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German Pages 576 Year 1994
Indogermanica et Caucasica
Untersuchungen zur indogermanischen Sprach- und Kulturwissenschaft Studies in Indo-European Language and Culture herausgegeben von
Roberto Gusmani · Anna Morpurgo Davies Klaus Strunk · Calvert Watkins 6
W DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994
Indogermanica et Caucasica Festschrift für Karl Horst Schmidt zum 65. Geburtstag
herausgegeben von
Roland Bielmeier und Reinhard Stempel unter Mitarbeit von
René Lanszweert
W G DE
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994
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Die Deutsche Bibliothek
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CIP-Einheitsaufnahme
Indogermanica et Caucasica : Festschrift für Karl Horst Schmidt zum 65. Geburtstag / hrsg. von Roland Bielmeier und Reinhard Stempel. Unter Mitarb. von René Lanszweert. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1994 (Untersuchungen zur indogermanischen Sprach- und Kulturwissenschaft; 6) ISBN 3-11-013448-9 N E : Bielmeier, Roland [Hrsg.]; Lanszweert, René; Schmidt, Karl Horst: Festschrift; G T
© Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Vorwort Mit dieser Festschrift möchten Schüler, Kollegen und Freunde Karl Horst Schmidt zu seinem 65. Geburtstag am 31. Mai 1994 ehren und ein äußeres Zeichen ihrer persönlichen und wissenschaftlichen Verbundenheit setzen. Gemessen an dem großen internationalen Bekanntheitsgrad des Jubilars hätte der Band eines weit größeren Rahmens bedurft, als der begrenzte Kreis der hier Beitragenden zum Ausdruck bringen kann. Die Herausgeber haben versucht, dem durch die Tabula Gratulatoria ein wenig Rechnung zu tragen. Die Umschreibung des wissenschaftlichen Wirkungsfeldes von Karl Horst Schmidt mit den Begriffen „Indogermanica et Caucasica" muß notwendigerweise zu kurz greifen. Deshalb soll die Aufteilung des Bandes die Schwerpunkte seiner Tätigkeit deutlicher hervorheben. Während der Titel die Sprachen zu erfassen sucht, denen das Interesse des Jubilars vorwiegend gilt, belegt die Zusammenstellung der Beiträge seine bedeutende Rolle in der keltischen und kaukasischen Sprachwissenschaft, aber auch seinen heute mehr denn je aktuellen methodischen Ansatz, Indogermanistik und allgemeine Sprachwissenschaft nicht prinzipiell zu trennen. Geboren in Dessau/Anhalt, studierte Karl Horst Schmidt an den Universitäten Berlin, Köln, Bonn, Dublin und München. Unter seinen akademischen Lehrern sind neben seinem Doktorvater Gerhard Deeters vor allem Rudolf Hertz, Ferdinand Sommer und Leo Weisgerber zu nennen. Von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert, wurde er 1954 mit der Dissertation „Die Komposition in gallischen Personennamen" in Bonn promoviert. 1960 folgte dort die Habilitation für Vergleichende Sprachwissenschaft mit der Schrift „Studien zur Rekonstruktion des Lautstandes der südkaukasischen Grundsprache". Beide Werke sind nach wie vor wichtige Arbeitsinstrumente der Forschung. 1964 wurde er zum außerordentlichen und 1966 zum ordentlichen Professor an der Universität Münster berufen. Im gleichen Jahr nahm er den Ruf auf den Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft an der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum an, wo er 1973/74 Dekan der Abteilung für Philologie war. 1974 schließlich folgte er dem Ruf auf den Lehrstuhl für Vergleichende
Vili
Vorwort
Indogermanische Sprachwissenschaft an der Universität Bonn. Das internationale Ansehen, das der Jubilar durch sein Schaffen erlangt hat, zeigt sich in den Ehrungen, die ihm zuteil wurden: 1988 die Ehrendoktorwürde der Universität Tbilisi, 1991 der Derek Allen Preis der British Academy, 1993 die Ehrenmitgliedschaft in der Royal Irish Academy und in der Société Belge d'Études Celtiques. Neben seiner intensiven, sich durch methodische Strenge auszeichnenden Forschungsarbeit ist ihm aber auch die Lehre ein zentrales Anliegen, mit der er die freimütige, allem Neuen aufgeschlossene und nicht selten auch kontroverse wissenschaftliche Diskussion verbindet. Davon zeugt zum einen sein umfangreicher Schülerkreis, aus dem bisher eine stattliche Reihe sowohl von Dissertationen als auch von Habilitationsschriften erwachsen ist. Hinzu kommt seine konsequente Förderung irischer Nachwuchswissenschaftler mit Hilfe des keltischen Lektorats am Sprachwissenschaftlichen Institut der Universität Bonn. Zum anderen muß hier seine jahrelange tatkräftige und effektive Betreuung von Stipendiaten und Unterstützung von Kollegen, insbesondere aus dem Osten Europas, hervorgehoben werden. Und nicht zuletzt wissen viele auswärtige Gäste die großzügige Aufnahme am Institut und die herzliche Gastfreundschaft im Hause von Doris und Karl Horst Schmidt sehr zu schätzen. Wir alle, Schüler, Kollegen und Freunde, sind Karl Horst Schmidt deshalb zu großem Dank verpflichtet: Möge die vorliegende Festschrift diesen Dank wenigstens zu einem Teil sichtbar machen. Der Dank der Herausgeber geht überdies an alle, die zum Gelingen dieses Bandes beigetragen haben, an die Autoren, an die Mithelfer in den Instituten von Bern und Bonn, an diejenigen, die durch ihre materielle Unterstützung die Realisierung erst ermöglicht haben, an die Herausgeber der Reihe für die Aufnahme in die „Untersuchungen zur indogermanischen Sprach- und Kulturwissenschaft" und an den Verlag für die stets gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Roland Bielmeier
René Lanszweert
Reinhard Stempel
Tabula gratulatoria Anders Ahlqvist, Galway und Helsingfors Peter Anreiter, Innsbruck Anna Maria Arnuzzo, Casale Monferrato Howard I. Aronson, Chicago Julius Aßfalg, München Françoise Bader, Paris Johannes Bechert, Bremen Heinrich Beck, Meckenheim Leszek Bednarczuk, Krakow Werner Besch, Bonn Karl-Heinz Best, Duderstadt Roland Bielmeier, Bern J. Neville Birdsall, Darlington Winfried Boeder, Oldenburg Giancarlo Bolognesi, Milano Heinz Bothien, Frauenfeld Birgit Bramsbäck, Uppsala Bela Brogyanyi, Freiburg i. Br. Enrico Campanile, Pisa Onofrio Carruba, Pavia Alain Christol, Rouen P. de Bernardo Stempel, Bonn Bardhyl Demiraj, Bonn J. Descheriev, Moskau Gevork B. Djahukian, Erevan Toshio Doi, Nagoya Christoph Dröge, Bonn Ivan Duridanov, Sofia Else Ebel, Bochum Joachim Ebert, Halle D. I. Edelman, Moskau Maria Efstathiou, Bonn
Ronald E. Emmerick, Quickborn Johannes Erben, Bonn Michel van Esbroeck, München Annemarie Etter, Bern D. Ellis Evans, Oxford Heinz Fähnrich, Jena Beatrix Färber, Bonn Peter Fischenbeck, Bonn Thomas V. Gamkrelidze, Tbilisi M. Paz García-Bellido, Madrid Stefan Georg, Bonn Jens Görtzen, Westerrönfeld Joachim Göschel, Marburg/Lahn Joaquín Gorrochategui, Vitoria Austris Grasis, Bonn John Greppin, Cleveland Siegfried Grosse, Bochum Monika Grünberg-Dröge, Bonn Claus Haebler, Münster Christopher Hall, Leicester Eric P. Hamp, Chicago Christian Hannick, Würzburg Hans Hartmann, Köln Roland Harweg, Bochum Frank Heidermanns, Köln Wolfgang Hess, Bonn Willi Hirdt, Bonn Toshio Hirunuma, Osaka Karin Hlavácek, Bonn Ingrid Hoffmann, Bonn Edith Horváth, Bonn Javier de Hoz, Madrid Wachtang Imnaischwili, Tbilisi Graham R. Isaac, Bonn
χ
Tabula gratulatoria
Lambert Isebaert, Namur und Leuven Harald Jankuhn, Rheinbach V. N. Jarceva, Moskau Geraint H. Jenkins, Aberystwyth Erzsébeth Jerem, Innsbruck Michael Job, Marburg Rainer Kämpfe, Bonn Rolf-Dietrich Keil, Meckenheim Helmut Keipert, Bonn Heinrich Kelz, Bonn Charles M. Kieffer, Cernay Georgij A. Klimov, Moskau Johann Knobloch, Bonn Rolf Ködderitzsch, Meckenheim Peter Kosta, Potsdam Helena Kurzová, Praha Pierre-Yves Lambert, Paris René Lanszweert, Bern Franz v. László, Bonn Ruth P. M. Lehmann, Austin Winfred Lehmann, Austin Michel Lejeune, Paris Marjatta Lehmann, Bonn Odo Leys, Leuven Frederik Otto Lindeman, Oslo Fritz Lochner von Hüttenbach, Graz Ketevan Lomtatidze, Tbilisi Ina Lucht, Bonn Gearóid Mac Eoin, Galway Séamus Mac Mathúna, Ulster Alexander A. Magometov, Tbilisi Elisabeth Mairhofer, Innsbruck Alfred M. Majewicz, Steszew Ursula Marmé, Bonn Manfred Mayrhofer, Wien Wolfgang Meid, Innsbruck Filippo Motta, Pisa
C. Detlef G. Müller, Remagen Ikuo Murata, Tokyo V. Nedjalkov, St. Petersburg Erich Neu, Bochum Karl August Neuhausen, Bonn Ruth Neukomm, Zürich Günter Neumann, Würzburg Próinséas Ni Chatháin, Dublin Ailbhe O'Corráin, Uppsala und Ulster Brian O'Cuiv, Dublin Mícheál O'Flaithearta, Aberystwyth Ruairi O'hUiginn, Maynooth Hermann Ölberg, Innsbruck Keishiro Okuma, Toyohashi Pádraig O'Riain, Cork Bernard Outtier, Lavau Jakob Ozols, Königswinter Pandeli Pani, Bonn Baidur Panzer, Heidelberg Herbert Pilch, Freiburg i. Br. Diego Poli, Macerata Edgar C. Polomé, Austin Erich Poppe, Cambridge Georges Redard, Kirchlindach Karl Reichl, Bonn Lothar Rhode, Bochum Helmut Rix, Freiburg i. Br. Martin Rockel, Berlin Heinrich Rohrbacher, Bonn Ulrike Roider, Innsbruck Haiim Rosén, Jerusalem Hannah Rosén, Jerusalem Hans Rothe, Bonn Martin S. Ruipérez, Madrid Klaus Sagaster, Bonn Piergiuseppe Scardigli, Firenze Bernfried Schlerath, Berlin Hans Schmeja, Innsbruck
Tabula gratulatoria
Wolfgang P. Schmid, Göttingen Christian Schmitt, Bonn Rüdiger Schmitt, Saarbrücken Helmut Schnelle, Bochum Edmond Schütz, Budapest Heinrich Schützinger, Bonn Dieter Schuh, Bonn und Halle Wolfgang Schulze-Fürhoff, Bonn und München Uwe Seefloth, Bonn Hansjakob Seiler, Lenzburg Herman Seldeslachts, Leuven Tadao Shimomiya, Tokyo H. G. Siebert, Bad Hersfeld Georg Renatus Solta, Wien Barbara Stefan, Innsbruck Witold Stefañski, Torun Astrid Steiner-Weber, Bonn Reinhard Stempel, Bonn Claude Sterckx, Brüssel Klaus Strunk, München Oswald Szemerényi, Freiburg i. Br. Werner Thomas, Bad Homburg v. d. H.
XI
Derick S. Thomson, Glasgow Fridrik Thordarson, Oslo Johann Tischler, Dresden Guram V. Topuria, Tbilisi Jürgen Uhlich, Bonn Jürgen Untermann, PulheimBrauweiler Hermann Váry, Bochum Francisco Villar, Madrid Claus Vogel, Bonn Caitriona Wandersleb-Hertz, Bonn Dieter Weber, Moringen Nico Weber, Bonn Michael Weiers, Bonn Heinz Wenzel, Berlin Iwar Werlen, Bern Heinrich Werner, Bonn Werner Winter, Preetz Konstantin Wöbking, Innsbruck Heinz Jürgen Wolf, Bonn Ariane Zeyen, Bonn Ladislaus Zgusta, Urbana Stefan Zimmer, Berlin
Seminar für Vergleichende und Indogermanische Sprachwissenschaft, Universität Berlin Institut für Sprachwissenschaft, Universität Bern Sprachwissenschaftliches Institut, Universität Bochum Orientalisches Seminar, Universität Bonn Seminar für Sprach- und Kulturwissenschaft Zentralasiens, Universität Bonn Sprachwissenschaftliches Institut, Universität Bonn Bibliothèque de l'Université Libre de Bruxelles Institute of General and Applied Linguistics, University of Copenhagen Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Technische Universität Dresden Institut für Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft, Universität Erlangen
XII
Tabula gratulatoria
Sprachwissenschaftliches Seminar, Universität Freiburg Department of Old Irish, University College, Galway Professur für Vergleichende Sprachwissenschaft, Universität Gießen Sprachwissenschaftliches Seminar, Universität Göttingen Seminar für Sprachwissenschaft und Indogermanistik, Universität Halle-Wittenberg Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft und Indogermanistik, Universität Hamburg Sprachwissenschaftliches Seminar, Universität Heidelberg Institut für Sprachwissenschaft, Universität Innsbruck Lehrstuhl für Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft, Universität Jena Seminar für Allgemeine und Indogermanische Sprachwissenschaft, Universität Kiel Institut für Sprachwissenschaft, Universität Köln Sanskrit Seminar, Universität Kyoto Section d'Histoire et de Philologie orientales, Université de Liège Departamento Filología Clásica, Universidad Autónoma de Madrid Deutscher Sprachatlas, Universität Marburg/Lahn Sprachwissenschaftliches Seminar, Universität Marburg/Lahn Istituto di Glottologia e Lingue Orientali, Università di Milano Institut für Allgemeine und Indogermanische Sprachwissenschaft, Universität München Seminar für indogermanische Sprachwissenschaft, Universität Münster Bibliothèque de l'Institut de linguistique, Université de Neuchâtel Dipartimento di Linguistica, Università di Padova Institut für Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft und Indoiranistik, Universität des Saarlandes Universität Tbilisi Institut für Orientalistik der Georgischen Akademie d. Wiss., Tbilisi Institut für Sprachwissenschaft der Georgischen Akademie d. Wiss., Tbilisi Seminar für Vergleichende Sprachwissenschaft, Universität Tübingen Istituto di Glottologia, Università di Udine Institut für Sprachwissenschaft, Universität Wien Lehrstuhl für slavische Philologie, Universität Würzburg Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwissenschaft, Universität Würzburg Indogermanisches Seminar, Universität Zürich
Inhalt Vorwort Tabula gratulatoria
Indogermanische und allgemeine Sprachwissenschaft
VII IX
1
ENRICO CAMPANILE
Bemerkungen zu den idg. Multiplikativa und den griechischen Bildungen auf -άκι(ς)
3
GEVORK B . DJAHUKIAN
Indoeuropäische phonetisch-grammatische Dialekt-Isoglossen, die vom Hethitisch-Luvischen und Armenischen geteilt werden
12
THOMAS V. GAMKRELIDZE
Proto-Indo-European as a Language of Stative-Active Typology
25
ERIC P. H A M P
The Laryngeal Heteroclites
35
MICHAEL JOB
Zur Funktion des Perfekts im Rgveda
41
JOHANN KNOBLOCH
Grundformen subkultureller Wortbildungen und Begriffsprägungen in den klassischen Sprachen
63
ROLF KÖDDERITZSCH
Alb. grua, grue ,Frau, Weib; Ehefrau, Gattin'
67
RENÉ LANSZWEERT
Πάπυρος: ein mykenisches Schimpfwort?
77
WINFRED P. LEHMANN
Modifications in Syntactic Change from SOV to VSO Structure
97
FREDERIK OTTO LINDEMAN
'Laryngeal' Colouring and Lengthened Grade in Indo-European
110
XIV
Inhalt
ERICH N E U
Modusbildungen im Hurritischen
122
EDGAR C . POLOMÉ
A Few Notes about Religious Correspondences between Celtic and Germanic 138 HANS ROTHE
Grammatische Kategorie und dichterischer Stil
149
BERNFRIED SCHLERATH
Der Morgensänger
164
RÜDIGER SCHMITT
Sprachzeugnisse alt- und mitteliranischer Sprachen aus Afghanistan
168
REINHARD STEMPEL
i-Genitiv, ¿"-Motion und Femininum: Versuch einer Synthese . . 197 OSWALD SZEMERÉNYI
Etyma Graeca VII (35)
211
WERNER THOMAS
Zur Frage der nichtindogermanischen Komponente im Tocharischen 223 FRANCISCO VILLAR
Los antropónimos en Pent-, Pini- y las lenguas indoeuropeas prerromanas de la Península Ibérica 234 WERNER WINTER
Griechisch -μεν und griechisch -μες
265
LADISLAUS ZGUSTA
De Vladikavkaz nomine restituto, sive de nominum dandorum causis diversis 272
Keltologie
279
PATRIZIA DE BERNARDO STEMPEL
Das indogermanische m f^wo-Verbaladjektiv im Keltischen . . 281 D . ELLIS EVANS
Some Remarks on the Study of Old Celtic Proper Names . . . 306
Inhalt
XV
JOAQUÍN GORROCHATEGUI
La declinación céltica de los temas en -ä y los datos hispanos
316
H A N S HARTMANN
Das Gewitter. Ein englisch-irischer Übersetzungstest mit Schülern von an Cheathrú Rua, Co. Galway 331 JAVIER DE H O Z
Castellum Aviliobris. Los celtas del extremo occidente continental 348 PIERRE-YVES LAMBERT
Sur le bronze celtibère de Botorrita
363
GEARÓID M A C EOIN
The Irish metrical term laid
375
WOLFGANG M E I D
Die „große" Felsinschrift von Peñalba de Villastar
385
BRIAN Ó Cuív The Concepts of 'correct' and 'faulty' in Medieval Irish Bardic Tradition 395 PÁDRAIG Ó RIAIN
Finnio and Winniau: a Question of Priority
407
DERICK S . THOMSON
The Blood-Drinking Motif in Scottish Gaelic Tradition
Kaukasistik
....
415
425
ROLAND BIELMEIER
Sprachkontakte nördlich und südlich des Kaukasus
427
WINFRIED BOEDER
Kartvelische und indogermanische Syntax: Die altgeorgischen Klitika 447 GEORGIJ A . KLIMOV
L'analogie kartvélienne de ΓΙΕ *oktö(u) =
472
KETEVAN LOMTATIDZE
On the Imperative Mood
479
XVI
Inhalt
ALEXANDER A . MAGOMETOV
Inklusiv und Exklusiv im Dargwa
485
C . DETLEF G . MÜLLER
Die Georgier in Palästina
489
WOLFGANG SCHULZE-FÜRHOFF
Zur funktionalen Typologie des „einfachen Satzes" im Xinalug
500
GURAM V. TOPURIA
Zur Geschichte der grammatischen Klassen in den ostkaukasischen Sprachen
524
Karl Horst Schmidt — Liste der Publikationen
535
Indogermanische und allgemeine Sprachwissenschaft
Enrico Campanile
Bemerkungen zu den idg. Multiplikativa und den griechischen Bildungen auf -άκι(ς) Im Indogermanischen bildeten die Multiplikativa zwei voneinander vom formalen Gesichtspunkt aus völlig unterschiedliche Reihen; und diese formale Verschiedenheit spiegelt zweifellos die Tatsache wider, daß die Indogermanen am Anfang ihrer Geschichte die ganze Zahlenfolge, die sie erst im Laufe der Zeit erwarben, nicht besaßen, so daß die Struktur der späteren Zahlenelemente der der älteren nicht entspricht. Abgesehen von „einmal", das beträchtliche Schwierigkeiten bietet und auf das wir nachträglich zurückkommen werden, werden „zweimal", „dreimal" und „viermal" durch auf schwundstufige Grundzahlen aufgebaute Bildungen auf -s ausgedrückt: *dwi-s „zweimal": ved. dvih, aw. bis, gr. δίς (dial, δ/ής), lat. bis (vgl. auch ahd.zwiror, Loewe 1916); es scheint mir gut möglich, daß auch heth. 2-is (vgl. Meriggi 1980, 330; Eichner 1992, 62) hierher gehört; *tri-s „dreimal": ved. tríh, aw. Oris, gr. τρίς, lat. ter(r) — vgl. auch terruncius, die Münze, die dreimal eine uncia galt — (ahd. driror, vgl. Loewe a. a. O.); *kwetwr-s „viermal": ved.catúh, awxaOrus, lat.quater. Oberhalb „vier(mal)" beginnt die Reihe der Bildungen, die aus einer Grundzahl + dem Lexem „mal" bestehen. Dieses Lexem kann als *krtu- rekonstruiert werden, wenn wir ved. krtvah „mal", wie wir weiter unten vorschlagen werden, mit kymr. pryd (in ar brydau „einigemal") vergleichen, das ohne Zweifel ein «-Stamm war, wie der Vergleich mit altir. cruth „Gestalt" und die Form seines Plurals beweisen. Dieser Bildungstyp wurde in einigen Sprachen (ζ. B. im Baltischen und Slavischen) so produktiv, daß er zum Teil oder sogar vollständig die andere Reihe beseitigte. Das altindische Lexem, das in vielen anderen idg. Sprachen genaue Entsprechungen findet, obwohl es zu Recht als Akk.Pl. eines w-Stam-
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Enrico Campanile
mes interpretiert werden kann, wird im Altindischen als ein indeklinables Wort behandelt und kann daher auch mit einem Adjektiv im Singular verbunden werden, wie es bei bhüri kftvah „vielmals" (RV 3,18,4) und säsvat krtvah „allemal" (RV 3,54,1) der Fall ist (vgl. Debrunner/Wackernagel 1929/30, 258), was selbstverständlich auch auf seine morphologische Analyse einwirkt, so daß neben der noch heute vorherrschenden Erklärung (vgl. Printz 1927), die kftvah als Akk.Pl. von *kftu- „Kerbe" interpretiert (und mit krntäti „schneidet" verbindet; vgl. z. B. Mayrhofer 1953-, I, 259), auch die Hypothese aufgestellt wurde, daß krtvah der Akk. Sg. eines Neutrums auf *-wnt ist, was den Vergleich mit aw. bizuuat „zweimal" ( < *dwis-wnt) und Orizuuat „dreimal" ( < *tris-wnt) mit sich bringt (vgl. Hollifield 1984). Diese neue Analyse von kftvah scheint uns jedoch nicht stichhaltig, denn sie berücksichtigt keineswegs die Tatsache, daß die avestischen Bildungen eine Erweiterung der alten Adverbien darstellen, während krtvah kein Multiplikativadverb, sondern eine Nominalbasis enthält. Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, daß im Altindischen -vah den Endungsbestandteil des Nom.Akk.Sg. eines Neutrums auf *-wentdarstellen kann, da nur ein -vat zu Recht erwartet werden kann (darüber Debrunner/Wackernagel a. a. O.). Die alte Etymologie, die wir oben zitiert haben, nach der kftvah mit krntäti verbunden ist, brachte jedoch mit sich, daß jede Verknüpfung des altindischen Wortes mit osk. -pert „-mal" (in petiropert „viermal") und umbr. -per (in trioper „dreimal") ausgeschlossen werden muß, da krntäti keinen alten Labiovelar, sondern einen reinen Velar enthält. Die Unwahrscheinlichkeit dieser Trennung hat daher kürzlich Mayrhofer (1986-, 392) dazu veranlaßt, eine Verknüpfung von kftvah nicht mit krntäti, sondern mit kçnôti „er macht" (dessen k- auf einen Labiovelar zurückgeht) für annehmbar zu halten, was die Verbindung auch mit osk. -pert und umbr. -per ermöglicht. Zweifellos waren Bildungen mit diesem Element ursprünglich auch im Keltischen vorhanden, wie das bisher unbeachtet gebliebene Zeugnis von kymr. ar brydau „einigemal" beweist. Dieses *kwrtu-, das nur in dieser Redewendung die Bedeutung „mal" bewahrt und bei allen übrigen Multiplikativbildungen durch *wektä (kymr. gwaith, altir. fecht) ersetzt wurde, stellt ein wertvolles Relikt dar und kann — wie wir oben gesehen haben — von ved. kftvah, osk. -pert, umbr. -per nicht getrennt werden, was unter anderem beweist, daß die alte Verknüpfung
Bemerkungen zu den idg. Multiplikativa und den griech. Bildungen auf -άκι(ς)
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von „mal" mit „schneiden", wie semantisch wohlbegründet sie auch erscheinen mag, in Wirklichkeit ganz unnötig ist. Die durch den Vergleich mit osk. -pert, umbr. -per, kymr. pryd verursachte Revision der alten Etymologie von kftvah macht aber auch die Revision der Etymologie von Wörtern aus anderen Sprachen nötig, deren etymologische Verknüpfung mit kftvah evident ist. Im Altslavischen werden die Multiplikativa durch das Lexem *kratü „mal" (ζ. B. trikraty „dreimal"), im Baltischen durch das Lexem *kartas „mal" (ζ. B. lit. tris kartùs „dreimal") gebildet; beide sind mit kftvah offensichtlich verbunden und infolgedessen werden auch sie üblicherweise von der Wurzel *ker- „schneiden" hergeleitet (vgl. z. B. Vasmer 1953- I, 657 und Fraenkel 1962- I, 258). Selbstverständlich bleibt die etymologische Verknüpfung mit kftvah stehen, die Urform des rekonstruierten baltischen und slavischen Wortes wird aber einen Labiovelar enthalten; mit anderen Worten, auch hier wird man auf die semantische Verbindung mit „schneiden" verzichten müssen. Daß das Hinterglied von ved. sakft, aw. hakardt „einmal" ein Lexem enthält, das mit kftvah verbunden, aber nicht mit ihm identisch ist, steht außer Zweifel; daß diese Bildungen aber etwas Uraltes darstellen, muß aus zweierlei Gründen ausgeschlossen werden, denn einerseits findet sich außerhalb des Indoiranischen nichts ihnen Vergleichbares (vgl. lat. semel, heth. 1-anki, gr. άπαξ usw.), andererseits brechen sie auffallend die formale Symmetrie, die zweifellos die Reihe der vier ersten Multiplikativa der der folgenden ursprünglich entgegensetzte. Sie stellen daher eine indoiranische Neuerung dar. Obwohl die beiden Reihen der Multiplikativa, von denen wir bisher gesprochen haben, als gemeinindogermanische betrachtet werden müssen, schließt das jedoch die Möglichkeit nicht aus, daß in alter Zeit auch andere Bildungstypen vorhanden waren, seien sie Eigentümlichkeiten einiger Dialekte oder Neuerungen, die sich nicht durchgesetzt haben, im Rahmen des Indogermanischen selbst. An diesem Punkt möchten wir daher auch auf einen dritten Bildungstyp hinweisen; da aber die Daten, die uns zur Verfügung stehen, nicht zahlreich sind und darüber hinaus ihre Interpretation nicht immer leicht ist, muß jede Schlußfolgerung in diesem Bereich mit der gebotenen Vorsicht aufgenommen werden, wie neu und interessant der Vergleich auch erscheinen mag, den wir jetzt vorlegen werden.
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Enrico Campanile
Das Lykische besaß Multiplikativa auf -su: tbisu „zweimal", trisu „dreimal" (Neumann 1969, 394; Meriggi 1980, 330); ihnen entsprechen im Hier.-luwischen Bildungen auf -sû, wie es bei tarsû „dreimal" oder IIII-SÛ „viermal" der Fall ist. Im Hethitischen werden die Multiplikativadverbien wie II-SU „zweimal" oder III-SU „dreimal" üblicherweise als akkadische Schreibweisen betrachtet, aber Meriggi hat mehrmals behauptet, daß sie sehr wahrscheinlich echthethitisch sind, so daß wir sie vielmehr als II-su und III-su transkribieren müßten. Sind diese Bildungen indogermanischen Ursprungs, so ist es höchstwahrscheinlich, daß das Element -su nichts anderes darstellt als idg. *-su, d. h. das Morphem des Lok.PI. Verlassen wir für den Augenblick die anatolischen Sprachen und wenden wir uns dem Altirischen zu. Hier werden die Multiplikativa (abgesehen von „einmal") durch die Präposition fo + die Grundzahl (im Akk.Pl., wenn sie deklinabel ist) gebildet, z. B. fo di „zweimal', fo thri „dreimal", fo deich „zehnmal" usw. (Thurneysen 1946, 250). Was die Bedeutung des Syntagms fo 4- Akk. betrifft, ist es bemerkenswert, daß es manchmal einem Lokativ entspricht: fo lige „im Liegen",/o eirge „im Aufstehen", fo sin „in jenem Falle, in jener Zeit", fu[n] dui so „in diesem Falle" usw. (vgl. DIL F, 172). Man hat daher das Gefühl, daß die Multiplikativa des Anatolischen und die des Altirischen, obwohl sie vom formalen Gesichtspunkt aus voneinander ganz verschieden waren, doch dieselbe innere Form besaßen, da sie darin übereinstimmten, daß z. B. sowohl lyk. trisu wie auch altir. fo thri gleicherweise „dreimal" als „in drei(en)" zum Ausdruck brachten. Diese Übereinstimmung, wenn sie nicht zufällig ist, was ich für den Augenblick weder ausschließen noch vertreten kann, würde notwendigerweise auf indogermanisches Alter hinweisen; das Problem bedarf jedoch der weiteren Untersuchung, bevor man dem Indogermanischen eine dritte Reihe von Multiplikativa mit aller Sicherheit zuschreiben kann. Im Griechischen werden die alten Multiplikativa lediglich zum Teil bewahrt, denn nur zwei der ursprünglichen Bildungen — nämlich δίς und τρίς — überleben; in den übrigen Fällen (auch hier aber abgesehen von απαξ „einmal") finden sich nur Bildungen auf -άκι(ς), die sich jedoch auch neben δίς und τρίς verbreiteten und δυάκις und τριάκις ins Leben riefen. Bevor wir die Vorgeschichte dieses -άκι(ς) untersuchen, ist es nötig festzustellen, ob -άκις oder -άκι die älteste Form des Suffixes darstellt.
Bemerkungen zu den idg. Multiplikativa und den griech. Bildungen auf -άκι(ς)
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Es ist bemerkenswert, daß in der Griechischen Grammatik von E. Schwyzer (1959,597 f.) nur Formen auf -άκις verzeichnet werden: δυάκις, τριάκις, τετράκις, πεντάκις, έξάκις, έπτάκις, όκτάκις, ένάκις (εινάκις), δεκάκις, είκοσάκις, τριακοντάκις, έξηκοντάκις usw. Dagegen muß man unterstreichen, daß sowohl in epigraphischen und/ oder metrischen Texten wie auch dank der Zeugnisse der Grammatiker viele Formen auf -άκι gut dokumentiert sind; hier gebe ich nur ein kurzes Verzeichnis: δυάκι (Herodianus), τριάκι (Theognostus), τετράκι (Hansen 364 [5. Jh.], Pindaros), πενπάκι (Hansen 374 [6. Jh.]), πεντάκι (ib.346 [5. Jh.]), έξάκι (Callimachus), έπτάκι (Simonides, Dittenberger 1068 [3. Jh.]), όκτάκι (Kaibel 356), έννάκι (AP 14,120). Im Griechischen bildet dieses Suffix Adverbien nicht nur aus Zahlwörtern, sondern auch aus Adjektiven: bei Homer (Risch 1974) finden sich nur drei Bildungen dieser Art: όσσάκι (kein όσσάκις) τοσσάκι (kein τοσσάκις), πολλάκι (auch πολλάκις); später werden sie viel zahlreicher. Es ist daher wahrscheinlich, daß die fast gänzliche Abwesenheit von Λ'-losen Formen in den durch Handschriften aufbewahrten Prosawerken davon abhängt, daß die Abschreiber die häufigeren Varianten auf -άκις systematisch, aber auch willkürlich, in die Texte eingezogen haben. Wie dem auch sei, man muß mit Wackernagel (1881) übereinstimmen, der behauptete, daß die ältere Form des Suffixes zweifellos die auf -άκι ist, denn im Griechischen würde der Wegfall eines -s etwas Undenkbares darstellen und daher wäre -άκις, wenn es ursprünglich wäre, in keinem Falle zu -άκι geworden, während das Umgekehrte wohl möglich war, wie die Geschichte von οϋτως lehrt. Mit dieser letzten Bemerkung bin ich jedoch nicht einverstanden, denn in unserem Falle handelt es sich meiner Meinung nach nicht um ein hiatustilgendes -ς, sondern nur darum, daß das -ς durch bloße Analogie mit δίς und τρίς entstand und sich verbreitete: ein τρις και τετράκι oder ein δίς ή πεντάκι werden fast unvermeidlich zu τρίς και τετράκις, δίς ή πεντάκις. Was die Etymologie des Elements -άκι betrifft, stimmen die Gelehrten im wesentlichen miteinander überein, wenn sie auch in den Einzelheiten auseinandergehen. Der Ausgangspunkt ist immer der Vergleich von πολλάκι mit ved. purü cid „vielmals", woraus man schließt, daß -κι die alte Partikel *k"id darstellt. Diese Partikel hatte jedoch ursprünglich keine Multiplikativfunktion, sondern eine hervorhebende,
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Enrico Campanile
wie die Tatsache beweist, daß auch das bloße πολλά oder das bloße purü „vielmals" bedeuten können. Erst nachdem die Multiplikativfunktion auf -άκι (in πολλάκι) übertragen wurde, wurde im Griechischen die Bildung der übrigen Adverbien auf -άκι möglich. Diese Interpretation bringt jedoch eine phonetische und eine semantische Schwierigkeit mit sich. Was die phonetische Seite betrifft, hat man erklären müssen, warum nicht *-τι, sondern -κι aus *kyid entstand; und die Antworten auf diese Frage stützen sich stets auf die Möglichkeit einer durch ein vorangehendes -u- verursachten Dissimilation des Labiovelars. Wenn man aber zur Sache kommt, sind die Rekonstruktionen dieses Prozesses leider weit entfernt davon, Überzeugung zu erwecken. Nach Schwyzer (1959, 259) fand ζ. B. die Dissimilation statt, als πολλάκι noch nicht existierte und eine zu vermutende ältere Form *πολϋκι(δ) noch existierte, die ohne Schwierigkeiten ein *polü-k"id voraussetzen kann; als *πολϋ (Pl.) verschwand und durch πολλά ersetzt wurde, bewahrte die neue Form des Adverbs das -κι der alten. Die Schwäche des Arguments besteht jedoch darin, daß im Griechischen ein *-πολϋ (Pl.) kaum denkbar ist; dagegen, wie γόν^α und δόρ/^α beweisen, wäre nur ein *πόλ/^α (Pl.) möglich gewesen, das aber keine Dissimilationswirkung hätte ausüben können. Dieser Schwierigkeit war sich Rix (1976, 173) zweifellos bewußt, der auf *πολϋκι verzichtete und es durch ein morphologisch tadelloses *πολΰκι (Sg.) ersetzte. Hier bleibt die Tatsache jedoch unberücksichtigt, daß die griechischen Multiplikativa stets auf den Plural gebaut werden (vgl. hom. όσσάκι, τοσσάκι, später auch τουτάκις, ποσάκι, τοσαυτάκις usw.); darüber hinaus bleibt festzustellen, daß ein *πολύκι, wenn es einmal existiert hätte, nie verschwunden wäre, da πολύ im Griechischen immer lebendig war. Die notwendige Schlußfolgerung dieser Beobachtungen scheint uns folgende: es ist unmöglich, -κι von idg. *kyid herzuleiten. Gegen diese Behauptung wird man zweifellos einwenden, daß es wenigstens ein Beispiel, nämlich die Hesychglosse άμάτις· απαξ, Ταραντΐνοι, gibt, das für das Vorhandsein eines alten Labiovelars spricht. Jedoch glaube ich, daß diese Glosse ganz anders interpretiert werden muß als unsere Grammatiken einstimmig lehren. Um die Vorgeschichte von άμάτις klarzumachen, müssen wir noch einmal eine wohlbekannte und vieldiskutierte Stelle der Inschrift Schw. 381 analysieren. Hier lesen wir: φίλους έόντας και συμμάχους αματα τόμ πάντα χρόνον (der spiritus lenis von αματα stammt vom Herausgeber und hat keinen dokumentarischen Wert). Einige Gelehrten in-
Bemerkungen zu den idg. Multiplikativa und den griech. Bildungen auf -άκι(ς)
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terpretierten dieses αματα als ήματα und schrieben ihm die Bedeutung „dies i. e. semper" zu (was jedoch unmöglich ist: „immer" würde nicht das bloße ήματα, sondern ein ήματα πάντα verlangen), andere interpretierten es wenig überzeugend als άδόλως·. Wie der Kontext und die etymologische Verknüpfung mit αμα nahelegen, fasse ich αματα als den Akk.Pl. (in adverbialem Gebrauch) des Adjektivs άματος „ununterbrochen, vereinigt" auf: „Freunde und Alliierte ununterbrochen für immer zu sein" (zu den Bildungen auf -to- aus Indeklinabilia vgl. Debrunner 1954, 589: ved. άνα „hinab" : avatá- „Brunnen" usw.). Vom selben Adjektiv kommt auch das denominale Verb άματίζει, das Hesych mit άναφυρά „mix up well" (LS) glossiert (die Bedeutung „mischen" entwickelt sich ohne Schwierigkeiten aus „[mehrere Stoffe] vereinigen"). Kommen wir jetzt auf άμάτις zurück, so erlaubt uns das, was bisher bemerkt worden ist, eine neue und überzeugendere Interpretation vorzuschlagen: άμάτις setzt αματα voraus, seine Bedeutung war eigentlich „auf ununterbrochene Weise, auf einmal" (worauf das bloße „einmal" zurückgeht) und sein -ις kommt vom -ις der nachfolgenden Multiplikativa δίς und τρίς. Daher stellt άμάτις nicht die uralte Nebenform des kretischen άμάκις (• άπαξ, Hesych) dar, sondern nur eine mit ihm etymologisch verbundene Neubildung. Nichts steht daher der Hypothese im Wege, daß gr. -κι einen alten reinen Velar enthält und daß es demnach keine etymologische Verbindung mit ved. cid hat. Jetzt werden wir sehen, ob sich etwas, was mit ihm verglichen werden kann, anderswo findet. Im Hethitischen (Meriggi, a. a. O.) finden sich Multiplikativa sowohl auf -anki (z. B. 1-anki, 2-anki, 5-anki, 10-anki, 15-anki, 20-anki usw.) wie auch auf -kis (z. B. 3-kis ); dabei handelt es sich nur um Varianten einer und derselben Urform. Da sich im Hethitischen die silbischen Nasale des Indogermanischen als a + Nasal entwickeln, ist es wahrscheinlich, daß wenigstens „7", „9" und „10" mit a + Nasal endeten (was „7" betrifft, vgl. saptamiya- „ein Getränk, das aus 7 Zutaten bestand", saptamanigaFrauenname [„Siebente Schwester?"], so daß eine richtige Segmentation von 7-anki, 9-anki und 10-anki dem Zahlwort das Element -anzuteilen muß, was das Multiplikativsuffix auf -ki beschränkt; das Suffix -anki bei den Adverbien aus Grundzahlen, die mit keinem silbischen Nasal endeten, entstand durch eine neue Segmentation von -an-ki, wodurch -an- als Bestandteil des Suffixes analysiert und danach bei
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der Bildung auch anderer Multiplikativa angewandt wurde (dasselbe gilt auch für a-an-ki /änki/ „einmal' *oy(o)-anki; vgl. Eichner 1992, 42). Das -ki, das wir hier festgestellt haben, findet sich auch im Suffix -kis wieder, dessen -s auf die idg. Adverbien *dwis, *tris, *kwetwrs zurückgeht, die zweifellos auch dem Hethitischen ursprünglich nicht unbekannt waren, wie das Überleben von 2-is beweist. Dieses heth. -ki stimmt mit gr. -κι perfekt überein: beide setzten ein älteres *ki voraus. Es handelt sich um eine andere der Isoglossen, die das Hethitische mit dem Griechischen verbinden. Ich muß jedoch hinzufügen, daß dieser Vergleich nicht ganz neu ist; er stellt vielmehr eine „vergessene Wortdeutung" dar, um den Titel eines berühmten Artikels von Wackernagel wiederaufzunehmen, da er schon von Rosenkranz (1936), aber beiläufig und mit keiner Beweisführung vorgeschlagen worden war. Die unbestrittene Autorität von E. Schwyzer (1959), H. Kronasser ( 1 9 6 2 - ) und H. Rix (1976), die diesen Vergleich ablehnten, hatte ihn in Vergessenheit gebracht, aus der ich ihn jetzt zurückholen möchte, um ihn unserem Jubilar als kleines Geschenk darzubieten.
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Gevork Β. Djahukian
Indoeuropäische phonetisch-grammatische DialektIsoglossen, die vom Hethitisch-Luvischen und Armenischen geteilt werden 1. Wie paradox es auch scheinen mag, die hethitisch-armenischen Sprachbeziehungen sind schon lange vor Entdeckung und Entzifferung hethitischer Keilschriftdenkmäler zum Gegenstand einer besonderen Untersuchung geworden. Auf Grund der Zeugnisse ägyptischer, akkadischer und urartäischer Quellen, die für die Bezeichnung der Hethiter die Formen ht, hate, hat(t)i aufführen und denen die Form hittim in der Bibel entspricht, äußerte P. Jensen (1898) den Standpunkt, daß die Hethiter Vorfahren der Armenier seien und ihr Name über t > y gesetzmäßig in den Namen der Armenier hay übergehe. Obwohl die Schlußfolgerungen von P. Jensen weiterhin nicht belegt werden, findet sein Standpunkt über das Zurückgehen des Namens der Armenier hay auf hate/i bei A. Taschian (1926) und I. M. Diakonov (1961) Verständnis.
2. Nach der Entdeckung der ersten hethitischen Keilschriftdenkmäler und ihrer Entzifferung durch B. Hrozny veröffentlichte sein Schüler N. Martirossian einige Artikel (insbesondere 1924, 1929) über die Beziehung des Armenischen zum Hethitischen. Ohne eine unfehlbare Methode zu besitzen, bringt N. Martirossian neben richtigen Etymologien viele falsche Parallelen. Nach Martirossian kommt H. Atcharian (1925), bei dem das angeführte Material zuverlässiger, jedoch bei weitem nicht vollständig ist. Systematischer und vollständiger sind die Untersuchungen von G. Kapanzian, jedoch sind seine Angaben nicht immer zuverlässig. Von der sog. „asianischen" Hypothese (s. darüber bei Gornung 1954) ausgehend und das Armenische und Hethitische als „asianische Sprachen" betrachtend, grenzt G. Kapanzian (1931, 1940, 1961) gemein-
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same genetische Elemente nicht deutlich von den Entlehnungen ab. Auf das Material von G. Kapanzian stützt sich hauptsächlich T. Schultheiss (1961) in seiner Untersuchung, die hethitisch-armenischen Sprachbeziehungen gewidmet ist, wobei er eine zuverlässigere Methode verwendet und vertrauenwürdigste Belege anführt. Die vollständigste Zusammenstellung hethitisch-armenischer genetischer Elemente und möglicher Entlehnungen aus dem Hethitischen im Armenischen und möglicherweise aus dem Armenischen im Hethitischen sind in den Arbeiten des Verfassers dieses Artikels (Djahukian 1970,1987,1991) enthalten, wobei sie nach Möglichkeit auch Angaben anderer anatolischer Sprachen bringen.
3. Den Fragen hethitisch-armenischer Sprachbeziehungen haben viele andere Forscher sowohl in allgemeinen als auch in speziellen Arbeiten ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Man kann sagen, daß zum Charakter hethitisch-armenischer Sprachbeziehungen fast alle möglichen Standpunkte geäußert worden sind. Die meisten Forscher, insbesondere H. Pedersen (1945), G. R. Solta (1980) und A. Kammenhuber (1961) widerlegten das Vorhandensein mehr oder weniger näherer Beziehungen zwischen dem Armenischen und den hethitischluvischen Sprachen und äußerten sogar die Meinung, sie seien Antipoden, voneinander am weitesten entfernte Sprachen. Im Gegensatz dazu stellte G. Bonfante (1939) die Hypothese auf, daß das Armenische eine Stellung zwischen dem Griechischen und dem Hethitischen einnehme. Nach Auffassung des Verfassers des vorliegenden Artikels (Djahukian 1982: 200) liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte: Das Armenische weist keine besonders engen Beziehungen zum Hethitischen auf, ist aber auch kein Antipode desselben. Man kann sagen, daß der Standpunkt von T. V. Gamkrelidze und V. V. Ivanov (1985) dieser Auffassung nahe steht.
4. In den Arbeiten, die den Problemen der indoeuropäischen Areallinguistik (vgl. insbesondere Porzig 1954) und den Fragen über die Stellung des Hethitischen bzw. des Armenischen unter den indoeuropäischen Sprachen (vgl. insbesondere Kronasser 1954: 217; Rosenkranz 1978: 12, 125ff; Djahukian 1982) gewidmet sind, wird gewöhnlich auf die nachfolgenden gemeinsamen phonetischen Merkmale verwiesen:
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4.1. Es fehlen Wörter mit r- im Anlaut. Dieses Merkmal ist auch den anderen hethitisch-luvischen Sprachen eigen, jedoch ist das Schicksal des ide. anlautenden r- in ihnen nicht ganz geklärt. Im Armenischen und Griechischen tritt in solchen Fällen ein prothetischer Vokal auf; vgl. arm. erek „Abend", griech. ερεβος „Finsternis, Dunkel" mit got. riqis „Finsternis, Dunkel". Aber dieses Merkmal kann keine genetische Bedeutung haben und läßt sich anscheinend durch Vorhandensein eines gemeinsamen Substrats erklären. Das Merkmal läßt sich in vielen indoeuropäischen Sprachen beobachten. J.Tischler (1972) versuchte, prothetische Vokale im Hethitischen festzustellen, aber seine Beispiele hinterlassen Zweifel; vgl. ζ. B. die Zurückführung von heth. arrir(a)„abkratzen, schaben" auf ide. *rei- in griech. έρείκω „zerreißen". Zu bemerken ist, daß die Schwankung von *er-/r- bereits in der indoeuropäischen Epoche zu beobachten ist. Einige ide. Wurzeln und Wurzelbasen sind durch beide Formen vertreten. 4.2. Liquide silbenbildende Sonanten *r, */ sind in beiden Sprachen mit eingeschobenem a wie im Griechischen, Phrygischen und Tocharischen vertreten: heth. ar, al und arm. ar, al/al; vgl. heth. eshar „Blut" und arm. ar-iun „Blut" (*esr- > *ehar- > *ahar- > ar- oder *dsr- > *ahar- > ar-, heth. parku- „hoch" und arm. barjr, Gen. barju „hoch"; heth. palhi- „breit" zu aind. pithu- (*pj-) und arm. malt'em „beten" (*m¡-th-). 4.3. Das ide. Schwa, das von Adepten der Laryngaltheorie als *H dargestellt wird, geht in beiden Sprachen wie auch in anderen — ausgenommen das Arische — in a über: heth. dask- (iterativ-durative Form von da- „nehmen") und arm. tac' „ich werde geben" (Futurum des Verbs tarn) (*dd-sk-)\ vgl. auch heth. maklant- „mager, hager" {*mak- oder *mHk-) und arm. sal „Steinplatte, Amboß" {*kdli-). 4.4. Das Hethitische bewahrte protoindoeuropäische Laryngale in Form von h-, -h-, -hh-, das Armenische nur im Wortanlaut in Form von h. Jedoch sind direkte Parallelen selten: heth. hanna- „Großmutter" (lyk. χηηα- „Mutter") und arm. han „Großmutter"; heth. huhha„Großvater" und arm. haw „Großvater" (*HauHo-); vgl. auch luv. haui- „ S c h a f (hieroglyphen-luv. haua-) und arm. *hovi- in hovi-w „Schäfer". Nicht gesichert ist der Vergleich der Formen heth. hi(n)k(,hënk-) „übergeben, weggeben, überreichen" und arm. hasanem „erreichen" (kausative Form hasucanem „liefern" (*Henek-)
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4.5. Das *-m (*-m) im Wortauslaut geht in η über, wie in vielen indoeuropäischen Sprachen, ausgenommen das Arische und das Italische; vgl. heth. kesseran (daneben auch kissaran, Akk. von kisseras „Arm") und jefn „Arm" (ide. *ghesrm- mit zusammenfallenden Formen des Nom. und Akk.). 4.6. Zwischen zwei gleichen Vokalen fällt *j aus; vgl. die heth. Endung -es im Nom. Pl. der -i- Stämme von *-ei-es; panzi „sie gehen" von paianzi (pe + ianzi) und arm. erek' „drei" von *treies. In derselben Position ist bei u unterschiedliche Schreibung zu beobachten, nämlich mit u und ohne u: Abi. Sing, idalauaz und idalaz von idalu- „schlecht, böse". Der Ausfall von u zwischen gleichen Vokalen ist auch im Armenischen zu beobachten: erkan „Mühle" von *gvränä < *gyrsuänä, nor „neu" von *nouoro- < *neuoro- (Djahukian 1990: 9). In diesen Fällen haben wir anscheinend mit gleicher, voneinander unabhängiger Entwicklung zu tun. 4.7. Einen besonderen Fall stellt der m/u-Wechsel im Hethitischen dar, der auch im Armenischen eine Parallele hat; vgl. das heth. Suffix -mant-j-uant-, die Endung der 1. Pers. PI. Präs. -men(i) gegenüber -uen(i), die heth. Endung der 1. Pers. Sing, -mi gegenüber hieroglyphen-luv. -ui (Versuche der Erklärung bei Kronasser 1956: 50, 170) und arm. awr „Tag" mit griech.-hom. ήμαρ; arm. kamurj „Brücke" mit griech. γέφυρα (gewöhnlich ide. *-bh-, arm. w). Ein solcher Wechsel ist auch in anderen Sprachen zu beobachten: griech. lesb. δόμεναι = kypr. δόμεναι = ved. däväne „geben", aslav. erbvb „Wurm" mit lit. kirmìs (Kronasser 1956: 50).
5. Bei indoeuropäischen dialektalen grammatischen Isoglossen, die vom Hethitischen und Armenischen geteilt werden, wird gewöhnlich auf zwei Typen verwiesen: positive (Vorhandensein von irgendwelchen gemeinsamen dialektalen Merkmalen) und negative (Fehlen irgendwelcher verbreiteter Merkmale). Betrachten wir anfangs die ersten Isoglossentypen, dann die zweiten: 5.1. Das Hethitische und Armenische haben ein Suffix der Nomina agentis *-tel-¡tl-, das im Hethitischen in Form von -talla- und im Armenischen in Form von -a-wl (aus -ä-tl-) und, wenn die Etymologie des Wortes droyl „Pförtner" aus ide. *dhurotel (Agayan 1974: 62)
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richtig ist, in Form von -yl auftritt. Jedoch bildet das Armenische zusammen mit dem Slavischen ein Areal, das dem Areal, in dem die Variante des Suffixes auf *-r, nämlich *-ter-, vorkommt, entgegengesetzt ist. Das Hethitische nahm in dieser Beziehung eine zentrale Stellung ein, indem es die Merkmale beider Areale teilte: das Suffix sowohl auf *-/- {-talla-) als auch auf *-r- (-tara-); vgl. heth. arsanatalla„Neider", uskiskatalla- „Beobachter" gegenüber uestara- „Hirt" und arm. cnawl „Elternteil, Gebärende", yalt'awl „Sieger, Siegender". 5.2. Das hethitische produktive Suffix -asti-, das auf ide. *-os-tizurückgeht und Abstrakta von Adjektiven bildet, hat Parallelen im Slavischen -ostb, Baltischen -estis (lit. gaïlestis „Mitleid"), Arischen -asti- (av. särasti- „Wechselfieber"), Germanischen -sti (ahd. kunst, got. kunsti „Kunst"); vgl. heth. dalugasti- „Länge" zu aslav. dlbgostb. Im Armenischen ist dieses Suffix in verschiedenen Vokalisierungen erhalten und bildet Nomina actionis, d. h. es fällt mit dem hethitischen und dem slavischen Suffix funktional nicht zusammen, vgl. utest „Essen", imast „Sinn", hangist „Erholung, Ruhe", galust „Ankunft". 5.3. Im Armenischen, Griechischen und Lateinischen sind feminine Substantive mit *-o-Stamm vorhanden: arm. nu, Gen. nuoy, griech. νυός, lat. nurus „Braut" (*snusos). Die meisten Forscher sind geneigt anzunehmen, daß dieses Merkmal Reliktcharakter hat, während es im Hethitischen, in dem Maskulinum und Femininum überhaupt nicht unterschieden werden, gesetzmäßig ist. Pedersen (1945) spricht von diesem Merkmal als Innovation. Seiner Meinung nach sind Maskulinum und Femininum im Hethitischen zusammengefallen. Wie dem auch sei, es ist die Nähe des Armenischen, neben dem Griechischen und Lateinischen, zum Hethitischen festzustellen, im Unterschied zu den Sprachen, in denen die femininen *o-Stämme in Stämme auf -ä übergegangen sind. 5.4. In den Formen der Casus obliqui des hethitischen Pronomens der 1. Pers. Sing, gibt es einen prothetischen Vokal (ammuk „ich; mir, mich"), ebenso wie im Armenischen und Griechischen (inj „mir", (z) is „mich", griech. έμέ „mich"; vgl. auch Formen des Possessivpronomens: arm. im „mein", griech. έμός). Dieses Merkmal des Hethitischen ist auch den ihm naheverwandten Sprachen eigen: hieroglyphen-luv. amu, lyk. amu, emu, 1yd. amu „ich; mir", manchmal auch „mich". H. Kronasser (1956: 141) leitet die hethitische Form aus *eme-ge (vgl.
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griech. έμέ-γε) über amek(a) unter dem Einfluß von uk „ich", tuk „dir, dich" und am(m)uk ab. 5.5. Im Hethitischen gibt es in den Singularformen der Personalpronomina (ammuk „ich; mir, mich", zik „du", tuk „dir, dich") eine besondere Partikel, die wahrscheinlich wie im Armenischen (inj „mir" < *em(e)ghe, (z)is „mich" < *em(e)ge, k'ez „dir" < *tueghe) und Germanischen (got. mik „mich", puk „dich") auf *-ge zurückgeht; vgl. auch das Griechische (griech. εγω-γε „ich selbst", έμέ-γε „mich selbst"), Baltische (lit. as gì „ich selbst") und Slavische (russ. ja ze „ich selbst"), in denen diese Partikel sich an die Pronominalform frei anschließt, wobei sie ihre eigene Bedeutung hat und den Weg zur Bildung der hethitischen, armenischen und germanischen Formen zeigt. 5.6. Im Hethitischen und den ihm nahestehenden Sprachen gibt es die Tendenz der Einbeziehung der ide. Nominalformen auf *-/- ins Verbalsystem. Diese Tendenz ist im Armenischen, Slavischen und Tocharischen deutlicher ausgeprägt. B.Rosenkranz (1978: 134 — 135) weist auf hethitische Nomina actionis auf -ul und -el, insbesondere auf -ul, hin; vgl. ishiul- „Verbindung, Vertrag" (ishiia- „verbinden"). Im Lydischen kommt dieser Prozeß klarer zum Ausdruck. Es gibt einen Infinitiv auf -/- für die Form der 3. Pers. Sing, und ein PI. Präteritum auf -/; vgl. davicil von davici- „errichten, bauen", cenai von cen„weihen", in dem die ursprüngliche Partizipform wie im Slavischen vermutet wird (Gusmani 1964: 41—42). Im Armenischen treten die Formen auf *-/ als Infinitiv (vgl. t'olul „verlassen", wo -/ aus *-lo-), als Perfektpartizip (vgl. t'oleal „verlassen") und Futurpartizip (vgl. t'olii „zu verlassen", wo -Ii- aus *-liio-) auf. In Tocharisch A gibt es ein Gerundivum auf -/ (aus *-lo-) und in Tocharisch Β eines auf -Ile (aus *-liio-). Im tschamerischen Dialekt des Albanischen gibt es eine archaische Form der Nomina actionis auf -le; für das Lateinische wird auf facilis „leicht (machen)" (fació „machen") verwiesen. 5.7. Im Hethitischen und Armenischen wie auch im Arischen und Griechischen sind Verbalstämme auf *-neu-/-nu- verbreitet, wobei diese Gruppe im Hethitischen eine bestimmte Funktion hat, und zwar bildet sie kausative Verben; vgl. heth. arnum(m)i „ich bringe her, ich nehme mich an; ich bewege fort" von ar- „ankommeh, erreichen", arm. arnum „ich nehme", griech. αρνυμαι „ich gewinne, bekomme" sowie griech. ορνυμι „ich bringe in Bewegung, ich veranlasse" und aind. rnomi „ich
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erhebe mich, ich bewege mich" (ide. *er-, wovon arm. y-arnem stehe auf, ich erhebe mich").
„ich
5.8. Im Hethitischen (sowie im Lykischen und Lydischen) und im Armenischen, wie auch im Altindischen, Italischen und Tocharischen tritt in den Vergangenheitsformen das Element *-u-/-u- auf. Jedoch ist die Bewertung dieses Elements f ü r verschiedene Sprachen nicht eindeutig. Das in der E n d u n g der 1. Pers. Sing, des hethitischen Präteritums -un erkennbare Element -u- (hark-u-n „ich hielt") vergleicht m a n gewöhnlich mit arm. -w in caneaw „er erkannte" sowie mit aind. -u in jajñáu „ich erkannte", lat. -v- in lat. ηδ-ν-ϊ „ich erkannte", toch. A -win prer-w-a „ich verzieh". Es besteht aber auch der Standpunkt, d a ß heth. -u- aus *-ö- abgeleitet werden kann (vgl. Kronasser 1956: 169). Von lat. -ν- sagt man, d a ß es keine Personalendung ist (Szemerényi 1980: 263) und andere Auslegungen möglich sind (Tronskij 1960: 262 — 263). Auch für das Tocharische ist eine andere Auslegung möglich (Winter 1965: 206 — 209). M a n verweist auf das Element -u- auch im litauischen Präteritum und gotischen Optativ (Tronskij 1960: 263). 5.9. Im Hethitischen und Armenischen sind Verbalendungen auf -r verbreitet. Einerseits wird diese Isoglosse vom Arischen, Tocharischen, Phrygischen, andererseits auch vom Italischen, Keltischen und Venetischen geteilt. Jedoch stimmen weder die Anzahl der F o r m e n noch die Typen der erfaßten F o r m e n noch ihre Distribution überein. Unter den F o r m e n auf -r zeichnen sich zwei Typen deutlich aus: die eigentlichen F o r m e n auf -r und die F o r m e n *-ter/tor/tr-. Während im Arischen und Venetischen nur die Formen auf -r belegt sind, existieren in den übrigen Sprachen, darunter auch im Hethitischen u n d Armenischen, beide Typen. In westlichen Gebieten haben die F o r m e n auf -r einen passivisch-unpersönlichen Charakter, wobei im Lateinischen und Altirischen die F o r m e n auf -r als gemeinsame Innovation miteinander gut übereinstimmen. Im Arischen k o m m t -r nur in der 3. Pers. PI. vor; vgl. aind. duhré „sie melken", aind. sére , av. sdire „sie liegen". Im Armenischen sind die Formen auf -r im Imperfekt (in 2. und 3. Pers. Sing, bereir „du brachtest", berër „er brachte" (*bhereter) gegenüber der Nebenform beriur „ihn trug man"), im Aorist (in der 2. Pers. Sing, berer „du brachtest") und, im Unterschied zu anderen Sprachen, ausgenommen das Hethitische, in den F o r m e n des Imperativs (le-r „sei"), in F o r m e n des Mediopassivs (tesar-uk' „seid gesehen", t'ak'eruk' „versteckt euch"), in F o r m e n des sog. hortativen Futurs (tesjir
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„sieh") und in Formen des prohibitiven Imperativs (mí berer „bringe nicht") verbreitet. Meillet (1936: 119) leitet in diesen Formen -r aus der Partikel *-rV, griech. pa „eben, gerade, doch, denn", lit. ir „und" ab, d. h. er verknüpft sie nicht mit ide. Formen auf -r wie Pedersen (1938: 104 und ff.), Bänäteanu (1965) und Szemerényi (1980: 259). Jedoch ist eine solche Behauptung für Formen wie berër, beriur zu kategorisch. Im Hethitischen treten die mediopassiven Formen der Beugung auf -mi und -hi in der Gegenwart (vgl. 1. Pers. Sing, -hahari (-hari), 3. Pers. Sing, -tari, -ari, 3. Pers. Pl. -antari) und des Imperativs (vgl. 1. Pers. Sing, -(ha)-haru, 3. Pers. Sing, -taru, -aru, 3. Pers. PI. -antaru) sowie in aktiven Formen des Präteritums in der 3. Pers. PI. auf -ir, -er auf. Die hethitischen Formen haben Parallelen im Luvischen und im hieroglyphischen Luvischen und werden für die gemeinanatolische Grundsprache (vgl. Ivanov 1981: 51 — 52) rekonstruiert. 5.10. Das Verbalsuffix *-sk- (*-sk-), das gesamtindoeuropäische Verbreitung hat, ist im Hethitischen (-sk-, -ss-) und Armenischen (-c'-) am gebräuchlichsten, indem es sich einem beliebigen Verbstamm anschließt. Im Hethitischen hat es iterativ-durative Bedeutung; vgl. heth. dask- „nehmen" (da- „nehmen"), akkusk- „trinken (nicht einmalig)" (eku- „trinken"), essa- (issa-) „wiederholt tun" (iia- „tun") und andere. Im Armenischen aber ist es bei Bildung von Verbalformen des Aoristes (mnac' „er blieb"), des Futurums (mnacic „ich werde bleiben"), des Konjunktivs (mnayc'em „(wenn) ich bleiben würde, (wenn) ich geblieben wäre") und des Kausativs (mnac'ucanem „ich zwinge zu bleiben") breit einbezogen. Im Hethitischen wie auch im Armenischen kann dieses Suffix sekundär sein, indem es sich an andere Suffixe anschließt; vgl. heth. arnusk- „wiederholt bringen" und arm. arnuc'um „(wenn) ich nehme, (wenn) ich nehmen würde". 5.11. Im hethitischen Imperativ der 2. Pers. gibt es das Element -t: it „geh" ( = griech. ϊθι „geh"), arnut „bring" u. a., das auf *-dhi zurückgeht und einen Reflex -j- in armenischen Formen des sog. ermahnenden Imperativs hat; vgl. gtjir „finde", gtfik' „findet", mnasjir „bleibe", mnasjik' „bleibt". Dieses Element tritt auch im Arischen (aind. -dhi, -hi) und in griech. -θι auf. 5.12. Wir neigen dazu, zwischen dem Endungselement des hethitischen mediopassiven Präteritums -t-(-(a)t(i), welches keine befriedigende Etymologie hat, und dem Element des armenischen Imperfekts
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-y- eine genetische Verbindung zu verfolgen: mna-y-i „ich blieb" i*menä-t-). Dieses Element verschmilzt in den Stämmen auf -e-, -i- mit dem Vokal zu ë (-e-y- > ë, -i-y- > ë, vgl. gitëi „ich wußte", χawsëi „ich sagte"), fällt aber nach -u- aus (tolui < *toluyi). H. Atcharian versuchte, das arm. -y- mit dem Element des dentalen Präteritums der germanischen schwachen Verben zu verbinden (Atcharian 1953), jedoch fand dieser Standpunkt bisher keine Unterstützung. 5.13. Im Altanatolischen und Armenischen wie auch im Tocharischen und Lateinischen besteht ein funktionaler Unterschied zwischen durativen Formen auf -ä- und solchen ohne -ä-. Jedoch bemerkt Rosenkranz (1978: 136 ohne Bezug auf das Armenische) beim Hinweis auf diese Unterscheidung im Hethitischen, daß diese „wahrscheinlich nicht ausreichend benutzt wurde"; vgl. gangai gegenüber ganki „er hängt (transitive Bedeutung)". Im Armenischen wird diese Unterscheidung in den Formen des Aoristes folgerichtig durchgeführt: tesi „ich habe gesehen" neben tesay „ich wurde gesehen, man hat mich gesehen"; vgl. auch lat. ducäre gegenüber ducere „führen". 5.14. Zu den sog. negativen Isoglossen übergehend, die in linguistischen Studien oft figurieren, ist festzustellen, daß sie nicht dieselbe Beweiskraft besitzen wie die positiven. In einigen Fällen ist es schwierig nachzuweisen, ob sie archaische Merkmale oder Innovationen, und — im letzteren Fall — ob sie Dialekt-Isoglossen oder ein Ergebnis unabhängiger Entwicklung darstellen. Wollen wir diese Merkmale besprechen: Das erste von ihnen, das von Forschern des Hethitischen (Kronasser 1956, 217) und des Tocharischen (Benveniste 1936, 99) erwähnt wird, ist das Fehlen besonderer Vergleichsformen des Adjektivs. E. Benveniste (1936, 100) bewertet diese Erscheinung als Dialekt-Isoglosse. 5.15. Im Hethitischen und Armenischen sowie im Arischen fehlt die sekundäre Endung im Nom. Pl. des Maskulinums *-oi , die im Griechischen, Italischen, Germanischen, Slavischen und Baltischen verbreitet ist. Daß sich jedoch der Prozeß in diesen Sprachen ungleich und ungleichmäßig vollzieht (so gibt es im Lateinischen -F aus *-oi, und im Oskischen und Umbrischen *-us aus -ös; im Gotischen kommt diese Endung bei Adjektiven, aber nicht bei Substantiven vor), zeugt davon, daß der Prozeß entweder in verschiedenen Sprachen unabhän-
Indoeuropäische phonetisch-grammatische Dialekt-Isoglossen
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gig vor sich ging oder daß er in der indoeuropäischen Periode nicht alle Verbreitungsgebiete dieser Sprachen erfaßte. 5.16. Im Hethitischen und Armenischen fehlt das besondere Element *-m-/-n- in den Casus obliqui des Possessivpronomens, das im Arischen, Slavischen und Baltischen verbreitet ist. Daß das Element -n- in solchen nostratischen Sprachen wie den finno-ugrischen, den Turksprachen, den tungusischen und mandschurischen Sprachen verbreitet ist, gibt den Grund dazu, es als archaisches Element zu bewerten, nicht aber als Ergebnis des Eindringens aus dem Urfinno-Ugrischen in das Urindoeuropäische, wie es A. N. Savtschenko (1974: 236 — 237) vermutet. 5.17. Im Hethitischen und Armenischen wie auch im Tocharischen, Italischen und Keltischen ist das Relativpronomen *io- durch das Frage- und teilweise Demonstrativpronomen ersetzt. Man kann freilich diese Erscheinung als Ergebnis einer unabhängigen Entwicklung einschätzen, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Ersatz noch in der gemeinsamen Periode als Dialekt-Isoglosse auftrat. 5.18. Im Hethitischen und Armenischen wie auch in vielen anderen indoeuropäischen Sprachen, mit Ausnahme des Arischen und Griechischen, fehlen verschiedene Paradigmen für Aorist und Perfekt. Im Armenischen hat sich das beschreibende Perfekt der Art greal è „er hat geschrieben" und „von ihm ist geschrieben worden" lediglich sekundär entwickelt. 5.19. Im Hethitischen und Armenischen fehlen besondere Formen des Duals. Im Armenischen sind Reliktformen des Duals beim Substantiv für paarige Körperteile erhalten: akn „Auge" — ac-k', unkn „Ohr" — akanj-k\ otn „Bein"- ot-k',jefn „Hand" — jer-k'.
6. Welche Schlüsse lassen sich auf der Grundlage der angeführten Fakten ziehen? 6.1. Die indoeuropäischen Dialekt-Isoglossen — sowohl phonetisch-grammatische als auch lexikalische —, die vom Hethitisch-Luvischen und Armenischen geteilt werden, weisen kein deutliches Verteilungsbild auf. Die Anzahl exklusiver Isoglossen ist nicht groß, und
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die übrigen Isoglossen schließen die Sprachen des östlichen wie auch des westlichen Areals ein. Das spricht für die Hypothese, daß sich das Hethitisch-Luvische tatsächlich früh aus der indoeuropäischen Gemeinsamkeit absonderte, wobei es eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen mit Sprachen sowohl des einen als auch des anderen Areals bewahrte. Zwischen dem Hethitisch-Luvischen und Armenischen ist keine besondere Nähe zu beobachten. Jedoch können wir dem Standpunkt über die Polarität dieser Dialekte nicht zustimmen. Es besteht ein gewisser Kreis von Isoglossen, der von ihrer bedeutsamen Nähe zeugt. 6.2. In einzelnen Fällen standen das Hethitisch-Luvische und das Armenische wahrscheinlich unter einem gemeinsamen Einfluß eines fremden Sprachmilieus oder eines gleichen Substrats, wenn man das Verbot eines anlautenden r- nicht als indoeuropäisch-dialektales Ergebnis betrachtet, sondern wirklich als Ergebnis eines Einflusses, der teilweise mit Beschränkung der Alternation von *er/or/{/r- verbunden ist. In der indoeuropäischen Lexik sind oft Formen zu beobachten, die mit *er-, *or- beginnen und Parallelen in Formen mit *r- haben, wobei nicht immer eine deutliche dialektale Verteilung vorliegt. Eine Beschränkung der Formen mit r- sind auch in anderen Sprachen (vgl. das Griechische) zu beobachten, aber im Hethitisch-Luvischen und Armenischen geht diese Beschränkung am weitesten. 6.3. In einigen Fällen, insbesondere bei sog. negativen Isoglossen, fällt es schwer, zwischen Archaismen und Innovationen deutlich zu unterscheiden. Zu bemerken ist, daß einzelne Merkmale, die dem Hethitisch-Luvischen und Armenischen gemeinsam sind, von einer gewissen Absonderung des letzteren in bezug auf das Arische und Griechische zeugen, mit denen es gewöhnlich übereinstimmt: Fehlen einzelner Paradigmen für Aorist und Perfekt, Ersatz des Relativpronomens *io- durch Formen der Interrogativpronomina u. a.
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1965,
Thomas V. Gamkrelidze
Proto-Indo-European as a Language of Stative-Active Typology Problems of linguistic typology, especially syntactic ones, have always been in the centre of scholarly interests of Professor Karl Horst Schmidt. In this small contribution to his Festschrift I deal with some issues of in-depth Indo-European-Caucasian typology proposed in our monograph on Proto-Indo-European 1 that in the past often became an object of our fervent and lengthy scholarly discussions. When the earliest system of Indo-European grammatical categories — inflectional and derivational — is studied it becomes obvious that features of binarism penetrate the entire linguistic system, grammatical and lexicosemantic. The binarism appears both in the presence of doublets in the lexicogrammatical system and in binary oppositions on the content plane of Proto-Indo-European. The comparative and internal reconstruction of the earliest IndoEuropean structures makes it possible to posit a binary system of noun classes, defined as active and inactive depending on the nature of their referents. The stative/active bifurcation of nouns implies that the language had a number of structural features which are directly linked to the binary noun classification. The first such feature is the binarism in the morphological marking of nouns with *os (for stems belonging to the active class) and *om, *0 (inactive), which in turn motivates the lack of distinctions in the noun paradigms, particularly the inactive paradigm. Syntactic relations are basically marked by two case formatives, *(o)s and *(o)m, 0, which actually go back to derivational devices. The other case forms (the later dative and locative cases) are secondary developments which arose from adverbial formations and had earlier been used as circumstantials with verbs.
1
Cf. Th.V. Gamkrelidze, V.V. Ivanov, Indoevropejskij jazyk i indoevropejcy, 2 vols., Tbilisi 1984.
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Thomas V. Gamkrelidze
A binary noun classification induces a division of verbs into active and inactive subclasses, with semantic properties determined by the nature of the referents of active and inactive noun classes respectively. The entire ancient verbal system of Indo-European, which displayed structural binarisms in having two verbal conjugations, *m(i) and *Ha, lexicalization of verbs for combination with active or inactive nouns, an originally impersonal *Ha conjugation, etc., is motivated by the binary active/inactive structural system for nouns. The binarism of the verb system is determined by the binarism of the nomináis. Thus the dominant semantic principle of a linguistic system of this type is the active/inactive division of nouns based on the semantics of their referents. The binarism is also responsible for the presence of distinctive constructions for verbs of affect, the existence of special possessive constructions and absence of a verb 'have', the inclusive/ exclusive category in the pronominal system, etc. All of these structural properties are reconstructable for ProtoIndo-European in its earliest period and give grounds for considering Proto-Indo-European of that time a stative-active language, one oriented toward a binary noun classification based on the stative-active opposition and displaying all the consequent structural implications in its linguistic system. Thus the reconstructed Proto-Indo-European linguistic system of the earliest period is to be classified as stativeactive. The basic characteristic of the stative-active language type affecting its morphological and syntactic structure is the formal opposition of active and inactive noun classes. This principle determines the formal treatment of the argument of a one-place verb as active or inactive: (1)
V + A V + In
With two-place verbs the agent argument naturally takes the marker of the active class; the other argument expresses the patient, i. e., the argument the verbal action is directed at, and is formally treated as a noun of the inactive class, regardless of whether it lexically belongs to the active or inactive class: (2)
V + In* + A
By removing the symbol V we obtain the nominal forms for the three structural types of sentence:
Proto-Indo-European as a Language of Stative-Active Typology
(3) (4) (5)
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A A
In* In
In all three types the A element and the In element each receive consistent formal treatment in case forms, as shown in figure 1 :
active
inactive
Examples of the stative-active type are a number of Amerindian languages in which a stative/active dichotomy in nouns is one of the basic structural characteristics. Specifically, this type is found in languages of the Na-Dene, Siouan, Athabaskan, and Tupi-Guarani families and others. A basic structural characteristic of these languages is a classification of the nouns into active and inactive based on whether their referents have life activity, specifically a life cycle. The active class in these languages includes names of persons, animals, trees, and plants; the inactive includes all other objects. The noun dichotomy implies a binary classification of verbs based on whether the action or situation designated is stative or active. Active verbs include various actions, motions, and states typical of active nouns, while the inactive verbs include states and qualities ascribed to inactive nouns. Another characteristic of these languages is the presence of a distinct structural group of verbs of affect. One of the most characteristic lexical traits of these languages is verbal doublets where the paired verbs are close in meaning and each combines with only active or only inactive nouns. Also motivated by the binary noun classification is the existence of an inclusive/exclusive category in the pronominal system. Also typical is the lack of a verb 'have'; possessive relations are expressed in these languages by descriptive constructions with 'be', e.g., N a v a j o n-tcij XQIQ 'you have firewood', lit. 'your firewood is'. Possession is expressed with distinct forms for alienable and inalienable possession.
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Thomas V. Gamkrelidze
The nominai morphology of stative-active languages is very weakly developed. In particular, the nominal category is sparsely represented, found only in particular groups of nouns, primarily those of the active (or animate) class. Plurality of an argument is primarily marked in the verb, e.g., Quileute t'citciqa' 'they were dead' (from t'ciqa 'die'), kwe.'kutsa 'many are hungry' (reduplication of kwe.'tsa 'he is hungry'), etc. In a number of these languages, the marking of plurality leads to suppletive verb forms for singular and plural. In stative-active languages, the declension system is reduced to a binary opposition of two basic cases, active and inactive. For example, in the Gulf languages there is an opposition of active case in t to inactive in n/0. The active case marks an active argument, the n/0 case an inactive argument functioning as subject of a one-place verb or object of a two-place verb. The verb systems of stative-active Amerindian languages distinguish two series of personal affixes, active and inactive, correlated with the active and inactive arguments in a syntactic construction. The linguistic structures surveyed above which imply a stative/ active noun dichotomy give typological plausibility to the structures reconstructed for Proto-Indo-European, namely the ancient noun classification into active and inactive and the structural consequences of that classification. A number of structural features of the historical Indo-European languages become comprehensible when traced to an early Proto-IndoEuropean system with a structural-semantic active/inactive dichotomy in nouns and the active/inactive verb dichotomy it implies. Only with later structural transformations of the original type does the IndoEuropean system directly continued by the historical languages arise. A language of the stative-active type is oriented not toward subject-object relations but toward relations among active and inactive arguments. The dominant semantic principle of such a language is a binary nominal classification (active vs. inactive), which in effect determines the entire structure of the language -declension and conjugation. The morphological and syntactic potential of the verb depends on the binary classification of the nouns. The binary noun classification is fundamental to the deep structure of a stative-active language and determines the entire complex of structural traits manifested in the surface structure.
Proto-Indo-European as a Language of Stative-Active Typology
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Therefore, it is natural that structural transformations affecting the deep structure of the language, specifically the dichotomous classification of nouns, should trigger transformations of a number of features implied by the noun classification and appearing in the surface structure. Such a transformation of the stative-active deep structure must have occurred at some stage in the development of Pre-IndoEuropean. It involved a transfer of the dominant classification from the noun to the verb, which began to show structural distinctions based on the binary principle transitive vs. intransitive. Transitivity became the determining classificatory principle, the implicans of a number of surface structure characteristics. The central opposition shifted from the nouns to the verbs. The opposition of transitive and intransitive types of verbal action directly entailed the appearance of subject-object relations, expressed by the arguments which functioned as subject or object of the action. The verb classification based on transitivity and the rise of subjectobject relations in replacement of the activity opposition entailed fundamental changes in the surface structure. The linguistic type oriented toward subject-object relations implies a formal case opposition of subject and object cases in the surface structure. When the subject case is the marked one in constructions with a transitive verb, the structure known as ergative results. It can be represented as in figure 2:
alb. /( /
konsonant kompakt hell abrupt stimmhaft
[u]
und zweitens, daß njoh wahrscheinlich nicht auf *gnëskô zurückgeht, obwohl die vorstehende Regel, streng genommen und so wie sie formuliert ist, für *gnëskô nicht gilt. Da aber die Entwicklung von * zu #«/'- ein Hapax wäre, schlägt Huld 2 4 ein *gnoO¡-ééskoA¡ als Ausgangsform vor, was zu „PAlb -gnojóh- (with epenthetic _/')" geworden sei und sich dann regulär mit Aphärese und „simplification of the consonant cluster in the pretonic syllable" zu njoh weiterentwickelt habe. — Wenn die beiden von Huld gegebenen Etymologien für gju und gjuhë richtig sind, dann impliziert das, daß sich die Gruppe *gnuüber *gnu- und *giiu- mit Entpalatalisierung des g zu gáu- entwickelt hat. Die 2. und 3. sg. Präs. zu idg. *gnö- ,erkennen' setzt man normalerweise als *-gnöske-{l}- an. Nimmt man nun einmal an, daß im Voralb. vor dem *-gn- noch ein Vokal gestanden hat (Reduplikationssilbe *gi- oder ein Präverb), dann wäre unter Palatalisierung des auf *g folgenden *n und anschließendem Schwund des Gutturals vor η ein protoalb. *-Vñéh- zu erwarten, was mit Aphärese alb. njeh ergeben müßte. Zu njeh wäre dann analogisch nach shoh ,sehe', das nach Huld 25 22 23
24 25
Huld, (wie Anm. 8) S. 70 f. Vgl. C. Haebler, Grammatik der albanischen Mundart von Salamis, Wiesbaden 1965, S. 61; B. Sokolova, Die albanische Mundart von Mandrica, Wiesbaden 1983, S. 39. Huld, (wie Anm. 8) S. 101. Huld, (wie Anm. 8) S. 115.
Alb. grua, grue ,Frau, Weib; Ehefrau, Gattin'
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auf ein idg. *sokwééskoA¡ zurückgeht, für die 1. sg. Präs. njoh und umgekehrt zu shoh für die 2., 3. sg. Präs. sheh gebildet worden. Nach E. P. Hamp 2 6 läßt sich alb. grua, grue nicht auf idg. *gwn-5n zurückführen, da „it fails [...] to explain effectively the plural gra". Ihm zufolge gehört grua, grue etymologisch zu gr. γραϋς ,Greisin' und „goes back to an early Albanian *grô, and this to an IE vocalism *ä(u)"; der Plural „gra goes back to an apparent *gra (or *gro), and this may reflect a vocalism *a(u)" (sg. *gréAu-s, pl. *gr-A-ués)21. Für Hamp ist dieses Etymon eines seiner wichtigsten Beispiele dafür, daß im Alb. ein idg. palataler Verschlußlaut vor einem konsonantischen Resonanten entpalatalisiert wurde 28 . Huld 29 , der Hamp folgt, stellt grua und γραΰς zur Wurzel *gerAr ,be old' und verweist für die Semantik auf „the American use of ,my old lady'". — Es scheint, daß diese Etymologie für grua, grue keinesfalls besser ist als die von Pedersen vorgeschlagene. Allerdings muß man bei Pedersens Ansatz einen gemeinalb. Lautwandel von η > r zwischen velarem Obstruent und Vokal annehmen. Daß ein solcher Lautwandel phonetisch nichts Außergewöhnliches ist, da es Vergleichbares auch im Kelt, gibt, darauf hat schon Pedersen hingewiesen. Wenn das hier zusammengetragene Material für diesen Lautwandel auch nicht sehr umfangreich ist, so dürfte es doch reichen, die Akzeptanz für die Rückführung von alb. grua, grue auf idg. *gwn-ön30 zu erhöhen. Es gibt eine ganze Reihe von „Lautgesetzen" im Alb., die weit schlechter begründet sind als das hier vorgeschlagene, was durch die besondere Überlieferungslage des Alb. begründet ist (absolut-chronologisch jung, sehr hoher Lehnwortanteil). Über den Plural gra wird im folgenden noch zu sprechen sein. In den vergangenen drei Dezennien ist eine ganze Reihe von Arbeiten erschienen, die sich mit dem idg. Wort für ,Frau' beschäftigen. Autoren wie E. P. Hamp, P. de Bernardo Stempel, J. A. Haröarson
26 27
28
29 30
Hamp, (wie Anm. 14) S. 276. Vor Hamp hatte schon S. E. Mann (The Indo-European vowels in Albanian, Lg. 26, 1950, S. 382) alb. grua, grue etymologisch mit gr. γραΰς verbunden. Genaugenommen handelt es sich nur, wie Hamp (wie Anm. 14, S. 278 f.) zugeben muß, um „a depalatalization of *k and g before r and /", da „it cannot yet be demonstrated for *n so far as I know". Huld, (wie Anm. 8) S. 66. Alb. -ua-/-ue- ist Diphthongierungsprodukt eines voraufgehenden alb. -o- (kurz oder lang) in der Stellung vor ursprünglich silbenschließenden Liquida- oder Nasallauten; vgl. N. Jokl, Zur Geschichte des alb. Diphthongs -ua-, -ue-, IF 49, 1931, S. 2 7 4 - 3 0 0 und IF 50, 1932, S. 3 3 - 5 8 ; E. Çabej, (wie Anm. 9) S. 238 f.
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Rolf Ködderitzsch
und J. H. Jasanoff31 stimmen im großen und ganzen darin überein, daß ,Frau' in der idg. Grundsprache folgendermaßen flektiert wurde: Nom. sg. Akk. sg. Gen. sg. Dat. sg. Nom. pl. Akk. pl. Gen. pl. Dat. pl.
*gwen-h2 (vgl. air. ben, ai. jäni-) *gwen-h2-m (nach de Bernardo Stempel im Air. „über *benam > *ben > *bein mit analogischer Palatalisierung") *gwn-eh2-s (vgl. air. mná, ai. gnäs) *gwn-eh2-ei (vgl. air. mnaí) *gwn-eh2-es (vgl. air. mná, ai. gnäs) *gwn-h2-m-s (vgl. air. mná, gall, mnas) *gwn-h2-om (vgl. air. ban, gall, bnanom32, -mnanom) *gwn-h2-bhi(s) (vgl. air. mnáib, ai. Instr. gnäbhis „mit restituiertem «")
Haröarson33, der sich auf J. Schindler34 stützt, setzt für das Protoidg. neben diesem *-fejA 2 -Stamm noch ein älteres Wurzelnomen *gwen- mit neutralem Genus an, das folgendermaßen flektiert worden sei: Nom. Akk. Gen. Lok.
*gwön *gwon-m *gwen-s (vgl. air. Gen. sg. bee, be) *gwen(-i) (vgl. air. Dat. sg. bé, bein)35
Nach J. Schindler hat „le replacement de l'ancien nom. sg. *gwön par *gwn" zu dem air. Nom. sg. bé geführt, nach Haröarson jedoch ist 31
32
33 34 35
E. P. Hamp, Indo-European *gwen-Ha, KZ 93,1979, S. 1 - 7 ; P. de Bernardo Stempel, Die Vertretung der indogermanischen liquiden und nasalen Sonanten im Keltischen, Innsbruck 1987, S. 8 2 - 8 4 ; J. A. Haröarson, Das uridg. Wort für „Frau", M SS 48, 1987, 1 1 5 - 1 3 7 ; J. H. Jasanoff, Old Irish bé ,woman', Ériu 40, 1989, 1 3 5 - 1 4 1 . Nach E. P. Hamp [Varia: 31. Larzac (Gaulish) bnanom, EC 26, 1987, 188 f.] ist bnanom „a conflation of *banom {< *gwnHa-om} und *bnä-" {< *g"neHa-}. Dagegen ist nach F. O. Lindeman (Old Irish bé ,woman' and some related forms, EC 25, 1988, 123 f.) bnanom aus „pre-Celtic *g"nänöm (to the stem *gwnä- in RV. gnä-)" entstanden und goidel. (Gen. pl.) *banom aus „pre-Celtic *gwriöm (to the stem *g"nä-, a Sievers' Law variant form of *gwnä-)". Haröarson, (wie Anm. 31) S. 123. J. Schindler, L'apophonie des noms-racines indo-européens, BSL 67,1972, S. 31 — 38. Wie ai. -jäni- ,Ehefrau', aw. jçni- ,Weib (im verächtlichen Sinne)', germ. *kwêni,Ehefrau' zeigen, hat auch noch eine Vj;ddhi-Ableitung *gwëni- existiert, die aber für die weiteren Betrachtungen hier nicht von Belang ist. Deshalb sei an dieser Stelle nur auf Haröarson (wie Anm. 31) und die dort angegebene zahlreiche Literatur verwiesen.
Alb. grua, grue ,Frau, Weib; Ehefrau, Gattin'
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das „Wurzelnomen erst im Goidelischen nach dem Muster °en, Gen. °ens der Neutra ( < uridg. "n bzw. °en-s) zu *gwen, *gwens umstrukturiert worden". W. Meid, O. Szemerényi, F. O. Lindeman und J. H. Jasanoff 36 halten eine interne Entstehung des Wortes bé im Irischen für wahrscheinlich und bezweifeln mehr oder weniger die Existenz eines idg. Wurzelnomens für ,Frau'. E. Neu 37 möchte allerdings heth. MUNUS (-an)-za auf *gwen-s zurückführen und glaubt in diesem Zusammenhang an eine ,,altanatolisch-keltische[.] Isoglosse". Er weist die Ansichten von F. Starke und N. Oettinger38, die die heth. Formen aus einem um das Morphem *-on- erweiterten Stamm *gwen-on-s herleiten möchten, mit dem Argument zurück, daß ihm „diese Stammerweiterung semantisch nicht genügend motiviert" sei. Nun gibt es aber -¿»«-/¿«-Weiterbildungen zu *gw(e)n- nicht nur, wie Neu meint, im Germ., wo „die Erweiterung ursprünglicher (femininer) *ä-Stämme zu ÖM-Stämmen beinahe schon die Regel" war, sondern, wenn man das Heth. einmal außer Betracht läßt, möglicherweise auch im Toch. und, wie oben bereits gezeigt, im Alb. J. Hilmarsson 39 führt toch. A säm, Β sana ,Frau' auf idg. *gwenh2 zurück und nicht auf idg. *gweneh2, weil idg. *-ä in toch. A 0 und Β -o ergeben habe und nicht, wie ζ. B. von W. Winter, J. Marggraf und A. J. van Windekens40 angenommen, in A 0 und Β -a. Der Obi. sg. A 36
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Vgl. W. Meid, Die Romanze von Froech und Findabair: Táin Βό Froích, IBK 30, Innsbruck 1970, S. 71, 144; O. Szemerényi, Studies in the kinship terminology of the Indo-European languages, Aclr 16, 1977, S. 75; F. O. Lindeman, (wie Anm. 31) S. 123 f.; J. H. Jasanoff, (wie Anm. 30) S. 135 ff. - Früher hatte W. Meid (Idg. *g"en „Frau"?, KZ 80, S. 271 —272) air. bé auf ein altes idg. Wurzelnomen zurückgeführt. E. Neu, Das hethitische Wort für „Frau", HS 103, 1990, S. 2 0 8 - 2 1 7 . - Auf die heth. Wortform ku-in-naf-asj-sa-an, von Neu als ,seine Frau' (kinnan + -san, Akk. sg. c.) gedeutet, soll hier nicht eingegangen werden, da sie für die weiteren Betrachtungen nicht von Belang ist. F. Starke, Das luwische Wort für „Frau", KZ 94, 1980, S. 7 4 - 8 6 ; N. Oettinger, Die «-Stämme des Hethitischen und ihre indogermanischen Ausgangspunkte, KZ 94, 1980, S. 59. J. Hilmarsson, Studies in Tocharian phonology, morphology and etymology, Reykjavik 1986, S. 245 f. A. J. van Windekens, Le tokharien confronté avec les autres langues indo-européennes, vol. I, II/l, II/2, Louvain 1 9 7 6 - 8 2 , S. I 132-133; W. Winter, Review of A. J. van Windekens, Le tokharien .... vol. I (1976), Lg. 57, 1981, 938; J. Marggraf, Bemerkungen zur historischen Phonologie und Morphologie einiger „primärer" Kasusmorpheme in Tocharisch B, in: Flexion und Wortbildung: Akten der V. Fachtagung der Indogerm. Gesellschaft, Regensburg 1973, hrsg. von H. Rix, Wiesbaden 1975, S. 199, 202.
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säm Β sano ist nach Hilmarsson aus *gweneh2m mit normalstufigem *-eh2- entstanden. Nach W. Winter 41 handelt es sich allerdings bei Β sana, Obi. sg. sano um eine sekundäre Differenzierung im Toch. „between subject and object case in all nouns denoting persons". Da idg. *-ön in A 0 und in Β -o geworden ist, hatte van Windekens 42 Β sano als ursprünglichen Nom. sg. auf -o < idg. *-ö(n) erklärt und den Nom.-Obi. pl. Β snona als „une extension secondaire de -o(-) (de l'ancien nominatif) çano" erklärt. Nach Hilmarsson basiert Β snona auf idg. *gwneh2es, im Wtoch. sei noch einmal der „plural marker" -na angefügt worden. Während also van Windekens bei der Deklination des toch. Wortes für ,Frau' einen starken Einfluß der -o«-/o«-Stämme feststellt, wird das von Hilmarsson bei diesem Wort in Abrede gestellt, obwohl er ansonsten durchaus einen „widespread transfer of old ästems to the «-stem flexion" annimmt. Nach Meinung von Haröarson 4 3 hat sich „das westidg. Paradigma Nom. *gyenaH /Gen. *gynnaH-s, in dem die Vollstufe des Suffixes durchgeführt worden war, [...] im Urgermanischen in zwei Paradigmen gespalten, die jeweils durch «-Erweiterung zu einem ö«-Stamm umstrukturiert wurden". Got. qino ,Weib', ae. cwene ( = ne. queen) ,Weib, Dienerin, Dirne', as. ahd. quena ,Weib, Gattin', mhd. kone ,Weib, Eheweib' 44 weisen auf urgerm. *kwenön-, aisl. kona, aschwed. kuna ,Frau' dagegen auf urgerm. *kunön-. Haröarson ist wie J. Kurylowicz 45 , den er allerdings nicht zitiert, der Meinung, daß die fem. «-Stämme des Germ, auf keinen Fall idg. «-Stämme fortsetzten und daß es sich bei den schwachen Feminina um substantivierte Adjektivformen oder um Umbildungen nach dem Muster der schwachen Adjektivflexion handele. Wenn die -on-¡δη- Weiterbildungen zu *gw(e)n- nicht nur auf einen idg. Sprachzweig beschränkt sind, bedeutet das, daß sie schon grundsprachlich anzusetzen sind. Es bedeutet auch, daß im vorliegenden 41
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W. Winter, Tocharian and Proto-Indo-European, in: W. Winter, Studia Tocharica, Poznan 1984, S. 227. A. J. van Windekens, (wie Anm. 40) S. I 476 f., II/l 39, 179, 196. Haröarson, (wie Anm. 31) S. 133 f. Bei mhd. kone handelt es sich nicht um eine reduktionsstufige Bildung, wie Pokorny (wie Anm. 1, S. 474) meint; vgl. H. Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik, Tübingen 21 1975, S. 100. J. Kurylowicz, Die Flexion der germanischen schwachen Femininstämme, in: Studien zur Sprachwissenschaft und Kulturkunde: Gedenkschrift für W. Brandenstein, IBK 14, Innsbruck 1968, S. 85 ff.
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Einzelfalle, und nur um den geht es, die Entwicklung vom Wurzelnomen zum -on-/ö«-Stamm wahrscheinlich direkt ohne Umweg über den *-e/22-Stamm gelaufen ist. Z u einem bestimmten Zeitpunkt haben beide Stämme miteinander konkurriert. Unklar ist, wie Haröarson allein auf Grund der ir. und germ. Wörter und Paradigmen für ,Frau' ein „westidg. Paradigma" aufstellen kann. Auch im Arm. spiegelt, wie R. Schmitt 46 sagt, „die Flexion dieses Wortes [...] deutlich den Ablaut zwischen Vollstufe idg. *gvénâ und Schwundstufe idg. *gyn- [...] sowie das Nebeneinander dieses und eines um ein *-A:-Suffix erweiterten Stammes [...] wider" (vgl. arm. Nom. sg. kin ,Frau', Gen. sg. knoj, Nom. pl. kanayk'). Schwundstufe des Stammes und Vollstufe des Suffixes zeigen auch ai. gnä, Gen. sg. gnäs ,Göttin, Götterweib', gAw. gdnä j A w . ydnä ynä ,Frau, Weib'. Vollstufe des Stammes und Vollstufe des Suffixes haben aksl. zena ,Frau, Weib', apr. genno ,Wip' (Elbinger Vokabular) 4 7 und keilschrift-luw. uana- bzw. uanatti- (< *gwenä+ti-)48. Reduktionsstufe des Stammes (vgl. an. kona, kuna) und Vollstufe des Suffixes zeigen auch gr. γυνή ,Weib, Frau', gr. böot. βανά. Was nun den Plural alb. gra angeht, so läßt sich der auf idg. 2és zurückführen. Es handelt sich hier gegenüber der sonst rekonstruierten Pluralform des -e/z2-Stammes um eine Bildung mit Schwundstufe der Wurzel und des Suffixes. Schwundstufige Formen wie arm. knoj, an. kona, kuna, alb. gra legen die Vermutung nahe, daß es neben dem proterodynamischen Gen. sg. *gwn-èh2-s mit normalstufigem *-áA 2 -Suffix auch eine amphidynamische Bildung *gwn-h2-ós gegeben hat 49 . Ausgehend von *gwn-h2-ós ist dann analogisch der Nom. pi *gwp-h2-és gebildet worden. Ein vergleichbarer Fall ist ai. dyäus ,Himmel, Tag' ( < * die us) mit den beiden Genitiven sg. dyòs (< * dieu-s) und divàs (< *di-u-ós) und den analogisch gebildeten Formen des Nom. pl. divas und des A k k . pl. divas und diväs gegenüber lat. *gwnh
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R. Schmitt, Grammatik des Klassisch-Armenischen mit sprachvergleichenden Erläuterungen, Innsbruck 1981, S. 107. Apr. genno ist kein Vokativ, wie Pokorny (wie Anm. 1, S. 474) meint, sondern ein Nom. sg. Zu dem -o vgl. M. L. Burwell, The vocalic phonemes of the Old Prussian Elbing Vocabulary, in: Baltic linguistics, ed. by T. F. Magner & W. R. Schmalstieg, University Park / London 1970, S. 16ff. F. Starke, (wie Anm. 36) S. 85. Zum frühidg. Akzent vgl. H. Rix, Historische Grammatik des Griechischen, Darmstadt 1976, S. 122 ff.
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dies (< *dieu-es bzw. *djeu-ms)50. *gwn-h2-és hat sich völlig lautgesetzlich über *gunäs5X mit Aphärese zu *gna und weiter zu gra entwikkelt. Grua, grue einerseits und gra andererseits stehen, auch diachron gesehen, in einem suppletiven Verhältnis: beide zeigen Schwundstufe der Wurzel, die Singularform ist mit dem Suffix -ö«-/-on-gebildet, die Pluralform gehört zum *-(e)h2-Stamm.
Erklärung des Autors: Der vorstehende Aufsatz ist unter gleichem Titel schon einmal in den Lingvisticni i etnolingvisticni izsledvanija ν pamet na akad. Vladimir Georgiev (1908 — 1986), Sofia 1993, S. 107 — 113, allerdings in einer kürzeren Fassung veröffentlicht worden. Da der Verfasser davon ausgehen mußte, daß der Aufsatz Anfang 1988 auf dem Weg zum Herausgeber verlorengegangen war, hat er ihn hier in einer überarbeiteten und erweiterten Form erneut zum Druck eingereicht. Erst Anfang Dezember 1993 erfuhr er, daß die erste Fassung erschienen war, ohne daß er oder der Herausgeber jemals eine Korrekturfahne zu Gesicht bekommen hätten. Allerdings scheint es allein schon wegen der zahlreichen Druckfehler gerechtfertigt zu sein, den Aufsatz an dieser Stelle in einer erweiterten und überarbeiteten Form noch einmal zu publizieren.
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Speziell zu dem idg. Wort für ,Himmel' vgl. R. Ködderitzsch, Zu einigen idg. Diphthongstämmen, in: Commentationes linguisticae et philologicae Ernesto Dickenmann, Heidelberg 1977, S. 205. Zu alb. un < idg. *n vgl. R. Ködderitzsch, Zu den sprachgeschichtlichen Grundlagen des Albanischen von heute, SAlb 1985/2, S. 122.
René Lanszweert
Πάπυρος: ein mykenisches Schimpfwort? 1. Κύκλωψ und die idg. Kompositionsmorphologie 1 „Das Griechische scheint keine Spur des idg. *peku aufgehoben zu haben, und Specht, o. LXVI 49 hat deshalb das Wort zu jenen gestellt, die nur den ,Schnurkeramikern' eigentümlich gewesen seien und somit im Griechischen und seinen Vorstufen von je gefehlt hätten. Aber könnte nicht ein altes *pku- in κύκλωψ, welches also „Viehdieb" wäre, stecken? Die Benennung würde wohl zu gewissen Zügen der Kyklopen, so wie sie Homer Od. ι schildert, passen: sie leben ohne Gesetze und Staat (ζ. Β. ι 112), kennen keine Götterfurcht (ζ. B. ι 274 ff.), sie bebauen nicht den Acker (i 108), wohnen in Höhlen statt Häusern (ι 113 f.) und kennen nicht die Segnungen der Kultur, wie die Seefahrt (i 125). Aber sie besitzen grosse Herden von Schafen und Ziegen (peku), deren Blöken und Meckern ihr Land erfüllt (i 167). Mythologisierung alter „Viehdiebe", also viehraubender Nomaden, hätte im Rigvedischen Panimythos (X. 108) eine Parallele, denn nach den Erörterungen Hillebrandts (zuletzt Vedische Mythologie 2 499) kann es kaum zweifelhaft sein, dass ursprünglich in ihnen ein den frommen ,Ariern' feindlicher Stamm gesehen werden muss. Von ihren Raubzügen, ihrem Reichtum und ihrer Beute, die ihnen mit Indras Hilfe wieder abgenommen wird, ist gerade in den ältern Büchern immer wieder die Rede." (Thieme 1951, 177). Dass ich so ausführlich zitiere am Anfang dieser Skizze, die meinem langjährigen Lehrer in Bonn mit herzlichem Dank und besten Grüssen und Wünschen gewidmet ist, hat einen besonderen Grund. War der Ausgangspunkt für meine Suche nach Spuren indogermanischer Kompositionsmorphologie im griechischen Lexikon doch nicht das diesbetreffende Kapitel in der Altindischen Grammatik von
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Für Ratschläge und Kritik danke ich Roland Bielmeier und Renato Piva.
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Wackernagel2, sondern eben der Kyklopenname in dieser unerwarteten, faszinierenden Neubeleuchtung, einem Effekt, der Thieme des öfteren gelungen ist, indem er zu Archaismen des Indoiranischen die Gegenstücke im Griechischen suchte und fündig wurde 3 . Dieses deduktive Vorgehen war aber nur der längst fällige konsequente Schritt über Brugmann hinaus, nachdem dieser 1879, 257 in den ,Morphologischen Untersuchungen' aufgrund des allgemeinen Prinzips und speziell wegen ai. nrhán- für άνδροφόνος eine ältere Lautgestalt *άνδραφονος postuliert hatte 4 . Während nl. die kompositionsmorphologische Fragestellung zu άνδροφόνος zumindest teilweise vom Griechischen ihren Ausgangspunkt nehmen konnte, stehen Thiemes Beschäftigung mit und Analyse von Κυ-κλωπες am Ende der Prozedur, als Antwort auf die Frage: „Was wäre für idg. *pku*peku-) im Griechischen zu erwarten gewesen?".
2. Auf der Suche nach weiteren lexikalisierten Resten idg.-myk. Kompositionsmorphologie im Griechischen des 1. Jt.v. Chr. Der griechische Wortschatz enthält neben den durchsichtigen Komposita und Ableitungen viele unmotivierte Lexeme, die sich durch den Sprachvergleich teilweise als idg. Erbgut erwiesen haben. Ausser2
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AiGr II 1, 52 — 59 (bes. § 22 a „wenn die Stammform eintritt, ist es bei abstufenden Stämmen in der Regel die der schwachen Kasus. ... Die Übereinstimmungen der verwandten Sprachen sichern das Gesetz für die Grundsprache; es mag von den Komposita mit betontem Hinterglied ausgegangen sein."). Der anfängliche Widerstand (GEW II 45 „kühne Hypothese", D E L G 598 „Hypothèse fantaisiste") scheint nachzulassen. So hörte ich hier in Bern gleich zweimal positive Erwähnung: durch Georges Redard (1989 in einem Diskussionsbeitrag im Rahmen des Berner Zirkels) und Walter Burkert (WS 1990/91 in seiner Homervorlesung in Vertretung von Thomas Geizer). Da in myk. Zeit *kuklöps nicht = **kuklök"s ist, ist die Vorstellung vom einzigen, kreisrunden Stirnauge erst in nachmykenischer Zeit nach dem Zusammenfall von ρ und k" aus der veränderten Namensform herausgesponnen. Eine schöne Bestätigung erfuhr Brugmanns Postulat durch den später wiederentdeckten Anfang des Lexikons des Photios, wo es heisst: , , Ά ν δ ρ α φ ό ν ω ν οϋτως Σόλων έν τοις "Αξοσιν ιών άνδροφόνων άεί φησιν". Dazu bemerkt Solmsen 1907, 318: „Damit haben wir die Form, die wir bisher nur für das älteste Griechisch zu erschliessen wagen durften, leibhaftig vor uns. Indogermanische Regel ist, dass abstufende Nominalstämme als erste Glieder von Zusammensetzungen in der schwächsten Gestalt auftreten." Seltsamerweise fällt in diesem Zusammenhang der Name Brugmann nicht.
Πάπυρος: ein mykenisches Schimpfwort?
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dem gibt es, wie nicht anders zu erwarten, nicht wenige Wörter mediterranen oder ,pelasgischen' Ursprungs. Bei genauerem Hinsehen stellt sich aber heraus, dass manche vermeintliche Substratelemente verkappte Komposita aus mykenischer Zeit sind. Komposita haben nl. eine natürliche Tendenz zum semantischen Strukturverlust, da das Ganze meist nicht die Summe der Teile ist und das Signatum oft als nicht zusammengesetzt empfunden wird. Andererseits bewirkt der Lautwandel wie auch der morphologische Wandel eine gewisse formale Destrukturierung. Statt also, dass sich die beiden Teile des Zeichens entgegenwirken, ziehen sie in gewissen Fällen am selben Strang. So befinden sich Komposita im Spannungsfeld zwischen verdeutlichender Modernisierung und semantischer sowie formaler Lexikalisierung. Die Folge der Lexikalisierung ist Aufgabe der morphematischen Steuerung; das Kompositum wird zu einer Lautkette, die blind nach den Lautgesetzen weiterentwickelt wird. Dass nun aber auf dem Weg vom Spätidg. bis zum Griechischen des 1. Jt.v. Chr. mit einer unverhältnismässig grossen Menge solcher verunglückter' Komposita 5 zu rechnen ist, ergibt sich aus folgenden zusammentreffenden Faktoren, die einerseits in der Grundsprache begründet sind, andererseits mit griechischen, z.T. sprachexternen Gegebenheiten zusammenhängen: 1. Die grosse Rolle der Komposition in der Wortbildung vom Spätidg. bis zum Griechischen: je mehr Kpp., um so mehr Petrefakte. Dies in Verbindung mit dem Stammabstufenden Charakter von ζ. B. *gvou- : *gvu- ,Rind', *peku- : *pku- ,Schaf, Vieh', *kuon- : *kun,Hund', die in der idg. pastoralen Gesellschaft zahllose Komposita höchster Frequenz liefern mussten. 2. Die idg. Kompositionsformen *pku-, *gvu-, *kun- mussten sich mehr und mehr von ihrem jeweiligen Basisallomorph entfernen, sowohl durch die Nivellierungsdynamik im Paradigma der freien Form zugunsten der Basisallomorphe *peku-, *gyou-, *kuon-, als auch durch die phonotaktische Dynamik bei der Kompositionsform (*pku-, *gvutendenziell zu *ku-, *gu-).\m vorvokalischen Kontext entbehrten die Kompositionsformen bei *pku-, *gyu- sogar der silbischen Autonomie 6 . 3. Erheblich verstärkt und beschleunigt wurde der Strukturverlust durch die griechischen Lautwandelprozesse s h; G R A S S M A N N ; Ν —> α; ( # ) κ / - — > # π - / - π π - / / # τ - / - τ τ - . So konnte sich aus einer kon5 6
Bzw. geglückter' Signes im Sinne de Saussures. Vgl. auch *ks- (: *kes-) unter 2.5.
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textbedingten Allomorphie ein klaffender morphematischer Split entwickeln, wie in: *kun- :*kun—> *Kfa- : *κυν—• πα-: κυν*nku- : *nku—> * α κ * α κ υ — > αππ-/αττ- : ακυ- 7 . 4. Im 2. Jt.v. Chr. erforderte es die Landnahme, die neue Umgebung sprachlich zu bewältigen, d. h. die neue Landschaft mit den neuen Pflanzen, Tieren, Menschen und Artefakten zu benennen. Es stellt sich heraus, dass weit weniger auf Entlehnung gesetzt wurde als auf Metapher und expliziten Vergleich mit Altbekanntem (vgl. im 1. Jt.v. Chr. -οψ, -μορφος, -είδης, -ωδης.) 8 5. Nicht zuletzt haben die Ereignisse um 1200 v. Chr. zur Verdunkelung vieler durchsichtiger Bildungen geführt. Im Chaos der durcheinandergewirbelten regionalen und sozialen Varietäten gab es angesichts des untergehenden elaborierten Mykenischen, das u. a. eine elaborierte materielle Kultur versprachlicht hatte, besonders bei den Komposita Parsingprobleme formaler und semantischer Art. Dies konnte noch dadurch verstärkt werden, dass es einen gewissen sozialen Aufstieg der vorgriechischen Bevölkerung gab, bei der sich über den Weg der Mischehe 9 mit sozial schwachen Mykenern ein regelrechter Sprachwechsel vollzogen hatte und noch vollzog. Wenn man sich darauf geeinigt hat, die vielen undurchsichtigen Wörter des Griechischen grösstenteils als Entlehnungen bei und nach der Landnahme zu betrachten, so liegt hier vielleicht ein Trugschluss vor. Oder um es mit einer gewissen Übertreibung auszudrücken: hier handelt es sich weniger um Pelasgisches im Munde von Mykenern, als um Mykenisches in pelasgischem Munde. Angesichts dieser Sachlage ist ein Perspektivenwechsel notwendig und damit eine Umkehrung des Verfahrens. Statt vom Griechischen aus das idg. Rekonstrukt zu befragen, soll vielmehr das Rekonstrukt selbst aktiviert und operationalisiert werden, indem vom Rekonstrukt 7 8
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Vgl. unter 2.3. Vgl. ζ. B. Kretschmer 1896, 106 f.: „Pflanzen werden ja sehr gern nach Gegenständen benannt, mit denen sie in der Form vergleichbar sind ζ. Β. κυνόγλωσσον, Schwertel, Fingerhut, Hirtentäschel, Rittersporn, Kuhschelle, Löwenmaul, Bärenklau, Reiherschnabel, Katzenpfötchen, Krebsschere, Kälberkropf u. a.". Bezeichnet wurden die gemischten Gemeinschaften als ,Störche'. Gerade in Thessalien mit seiner Pelasgiotis, einem Kernland der Πελασγοί ( = Πελαργοί, darüber andernorts), gehört der schwarz und weiss gefiederte Vogel noch heute zum Landschaftsbild. Vgl. Philippson-Kirsten I 1,26.
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aus gezielte Fragen an das griechische Lexikon gestellt werden10. Das Rekonstrukt stellt in unserem Fall die idg. Kompositionsform bereit; und die Lautgesetze, die das Griechische mit dem Indogermanischen verbinden, erlauben es, diese Kompositionsform in den griechischen Output zu verwandeln. So ergibt sich die Möglichkeit, undurchsichtige Wörter des 1. Jt.v. Chr. zu parsen und als Morphemkonstruktionen des 2. Jt.v. Chr. zu erweisen. 2.1. Weitere Spuren von *pku-n im Griechischen κύβηλις κύβηλις, -εως f. (Kom., Lyk.), nach Η. = μάχαιρα, αμεινον δέ πέλεκυς, φ τάς βοΰς καταβάλλουσιν Zu analysieren in κυ-βηλις mit Anschluss des Hintergliedes an βάλλω (vgl. das Interpretament und Suid. s. βουτύπος· βουθύτης ó τούς βοΰς βάλλων πελέκει sowie ταυροβόλος). Die fem. Gerätebezeichnungen γοιναυτις, τυρόκνηστις, άλευρόττησις (Schwyzer 1939, 504) legen eine Grundform *pku-gv¡hrti-n nahe. Die Glosse wirft aber auch Licht auf idg. *peleku- ,(Streit-)Axt, Beil', das doch auf dem φερέοικος-Κρ. *pele-pku-í3 ,erschlage das Rind' beruhen muss. Da nun Frei-Lüthy 1978 für diesen Kompositionstyp eine ursprüngliche Beschränkung auf die Onomastik nachgewiesen hat, wäre dem Beil mit dem Namen auch die Täterrolle zugewiesen worden, was nicht schlecht zum Ritual der attischen Buphonia passen würde14 und was den griechischen Akzent als rezessiv ( < Vok.) erweisen könnte. Eine andersgeartete Auswirkung des Tabus findet sich wohl in der bereits grundsprachlichen Verstümmelung zu *peleku-. 10
Selbstverständlich werden damit aus der griechischen Perspektive nur Zufallstreffer erzielt. Es könnte aber die Gesamtheit dieser Zufallstreffer zu einer weiteren, wenn auch bescheidenen Quelle für unsere Kenntnisse des Mykenischen werden. " Vgl. aw. fiu-, ai. ksu- (EWAia I 433). 12 Mit Weiterentwicklung über *ku-g*jsis —» *ku-g"¡his —• *ku-g'alhis —* *ku-bälis. Die Ableitungskette sowie der Ansatz können aber nur dann richtig sein, wenn -ls2- sich wie -lsr verhält (zu -lsr s. Miller 1976), was aus chronologischen Gründen jedoch sehr fraglich scheint. Für die unterschiedliche zeitliche Staffelung in der Entwicklung der Sibilanten erinnere ich aber an myk. ai-ka-sa-ma vs. gr. αιχμή. Jedenfalls muss ß in myk. Zeit *ku-g' noch irgendwie durchsichtig gewesen sein, da der Labiovelar nach υ wieder eingesetzt ist wie in myk. qo-u-qo-ta, su-qo-ta. 13 14
Zu idg. *pel- ,stossen, schlagen' in lat. pellere, gr. πόλεμος, wenn eigtl. ,Schlacht'. Zu diesem s. Burkert 1977, 350 f. Andererseits wäre damit ein Hinweis auf einen idg. Kern des griech. Brauches gegeben.
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κύπειρος κύπειρον (Horn., Thphr.), -ος m. (h. Merc. 107, Theophr., Theok.), κύπερος m. (ion., Dsk., Plu.), κύπαιρος (Alkm. 16). Name einer Wiesenpflanze mit aromatischer Wurzel, ,Zypergras, Cyperus longus, rotundus'. Abi. von *pku-perih2 ,Schafspiess"5; das 2. Glied zu πειρά (Aisch. Ch. 860) ,Schwertspitze'16. Zypergras ist eine Binsenart mit festem Stengel17 und scharfer Spitze18. Obwohl hierfür die Verwendung als Spiess nicht belegt ist, begegnet sie für den Oberbegriff σχοινος , Binse, Schilfrohr'19 bei PI. com. 22520. Die Pflanze wäre also bezeichnet nach dem von ihr gelieferten Spiess. Der ,suffixale' Vokalismus von *kuperio-/*ku-parjo- erklärt sich auf Basis eines proterodynamischen Akzentschemas *périh2- : *p{iéh2-, während die Stammbildung sich nach όβελός/όβελίσκος gerichtet haben könnte. Auf *ku-pario- beruht κυπάρισσος 21 ,Zypresse'. Das tertium comparationis ist wohl die äussere Ähnlichkeit des Baums mit einem Spiess, vgl. RE IV 1916 s.v. Cypresse, mit dem Hinweis „... dass den Griechen und Römern die ... obeliskenartige22 (Ovid. met. X 106. Plin. XVI 140. Serv. Aen. III 64) ... Gestalt auffiel."
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Dies ist auch die ursprüngliche Bedeutung von lat. cuspis (*pku-spid- ,Schafspiess'), s. Thieme 1985, 540. Vgl. Garvie 1986, 281: ,,πειραί, though a απαξ, must nevertheless be right. Cf. Σ 860a αϊ άκμαί των ξιφών παρά τό πείρειν. Portus's πεϊραι κοπάνων, ,attempts of swords', with μιανθείσαι belonging properly in sense to κοπάνων, would be a strange expression." πειρά weiter zu πείρω ,durchbohren', das gerade auch in Verbindung mit dem Spiess verwendet wird, vgl. hom. μίστυλλόν τ'αρα τάλλα καί άμφ'όβελοΐσιν επειραν (Α 465, γ 462 usw.). Vgl. Hegi 1967-1980, 84f. zu Cyperus longus: „Stengel kräftig, 4 0 - 9 0 ( - 1 9 0 ) cm hoch, am Grunde bis 8 mm dick, zusammengedrückt dreikantig." Vgl. slowen. ostrica ,Schärfe, Schneide; Spitze; bot. Ried-, Cypergras', (s. Janezic 1908, 409; vgl. noch SSKJ 464 f. s.v.). ArchHom Q21: „Eisenspiesse kannte erst das erste Jahrtausend. Für kleine Spiesse wird man, wie heute noch auf Euböa, Schilfstengel passend zugeschnitten haben." σχοίνους λαβών (ίνειρε τα κρέα, vgl. Kassel/Austin 1989. Mit Schwund des i vor i. Ähnlich erklärt sich wohl ion. κύπερος als retrograde Abi. < Demin. *κυπερίισκος; vgl. όβελίσκος und κυπαιρίσκος (Alkm. 38) mit analogisch wiederhergestelltem αι. Da όβελίσκος 2 ,Obelisk' in ähnlicher metaphorischer Verwendung auf ό°! ,Bratspiess' beruht, ist es ratsam, *ku-paria als den bronzenen Spiess der mykenischen Oberschicht zu fassen, der in der Sprache der Hirten zur Bezeichnung der überall vorhandenen Binse wurde.
Πάπυρος: ein mykenisches Schimpfwort? 2.2.
*kun-
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,Hund'
Als Realisierungen der Kp.-Form sind neben vorvokal. [*kun-\ theoretisch die vorkonsonant. Varianten [*kun-] und [*kuun-] zu erwarten.Die Sievers-Variante [*kuuri-] hat Brugmann in κυνάμυια23 (II. 21, 394.421) ,Hundsfliege' vermutet. Jedoch wäre der Mehrsilbigkeit wegen in der Komposition eher die Allegrovariante [*kun-]24 am Platz, so dass vielmehr nach undurchsichtigen Wörtern mit πα-Anlaut Ausschau zu halten ist. Aus dieser Perspektive scheint sich πάπυρος als ,Hundsweizen' herauszustellen. Aber wie wäre das zu verstehen? Was verbindet die Papyrusstaude mit dem Weizen? Was hat hier der Hund zu suchen? Und wieso könnte hier eine mykenische Bildung vorliegen, wo das Wort doch erst bei Theophrast begegnet und dazu zunächst eine ägyptische Realität bezeichnet? Daneben gab es nl. das früher belegte βύβλος, das in hom. βύβλινος greifbar ist, wo es von aus P. gefertigten Schiffstauen gesagt wird. Denn, wie Theophrast HP 4. 8. 4 bemerkt: „vielfach verwendbar ist der Papyrus"25. Daher ist die Doppelbezeichnung der Pflanze kein reiner Luxus, da mit βύβλος die Pflanze als Lieferant von Segeln, Tauen und Schreibmaterial bezeichnet wurde, mit πάπυρος aber dieselbe als Nahrungslieferant26. Davon aber,
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„... κυνάμυια nach analogie der von der Stammform κυν- ausgehenden formen wie κυνός κυνί κυνηγός für älteres *κυαμυια ...: κυα- wäre dem çva- von aind. çvà-bhis gleichzusetzen, und die einfügung des ν wäre von ähnlicher art wie die in άρνάσι für älteres *άράσι ..." (Osthoff/Brugmann 1879, 255). Zustimmend Boisacq 1916, 535; GEW II 49, DELG 604. Näheres zur Bed. bei Risch IF 59, 59. Vgl. δ(/·)ώδεκα (: δύω), πανόψια < *κ/^αμοψια (: κύαμος), Πανόπη ,Nereide' < *κ/^ανοκ"ά (: κύανος). Daneben δυώδεκα, πυανέψια (kontaminiert < *παμ- χ *κυ/^αμ-), κυανώπις .Amphitrite' wie *κυ/^αμυια. Vgl. noch πηνέλοψ ( < * κ f a v ελν-οκ"ς mit Umstellung der Vokalquantität) als urspr. Bez. des Stockentenmännchens nach dem schillernd dunkelgrünen Kopf und der rostbraunen Brust. Unterblieben ist die Metathese in Πανέλληνες. αύτος δέ ό πάπυρος προς πλείστα χρήσιμος· και γαρ πλοία ποιοϋσιν έξ αυτού, καί έκ της βίβλου ίστία τε πλέκουσι και ψιάθους και έσθήτά τινα και στρωμνάς και σχοινία τε καί ετερα πλείω. καί εμφανέστατα δή τοις εξω τά βιβλία' μάλιστα δέ καί πλείστη βοήθεια προς τήν τροφήν άπ'αύτου γίνεται, μασώνται γαρ άπαντες οί εν τ Τ) χώρςι τον πάπυρον καί ώμόν καί έφθόν καί όπτόν καί τόν μέν χυλόν καταπίνουσι, τό δέ μάσημα έκβάλλουσιν. ό μέν ούν πάπυρος τοιούτος τε καί ταύτας παρέχεται τάς χρείας . Vgl. Lewis 1974, 15, Anm. 18 und die Feststellung S. 14 f.: „A clue to the distinction may be found in Theophrastus and in Greek papyri of the Ptolemaic era, where πάπυρος designates the plant in its capacity as a foodstuff, where βύβλος generally denotes the plant as a source of fibres for manufacturing woven articles and writingpaper."
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dass den Mykenern diese Nahrung als minderwertig vorkam — eine Bewertung, die sie auf die Ägypter übertrugen — gibt es noch ein Echo in Aischylos, Suppl. 761 f. άλλ'έστι φήμη κρείσσονας λύκους κυνών είναι - βύβλου δέ καρπός ού κρατεί στάχυν Dazu bemerkt der Scholiast:"έπεν παπυροφάγοι oí Αιγύπτιοι". Πάπυρος wäre also als eine ungeniessbare Weizenart gefasst, wie kypr. κυνύπισμα - το άπό στεμφύλων ποτόν (Η.) ein widerliches Getränk bezeichnet. Als Gegenstück zu π. würde gr. διόσπυρος/-ον ,Zeusweizen' als Ben. der kirschenähnlichen Frucht von Celtis australis (Thphr.) passen. Auf der Skala der πυροί stünden sich also diametral gegenüber: der διόσπυρος, die Götterspeise schlechthin, und der ,Hundsfrass', der seinen schlechten Ruf bei den Griechen daher bezogen haben könnte, dass nur der Saft genossen wird, die unverdauliche Fasermasse aber ausgespuckt (s. Thphr.). Statt also, dass der ägyptische Ausdruck entlehnt wurde27, mussten die kulturell überlegenen Ägypter eine Beleidigung einstecken. Dies fügt sich gut zur treffenden Beobachtung Ruijghs zu πυραμίς: „Noter qu' originellement, l'emploi du terme avait sans doute un ton moqueur: tout en désignant chez les Grecs un petit objet, il a été utilisé pour désigner un objet énorme en Egypte. On peut comparer όβελίσκος ,petite broche' (diminutif), κροκόδιλος ,lézard', στρουθός ,moineau', termes employés pour désigner en Egypte l'obélisque, le crocodile et l'autruche" (1991, 612). Für die übertragene Verwendung von ,Hund' als Schimpfwort im Griechischen und in der idg. Grundsprache s. Faust 1969. Da die Pflanze im Griechenland des 1. Jt.v. Chr. nicht vorkam 28 , ist es verständlich, dass der Terminus, mit dem die Mykener sie als Nahrungsquelle bezeichnet hatten, erst spät auftaucht und es nimmt wunder, dass er überhaupt noch auftaucht, und ζ. T. sogar in der richtigen Verwendung. Dass die Analyse πα-πυρος richtig ist, zeigen mehrere Wörter, die sich als verdunkelte Komposita mit erstem Element *Kfa- erweisen. Zunächst πάρνοψ (Ar. u. a.), äol.böot. (Str. 13,1,64) πόρνοψ, auch κόρνοψ 29 (Str. I.e.), -οπος m. „Heuschrecke". Zugrunde liegt *kun27
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Der letzte Versuch, πάπυρος als Ägyptisch zu erweisen, ist von Vergüte 1985; zustimmend Fournet 1989. Ablehnend (Brief vom Januar 1991) Jan Quaegebeur (Leuven). Vgl. aber Morgan 1988, 21 zur Situation im 2. Jt. v. Chr.: „I am inclined to agree with Warren's affirmative to the question „Did papyrus grow in the Aegean" and I think we must ask a further question of why this was so. I suspect that there we have not so much a common as a garden plant." Dissimiliert wie άρτοκόπος.
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h3rn-okl'-s ,Hundsvogel' 30 (mit mir allerdings unverständlicher Entwicklung von *°n-h3rn- > °apv-). Obwohl uns aus dem 1. Jt.v. Chr. griechische Nachrichten über Verwüstungen durch die Wanderheuschrecke kaum vorliegen, zeugen die Epitheta Apollons, Παρνόπιος und Παρνοπίων (Paus. Str.) davon, dass diese, wie nicht anders zu erwarten, auch damals eine Plage darstellte, genauso wie die Feldmaus (σμίνθος), gegen die Apollon als Σμινθεύς (A 39, Str.) angerufen wurde. Sodann Φόρκυς, Gen. -υνος (Od. 1,72), der αλιος γέρων mit der furchtbaren Verwandtschaft: Keto ist seine Frau und seine Töchter sind die Gorgonen und die Graien (K1P III 1136 f.). Ist man auf der Suche nach Spuren von so führt eine Konfrontation von Φόρκυς mit dessen Reimwort ορκυς (mittl. Kom., Arist. u. a.) m. Thunfisch' zur Auflösung des ersteren in *κ/·α-1ιορκυν-ς mit unversetztem Hauch. Und da κύων ,Hund' wohl die allgemeine, volkstümliche Bezeichnung für den Hai war (vgl. Horn. Od. 12, 95 f. und K1P II 918 f.), stellt sich das göttliche Meeresungeheuer als ein solcher heraus. Nun ist aber für den Fischer die wichtige differentia specifica der κήτεα Hai und Thun das Gebiss, und es ist nicht verwunderlich, dass sich das auch sprachlich niedergeschlagen hat: der Hai hat ein Hundsgebiss, während der Thun im Vergleich nahezu gebisslos ist (ορκυς < *α-1ιορκυν-ς)31, vgl. ai. srkvan- ,Maul' aus einer Grundbedeutung ,Gebiss' 32 , das zusammen mit gr. *1ιορκυν- einem proterodynamischen Paradigma entsprungen sein wird. Zu *κ/Ό-1ιορκυν-ς gesellt sich Παλαίμων, ebenfalls ein Meeresgott mit Tempel und Adyton auf dem Isthmos und ursprünglich sicherlich auch als Hai gedacht (: λαιμός ,Kehle, Gurgel, Schlund') 33 . Dass dieser in historischer Zeit als hilfreicher Gott verehrt wurde, der Schiffbrüchige rettete, erklärt sich aus der ambivalenten Haltung der Griechen ihren Göttern gegenüber.34 30 31
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Dies wiederum von άκορνοί/όκορνοί bestätigt, s. u. So skandieren nach Auskunft meines Sohnes in der Eislaufhalle an der Brehmstrasse in Düsseldorf die DEG —Fans, wenn gegen die Eishockeymannschaft der ,Kölner Haie' gespielt wird: „Alle Haie beissen, alle Haie beissen, nur der Kölner Thunfisch nicht." Vgl. noch: „i tonni non sono squali" (L'espresso 11.2.94, S. 48). Eigtl. ,mit Spitzen versehen', vgl. ai. S(kä- ,Spitze' (wohl sekundär thematisiert). Bildung wie Γνάθων. Übrigens musste im 1 .Jt.v. Chr. der Name auf gr. παλαίω ,ringen' bezogen werden, so dass hier ein schönes Beispiel für eine ,étymologie croisée' vorliegt. Unverdächtig ist dagegen die Verbindung zwischen παλαίω und Παλαίμων als Beiname des He-
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2.3 *nk- Jod'; *pku- ,Toter' Angesichts von πάρνοψ < *kui}-h3xn-okv-s lässt sich die Hesychglosse άκορνοί' άττέλεβοι (daneben όκορνοί) auf *nk-h3rn-ì5 ,Todesvogel' zurückführen. Während hier die Kompositionsform von idg. *nek- als Vorderglied erscheint, findet sich jene von *neku- in άττέλαβος ,kleinflügelige Heuschrecke' (Hdt., Eub., Arist. usw.) < *nkueli}bos36, eigtl. ,Totenhirsch'. Mit ,Hirsch' wird auf das Entwicklungsstadium der locusta migratoria angespielt, in der diese nur springen, noch nicht fliegen kann37. Offenbar handelt es sich um die Brut, die von einem verheerenden Schwärm zurückgelassen wurde. Die Metapher Hirsch2 = Heuschrecke auch in ai. ía/a¿>/za38-'Heuschrecke' vs. sarabhä- ,Hirsch', sowie in russisch-kirchenslavisch ja-brëdb άκρίς vs. lit. bríedis ,Hirsch'39. Damit ist nun die Grundlage gegeben für eine Deutung von άκρίς, -ίδος f. ,Heuschrecke' (Φ 12, Ar., Arist.). Wie bei Λεσβίς πατρίς handelt es sich hier um ein substantiviertes fem. Zugehörigkeitsadjektiv zu *nkrös ,To ter40'; da diese Stammbildung bei mehreren Vogelbezeich-
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rakles, obwohl der Anstoss für die Namengebung letztendlich von Παλαίμων als lautlicher Weiterentwicklung von *κ/=Ώ-λαιμων herrühren dürfte. In diesem Zusammenhang ist vielleicht zu beachten, dass „auf einem archaischen Bronzeblech aus Olympia das fischschwänzige Monstrum mit dem Herakles ringt, als ίίλιος γέρων bezeichnet" wird (s. Nilsson 1955, 242). Hinterglied zu ορνεον. *elpbos ist expressiv für *elribhos, vgl. *βαλλος (: φαλλός) in βαλλίον weiter; βαλιός : φαλός. Da bei b im idg. Klusilsystem eine Leerstelle war, konnte es expressiv eingesetzt werden. Zu idg. /b/ zuletzt Meid 1989. Plin. nat. 29, 92 locustarum minimae sine pennis, quas attelabos vocant. Hier, in Nat. 3 p. 576 Vali. ... attelabus ... parva locusta est inter locustam et bruchum et modicis pennis reptans potius quam volans semperque subsiliens. EWAia ; das l von salabha- zu werten wie das b von *elnbos. Vgl. noch dt. Heupferd, ital. cavalletta und in der südital. Provinz Reggio (Rochudi, Zone von Bova) attalogo, als bizarre Kontamination von άττέλαβος χ ίίλογον ,Pferd' (s. Shipp 1979, 112 f.). Dessen Spur sich eben nur in diesem gr. Wort findet. Folglich ist beim semantischen Oppositionspaar ,lebend' : ,tot' mit einer durch Akzent und Ablaut doppelt markierten idg. Adj. : Subst.-Opposition zu rechnen: *g"ih3uós ,lebend' : *nkros ,tot' vs. *g"ieh3uös ,die Lebenden' : *nekrös ,die Toten', die überall aufgegeben wurde. Das alphabetische Griechische hat dabei die Ablautstufe des Substantivs mit dem Akzent des Adjektivs kombiniert: ζωός/νεκρός. Zwischen der idg. und der gr. Regelung liegt gewiss die Übergangsregelung: adj. *g*ieh3yós vs. subst. *g"iéh3uos. Anders über ζωός Klein 1988.
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nungen vorkommt 41 , darf ακρις vielleicht als ,Toten(vogel)' verstanden werden. Auch άτταγήν, -ήνος 42 (Arist., Thphr.) ,Art Rebhuhn, tetrao francolinus' enthält *nk- und weist auf den Totenkult hin, wenn < *nk-iag-än-s ,der das Gesicht eines Leichenbeters hat'. Der Vogel wühlt sich im Staub 43 , was die Mykener an eine Trauergebärde erinnerte44. Die Kompositionsform *rik- liegt aber auch vor in Ά χ έ ρ ω ν 45, das mit Hauchversetzung aus *Άκ-ερ1ιων ,Totenfluss', vgl. ai. ars-, heth. /ars-/ ,fliessen' und Quellnamen wie 'Αρέθουσα Τέλφουσα 46 . Dass es wohl schon Hermes war, der in mykenischer Zeit die Toten dorthin führte, zeigt sich an zwei alten Epitheta, die zu den rätselhaftesten ,homerischen Wörtern' gehören: άκάκητα und διάκτορος. Angesichts von νεκυηγός 47 , νεκυαγωγός 48 und νεκραγωγός 49 steht άκάκητα doch wohl für altes *ακ-αγετα 50 mit Assimilation κ — γ > κ — κ51 und α — α — ε — α > α — α — α — α, sowie mit metrisch bedingter Dehnung des α ( < ε) > ά. Διάκτορος wiederum beruht auf der Anredeform δι/η'ακτορε dessen 2. Element *rtk-torh2o- und somit das Morphemmaterial von νέκταρ enthält. Aber auch die Totengeschenke, die sichtbaren Begleiter des Toten, haben die Funktion durch die leibliche Todesvernichtung
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Chantraine 1933, 344; ζ. Β. άκανθίς ,Distelfink' (: άκανθα ,Distel'), νυκτερίς ,Fledermaus'. Daneben άτταγας, -S (Ar., Hippon. u. a.). Zur Bildung s. u. Vgl. Thompson 1966 mit Verweis auf Arist. HA 633 b 1: Είσί δέ των όρνίθων oí μέν κονιστικοί oí δ'οϋτε κονιστικοί ουτε λοϋσται. Ό σ ο ι μεν μή πτητικοί άλλ' επίγειοι κονιστικοί οϊον άλεκτορίς πέρδιξ άτταγήν κορύδαλος φασιανός. Vgl. die Reaktion von Achilleus, als ihm der Tod des Patroklos gemeldet wird, II. XVIII, 22 ff.: „'Ως φάτο τόν δ'αχεος νεφέλη έκάλυψε μέλαινα / άμφοτέρησι δέ χερσίν έλών κόνιν αίθαλόεσσαν / χεύατο κάκ κεφαλής χαρίεν δ'ήσχυνε π ρ ό σ ω π ο ν / νεκταρέφ δέ χιτώνι μέλαιν'άμφίζανε τέφρη. / αυτός δ'έν κονίησι μέγας μεγαλωστί τανυσθείς / κεΐτο. φίλησι δέ χερσί κόμην ησχυνε δαΐζων. Von άχερωΐς ,WeisspappeP zu trennen. Dies aus *άκ-ερω!ι-ις ,scharfen Saft habend' (Hinterglied zu άπ-εράω). Dazu Krähe 1950/51. AP 7.68 (Archias, 1. Jh.v. Chr.). Tab. Defix. Aud. 242.10 (Karthago, 3. Jh.n.Chr.). Epigr. Gr. 258 (Alexandria, 3. Jh.v. Chr.) Trotz der späten Beleglage könnte sowohl die Vorstellung als auch der Nexus *neku-/ro- + *h2eg- alt sein. vgl. κυνηγέτης, myk. ku-na-ke-ta. Vgl. Schwyzer 1939, 257 zu κωλακρέται < *κωλαγρεται.
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hindurchzuführen, so dass bei κτέρας ,Totengeschenk' mit einer älteren Form *ακτερας 52 zu rechnen ist. Grundlage also *nk-terh2-s. Da Sarkophage oft wannenförmig 53 waren, ist άσάμινθος 5 4 < *ακ-ίαμ-ινθος 55 ,Art Totengrube'. Die unterschiedliche Behandlung von -κι- in άσάμινθος und άτταγήν ist auf eine unterschiedliche Chronologie der jeweiligen Komponierung zurückzuführen, bzw., was auf dasselbe hinausläuft, auf eine Modernisierung bei άτταγήν 56 . Bei Komponierung auf der Stufe des noch nicht vokalisierten n- wurde in *nca° < *nk-ia° die Implosion des c [ίί] zwischen η und s zerrieben, was auf der Stufe α in *atsa - nicht geschah. Da schliesslich in der Polysemie Sarkophag/Badewanne oft auch Trog eingeschlossen ist, stellt sich die Hesychglosse άπαφίνιον Λάκωνες κάρδοπον λιθίνην < *ακ^-αφεν-ιον 57 ,Totenvermögen(behälter)' als eine wertvolle Reminiszenz an die mykenische Zeit mit ihren reichen Bestattungen heraus. 2.4 *gyu- ,Rind' Βύβλος eine andere, früher belegte Bezeichnung für die Papyruspflanze wird allgemein aus dem Namen der gleichlautenden phönikischen Stadt (phön. Gbl, akk. Gublu, hebr. Gebal) hergeleitet, die ein Umschlagplatz für die Schreibware Papyrus gewesen sein soll. Doch wird in letzter Zeit auch über die Möglichkeit griechischer Herkunft nachgedacht. So schreibt Lewis 1974, 8 Anm. 7: „... F. Dornseiff... in Hermes, LXXIV (1939), 209, included βύβλος („Das wird niemand von der Stadt Byblos trennen wollen") among the many products taking their name from their source, like ,china', ,panama', etc., in modern parlance. ... Most recently, however, scepticism was renewed by E. Masson, Recherches sur les plus anciens emprunts sémitiques en grec (Paris, 1967), pp. 101—7. Referring approvingly to that demonstration, M. M. Austin remarks, „The derivation of βύβλος from Byblos has, however, been challenged on philological grounds, and it may be that the Greeks gave Byblos its name from the material, not vice versa, (Greece and Egypt in the Archaic Age [Proc. Cambr. Philol. 52 53 54 55 56 57
Statt Apokope ist wohl Metanalyse zu erwägen, ζ. Β. πολλ'άκτ" —• πολλά κτ°. Zu Wannensarkophagen s. Hitzl 1991 und Brümmer 1985. Bereits myk. a-sa-mi-to. Vgl. IEW 502: iam- ,graben, aufgraben'. Vgl. μίνθος < *iphi-inthos vs. ονθος < *ohi-inthos, s. Lanszweert 1994. Substantiviertes Bezugsadjektiv. Im 2. Glied zu αφενός, dessen ε an das ι der Folgesilbe assimiliert ist.
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Soc., Suppl. 2, 1970], p. 36)." Also myk. *gvu-gvlo-s (< *gvu-gy¡h,o-s) ,Rindaufspiesser' als scherzhafte Bezeichnung für Cyperus Papyrus? Während das Zypergras sich lediglich für das Aufspiessen von Fleischstückchen eignete, sah dessen hochwüchsiger Artverwandter 5 8 in Ägypten so aus, als hätte er mit seinem dicken Stengel wahrhaftig ein ganzes Rind aufspiessen können! 59 Die formalen Schwierigkeiten sind nicht unüberwindlich. Zum Kompositionstyp und Laryngalschwund vgl. Neumann 1992 60 . Da die Entlabialisierung der Labiovelare in der Umgebung von υ uralt sein könnte, braucht κύκλος < *k"uk"los (