; Müller-Michaels, in: Hölters, § 90 Rn. 11; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 90 Rn. 34; jedenfalls für schnelle Unterrichtung Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 90 Rn. 33; Spindler, in: MüKoAktG, § 90 Rn. 32. 120  Zur Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Empfang „gesellschaftsinterner Erklärungen“ auch Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 178. 121  Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 22; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1106; a. A. offenbar Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 235 f., der die Möglichkeit einer Regelung in der Geschäftsordnung anspricht, wonach sich der Aufsichtsratsvorsitzende bei einem eigenen Interessenkonflikt an das Plenum zu wenden hat. 122  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 69; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 70; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 107 AktG Rn. 12 („keine Sonderrechte“). 118  Vgl. 119  Vgl.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

sen werden müssen,123 so gestattet sich ein entsprechender Ansatz auch bezogen auf den Aufsichtsratsvorsitzenden, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende als Inhaber einer bestimmten Kompetenz nicht in Betracht kommt, sich die Sachlage und das ihr zugrunde liegende Problem aber unverändert darstellen. Eilbedürftige Maßnahmen können auch bei Interessenkonflikten des Aufsichtsratsvorsitzenden angezeigt sein, weshalb dieser der ihn – ebenso wie die anderen Aufsichtsratsmitglieder – treffenden Offenlegungspflicht durch eine Information des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden gerecht wird. dd) Keine unmittelbare Information des Aufsichtsratsplenums Nicht auszuschließen ist der Einwand, die Information des Aufsichtsratsvorsitzenden könne als Teil und im Rahmen der Information des Aufsichtsratskollektivs erfolgen. Durch die Offenlegung des Interessenkonflikts gegenüber dem Gesamtaufsichtsrat schon in erster Instanz würde dann auch der Aufsichtsratsvorsitzende über die entsprechenden Informationen verfügen und könnte dann unabhängig von den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern seinen individuellen Befugnissen und Aufgaben nachkommen. Allerdings sind hier zum einen die Argumente heranzuziehen, die schon bislang für eine Offenlegung nur gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden genannt werden: Bereits die bloße Offenlegung des Interessenkonflikts stellt einen Eingriff in die Interessensphäre des Konfligierten dar. Womöglich involviert die Offenlegung noch dazu delikate Informationen, deren Preisgabe gerade gegenüber einer Gruppe von Personen sich für den Konfligierten als große Belastung bzw. unzumutbar erweist.124 Eine Information des Gesamtaufsichtsrats stellt jedenfalls zu diesem Zeitpunkt einen unnötigen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Konfligierten dar. Zum anderen werden die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nicht mit Informationen belastet, die ihnen ohne das ordnende Wirken des Aufsichtsratsvorsitzenden eventuell einen jedenfalls zu diesem Zeitpunkt unnötigen Mehraufwand bescheren.125 Der Primäradressat der Offenlegung ist demnach allein der Aufsichtsratsvorsitzende.

123  Siehe

oben § 4 A. III. 2. a) cc). § 4 Fn. 44. 125  Schließlich kann eine Unterredung zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem (vermeintlich) Konfligierten zu der Feststellung führen, dass (doch) kein Interessenkonflikt vorliegt, siehe noch unten § 4 A. V. 3. und siehe § 4 B. I. 1. a). 124  Vgl.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts167

ee) Verpflichtende Information des Gesamtaufsichtsrats über Interessenkonflikte durch den Aufsichtsratsvorsitzenden Die grundsätzliche Kompetenz des Gesamtaufsichtsrats für den Umgang mit Interessenkonflikten erfordert, dass der Aufsichtsratsvorsitzende den Gesamtaufsichtsrat über den offengelegten Interessenkonflikt informiert. Anstelle eines Ermessens des Aufsichtsratsvorsitzenden126 ist von einer verpflichtenden Information des Gesamtaufsichtsrats durch diesen auszugehen. Nur so ist gesichert, dass die auch im Schrifttum zum Teil vorgesehene Diskussion der Interessenkonflikte127 im Bedarfsfall stattfinden kann. Dies deckt sich zudem mit der Tatsache, dass den Aufsichtsratsvorsitzenden auch die allgemeine Pflicht trifft, Informationen aus dem ihm obliegenden laufenden Kontakt und Meinungsaustausch mit dem Vorstand, die einen Bezug zu den Aufgaben des Gesamtaufsichtsrats haben, dem Aufsichtsratskollektiv zu übermitteln.128 Als besondere Ausprägung dessen kommt die in § 90 Abs. 5 S. 3 AktG statuierte Pflicht zur Unterrichtung der anderen Aufsichtsrats­ mitglieder nach dem Erhalt von Sonderberichten hinzu. Ebenso muss der Aufsichtsratsvorsitzende Erklärungen, die ihm im Rahmen seiner passiven Vertretungsmacht zugehen, an die anderen Aufsichtsratsmitglieder weiterleiten.129 Außerdem können durch die Information des Plenums über den Inte­ ressenkonflikt auch Wortbeiträge des Konfligierten aus der Vergangenheit, die womöglich schon unterbewusst von dem Interessenkonflikt geprägt waren, besser eingeordnet werden. Die Information muss unabhängig davon erfolgen, ob der Aufsichtsratsvorsitzende im jeweiligen Fall in Abhängigkeit von seinen etwaigen insofern anzunehmenden Kompetenzen schon Interessenkonfliktmaßnahmen verhängt hat oder nicht.

IV. Umfang und Spannungsverhältnis zur Verschwiegenheitspflicht Die Offenlegung muss auf verständliche und hinreichend ausführliche Weise erfolgen. Ausschlaggebend ist das Informationsinteresse des Interesaber Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 208 und 217. Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 109 Rn. 4, und Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 20, wobei dies in beiden Fällen im Rahmen einer möglichen erstmaligen Verhängung von Interessenkonfliktmaßnahmen durch das Plenum angesprochen wird und etwaige (Vorab‑)Maßnahmen des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht thematisiert werden, die dieser, durch zeitliche Gründe gerechtfertigt, bereits verhängt hat. 128  Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 38; von Schenck, AG 2010, 649, 653. Siehe auch Grundsatz 16 DCGK. 129  Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 151. 126  So

127  Siehe

168

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

senwahrungsmandanten im Einzelfall.130 Es müssen alle Umstände, die für die Entscheidung nötig sind, ob ein und gegebenenfalls was für ein Interessenkonflikt vorliegt, wahrheitsgemäß aufgedeckt werden.131 Daher muss die Informationstiefe so beschaffen sein, dass der Aufsichtsrat bzw. der Aufsichtsratsvorsitzende als sein Ansprechpartner den Kern des Konflikts erfassen kann;132 nur in diesem Rahmen müssen Details bekanntgegeben werden133. Abhängig von der Art des konfligierenden Interesses ist der Betroffene jedoch womöglich einem Dritten zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet. Je nach Umfang und Detailgrad der Offenlegung kann die Einhaltung dieser Verpflichtung gefährdet sein. Möglicherweise kommt es im Rahmen der Offenlegung zur Preisgabe geschützter oder wirtschaftlich bedeutsamer Informationen im Zusammenhang mit dem anderen, konfligierenden Interesse oder die Offenlegung lässt den Rückschluss auf vertrauliche Informationen aus dieser zweiten Sphäre zu. Der Konfliktbehandlung nachgelagerte Rechenschafts- bzw. Auskunftspflichten gegenüber der quasi-öffentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft, in der das in den Blick genommene Aufsichtsratsmandat besteht, könnten im Übrigen dazu führen, dass auch die Verschwiegenheitspflicht gegenüber dieser verletzt wird, indem vertrauliche Informationen aus dem Aufsichtsrat publik werden. 1. Drohende Verletzung der Verschwiegenheitspflicht etwa gegenüber einer anderen Gesellschaft Offenbart das Aufsichtsratsmitglied, das beispielsweise einer zusätzlichen Bindung an eine weitere Gesellschaft unterliegt, den diesbezüglich vorliegenden Interessenkonflikt gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden134, besteht die Gefahr, dass es dabei Interna aus der Sphäre der anderen Gesellschaft verrät, der gegenüber es in Bezug auf diese womöglich ebenfalls zur Verschwiegenheit gehalten ist. Im Extremfall soll deshalb, heißt es in der Literatur, das Aufsichtsratsmitglied verpflichtet sein, sein Mandat ohne die Angabe von Gründen temporär ruhen zu lassen oder gar aufzugeben, wenn es durch die Offenlegung des Interessenkonflikts bzw. jedenfalls von Einzel130  Unter

S. 90.

131  Seibt,

Rückgriff auf § 666 BGB Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten,

AG 2003, 465, 473. Empfehlung E.1 S. 1 DCGK Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/ Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 18; mit Blick auf Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. Dürr, in: Szesny/Kuthe, 6. Kap. Rn. 66; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1466. 133  Mit Blick auf Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 20. 134  Zum Empfänger der Offenlegung oben § 4 A. III. im Ganzen. 132  Zu



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts169

heiten die sich aus dem anderen Bereich ergebenden Pflichten verletzen würde.135 Entscheidend ist, ob es eine Detailtiefe gibt, bei welcher das Aufsichtsratsmitglied seiner Offenlegungsverpflichtung gegenüber der einen Gesellschaft gerecht wird und nicht zugleich seine Verschwiegenheitspflicht gegenüber der anderen Gesellschaft verletzt.136 Die Offenlegungspflicht markiert eine aus der Treuepflicht abzuleitende137 und zur Verschwiegenheitspflicht gegenläufige Pflicht. Die Verschwiegenheitspflicht hat an dieser Stelle jedoch Vorrang.138 Das Aufsichtsratsmitglied muss bis zu der eingangs genannten Grenze so viele Informationen nennen, wie es für eine sachgerechte Beurteilung des Interessenkonflikts durch den Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. das Plenum erforderlich ist, darf aber gleichzeitig so wenig Einzelheiten verraten wie möglich. Wegen der Gefahr, die gegenüber der anderen Gesellschaft bestehende Verschwiegenheitspflicht zu verletzen, indem die Erläuterungen seitens des Konfligierten auch nur Rückschlüsse auf vertrauliche Interna aus deren Sphäre zulassen, dürfen von vornherein keine zu großen Anforderungen an die Informationsbreite bzw. ‑tiefe der Konfliktoffenlegung gestellt werden. Ist selbst dann eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht zu befürchten oder aber wird der Offenlegungspflicht in keiner Weise Genüge getan, ist der Betroffene gehalten, das Amt ohne die Angabe von Gründen niederzulegen. Eine entsprechende Pflicht, wie sie in der Literatur angenommen wird, ist jedoch nicht anzunehmen. Vielmehr dient die Amtsniederlegung hier den Interessen des Betroffenen, der so womöglich Repressalien vermeiden kann, die ihm ansonsten wegen der ungenügenden Erfüllung der Offenlegungspflicht drohen139. 2. Exkurs: Drohende Verletzung der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der in der Konfliktbewältigung befindlichen Gesellschaft durch daneben bestehende Empfehlungen und Pflichten zur Offenlegung? Ein gänzlich anderer Blickwinkel liegt der Überlegung zugrunde, inwieweit durch eine Konfliktoffenlegung ein Verstoß gegebenenfalls auch gegen die Verschwiegenheitspflicht droht, die gegenüber der Gesellschaft besteht, 135  So Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 100 Rn. 18; siehe auch Hambloch-Gesinn/ Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 55. 136  Allgemein zum Verhältnis zwischen der Offenlegungspflicht und der Verschwiegenheitspflicht Kumpan, Interessenkonflikt, S. 281 ff. 137  Siehe oben § 4 A. I. 138  Vgl. insofern oben § 2 D. II. 2. 139  Siehe insofern noch unten § 5 B. I.

170

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

deren Aufsichtsratsvorsitzenden und eventuell auch deren Aufsichtsrat insgesamt der Interessenkonflikt – hier pflichtgemäß – mitgeteilt wurde. Das ist dann der Fall, wenn geschützte Informationen die Beziehung zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern und zum Vorstand, in deren Rahmen das Verschwiegenheitsgebot nicht gilt140, verlassen. Dazu könnte es durch parallel bestehende Berichts- und Auskunftspflichten und entsprechende Kodexvorgaben kommen, die gerade nicht den Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. das Aufsichtsratsplenum als Empfänger der Offenlegung bzw. der entscheidenden Informationen vorsehen. Mittelbar wird hier einmal mehr die Frage nach dem Adressaten der Offenlegung bzw. der Informationen virulent. a) Zur Konfliktoffenlegung nach Empfehlung E.1 S. 2 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F.) Das Aktionariat kommt als Adressat der auf der Grundlage der Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder141 zu fordernden Offenlegung des Interessenkonflikts nicht in Betracht142. Unabhängig davon sieht Empfehlung E.1 S. 2 DCGK vor, dass der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung (vgl. § 171 Abs. 2 AktG) über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren soll. Sie stimmt wörtlich überein mit Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F., weshalb die hierzu angestellten Überlegungen wie auch die Äußerungen von Seiten des Schrifttums weiter Gültigkeit besitzen. Für die Regelung kommt es nicht darauf an, ob der Interessenkonflikt womöglich sogar angemessen behandelt worden ist.143 Offensichtlich nicht zu berücksichtigen sind (nur) potenzielle Interessenkonflikte.144 Eine dahingehende Information der Hauptversammlung wäre auch nicht zweckmäßig.145 Der Tatbestand erfasst ungeachtet der gemäß dem Kodex zu verlangenden Infor140  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 38; Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 59; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 68; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 116 AktG Rn. 9. In Ausnahmefällen kann danach aber aus der Sicht des Aufsichtsrats gegenüber einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern bzw. dem Vorstand eine Verschwiegenheitspflicht anzunehmen sein. 141  Siehe oben § 4 A. I. 142  Siehe oben § 4 A. III. 143  So der Hinweis von Peltzer, NZG 2009, 1336, 1336, im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH, NZG 2009, 1270 – Umschreibungsstopp; ebenso dafür Hölters, in: Hölters, § 161 Rn. 59. 144  Übereinstimmend OLG München, AG 2009, 121, 123; Koch, ZGR 2014, 697, 725; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1474; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 205 f.; implizit Seibt, AG 2003, 465, 475; a. A., jedoch unzutreffend, Strenger, Der Konzern 2013, 429, 432. 145  Zutreffend Koch, ZGR 2014, 697, 725.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts171

mationstiefe letztlich alle tatsächlich aufgetretenen Interessenkonflikte.146 Im Allgemeinen und hier im Besonderen besteht aber ein Spannungsverhältnis zwischen der Berichtspflicht gemäß § 171 Abs. 2 AktG und der Vertraulichkeit im Aufsichtsrat,147 das gerade von der genannten Informationstiefe bestimmt wird. Zu Recht wird gefordert, dass sich die Berichterstattung über aufgetretene Interessenkonflikte und ihre Behandlung auf das Notwendigste beschränkt.148 Auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofes verlangt der Wortlaut keine Nennung von Details.149 Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds wird so vermieden.150 Vor allem aber kann der DCGK mit seinen Empfehlungen und Anregungen nicht dem Gesetz und dem daraus abzuleitenden Gebot der Vertraulichkeit (§ 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG bzw. § 116 S. 2 AktG) derogieren.151 Somit ist insbesondere die Angabe von Einzelheiten zu vermeiden; anzuraten sind allgemeine Aussagen ohne gesteigerten Informationsgehalt.152 Die BeKremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1474. Hennrichs/Pöschke, in: MüKoAktG, § 171 Rn. 195, und Hüffer/Koch, § 171 Rn. 18. Zur Einordnung von Interessenkonflikten und ihrer Behandlung als Gegenstände der durch die Verschwiegenheitspflicht besonders geschützten Sphäre der Beratung und Abstimmung Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 220. 148  Vgl. Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 45 Rn. 17. In diesem Sinne auch Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 243, und Israel, in: Bürgers/ Körber, § 116 Rn. 20 (keine zu hohen Anforderungen an die Offenlegung); ferner, wenngleich zurückhaltender Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145, wonach sich die Information grundsätzlich auf eine zusammenfassende Darstellung beschränken „kann“. A. A. OLG Frankfurt, AG 2011, 713, 715 (Gründe für persönliche Betroffenheit der namentlich genannten Aufsichtsratsmitglieder und detaillierte Beschreibung aufgetretener Interessenkonflikte). Im Schrifttum ist das Urteil indes auf breite Ablehnung gestoßen, siehe stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 100 Fn. 323. 149  BGH, NZG 2013, 783, 784; exemplarisch zuvor BGH, NZG 2012, 1064, 1066 – Fresenius. 150  Vgl. Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 206. 151  von der Linden, GWR 2011, 407, 409; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 6 – es handelt sich nicht um Rechtsnormen i. S. v. Art. 2 EGBGB. Wilsing betont, dass der DCGK nicht auf eine Durchbrechung des Gesetzesrechts abzielt. Siehe auch schon oben § 2 C. Etwa nach Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1476, setzt die Verschwiegenheitspflicht der Berichterstattung zwingende Grenzen. 152  Treffend Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 45 Rn. 17; ähnlich Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 223 („auf ein Minimum reduzier[en]“), und Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 929 („Darstellung im Bericht ist […] zu neutralisieren“); trotz unklarer Darstellung im Grundsatz wohl auch Priester, ZIP 2011, 2081, 2084. Dafür spricht auch, dass die allgemein wegen Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. von Peltzer, in: Wellhöfer/Peltzer/W. Müller, § 20 Rn. 53, befürchtete und kritisierte „entwürdigende, prangerähnliche Situation“ so vermieden wird; Glei146  Vgl.

147  Dazu

172

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

troffenen müssen nicht namentlich genannt werden153 und auch der spezifische Grund der Interessenkonflikte muss regelmäßig nicht dargetan werden154. Es ist allein zu berichten, dass bzw. wie viele Interessenkonflikte vorgelegen haben und auf welche Weise sie vom Aufsichtsrat durch weitere Maßnahmen behandelt wurden.155 Die durch die Kodexempfehlung beabsichtigte Schaffung von Transparenz156 wird dadurch ohne Frage allenfalls in einem sehr überschaubaren Maße erreicht. Dieser Befund ist aufgrund der Bedeutung der Gremienvertraulichkeit gleichwohl hinzunehmen.157 b) Zur Reichweite der §§ 131, 171 Abs. 2 AktG Von der auf die Treuepflicht zu stützenden Offenlegungspflicht abgesehen ist eine Offenlegungspflicht im weiteren Sinne auch in der Form denkbar, dass Interessenkonflikte womöglich der Berichtspflicht aus § 171 Abs. 2 ches gilt für die wiederum von Peltzer, NZG 2009, 1336, 1336, befürchtete Stigmatisierung desjenigen Aufsichtsratsmitglieds, das sich korrekt verhält und den Interessenkonflikt offengelegt hat. 153  BGH, NZG 2012, 1064, 1066 – Fresenius; Ekkenga, in: KK-AktG, § 171 Rn. 77; ferner von der Linden, GWR 2011, 407, 408; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 26.58; E. Vetter, in: GK-AktG, § 171 Rn. 253; im konkreten Zusammenhang ohne Bezug zum Vertraulichkeitsgrundsatz, diesen aber später allgemein betonend Lutter, AG 2008, 1, 9  f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 591; differenzierend T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 137; die Namensnennung als eher unbedenklich einstufend Priester, ZIP 2011, 2081, 2084; weitergehend (keinesfalls Namensnennung) aber Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 223. 154  Lutter, AG 2008, 1, 9; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 26.58; laut Ekkenga, in: KK-AktG, § 171 Rn. 77, kann eine Offenlegung des Konfliktgrundes aber mitunter unvermeidlich sein. 155  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 223; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 591; ganz ähnlich Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 100; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1476; in diesem Sinne auch Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 161 Rn. 64; im konkreten Zusammenhang losgelöst von Vertraulichkeitserwägungen, später aber allgemein den Vorrang der Vertraulichkeit feststellend bereits Lutter, AG 2008, 1, 9 f. Zu den weiteren Interessenkonfliktmaßnahmen siehe unten § 4 B. im Ganzen. 156  Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 1. Relevant ist dies für die Entscheidung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder und die Wahl der Anteilseignervertreter, vgl. Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1477; kritisch im letztgenannten Zusammenhang von der Linden, GWR 2011, 407, 408. 157  Nichtsdestotrotz sprechen sich – noch bezogen auf Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. – Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 224, und zuvor schon HoffmannBecking, NZG 2014, 801, 808, und der Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2015, 86, 96, für eine Streichung der Kodexvorgabe aus; kritisch dazu auch Peltzer, NZG 2009, 1336, 1336. Positiver zum Nutzen auch allgemeiner Informationen äußert sich von der Linden, GWR 2011, 407, 408.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts173

AktG oder dem Auskunftsrecht der Aktionäre aus § 131 Abs. 1 AktG158 unterfallen. Wiederum mit Blick auf den Grundsatz der Gremienvertraulichkeit sind Interessenkonflikte eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nicht zum zwingenden Inhalt des Berichts an die Hauptversammlung zu zählen (§ 171 Abs. 2 S. 2 AktG).159 Gleichwohl bieten sich hinsichtlich des Auskunftsrechts der Aktionäre für Fragen nach Interessenkonflikten von Aufsichtsratsmitgliedern durchaus Anknüpfungspunkte bei einigen Tagesordnungspunkten.160 Wegen der in besonderem Maße tangierten Verschwiegenheitspflicht161 besteht aber insoweit ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Fragen zum Vorkommen und zur Behandlung von Interessenkonflikten im bzw. durch den Aufsichtsrat, als es um Details betreffend den Interessenkonflikt oder den von diesem Betroffenen geht, die dem Grundsatz der Gremienvertraulichkeit unterliegen.162 Ob die Grundlage dafür § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AktG oder ein eigenständiges Auskunftsverweigerungsrecht ist, muss nicht entschieden werden.163 Ausführungen des Bundesgerichtshofes im Zusammenhang mit Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F., wonach ein Aktionär, sofern er nähere Informationen zu Interessenkonflikten und deren Behandlung begehrt, in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft verlangen kann164, erscheinen vor diesem Hintergrund unklar und könnten dazu in Widerspruch stehen, rechtfertigen aber keine abweichende Beurteilung. Es sollten letztlich jedenfalls 158  Freilich erteilt der Vorstand dem Aktionär in der Hauptversammlung Auskunft, nicht der Aufsichtsrat, siehe § 131 Abs. 1 S. 1 AktG. 159  Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 241. Im Ergebnis auch OLG München, AG 2009, 121, 123. Anstelle von Vertraulichkeitserwägungen stellt dieses im Hinblick auf den Rechenschaftsbericht zu Recht darauf ab, dass § 171 AktG schlichtweg nicht entnommen werden könne, dass über alle Umstände berichtet werden müsste, die möglicherweise eine Bedeutung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Aufsichtsrats und/oder für eine Billigung seines Handelns haben könnten. Daneben Hennrichs/Pöschke, in: MüKoAktG, § 171 Rn. 204, und E. Vetter, in: GK-AktG, § 171 Rn. 211. A. A. Steiner, in: Heidel, § 171 AktG Rn. 41. 160  Im Einzelnen Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 236 f. 161  Siehe § 4 Fn. 147. 162  Im Grundsatz Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 239; ferner – und insgesamt zum Vorstehenden – Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 222. Allgemein für die Möglichkeit der Auskunftsverweigerung bezogen auf vertrauliche Vorgänge in den Sitzungen des Aufsichtsrats BGH, AG 2014, 402, 407; BGH, AG 2014, 87, 92. Betreffend eine Pflicht des Vorstands zur Auskunftsverweigerung in den einschlägigen Fällen siehe Poelzig, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 131 Rn. 151. Über objektive Umstände, aus denen ein Interessenkonflikt resultieren kann, etwa weitere Aufsichtsratsmandate und Nebentätigkeiten, muss aber Auskunft erteilt werden, vgl. Kubis, in: MüKoAktG, § 131 Rn. 198 und 230. 163  Vgl. BGH, AG 2014, 87, 92 m. w. N. 164  BGH, NZG 2013, 783, 784; BGH, NZG 2012, 1064, 1066 – Fresenius; dem offenbar folgend Schulz, in: Bürgers/Körber, §  171 Rn.  9, und Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 161 Rn. 64.

174

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

keine anderen Maßstäbe gelten als in Bezug auf Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. bzw. Empfehlung E.1 S. 2 DCGK.165

V. Nähere Bestimmung der Schwelle der Offenlegungspflicht Die Offenlegungspflicht muss, wie auch dem DCGK in Empfehlung E.1 S. 1 DCGK inzwischen ausdrücklich entnommen werden kann, unverzüglich erfüllt werden166, sobald für einen neutralen bzw. objektiven Beobachter auf einen Interessenkonflikt zu schließen ist167. Geht man davon aus, dass das Unternehmensinteresse erst konkretisiert werden muss, damit ein als solcher greifbarer Interessengegensatz besteht168, ist dies in aller Regel mit der Übersendung der Tagesordnung oder anderer Unterlagen der Fall, kann sich aber auch noch während einer Aufsichtsratssitzung und gänzlich unabhängig von dieser, allgemein im Rahmen der Aufsichtsratstätigkeit ergeben. Eine zwingende Form ist für die Offenlegung nicht vorzusehen, zumal schriftliche Erklärungen in praktischer Hinsicht eher umständlich erscheinen. Nichtsdestoweniger ist gerade aus der Sicht des (vermeintlich) Konfligierten eine gewisse 165  Dazu oben § 4 A. IV. 2. a). Somit unzutreffend Bröcker, Der Konzern 2011, 313, 319, dem zufolge die Aktionäre bei Fragen nach im Aufsichtsrat aufgetretenen Interessenkonflikten und ihrer Behandlung „ebenso wahrheitsgemäß wie vollständig“ informiert werden müssen. Zu weitgehend Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 244 ff. (abweichende Beurteilung bei Aufsichtsratswahl, Abwahlantrag, Verzicht auf Ersatzansprüche); Kubis, in: MüKoAktG, § 131 Rn. 197; die abstrakte Angabe über das Vorliegen von Interessenkonflikten in einer Person und ihre etwaige Behandlung genügt. Für die Parallelität zwischen den Grenzen der Berichtspflicht und den Auskunftsverweigerungsrechten im Rahmen von § 131 AktG auch Hüffer/ Koch, § 171 Rn. 18. 166  Noch vor der insofern relevanten, jüngsten Änderung des DCGK Martinek, WRP 2008, 51, 63; ganz ähnlich Heldt, in: Heidel, DCGK Rn. 77 („unverzüglich vor Beratung bzw. Beschlussfassung“); allgemein Kumpan, Interessenkonflikt, S. 269. Dass diese Ansicht schon zur Zeit der Geltung von Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. zutreffend war, indiziert auch die Begründung des Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019, S. 12, direkt verfügbar auf der Homepage der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, https://dcgk.de// files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/191216_Begruendung_DCGK.pdf (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). A. A. noch mit Blick auf Ziff. 5.5.2 DCGK a. F., jedoch abzulehnen, Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 74 (spätestens in dem Zeitpunkt, in welchem der Konflikt Auswirkungen auf die Beratungen des Aufsichtsrats hat); ebenso Dürr, in: Szesny/Kuthe, 6. Kap. Rn. 66; Kort, ZIP 2008, 717, 724; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1466; Pfitzer/Höreth, in: Pfitzer/Oser/ Orth, S. 195. 167  Zur Perspektive zur Feststellung von Interessenkonflikten oben § 2 C. III. 2. 168  Dazu oben § 2 C. I. 1.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts175

Dokumentation anzuraten, etwa durch einen Vermerk im Sitzungsprotokoll (§ 107 Abs. 2 AktG).169 Unabhängig von der Frage nach dem Zeitpunkt und der Perspektive zur Ermittlung von Interessenkonflikten ist eine nähere Grenzziehung vonnöten, wann in der Sache ein behandlungsbedürftiger und so zugleich offenlegungspflichtiger Interessenkonflikt vorliegt. Dies führt an verschiedenen Stellen zum Begriff und zur Kategorisierung von Interessenkonflikten zurück.170 1. Offenlegung nur bei realen Interessenkonflikten Eine Offenlegung ist nur bei realen, nicht aber bei potenziellen Interessenkonflikten angezeigt. Bei der Abgrenzung zwischen realen und potenziellen Interessenkonflikten ist entscheidend, ob nur das Risiko besteht, dass sich zwei Interessenkreise wahrscheinlich schneiden und die für den Interessenkonflikt charakteristische Konfliktlage eintritt (dann liegt ein potenzieller Interessenkonflikt vor), oder ob sich in der betreffenden Person bereits zwei nicht gänzlich zu verwirklichende Interessen gegenüberstehen, die die Besorgnis begründen, dass ein Interesse vernachlässigt wird (dann tatsächlicher Konflikt).171 Die Unterscheidung läuft auf die Frage hinaus, ob überhaupt ein Interessenkonflikt vorliegt – angesichts der Terminologie kann dies kaum überraschen172. Eine rechtliche Intervention bzw. Reaktion ist dann erforderlich, wenn im konkreten Fall die für Interessenkonflikte charakteristische Gefahr vorliegt, dass das Unternehmensinteresse verletzt wird. Zu Recht wird daher die Offenlegung (nur) potenzieller Interessenkonflikte von einer Reihe von Stimmen verneint173, auch im Zusammenhang mit 169  So letztlich Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 20; allgemeiner Seibt, AG 2003, 465, 475 f., der eine schriftliche Niederlegung der Erklärung von Aufsichtsratsmitgliedern über Interessenkonflikte empfiehlt; grundsätzlich auch Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 204, dessen Verlangen einer „Schriftform“ für jede Erklärung über einen Interessenkonflikt jedoch zu weit geht und impraktikabel erscheint. 170  Dazu oben § 2 C. I. im Ganzen bzw. § 2 C. IV. im Ganzen. 171  Im Einzelnen oben § 2 C. IV. 3. 172  Der „potenzielle“ Interessenkonflikt kann auch als „denkbarer“ bzw. „vielleicht zukünftiger“ Interessenkonflikt tituliert werden, vgl. „potenziell, potentiell“ auf Duden online, https://www.duden.de/node/156619/revision/156655 (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). 173  So etwa Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145; Kiem, in: FS Stilz, 2014, S. 329, 341; Koch, ZGR 2014, 697, 725; a. A. Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1369 und 1371 und 1373. Für den Vorstand erklärt Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26, ausdrücklich, die Offenlegung sowie weitergehende Maßnahmen seien bei nur potenziellen Konflikten nicht zu verlangen; a. A. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 110; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 73. Eventuell auch im Hinblick auf die letztgenannten Stimmen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass zwischen dem feststehenden

176

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Ziff. 5.5.2 DCGK a. F.174, welcher Empfehlung E.1 S. 1 DCGK im Wesent­ lichen entspricht. Obwohl der DCGK weder als Gesetz noch als Vertrag einzuordnen ist,175 sind aufgrund seines normativen Regelungscharakters die gängigen Methoden der (Gesetzes‑)Auslegung anwendbar – Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik, Sinn und Zweck.176 Aus dem Wortlaut von Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. („entstehen können“) ergab sich entgegen einiger Stimmen177 keine Notwendigkeit, potenzielle Interessenkonflikte offenzulegen, da nur deutlich werden sollte, auf der Basis welcher Art von mit dem Unternehmensinteresse kollidierenden Fremdinteressen sich vornehmlich Interessenkonflikte ergeben können. Es konnte in teleologischer Hinsicht auch keine Parallele zu Ziff. 5.4.1 Abs. 2 S. 2 DCGK a. F. gezogen werden,178 da diese auf eine allgemeine Prognose des Risikos von Interessenkonflikten im Vorfeld der Aufsichtsratswahl abzielte, in deren Rahmen gerade auch „potenzielle Interessenkonflikte“ bedeutsam sind179. Da dort ausdrücklich auf „­ potenzielle Interessenkonflikte“ Bezug genommen wurde, nicht aber in Ziff. 5.5.2 DCGK a. F., konnte wiederum mit Blick auf den Wortlaut nicht angenommen werden, dass Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. diese erfassen sollte. AnBegriff des potenziellen Interessenkonflikts und der im Einzelfall bestehenden (Rest‑) Unsicherheit, ob ein Interessenkonflikt anzunehmen ist (vgl. dazu noch unten § 4 A. V. 3.), unterschieden werden muss. 174  So wiederum Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145, sowie Kiem, in: FS Stilz, 2014, S. 329, 341, und R. Werner, BOARD 2016, 57, 60, wenn auch jeweils unter dem unzutreffenden Verweis auf OLG München, AG 2009, 121, 123, das sich auf Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. bezieht; ferner Kort, ZIP 2008, 717, 724; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1465; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 5; implizit Heldt, in: Heidel, DCGK Rn. 63 Fn. 359; kritisch zur Offenlegung potenzieller Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Ziff. 4.3.3 S. 1 DCGK a. F. (Offenlegung von Interessenkonflikten durch die Vorstandsmitglieder) Bachmann, in: Kremer/ Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1101. A. A. Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 74; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 11; Koch, ZGR 2014, 697, 724; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 183; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 203; Seibt, AG 2003, 465, 475; im Umkehrschluss offenbar auch Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 100 mit Fn. 321 und 322. 175  Siehe zur Rechtsnatur des DCGK oben § 2 C. mit § 2 Fn. 175. 176  Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u.  a., Rn.  46; Bayer/Scholz, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 161 Rn. 19; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 189; Seibt, AG 2003, 465, 471. Im Überblick zu den Auslegungsmethoden Grüneberg, in: Palandt, Einleitung BGB Rn. 41–46. 177  Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 203, und tendenziell Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1101; Koch, ZGR 2014, 697, 724; MarschBarner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 183; Seibt, AG 2003, 465, 475; Theisen, Information und Berichterstattung, S. 63. Ähnlich wie hier dagegen Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.2 Rn. 5. 178  So aber offenbar Koch, ZGR 2014, 697, 724 Fn. 93. 179  Siehe oben § 2 C. IV. 3. mit § 2 Fn. 290.



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts177

gesichts des schon angedeuteten Zwecks der Offenlegung von Interessenkonflikten gegenüber dem Aufsichtsrat sprach in teleologischer Hinsicht bei Ziff. 5.5.2 DCGK a. F., anders als im Zusammenhang mit der Aufsichtsratswahl, ebenfalls nichts für die Offenlegung bloß potenzieller Interessenkonflikte.180 Die vorauseilende Befassung mit der alleinigen Möglichkeit eines Interessenkonflikts, die sich vielleicht nicht einmal realisiert, schafft keinen Mehrwert, sondern verursacht vielmehr einen ungerechtfertigten Zusatzaufwand und einen möglichen Reputationsverlust des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds. Behandlungsbedürftige Interessenkonflikte liegen im Fall (nur) potenzieller Interessenkonflikte nicht vor. Die hier vertretene Ansicht wird dadurch, dass in Empfehlung E.1 S. 1 DCGK anders als noch in Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. auf die erwähnte Formulierung „Interessenkonflikte […], die […] entstehen können“ verzichtet wird, zusätzlich indirekt bestätigt.181 2. Offenlegung jedes Interessenkonflikts als praktikable Regel Aufgrund ihrer Bedeutung als notwendige Grundlage weiterer Interessenkonfliktmaßnahmen182 ist bei jedem Interessenkonflikt eine Offenlegung desselben erforderlich. Das gilt unabhängig von einer etwaigen Erkennbarkeit des Konflikts durch Dritte.183 Es ist nochmals zu betonen, dass bei einem Verzicht auf eine Relevanzschwelle184 innerhalb des Interessenkonfliktbegriffs das Individuum als Träger verschiedenster eigener oder fremder Inte­ ressen bei einer formalistischen Betrachtung einer unerschöpflichen Breite und Vielzahl von Interessenkonflikten ausgesetzt ist. Beispielsweise kann dann auch im Fall desjenigen, dessen Ehefrau einige wenige Aktien an einer Gesellschaft hält und der für das Konkurrenzunternehmen dieser Gesellschaft als Vorstand tätig ist, ein Interessenkonflikt im genannten Sinne bei solchen Fragen und Entscheidungen bejaht werden, wo jedes Agieren zum Vorteil der Gesellschaft zumindest theoretisch, auch in einem nur sehr geringen Umfang, den Aktienkurs des Wettbewerbers und damit den Wert der Aktien der Ehefrau negativ beeinflusst. Eine Behandlung und hierdurch Bewältigung sämtlicher solcher (vermeintlicher) Interessenkonflikte kann jedoch nicht ernsthaft für notwendig befunden werden und ist auch im aktienrechtlichen 180  Insoweit unzutreffend Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  203; Seibt, AG 2003, 465, 475. 181  Vgl. übereinstimmend Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/GhassemiTabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 6. 182  Siehe oben § 4 A. II. 183  Dazu oben § 4 A. mit den in § 4 Fn. 17 Genannten. 184  Ein solcher wird (zu Unrecht) zum Teil befürwortet, siehe oben § 2 C. I. 2.

178

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Kontext und dort selbst bei größtmöglichen Zweifeln an der Integrität der Verwaltungsmitglieder von Aktiengesellschaften weder wünschenswert noch praktikabel. Die stattdessen als Element des Interessenkonfliktbegriffs vorzusehende Relevanzschwelle185 fungiert hier praktisch als Vorfilter, der verhindert, dass jede noch so banale Kumulation inkompatibler Interessen ein verpflichtendes Handlungsprogramm auslöst. Es kann nach der leichtgängigen Formel verfahren werden, dass jeder Interessenkonflikt offenzulegen ist, da die Vorauswahl bereits über das anzulegende Begriffsverständnis erfolgt. Es kann darauf verzichtet werden, gesondert zu betonen, dass bereits bei „schwachen“ Inte­ ressenkonflikten von einer Offenlegungspflicht auszugehen ist186. Das Dasein der Offenlegung als Vorbedingung weiterer Interessenkonfliktmaßnahmen setzt dies zwingend voraus. Umgekehrt bedarf es vor allem keiner Grenzziehung nach unten mehr: Die auch im Zusammenhang mit der Offenlegungspflicht geäußerten Forderungen einer gewissen Relevanzschwelle187 können aufgrund der richtigerweise als Teil des Interessenkonfliktbegriffs vorzusehenden Relevanzschwelle bereits als erfüllt gelten. Eine Beschränkung der Offenlegungspflicht auf alle „schwerwiegenden und dauerhaften Interessen­ konflikte“188 ist aus den vorstehenden Überlegungen von vornherein nicht zu halten. Wenn und weil das Interventionsbedürfnis bei Interessenkonflikten auf die Gefahr konfliktbeeinflussten Handelns zurückzuführen ist189, kann das im Verhältnis mildeste Mittel im Umgang mit Interessenkonflikten nicht erst eingreifen, wenn diese Gefahr bei einem schwerwiegenden und dauerhaften Interessenkonflikt noch gesteigert und wiederholt gegeben ist. Für den vorgeschlagenen Verzicht auf jegliche Beiwörter – der die Annahme einer bereits im Interessenkonfliktbegriff angelegten Relevanzschwelle nicht ausschließt – spricht trotz der Rechtsnatur des DCGK schließlich wie bei Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. der Wortlaut von Empfehlung E.1 S. 1 DCGK, die sich allein auf „Interessenkonflikte“ bezieht. 185  Dazu

oben § 2 C. I. 2. aber Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 216. 187  Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 235; implizit Hüffer/Koch, § 108 Rn. 11 f.; im Kontext von Ziff. 4.3.3 S. 1 DCGK a. F. (Offenlegung von Inte­ ressenkonflikten durch die Vorstandsmitglieder) Bachmann, in: Kremer/Bachmann/ Lutter u. a., Rn. 1100a. 188  So möglicherweise Martinek, WRP 2008, 51, 63, wobei dem nicht zweifelsfrei entnommen werden kann, dass im Gegenschluss bei allen nicht (auch) „schwerwiegenden und dauerhaften“ Interessenkonflikten keine Offenlegung angezeigt ist, und zudem nicht gänzlich auszuschließen ist (vgl. ebd., 54 und 59), dass hinter diesen (dann überflüssigen) Attributen „nur“ der Interessenkonflikt im hier verstandenen Sinne steht (insofern ausführlich zum Begriff des Interessenkonflikts oben § 2 C. I. im Ganzen) und der befürchtete Widerspruch zu den hiesigen Ausführungen entfällt. 189  Siehe dahingehend oben § 2 C. II. 186  So



A. Verpflichtende Offenlegung des Interessenkonflikts179

3. Offenlegung in der Praxis auch beim bloßen Verdacht eines Interessenkonflikts In der Theorie wird der Umfang der Offenlegungspflicht begrenzt, indem Teil des Interessenkonfliktbegriffs eine Relevanzschwelle der Art ist, dass aus der Kumulation der inkompatiblen Interessen auch eine hinreichende Gefahr der bzw. Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung des Unternehmens­ interesses erwachsen muss190. Vor die verbleibenden, nicht absolut zu beseitigenden Schwierigkeiten bei der Bewertung, ob eine solche Gefahr bzw. Wahrscheinlichkeit vorliegt, ist indes auch das einzelne Aufsichtsratsmitglied gestellt. Die vorgeschlagene, an sich erfreulich eingängige Regel, jeden Interessenkonflikt offenzulegen, verlangt eine entsprechende Einschätzung zum Vorliegen von Interessenkonflikten von den Aufsichtsratsmitgliedern. Da – die Kenntnis des Aufsichtsratsmitglieds aller relevanten Umstände vorausgesetzt – der Interessenkonflikt verobjektiviert zu ermitteln ist191, kann sich das Aufsichtsratsmitglied gegebenenfalls nicht darauf berufen, es habe in Wahrheit keinem Interessenkonflikt unterlegen192. Seinerseits bedarf es des nötigen Gespürs dafür, wann die objektiven Umstände zumindest auf einen durch Eigen- oder Fremdinteressen ausgelösten Interessenkonflikt hindeuten, um der Offenlegungspflicht gerecht werden zu können.193 Es mag aber in der Praxis durchaus Fälle geben, in denen sich das Aufsichtsratsmitglied hierüber im Zweifel befindet. Da das Aufsichtsratsmitglied selbst aber nicht zu einer verbindlichen Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts berufen ist, kann es ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn es vermeintliche Interessenkonflikte offenlegt, die sich bei näherem Hinsehen nicht als solche entpuppen. Gemeint ist vor allem der Fall, dass die Einschätzung des Aufsichtsratsvorsitzenden194 zu den geschilderten Umständen, später womöglich die des Aufsichtsratsplenums, von der des Aufsichtsratsmitglieds abweicht. Etwas anderes gilt nur dann und es verkörpert selbst einen Treuepflichtverstoß, wenn die insoweit völlig übertriebene Vorsicht zum Zweck des Selbstschutzes durch die sich jeweils anschließenden Erörterungen und Maßnahmen die Arbeit des Aufsichtsrats insgesamt lähmt und über Gebühr beeinträchtigt. Im Übrigen ist eine Offenlegung von (vermeintlichen)

190  Siehe

oben § 4 A. V. 2. und grundlegend § 2 C. I. 2. oben § 2 C. III. 2. 192  Vgl. allgemein Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 156. 193  Vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 81 und 156. Zu diesbezüglichen Schwierigkeiten aufgrund verhaltensökonomischer Anomalien vgl. ebd., S. 44 f., sowie zuvor Kumpan, Interessenkonflikt, S. 82. 194  Zur Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden als Empfänger der Offenlegung siehe oben § 4 A. III. 2. b) im Ganzen. 191  Dazu

180

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Interessenkonflikten ratsam, sobald der objektive Eindruck eines solchen vorliegen könnte bzw. der begründete Verdacht eines solchen besteht.195

B. Weitere Maßnahmen und Pflichtendes Konfligierten und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder – eigenes Konzept Ausgehend von der Offenlegung als Grundbedingung und erster Schritt der Konfliktlösung196 ist danach zu fragen, ob weitere Maßnahmen angezeigt sind und gegebenenfalls welche Maßnahme sodann zur Konfliktlösung ergriffen werden muss. Dabei ist der Blick auf die möglichen Maßnahmen innerhalb der jeweiligen Gesellschaft zu richten. Im Fall eines konfligierenden Fremdinteresses besteht unabhängig davon die Option, die Wahrnehmung des Fremdinteresses zu unterlassen und beispielsweise ein Mandat im Vorstand oder Aufsichtsrat einer weiteren Gesellschaft aufzugeben. Infolgedessen entfällt der Interessenkonflikt an sich. Hingegen bedeutet eine Konfliktlösung innerhalb der betroffenen Gesellschaft nicht, dass der Interessenkonflikt dem Grunde nach beseitigt würde. Jedoch wird die dem Interessenkonflikt inhärente Gefahr für das Unternehmensinteresse isoliert, indem das zugehörige Mandat bestimmten Einschränkungen unterworfen wird.197 Damit ist die Prämisse angesprochen, dass allein die Offenlegung eines Interessenkonflikts nicht genügt, sondern verpflichtend weitere Maßnahmen folgen müssen. Im Schrifttum finden sich hiervon abweichende Darstellungen, die das „Ob“ weitergehender Maßnahmen vom Einzelfall abhängig machen.198 Hinzu kommt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, in der dieser es mit Blick auf die Behandlung von Interessenkonflikten offenbar für möglich (und legitim) hält, dass der Aufsichtsrat unter Umständen „keinen Anlass für irgendwelche Vorsorgemaßnahmen“ sieht, wenngleich eine ausdrückliche Positionierung an dieser Stelle unterbleibt.199 Beidem ist zu wi195  Letztlich wie hier Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 15, der insoweit mit Blick auf Empfehlung E.1 S. 1 DCGK für einen „eher weite[n]“ Interessenkonfliktbegriff eintritt – diese Formulierung ist jedoch irreführend und in der Sache nicht zutreffend: Der Begriff des Interessenkonflikts ist feststehend und muss dies auch sein, wenn er Auslöser von Rechtsfolgen sein soll. In der Tendenz ferner Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 231. 196  Dazu oben § 4 A. II. 197  So schon der Hinweis oben in der Einleitung von § 4. 198  Siehe exemplarisch Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1462; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 147; wohl auch Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 144 f. Wie hier dagegen Peltzer, in: Wellhöfer/ Peltzer/W. Müller, § 19 Rn. 114; möglicherweise auch Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 808. 199  BGH, NJW 2009, 2207, 2210 – Kirch/Deutsche Bank.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten181

dersprechen. Wird einhergehend mit der Feststellung eines Interessenkonflikts die Gefahr gesehen, dass es zu einer Vernachlässigung des betreffenden Interesses kommt,200 müssen aktiv Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Offenlegung des Interessenkonflikts eine so starke Selbstdisziplinierung des Betroffenen bewirkt, dass das Risiko konfliktbeeinflussten Verhaltens gebannt ist.201 Dieses Risiko scheint auch der Bundesgerichtshof zu unterschätzen, zumal sich ein Interessengegensatz, der sich noch im Vorfeld als gefahrlos entpuppt, nicht als berichtenswert i. S. v. Empfehlung E.1 S. 2 DCGK darstellt. Anders als vereinzelt behauptet202, sind die Relevanzschwelle, die für die Annahme eines Interessenkonflikts gilt, und die Relevanzschwelle, die den Bedarf der ­ ­Behandlung dieses Interessenkonflikts durch weitere spürbare Maßnahmen auslöst, kongruent. An die entsprechende Relevanzschwelle ist zugleich die Offenlegungspflicht gekoppelt. Das schließt nicht aus, im Zweifel einen vermeintlichen Interessenkonflikt offenzulegen und bei der Offenlegung in der Praxis zur Sicherheit einen weiteren Maßstab anzulegen, anschließend jedoch zu der Feststellung zu gelangen, dass tatsächlich kein Interessenkonflikt gegeben ist.203 Die im Grundsatz anzunehmende Konflikttoleranz des Aktiengesetzes204 darf nicht überbewertet werden.205 Sie kann allein hinsichtlich potenzieller Interessenkonflikte als uneingeschränkt erachtet werden, betrifft übereinstimmend damit ansonsten aber nur die Tatsache, dass im Aufsichtsrat leicht Interessenkonflikte auftreten, nicht Interessenkonflikte an sich. Von einer teilweise so vermuteten Vorstellung des Gesetzgebers, die Aufsichtsratsmitglieder wüssten selbst mit (bestehenden) Interessenkonflikten um­ zugehen,206 ist nicht auszugehen. Der dahinterstehende, im Grunde zutreffende Gedanke mahnt vielmehr zur Zurückhaltung im Rahmen der Frage des 200  Vgl.

oben § 2 C. I. 2. im Ergebnis Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 181, wonach die Konfliktoffenlegung „regelmäßig zur Behandlung von intensitätsschwachen und temporären Interessenkonflikten geeignet“ sein soll; so zuvor schon Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1374. Mit Blick auf die fortgesetzte Anwendbarkeit der Business Judgment Rule im Kollegialorgan hält indes selbst Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 185, „ganz regelmäßig“ einen Stimmrechtsausschluss für erforderlich. 202  Vgl. Bachmann, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1100a, unter Bezugnahme auf BGH, NJW 2009, 2207, 2210 – Kirch/Deutsche Bank. 203  Vgl. oben § 4 A. V. 3. sowie unten § 4 B. I. 1. a). 204  Vgl. dazu oben § 2 B. II. mit § 2 Fn. 166. 205  In diese Richtung auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 162 f.; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 62; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 14. 206  Ohne den Klammerzusatz Martinek, WRP 2008, 51, 53, der – nach hier vertretener Ansicht zu Unrecht – annimmt, das Aktiengesetz gebe eine „Zurückhaltung bei sanktionierenden Rechtsfolgen“ vor (ebd., 59); Nordhues, CFL 2010, 327, 329; in 201  Anders

182

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Vorliegens eines Interessenkonflikts.207 Wird diese bejaht, sind die entsprechenden Interessenkonflikte aber nicht seinetwegen tatenlos zu dulden. Es sind im Anschluss an die Offenlegung des Interessenkonflikts, einschließlich dessen Bestätigung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden respektive das Aufsichtsratsplenum, stets weitere Schritte zu verlangen. Interessenkonflikten kann vornehmlich durch die Nichtbeteiligung des Betroffenen begegnet werden, sobald es im Aufsichtsrat um die abschließende innere Willensbildung geht. Letztere erfolgt durch Beschlüsse (§ 108 Abs. 1 AktG),208 auf sie gerichtete Rechtsgeschäfte eigener Art, welche auf einen Antrag bezogen durch die Abgabe von Willenserklärungen – Stimmabgaben – zustande kommen209. Erforderlich ist ein Beschluss, außer bei Anträgen auf Beschlussfassung durch einzelne oder mehrere Aufsichtsratsmitglieder, bei allen Erklärungen im Innen- und Außenverhältnis, die nach dem Gesetz oder der Satzung über Rechtswirkungen verfügen210, vor allem bei Zustimmungserfordernissen wie nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, des Weiteren bei gesetzlich geforderten Erklärungen und Stellungnahmen sowie bei Erklärungen gegenüber der Öffentlichkeit oder gegenüber Dritten211. Mittelbar gewinnt so das Stimmrecht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds eine nicht unerhebliche Bedeutung, da vorbehaltlich abweichender Regelungen zur Beschlussfassung in der Satzung und im Gesetz die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen nötig (§ 32 Abs. 1 S. 3 BGB)212 und der Beschluss bei Stimmengleichheit abgelehnt ist213. Dies wird auch nicht dadurch relativiert, dass der Vorsitzende im Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes diese Richtung grundsätzlich auch Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 69 und 186. 207  So ist dann auch der Einwand zu entkräften, es könne dem „notwendig in andere Interessen eingebundenen Aufsichtsratsmitglied“ nicht auf der einen Seite die Wahrung des Unternehmensinteresses überlassen werden und ihm auf der anderen Seite bei Vorliegen gegenläufigen Interessen die Fähigkeit dazu „grundsätzlich“ wieder abgesprochen werden, vgl. insofern Dreher, JZ 1990, 896, 903, und ferner Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 95. Anders als von Krebs (ebd.) vertreten, dürfen „alle möglichen Interessenkonflikte rechtlich erfasst werden“ – entscheidend ist im gegebenen Kontext, wann man einen „Interessenkonflikt“ für gegeben hält. 208  Näher zur inneren Ordnung des Aufsichtsrats oben § 2 B. I. 2. 209  K. Schmidt, GesR, S. 436 f.; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 2. Zum Verfahren Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 31 ff. 210  Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 8 f.; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn.  19 f. 211  Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 19; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 9. 212  Siehe schon § 2 B. I. 2. mit § 2 Fn. 135 einschließlich der dortigen Nachweise. 213  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 7; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 10; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 16.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten183

über eine Zweitstimme beim Stichentscheid verfügt (§§ 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitbestG), da das Fehlen von nur einer Stimme in den relevanten Fällen bewirkt, dass es schon in der ersten Abstimmung zu keiner Pattsituation kommt, sodass eine erneute Abstimmung überhaupt nicht stattfindet.214 Unbeschadet dessen gilt es zu bedenken, dass ein von einem Interessenkonflikt betroffenes Aufsichtsratsmitglied womöglich auch an der Beeinflussung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder und am Erhalt sensibler Informationen gehindert werden muss. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende wie jedes andere Aufsichtsratsmitglied einem Interessenkonflikt unterliegen und infolgedessen auch Interessenkonfliktmaßnahmen unterworfen werden kann.215

I. Kompetenzen des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Aufsichtsratsplenums – das zu erwartende weitere Verfahren im Anschluss an die Offenlegung des (vermeintlichen) Interessenkonflikts Nachdem das betroffene Aufsichtsratsmitglied dem Aufsichtsratsvorsitzenden216 von dem (vermeintlichen) Interessenkonflikt berichtet hat, ist typischerweise das nachfolgend skizzierte oder ein ähnliches Szenario denkbar. 1. Tätigwerden des Aufsichtsratsvorsitzenden Die Information über den (vermeintlichen) Interessenkonflikt verlangt zunächst ein Tätigwerden des Aufsichtsratsvorsitzenden, sofern nicht dieser selbst von dem in Rede stehenden Interessenkonflikt betroffen ist und gezwungenermaßen der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende anstelle des Aufsichtsratsvorsitzenden handelt.217 214  Ausführlich Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 129 ff. Eine besondere Rücksichtnahme auf die Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes bei der Erörterung von Interessenkonfliktmaßnahmen ist wegen § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MitbestG gleichwohl nicht angezeigt, vgl. auch Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  127 f. 215  Zur Offenlegung eines Interessenkonflikts auf Seiten des Aufsichtsratsvorsitzenden oben § 4 A. III. 2. b) cc) am Ende. Das Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden (§§ 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitbestG) im Anwendungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes steht dessen Stellvertreter nicht zu (§ 29 Abs. 2 S. 3 MitbestG) und kann auch nicht übertragen werden (Annuß, in: MüKoAktG, § 29 MitbestG Rn. 13). 216  Zur Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden als Empfänger der Offenlegung siehe oben § 4 A. III. 2. b) im Ganzen. 217  Die nachfolgenden Ausführungen zu Aufgaben und Tätigkeiten des Aufsichtsratsvorsitzenden gelten in Fällen, in denen der Aufsichtsratsvorsitzende selbst einem

184

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

a) Beurteilung und Verhängung von Maßnahmen durch den Aufsichtsratsvorsitzenden Die möglicherweise aus zeitlichen Gründen anzunehmende Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden für Interessenkonfliktmaßnahmen setzt zwangs­ läufig voraus und umfasst, dass der Aufsichtsratsvorsitzende eine Einschätzung zu der Frage trifft, ob gemessen an der Schilderung durch den (vermeintlich) Betroffenen überhaupt ein Interessenkonflikt vorliegt218. Doch auch bei einer Offenlegung des Interessenkonflikts im Verlauf einer Sitzung – hier wird der Aufsichtsratsvorsitzende die Sitzung in praxi für ein Gespräch allein mit dem (vermeintlich) Betroffenen unterbrechen – ist der Aufsichtsratsvorsitzende zur Beurteilung des Vorliegens eines Interessenkonflikts berufen: Zwar lässt sich einwenden, dass das Aufsichtsratsplenum in einem solchen Fall gegenwärtig versammelt und daher selbst theoretisch sofort entscheidungsfähig ist. Allerdings ist nicht allein eine rechtzeitige Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts von Bedeutung. Schon unter praktischen Gesichtspunkten wäre es unangebracht, hier eine Gruppe von bis zu 21 Personen (vgl. § 95 S. 4 AktG) über die oftmals schwierige und nicht eindeutige Frage des Vorliegens eines Interessenkonflikts ent­scheiden lassen zu wollen. Der Aufsichtsratsvorsitzende hat allgemein eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Interessenkonflikts. Zu erwarten ist in allen Fällen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende seine Einschätzung hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Interessenkonflikts noch in dem Gespräch trifft, in welchem das einzelne Aufsichtsratsmitglied den (vermeintlichen) Interessenkonflikt erstmals offenbart. Meist wird der Aufsichtsratsvorsitzende Rückfragen stellen, um die Situation beurteilen zu können, was auch Gegenstand eines späteren Gesprächs sein kann.219 Vor allem eine mögliche Verschwiegenheitspflicht des Offenlegenden gegenüber Dritten setzt der Auskunftserteilung jedoch Grenzen. Im Idealfall ist dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine Beurteilung ohne Weiteres und zweifelsfrei möglich. Dabei kann er einerseits zu dem Schluss gelangen, dass ein Interessenkonflikt anzunehmen ist, die Offenlegung also begründet war. An dieser Stelle kommt ihm dann die im Schrifttum mitunter erwähnte Pflicht zur Entscheidung über das weitere Vorgehen in Gestalt von Interessenkonflikt unterliegt, entsprechend für dessen Stellvertreter, vgl. oben § 4 A. III. 2. b) cc) am Ende. 218  Vgl. bereits oben § 4 A. III. 2. b) cc). Zu diesbezüglichen Schwierigkeiten wegen verhaltensökonomischer Anomalien vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S.  46 f. 219  Im Ansatz Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 231.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten185

Interessenkonfliktmaßnahmen220 zu, jedoch, darauf sei hingewiesen, begrenzt auf solche Maßnahmen, die aus zeitlichen oder aus praktischen Gründen seiner Kompetenz unterfallen. Andererseits ist denkbar, dass der Aufsichtsratsvorsitzende einen Interessenkonflikt und damit einhergehend die Notwendigkeit jeglicher Maßnahmen schon an dieser Stelle verneint, mithin zu einer von der Einschätzung des vermeintlich Konfligierten abweichenden Meinung gelangt. Möglicherweise hatte die Offenlegung auch primär prophylaktischen Charakter221 und im Dialog zwischen dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied und dem Aufsichtsratsvorsitzenden ergibt sich, dass kein Interessenkonflikt vorliegt, eine Offenlegung also rechtlich nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Ist sich der Aufsichtsratsvorsitzende schließlich trotz seiner Nachfragen unsicher und sieht er sich außerstande, eine Einschätzung der Situation im Hinblick darauf vorzunehmen, ob ein Interessenkonflikt vorliegt, muss er den Rat von Sachverständigen einholen (vgl. § 109 Abs. 1 S. 2 AktG). b) Informationsweitergabe an das Aufsichtsratsplenum Nach der Beurteilung der Situation durch den Aufsichtsratsvorsitzenden informiert dieser in zwei von drei Fällen das Aufsichtsratsplenum: bei Feststellung eines Interessenkonflikts durch den Aufsichtsratsvorsitzenden und bei Unsicherheit des Aufsichtsratsvorsitzenden über das Vorliegen eines Interessenkonflikts. Hält man den Aufsichtsratsvorsitzenden für berechtigt und verpflichtet, im Fall seiner abschließenden Unsicherheit das Plenum zu informieren, so bleiben nur Fälle außen vor, in welchen der Aufsichtsratsvorsitzende ein negatives Urteil gefällt hat. Dann ist es gerade nicht verhältnismäßig, eine Stigmatisierung des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds durch eine dennoch stattfindende Information des Plenums zu riskieren. Die etwaige Befürchtung, der Aufsichtsratsvorsitzende würde sich unverhältnismäßig oft und aus Angst vor unzutreffenden Entscheidungen seinerseits auf seine vermeintliche Unsicherheit zurückziehen und – statt von seiner Einschätzungsprärogative pflichtgemäß Gebrauch zu machen – den Aufsichtsrat einschalten bzw. einberufen, ist unbegründet: Typischerweise wird er nicht den Eindruck mangelnder Entscheidungsfähigkeit und mangelnden Entscheidungswillens erwecken wollen. Die gegebenenfalls durch die Information ausgelöste Kenntnis der übrigen Aufsichtsratsmitglieder von dem tatsächlich vorliegenden Interessenkonflikt ihres Kollegen hat für diese, wohlgemerkt, eine zu-

220  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 100; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 74; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 302; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1470. 221  Vgl. dazu oben § 4 A. V. 3.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

sätzliche Bedeutung, indem sie womöglich die Anwendung der Business Judgment Rule zu ihren Gunsten auszuschließen vermag.222 Zwar endet demnach das Verfahren zum Umgang mit dem Interessenkonflikt, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende befindet, dass kein solcher vorliegt. Nicht zu unterschätzen ist für diese Grenzfälle aber der positive Effekt auf Seiten des tatsächlich nicht Konfligierten, der trotz allem erreicht werden kann: Die der Offenlegung zugeschriebene Wirkung im Sinne einer Selbstkontrolle bzw. Selbstdisziplinierung223 wird in abgewandelter Form auch dann erreicht, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende und der tatsächlich nicht Konfligierte einen vermeintlichen Interessenkonflikt diskutieren, dann aber zu dem Schluss gelangen, dass kein solcher anzunehmen ist. Der vermeintlich Konfligierte wird dann trotz dessen verstärkt darauf achten, nicht den Eindruck zu erwecken, von anderen Interessen geleitet zu werden. Von größerer Bedeutung ist daneben, dass der Aufsichtsratsvorsitzende so als Vorfilter fungieren kann: Die mögliche Identifikation solcher Situationen, in denen entgegen der Annahme oder Befürchtung des Offenlegenden schon gar kein Interessenkonflikt vorliegt, trägt zur Effizienz der Tätigkeit des Aufsichtsrats bei, da sich dieser schon gar nicht mit jenen Sachverhalten befassen muss. 2. Tätigwerden des Aufsichtsratsplenums Die Information des Aufsichtsratsvorsitzenden über einen aus seiner Sicht vorliegenden oder jedenfalls nicht auszuschließenden Interessenkonflikt und mögliche Interessenkonfliktmaßnahmen, die er kraft seiner dahingehenden Kompetenzen, soweit solche bestehen, ergriffen hat, versetzt das Aufsichtsratsplenum in die Lage, soweit erforderlich und soweit es ihm zusteht, selbst tätig zu werden bzw. zu einer eigenen Einschätzung zu gelangen. Die Beurteilung durch den Gesamtaufsichtsrat hat im Ergebnis in jedem Fall stattzufinden, da im Anschluss an die Bejahung eines Interessenkonflikts unter Umständen Maßnahmen zum Umgang mit demselben durch das Plenum vorgesehen werden müssen oder aber da eine endgültige Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts noch aussteht.224

222  Dazu

noch unten § 5 C. II. im Ganzen. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 208; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1374. Insgesamt zur Bedeutung der Offenlegung oben § 4 A. II. 224  Davon eingeschlossen ist etwa die Entscheidung, ob ein „[w]esentlicher und nicht nur vorübergehende[r] Interessenkonflikt[e]“ i. S. v. Empfehlung E.1 S. 3 DCGK vorliegt, welche, wie Seibt, AG 2003, 465, 472, noch bezogen auf Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. konstatiert, der Einschätzung des Aufsichtsrats unterfällt. 223  Siehe



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten187

a) Verhängung von Interessenkonfliktmaßnahmen bei erstmaliger Feststellung eines Interessenkonflikts Hat der Aufsichtsratsvorsitzende ausnahmsweise noch keine Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts und die zu ergreifenden Maßnahmen getroffen, kann der (Gesamt‑)Aufsichtsrat, begrenzt auf diese Fälle, wegen seiner prinzipiellen Zuständigkeit auch für den Umgang mit Interessenkonflikten die entsprechende Entscheidung per Beschluss treffen.225 Es kommt im Zuge dessen auch die Verhängung von Interessenkonfliktmaßnahmen in Betracht, wie sie auch in allen sonstigen Fällen im Rahmen der dahingehenden Kompetenzen des Aufsichtsratsplenums zu erörtern bzw. vorzunehmen wäre. Allerdings wird davon in dieser Konstellation sogar die erstmalige Entscheidung über solche Maßnahmen umfasst, die im Regelfall (bei positiver Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts durch den Aufsichtsratsvorsitzenden) womöglich aus zeitlichen Gründen unter die Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden fallen. b) Zugrundelegung des durch den Aufsichtsratsvorsitzenden festgestellten Interessenkonflikts durch das Aufsichtsratsplenum Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende im Anschluss der Schilderung der Situation durch das betroffene Aufsichtsratsmitglied und nach Prüfung der relevanten Umstände einen Interessenkonflikt bejaht und das Aufsichtsratsplenum darüber in Kenntnis gesetzt hat, muss das Aufsichtsratskollektiv einen Interessenkonflikt als gegeben hinnehmen. Die Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts liegt aus praktischen Gründen originär in der Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden. Ihm gebührt innerhalb der Gesellschaft die verbindliche Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts.226 Einerseits könnte in der Beurteilung, ob ein Interessenkonflikt vorliegt, wegen des Abstellens auf den entsprechenden Rechtsbegriff die Entscheidung einer Rechtsfrage liegen. Jedenfalls bei der Feststellung der Stimmberechtigung soll es sich in Anbetracht möglicher automatisch eingreifender Stimmverbote nach verbreiteter Ansicht um die Beantwortung einer Rechts225  Vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 590 f., die aber kein vorheriges Tätigwerden des Aufsichtsratsvorsitzenden ansprechen. 226  A. A. U. H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 477 und 484, wonach insofern das Aufsichtsratsplenum abschließend entscheiden soll. In jedem Fall steht die finale Entscheidung dem Gericht zu (siehe schon oben § 4 A. III. 2.). Dieses hat über die Grenzen des Beurteilungsspielraums zu befinden, der an dieser Stelle besteht, überprüft die entsprechende Entscheidung aber nicht inhaltlich, so (bezogen auf den Aufsichtsrat) U. H. Schneider, ebd., S. 475, 484 f.

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frage handeln227, die vom Aufsichtsratsvorsitzenden vorzunehmen228 und im Ergebnis nicht nachprüfbar ist. Spezifiziert wird dies von anderer Seite dergestalt, dass es sich bei Interessenkonfliktmaßnahmen jeweils um die Entscheidung der Rechtsfrage handeln soll, ob die Treuepflicht das betroffene Aufsichtsratsmitglied zur Hinnahme der entsprechenden Maßnahme anhält.229 Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden in Rechtsfragen sind nach herrschender Ansicht, von einer gerichtlichen Entscheidung abgesehen, irreversibel.230 Dafür spricht, dass es praktisch nicht vorstellbar ist, das Aufsichtsratsplenum wäre in der Lage, als Gruppe diffizile Rechtsfragen zu klären. Rechtsfragen sind insofern nicht mehrheitsfähig. Stattdessen muss sich in diesen Fällen der Aufsichtsratsvorsitzende, soweit erforderlich, sachverständig beraten lassen. Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden in Rechtsfragen sind dann entweder richtig oder falsch.231 Andererseits ist auch unabhängig von der Einordnung der Frage des Vorliegens eines Interessenkonflikts als Rechtsfrage festzuhalten, dass hier – auch wenn man schwerpunktmäßig auf die tatbestandliche Subsumtion unter den (Rechts‑)Begriff des Interessenkonflikts abstellt – unter praktischen Gesichtspunkten das Handeln einer Einzelperson anstelle des Kollektivs nötig ist. Für das Aufsichtsratsplenum geht es im Ergebnis darum, aufbauend auf die Feststellung eines Interessenkonflikts durch den Aufsichtsratsvorsitzenden diejenigen Interessenkonfliktmaßnahmen zu ergreifen, für deren Verhängung es zuständig ist.

227  Siehe beispielsweise Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 53 und § 108 Rn. 33; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 31 und § 108 Rn. 19 (missverständlich aber § 107 Rn. 62); Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 58; Israel, in: Bürgers/Körber, § 107 Rn. 9; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 706; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 88 und § 5 Rn. 150; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 148; a. A. Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 84 („bloße Verfahrenshandlung des Aufsichtsratsvorsitzenden“); dem folgend Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386. 228  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 16; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 53 und 56; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 58; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 12; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 706; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 49 und § 108 Rn. 71; von Schenck, in: ArbHdb­AR, § 5 Rn. 150; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 148; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 107 Rn. 55; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.38; a. A. (mögliche Kontrolle durch das Plenum) Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 117; Nordhues, CFL 2010, 327, 332; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 113 f. 229  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 216; ohne Verweis auf die Treuepflicht Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386. 230  Siehe die in § 4 Fn. 91 Genannten. 231  von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 168.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten189

c) Prüfung durch das Gericht: Mögliche Revision nach vorheriger Beschlussfassung des Aufsichtsratskollektivs Die endgültige, letztverbindliche Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts und die Adäquanz der zu seiner Bewältigung verhängten Maßnahmen steht dem Gericht zu.232 In den Fällen, in denen der Gesamtaufsichtsrat in Kenntnis der Feststellung eines Interessenkonflikts durch den Aufsichtsratsvorsitzenden gänzlich untätig bleibt und keinen Beschluss über von ihm zu verhängende Interessenkonfliktmaßnahmen fasst, muss sich ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied, das damit nicht einverstanden ist, wegen seiner Treuepflicht zunächst an die Kollegen im Aufsichtsrat wenden und einen Beschluss des Aufsichtsrats beantragen. Wenn der Konfligierte oder auch tatsächlich nicht Konfligierte, aber auch ein anderes Aufsichtsratsmitglied, mit der Feststellung eines Interessenkonflikts durch den Aufsichtsratsvorsitzenden nicht einverstanden ist, so gilt: Eine isolierte gerichtliche Nachprüfung von diesbezüglichen Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden ist nicht möglich.233 Trifft der Gesamtaufsichtsrat aber aufbauend darauf per Beschluss Entscheidungen über Interessenkonfliktmaßnahmen, ist eine Feststellungsklage gerichtet auf die Feststellung der Nichtigkeit des jeweiligen Aufsichtsratsbeschlusses statthaft.234 In diesem Rahmen kann dann das Vorliegen eines Interessenkonflikts überprüft werden. Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten; klagebefugt sind sowohl das vom Interessenkonflikt betroffene – oder auch aus seiner Sicht nicht davon betroffene – Aufsichtsratsmitglied als auch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder.235

232  Vgl.

S. 66.

jedenfalls insoweit übereinstimmend Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende,

233  von Schenck, in: ArbHdbAR, § 4 Rn. 168, dort bezogen auf Verfahrensentscheidungen, einschließlich solcher in Rechtsfragen; anders offenbar Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 214. 234  Vgl. allgemein BGH, AG 1993, 464, 465 f. – Hamburg-Mannheimer. Dementsprechend etwa bezogen auf einen Teilnahmeausschluss Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  144 f.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 44; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 52. Vgl. dazu noch unten § 5 A. I. Daneben kommen im Fall von Teilnahmebeschränkungen aber auch eine Leistungsklage auf Teilnahme an der Sitzung und eine Unterlassungsklage gegenüber den vorgenommenen Beschränkungen in Betracht, siehe Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 44. Zum einstweiligen Rechtsschutz Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 47. Zur Prozessökonomie in dem Fall, dass der Aufsichtsrat unter den entsprechenden Umständen in der Sache Beschluss gefasst hat, Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 136. 235  Zur Klagebefugnis einzelner Aufsichtsratsmitglieder statt vieler BGH, AG 1993, 464, 464 – Hamburg-Mannheimer; BGH, NJW 1982, 1528, 1529; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 85.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

II. Vorbemerkung: Verbindliches Handlungsprogramm anstelle eines von der Konfliktstärke abhängigen Stufensystems Typischerweise wird nach der Feststellung und Umschreibung der Offenlegungspflicht eine Einschränkung des Stimmrechts des Betroffenen erwogen, das offenbar das nächste, gedanklich auf die Offenlegung folgende, eingriffsintensivere Mittel zu Behandlung des Interessenkonflikts darstellt. In Abgrenzung dazu ist jedoch die standardmäßige Verhängung eines Teilnahmeausschlusses zu befürworten, sobald auch das Aufsichtsratsplenum befunden hat, dass ein Interessenkonflikt vorliegt. Dies trägt letztlich zu mehr Sicherheit im Umgang mit Interessenkonflikten bei. Die Tatsache, dass der Umgang mit Interessenkonflikten im nicht normierten Bereich stattfindet, bietet Raum für die entsprechenden Opportunitätserwägungen. 1. Ohnehin bestehende Unsicherheiten bei der Beschränkung des Stimmrechts im Sinne einer Interessenkonfliktmaßnahme Die standardmäßige Verhängung eines Teilnahmeausschlusses nach der Feststellung eines Interessenkonflikts im Aufsichtsrat hat den Nebeneffekt, dass die trotz einer jahrzehntelangen Debatte noch immer bestehenden Unklarheiten bezüglich der Reichweite, des Anwendungsbereichs und der Modalitäten eines möglichen Stimmverbots bzw. Stimmrechtsausschlusses nicht länger von Bedeutung sind. Die Tatsache, dass das Gesetz bis zur Einführung von § 111b Abs. 2 AktG236 keine besonderen Stimmverbote für Aufsichtsratsmitglieder vorsah,237 trägt dazu bei, dass die diesbezüglichen Meinungen im Schrifttum auseinandergehen und der Rechtsanwender bislang über keinen sicheren Stand verfügt. Auch deshalb und allgemein aus Gründen der Klarheit sollte im Übrigen begrifflich unterschieden werden zwischen Stimmverboten, die ipso iure eingreifen (was dann regelmäßig nur noch festzustellen ist), und Stimmrechtsausschlüssen, die unter bestimmten Voraussetzungen vom jeweils anordnungsbefugten Akteur verhängt werden können bzw. müssen. a) Meinungsstand Dass das Stimmrecht eines Aufsichtsratsmitglieds überhaupt wegen eines Interessenkonflikts dieses Mitglieds entfallen kann, wird im Grundsatz trotz aller Meinungsunterschiede zur dahingehenden dogmatischen Begründung 236  Dazu

oben am Beginn von § 4 und zudem noch unten § 4 D. im Ganzen. zur insofern alten Rechtslage statt aller Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 63 f. 237  Vgl.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten191

und zum Kreis der davon erfassten Fälle238 weitestgehend anerkannt.239 Ist bzw. wird das Stimmrecht danach beschränkt, entfällt deshalb jedoch nicht zugleich das Recht zur Teilnahme an den Beratungen des Aufsichtsrats.240 Vor allem § 34 BGB wird insoweit ein Stimmverbot entnommen, als Aufsichtsratsmitglieder von der Beschlussfassung über Rechtsgeschäfte und Rechtsstreitigkeiten ausgeschlossen sind, die sie persönlich betreffen.241 Das jeweilige Aufsichtsratsmitglied darf von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch machen bzw. muss sich gegebenenfalls der Stimme enthalten.242 Die vereinsrechtliche Vorschrift des § 34 BGB, wonach ein (Vereins‑)Mitglied nicht stimmberechtigt ist, wenn die Beschlussfassung die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits dazu ausführlich Matthießen, Stimmrecht, passim. auch die Feststellung von Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 183; zuvor bereits Ulmer, NJW 1982, 2288, 2289. Eine Stimmrechtsbeschränkung generell ablehnend Behr, AG 1984, 281, 284 ff.; diesbezüglich differenzierend und letztlich recht zurückhaltend Matthießen, Stimmrecht, S. 228 ff. 240  Stellvertretend Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 189; Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146; Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 7 und 10; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 116; Spindler, in: BeckOGKAktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 7; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 32; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.66; vgl. zudem BGH, AG 2007, 484, 485, betraf die Entscheidung konkret auch die wegen § 108 Abs. 2 S. 3 AktG spezielle Konstellation eines dreiköpfigen Aufsichtsrats. A. A. Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 140 ff. 241  Siehe BayObLG, AG 2003, 427, 428; LG München I, ZIP 2019, 1015, 1017; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 16; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 101 und § 108 Rn. 29; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 32; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 70; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 64 ff.; Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 870; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 899; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 65; U. H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 482; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 29; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 22; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.61 f. Nicht explizit ferner BGH, AG 2007, 484, 485; OLG München, AG 2006, 337, 338; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 9; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 40. Ähnliche Normen, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden, sind § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG, § 136 Abs. 1 AktG, § 142 Abs. 1 S. 2 AktG, § 25 Abs. 5 WEG. Diese werden als Konkretisierung der organschaftlichen Treuepflicht betrachtet, siehe etwa Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1372, der sich für eine auf ihnen basierende Gesamtanalogie ausspricht (siehe § 4 Fn. 244). Gegen eine Einzel- wie auch gegen eine Gesamtanalogie MarschBarner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 150. 242  Nach den Ausführungen des BGH, AG 2007, 484, 485, bewirkt das Stimmverbot eines Aufsichtsratsmitglieds im dreiköpfigen Aufsichtsrat nicht dessen Beschlussunfähigkeit, wenn das betroffene Aufsichtsratsmitglied an der Beschlussfassung „teilnimmt“ gemäß § 108 Abs. 2 S. 2 und 3 AktG, sich jedoch der Stimme enthält (dazu auch noch unten § 4 B. III. 2. am Ende). 238  Vgl. 239  So

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

zwischen ihm und dem Verein betrifft, wird zusätzlich und über ihren Wortlaut hinaus analog angewendet, wenn bezogen auf ein Organmitglied ein Fall des Richtens in eigener Sache vorliegt.243 Die analoge Anwendung von § 34 BGB – andere treten für eine Gesamtanalogie zu dieser und weiteren Vorschriften ein244 – soll dabei unabhängig von der Schwere des parallel vorliegenden Interessenkonflikts erfolgen.245 Andere normative bzw. dogmatische Anknüpfungspunkte sind etwa § 181 BGB246 oder auch der Rechtsgrundsatz des Verbots des „Richtens in eigener Sache“247. Folgt man dem herrschenden Ansatz, der in der analogen Anwendung von § 34 BGB besteht248, erfüllen verschiedene (Entscheidungs‑)Situationen bzw. Gegenstände die beiden Leitsätze des Verbots des Insichgeschäfts und des Verbots des Richtens in eigener Sache: Vornahme eines Rechtsgeschäfts und Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsratsmitglied249, Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund250, Abberufung als Aufsichtsratsvorsitzender251, Ausschluss 243  Exemplarisch Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 16, und Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 154. Andere Vertreter der Einzelanalogie zu § 34 BGB (siehe insgesamt zum Meinungsstand § 4 Fn. 241) weisen darauf hin, das Verbot des Richtens in eigener Sache sei ein allgemeiner Grundsatz, der für ein Stimmverbot zugrunde gelegt werden könne, siehe § 4 Fn. 247. Einen Unterschied macht dies praktisch nicht, soweit die zum Teil genannten Normen aus verschiedenen Einzelgesetzen (vgl. § 4 Fn. 241) als Kodifikation des Grundsatzes verstanden werden, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf, vgl. insoweit etwa Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1372. 244  Für Gesamtanalogie zu § 34 BGB, § 136 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG sowie § 25 Abs. 5 WEG (siehe schon den Hinweis in § 4 Fn. 241) Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1375; ferner Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  137 f.; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 109 ff. Vergleichend zu Einzel- und Gesamtanalogie Kumpan, Interessenkonflikt, S. 517 f. 245  So (ohne den Einschub) Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. 246  Siehe Baumbach/A. Hueck/G. Hueck, § 108 Rn. 4; Wilhelm, NJW 1983, 912, 913. § 181 BGB soll unabhängig davon jedenfalls dann eingreifen, wenn das Aufsichtsratsmitglied im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften der Gesellschaft Vertreter oder Organ des anderen (Vertrags‑)Teils ist, siehe Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 25. 247  So einige Vertreter der Einzelanalogie zu § 34 BGB (siehe insgesamt zum Meinungsstand § 4 Fn. 241), die damit letztlich zwei Rechtsgrundlagen benennen, beispielsweise Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 32; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 66; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 65; daneben Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 108. 248  Vgl. auch die Argumentation des LG München I, ZIP 2019, 1015, 1017, und von Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 29. 249  Stellvertretend Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1375. 250  Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 27; siehe jedenfalls im Ergebnis auch die in § 4 Fn. 412 Genannten. 251  Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 27.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten193

des Aufsichtsratsmitglieds von der Sitzung252. In persönlicher Hinsicht gilt, dass ein Insichgeschäft auch dann anzunehmen ist, wenn ein Rechtsgeschäft mit einer Gesellschaft im Raum steht, deren persönlich haftender Gesellschafter oder anderweitig maßgeblich Beteiligter das Aufsichtsratsmitglied ist253. Ein nach alledem tatbestandlich erfülltes Stimmverbot greift automatisch ein.254 Dass dies der Fall ist, ist nach herrschender Ansicht durch den Aufsichtsratsvorsitzenden festzustellen.255 Stark umstritten ist indes, ob statt einer Beschränkung auf die genannten Konstellationen vielmehr ein allgemeines Stimmverbot für Interessenkonflikte gilt bzw. ob zugunsten der Behandlung von Interessenkonflikten ein Stimmrechtsausschluss auch über jene hinaus in Betracht kommt. aa) Kein allgemeines Stimmverbot Von diversen Stimmen aus der Rechtsprechung und vor allem aus der ­ iteratur wird ein allgemeines, automatisch eingreifendes Stimmverbot aufL grund von Interessenkonflikten abgelehnt.256 Die vorhandenen rechtlichen Regelungen, welche als Rechtsfolge ein Stimmverbot vorsehen, seien viel zu verschieden, als dass auf der Basis einer Rechtsanalogie ein allgemeines 252  Tomasic,

in: Grigoleit, § 108 Rn. 27. CFL 2010, 327, 330. Es geht, so Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 23, um Fälle einer „annähernden Interessenidentität“. Demnach genügt allein die personelle Nähe zur Gegenseite in aller Regel nicht, siehe Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1377. 254  Bezogen auf § 34 BGB Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 213; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 14. Siehe auch schon oben § 4 B. II. 1. 255  Siehe die in § 4 Fn. 228 Genannten. 256  Siehe OLG München, AG 2006, 337, 338; LG München I, ZIP 2019, 1015, 1018; Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1022; Bokelmann, Personelle Verflechtungen, S. 152; Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146; Dreher, JZ 1990, 896, 901; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 15; Ebke/Geiger, ZVglRWiss 93 (1994), 38, 63; Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 76 Rn. 116 (zum Vorstand); Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 112 f.; Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 429; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 32; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 70; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 116; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 130 f.; Kumpan, Interessenkonflikt, S.  518 f.; Löbbe, Unternehmenskontrolle, S. 359; Mertens/Cahn, in: KKAktG, § 108 Rn. 65 und 68; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 147; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 28; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1605; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.61; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 123 und 139 f.; allgemein Hopt, in: FS P. Doralt, 2004, S. 213, 225; bezogen auf den Vorstand Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 313 f.; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 276 f.; tendenziell Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 317 ff. Von der analogen Anwendung von § 34 BGB ausgehend gegen weitere Stimmverbote W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 267. 253  Nordhues,

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Stimmverbot bei Interessenkonflikten entwickelt werden könnte.257 § 34 BGB enthalte ein explizit auf persönliche Angelegenheiten des Betroffenen begrenztes Stimmverbot.258 Umgekehrt gebe das Gesetz keine Hinweise auf ein allgemeines Stimmverbot.259 Vor dem Hintergrund, dass ein bestehendes Stimmverbot eine dennoch erfolgte Stimmabgabe ohne Weiteres nichtig macht260, würde ein allgemeines präventives Stimmverbot bei Interessenkonflikten eine erhebliche Rechtsunsicherheit auslösen261. Im Übrigen wird vertreten, dass ansonsten ein Spannungsverhältnis zu dem Grundsatz eintreten würde, dass der Aufsichtsrat gerade die Funktion hat, die Durchsetzung unterschiedlicher Interessen zu ermöglichen.262 bb) Erweitertes Stimmverbot und Möglichkeit eines Stimmrechtsausschlusses neben der analogen Anwendung von § 34 BGB Ein vornehmlich im jüngeren Schrifttum zu findender Ansatz weicht von der verbreiteten Beschränkung von Stimmverboten auf die Fälle des § 34 BGB und andere Fälle des Richtens in eigener Sache ab. Insoweit ist zu differenzieren: Teilweise wird ein automatisches, generelles Stimmverbot bei allen und damit nicht nur bei den genannten Arten von Interessenkonflikten angenommen.263 Andere halten die Vornahme eines Stimmrechtsausschlusses 257  Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 116; Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 113. 258  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146; vgl. auch Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 429; Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 870; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 68; bezogen auf den Vorstand im Ansatz Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 76 Rn. 116. Zur Reichweite dessen HamblochGesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 35. 259  Bokelmann, Personelle Verflechtungen, S. 152. 260  Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 31, sowie die übrigen in § 5 Fn. 38 Genannten. Eine etwaige Entscheidung des Aufsichtsratsplenums bzw. des Aufsichtsratsvorsitzenden bezüglich des Stimmverbots bleibt demnach ohne Auswirkungen. 261  Bokelmann, Personelle Verflechtungen, S. 152; Deckert, DZWir 1996, 406, 409; Paefgen, AG 2008, 761, 767; Paefgen, AG 2004, 245, 253 f.; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 28; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 140. Vgl. auch (bezogen auf § 47 Abs. 4 GmbHG) BGH, NJW 1986, 2051, 2052; BGH, NJW 1977, 850, 851. Dahinter stehen offenbar Probleme bei der Feststellung des Tatbestands, also entsprechender Interessenkonflikte, vgl. insoweit zudem Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 131; Möllers, in: Hdb. Corporate Governance, S. 423, 434. A. A. Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1379 f. 262  Siehe Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 28. 263  Siehe Engfer, Ausschluß des Stimmrechts, S. 113; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  111 ff.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 72; U. H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 482 f.; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363,



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bei Interessenkonflikten für möglich, die nicht schon unter § 34 BGB und das Verbot des Richtens in eigener Sache fallen.264 Zugunsten eines allgemeinen Stimmverbots wird argumentiert, dass es „keinen numerus clausus der gesetzlich vorgeprägten Verbotstatbestände“ gebe;265 das in den einzelnen außerhalb des Aktiengesetzes gesetzlich geregelten Stimmverboten266 enthaltene Prinzip könne im Sinne eines argumentum a maiore ad minus und eines argumentum a fortiori auf andere Interessenkonflikte ausgedehnt werden267. Bei schwerwiegenden Interessenkonflikten sei die Situation mit den Konstellationen vergleichbar, in welchen nach überwiegender Ansicht ein Stimmverbot angenommen wird.268 Für einen allgemein möglichen Stimmrechtsausschluss spreche, dass so keine Verengung der Option, das Stimmrecht zu beschränken, auf Fälle persönlicher Betroffenheit des Aufsichtsratsmitglieds stattfinde, wodurch ansonsten die Gefahren im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Konstellationen, die sich unter den Begriff des Interessenkonflikts subsumieren lassen, fortbestehen würden.269 Bis zur Schwelle einer potenziellen Abberufung nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG sei die Gesellschaft hier weitestgehend schutzlos.270 Vereinzelt rekurrieren die Befürworter dieser Lösung auf die bereits die Grundlage der Offenlegungspflicht bildende271 Treuepflicht der Organmitglieder.272 1378 f.; möglicherweise auch Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 32 und § 116 Rn. 77, und Hirte, KapGesR, Rn. 3.204 (bezogen auf Aufsichtsratsmandate in konkurrierenden Unternehmen), wenngleich die Beschreibung als Einzelfallentscheidung bzw. die Bezeichnung als „im Einzelfall“ gebotener „Stimmrechtsausschluss“ die Wahrnehmung als automatisch eingreifendes Stimmverbot erschwert. Zumindest mit ähnlichem Gedanken Semler, in: FS Stiefel, 1987, S. 719, 757 f., dessen Darstellung jedoch allein Vorstandsdoppelmandate betrifft und der das Stimmverbot auch deshalb anders (konzernrechtlich) begründet; mit entsprechenden Erwägungen Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570, 581 ff. Weitere Nachweise aus dem älteren Schrifttum bei Dreher, JZ 1990, 896, 901 Fn. 58. 264  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 184 und 186; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 39 und § 108 Rn. 32; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 14; Koch, ZGR 2014, 697, 719 (sodann aber ausgestaltet als Pflicht zum Verzicht auf die Teilnahme an der Abstimmung). Bezogen auf den Vorstand Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26, der aber offenbar über eine Stimmrechtsbeschränkung hinaus auch für einen Teilnahmeausschluss eintritt. 265  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1378 f. 266  Siehe neben § 34 BGB die Aufzählung in § 4 Fn. 241. 267  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1372. 268  Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 111. 269  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 184. 270  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 184. 271  Siehe oben § 4 A. I. 272  So Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 185; zudem Engfer, Ausschluß des Stimmrechts, S. 111 ff. (gesteigerte Treuepflicht beeinflusst Inhalt der Sorgfaltspflicht, Teil der Sorgfaltspflicht ist Stimmverbot). Allgemein, wenn auch

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

b) Recht oder gar Pflicht zur Stimmenthaltung? Nicht einheitlich beurteilt wird überdies die Frage, ob ein Recht oder gar die Pflicht des von einem Interessenkonflikt Betroffenen besteht, sich von sich aus der Stimme zu enthalten. Im Fall der Enthaltung wird die Stimme bei der Beschlussfassung nicht mitgezählt.273 Nach teilweise vertretener Ansicht soll das konfligierte Aufsichtsratsmitglied über das Recht verfügen, sich in Einzel- bzw. Ausnahmefällen seiner Stimme zu enthalten.274 Von anderer Seite wird wegen der Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder eine Pflicht zum Verzicht auf eine Beteiligung an der Beschlussfassung angenommen.275 implizit, Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1369, der die Regeln zur Offenlegung und Bewältigung von Interessenkonflikten als Ausprägung der Treuepflicht einordnet. 273  Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 40; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 26 (entsprechend § 32 Abs. 1 S. 3 BGB); ferner Annuß, in: MüKoAktG, § 29 MitbestG Rn. 4. Die Stimme wird demnach insbesondere nicht als Ablehnung gewertet. 274  Siehe Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 27; Hopt/M. Roth, in: GKAktG, § 116 Rn. 145; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 172 („in bestimmten Einzelfällen erheblicher Interessenkonflikte“); Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 25 und 34; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1385; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 38; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 146 f.; implizit Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 431; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.66 und § 29 Rn. 29.27; ebenso Koch, ZGR 2014, 697, 712, siehe aber § 4 Fn. 275; allgemein Kumpan, Interessenkonflikt, S. 544 ff.; mit Einschränkungen Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 106 f., die aber aufgrund ihrer Unbestimmtheit bzw. wegen Abgrenzungsschwierigkeiten abzulehnen sind; für möglichen Verzicht auf die Abgabe der Stimme Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1385; a. A. Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 102 und § 116 Rn. 31; kritisch zudem Ulmer, NJW 1980, 1603, 1605; jedenfalls zurückhaltend W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 267 f. 275  Siehe Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1481; für besondere Fälle Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 431; möglicherweise auch Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 7, der aber offenbar von einer kumulativen Nichtteilnahme auch an der Beratung ausgeht; allgemein für eine obligatorische Beschränkung der Mitwirkung ohne nähere Beschreibung Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 900, obwohl diese an anderer Stelle allein davon ausgehen, dass dem Aufsichtsratsmitglied eine Stimmenthaltung „gestattet“ ist (ebd., Rn. 1007); als Rechtsfolge eines angeordneten Stimmrechtsausschlusses Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 187. Ohne Verweis auf die Treuepflicht Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 31, die an anderer Stelle aber offenbar für ein bloßes Recht zur Stimmenthaltung eintreten (ebd., § 116 Rn. 17); Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 247. Zugunsten einer Pflicht zum Verzicht auf die Teilnahme an der Abstimmung äußert sich auch Koch, ZGR 2014, 697, 720, wobei diese Pflicht durch ein entsprechendes, mit einfacher Mehrheit beschlossenes Verlangen der übrigen Organmitglieder ausgelöst werde. Letztlich ist das neben dem automatischen Stimmverbot und dem erst durch eine Entscheidung des Aufsichtsrats-



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Unklar bleibt dabei oft, auch und gerade hinsichtlich der Konsequenzen einer bestehenden Stimmrechtsbeschränkung, ob damit ein verpflichtendes gänz­ liches Fernbleiben von der Abstimmung oder eine verpflichtende Stimmenthaltung anvisiert ist.276 c) Bewertung Zwar ergibt sich aus dem Meinungsstand zu Stimmrechtsbeschränkungen im Aufsichtsrat, dass ihr grundsätzliches Vorkommen letztlich von keiner Seite bezweifelt wird. Die angegebene dogmatische Begründung bzw. die genannte Rechtsgrundlage und insbesondere ihre Reichweite unterscheiden sich jedoch stark. Obschon gute Gründe für die allgemeine, bei sämtlichen Interessenkonflikten geltende Möglichkeit eines Stimmrechtsausschlusses und die Abkehr von der eng umgrenzten, analogen Anwendung von § 34 BGB streiten, wird dies von der herrschenden Ansicht abgelehnt. Zu kritisieren sind jedenfalls die Limitationen des Anwendungsbereichs, die schon allgemein aus einer tatbestandlich-kasuistischen Betrachtungsweise von Interessenkonflikten folgen.277 Umgekehrt ist es unter tatbestandlichen Gesichtspunkten nicht konsequent und gleicht eher einer Verlegenheitslösung, ein allgemeines Stimmverbot (und womöglich generell Beschränkungen des Stimmrechts durch Dritte) bei Interessenkonflikten zu verneinen, dann aber bei evidenten Interessenkonflikten, wenn eine Beendigung des Aufsichtsratsmandats unverhältnismäßig wäre, also letztlich ebenso bei Interessenkonflikten, für ein Gebot bzw. die Möglichkeit zur Abstandnahme von der Beschlussfassung einzutreten.278 Im Übrigen ist die insgesamt wenig differenzierte Betrachtung in der Literatur zu bemängeln: Aus vielen Darstellungen geht nicht deutlich genug hervor, dass zwischen einem automatischen, nicht gesondert zu verhängenden, sondern nur festzustellenden Stimmverbot (mitsamt der damit einhergevorsitzenden oder des Aufsichtsratsplenums ausgelösten Stimmrechtsausschluss eine dritte Variante, die auch als „Stimmrechtsausschluss“ bezeichnet wird, bei der aber das Stimmrecht faktisch nicht angetastet wird, um eine unwirksame Stimmabgabe, sofern sie trotz allem erfolgt, zu vermeiden. Sehr zurückhaltend dagegen Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 29. 276  Möglicherweise ließe sich bei ansonsten gefährdeter Beschlussfähigkeit die vom BGH, AG 2007, 484, 485, entworfene Lösung (siehe § 4 Fn. 242) übertragen. 277  Vgl. insofern oben § 2 C. III. 1. Das wird im gegebenen Zusammenhang auch bei (dem nach h. M. analog anzuwendenden) § 34 BGB deutlich (vgl. insoweit bereits Koch, ZGR 2014, 697, 717). 278  So aber Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146 f.; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 166 ff.; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S.  146 f.

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henden Konsequenzen für Beschlüsse) sowie einem aktiven Ausschluss des Stimmrechts durch den Aufsichtsratsvorsitzenden oder das Aufsichtsratsplenum, abhängig von der Beantwortung der Frage nach der dahingehenden Kompetenz, unterschieden werden muss. Die Nachvollziehbarkeit einzelner Darstellungen leidet darunter spürbar,279 wodurch die Durchdringung des ohnehin nicht ohne Weiteres fassbaren Meinungsbildes noch erschwert wird. 2. Eigener Ansatz: Erhöhte Rechtssicherheit und Praktikabilität durch den Verzicht auf die Konfliktstärke als Determinante Schwerer als die Unsicherheiten, die aus der rechtlich umstrittenen Existenz eines allgemeinen Stimmverbots bzw. der Möglichkeit eines Stimmrechtsausschlusses wegen Interessenkonflikten folgen, wiegen mit Blick auf den derzeitigen Diskussionsstand im Zusammenhang mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat die Unwägbarkeiten, die die mal ausdrückliche, mal stillschweigende Abschichtung anhand der Stärke des Interessenkonflikts in sich birgt. Die Stärke des Interessenkonflikts wird als die Wahrscheinlichkeit verstanden, dass ein Interessenkonflikt zu einem konfliktbeeinflussten Verhalten des Mandatars führt.280 Sie wird teilweise ausdrücklich zum Kriterium für den Umgang mit Interessenkonflikten gemacht.281 Damit hängt der spiegelbild­ liche Befund zusammen, dass eine Untersuchung möglicher Interessenkon279  Siehe etwa die Ausführungen von Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 31 ff. und § 116 Rn. 77: Zunächst heißt es, ein genereller Stimmrechtsausschluss existiere nicht (ebd., § 108 Rn. 31), was auf ein automatisch eingreifendes Stimmverbot hindeutet. Die Anwendbarkeit von § 34 BGB, so weiter, auf „sonstige Fälle echten Interessenwiderstreits“ sei eine „Frage des Einzelfalls“, wobei per se kein allgemeines Stimmverbot bestehe (ebd., § 108 Rn. 32). Es bleibt hier offen, ob die sonstigen Fälle im Vorfeld durch die Literatur abgesteckt werden (können) und ein automatisches Stimmverbot eingreift oder ob ein entsprechend anordnungsbefugter Akteur einen Stimmrechtsausschluss im Einzelfall verhängen muss. Wenn es heißt, dass in einzelnen Situationen auf ein Stimmverbot geschlossen werden kann (ebd., § 116 Rn. 77), spricht das für die zweitgenannte Variante, ohne dass dies aber gesichert wäre, zumal dann auch das Verhältnis zur eingangs vorgenommenen Absage an einen generellen Stimmrechtsausschluss fraglich ist. Es bestehe aber ein Stimmrechtsausschluss für Fälle des Richtens in eigener Sache (ebd., § 108 Rn. 33), wobei dieser Stimmrechtsausschluss wohl vielmehr ein automatisch geltendes Stimmverbot darstellt. 280  Vgl. namentlich Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 54 f. 281  Dafür, dass der Umgang mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat anhand der Parameter „Konfliktstärke“ und „Konfliktdauer“ erfolgt, Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. Mit diesem Grundgedanken auch Martinek, WRP 2008, 51, 59, der die „ ‚Konfliktintensität‘ bzw. [das] Maß der Gefährdung der Interessen des beaufsichtigten Unternehmens“ für ausschlaggebend hält.



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fliktmaßnahmen regelmäßig, und dies oft stillschweigend, anhand der steigenden Eingriffsintensität erfolgt282. Es liegt auf der Hand, dass ein Teilnahmeausschluss gemessen an den Beschränkungen, die der Betroffene erfährt,283 ein Mehr gegenüber einer Stimmrechtsbeschränkung darstellt, jedoch im Unterschied zur Abberufung keinen wichtigen Grund i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG erfordert284. Die gängige Unterscheidung zwischen Stimmrechts- und Teilnahmebeschränkungen erfolgt offensichtlich anhand der Konfliktstärke und ist dadurch in ihrer tatbestandlichen Anknüpfung unsicher: Beispielsweise soll ein Teilnahmeausschluss vorzunehmen sein im Fall von „Interessenkollisionen, bei denen zu erwarten ist, dass sie zulasten der Gesellschaft gelöst werden“285; an anderer Stelle heißt es, „tiefgreifende Interessenkolli­ sionen“ könnten nicht allein mit einem Stimmrechtsausschluss bewältigt werden286. Andererseits kommt es aber vor, dass ein Stimmverbot gerade auf einen „wesentlichen“287 bzw. „schwerwiegenden“288 Interessenkonflikt gestützt wird. Die insofern auch nicht einheitlichen Bezeichnungen sind ebenso wie die Attribute „stark“, „schwer“ etc. an einer in der Literatur nicht notwendigerweise einvernehmlich festgelegten Stelle auf der Skala der Konfliktstärke zu verorten, die ihrerseits schon eine mit Unsicherheiten behaftete Wahrscheinlichkeitsbetrachtung konfliktbeeinflussten Verhaltens289 darstellt. Die daraus resultierende Komplexität der Ermittlung der angemessenen Interessenkonfliktmaßnahme ist unübersehbar. Außerdem werden die ohnehin bestehenden Schwierigkeiten bei der Feststellung von Interessenkonflikten 282  Sogar explizit aber Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 808, und Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1368. 283  Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass sich ein Stufenverhältnis zwischen einer Stimmrechtsbeschränkung und einem Teilnahmeausschluss zwar insoweit, nicht aber pauschal bzw. insgesamt bejahen lässt (insoweit eher Aliud-Verhältnis). Das zeigt sich anhand der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die jeweils bestehende Beschränkung. Die Teilnahme an der Abstimmung ohne Stimmberechtigung kann zur Nichtigkeit des betreffenden Aufsichtsratsbeschlusses führen. Anders liegen die Dinge bei der Teilnahme an der Sitzung ohne zu dieser berechtigt zu sein. Näher dazu noch unten § 5 A. im Ganzen. 284  Zur materiellen Voraussetzung eines Teilnahmeausschlusses noch unten § 4 B. III. 3. im Ganzen. 285  Henssler, in: Henssler/Strohn, § 109 AktG Rn. 3. 286  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 8. Dem ähnlich spricht E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.65, von einem „tiefen Interessenkonflikt“ bei Vertretern des Bieters im Aufsichtsrat im Fall einer feindlichen Übernahme. 287  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1378. 288  Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 113; U.  H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 480. 289  Siehe die Ausführungen zu der „Relevanzschwelle“, die richtigerweise Teil des Interessenkonfliktbegriffs ist, oben in § 2 C. I. 2.

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durch jegliche zusätzliche Attribute, die auf die kaum definitorisch abzuschichtende Konfliktstärke abzielen, noch potenziert. Dies ist weder im Interesse des einzelnen Rechtsanwenders noch des Rechtsverkehrs insgesamt. Eine entsprechende Einteilung und eine darauf basierende Behandlung von Interessenkonflikten, wie sie bislang herrschend beschrieben wird, sind somit nicht zielführend.290 An dieser Stelle ist daher festzulegen: Im Fall der Diagnose eines Interessenkonflikts ist generell ein Teilnahmeausschluss zu verhängen.291 Das hat den Vorzug, dass mit dem Begriff des Interessenkonflikts selbst292 bis zu diesem Punkt nur noch ein einziger unbestimmter Rechtsbegriff vorliegt. Die Auswahl aus mehreren temporär wirkenden Interessenkonfliktmaßnahmen – eine Beendigung des Mandats ist schließlich endgültig – entfällt. Freilich sind die erheblichen Schwierigkeiten und die Einzelfallabhängigkeit der Subsumtion darunter nicht beseitigt. Jedoch werden die Überlegungen um die (im Rahmen der Offenlegung durch den womöglich Konfligierten noch unter Vorbehalt und auf Verdacht zu beantwortende) Frage zentriert, ob ein Interessenkonflikt vorliegt oder nicht. Bejahendenfalls besteht ein verbindliches Prozedere zum Umgang mit dem Interessenkonflikt. Wenn der Interessenkonflikt vom Aufsichtsratsvorsitzenden und dann auch vom Aufsichtsrats­ plenum – natürlich unbeschadet einer späteren Entscheidung durch das Gericht – festgestellt wird, muss ein Teilnahmeausschluss erfolgen.

III. Teilnahmeausschluss Die Arbeit des Aufsichtsratskollektivs vollzieht sich zu einem wesent­ lichen Teil innerhalb von Sitzungen. Im Rahmen der Beratung erfolgt die Auseinandersetzung mit verschiedenen, für das Unternehmen relevanten Themen, zu welchen dann Beschluss gefasst wird.293 Die Teilnahme des Aufsichtsratsmitglieds an den Sitzungen stellt einen Kernbereich seiner Rechte als Organmitglied dar.294 Die Aufsichtsratsmitglieder der jeweiligen Gesellschaft sind kraft ihres Amtes zur Teilnahme an den Sitzungen berech290  Daher wurde oben unterhalb von § 2 C. IV. auf eine entsprechende Kategorisierung anhand der Konfliktstärke verzichtet. 291  Zur gesetzlichen Regelung eines Stimmverbots in einem bestimmten (Sonder‑) Fall nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) oben am Beginn von § 4 und zudem noch unten § 4 D. im Ganzen. 292  Dazu oben § 2 C. I. im Ganzen. 293  Vgl. statt aller Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 1 f. Zur Tagesordnung Habersack, in: MüKoAktG, § 110 Rn. 18 ff. 294  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 7.



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tigt und regelmäßig auch verpflichtet.295 Das nicht ausdrücklich geregelte Teilnahmerecht ist im Grundsatz unentziehbar,296 kann unter bestimmten Umständen nach wohl allgemeiner Ansicht aber nichtsdestoweniger Beschränkungen erfahren. Es ist darauf hinzuweisen, dass das Teilnahmerecht bei Vorliegen des jeweiligen Tatbestands nicht automatisch Beschränkungen unterworfen wird, sondern nur auf eine entsprechende ­Anordnung hin.297 Aus Gründen der Klarheit und der Einheitlichkeit sollte insofern von einem Teilnahmeausschluss (oder synonym dazu von einem Sitzungsausschluss) statt von einem Teilnahmeverbot gesprochen werden.298 Mit einem Teilnahmeausschluss entfällt zugleich nicht nur die Verpflichtung zur Abstimmung,299 sondern auch das Recht zur Abstimmung. 1. Rechtliche Grundlage Eine Einschränkung des Teilnahmerechts kommt nur in zwei Konstellationen in Betracht: Die Teilnahme kann erstens bei anhaltenden Störungen des Sitzungsablaufs und zweitens im Fall der Gefährdung wesentlicher Interessen der Gesellschaft verwehrt werden.300 Die zweitgenannte Gegebenheit kann 295  Allg. A., statt aller Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 109 Rn. 3; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 109 Rn. 17 und 20. Das Teilnahmerecht der Aufsichtsratsmitglieder wird danach von § 109 AktG vorausgesetzt; auch die Teilnahmepflicht stellt eine allgemeine Organpflicht dar, siehe Israel, in: Bürgers/Körber, § 109 Rn. 1. 296  Allg. A., stellvertretend Breuer/Fraune, in: Heidel, § 109 AktG Rn. 3; Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 230 f.; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 109 AktG Rn. 3; Hüffer/Koch, § 109 Rn. 2; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 7. 297  Vgl. auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 188 („Entziehung der Teilnahmeberechtigung“); deutlicher Kumpan, Interessenkonflikt, S. 547. Insofern ist Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 66, zu widersprechen, der einen Entzug gesetzlich gegebener Teilnahmerechte durch den Aufsichtsratsvorsitzenden wie durch das Aufsichtsratsplenum für nicht möglich hält. Missverständlich Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 50, die den Eindruck erwecken, das Teilnahmerecht bestehe unter Umständen von Rechts wegen (automatisch) nicht, an anderer Stelle aber (ebd., § 109 Rn. 13) zu Recht eine aktive Entscheidung über den Entzug des Teilnahmerechts voraussetzen. 298  Siehe schon die Differenzierung im Zusammenhang mit Beschränkungen des Stimmrechts oben in § 4 B. II. 1. 299  Dafür jedenfalls, aber ohne ausdrückliche Beschränkung darauf Behr, AG 1984, 281, 284; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 256. Das Abstimmungsverhalten geht auf die Beratung zurück, weshalb eine Teilnahme an der Abstimmung ohne Teilnahme an der Beratung nicht zumutbar ist. 300  Für eine Beschränkung auf diese Fälle Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 5; implizit Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 109 Rn. 4; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 109 Rn. 3; so außerdem die genannten Alternativen bei Breuer/Fraune, in: Heidel, § 109 AktG Rn. 3; Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 9 f.; Henssler, in:

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

insbesondere auf Interessenkonflikte zurückzuführen sein, die insofern einen möglichen Grund für einen Teilnahmeausschluss darstellen301. Das Gesetz selbst enthält keine entsprechenden Ausschlussgründe. Auch eine Analogie etwa zu einer vereinsrechtlichen Norm wird hier nicht in Betracht gezogen.302 Die Literatur äußert sich bis auf wenige Ausnahmen ebenso nicht zur Frage der rechtlichen Grundlage eines Teilnahmeausschlusses.303 Dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Rechtsgrundlage für einen Sitzungsausschluss fehlen würde.304 Eine analoge Anwendung von § 34 BGB wird erwogen, aber zu Recht verworfen.305 Ein Ansatz beschränkt sich darauf, die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung festzustellen, und verweist daneben auf den Rechtsgedanken von § 109 Abs. 2 AktG.306 Ganz vereinzelt erfolgt ein meist knapper

Henssler/Strohn, § 109 AktG Rn. 3; Israel, in: Bürgers/Körber, § 109 Rn. 2; Hüffer/ Koch, § 109 Rn. 2. 301  H. M., stellvertretend Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146; Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 10; Israel, in: Bürgers/Körber, § 109 Rn. 2; Hüffer/Koch, § 109 Rn. 2 und § 116 Rn. 6; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 150; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 136 ff.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 13; U.  H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 483; Spindler, in: BeckOGKAktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 8; implizit Kocher/Freiherr von Falkenhausen, AG 2016, 848, 851; vgl. auch E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.63 ff. A. A. Behr, AG 1984, 281, 283; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S.  113 ff. und  155 ff.; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 160 ff. (nur bei konkret belegbarer Gefährdung von wichtigen Gesellschaftsbelangen); ferner Dreher, JZ 1990, 896, 901 („nicht sinnvoll“); mit Einschränkungen Kumpan, Interessenkonflikt, S. 546 ff.; für Doppelvorstandsmandate insgesamt kritisch zum Teilnahmeausschluss Matthießen, Stimmrecht, S. 350 f.; ohne Begründung Löbbe, Unternehmenskontrolle, S. 359 Fn. 89. 302  Mit diesem Hinweis Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 188. Etwas anderes soll nach verbreiteter Ansicht in bestimmten Fällen zugunsten eines Stimmverbots gelten, siehe oben § 4 B. II. 1. a). 303  Etwa bei Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146, und bei Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 10, bleibt die Frage letztlich offen. 304  So aber zu Unrecht Hirte, KapGesR, Rn. 3.181, falls nicht bewusst im Plural von Sitzungen gesprochen wird, unter Verweis auf LG Mühlhausen, ZIP 1996, 1660, 1660 f. Indes ging es in dem zu entscheidenden Fall um einen dauerhaften Ausschluss eines Aufsichtsratsmitglieds von allen Sitzungen des Aufsichtsrats, zunächst „bis auf Weiteres“, später wurde der entsprechende Beschluss aufgehoben. Richtigerweise hat das Gericht den dauerhaften Teilnahmeausschluss mangels Rechtsgrundlage für nichtig erklärt. Vorliegend geht es aber um einen temporären, punktuellen Teilnahmeausschluss, weshalb das Urteil insofern nicht maßgeblich ist. Siehe zum Vorstehenden schon Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 136 f., und Weninger, Mitbestimmungsspezifische Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 150 f. 305  Soweit ersichtlich nur bei Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146. 306  Siehe Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 138.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten203

Verweis auf die organschaftliche Treuepflicht.307 Der Fokus liegt dort aber offenbar auf dem konfligierten Aufsichtsratsmitglied: Offenbar soll dieses zur Duldung des Teilnahmeausschlusses verpflichtet sein.308 Bedenkt man jedoch, dass es eines vorherigen, aktiven Ausschlusses des Teilnahmerechts bedarf, tut sich bei der rechtlichen Grundlage insoweit eine signifikante Lücke auf. Es erscheint widersprüchlich, die Treuepflicht des Konfligierten als Grundlage für einen Handlungsbefehl an die übrigen Aufsichtsratsmitglieder heranzuziehen. Stattdessen sollte man davon ausgehen, dass die Treuepflicht der übrigen Gremiumsmitglieder einschließlich des Aufsichtsratsvorsitzenden diese verpflichtet, Nachteile für die Gesellschaft abzuwenden309 und so auch die Gefährdung des Unternehmensinteresses durch den Interessenkonflikt im Fall der Teilnahme des Betroffenen an der Beratung zu beseitigen, indem ein Teilnahmeausschluss erfolgt. 2. Modalitäten Die Kompetenz zur Verhängung eines Teilnahmeausschlusses ist, wenn es nicht um einen solchen zugunsten eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Sitzung geht310, sondern dieser zur Wahrung ansonsten durch die Teilnahme des betreffenden Mitglieds gefährdeter Belange der Gesellschaft erfolgen soll, noch immer stark umstritten. Darunter fallen auch Interessenkonflikte des betreffenden Mitglieds, deren mögliche Auswirkungen unterbunden werden sollen. Die Kompetenz- bzw. Zuständigkeitsfrage ist dabei nicht zu verwechseln mit der rechtlichen Grundlage der Verhängung eines Teilnahmeausschlusses.311 Zum Teil wird von einer Anordnungskompetenz des Aufsichts-

307  Soweit ersichtlich nur bei Hüffer/Koch, § 108 Rn. 14; daneben – mit deutlicher Kritik an der dürftigen Begründungslage – Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S.  188 f. 308  Siehe Hüffer/Koch, § 108 Rn. 14, und, wenn auch in der Darstellung nicht ganz klar, Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 188 f. 309  Stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 49. 310  Nach allg. A. unterfällt dieser als Teil der Sitzungs‑ bzw. Verfahrensleitung den Aufgaben und Befugnissen des Aufsichtsratsvorsitzenden, siehe Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 107 Rn. 19 und § 109 Rn. 4; Habersack, in: MüKoAktG, § 107 Rn. 57 und § 109 Rn. 9; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 38; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 109 AktG Rn. 3; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 119 und 139 sowie implizit § 109 Rn. 30; Israel, in: Bürgers/Körber, § 109 Rn. 2; Hüffer/Koch, § 109 Rn. 2; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 50; ebenso Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 13, der als Beispiel die fortwährende Störung der Sitzung anführt. In diesem Kontext spricht Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 213, von formellen Teilnahmeverboten. 311  Dazu oben § 4 B. III. 1.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

ratskollektivs ausgegangen312, andere plädieren für eine Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden gepaart mit einer Letztentscheidungsbefugnis des Plenums313. Eine nähere Begründung der jeweiligen Position sucht man dabei weitestgehend vergeblich.314 Richtigerweise ist auf die grundsätzliche Kompetenz des Gesamtaufsichtsrats auch für den Umgang mit Interessenkonflikten315 und die generell dann bestehende Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden zu rekurrieren, wenn ein Handeln des (Gesamt‑)Aufsichtsrats tatsächlich nicht möglich, nicht rechtzeitig möglich oder nicht opportun ist316. Der Teilnahmeausschluss betrifft gerade die Teilnahme an der Sitzung des (Gesamt‑)Aufsichtsrats. Wenn die Sitzung zu dem konfliktbehafteten Gegenstand ohnehin stattfindet, kann das Aufsichtsratsplenum zuvor in jener Sitzung über den Ausschluss des Konfligierten von der anschließenden Beratung und Beschlussfassung in Bezug auf den relevanten Tagesordnungspunkt entscheiden. Eines früheren Tätigwerdens des Aufsichtsratsvorsitzenden bedarf es nicht.317 Das Aufsichtsratsplenum entscheidet über den Teilnahmeausschluss per Beschluss. Nebenbei bemerkt, wird auf diese Weise auch dem Umstand Rechnung getragen, dass das Aufsichtsratskollektiv selbst für eine 312  Wohl h. M., siehe Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 109 Rn. 4; Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 10; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 109 AktG Rn. 3; Israel, in: Bürgers/Körber, § 109 Rn. 2; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 161; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 14 und § 109 Rn. 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 700; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 10; E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.40. 313  Siehe Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 38 f. und § 109 Rn. 4; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 107 Rn. 139 und 158 sowie § 109 Rn. 27; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 142; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 107 Rn. 50 und § 109 Rn. 15; Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 5; ebenso Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 214, der hier von einem materiellen Teilnahmeverbot spricht; wenn auch missverständlich zudem Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386 f. Allein für Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden Baumbach/A. Hueck/ G. Hueck, § 109 Rn. 4; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 150; wohl auch Dürr, in: Szesny/Kuthe, Kap. 6 Rn. 66 (generelle Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Entscheidung über die Beschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten eines Aufsichtsratsmitglieds); für zusätzliche alternative Kompetenz des Aufsichtsratsplenums Mutter, in: von Schenck, § 107 Rn. 118. 314  Soweit ersichtlich stellt allein Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 10, darauf ab, dass es sich um einen „tiefgehenden Eingriff[s] in die Rechte des Aufsichtsratsmitglieds“ handelt, daher sei ein Aufsichtsratsbeschluss erforderlich, während Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 142, in der Entscheidung über einen Teilnahmeausschluss eine verfahrensleitende Maßnahme erblickt, die damit dem Aufsichtsratsvorsitzenden obliege. 315  Siehe oben § 4 A. III. 2. b) aa). 316  Siehe oben § 4 A. III. 2. a) cc). 317  Dieser Gedanke spricht dann auch gegen die Behauptung, das Gesetz habe die Entscheidung über einen Teilnahmeausschluss direkt dem Aufsichtsratsvorsitzenden zugewiesen (so aber Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 62).



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten205

ausreichende Isolierung des Interessenkonflikts sorgen können muss, da die übrigen, nicht selbst vom Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglieder ohne eine entsprechende Möglichkeit womöglich tatenlos hinnehmen müssten, dass die Business Judgment Rule nur eingeschränkt oder überhaupt nicht zu ihren Gunsten anwendbar ist.318 Dem von dem Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglied soll gemäß einigen Stimmen in der Literatur vor dem Teilnahmeausschluss die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme einzuräumen sein.319 Zwar ließe sich diese womöglich schon im Zusammenhang mit der Offenlegung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden annehmen,320 jedoch sollte sich das betreffende Aufsichtsratsmitglied dann, wenn der Aufsichtsrat selbst über die Vornahme von Interessenkonfliktmaßnahmen berät, eingangs nochmals äußern dürfen. Das ist aber schon dadurch gewährleistet, dass der Konfligierte bis zu einem positiven Beschluss über den Teilnahmeausschluss zur Teilnahme an der Sitzung berechtigt (und verpflichtet) ist. Da der Teilnahmeausschluss einen aus der Sicht des davon Betroffenen nachteiligen Intraorganbeschluss ihm gegenüber darstellt, bei dem ein – neben dem ursprünglichen Anlass des Teilnahmeausschlusses weiterer – Inte­ ressenkonflikt aufgrund der involvierten persönlichen Belange offenkundig ist, greift hier, bei der Beschlussfassung über den Teilnahmeausschluss, ausnahmsweise ein automatisches Stimmverbot zu dessen Lasten ein:321 Da alle möglicherweise vorzunehmenden Interessenkonfliktmaßnahmen bzw. Beschränkungen seiner Rechte einen Nachteil für das betroffene Aufsichtsratsmitglied bedeuten, muss sich wenigstens an einer Stelle die Beschränkung 318  Letzteres hängt davon ab, wie sich Interessenkonflikte im Kollegialorgan und so auch im Aufsichtsrat auf die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule im Kollegialorgan auswirken; ausführlich dazu unten § 5 C. II. im Ganzen. Mit ähnlichem Gedankengang Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 214. 319  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 10; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 109 Rn. 25; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 141 f.; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 10; ferner Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 109 Rn. 4, wonach die Interessenkonflikte „im Gremium zu diskutieren“ sind. Letztlich auch Behr, AG 1984, 281, 283, der sich allerdings gegen Teilnahmebeschränkungen bei Interessenkonflikten ausspricht. Bezogen auf Ordnungsmaßnahmen verlangt Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 84 bzw. 88, eine vorherige Abmahnung bzw. Androhung. 320  Vgl. insofern oben § 4 B. I. 1. a). 321  Im Ergebnis wie hier Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 256; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 27; allgemein für ein Stimmverbot bei nachteiligen Maßnahmen gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 33; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 66. Als generelle Interessenkonfliktmaßnahme kommt eine Stimmrechtsbeschränkung allerdings nicht in Betracht, vgl. oben § 4 B. II. im Ganzen.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

der Rechte des Konfligierten ex lege einstellen. Sähe man eine aktive Beschlussfassung des Plenums über die Stimmrechtsbeschränkung als nötig an, läge hier erneut ein (weiterer) Interessenkonflikt des Konfligierten aufgrund persönlicher Motive vor – zu einer Lösung käme man so nicht. Innerhalb der hier relevanten Fallgruppe, nämlich zur Wahrung wichtiger Belange der Gesellschaft, kann der Sitzungsausschluss nur in Bezug auf einen konkreten Beschlussgegenstand erfolgen.322 Regelmäßig geht der ­ ­Sitzungsausschluss dem betreffenden Beratungsgegenstand voraus, er kann aber, wenn sich ein entsprechender Konflikt erst im Laufe der Debatte zeigt, auch während der Beratung noch erfolgen. Droht infolge des Teilnahmeausschlusses insbesondere wegen § 108 Abs. 2 S. 3 AktG (Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern an der Beschlussfassung) die Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats,323 so kann die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Stimmverboten in dreiköpfigen Aufsichtsräten herangezogen werden: Das betreffende Aufsichtsratsmitglied hat danach an der Sitzung teilzunehmen, muss sich aber der Stimme enthalten. Das genügt zur Teilnahme an der Abstimmung. Das betreffende Mitglied wird dann trotz allem bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit mitgerechnet.324 Nach der genannten Lösung bietet es sich an, hier anstelle eines Teilnahmeausschlusses ausnahmsweise nur einen Stimmrechtsausschluss vorzusehen. Zwar könnte behauptet werden, eine klare und einheitliche Vorgehensweise gebiete es, auch hier einen Teilnahmeausschluss vorzunehmen, Gesellschaften mit einem entsprechend kleinen Aufsichtsrat müssten die drohende Beschlussunfähigkeit in Kauf nehmen. Jedoch wird man vom Interesse der Gesellschaft ausgehen müssen, der mehr daran gelegen sein wird, überhaupt über einen beschlussfähigen 322  Henssler, in: Henssler/Strohn, § 109 AktG Rn. 3; Spindler, in: BeckOGKAktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 8 (nicht gesamte Teilnahme an einer Sitzung); wohl auch Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 5 (Beschränkung auf einzelne Tagesordnungspunkte). 323  Siehe auch den Hinweis von Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 14; zur Beseitigung der Beschlussunfähigkeit des Gremiums bedürfe es hier einer Ersatzbestellung gemäß § 104 AktG. Mangels der Dauerhaftigkeit der Verhinderung wegen der Beschränkung des Teilnahmeausschlusses auf einzelne Beschlussgegenstände ist dem jedoch nicht zu folgen, vgl. Habersack, in: MüKoAktG, § 104 Rn. 13. 324  BGH, AG 2007, 484, 485; ebenso OLG München, AG 2016, 592, 593; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 18; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 38; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 66; zustimmend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 78 f.; kritisch, jedoch im Ergebnis ebenso Hüffer/Koch, § 108 Rn. 16; Koch, ZGR 2014, 697, 720 Fn. 80; mit abweichender dogmatischer Begründung Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 33; a. A. (Beschlussunfähigkeit) Bay­ ObLG, AG 2003, 427, 429; OLG Frankfurt, AG 2005, 925, 927; Habersack, in: ­MüKoAktG, § 103 Rn. 35 und § 108 Rn. 44; für erweitertes Verständnis der Teilnahme an der Beschlussfassung i. S. v. § 108 Abs. 2 S. 3 AktG Priester, AG 2007, 190, 192 f. Im Überblick zur Ansicht des Bundesgerichtshofes schon § 4 Fn. 242.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten207

Aufsichtsrat zu verfügen, als daran, dass Interessenkonflikte gänzlich isoliert werden. 3. Materielle Voraussetzung eines Teilnahmeausschlusses: Vorliegen eines Interessenkonflikts Hinsichtlich der materiellen Anforderungen an einen Teilnahmeausschluss wird in der Literatur zu Recht allgemein festgestellt, dass der zur Verhängung des Teilnahmeausschlusses führende Umstand „nicht das Gewicht eines wichtigen Grundes“ erreichen muss, wobei § 103 Abs. 3 AktG in den Blick genommen wird325. Das ist schon deshalb begründet, weil Repressalien, die gegen das konfligierte Aufsichtsratsmitglied ergriffen werden, bei unterschiedlicher Intensität nur dann als legitim gelten können, wenn die gestufte Intensität mit einer gestuften Eingriffsschwelle korreliert. Die Beendigung des Aufsichtsratsmandats ist damit jedenfalls an weitergehende Voraussetzungen geknüpft als der Teilnahmeausschluss. Zwar ergibt eine Bestandsaufnahme des Schrifttums dazu, dass an einen Teilnahmeausschluss seinerseits wiederum höhere Anforderungen gestellt werden als an eine Stimmrechtsbeschränkung.326 Stimmrechtsbeschränkungen aufgrund von Interessenkonflikten sind aber nach dem hier vertretenen Ansatz nicht zu befürworten,327 weshalb die materielle Abgrenzung „nach unten“ konsequenterweise als obsolet anzusehen ist. Damit einhergehend muss entgegen einiger Darstellungen in der ­Literatur328 kein Interessenkonflikt von besonderer Art, etwa einer bestimmten „Stärke“, vorliegen, ehe ein Teilnahmeausschluss auszusprechen ist. Die Forderung einer konkreten und nicht nur abstrakten Gefährdung der Belange der Gesellschaft bei Teilnahme329 bedeutet nicht mehr als die Unterscheidung 325  H. M., exemplarisch Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 109 Rn. 4; ebenso Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 109 Rn. 3; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 109 Rn. 23; Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 5; implizit Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 10 mit Fn. 26; a. A. (strenger) Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S.  161 ff. 326  Siehe oben § 4 B. II. 2. 327  Siehe oben § 4 B. II. im Ganzen. 328  Siehe etwa Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 188 („[b]ei stärkeren Interessenkonflikten“) und 189 („bedarf […] einer gewissen Stärke“); Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 8 („tiefgreifende Interessenkollisionen“); wohl auch Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146 („bei […] wesentlichen Interessenkonflikten“). 329  Siehe insbesondere Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 109 Rn. 3, und Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 109 Rn. 23; ferner Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 10, Hüffer/Koch, § 109 Rn. 2, und, andeutungsweise Henssler, in: Henssler/ Strohn, § 109 AktG Rn. 3 (nachweisliche Befürchtung einer Beeinträchtigung von Geschäftsbelangen bei Teilnahme).

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

von realen und potenziellen Interessenkonflikten330 und die tatbestandliche Aussonderung letzterer, welche aber bereits im Rahmen der Frage nach dem Vorliegen eines Interessenkonflikts erfolgt ist. Bei (nur) potenziellen Interessenkonflikten liegt gerade kein Interessenkonflikt vor. a) Teilnahmeausschluss bei jedem Interessenkonflikt Das Aufsichtsratsplenum muss den Konfligierten immer dann von der Teilnahme an der Sitzung ausschließen, wenn definitionsgemäß (und ohne weitere Zusätze) ein Interessenkonflikt vorliegt.331 Eine Ausnahme hiervon für Fälle, in denen die Expertise des Konfligierten benötigt wird,332 ist wegen der ansonsten in diesem Punkt bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten nicht anzuerkennen. Schon bislang war der Begriff des Interessenkonflikts für die Begründung eines Teilnahmeausschlusses relevant und wurde hier diskutiert. Gemessen am bisherigen Meinungsbild zum Umgang mit Interessenkonflikten im Kontext der Beratung und Beschlussfassung im Aufsichtsrat insgesamt weicht die genannte Grundregel in ihrer Deutlichkeit aber durchaus nicht unerheblich von der üblichen Sicht- und Herangehensweise ab.333 Wenn davon abgesehen ein Teilnahmeausschluss speziell in Erwägung gezogen wird, wenn „die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht aufgrund konkreter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss“334, so lässt sich au330  Dazu

oben § 2 C. IV. 3. zur Begründung oben § 4 B. II. im Ganzen. Wird ein Interessenkonflikt verneint und bestehen in diesem Kontext gleichwohl Unsicherheiten, kann ein Ausschuss ohne Beteiligung des womöglich Konfligierten gebildet werden, vgl. Hüffer/ Koch, § 108 Rn. 14 (siehe dazu auch noch unten § 4 C. VII.). Leicht irreführend und nach den hiesigen Ausführungen abzulehnen ist die Darstellung von Löbbe/Reichert, ZGR 2014, 693, 693, die im Zusammenhang mit der Nichtteilnahme an den Beratungen des Gremiums neben realen auch potenzielle Interessenkonflikte als Grund hierfür angeben. Womöglich ist dies so zu interpretieren, dass im Zweifel eine Teilnahme unterbleiben soll. Zur gesetzlichen Regelung eines Stimmverbots in einem bestimmten (Sonder‑)Fall nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) oben am Beginn von § 4 und zudem noch unten § 4 D. im Ganzen. 332  Dafür Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 189, und (bezogen auf den Vorstand) Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 416 (freie Entscheidung des Plenums). A. A. und im Ergebnis wie hier Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 73, der zu Recht auf die mögliche subjektive Färbung des Sachverstands hinweist, die gerade den Grund für den Teilnahmeausschluss repräsentiert. 333  Siehe die Formulierung von Koch, ZGR 2014, 697, 717, der in einem anderen Kontext von einer „Erschütterung des beschlussrechtlichen Konzepts durch Einführung des entgrenzten Konfliktbegriffs“ spricht. Zu letzterem siehe oben § 2 C. III. 1. 334  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 8, in der Sache ferner Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 109 Rn. 4; Habersack, in: MüKoAktG, § 109 331  Siehe



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten209

ßerdem argumentieren, dass die Feststellung eines Interessenkonflikts im Regelfall gerade diese Befürchtung rechtfertigt.335 Weitere Voraussetzungen bestehen dann aber nicht. Die Unterscheidung zwischen Interessenkonflikten und dem Risiko des Geheimnisverrats ist weniger eindeutig, als offenbar angenommen wird. Letztlich geht ein Interessenkonflikt, sofern er auf einem konfligierenden Fremd- anstatt Eigeninteresse basiert, immer mit der Gefahr der Preisgabe vertraulicher Informationen einher bzw. wird umgekehrt durch die Zerrissenheit des Betroffenen zwischen der Geheimhaltung und der Nutzbarmachung oder Weitergabe ihm bekannter oder zugänglicher Informationen ausgelöst.336 Neu ist nach alledem aber die schon erwähnte Absolutheit der Konsequenzen von Interessenkonflikten. Der vergleichsweise starke Eingriff in die Rechte des Betroffenen,337 der so zum Standard wird, ist indes auch sachlich zu rechtfertigen.338 Ein Teilnahmeausschluss ist bei Vorliegen eines Interessenkonflikts und damit auch in denselben Situationen vorzusehen, in denen dieser (zuvor) auch offengelegt werden muss339. Einmal mehr ist in Anbetracht dessen darauf hinzuweisen, dass nicht bestimmte, zunächst bloß konfliktträchtige Umstände ausschlaggebend sind und pauschal die Annahme eines Inte­ ressenkonflikts und so die Notwendigkeit eines Teilnahmeausschlusses begründen, sondern die Differenzierung zwischen dann möglicherweise gegebenen potenziellen Interessenkonflikten und ihrer Zuspitzung in Gestalt der hier maßgebenden, zuvor offenzulegenden realen Interessen­ konflikte340 hinsichtlich des Teilnahmeausschlusses durchgehalten werden muss.341 Rn. 10; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 160 f.; Hüffer/Koch, § 109 Rn. 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 700; Mertens/Cahn, in: KKAktG, § 109 Rn. 14; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4; kritisch aber Behr, AG 1984, 281, 283 f. 335  A. A. Behr, AG 1984, 281, 283. 336  Vorliegend nicht behandelt werden Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Informationsweitergabe durch den Aufsichtsrat, insbesondere hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht (§ 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG bzw. § 116 S. 2 AktG), der Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur Informationsweitergabe und den ­Bedingungen einer „inneren“ Informationsweitergabe wegen der faktisch nicht möglichen geistigen Ausblendung einmal erlangter Informationen aus der Unterneh­ menssphäre durch das Aufsichtsratsmitglied bei einem Agieren außerhalb seiner Aufsichtsratstätigkeit. Vgl. instruktiv zu alledem (wenn auch mit Blick auf den Unternehmensverbund) Mader, Informationsfluss im Unternehmensverbund, S. 477 ff. 337  Mit dieser Wertung auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 188, und Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 10. 338  Dazu oben § 4 B. II. 2. am Ende und zudem noch unten § 4 C. VI. im Ganzen. 339  Dazu oben § 4 A. V. im Ganzen. 340  Zu dieser Differenzierung oben § 2 C. IV. 3. 341  Nur grob in diese Richtung Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 141, die eine permanente Teilnahmebeschränkung für das in einem Konkurrenzunternehmen

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

b) Ausnahme bei der organinternen Entscheidungsfindung des Aufsichtsrats ohne Sanktionsnatur Eine Ausnahme von dem grundsätzlich vorzusehenden Teilnahmeausschluss bei Interessenkonflikten ist für Fälle vorzusehen, in denen eine Entscheidung des Aufsichtsrats ansteht, die zwar die persönlichen Interessen eines Aufsichtsratsmitglieds tangiert, diesem gegenüber aber gerade keine nachteilige Maßnahme darstellt. Die diesbezüglichen Äußerungen im Schrifttum gehen jeweils dahin, eine Ausnahme von dem mehrheitlich angenommenen, auf Fälle des Insichgeschäfts und des Richtens in eigener Sache beschränkten Stimmverbot342 zu machen.343 Auf sie kann aber an dieser Stelle dem Gedanken nach zurückgegriffen werden, da es im Kern letztlich um nicht mehr und nicht weniger geht, als die Aufsichtsratsmitglieder in den einschlägigen Fällen von Beschränkungen ihrer Stimm- und Mitwirkungsrechte freizusprechen. In den Blick zu nehmen sind Maßnahmen im Sinne eines „körperschaftlichen Sozialakts“344 bzw. der „inneren Entscheidungsfindung des Organs ohne Sanktionscharakter gegen das betreffende Mitglied“345. Zu den diskutierten Fällen gehören vor allem die mögliche Wahl des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds zum Aufsichtsratsvorsitzenden sowie die Bestellung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds zum Vorstandsmitglied.346 Im ersten Fall wird ein Stimmverbot allgemein abgelehnt347, im zweiten Fall ist dies stark tätige Aufsichtsratsmitglied – hier ist regelmäßig ein potenzieller Interessenkonflikt anzunehmen – ablehnen und leicht verklausuliert weitere Anzeichen für einen Inte­ ressenkonflikt („für einen drohenden Verstoß gegen Aufsichtsratspflichten“) verlangen. 342  Dazu oben § 4 B. II. 1. a) im Ganzen. 343  Insoweit spricht Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 145 und 188, von einer „teleologische[n] Reduktion des sachlichen Anwendungsbereichs“ von Stimmverboten. Dieser Bezeichnung wird vorliegend nicht gefolgt – siehe insofern die nachfolgenden Ausführungen, die sich stattdessen auf die Frage der Erfüllung des für Beschränkungen der Stimm- und Mitwirkungsrechte relevanten Tatbestands konzentrieren. 344  Mit diesem Begriff Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 70. 345  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 16. Etwa Mertens/Cahn, in: KKAktG, § 108 Rn. 67, nennen diese „korporationsrechtliche Rechtsgeschäfte“. 346  Siehe exemplarisch die Darstellung von Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S.  118 ff. 347  Siehe Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 10; Drygala, in: K. Schmidt/ Lutter, § 108 Rn. 16; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 32; Hambloch-Gesinn/ Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 34; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 70; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 68; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 11; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 9; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 733; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 67; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1,



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten211

umstritten348. Um eine Ausnahme von der Begrenzung der Stimm- und Mitwirkungsrechte des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds zu begründen, wird teilweise allein darauf verwiesen, dass es sich in allen genannten Fällen um einen „Akt der körperschaftlichen Willensbildung“ handele.349 An anderer Stelle wird die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden als korporationsrecht­ licher (Innen‑)Organisationsakt bezeichnet, bei welchem das Stimmverbot nach einem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsatz nicht gelte.350 Daneben wird in diesem Zusammenhang auf den nötigen Schutz des aus der Amtsträgerschaft folgenden Interesses an der jeweiligen Position abgestellt.351 Allein aufgrund des Kontexts sollte allerdings stattdessen entscheidend bzw. künftig für die Diskussion maßgeblich sein, ob in den betreffenden Fällen ein Interessenkonflikt vorliegt.352 Bezogen auf die Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden muss gelten: Es liegt im Unternehmensinteresse, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder für den ihrer Meinung nach am besten geeigneten Kandidaten einsetzen, auch wenn sie sich dabei selbst zur Wahl stellen und womöglich die eigenen Stärken und Kompetenzen in gesteigerter Form anpreisen.353 Eine Kumulation konfligierender Interessen kommt insoweit entgegen dem ersten Anschein nicht in Betracht.354 S.  1363, 1377 f.; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 33; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 30. 348  Gegen eine Beschränkung des Stimmrechts Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 10; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 16; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 34; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 11; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 348 und 733; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 67; wohl ebenso Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 70. Dafür Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 32; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 68; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 9; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 33; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 30; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persön­liche Voraussetzung, S. 121 ff. 349  Siehe Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 70, der allerdings noch die zu § 47 Abs. 4 GmbHG vertretene Annahme des Bundesgerichtshofes erwähnt, nach welcher bei Rechtsgeschäften kein Stimmverbot eingreift, bei denen der Gesellschafter der Gesellschaft nicht als Dritter gegenübersteht, sondern innergesellschaftlich seine Rechte wahrnimmt (vgl. etwa BGH, NJW 1991, 172, 173). 350  Siehe Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 30. 351  Siehe Hüffer/Koch, § 108 Rn. 9; Scholderer, NZG 2012, 168, 169; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 33. 352  Vgl. zutreffend Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 118; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 11; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 120 ff. Anders aber Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 68, wonach der im jeweiligen Fall vorliegende Interessenkonflikt „typisch und deshalb [Hervorhebung durch den Verfasser] ausnahmsweise hinzunehmen“ sei. 353  Vgl. in diese Richtung Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 118. 354  Vgl. allgemein oben § 2 C. I. 1. zur Kongruenz der beteiligten Interessen.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Das gilt in ähnlicher Form für die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds in den Vorstand: Es wird in Ablehnung eines Stimmverbots generell darauf verwiesen, der Gesetzgeber habe dem Aufsichtsrat die Verantwortung für die Auswahl des Managements übertragen und der Aufsichtsrat sei auch in anderen Fällen zwingend und ohne Delegationsmöglichkeit zur Entscheidung berufen (siehe z. B. § 84 Abs. 1 AktG).355 Grundsatzcharakter hat hiernach die vorzufindende Schlussfolgerung, „[d]ie Wahl als Akt körperschaftlicher Willens­ bildung verträgt […] keine Stimmverbote“356. Das kann aber für die Be­ stimmung des Unternehmensinteresses fruchtbar gemacht werden. Zu diesem ­gehört die unbedingte Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder an gesetzlich vorgesehenen Wahlen zu Organen oder bestimmten Ämtern. Ein Interessenkonflikt liegt auch hier mangels einer konfligierenden Interessenkumulation nicht vor. 4. Korrespondierende Pflicht des Konfligierten zum Teilnahmeverzicht Als Pendant bzw. Ergänzung der Verpflichtung zur Verhängung eines Teilnahmeausschlusses kommt die Möglichkeit oder gar die Pflicht des von ­einem Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglieds in Betracht, von sich aus den Aufsichtsratssitzungen fernzubleiben. Grundsätzlich besteht eine Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder zur Teilnahme an den Aufsichtsratssitzungen.357 Das Aufsichtsratsmitglied muss aktiv zur Aufsichtsratsarbeit beitragen und hat insoweit eine Gesamtverantwortung für die Beschlussfassung.358 Eine Berechtigung, unter Verweis auf einen eigenen Interessenkonflikt nicht an den Aufsichtsratssitzungen teilzunehmen, ist zunächst zu bejahen.359 355  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 33, wenngleich sich dieser letztlich für ein Stimmverbot bei der Wahl der eigenen Person zum Vorstandsmitglied ausspricht (siehe § 4 Fn. 348). 356  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 33. 357  Statt aller Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 11; siehe im Übrigen schon oben § 4 B. III. 358  Koch, ZGR 2014, 697, 712. Siehe zum Grundsatz der Gesamtverantwortung die Nachweise in § 2 Fn. 138. 359  H. M., siehe auch Koch, ZGR 2014, 697, 712; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 550; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1385; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 38; ferner Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 1007, die an anderer Stelle aber von einer Pflicht zum Verzicht auf eine Sitzungsteilnahme auszugehen scheinen (ebd., Rn. 900 und Rn. 902, siehe § 4 Fn. 363); implizit auch Behr, AG 1984, 281, 283; Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 13 f.; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 163; Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 183; a.  A. vgl. Habersack, in: ­MüKoAktG, § 100 Rn. 81 und § 116 Rn. 31.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten213

Dafür spricht schon, dass das Aufsichtsratsmitglied so nicht in Verlegenheit gerät, Ausflüchte für sein Fernbleiben zu suchen.360 Außerdem ist denkbar, dass von den Alternativen des Teilnahmeausschlusses und des Teilnahmeverzichts die letztgenannte die in ihrer Öffentlichkeitswirkung vorzugswürdige ist. Das Gegenargument, durch die freiwillig unterbleibende Mitwirkung werde der Betroffene nicht von einer Haftung für den entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss befreit, ist zurückzuweisen, denn das Unternehmensinte­ resse überwiegt hier gegenüber dem Grundsatz der Gesamtverantwortung.361 Der Rückzug des Konfligierten ist mit dem Grundsatz der Gesamtverantwortung zu vereinbaren. Das vom Interessenkonflikt betroffene Aufsichtsratsmitglied entzieht sich nicht in erster Linie der Verantwortung, sondern gewährleistet durch sein Fernbleiben überhaupt eine von Interessenkonflikten freie Entscheidung.362 Über eine bloße Berechtigung zur Nichtteilnahme an Aufsichtsratssitzungen hinaus ist vielmehr eine darauf gerichtete Pflicht des von einem Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglieds anzunehmen.363 Diese ist aus der Treuepflicht des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds abzuleiten.364 Sie sollte dabei fortan als spiegelbildliche Komplementärpflicht zur Pflicht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder verstanden werden, im Wege eines Teil­ nahmeausschlusses für die Nichtteilnahme eines von einem Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglieds zu sorgen. Dementsprechend besteht 360  Als Beispiel kann der Fall eines ehemaligen Aufsichtsratsmitglieds der Thyssen AG und zugleich Vorstandsmitglieds der Deutschen Bank AG, Ulrich Cartellieri, dienen, der sich 1997 offenbar wegen eines Interessenkonflikts betreffend die relevanten Aufsichtsratssitzungen der Thyssen AG krank meldete, so Hopt, ZGR 2002, 333, 371 f. Siehe dazu auch § 2 Fn. 365. 361  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. 362  Hüffer/Koch, § 108 Rn. 13; Koch, ZGR 2014, 697, 712; a. A. implizit Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 81. 363  Dafür auch Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147; Kremer, in: Kremer/ Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1481; Säcker, in: FS Rebmann, 1989, S. 781, 787; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 7; ferner Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 900 und 902, die an anderer Stelle aber lediglich von einem freiwilligen Verzicht auf die Sitzungsteilnahme auszugehen scheinen (ebd., Rn. 1007, siehe § 4 Fn. 359); im Einzelfall Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 431; wohl auch Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 247; als Minus zur von ihm angenommenen Verpflichtung des Konfligierten zum „Ruhenlassen“ bzw. zur Niederlegung des Aufsichtsratsmandats möglicherweise auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 190. 364  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147; Kremer, in: Kremer/Bachmann/ Lutter u. a., Rn. 1481; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 900 und 902; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 7; nicht ganz eindeutig, sondern möglicherweise allein bezogen auf einen Stimmrechtsausschluss Hüffer/Koch, § 108 Rn. 14. Anders für das Recht zum Teilnahmeverzicht Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 38 (Sorgfaltspflicht).

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

sie, wenn definitionsgemäß ein Interessenkonflikt vorliegt.365 Es ist selbstverständlich von Vorteil, dass auf diese Weise bei einem Interessenkonflikt einheitliche Voraussetzungen für die Handlungspflichten des Konfligierten und seiner Kollegen im Aufsichtsrat gelten. Dabei muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Pflicht zur Offenlegung des Interessenkonflikts der Pflicht, von einer Teilnahme an der Sitzung abzusehen, vorgeht. Zu begründen ist dies damit, dass sich so auch Äußerungen des Konfligierten aus der Vergangenheit, die dieser schon damals noch ohne Bezug zu den Belangen der Gesellschaft aufgrund des den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern womöglich nach wie vor unbekannten anderweitigen Interesses getroffen hat, in der ohne ihn stattfindenden Sitzung nunmehr zutreffend einordnen lassen. Zudem mag sich anschließend herausstellen, dass tatsächlich (doch) kein Interessenkonflikt vorliegt366, was wiederum im Interesse des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds liegen dürfte. Indes hängt die Pflicht des Konfligierten zum Teilnahmeverzicht nicht von einem vorherigen Teilnahmeausschluss ab, da die rechtsfortbildenden Überlegungen zu Interessenkonflikten im Zeichen der Abwehr von Gefahren für das Unternehmensinteresse stehen und die Gefahrenabwehr einschließlich der sie konkretisierenden Pflichten der Beteiligten hier nicht von einem Beschluss des Aufsichtsratsplenums abhängen darf. Maßgeblich ist allein das Vorliegen eines Interessenkonflikts nach den allgemeinen Maßstäben.367 Mit einem kraft Gesetzes bestehenden Teilnahmeverbot ist dies schließlich nicht gleichzusetzen,368 da das Teilnahmerecht des Konfligierten vorbehaltlich des Teilnahmeausschlusses durch das Aufsichtsratsplenum noch besteht und es um die Pflicht geht, hiervon keinen Gebrauch zu machen.

IV. Ausschluss vom Informationsfluss Naturgemäß geht ein Interessenkonflikt mit einer Gefährdung der gesellschaftsinternen Vertraulichkeit einher. Dementsprechend wird als weitere In365  Vgl. oben § 4 B. III. 3. a). Anders Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147 („wenn von dem Interessenkonflikt nicht unwesentliche Beeinträchtigungen oder Gefährdungen auf das Unternehmensinteresse ausgehen“) – der Begriff der Wesentlichkeit erfährt jedoch eine bestimmte Verwendung im Kontext von Interessenkonflikten (siehe oben § 2 C. IV. 2.) und sollte daher im hiesigen Kontext vermieden bzw. nicht offensichtlich davon abweichend gebraucht werden. 366  Vgl. oben § 4 A. V. 3. 367  Zur Perspektive zur Feststellung von Interessenkonflikten oben § 2 C. III. 2. 368  Mit anderer Einschätzung bezüglich der Pflicht zur Stimmenthaltung Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 171, und Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 249 Fn. 980, die darin im Ergebnis ein Stimmverbot erblicken wollen.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten215

teressenkonfliktmaßnahme mitunter ein Ausschluss des Konfligierten vom Informationsfluss erwähnt.369 Faktisch geht es um die Schaffung von Vertraulichkeitsbereichen (Chinese Walls), indem der Konfligierte vom Empfang von Unterlagen bzw. der Einsichtnahme darin ausgeschlossen wird. Trotz eines Ausschlusses von der Beratung einschließlich der Beschlussfassung ist das betreffende Aufsichtsratsmitglied nämlich unter normalen Umständen über die Abläufe und Beratungen im Gremium in Kenntnis zu setzen.370 1. Rechtliche Grundlage Wie auch im Rahmen eines möglichen Teilnahmeausschlusses371 berechtigt und verpflichtet die Treuepflicht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder diese, einschließlich des Aufsichtsratsvorsitzenden, Nachteile für die Gesellschaft abzuwenden372. Auf diese Weise besteht das Recht und zugleich die Pflicht, die Gefährdung des Unternehmensinteresses durch den Interessenkonflikt aufgrund einer möglichen Nutzung vertraulicher Informationen aus der Sphäre der Gesellschaft zu deren Lasten zu beseitigen, indem das von dem Interessenkonflikt betroffene Aufsichtsratsmitglied die einschlägigen Informationen gar nicht erst erhält. Insofern kann ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied von Informationen ausgeschlossen werden.373 2. Modalitäten Unterschiedliche Ansichten werden zur Frage vertreten, wer zur Entscheidung über einen Informationsausschluss berufen ist. Gegenüber der Annahme einer Kompetenz des Aufsichtsratskollektivs374 wird vertreten, der Ausschluss vom Informationszugang könne vom Aufsichtsratsvorsitzenden vorgenommen werden, ehe das betreffende Aufsichtsratsmitglied eine Entscheidung des Plenums verlangen kann375. Dazu ist zunächst anzumerken, dass ein In369  So bei Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146 f.; P. Doralt/W. Doralt, in: ArbHdbAR, § 14 Rn. 179; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1382 f.; ferner Hopt, ZGR 2004, 1, 33, Kremer/von Werder, AG 2013, 340, 345, und Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4. 370  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. 371  Siehe oben § 4 B. III. 1. 372  Stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 49. 373  Daher trifft es nicht zu, wenn Henning, in: Frodermann/Jannott, Kap. 8 Rn. 12, den Ausschluss einzelner Aufsichtsratsmitglieder von Informationen unabhängig von dem dahinterstehenden Grund pauschal für unzulässig erklärt. 374  Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 339; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4. 375  So, wenn auch missverständlich, Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1386 f. Für eine entsprechende Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden auch Ham-

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

formationsausschluss nicht nur im unmittelbaren Zusammenhang mit Aufsichtsratssitzungen relevant ist und daher nicht allein als Begleitmaßnahme eines Teilnahmeausschlusses angesehen werden kann. Auch außerhalb und im Vorfeld von Sitzungen erhalten Aufsichtsratsmitglieder regelmäßig Informationen und Unterlagen, etwa zu einzelnen Tagesordnungspunkten der kommenden Aufsichtsratssitzung. Demnach ist es verfehlt, davon zu sprechen, durch die Nichtteilnahme an der Sitzung werde der Konfligierte „vollständig vom Informationsfluss abgeschnitten“376. Richtigerweise ist die Kompetenzfrage im Einklang mit dem Bedürfnis und der Reichweite einer Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden aus zeitlichen oder praktischen Gründen zu beantworten: Da auch im Zeitraum vor der nächsten Sitzung die Gefahr besteht, dass sich der Interessenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds dergestalt realisiert, dass es zur Weitergabe oder Nutzung gesellschaftsinterner Informationen außerhalb und zulasten der Gesellschaft kommt, muss der Aufsichtsratsvorsitzende die Möglichkeit haben, bei Vorliegen eines Interessenkonflikts einen Informationsausschluss des Konfligierten vorzunehmen.377 Letzterer ist insofern vorläufig, als das Aufsichtsratsplenum über diesen und den ihm zugrunde liegenden Interessenkonflikt, wie der Aufsichtsratsvorsitzende ihn angenommen hat378, informiert wird, ab dem Beginn der Sitzung aber selbst entscheidungsfähig ist und daher eine Anschlussregelung bezüglich des Informationsausschlusses von einem entsprechenden Beschluss des Aufsichtsrats abhängt.379 Ein durch den Aufsichtsratsvorsitzenden verhängter Informationsausschluss betrifft daher den Zeitraum bis zu diesem Moment. Geht es um Vorstandsberichte, ist allein das Aufsichtsratsplenum zuständig, vgl. § 90 Abs. 5 S. 2 Hs. 2 AktG. Der Betroffene ist von der Beratung und zugleich von der Beschlussfassung auszuschließen. bloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 107 Rn. 39; Mutter, in: von Schenck, § 107 Rn. 118. Mit Blick auf die Berichtspflicht des Vorstands gemäß § 90 AktG ebenso Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 90 Rn. 10; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rn. 135; Sina, NJW 1990, 1016, 1020 f. Anders aber die h. M. in diesem Kontext (Verweigerung des Vorstands gegenüber einem Berichtsverlangen einzelner Aufsichtsratsmitglieder), etwa Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 90 Rn. 49, und Hüffer/Koch, § 90 Rn. 12a, sowie Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 90 Rn. 49. Richtigerweise sollte die Beantwortung der ebenfalls nicht geregelten Kompetenzfrage betreffend die Verweigerung der Berichterstattung im Rahmen von § 90 AktG derjenigen der Verhängung des Informationsausschlusses folgen, da sonst eine Umgehung etwaiger Maßnahmen des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. des Aufsichtsratsplenums durch Berichtsverlangen an den Vorstand droht, sollte der Vorstand zu einer anderen Einschätzung gelangen. 376  So aber Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 188. 377  Siehe oben § 4 A. III. 2. a) cc) zusammen mit § 4 A. III. 2. b) bb). 378  Vgl. oben § 4 B. I. 1. a). 379  Im Ergebnis wie hier Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1385 (missverständlich aber 1387).



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Man wird allerdings davon ausgehen müssen, dass die Gesellschaft – für diese entsprechend der Aufsichtsratsvorsitzende bzw. das Aufsichtsratsplenum – das betreffende Aufsichtsratsmitglied regelmäßig über den Ausschluss vom Informationsfluss zu informieren und dabei eine Begründung anzugeben hat. In Ausnahmefällen, wenn nämlich schon dieser Hinweis nicht im Unternehmensinteresse ist, kann auch hiervon abgesehen werden, etwa bei besonders vertraulichen Vorgängen, deren Kenntnis allein das Unternehmensinte­ resse gefährdet.380 Das Vorenthalten von Unterlagen, die vor der Behandlung eines Themas in der Sitzung ausgegeben werden, in Bezug auf welches ein Interessenkonflikt vorliegt, lässt sich mit den dargelegten Erwägungen begründen. Hinsichtlich der Sitzungsniederschriften ist zu differenzieren: Der gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied ausgesprochene Teilnahmeausschluss lässt nicht zwangsläufig den aus § 107 Abs. 2 S. 4 AktG hervorgehenden Anspruch des Betroffenen auf Aushändigung des Protokolls381 entfallen.382 Die Sitzungsniederschriften können ohne die Auslassung einschlägiger Passagen (und damit vollständig) zu übermitteln sein, wenn etwa der betreffende Sachverhalt bereits abgeschlossen ist.383 Demgegenüber muss auch der Zugang zu den Sitzungsniederschriften verwehrt werden, wenn weiterhin ­ Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht zu besorgen sind.384 Dieselben Maßstäbe gelten für die Einsichtnahme in Unterlagen und Vorstandsberichte. 3. Materielle Voraussetzung eines Ausschlusses vom Informationsfluss: Vorliegen eines Interessenkonflikts Unabhängig von der Frage, inwieweit der Vorstand die Berichterstattung gegenüber einem konfligierten Aufsichtsratsmitglied verweigern kann,385 markiert ein (nicht nur potenzieller) Interessenkonflikt die materielle Voraussetzung für einen Informationsausschluss innerhalb des Aufsichtsrats. Damit 380  Diekmann/Fleischmann, 381  Zu

AG 2013, 141, 147. § 107 Abs. 2 S. 4 AktG stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 107

Rn.  87 ff. 382  Statt vieler Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 14; a. A. (Entfall des Informationsrechts nach § 107 Abs. 2 S. 4 AktG zugleich mit dem Ausschluss von der Sitzung) Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 332. 383  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1383. 384  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 14; näher, jedoch implizit Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 143; ebenso für die entsprechende Möglichkeit der Zugangsbeschränkung Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 299; Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 332. 385  Im Einzelnen dazu Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 147 ff.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

gelten dieselben Anforderungen wie im Fall eines Teilnahmeausschlusses.386 Für Informationen, die originär aus dem Bereich des Aufsichtsrats stammen, bestehen hieran keine Zweifel. Aus § 90 Abs. 5 S. 2 Hs. 2 AktG ergibt sich allerdings, dass auch eine Einschränkung der Übermittlung von in Textform erstatteten Vorstandsberichten möglich ist. Des Weiteren wird zu Recht angenommen, dass auch die Kenntnisnahme von Vorstandsberichten i. S. v. § 90 Abs. 5 S. 1 AktG ausgeschlossen werden kann.387 Angesichts der insofern eher strengen Anforderungen seitens der Literatur388 muss hierfür das Vorliegen eines Interessenkonflikts genügen.389 Liegt nach der Beurteilung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. durch das Aufsichtsratsplenum ein Interessenkonflikt vor, muss der Aufsichtsratsvorsitzende bzw. das Aufsichtsratsplenum den Informationsausschluss vornehmen390, wobei der Informationsausschluss durch den Aufsichtsratsvorsitzenden den Zeitraum vor der nächsten Sitzung und Beratung zum entsprechenden Thema abdeckt und der Informationsausschluss durch das Kollektiv alle Informationen ab diesem Zeitpunkt erfasst und damit jedenfalls parallel zur Sitzung Bestand hat. Ab der Erörterung durch das Aufsichtsratskollektiv ist ein Ausschluss vom Informationsfluss allerdings nur dann logisch und auch rechtmäßig, wenn zugleich ein Teilnahmeausschluss erfolgt, da das nach wie vor an der Sitzung teilnehmende Aufsichtsratsmitglied ansonsten erheblich in seiner Tätigkeit beeinträchtigt wäre und es widersinnig wäre, den Informationszugang aus Gründen der Vertraulichkeit zu beschränken, wenn das betreffende Aufsichtsratsmitglied an der Aufsichtsratssitzung teilnehmen darf bzw. durfte, wo es ohnehin alles Wesentliche erfährt.391 Mit Blick auf die Frage, ob die Informationen dem Konfligierten 386  Anders aber angesichts der Inbezugnahme von „ganz besonderen Fällen“ Hopt, ZGR 2004, 1, 33. 387  Siehe Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 90 Rn. 6; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/ Lutter, § 90 Rn. 64; a. A. Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 90 Rn. 59; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 239; Spindler, in: MüKoAktG, § 90 Rn. 10. 388  Nach Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 90 Rn. 64, ist ein Ausschluss möglich „unter erhöhten Voraussetzungen […] in Missbrauchsfällen“. 389  In diese Richtung grundsätzlich auch Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 332. 390  Schon bislang wird ein Informationsausschluss als regelmäßige Folge von Interessenkonflikten genannt, siehe Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 6, und Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1382 f., ohne dass dies jedoch als zwingend betrachtet wird. 391  Vgl. in anderem Zusammenhang Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 29; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 43; a. A., offenbar jedoch unter Außerachtlassung der genannten Überlegung, Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 5.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten219

auch im Nachhinein vorzuenthalten sind, müssen die Gegebenheiten womöglich nach der Sitzung erneut durch das Aufsichtsratsplenum beurteilt werden. 4. Korrespondierende Pflicht des Konfligierten zum Informationsverzicht Es heißt im Schrifttum, dass – sofern die Gesellschaft den Interessenkonflikt nicht registriert – das Aufsichtsratsmitglied gehalten sein könne, trotz dessen erhaltene Unterlagen zunächst nicht weiter zu studieren und der Gesellschaft Bescheid zu geben.392 Dieser Überlegung ist grundsätzlich zu folgen, doch wird scheinbar übersehen, dass sie eine nur eingeschränkte praktische Bedeutung hat. Das Vorliegen eines Interessenkonflikts verpflichtet das betreffende Aufsichtsratsmitglied schon allgemein, diesen offenzulegen, woraufhin über Interessenkonfliktmaßnahmen zu entscheiden ist und gegebenenfalls ein Informationsausschluss erfolgt. Wird ein Informationsausschluss ausgesprochen, so gilt ein Informationsverzicht durch den Konfligierten ab diesem Zeitpunkt nur solchen Unterlagen und Informationen, die dieser unter Missachtung des Informationsausschlusses und somit fälschlicherweise erhält bzw. erhalten soll. Ansonsten sind nur Informationen betroffen, die dem Konfligierten zwischen der Entstehung der Offenlegungspflicht und ihrer Befolgung zugehen. Handelt der Konfligierte pflichtgemäß, fällt dieser Zeitraum regelmäßig kurz aus. Der zurückhaltende Umfang mit Informationen, die mit einer Frage im Zusammenhang stehen, in Bezug auf welche das Aufsichtsratsmitglied einem Interessenkonflikt unterliegt, ist auf die Treuepflicht zurückzuführen.

V. Ruhenlassen des Mandats? Eine eher untergeordnete Rolle in den Darstellungen zu Interessenkonfliktmaßnahmen spielt das so titulierte „Ruhenlassen des Mandats“.393 Dieses soll 392  Siehe Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. Für ein Recht des Konfligierten zum Verzicht auf die Informationsversorgung Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 1007; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1385. 393  Erwähnt bei Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 190 f.; Breuer/ Fraune, in: Heidel, § 116 AktG Rn. 10; Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/ Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 20; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 257 (bis zu einer nachfolgenden Mandatsniederlegung); Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1481; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 901; U. H. Schneider, in: FS Goette, 2011, S. 475, 477; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1383; Stephanblome, NZG 2013, 445, 449; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 5 und 7. Dem Wortlaut nach auch bei Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 105, der aber von „bestimmten Beratungen und Beschlussfassungen“ spricht,

220

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

bei zwar temporären, aber sachgegenständlich nicht begrenzten, gravierenden Interessenkonflikten in Betracht kommen.394 Das offenbar entscheidende Kriterium ist, dass eine vertrauensvolle, konstruktive Zusammenarbeit mit dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied im Anschluss an die Konfliktsituation bzw. ‑phase noch möglich ist.395 Das Ruhenlassen des Mandats soll wie ein Teilnahmeausschluss angeordnet werden können.396 Es bestehe eine dahingehende Pflicht des Plenums.397 Das Ruhenlassen des Aufsichtsratsmandats könne aber auch aus einer entsprechenden einseitigen, empfangsbedürftigen Erklärung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds gegenüber dem Vorstand resultieren.398 Die Abgabe einer solchen sei verpflichtend.399 Abgestellt wird dabei auf die Treuepflicht der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder.400 Eine gesonderte Interessenkonfliktmaßnahme dieser Art ist jedoch abzulehnen. Eine zeitweise Suspendierung aller mit dem Aufsichtsratsmandat einhergehenden Rechte und Pflichten sieht das Aktienrecht nicht vor.401 Das temporäre Ruhenlassen des Aufsichtsratsamtes widerspricht zudem dem Grundsatz der Gesamtverantwortung jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds für die Aufgabenerfüllung des Aufsichtsrats als Organ.402 Dieser Grundsatz kann, anders als bei einem Teilnahmeausschluss, der sich jeweils auf einen einzelnen, konkreten Beschlussgegenstand bezieht,403 nicht legitimerweise also offenbar nicht von einer gänzlichen Nichtausübung des Aufsichtsratsamtes ausgeht, sondern auf die einzelne Nichtteilnahme in konkreten Fällen abstellt. 394  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1383 – insbesondere „in einer zeitlich begrenzten Sondersituation, die für den Bestand des Unternehmens oder seine Zukunftsstrategie von maßgeblicher Bedeutung ist“; dem folgend Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 190. 395  Siehe Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 901; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1383; Stephanblome, NZG 2013, 445, 449. 396  Siehe Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1387 (vorläufige Entscheidung des Aufsichtsratsvorsitzenden und verdrängend Aufsichtsratsbeschluss); ebenso Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 191 und 214. 397  Nicht ganz eindeutig Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 191. 398  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1387. 399  In der Sache Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 190 f.; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1481; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 7; wohl auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 901. 400  Siehe Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 191; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1481; wohl auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn.  900 f. 401  Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 157; Tielmann/Struck, DStR 2013, 1191, 1192. Etwas anderes gilt nur in Fällen des § 105 Abs. 2 S. 3 AktG, siehe insofern stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 105 Rn. 35. 402  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 90. 403  Der von Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 190 Fn. 837, angedachten Betrachtung der Mandatsruhe als erweiterte Form eines Stimmrechts- bzw.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten221

überwunden werden. Schließlich ist zu differenzieren – es gibt es auch in „zeitlich befristeten Sondersituationen“ allgemeine Aufgaben und Funktionen, die nicht konfliktbehaftet sind. Für diejenigen Beschlussgegenstände und Aufgabenbereiche, für die das nicht gilt, ist jeweils ein Teilnahmeausschluss einschließlich eines Informationsausschlusses vorzusehen, der unter Umständen auch bei mehreren Gegenständen nacheinander bzw. parallel auszusprechen ist. Erreichen die Interessenkonfliktmaßnahmen einen die Aufsichtsratstätigkeit insgesamt belastenden Umfang, ist anstelle des zeitweiligen Mandatsruhens an eine mögliche Mandatsbeendigung zu denken.404 Wer seinem Amt auch temporär gar nicht (mehr) gerecht werden kann, sollte dieses Amt nicht länger bekleiden. Die Prognose über das zukünftige Arbeitsklima stellt zudem kein überzeugendes Unterscheidungskriterium dar und lässt es vergleichsweise willkürlich erscheinen, zwischen Teilnahmeausschluss und Mandatsbeendigung eine weitere Interessenkonfliktmaßnahme vorzusehen. Das Ruhenlassen des Aufsichtsratsmandats kommt als Interessenkonfliktmaßnahme nicht in Betracht.

VI. Beendigung des Mandats Die ultima ratio bei der Bewältigung des Interessenkonflikts ist das Ausscheiden des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds aus dem Amt.405 Auch Empfehlung E.1 S. 3 DCGK, die mit Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. wörtlich übereinstimmt, sieht eine Beendigung des Mandats vor im Fall „[w]esentliche[r] und nicht nur vorübergehende[r] Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds“. Grundsätzlich erscheint eine Amtsbeendigung406 auf zwei Wegen möglich: Sie kann passiv durch Andere erfolgen, das Aufsichtsratsmitglied wird also seines Amtes enthoben, oder aktiv, das Aufsichtsratsmitglied gibt das Amt also von sich aus auf. Teilnahmeausschlusses kann unter diesem Gesichtspunkt nicht beigepflichtet werden. 404  In diese Richtung auch Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 157. Zur Beendigung des Mandats siehe im Folgenden. 405  Vgl. Breuer/Fraune, in: Heidel, § 103 AktG Rn. 14 zusammen mit § 116 AktG Rn. 10; bezogen auf die Amtsniederlegung Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 900; Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1384; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 73; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 7; bezogen auf die gerichtliche Abberufung Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 34. Nicht gefolgt wird hier der Einordnung eines Sitzungs- und Informationsausschlusses als ultima ratio durch Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146 f. 406  Siehe zu den Konsequenzen der Abberufung bzw. allgemein der Amtsbeendigung Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 24 – diese gelten auch für die Mandatsniederlegung durch das Aufsichtsratsmitglied, siehe Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 60.

222

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

1. Abberufung aus wichtigem Grund Die verschiedenen Formen eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Aufsichtsratsamtes auf Initiative und Betreiben Dritter, gegen oder zumindest ohne den Willen des Amtsinhabers, finden sich in § 103 AktG.407 Eine unmittelbare Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds durch den Aufsichtsrat, insbesondere aufgrund eines Interessenkonflikts, ist jedoch nicht vorgesehen. a) Rechtliche Grundlage Gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG ist eine Abberufung im Fall eines wichtigen Grundes durch das Gericht möglich, wenn sich der Aufsichtsrat dazu entscheidet, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Die Vorschrift gilt dabei für sämtliche Aufsichtsratsmitglieder, unabhängig davon, ob sie von der Hauptversammlung oder von den Arbeitnehmern gewählt, in den Aufsichtsrat entsandt oder gerichtlich bestellt wurden.408 Die Tatsache, dass der Bundesgerichtshof im Kontext von Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. auf § 103 Abs. 3 AktG Bezug nimmt409, belegt, dass die Abberufung aus wichtigem Grund zugleich einen der maßgeblichen Wege zur „Beendigung des Mandats“ darstellt. b) Modalitäten Der Aufsichtsrat beschließt über die Antragstellung an das Gericht mit einfacher Mehrheit (der abgegebenen Stimmen410), § 103 Abs. 3 S. 2 AktG.411 Hierbei besteht nach verbreiteter Ansicht ein Stimmverbot des Aufsichtsratsmitglieds, auf dessen mögliche Abberufung die Abstimmung gerichtet ist.412 Konsequenterweise ist dieses jedoch, nachdem es Gelegenheit zur StellungÜberblick Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 1. aller Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 99. 409  Vgl. BGH, NJW 2009, 2207, 2210 – Kirch/Deutsche Bank. 410  Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 34; Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 30 Rn. 99; siehe allgemein schon oben § 2 B. I. 2. mit § 2 Fn. 135. 411  Ausnahmen finden sich etwa in § 11 Abs. 3 MontanMitbestG und § 5 Abs. 3 S. 2 MitbestErgG, vgl. Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 56 und 94. 412  Ganz h.  M., siehe stellvertretend Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1377 f. – materiell liege ein Richten in eigener Sache vor; ferner BayObLG, AG 2003, 427, 428 f.; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 16; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 12; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 931; Martinek, WRP 2008, 51, 64; Matthießen, Stimmrecht, S. 267  ff.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 103 Rn. 30; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 6 Fn. 58; des Weiteren Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 35, und Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 58, jeweils m. w. N. 407  Im

408  Statt



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten223

nahme hatte, im entsprechenden Kontext von der Teilnahme an der Sitzung auszuschließen.413 Im dreiköpfigen Aufsichtsrat ist nach den Grundsätzen zu verfahren, die schon für die Entscheidung über einen Teilnahmeausschluss gelten.414 Bei der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, kommt dem Aufsichtsrat kein Beurteilungsspielraum zugute.415 Die Abstimmung über die Antragstellung im Aufsichtsrat ist vom Aufsichtsratsvorsitzenden und ergänzend von jedem anderen Aufsichtsratsmitglied zu initiieren, wenn ein wichtiger Grund in der Person eines Kollegen im Aufsichtsrat erkennbar ist.416 Das wird mit der Sorgfaltspflicht begründet.417 Die auf die Feststellung eines wichtigen Grundes folgende Entscheidung hinsichtlich der Frage, ob ein Antrag auf Abberufung gestellt werden soll, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Aufsichtsratsmitglieder.418 Das bedeutet, dass aus bedeutenden Gründen des Unternehmenswohls von der Antragstellung abgesehen werden kann, diese jedoch bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen verpflichtend angezeigt ist.419 Grundsätzlich ist somit von einer Pflicht des Aufsichtsrats zur Antrag413  Zur Gelegenheit zur Stellungnahme im Vorfeld eines Teilnahmeausschlusses oben § 4 B. III. 2. Für die Möglichkeit zur Stellungnahme vor der Entscheidung über die Stellung des Abberufungsantrags, die nach der hier vertretenen Lösung aber ohnehin im Vorfeld des Teilnahmeausschlusses besteht, Eckardt, NJW 1967, 1010, 1011. 414  Dazu oben § 4 B. III. 2. Zu Recht weist allerdings W. Doralt, in: ArbHdbAR, § 12 Rn. 69, darauf hin, dass ein größerer Aufsichtsrat empfehlenswert ist, da ansonsten der Betroffene in der Lage wäre, durch sein Fernbleiben die Beschlussunfähigkeit zu verursachen. 415  Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 66 mit Fn. 303; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 30; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 38. Das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ ist demnach gerichtlich voll nachprüfbar. 416  Vgl. Martinek, WRP 2008, 51, 64; von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 235; ferner Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 81 und 179; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 291 und 301; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  160 f.; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 6. Freilich entscheidet erst das Gericht, ob der wichtige Grund tatsächlich vorliegt. 417  Siehe Martinek, WRP 2008, 51, 64; von Schenck, in: von Schenck, § 116 Rn. 235; in der Sache ebenso Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 6. 418  Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 291; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 30; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 38; wohl auch Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1480 mit Fn. 440. 419  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 38. Für die mitunter anzunehmende Reduzierung des Ermessens auf Null auch Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 291 und 301; Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 522; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 161; Tielmann/Struck, DStR 2013, 1191, 1192; zurückhaltender, letztlich aber ebenso Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 30. Für den ausnahmsweise gestatteten Verzicht auf einen Abberufungsantrag auch Martinek, WRP 2008, 51, 65.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

stellung bzw. der Aufsichtsratsmitglieder zur entsprechenden Stimmabgabe auszugehen.420 c) „Wichtiger Grund“ in der Person des Abzuberufenden Für § 103 Abs. 3 S. 1 AktG kommt es darauf an, dass ein „wichtiger Grund“ in der Person des abzuberufenden Aufsichtsratsmitglieds vorliegt. Die Umschreibung von Konstellationen, in denen eine Abberufung des konfligierten Aufsichtsratsmitglieds angezeigt ist, muss bei dem gedanklichen Ausgangspunkt beginnen, dass nur solche Situationen in Betracht kommen, in denen ein Teilnahmeausschluss nicht mehr ausreicht oder aus anderen Gründen nicht zielführend ist.421 Im Allgemeinen ist im Rahmen von § 103 Abs. 3 S. 1 AktG eine Einzelfallwürdigung nötig, ob eine Fortsetzung des Amtsverhältnisses bis zum Ablauf der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist.422 Die Unzumutbarkeit kann dabei auch aus einem Interessenkonflikt herrühren. Es wird im Zusammenhang mit Interessenkonflikten mitunter darauf abgestellt, ob die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats gefährdet ist – das soll der Fall sein, wenn ein Interessenkonflikt aufgrund seiner Bedeutung oder seiner zeitlichen Fortdauer so gewichtig ist, dass er sich über eine temporäre Beeinträchtigung hinaus „zu einem systematischen Konflikt fortentwickelt“.423 Im Tenor vergleichbar ist die Fokussierung auf die Frage, ob das vom Interes420  Vgl. Martinek, WRP 2008, 51, 65; in der Darstellung sehr knapp, aber möglicherweise auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 191. Nicht eindeutig ohne Vorbehalte, aber letztlich ebenso Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  160 f., und Wagner, in: ArbHdbAR, § 2 Rn. 49. Siehe jedoch zur Abhängigkeit der entsprechenden Pflicht von dem Umstand, dass der Betroffene seine Pflicht zur Mandatsniederlegung nicht erfüllt, unten § 4 B. VI. 3.; vgl. für eine entsprechende Pflicht der übrigen Mitglieder grundsätzlich auch die dort in § 4 Fn. 468 Genannten. Zur Art und Weise der Antragstellung beim Gericht Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 60. 421  Implizit im Zusammenhang mit Interessenkonflikten infolge der Zugehörigkeit zu einem Konkurrenzunternehmen so auch Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 9. 422  Allg. A., OLG Frankfurt, AG 2008, 456, 456 f.; OLG Stuttgart, AG 2007, 218, 218 f.; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 17; Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 39 f.; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 100; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 64 und 66 ff.; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 10; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 933; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 103 Rn. 33; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 33; beiläufig Butzke, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 245 f.; sympathisierend OLG Hamburg, ZIP 1990, 311, 313 – HEW/Jansen. 423  Siehe Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. Ebenso auf eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit abstellend Kocher/Freiherr von Falkenhausen, AG 2016,



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten225

senkonflikt betroffene Mitglied das Amt noch sinnvoll ausüben kann – das soll gerade nicht der Fall sein, wenn es permanent zu Beschränkungen in der Amtsausübung kommt.424 Die Abberufung aus wichtigem Grund wird ferner bei „schwerwiegenden und dauerhaften“ Interessenkonflikten für geeignet, erforderlich und angemessen gehalten.425 Geringere Anforderungen scheinen auf den ersten Blick hinter der Angabe zu stehen, ein wichtiger Grund liege auch in einem „Interessenkonflikt […], der eine loyale Wahrnehmung der Gesellschaftsinteressen unmöglich erscheinen lässt“426. Dabei wird stellenweise auf das wiederholte Vorliegen der Voraussetzungen eines Teilnahmeausschlusses abgestellt.427 In der Gesamtschau wird damit schnell offensichtlich, dass ein singulärer Interessenkonflikt – wie schon eingangs erwogen über die Anforderungen an einen Teilnahmeausschluss hinausgehend428 – zur Annahme eines wichtigen Grundes i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG und damit mittelbar zur Abberufung nicht genügt. Es bedarf vielmehr eines wiederkehrenden Interessenkonflikts429. Neben der entsprechenden Frequenz des Interessenkonflikts ist jedoch noch eine weitere Dimension von Relevanz. Zur Begründung können Ausführungen zu Aufsichtsratsmandaten bei Konkurrenzunternehmen herangezogen werden: In Bezug auf dauerhafte – besser: wiederkehrende430 – In848, 852 Fn. 27; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 8; implizit Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 103. 424  Vgl. Scholderer, NZG 2012, 168, 176, der eine permanente Pflicht des Betroffenen zur Stimmenthaltung und dessen dauerhafte Inhabilität anführt. 425  So Martinek, WRP 2008, 51, 66. Faktisch identisch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 191; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 50; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 103 AktG Rn. 14; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 145; ganz ähnlich Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 426, und Hüffer/Koch, § 103 Rn. 11 („bei gravierender und dauerhafter Pflichtenkollision“). Ähnlich, aber allein „in besonders gravierenden Einzelfällen“ Deckert, DZWir 1996, 406, 409; umgekehrt nur auf die Dauerhaftigkeit (der Pflichtenkollision bzw.) des Interessenkonflikts abstellend Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 36, und Wagner, in: ArbHdbAR, § 2 Rn. 49. Leicht abweichend LG Hamburg, ZIP 1990, 102, 102 („in einer tiefgreifenden, andauernden und unlösbaren Pflichtenkollision“) – HEW/Jansen (dazu oben § 2 D. II. 3). 426  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 17; faktisch übereinstimmend Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 103 Rn. 33. 427  Siehe Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 6; in diese Richtung auch Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 159. 428  Ein Teilnahmeausschluss setzt „nur“ einen (insofern „einfachen“) Interessenkonflikt ohne zusätzliche Attribute voraus, siehe oben § 4 B. III. 3. a). 429  Zum Begriff oben § 2 C. IV. 1. Nach Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 184, ist dagegen eine Abberufung des konfligierten Aufsichtsratsmitglieds bei punktuellen Interessenkonflikten „vollkommen unverhältnismäßig“. 430  Siehe oben § 2 C. IV. 1.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

teressenkonflikte aufgrund der Zugehörigkeit zu einem konkurrierenden Unternehmen stellt Spindler darauf ab, dass bei der Aufsichtsratstätigkeit kaum unterschieden werden könne, ob sich bestimmte Beratungsgegenstände nicht auf das konkurrierende Unternehmen beziehen.431 Ein Teilnahmeausschluss könne nur genügen, wenn sich die Geschäftsfelder der Unternehmen nur in wenigen Bereichen überschneiden.432 Daraus kann gefolgert werden, dass de facto die sachgegenständliche Breite des Interessenkonflikts bzw. dessen Anteil an der Aufsichtsratstätigkeit insgesamt als maßgeblich erachtet wird. Dies wiederum führt zu der insoweit mit Bedacht getroffenen Einordnung von Interessenkonflikten anhand ihres relativen Ausmaßes zurück:433 Interessenkonflikte, die eine Abberufung rechtfertigen bzw. erfordern, müssen auch wesentlich sein. Damit korrespondierend sieht Empfehlung E.1 S. 3 DCGK die Beendigung des Mandats im Fall „[w]esentliche[r] und [Hervorhebung durch den Verfasser] nicht nur vorübergehende[r] Interessenkonflikte“ vor.434 Der dargestellte Ansatz sowie das ihm zugrunde liegende Begriffsverständnis werden schließlich durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt: Den von Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. tatbestandlich vorausgesetzten wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt will der Bundesgerichtshof insbesondere im Hinblick auf das Attribut der Wesentlichkeit „nur bei breitflächigen Auswirkungen auf weite Teile der Organtätigkeit“ annehmen.435 Wegen des identischen Wortlauts von Empfehlung E.1 S. 3 DCGK ist die genannte Einschätzung weiterhin relevant und darauf übertragbar. Sie wird als nähere Konkretisierung der eingangs erwähnten (Un‑)Zumutbarkeit interpretiert.436 Von der entsprechenden Seite wird außerdem ge431  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 9 (siehe schon § 4 Fn. 421); ähnlich Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 149. 432  Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 9; vgl. im Umkehrschluss auch OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 5. 433  Dazu oben § 2 C. IV. 2. 434  Siehe schon oben § 4 B. VI. Ein „wiederkehrender“ Interessenkonflikt nach dem vorgeschlagenen Begriffsverständnis ist ein „nicht nur vorübergehender“ Interessenkonflikt i. S. v. Empfehlung E.1 S. 3 DCGK, siehe oben § 2 C. IV. 1. Passend zur vorgeschlagenen Lösung befindet Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 1, noch bezogen auf Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F., es sei nicht nachvollziehbar, warum die Kodexvorgabe als Empfehlung und nicht als Gesetzeswiedergabe formuliert sei. 435  BGH, NJW 2009, 2207, 2210 – Kirch/Deutsche Bank; mit ähnlicher Terminologie bzw. Umschreibung Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 927 (siehe schon § 2 Fn. 267), und Scholderer, NZG 2012, 168, 176. Zur Diskussion um die hiernach von Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 927 (wie schon zuvor, ebd., Rn. 22 f.), angenommene Amtsunfähigkeit im Sinne eines Bestellungshindernisses siehe aber oben § 3 A. im Ganzen. 436  Siehe Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 69.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten227

rade erklärt, dass die nähere Definition des „wichtigen Grundes“ einer „flexibleren Kodexempfehlung überlassen“ bleiben kann.437 Das schließt weitere Arten wichtiger Gründe abseits der Vorgaben des DCGK nicht aus, für den Bereich der Interessenkonflikte gestattet sich aber nach dem hier vertretenen Ansatz die Festlegung, dass faktisch die auch in Empfehlung E.1 S. 3 DCGK und zuvor in Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. enthaltenen Anforderungen maßgeblich sind.438 Sind diese – unabhängig von einer etwaigen Ent­sprechenserklärung gemäß § 161 Abs. 1 AktG439, sondern rein tatbestandlich – erfüllt, liegt auch ein wichtiger Grund i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG vor. Nimmt man die beiden darin angelegten Dimensionen (Frequenz und relatives Ausmaß) auf diese Weise zusammen, ähnelt die Situation aufgrund des weitgehenden Ausfalls des Betroffenen als Organmitglied und der daraus resultierenden Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats schließlich derjenigen eines unvollständig besetzten Aufsichtsrats, der zwingend durch das Gericht (§ 104 AktG) bzw. durch die Hauptversammlung zu komplettieren ist.440 Für eine Abberufung des Konfligierten ist ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt zu fordern. Mit der bisherigen Rechtsprechung ist das gut zu vereinbaren.441 2. Mandatsniederlegung Im Gesetz nicht geregelt ist die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Aufsichtsratsmitglied sein Mandat von sich aus niederlegen kann und darf. Die Amtsbeendigung allgemein wird durch § 103 Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 8. nur andeutend und teilweise unklar – noch zu Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.  – Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 321. 439  Die hier befürwortete Heranziehung von Empfehlung E.1 S.  3 DCGK (Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.) zur näheren Definition des „wichtigen Grundes“ in § 103 Abs. 3 S. 1 AktG ist damit weitergehend als die Ausführungen von Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 73 und 118, und Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 160, die – noch bezogen auf Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. – voraussetzen, dass die Gesellschaft die vollständige Befolgung der Kodexvorgabe auch erklärt hat. 440  Mit dem grundsätzlichen Gedanken schon Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1384. 441  Siehe – in derselben Sache – OLG Hamburg, ZIP 1990, 311 – HEW/Jansen, und LG Hamburg, ZIP 1990, 102 – HEW/Jansen (dazu oben § 2 D. II. 3). Insbesondere besteht entgegen der Darstellung von Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 310, kein Verstoß gegen den Grundsatz der Rollentrennung, dazu oben § 2 D. II. 1. a), wenn der entsprechende Interessenkonflikt an Umständen festgemacht wird, die außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit liegen. Die spätere Annahme eines pflichtwidrigen Verhaltens des Betroffenen (ebd., S. 316) geht ebenso an der Sache vorbei. 437  Siehe 438  Dies

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

AktG nicht abschließend normiert.442 Eine solche Amtsniederlegung ist möglich; eines wichtigen Grundes bedarf es hierzu nicht.443 Dies liegt erstens an der höchstpersönlichen Natur des Mandats,444 zweitens ist kein Interesse der jeweiligen Gesellschaft anzunehmen, das Mandat entgegen dem inneren Willen des Mandatsträgers fortdauern zu lassen445. Die Niederlegung kann jederzeit erfolgen.446 Eine Niederlegung zur Unzeit ist wirksam, bei Fehlen eines wichtigen Grundes droht aber ein Schadensersatzanspruch nach § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG wegen eines darin liegenden Treuepflichtverstoßes.447 Die Amtsniederlegung betreffende Satzungsregelungen sind möglich.448 442  Simons,

in: Hölters, § 103 Rn. 52; Singhof, AG 1998, 318, 320. h. M., siehe OLG Stuttgart, WM 2017, 1860, 1865; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 22; Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 59; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 103 AktG Rn. 19; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 101; Israel, in: Bürgers/Körber, § 103 Rn. 17; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 17; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 35; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 103 Rn. 57; ­Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 55; Singhof, AG 1998, 318, 321 f.; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 64; Wagner, in: ArbHdbAR, § 2 Rn. 51; Wardenbach, AG 1999, 74, 75 f.; a. A. (wichtiger Grund erforderlich) J. Link, Amtsniederlegung, S. 133 ff. und 158 f.; Freiherr von Godin/H. Wilhelmi/S. Wilhelmi, § 103 Anm. 10. Anders auch die frühere h. M. (etwa Baumbach/A. Hueck/G. Hueck, § 102 Rn. 4), die teilweise nach dem Vorhandensein und ggf. der Art einer Vergütung unterschied, dazu Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 103, und Wardenbach, AG 1999, 74, 75. 444  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 22. Auf den nebenamtlichen Charakter der Aufsichtsratstätigkeit abstellend Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S.  177 f. 445  Hüffer/Koch, § 103 Rn. 17, dem zufolge die entsprechende Haltung des Aufsichtsratsmitglieds regelmäßig auf Interessenkonflikte zurückzuführen ist; ferner Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 22; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 177; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 162; Singhof, AG 1998, 318, 322; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 64; mit weiteren Ausführungen Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 59. Dagegen J. Link, Amtsniederlegung, S. 137. 446  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 22. Sie erfolgt im Wege einer einseitigen, empfangsbedürftigen Erklärung des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber dem Vorstand, siehe Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 227, und Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1387. Zu den Modalitäten der Niederlegung ferner Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 57 f. 447  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 22; Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 60; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 103 AktG Rn. 19; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 101; Israel, in: Bürgers/Körber, § 103 Rn. 17; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 17; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 35; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 55 (betreffend den Schadensersatz Fn. 164); Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 65. 448  Stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 62, siehe dort für Einzelheiten. Insbesondere kann danach das Recht zur Niederlegung an das Vorliegen eines 443  Ganz



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten229

a) Pflicht zur Amtsniederlegung? Die Niederlegung des Mandats durch das Aufsichtsratsmitglied selbst heißt nicht notwendigerweise, dass der dahingehende Entschluss im Ursprung völlig freiwillig gewesen ist. Nahezu einhellig wird unter bestimmten Umständen eine Verpflichtung zur Amtsniederlegung angenommen,449 wobei deren Einschlägigkeit teilweise an das Vorliegen von „schwerwiegenden Interessen­ konflikten“450 und anderenorts an das Vorhandensein einer „dauerhaften Interessenkollision“451 geknüpft wird. Dahinter steht die Erwägung, dass derjenige, der seine Aufgaben im Aufsichtsrat verschuldet oder unverschuldet nicht oder nicht mehr erfüllen kann, weiter in der Verantwortung steht, die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats insgesamt zu gewährleisten.452 Die Verpflichtung, das Mandat aufzugeben, wird aus der organschaftlichen Treuepflicht abgeleitet.453 Unabhängig davon wird die in Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. empfohlene „Beendigung des Mandats“ u. a. durch den Bundesgerichtshof auch im Sinne einer Amtsniederlegung durch das Aufsichtsrats-

wichtigen Grundes geknüpft werden. Werden die Satzungsbestimmungen verletzt, ist die Niederlegung unwirksam (Henssler, in: Henssler/Strohn, § 103 AktG Rn. 19). 449  Dafür Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 23; Habersack, in: MüKoAktG, § 103 Rn. 60; Israel, in: Bürgers/Körber, § 103 Rn. 17; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 56a; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 64 m. w. N.; a. A. Dreher, JZ 1990, 896, 902 (nur bei unlösbarem Pflichtenkonflikt); Knapp, Die Treuepflicht, S. 305 ff.; Singhof, AG 1998, 318, 324 f. 450  Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 23; ähnlich Deckert, DZWir 1996, 406, 409. Abzulehnen ist jedenfalls die Ansicht, dass eine „echte Pflichtenkollision“ nötig sei (Singhof, AG 1998, 318, 323), wofür trotz der fehlenden Gesetzesqualität schon der Wortlaut von Empfehlung E.1 S. 3 DCGK spricht. 451  Buchta/van Kann, DStR 2003, 1665, 1668; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 115; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 164; Spindler, in: BeckOGKAktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 64; ganz ähnlich (dauerhafter, nicht anders auflösbarer Interessenkonflikt) Israel, in: Bürgers/Körber, §  103 Rn.  17. Von Hopt/M. Roth, a. a. O., wird noch die Situation erwähnt, dass „regelmäßig wiederkehrend Interessenkollisionen zu erwarten sind“, was in der Sache aber wohl keinen großen Unterschied bedeutet. 452  Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 103; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 56a. 453  Siehe Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147; Drygala, in: K. Schmidt/ Lutter, § 100 Rn. 28; Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 103; Hüffer/Koch, § 103 Rn. 17; Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 227; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn.  1481; Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 56a; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 64; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 1; ähnlich Martinek, WRP 2008, 51, 64, der bei seinem Verweis auf §§ 93 Abs. 1, 116 AktG wohl die zuvor von ihm erwähnte „Sorgfalts- und Treuepflicht“ vor Augen hat (siehe nämlich § 4 Fn. 20).

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

mitglied selbst verstanden,454 was wegen des identischen Wortlauts auf Empfehlung E.1 S. 3 DCGK zu übertragen ist455. b) Auslöser der Niederlegungspflicht Für die materiellen Voraussetzungen der Amtsniederlegungspflicht können keine anderen Maßstäbe gelten als für die Abberufung aus wichtigem Grund gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG.456 Ein nachvollziehbarer Grund für eine Abweichung ist nicht ersichtlich. Die Amtsniederlegung ist ebenso ein Unterfall der Amtsbeendigung wie die Abberufung aus wichtigem Grund. Beide werden dementsprechend auch unter die „Beendigung des Mandats“ in Empfehlung E.1 S. 3 DCGK gefasst457 und unterliegen damit insoweit denselben Tatbestandsvoraussetzungen. Die in der Literatur beschriebenen Anforderungen ähneln denen stark, die an die Annahme eines wichtigen Grundes i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG gestellt werden.458 Vielfach werden gar identische Voraussetzungen einer Amtsniederlegungspflicht definiert.459 Das schon für die Abberufung zu beachtende Verständnis des Bundesgerichts­ hofes von dem in Empfehlung E.1 S. 3 DCGK vorgesehenen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt, wonach ein solcher „nur bei breitflächigen Auswirkungen auf weite Teile der Organtätigkeit“ anzu-

454  Siehe BGH, NJW 2009, 2207, 2210 – Kirch/Deutsche Bank, und aus dem Schrifttum Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 103. 455  Vgl. im Ergebnis Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 31 f. 456  Vgl. übereinstimmend Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Vo­ raussetzung, S. 146. 457  Siehe schon oben § 4 B. VI. 2. a). 458  Beispielsweise hat Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1384, Fälle vor Augen, in welchen „eine sinnvolle Aufsichtsratstätigkeit des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds bei objektivierter Betrachtung ausgeschlossen erscheint“, was er offenbar annimmt, wenn der überwiegende Teil der Aufsichtsratstätigkeit Stimm- und Teilnahmeverboten unterliegt. Auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 191, stellt auf die ansonsten permanent angezeigte Anordnung von Stimmrechtsund Teilnahmeausschlüssen ab. Siehe im Vergleich oben § 4 B. VI. 1. c). 459  Beispielsweise stellen Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147, auch hier (zur Abberufung siehe § 4 Fn. 423) auf eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats bzw. deren notwendige Wiederherstellung ab. Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 6, sieht im wiederholten Vorliegen der Voraussetzungen eines Teilnahmeausschlusses gleichermaßen den Grund für eine Amtsniederlegung wie auch für eine Abberufung (siehe bereits § 4 Fn. 427). Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 191, nimmt eine Pflicht zur Mandatsniederlegung wie auch einen wichtigen Grund gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG (siehe § 4 Fn. 425) bei einem „schweren und dauerhaften“ bzw. „schwerwiegenden und dauerhaften“ Interessenkonflikt an.



B. Weitere Maßnahmen und Pflichten231

nehmen sei460, gilt auch im hiesigen Kontext461. Anstelle einer eindimensionalen Betrachtung nur der Frequenz oder des relativen Ausmaßes des Inte­ ressenkonflikts462 sollten in Bezug darauf erneut kumulative Anforderungen gelten.463 Auch im Einklang mit Empfehlung E.1 S. 3 DCGK („[w]esent­ liche und [Hervorhebung durch den Verfasser] nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte“)464 besteht eine Amtsniederlegungspflicht bei einem wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikt.465 Die Einschätzung des Aufsichtsratsplenums zum Vorliegen eines solchen Interessenkonflikts hat weder Auswirkungen auf die Amtsniederlegungspflicht noch ist sie für diese konstitutiv.466 3. Verhältnis von Abberufung und Mandatsniederlegung Die nähere Betrachtung der Pflicht zur Initiierung der gerichtlichen Abberufung bzw. der Pflicht zur Mandatsniederlegung ergibt, dass diese hinsichtlich ihrer Voraussetzungen korrespondieren:467 Beide werden durch wesentliche und wiederkehrende Interessenkonflikte ausgelöst. Fraglich ist, ob die Pflichten nicht nur nebeneinander, sondern auch voneinander unabhängig bestehen oder ob ein Rangverhältnis besteht, welchem zufolge eine der Pflichten prioritär zu erfüllen ist. Eine Reihe von Stimmen im Schrifttum 460  Noch zu Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. BGH, NJW 2009, 2207, 2210 – Kirch/ Deutsche Bank, siehe schon oben § 4 B. VI. 1. c) mit § 4 Fn. 435. 461  Vgl. übereinstimmend die Belegführung bei Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 103 Rn. 23 mit Fn. 36. 462  Dazu oben § 2 C. IV. 1. bzw. § 2 C. IV. 2. 463  Insoweit abzulehnen sind die schon oben in § 4 B. VI. 1. c) wiedergegebenen Ausführungen von Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147, wonach ausschlaggebend sei, dass ein Interessenkonflikt „aufgrund dessen Bedeutung oder [Hervorhebung durch den Verfasser] aufgrund dessen zeitlicher Fortdauer“ besonders schwerwiegend ist. Vgl. dagegen wie hier für eine mehrdimensionale Beurteilung OLG Schleswig, NZG 2004, 669, 670. 464  Vgl. für identische Voraussetzungen der aus der Treubindung abzuleitenden Pflicht zur Mandatsniederlegung und der dahingehenden Empfehlung E.1 S. 3 DCGK – noch zu Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. – auch Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 103 und § 103 Rn. 60, und Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 165 ff. und 217, dessen am erstgenannten Ort mehrdimensionales Verständnis von „Wesentlichkeit des Interessenkonflikts“ aber abzulehnen ist (siehe § 2 Fn. 266). Auch Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1383, scheint – noch bezogen auf Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. – die Kriterien der Kodexvorgabe übernehmen zu wollen. 465  Vgl. oben § 4 B. VI. 1. c) am Ende. 466  Insoweit missverständlich Seibt, AG 2003, 465, 472, siehe die Klarstellung bei Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 216. 467  Mit dieser Schlussfolgerung und Wortwahl auch Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

muss so verstanden werden, dass (erst) wenn das konfligierte Aufsichtsratsmitglied seiner Pflicht zur Mandatsniederlegung nicht gerecht wird, die anderen Mitglieder verpflichtend den Antrag auf gerichtliche Abberufung stellen müssen.468 Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Pflicht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder, den Antrag auf gerichtliche Abberufung zu stellen, durch die Nichterfüllung der Pflicht zur Mandatsniederlegung durch den von einem wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikt Betroffenen bedingt ist. Im Fall der Abberufung existiert mit § 103 Abs. 3 S. 1 AktG eine gesetzliche Grundlage, der sich ein entsprechender Vorbehalt nicht entnehmen lässt. Dem eventuellen Einwand, ein „wichtiger Grund“ sei eben nur bei Untätigkeit des Betroffenen zu bejahen, ist entgegenzuhalten, dass die Antwort auf die beinahe allenthalben gestellte Frage nach der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Amtsverhältnisses bis zum Ablauf der Amtszeit469 nicht von der ausbleibenden Amtsniederlegung durch den Konfligierten, sondern von dem in seiner Person vorliegenden wesentlichen und wiederkehrenden Inte­ ressenkonflikt abhängt. Dennoch stellt es eine zulässige Ermessensausübung und damit eine zulässige Ausnahme zum ansonsten verpflichtend durch den Aufsichtsrat zu stellenden Abberufungsantrag dar, dem konfligierten Aufsichtsratsmitglied bewusst eine vorherige Gelegenheit zur Mandatsniederlegung einzuräumen.470 Das Unternehmensinteresse ist hier darauf gerichtet, ein mitunter langwieriges, Kosten verursachendes und von der Entscheidung des Gerichts abhängiges Verfahren zu vermeiden sowie die Kommunikation und das in der Öffentlichkeit entstehende Bild zu beeinflussen. Auch der Konfligierte dürfte es mit Blick auf die eigene Reputation vorziehen, das Mandat jedenfalls formell selbst zu beenden, unabhängig davon, ob bzw. dass eine Niederlegungspflicht anzunehmen ist.471 So können Gesellschaft und Aufsichtsratsmitglied einen weitsichtigen Umgang mit Interessenkon468  Siehe etwa Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 103 und §  103 Rn. 5; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 120; Nordhues, CFL 2010, 327, 331 f.; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 6; Wagner, in: ArbHdbAR, § 2 Rn. 49; Wilsing, in: Wilsing, Ziff. 5.5.3 Rn. 1 und 7; letztlich auch Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1481, für den (offenbar erst) dann ein wichtiger Grund zur gerichtlichen Abberufung vorliegt. Leicht abweichend auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 900, die bloß davon ausgehen, dass dann eine Abberufung erfolgen kann; so offenbar auch Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1387. 469  Siehe die Nachweise in § 4 Fn. 422. 470  Martinek, WRP 2008, 51, 65. Zum pflichtgemäßen Ermessen hinsichtlich der Frage, ob ein Antrag auf Abberufung gestellt werden soll, schon oben § 4 B. VI. 1. b). 471  Vgl. Simons, in: Hölters, § 103 Rn. 55, der die Amtsniederlegung u. a. als Weg darstellt, wie ein unerwünschtes Aufsichtsratsmitglied im Verhältnis zur Abberufung gesichtswahrend aus dem Amt ausscheiden kann.



C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 233

flikten demonstrieren. Wohl auch deshalb ist die Amtsniederlegung durch das Aufsichtsratsmitglied in der Praxis der gewöhnliche Weg zur vorzeitigen Beendigung des Aufsichtsratsmandats.472

C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 Das beschriebene Pflichtenprogramm gibt sowohl in seinen Einzelheiten als auch in seiner Gesamtschau Anlass zu einer kritischen Beurteilung, in deren Rahmen die damit verbundenen Vorteile aufzuzeigen sind und zu möglichen dagegen erhobenen Einwänden Stellung zu beziehen ist. Grundsätzlich gilt, dass Anpassungen und Veränderungen in diesem vornehmlich rechtsfortbildend entwickelten Teil des Aktienrechts ohne Weiteres möglich sind.473

I. Schaffung eines klaren Systems zur Behandlung von Interessenkonflikten Das dargelegte Pflichtenprogramm bietet den Vorzug klar festgelegter Zuständigkeiten bei der Entscheidung über das Vorliegen von und im Umgang mit Interessenkonflikten. Bestehende Unsicherheiten in der Rechtsanwendung können insofern reduziert werden, als der bloße Interessenkonflikt, wenn er festgestellt wird, Ausgangspunkt für Handlungsschritte bzw. Interessenkonfliktmaßnahmen seitens des Konfligierten auf der einen und des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. des Aufsichtsratskollektivs auf der anderen Seite ist. Durch die sorgsame Bestimmung des Begriffs des Interessenkonflikts, der richtigerweise eine Einschätzung der Gefahren für die jeweilige Gesellschaft umfasst,474 kann die Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit einer Offenlegung des Interessenkonflikts nach allem knapp ausfallen: Jeder nicht nur potenzielle Interessenkonflikt ist – passend zum Wortsinn – offenzulegen. Der Aufsichtsratsvorsitzende bzw. das Aufsichtsratskollektiv kann anschließend nicht untätig bleiben: Die Überlegungen müssen darauf ausgerichtet sein, wie die dem Interessenkonflikt inhärenten Gefahren beseitigt werden können. Zieht man sowohl die Gefahr einer Entscheidung bzw. eines Agierens zulasten der Gesellschaft, diejenige einer Beeinflussung der übrigen Mitglieder als auch diejenige einer möglichen Preisgabe geschützter In472  Im Ergebnis für diese Tatsache Hüffer/Koch, § 103 Rn. 17; Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1480; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 103 Rn. 56. 473  Vgl. Koch, ZGR 2014, 697, 711 und 718. 474  Vgl. oben § 2 C. I. 2.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

formationen in Betracht, kann nur ein Teilnahmeausschluss verlässlich Abhilfe schaffen. Dieser ist bei Interessenkonflikten standardmäßig und zwingend vorzunehmen. Umgekehrt trifft den Konfligierten dann eine Pflicht zum Teilnahmeverzicht. Die Anforderungen an den Konfligierten und an die übrigen Aufsichtsratsmitglieder decken sich in ihrem Ergebnis, zumal eine Parallelität zwischen dem Auslöser der Offenlegungspflicht und demjenigen verpflichtender Interessenkonfliktmaßnahmen erreicht wird. Der in der Vergangenheit teilweise zu findende, eher unglückliche Ansatz, die Reaktion auf den Interessenkonflikt allein dem Konfligierten aufzutragen bzw. zu überlassen, der die Pflicht oder – noch undurchschaubarer – das Recht haben soll, sich von der Abstimmung bzw. Beratung zurückzuziehen und an den in letzterem Fall wohl eher hilfsweise dahingehende Appelle gerichtet werden, ist damit obsolet. Das gilt gleichermaßen im Kontext der gegebenenfalls angezeigten Initiierung einer Abberufung des Konfligierten und dessen spiegelbildlicher Pflicht zur Amtsniederlegung. Auch die Vorgaben aus Empfehlung E.1 S. 1 DCGK und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK (bzw. aus Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. und Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.), die den Interessenkonflikt für sich genommen oder unter Hinzufügung eines Attributs adressieren, fügen sich erstmals nahtlos in das entworfene System von Interessenkonfliktmaßnahmen ein und können dabei auch für Überlegungen aus im engeren Sinne aktienrechtlicher Perspektive fruchtbar gemacht werden.475 Letztlich zeigt sich, dass hinter den genannten Empfehlungen geltendes Recht steht.476

II. Schaffung begrifflicher Stringenz im Rahmen des Systems zur Behandlung von Interessenkonflikten Mit dem vorgeschlagenen Verständnis des Interessenkonfliktbegriffs477 und der konsequenten Anknüpfung an genau diese Definition und die vorge475  Anders offenbar Koch, ZGR 2014, 697, 706, wonach Gerichtsentscheidungen, die den DCGK betreffen, nicht für eine Auseinandersetzung mit dem Begriff „Inte­ ressenkonflikt“ im Aktienrecht herangezogen werden können. Siehe aber passend zur hiesigen Feststellung bereits oben § 3 D. II. am Ende. 476  Siehe u. a. oben § 4 A. I. Übereinstimmend, aber mit weniger eingehender Begründung Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 434; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 100 Rn. 321; Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 419. Trotz der fehlenden Bindungswirkung der Empfehlungen des DCGK und der grundsätzlichen Freiheit von Vorstand und Aufsichtsrat, ihnen nicht zu folgen (vgl. oben § 2 C.), kommt aus diesem Grund bei einem rechtskonformen Verhalten der Organe die Erklärung der Nichtbefolgung dieser zwei Empfehlungen praktisch nicht in Betracht (siehe dagegen aber die von von Werder/Danilov, DB 2018, 1997, 2003, genannten tatsächlichen Befolgungsquoten aller börsennotierten Gesellschaften von „nur“ 96,6 Prozent bzw. 90,6 Prozent im Fall von Ziff. 5.5.2 DCGK a. F. bzw. Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F.). 477  Dazu oben § 2 C. I. im Ganzen.



C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 235

schlagenen Attribute478 bei der Festlegung und Erörterung von Maßnahmen zur Behandlung des Interessenkonflikts ist – soweit ersichtlich – erstmals ein einheitlicher Interessenkonfliktbegriff vorhanden, der nur hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen dafür, dass eine Beendigung des Aufsichtsrats­ amtes angezeigt ist, durch Adjektivattribute erweitert wird, seine eigene Bedeutung aber auch dort behält. Der entsprechende Interessenkonfliktbegriff und das mit ihm verbundene Konzept können der zu Beginn wiedergege­ benen These, einen einheitlichen Begriff des Interessenkonflikts gebe es nicht,479 gegenübergestellt werden. Auch der DCGK geht vor diesem Hintergrund für sich genommen nicht von unterschiedlichen Konfliktbegriffen aus.480 Sieht man von der Beendigung des Mandats bei einem wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikt als ultima ratio ab, beschränkt sich die fehlende Absolutheit von Feststellungen im Zusammenhang mit Interessenkonflikten erfreulicherweise auf die Frage des Vorliegens eines Interessenkonflikts. Dadurch kann der bisher offenbar vorherrschenden Beliebigkeit oder zumindest fehlenden Einheitlichkeit im Umgang mit Interessenkonflikten entgegengetreten werden. Die Praxis kann hiervon profitieren. Auf der Frage nach dem Vorliegen eines Interessenkonflikts wird dort unter dem Strich der Schwerpunkt liegen.

III. Erleichterte Herausbildung einer Kasuistik mit Vorteilen für die Identifikation von Interessenkonflikten Bei der Feststellung, ob ein Interessenkonflikt vorliegt, wird es durch die vorgeschlagene Lösung wahrscheinlicher, dass sich in der Praxis bezogen auf bestimmte Interessengemenge im Aufsichtsrat (etwa bei parallelen Mandaten in den Aufsichtsräten zweier Wettbewerber) eine zunehmend belastbare Kasuistik herauskristallisiert. Es darf angenommen werden, dass Wahlmöglichkeiten des Rechtsanwenders – etwa zwischen Stimmrechts- und Teilnahmebeschränkungen, je nach der vermeintlichen Stärke des Interessenkonflikts – neben und gemeinsam mit unbestimmten Rechtsbegriffen die Identifikation von Mustern signifikant erschweren. Wird hinsichtlich der unscharfen und streitanfälligen Begriffe „Interessenkonflikt“ und „Konfliktstärke“ auf eine Taxierung der Konfliktstärke verzichtet und wird damit einhergehend die ohnehin vergleichsweise willkürlich anmutende Auswahl zwischen der Verhängung eines Stimmrechts- bzw. Teilnahmeausschlusses beseitigt,481 so geht 478  Dazu

oben § 2 C. IV. im Ganzen. ZGR 2014, 697, 706 und 730; siehe schon oben § 1 A. 480  So aber Koch, ZGR 2014, 697, 725. 481  Dazu oben § 4 B. II. 2. 479  Koch,

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

es allein um das Vorliegen eines Interessenkonflikts. Die Beurteilung dessen gestaltet sich selbstverständlich unverändert schwierig und hängt vom Einzelfall ab, allerdings kann das vorgeschlagene System dazu beitragen, dass für eine bestimmte Konstellation oder auch über deren Grenzen hinweg bestimmte Tendenzen erkennbar werden.

IV. Votum gegen die vorschnelle Annahme von Interessenkonflikten Einzuräumen ist, dass die präsentierte Lösung mit der auf den ersten Blick rigiden Folge eines Teilnahmeausschlusses482 darauf angewiesen ist und auf der Erwartung fußt, dass der bisher durchaus inflationäre Gebrauch des Begriffs „Interessenkonflikt“ einer differenzierteren, zurückhaltenderen Betrachtung weicht. So wie Interessenkonflikte das Vertrauen in die alleinige Orientierung der Aufsichtsratsmitglieder am Unternehmensinteresse erschüttern, muss den Aufsichtsratsmitgliedern trotz divergierender Eigen- oder Fremdinteressen bis zu einer bestimmten Grenze, die höher anzulegen ist als zum Teil wohl angenommen, ein insofern pflichtgemäßes Verhalten zugetraut werden.483 Die sorgsame Bestimmung des Interessenkonfliktbegriffs erscheint auf diese Weise umso bedeutsamer.

V. Bedrohung des Gleichgewichts in paritätisch mitbestimmten Aufsichtsräten Die Tatsache, dass die Behandlung von Interessenkonflikten überhaupt einen zeitlichen und organisatorischen Mehraufwand für den Aufsichtsratsvorsitzenden und gegebenenfalls für das Aufsichtsratsplenum bedeutet, ist nicht erst Folge der vorgeschlagenen Lösung, sondern schon bislang eine unausweichliche Konsequenz jeder im Schrifttum skizzierten Reaktion auf Interessenkonflikte. Gerade umgekehrt verstärkt diese Tatsache aber das Bedürfnis der Praxis nach einer griffigen Direktive für den Umgang mit Interessenkon-

482  Vgl. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 14, wonach bezüglich eines Teilnahmeausschlusses „in Anbetracht der Bedeutung des Teilnahmerechts für die Willensbildung des Aufsichtsrats Zurückhaltung geboten“ sei. Hopt/M. Roth, in: GKAktG, § 107 Rn. 139, sehen Beschränkungen des Teilnahmerechts von Aufsichtsratsmitgliedern generell, etwa auch wegen Interessenkonflikten, „nur in besonderen Ausnahmefällen“ vor, „weil dann eine Stimme im Diskussions- und Entscheidungsprozess“ fehlt. 483  Für eine „sinnvolle Eingrenzung des einheitlich geltenden Konfliktbegriffs“ zu Recht Koch, ZGR 2014, 697, 719 f.



C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 237

flikten. Das Verharren in Inaktivität bzw. die Beschränkung auf eine Offenlegung von Interessenkonflikten ist hier kein gangbarer Weg.484 Die wesentliche, nicht unkritische Konsequenz der Behandlung von Inte­ ressenkonflikten durch Einschränkungen (des Stimmrechts bzw.) des Teilnahmerechts einschließlich der Möglichkeit zur Stimmabgabe des jeweils Betroffenen ist bei paritätisch mitbestimmten Aufsichtsräten die mögliche Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Aufsichtsrat mit der Folge, dass die Parität zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern nicht mehr gegeben ist.485 Gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Eingriff formaler Natur in das vom Gesetz kreierte Gleichgewicht zwischen der Anteilseigner- und der Arbeitnehmergruppe unangemessen wäre.486 Neben einem zurückhaltenderen Gebrauch des Begriffs „Interessenkonflikt“487 wird es in der Praxis bedeutsam sein, bei der Besetzung des Aufsichtsrats noch mehr als bislang auf potenzielle zukünftige Interessenkonflikte in der Person des jeweiligen Kandidaten zu achten.488 Im Übrigen ist der genannte Befund kein Minus eines generell bei Interessenkonflikten vorzusehenden Teilnahmeausschlusses, sondern würde sich auch ergeben, wenn anstelle dessen ein Stimmverbot eingreifen oder ein Stimmrechtsausschluss verhängt würde. Für den Fall der Störung der Parität in mitbestimmten Gesellschaften, zu der es aufgrund eines Teilnahmeausschlusses bzw. eines Teilnahmeverzichts in Reaktion auf einen Interessenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds kommt, ist auf zwei mögliche Szenarien bzw. Lösungsansätze hinzuweisen. Erstens kann sich die Parität wieder einstellen, falls ein weiteres Aufsichtsratsmitglied der jeweils anderen Gruppe wegen eines Interessenkonflikts in seiner 484  Vgl. oben § 4 B. Anders aber in weiten Teilen Behr, AG 1984, 281, 282 ff., und darüber hinaus mit ausführlicher Argumentation gegen Teilnahmeausschlüsse Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 113 ff., der aber die Notwendigkeit der rechtlichen Behandlung nicht hinreichend berücksichtigt und primär die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder betont – es geht jedoch gerade darum, wann und wie ihrer drohenden Verletzung entgegengewirkt werden muss. 485  Siehe den Hinweis bei Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147; MarschBarner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 106; tendenziell auch Scholderer, NZG 2012, 168, 176; mit entsprechendem Befund im Ergebnis ferner Dreher, JZ 1990, 896, 901; M. Roth, ZHR 175 (2011), 605, 639; W. Werner, ZHR 145 (1981), 252, 267. 486  So aber die Argumentation von Behr, AG 1984, 281, 286. Von Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1380, wird, darauf hingewiesen, dass die Regeln zur Bewältigung von Interessenkonflikten unterschiedslos für sämtliche Organmitglieder gelten; zudem belege die Unternehmenspraxis „kein faktisches, strukturelles Ungleichgewicht“. 487  Dazu oben § 4 C. IV. 488  Implizit für wesentliche und nicht nur vorübergehende (hier: wiederkehrende) Interessenkonflikte Scholderer, NZG 2012, 168, 176.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Teilnahme beschränkt ist oder aus anderen Gründen nicht an der Sitzung teilnehmen kann bzw. darf. Zweitens ist in bestimmten Fällen infolge der Verpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder zur Wahrung des Unternehmensinteresses an eine Amtsniederlegung des Konfligierten zu denken – trotz des an sich nicht als wesentlich und wiederkehrend zu betrachtenden Interessenkonflikts: Dieser Gedanke betrifft primär die Anteilseignervertreter und solche Situationen, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, die beispielsweise für den Fortbestand der Gesellschaft essenziell sind, für die Arbeitnehmer jedoch (zunächst) Einschnitte bedeuten. Eventuell neigen die Arbeitnehmervertreter hier zur (unter Umständen auch pflichtwidrigen) Ablehnung einer aus der Sicht des Unternehmensinteresses notwendigen Maßnahme. Liegt in diesem Fall die Wahrung der Parität im Aufsichtsrat und mit ihr die Möglichkeit der Anteilseignervertreter im Unternehmensinteresse, sich mithilfe der Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden beim Stichentscheid (§§ 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitbestG) gegen die Arbeitnehmervertreter durchzusetzen und auf diese Weise einen positiven Beschluss über die betreffende Maßnahme zu fassen, so kann der Konfligierte aufgrund seiner Treuepflicht gehalten sein, das Aufsichtsratsmandat niederzulegen.489 Damit wird eine kurzfristige gerichtliche Ergänzung des unvollständigen Aufsichtsrats gemäß § 104 Abs. 2, 3 Nr. 2 AktG ermöglicht, die die Wiederherstellung der Parität zur Folge hat. Die im Unternehmensinteresse notwendige Entscheidung kann dann auch gegen die Arbeitnehmervertreter getroffen werden.

VI. Kein illegitimer Eingriff in die Rechte des Konfligierten Speziell mit Blick auf den standardmäßig vorzusehenden Teilnahmeausschluss weicht das vorgeschlagene, in sich starre System empfindlich von bisherigen Ansätzen in der Literatur zur Behandlung von Interessenkonflikten ab. Zweifelsohne sind die entworfenen Rechtsfolgen eines Interessenkonflikts streng. Im Grundsatz kann aber die Tatsache, dass selbst erwartbare oder gar vorprogrammierte Interessenkonflikte regelmäßig kein Bestellungshindernis darstellen490, jedenfalls nicht so interpretiert werden, dass eine Behandlung von Interessenkonflikten durch Maßnahmen zulasten des amtierenden Aufsichtsratsmitglieds überhaupt unzulässig wäre. Unbeschadet dessen erscheint vor allem Kritik denkbar, durch den generell vorzusehenden Teilnahmeausschluss werde ein vergleichsweise tiefer Eingriff in die Rechte 489  Vgl. übereinstimmend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 103 Rn. 116. Zur Herleitung der situationsabhängigen Verpflichtung, das Aufsichtsratsmandat aufzugeben, aus der organschaftlichen Treuepflicht oben § 4 B. VI. 2. a). 490  Vgl. oben § 3 D. I.



C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 239

des konfligierten Aufsichtsratsmitglieds zum Standard erklärt, ohne dass sich dies in ausreichender Form begründen ließe. Es ist demgegenüber ganz grundsätzlich festzuhalten, dass die Stimm- und Mitwirkungsrechte der Aufsichtsratsmitglieder niemals ohne Bezug zum Unternehmensinteresse ausgeübt werden können und es sich daher um fremdnützige Rechte handelt. Beschränkungen dieser Rechte zielen auf die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats ab und sind vornehmlich an der Eignung zur Erreichung dieses Ziels zu messen, wohingegen die durch den Konfligierten jeweils erfahrene Beschränkung seiner Stimm- und Mitwirkungsrechte streng genommen nur einen Reflex dessen markiert. Unabhängig davon werden der (vermeintlich) Betroffene und die Gesellschaft nicht signifikant häufiger durch Interessenkonfliktmaßnahmen belastet als bislang. Eine indirekte Steuerung und Beeinflussung der an sich standardmäßig vorzusehenden Rechtsfolgen ist mittels eines sorgsamen Umgangs mit dem Begriff des Interessenkonflikts möglich und im Übrigen anzuregen.491 Die trotz der Unterscheidung von Stimm- und Teilnahmebeschränkungen mitunter am selben Ort zu findende Bemerkung, regelmäßig würden die ein Stimmverbot begründenden Umstände auch einen Teilnahmeausschluss fordern492, verdeutlicht die mangelnde tatsächliche Vorteilhaftigkeit eines anspruchsvollen, aber letztlich beinahe künstlichen und kaum rechtssicher handhabbaren Stufenprogramms zur Konfliktlösung, soweit dies auf einer Unterscheidung nach der Konfliktstärke basiert493. Die Bemerkung kann aber zugleich so verstanden werden, dass normalerweise nur ein Teilnahmeausschluss zur Konfliktbehandlung genügt. Es lassen sich auch weitere Stimmen in der Literatur finden, die für eine generelle Teilnahmebeschränkung bei Interessenkonflikten eintreten bzw. nur eine solche als ausreichend erachten.494 491  Dazu

oben § 4 C. IV. in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1382 f. (im Anschluss an entsprechende Beispiele, ebd., 1380 ff.); ähnlich Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 30 Rn. 6. 493  Siehe insofern schon oben § 4 B. II. 2. 494  Siehe etwa Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 135 f. und 244; Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 419 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 591; identisch mit letzteren Lutter, AG 2008, 1, 9; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung, S. 140 ff. und 159; wohl auch Lippert, Überwachungspflicht, S. 119, und Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 253, der im Zusammenhang mit einem potenziellen Verlust der Business Judgment Rule auf Seiten der nicht konfligierten Aufsichtsratsmitglieder indirekt die Gefahr einer Weitergabe von Informationen anspricht, wobei nicht sicher ist, ob die „Abstinenz“ des Konfligierten dessen Abwesenheit bedeuten soll; tendenziell Hüffer/Koch, § 171 Rn. 23; Priester, ZIP 2011, 2081, 2084; Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 601 (bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts und Erledigung eines Rechtsstreits) und 608, implizit Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 150; sympathisierend Bachmann, in: 70. DJT 2014, Bd. I, E 1, E 83. Vgl. zudem bezogen auf den Vorstand Bunz, NZG 492  Seibt,

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

1. Keine kritikwürdige Pauschalität der vorgeschlagenen Lösung Abgesehen von der Offenlegung des Interessenkonflikts und der Abberufung des Konfligierten werden die dazwischen anzusiedelnden, temporären Interessenkonfliktmaßnahmen aus guten Gründen auf einen standardmäßig vorzusehenden Teilnahmeausschluss reduziert. Stimmverboten bzw. Stimmrechtsausschlüssen wird damit einhergehend eine Absage erteilt. Der vorgeschlagenen Lösung kann dabei nicht vorgeworfen werden, sie sei zu pauschal, da sie allein die Konsequenzen bei Feststellung eines Interessenkonflikts betrifft, während sich dessen tatbestandsseitige Feststellung selbstverständlich nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Es ist vielmehr die hergebrachte Meinung, der zufolge bei jedem Rechtsgeschäft mit einem Aufsichtsratsmitglied – unabhängig von dessen Größenordnung – ein Stimmverbot anzunehmen sein soll. Bedenkt man die nicht selten erhebliche Berufserfahrung von Aufsichtsratsmitgliedern und deren bis dahin womöglich erreichte (relative) finanzielle Unabhängigkeit, ist die darin liegende Annahme eines Interessenkonflikts wegen der persönlichen Betroffenheit zwar grundsätzlich naheliegend, in einigen Fällen aber in ihrer Absolutheit zu pauschal. 2. Notwendigkeit eines Teilnahmeausschlusses zur Beseitigung der Gefahr konfliktbeeinflussten Verhaltens Die Festlegung auf einen standardmäßigen Teilnahmeausschluss wird auch dadurch rechtfertigt, dass ein eher strenger Ansatz mit dem Bedeutungsgewinn des Aufsichtsrats als „mit-unternehmerisches Organ der Gesellschaft“495 harmoniert.496 Zwar darf nicht unbemerkt bleiben, dass das Aktiengesetz grundsätzlich ein unbeschränktes und unbeschränkbares Teilnahmerecht der Aufsichtsratsmitglieder an Sitzungen und Beschlussfassungen des Aufsichtsrats voraussetzt497. Der vorgeschlagenen Lösung kann dies jedoch letztlich nicht entgegengehalten werden. Einschränkungen des Teilnahmerechts sind 2011, 1294, 1296; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 73; ferner Streyl, Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S.  196. A. A. Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1470. Allgemein zugunsten einer strengeren Rechtsprechung bei Interessenkonflikten Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 930. Nach Löbbe/Reichert, ZGR 2014, 693, 693, entspricht im Fall eines Interessenkonflikts die Nichtteilnahme „an den Beratungen oder Abstimmungen des Gremiums“ einer „heute weit verbreiteten Praxis guter Corporate Governance“. 495  Stellvertretend Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 57 f. (wörtliches Zitat aus Rn. 57); siehe bereits oben § 2 A. I. 3. b) mit § 2 Fn. 63. 496  Vgl. bereits den entsprechenden Gedanken bei Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 74; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 114. 497  Allg. A., etwa Behr, AG 1984, 281, 282, sowie die in § 4 Fn. 296 Genannten.



C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 241

nicht generell ausgeschlossen. Die mit Interessenkonflikten verbundenen und interventionsbedürftigen Gefahren lassen sich nicht mit Blick auf die behauptete Grundannahme des Aktiengesetzes negieren, dass derjenige, „der ein Aufsichtsratsmandat übernimmt, sich den damit verbundenen Anforderungen, insbesondere der strikten Verpflichtung auf das Unternehmensinte­ resse in seiner Aufsichtsratstätigkeit, gewachsen fühlt“498. In der Sache verspricht nur ein Teilnahmeausschluss, angesichts der genannten Gefahren Abhilfe zu schaffen. Zwar heißt es im Hinblick auf den Aufsichtsrat als Kollegialorgan, von den übrigen Mitgliedern sei „zu erwarten, dass diese ohne Berücksichtigung von Sonderinteressen eine am Unternehmenswohl orientierte Beratung und Beschlussfassung durchführen“499. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass unverändert die Möglichkeit einer noch so subtilen Beeinflussung der übrigen Mitglieder durch den Betroffenen als Folge seines Interessenkonflikts besteht,500 zumal die fortwährende Präsenz des Konfligierten eine ungebührliche Berücksichtigung seiner Argumente durch die übrigen Mitglieder verursachen könnte501 und womöglich einer offenen Diskussion abträglich ist.502 Wer mit der Annahme eines Interessenkonflikts für gefährdet gehalten wird, seine Stimme bewusst oder unbewusst entgegen dem Unternehmensinteresse abzugeben, dem ist in derselben Stoßrichtung auch die – möglicherweise sogar gezielte – Einflussnahme auf seine Kollegen zuzutrauen. Das kann auch nicht dadurch relativiert werden und spricht gegen die Annahme, dass die Entscheidung durch die breitere Informationsbasis in ihrer Qualität besser würde, die umfassende Information also zur bestmöglichen Entscheidung führt, wodurch das Problem einer eventuellen Beeinflussung offenbar erle498  Butzke,

in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 232. AG 2013, 141, 146; implizit mit Blick auf die Business Judgment Rule auch Lieder, ZGR 2018, 523, 573. 500  Im Zusammenhang mit der Business Judgment Rule und bezogen auf den Vorstand Bunz, NZG 2011, 1294, 1296; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 136; im Umkehrschluss Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 73; dies anerkennend Löbbe, Unternehmenskontrolle, S. 359; Streyl, Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, S. 196; a. A. Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 118; Paefgen, AG 2004, 245, 253. Bezogen auf den Aufsichtsrat implizit Marsch-Barner, in: ArbHdbAR, § 13 Rn. 150; für Einzelfallbeurteilung durch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder selbst Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 18. 501  Im Zusammenhang mit der Business Judgment Rule in diese Richtung Koch, ZGR 2014, 697, 714; bezogen auf den Vorstand Bunz, NZG 2011, 1294, 1296; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 136; a. A. Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 29; Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 322 f.; noch vor deren Kodifikation in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 323; letztlich auch Blasche, AG 2010, 692, 698. 502  Dies außer Acht lassend Weninger, Mitbestimmungsspezifische Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 150. 499  Diekmann/Fleischmann,

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

digt sein soll.503 Auch eine weiterhin mögliche Beeinflussung außerhalb von Sitzungen ist gerade kein Grund, die mögliche Beeinflussung innerhalb von Sitzungen – wo sie zeitlich wie räumlich noch näher an der Entscheidung stattfindet – tatenlos hinzunehmen.504 Zu Recht wird auf die national und international übliche Gremienpraxis verwiesen, wonach derjenige, der betreffend den Beratungs- und Entscheidungsgegenstand auf ungehörige Weise voreingenommen ist oder zu sein scheint, den Raum verlässt, und dass keine stichhaltigen Gründe bestehen, in der AG von diesem Prinzip abzuweichen.505 An dieser Stelle kommt nicht zuletzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Tragen, der dem Umgang mit Interessenkonflikten zugrunde liegt506: Muss das gewählte Mittel danach nicht nur erforderlich (das mildeste Mittel zur Erreichung des anvisierten Erfolgs507), sondern auch und überhaupt zur Bewältigung des Interessenkonflikts und damit zur Beseitigung der Gefahr konfliktbeeinflussten Verhaltens geeignet sein, so ist gerade dies in Bezug auf Stimmrechtsbeschränkungen zu verneinen. Eine Beschränkung des Teilnahmerechts ist daher angezeigt.508 3. Wahrung der Interessen der Beteiligten Für einen standardmäßig vorzunehmenden Teilnahmeausschluss sprechen auch die Interessen der Beteiligten:509 Für die Gesellschaft kommt es auf eine effiziente und am Unternehmensinteresse orientierte Willensbildung im Aufsichtsrat an. Die Ausrichtung am Unternehmensinteresse insgesamt ist 503  Mit diesem Gedanken aber augenscheinlich Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 118; im Zusammenhang mit der Business Judgment Rule und bezogen auf den Vorstand Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 323. 504  In diese Richtung aber Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 77, und Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 121. Dass überhaupt eine Beeinflussung außerhalb von Sitzungen stattfinden kann, steht außer Frage, siehe auch Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 253. 505  Vgl. Koch, ZGR 2014, 697, 714; in der Sache ähnlich Löbbe/Reichert, ZGR 2014, 693, 693 (siehe schon § 4 Fn. 494 am Ende). 506  Insbesondere Martinek, WRP 2008, 51, 59; daneben Koch, ZGR 2014, 697, 712; vgl. auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 184 f. Implizit von Schenck, in: von Schenck, § 4 Rn. 163. 507  Dies hinsichtlich eines etwaigen Teilnahmeausschlusses betonend Israel, in: Bürgers/Körber, § 109 Rn. 2; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 109 Rn. 10; Tomasic, in: Grigoleit, § 109 Rn. 5; ferner, jedoch implizit Habersack, in: MüKoAktG, § 109 Rn. 10; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 13. 508  Der hier vertretene, gegenüber der herrschenden Meinung im Aktienrecht durchaus strengere Grundgedanke existiert offenbar auch im Verwaltungsrecht und wird so zusätzlich gestützt, dazu Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S.  136 ff. 509  Vgl. Kumpan, Interessenkonflikt, S. 544 f.



C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 243

bei Interessenkonflikten nur durch einen hinreichend wirkungsvollen Eingriff in die Partizipationsmöglichkeiten des Betroffenen zu gewährleisten. Unter die Effizienz der Willensbildung fällt auch das hier entwickelte, möglichst praktikable und von allzu vielen Parametern und Variablen unabhängige510 Konzept zum Umgang mit Interessenkonflikten. Zugegeben bewirkt der standardmäßig vorzusehende Teilnahmeausschluss inhaltlich den Verlust der Sachkenntnis des Betroffenen,511 wohingegen aber die Sicherstellung überwiegt, dass Erwägungen außerhalb des Unternehmensinteresses unberücksichtigt bleiben.512 Außerdem kann die tatsächlich fehlende Fachkompetenz im Wesentlichen durch die Hinzuziehung von Sachverständigen (§ 109 Abs. 1 S. 2 AktG) kompensiert werden. Das vom Interessenkonflikt betroffene Aufsichtsratsmitglied muss die aus Interessenkonfliktmaßnahmen folgenden Einschränkungen hinnehmen. Seiner Gesamtverantwortung kann es durch die nachträgliche Einsichtnahme in die Aufsichtsratsprotokolle nachkommen; im Übrigen muss das Prinzip der Gesamtverantwortung zurückstehen.513 Ein stringentes Vorgehen dürfte schließlich – jedenfalls im Ergebnis – die Erwartungen der Aktionäre bzw. „Stakeholder“ hinsichtlich einer angemessenen Reaktion auf Interessenkonflikte erfüllen, auf die bisweilen verwiesen wird.514 Ihnen kommt es u. a. auf die Integrität der Organmitglieder und eine effiziente Corporate Governance an.515 Ist man gewillt, auch externe 510  Siehe dagegen den überaus umfangreichen, anspruchsvollen Katalog zur Auswahl konkreter Interessenkonfliktmaßnahmen bei Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1373. 511  Dies bemängelnd bezogen auf den Vorstand Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 416. Dagegen im Kontext der Business Judgment Rule wiederum und nachvollziehbar Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 73, dem zufolge der Ausschluss des Betroffenen gerade wegen einer möglichen subjektiven Beeinflussung des Sachverstands erfolge. Zu beachten ist, dass es beim Aufsichtsrat gerade keine Ressortverteilung gibt bzw. geben kann, weshalb mit dem Teilnahmeausschluss des Betroffenen zumindest nicht der Zugriff auf diesem exklusive, gesellschaftsbezogene Informationen versperrt wird. 512  Anders Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 118. 513  Diesbezüglich kritisch Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 146; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 547; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1605, siehe auch Habersack, in: MüKoAktG, § 100 Rn. 81. Im Ansatz zur Verdrängung des Prinzips der Gesamtverantwortung wegen des Vorrangs des Unternehmensinteresses aber wie hier Diekmann/ Fleischmann, AG 2013, 141, 147; vgl. ferner im Kontext von Stimmrechtsbeschränkungen, die in dieser Arbeit nicht befürwortet werden, Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  116 f. 514  So bei Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1372. Auch laut Clausen/Atzler, Wie ich dir, so du mir, Financial Times Deutschland vom 28.01.2010, S. 8, wird von Juristen von einer verstärkten Aufmerksamkeit der Aktionäre ausgegangen, ob sich Aufsichtsratsmitglieder im Interessenkonflikt „zumindest enthalten“. 515  Vgl. Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1370, wonach dies zu niedrigeren Kapitalaufnahmekosten führen soll.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Faktoren zur Beurteilung heranzuziehen, so verspricht die vorgeschlagene Lösung wohl im allseitigen Interesse durch ihre Klarheit und Kompromiss­ losigkeit noch am ehesten, einer negativen Berichterstattung bzw. Stimmung in der Öffentlichkeit vorzubeugen. Das betrifft Vorgänge, die aus thematischen Gründen oder wegen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung (etwa Maßnahmen mit der Folge eines erheblichen Stellenabbaus) eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit hervorrufen, soweit ansonsten Interessenkonflikte und ein darauf basierendes Fehlverhalten der Aufsichtsratsmitglieder behauptet oder auch nur insinuiert werden.

VII. Ausschussbildung statt Interessenkonfliktmaßnahmen? Eine denkbare Alternative zu der Behandlung von Interessenkonflikten durch Maßnahmen, die sich unmittelbar gegen den Betroffenen richten, stellt die Einschaltung von Ausschüssen dar. Der Interessenkonflikt wird isoliert, indem der Betroffene gerade nicht Mitglied des Ausschusses wird, der ständig existiert516 oder ad hoc gebildet wird517 und der die konfliktbehaftete Aufgabe wahrnimmt oder die entsprechende Materie vorbereitend behandelt bzw. gar über sie entscheidet518. Allerdings geht die Annahme fehl, dies sei weniger einschneidend als eine Beschränkung des Stimm- bzw. – wie vorgeschlagen – des Teilnahmerechts,519 denn der Konfligierte wird, wenn auch indirekt, gerade von der Teilnahme an der Diskussion und der Beschlussfassung zu dem betreffenden Gegenstand ausgeschlossen. Ihm wird der Zugang zu Informationen aus dem Ausschuss und die Teilnahme an dessen Sitzungen versperrt.520 Jedenfalls bei einmaligen, vergleichsweise sicher festzustellen516  Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1388 f., der gemessen an der dortigen Überschrift offenbar diesbezügliche Festlegungen in der Geschäftsordnung anvisiert; diese Möglichkeit wird bestätigt von Hüffer/Koch, § 107 Rn. 19; vgl. ferner Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 236 f., und Strenger, Der Konzern 2013, 429, 432. 517  Eingehend Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 116  ff.; möglicherweise auch Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 155, und Kremer, in: Kremer/Bachmann/Lutter u. a., Rn. 1469, bei denen offen bleibt, ob die Ausschüsse, auf die die Entscheidungen verlagert werden sollen, bereits existieren. Ohne entsprechende Festlegung, aber zugunsten der Delegation bestimmter Gegenstände an Ausschüsse aus den hier genannten Gründen auch Kocher/Freiherr von Falkenhausen, AG 2016, 848, 852; Matthießen, Stimmrecht, S. 349; Nordhues, CFL 2010, 327, 329. 518  Die Übertragung auf einen Aufsichtsratsausschuss erwähnt u. a. auch E. Vetter, in: Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rn. 27.66. Zu den Möglichkeiten und Grenzen der Aufgabendelegation Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 116. 519  So aber Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 155; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 164; implizit Dreher, JZ 1990, 896, 901 Fn. 65. 520  Im Einzelnen dazu Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 240 ff.



C. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 3 245

den Interessenkonflikten mag der Aufwand zur Einrichtung eines Ausschusses gemessen an der „Maxime effizienten Organhandel[n]s“521 zu groß sein. Auch bestehen hinsichtlich bestimmter Entscheidungen Delegationsverbote, die das beschriebene Vorgehen in jenen Fällen ausschließen.522 Attraktiv erscheint die genannte Lösung jedoch dann, wenn aufgrund der Gegebenheiten über einen begrenzten Zeitraum hinweg mit Interessenkonflikten zu rechnen, eine Beendigung des Mandats aber (noch) nicht angezeigt und wiederholt ein Teilnahmeausschluss zu verhängen ist.523 Das kann z. B. in einer Übernahmesituation der Fall sein, wenn zum Aufsichtsrat Vertreter des Bieters zählen.

VIII. Resümee und Hinweise für die Praxis Alles in allem bietet eine automatisch ausgelöste, auf eine sorgsame Definition des Interessenkonflikts und dessen vorausschauende Einteilung in Kategorien abgestimmte Abfolge von Interessenkonfliktmaßnahmen Vorteile in der praktischen Handhabung. Die Interessen der Beteiligten werden gewahrt, wobei mit Blick auf die trotz allem verbleibenden negativen Aspekte eines generell vorzusehenden Teilnahmeausschlusses nicht vergessen werden darf, dass Interessenkonflikte, die ihrerseits als negativ zu beurteilen sind, entweder materiell nur unzureichend oder unter Inkaufnahme ebenjener Nachteile zu behandeln sind. Für die Entscheidung über das Vorliegen von Interessenkonflikten bietet sich aufgrund der mit ihr verbundenen Schwierigkeiten oftmals die Einholung externen Rechtsrats an. Nach § 109 Abs. 1 S. 2 AktG können zu Beratungen über einzelne Gegenstände und somit zur Entschließung über das Vorliegen von Interessenkonflikten und über zu ergreifende Maßnahmen Rechtsanwälte als Sachverständige hinzugezogen werden.524 In jedem Fall empfiehlt sich eine sorgfältige Dokumentation der Offenlegung von Interessenkonflikten und der Verhängung darauf bezogener Maßnahmen bzw. des Verzichts auf solche durch den Aufsichtsratsvorsitzenden und das Aufsichtsratsplenum.525 Aus Gründen der Klarheit können im Einklang mit den ermittelten Grundsätzen Regelungen zum Umgang mit Interessenkonflikten in die 521  Seibt,

in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1372. in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 609. 523  Zur Absage an ein „Ruhenlassen des Mandats“ siehe oben § 4 B. V. 524  Näher zur Hinzuziehung von Sachverständigen und Auskunftspersonen Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 109 Rn. 8 f. 525  Vgl. Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1389 f.; ferner Busch/S. P.  Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 20; Kocher/Freiherr von Falkenhausen, AG 2016, 848, 852; siehe schon im Zusammenhang mit der Offenlegung oben § 4 A. V. 522  Reichert,

246

§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

Satzung – hier unter Wahrung von § 23 Abs. 5 S. 2 AktG – und mehr noch in die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats aufgenommen werden.526

D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II – ein die Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat prägendes Faktum? Ein für den Gesamtkomplex der Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat nicht zu übersehendes Faktum liegt in der Änderung des Aktiengesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechtericht­ linie (ARUG II).527 Dieses ist in seinen wesentlichen Teilen am 1. Januar 2020, im Übrigen am 3. September 2020 in Kraft getreten, Art. 16 ARUG II.528 Der neu in das Aktiengesetz eingefügte § 111b Abs. 2 AktG sieht vor, dass bei der von § 111b Abs. 1 AktG verlangten Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Zustimmung zu einem Geschäft mit nahestehenden Personen diejenigen Mitglieder des Aufsichtsrats ihr Stimmrecht nicht ausüben können, die an dem Geschäft als nahestehende Personen beteiligt sind oder bei denen die Besorgnis eines Interessenkonfliktes auf Grund ihrer Beziehungen zu der nahestehenden Person besteht. Anstelle des Aufsichtsrats kann ein gemäß § 107 Abs. 3 S. 4–6 AktG bestellter Ausschuss über die Zustimmung entscheiden, § 111b Abs. 1 AktG. Der Ausschuss muss demnach u. a. mehrheitlich aus Mitgliedern zusammengesetzt sein, bei denen keine Besorgnis eines Interessenkonfliktes auf Grund ihrer Beziehungen zu einer nahestehenden Person besteht, § 107 Abs. 3 S. 6 AktG. Das Zustimmungserfordernis bei Geschäften mit nahestehenden Personen betrifft allein börsennotierte Gesellschaften, vgl. § 111b Abs. 1 AktG. Wann ein Geschäft mit nahestehenden Personen vorliegt, definiert § 111a AktG. Ein Schwerpunkt der durch das ARUG II umgesetzten zweiten Aktionärsrechterichtlinie aus dem Jahr 2017529 liegt neben Regelungen zur Iden­ tifizierung der Aktionäre, zur Transparenz bei institutionellen Anlegern, 526  Näher dazu mit Blick auf einige der entsprechend denkbaren Regelungsgegenstände Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 231 ff. 527  Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12.12.2019, BGBl. I 2019, S. 2637. 528  Zu beachten ist allerdings die zum ARUG II gehörende Übergangsvorschrift des § 26j EGAktG, wonach einige der neuen Vorschriften erst zu einem späteren Zeitpunkt das erste Mal anzuwenden sind. 529  Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. EU 2017 L 132, S. 1, im Einzelnen zu dieser Suchan/Gerdes, WPg 2017, 1034, passim.



D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II247

­ermögensverwaltern und Stimmrechtsberatern sowie zur Vergütung der V Unternehmensleitung auf Geschäften mit nahestehenden Unternehmen („related-party-transactions“).530 Gemäß Erwägungsgrund 42 der zweiten Aktionärsrechterichtlinie soll zum Schutz der Gesellschafts- und der Aktionärs­ interessen verhindert werden, dass ein nahestehendes Unternehmen oder eine nahestehende Person durch die entsprechenden Geschäfte und in deren Rahmen die Möglichkeit erhält, sich Werte der Gesellschaft anzueignen. Daher sei von den Mitgliedstaaten ein Zustimmungserfordernis zugunsten der Ak­ tionäre bzw. zugunsten des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans vorzusehen, das eine Ausnutzung der eigenen Position durch das nahestehende Unternehmen bzw. die nahestehende Person verhindert. Die entsprechenden Richtlinienvorgaben finden sich hiernach in Art. 9c Abs. 4 UAbs. 1 und 2 der Aktionärsrechterichtlinie. In diesem Kontext bestimmt Art. 9c Abs. 4 UAbs. 3 der Aktionärsrechterichtlinie: Ist ein Mitglied der Unternehmensleitung oder ein Aktionär an dem Geschäft als nahestehendes Unternehmen oder nahestehende Person beteiligt, darf dieses Mitglied der Unternehmensleitung bzw. dieser Aktionär nicht an der Zustimmung oder der Abstimmung teilnehmen. § 111b Abs. 2 AktG setzt Art. 9c Abs. 4 UAbs. 3 der Aktionärsrechtericht­ linie um. Mit § 111b Abs. 2 AktG wurde trotz dessen etwas umständlicher Formulierung erstmals ein (nach dem Wortlaut automatisch eingreifendes531) Stimmverbot für Aufsichtsratsmitglieder statuiert,532 die aufgrund ihrer eigenen Beteiligung an dem Geschäft mit der Gesellschaft einem Interessenkonflikt unterliegen. Der Interessenkonflikt wird nach dem Gesetzentwurf damit einerseits formell-typisiert erfasst, indem allein auf die Beteiligung an dem Geschäft abgestellt wird. Andererseits hat auch der entgrenzte Interessenkonfliktbegriff Einzug in das Aktiengesetz gehalten, da auch solche Aufsichtsratsmitglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben können, bei denen wegen ihrer Beziehungen zu der nahestehenden Person die „Besorgnis eines Interessen530  BegrRegE

Ende.

ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 1; siehe noch § 4 Fn. 529 am

531  Vgl. die schon oben in § 4 B. II. 1. getroffene begriffliche Unterscheidung zwischen Stimmverboten, die ipso iure eingreifen (was dann regelmäßig nur noch festzustellen ist), und Stimmrechtsausschlüssen, die unter bestimmten Voraussetzungen vom jeweils anordnungsbefugten Akteur verhängt werden können bzw. müssen. Mit dem hier dargelegten Verständnis inzwischen implizit auch Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 29 Rn. 75. 532  Der Aufsichtsratsvorsitzende ist zur Feststellung berufen, ob Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 111b Abs. 2 AktG einem Stimmverbot unterliegen, mit entsprechender Tendenz auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 706; implizit J. Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, § 111b Rn. 137 und 141. Näher zur Kompetenzverteilung bei Entscheidungen über das Vorliegen von Interessenkonflikten und Interessenkonfliktmaßnahmen oben § 4 B. I. 2. b).

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

konfliktes“ besteht.533 Welche Rückschlüsse sind daraus im Umgang mit ­Interessenkonflikten im Aufsichtsrat zu ziehen?

I. Kritik am Normtext Erstens wurde durch die in § 111b Abs. 2 AktG angesprochene „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ augenscheinlich ein für die Diskussion um Inte­ ressenkonflikte gänzlich neues Tatbestandsmerkmal geschaffen, das jedoch in der Sache nicht überzeugt und sich auch nicht zur Erweiterung der Gesamtdogmatik zur Behandlung von Interessenkonflikten eignet. Im ersten Zugriff bleibt offen, was sich hinter der genannten Wortgruppe verbirgt. Zum übereinstimmenden, gleichermaßen kritisch zu betrachtenden Tatbestandsmerkmal des ebenfalls durch das ARUG II geschaffenen § 107 Abs. 3 S. 6 AktG heißt es in der Gesetzesbegründung, das Vorliegen der Besorgnis sei objektiv zu beurteilen.534 Entscheidend soll sein, „ob nach ­ Ansicht eines verständigen, vernünftig und objektiv urteilenden Dritten, der mit den potenziell schädlichen Beziehungen zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der nahestehenden Person vertraut ist, bei einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls die begründete Besorgnis besteht, dass das Mitglied des Aufsichtsrats nicht in der Lage sein wird, die Abstimmung über die Zustimmung zu dem Geschäft mit der nahestehenden Person unbefangen, unparteiisch und unbeeinflusst von jeder Rücksichtnahme auf deren Interessen wahrzunehmen“.535 Für die Besorgnis eines Interessenkonfliktes soll es ausreichen, „dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung des Aufsichtsratsmitglieds durch einen Interessenkonflikt beeinflusst werden könnte“; nicht erforderlich sei, „dass ein Interessenkonflikt […] wahrscheinlich ist oder tatsächlich vorliegt“.536 Diesen Erwägungen des Gesetzgebers, auf welche er für § 111b Abs. 2 AktG ausdrücklich verweist,537 ist jedoch entschieden zu widersprechen. Gegen ein wortwörtliches Verständnis spricht allein aus praktischer Per­ spektive, dass die „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ im Sinne der unangenehmen Erwartung eines Interessenkonflikts ein kaum zu greifendes Tatbestandsmerkmal darstellt. Und auch wenn kein Interessenkonflikt zu verlangen sein soll – das in der Gesetzesbegründung enthaltene, vorstehend wiedergegebene Kriterium, dass die Entscheidung des Aufsichtsratsmitglieds durch 533  Siehe zur Unterscheidung zwischen dem formell-typisierten und dem entgrenzten Konfliktbegriff oben § 2 C. III. 1. 534  BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 76. 535  BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 76 f. 536  BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77. 537  Siehe BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 85.



D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II249

einen Interessenkonflikt beeinflusst werden könnte, überschneidet sich mit dem Wesenskern des Interessenkonflikts, der die Gefahr der Beeinflussung der Entscheidung gerade in sich trägt. Auch die weiteren Erläuterungen erinnern gedanklich stark an den Begriffsinhalt des Interessenkonflikts. Die Differenzierung zwischen Interessenkonflikten und der „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ ist demnach so, wie sich der Gesetzgeber diese vorstellt, kaum durchführbar. Insofern können die Ausführungen des Gesetzgebers und mit ihnen die vom Gesetzgeber vorgenommene begriffliche Abschichtung nicht überzeugen. Die Schwierigkeiten im Umgang mit der Gesetzesformulierung lassen sich dabei auch anhand der Literatur belegen, wo im Hinblick auf die „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ von einem „weitere[n] separate[n] Kreis konfligierter [Hervorhebung durch den Verfasser] Personen“538 gesprochen, also offensichtlich gerade ein Interessenkonflikt angenommen bzw. vorausgesetzt wird.539 An anderer Stelle heißt es mittlerweile, der Aufsichtsrat entscheide, „[o]b insofern ein Interessenkonflikt besteht [Hervorhebung durch den Verfasser]“.540 Die erwähnte Maßgabe der Gesetzesbegründung, es müsse kein Interessenkonflikt vorliegen, welche zwar – dazu sogleich – bereits für sich genommen verfehlt ist, wird demnach übersehen oder bewusst übergangen. Ferner sprach noch der Referentenentwurf selbst mit Blick auf die Vorgabe zur Ausschussbesetzung in § 107 Abs. 3 S. 6 AktG davon, es komme „lediglich auf eine mehrheitliche Besetzung mit nicht konfligierten [Hervorhebung durch den Verfasser] Ausschussmitgliedern an“.541 Mit dem auch im Referentenentwurf dargelegten Verständnis der „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“542 passt das nicht zusammen. Ein Eingriff in die Stimm- und Teilnahmerechte der Aufsichtsratsmitglieder lässt sich auch nicht legitimerweise auf die diffuse Sorge einer Gefahr der Beeinflussung der Entscheidung des Aufsichtsratsmitglieds durch anderweitige Motive außerhalb des Unternehmensinteresses stützen. Die „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ kann nicht im Sinne eines potenziellen Inte­ 538  Siehe wortgleich Heldt, AG 2018, 905, 917, und G. Lanfermann, BB 2018, 2859, 2861 und 2862. 539  Noch etwas deutlicher H.‑F. Müller, ZIP 2019, 2429, 2434, der mit Blick auf Mitglieder, bei denen keine Besorgnis eines Interessenkonfliktes besteht, von „konfliktbefangenen Mitglieder[n]“ spricht. 540  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 134; siehe auch J. Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, § 111b Rn. 116 ff., der wiederholt allein auf das Vorliegen eines Interessenkonflikts bzw. darauf abstellt, ob ein Aufsichtsratsmitglied einem Interessenkonflikt unterliegt. 541  BegrRefE ARUG II, S. 71, direkt verfügbar auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Aktionaersrechterichtlinie_II.pdf?__blob =publicationFile&v=2 (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). 542  BegrRefE ARUG II, S. 72, direkt verfügbar unter der Adresse in § 4 Fn. 541.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

ressenkonflikts oder diesem vergleichbar aufgefasst werden.543 Und selbst wenn dies der Fall wäre: Im Fall eines potenziellen Interessenkonflikts, wenn also (noch) kein (realer) Interessenkonflikt anzunehmen, nach den Umständen aber hinreichend wahrscheinlich ist,544 liegt schon gar kein Interessenkonflikt vor, der ein Stimmverbot sachlich rechtfertigen könnte. Damit einhergehend ist auch die Wahrnehmung bzw. Intention einer aus dem Abstellen auf die „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ folgenden, verklausulierten Unabhängigkeitsvorgabe545 zu hinterfragen. Hinzu kommt die systematische Überlegung, dass dem Interessenkonflikt, der im vorhergehenden Satzteil mit der Formulierung „an dem Geschäft als nahestehende Personen beteiligt“ formell-typisiert erfasst wird546, angesichts der einheitlichen, durch alter­ native, jedoch gleichgeordnete („oder“) Tatbestandsmerkmale ausgelösten Rechtsfolge in der Sache kein Minus zur Seite gestellt werden kann. Die von der Literatur bislang noch allzu kritiklos rezipierte Gesetzesbegründung, nach der es wie erwähnt „nicht erforderlich“ sein soll, „dass ein Interessenkonflikt oder eine Beeinflussung der Entscheidung wahrscheinlich ist oder tatsächlich vorliegt“,547 erweist sich damit gerade an dieser Stelle als sachlich unpassend und fehlerhaft. Trotz der unglücklichen Formulierung der Norm durch den Gesetzgeber und den mindestens ebenso kritikwürdigen Ausführungen dazu in der Gesetzesbegründung bleibt eine Option, die Norm entgegen der Gesetzesbegründung in das auf der Basis des vorherigen Diskussionsstands entwickelte Gesamtkonzept einzufügen: In der „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ lässt sich eine gegenüber dem alleinigen Abstellen auf einen Interessenkonflikt unnötige und irreführende Erweiterung sehen. Erneut kann insofern auf die aus systematischen Gründen nötige gewichtsmäßige Gleichstellung mit dem formell-typisiert erfassten Interessenkonflikt bei Beteiligung eines Aufsichtsratsmitglieds an dem Geschäft als nahestehende Person verwiesen werden. Die „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ ist dann allein als das Vorliegen eines Interessenkonflikts aufzufassen – in diesem Fall gesetzestechnisch in Gestalt des entgrenzten Konfliktbegriffs. In der „Besorgnis eines Interessen543  So aber offenbar Paschos/Goslar, AG 2019, 365, 371; ähnlich Busch/S. P. Link, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, Empf. E.1 DCGK Rn. 7, und Grigoleit/ Tomasic, in: Grigoleit, § 107 Rn. 72, wonach das Kriterium „Besorgnis“ die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines relevanten Interessenkonflikts konkretisiere und relativiere. 544  Dazu oben § 2 C. IV. 3. 545  In diese Richtung Tarde, NZG 2019, 488, 492 f.; Tröger/A. Roth/Strenger, BB 2018, 2946, 2949; siehe aber auch BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77, selbst. 546  Siehe schon oben § 4 D. 547  BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77.



D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II251

konfliktes“ kommt nur die generell stattfindende Anknüpfung an objektive Hilfstatsachen zur Feststellung von Interessenkonflikten zum Ausdruck. Diese ist aber, da der Interessenkonflikt ein subjektives Phänomen darstellt, zwangsläufig und ohne Weiteres schon im Begriff des Interessenkonflikts angelegt. Die Feststellung eines Interessenkonflikts verfügt hiernach über keinen Absolutheitscharakter, sondern erfolgt auf der Basis objektiver Umstände und Faktoren außerhalb der betreffenden Person nach Art einer durch sie rechtfertigten Erwartung bzw. Unterstellung eines Interessenkonflikts.548 In diese Richtung lassen sich auch die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung interpretieren, wonach die Beurteilung des Vorliegens (der Besorgnis) eines Interessenkonflikts „anhand von geeigneten Kriterien“ stattfinden soll.549 Unter normalen Umständen würden die genannten objektiven Umstände bzw. die Anknüpfung daran schließlich nicht gesondert im Wortlaut abgebildet, da es sich mit der Perspektive zur Feststellung von Interessenkonflikten bei näherer Auseinandersetzung mit der Problematik von Interessenkonflikten letztlich um Tatsachen handelt, die als bekannt vorausgesetzt werden können. Die gewählte Formulierung kann als Versehen des Gesetzgebers gewertet werden, richtig erscheint eine Nichtberücksichtigung des Zusatzes der „Besorgnis“. § 111b Abs. 2 AktG ist dann so zu verstehen: Bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats nach § 111b Abs. 1 AktG können diejenigen Mitglieder des Aufsichtsrats ihr Stimmrecht nicht ausüben, die an dem Geschäft als nahestehende Personen beteiligt sind oder bei denen ein Interessenkonflikt auf Grund ihrer Beziehungen zu der nahestehenden Person besteht.

II. Keine Hinweise bezüglich des Begriffsinhalts und der Dogmatik des Interessenkonflikts Zweitens ergeben sich aus dem gesetzgeberischen Tätigwerden, insbesondere gemessen an der Gesetzesbegründung550, keine – schon gar keine richtungsweisenden – allgemein nützlichen Hinweise bezüglich des Begriffs­ inhalts und der Dogmatik des Interessenkonflikts.551 Die Änderung des Ak­ 548  Näher zur Perspektive zur Feststellung von Interessenkonflikten oben § 2 C. III. 2. Auch Hüffer/Koch, § 111b Rn. 7, deutet mit der Bezugnahme auf § 93 Abs. 1 S. 2 AktG (zum Vorliegen eines Interessenkonflikts in dessen Rahmen unten § 5 C. I. 2.) zumindest an, dass die Beurteilung des Interessenkonflikts bei § 111b Abs. 2 AktG nach den bisher entwickelten Maßstäben bzw. aus der hergebrachten Perspektive erfolgt. 549  BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77. 550  BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739. 551  Vgl. schon die Feststellung in Bezug auf den Begriff des Interessenkonflikts oben in § 2 C. I.

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

tiengesetzes durch das ARUG II ist faktisch von der dahingehenden Diskussion im Schrifttum entkoppelt. Dieser Tatsache ist von der Literatur bislang offenbar keine weitergehende Bedeutung beigemessen worden. Dabei ist der Wortlaut von § 111b Abs. 2 AktG insofern bemerkenswert, als der Gesetzgeber eine Verwendung des entgrenzten Konfliktbegriffs in der Vergangenheit stets vermieden hat und die Aufnahme des Begriffs „Interessenkonflikt“ in den Gesetzestext folglich ein echtes Novum darstellt.552 Hinzu kommt, dass bis dato trotz jahrelanger Diskussionen und zahlreicher Literaturbeiträge weder der Begriff noch die Dogmatik des Interessenkonflikts als geklärt angesehen werden können. Ein einheitliches Begriffsverständnis hat sich bisher noch nicht herausgebildet. Die Konfliktdogmatik ist bisher noch weit davon entfernt, in sich gefestigt zu sein. Gewiss ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber wegen der europarechtlichen Vorgaben zu einem Tätigwerden, noch dazu innerhalb eines begrenzten Zeitraums, gezwungen war. Nichtsdestotrotz ist kritisch festzustellen, dass die vorgenommene Änderung des Aktiengesetzes im gegebenen thematischen Kontext von durchaus erheblicher Bedeutung ist, welcher sich der Gesetzgeber offenbar nicht bewusst war.

III. Keine allgemeine Vorgabe für die Auswahl von Interessenkonfliktmaßnahmen – Einpassung von § 111b Abs. 2 AktG in das herausgearbeitete System Drittens kann die Entscheidung des Gesetzgebers für ein Stimmverbot im Anwendungsbereich von § 111b AktG nicht als allgemeiner Fingerzeig für die Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat gewertet werden, der die vorliegend entwickelte Gesamtlösung zerschlagen würde. Das wäre aber der Fall, wenn vor dem Hintergrund der Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II angenommen werden könnte bzw. müsste, dass der Gesetzgeber ein Stimmverbot über § 111b Abs. 2 AktG hinaus zugleich als Konsequenz jeglicher Interessenkonflikte ansieht. Die Pflicht zur Offenlegung des Interessenkonflikts und die Pflicht zur Mandatsniederlegung bzw. zur Stellung des Abberufungsantrags gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG im Fall wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikte werden ohnehin nicht von der Neuregelung in § 111b Abs. 2 AktG tangiert. Das schließt die darauf bezogenen Ausführungen in dieser 552  Die bloße Tatsache, dass der schon bisher in bestimmten Zusammenhängen relevante Begriff des Interessenkonflikts infolge des ARUG II erstmals unmittelbar Teil des Aktiengesetzes ist, bemerken immerhin Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 107 Rn. 71, ohne dies aber in irgendeiner Form zu unterstreichen.



D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II253

Arbeit553 ein. Eine Diskrepanz zwischen der vollzogenen Gesetzesänderung und der in dieser Arbeit vertretenen Gesamtlösung ergibt sich unterhalb der Schwelle einer obligatorischen Beendigung des Aufsichtsratsmandats, nämlich bei der in der Mehrzahl aller praktischen Fälle nötigen Reaktion auf punktuelle, nicht „wesentliche“554 Interessenkonflikte. Der vorliegend vertretenen Auffassung einer generellen Pflicht zur Verhängung eines Teilnahmeausschlusses bei jedem definitionsgemäß anzunehmenden Interessenkonflikt steht die Kodifizierung eines Stimmverbots in einem ganz bestimmten, eng umgrenzten Fall gegenüber, das als solches das Teilnahmerecht der betroffenen Aufsichtsratsmitglieder nicht berührt555. Für das genaue Verhältnis zwischen der Behandlung von Interessenkonflikten durch einen generellen Teilnahmeausschluss einerseits und dem Stimmverbot im Einzelfall andererseits sind grundsätzlich mehrere Varianten vorstellbar. Drastisch wäre die eingangs angesprochene Schlussfolgerung, mit § 111b Abs. 2 AktG sei eine generelle Handlungsanweisung im Umgang mit jeglichen Interessenkonflikten verbunden. Sie würde die vorgeschlagene Lösung faktisch konterkarieren. Eine solche Annahme lässt sich jedoch weder anhand des Wortlauts noch anhand anderer Anhaltspunkte begründen, zumal die Gesetzesbegründung eine derartige Weichenstellung seitens des Gesetzgebers nicht trägt.556 Auch die begrenzte, im entsprechenden Bereich aber generelle gesetzgeberische Annahme bzw. Bestätigung eines Stimmverbots bei allen (auch im weiteren Sinne) Insichgeschäften (und möglicherweise Fällen des Richtens in eigener Sache), wie sie bislang vielfach in Analogie zu § 34 BGB, teilweise zusammen mit weiteren einzelgesetzlichen Regelungen aus dem Zivilrecht, von Rechtsprechung und Literatur angenommen wird557, scheidet aus den vorstehenden Gründen aus. Es ist in der Konsequenz auch nicht davon auszugehen, im Umkehrschluss zu § 111b Abs. 2 AktG verlange der Gesetzgeber überall dort die Duldung von Interessenkonflikten bzw. verbiete ihre Behandlung durch anderweitige Maßnahmen, wo 553  Oben

§ 4 A. im Ganzen bzw. § 4 B. VI. im Ganzen. Verständnis dieses Attributs oben § 2 C. IV. 2. 555  Zutreffend im gegebenen Zusammenhang Grigoleit, in: Grigoleit, §  111b Rn. 36, und J. Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, § 111b Rn. 116; siehe allgemein bereits die in § 4 Fn. 240 Genannten. 556  In diese Richtung im Ansatz auch Rieder, ZfPW 2020, 129, 145, der auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift abstellt und – zu Recht – darauf hinweist, dass nach dem Wortlaut von § 111b Abs. 2 AktG Interessenkonflikte aus anderen als den darin genannten Gründen kein Stimmverbot zur Folge haben. Im Ergebnis daneben Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 28, der das Stimmverbot aus § 111b Abs. 2 AktG „im Hinblick auf die exzentrischen Rahmenbedingungen der RPT-Regulierung (namentlich auch aufgrund deren europarechtlicher Genese)“ für „nicht verallgemeinerungsfähig“ erklärt. 557  Dazu oben § 4 B. II. 1. a) im Ganzen. 554  Zum

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§ 4 Maßnahmen zur Konfliktbewältigung

kein von ihm angeordnetes Stimmverbot eingreift. Wenn schließlich schon § 111b Abs. 2 AktG als unausgewogen und in gewisser Weise unbedacht gefasst gelten muss,558 dann kann es der Gesetzgeber nicht auf eine umfassende Systemlösung abgesehen haben. Es bleibt bei der Regelung von Interessenkonflikten in einem ganz bestimmten Einzelfall. Die besseren Gründe sprechen wie gezeigt für eine Lösung von Interessenkonflikten durch einen Teilnahmeausschluss, den das Aufsichtsratsplenum verhängt.559 Ohne Zweifel ist daher jedenfalls in dem nicht von der Einzelfallregelung des § 111b Abs. 2 AktG erfassten Bereich an der entwickelten Lösung festzuhalten. Im Anwendungsbereich von § 111b Abs. 2 AktG ist dies wegen des klaren Gesetzeswortlauts nicht möglich. Es verbleibt hiernach nur, den von § 111b Abs. 2 AktG geregelten Fall als Ausnahme von dem standardmäßig vorzusehenden Teilnahmeausschluss zu begreifen. Das ist freilich dem universellen Anspruch der entwickelten Lösung abträglich, die gerade zu mehr Sicherheit und einer Erleichterung im Umgang mit Interessenkonflikten beitragen soll. Auch in der Sache wäre es aus den im Allgemeinen für eine Teilnahmebeschränkung streitenden Gründen überzeugender, bei Interessenkonflikten generell und damit auch bei solchen im Anwendungsbereich von § 111b Abs. 2 AktG einen Teilnahmeausschluss durch das Aufsichtsratsplenum als einheitliche Reaktion vorzusehen. Wenn auch die Verpflichtung, auf eine Teilnahmebeschränkung hinzuwirken, im Anwendungsbereich von § 111b Abs. 2 AktG de lege lata nicht aufrechtzuerhalten ist, kann den Beteiligten nahegelegt werden, auch hier einen Teilnahmeausschluss zu verhängen bzw. nicht an der Beratung einschließlich der Abstimmung teilzunehmen. Auf diese Weise wird § 111b Abs. 2 AktG letztlich übererfüllt. Auch den Rückmeldungen seitens des Schrifttums lässt sich zum Teil eine gewisse Skepsis entnehmen, ob die durch das Stimmverbot in § 111b Abs. 2 AktG bedingte Nichtteilnahme an der Abstimmung eine hinreichende Reaktion auf den von der Regelung ins Visier genommenen Interessenkonflikt darstellt.560 Aus dem genannten Vorgehen folgt dabei – unterstellt, es wäre gesetzlich verankert worden – auch kein Verstoß gegen 558  Vgl.

oben § 4 D. I. bzw. siehe oben § 4 D. II. am Ende. insbesondere oben § 4 C. VI. im Ganzen. 560  So konstatieren Paschos/Goslar, AG 2018, 857, 870: „In der Praxis dürfte es sich regelmäßig empfehlen, diese Aufsichtsratsmitglieder auch in ihrem eigenen Interesse weitergehend von den vorgelagerten Beratungen im Aufsichtsratsplenum auszuschließen.“ H.‑F. Müller, ZIP 2019, 2429, 2434, nimmt gar an, der Ausschluss erstrecke sich „über den Wortlaut der Vorschrift hinaus in der Regel schon auf die vorhergehende Beratung“ – angesichts des klaren Wortlauts von § 111b Abs. 2 AktG kann dem allerdings nicht gefolgt werden. Mit der hier vertretenen Ansicht korrespondieren inzwischen die Ausführungen von Heidel/Illner, in: Hirte/Heidel, § 111b AktG Rn. 104, die grundsätzlich eine Teilnahmebeschränkung gegenüber einem Stimmver559  Siehe



D. Die Änderung des Aktiengesetzes durch das ARUG II255

höherrangiges EU-Recht, namentlich gegen die Aktionärsrechterichtlinie selbst, da diese nur auf eine Mindestharmonisierung ausgerichtet ist. Festzumachen ist dies an Erwägungsgrund 55 der zweiten Aktionärsrechterichtlinie, dem zufolge die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, strengere Bestimmungen in dem durch die Richtlinie erfassten Bereich zu erlassen, u. a. um die Interessen von Minderheitsaktionären zu schützen. Hierunter fällt auch das allgemeine Ansinnen, Aufsichtsratsmitglieder, die wegen ihrer Eigeninteressen an einem Geschäft der Gesellschaft einem Interessenkonflikt ausgesetzt sind, bei der Entscheidung des Aufsichtsrats über die Zustimmung zu diesem Geschäft nicht nur von der Abstimmung, sondern auch von der ihr vorausgehenden Beratung fernzuhalten. Demnach hätte auch der deutsche Gesetzgeber im Einklang mit der Richtlinie die Notwendigkeit der Verhängung eines Teilnahmeausschlusses statuieren können und sollen. Gemessen an den vorliegend entwickelten Maßstäben ist die in § 111b Abs. 2 AktG getroffene Maßnahmenauswahl in Form des Stimmverbots als nicht gelungen zu erachten, jedoch formell als Ausnahme vom Grundsatz der verpflichtenden Verhängung eines Teilnahmeausschlusses im Fall von Interessenkonflikten hinzunehmen. Dass die in dieser Arbeit angestrebte Einheitlichkeit des Umgangs mit Interessenkonflikten insoweit nicht erreicht werden kann, ist dem Gesetzgeber anzulasten. Praktisch wiederum empfiehlt es sich wie erwähnt, § 111b Abs. 2 AktG dennoch durch die Verhängung eines Teilnahmeausschlusses (mehr als) zu erfüllen.

bot für vorzugswürdig halten, die in § 111b Abs. 2 AktG vom Gesetzgeber getroffene Regelung, die keine Teilnahmebeschränkung beinhaltet, aber als solche hinnehmen.

§ 5 Die möglichen Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens des Konfligierten und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder Die möglichen Folgen eines pflichtwidrigen Umgangs mit dem Interessenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds durch dieses selbst und durch seine Kollegen im Aufsichtsrat – einer Nichtbeachtung der für die Behandlung des Interessenkonflikts geltenden Grundsätze1 – sind verschiedener Art, wobei zwischen mittelbaren und unmittelbaren Konsequenzen zu unterscheiden ist. Ein wiederholter pflichtwidriger bzw. allgemein sorgloser Umgang eines Aufsichtsratsmitglieds mit in seiner Person vorliegenden Interessenkonflikten, insbesondere die Nichterfüllung der Offenlegungspflicht, kann die Annahme seiner ernsthaften Unzuverlässigkeit und demnach diejenige eines wichtigen Grundes nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG rechtfertigen,2 wobei das entsprechende Abberufungsverfahren außerhalb des Maßnahmenkatalogs zum Umgang mit Interessenkonflikten steht3, primär der Sanktionierung des Konfligierten dient und mögliche zukünftige Interessenkonflikte nur reflexartig verhindert werden. Außerdem können einzelne Mitglieder durch die Hauptversammlung (§ 103 Abs. 1 S. 1 AktG) und bei Entsendungsmandaten durch den Entsendungsberechtigten (§ 103 Abs. 2 AktG) abberufen werden – unabhängig vom Vorliegen einer Pflichtverletzung. Dass sich speziell im Zusammenhang mit der so begründeten Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern und auch generell infolge eines unangemessenen Umgangs mit Interessenkonflikten eine negative Öffentlichkeitswirkung für die Gesellschaft sowie für die Protagonisten ergeben kann, liegt auf der Hand. Bisweilen kommt es sogar zu Rücktrittsforderungen.4 Öffentlichkeitswirksam ist es schließlich auch, wenn die Hauptversammlung im Rahmen der Beschlussfassung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder die 1  Ausführlich

dazu oben § 4 im Ganzen. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 229. Denkbar ist unter Umständen auch ein Antrag einer Minderheit der Aktionäre auf Abberufung, § 103 Abs. 3 S. 3 AktG. 3  Die hier erwähnte mögliche Abberufung ist daher nicht mit einer Beendigung des Aufsichtsratsmandats bei wesentlichen und nicht nur vorübergehenden (wiederkehrenden) Interessenkonflikten im Wege einer Abberufung des Konfligierten (dazu oben § 4 B. VI. 1.) zu verwechseln. 4  Vgl. Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1365. 2  Vgl.



§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

257

Entlastung aller (§ 120 Abs. 1 S. 1 AktG) oder einzelner Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 120 Abs. 1 S. 2 AktG) verweigert (negativer Entlastungsbeschluss5). Vom Vorliegen einer Pflichtverletzung hängt dies wiederum nicht ab. Wegen der erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit hat die Entlastungsentscheidung dabei eine nicht unerhebliche psychologische bzw. praktische Bedeutung.6 Wird die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder erteilt, kann der diesbezügliche Hauptversammlungsbeschluss – wie der Bundesgerichtshof klargestellt hat – gleichwohl das Ziel von Anfechtungsklagen sein, die auf eine unrichtige oder unvollständige Entsprechenserklärung zum DCGK gestützt sind.7 Nach dem Wortlaut von § 161 Abs. 1 S. 1 AktG gilt die Erklärungspflicht nicht hinsichtlich des gesamten Kodex, sondern erstreckt sich nur auf „Empfehlungen“ – jene Verhaltensanforderungen, die im Text des Kodex durch das Wort „soll“ gekennzeichnet sind (Präambel Abs. 4 S. 2 DCGK)8. Die den unmittelbaren Umgang mit Interessenkonflikten betreffenden Kodexbestimmungen stellen solche dar: Empfehlung E.1 S. 1 DCGK9, Empfehlung E.1 S. 2 DCGK10 und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK11. Wird mit der Konsequenz einer Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung zu Unrecht ihre Befolgung oder auch ihre Nichtbefolgung12 angegeben, so kann daraus 5  Statt vieler Kubis, in: MüKoAktG, § 120 Rn. 6 m. w. N. Für ein Praxisbeispiel zur Verweigerung der Entlastung im Zusammenhang mit einem Interessenkonflikt siehe Seibt, in: FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1363, 1365. 6  Bröcker, Der Konzern 2011, 313, 317; mit weiteren Ausführungen Kubis, in: MüKoAktG, § 120 Rn. 2. Auch deshalb stellen Entlastungsbeschlüsse ein beliebtes Angriffsziel sog. räuberischer Aktionäre dar, siehe Goette, GWR 2009, 459, 460. 7  BGH, NZG 2009, 1270, 1272 – Umschreibungsstopp; BGH, NJW 2009, 2207, 2209 ff.  – Kirch/Deutsche Bank. Ansonsten kommen bei Verstößen gegen § 161 AktG die gängigen Repressalien bei Pflichtverletzungen in Betracht: Verweigerung der Entlastung gemäß § 120 Abs. 1 AktG bei der nächsten Gelegenheit, Abberufung gemäß § 103 AktG, Haftung gemäß § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG. Zu Haftungsansprüchen von Gesellschaft und Aktionären im Hinblick auf konkrete Vermögensschäden infolge von durch die Verletzung der Erklärungspflicht bedingten Kursverlusten, die aber spätestens mangels Nachweisbarkeit der Kausalität zwischen dem Verstoß und den Kursverlusten regelmäßig nicht durchsetzbar sind, siehe Grigoleit/ Zellner, in: Grigoleit, § 161 Rn. 40 ff., und Hölters, in: Hölters, § 161 Rn. 40 ff. Zur Frage der Auswirkungen fehlerhafter Entsprechenserklärungen auf Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung und ihr zugrunde liegende Beschlussvorschläge Bayer/Scholz, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 161 Rn. 139 ff. 8  Statt aller Bayer/Scholz, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 161 Rn. 47. 9  Dazu oben u. a. § 4 A. I. 10  Dazu oben § 4 A. IV. 2. a). 11  Dazu oben u. a. § 3 C. III. 2. und § 4 B. VI. 1. c). 12  Umstritten, dafür die wohl inzwischen h. M., Bayer/Scholz, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 161 Rn. 97 und 105; Goette, in: MüKoAktG, § 161 Rn. 83; Il-

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

grundsätzlich die Anfechtbarkeit von gemäß § 120 Abs. 1 AktG gefassten Entlastungsbeschlüssen der Hauptversammlung resultieren. Tatsächlich ist insofern bislang vor allem die entgegen der tatsächlichen Unternehmenspraxis verlautbarte Befolgung von Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F., mit welcher Empfehlung E.1 S. 2 DCGK wörtlich übereinstimmt, Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung.13 Die Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen hat zudem eine große praktische Relevanz14 und aus der vorhandenen Judikatur und den diversen Beiträgen im Schrifttum folgen zahlreiche spannende und nicht abschließend geklärte Rechtsfragen.15 Nichtsdestoweniger darf all dies nicht den Blick darauf verstellen, dass Vorstand und Aufsichtsrat nicht gezwungen sind, den Kodexempfehlungen zu folgen oder nicht nachträglich ganz oder teilweise von ihnen abzuweichen16 und es mit Blick auf die mögliche Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen der Hauptversammlung stets allein um einen Verstoß gegen § 161 Abs. 1 AktG geht. Dieser liegt in der Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Entsprechenserklärung. Eine Sanktionierung des möglicherweise unangemessenen Umgangs mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat liegt in der etwaigen Kassation des Entlastungsbeschlusses dementsprechend nicht. Der Zusammenhang mit dem Umgang mit Interessenkonflikten ist allenfalls mittelbar, indem die nicht den gesetzlichen Vorgaben aus § 161 Abs. 1 AktG genügende Entsprechenserklärung gerade hinsichtlich ihrer Aussage betreffend die genannten Empfehlungen des DCGK zu beanstanden ist.17 lert, in: Johannsen-Roth/Illert/Ghassemi-Tabar, § 161 AktG Rn. 11; Leyens, in: GKAktG, § 161 Rn. 332 f.; Lutter, in: KK-AktG, § 161 Rn. 86 m. w. N.; Wittmann/ Kirschbaum, in: Heidel, § 161 AktG Rn. 59; ferner, wenn auch kritisch Hüffer/Koch, § 161 Rn. 17a; dagegen Grigoleit/Zellner, in: Grigoleit, § 161 Rn. 22; vgl. zudem Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 161 Rn. 33. 13  Siehe BGH, NZG 2009, 1270, 1272 – Umschreibungsstopp; BGH, NJW 2009, 2207, 2209 ff. – Kirch/Deutsche Bank; eine darauf bezogene Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung im konkreten Fall verneinend BGH, NZG 2013, 783, 783 f.; BGH, NZG 2012, 1064, 1066 – Fresenius. 14  Vgl. § 5 Fn. 6. 15  Ausführlich und instruktiv dazu Bayer/Scholz, ZHR 181 (2017), 861, passim, die eine maßgebliche Ursache dessen zu Recht in der „dogmatischen Unschärfe“ (ebd., 861) der höchstrichterlichen Rechtsprechung erblicken. 16  Hölters, in: Hölters, § 161 Rn. 1 und 23; Hüffer/Koch, § 161 Rn. 20; E. Vetter, NZG 2008, 121, 122; vgl. auch BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 17  Soweit es mit Blick auf die Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen richtigerweise auf eine kategoriale Einteilung der Kodexempfehlungen in für die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung wesentliche und unwesentliche ankommt (vgl. insbesondere BGH, NZG 2009, 1270, 1272 – Umschreibungsstopp, wo es in Bezug auf eine einzelne Empfehlung des DCGK heißt, diese sei „grundsätzlich ein nicht unwesentlicher Punkt der Entsprechenserklärung“), können Empfehlung E.1 S. 1 DCGK, Empfehlung E.1 S. 2 DCGK (darauf zu übertragen ist BGH, NZG 2009, 1270, 1272 – Umschreibungsstopp, worin es um die in ihrem Wortlaut identische



A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse259

Unmittelbare rechtliche Folgen des Fehlverhaltens einzelner Aufsichtsratsmitglieder im Kontext von Interessenkonflikten bestehen in besonderen Fällen in dessen Sanktionierung mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.18 Von allgemeiner Bedeutung und näher zu erörtern ist demgegenüber, inwieweit sich ein nicht pflichtgemäßer Umgang mit Interessenkonflikten auf Entscheidungen des Aufsichtsrats auswirkt, die unter diesen Umständen getroffen werden. Davon zu unterscheiden und hier nicht zu vertiefen ist die Frage, wie für sich genommen Beschlüsse des Aufsichtsrats zu betrachten sind, durch welche Interessenkonflikte bzw. Interessenkonfliktmaßnahmen zu Unrecht bejaht oder verneint worden sind. Die besonders naheliegende Folge eines unrechtmäßigen Umgangs des jeweils betroffenen Aufsichtsratsmitglieds und seiner Kollegen mit Interessenkonflikten ist ihre womöglich daraus resultierende Haftung gegenüber der Gesellschaft. In erster Linie ist zu überlegen, welche Konsequenzen ein Handeln hat, das hinter den Pflichten bzw. Erwartungen zurückbleibt, umgekehrt müssen auch die Folgen eines vorauseilenden, nach allem übertriebenen Umgangs mit tatsächlich so nicht vorliegenden Interessenkonflikten bedacht werden. Aufmerksamkeit verdient schließlich auch die in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifizierte Business Judgment Rule, die auf tatbestandlicher Ebene einen engen Bezug zu Interessenkonflikten aufweist. Liegt ein Interessenkonflikt vor, mag ihre für die und aus der Sicht der Organmitglieder vorteilhafte Anwendung zugunsten des von dem Interessenkonflikt Betroffenen und eventuell auch zugunsten der übrigen Aufsichtsratsmitglieder ausscheiden.

A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse Wird ein Interessenkonflikt nicht gemäß den einschlägigen Anforderungen behandelt, unterbleibt also ein an sich angezeigter Teilnahmeausschluss, ist an einem unter diesen Umständen getroffenen Aufsichtsratsbeschluss letztlich eine Person beteiligt, die aus rechtlicher Sicht nicht daran beteiligt sein sollte. Insofern ist der Aufsichtsratsbeschluss mit einem Mangel behaftet. Vorgabe aus Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK a. F. ging) und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK angesichts der in dieser Arbeit ermittelten Bedeutung eines adäquaten Umgangs mit Interessenkonflikten (siehe oben u. a. § 2 C. II.) immerhin als wesentlich eingestuft werden. Die letztere Einschätzung wird auch im Schrifttum von den Befürwortern einer Binnendifferenzierung innerhalb der verschiedenen DCGK-Empfehlungen geteilt (siehe etwa Goette, in: FS Hüffer, 2010, S. 225, 234 f.), jedoch ist schon jene Gewichtung der Kodexempfehlungen im Kern umstritten (zur a.  A. etwa Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, § 161 Rn. 64). 18  Im Zusammenhang mit Interessenkonflikten ist insbesondere § 404 AktG zu nennen, worin die Verletzung der Geheimhaltungspflicht u. a. der Aufsichtsratsmitglieder unter Strafe gestellt ist.

260

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

Gleiches gilt, wenn einer Person aufgrund eines vermeintlichen Interessenkonflikts letztlich zu Unrecht die Partizipation an der Beratung und der Beschlussfassung verwehrt wird. Zumindest auf den ersten Blick liegt dieser Befund auch dann vor, wenn trotz eines tatbestandsmäßigen wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts eine an sich angezeigte Abberufung unterbleibt und umgekehrt wenn ein Aufsichtsratsmitglied vermeintlich zu Unrecht nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG abberufen wird. In diesem Kontext drängt sich schließlich die Frage auf, welche Konsequenzen es hat, dass ein Aufsichtsratsmitglied sein Amt trotz eines wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts gerade nicht niederlegt oder aber dass eine Amtsniederlegung zu Unrecht unter Verweis auf einen entsprechenden Interessenkonflikt erfolgt. Die Auswirkungen speziell der eingangs genannten Mängel auf die betreffenden Aufsichtsratsbeschlüsse erschließen sich jedoch nicht ohne Weiteres, zumal in der Rechtsprechung und der Literatur – soweit ersichtlich – keine unmittelbaren Aussagen zu den beschlussbezogenen Auswirkungen eines nicht adäquaten Umgangs mit Interessenkonflikten getroffen werden.

I. Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse und ihre Rechtsfolgen Das Gesetz äußert sich nicht dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen Aufsichtsratsbeschlüsse fehlerhaft sind und welche Rechtsfolgen dies hat.19 Auch in der Literatur bietet sich kein einheitliches Bild. Von der Fehlerhaftigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses kann jedenfalls gesprochen werden, wenn Mängel im Beschlussverfahren vorliegen oder sich der Beschlussinhalt als gesetzes- oder satzungswidrig darstellt.20 Nach Teilen des Schrifttums und einzelnen Entscheidungen der instanzgerichtlichen Rechtsprechung soll sodann – wie bei Hauptversammlungsbeschlüssen – zwischen der Nichtigkeit von (fehlerhaften) Aufsichtsratsbeschlüssen und ihrer Anfechtbarkeit zu differenzieren sein.21 Bei einem besonders schweren Mangel sei der Beschluss 19  Statt aller Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 61 und 71. Betreffend Beschlussmängel lässt sich dem Aktiengesetz nur entnehmen, dass Protokollmängel die Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses nicht beeinträchtigen (§ 107 Abs. 2 S. 3 AktG), während im entsprechend anwendbaren § 32 Abs. 1 S. 2 BGB festgelegt ist, dass zur Wirksamkeit des Beschlusses der Mitgliederversammlung des Vereins erforderlich ist, dass der Gegenstand bei der Einberufung bezeichnet wird. 20  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 37; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 108 AktG Rn. 19; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 25; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 73. 21  Für eine (modifizierte) Analogie zu den §§ 241 ff. AktG oder praktisch ähnlich, etwa durch eine per Feststellungsklage geltend zu machende Nichtigkeit von Be-



A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse261

nichtig, im Übrigen bloß anfechtbar.22 Der Bundesgerichtshof hat dem jedoch eine Absage erteilt: Es ist grundsätzlich von der Nichtigkeit fehlerhafter Aufsichtsratsbeschlüsse auszugehen.23 Diese ist im Wege der (Nichtigkeits‑) Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) geltend zu machen.24 Jene ist unbefristet.25 Die Nichtigkeitsfolge entfällt aber bei weniger schweren Mängeln, wenn die Nichtigkeit – es besteht insofern eine zusätzliche Rügeobliegenheit26 – nicht innerhalb einer angemessenen Rüge- bzw. Verwirkungsfrist geltend gemacht wurde.27 Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Beschluss wirkungslos.28 Zudem will der Bundesgerichtshof den klagebefugten Personenkreis über das Erfordernis des Rechtsschutzinteresses begrenzen.29 Große schlüssen (erst) infolge ihrer Beanstandung, insbesondere OLG Hamburg, AG 1992, 197, 198; OLG Hamburg, AG 1984, 248, 249; OLG Hamburg, AG 1983, 21, 24; OLG Schleswig, NZG 2003, 821, 823 (bezogen auf einen freiwilligen GmbH-Aufsichtsrat); LG Hannover, AG 1989, 448, 449; Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, S.  113 ff.; Baums, ZGR 1983, 300, 305 ff.; Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 187; Kindl, DB 1993, 2065, 2067; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 169 ff.; Kindl, AG 1993, 153, 155 ff.; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 94 ff.; Lutter, in: FS Beusch, 1993, S. 509, 523; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 101 f. (Unterteilung der Beschlüsse in nichtige und vernichtbare Beschlüsse); Radtke, BB 1960, 1045, 1046 ff.; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 1 Rn. 210; K. Schmidt, GesR, S. 834. Dies andeutend noch BGH, NJW 1989, 979, 982; darauf bezugnehmend OLG Celle, AG 1990, 264, 266. 22  Vgl. OLG Hamburg, AG 1984, 248, 249; LG Hannover, AG 1989, 448, 449; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 87. 23  BGH, NZG 2016, 264, 265; BGH, AG 2013, 257, 258; BGH, AG 2012, 677, 677; BGH, AG 2006, 38, 39 – Mangusta/Commerzbank II; BGHZ 135, 244, 247 – ARAG/Garmenbeck; BGH, AG 1994, 124, 125 – Vereinte Krankenversicherung; BGH, AG 1993, 464, 466 – Hamburg-Mannheimer. Instruktiv zum Verlauf der Diskussion und zur Entwicklung der Rechtsprechung Fleischer, DB 2013, 160, 160 f. 24  BGH, AG 2013, 257, 258; BGH, AG 2012, 677, 677; BGHZ 135, 244, 247 – ARAG/Garmenbeck. 25  Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 22; Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 168; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 283; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 87. 26  Vgl. BGH, AG 1993, 464, 466 – Hamburg-Mannheimer; hiernach explizit Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 82; vgl. ferner Hüffer/Koch, § 108 Rn. 29. 27  Grundlegend BGH, AG 1993, 464, 466 – Hamburg-Mannheimer. Die Modalitäten im Einzelnen sind umstritten, näher dazu Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn.  199 ff. 28  Fleischer, DB 2013, 217, 217; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 88; vgl. auch KG Berlin, AG 2005, 205, 206; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 157. 29  Grundlegend BGH, AG 1993, 464, 466 – Hamburg-Mannheimer. Im Überblick zum teilweise umstrittenen Feststellungsinteresse Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 45 f., und Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 76.

262

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

Teile der Literatur und der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sind diesem damit herrschenden Ansatz gefolgt.30 Die Diskussion muss hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden.31 Auch trotz des anzunehmenden Reformbedarfs32 ist allein aus praktischer Sicht bis auf Weiteres an dem vom Bundesgerichtshof vorgesehenen Verwirkungsmodell festzuhalten. Der gegenwärtige Diskussionsstand gestattet, will man für bestimmte Mängel eine konkretere Aussage treffen, nicht mehr als eine fallgruppenorientierte Annäherung in Abhängigkeit von ihrer Art und Schwere. Die einzelnen Vorschriften sehen üblicherweise keine Fehlerfolge vor, sodass die Frage danach stets die Auslegung der jeweiligen Verbotsnorm berührt.33 Losgelöst von der Frage nach dem grundsätzlichen dogmatischen Ansatz ist anerkannt, dass es einer Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien fehlerhafter Aufsichtsratsbeschlüsse bedarf.34 Verbreitet ist eine Unterscheidung zwischen unheilbaren Inhalts- und Verfahrensmängeln, die stets zur Nichtigkeit führen, durch den Verzicht auf ihre Geltendmachung heilbaren Verfahrensmängeln, deren Geltendmachung nämlich der Verwirkung unterliegt, sowie Verstößen gegen bloße Ordnungsvorschriften, die beschlussrechtlich per se irrelevant sein sollen.35 Die letztere Einschätzung überzeugt, sieht man den 30  Siehe aus der Judikatur BayObLG, AG 2003, 427, 429; KG Berlin, AG 2005, 205, 206; OLG Düsseldorf, AG 1995, 416, 416; OLG Frankfurt, AG 2007, 282, 283 f.; OLG Frankfurt, AG 2003, 276, 277; OLG München, AG 2017, 750, 751; OLG Zweibrücken, AG 2011, 304, 305; LG Düsseldorf, AG 1994, 328, 329; LG Frankfurt a. M., ZIP 1996, 1661, 1662. Siehe aus dem Schrifttum etwa Drygala, in: K. Schmidt/ Lutter, § 108 Rn. 38 und 43; Fleischer, DB 2013, 217, 217 f.; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 81; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 108 AktG Rn. 23; HoffmannBecking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 113 f.; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 154 und 157 ff.; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 20; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 26 und 28 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 739; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 119; Nordhues, CFL 2010, 327, 332; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 37; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 255 und 278; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 73 f. und 82. 31  Überzeugend zugunsten der h. M. Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 154 und 157 ff. Im Übrigen merken u. a. Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 115, und Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 739, an, dass der zuvorderst vom Bundesgerichtshof vertretene Ansatz und die demgegenüber angenommene Unterscheidung zwischen nichtigen und lediglich anfechtbaren Beschlüssen letztlich in vielen Fällen zu denselben Ergebnissen führen. 32  Dazu aus jüngerer Zeit vor allem Koch, in: 72. DJT 2018, Bd. I, F 1, F 96 f., der sich für ein gesetzgeberisches Tätigwerden betreffend das Organbeschlussmängelrecht stark macht. 33  Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 37. 34  OLG Düsseldorf, AG 1995, 416, 418; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 155. 35  Siehe die Darstellungen von Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 22; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 39–44; Habersack, in: MüKoAktG, § 108



A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse263

ihr zugrunde liegenden Gedanken darin, dass sich der Beschluss sicher nicht auf die Verletzung der jeweiligen Ordnungsvorschrift gründet (siehe etwa § 107 Abs. 2 S. 3 AktG).36 Hinsichtlich der Zuordnung von Mängeln zu diesen einzelnen Kategorien ergibt sich jedoch kein durchweg einheitliches Bild. Ein Verfahrensmangel, der auch in sämtlichen Fällen der fälschlicherweise erfolgten (Nicht‑)Partizipation von Aufsichtsratsmitgliedern trotz eines (nicht gegebenen) Interessenkonflikts in Betracht kommt, soll allgemein nur dann beachtlich sein und zur Fehlerhaftigkeit des Beschlusses führen, wenn er für den Aufsichtsratsbeschluss kausal (ergebnisrelevant) war.37 Das lässt sich anhand des Falles bestehender Stimmrechtsbeschränkungen illustrieren: Eine trotz eines etwaigen Stimmverbots abgegebene Stimme ist nach einhelliger Ansicht nichtig.38 Der Beschluss ist aber nur dann fehlerhaft, wenn die Stimme für das Beschlussergebnis kausal war, der Beschluss also bei Abzug der unwirksamen Stimme in Ermangelung der erforderlichen Mehrheit nicht zustande gekommen wäre.39 Dem Ansatz, wonach hier schon kein (positiver) Rn.  78 ff.; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 108 AktG Rn. 21 f.; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 116; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 156; Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 169; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 740–742; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 38–40; davon leicht abweichend Hüffer/Koch, § 108 Rn. 27 und 29. 36  So die überzeugende Erläuterung von Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 38. 37  Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 77; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 69; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 108 AktG Rn. 21; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 160 und 166; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 17; Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 169; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 94. 38  Siehe BGH, AG 2007, 484, 485; BayObLG, AG 2003, 427, 429; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 19; Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 127; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 33 und 74; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 63; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 108 AktG Rn. 7 und 19; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 163; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 12; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 553; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 90; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 148 und 227; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 31. 39  Allg. A., vgl. BGH, NJW 1967, 1711, 1713, in Abweichung von BGH, NJW 1954, 797, 797; ferner dafür BayObLG, AG 2003, 427, 429; OLG Hamburg, AG 1992, 197, 200; OLG Stuttgart, AG 2007, 873, 876; Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, S.  209 f.; Baums, ZGR 1983, 300, 320; Engfer, Ausschluß des Stimmrechts, S. 164 f.; Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 128; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 33 und 75; Hopt/M. Roth, in: GKAktG, § 108 Rn. 164; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 141 f.; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 741; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 91; von Schenck, in: ArbHdbAR, § 1 Rn. 211 und § 5 Rn. 149; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 228 und 248; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 75; trotz gegenläufiger Erwägungen letztlich auch Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 424 f. Ebenso BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 85. Dies missachtend Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 187. Zur Möglichkeit

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

Beschluss gegeben ist,40 kann nicht gefolgt werden.41 Mit Blick auf die von § 108 Abs. 2 S. 3 AktG verlangte Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern an der Beschlussfassung muss im Einklang insbesondere mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgegangen werden, dass in der nichtigen Stimmabgabe anstelle der an sich zu verlangenden Stimmenthaltung bei drohender Beschlussunfähigkeit nichtsdestoweniger eine Teilnahme an der Beschlussfassung liegt,42 sodass eine Fehlerhaftigkeit des Beschlusses jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt nicht anzunehmen ist.43 Das schlussendliche Fehlen der für die Beschlussfassung nötigen Mehrheit wird als schwerer Mangel betrachtet, der nicht dem Verwirkungseinwand unterliegt.44

II. Ungenügende Reaktion auf einen bestehenden Interessenkonflikt Hinsichtlich der Auswirkungen pflichtwidrigen Verhaltens eines tatsächlich von einem Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglieds und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder im Umgang mit dem Interessenkonflikt auf die unter diesen Umständen getroffenen Aufsichtsratsbeschlüsse liegt es nahe, solche Fälle in den Blick zu nehmen, in denen die Konfliktmaßnahmen hinter den Erwartungen zurückbleiben. Das betrifft erstens die Teilnahme trotz eines bestehenden Interessenkonflikts, welcher an sich einen Teilnahmeausschluss erfordert.45 Hier muss zunächst danach unterschieden werden, ob schon gar kein Teilnahmeausschluss vom Aufsichtsratsplenum beschlossen wurde oder ob trotz eines solchen die einer Umkehrung des Beschlussergebnisses stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 75. 40  So Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 24; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 25 und 27. 41  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 37 (Beschluss liegt vor, wenn ein solcher vom Versammlungsleiter festgestellt wurde); Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 83 (auch hier Bedürfnis nach Rechtssicherheit). 42  Vgl. oben § 4 B. III. 2. mit den Nachweisen in § 4 Fn. 324. 43  Anders noch Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 424 (vor der Entscheidung des BGH, AG 2007, 484, 485). Auch allgemein heißt es – möglicherweise auch unter dem Eindruck der vorstehenden Entscheidung –, dass die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit einer Stimme keinen Einfluss auf die „Teilnahme an der Beschlussfassung“ hat, siehe etwa Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 36, und Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 41. 44  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 78; Hoffmann-Becking, in: MüHdb­ GesR IV, § 31 Rn. 117; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 170; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 741; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 78; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 40. 45  Siehe oben § 4 B. II. 2. und § 4 B. III. 3. a).



A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse265

Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung erfolgt und faktisch zugelassen wird. Im erstgenannten Fall ergeben sich keine Konsequenzen für die Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses, da es gerade ein Charakteristikum eines Teilnahmeausschlusses gegenüber einem Teilnahmeverbot ist,46 dass das Aufsichtsratsmitglied trotz des Vorliegens der erwähnten materiellen Voraussetzungen eines Teilnahmeausschlusses – eines Interessenkonflikts – bis zu dessen Verhängung teilnahmeberechtigt bleibt.47 Aus dem in der Teilnahme eines Konfligierten liegenden Treuepflichtverstoß folgt nichts anderes,48 denn gerade aus Gründen der Rechtssicherheit muss auf die formale Teilnahmeberechtigung abgestellt werden.49 Ob das Plenum von dem Interessenkonflikt Kenntnis hatte bzw. von seinem Bestehen ausging und dennoch untätig geblieben ist, ob das Plenum einen Interessenkonflikt fälschlicherweise verneint hat oder ob dem Plenum der Interessenkonflikt (insbesondere bei fehlender Offenlegung) gänzlich unbekannt war, ist an dieser Stelle unerheblich. Nimmt aber ein von der Teilnahme an sich ausgeschlossenes Aufsichtsratsmitglied an der Sitzung teil, muss wiederum danach differenziert werden, ob sich die Teilnahme auf die physische Präsenz und mögliche Wortmeldungen im Zuge der Beratung beschränkt oder ob das betreffende Aufsichtsratsmitglied auch mitgestimmt hat. Im Fall der Teilnahme an der Abstimmung trotz eines Teilnahmeausschlusses können, da dieser notwendigerweise einen Ausschluss des Stimmrechts beinhaltet,50 keine anderen Maßstäbe gelten als bei einer Abstimmungsteilnahme trotz des Eingreifens eines Stimmverbots51: War die dementsprechend nichtige Stimme des Konfligierten für das Beschlussergebnis kausal, ist der Beschluss nichtig. Dazu passend wird auch allgemein für die Partizipation einer nicht zur Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung berechtigten Person an der Abstimmung vertreten, die von ihr abgegebene Stimme sei nichtig und 46  Zur der insofern vorzugswürdigen begrifflichen Unterscheidung vgl. oben § 4 B. III. 47  Im Ergebnis ähnlich, wenn auch allein bezogen auf die Teilnahme an der Abstimmung Koch, ZGR 2014, 697, 721. 48  Das wäre nur der Fall, wenn man wie Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 150, aus dem Treuepflichtverstoß die Nichtigkeit einer unter diesen Umständen abgegebenen Stimme folgert. Dann gelten die nachstehenden Grundsätze. 49  Anders im Kontext eines „trotz objektiv bestehender Gebotenheit“ unterbliebenen Stimmrechtsausschlusses Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 187, der seine vorherige Argumentation (ebd., S. 186) aber selbst auf den Aspekt der Rechtssicherheit stützt. 50  Dies offenbar voraussetzend Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 424; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 234. Letztlich verbirgt sich dahinter ein argumentum a maiore ad minus. 51  Dazu oben § 5 A. I.

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der Beschluss bei Ergebnisrelevanz der Stimme fehlerhaft.52 Fraglich ist, was gilt, wenn das vom Interessenkonflikt betroffene, von der Teilnahme ausgeschlossene Aufsichtsratsmitglied nicht mitgestimmt hat. Der Mangel liegt dann allein in der Anwesenheit einer nicht anwesenheitsberechtigten Person während der Aufsichtsratssitzung. Bei der Bestimmung der Art der Fehlerhaftigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses ist zu beachten, dass hinsichtlich der Teilnahme Unbefugter bzw. Dritter an der Aufsichtsratssitzung, um die es sich faktisch auch bei einer Teilnahme trotz eines Teilnahmeausschlusses handelt bzw. der eine solche ähnelt, schon keine Einigkeit besteht, ob es sich um einen leichten Verfahrensmangel53 oder einen unbeachtlichen Verstoß gegen Ordnungspflichten54 handelt. Das im Schrifttum vorzufindende Gesamtbild wirkt einmal mehr recht unübersichtlich, da die getroffene Differenzierung unbemerkt davon abhängt, ob im konkreten Fall die Teilnahme des Unbefugten bzw. Nichtberechtigten auch an der Abstimmung mit in den Blick genommen wird, und im Ergebnis kaum Unterschiede bestehen dürften. Das von dem Teilnahmeausschluss betroffene Aufsichtsratsmitglied ist insofern Unbefugter bzw. Nichtberechtigter. Bezogen auf die Frage der Kausalität gilt, dass die möglicherweise im Zuge der Teilnahme erfolgte bloße Einflussnahme auf andere Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen der Verhandlungen die Kausalität nicht begründet.55 Wenn so schon die Teilnahme dieser 52  Siehe BGH, NJW 1967, 1711, 1713; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 67; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 141 f.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 93; Nordhues, CFL 2010, 327, 335; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 234; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 78; implizit OLG Stuttgart, AG 2007, 873, 876. 53  Dafür Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 67 f.; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 234; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn.  77 f.; implizit Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 76; nicht eindeutig Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 169. 54  Dafür Baums, ZGR 1983, 300, 324; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 39; Fleischer, DB 2013, 217, 219; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 118; Kindl, Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, S. 191 ff.; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 29 und § 109 Rn. 4; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 742 (im offenbaren Widerspruch zur vorhergehenden Rn. 741); Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde, S. 334; im Grundsatz auch BGH, NJW 1967, 1711, 1713; wohl ebenso Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 38 mit Fn. 64; nicht eindeutig Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 169. 55  BGH, NJW 1967, 1711, 1712, in Abweichung von BGH, NJW 1954, 797, 797 (Ausschluss der Kausalität nur durch fehlenden Einfluss auf die Meinungsbildung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder); LG München I, BeckRS 2005, 6873; HamblochGesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 67; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 163 f., 167 und 177; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 141; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 234; implizit Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 17; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 93. Für eine Irrelevanz der „bloße[n] Beeinflussung der anderen Abstimmenden durch die Teilnahme“ des Weiteren Habersack,



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Art durch unbefugte Personen, auch durch Dritte, keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses haben soll, muss dies auch für das an sich von der Teilnahme ausgeschlossene Aufsichtsratsmitglied gelten, dessen alleinige Anwesenheit und selbst die Beeinflussung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder nicht zu einem fehlerhaften Beschluss führt. Kommt der Konfligierte der Pflicht zum Verzicht auf eine Teilnahme an der Sitzung trotz eines bestehenden Interessenkonflikts nicht nach, so ist dies entsprechend dem Fall zu beurteilen, dass unter diesen Umständen kein Teilnahmeausschluss durch das Aufsichtsratsplenum vorgenommen wird. Das Teilnahmerecht besteht hier unverändert fort, ein Inhalts- bzw. Verfahrensmangel liegt nicht vor.56 Wegen der fortbestehenden Teilnahme- und Mitwirkungsbefugnisse des Konfligierten ist auch in dem Fall, in welchem trotz eines wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts keine Amtsniederlegung erfolgt, kein Inhalts- oder Verfahrensmangel ersichtlich, der die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses begründen könnte. In der Literatur heißt es dementsprechend zu Recht, eine unterlassene Amtsniederlegung könne nicht dazu führen, dass Aufsichtsratsbeschlüsse nichtig sind, an denen das betreffende Aufsichtsratsmitglied beteiligt war.57 Die gleichen Erwägungen gelten für die entgegen § 103 Abs. 3 S. 1 AktG unterlassene Stellung des Abberufungsantrags durch den Aufsichtsrat.

III. Überschießende Reaktion auf einen tatsächlich nicht bestehenden Interessenkonflikt (der nötigen Art) Es ist vorstellbar, dass sowohl ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied als auch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder fälschlicherweise zu der Annahme gelangen, es liege ein Interessenkonflikt oder gar ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt vor, der die Vornahme der jeweils einschlägigen Interessenkonfliktmaßnahme verlange. Eine auf diese Weise überschießende Reaktion auf einen tatsächlich nicht existenten Interessenkonflikt berührt womöglich die Wirksamkeit von unter diesen Umständen getroffenen Aufsichtsratsbeschlüssen. in: MüKoAktG, § 109 Rn. 75, und – hierher stammt jenes wörtliche Zitat – Kumpan, Interessenkonflikt, S. 553 f., die aber nicht gesondert auf eine fehlende Teilnahmeberechtigung eingehen. Mit unklarer Darstellung, jedoch ebenso Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 19. Ohne die etwaige Einflussnahme ausdrücklich zu erwähnen Nordhues, CFL 2010, 327, 335. Vgl. auch bezogen auf den Vorstand Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 324 f. (Beeinflussung der übrigen Vorstandsmitglieder durch Konfligierten kann nicht unterstellt werden). 56  Siehe weiter oben in diesem Abschnitt; vgl. jedoch § 5 Fn. 48. 57  Siehe Dreher, JZ 1990, 896, 902 Fn. 74; Singhof, AG 1998, 318, 324 f.

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Denkbar ist, dass ein Aufsichtsratsmitglied wegen eines vermeintlichen Interessenkonflikts von der Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung ausgeschlossen wird, obwohl der dafür nötige Interessenkonflikt überhaupt nicht vorgelegen hat. Der unrechtmäßige Ausschluss eines Aufsichtsratsmitglieds von der Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung wird im Schrifttum – soweit sich dieses dazu äußert – durchaus häufig als schwerwiegender, zur uneingeschränkten Nichtigkeit des Beschlusses führender Mangel eingeordnet.58 Das lässt sich noch untermauern, indem man einen Umkehrschluss zu dem Fall anstellt, dass ein von der Teilnahme ausgeschlossenes Mitglied an der Beratung und der Abstimmung teilnimmt: Die in diesem Kontext getroffenen Beschlüsse sind – unter dem Vorbehalt der Ergebnisrelevanz der Stimme des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds – nichtig.59 Das muss auch für den entgegengesetzten Fall gelten, dass ein Aufsichtsratsmitglied zu Unrecht von einer Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung – und damit auch von der ­Abstimmung – ausgeschlossen wird und dieser daraufhin fernbleibt.60 Dem lässt sich an dieser Stelle auch nicht entgegenhalten, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied teilgenommen haben könnte, ohne sich an der Abstimmung zu beteiligen, was im Fall eines bestehenden Interessenkonflikts keine Folgen für den Beschluss hat61. Unabhängig davon liegt ein erheblicher Eingriff in die Rechte des Betroffenen vor. Schließlich ähnelt der ungerechtfertigte Teilnahmeausschluss eines Aufsichtsratsmitglieds der unterbliebenen Einladung eines Aufsichtsratsmitglieds, die von vielen als schwerwiegender, nicht der Verwirkung unterliegender Mangel betrachtet wird62. 58  Dafür Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 41; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 117; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 146; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 109 Rn. 47 (offenbar abweichend von den vorhergehenden Ausführungen, ebd., § 108 Rn. 96 und 103); Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S.  597, 601; a.  A. (leichter Verfahrensmangel, Geltendmachung erforderlich) Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 179 f.; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 148; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 741; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 39. Die Frage der Einordnung offen lassend Behr, AG 1984, 281, 286 f. 59  Siehe oben § 5 A. II. 60  Mit dem Gedanken eines argumentum e contrario zum zu Unrecht für einschlägig befundenen Stimmverbot bereits Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S.  142 f.; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 122; a. A. offenbar Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, S. 197 f. 61  Vgl. wiederum oben § 5 A. II. 62  Siehe Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 108 Rn. 41; Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 78; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 108 AktG Rn. 21 (hier pauschal für die „fehlerhafte Einladung“); Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 117; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 27; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 124 f. (aber Anfechtbarkeit bei tatsächlichem Erscheinen, ebd., S. 125 f.); von Schenck, in: ArbHdbAR, § 1 Rn. 216; Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 222; Spindler, in: BeckOGK-



A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse269

Betreffend das bei Verfahrensfehlern grundsätzlich eingreifende Kausalitätserfordernis könnte eingewandt werden, dass nach einer verbreiteten Ansicht in der Literatur ein solches im Fall einer Behinderung bzw. Verletzung des Teilnahme- oder Stimmrechts einzelner Aufsichtsratsmitglieder gerade nicht gelten und stattdessen eine Ausnahme vom Erfordernis der Ergebnisrelevanz von Verfahrensfehlern vorzusehen sein soll.63 Dahinter steht offenbar der Gedanke, dass die zu Unrecht erfolgte Beschränkung der Teilnahme- und Mitwirkungsbefugnisse sanktioniert werden muss.64 Eine Beschränkung des Teilnahme- und Stimmrechts eines Aufsichtsratsmitglieds ist denknotwendig nicht als Verfahrensfehler zu werten, wenn sie aus Rechtsgründen (etwa aufgrund eines Interessenkonflikts) vorgenommen wird und – zur Klarstellung – diese Gründe auch vorliegen.65 Ist das aber nicht der Fall, käme es nach dem genannten Ansatz nicht auf die Kausalität der dann unrechtmäßigen Beschränkung des Teilnahmerechts eines Aufsichtsratsmitglieds an.66 Der vorstehenden Ansicht ist jedoch von Seiten der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur zu Recht widersprochen worden.67 Es ist kein überzeugender AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 78; a. A. (leichter Verfahrensmangel, Geltendmachung erforderlich) Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, S. 191; Baums, ZGR 1983, 300, 312; Fleischer, DB 2013, 217, 218 f.; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 180; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 741; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 39. 63  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 77; Henssler, in: Henssler/Strohn, § 108 AktG Rn. 21; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 18; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 148 (für die Nichtladung ebd., S. 125); implizit HamblochGesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 69; Kolb, in: BeckHdbAG, § 7 Rn. 169; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 94; offenbar auch Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 235; für die Nichtladung Baums, ZGR 1983, 300, 313. 64  Denn ansonsten könne eine Mehrheit innerhalb des Aufsichtsrats die Teilnahmeund Mitwirkungsbefugnisse einer Minderheit ohne Konsequenzen verletzen, siehe Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, S. 208; Baums, ZGR 1983, 300, 310; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, S. 148. 65  Vgl. bezogen auf den Ausschluss von der Stimmabgabe Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 235. 66  Zwar betont Schütz, in: von Schenck, § 108 Rn. 235, „[n]ur die tatsächliche Beeinträchtigung“ der Rechte des Aufsichtsratsmitglieds sei von Bedeutung, und auch andere sprechen von deren „tatsächliche[r] Behinderung“ (Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 108 Rn. 69). Das Verständnis der Autoren von einer „tatsächlichen“ Beeinträchtigung bleibt offen, indes ist nicht anzunehmen, dass die von diesen und weiteren Stimmen (siehe die Nachweise in § 5 Fn. 63) vertretene Ausnahme vom Kausalitätserfordernis bei Verfahrensfehlern auf „tatsächliche“ Behinderungen etwa im Sinne physischer Hindernisse begrenzt ist, sondern darunter alle Beeinträchtigungen fallen, die nicht durch rechtliche Gründe legitimiert sind. 67  Vgl. OLG Karlsruhe, AG 1996, 224, 226 f.; OLG Stuttgart, AG 1985, 193, 194; ausdrücklich Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 171; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 122 ff. und 146; mit unklarer Darstellung, jedoch offenbar auch Breuer/Fraune, in: Heidel, § 108 AktG Rn. 23 Fn. 104.

270

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

Grund ersichtlich, warum von dem Grundsatz abgewichen werden sollte, dass Verfahrensmängel nur bei Kausalität zur Fehlerhaftigkeit des Beschlusses führen.68 Für ein Kausalitätserfordernis auch im Fall der unrechtmäßigen Beschränkung der Teilnahme- und Mitwirkungsbefugnisse eines Aufsichtsratsmitglieds spricht dagegen die Schaffung von Rechtssicherheit der Art, dass ohne Auswirkungen auf das Beschlussergebnis die Nichtigkeit des Beschlusses nicht geltend gemacht werden kann.69 Das Aufsichtsratsmitglied kann sich per Feststellungsklage gegen die aus seiner Sicht unrechtmäßige Beschränkung seiner Rechte wenden und so hinreichenden Rechtsschutz erlangen.70 So soll auch nach verschiedenen Stimmen in der Literatur, die sich damit zum Teil in einen Widerspruch zu der postulierten Ausnahme vom Kausalitäts­ erfordernis bei einer Beeinträchtigung der Teilnahme- und Mitwirkungsbefugnisse setzen, ein ungerechtfertigter Ausschluss von der Abstimmung nur zur Fehlerhaftigkeit und infolgedessen Nichtigkeit des entsprechenden Aufsichtsratsbeschlusses führen, wenn das Abstimmungsergebnis unter Einbezug der Stimme des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds anders ausgefallen wäre.71 Auch bezogen auf einen ungerechtfertigten Teilnahmeausschluss ist demzufolge spiegelbildlich zu einer Teilnahme entgegen einem bestehenden Teilnahmeausschluss nach der Kausalität für das Beschlussergebnis zu fragen. Die Kausalität ist von vornherein zu verneinen, wenn der zu Unrecht von der Teilnahme Ausgeschlossene trotz des Teilnahmeausschlusses an Beratung und Abstimmung teilgenommen hat.72 Im Übrigen muss die Beurteilung der Kausalität konsequenterweise ebenfalls den Maßstäben folgen, die im Rahmen der Teilnahme entgegen einem bestehenden Teilnahmeausschluss gelten:73 Es ist nicht auf die Teilnahme an der Sitzung abzustellen, sondern es kann hier ebenfalls nur auf die Auswirkungen der – hier hinzugedachten – Stimme des tatsächlich nicht Konfligierten auf das Beschlussergebnis ankommen.74 Zu beachten ist dabei noch, dass der Ausgeschlossene sowohl für Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 123 und 146. Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 124 und 146. 70  Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S. 124 und 146; siehe auch schon oben § 4 B. I. 2. c). 71  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 33; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 84; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 553; Mense, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, S.  122 ff.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 71; Tomasic, in: Grigoleit, § 108 Rn. 31 und § 109 Rn. 5. 72  Vgl. OLG Karlsruhe, AG 1996, 224, 226 f.; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 166; Israel, in: Bürgers/Körber, § 108 Rn. 18; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 95. 73  Dazu oben § 5 A. II. 74  Anders Behr, AG 1984, 281, 287, der auf den möglichen Einfluss des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds auf die Stimmabgabe der übrigen Aufsichtsratsmitglieder sowie auf den Inhalt des Beschlusses verweist. 68  Ähnlich 69  Mense,



A. Mögliche Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse271

als auch gegen einen Beschlussantrag hätte stimmen können und eine sichere Aussage über das hypothetische Stimmverhalten nicht möglich ist. Bei einem recht deutlichen Abstimmungsergebnis kann die Stimme wechselseitig hinzugedacht werden, dennoch bleibt die Stimme letztlich nicht kausal für das Beschlussergebnis. Bei einem knappen Beschlussergebnis ist jedoch keine sichere Aussage möglich. Die Möglichkeit, dass bei einer etwaigen Zustimmung oder einer etwaigen Ablehnung das Abstimmungsergebnis anders ausgefallen wäre, muss jedoch an dieser Stelle zur Bejahung des Kausalzusammenhangs genügen. Der schon erwähnte potenzielle Einwand, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied anwesend gewesen sein könnte, ohne sich an der Abstimmung zu beteiligen, greift aus denselben Gründen ebenso nicht durch. Der dreiköpfige Aufsichtsrat ist schließlich nicht gesondert zu behandeln, da hier infolge der (unnötigerweise) unterbliebenen Teilnahme mangels Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats schon gar kein Beschluss gefasst werden konnte, vgl. § 108 Abs. 2 S. 3 AktG, dessen Wirksamkeit infrage zu stellen wäre. Ein Verzicht eines Aufsichtsratsmitglieds auf die Teilnahme an der Sitzung und mit ihr an der Abstimmung wegen eines von diesem selbst empfundenen oder gemutmaßten Interessenkonflikts begründet selbst dann, wenn aus der gewöhnlichen Perspektive zur Bestimmung eines Interessenkonflikts kein solcher vorliegt, keinen Mangel, der die Fehlerhaftigkeit bzw. Nichtigkeit des Beschlusses nach sich ziehen könnte.75 Das ist schon deshalb der Fall, weil ansonsten ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied die Möglichkeit hätte, durch ein gezieltes Fernbleiben von Beratung und Abstimmung unter dem Vorwand eines tatsächlich nicht existenten Interessenkonflikts die Beschlussfassung zu einem bestimmten Thema zu torpedieren. Hinzu kommt, dass ein Aufsichtsratsmitglied sein Mandat sowieso jederzeit und ohne Bindung an einen bestimmten Grund niederlegen kann. Im Fall einer Amtsniederlegung trotz des Nichtvorliegens eines wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts ist mit derselben Begründung ebenfalls von vornherein kein Inhalts- oder Verfahrensmangel ersichtlich, der die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses begründen könnte. Selbiges gilt für die Beantragung und sodann Vornahme einer Abberufung gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG, wobei die Ab­ berufung nach der Antragstellung durch den Aufsichtsrat ohnehin durch das Gericht vorgenommen wird, sodass nach dem negativen Ausgang des Rechtsmittelverfahrens76 die Einschätzung des Gerichts zum Vorliegen eines wichtigen Grundes und somit eines wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts als verbindlich angesehen werden muss. Eine unrechtmäauch Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 162. Einzelnen zum Verfahren nach § 103 Abs. 3 AktG Spindler, in: BeckOGKAktG, Stand: 01.07.2020, § 103 Rn. 40 ff. 75  Vgl. 76  Im

272

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

ßige Abberufung im Sinne einer überschießenden Reaktion auf einen so nicht gegebenen Interessenkonflikt kann es schon dem Grunde nach nicht geben.

B. Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen der Nichtbefolgung von Pflichten im Umgang mit Interessenkonflikten Unter den Voraussetzungen von § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG sind die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet. Ein solcher Anspruch verlangt – abgesehen von der Eigenschaft des Anspruchsgegners als Aufsichtsratsmitglied –, dass die in Anspruch genommene Person eine Pflichtverletzung begangen hat, dass dies schuldhaft geschehen ist und dass der Gesellschaft kausal durch die Pflichtverletzung verursacht ein Schaden entstanden ist.77 Bei den im Umgang mit Interessenkonflikten für den Konfligierten sowie die übrigen Aufsichtsratsmitglieder geltenden Regeln handelt es sich um eigenständige, aus der Treuepflicht abzuleitende Verhaltenspflichten, deren Verletzung den genannten Schadensersatzanspruch auslösen kann.78 Erfasst sind die Fälle, in welchen solche Maßnahmen, die nach den Grundsätzen zum Umgang mit Interessenkonflikten angezeigt waren, nicht durchgeführt bzw. veranlasst wurden. Umgekehrt kann es Situationen geben, in denen die materiellen Voraussetzungen für eine bestimmte Interessenkonfliktmaßnahme tatsächlich nicht vorgelegen haben und diese dennoch ergriffen wurde. Davon zu unterscheiden und keine unmittelbare rechtliche, sondern nur eine (mögliche) tatsächliche Folge einer Missachtung von Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten sind die Fälle konfliktbeeinflussten Verhaltens, wenn sich also die dem Interessenkonflikt innewohnende Gefahr als illegitime Berücksichtigung eigener Interessen oder von Interessen Dritter anstelle bzw. zulasten des Unternehmensinteresses realisiert, indem der Konfligierte etwa eine nicht (gänzlich) dem Unternehmensinteresse entsprechende Entscheidung trifft, gesellschaftsinterne Informationen nach außen trägt oder einen unangemessenen Einfluss auf die übrigen Aufsichtsratsmitglieder oder andere Personen auf Seiten der Gesellschaft nimmt. Dies kann freilich für sich genommen zu einer Haftung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds gemäß § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG führen, gegenüber welcher dem deliktsrechtlichen Sondertatbestand des § 117 AktG in diesem Kontext 77  Statt 78  Vgl.

aller Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 211. übereinstimmend Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 423.



B. Haftung gegenüber der Gesellschaft273

faktisch keine eigenständige Bedeutung zukommt79. Das Eingreifen der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ist hier und selbst dann fraglich, wenn der Konfligierte bei Entscheidungen des Aufsichtsrats, die sich als für die Gesellschaft nachteilig erweisen, nicht konfliktbeeinflusst agiert hat.80 Bei der Verletzung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten greift die Business Judgment Rule aber jedenfalls nicht ein, da hinsichtlich ihrer Einhaltung kein unternehmerisches Ermessen besteht.81 Soweit die interessenkonfliktbedingten Pflichten des Konfligierten und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder auf dasselbe Ziel gerichtet sind, bedeutet die Erfüllung der Pflicht der einen Seite nicht automatisch eine Nichterfüllung der Pflicht der anderen Seite. Vielmehr entfällt letztere schon dem Grunde nach bzw. wird – abstrakt – erfüllt. Ist der Konfligierte etwa von einem wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikt betroffen und legt er sein Amt aus diesem Grund von sich aus nieder, ist dies den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern mit Blick auf ihre Pflicht, einen Abberufungsantrag zu stellen, nicht anzulasten. Diese Pflicht besteht infolge der Amtsniederlegung nicht länger bzw. wurde – stellt man auf das abstrakte Ziel einer Beendigung des Mandats ab – schon erfüllt.

I. Haftung des (nicht) konfligierten Aufsichtsratsmitglieds Der Konfligierte begeht eine Pflichtverletzung, wenn er seinen Interessenkonflikt nicht offenlegt, nicht auf eine Teilnahme an der entsprechenden Sitzung verzichtet bzw. – bei einem wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt – von einer Amtsniederlegung absieht. Dies folgt aus der Ableitung der entsprechenden Pflichten aus der Treuepflicht, die in diesen Fällen verletzt wird.82 Die mögliche Einschätzung des Aufsichtsrats79  Vgl. Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 117 Rn. 1 f., 7, 9 und 21; Hüffer/Koch, § 117 Rn. 2; Leuering/Goertz, in: Hölters, § 117 Rn. 2; Schall, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 117 Rn. 27; Witt, in: K. Schmidt/Lutter, § 117 Rn. 33. 80  Dazu noch unten § 5 C. im Ganzen. 81  Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 423 f.; allgemein für Treuepflichten Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 45; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S.  183 f. 82  Vgl. im Umkehrschluss auch Koch, ZGR 2014, 697, 721; mit Blick auf die Pflicht zur Amtsniederlegung wie hier Dreher, JZ 1990, 896, 902; Martinek, WRP 2008, 51, 64; T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 143; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 6. Dies bezogen auf die Pflicht zur Amtsniederlegung offenbar verkennend Singhof, AG 1998, 318, 324, der nicht die erforderliche Differenzierung vornimmt zwischen der Verletzung der Treuepflicht infolge der Missachtung der Pflicht zur Amtsniederlegung und der späteren, für die Gesellschaft nachteiligen Entscheidung des Aufsichtsrats, an welcher der Konfligierte letztlich erst nach der Missachtung der Pflicht zur Amtsniederlegung partizipiert; zutreffend aber im Anschluss (ebd., 325).

274

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

vorsitzenden oder des Aufsichtsratsplenums, es liege kein Interessenkonflikt vor, ist dafür ohne Bedeutung. In aller Regel ist hier auch von einem Verschulden des Konfligierten auszugehen, hinsichtlich dessen (wie hinsichtlich der Pflichtverletzung83) ohnehin gemäß § 93 Abs. 2 S. 2 AktG eine Beweislastumkehr eingreift.84 Etwas anderes kommt dann in Betracht, wenn das Plenum in voller Kenntnis aller Umstände einen Beschluss fasst, nach welchem kein Interessenkonflikt auf Seiten des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds anzunehmen ist. Allerdings wird der Anspruch in der Praxis regelmäßig am Nichtvorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen scheitern: In Ansehung der §§ 249 ff. BGB, wonach der Zustand zu bestimmen ist, der ohne das zum Ersatz verpflichtende Ereignis bestehen würde,85 ist oftmals nicht ohne Weiteres ein materieller Schaden festzustellen, zudem kann der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und einem etwaigen Schaden in vielen Fällen nicht nachgewiesen werden.86 Für den Eintritt und die Höhe des Schadens sowie die Handlung des Anspruchsgegners und die Kausalität zwischen der Handlung und dem Schaden trägt aber die Gesellschaft die Beweislast.87 Ein anderer Anwendungsfall ist in der Konstellation zu sehen, dass die sich als ungültig erweisende Stimme des Konfligierten, der trotz allem an Beratung und Beschlussfassung teilnimmt, für das Beschlussergebnis ausschlaggebend war und der Gesellschaft wegen der Unwirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses88 ein Schaden entsteht.89 Ebenso zu klären sind die haftungsbezogenen Auswirkungen solcher Schritte, die der vermeintlich oder auch tatsächlich Konfligierte unternimmt, obwohl nach dem üblichen Maßstab zur Feststellung von Interessenkonflik-

83  Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 269; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 53; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 1021; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 203 f. 84  Demnach trägt der Beklagte die Beweislast für das fehlende Verschulden (bzw. die fehlende Pflichtwidrigkeit), statt aller Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 982 und 1021. 85  Zugunsten der Geltung der §§ 249 ff. BGB für Art und Umfang des Schadensersatzes stellvertretend Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 409. 86  Bezogen auf die unterlassene Offenlegung des Interessenkonflikts Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 230; bezogen auf ein Tätigwerden trotz fehlender Teilnahmeberechtigung (bzw. Stimmberechtigung) Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 424. 87  BGH, NZG 2013, 293, 294; BGH, NZG 2011, 549, 550; P. Doralt/W. Doralt, in: ArbHdbAR, § 14 Rn. 234; Hölters, in: Hölters, § 93 Rn. 264; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 431, 435 bzw. 440; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 53. 88  Vgl. oben § 5 A. II. 89  Vgl. Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 424; Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 325.



B. Haftung gegenüber der Gesellschaft275

ten90 kein solcher bzw. kein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt vorliegt. Hier ist es kaum denkbar, dass die subjektive Überzeugung eines Aufsichtsratsmitglieds, es unterliege einem Interessenkonflikt der einen oder anderen Art, unter Verweis auf die objektiven Hilfstatsachen für irrelevant erklärt wird. Stattdessen muss die Einschätzung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds respektiert werden. In dem Teilnahmeverzicht liegt dann kein Verstoß gegen die grundsätzlich bestehende Pflicht zur Teilnahme an den Aufsichtsratssitzungen.91 Etwas anderes ist nur anzunehmen, wenn der angebliche Interessenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds nach den objektiven Umständen derart fernliegend ist, dass das Fernbleiben von der Aufsichtsratssitzung nicht mehr zu rechtfertigen ist. Die praktische Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs gegen das Aufsichtsratsmitglied wegen einer Verletzung seiner Teilnahmepflicht dürfte jedoch in aller Regel ebenfalls den genannten Limitationen unterfallen. Die Möglichkeit zur Amtsniederlegung an sich ist nicht an bestimmte materielle Voraussetzungen geknüpft. So bedarf die Amtsniederlegung keines wichtigen Grundes, weshalb eine Haftung wegen einer Amtsniederlegung trotz des Fehlens eines wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikts grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Etwas anderes gilt nach den allgemeinen Maßstäben nur dann, wenn die Niederlegung zur Unzeit erfolgt ist.92 Auch hier dürfte der Nachweis eines kausal darauf zurückzuführenden Schadens jedoch schwierig sein.

II. Haftung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder Die Kollegen des Konfligierten im Aufsichtsrat haften im Fall der Nichtvornahme eines Teilnahmeausschlusses trotz eines Interessenkonflikts bzw. der unterlassenen Antragstellung betreffend die Abberufung des Konfligierten trotz eines wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikts grundsätzlich nach § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG, da sie jeweils eine aus der Treuepflicht abzuleitende, eigenständige Verhaltenspflicht verletzt haben.93 Indes wird der Anspruch in der Praxis regelmäßig am fehlenden Nachweis eines kausal auf jene Pflichtverletzung zurückzuführenden Schadens scheitern. Insofern gilt nichts anderes als auch in Bezug auf die mögliche Haftung des vom Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmit90  Dazu

oben § 2 C. III. 2. Teilnahmepflicht bereits oben § 4 B. III. 92  Vgl. oben § 4 B. VI. 2. 93  Für eine Sorgfaltspflichtverletzung bei ausbleibendem Abberufungsantrag gegen das konfligierte Aufsichtsratsmitglied Martinek, WRP 2008, 51, 64 f.; T. Meyer, Der unabhängige Finanzexperte, S. 145; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 6. 91  Zur

276

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

glieds, sollte dieses seine Pflichten im Umgang mit dem Interessenkonflikt verletzen.94 Ein eventuell dissentierendes Aufsichtsratsmitglied, welches die Konfliktbehandlung für unzureichend hält, haftet dabei nach den allgemeinen Grundsätzen.95 Verhängen die übrigen Aufsichtsratsmitglieder zu Unrecht einen Teilnahmeausschluss zulasten des vermeintlich Konfligierten, fehlt es schon an einem Schaden, falls dieser ungeachtet dessen an der Beratung und der Beschlussfassung teilnimmt. Selbst wenn er hiervon fernbleibt, entsteht der Gesellschaft deshalb regelmäßig kein kausal darauf zurückzuführender Schaden. Das Vorstehende muss auch für einen nicht gerechtfertigten Antrag auf Abberufung nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG gelten, wenn das Gericht diesem nicht entspricht. Beruft das Gericht den Betroffenen dagegen ab, ist diese Entscheidung maßgeblich und lässt den Antrag auf Abberufung nicht mehr als ungerechtfertigt erscheinen. Für ein Aufsichtsratsmitglied, dass die faktisch überschießenden Maßnahmen zur Behandlung eines nicht oder nicht in der nötigen Art vorliegenden Interessenkonflikts nicht mitträgt, gelten zur Vermeidung der persönlichen Haftung dabei wiederum die allgemeinen Grundsätze.

C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Der Interessenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds könnte zur Folge haben, dass sich dieses und schlussendlich auch dessen Kollegen im Aufsichtsrat hinsichtlich der im Interessenkonflikt zu treffenden Entscheidung96 nicht auf die Business Judgment Rule berufen können, wodurch sich ihre Verantwortlichkeit97 und das Risiko einer Schadensersatzpflicht erhöhen. Gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise 94  Vgl.

insoweit im Einzelnen mit Nachweisen oben § 5 B. I. im Einzelnen Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 267 ff. Die einen entsprechenden Beschluss tragenden Mitglieder können sich, wenn der Beschluss auch ohne ihre Mitwirkung zustande gekommen wäre, nicht auf eine fehlende Kausalität ihres Fehlverhaltens berufen, siehe Martinek, WRP 2008, 51, 65. Näher zu Kausalitätsfragen und zur Verantwortlichkeit bei Kollegialentscheidungen auch Fleischer, BB 2004, 2645, passim, dessen auf den Vorstand bezogene Ausführungen sich größtenteils auf den Aufsichtsrat übertragen lassen dürften. 96  Davon abzugrenzen ist die Entscheidung, die Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten zu missachten – in diesem Fall greift die Business Judgment Rule von vornherein nicht ein (siehe oben § 5 B.). 97  Siehe zu den Verhaltensanforderungen und der Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder oben § 2 A. I. 3. d). 95  Siehe



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule277

annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Dadurch soll einer insgesamt schädlichen Risikoaversion der Organmitglieder vorgebeugt werden, die sich ansonsten aufgrund der nicht gänzlich aufzulösenden Unwägbarkeiten wirtschaftlicher Tätigkeit und der möglichen Haftung von Organmitgliedern für wirtschaftliche Fehlschläge wegen eines – in der Retrospektive – vermeintlich unsorgfältigen Verhaltens einstellen könnte.98 Kraft des Verweises in § 116 S. 1 AktG gilt die Business Judgment Rule auch zugunsten der Aufsichtsratsmitglieder.99 Ihre Wirkungsweise, ihre zivilrechtsdogmatische Integration und ihre Anwendung bzw. Anwendungsvoraussetzungen werfen eine Vielzahl von Fragen auf, weshalb sie der Gegenstand unzähliger Beiträge und Abhandlungen aus der Literatur100 sowie einiger gerichtlicher Entscheidungen101 ist. Zum Teil wird dabei von einem „safe harbor“102 der Organmitglieder respektive unternehmerischer Entscheidungen oder auch von deren Privilegierung103 gesprochen.104 Zweifelsohne – das belegt allein der Wortlaut – lässt sie im Ergebnis eine Pflichtverletzung entfallen.105 Das entsprechende Or98  Vgl. statt aller Cahn, WM 2013, 1293, 1293. Ausführlich zur Legitimation der Business Judgment Rule Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 13 ff. 99  Siehe die in § 2 Fn. 78 Genannten; mit zahlreichen Nachweisen zudem Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 39, und Lutter, ZIP 2007, 841, 846. 100  Statt vieler mehr Bachmann, WM 2015, 105, passim; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, passim; Cahn, WM 2013, 1293, passim; Eisele, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG – Ein sicherer Hafen?, S. 129 ff.; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, passim; Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 120 ff.; Scholz, AG 2018, 173, passim; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 88 ff. 101  Exemplarisch BGH, NZG 2011, 549; OLG München, AG 2017, 750. Bereits vor der Kodifizierung der Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auf den Handlungsspielraum bzw. auf das unternehmerische Ermessen der Vorstandsmitglieder abstellend BGHZ 135, 244, 253 – ARAG/Garmenbeck, und BGH, AG 1997, 465, 466 – Siemens/Nold. 102  So etwa Bunz, NZG 2011, 1294, 1295; Huthmacher, Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 136; Scholz, AG 2018, 173, 173  ff.; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 45 – jeweils in der genannten, in den USA vorherrschenden Schreibweise von „harbor“. In der britischen Variante („harbour“) beispielsweise Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 41; Hölters, in: Hölters, § 93 Rn. 29; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 9, 14 und 17. Im Deutschen „sicherer Hafen“, siehe erneut Bunz, NZG 2011, 1294, 1295. 103  So etwa Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 116 Rn. 8; Israel, in: Bürgers/Körber, § 116 Rn. 12 und 14; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 70 ff. 104  Ausführlich zur Dogmatik Scholz, AG 2018, 173, passim. Siehe dazu auch Cahn, WM 2013, 1293, 1295 und 1305, und mit Ausführungen zum Meinungsstand Blasche, AG 2010, 692, 694 f. 105  Zu dieser Rechtsfolge vor dem Hintergrund der Dogmatik der Business Judgment Rule (siehe schon § 5 Fn. 104) Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S.  205 ff.

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

ganmitglied, in Bezug auf welches die Voraussetzungen der Business Judgment Rule erfüllt sind, haftet demnach nicht.106

I. Keine Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte zugunsten des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds im Konfliktfall Nach dem Gesetzeswortlaut verlangt die Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG tatbestandlich eine unternehmerische Entscheidung, ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft sowie ein solches auf der Grundlage angemessener Information.107 Zusätzlich wird das Eingreifen der Business Judgment Rule unter den ungeschriebenen Vorbehalt gestellt, dass der handelnde Akteur in gutem Glauben agiert hat.108 Dessen Auswirkungen sind allerdings gering, da in den vermeintlichen Anwendungsfällen oftmals schon eine der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegt.109 Als nahezu unwidersprochen kann darüber hinaus die an das Organmitglied gerichtete Forderung gelten, dass das Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse erfolgen muss.110 Schon vor der Einführung von § 93 Abs. 1 S. 2 106  Im Hinblick darauf äußert Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 177, die Erwartung „präventive[r] Anreize zur Konfliktvermeidung und dem richtigen Konfliktlösungsverhalten“, weshalb die Business Judgment Rule letztlich auch als Interessenkonfliktmaßnahme zu klassifizieren sei. 107  Im Einzelnen zu diesen Merkmalen Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 93 ff., 144 ff., 158 ff. Als Beispiel für unternehmerische Entscheidungen des Aufsichtsrats wird insbesondere die Ausübung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG – dazu oben § 2 A. I. 3. a) bb) – genannt (siehe Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, § 116 Rn. 9; Huthmacher, Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, S. 137; Hüffer/Koch, § 116 Rn. 5). Zu weiteren unternehmerischen Entscheidungen des Aufsichtsrats siehe die Aufzählungen bei Cahn, WM 2013, 1293, 1293 f.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 68; Strenger, Der Konzern 2013, 429, 430. Insbesondere die rein retrospektive Überwachungstätigkeit fällt nicht darunter, siehe etwa Hüffer/Koch, § 116 Rn. 5. Zu Entscheidungen bei unklarer Rechtslage Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 69 f. Zu den an die Besonderheiten der Aufsichtsratstätigkeit anzupassenden Informationspflichten Cahn, WM 2013, 1293, 1297 ff.; Kropff, in: FS Raiser, 2005, S. 225, 231 ff. 108  So explizit BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. Teilweise wird die Notwendigkeit des Merkmals bestritten, dazu Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S.  277 ff. 109  Vgl. Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 76, und Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 115 („Praktisch […] nur […] Notanker richterlicher Entscheidungskon­ trolle“). 110  Insoweit maßgeblich Begr­RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; die Literatur ist dem gefolgt. Kritisch soweit ersichtlich nur Krieger, in: Hdb. Managerhaftung, § 3 Rn. 3.15; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 19; Thomas, Haftungsfreistellung, S. 50. Überzeugend zugunsten des Tatbestandsmerkmals Bunz,



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule279

AktG galt dies infolge der Treuepflicht.111 Ob man darin nunmehr eine ungeschriebene und selbstständige vierte bzw. fünfte Voraussetzung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG erblickt112, die aus dem Merkmal des Handelns zum Wohle der Gesellschaft folgt, oder die entsprechende Anforderung als – jedoch selbstständigen bzw. absoluten113 – Teilaspekt bzw. Konkretisierung des Handelns zum Wohle der Gesellschaft betrachtet114, kann dahinstehen.115 Praktisch verbirgt sich dahinter nichts anderes als die Freiheit von Interessenkonflikten.116 Die zu alledem vorhandene Literatur, die sich auf den Vorstand bezieht, kann wegen des Verweises in § 116 S. 1 AktG und aufgrund der Tatsache, dass die Organisationsverfassung und die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Organen der AG nicht etwa die Geltung unterschiedlicher Maßstäbe anzeigen, auch für den Aufsichtsrat herangezogen werden. 1. Kein nur potenzieller Interessenkonflikt In vielen Fällen könnte der Ausschluss der Anwendung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG dadurch infrage gestellt sein, dass an verschiedener Stelle vertreSchutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 129 f., und Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 204 ff. 111  So Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 48; vgl. auch Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 90; ohne Nennung der Treuepflicht für bereits vorherige inhaltliche Geltung statt vieler Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 39, und Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, § 116 Rn. 34. 112  So BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; darüber hinaus etwa Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 93; Hopt/M. Roth, in: GKAktG, § 93 Rn. 71; U. Schmidt, in: Heidel, § 93 AktG Rn. 92. Ebenso, jedoch nicht eindeutig, siehe § 5 Fn. 115, Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. 113  Anders das Verständnis der in § 5 Fn. 110 genannten Vertreter der Mindermeinung: Danach indiziere ein Interessenkonflikt nur, dass eine Entscheidung dem Wohle der Gesellschaft widerspricht, dazu Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 203 mit Fn. 638. 114  So Hüffer/Koch, § 93 Rn. 15 und 24; wohl auch Israel, in: Bürgers/Körber, § 116 Rn. 12 und 18; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 48. 115  Unzutreffend ist dagegen die von Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147, gezogene Schlussfolgerung, im Fall eines rechtlich relevanten Interessenkonflikts liege keine unternehmerische Entscheidung vor, und die darin liegende Anknüpfung an jenes Tatbestandsmerkmal von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG. 116  Selbst in der BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11, findet sich dieser Begriff. Dort und soweit ersichtlich ebenso in der Literatur wird auch nicht zwischen „Sonderinteressen“ und „sachfremden Einflüssen“ unterschieden. Im Übrigen gilt, dass trotz der begrifflichen Überschneidungen das hier zu erörternde negative Tatbestandsmerkmal von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG nicht identisch ist mit der zum Teil so verstandenen Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern oben in § 3 C. (so auch der Hinweis bei Lieder, ZGR 2018, 523, 576).

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

ten wird, die Anwendung der Business Judgment Rule werde generell nicht durch Interessenkonflikte tangiert, die der Gesetzgeber selbst verursacht hat117. Abgestellt wird hierbei auf Konstellationen, in denen das Gesetz eine „bestimmte Rollenerwartung toleriert oder gar vorschreibt“118. Als Beispiel werden etwa Arbeitnehmervertreter sowie die Repräsentanten von Großak­ tionären im Aufsichtsrat angeführt.119 Allerdings kann die grundsätzliche gesetzgeberische Toleranz gegenüber Interessenkonflikten im Aufsichtsrat120 nicht dazu führen, dass die Business Judgment Rule den Aufsichtsratsmitgliedern in allen diesen Fällen ohne Weiteres zugute käme und sie in diesem Kontext stets von der aus dem Tatbestand der Business Judgment Rule folgenden Verpflichtung befreit wären, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln. Eine solche Einschätzung widerspräche den schützenswerten Interessen der Gesellschaft.121 Hopt und Roth stellen richtigerweise klar, dass bei ihrer Anwendung auf Aufsichtsratsmitglieder nur ein konkreter Interessenkonflikt die Business Judgment Rule ausschließt, während „der allgemeine, inhärente Interessenkonflikt […] nicht [genügt]“.122 Letztlich ist im gegebenen Zusammenhang nichts anderes als die Unterscheidung zwischen potenziellen und realen Interessenkonflikten123 gemeint. 2. Vorliegen eines Interessenkonflikts nach allgemeinen Maßstäben Bei Vorliegen eines (realen) Interessenkonflikts greift die Business Judgment Rule grundsätzlich nicht ein.124 Es ist ein gemischt objektiv-subjektiver 117  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S.  177 („vom Gesetzgeber selbst geschaffene[n] institutionelle[n] Interessenkonflikte ausgenommen“); Hüffer/ Koch, § 116 Rn. 6 („vorprogrammierte[r] Konflikte“); Koch, ZGR 2014, 697, 707 f.; ähnlich Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 42; a. A. möglicherweise Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 254. 118  Hüffer/Koch, § 116 Rn. 6; identisch Koch, ZGR 2014, 697, 707. 119  Siehe Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 42, und Hüffer/Koch, § 116 Rn. 6, der dabei von „Vertreter[n] der Muttergesellschaft“ spricht. 120  Vgl. dazu oben § 2 B. II. 121  Dass es um jene bzw. das Unternehmensinteresse geht, belegt BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11, wo bekundet wird, dass nur derjenige annehmen dürfe, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, der sich bei seiner Entscheidung frei von sachfremden Einflüssen und Sonderinteressen weiß. 122  Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 61; im Verhältnis weniger prägnant, jedoch hiermit übereinstimmend Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 240, und Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 42. Dazu passend Hüffer/Koch, § 108 Rn. 12. 123  Dazu oben § 2 C. IV. 3. 124  Für den Vorstand statt vieler Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 95, und Hüffer/Koch, § 93 Rn. 25, bzw. Koch, ZGR 2014, 697, 701 ff. Für den Aufsichtsrat exemplarisch Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 42; Hüffer/Koch, § 108 Rn. 13;



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule281

Maßstab anzulegen – die objektiven Umstände müssen die Annahme eines Interessenkonflikts rechtfertigen. Ein eventueller Wille des Handelnden zur Unterdrückung gesellschaftsfremder Motive bleibt unberücksichtigt, erforderlich ist aber die Kenntnis von der Konfliktlage.125 Eine Vorentscheidung über die Haftung des Aufsichtsratsmitglieds ist mit dem Nichteingreifen von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zwar nicht verbunden, es haftet nicht automatisch,126 allerdings steigt die gerichtliche Prüfungsdichte.127 Speziell in Anbetracht der Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat128 besteht auf den ersten Blick jedoch die Sorge, dass Aufsichtsratsmitgliedern die Business Judgment Rule regelmäßig nicht zugute kommt und sie insofern schärferen Haftungsvoraussetzungen unterliegen.129 Die so bereits für Vorstandsmitglieder anzuScholderer, NZG 2012, 168, 168 und 175. Allerdings wird ein zwingender Ausschluss der Business Judgment Rule vielfach nur dann vorgesehen, wenn eine Offenlegung des Interessenkonflikts durch den Betroffenen unterbleibt, siehe Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 94 f., und im Umkehrschluss Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26; ferner Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 16, und dem ähnlich Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 149. Zur möglichen Bedeutung der Offenlegung des Interessenkonflikts noch im Folgenden sowie unten § 5 C. I. 3. im Ganzen. 125  H. M., siehe Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 95; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 206; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 25; Koch, ZGR 2014, 697, 703 f.; Krieger, in: Hdb. Managerhaftung, § 3 Rn. 3.15; Löbbe/ Fischbach, AG 2014, 717, 727; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 27; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 271 f.; nicht eindeutig, aber wohl ebenso C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1257; überzeugend zugunsten dieser Ansicht Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 329 f. Nach a. A. ist das Vorliegen eines Interessenkonflikts objektiv zu ermitteln, siehe Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S.  128 f.; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 93; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 247; U. Schmidt, in: Heidel, § 93 AktG Rn. 92; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 74; Thomas, Haftungsfreistellung, S. 50. Für subjektiven Ansatz ­Paefgen, AG 2004, 245, 252. Siehe schon allgemein zur Frage des Maßstabs zur Feststellung von Interessenkonflikten oben § 2 C. III. 2. 126  Blasche, AG 2010, 692, 693  f. und 696; Bürgers, in: Bürgers/Körber, § 93 Rn. 10; Bunz, NZG 2011, 1294, 1295; Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 336; Israel, in: Bürgers/Körber, § 116 Rn. 11; Lutter, ZIP 2007, 841, 845. Im hiesigen Kontext ebenso, jedoch anders für den Fall, dass das Organmitglied nicht vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zu handeln, Bachmann, WM 2015, 105, 110 f. 127  Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 176; Blasche, AG 2010, 692, 694; Bunz, NZG 2011, 1294, 1295; Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 335 ff.; Koch, ZGR 2014, 697, 703; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 14; implizit Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 42; strenger C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1257, und Scholz, Die existenzvernichtende Haftung, S. 97. Näher dazu Eisele, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG – Ein sicherer Hafen?, S. 333 ff.; Scholz, AG 2015, 222, passim. 128  Dazu oben § 2 B. im Ganzen. 129  So auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 177, und Koch, ZGR 2014, 697, 708.

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

nehmende Relevanzschwelle130 muss deshalb in verstärkter Form auch für Aufsichtsratsmitglieder gelten131. Dahinter verbirgt sich gemessen an verschiedenen Stimmen aus der Literatur nichts anderes als das Verlangen einer bestimmten Konfliktstärke,132 obschon diesem Begriff gegenüber durchaus Bedenken bestehen133. Wo genau die entsprechende Grenze zu ziehen ist, ist bisher unklar.134 Einen anderen Ansatz als die Orientierung am Beeinflussungspotenzial der Interessenkonflikte wählt etwa Drygala, der einen Ausschluss von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG erst dann bejahen will, wenn ein Verstoß gegen die Treuepflicht vorliegt, etwa weil der Interessenkonflikt nicht offengelegt wurde.135 Im Umkehrschluss hätte dann allein die Offenlegung des Interessenkonflikts die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule zur Folge. Dem kann jedoch in dieser Form nicht beigepflichtet werden136, da die mit Interessenkonflikten verknüpften Gefahren137, die letztlich auch eine Anwendung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG unpassend erscheinen lassen138, allein durch eine Offen­ legung nicht zwangsläufig beseitigt werden.139 Außerdem würde ansonsten die „in130  Siehe Hüffer/Koch, § 93 Rn. 25; Koch, ZGR 2014, 697, 706; des Weiteren Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 93; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 70. Ausführlich Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 333 ff., dessen Bezugnahme auf das Erfordernis der „Wesentlichkeit“ in Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK a. F. (nun Empfehlung E.1 S. 3 DCGK) allerdings – trotz der Klarstellung, im gegebenen Kontext sei eine anders (niedriger) anzusiedelnde Wesentlichkeitsschwelle anzunehmen – unglücklich erscheint. Vgl. daneben Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 296. 131  Hüffer/Koch, § 116 Rn. 6; Koch, ZGR 2014, 697, 708; Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 604. Dass eine gewisse Relevanzschwelle auch beim Aufsichtsrat eingreifen muss, folgt an sich bereits aus der laut § 116 S. 1 AktG sinngemäßen Anwendung der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auf diesen. 132  Explizit Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 177. Im Ergebnis auch Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 39 (Interessenkonflikt, „der geeignet ist, die unternehmerische Entscheidung zu beeinflussen“), und Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 70 („Nur […] Interessenkollisionen mit dem entsprechend gewichtigen ­Potenzial zur Beeinflussung der unternehmerischen Entscheidung“). 133  Vgl. oben § 2 C. I. 2 und § 2 C. IV. 2. 134  So auch Koch, ZGR 2014, 697, 706; ferner Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 267. Vgl. auch Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 333 f. 135  Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 16; ebenso Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 149, und C. Schäfer, ZGR 2014, 731, 743 f. 136  Ebenso Koch, ZGR 2014, 697, 703; im Ergebnis auch Lieder, ZGR 2018, 523, 571 f. 137  Vgl. dazu oben § 2 C. II. 138  Vgl. stellvertretend Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 93, unter Bezugnahme auf BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 139  Siehe schon oben § 4 B.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule283

dizielle Bedeutung des Konfliktmerkmals“ beseitigt.140 Anstelle einer derartigen unmittelbaren Pönalisierung von Verstößen gegen die Treuepflicht ist – im Ergebnis grundsätzlich übereinstimmend – allenfalls für das spiegelbildliche Szenario zu erwägen, ob eine Befolgung etwa der Offenlegungspflicht oder anderer Schritte im Einzelfall dafür sorgen kann, dass dem Aufsichtsratsmitglied doch zu gestatten ist, sich auf die Business Judgment Rule zu berufen.141 Die Frage nach dem Verständnis und der Verortung der Relevanzschwelle, die den befürchteten weitreichenden und als unverhältnismäßig empfundenen Entfall der Business Judgment Rule verhindern soll, ist damit noch nicht beantwortet. Eine konkrete Festlegung ist wegen der Unbestimmtheit des Interessenkonfliktbegriffs naturgemäß nicht möglich.142 Vorzugswürdig erscheint ein Brückenschlag zu der Frage, ab wann ein behandlungsbedürftiger Interessenkonflikt vorliegt, der in jedem Fall die Pflicht des Betroffenen zur Offenlegung desselben143 auslöst. Die Überlegungen können damit zugleich auf den Begriff des Interessenkonflikts selbst zurückgeführt werden.144 Die Feststellung, dass ein Interessenkonflikt offenzulegen ist, basiert auf dem in diesem angelegten Risiko, dass das Verhalten des Betroffenen dem Unternehmensinteresse zuwider beeinflusst ist. Ein solches ist aber auch Grund genug, dem Betroffenen die Anwendung der Business Judgment Rule zu versagen, denn die Rechtfertigung dafür, dem Organmitglied einen unternehmerischen Handlungsspielraum zuzubilligen, besteht bei einem von Verantwortungsbewusstsein getragenen, ausschließlich am Unternehmenswohl orientierten, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhenden unternehmerischen Handeln145. Sobald die Intensität eines Interessengegensatzes die Befürchtung erweckt, dass sich der Handelnde wider das Unternehmenswohl von sachfremden Einflüssen und Sonderinteressen leiten lässt, liegt ein Inte-

140  Koch,

ZGR 2014, 697, 703. noch unten § 5 C. I. 3. im Ganzen. 142  Vgl. auch die Darstellung von Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S.  297 und 312. 143  Dazu oben § 4 A. V. 1. und § 4 A. V. 2. 144  Grob in diese Richtung, jedoch in sich widersprüchlich und daher tendenziell unbeabsichtigt Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 333 f., dem zufolge „der Interessenkonflikt eine Relevanzschwelle überschreiten muss“ und der demnach auch unterhalb jener Schwelle begrifflich einen „Interessenkonflikt“ anzunehmen scheint, wenig später aber im Hinblick auf jene Schwelle seine Ausführungen zusammenfassend bezeichnet als „Beurteilung des Vorliegens eines Interessenkonflikts überhaupt“ (siehe auch schon die Kritik in § 5 Fn. 130). Nach dem letzteren Passus ist die Relevanzschwelle – wie auch in dieser Arbeit vertreten wird – Begriffsmerkmal des Interessenkonflikts. 145  Insofern richtungsweisend BGHZ 135, 244, 253 – ARAG/Garmenbeck. 141  Dazu

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ressenkonflikt vor, der offenlegungspflichtig ist. Zugleich ist aber einer Anwendung der Business Judgment Rule die Legitimationsgrundlage entzogen. Die insofern anzuregende Parallelität zwischen dem Auslöser der Offenlegungspflicht und dem Grund für den Entfall der Anwendbarkeit der Business Judgment Rule, die auf dem entsprechend festgelegten Inhalt des Interessenkonfliktbegriffs basiert, wurde – soweit ersichtlich – bisher nicht vertreten oder wenigstens nicht klar benannt. Sie verträgt sich einerseits mit der Gesetzesbegründung, in welcher der Fokus auf das Unternehmensinteresse zum Ausdruck kommt146. Ungeachtet aller Schwierigkeiten, Interessenkonflikte festzustellen, bietet sie andererseits den Vorteil von Homogenität und Konsistenz an zwei maßgeblichen Punkten, wenn es um Interessenkonflikte im Aufsichtsrat geht. Es gelten die Maßstäbe, die auch bei der Ermittlung von (offenlegungspflichtigen) Interessenkonflikten anzulegen sind. Die im Begriff des Interessenkonflikts angelegte Relevanzschwelle verengt diesen so weit, dass trotz der weiterhin erhöhten Anfälligkeit des Aufsichtsrats für Interessenkonflikte jene Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat nicht bewirkt, dass die Business Judgment Rule ad absurdum geführt wird. 3. Neutralisierender Effekt einer Beachtung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten Zu erwägen ist schließlich, ob der Entfall der Business Judgment Rule durch eine pflichtgemäße Offenlegung des Interessenkonflikts durch den Konfligierten147 oder anderweitige Maßnahmen verhindert werden kann. Den Ursprung diesbezüglicher Überlegungen bildet ein Passus in der Gesetzesbegründung zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, nach welchem ein Interessenkonflikt die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule ausnahmsweise nicht beeinträchtigt, „wenn das Organmitglied zuvor den Interessenkonflikt offengelegt hat […] und unter diesen Umständen die Annahme gleichwohl zum Wohle der Gesellschaft zu handeln vernünftig und nachvollziehbar erscheint“148. a) Grundsätzliche Möglichkeit der Anwendung der Business Judgment Rule trotz des Vorliegens eines Interessenkonflikts Verschiedene Stimmen aus der Literatur haben sich kritisch zu der in der Gesetzesbegründung zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG für bestimmte Fälle vorgesehenen Einschränkung des negativen Tatbestandsmerkmals der Freiheit von 146  Vgl. 147  Zur

zen.

BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; dazu schon § 5 Fn. 121. verpflichtenden Offenlegung des Interessenkonflikts oben § 4 A. im Gan-

148  BegrRegE

UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule285

Interessenkonflikten geäußert.149 Zwar sorge eine Offenlegung für Transparenz, lasse aber den Konflikt nicht entfallen.150 Dahinter steht offenbar die Befürchtung, dass die Offenlegung die Verfolgung sachfremder Ziele nicht verhindert. Im Übrigen würde sonst einer Schutzbehauptung Vorschub geleistet, der Interessenkonflikt sei zwar vorhanden gewesen, habe aber die Entscheidung nicht tangiert.151 Möglicherweise kann auch die Tatsache, dass einzelne Abhandlungen und Beiträge zur Business Judgment Rule zu einer Ausnahme der vorgenannten Art schweigen,152 als Abweichung von der Position des Gesetzgebers verstanden werden. Vorzugswürdig ist es jedoch, tatsächlich unter bestimmten Umständen bei Vorliegen eines Interessenkonflikts die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG dem Grunde nach vorzusehen.153 Laut einer Stimme aus der Literatur verbirgt sich in der vorstehenden Aussage des Gesetzgebers ein Fingerzeig auf eine mögliche teleologische Reduktion des Merkmals „Freiheit von Eigeninteressen“.154 Zwar sind in Bezug auf diesen konkreten Ansatz Zweifel angezeigt, da es sich um die teleologische Reduktion eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals handeln würde. Wegen des typischerweise zu verlangenden Widerspruchs zum Wortlaut der Rechtsnorm ist dies fragwürdig, während die Annahme eines „gesetzgeberischen Hinweises“ auf eine mög­ liche teleologische Reduktion im Rahmen der nötigen Planwidrigkeit der Zuweitfassung des Gesetzeswortlauts paradox anmutet.155 Es ist stattdessen aber von einer Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers auszugehen, der selbst ausführt, „[i]n der Regel [Hervorhebung durch den Verfasser]“ dürfe „nur der annehmen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, der sich bei seiner Entscheidung frei von [sachfremden Einflüssen und Sonderinteressen] weiß“156, und folglich Ausnahmen hiervon impliziert. Stellt man allein 149  Siehe Gehb/Heckelmann, ZRP 2005, 145, 147 f.; C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1257; Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 314; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 256. Zurückhaltend auch Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, § 93 AktG Rn. 24, und Hauschka, GmbHR 2007, 11, 16. 150  Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 256; ganz ähnlich Gehb/Heckelmann, ZRP 2005, 145, 147, und Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 314. 151  C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1257; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 256. 152  Exemplarisch Lutter, ZIP 2007, 841, 847. 153  In diese Richtung namentlich auch Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S.  207 ff.; implizit Lieder, ZGR 2018, 523, 571 f. In der Darstellung nicht eindeutig, aber wohl ebenso Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 48 einschließlich Fn. 229. 154  Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 207. 155  Vgl. zur teleologischen Reduktion Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 210 ff., und daneben Grüneberg, in: Palandt, Einleitung BGB Rn. 49. 156  BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11.

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auf den Wortlaut von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ab, kann dies auch als Ausdruck der Frage angesehen werden, inwieweit vernünftigerweise angenommen werden darf, frei von Interessenkonflikten zu handeln.157 Die Business Judgment Rule soll zu einer Haftungserleichterung für Organmitglieder führen und diese im Interesse der Gesellschaft zur Eingehung vernünftiger Risiken animieren, wenn bestimmte, dem Interesse der Gesellschaft dienende und dieses absichernde Rahmenbedingungen eingehalten werden, zu denen auch die Nichtbeeinflussung des Organmitglieds durch Interessen außerhalb des Unternehmensinteresses zählt. b) Rückgriff auf die Maßnahmen zur Konfliktbewältigung Grundsätzlich erschüttert ein Interessenkonflikt das Vertrauen in die vom Organmitglied unternommenen unternehmerischen Überlegungen.158 Der Grundgedanke muss folglich sein, dass bei der ernsthaften Sorge, Sonderinteressen könnten das Aufsichtsratsmitglied leiten und dieses wäre nicht ausschließlich am Unternehmensinteresse orientiert, eine Beschränkung der richterlichen Überprüfungskompetenz nicht in Betracht kommt.159 Es bedarf im Umkehrschluss solcher Umstände, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass sich das Aufsichtsratsmitglied bei seinem Handeln bzw. seiner Entscheidung von sach- und gesellschaftsfremden Eigen- oder Drittinteressen leiten lässt.160 Das ist sicher der Fall, wenn gar kein Interessenkonflikt vorliegt, der eine solche Gefahr in sich trägt, aber auch dann, wenn sich die mit ihm verbundene Gefahr nicht (mehr) realisieren kann. Damit sind die Interessenkonfliktmaßnahmen angesprochen, die auf Letzteres abzielen. Anders gewendet wäre es inkonsistent, bestimmte Maßnahmen zur Bewältigung des Interessenkonflikts für notwendig, aber auch ausreichend zu erklären und als solche zu beschreiben, um den Interessenkonflikt zu bewältigen,161 dann aber dem von dem Interessenkonflikt betroffenen Aufsichtsratsmitglied die Anwendung der Business Judgment Rule gerade mit dem Argument zu versagen, es könne ja nicht „bei seinem Handeln allein das Beste für die Gesellschaft im Auge“ gehabt haben162. 157  Näher

dazu auch noch unten § 5 C. II. 4. b). Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 205 m. w. N. 159  Vgl. – von diesem selbst unbemerkt – Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 130. 160  Ähnlich zuvor Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 208. Danach stellt dies auch keine nachträgliche Kausalitätsbeurteilung dar. 161  Vgl. oben § 4 B. im Ganzen. 162  Vgl. – mit dem wörtlichen Zitat – im Umkehrschluss zu der entsprechenden, ansonsten offenbar für einschlägig gehaltenen „natürlichen Vermutung“ Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 93. 158  Stellvertretend



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule287

Soweit das Mitglied im Einzelfall im Einklang mit den Regeln zu Interessenkonfliktmaßnahmen an der Entscheidung beteiligt ist, muss § 93 Abs. 1 S. 2 AktG eingreifen. Damit wird ein erstrebenswerter Gleichlauf zwischen der Behandlung von Interessenkonflikten im Rahmen der Aufsichtsratsarbeit und im eventuellen späteren haftungsrechtlichen Kontext erreicht.163 Ein positiver Nebeneffekt dieser Lösung liegt außerdem darin, dass auf diese Weise ein zusätzlicher Anreiz zur Befolgung der Offenlegungspflicht und der je nach Einzelfall im Umgang mit dem Interessenkonflikt geltenden Verhaltensanforderungen geschaffen wird. Anderenfalls, ohne die vorgeschlagene Konfliktneutralisierung, müsste es bei der Annahme bleiben, dass die Erfüllung der Offenlegungspflicht in der Praxis wohl regelmäßig der Auslöser dafür ist, dass den übrigen Gremiumsmitgliedern und gegebenenfalls später Dritten der Interessenkonflikt überhaupt bekannt ist und in irgendeiner Weise rechtliche Berücksichtigung findet, womit sie de facto der Grund für den Verlust der Business Judgment Rule wäre164. Der Ansatzpunkt unterscheidet sich außerdem von demjenigen, vom Ergebnis her davon auszugehen, (nur) eine Verletzung der Offenlegungspflicht bzw. allgemein eine Treuepflichtverletzung schließe die Business Judgment Rule aus165. Grundsätzlich entfällt die Business Judgment Rule bei Vorliegen eines Interessenkonflikts, sie kann aber bei der Befolgung der Regeln zum Umgang mit jenem Interessenkonflikt (wieder) anwendbar sein. Möglich ist demnach eine differenzierte Betrachtung. c) Konkret: Die nötigen Maßnahmen zum Erhalt der Business Judgment Rule Außer Frage steht auch nach Teilen des Schrifttums, dass die Offenlegung eines Interessenkonflikts allein noch nicht die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wiederherstellt.166 Nebenbei bemerkt, bestätigen entsprechende Stimmen so, wenn auch vermutlich unbewusst, die Überlegung, dass im Umgang mit Interessenkonflikten allein deren Offenlegung nicht genügt.167 ZuLieder, ZGR 2018, 523, 572. anderes würde nur nach der oben in § 5 C. I. 2. erwähnten und abzulehnenden Ansicht u. a. von Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 16, gelten. 165  So aber die in § 5 Fn. 135 Genannten. 166  Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, § 93 AktG Rn. 24; in diesem Punkt ebenso Gehb/Heckelmann, ZRP 2005, 145, 147 f.; Hauschka, GmbHR 2007, 11, 16; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 207 („in aller Regel“); Lieder, ZGR 2018, 523, 571 f.; C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1257; Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S.  314; a. A. Krieger, in: Hdb. Managerhaftung, § 3 Rn. 3.15. 167  Siehe zur entsprechenden hier vertretenen These und deren Begründung oben § 4 B. 163  Zutreffend 164  Etwas

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

sätzlich nötig ist für die Anwendung der Business Judgment Rule nach den eingangs schon wiedergegebenen Ausführungen des Gesetzgebers, dass „unter diesen Umständen die Annahme gleichwohl zum Wohle der Gesellschaft zu handeln vernünftig und nachvollziehbar erscheint“168. Der eventuell der Wortgruppe „unter diesen Umständen“ zu entnehmende direkte Kausalzusammenhang zwischen der Offenlegung und jener Annahme ist angesichts der vorstehenden Ausführungen zu erweitern. Auch die Interessenkonfliktmaßnahmen beschränken sich im Fall der Offenlegung nicht auf die bloße Kundgabe des Interessenkonflikts durch den Konfligierten. Insoweit ist die Gesetzesbegründung wie folgt auszufüllen: Erforderlich ist die Schaffung einer hinreichenden Transparenz durch den Konfligierten, ehe der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Aufsichtsrat basierend darauf zu der begründeten Feststellung gelangen kann, ein konfliktgeleitetes Handeln sei nicht zu besorgen. Wenn aber zur Beseitigung dieser Besorgnis nach den Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten mehr als nur eine Offenlegung des (auch tatsächlich vorhandenen) Interessenkonflikts notwendig erscheint, muss die angezeigte Maßnahme ergriffen werden und der Konfligierte dies respektieren und befolgen, um sich nachträglich auf § 93 Abs. 1 S. 2 AktG berufen zu können.169 Bei einer fehlenden oder erkennbar inadäquaten Reaktion auf den tatsächlich anzunehmenden Interessenkonflikt ist die Business Judgment Rule nicht (wieder) anwendbar.170 Dabei muss schon der Interessenkonfliktbegriff verobjektiviert wer­ den,171 weshalb Schutzbehauptungen, der Interessenkonflikt habe sich nicht auf die Entscheidung ausgewirkt, der Boden entzogen ist und dahingehende Befürchtungen172 ins Leere gehen. Durch die vorstehenden Grundsätze wird der Rahmen abgesteckt, in welchem ein Aufsichtsratsmitglied „vernünftigerweise annehmen durfte“, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu agieren.173 168  BegrRegE

UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. dieser Hinsicht übereinstimmend Lieder, ZGR 2018, 523, 572; ferner Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 208 f. Ein anderes Verständnis des Passus in der Gesetzesbegründung findet sich bei Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 94, und bei Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 129. Danach soll die Business Judgment Rule auf den Konfligierten anwendbar sein, wenn dieser den Konflikt offenlegt und das Gesamtorgan mit der erforderlichen Anzahl von Stimmen interessenkonfliktfreier Mitglieder entscheidet. Das ist jedoch nicht überzeugend, da dies im Vorfeld der Abstimmung nicht beurteilt werden kann, die Formulierung aber eindeutig eine subjektive Komponente beinhaltet. 170  Ähnlich Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 209. 171  Dazu oben § 5 C. I. 2. mit Fn. 125. 172  Siehe den Beginn dieses Abschnitts mit den in § 5 Fn. 151 Genannten. 173  Das gilt, soweit das konfligierte Aufsichtsratsmitglied hiernach noch an der Entscheidung beteiligt ist. Zur dahinterstehenden Verobjektivierung der Sichtweise betreffend die Voraussetzungen der Business Judgment Rule noch unten § 5 C. II. 4. 169  In



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule289

Wie dargelegt ist bei Interessenkonflikten im Aufsichtsrat standardmäßig ein Teilnahmeausschluss des Konfligierten vorzunehmen, um den jeweiligen Interessenkonflikt zu entschärfen.174 Die in der Sache dafür sprechenden Argumente175 sind zugleich der Grund dafür, dass in Ermangelung jeglicher Interessenkonfliktmaßnahmen oder bei weniger weitreichenden Interessenkonfliktmaßnahmen die Annahme, gleichwohl zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, gerade nicht vernünftig und nachvollziehbar erscheint. Bei einer Nichtteilnahme an Beratung und Beschlussfassung entfällt allerdings unter Umständen eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Konfligierten,176 sodass es auf die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule – ein nach vorstehenden Maßstäben ordnungsgemäßes Verhalten aller Beteiligten vo­ rausgesetzt – ohnehin regelmäßig nicht ankommt. Wer dementgegen einen Stimmrechtsausschluss als standardmäßige Interessenkonfliktmaßnahme für ausreichend hält, muss für die Anwendung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zugunsten des Konfligierten auf dessen Nichtteilnahme an der Abstimmung bestehen. Die genannten Maßstäbe gelten wegen der Pflicht des Konfligierten zum Teilnahmeverzicht schließlich auch dann, wenn das Plenum das Vorliegen eines Interessenkonflikts und dementsprechend oder auch losgelöst davon einen Teilnahmeausschluss fälschlicherweise mehrheitlich abgelehnt oder schon keine Kenntnis von den relevanten Umständen gehabt hat.

b). Es genügt also nicht, wie Koch, ZGR 2014, 697, 702, in anderem Zusammenhang skizziert hat, zur Erfüllung des Tatbestands von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, dass jemand „meint, den Konflikt ausblenden zu können“. 174  Siehe oben § 4 B. II. 2. und § 4 B. III. 3. a). 175  Siehe insofern oben § 4 C. VI. im Ganzen. 176  Vgl. Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 55. So entfällt eine Haftung bei einem berechtigten Fernbleiben, welches – dies kann hinzugefügt werden – bei einer Abwesenheit aufgrund eines tatsächlich gegebenen Interessenkonflikts vorliegt. Zudem bestehe aber eine Pflicht, den gefassten Beschluss zu prüfen und unter Umständen auf eine weitere Sitzung zu drängen oder aber bei den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern zu remonstrieren. Nicht eindeutig Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 38, Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 267 f., und Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 116 Rn. 64, deren Darstellungen allein auf die Nichtteilnahme an der „Beschlussfassung“ bzw. „Abstimmung“ bezogen sind und die hier von einer fortbestehenden Verantwortlichkeit ausgehen, nicht aber die Abwesenheit bei der gesamten Sitzung bzw. Beratung ausdrücklich thematisieren. Es ist den Ausführungen von Spindler (a. a. O.) zu folgen, wenngleich ein Informationsausschluss (dazu oben § 4 B. IV. im Ganzen) die Pflichten und hiernach die Verantwortlichkeit weiter reduzieren dürfte.

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

II. Entfall der Haftungserleichterungen für die übrigen Gremiumsmitglieder wegen des Interessenkonflikts eines Aufsichtsratsmitglieds Kontrovers beurteilt wird, ob bzw. unter welchen Bedingungen der Inte­ ressenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds bei Kollegialentscheidungen eine Anwendung der Business Judgment Rule zugunsten der übrigen Mitglieder des Gremiums ausschließt, sobald es um einen gegen diese gerichteten Schadensersatzanspruch aus § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG geht. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil die Entscheidungen im gesetzlich als Kollegialorgan ausgestalteten Aufsichtsrat aufgrund der Mindestzahl von drei Mitgliedern177 stets von mehreren Personen getroffen werden. Eine gerichtliche Klärung ist bisher nicht erfolgt.178 Das Meinungsspektrum zur betreffenden Frage erweist sich insgesamt als verhältnismäßig divers und unübersichtlich. Die zu wünschende Tiefe hat die Auseinandersetzung dabei nicht erreicht.179 Die zur Vorstandshaftung zu findenden Argumente können dabei auch für den Aufsichtsrat herangezogen werden.180 Bei der etwas mühevollen Systematisierung der Ansichten wird zwar meist eine grobe Einteilung danach vorgenommen, ob der Interessenkonflikt dem Plenum gegenüber offengelegt wurde oder nicht.181 Gleichwohl lässt sich auch danach unterscheiden, inwieweit die Freiheit von Interessenkonflikten als personalisiertes Merkmal betrachtet wird. In diesem Zusammenhang sind die zu der Frage eingenommenen Standpunkte von Seiten des Schrifttums mit den griffigen Bezeichnungen Mehrheitsbetrachtung, Gesamtbetrachtung und Einzelbetrachtung versehen worden.182 Soweit auch im Rahmen dessen die Beurteilung von der Kenntnis der anderen Gremiumsmitglieder und damit praktisch meist von einer Offenlegung des Interessenkonflikts ihnen gegenüber abhängt, besteht trotz des unterschiedlichen Blickwinkels ein unbestreit177  Vgl. § 95 S. 1 und 2 AktG, siehe dazu schon oben § 2 B. I. 1. Diese Mindestzahl gilt auch für beschlussfassende Ausschüsse, siehe statt aller Mertens/Cahn, in: KK-AktG, §  107 Rn.  116 f. m. w. N. 178  Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 150. 179  Vgl. Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 178; Bunz, NZG 2011, 1294, 1294; Koch, ZGR 2014, 697, 708. 180  Übereinstimmend Lieder, ZGR 2018, 523, 572  f.; dies voraussetzend auch Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 243 f. 181  Mit übereinstimmendem Befund Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 94; Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 404. Im Detail nicht überzeugen kann die Darstellung von Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S.  211 f. 182  Bunz, NZG 2011, 1294, 1294 ff.; im Wesentlichen so schon Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 132 ff.; dem folgend, ohne jedoch explizit darauf zu verweisen, Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 267 f.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule291

barer Konnex zur Frage des Empfängers der Offenlegung183, der – soweit ersichtlich – bisher noch nicht deutlich benannt wurde. Je nach der dazu vertretenen Ansicht könnten sich hier Widersprüche ergeben – es wäre nämlich widersinnig, eine Offenlegung allein dem Aufsichtsratsvorsitzenden gegenüber zu befürworten, wenn infolgedessen in Kauf genommen werden müsste, dass sich die übrigen Gremiumsmitglieder mangels Offenlegung des Interessenkonflikts ihnen gegenüber nicht auf § 93 Abs. 1 S. 2 AktG berufen können. 1. Mehrheitsbetrachtung Teilweise wird es für maßgeblich gehalten, ob die Mehrheit, welche die jeweilige Entscheidung getroffen hat, von einem Interessenkonflikt betroffen war.184 Dieser „Mehrheitsbetrachtung“185 liegt die Erwägung zugrunde, es müsse eine „ökonomische Richtigkeitsgewähr der unternehmerischen Ermessensentscheidung“ erzielt werden, statt Schuldvorwürfe an einzelne Organmitglieder zu richten.186 Insofern komme es darauf an, dass die genannte Mehrheit sich frei von gesellschaftsfremden Interessen um das Unternehmensinteresse bemüht und diesem durch die getroffene Entscheidung Ausdruck verliehen hat.187 Vorausgesetzt wird für all dies jedoch, dass der Interessenkonflikt von dem betroffenen Gremiumsmitglied bzw. der möglicherweise betroffenen Minderheit offengelegt wurde. Nur dann könne die von Interessenkonflikten freie Mehrheit die Diskussionsbeiträge und das Stimmverhalten des bzw. der von dem Interessenkonflikt Betroffenen mit der nötigen Skepsis richtig einordnen.188 183  Zu

dieser oben § 4 A. III. Paefgen, AG 2004, 245, 253; Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 322 (unbeschadet der Möglichkeit einer Offenlegung und einer anschließenden Nichtteilnahme an der Entscheidung, dazu ebd., S. 317 ff.); noch vor Kodifikation der Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 324 f.; für den Aufsichtsrat wiederum Paefgen, AG 2008, 761, 768. Letztlich auch Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 444 (Entscheidung durch die unbeeinflussten Gremiumsmitglieder); für den Fall der erfolgten Offenlegung möglicherweise Mertens/ Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 29 (zur gegensätzlichen Situation beachte § 5 Fn. 189), die aber schon die Stimme des Betroffenen nicht berücksichtigen wollen. 185  So die Titulierung durch Bunz, NZG 2011, 1294, 1294. 186  Siehe Paefgen, AG 2004, 245, 253; wiederum bei Paefgen, AG 2008, 761, 768, findet sich das wörtliche Zitat auch in Bezug auf den Aufsichtsrat. 187  Paefgen, AG 2004, 245, 253; für den Aufsichtsrat wortgleich wiederum Paefgen, AG 2008, 761, 768. Für die dort jeweils genannte „entscheidungstragende Mehrheit“ sind laut Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 322, zwei Aspekte maßgeblich, nämlich ob die Organmehrheit an sich frei von Interessenkonflikten ist und sodann ob jene in der die Entscheidung treffenden Mehrheit enthalten ist. 188  Siehe Paefgen, AG 2004, 245, 253; für den Aufsichtsrat wiederum Paefgen, AG 2008, 761, 768; ebenso Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 275 f., der ande184  Siehe

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

2. Gesamtbetrachtung Nach anderer, mehrheitlich vertretener Ansicht bewirkt der Interessenkonflikt eines Organmitglieds, dass auch den übrigen Gremiumsmitgliedern die Business Judgment Rule nicht mehr zugute kommt.189 Es findet demnach eine „Gesamtbetrachtung“190 statt. Das konfligierte Gremiumsmitglied „infiziere“ seine Kollegen.191 In der Retrospektive sei nicht mehr abzuschätzen, inwieweit sich die Diskussionsbeiträge des Konfligierten auf die spätere Entscheidung ausgewirkt haben.192 Es bestehe die Gefahr einer unterbewussten Beeinflussung der übrigen Gremiumsmitglieder.193 Nach einer Gruppe innerhalb dieser Ansicht gilt dies sowohl bei der Unkenntnis letzterer von dem Interessenkonflikt als auch bei der Offenlegung des Interessenkonflikts ihnen gegenüber.194 Eine „Infektion“ werde nur verhindert, wenn der Konfligierte nach der Offenlegung seines Interessenkonflikts in keiner Weise an der Entscheidung und ihrer Vorbereitung mitwirkt, also nicht am Informationsfluss, der Beratung und der Entscheidung teilnimmt.195 Nach einer anderen Fraktion innerhalb dieser Ansicht gilt dies nur bei nicht offengelegten Interessenkonflikten, während die Offenlegung des Interessenkonflikts oder die renfalls, bei unterbliebener Offenlegung des Interessenkonflikts, im Sinne einer Gesamtbetrachtung (dazu unten § 5 C. II. 2.) wie wohl auch Mertens/Cahn, in: KKAktG, § 93 Rn. 29, von einer „Infektion“ der übrigen Gremiumsmitglieder und einem Entfall der Business Judgment Rule auch in Bezug auf diese ausgeht. A. A. Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 17 (nur bei Nichtoffenlegung), und Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 322 f. (unabhängig von der Offenlegung bzw. Nichtoffenlegung). 189  Habersack, in: Karlsruher Forum 2009, S. 5, 23; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 249 und für den Aufsichtsrat 252; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 273 ff.; für den Fall der unterbliebenen Offenlegung Blasche, AG 2010, 692, 695; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 555; U. Schmidt, in: Heidel, § 93 AktG Rn. 94; Scholderer, NZG 2012, 168, 175; so offenbar auch Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 29, und im Umkehrschluss Hölters, in: Hölters, § 93 Rn. 38. 190  So die Titulierung durch Bunz, NZG 2011, 1294, 1295. 191  Habersack, in: Karlsruher Forum 2009, S. 5, 23; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 248. 192  Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 248; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 273. 193  Für den nicht offengelegten Interessenkonflikt Blasche, AG 2010, 692, 695; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 273; allgemein wohl auch Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 248 f. 194  Habersack, in: Karlsruher Forum 2009, S. 5, 23; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 249 f. und 254 f. 195  Habersack, in: Karlsruher Forum 2009, S. 5, 23; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 249 f. und 252. Zum Erhalt der Business Judgment Rule fordert auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 182 (siehe auch ebd., S. 178 und 185), dass der Interessenkonflikt „adäquat isoliert“ wird, siehe aber § 5 Fn. 196.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule293

Tatsache, dass dieser unter den Gremiumsmitgliedern allgemein bekannt ist, eine Anwendung der Business Judgment Rule gestattet.196 Diametral entgegengesetzt wird des Weiteren behauptet, eine Infektionswirkung, verbunden mit einem Entfall der Business Judgment Rule, trete nur bei offengelegten Interessenkonflikten ein, wohingegen dies bei verdeckten Interessenkonflikten nicht angemessen sei.197 3. Einzelbetrachtung Schließlich wird zu den Auswirkungen von Interessenkonflikten im Kol­ legialorgan vertreten, es sei allein entscheidend, ob das in Anspruch ge­ nommene Gremiumsmitglied einem Interessenkonflikt unterlegen war („Ein­ zelbetrachtung“).198 Den anderen Ansichten wird entgegengehalten, durch sie 196  Bauer, in: VGR 2014, S. 195, 212 f.; Blasche, AG 2010, 692, 692 und 695 sowie  697 f.; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 555; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 29; ebenso Scholderer, NZG 2012, 168, 175, der sich aber für den Fall der Offenlegung selbst nicht festlegt; implizit Krieger, in: Hdb. Managerhaftung, § 3 Rn. 3.15. Im Ergebnis auch Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 275 f., dem zufolge hier aber eine die Entscheidung tragende interessenkonfliktfreie Mehrheit nötig ist und der bei Offenlegung des Interessenkonflikts eine Mehrheitsbetrachtung (dazu oben § 5 C. II. 1.) anstellt; ähnlich Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 17, der eine Infektion bei Offenlegung ebenso verneint, aber im Unterschied dazu bei Nichtoffenlegung scheinbar von einer Mehrheitsbetrachtung ausgeht. Spiegelverkehrt Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 178, der unter nicht nachvollziehbarer Belegführung (siehe § 5 Fn. 197) als angebliche h. M. eine Infektion bei offengelegten Interessenkonflikten annimmt, sie bei nicht offengelegten Interessenkonflikten dagegen für unangemessen hält. Dem in der Sache ähnlich Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 150, die aber anstelle einer pauschalen Beurteilung darauf hinweisen, dass die Business Judgment Rule denjenigen Mitgliedern zugute komme, die keine Kenntnis vom Vorliegen des Interessenkonflikts hatten, und bei denjenigen Mitgliedern entfalle, die davon wussten. In Abgrenzung zur Einzelbetrachtung (dazu unten § 5 C. II. 3.) findet auch hier eine (unter Umständen begrenzte) Infektion statt. 197  So Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 178, der allerdings zu Unrecht annimmt (siehe ebd., S. 178 Fn. 783), dies werde etwa auch von Blasche, AG 2010, 692, 697 f., oder auch von Scholderer, NZG 2012, 168, 175 (siehe jeweils § 5 Fn. 196), vertreten. Auch die Bezugnahme auf Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 16, verfängt nicht, da sich dieser nicht zu den Auswirkungen des Interessenkonflikts im Kollegialorgan äußert und sich im Übrigen (ebd., § 116 Rn. 17) betreffend die Infektionswirkung der Offenlegung gerade konträr positioniert (siehe ebenso schon § 5 Fn. 196). 198  Siehe Bunz, NZG 2011, 1294, 1295 f.; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134; Eisele, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG – Ein sicherer Hafen?, S. 235; Hoffmann-Becking, in: MüHdbGesR IV, § 31 Rn. 70; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 727 f.; C. Schäfer, ZGR 2014, 731, 746; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 71 f.; ebenso, zum Teil aber ohne dies allgemein zum Grundsatz zu erklären Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 268; Fleischer, in: BeckOGK-AktG,

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

werde der Wortlaut von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG vernachlässigt.199 Dieser knüpfe an das einzelne Vorstands- bzw. (über den Verweis in § 116 S. 1 AktG) Aufsichtsratsmitglied an. Auch die noch abweichende Formulierung im Referentenentwurf zum UMAG, die noch das Kriterium der „groben Fahrlässigkeit“ enthielt200, deute in diese Richtung: Mit einer solchen Verschuldenskategorie sei eine auf das Kollektiv bezogene Sichtweise nicht vereinbar.201 Die aus den anderen beiden Ansichten resultierende „Kollektivprüfung“ sorge im Übrigen für eine Inkohärenz innerhalb der Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG und einen Systembruch in der Organhaftung des § 93 AktG.202 Gehe es bei der Haftung aus § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG um eine individuelle Pflichtverletzung, so müsse auch die diesbezügliche Ausnahmeregelung in Gestalt der Business Judgment Rule auf das einzelne Gremiumsmitglied ausgerichtet sein.203 Schließlich, so wohl vor dem Hintergrund des mit ihr verbundenen Zwecks, werde der Anwendungsbereich der Business Judgment Rule zu sehr eingeschränkt204. Ein Interessenkonflikt in der Person eines Gremiumsmitglieds schließe nach alledem nicht automatisch die Anwendung der Business Judgment Rule zugunsten seiner Kollegen aus.205

Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 95; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 213 f.; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 96; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26; Koch, ZGR 2014, 697, 708 f.; Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 407 ff.; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 19; in der Tendenz Haarmann, in: FS Wegen, 2015, S. 423, 437. Insgesamt auch Lieder, ZGR 2018, 523, 572 ff. 199  Siehe Bunz, NZG 2011, 1294, 1294; implizit Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134; auf den Wortlaut verweisend auch Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 213; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26. 200  Vgl. Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252, 254. Der RefE UMAG ist direkt verfügbar auf der Homepage des Bundesgerichtshofes, http://www.gesmat.bundesgerichtshof. de/gesetzesmaterialien/15_wp/umag/refe.pdf (zuletzt aufgerufen am 31.10.2020). 201  Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 213; Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 410. 202  Bunz, NZG 2011, 1294, 1295. 203  Bunz, NZG 2011, 1294, 1295; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134; dem folgend Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 268. Ebenso Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 214. Losgelöst von der vorliegenden Frage und stattdessen im Zusammenhang mit den Anforderungen an eine angemessene Information unterstreicht auch Cahn, WM 2013, 1293, 1305, dass sich die organschaftliche Sorgfaltspflicht und die Haftungsfolgen an das einzelne Mitglied richten. Mit gleichem Befund Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 408. 204  Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 71; für eine daraus resultierende Verfehlung des Normzwecks Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26; Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 411; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 19. 205  Bunz, NZG 2011, 1294, 1296.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule295

Die Offenlegung bzw. Nichtoffenlegung des Interessenkonflikts hat, so die Schlussfolgerung, an dieser Stelle grundsätzlich keinen Einfluss. Relevant wird die primär davon abhängige Kenntnis des Interessenkonflikts danach aber bei der gleichwohl erforderlichen Prüfung, ob die übrigen Mitglieder des Gremiums vernünftigerweise annehmen durften, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln: Die stillschweigende Duldung eines aus sonstigen Gründen zur Kenntnis gelangten, nicht offengelegten Interessenkonflikts eines anderen Aufsichtsratsmitglieds soll nach den Vertretern der vorliegenden Ansicht jedenfalls dazu führen, dass ein Berufen auf die Business Judgment Rule nicht möglich ist.206 4. Stellungnahme: Individualvoraussetzung mit zusätzlichen Wertungsgesichtspunkten Die Vertreter von Mehrheitsbetrachtung und Gesamtbetrachtung sparen nicht mit – teilweise durchaus zutreffender – gegenseitiger Kritik. Gegen die Mehrheitsbetrachtung wird richtigerweise eingewandt, dass die Entscheidung erst nach der Beratung und der Diskussion getroffen wird und eine Einflussnahme des konfligierten, aber dennoch anwesenden Aufsichtsratsmitglieds auf den Inhalt des Beschlusses somit nicht ausgeschlossen werden kann.207 Von anderer Seite heißt es, die im Hinblick auf die Gesamtbetrachtung ge­ äußerte Annahme, auch bei erfolgter Offenlegung komme es im Fall der fortgesetzten Mitwirkung des Konfligierten an Beratung und gegebenenfalls Beschlussfassung zu einer unmittelbaren „Infektion“ der übrigen Gre­ miumsmitglieder,208 sei zu streng, da den Letzteren so pauschal die für eine eigenständige Meinungsbildung nötige Charakterstärke abgesprochen würde.209 Umgekehrt kann nicht allgemein vorausgesetzt werden, dass die Gremiumsmitglieder über ebenjene verfügen – dahingehende Ausführungen müssen selbst die Konzession machen, dass bei einer „wesentliche[n] Beeinflussung“ der übrigen Gremiumsmitglieder durch den Konfligierten ausnahmsweise eine Einschränkung vorzusehen sei210. Schon an dieser Stelle 206  Siehe Bunz, NZG 2011, 1294, 1296; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134 und 155; dem folgend Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 268. 207  Siehe Habersack, in: Karlsruher Forum 2009, S. 5, 23; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 248; mit diesem Gedanken für den Fall der unterbliebenen Offenlegung auch Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 273. 208  Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 249. 209  Im Ergebnis wie hier Lieder, ZGR 2018, 523, 574; Paefgen, AG 2008, 761, 768. 210  Schlimm, Geschäftsleiterermessen, S. 323, die im Zusammenhang mit der Anwendung der Business Judgment Rule auf den Vorstand den offensichtlich „dominan-

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

wird deutlich, dass pauschale Bewertungsmaßstäbe das Problem nicht zufriedenstellend lösen können. a) Die Freiheit von Sonderinteressen als individuelles Kriterium bei grundsätzlicher Unabhängigkeit von der Offenlegung des Interessenkonflikts In der Literatur wird die Bedeutung der Business Judgment Rule verhältnismäßig häufig dadurch relativiert, dass ein Hinweis auf die im Fall ihres Nichteingreifens nicht automatische Haftung und die – so der vermittelte Eindruck – bloße Erhöhung der gerichtlichen Prüfungsdichte erfolgt.211 Die praktischen Auswirkungen dessen werden unterschiedlich eingeschätzt.212 Doch ein sorgsames Vorgehen hinsichtlich der Entscheidung über das Eingreifen bzw. Nichteingreifen der Business Judgment Rule ist nicht nur dann angezeigt, wenn man Beschwichtigungen der genannten Art nicht folgen mag. Prognosen über prozessuale Auswirkungen in der Praxis beseitigen die Notwendigkeit einer kohärenten und tragfähigen Lösung nicht. Das Ziel der Business Judgment Rule, ein verantwortliches und zugleich unternehmerischrisikobehaftetes Handeln zu ermöglichen, streitet dabei im Grundsatz für eine maßvolle Beurteilung der Frage, wem sie zugute kommt. Das entspricht auch dem Interesse der Gesellschaft, das insofern zu berücksichtigen ist.213 Den Rahmen definiert Harbarth wie folgt: Es soll „wirklich“ nur derjenige die Business Judgment Rule in Anspruch nehmen können, „der keinen Anlass hat, sich nicht ausschließlich dem Unternehmensinteresse verpflichtet zu fühlen“, umgekehrt „darf die Business Judgment Rule nicht aufgrund unrea-

ten“ Vorstandsvorsitzenden vor Augen hat, dann aber trotz der von ihr postulierten Ausnahme überraschenderweise einen Interessenkonflikt der übrigen (Vorstands‑) Mitglieder verneint. 211  Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 269; Blasche, AG 2010, 692, 696. Zu den Auswirkungen des Nichteingreifens von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG siehe oben am Beginn von § 5 C. I. 2. 212  Laut Blasche, AG 2010, 692, 696, wird bei einem Interessenkonflikt in der Person eines Kollegen im Aufsichtsrat, der (je nach Position) die Nichtanwendbarkeit der Business Judgment Rule zugunsten des Betreffenden zur Folge hat, wenn deren übrige Voraussetzungen in seiner Person vorliegen, diesem (selbst von Interessenkonflikten freien) Organmitglied „der Nachweis seines pflichtgemäßen Verhaltens, insbesondere wenn die entsprechende Dokumentation angelegt wurde, keine größeren Probleme bereiten“. Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 251, ist der Ansicht, die Darlegung und der Beweis, „daß die getroffene Entscheidung – dennoch – in Ordnung war […] wird […] nur noch sehr schwer gelingen“. Ebenso skeptisch Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 414. 213  Ebenfalls darauf abstellend Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 249.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule297

listischer Anforderungen ausgehebelt werden“.214 In dem Zusammenhang ist auch nochmals auf die Anlage von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat215 hinzuweisen, die im Hinblick auf die Streitfrage zu berücksichtigen ist und durch welche nicht der Anwendungsbereich der Business Judgment Rule in Bezug auf den Aufsichtsrat über Gebühr beschnitten werden darf.216 Ausschlaggebend sind die im Rahmen der grammatischen, historischen, systematischen und teleologischen Auslegung zugunsten der Einzelbetrachtung vorgebrachten Argumente.217 Für sie streitet insbesondere, dass ein generell vermehrter Entfall der Business Judgment Rule vermieden wird, der auch aufgrund der besonderen Konfliktanfälligkeit des Aufsichtsrats zu besorgen wäre und eine Verfehlung des mit ihr verfolgten Zwecks befürchten ließe. Offenkundig ist zudem, dass die Voraussetzungen der Business Judgment Rule individuell zu prüfen sind. Das wird durch die singularische Formulierung bzw. Ausrichtung nicht allein des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG selbst, sondern auch des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG eindeutig belegt.218 Auch die Gesetzesbegründung ist an der entsprechenden Stelle darauf ausgerichtet, dass der Handelnde ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse tätig wurde.219 In systematischer Hinsicht ist es außerdem nicht überzeugend, entgegen der Tatsache, dass § 93 Abs. 2 S. 1 AktG einen gegen einzelne Vorstandsmitglieder gerichteten Anspruch aufgrund einer jeweils durch diese begangenen schuldhaften Pflichtverletzung beinhaltet220, im Rahmen der die Pflichtverletzung beseitigenden Ausschlussregel in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG das Gremium als maßgeblich zu erachten.221

214  Harbarth,

in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 333. oben § 2 B. im Ganzen. 216  Dies wäre aus der Sicht der Aufsichtsratsmitglieder unbillig und würde das mit der Business Judgment Rule verfolgte Ziel konterkarieren, risikoaverses Verhalten zu vermeiden und ein verantwortliches, aber auch unternehmerisches und insofern risikobehaftetes Verhalten zu befördern. Möglicherweise würde auch die Bereitschaft potenzieller Kandidaten zur Übernahme eines Aufsichtsratsamtes sinken. Siehe vor diesem Hintergrund zugunsten einer weniger strengen Handhabung von Interessenkonflikten im Fall des Aufsichtsrats auch die Erläuterungen bei Lieder, ZGR 2018, 523, 569. 217  Dazu im Einzelnen oben § 5 C. II. 3. 218  So bereits Bunz, NZG 2011, 1294, 1295; siehe zum Wortlautargument außerdem schon die Nachweise in § 5 Fn. 199 sowie Lieder, ZGR 2018, 523, 574, und Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 407 f. 219  Siehe BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 220  Vgl. Hölters, in: Hölters, § 93 Rn. 226. 221  So bereits Bunz, NZG 2011, 1294, 1295; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134. 215  Dazu

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

Eine „Kollektivierung“ des Interessenkonflikts222 ist abzulehnen, erforderlich ist dem Grunde nach ein individueller Interessenkonflikt. Zwar kann aus dem Bewusstsein über die Konfliktlage eines Organmitglieds in speziellen Fällen, vor allem bei einer engen persönlichen Bindung zum Konfligierten, ein Interessenkonflikt eines anderen Organmitglieds aufgrund jener ­Nähebeziehung erwachsen. Dieser ist aber als zweiter, vom ursprünglichen Interessenkonflikt separater Interessenkonflikt zu betrachten223 und würde für sich genommen nach den allgemeinen Grundsätzen224 die Business Judgment Rule ausschalten. Unterliegt ein Aufsichtsratsmitglied insgesamt einem (bestimmten) Interessenkonflikt, so gilt dies nicht automatisch zugleich für dessen Kollegen – nur das einzelne Aufsichtsratsmitglied befindet sich in einem (diesem) Interessenkonflikt225. b) Eigener Ansatz: Ausschluss von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bei „vernünftigerweise“ fehlender Berechtigung zur Annahme eines Handelns auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft Wenn trotz des tatsächlichen Interessenkonflikts eines einzelnen Mitglieds des Aufsichtsrats bei den übrigen Gremiumsmitgliedern infolge der Einzelbetrachtung jedenfalls kein originärer (nicht ebendieser) Interessenkonflikt anzunehmen ist, so bedeutetet dies nicht, dass vorbehaltlich der anderen Tatbestandsmerkmale der Business Judgment Rule diese ohne Weiteres zugunsten der übrigen Aufsichtsratsmitglieder zur Anwendung gelangen würde.226 In § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wird tatbestandlich vorausgesetzt, dass der betreffende Akteur „vernünftigerweise annehmen durfte“, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Ansätze in der Literatur gehen dahin, diese Voraussetzung bei Interessenkonflikten im Kollegialorgan zu thematisieren227, bedürfen aber einer weiteren Ausformung nach Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 71 f. verkennend Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 111 f., der den – richtigerweise weiteren – Interessenkonflikt zudem etwas vorschnell und pauschal zu unterstellen scheint. 224  Dazu oben § 5 C. I. im Ganzen. 225  Für die individuelle Sichtweise u.  a. auch Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 71, und Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 407 ff. 226  Trotz individueller Betrachtung (siehe oben § 5 C. II. 3.) geht auch Hüffer/ Koch, § 109 Rn. 2, davon aus, dass bei einem Interessenkonflikt unter Umständen die Anwendung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG für alle Gremiumsmitglieder ausscheidet. 227  Siehe Bunz, NZG 2011, 1294, 1296; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134 und 155; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 217; Lieder, ZGR 2018, 523, 575. 222  Begriff 223  Dies



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule299

und Präzisierung. Der Gesetzgeber verbindet mit der „Annahme“ einen „Perspektivwechsel in der Beurteilung“, die Voraussetzungen der Entscheidungsfindung seien aus der Sicht des betreffenden Organs – hier richtigerweise wohl gemeint: Organmitglieds – zu beurteilen. Diese Sichtweise werde „durch das ‚annehmen Dürfen‘ [sic!] begrenzt und objektiviert“. Als Maßstab für die Überprüfung, ob die Annahme des Organmitglieds nicht zu beanstanden ist, diene das Merkmal „vernünftigerweise“.228 Fraglich ist, welche „Voraussetzungen der Entscheidungsfindung“ hiervon erfasst werden. Teilweise wird die Wortgruppe „vernünftigerweise annehmen durfte“ im Schrifttum zum Handeln „zum Wohle der Gesellschaft“229 in Bezug gesetzt,230 andere stellen einen Bezug zur „Grundlage angemessener Information“231, wieder andere eine Verknüpfung zu beiden Aspekten her232. Dem letztgenannten Verständnis ist zuzustimmen, da sich dies geradewegs aus dem Wortlaut von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ergibt.233 Da aber das Tatbestandsmerkmal der Freiheit von Interessenkonflikten ausweislich der Gesetzesbegründung aus dem Han-

228  BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. Siehe zum gemischt objektivsubjektiven Maßstab schon oben § 5 C. I. 2. mit Fn. 125 im Hinblick auf das Vorliegen eines eigenen Interessenkonflikts in der Person des Aufsichtsratsmitglieds. In­ struktiv zur nicht unumstrittenen Bedeutung von „vernünftigerweise“ Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 148 ff. m. w. N., der sich selbst in nachvollziehbarer Form für ein Verständnis als „ohne Fahrlässigkeit“ ausspricht. Für ein Verständnis als „ohne grobe Fahrlässigkeit“ dagegen insbesondere Bachmann, in: FS Stilz, 2014, S. 25, 29 ff. Siehe zur Streitfrage ferner die Nachweise bei Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 721 Fn. 28. Für die hiesige Argumentation ist die entsprechende Frage nicht entscheidend. 229  Der Begriff „Wohle der Gesellschaft“ entspricht letztlich dem des Unternehmensinteresses und dem hierzu bestehenden Minimalkonsens, siehe C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1257, und Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 53. Zum Unternehmens­ interesse oben § 2 A. II. 230  So bei Bunz, NZG 2011, 1294, 1296; Lutter, ZIP 2007, 841, 844; U. Schmidt, in: Heidel, § 93 AktG Rn. 88 und 90. 231  Siehe C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1255 und 1257 f.; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 57. 232  Siehe Bachmann, in: FS Stilz, 2014, S. 25, 28; Bürgers, in: Bürgers/Körber, § 93 Rn. 13 ff.; Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 149 und 180; Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 99; Hölters, in: Hölters, § 93 Rn. 35 und 39; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 21 und 23; Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 209 f. und 246. Trotz unklarer Darstellung wohl auch Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, § 93 Rn. 17, die den Passus nur im Kontext der Informationsgrundlage erläutert und dabei eher beiläufig, vermutlich infolge der Paraphrasierung des Gesetzeswortlauts von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, auch das Wohl der Gesellschaft als dessen Bezugspunkt nennt. Ausführlich Pfertner, Unternehmerische Entscheidungen, S.  82 ff. 233  Die Frage, ob bei der objektiven Kontrolle für alle Merkmale dieselben Anforderungen gelten (dagegen Hüffer/Koch, § 93 Rn. 23), stellt sich erst im Anschluss.

300

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

deln zum Wohle der Gesellschaft folgt234, ist diese Perspektive auch bei der Beurteilung der Freiheit von Interessenkonflikten einzunehmen.235 Schon bei einem eigenen Interessenkonflikt des in den Blick genommenen Organmitglieds kann die pflichtgemäße Behandlung des Interessenkonflikts bewirken, dass das Organmitglied, soweit es noch an Beratung und Beschlussfassung beteiligt ist, vernünftigerweise davon ausgehen durfte, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln.236 Die Frage, ob das betreffende Organmitglied vernünftigerweise davon ausgehen durfte, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln, ist aber ebenso relevant und stellt den richtigen, im Schrifttum so nicht identifizierten237 Aufhänger dar, wenn es um die Frage geht, inwieweit sich der fremde Inte­ ressenkonflikt einer Kollegin oder eines Kollegen aus dem polypersonalen Organ auf das Organmitglied auswirkt. Das hat den Vorzug, dass es bei dieser Orientierung am Wortlaut der Konstruktion eines ungeschriebenen Ausschlussgrundes238 nicht bedarf. Die Überlegungen sind in Abhängigkeit von bestimmten Umständen anzustellen. Namentlich ist von Bedeutung, wie sich die von dem konfligierten Aufsichtsratsmitglied zu fordernde Offenlegung des Interessenkonflikts gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden sowie die Unterrichtung des Plenums im Anschluss auswirken. Bei der Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Interessenkonflikten auf die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule im Kollegialorgan stellt die Offenlegung bzw. Nichtoffenlegung auch sonst das primäre Differenzierungskriterium dar.239 Ähnliche Überlegungen betreffen die in der Literatur mitunter erwähnte Konstellation, dass die Offenlegung unterbleibt, die übrigen Aufsichtsratsmitglieder jedoch aus anderen Gründen 234  Siehe

BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. auch Winnen, Innenhaftung des Vorstandes, S. 271 f.; implizit Redeke, ZIP 2011, 59, 61; a. A. Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 128 f.; Pfertner, Unternehmerische Entscheidungen, S. 90. 236  Vgl. oben § 5 C. I. 3. im Ganzen. 237  Siehe etwa die Darstellungen von Bunz, NZG 2011, 1294, 1296, Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134, Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 215 ff., und Lieder, ZGR 2018, 523, 573 ff. 238  So bei Blasche, AG 2010, 692, 696, der aber immerhin, anders als viele Stimmen in der Literatur, aus deren Sicht letztlich (und dabei meist unausgesprochen) die objektive Gefahr einer unbewussten Beeinflussung des Plenums durch den Konfligierten die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ausschließt, diese objektive Gefahr rechtlich zu verorten sucht und selbst die Diskrepanz zur gesetzgeberisch vorgesehenen Sichtweise erkennt. 239  Siehe schon oben § 5 C. II. Je nach Unteransicht gilt das sowohl für die Vertreter der Mehrheitsbetrachtung als auch für die Gesamtbetrachtung, siehe im Einzelnen oben § 5 C. II. 1. und § 5 C. II. 2. 235  Dafür



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule301

Kenntnis von der Konfliktsituation eines ihrer Kollegen haben240. Diese ist richtigerweise gleich zu behandeln,241 wobei von einer Kenntnis auszugehen ist, wenn den übrigen Organmitgliedern der wesentliche Kern des Interessenkonflikts bekannt ist242. Nicht minder relevant ist auch der bislang noch vernachlässigte243 Konnex zwischen Interessenkonflikten als negativem Tatbestandsmerkmal von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG und den zu ihrer Behandlung nötigen Maßnahmen244. Zu erörtern ist letztendlich, inwieweit das Organmitglied bei einem Interes­ senkonflikt eines anderen Organmitglieds unter bestimmten Umständen, zu denen insbesondere die Offenlegung bzw. Nichtoffenlegung des Interessenkonflikts durch den Betroffenen zählen, vernünftigerweise davon ausgehen durfte, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln. aa) Keine Kenntnis der übrigen Aufsichtsratsmitglieder von dem Interessenkonflikt mangels Offenlegung und anderweitiger Informationsquellen Unterbleibt eine Offenlegung und hatten die übrigen Aufsichtsratsmitglieder keine Kenntnis von dem Interessenkonflikt des Betroffenen, greift die Business Judgment Rule vorbehaltlich ihrer sonstigen Voraussetzungen ohne Weiteres ein. Die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule zu ihren Gunsten bleibt bei einem verschwiegenen bzw. unbekannten Interessenkonflikt also nicht erhalten, „wenn [Hervorhebung durch den Verfasser] sie vernünftigerweise annehmen durften, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln“245, sondern weil sie dies ex ante durften.246 Spätestens 240  Siehe

schon die in § 5 Fn. 206 Genannten. Blasche, AG 2010, 692, 698, und Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93

241  Zutreffend

Rn. 29. 242  Blasche, AG 2010, 692, 698 f.; ohne Angaben dazu Bunz, NZG 2011, 1294, 1296. 243  In den Grundzügen soweit ersichtlich nur Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 216, und Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26 und § 108 Rn. 14, bzw. Koch, ZGR 2014, 697, 710 ff. Zumindest bezogen auf das konfligierte Aufsichtsratsmitglied Lieder, ZGR 2018, 523, 572; insofern nur ganz rudimentär Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 185. 244  Zu diesen oben § 4 im Ganzen. 245  So aber möglicherweise, wenn auch implizit, Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 95. 246  Wie hier Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 727; Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 612 f.; mit weiteren Ausführungen Lieder, ZGR 2018, 523, 575; im Ergebnis auch Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 150, und Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 217. Dies entspricht dem zur Feststellung von Interessenkonflikten anzulegenden gemischt objektiv-subjektiven Maßstab, siehe oben § 5

302

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

hier wird deutlich, dass nach der Einzelbetrachtung und den hier angestellten zusätzlichen Überlegungen kein Spannungsverhältnis zur Frage des Empfängers der Offenlegung des Interessenkonflikts droht.247 Die Aufsichtsratsmitglieder sollen zwecks der Begünstigung und Förderung unternehmerischer Initiative durch die Business Judgment Rule bei Wahrung gewisser Voraussetzungen von einer Haftungsfreiheit ausgehen dürfen. Es besteht für sie bei fehlender Kenntnis von etwaigen Interessenkonflikten anderer Aufsichtsratsmitglieder insbesondere mangels Offenlegung kein Anlass, an der Erfüllung des Tatbestands und dem Eingreifen der Business Judgment Rule zu zweifeln, wenn sie selbst und in ihrem Einflussund Erkenntnisbereich alle Anforderungen berücksichtigt haben. Eine gegensätzliche Haltung in diesem Punkt stünde dem mit § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verfolgten Zweck demnach unmittelbar entgegen.248 Zwar besteht dann „die verborgene Gefahr der Entscheidungsverzerrung durch ein konfliktbefangenes Organmitglied“249. Daran kann die Gesellschaft naturgemäß kein Inte­ resse haben, dennoch ist sie hinzunehmen. Der mitunter bemühte Verweis auf die Interessen der Gesellschaft zur Begründung einer Infektionswirkung des verdeckten Interessenkonflikts250 verfängt nicht: Die mit § 93 Abs. 1 S. 2 AktG intendierte, so aber nicht zu gewährleistende Vermeidung einer übermäßigen Risikoscheu von Organmitgliedern liegt gerade im Interesse auch der Gesellschaft und ihrer Aktionäre.251 Dieses überwiegt das Interesse der Gesellschaft an insgesamt unbeeinflussten Entscheidungen, die BesserstelC. I. 2. mit Fn. 125 und vgl. oben § 5 C. II. 4. b); dieser Querbezug findet sich auch bei Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 95. Vgl. zudem Koch, ZGR 2014, 697, 709; ohne Bezugnahme hierauf Koch, in: FS Säcker, 2011, S. 403, 414. 247  Zum entsprechenden Zusammenhang siehe oben § 5 C. II. am Ende. Wird der Interessenkonflikt dem Aufsichtsratsvorsitzenden gegenüber offengelegt, gibt dieser die Information darüber aber pflichtwidrig nicht an das Plenum weiter, vgl. oben § 4 A. III. 2. b) ee), müsste eine Anwendung der Business Judgment Rule zugunsten der übrigen Aufsichtsratsmitglieder nach einer Meinungsgruppe innerhalb der Gesamtbetrachtung (dazu oben § 5 C. II. 2.) ausscheiden. 248  Daher zutreffend mit dem Gedanken, der Anwendungsbereich der Business Judgment Rule dürfe nicht über Gebühr eingeschränkt werden, die in § 5 Fn. 204 Genannten. 249  Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 95. Auf einen Gebrauch des Begriffs der „Befangenheit“ wird im Übrigen in dieser Arbeit verzichtet; siehe nämlich zur Abgrenzung von Interessenkonflikt und Befangenheit Kumpan, Interessenkonflikt, S.  28 f. 250  Siehe Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 249; mit Abweichungen für den Fall der Offenlegung des Interessenkonflikts indirekt auch Blasche, AG 2010, 692, 698. 251  Vgl. statt aller Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 77 m. w. N.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule303

lung des bzw. der Ahnungslosen ist nur ein Reflex252. Im Übrigen wird ein allseitiges Misstrauen im Aufsichtsrat vermieden, das sicher nicht im Inte­ resse der Gesellschaft liegt. Hinzu kommt, dass bei einer fehlenden Offenlegung und ohne anderweitige Kenntnis vom Interessenkonflikt nur derjenige durch eine Haftungsdeprivilegierung sanktioniert wird, der auch pflichtwidrig gehandelt hat. Alles andere würde zudem eine faktische Verlagerung des Risikos, dass die Offenlegungspflicht durch das konfligierte Aufsichtsratsmitglied missachtet wird, von der Gesellschaft hin zu den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern bewirken. Die Offenlegungspflicht besteht aber gegenüber der Gesellschaft, die das vorgenannte Risiko tragen muss, weshalb eine solche Risikoverlagerung unbillig wäre.253 Generell basiert die Meinungsbildung einer Person auf deren individueller (Sinnes‑)Wahrnehmung. Diese kann und wird im Alltag zum wohl überwiegenden Teil von einer Sachverhaltsdarstellung durch Dritte beeinflusst sein, beispielsweise durch deren Schilderungen und die Selektion von Aspekten und Informationen durch diese. Nichts anderes gilt für Aufsichtsratsmitglieder, deren Anschauungen hinsichtlich der zur Entscheidung stehenden Fragen in der Praxis z. B. auf Zahlen und finanziellen Kenngrößen wie auch Gutachten basieren, die nicht von dem jeweiligen Aufsichtsratsmitglied selbst ermittelt bzw. erstellt wurden. Eine Färbung der durch die Aufsichtsratsmitglieder wahrgenommenen Aussagen durch die persönlichen Überzeugungen etwa von Mitarbeitern des Rechnungswesens oder von Sachverständigen ist regelmäßig nicht gänzlich auszuschließen. Wäre der verborgene Interessenkonflikt eines Organmitglieds im Kollegialorgan wegen der möglicherweise infrage zu stellenden „Freiheit von sachfremden Einflüssen und Sonderinteressen“ als Malus der übrigen Mitglieder zu werten, so müsste dies mit derselben Rechtfertigung auch hinsichtlich sämtlicher anderer Äußerungen durch Dritte 252  Nicht gefolgt werden kann daher der Abwägung von Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 249, und dem ähnlich Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 95. Kritisch dazu auch Bunz, NZG 2011, 1294, 1295. Inwieweit ein Kennenmüssen der Kenntnis gleichzusetzen ist, die übrigen Aufsichtsratsmitglieder also unverschuldet ahnungslos sein müssen, kann hier nicht vertieft werden. Die Literatur bietet an dieser Stelle kaum Orientierung. Bei Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 248 f., findet sich, allerdings aus völlig anderer Perspektive, die Erwägung, auf eine fahrlässige Unkenntnis der übrigen Mitglieder abzustellen. Er zieht in Betracht, die von ihm angenommene „Infektionsfolge“ (zur Gesamtbetrachtung oben § 5 C. II. 2.) von dieser abhängig zu machen – was im Ergebnis der aufgeworfenen Frage entspricht –, verwirft diesen Gedanken jedoch. Ein zu strenger Maßstab sollte hier jedenfalls nicht angelegt werden, um nicht doch zu einem praktisch automatischen Entfall der Business Judgment Rule zu gelangen (siehe hierzu Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 721 und 727). 253  Grob in diese Richtung Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 217, und Lieder, ZGR 2018, 523, 575, wonach die übrigen Aufsichtsratsmitglieder „nicht ohne Not in Kollektivhaft genommen werden dürfen“.

304

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

gelten. Das aber ist sowohl lebensfremd als auch impraktikabel. Ein in die Beratungen des Aufsichtsrats eingeflossenes Sachverständigengutachten kann theoretisch ebenso wie die in diesem Rahmen ergangenen Äußerungen eines Aufsichtsratsmitglieds von einem Interessenkonflikt des Urhebers, des Sachverständigen, beeinflusst sein. Soweit dafür aber keine Hinweise erkennbar vorliegen, wird niemand den Aufsichtsratsmitgliedern bei Berücksichtigung des Gutachtens die Freiheit von Interessenkonflikten absprechen (und im Übrigen auch nicht mit dieser Begründung die Angemessenheit der Informationsgrundlage hinterfragen254) wollen. Es ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass § 93 Abs. 1 S. 2 AktG in gleicher Weise eingreift, wenn der Konfligierte, der seinen Interessenkonflikt nicht offengelegt hat, abwesend ist oder wegen Krankheit bei der Beratung und der Beschlussfassung fehlt.255 bb) Durch Offenlegung oder anderweitig erlangte Kenntnis der übrigen Aufsichtsratsmitglieder von dem Interessenkonflikt – die nötigen Maßnahmen zum Erhalt der Business Judgment Rule Anders liegen die Dinge, wenn das konfligierte Aufsichtsratsmitglied den Interessenkonflikt gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden offengelegt und dieser die übrigen Aufsichtsratsmitglieder darüber in Kenntnis gesetzt hat oder sie, der Aufsichtsratsvorsitzende und die übrigen Aufsichtsratsmitglieder, anderweitig von dem Interessenkonflikt Kenntnis erhalten haben. Zur letztgenannten Fallgruppe sollte auch die Situation gezählt werden, in welcher offensichtliche Anhaltspunkte für einen Interessenkonflikt bestehen.256 Die mögliche Offenlegung des Interessenkonflikts und ebenso die anderweitige Kenntnis vom Interessenkonflikt erlangen auch in der Literatur im Rahmen bzw. trotz der Einzelbetrachtung Bedeutung.257 Keine ausreichende Be254  Eine auf unangemessenen Fremd‑ bzw. Eigenmotiven basierende Wertung durch den Gutachter kann als zur Informationsgrundlage gehörig angesehen werden, wenngleich die Tatbestandsmerkmale „Freiheit von Interessenkonflikten“ und „Angemessenheit der Informationsgrundlage“ grundsätzlich nicht vermischt werden sollten. Möglicherweise kann die „Angemessenheit der Informationsgrundlage“ primär quantitativ verstanden werden, siehe aber Hüffer/Koch, § 93 Rn. 22. 255  Siehe Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 29. 256  Vgl. dazu Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 612 f., und – losgelöst von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG – BegrRegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77. 257  Vertreter der Einzelbetrachtung weisen in diesem Zusammenhang explizit darauf hin, dass die Kenntnis des Interessenkonflikts anders als bei der Mehrheits- oder Gesamtbetrachtung nicht bei der Frage der Freiheit von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen, sondern an anderer – hiesiger – Stelle Bedeutung hat, siehe Bunz, NZG 2011, 1294, 1296; dem folgend Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 268.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule305

achtung findet in der Literatur indes die Frage, unter welchen Umständen sich die übrigen Aufsichtsratsmitglieder trotz der Offenlegung des Interessenkonflikts oder der anderweitig erlangten Kenntnis von dem Interessenkonflikt auf die Business Judgment Rule berufen können. Zweifelsohne sind die übrigen Gremiumsmitglieder gehalten, den Konfligierten zu dessen Interessenkonflikt zu befragen und sich näher nach dem kollidierenden Interesse zu erkundigen, um die Wahrscheinlichkeit eines konfliktbeeinflussten Verhaltens bzw. konfliktbeeinflusster Äußerungen des Betroffenen beurteilen und seine möglichen späteren Wortbeiträge angemessen einordnen zu können. Zu verlangen ist nämlich jedenfalls eine angemessene erste Reaktion auf die Offenlegung des Interessenkonflikts durch den Betroffenen bzw. auf die anderweitige Kenntniserlangung hinsichtlich des Interessenkonflikts. Die übrigen Aufsichtsratsmitglieder einschließlich des Aufsichtsratsvorsitzenden müssen sich betreffend das Vorliegen eines Inte­ ressenkonflikts aktiv eine eigene Meinung bilden. Bei erfolgter Offenlegung hat das konfligierte Organmitglied idealiter alle aus der Sicht der übrigen Organmitglieder zur entsprechenden Beurteilung notwendigen Informationen von sich aus genannt. Ist das nicht der Fall, sind weitere Erkundigungen angezeigt. Das zu erwartende weitere Verfahren im Anschluss an die Offenlegung des (vermeintlichen) Interessenkonflikts bietet dazu Gelegenheit.258 Die Notwendigkeit von Erkundigungen besteht umso mehr im Fall der anderweitigen Kenntniserlangung vom Interessenkonflikt. Richtigerweise wird darauf hingewiesen, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied nicht davon ausgehen kann, „der Gesellschaft zu dienen, wenn es weiß, dass sich ein [anderes Mitglied des Organs] in einem nicht offengelegten Interessenwiderstreit befindet“ und diesen stillschweigend akzeptiert – dann scheitert die Anwendung der Business Judgment Rule.259 Die genannten Maßstäbe stellen bei allen denkbaren Anforderungen die absoluten Mindestvoraussetzungen dafür dar, dass die Annahme der übrigen Organmitglieder, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln, bei objektiver Kontrolle nachvollziehbar („vernünftig“) erscheint. Werden keinerlei Nachforschungen angestellt, kann bei einer nicht ausreichenden Informationslage von vornherein nicht vernünftigerweise davon ausgegangen werden, ohne Sonderinteressen und sach258  Vgl. oben § 4 B. I. im Ganzen. Einen Großteil der Kommunikation erledigt danach in der Praxis wohl regelmäßig der Aufsichtsratsvorsitzende. 259  Siehe Bunz, NZG 2011, 1294, 1296, bzw. Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 134 und 155, der dies aber insoweit (zu Unrecht) an einem anderen Tatbestandsmerkmal festmacht, als die betreffende Person nicht vernünftigerweise annehmen dürfe, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln; dem zustimmend Al-Wraikat, Interessenkonflikte bei Mehrfachmandaten, S. 268. In diese Richtung tendenziell auch Lieder, ZGR 2018, 523, 573 f., der eine besonders sorgfältige und kritische Evaluation der Argumente des Konfligierten verlangt.

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§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

fremde Einflüsse zu handeln. Im Grundsatz ist individuell für jedes einzelne Mitglied zu prüfen, ob hinreichende Maßnahmen zur näheren Erforschung der Umstände des Interessenkonflikts ergriffen worden sind. Rückfragen an den Konfligierten innerhalb von Aufsichtsratssitzungen kommen aber nicht nur dem Fragesteller, sondern auch den anderen nicht konfligierten Aufsichtsratsmitgliedern zugute. Für außerhalb von Sitzungen, etwa im Rahmen eines Vieraugengesprächs zwischen einem Aufsichtsratsmitglied und dem Konfligierten erlangte Informationen gilt das nur, soweit diese dem Rest des Aufsichtsrats rechtzeitig präsentiert werden. Hält ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied die eingeholten Informationen für unzureichend, ist es selbst dafür verantwortlich, entsprechende Nachfragen zu artikulieren. Fraglich ist, ob die übrigen Aufsichtsratsmitglieder bei der gewissenhaften Analyse der Umstände und ihrer eigenen, darauf basierenden Feststellung eines Interessenkonflikts stehen bleiben dürfen, wenn es um die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG geht. Hinreichend zur Rechtfertigung der Annahme, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln, ist jedenfalls ein Teilnahmeausschluss des Konfligierten bzw. das durch den Interessenkonflikt bedingte Fernbleiben von Beratung und Abstimmung einschließlich des gleichzeitigen Ausschlusses vom Informationsfluss. Eine Kausalität des Interessenkonflikts für die betreffende Maßnahme kann hier auch nach einigen Stimmen aus der Literatur von vornherein verneint werden.260 Doch geht aus dem Schrifttum hervor, dass der erwähnte Teilnahmeausschluss nicht nur für hinreichend gehalten, sondern auch insofern als nötig angesehen wird, als sich die übrigen Aufsichtsratsmitglieder unterhalb dieser Schwelle nicht auf die Business Judgment Rule berufen können sollen.261 260  Lieder, ZGR 2018, 523, 573. Im Ergebnis auch Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 94; Koch, ZGR 2014, 697, 721; Lutter, in: FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 250; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 71 und 72. Im Nachhinein wird dagegen nicht geprüft, ob tatsächlich Eigen- bzw. Fremdinteressen außerhalb des Unternehmensinteresses für das betreffende Aufsichtsratsmitglied handlungsleitend waren. A. A. zum dem Vorhergehenden Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 216, der aber an der von ihm selbst in Bezug genommen Stelle (ebd., S. 110 ff.) den eigenen Hinweis missachtet, zwischen dem (originären) Interessenkonflikt und Folgekonflikten zu differenzieren (ebd., S. 210 f.); dazu auch oben § 5 C. II. 4. a) am Ende. 261  Dafür Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26 und § 108 Rn. 13 („wenn AR-Mitglied nur an Beratungen teilnimmt“); Koch, ZGR 2014, 697, 709 f. und 722; möglicherweise auch Bunz, NZG 2011, 1294, 1296, und Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 135 f.; im Ergebnis ferner, jedoch teilweise unter anderen Prämissen Bürgers, in: Bürgers/Körber, § 93 Rn. 14; Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 73. Gleiches gilt für die in § 5 Fn. 195 Genannten. Ohne Bezugnahme auf die Business Judgment Rule für die entsprechende Notwendigkeit Lippert, Überwachungspflicht, S. 95. A.  A. im ­Ergebnis Blasche, AG 2010, 692, 698; Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 94; Hölters, in: Hölters, § 93 Rn. 38; Lieder, ZGR 2018, 523,



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule307

Zugunsten dessen wird angeführt, dass ansonsten eine „Beeinflussung sehenden Auges in Kauf genommen“ werde.262 Speziell im Hinblick auf den Aufsichtsrat bejaht Koch dies außerdem mit der Erwägung, dass ein Aufsichtsratsmitglied „zumeist nicht ähnlich unverzichtbar sein wird wie [ein] einzelnes Vorstandsmitglied“263. Im Umkehrschluss liegen demnach keine praktischen Gründe vor, aus denen von dieser Forderung abgewichen werden müsste.264 Im Fall von Bunz ist nicht eindeutig, ob dessen Ausführungen allgemein den Umgang mit Interessenkonflikten in der Gremiumsarbeit265 betreffen oder ob sie eine Positionierung zu der hier im Haftungskontext angestellten Überlegung enthalten266 – aufgrund des dortigen thematischen Zusammenhangs mit der Business Judgment Rule und der Bezeichnung als „Folgefrage“ ist von Letzterem auszugehen: Bunz zieht von vornherein nicht in Erwägung, es bei der begründeten und wohlüberlegten Ablehnung weiterer Maßnahmen durch das Plenum zu belassen, sondern spricht sich gegen den bloßen Ausschluss von der Abstimmung und für einen Teilnahmeausschluss aus, welcher gerade die vorhergehenden Beratungen einschließt. Dies schaffe Rechtssicherheit zugunsten und „Klarheit und Selbstbewusstsein“ auf Seiten der Organmitglieder.267 Im Grundsatz hat die Beantwortung der hier zu klärenden Frage situationsabhängig268, aber abstrakt zu erfolgen. Darauf, ob die übrigen Mitglieder des Gremiums von dem Interessenkonflikt des Betroffenen „tangiert“ gewesen bzw. „beeinflusst worden“ sind, kommt es für die Business Judgment Rule 573; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93 Rn. 29; Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S.  323 f.; Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 614; ferner Bauer, in: VGR 2014, S. 195, 213; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 216. 262  Bezogen auf den Vorstand Hüffer/Koch, § 93 Rn. 26. 263  Hüffer/Koch, § 108 Rn. 13; Koch, ZGR 2014, 697, 721 f. 264  A. A. Ma. Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung, S. 323, dem zufolge die Kenntnis aller für und gegen eine Entscheidung sprechenden Aspekte für der Qualität der Entscheidung zuträglich sein soll (siehe schon § 4 Fn. 503). 265  Dazu oben § 4 im Ganzen. 266  Siehe Bunz, NZG 2011, 1294, 1296 (Gleiches gilt für Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 135 f.). 267  Bunz, NZG 2011, 1294, 1296. 268  Wenn auch überraschend, da sich die im Original vorhergehenden Ausführungen auf den noch recht kategorisch zu beantwortenden Fall der (völligen) Untätigkeit trotz der Kenntnis vom Interessenkonflikt eines Kollegen beschränken (siehe § 5 Fn. 259), passt dazu das Resümee von Bunz, NZG 2011, 1294, 1296, der schlussfolgert, bei Kenntnis vom Interessenkonflikt eines (Vorstands‑)Kollegen sei „stets genau zu prüfen“, ob vernünftigerweise angenommen werden durfte, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Zugunsten einer Einzelfallbeurteilung der Auswirkungen im Kollegialorgan vgl. im Grundsatz auch Fleischer, in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 94, und Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 72 f.

308

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

nicht an:269 Eine nachträgliche Kausalitätsbetrachtung der Art, ob das Organmitglied tatsächlich zum Nachteil der Gesellschaft eigene Interessen oder Interessen Dritter im Sinn gehabt oder sich die (bekanntermaßen) von einem anderen Organmitglied potenziell verfolgten Eigen- und Drittinteressen beispielsweise durch eine unreflektierte und gleichgültige Haltung diesen gegenüber mit dem letztlich gleichen Ergebnis zu eigen gemacht hat, findet nicht statt.270 Es ist die vom Gesetzgeber vorgesehene gemischt objektivsubjektive Perspektive271 einzunehmen: Ex ante272 darf aus der Sicht der übrigen Organmitglieder vernünftigerweise nicht zu besorgen gewesen sein, dass – über den Interessenkonflikt des Einzelnen hinaus, vornehmlich durch dessen entsprechend beeinflusste Äußerungen im Plenum – gesellschaftsfremde Motive in ihre Auffassung und ihr Handeln, insbesondere ihr Abstimmungsverhalten, einfließen. Ein banaler Verweis auf die „Organisationsautonomie des Aufsichtsrats, ob er die Beratung nach der Offenlegung in An- oder Abwesenheit des befangenen Mitglieds fortsetzt“273, genügt nicht. Soweit noch ein konfliktbeeinflusstes Verhalten des Einzelnen befürchtet werden muss, können die übrigen Organmitglieder nicht vernünftigerweise annehmen, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln, da die Äußerungen des Einzelnen bzw. sein Stimmverhalten274 womöglich auf sie abfärben. Wie auch hinsichtlich der Anwendbarkeit der Business Judgment Rule zugunsten des Konfligierten275 ist die Lösung über einen Konnex zu den Interessenkonfliktmaßnahmen276 zu suchen. Dort steht ebenfalls der Gedanke im Mittelpunkt, welche 269  Insofern unzutreffend Spindler, in: MüKoAktG, § 93 Rn. 71 f. Sollte das aber der Fall sein, liegt es zumeist nahe, dass auch die erwähnte Annahme des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds schon nicht tragfähig war, vgl. auch Blasche, AG 2010, 692, 698. 270  Vgl. Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand, S. 208; zudem schon § 5 Fn. 260. 271  Siehe oben § 5 C. I. 2. mit Fn. 125 und vgl. oben § 5 C. II. 4. b). 272  Stellvertretend für diese Perspektive bei § 93 Abs. 1 S. 2 AktG und dabei ausgehend von der Gesetzesbegründung (BegrRegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11) Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 93 Rn. 61 und vor allem 101. Vgl. auch Hölters, in: Hölters, § 93 Rn. 38 f. 273  So Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, § 116 Rn. 17, der insofern die übrigen Aufsichtsratsmitglieder zu der Entscheidung berufen sieht, ob sie „meinen, dass die Teilnahme des befangenen Mitglieds an der Sitzung vertretbar erscheint, weil sie Kenntnis von dem vorliegenden Interessenkonflikt haben und die Diskussionsbeiträge des befangenen Mitglieds im Lichte dieser Kenntnis würdigen können“ (ebd., § 108 Rn. 18). 274  Die offene Abstimmung stellt im Aufsichtsrat den Normalfall dar, so stellvertretend Habersack, in: MüKoAktG, § 108 Rn. 18. 275  Siehe oben § 5 C. I. 3. b). 276  Zu diesen oben § 4 im Ganzen.



C. (Nicht‑)Anwendbarkeit der Business Judgment Rule309

Schritte zur Isolierung der dem Interessenkonflikt innewohnenden Gefahr nötig sind.277 Diese Gefahr ist es, die die in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG angelegte Richtigkeitsgewähr der getroffenen Entscheidung in Zweifel zieht. Zur Rechtfertigung der Annahme, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln, ist die Maßnahme als erforderlich anzusehen, die bereits nach den Regeln zum Umgang mit dem Interessenkonflikt des Betroffenen mit Blick auf die Aufsichtsratstätigkeit (Beratung, Beschlussfassung, Erhalt und Weitergabe von Informationen) als erforderlich gelten muss. Im End­ effekt füllen diese Vorgaben den im Wort „vernünftigerweise“ in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG angelegten Maßstab aus, der für die objektive Begrenzung und somit für die Beurteilung u. a. der Annahme des einzelnen Organmitglieds gilt, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln. Da Interessenkonflikte zu ihrer Behandlung grundsätzlich einen Teilnahmeausschluss des Konfligierten verlangen,278 durften die übrigen Aufsichtsratsmitglieder tatsächlich nur dann vernünftigerweise davon ausgehen, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln und können sich vorbehaltlich der übrigen Voraussetzungen nur dann auf die Business Judgment Rule berufen, wenn der Konfligierte von der Teilnahme bzw. vom Entscheidungsprozess insgesamt ausgeschlossen wird.279 Wer einen Stimmrechtsausschluss als standardmäßige Interessenkonfliktmaßnahme für ausreichend hält, muss in Reaktion auf den Interessenkonflikt eines Aufsichtsratsmitglieds aus der Sicht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder konsequenterweise die Vornahme einer Stimmrechtsbeschränkung zulasten des Konfligierten als ausreichend erachten, damit ihnen die Business Judgment Rule trotz des Interessenkonflikts des Einzelnen zugute kommt. Soweit demgegenüber im Kontext von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG betont wird, „dass Transparenz im Allgemeinen und Offenlegung von Interessenkonflikten im Besonderen das entscheidende Mittel und Verfahren sind, um zu verhindern, dass solche Konflikte das Urteilvermögen Dritter negativ beeinflussen“280, ist darauf hinzuweisen, dass in den vorstehenden Ausführungen kein Widerspruch dazu liegt, da die Offenlegung des jeweiligen Interessenkonflikts die Grund­vor­ 277  Vgl.

insbesondere oben § 4 B. oben § 4 B. II. 2. und § 4 B. III. 3. a). 279  A. A. Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 616. Das hier unter der Annahme der Notwendigkeit eines Teilnahmeausschlusses ermittelte Ergebnis entspricht der von Vertretern der Gesamtbetrachtung (siehe oben § 5 C. II. 2. und dort die in § 5 Fn. 195 Genannten) aufgestellten, im Vergleich zum Vorstehenden jedoch zu pauschalen bzw. undifferenzierten Behauptung, jeder Interessenkonflikt schließe bei Offen­ legung die Anwendung der Business Judgment Rule zugunsten der übrigen Organmitglieder aus, es sei denn, der Konfligierte nehme in keiner Weise am Entscheidungsprozess teil. 280  Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 616. 278  Siehe

310

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

aussetzung für die genannten weitergehenden Maßnahmen darstellt, durch welche gerade sichergestellt werden soll, dass das Urteilsvermögen der übrigen Aufsichtsratsmitglieder nicht negativ durch den Interessenkonflikt be­ einflusst wird. Es ist auch kein inakzeptabler Nachteil für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder erkennbar, der aus dem genannten, von ihnen erwarteten Handeln im Anschluss an die Offenlegung des Interessenkonflikts folgen würde.281 Die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ist zwar unverändert individuell zu beurteilen, allerdings ist es wie auch sonst etwa in Haftungsfragen unter Verweis auf den Grundsatz der Gesamtverantwortung zu rechtfertigen, dass dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied unabhängig von seiner persönlichen Haltung (und seinem Abstimmungsverhalten) zur Frage des Vorliegens eines Interessenkonflikts eines anderen Aufsichtsratsmitglieds und sodann zur Vornahme eines Teilnahmeausschlusses zu dessen Lasten letztlich die (Mit‑)Verantwortung für eine adäquate oder aber eine inadäquate Konfliktbehandlung durch das Plenum zugeschrieben wird, wenn es nicht alle Möglichkeiten, einen pflichtgemäßen Umgang mit dem Interessenkonflikt zu erreichen, ausgeschöpft hat. Gemäß den allgemeinen Regeln muss das einzelne Aufsichtsratsmitglied alles ihm Mögliche unternehmen, um Aufsichtsrats­ beschlüsse, die den einschlägigen Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten widersprechen und damit rechtswidrig sind, zu verhindern.282 Neben der Stimmabgabe gegen solche Beschlüsse gehören dazu deutliche Hinweise und Warnungen gegenüber den Kollegen im Aufsichtsrat.283 Eine Amtsniederlegung ist in dem Fall, dass die Anstrengungen im Ergebnis fruchtlos bleiben, jedoch nicht verpflichtend zu verlangen.284 Trotz des Interessenkonflikts eines anderen Aufsichtsratsmitglieds kann das Aufsichtsratsmitglied danach nicht nur die Haftung für pflichtwidrige Aufsichtsratsbeschlüsse im Zusammenhang mit Interessenkonflikten vermeiden, sondern auch im Rahmen einer möglichen Haftung wegen eines Sachverhalts, dem diese Umstände zugrunde lagen, die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule zu 281  So aber Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 616, bei dem offen bleibt, inwiefern für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder daraus ein Nachteil erwächst, „dass sie gezwungen wären, einen Ausschluss des (unmittelbar) befangenen Organmitglieds zu bewirken, um sich die Anwendung der Business Judgement Rule zu erhalten“. 282  Allgemein für die Pflicht zur Verhinderung rechtswidriger Beschlüsse Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 38; Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 267; Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 54. 283  Stellvertretend Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 54. 284  Mit Blick auf die drohende Haftung P. Doralt/W. Doralt, in: ArbHdbAR, § 14 Rn. 166; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 1001 („wohl in keinem Fall“); Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 116 Rn. 54; weitestgehend übereinstimmend Habersack, in: MüKoAktG, § 116 Rn. 38 („nur ganz ausnahmsweise“), und Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 116 Rn. 271 („in aller Regel nicht“).



D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und § 4311

seinen Gunsten gewährleisten, selbst wenn das Plenum das Vorliegen eines Interessenkonflikts und in der Folge oder auch losgelöst davon einen Teilnahmeausschluss fälschlicherweise mehrheitlich abgelehnt hat.285

D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und aus § 4 Die unter bestimmten Umständen als Konsequenz aus dem nicht pflichtgemäßen Verhalten des Betroffenen und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder im Umgang mit einem Interessenkonflikt folgende Fehlerhaftigkeit und die da­ raus resultierende Nichtigkeit bzw. eingeschränkte Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen hat bisweilen erhebliche Auswirkungen. So sind beispielsweise Beschlüsse einer durch einen nichtigen Aufsichtsratsbeschluss ein­ berufenen Hauptversammlung anfechtbar.286 Von maßgeblicher Bedeutung ist allerdings, sofern eine fälschlicherweise unterbliebene bzw. verhängte Interessenkonfliktmaßnahme überhaupt zur Fehlerhaftigkeit von unter diesen Umständen gefassten Aufsichtsratsbeschlüssen führen kann, die Kausalität für das Beschlussergebnis. In aller Regel kommt es so nicht zur Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen, da „Kampfabstimmungen“ im Aufsichtsrat eher die Ausnahme bilden287 und die genannten Mängel so zumeist nicht als ergebnisrelevant zu erachten sind.288 Zudem ist schon im Allgemeinen fraglich, ob überhaupt das Risiko besteht, dass die Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen tatsächlich geltend gemacht wird.289 Auch unmittelbare Haf285  Damit wird die (bezogen auf den Vorstand) von Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 728, geäußerte Forderung, ein Organmitglied müsse es in der eigenen Hand haben, „in den Genuss der Business Judgment Rule zu gelangen“, erfüllt, wenngleich dies an entsprechender Stelle nur der Ausgangspunkt dafür ist, eine „Infektion“ der übrigen Organmitglieder im Fall eines offengelegten Interessenkonflikts – anders als in dieser Arbeit vertreten – generell abzulehnen. Gleiches gilt hinsichtlich der Ausführungen von Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 616, der Wert darauf legt, dass es in Bezug auf § 93 Abs. 1 S. 2 AktG „bei dem Prinzip der individuellen, persönlichen Verantwortung bleibt“. 286  Statt vieler Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 91. Im Einzelnen zur Außenwirkung nichtiger (unwirksamer) Aufsichtsratsbeschlüsse Hopt/M. Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 213 ff. 287  Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 102 und 128; Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 130; Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 424; Matthießen, Stimmrecht, S. 216. 288  Übereinstimmend in Bezug auf die Verletzung eines Stimmverbots Giesen, Organhandeln und Interessenkonflikt, S. 128. 289  Zum Kreis der über das für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse verfügenden Personen Hüffer/Koch, § 108 Rn. 30. Danach verfügen Aktionäre nur ausnahmsweise über ein Feststellungsinteresse. Aufsichtsratsmitglieder und Vorstandsmitglieder sind klagebefugt, jedoch ist fraglich, inwieweit sie bereit sind,

312

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

tungsrisiken der Beteiligten werden sich nur sehr selten realisieren, da ein kausaler Schaden der Gesellschaft in aller Regel nicht nachweisbar ist. Auf diesem Weg dürfte somit keine allzu starke präventive Verhaltenssteuerung zu erreichen sein,290 zumal eine Schadensverfolgung gegenüber dem Aufsichtsrat in der Praxis nicht selten unterbleibt291. Die mögliche Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen im Zusammenhang mit einer fehlerhaften Entsprechenserklärung zum DCGK kann aufgrund ihrer Anknüpfung an einen Verstoß gegen § 161 AktG von vornherein nicht zu den direkten Konsequenzen eines inadäquaten Umgangs mit Interessenkonflikten gezählt werden und lässt sich, nebenbei bemerkt, vergleichsweise leicht vermeiden. Die unmittelbaren Rechtsfolgen und mit ihnen die Sanktionierung eines Umgangs mit Interessenkonflikten, der den an ihn zu stellenden Anforderungen nicht gerecht wird, fallen insgesamt eher schwach aus, sodass der auf die Aufsichtsratsmitglieder wirkende Druck, pflichtgemäß mit Interessenkonflikten zu verfahren, aus dieser Perspektive regelmäßig überschaubar sein dürfte. Selbst wenn man davon ausgeht, bei einem unrechtmäßigen Eingriff in die Mitwirkungs- und Teilnahmebefugnisse eines Aufsichtsratsmitglieds bestehe von vornherein kein Kausalitätserfordernis für die Annahme der Fehler­ haftigkeit anschließend gefasster Aufsichtsratsbeschlüsse, führt dies wegen der demgegenüber tendenziell weniger einschneidenden Folgen der Nichtvornahme eines Teilnahmeausschlusses292 dazu, dass die Wahrscheinlichkeit der Inaktivität auf Seiten der übrigen Aufsichtsratsmitglieder noch weiter wächst.

I. Erzielung einer verhaltenssteuernden Wirkung der Business Judgment Rule Eine verhaltenssteuernde Wirkung der Business Judgment Rule293 ist auch wegen der im Übrigen überschaubaren Konsequenzen eines nicht pflichtgemäßen Umgangs mit Interessenkonflikten zu begrüßen. Sie ergibt sich daraus, dass das Eingreifen von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Vorteile für die Aufzwar gegen die AG (Spindler, in: BeckOGK-AktG, Stand: 01.07.2020, § 108 Rn. 86) zu klagen, dabei jedoch faktisch gegen Beschlüsse vorzugehen, an denen sie selbst beteiligt waren, bzw. gegen Beschlüsse des Aufsichtsrats vorzugehen, von welchem sie letztlich abhängig sind. 290  Ähnlich Lutter, in: FS Priester, 2007, S. 417, 424, der die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Verhaltenspflichten im Umgang mit Interessenkonflikten unter diesem Gesichtspunkt als „eher schwach“ einstuft. 291  Vgl. stellvertretend Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 5 und 87; der dort geäußerte Befund dürfte auch heute noch Geltung beanspruchen. 292  Siehe in der Zusammenschau oben § 5 A. II. und § 5 A. III. 293  In diese Richtung auch Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 176 f.



D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und § 4313

sichtsratsmitglieder bietet und diese daher versuchen, in ihrem Einflussbereich das Vorliegen der nötigen Tatbestandsvoraussetzungen zu gewährleisten. Die verhaltenssteuernde Wirkung folgt in Bezug auf Interessenkonflikte daraus, dass wie dargelegt die Erfüllung des Tatbestands der Business Judgment Rule konsequent an die Befolgung der nach dem vorgeschlagenen und überarbeiteten System von Maßnahmen zum Umgang mit Interessenkonflikten angezeigten Schritte gekoppelt wird. Aus diesem Grund kann die (Nicht‑) Anwendbarkeit der Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG als eine der möglichen Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens des Konfligierten und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder im Kontext von Interessenkonflikten angesehen werden. Die entsprechende Spiegelbildlichkeit zwischen den Anforderungen in der täglichen Aufsichtsratsarbeit, insbesondere in den Sitzungen und bei Beschlüssen, und denjenigen an eine Verbesserung der eigenen Position angesichts eines Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft trägt gerade aus der Sicht der Organmitglieder zur Vereinfachung bei. Die Bedenken, durch die drohende Haftungsdeprivilegierung werde mittelbar entgegen der Tatsache, dass Rechtsprechung und Gesetzgeber kein solches vorsehen, ein Mitwirkungsverbot für konfligierte Aufsichtsratsmitglieder erzwungen,294 greifen angesichts der nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehenden Notwendigkeit von Interessenkonfliktmaßnahmen und deren Fundierung anhand der Treuepflicht der Organmitglieder nicht durch. Außerdem ändert die befürwortete, umfassende Lösung nichts an dem Befund, dass ein Entfall der Haftungserleichterung aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG der Führung eines erfolgreichen Entlastungsbeweises durch den Konfligierten, dass er – ex ante – die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissen Aufsichtsratsmitglieds angewendet und mithin nicht pflichtwidrig gehandelt hat, nicht grundsätzlich entgegensteht.295 In jedem Fall empfiehlt sich in der Praxis aber eine sorgfältige Dokumentation der Offenlegung von Interessenkonflikten und der Verhängung darauf bezogener Maßnahmen bzw. des Verzichts auf solche durch den Aufsichtsratsvorsitzenden und das Aufsichtsratsplenum.296

II. Beseitigung dogmatischer Friktionen Schlägt man einen Bogen zurück zur Einleitung zu dieser Arbeit, werden bei genauerem Hinsehen auch Verwerfungen zwischen dem bislang wohl vorherrschenden, rechtsfortbildend entwickelten System zum Umgang mit Interessenkonflikten und dem speziell in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG angelegten gesetzgeberischen Willen erkennbar: Wie von Koch herausgearbeitet 294  Fleischer,

in: BeckOGK-AktG, Stand: 15.01.2020, § 93 Rn. 94. NZG 2012, 168, 175; vgl. auch oben am Beginn von § 5 C. I. 2. 296  Siehe bereits oben § 4 C. VIII. 295  Scholderer,

314

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

wurde,297 steht auf der einen Seite ein formell-typisierter Interessenkonfliktbegriff, wie er sich aus der verbreitet angenommenen, alleinigen Behandlung von Interessenkonflikten durch Stimmverbote analog § 34 BGB in den eng umgrenzten Fallgruppen des Insichgeschäfts und des Richtens in eigener Sache ergibt.298 Auf der anderen Seite steht das nicht im Wortlaut enthaltene, aber letztlich unbestreitbare negative Tatbestandsmerkmal der „Freiheit von Interessenkonflikten“ in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, wo der „Interessenkonflikt“ in Gestalt des entgrenzten Konfliktbegriffs auftritt. Dieses „Neben­einander eines [formell‑]typisierten und eines entgrenzten Konfliktbegriffs“299 muss aus systematischen Gründen beseitigt werden.300 Das gilt schon, soweit je nach Darstellung im Schrifttum mit Stimmrechtsbeschränkungen und der möglichen Verpflichtung zur Amtsniederlegung, teilweise auch Teilnahmebeschränkungen, verschiedene Interessenkonfliktmaßnahmen einen unterschiedlich breiten Anwendungsbereich haben und es abhängig vom Sachzusammenhang und der Art des Interessenkonflikts zu unterschiedlichen Maßnahmen kommen soll. Umso mehr ist dies augenfällig, bedenkt man, dass gemessen an der dargestellten, wohl herrschenden Ansicht zu Stimmverboten, von den gegenständlich nur begrenzten Fällen des § 34 BGB abgesehen, die übrigen Aufsichtsratsmitglieder in vollem Bewusstsein der Privilegierung aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verlustig gehen, ohne dass sie unterhalb der Schwelle einer Amtsniederlegung bzw. Abberufung und außerhalb der genannten Fälle über eine Handhabe dagegen verfügen würden.301 Der einleitend wieder­ gegebenen These von Koch, es gebe in der Gesamtschau aller Regelungsfelder keine stringente und in sich geschlossene Interessenkonfliktdogmatik (mehr),302 ist demnach ohne Einschränkungen beizupflichten. Ein Ausweg liegt in der in dieser Arbeit entwickelten Lösung, sowohl im Beschlusskontext als auch hinsichtlich der Business Judgment Rule und ihres Erhalts zugunsten des Konfligierten, aber auch der übrigen Aufsichtsratsmitglieder, soweit diese Kenntnis von dem Interessenkonflikt haben, einen Ver297  Koch,

ZGR 2014, 697, 710 ff. dazu oben § 4 B. II. 1. a) aa). Treffend Koch, ZGR 2014, 697, 711 f.: „Der bisherige Umgang mit Interessenkonflikten beruht auf einem Analogieschluss zum Vereinsrecht angereichert durch Praktikabilitäts- und Verhältnismäßigkeitserwägungen.“ 299  Koch, ZGR 2014, 697, 700. Zu den beiden Konfliktbegriffen siehe oben § 2 C. III. 1. 300  Koch, ZGR 2014, 697, 713, der im Folgenden ausführlich auf die einzelnen Lösungsoptionen eingeht. 301  Vgl. dazu exemplarisch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 899 f. Wie hier Berner, Offenlegung von Interessenkonflikten, S. 185; vgl. zuvor schon Koch, ZGR 2014, 697, 711 und 713. 302  Koch, ZGR 2014, 697, 700; siehe schon oben § 1 A. 298  Vgl.



D. Bewertung unter Rückgriff auf die Ergebnisse aus § 2 und § 4315

zicht auf die bzw. einen Ausschluss des Konfligierten von der Teilnahme an Beratung und Beschlussfassung für erforderlich und möglich zu halten. Auf die bislang herrschend angenommene gegenständliche Begrenztheit von Stimmrechtsbeschränkungen kommt es so zwar nicht an. Nichtsdestominder ist an dieser Stelle mit Blick auf die genannte These auch ein Votum für einen grundsätzlichen Schwenk im Rahmen der Interessenkonfliktdogmatik abzugeben: Wie Koch zutreffend festgestellt hat, handelt es sich bei § 93 Abs. 1 S. 2 AktG um geschriebenes Recht; das Nichtvorliegen eines Inte­ ressenkonflikts ist ein zwar ungeschriebenes, aber insgesamt konsentiertes negatives Tatbestandsmerkmal dieser Norm. Die Rechtsfortbildung – und darum handelt es sich wegen des weitgehenden Schweigens des Gesetzes im Zusammenhang mit Vorgaben zur Behandlung von Interessenkonflikten – muss insoweit dem Gesetz folgen und sich dem unterordnen, nicht umgekehrt.303 Zudem kann seit der Schaffung von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG von einer „vom Gesetzgeber nunmehr gewünschten Eliminierung von Interessenkonflikten“ ausgegangen werden, welche auf das organschaftliche Beschlussrecht und die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder ausstrahlt.304 Der erwähnte systematische Bruch aufgrund unterschiedlicher Konfliktbegriffe ist jedenfalls durch eine Aufgabe des § 34 BGB zugrunde liegenden formell-typisierten Konfliktbegriffs bei der Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat zu beseitigen.305 Wer anders als hier vertreten allein Stimmrechtsbeschränkungen zur Behandlung des Interessenkonflikts vorsehen will, muss dies unter Verwendung des entgrenzten Konfliktbegriffs bei jedem „Interessenkonflikt“ tun. So ist nämlich vor diesem Hintergrund in der Theorie der bislang bestehende Streit zur gegenständlichen Reichweite etwaiger Stimmrechtsbeschränkungen306 zu entscheiden.

303  Instruktiv Koch, ZGR 2014, 697, 717 f., der in nachvollziehbarer Weise Kritik an der Darstellung von Kumpan, Interessenkonflikt, S. 555, äußert (a. a. O., 718 Fn. 69). Der auch von Koch, a. a. O., 717 f., wegen der Aufnahme eines entgrenzten Konfliktbegriffs in das Aktienrecht festgestellte Änderungsbedarf im rechtsfortbildend gestalteten Umgang mit Interessenkonflikten bestätigt nochmals und aus einem zusätzlichen Blickwinkel die oben in § 4 B. II. im Ganzen vorhandenen Ausführungen. 304  Reichert, in: FS E. Vetter, 2019, S. 597, 606 f. 305  Allgemein kritisch zum formell-typisierten Konfliktbegriff nach § 34 BGB und sodann in diesem Sinne bereits Koch, ZGR 2014, 697, 716 ff. 306  Dazu oben § 4 B. II. 1. a) im Ganzen.

316

§ 5 Mögliche Konsequenzen pflichtwidrigen Verhaltens

III. Erneut: Schaffung begrifflicher Stringenz im Rahmen des Systems zur Behandlung von Interessenkonflikten Der zu Beginn erwähnten These, einen einheitlichen Begriff des Interessenkonflikts gebe es nicht,307 welcher schon das in dieser Arbeit entwickelte Begriffsverständnis des „Interessenkonflikts“ sowie der optimierte, seiner Behandlung dienende Maßnahmenkatalog samt der jeweiligen Voraussetzungen gegenübergestellt werden können,308 lässt sich an dieser Stelle abschließend noch entgegengehalten, dass auch die vorstehend erörterten und verfeinerten Voraussetzungen der Business Judgment Rule die Annahme eines einheitlichen Interessenkonfliktbegriffs rechtfertigen. Nimmt man mögliche Attribute hinzu, ist praktisch zwischen zwei Arten von Interessenkonflikten zu unterscheiden („Interessenkonflikt“ und „wesentlicher und nicht nur vorübergehender – bzw. wiederkehrender – Interessenkonflikt“), die aber im Kern auf denselben Begriff und dasselbe Verständnis des Interessenkonflikts zurückgehen. So ist dann auch der bezogen auf den Vorstand im unmittelbaren Zusammenhang mit der genannten These getroffenen Feststellung, ein Interessenkonflikt, der die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verhindert, „beginn[e] nicht erst dort, wo der Kodex dem Vorstand die Amtsniederlegung empfiehlt“309, (auch) übertragen auf den Aufsichtsrat vollumfänglich zuzustimmen. An den „normalen“, von Attributen freien „Interessenkonflikt“ sind erstens (im Einklang mit Empfehlung E.1 S. 1 DCGK) die Offenlegungspflicht des Konfligierten, zweitens die Notwendigkeit einer temporär wirkenden Interessenkonfliktmaßnahme – nach dem hier verfolgten Ansatz einer Teilnahmebeschränkung – und drittens der Entfall der Business Judgment Rule geknüpft, wobei deren Anwendbarkeit spiegelbildlich durch die pflichtgemäße Vornahme der genannten Interessenkonfliktmaßnahme (wieder‑)erhalten werden kann. Der „wesentliche und nicht nur vorübergehende“ Inte­ressenkonflikt hat (im Einklang mit Empfehlung E.1 S. 3 DCGK) zur Folge, dass das Aufsichtsratsmandat beendet werden muss.

307  Koch,

ZGR 2014, 697, 706 und 730; siehe schon oben § 1 A. oben § 4 C. II. 309  Koch, ZGR 2014, 697, 706. 308  Siehe

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit können wie folgt zusammengefasst werden: 1. In Anbetracht der Annahme, dass aus Interessenkonflikten im Aufsichtsrat Nachteile für das Unternehmensinteresse der jeweiligen AG drohen, ist von Bedeutung, dass der Aufsichtsrat bestimmte Möglichkeiten hat, um auf dieses Einfluss zu nehmen. Abgesehen von der retrospektiven Kontrolle, zu deren Zweck der Aufsichtsrat über eine Reihe von Informations- und Einsichtsrechten sowie Überwachungsinstrumenten verfügt, umfasst die dem Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 1 AktG obliegende Überwachung des Vorstands auch dessen zukunftsorientierte Beratung. Auf diese Weise kann der Aufsichtsrat die Unternehmenspolitik in gewisser Weise mitgestalten. Nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG unterliegen bestimmte Arten von Geschäften seiner Zustimmung. Gemäß § 84 AktG entscheidet der Aufsichtsrat über die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder. Aus der Organstellung der Aufsichtsratsmitglieder folgt eine Treuepflicht gegenüber der AG. Die Aufsichtsratsmitglieder sind zur Wahrung des Unternehmensinteresses verpflichtet, das den Maßstab für die Ausübung ihrer organschaftlichen Befugnisse darstellt, jedoch nicht abschließend definiert werden kann. Letztendlich gehen darin verschiedene (Gruppen‑)Interessen auf, insbesondere die der Aktio­näre. Soweit dies nicht der Fall ist, verbietet das Unternehmensinteresse allerdings die Verfolgung von Partikularinteressen im und durch den Aufsichtsrat. Bis zu dieser Grenze liegt in der Verwirklichung der Interessen einzelner Interessengruppen gerade eine Verwirklichung des Unternehmensinteresses.1 2. Vor dem Hintergrund der interessenpluralistischen Komposition des Aufsichtsrats sind dessen Mitglieder besonders anfällig für Interessenkonflikte. Infolge der Wahl bzw. Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Aktionäre sowie der für einige Gesellschaften eingreifenden Arbeitnehmermitbestimmung laufen die Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich Gefahr, die jeweiligen Interessen der Aktionäre, Arbeitnehmer oder Gewerkschaften dem Unternehmensinteresse vorzuziehen. Außerdem hat die Aufsichtsrats­ tätigkeit den Charakter einer Nebentätigkeit bzw. eines Teilzeitberufes, wes1  § 2

A. im Ganzen.

318

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen

halb die Aufsichtsratsmitglieder häufig weitere haupt- oder nebenamtliche Funktionen insbesondere in anderen Unternehmen, Institutionen oder der Politik ausüben, aus denen vom Unternehmensinteresse abweichende Interessen hervorgehen können. Einerseits ist die Repräsentation bestimmter Stellen nicht selten gewollt, andererseits erfüllt nur ein beschränkter Personenkreis das für Aufsichtsratsmitglieder üblicherweise geltende Anforderungsprofil oder verfügt über das von der Gesellschaft speziell gewünschte Renommee. Für viele Aufsichtsratsmitglieder besteht letztlich ein erhöhtes Risiko, dass sie in den Zwiespalt zwischen der Verfolgung des Unternehmensinteresses und divergierender Eigen- bzw. Drittinteressen geraten. Nach der gesetz­ lichen Konzeption ist im Aufsichtsrat ein gewisses Konfliktpotenzial strukturell angelegt.2 3.  Es gibt bisher keine allgemein gültige Definition des Begriffs „Interessenkonflikt“. Im Kern muss ein „Interessengegensatz“ vorliegen, der begrifflich von dem eventuellen Interessenkonflikt zu trennen ist und der die für Interessenkonflikte charakteristische, aber auch notwendige Kumulation (teil‑)inkompatibler Interessen in einer Person abbildet. Ein Interessengegensatz ist abstrakt zu bejahen, wenn in einem Subjekt – einem Menschen oder einer Gesellschaft – mehrere Interessen (Eigen- und/oder zu wahrende Fremdinteressen) zusammentreffen und für das Subjekt nicht miteinander zu vereinen sind, weil im entscheidenden Zeitpunkt die gleichzeitige vollständige Wahrung aller beteiligten Interessen nicht möglich ist. Die dementsprechend nötige Inkompatibilität entfällt, soweit wie im Fall des Unternehmensinteresses das eine beteiligte Interesse in dem anderen aufgeht und die beiden Interessen somit kongruent sind. Jedoch repräsentiert ein Interessengegensatz nur einen Teilausschnitt eines Interessenkonflikts. Dieser beinhaltet zusätzlich eine Relevanzschwelle der Art, dass zu fragen ist, ob von der Warte eines der beteiligten Interessen aus gesehen die Gefahr im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dieses Interesse wegen des parallel vorliegenden, entgegenstehenden Interesses verletzt wird. Auf diese Weise wird der Inte­ressenkonfliktbegriff von vornherein nur in den Fällen angelegt, die auch als rechtlich problematisch zu betrachten sind. Außerdem wird nur dies denjenigen Normen und Regeln gerecht, die an einen „Interessenkonflikt“ anknüpfen.3 4.  In abstrakter Form gilt: Ein Interessenkonflikt liegt vor, wenn in einem Subjekt mehrere nicht vollständig miteinander vereinbare Eigen- und/oder durch dieses zu wahrende Fremdinteressen zusammentreffen und aus dem Blickwinkel eines der Interessen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dem anderen Interesse von dem Subjekt der Vorzug gegeben 2  § 2 3  § 2

B. im Ganzen. C. I. 1. und § 2 C. I. 2.



§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen319

wird. Bezogen auf die Mitglieder des Aufsichtsrats als Subjekt und damit von der Warte des Unternehmensinteresses der betreffenden AG aus gesprochen, lautet die Definition des Interessenkonfliktbegriffs: Ein Aufsichtsratsmitglied befindet sich in einem Interessenkonflikt, wenn in seiner Person das von ihm zu wahrende Unternehmensinteresse und ein nicht vollständig damit vereinbares Eigen- oder durch das Aufsichtsratsmitglied zu wahrendes Fremdinteresse zusammentreffen und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dem anderen Interesse gegenüber dem Unternehmensinteresse von dem Aufsichtsratsmitglied der Vorzug gegeben wird.4 5. Aus der drohenden Konsequenz, dass ein Interesse aufgrund des inkompatiblen anderen Interesses nicht gewahrt wird, folgt das Bedürfnis, den Interessenkonflikt rechtlich zu erfassen und zu behandeln. Dabei ist zu unterscheiden: Der Interessenkonflikt kennzeichnet nicht mehr und nicht weniger als die Möglichkeit, dass das eine Interesse bevorzugt und damit das andere Interesse vernachlässigt wird. Durch ein (interessen‑)konfliktbeeinflusstes Verhalten realisiert sich diese Gefahr und ein Interesse wird vernachlässigt. Die rechtliche Intervention muss auf beiden Ebenen ansetzen: Das tatsächlich konfliktbeeinflusste Verhalten muss notwendigerweise sanktioniert und teilweise damit einhergehend auch materiell kompensiert werden. Ungeachtet dessen ist jedoch von Bedeutung, wie schon der Realisierung der genannten Gefahr vorgebeugt werden kann. Somit ist der Interessenkonflikt ins Visier zu nehmen.5 6. Die rechtliche Adressierung von Interessenkonflikten kann technisch anhand des formell-typisierten und des entgrenzten Konfliktbegriffs erfolgen. Im Fall des formell-typisierten Konfliktbegriffs ist an typisierte, einfacher zu subsumierende Sachverhalte anzuknüpfen, die den gedanklich zugrunde liegenden Interessenkonflikt tatbestandlich repräsentieren. Allerdings werden so stets nur einzelne Fälle erfasst, was nicht immer sachgerecht ist. Der entgrenzte Konfliktbegriff beinhaltet dagegen die Feststellung des Interessenkonflikts als solchen, was eine umfassende Abwägung und Bewertung der Umstände im Einzelfall erfordert. Der Interessenkonflikt basiert dabei auf subjektiven Tatsachen. Nichtsdestotrotz muss durch die Anknüpfung an objektive Hilfstatsachen, die für den neutralen Beobachter den Schluss auf einen Interessenkonflikt rechtfertigen, eine verobjektivierte Perspektive angelegt werden. Die in den Blick genommene Person muss jedoch von den entsprechenden äußeren Faktoren und Umständen Kenntnis haben.6

4  § 2

C. I. 3. C. II. im Ganzen. 6  § 2 C. III. im Ganzen. 5  § 2

320

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen

7.  Interessenkonflikte können anhand der Frequenz der aus einem Interessengegensatz entstehenden Interessenkonflikte unterschieden werden. Dem „punktuellen“ Interessenkonflikt im Einzelfall steht der – in rein begrifflicher Abweichung vom Sprachgebrauch des DCGK („nicht nur vorübergehend“) – „wiederkehrende“ Interessenkonflikt gegenüber, der ein Nacheinander oder auch ein Nebeneinander von Konfliktsituationen markiert, in denen sich ein Interessengegensatz entsprechend zuspitzt. Auf die Bezeichnung von Interessenkonflikten als „dauerhaft“, „permanent“ und „generell“ ist zu verzichten. Interessenkonflikte können zudem anhand ihres relativen Ausmaßes im Verhältnis zur Beziehung der jeweiligen Person zu dem gefährdeten Interesse klassifiziert werden. Liegt weiterhin ein nennenswerter Bereich innerhalb des Interessenwahrungsverhältnisses vor, in dem kein Interessenkonflikt zutage tritt, ist ein „unwesentlicher“ – aber mitnichten irrelevanter – Interessenkonflikt anzunehmen. Ist das Interessenwahrungsverhältnis deutlich mehrheitlich von dem Interessenkonflikt betroffen, ist der Interessenkonflikt „wesentlich“. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Empfehlung E.1 S. 3 DCGK sollte so und nicht als Forderung eines besonders „starken“ Interessenkonflikts verstanden werden, da sich die so angesprochene Wahrscheinlichkeit konfliktbeeinflussten Verhaltens nicht vernünftig staffeln lässt.7 8. Im Fall eines „potenziellen“ Interessenkonflikts liegt nach verobjektivierter Sichtweise zwar noch kein Interessenkonflikt vor, jedoch könnte ein solcher durch das Hinzutreten bestimmter, nicht allzu fernliegender Umstände entstehen. Grundsätzlich bleibt dieser ohne Auswirkungen. Ihm steht der „reale“ Interessenkonflikt gegenüber, wobei dieser Zusatz praktisch entbehrlich ist.8 9. Die Begriffe „Interessenkollision“ und „Interessenwiderstreit“ sollten aus Gründen der Klarheit nicht verwendet werden, wenngleich sie zu demjenigen des Interessenkonflikts synonym sind. Ob der mancherorts gebrauchte Begriff der „Pflichtenkollision“ im Einzelfall inhaltlich zutrifft, stellt eine rechtstheoretische Frage dar, die nicht weiter vertieft werden muss. Pflichtenkollisionen, verstanden als das Zusammentreffen zweier inkompatibler Pflichten in einer Person, sind nicht anders zu behandeln als Interessenkonflikte. Unabhängig davon ist infolge der Prüfung und/oder der genaueren Bestimmung der Reichweite der involvierten Pflichten, etwa gemäß dem Grundsatz der Rollentrennung, oftmals schon keine Pflichtenkollision anzunehmen. Dennoch kann hier durchaus ein behandlungsbedürftiger Interessenkonflikt vorliegen.9

7  § 2

C. IV. 1. und § 2 C. IV. 2. C. IV. 3. 9  § 2 C. V. und § 2 D. im Ganzen. 8  § 2



§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen321

10. Durch Inkompatibilitäten wird eine Konfliktvermeidung nur eingeschränkt erreicht. Sicher vorhersehbar konfligierte Personen werden nur in den Fällen der §§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2–4, 105 Abs. 1 AktG verbindlich von der Aufsichtsratstätigkeit ausgeschlossen. Diese Vorschriften sollen (auch) Interessenkonflikten vorbeugen. Aufgrund des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke sind sie jedoch nicht analog auf andere Tatbestände anwendbar. Somit können selbst absehbar konfligierte Aufsichtsratsmitglieder bestellt werden. Ausgehend von dem Gedanken einer vergleichbaren Interessenlage ergibt sich immerhin, dass Inkompatibilitäten wegen Interessenkonflikten darauf zurückgeführt werden können und umgekehrt dann angemessen sind, wenn bei abstrakter Betrachtung der Umstände ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt, wie er auch zum Tatbestand von Empfehlung E.1 S. 3 DCGK gehört, vorprogrammiert ist.10 11. Aus den bestehenden Unabhängigkeitsvorgaben, die allesamt nicht rechtlich verbindlich sind, insbesondere aus Empfehlung C.6 Abs. 1 Hs. 1 DCGK, folgen keine zwangsläufig an das einzelne Aufsichtsratsmitglied gerichteten Anforderungen, deren Erfüllung konfliktvermeidend wirken würde. Indes geht das eventuelle Auftreten von Interessenkonflikten in einer Person gemessen an Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK zulasten ihrer Unabhängigkeit. Umgekehrt ist im Fall der Annahme der Unabhängigkeit von einer reduzierten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Interessenkonflikten auszugehen. Die Beurteilung der Unabhängigkeit nach Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK ist abhängig von einem potenziellen wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikt, wie er in Realform auch zum Tatbestand von Empfehlung E.1 S. 3 DCGK zählt. „Unabhängigkeit“ lässt sich als Status der Freiheit von potenziellen wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikten beschreiben. Auch die hiernach als unabhängig zu betrachtenden Aufsichtsratsmitglieder können aber wesentlichen und wiederkehrenden ­Interessenkonflikten unterliegen. Ebenso können sämtliche Aufsichtsratsmitglieder punktuellen und nicht „wesentlichen“ Interessenkonflikten unterliegen.11 12. Interessenkonflikte sind durch den Betroffenen offenzulegen. Diese Pflicht ist aus der organschaftlichen Treuepflicht abzuleiten und dabei unabhängig von einer Erkennbarkeit des Konflikts durch Dritte. Empfänger der Offenlegung ist der Aufsichtsratsvorsitzende: Die lückenhafte Kompetenzverteilung zwischen Aufsichtsratsplenum und Aufsichtsratsvorsitzendem ist durch die Annahme einer Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden in denjenigen Fällen zu überbrücken, in welchen ein Handeln des (Gesamt‑)Auf10  § 3 11  § 3

A. im Ganzen. C. im Ganzen, § 3 D. I. und § 3 D. III.

322

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen

sichtsrats faktisch nicht möglich, nicht rechtzeitig möglich oder nicht opportun ist. Da jedenfalls ein Informationsausschluss des Konfligierten keinen Aufschub bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung duldet, muss der Aufsichtsratsvorsitzende diesen verhängen können, aber zu diesem Zweck auch Kenntnis von dem Interessenkonflikt haben. Im Rahmen der Offenlegung sowie der nachgelagerten Auskunftserteilung und Berichterstattung über Interessenkonflikte im Aufsichtsrat ist die Einhaltung etwaiger Verschwiegenheitspflichten gegenüber Dritten bzw. der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Gesellschaft gefährdet. Die Berichterstattung gemäß Empfehlung E.1 S. 2 DCGK muss sich auf ein Minimum beschränken. Diese Maßstäbe gelten auch im Hinblick auf das Auskunftsrecht der Aktionäre. Eine Offenlegung ist nur bei realen, nicht aber bei potenziellen Interessenkonflikten angezeigt. Das gilt für jeden Interessenkonflikt, der gemäß der einschlägigen Definition vorliegt. Jedoch rechtfertigt schon der begründete Verdacht eines Interessenkonflikts bzw. das Vorliegen darauf hindeutender äußerer Umstände eine Offenlegung des (vermeintlichen) Interessenkonflikts. Das Vorliegen eines Interessenkonflikts kann dann später noch verneint werden.12 13.  Die dem Interessenkonflikt inhärente Gefahr für das Unternehmensinteresse wird isoliert, indem das zugehörige Mandat durch Interessenkonfliktmaßnahmen bestimmten Einschränkungen unterworfen wird. Wenn tatsächlich ein Interessenkonflikt vorliegt, genügt dessen Offenlegung nicht. Da die zu erwartende Selbstdisziplinierung des Betroffenen im Anschluss an die Offenlegung das Risiko konfliktbeeinflussten Verhaltens nicht beseitigt, müssen stets Interessenkonfliktmaßnahmen veranlasst werden. Zuständig ist dafür je nach Maßnahme und abhängig von der Frage einer etwaigen Kompetenz aus zeitlichen bzw. praktischen Gründen entweder der Aufsichtsratsvorsitzende oder das Aufsichtsratsplenum, wobei für Letzteres die Einschätzung des Aufsichtsratsvorsitzenden hinsichtlich des Vorliegens eines Interessenkonflikts maßgeblich ist. Die letztverbindliche Entscheidung über das Vorliegen eines Interessenkonflikts und die Adäquanz der zu seiner Bewältigung verhängten Interessenkonfliktmaßnahmen trifft das Gericht.13 14.  Als am wenigsten eingriffsintensive Interessenkonfliktmaßnahme wird bislang vornehmlich ein automatisch eingreifendes Stimmverbot diskutiert. Nach überwiegender, aber umstrittener Ansicht, die auf einem Analogieschluss zum Vereinsrecht basiert, gilt ein auf die Fälle des Insichgeschäfts und des Richtens in eigener Sache beschränktes Stimmverbot, wobei der Kreis der darunter gefassten Situationen durch eine Ausdehnung des Verständnisses bzw. eine erweiterte Auslegung der beiden Fallgruppen teilweise größer gezogen wird, um weitere kritische Konstellationen erfassen zu kön12  § 4 13  § 4

A. im Ganzen. B. und § 4 B. I. im Ganzen.



§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen323

nen. Zu befürworten ist jedoch die standardmäßige Verhängung eines Teilnahmeausschlusses in Reaktion auf jeden Interessenkonflikt. Bis auf Ausnahmen ist danach auf Stimmrechtsbeschränkungen als Interessenkonfliktmaßnahme zu verzichten. Die eklatanten Unwägbarkeiten, die mit der Distinktion der beiderseits temporär wirkenden Beschränkungen des Stimm- bzw. Teilnahmerechts anhand der „Stärke“ des Interessenkonflikts einhergehen, begründen einen Verzicht auf die Konfliktstärke als Determinante.14 15.  Jeder dem Begriff nach anzunehmende Interessenkonflikt verlangt einen Teilnahmeausschluss, der aber als solcher angeordnet werden muss und nicht automatisch gilt. Die Treuepflicht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder berechtigt und verpflichtet diese zur Abwendung von Nachteilen für die Gesellschaft und so zur Beseitigung bzw. Isolierung der von dem Interessenkonflikt ausgehenden Gefahr für das Unternehmensinteresse. Das Aufsichtsratsplenum entscheidet über den Teilnahmeausschluss per Beschluss. Der Betroffene unterliegt bei der Entscheidung ausnahmsweise einem Stimmverbot; im dreiköpfigen Aufsichtsrat ist zum Erhalt der Beschlussfähigkeit ausnahmsweise ein Stimmrechtsausschluss zu verhängen. Für das von dem Interessenkonflikt betroffene Aufsichtsratsmitglied besteht aufgrund seiner ­ Treuepflicht in den einschlägigen Fällen eine Pflicht zum Teilnahmeverzicht.15 16.  Jeder dem Begriff nach anzunehmende Interessenkonflikt verlangt einen Informationsausschluss, verstanden als Ausschluss vom Empfang von Unterlagen bzw. von deren Einsichtnahme. Die Treuepflicht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder berechtigt und verpflichtet diese zur Abwendung von Nachteilen für die Gesellschaft und so zur Beseitigung bzw. Isolierung der von dem Interessenkonflikt ausgehenden Gefahr für das Unternehmensinte­ resse. Wegen der Gefahr, dass sich der Interessenkonflikt schon in der Zeit bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung realisiert, indem es zur Preisgabe geschützter Informationen kommt, ist der Aufsichtsratsvorsitzende aus zeitlichen Gründen zur Verhängung des Informationsausschlusses befugt, soweit es um den Zeitraum bis zur Aufsichtsratssitzung geht. Das Aufsichtsratsplenum ist ab diesem Zeitpunkt in der Lage, eine eigene Entscheidung zu treffen. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Aufsichtsratssitzung ist ein Informationsausschluss nur zulässig, wenn zugleich ein Teilnahmeausschluss verhängt wird. Ein zum Informationsausschluss komplementärer Informa­ tionsverzicht des Konfligierten betrifft faktisch allein diejenigen Unterlagen und Informationen, die dem Konfligierten fälschlicherweise zugehen.16

14  § 4

B. II. im Ganzen. B. III. im Ganzen. 16  § 4 B. IV. im Ganzen. 15  § 4

324

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen

17. Ein „Ruhenlassen des Mandats“ im Sinne einer temporären Suspendierung aller mit dem Aufsichtsratsmandat einhergehenden Rechte und Pflichten ist als Interessenkonfliktmaßnahme abzulehnen.17 18. Im Fall eines wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts auf Seiten eines Aufsichtsratsmitglieds sind die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nach pflichtgemäßem Ermessen gehalten, durch die Stellung des Antrags i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG auf eine Abberufung des Konfligierten durch das Gericht hinzuwirken. Gegenüber dem Konfligierten ist bezüglich dieser Entscheidung ein Teilnahmeausschluss zu verhängen. Ein wesentlicher und wiederkehrender Interessenkonflikt stellt dabei den von § 103 Abs. 3 S. 1 AktG tatbestandlich vorausgesetzten „wichtigen Grund“ dar. Dies korrespondiert mit dem Tatbestand von Empfehlung E.1 S. 3 DCGK.18 19.  Die im Gesetz nicht geregelte, aber anerkannte Möglichkeit der Niederlegung des Aufsichtsratsamtes ist als solche nicht an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gebunden. Sie verdichtet sich aber unter bestimmten Umständen zu einer Pflicht zur Amtsniederlegung. Dahinter steht die Treuepflicht. Die für die Abberufung gemäß § 103 Abs. 3 S. 1 AktG geltenden Maßstäbe müssen auch hier greifen: Die Amtsniederlegungspflicht besteht im Fall eines wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts. Dies deckt sich mit dem Tatbestand von Empfehlung E.1 S. 3 DCGK.19 20.  Innerhalb des Systems der Maßnahmen zur Behandlung von Interessenkonflikten bestehen klar festgelegte Zuständigkeiten bei der Entscheidung über das Vorliegen von und im Umgang mit Interessenkonflikten. Die Maßnahmen knüpfen zwingend und dabei allein an das Vorliegen eines „Interessenkonflikts“ bzw. eines „wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikts“ an. Abgesehen von der Offenlegungspflicht ergeben sich dabei in beiden Fällen praktisch gleichgerichtete Pflichten des Betroffenen und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder. Empfehlung E.1 S. 1 DCGK und Empfehlung E.1 S. 3 DCGK fügen sich nahtlos in das System ein. Hinter ihnen steht geltendes Recht.20 21. Alternativ zur Verhängung von Interessenkonfliktmaßnahmen können der Interessenkonflikt und die ihm innewohnende Gefahr dadurch isoliert werden, dass die konfliktbehaftete Materie in einem Ausschuss behandelt wird, dem der Betroffene nicht angehört. Die Verlagerung der Aufsichtsratsarbeit in Ausschüsse unterliegt indes gewissen Grenzen, zumal die Wahl zwischen der Ausschusslösung und der (wiederholten) Verhängung eines 17  § 4

B. B. 19  § 4 B. 20  § 4 C. 18  § 4

V. VI. 1. im Ganzen. VI. 2. im Ganzen. I.



§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen325

Teilnahmeausschlusses unter dem Gesichtspunkt der Effizienz zu erfolgen hat.21 22.  Mit dem im Zuge des ARUG II neu in das Aktiengesetz aufgenommenen § 111b Abs. 2 AktG wird, begrenzt auf einen bestimmten Einzelfall, erstmals ausdrücklich ein Stimmverbot in Reaktion auf einen Interessenkonflikt im Aktiengesetz statuiert. Vor allem aber findet sich der Begriff des Interessenkonflikts infolge des ARUG II erstmals im Gesetzestext wieder. Neben terminologischen Widersprüchen in den Gesetzesmaterialien bestehen gegenüber dem Tatbestandsmerkmal „Besorgnis eines Interessenkonfliktes“ erhebliche Bedenken praktischer und systematischer Art. Sowohl die Regelung des § 111b Abs. 2 AktG an sich als auch ihre konkrete Fassung sind letztlich ganz entscheidend auf den Drang des Gesetzgebers zurückzuführen, die jüngsten Änderungen der Aktionärsrechterichtlinie umzusetzen. Allgemein nutzbare Hinweise bezüglich des Begriffsinhalts und der Dogmatik des Interessenkonflikts ergeben sich aus der Gesetzesänderung nicht. Das System aus standardmäßig vorzunehmenden bzw. hinzunehmenden Beschränkungen bzw. Einschränkungen des Teilnahmerechts bei Interessenkonflikten und der Mandatsbeendigung bei wesentlichen und wiederkehrenden Interessenkonflikten bleibt von der Gesetzesänderung an sich unberührt. Auch der Gesetzgeber hätte im Einklang mit der Aktionärsrechterichtlinie für den von ihm behandelten Fall die Notwendigkeit eines Teilnahmeausschlusses statuieren können und sollen.22 23.  Die Nichtbeachtung der für die Behandlung eines Interessenkonflikts geltenden Grundsätze durch das betroffene Aufsichtsratsmitglied selbst und durch seine Kollegen kann u. a. eine Abberufung des Betroffenen nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG rechtfertigen und auch sonst zu einer Amtsbeendigung durch Dritte führen. Allgemein und so auch für die Vorgaben des DCGK betreffend Interessenkonflikte gilt, dass eine unrichtige oder unvollständige Entsprechenserklärung gemäß § 161 Abs. 1 S. 1 AktG womöglich die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen bewirkt.23 24.  Es kann grundsätzlich die Wirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses berühren, wenn dieser unter Umständen gefasst wurde, die einen unzureichenden oder über das erforderliche Maß hinausschießenden Umgang mit Interessenkonflikten darstellen. Wann Aufsichtsratsbeschlüsse im Einzelnen fehlerhaft sind und welche Rechtsfolgen dies hat, ist in Teilen unklar. Liegt ein Interessenkonflikt vor, erfolgt jedoch kein Teilnahmeausschluss, hat dies keine Konsequenzen, da die Teilnahmeberechtigung weiterhin besteht. Ist ein 21  § 4 22  § 4

23  § 5.

C. VII. D. im Ganzen.

326

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen

Teilnahmeausschluss erfolgt und somit auch das Stimmrecht des Betroffenen ausgeschlossen, ist dessen dennoch abgegebene Stimme nichtig. Nur wenn diese Stimme für das Beschlussergebnis kausal war, ist auch der Beschluss nichtig. Die alleinige Anwesenheit des von der Teilnahme Ausgeschlossenen ohne Partizipation an der Abstimmung stellt den Aufsichtsratsbeschluss nicht infrage. Wird einem Aufsichtsratsmitglied wegen eines vermeintlichen Inte­ ressenkonflikts zu Unrecht die Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung verwehrt, ist wiederum nach der Kausalität für das Beschlussergebnis zu fragen. Erneut kommt es auf die hinzugedachte Stimme des tatsächlich nicht Konfligierten an, nicht allein auf dessen Anwesenheit in der Sitzung. Erfüllt der Konfligierte die Pflicht zum Verzicht auf die Teilnahme an der Sitzung nicht oder bleibt ein Aufsichtsratsmitglied unter unzutreffendem Verweis auf einen Interessenkonflikt der Sitzung fern, hat dies keine Folgen für die Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses. Das gilt auch für die unterbliebene bzw. unbegründete Amtsbe­endigung im Zusammenhang mit Interessenkonflikten.24 25.  Die im Umgang mit Interessenkonflikten für den Konfligierten sowie die übrigen Aufsichtsratsmitglieder geltenden Regeln markieren eigenständige, aus der Treuepflicht abzuleitende Verhaltenspflichten, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch aus § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG zur Folge haben kann. In diesem Kontext kommt die Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG nicht zur Anwendung. Ein gegen den Kon­ fligierten gerichteter Schadensersatzanspruch scheitert praktisch jedoch zumeist daran, dass kein materieller Schaden fest- und/oder kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und der Pflichtverletzung hergestellt werden kann. Diese Probleme stellen sich ebenso in dem Fall, dass aus der üblichen Perspektive kein Interessenkonflikt vorliegt, ein Aufsichtsratsmitglied aber unter Verweis auf einen Interessenkonflikt nicht an der Sitzung teilnimmt oder sein Amt niederlegt. Auch die Haftung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder scheitert in der Regel an den entsprechenden Nachweisschwierigkeiten.25 26.  Zu den Anwendungsvoraussetzungen der Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG gehört die Freiheit des potenziellen Haftungsadressaten von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen. Ein nur potenzieller Interessenkonflikt, der oftmals aus der gesetzgeberischen Konzeption des Aufsichtsrats folgt, schließt die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule nicht aus. Sie entfällt, wenn definitionsgemäß und anhand des allgemein geltenden objektiv-subjektiven Maßstabs ein Interessenkonflikt vorliegt, dessen konstituierendes Merkmal gerade auch eine Relevanzschwelle ist, wie

24  § 5 25  § 5

A. im Ganzen. B. im Ganzen.



§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen327

sie bislang noch extra im Kontext der Business Judgment Rule gefordert wird.26 27.  Ein Entfall der Business Judgment Rule wird dadurch vermieden, dass die Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten befolgt werden. Zurückzuführen ist dies auf eine Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers. Entscheidend ist, inwieweit vernünftigerweise angenommen werden darf, frei von Interessenkonflikten zu handeln. Es wäre widersprüchlich, bestimmte Maßnahmen als zur Behandlung und Bewältigung von Interessenkonflikten ausreichend anzusehen, die Anwendung der Business Judgment Rule unter diesen Umständen aber gerade unter Verweis auf den Interessenkonflikt zu verneinen. Ist das von dem Interessenkonflikt betroffene Aufsichtsratsmitglied im Einklang mit den Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten an einer Entscheidung beteiligt, kommt ihm vorbehaltlich der übrigen Voraussetzungen § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zugute. Die sich damit bietende Möglichkeit der Konfliktneutralisierung setzt einen Anreiz zugunsten eines adäquaten Umgangs mit Interessenkonflikten. Nach hier vertretener Ansicht ist ein Teilnahmeausschluss bzw. ein Teilnahmeverzicht vorauszusetzen, sofern sich im entsprechenden Fall noch die Frage einer Haftung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds stellt.27 28. Im Hinblick darauf, ob der Interessenkonflikt möglicherweise einer Anwendung der Business Judgment Rule zugunsten der übrigen Aufsichtsratsmitglieder entgegensteht, ist im Grundsatz eine Einzelbetrachtung vorzunehmen, bei der es darauf ankommt, dass das in Anspruch genommene Aufsichtsratsmitglied einem Interessenkonflikt unterlegen war. Die Frage der Offenlegung bzw. Nichtoffenlegung ist hier noch nicht von Bedeutung. Es ist aber eine Prüfung vorzunehmen, ob die übrigen Aufsichtsratsmitglieder angesichts des Interessenkonflikts ihres Kollegen vernünftigerweise annehmen durften, frei von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen zu handeln. Haben die übrigen Organmitglieder insbesondere mangels Offenlegung keine Kenntnis von dem Interessenkonflikt, ist das ohne Weiteres der Fall, womit ihnen vorbehaltlich der übrigen Voraussetzungen § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zugute kommt. Haben der Aufsichtsratsvorsitzende und die übrigen Aufsichtsratsmitglieder infolge der Offenlegung des Interessenkonflikts oder aus anderen Gründen von diesem Kenntnis, ist auf den Katalog von Maßnahmen zur Konfliktbewältigung abzustellen. Diese füllen letztlich den in der Norm im Wort „vernünftigerweise“ angelegten Maßstab aus, der für die objektive Begrenzung u. a. der Annahme jedes Organmitglieds gilt, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu handeln. Nötig ist für die Anwendbarkeit von 26  § 5 27  § 5

C. I. 1. und § 5 C. I. 2. C. I. 3. im Ganzen.

328

§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen

§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG nach hier vertretener Ansicht ein Teilnahmeausschluss bzw. ein Teilnahmeverzicht des Konfligierten.28 29.  Durch den Querbezug zu dem Katalog von Maßnahmen zur Konfliktbewältigung sowohl für den Konfligierten als auch für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder erhält die Frage des Eingreifens der Business Judgment Rule eine verhaltenssteuernde Wirkung. Die Frage, unter welchen Bedingungen die Business Judgment Rule zugunsten des Einzelnen wie auch der übrigen Aufsichtsratsmitglieder im Hinblick auf Interessenkonflikte anwendbar sein soll, und die Frage, welche Maßnahmen im Beschlusskontext als Reaktion auf Interessenkonflikte vorzusehen sind, können nicht und dürfen nicht länger isoliert voneinander diskutiert werden.29 30. Es zeigen sich signifikante Friktionen zwischen verbreitet angenommenen, hergebrachten Grundsätzen zum Umgang mit Interessenkonflikten und der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG getroffenen Regelung. Die wohl herrschende Ansicht, auf der Basis eines formell-typisierten Konfliktbegriffs sei nur in bestimmten Fällen ein Stimmverbot anzunehmen, kann schon angesichts dessen nicht aufrechterhalten werden. Zu bedenken ist, dass durch den ungeschriebenen, aber entgrenzten Konfliktbegriff in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG dessen Anwendung in einer wesentlich größeren Zahl von Fällen ausscheidet, ohne dass die Aufsichtsratsmitglieder über eine Handhabe dagegen verfügen würden. Insofern gibt es tatsächlich keine stringente und in sich geschlossene Konfliktdogmatik. Die Lösung liegt in der Aufgabe des formell-typisierten Konfliktbegriffs im Rahmen von Interessenkonfliktmaßnahmen. Dies wird erreicht, indem auch Interessenkonfliktmaßnahmen allein von dem entgrenzten Konfliktbegriff abhängig gemacht werden. Nach hier vertretener Ansicht wird dies durch einen in Reaktion auf Interessenkonflikte standardmäßig vorzusehenden Teilnahmeausschluss bzw. Teilnahmeverzicht des Konfligierten erfüllt.30 31.  Neben den Erkenntnissen zur Konfliktdogmatik, die sich danach auch in Anbetracht der zahlreichen Querbezüge und Differenzierungen in der Summe als stringent und in sich geschlossen darstellt, kann nunmehr die Annahme eines – unabhängig von verschiedenen Attributen und Abstufungen – einheitlichen Begriffs des Interessenkonflikts im Zusammenhang mit dem Aufsichtsrat gerechtfertigt werden. Generell ist eine gewisse sprachliche Einheitlichkeit und Verbindlichkeit und ein eher zurückhaltender Gebrauch des Begriffs „Interessenkonflikt“ anzuregen. Die Definition des Begriffs „Interessenkonflikt“ gilt universell. Von dem „regulären“, von Attributen freien 28  § 5

C. II. im Ganzen. D. I. 30  § 5 D. II. 29  § 5



§ 6 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse in Thesen329

„Interessenkonflikt“ gemäß der für diesen geltenden Definition sind erstens (im Einklang mit Empfehlung E.1 S. 1 DCGK) die Offenlegungspflicht des Konfligierten, zweitens die Notwendigkeit einer temporär wirkenden Interessenkonfliktmaßnahme – nach hier vertretener Ansicht einer Teilnahmebeschränkung – und drittens die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule abhängig. Letztere kann spiegelbildlich durch die pflichtgemäße Vornahme der angezeigten Interessenkonfliktmaßnahme erhalten werden. Aus dem tatsächlich gegebenen „wesentlichen und wiederkehrenden“ Interessenkonflikt folgt erstens (im Einklang mit Empfehlung E.1 S. 3 DCGK) die Notwendigkeit, das Aufsichtsratsmandat zu beenden. Zweitens müssen Interessenkonflikte dann als „wesentlich und wiederkehrend“ und dies als unter den ins Auge gefassten Umständen geradezu vorprogrammiert zu betrachten sein, wenn sie in einer gesetzlichen Inkompatibilität aufgehen bzw. aufgehen sollen. Nur (aber immerhin) potenzielle wesentliche und wiederkehrende Inte­ ressenkonflikte stehen gemäß Empfehlung C.7 Abs. 1 S. 2 DCGK und Empfehlung C.9 Abs. 2 DCGK der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern entgegen.31

31  § 3

D. II., § 4 C. II. und § 5 D. III.

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Stichwortverzeichnis Aktiengesellschaft –– dualistisches Aufgabenmodell, dualistisches System  38, 110 f., 122 –– Funktionstrennung  39, 111 –– Interessensphäre  66 –– Organisationsverfassung  31, 66, 279 –– Rechtspersönlichkeit  66 –– Zuständigkeitsverteilung  31, 279 Aktionäre –– Einfluss  34 –– Entsendungsrechte  46 f. –– Mediatisierung der Rechte  34 –– Vermögens- und Verwaltungsrechte  34 –– Auskunftsrecht  173 –– Stimmrecht  35 –– Teilnahmerecht (an Hauptversammlung)  35 –– Willensbildungsorgan  33 f. –– Zusammentreffen  34 Aktionärsrechterichtlinie  246 f., 255 Anfechtungsklage  257 ARUG II  59, 70, 143, 246, 248, 252 Aufsichtsrat –– Aktionärsausschuss  52 f. –– Anlage von Interessenkonflikten  44, 136, 281, 284, 297 –– Ansprechpartner des Vorstands  39 –– Arbeitnehmermitbestimmung  40, 44, 52 f. –– Ausschuss, Ausschüsse  51, 143, 152, 156 f., 244 ff. –– Beschluss, Beschlüsse  29, 40, 51, 158, 189, 213 f., 216, 259 ff., 270, 274, 310 ff. –– Anfechtbarkeit  260 –– Fehlerhaftigkeit  260, 311 f.

–– Mangel  259 f., 262 –– Nichtigkeit  189, 260 ff., 268, 270 f., 311 –– Beschlussfassung  50 f., 143, 158, 182, 189, 191, 196 f., 204 ff., 208, 212, 215 f., 240 f., 244, 246, 251, 256, 260, 264, 271, 274, 276, 289, 295, 300, 304, 309, 315 –– Beschlussfähigkeit  206, 271 –– Beschlussunfähigkeit  46, 206, 264 –– Mehrheit  40, 51, 182, 222, 263 f., 291 –– Delegationsverbote  51, 245 –– Einberufung der Hauptversammlung  40 –– Finanzexperte  49, 125 f. –– Geschlechterquote  49 –– Innere Ordnung  45, 50 –– Interessenpluralistische Komposition, interessenpluralistische Struktur  44 f., 136 siehe auch Aufsichtsrat – Interessenpluralität, Interessenpluralismus –– Interessenpluralität, Interessenpluralismus  52, 55 siehe auch Aufsichtsrat – Interessenpluralistische Komposition, interessenpluralistische Struktur –– Interessenwahrer der AG  66 –– Komposition des Gremiums  45 –– Gesetzliche Formen  45 –– Mitgliederzahl  45 –– Statusverfahren  46 –– Mitglied siehe Aufsichtsratsmitglied –– Personalkompetenz  39 –– Prüfungsausschuss  124, 126 –– Sektorvertrautheit  49 –– Selbstorganisationsrecht  156, 158, 162

350 Stichwortverzeichnis –– Sitzungen –– Einberufung  50, 157 –– Einladung  268 –– Leitung  50 –– Nichtberechtigte  266 siehe auch Aufsichtsrat – Sitzungen – Teilnahme Unbefugter –– Niederschrift  158, 217 –– Sachverständige  243, 245 –– Sitzungsfrequenz  54 –– Teilnahme Unbefugter  266 –– Teilnahmepflicht (der Aufsichtsratsmitglieder)  275 –– Teilnahmerecht (der Aufsichtsratsmitglieder)  201, 214, 240, 253, 267 –– Teilnehmerkreis  51 –– Überwachung des Vorstands  36, 110, 149 –– Unterbesetzung  46 –– Vorschläge zur Beschlussfassung  40 –– Vorsitzender siehe Aufsichtsratsvorsitzender –– Zustimmungsvorbehalte  38 Aufsichtsratsmitglied –– Abberufung  88, 98, 112, 114, 153, 192, 199, 256 siehe auch Interessenkonfliktmaß­ nahmen – Abberufung –– Bestellung durch das Gericht  46 –– Bestellungshindernis, Bestellungshindernisse  106 f., 111 ff., 120, 137 f., 238 siehe auch Aufsichtsratsmitglied – ­Inkompatibilität, Inkompatibilitäten –– Business Judgment Rule  41 siehe auch Business Judgment Rule –– Entlastung, Entlastungsbeschluss  149, 256 f. –– Entsendung  44, 52 –– Gesamtverantwortung  51, 212 f., 220, 243, 310 –– Haftung  41, 213, 259, 272 f., 275 ff., 281, 294, 296, 310

–– Hinderungsgrund, Hinderungsgründe  49, 106, 108, 111, 113 siehe auch Aufsichtsratsmitglied – Inkompatibilität, Inkompatibilitäten –– Inkompatibilität, Inkompatibilitäten  49, 106 ff., 111, 113 ff., 137 f. –– Nebenamt  52, 54 f., 119 siehe auch Aufsichtsratsmitglied – Teilzeitberuf –– Persönliche Voraussetzungen  48, 106, 111 –– Pflichtverletzung, Pflichtverletzungen  41, 92, 94, 112, 223, 256 f., 272 ff., 287, 294, 297 –– Rechtsverhältnis (zur AG)  47 f. –– Schadensersatzanspruch der Gesellschaft  228, 272, 275, 290 –– Schadensersatzpflicht  276 –– Sorgfaltspflicht  41, 146, 223 –– Stimmabgabe  90, 182, 194, 224, 237, 264, 310 –– Stimmrecht  143, 164, 182, 190 f., 195, 198, 246 f., 251, 265, 269 –– Stimmverbot siehe Interessenkonfliktmaßnahmen – Stimmverbot –– Teilnahmerecht an Sitzungen siehe Aufsichtsrat – Sitzungen – Teilnahmerecht (der Aufsichtsratsmitglieder) –– Teilzeitberuf  52, 54 siehe auch Aufsichtsratsmitglied – Nebenamt –– Treuepflicht  41, 87, 89, 91, 97, 273, 275, 279, 282 f., 313 –– Überkreuzverflechtung  54, 110 –– Unabhängigkeit  120 ff., 135, 137 ff. –– Vergütung  45, 54 –– Verschwiegenheitspflicht  41, 95 f., 98, 149, 167 ff., 173, 208, 217 –– Wahl (durch die Hauptversammlung), Aufsichtsratswahl  40, 44, 46, 52, 107, 112, 120, 176 f. –– Wettbewerbsverbot  106, 119 f., 137 Aufsichtsratsvorsitzender –– Aufgaben und Befugnisse  155, 157, 161 f.

Stichwortverzeichnis351 –– Leitung und Koordination  157 –– Repräsentationsfunktion, Repräsentative Funktion  159, 161 –– Hilfsgeschäfte  160 ff. –– Kompetenzen  161 f., 183 siehe auch Aufsichtsratsvorsitzender – Aufgaben und Befugnisse –– Kompetenzverteilung (im Verhältnis zum Gesamtaufsichtsrat)  153, 156, 161, 165 –– Stellvertreter, stellvertretender (Aufsichtsratsvorsitzender)  50, 165 f., 183 –– Vertretungsmacht  160, 167 –– Wahl  210 f. Besorgnis eines Interessenkonflikts  143, 246 ff. Business Judgment Rule –– Beachtung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten  284, 313 –– Gerichtliche Prüfungsdichte  281, 296 –– Kollegialentscheidungen  290 –– Konnex zu den Interessenkonfliktmaßnahmen  308 –– Nichteingreifen  281, 296 –– Tatbestandsvoraussetzungen  278, 313 –– Freiheit von Interessenkonflikten  279, 290, 299 f., 304, 314 –– Handeln auf der Grundlage angemessener Information  278, 298 –– Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse  278 siehe auch Business Judgment Rule – Tatbestandsvoraussetzungen – Freiheit von Interessenkonflikten –– Handeln zum Wohle der Gesellschaft  278 f., 298 –– in gutem Glauben  278 –– Unternehmerische Entscheidung  278 –– Verhaltenssteuernde Wirkung  312 f.

–– Zivilrechtsdogmatische Integration  277 Deutscher Corporate Governance Kodex –– Adressatenkreis  58, 127, 145 –– Anregungen  59, 171 –– Befolgungsquote  131 –– Empfehlungen, Kodexempfehlungen  59, 127, 171, 257 f. –– Entsprechenserklärung  41, 58, 127, 227, 257 f., 312 –– Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen, Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen  258, 312 –– Unrichtig, Unrichtigkeit  257 f. –– Unvollständig  257 f. –– Erklärungspflicht (nach § 161 AktG)  58, 257 –– Grundsätze  59 –– Interessenkonflikt  59, 77 ff., 84, 128 ff., 145 ff., 150 ff., 170 f., 173 f., 176 ff., 181, 221 f., 226 f., 231, 234 f., 257 f., 312, 316 –– Rechtliche Bedeutung  58 –– Rechtsnatur  178 –– Regelungscharakter  176 –– Regierungskommission  59, 139, 153 –– Unabhängigkeit, Unabhängigkeitsvorgaben  121, 127 ff., 135, 137 ff. EU-Kommission  122 ff., 127, 131, 137 f. Feststellungsklage  189, 261, 270 Hauptversammlung –– Beschluss, Beschlüsse  34 f., 40, 47, 257, 260 siehe auch Hauptversammlung – Entlastungsbeschluss, Entlastungsbeschlüsse –– Beschlusskontrolle  35 –– Entlastungsbeschluss, Entlastungsbeschlüsse  257 f. –– Willensbildungsorgan  33 f.

352 Stichwortverzeichnis –– Zusammentreffen der Aktionäre  34 –– Zuständigkeit  35 Insichgeschäft  192 f., 210, 253, 314 Interesse  61 –– Eigeninteresse  56, 61 f., 64, 66 f., 72 f., 83, 86, 98 f., 102, 117, 121, 123, 133, 179, 209, 236, 255, 285 f., 308 –– Fremdinteresse, Drittinteresse  56, 61 f., 64, 66 f., 72 f., 83, 86, 99, 102, 117, 123, 133, 176, 180 f., 209, 236, 286, 308 –– Kongruenz  62 –– Objekt  61 –– Subjekt  61 f., 66 Interessengegensatz  58, 61 ff., 72, 75 ff., 83, 85, 118, 174, 181, 283 Interessenkollision  84 Interessenkonflikt –– Aktiengesetz  59, 247, 252 –– Arten  74 ff. –– dauerhaft  75 ff., 82 f., 117, 132, 178, 225 –– extern  83 –– generell  75, 77 –– institutionell  82 f. –– intern  83 –– konkret  81, 141, 280 –– permanent  75 ff. –– potenziell  79 ff., 132 ff., 139 ff., 170, 175 ff., 181, 208 f., 217, 233, 249 f., 279 f. –– punktuell  75 ff., 135, 137, 253 –– real  79 ff., 175, 208 f., 250, 280 –– strukturell  82, 137 –– tatsächlich  81 –– wesentlich  78 f., 118, 128 ff., 134, 136, 140, 142, 226 f., 230 ff., 235, 238, 252 f., 260, 267, 271, 273, 275, 316 –– wiederkehrend  77, 118, 133 f.,136, 138, 140, 142, 225, 227, 231 f., 235, 238, 252, 260, 267, 271, 273, 275, 316

–– Begriff  30, 57 ff., 63, 65, 70 f., 73 f., 79, 81, 102, 144, 177 ff., 188, 195, 200, 208, 234 ff., 239, 247, 250 ff., 283 f., 288, 314 ff. –– entgrenzt  70, 247, 250, 252, 314 f. –– formell-typisiert  70, 111 f., 131, 247, 250, 314 –– Definition (abstrakt)  66 –– Definition (bezogen auf Aufsichtsratsmitglieder)  67 –– Einseitigkeit der Betrachtung  64 –– Frequenz  76 ff., 118, 225, 227, 231 –– Gefahr der Interessenverletzung  65 –– Kasuistik  73, 235 –– Kategorien siehe Interessenkonflikt – Arten –– Maßnahmen zur Behandlung siehe Interessenkonfliktmaßnahmen –– Notwendigkeit der rechtlichen Behandlung  67 ff. –– Perspektive zur Feststellung  71, 251 –– Anknüpfung an objektive Hilfstatsachen  73, 251 –– Verobjektivierung des Interessenkonfliktbegriffs  79 –– Pflichtwidriger Umgang mit, nicht pflichtgemäßer Umgang mit  256, 259 –– Prävention  106, 120 –– Realisierung  68 –– Rechtliche Intervention  68, 175 –– Relatives Ausmaß  77, 118, 226 f., 231 –– Relevanzschwelle  63, 65, 80, 177 ff., 181, 284 –– Richtungsentscheidung  64 –– Stärke, Konfliktstärke  63 f., 79, 117, 190, 198 ff., 207, 235, 239, 282 Interessenkonfliktmaßnahmen –– Abberufung  144, 149, 195, 222 ff., 230 ff., 234, 240, 252, 260, 267, 271 ff., 275, 314 –– Beendigung des Mandats  101, 118, 134, 197, 200, 207, 221 f., 226 f., 229 f., 233, 235, 245, 253, 273

Stichwortverzeichnis353 –– Abberufung siehe Interessenkonfliktmaßnahmen – Abberufung –– Amtsniederlegung, Mandatsniederlegung siehe Interessenkonfliktmaßnahmen – Niederlegung des Amtes, Niederlegung des Mandats –– Business Judgment Rule siehe Business Judgment Rule –– Dokumentation  175, 245 –– Eingriffsintensität  199 –– Geschäftsordnung des Aufsichtsrats  147, 246 –– Informationsausschluss  164 f., 215 ff., 221 –– Informationsverzicht  219 –– Niederlegung des Amtes, Niederlegung des Mandats  144, 169, 227 ff., 238, 252, 260, 267, 271, 273, 275, 310, 314, 316 –– Offenlegung (des Interessenkonflikts) –– Auslöser  234, 284 –– Detailtiefe  169 –– Empfänger, Adressat  149 ff., 163, 165 f., 170, 291, 302 –– Rechtliche Grundlage  146 –– Ruhenlassen (des Mandats)  219 ff. –– Satzung  246 –– Stimmenthaltung  144, 196 f., 264 –– Stimmrechtsausschluss  190, 193 ff., 197 ff., 206, 237, 240, 289, 309 –– Stimmverbot  143, 187, 190 f., 193 ff., 197 ff., 205 f., 210 ff., 222, 237, 239 f., 247, 250, 252 ff., 263, 265, 314 –– System  30, 116, 139, 190, 233 f., 236, 238, 252 –– Teilnahmeausschluss  144, 190, 199 ff., 212, 220 f., 223 ff., 234 ff., 245, 253 ff., 259, 264 ff., 275 f., 289, 306 f., 309 ff. –– Teilnahmeverbot  201, 214, 265 –– Teilnahmeverzicht  212 ff., 234, 237, 275, 289

Interessenwahrer  66 ff., 72, 77, 79, 85, 97, 147 Interessenwahrungsverhältnis  61, 72, 74, 78 f., 99, 147 Interessenwiderstreit  84 f. Pflichtenkollision  85 ff., 91 f., 94 ff. –– Grundsatz der Rollentrennung  89 ff., 93 f., 97 ff., 103 f. –– Schaffgotsch  92 f., 104 –– Sphärendifferenzierung  89, 99 related-party-transactions  247 Richten in eigener Sache  192, 194 f., 210, 253, 314 Unabhängigkeit siehe Aufsichtsratsmitglied – Unabhängigkeit und Deutscher Corporate Governance Kodex – Unabhängigkeit, Unabhängigkeitsvorgaben Unternehmensinteresse  30, 42 ff., 66 f., 80, 89 ff., 100, 102, 211 ff., 217, 232, 239 –– Begriff  42 ff. –– Deutscher Corporate Governance Kodex  44 –– Partikular- und Gruppeninteressen  44, 62 Vorstand –– Geschäftsführung  32, 35 f., 40, 111, 149 –– Leitung der Gesellschaft  31 f. –– Vertretung der Gesellschaft  32 Vorstandsmitglieder –– Bestellung (durch den Aufsichtsrat)  39 –– Business Judgment Rule  33 –– Haftung  33 –– Sorgfaltspflicht  32 –– Treuepflicht  32 –– Verschwiegenheitspflicht  32 f., 37