Im globalen Spannungsfeld der Korruption: Analysen eines Phänomens aus interdisziplinären Perspektiven 9783495823910, 9783495491213, 9783495491218


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German Pages [261] Year 2021

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Table of contents :
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Der klassische Fall
2. Der direkte Griff in die Kasse
3. Die Vetternwirtschaft
Karin Karsch: Anfüttern. Eine Kurzgeschichte über Korruption
Bettina Hollstein: Korruptionsverständnisse im Wandel – Wirtschaftsethische Forschungsfragen
1. Einleitung
2. Das Korruptionsverständnis in der Vormoderne
3. Korruptionsverständnisse in der Moderne
4. Korruption in interdisziplinärer Perspektive
5. Wirtschaftsethische Forschungsfragen
Literatur
Stefan Behringer: Korruption – Die Entwicklung von der rationalen zur irrationalen betriebswirtschaftlichen Handlung
1 Der Begriff Korruption
2 Die Entwicklung zur Strafbarkeit von Korruption
3 Prävention von Korruption in Unternehmen
4 Fazit: Korruption ist irrational für Unternehmen
Literaturverzeichnis
Wolfgang Rupieper: Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten am Beispiel der Stadt Cottbus
Der Korruptionsbegriff
1. Die Korruptionshandlungen
2. Der Vorteilsbegriff
3. Korruptionsgefährdete Bereiche
4. Warnsignale für korruptives Verhalten
5. Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten
6. Vermeidung von Korruptionshandlungen
7. Aus der Praxis eines Antikorruptionsbeauftragten in der Stadt Cottbus
8. Ausblick
Eike Albrecht und Alexander Drescher: Korruption als rechtliches Phänomen
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
Michael Aßländer: Der Korruptionsfall Siemens
1. Einleitung
2. Was ist Korruption?
2.1 Korruption – Versuch einer Definition
2.2 Formen korrupten Verhaltens
2.3 Auswirkungen korrupten Verhaltens
3. Geschäftsbeziehungen in einem korrupten Umfeld
4. Bestechung als Unternehmenskultur – Der Fall Siemens
4.1 Chronologie der Ereignisse
4.2 Elemente einer Korruptionskultur
4.3 Maßnahmen zur Überwindung der Korruptionskultur
5. Erfolgreicher Neubeginn?
6. Epilog
Literatur
Alicia Hennig: Das Problem der Korruption in China – Eine Betrachtung aus politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozio-kultureller Perspektive
Einleitung
1. Definition von Korruption
Definition von Korruption im chinesischen Kontext
2. Gründe für Korruption in China
Korruption in China: Eine kurze Chronologie
Politisch-wirtschaftliche Perspektive
Politisch-rechtliche Perspektive
Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive
3. Aufdeckung von Korruption und Korruptionskontrolle
Aufdeckung und Kontrolle von Korruption durch Kampagnen
Definition und Kontrolle von Korruption durch das politische und rechtliche System
Aufdeckung und Kontrolle von Korruption durch Institutionen
Behinderung von Korruptionsaufdeckung? – Das Mandatssystem
4. Korruptionsbekämpfung unter Xi Jinping
5. Zusammenfassung und abschließende Reflektion
Referenzen
Marco Mansdörfer: Kleine oder Große Korruption? – Ein Essay über Lektionen in und aus Rumänien
I. Lektionen in Rumänien
II. Große und Kleine Korruption – eine doch sinnvolle Unterscheidung?
1. Zum Phänomen der Kleinen Korruption
2. Zum Phänomen der Großen Korruption
III. Wege aus der Krise
1. Schwache Institutionen, Verstärkereffekte und der Teufelskreis der Korruption
2. Der Exit aus dem Teufelskreis
3. »Nudges« seitens der internationalen Gemeinschaft
IV. Lektionen aus Rumänien
Sigrun von Hasseln-Grindel: Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik
Vorbemerkungen
Teil A. Korruptionsbekämpfung aktuell: Symptomkosmetik statt Ursachenbekämpfung?
I. Definition, Ausbreitung und Auswirkungen von Korruption
1. Was ist Korruption?
2. Was heißt Bananenrepublik?
3. Weltweite Verbreitung von Korruption
4. Katastrophale Auswirkungen von Korruption
II. Aktuelle Maßnahmen gegen Korruption
1) Gesetze zur Ahndung von Korruption und Bestechung (im deutschen Recht)
2) Staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption
3) Richtlinien für Staatsbedienstete
4) Compliance
Teil B. Weitere Ansätze für eine nachhaltige Korruptionsverhinderung
I. Die heutigen Maßnahmen gegen Korruption sind unzureichend
II. Mehr gezielte Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung in den sieben Schlüsselbereichen der inneren Sicherheit
Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 1: Religion & Identität
Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 2: Mitmenschlichkeit & Gesundheit
Anmerkungen:
Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 3: Wirtschaft & soziale Gerechtigkeit
Anmerkungen:
Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 4: Technologie & ethische Grenzen
Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 5: Bildung, Kultur, Erziehung
Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 6: Kriminalitätsprävention & -repression
Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 7: Menschenrechte, Recht, Gesetzgebung, Verwaltung & Justiz
III. Berücksichtigung von Persönlichkeitsprofilen von Wirtschaftsstraftätern
IV. Berücksichtigung von Korruption auch als Symptom einer überforderten Gesellschaft in einer tiefen Krise tradierter Sinnbestände
1) Überforderung der Gesellschaft durch Leben in einem Zeitalter rascher und tiefgreifender Veränderungen der Menschheitsgeschichte und Umgestaltungen der Gesamtgesellschaft
2) Entwurzelte Menschen
Ergebnis:
5 vor 12:
V. Lösungsansätze zur nachhaltigen Verhinderung von Korruption durch den ganzheitlichen Ansatz Globale Rechtspädagogik/Human Law
1) Human Law – ein Weg aus der Krise der tradierten Sinnbestände
2) Maßnahmen zur Förderung eines neuen gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins
3) Konkrete Übungen zur Bekämpfung von Korruption im Rahmen der 21 rechtspädagogischen Regeln/21 Basics of Human Law
Regeln aus dem Bereich der Empathie
Regeln aus den Bereichen der Vernunft. Bildung und Erziehung zur Achtung des Anderen
Erziehung und Bildung. Bildung und Erziehung zur Freiheit. Prinzipien der Freiheit. Art. 3 MRK. Art. 2, 4, 5, 8, 9, 11, 12 GG
Bildung und Erziehung zur Mündigkeit
Bildung und Erziehung zur Verantwortung. Prinzip Verantwortung
Übungen zur historischen, gegenwärtigen und künftigen Identität
Motivierende Übungen
Regel aus den Prinzipien der Dynamik
Teil C: Ergebnis: Elemente eines ganzheitlichen Präventionspaketes gegen Korruption
Zitierte und weiterführende Literatur
Internetquellen
Hans Friesen: Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung
1. Das Problem der Korruption in der globalen Wirtschaft
Zwischen objektiven Ursachen und subjektiven Wahrnehmungsweisen
Die relativistische Sichtweise der Kulturalisten
Relativismus und Universalismus
2. Ist der Kapitalismus überhaupt eine gute Wirtschaftsform?
3. Die Verantwortung der Unternehmen im Kapitalismus
Drei Begriffe der Verantwortung nach Suchanek
Mit Verantwortung und Vertrauen gegen den Neoliberalismus
4. Der Unternehmer im Zeitalter der Globalisierung auch als politischer Akteur!
5. Ausblick: Republikanische Verantwortung – der Nexus von Einheit und Vielheit
Literatur
Manja Unger-Büttner, Roberto Barros, Rogério Vitalli: Korruption aus technikphilosophischer Sicht
Beispiel 1: Medien und Manipulation im brasilianischen Wahlkampf (Roberto Barros)
Beispiel 2: Die Rolle von Robotik und Automatisierung im Umgang mit Korruption (Rogério Vitalli)
Transparenz in der Gestaltung von Technologien und Gesellschaften
Korruption – zwischen Quantifizierung und Relation
Literatur
Autorenverzeichnis
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Im globalen Spannungsfeld der Korruption: Analysen eines Phänomens aus interdisziplinären Perspektiven
 9783495823910, 9783495491213, 9783495491218

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Hans Friesen (Hg.)

Im globalen Spannungsfeld der Korruption Analysen eines Phänomens aus interdisziplinären Perspektiven

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495823910

.

B

Hans Friesen (Hg.) Im globalen Spannungsfeld der Korruption

VERLAG KARL ALBER

A

https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen (Hg.)

Im globalen Spannungsfeld der Korruption Analysen eines Phänomens aus interdisziplinären Perspektiven

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen (Ed.) The global phenomenon of corruption An interdisciplinary analyses In this anthology, renowned experts from the fields of law, economics, social sciences and philosophy explore the globally lamented phenomenon of corruption. What are its social and cultural consequences? Corruption and the fight against corruption do not only occur in underdeveloped and collectivist states. Even in individualistic Germany, spectacular cases of corruption can be enumerated, even in the recent past, which prove that alleged model companies such as Siemens and VW have also been bribed to pay millions.

The Editor: Professor Dr. Hans Friesen received his doctorate 1991 in Bochum and habilitated 2001 in philosophy in Potsdam. Today he heads the Department of Cultural Philosophy at the BTU Cottbus-Senftenberg.

https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen (Hg.) Im globalen Spannungsfeld der Korruption Analysen eines Phänomens aus interdisziplinären Perspektiven In diesem Sammelband ergründen ausgewiesene Experten aus Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Sozialwissenschaft und Philosophie das weltweit beklagte Phänomen der Korruption. Welche gesellschaftlichen bzw. kulturellen Folgen hat es? Dabei kommen Korruption und der Kampf gegen Korruption nicht nur in unterentwickelten und kollektivistisch geprägten Staaten vor. Auch im individualistisch geprägten Deutschland kann man selbst in der jüngeren Vergangenheit spektakuläre Korruptionsfälle aufzählen, die beweisen, dass es ebenfalls bei vermeintlichen Vorzeigeunternehmen wie Siemens und VW zu Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe gekommen ist.

Der Herausgeber: Professor Dr. Hans Friesen promovierte 1991 in Bochum und habilitierte 2001 in Potsdam im Fach Philosophie und leitet heute das Arbeitsgebiet Kulturphilosophie an der BTU Cottbus-Senftenberg.

https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2020 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-49121-3 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-82391-0

https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Karin Karsch Anfüttern. Eine Kurzgeschichte über Korruption . . . . . . . .

15

Bettina Hollstein Korruptionsverständnisse im Wandel – Wirtschaftsethische Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . .

29

Stefan Behringer Korruption – Die Entwicklung von der rationalen zur irrationalen betriebswirtschaftlichen Handlung . . . . . . . . .

51

Wolfgang Rupieper Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten am Beispiel der Stadt Cottbus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

Eike Albrecht und Alexander Drescher Korruption als rechtliches Phänomen . . . . . . . . . . . . .

81

Michael Aßländer Der Korruptionsfall Siemens . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Alicia Hennig Das Problem der Korruption in China – Eine Betrachtung aus politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozio-kultureller Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

7 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Inhaltsverzeichnis

Marco Mansdörfer Kleine oder große Korruption? – Ein Essay über Lektionen in und aus Rumänien . . . . . . . . .

145

Sigrun von Hasseln-Grindel Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik Nachhaltige Korruptionsbekämpfung in Wirtschaft und Politik durch Human Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154

Hans Friesen Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung Das Problem der Korruption in der globalen Wirtschaft und die Verantwortung der Unternehmen als Thema einer interkulturellen politisch-philosophischen Ethik . . . . . . . .

183

Manja Unger-Büttner, Roberto Barros, Rogério Vitalli Korruption aus technikphilosophischer Sicht Überlegungen zu Automatisierung und Robotik am Beispiel Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253

8 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Vorwort

Die Korruption ist ein uraltes Phänomen, welches wir bereits in Schriftzeugnissen der alten Ägypter und Babylonier auffinden können. Auch in anderen großen Städten der vorchristlichen Zeit – im Zweistromland des alten Orients an den Flüssen Euphrat und Tigris sowie im alten Rom – war dieses Phänomen wohlbekannt und wurde auch bekämpft. Schon damals sind noch heute gängige Korruptionspraktiken im alltäglichen Leben angewandt und beschrieben worden (siehe dazu die Beiträge von Stefan Behringer und Bettina Hollstein in diesem Band). Die Vermutung, dass in jeder menschlichen Gesellschaft Korruption ausgeübt wird, ist wohl nicht von der Hand zu weisen bzw. zu widerlegen; ob es sich dabei jedoch sogar um so etwas wie eine anthropologische Konstante handelt, darüber lässt sich heute auf jeden Fall heftig streiten. Korruption war in der Weltgeschichte fortwährend ebenso ein Phänomen des Staates wie der Wirtschaft, wo man es – wie gesagt – seit frühester Zeit als tief verankertes Problem erkannt hatte. Im Mittelalter gab es Korruption darüber hinaus auch in kirchlichen Kreisen, vorwiegend im sogenannten Ablasshandel – dem Verkauf geistlicher Gnade gegen Geld. Auch diese Aktionen müssen im Sinne einer Korruptionspraktik betrachtet werden. Korruption ist demzufolge allgemein nicht nur ein äußerst umfängliches, sondern ein ebenso schwierig zu handhabendes Phänomen, da es sich unaufhörlich um eine illegale Aktivität handelt und daher empirisches Datenmaterial nur spärlich zu finden ist. Insofern könnte uns fiktives Material wie eine literarische Kurzgeschichte durchaus einen tieferen Einblick in das Phänomen gestatten, wie es etwa durch diejenige von Karin Karsch in diesem Band intendiert und dargelegt wird. Denn Korruption findet wie die meisten illegalen Aktivitäten vor allem in der Verborgenheit statt. Dies verhindert aber nicht eine weltweite Verbreitung des Korruptionsphänomens; eine solche Verbreitung gilt heute als unbestritten, obwohl einige konservative Manager, Unternehmer und Politiker weiterhin von einem Problem der Ent9 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Vorwort

wicklungsländer sprechen. Seit 1993 hat es sich die gemeinnützige zivilgesellschaftliche Organisation »Transparency International« zum Ziel gesetzt, die Korruption überall auf der Erde zu bekämpfen. Auf der Homepage dieser Organisation werden aufgedeckte Korruptionsfälle veröffentlicht und für jedermann offenkundig aufgeführt. Täglich werden neue Korruptionsfälle gemeldet, was die weltweite Verbreitung der Korruption einmal mehr nachdrücklich unterstreicht. So schätzt die Weltbank, dass durch Korruption jährlich eine Summe von etwa 500 Mrd. USD umgesetzt wird. Dieses Geld entgeht den Staaten als Mittel der Steuereinnahme und macht die Problematik insbesondere auch aus finanzieller Perspektive deutlich. Man sollte allerdings hinzufügen, dass nicht die Gesamtgesellschaft als korrupt bezeichnet werden kann. So ist immer ein bestimmtes gesellschaftliches bzw. soziales, politisches und ökonomisches Umfeld zur Ausbreitung von Korruption erforderlich (siehe dazu den Beitrag von Sigrun von Hasseln-Grindel in diesem Band). Spezielle politische und wirtschaftliche Konstellationen sind anfälliger als andere. In aller Welt sind heute jedoch drei Branchen besonders stark von Korruption geprägt: Die Bauwirtschaft, der Flugzeugbau sowie die Waffenproduktion. Man darf diese Branchen aber nicht schlechthin als korruptionsgefährdet beurteilen und benennen, da stets ganz bestimmte Bedingungen dazugehören, die mögliche korrupte Aktionen begünstigen. Oft sind es die sogenannten Großaufträge, welche auf Korruption begründet sind. Großaufträge sind von existentieller Bedeutung für manche Branchen, weshalb es für sie äußerst wichtig ist, diese zu bekommen. An diesem Punkt spielt dann häufig Korruption eine entscheidende Rolle. Solche Großaufträge werden meist über internationale Ausschreibungen vergeben, über deren Erfolg bzw. Ausgang ein kleines Gremium entscheidet, bestehend etwa aus Mitarbeitern sowohl von nicht direkt betroffenen Stellen als auch der zuständigen kommunalen Ämter sowie Landes- und Bundesbehörden. In diesen Gremien wird oft über enorm hohe Summen entschieden. Aus psychologischer und soziologischer Sicht sind einzelne Mitarbeiter der Gremien allein deswegen schon besonders gefährdet, über Korruptionspraktiken zu stolpern. Die Entscheider haben häufig nur geringe Gehälter und sind dadurch leichter bestechlich. 1991 wurden, um hier ein beliebiges Beispiel zu nennen, Panzer von Thyssen-Krupp nach Saudi-Arabien verkauft. 40 % der Summe des Gesamtauftrages sind dabei als Korruptionsgelder, im Volksmund auch als Schmiergeld betitelt, verteilt worden. Auch auf den untersten Ebenen der Gesell10 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Vorwort

schaft gibt es Korruption. Insbesondere ist das in den ärmsten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu beobachten. Dort kommt es sogar zu einer regelrechten Ausbildung von »Kulturen der Korruption«. Ohne Schmiergelder kann das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben dort in vielen Fällen nicht mehr funktionieren; so erwarten viele Ärzte in Rumänien für ihre medizinische Behandlung vom Patienten ein sogenanntes Handgeld (siehe dazu vor allem den Beitrag von Marco Mansdörfer in diesem Band). Jedoch sollte man von einer einseitigen Fokussierung auf diese Länder absehen, denn bei der Korruption handelt es sich ja um ein globales Phänomen, welches selbst die ökonomischen Aufsteiger wie China nicht verschont (siehe dazu den Beitrag von Alicia Hennig in diesem Band). Diese Situation ist mit der fortschreitenden Globalisierung sogar noch einmal explosionsartig gewachsen. »Transparency International« führt auf seiner Website einen Index mit dem Ranking der Länder mit hohem Korruptionsgrad. Danach müssen wir davon ausgehen, dass viele Entwicklungsländer, aber auch viele der osteuropäischen Transformationsländer, als korrupt oder äußerst korrupt eingestuft werden (siehe dazu wiederum den Beitrag von Marco Mansdörfer in diesem Band). Die skandinavischen Länder sind am wenigsten korrupt und können demnach als mehr oder weniger »sauber« bezeichnet werden. Westeuropäische Länder wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich sowie auch die USA sind dagegen im Mittelfeld angesiedelt. Seit der Globalisierung verzeichnet man zudem einen deutlichen Anstieg der Korruption auf der Ebene der vielfältigen neuen internationalen Handelsströme. Korruption ist und bleibt wohl ein schillernder Begriff (siehe dazu den Beitrag von Hans Friesen in diesem Band). Zum einen werden unterschiedliche Sachverhalte als Korruption bezeichnet. Zum anderen reicht das Spektrum der Korruption von unmoralischen Verhaltensweisen bis hin zu strafrechtlichen Tatbeständen wie Bestechung, Erpressung und Betrug. Außerdem müssen wir von einem Wandel des Begriffs ausgehen (siehe ausführlicher dazu den Beitrag von Bettina Hollstein in diesem Band). Trotz der Unterschiede gibt es aber auch Gemeinsamkeiten, die auf alle Fälle von Korruption zutreffen. Man hat es demnach meistens mit einem Funktionsträger zu tun. Dieser hat ein bestimmtes Amt inne und besitzt einen gewissen Handlungsspielraum. Der Funktionsträger ist also in der Lage, seine Position missbräuchlich auszunutzen, um sich in der Regel finan11 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Vorwort

zielle Vorteile zu verschaffen. Aus ökonomischer und juristischer Betrachtung können in diesem Zusammenhang zunächst drei Akteure identifiziert werden: 1. der Vorteilsgeber (der Bestechende), 2. der Vorteilsnehmer (der Bestochene), 3. der Geschädigte (z. B. Steuerzahler oder Kapitalgeber) (siehe dazu den Beitrag von Stefan Behringer in diesem Band). Zudem könnte man unterschiedliche Formen der Korruption unterscheiden. Zur besseren Veranschaulichung unterscheide ich hier: 1. den klassischen Fall, 2. den direkten Griff in die Kasse sowie 3. die Vetternwirtschaft. Diese drei Korruptionsformen, die hier nur beispielshalber aufgeführt werden und mit denen in diesem Vorwort kein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden ist (siehe dazu genauer und ausführlicher die Beiträge von Stefan Behringer, Wolfgang Rupieper sowie von Eike Albrecht und Alexander Drescher in diesem Band), sollen im Folgenden kurz beschrieben werden:

1.

Der klassische Fall

Ein aktiver Geschäftsmann bietet einem sich eher passiv verhaltenden öffentlichen Amtsträger Geld an, mit dem Ziel, letztlich eine illegale Amtshandlung herbeizuführen. Beispiel: Ein Bauherr versucht mittels Schmiergeldzahlungen an einen städtischen Behördenmitarbeiter eine Baugenehmigung zu beschleunigen (siehe dazu ausführlicher den Beitrag von Wolfgang Rupieper in diesem Band). Auch ein Unternehmen kann sich mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen etwa einen Gewerbeschein erkaufen. Da in den meisten Fällen von Korruption etwas beschleunigt werden soll, spricht man in der Fachsprache auch von »Beschleunigungszahlungen« und umschreibt dies auf internationaler Ebene mit dem Begriff »Speed Money«. Beide Beispiele zeigen gängige Methoden der Bestechung auf und sind nach § 334 STGB im Sinne der »Vorteilsgewährung oder Vorteilsnahme« strafbar.

2.

Der direkte Griff in die Kasse

Bei überdimensionierten Bauvorhaben und überteuerten Rüstungsgütern kommt es oft zu sogenannten Gefälligkeitszahlungen an alle oder einige der an dem Geschäft Beteiligten. Dieser Begriff versucht die stattfindende Korruption gezielt zu verschleiern. Solche Gefällig12 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Vorwort

keitszahlungen wurden und werden entweder direkt gezahlt oder auch mehrmalig schon im Vertrag verankert. Nach der Auftragsabwicklung wird der Aufschlag als Prämie an die Beteiligten verteilt. Auch in diesem Fall handelt es sich in den meisten Ländern mittlerweile um ein strafbares Delikt.

3.

Die Vetternwirtschaft

Dies ist eine sehr alte Praktik und kann in vielen Gesellschaftsformen, insbesondere jedoch in den kollektivistisch organisierten Gemeinschaften beobachtet werden (siehe dazu den Beitrag von Hans Friesen in diesem Band). Der Funktionsträger verhilft Verwandten oder nahestehenden Personen zu einem öffentlichen Amt, einer öffentlichen Leistung oder zu einem öffentlichen Auftrag. Alle drei genannten Vorgänge sind in den meisten Ländern heute moralisch verwerflich oder sogar strafbar (siehe dazu gründlicher und differenzierter den Beitrag von Eike Albrecht und Alexander Drescher in diesem Band). Trotzdem dürfen wir nicht den Fehler begehen, das Problem der Korruption auf öffentliche Amtsträger zu reduzieren. Die Philosophin Manja Unger-Büttner etwa fragt in ihrem Beitrag, den sie zusammen mit dem Philosophen Roberto Barros und dem Ingenieur Rogério Vitalli verfasst hat, danach, ob der Einsatz neuerer Technologien korruptes Verhalten von Menschen eher fördern oder verhindern würde und ob die Idee einer Korruptionsbekämpfung durch Implementierung neuer Technologien in technikphilosophischer Hinsicht überzeugend begründet werden könnte. Insofern können wir das Problem der Korruption keineswegs auf eine Dimension, etwa öffentliche Funktionsträger, reduzieren. Neben Politik, Gerichtsbarkeit und Verwaltung spielen große Unternehmen häufig eine zentrale Rolle. Großunternehmen wie Siemens (siehe dazu den ausführlichen Beitrag von Michael Aßländer in diesem Band) und andere multinationale Unternehmen haben des Öfteren schwerfällige bürokratische Verwaltungen und ähneln damit in ihrer Anfälligkeit für Korruption oft stark den manchmal trägen öffentlichen Verwaltungen der Staaten in Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Ähnlichkeit erklärt sicherlich die oft hohe Anfälligkeit für korrupte Aktivitäten in internationalen Unternehmen. Großunternehmen haben beispielsweise häufig die Wahl zwischen mehreren Lieferanten. Die Einkäufer 13 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Vorwort

werden aus diesem Grund nicht selten von Lieferanten bestochen und erhalten einseitige Zuwendungen, z. B. Geschenke. Und damit sind wir an folgendem Punkt angelangt: dass sich die Grenzen zwischen unmoralischen und illegalen korrupten Handlungen sowie moralisch akzeptablen Praktiken verwischen. Denn wir müssen uns doch fragen, was ein Geschenk überhaupt ist und ab wann die Illegalität des Schenkens beginnt (siehe dazu den Beitrag von Marco Mansdörfer in diesem Band). Im Regelfall ist ein Geschenk selbstverständlich positiv als etwas Gutes einzustufen. Es gilt als Ausdruck einer intakten soziokulturellen Pflege einer Beziehung, etwa einer Freundschaft. Werden Geschenke jedoch absichtsvoll mit einem verdeckten Interesse vergeben, sind sie problematisch oder gar illegal. Ein eindeutiger Indikator zur Überschreitung der Grenze zur Illegalität findet sich in der Regel auf der Ebene der Aufforderung zur Geheimhaltung der Angelegenheit. Während absichtslose bzw. uneigennützige Geschenke öffentlich gezeigt werden können, werden absichtsvolle bzw. eigennützige Geschenke vorwiegend im Verborgenen vollzogen. Positive einseitige Zuwendungen kann es aus diesem Grund eigentlich gar nicht geben. Einseitige Zuwendungen sind immer entweder moralisch oder strafrechtlich problematisch (siehe dazu die Beiträge von Eike Albrecht und Alexander Drescher sowie von Wolfgang Rupieper). Ein Beispiel für einseitige Zuwendungen sind in der Pharmaindustrie subventionierte Tagungen, bei dem das Wohlwollen bestimmter Personen erkauft werden soll. Unproblematisch hingegen sind beispielshalber die Trinkgelder. Diese werden in der Regel nicht im Rahmen von Korruption betrachtet. Aber die bevorzugte Behandlung von Gästen in der Kneipe oder im Restaurant auf Grund eines großzügigen Trinkgeldes könnte doch freilich auch im Sinne der Korruption gesehen werden. Aber sollen wir bzw. wollen wir wirklich so weit gehen? Der Herausgeber, Cottbus, den 29. 10. 2019

14 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Karin Karsch

Anfüttern. Eine Kurzgeschichte über Korruption

Das Büro des Kommissariats war einfach möbliert, so wie die allermeisten von uns es wahrscheinlich nur aus zahlreichen TV-Sendungen oder vom Hörensagen her kennen. Ein billiger Holzschreibtisch stand in der Mitte des Raumes und an einer Wand befand sich ein Regal mit Aktenordnern, die schon etwas verstaubt erschienen. Der Schreibtisch trennte mich von zwei Herren, die hinter diesem auf zwei Drehstühlen Platz genommen hatten: Der eine war vom Zoll, der andere von der Bundespolizei. Zwischen mir, einem bis vor einiger Zeit noch unbescholtenen LKW-Fahrer und Bürger dieser Republik, und diesen Herren befand sich räumlich gesehen nur diese schmale Schreibtischplatte, aber ansonsten trennte uns wahrscheinlich eine Welt, die Welt der Korruption, derer ich angeklagt war. Bis vor kurzem hatte ich manchmal so Einiges über Korruption gelesen und gehört, was man eben als einfacher Bürger so täglich aus den Medien mitbekommt. Damals wäre ich aber nie darauf gekommen, dass ich einmal persönlich damit konfrontiert werden würde. Bei dem Wort Korruption allein hatte ich immer an riesige Geldsummen gedacht, die von Wirtschaftsbossen oder Politikern aus einem bestimmten Land anderen Politikern in anderen Ländern zugeflossen waren, um ein bestimmtes Geschäft zu tätigen oder um bestimmte Waren, meistens Waffen und Drogen, zu liefern, und vor allem, um alle anderen Mitbewerber bei lukrativen Geschäften auszubooten. Als ich dann eines Tages vom Zoll gestellt und von der Polizei verhaftet wurde, war ich trotzdem etwas überrascht, dass das, was ich seit einiger Zeit betrieben hatte, wirklich Korruption gewesen sein solle und ich war noch mehr überrascht, als sie mich aufforderten, meine Geschichte aufzuschreiben, um einfach mal bekannt zu machen, wie schnell man in so eine Korruptionsaffäre hineinschlittern kann, und, dass es nicht immer die »Bosse« in der Wirtschaft, in der Politik oder im Sport sind, die diese Methode

15 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Karin Karsch

anwenden, um sich Vorteile zu verschaffen, sei es nun privat oder im Firmenbereich. Nach kurzem Überlegen erklärte ich mich bereit, meine Geschichte preiszugeben, wobei es mir etwas leichter gemacht wurde, da mir im Falle meiner schriftlichen Erklärung, die ja eigentlich auch einem Schuldeingeständnis gleichkam, eine Strafminderung versprochen wurde. Und so begann ich, den beiden Herren hinter dem Schreibtisch etwas darüber zu erzählen, was man gemeinhin wohl als »Anfüttern bzw. Anfütterung« bezeichnet, das heißt, ich erzählte meine Geschichte in ein Aufnahmegerät, das einer der Herren, der Zollbeamte, plötzlich auf den Schreibtisch gestellt hatte, während er mich fragte, ob ich damit einverstanden sei, dass alles, was ich sagte, aufgenommen würde. Ich nickte nur zustimmend, denn inzwischen war mir alles ziemlich egal geworden. Dass ich sprechen müsse und nicht nur nicken, ermahnte mich der Polizist, und der Zollmensch schaltete das Aufnahmegerät sogleich auf »On«. Dabei rutschte an seinem rechten Unterarm der Jackenärmel etwas höher und gab eine Armbanduhr frei, die mir, obwohl ich doch in meiner misslichen Situation anderes im Kopf haben sollte, sofort ins Auge fiel. Der Beamte hatte meinen Blick erhascht und ließ die Uhr schnellstens wieder unter seinem Ärmel verschwinden. Das Aufnahmegerät lief nun; es wurden vom Zollbeamten zunächst Datum und Uhrzeit eingegeben, dann setzten sich die beiden Herren in eine bequeme Zuhörerposition zurecht und durch Fingerzeig wies man mich an, mit meiner Geschichte zu beginnen. Ich war etwas irritiert. Die Uhr, es war eine sehr teure Rolex, irgendwie ging sie mir nicht aus dem Kopf. Die Herren räusperten sich und ich begann meine Geschichte zu erzählen: Wir, meine Frau und ich, waren damals aus dem Osten in eine andere Stadt in den Westen gezogen, weil man mir dort einen Job in der Speditionsbranche angeboten hatte. Ich sollte zunächst als LKWFahrer beginnen und später eventuell als Speditionskaufmann übernommen werden. Für meine Frau und mich war das zunächst ein ziemlicher sozialer Abstieg, denn da, wo wir herkamen, hatte ich ein eigenes kleines Fuhrunternehmen gehabt, welches ich leider in den Konkurs gewirtschaftet hatte. Die Branche gleicht einem Haifischbecken, wer zuerst zuschnappt, egal, was dabei hängen bleibt, ist der King. Die anderen, die etwas zu lange zögern, haben das Nachsehen. 16 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Anfüttern. Eine Kurzgeschichte über Korruption

Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen müssen fast immer das akzeptieren, was übrig bleibt, oder sie übernehmen spezielle Fuhren, die zum Teil sehr gefährlich sein können. Wie man sich wohl vorstellen kann, war es uns, besonders auch meiner Frau, nicht leicht gefallen, neben der Firma auch noch die Heimat zu verlieren und quasi noch einmal ganz von vorne anfangen zu müssen. Doch wir wollten unseren Bekannten und Freunden auf keinen Fall zeigen, wie tief wir gefallen waren, und auch kein falsches Mitleid erheischen. Keiner möchte das wohl gern erleben. Also sagten wir allen einfach, dass wir uns verändern wollten und versuchen, uns zu vergrößern, und zwar in einer großen Stadt im Westen der Republik. Ich hatte mich bei einer angesehenen Spedition auf eine Stellenanzeige beworben und schon nach kurzer Zeit eine positive Antwort bekommen. Um eine Wohnung und den ganzen Umzug kümmerte sich glücklicherweise meine Frau und da wir auch sofort etwas Passendes und vor allem Bezahlbares sogar in der Nähe der neuen Firma fanden, ging die ganze »Umsiedelei« recht schnell und unkompliziert vonstatten. Wir haben keine Kinder und meine Frau hatte noch keinen Job gefunden, also blieb ihr Zeit, die neue Wohnung einzurichten. Unsere Möbel hatten wir am alten Wohnort zurückgelassen oder verkauft. Somit hatte sie genug zu tun, um unsere neue Behausung wohnlich herzurichten. Ich erinnere mich noch genau, wie ich am ersten Tag in der neuen Firma eintraf. Es war an einem Montag und der Chef hatte mich in sein Büro gebeten. Als ich eintraf, war ich ziemlich überrascht: Die meisten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen standen in kleinen Gruppen zusammen in seinem Zimmer und sahen mir erwartungsvoll entgegen. Der Chef erhob sich von seinem Stuhl hinter seinem Schreibtisch, kam mir entgegen und zeigte mit einer Hand in die Runde der Umstehenden und bat alle, sich mir namentlich vorzustellen, damit ich gleich die meisten, die noch nicht auf Tour oder anderweitig verhindert waren, kennen lernen konnte. Ich war positiv beeindruckt. Einen solchen Empfang hatte ich nicht erwartet, schon gar nicht für einen einfachen LKW-Fahrer, also ein kleines Licht im Geschäft, wie ich es ja war. Trotzdem gefiel es mir, da ich mich dadurch schon ein bisschen zugehörig fühlte. Der Chef betonte, dass es allerdings immer montags eine Fahrer- und Mitarbeiterzusammenkunft in seinem Büro gebe, da dann auch die Fahrten und alle benötigten Unterlagen an die Fahrer vergeben würden, und dass er es eben bei 17 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Karin Karsch

dieser Gelegenheit gut gefunden habe, mich gleich mit allen bekannt zu machen. Diese seine Idee fand ich außerordentlich nett und stellte mich ebenfalls mit kleinem Lebenslauf vor. Ein bisschen peinlich war dabei natürlich für mich, auf meine Pleite zu sprechen zu kommen, aber ich wollte gleich von Anfang an keinen im Ungewissen lassen, denn solche Dinge kommen doch bald ans Licht und so war schon mal für klare Verhältnisse, was das betraf, gesorgt. Dann schüttelten mir auch alle wohlwollend die Hand und begaben sich anschließend und nach ihrer Einweisung zu ihren Trucks. Nur einer blieb zurück und kam auf mich zu, das war Claus H. Mit ihm zusammen sollte ich zunächst auf Fahrt gehen, damit er mir erstmal einige gewisse Kenntnisse über meine neue Arbeit vermitteln könne und ich einen groben Überblick über alle Abläufe bekäme, wie eben alles ablief. Claus war mir sympathisch: Ca. 50 Jahre alt, wie ich, ein gebräuntes, kantiges Gesicht und ein leichter Bauchansatz ließen ihn auf mich sehr vertrauenserweckend wirken. Er gab mir zum zweiten Mal die Hand und forderte mich auf, ihn zum LKW zu begleiten. Ich trottete hinter ihm her und hörte mir dabei seine zum Teil recht witzigen, um nicht zu sagen frivolen Bemerkungen über einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma an. Ich fand es ein bisschen unangenehm und früh, wie er mir gleich in der ersten Stunde alles Firmengetratsche offenbarte, aber ich wollte nicht unhöflich sein und nickte nur ab und zu freundlich zu seinem ununterbrochenen Gerede. Sogar als wir schon im Wagen saßen und der Motor brummte, tat dies seinem Redefluss keinen Abbruch. Er bot mir in einem Atemzug an, uns beim Einrichten und bei allem, was bei einer Neuorientierung so anfällt, zu unterstützen, weil er gewisse Leute sehr gut kenne usw. bis plötzlich sein Handy klingelte und seinem Gequatsche zunächst ein Ende machte. Es schien privat zu sein, obwohl ich etwas undeutlich mithören konnte, dass er von einer Männerstimme gewisse Anweisungen erhielt. Nach kurzer Zeit beendete er das Gespräch, um sich nun voll und ganz auf das Fahren zu konzentrieren. Das fand ich schon etwas merkwürdig und nach einer Weile traute ich mich zu fragen, ob es denn etwas Unangenehmes eben am Telefon gewesen sei. Er winkte nur kurz mit der Hand ab und meinte, dass sein Chef immer etwas anderes wolle. Wir sollten dieses Mal noch eine andere Fuhre aufnehmen und deshalb einen Halt an einer bestimmten Raststätte machen. Mir sollte es recht sein. Ich war heute nur sein Praktikant und musste erst einmal alles sondieren, obwohl ich ziemlich sicher wusste, dass es nicht die Stimme des Chefs am Telefon gewesen war. 18 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Wir fuhren zunächst ziemlich wortlos weiter, außer dass er völlig zusammenhanglos bemerkte, dass ich doch bestimmt froh sei, wenn er mich bei meinem Neuanfang etwas unterstützen würde. Ich sagte nichts darauf, seine Angebote, mir zu helfen, waren mir schon etwas zu aufdringlich, vor allem, da wir uns ja gerade erst kennen gelernt hatten. Hier unterbrach einer der beiden Herren, es war der Polizist, meine Erzählung und meinte, dass ich da doch schon hätte aufmerksam werden müssen, bei so viel Hilfsangebot gleich in der ersten Stunde. Ich antwortete, dass ich es aus heutiger Sicht auch so sähe, aber am ersten Tag, an dem alles neu ist und man in dem Dilemma ist, es allen Recht machen zu wollen, das schon etwas schwierig sei. Schließlich wollte ich doch nicht gleich am Anfang Zoff mit den Kollegen haben. Das schien ihn zu überzeugen. Er schwieg und bedeutete mir durch Handzeichen, weiter zu berichten. Also wir fuhren dann weiter, bis er bei dem nächsten Schild, das auf eine Raststätte hinwies, meinte, dass wir Pause machen sollten und auch, weil er hier einen Mann treffen müsste, der ihm noch etwas mit auf den Weg geben würde. Es war mir damals egal, wen oder was er mitnahm. Die Verantwortung für die Fuhre und den LKW hatte ja heute er, ich hielt mich ganz diskret zurück, obwohl ich das Ganze schon etwas merkwürdig fand. Ich war ja selbst Unternehmer gewesen und hatte meine Fahrer strikt angewiesen, nichts und niemanden unterwegs mitzunehmen. Als wir bei der Raststätte eingebogen waren und er auf einem Parkplatz ziemlich weit entfernt vom Restaurant gehalten hatte, forderte er mich auf, doch schon einen Kaffee trinken zu gehen; er käme in Kürze nach. Als ich ihn fragend ansah, meinte er nur, er hätte noch etwas zu erledigen. Beim Kaffeetrinken dachte ich das erste Mal darüber nach, dass er mir überhaupt nichts davon erzählt hatte, wohin er denn mit der Ladung, von der ich ja auch nichts wusste, wollte, obwohl er doch die ganze Zeit auf mich eingeredet hatte. Als er kam, war er plötzlich sehr in Eile. Er wollte keinen Kaffee, sondern bezahlte meinen und wir fuhren sofort weiter. Nach längerer Zeit beiderseitigen Schweigens fragte ich ihn, wohin wir die Fracht bringen sollten und was wir denn geladen hätten. Dass wir heute nur in den Hamburger Hafen fahren würden, um Container hinzubringen. Die Zollpapiere seien schon vom Büro der Spedition ausgefüllt worden, damit hätten wir Fahrer glücklicherwei19 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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se nichts zu tun. Was in den Containern war, erzählte er mir nicht und ich fragte nicht weiter, auch nicht, was er denn vorhin so lange auf dem Parkplatz gemacht hatte. Wahrscheinlich würde er nur sagen, dass mich das nichts anginge, und damit hatte er ja auch recht. Heute war ich ja nur sein Beifahrer. Immerhin hatte er meinen Kaffee bezahlt und das war doch anständig von ihm gewesen. Wir fuhren weiter auf der inzwischen sehr frequentierten Autobahn, bis er plötzlich meinte, dass meine Frau und ich doch sicher noch keine neuen Freunde hier im Ort gefunden hätten, was am Anfang doch für jeden sehr schwierig sei. Er würde uns gern am nächsten Samstag zum Essen zu sich und seiner Frau nach Hause einladen, wenn wir noch nichts anderes vorhätten. Ich war ziemlich erstaunt, nicht über die Einladung an sich, sondern, dass sie so unvermutet schnell erfolgte. Wir beide kannten uns doch gar nicht, hatten uns erst heute ein bisschen beschnuppert. Dass wir uns das natürlich überlegen könnten und ich ja auch noch mit meiner Frau sprechen müsste, meinte er und sah mich dabei grinsend an. Ich ließ ihn wissen, dass wir natürlich gern kämen, aber dass wir im Moment noch viel zu tun hätten, um unser Zuhause einzurichten. Sofort bot er auch noch die Hilfe seiner Frau für uns an, doch an seinen Gesichtszügen bemerkte ich, dass er über diese meine Antwort ein bisschen verstimmt schien, und deshalb fügte ich schnell hinzu, dass ich mich sehr über seine Hilfsbereitschaft und die Einladung freue und wir natürlich gerne kämen. Seine Gesichtszüge entspannten sich wieder, aber ab jetzt, eigentlich schon seit unserem Rastplatzaufenthalt, war er längst nicht mehr so redselig wie zuvor. Irgendetwas musste dort passiert sein, was ihn nicht gerade erfreut hatte. Die weitere Fahrt verlief ziemlich unaufgeregt. Im Hafengebiet wurden wir in die Container-Entladezone eingewiesen; mein Fahrer kannte sich allerdings gut aus, es war sicher nicht das erste Mal, dass er eine Fracht dort ablieferte, weil man ihn schon wie einen alten Bekannten empfing. Die Papiere wurden im Büro für zu verzollende Waren überprüft und da anscheinend alles in Ordnung war, konnten wir nach relativ kurzer Zeit die Rückreise antreten. Etwas erstaunt war ich darüber, dass wir keine Rückfuhre aufnehmen sollten. Aus meiner selbständigen Zeit wusste ich, dass man ohne Fuhre Geld verlor. Aber diese Spedition, für die wir fuhren, war riesig, in aller Welt verzweigt und nicht annähernd mit meiner im Osten vergleichbar, also konnte sie es sich sicher leisten, auch einmal leer zu fahren. 20 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Auf der Rückfahrt fragte er mich ein bisschen nach meiner Vergangenheit, meiner Familie und meinen Hobbies und erzählte auch von sich. Seine Frau und er seien ebenfalls kinderlos, leider, und deshalb würden sie sich einen großen Bekanntenkreis suchen, in den sie uns gern aufnehmen wollten. Eigentlich ging mir das alles wie schon gesagt viel zu schnell, aber um ihn nicht wieder zu verstimmen, nickte ich zu allem weiterhin sehr wohlwollend. Am Ende der Fahrt waren wir übereingekommen, dass meine Frau und ich bei ihm gleich am kommenden Samstagabend zu Hause essen sollten. Er schrieb mir seine Adresse und seine Handynummer auf; und ich bedankte mich, auch im Namen meiner Frau, und hoffte nur, dass auch sie mit dieser spontanen Einladung einverstanden war. Als ich es ihr am Abend nach Arbeitsende unterbreitete, war sie zunächst skeptisch, denn an sich ging es ihr wie mir ein bisschen zu schnell. Aber trotzdem waren wir dann doch froh, dass wir das Wochenende nicht so alleine in dieser für uns noch fremden Stadt verbringen mussten. Außerdem sagten wir uns, sollte man auch nicht immer alles so negativ sehen und sich einfach freuen, dass es doch noch Menschen gibt, die ein gutes soziales Verhalten zu ihrer Umwelt pflegen. Die ganze nächste Woche wurde ich immer als Beifahrer bei anderen Fahrern eingesetzt. Der Chef wollte das so, damit ich erstmal eine gewisse Sicherheit bekam, auch was die hochtechnisierten Wagen in dieser Firma betraf. Mir war das sehr recht, denn in dieser großen Spedition ging es schon um andere Frachten und andere Entfernungen als ich sie gewohnt war. Hauptsächlich aber brachten wir Container zum Hamburger Hafen und zu den Frachtflugzeugen nach Frankfurt. So ging die erste Woche schnell vorbei und wir machten uns am Samstagabend auf den Weg zu unseren neuen Bekannten. Wir, meine Frau und ich, hatten uns ein Taxi genommen, denn erstens kannten wir uns in der Stadt noch nicht aus und außerdem konnten wir dann auch etwas trinken, ohne uns Gedanken um die Rückfahrt machen zu müssen. Allerdings – und das war vielleicht der Hauptgrund: Unser altes Auto war doch schon recht klapprig und damit wollten wir nicht unbedingt bei denen vorfahren. Wie Recht wir damit hatten, sahen wir, als der Taxifahrer vor dem Haus der angegebenen Adresse hielt. Wir dachten zuerst, er hätte sich geirrt, denn wir hatten eine Wohnung in einem normalen Mietshaus, höchstens ein kleines Häuschen 21 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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hinter der Anschrift vermutet, schließlich war er wie ich als LKWFahrer angestellt und nicht der Chef der Firma. Die Adresse stimmte allerdings, denn wir waren gerade ausgestiegen, als mir mein Kollege schon auf der Vordertreppe des Hauses entgegenkam, um uns zu begrüßen. Er bemerkte sogleich, dass wir wegen der Größe des Hauses und der luxuriösen Bauweise überrascht und erstaunt waren, sagte aber nichts dazu, sondern bat uns sehr freundlich sogleich einzutreten. Drinnen war es genauso wie draußen: Luxus von der DesignerKüche bis zu der gesamten Wohnungseinrichtung und dem großen Wintergarten, an den sich ein riesiger schöner gepflegter Garten anschloss. Seine Frau, die ebenso entgegenkommend und nett zu sein schien, bat uns zu Tisch und wir zögerten auch nicht lange, trotz unserer anfänglichen Verwirrtheit wegen des unglaublich luxuriösen Anwesens, die hervorragenden Getränke und Speisen zu genießen. Etwas alkoholisiert legte ich nun alle anfängliche Zurückhaltung ab und begann ihn auszufragen, wie er sich denn all diesen Luxus leisten könne, so als normaler LKW-Fahrer. Meine Frau stieß mich an, weil ihr meine direkten Fragen peinlich waren, aber mein Gastgeber grinste nur und meinte, dass ich es doch mal mit einem Zweitjob versuchen solle, so wie er. Seine Frau, die entschieden zurückhaltender war, schien etwas ungehalten, ermahnte ihn, nicht so viel dummes Zeug zu erzählen, und erklärte uns, dass sie eine Erbschaft gemacht hätten und sie sich deshalb dieses Haus leisten könnten. Ich bemerkte darauf nur noch, dass sie da ja großes Glück gehabt hätten, und damit war das Thema für diesen Abend beendet. Insgesamt aber wurde es ein recht unterhaltsamer Abend und wir alle waren am Schluss auch recht angeheitert Auf dem Heimweg meinte meine Frau, dass er doch sehr viel geerbt haben müsse, immerhin stände noch ein Luxusschlitten in der Garagenauffahrt und wie seine Frau gekleidet war, war bestimmt nicht ganz billig. Außerdem hatte sie meiner Frau in der Küche von einigen tollen Reisen erzählt, sodass die Meine schon ganz neidisch geworden war. Ich dachte nur, dass es Angeber waren, und hielt mich mit mir auf der Zunge liegenden, abfälligen Bemerkungen lieber zurück, aber es wurmte mich schon sehr, dass diese Leute so luxuriös leben konnten und wir wieder bei null anfangen mussten.

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Die beiden Beamten hatten bisher andächtig zugehört und als es an der Tür klopfte, wiesen sie den Eindringling barsch zurück und verwiesen auf das gerade stattfindende Verhör. Als Verhör hatte ich das Ganze bisher nicht eingestuft, eher als die Geschichte eines zur damaligen Zeit naiven Mannes, der sich nur eine neue, anständige Existenz hatte aufbauen wollen, darum erzählte ich unaufgefordert weiter, wobei mir plötzlich klar wurde, wie gut es tat, mir das alles von der Seele reden zu können. Die Wochen vergingen und wir, insbesondere meine Frau, versuchten uns ein neues wohnliches Heim zu schaffen. Seit diesem Abend bei meinem Kollegen Claus, so hieß er ja und man duzt sich im Allgemeinen schnell auf diesem Arbeitsniveau, waren wir ziemlich deprimiert, wie kümmerlich doch dagegen unser Heim ausfiel; unsere uns zur Verfügung stehenden Mittel waren eben doch sehr begrenzt und ich fürchtete, dass es auf längere Sicht so bleiben würde. Ein paar Mal hatten die Frau von Claus und meine Frau sich zu einem Stadtbummel getroffen. Danach kam sie noch unglücklicher zurück, da ihr diese Hannah, so hieß die Frau von Claus, damit erst recht vor Augen geführt hatte, wie ärmlich wir finanziell gesehen im Grunde zu diesen beiden doch waren. Ich versuchte, sie in den wenigen Momenten unseres Zusammenseins zu trösten und ihr zu versichern, dass wir uns auch bald mehr leisten könnten. Meine Frau war keine dieser Ehefrauen, die konsumsüchtig sind, aber so hatte sie sich unseren Neuanfang auch nicht im Entferntesten vorgestellt und wir beide wussten, dass wir in Kürze nicht aus unserem finanziellen Dilemma herauskommen würden. Das war grobumrissen unsere damalige Situation. Die beiden Herren hinter dem Schreibtisch räusperten sich vernehmlich. Der Zollbeamte wies mich darauf hin, dass ich eine Pause einlegen könne, aber ich wollte das nicht. Also erzählte ich weiter: Als wenn sie es geahnt hätten wie es um uns stand, riefen uns Claus und Hannah zu diesen Zeitpunkt wieder an, um uns erneut zum Essen einzuladen, dieses Mal in ein exquisites Restaurant in der Stadt. Ich wollte zunächst absagen, angeblich, weil wir uns nicht revanchiert und sie noch nicht zu uns eingeladen hätten, aber Claus drängelte so lange – und im Durchsetzen seiner Wünsche war er konkurrenzlos gut –, bis ich doch zustimmte. Meine Frau jammerte allerdings, dass sie für so ein vornehmes Lokal nichts Passendes an23 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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zuziehen hätte, und wieder war es so, als ob diese beiden ahnten, was uns bedrückte. Hannah lud kurz vorher meine Frau noch zum Kaffeekränzchen ein und als sie wieder zu Hause war, hatte sie allerlei sehr schöne, sehr teure Kleider und Accessoires vorzuzeigen. Angeblich hätten die Hannah nicht mehr gepasst und meine Frau sei doch schlanker usw. Auf jeden Fall erschienen wir beide zu der Einladung sehr trendy und angemessen, zumindest, was die Kleidung betraf. An diesem Punkt unterbrach mich einer der Herren hinter dem Schreibtisch, ich glaube es war wohl wieder der von der Kriminalpolizei, ob ich denn da nicht endlich gemerkt hätte, was am Laufen war? Ich verneinte, da ich damals wie gesagt, sehr viel Arbeit hatte, meine Frau mit unserem Lebensstil langsam unzufrieden wurde und ich einfach mal meine Ruhe haben wollte, weil ich bemerkte, dass sie sie doch sichtlich genoss, diese Einladungen zu einem schönen Abend in einem so teuren Restaurant, den wir uns sonst nicht hätten leisten können. Es erhellte für kurze Zeit ihre damals doch manchmal recht düstere Stimmung. Ich hatte das Gefühl, dass der Polizist mich plötzlich verständnisvoller anblickte, und er gab mir einen Wink weiterzuerzählen, also fuhr ich mit meinem Bericht fort. Nach etlichen Gläsern Wein und zur Halbzeit des ausgezeichneten servierten Menüs schlug Claus plötzlich einen ganz anderen Ton wie gewohnt an. Wir seien doch nette, umgängliche Menschen und hätten was Besseres verdient, als ewig Schulden für einen Konkurs abzuzahlen. Von meinen Konkurs hatte ich ja beim Vorstellen in der Firma erzählt. Dass es vielleicht besser gewesen wäre, es nicht zu tun, wurde mir da klar. Auf jeden Fall stimmte auch Hannah, seine Frau, in diese Töne ein und fand, dass auch meine Frau wieder an allen schönen und luxuriösen Dingen ohne Einschränkung teilhaben müsse und nicht erst warten, bis sie alt und grau sei. Dass wir leider keinen Erbonkel oder eine Tante mit Vermögen hätten, warf meine Frau dazu ein und ich bemerkte sofort, dass sie innerlich unglaublich aufgewühlt schien. Jedenfalls ging dieser Dialog eine Weile hin und her, bis Claus am Ende zugab, dass er seine Wohlhabenheit keinem Erbe zu verdanken habe und ohne Pause fügte er hinzu, dass, wenn wir vom großen Stück Kuchen etwas abhaben wollten, wir nur zugreifen müssten, denn das Geld läge im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Meine Frau und ich waren sekundenlang sprachlos, dann hörte 24 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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ich sie als erstes sagen, dass das ja wohl nicht so einfach sei und dabei immer ein Haken wäre, Geld zu erhalten ohne es reell zu verdienen. Sie war immer die Pragmatischere von uns beiden gewesen, vielleicht hätte sie unsere Firma nicht in die Pleite geführt? Als ich noch darüber sinnierte, was, warum und wie alles zum Besten geworden wäre, hörte ich nur wie durch Watte einige Stichwörter wie Medikamente, Müll, Kunstgegenstände, aber auch unverzollte Zigaretten, damit könne man, wenn man die richtigen Leute kenne, sehr viel Geld machen und ich sähe doch nicht so aus, als ob ich von meinem normalen LKW-Job jemals wieder festen Boden unter die Füße bekäme. Dass das nicht ganz zutraf, wollte ich erwidern, immerhin hätten wir schon eine Wohnung mit einer Einrichtung, die sicher nicht ihrem teuren Geschmack standhalten könnte, aber seufzend musste ich am Ende doch zugeben, dass er nicht ganz Unrecht hatte. Er könne mir die Chance meines Lebens bieten, wenn ich nur zugreifen würde, und meine Frau und ich würden in kurzer Zeit ein Leben führen, so wie er und seine Frau das täten. Vieles sprach er noch aus, was alles recht überzeugend klang und letzten Endes auch, dass man mich doch hereingelegt hätte und dass immer nur die Großkopferten am richtigen Geldhahn säßen und eben auch nur durch unlautere Geschäfte und Beziehungen reich geworden seien. Es brummte mir in den Ohren und seine Worte taten mir fast körperlich weh, wahrscheinlich, weil ich immer mehr glaubte, dass er nicht so Unrecht hatte; trotzdem war ich schon dabei, von meinem Stuhl aufzustehen und meine Frau aufzufordern, mit mir das Restaurant zu verlassen, als ich in ihre flehenden Augen sah. Sie hatte diesen ausgelegten Köder schon geschluckt. Ich blieb darum sitzen und nun hatte er uns quasi am Haken, den man wohl am Ende Korruption nennt. Wir konnten einfach nicht mehr zurück und es begann nun eine Zeit des Versteckspiels, des Lügens, der Ängste, aber auch der sprudelnden Einnahmen, die uns alles andere wegschieben ließen. Es war dieses Mal der Zollbeamte, der auf seine Uhr blickte und mir bedeutete, dass für heute Schluss sei und ich von einem weiteren Beamten in eine Zelle ins Untersuchungsgefängnis gebracht würde. Man würde mich morgen weiter anhören wollen. Es war wieder diese Uhr, die durch meine Gedanken ging. Was verdiente so ein einfacher Zollbeamter, dass er sich so eine teure Uhr leisten konnte? Ich erhob mich, wie auch die beiden Herren hinter dem Schreibtisch, und ließ mich von einem Vollzugsbeamten abführen. 25 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Als ich in meiner Zelle saß, war ich zu müde, um mich aufzuregen, sogar zum Essen der zwei belegten Brote, die mir hingestellt worden waren, war ich nicht fähig. Ich legte mich auf meine Pritsche, schloss die Augen und dachte darüber nach, was mir denn von all dem versprochenen Wohlstand geblieben war. Vor allem dachte ich darüber nach, warum gerade ich, der sich immer für ehrlich und anständig gehalten hatte, sich in den Sog der Korruption hineinziehen ließ, in kriminelle Machenschaften, für die ich früher Menschen, wie gewisse Manager, Politiker usw., verachtet hatte. Was hatte ich schon über Korruption mehr gewusst, als dass sie immer mit sogenannten unterentwickelten Ländern zu tun hatte, denn fiel mal irgendwann das Wort Korruption, folgte unweigerlich der Ausspruch »Ach ja: Bananenrepublik« und damit war zunächst mal klar, dass es Korruption zumeist dort gibt, wo, einfach gesagt, die Bananen wachsen, in Südamerika, Afrika, Asien, Spanien, Italien, aber auch ganz erheblich in den osteuropäischen Ländern. Also in allen diesen Ländern halten wir alle es doch für völlig normal und an der Tagesordnung, dass dort ohne Korruption überhaupt nichts geht, im wahrsten Sinne des Wortes. Jede oder jeder, die oder der schon mal in einem dieser Länder Urlaub gemacht oder sogar für einige Zeit dort gearbeitet hat, kann sich mehr oder weniger ausführlich darüber auslassen, wie mit dem sogenannten »Bakschisch« alles schneller, besser, leichter geht, um an Papiere, Einlass oder viele andere Dinge zu kommen. Warum das so ist und warum wir uns selten, fast nie fragen, warum man in diesen, von uns so abschätzig Bananenrepublik genannten Ländern diese Art von Einkommensverbesserung dringend nötig hat, kann man ziemlich einfach beantworten: Wir akzeptieren diese Art des Handels als gegeben und verbinden sie häufig mit einem folkloristischen Touch, der uns sogar gefällt, weil es so schön exotisch anmutet. Dass diese Leute die durch Korruption erlangten Gelder dringend benötigen, um ihre zumeist nicht kleine Familie durch beständige Einkünfte zu ernähren, ist uns oft nicht klar. Glücklich, dass wir in einem Land leben, wo es so etwas nicht gibt oder es doch eher die Ausnahme ist. Ist darum der Mensch in Westeuropa, insbesondere in Deutschland, der bessere Mensch? Ist er fleißiger und gesetzestreuer, weniger anfällig für Korruption und Unterschlagung? Nein, dass das nicht zutrifft, musste ich mir jetzt eingestehen. Hier in dieser kleinen Zelle in Untersuchungshaft wurde mir ziemlich schmerzlich bewusst, dass das, was ich eine Zeitlang 26 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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betrieben hatte, kein Kavaliersdelikt war, sondern eine Straftat, die ich zu sühnen hätte, und nur, wenn ich mich dazu ernsthaft bekannte, würde ich meine Selbstachtung zurückgewinnen. Denn ganz ehrlich gesagt, war es nicht nur das Geld, das reichlich geflossen war und uns eine Menge luxuriöse Dinge verschaffte. Für mich hatte es Macht bedeutet, ja Macht über Leute, die ansonsten über mir standen, über dem kleinen, dummen LKW-Fahrer mit Pleite-Erfahrung und den langweiligen Kolonnenfahrten, die ihm nur die Sicht auf die Reklameschilder des vorderen LKW und die seitliche Sicht auf die endlosen Reihen der PKW boten. Und dafür gab es obendrein nur eine miese Bezahlung, die diese Tortur nicht im Mindesten rechtfertigte. Jetzt aber teilte ich an den Raststätten mal Geschenke aus und versuchte es auch bei den Polizistinnen und Polizisten bei den Kontrollen auf den Parkplätzen, sogar bei Zollbeamten häufig mit Erfolg. Ich kam mir manchmal wie ein kleiner König vor und das war, glaube ich, der eigentliche Reiz gewesen. Ich hatte dank des Geldes Macht bekommen. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich wurde plötzlich hellwach: Der Zollbeamte bei der Vernehmung, der mit der teuren Uhr. Sein Gesicht war mir gleich bekannt vorgekommen. Ich erinnerte mich: Ja, natürlich! Recht am Anfang unserer dubiosen Fahrten in den Hamburger Hafen hatte mein Kumpel Claus einem Zollbeamten, der unsere Papiere kontrollierte, etwas in die Hand gedrückt, und die Kontrolle war sogleich beendet! Ich erinnerte mich deshalb so genau, weil Claus mir damals zeigen wollte, wie einfach es doch sein kann, Geschäfte zu machen, wenn man die richtigen Leute auf seine Seite bringt. Ich wollte wissen, wie er denn diese richtigen Leute erkenne und er meinte lapidar und indem er mich vielsagend ansah, dass er einen gewissen Blick dafür hätte. Er war mir dabei so unglaublich unsympathisch gewesen, dass ich gerne alles sofort hingeschmissen hätte, aber ich war in diese unappetitlichen Geschäfte schon zu weit hineingeraten, als dass ich das noch hätte beenden können. Als ich noch darüber nachdachte, ob ich mich doch wirklich nicht irrte, klopfte es an meine Zellentür. Herein kam der Zollbeamte, der zu meiner Anhörung abgestellt worden war. Er wies mich an, dass ich auf meiner Pritsche verbleiben könne und er machte mir ein Angebot, nämlich, dass ich über seine und meine Geschäftstätigkeiten, wie er es nannte, Stillschweigen bewahren solle, dann würde er dafür sorgen, dass ich mit einem blauen Auge in diesem Verfahren davonkäme, weil, wie er sich ausdrückte, doch eine Hand die andere wäscht. Das 27 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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bedeutete für mich, entweder ein weiteres Verfahren und sehr wahrscheinlich zwei bis drei Jahre Gefängnis, oder, mit seiner Hilfe, dieselbe Strafe, aber zur Bewährung. Ich war so überrumpelt, dass ich irgendwie wohl seinem Vorschlag, nichts über seine Tätigkeiten zu berichten, zugestimmt haben musste, denn nach nur einer Woche wurde mir eröffnet, dass mein Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden sei und ich eine recht hohe Geldstrafte zu zahlen hätte. Auf meine Frage, wo denn der Zollbeamte abgeblieben war, verhielten sich alle Beteiligten sehr zurückhaltend, nur der Kriminalist, der bei meiner Befragung dabei gewesen war, teilte mir kurz mit, dass er in ein anderes Bundesland gewechselt sei, und fügte noch ein bedauerndes, aufrichtiges »Schade« hinzu.

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Korruptionsverständnisse im Wandel – Wirtschaftsethische Forschungsfragen

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Einleitung

Korruption ist scheinbar ein ubiquitäres Phänomen, das sich an unterschiedlichsten Orten, in allen Zeiten, in verschiedenen Kulturen und Gesellschaften findet und jeweils mit spezifischen normativen Forderungen verknüpft wird. Doch obwohl Korruption scheinbar überall vorkommt und immer mit etwas ›Schlechtem‹ für Gemeinschaften oder Gesellschaften verbunden wird, muss man feststellen, dass das, was mit Korruption jeweils gemeint ist, sich doch wandelt. Häufig ist dann doch nicht so klar, was nun verdammenswerte Korruption ist oder was eher ein akzeptiertes ›Geben und Nehmen‹, das notwendig ist, um Gesellschaften zusammenzuhalten. Was also ist genau gemeint, wenn man von Korruption spricht? Inwiefern stellt Korruption ein Problem für ›gute Gesellschaften‹ oder ein ›gutes Leben‹ dar? Welche Rolle spielen korrupte Handlungen für die Fähigkeiten von Menschen, ein ›gutes Leben‹ zu führen? Also, was sollten wir über Korruption wissen? In meinem Beitrag möchte ich versuchen, einige dieser Fragen zu beantworten. Korruption ist ein hilfreiches Konzept, um zu verstehen, wie sich Gesellschaften selbst als ›gut‹ beschreiben und sich von ›schlechten‹ Gesellschaften abgrenzen. Korruptionskritik ist nämlich immer mit Vorschlägen verbunden, das gesellschaftliche Leben zum Besseren zu wandeln. Methodologisch möchte ich daher mit einer klaren Trennung von zwei Verständnissen von Korruption beginnen: Einerseits beobachten wir Korruptionskritik als einen spezifischen, normativen gesellschaftlichen Diskurs über Korruption und die Vorstellung einer ›guten‹ Gesellschaft und andererseits können wir empirisch bestimmte korrupte Praktiken in sehr unterschiedlichen Kontexten beobachten. 1 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch die Beschreibung historischer Korruptionsdiskurse bei Engels (2014).

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Dabei sind Diskurse und Praktiken eng miteinander verknüpft. Meine These ist, dass wir durch einen Blick auf den Wandel des Korruptionsverständnisses viel lernen können über die Konzeptionen eines guten Lebens in den betreffenden Gesellschaften und auch über unsere unbewussten Intuitionen in Bezug auf Korruption, die häufig in unserem kulturellen Gedächtnis verankert sind, ohne explizit reflektiert zu werden. Die Art und Weise, wie in Gesellschaften über Korruption gesprochen wird, kann uns daher etwas über den »moral background« (Abend 2014) dieser Gesellschaften sagen und damit auch über den allgemeinen Vorstellungsrahmen, der es Menschen ermöglicht, sich korrupt oder eben nicht-korrupt zu verhalten. Entsprechend meiner pragmatistischen Herangehensweise in Anlehnung an die Handlungstheorie von Hans Joas (1992), gehe ich davon aus, dass korrupte wie nicht-korrupte Handlungsweisen in gesellschaftlichen Routinen verankert sind, für die ein häufig nicht bewusst gemachter Horizont von Vorstellungen des Guten 2 bedeutsam ist. 3 Dementsprechend sollen der Begriff Korruption, der die normativen Vorstellungen transportiert, und die korrupten Handlungsweisen und Praktiken analytisch unterschieden werden. Auf individueller Ebene sind korrupte Praktiken z. B. Bestechung, Bestechlichkeit, Bevorzugung, Käuflichkeit. Auf sozialer Ebene geht es um Patronage, Klientelismus, Nepotismus usw. Aber nicht alle diese Praktiken werden in jeder Situation als korrupt bezeichnet. Für die Beschreibungsebene der diversen, empirisch beobachtbaren Praktiken soll der Begriff ›Netzwerkpolitik‹ 4 verwendet werden. Wolfgang Reinhard definiert Netzwerkpolitik, bzw. in seiner Wortwahl »Mikropolitik«, als Machttechnik, durch die Einzelne oder Gruppen Vorteile zulasten des Gemeinwohls erlangen (Reinhard 2011: 634, Engels 2014: 29). Mikropolitik ist »der mehr oder weniger planmäßige Einsatz eines Netzes informeller persönlicher Beziehungen zu politischen Zwecken, wobei die Besetzung einer Stelle und der Rang ihres Inhabers in der Regel sehr viel wichtiger ist, als das, was Ich verwende hier eine Vorstellung von ›Horizont‹, wie sie auch von Charles Taylor (1996 [1994]) entwickelt wurde. 3 Zu einer ausführlicheren Darstellung meiner pragmatistischen Herangehensweise in der Wirtschaftsethik vgl. Hollstein (2015b). 4 Ich verwende hier ein Konzept von Wolfgang Reinhard, der selbst von »Mikropolitik« spricht und aufzeigt, dass die moralische Beurteilung unterschiedlicher Praktiken in Abhängigkeit von Zeit und Kontext sehr unterschiedlich ausfallen kann (Reinhard 2011: 635 und 1996: 312). 2

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Korruptionsverständnisse im Wandel – Wirtschaftsethische Forschungsfragen

diese Person anschließend treibt« (Reinhard 2004: 3 f.). Die Charakteristika dieser Praktiken sind somit die folgenden: 1. Es geht um partikulare Interessen; 2. Mikropolitik ist netzwerkartig organisiert; 3. Verfahren sind i. d. R. informell und nicht institutionell geregelt (Engels 2014: 30). Lobbyarbeit wäre nach diesen Kriterien Netzwerkpolitik, aber nicht unbedingt mit Korruption gleichzusetzen. Die Bezeichnung als ›korrupte‹ Praktiken hingegen soll für normative Aussagen reserviert werden, also für Netzwerkpolitiken, die als moralisch abzulehnend beschrieben werden. Transparency International (TI) etwa nutzt folgende Korruptionsdefinition: »Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.« 5 In älteren Definitionen wird die anvertraute Macht häufig auf ein öffentliches Amt bezogen. Demgegenüber kann es aber auch den Missbrauch einer privaten Position (etwa in einem Unternehmen) geben (Pritzl/Schneider 1999: 312). Der Begriff »Missbrauch« drückt dabei die normative Missbilligung dieser Handlungen aus. Korruption ist somit ein Begriff, mit dem Kritik an bestimmten Verhältnissen oder an einem bestimmten Verhalten artikuliert wird. Da sich die Vorstellungen davon, was zulässig ist oder nicht, historisch wandeln und auch regional sehr unterschiedlich sind, ist die Feststellung, ob es sich bei einem bestimmten Sachverhalt um Korruption handelt, von der gegebenen Situation (historisch und räumlich) abhängig. Jeder politische Prozess ist in der Regel mit Netzwerkpolitik konfrontiert. Netzwerkpolitik ist allerdings nicht immer gleichzusetzen mit Korruption, aber Korruption wird immer durch Netzwerkpolitik umgesetzt (Engels 2014: 31). In diesem Beitrag möchte ich mich besonders auf den ersten Aspekt, die Korruptionssemantik, konzentrieren, also auf die Bedeutung des Begriffs Korruption in verschiedenen – insbesondere westlichen Diskursen – beginnend mit der Antike bis heute. Der Beitrag ist dabei wie folgt aufgebaut: Zunächst werde ich kurz auf den Korruptionsbegriff in der Vormoderne eingehen. Dann möchte ich auf die Veränderungen des Korruptionsverständnisses in der Moderne – der »Sattelzeit« (Koselleck 1979) – eingehen. Ein wesentlicher Aspekt ist hier die Ausdifferenzierung des Korruptionsbegriffs in verschiedenen Disziplinen. Daher will ich in einem dritten Schritt den Korruptionsbegriff aus interdisziplinärer Perspektive beleuchten. Zum Schluss Vgl. die Website von TI: https://www.transparency.de/ueber-uns/was-ist-korrup tion/ (Zugriff am 15. 08. 2019).

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möchte ich herausarbeiten, was man aus diesen Ergebnissen für die Entwicklung von künftigen wirtschaftsethischen Forschungsfragen aus der Perspektive des Pragmatismus lernen kann.

2.

Das Korruptionsverständnis in der Vormoderne

Die semantischen Wurzeln des Begriffs Korruption finden sich im lateinischen Wort ›corruptus‹, das verdorben, ungenießbar, schlecht (geworden), bestochen, verführt, geschändet bedeutet (PONS 2018). Es wird immer bezogen auf etwas, das sich zerstört oder auflöst. Physisch ist damit Auflösung, Verfall und Verwesung gemeint, im moralischen Sinn bezieht sich der Begriff auf den Verfall von Integrität, Tugend, moralische Prinzipien (Merriam-Webster 2005: 281), bzw. auf den Verfall von Institutionen, Gesetzen oder Verfassungen (Engels 2014: 165 f.). Aristoteles hat ein Buch »Über das Werden und Vergehen/de generatione et corruptione« geschrieben, in dem er den prozeduralen und dynamischen Charakter des Seins betont (Aristoteles 2011). Korruption ist in seiner Perspektive die wichtigste Voraussetzung für Werden oder Neuschöpfung. Er beobachtet nicht nur einen Wandel der gleichen Substanzen, sondern für ihn impliziert die kreative Schaffung von etwas Neuem als Voraussetzung die Korruption (den Verfall) des Alten (Buchheim 2011: XIX). »Der entscheidende Punkt der Einsicht ist folgender: Das, was entsteht, kann, wenn es selbst Substanz ist, nicht etwas an dem sein, woraus es entsteht, sondern muß stattdessen existieren. Gleichzeitig muß also alles vergehen, woraus immer das Entstehende wird. Die Materien, die in das Entstehende eingehen, müssen kaputtgehen zugunsten des Werdenden.« (Buchheim 2011: XVIII). Schaffen und Vergehen passieren zeitgleich in einem intern verbundenen, natürlichen Prozess (Buchheim 2011: XXV). Im Bereich des Politischen beschreibt Korruption ein Ungleichgewicht zwischen privaten Interessen und dem Gemeinwohl der betreffenden Gemeinschaft. Griechische wie römische Autoren behandelten Korruption als einen individuellen Fehler, der die öffentliche Ordnung gefährde (Engels 2014: 174). Basierend auf Aristoteles’ Lehre von den Staatsformen hat der römische Historiker Polybios ein zirkuläres Modell entwickelt, das davon ausgeht, dass jede Staatsform einen Idealzustand besitzt, der im Laufe der Zeit aufgrund der 32 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Selbstsucht der Herrschenden zur Korruption tendiert: Die wohltätige Monarchie verwandelt sich in eine tyrannische Despotie. Diese wird durch eine Revolution von wohlmeinenden Herrschern zu einer Aristokratie abgelöst. Diese wiederum wandelt sich in eine eigennutzorientierte Oligarchie ohne Respekt für das Gemeinwohl. Daraufhin führt eine Volksrevolution zu einer Demokratie, aber auch diese vergeht und wird – wenn der Mob die Macht übernimmt – eine Ochlokratie. An diesem Punkt kann ein wohlmeinender Herrscher, der die Macht wieder an sich reißt, eine gute Lösung darstellen, was wieder zu einer Monarchie führt. Der Kreislauf beginnt von neuem (Engels 2014: 174). Korruption im Sinne von Vergehen ist somit die Voraussetzung für die Entstehung und Schaffung einer besseren Gesellschaft. Korruption ist in diesem Sinn zwar schlecht, aber unausweichlich und notwendig für den Wandel. Dieser Aspekt der Notwendigkeit und Unausweichlichkeit ist auch zentral für das theologische Verständnis von Korruption. Die lateinische Bibel (Vulgata), die seit dem 7. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet war, 6 bezeichnet den Zustand des Menschen seit dem Sündenfall als korrupt. »Homo corruptus est«, wie auch Augustinus sagt (Rennstich 1990: 41). Menschen sind sündig und müssen sterben und Korruption charakterisiert sowohl den physischen wie auch den moralischen Verfall menschlicher Wesen (Engels 2014: 168).

3.

Korruptionsverständnisse in der Moderne

Mit der Aufklärung änderte sich der Korruptionsbegriff. Drei geistesgeschichtliche Traditionen sind hierfür relevant. 7 Für die französische Aufklärung, insbesondere für Rousseau, war Korruption eine Diagnose seiner Zeit und abzuschaffen, um eine aufgeklärte Gesellschaft zu schaffen. Dabei unterscheidet sich sein Korruptionsverständnis von dem früheren Verständnis in dreierlei Hinsicht: 1. Korruption ist nicht mehr länger unausweichlich mit dem Sündenfall verbunden und damit nicht erst beim Jüngsten Gericht

Vgl. zur Geschichte der Bibelübersetzung im Allgemeinen und zur Vulgata im Besonderen die Website der Deutschen Bibelgesellschaft: www.die-bibel.de (Zugriff am 18. 02. 2020). 7 Im Folgenden beziehe ich mich überwiegend auf Engels (2014: 175 ff.) und Bluhm/ Fischer (2002). 6

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aufzuheben, sondern durch menschlichen Fortschritt, insbesondere durch Bildung, lösbar. 2. Das zyklische Korruptionsmodell wird aufgegeben; vielmehr wird nach Mechanismen für ein stabiles und gerechtes Herrschaftssystem gesucht. 3. Der dritte Aspekt ist mit den beiden oben genannten eng verknüpft: Ein lineares Geschichtsbild entsteht, in dem die Vergangenheit mit Unfreiheit und Korruption verbunden ist und Fortschritt und moralische Perfektionierung als Zukunftsversprechen gelten. Die zweite wichtige geistesgeschichtliche Tradition dieser Zeit war der Republikanismus. Kern dieses Konzepts ist die Vorstellung, dass das Gemeinwesen nur so gut sein kann, wie die Tugend seiner Mitglieder. In dieser Perspektive muss Korruption durch tugendhaftes Verhalten der Bürger bekämpft werden. Dieses Konzept wird im Bereich der Wirtschaftsethik durch das republikanische Wirtschaftsethikkonzept von Peter Ulrich (2009) wieder aufgegriffen. Der Liberalismus ist die dritte geistesgeschichtliche Strömung, die hier genannt werden soll. Hier sind nicht die Tugenden, sondern die Interessen der Individuen der Ausgangspunkt für die Gesellschaftsordnung. Diese Vorstellung wurde besonders bedeutsam für die Wirtschaftswissenschaften. Für Adam Smith konnte die Verfolgung privater Interessen durch die ›unsichtbare Hand‹ zum Gemeinwohl führen (Smith 1976 [1776]). Die Beschränkungen der freien Märkte, die zu ungerechtfertigten Benachteiligungen von Wettbewerbern führen, stellen in dieser Vorstellung Korruption dar, aber nicht das Eigeninteresse an sich. In der sogenannten Sattelzeit (1750–1850) (Kosellek 1979) erfährt der Korruptionsbegriff somit eine entscheidende Veränderung. »Korruption ist ein Urteil, das für absolute Grenzüberschreitung steht.« (Engels 2014: 184) Korruption ist nicht mehr ein notwendiger und unhintergehbarer Teil des Lebens, sondern gehört der Vergangenheit an, entspricht nicht dem fortschrittlichen, tugendhaften Bürger und stört die Marktkräfte, die das Gemeinwohl der Gesellschaft realisieren sollen. Korruption darf also nicht hingenommen, sondern muss unbedingt verhindert werden.

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4.

Korruption in interdisziplinärer Perspektive

Ein weiteres Kennzeichen des Wandels in der Moderne ist die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene Systeme, wie in das ökonomische oder politische System, und der entsprechenden Ausdifferenzierung der Wissenschaften in einzelne Disziplinen, die sich mit Korruption beschäftigen. Abhängig von der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin wird ein engerer oder weiterer Korruptionsbegriff genutzt. In den Rechtswissenschaften war beispielsweise in Deutschland lange Zeit nicht Korruption, sondern nur der viel engere Begriff der Bestechung ein Straftatbestand (Dreier 1976: 1143, Schuler 2012). Dabei wird passive Bestechung (Bestechlichkeit und Vorteilsnahme) von aktiver Bestechung (Vorteilsgewährung) unterschieden (Beulke 2001: 738 ff.). Auf internationaler Ebene ist durch rechtlich bindende Abkommen Korruption auch in juristischer Perspektive weiter definiert. Im Jahr 2003 wurde der erste umfassende Anti-Korruptionsvertrag auf internationaler Ebene geschlossen: die United Nations Convention against Corruption (UNCAC). 8 Sie zielt auf den Schutz staatlicher Institutionen, auf Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit ab und kriminalisiert neben Korruption auch Handeln mit Einfluss, ungerechtfertigte Bereicherung und Geldwäsche sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor (Schuler 2012: 50). Sie stellt eine Fortsetzung der Antikorruptions-Konvention der OECD dar, die seit Februar 1999 in Kraft ist und der zuvor in Deutschland üblichen Praxis ein Ende bereitete, im Ausland gezahlte Bestechungssummen von der inländischen Steuerschuld absetzen zu dürfen (Pies 2008: 83). »Mit dem Jahressteuergesetz 1996 wurde zwar die steuerliche Absetzbarkeit von Betriebsausgaben für Bestechungen aufgehoben, wenn in der Sache ein Bußgeld verhängt oder eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung erfolgt war. In der Praxis hatte dieses Gesetz jedoch keine Konsequenzen. […] Erst 1999 wurden die schmutzigen Steuererleichterungen im Zusammenhang mit dem Erlass des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung gestrichen.« (Leyendecker 2007: 15) Der Text der Konvention findet sich hier: https://www.unodc.org/unodc/en/corrup tion/tools_and_publications/UN-convention-against-corruption.html (Zugriff am 15. 08. 2019). Deutschland hat die Konvention erst in 2014 ratifiziert; https://www. unodc.org/unodc/en/corruption/ratification-status.html (Zugriff am 15. 08. 2019).

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Ausschlaggebend für diesen Wandel auf der juristischen Ebene war der Druck aus den USA, wo Korruption im Ausland bereits im Jahr 1977 durch den Foreign Corrupt Practices Act verboten worden war. Das Interesse der USA, Antikorruptionsregulierungen auf internationaler Ebene durchzusetzen, verstärkte sich vor allem durch die Tatsache, dass man die einheimischen Unternehmen nicht im Wettbewerb benachteiligen wollte. Korruptionsbekämpfung scheint dort einfacher zu sein, weil das anglo-amerikanische Common Law-Systems die Strafbarkeit von Unternehmen erlaubt, was in der deutschen Rechtsprechung nicht vorgesehen ist. Allerdings gibt es gute Gründe, auch Unternehmen als Subjekte von Verantwortung zu sehen (Neuhäuser 2011). »Die veränderten Spielregeln führten auch hierzulande zu einer Amerikanisierung des Umgangs mit Korruption – in Ansätzen.« (Leyendecker 2007: 17) Der juristische Korruptionsbegriff hat sich demnach durch internationale Abkommen deutlich erweitert. Bestechung – als Kern des deutschen juristischen Korruptionsbegriffs – ist in allen Vorstellungen von Korruption enthalten, aber in den Geschichts- und Politikwissenschaften zählen zu politischer Korruption auch Praktiken, die zum Teil legal sind und nicht immer finanziell motiviert, wie Patronage, Nepotismus, Aneignung öffentlichen Eigentums zu privaten Zwecken usw. (Delorio/Carrington 1998: 545). Hier geht es vor allem – entsprechend gebräuchlicher Definitionen – um den Missbrauch von öffentlichen Rollen, Ressourcen, verliehener Macht zu privaten Zwecken oder Vorteilen (Schuler 2012: 43, Johnston 2011: 480). Powell unterscheidet etwa vier Bedeutungen von Korruption: illegales Verhalten wie Bestechung, unethisches Verhalten wie Patronage, Interessenskonflikte und Missachtung des Gemeinwohls (»behavior that is nonresponsive to the public interest« (Powell 1976 [1940]: 231)). Morlok plädiert für einen weiten politischen Korruptionsbegriff, um alle Praktiken zu erfassen, die gleiche politische Teilhabechancen beeinträchtigen. Hierunter fallen speziell in westlichen Demokratien auch Praktiken wie Lobbyismus, Handeln mit Einfluss oder die Finanzierung politischer Parteien (Morlok 2005: 139 ff.). In westlichen Demokratien schließt Korruption »duplicitous violations of the democratic norm of inclusion« ein (Warren 2004: 328). Damit wird Korruption zu einem zentralen Kampfbegriff in politischen Diskursen – bezogen auf die jeweiligen Vorstellungen einer Demokratie und ihrer Teilhabenormen. Darüber hinaus wird der Begriff zum Teil auch auf Bereiche jenseits politischen oder staatlichen Handelns ausgedehnt, wie etwa von 36 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Pinto-Duschinsky: »The term corruption is used with reference not only to politics and to public administration but also to personal life and business. It may refer to the perversion of any accepted standard.« (Pinto-Duschinsky 2011: 474). In diesem Fall ist Korruption allerdings nicht mehr von unethischem Verhalten im Allgemeinen zu unterscheiden. Eine so weite Auslegung des Korruptionsbegriffs soll daher hier nicht weiter verfolgt werden. In den Wirtschaftswissenschaften wird Korruption i. d. R. enger, mit Bezug auf Transaktionen, gefasst, nämlich als illegaler Tausch (Varese 2003 [1996]: 124). Dieser Tausch ist für beide Parteien vorteilhaft und wird unter Abweichung von offiziellen Normen freiwillig vollzogen (Hillmann 2007: 460). Der Aspekt der Freiwilligkeit ist aber nicht immer Teil der ökonomischen Definition von Korruption. Heywood unterscheidet in Anlehnung an Syed Hussein Alertas »transactive« und »extortive« Korruption. Während die erste auf ein freiwilliges, wechselseitiges Arrangement zwischen Geber und Empfänger verweist, enthält die zweite Form der Korruption einen Aspekt von Zwang (Heywood 2004 [1985]: 177). Für die meisten Wirtschaftswissenschaftler stellt die Freiwilligkeit aber das wesentliche Kriterium zur Unterscheidung von Korruption und Erpressung dar (Schmidt/Garschagen 1978: 565). Die Leistungen, die bei diesem freiwilligen Tausch erbracht werden, sind ›nicht erlaubte‹ Handlungen, wobei neben Gesetzeswidrigkeiten auch Verstöße gegen soziale Verhaltensnormen ›nicht erlaubt‹ sein können, weshalb auch Heimlichkeit ein konstitutives Merkmal von Korruption ist (Schmidt/Garschagen 1978: 565). »The term implies that there is a natural of normal standard of functioning or conduct from which the corrupt state of affairs or action deviates« (Philp 1998: 674). Tauschhandelzentrierte Verständnisse von Korruption beschäftigen sich stärker mit Mechanismen und basieren häufiger auf einer Bezugnahme auf Rechtsnormen (Heywood 2004 [1985]: 177, Retzmann 2008: 206). Ingo Pies etwa unterscheidet Belastungs- von Entlastungskorruption, wobei im ersten Fall Firmen oder Individuen durch korrupte staatliche Vertreter belastet werden 9, während im zweiten Fall die Allgemeinheit – also in der Regel der Steuerzahler – die Korruptionszahlungen letztlich zugunsten von Bestechenden und Bestochenen

Wenn diese Form der Korruption im Alltag häufig anzutreffen ist, spricht man von petty corruption.

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finanzieren muss. Aus der Rekonstruktion der ökonomischen Anreizsituation leitet Pies eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Belastungs- und Entlastungskorruption ab (Pies 2008: 99 f. u. 124 f.). Beispielsweise sollte eine differenzierte Strafverfolgung angezielt werden, die die Anreizsituation verändert. Die Abschreckungswirkung durch das Strafgesetz ist allerdings aufgrund der geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit relativ schwach. Das Opfer von Korruption – also i. d. R. der Steuerzahler – scheidet mangels Information als Verbündeter der Strafverfolgung weitgehend aus (Pies/Sass 2008: 145). Eine höhere Abschreckungswirkung ließe sich zwar bei geringer Entdeckungswahrscheinlichkeit mit höheren Strafen erreichen; dies scheitert aber in Rechtsstaaten – mit guten Gründen – am Prinzip der Verhältnismäßigkeit (Pies/Sass 2008: 146). Die negativen Folgen der Korruption sind laut Pies z. B. die folgenden: Fehlallokationen, etwa durch Ausweichstrategien oder reduzierte Investitionen der Firmen bei Belastungskorruption oder durch rent seeking (z. B. durch Erhöhung bürokratischer Auflagen) auf der Seite der staatlichen Stellen statt Bereitstellung von öffentlichen Leistungen, Bevorzugung von teuren Großprojekten statt Investitionen in Bildung oder Gesundheit (Pies 2008: 70). Business-to-business-Korruption wird in den Wirtschaftswissenschaften zum Teil positiv beurteilt, als Mittel zur Erleichterung der Kommunikation und Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen; um sie zu beheben, reichten ehrliche und transparente Marktinstitutionen aus. Demgegenüber wird government corruption negativ beurteilt, da sie zu Monopolen, rent seeking und privilege seeking führe (Melese 2019). Während Korruption noch in den 1960er und 1970er Jahren als ein unwillkommenes, aber notwendiges Phänomen auf dem Weg sogenannter Entwicklungsländer in die Moderne betrachtet wurde, das dazu dienen könnte, Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung zu befördern (Kubbe 2015: 22), gibt es seit den 1990er Jahren einen überwiegenden Konsens, dass Korruption schädlich für Gesellschaften sei, da sie die Produktivität und das Volkseinkommen reduziere, das Wachstum hemme, die Ungleichheit und Armut vergrößere sowie zu einem niedrigeren Gesundheits- und Bildungsniveau führe. »Contemporary research demonstrates that corrupt payments do not usually further efficiency, at least if one takes a systematic view« (Rose-Ackerman 2006: XV). Der ökonomische Diskurs ist heute durch einen Konsens in Bezug auf die Bekämpfung von Korruption geprägt. »Now, it is generally agreed that corruption is 38 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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detrimental to economic, social and political development.« (Kubbe 2015: 23) 10 Dabei werden nicht nur die Öffentlichkeit und der Staat, sondern auch die Unternehmen selbst in die Pflicht genommen: »Domestic and international efforts to combat corruption directly are necessary but insufficient in an increasingly globalized world. Given the weakness of international control efforts, multinational firms need do accept an obligation to fight corruption.« (Rose-Ackerman 2018: 20) Im Folgenden soll Korruption verstanden werden als das Handeln an der Schnittstelle von Staat und Wirtschaft, ausgerichtet auf den »Mißbrauch öffentlicher Macht, Ämter, Mandate zum eigenen privaten Nutzen und/oder zum Vorteil Dritter durch rechtliche oder auch soziale Normenverletzung, die i. d. R. geheim, gegen das öffentliche Interesse gerichtet und zu Lasten des Gemeinwohls erfolgen.« (Schultze 2004 [2002]: 467)

5.

Wirtschaftsethische Forschungsfragen

Die Entwicklung von wirtschaftsethischen Forschungsfragen mit Bezug auf die oben dargelegten Verständnisweisen von Korruption erfolgt vor dem Hintergrund eines pragmatistischen Ansatzes. 11 Die philosophische Tradition des amerikanischen Pragmatismus versteht sich als eine Philosophie des problemlösenden Handelns. Eine pragmatistische Wirtschaftsethik muss daher paradigmatisch in einer pragmatistischen Handlungstheorie fundiert sein. Ich knüpfe dazu für die handlungstheoretische Fundierung an die von Hans Joas in »Die Kreativität des Handelns« (1992) entwickelte neopragmatistische Handlungstheorie sowie an die ethischen Überlegungen von George Herbert Mead und John Dewey an, um daraus eine pragmatistische Wirtschaftsethik zu entwickeln. Ausgangpunkt in »Die Kreativität des Handelns« (Joas 1992: 187–204) sind die Erfahrungen der Akteure und ihr situationsbezogenes, problemorientiertes Handeln. Es wird kein rationales Handeln im Sinne einer vorgegebenen Zweck- oder Zielorientierung voraus-

Einen Überblick über den entsprechenden Forschungsstand findet sich in Kubbe (2015). 11 Erste Überlegungen zu einer pragmatistischen Wirtschafts- und Sozialethik habe ich am Beispiel des Ehrenamts entwickelt (Hollstein 2015a). Für eine erste Skizze anhand des Beispiels Korruption vgl. Hollstein 2015b. 10

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gesetzt, sondern vielmehr davon ausgegangen, dass sich Ziele und Zwecke im Handeln anpassen und kreativ verändern. Darüber hinaus berücksichtigt diese Handlungstheorie die Körperlichkeit und die Sozialität allen Handelns. Kritisiert werden somit die impliziten Annahmen rationaler Handlungstheorien, die als gegeben unterstellen, dass Handelnde zum zielgerichteten Handeln fähig sind, ihren Körper beherrschen und gegenüber ihrer Umwelt autonom sind (vgl. dazu ausführlicher: Hollstein 2015a: 272–289). (1) Aus dem ersten Aspekt, demzufolge Zwecke nicht unabhängig vom Handeln festgelegt werden, folgt, dass eine pragmatistische Wirtschaftsethik keine rationale (utilitaristische oder deontologische) Ethik sein kann, sondern Elemente einer Haltungs- oder Modellethik (Mieth 1977; Mieth 1998) aufnehmen muss, weil sie die Situativität des ethischen Handelns berücksichtigt. Ein ethisch angemessenes Handeln in unterschiedlichen Situationen erfordert Grundhaltungen, da vorgegebene Ziele und übergeordnete Normen häufig ohne Bezug zu konkreten problematischen Situationen bleiben. Bezogen auf die Frage der Korruption ist also die strikte Norm der Ablehnung von Korruption – wie sie sich im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Disziplinen entwickelt hat – problematisch, solange nicht die konkrete Handlungssituation, in der diese Norm zur Anwendung kommen soll, bekannt ist. Der stetig erweiterte und immer allgemeinere Korruptionsbegriff führt dazu, dass abstrakt immer mehr Situationen unter diesen Begriff gefasst werden können, zugleich wird aber eine Spezifizierung der jeweiligen Situation immer notwendiger. Die jeweiligen spezifischen Anwendungssituationen für Korruptionsfälle müssen daher näher untersucht und beschrieben werden. Dieser Themenkomplex lässt sich am besten mit Fallstudien untersuchen, von denen es speziell für die sogenannte grand corruption bereits einige gibt (z. B. zum Korruptionsfall Siemens vgl. Graeff/Schröder/Wolf 2009). Allerdings besteht hier noch weiterer Forschungsbedarf in Bezug auf weniger spektakuläre Fälle – etwa der Alltagskorruption – und auf Vergleichsfälle in historischer wie regionaler Perspektive. Wie anhand der Untersuchung des Begriffs deutlich geworden ist, kann Korruption in unterschiedlichen Zeiten und Kontexten unterschiedlich interpretiert werden. Betrachtet man aber, welche Haltungen mit der Ablehnung von Korruption verbunden werden, so fällt auf, dass es einerseits um gerechte und faire Behandlung von Bürgern unabhängig von den ökonomischen und gesellschaftlichen Status der Bürger durch Personen, die anvertraute Macht verwalten, 40 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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geht und andererseits um die Einhaltung eines fairen Wettbewerbs ohne die Verwendung illegaler Mittel (wie z. B. Bestechungsgelder). Es ist nicht erforderlich, dass Bürger oder Wettbewerber das Allgemeinwohl oder altruistische Ziele verfolgen. Eigennützige Motive sind also nicht per se verwerflich. Die Haltung des berühmten »ehrbaren Kaufmanns« reicht in einer solchen Perspektive aus. Von Personen, denen Macht durch das Gemeinwesen, also staatliche Macht, anvertraut wurde, ist allerdings mehr zu erwarten. Diese Macht wird Vertretern des Staates verliehen, um dem Gemeinwohl zu dienen, ein Machtmissbrauch zur eigenen Vorteilnahme erscheint hier deutlich problematischer und mit einer Haltung, die z. B. einem Staatsbediensteten zukommt, nicht vereinbar. In wirtschaftsethischer Perspektive stellt sich die Frage, wie solche Haltungen – etwa ein bestimmtes Berufsethos – entstehen und ggf. befördert werden können. In Deutschland herrschte diesbezüglich lange Zeit die Illusion vor, das deutsche Beamtenethos würde Korruption in diesem Land gering halten (Alemann 2005, 13 f.). Otto Hintze (1964 [1911]) schuf zusammen mit dem Staatswissenschaftler Gustav Schmoller »den Beamtennimbus, der bis heute vorhält. Er verankerte ein Bild des preußischen Beamten als Vorläufer aller pflichttreuen und fleißigen Amtsträger in Deutschland.« (Meineke 2005: 142) Tatsächlich war Preußen einer der wenigen europäischen Staaten, die ihre Gesetze gegen Korruption strikt anwendeten (Meineke 2005: 147). Dies wurde durch ein System kollegialer Kontrolle und leistungsbezogener Bezahlung für die Kontrolleure sowie durch einen »übernatürlichen Drill«, der neben dem Militär auch den Beamten galt, unterstützt (Meineke 2005: 148 ff.). Dennoch war Korruption – verstanden als Schmiergeld zur Durchsetzung eigener Interessen – trotz der tugendhaften Beamten in Preußen nicht unbekannt (Meineke 2005: 156). Insbesondere als die Gehälter der Beamten nicht mit der allgemeinen Preisentwicklung Schritt halten konnten, änderte sich die Situation. »Vor allem in der subalternen Beamtenschaft kam es häufig zu Bestechungsfällen.« (Meineke 2005: 157) Für verarmte Beamtenfamilien handelte es sich um eine Art »Lebenshaltungs-Korruption« (Meineke 2005: 157). Im späten Preußen wurde Korruption nicht nur geduldet, sondern korrupte Strukturen sogar aufgebaut und ausgenutzt (Meineke 2005: 159). Die Unterstützung einer Haltung der Fairness und der Unbestechlichkeit durch institutionelle Maßnahmen, insbesondere bei Personen und Institutionen, denen Macht zur Beförderung des Gemeinwohls verliehen wurde, wäre also eine weitere wirtschafts41 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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ethische Forschungsfrage, wobei die Beachtung der jeweils konkreten Situation von zentraler Bedeutung ist. (2) Aus dem zweiten Aspekt der Theorie der Kreativität des Handelns, nämlich der Berücksichtigung der Körperlichkeit, folgt, dass Erkennen sinnlich, in einem körperlichen praktischen Bezug zur Welt stattfindet. Dabei spielen Emotionen für die leibliche Wahrnehmung und die Handlungsleitung eine große Rolle (Hollstein 2015a: 278 ff.). So wird eine pragmatistische Wirtschaftsethik das sinnliche, qualitative Erleben berücksichtigen und damit Emotionen und ihrer Verarbeitung im Ausdruck einer individuellen Identität eine wichtige Rolle zuweisen. Die Artikulation moralischer Intuitionen ist auch erforderlich, damit diese motivierende Kraft entfalten und reflexive Zugänglichkeit erhalten können (Jung 2009: 484). Die pragmatistische Herangehensweise ermöglicht eine systematische Berücksichtigung der Rolle von Emotionen für die Wirtschaftsethik. Bezogen auf den Korruptionsbegriff zeigt die obige Analyse, dass der Begriff sich von einer bei Aristoteles naturgegebenen Phase des Vergehens zur Schaffung von Neuem hin zu einem negativ besetzten Kampfbegriff gewandelt hat, der generell für das Schlechte in der Politik, der Wirtschaft oder der modernen Gesellschaft im Allgemeinen genutzt werden kann. Diese massive Abwehrhaltung, die durch den medialen Diskurs verstärkt wird, kann einerseits entmutigend wirken – die Welt ist böse und man ist demgegenüber ohnmächtig – oder aber auch durch Empörung zu einem Handeln gegen korrupte Praktiken motivieren. Wichtig erscheint für ethische Überlegungen aber, dass diese motivationalen Aspekte nicht übersehen und ethische Empfehlungen nicht allein auf die Festlegung von allgemein akzeptierten Normen, Haltungen oder Konventionen der Korruptionsbekämpfung einerseits oder auf die Institutionalisierung von Anreiz- oder Abwehrmechanismen (z. B. ausreichende Gehälter für Beamte oder hohe Strafen bei Bestechung) andererseits reduziert werden. Emotionssoziologische und emotionsphilosophische Fragestellungen werden in Soziologie und Philosophie zunehmend in den Blick genommen – für die Wirtschaftsethik 12 mit Bezug zur Korruption besteht hier aber noch Forschungsbedarf. Sowohl Normen als auch institutionelle Regelungen, die auf die Beeinflussung rationalen Handelns zielen, sind wichtig, reichen aber Ein Beispiel für die Berücksichtigung emotionaler Aspekte in Bezug auf Korruptionsbekämpfung liefert Lennerfors (2018).

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– wie die bisherigen Erfahrungen mit Korruptionsbekämpfung zeigen – nicht aus. Darüber hinaus müssen zunächst körperliche Wahrnehmungsprozesse, die auf einer kollektiven Ebene zu wertbildenden Erfahrungen werden können (Joas 1997), durch Narrative artikuliert und gedeutet werden, um Veranschaulichungen von geteilten Haltungen und Bekräftigungen von Wertvorstellungen zu ermöglichen und zugleich einen gemeinsamen Verstehenshorizont für kollektive Wertvorstellungen zu liefern. Gerade die historische Kontextualisierung von normativen Sätzen ermöglicht es, den normativen Sinn universaler Geltungsansprüche zu erschließen (Joas 2011: 147–203). Für die Korruptionsbekämpfung bedeutet dies, dass diese abstrakte Norm für die Akteure veranschaulicht werden muss, etwa in Narrationen, die aufdecken, welche Folgen Korruption für Menschen haben – die Skandalisierung von korrupten Praktiken, die beispielsweise dazu führen, dass Brandschutzrichtlinien oder Bauvorschriften nicht eingehalten werden und dann zum Tod von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern führen, die in ungenügend gesicherten oder maroden Fabriken arbeiten müssen, ist hier ein wichtiger Aspekt, der motivationale Kraft entfalten kann. Auch die Würdigung – zum Beispiel durch Preise – beispielhaften Handelns, etwa von ›Whistleblowern‹, also von Hinweisgebern mit Insiderwissen, die die Organisation, in der sie tätig sind, ›verpfeifen‹ und Fehlverhalten der Öffentlichkeit bekannt geben (Leisinger 2003), zielt nicht primär auf rationale Aspekte, sondern will eine Identifikation mit Menschen, die Vorbildcharakter haben, und den Werten, für die sie stehen, ermöglichen. Daher ist der Schutz von sogenannten Whistleblowern wichtig, unabhängig davon, ob Whistleblowing aus altruistischen oder egoistischen Motiven erfolgt. Forschungen zu Narrationen, die Werte lebendig werden lassen, sind demnach aus wirtschaftsethischer Perspektive ebenfalls ein Desiderat, dem die Korruptionsbekämpfung mehr systematische Aufmerksamkeit widmen sollte. (3) Der dritte Aspekt, die Sozialität des Handelns, kann als normative Forderung nach Universalismus in dem Sinne interpretiert werden, dass wirtschaftsethische Normen verallgemeinerbar sein müssen, also ein Ausschluss von einzelnen Menschen aufgrund gruppenbezogener Kriterien, wie z. B. Geschlecht oder Klasse, nicht erlaubt ist. George Herberg Mead fordert etwa aus ethischer Perspektive, die Impulse zu verstärken, die nicht nur eigene Strebungen unterstützen, sondern Ursache allgemeinen Glücks sind (Mead 1968 43 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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[1934]: 435). Um dies zu gewährleisten, sind ideale und reale Diskurse erforderlich, in denen über Normen gestritten werden kann. Darüber hinaus liefern öffentliche Diskurse die Grundlage für die Entwicklung von gerechtfertigten Prinzipien und Institutionen, die notwendig sind, um eine pragmatistische Wirtschaftsethik zu implementieren. Diese Institutionen und Regeln sind wesentlich, um über eine rein individualethische Perspektive hinaus ein sozialethisches Konzept zu ermöglichen, das für den Bereich der Wirtschaft notwendig ist. Der Ort dieser ethischen Reflexion ist die universale Kommunikationsgemeinschaft, wobei Mead Kommunikation als Kern der Rationalität des Menschen und damit als »logische Basis einer konsistenten Gesellschaftskritik« versteht (Joas 2000 [1980]: 134). Bezogen auf Korruption bedeutet dies, dass es Orte geben muss, die eine Debatte darüber, was man unter Korruption verstehen will, erlauben. Wissenschaftliche Tagungen und politische Debatten sind Orte, an denen Diskurse über unsere Verständnisse von Korruption geführt werden können. Die unterschiedlichen Korruptionsverständnisse haben – unabhängig davon, ob es sich um ein Alltagsverständnis oder ein fachdisziplinäres Verständnis handelt und gleich zu welcher Zeit – eines gemeinsam: sie sind normativ eindeutig. Korruption wird mit moralisch verwerflichen Sachverhalten (Brockhaus 1997: 406), moralischer Verdorbenheit (Duden 2011: 1046; Meyers 1974: 86), moralischer Degeneration oder Perversion (Merriam-Webster 2005: 281; Random House 1996: 455) in Zusammenhang gebracht. Wie der Brockhaus bereits feststellt, ergibt sich eine Unschärfe des Korruptionsbegriffs daraus, dass er sowohl korrupte Handlungen wie Bestechung bezeichnet als auch die Folgeerscheinungen, wie (staatlicher) Zerfall (Brockhaus 1997: 406), moralischer Verfall (Wahrig-Burfeind 2000: 771), politisch-moralische Verfallserscheinungen oder Sittenverfall (Meyers 1974: 86). Damit bestätigt sich, dass es sich bei Korruption um ein zu bekämpfendes Problem handelt, das in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten Beachtung gefunden hat. Doch jenseits dieser Einigkeit stellt sich die Frage, was wir aus der Betrachtung der unterschiedlichen Korruptionsverständnisse aus der Perspektive des Pragmatismus lernen können. Fassen wir die Ergebnisse des obigen Durchgangs durch die Korruptionsbegriffe noch einmal zusammen, so ergibt sich vereinfacht folgende Tabelle:

44 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Korruptionsverständnisse im Wandel – Wirtschaftsethische Forschungsfragen Korruptionsverständnis

Antike

Neuzeit

Korruption ist …

unvermeidbar.

vermeidbar.

Korruption ist …

Voraussetzung für Neues/Kreativität.

ein Hindernis für Fortschritt und Perfektion.

Korruption …

löst Kritik und gesellschaftlichen Wandel aus.

verhindert gesellschaftlichen Wandel.

Die Entwicklung der Gesellschaft …

ist im Wandel und ein ständiger zirkulärer Prozess.

zielt idealerweise auf ein demokratisches, rechtstaatliches und marktwirtschaftliches Gemeinwesen.

Die Geschichtsvorstellung ist:

Korrupte und korruptionskritische Phasen wechseln sich ab.

Die Vergangenheit ist korrupt und unfrei, die Zukunft fortschrittlich und frei von Korruption.

Individuelle Haltungen:

Tugenden sind für ein Bürgertugenden sind zur gutes Leben erforderlich. Korruptionsbekämpfung erforderlich. (Republikanismus)

Die Verfolgung von Inte- beeinträchtigt das Geressen … meinwohl und führt zu Korruption und Staatsverfall.

führt zum Gemeinwohl, sofern das freie und faire Spiel der Marktkräfte nicht beeinträchtigt wird. (Liberalismus)

Aus pragmatistischer Perspektive kann es keine endgültigen Wahrheiten geben. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass vorläufige Lösungen habitualisiert und routinisiert werden, aber bei unerwartet auftretende Probleme mit kreativen Lösungen reagiert wird. Insofern kann es kein »Ende der Geschichte« oder perfektes Gesellschaftsmodell geben, sondern immer nur momentane Zwischenlösungen, die gesellschaftlich akzeptiert werden, bis sich neue Probleme ergeben, die eine kreative Lösung erfordern. Korruption würde somit aus pragmatistischer Perspektive wie in der Antike als ein Problem betrachtet werden, das zu neuen, kreativen Lösungen herausfordert. In einer Welt, die von fehlbaren Menschen bevölkert wird, ist Korruption insofern unvermeidbar, aber zugleich Herausforderung und Ansporn für kreative Lösungen, die gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Obwohl der Pragmatismus nicht an endgültige Wahrheiten 45 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Bettina Hollstein

glaubt, handelt es sich dabei nicht um eine fatalistische Sozialphilosophie, die sich angesichts der Unerreichbarkeit eines perfekten Zustands mit unfreien Verhältnissen arrangieren würde. Vielmehr sind Pragmatisten einem demokratischen Ideal verpflichtet und vertrauen auf die kreative Weiterentwicklung der Gesellschaftsordnung. Haltungen spielen im Pragmatismus eine wichtige Rolle, da Pragmatisten nicht darauf vertrauen, dass die Institutionalisierung vernünftiger Regelungen zur Lenkung rationaler Interessen alleine ethische Probleme beseitigen kann. Vielmehr sind eingeübte Haltungen und Routinen erforderlich, die faires Verhalten wahrscheinlicher werden lassen. Die Verfolgung von Interesse wird daher im Pragmatismus nicht als Gegensatz zu gemeinwohlorientiertem Handeln abgelehnt, sondern als ein Teil menschlicher Handlungsmotivationen ernst genommen. Allerdings ist neben der rationalen Interessenverfolgung und der wertorientierten, vernunftgeleiteten Handlungsweise auch die Kreativität allen Handelns zu beachten, die bei Störungen im Handlungsablauf zu neuen Lösungen führt. Trotz einer gewissen Renaissance des Pragmatismus’ in der Philosophie, gibt es noch keine ausgearbeitete pragmatistische Wirtschaftsethik, die sich diesen Fragen kreativer Lösungsentwicklung in Bezug auf Korruption widmen würde. Weitere Forschungen in diesem Bereich erscheinen daher als ein lohnendes Unterfangen.

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Korruption – Die Entwicklung von der rationalen zur irrationalen betriebswirtschaftlichen Handlung 1

Der Begriff Korruption

Der Begriff »Korruption« ist schillernd. Bis heute besteht keine Einigkeit darüber, welche Verhaltensweisen als Korruption bezeichnet werden. Ähnlich wie ein Chamäleon 1 wechseln Handlungen, die als Korruption klassifiziert werden können, ihre Anmutung und passen sich zur Tarnung der jeweiligen Umwelt an. Die Diskussion darüber, was Korruption ist, dauert schon lange an 2 und ein Ende dieser Debatte, die in der Politik, in Publikationen und auf Konferenzen geführt wird, ist nicht in Sicht. 3 Dabei ist evident, dass sich das Phänomen Korruption einer eindimensionalen Definition entzieht, da zu viele Aspekte Einfluss haben: Korruption wird durch rechtliche, wirtschaftliche, politische, soziologische und ethisch-philosophische Betrachtungen beeinflusst. Schon in der Antike befasste man sich mit Korruption. Im antiken Athen bezeichnete man Bestechung als dorodokia. Frei übersetzt bezeichnet dies einen Austausch von Geschenken mit einem negativen Ergebnis. 4 Damit zeigt sich ein Unterschied zu einer heute in den Compliance-Diskussionen vorherrschenden Auffassung: Geschenke waren nicht per se schlecht, sondern nur dann, wenn sie zu schlechten Ergebnissen geführt haben. Vgl. Alemann, U. von: Politische Korruption. Ein Wegweiser zum Stand der Forschung, in: Alemann, U. von: Dimensionen politischer Korruption, Wiesbaden 2005, S. 32. 2 Vgl. Johnston, M.: Syndromes of Corruption: Wealth, Power, and Democracy, Cambridge 2005, S. 11. 3 Vgl. Muno, W.: Korruption und Korruptionsmessung, in: Fifka, M. S./Falke, A.: Korruption als internationales Phänomen, Berlin 2012, S. 16. 4 Vgl. Harvey, F. D.: Dona Ferentes: Some Aspects of Bribery in Greek Politics, in P. A. Cartledge and F. D. Harvey, edd. Crux: Essays Presented to G. E. M. de Ste Croix on his 75th Birthday, Exeter 1985, S. 82 ff. 1

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Der Begriff Korruption stammt aus dem Lateinischen. Der Begriff deutet auf eine Analogie zwischen Natur und Gesellschaft hin: Das Werden und das Verderben (die Korruption) sind jedem natürlichen Wesen immanent und auch der Gesellschaft als Ganze. Die antike politische Philosophie befasste sich damit, wie man den natürlichen Kreislauf einer gesellschaftlichen Verfassung durchbrechen konnte, wie man den Tod durch Korruption verhindert. 5 Dieses Konzept wurde von Polybius weiter ausgebaut, der eine Abfolge von historischen Herrschaftsformen bis hin zur Herrschaft eines Mobs entwickelt hat. Die grundlegende – heute in den Wirtschaftswissenschaften gebräuchliche Definition – geht auf Senturia zurück. Er bezeichnete Korruption als den Missbrauch öffentlicher Macht für privaten Gewinn. 6 Diese Definition ist vom deutschen Wirtschaftswissenschaftler Lambsdorff etwas erweitert und umformuliert worden. Danach ist Korruption der »Missbrauch von öffentlicher Macht zu privatem Vorteil.« 7 Hier wird eine Besonderheit des öffentlichen Sektors betont, der sich in der Tradition historischer Definitionen bewegt. Eine entscheidende Weiterung dieser Definition wird dann vorgenommen, wenn der öffentliche Bereich verlassen wird und der Ansatz auch auf rein private Bereiche verallgemeinert wird. Geht man davon aus, dass in vielen Handlungsfeldern ein Prinzipal (als Auftraggeber) einen Agenten (als Auftragnehmer) beauftragt, kann man Korruption im weitesten Sinne als Verhalten bezeichnen, in dem der Agent den Prinzipal zum eigenen Vorteil betrügt. 8 Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International hat diese Erweiterung aufgenommen und verwendet folgende Formulierung: »Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.« 9 Damit sind auch alle diejenigen Fallkonstellationen Korruption, bei denen alle Beteiligten Angehöriger privater Institutionen sind. Vgl. Wallis, J. J.: The Concept of systematic corruption in American Political and Economic History, Working Paper 10952, NBER, Dezember 2004, S. 6. 6 Vgl. Senturia, J. J.: Corruption Political, in: Seligman, E. R. A.: Encyclopedia of the Social Sciences, New York 1931, S. 448. 7 Lambsdorff, J.: The Institutional Economics of Corruption and Reform, Cambridge 2007, S. 16. 8 So Klitgaard, R.: Controlling Corruption, Berkeley 1988, S. 24. 9 https://www.transparency.de/ueber-uns/was-ist-korruption/ (abgerufen am 16. 2. 2020). 5

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Korruption

Welche Handlungen allerdings genau als Korruption bezeichnet werden können, ist nur schwer zu definieren. Dies liegt an der Heterogenität der Handlungsweisen und Bestechungsmethoden. Man kann dies mit dem US-Richter Potter Stewart sagen, der einen anderen, schwer zu definierenden Sachverhalt so beschrieben hat: »I can’t define pornography, but I know it when I see it.« 10 Den Begriff Korruption sucht man im deutschen Strafrecht allerdings vergebens. Die Straftatbestände sind allesamt im Strafgesetzbuch unter den Namen Vorteilsnahme und -gewährung bzw. Bestechung und Bestechlichkeit, je nachdem ob der aktiv korrumpierende oder der passiv korrumpierte Teil gemeint ist, zu finden.

2

Die Entwicklung zur Strafbarkeit von Korruption

Korruption und Missbrauch anvertrauter Macht waren nicht immer eindeutig verboten. So gehörte es zu den gängigen Machttechniken, Günstlinge zu belohnen. Patronage wurde von den Mächtigen als Gegenleistung für die Unterstützung bei der Erreichung ihrer Ziele durchaus erwartet. Neben dieser Norm gab es bis zur frühen Neuzeit aber auch die andere Norm, nachdem Günstlingswirtschaft als korrupt eingestuft wurde. Teilweise wurde sogar von öffentlich Bediensteten erwartet, dass sie sich selbst bedienen, da es keine Vergütung für öffentliche Ämter gab, z. B. gab es Steuerpächter, die nicht besoldet wurden und selber für ihr Auskommen sorgen mussten. 11 Ämterkauf und andere Aktivitäten wurden nutzenmaximierend eingesetzt, so dass man dahinter sogar eine betriebswirtschaftliche Strategie zur Gewinnmaximierung vermuten konnte, die bewusst wie andere Investitionen in Unternehmen oder Maschinen erfolgte. 12 Mit der weiter fortschreitenden Trennung von öffentlicher und privater Sphäre ergab sich die Verwerflichkeit von Korruption immer klarer. Im 18. Jahrhundert begann diese Entwicklung und setzte sich bis in das 19. Jahrhundert fort. Dennoch war die Korruption allgegenwärtig. Insbesondere bei Großprojekten, speziell dem Eisenbahnbau, Vgl. Lambsdorff, J.: The Institutional Economics of Corruption and Reform, Cambridge 2007, S. 16. 11 Vgl. Engels, J. I.: Die Geschichte der Korruption, Frankfurt 2014, S. 23 ff. 12 Vgl. van Klaveren, J.: Die historische Erscheinung der Korruption, in ihrem Zusammenhang mit der Staats- und Gesellschaftsstruktur betrachtet, Vierteljahresschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 44. Jg. (1957), S. 289 ff. 10

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kam es immer wieder zu Korruptionszahlungen. 13 1913 enthüllte der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Liebknecht im Reichstag den Korruptionsskandal um die Firma Krupp. Krupp hatte sich durch Korruption einen fast vollständigen Überblick über die anstehenden Rüstungsprojekte des Deutschen Reiches verschafft und dabei auch die direkte Konkurrenz ausgespäht, so dass sie die allerbeste Übersicht über die Pläne des Deutschen Reiches hatte. 14 Einige Unternehmen schlossen sich bewusst zusammen, um unter dem Namen ›Korruptionsbekämpfung‹ bestimmte Lobbyaktivitäten durchzuführen. So bildete sich 1911 der Verein gegen das Bestechungsunwesen in Deutschland. Dieser war eine Lobbyorganisation von großen Unternehmen, die sich vereinigt hatten, um Praktiken, die sie für nicht statthaft hielten, durch gezielte Agitation zu delegitimieren. Dabei bediente man sich immer eines Rückgriffs auf juristische Normen. Das eigentliche Ziel dieses Vereins, der teilweise erhebliche Öffentlichkeitswirksamkeit erreichte, lässt sich aus der sehr eindimensionalen Mitgliedschaft und Führung erahnen. Der Verein wurde gegründet von der BASF, die später in der IG Farben aufging. Dieses Unternehmen bzw. seine Nachfolge stellte auch alle Vorsitzenden des Vereins. Aus diesem Grund kann durchaus geschlussfolgert werden, dass es ein Ziel des Vereins war die Auftragsvergabe im Sinne der von vielen Zulieferern abhängigen Chemiefabrik zu gestalten. 15 Korruption ist nicht in jedem Falle ungesetzlich. Es ist mehr eine Frage der Moral, insbesondere, da man viele Praktiken nicht genau fassen und definieren kann. Korruption kann sich durch viele verschiedene Maßnahmen äußern, auch durch solche, die normalerweise legal sind – korrupt werden sie z. B. durch die Einbeziehung sachfremder Elemente. So muss die Genehmigung eines Bauantrags erlaubt sein, korrupt kann der gleiche Vorgang aber werden, wenn Antragssteller und Beamter eine zu große private Nähe haben und der Antrag einer anderen, weiter entfernt stehenden Person nicht genehmigt worden wäre. Das Geben und Nehmen von Geschenken ist Vgl. Nützenadel, A.: Korruption in historischer Perspektive, in: Graeff, P./Grieger, J.: Was ist Korruption?, Baden Baden 2012, S. 84. 14 Vgl. Jindra, Z.: Die Rolle des Krupp Konzerns bei der Vorbereitung des Ersten Weltkriegs, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 16. Jg. (1976), S. 134. 15 Vgl. Köhler, V.: Wirtschaftskorruption in der Weimarer Republik? Der Verein gegen das Bestechungsunwesen und dessen Korruptionskommunikation, in: Berghoff, H. et al.: Tatort Unternehmen, Berlin u. a., S. 77 ff. 13

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ebenfalls nicht grundsätzlich strafbewehrt. Dies führte heute und in der Vergangenheit dazu, dass Korruption weniger hart bestraft wird als beispielsweise Diebstahlsdelikte, bei denen der deutsche Gesetzgeber deutlich höhere Strafmaße vorsieht als bei Bestechung und Bestechlichkeit. 16 Gänzlich anders als im eigenen Land haben es viele Gesellschaften lange gesehen, wenn die Korruption im Ausland stattfand. Diese Delikte waren in den meisten Staaten lange nicht strafbar. Ausgangspunkt des Bemühens, Auslandsbestechung unter Strafe zu stellen, war der Watergate-Skandal. Im Mittelpunkt der Ereignisse stand der amerikanische Präsident Richard Nixon, der im August 1974 von seinem Amt aufgrund einer großen Zahl von Vorwürfen zurücktrat. Benannt ist die Affäre nach den Watergate-Gebäuden in Washington, in denen die Demokratische Partei ihren Hauptsitz hatte. Ein Einbruch in die Parteizentrale konnte auf Auftraggeber im direkten Umfeld des Präsidenten zurückgeführt werden. Nach dem Einbruch wurden durch Ermittlungen des FBI verschiedene andere Affären, Verfehlungen und korrupte Handlungen aufgedeckt, u. a. gehörten illegale Parteispenden für die Kampagne zur Wiederwahl Nixons zu den Enthüllungen. Unternehmen wie 3M, American Airlines oder Goodyear hatten illegale Parteispenden gezahlt. 17 Diese illegalen Zahlungen alarmierten die amerikanische Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC). Die SEC hat die Aufgabe den Investorenschutz für Wertpapiere an amerikanischen Börsen zu organisieren. Daher war der Grund für das Aufsehen bei der SEC auch die mit den illegalen Zahlungen einhergehende Falschbilanzierung in den Jahresabschlüssen der an den Bestechungen beteiligten Unternehmen. Entweder wurden die Zahlungen gar nicht bilanziert, was auch bedeutet, dass die Zahlungen dem offiziellen Geldkreislauf entzogen sein mussten. Wenn die Zahlungen in den Büchern enthalten waren, so mussten sie verschleiert werden, d. h. in falschen Positionen ausgewiesen werden. Beides bedeutet, dass die Aktionäre die Finanzmittel nicht erkennen und damit auch nicht richtig über die Verwendung dieser Mittel entscheiden können. In einem 1976 erstatteten Bericht fasste die SEC ihre Befunde wie folgt zusammen: »any of the defects and evasions of the sysVgl. Bussmann, K.-D.: Wirtschaftskriminologie I, München 2016, S. 210. Vgl. Berghoff, H.: From the Watergate Scandal to the Compliance Revolution, Bulletin of the GHI, Fall 2013, S. 9.

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tem of financial accountability represented intentional attempts to conceal certain activities. Not surprisingly, corporate officials are unlikely to engage in questionable or illegal conduct and simultaneously reflect it accurately on corporate books and records.« 18 In weiteren Untersuchungen erfuhr die SEC von noch deutlich mehr Unternehmen, die illegale Zahlungen im In- und Ausland bezahlten, darunter erhebliche Summen an Schmiergeldern im Ausland. Die Frage der Korruption wurde Gegenstand von Anhörungen in Senat und Repräsentantenhaus. Senatoren, wie der spätere VizePräsident Joe Biden, thematisierten insbesondere die Befürchtung, dass durch die Bestechungen im Ausland die amerikanische Außenpolitik insbesondere durch kommunistische Regime infrage gestellt würde. 19 Gerald Ford, der republikanische Nachfolger von Nixon, richtete eine Task Force ein und schlug vor, Bestechung von ausländischen Offiziellen zu bestrafen. Der mildere Vorschlag, über solche Aktivitäten lediglich berichten zu müssen, fand im demokratisch beherrschten Kongress keine Mehrheit. Nach der Wahl des Demokraten Jimmy Carter zum US-Präsidenten wurde der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) 1977 in Kraft gesetzt. Damit war jedwede Bestechungszahlung, die in irgendeiner Weise mit den USA in Berührung kam, verboten. Ausgenommen waren lediglich Beschleunigungszahlungen, bei der mit einer vergleichsweise geringen Geldsumme ein legales Handeln von offiziellen Stellen beschleunigt werden soll. 20 Ein wesentliches Argument für die Einführung dieses Gesetzes war die Furcht vor kommunistischen Vorwürfen gegen die imperialistisch-korrupte amerikanische Außenpolitik. Deutschland benötigte sehr lange, bis die Korruption im Ausland strafbar wurde. Bis 1996 waren Schmiergelder im Ausland von der Steuer als sogenannte »nützliche Aufwendungen« abziehbar. 1996 wurde im Jahressteuergesetz die Abziehbarkeit für den Fall unterbunden, dass die Zuwendung oder der Empfang des Schmiergeldes im betroffenen ausländischen Staat strafbewehrt war und eine rechtskräftige Verurteilung bzw. eine Einstellung nach den §§ 153 StPO

Vgl. Securities and Exchange Commission: Report on Questionable and Illegal Corporate Payments and Practices (May 12, 1976), S. 41 f. 19 Vgl. Berghoff, H.: From the Watergate Scandal to the Compliance Revolution, Bulletin of the GHI, Fall 2013, S. 10 ff. 20 Vgl. Maher, M. W.: The Impact of Regulation on Controls: Firms’ Respones to the Foreign Corrupt Practices Act, The Accounting Review, 1981, S. 753. 18

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vorlag. 21 Im Wesentlichen waren Bestechungszahlungen an ausländische Amtsträger bis 1999 und im privaten Verkehr bis 2002 steuerlich absetzbar. Dabei musste noch nicht einmal ein Beleg über die Zahlung vorgelegt werden. 22 Hauptargument für dieses Vorgehen lag in der Neutralität des Steuerrechts, in dem es nicht darauf ankommt, ob Zahlungen zu moralisch guten oder schlechten Zwecken geleistet werden. Außerdem wurde ein absolut negatives Werturteil gegenüber Korruption verneint, was eine generelle Strafbarkeit im Ausland infrage stehen ließ. 23 Dahinter steckt die Überlegung, dass Korruption einzelwirtschaftlich – solange sie nicht entdeckt und verfolgt wird – nützlich sein kann. Das Unternehmen erhält den Auftrag, den es ohne Korruption nicht erhalten hätte. Dadurch werden in diesem Unternehmen Gewinne erzielt und damit Arbeitsplätze erhalten, vielleicht sogar neue Stellen geschaffen, was wiederum die Steuereinnahmen im Inland steigen ließe. Dies gilt aber nicht aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive. Derjenige Anbieter mit dem höchsten Bestechungsgeld ist nur selten auch der qualitativ beste. Aus diesem Grund ist Korruption aus volkswirtschaftlicher Sicht schädlich. So kann man zeigen, dass Korruption die Investitionsbereitschaft in einem Land senkt und damit das Wirtschaftswachstum vermindert. 24 Erst nach Ende des Kalten Kriegs in den 90er Jahren setzte eine Neubewertung von Bestechung und Korruption ein. Korruption wurde als Handelshemmnis angesehen, das weltweiten Handel erschwerte. Die USA zeigten ihren Willen, das gegen Korruption im Allgemeinen gerichtete Prinzip auch weltweit durchzusetzen, durch schärfere und sichtbare Strafen, die gegen Unternehmen verhängt wurden, die gegen den FCPA verstoßen hatten. Amerikanische Unternehmen sahen sich durch diese Durchsetzung der Strafen im Nachteil gegenüber deutschen und anderen Wettbewerbern. Die amerikanische Regierung erhöhte den Druck auf ihre Partnerregierungen ebenso deutlich gegen Auslandsbestechung vorzugehen. Gefördert wurde Vgl. Bannenberg, B.: Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle, Neuwied 2002, S. 26 f. 22 Vgl. Berghoff, H.: From the Watergate Scandal to the Compliance Revolution, Bulletin of the GHI, Fall 2013, S. 17. 23 Vgl. Bannenberg, B.: Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle, Neuwied 2002, S. 10 f. 24 Vgl. Everhart, S. S. et al.: Corruption, governance, investment and growth in emerging markets, Applied Economics, 41. Jg. (2009), S. 1579 ff. 21

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die Ächtung der Auslandsbestechung auch durch die 1993 in Deutschland gegründete Nichtregierungsorganisation Transparency International. Die Gründer hatten aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen die Nicht-Wirksamkeit der Entwicklungspolitik konstatiert, wenn sie auf korrupte Strukturen in den geförderten Staaten trifft. Rechtliche Grundlage der Arbeit von Transparency International war die OECD-Konvention zur Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger, die 1997 in Paris unterzeichnet wurde und 1999 auch in Deutschland in Kraft trat. Hinter den Kulissen hatten die Vereinigten Staaten besonderen Druck ausgeübt, um andere Industriestaaten zu der OECD-Konvention zu bewegen. Sie wollten durch die multilaterale Vereinbarung vermeintliche Nachteile ihrer eigenen Unternehmen durch die im internationalen Vergleich besonders scharfen amerikanischen Gesetze ausgleichen. 25 Durch dieses Übereinkommen konnten Korruptionshandlungen belangt werden, egal wo sie in der Welt stattfanden. Die deutsche Wirtschaft war, teilweise auch gegen den Willen der Politik, ein wichtiger Treiber für die Umsetzung der Konvention in Deutschland. 26 Ein weiteres Element dieses Abkommens war ein gegenseitiges Evaluationsverfahren. Die Lage in den einzelnen Staaten wurde von anderen Ländern evaluiert. 2002 wurden die Bedingungen in Deutschland von Japan und Österreich evaluiert. Das Urteil fiel eher negativ aus. In einer wiederholten Evaluation im Jahr 2011 hat sich die Beurteilung deutlich verbessert. 27 Durch die Selbstverpflichtung zur Beurteilung durch Dritte hat sich die Lage in Deutschland deutlich stärker dem internationalen Standard angenähert. Parallel wurde 1997 in Deutschland auch die Bestechung im privaten Sektor strafrechtlich sanktioniert. In §§ 299 und 300 StGB wurde Korruption in inländischen Geschäftsbeziehungen unter Strafe ge-

Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Konvention Pieth, M: Das OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, in: Dölling, D. (Hrsg.): Handbuch der Korruptionsprävention, München 2007, S. 566 ff. 26 Vgl. Martiny, A.: Transparency International – die Koalition gegen Korruption: Wirkung und Nutzen einer Nichtregierungsorganisation in einem Dschungel verborgener Abhängigkeiten, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 2004, S. 332. 27 Vgl. OECD: Deutschland – Phase 3. Bericht über die Anwendung des Übereinkommens über die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr und der Empfehlung des Rats zur weiteren Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, o. O. 2011. 25

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stellt, wobei in besonders schwerwiegenden Fällen Strafen bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug verhängt werden konnten. Außerdem konnten Staatsanwaltschaften von Amts wegen tätig werden, wenn der Verdacht auf eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr vorlag. Um die OECD-Konvention in deutsches Recht transformieren zu können, wurde 1998 das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung in Kraft gesetzt, durch das die Bestechung ausländischer Amtsträger mit der Bestechung inländischer Amtsträger gleichgesetzt wurde. Nach der Bundestagswahl 1998, in der die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl durch die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder abgelöst wurde, wurde dann auch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Bestechungsgeldern im Ausland vollständig abgeschafft. Die vorherige Situation war anachronistisch gewesen: Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Bestechungsgeldern war gegeben, obwohl die zugrundeliegende Handlung unter Strafe stand.

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Prävention von Korruption in Unternehmen

Erst mit der Strafbarkeit von Korruption ändert sich das betriebswirtschaftliche Kalkül für Unternehmen in Bezug auf die Korruption. Da Korruption ein Delikt ist, das eine hohe Dunkelziffer hat, also nur selten aufgedeckt wird, bleibt korruptes Verhalten häufig ohne Bestrafung für die Täter. Beide beteiligten Parteien – Vorteilsnehmer und Vorteilsgewährer – sind Täter. Die Opfer sind sehr zahlreich, seien es die Steuerzahler in einem Land oder die Aktionäre eines Unternehmens. Der Schaden bei jedem einzelnen Opfer ist in der Regel gering. Es lohnt sich also nicht, in die Strafverfolgung zu investieren. Es besteht ein »rationales Desinteresse« an der Aufdeckung der Korruption durch die Opfer. Die Mühen, die mit der Aufdeckung, dem juristischen Verfahren etc. verbunden sind, sind in der Regel deutlich geringer als der individuell entstandene Schaden. Der Bestechende nutzt eine Korruptionshandlung, um einen eigentlich wettbewerblich organisierten Markt in ein Monopol zu verwandeln. Der Bestochene agiert dann nur noch im Sinne seines kriminellen Partners, nicht mehr im Sinne seines legalen Prinzipals. Er ist nur noch – daher die Analogie zum Monopol – aufgrund der erhaltenen Bestechungszahlung aktiv, der korrupte Anbieter kann alleine die Bedingungen diktieren. Der aktiv Bestechende erhält dadurch die Monopolrente, aus der er wiederum die Korruptions59 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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zahlung finanziert. 28 Monopolrenten sind grundsätzlich für Unternehmen interessant, allerdings hat die Kriminalisierung durch die Gesetzgebung, die insbesondere durch die in den letzten Jahren erforschten, erheblichen negativen volkswirtschaftlichen und sozialen Folgen der Korruption in Gang gesetzt wurde, dazu geführt, dass sich Unternehmen, aber insbesondere ihre gesetzlichen Vertreter und Mitarbeiter, kriminalisieren und sich damit erpressbar machen. Durch die grenzüberschreitende Verfolgung von Auslandsbestechung und die extraterritoriale Anwendbarkeit, insbesondere der US-amerikanischen Gesetzgebung, gilt das für alle Aktivitäten eines Unternehmens weltweit. Die Kosten der Kriminalisierung lassen sich durch die potentielle Strafe und die Entdeckungswahrscheinlichkeit beschreiben. 29 Die erwarteten Strafen – auch die persönlichen für die verantwortlichen gesetzlichen Vertreter des Managements – müssen so hoch sein, dass sie die Monopolrente abzüglich der Bestechungszahlung übersteigen. Damit wird Korruption für Unternehmen ökonomisch unattraktiv, es wird hingegen lukrativ, präventiv gegen Korruption im eigenen Unternehmen vorzugehen. Hinter präventivem Management (Compliance Management) steht auch die Vorstellung, dass die Unternehmensleitung ab einer gewissen Unternehmensgröße nicht mehr in der Lage ist alle Handlungen selbst zu überwachen. Es wird ein Managementsystem benötigt, dass den Verantwortlichen hilft, diese Aufgabe zu übernehmen. Dies wird in der Regel als Compliance Management System bezeichnet. Neben der verstärkten Strafbarkeit von Korruption in Deutschland und den USA traten weitere Entwicklungen zutage, die zu einer verstärkten Aufmerksamkeit für wirtschaftskriminelle Aktivitäten führten. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 lenkten den Fokus auf die Geldströme der Terrorismusfinanzierung. Geldwäsche wurde mehr und mehr ein Thema auch für Unternehmen. Dies betrifft auch Gelder, die durch Korruption erwirtschaftet wurden. Auch diese müssen wieder in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeführt, Vgl. Priddat, B. P.: Schwarze Löcher der Verantwortung: Korruption – Die negative Variante von Public-Private Partnership, in: Jansen, S. A./Priddat, B. P. (Hrsg.), Korruption – Multidisziplinäre Perspektiven zu Funktionen und Folgen der Korruption, ZU|schriften der Zeppelin University zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik, VS Verlag, Wiesbaden 2005, S. 85–110 und hier insbesondere S. 86–92. 29 Vgl. Becker, G. S. (1968). Crime and punishment: An economic approach. In The economic dimensions of crime (pp. 13–68). Palgrave Macmillan, London. 28

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sprich gewaschen werden. In den USA gab es zudem spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche (z. B. Enron oder WorldCom), die eine Mischung aus Unterschlagung, Falschbilanzierung und anderen wirtschaftskriminellen Handlungen zur Ursache hatten. Hier wurde insbesondere die Verpflichtung für die Unternehmensleitungen deutlich gesteigert. In der unmittelbaren Folge der oben genannten Bilanzskandale wurden die regulatorischen Vorschriften in den USA deutlich verschärft. Der Sarbanes-Oxley Act, benannt nach dem US-Senator Sarbanes und dem Mitglied des Repräsentantenhauses Oxley, ist eine Sammlung von Vorschriften für Unternehmen, deren Organmitglieder und insbesondere auch für Wirtschaftsprüfer. Herauszuheben – insbesondere auch aufgrund seiner symbolischen Bedeutung – ist der oft als Bilanzeid bezeichnete Akt der Unterschrift des CEO und des CFO unter einer Erklärung, die besagt, dass der veröffentlichte Jahresabschluss keine unrichtigen Angaben enthält und ein zutreffendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zeichnet. Sollten CEO und oder CFO Mängel an dem Jahresabschluss feststellen, so müssen sie diese unverzüglich dem Abschlussprüfer und dem Audit Committee des Aufsichtsrates mitteilen. Da Bestechungsgelder falsch bilanziert werden müssen – würden sie als Bestechungszahlungen ausgewiesen, wäre die kriminelle Handlung öffentlich – ist Korruption immer verbunden mit einer Falschbilanzierung. Zudem führt die Falschbilanzierung in der Folge zu einem Steuerdelikt, da die falsch deklarierten Bestechungszahlungen nicht von der Steuerlast abgezogen werden dürfen. Der konkrete Start der Compliance-Revolution in Deutschland lässt sich ziemlich deutlich auf den November 2006 zurückführen. In diesem Monat wurde die Konzernzentrale der Siemens AG in München durchsucht. Anschließend wurde u. a. ein ehemaliges Vorstandsmitglied des Unternehmens in Untersuchungshaft genommen. Ergebnis der Ermittlungen war, dass das deutsche Vorzeigeunternehmen über Jahre hinweg Schmiergeldzahlungen geleistet hat. Dies führte zu einer Verurteilung in den USA und einer Strafe in Höhe von 800 Mio. US-Dollar. Insgesamt beziffert Siemens die Kosten der Affäre auf 2,9 Mrd. Euro, die Beraterkosten, Strafzahlungen etc. beinhalteten. Nicht enthalten in dieser Summe sind allerdings interne Kosten wie Arbeitszeiten, die für die Aufklärung oder auf Compliance-Maßnahmen verwendet worden sind. Für Siemens bestand die Gefahr allerdings auch darin, dass es zu einem Ausschluss von 61 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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öffentlichen Aufträgen in den USA kommen könnte. Dies wäre unausweichlich geworden, wenn Siemens ein erneutes Fehlverhalten nachgewiesen werden könnte. Dieses große Risiko war Grund genug, um mit präventiven Maßnahmen dafür zu sorgen, dass es kein weiteres Fehlverhalten mehr geben konnte. Siemens hatte seine Strategie auch darauf ausgerichtet, seine Vorstellungen von Compliance in Deutschland bekannt zu machen. Der Einsatz von Siemens-Mitarbeitern bei Seminaren oder als Referenten und Dozenten an Hochschulen sollte diese Entwicklung bewusst fördern. Damit hat sich der präventive Ansatz des Compliance Managements zügig zum Standard auch in deutschen Großunternehmen entwickelt, wobei das Compliance Management von Siemens gerade in den Anfangszeiten stark von dem enormen Risiko bestimmt wurde, das dieses Unternehmen aufgrund seiner belasteten Vorgeschichte bei möglichen Wiederholungen gehabt hätte. 30 Mit zu dieser Entwicklung beigetragen hat die Kriminalisierung der Täter. Diese ist und war nicht selbstverständlich. In den USA ist die Kriminalisierung von Tätern in der Wirtschaftskriminalisierung schon länger und stärker zu finden. 31 Der in den USA eingeführte Begriff für Wirtschaftskriminalität – white collar crime – wurde vom Soziologen Sutherland in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geprägt. Sutherland war der Begriffsbestandteil crime – Verbrechen – besonders wichtig. Dieser deutet auf die Kategorisierung dieser Delikte hin, die anderen Verbrechen in nichts nachstehen. Damit trat Sutherland auch Bestrebungen entgegen, wirtschaftskriminelle Delikte nur zivilrechtlich zu verfolgen, um die Kriminalisierung der Manager zu verhindern. 32 In den USA sind Haftstrafen für Manager noch deutlich häufiger als in Deutschland. Allerdings hat sich die Haftung für deutsche Führungskräfte in Unternehmen in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Das vorhandene Strafmaß wird bei Managern häufiger ausgeschöpft und Haftstrafen kommen in mehr Fällen als früher vor. Hinzu kommt, dass inzwischen auch in Deutschland die Verabschiedung eines Unternehmensstrafrechts un-

Vgl. Behringer, S.: Die Organisation von Compliance in Unternehmen, in: Behringer, S.: Compliance kompakt, 4. Auflage, Berlin 2018, S. 392. 31 Vgl. Welskopp, T.: Wirtschaftskriminalität und Unternehmen– Eine Einführung, in: Berghoff, H. et al.: Tatort Unternehmen, Berlin u. a. 2016, S. 7. 32 Vgl. Sutherland, D. H.: Is »white collar crime« crime? American Sociological Review, 10. Jg. (1944), S. 133. 30

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mittelbar bevorsteht. Damit können auch Unternehmen straffällig werden und theoretisch bis hin zu einer zwangsweisen Auflösung bestraft werden. 33 Konkretisiert wurden die Compliance-Pflichten von Mitgliedern von Unternehmensorganen (insbesondere des Vorstands) durch das Urteil des LG München I in der Sache Neubürger/Siemens aus dem Jahr 2013, 34 bei der der Elektrokonzern gegen seinen ehemaligen Finanzvorstand klagte. In dem Urteil wird die Pflicht jedes Vorstandsmitglieds, für eine Organisation zu sorgen, die dazu führt, dass keine Gesetzesverstöße eintreten, benannt. Der Vorstand ist dazu verpflichtet sich über Gesetzesverstöße und Ergebnisse von internen Ermittlungen zu informieren und darüber hinaus selbst Querverbindungen zwischen Einzelfällen herzustellen. Dies wird dadurch konkretisiert, dass ein Vorstandsmitglied die Gesamtverantwortung (keineswegs aber die alleinige Verantwortung) für das ComplianceManagement tragen muss, die beauftragten Personen, die sich operativ um Compliance kümmern, müssen ausreichende Ressourcen und Kompetenzen haben, um ihre Rolle effektiv ausfüllen zu können. Der Vorstand in seiner Gesamtheit muss sich regelmäßig hiervon überzeugen. Auch der Vorwurf vieler Kritiker von Compliance Management, dass es sich dabei nur um eine von den USA lancierte Modeerscheinung handelt, wird in dem Urteil aufgegriffen und deutlich zurückgewiesen. Die Pflicht zum Compliance Management wird aus der Geschäftsführung in eigener Verantwortung durch den Vorstand (§ 76 Abs. 1 AktG) abgeleitet. Diese Vorschrift fand sich so schon im AktG von 1937. Auch wenn das Urteil des LG München aufgrund des tragischen Suizids von Neubürger nach dem erstinstanzlichen Urteil nie rechtskräftig wurde, hat es doch Maßstäbe gesetzt, die beschreiben, was Organmitglieder tun müssen. Insbesondere wird auch eine Eskalationstreppe beschrieben, die ein Vorstand beschreiten muss, wenn er sich nicht durchsetzen kann, um ein Compliance Management System zu verbessern, das seiner Meinung nach nicht ausreicht: Es ist nicht in Ordnung, sich loyal der Mehrheitsmeinung im Vorstand anzuschließen, ein unterlegener Vorstand muss seine Bedenken dann

Vgl. zu dem Gesetzentwurf (Stand: Oktober 2019) Schefold, C.: Der Entwurf eines Verbandssanktionsgesetzes, ZRFC, 14. Jg. (2019), S. 227 ff. 34 Vgl. Urteil LG München I vom 10. 12. 2013 – 5 HKO 1387/10. 33

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dem Aufsichtsrat vorlegen. Ultima Ratio kann sogar sein, dass man Dritte von außerhalb des Unternehmens einschaltet. Das Urteil betont sehr stark die Gesamtverantwortung jedes Vorstandsmitglieds unabhängig von seinem spezifischen Ressort. Nicht nur rechtlich zeigt sich die erhebliche Bedeutung von Compliance Management. Die Unternehmen haben ihre Organisation auf die Haftungssituation eingestellt. Insbesondere nach dem Siemens-Korruptionsskandal im Jahr 2006 haben die allermeisten Großunternehmen Compliance-Abteilungen eingerichtet. Eine Umfrage der Financial Times Deutschland aus dem Jahr 2009 hatte ergeben, dass 29 von 30 Unternehmen aus dem DAX-30 ComplianceStrukturen etabliert hatten. Auch der Mittelstand hat inzwischen nachgelegt. Im Jahr 2011 hat eine empirische Untersuchung von Becker et al. 35 unter mittelständischen Unternehmen ergeben, dass 80 % der Mittelständler sich bereits aktiv mit dem Thema Compliance auseinandergesetzt haben. Es zeigt sich, dass Compliance Management erhebliche Bedeutung für die Unternehmenspraxis hat und es sich keineswegs um eine Modeerscheinung handelt. Genauso wie die Kriminalisierung insbesondere von Auslandsbestechung ihren Weg von den USA nach Deutschland gefunden hat, gilt dies auch für die präventiven Praktiken deutscher Unternehmen. In den USA haben sich Manager durch präventive Compliance-Maßnahmen, die die Einhaltung der wesentlichen gesetzlichen Regeln sicherstellen sollen, vor der strafrechtlichen Haftung geschützt. Diesen Weg hatten die sogenannten »Electrical Cases« in den 60er Jahren aufgezeigt. Amerikanische Elektrounternehmen hatten durch Preisabsprachen den Markt für Zulieferprodukte an den damaligen Telekommunikationsmonopolisten AT & T untereinander aufgeteilt und dadurch den Wettbewerb eliminiert. Selbstanzeigen von zwei an dem Kartell beteiligten Unternehmen brachten die Aufdeckung des Fehlverhaltens ins Rollen. Die Verantwortlichen wurden zu empfindlichen Strafen verurteilt. Um künftig auf mildernde Umstände hoffen zu können, wurden von den Unternehmen »Compliance Codes« eingeführt, die Verhaltensmaßregeln für deren Mitarbeiter beinhalteten – vergleichbar mit den heute üblichen Verhaltenskodizes der Unternehmen. In den Urteilen über die beklagten Unternehmen hatte die

Vgl. Becker, W. et al.: Compliance Management im Mittelstand, Bamberger Betriebswirtschaftliche Beiträge, Band 178, Bamberg (2011).

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Rechtsprechung diesen Weg vorgezeichnet und Unternehmen diese Strategie zur Vermeidung von hohen Strafen empfohlen. 36 Für deutsche Unternehmen hat sich dieser Weg anders dargestellt. Aufgrund ihres Zugangs zum amerikanischen Markt, der selbstverständlich auch die Anerkennung des amerikanischen Unternehmensstrafrechts erforderte, haben sie durch Haftung schmerzvoll gelernt, dass man durch präventive Maßnahmen Haftung vermeiden muss. Sowohl Daimler, Siemens als auch VW haben erhebliche finanzielle und strafrechtliche Folgen durch Gesetzesverstöße zu tragen bzw. getragen, die letztlich zur Etablierung des Compliance Managements beigetragen haben. Konkret auf die Prävention von Korruption bezogen, ergeben sich einige Spezifika. Bestechung und Bestechlichkeit zeichnen sich in der Regel durch lange Laufzeiten der kriminellen Handlungen aus. Lambsdorff berichtet davon, dass in Deutschland nur 20 % der korrupten Beziehungen zwischen zwei Marktteilnehmern eine geringere Laufzeit als einen Monat hatten. Währenddessen haben 54 % der Beziehungen eine Laufzeit von mehr als drei Jahren. 37 Aufgrund der Strafbarkeit von Korruption ist die Anbahnung einer korrupten Geschäftsbeziehung deutlich schwieriger als legale Transaktionen. Sie erfordert ein gewisses Vertrauen, da man in der Hand des jeweils anderen kriminellen Partners ist. Beide Seiten haben Informationen über illegale Tätigkeiten der jeweils anderen Seite, die im Zweifel gegen sie verwendet werden könnten. Dies sind notwendige Transaktionskosten, die anfallen, um das korrupte Geschäft auf den Weg zu bringen. Bereits das Anbieten von bzw. das Nachfragen nach einer Bestechungszahlung ist gefährlich. Die Gegenseite kann aufgrund der eigenen Integrität die Nachfrage ablehnen und zur Anzeige bringen. Es kann aber auch passieren, dass die durchaus der Korruption zugeneigte Gegenseite diese Bestechung ablehnt, da der offerierte Betrag zu gering gewählt wurde. 38 Häufig neigen Partner in illegalen Transaktionen auch dazu, die Leistung und Gegenleistung nicht so zu regeln, wie das in legalen Transaktionen getan wird. Dies führt dazu, dass es später zu großen Konflikten kommen kann. Des Weiteren sind Vgl. Eufinger, A.: Zu den historischen Ursprüngen der Compliance. CCZ, 4. Jg. (2012), S. 21. 37 Vgl. Lambsdorff, J.: The Institutional Economics of Corruption and Reform, Cambridge 2007, S. 138. 38 Vgl. della Porta, D./Vanucci, A.: Corrupt Exchanges, Actors, Resources and Mechanisms of Political Corruption, New York 1999, S. 195. 36

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korrupte Transaktionen nicht einklagbar. Diese Binsenweisheit führt auch zu einer Erhöhung der Transaktionskosten und erschwert den Abschluss einer korrupten Transaktion, denn diejenigen die sich außerhalb des Rechts bewegen, können sich nicht auf das Recht berufen. 39 Aus den oben genannten Gründen bedienen sich Unternehmen bei korrupten Transaktionen vielfach der Hilfe von Mittelspersonen, die das »schmutzige« Geschäft besorgen. Die Unternehmen kennen die Usancen der Korruption auf einem Markt nicht und wollen sich den hohen Transaktionskosten, insbesondere der Haftung, nicht aussetzen. Allerdings sind auch die Beziehungen zum Mittelsmann nicht justiziabel, wodurch auch diese Geschäfte hohe Transaktionskosten haben. 40 Dabei gehen manche Unternehmen den Weg, dass sie den Mittelspersonen in Verträgen Handlungsfreiheit einräumen, sie aber auf Integrität verpflichten. Spätestens dann, wenn die Kommissionszahlungen außerordentlich hoch sind, ist klar, dass der Mittelsmann nicht integer arbeiten kann. 41 Neben der moralischen und ethischen Verantwortlichkeit von Unternehmen für solche Handlungen, sind auch rechtliche Verantwortlichkeiten für die Handlungen von Vermittlern etc. inzwischen etabliert, 42 so dass auch dieser vermeintliche Ausweg inzwischen nicht mehr begangen werden kann.

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Fazit: Korruption ist irrational für Unternehmen

Korruption kann Unternehmen Nutzen stiften. Sie kann dazu führen, dass Unternehmen Aufträge erhalten, wachsen, Arbeitsplätze schaffen und Gewinne an die Aktionäre ausschütten. Einzelwirtschaftlich kann es sich also lohnen, korrupt zu handeln. Betroffene Volkswirtschaften leiden allerdings unter Korruption; sie haben ein niedrigeres Wirtschaftswachstum und höhere soziale Ungleichheit als integre Gesellschaften. Solange die Korruption nicht im Inland Vgl. Rose-Ackerman, S.: Corruption and Government. Causes, Consequences and Reform, Cambridge 1999, S. 92. 40 Vgl. Vanucci, A.: Corruption, Political Parties and Political Protection, European University Institute Economics Department, Working Paper 62, Badia Fiesolana 2000. 41 Vgl. Lambsdorff, J.: The Institutional Economics of Corruption and Reform, Cambridge 2007, S. 185. 42 Vgl. Pfefferle, R./Pfefferle, S.: Korruption im geschäftlichen Verkehr, Stuttgart 2011. 39

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stattfand, wurde sie lange auch vom deutschen Staat gutgeheißen – bis zum Verbot der Auslandsbestechung Ende der 90er Jahre. Für Unternehmen hat sich das Bild deutlich verändert: Höhere Strafandrohungen, eine stärkere Strafdurchsetzung und insbesondere die persönliche Haftung bis hin zu Haftstrafen machen Korruption unattraktiv. Dies wird noch durch eine veränderte öffentliche Meinung verstärkt. Es führt zu erheblichen Reputationsverlusten, die wiederum insbesondere auf den für Unternehmen schwieriger werdenden Arbeitsmärkten zu Einbußen führen können. Insofern hat sich das Kalkül für Unternehmen verändert: Korruption ist irrational für Unternehmen geworden. Das Kalkül hat sich noch weiter verändert: Heute lohnen sich präventive Maßnahmen für Unternehmen, was sich in der allgemein verbreiteten Praxis zeigt, Compliance Management Systeme zu etablieren. Nicht jedes Unternehmen hat diesen Wandel, der in Deutschland insbesondere in den letzten zwanzig Jahren stattfand, verstanden. Es werden jedoch immer mehr, so dass man hoffen kann, dass privatwirtschaftliche Korruption eine aussterbende Spezies wird.

Literaturverzeichnis Alemann, U. von: Politische Korruption. Ein Wegweiser zum Stand der Forschung, in: Alemann, U. von: Dimensionen politischer Korruption, Wiesbaden 2005, S. 13–49. Bannenberg, B.: Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle, Neuwied 2002. Becker, G. S.: Crime and punishment: An economic approach. In: The economic dimensions of crime, London 1968, S. 13–68. Becker, W. et al.: Compliance Management im Mittelstand, Bamberger Betriebswirtschaftliche Beiträge, Band 178, Bamberg 2011. Behringer, S.: Die Organisation von Compliance in Unternehmen, in: Behringer, S.: Compliance kompakt, 4. Auflage, Berlin 2018, S. 383–400. Berghoff, H.: From the Watergate Scandal to the Compliance Revolution, Bulletin of the GHI, Fall 2013. Bussmann, K.-D.: Wirtschaftskriminologie I, München 2016. della Porta, D./Vanucci, A.: Corrupt Exchanges, Actors, Resources and Mechanisms of Political Corruption, New York 1999. Engels, J. I.: Die Geschichte der Korruption, Frankfurt 2014. Eufinger, A.: Zu den historischen Ursprüngen der Compliance. CCZ, 4. Jg. (2012), S. 21–22.

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Stefan Behringer

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Korruption

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69 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Wolfgang Rupieper

Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten am Beispiel der Stadt Cottbus

Jede Verwaltungsinstitution muss wirkungsvolle Systeme zur Korruptionsbekämpfung aufbauen und effiziente Kontrollsysteme installieren, mit denen korruptives Handeln verhindert wird. Zu den Bündeln von Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung zählt die Ernennung eines Antikorruptionsbeauftragten, nachfolgend AKB genannt. Dieses verdeutlicht den Bürgern und Mitarbeitern, dass die Verwaltung die Thematik der Korruption erkannt hat und ernsthaft dagegen agieren will. Dabei ist der AKB Ansprechpartner für die Behördenmitarbeiter und Bürger in den Fragen der Korruptionsgefährdung und Korruptionsvermutung. Er nimmt die Hinweise entgegen und behandelt sie vertraulich. Er ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Hierdurch werden Nachteile für den Anzeigenden ausgeschlossen und so der Zugang zum AKB erleichtert. Daneben berät der AKB die Behördenmitarbeiter bei Fragen im Zusammenhang mit Korruption im persönlichen Bereich oder im Behördenumfeld. Ferner berät er Dezernenten und Amtsleiter beim Aufbau und bei der Optimierung eines Antikorruptionssystems in ihrem Fachbereich. Bei Vermutung von Korruptionshandlungen stimmt er sich mit den Revisions- und Rechnungsprüfungsstellen hinsichtlich der Überprüfung der Vorgänge ab. Die Aufgaben, Befugnisse und Verantwortlichkeiten des AKB sind in einer Dienstanweisung geregelt. Der AKB ist befugt, bei Korruptionsverdacht alle Unterlagen der Behörde einzusehen und alle Räume zu betreten. Er kann alle Informationen ohne Einhaltung des Dienstweges zur Klärung des Sachverhaltes einholen. Dabei unterliegt er keinen Weisungen, auch nicht denen des Behördenleiters. Allerdings ist er im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit angehalten, diesen über die eingeleiteten oder beabsichtigten Maßnahmen zu informieren. Der AKB ist verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, wenn der Anfangsverdacht für das Vorliegen eines korruptiven Verhaltens besteht.

70 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten

Der Korruptionsbegriff Für die Tätigkeit des AKB ist der Korruptionsbegriff von wesentlicher Bedeutung, d. h. die Definition davon, wann Korruption vorliegt. Dabei ist festzustellen, dass es eine einheitliche oder gesetzliche Definition des Begriffs »Korruption« nicht gibt. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff »Korruption« Straftaten, bei denen Amtsträger, d. h. Beschäftigte im öffentlichen Dienst, ihre amtliche Funktion und die ihnen damit übertragenen Befugnisse ausnutzen, um einen materiellen oder immateriellen Vorteil für sich oder einen Dritten zu erlangen. Zu einer Korruptionshandlung gehören immer zwei Täterarten, nämlich ein aktiver Bestecher (Geber, Korrumpierer) und ein passiv Bestochener (Nehmer, Korrumpierter). Das Opfer der Korruptionshandlung ist die Behörde. In den meisten Fällen schädigt eine Bestechung jedoch den Steuerzahler, da er für die Korruptionsschäden indirekt aufkommen muss, d. h. wir alle sind potentielle Opfer einer Korruptionshandlung. Die Korruption ist strafrechtlich und des Weiteren dienst- oder arbeitsrechtlich sanktioniert.

1.

Die Korruptionshandlungen

Während die Amtshandlung bei der Korruption absichtlich in fehlerhafter Weise durchgeführt wird, wird bei der Vorteilsnahme die Amtshandlung selbst korrekt durchgeführt. Dies spiegelt sich in den strafrechtlichen Normen wider. Der Amtsträger macht sich bei Annehmen, Fordern oder Versprechenlassen eines Vorteils bei einer nicht pflichtwidrigen Handlung nach § 331 StGB der Vorteilsnahme strafbar und der Vorteilsgeber der Vorteilsgewährung nach § 333 StGB. Beim Annehmen, Fordern oder Versprechen-Lassen eines Vorteils unter Verletzung der Dienstpflicht ist die Handlung des Amtsträgers als Bestechlichkeit nach § 332 StGB und die des Vorteilsgebers als Bestechung nach § 334 StGB strafbewehrt. Neben den strafrechtlichen Konsequenzen hat die im Zusammenhang mit Korruption begangene Diensthandlung weiterhin dienst-, tarif- oder arbeitsrechtliche Folgen für den Amtsträger, die letztlich den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten kann. Hinsichtlich der Strafbarkeit des Vorteilsgebers möchte ich darauf hinweisen, dass nach den genannten Strafnormen das Anbieten eines Vorteils schon ein vollendeter Straftatbestand ist. Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme sind im Rah71 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Wolfgang Rupieper

men der situativen (spontanen) und strukturellen (organisierten) Korruption anzutreffen. Die spontane Bestechung entsteht aus einer bestimmten Situation heraus zumeist bei alltäglichen Verwaltungsvorgängen, z. B. bei Anbieten eines Geldbetrages an einen Polizeibeamten bei Begehen einer Ordnungswidrigkeit. Die strukturelle Korruptionstätigkeit wird vom Vorteilsgeber planmäßig und gezielt angebahnt und entwickelt. Diese Korruptionsform kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen und ist zumeist im Beschaffungsund Bauwesen vorzufinden. Ein korruptes Verhalten auf Seiten des Amtsträgers und des Gebers verlangt immer das Annehmen, Fordern oder Versprechen eines Vorteils.

2.

Der Vorteilsbegriff

Vorteile sind dabei alle Leistungen materieller oder immaterieller Art, auf die der Amtsträger keinen Anspruch hat. Vorteile sind insbesondere Geld und Geldwerte wie Gutscheine Eintrittskarten, Lose und Tickets, ferner Sachwerte wie technische Geräte, Lebensmittel und Spirituosen. Als sonstige Vorteile sind insbesondere folgende zu benennen: die Mitnahme auf Urlaubsreisen; verbilligte Einkäufe, Rabattgewährung, zinslose oder zinsgünstige Darlehensgewährung; unentgeltliche oder verbilligte Überlassung von Fahrzeugen, Grundstücken, Unterkunft oder Gegenständen; unentgeltliche Bewirtungen, Einladungen zu Veranstaltungen. Bei Einladungen zu Veranstaltungen gilt der Grundsatz der Sozialadäquanz, d. h.: kann eine entsprechende Gegeneinladung durch den Amtsträger auf gleichem Niveau ausgesprochen werden? Eine Mitnahme von Partnern zu Veranstaltungen ist in der Regel unzulässig. Ausnahmen hiervon sind Repräsentationspflichten von leitenden Beamten oder Mitarbeitern. Diese Kriterien finden in der gesamten Hierarchie der Stadtverwaltung und in den städtischen Eigenbetrieben Anwendung und müssen bei jeder Einladung zu Veranstaltungen überprüft werden. Ferner sind die hierzu gemachten Überlegungen zu dokumentieren und dem Dienstvorgesetzten anzuzeigen. Dieser mag die angesprochene Einladung dann nach Überprüfung genehmigen. Grundsätzlich ist es dem Amtsträger verboten, in Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit Vorteile anzunehmen. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob der Geber andere Personen zur Gewährung einschaltet oder der Vorteil dem Amtsinhaber unmittelbar zugutekommt, indem die Zuwendung 72 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten

an Angehörige oder Vereine erfolgt. Es muss nicht zur Annahme des Vorteils kommen, vielmehr genügt auch hier ein Versprechen-Lassen. Es soll nämlich der Anschein der Empfänglichkeit für persönliche Vorteile vermieden werden. Zweifel an der Objektivität und Integrität der Amtsträger dürfen nicht aufkommen. Bei geringwertigen Aufmerksamkeiten bis zu einer Wertgrenze von 20 Euro, wie etwa Reklameartikel, gibt es keine allgemeinen Verhaltensmaßstäbe. In einigen Kommunen gilt die sogenannte Null-Toleranz-Grenze, d. h. solche Entgegennahmen sind stets untersagt. In anderen ist diese Entgegennahme erlaubt, allerdings besteht gegenüber dem Dienstherrn eine Anzeigepflicht und wiederholte Zuwendungen durch den Geber sind untersagt. Einladungen und Teilnahmen an Veranstaltungen, die aus repräsentativen oder partnerschaftlichen Verpflichtungen im Interesse der Kommune sind, können von Amtsträgern angenommen werden. Hierbei handelt es sich meist um Teilnahmen von leitenden Beamten oder Mitarbeitern im Rahmen ihrer Repräsentationspflichten. Ferner gehören hierzu die Teilnahmen im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Annahme unentgeltlicher oder verbilligter Bewirtung im Rahmen solcher Veranstaltungen wie auch bei Empfängen und Traditionsveranstaltungen ist erlaubt.

3.

Korruptionsgefährdete Bereiche

Die verschiedenen Bereiche innerhalb einer Stadtverwaltung oder eines kommunalen Betriebs sind unterschiedlich korruptionsanfällig. Eine hohe Gefährdungsrate bedarf einer größeren Kontrolle und präventiver Maßnahmen. Der Bestechungsumfang ist in folgenden Bereichen besonders groß: In allen Ämtern mit Beschaffungsfunktionen! Dort wird mit Anbieten der vorgenannten Vorteile versucht, den Mitarbeiter »anzufüttern«. Man will dadurch bei ihm eine Dankbarkeit erzeugen und so eine innerliche Abhängigkeit schaffen, die wiederum eine bevorzugte Behandlung eines Angebots bewirkt. Besonders sind dabei auch die Vergabe von Schulbusaufträgen zu nennen, ferner die Vergabe von Aufträgen an Druckereien zum Druck sich verbrauchender Verwaltungsmaterialien (Formulare etc.) oder speziell höherwertiger, gebundener Dokumente oder Journale. An vorderer Stelle der Korruptionsgefährdung stehen auch alle Bauämter des Hoch-, Tief- und Straßenbaus. In diesen Bereichen werden jedes Jahr Projekte in Millionenhöhe ausgelöst. Daher wird versucht, 73 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Wolfgang Rupieper

den Auftrag durch Bestechung an Land zu ziehen. Zum anderen sind die Mitarbeiter des Bauaufsichtsamtes gefährdet, denn es wird versucht, durch Vorteilsgewährung eine Baugenehmigung zu bekommen oder Vorabinformationen über öffentliche Bauvorhaben zu erlangen. Für die Amtsträger bestehen vielfach Möglichkeiten, sowohl bei der Auftragsvergabe als auch bei der Durchführung Manipulationen vorzunehmen. So kann der günstigste Bieter durch verbotene Nachverhandlungen ausgeschaltet werden. Ferner können in das Aufmaß beim Angebot überhöhte Mengen angegeben werden oder aber falsche Liefer- und Wegezeiten. Ebenso können Angebotspreise nachträglich vermindert und Rechenfehler eingebaut, ferner sogar nachträglich noch Seiten ausgetauscht werden. An diesen Beispielsfällen können wir erkennen, wie schwierig es ist, in diesen Deliktbereiche auf eine Spur zu kommen. Hierin bedarf es einer ständigen Kontrolle und einer Fachkompetenz in dem gefährdeten Bereich. Gleiches gilt auch für den Bereich der Bauausführung. Hier werden höhere Mengen abgerechnet als ausgeführt oder nicht erbrachte Leistungen in Rechnung gestellt. Auch die Manipulation bei der Stundenabrechnung in Form überhöhter Stundenzahl und Stundensätze ist sehr beliebt, ferner die Verlängerung von Fahrt- und Wartezeiten. Eine hohe Korruptionsgefahr besteht ferner in allen Ämtern mit Bürgerkontakt, das sind die Stellen, die Konzessionen, Genehmigungen und Zuteilungen vornehmen und bei denen der Amtsträger oftmals einen Entscheidungsspielraum gegenüber dem Antragsteller hat. Das sind die Kfz-Zulassungsbehörden, das Ordnungsamt, das Gewerbeaufsichtsamt, das Sozial- und das Ausländeramt. So beispielsweise bei der Niederschlagung von Bußgeldverfahren, das geht vom falschen Parken bis zu unterlassenen Kontrollen in Gaststätten. So besteht also insbesondere in jenen Ämtern ein hoher Gefährdungsgrad, in denen Konzessionen und Genehmigungen erteilt werden und dem Amtsträger ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Gefährdet sind alle Bereiche, in denen Informationen vorhanden sind oder verarbeitet werden und Entscheidungen mit materiellen oder immateriellen Vorteilen für Dritte getroffen werden.

4.

Warnsignale für korruptives Verhalten

Was deutet auf Korruptionsmachenschaften hin? Was sind Warnsignale, anhand derer man Korruption auf die Spur kommt? Hier sind 74 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten

folgende Erkenntnismerkmale zu nennen: ein geänderter und mit dem Einkommen nicht zu erklärender Lebensstil; Mitnahme von Vorgängen nach Hause; auffällige Unabkömmlichkeit, Anwesenheit trotz Krankheit, Verzicht auf Urlaub, da ansonsten der Vertreter die Manipulationen in den Vorgängen erkennen kann; Interesse für Vorgänge in einem anderen Bereich, z. B. ständiges Nachhaken hinsichtlich des Bearbeitungsstandes; hohe Verschuldung; häufige Rechenfehler und Nachbesserungen, vor allem in Angebotsunterlagen; unerklärliches Eintreten für einen Bieter; Umgehung der Ausschreibungsvorschriften.

5.

Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten

Zu den Aufgaben des AKB gehört u. a., als Kontaktstelle der Verwaltung für die Bevölkerung zu dienen; Ansprechpartner der Beschäftigten zu sein; Hinweisen, Vorzeichen und Verweisen auf Korruption nachzugehen; des Weiteren die Beratung der Organisationseinheiten hinsichtlich der Korruptionsgefährdung und einer Korruptionsvermeidung, notwendige Verfahrensschritte bei aufkommenden Verdachtsmomenten einzuleiten und zu koordinieren, sowie die Zusammenarbeit mit Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden oder die Berichterstattung bei Korruptionsfällen gegenüber den zuständigen Gremien. Der AKB ist der Verschwiegenheit verpflichtet. Die Verpflichtung gilt nicht gegenüber dem Oberbürgermeister. Diesem gegenüber hat der AKB Informationspflichten, ist aber in seiner Tätigkeit unabhängig und nicht weisungsgebunden. Er geht Korruptionsvermutungen mit Hilfe und in Abstimmung mit den Rechnungsprüfungs- und Revisionsstellen nach, denn diese haben das nötige Fachwissen. Dem Antikorruptionsbeauftragten obliegt auch die Schulung der Behördenmitarbeiter zu allen wichtigen Fragen von Korruption. Der AKB hat jährlich einen Bericht über den Stand und die Entwicklung der Korruption in der Behörde vor dem Stadtparlament zu erstatten. In diesem werden die einzelnen Fälle anonymisiert geschildert und ausgewertet, denn die Angaben sind dem AKB gegenüber vertraulich abgegeben und Vertraulichkeit ist dem Anzeigenden zugesichert worden. Im Wesentlichen ist der AKB die Anlaufstelle, um bei Verdacht von Korruption, insbesondere in den Dienststellen der Stadtverwaltung und den wirtschaftlichen Unternehmen der Stadt, Informationen nachzugehen und diese bei Vor75 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Wolfgang Rupieper

liegen eines Anfangsverdachts an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. Das gilt selbstverständlich auch für anonyme Anzeigen. Diesen muss ebenfalls nachgegangen werden, denn oft geschehen diese aus Furcht vor Repressalien oder Nachteilen anonym. Die Aufgaben, Befugnisse und Verantwortlichkeiten des Antikorruptionsbeauftragten werden in einer Dienstanweisung geregelt. Der AKB ist selbständig und unabhängig, d. h. er hat keinen Vorgesetzten. Er unterliegt grundsätzlich einer Verschwiegenheitspflicht. Da ihm jedoch durch das Gesetz kein Aussageverweigerungsrecht eingeräumt ist, kann er dem Anzeigenden keine absolute Verschwiegenheit zusichern. In einem eingeleiteten Verfahren muss er als Zeuge aussagen. Drauf wird der Anzeigende hingewiesen, ferner auf die Möglichkeit, die Anzeige in anonymisierter, elektronischer Form zu erstatten. Innerhalb der Prüfung eines Korruptionsverdachts kann der AKB Einsicht in Dokumente und Dateien, auch in die unter Verschluss stehenden, nehmen, wenn diese zur Aufklärung des Vorwurfs erforderlich sind. Ferner kann er Informationen ohne Einhaltung des Dienstweges einholen. Der AKB muss die Strafverfolgungsbehörden einschalten, wenn ein begründeter Korruptionsverdacht vorliegt. Alle Beschäftigen haben gegenüber dem AKB eine Mitwirkungs-, Duldungs-, Vorlage- und Auskunftspflicht. Ferner hat der AKB das Recht, an allen nichtöffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung und deren Ausschüssen teilzunehmen. Ihm ist ein Betretungsrecht für alle Diensträume eingeräumt. Bei Meldung eines Korruptionsverdachts hat der AKB folgende Entscheidungsmöglichkeiten: • Er kann den Fall weiter beobachten ohne aktiv einzugreifen. • Er kann eine Sonderprüfung durch das Rechnungsprüfungsamt oder den Revisor einleiten. • Er kann ein Gespräch im Beisein des Fachressortleiters mit dem der Korruption bezichtigten Mitarbeiter führen. • Er kann sofort die Strafverfolgungsbehörden einschalten, wenn er es aufgrund der Größenordnung oder wegen Vorliegens eines klaren Anfangsverdachts der Korruption für erforderlich hält. Liegt ein konkreter Anfangsverdacht vor, hat die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, Beweisunterlagen sicherzustellen und private Räumlichkeiten zu durchsuchen. Diese Möglichkeit steht dem Behördenleiter und dem AKB nicht zu. Zudem muss berücksichtigt werden, dass bei der Anhörung des der Korruption Verdächtigen eine Kettenreaktion ausgelöst wird, die eine Vernichtung von Beweismitteln 76 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten

wahrscheinlich macht. Daher muss immer eine sorgfältige Abwägung des AKB stattfinden, welche Maßnahme ergriffen werden muss. Wichtig ist dabei immer auch die Dokumentation der eingeleiteten Maßnahmen. So kann bei einer späteren Überprüfung durch Dritte der Handlungsablauf nachvollzogen und ggf. Vorwürfen entgegengehalten werden.

6.

Vermeidung von Korruptionshandlungen

Zur Vermeidung von Korruptionshandlungen müssen innerhalb der Behördenstruktur und Führung der Mitarbeiter einige elementare Voraussetzungen geschaffen werden. Welche Maßnahmen beugen nun möglichen Korruptionshandlungen präventiv vor? Innerhalb der Behörde müssen der Aufgaben- und Kompetenzbereich jedes Mitarbeiters klar und eindeutig festgelegt sein. Gleiches gilt auch für die Stellvertretungsregelungen in Krankheits- und Urlaubsfällen. Der Ablauf der Verwaltungsprozesse muss klar und transparent geregelt sein. Dies erfolgt in einer Dienstanweisung, die immer auf dem aktuellen Stand sein muss. Ferner müssen die Verwaltungsvorgänge ordnungsgemäß dokumentiert werden. Akten- und Vorgangsbearbeitung müssen eine lückenlose Dokumentation des Entscheidungsfindungsprozesses ermöglichen. Über alle entscheidungserheblichen Gespräche, Telefonate und Auskünfte sind schriftliche Vermerke zu fertigen. Bei deliktgefährdeten Vorgängen ist eine strikte Funktionstrennung erforderlich. Die Anweisung, Durchführung und Abrechnung eines Vorgangs muss durch verschiedene Personen erfolgen. Im Rahmen der Korruptionsvorbeugung kommt dem Vier-Augen-Prinzip eine besondere Bedeutung zu. Durch die Mitwirkung und Kontrolle der in Bearbeitung befindlichen Vorgänge durch einen weiteren Mitarbeiter wird das Risiko des Entdeckens für den Korrumpierenden erhöht. In den besonders gefährdeten Bereichen sollte innerhalb einer bestimmten Frist ein Austausch der Mitarbeiter auf dem Wege der Rotation erfolgen. Durch die Vergabe von Aufträgen in einer zentralen EDV-geführten Vergabestelle ist ebenfalls anhand der Transparenz eine Kontrolle gewährleistet. Neben den Amtsträgern muss hinsichtlich der Korruptionsvermeidung im Verwaltungshandeln ein Bereich außerhalb der Verwaltung beachtet werden. Dabei handelt es sich um sogenannten Dritte (z. B. Architekten u. a.), derer sich die Verwaltung bei planerischen Aufgaben wie bei der Vorbereitung von 77 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Wolfgang Rupieper

Ausschreibungen im Rahmen von Vergabeverfahren bedient. Diese sollten von der Verwaltung förmlich verpflichtet werden, keine Vorteile im Rahmen ihrer Tätigkeiten entgegenzunehmen und im Falle von Zuwiderhandlung wie Amtsträger behandelt werden.

7.

Aus der Praxis eines Antikorruptionsbeauftragten in der Stadt Cottbus

Als Antikorruptionsbeauftragter der Stadt Cottbus setze ich die übertragenen Aufgaben nun wie folgt in die Praxis um: Die Bürger, Verwaltungsmitarbeiter und Mitarbeiter von Firmen und Institutionen haben die Möglichkeit, mich im Rahmen der öffentlich bekannt gegebenen Sprechzeiten in meinem Dienstzimmer im Rathaus aufzusuchen. Ferner können sie mich schriftlich und telefonisch kontaktieren. Dabei kann die Anzeige eines korruptiven Sachverhalts, wie ja bereits dargestellt, auch anonym erfolgen, denn viele Anzeigende befürchten durch Offenlegung ihres Namens Nachteile jeglicher Art. Insofern muss auch diesen Anzeigen ohne Unterschied nachgegangen werden. Als AKB lege ich jährlich Rechenschaft gegenüber der Stadtverordnetenversammlung ab, schildere in anonymisierter Form die Falluntersuchungen nebst allen Ergebnissen und mache diese transparent. Zudem wirke ich bei den Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen hinsichtlich der Themenfelder der Korruption mit. Ferner wirke ich auch bei der Erstellung von Geschäfts- und Dienstanweisungen mit. Besprechungen mit dem Rechnungsprüfungsamt und dem neutralen Vergabemanagement nebst Umsetzung von korruptionspräventiven Maßnahmen gehören ebenfalls zu meinem Tätigkeitsbereich. Das Hauptfeld der Mitarbeiterfragen betraf in meiner Tätigkeit bisher vorrangig den Umgang mit Zuwendungen wie Einladungen, Geburtstagsgeschenke, Werbegeschenke und auch den Umgang mit Gerüchten über das Verhalten von Kollegen. Bei Auftragsvergaben richteten sich die Anfragen zumeist wegen Nichtberücksichtigung bei der Vergabe beim Zuschlag an mich. Anhand der Vergabevorgänge kann ich auch mit Hilfe der Fachressorts den Vorgang überprüfen und so eventuelle Unregelmäßigkeiten aufdecken. Als AKB habe ich zudem aber auch die Aufgabe, unberechtigte Korruptionsvorwürfe gegen Amtsinhaber zu entkräften und dieses in der Öffentlichkeit kundzutun, denn solche Gerüchte schaden dem Ansehen der Verwaltung und jedem einzelnen Mitarbeiter. 78 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten

Sie untergraben die Autorität der Verwaltung und erschweren hierdurch deren Schlagkraft. Es muss daher dem Integritätsverlust und der Rufschädigung der betroffenen Behörde entgegengewirkt werden. Der Bürger reagiert bei Bekanntwerden von Korruptionsvermutungen mit einem Vertrauensverlust. Dies kann zu einer Politikverdrossenheit und Verzerrung der politischen Kräfte führen. Selbstverständlich gilt dies auch bei Vorliegen und Aufdecken eines korruptiven Amtsträgerverhältnisses. Dies muss schnell aufgeklärt und konsequent geächtet werden – in Form von disziplinarischen Maßnahmen oder strafrechtlichen Sanktionen.

8.

Ausblick

Hinsichtlich der Bestellung eines AKB darf nicht nur den formalen Anforderungen Genüge getan werden. Er hat eine ethisch-moralische Vorbildwirkung auszuüben. Es genügt nicht, einen kommunalen Mitarbeiter ohne die fachliche Befähigung und ohne entsprechende Qualifizierung zum Antikorruptionsbeauftragten zu ernennen; vielmehr muss er den fachlichen und insbesondere menschlichen Anforderungen des Amtes gerecht werden. Diese Tätigkeit erfordert zumindest rechtliche Grundkenntnisse, speziell aber im Straf- und Dienstrecht. Ohne diese Kenntnisse ist diese Tätigkeit auch durch Nachschulungen oder Seminare nicht erfolgsversprechend auszuüben. Von der Persönlichkeit her sollte der AKB aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit bei den Bürgern und Mitarbeitern als integer gelten. Das sind die Voraussetzungen für eine Akzeptanz als vertrauenswürdige Anlaufstelle. Zudem ist es dem Amt dienlich, wenn die Aufgaben durch einen nicht verwaltungsangehörigen AKB wahrgenommen werden. Dieses dokumentiert die Unabhängigkeit des Amtes von der Verwaltungsführung nach außen und verleiht ihm das Ansehen einer unabhängigen Institution, was rückwirkend wiederum seine Akzeptanz bei den Bürgern und den Bediensteten stärkt und somit seiner Aufgabenerfüllung dienlich ist. In Großstädten ist es zumindest überlegenswert, ob dieses sowohl zeitlich als auch fachlich anspruchsvoll zu betrachtende Amt im Ehrenamt ausgeübt werden sollte. Zum einen wird so der Tätigkeit nicht die gebührende Anerkennung zuteil, zum anderen ist eine angemessene Vergütung, angelehnt an die der Stadtverordneten, ein Mittel, um den AKB für die geleistete umfangreiche, fachspezifische und auch zeitlich persön79 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Wolfgang Rupieper

lich stark in Anspruch nehmende Tätigkeit und so auch seinen rein persönlichen Arbeitsaufwand teilweise zu entschädigen. Insoweit sollte dies landes- oder bundesweit einheitlich geregelt und nicht den einzelnen Kommunen überlassen werden. Dies führt unter anderem zu Spannungen und ist der Sache nicht dienlich. Weiterhin sollte den Bürgern und Bediensteten im Land flächendeckend die Möglichkeit gewährt werden, sich an einen AKB wenden zu können. Nach meinem Kenntnisstand ist dieses Amt nur in großen Städten eingerichtet, nicht jedoch in kleineren, ländlichen Kommunen. Hier ist zu überlegen, ob nicht in jedem Landratsamt ein AKB bestellt werden sollte. Zum Schluss möchte ich erwähnen, dass ich die Kompetenzaufgabe des Antikorruptionsbeauftragten darin sehe, Anlauf- und Beratungsstelle in Korruptionsverdachtsfällen für Bürger und Mitarbeiterschaft zu sein, ferner innerhalb der Verwaltung systemische Schwachstellen für Korruption zu erkennen und diese mit Hilfe der übrigen Verwaltung abzustellen.

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Eike Albrecht und Alexander Drescher

Korruption als rechtliches Phänomen

I. Korruption gilt weithin als Inbegriff der Wirtschaftskriminalität bzw. – etwas ambivalenter – der ›white collar crime‹. 1 Vom Boulevard dankbar aufgenommene Vorgänge erscheinen in der Bundesrepublik unter Pikantes andeutenden Schlagworten wie ›Siemens‹ 2, ›Allianz Arena‹ 3, ›Kassenärzte‹ 4 oder ›Lustreisen‹ 5. Tatsächlich sind aber keineswegs alle Fallgestaltungen von Fehlverhaltens, insbesondere im öffentlichen Dienst, mit Korruption zu bezeichnen, sondern oftmals schlicht und einfach Diebstahl, Betrug oder Unterschlagung. 6 Nicht völlig unangebracht sind aus liberaler Perspektive, schon der Ausnahmecharakter des Strafrechts 7 gebietet diese, insoweit aber durchaus auch Bedenken hinsichtlich einer allzu überschäumenden Skandalisierung. 8 Ohne damit einer engagiert betriebenen ›Klimapflege‹ im Sinne verzeihlicher ›Kavaliersdelikte‹ das Wort reden zu wollen, sollte in der Diskussion doch auch eine puritanisch überzeichnete Hypermoralität nicht Leitlinie sein. Unter einem historischen Blickwinkel erscheint Korruption als durchaus auch regelgerecht. So fand der feudalistische Hofstaat seinen Unterhalt im Wesentlichen in der Vergütung politisch-administrativer Dienstleistungen. 9 Die moderne Vollbesoldung der Staatsdiener ist primär Konzept französischer Re-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 366. BGHSt 52, 323. BGH, NJW 2006, 3290. BGH GSST, NJW 2012, 2530. BGH, NStZ 2009, 694. B. Begovic, Corruption: Concepts, types, causes and consequences, CADAL 2005, 2. Rengier, Strafrecht AT 2018, § 3, Rn. 5 ff. Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 366. J. I. Engels, Geschichte Korruption 2014, 39 ff.

81 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Eike Albrecht und Alexander Drescher

publikanisierungsbemühungen nach 1789. 10 Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Phänomen der Korruption aus strafrechtlicher Sicht; Korruption mag auch in öffentlich- und zivilrechtlichen Fragestellungen vorkommen, etwa im arbeitsvertraglichen oder beamtenrechtlichen Zusammenhang oder beim Schadensausgleich. Dies sind aber häufig lediglich Folgen strafrechtlicher Begehungsweisen.

II. Unter einem kriminologischen Blickwinkel wirkt der Begriff Korruption verschwommen. Zumindest in Ansätzen lässt er sich gleichwohl definieren als der Missbrauch eines öffentlichen Amtes bzw. einer Funktion in Wirtschaft oder Politik, zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder aus Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung eines Schadens bzw. Nachteils für die Allgemeinheit bzw. ein Unternehmen. 11 Die quantitative Erfassung des Phänomens Korruption zeigt keine dramatischen Entwicklungen. Letztlich gehen recht niedrige Fallzahlen mit diffusen Schäden einher. Für den Zeitraum 2013–2017 werden jährlich rund 5.000 bis 20.000 Fälle gezählt. 12 Der in 2017 angerichtete Schaden wird auf 291 Mio. Euro beziffert, wobei zur monetären Schadensdimension nur schwerlich Aussagen getroffen werden können, da die bspw. durch eine Genehmigungserteilung angerichteten Nachteile sich allenfalls näherungsweise beziffern lassen. 13 Zumindest in Ländern mit verbreiteter Korruption wird aber, so belegen Untersuchungen, bis zu 20 % der Arbeitszeit damit verwendet, Art und Umfang von Bestechung zu verhandeln. 14 Im Vergleich dazu gab es in 2018 aber etwa rund 800.000 Betrugsfälle mit einem Gesamtschaden von rund 1.700 Mio. Euro. 15 Beachtlich sind vor allem die mittelbaren und immateriellen Schäden der Korruption, insbesondere der Vertrauensverlust in die Unparteilichkeit und Rechtmäßigkeit (staatlichen) Handelns und letztlich in das Rechts10 11 12 13 14 15

J. I. Engels, Geschichte Korruption 2014, 61, 198 f. BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 2. BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 3. BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 10. B. Begovic, Corruption: Concepts, types, causes and consequences, CADAL 2005, 6. BKA, PKS Jahrbuch 2018, Band 4, 99, 107.

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Korruption als rechtliches Phänomen

staatsprinzip, 16 insbesondere in den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns. 17 Die Fallzahlen zur Korruption lassen nur mit Schwierigkeiten einen Trend erkennen. Einzelne, umfangreiche Ermittlungskomplexe können gravierende statistische Auswirkungen haben, da viele eigenständige Taten zu Verzerrungseffekten führen. 18 Die Selbstwahrnehmung der deutschen Wirtschaft zeichnet jedenfalls ein stabiles, ggf. leicht rückläufiges Bild der Korruptionsbelastung. 19 Korruption erscheint im Schwerpunkt als ein Problem des öffentlichen Sektors; die allgemeine Verwaltung, Strafverfolgung und Justiz sind als maßgebliche Zielbereiche aktiv korrumpierenden Handelns auszumachen. 20 Amtsträger sind überwiegend auf der Nehmerseite vertreten. 21 Fraglich kann aber sein, ob und inwieweit statistische Verzerrungen diesen Befund prägen. Transparenzdruck und eine Kultur offiziell-formalen Vorgehens sind im öffentlichen Dienst ggf. ausgeprägter als im privaten Sektor, wo unter der Geltung der Privatautonomie Korruption von vornherein weniger denkbar erscheint und, falls sie vorkommt, häufig lediglich mit arbeitsrechtlichen Mitteln sanktioniert wird. Mittel der Wahl ist und bleibt jedenfalls das Bargeld, mit Einschränkung auch die Sachzuwendung; erlebnisorientierte Gaben (Einladungen zu ›Events‹) sind von eher geringer Bedeutung. 22 Auf der Geberseite wird mit Korruption vor allem die Vornahme behördlicher Handlungen – Erlangung von Aufträgen und Genehmigungen – angestrebt. 23 Die These von der besonderen Korruptionsanfälligkeit des öffentlichen Sektors wird dadurch bestätigt. Korruption dürfte sich damit bei nüchterner Betrachtung zuvörderst als Problem staatlich-gesellschaftlicher Organisationsstrukturen (Monopole) darstellen, die – im ökonomischen Sinne – nicht durch freiheitliche Wettbewerbsstrukturen geprägt sind. 24 Eine liberale OrdB. Begovic, Corruption: Concepts, types, causes and consequences, CADAL 2005, 6. Siehe hierzu Albrecht/Küchenhoff, Staatsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 127 ff. 18 Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 367. 19 MLU Halle/Wittenberg/PWC, Wirtschaftskriminalität in d. analogen u. digitalen Wirtschaft 2016, 21. 20 BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 10. 21 BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 12. 22 BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 15. 23 BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 18. 24 Vgl. Engerer/DIW Berlin, DIW Discussion Papers No. 161, 4. 16 17

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nung könnte folglich einen erheblichen Beitrag zu allgemeiner Regeladhärenz leisten. Letztlich dürfte Korruption insbesondere ein Symptom ineffizienter Güterverteilung sein. 25 Vielleicht hat Wirtschaftsnobelpreisträger Gary S. Becker recht, der 1995 postulierte: ›If You Want To Cut Corruption, Cut Government‹ und damit die Verschlankung, Demokratisierung und Effizienzierung des Staates meinte, 26 wobei auch diese These nicht unwidersprochen blieb. 27

III. 1.) Das maßgebliche, materielle Strafrecht zur Korruption findet sich nunmehr im Wesentlichen im Strafgesetzbuch (StGB). Das geltende (kern)strafrechtliche Regelungssystem ist neueren Datums. Geprägt wird es durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption (KBekG) vom 13. 8. 1997, 28 das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption (KBekG) vom 20. 11. 2015 29 und das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen vom 30. 05. 2016. 30 Eine eigentliche Strafnorm ›Korruption‹ gibt es nicht. Das Strafrecht kennt den Begriff selbst nicht. Die Rede ist von Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. Das StGB enthält demgemäß bestimmte spezielle Straftatbestände, die das Phänomen Korruption erfassen sollen. Die einzelnen Delikte lassen sich nach den geschützten Rechtsgütern in zwei Gruppen einteilen: Der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes 31 bzw. der politisch-parlamentarischen Entscheidungsprozesse 32 dienen insbesondere die §§ 331 (Vorteilsannahme), 332 (Bestechlichkeit), 333 (Vorteilsgewäh-

Engerer/DIW Berlin, DIW Discussion Papers No. 161, 4 f. G. S. Becker, If You Want To Cut Corruption, Cut Government, Bloomberg, 11. 12. 1995, abrufbar unter https://www.bloomberg.com/news/articles/1995-12–10/ if-you-want-to-cut-corruption-cut-government (abgerufen am 19. 08. 2019). 27 Siehe z. B. M. Stevenson, Larger Governments Have Less Corruption (Part 1 – The Evidence), GAB, 06. 09. 2016, abrufbar unter https://globalanticorruptionblog.com/ 2016/09/06/larger-governments-have-less-corruption-part-1-the-evidence/ (abgerufen am 19. 08. 2019). 28 BGBl. I, 2038. 29 BGBl. I, 2025 30 BGBl. I, 1254. 31 Fischer, StGB 2017, § 331, Rn. 2. 32 Fischer, StGB 2017, § 108e, Rn. 2. 25 26

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rung), 334 (Bestechung), 335 (besonders schwere Fälle zu §§ 332, 334), 108 b (Wählerbestechung), § 108 e (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern) StGB. Der Freiheit des (privatwirtschaftlichen) Wettbewerbs 33 sind verpflichtet die §§ 299 (Bestechlichkeit und Bestechung im wirtschaftlichen Verkehr), 299 a (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen), 299 b (Bestechung im Gesundheitswesen) und 300 StGB (besonders schwere Fälle zu §§ 299, 299 a, 299 b StGB). Korruptionsdelikte sind typischerweise mit gewissen Begleitstraftaten zumeist vermögensrechtlicher Art vergesellschaftet: § 261 StGB (Geldwäsche), § 263 StGB (Betrug), § 264 StGB (Subventionsbetrug), § 266 StGB (Untreue), § 348 StGB (Falschbeurkundung im Amt), § 370 AO (Steuerhinterziehung). 34 2.) Sinn und Zweck der §§ 331 ff. StGB ist es, die grundlegenden Pflichten des öffentlichen Diensts zu sichern: §§ 33 I, 34 S. 2 BeamtStG, 60 I, 61 I BBG (Gerechtigkeit, Unparteilichkeit), §§ 42 BeamtStG, 71 BBG, 57 LBG Bbg. (Verbot der Annahme von Belohnungen etc.). 35 In tatbestandlicher Hinsicht differenzieren die §§ 331 ff. StGB zunächst nach der Tathandlung. Die §§ 331 (Vorteilsannahme), 332 (Bestechlichkeit) StGB erfassen die Nehmerseite. Strafbare Handlung ist damit im Sinne eines Stufenverhältnisses 36 das Fordern, Sich-Versprechen-Lassen und Annehmen eines Vorteils. Die §§ 333 (Vorteilsgewährung), 334 (Bestechung) StGB sprechen spiegelbildlich zu §§ 331, 332 StGB die Geberseite an; Tathandlung ist hier das Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils. Weiter differenziert wird sodann nach dem Ziel der Taten. So stellen sich die §§ 332, 334 StGB als in ihren Strafdrohungen gesteigerte Qualifikationen zu den Grundtatbeständen der §§ 331, 333 StGB insoweit dar, wie auf eine (konkrete) Diensthandlung abgestellt wird. 37 Erfolgt das Nehmen bzw. Geben bei §§ 331, 333 StGB im

Fischer, StGB 2017, § 299, Rn. 2. BKA, Bundeslagebild Korruption 2017, 3. 35 Vgl. Fischer, StGB 2017, § 331, Rn. 1b. 36 Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 384. 37 Schönke/Schröder/Heine/Eisele, StGB 2019, § 332, Rn. 1; MüKoStGB/Korte 2019, § 334 Rn. 1. 33 34

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Zusammenhang mit der allgemeinen Dienstausübung (›Klimapflege‹), kommt es bei §§ 332, 334 StGB auf eine konkrete Diensthandlung an, die zu den dienstlichen Obliegenheiten des Amtsträgers gehört, in dienstlicher Stellung vorgenommen und – §§ 332 Abs. 3, 334 Abs. 3 StGB – dienstpflichtwidrig ist. 38 Der vorgenommenen Diensthandlung steht die unterlassene Handlung nach § 336 StGB gleich. Im Übrigen stellen sich die Tatbestandsmerkmale der §§ 331 ff. StGB einheitlich dar. So muss etwa auf der Nehmerseite durchgängig ein Amtsträger auftreten. Verwiesen wird damit auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 ff. StGB, wonach Beamte, Richter, in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis Stehende bzw. sonst für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete angesprochen sind. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 c StGB genügt die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, unabhängig von der organisationsrechtlichen Struktur der Behörde bzw. Stelle. In der Folge sind die §§ 331, 332 StGB echte Amtsdelikte. 39 Durch §§ 48 WStG, 333, 334 StGB wird die Anwendbarkeit auf Soldaten geregelt. Unter dem ebenfalls durchgängig verwendeten Begriff des Vorteils ist jede Leistung zu qualifizieren, die den Amtsträger oder einen Dritten materiell oder immateriell, in wirtschaftlicher, rechtlicher oder persönlicher Hinsicht objektiv besserstellt und auf die kein Anspruch besteht. 40 Erfasst werden Geld, Sachwerte, Rabatte, aber auch eine Darlehensgewährung, die Einräumung beruflicher Chancen, die Unterstützung bei Wahlen oder gar sexuelle Zuwendungen. 41 Bei immateriellen Vorteilen wird einschränkend eine ›objektive Messbarkeit‹ des Vorteils verlangt. 42 Dritter wiederum kann jede private aber auch öffentliche Stelle sein, so dass Zuwendungen an die Behörde bzw. Anstellungskörperschaft des Amtsträgers, im Gegensatz zur früheren Rechtslage, 43 nunmehr erfasst werden. 44 Die Unrechtsvereinbarung (§§ 331, 333 StGB und §§ 332, 334 StGB) schließlich ist zentrales – allerdings auch ungeschriebenes – Merkmal der §§ 331 ff. StGB. Durch sie erfolgt eine in ihren Spezifika nicht immer sonderlich fokussierte Verknüpfung der Tathandlung 38 39 40 41 42 43 44

Fischer, StGB 2017, § 332, Rn. 4 ff. Schönke/Schröder/Heine/Eisele, StGB 2019, Vorbemerk. §§ 331 ff., Rn. 5. Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 382. Schönke/Schröder/Heine/Eisele, StGB 2019, § 331, Rn. 15 ff. (mwN). Kritisch Fischer, StGB 2017, § 331, Rn. 11e. Fischer, StGB 2017, § 331, Rn. 13. Schönke/Schröder/Heine/Eisele, StGB 2019, § 331, Rn. 20.

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mit der Dienstausübung/-handlung. 45 Die Unrechtsvereinbarung wird als (konkludente) Übereinkunft zwischen Amtsträger und Vorteilsgeber im Sinne eines Beziehungs-/Äquivalenzverhältnis verstanden. 46 Der Vorteil muss gerade auf die Dienstausübung/-handlung zielen, wobei zwar kein Gegenleistungsverhältnis im engeren Sinne, wohl aber ein Gegenseitigkeitsverhältnis erforderlich ist. 47 Vor diesem Hintergrund fallen die §§ 331, 333 StGB durch eine – vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots 48 – bedenkliche tatbestandliche Weite auf; die in Rede stehende Dienstausübung muss nach der Vorstellung der Beteiligten ja nicht einmal grob umrissen sein. 49 Die kausal-intentionale Beziehung zwischen Vorteil und Dienstausübung erscheint im Sinne einer ›Lockerung der Unrechtsvereinbarung‹ 50 insbesondere im Vergleich zur früheren Rechtslage als eine recht beliebige. 51 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen aber gerade auch die Fälle der ›Klimapflege‹, ›Anbahnungszuwendungen‹ und ›Beraterverträge‹ erfasst werden können. 52 Angesichts der Weite und Unschärfe des Tatbestands insbesondere in den Randbereichen ist es Aufgabe der Rechtsprechung, sich um Restriktion zu bemühen, was unter dem Stichwort der Sozialadäquanz zumindest auch versucht wird. 53 Problematisch ist, welche Maßstäbe insoweit heranzuziehen sind. Überwiegend wird auf die Unrechtsvereinbarung abgestellt, deren Vorliegen im Wege wertender Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ggf. verneint wird. 54 Dabei wird auf das sozial Übliche abgestellt; kleinere, verbreitete, im weitesten Sinne höfliche Zuwendungen sollen kein ›Unrecht‹ sein; erfasst werden damit bspw. Bewirtungen, Werbegeschenke (Wertgrenze bei 30 bis 50 Euro), Trinkgelder, Veranstaltungseinladungen etc. 55 Die wertende Abgrenzung erfolgt anhand von Kriterien, wie der Stellung und dem Inhalt der Dienstaufgaben des Amtsträgers, 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 386. Fischer, StGB 2017, § 331, Rn. 21. BGH, NJW 2008, 3580, Rn. 30. Siehe hierzu Albrecht/Küchenhoff, Staatsrecht, 3. Aufl. 2015, Rdnr. 145. Fischer, StGB 2017, § 331, Rn. 24 f. Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 386. Vgl. MüKoStGB/Korte 2019, § 331, Rn. 116. BGH, NJW 2004, 3569, 3571; Überblick bei Fischer, StGB 2017, § 331, Rn. 24. BGH, NStZ 2005, 334, Rn. 4. MüKoStGB/Korte 2019, § 331, Rn. 134. Überblick bei MüKoStGB/Korte 2019, § 331, Rn. 136.

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der Nähe zwischen den dienstlichen Aufgaben und dem Anlass der Vorteilszuwendung und den abstrakten Möglichkeiten des Amtsträgers zur Beeinflussung der Amtsführung. 56 Beispielhaft sei insoweit auf die Restriktionsbemühungen der Rechtsprechung bei der Einwerbung von Drittmitteln in der Forschung hingewiesen. Nach § 36 Abs. 1 BbgHG sind die in Forschung und Lehre tätigen Hochschulmitglieder berechtigt, Forschungs- und Lehrvorhaben durchzuführen, die durch nicht vom (staatlichen) Träger der Hochschule herrührende Mittel finanziert werden. 57 Auf diesen Sachverhalt sind die §§ 331 ff. StGB grundsätzlich anwendbar. 58 Zwischen erlaubter (und politisch besonders erwünschter!) Kooperation und illegaler Korruption liegt damit oft ein nur schmaler Grat. Nach der Rechtsprechung ist auch die Drittmittelproblematik über die Unrechtsvereinbarung zu lösen, die nicht vorliegt, wenn in der Sache selbst überhaupt Forschung gefördert wird (und nicht rein private Vorteile in Rede stehen) und formal das hochschulrechtlich vorgeschriebene Verfahren (in Brandenburg: § 56 Abs. 3 ff. BbgHG) eingehalten wird. 59 In den Rechtsfolgen erscheinen die §§ 331 ff. im Zweifel nicht übermäßig harsch. Die Grundtatbestände sind als Vergehen ausgestaltet (s. § 12 Abs. 2 StGB); es drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen. Lediglich in den Qualifikationen (und auch dort nur vereinzelt) und den besonders schweren Fällen wird die Schwelle zum Verbrechen erreicht (s. § 12 Abs. 1 StGB). 3.) Die durch das KBekG 1997 eingefügte Vorschrift des § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im privaten Verkehr) adressiert – anders als die §§ 331 ff. StGB – Korruption im privaten Sektor und schützt damit die Lauterkeit des freien Wettbewerbs, 60 seit dem KBekG 2015 auch die Vermögensinteressen des Dienstherrn. 61 Das von den §§ 331 ff. StGB bekannte Spiegelbildprinzip findet auch in § 299 StGB Anwendung: Abs. 1 spricht vom ›Nehmen‹, Abs. 2 vom ›Geben‹. KG, NStZ-RR 2008, 373, 375; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, StGB 2019, § 331, Rn. 40. 57 Vgl. dazu Hoffmann, in: Knopp/Peine/Topel, BbgHG, § 36, Rn. 11 ff. 58 Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 392. 59 BGH, NJW 2002, 2801, 2804 ff. 60 Lackner/Kühl/Heger, StGB 2018, Rn. 1. 61 Schönke/Schröder/Eisele, StGB 2019, § 299, Rn. 3. 56

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Die Tatbestandsmerkmale des § 299 StGB stimmen dann auch – zumindest teilweise – mit denen der §§ 331 ff. StGB überein. Die Tathandlungen sind identisch: einen Vorteil fordern, sich versprechen lassen, annehmen bzw. einen Vorteil anbieten, versprechen, gewähren. Auch bei § 299 StGB ist eine einschränkende, ›sozialadäquate‹ Auslegung der Unrechtsvereinbarung geboten, wobei diese aber auch von vornherein nicht wie bei §§ 331 ff. StGB ›gelockert‹ ist. 62 Ggf. ist auch ein großzügigerer Maßstab als bei den §§ 331 ff. StGB anzulegen, wobei unter dem Stichwort ›Luxussonderstrafrecht‹ allzu weitherzige Maßstäbe indes auf wenig Beifall stoßen dürften. 63 Zwangsläufig muss sich § 299 StGB schon aufgrund seiner abweichenden personellen Adressaten aber auch durch tatbestandliche Besonderheiten gegenüber den §§ 331 ff. StGB auszeichnen. ›Nehmer‹ iSv § 299 StGB muss ein Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens sein. Angestellte zeichnen sich durch Weisungsgebundenheit (§ 611a BGB) aus; Beauftragter ist, wer befugt für einen Geschäftsbetrieb tätig wird, ohne angestellt zu sein. 64 Der Betriebsinhaber selbst sowie die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer AG werden damit nicht erfasst, wohl aber der geschäftsführende Alleingesellschafter einer GmbH. 65 Es kommt auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf zivilrechtliche Maßstäbe an. 66 Kassenärzte sind bspw. keine Beauftragten der Krankenkassen. 67 Die durch die Politik insoweit ausgemachte Strafbarkeitslücke wurde durch die Einführung der §§ 299 a ff. StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen 2016 adressiert. Der von § 299 StGB weiter geforderte geschäftliche Betrieb als Rahmen der Tathandlung erfasst jede auf gewisse Dauer betriebene Tätigkeit im Wirtschaftsleben, die durch Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet ist; eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich, so dass auch wohltätige bzw. soziale, nicht aber gesetz- oder sittenwidrige Zwecke geschäftlicher Betrieb iSv § 299 StGB sein können. 68 Die Tätigkeit der öffentlichen Behörden fällt

62 63 64 65 66 67 68

Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 417 f. Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 417. Fischer, StGB 2017, § 299, Rn. 14 f. Fischer, StGB 2017, § 299, Rn. 12 f. (z. T. strittig). Fischer, StGB 2017, § 299, Rn. 15. BGH GSST, NJW 2012, 2530, Rn. 14 ff. MüKoStGB/Korte 2019, § 299, Rn. 54.

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allenfalls bei fiskalischem Handeln unter den Tatbestand von § 299 StGB. 69 Schließlich unterscheidet § 299 StGB zwischen wettbewerbsbezogener und pflichtenverletzender Korruption. Das KBekG 2015 ergänzt die wettbewerbsbezogene Tatbestandsvariante (Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1) um eine auf die Verletzung einer Pflicht gegenüber dem an- bzw. bestellenden Unternehmen bezogene Tatbestandsvariante in Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2. Die wettbewerbsbezogene Korruption setzt eine Bevorzugung im Wettbewerb in unlauterer Weise voraus. Entscheidend ist somit, dass die auch von § 299 StGB verlangte Unrechtsvereinbarung eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb mit einer Vorteilszuwendung verknüpft. 70 Da, wie schon angedeutet, die Unrechtsvereinbarung des § 299 StGB nicht iSv §§ 331 ff. StGB ›gelockert‹ ist, werden Zuwendungen zur Herbeiführung generellen Wohlwollens (Klimapflege) nicht erfasst. 71 Die Bevorzugung iSv § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 meint eine Gewährung von Vorteilen im Wettbewerb gegenüber Mitbewerbern; unlauter ist die Gewährung, wenn sie geeignet ist, Mitbewerber durch Umgehung von Wettbewerbsregeln bzw. ›Ausschaltung‹ der Konkurrenz zu schädigen. 72 Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung sachgerechter von sachwidrigen Bevorzugungen, wobei die Üblichkeit von Schmiergeldzahlungen letztere nicht lauter werden lässt. 73 Die pflichtenverletzende Korruption (§ 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB) beruht auf einem Geschäftsherrenmodell; erfasst werden Vorteile als Gegenleistung dafür, dass die bestochene Person Pflichten gegenüber ihrem Dienstherrn verletzt. 74 Die Pflichtverletzung kann jede Handlung/Unterlassung sein, die geeignet ist, Vermögensinteressen des Geschäftsherrn im Hinblick auf einen konkreten Vorgang des Bezugs von Waren bzw. Dienstleistungen zu schädigen: Unterlassen von Mängelrügen, Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung etc. 75

Leitner/Rosenau/Gaede, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2017, § 299, Rn. 23. Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht 2014, Rn. 423. 71 Leitner/Rosenau/Gaede, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2017, § 299, Rn. 23. 72 Fischer, StGB 2017, § 299, Rn. 27. 73 Fischer, StGB 2017, § 299, Rn. 29. Vgl auch. Leitner/Rosenau/Gaede, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht 2017, § 299, Rn. 69. 74 Instruktiv und kritsch Dann, NJW 2016, 203, 204 f. 75 Fischer, StGB 2017, § 299, Rn 36. 69 70

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In den Rechtsfolgen zeigt sich § 299 StGB im Vergleich zu § 331 ff. StGB zurückhaltend. Verwirkt wird Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Der Versuch ist nicht strafbar. Nach § 301 StGB ist § 299 StGB in allen Varianten relatives Antragsdelikt (§§ 331 ff. StGB: Offizialdelikte).

IV. Im Zuge anhaltender Globalisierung wirtschaftlicher Aktivität gewinnt die Auslandsbestechung im Sinne eines transnationalen Phänomens 76 erheblich an Bedeutung. Unterschieden werden muss zwischen Völkerrecht, Europarecht und nationalem Recht. 1.) Das Völkerrecht verpflichtet grundsätzlich nur Staaten. 77 Es hat (in der Regel) keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Strafbarkeit 78 von natürlichen bzw. – soweit diese überhaupt anerkannt ist – von juristischen Personen. Eine eigentliche praktische Wirksamkeit entfaltet das korruptionsrelevante Völkerrecht damit nur insoweit, wie es durch einzelne Staaten in nationales Recht umgesetzt wird. Relevant ist zunächst das OECD-Übereinkommen vom 17. 12. 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr. Es enthält in Art. 1 die Verpflichtung zur Schaffung eines Straftatbestands ›Bestechung ausländischer Amtsträger‹. Zudem sollen nach Art. 2 (auch) juristische Personen für derartige Taten verantwortlich gemacht werden können. 79 Die Umsetzung in der Bundesrepublik erfolgte (zunächst) durch das IntBestG vom 10. 09. 1998. 80 Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31. 10. 2003 verlangt die Schaffung von Straftatbeständen zu verschiedenen, oft politisch unterlegten Formen der Korruption. Soweit eine Umsetzung des Übereinkommens in nationales Recht noch Vgl. Jessup, Transnational Law 1956, 2. Kimminich/Hobe, Völkerrecht 2014, 67. 78 Zum (ausnahmsweise) unmittelbaren Charakter des Völkerstrafrechts vgl. MüKoStGB/Ambos 2017, Vorbemerkung § 3, Rn. 5. 79 Zu den entsprechenden deutschen Regelungen (§ 30 OWiG) kritisch: OECD, Implementing the OECD Anti-Bribery Convention – Phase 4 Report: Germany, 84 ff. (recommendations 1a, 2c, 3d, 4d, 6a-d). 80 BGBl. II, 2327. 76 77

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erforderlich war, erfolgte sie durch das 48. StRÄndG 2014, 81 das § 108 e StGB (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern) erweiterte. Das Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption vom 27. 01. 1999 etablierte einheitliche Mindeststandards bei der strafrechtlichen Korruptionsbekämpfung auch für den innerstaatlichen Bereich. 82 Die Umsetzung erfolgte maßgeblich durch das KBekG 2015. 2.) Die Bindungswirkung des Europäischen Rechts ist für das Strafrecht oft völkerrechtsähnlich, bei teilweise auch unmittelbaren Ansätzen. 83 Das Primärrecht gibt der Union eine letztlich nur recht begrenzte Möglichkeit auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung. 84 Nach Art. 325 Abs. 4 AEUV besteht zwar nun – im Sinne eines Einfallstors supranationaler Strafgesetzgebung – eine originäre Rechtssetzungskompetenz der Union, 85 doch bleibt diese beschränkt auf die Abwehr von gegen die finanziellen Interessen gerade der Union gerichtete Handlungen, Art 325 Abs. 1 AEUV. Das Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1996), 86 ergänzt durch das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beteiligt sind (1997), 87 verpflichtet zur Schaffung von Straftatbeständen insbesondere hinsichtlich korrupter europäischer Beamter. 88 Die Umsetzung in nationales Recht erfolgte zunächst durch das EUBestG vom 10. 09. 1998. 89 Das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EG und die ergänzenden Protokolle wurden inzwischen durch die Richtlinie 2017/1371 vom 05. 07. 2017 über die strafrechtliche BeBGBl. I, 410. MüKoStGB/Korte 2019, § 331, Rn. 34. 83 MüKoStGB/Ambos 2017, Vorbemerkung § 3, Rn. 7. 84 Insgesamt kritisch: Calliess/Ruffert/Waldhoff, EUV/AEUV 2016, Art. 325 AEUV, Rn. 28. 85 Calliess/Ruffert/Waldhoff, EUV/AEUV 2016, Art. 325 AEUV, Rn. 18. 86 ABl. 1996 C 313, 1. 87 ABl. 1997 C 195, 1. 88 MüKoStGB/Korte 2019, § 331, Rn. 28. 89 BGBl. II, 2340. 81 82

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kämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug ersetzt. 90 Im Rahmen der Umsetzung wird wohl eine Erweiterung der §§ 331, 333 StGB nötig werden, da die Richtlinie Vorgaben zu einem Korruptionsstraftatbestand enthält, der keine Verletzung von Dienstpflichten voraussetzt. 91 Die Aufgabe von OLAF (Office européen de lutte antifraude), errichtet durch Beschluss der Kommission vom 28. 04. 1999 92 ist die Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zum Schaden der finanziellen Interessen der Union inner- und außerhalb europäischer Behörden. OLAF erscheint in hohem Maße reformbedürftig. 93 3.) Global prägend ist zudem das angelsächsische Regelungsregime. 94 Die USA sind – als ›Mutterland der Compliance‹ – Vorreiter bei Korruptionsproblematisierung und -bekämpfung. 95 Der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) 1977 bestraft die Bestechung ausländischer Amtsträger und damit verbundener unrichtiger Buchführung. 96 Eine Jurisdiktion für die Strafverfolgung nach dem FCPA besteht schon dann, wenn auch nur eine einzelne Tathandlung auf dem Staatsgebiet der USA erfolgt. 97 Diese Doktrin wird in der Praxis großzügig gehandhabt; es genügen bspw. Zahlungsmittelflüsse über Konten in den USA oder E-Mail-Verkehr mit US-amerikanischen Adressaten. 98 Die Strafzumessung richtet sich in der Praxis (bei bundesrechtlicher Verurteilung) nach den US Sentencing Guidelines. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der im angelsächsischen Recht weithin anerkannten Unternehmensstrafbarkeit kann das Bemühen, durch ein effektives Compliance-Programm Straftaten zu verhindern, wesentlich mildernd wirken. 99 Auch in der Bundesrepublik sind derartige Ansätze nun anerkannt. 100 ABl. 2017 L 198, 29. MüKoStGB/Korte 2019, § 331, Rn. 30. 92 ABl. 1999 L 136, 20. 93 Calliess/Ruffert/Waldhoff, EUV/AEUV 2016, Art. 325 AEUV, Rn. 28. 94 Kappel/Junkers, NZWiSt 2016, 382. 95 Moosmayer, Compliance 2015, Rn. 17. 96 Ausführlich Rübenstahl, NZWiSt 2012, 401, 402 ff. 97 Moosmayer, Compliance 2015, Rn. 17. 98 Rübenstahl, NZWiSt 2013, 281, 284. 99 Moosmayer, Compliance 2015, Rn. 17; ausführlich Spehl/Weaver, CCZ 2017, 107. 100 BGH, NZWiSt 2016, 379, Rn. 118. 90 91

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Auch der Bribery Act 2010 des Vereinigten Königreichs entfaltet erhebliche globale Wirkung, indem er alle geschäftlich im UK tätigen Personen erfasst, wobei schon der Betrieb eines reinen Exportgeschäfts genügt. 101 Bestraft wird Korruption im öffentlichen und privaten Sektor; ausdrücklich genannt werden »Beschleunigungszahlungen.« 102 Recht robust ausgestaltet sind die Rechtsfolgen. Vorgesehen sind betragsmäßig unbegrenzte Geldstrafen, eine Haftung des Unternehmens für Mitarbeiter und Beauftragte sowie Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren. 103 Wie auch in den USA, beeinflusst ein adäquates Compliance-Programm die Strafzumessung zugunsten des Unternehmens. 104 4.) Das deutsche Korruptionsstrafrecht ist in Hinblick auf seine Außenwirkung nunmehr wesentlich durch das KBekG 2015 bestimmt, das die zuvor in den EUBestG, IntBestG enthaltenen Straftatbestände zur Auslandskorruption in das Kernstrafrecht (StGB) überführte. 105 Hinsichtlich der §§ 331 ff. StGB wurde in § 5 StGB eine neue Nr. 15 eingefügt, durch die das Territorialitätsprinzip (nach dem das Recht des Tatorts gilt, so dass es für Korruptionstaten als abstrakte Gefährdungsdelikte auf die Vornahme der Tathandlung und nicht auf den Eintritt eines Erfolgs ankommt) durchbrochen wird. 106 Die §§ 331 ff. StGB sind danach auch unabhängig vom Recht des Tatorts anwendbar, wenn der Täter deutscher oder europäischer Amtsträger mit Dienststelle im Inland ist oder die Tat gegenüber einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, einem Soldaten der Bundeswehr, einem Europäischen Amtsträger oder Schiedsrichter oder einer nach § 335 a StGB gleichgestellten Person mit jeweils deutscher Staatsangehörigkeit begangen wird. Der neu in das StGB eingeführte Begriff des europäischen Amtsträgers erweitert die Strafbarkeit nach §§ 331 ff. StGB auf Personen iSv § 11 Nr. 2 a StGB. Erfasst werden insbesondere Mitglieder, Be-

Moosmayer, Compliance 2015, Rn. 31; ausführlich Deister/Geier, CCZ 2011, 12, 17 f. 102 Moosmayer, Compliance 2015, Rn. 31. 103 Moosmayer, Compliance 2015, Rn. 31. 104 Deister/Geier, CCZ 2011, 12, 15 ff. 105 Kappel/Junkers, NZWiSt 2016, 382, 384. 106 Schönke/Schröder/Eser/Weißer, StGB 2019, Vorbemerkungen zu §§ 3–9, Rn. 17 f.; Kappel/Junkers, NZWiSt 2016, 382, 383. 101

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amte und sonstige Bedienstete (auch Richter) der europäischen Institutionen. Mit der Einführung des § 335 a StGB wurden vor allem die in §§ 332, 334 StGB verwendeten Begriffe Richter und Amtsträger um Mitglieder eines ausländischen/internationalen Gerichts und Bedienstete ausländischer Staaten oder internationaler Organisationen erweitert. Der noch vom IntBestG geforderte Bezug der Bestechung zum internationalen geschäftlichen Verkehr ist ersatzlos weggefallen, so dass nunmehr ein grenzüberschreitender Sachverhalt nicht mehr erforderlich ist; auch eine rein lokale Vorteilsgewährung genügt. 107 Die Vorschrift des § 299 StGB wurde hinsichtlich ihrer Auslandswirkung durch das KBekG 2015 nicht wesentlich berührt, so dass für § 299 StGB allein das Strafanwendungsrecht nach §§ 3, 7, 9 StGB und damit im Wesentlichen das Territorialitätsprinzip gilt. 108 Da § 299 StGB aber gerade auch den ausländischen Wettbewerb anspricht, werden Bestechungszahlungen in das bzw. aus dem Ausland regelmäßig erfasst. 109 Bestechungszahlungen im Ausland sind indes oft nicht nach § 299 StGB strafbar, da § 7 Abs. 1 StGB nur natürliche Personen betrifft. 110 Einschlägig kann aber § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB sein, wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist.

V. Auch unter einem korruptionsstrafrechtlichen Blickwinkel kann ein Blick in das Steuerrecht lohnend sein, da die Verletzung steuerlicher Pflichten (u. a.) durch die Strafvorschrift des § 370 AO sanktioniert wird, die – gerade in Hinblick auf schwer nachweisbare Taten nach § 299 StGB – als ein ›Auffangstrafrecht‹ fungieren kann. 111 Strafbar nach § 370 AO sind unrichtige bzw. unvollständige Angaben zu steuerlich erheblichen Tatsachen oder die Verletzung von Erklärungspflichten. Als Konsequenz dieser Handlungen muss sich eine Steuer-

107 108 109 110 111

Kappel/Junkers, NZWiSt 2016, 382, 385. MüKoStGB/Krick 2019, § 299, Rn. 114. Kappel/Junkers, NZWiSt 2016, 382, 386. Fischer, StGB 2017, § 7, Rn. 3 (strittig). Gotzens, DStR 2005, 673, 678.

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verkürzung (keine, zu niedrige oder verspätete Steuerfestsetzung, § 370 Abs. 4 S. 1 AO) ergeben. Entscheidend ist damit, wie das materielle Steuerrecht korruptive Zuwendungen erfasst. Dabei soll der Einfachheit halber auf das zuvörderst einschlägige Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerrecht eingegangen werden, wobei aber nicht verschwiegen werden darf, dass auch andere Steuerarten – die Umsatzsteuer bspw. – Bedeutung haben können. Auf der Ausgabenseite stellen §§ 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 1, 9 Abs. 5 S. 1 EStG als Ausnahme zu § 40 AO nunmehr klar, dass bestechende Zuwendungen zwar Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten sind, den Gewinn aber nicht mindern können (›Abzugsverbot‹). Erfasst wird die Zuwendung von Vorteilen als rechtswidrige Handlung, die den Tatbestand eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitengesetzes verwirklicht. 112 Der objektive, rechtswidrige Tatbestand genügt; ein Verschulden oder ein Strafantrag wird nicht verlangt. 113 Die durch § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 1 EStG angeordnete Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips dürfte verfassungsrechtlich haltbar sein. 114 Verfahrensrechtlich gilt nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 2, 3 EStG eine wechselseitige Unterrichtungsverpflichtung zwischen Finanzbehörden und Gerichten, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden über den Verdacht einer Tat iSv § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 1 EStG. Die damit aus § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 3 EStG folgende Durchbrechung des Steuergeheimnisses ist nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO zulässig. 115 Auf Einnahmenseite sind korrumpierende Zuwendungen ohne weiteres Einkünfte. 116 Für Arbeitnehmer sind bestechende Zuwendungen keine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, da (zumeist) ohne Wissen und gegen die Interessen des Arbeitgebers vorgegangen wird. Damit sind die Zuwendungen nicht durch das Arbeitsverhältnis veranlasst; sie werden aber als sonstige Einkünfte iSv § 22 Nr. 3 EStG erfasst. 117 Im Übrigen können Bestechungsleistungen auch den anderen Einkunftsarten zugerechnet werden (Kapitalvermögen, Gewerbebetrieb). Im Zweifel greift jedenfalls stets § 22 Nr. 3 EStG. 112 113 114 115 116 117

Blümich/Wied, EStG 2019, § 4, Rn. 904 Blümich/Wied, EStG 2019, § 4, Rn. 905. Blümich/Wied, EStG 2019, § 4, Rn. 900. Kritisch Klein/Rüsken, AO 2018, § 30, Rn. 118. BFH, NJW 2000, 2918; BGH, NStZ-RR 2004, 242, 243. BFH, NJW 2000, 2918.

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Korruption als rechtliches Phänomen

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine steuerrechtliche Erklärungspflicht zu korruptiven Einkünften bzw. Ausgaben werden vom BGH nicht geteilt. 118 Die Selbstbelastungsfreiheit 119 sei schon deshalb nicht verletzt, weil die steuerrechtliche Pflicht nur eine betragsmäßige Offenbarung verlangt, zudem bestünde Schutz durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) und das Verwertungsverbot (§ 393 Abs. 2 AO). 120 Danach ist § 370 AO also regelmäßig einschlägig, wenn Bestechungsleistungen gewinnmindernd oder nicht als Einkünfte erklärt werden. In den Rechtsfolgen zeigt sich § 370 AO im Übrigen durchaus auch schärfer als § 299 StGB. Verwirkt ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

VI. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Korruption als rechtliches Phänomen vielgestaltig auftritt. Die Bekämpfung von Korruption erfolgt auf verschiedenen Ebenen, sei es in der Privatwirtschaft durch die Festlegung entsprechender Compliance- und Verhaltensregelungen. Im öffentlichen Dienst erfolgen Festlegungen über akzeptable (und akzeptierte) Verhaltensweisen und deren Abgrenzungen zu dienstrechtlich nicht hinnehmbaren Verhaltensweisen über Dienstvereinbarungen und Richtlinien sowie im Einzelfall auch über gesetzliche Festlegungen, z. B. in beamtenrechtlichen Vorschriften. Schwerpunkt der Bekämpfung ist aber sicher das Strafrecht, in dem der Begriff ›Korruption‹ allerdings gar nicht verwendet wird, sondern lediglich in den Änderungsgesetzen im Titel aufgeführt wird. Ergänzt und z. T. angetrieben werden die deutschen Strafvorschriften durch europäische und völkerrechtliche Regelungen. Rein zahlenmäßig ist ›Korruption‹ in Deutschland nicht besorgniserregend verbreitet. Alleine von den Fallzahlen, wobei allerdings ein beträchtlicher Anteil von Taten im Dunkelfeld liegen dürfte, gehören die ›Korruptionsdelikte‹ zu den kleineren Straftatengruppen. Allerdings darf nicht unterschätzt werden, dass Korruption mittel118 119 120

BGH, NStZ-RR 2004, 242, 243. Allgemein: BGH, NJW 2018, 1986, Rn. 23. BGH, NStZ-RR 2004, 242, 243; Klein/Jäger, AO 2018, Rn. 31.

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bis langfristig das Vertrauen in den Rechtsstaat mit einer Vielzahl von nachteiligen Folgen untergräbt, sowohl für die Wirtschaft als auch für den Einzelnen. Insofern ist der Kampf gegen Korruption auf allen Ebenen des Rechts eine rechtliche, politische und gesellschaftliche Verpflichtung.

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Der Korruptionsfall Siemens

1.

Einleitung

Als im Jahre 2006 der Bestechungsskandal um das deutsche Vorzeigeunternehmen Siemens bekannt wurde, schätzten Experten, dass weltweit rund 28 Prozent der deutschen Unternehmen, 44 Prozent aller US-amerikanischen Unternehmen und 76 Prozent allein der in Hongkong ansässigen chinesischen Unternehmen Aufträge durch Korruption ihrer Konkurrenten verloren haben (Control Risks Group/Simmons & Simmons 2006). Trotz der weltweiten Bemühungen, Korruption in den Folgejahren durch strengere Gesetzgebung und verstärkte Kontrollen zu bekämpfen, schätzen aktuell weiterhin 23 Prozent aller deutschen und 24 der US-amerikanischen Unternehmen, im internationalen Wettbewerb Aufträge durch das korrupte Verhalten ihrer Mitbewerber zu verlieren. Zudem gehört die Zahlung von Schmiergeldern in einigen Branchen, wie etwa in der Bauindustrie, weiterhin zum Alltagsgeschäft, da ohne derartige Zahlungen an Verwaltungsbeamte die normale Geschäftsabwicklung in einigen Ländern überhaupt nicht möglich wäre (Control Risks Group/Simmons & Simmons 2018). Damit ist Korruption kein »endemisches« Problem einzelner, ökonomisch unterentwickelter Länder, das durch ungenügende Gesetzgebung, laxe Rechtsdurchsetzung, mangelnde staatliche Kontrolle und niedrige Beamtengehälter verursacht ist. Korruptes Verhalten, in seinen unterschiedlichsten Formen, ist auch ein Problem westlicher, multinational tätiger Unternehmen. Welche Ursachen hierfür eine Rolle spielen können, soll im Folgenden exemplarisch anhand des Bestechungsskandals des deutschen Elektronikkonzerns Siemens aus dem Jahre 2006 näher analysiert werden.

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2.

Was ist Korruption?

In seinem Buch »Bribes – The Intellectual History of a Moral Idea« bringt John T. Noonan den moralisch fragwürdigen Charakter von Korruption auf den Punkt. Er schreibt: »Bribery is universally shameful. Not a country in the world which does not treat bribery as criminal on its lawbooks. (…) In no country do bribetakers speak publicly of their bribes, or bribegivers announce the bribes they pay. No newspaper lists them. No one advertises that he can arrange a bribe. No one is honoured precisely because he is a big briber or a big bribe.« (Noonan 1984, S. 702) Doch trotz dieser offensichtlich weltweiten Ächtung von Korruption scheint es schwierig, das Wesen von Korruption exakt zu bestimmen. Trotz zahlreicher Definitionsversuche und Klassifizierungen unterschiedlichster als korrupt anzusehender Verhaltensweisen bleibt der Begriff Korruption vage (Everett et al. 2006) und wird in unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich weit gefasst. Obwohl in der Literatur eine gewisse Einigkeit darüber herrscht, dass korruptes Verhalten im Kern durch den Missbrauch anvertrauter Macht zur Erlangung persönlicher Vorteile gekennzeichnet ist, existieren dennoch unterschiedliche Vorstellungen dessen, was als Amtsmissbrauch oder als ungerechtfertigte Vorteilsnahme zu sehen ist. Um das Wesen von Korruption genauer zu bestimmen, scheint es nötig, sich zunächst einen Überblick über unterschiedliche Definitionen von Korruption zu verschaffen, unterschiedliche Formen von Korruption zu unterscheiden und ihre negativen gesellschaftlichen Auswirkungen zu analysieren.

2.1 Korruption – Versuch einer Definition Das Phänomen der Korruption wird von unterschiedlichen Wissenschaften aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert. So befassen sich etwa Juristen, Soziologen, Politikwissenschaftler, Moralphilosophen und Ökonomen mit dem Thema und haben entsprechend ihrer wissenschaftlichen Zielsetzung jeweils eigene, unterschiedliche Definitionen korrupten Verhaltens erarbeitet. So etwa erweist sich aus Sicht der Politikwissenschaft Korruption als ein Problem, da sie die politische Entwicklung eines Landes behindert und das Vertrauen in politische Institutionen und Amtsträger beeinträchtigt. Joseph S. Nye definiert Korruption daher als ein Verhalten, das im Gegensatz 100 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Der Korruptionsfall Siemens

zu den formalen Pflichten eines Amtes steht, persönlichen monetären oder anderen Vorteilsinteressen dient und allgemein anerkannte Regeln zur Beschränkung persönlicher Einflussnahme verletzt (Nye 1967). Während hier vor allem das Fehlverhalten politischer Mandatsträger im Vordergrund steht, beziehen andere Definitionsversuche auch das Fehlverhalten ökonomischer Akteure mit ein. So definiert etwa Antonio Argandoña Korruption als jede Tätigkeit, die darauf abzielt, Geschenke oder andere Dinge von Wert zu erhalten, um hierfür im Gegenzug Handlungen zu unternehmen oder zu unterlassen, die den Schenkenden begünstigen, obwohl dies die Dienstpflichten verletzt. Zudem betont Argandoña den konspirativen Charakter von Korruption, da ein derartiger Austausch von Gefälligkeiten vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleiben soll (Argandoña 2005). Andere Definitionsversuche bauen auf die so genannte »Prinzipal-Agententheorie« (Jensen & Meckling 1976) auf und stellen die Vertragsbeziehungen zwischen Anteilseignern und weisungsgebundenen Managern in modernen Kapitalgesellschaften in den Vordergrund. Dabei beauftragt der Anteilseigner (Prinzipal) einen Manager (Agenten) mit der Geschäftsführung und ergreift Maßnahmen, damit dieser die Geschäfte in seinem Sinne führt. Problematisch an einer derartigen Beziehung ist, dass der Agent stets einen gewissen Freiraum besitzt, seine persönlichen Interessen über die seines Auftraggebers zu stellen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, die Entscheidung des Agenten durch Bestechungszahlungen zu beeinflussen, der damit zwar seine Pflichten gegenüber dem Prinzipal verletzt, gleichzeitig aber seinen eigenen Nutzen maximiert. Mithin lässt sich in dieser Sichtweise Korruption als die illegitime Beeinflussung eines seitens eines Prinzipals mit der Geschäfts- oder Amtsführung beauftragten Agenten durch eine außerhalb der Agenturbeziehung stehende dritte Partei beschreiben, mit dem Ziel, die Entscheidung des Agenten zu Gunsten dieser dritten Partei und möglicher Weise gegen die Interessen des Prinzipals zu beeinflussen (Rose-Ackerman 1978, S. 6 f.). Eine der wohl am häufigsten verwendeten Kurzdefinitionen korrupten Verhaltens stammt von Transparancy International, einer Regierungsorganisation, die sich den Kampf gegen Korruption in all ihren Formen zum Ziel gesetzt hat. Transparancy International definiert Korruption als »Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil« (Transpareny International 2019), gesteht je101 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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doch zugleich zu: »Der Begriff Korruption ist so undurchsichtig wie die Strukturen, in denen Korruption gedeiht.« (ibd.) Doch trotz aller Unterschiede lassen sich einige Kernelemente korrupten Verhaltens, die fast allen Definitionen zugrunde liegen, zusammenfassen. Korruption bezeichnet einen Machtmissbrauch und die Umgehung etablierter Regeln. Es handelt sich um ein Vergehen, das in der Regel von Individuen begangen wird, mit dem Ziel, sich selbst oder Familienangehörigen oder Freunden Vorteile zu verschaffen. Hierfür werden im Austausch ungerechtfertigte »Gefälligkeiten« erwiesen, sei es gegenüber Einzelpersonen oder einer Organisation oder Unternehmung. Diese Vorteilsgewährung findet in der Regel heimlich statt. Dabei lassen sich unterschiedliche Formen von Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung unterscheiden, die im Folgenden näher analysiert werden sollen.

2.2 Formen korrupten Verhaltens Grundsätzlich kann Korruption verschiedene Formen annehmen und beinhaltet in einer weiten Fassung auch Praktiken wie die Bestechung von Amtsträgern und Geschäftspartnern, Schmiergeldzahlungen, Veruntreuung anvertrauter Vermögenswerte, Unterschlagung von Firmeneigentum, illegale Parteispenden, Nepotismus und »Vetternwirtschaft«, Geldwäsche, Handel mit Insider-Informationen, Vergabe und Annahme unangemessen teurer Geschenke, Einladungen und Urlaubsreisen etc. (Rose-Ackerman 1999, S. 8–9; Asforth et al. 2008). Eine erste systematische Unterscheidung lässt sich zunächst hinsichtlich des Ausmaßes von Korruption treffen. So unterscheidet Susan Rose-Ackerman zwischen »Petty Corruption« und »Grand Corruption« (Rose-Ackerman 2006, S. xvii–xx). »Petty Corruption« bezeichnet Zahlungen oder Geschenke für kleinere Gefälligkeiten, die zumeist auf unteren Hierarchieebenen entrichtet oder ausgetauscht werden. Derartige Austauschbeziehungen entstehen zumeist »ad hoc« und situationsabhängig und werden nicht systematisch organisiert. Typische Beispiele sind Schmiergeldzahlungen an Beamte für die beschleunigte Ausstellung von Dokumenten oder die bevorzugte Bearbeitung von Anträgen. Derartige Zahlungen können sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen geleistet werden und sind als »Alltagspraktiken« in verschiedenen Ländern weit verbreitet (Argandoña 2017, S. 49 f.). »Grand Corruption« bezeichnet demgegen102 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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über größere Geldzahlungen oder Leistungen zur Erlangung von »Monopolvorteilen«, z. B. bei der staatlichen Auftragsvergabe bei Großprojekten, und findet zumeist auf einer höheren Hierarchieebene statt. Auch der »Organisationsgrad« des Leistungsaustauschs ist weit komplexer und umfasst beispielsweise die Einrichtung von Schwarzgeldkonten, über die die entsprechenden Zahlungstransfers außerhalb der Firmenkonten abgewickelt werden können. Beispiele für derartige Korruptionspraktiken finden sich daher insbesondere in Branchen, die von staatlicher Auftragsvergabe profitieren, so etwa in der Bauindustrie oder im Anlagenbau. Eine weitere Unterscheidung verschiedener Korruptionsformen betrifft die Zwecksetzung der Zahlungen. So unterscheidet Brian Husted (1994) zwischen »According-to-Rule Transactions« und »Against-Rule Transactions«. Erstere werden geleistet, um eine Leistung, die dem Bestechenden legal zusteht, schneller zu erhalten. Zumeist werden derartige Bestechungszahlungen durch künstliche bürokratische Hürden erzwungen, die es dem Antragsteller schwer bis unmöglich machen, die einzufordernde Leistung auf legalem Wege zu erhalten. Demgegenüber werden »Against-Rule Transactions« geleistet, um dem Bestechenden illegale Vorteile zu verschaffen. Hier hat der Bestechende keinerlei legalen Anspruch auf eine Leistung und versucht, diese auf dem Wege der Bestechung entgegen der bestehenden Rechtslage zu erhalten. Allerdings scheint diese Unterscheidung nur auf den ersten Blick trennscharf zu sein. So lässt sich im Einzelfall nur schwer beurteilen, ob beispielsweise die Bestechung eines Zollbeamten dazu dient, die Abfertigung der zolllagernden Waren oder Analgen zu beschleunigen, oder dazu genutzt wird, die üblichen Prüfroutinen und Inspektionen zu vermeiden. Auch lässt sich diese Unterscheidung nur bedingt auf andere Formen korrupten Verhaltens wie etwa Nepotismus oder illegale Parteispenden anwenden.

2.3 Auswirkungen korrupten Verhaltens Während »Grand Corruption« wohl von den meisten Menschen intuitiv als moralisch falsch und als sozial gefährliche Praxis beurteilt wird, werden »Petty Payments« oftmals als notwendiges Übel aber als weniger problematisch erachtet. Zudem sind hier die Grenzen zwischen den als legitim und den als illegitim geltenden Praktiken fließend und variieren je nach Kulturkreis. Typische Beispiele hierfür 103 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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sind die Vergabe und Annahme von Geschenken, Einladungen zum Essen oder zu Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen, Trinkgelder etc. Hier sind die Grenzen meist fließend und es bleibt schwer zu unterscheiden, welche Motivlage die jeweiligen Einladungen und Geschenke beeinflusst und ab wann der hier betriebene Aufwand als »übertrieben« und damit als nicht mehr konform mit den üblichen, in einer Kultur verbreiteten Praktiken bewertet werden muss. Obwohl derartige Praktiken in der Regel dazu dienen, Geschäftspartner näher kennenzulernen oder bestehende Geschäftsbeziehungen zu stabilisieren und in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich bewertet werden (Argandoña 2005; Rose-Ackerman 1998, S. 298–303), scheint es doch auch hier eine Grenze dessen zu geben, was als allgemein üblich und »anständig« betrachtet wird. Betrachtet man die negativen Konsequenzen korrupten Verhaltens, so lassen sich unterschiedliche Blickwinkel einnehmen (Everett et al. 2006; Ashforth et al. 2008; Claussen 2011, S. 58–64): (a) Aus sozialpolitischer Perspektive sind es vor allem die mit Korruption verbundene Begünstigung von Eliten auf Kosten der übrigen Bürger und die damit einhergehende Förderung sozialer Ungleichheit, die im Zentrum der Kritik stehen. Zugleich gefährde Korruption staatliche Autorität, untergrabe die Legitimität staatlicher Organe und schwäche die moralische Integrität staatlicher Behörden, da sie zu einem abnehmenden Respekt gegenüber rechtlichen Vorschriften beitrage. Auch beschränke Korruption die Möglichkeiten demokratischer Kontrolle und verschlechtere die Qualität der staatlichen Infrastruktur, insbesondere im Bereich von Bildungs- und Sozialleistungen. (b) Aus ethischer Sicht lassen sich vor allem der mit Korruption einhergehende Vertrauensbruch des Bestochenen gegenüber seinem Auftraggeber, der Missbrauch von anvertrauter Macht und die Verletzung allgemein als richtig anerkannter Verhaltensstandards als Probleme benennen. Korruption verursache zusätzliche Kosten in der Gemeinschaft und benachteilige diejenigen, die nicht zahlen können. Problematisch sei zudem, dass die Duldung korrupten Verhaltens zu einer allgemeinen Verschlechterung des Rechtsempfindens führe und damit den Nährboden für andere Formen von Ungerechtigkeit und Ausbeutung bilde. Da die Beteiligten darum bemüht sind, ihr korruptes Verhalten zu verbergen, führe dies zu weiteren illegalen Folgetaten und fördere so weitere Formen ungesetzlichen Verhaltens. (c) Ökonomisch betrachtet, umfassen die negativen Aspekte von 104 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Korruption den Einkommensverlust des Staates durch sinkende Steuereinnahmen, die steigenden Kosten der Beschaffung bei gleichzeitig geringer werdender ökonomischer Leistung und die schlechtere Qualität der produzierten Güter und Dienstleistungen. Zudem beeinträchtige Korruption eine effiziente Allokation von Gütern und Dienstleitungen, verringere den Wettbewerbsdruck und verhindere damit Innovationen, was letztlich zu einer Verringerung des ökonomischen Wachstums führe. Auch führe Korruption zu einer Verunsicherung ausländischer Investoren und damit zu einer Verringerung ausländischer Direktinvestitionen. Trotz der insbesondere in den meisten westlichen Industrienationen vorherrschenden Meinung, bei Korruption handle es sich lediglich um die dubiosen Machenschaften einiger schwarzer Schafe in besonders korruptionsanfälligen Branchen oder in einigen wenigen korruptionsbelasteten Ländern, stellt Korruption ein globales Problem dar, dessen Ursachen unterschiedlicher Natur sind und das auch die Geschäftsbeziehungen insbesondere multinational operierender Unternehmen beeinflusst.

3.

Geschäftsbeziehungen in einem korrupten Umfeld

Grundsätzlich ist es schwierig, die Gründe für Korruption einheitlich zu bestimmen. So gilt es zu beachten, dass die Bestimmung dessen, was als Bestechung und was als legitime Geschäftspraxis gilt, in unterschiedlichen Kulturkreisen durchaus voneinander abweicht. In einigen Ländern gelten Geschenke als Mittel der Geschäftsanbahnung oder als Instrument, um Geschäftsbeziehungen zu festigen. In anderen Ländern gelten derartige Geschenkpraktiken als illegitime Einflussnahme auf die Entscheidung von Geschäftspartnern und werden strikt untersagt. Auch wird in einigen Ländern die Bevorzugung von Verwandten oder Bekannten bei der Berufseinstellungen oder der Vergabe von Aufträgen »erwartet«. In anderen Ländern zählen bei der Einstellung und Auftragsvergabe ausschließlich persönliche Eignung oder Leistung. Damit erscheint in einigen Kulturkreisen das, was in anderen Ländern als illegitime Bevorzugung gilt und als Nepotismus geächtet wird, als normale Verhaltensweise. Ebenso schwierig ist es, einzelne Ursachen für eine gesteigerte Korruptionsanfälligkeit zu benennen. So mögen niedrige Beamtengehälter, laxe Aufsicht durch Vorgesetzte, soziale Akzeptanz von 105 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Schmiergeldzahlungen und undurchsichtige Regelungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe korruptes Verhalten befördern. Als alleinige Erklärung der Ursachen für korruptes Verhalten bleiben diese Faktoren jedoch ungenügend. Auch scheint korruptes Verhalten nicht immer sozial dysfunktional zu sein. So lässt sich etwa darauf verweisen, dass Korruption durchaus dazu beitragen kann, die Effizienz bürokratischer Prozesse zu verbessern und so zur »Effizienzsteigerung« führt (Claussen 2011, S. 55 ff.). Dabei wirken Schmiergeldzahlungen als zusätzlicher Anreiz für die Bürokratie und unterstreichen in ihrer Höhe die »Dringlichkeit« des Antrages. Dies erlaube es, Anträge systematisch nach dem »Bedarf« der Antragsteller zu sortieren und entsprechend abzuarbeiten. Wenngleich dieses Argument auf den ersten Blick fadenscheinig erscheinen mag, finden derartige Regelungen durchaus auch den Weg in die offizielle Verwaltungspraxis, man denke beispielsweise an so genannte Expressgebühren bei der Ausstellung von Einreiseanträgen etc. Allerdings werden derartige Gebühren offiziell erhoben und bilden keine zusätzliche Einnahmequelle des bearbeitenden Beamten. Auch für die in einigen Ländern stark verbreitete Praxis, gute Geschäftsbeziehungen durch den Austausch von teuren Geschenken zu unterstreichen, lassen sich soziale Gründe anführen. So signalisieren teure Geschenke die ökonomische »Leistungsfähigkeit« des Geschäftspartners und geben Auskunft über dessen Interesse an einer Geschäftsbeziehung. Geschenke und Einladungen helfen, Beziehungen persönlich zu gestalten und zu stabilisieren, und in aller Regel wird davon ausgegangen, dass die Beteiligten selbst um die Angemessenheit ihrer Geschenke wissen. Allerdings gibt es auch eine Reihe von Vorteilen der Korruption, die ausschließlich zu Gunsten der Beteiligten und zum Nachteil der Gesellschaft wirken. So erlaubt es die Zahlung von Bestechungsgeldern, Aufträge zu akquirieren, die im regulären »Leistungswettbewerb« an Konkurrenten vergeben worden wären. Dies führt dazu, dass qualitativ geringwertige Güter und Leistungen vermarktet werden, zum Schaden der Volkswirtschaft. Allerdings wird gerade in den westlichen Industrienationen vielfach darauf verwiesen, dass Bestechungen in einigen Ländern üblich und derartige Praktiken notwendig seien, um an Aufträge zu gelangen, die wiederum dazu dienten, heimische Arbeitsplätze in der entsprechenden Branche zu sichern. Zudem diene eine Akquise von Aufträgen mittels Bestechung der langfristigen und kontinuierlichen Sicherstellung der Auftragslage. 106 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Allerdings werden diese Vorteile durch eine Reihe gravierender Nachteile erkauft (Claussen 2011, 58–64). So verursacht Korruption neben den eigentlichen Bestechungszahlungen eine Reihe von »Zusatzkosten«. So bedarf es zunächst erheblicher Investitionen von Zeit und Geld, um den »richtigen« Partner zu finden. Auch die »Vertragsverhandlungen« sind mitunter zeitaufwendig. Weitere Zusatzkosten entstehen, um das korrupte Verhalten vor ermittelnden Behörden und vor der Öffentlichkeit zu verbergen und um die Erfüllung des »Vertrages« zu überwachen. Zudem gilt es, die Risiken des illegalen Geldtransfers und die Risiken der Vertragserfüllung zu beachten. Ebenso problematisch erweist sich auch die »Erpressbarkeit« des Bestechenden, der jederzeit mit der Drohung, die Korruptionsbeziehung öffentlich zu machen, zu weiteren Zahlungen veranlasst werden kann. Derartige »Risiken« gehen nicht nur zu Lasten des Unternehmens, sondern betreffen den Bestechenden auch persönlich. Dennoch betrachten auch westliche Unternehmen Korruption vielfach als einfachstes, wenn nicht einziges Mittel, um in korruptionsanfälligen Ländern in den Markt einzutreten. Obwohl sich Korruption nicht eindeutig bestimmten Branchen zuweisen lässt, gibt es doch einige strukturelle Bedingungen, die Korruption in einigen Branchen wahrscheinlicher werden lässt als in anderen. Dabei ist Korruption umso wahrscheinlicher je abhängiger eine bestimmte Branche von langfristigen Verträgen ist, je stärker der Wettbewerbsdruck innerhalb einer Branche ist, je höher der Kostendruck innerhalb dieser Branche ist, je kostenintensiver die Investitionen sind und je weniger vorhersagbar die politischen Bedingungen des Landes sind, in dem die Investitionen getätigt werden. Insbesondere in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs tendieren Unternehmen dazu, zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen. Dies erklärt, warum es insbesondere bei der Einrichtung von Telekommunikationssystemen, im Analgenbau oder bei Großbauvorhaben häufig zu Bestechungen und zu illegalen Absprachen kommt. Es wäre daher falsch, Korruption ausschließlich als ein Phänomen ökonomisch unterentwickelter Volkswirtschaften mit schwachen politischen und rechtlichen Strukturen zu betrachten. Wie sehr Korruption auch innerhalb der scheinbar wenig für Korruption anfälligen westlichen Industriebetrieben verbreitet ist, offenarte nicht zuletzt der Korruptionsskandal um den deutschen Technologiekonzern Siemens, der im Folgenden näher analysiert werden soll. 107 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Michael Aßländer

4.

Bestechung als Unternehmenskultur – Der Fall Siemens

Das deutsche Unternehmen Siemens zählt zu den weltweit größten Technologiekonzernen und ist in mehr als 200 Ländern aktiv. Zu den Geschäftsfeldern des Unternehmens zählen neben Haushaltselektronik der Bau von Kraftwerken, Gebäudetechnologie, IT und Telekommunikation, medizinische Bildgebungsverfahren und Medizintechnik sowie die Antriebstechnologie, insbesondere für moderne Schnellzüge. Vor dem Bekanntwerden der Korruptionsaffäre im Jahr 2006 galt Siemens als deutsches Vorzeigeunternehmen (Grieger 2009, S. 103), wurde unter anderem für seine »ethischen Standards« durch den Ethical Investment Research Service ausgezeichnet (EIRIS 2005, S. 9) und galt als Vorreiter im Bereich »Corporate Governance« (Verschoor 2007). Dabei schien insbesondere Korruption im Hause Siemens kein Thema zu sein. So etwa betonte der damalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer im Jahre 2003: »(…) es gibt keinen Grund, warum moralische und rechtliche Wertorientierungen bezüglich der Korruption außerhalb des eigenen Heimatlandes und Firmensitzes außer Kraft gesetzt sein sollten. Außerdem hat der vermeintliche wirtschaftliche Vorteil von Korruption (…) in aller Regel eine nur kurze Halbwertszeit und führt bei Bekanntwerden zu einem gewaltigen Imageverlust. Da hat auch Siemens in der Vergangenheit in Einzelfällen bittere Erfahrungen machen müssen – und daraus gelernt. Heute ist Korruption in jeder Form den Mitarbeitern in allen Ländern strikt untersagt.« (Heinrich v. Pierer 2003, S. 28) Nur wenige Jahre später zeigte sich, dass das Unternehmen über Jahre hinweg massive Bestechungszahlungen geleistet hatte, um im Ausland insbesondere für seine Telekommunikationssparte Aufträge zu akquirieren.

4.1 Chronologie der Ereignisse Erste Verdachtsmomente über mögliche illegale Geschäftspraktiken des Unternehmens Siemens ergaben sich im Jahre 2000, als österreichische und Schweizer Steuerbehörden dubiose Zahlungen an Offshore Banken entdeckten. Die Verdachtsmomente erhärteten sich im Jahre 2004, nachdem bekannt geworden war, dass Siemens zwischen 1999 und 2002 mehr als sechs Millionen Euro an das in Italien ansässige Energieunternehmen Enel bezahlt hatte, um an Aufträge für 108 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Der Korruptionsfall Siemens

seine Kraftwerkssparte zu gelangen (Wolf 2009, S. 12). In den folgenden Jahren sah sich Siemens mit einer Reihe von weiteren Korruptions- und Geldwäschevorwürfen in mehr als zehn Ländern konfrontiert, so dass Ende 2006 die Münchner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Siemens aufnahm. Im November 2006 wurden die Konzernzentrale in München und die Wohnungen führender Manager von der Staatsanwaltschaft durchsucht; sechs amtierende und ehemalige Siemensmanager wurden verhaftet (Wolf 2009, S. 10–14). Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft deckten dubiose Zahlungen des Konzerns in Höhe von ca. 2,3 Mrd. Euro auf. Das Geld wurde vor allem in der IT-Branche eingesetzt, um Aufträge in China, Russland, Argentinien, Israel, Griechenland und im Irak zu gewinnen (Boehme & Murphy 2007). Es stellte sich heraus, dass Siemens über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren Bestechungszahlungen an ausländische Regierungsbeamte geleistet hatte. Um offiziellen Kontrollen zu entgehen, verschob Siemens jährlich ca. 50 Mio. Euro in »schwarze Kassen« und transferierte diese über Offshore-Konten. Mittels eines Netzwerks aus mehr als 2.700 »Scheingesellschaften« wurde das Geld dann an die eigentlichen Zahlungsempfänger weitergeleitet (Sidhu 2009). Dabei waren Bestechungszahlungen an ausländische Staatsbeamte nach deutschem Recht bis 1999 als Geschäftsausgaben steuerlich abzugsfähig. Mit Beitritt Deutschlands zur OECD-Konvention gegen Bestechung wurden die gesetzlichen Regelungen jedoch ab 1999 verschärft. Obwohl Siemens nun offiziell eine strikte Anti-Korruptionspolitik verkündete, kam es jedoch zu keinen entsprechenden Änderungen innerhalb der Unternehmenskultur (Solmssen 2011, S. 42). Insbesondere in der Telekommunikationsbranche des Unternehmens zählten Bestechungszahlungen an ausländische Regierungen weiterhin zu den probaten Mitteln, um an lukrative Großaufträge zu gelangen. So entstand intern eine seitens des Managements tolerierte »Bestechungskultur«, die mit den offiziellen Erklärungen der Unternehmensvorstände kaum in Einklang zu bringen war (Grieger 2009, S. 126). In der Folge des Skandals traten der amtierende Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld und der amtierende Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer im Folgejahr von ihren Ämtern zurück. Beide behaupteten, von den Korruptionszahlungen des Konzerns nichts gewusst zu haben (Wolf 2009, S. 11, 15). Neuer Vorstandsvorsitzender wurde der ehemalige Merck & Co. Manager Peter Löscher, den Vor109 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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sitz des Aufsichtsrates übernahm der ehemalige Vorsitzende der Kommission zur Entwicklung des Deutschen Corporate Governance Kodex Gerhard Cromme. Beide versprachen mit Amtsantritt die lückenlose Aufklärung der Korruptionsaffäre. Im Oktober 2007 verhängte das Landgericht München eine Strafzahlung in Höhe von 201 Mio. Euro über das Unternehmen und verurteilte Siemens zu einer Steuernachzahlung von 179 Mio. Euro. Im Dezember 2008 bekannte sich Siemens auch in den USA schuldig, gegen den US Foreign Corrupt Practice Act verstoßen zu haben, und erreichte einen Vergleich mit den US-Gerichten. Siemens leistete 450 Mio. USD Strafzahlung, zuzüglich einer Gewinnabschöpfung von 350 Mio. USD (Sidhu 2009). Zudem verpflichtete sich das Unternehme, ein neues Compliance-Programm, elektronische Systeme zur Überwachung der Zahlungsströme und neue Verhaltensrichtlinien zu implementieren, um korrupten Praktiken im Unternehmen künftig vorzubeugen. Der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel wurde von den US-Gerichten beauftragt, die Restrukturierung des Konzerns zu überwachen. Schätzungen zufolge beliefen sich die Kosten des Skandals, einschließlich Strafzahlungen, Gewinnabschöpfung, Steuernachzahlungen sowie Anwalts- und Beratungskosten, auf mehr als 2,5 Mrd. USD (Sidhu 2009).

4.2 Elemente einer Korruptionskultur Bezeichnend ist, dass es vor allem die Bereiche Telekommunikation und Kraftwerksbau waren, die zu den am meisten von Korruption belasteten Geschäftsbereichen bei Siemens zählten, Geschäftsbereiche also, die typischerweise aufgrund ihres hohen Investitionsvolumens, langfristiger Verträge und eines starken Wettbewerbsdrucks besonders korruptionsanfällig sind. Um an lukrative Aufträge vor allem in den vormals kommunistischen osteuropäischen Ländern zu gelangen, wurden über Jahre hinweg Bestechungszahlungen an ausländische Amtsträger geleistet. Aus Sicht der beteiligten SiemensManager galt dies als probates Mittel, um mittels staatlicher Großaufträge Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. So etablierte sich über Jahre hinweg eine Korruptionspraxis, die tief in der Unternehmenskultur von Siemens eingebettet war (Dombois 2009, S. 133). Bezeichnend hierfür ist, dass es den beteiligten Managern in erster Linie nicht um die Erlangung persönlicher Vorteile, sondern vor 110 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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allem um das Wohl des Unternehmens ging. Dieses offensichtlich allgemeine Einverständnis, mit illegalen Praktiken zum Wohle des Unternehmens zu handeln, erklärt auch, warum die meisten in Bestechungszahlungen involvierten Manager lange Zeit durch das Unternehmen geschützt wurden (Graeff & Wolf 2011, S. 71). Obwohl es sich in den bezeichneten Industriezweigen um traditionell für Korruption anfällige Geschäftsfelder handelt, nimmt Siemens aufgrund dieser starken Verankerung korrupter Praktiken im Unternehmen einen gewissen Sonderrolle ein, die im Folgenden näher analysiert werden soll. Dabei waren es vor allem vier wesentliche Überzeugungen des Siemens-Managements, die dazu beitrugen, diese Korruptionskultur zu etablieren und aufrechtzuerhalten (Aßländer 2015, S. 218–222). (1) In den Augen der meisten beteiligten Manager war Korruption nicht nur ein probates Mittel der Auftragsakquise, es war auch das einzige Mittel, da man davon ausging, dass alle im selben Markt tätigen Unternehmen Bestechungsgelder an ausländische Amtsträger zahlten. Mithin gab es für sie keine Alternativen. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Tatsache, dass sich die über die Jahre hinweg entwickelten Korruptionsroutinen lange Zeit als erfolgreich erwiesen. Niemand war daher wirklich in der Lage, Korruption als Problem zu erkennen, und bereit, die etablierten Praktiken zu überdenken. In einem Wettbewerbsumfeld, in dem, so die Überzeugung der Siemens-Manager, auch die Mitbewerber bereit waren, Bestechungszahlungen zu leisten, wurde Korruption schlichtweg als normale Geschäftspraxis angesehen, die sich nicht vom Verhalten der Konkurrenten unterschied. Dies erklärt, warum derartige Praktiken von vielen Managern akzeptiert oder gedeckt wurden, trotz der anderslautenden offiziellen Konzernpolitik. (2) Getragen wurde diese allgemeine Akzeptanz illegaler Bestechungspraktiken von einem (falschen) Loyalitätsbewusstsein. Manager verstießen wissentlich gegen gesetzliche Regelungen, in der Überzeugung, damit zum Wohle des Unternehmens zu handeln. In der Regel der Fälle profitierte keiner der Manager persönlich von diesen Aktivitäten, sei es durch Bonuszahlungen oder Gewährung anderer Vorteile, wenngleich »erfolgreiche« Auslandsgeschäfte sicherlich die Karriere des ein oder anderen Managers beschleunigt haben dürften. Die Beteiligten wussten um die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens, handelten aber in der Überzeugung, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Korruption wurde daher als Mittel zum Wohle des Unter111 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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nehmens und nicht gegen die Interessen des Unternehmens eingesetzt, ein Verhalten, das Elizabeth Umphress und John Bingham (2011) als »Unethical Pro-Organizational Behavior« bezeichnen. Jedoch gibt Antonio Argandoña (2001) zu Recht zu bedenken, dass die Loyalitätspflichten des Managements keineswegs illegale und unethische Praktiken einschließen. (3) Eines der wohl gravierendsten Probleme, das sich mit der Etablierung einer gewissen Korruptionsroutine einstellte, war ein schleichender Realitätsverlust der beteiligten Akteure. Gut ausgearbeitete Geschäftsroutinen, z. B. bei der Abwicklung der Zahlungsvorgänge oder dem Transfer der Bestechungsgelder an ausländische Schmiergeldkonten, erweckten im Management den Eindruck, dass es sich hier um alltägliche Geschäftsvorgänge handle. Ein in den involvierten Abteilungen vorherrschendes »Gruppen-Denken« (Janis 1982) erschwerte es den Managern zudem, die Diskrepanz zwischen offizieller Unternehmenspolitik und eigenem Verhalten zu erkennen. Obwohl Klaus Kleinfeld und Heinrich von Pierer jedwede Kenntnis über die Korruptionspraktiken im Unternehmen abstritten, kann davon ausgegangen werden, dass diese Praktiken auch den höheren Managementebenen bekannt waren. Um die Fassade des »integren Unternehmens« nach außen aufrecht zu erhalten, griff das Management zu immer ausgefeilteren Korruptionsmethoden, ohne die damit verbundene Doppelmoral zu hinterfragen. (4) Diese Doppelmoral ging mit einer Kultur des »Wegsehens« einher, die sich letztlich in mangelnder Aufsicht und Kontrolle insbesondere des Auslandsgeschäfts äußerte. Das Management versäumte es, Geschäftsroutinen für Geschäfte in korruptionsgefährdeten Branchen und Ländern zu etablieren, und war weit stärker darum bemüht, stets neue Methoden zu erarbeiten, um korruptes Verhalten vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Waren die für das Auslandsgeschäft verantwortlichen Manager einmal in korrupten Praktiken »gefangen«, wurden einzelne Manager zu Opfern von Erpressung. So verlangten etwa Geschäftspartner in Saudi Arabien »Schweigegeld« und drohten damit, die Korruptionsbeziehung andernfalls öffentlich zu machen (Wolf 2009, S. 12). Ohne entsprechende Hilfestellungen seitens des Unternehmens gab es für die beteiligten Manager keinen Ausweg. Dies belegt, dass Siemens es systematisch versäumte, die eigenen Mitarbeiter davor zu schützen, Opfer der eigenen Korruptionskultur zu werden. In ihrer Aufarbeitung des Korruptionsfalls Siemens kommen 112 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Peter Graef und Sebastian Wolf zu einem klaren Schluss: »Wenn die Unternehmensführung es zulässt, dass bei den Mitarbeitern die Überzeugung entsteht, Korruption könne auch zu einer Verbesserung der Unternehmenssituation beitragen – etwa durch das Erlangen von Aufträgen –, bleibt Korruption als eine Handlungsoption erhalten. (…) Wenn das Erreichen wirtschaftlicher Ziele Korruption nahelegt, lassen sich die Daten zwar nicht rechtlich, wohl aber sozial gegenüber den Kollegen und Führungskräften rechtfertigen.« (Graef & Wolf 2011, S. 37)

4.3 Maßnahmen zur Überwindung der Korruptionskultur Nach ihrer Wahl in die Konzernspitze versprachen Peter Löscher und Gerhard Cromme die lückenlose Aufarbeitung des Skandals und einen Neubeginn bei Siemens. Dabei galt es insbesondere, die etablierten Routinen und die Personalstrukturen im Hause Siemens aufzubrechen und das Unternehmen neu zu strukturieren. Neue und strengere Richtlinien für den Umgang mit Geschäftspartnern sollten dabei nicht nur helfen, Korruption vorzubeugen, sondern auch dazu beitragen, nach außen ein Höchstmaß an Transparenz zu schaffen. Einzelregulierungen betrafen beispielsweise die Annahme und Vergabe von Geschenken, Einladungen von Geschäftspartnern oder die Überwachung von Zahlungsvorgängen. Zudem wurde ein Programm zur Mitarbeiterschulung erarbeitet und implementiert und ein komplexes System von Ombudsleuten etabliert. Zusätzlich zu einer »Ethik-Hotline«, die dazu dienen sollte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zweifelsfragen über zulässige Verhaltensweisen im Umgang mit Geschäftspartnern zu beraten, wurde eine »Whistleblower Hotline« eingerichtet, bei der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unkorrektes Verhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen melden konnten. In der Folge wurde das »Compliance Office«, zuständig für die Erarbeitung von Verhaltensregeln, Mitarbeiterschulung und die Überwachung des Mitarbeiterverhaltens, auf nahezu 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgeweitet (Sidhu 2009; Rueß 2011, S. 46). Um die Konzernstrukturen übersichtlicher zu gestalten, wurden die Konzernbereiche neu strukturiert und von vormals neun auf vier Geschäftsfelder reduziert: Industrie, Infrastruktur und Städtebau, Energie und Gesundheitswesen. Zudem wurde die Anzahl der ausländischen Niederlassungen verringert. Auch wurden die Verantwor113 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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tungsbereiche in diesen Geschäftsfeldern im Vorstand nun klar geregelt und einzelnen Vorstandsmitgliedern zugeordnet (Löscher 2011, S. 27). Im wesentlich umfassten die Maßnahmen des neuen Siemens Managements zur Neustrukturierung des Unternehmens vier zentrale Punkte (Aßländer 2017, S. 222–226; Eberl et al. 2015, S. 1215 f.): (1) Die wohl deutlichste Botschaft des neuen Unternehmensvorstandes bestand in der Umstrukturierung des Siemens-Managements. Zahlreiche Manager, die in die Korruptionsaffäre verwickelt waren oder korruptes Verhalten geduldet hatten, wurden entlassen. Dies betraf auch den zur Zeit der Korruptionsaffäre amtierenden Chief Compliance Officer Albrecht Schäfer. In 470 Fällen wurde gegen korrupte Mitarbeiter vorgegangen, mehr als 40 Compliance Manager wurden ihres Amtes enthoben. Nach Außen dokumentierte der Rücktritt Klaus Kleinfelds und Heinrich von Pierers, die für die Korruptionskultur bei Siemens standen, und die Berufung einer neuen Konzernspitze, bestehend aus Peter Löscher und Gerhard Cromme einen Neuanfang bei Siemens. Dabei sah sich Peter Löscher vor dem Problem, einerseits das Vertrauen der Öffentlichkeit wiedergewinnen zu müssen, andererseits aber, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen nicht zu verunsichern (Löscher 2011, S. 26 f.). Er verzichtete daher auf personalrechtliche Konsequenzen gegenüber »wenig belasteten« Managern, sofern diese bei der Aufklärung des Korruptionsskandals behilflich waren. (2) Die zweite, wohl ebenso bedeutsame Maßnahme, betraf die Neugestaltung der Verhaltensrichtlinien im Unternehmen und zahlreiche »Ethik-Trainings«, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ethisch relevante Sachverhalte in ihrer Geschäftspraxis sensibilisieren sollen. Insbesondere wurden zahlreiche Einzelregelungen erlassen, die illegalen Praktiken im Umgang mit Geschäftspartnern von vorneherein vorbeugen sollten. Ziel der regelmäßig zu absolvierenden »Ethik-Trainings«, die je nach Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von eintägigen Schulungen bis zu Wochenseminaren reichten (Claussen 2011, S. 305 f.), war es nicht nur, Wissen über die neuen Regelungen zu vermitteln und die richtigen Verhaltensweisen einzuüben, sondern auch, die bisherige Korruptionskultur zu überwinden. Auch das Auslandsgeschäft wurde fortan stärker überwacht und Löscher bemühte sich darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in einem korrupten Geschäftsumfeld tätig sind, Hilfestellung zu geben und sie vor 114 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Erpressung zu schützen, beispielsweise durch die Veröffentlichung der Schmiergeldforderung ausländischer Amtsträger (Solmssen 2011, S. 39 f.). (3) Um korruptes Verhalten künftig früher aufdecken zu können, setzte Löscher auf ein restriktives Überwachungssystem. Um die Bedeutung der von ihm eingeleiteten Anti-Korruptionsmaßnahmen zu unterstreichen richtete er ein Compliance-Komitee ein, das direkt an den Aufsichtsrat berichtete. Zusätzlich zu einem anonymen Berichterstattungssystem, bei dem Fehlverhalten angezeigt werden kann, etablierte er ein elektronisches System zur automatischen Überwachung der Zahlungsströme und der »Spendenpraktiken«. Um die Möglichkeit von »Dreiecksgeschäften« mittels Beauftragung von Scheinfirmen zu unterbinden, wurden neue Geschäftspartner fortan mittels eines festgelegten Fragebogens überprüft. Hinzu kam ein hierarchisch organisiertes System von Ombudsleuten, die als Kontaktpersonen für ethische Fragen zur Verfügung stehen. Manager auf allen Hierarchieebenen wurden dazu verpflichtet, die Einhaltung der Verhaltensvorschriften stichprobenartig bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu überprüfen. Ein »Disziplinarausschuss« entschied über Maßnahmen bei Verstößen gegen die Verhaltensvorschriften (Rueß 2011, S. 50 f.). (4) Trotz dieser zahlreichen formalen Regulierung und der strikten Überwachung der Mitarbeiter-Compliance war es Löschers erklärtes Ziel eine »Integritätskultur« zu schaffen, die sich am Leitbild »ehrenwerter« Geschäftsbeziehungen orientiert und korruptes Verhalten von vorneherein ausschließt. Es war daher beabsichtigt, allzu starre Regulierungen in Zukunft wieder zu lockern, um so Raum für autonome und eigenverantwortliche Entscheidungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen (Rueß 2011, S. 46). Ein weiterer wichtiger Eckpfeiler dieser neuen »Integritätskultur« war für Peter Löscher die Herstellung größtmöglicher Transparenz und die lückenlose Aufklärung der vergangenen Korruptionsvorfälle. Maßnahmen zur Korruptionsvermeidung wurden auch nach außen offen kommuniziert. Siemens verkündete eine »Null-Toleranz-Politik« gegen Korruption und bemühte sich, verlorenes Vertrauen in der Öffentlichkeit wiederzugewinnen. Auch die neue Führungsspitze bei Siemens stand für Integrität und besaß international einen guten Ruf in Sachen »Business Ethics«. Diese Bemühungen wurden in der Öffentlichkeit durchaus honoriert. So bemerkte etwa das US Department of Justice in einem 115 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Memorandum zur Strafsache Siemens anerkennend: »The reorganization and remediation efforts of Siemens have been extraordinary and have set a high standard for multinational companies to follow. These measures (…) highlight the serious commitment of Siemens to ensure that it operates in a transparent, honest, and responsible manner going forward« (US Department of Justice 2008, S. 24). Und ähnlich betonte Karl Sidhu »Overall, no company presumably has acted under comparable pressure and invested more in compliance than Siemens. For the time being, the leading role of Siemens in the setting of compliance standards is therefore generally accepted« (Sidhu 2009, S. 1344). Jedoch gab es auch kritische Stimmen, die vor allem die durch die zahlreichen neu erlassenen Verhaltensrichtlinien ausgelöste Überbürokratisierung der Konzernstrukturen und die neue Überwachungs- und Kontrollmentalität bei Siemens thematisierten. Die von den neuen Schulungen und Verhaltensregeln betroffen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemängelten die mangelnde Praktikabilität der Maßnahmen. Zudem würden sich die in den zahlreichen Verhaltensrichtlinien angeordneten Verhaltensweisen mitunter widersprechen (Eberl et al. 2015, S. 1214). Insbesondere die nicht in den Korruptionsskandal verstrickten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlten sich durch die neuen Überwachungsmethoden und zwangsweise angeordneten »Ethik-Trainings« ungerecht behandelt. Während es Peter Löscher also gelang, die Reputation des Unternehmens in der Öffentlichkeit wieder herzustellen, gestaltete sich die Restrukturierung der Unternehmenskultur intern weitaus schwieriger.

5.

Erfolgreicher Neubeginn?

Zentrale Voraussetzungen für die Wiedererlangung von Reputation nach einem Unternehmensskandal sind die offene Aufarbeitung des bisherigen Fehlverhaltens und die Etablierung einer neuen, glaubwürdigen Führungsstruktur. Klare und transparente Verhaltensrichtlinien und Überwachungssysteme, die dazu geeignet sind, künftigem Fehlverhalten vorzubeugen, sowie die Neuausrichtung der bisherigen Unternehmensstrategie unterstreichen die Bemühungen des TopManagements um einen »Neubeginn« und zeigen die Ernsthaftigkeit der Bemühungen, verloren gegangenes Vertrauen in der Öffentlichkeit zurückzugewinnen (Sims 2009). Letztlich entscheidet dabei die 116 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Art und Weise, wie mit dem bisherigen Fehlverhalten umgegangen wird, darüber, wie dieses ursprüngliche Fehlverhalten ex post bewertet wird. Peter French spricht in diesem Kontext vom Prinzip der »responsiven Anpassung«. Damit bezeichnet French den Prozess der Erarbeitung und Einführung neuer Geschäftsroutinen, die darauf ausgelegt sind, auf Fehler der Organisation zu reagieren und einer Wiederholung vorzubeugen. Reagiert ein Unternehmen nicht auf falsche Verhaltensroutinen, die zu einem Schadensereignis geführt haben, so French, wird es nachträglich schuldig. Für French stellt das Prinzip der »responsiven Anpassung« daher ein wesentliches Element korporativer Integrität dar. Es verweist auf den »Willen« der Organisation, eigene Verhaltensroutinen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen (French 1984). Um seine Reputation zurückzugewinnen, ergriff Siemens zahlreiche öffentlichkeitswirksame Maßnahmen. So wurden Manager, die in die Korruptionsaffäre verstrickt waren, entlassen, neue Führungsstrukturen etabliert, neue Verhaltensrichtlinien erlassen, das Krisenmanagement durch einen transparenten Kommunikationsstil verbessert und zahlreiche Maßnahmen für die künftige Bekämpfung korrupten Verhaltens ergriffen. Dies alles unterstrich die neue kompromisslose Anti-Korruptionspolitik und zielte darauf ab, den Bestechungsskandal als ein einmaliges Fehlverhalten darzustellen. Allerdings waren die meisten der von Peter Löscher ergriffenen Maßnahmen vor allem darauf ausgelegt, das Vertrauen der Politik und der Öffentlichkeit wiederzugewinnen. Trotz seiner Bemühungen, auch unternehmensintern Zustimmung für seine Unternehmenspolitik zu erhalten und eine neue Integritätskultur zu etablieren, gestaltete sich die Neuausrichtung der etablierten Unternehmenskultur für Peter Löscher als schwierig. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blieben den eingeleiteten Maßnahmen gegenüber skeptisch. Kritisiert wurden vor allem die zu hohe Zahl der Trainingsprogramme, die verwirrenden und teilweise widersprüchlichen Verhaltenskodizes und die als zu streng erachteten Überwachungs- und Berichtssysteme. Dennoch verteidigte die Konzernleitung ihren Standpunkt: »Es ist wichtig, dass Mitarbeiter die neuen Regeln begreifen und ernst nehmen. Dazu gehören auch Überprüfung und Sanktionen. (…) Es waren übrigens nicht die Compliance-Leute die täglich neue Formulare erfunden haben. Die Mitarbeiter wollten das so. Viele waren verunsichert und wollten genau wissen, was wann erlaubt ist. Die Beschäftigten wollten exakte Grenzen für 117 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Geschenke die sie nicht annehmen dürfen, geldwerte Vorteile, Bewirtungen, die nicht mehr erlaubt sind.« (Solmssen 2011, S. 37) Dennoch galt das neue Compliance-System als »überreguliert« und zu formal, um einen angemessenen Spielraum für persönliche Managemententscheidungen zu zulassen (Claussen 2011, S. 334– 335). Die widersprüchlichen Regeln machten es unmöglich, alle Standards gleichzeitig zu erfüllen und das strenge Überwachungssystem stand im klaren Widerspruch zu der angestrebten Integritätskultur und der erwünschten persönlichen Verantwortungsübernahme durch das Management. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zweifelten an der Wirksamkeit und Praktikabilität der neu eingeführten AntiKorruptionspolitik und sahen dies als einen klaren Bruch mit der bisherigen auf Loyalität und Eigenverantwortung aufbauenden Unternehmenskultur im Hause Siemens (Dombois 2009, S. 141). In ihren Augen handelte es sich bei den von Peter Löscher ergriffenen Maßnahmen lediglich um einen Versuch, das Top-Management gegenüber künftigem Fehlverhalten im Unternehmen abzusichern. Diese neue Geschäftspolitik bewirkte einen starken Vertrauensverlust der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die entsprechend mit Zynismus reagierten. Damit sah sich Siemens im Innenverhältnis vor eine Reihe neuer Probleme gestellt. So galt es zum einen, das verloren gegangene Vertrauen der eigenen Mitarbeiterinnen und Mittarbeiter wiederzugewinnen. Diese fühlten sich im Stich gelassen und sahen sich als Bauernopfer eines unverantwortlich handelnden Managements. Die Überregulierung durch stets neue Vorschriften und die stetige Überwachung durch Vorgesetzte erzeugten eine Misstrauenskultur und bargen die Gefahr neuer Umgehungsstrategien mit dem Ziel, sich den als überzogen und ungerecht empfundenen Maßnahmen zu entziehen. Zum anderen hatte Siemens mit den enttäuschten Loyalitätsgefühlen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kämpfen. So stand die Unternehmenskultur von Siemens für lange Jahre für die Garantie lebenslanger Beschäftigung und für klare Karriere- und Aufstiegschancen. Hierfür waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit, sich »aufzuopfern« und nahezu alles zu tun, was den Erfolg »ihres« Unternehmens beförderte. Siemens sah sich daher der heiklen Aufgabe gegenüber, ein falsches Verständnis von Loyalität durch ein neues Loyalitätsbewusstsein zu ersetzen. Während es Peter Löscher vergleichsweise schnell gelang, das Vertrauen der Öffentlichkeit wieder zu gewinnen, gestaltete sich die 118 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Neugestaltung der Unternehmenskultur als weitaus schwieriger. Trotz der Bemühungen der Konzernspitze, einige der als Überregulierung empfundenen Maßnahmen zurückzunehmen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen größeren Ermessensspielraum für eigenverantwortliche Entscheidungen einzuräumen (Rueß 2013, S. 46), galt vielen die unter Peter Löscher eingeführte Überwachungskultur als überzogen. So gesehen gelang es Löscher letztlich nicht, intern die von ihm angestrebte »Integritätskultur« zu implementieren.

6.

Epilog

Viele der von Peter Löscher zur Neustrukturierung des Siemenskonzerns eingeführten Maßnahmen erwiesen sich intern als unpopulär. Im August 2013 trat Peter Löscher von seinem Amt als Vorstandsvorsitzender zurück; sein Nachfolger wurde Joe Kaeser, der ehemalige Finanzvorstand des Siemenskonzerns. Dies wurde vielfach als Signal dafür gewertet, dass der Restrukturierungsprozess des Konzerns als abgeschlossen gilt. Zwar bleibt Siemens offiziell auch weiterhin in zahlreichen Initiativen zur Korruptionsbekämpfung engagiert (Siemens 2018, S. 6 f.), allerdings sind dies Verpflichtungen, die zum Teil aus dem Vergleich des Unternehmens mit den US-Gerichten resultieren. Unter Joe Kaeser gewinnen »Effizienz« und »Innovation« als Konzernmaximen oberste Priorität. Wenngleich Korruptionsprävention zentrales Thema im Bereich Compliance bleibt, stehen nun Themen wie Nachhaltigkeitsmanagement, Kundenzufriedenheit, Innovation und Umwelt stärker im Fokus der neuen Geschäftspolitik (Siemens 2018). Zehn Jahre nach dem Bekanntwerden eines der größten Unternehmensskandale der Bundesrepublik Deutschland scheint die Krise im Hause Siemens überwunden. Korruption spielt, so scheint es, für Siemens erneut keine Rolle mehr.

Literatur Argandoña, Antonio (2001). Corruption: The Corporate Perspective. Business Ethics: A European Review, 10(2), 163–175. doi: 10.1111/1467-8608. t01-1-00227

119 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Michael Aßländer

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Michael Aßländer

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Alicia Hennig

Das Problem der Korruption in China – Eine Betrachtung aus politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozio-kultureller Perspektive Einleitung Korruption in China ist ein andauerndes und tiefgehendes Problem, welches die Politik und annähernd jeden Wirtschaftssektor betrifft. 1 Die Fälle sind zahlreich und reißen bis heute nicht ab. Für die Zukunft bleibt die Frage offen, ob Xi Jinping erfolgreicher als seine Vorgänger sein wird, die offenbar tief eingeschliffene Korruption in China einzudämmen, denn Versuche, Korruption zu bekämpfen, gibt es seit Maos Regime. Das Thema ist komplex und soll hier aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Zunächst wird das Phänomen allgemein und anschließend im chinesischen Kontext definiert. Darauf folgt eine Sektion über die Chronologie des Phänomens seit der Öffnungsund Reformzeit in China und eine Beleuchtung des Problems aus drei Perspektiven: wirtschaftlich-politisch, rechtlich-politisch und gesellschaftlich-kulturell. Die nächste Sektion setzt sich mit Korruptionskontrolle und -bekämpfung in China auseinander. Danach wird Xi Jinpings Politik in diesem Kontext diskutiert. Der Artikel endet mit einer Zusammenfassung und philosophischen Reflexion des Phänomens. Beispiele sind hier die Bereiche Transport (der Fall Liu Zhijun, ehemaliger Minister für Bahnverkehr (Kaiman, 2013b)), Genehmigungen, Bauwesen (beispielsweise hier Sicherheitsbedenken in Bezug auf die Konstruktion des Drei-Schluchten-Damms (Gittings, 1999); Kollaps eines Einkaufszentrums und weiterer Bauten in Süd-China (Gittings, 2000); marode Bauten, die beim Erdbeben in Sichuan in sich zusammenfielen und damit den Tod zahlreicher Menschen beförderten (Associated Press, 2009)), Energie (Korruptionsverdacht bei der staatseigenen China National Petroleum Corporation (Buckley, 2013) und bei Sinopec (Associated Press, 2015)) oder im Gesundheitssystem (die britische Pharma-Firma GSK wurde wegen Bestechung belangt (Kaiman, 2013a); das Schützen von Staatsunternehmen vor Nennung in Schwarzen Listen (Zhou et al., 2016)).

1

123 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Alicia Hennig

1.

Definition von Korruption

Transparency International definiert Korruption als »Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil« (Transparency International, o. D.). Wird dem Begriff jedoch tiefer auf den Grund gegangen, tritt eine gewisse Komplexität zu Tage. Hier muss die juristische Definition, die Korruption lediglich mit ›Bestechung‹ und ›Bestechlichkeit‹ gleichsetzt, von einer breiteren, sozialwissenschaftlichen Definition unterschieden werden. Diese beinhaltet im Gegensatz zur bloß juristischen eine Vielzahl von Amtsdelikten, deren Definition die Ursachen, das soziale Umfeld und die Folgen dieser Delikte mit einschließt (Heberer 1991). Korruption wird auch oft im Bereich der Wirtschaftskriminalität angesiedelt. Hier handelt es sich dann konkret um strafbare Handlungen im beruflichen Kontext (ebd.). Trotz dieser Komplexität lassen sich jedoch bestimmte ›Kerngruppen‹ bestimmen (Heberer 1991, S. 16 f.): • »Missbrauch von Amtsgewalt oder -befugnissen im Interesse des Vorteils einer Person oder einer Gruppe von Personen (Missbrauch-Vorteil-Ansatz); • Verletzung von bindenden Normen durch Amtsinhaber, die zu einer Verletzung öffentlicher Interessen führen (Interessenverletzungsansatz); • Korruption aufgrund eines spezifischen Marktverhaltens (ökonomischer Ansatz); • Moralische Verfehlung (moralischer Ansatz).« Darüber hinaus gibt es noch weitere Klassifizierungen des Phänomens in ›systemisch‹ und ›systematisch‹ (Jiang, 2017, zurückgreifend auf Johnston, 1998). ›Systemisch‹ bedeutet, dass entsprechende administrative Systeme und mögliche kontrollierende Institutionen (watch dogs) nicht vorhanden sind. ›Systematisch‹ impliziert organisiertes Verbrechen und ist begünstigt durch das politische System selbst bzw. Manipulation von Interessen (Jiang 2017). 2 Laut Heberer (1991) kann es jedoch keinen Korruptionsbegriff geben, der allen Umständen gerecht wird, da dieser je nach »Kultur, historischem Zeitpunkt und politischem bzw. ökonomischem System« variiert (S. 16).

2

Für weitere Definitionen siehe Jiang 2017, S. 12–13.

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Das Problem der Korruption in China

Definition von Korruption im chinesischen Kontext Im Jahr 1979 wurde das chinesische Strafrecht eingeführt, welches auch den Tatbestand der Korruption definiert 3 (Ko und Weng 2011), jedoch nur drei verschiedene Typen umfasste: Veruntreuung bzw. Unterschlagung, Bestechung sowie Vernachlässigung amtlicher Pflichten. Da Korruption jedoch immer weiter um sich griff, wurde sie in den 1990ern offiziell als ein Problem nationalen Ausmaßes gesehen, welches dringend bekämpft werden musste. In diesem Zuge wurde das Strafrecht überarbeitet, welches in einer späteren Version von 1997 4 zwei Hauptkategorien – Wirtschaftskriminalität, tanwu 贪 污 und Pflichtverletzung (mit moralischer Konnotation), fubai 腐败 – mit insgesamt zehn Untertypen enthielt (Ko und Weng 2012; Wedeman 2004; Heberer 1991; Holmes 2015). 5 Pflichtverletzungen werden allerdings oftmals nach der Disziplinar-Strafordnung geahndet sowie durch administrative Regulierungen des Ministeriums für Kontrolle und Überwachung, da hier Korruption als eine Folge moralischer Dekadenz und Degeneration 6 gesehen wird. Jene sind verbunden mit Verhaltensweisen, die gegen die öffentliche Moral 7 gerichtet sind,

In China gibt es bis heute kein gesondertes Anti-Korruptionsgesetz (Jiang 2017). Weitere Überarbeitungen gab es 1999, 2001 und 2002 (Jiang 2017). 5 Diese sind im Detail (die ersten acht fallen in die Kategorie Wirtschaftskriminalität) (Ko und Weng 2011; Ko und Weng 2012): 1) Unterschlagung, Veruntreuung, tanwu 贪污; 2) Veruntreuung von öffentlichen Geldern, nuoyong gongkuan 挪用公款; 3) Bestechung, huilu 贿赂, darunter: Bestechungsgelder annehmen, shouhui 受贿 und selbst Bestechung ausüben, xinghui 行贿; 4) Unerlaubte Verteilung von Staatseigentum, jiti sifen 集体私分; 5) Illegale Gewinne, feifa suode 非法所得; 6) Steuerhinterziehung und -umgehung, toushui loushui 偷税漏税; 7) Markenfälschung, jiamao shangbiao 假冒商标; 8) Illegale Spekulation und Preistreiberei, touji daoba 投机 到吧; 9) Pflichtverletzung, duzhi 渎职 inklusive Machtmissbrauch, lanyong zhiquan 滥用职权; 10) Pflichtvernachlässigung, wanhu zhishou 玩忽职守 und Amtsmissbrauch in Zusammenhang mit Nepotismus xunsi wubi 徇私舞弊; und Bigamie chonghun 重婚 (vgl. Hao 1999). 6 Beispielweise zählen dazu exzessive Ausgaben bei Hochzeiten und Beerdigungen, Vernachlässigung offizieller Pflichten, ineffiziente Arbeit, Drückebergerei, Falschaussagen, Fälschen von Reports, Prahlerei, ausschweifende Banketts auf öffentliche Kosten, Betrug, Betrunkenheit, Unangemessenheit, Glücksspiel und Prostitution (Ko und Weng 2011). 7 Diese Auffassung von Korruption ist kulturell-historisch tief verwurzelt. Die Moral der Staatsfunktionäre ist in China eine öffentliche und unterliegt damit auch der Regulierung, die zurückgeht auf Bräuche des chinesischen Kaiserreichs, dessen Beamtenapparat durch die konfuzianische Moral geprägt war. Hier wurde Moral über Leis3 4

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Alicia Hennig

d. h. strafrechtlich weniger relevant (Ko und Weng 2011; Wedeman 2004). Amtsmissbrauch zur persönlichen Bereicherung, yi quan mou si 以权谋私 (auch im Kollektiv, Ko und Weng 2011; Hao 1999; He 2000), ist zwar nach wie vor eines der Hauptmotive und damit eine gängige Definition von Korruption auch im chinesischen Kontext, jedoch greift dieser Begriff zu kurz (Ko und Weng 2011; Ko und Weng 2012). Genauso wichtig ist eine Definition von Korruption als eine Handlung, die sich allgemein gegen das öffentliche Interesse wendet, welche seitens der Regierung als schwerwiegender betrachtet wird (Ko und Weng 2011) 8. Bei der Definition des Amtsinhabers ist die enge Verknüpfung zwischen Politik und staatseigenen Unternehmen in einem sozialistischen Staat wie China zu berücksichtigen (Ko und Weng 2011). Hier ist der Begriff ›Staatsfunktionär‹ (guojia gongzuo renyuan 国家工作 人员) deutlich hilfreicher, der sich konkret durch die Ausübung eines öffentlichen Dienstes 9 oder Amtes definiert (Ko und Weng 2011, Ko und Weng 2012). 10 Bei der Zurechnung von Verantwortung in einem Korruptionsfall ist das Aufgabenfeld zudem maßgeblicher als die Position oder Verbindung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Korruption im chinesischen Kontext anders und breiter definiert werden muss, nämlich als tung und Verdienst gesetzt. Beamte mussten in erster Linie moralisch rein und rechtschaffend sein (qingguan 清官) (Ko und Weng 2011, vgl. Hao 1999, Heberer 1991). 8 Korruption, die zur Verringerung der Staatseinkünfte führt, wird seitens der chinesischen Obrigkeit klar als Straftat definiert; jedoch lediglich als Rechtswidrigkeit, wenn sie zwar anstößig ist, aber in erster Linie nur gewöhnliche Bürger betrifft (Manion 2014, S. 85). 9 Der Begriff des öffentlichen Dienstes impliziert hier Aktivitäten in Zusammenhang mit Staat und staatlicher Machtausübung mit Rechten und Pflichten, welche nationale, lokale, gemeinde-, firmen- und institutionenbezogene Aufgaben bzw. die Sorge um das Gemeinwesen beinhalten (Ko und Weng 2011, Ko und Weng 2012). 10 Der Begriff des Staatsfunktionärs wird im chinesischen Strafrecht (Criminal Law of the People’s Republic of China 1997, Kapitel 5, Artikel 93) folgendermaßen definiert: Ein Staatsfunktionär arbeitet im öffentlichen Sektor, in staatseigenen Unternehmen oder Institutionen, in öffentlichen Organisationen des Volkes oder ist offiziell dazu ernannt oder gesandt worden, durch Staatsorgane bzw. staatseigene Unternehmen, andere Unternehmen oder Institutionen einem öffentlichen Dienst in nichtstaatlichen Unternehmen, Institutionen oder Massenorganisationen dem Gesetz entsprechend nachzukommen. Jedoch gibt es bei einem Staatsfunktionär eine Vermischung von öffentlicher und privater Rolle, da dieser – korruptionsbedingt – in beiden Sphären tätig ist (Hao 1999).

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Das Problem der Korruption in China

Missbrauch und Fehlverhalten von Staatsfunktionären bzw. deren Auswirkung auf das öffentliche Interesse (He 2000, Hao 1999, Wedeman 2004). 11 Diese breitere Definition ist notwendig, da Korruption innerhalb des Staatsapparats auch die Integrität der KPCh, ihrer Ideologie und die der chinesischen Regierung untergräbt (Ko und Weng 2011).

2.

Gründe für Korruption in China

Korruption in China ist ein komplexes Phänomen, welches eine Reihe von Gründen umfasst, die dieses Phänomen begünstigen und weiter verstärken. Breiter gefasst sind dies politisch-wirtschaftliche, rechtlich-wirtschaftliche und kulturell-gesellschaftliche Aspekte, die insbesondere von den Folgen der Wirtschaftsreformen betroffen waren (Dong und Torgler 2012). Die Reformen bzw. ihre Folgen gelten bis heute als eines der Hauptargumente hinsichtlich des Anstiegs von Korruption und der Veränderung von Korruptionsmustern in China (Dong und Torgler 2012, Hao 1999, He 2000, Wedeman 2004, Yao 2002, Yi et al. 2018).

Korruption in China: Eine kurze Chronologie Nach Mao Zedongs Tod 12 wurden Ende der 1970er die ersten Reformen eingeleitet (He 2000). Diese bezogen sich zunächst auf die Auflösung der kommunalen Strukturen im Agrarsektor. Eine zweite Phase hatte dann die Reformierung der Wirtschaft zum Ziel. Das allgemeine Problem der Reformen war, dass durch die Öffnung zur Privatwirtschaft zwei Märkte in China entstanden: ein staatlicher und ein privatwirtschaftlicher (ebd.). Die Folge der Existenz dieser zwei Märkte zeigte sich seit Anfang der 1980er: Das duale Preissystem ermöglichte es Spekulanten, die Zugang zu beiden Märkten hatten, Rohmaterialien und Produktionsgüter günstig im staatlichen Markt einzukaufen und in der PrivatAus diesem Grund werden auch sämtliche Formen von Nepotismus als Korruption betrachtet, da sie gegen das öffentliche Interesse gerichtet sind. 12 Auch wenn dieser Abschnitt nur auf die Zeit nach Mao eingeht – auch unter Mao gab es bereits massive Probleme mit Korruption (Manion 2014). 11

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wirtschaft mit enormen Surplus wieder zu verkaufen (Gong 1997, He 2000, Manion 2014, Rocca 1992). Dasselbe Prinzip galt für ausländische Ware, die eingeschmuggelt wurde (He 2000). Prinzipiell gab es Wucher überall dort, wo Ressourcen begrenzt waren. Insofern ließ sich dieses »Phänomen« in verschiedenen Sektoren beobachten. Mitte der 1980er erreichte Korruption einen weiteren Höhepunkt im Bereich der Konsumgüter. Diese waren jetzt sehr gefragt, aber aufgrund der intensiven Nachfrage entstand eine Lücke zwischen Nachfrage und Angebot, welche wiederum von Spekulanten ausgenutzt wurde (He 2000). Eine dritte Korruptionswelle machte sich in den 1990er Jahren bemerkbar, in denen sich die Spekulation auf den Immobiliensektor und Finanzprodukte wie Aktien und Kredite ausweitete (He 2000). Diese Bereiche waren alle entsprechend unreguliert und luden somit zur Ausbeutung ein. Staatsbedienstete in entsprechenden Funktionen (Planung, Entwicklung und Verpachtung von Land) hatten die Macht zu entscheiden, wer Land überhaupt pachten durfte und wie viel, was vermehrt zu Bestechung führte (Gong 1997, Manion 2014). Zugriff auf Aktien zu haben galt ebenfalls als Privileg, da diese zu jenem Zeitpunkt eine sehr limitierte Ressource darstellten. Der spekulative Handel mit Aktien führte dann 1992 zu einem Aktienskandal an der Börse Shenzhen (Gong 1997). Mitte der 1990er griff finanzieller Betrug in Form von Bankkrediten und anderen Formen des Geldhandels um sich, bei dem Profit durch Wucherzins gemacht wurde. Laut Gong (1997) wuchs Korruption im Finanzbereich seit den 1990er Jahren signifikant mit immer größeren Summen, in die zunehmend höhere Staatsbedienstete und Arbeitseinheiten samt ihrer rechtlichen Stellvertreter involviert waren. Zudem hat sich Korruption allgemein in den 1990ern quantitativ und qualitativ durch eine Intensivierung und auffällig mehr Involvierung höherrangiger Staatsbediensteter verändert (Ko und Weng 2012, Wedeman 2004). 13

Politisch-wirtschaftliche Perspektive Die Folgen der Reformen, die die Übergangszeit in China einleiteten – insbesondere die der 1980er und 1990er – hatten einen großen Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Organisation und Führung 13

Eine Gegenmeinung hierzu hat Guo (2008).

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Das Problem der Korruption in China

des Landes (Manion 2014), wie beispielsweise die finanz-technische Dezentralisierung, das Vermächtnis der Planwirtschaft und eine Wirtschaft, die mehrheitlich aus staatseigenen Betrieben bestand, sowie ein unzivilisierter, inneffektiver und willkürlicher Beamtenapparat (Ko und Weng 2012). Die Dezentralisierung verstärkte Korruption, da es an organisiertem Management und effektiver Überwachung mangelte, was die Veruntreuung und Zweckentfremdung öffentlicher Gelder begünstigte. Noch vorhandene Strukturen von Planwirtschaft in Kombination mit einer Öffnung des Marktes führten zum weiter oben in der Chronologie erwähnten dualen Preissystem, welches Spekulation und Wucher beförderte. Der Beamtenapparat wiederum, bzw. die Rekrutierung und Beförderung seiner Mitglieder, basierte nicht auf dem Leistungsprinzip (meritocracy), sondern war unprofessionell und nepotistisch orientiert. 14

Politisch-rechtliche Perspektive Zum Zeitpunkt der Reformen verfügte China weder über Gesetze noch über Institutionen, die ausgereift genug waren, um Korruption zu kontrollieren, denn das Mao-Regime hatte ein unterentwickeltes Rechtssystem hinterlassen. 15 Bis Mitte der 1990er war die Bekämpfung von Korruption hauptsächlich Kampagnen-getrieben und durch eine Vielzahl an Regulierungen geprägt (Guo 2014). Jedoch gab es keine Bestrebungen, das Ganze systematischer in Form von Institutionen und klareren Gesetzen zu verankern (Ko und Weng 2012). Zudem gab es zahlreiche Schlupflöcher bezüglich dieser Regulierungen, aber auch mangelnde Erfahrung seitens des Staatsapparats in Bezug auf den Einsatz von Technologie in der Korruptionsbekämpfung (He 2000). Darüber hinaus fehlte es dem chinesischen Staatsapparat grundsätzlich an Gewaltenteilung, politischer Opposition und Unabhängigkeit der Staatsorgane, was für eine effektive Korruptionsbekämpfung maßgeblich gewesen wäre. Darüber hinaus war die Das Leistungsprinzip wurde erst 1993 im Zuge eines Beamtenapparats eingeführt, welcher das Kadersystem ersetzen sollte. Erst 1997 wurde ein landesweites BeamtenExamen eingeführt (Ko und Weng 2012, S. 722 ff.) 15 Beispielsweise findet sich in der ersten Version des chinesischen Strafrechts von 1977 nur eine ungenügende Spezifizierung der verschieden Arten von Korruption und dem damit einhergehenden Bestrafungsmaß (Ko und Weng 2012, S. 722). 14

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Alicia Hennig

Rolle der Medien eingeschränkt und eine Zivilgesellschaft nicht vorhanden (ebd.).

Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive In diesem Abschnitt sollen zwei kulturell bedingte Phänomene beleuchtet werden, die Korruption in China begünstigen: der Familismus, eine traditionell soziale Struktur, die zurückgeht auf den Konfuzianismus und die damit verbundene kulturelle Praxis von guanxi, sowie das Beamtentum in China, welches gewissermaßen durch den Übergang zu einer Marktwirtschaft einem ›Kulturwandel‹ ausgesetzt war. Nach Liu (2013) ist der wirtschaftliche Aufschwung Chinas hauptsächlich auf das Phänomen des auf den Konfuzianismus zurückgehenden Familismus 16 zurückzuführen. Der Familismus konnte selbst durch den Kommunismus nie vollständig ausradiert werden und prägt bis heute »die Grundstruktur der sozialen Beziehungen in China und damit auch das ökonomische Verhalten der Chinesen.« (Liu 2013, S. 429) Laut Liu (2013) entwickelten sich auf dieser Grundlage »informelle soziale Institutionen, um die für die Verfolgung privatwirtschaftlicher Interessen ungünstigen formellen Institutionen der Staats- und Rechtsordnung zu umgehen« (S. 426), auch guanxi 关系 genannt, was die kulturelle Praxis des reziproken Schenkens renqing 人情 beinhaltet (Liu 2013, Li 2011). Diese Institution basiert auf emotionalen und altruistischen Beziehungen zwischen Blutsverwandten, also Klanmitgliedern. Die starke Bindung innerhalb von Klan und Familie ermöglichte »eine vertrauensvolle wirtschaftliche Kooperation in einer staatlichen Rahmenordnung, die keinen gesetzlichen Schutz für Privateigentum gewährte« (ebd., S. 431). Geschäftsbeziehungen entstanden deswegen zunächst einmal innerhalb der Familie und des Klans. 17 Der Familismus beschreibt das stark ausgeprägte Vertrauensverhältnis zwischen Freunden und nahen Verwandten und ist charakterisiert durch ein Denken und Handeln auf der Basis von Familien- und Klanstrukturen. Damit ist er Teil der traditionell chinesischen Kultur, die die Familie als kleinste gesellschaftliche Einheit betrachtet (Liu 2013). 17 Dies wird insbesondere deutlich am Aufkommen der sogenannten TVEs (Town and Village Enterprises) in den 1980ern. Diese beförderten den Beginn und das Aufblühen 16

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Das Problem der Korruption in China

Nepotistisch, wie diese Geschäftsbeziehungen von Anfang an waren, mündeten sie dann in Korruption durch die Involvierung von lokalen Kadern, die Mitglieder des Klans waren und eine gewisse ›Schutzfunktion‹ ausübten, indem Geschäftstätigkeiten vor willkürlichen Eingriffen des sozialistischen Staats geschützt wurden (Liu 2013, vgl. Guo 2014). Insofern handelte es sich in der Anfangszeit nicht um Korruption basierend auf einem bloßen Austausch von Geld gegen Macht. Die Marktwirtschaft hat sich in China zwar mittlerweile etabliert, aber das Rechtsystem ist bis heute defizient, was wiederum erklärt warum guanxi bis heute eine große Rolle spielt und diese Netzwerke im Zuge der Zunahme der Privatwirtschaft immer umfassender wurden. 18 Das Problem mit guanxi-Netzwerken heute ist, dass sie eben nicht mehr eine ›Reserve‹ an ›sozialem Kapital‹ (Gransow 1991, Li 2011) darstellen bzw. der Absicherung gegenüber einem willkürlichen Staat dienen, sondern konkret zur persönlichen (und zur kollektiven (Gong 2002)) Bereicherung genutzt werden durch gezielten Zugang zu Privilegien, ›rent seeking‹ und das Ausschalten ungewollter Konkurrenz durch bewusste politische Markteingriffe über politische Machthaber im eigenen Netzwerk, die im Gegenzug opulent beschenkt 19 werden (müssen) (Liu 2013, Li 2011, Gransow 1991). Insofern wird heute Macht gegen Macht getauscht zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Elite des Landes (Guo 2014). Ursprünglich nur eine gesellschaftliche Austauschpraxis innerhalb des Klans (vgl. Li 2011), ist guanxi heute teilweise eine rein instrumentelle Beziehung zwischen zwei Akteuren, um legale und moralische Barrieren zu überwinden (Li 2011). Für Liu (2013) ist die defizitäre und ineffektive staatliche Ordnung der Nährboden für diese korrupte Form der Netzwerkpraxis zwischen Kadern und ökonomischer Elite mit der unweigerlichen Foleiner Privatwirtschaft in China aufgrund derer der Staat letzten Endes institutionell in Form von Schutz von Privateigentum nachziehen musste (Liu 2013). 18 Die Diversität und Reichweite von Netzwerken ist für den Geschäftserfolg heute entscheidend, denn für den Erfolg müssen immer mehr Marktakteure miteinander vernetzt werden (auch genannt »Netzwerk-Kapitalismus«, Liu 2013, S. 437) (vgl. Liu 2013, S. 435 f., Gransow 1991). 19 Sehr beliebt sind in diesem Zusammenhang beispielsweise Einkaufsgutscheine in Form der beliebten hong bao 红包, der roten Umschläge zum chinesischen Neujahrsfest (Li 2011, Gransow 1991).

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ge einer »wechselseitige[n] Verstärkung und Verschränkung von Politik- und Marktversagen« (S. 445). Guanxi ist heute ein integraler Bestandteil von Korruption in China und schwer zu bekämpfen, da es sich um eine in der Kultur tief verwurzelte soziale Praxis handelt, die heute gewissermaßen entartet ist (Li 2011, Guo 2014). Ein weiteres Phänomen neben guanxi, jedoch unmittelbar damit verbunden, ist der ›Kulturwandel‹ im Staatsapparat hinsichtlich der ›Moral‹ der Staatsfunktionäre. Innerhalb des chinesischen Systems war die Position des Beamten die einzige, die einen traditionellen Zugang zu Macht und Privilegien ermöglichte, abhängig von der jeweiligen Hierarchieebene (Rocca 1992). Dieses System wurde allerdings aufgebrochen durch die Reformen und die daraus resultierende Einkommensschere zwischen staatlichem und privatem Sektor (Gong 1997, Manion 2014). Gerade Kader auf der niedrigen und mittleren Hierarchie-Ebene fühlten sich benachteiligt, da ihre Löhne weit hinter denen der Privatwirtschaft standen (ebd.). Diese Schere war dementsprechend der Anreiz für korruptes Verhalten auf der Seite der Staatsfunktionäre, da sie die Kontrolle über knappe, für die Privatwirtschaft relevante Ressourcen hatten und diese zur persönlichen Bereicherung ausnutzten, um damit das eigene Gehalt aufzubessern (Ko und Weng 2012, Hao 1999, Yi et al. 2018). 20 Aber nicht nur der Einkommenslevel wurde in der Privatwirtschaft überholt, auch der Level des Sozialprestiges. Die neue – wirtschaftliche – Elite, bestehend aus Händlern, Managern, Technikern und Inhabern kleinerer Firmen, beeinflusst von der westlichen Kultur, akkumulierte Wohlstand auf ganz andere Art und in Verbindung mit einer neuen Wertekultur, im Zuge dessen ihr gesellschaftliches Ansehen signifikant wuchs (Rocca 1992, Ko und Weng 2012, Hao 1999, Gong 1997). Um also weiter mithalten zu können, wurde auf Kosten der Steuerzahler gelebt, indem Haushaltsgelder verschiedener Ressorts für Unterhaltung, Essen und Trinken, kleine Geschenke, Reisen und Wohnraum der Staatsbediensteten verwendet wurden (Rocca 1992). Dieses Verhalten einer moralischen Dekadenz und Rocca (1992) spricht hier auch von sogenannten »Kader-Unternehmern«, weil sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur chinesischen Bürokratie – wenn auch ohne formalen Kadertitel – eng mit den formalen Institutionen verbunden waren, aber gleichzeitig privatwirtschaftlichen Aktivitäten nachgingen (vgl. Manion 2014). Durch ihre engen politischen Verbindungen konnten sie dann durch exklusive Verträge mit dem Staat gezielt Monopole aufbauen (Rocca 1992).

20

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Das Problem der Korruption in China

einer Degenerierung der Beamten schwächte die Legitimität der Partei und ihrer Institutionen (Ko und Weng 2012).

3.

Aufdeckung von Korruption und Korruptionskontrolle

In dieser Sektion soll näher darauf eingegangen werden, wie Korruption in China bislang aufgedeckt und kontrolliert wurde. Der Fokus richtet sich hier konkret auf zwei Fragen, die nach einer kurzen Einleitung erläutert werden sollen: Inwiefern trägt die interne Struktur der Parteihierarchie dazu bei, korrupte Praxis einfacher zu identifizieren, bzw. verdeckt sie eher Korruption und zum zweiten, wie bislang (vor Xi Jinping) versucht wurde, Korruption zu kontrollieren und einzudämmen.

Aufdeckung und Kontrolle von Korruption durch Kampagnen Kampagnen waren in der Volksrepublik China lange ein Mittel zur Aufdeckung und Kontrolle von Korruption. Ihre Praxis reicht zurück bis in die Anfänge der Mao-Ära. In den 1950ern gab es zwei große Kampagnen 21, gefolgt von einer weiteren großen in den 1960ern 22 (Hao 1999, vgl. Manion 2014). Diese Kampagnen basierten auf der Annahme, dass Korruption in erster Linie ein individuelles Vergehen darstellt und kein institutionelles oder systemisches Problem und darüber hinaus ein Resultat ›feudalistischen Einflusses‹ ist, welcher bourgeoises Verhalten wie Egoismus und Geldstreben beförderte. So wurden die Massen entsprechend in periodischen Kampagnen mobilisiert, um zur Korrektur des Systems beizutragen durch öffentliches Melden und Kritisieren von Fehlverhalten und ›dekadentem‹ Gedankengut und Verhalten, bei dem der unter Verdacht stehende als ›Rechtsbrecher‹

Diese waren die »Drei-Anti-Kampagne« san fan 三反 (Korruption, Abfall, Bürokratie) und die »Fünf-Anti-Kampagne« wu fan 五反 (Bestechung, Diebstahl von Staatseigentum, Steuerhinterziehung, Diebstahl am Staat von wirtschaftlichen Informationen, Betrug in Bezug auf Regierungsverträge) (Hao 1999). 22 Die »Kampagne der vier Säuberungen«, siqing yundong 四清运动, nahm das Verhalten der Kader in Bezug auf Buchführung, Organisation, Verteilung von Lieferungen, Management der Warenlager etc. sehr genau unter die Lupe (Hao 1999). 21

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öffentlich angeprangert wurde. 23 Diese Aktionen wurden mit entsprechender ideologischer und politischer ›Umbildung‹ kombiniert, die jedoch weder institutionalisiert noch systematisch war (Hao 1999). Diese Maßnahmen zielten letzten Endes aber nie darauf ab, die Gründe von Korruption zu ermitteln und zu beheben, denn die Hauptfunktion der Kampagnen war vorrangig Kontrolle im Sinne eines ›akzeptablen Levels‹, um weitere Exzesse zu verhindern, aber nicht zu eliminieren (Wedeman 2005). 24 Zudem waren Kampagnen deutlich kostengünstiger im Vergleich zu effektiver Überwachung und Kontrolle, die entsprechend Ressourcen benötigen. Selbst die Folgeregierungen nach Mao setzten immer noch auf ad hoc Kampagnen, um Abweichler zu kontrollieren, beispielsweise mit großen Kampagnen in den Jahren 1982 bis 1983, 1988 bis 1989 und 1991 bis 1992 (Hao 1999). Auch wenn diese zunächst erfolgreich schienen, erwiesen sie sich im Endeffekt jedoch als ineffektiv in Bezug auf etwaige Abschreckung aufgrund mangelnder Frequenz (Manion 2014) und Aufdeckung während Routinekontrollen (Wedeman 2005). Laut Manion (2014) unterminierten diese Kampagnen zudem die Einführung eines systematischen Strafrechts und die Institutionalisierung spezieller Antikorruptionsbehörden.

Definition und Kontrolle von Korruption durch das politische und rechtliche System Korruption wird, wie bereits erwähnt, konkret durch das chinesische Strafrecht definiert und reguliert. Ab Mitte der 1990er gab es in der Volksrepublik Bestrebungen, einen institutionalisierten Ansatz bei der Kontrolle und Bekämpfung von Korruption zu verfolgen (Ko und Weng 2012). 25 Insofern war diese Zeit geprägt von einer Vielzahl Ähnlich wie psychologische Kriegsführung zielten die Maßnahmen darauf ab, die Kader in Angst und Unsicherheit zu versetzen und darüber hinaus Schuldige so einzuschüchtern, dass sie sich schnellstmöglich selbst ausliefern, um doch noch Nachsicht zu erfahren. Hinsichtlich der Ausübung von psychologischem Druck wurde auch vor Freunden und Familie nicht Halt gemacht (Wedeman 2005). 24 Zudem war es der chinesischen Regierung durch diese Kampagnen und damit auch durch ›Höhepunkte der Korruptionsbekämpfung‹ möglich, sich in ein entsprechend gutes Licht zu stellen (Manion 2014). 25 Deng Xiaoping hatte verstanden, dass eine systematischere, rechtliche Struktur wichtig war zur Stabilisierung des Regimes, um das Vertrauen des Volkes in die Partei 23

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an neuen Gesetzen im Bereich Wirtschaft und Handel. 26 Darüber hinaus hat allgemein die politische und öffentliche Wahrnehmung von Korruption zugenommen dank des besseren Zugangs zu Medien und Internet (Ko und Weng 2012). Im Zuge des Voranschreitens der Marktwirtschaft wurde auch (wieder) ein leistungsbasiertes Beamtentum eingeführt, Haushaltsplanungs- und Rechnungsprüfungssysteme wurden verbessert, die Verantwortlichkeit für Finanzen wieder zentralisiert, eine bessere Überwachung der Aktivitäten lokaler Regierungen umgesetzt 27 sowie Antikorruptionsregulierungen und deren Durchführung weiterentwickelt (Ko und Weng 2012).

Aufdeckung und Kontrolle von Korruption durch Institutionen Seit Beginn der Mao-Zeit gab es in China bereits Institutionen, die für Korruptionsbekämpfung zuständig waren. Die Zentrale Disziplinarkommission der Chinesischen Partei (ZDCP, im Englischen CDIC) wurde 1949 gegründet. 28 Ihre Aufgabe war es, Parteimitlieder entsprechend des Partei-Ethos zu bilden, den Geist der Partei und eine entsprechende Arbeitshaltung zu befördern, also die Partei entsprechend ›rein‹ zu halten. Des Weiteren war die ZDCP dafür verantwortlich, politische Programme, Richtlinien und Beschlüsse umzusetzen, sowie Korruption zu überwachen und zu ahnden. Ihre Aktivitäten waren aber bis 1977 durch die Kulturrevolution zeitweise ausgesetzt. In 1980er Jahren wurde sie weiter ausgebaut, um die Parteidisziplin

durch Planbarkeit und Berechenbarkeit wieder herzustellen, und, weil eine marktorientiertere Wirtschaft nur auf dieser Basis möglich war (Hao 1999). 26 Insgesamt waren es 1.100 Gesetze und Regulierungen, weitere 6.000 auf lokalem Level (Provinz und Städte) (Hao 1999) sowie weitere knapp 250, die 1998 aktiv genutzt wurden, um Bestechung zu kontrollieren, die 2007 auf mehr als 540 anwuchsen (Ko und Weng 2012). 27 Beispielsweise ist heute die Überwachung durch den technologischen Fortschritt deutlich einfacher geworden (Ko und Weng 2012). 28 Neben der ZDCP ist die Staatsanwaltschaft ebenfalls in die Verfolgung von Korruptionsdelikten involviert, jedoch nur, wenn diese schwerwiegend sind. Generell hat zunächst nur die interne ZDCP Zugriff auf Korruptionsverdachtsfälle, die dann gegebenenfalls an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Viele tatsächliche Straffälle werden jedoch nicht weitergleitet und verbleiben bei der Disziplinarkommission bzw. der Parteiorganisation (Manion 2014).

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zu überwachen und Recherchen durchzuführen, um die Parteiführung in Bezug auf erzieherische Maßnahmen und Antikorruptionsrichtlinien zu beraten (Guo 2014). Heute ist sie Chinas wichtigste Institution im Korruptionskampf. 29

Behinderung von Korruptionsaufdeckung? – Das Mandatssystem Typische Erklärungsansätze im Zusammenhang mit Korruption sind oftmals der Mangel an systematischem Engagement, Widerstand auf Lokalebene und generell Antikorruptionsstrategien, die nicht weit genug gehen (ebd.). Jedoch ist die viel grundlegendere – aber oftmals vernachlässigte – Frage, ob die interne Struktur von Verantwortlichkeiten innerhalb der Parteihierarchie überhaupt eine ausreichende Identifikation von korrupter Praxis zulässt (Birney 2014). Birney (2014) spricht in diesem Zusammenhang von einer Regelung der Verantwortlichkeiten durch eine sogenannte »rule of mandates« (S. 55), d. h. durch Weisungen im Gegensatz zur »rule of law« (ebd.), der Rechtsstaatlichkeit, die verlangen würde, dass Gesetze und Richtlinien ohne Willkür klar umgesetzt werden. Abgesehen davon, dass diese Weisungen bzw. Anordnungen relativer Natur sind, haben sie unterschiedliche Prioritäten (»hierarchically ranked«, ebd.), die entsprechend konfligieren können (beispielsweise Umweltrichtlinien vs. ökonomisches Wachstum der Region). Im Kontext von Korruption und ihrer Identifikation ergeben sich daraus verschiedene Probleme. Beispielsweise kann zwar objektiv festgestellt werden, ob Gesetze bzw. Richtlinien seitens der zuständigen Lokalregierung umgesetzt wurden, bei Weisungen bzw. Anordnungen ist dies jedoch nicht möglich. Ihre Umsetzung orientiert sich an ihrer entsprechenden Priorität, wobei verschiedene Anordnungen aufgrund eines Konflikts nur partiell oder sogar gar nicht umgesetzt werden, was aber nicht automatisch einen Rückschluss auf Inkom-

Bei der Aufdeckung von Korruption wendet der ZDCP allerdings auch fragwürdige Methoden an, wie das sogenannte shuanggui 双规. Hier ist die unter Verdacht stehende Person komplett ausgeliefert, ohne anwaltliche Unterstützung, unter Aufgabe ihrer vorherigen Position und ohne Zugang zu Informationen. Shuanggui zielt darauf ab, die verdächtige Person durch extremen psychologischen Druck zu einem ›Geständnis‹ zu bringen (Guo 2014).

29

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petenz bzw. Korruption zulässt. Zudem ist eine vollständige Umsetzung aller Anweisungen vom System her auch gar nicht angedacht, denn dies bringt auch eine entsprechende (gewünschte) Variation lokaler Gesetze von Provinz zu Provinz bzw. Region zu Region mit sich. Ein weiteres Problem ist der zentralistische top-down-Ansatz. Die Partei ist hier auf die Berichterstattung ihrer Kader angewiesen, wenn es um die Umsetzung von Weisungen, Richtlinien und Gesetzen geht, die wiederum manipuliert sein kann (ebd.).

4.

Korruptionsbekämpfung unter Xi Jinping

Die bisherigen Versuche, Korruption zu bekämpfen, waren offenbar nie effektiv genug, um sie auch dauerhaft einzudämmen. Womöglich, wie Wedeman (2005) bemerkte, war das aber auch nie das eigentliche Ziel der Antikorruptionskampagnen. Insofern stellte Korruption im Jahr 2012, als Xi Jinping 2012 an die Macht kam, nach wie vor ein großes Problem dar: Jeder Sektor war von korrupten Aktivitäten durchzogen und korruptes Verhalten, Klientelpolitik und Nepotismus schienen eher die Norm als die Ausnahme (Li 2012, Zhu 2015). Gerade der Sturz des Bürgermeisters von Chongqing, Bo Xilai, erodierte das öffentliche Vertrauen zutiefst und legte einmal mehr die fundamentalen Defizite des politischen Systems in China offen (Li 2012), u. a., dass hochrangige Funktionäre oftmals von Strafen verschont blieben. Nur wenn ein Fall bereits großes Aufsehen erregt hatte, wie eben bei Bo Xilai, bedienten sich die Behörden eines schwerwiegenderen Strafmaßes, auch um die Öffentlichkeit wieder ruhigzustellen (Zhu 2015). Diese selektive Vorgehensweise führte zu einer generellen Uneinheitlichkeit bei Verfolgung und Verurteilung und endete in erratisch verhängten Strafen. Dies wiederum förderte Skeptizismus und Ärger in der Bevölkerung – insbesondere in der wachsenden Mittelschicht – und die Frage nach der Bestrebung der Behörden, Korruption ernsthaft einzudämmen (Zhu 2015, Li 2012). Xi Jinping erscheint hier als ›game changer‹ in Bezug auf Korruptionsbekämpfung in China. Zusammen mit Deng Xiaoping und Mao Zedong zählt er mittlerweile zu den mächtigsten Führern Chinas (Wang und Zeng 2016). Durch seine Vielzahl an bedeutsamen Ämtern hat er deutlich mehr Macht als seine Vorgänger, denn er trifft die wichtigsten Entscheidungen in den Bereichen Militär, Sicherheit, 137 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Außenpolitik, Staatsbildung, Ökonomie, Finanzen, ökonomische Reform und Politikgestaltung sowie gesellschaftliche Führung (ebd.). Xi ist ein ›Macher‹, ein praktizierender Politiker im marxistischleninistischen Sinn und kein reiner Theoretiker. Politiker haben in seinen Augen nichts im Geschäfts- und Handelsbereich verloren, sondern ihre Aufgabe ist es, die Vision der Partei zu realisieren. Damit rekurriert er auf das idealistische Selbstbild der Kommunisten zu Gründungszeiten der Partei (Brown 2018). Bei Amtsantritt als Parteisekretär im November 2012 sprach Xi sehr deutlich davon, dass die Partei die Verbindung zum Volk und zum Marxismus verloren hat (Brown 2018, Holmes 2015). Denn auf Grund von Bestechung und Korruption schien sie mehr eigennützig orientiert als dem Volk zugewandt (Brown 2018). Er schrieb sich den Korruptionskampf auf die Fahnen und war der Erste, der sich durch seinen vergleichsweise systematischen Ansatz ›fighting tigers and flies‹ nicht davor scheute, auch die hochrangigsten Funktionäre auf die Anklagebank zu bringen (vgl. Holmes 2015). Seit Beginn der Kampagne wurden bereits mehr als 70 hochrangige Funktionäre verurteilt, wobei auch zwei Mitglieder des Politbüro-Ausschusses und des Politbüros selbst darunter waren; auf Provinz-Level waren es mehr als 300 Personen (Wang und Zeng 2016). Insofern wird seine Kampagne von einigen auch als Säuberungsaktion gesehen, um die Bürokratie besser zu kontrollieren (Wang und Zeng 2016, Ko und Weng 2012). 30 Möglicherweise bedient er sich aber auch dieser systematischen Kampagne, um die politische Macht zu zentralisieren und damit letzten Endes wichtige institutionelle Reformen voranzutreiben, die bisher von bestimmten Personen blockiert wurden (Wang und Zeng, 2016; Brown, 2018). Unabhängig davon zeigt sein rigider Korruptionskampf aber auch positive Resultate in der Wirtschaft. Beispielsweise gehen staatseigene Unternehmen (SOEs) wieder effizienter mit ihren Investitionen um, da offenbar politisch-korrupte Beziehungen diese bislang verhinderten (Pan und Tian 2017) 31. Zudem hat sich die Forderung seitens In-

Ko und Weng (2012) merken an, dass die breite Definition von Korruption im chinesischen Strafrecht einen Korruptionskampf begünstigt, der aber im Grunde eine politische Säuberungsaktion ist. 31 Dasselbe lässt sich allerdings nicht über den privatwirtschaftlichen Sektor sagen. Hier werden Investitionen weniger effizient getätigt, eben weil die entsprechenden politischen Verbindungen nun fehlen. Politische Beziehungen sind bei SOEs der Sand im Getriebe, in der Privatwirtschaft hingegen das notwendige ›Öl‹. Dasselbe gilt für 30

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vestoren nach externen Mechanismen zur Führung und Überwachung von Unternehmen (governance) maßgeblich verstärkt, da der Korruptionskampf auch die Ineffizienz rein interner Kontrollmechanismen zu Tage förderte (Fu 2018). Bislang trotzte er den Forderungen, die Partei müsste Verantwortlichkeiten besser strukturieren und organisieren, offener werden und allgemein mehr Rechenschaftspflicht vorweisen, um überzeugend darzustellen, dass sie den Korruptionskampf ernst nähme und damit wieder einen Teil ihrer Legitimität und innerer Stärke zurückgewänne. Und dennoch, trotz seines Widerstands gegen eine fundamentalere innere Veränderung der Partei, ist die Partei heute so stark und einheitlich wie schon lange nicht mehr. Wie lange das so bleiben wird hängt davon ab, wie viele Mitglieder Xi noch zur absoluten Loyalität und Hingabe bzw. Rückkehr zur kommunistischen Ideologie bewegen kann (Brown 2018).

5.

Zusammenfassung und abschließende Reflektion

Korruption in China muss, wie in diesem Artikel dargelegt, immer im Kontext der politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Organisation des Landes gesehen werden. Gerade unter einem sozialistischen System mit keiner vollständig freien Marktwirtschaft wie in China (35 Prozent staatseigene Firmen gegenüber 56 Prozent privatwirtschaftliche Firmen, Emmerich 2017) ist eine Vermischung von staatlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten unausweichlich. Zudem ist China bis heute kein Rechtsstaat. Wie bereits erläutert, ist die chinesische Definition von Korruption, entnommen dem Chinesischen Strafrecht, recht umfassend und bezieht rein wirtschaftliche, aber auch ›moralische‹ Aspekte mit ein. Darüber hinaus fand gerade unter Deng Xiaoping ein Umschwenken zu einer vermehrten Institutionalisierung statt, die mit einer Vielzahl an Gesetzen einherging. Dennoch, das Korruptionsproblem blieb lange bestehen, was zum einen durch Probleme in der Umsetzung und Durchsetzung bedingt war (Ko und Weng 2012), aber zum anderen zusätzlich verstärkt wurde durch die besondere politische Organisati-

die wirtschaftliche Leistung (Pan und Tian 2017) und für den Firmenwert in der Privatwirtschaft (Wang et al. 2018).

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on von Verantwortlichkeiten in der KPCh auf der Basis von Mandaten statt Gesetzen (Birney 2014). Anders als seine Vorgänger ist Xi Jinping das erste Oberhaupt Chinas, welches den Korruptionskampf systematisch durch seine ›tiger and flies‹-Kampagne aufgenommen hat, mit dem Ergebnis von mehr als 340.000 Ermittlungen pro Jahr im Durchschnitt seit 2013 (gegen durchschnittlich 140.000 Ermittlungsfälle in den Jahren 2009 bis 2012, vgl. Guo 2014, ChinaFile 2018). Diese intensive Kampagne erweckt allerdings auch den Verdacht einer politischen Bereinigung der parteiinternen Reihen zur weiteren Zentralisierung seiner Macht, welcher allerdings nun sehr plausibel erscheint, angesichts der erst Anfang 2018 von ihm und der Partei gemeinschaftlich geänderten Regelung zur Länge der Amtszeit, die ihn jetzt zum Präsidenten auf Lebenszeit macht (Giesen 2018). Im Grunde zeigt uns diese neueste politische Entwicklung auch, dass China – bzw. in erster Linie die KPCh – keinerlei Interesse an einer weiteren »Verwestlichung« hat. Es gibt derzeit keinerlei Bestrebungen, das Land demokratischer oder rechtsstaatlicher zu machen (vgl. Li 2012). Eher im Gegenteil ist Xi sehr erfolgreich darin, jedes Aufflammen dieser und ähnlicher Gedanken umgehend zu unterdrücken durch verstärkte Zensur (in Bezug auf soziale Medien, Medien im Allgemeinen und die Presse) und Entfernung jener, die derartiges äußern, von ihrer Position. China wird nach wie vor – und daran hat sich seit mehr als zwei Jahrtausenden nichts geändert – autoritär und paternalistisch geführt (vgl. Holmes 2015); früher in einem konfuzianischen Kontext, heute in einem semi-sozialistischen, denn die eigentliche Art des chinesischen Denkens und der ursprünglichen gesellschaftlichen Organisation und Struktur über Jahrhunderte ließ sich auch durch den Kommunismus nicht ausrotten. Und deswegen wird auch heute in der Partei nach wie vor auf ›Bildung‹ (im Sinne von ›Umbildung‹ zu mehr kommunistischer Moral) gesetzt als auf direkte Bestrafung, wenn es um Korruption geht (vgl. Zhu 2015). Um in den letzten Zeilen noch eine persönliche Prognose auszusprechen: Xi Jinping wird seine Macht weiterhin versuchen zu konsolidieren. Das hat er bereits nach außen hin geschafft durch seine nun unbegrenzte Amtszeit, jedoch muss er seine Macht auch weiterhin parteiintern erhalten, da die KPCh aus zwei oppositionellen Fraktionen besteht (vgl. Li 2012; Wang und Zeng 2016). Der Korruptionskampf wird dafür weiterhin als effektives Mittel eingesetzt werden. 140 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Das Problem der Korruption in China

Darüber hinaus wird aber auch über die verstärkte Zensur dafür gesorgt, dass politisch nur noch eine Einstellung toleriert wird: Loyalität zum chinesischen Staat und zur Partei. Abgesehen von Angestellten im Staatsdienst, wie beispielsweise kürzlich ein Professor an einer chinesischen Universität (China Change 2018), kann heute auch jeder andere, selbst Studenten (Wang 2018), bei öffentlich kundgegebener Illoyalität seine Position verlieren. Die KPCh wird also wieder zunehmend repressiver. Ob sich die Korruption letzten Endes durch Xis Kampagne nachhaltig verringern wird, oder ob jetzt womöglich neue Muster entstehen, bleibt abzuwarten. Da Korruption allerdings durch die Begünstigung von guanxi als jahrhundertelange kulturelle Praxis tief in der chinesischen Gesellschaft verankert ist, besteht allgemein die Frage, bis zu welchem Grad sich Korruption in China überhaupt eindämmen lässt.

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Marco Mansdörfer

Kleine oder Große Korruption? – Ein Essay über Lektionen in und aus Rumänien

I.

Lektionen in Rumänien

Seit einiger Zeit habe ich die Freude, im jährlichen Rhythmus an der juristischen Fakultät der West-Universität Temeswar in Rumänien für eine Woche eine Vorlesung zu halten. Themen dieser Vorlesung sind Korruption, die Europäisierung und Internationalisierung des Strafrechts sowie strafrechtsbezogene Grund- und Menschenrechte. Die Besucher unserer Vorlesung müssen wirklich interessiert sein, denn drei Vorlesungsblöcke mit jeweils vier Stunden in englischer Sprache sind unweigerlich schwere Kost. Für mich als Dozent ist der Austausch mit den Zuhörern dagegen ein wahrer Gewinn. Zu den Dingen, die lange im Gedächtnis bleiben, gehört die kurze Frage eines Rechtsanwalts am Ende des Vorlesungsblocks zur Korruption: Er bedanke sich für die interessanten Ausführungen und würde gerne wissen, ob man nicht zwischen Großer und Kleiner Korruption unterscheiden müsse. Tatsächlich war mir eine solche Unterscheidung nicht bekannt. An die Frage schloss sich daher meine Bitte an, ob der Herr denn erläutern könne, was unter Großer und Kleiner Korruption seiner Meinung nach zu verstehen sei. Die Große Korruption, die nach Auffassung des Zuhörers auch unzweifelhaft strafbar sei, sei die Korruption der Großen und Mächtigen. Beispielhaft gehörten dazu korrupte Staatschefs, die unter Ausnutzung ihrer tatsächlichen Macht unvorstellbare private Reichtümer anhäuften. Kleine Korruption sei dagegen das Handgeld, das man etwa im Alltag bei einem Arztbesuch für die Behandlung bezahle. Meine Antwort ging dahin, dass weder in der landläufigen kriminologischen Literatur noch in der rechtsdogmatischen Literatur entsprechend differenziert würde und alle Formen von Korruption strafwürdig seien. Auch im Alltag müsse es möglich sein, sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen, ohne ein entsprechendes Handgeld zu bezahlen. Meine damalige Antwort entsprang roman145 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Marco Mansdörfer

tisch-naiven Vorstellungen des Bürgers eines hoch entwickelten Sozialstaats, weil sie von medizinischer Behandlung als einer frei verfügbaren Ressource ausgingen.

II.

Große und Kleine Korruption – eine doch sinnvolle Unterscheidung?

Jenseits der Frage der Strafwürdigkeit – sowohl von Formen Großer als auch Kleiner Korruption – macht die kriminologisch-phänomenologische Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen von Korruption möglicherweise mehr Sinn, als es bei einem unbefangenen Blick erscheinen mag:

1.

Zum Phänomen der Kleinen Korruption

Tatsächlich wird eine häufige Erscheinungsform »Kleiner Korruption« in vielen Ländern und in der OECD-Konvention aus dem Bereich der strafbaren Korruption ausgenommen. Konkret handelt es sich um international unter dem Stichwort »facilitation bzw. facilitating payments« bekannte Zahlungen geringer Geldbeträge an Amtsträger, um gewöhnliche Verwaltungsprozesse, wie etwa das Ausstellen von Urkunden oder die Abfertigung am Zoll, zu beschleunigen. Nach der wichtigen Antikorruptionsgesetzgebung der Vereinigten Staaten von Amerika, dem sog. Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) aus dem Jahr 1977, sind solche Zahlungen gerade keine Korruption. Begründet wird diese Ausnahme mit der Erwägung, dass die Zahlungen sich nur in zeitlicher, nicht aber inhaltlicher Hinsicht auf die entsprechenden Prozesse auswirken. Der offensichtliche Einwand gegen die Privilegierung solcher Zahlungen liegt darin, dass sich der Zweck einer Zahlung in der Regel nur schwer feststellen lässt und unter dem Label einer bloßen Beschleunigungszahlung auch inhaltlich Einfluss auf die entsprechende Entscheidung genommen werden kann. Bei der ärztlichen Betreuung einer Schwangeren bei der Geburt kann eine Zahlung zur »Beschleunigung« der Behandlung wegen des drohenden Zeitablaufs der Geburt leicht zur Zahlung dafür mutieren, dass die Frau überhaupt ärztlich betreut wird. Solche Beispiele unklarer Grenzen zwischen bloßer Beschleunigung und inhaltlicher Einflussnahme sind vielfältig. Ähn146 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Kleine oder Große Korruption?

liches gilt bei Beschleunigungszahlungen bei der Zollabfertigung von verderblicher Ware oder zeitlich gebundener Lieferungen. Strom und Gas werden in dem Moment benötigt, in dem sie abgerufen werden, und nicht eine Sekunde später. Gerade rechtskulturell muss auf der anderen Seite gesehen werden, dass im islamischen, indischen und arabischen Lebensraum Baḫšiš bzw. Bakschisch – übersetzt: Gabe, Geschenk – üblicherweise als Entgelt für kleine Gefälligkeiten und als Beschleunigungszahlung kulturell verankert ist. Entsprechendes galt bis in das 18. Jahrhundert in den Flächenstaaten Europas. Dort hatte das Amt den Beamten über sog. Sporteln und andere Zuwendungen zu unterhalten, bis schließlich das Prinzip der Vollalimentation dem Beamten seinen Lebensunterhalt sicherte. In Hochschulen leisteten Studierende bis in die 1970er Jahre Kolleggelder bzw. Hörergelder direkt an Professoren, die sich auf diese Weise mit ansprechenden Vorlesungen ein stattliches Zusatzeinkommen generieren konnten. Kleine Korruption tritt damit in vielfältigen Formen auf. Verallgemeinernd kann Kleine Korruption als die systematische und massenhafte Gewährleistung von im Einzelfall kleineren Vorteilen an Träger einfacher Ämter im Zusammenhang mit deren alltäglicher Amtsausübung definiert werden. Die kriminologische Beurteilung Kleiner Korruption ist eng verknüpft mit der Ausgestaltung der Institutionen im Allgemeinen.

2.

Zum Phänomen der Großen Korruption

Unter Großer Korruption ist die aus Bereicherungssucht betriebene Korruption der Elite in Staat und Wirtschaft gemeint, bei der im Zuge der Durchführung von Großprojekten Geldbeträge bezahlt werden, die normale Einkünfte weit übersteigen. Bei meinem rumänischen Zuhörer war klar, worauf er anspielte: Er sprach von den korrupten Eliten des Ceauşescu-Regimes und der damit bis heute verbundenen Erblast. Große Korruption ist ihrem Grundmuster nach nicht viel komplexer als Kleine Korruption. Milliardenteure Infrastrukturprojekte, finanziert mit Geldern des Staates, werden an vertraute Unternehmen vergeben und von dort fließen Millionen zurück zur Partei, ihren Spitzenpolitikern oder Freunden. Psychologisch einfach zu rechtfertigen ist der Zugriff auf Gelder der Europäischen Union. Die Europäische Union ist für viele Personen 147 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Marco Mansdörfer

eine abstrakte und fremde Institution, sodass Schäden »externalisiert« werden. Rumänien sollen in den Jahren 2014 bis 2017 Fördermittel in Höhe von rund 25 Milliarden Euro gewährt worden sein. Bei einer »Korruptionsrendite« von nur rund 10 % wären damit 2,5 Milliarden Euro zu »verteilen« gewesen. Typische Begleitdelikte solch Großer Korruption sind Geldwäsche, Untreuehandlungen, Amtsmissbrauch und Finanzkriminalität. Die Netzwerke der beteiligten Personen sind umfangreicher und weisen Strukturen organisierter Kriminalität auf, sodass die konkreten Machtverhältnisse und wirtschaftliche Verbindungen häufig verschleiert werden. Strukturell kann Große Korruption also tatsächlich von den »kleinen Gefälligkeiten« des Alltags unterschieden werden. Zur Ermittlung entsprechender Sachverhalte sind regelmäßig Finanzermittlungen und verdeckte Ermittlungsmethoden notwendig. Auch im deutschen Strafprozessrecht wird der Staatsanwaltschaft in solchen Fällen der nahezu unbegrenzte Zugriff auf massive Ermittlungsbefugnisse eröffnet, weil Große Korruption am Ende den Bestand des Staates oder jedenfalls eine massive (Vertrauens-)Krise in die staatstragenden Institutionen begründet.

III. Wege aus der Krise Die Unterscheidung zwischen Kleiner und Großer Korruption ist sicher schematisch. Die Paradefälle Kleiner und Großer Korruption sind erkennbar. Dazwischen gibt es Grenzfälle und schon die Differenzierung zwischen »klein« und »groß«, drängt die Frage nach einer dazwischen liegenden Mitte und deren Beschreibung auf. Auf solche Schattierungen soll an dieser Stelle aber verzichtet werden, um den Vorteil des Denkens in Kontrasten zu wahren und Wege aus der Krise erkennen zu können.

1.

Schwache Institutionen, Verstärkereffekte und der Teufelskreis der Korruption

Große und Kleine Korruption gehören im Gesellschaftsbild eines Landes häufig zusammen. Es ist zwar nicht so, dass die eine Form von Korruption die andere quasi kausal bedingen würde. Es liegt aber

148 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Kleine oder Große Korruption?

nahe, dass beide Formen von Korruption denselben Wurzeln entspringen: der Schwäche der Institutionen. Große Korruption ist in einem Gemeinwesen mit ausgeprägten Strukturen eines (nicht notwendig demokratischen) Rechtsstaats oder auch nur mit funktionierenden Kontrollinstanzen in erster Linie nur als Einzelversagen denkbar. Für ein Anderes sind die Warnzeichen zu deutlich, die regelmäßige Zahl der Mitwisser und Mitbeteiligten zu groß und schließlich müssen die entsprechenden gesellschaftlichen Zirkel geschlossen bleiben. Für Letzteres sorgt dann – je nach Land und Kulturkreis – die Partei, der Stamm oder der Clan. Dem zusätzlich demokratischen Rechtsstaat sind zentrale Kontrollinstanzen in die Wiege gelegt: Das Parlament mit dem Auftrag, die Regierung zu kontrollieren, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gleichheit vor dem Recht sowie eine effektive Erneuerung der Führung des Gemeinwesens durch Wahlen wirken hier positiv zusammen. Die Kleine Korruption von Beamten wird durch solide Vollalimentationen obsolet. Der Beamte, der sich dennoch beschenken lässt, hat viel zu verlieren. Korruption ist zu allem Übel lernbar und entfaltet Beharrungseffekte. Kriminologisch sind damit alle Voraussetzungen gegeben, dass Korruption die Institutionen korrumpiert. Welcher Nutznießer von Korruption verzichtet schon freiwillig auf Vorteile und Privilegien? Keiner. Erst recht nicht dort, wo sich Große und Kleine Korruption wechselseitig psychologisch legitimieren. Die persönliche Rechtfertigung lautet für die einen: Was die Mächtigen machen, ist das eigentliche Unrecht. Die anderen sagen sich: Die Kleinen würden es auch groß machen, wenn sie denn könnten. Im Ergebnis verstärken sich die verschiedenen Formen von Korruption und führen in einen Teufelskreis.

2.

Der Exit aus dem Teufelskreis

Die beschriebene kriminologische Großwetterlage auf dem Gebiet der Korruption unterscheidet sich nicht wesentlich von der bei sonstiger Wirtschaftskriminalität. Gemeinwesen gleichen zudem in Vielem Großunternehmen in der Wirtschaft, sodass Instrumente und Erfahrungen zur Good Corporate Governance durchaus auf die Führung eines staatlichen Gemeinwesens übertragen werden können: Die erste Erfahrung aus der Anti-Korruptionsberatung eines 149 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Marco Mansdörfer

Unternehmens ist die Notwendigkeit einer Kultur der Integrität. Das ist fraglos schwierig, aber ohne Alternative. Der erste Schritt zu einer solchen Kultur kommt idealerweise von der Geschäftsleitung. Ganz wichtig – so heiß es gemeinhin – sei der »tone from the top«. In Unternehmen mit korruptiver Kultur ist die Skepsis gegen eine solche Kultur regelmäßig recht deutlich zu hören. Der Ton der Unternehmensspitze lautet dann zynisch: »Am Ende sind wir sauber, erhalten dafür aber keine Aufträge mehr.« Wer so redet, geht davon aus, dass seine Position und die seines Unternehmens im Wettbewerb wesentlich auf Korruption beruhen. Übertragen auf die Führung eines Gemeinwesens könnte der Slogan lauten: »Am Ende sind wir sauber, haben aber unsere Macht verloren.« Korruption hat gleichwohl keine Zukunft. Die Zeiten haben sich geändert und wer klug ist, erkennt das. Wenn Korruption bekämpft werden soll, darf es keine Toleranz geben. »Zero Tolerance« klingt hart, ist aber die beste Leitlinie. Sie ist einfach zu lernen, wirkt gegen innere Vorbehalte und Ausweichversuche. Eine andere Frage ist, wie das Gemeinwesen mit »Altfällen« umgehen sollte. Das führt unmittelbar zu der Problematik, ob und inwieweit »Amnestieprogramme« legitim oder vielleicht sogar notwendig sind. Sollen politische Eliten ihre Pfründe noch genießen dürfen? Das könnte am Ende gar nicht so abwegig sein, wie es auf den ersten Blick scheint. Amnestieprogramme werden auch in der Diskussion zur Unternehmenscompliance nicht rundweg abgelehnt. Sie dürfen zwar nicht zur Regel oder kalkulierbaren Option werden; aber einer veritablen Wende stehen sie nicht zwingend im Weg. Wie so häufig ist das eine Frage des Einzelfalls. In Rumänien erließ das Kabinett Grindeanu am 31. Januar 2017 ein Amnestiegesetz für Vorteilsnahmen von weniger als umgerechnet 45.000 Euro und begnadigte zahlreiche zuvor der Korruption beschuldigte Politiker. Amnestien ohne gleichzeitige, starke Anti-Korruptionsgesetze sind sicher der falsche Weg. Der Missbrauch liegt hier auf der Hand. Die rumänischen Bürger haben in einem Referendum im Mai 2019 zu 89 % für einen härteren Kampf gegen Korruption gestimmt und sich gegen künftige Amnestiegesetze ausgesprochen. Eine zentrale Frage ist immer, ob es einen ernst zu nehmenden Compliance-Officer gibt. Der Compliance-Officer des Staates ist der Staatsanwalt. Die obersten Korruptionsbekämpfer müssen unabhängig sein und direkten Zugang zur Staatsführung haben. Dies gilt jedenfalls dort, wo Große Korruption auf der Ebene von Ministern und 150 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Kleine oder Große Korruption?

einflussreichen Industriellen zu bekämpfen und in Bahnen zu lenken ist. In Rumänien wurde – damals insoweit vorbildlich – im September 2002 die Nationale Antikorruptionsbehörde (Direcția Națională Anticorupție (DNA) als unabhängige Behörde zur Bekämpfung der Korruption gegründet. Korruptionsbekämpfung kann so ein Gesicht bekommen. Für Kleine Korruption wird regelmäßig die einfache Staatsanwaltschaft stark genug sein. Mindestens so wichtig wie die Verfolgung des Einzelfalls sind aber die Kommunikation des entsprechenden Wandels, rasche Reaktionen und sichtbare Erfolge. In Rumänien stand dafür die Staatsanwältin Laura Kövesi. Korruptionsprävention muss zum gesellschaftlichen Thema und am besten noch positiv besetzt werden. Den Studenten in unserer Vorlesung war der Name Kövesi jedenfalls ein Begriff. Die Medien eines Landes sind dazu berufen, solche Galionsfiguren der breiten Masse vorzustellen. Die intellektuelle Elite eines Landes – von der Wissenschaft bis zur Kunst – kann ihren Beitrag leisten. In jedem Fall helfen können auch international agierende NGOs.

3.

»Nudges« seitens der internationalen Gemeinschaft

Damit ist endlich die internationale Gemeinschaft angesprochen. So, wie der Anstoß für Veränderungen bei der Korruptionsprävention in Unternehmen von außen kam, gilt das heute für viele Staaten. Korruption in einem Gemeinwesen wird nicht länger als rein innere Angelegenheit angesehen. Schmiergeldzahlungen durch Unternehmen entwickelter Staaten sind dort nicht mehr steuerlich absetzbare »Betriebsausgaben«, sondern mittelschwere Straftaten. Die Bemühungen, die die Vereinten Nationen, die OECD und die Europäische Union Ende des letzten Jahrhunderts gestartet hatten, zeigen inzwischen ihre Wirkung. Die deutsche Wirtschaft hat diese Lektion am Beispiel des sog. »Siemens-Falls« im Jahr 2006 gelernt. Der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens meinte unlängst, die Gelder, die früher für Korruption ausgegeben würden, würden heute eben für Compliance ausgegeben. Die Bestrebungen der internationalen Gemeinschaft sind dabei längst noch nicht am Ende angelangt: Neben der Ausdehnung der nationalen Straftatbestände und Strafanwendungsrechte werden Unternehmen zunehmend verpflichtet, auch offiziell über ihre AntiKorruptionsstrategien Rechenschaft abzulegen. Konkret angespro151 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Marco Mansdörfer

chen ist damit das CSR-Reporting nach international gültigen Rechnungslegungsstandards. Diese gehen bereits so weit, dass in einzelnen Geschäftsbereichen offengelegt werden muss, ob überhaupt Zahlungen an Regierungen geflossen sind. Großer Korruption wird hier mit Transparenzpflichten auf der Geberseite entgegengewirkt. Auch damit wird es nicht sein Bewenden haben. Überlegungen gehen schon dahin, die Kompetenzen des Internationalen Strafgerichtshof über Kriegsverbrechen hinaus auf vereinzelte Formen eines Wirtschaftsvölkerstrafrechts – etwa für schwere Umweltdelikte oder Verstöße gegen Handelsembargos – auszudehnen. Zu einem solchen Wirtschaftsvölkerstrafrecht gehören – ungeachtet der Frage, dass die Diskussion darüber noch am Anfang steht – auch die Erscheinungsformen Großer Korruption. Die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit solcher Formen von Kriminalität durch ein Internationales Gericht liegen in der Zwischenzeit vor. Es geht um die Schließung strafrechtsfreier Räume durch stellvertretende Strafrechtspflege. Wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Verhaltensweisen international geächtet sind und die Akteure damit rechnen können, zur Verantwortung gezogen zu werden. Ein Straftatbestand zur Sanktionierung Großer Korruption könnte wie folgt lauten: Wer als Mitglied einer Regierung einen Vorteil großen Ausmaßes für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird bestraft.

IV. Lektionen aus Rumänien Rumänien ist Mitglied der Europäischen Union und führte Anfang 2019 die EU-Ratspräsidentschaft. Auf dem Index von Transparency International rangiert das Land derzeit auf Platz 61 von 180 und damit am Ende des oberen Drittels. Die Verhältnisse in Ländern, die bei Transparency ähnlich gerankt sind, werden in wichtigen Punkten vergleichbar sein; die Verhältnisse von tiefer gerankten Ländern kann man sich entsprechend schlechter vorstellen. Rumänien lehrt uns auch, wie anstrengend der Kampf gegen Korruption ist, und, dass Rückschläge einzukalkulieren sind: Die langjährige Chefin der Antikorruptionseinheit, Laura Kövesi, wurde am 9. Juli 2018 entlassen. Der Grund: Sie hatte ihren Auftrag zu ernst genommen und war der Elite des Landes zu nahe gekommen. Im Februar 2019 wurde gegen Kövesi ein Verfahren wegen »Straftaten im Justizsystem« eingeleitet. 152 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Kleine oder Große Korruption?

Kreise der Europäischen Union werten die Strafverfolgung gegen Kövesi als politisch motiviert. Trotz allem musste der politische Gegenspieler von Kövesi, der Parteichef der PSD Dragnea, im Mai 2019 schließlich doch eine Haftstrafe wegen Korruption antreten. Dragnea hatte zwischen 2006 und 2012 zwei Frauen als Angestellte bei der Stadtverwaltung in seinem Wahlkreis zum Schein beschäftigt und bezahlt, während sie tatsächlich für seine Partei arbeiteten. Meine Antwort auf die Frage, ob juristisch zwischen Kleiner und Großer Korruption zu unterscheiden sei, bleibt: Korruption bleibt Korruption, gleich ob groß oder klein.

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Sigrun von Hasseln-Grindel

Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik Nachhaltige Korruptionsbekämpfung in Wirtschaft und Politik durch Human Law Vorbemerkungen Eine wirksame Korruptionsbekämpfung ist zur Aufrechterhaltung des Vertrauens von Bürgern in staatliche Organe, in die Rechtsstaatlichkeit und in die Demokratie unabdingbar. Strafrechtliche Ahndung und Compliance reichen nicht aus. Wir brauchen mehr öffentliches Bewusstsein darüber, wie katastrophal sich erkaufte Bevorzugung Einzelner in tragenden staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen auf das Gerechtigkeitsempfinden von Bürgern, ihre Rechtstreue und ihr Rechtsverhalten auswirken kann. Und wir brauchen den Willen sowie wirksame Methoden, das zu ändern. Denn Ohnmachtsgefühle politikverdrossener »Wutbürger«, selbst geschaffene »Gerechtigkeit« bis hin zur organisierten Kriminalität, Selbstjustiz und Parallelgesellschaften höhlen den von der Freiwilligkeit seiner Bürger lebenden demokratischen Rechtsstaat aus und stellen seine elementaren Grundlagen zur Disposition. Human Law (HL, Globale Rechtspädagogik), seit 2006 Studienfach an der BTU, analysiert diese Prozesse im Einzelnen, entwickelt Konzepte zur nachhaltigen Beschränkung gesellschaftlicher Zerfallsprozesse und transformiert diese mit rechtspädagogischen Methoden zielgruppenorientiert in pragmatische, von Bürgern aller Generationen, Kulturen und Bildungsschichten einhaltbare Lösungen für den Alltag.

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Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik

Teil A. Korruptionsbekämpfung aktuell: Symptomkosmetik statt Ursachenbekämpfung? I.

Definition, Ausbreitung und Auswirkungen von Korruption

1.

Was ist Korruption?

Korruptes Verhalten ist das Ausnutzen einer Machtposition für einen persönlichen Vorteil unter Missachtung moralischer Standards, von Amtspflichten oder Gesetzen. Korruption gibt es in verschiedenen Erscheinungsformen: Dazu gehören Bestechung, Unterschlagung, Veruntreuung sowie Günstlings- und Vetternwirtschaft. Korruption bereichert einige Wenige, schwächt aber Wirtschaft, Gesellschaft und Staat. 1 2.

Was heißt Bananenrepublik?

»Bananenrepublik« ist die abwertende Bezeichnung für Staaten, in denen – Korruption und Bestechlichkeit vorherrschen, – deren Rechtssystem nicht funktioniert, – wirtschaftliche oder politisch-moralische Verhältnisse von Ineffizienz und Instabilität geprägt sind oder – in denen staatliche Willkür herrscht oder denen diese Eigenschaften zugeschrieben werden. 3.

Weltweite Verbreitung von Korruption

Aus dem von Transparency International 2 seit 1995 weltweit erhobenen Korruptionswahrnehmungsindex (auch Internationaler Korruptionsindex oder Bestechungsindex, CPI) ergibt sich auch für 2018, dass Korruption weiterhin weltweit verbreitet und keine Besserung in Sicht ist 3. Deutschland steht auf Platz elf von 180 Staaten. 4

Vgl. https://www.bmz.de/de/themen/korruption/hintergrund/index.html. https://www.transparency.de. 3 Vgl. Beitrag von Alicia Henning: »Das Problem der Korruption in China« in diesem Band. 4 https://www.laenderdaten.de/indizes/cpi.aspx. 1 2

155 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Sigrun von Hasseln-Grindel

4.

Katastrophale Auswirkungen von Korruption

Die erkaufte Bevorzugung Einzelner in tragenden staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen hat teilweise katastrophale Auswirkungen auf Gerechtigkeitsempfinden, Rechtstreue und Rechtsverhalten von Bürgern. Wenn Bürger dauerhaft an Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und Handlungsfähigkeit des Staates zweifeln, können sie sich aufgrund ihrer chronischen Ohnmachtsgefühle zu politikverdrossenen »Wutbürgern« entwickeln, die sich nach und nach ihre Moral und ›Gerechtigkeit‹ bis hin zur organisierten Kriminalität und Selbstjustiz selbst schaffen und so in eine – zuweilen fanatisierte, militante – Parallelwelt abdriften.

II.

Aktuelle Maßnahmen gegen Korruption

Die Auswirkungen von Korruption sind als Problem international im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Entsprechend wurden in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, in der EU und auf internationaler Ebene Gesetze verschärft und neu verabschiedet. 1)

Gesetze zur Ahndung von Korruption und Bestechung (im deutschen Recht)

Schmiergeldzahlungen werden vor allem im deutschen Strafgesetzbuch geahndet. Hier sind besonders zu erwähnen: Straftaten gegen den Wettbewerb §§ 298–302a StGB § 298 StGB. Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen § 299 StGB. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (Angestelltenbestechung) § 299a StGB. Bestechlichkeit im Gesundheitswesen § 299b StGB. Bestechung im Gesundheitswesen § 299 StGB. Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr § 300 StGB. Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr und im Gesundheitswesen

156 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik

Aus den Straftaten im Amt § 331–§ 358 StGB § 331 StGB. Vorteilsannahme § 332 StGB. Bestechlichkeit § 333 StGB. Vorteilsgewährung § 334 StGB. Bestechung § 335 StGB. Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung § 348 StGB. Falschbeurkundung im Amt § 353 b StGB. Verletzung von Dienstgeheimnissen § 108e StGB. Abgeordnetenbestechung § 108b StGB. Wählerbestechung Damit oft verbundene Straftatbestände: § 261 StGB. Geldwäsche, Verschleierung illegalen Vermögens § 263 StGB. Betrug § 264 StGB. Subventionsbetrug § 265b StGB. Kreditbetrug § 266 StGB. Untreue § 370 AO. Steuerhinterziehung In den letzten Jahrzehnten wurde auch das Vergaberecht ständig verfeinert und verschärft. Es strukturiert die Beschaffungs- und Auftragstätigkeit der öffentlichen Hand, schützt durch seine Regeln den Wettbewerb, erhöht die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen, die die öffentlichen Auftraggeber von der Bedarfsermittlung über die Ausschreibung und die Zuschlagserteilung bis zur Auftragsabwicklung treffen. Schmiergeldvereinbarungen können zudem im Zivilrecht zur Nichtigkeit eines Vertrages wegen des Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB oder gegen die guten Sitten gemäß § 138 I BGB führen. 5 Zu erwähnen sind auch: – UN-Konvention gegen Korruption vom Oktober 2003 – Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom 10. September 1998, IntBestG; BGBl. II 1998 S. 2327

Dr. Harald Schlüter. Schmiergeldvereinbarungen und deutsches Zivilrecht in: http://www.korruptionsrecht.de/pdf/zivilrecht_schmiergeld.pdf.

5

157 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Sigrun von Hasseln-Grindel

– –

Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. 11. 2015 (KorruptionsbG) EU-Bestechungsgesetz (EUBestG)

2)

Staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption

In der gesamten EU werden staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption ergriffen, weil man verstanden hat, welch verheerende wirtschaftliche Schäden einen Staat bzw. einen Wirtschaftsraum treffen können, wenn er den Ruf einer ›Bananenrepublik‹ hat 6. Zu den Maßnahmen von Ländern, Städten und Gemeinden gehören die Bildung von Präventionsräten, der Einsatz von Anti-Korruptionsbeauftragten 7 und das Führen von Korruptionsregistern wie etwa in NRW und Berlin. 3)

Richtlinien für Staatsbedienstete

In wohl allen Bundes- und Landesregierungen, Verwaltungen von Kommunen, Justiz- und anderen Behörden gibt es zahlreiche Richtlinien zur Korruptionsprävention, die den jeweiligen Mitarbeitern in regelmäßigen Abständen zur Kenntnis vorgelegt werden. 8 4)

Compliance

Unternehmen achten auf die Einhaltung der Gesetze im Unternehmen und schaffen darüber hinaus noch eigene Regeln. In manchen Firmen sind ganze Stäbe mit der Erstellung von Unternehmenskodizes befasst. Die vorrangigen Ziele von Compliance sind Risikominimierung, Effizienzsteigerung und Effektivitätssteigerung. Verbriefte Regeltreue wird zum Wettbewerbsfaktor. Die Compliance-Systeme umfassen sieben Elemente: Ziele, Kultur, Risiken, Organisation, Programm, Kommunikation und Überwachung.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=LEGISSUM:l33301. Vgl. Beitrag von Wolfgang Rupieper: »Funktion und Aufgaben des Anti-Korruptionsbeauftragten der Stadt Cottbus« in diesem Band. 8 Z. B. Richtlinie der Landesregierung zur Korruptionsprävention in der Landesverwaltung Brandenburg vom 7. Juni 2011. 6 7

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Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik

Teil B. Weitere Ansätze für eine nachhaltige Korruptionsverhinderung I.

Die heutigen Maßnahmen gegen Korruption sind unzureichend

Die Auswirkungen von Korruption sind als Problem zwar international im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Die Tatsache aber, dass Korruption und Bestechung einer Umfrage zufolge in der Wirtschaft und in öffentlichen Institutionen auch in Deutschland zunehmen 9, zeigt, dass die gegen Korruption ergriffenen Maßnahmen insgesamt unzureichend sind. Die Ursachen dürften u. a. darin begründet sein, – dass noch zu wenig gezielte Maßnahmen in den klassischen sieben Schlüsselbereichen der inneren Sicherheit stattfinden, – dass die »klassischen« Täterprofile von Wirtschaftsstraftätern zu wenig beachtet werden und – dass die heutigen Antikorruptions-Maßnahmen zwar die Symptome, nicht aber die Ursachen der – offenbar tief in den Gesellschaften verwurzelten – Korruption bekämpfen!

II.

Mehr gezielte Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung in den sieben Schlüsselbereichen der inneren Sicherheit

Klotzen, nicht kleckern! Die klassischen sieben Schlüsselbereiche der inneren Sicherheit sollten auf ihre potenzielle Korruptionsanfälligkeit analysiert und insbesondere hinterfragt werden, an welchen Stellen Korruption gefährlich (genehmigte Brücke mit minderwertigem Beton gebaut) oder gesundheitsschädlich (zugelassenes Medikament krebserregend) wäre oder dem Vertrauen der Bevölkerung in einen funktionierenden Rechtsstaat besonders dramatisch schaden würde (gekaufter Richterspruch). Diese sieben Schlüsselbereiche der inneren Sicherheit gliedern sich in: Schlüsselbereich 1: Religion & Identität Schlüsselbereich 2: Mitmenschlichkeit & Gesundheit https://web.de/magazine/wirtschaft/wirtschaftschefs-zunehmende-korruptiondeutschland-33538024.

9

159 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Sigrun von Hasseln-Grindel

Schlüsselbereich 3: Wirtschaft & soziale Gerechtigkeit Schlüsselbereich 4: Technologie & ethische Grenzen Schlüsselbereich 5: Bildung, Kultur, Erziehung Schlüsselbereich 6: Kriminalitätsprävention & -repression Schlüsselbereich 7: Menschenrechte, Recht, Gesetzgebung, Verwaltung & Justiz Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 1: Religion & Identität Grundlagen aus den Bereichen der Religionen, der Geschichte und der Ethnologie Beispiel: In manchen Kirchen sind Bischofswahlen durch Zahlung von Bestechungsgeldern an die Wahlmänner verzerrt worden. Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 2: Mitmenschlichkeit & Gesundheit Grundlagen aus natürlichen Gesetzmäßigkeiten, wie Hirnforschung, Psychologie (Motivationsforschung) und (interkultureller) Medizin und Sport Beispiele: – Ministerialbeamte des Gesundheitsministeriums genehmigen teure Medikamente und medizinische Geräte, die entweder weniger gut oder gar schädlich sind. – Ein Arzt kümmert sich nur gut um die Patienten, deren Familien ein »Extrahonorar« bezahlen. – Mediziner einer Uniklinik sprechen sich für den Bluttest eines bestimmten Unternehmens aus, der Brustkrebs anhand von Biomarkern erkennen soll, in Wirklichkeit aber noch nicht erprobt ist und keine zuverlässigen Ergebnisse liefert. – Privatpatient erhält beim Arzt schneller einen Termin als ein Kassenpatient. – Sogar an Pflegepersonen während der Behandlung verabreichte Trinkgelder bestechen, wenn sie Vorteile bis hin zur Zwei-Klassen-Medizin verursachen können. – In vielen Ländern gehört die Zahlung von Bestechungsgeldern in Krankenhäusern zum Alltag, um beispielsweise einen OPTermin zu bekommen.

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Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik

Anmerkungen: Im Gesundheitswesen kann Korruption zu überhöhten Preisen führen und den Zugang zu medizinischen Leistungen erschweren. Weiterhin kann sie dazu führen, dass sich Untersuchungs- und Therapieformen oder Medikamente etablieren, die objektiv betrachtet keine medizinisch optimale Behandlung darstellen. Der Gesetzgeber hat darauf im Schlüsselbereich 2: »Gesundheit« reagiert, durch Einführung der o. a. §§ 299 a, 299 b und 300 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen). Auch Gerichte 10, Ärztekammern und Krankenkassen arbeiten am Schutz vor Korruption im Gesundheitswesen. 11 Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 3: Wirtschaft & soziale Gerechtigkeit Erkenntnisse aus der Armutsforschung und neue Ansätze für eine funktionierende Wirtschaft. Beispiele: – Bauunternehmer erhält seine Aufträge aufgrund von Bestechung. – Rüstungskonzern darf Waffen in Kriegs- und Krisenländer exportieren, nachdem er politisch Verantwortliche bestochen hat.

Anmerkungen: In Deutschland gaben der Siemens-Korruptionsskandal 12 und der Hartz-Skandal im VW-Konzern wichtige Anstöße für die Auslösung des Compliance-Hypes. Die unverhohlene Beeinflussung, beispielsweise von Betriebsräten mit Hilfe von Sex-Reisen nach Thailand, ließ den Eindruck entstehen, dass die Führungseliten in den UnternehBGH, Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11 –, BGHSt 57, 202–218 zur Strafbarkeit eines niedergelassenen Arztes mit Kassenarztzulassung wegen der Teilnahme an einem Prämiensystem eines Pharmaunternehmens bei Verordnung bestimmter Medikamente. 11 Vgl. Deiters, Mark: Rahmenbedingungen strafbarer Korruption im Gesundheitssektor. In: 16. Münsterische Sozialrechtstagung, Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Leistungserbringern – am Rande der Legalität, 12. November 2010 in Münster. Karlsruhe 2011, S. 1–20. 12 Vgl. Beitrag von Michael Aßländer: »Der Korruptionsfall Siemens« in diesem Band. 10

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Sigrun von Hasseln-Grindel

men sich um Moral, Recht und Gesetz wenig scheren. Hauptsache der Profit stimmt, so schien augenscheinlich die Devise. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der §§ 299 und 300 StGB auf Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr reagiert. Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 4: Technologie & ethische Grenzen Grenzen menschlicher Möglichkeiten, seien sie intellektuell, physisch oder psychisch, werden durch den Einsatz technologischer Verfahren ermittelt. Beispiele: – Behörde erlaubt gefährliche Gen-Technologie. – Studie verharmlost Handy-Risiken. Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 5: Bildung, Kultur, Erziehung Beispiele: – Schule erhält Klavierflügel für die Aula, Tochter schafft Abitur. – Schulbuchverlag mit politisch bedenklicher Ausrichtung macht Schulämtern ein Dumpingangebot. Daraufhin werden für Schulen ein Großauftrag mit Geschichts- und Deutschbücher geordert, die ein verzerrtes Geschichtsbild wiedergeben. – Universität erhält Spende. Sohn erhält Promotion. 13 – Bestochener Schiedsrichter lässt eine Fußball-Mannschaft gewinnen. – Sportfunktionäre beeinflussen durch Schmiergeldzahlungen die Austragungsorte großer Sportevents. Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 6: Kriminalitätsprävention & -repression In diesem Bereich ist seit vielen Jahren eine deutliche Änderung des Zeitgeistes zu spüren. Zwar werden Forderungen von Justizministern, wie: »Kleine Diebstähle, Unterschlagungen und Schwarzfahren brauchen nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. So können wir die Justiz entlasten«, inzwischen nicht mehr gestellt, weil man die katastrophalen Folgen für die Rechtstreue des Bürgers erkannt hatte. Vgl. Entziehung des Doktorgrades wegen Bestechung eines Hochschullehrers. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017 – 6 C 4/16 –, BVerwGE 159, 171–187.

13

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Doch gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass sich im Polizeibereich nach und nach mafiöse Strukturen entwickeln. 14 Der Polizeibeamte, der für ein kleines Trinkgeld bei einer einzelnen Sachbeschädigung wegschaut oder einen Trunkenheitsfahrer laufen lässt, ist nicht das Kernproblem. Erheblich schlimmer ist es, wenn Polizei generell nicht mehr für den Bürger präsent ist oder sich gar weigert, Strafanzeigen entgegenzunehmen, damit die Kriminalstatistiken ›stimmen‹. Besorgniserregend sind zunehmende Einflussnahmen auf Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgerichtsbarkeit durch großzügige Spenden für Mobiliar, Einsatzfahrzeuge, sonstige Sach- und später Personalmittel (= Schritt 1 der Bildung mafiöser Strukturen) und schließlich der Ausbau und die Festigung der politischen Einflussnahme durch Zuwendungen, Erpressung und Gewalt (= Schritt 2 der Bildung mafiöser Strukturen. Mafia und Organisiertes Verbrechen). Dazu gehören die Ankündigung geplanter Razzien oder gar direkte Kooperationen mit organisiertem Verbrechen. Typische Korruptionsgefahren im Schlüsselbereich 7: Menschenrechte, Recht, Gesetzgebung, Verwaltung & Justiz Beispiele für Korruption: – der Politiker, der seinen Freunden und Verwandten gute Posten verschafft; – der Verwaltungsbeamte, der Baugenehmigungen verkauft; – der Baudezernent, der die Umnutzung eines Wochenendhauses zum dauerhaften Wohnen genehmigt; – das Bauamt, das Aufträge an bestimmte Firmen vergibt; – die Baubehörde, die einem Minister den Bau eines privaten Ferienhauses im Naturschutzgebiet genehmigt; – die Führerscheinstelle, die einem Alkoholiker eine Fahrerlaubnis gibt. – der Richter, der sich vom Angeklagten bestechen lässt und ein mildes Urteil fällt.

Heck, Meinrad. Mafiöse Strukturen sind verbreitet. Experten ziehen eine alarmierende Bilanz der organisierten Kriminalität, die weite Teile der Wirtschaft und der Politik beeinflusst. Stuttgarter Zeitung. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt. kriminalitaet-mafioese-strukturen-sind-verbreitet.11d2baf5-d5a0-4547-a7b2–19f94 8e72b0e.html.

14

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Im Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Justiz führt Korruption – sowohl zu hohen materiellen Schäden – als auch zu immateriellen Auswirkungen, wie Vertrauensverlust der Bürger in staatliche Organe. So kann es beispielsweise zu Auftragsvergaben an Unternehmen kommen, obwohl sie teurere oder schlechtere Leistungen erbringen als solche Unternehmen, die bei einer objektiven und transparenten Ausschreibung ausgewählt würden. Die den Amtsträgern gewährten Vorteile werden in der Regel bei der Rechnungsstellung eingerechnet. Deshalb werden dann Leistungen abgerechnet, die entweder gar nicht oder nicht in dem ausgewiesenen Umfang erbracht wurden. Die finanziellen Lasten hat letztlich der Steuerzahler zu tragen. Dabei gilt, dass eine Ausnutzung öffentlicher Positionen zum privaten Vorteil gemeinwohlwidrig ist.

III. Berücksichtigung von Persönlichkeitsprofilen von Wirtschaftsstraftätern Eine erfolgreiche Strategie gegen Korruption ist weiterhin nur möglich, wenn wir wissen, mit welchem Tätertypen wir es i. d. R. zu tun haben. Es gibt zwar nicht den Typ des (Wirtschafts-)Straftäters schlechthin. In seiner empirischen Studie über Persönlichkeitsprofile von Wirtschaftsstraftätern hat der Berliner Detektiv Lothar Müller jedoch interessante Übereinstimmungen festgestellt, die auf viele Wirtschaftskriminelle in Deutschland zutreffen: »Charakteristisch ist das nicht vorhandene Rechtsbewusstsein. Wirtschaftsstraftäter handeln ja nicht – so geben sie vor – im persönlichen, eigenen Interesse. Sie handeln immer im Interesse der Gesellschaft oder des Unternehmens. Und die Rechtfertigung ist immer da: Ich wollte doch meine Firma retten. Ich wollte die Bilanz verändern, um den Kredit von der Bank zu bekommen, damit ich mit dem neuen Produkt auf dem Markt weiterhin bestehen kann. Die Rechtfertigung besteht immer und die sieht immer super aus.« 15 Interview mit Diplomkriminalist Lothar Müller in https://www.openpr.de/news/ 515322/Persoenlichkeitsprofile-von-Wirtschaftsstraftaetern.html.

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Wenn Wirtschaftsstraftäter auch sehr unterschiedlich sind, gibt es nach Lothar Müller doch einige ähnliche Charakteristika: 16 • männlich, • deutsch, • nicht vorbestraft, hat keine (bekannte) Schulden, • besitzt Macht- und Entscheidungsbefugnis in Unternehmen und/oder Verwaltung, • ist ehrgeizig, investiert viel Zeit in den Beruf, besitzt Fachkompetenz, • gilt als Aufsteiger, oft über den zweiten Bildungsweg, • besucht Fort- und Weiterbildung, ist auch Vorstandsmitglied, • ist mit Korruptionsstrukturen seit zehn bis zwanzig Jahren vertraut, • legt Wert auf hohen gesellschaftlichen Status und Lebensstandard, • hat keine illegalen Wertvorstellungen, • versteht sich nicht als kriminell handelnd, • verfügt über ausgeprägte Rechtfertigungs- und Neutralitätstechniken.

IV. Berücksichtigung von Korruption auch als Symptom einer überforderten Gesellschaft in einer tiefen Krise tradierter Sinnbestände Wir können das Paket mit Antikorruptions-Maßnahmen noch so gut füllen und noch so fest schnüren; die Maßnahmen werden im Ergebnis kaum Abhilfe schaffen, wenn wir nicht die eigentlichen Ursachen der – offenbar tief in den Gesellschaften verwurzelten – Korruption erkennen und verstehen lernen. So können wir nicht außer Acht lassen, dass es in den letzten 110 Jahren eine Kumulation multipler Herausforderungen gegeben hat, die sowohl die Gesellschaft(en) als auch den einzelnen Menschen von Grund auf erschüttert haben.

Müller, Lothar. Persönlichkeitsprofile von Wirtschaftsstraftätern. Stuttgart 2010; auch zu beziehen über die Deutsche Gesellschaft für Kriminalistik.

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1)

Überforderung der Gesellschaft durch Leben in einem Zeitalter rascher und tiefgreifender Veränderungen der Menschheitsgeschichte und Umgestaltungen der Gesamtgesellschaft

a)

Identitätskrisen durch 110 Jahre Zeitalter der Extreme. Paradigmenwechsel bei elementaren Wert- und Moralverankerungen Identitätskrisen durch immense technologische Fortschritte (Selbstreproduktion und -vernichtung) und Leben in neuen sozialen Welten im virtuellen Zeitalter. Kampf der Kulturen. Unterschiedliche Moralvorstellungen. Verfall von Werten und Sitten. Erlaubt ist, was gefällt. Kaum positive Vorbilder. Gesellschaftliche Kältewelle. Anstieg der Weltbevölkerung. Hunger, Armut. Kampf um Rohstoffe. Wirtschaftskriege. Ausbeutung von Arbeitskraft. Gier. Gnadenloser Ellenbogenkampf. Korruption, weltweiter Machtmissbrauch. (Organisiertes) Verbrechen. (Internationaler) Terrorismus. Endzeitstimmung aufgrund aller vorher genannter Faktoren und aufgrund massiver Klimaänderungen.

b)

c)

d) e)

f)

2)

Entwurzelte Menschen

Aktuell scheinen fast alle stabilisierenden Faktoren der meisten Menschen – auch i. S. d. Kriminalprävention – beeinträchtigt zu sein. Menschen, denen die wichtigsten ethisch-moralischen Maßstäbe des Lebens und des Zusammenlebens verloren gegangen sind, die kaum noch Tabus kennen und nicht in dem Bewusstsein leben, viel verlieren zu können, wenn sie Gesetze nicht einhalten, sind potentiell gefährdet, grundsätzlich nur so zu handeln, dass es ihnen zum Vorteil gereicht, ohne dabei Rücksicht auf andere zu nehmen. a) In den Bereichen Ethik, Religion und Moral fehlen heute meist Vorbilder, Ideale und Lebensüberzeugungen oder sie werden durch Fanatismus ersetzt. Noch vor wenigen Jahrzehnten erkannten viel mehr Menschen der westlichen Welt eine höhere Macht voller Ehrfurcht an und glaubten daran, sich dieser gegenüber – spätestens am Ende des Lebens – verantworten zu müssen. b) Empathie/gegenseitiges Einfühlen als Voraussetzung für die Achtsamkeit zu Mitmenschen, Tieren und Pflanzen fehlt oft in einem erschreckenden Ausmaß. Angeboten wird Bodybuilding, um zu lernen, seine Ellenbogen noch effektiver einzusetzen. 166 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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c) Stabile Sozialkontakte – Partner, Familie, Freunde, Gesellschaft – scheinen beliebiger und schnelllebiger geworden zu sein. Das soziale Gefüge schien früher gefestigter; es gab mehr regelmäßige Bezugspersonen, Rituale und Bräuche. Die Mitglieder der Gemeinschaft fühlten sich im Großen und Ganzen in ihrer Gemeinschaft integriert und spürten Verantwortung für die nachkommende Generation. d) In den Bereichen Heimat und Staat gibt es oft große Irritationen. Bürger sind verunsichert, wenn sie keine Wurzelhaftung, Sozialkontrolle und Stabilität mehr fühlen. Im Ergebnis hatten früher mehr Menschen Vertrauen in das politische System ihres Staates. e) In den Bereichen Erziehung, Bildung und Ausbildung bestehen Unsicherheiten, welche Werte, Normen und welcher Verhaltenskodex vermittelt werden sollen. f) Noch vor wenigen Jahrzehnten glaubte der Mensch an den Fortschritt der Gesellschaft, in der er lebte. Heute ist der Fortschrittsgedanke oft mit Angst besetzt. Gengemüse, Roboter, die intelligenter als Menschen sein könnten, die Züchtung von Mensch-Tier-Chimären 17, Planeten vernichtende Waffensysteme. g) Beruf ist meist keine auf Dauer angelegte, die Identität prägende Berufung mehr, sondern ein auf (möglichst schnelles) Geld ausgerichteter Job, der das Einkommen sichern soll. h) Zeitgeist »Musthaves«. Lebensziel ist es oft, viel Geld zu verdienen, um ›sich etwas (Materielles) leisten zu können‹. Geradezu eine Steilvorlage für Korruption. Ergebnis: Zunehmend fehlende ethisch-moralische Maßstäbe bis hin zu gesellschaftlichen Zerfallsprozessen mit beängstigenden Auswirkungen auf die internationale Gesamtgesellschaft, Wirtschaft und Politik. – Internationale Auswirkungen haben begonnen: Terrorismus, Rohstoff- und sonstige Verteilungskriege, Aushöhlung und faktisches Ende des Völkerrechts und der Menschenrechtskonvention(en).

Z. B. Elke Bodderas, https://www.welt.de/wissenschaft/article161601501/DasSchwein-des-Anstosses.html.

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Innerstaatliche Auswirkungen: Verarmung, Verrohung, Korruption, Faustrecht, Selbstjustiz, Fundamentalismus, Überwachungs- und Polizeistaat, Ende der Demokratie(n), Armut, Barbarei, Anarchie, Ende der Zivilisation.

5 vor 12: Wollen wir diese unheilvolle Entwicklung verlangsamen oder gar wirksame Impulse dagegen setzen, brauchen wir neue ganzheitliche Ansätze, ein neues gesamtgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein. Auch Transparency International sieht Korruption als gesamtgesellschaftliches Phänomen, dessen Beseitigung in den Köpfen beginnen muss 18. Der österreichische Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Marin führte in Bezug auf die UN-Prognose für 2030 aus: »Wer Gewalt (und Korruption) verhindern will, muss die gesellschaftlichen Zerfallsprozesse nachhaltig beschränken.« Neue Hoffnung: Aufgrund der Möglichkeit der worldwide Nachrichtenübermittlung ist es nicht unmöglich, gesellschaftliches Bewusstsein innerhalb kürzester Zeit auch positiv zu beeinflussen. Das beweist derzeit die im Jahr 2003 geborene schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg. Ihr Einsatz für eine konsequente Klimapolitik findet international Beachtung. Die von ihr ausgelösten »Schulstreiks für das Klima« sind inzwischen zur globalen Bewegung »Fridays for Future« gewachsen. Greta Thunberg wurde laut Wikipedia vom amerikanischen Magazin Time in die Liste der 25 einflussreichsten Teenager des Jahres 2018 und in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2019 aufgenommen.

18

https://www.transparency.de.

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V.

Lösungsansätze zur nachhaltigen Verhinderung von Korruption durch den ganzheitlichen Ansatz Globale Rechtspädagogik/ Human Law

1)

Human Law – ein Weg aus der Krise der tradierten Sinnbestände

Human Law (globale Rechtspädagogik) ist ein Konzept mit ganzheitlichem Ansatz zur nachhaltigen Begrenzung von gesellschaftlichen Zerfallsprozessen in einer globalen Gesellschaft. 19 Das in der Praxis erprobte 20, interdisziplinäre und kulturenübergreifende Universitätslehrfach »Globale Rechtspädagogik«/»Human Law«, das an den Universitäten Cottbus von 2006–2016, Warschau seit 2009 (Rechtspädagogik in Erziehung und Resozialisierung) und Tunesien seit 2015 gelehrt wird, hat das Potential, bei konsequenter flächendeckender Anwendung nachhaltig zur Verbesserung der inneren Sicherheit beizutragen. – Globale Rechtspädagogik/Human Law wirkt in der Praxis gegen achtloses Verhalten, (rechte) Gewalt, Dogmatismus, Fanatismus, Extremismus, Rassismus und allgemeine Kriminalität einschließlich Korruption. – Human Law trägt auch zur reibungslosen Integration von Menschen unterschiedlicher Kulturen auf Augenhöhe im interkulturellen Alltag bei. 2)

Maßnahmen zur Förderung eines neuen gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins

Eine konsequente rechtspädagogische Erziehung in Elternhaus, Kindergarten, Schule, Ausbildungsbetrieb und Jugendeinrichtung bereitet Kinder aus verschiedenartigen Elternhäusern realistisch auf ein Leben mit Rechten und Pflichten in einer komplexen internationalen Gesellschaft vor. Sie lernen von klein auf den achtsamen und emVgl. Hasseln, Sigrun von (Hg.). Rechtspädagogik: Von der Spaß- in der Rechtsund Verantwortungsgesellschaft. Norderstedt 2006. 20 Herabsetzung des Rückfalls bei Mehrfach- und Intensivtätern von 70 % auf unter 8 % im Rahmen des seit 1999 beim Cottbuser Jugendrechtshaus mit EU-Mitteln (immer wieder neu) geförderten laufenden HSI- Projektes »Haftvermeidung durch soziale Integration«. Vgl. dazu: Kraszon-Gasiorek, Erika: Auf der Suche nach Identität. Der Crashkurs vor der Verhandlung oder Hauptverhandlung. In: Erfolgreiches Arbeiten mit Intensivtätern. Dokumentation über den 3. Brandenburgischen Jugendgerichtstag 2007. DVJJ-Extra 7. 19

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pathischen Umgang mit Menschen jeglicher Herkunft, jeglicher Bildung, jeglichen Alters, mit Gesundheit und Gebrechen sowie mit Tieren und Pflanzen. Sie lernen aber auch, sich selbst vor Manipulationsversuchen, Ausbeutung und Übergriffen jeder Art zu schützen. Zur rechtspädagogischen Erziehung gehören das Einüben von Rechtskultur und von sozialadäquatem Verhalten selbst in schwierigen Situationen sowie die Sensibilisierung für Verhaltensweisen, die das Gemeinwohl stören und die innere Sicherheit gefährden, wie etwa die Korruption. Globale Rechtspädagogik/Human Law wird auch in der Erwachsenen-Fort- und Weiterbildung über die Akademie für Rechtskultur und Rechtspädagogik gelehrt 21. 3)

Konkrete Übungen zur Bekämpfung von Korruption im Rahmen der 21 rechtspädagogischen Regeln/21 Basics of Human Law

Im Zentrum der Wissenschaft und Praxis von Human Law stehen die 21 rechtspädagogischen Regeln. 22 Sie werden unterteilt in – Regeln aus dem Bereich der Empathie – Regeln aus den Bereichen der Vernunft – Regel aus den Prinzipien der Dynamik Die 21 Regeln bedingen und begrenzen sich gegenseitig. Alle Regeln sind überwiegend bekannt und einfach nachzuvollziehen und deshalb auch international gut vermittelbar. Die – teilweise auch in liebenswerter Bildersprache dargestellten Regeln/Basics – vermitteln schon Kindern ab vier Jahren und Erwachsenen einfühlsam, wie man mit anderen friedlich zusammenleben und dabei Spaß haben kann. Bezogen auf das Phänomen der Korruption kann im Rahmen der 21 Regeln berücksichtigt werden, dass Korruption auch als Symptom einer überforderten Gesellschaft in einer tiefen Krise tradierter Sinnbestände und entwurzelter Menschen beurteilt werden muss, dass zusätzlich ›klassische‹ Persönlichkeitsprofile von Wirtschaftsstraftätern zu berücksichtigen sind und dass es mehr gezielte Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung in den sieben Schlüsselwww.akademie-humanlaw.de Vgl. Büttner-Stülpnagel, Stefan und Hasseln, Sigrun von: Die Aufstellung rechtspädagogischer Regeln und die Begründung der Regeln der Rechtspädagogik. In: Hasseln, Sigrun von (Hg.). Rechtspädagogik a. a. O., S. 179–224.

21 22

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bereichen der inneren Sicherheit geben muss. Die 21 Basics of Human Law sind zudem mit internationalen Menschenrechten, Grundrechten, unserer Rechtsordnung mit den geltenden Gesetzen sowie mit den Grundlagen zeitgemäßer, demokratischer Pädagogik, Psychologie, Medizin, Ökologie und Ökonomie kompatibel. Nachfolgend wird ein stichwortartiger Überblick gegeben, wo und wie die 21 rechtspädagogischen Regeln mithelfen können, Korruption einzudämmen – teilweise mit konkreten Beispielen. Regeln aus dem Bereich der Empathie Regel Nr. 1: »Erziehung ist Beispiel & Liebe.« (Fröbel) Rubrik: Prinzip der reinen Zuneigung Abkommen/Gesetz: Prinzipien der Menschenwürde (Generalklausel), Art. 1 Menschenrechtskonvention (MRK), Art. 1 Grundgesetz (GG) Antikorruptionsmaßnahme: Als Vorgesetzter ständig Vorbildfunktion üben. Mitarbeitern Sympathie um ihrer selbst willen zeigen, nicht (nur) weil sie Erfolg haben, sich für ihre Probleme interessieren und sie bei Misserfolgen trösten. Regel Nr. 2: Menschen sensibel machen. Rubrik: Prinzipien der Emotionalität und der Gewissensbildung Abkommen/Gesetz: Prinzipien der Menschenwürde (Generalklausel), Art. 1 Menschenrechtskonvention (MRK), Art. 1 Grundgesetz (GG) Antikorruptionsmaßnahme: Mit Mitarbeitern auch Entspannungsprogramme durchführen, Ausflüge, Konzerte, spontane Einladungen. Regel Nr. 3: Menschen müssen sich erholen dürfen. Rubrik: Prinzipien der Entspannung Abkommen/Gesetz: Art. 1 MRK, Art.1 GG, Bundesurlaubsgesetz. Antikorruptionsmaßnahme: Mitarbeiter dürfen nicht ständig verplant werden, Ruhepausen gönnen.

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Regeln aus den Bereichen der Vernunft Bildung und Erziehung zur Achtung des Anderen Regel Nr. 4: Menschen sind spätestens ab ihrer Geburt rechtsfähig, gleichberechtigte und eigenständige (Rechts-)Persönlichkeiten, als solche zu achten und dazu anzuhalten, andere ebenso zu achten. Rubrik: Allgemeines Achtungsprinzip und allgemeines Demokratieprinzip Abkommen/Gesetz: Art. 1 GG, Art. 1 MRK Antikorruptionsmaßnahme: Mitarbeiter stets wie mündige Ratgeber auf Augenhöhe behandeln, sie um Rat fragen, mitentscheiden lassen. Jede abfällige Bemerkung über Menschen mit Behinderung, Andersdenkende, Fremde usw. sind sofort energisch zu thematisieren. Hierzu eignet sich besonders gut das sog. sokratische Gespräch. Regel Nr. 5: Menschen haben Tiere und Pflanzen zu achten. Rubrik: Allgemeines Achtungsprinzip Abkommen/Gesetz: Art. 20 a GG Antikorruptionsmaßnahme: Der Betrieb soll sich für Tier- und Pflanzenschutz einsetzen. Das schärft das Bewusstsein von Mitarbeitern, gegenüber allen Kreaturen – auch gegenüber Kollegen und Kunden – achtsam zu sein, und damit auch den Gemeinsinn. Regel Nr. 6: Menschen müssen soziale Kompetenz lernen und stets ausüben. Rubrik: Prinzip der Humanität Abkommen/Gesetz: Art. 1 MRK, Art. 1 GG. Grundlagen des Sozialrechts in Deutschland, Hartz-IV-Urteil des BVerfG Antikorruptionsmaßnahme: Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft im Alltag gegenüber jedermann üben. Manchmal bewirkt eine »Katze vom Dienst« im Eingangsbereich schon wahre Wunder in Hinblick auf soziale Kompetenz einzelner Mitarbeiter – selbst in den Führungsetagen. Regel Nr. 7: Menschen müssen die goldene Regel verinnerlichen: »Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu; und zwar auch keinem Tier.« (Fairplay-Gedanke) Rubrik: Prinzip der Gerechtigkeit (Fairplay) nach John Rawls Prinzip der Gleichheit mit Diskriminierungsverbot sowie der Toleranz, Arthur Kaufmann 172 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Abkommen/Gesetz: Art. 7 MRK, Art. 3 GG. Grundlagen des EU-Behindertenrechts Antikorruptionsmaßnahme: Selbsterfahrungsgruppen in Betrieben mit der Übung von Konfrontationssituationen: Wie fühlt man sich, wenn man von anderen, auch vom Geschäftspartner, hintergangen wird? Fairplay- und Toleranzübungen im Betrieb. Sportfeste mit gut durchdachten Sportregeln, die den Teamgeist fördern. Robinson-Spiel. Erziehung und Bildung Bildung und Erziehung zur Freiheit Prinzipien der Freiheit. Art. 3 MRK. Art. 2, 4, 5, 8, 9, 11, 12 GG Regel Nr. 8: Menschen müssen die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen und zu entfalten. Sie müssen auch erfahren, dass die eigene Freiheit dort endet, wo die des anderen beginnt. Rubrik: Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit; freie Berufswahl Abkommen/Gesetz: Art. 29 Abs. 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG Antikorruptionsmaßnahme: Mitarbeiter sollen nicht das Gefühl haben, nur funktionieren zu müssen. Sie dürfen sich auch als Mensch einbringen und sich entfalten; doch dürfen sie dabei nicht die Ellenbogen gegen andere ausfahren. Regel Nr. 9: Körperliche Beeinträchtigungen und Gewalt sind in jeder Form zu unterlassen, zu verhindern und sofort zu ahnden. Deeskalation. Umorientierung, Konstruktion statt Destruktion. Rubrik: Prinzip der Freiheit, Gewalt- und Opferschutzartikel Abkommen/Gesetz: Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Schutz vor Kriminalität Art. 3, 22 MRK, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Kriminalprävention, Straf- und Strafprozessrecht. Rechtspädagogischer Crashkurs Antikorruptionsmaßnahme: Mitarbeitern und Kunden gegenüber ist jede physische und psychische Gewalt (auch durch Medien, irreführende und zur Sucht verführende Werbung, genmanipulierte Nahrungsmittel, gesundheitsschädliche Arbeit) zu unterlassen. Bildung und Erziehung zur Mündigkeit Regel Nr. 10: Menschen helfen, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten und sich dazu unbeeinflusst ihres Verstandes zu bedienen! Demokratie üben.

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Rubrik: Prinzip der Freiheit nach Kant: »Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« Abkommen/Gesetz: Recht auf (unbeeinflusste) freie Entfaltung der Persönlichkeit. Art. 29 Abs. 1 MRK, Art. 2 Abs. 1, 5 GG. Recht auf Bildung. Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Bildungs- und Hochschulrecht Antikorruptionsmaßnahme: Mitbestimmung im Unternehmen. Gerade in Führungsetagen ist es wichtig, dass begabte Mitarbeiter ihre Persönlichkeit einbringen und sich ihres Verstandes bedienen. Doch hierin kann auch eine Gefahr für den Betrieb liegen. Nach Lothar Müller 23 liegt ein Schwerpunkt der Verhinderung von kriminellen Verhaltensweisen im Bereich Personalmanagement. »Personalmanager sollten unterscheiden können und wollen, ob es sich bei der Führungskraft um einen potentiellen Manager handelt, der auf eine Leistungskarriere verweisen kann oder auf eine Beziehungskarriere; damit meine ich die Seilschaften. Und es sollte möglich sein zu unterscheiden, ob soziale Kompetenzen nicht nur kopiert sondern auch übernommen wurden.« Regel Nr. 11: Menschen unterstützen, ihre Persönlichkeit zu stärken, ihre Kritikfähigkeit zu schulen und ihre (innere) Widerstandskraft zu festigen. Rubrik: Widerstandsethik; Balance zwischen Rechtspositivismus und Naturrecht (Gustav Radbruch) Abkommen/Gesetz: Art. 20 Abs. 4 GG Antikorruptionsmaßnahme: Wir leben – schon mangels anderer ethisch-moralischer Maßstäbe – in einer kapitalistischen Werteordnung, die nur einen Maßstab kennt: Nur wer etwas hat, ist auch jemand. In einer solchen Gesellschaft ist es extrem schwer, Armut zu ertragen. Denn wer arm ist, fühlt sich schnell ausgegrenzt, würde- und rechtlos. Gerade Menschen, die sich, wie viele Wirtschaftskriminelle, aus ärmlichen Verhältnisse mit viel Ehrgeiz hochgearbeitet haben und Wert auf hohen gesellschaftlichen Status und Lebensstandard legen 24, sind gefährdet, wenn wirtschaftliche Einbrüche drohen. Lothar Müller: »Personen, die ihre Fähigkeiten am ›Haben‹ und nicht am ›Sein‹ definieren, er23 24

Lothar Müller, a. a. O. Lothar Müller, a. a. O.

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weisen sich bei plötzlich hereinbrechenden kritischen Situationen überfordert. Sie müssen jetzt Geld haben, sie müssen jetzt über diesen Einfluss oder über diese Position verfügen. Sie missbrauchen ihre Möglichkeiten der Manipulation und setzten sich über ihre soziale Verantwortung hinweg. Ist der Erfolg eingetreten, sinkt die Hemmschwelle für Wiederholungstaten.« 25 Mitte der neunziger Jahre war ich Mitglied einer großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Oldenburg, die ein Strafurteil über einen ehemaligen Rechtsanwalt verhängen musste, der über Jahre Mandantengelder in einer Größenordnung von insgesamt über einer halbe Million DM veruntreut hatte. Er gestand und bereute alles und gab folgende Erklärung ab: Er stamme aus ärmlichen Verhältnissen und habe in eine gut gehende Kanzlei eingeheiratet. Die Ehefrau und deren Mutter hätten dafür von Anfang an Höchstleistungen von ihm erwartet, damit das großzügige Hausanwesen, die materiellen Wünsche der Damen, die teuren Urlaube, die gesellschaftlichen Pflichten und überhaupt alles habe bezahlt werden können, um den gut situierten Schein zu wahren. Man habe ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit als großartigen Anwalt »ins Rennen geschickt«. Umsatzeinbußen hätten sie nicht gelten lassen. Hätte er damals gewusst, was er jetzt weiß, hätte er nicht eine einzige DM veruntreut: Denn nachdem er aufgeflogen war, habe ihn, ein – immerhin noch verbliebener – Freund in seiner Kanzlei aufgenommen und lasse ihn dort gegen ein bescheidenes Entgelt im Hinterstübchen arbeiten. Er wohne in einer bescheidenen Dachwohnung. Das Erstaunliche sei, dass es ihm trotz des großen Strafverfahrens, des standesrechtlichen Verfahrens, des Scheidungsverfahrens, des Insolvenzverfahrens u. v. m. jetzt besser gehe als vorher. Hätte er vorher gewusst, dass man auch ohne all die Statussymbole zufrieden leben könne, hätte er sein Leben ganz anders eingerichtet. Führungskräfte sollten in ihrem Arbeits- oder Dienstvertrag verpflichtet werden, regelmäßig Seminare über ethisch-kulturelle Fragen zu besuchen 26 oder sich auch einmal – beispielsweise in einem Kloster – eine Auszeit zu nehmen. Lothar Müller im Interview in https://www.openpr.de/news/515322/Persoenlich keitsprofile-von-Wirtschaftsstraftaetern.html. 26 Diese werden u. a. von der Akademie für Rechtskultur und Rechtspädagogik angeboten. www.akademie-humanlaw.de. 25

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Regel Nr. 12: Vom Objekt zum Subjekt. Menschen vermitteln, Regeln freiwillig einzuhalten Rubrik: Kants sog. »Naturgesetzformel« (NGF): »Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.« (421, 18–20) Abkommen/Gesetz: Art. 29 Abs. 1 UN-MRK, Präambel EU-MRK; Präambel Grundgesetz, Präambel Verfassung Land Brandenburg Antikorruptionsmaßnahme: Als erlaubt wird oft angesehen, was nicht ausdrücklich verboten ist. Das führt zur Ellenbogenmentalität, zum Recht des Stärkeren, zum Kaputtmachen des Konkurrenten um jeden (Dumping-)Preis, zur Verrohung, Selbstjustiz und zu erheblicher (Gewalt-)Kriminalität. Bildung und Erziehung zur Verantwortung Prinzip Verantwortung Regel Nr. 13: Das Kind trägt von klein auf Verantwortung in der Gesellschaft. Ihm muss Gelegenheit gegeben werden, gute Taten zu vollbringen und dafür gelobt zu werden. Rubrik: Fürsorge- und Präventionsverantwortung. Qualifiziertes Achtungsprinzip; Recht auf Mitwirkung und Arbeit Abkommen/Gesetz: Art. 29 Abs. 1 MRK, Art. 1 GG (Menschenwürde) i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit, Mündigkeit) Antikorruptionsmaßnahme: Mitarbeiter werden jeweils gelobt, wenn sie die Aufgaben gut bewältigt haben (Kultur der Anerkennung). Unternehmen sponsern für einen guten Zweck. Regel Nr. 14: Der Mensch ist in erster Linie selbst für die Situation verantwortlich, in der er sich befindet. Schon ein Kind muss lernen, Konsequenzen zu tragen. Rubrik: Folgenverantwortung (Hans Jonas). Die eigene Selbstverwirklichung hört dort auf, wo Andere der Fürsorge bedürfen und/oder die menschliche Gesellschaft und ihre Umwelt Schaden nehmen könnten. Abkommen/Gesetz: Art. 29 Abs. 2 MRK; Schadensersatzrecht (§§ 823 ff. BGB); Kriminalität, Opferschutz und Opferrechte; Atom-, Gentechnik-, Umwelthaftungs-, internationales Ölhaftungsgesetz

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Antikorruptionsmaßnahme: Mitarbeiter müssen Folgen ihres Handelns tragen. Schulung des Verantwortungsbewusstseins durch Fortund Weiterbildungen. Übungen zur historischen, gegenwärtigen und künftigen Identität Regel Nr. 15: Menschen ist Kenntnis von ihrer biologischen Abstammung, ihrer geografischen und sozialen Herkunft, ihren kulturellen und historischen Wurzeln zu geben. Rubrik: Das Wissen um die eigene Herkunft Abkommen/Gesetz: Art. 1, 6 Abs. 5 GG Antikorruptionsmaßnahme: Auch im Betrieb kann auf die Biographie von Mitarbeitern eingegangen und evtl. die eigene Geschichte (z. B. ein Fluchttrauma) aufgearbeitet werden, wenn gewünscht. Regel Nr. 16: Menschen brauchen Sicherheit, Geborgenheit, Vertrauen und Solidarität. Rubrik: Identitätssicherung in einer grenzenlosen neuen Welt Abkommen/Gesetz: Art. 1 GG Antikorruptionsmaßnahme: Feste soziale Bindungen und Bezugspersonen, können auch im Betrieb begründet werden. Regel Nr. 17: Menschen sind umfassend auf ihr Leben in der internationalen Gemeinschaft und in einer globalisierten High-Tech-Welt vorzubereiten. Rubrik: Prinzip der Offenheit und der Internationalität Abkommen/Gesetz: Art. 23, 25 GG Antikorruptionsmaßnahme: Sprachkurse im Ausland; Mitarbeiteraustausch, Betriebsausflüge in internationale Kulturstätten, Schulung des globalen Bewusstseins. Motivierende Übungen Regel Nr. 18: Menschen sollen davon überzeugt werden, dass sich Zukunft lohnt. Rubrik: Prinzipien der Zukunft und der Hoffnung Abkommen/Gesetz: Art. 1 GG Antikorruptionsmaßnahme: auch in der Entlassungssituation, Insolvenz, bei Verurteilung, bei Behinderung, Schicksalsschlägen.

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Sigrun von Hasseln-Grindel

Regel Nr. 19: Erziehende sollen berücksichtigen, dass Menschen in ihren Einstellungen nicht durch den Kopf verändert werden, sondern durch Erlebnisse, die vor allem im sozialen Zusammenhang entstehen. Rubrik: Prinzip des Erlebens/Abenteuers Abkommen/Gesetz: Art. 1 GG Antikorruptionsmaßnahme: Das Wir-Gefühl im Betrieb stärken. Gemeinsame Erlebnistouren; gemeinsam einen Menschen in Not retten, gemeinsame Musik- oder Theaterstücke aufführen, gemeinsame Besuche des Parlaments. Regel Nr. 20: Menschen sollen Gelegenheit erhalten, am kulturellen Leben teilzunehmen und sich nur freuen, erholen, Emotionen hingeben dürfen. Rubrik: Prinzipien der Kultur und der Freude Abkommen/Gesetz: Art. 27 MRK, Art. 1 GG Antikorruptionsmaßnahme: Betriebe sollten versuchen, für Mitarbeiter und Kunden kulturelle Aktivitäten zu entwickeln. Regel aus den Prinzipien der Dynamik Regel Nr. 21: Menschen sollen sich – auch in Formen eines fairen Wettbewerbs – körperlich bewegen und sich mittels technischer Hilfen (auch schnell) fortbewegen, multimedial kommunizieren und sich bei der Grenze der Vernunft am technischen und wirtschaftlichen Fortschritt zum Segen der Menschheit beteiligen können.

178 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik

Teil C: Ergebnis: Elemente eines ganzheitlichen Präventionspaketes gegen Korruption Es bedarf eines ganzheitlichen Präventionspaketes gegen Korruption, das aus einem Bündel von repressiven und präventiven Maßnahmen besteht. 1) Verschärfung repressiver Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption. Angesichts der massiven Gefahren, die von korrupten Verhaltensweisen in einer Gesellschaft ausgehen können, die sich ohnehin in einem gesamtgesellschaftlichen Zerfallsprozess befindet und um Orientierung und Werte ringt, ist nichts dagegen einzuwenden, repressive Maßnahmen zu verstärken. So könnte diskutiert werden, ob die Regeln der Ablehnung und Ausschließung von Gerichtspersonen i. S. d. §§ 22 ff. StPO auch entsprechende Anwendung finden sollten, wenn es um staatliche Auftragsvergaben geht. 2) Verbesserung organisatorischer Maßnahmen zur Eindämmung von Korruption nach Prof. Dr. Eicke Albrecht in der Vorlesung in der BTU Cottbus am 08. 06. 2017 27. 3) Umsetzung der Präventions-Vorschläge von Transparency International (TI) 28 4) Nachhaltige Korruptionsbekämpfung in Wirtschaft und Politik durch Human Law.

Zitierte und weiterführende Literatur ASEAN Human Rights Declaration (Ahrd) and the Phnom Penh Statement on the Adoption of the Ahrd and its Translations. Jakarta 2013. Banjul-Charta = Menschenrechtsschutz in Afrika. Banjul Charta der Menschenrecht und Recht der Völker. In: BpB (Hrsg.). Menschenrechte – Dokumente und Deklarationen. Bonn 2004, 532–545. Bauer, Joachim. Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren, Hamburg 2006. Benner, Dietrich. Hauptströmungen der Erziehungswissenschaft, Weinheim und Basel, 4. Aufl. 2001. Bohm, David. Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, Klett-Cotta, Stuttgart 2002 (Originalausgabe: 1969, On Dialogue). Vgl. Beitrag von Eicke Albrecht: »Korruption als rechtliches Phänomen« in diesem Band. 28 Vgl. https://www.transparency.de. 27

179 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Sigrun von Hasseln-Grindel

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Verantwortungsgesellschaft statt Bananenrepublik

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Sigrun von Hasseln-Grindel

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Hans Friesen

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung Das Problem der Korruption in der globalen Wirtschaft und die Verantwortung der Unternehmen als Thema einer interkulturellen politisch-philosophischen Ethik Die Strukturen und Prozesse der ökonomischen Globalisierung stellen neue Anforderungen an die Ethik, nicht nur, weil man von der Ethik der globalen Welt eine interkulturelle Kompetenz als neues Kennzeichen ihrer Reflexion erwarten sollte, sondern auch aus weiteren Gründen. Zwar gilt das Prinzip des Kosten-Nutzen-Vergleichs der alternativen Verwendung knapper Mittel auch für die ökonomische Entscheidung in der globalisierten Wirtschaft, aber im Hinblick auf die Folgen und Nebenwirkungen stimmt das ökonomisch Vernünftige sehr oft nicht mehr mit dem moralisch Gebotenen überein, weil das ökonomisch Vernünftige in vielen Entwicklungsländern aufgrund schwacher Staatlichkeit geradewegs zur Korruption herausfordern kann, etwa wenn das Handeln der Menschen sich noch nicht auf ein gutes Leben, sondern immer noch auf die bloße Erwirtschaftung des Existenzminimums richtet. Vielfach ist heute darüber hinaus zu beobachten, dass auch im Westen von einer vollständigen Übereinstimmung des ökonomisch Vernünftigen mit dem moralisch Gebotenen nicht immer gesprochen werden kann. Im Folgenden soll daher erörtert werden, ob die fern und nah, also (all)gegenwärtige Korruption einer Legitimierung des Kapitalismus grundsätzlich widerspricht oder ob er trotzdem als moralisch akzeptabel ausgewiesen werden kann. Und wenn dies der Fall sein sollte, welche Richtung müsste die ethische Reflexion des Wirtschaftens in der globalisierten Welt und die Frage nach einem geeigneten Verantwortungsbegriff nicht nur für den Unternehmer sondern für jeden Wirtschaftsbürger dann einschlagen? In erster Linie geht es in diesem Beitrag, in dem auf mehreren miteinander verwobenen Ebenen argumentiert wird, um wirtschaftsethische bzw. philosophisch-ethische Fragen und Probleme. Auf der primär philosophisch orientierten Ebene behandelt er Schwierigkei183 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen

ten im Verhältnis von Relativismus und Universalismus insbesondere in jenem Spannungsfeld, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Begriffe im Titel dieses Aufsatzes abgesteckt werden kann, sowie die Frage, wie diese Schwierigkeiten, die sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts nicht wesentlich entschärft haben, grundsätzlich zu lösen sind, d. h. wie das Verhältnis von Relativismus und Universalismus gestaltet bzw. verändert werden müsste, um die Spannungen in dem durch die vier Eckpunkte definierten Problemfeld abzubauen. Bevor nun mit der Ausführung begonnen wird, sei noch angemerkt, dass vom Umfang in der Behandlung der einzelnen Begriffe, also von der unterschiedlichen Ausführlichkeit her, keine Rückschlüsse auf deren Bedeutung bzw. Exaktheit vorgenommen werden sollten, denn diese ist nach meiner Auffassung lediglich der erforderlichen Genauigkeit bzw. Deutlichkeit in der Darstellung geschuldet. Da der Begriff der Armut sich nicht von selbst erklärt und hier nicht ausführlich erläutert werden kann, begnüge ich mich mit der Definition, dass er, wenn ich ihn im materiellen Sinne als Gegenbegriff zu Reichtum fasse, die mangelnde Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Erhaltung des Lebens (mittels Nahrung, Wohnung und Kleidung) bezeichnet.

1.

Das Problem der Korruption in der globalen Wirtschaft

Korruption ist allgemein ein äußerst schwierig zu handhabendes Phänomen in der Theorie, da es sich immer um eine verdeckte Aktivität handelt und empirisches Datenmaterial aus diesem Grund kaum zu finden ist. Denn Korruption findet, wie die meisten illegalen Aktivitäten, vor allem im Verborgenen statt. Aber nicht nur aus der kontemplativen und kulturrelativistischen Sichtweise eines westlichen Kulturwissenschaftlers, sondern auch aus der Perspektive eines rein erfolgsorientierten und rationalen Unternehmens aus der offenen Gesellschaft des Westens mit einem Auftrag in einem korrupten Staat bzw. einer traditionell geschlossenen Gesellschaft in Afrika oder Südamerika, könnte man in hypothetischer Absicht durchaus sinnvoll die Frage stellen, ob Korruption wirklich anhaltend als unproduktiv betrachtet werden muss. Oder besteht nicht doch auch die Möglichkeit, dass Korruption unter besonderen Bedingungen, etwa in Form der vom Überlebenswillen geradezu befohlenen Gelegen184 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

heitskorruption armer Menschen in Libyen, Haiti oder Myanmar zumindest eingeschränkt produktiv bzw. zweckmäßig sein kann? Da das Selektionskriterium für Bevorzugung oder Benachteiligung hier fast immer die Bluts- und Heiratsverwandtschaft in der Großfamilie, im Stamm oder der Sippe ist, handeln die korrupten Personen nicht primär eigennutzenorientiert, sondern im Gegenteil gemeinwohlorientiert, also zum Wohle des Ganzen, das noch als Summe individueller Interaktionen bestimmt werden kann. Denn – so könnte man etwa fragen –, falls »die Wirtschaftskraft des globalen Nordens« tatsächlich auf »der Verletzung der Rechte und Lebenschancen der Menschen im globalen Süden« (wie die beiden Völkerrechtler Wolfgang Kaleck und Miriam Saage-Maaß (2016) in ihrem Buch Unternehmen vor Gericht. Globale Kämpfe für Menschenrechte unterstellen) beruht, könnte dann nicht gerade durch Korruption für den städtischen Behördensachbearbeiter in Indonesien, der eine kinderreiche Familie zu versorgen hat, oder für den ebenso stark familienorientierten und dicht an der Armutsgrenze lebenden Zollbeamten beispielsweise in der (angeblich) Demokratischen Republik Kongo die Herstellung gleicher Bedingungen ermöglicht oder wenigstens eine geringfügige Teilhabe am Reichtum westlicher Gesellschaften vorübergehend erlangt werden? Streng ethisch bzw. wirtschaftsethisch betrachtet kann man diese Paradoxie oder Ambivalenz sicher nicht zulassen und muss wohl – vor dem Hintergrund eines ethischen Universalismus, der Moralität als Pflicht betrachtet – ganz unverkennbar sagen, dass Korruption nicht zur Herstellung gleicher Bedingungen beitragen kann, sondern zu einer eindeutigen Verzerrung des Wettbewerbs führt, und zwar in dem Sinne, dass nicht das leistungsfähigste Unternehmen einen Auftrag erhält, sondern jenes, welches die skrupellosesten Zahlungen bzw. Schmiergelder anbietet. Daraus folgt, dass denjenigen Unternehmen, die sich moralisch verhalten, Aufträge entgehen können. So gesehen ist das Verhältnis von Ethik und Ökonomie allerdings ein unauflöslicher Konflikt, bei dem der moralische Akteur, der in Abhängigkeit von der Moralität des Wirtschaftshandelns anderer steht, fortwährend der Dumme ist. Wenn die Korruption jedoch erfolgreiche Handlungsmuster zeitigt, kann sich eine Eigendynamik des Missbrauchs entwickeln, da ein sich lohnender Missbrauch schnell Epigonen findet. Für die einzelnen Unternehmen wird es in diesem Fall notwendig, sich in einen Schmiergeld- und Bestechungswettbewerb einzugliedern, um unter den anderen korrupten Unternehmen überleben zu können. Daraus ergibt sich ein Resultat, das 185 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen

ökonomisch als »Negativsummenspiel« (Noll 2002, 178) bezeichnet werden kann und bedeutet, dass die Auswirkungen der Korruption für die gesamte Gesellschaft als negativ einzustufen sind. Denn flächendeckende Korruption der Eliten eines Staates verbessert die Marktergebnisse nicht, sondern erhöht im Gegenteil die wirtschaftlichen Risiken, weil sie die Produkte verteuert und den Konsumenten zusätzliche Kosten auferlegt. Kurzfristige Gewinnerwartungen können zwar erfüllt werden, sind aber auf Dauer eher nachteilhaft, weil es zu Wachstumsverlusten kommt und die gesellschaftlichen Verteilungskonflikte ansteigen. Sollte eine flächendeckende Korruption der Funktionseliten fortdauern, würde dies in einer allgemeinen Korruptionsgesellschaft enden, wie es in Afrika zu beobachten ist: »Als 2008 der französische Journalist Philippe Bernard in Le Monde über die Korruption in Kamerun berichtete, war seine Kernaussage, dass 40 Prozent der Staatseinnahmen der Korruption zum Opfer fallen. Buchführung, Datenerfassung und externe Haushaltskontrolle gehören zu den schwächsten Teilen öffentlicher Finanzverwaltung. Alle, auch ›kleine Leute‹, wie Polizisten, Funktionäre und Soldaten, leben von Bestechungsgeldern und Erpressung« (Seitz 2018, 106). Damit ist eine Art ›informeller Wirtschaft‹ entstanden. Die Korruption hemmt die offizielle Entwicklung, weil sie in der Regel etwa zu ›erhöhten Produktkosten, Prestige-Objekten, Investitionsruinen, Vertrauensverlust, überteuerten Waffenimporten sowie massiven Staatsverschuldungen und zur Verarmung der Bevölkerung in den Entwicklungsländern‹ (vgl. Noll 2002, 179) führt. Es werden erhebliche Schäden auf der Ebene der öffentlichen Institutionen, von Eigentum und Vertragsarbeit verursacht, die dazu führen, dass die Chancen zu einem geregelten und fairen Wettbewerb immer schlechter ausfallen, weil dort, wo Korruption im Spiel ist, nicht das beste Unternehmen den Auftrag erlangt, sondern das Bestechungsgeld an die Stelle der Leistung tritt. Hier sind wir aber nicht mehr in jenem im Titel angegebenen Spannungsfeld, sondern befinden uns in einem eher durch Begriffe wie ›Korruption, Reichtum, Globalisierung und elitäre Auslese‹ begründeten Problemkontext, in dem sich der Klientelismus zu einer kulturell legitimen Form der Verteilung von knappen Ressourcen ausbildet. Die wirtschaftlichen Entscheidungen beruhen in diesem Spannungsfeld nicht auf sachlichen Beweggründen, sondern sind stark an Selbstbereicherungsmotiven orientiert. Aus dieser Sichtweise kann Korruption nicht nur als deutlich negativ im Hinblick auf die Wirtschaft im Allgemeinen beurteilt werden, son186 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

dern auch auf der Ebene der Arbeit von einzelnen Wirtschaftsakteuren. Diese übernehmen beispielshalber in einem Milieu der Korruption zahlreiche unproduktive Tätigkeiten, indem sie viel Zeit für Verhandlungen um Bestechungsgelder und Ähnliches verwenden, anstatt für produktive Tätigkeiten auf den Ebenen der Kooperation und der Wertsteigerung. In diesem sozio-ökonomischen Zusammenhang beobachtet, lohnt sich Korruption für die Gesellschaft nicht, weil für den Bestand sozialer Gemeinschaften gewiss nicht die Maximierung des persönlichen Nutzens eines selbstsüchtigen Einzelnen eine existentiell wichtige Rolle spielt, sondern der kooperative Akteur, der nicht nur aus ›Eigennutzen‹-Erwägungen kooperiert, sondern ebenso an Nachhaltigkeit für eine Gemeinschaft interessiert ist, d. h. an einer Entwicklung, die den Bedürfnissen der aktuellen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden. Wie aber sieht es für jenen hypothetischen Fall aus, wenn für den von seinem Staat gering bezahlten Zöllner, der für den Bestand seiner Familie in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu sorgen hat und arbeiten muss, Korruption sozusagen geradezu erforderlich ist, um wenigstens das Existenzminimum zu sichern? In seinem Buch Der Fluch des Reichtums hat der Journalist Tom Burgis im Anschluss an die von Rousseau und Locke entwickelten Ideen gezeigt, dass die Regierungen afrikanischer Rohstoffstaaten ihre Legitimation gerade nicht aus jenem im Westen üblichen Tauschgeschäft beziehen, in dem »sich die Bevölkerung« bereiterklärt, »auf bestimmte Freiheiten zu verzichten, während die, denen Autorität gewährt wird, sich dafür dem Gemeinwohl verpflichten müssen«, sondern »ohne die Zustimmung der Bevölkerung regieren«. Insofern »bleibt den Bürgern der Rohstoffstaaten wenig mehr als der Versuch, selbst einen Teil der Beute zu ergattern« (Burgis 2016, 97). Unsere bereits genannte hypothetische Frage hierzu lautete: Ist Korruption wirklich in jedem Fall und in jeder Blickrichtung negativ? Oder gibt es doch, so paradox es auch klingt, förderliche bzw. zweckdienliche Korruption, etwa in Form von Familialismus oder Vetternwirtschaft, um sich vor der Autorität des ebenfalls korrupten Staates, der sich mit der Plünderung der natürlichen Reichtümer des Landes systematisch bereichert, zu schützen und deshalb selbst ein Projekt zur intensivierten (Selbst-)Bevorzugung bzw. (Selbst-)Begünstigung der eigenen, in purer Armut existierenden soziokulturellen Gemeinschaft in Afrika oder auch anderswo aufzunehmen und voranzutreiben und um dadurch die sozia187 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen

len Bindemittel dieser Gemeinschaft zu stärken und zu erhalten? Also Korruption zugunsten von Vertrauten, bei der sich der Akteur auf einen sittlich-moralisch gegründeten Widerstand gegen Armut, Hunger und menschliches Leiden beruft! Im Folgenden soll also darüber nachgedacht werden, ob es in kultureller Hinsicht moralisch notgedrungen zu bejahende Seiten der Korruption gibt, etwa wenn sie der bloßen Existenzsicherung dient. Das heißt, wenn durch Korruption die Armut oder der Hunger einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, vor allem in den Entwicklungsländern, gelindert werden kann. Sicherlich kann eine solche Lösung nur vorübergehender Art sein, also eine Zwischenlösung, die wieder aufgegeben werden kann, sobald – um es mit Scheler (1954, 89–118) zu sagen – das normative Ideal, das im Ausgleich bestehen sollte, weltweit zur Geltung gekommen ist. Das ursprüngliche bzw. eigentliche Problem hinter der Korruption ist daher auch der ›höchst ungleiche Zugang zu materiellen Gütern und Wissen‹. Marc Augé spricht in diesem Zusammenhang von einem »tiefen Gefühl der Beklemmung und Empörung« und von einem »existenziellen Skandal« (2019, 27), weil wir die extreme soziale Ungleichheit in der heutigen Welt zwar gut erkennen und vielfach auch als Ungerechtigkeit anklagen, aber sie tatsächlich nicht ändern, im Westen mehrheitlich auch nicht ändern wollen.

Zwischen objektiven Ursachen und subjektiven Wahrnehmungsweisen In der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten des ehemaligen Ostblocks sowie mit den Entwicklungs- und Schwellenländern stellen sich bis heute oftmals Verzögerungen aufgrund der dortigen schwerfälligen Bürokratien heraus. In solchen Situationen stellt sich aus ökonomischer Sicht korruptes Verhalten oftmals als nützlich dar, weil dadurch die ineffiziente Struktur der Bürokratie dieser Länder wenigstens zum Teil überwunden werden kann. Damit ist eine Beschleunigung der Wirtschaftsprozesse möglich, was sich im Vergleich mit längeren Verschleppungen für einen ausländischen Akteur als kostengünstiger und somit effizienter darstellen kann. Zwar wird das Problem der langen Bürokratisierungswege nicht grundsätzlich behoben, doch können auf dem Weg der Korruption die Folgen solcher schlechten Rahmenbedingungen für ausländische Unternehmen unverkennbar gemildert werden. Wenn wir das anerkennen, 188 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

lässt sich grundsätzlich sagen, dass die Korruption aus rein ökonomischer Sicht als ambivalent zu betrachten ist und sich zumindest einerseits, etwa in den Schwellen- und Entwicklungsländern, nicht zwangsläufig destruktiv auswirkt, weil der Zweck die Mittel heiligen kann, wenn ein Teil der Bevölkerung in einem ›Schurkenstaat‹ keine andere Wahl hat und tatsächlich zu einer »Privatisierung der Daseinsvorsorge« (Tänzler 2008, 83), d. h. zu einer Daseinsvorsorge in der die Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit erst gründende »Verborgenheit« gezwungen ist. Eine andere – dagegen fragwürdige – Version von Korruption – nun wieder aus der Perspektive ihrer objektiven Ursachen und Wirkungen betrachtet – ergibt sich beispielsweise durch ausländisches Kapital, das in Form von Entwicklungshilfe ins Land gekommen ist. Hier können die beauftragten vorstehenden Funktionäre bei der Beschaffung von Hilfsgütern überhöhte Preise aushandeln und mit dem Lieferanten vereinbaren, dass ein Teil des Betrages über dunkle Kanäle an sie zurückfließt (vgl. Krug 1997, 34). Als eindeutig negativ ist freilich auch aus ökonomischer Sicht eine systematische Praktizierung der Korruption zu sehen, die die allgemeinen ›Spielregeln‹ des Wirtschaftens außer Kraft setzt. Diese jedoch sollten keinesfalls von einzelnen Akteuren in Frage gestellt werden dürfen; das wäre nur aufgrund eines allgemeinen Konsenses erlaubt. Ein solcher aber ist nicht in Sicht. Die Folgen der Korruption stellen sich in ihrem Ausmaß unterschiedlich dar. Während in der Privatwirtschaft die Korruption ihre natürliche Grenze in der Befriedigung des Selbstbereicherungswunsches des Unternehmers hat, sind die Folgen der Korruption im öffentlichen Sektor oftmals viel verheerender für die Gesellschaft. Der Grund dafür liegt in der Erfahrung, dass dort, also im öffentlichen Bereich, keine augenscheinliche Grenze der Korruption existiert und diese daher systematisch betrieben werden kann. Die Konsequenz ist, dass Korruption – im Gegensatz zum privatwirtschaftlichen Bereich – im öffentlichen Sektor als gefährlicher angesehen werden muss, weil die »Fälschung von Pässen oder Zeugnissen« beispielsweise mehr ins Gewicht fällt als die »Bestechung eines Einkaufsleiters in einem Privatunternehmen« (Noll 2002, 181). Doch warum ist das so? Bereits Max Weber forderte vom Staatsbeamten in der modernen Welt des Westens ein besonderes Treueverhältnis zum Staat und eine strenge Verpflichtung auf das Allgemeine, wohlwissend, wie unwahrscheinlich es im konkreten Fall ist, dass der Beamte seine gemeinwohlorientierte Berufsrolle stets seiner eigennutzenorientierten Privatrolle 189 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen

voranstellt (Weber 1968, 476). Der Amtsträger muss auch nach dem geltenden deutschen Beamtengesetz (§ 51 Abs. 1) ganz unmissverständlich zum Wohle der Allgemeinheit, also in allen Fällen vollkommen unpersönlich, urteilen und entscheiden. Im privatwirtschaftlichen Bereich kann dagegen eine natürliche Grenze gezogen werden, denn die Selbstbereicherungsaktivitäten des Einkaufsleiters stoßen an eine Grenze, wenn damit das Eigeninteresse des Unternehmers negativ berührt wird. Anders ausgedrückt: Das Eigeninteresse des Unternehmers an seinem Eigentum dämmt diese Art von korrupten Aktivitäten von vorneherein stärker ein als es die Kontrolle des öffentlichen Sektors vermag, denn das Interesse am öffentlichen Eigentum ist bei den meisten Menschen leider sehr schwach ausgebildet (vgl. Noll 2002, 181 f.). Im Sinne unserer hypothetischen Überlegungen könnte man den Schluss ziehen, dass kleine Aufmerksamkeiten und Geschenke für ein schnelleres Bearbeiten der eigenen Projektunterlagen in einer Behörde der Schwellen- und Entwicklungsländer durchaus als erlaubt betrachtet werden könnten, wenn dadurch ein sinnvolles Handelsoder Bauprojekt vorangetrieben würde. Denn im eigentlichen Sinne sind Geschenke als Ausdruck eines altruistischen Handelns zu betrachten. Allerdings existiert hierbei die Ambivalenz zwischen einerseits jemandem uneigennützig eine Freude zu bereiten und andererseits einen gewissen sozialen Druck auf den Beschenkten auszuüben und ihn seinerseits zu einem Geschenk bzw. einer Gegenleistung zu verpflichten. Aber ist damit die Grenze zur Korruption bereits überschritten? Dies kann man sicherlich nicht genau sagen, denn diese Grenze wird in den verschiedenen Kulturen traditionell sehr unterschiedlich festgelegt. Um dem Phänomen der Korruption wirklich gerecht zu werden, dürfen wir es aber nicht – so die These von Giannakopoulos und Tänzler (2009, 14) – nur »von den objektiven Ursachen und Wirkungen« betrachten, sondern müssen es ebenso von den »subjektiven Wahrnehmungsweisen des Phänomens, den kulturellen Bedingungen« her in Augenschein nehmen. Denn nur in dieser Blickrichtung wird Korruption auch als »kulturelles Phänomen« sichtbar, das den beiden genannten Autoren zufolge allerdings erst in der modernen englischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts klar bestimmt worden ist (vgl. ebd., 15).

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Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

Die relativistische Sichtweise der Kulturalisten Es sollte hier die Frage gestellt werden, ob der oben vorgestellte Fall der Bestechung eines Unternehmers bzw. Selbstbereicherung eines Beamten einer öffentlichen Behörde, der in traditionsverhafteten Kulturen aus Gewohnheit moralisch nur schwach verurteilt wird, dennoch – vor dem fiktiven Hintergrund einer kritischen Weltöffentlichkeit – als legitime Handlung angesehen werden kann. In traditionellen Gesellschaften kann man beobachten, dass Akteure, die der eigenen sozialen bzw. kulturellen Gruppe angehören, in der Regel bevorzugt behandelt werden. Dieses Faktum wird in diesen Kulturen oder Gesellschaften uneingeschränkt als eine moralisch vertretbare Haltung akzeptiert. Erst wenn Akteure eigennutzorientiertes Verhalten skrupellos zum Schaden der eigenen Gemeinschaft billigen, kommt es bei deren Entlarvung zur öffentlichen Anklage der dann moralisch illegitimen Handlung der Korruption. Korrupter Eigennutz, der nicht das persönliche Wohl, sondern die familiären Bande stärken will, erzeugt nicht grundsätzlich ein Vertrauensproblem und zieht tradierte Werte wie Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Integrität nicht generell in Zweifel. Dies bedeutet, dass Korruption aus moralischer Sicht nur dann stark verurteilt wird, wenn damit die grundlegenden Werte der eigenen (geschlossenen) traditionellen Gemeinschaft etwa in Afrika verletzt oder vernichtet werden. In einer (offenen) westlichen Gesellschaft gilt dagegen, dass Korruption unabhängig davon, ob jemand Werte wie »Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Wohlstand« (Noll 2002, 181) anerkennt oder nicht, verurteilt wird. Im Unterschied zu Afrika also, wo von Menschen mit einem religiösen Verhältnis zur Natur und zur eigenen familiären Gemeinschaft, die also noch in einem »Kokon aus Sitte und Herkunft« (Mead 1974, 7) leben, Korruption nur als schwach präskriptiv beurteilt wird, herrscht in der »mit aller Macht der Technik verbreiteten Kultur« (ebd., 11) des Westens die strikte Überzeugung, dass sie schlechthin zu unterbleiben hat. Was in dieser Unterscheidung die Unternehmer im Westen, aber auch die Funktionseliten in den Schwellen- und Entwicklungsländern, von denen in der westlichen Öffentlichkeit zu Recht moralische Vorbildlichkeit erwartet wird, betrifft, könnte man dieser Beurteilung uneingeschränkt zustimmen, obwohl diese, was viele nicht sehen oder nicht sehen wollen, außer ihrem »offenkundigen Sinn noch einen entgegengesetzten und latenten Sinn« (Merleau-Ponty 1984, 129) enthält. Freilich lässt sich diese 191 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Hans Friesen

Ambivalenz für allgemeingültig erklären. Wir sind bei der hier zugrundeliegenden »außerordentlichen Subtilität der Beziehungen von Mitteln und Zwecken« (ebd.) also genötigt zu verhindern, mit unseren politischen Aktionen in die verhängnisvolle »Dialektik eines Wahns« zu verfallen, »die sich um sich selber dreht und die Probleme nicht löst« (ebd.). Insofern gibt uns unsere scheinbar einwandfreie Auffassung von Korruption und deren Bekämpfung, so könnte man in der dialektischen Sicht des Kulturalisten entgegnen, nicht das Recht, das ursprünglich religiöse Verhältnis zur Natur, das viele Menschen in den Entwicklungsländern ihrem Leben zugrunde legen, aufgrund moralischer Vorherrschaft zu demontieren und dieses mit der »Ideologie von der Überlegenheit der Technik über Natur«, die der westlichen Weltauffassung zugrunde liegt, zu widerlegen (Lay 1983, 205) oder überhaupt eingespielte kulturelle Traditionen einer geschlossenen Gemeinschaft, die der offenen Gesellschaft mit ihrer aufgeklärten Denkweise über Natur und Wirtschaft widersprechen, in Frage zu stellen. Dies sieht so auch Lord Young, Vorstand von Cable & Wireless und früherer englischer Handels- und Industrieminister, 1994 in einem Interview mit der BBC, wenn er darin erklärt, dass Bestechungsgelder im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe »in diesem Land (d. h. England, H. F.) illegal« sind, und dann weiter ausführt: »(…) aber ich war in Weltgegenden, wo das (also Korruption, H. F.), wie wir alle wissen, geschieht. Und wenn man im Geschäft sein will, muß man es machen. (…) Das ist nun aber nicht unmoralisch oder korrupt. Es ist einfach ganz anders als bei uns. Wir müssen vorsichtig sein und nicht darauf bestehen, daß unsere Praxis überall in der Welt befolgt wird« (zitiert nach Eigen 2002, 266). Der Gründer und Vorsitzende von Transparency International, Peter Eigen, der mit seiner Organisation eine »globale Koalition gegen die Korruption« (Eigen 2002, 268) aufzubauen bestrebt ist, deutet die relativistische Auffassung der von ihm so genannten ›Kulturalisten‹ folgendermaßen: »Jene, die die Korruption des Südens für moralisch vertretbar halten (die ›Kulturalisten‹), betrachten die weitverbreitete Korruption in fremden Gesellschaften oft als unablösbaren Bestandteil traditioneller Kulturen, die sich auf starke Bindungen gegenüber der Familie und der Sippe gründen« (ebd., 269). Peter Eigen, der sich akribisch gegen jede Korruption wendet, distanziert sich folglich mit dieser ›Einschätzung‹ auch von den Kulturalisten und favorisiert damit einen folgenschweren Universalismus. Aber schwächt seine Ein192 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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schätzung wirklich deren Argumente? Gehen diese nicht, ebenso wie die Jungen und Gebildeten im heutigen Afrika, von einem engen (möglicherweise dialektischen) ›Zusammenhang‹ von Armut und Korruption aus (Collier 2008, Seitz 2018, Schildbach 2018), der sich nur mit dem (heute zwar noch unwahrscheinlichen, in Zukunft aber besser möglichen) radikalen Abbau von Armut auflösen ließe? Dies kann, wie es der Journalist Dominic Johnson hervorragend beschrieben hat, mit Hilfe jener »informellen Wirtschaft« erreicht werden, die heute gerade in Afrikas Krisengebieten, »wo keinerlei staatliche Ordnung herrscht«, zu einer Form von »primitiver Akkumulation« (Johnson 2013, 102 f.) führt.

Relativismus und Universalismus Philosophisch formuliert lauten die in diesem Gedankengang zu stellenden Fragen wie folgt: Wie kann ich meinen Standpunkt rechtfertigen, wenn ich einerseits einen kulturellen Relativismus bzw. Partikularismus und andererseits einen ethischen Universalismus vertreten möchte? Wo ziehe ich die Grenzen für beide Seiten? Das heißt: Bis zu welcher Grenze kann ich meinen ethischen Universalismus verteidigen und an welchem Punkt muss ich meinen kulturellen Relativismus bzw. Partikularismus aufgeben und zwingend in eine transkulturelle Betrachtung überwechseln? Wie kann eine angemessene Antwort auf dieses Dilemma lauten? Auf welches Instrument der Kohäsion kann man sich hier berufen? Könnte in diesem Kontext eine Deliberationsfrist beschlossen werden? Diese Fragen können hier zwar nur angedeutet und an einigen Stellen dieses Aufsatzes wiederaufgegriffen, aber nicht wirklich angemessen ausdiskutiert werden. Nur so viel sei angemerkt: Eine einseitige Entscheidung – entweder für den Universalismus oder für den Relativismus – schließen wir jedenfalls aus, weil »jede der Seiten zu ihrem Bestande die andere voraussetzt« (Simmel 2009, 121). Bei Hegel finden wir bezogen auf alle begrifflichen Disjunktionen noch die Überzeugung, dass stets eine der beiden Gegensatzseiten, etwa die Identität vor der Differenz bzw. die Einheit vor der Vielheit, einen Primat besitzt. Hier ist also die zweite Seite nicht ohne die erste denkbar, wohl aber umgekehrt (vgl. Horstmann 1985). Demgemäß ist die Vielheit lediglich eine Potenzierung der Einheit. Dieser Überzeugung Hegels stellen wir mit Simmel ein Modell entgegen, das beide Seiten eines Gegen193 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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satzes als gleichberechtigt behandeln will und kann, weil die eine Seite mit der anderen vermittelt ist und von daher nicht ohne Beeinträchtigung bzw. Schädigung aus der Beziehung mit der anderen aussteigen kann. Aus dieser Argumentation erkennen wir für unseren Kontext zumindest, dass ein Unternehmen mit seinen Akteuren niemals isoliert bzw. universal, sondern immer im jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhang gesehen werden sollte. Somit sollte man auch beide Perspektiven im Hinblick auf die ethische Vertretbarkeit von Korruption, also die ökonomische und die kulturelle, in Beziehung zueinander setzen. Findet an dieser Stelle ein Perspektivenwechsel von der ökonomischen zu der moralischen Ebene statt, ergibt sich daraus, dass Korruption zwar nicht ausnahmslos, aber letzten Endes doch als negativ angesehen werden muss. Diese Ansicht wird mit Sicherheit nicht nur von Unternehmen europäischer Staaten, sondern auch von den meisten nicht-europäischen Unternehmen akzeptiert, sowohl von jenen, die einmal unter Korruption gelitten haben, als auch von jenen die Bestechung vornehmen mussten, um mit ihren akkuraten bzw. sauberen Handelsprojekten voranzukommen. Denn jeder moralische Akteur, ob es sich nun um ein Individuum oder ein Unternehmen handelt, steht in Abhängigkeit zu anderen moralischen Akteuren und gerät in einem korrupten Milieu in einen wirtschaftlichen Nachteil, der, wenn er nicht erfolgreich ausgeglichen wird, überhaupt kein anständiges Wirtschaften mehr zulässt. Insofern sind bereits auf ökonomischer Ebene, also auf der des wirtschaftlichen Handelns und der Theorie der Wirtschaft, Methoden entwickelt worden, die Korruption verhindern sollen, beispielsweise indem einige Unternehmen in eigener Regie Ethikmanagement zu diesem Themenbereich durchführen, oder Korruption in Form aktiver Bestechung in äußerster Zwangslage lediglich als letzte Ausnahme von der Regel zulassen, um am Ende die Regel anständigen Wirtschaftens zu bestätigen. Das bedeutet – um es nochmals zu unterstreichen –, dass in der Regel von der Ethik und von engagiertem Ethikmanagement im Unternehmen auszugehen ist. Denn durch Ethikmanagement können empfehlenswerte und erprobte Verhaltensstandards und Richtlinien, in denen etwa auch der Umgang mit Geschenken geregelt wird, in der Firmenphilosophie verankert werden, um die Mitarbeiter von Korruptionsversuchungen abzuhalten, vor allem in der Form, einen ihnen angebotenen Vorteil passiv entgegenzunehmen, weil die damit entstehende einseitige Bindung von 194 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Mitarbeitern durch ein anderes Unternehmen massiv zu Lasten des eigenen gehen kann. Wenn die sogenannten Ethikstandards in den Firmen keinen Alibicharakter besitzen, drohen den Mitarbeitern bei Verstößen Sanktionen, die sogar bis zur fristlosen Kündigung und Strafanzeigen gehen. Weiterhin werden auf ökonomisch-struktureller Ebene Maßnahmen eingesetzt, wie das ›Aufgabensplitting‹, welches bei der Planung, Vergabe und Abrechnung eingesetzt wird. Das Aufgabensplitting stellt einen Versuch dar, das Korruptionsrisiko zu verringern. Seit den 1980er Jahren liegt der Fokus in der westlichen Wirtschaft auf der Realisierung von Unternehmensstrukturen, die eine gezielte Korruptionsprävention ausüben und somit aufgeschlossen sind für ethische Fragen. Viele Firmen, wie etwa Siemens, besitzen bereits ein Compliance Office, d. h. ein Büro oder eine Abteilung, die für Regeltreue (oder auch Regelkonformität) und die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien im Unternehmen zuständig ist, oder – weil Gesetzeskonformität letztlich nicht ausreichend ist – die Arbeitsstelle mit einem sogenannten Ethics Officer, der die Aufgabe übernimmt, Mitarbeiter über moralische Grauzonen zu beraten. Zudem stellt der Ethics Officer eine Anlaufstelle für Mitarbeiter dar, die anonym einen Korruptionsfall in der Firma anzeigen möchten. Insgesamt steht der Ethics Officer nicht nur für eine Personalisierung, sondern auch für eine Professionalisierung im Umgang mit ethischen Fragen und Herausforderungen in den Unternehmen. Er könnte so den Aufbau und die Profilierung von entscheidungsfähiger Personalität fördern und diese mit einem gut ausgeprägten urteilsfähigen Unrechtsbewusstsein der Mitarbeiter in der Firma vermitteln. Das könnte für das Unternehmen im Kampf gegen Korruption auf einen Vorteil gegenüber Unternehmen hinauslaufen, die kein Ethik-Engagement entfalten. Vor dem Hintergrund der Korruption, die nicht nur in traditionellen sondern ebenfalls in modernen kapitalistischen Ökonomien vorzufinden ist und die Wirtschaft einer Gesellschaft an den Rand eines Abgrundes bringen oder in diesen Abgrund stürzen kann, soll hier im Anschluss an den Wirtschaftsethiker Peter Koslowski prinzipiell die Frage gestellt werden, ob der Kapitalismus unter den Bedingungen der eigennutzenorientierten Natur des Menschen überhaupt eine allgemeine und gute Wirtschaftsform zu sein vermag? Um diese Frage zu beantworten, ist die Legitimation der Wirtschaftsordnung zu hinterfragen. Dafür müssen zwei Kriterien untersucht werden. Zum einen die Effizienz, das Hauptkriterium des Wirtschaftens, 195 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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zum anderen das sittliche Gute, die Unbedingtheit der protestantischen Gesinnung. Die besagten Kriterien stehen im zweckrationalen Alltag des Wirtschaftens nur scheinbar im Gegensatz und sind, wie Max Weber gezeigt hat, im kapitalistischen Betrieb und im modernen Rechtsstaat in unverkennbarer Abhängigkeit zueinander zu betrachten; und im Kontext ergeben sie eine gewichtige Form der »sozialen Integration«, »die die Strukturen der Zweckrationalität im Persönlichkeits- und im Institutionensystem verankert« (Habermas 1981, 303). Dies ist zwar eine für Weber, aber nicht für Habermas angemessene Antwort auf die Frage nach der Legitimation des kapitalistischen Wirtschaftssystems, denn Weber setzt allein auf Zweckrationalität und würde demzufolge, wie Habermas zu Recht konstatiert, sowohl den »Eigensinn kulturell ausdifferenzierter Wertsphären« (ebd., 304), wie Wissenschaft, Moral und Kunst im Allgemeinen, als auch die dadurch in der Moderne ermöglichte »Erweiterung moralischpraktischen Wissens« (ebd., 305) im Besonderen missachten. Aus der Sicht einer integrativen Wirtschaftsethik, wie sie etwa von Peter Ulrich vertreten wird, kann daher auf eine grundlegende ethische Betrachtung und Beurteilung der Marktwirtschaft gerade nicht verzichtet werden (vgl. Ulrich/Maak 2000). Aber kann den Entscheidungsträgern der Unternehmensführungen tatsächlich eine klare Verantwortlichkeit zugeordnet werden? Und vermag der Kapitalismus unter der Bedingung der allgegenwärtigen Korruption, so war unsere Frage, gerade im Zuge der Globalisierung wirklich eine gute Wirtschaftsform zu sein? Eine Wirtschaftsform, in der die Demokratie nicht vor den Toren der Betriebe und Verwaltungen aufhört und die damit zu einem höheren Lebensstandard für alle führen kann?

2.

Ist der Kapitalismus überhaupt eine gute Wirtschaftsform?

Zur Definition des Kapitalismus benötigen wir Kromphardt (1980, 38) zufolge drei wesentliche Strukturmerkmale: 1. das Privateigentum, 2. die Gewinn- und Nutzenmaximierung, welche den Wirtschaftszweck schlechthin darstellt, 3. die Koordination der Wirtschaftsaktivitäten, welche sich auf der Ebene des Marktes und der des Preissystems bildet. Zusätzlich sind Koslowski (1998, 199) zufolge weitere Austauschmechanismen zur Begriffsklärung notwendig: 1. Austauschformen auf den Märkten, 2. Hoheitlicher Zwangstausch 196 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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(Redistributionsbeziehungen), 3. Formen des reziproken Austausches (Reziprozitätsbeziehungen). Die angesprochenen Austauschmechanismen sind im modernen Kapitalismus jedoch nicht mehr im Gleichgewicht, sondern es herrscht ein relatives Übergewicht zugunsten des Marktes. Der Markt, auf dem sich Anbietende und Nachfragende von knappen Gütern unter Bedingungen von Wettbewerb und Konkurrenz treffen, ist der wichtigste Austauschmechanismus des Kapitalismus. In traditionellen Gesellschaften dominieren Reziprozitätsbeziehungen, welche Austauschmuster darstellen, die abhängig vom Verwandtschaftsgrad der Beteiligten sind. Ein weiteres Merkmal zur Definition des Kapitalismus ist der Grad der Einbettung des Marktes. Es wirft sich die Frage auf, inwiefern sich der Grad der Einbettung unterscheidet. In traditionellen Gesellschaften ist dieser höher als in kapitalistischen Gesellschaften. Die modernen westlichen Gesellschaften zeichnen sich vielmehr durch den Grad ihrer Freisetzungen aus. Beispielsweise richtet sich der Preis nun ausschließlich am Verhältnis von Angebot und Nachfrage aus. Freisetzung beinhaltet auch die Loslösung aus traditionellen, religiösen und kulturellen Bezügen. Sie ereignet sich seit dem 14./15. Jahrhundert und ist ein wesentliches Merkmal der Neuzeit. Seitdem können wirtschaftliche Handlungen wertfrei gesehen werden. In Platons Verständnis wäre kapitalistisches Wirtschaften noch gänzlich negativ konnotiert; ihm zufolge ist das Motto des Gewinnstrebens »Immer mehr zu haben wollen!« als moralisch verwerflich zu betrachten. Seiner Ansicht nach war dies die Grundlage allen Wirtschaftens und diese Ansicht wirkte bis zum Ende des Mittelalters nach, so dass es erst in der Neuzeit zur moralischen Neutralisierung des Gewinnstrebens kommen konnte. Nun ist das Gewinnmotiv zu einem respektablen menschlichen Motiv geworden und wird bis heute und gerade heute unter der Bedingung der Globalisierung, in der es zu einer »forciert fortschreitenden Verschmelzung der nationalen Volkswirtschaften« (Ziegler 2005, 12) kommt, zum Grundmotor des Wirtschaftens überhaupt erklärt. Weitere Auswirkungen der moralischen Neutralisierung des Gewinnstrebens sind die sowohl positiven wie negativen Effekte des Eigentumsrechts und die ebenfalls positiven und negativen Resultate der Entstehung von Privateigentum in größerem Ausmaße im Feudalismus und in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Unter dem Prozess der Freisetzung bzw. Autonomisierung versteht man, wie gesagt, die Herauslösung der wirtschaftlichen Bezie197 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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hungen aus Normierungen sowohl sozialer wie auch kultureller und religiöser Natur. Das Wirtschaftshandeln unterliegt dennoch strengen Vorschriften. In der Antike beispielsweise hat noch niemand an die Eigengesetzlichkeit des Wirtschaftens gedacht, dies ist erst ab der Neuzeit der Fall. Aber diese Freisetzung war nicht frei von negativen Auswirkungen und entzündet später, besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert, auch ihre Infragestellung, etwa in Form von antikapitalistischer Kritik und der Einführung der Planwirtschaft in der Sowjetunion. Diese war der Grund dafür, dass der Stellenwert von Moralität in der Wirtschaft deutlich erhöht worden ist. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks um 1990 verstummte diese Kritik zunächst. Die Autonomisierung der Wirtschaft ist insofern kein isoliertes Phänomen, sondern steht im Zusammenhang mit der soziokulturellen Entwicklung sowie der Evolution des europäischen Geistes. Diese Entwicklung brachte Koslowski (1998, 201 f.) zufolge drei zu akzentuierende Aspekte mit sich: Individualisierung (a), Rationalisierung (b) und Subjektivierung (c). Die Individualisierung (a) deutet die Abnabelung von traditionellen Bekenntnissen bzw. Zuständen, wie dem sozialen Status oder der Religion, an. Die Rationalisierung (b) bedeutet, dass im Sinne der Vernunft gehandelt wird, insbesondere im Sinne der ökonomischen Rationalität. Die Subjektivierung in der Neuzeit (c) bedeutet, dass das Subjekt für sich selbst verantwortlich ist und sich aus der traditionellen Gefangenschaft lösen und seine Präferenzen frei wählen kann. Präferenzen können sich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels verändern, und sie werden sowohl sozial als auch ethisch in sozialer Interaktion und ethischer Reflexion gebildet, verändert und vermittelt. Im Mittelalter hingegen gab es noch keine starke Trennung zwischen Individuum und Gemeinschaft, da das Individuum als angepasstes Element der Gemeinschaft gesehen wurde. In den Zeiten der Aufklärung hat man ein ebenso ausgeglichenes wie differenziertes Verhältnis von Individuum und Gesellschaft behauptet. Die Differenz zwischen Individuum und Gemeinschaft kann einerseits positiv, als eine Befreiung des Individuums verstanden werden, andererseits aber auch negativ, als eine Entfremdung des Individuums von der Gemeinschaft. Diese Ambivalenz hat also eine gute und eine schlechte Seite. Sollte sich die schlechte Seite endgültig Dominanz verschaffen, würde das den »schlimmsten Fall« hervorrufen und uns, um es im Anschluss an Terry Eagleton mit Hegel auszudrücken, zu »einem ›schlechten‹ Universalismus« führen, der sich »einem ›schlechten‹ Partikularismus« 198 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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gegenübergestellt sähe (Eagleton 2001, 90). Erfreulicherweise stehen wir mit der Ökonomie im heutigen Kapitalismus nicht auf dieser untersten Stufe der Leiter, sondern irgendwo zwischen dem schlimmsten und besten Fall. Ökonomie kann nicht mit Kapitalismus gleichgesetzt werden, obwohl sich der Kapitalismus seit der ersten industriellen Revolution als Form des Wirtschaftens zunächst im Westen und nach 1989 weltweit durchgesetzt hat. Definiert wird der Begriff Ökonomie allgemein als eine Überlegung über die richtige Allokation (Zuordnung oder Platzierung) von Ressourcen für gegebene Zwecke. Fraglich bleibt dabei, ob die Verwirklichung eines Zweckes mit der Erfüllung eines anderen Zweckes konkurriert. Doch welcher Zweck darf geopfert werden? Wenn dieser Frage ungeachtet Konflikte entstehen, taucht die Forderung nach Wertvorzugsregeln auf, um Konflikte zu vermeiden bzw. zu entscheiden. Das drückt aus, dass die Frage nach Bedeutung der Frage nach Verwirklichung vorzuziehen ist. Die Theorie der Allokation von Ressourcen ist für die Bildung von Präferenzen zwar verantwortlich, aber methodisch betrachtet muss die ethische Theorie der Ökonomie vorgelagert werden. Das Problem bezüglich des Wertbegriffes besteht darin, dass er heute nicht mehr zentral vorentschieden ist, so wie es noch im Mittelalter und in der Neuzeit der Fall war, sondern unterliegt seit der Aufklärung, die eine individuelle Freiheit favorisiert, individuellen Zwecksetzungen. Dieses Problem überträgt sich auf die Marktwirtschaft, weil die Finalisierung der Marktwirtschaft und die individuelle Freiheit im Gegensatz zueinander stehen. Finalisierung bedeutet, dass die Marktwirtschaft von zentral vorgegebenen Zwecken, von Politik und von der Religion seit der Aufklärung in einem neuen Sinne abhängig ist, denn die Marktwirtschaft eliminiert nicht das Problem des Wertesystems schlechthin. Es bleibt somit die Frage, was getan werden muss, um seinen Zweck möglichst effizient zu erreichen und dabei Nachhaltigkeit zu sichern. Das monologische Individuum ist aber mit dem Werteproblem überlastet, und daher kommt es zu einem ausschließlich am Nutzen orientierten ökonomischen Individualismus, der dem ethischen Individualismus extrem gegenübersteht. Denn die Fragen: »Was sind für mich vernünftige Präferenzen? Was soll ich wollen?«, auf die der auf den homo oeconomicus eingespielte Akteur eine eigennutzenorientierte Antwort gibt, beantwortet der Wirtschaftsbürger, der sich in moralischen Fragen auf Kant stützt, ganz und gar gesinnungsorientiert kraft des kategorischen Imperativs: ›Handle so, dass die Maxime 199 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.‹ Die aus diesem Imperativ sich ergebende sittliche Forderung, die Kant aufgrund der formalen Struktur der Vernunft für notwendig und allgemeingültig hielt, steht heute in einem offenen Widerstreit zur Vielheit der subjektiven Ziele der wirtschaftlich in aller Welt Handelnden. Denn die formalen Strukturen der Vernunft sind nicht, wie Kant noch annahm, bei allen Menschen gleich, weil diese Strukturen durch die Eigenheiten der temporären bzw. episodischen Formationen in den unterschiedlichen Sprachkulturen wesentlich mitbestimmt werden und insofern eine kulturelle Differenz begründen, die den Anspruch einer Handlung auf universale Geltung in den nicht-westlichen Kulturen in Frage stellt. Das heißt, eine einzelne Weltanschauung (wie etwa die der westlichen Moderne) oder eine bestimmte Erkenntnisform können immanent unbeschränkt allgemeine Gültigkeit haben. Extern jedoch, zum Beispiel transkulturell betrachtet, ist jede Weltanschauung von bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Auch Max Scheler hat »den historisch-sozialen Charakter der jeweiligen forma mentis« in den Kulturen der Welt aufgedeckt; er »relativiert sozusagen den Wahrheitsanspruch, der von jeder besonderen Perspektive erhoben wird, und setzt das Nebeneinander zahlreicher Denkmodelle und -arten voraus. Auf diese Weise wird die Pluralität der Weltanschauungen sichtbar gemacht« (Simonotti 2008, 71). Das vorläufige Resümee für die westliche Kultur lautet hier: Die Entwicklung der Wirtschaft seit der Neuzeit entspricht einerseits in einigen zentralen Punkten der Entwicklung der westlichen Ethik, insbesondere des Utilitarismus, welcher in der europäischen Moderne des 18. und 19. Jahrhunderts ausgebildet worden ist, andererseits entkeimt hier auch ein Gegensatz, bekanntlich der zwischen Pflicht und Nutzen. Die drei Merkmale der westlichen Moderne sind Koslowski und vielen anderen zufolge: Individualisierung, Autonomisierung (= Freisetzung bzw. Selbstgesetzgebung) und Universalisierung (= globale Verbreitung bzw. allgemeingültiger Geltungsanspruch). Alle drei Merkmale gelten zwar auch für den kategorischen Imperativ, der jedoch eher im Sinne eines »negativen Abgrenzungskriteriums« und nicht als »Verfahren zur Selektion von alternativen Zwecken« (Koslowski 1998, 203) etwa in der Wirtschaft zu verstehen ist. Nun benötigen wir für die Wirtschaftsethik eine Ethik der Werte-, Nutzen- bzw. Folgenabwägung eher, also wesentlich dringlicher als den kategorischen Imperativ, denn dieser reicht nicht aus, um der 200 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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zentralen Aufgabe der teleologisch bzw. strategisch orientierten Wirtschaftsethik gerecht zu werden: nämlich der Entscheidung über die besser geeigneten bzw. fortschrittlicheren Regeln oder Werte zwischen alternativen Wirtschaftshandlungen. Der Utilitarist geht davon aus, dass unsere Handlungen immer Folgen haben und somit auch stets eine Entscheidungsgrundlage dafür liefern, a) wer von der Handlung betroffen ist, b) wie sich die Handlung auf die Betroffenen und deren Interessen auswirkt und c) wie die Gesamtfolgen-Situation für alle Betroffenen aussieht. Da hierbei aber nicht nur die kurzfristigen, sondern ebenso die langfristigen Folgen bzw. Nutzenerwartungen zu berücksichtigen sind, steht die utilitaristische Folgenethik in einer Linie mit der »Verantwortungsethik«, die besagt, dass man für sein Tun oder Lassen unausgesetzt die volle Verantwortung zu tragen hat und die sich daraus ergebenden Konsequenzen akzeptieren muss. Die Antwort auf die Ausgangsfrage dieses Abschnitts: Ist der Kapitalismus überhaupt eine gute Wirtschaftsform? lautet daher: Eine gute Wirtschaftsform ist er zunächst vor allem in utilitaristischer Hinsicht, weil in dieser Perspektive zum einen auf der Ordnungsebene des Marktes jedermanns Interessen gleich behandelt werden sollen und weil zum anderen auf der Mesoebene des Unternehmens die Bereitschaft zu kooperieren bei all jenen, mit denen wir enger verbunden sind, stärker sein wird, d. h. hier eine Ausnahme von der Regel gebilligt wird, ohne damit in Widerspruch zur Ordnungsebene zu geraten, wenn diese Ausnahme generell die Regel bestätigt. Denn das größte Glück der größten Zahl, so die in dieser Perspektive mit zugrunde liegende Mutmaßung, kann in einer Gesellschaft insgesamt (= Allgemeinheitsprinzip) nur realisiert werden, in der die Bande der gegenseitigen Zuneigung noch mehr oder weniger unversehrt sind und dadurch eine größere Reichweite erzielt, d. h. sowohl den Nutzen erhöhen (= Utilitätsprinzip) als auch das Leben der Menschen im Hinblick auf ihr Glück und ihre Zufriedenheit verbessern könnte (= Hedonismusprinzip). Dies kann im Utilitarismus allerdings im schroffen Gegensatz zur Mikroebene stehen, auf der sich der Utilitarist uneingeschränkt vorstellen kann, einzelne Personen oder eine bestimmte Gruppe von Personen auszunutzen, um damit die allgemeine Wohlfahrt zu steigern. In deontologischer Hinsicht ist der Kapitalismus dagegen allein unter verschärften Bedingungen gut, weil der kategorische Imperativ auf keiner Ebene und unter keinen Umständen eine Ausnahme von der Regel zulässt und weil er auf der Makro- und Mesoebene ohnehin wenig zur Anwen201 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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dung geeignet ist. Diese Schwierigkeiten bedeuten, dass der Kapitalismus als gute Wirtschaftsform sich vor allem auf der individuellen Handlungsebene (= Mikroebene) zu bewähren hätte, also zunächst lediglich zu einem Drittel legitimiert ist. Die entscheidende Frage, die sich hier nun zur Beantwortung unserer Frage aufdrängt, lautet: Könnte der Kapitalismus, wenn schon nicht auf den beiden anderen Ebenen (= Makro- und Mesoebene) zugleich, so doch möglicherweise wenigstens auf der Mesoebene, nämlich durch die Verantwortung der Unternehmen, die mit verschiedenen Strömungen der Zivilgesellschaft immerfort in Kontakt sind, eine vollständigere Legitimation erhalten? Das soll im Folgenden näher erörtert werden.

3.

Die Verantwortung der Unternehmen im Kapitalismus

Um heute sinnvoll über Unternehmensverantwortung zu sprechen, muss meines Erachtens wieder mit dem Thema Globalisierung begonnen werden. Denn seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es gravierende Veränderungen in der Unternehmensethik zu verzeichnen. Mit der Globalisierung sind enorme Ausweitungen der Kooperationsmöglichkeiten eines Unternehmens gegeben – das betrifft Kunden, Investoren, Mitarbeiter und Zulieferer. Jedoch waren keine institutionellen Strukturen, die dies auffangen und regeln könnten, auf Anhieb verfügbar. Dadurch entsteht das Problem der Unternehmensverantwortung in einem neuen Sinne. Die neue Anforderung, die in der Medienöffentlichkeit gegenwärtig immer wieder formuliert wird, besteht darin, dass transnationale Unternehmen und Unternehmer oder Manager im globalen Zeitalter ebenfalls als politische Akteure zu betrachten sind, die nicht nur Verantwortung für ihr eigenes wirtschaftliches Handeln übernehmen, sondern nun auch einen Beitrag zur Behebung von zivilgesellschaftlichen Problemen zu liefern haben. Unklar ist heute aber, worin dieser Beitrag genau besteht und welche Aufgaben konkret übernommen werden sollen. Früher und heute wurden/werden solche Aufgaben vom jeweiligen Nationalstaat übernommen. Hauptsächlich sind dies Aufgaben im sozialen Bereich. Die traditionelle Auffassung, dass die Wirtschaft lediglich der Bedarfsdeckung bzw. der Gewinnmaximierung diene, wird heute angefochten und die Funktion eines Unternehmens daher anders definiert. Im Allgemeinen geht es um die Bereitstellung von Gütern, Dienstleistungen und Arbeitsplätzen. Hierbei wurde/wird jedoch das Ziel 202 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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verfolgt, dass die Aufgabe des Unternehmens in erster Linie darin besteht, Gewinne zu erzielen. Diese traditionelle Definition der Unternehmen steht nun aber im Widerspruch zu der neuen Sichtweise, die den Unternehmer sowohl als ökonomischen als auch politischen Akteur versteht. Um das mit dieser Sicht entstehende neue Problem der Unternehmensverantwortung ermitteln zu können, diskutiert Andreas Suchanek in seinem Aufsatz über »Die Bedeutung der Unternehmensverantwortung« (2011, 175–189) drei beispielhafte Vorschläge für eine Betrachtung der Verantwortung von Unternehmen: Die erste Auffassung besteht darin, dass Unternehmensverantwortung etwa im Sinne von Wohltätigkeit verstanden werden könnte. Die zweite beinhaltet, dass die Verantwortung weiterhin ausschließlich im Sinne von Gewinnsteigerung zu erklären ist. Die dritte und somit letzte Auffassung beinhaltet den von Suchanek favorisierten Versuch, die Verantwortung vor allem als eine Investition in das Vertrauen der Stakeholder zu sehen.

Drei Begriffe der Verantwortung nach Suchanek In der ersten Auffassung wird unternehmerische Verantwortung an der Einstellung festgemacht, dass sich ein Unternehmen u. a. auch uneigennützig sowohl in sozialer als auch in ökologischer Hinsicht zu engagieren hat. Von den Unternehmen werden Wohltätigkeiten verlangt, die einen ›sichtbaren Beitrag für das Gemeinwohl‹ leisten. Für die Unternehmen bedeutete dies, jenseits ihres Kerngeschäfts ihre »Uneigennützigkeit unter Beweis« (Suchanek 2011, 181) stellen zu müssen. Die Kritiker dieser Auffassung sind, wie Suchanek konstatiert, der Ansicht, dass dies überaus problematisch sei: Verantwortung und Wohltätigkeit könne man nicht gleichsetzen, da der Ort der Verantwortlichkeit des Unternehmens woanders läge, nämlich im »Prozess der Wertschöpfung« (ebd., 182). Die Verantwortung durch uneigennützige Taten zu demonstrieren, würde nach Suchanek dazu führen, dass das eigentliche Kerngeschäft der Unternehmen immer weiter delegitimiert werden würde. Aber was bedeutet hier ›Delegitimation des eigentlichen Kerngeschäfts‹? Das eigentliche Kerngeschäft der Unternehmen besteht darin, sich auf Märkten unter Wettbewerbsbedingungen zu engagieren und stets auf »langfristige Gewinnerzielung« (ebd.) ausgerichtet zu sein. Ausgehend vom eigentlichen Kerngeschäft bedeutet dies, dass wir das Unternehmen 203 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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eindeutig bzw. im richtigen Sinne als eigennützig verstehen und definieren müssen. Ein uneigennütziges Unternehmen wäre in der kapitalistischen Wirtschaft zum Scheitern verurteilt und gerade dies müsste man klar als negativ und als verantwortungslos auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern bezeichnen. Ein Überleben unter der Bedingung der Uneigennützigkeit ist im Wettbewerb somit schwer bzw. nicht vorstellbar. Deshalb wird von Suchanek als Ausweg empfohlen, Verantwortung allein im Kerngeschäft zu verorten. Auf diese Weise kann und wird nur gewinnorientiertes Verhalten als verantwortlich gelten können. Verantwortliches Handeln eines Unternehmens kann Suchanek zufolge nur akzeptiert werden, wenn es im Sinne einer »Investition in die Bedingungen (…) künftiger Gewinnerzielung« betrachtet wird (ebd.). Das schließt ein soziales Engagement des Unternehmers nicht aus, aber für Suchanek sollte dieses auf jeden Fall »als Investition in die Bedingungen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil« (ebd., 183) erkannt werden können. In der zweiten Auffassung werden Unternehmensverantwortung und Gewinnerzielung nicht in diesem lockeren Sinne von vorne herein in fester Verbindung wahrgenommen aufgestellt. Verantwortliches Handeln eines Unternehmens kann nach dem soeben Ausgeführten nur akzeptiert werden, wenn es im Sinne einer Investition für künftige Gewinnerzielung steht. Aber ist Unternehmensverantwortung damit auf Gewinnsteigerung reduzierbar? Suchanek zitiert den amerikanischen Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Milton Friedman, der sich hierzu geäußert hat: Verantwortung eines Unternehmens sei in seinen Augen einzig in der Gewinnsteigerung zu sehen. Friedman lehnte die Einstellung sozialdemokratischer Zeitgenossen konsequent ab, dass Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung zu tragen haben, vor allem unter den Bedingungen der Globalisierung (Suchanek 2004). Im Jahr 1970 äußerte Friedman bereits, dass so etwas wie gesellschaftliche Verantwortung für Unternehmen sogar gefährlich sei. Denn Verantwortung in Form von Wohltätigkeit könne zu Machtmissbrauch von Managern führen. Dieser Machtmissbrauch ergibt sich daraus, dass es für Friedman keine Kriterien dafür gebe, ob eine Wohltat gesellschaftlich sinnvoll und gut ist oder nicht. Diesbezügliche Entscheidungen seien willkürlich und damit wäre der Gesellschaft nicht gedient. Es muss nach Friedman (und auch für Suchanek) unmissverständlich Abstand von der Ansicht einer gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen genom204 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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men werden. Das Unternehmen muss in einer funktionierenden Marktwirtschaft betrachtet werden, die traditionell ist und vor allem nach Gewinnerzielung strebt. Das ist nach Friedman die beste Möglichkeit, die Arbeit der Manager zu bewerten. Das Engagement für wohltätige Zwecke müsste daher, wenn man dies überhaupt in Erwägung ziehen möchte, entfernt vom Kerngeschäft der Unternehmen gemustert werden. Von international agierenden Managern, in deren Lebensform Flugpläne und Bilanzen den Takt angeben, könne man dies aber nicht verlangen, da sie die dazu gefragten Kompetenzen nicht aufweisen und auch nicht über die Zeit verfügen, sich solche anzueignen, um sodann soziale Aufgaben erfolgreich zu bewältigen. Denn dafür seien, hier stimmt Suchanek mit Friedman überein, die Politiker und der Staat verantwortlich. Friedman ist der Auffassung, dass sich um dieses Thema in den Unternehmen nicht gesorgt werden kann und muss. Die Verantwortung der Manager bzw. der Unternehmen sei durch gesetzliche Vorgaben stark strukturiert. Die einzige Aufgabe, die zugemutet bzw. verlangt werden darf, sei die Gewinnerzielung, nicht die Idee einer solidarischen Ökonomie. Das heißt also, die von der Gesellschaft auch erwünschte wirtschaftliche Leistung müsste möglichst ohne Gesinnungswandel und im zweckrationalen Sinne effektiv erbracht bzw. produziert werden, ohne die Gewinne der Spekulanten vorschnell für Zwecke der Daseinsvorsorge zu missbrauchen. Kritiker, zu denen sich letztlich auch Suchanek zählt, haben sich mit diesem Konzept auseinandergesetzt und sich wie folgt geäußert: Sie sind der Auffassung, dass durch Friedman eine völlig einseitige Auffassung dargestellt wurde, die einen »monoparadigmatischen Rationalismus« (Scherer 2003, 18) ökonomischen Denkens und Handelns zugrunde legte. Es gibt aber viele unterschiedliche und brennende Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Unternehmensverantwortung stellen, die von Friedman jedoch erheblich unterschätzt oder gänzlich abgetan wurden. Das entscheidende Problem liegt darin, dass Gewinnsteigerung nicht nur positiv beurteilt werden kann. Gewinnsteigerung kann auch zu Lasten Dritter erfolgen. So zum Beispiel zu Lasten der Umwelt, der Produktion, der Bilanz (Bilanzverschleierung), der Sicherheit (mangelnde Sicherheit), von Korruption etc. Dies alles kann der Fall sein und steht dafür, dass das Prinzip der Gewinnstrebung nicht nur einseitig wahrgenommen und favorisiert werden darf. Die Gleichsetzung der Unternehmensverantwortung mit Gewinnsteigerung ist unangemessen, weil dies 205 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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unverantwortliche Formen der kurzfristigen Gewinnerzielung zulässt und diese nicht abstellt. Es kann keineswegs ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass bereits die politischen Rahmenordnungen und der Wettbewerb in der Marktwirtschaft hinreichend dafür sorgen, dass solches unverantwortliche Handeln in der Regel abgewendet bzw. unterlassen wird. In der dritten Auffassung ist die Unternehmensverantwortung als »Investition in das Vertrauen der Stakeholder« (Suchanek 2011, 185) zu verstehen. Der Begriff des Stakeholders hat sich in der wirtschaftlichen Kommunikation in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt. Gemeint sind mit diesem Begriff alle, die mit einem Unternehmen etwas Bestimmtes zu tun haben, also alle internen und externen Organisationen, Institutionen, Verbände oder Einzelpersonen. Die Verantwortung in diesem Zusammenhang heißt für Suchanek »Vertrauen« (ebd., 186), mit dem man einerseits eine ›gute Reputation‹ aufbauen kann, das durch Skandale und Korruption andererseits schwer erschüttert bzw. vergeudet wird. Für den Erfolg von Unternehmen ist Sozialkapital bildendes Vertrauen jedenfalls eine entscheidende Basis. Man könnte sogar sagen, dass es einen eindeutig ›positiven Zusammenhang zwischen Vertrauen und wirtschaftlichem Erfolg‹ gibt, wie Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln betont: »Muss der Partner überwacht werden, die Produkte geprüft oder der Vertrag durchgesehen werden, kostet das Zeit und Geld – sogenannte Transaktionskosten. Vertrauen sich die Parteien gegenseitig, können einige dieser Kosten eingespart werden – die Transaktion wird also effizienter. Damit dieser Effizienzgewinn realisiert werden kann, müssen sich die Transaktionspartner selbst vertrauenswürdig verhalten« (Enste/Grunewald 2017, 2). Es ist in diesem Kontext also damit dasjenige Vertrauen gemeint, welches das Unternehmen bei den verschiedenen Stakeholdern in Form einer ›Erwartungssicherheit‹ zu erbringen hat und umgekehrt. Alle Unternehmen sind stets auf zahlreiche Beiträge der so genannten Stakeholder angewiesen. Zum Beispiel auf die Mitarbeiter eines anderen Unternehmens, die einen bestimmten Beitrag leisten müssen; auf Investoren, die die Finanzierung leisten; Kunden, die angebotene Güter und Dienstleistungen zu bezahlen bereit sind; auf Lieferanten, die benötigte Vorprodukte liefern müssen; auf Behörden, die bestimmte Aktivitäten des Unternehmens zu genehmigen haben. Die Beiträge der Stakeholder werden nur erbracht, wenn im Vorfeld bereits geklärt ist, dass das Unternehmen auch eine bestimmte Ge206 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

genleistung erbringt. Das ökonomische Problem hierbei besteht darin, dass die vielen Beiträge schon vor der Gegenleistung anfallen. Leistung und Gegenleistung werden stets zeitlich entkoppelt erbracht. Das Unternehmen muss daher vertrauenswürdig sein, sonst würde kein Investor oder Lieferant eine Vorleistung erbringen. Somit geht es bei der Unternehmensverantwortung darum, dieses benötigte Vertrauen im Austausch mit den Stakeholdern zu erlangen und in Form einer ›Vertrauensgemeinschaft‹ aufrecht zu erhalten. Schließlich ist Vertrauenswürdigkeit im Prozess des wechselseitigen wirtschaftlichen Handelns zwingend notwendig. Von ganz besonderer Bedeutung für den wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang ist es daher, dass ein Unternehmen seine Versprechen bzw. Verträge hält. Dieses Vertrauen in Bezug auf das Versprechen bzw. die Verträge eines Unternehmens ist auch ein ganz besonderer Punkt in der Unternehmensethik, soweit sie sich auf Kant stützt. Es ist nämlich eine zentrale Forderung des kategorischen Imperativs. Und der kategorische Imperativ steht und fällt damit, dass Versprechen grundsätzlich eingehalten werden. Das Vertrauen darauf ist als Fundament jeder Handlung zu betrachten: Vertrauen, das einen ›reziproken Altruismus‹ begründen soll, muss dementsprechend Grundlage des sozialen Zusammenhalts von Kooperationspartnern sein (vgl. dazu Schmölders 2003, 495–508). Sie erzeugt eine starke Legitimation des Unternehmens auf der Mesoebene der kapitalistischen Wirtschaft. Das kann man aber allemal auch auf die Mikroebene wirtschaftlichen Handelns im Besonderen beziehen. Die Investition in solches Vertrauen ist freilich nicht zuletzt der beste Schutz vor Korruption im Unternehmen bzw. des Unternehmens. Das bedeutet in diesem Kontext aber keineswegs, dass wir den kategorischen Imperativ als starres Extrem verteidigen bzw. als letztes Ziel vorbringen wollen. Wir behaupten allein: Falls der Zeitgeist einmal nur noch jenes eine Extrem zu propagieren beginnt, sollten wir uns spätestens (besser aber früher) an die Kehrseite, den polaren Gegensatz, erinnern, dass es jenseits der im dogmatischen Extrem erscheinenden kahlen Reinheit des kategorischen Imperativs stets eine schrankenlos hingebende Weltbejahung gibt, die die Steinwüste des Abstrakten wieder in einen Paradiesgarten des Konkreten verwandeln könnte.

207 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Mit Verantwortung und Vertrauen gegen den Neoliberalismus Die Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens bzw. Unternehmers ist der zentrale Begriff bei der Untersuchung der Unternehmensverantwortung. Daher ist ein Management von Unternehmensverantwortung in jedem Unternehmen ebenfalls dahingehend erforderlich, dass es sich auf die Erwartungen der einzelnen Stakeholder-Gruppen gezielt einstellt. Diese Einstellung ist im Sinne eines Erwartungsmanagements zu betrachten, denn die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven der Stakeholder, die an die Unternehmen herangetragen werden, zählen nach Suchanek zu den entscheidenden Ausgangspunkten jedes Managements von Unternehmensverantwortung. Generell ist zur Verantwortung unternehmerischen Handelns zu sagen: Die Anwendung von Verantwortung bezieht sich nicht nur auf die Gesinnung der Akteure unternehmerischen Handelns allein, sondern zudem auf das Verhältnis der unternehmerischen Handlung zu den Handlungsfolgen. Aber auch diese Auffassung, die man dem Utilitarismus zuschreiben könnte, ist noch nicht hinreichend. Es gibt ferner stets vorgegebene Handlungsbedingungen (u. a. in der Form des Rechts und der staatlichen Verwaltung), die einbezogen werden müssen und mit einer bestimmten gegenwärtigen Handlung bestimmte Folgen befürworten und andere verbieten. Und die damit verursachten Folgen können wiederum als künftige Handlungsbedingungen hervortreten. Das bedeutet, dass man zum Zeitpunkt des unternehmerischen Handelns auch das Ziel verfolgen muss, ausgehend von den vorgegebenen sich zugleich die künftigen Handlungsbedingungen vorzustellen bzw. mitzudenken und diese positiv zu beeinflussen. Der Neoliberalismus vertritt den Standpunkt, dass der Akzent in Wirtschaftszusammenhängen stets auf die ökonomische Vorteilhaftigkeit einer Investition zu legen ist. Diese soll, wie wir von Suchanek über Milton Friedman bereits erfahren haben, als exklusiver Maßstab des Verhaltens und Handelns in der Wirtschaft gesehen werden. Aus dieser Einschätzung ergibt sich jedoch die Ideologie einer völligen Freistellung des unternehmerischen Handelns. Die in diesem Kontext entstehenden Folgen bzw. Konsequenzen des Handelns, die allzu oft indirekt und in negativer Gestalt, also zu Ungunsten des Sozialen auftreten, werden von den Neoliberalisten allerdings allzu oft einfach ignoriert. Einer solchen Auffassungs- bzw. Verhaltensweise kann 208 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

man heute allerdings nicht mehr einfach zustimmen, wenn man den Sinn für Verantwortung und Vertrauen sowie für die Notwendigkeiten des sozialen Ausgleichs in der Gesellschaft noch nicht völlig verloren hat. Damit lässt sich nach meiner Meinung eine ethische Duldung der Korruption in der »untersten Milliarde« (Collier 2008) als unumgängliche Zwischenlösung im Prozess des Ausgleichs von Arm und Reich durchaus vereinbaren. Wie bereits gesagt, sollte diese Auffassung nur für die ›unterste Milliarde‹ gelten, nicht jedoch für die Menschen, die Wirtschaftsbürger sowie die Stakeholder und die Unternehmer in der Welt des modernen technikorientierten Westens, denn wir müssen »die positive moralische Wertung der Korruption als Relikt vormoderner Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen einstufen. Das bedeutet aber zugleich, daß die Eindämmung von Korruption eine grundlegende Voraussetzung für die weitere gesellschaftliche Differenzierung darstellt« (Homann 1997, 194). Als abschließende Definition ist an dieser Stelle Folgendes festzuhalten: Unternehmensverantwortung besteht darin, die Handlungen des Unternehmens so zu nutzen, dass damit die Bedingungen des künftigen Handelns erhalten bleiben und nicht zerstört werden. Hierzu benötigt man einen Vertrauensvorschuss. Das Management hat hierbei die wesentliche Aufgabe, diesen Vertrauensvorschuss vorsorglich zu bilden und zu stabilisieren. Multinationale Unternehmen müssen in bestimmten Wirtschaftszusammenhängen verortet werden. Die zentrale Wirtschaftstheorie, die diese Zusammenhänge in den letzten Jahrzehnten entscheidend mitbestimmt hat und die »sich mit der Regierungszeit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher (1979–1990) und des US-Präsidenten Ronald Reagan (1981–1989)« (Ebert 2012, 132) verbinden lässt, ist der sogenannte ›jüngere angelsächsische Neoliberalismus‹, »der den Individualrechten und besonders dem Eigentumsrecht eindeutig den Vorrang vor dem Gesichtspunkt des sozialen Ausgleichs einräumt« (ebd., 133). Dieser ist klar vom sogenannten ›älteren deutschen Neoliberalismus‹, »der sich besonders mit Ludwig Erhard und dem Konzept der ›sozialen Marktwirtschaft‹« (ebd., 131) verbindet, zu unterscheiden und kann ferner zum einen als ideologischer Wegbereiter des internationalen Freihandels und zum anderen als ideologischer Pionier der wirtschaftlichen Globalisierung gelten.

209 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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4.

Der Unternehmer im Zeitalter der Globalisierung auch als politischer Akteur!

Vor dem Hintergrund des Zeitalters der Globalisierung muss man den Neoliberalismus, wenn legitime zivilgesellschaftliche bzw. soziale Ansprüche verletzt werden, vor allem kritisch betrachten und in dieser Hinsicht problematisieren. Heute erfolgt dies etwa durch den wirtschaftstheoretischen bzw. wirtschaftsethischen Ansatz von Karl Homann und Mitarbeitern einerseits sowie durch die Position einer jüngeren Generation von Wirtschaftsethikern im Anschluss an den Erlanger Diskursethiker Horst Steinmann – gemeint sind hiermit vor allem Andreas Georg Scherer und Albert Löhr – andererseits. Die entsprechende Problematisierung des Neoliberalismus ist ihrer Auffassung nach notwendig, da in den Unternehmen nicht ausschließlich nach ökonomischen Imperativen geurteilt und gehandelt werden darf. Denn die Vorstandsvorsitzenden von multinationalen Unternehmen sind in der Sichtweise, wie sie von Scherer und Löhr vertreten wird, auch als politische Akteure zu verstehen, die sich etwa von den Missständen in ihren Zulieferbetrieben nicht einfach abwenden können bzw. dürfen. An diesem Punkt meiner Argumentation rücke ich von den unternehmensethischen Vorstellungen und Ausführungen von Suchanek ab und schließe mich im Folgenden der wirtschaftsethischen Argumentation von Scherer und Löhr an. Meine Überlegungen auf der Grundlage dieser politischen Richtungsänderung beginne ich wiederum mit dem Thema der Globalisierung, die wir als einen wesentlichen Eckpunkt des hier behandelten Spannungsfeldes (von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung) betrachten, und bei der es sich sicherlich nicht um ein grundsätzlich neues Phänomen handelt, d. h. es gab bereits Vorläufer in der Geschichte. Man kann aber sagen, dass die letzte Globalisierung der Megatrend schlechthin im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ist, der von Regierungen und Institutionen geschaffen wurde und von Zentralbanken und internationalen Körperschaften gesteuert wird. Und auch heute befinden wir uns in dieser Phase der Entwicklung, die zum zentralen Thema in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft geworden ist. »Alle Merkmale der Globalisierung – Intensivierung internationaler Arbeitsteilung, Expansion des Welthandels und der Auslandsproduktion, Ausdehnung der Kapitalinvestitionen und der Finanzmärkte, Grenzöffnungen und Migrationsbewegungen – sind nicht per se neu. Aber sie konvergierten im 210 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in einer zuvor unbekannten Dynamik« (Wirsching 2012, 227). Bei der weltweiten Vernetzung gibt es aber nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer, zu denen einerseits die Entwicklungsländer, andererseits die so genannten Nationalstaaten weltweit gehören. Insofern muss man die Globalisierung gegenwärtig wohl noch als ambivalentes Phänomen bezeichnen, das sich der Vernunft auf keinen Fall entgegenstellen darf: »Die Vernunft aber erfordert«, sagt der indische Wirtschaftswissenschaftler Jagdish Bhagwati (2008, 414), »dass wir die Überzeugung fahren lassen, die Globalisierung habe kein menschliches Antlitz, eine Behauptung, die einem falschen Alarm gleichkommt, und zu dem Schluss kommen, dass sie ein solches Antlitz hat.« Obwohl letzten Endes auch Scherer und Löhr (1999) zu diesem Schluss kommen, muss man ihnen zufolge heute dennoch die These vertreten, dass durch die Globalisierung nicht nur die Souveränität der Nationalstaaten, sondern auch der politische Handlungsspielraum stark reduziert wird. Eine negative Folge davon könnte sein, dass demokratische Verständigungsprozesse im Zuge der Globalisierung zunehmend durch marktwirtschaftliche Austauschprozesse ersetzt werden. Sollte diese Folge eintreten, entstünde eine Wirtschaft, die sich nicht mehr innerhalb eines durch Politik vorgegebenen Rahmens abspielt, also eine Wirtschaft, die der Politik den noch verbliebenen Aktionsspielraum diktieren würde. Wirtschaftliche Verhandlungsstärke wäre dann Definitionsmacht für politische Verhältnisse. Zu diesem Negativbild gibt es für Scherer und Löhr zwei gegensätzliche Standpunkte, nämlich den der Anhänger des Neoliberalismus sowie den der Anhänger der Globalisierungsskeptiker. Die Anhänger des Neoliberalismus vertreten die These, dass das Negativbild der Globalisierung im Prinzip gar nicht negativ ist, was darauf hinausläuft, dass politische Entscheidungen – heute und in Zukunft – dem Spiel der Marktkräfte unterworfen werden, da dadurch die Effizienz des Wirtschaftens erhöht werden könne. Die Voraussetzung, um dies durchzusetzen, sei die Abschaffung der negativen Beschränkungen des wirtschaftlichen Handelns, also die Abschaffung der verschiedenen Wettbewerbsbeschränkungen, der ausufernden Vielfalt an Systemen sozialer Sicherung und auch der überhöhten Arbeitsschutzbestimmungen in verschiedenen Ländern der westlichen Welt. Die Anhänger des Neoliberalismus vertreten in diesem Sinne die These, dass all dies zurückgeschnitten werden muss, um vor allem die genannte Effizienzerhöhung zu realisieren. 211 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Die Anhänger der Globalisierungsskeptiker hingegen warnen vor den Folgen der Globalisierung. Sie vertreten die Auffassung, dass sich die Globalisierung negativ auf den Kontext der nationalen Gesellschaften bzw. Kulturen vor allem in den Entwicklungsländern durch weitere Verarmung auswirken kann (vgl. Seitz 2018). Im Hinblick auf Globalisierung solle die Politik gestärkt werden, um deren negative Konsequenzen besser abwenden zu können. Es geht ihnen also nicht darum, mehr Wettbewerb zu garantieren, sondern umgekehrt um mehr politischen Dialog der Unternehmen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. In diesem Spannungsfeld von Neoliberalismus und Globalisierungsskeptizismus könnten nun – da sind die Theoretiker einer Meinung – multinationale Unternehmen in kritischer Hinsicht verortet werden. Denn in diesem Spannungsfeld stehen sie in einer doppelten Betrachtung und geraten oftmals unter Beschuss, was manchmal zu Recht, aber auch manchmal zu Unrecht geschieht. Sie rücken beispielsweise in das Zentrum der Kritik, wenn sie dabei sind, die Lebensadern der traditionellen Gesellschaften abzuschneiden, oder wenn sie versuchen, direkt oder indirekt Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen oder wenn sie dazu übergehen, ihre Produkte und ihre Dienstleistungen zu zerlegen und arbeitsteilig an verschiedenen Orten in der Welt fertigen zu lassen, vor allem an jenen, an denen jeweils günstiger produziert werden kann. Das ist überall zu beobachten. Ein Beispiel für diese (sicherlich berechtigte) Kritik lieferte das finnische Unternehmen Nokia. Nokia hatte in Bochum einen Standort, an dem schwarze Zahlen geschrieben wurden. Trotzdem sollte durch eine Verlagerung der Firma nach Rumänien – und der damit verbundenen Inanspruchnahme billigerer Arbeitskräfte – der Gewinn maximiert werden. Multinationale Unternehmen sind also in der Lage, Nationalstaaten unter Druck zu setzen oder gegeneinander auszuspielen, indem sie um verschiedene Produktionsstandorte pokern, was dazu führt, dass diese Unternehmen in der Presse häufig in negative Schlagzeilen geraten. Weitere Kritikpunkte drängen sich auf, wenn multinationale Unternehmen Kinderarbeit in der Dritten Welt in Anspruch nehmen; wenn gesetzlich vorgeschriebene Mindestlöhne unterschritten werden; wenn Überstunden erzwungen werden und gewerkschaftliche Betätigung unterdrückt wird (vgl. dazu Scherer/Löhr 1999, 264 f.). Alle diese Kritikpunkte sind Argumente für die Berücksichtigung der Wirtschafts- und Unternehmensethik in 212 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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der Beurteilung bzw. Beratung multinationaler Unternehmen. Ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit von Wirtschafts- und Unternehmensethik findet sich etwa beim US-amerikanischen Sportartikelanbieter Nike. Nike war und ist der weltweit größte Hersteller von Sportschuhen, offiziell wurden bis in die 1990er Jahre aber, wie der Filmemacher Michael Moore in seinem Dokumentarfilm Der große Macher kritisierte, nur 16.000 Mitarbeiter beschäftigt. Dieses Unternehmen war in den 1990er Jahren somit in überaus starkem Maße abhängig von Zulieferern aus den Entwicklungsländern, die zum Teil unter ›anarchistischen, korrupten bzw. ausbeuterischen‹ Arbeitsbedingungen über 100.000 Arbeiter beschäftigten (vgl. dazu Scherer/Löhr 1999, 264). Wenn solche Meldungen über die Medien in die Öffentlichkeit des Westens kommen, wird stets ›der moralische Zeigefinger‹ erhoben – und zwar zu Recht, würde ich sagen. Sehr oft gibt es dann eine Reaktion der multinationalen Unternehmen, die etwa derart lautet, dass sie sich für die Arbeitsbedingungen der Zulieferer in den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht verantwortlich gefühlt haben. Ein Argument, das in ethischer Hinsicht gar nicht akzeptabel ist, denn es schließt offensichtlich eine Handlungsmaxime ein, die sich im Sinne der Auslegung Kants nicht verallgemeinern und damit nicht rechtfertigen lässt. Daher erhebt sich die Frage, was man moralisch von einem multinationalen bzw. einem transnationalen Unternehmen erwarten kann und was nicht. Um diese Frage zu klären, müssen wir nach Scherer und Löhr zwei verschiedene Standpunkte rekonstruieren. Zunächst benennen sie hierbei die Position der ökonomischen Theorie der Wirtschaftswissenschaften: Diese vertritt die Auffassung, dass nur unter der Bedingung des freien Handelns letztlich die Gesamtwohlfahrt der Wirtschaft und der Gesellschaft maximiert werden könne. Sie übernimmt somit also prinzipiell den Standpunkt des Neoliberalismus. Bei diesem geht es um eine Liberalisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, was bedeutet, dass Handelsschranken zwischen den Nationen möglichst abgebaut werden sollen. Wenn das geschehen würde, so die These, könnte der freie Handel immer stärker als Grundlage von wirtschaftlicher Entwicklung und Wohlstand dienen. Aus diesem Grunde wird es von Anhängern dieser Theorie auch nicht für notwendig erachtet, die niedrigen Arbeitskosten in den Entwicklungsländern abzuschaffen, was man ja durch eine künstliche Verteuerung der Arbeit bzw. durch Mindestlöhne durchaus erreichen könnte. 213 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Die neoliberalistischen Mittelsmänner würden dazu bemerken, dass dies zu einem Beschäftigungsrückgang in den Entwicklungsländern führen würde. Stattdessen sollten die niedrigen Arbeitskosten eher als eigener Wettbewerbsvorteil dieser Länder interpretiert werden. Denn durch die niedrigen Arbeitskosten seien die Entwicklungsländer erst in der Lage, überhaupt am Welthandel teilzunehmen, da sie durch die niedrigen Arbeitskosten einen Kostenvorteil haben, der dahin führt, dass sie insgesamt erfolgreicher am Welthandel teilnehmen könnten. Diese Einstellung sorge dafür, dass sich das Volkseinkommen kontinuierlich steigere, wodurch Schritt für Schritt auch höhere Arbeits- und Umweltstandards sowie Systeme sozialer Sicherung eingeführt werden könnten. Die Grundthese der Neoliberalisten lautet also, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Demokratisierung in diesen Ländern vorauszugehen habe, da hier zunächst eine Art freier Markt etabliert werden müsse. Wenn dies geschehen sei, könnte man auch an eine Demokratisierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse denken. Deshalb sollten die wirtschaftspolitischen Anstrengungen derzeitig auf die Entfaltung des Freihandels gelenkt werden und nicht auf die Entwicklung demokratischer Strukturen. Dieser ökonomischen Theorie zufolge müssten sich beispielsweise ostasiatische Länder nicht mehr durch westlich-demokratische Länder diktieren lassen, dass etwa die Menschenrechte eingehalten werden sollten. Die Menschenrechte können bzw. müssen nach dieser Vorstellung nämlich in den Entwicklungsländern nicht unmittelbar, sondern erst dann zugrunde gelegt und verwirklicht bzw. angewendet werden, nachdem die marktwirtschaftlichen Wettbewerbsverhältnisse erfolgreich etabliert wurden. Gegen diese Auffassung haben die deutschen Wirtschaftsethiker Karl Homann und Franz Blome-Drees (1992) protestiert und in den letzten Jahrzehnten in ihren Publikationen ein Gegenmodell entworfen. Dieses Gegenmodell geht von der These aus, dass internationaler Freihandel nicht ohne Voraussetzungen möglich ist – wie es die ökonomische Theorie des Neoliberalismus besagt. Denn der Freihandel kann sich Homann und Blome-Drees zufolge erst innerhalb einer politisch vorgegebenen Rahmenordnung entfalten (vgl. dazu 1992, 20 ff.). Diese Rahmenordnung des ökonomischen Handelns müsse nämlich als Voraussetzung betrachtet werden, die gegeben sein muss, damit sich so etwas wie Ordnung als Ergebnis marktwirtschaftlicher Austauschprozesse überhaupt einstellen kann. Das, was überhaupt zu einer solchen Rahmenordnung gehört, haben Homann und Blome214 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Drees in ihrem Buch bereits 1992 formuliert: nämlich eine Verfassung, Gesetze, öffentliches Recht, Privatrecht, Strafrecht, Wirtschaftsrecht, Gesellschaftsrecht, Arbeits- und Tarifrecht, Wettbewerbsrecht, Mitbestimmungsrecht, Unternehmensverfassung, Haftungsregeln für Unternehmer und Unternehmen und schließlich so etwas wie moralische Verhaltensstandards. Die Frage liegt jetzt darin, wie man sich das Zusammenspiel zwischen diesen Elementen der Rahmenordnung und dem wirtschaftlichen Handeln vorstellen kann. Dieses Zusammenspiel funktioniert – laut Homann und Blome-Drees – nur, wenn ganz bestimmte formale Funktionsbestimmungen erfüllt sind. Dazu gehören bestimmte Regeln, die in Form von Recht und Gesetz in der Rahmenordnung auftauchen. Diese Regeln müssen für alle Akteure wirtschaftlichen Handelns gleich sein, allen Teilnehmern bekannt sein und anerkannt werden. Zusätzlich muss für die Durchsetzung und Fortentwicklung dieser Regeln gesorgt sein. Das Ergebnis ist das funktionierende Zusammenspiel zwischen individuellem wirtschaftlichen Handeln und der Rahmenordnung. Die Frage, durch welche Verfahren die Inhalte dieser Rahmenordnung gefunden und festgelegt werden sollen, beantworten Homann und Blome-Drees wie folgt: Es sei die Angelegenheit des Staates. Dieser gestalte die Inhalte der Rahmenordnung des wirtschaftlichen Handelns durch eine Ordnungspolitik. Die beste politische Ordnung für eine Marktwirtschaft ist für die beiden Wirtschaftsethiker »die Demokratie« (Homann/Blome-Drees 1992, 54 ff.). Denn in einer Demokratie könne die Legitimation einer Rahmenordnung nur durch die Zustimmung der Betroffenen – sprich durch einen allgemeinen Konsens der Bürger – erreicht werden. Im Endeffekt bedeutet dies, dass die politische Ordnung der wirtschaftlichen Ordnung systematisch vorauszugehen habe. Spieltheoretisch gesehen kann man die Theorie von Homann und Blome-Drees wie folgt ausdrücken: Die Politik setzt die Spielregeln fest, während die Wirtschaft sich um das Ausführen von Spielzügen nach den Spielregeln bemüht, um ihr jeweiliges Spiel zu gewinnen. Wirtschaft und Politik werden somit als systematisch voneinander getrennte Sphären angesehen. Der Politik kommt hierbei ein höherer Stellenwert zu, da diese als Ort der Konstitution von Spielregeln, d. h. von Gesetzen, Verordnungen etc., zu betrachten ist. Das Gesetz schreibt den Rahmen des legalen wirtschaftlichen Handelns im Nationalstaat vor. Aber die voranschreitende Globalisierung der Wirtschaft bringt neue Probleme hervor: die Korruption aufgrund der Unvollständigkeit von 215 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Verträgen, die in multinationalen Unternehmen ebenso wie in schwachen Staaten entsteht, weil es weder 1997 noch heute eine im starken Sinne globale und wahrlich sanktionsbewehrte Rahmenordnung gibt (vgl. Homann 1997, 191).

5.

Ausblick: Republikanische Verantwortung – der Nexus von Einheit und Vielheit

Während die neoliberalistischen Theoretiker der Wirtschaftswissenschaften die These vertreten, dass Markt vor Politik kommt, vertreten Homann und Blome-Drees (1992, 54 ff.) dagegen die Theorie, dass die Politik vor dem Markt anzusetzen sei, weil der marktwirtschaftliche Wettbewerb beispielsweise sich in Deutschland (und das gilt mehr oder weniger für die gesamte westliche Welt) den politischen Rahmenbedingungen anzupassen hat. Doch hieran entzündet sich heute die Kritik der jüngeren Vertreter der Wirtschaftsethik, Scherer und Löhr. Sie behaupten, dass sich weder die These »Markt vor Politik« noch »Politik vor Markt« verteidigen und moralisch rechtfertigen lasse. Stattdessen müsse an der These »Politik und Markt« gearbeitet werden. Scherer und Löhr stellen diese These nicht nur auf, weil transnationale Unternehmen derzeit tatsächlich schon großen Einfluss auf die politischen Rahmenbedingungen ausüben, sondern weil Konzernleitungen, die heute in der Regel global handeln und entscheiden müssen, die treibenden Kräfte der Globalisierung sind. »Wir vertreten die These, daß die Unternehmung als ökonomischer und politischer Akteur verstanden werden muß. Als politischer Akteur hat sie aber auch ihrer ethisch-politischen Verantwortung gerecht zu werden und darf sich nicht ausschließlich an ihrem kurzfristigen Gewinninteresse orientieren. Zur Diskussion steht hier also das angemessene Verhältnis zwischen Ethik und Effizienz, das nicht nur in der Rahmenordnung, sondern auch im konkreten Handeln der Unternehmen zum Ausgleich gebracht werden muß« (Scherer 2003, 281 f.). Dieses Programm nennen Scherer und Löhr im Anschluss an Steinmann »Republikanische Verantwortung« (Scherer/Löhr 1999, 279 ff.). Damit wird bei ihnen die These vertreten, dass die liberalistische Trennung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aufzuheben sei. Vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln sie das »Leitbild einer Bürgergesellschaft« (ebd., 280), deren Mitglieder stets eigene und öffentliche Be216 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

lange gleichermaßen vertreten sollen bzw. wollen. Das heißt, dass individuelle Freiheit und kollektive Ordnung nicht mehr zwei unversöhnliche Gegensätze sind, sondern verknüpft werden können und müssen. Die Voraussetzung dafür liegt darin, dass die Freiheit zum unternehmerischen Handeln in sozial verträglicher Weise ausgeübt und in dieser Form auch von der Gesellschaft gewünscht wird. Diese These von Scherer und Löhr lässt sich hervorragend als Appell beschreiben. Es geht darum, dass in den unternehmerischen Entscheidungen immer schon politische Interessen mit zum Zuge kommen sollen, was heute allerdings mehr Wunsch als Wirklichkeit ist. Sie streben daher an, dass man die Unternehmer zu politisch relevanten Akteuren machen solle. Das bedeutet, dass die rein privatwirtschaftliche Rolle überwunden werde und der Unternehmer zu einem Akteur gemacht werden müsse, der stets gleichermaßen ökonomische und politische Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Um dies durchzusetzen, schlagen Scherer und Löhr radikale Änderungen vor, die auch in der Soziologie von Beck und Habermas vertreten werden, nämlich die Bildung und Stärkung einer ›demokratischen Zivilgesellschaft‹ jenseits der Nationalstaaten. Ihre politischen Utopien bestehen letztlich also darin, die Nationalstaaten durch eine bessere forma imperii, nämlich die demokratischen Zivilgesellschaften zu ersetzen. Scherer und Löhr wollen den Unternehmer hierin einbetten und somit in praktischer Hinsicht umerziehen. Der Unternehmer bzw. die Manager, die ein multinationales Unternehmen leiten, werden von Scherer und Löhr als »Global Player« bezeichnet, die heute noch mehr oder minder verantwortungslos handeln. Es geht beiden nun darum, diesen »Global Player« in einen »Global Citizen« zu verwandeln, der nicht mehr nur ›ökonomisch‹, sondern ebenfalls ›politisch‹ denkt und handelt (ebd., 262, 270, 282). Er soll somit eine Art politisch-ökonomische Doppelrolle annehmen, die er aber – wie gesagt – nicht aus einer eigensinnig imperativen Machtposition heraus durchboxen kann, sondern lediglich in Form eines bloßen Appells einfordern darf. Dies geschieht am besten in einem Gespräch, in dem es dem Akteur gelingt, eine kooperative Atmosphäre zu erzeugen. Ob dieses Einfordern in der Praxis letzten Endes wirklich so etwas bewirkt, muss insgesamt noch gezeigt werden. Zugegeben gibt es viele Gründe dafür, dass durch die Intensität des Appells etwas erreicht werden kann; diese Anzeichen lassen sich aber in einem bestimmten Punkt auch mit guten Gründen klar bestreiten. Denn die notwendigen Vorüberlegungen zu »Markt und Politik« hinsichtlich 217 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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des Verhältnisses zur (Welt-)Gesellschaft fehlen heute oder kommen bei weitem zu kurz. So müsste noch unbedingt gefragt werden: Kann es eine Weltgesellschaft mit der leitenden Auffassung, »dass sich universalistische Prinzipien widerspruchsfrei und unabhängig von den historisch gewachsenen Ethiken verschiedener Kulturen aus allgemein gültigen Grundsätzen ableiten [lassen] und daher aus sich heraus Geltung für alle beanspruchen könnten« (Müller 2008, 68), jemals unter realistischen Bedingungen auf dem Planeten Erde geben? Oder läuft nicht alles vielmehr auf einen »Ausgleich der Kulturen« (Scheler 1954, 89–118) hinaus? Allerdings darf »Ausgleich« nicht mit ›Kompensation‹ oder ›Ersatz‹ für einen Mangel oder mit ›Angleichung‹ der Kulturen, die manche etwa mit ›Amerikanisierung‹ (vgl. dazu Tönnies 2011, 201 ff.) synonym setzen, oder mit ›Gegenleistung‹ verwechselt werden. Hier wird darunter verstanden: ›Herstellung eines Gleichgewichts‹, ›Balance‹, ›Mitte‹, ›Vermittlung‹ etc. Mit dem Ausgleich der Kulturen ist möglicherweise ein Minimalkonsens hinsichtlich der Wertvorstellungen zwischen den Völkern, Nationen und Religionen zu erreichen und dieser könnte dem demokratischen Pluralismus, der die Koexistenz von verschiedenen Interessen und Lebensstilen in der bzw. den Gesellschaften billigt, eine greifbare Chance geben. Dies alles sollte konkret eine »Zivilgesellschaft« befürworten, die »einen stark normativen Gehalt« besitzt. Ein solcher Gehalt kann aber nicht auf ewig festgeschrieben werden, wie Paul Ginsborg sagt, sondern »sein Charakter« muss »von einer Generation zur anderen neu bestimmt« werden. Zur gegenwärtigen Generation äußert sich Paul Ginsborg folgendermaßen: »Aus heutiger Sicht lassen sich der Zivilgesellschaft eine Reihe ehrgeiziger Ziele übertragen: Sie soll für die Aufteilung statt für die Konzentration von Macht sorgen, soll friedliche Mittel anstelle von Gewalt aufzeigen, die Gleichstellung der Geschlechter und soziale Gerechtigkeit fördern, horizontale statt vertikale Solidarität gewährleisten, Debatten und eigenständige Meinungen an die Stelle von Konformismus und Gehorsam setzen« (Ginsborg 2008, 47–48). Unter der Voraussetzung dieser Ziele könnte dann auch, wie ich es in Anlehnung an Habermas ausdrücken möchte, die motivationale Konsolidierung ausschließlich zweckrationalen Handelns in der vorhandenen Weltwirtschaft aufgebrochen und die posttraditionale Stufe des moralischen Bewusstseins global betreten werden. Das Problem der Korruption, sowohl im westlichen als auch nicht-westlichen Kontext, würde davon sicherlich nicht unberührt bleiben. 218 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

Zu dieser veränderten Verfassung nicht nur westlicher Kulturen hat sich der Philosoph Wolfgang Welsch auch mit Hinweis auf Max Scheler in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt geäußert (Welsch 1992, 2005, 2011). Er meint, dass nicht nur die Kulturen seit den 1990er Jahren durch die globale Zirkulation »hybrid« werden, sondern auch der einzelne Mensch, der traditionelle Werte und weitere Elemente seines Ursprungs in sich trägt und zugleich neue gesellschaftliche Strukturen annimmt, einen hybriden Charakter bewusst in sich zulässt, indem er beides in seiner Identität vereint. Das Resultat einer solchen Entwicklung wäre eine Weltgesellschaft, deren Akzent aber weder auf einer weltumspannenden Einheitskultur (also parteilich gefasst nach der monophilosophischen Losung: Universalismus – nicht Partikularismus) liegt, noch auf einem »ethischen Pluralismus«: »Der ethische Pluralist zieht die Vielfalt der Einheit, den moralischen Dissens dem moralischen Konsens, die Heterogenität der Normen und Moralen der Homogenität einer Standardmoral vor, und zwar ohne die Erwartung, dass sich aus den Antithesen am Ende eine Synthese, aus dem Diskurs ein Konsens, aus der Spannung zwischen den Gegensätzen eine letztliche Harmonie ergibt« (Birnbacher 2009, 258). Wenn der ethische Pluralist sich alternativlos (d. h. einseitig, also parteiisch) dem ethischen Monisten entgegenstellt, um ihn zu überwinden, ist in Wirklichkeit nichts gewonnen (vgl. dazu Berr/Friesen 2014, 123 ff.). Die hier zugrundeliegende Dialektik ist die des andauernden »Entweder-Oder« als ultima ratio und kostet einen circulus vitiosus, einen Teufelskreis, der in eine Abwärtsspirale führt, in der sich die auf die beiden Extreme Monismus und Pluralismus berufenden Akteure gegenseitig immer weiter anfechten und letztlich völlig in Frage stellen. Dagegen kann der bewusst nicht eindimensional denkende und handelnde Akteur, der dabei in der zweiten Moderne bzw. Postmoderne auf ein Deliberationsrecht rekurrieren kann, weder das Einheits- und Identitätsdenken des Monismus und Universalismus noch den Pluralismus und Relativismus von Wissensformen, Handlungsmustern und ästhetischen Idealen aufgeben. Denn: »Auch ein Einheits- und Identitätssystem macht nur Sinn, wenn es eine Vielheit zu synthetisieren und zu systematisieren gibt« (Gloy 2006, 161). Umgekehrt gilt: dass der Pluralismus gleichermaßen von seinem Anderen abhängig ist. Insofern ist auch der »ethische Pluralismus« noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Dieser wäre mit einer Emanzipation aller Kulturen und auf diese Weise mit deren grundlegender und irreduzibler Vielfalt erst dann gelun219 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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gen, wenn dadurch die ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte nicht weiter vergrößert, sondern ganz im Gegenteil verkleinert würden. Das heißt: Keine Vielheit ohne Einheit bzw. keine Einheit ohne Vielheit. Und keine Seite darf (einseitig) begünstigt werden. Würde das dennoch geschehen, hätte man ganz klar einen unmoralischen oder pathologischen Fall vorliegen. Insofern kann nicht die »einheitliche Weltgesellschaft«, die die historisch sich entfaltete Vielheit der Kulturen tendenziell auslöscht, das Ziel der menschlichen Geschichte sein, ebenso wenig wie die »Naturbeherrschung«, die ohne Zweifel den »Anfang des Menschseins« (Améry 1974, 170) (wie es Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung bereits beschrieben hatten) darstellt, »auch des Menschseins Ziel« (ebd.) sein kann bzw. sein darf. Dennoch schlagen alle Kulturen unserer Erde heute »den gleichen durch die naturwissenschaftlich-technische Dynamik der Expansion bestimmten Weg« (ebd.) ein. Ich argumentiere: In der Angelegenheit dieses Widerspruchs bzw. Gegensatzes darf es kein Entweder-oder geben! – oder, um es in anderen Worten mit Habermas zu betonen: Die ›Einheit der Vernunft‹ darf die ›Vielheit ihrer Stimmen‹ nicht aufheben und auch nicht unterdrücken. Abstrakt formuliert gilt hierbei nach dem dialektischen Denkspruch: nicht Entweder-oder als ultima ratio, sondern sowohl Partikularismus als auch Universalismus, sowohl Besonderes als auch Allgemeines, aber in Form der gesellschaftlichen Institutionalisierung eines komplementären Gegensatzes von Einheit und Vielheit, Konsens und Dissens, Armut und Reichtum etc., denn die eine Seite ist in diesen Kontexten stets mit der anderen vermittelt (vgl. Hueck 1925, Kapitel 3 und 5). Das hier bewegende Prinzip ist aber weder »alternativ« noch »pendelrhythmisch«, wie Hueck es sieht (Hueck 1925, Kapitel 8), strukturiert bzw. organisiert, sondern »disjunktivkonjunktiv«, wie Theodor W. Adorno gezeigt hat. Der ontologische Grundsachverhalt ist zwar von Hueck, Simmel, Scheler, Adorno u. a. dialektisch zum Ausdruck gebracht, aber nur von den drei Letztgenannten wird dabei »kritische Vermittlung« der Extreme (Adorno 2015, 290 ff.) groß geschrieben. Adorno sagt es am pointiertesten: »Auch die Antithese von Allgemeinem und Besonderem ist notwendig sowohl wie trügend. Keines von beiden ist ohne das andere, das Besondere nur als Bestimmtes und insofern allgemein, das Allgemeine nur als Bestimmung von Besonderem und insofern besonders. Beide sind und sind nicht. Das ist eines der stärksten Motive nichtidealistischer Dialektik« (Adorno 1984, 92). 220 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

Die Frage, die sich sodann beispielsweise auf dem Feld des Konkreten stellt, lautet: Kann die sozusagen seit ewigen Zeiten bekannte Entzweiung zwischen Armut und Reichtum überhaupt überwunden werden? Wie oben bereits am Beispiel von Relativismus und Universalismus gezeigt, könnte sie mit Georg Simmel verneint werden, da »jede der Seiten zu ihrem Bestande die andere voraussetzt: keine von beiden würde einen sachlich ausdenkbaren Sinn (…) besitzen, wenn nicht die andere ihr als ihr ›Gegenentwurf‹ gegenüberstände. So entsteht hier – und ebenso in unzähligen anderen Gegensatzpaaren – die eigentümliche Schwierigkeit: daß ein Unbedingtes bedingt wird, und zwar durch ein anderes Unbedingtes, das seinerseits wieder von jenem abhängt« (Simmel 2009, 121). Das heißt: der Gegensatz von Armut und Reichtum kann nicht endgültig aufgehoben, aber er könnte und sollte durchaus entschärft werden. Wir haben es hier mit dem ontologischen Grundsachverhalt einer unendlich-endlichen Entzweiung zu tun, oder anders formuliert, mit einer Schere von Arm und Reich, die sich heute zwar immer weiter öffnet, die aber auch wiederum geschlossen werden könnte und sollte. Diese Dialektik von Öffnung und Schließung scheint als gesellschaftlicher Entwicklungsprozess von Gegensatzpaaren insgesamt tatsächlich unaufhebbar zu sein (vgl. dazu Berr/Friesen 2014, 123 ff.). Dies aber würde bedeuten, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich nicht unvermeidlich immer weiter öffnen muss, oder: dass der Wohlstand der Reichen des Nordens nicht länger auf Kosten der Armen des Südens erhalten werden darf. Im Gegenteil: Die extremen Ungleichgewichte müssten unweigerlich wieder abgebaut werden, denn das normative Ideal besteht im Ausgleich, der jedoch, wie es von Adorno oben bereits als ›stärkstes Motiv nicht-idealistischer Dialektik‹ betont wurde, duplizitär, d. h. hier zugleich konvergent und divergent ist. Da Korruption in den Schwellen- und Entwicklungsländern häufig im Kontext der Armut auftaucht, könnte man mit der politischen Arbeit am konvergenten Ausgleich der enormen Ungleichgewichte von Arm und Reich auch dieses Phänomen gezielt bekämpfen und einschränken, zwar nicht endgültig beseitigen, vielleicht aber für eine längere Zeit zum Verschwinden bringen, um die Schwächsten der Gesellschaft vor dem Wettbewerb zu schützen und ihnen Zeit zur Entspannung zu geben. Korruption ist also ein ambivalentes Phänomen. Das heißt aber: Ihre positive bzw. produktive Seite kann nicht länger eine vorübergehende und abgesonderte Zwischenlösung für die Daseinsvorsorge in den Schwellen- und Entwicklungsländern sein 221 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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und akzeptiert werden, um eine weitere, insgesamt jedoch unbeträchtliche regionale Lösung für die Armut zu bewirken, sondern in Zukunft muss es darum gehen, im kommenden Weltzeitalter konsequent einen universalen Ausgleich bestimmter relationaler Gegensätze (beispielsweise von Armut und Reichtum) bzw. ambivalenter Phänomene (wie etwa Korruption) zu erzielen. Korruption ist zwar einerseits ein ambivalenter Begriff, aber er hat andererseits auch einen klaren Gegensatz: Integrität. Abschließend erlaube ich mir noch den Hinweis lediglich für besonders daran interessierte Leser, nämlich, dass beide Begriffe der Philosophin Karen Joisten zufolge als Zusammenhang gedacht werden müssen: »Die prinzipielle Möglichkeit des Menschen, korrupt werden zu können, ist daher mit der zunächst und zuvor bestehenden Möglichkeit des Menschen integer und loyal zu sein, zusammenzudenken. Denn so wie die conditio humana als conditio integra ohne die andere Seite ihrer selbst, die corruptio, eine Totale wird und die Offenheit des Menschen verloren geht, so verliert auch die conditio als reine corruptio humana gedacht, ohne die anderen Seiten ihrer selbst, diese sind die Integrität und die Loyalität, das Gespür für ihr wesentliches Gebundensein an eigene Ziele« (Joisten 2003, 29).

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Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

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Im Spannungsfeld von Korruption, Armut, Globalisierung und Verantwortung

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht Überlegungen zu Automatisierung und Robotik am Beispiel Brasilien

Du denkst, ich bin korrupt, weil ich verhandle und handle, während sich Systeme mischen. Der Austausch ist’s, durch den ich mich verwandle. Das alte Ding ist nicht mehr aufzutischen. A. R. Penck 1

Aus verschiedensten Perspektiven, Disziplinen und wissenschaftlichen Fachrichtungen heraus ist das Problem der Korruption bereits betrachtet worden, so auch im vorliegenden Band. Vor diesem bündelte z. B. schon allein der Sammelband von Graeff und Grieger Überlegungen aus ökonomischer, privatrechtlicher, verwaltungswissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher, soziologischer, psychologischer und kriminologischer Sicht in Auseinandersetzung mit Korruption. 2 Andreas Pawlas legte kürzlich theologische Ansätze vor. 3 Es ist zu beobachten, dass sich einige dieser Disziplinen und Wissenschaftszweige in ihren Bemühungen um das Thema Korruption besonders an einem Punkt überschneiden – im Thema Ethik und Moral. Genau hier bietet sich eine mögliche Schnittstelle auch für die Technikphilosophie – aus deren Perspektive das Thema des vorliegenden Bandes im Folgenden beleuchtet werden soll. Dezidiert technikphilosophische Ansätze scheinen noch kaum zu existieren – wohl aber viele Beobachtungen und Forschungsergebnisse, auf die technikphilosophische und technikethische Betrachtungen aufbauen können. Zu ihrem namengebenden Thema, der Technik, Penck, A. R.: Plot Claim. Druckhaus Galrev, Berlin 1993, S. 101. Vgl. Graeff, Peter/Grieger, Jürgen (Hrsg.): Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesellschaftswissenschaftlicher Korruptionsforschung. Nomos, Baden-Baden 2012. 3 Vgl. Pawlas, Andreas: Kampf der Korruption. Theologische Ansätze und Anfragen in Geschichte und Gegenwart. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017. 1 2

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

gibt es für die Technikphilosophie einige mehr oder weniger direkte Zugänge. So betonte der Technikphilosoph Langdon Winner, alles, was man wissen müsse, um Technik zu reflektieren, wisse man schon und allein durch das, dass man als Bewohner einer technisierten Lebenswelt diese Technisiertheit täglich am eigenen Leib erfahre – mit Wittgenstein: als eine unter den verschiedensten Lebensformen, »forms of life«. 4 Armin Grunwald und Yannick Julliard setzten dazu noch die Formulierung von der »Technik als Reflexionsbegriff«: Technik wäre demnach das, was man meint, wenn man allgemein über Technik redet. 5 Alfred Nordmann betont hierbei die zweifache Verwendung des Begriffs Technik – einmal aus einem undefinierten Vorverständnis heraus und dann über das Reflektieren hin zu allgemeineren Überlegungen. Diese Bewegung führt weg von den Einzeldingen, hin zu ihren Bedeutungen und letztlich »hin zu uns selbst oder der Stellung des Menschen in der technisierten Welt.« 6 Mit dem anderen Ende des hier zu betrachtenden Spannungsfeldes, der Korruption, scheint es allerdings anders zu stehen. Gerade in Deutschland scheint es viele Menschen zu geben, die selbst noch nie direkt von diesem Phänomen betroffen waren, oder dies zumindest nicht wahrnehmen. Korruption also z. B. als einen Reflexionsbegriff zu sehen, würde hier wohl kaum greifen. Dass beim Begriff der Korruption offenbar nicht, wie bei der Technik, von einem selbstverständlichen Kontakt, von einem Teil der Lebenswelt eines Jeden, gesprochen werden kann, wirft bereits ein eigenes Licht auf die komplexe Relevanz eines der bekanntesten Indikatoren, oder auch ›Messinstrumente‹ 7 für Korruption, den Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perception Index, CPI). Die hiermit zusammenhängende Problematik der Idee einer Messbarkeit von Korruption wird weiter unten näher thematisiert. Freilich könnte die geringe direkte Wahrnehmbarkeit von Korruption in Deutschland (CPI-Rang 11 von 180 Vgl. Winner, Langdon: The Whale and the Reactor. A Search for Limits in an Age of High Technology. Chicago 1986, S. 11 ff. 5 Grunwald, Arnim/Julliard, Yannick: Technik als Reflexionsbegriff. Überlegungen zur semantischen Struktur des Redens über Technik. In: Philosophia naturalis 1/2005, S. 127–157, hier S. 140. 6 Nordmann, Alfred: Technikphilosophie zur Einführung. Junius, Hamburg 2008, S. 12. 7 Vgl. z. B. Lambsdorff, Johann Graf: Wie läßt sich Korruption messen? Der Korruptionsindex von Transparency International. In: Borchert J., Leitner S., Stolz K. (Hrsg.): Politische Korruption. Jahrbuch für Europa- und Nordamerika-Studien, Nr. 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2000, S. 45–71. 4

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im Jahr 2018 8) auch für ein wesentliches Element so mancher Korruptionsdefinition sprechen: das Heimliche, Geheime. Die relativ häufig zitierte Korruptionsdefinition von Dorothée de Nève betont die Rolle der Geheimhaltung wie auch der Freiwilligkeit und kann dadurch Korruption gezielt von anderen Tauschbeziehungen unterscheiden. Korruption sei demnach: »eine (i) geheime und (ii) freiwillige Tauschbeziehung zwischen (iii) mindestens zwei Akteuren (…) die zur (iv) Erlangung von Vorteilen angelegt ist und mit (v) der Verletzung bestehender Normen und Regeln einhergeht.« 9 So nützlich sich diese Definition im Folgenden noch darstellen wird – was Alfred Nordmann über Definitionen in der Technikphilosophie geschrieben hat, sollte vielleicht auch für den Korruptionsbegriff als möglich erachtet werden: voreilige Definitionsversuche könnten in begrifflichem Vorgeplänkel steckenbleiben oder willkürliche Festsetzungen und Einschränkungen vornehmen, während Technikphilosophie doch über Begriffsklärung hinausgeht. 10 Wie an diesem kurzen ersten Blick in die Problematik der Definier- und Messbarkeit von Korruption erkennbar werden sollte, kann eine technikphilosophische Betrachtung dieses Phänomens kaum ohne Rezeption von Erkenntnissen anderer Disziplinen und Wissenschaftszweige auskommen. »Die Philosophie liegt quer zur Wissenschaft«, 11 betont der Technikphilosoph Klaus Kornwachs. Und überhaupt, ist Technikphilosophie »im Grunde (…) die ganze Philosophie noch einmal von vorn«, nun unter Einbezug der Technik – wie es Nordmann treffend zusammenfasste. Parallel dazu sollte es selbstverständlich sein, für einen technikphilosophischen Blick auf das Phänomen Korruption verschiedenste Ansätze und Überlegungen zu diesem Problem noch einmal zu betrachten – nun mit Blick auf die Technik. Zudem scheint Korruption ein Thema, dessen Bearbeitung durch Perspektiven und Synthesen aus internationalen Erfahrungen Vgl. Transparency International: CPI Ranking 2018, Tabellarisches Ranking. Online: https://www.transparency.de/cpi/cpi-2018/cpi-ranking-2018/ (zuletzt gesehen: 18. 9. 2019). 9 De Nève, Dorothée: Korruption und Demokratie – Perspektiven der Politikwissenschaft. In: Achathaler, Lukas/Hofmann, Domenica/Pázmándy, Matthias (Hrsg.): Korruptionsbekämpfung als globale Herausforderung: Beiträge aus Praxis und Wissenschaft. Springer, Wiesbaden, S. 129–147, hier S. 131 f. 10 Vgl. Nordmann, S. 12. 11 Vgl. Kornwachs, Klaus: Philosophie der Technik. Eine Einführung. C. H. Beck, München 2013, S. 15. 8

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

und Erfahrungsaustausch nur gewinnen kann, weil sie Blickwinkel öffnen und scheinbar selbstverständliche Bewertungsmaßstäbe in Frage zu stellen reizen. Im vorliegenden Rahmen können freilich nur wenige der möglichen Zusammenhänge und Betrachtungsweisen zwischen Korruption und Technikphilosophie tangiert und nicht vollends ausgearbeitet werden. Ziel ist vielmehr, zunächst die Brauchbarkeit technikphilosophischer Überlegungen für das Problem Korruption zu erkunden. Daher werden im Folgenden in der hierfür zugrunde gelegten phänomenologisch-hermeneutischen Technikphilosophie Problemlagen aus dem Feld der Korruption in Zusammenhang gebracht mit technischen Entwicklungen, um dann durch interpretierendes Vorantasten Schlüsse aus diesen Zusammenhängen ziehen zu können. Als Ausgangspunkt wird im gleich folgenden ersten Beispiel aus Brasilien umschrieben, wie eine neuere Technologie korruptes Vorgehen zu fördern oder in dieser Form gar erst zu ermöglichen scheint. Im zweiten Beispiel wird die Idee der Korruptionsbekämpfung durch Implementierung neuerer Technologien skizziert. Entsprechend hätte der vorliegende Beitrag ohne die ihm vorangegangenen Diskussionen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung von Technologien und Gesellschaft in Deutschland und Brasilien und ohne die Zusammenarbeit aller oben genannter Autoren nicht entstehen können – und wird wohl trotzdem als eine Art Grätsche erscheinen. Diese erstreckt sich über das Spannungsfeld zwischen Beispielen und Denkansätzen direkt aus Brasilien und technikphilosophischen Interpretationsansätzen vor genuin europäischem Denkhorizont.

Beispiel 1: Medien und Manipulation im brasilianischen Wahlkampf (Roberto Barros) Anfang 2003 kam in Brasilien das Ende der acht Jahre währenden liberalen Regierung des Soziologen und Universitätsprofessors Fernando Henrique Cardoso. Mit der Unterstützung von Reichen- und Minoritätenschichten der brasilianischen Gesellschaft, aber auch der großen Medien, war Cardoso (der Finanzminister der vorigen Regierung gewesen war und dabei ein wirtschaftliches Programm zur Stabilisierung der Währung unternommen hatte) in die Regierung gekommen und hatte ein neues und starkes liberales Privatisierungs229 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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programm durchgeführt. Nach seinen zwei Amtszeiten (1995–2003) steckte Brasilien in starken Turbulenzen. Niedrige Staatsinvestitionen, große Verschuldungen, Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit hinderten Cardoso daran, seinen Nachfolger zu etablieren. Stattdessen wurde der Kandidat der Arbeitspartei (Partido dos trabalhadores/PT), und ehemaliger Gewerkschaftsführer in Sao Paulo, Luís Inácio da Silva, genannt Lula, nach drei Niederlagen gewählt. In der Wirtschaft hat Silva nicht viel geändert, hat gegen die stratosphärischen Bankengewinne und Bankenzinsen nicht viel unternommen und auch nicht gegen das profitable Spekulieren mit Staatsanleihen. Änderungen kamen hauptsächlich im sozialen Bereich und bei Staatsinvestitionen. Mit Förderungsprogrammen für sozial Gefährdete und Investitionen bei der Bildung ist es Lula gelungen, den internen Markt und dadurch die brasilianische Wirtschaft in Schwung zu bringen. Die Förderung der Forschung zu Tiefseebohrungen ermöglichte die Entdeckung und Exploration großer Reserven von Erdöl an der brasilianischen Küste, des sogenannten ›Pré-sal‹. Mit Hilfe einer guten wirtschaftlichen Weltkonjunktur für brasilianische ›Commodities‹ (Agrarprodukte und Rohstoffe) gelangen Silva in seinen zwei Amtszeiten (2003–2011) bedeutende wirtschaftliche Ergebnisse sowie Armuts- und Hungerbekämpfung, die ihm, trotz der Korruptionsvorwürfe, eine Beliebtheitsquote von 87 % am Ende seiner zweiten Amtszeit einbrachte. 12 Für seine Nachfolgerin Dilma Rousseff, ebenfalls von der Arbeitspartei, war die Weltkonjunktur eine ganz andere. 2011 ließ sich die Weltwirtschaftskrise von 2008 deutlich spüren und die notwendigen, aber unterlassenen Reformen forderten ihren Preis. Trotz der Entwicklungen im sozialen und Bildungsbereich blieb Brasilien ein technisch abhängiges Land in einem starken Deindustrialisierungsprozess und hauptsächlich ein Exporteur von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten. Dazu kamen wirkungslose Regierungsentscheidungen und ihre Annäherung an liberale Forderungen, wie starke Kürzungen bei Staatsinvestitionen und Zinserhöhungen bei Staatsanleihen, die die schwierige wirtschaftspolitische Lage nur verschärft haben. Rousseff ist es sogar gelungen, 2014 mit knapper Robson, Bonin: Popularidade de Lula bate recorde e chega a 87 %, diz Ibope. In: O Globo, Política, 16. 12. 2010. Online unter: http://g1.globo.com/politica/noticia/2010/ 12/popularidade-de-lula-bate-recorde-e-chega-87-diz-ibope.html (zuletzt gesehen: 1. 10. 2019).

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

Mehrheit wiedergewählt zu werden, aber die Opposition setzte ihre Regierung durch parlamentarische Blockade unter starken Druck, was bis 2016 auf Grundlage unerlaubter Transaktionen mit staatlichen Banken zu ihrem Amtsenthebungsverfahren führte. Bemerkenswerterweise erklärte das gleiche Parlament nur 48 Stunden nach Rousseffs Absetzung diese Transaktionen für legal. 13 Diese kurze Zusammenfassung ist nötig, um zu betonen, wie stark bereits die Absetzung von Rousseff durch ihren Vize, Michel Temer, über eine umfassende Medienkampagne ermöglicht worden war. Dabei wurde eine riesige Maschinerie in den öffentlichen Medien (Fernsehen und Presse), vor allem aber auch über WhatsApp, sowie Facebook, Instagram, Twitter etc. in Gang gesetzt. Diese Medien wurden gezielt genutzt, um die Arbeitspartei als schuldig an sämtlichen Problemen Brasiliens, selbst an strukturellen und historischen, zu erklären und ihren Kandidaten persönlich zu diffamieren. Das Schlagwort dafür war ›Korruption‹. Hierdurch wurde die Partei zum Sündenbock der brasilianischen Politik in einer Bewegung, die zur neoliberalen Regierung von Temer geführt hat – diese verkaufte zügig riesige, neuentdeckte Erdölfelder an der Küste an internationale Konzerne für erstaunlich niedrige Preise und führte direkt zu einer Verschlechterung der Finanzen, der Wirtschaft, der sozialen sowie auch der Arbeitslage des Landes. Diese Kampagnen reichten letztlich sogar so weit, 2018 den bis dahin bedeutungslosen, ultrakonservativen Abgeordneten von Rio de Janeiro, Jair Messias Bolsonaro, zum Präsidenten zu machen. Lula war zu dieser Zeit schon in Haft in der Hauptstadt Brasilia, nach seiner Verurteilung wegen Korruption zu zwölf Jahren Gefangenschaft, blieb aber in Umfragen immer noch Spitzenreiter. 14 Der Richter des Falls, Sergio Moro, heute Justizminister unter Bolsonaros Regierung und zurzeit unter Korruptionsverdacht wegen juristischer Manipulation im Fall Lula, 15 erklärte den Ex-Präsidenten trotz Vgl. Previdência Social: Dois dias após impeachment, Senado torna legal as ›pedaladas fiscais‹. 2. 9. 2016. Online unter: https://crpsjuntasderecursos.wordpress.com/ 2016/09/02/dois-dias-apos-impeachment-senado-torna-legal-as-pedaladas-fiscais/ (zuletzt gesehen: 2. 10. 2019). 14 Vgl. El País São Paolo: Datafolha: Lula lidera corrida pela Presidência em primeira pesquisa após condenação. In: El País, 31. 1. 2018. Online unter: https://brasil.elpais. com/brasil/2018/01/31/politica/1517399782_176018.html (zuletzt gesehen: 2. 10. 2019). 15 Vgl. Phillips, Dom: Brazil reels at claims judge who jailed Lula collaborated with 13

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einer positiven Basis seitens des brasilianischen Rechtes für schuldig, trotz der Inexistenz endgültiger Beweise für die Vorwürfe, wie sie selbst die UN anerkannt hatte. 16 Unabhängig davon, ob Lula in Korruption verstrickt war oder nicht, ist es wichtig zu bemerken, dass er seit mehr als 20 Jahren kontinuierlichen Angriffen durch die Presse ausgesetzt war, und dass sich dies während der Untersuchungen der Antikorruptionsbewegung Lava-jato (›Operation Car Wash‹) deutlich steigerte. Fake und Black News tauchten jeden Tag durch soziale Medien auf, in einer Dynamik, die bis zum Wahlkampf anhielt. Unerwartet und unerklärt erschienen ab und zu Informationen über die Untersuchungen und den Prozess gegen Lula, hauptsächlich bei den großen und traditionellen Medienkonzernen des Landes, der Gruppe Globo, Unterstützern des Richters Moro und der Lava-jato. Währenddessen – und ganz in der Linie von Steve Bannons Cambridge Analytica 17 – erhielten mögliche Wähler Bolsonaros falsche Behauptungen über Lula, über die Arbeitspartei und ihren Kandidaten, Jura-Universitätsprofessor Fernando Haddad. Die ganze Kandidatur von Bolsonaro basierte auf dem Versprechen von Korruptionsbekämpfung, der Überwindung der »alten Politik« und der Erhaltung traditioneller Werte (Religion, Familie und Besitz). Die dabei verbreiteten Fake News handelten von der Bedrohung dieser Werte. Hauptziel der Kampagne war die Wählergruppe von traditionellen und streng religiösen Brasilianern. Später stellte sich heraus, dass diese von einer Gruppe von Unternehmern (pro Bolsonaro) bezahlt worden waren, was auch in Brasilien als im Wahlgesetz verbotene Wahlkampfspende gilt. 18 Durch diese Fake News wurden Gerüchte nicht nur über Korruption oder prosecutors. In: The Guardian, 10. 6. 2019. Online unter: https://www.theguardian. com/world/2019/jun/10/brazil-lula-sergio-moro-judge-collaborated-with-prosecu tors (zuletzt gesehen: 2. 10. 2019). 16 Vgl. Brooks, Brad: Brazil’s Lula should have political rights: U.N. Human Rights Committee. In: Reuters, 17. 8. 2018. Online unter: https://www.reuters.com/article/ us-brazil-election-lula-idUSKBN1L21L1 (zuletzt gesehen: 2. 10. 2019). 17 Televisión del Sur: Brazil: Steve Bannon to Advise Bolsonaro Presidential Campaign. 15. 8. 2018. Online unter: https://www.telesurenglish.net/news/Brazil-SteveBannon-to-Advise-Bolsonaro-Presidential-Campaign-20180815-0003.html (zuletzt gesehen: 2. 10. 2019). 18 Vgl. Mello, Patrícia Campos: Empresários bancam campanha contra o PT pelo WhatsApp. In: Folha de São Paolo, 18. 8. 2018. Online unter: https://www1.folha.uol. com.br/poder/2018/10/empresarios-bancam-campanha-contra-o-pt-pelo-whatsapp. shtml (zuletzt gesehen: 2. 10. 2019).

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

Millionärsvermögen von Lula und seiner Familie, sondern auch über Sexualkundeunterricht für Kinder in den Schulen, Anwendung von Büchern mit sexuellen Themen, Nuckel in Penisform bei staatlichen Kitas und die Bedrohung durch einen kommunistischen Putsch verbreitet. 19 Das »einstige Fernsehland« Brasilien erlebte damit im Jahr 2018 seinen ersten »Whatsapp-Präsidentschaftswahlkampf«, 20 betont Boris Herrmann in der Süddeutschen Zeitung. »Fast die Hälfte der Brasilianer gibt an, sich vor allem über diesen Kanal zu ›informieren‹.« 21 WhatsApp-Gruppen sind in Brasilien seit Jahren das wichtigste Medium im Kontakt mit Verwandtschaft, aber auch in der Kommunikation von Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Ärzten, Lehrern und auch Pressesprechern. 22 Was den brasilianischen Wahlkampf betrifft, hat dieses Beispiel zur politischen Nutzung von WhatsApp große Bedeutung in Bezug auf die Beziehung von Technik und Ethik. Es liefert wichtige Argumente in Hinsicht darauf, dass die Diskussion dieser Technologien jenseits von Ideen wie der Neutralität der Technik oder der Technik an sich stattfinden sollte, weil Technik immer von Interessen beeinflusst und danach benutzt wird. Auf einer anderen Seite sollte es auch nicht dazu führen, die Technik als verantwortlich für politischen Missbrauch zu machen, weil es wichtige Beispiele gibt, wie Korruptionsbekämpfung durch technische Mittel gemacht wird, wobei dann die Technik in einer ganz anderen Richtung verwendet wird. Das bringt uns dazu, zu verstehen, dass eine Überlegung über Technik und Korruption oder Technik und Korruptionsbekämpfung nicht generell definiert werden kann, sondern dass die Fälle individuell betrachtet werden müssen. Die Thematik soll aber im Blick von Technikforschern und Behörden bleiben, weil die Rolle der Technik bei politischen Entscheidungen heutzutage zunimmt und sogar entscheidend sein kann.

Vgl. z. B. Herrmann, Boris: Brasilien, Land der bestellten Lügen. In: Süddeutsche Zeitung, 23. 10. 2018: https://www.sueddeutsche.de/digital/brasilien-whatsapp-wahl kampf-1.4180038 (zuletzt gesehen: 9. 9. 2019). 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Vgl. ebd. 19

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Beispiel 2: Die Rolle von Robotik und Automatisierung im Umgang mit Korruption (Rogério Vitalli) Wie eingangs erwähnt, tritt Korruption im Vergleich zu Ländern der Ersten Welt in Brasilien als ein sehr ausgeprägtes Thema auf. Dieses Übel hat hier in mehreren Bereichen noch nicht bewältigt werden können. Die gegenwärtige Regierung ist in jeder Hinsicht und mit Hilfe der Brasilianer, die sie gewählt haben, der brasilianischen Korruption ausgesetzt. Durch über 14-jährige Erfahrung in Robotik- und Automatisierungsprojekten bei brasilianischen Unternehmen und multinationalen Unternehmen im Land wurde mir klar, dass Korruption auch in der ›Fabrikhalle‹, in der Produktion also, existiert; z. B. wenn sich Mitarbeiter dort Vorteile zu verschaffen versuchen. Dies hängt häufig damit zusammen, dass es sich um Familienunternehmen handelt und keine Investitionen zur Bekämpfung von Korruption getätigt wurden, die ihrerseits möglicherweise sogar Teil der Ausrichtung dieser Unternehmen sein könnte. Wie können Robotik und Automatisierung hier einen Beitrag leisten? Sie könnten es an dem Punkt, an dem ein ›Problem‹ auftaucht, für das Experten und Berater eine Lösung finden müssen – die immer komplex sein wird. Meiner Meinung nach ist es genau dieser Moment, in dem die Wissenschaft, die als ›Robotertechnik‹ bezeichnet wird, helfen kann, die Korruption von Unternehmen zu bekämpfen. Ihr Beitrag kann nie zu gering sein. Um solche Projekte zum Erfolg zu führen, hat unser Team Zugriff auf Unternehmensdaten (›Big Data‹) aller Art: Engineering, Produktion, Qualität, Forschung und Entwicklung. Diese Daten müssen wahr und stimmig sein, um funktionierende Ergebnisse zu gewährleisten, und daher gibt es keinen Spielraum für Manipulation oder fälschliche Korrekturen. Es geht um Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Überleben. Wenn das Unternehmen nicht kooperiert oder falsche Daten liefert, führen mein Team und ich das Projekt nicht aus und stimmen dieser Haltung nicht zu. Es ist eine Frage der Ethik.

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

Transparenz in der Gestaltung von Technologien und Gesellschaften Am Schluss dieses zweiten Beispiels wird deutlich, dass hier nicht nur Technologie in ein Unternehmen oder eine Fabrik implementiert wird, sondern dass die Dienstleister dieses Technik-Einsatzes – die Distributoren oder auch Betreiber 23 (je nach Auftrag) – offenbar auch aktiv ihre eigenen Werte und Weltbilder einbringen. Die Wichtigkeit solcher der Korruptionsbekämpfung dienender Werte wird regelmäßig betont und ein Formulieren und Etablieren entsprechender Präferenzen und Normen wird weithin als förderlich angesehen – in Unternehmen, Ämtern, Universitäten, bis hin auch zu kleinsten Firmen und Büros –, vorbildlich derzeit bereits in Deutschland, aber auch international. Neben vielen anderen betont aber z. B. Bettina Hollstein ganz treffend, dass die Forderung nach übergeordneten Normen und in Institutionen vorgegebene Ziele oft ohne Bezug zu den konkreten problematischen Situationen blieben. 24 Vielleicht scheinen sich auch daher technische Lösungsansätze, passend zum je aktuellen wirtschaftlichen und technologischen ›Fortschritt‹, anzubieten. Auch scheint es andererseits schwierig, den immer komplexer werdenden technologischen Möglichkeiten korrupten Handelns, wie im ersten Beispiel dargestellt, ein menschliches, wertegeleitetes Gegengewicht zu setzen. Nicht nur daher fällt, parallel zu den verschiedenen Debatten um Normen und Werte, ein Begriff auf, der im Rahmen der ›Korruptionsbekämpfung‹ wohl der am meisten geläufige sein könnte: Transparenz. Diese scheint auch das Ziel bzw. zumindest eine moralisch begrüßenswerte ›Nebenwirkung‹ der Automatisierung und Robotisierung im zweiten Beispiel zu sein – und das, was im ersten Beispiel Klaus Kornwachs unterteilt die »Beobachter« von Technik in drei Rollen: Hersteller (Erfinder, Entwickler, Produzent und Distributor in einem), Nutzer (differenziert nach Betreiber, Konsument oder Bediener) und Entsorger. (Kornwachs, Klaus: Transparenz in der Technik. In: Jansen, Stephen A./Schröter, Eckhard/Stehr, Nico (Hrsg.): Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phänomene und Theorien des Undurchsichtigen. Springer, Wiesbaden 2010, S. 292–308, hier S. 297.) 24 Vgl. Hollstein, Bettina: Skizze einer pragmatistischen Wirtschaftsethik – am Beispiel Korruption. In: Ethik und Gesellschaft 1/2015. Online unter: http://www.ethikund-gesellschaft.de/ojs/index.php/eug/article/view/1-2015-art-5 (zuletzt gesehen: 9. 9. 2019). 23

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fehlt. Transparenz scheint noch nicht ausdrücklich als Gegenbegriff oder Antonym zum Begriff der Korruption bezeichnet zu werden, wird aber nicht nur durch das wirksame Marketing 25 von Transparency International, sondern auch durch genau diesen somit weltbekannten Namen spätestens seit 1993 ganz wesentlich dem der Korruption gegenüberstellt. Häufig erscheint freilich auch Integrität als ein Gegenbegriff zur Korruption und wird interessanterweise vor allem in wirtschaftsorientierten Publikationen als genau dieser Gegenbegriff, als Antonym, bezeichnet. 26 Neben seinem wirkungsvollen Namen und dem ›Messinstrument‹ CPI nennt Transparency International zudem seinen sogenannten Integritätspakt als erste seiner »Methoden« im Kampf gegen Korruption. 27 In Form einer Methode scheint Integrität auch noch am ehesten greifbar – aber gleichzeitig in dieser Form kein wirklicher Gegenbegriff für Korruption, eher eine Maßnahme. Und wenn Integrität wiederum, in einer weiteren, naheliegenden Bedeutungsweise, 28 als Persönlichkeitseigenschaft verstanden wird, kann sie nur mehr dem Adjektiv ›korrupt‹ als eine konträre Persönlichkeitseigenschaft gegenübergestellt werden. Philosophisch verwendet, also aus einem generelleren, universalen Blickwinkel, kann sich das Persönlichkeitsmerkmal Integrität allerdings zu einer Art Prüfstein in der Ethik entwickeln. Hans Bernhard Schmid hat die Idee einer moralischen Integrität in seinem gleichnamigen Buch anhand einer Kritik der »Lernexperimente« des Stanley Milgram und die möglichen kommunikativen wie auch handlungs- und wissenschaftstheoretischen Implikationen des Integritätsgedankens aufgewiesen. 29 Dabei wurde deutlich, dass die Ausprägung des vermeintlichen Persönlichkeitsmerkmals Integrität nie gänzlich und allein auf das betreffende Individuum beschränkt beVgl. z. B. Steven Sampson, der den Corruption Perception Index (CPI) als »brilliant marketing tactic« bezeichnet. (Sampson, Steven: Diagnostics: Indicators and Transparency in the Anti-Corruption Industry. In: Jansen, Stephen A./Schröter, Eckhard/ Stehr, Nico (Hrsg.): Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phänomene und Theorien des Undurchsichtigen, S. 97–111, hier S. 107.) 26 Vgl. z. B.: Heißner, Stefan: Erfolgsfaktor Integrität. Wirtschaftskriminalität und Korruption erkennen, aufklären, verhindern. Springer Gabler, Wiesbaden 2014. 27 Vgl. Eigen, Peter: Das Netz der Korruption. Wie eine weltweite Bewegung gegen Bestechung kämpft. Campus, Frankfurt/Main 2003, S. 74–81, S. 96. 28 Kornwachs: Transparenz in der Technik, S. 292. 29 Schmid, Hand Bernhard: Moralische Integrität. Kritik eines Konstrukts. Suhrkamp, Berlin 2011. 25

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trachtet werden sollte, sondern verschiedenste Abhängigkeiten zu beachten sind. Wie unten noch näher betrachtet werden wird, findet auch Korruption nicht einseitig, sondern immer in Form von Interdependenzen und Relationen statt. Diese Beobachtung könnte dazu beitragen, Integrität als einen möglichen Gegenbegriff zur Korruption zu betrachten – allerdings niemals losgelöst von der Persönlichkeit eines Handelnden. Transparenz dagegen scheint als Begriff auch genereller, unabhängig von den involvierten Individuen, denkbar und nutzbar zu sein. Direkt auf Menschen bezogen, erscheint er eher in negativer Konnotation – wie auch die Formulierung vom ›gläsernen Menschen‹ im Museum sowie in Debatten zu Big Data, KI und Überwachung derzeit relativ geläufig ist. (Im Englischen wird der gläserne Mensch im Dresdener Hygienemuseum direkt The Transparent Man genannt. 30) Hiermit nähern sich diese sprachlichen Zugangsversuche einem Arbeitsfeld der Technikphilosophie: den Technologien. 31 Denn positiv besetzt, wird Transparenz als Begriff, zumindest im Deutschen, offenbar eher in Bezug auf Prozesse und Gegenstände angewendet. Ähnlich dem Stand der Theorien zum Korruptionsbegriff gibt es auch zu diesem möglichen Gegenbegriff Transparenz schon einige verstreute Beobachtungen und Überlegungen, die Zugänge zu technikphilosophischen Ansätzen ermöglichen. So bietet die Abhandlung von Andreas Schmidt eine Einführung in den Begriff der Transparenz im Allgemeinen, um dann wertvolle Einblicke in die Unterschiede von objektiver und subjektiver Transparenz in Verwaltungen – mit Blick auf Korruption – zu geben. Demnach werde objektive Transparenz aufgrund von Komplexität und diverser Interdependenzen wohl allerhöchstens in Teilbereichen von Verwaltungen erreichbar sein, wenn überhaupt. Subjektive Transparenz allerdings spiele eine »entscheidende Rolle« für die Korruptionsprävention: Wenn Verwaltungsmitarbeiter subjektiv ein hohes Maß an Transparenz erführen, müssten sie davon ausgehen, dass korrupte Handlungen sehr wahr-

Vgl. z. B. Vogel, Klaus: The Transparent Man. Some Comments on the History of a Symbol. In: Robert Bud, Bernard Finn und Helmut Trischler (Hrsg.): Manifesting Medicine. Bodies and Machines. Amsterdam 1999: Harwood Academic Publishers, S. 31–61. 31 Technologie, verstanden als Wissen über technische Praxis und auch ihre Lehrbarkeit. Vgl. Irrgang, Bernhard: Philosophie der Technik. WBG, Darmstadt 2008, S. 7. 30

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scheinlich entdeckt und entsprechend sanktioniert werden würden. 32 Diese Betonung der subjektiven Wahrnehmung von Transparenz kann eine beachtenswerte Verbindung zur Funktion des Korruptionswahrnehmungsindexes (CPI) darstellen. Angesichts der regelmäßigen Kritik am CPI, aufgrund seines Fokus’ auf die Wahrnehmung, zeigt sich hier nun, dass die Wahrnehmung von Transparenz wiederum aktiv Korruption verhindern helfen könnte. Dies kann die Verortung des Transparenzbegriffs als Gegenbegriff zur Korruption bestätigen. Transparenz stellt für Staaten und Gesellschaften »ein hehres und anstrebenswertes Ziel dar«, wie Schmidt betont. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist für ihn der Grad der Transparenz in politischen Prozessen »ein Merkmal für Demokratie«. Technikphilosophisch interessant ist Schmidts Anmerkung, wenn denn objektive Transparenz erreichbar wäre, dann müsse sie auch messbar sein. Das hierzu benötigte Instrument müsste dann sämtliche Vorgänge erfassen können 33 – und dies auch dürfen, sei hier noch hinzugefügt. Denn Schmidt selbst betont zu recht: »Ob dies mit einem zu rechtfertigenden Erhebungsaufwand zu realisieren wäre, bleibt mehr als fraglich.« 34 Ein Zusammenhang von Transparenz und Technik wird hier deutlich und scheint insgesamt an Relevanz zu gewinnen. In Schmidts Beitrag sind als Beispiele aus Deutschland die Elektronische Akte und Elektronische Hinweisgebersysteme zu erwähnen (sog. Whistleblowing-Systeme wie z. B. WikiLeaks, aber auch unternehmensinterne Systeme, d. h. auf Informations- und Kommunikationstechnologien basierende Systeme, über die anonym Hinweise z. B. zu korruptiven Vorgängen im Unternehmen gegeben werden können). Ganz ähnlich wie im obigen zweiten Beispiel aus Brasilien, betont auch Schmidt letztlich, dass durch Technikeinsatz Transparenz geschaffen und somit korruptives Handeln erschwert und verhindert werden könne: »Dieses Potenzial gilt es zu erkennen, zu erschließen

Vgl. Schmidt, Andreas: Transparenz zur Korruptionsbekämpfung durch E-Government. In: Jansen, Stephen A./Schröter, Eckhard/Stehr, Nico (Hrsg.): Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phänomene und Theorien des Undurchsichtigen. Springer, Wiesbaden 2010, S. 373–395, hier S. 375 f. 33 Vgl. ebd., S. 376. 34 Ebd. 32

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

und zu nutzen.« 35 Wo Schmidts Aufsatz endet, beginnen Überlegungen der Technikphilosophie. Denn Technik birgt ihrerseits spezifische Intransparenzen und ermöglicht neue, komplexe Verwicklungen und Interdependenzen. »Technik beginnt unsichtbar zu werden«, betont z. B. der Technikphilosoph Klaus Kornwachs in seinen Überlegungen zur Transparenz in der Technik. 36 Selbst von Fachleuten werde Technik vielfach schlicht als »großes System« erlebt. Dieses erscheine als unbeherrschbar, komplex und undurchsichtig. »Die Fülle technischer Information kann kein Mensch bewältigen«. 37 Dies, als eine weitere Perspektive auf den Transparenzbegriff, kommt Schmidts Betonung entgegen, dass es hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung zu kurz gegriffen erscheine, Transparenz nur im Sinne von objektiver Durchschaubarkeit zu verstehen. 38 Nach Kornwachs macht Gewohnheit Technik unsichtbar. Möbel z. B. würden gar nicht mehr als Technik empfunden, »wenn sie nicht gerade Elektronik oder andere Geräte beinhalten, auch das Buch kommt uns untechnisch vor, seit wir über E-Books reden.« 39 Dieser Gedanke, dass Gewohnheit Technik ›unsichtbar‹, durchsichtig, transparent machen könne, findet sich auch bei Gerd Grübler, der als Technikphilosoph Experimente mit Gehirn-Computer-Schnittstellen begleiten durfte und im Rahmen seiner anthropologischen Beobachtungen zur Frage des Transhumanismus das Transparent-Werden der eingesetzten Technologien in der Benutzung festhalten konnte: Wie beim Radfahren das Fahrrad und selbst auch der Körper des Fahrenden völlig ungegenwärtig, eben transparent werden – der Radfahrer im Fahren quasi aufgehen kann –, so können auch die technischen Gerätschaften beim Bewegen z. B. eines künstlichen Arms mithilfe einer Gehirn-Computer-Schnittstelle transparent, unsichtbar werden. 40

Ebd., S. 393. Kornwachs: Transparenz in der Technik, S. 292. 37 Vgl. ebd. 38 Schmidt: Transparenz zur Korruptionsbekämpfung durch E-Government, S. 375. 39 Kornwachs: Transparenz in der Technik, S. 292. 40 Vgl. Grübler, Gerd: Gehirn-Computer-Schnittstellen als Modelle der philosophischen Anthropologie. In: Banse, G./Rothkegel, A. (Hrsg.): Neue Medien. Interdependenzen von Technik, Kultur und Kommunikation. trafo Wissenschaftsverlag, Berlin 2014, S. 281–295. 35 36

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Im Unterschied zu Heideggers Zuhandenheit bspw. des Hammers beim Hämmern, scheint Transparenz bei Kornwachs und, auch noch tiefergehend, bei Grübler mehr auf Technik und Technologien bezogen zu sein. So gelten sie wieder als eine Eigenschaft dieser – wenn auch nie denkbar ohne die menschliche Interaktion mit ihnen. Diese Überlegungen dienen bereits weiteren Betrachtungen zur Transparenz in Technikentwicklung und Design und führen über die bisherigen gestalterischen Ansätze zu sogenanntem transparenten Design (im Sinne von luzid, leicht, durchscheinend) hinaus. 41 Kornwachs hat hierzu in seinem Aufsatz zur Transparenz in der Technik eine produktive Frage gestellt – und die Antwort gleich mitgeliefert: »Wollen wir alle nur Bediener von Technik bleiben? Wenn nicht, dann müssten wir sie transparent machen.« 42 Dies freilich im Sinne des Verstehens. Miniaturisierung und Komplexität vor allem neuerer Technologien führen allerdings zu immer weniger Verstehen seitens der Anwender. In der Designtheorie und -philosophie werden neue Zugänge zu diesen Intransparenzen in der Nutzung von und im Umgang mit Technologien untersucht und kritisiert. Auf Basis jüngerer, eher materialistisch basierter Theorien zur Mensch-Technik-Interaktion (z. B. Actor-Network-Theory, Objektorientierte Ontologie, Agentieller Realismus etc. 43) werden derzeit z. B. Gestaltungsansätze diskutiert, die diesen Undurchsichtigkeiten und Undurchschaubarkeiten – nicht nur der vielgescholtenen Black Boxes – begegnen sollen. Von Beseelung und neuem Animismus, 44 aber auch noch offeneren Zugängen zum Relationalen im Umgang mit Technik, v. a. auch im Sinne einer Loslösung vom jahrtausendealten Anthropozentrismus, ist hier die Rede. 45 Allerdings scheint es, als versucht man in diesen VerzahnunVgl. Unger-Büttner, Manja: How I Learned to Smile to Robots. On Anthropomorphism, Empathy and Transparent Technology Design. In: Buongiorno et al (Hrsg.): Azimuth. Philosophical Coordinates in Modern and Contemporary Age. No 13. Schibboleth and Edizioni di Storia e Letteratura, Roma 2019 (in Vorbereitung). 42 Kornwachs, Transparenz in der Technik, S. 300. 43 Vgl. Dörrenbächer, Judith: Beseelte Dinge. Design aus Perspektive des Animismus. Zur Einführung. In: Dörrenbächer, Judith/Plüm, Kerstin (Hrsg.): Beseelte Dinge. Design aus der Perspektive des Animismus. Transcript Verlag, Bielefeld 2016, S. 9–24, hier S. 14. 44 Vgl. Dörrenbächer, Judith/Plüm, Kerstin (Hrsg.): Beseelte Dinge. Design aus der Perspektive des Animismus. Transcript Verlag; Bielefeld 2016. 45 Coeckelbergh, Mark: The Moral Standing of Machines: Towards a Relational and Non-Cartesian Moral Hermeneutics. Springer Science + Business, Dordrecht 2013. 41

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gen immer noch »eine Undurchsichtigkeit durch eine andere zu ›erklären‹«. Dieser Satz des Kybernetikers Heinz von Foerster drängt sich bis heute auf, obwohl er sich auf eine Zeit bezieht, in der die ersten Computer der Gesellschaft gegenüber als ›Elektronengehirne‹ bezeichnet worden sind, um deren Funktionsweise zu umreißen. 46 Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten der Transparenz können nun wieder die oben angeführten Beispiele aus Brasilien Erwähnung finden, denn beide ermöglichen noch einen weiteren kritischen, hermeneutisch-interpretativen Zugang zum Begriff der Transparenz. Das, womit hier der Korruption begegnet werden soll; das, was Intransparenz entgegenwirken soll – Technologie –, kann und muss also bis heute seinerseits auch als intransparent beschrieben werden. Der Einsatz von Technologien im Rahmen der Korruptionsbekämpfung bringt somit seinerseits neue Intransparenzen und eigene Interpretationsmöglichkeiten ins Spiel. Erkenntnisse aus der Technikphilosophie können in Überlegungen zur technologisch unterstützten Erzeugung von Transparenz im Rahmen der Korruptionsbekämpfung neue Perspektiven ermöglichen. Ähnlich wie oben Andreas Schmidt die Erreichbarkeit objektiver Transparenz in Frage stellt, stellt Klaus Kornwachs die Frage: »Ist es überhaupt notwendig, eine transparente Technik zu haben?« Nun könnten solche Interpretationsansätze zu Transparenz und Technik auf jene zu Transparenz und Korruption angewendet werden und auch umgekehrt. So betonte der Sozialanthropologe und Korruptionsforscher Steven Sampson 2010: Wir befinden uns in einer Welle der Transparenz. 47 Transparenz war früher ein Schlagwort der Organisationen der Zivilgesellschaft, auf das sie drängten, wenn sie sich mit unzugänglichen Regierungen oder geheimen Unternehmungen abmühten. Transparenz bedeutete, Organisationen innerhalb von Staat oder Markt zwingen zu können, ihre Geheimnisse preiszugeben. Das Ganze war eine Übung zum Entdecken, Sammeln und Verbreiten von Wissen. Transparenz war der Holzprügel 48 der Zivilgesellschaft, so Sampson. Diese Zeiten hätten sich aber inzwischen

Foerster, Heinz von: Wahrnehmen wahrnehmen. In: Barck, Karlheinz/Gente, Peter/Paris, Heidi/Richter, Stefan (Hrsg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Reclam, Leipzig 1990, S. 434–443, hier S. 438. 47 »We are in a wave of transparency.« Sampson, S. 97 f. 48 »Transparency was the wooden club wielded by civil society.« Sampson, S. 97. 46

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geändert. Nun werde man von Transparenz auf Schritt und Tritt verfolgt: Regierungen führen offene Anhörungen durch. Das Weiße Haus veröffentlicht seine Besucherliste. Regierungsbehörden stellen Dokumente in solchen Mengen zur Verfügung, dass sie nicht mehr überblickt werden können. Unternehmen zeigen soziale Verantwortung und informieren die Öffentlichkeit über jede ihrer Bewegungen. Transparenz ist jetzt eine Verpflichtung, ein moralischer Imperativ. 49 Nach all diesen Feststellungen stellt Sampson die These auf, dass die Bemühungen, Korruption transparent zu machen, tatsächlich die Natur des Objekts verändern und möglicherweise zu mehr Opazität führen könnten. Man müsse verstehen, wie z. B. die ›Technologien der Quantifizierung‹ mit der von ihm konstatierten ›Welle der Transparenz‹ zusammenhängen könnten: Es scheint nämlich, als seien qualitative, kontextuelle Urteile von Natur aus undurchsichtig, während quantitative Indikatoren – unabhängig von ihrer Grundlage – ausnahmslos als aufschlussreicher, transparenter und ›objektiver‹ angesehen werden, schreibt Sampson. Es gelte herauszufinden, wie eine solche intime soziale Praxis wie die Korruption, bei der Geld, Gefälligkeiten und Wissen den Besitzer wechseln, quantifizierbar zu machen versucht wird. Man müsse verstehen – schreibt der Soziologe –, warum mehr Zählen, mehr Zahlen und mehr Abstraktion in ›Graden‹ und ›Indizes‹ als nützlich angesehen werden, um über die Natur korrupter Gesellschaften und korrupter Transaktionen zu informieren. Man müsse herausfinden, wie diese Abstraktionen neu als ›Transparenz‹ haben interpretiert werden können. Vielleicht könne man dann auch verstehen, warum das Vertrauen in Zahlen nicht zu einer Verringerung der Korruption geführt hat. 50

Korruption – zwischen Quantifizierung und Relation Kritik an Versuchen der Quantifizierung von Korruption kommt freilich nicht allein von Sampson. 51 (Technik-)philosophisch interessant sind allerdings seine grundlegenden Infragestellungen von Begriffen Vgl. ebd., S. 97 f. Vgl. ebd., S. 110. 51 Vgl. z. B. Pawlas, S. 74, der seinerseits einen weiteren Verweis bietet auf: Sík, Endre: The Bad, the Worse, the Worst. Guesstimating the Level of Corruption. In: Kotkin, Steven/Sajó, András (Hrsg.): Political Corruption in Transition. A Sceptic’s Handbook. Central European University Press, Budapest/New York 2002, S. 81–90. 49 50

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

wie das Zählen, die Quantifizierung, Expertise und auch Objektivität. Je mehr man versucht, Korruption zu definieren und zu messen, desto mehr rinnt sie einem durch die Finger, meint Sampson. Er sieht hier eine Verbindung – und dies muss nun unbedingt im englischen Original zitiert werden: »between our trust in numbers and our faith in transparency.« 52 In einem weiteren Aufsatz dieses Buches zur Transparenz thematisieren Wallner und Stehr ebenfalls das Vertrauen. Sie betrachten Vertrauen als ein weiteres »Mittel zur Reduktion von Unsicherheiten in der Beurteilung von Handlungen, Gütern und Dienstleistungen« 53 – neben der Transparenz. Hierbei können sie sich auf Luhmann beziehen, der Vertrauen als Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität bezeichnet hatte. Die Forderung nach mehr Transparenz sei Ausdruck abnehmenden Vertrauens, z. B. in die Politik. Und es stelle sich die Frage, »inwieweit Komplexität zusätzlich entsteht, wenn Transparenz und damit wesentlich mehr Informationen an die Stelle von Vertrauen treten.« Überhaupt sei eine Gesellschaft, in der es keine Geheimnisse gibt, unrealistisch. Mit Simmel betonen Wallner und Stehr, dass Geheimnisse »als bewußt gewolltes Verbergen« 54 ein unverzichtbarer Teil gesellschaftlichen Zusammenlebens seien. Andererseits seien gerade heute enorme Ressourcen erforderlich, um Informationen geheim zu halten. 55 Ebenso werden enorme Ressourcen benötigt, um die Informationen im Sinne der Transparenz bereitzustellen und zu halten, ganz abgesehen von neuen Problemen, die ihrerseits unter Schlagworten wie Big Data und Überwachung/Privatheit kursieren. Gegenüber einer möglichen Komplexitätssteigerung und eventuell neuerlicher Intransparenzen durch den Einsatz von Technologien zur Korruptionsbekämpfung zeigen in den eben erwähnten Einwänden das Soziale und das Relationale Relevanz.

Sampson, S. 98 (kursiv M. U.-B.). Stehr, Nico/Wallner, Cornelia: Transparenz: Einleitung. In: Jansen, Stephen A./ Schröter, Eckhard/Stehr, Nico (Hrsg.): Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phänomene und Theorien des Undurchsichtigen. Springer, Wiesbaden 2010, S. 9–19, hier S. 15. 54 Simmel, Georg: Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft. In: ders.: Soziologie, Gesamtausgabe Band 11, Frankfurt/M. [1908] 1992, S. 383–455, hier S. 392. 55 Stehr, Nico/Wallner, Cornelia: Transparenz: Einleitung, S. 9. 52 53

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Der oben bereits angedeutete Begriff des Relationalen im Umgang des Menschen mit Technik kann helfen, Denkansätze zum Thema Korruption zu schärfen. Es handelt sich hier zunächst um eine begriffliche Parallele, die aber an dieser Stelle helfen könnte, das Reflektieren zu Technologie und Korruption noch ein wenig anzunähern: Die Korruptionsdefinition von Transparency International (TI) erscheint bekanntlich deutlich reduzierter als die oben erwähnte 56 von Dorothée de Nève: »Corruption is the abuse of entrusted power for private gain« 57 – der Missbrauch anvertrauter Macht zu privaten Zwecken. De Nève betonte noch die Tauschbeziehung. Zur Erinnerung: Korruption sei »eine (i) geheime und (ii) freiwillige Tauschbeziehung zwischen (iii) mindestens zwei Akteuren (…), die zur (iv) Erlangung von Vorteilen angelegt ist und mit (v) der Verletzung bestehender Normen und Regeln einhergeht.« 58

In vergleichbarer, noch ausführlicherer Form umreißt es die kriminologisch orientierte Definition, von der das deutsche Bundeskriminalamt ausgeht. Korruption ist hier der »Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines Anderen, auf dessen Veranlassung oder in Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (Täter in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft).« 59

Der auch hier erkennbare Beziehungsaspekt fällt bei Transparency International in den Hintergrund. Ganz ähnlich bei der Korruptionsdefinition der Weltbank: »Corruption is the abuse of public office for private gain.« Nach diesen Definitionen wäre es Korruption, wenn eine Person, ein Akteur, in einer bestimmten Position allein zu seinen Vgl. oben, S. 2, De Nève, Dorothée: Korruption und Demokratie – Perspektiven der Politikwissenschaft, S. 131. 57 Transparency International: What is Corruption? Online unter: https://www. transparency.org/what-is-corruption (zuletzt gesehen: 18. 9. 2019). 58 De Nève, Dorothée: Korruption und Demokratie – Perspektiven der Politikwissenschaft, S. 131. 59 Bundeskriminalamt: Korruption. Online unter: https://www.bka.de/DE/Unsere Aufgaben/Deliktsbereiche/Korruption/korruption_node.html (zuletzt gesehen: 22. 9. 2019). 56

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

Gunsten handelt, indem er diese seine Amtsposition illegitim ausnutzt. 60 Selbst der z. B. von Pawlas 61 näher diskutierte Bestechungszahlerindex (Bribe Payers Index BPI) von Transparency International, der zuletzt vor nunmehr acht Jahren, 2011, erhoben worden ist, scheint ebenso nur eine Seite dieses Beziehungsaspektes gesondert zu betrachten. Der Soziologe Hartmut Schweitzer betont nun dazu, dass es zur Bestimmung von Korruption aber »unverzichtbar« dazugehöre, »dass sie ein relationales Delikt ist, also eines, in dem es um ein ›do ut des‹ (›ich gebe, damit du gibst‹) geht.« 62 In den griffig-reduzierten Definitionen von TI und Weltbank fehlt also, mit Schweitzer, der andere Akteur, der mit dem Bestechungsgeld in der Hand zum ›Amtsträger‹ kommt. Dieses Delikt konstituiere sich dabei nur durch eine Verbindung mehrerer Individuen »in einem Tatzusammenhang« – und deswegen sei Korruption »ein von mindestens zwei Parteien innerhalb eines Austausches begangener Gesetzesverstoß – zumindest aber die Verletzung einer Universalistischen Norm (sic!)« 63. Genau diesen Unterschied gegenüber anderen kriminellen Handlungen in ihren jeweiligen Definitionen »ohne Not« zu unterschlagen, wirft Schweitzer nun Transparency International und auch der Weltbank vor. 64 Dieses Relationale in Korruptionshandlungen wird noch einmal anders betont durch die »besondere Rolle«, die z. B. Tanja Rabl der steuerlichen Absetzbarkeit von Bestechungsleistungen zuspricht. So konnten bekanntlich bspw. in Deutschland bis 1999 noch Bestechungsgelder an ausländische Amtsträger von der Steuer abgesetzt werden, was die Kosten der Korruption reduzierte. 65 Diese Praxis Schweitzer, Hartmut: Kann Whistleblowing tatsächlich ein effektives Mittel der Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung sein? In: Starck, Karsten (Hrsg.): Korruptionsprävention. Klassische und ganzheitliche Ansätze. Springer Gabler Wiesbaden 2017, S. 79–105, hier S. 83. 61 Vgl. Pawlas, S. 74. 62 Schweitzer, S. 83. 63 Ebd. 64 Vgl. ebd. In einer Fußnote merkt Schweitzer hier außerdem an, »was in einer Definition nicht erwähnt wird, ist automatisch aus dem Geltungsbereich ausgeschlossen.« 65 Vgl. Rabl, Tanja: Wie kommt es zu korruptem Handeln? Ursachen von Korruption in der Privatwirtschaft. In: Fifka, Matthias S./Falke, Andreas (Hrsg.): Korruption als internationales Phänomen. Ursachen, Auswirkungen und Bekämpfung eines weltweiten Problems. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2012, S. 31–46, hier S. 43. 60

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wird geholfen haben, die Bedeutung und auch das Verantwortungsgefühl des Bestechenden innerhalb dieser relationalen Praxis zu reduzieren. Das, ja, moralische Entsetzen, das sich aus einer heutigen Sicht auf diese steuerlichen Vorgänge einzustellen vermag, und auch der Umstand, dass es diese Vorgänge heute in Deutschland so nicht mehr gibt, lassen sich als merkliche Veränderung in der Bewertung der Rollenverteilung innerhalb dieser korrupten Vorgänge deuten. Schade also, dass zugunsten der Definierbarkeit des Korruptionsbegriffs in manchen Definitionen gerade das Relationale, Soziale an dieser Praxis ausgeklammert wirkt. Interessant könnte es werden, die neueren Überlegungen zur Mensch-Technik-Relation – den oben erwähnten neuen Animismus und selbst die Actor-Network-Theory auf das Thema Korruption anzuwenden – allerdings ohne vorschnell in eine Forderung nach Einsatz technischer ›Akteure‹ in korruptionsrelevante Vorgänge zu verfallen. Vielleicht ließe sich – vor allem auch mit Blick auf die Rolle und Ergebnisse entsprechender technologisch basierter Versuche der Einflussnahme auf Korruption – mithilfe der Technikphilosophie letztlich auch der Begriff der Korruption neu diskutieren. Offenbar könnten weitere technikphilosophische und auch technikethische Betrachtungen anhand von Erfahrungswissen über Mensch-TechnikRelationen und Auswirkungen mancher Technologien dazu beitragen, dieses Relationale an Korruptions-Beziehungen und die Idee der »Korruption als Teil der conditio humana« 66 noch einmal neu zu durchleuchten. Der Soziologe Eike Emrich betonte in seiner Ars Corrumpendi ganz treffend, »dass hinter dem Phänomen der Bestechung ein Urmechanismus menschlicher Gesellschaften steht: die Gegenseitigkeit.« 67 Diese Differenzierung scheint wertvoll für Überlegungen zur Korruption als eventuelle conditio humana. Um der Frage nachzugehen, ob diese Gegenseitigkeit im Korrupt-Sein als Teil des Mensch-Seins betrachtet werden muss, könnte der Einsatz Einzelner für den Einsatz von Technologien gegen Korruption, wie oben im zweiten Beispiel aus Brasilien erkennbar wurde, neue Einblicke für

Krug, Sabine: Korruption in verschiedenen Wirtschaftssystemen: eine komparatorische Analyse. Springer Gabler Wiesbaden, 1997, S. 1. 67 Emrich, Eike: »Ars Corrumpendi«. Zur Interaktions- und Beziehungsdynamik bei Bestechungen. In: sozialersinn 7 (2006), Lucius & Lucius, Stuttgart, S. 327–343, hier 341. 66

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Korruption aus technikphilosophischer Sicht

diese technikphilosophische Perspektive liefern. Hier wurde Automatisierung als ein Mittel zur Korruptionsbekämpfung interpretiert und gleichzeitig die Rolle des Menschen als soziales Wesen betont – in einer weiteren Form der Gegenseitigkeit. 68 Gegenseitigkeit bleibt auch hier eine Voraussetzung, um Betriebsabläufe durch den Einsatz von Technologien transparent machen zu können. Die Interpretation und Bewertung der Folgen dieses Technikeinsatzes – ob intendiert oder nicht intendiert – liegen ebenfalls in den Händen der Menschen, und sicher nicht in denen eines Einzelnen. Insofern kann es sich lohnen, Projekte wie diese aus technikphilosophischer und auch soziologischer wie anthropologischer Sicht zu begleiten. Ein exploratives Vorgehen – das Bahnen des Weges direkt beim Gehen –, scheint angesichts der rasanten Entwicklung von Forschung und Entwicklung in der Technik wie auch den Wissenschaften für derartige interdisziplinäre Versuche zur Korruption angebracht. Auch für Überlegungen zur Ethik wird der Begriff des Explorativen nutzbar. Bettina Hollstein hatte bereits in ihrer gehaltvollen Herleitung einer pragmatistischen Wirtschaftsethik am Beispiel der Korruption betont, dass die »Kreativität des Handelns« Selbst- und Weltverhältnisse sowie deren Deutungsmuster verändern könne. 69 Anhand technik- und designphilosophischer Betrachtungen eben dieses kreativen Vorgehens selbst, im Entwurf und in der Lösungsfindung, sind in Verbindung mit der Notwendigkeit, ethisch-moralische Urteile zwar nicht kasuistisch, aber kontextsensibel 70 treffen und universale Normen immer wieder neu auf ihre Geltung hin prüfen zu müssen, Ansätze zu einer explorativen Ethik entstanden. 71 Diese bauen auf Überlegungen zum Begriff der experimentellen Ethik, z. B. von Peter-Paul Verbeek, auf. 72 Vgl. oben: »Wenn das Unternehmen nicht kooperiert oder falsche Daten liefert, führen mein Team und ich das Projekt nicht aus und stimmen dieser Haltung nicht zu. Es ist eine Frage der Ethik.« 69 Vgl. Hollstein, S. 17. 70 Eindrucksvoll hierzu z. B. das Zitat E. Werner Küllings bei Peter Eigen: »Wer ständig ums Überleben kämpft und gleichzeitig in einer Tradition lebt, in der die Loyalität zur Verwandtschaft mehr gilt als diejenige zum Staat, dem kommen die Bestechlichkeitsvorwürfe fremd vor.« Eigen, Peter: Das Nord-Süd-Gefälle der Korruption. In: Kursbuch 120: Korruption. Rowohlt, Berlin 1995, S. 155–168, hier S. 158. 71 Vgl. Manja Unger-Büttner: Zukunft – Design – Ethik. Ein exploratives Gemisch. In: Karsten Berr, Jürgen Franz (Hrsg.): Zukunft gestalten. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz (KI) und Philosophie. Frank & Timme 2019, S. 41–54; vgl. dies.: Explorative Ethik. n. n. 2020 (in Vorbereitung). 72 Vgl. u. a. Verbeek, Peter-Paul: Technology Design as Experimental Ethics. In: van 68

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So können Technik und Technikphilosophie direkt dazu beitragen, mit neuen Perspektiven zu erforschen und zu interpretieren, ob Korruption letztlich eher auf der Ebene (mühsam) zu gestaltender sozialer Interaktionen und Beziehungen zu verorten ist, wie sie u. a. Emrich 73 und Höffling 74 eindrucksvoll beschrieben haben, oder ob es nötig ist, Korruption tatsächlich als ein »Urprinzip der Menschheit« 75 zu betrachten.

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Autorenverzeichnis

Eike Albrecht, 1988–1990 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Freiburg und 1990–1994 an der Universität Bonn, 1. Juristisches Staatsexamen 1994 am OLG Köln, 1995–1997 Referendariat am LG Stuttgart, u. a. 1996–1997 mit einem dreimonatigen Aufenthalt an der University of Oregon und der Robert J. Larson Law Firm, Eugene, OR, USA; 1997 2. Juristisches Staatsexamen am OLG Stuttgart. 1997–1999 Assistent am Umwelt Campus Birkenfeld, Hochschule Trier, danach an der BTU Cottbus zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter, nach Promotion 2002 an der Juristenfakultät der Universität Leipzig Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Umweltrecht; 2004–2010 Juniorprofessor für Zivil- und Öffentliches Recht mit Bezügen zum Umwelt- und Europarecht, seit 2010 Lehrstuhlleiter des Lehrstuhls für Zivil- und Öffentliches Recht mit Bezügen zum Umwelt- und Europarecht, seit 2019 Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Umwelt- und Planungsrecht (mit Lehrgebiet Zivilrecht). Neben verschiedenen Funktionen in der akademischen Selbstverwaltung u. a. Studiengangsleitung der Weiterbildungsstudiengänge Wirtschaftsrecht für Technologieunternehmen (MBL) (seit 2007) sowie Forensic Sciences and Engineering (M.Sc.) (seit 2011), seit 2016 Dekan der Fakultät 5 – Wirtschaft, Recht und Gesellschaft. Beteiligung an den internationalen Promotionsprogrammen Environmental and Ressource Management (PhD) sowie Heritage Studies der BTU. Zahlreiche Publikationen und vor allem internationale Projekte im Verfassungs- sowie im Umwelt- und Technikrecht. Michael S. Aßländer, Jg. 1963, studierte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Philosophie, Psychologie, Soziologie und Russische Sprache an den Universitäten Bamberg, Wien, Bochum und Moskau. Nach seiner Promotion zum Dr. phil. an der Universität Bamberg (1998) und seiner Habilitation zum Dr. rer. pol. habil. am 253 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Internationalen Hochschulinstitut in Zittau (2005) wechselte er auf die Stiftungsprofessur für Wirtschafts- und Unternehmensethik an die Universität Kassel, die er bis 2010 innehatte. Seit 2010 arbeitet er als außerordentlicher Professor für Sozialwissenschaften, insbesondere für Wirtschafts- und Unternehmensethik, am Internationalen Hochschulinstitut Zittau/TU Dresden. Von 2001 bis 2005 war er Geschäftsführer und von 2005 bis 2011 Mitglied des Vorstandes des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik. Er ist Gründungsvorstand des Österreichischen Netzwerks Wirtschaftsethik und seit 2004 Mitglied des Vorstands in wechselnden Funktionen. Von 2008 bis 2016 war er Mitglied des Executive Committee des European Business Ethics Network. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zu den Themen Wirtschafts- und Unternehmensethik, Corporate Social Responsibility und Dogmengeschichte der Ökonomie. Zu seinen aktuellen Veröffentlichungen zählen: Handbook of Business and Corruption, Emerald Publishers 2017 (herausgegeben gemeinsam mit Sarah Hudson) und Philosophie der Arbeit, Suhrkamp 2017 (herausgegeben gemeinsam mit Bernd Wagner). Stefan Behringer ist Leiter des Kompetenzzentrums für Controlling am IFZ – Institut für Finanzdienstleistungen Zug an der Hochschule Luzern. Er hat Betriebswirtschaftslehre in Köln und Kopenhagen studiert und anschließend in Flensburg promoviert. Danach sammelte er mehr als zehn Jahre Managementerfahrungen bei der Deutschen Post AG und der Olympus Europa Holding GmbH in den Bereichen Controlling und Corporate Governance. Bis 2019 war er Professor für Controlling und Corporate Governance an der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft, Elmshorn und Hamburg, deren Präsident er bis 2019 war. Behringer ist Autor von Büchern und Fachaufsätzen in den Bereichen Unternehmensbewertung, Controlling und Compliance. Stefan Behringer ist Chefredakteur der Zeitschrift Risk, Fraud & Compliance (ZRFC), die im Erich Schmidt Verlag erscheint. Roberto Barros, Studium der Philosophie an der Bundesuniversität Pará (UFPA), Brasilien, 1990–1994. Master in Philosophie an der Staatlichen Universität von Campinas (Campinas/SP), Brasilien, 1997–1999. Promotion an der Technischen Universität Berlin (TU Berlin). Gastwissenschaftler an der Universität Hildesheim (2011), an der Technischen Universität Dresden (2015) und der TU Berlin (2018). Dozent an der (UFPA) mit Schwerpunkt in zeitgenössischer 254 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Philosophie. Veröffentlichungen: Kunst und Wissenschaft bei Nietzsche. Parerga, Berlin 2006. O ensinamento Além-do-homem como ideal estético (Die Lehre des übermensches als ästhetisches Ideal), PHI Verlag, Campinas 2016, sowie Aufsätze zu Schopenhauer, Wittgenstein, Erkenntnistheorie, Normativität, Interpretation und Philosophie in Brasilien. Alexander Drescher, nach Studium am Institut d’Études Politiques d’Aix-en-Provence, der Freien Universität Berlin und der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg juristischer Vorbereitungsdienst beim OLG Dresden (Landgericht Leipzig, Verwaltungsgericht Leipzig, Rechtsanwälte KurzSchmuck, Sächsisches Finanzgericht). Danach Tätigkeit u. a. in einer auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei. Seit 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Öffentliches Recht, insbesondere Umweltund Planungsrecht (mit Fachgebiet Zivilrecht), verantwortlich für die Ausbildung der wirtschaftswissenschaftlich Studierenden im Privatrecht, Publikationen/Vorträge zum Hochschul- und Europäischen Migrationsrecht, zum Recht der erneuerbaren Energien und zu sprach-/literaturwissenschaftlichen Fragestellungen. Dissertation zum Thema: Der rechtliche Rahmen politischer Partizipation ethnischer Minderheiten am Beispiel des sorbischen Volkes im Land Brandenburg. Hans Friesen, Studium der Philosophie, Germanistik, Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum, 1999–2001 Privatdozent für Philosophie, Architektur- und Kunsttheorie an der BTU Cottbus, 2002–2005 Dozent für Wirtschaftsethik am Centrum für lebenslanges Lernen C3L der Universität Oldenburg, 2006–2009 Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Vechta, 2009–2012 Gastprofessur für Kulturphilosophie an der BTU Cottbus, ab 2013 Leiter des Lehrgebiets Kulturphilosophie an der BTU. Arbeitsgebiete sind Ästhetik, Geschichte der Philosophie, allgemeine Ethik und angewandte Ethik (Medizinethik und Wirtschaftsethik), Anthropologie, Sozialphilosophie, Kulturphilosophie, Kulturgeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a.: Spannungsfelder der Diskurse. Philosophie nach 1945 in Deutschland und Frankreich (Mitherausgeber) 1987; Die philosophische Ästhetik der postmodernen Kunst 1995; Architektur im Zwischenreich von Kunst 255 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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und Alltag (Mitherausgeber) 1997; Philosophische Dimensionen des Problems der Virtualität in einer globalen Mediengesellschaft (Mitautor) 2001; Dimensionen praktizierender Philosophie. Lebenskunst, philosophische Praxis, angewandte Ethik (Mitherausgeber) 2003; Angewandte Ethik im Spannungsfeld von Begründung und Anwendung (Mitherausgeber) 2004; Technik als Motor der Modernisierung (Mitherausgeber) 2018; zahlreiche Aufsätze zur Kunstgeschichte, Architekturtheorie, zur Ästhetik, Ethik und zur Philosophie der Kultur und Technik der Moderne. Sigrun von Hasseln-Grindel, Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen. Über 40 Jahre Richterin und teilweise Staatsanwältin in Hamburg, Niedersachsen und Brandenburg. Langjährige Vorsitzende Richterin der Jugendschwurgerichts- und Jugendschutzkammer des Landgerichts Cottbus. Seit Juli 2018 Rechtsanwältin in Bad Saarow mit eigener Kanzlei. Langjährige Lehrbeauftragte der BTU Cottbus-Senftenberg und Gastdozentin an weiteren Universitäten im In- und Ausland für das von ihr begründete interdisziplinäre und inzwischen auch an den Universitäten Warschau (2009) und Medenine (Tunesien, 2015) gelehrte Studienfach Globale Rechtspädagogik/Human Law als ganzheitliches, nachhaltiges Konzept zur Bewältigung gemeinsamer komplexer Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Mitbegründerin und Vorsitzende der Akademie für Rechtskultur und Rechtspädagogik sowie Begründerin der auf der Rechtspädagogik basierenden Jugendrechtshausbewegung in Deutschland. Dafür wurde ihr 2006 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Langjährige AG-Vorsitzende des Landespräventionsrates Brandenburg. Mitglied der Ethikkommission und der Kommission SGB VIII des Deutschen Sozialgerichtstages. Seit mehr als 35 Jahren Publizistin wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Schriften rund um Rechtskultur und innere Sicherheit, z. B. Justiz – Aufbruch in das 3. Jahrtausend; Interkultureller Täter-Opfer-Ausgleich; Jugendrechtsberater; Hauptwerk (Hrsg.): Rechtspädagogik. Von der Spaß- in die Rechts- und Verantwortungsgesellschaft (2006). Alicia Hennig, Studium der Philosophie, Soziologie und Psychologie an der Technischen Universität Darmstadt und anschließende Promotion in Philosophie in 2015 bei Prof. Petra Gehring mit Prof. Thomas Pogge (Yale University, CT, USA) als Zweit-Betreuer. 2015 256 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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bis 2017 Assistant Professor of Business Ethics im Fachbereich Wirtschaft am Harbin Institute of Technology, Shenzhen, China. Seit 2018 Associate Professor of Business Ethics im Fachbereich Humanwissenschaften/Philosophie an der Southeast University in Nanjing, China. Darüber hinaus Gastdozentin an verschiedenen Universitäten, unter anderem IPADE Business School in Mexico City, Mexiko; Universidad de Navarra (UNAV) in Pamplona, Spanien; Greenwich Business School in London, Großbritannien; Jiaotong University in Shanghai, China. Forschungsgebiete sind angewandte Philosophie und Ethik, Wirtschaftsethik und Chinesische Philosophie. Bisherige Veröffentlichungen in internationalen Journals wie Frontiers of Philosophy in China (2016), Philosophy of Management (2016, 2017), Business Ethics Quarterly (2019) und Journal of Business Ethics (2019). Kapitelveröffentlichung im Springer Handbook of Philosophy of Management (2019). Rezensentin für internationale Journals wie Philosophy of Management, Journal of Business Ethics, Business Ethics: A European Review und Cross-Cultural and Strategic Management. Bettina Hollstein, Studium der Volkswirtschaftslehre und Romanistik in Mainz und Paris, 1994 Promotion in Mainz zum Thema »Wirtschaftsethik und Umwelt, Deutsche und französische Ansätze im Vergleich«, 1994–1996 Fakultätsreferentin an der Fakultät für Umweltwissenschaften und Verfahrenstechnik der BTU Cottbus, 1996–1998 Kanzlerin der Fachhochschule und zugleich Leiterin des Bildungszentrums des Bundesverbandes der Unfallkassen, seit 1998 Geschäftsführerin des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt, seit 2004 Herausgeberin der Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), 2014 Habilitation zum Thema »Ehrenamt verstehen. Eine handlungstheoretische Analyse«; Forschungsgebiete: Pragmatistische Wirtschaftsethik, Nachhaltigkeit, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Ehrenamt, Handlungstheorie, Korruption; Veröffentlichungen: u. a. Wirtschafts- und Unternehmensethik: Rückblick – Ausblick – Perspektiven (Mitherausgeberin) 2005, Handlung und Erfahrung: Das Erbe von Historismus und Pragmatismus und die Zukunft der Sozialtheorie (Mitherausgeberin) 2011, InnoNet Bildung für nachhaltige Entwicklung – Gemeinsam Nachhaltigkeit gestalten (Mitherausgeberin) 2013, zahlreiche Einzelhefte der zfwu, u. a. zu Korruption (mit Michael Aßländer) 2018. 257 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Karin Karsch, Studium der Germanistik, Sportwissenschaft und Englisch an der Universität Oldenburg. Mitarbeiterin am Fernstudienzentrum der Universität Oldenburg mit der Außenstelle an der Fachhochschule in Emden und ehrenamtlich tätig in verschiedenen Organisationen. Als freie Schriftstellerin tätig mit Kurzgeschichten, Drehbüchern usw. Publikation: Liebe hinterm Ladentisch. Ein Roman über Liebe und Tod, 2014. Marco Mansdörfer, 1994–1999 Studium der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau; 1999 1. Juristisches Staatsexamen in Baden-Württemberg, 1999–2001 Referendariat am LG Freiburg mit Auslandswahlstation in Palma de Mallorca/Spanien, 1999–2009 wiss. Mitarbeiter und Assistent am Lehrstuhl Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Wolfgang Frisch, 2004 Promotion zum Dr. iur. mit dem Thema »Das Prinzip des ne bis in idem im Europäischen Strafrecht« und Forschungsaufenthalt am All Souls College/Oxford, 2010 Habilitation »Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts«. Seit 2010 Lehrstuhlvertretung mit anschließender Berufung zum Ordinarius (W3) für Strafrecht, einschließlich Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität des Saarlandes, seit 2013 Gründungsdirektor des dortigen Instituts für Wirtschafts-, Internationales und Europäisches Strafrecht. Publikationen (Auszug der wichtigsten Monographien und Herausgeberschaften): Das Prinzip des ne bis in idem im Europäischen Strafrecht, Berlin, 2004; Die allgemeine Straftatlehre des common law – Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des englischen Strafrechts, Heidelberg, 2005 (Hrsg. und Autor); Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts, Heidelberg, 2011; Strafbarkeitsrisiken des Unternehmers – Verhaltensstrategien, Krisenmanagement, Compliance, München, 2015 (gemeinsam mit Habetha); Subventionskriminalität in Deutschland – eine empirischkriminologische Untersuchung, Heidelberg, 2016 (gemeinsam mit Kleemann und Ziegler); SmartHome2Market – Weißbuch Prozess, 2016 (gemeinsam mit Klebsch); Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6, 2017 (Einleitung Nebenstrafrecht und Bandredaktion); Vorsatz und Entscheidung – Prolegomena zur subjektiven Zurechnung im Wirtschaftsstrafrecht, voraussichtlich 2020. Wolfgang Rupieper, Studium der Rechtswissenschaften an der Albertus-Magnus-Universität zu Köln, 1978–1996 Richter an Amtsund Landgerichten in Essen und Bochum, 1991–1996 Direktor des 258 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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Amtsgerichts Lübben/Spreewald, 1996–2012 Direktor des Amtsgerichts Cottbus, langjähriges Mitglied im Landespräventionsrat Brandenburg und im Präventionsrat der Stadt Cottbus sowie Präsidialrat beim Brandenburgischen Oberlandesgericht, ehrenamtlich tätig als Präsident des Landesschwimmverbandes Brandenburg e. V., als Vorsitzender des Polizeisportvereins Cottbus e. V. und als Vorsitzender des Vereins Pro Lausitzer Braunkohle e. V. sowie des Jugendrechtshauses Cottbus e. V. und seit 2015 als Antikorruptionsbeauftragter der Stadt Cottbus. Publikationen/Vorträge u. a. zu folgenden Themen: Gesetzlicher Kinderschutz im Rechtsstaat; Nationalstolz: Von politischer Propaganda zum Delikt; Das beschleunigte Verfahren in Brandenburg aus rechtsstaatlicher Sicht; Die strafrechtliche Behandlung von Rauschzuständen. Manja Unger-Büttner, Studium des Integrierten Design in Dessau, Hochschule Anhalt; freiberufliche Gestalterin seit 2002, Mitglied im Verband Deutscher Industrie-Designer; Studium der Philosophie, Literatur- und Kulturwissenschaften in Heidelberg und Dresden; Forschung und Lehre in interdisziplinären Kontexten zu Tierethik, Medizinethik und wissenschaftlichem Arbeiten seit 2005. In Dresden ab 2007 Vertiefung in Richtung Technikphilosophie und -ethik; Entwicklung eigener Ansätze zur Ethik des Gestaltens, zu Zusammenhängen von Ethik und Ästhetik und zum moralischen Skeptizismus, bis hin zu einer explorativen Ethik. Vorträge, Workshops, Moderationen, Gruppen- und Einzelberatungen zu Fragen der Ethik in der Technikgestaltung seit 2009; Lehraufträge in Design (-theorie, -philosophie, Ethik, Ästhetik) und Technikphilosophie seit 2011, Betreuung verschiedener Qualifikationsarbeiten. Ethikerin in internationalen Projekten und -anträgen u. a. zu Robotik, KI, smart home/AAL. Veröffentlichungen z. B. zum Anthropomorphismus in Technikentwicklung und Design, zu Technik- sowie Designphilosophie und Ethik. Rogério Vitalli, Mechatronik-Ingenieur an der Universität Paulista (bis 2005, São Paulo) und Master in Industrierobotik am Institut für Luftfahrttechnologie ITA (2009, São José dos Campos) in Mechatronik und Luft- und Raumfahrtsystemen (EAM-S). Forschungslinie: Industrierobotik. Er war Projektleiter und orientierter Student an der Universität Paulista (UNIP) und an der Universität Bandeirante in São Paulo (UNIBAN). Er hat mit Forschungsgruppen des Institute 259 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .

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of Advanced Studies (IEAv), des Technical Aerospace Center (CTA), der Fakultät für Ingenieurwesen von Guaratinguetá (UNESP-FEG) und der Fakultät für Maschinenbau (UNICAMP-FEM) zusammengearbeitet. Er hat Erfahrung im Bereich der Mechatronik, wobei er hauptsächlich in den folgenden Fächern arbeitet: Industrierobotik, Modellierung und Simulation von Robotermanipulatoren, direkte Kinematik, inverse Kinematik und ›Jacobians‹. Er war verantwortlich für die Forschungs- und Ausbildungsabteilung von Motoman Robótica do Brasil sowie für die Abteilung für Projekte und Entwicklung von KUKA Roboter do Brasil. Derzeit ist er Geschäftsführer des I. A. R. (Advanced Robotics Institute), Roboterfachmann bei KUKA Roboter in Augsburg (Deutschland), Prüfer der Deutsch-Brasilianischen Handelskammer (AHK) für den Ausschuss für Mechatronik und Industrierobotik und bietet Innovationsberatungsdienste für die Automobilindustrie, Universitäten und Hochschulen an.

260 https://doi.org/10.5771/9783495823910 .