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German Pages [183] Year 2022
Andersheit – Fremdheit – Ungleichheit Erfahrungen von Disparatheit in der deutschsprachigen Literatur
Band 16.1
Herausgegeben von Paweł Zimniak und Renata Dampc-Jarosz
Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.
Lucyna Sadzikowska
Identität und Fremdheit Leben und Werk von Zofia Kossak in den Jahren 1939–1945
Mit 20 Abbildungen
V&R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlicht mit finanzieller Unterstützung aus dem Programm »Die Exzellenzinitiative der Schlesischen Universität Katowice zur Förderung von Wissenschaft und Forschung«. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Bartłomiej Wierzbicki Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2699-7487 ISBN 978-3-7370-1516-5
Inhalt
Glossar der verwendeten Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Biografische Aufzeichnungen: Identität und Fremdheit von Zofia Kossak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. 10. August 1889–31. August 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. September 1939–15. August 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. September 1945–9. April 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . .
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21 22 27 44
2. Die konspirative und publizistische Tätigkeit der Schriftstellerin . . 2.1. »Polska Z˙yje« [»Polen lebt«] und »Orle˛ta« [»Junge Adler«] . . . 2.2. »Biuletyn Informacyjny« [»Informationsbulletin«] . . . . . . . . 2.3. »Miecz i Pług« [»Schwert und Pflug«] . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. »Prawda« [»Die Wahrheit«] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. »Prawda Młodych« [»Die Wahrheit der Jugend«] . . . . . . . . . 2.6. »Rycerski Zakon Krzyz˙a i Miecza« [Ritterorden vom Kreuz und Schwert] und »Polska Zbrojna Moralnie« [»Das moralisch bewaffnete Polen«] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. »Znak« [»Das Zeichen«] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8. »Rzeczpospolita Polska« [»Republik Polen«] . . . . . . . . . . . 2.9. »Barykada Powis´la« [»Barrikade von Powis´le«] . . . . . . . . . .
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49 52 55 58 59 76
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85 86 87 89
3. Egodokumente von Zofia Kossak aus der Lagerzeit – Rechercheergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Die inoffizielle Lagerkorrespondenz: Kassiber, geheime und linke Briefe. Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Absender und Empfänger der inoffiziellen Korrespondenz . . . . 4.2. Die Thematik der Kassiber, geheimen und linken Briefe . . . . . .
115 124 131
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6
Inhalt
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141 147
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157 160
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.3. Die Sprache der Kassiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. In Erwartung des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Judenvernichtung im Lichte der Kassiber von KZ Majdanek und KZ Auschwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Informationen über die Evakuierung des Lagers und der Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7. Die Bedeutung der Kassiber, geheimen und linken Briefe . . . .
Glossar der verwendeten Begriffe
Egodokument – dieser Begriff wurde erstmals von Jacques Presser (1899–1970), einem niederländischen Historiker, Schriftsteller und Dichter, verwendet. Egodokumente sind Schriften, welche die persönlichen Interessen der Autoren widerspiegeln und die Geisteshaltung der Zeit wiedergeben; sie sind eng verbunden mit dem privaten Schrifttum: private Schriften, Selbstzeugnisse, Schriften in der ersten Person. Auf der Grundlage von Egodokumenten wurde ein neues Konzept für die Untersuchung von privaten Schriften erstellt, das die innere Erlebniswelt und die Art und Weise, wie ihre Autoren die äußere Welt wahrnehmen, aufzeigt. Kassiber – ist ein illegal an einen Gefangenen oder hinter die Mauern eines Gefängnisses bzw. Konzentrationslagers geschmuggelter Brief. Darin schreibt ein Gefangener Dinge, die in einem offiziellen Brief nicht vorkommen dürfen. Kassiber wurden auf Heftpapier, Maschinenpapier, Durchschreibepapier, auf Fetzen des Korrespondenzpapiers, auf eingeschmuggeltem Löschpapier bzw. Zigarettenpapier geschrieben. Erhalten sind auch auf Pergament- bzw. Transparentpapier und sogar auf der Rückseite von Werbeanzeigen oder Fetzen von Packpapier geschriebene Kassiber. Der Schmuggel von Kassibern aus dem Lager »nach draußen« und umgekehrt, wie auch von Berichten und Mitteilungen der inhaftierten Mitglieder der Widerstandsbewegung, erreichte Ausmaße, welche die Feststellung, dass während der deutschen Okkupation beispielsweise in Lublin und Auschwitz ein gut ausgebautes Netz von Untergrundpost existierte, voll und ganz rechtfertigen. Unter den schweren Okkupationsbedingungen stellte sie die Verbindung zwischen den Häftlingen im Lager und der Außenwelt sicher und erstreckte sich nicht nur auf die nahe gelegenen Städte und Dörfer, sondern auch auf weit entfernte Gebiete. Anzumerken ist, dass den erwischten Schleusern Lagerhaft drohte; Häftlinge wurden für die Aufrechterhaltung illegaler Kontakte und Übermittlung von Korrespondenz in der Regel mit Auspeitschung bestraft. Es gab allerdings auch Fälle, dass die Häftlinge wegen einer solchen Straftat zum Tode verurteilt wurden.
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Glossar der verwendeten Begriffe
Inoffizielle Korrespondenz – neben der offiziellen Korrespondenz aus den NSKonzentrationslagern und den während des Zweiten Weltkriegs betriebenen Haftanstalten und Gefängnissen existierte eine illegale Grauzone des Kommunikationsaustausches, und zwar Kassiber – Briefe an und von Inhaftierten, die durch die Zensur nicht kontrolliert wurden, sowie linke und geheime Briefe. Linke Briefe – die Bezeichnung stammt von Lagerinsassinnen aus Ravensbrück und bezieht sich auf die Korrespondenz, die von Mitgefangenen, die im Außenkommando Hohenlychen arbeiteten, aus dem Lager geschmuggelt und mit der üblichen Post verschickt wurde. Ab der Aufgabe bei der Post galt der linke Brief als offiziell. Empfänger linker Briefe waren die Angehörigen der Häftlinge. Geheime Briefe – sind Briefe, deren Inhalt von Lagerinsassinnen aus Ravensbrück in die Umschläge mit offiziellen Briefen geschrieben wurde. Sie enthielten Informationen, die in einen offiziellen Brief nicht aufgenommen werden durften (echte Informationen über Gesundheitszustand, Nahrungsmittelbedarf usw.). Offizielle Korrespondenz – auf der ersten der vier linierten Seiten waren die von dem Lagerkommandanten unterzeichneten Anweisungen1 zur Korrespondenz sowie die personenbezogenen Daten des Häftlings gedruckt. Die Korrespondenz unterlag strengen Anordnungen, sowohl bezüglich des Inhalts als auch der Form der Briefe. Die Korrespondenz musste auf Deutsch verfasst werden. Laut einer weiteren Anordnung der Lagerleitung musste die Korrespondenz leserlich und mit Tinte verfasst werden. Im Grunde genommen war alles verboten, insbeson1 Die vollständigen Anweisungen zur Korrespondenz (gedruckt auch auf den Briefumschlägen) lauteten folgenderweise: Konzentrationslager Auschwitz Folgende Anordnungen sind beim Schriftverkehr mit Häftlingen zu beachten: 1. Jeder Schutzhäftling darf im Monat zwei Briefe oder zwei Karten von seinen Angehörigen empfangen und an sie absenden. Briefe an die Häftlinge müssen lesbar mit Tinte, einseitig und in deutscher Sprache geschrieben sein. Gestattet sind nur Briefbogen in normaler Größe. Briefumschläge ungefüttert. Einem Briefe dürfen nur 5 Briefmarken à 12 Pf. der Deutschen Reichspost beigelegt werden. Alles andere ist verboten und unterliegt der Beschlagnahme. Lichtbilder dürfen als Postkarten nicht versendet werden. 2. Geldsendungen sind nur durch Postanweisungen gestattet. Es ist darauf zu achten, daß bei Geld- und Postsendungen die genaue Anschrift, bestehend aus Name, Geburtsdatum und Nr. angegeben ist. Bei fehlerhaften Anschriften geht die Post an den Absender zurück oder wird vernichtet. 3. Zeitungen sind gestattet, dürfen nur durch die Poststelle des K.L. Auschwitz bestellt werden. 4. Die Häftlinge dürfen Lebensmittelpakete empfangen, Flüssigkeiten und Medikamente sind jedoch nicht gestattet. 5. Gesuche an die Lagerleitung zwecks Entlassung aus der Schutzhaft sind zwecklos. 6. Sprecherlaubnis und Besuche von Häftlingen im Lager sind grundsätzlich nicht gestattet. Der Lagerkommandant.
Glossar der verwendeten Begriffe
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dere die Übermittlung von jeglichen Informationen über das Lager, die Situation der Gefangenen, Bezichtigungen, Strafen, Arbeit, Hunger, Leiden und Verfolgungen. Aus diesen Gründen gibt die »leichte« Lektüre der Briefe oft nicht die Tragödie wieder, die sich zwischen den trivialen Sätzen über das Wetter und den Zusicherungen hinsichtlich des Wohlergehens verbirgt. Gefängnisbrief – ist ein offiziell versandter Text, der von einem individuellen Absender, welcher in einem unter der Aufsicht von Funktionären des Dritten Reichs stehenden (z. B. Berlin) und auf dessen Territorium befindlichen Gefängnis inhaftiert war, an den tatsächlichen Empfänger (in der Regel an die engsten Familienangehörigen) gerichtet wurde. Die Briefverfasser waren Polen, die an Unabhängigkeitsbewegungen beteiligt waren, Flüchtlingen aus den besetzten Ländern halfen bzw. an Sabotageaktionen mitwirkten. Gefängnisbriefe können als Berichte über den Gefängnisaufenthalt bezeichnet werden, die eher frei verfasst wurden und Aufzeichnungen von Beobachtungen, Überlegungen und Kommentare des Absenders enthielten. Ein Brief aus dem Gefängnis war ein spezifisches Dokument, das die letzten Monate bzw. Tage eines zum Tode Verurteilten darstellte und sich auf die wichtigen Lebensfragen des Gefangenen bezog.
Einführung
Über Zofia Kossak (geboren am 10. August 1889 in Kos´min bei Lublin, gestorben am 9. April 1968 in Bielsko-Biała), polnische Schriftstellerin und Publizistin, sind bereits zahlreiche Studien und Abhandlungen von Literaturwissenschaftlern, Historikern, Theologen und Kulturwissenschaftlern entstanden2. Posthum wurde sie mit der Medaille »Gerechte unter den Völkern« (1982) und dem »Orden des Weißen Adlers« (2018) ausgezeichnet. Sie war Mitbegründerin zweier Untergrundbewegungen im besetzten Polen: Front für die Wiedergeburt Polens [Front Odrodzenia Polski] und Rat zur Unterstützung der Juden »Z˙egota« [Rada Pomocy Z˙ydom »Z˙egota«]. Ihre Werke wurden ins Englische, Deutsche3, Französische, Tschechische, Dänische, Finnische, Spanische, Niederländische, Japanische, Norwegische, Portugiesische, Slowakische, Italienische, Schwedische und Ungarische übersetzt. Die Schriftstellerin, in deren literarischem Nachlass sich Werke zu historischen und christlichen Themen befinden, gehört zu den Autoren, deren Schaffen einen bleibenden Wert hat, auch wenn wesentliche Elemente ihrer literarischen Weltanschauung bzw. künstlerischen Werkstatt heutzutage nicht mehr so populär wie noch vor Jahren sind, weil das Modell des Romans sich inzwischen verändert hat und die Orthodoxie von vielen als störend wahrgenommen wird. Das Interesse am Leben und Werk von Zofia Kossak, deren Romane sich bei Lesern und Kritikern in ganz Europa großer Beliebtheit und Anerkennung erfreuten, war vielseitig, unterschiedlich und vielschichtig. Zofia Kossaks erstes 2 Zu den neuesten gehören: D. Kulesza, Kossak-Szczucka. Słuz˙ba, Łódz´ 2021; Zofia Kossak. Bezcenne dziedzictwo, hrsg. von E. Hurnik, A. Wypych-Gawron´ska, E. Dziewon´ska-Chudy, mitverfasst von A. Warzocha, Cze˛stochowa 2020. 3 In deutscher Übersetzung wurde nur das Buch Das Antlitz der Mutter im Jahre 1948 in der Schweiz veröffentlich, das die polnische Geschichte in Umrissen beschreibt. Der polnische Text ist leider verloren gegangen und wurde bis heute nicht wiedergefunden. Dabei soll auf den Artikel von Krystyna Heska-Kwas´niewicz hingewiesen werden Co sie˛ stało z »Obliczem matki« Zofii Kossak? [Was ist mit »Das Antlitz der Mutter« von Zofia Kossak passiert?], veröffentlicht in: Krzyz˙owcy i nie tylko: studia i szkice o twórczos´ci Zofii Kossak, hrsg. von K. HeskaKwas´niewicz, K. Uniłowski, Katowice 2011, S. 179–182.
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Einführung
großes Buch Poz˙oga. Wspomnienia z Wołynia [Die Feuerbrunst. Erinnerungen aus Wolhynien] kam gut weg. In Rezensionen, Artikeln und Briefen von Józef Conrad4, Kazimierz Czachowski5 bzw. Stanisław Estreicher6, findet man lobende Worte über ihr Werk. Über Zofia Kossak schrieben bedeutende Gelehrte und Kritiker – u. a. Adam Grzymała-Siedlecki, Ferdynand Hoesik, Ignacy Fik oder Julian Krzyz˙anowski7, was ein unbestreitbarer Beweis dafür ist, dass ihr Schaffen auf Interesse bei den größten polnischen Literaturwissenschaftlern der Zwischenkriegszeit stieß. Sie selbst zählt zu den bekanntesten Schriftstellerinnen dieser Zeit, und laut Teodor Parnicki war sie die bedeutendste Autorin historischer Bücher. Die Rezeption ihrer Werke wurde von Barbara Pytlos in der Arbeit »Córa Sienkiewicza«, czy »Alicja w krainie czarów«. Z dziejów recepcji twórczos´ci Zofii Kossak [»Sienkiewicz’ Tochter« oder »Alice im Wunderland«. Zur Rezeptionsgeschichte der Werke von Zofia Kossak]8 eingehend behandelt. Die Sekundärliteratur zum Leben und Werk von Zofia Kossak aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs ist nicht sehr umfangreich. Erwähnenswert ist darunter eine Auswahl an konspirativen Texten der Autorin. Das durch die Herausgeber tendenziös um alle antisemitischen Bezüge gekürzte Buch wurde 1999 von Mirosława Pałaszewska und Stefan Jon´czyk herausgegeben: Zofia Kossak. W Polsce Podziemnej. [Zofia Kossak. Im Polnischen Untergrundstaat] mit einem Vorwort von Władysław Bartoszewski9. Die Arbeit von Krystyna Heska-Kwas´niewicz – Zwyczajna ´swie˛tos´c´. Wspomnienia o Zofii Kossak [Gewöhnliche Heiligkeit. Erinnerungen an Zofia Kossak]10, enthält eine Reihe interessanter Beiträge, Berichte und Artikel über Zofia Kossak, von denen viele sich auf die Kriegs- und Okkupationszeit beziehen und viel Licht auf diesen in der literaturgeschichtlichen 4 J. Conrad, Listy [Briefe], ausgewählt und bearbeitet von Z. Najder, Warszawa 1968, S. 431; Zofia Kossak i jej czasy [Zofia Kossak und ihre Zeiten], hrsg. von E.M. Kur, L. Sadzikowska, Siedlce 2019. 5 K. Czachowski, Ekspresjonizm i neorealizm [Expressionismus und Neorealismus], [in:] Obraz współczesnej literatury polskiej 1884–1934, Bd. 3., Warszawa-Lwów 1936. 6 S. Estreicher, Przedmowa [Vorwort], [in:] Poz˙oga. Wspomnienia z Wołynia, Kraków 1923. 7 Vgl. B. Pytlos, »Córa Sienkiewicza«, czy »Alicja w krainie czarów«. Z dziejów recepcji twórczos´ci Zofii Kossak, Katowice 2002, S. 14. 8 B. Pytlos, »Córa Sienkiewicza«, czy »Alicja w krainie czarów«. Z dziejów recepcji twórczos´ci Zofii Kossak, Katowice 2002. 9 Die Arbeit ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Sie enthält Informationen über die Schriftstellerin selbst (die Kapitel: Zofia Kossak, die konspirative »Weronika« von Stefan Jon´czyk und Zofia Kossak während der Okkupation von Mirosława Pałaszewska) sowie über die von der Schriftstellerin in der Kriegszeit verfassten Texte, die größtenteils noch nicht veröffentlicht wurden. Trotz deren hohen Erkenntniswerts darf nicht vergessen werden, dass es sich lediglich um eine Auswahl an Texten handelt, unter denen sich auch einige zensierte Texte befinden. 10 Zwyczajna ´swie˛tos´c´. Wspomnienia o Zofii Kossak [Gewöhnliche Heiligkeit. Erinnerungen an Zofia Kossak], hrsg. von K. Heska-Kwas´niewicz, Katowice-Cieszyn 1997.
Einführung
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Forschung oft übergangenen Lebensabschnitt der Schriftstellerin werfen. Viele Informationen über Zofia Kossak als Mitbegründerin der Front für die Wiedergeburt Polens [Front Odrodzenia Polski] sowie über das Milieu und die Umstände, in denen sie wirkte, findet man in der Dissertation von Andrzej Pawelczyk11. Beata Gdak hat unter wissenschaftlicher Leitung von Professor Krystyna Heska-Kwas´niewicz eine interessante Dissertation zum Thema Das literarische und journalistische Werk von Zofia Kossak in der Okkupationszeit12 geschrieben. Eine Bachelorarbeit über Literarische »Überlebensstrategien« in den Berichten von Frauen aus dem Frauenlager Auschwitz-Birkenau: Charlotte Delbo, Halina Birenbaum, Zofia Kossak-Szczucka, Seweryna Szmaglewska aus dem Jahr 2013 stammt von Monika S´lazyk13. Eine weitere wichtige Veröffentlichung sind die Erinnerungen von Anna Szatkowska14, Tochter der Schriftstellerin, denen man Detailliertes über das Leben ihrer Mutter, insbesondere in den Kriegsjahren, entnehmen kann. Den Erinnerungen von Anna Szatkowska ist es zu verdanken, dass man beinahe Tag für Tag nachvollziehen kann, was der Autorin von Poz˙oga unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges widerfuhr. Krzyz˙owcy i nie tylko: studia i szkice o twórczos´ci Zofii Kossak [Die Kreuzfahrer und mehr: Studien und Skizzen zu den Werken von Zofia Kossak]15 ist ein interessantes Buch mit sechzehn Abhandlungen, die in zwei Teile aufgeteilt sind. Der erste Teil enthält Analysen zum Werk von Zofia Kossak: historische Romane, dokumentarisch-publizistische Arbeiten, Prosa mit autobiografischen Elementen, Werke, die vom Leben der Heiligen inspiriert sind. Sie beschäftigen sich mit dem Verhältnis zwischen einem literarischen Text und der Geschichtsschreibung, Determinanten eines Dokuments bzw. einer Autobiographie. Des Weiteren werden auch solche Themen angesprochen, wie die Frauenerfahrung im Schaffen von Kossak, ihre Haltung gegenüber den zivilisatorischen und kulturellen Herausforderungen der Moderne, Versuche der Schriftstellerin, die gewählten literarischen Konventionen zu modernisieren, sowie ihre Auseinandersetzung mit der Lagererfahrung. Der zweite Teil umfasst Artikel über Inedita, verstreute bzw. verloren gegangene Texte, sowie über das Archiv der Schriftstellerin und ihre Bibliothek, die sich im Museum in Górki Wielkie [Groß Gurek] befindet. 11 A. Pawelczyk, Konspiracyjna organizacja katolików Front Odrodzenia Polski, Lublin 1989 (unveröffentlichte Dissertation unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Jerzy Kłoczkowski). 12 B. Gdak, Okupacyjna twórczos´c´ literacka i dziennikarska Zofii Kossak, Katowice 2012 (unveröffentlicht). 13 M. S´lazyk, Literackie »strategie przetrwania« w kobiecych relacjach z obozu kobiecego Auschwitz-Birkenau: Charlotte Delbo, Halina Birenbaum, Zofia Kossak-Szczucka, Seweryna Szmaglewska, Kraków 2013 (unter wissenschaftlicher Leitung von Kazimierz Adamczyk). 14 A. Szatkowska, Był dom… Wspomnienia [Es war ein Haus … Erinnerungen], Kraków 2007. 15 Krzyz˙owcy i nie tylko: studia i szkice o twórczos´ci Zofii Kossak…
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Einführung
Darüber hinaus sind die Veröffentlichungen von Joanna Jurgała-Jureczka zu beachten: Dzieło jej z˙ycia. Opowies´´c o Zofii Kossak [Das Werk ihres Lebens. Die Geschichte von Zofia Kossak] (ein Kapitel ist dem Leben der Schriftstellerin in der Kriegs- und Okkupationszeit gewidmet. Es handelt sich in erster Linie um eine ansprechende Biografie mit kurzen Angaben zu den in der Okkupation entstandenen Texten und zum Ort deren Veröffentlichung), sowie Zofia Kossak. Opowies´´c biograficzna [Zofia Kossak. Eine biografische Geschichte], in der das Leben der Schriftstellerin mit großer Akribie dargestellt wurde. Bemerkenswert ist auch die Autorenbiografie aus der Feder von Bogumiła Bittner-Burkot und Anna Fenby Taylor, der Enkelin der Schriftstellerin: Zofia Kossak SzczuckaSzatkowska (Górki Wielkie 2016). Zu erwähnen ist auch die bedeutende, wenn auch umstrittene Arbeit Czas nienawis´ci i czas troski. Antysemitka, która ratowała Z˙ydów [Zeit des Hasses und Zeit der Liebe. Zofia Kossak-Szczucka – eine Antisemitin, die Juden rettete] von Carla Tonini16. Die italienische Geschichtsforscherin, deren Forschungsbereich die Geschichte Osteuropas umfasst, beschäftigt sich in ihrem Buch vor allem mit der Biografie und Publizistik der Schriftstellerin in der Kriegszeit. Obwohl die Historikerin versucht, Zofia Kossak in allen ihren Facetten darzustellen, indem sie auf ihre Wurzeln, die aufständischen Traditionen in ihrem Familienhaus zurückgreift, setzt sie sich hauptsächlich mit der Frage des Antisemitismus auseinander, der Zofia Kossak zugeschrieben wird, was eher unverständlich ist, wenn man bedenkt, dass diese Mitbegründerin der einzigen institutionalisierten Einrichtung in ganz Europa war, die sich mit der Rettung von Juden befasste. Die Animositäten und Diskussionen um die Schriftstellerin sind oft weltanschaulicher Herkunft. Krystyna Heska-Kwas´niewicz äußert sich dazu folgendermaßen: Zofia Kossaks Wahrheit über das Konzentrationslager ist die Wahrheit einer zutiefst religiösen Person, und nur unter diesem Gesichtspunkt wird sie verständlich; die moralische Bewertung menschlicher Phänomene und Haltungen ist konsequent durch die Weltanschauung der Schriftstellerin geprägt. Diese Sichtweise irritierte Tadeusz Borowski so sehr, dass er in einer berühmten Polemik die Schriftstellerin verleumdete, indem er gar eine Schmähschrift verfasste.17 16 C. Tonini, Czas nienawis´ci i czas troski. Zofia Kossak-Szczucka antysemitka, która ratowała Z˙ydów [Zeit zu hassen und Zeit zu lieben. Zofia Kossak-Szczucka – eine Antisemitin, die Juden rettete], Torino 2005. 17 K. Heska-Kwas´niewicz, Bestialstwo i heroizm, czyli o literaturze lagrów i łagrów [Bestialität und Heldentum – über die Literatur der Lager und Gulags, [in:] Antologia literatury lagrów i łagrów, Auswahl, Vorwort und Kommentar von K. Heska-Kwas´niewicz, Katowice 1997, S. 20. Es ist anzumerken, dass Zofia Kossaks Erinnerungen Z otchłani [Aus dem Abgrund] im damaligen katholischen Milieu gut aufgenommen wurden. Die Schriftstellerin wurde allerdings von Tadeusz Borowski angegriffen, der ihr vorwarf, die Tatsachen zu verfälschen, übernatürliche Kräfte in das Lager einzuführen und nicht zu bekennen, was sie selbst in dieser schwierigen Zeit getan hat. In der Tat gab Zofia Kossak nicht bekannt, ob sie zu
Einführung
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An dieser Stelle ist auf zwei Arbeiten von Dariusz Kulesza hinzuweisen: Dwie prawdy. Zofia Kossak i Tadeusz Borowski wobec obrazu wojny w polskiej prozie lat 1944–1948 [Zwei Wahrheiten. Zofia Kossak und Tadeusz Borowski zum Bild des Krieges in der polnischen Prosa 1944–1948]18 und Kossak-Szczucka. Słuz˙ba [Kossak-Szczucka. Dienst] – herausgegeben 2021 in Łódz´, in der das Schaffen der Schriftstellerin als christliche, separate, einsame, durch einen religiös gedeuteten Dienst motivierte Literatur dargestellt wird. Der Autor zeigt sie im Kontext dreier Kategorien: Familie, Polen und Glaube, und zeichnet in den folgenden Kapiteln die für Kossak entscheidende, ideologische Thematik nach, die sowohl in ihren Büchern aus der Vorkriegszeit, als auch in den nach dem Krieg veröffentlichten Texten vorkommt. Von Bedeutung sind ebenfalls die Erläuterungen von Grzegorz Bachanek in Motywy z˙ycia i nadziei w refleksji Zofii Kossak-Szczuckiej nad dos´wiadczeniem egzystencji w wie˛zieniu i obozie koncentracyjnym [Motive des Lebens und der Hoffnung in Reflexionen von Zofia Kossak-Szczucka über die Erfahrung der Existenz im Gefängnis und Konzentrationslager]19. Im Jahre 2018 wurde der Artikel von Justyna Kowalska-Leder mit dem Titel Skaza na portrecie – postac´ Zofii Kossak w relacjach byłych wie˛z´niarek Birkenau [Ein Makel am Porträt – die Person von Zofia Kossak in den Berichten von ehemaligen Lagerinsassinnen von Birkenau20 veröffentlicht. Aus dem Jahre 2021 stammt der Beitrag von Krystyna Heska-Kwas´niewicz und Lucyna Sadzikowska »Najcie˛z˙sza udre˛ka w lagrze«, czyli o jednym lis´cie Zofii Kossak [»Die schwerste Qual im Lager« – über einen Brief von Zofia Kossak]21. In der Vergangenheit erschienen in der Presse, auch in Illustrierten, Artikel über das Leben und Werk von Zofia Kossak in der Kriegszeit, wobei man den Eindruck haben kann, dass sie darauf abgezielt waren, Aufsehen zu erregen22. Auf
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denjenigen gehörte, die Pakete organisierten und bekamen, ob sie sich hat »muslimisieren« lassen, oder ob sie hungerte und ihr Schicksal mit Würde trug. Tadeusz Borowski stellt fest, dass die Schriftstellerin in fast jedem Satz phantasierte, warf ihr Irrtümer vor, von sprachlichen Fehlern, über willkürliche Interpretation von Tatsachen, bis hin zu absurden historiosophischen Konzepten. Z otchłani stempelte er kurz und knapp als schlechtes, falsches und vor allem – als literarisch unglaublich schwaches Buch ab. Nichts mehr als das Tagebuch von »Alice im Wunderland«. Vgl. T. Borowski, »Alicja w krainie czarów« [»Alice im Wunderland«], »Pokolenie« Nr. 1/1947. D. Kulesza, Dwie prawdy. Zofia Kossak i Tadeusz Borowski wobec obrazu wojny w polskiej prozie lat 1944–1948, Białystok 2006. G. Bachanek, Motywy z˙ycia i nadziei w refleksji Zofii Kossak-Szczuckiej nad dos´wiadczeniem egzystencji w wie˛zieniu i obozie koncentracyjnym, »Kultura – Media – Teologia« 2018 (33), Nr. 2, S. 126–143. J. Kowalska-Leder, Skaza na portrecie – postac´ Zofii Kossak w relacjach byłych wie˛z´niarek Birkenau, »Acta Universitatis Lodziensis. Folia Litteraria Polonica« Bd. 47 (2018), S. 93–103. K. Heska-Kwasniewicz, L. Sadzikowska, »Najcie˛z˙sza udre˛ka w lagrze«, czyli o jednym lis´cie Zofii Kossak, »Arcana« 2021, Nr. 3, S. 115–123. Gemeint sind folgende Texte: A. Klich, Wszechpolak ukradł dekalog, [in:] »Wysokie Obcasy«, Beilage zu »Gazeta Wyborcza«, 24. 03. 2007, Nr. 12 (413); P. Zychowicz, Antysemitka, która
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Einführung
Hinweise auf die Person von Zofia Kossak aus den Kriegsjahren stößt man auch in Artikeln und wissenschaftlichen Arbeiten, die sich meist mit dem polnischen Antisemitismus und der Mitverantwortung der Polen für den Holocaust auseinandersetzen23. Im Internet ist auch das Filmmaterial Pojedynek stulecia: Zofia Kossak-Szczucka – Tadeusz Borowski [Das Duell des Jahrhunderts: Zofia KossakSzczucka – Tadeusz Borowski] zugänglich (https://vod.tvp.pl/video/pojedynki-s tulecia,zofia-kossakszczucka-tadeusz-borowski,39870344). Der kompetenteste Zeuge und zuverlässigste Leser der Werke von Zofia Kossak war Władysław Bartoszewski24, der, sofern möglich, losgelöst von seinen persönlichen, subjektiven Erfahrungen, ein Buch über die Gemeinsamkeiten von Juden und Polen unter den schrecklichen Bedingungen der nationalsozialistischen Vernichtung schrieb. In Polacy. Z˙ydzi. Okupacja. Fakty, postawy, refleksje [Polen. Juden. Okkupation. Tatsachen, Haltungen, Reflexionen]25 beschreibt Bartoszewski, was die Polen konkret taten, um den Juden zu helfen, und was sie nicht taten. Und was sie nicht tun konnten. Über Gleichgültigkeit, Gemeinheit und Heldentum. Über gegenseitige Kontakte zwischen der polnischen und jüdischen Untergrundbewegung. Über Zofia Kossak. In der Forschung über das Schaffen der Schriftstellerin fehlt eine umfassende Analyse der schriftstellerischen Tätigkeit von Zofia Kossak und – im weiteren Sinne – der von ihr übermittelten Erfahrung von Menschlichkeit, Fremdheit und Identität in der Okkupationszeit. Es steht fest, dass sich Zofia Kossak in der Kriegs- und Okkupationszeit – bis auf einige kleinere literarische Formen – hauptsächlich mit der Publizistik beschäftigte26. Der fünfjährige Lebensabschnitt
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ratowała Z˙ydów, [in:] »Rzeczpospolita«, 25.–26. 10. 2008, Nr. 251 (8152); Sławomir Buryła, Katoliczka, patriotka, antysemitka, [in:] »Gazeta na S´wie˛ta«, Beilage zu »Gazeta Wyborcza«, 24.–26. 12. 2008; M. Sagolewska, Ciotka Zofia w konspiracji, »Uwaz˙am Rze«, Nr. 34/2011, S. 68–71. Um nur einige zu nennen: J. Leociak, Ratowanie. Opowies´ci Polaków i Z˙ydów, Kraków 2010; J. Kowalska-Leder, Polacy z pomoca˛ Z˙ydom – problem poczucia winy i upokorzenia, [in:] Wojna i postpamie˛´c, hrsg. von Z. Majchrowski, W. Owczarski, Gdan´sk 2011. Władysław Bartoszewski, Pseudonym »Ludwik«, »Teofil« (geboren am 19. Februar 1922 in Warschau, gestorben am 24. April 2015 in Warschau) – polnischer Historiker, Publizist, Journalist, Schriftsteller, Sozialaktivist, Politiker und Diplomat; Lagerinsasse in Auschwitz, Offizier der Polnischen Heimatarmee, Aktivist des polnischen Untergrundstaates, Teilnehmer am Warschauer Aufstand. Zweimal Außenminister, Senator der 4. Amtsperiode, von 2007 bis 2015 Staatssekretär in der Kanzlei des Premierministers; Ritter des Ordens des Weißen Adlers, Gerechter unter den Völkern. W. Bartoszewski, Polacy. Z˙ydzi. Okupacja. Fakty, postawy, refleksje, Kraków 2016. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste Zofia Kossak mehrere Erzählungen, in denen sie ihre persönlichen Erfahrungen aus der Okkupationszeit thematisierte. Zu den wichtigsten gehören: Pamie˛tne jasełka [Unvergessliches Krippenspiel], Konspiracja w konspiracji [Konspiration im Untergrund], Nagla˛ce wołanie [Dringender Aufruf] und Wigilia na Pawiaku [Heiligabend in Pawiak].
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in der Biografie der Schriftstellerin, deren Schaffen mit den Werken von Henryk Sienkiewicz gleichgesetzt wird, darf allerdings nicht unerforscht bleiben. Um die wichtigsten Fragen zum Leben und Werk von Zofia Kossak während des Zweiten Weltkriegs zu formulieren, muss zunächst geklärt werden, warum die Schriftstellerin dem Okkupanten missfiel – abgesehen davon, dass sie eine intelligente Frau war – weswegen man sie als eine zu liquidierende Person betrachtete. In den Büchern Wielcy i mali [Die Großen und die Kleinen] (1927), Legnickie pole [Die Walstatt von Liegnitz]27 (1930), sowie in der Sammlung von Kurzgeschichten und Reportagen – Nieznany kraj [Unbekanntes Land] (1932), welche sich auf die Geschichte des Landes von der Regierungszeit Bolesław Chrobrys bis zum Dritten Schlesischen Aufstand und weiter, bis in die Gegenwart, bezieht, spiegelte Zofia Kossak ihre innigen Gefühle und Bewunderung für die Beskiden, das schlesische Land und dessen Bewohner, die zu allen Zeiten zu Polen hielten, wider. In den zuvor genannten Werken erschloss die Schriftstellerin dem Leser neue Bereiche der Geschichte und neue Heimatlandschaften, sie entdeckte Wege und Pfade in das Innere des »unbekannten Landes«, welches Schlesien bisher für Polen war. Durch die Schicksale ihrer Protagonisten bringt Zofia Kossak dem Leser die Geschichte der Region und deren Landschaften näher. Während sie über Schlesien schrieb, ließ sie die Frage der polnisch-deutschen bzw. schlesischdeutschen Beziehungen nicht außer Acht. Die Deutschen werden in ihren Werken als ewiger Feind Polens, Zerstörer und Verletzer der polnischen Freiheit und Unabhängigkeit dargestellt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ihre Haltung gegenüber den Deutschen, die in ihren Romanen, Erzählungen und Reportagen zum Ausdruck kommt, dazu führte, dass nach Zofia Kossak schon bald nach dem Kriegsausbruch von der Gestapo28 gefahndet wurde und man im Frühjahr 1940 ihren Namen und alle ihre Werke auf die Liste verbotener Bücher setzte29. Das Wissen darüber, dass Zofia Kossak durch den Okkupanten als unerwünschtes Element behandelt und auf die Liste der Personen, welche die Einheit der deutschen Nation bedrohten, gesetzt wurde, veranlasste mich dazu, mich 27 1930 wurde in Deutschland Legnickie pole (Die Walstatt von Liegnitz) in der Übersetzung von Otto Forst de Battaglia – einem hervorragenden Literaturhistoriker, Essayisten und Literaturkritiker, herausgegeben. Der Roman kam auch in Tschechisch und Slowenisch heraus. 28 M. Pawłowiczowa, »Nieznany kraj« Zofii Kossak w słuz˙bie integracji zmartwychwstałego pan´stwa [»Unbekanntes Land« von Zofia Kossak im Dienste der Integration des auferstandenen Staates], [in:] Ksia˛z˙ka polska na S´la˛sku w latach 1922–1945. Zarys problematyki, Vgl. B. Pytlos, »Córa Sienkiewicza«, czy…, ebd., S. 51. 29 Die Originallisten verbotener Werke befinden sich in Muzeum Niepodległos´ci [Museum der Unabhängigkeit] in Warszawa: Liste des deutschfeindlichen, schädlichen und unerwünschten polnischen Schrifttums, Nr. 1, 30. 04. 1940; Nr. 2, 31. 10. 1940; Nr. 3, ohne Datum der Bekanntgabe; Nr. 4, 31. 12. 1943.
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nicht mit dem gesamten Werk von Zofia Kossak auseinanderzusetzen, sondern nur mit dem Teil, der durch die Kriegsperspektive wesentlich begrenzt ist. Das wichtigste Kriterium bildet der zeitliche Rahmen des analysierten Materials, der mit dem Beginn und Ende des Zweiten Weltkriegs einhergeht. Meine Analyse widmet sich verschiedenen Aspekten, die den in der polnischen Literatur aus der Zeit der deutschen Besatzung 1939–1945 und bei Zofia Kossak selbst erhaltenen Glauben an den Menschen ausmachen. Ziel der Arbeit ist es, eine neue Lesart der publizistischen Werke der Schriftstellerin vorzuschlagen, das Wirken der Autorin von Przymierze [Der Bund] in der Kriegszeit aus einer zeitgenössischen Perspektive zu betrachten, die für den heutigen deutsch-polnischen Leser relevante Botschaft hervorzuheben und auf die Merkmale hinzuweisen, die über den Wert und die Unvergänglichkeit der Werke von Zofia Kossak entscheiden. In der Arbeit werden zum ersten Mal die von Zofia Kossak aus dem Pawiak und Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gesandten Kassiber veröffentlicht. Sie wurden als Ergebnis einer mehrmonatigen Recherche in den archivischen Sammlungen von Władysław Bartoszewski im Instytut Pamie˛ci Narodowej [Institut für Nationales Gedenken] entdeckt. Das Eröffnungskapitel, dem ein Glossar der in der Arbeit verwendeten Begriffe vorangestellt ist, bezieht sich auf wichtige Ereignisse im Leben der Schriftstellerin, die sich auf ihr literarisches Schaffen auswirkten und ihre Weltanschauung bzw. ihren Moralkodex nachvollziehen lassen. In dem dargestellten Biogramm von Zofia Kossak werden sowohl bekannte Tatsachen als auch weniger bekannte Episoden aus dem Leben der Schriftstellerin berücksichtigt und bisher nicht behandelte Themen bzw. Fragestellungen analysiert, wobei der Schwerpunkt auf den Problemen der Fremdheit und Identität liegt. Als Fortsetzung der Überlegungen zu Kossaks patriotischer und christlicher Haltung werden im nächsten Kapitel jene Tatsachen aus dem Leben der Schriftstellerin sowie Beispiele aus ihren konspirativen publizistischen Werken angeführt, die ihre unerschütterliche Weltanschauung und Treue zu den christlichen Idealen bezeugen. Anhand der Analyse von ausgewählten publizistischen Arbeiten, in denen die für ihr Schaffen wichtigen Fragestellungen im Mittelpunkt stehen und verschiedene – historische, soziale, kulturelle und philosophische – Kontexte erschlossen werden, wird auf die Elemente hingewiesen, welche die Grundlagen der Weltanschauung von Zofia Kossak geformt hatten (z. B. die von Heiligen bzw. historischen Helden vertretenen Haltungen, die die Schriftstellerin inspirierten, wie Piotr Skarga, der Heilige Stanislaus Kostka, Boleslaw III. Schiefmund). Des Weiteren umfasst die Analyse Egodokumente, unbekannte und inoffizielle Briefe, sowie Kassiber, die Zofia Kossak aus dem Gefängnis und Lager sandte. Durch eine Rekonstruktion der einzelnen Etappen der Recherche in den staatlichen Archiven wird ein Versuch unternommen, die in den Quellen vorhande-
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nen Zeugnisse als eine so genannte Lebensgeschichte, deren Erstellung heutzutage im Trend liegt, darzustellen. Eine solche Lebensgeschichte besteht nicht aus politischen Traktaten und großen Schlachten, sondern vor allem aus dem Schicksal von Menschen, Familien und Kindern – sie ist eine Beschreibung dessen, was sie vor dem Hintergrund des Weltgeschehens erlebt haben30. Die Lektüre und Analyse von Quellen, wie z. B. den Kassibern von Zofia Kossak, macht deutlich, dass die in den Geisteswissenschaften grundlegende, individuelle Perspektive in persönlichen Dokumenten festgehalten werden kann. Aus diesem Grund erfolgt im nächsten Kapitel die Analyse der inoffiziellen Lagerkorrespondenz – Kassiber bzw. linker und geheimer Briefe. Meines Erachtens ist es mittels hermeneutischer Verfahren möglich, Egodokumente als Material für einen Philologen und – im weiteren Sinne – für einen Geisteswissenschaftler zu verwenden. Die Kassiber von Zofia Kossak und anderen Konzentrationslager- und Gefängnisinsassen haben eine zutiefst ethische Dimension, was als deren übergeordneter Wert anzusehen ist. Die Arbeit schließt mit dem Versuch einer synthetischen Zusammenfassung der geistigen Erfahrungen, des Lebens und Schaffens von Zofia Kossak in den Jahren des Zweiten Weltkriegs. Die einzelnen Kapitel bilden autonome Bestandteile der Arbeit. Manche von ihnen hatten bereits vor deren Veröffentlichung funktioniert (die aktuelle Fassung des Kapitels über die inoffizielle Lagerkorrespondenz unterscheidet sich von der ursprünglichen). Das Buch enthält auch bisher unveröffentlichte Materialien – die Kassiber von Zofia Kossak. In Bezug darauf ist die Haltung eines geduldigen Lesers einzunehmen, der sozusagen nicht zu viel erwartet. Nicht immer ist es nämlich möglich, den Inhalt des vorhandenen Materials zu deuten. Nichtsdestoweniger war es meine Absicht, der Forschung über die Werke von Zofia Kossak aus der Kriegs- und Okkupationszeit ein wertvolles dokumentarisches Material zur Verfügung zu stellen, dessen grundlegender Wert unbestritten ist. Ich gehe nämlich davon aus, dass die Egodokumente ein Medium sind, wo aus dem Vergangenen die Gegenwart und Zukunft entstehen. Es handelt sich um einen Stoff, aus dem die Tatsachen, welche der Geschichtsschreibung und den Interpretationen zugrunde liegen, abgeleitet werden. Ich bin dem Leser noch eine Ergänzung schuldig, die sich auf die Entstehungsgeschichte dieser Arbeit bezieht und für einen ausländischen Leser eine Art Entschlüsselungscode bieten kann. Auf die Frage danach, was sie im Leben erreicht habe, antwortete Zofia Kossak folgendermaßen: Meiner persönlichen Meinung nach gehören zu meinen Leistungen: die Arbeit im Untergrund und das Überleben von Auschwitz. Aus dem letzteren kam ich in einer äußerst schlechten 30 D. Kondratiuk, Przedmowa [Vorwort], [in:] Henryk Perkowski. Przez˙yc´ kaz˙dy dzien´. Wspomnienia obozowe 1944–1945, hrsg. von P. Sobieszczak, Łapy 2014, S. V.
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körperlichen, aber in der bestmöglichen geistigen Verfassung heraus.31 Die angeführten Worte der Schriftstellerin wurden zum Ausgangspunkt für meine Forschung, Recherchen und Überlegungen, deren Ergebnisse nun in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden. *** Ich möchte mich bei Prof. Dr. Krystyna Heska-Kwas´niewicz für die gründliche Lektüre, ihren sachlichen Kommentar und viele weiterführende Anmerkungen bedanken, die bei der Korrektur der Arbeit und Redaktion des Textes besonders hilfreich waren. Ich bedanke mich bei dem Übersetzer – Dr. Krzysztof Kłosowicz, für seine sorgfältige Arbeit. Mein Dank gilt auch Prof. Renata Dampc-Jarosz und Prof. Marta Tomczok für ihre Hilfsbereitschaft und stundenlange Diskussionen. Darüber hinaus möchte ich auch meiner Familie und meinen Freunden für anregende Gespräche, Unterstützung und Motivation zu weiteren wissenschaftlichen Herausforderungen danken.
31 A. Szafran´ska, Kossak-Szatkowska, Warszawa 1968, S. 57.
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Biografische Aufzeichnungen: Identität und Fremdheit von Zofia Kossak
Über Zofia Kossak – eine Schriftstellerin, deren Bücher in mehrere Sprachen übertragen wurden und deren Werk Das Antlitz der Mutter aus dem Jahre 1948 nur in deutscher Übersetzung erschien – sowie über ihren unschätzbaren kulturellen Nachlass32 ist bereits viel geschrieben worden. Die komplexe, facettenreiche, adlig-künstlerische Biografie33 von Zofia Kossak, einem dramatischen Wesen34, stellt unter Beweis, dass die Enkelin von Juliusz Kossak35 ein außergewöhnliches Leben hatte, in dem sie immer sie selbst war. In ihrem Handeln, Schaffen bzw. Zusammensein mit anderen Menschen täuschte sie nie vor, jemand anderer zu sein. Durch ihr Leben und Werk zeigte sie der Umgebung und sich selbst Selbstwertgefühl36, Verständnis und Identifizierung; sie identifizierte sich mit den Elementen der sozialen Wirklichkeit, denen sie von Kindheit an treu blieb und zu denen sie sich bekannte. In ihrer Biografie sind die persönliche Identität und insbesondere eine starke nationale Identität unzertrennlich mit dem Identitätsgefühl, Selbstbewusstsein verknüpft. Charakteristisch war für Zofia Kossak eine gemeinschaftliche Dimension des Wertes von Erinnerungsorten, die sich durch deren Verständnis in einem in der Kultur fest 32 Ich beziehe mich hier auf den Titel eines Sammelbands, das 2020 in Tschenstochau veröffentlicht wurde: Zofia Kossak – Bezcenne dziedzictwo [Zofia Kossak – Unschätzbarer Nachlass], hrsg. von E. Hurnik, A. Wypych-Gawron´ska, E. Dziewon´ska-Chudy, mitverfasst von A. Warzocha, Cze˛stochowa 2020. 33 Eine Biografie von Zofia Kossak enthält das Buch von Joanna Jurgała-Jureczka Zofia Kossak. Opowies´c´ biograficzna [Zofia Kossak. Eine biografische Geschichte], Warszawa 2014. Vgl. auch: J. Jurgała-Jureczka, Kobiety Kossaków [Die Frauen von Kossaks], Warszawa 2015. 34 »Ein dramatisches Wesen zu sein, bedeutet: zu einer bestimmten Zeit und auf eine bestimmte Art und Weise zu existieren und sich den anderen und der Welt – der Bühne – zu öffnen«. J. Tischner, Filozofia dramatu [Philosophie des Dramas], Kraków 1998, S. 10. 35 Juliusz Fortunat Kossak (* 29. Oktober 1824 in Nowy Wis´nicz, † 3. Februar 1899 in Kraków) – polnischer Maler, Zeichner und Illustrator. Er spezialisierte sich auf Historien- und Schlachtenmalerei; sein Lieblingsmotiv waren Pferde. Er malte kleinformatige Werke hauptsächlich in Aquarelltechnik. 36 M. Ossowska, Normy moralne. Próba systematyzacji [Moralische Normen. Ein Versuch der Systematisierung], Warszawa 1985.
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Biografische Aufzeichnungen: Identität und Fremdheit von Zofia Kossak
verankerten Kontext manifestierte. Zofia Kossaks Fremdheit lässt sich als Nichtzugehörigkeit zu einem Kreis von Menschen, Sachen bzw. Dingen definieren, denen die Prinzipien des Christentums, der Güte und der Hilfeleistung fern waren. Sie akzeptierte weder Unhöflichkeit, unfreundliche Behandlung von Menschen noch Respektlosigkeit gegenüber der Natur. Sie war verständnisvoll gegenüber ihren Mitmenschen und hegte eine aufrichtige Liebe zu Tieren. Ihren Kindern brachte sie das Verantwortungsgefühl für sich selbst und die Umgebung, die Ausdauer, sich anzustrengen, um ein Ziel zu erreichen, sowie die Fähigkeit, kleinere Widrigkeiten mit Heiterkeit und Geduld zu ertragen, bei. In Anlehnung an ihre Vergangenheit und die schwierigen Erfahrungen und Ereignisse, die ihr zuteilwurden, schaffte sie es, die Gegenwart zu diagnostizieren sowie Überlegungen über die wichtigsten Aufgaben für die Zukunft und die Herausforderungen für Kultur, Heimat und Nation anzustellen. In ihren Büchern und in der privaten Korrespondenz betonte sie immer wieder, dass der Respekt vor der Heimat, soziale Liebe, Achtung für die Nation, aus der man herstammt, für die einheimische Kultur, sowie die Förderung patriotischer Haltungen, nicht nur aus der Perspektive der eigenen Gemeinschaft, sondern auch im Hinblick auf die gesamte polnische Nation von Bedeutung sind. Zofia Kossak zufolge fokussieren sich die patriotischen Ideen der Schlesier auf eine Reihe anderer Werte. Dazu gehören vor allem: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Verantwortlichkeit, Opferbereitschaft, Ehre, Loyalität, Tradition, Arbeit, Gemeinwohl, Liebe, Respekt, Familie und gute Umgangsformen. Ohne sie sei es schwierig, irgendeine Gemeinschaft oder Identität aufzubauen. Die oben genannten Eigenschaften, die den Status von Tugenden haben, seien autonom wertvoll, d. h. »an und für sich« positiv und könnten daher – im Lichte der Feststellungen von Jadwiga Puzynina – zur Klasse der absoluten (endgültigen)37 Werte gehören. Gleichzeitig forderte die Schriftstellerin, die Arbeit als Berufung und Dienst zu betrachten, sich selbst gegenüber kritisch zu sein, das Leben ständig zu verbessern, das Unbekannte zu zähmen und die Menschen mit Freundlichkeit zu vereinen. An jedem Handeln von Zofia Kossak konnte man eine große Verantwortung für das Wort erkennen.
1.1. 10. August 1889–31. August 1939 Zofia Kossak ist am 10. August 1889 in Kos´min in der Region Lublin als Tochter von Tadeusz Kossak (dem Zwillingsbruder von Wojciech) und Anna KisielnickaKossakowa, Cousine der Satirikerin Magdalena Samozwaniec, der Dichterin Maria Pawlikowska-Jasnorzewska und des Malers Jerzy Kossak, geboren. Zu37 J. Puzynina, Je˛zyk wartos´ci [Sprache der Werte], Warszawa 1992, S. 39.
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Abb. 1: © Zofia Kossak-Szatkowska-Museum in Górki Wielkie. Die Widmung lautet: Dem freundlichsten Pädagogen zur Erinnerung an die letzten gemeinsamen Stunden in Kos´min von dem Autor und Illustrator als Zeichen der Liebe und des Respekts. Die vierbändige Erzählung Jak pedagog chorował [Wie der Pädagoge krank war] kann wahrscheinlich als Zofia Kossaks literarisches Kinderdebüt angesehen werden.
sammen mit ihren vier Brüdern wurde sie von ihren Eltern auf einem Landgut großgezogen. Den Kindern wurden nationale Traditionen, Respekt vor der Kultur und Faszination für die Geschichte mitgegeben. Die idyllische Kindheit von Zofia Kossak wurde durch dramatische Ereignisse unterbrochen: Brand des Familienhauses, Tod von zwei Brüdern, Inhaftierung des Vaters, der sich sozi-
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Biografische Aufzeichnungen: Identität und Fremdheit von Zofia Kossak
alpolitisch gegen die Teilungsmächte engagierte, sowie die daraus resultierende Notwendigkeit, eine hohe Kaution für ihn zu zahlen. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten beschlossen die Eltern der Schriftstellerin, Kos´min zu verkaufen, und ließen sich um 1910 in Skowródki bei Starokonstantynów in Wolhynien nieder, wo sie mehrere Landgüter des Grafen Józef Potocki pachteten. Die Veränderungen, anfängliche Fremdheit der Umgebung und die Notwendigkeit, sich an die neuen Lebensbedingungen anzupassen, hinderten Zofia Kossak nicht daran, ihre Leidenschaft und ihr Talent weiter zu entwickeln, indem sie ihre eigenen illustrierten Romane schuf. Sie wurden in der Monatszeitschrift »Wies´ ilustrowana« [»Illustriertes Land«] und in der zweiwöchentlichen Zeitschrift »Wies´ i Dwór« [»Land und Hof«] veröffentlicht. Sie nahm Zeichenunterricht im Atelier des Malers Karol Tichy in Warschau auf und studierte anschließend an der École des Beaux Arts in Genf und setzte damit die Liebe ihrer Familie zur bildenden Kunst fort. Ihr Studium der Malerei in der Schweiz wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrochen. 1915 heiratete sie in Starokonstantynów Stefan Szczucki, den Verwalter eines Landgutes in Nowosielica. Am 28. Juli 1916 kam ihr erster Sohn – Juliusz, und am 18. August 1917 der zweite – Tadeusz, zur Welt. Gemeinsam mit ihrem ersten Ehemann, Stefan Szczucki erlebte sie 1917 in Wolhynien die blutigen Bauernproteste und den Einmarsch der Bolschewiki. Nowosielica und Nowogródek wurden ebenso wie andere Landgüter und Gutshöfe in Grenzgebieten [pol. Kresy] geplündert. Im Herbst 1919, nach dem Kriegsende, zog die Familie Szczucki nach Lemberg. Kossaks seit der bolschewistischen Revolution in Form eines Tagebuchs niedergeschriebenen Erinnerungen wurden 1922 unter dem Titel Poz˙oga. Wspomnienia z Wołynia 1917–1919 [Die Feuerbrunst. Erinnerungen aus Wolhynien 1917–1919] veröffentlicht. Das Buch gilt als ihr eigentliches literarisches Debüt. Die englischsprachige Ausgabe von Poz˙oga kam 1927 heraus. Die englische Übersetzung des Titels The Blaze wurde von Józef Conrad Korzeniewski vorgeschlagen. Das Werk erschien auch auf Französisch, Japanisch und Ungarisch. Das Buch, das eigentlich nur für ihre Nachkommen bestimmt war, entdeckte das überdurchschnittliche literarische Talent der Schriftstellerin und brachte ihr Anerkennung der Kritiker und Leser. Der literarische Erfolg, der Zofia Kossak dazu veranlasste, ihren Traum von der Malerei aufzugeben und sich der schriftstellerischen Arbeit zu widmen, wurde von einer persönlichen Tragödie begleitet. Am 1. März 1923 starb ihr Ehemann. Er wurde auf dem LytschakiwskiFriedhof in Lemberg beigesetzt. Die junge Witwe zog mit ihren Söhnen und Eltern auf einen gepachteten Gutshof in Górki Wielkie [Groß Gurek] im Teschener Schlesien. In vielen Veröffentlichungen zur Lebensgeschichte der Autorin von Poz˙oga wird betont, dass der Hof in Górki Wielkie in der Zwischenkriegszeit zum geistigen und kulturellen Zentrum der Region wurde.
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Unter den Gästen, die im Haus von Zofia Kossak einkehrten, befanden sich vor allem Bischof Stanisław Adamski, ein Herzensfreund der Schriftstellerin, sowie mehrere angesehene und hochgeschätzte Künstler wie: Maria Da˛browska, Melchior Wan´kowicz, Jan Dobraczyn´ski, Jan Sztaudynger und Stanisław Ignacy Witkiewicz. Aus Krakau kamen ihre Cousinen zu Besuch – Magdalena Samozwaniec und Maria Pawlikowska-Jasnorzewska. Regelmäßige Gäste im Hof in Górki Wielkie waren auch Aleksander Kamin´ski und Józef Kret, bekannt als unvergesslicher »Gazdoszek«, sowie Pfadfinderinnen aus der in der Zwischenkriegszeit bekannten Schule für Pfadfinderleiter [Szkoła Instruktorów Harcerskich] in Górki Wielkie. Unweit des Gutshofes von Kossaks befand sich die von Aleksander Kamin´ski geleitete Schule für Männer und auf dem nahe gelegenen Berg Bucze die Schule für Frauen unter der Leitung von Józefina Łapin´ska. Die Schriftstellerin, die häufig an Pfadfindertreffen teilnahm, identifizierte sich stark mit den Werten dieser Bewegung. In zwei Reportagen schilderte sie die Ideale der Pfadfinderfreundschaft, -hilfsbereitschaft und -brüderschaft. Genauer gesagt handelt es sich dabei um die Texte Szukajcie przyjaciół [Auf der Suche nach Freunden] und Laska Jakubowa [Jakobsstab], in denen der Vorkriegsgeist des Pfadfindertums festgehalten wurde. Sie beziehen sich auf die letzten zwei Pfadfindertreffen vor dem Zweiten Weltkrieg: 1933 in Ungarn und 1937 in den Niederlanden. Zofia Kossak beteiligte sich an beiden Begegnungen, weil sie sich dessen bewusst war, dass das Wandern eine Grundlage für die Entwicklung von Beziehungen zu Menschen und der Welt bildet. Die Suche nach der Wahrheit, eine ungezwungene Erfahrung von Freiheit, der Respekt vor der Natur und die Authentizität der Beobachtung lagen Zofia Kossak nahe. Ergebnis der gesammelten Pfadfindererfahrungen war die erste Ausgabe von Szukajcie przyjaciół, die 1934 in der Zeitschrift »Na tropie« [»Auf der Spur«] veröffentlicht wurde, und Laska Jakubowa – 1938 von Towarzystwo Wydawnicze »Rój« herausgegeben. Zofia Kossak pflegte ihren Patriotismus, den sie vor allem als Bewahrung der nationalen Tradition und Kultur verstand, indem sie sich für die lokale Gemeinschaft einsetzte. Sie kümmerte sich um die Sorgen der Menschen und versuchte oft, ihren Dorfnachbarn zu helfen. Viele kamen in den Genuss von Kossaks ungewöhnlicher Gastfreundschaft. Jahre später schrieb Anna Szatkowska: Im Sommer und an Feiertagen füllte sich das Haus mit Gästen. Es gab diejenigen, auf die wir, Kinder, ungeduldig warteten, und diejenigen, die uns gleichgültig waren. (…) Das Haus war so voll mit Gästen, dass wir, um sie alle unterzubringen, die Ehepaare trennen und die Damen in einem Zimmer und die Herren in einem anderen unterbringen mussten. Also schliefen vier Herren im Schlafzimmer unserer Eltern, darunter Vater und Onkel Fredzio38.
38 A. Szatkowska, Był dom…, S. 26–29.
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Es genügt, nur einige Namen zu nennen, um die Feststellung zu rechtfertigen, dass Zofia Kossak durch Kontakte zu vielen herausragenden Schlesiern, aus denen sich manchmal langjährige Freundschaften entwickelten, ins schlesische Land hineinwuchs. Dazu gehörten u. a. Ludwik Brozek, Agnieszka Pilchowa, Maria Wardasówna, Bischof Herbert Bednorz und Gustaw Morcinek39, der die Schriftstellerin als Patentante bezeichnete40. Im Jahre 1925 heiratete sie Zygmunt Szatkowski, einen Offizier der polnischen Armee. Am 13. Januar 1926 kam ihr Sohn – Witold, und am 15. März 1928 ihre Tochter – Anna, zur Welt. Im Mai 1926 starb ihr erstgeborener Sohn – Juliusz plötzlich an Scharlach, und im Juli 1935 verstarb ihr Vater – Tadeusz Kossak. 1926 erschien das Buch Kłopoty Kacperka góreckiego skrzata [Die Sorgen des Zwerges Kacper], das als eines der schönsten polnischen Märchen gilt. Zofia Kossak erlangte immer mehr internationalen Ruhm und schrieb weitere Romane: Beatum scelus [Frommer Frevel], Złota wolnos´c´ [Die goldene Freiheit], Szalen´cy Boz˙y [Gottesnarren], Legnickie pole [Die Walstatt von Liegnitz]. Es ist zu erwähnen, dass Zofia Kossak 1930 bei einer Leserumfrage von »Wiadomos´ci Literackie« [»Literarische Nachrichten«]: Wen würden Sie in die Akademie der Polnischen Literatur wählen? – den 29. Platz belegte. 1932 erhielt sie den Literaturpreis der Woiwodschaft Schlesien und das Goldene Verdienstkreuz für Literatur. 1933 unternahm die Schriftstellerin eine fünfwöchige Reise nach Ägypten und ins Heilige Land, die für ihr Schaffen von großer Bedeutung war. In der Folge entstand die Trilogie: Krzyz˙owcy [Die Kreuzfahrer], Król tre˛dowaty [Der aussätzige König], Bez ore˛z˙a [Der Held ohne Waffe]. Die Geschichte der Kreuzzüge vom 11. bis 13. Jahrhundert wurde von manchen Lesern als ihr wichtigstes literarisches Werk angesehen, während andere ihr vorwarfen, den Islam in einem zu positiven Licht darzustellen. Die Leser protestierten auch gegen die Art und Weise der Darstellung von Kreuzfahrern, die vom allgemein geltenden Bild eines edlen Ritters abwich. Die Titelseiten der ersten Ausgaben der Trilogie, die zwischen 1935 und 1937 erschienen, waren mit einem Stempel mit der Inschrift »nicht für jedermann« versehen. Erst die Stellungnahme der anerkannten wissenschaftlichen Autorität, des Historikers Professor Oskar 39 An dieser Stelle lohnt es sich, die Worte der Tochter von Zofia Kossak – Anna, zu zitieren: Gustaw Morcinek, Lehrer und Schriftsteller, war unser befreundeter Nachbar von der anderen Seite des Flusses. Auf unseren Spaziergängen über den Brennica-Steg und die kleine Weichselbrücke kamen wir bei ihm vorbei. Seine Schwester bewirtete uns mit köstlichen hausgemachten Kuchen und er erzählte uns allerlei interessante Geschichten über Bergwerke und Bergleute und machte manchmal Fotos von uns. Er schenkte uns einige Bücher aus seiner Feder, darunter »Serce za tama˛« [»Herz hinter dem Damm«]. Vgl. A. Szatkowska, Był dom…, S. 41. 40 Z. Kossak, Jak to sie˛ stało, z˙e Morcinek nazywa mnie matka˛ chrzestna˛ [Wie es dazu kam, dass mich Morcinek Patentante nennt], [in:] Gustaw Morcinek w 70-lecie urodzin, hrsg. von T. Kijonka, Katowice 1961, S. 16–17.
September 1939–15. August 1945
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Halecki, ließ die Stimmen der Kritik und Unzufriedenheit mit der von Zofia Kossak in ihrer Trilogie dargestellten, literarischen Fiktion verstummen. 1936 wurde die Schriftstellerin mit dem Goldenen Akademischen Lorbeer [Złoty Wawrzyn Akademicki] der Polnischen Literaturakademie [Polska Akademia Literatury] ausgezeichnet, und 1937 erhielt sie das Offizierskreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens [Krzyz˙ Oficerski Orderu Odrodzenia Polski]. Die zweite Hälfte der 1930er Jahre verbrachte Zofia Kossak mit ihrer Familie in Warschau, weil ihr Mann – Zygmunt Szatkowski in der Hauptstadt stationierte, während Witold Szatkowski 1938 seine Ausbildung auf dem Stefan-BatoryGymnasium begann. Ihre Tochter Anna sollte im September 1939 ebenfalls aufs Gymnasium gehen. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs widmete sich Zofia Kossak einer intensiven schriftstellerischen, publizistischen und sozialen Tätigkeit. Am 31. August 1939 teilte Zygmunt Szatkowski nach der Rückkehr von einer Mission in Frankreich seinen Nächsten mit, dass der Krieg innerhalb von wenigen Stunden ausbrechen würde.
1.2. September 1939–15. August 1945 Von der allgemeinen Mobilmachung der Armee und den Kriegsvorbereitungen erfuhr Zofia Kossak während einer Wanderung auf die S´winica [Seealmspitze], als sie mit ihren Kindern ab Mitte August 1939 die Ferien in Zakopane verbrachte41. Noch am selben Tag packte sie die Koffer und fuhr zu ihrem Haus nach Górki Wielkie und von dort mit den wertvollsten Habseligkeiten zu ihrer Warschauer Wohnung, wo sie und ihr Mann seit 1935 lebten. In der Nacht vom 2. zum 3. September 1939 teilte Zygmunt Szatkowski seiner Frau telefonisch mit, dass das Hauptquartier nach Osten evakuiert würde und es am besten wäre, wenn sie zusammen mit den Kindern und der Mutter – Anna Kossakowa, geborene Kisielnicka, Warschau verlassen und sich nach Sucha bei Radom (ca. 60 km von Warschau entfernt42) begeben würde, wo die gesamte Familie vonseiten ihres Mannes versammelt war. Der ältere Sohn – Tadeusz, blieb in der Warschauer Wohnung seiner Eltern zurück, für den Fall, an der Verteidigung Warschaus teilnehmen zu müssen43. Nach einem Bombenangriff auf eine Straße bei Radzyn´ Podlaski, wo Zofia Kossak und ihre Familie unterwegs waren, beschloss die Schriftstellerin, dass die Reise auf Nebenstraßen und nur nachts stattfinden sollte. Anna Szatkowska erinnert sich: Von diesem Tag an wurde Mama zur unbestrittenen Anführerin 41 A. Szatkowska, Był dom…, S. 52. 42 Ebd., S. 57–70. 43 Ebd., S. 58.
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des Konvois und beschloss, dass wir Hauptstraßen meiden und, sofern möglich, nachts reisen. (…) Feuerscheine am Horizont, entlegene Dörfer in Flammen zeigten uns die Richtung, verängstigtes Vieh brüllte irgendwo auf dem Feld; Menschen riefen sich in der Ferne zu.44 Nach ein paar Tagen, am 15. September 1939, kamen alle glücklich in Dolsko an. Leider bereits am folgenden Tag, in der Nacht vom 16. zum 17. September, meldete das Radio, dass die Sowjetarmee den Bug und den San überquert hatte. In Panik und Eile verließ Zofia Kossak mit der Mutter, den Kindern und der gesamten Familie Szatkowski Dolsko und kehrte nach Sucha zurück. Wenige Tage später beschloss Zofia Kossak, nach Warschau zurückzukehren. Um der Sicherheit willen, blieben ihre Kinder zunächst bei der Familie in Sucha bei Radom zurück. Im Oktober 1939 kam Zofia Kossak in der Hauptstadt an und zog in ein Mietshaus an der Ecke Idz´kowskiego-Straße und Zagórna-Straße ein. Während des Septemberfeldzugs geriet ihr Mann, Zygmunt Szatkowski in deutsche Gefangenschaft und wurde in das Kriegsgefangenenlager Murnau übergeführt, wo er bis 1945 blieb. Die Warschauer Wohnung von Zofia Kossak diente als Unterkunft für weitere Verwandte und Freunde der Schriftstellerin, die ihr Zuhause verloren hatten oder aus irgendeinem Grund nicht mehr am bisherigen Wohnort bleiben konnten. Aleksander Kamin´ski erinnerte sich: Ich habe die Einladung dankend angenommen. Wie sich herausstellte, war ich nicht der Einzige, der in den Genuss von Frau Zofias Freundlichkeit und Gastfreundschaft kam. In ihrer schönen Wohnung hielten sich bereits der Historiker, Professor Zygmunt Wojciechowski aus Posen, und noch eine andere Dame, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann, auf. Auch ihre Mutter, Frau Kossakowa, und zwei jüngere Kinder waren dort – der ältere Sohn wohnte woanders, bei einer Verwandten von Frau Zofia, der Bildhauerin Trzcin´ska-Kamin´ska.45 In der Nacht vom 16. zum 17. Januar 1941 wurde das Personal der Druckerei und mehrere Mitarbeiter der Zeitung »Polska Z˙yje« [»Polen lebt«], die Zofia Kossak gemeinsam mit Witold Bien´kowski herausgab, verhaftet. Bei einer Durchsuchung in der Wohnung der Schriftstellerin wurde Wanda Wilczan´ska festgenommen, die zwei Jahre später Zofia Kossak half, als diese zufällig auf der Straße verhaftet und in den Pawiak überführt wurde. Nach dem »Malheur« war Zofia Kossak gezwungen, im Verborgenen zu leben. Die Mutter der Schriftstellerin – Anna Kossak, fand Unterschlupf bei ihrer Familie – Roman und Anna Lasocki. Ihr Sohn Tadeusz kam bei Zofia und Zygmunt Kamin´ski unter, Witold zog auf das Landgut der befreundeten Familie Bisping im Dorf Zagórki in der 44 Ebd., S. 52. 45 A. Kamin´ski, Wspomnienie o pani Zofii [Erinnerung an Zofia], [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 110.
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Region Lublin, wo er die nächsten zwei Jahre verbrachte, ihre Tochter Anna fand wiederum Zuflucht in Szymanów, in einem Mädcheninternat aus der Vorkriegszeit, das von den Schwestern der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria geführt wurde. Die Schriftstellerin blieb in Warschau, wanderte von Bekannten zu Bekannten und wechselte alle paar Tage ihre Wohnung. Das kleine Zimmer in der RadnaStraße, das ihr für längere Zeit als Zufluchtsort diente, war in dem Untergrundmilieu wohl bekannt – mehrere Mitglieder der Untergrundbewegung hielten sich dort vorübergehend auf. Władysław Bartoszewski erinnert sich: Dieses Pflegeheim lebte von einer großen Wäscherei, die verschiedene deutsche Einrichtungen belieferte. Vor dem Gebäude fuhren also Lastwagen der Wehrmacht vor, die mit Unterwäsche beladen wurden, drinnen blühte dagegen die Konspiration, ich würde sogar sagen, sie tobte. Ich war dort fast jeden Tag und traf mich mit Freunden von Zofia Kossak und ihrem Mann, der damals in einem Oflag interniert war. Schriftsteller, Journalisten, hohe Offiziere der Heimatarmee46. Seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wirkte Zofia Kossak an Untergrundzeitschriften mit, die kurz nach Ende des verlorenen Septemberfeldzugs gegründet worden waren. Sie schrieb Artikel, Essays, Reportagen oder auch Proklamationen in der ersten Person Plural, weil sie sich mit ihren Lesern identifizierte (darauf weisen die Titel mancher Beiträge hin: Wierzymy [Wir glauben], Komu pomagamy? [Wem helfen wir?], Kto z nami? [Wer steht auf unserer Seite?]). In ihrem literarischen Nachlass aus der Kriegszeit, der die Gattungen aus dem Grenzbereich von Literatur und Publizistik mit einem vorwiegend interventionistischen Charakter umfasst, findet man auch Texte, die in der zweiten Person Singular geschrieben sind, was dem Leser das Gefühl gibt, der Text wäre unmittelbar an ihn gerichtet, auf ihn würde mit dem Finger gezeigt (Jestes´ katolikiem… Jakim? [Du bist Katholik… Was für einer?]). Als Pseudonym im Untergrund nahm sie den Namen »Weronika« an; in ihrem engeren Umfeld wurde sie auch als »Tante« bezeichnet und in der Biografie des polnischen Emissärs Jan Karski kann man auf das Pseudonym »Madame«47 stoßen, dessen sich die Schriftstellerin ebenfalls bediente. Es wurden für sie gefälschte Dokumente unter den Namen: Sikorska, S´liwin´ska und Sokołowska, ausgestellt. Die Haltung der Schriftstellerin gegenüber den Deutschen, die in ihren Romanen, Erzählungen und Reportagen aus der Vorkriegszeit zum Ausdruck kommt, führte dazu, dass nach Zofia Kossak als Vertreterin der Intelligenz schon 46 Władysław Bartoszewski. Ska˛d Pan jest? Wywiad rzeka [Władysław Bartoszewski. Wo kommen Sie her? Erzähltes Interview], hrsg. von M. Komar, Warszawa 2006, S. 83. 47 E. T. Wood, S. M. Jankowski, Karski. Opowies´c´ o emisariuszu [Karski. Die Geschiche des Emissärs], Kraków-Os´wie˛cim 1996.
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bald nach dem Kriegsausbruch von der Gestapo gefahndet wurde und man im Frühjahr 1940 ihren Namen und alle ihre Werke auf die Liste der verbotenen Bücher setzte48. Władysław Bartoszewski erinnert sich: Zofia Kossak beklagte sich über mangelnde Zeit und verspürte das Bedürfnis, literarisch zu arbeiten, sie war allerdings der Meinung, dass sie sich dies unter den Bedingungen der deutschen Besatzung nicht leisten kann49. Fast alle, die Zofia Kossak in der Kriegszeit kannten, bestätigen, dass sie ihr schriftstellerisches Talent sowohl im Namen des Kampfes gegen den Okkupanten, als auch im Namen des Kampfes für die moralische Wiedergeburt der Polen und Polens opferte. Nach der von Mirosława Pałaszewska und Stefan Jon´czyk50 zusammengestellten Bibliografie der konspirativen Texte von Zofia Kossak wurden während der Okkupation zehn Broschüren aus ihrer Feder veröffentlicht, bei denen es sich zumeist um Reportagen bzw. Essays handelt; zweiundfünfzig Texte wurden in der Untergrundpresse veröffentlicht, darunter fünf dramatische Formen aus der Reihe Dialogi o z˙yciu i ´smierci [Dialoge über Leben und Tod], die übrigen waren publizistische Texte; zwei Proklamationen in Form von Flugblättern, das dramatische Stück mit dem Titel Gos´c´ Oczekiwany [Der erwartete Gast] und schließlich die Lagererinnerungen Z otchłani [Aus dem Abgrund]. Ausgewählte Materialien und die allgemeine Problematik der Untergrundpresse werden in dem folgenden Kapitel der Arbeit thematisiert. Unter den Werken mit einem rein literarischen Charakter ist unbedingt noch eines zu erwähnen: In der Okkupationszeit entstand der einzige Roman für Jugendliche, und zwar Orle˛ta [Junge Adler], den Władysław Bartoszewski aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit Zofia Kossak gelesen hatte. Seiner Aussage zufolge handelte der Roman von dem Leben und der ersten konspirativen Tätigkeit der Warschauer Jugend im Jahre 1940, davon, wie sich die Haltung der Widerstandsbewegung und der nationalen Solidarität gegenüber dem Okkupanten entwickelte, von den ersten Verfolgungen und Verhaftungen, sowie von den ersten kleinen Sabotageaktionen51. Das Buch ist bis zum heutigen Tag nicht erhalten geblieben.
48 Die Originallisten verbotener Werke befinden sich im Muzeum Niepodległos´ci [Museum der Unabhängigkeit] in Warszawa: Liste des deutschfeindlichen, schädlichen und unerwünschten polnischen Schrifttums, Nr. 1, 30. 04. 1940; Nr. 2, 31. 10. 1940; Nr. 3, ohne Datum der Bekanntgabe; Nr. 4, 31. 12. 1943. Vgl. auch Kapitel mit Ergebnissen der Recherchen. 49 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w podziemiu [Mit Zofia Kossak im Untergrund], [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 38. 50 Zofia Kossak. W Polsce Podziemnej [Zofia Kossak. Im polnischen Untergrundstaat], hrsg. von S. Jon´czyk, M. Pałaszewska, Warszawa 1999. 51 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w podziemiu…, S. 35.
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Im August 1940 kamen Anna und Witold ihre Mutter in Warschau besuchen. In ihren Erinnerungen beschreibt Anna Szatkowska den Winter 1941, als sie mit ihrer Mutter nach Lublin ging, so: Mama begann, mir verschiedene verantwortungsvollere Aufgaben zu übertragen. Manchmal bat sie mich auch, sie zu begleiten. Kurz nach Weihnachten, bei Schneesturm und großer Kälte, fuhren wir nach Lublin und zwängten uns in einen überfüllten Zug. Mama sollte sich mit den an der Rettung von Juden beteiligten Personen treffen, ihnen Aufträge weitergeben und ihre Berichte entgegennehmen.52 Anfang 1941 gründete Zofia Kossak zusammen mit Witold Bien´kowski und Priester Edmund Krauze53 den Front Odrodzenia Polski (FOP) [Front für die Wiedergeburt Polens] – eine katholische Organisation, deren Hauptidee die Überzeugung war, dass der Kampf um die Unabhängigkeit allein nicht ausreiche, dass die moralische Wiedergeburt des Landes notwendig sei und dass dieses Ziel nur durch die moralische Wiedergeburt eines Individuums erreicht werden könne. Nach Auffassung von Zofia Kossak war die Front für die Wiedergeburt Polens eine lose Organisation, in der sich katholische Laien verschiedener politischer Organisationen, mit verschiedenen Überzeugungen, ja sogar Weltanschauungen zusammenfanden, die sich auf die Erziehungs- bzw. Selbstbildungsarbeit konzentrieren und den vom Krieg betroffenen Menschen helfen wollten54. Sie lehnte es ab, die FOP zu einer politischen Partei zu machen, war aber bereit, mit jedem Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, unabhängig von der Partei, welcher er entstammte bzw. zugehörte55. Sie war von der Notwendigkeit einer Konsolidierung der Organisation überzeugt. Eine ähnliche Sichtweise auf die entstehende Formation hatte Priester Edmund Krauze, der wegen der Zerstreuung des katholischen Milieus in Polen besorgt war. Er wollte die Front für die Wiedergeburt Polens zu einem Vermittlungszentrum für Vertreter verschiedener Gruppen, Meinungen und Konfessionen machen. Eine andere Ansicht vertrat hingegen Witold Bien´kowski, welcher der neu gegründeten Organisation einen politischen Charakter verleihen wollte. Schließlich ließ er sich jedoch zu dem Konzept von Zofia Kossak und Priester Edmund Krauze übezeugen. Die Erklärung der Front für die Wiedergeburt Polens, in der die Ziele und Voraussetzungen der Organisation, sowie die Bestimmung der politischen Tätigkeit und der sozialen Angelegenheiten, denen sie dienen sollte, enthalten 52 A. Szatkowska, Był dom…, S. 105. 53 Alles deutet darauf hin, dass unter ihnen die Idee zur Gründung eines neuen konspirativen Zentrums geboren wurde. A. Pawelczyk, Konspiracyjna organizacja katolików… [Konspirative Organisation der Katholiken…], S. 128. 54 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w podziemiu…, S. 35. 55 Ebd.
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waren, wurde in der ersten Ausgabe von »Prawda« [»Die Wahrheit«] im April 1942 veröffentlicht: (…) als Ausgangspunkt für ihre Arbeit nimmt die FOP die Wiederherstellung der Rechte, Bedeutung, Heiligkeit und Unverletzlichkeit der Familie (…), des Fundaments jeder christlichen Ordnung, an.56 Dominierend war die Idee, dass der katholische Glauben zur Grundlage aller Aspekte des sozialen und politischen Lebens werden und somit die moralische Wiedergeburt des Individuums unterstützen sollte. Des Weiteren enthielt die Erklärung Vorgaben für die richtige Erziehung der Jugend, welche eine Garantie für die moralische Gesundheit, Entwicklung und Macht des Staates darstellen sollte57. In dem Dokument wurde betont, wie wichtig die Fragen der Bildung, Kultur und Kunst, sowie eine unabhängige Presse für die Gesellschaft sind, weil sie ein solides Fundament einer weisen Gemeinschaft bilden. Die Schriftstellerin vertrat immer die Ansicht, dass es bei der Bildung nicht nur darum gehen sollte, das Andersartige zu tolerieren, sondern vor allem, durch den Kontakt zu anderen die eigene Identität zu finden. Man sollte Freude darüber empfinden, dass wir nicht allein auf der Welt sind58 und das, was »mein« bzw. »unser« ist, dürfe keinen privilegierten Platz einnehmen. Die Ideen der Front für die Wiedergeburt Polens waren identisch mit denjenigen, denen Zofia Kossak treu war. Die darin enthaltenen Botschaften sind in all ihren Artikeln und Feuilletons aus der Kriegszeit präsent. Die in der Erklärung hervorgehobenen Werte waren auch in ihrem Leben wichtig, was beweist, wie sehr sie an deren Sinn glaubte. Die wichtigsten Tätigkeitsbereiche der Front für die Wiedergeburt Polens waren in den ersten Monaten ihres Bestehens das Verlagswesen und die Wohltätigkeitsarbeit, wobei, wie Władysław Bartoszewski berichtet, Maßnahmen zur Unterstützung der Menschen ab 1942 in den Vordergrund rückten und dieser Zustand bis zum Kriegsende andauerte59. Darüber hinaus ist anzumerken, dass einer der Tätigkeitsbereiche der FOP darin bestand, den Pawiak-Häftlingen Hostien zukommen zu lassen. Der Schriftstellerin war bewusst, wie wichtig die geistige Unterstützung für die Gefängnisinsassen war, die oft keine Hoffnung auf Freiheit hatten, und organisierte ein Netz von Verbindungspersonen, mit deren Hilfe es möglich war, die Hostien in den Pawiak und nach Serbien (ins Frauengefängnis) zu bringen. Die heilige Kommunion aus der Heilig-Kreuz-Kirche wurde von Maria Tomaszewska »Urszula« und der Schriftstellerin Maria Kann »Halina«, die Zofia Kossak von 56 Deklaracja FOP [Erklärung der FOP], [In:] »Prawda«, IV 1942. 57 Ebd. 58 H. Arendt, Polityka jako obietnica [Politik als Versprechen], übersetzt von W. Madej, M. Godyn´, Warszawa 2006, S. 98. 59 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w podziemiu…, S. 36.
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der Pfadfinderbegegnung in Ungarn bekannt war, an die weiteren Verbindungsfrauen oder direkt an die Pawiak-Wächterinnen übergeben60. Einmal in der Woche kamen zwei Personen (immer zwei) um 6 Uhr morgens in die HeiligKreuz-Kirche, wo Priester Edmund Krauze in der Seitenkapelle der Muttergottes von Tschenstochau wartete. Er überreichte ihnen eine Puderdose mit doppeltem Boden, die ein Juwelier, ein Mitglied der Untergrundbewegung, auf Wunsch der Mama angefertigt hatte. Der Priester legte mehrere Hostien in den doppelten Boden. In drei Etappen, über drei verschiedene Personen, wurde die Puderdose an »Mäuschen« geliefert, die sie in der Handtasche wie ihre eigene trug. Es war ein Gegenstand, der von den meisten Frauen benutzt wurde. Im Pawiak gab »Mäuschen« (Lilka Uzar-Krysiakowa61) die Puderdose diskret an Wanda weiter (die die Gestapo bei uns im Januar 1941 anstelle von Mama verhaftet hatte) und sie verteilte winzige Hostienteile unter den Frauen, die in den nächsten Tagen erschossen werden sollten. Dies geschah oft auf der Toilette. Mit der Zeit gelang es uns auch, die Kommunion in die Männerabteilung vom Pawiak hineinzuschmuggeln.62 In der Schatzkammer von Jasna Góra [Heller Berg] werden immer noch die Puderdose von Zofia Kossak und das Silbermedaillon ihrer Freundin – Maria Kann, in denen geweihte Hostien geschmuggelt wurden, aufbewahrt. Das leitende Organ der Front für die Wiedergeburt Polens war der Geheimbund »Credo«, dem auch Zofia Kossak angehörte. Seine geistigen Führer waren Zofia Kossak und Priester Edmund Krauze. Der Bund »Credo« bestand aus einer streng geschlossenen Gruppe einiger vereidigter Personen. Zu den Mitgliedern von »Credo« gehörten diejenigen, die sich für das Kirchenleben engagierten und gleichzeitig konspirativ tätig waren, Kontakte zum Regierungsbeauftragten der Republik Polen unterhielten, sowie an der Leitung des zivilen Widerstands mitwirkten: Witold Bien´kowski, Stanisław Popiel, Jan Włodarkiewicz, Remigiusz Grocholski, Anna Lasocka, Zofia Trzcin´ska-Kamin´ska und Teresa Zdanowska. Etwas später wurden auch Aldona Kimontt, Władysław Bartoszewski und Ignacy Barski vereidigt63. Unmittelbar vor dem Empfang der heiligen Kommunion gelobten die Mitglieder von »Credo« feierlich vor dem Altar, sich mit allen Kräften
60 K. Heska-Kwas´niewicz, Taki to mroczny czas. Losy pisarzy ´sla˛skich podczas wojny i okupacji hitlerowskiej [Es war eine düstere Zeit. Das Schicksal der schlesischen Schriftsteller während des Krieges und der Hitlerbesatzung Polens], Katowice 2004, S. 50. 61 J. Lasocka, Zofia Kossak w czasie okupacji [Zofia Kossak in der Zeit der Hitlerbesatzung], [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 52. 62 A. Szatkowska, Był dom…, S. 119–120. 63 A. Kimontt, Wspomnienia o Zofii Kossak i FOP [Erinnerungen an Zofia Kossak und die FOP], [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 45.
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und Möglichkeiten ihres Lebens für die katholische Wiedergeburt Polens und – durch die Wiedergeburt Polens – für die Wiedergeburt der Welt einzusetzen64. Am 27. September 1942 wurde ein Komitee gegründet, das in den Dokumenten aus jener Zeit als »Sozialhilfekommission für Jüdische Bevölkerung« bzw. »Sozialkomitee für Jüdische Bevölkerung« bezeichnet wurde. Zu konspirativen Zwecken sollte dessen Name »Konrad-Z˙egota-Komitee« lauten und die Autorin des Codenamens »Z˙egota« war Zofia Kossak65, die im Frühjahr 1942 Zeugin einer Judenvernichtungsaktion war66. Als die Schriftstellerin sah, dass immer mehr jüdische Kinder auf der arischen Seite der Mauer im Warschauer Ghetto bettelten, wurde ihr klar, dass die Judenhilfe eine breitere soziale Dimension erhalten musste. Es ist hervorzuheben, dass die Sozialhilfekommission für die Jüdische Bevölkerung [Komisja Pomocy Społecznej dla Ludnos´ci Z˙ydowskiej] die einzige Organisation dieser Art im besetzten Europa war und zugleich die erste interorganisatorische Einrichtung, die offiziell von der polnischen Regierung ins Leben gerufen und finanziell unterstützt wurde, welche die grundlegenden Formen der Betreuung festlegte und dem Rat für die Unterstützung der Juden [Rada Pomocy Z˙ydom] den Weg bahnte. Mehrere Jahre später wurde sie unter dem Namen Provisorisches Komitee für die Unterstützung der Juden [Tymczasowy Komitet Pomocy Z˙ydom] bekannt67. Die Regierungsdelagatur für Polen überließ die Leitung der Organisation Zofia Kossak und Wanda Krahelska-Filipowiczowa von der Demokratischen Partei. Władysław Bartoszewski erinnerte sich: Wir alle beteiligten uns an der Tätigkeit dieses Provisorischen Komitees in der Zeit vor dessen Gründung im Sommer und Herbst 1942 – wir trugen und lieferten falsche Papiere und Geld aus, suchten nach Unterschlupfen und Unterkünften, freuten uns über jeden kleinen Erfolg und machten uns Sorgen über die Probleme, die sofort gelöst werden mussten, von denen man aber keine Ahnung hatte, wie. Das kleine Zimmer in der
64 J. Lasocka, Zofia Kossak w czasie okupacji, [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 52. 65 K. Heska-Kwas´niewicz, Taki to mroczny czas…, S. 50. 66 Die Beschlüsse zur »Endlösung der Judenfrage« wurden auf der Wannseekonferenz im Januar 1942 gefasst, auf der die höchsten SS-Offiziere und Beamten aus den Ministerien des Dritten Reiches gemeinsam Maßnahmen zur Vernichtung des jüdischen Volkes ausarbeiteten. Vgl. Władysław Bartoszewski. Ska˛d Pan jest?…, S. 63. Der Plan wurde unverzüglich in die Tat umgesetzt – im Frühjahr 1942 begannen die massenhaften Zwangsumsiedlungen der jüdischen Bevölkerung in die Ghettos und von dort aus deren Deportationen in die Vernichtungslager. 67 T. Prekerowa, Konspiracyjna Rada Pomocy Z˙ydom w Warszawie 1942–1945 [Der konspirative Rat zur Unterstützung der Juden in Warschau 1942–1945], Warszawa 1982, S. 54.
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Radna-Straße 14 war immer voll und viele Angelegenheiten, persönliche Probleme, wurden von der Dringlichkeit anderer Bedürfnisse überschattet.68 Das Provisorische Komitee für die Unterstützung der Juden arbeitete zwei Monate lang. Es ging aus dem Zusammenschluss sehr aktiver Organisationen zur Unterstützung der Juden (FOP und POD) hervor. Dies führte jedoch nicht zu einer höheren Effizienz im Bereich der Wohltätigkeit. Erstens waren die finanziellen Mittel nur unzureichend, um Aktivitäten auszuführen. Zweitens fehlte es, wie Teresa Prekerowa berichtet, an entsprechend organisierten Strukturen, die es ermöglicht hätten, die Kräfte effizienter und wahrscheinlich auch effektiver zu mobilisieren und ein ganzes Netzwerk von hilfeleistenden Personen zu entwickeln. Einem Bericht über die Tätigkeit des Provisorischen Komitees für die Unterstützung der Juden zufolge nahm es in den zwei Monaten seines Bestehens über 180 Personen in Schutz, von denen etwa 70 % Kinder waren. Mitglieder des Komitees waren in Warschau, Krakau, Brest, Lublin, Kielce, Bochnia, Izbica, Zakopane, Zamos´c´, Biłgoraj, Kras´nik, Radom, Puławy, Siedlce und Białystok tätig. Das Komitee knüpfte Kontakte zur jüdischen Bevölkerung, gewährte einmalige Geldleistungen, organisierte Unterkünfte, sorgte für Verpflegung, Kleidung und Arbeit, sowie ermöglichte die Legalisierung, d. h. Erlangung so genannter »linker Papiere« – Dokumente, mit denen Juden, die der Verhaftung entgangen waren, legal als Polen und Katholiken leben und arbeiten konnten69. Zofia Kossak wirkte auch an der Sozialen Selbstverteidigungsorganisation [Społeczna Organizacja Samoobrony – SOS] mit – einer Einrichtung, in der Vertreter verschiedener Parteien und Gruppierungen tätig waren und die Aktivitäten in ganz unterschiedlichen Bereichen unternahm. Die Soziale Selbstverteidigungsorganisation wurde 1942 gegründet und arbeitete bis zum Warschauer Aufstand. Sie legte großen Wert auf die nachrichtendienstliche Tätigkeit, die darauf abzielte, Informationen über die Vorhaben des Feindes zu sammeln und die polnische Gesellschaft darüber in Kenntnis zu setzen. Eine weitere Aufgabe der Organisation war es, für Polen jüdischer Herkunft zu sorgen, Vernichtungsaktionen zu verhindern, gefährdete, von den Deutschen verfolgte Personen zu unterstützen, Lebensmittelhilfe für Städte zu organisieren, sowie diejenigen zu verfolgen und zu brandmarken, welche gegen die oben genannten Regeln und Vorgaben verstießen70.
68 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w Podziemiu…, S. 39. 69 Zit. nach T. Prekerowa, Konspiracyjna Rada Pomocy…, S. 360; Erstdruck in: Ten jest z ojczyzny mojej… Polacy z pomoca˛ Z˙ydom 1939–1945, bearbeitet von W. Bartoszewski, Z. Lewinówna, Kraków 1966. 70 A. Pawelczyk, Konspiracyjna organizacja katolików FOP… [Die konspirative Organisation der Katholiken FOP…], S. 235.
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Innerhalb der SOS-Strukturen arbeiteten folgende Abteilungen: das Präsidialbüro, die Organisationsabteilung, die Propagandaabteilung, die Informationsund Exekutivabteilung und die Abteilung für Menschenschutz, die von Zofia Kossak geleitet wurde. Es gibt nicht viele Informationen über die Tätigkeit der Schriftstellerin in dieser Organisation. Władysław Bartoszewski berichtet, dass Zofia Kossak sich für die von ihr geleitete Abteilung für Menschenschutz bei der Sozialen Selbstverteidigungsorganisation engagierte, die mit der Leitung des zivilen Widerstands zusammenarbeitete71. Maria Kann, eine junge Verbindungsfrau und Mitarbeiterin von Zofia Kossak, schrieb in ihren Erinnerungen Nieznane niebo [Unbekannter Himmel]: Auf »Weronika« konnte man sich immer verlassen, wenn man Geld oder Kleidung für jemanden brauchte. Sie leitete eine Untergrundeinheit, die als »Ochronka Ciotki« [»Tantenhaus«] oder »Wydzial Zdychulców« [»Abteilung für Schwächlinge«], d. h. abgezehrte, hungernde Personen, die sofortige Hilfe benötigten, bekannt war. Ich bin immer zu ihr gelaufen, wenn jüdische Kinder Hilfe bedurften72. Ihre Beteiligung an Aktivitäten der Abteilung für Menschenschutz bestätigt, dass für die Schriftstellerin der Mensch den höchsten Wert darstellte. Sie leistete allen Notleidenden Hilfe. Den Sommer 1943, den letzten Urlaub vor ihrer Verhaftung durch die Gestapo, verbrachte Zofia Kossak mit der Mutter und Tochter außerhalb Warschaus. Der Grund für das Verlassen der Hauptstadt war der schlechte Gesundheitszustand der Mutter der Schriftstellerin – Anna Kossak, geborene Kisielnicka, die das kleine Zimmer in der Radna-Straße praktisch nie verließ. Um die psychische Verfassung der Mutter zu verbessern, aber auch zu ihrer eigenen Sicherheit, mietete Zofia Kossak ein Zimmer auf einem Bauernhof im Dorf Zielonka in der Nähe von Warschau. Der Ablauf des Tages der Verhaftung kann wie folgt beschrieben werden: Am Morgen kam Maria Przyłe˛cka »Urszula« zu Zofia Kossak, um Anweisungen zu erhalten. Um 15.00 Uhr sollten laut dem Bericht der Schriftstellerin 300 Exemplare von »Prawda« zu einem Punkt in der Bracka-Straße (zur Wohnung von Anna und Roman Lasocki) geliefert werden. Gegen 14.00 Uhr kam »Urszula« mit drei Zeitungspaketen wieder in die Wohnung der Schriftstellerin. Zofia Kossak wollte an diesem Tag ihre Mutter in Zielonka besuchen, sie verließ also zusammen mit »Urszula« das Haus und, weil sie sich in dieselbe Richtung begab, half sie »Urszula«, die schweren Pakete zu tragen. Zu dem Punkt in der Bracka-Straße ging Zofia Kossak normalerweise durch die Oboz´na-Straße, an deren Ecke ein bettelnder Mann stand, den die Schriftstellerin gewöhnlich mit kleinen Spenden 71 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w Podziemiu…, S. 40. 72 M. Kann, Niebo nieznane [Unbekannter Himmel], Warszawa 1964; Zit. nach: M. Kann, Na Weronike˛ zawsze moz˙na było liczyc´, [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 42–43.
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unterstützte. An diesem Tag hatte die Schriftstellerin jedoch kein Geld, das sie ihm geben konnte, und wählte deswegen einen anderen Weg: Als wir die Ecke der Browarna-Straße erreichten, sagte meine Tante zu mir: »weißt du, heute gehen wir nicht wie sonst durch die Oboz´na-Straße, weil dort auf der Treppe (…) ein Bettler sitzt, dem ich immer etwas spende, und heute habe ich nur einen »Goralen« (500 Zloty) mit, kein Kleingeld, ich würde es also nicht über mich bringen, an ihm vorbeigehen und ihm in die Augen zu schauen, ohne ihm etwas zu geben.«73 Die Frauen nahmen daher eine völlig andere Route, nämlich in Richtung TamkaStraße und dann die Tamka-Straße hinauf. Unterwegs trafen sie auf eine deutsche Patrouille, die zwei Polinnen mit großen Paketen bemerkt hatte. Eine Flucht war noch möglich, aber Zofia Kossak und Maria Przyłe˛cka entschieden sich dagegen. Sie wurden festgenommen und verhaftet. Während des Verhörs auf dem deutschen Gendarmerieposten gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche erfand die Schriftstellerin eine unwahrscheinliche Geschichte, laut der sie um die Schmuggelware bestohlen und von einem Fremden angesprochen worden seien. Dieser habe ihnen 500 Zloty gegeben, damit sie drei Pakete zur Haltestelle am Rozdroz˙e-Platz bringen, wo ein anderer Mann ihnen weitere 500 Zloty hätte zahlen sollen. Die Deutschen glaubten der naiven Aussage und brachten die Frauen zum vereinbarten Zeitpunkt zum Rozdroz˙e-Platz, wo kein Mann erschien. Im Gefängnis in der Szucha-Straße gab Zofia Kossak während des Verhörs ein falsches Geburtsdatum an, das mit dem in ihrer Kennkarte nicht übereinstimmte. Das brachte sie endgültig in Bedrängnis. Zusammen mit »Urszula« und anderen Gefängnisinsassinnen wurde sie in den Pawiak überführt. In einer Einzelhaft untergebracht, erfuhr sie durch die inhaftierten Ärztinnen und andere Personen, die dort etwas zu sagen hatten und zum großen Teil Zofia Kossak persönlich oder indirekt durch ihre früheren konspirativen Kontakte (wie zuvor erwähnt, schmuggelte die Schriftstellerin Kassiber und Hostien in den Pawiak) kannten, besondere Fürsorge. Trotz der Gefahr, die der Schriftstellerin im Pawiak drohte, verlor sie nicht ihre Heiterkeit, worüber Władysław Bartoszewski berichtet: Die Kassiber von »Tante« aus dem Pawiak waren voll Heiterkeit, Demut und Besorgnis um ihre Nächsten und äußerten keine Sorge um sich selbst.74 Aus dem im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau erhaltenen Archivmaterial ergibt sich, dass Zofia Kossak am 5. Oktober 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überführt wurde. Wie man in den Erinnerungen von »Urszula« lesen kann, verbreitete sich die Nachricht über Zofia Kossaks Ankunft ziemlich schnell unter den Häftlingen im 73 M. Przyłe˛cka, Zofia Kossak, jaka˛ pamie˛tam… [Meine Erinnerung an Zofia Kossak…], [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 62. 74 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w Podziemiu…, S. 41.
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Konzentrationslager Auschwitz. Die Deutschen erhielten jedoch keine Informationen über die wahre Identität der Insassin mit der Nummer 64491. Laut dem Bericht von Maria Przyłe˛cka blieb die Schriftstellerin eine äußerst liebenswürdige und heitere Person. Nicht nur beeinträchtigten die Strapazen des Lageralltags weder ihre Haltung noch ihren Charakter, sondern stärkten sie sogar: Sie begegnete allen mit einem Lächeln, Fröhlichkeit und Freundlichkeit, den mehr oder weniger bekannten, und den völlig unbekannten, oft auch den Menschen aus so genannten sozialen Randgruppen.75 Zofia Kossak und die anderen neu angekommenen Lagerinsassen verblieben zunächst in Quarantäne – sie ging nicht arbeiten, sondern verbrachte ganze Tage auf der Wiese. In der Baracke war nur Speisen und Schlafen gestattet. Die Häftlinge waren verpflichtet, die Baracke und den Quarantänebereich sauber zu halten. Zofia Kossak übernahm die Funktion der »Nachtwache«. Nachts sorgte sie für Ordnung und half den Frauen in ihrer Baracke: »Tante« übernahm die Funktion der »Nachtwache«, indem sie immer denjenigen, die nachts zur Latrine liefen, vorschlug, ihre Notdurft vor dem Block zu verrichten, und dass sie dann alles aufräumen würde76. Berichte über den Aufenthalt und das Verhalten von Zofia Kossak im Lager, zum Beispiel von Maria Przyłe˛cka, aber vor allem von Irena Pannenkowa77, zeugen von der inneren Stärke der Schriftstellerin. Wanda Lewandowska, die zusammen mit Zofia Kossak nach Auschwitz kam, erinnerte sich in ihrem Bericht an die den neu angekommenen, weiblichen Häftlingen aus dem Pawiak von den Lagerinsassinnen geleistete Hilfe. Wahrscheinlich waren sie es, die die Blockführerin der Baracke Nr. 31, in die der Transport aus dem Pawiak zugeteilt wurde, dazu überredeten, dass die Häftlinge des Blocks Nr. 31 die Funktionspersonen selbst wählen konnten, wodurch die älteren, kranken und verdienten »Pawiak-Frauen« der harten Feldarbeit entgingen – Zofia Kossak war eine von ihnen78. Ende November 1943 brach im Lager eine Flecktyphusepidemie aus. Maria Tomaszewska und Zofia Kossak erkrankten daran, obwohl sie den Weigl-Impfstoff erhalten hatten, der vor der Krankheit schützen sollte. Die Schriftstellerin war dem Tod nahe, aber nachdem sie den stärksten Krankheitsanfall überstanden hatte, erholte sie sich langsam, unterstützt von den Lagerärztinnen. Während des Aufenthalts im Krankenrevier betete sie viel und
75 M. Przyłe˛cka, Zofia Kossak, jaka˛ pamie˛tam…, S. 65. 76 Ebd. 77 I. Pannenkowa, Prawda o pobycie Zofii Kossak w Os´wie˛cimiu [Die Wahrheit über den Aufenthalt von Zofia Kossak in Auschwitz], [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 57–59. 78 Bericht von Wanda Lewandowska, Lagerinsassin von Auschwitz-Birkenau. Abteilung für Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erklärungen, Bd. 94, S. 166, 173.
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auf den Brettern der Koje, in der sie lag, schrieb sie mit Bleistift: Jeden Augenblick meines Lebens glaube, vertraue, liebe ich.79 Schließlich stellten die Deutschen die Bedingung, dass sie sie freiließen, wenn man ihnen sagte, wer denn diese Zofia S´liwin´ska war, die für sie so wichtig war. Die Entscheidung, ihre Identität zu verraten, wurde lange hinausgezögert. Als sie sich schließlich dazu entschlossen, hielten die Deutschen ihr Wort nicht80. Zofia Kossak verließ Os´wie˛cim, aber sie erlangte ihre Freiheit nicht wieder. Sie verbrachte einen Tag im Montelupich-Gefängnis in Krakau. Anschließend wurde sie in das Warschauer Gefängnis in der Daniłowiczowska-Straße und später in den Pawiak überführt. In den Erinnerungen von Maria Przyłe˛cka wird der Moment beschrieben, als die Schriftstellerin über ihre Entlassung aus dem Lager benachrichtigt wurde. Laut »Urszula« geschah dies am 1. April 1944. Die Blockführerin aus dem Lagerkrankenhaus, eine Jugoslawin, trat an Zofia Kossak heran und befahl ihr, aufzustehen, weil sie entlassen werden sollte. Die Überraschung und Ungläubigkeit waren offenbar so groß, dass die Blockführerin ihre Worte wiederholen musste, um zu versichern, dass es sich nicht um einen Aprilscherz handelte. Die Schriftstellerin wurde in einem Block unter Quarantäne gestellt, der sich bereits hinter dem Lagerzaun befand. Sie wurde intensiv genährt und ärztlich behandelt, damit sie nach ihrer Rückkehr in das Warschauer PawiakGefängnis als Zeugin aussagen konnte. Die Autorin von Poz˙oga ließ ihre Schicksalsgefährtinnen wahrscheinlich nicht ohne Wissen darüber zurück, was mit ihr nach dem Verlassen von Auschwitz geschah, und schrieb auch aus dem Pawiak Kassiber an die in Birkenau verbliebenen Mitgefangenen. Szczypiorska (wahrscheinlich Sonia – Vorname unleserlich) beschreibt in Kartki z Os´wie˛cimia [Karten aus Auschwitz] eine von der strengen Blockführerin Stenia durchgeführte Durchsuchung, bei der unter den Texten polnischer Lieder und patriotischer Gedichte auch Briefe von Zofia Kossak-Szczucka gefunden wurden, die nach sieben Monaten aus dem Lager in Auschwitz auf wundersame Weise befreit, im Pawiak-Gefängnis ihr weiteres Schicksal erwartete81. Und weiter: Nur dem »Durcheinander«, welches damals im Lager herrschte, (…) nur der Lage an der Ostfront, die für die Deutschen nicht erfreulich aussah, und der eiligen Auflösung des Pawiak-Gefängnisses ist es zu verdanken, dass die Sache nicht größere Ausmaße annahm und der großen Schriftstellerin nicht zum Verhängnis wurde.82 Anna Szatkowska berichtete: Mama wurde von Auschwitz in eines der Warschauer Gefängnisse transportiert! (…) Sie war so erschöpft, dass man sie kaum wiedererkannte: abgemagert (sie wog siebenunddreißig Kilo), die Zähne ausge79 M. Przyłe˛cka, Zofia Kossak, jaka˛ pamie˛tam…, S. 66. 80 Ebd., S. 67. 81 Szczypiorska (wahrscheinlich Sonia – Vorname unleserlich). Abteilung für Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erinnerungen, Bd. 19, S. 88, 156. 82 Ebd.
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schlagen, die Haare ein paar Zentimeter lang, kaum in der Lage zu stehen, aber der Blick und der Glanz in ihren Augen waren dieselben … .83 Der Gesundheitszustand von Zofia Kossak bei ihrer Rückkehr ins PawiakGefängnis war sehr schlecht, was auch von Anna Czuperska-S´liwicka, einer Gefängnisärztin, in ihrem Buch beschrieben wurde: Sie kam sehr ausgezehrt, mit Avitaminose und Furunkeln am ganzen Körper zurück. Nach dem Bad brachte ich Frau Kossak-Szczucka direkt ins Krankenhaus, wo sie mit jedem Tag mehr zu Kräften kam. (…) Die wichtigste und fürsorglichste »Ernährerin« von Tante Zosia, wie wir Frau Kossak-Szczucka nannten, war Wanda Wilczan´ska, die mit ihr verwandt war.84 Während ihres zweiten Aufenthalts im Pawiak schrieb Zofia Kossak einen Kassiber an den Präsidenten Władysław Raczkiewicz, in dem sie nicht nur ausführliche Informationen über die Bedingungen im Lager, sondern auch eine eindringliche Bitte um Hilfe für die Lagerinsassinnen ausdrückte: Ich verlange, ich bitte, ich flehe darum, dass man mir glaubt. Ich bin der Meinung, dass ich ein Recht auf dieses Vertrauen habe. Jeder, der diese Worte liest, wird verstehen, dass die Existenz von Birkenau nicht länger toleriert werden kann. Dass sich der Massenmord an wehrlosen Frauen und Kindern lange genug hingezogen hat. (…) Herr Präsident, fünfzehntausend Frauen warten auf die Erlösung, die sie in Ihnen sehen. Weronika.85 Geschwächt und körperlich zerstört von dem Aufenthalt im Konzentrationslager, hatte sie keine Zeit, sich zu erholen, da sie bei ihrer Ankunft im Gefängnis einem Verhör unterzogen wurde: Einige Tage später verhörte die Gestapo Mama auf brutale Weise und bot ihr sogar die Freiheit an, wenn sie mit den Sowjets kooperierte! Natürlich lehnte Mama diesen Vorschlag kategorisch ab, woraufhin sie zum Tode verurteilt wurde. Sie wurde in den Pawiak überführt und wartete dort jeden Tag auf die Erschießung. In der Zwischenzeit übten die polnischen Untergrundbehörden Druck auf das deutsche Gefängnispersonal aus und die Hinrichtung wurde von Woche zu Woche immer wieder verschoben.86 An dieser Stelle sollten nun die Erinnerungen von Leon Wanat, der als Häftling in der Gefängniskanzlei arbeitete, angeführt werden. Leon Wanat berichtet über ein Treffen mit einer abgemagerten Frau, die kaum noch stehen konnte und die er nicht erkannte. Sie erinnerte sich außer an ihren falschen Vorund Nachnamen an keine weiteren persönlichen Angaben – identisch mit denen, 83 A. Szatkowska, Był dom…, S. 139. 84 A. Czuperska–S´liwicka, Cztery lata ostrego dyz˙uru [Vier Jahre im Notdienst], Warszawa 1978, S. 246, Zit. Nach: K. Heska-Kwas´niewicz, Taki to mroczny czas…, S. 73. 85 Der originale Brief befindet sich im Studium Polski Podziemnej [Archiv der polnischen Untergrundbewegung] in London, Zit. nach: Zofia Kossak, hrsg. von M. Pałaszewska, Warszawa 1992, S. 96. 86 A. Szatkowska, Był dom…, S. 140.
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die sie bei ihrer ersten Inhaftierung im Pawiak gemacht hatte. Der Kanzelist erkannte, dass die Frau in Schwierigkeiten war, und, um sie vor Problemen bzw. Gefahren zu schützen, die sich daraus hätten ergeben können, schrieb er alle Daten aus dem alten Häftlingsbuch ab87. In Bezug auf diesen Bericht lässt sich schließen, dass die Schriftstellerin als Zofia S´liwin´ska nach Warschau gebracht und ihre wahre Identität nicht nachgewiesen wurde. Ebenfalls nur spekuliert werden kann über die Frage nach den Personen, die zur Freilassung von Zofia Kossak beigetragen haben. Anna Szatkowska schreibt vom »Druck«, den die Untergrundbehörden auf das Pawiak-Personal ausübten, um die Vollstreckung des Todesurteils aufzuschieben. Um welche Art von Druck es sich dabei handelte, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden. Anna Szatkowska beschreibt den Moment der Entlassung der Schriftstellerin aus dem Pawiak folgendermaßen: Welches Wunder rettete Mama? Seit einiger Zeit liquidierten die Deutschen die Warschauer Gefängnisse durch vermehrte Hinrichtungen und Deportationen. An diesem Tag, dem 29. Juli, räumten sie den Pawiak. Die Häftlinge, Männer und Frauen, standen im Hof und wurden in Gruppen aufgeteilt: die einen sollten erschossen, die anderen in Konzentrationslager transportiert werden. Mama und einige ihrer Kameradinnen warteten auf die Hinrichtung. Ein Stück weiter standen etwas abseits ein paar Häftlinge. Ein deutscher Pawiak-Beamter ging zwischen den Gruppen umher und prüfte die Namenslisten. Als er an Mama herankam, rief er verärgert den SS-Wachen etwas zu, dann zerrte er Mama am Arm, stieß sie gewaltsam in die abseits stehende Gruppe und befahl dieser, ihm zu folgen. Alle in der Gruppe waren überzeugt, dass ihre letzte Stunde gekommen war. Aber der Beamte führte sie ganz offiziell zu den Wachen am Gefängnistor, ging mit ihnen auf die Straße und ließ sie dort verblüfft und ungläubig zurück: Sie waren frei!88 Weiter schreibt Anna Szatkowska, dass ihre Mutter vom Polnischen Untergrundstaat durch Bestechung des deutschen Pawiak-Sekretärs gerettet worden sei. Wäre er seiner Verpflichtung, die Schriftstellerin freizulassen, nicht nachgekommen, wäre er wahrscheinlich durch die Hand der Untergrundbewegung getötet worden89. Leon Wanat schreibt in seinen Erinnerungen: Drei Tage vor dem Ausbruch des Warschauer Aufstandes, am 29. 07. 1944, wurde Zofia Kossak dank Bemühungen ihrer Freunde und – inoffiziell – der Regierungsdelegation, unterstützt durch beträchtliche Geldmittel, aus dem Pawiak entlassen.90
87 L. Wanat, Pisarze na Pawiaku (fragment) [Schriftsteller im Pawiak (Fragment)], [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 68. 88 A. Szatkowska, Był dom…, S. 144. 89 Ebd., S. 145. 90 L. Wanat, Pisarze na Pawiaku…, S. 69.
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Maria Tomaszewska stellte hingegen fest: Wie sie mir bereits auf englischem Boden erzählte, wo wir uns 1947 zum ersten Mal trafen, wurde sie eines Abends, ein oder zwei Tage vor dem Ausbruch des Aufstandes, unerwartet entlassen und aufgefordert, ihre Sachen zu nehmen und sofort zu gehen. Sie wurde nur von einem Gefängniswärter mit einem Gewehr durch das Gefängnistor geführt. In der Dunkelheit ging sie durch die Ruinen des Ghettos, überzeugt davon, dass sie dort von ihm erschossen würde. Aber an der Grenze rief er nur »raus« und kehrte um.91 Ihre Tochter, Anna Szatkowska, die sich aktiv am Aufstand beteiligte, beschrieb in ihren Erinnerungen den Besuch im Zimmer ihrer Mutter in der RadnaStraße am 3. September 194492. Zofia Kossak, die immer noch mit ihrer Mutter im niedergebrannten und zerbombten Warschau lebte, widmete sich dem Dienst für das Vaterland, indem sie »Prawda« [»Die Wahrheit«] herausgab, Feuilletons für »Barykada Powis´la« [»Barrikade von Powis´le«] und Artikel für den »Biuletyn Informacyjny« [»Informationsbulletin«] schrieb. In einer fremden, feindseligen, ja gefährlichen Umgebung manifestierte sie ihr Bedürfnis, zum Wohle des Vaterlandes zu handeln. Gegen Ende des Aufstands, nachdem Powis´le bombardiert worden war und die Aufständischen sich aus diesem Viertel zurückgezogen hatten, evakuierte die Autorin von Protest zusammen mit einem jungen Franziskaner, dessen Name nicht bekannt ist, ihre Mutter und fünfzehn weitere ältere Frauen, die in dem Pflegeheim in der Radna-Straße untergebracht waren, in den Keller. Laut Erinnerungen von Anna Szatkowska bemerkten die Deutschen nicht, dass sich Menschen in dem Keller des Hauses versteckt hielten. Das Feuer verzehrte das Gebäude, erreichte aber weder das Erdgeschoss noch den Keller, so dass alle, die dort Schutz gefunden hatten, überlebten. Zwei Wochen lang lebte Zofia Kossak im Verborgenen, kochte nur nachts für ihre Schützlinge und versuchte, deren Aufenthaltsort nicht zu verraten. Am 22. September wurden sie von einer Patrouille der Wehrmacht entdeckt. Die alten Frauen wurden zur Anlaufstelle des Polnischen Roten Kreuzes in der Visitantinnen-Kirche in der Straße »Krakowskie Przedmies´cie« überführt und von dort ins Wolski-Krankenhaus evakuiert. Anna, geborene Kisielnicka, die Mutter der Schriftstellerin, starb während des Transports vor Erschöpfung und wurde im Hof des Wolski-Krankenhauses bestattet93. Am 10. Oktober verließ Zofia Kossak zusammen mit der Zivilbevölkerung die Hauptstadt und durch einen außergewöhnlichen Zufall traf sie höchstwahr-
91 M. Tomaszewska, Zofia Kossak, jaka˛ pamie˛tam…, [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 67. 92 A. Szatkowska, Był dom…, S. 223–224. 93 Ebd., S. 264–266.
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scheinlich am 15. Oktober94 in Milanówek bei Warschau, das zu ihrem nächsten Wohnort wurde, ihre Tochter Anna. Einige Tage lang hielten sich die beiden in Milanówek bei der Familie Baud, Freunden von Tante Maria Kossak, geborener Musielewicz, auf. Als die Schriftstellerin erfuhr, dass ihre entfernten Verwandten, Zofia und Zygmunt Kamin´ski, in Tschenstochau auf sie warteten, reisten die beiden Frauen zu ihnen. Zunächst blieben sie in der Wohnung von Filomena und Edward Usakiewicz, die ihr Haus den Flüchtlingen aus Warschau zur Verfügung gestellt hatten und wo viele Menschen Unterschlupf fanden. Aufgrund räumlich beengter Verhältnisse in der Wohnung bekam Zofia Kossak dank ihren bekannten Geistlichen ein Zimmer in der St. Barbara-Pfarrei, die Lebensbedingungen dort waren allerdings sehr karg und nach einiger Zeit zog sie in einen wärmeren und helleren Raum in der Nähe der St. Barbara-Kirche um. Während des Aufenthalts in Tschenstochau wurde sie herzkrank. Einer der Gründe dafür war wahrscheinlich, dass die Schriftstellerin in dieser Zeit an dem Buch Z otchłani [Aus dem Abgrund] schrieb, in dem sie ihre Erfahrungen und Reflexionen aus dem Konzentrationslager zum Ausdruck brachte. Die Erinnerung an die in Auschwitz-Birkenau verbrachten Tage und das Wiedererleben der damit verbundenen Alpträume können zweifellos ein Grund für die drastische Verschlechterung der körperlichen Verfassung ihres bereits erschöpften Körpers sein. Im März 1945 verbesserte sich der Gesundheitszustand von Zofia Kossak und wurde stabil. Anna Szatkowska berichtet jedoch, dass die Schriftstellerin schlecht aussah und von der Krankheit ausgezehrt war. Trotzdem war sie schon wieder auf den Beinen, wie immer sehr aktiv, ohne sich um ihr Wohlbefinden zu sorgen95. Nach der Genesung beteiligte sich die Schriftstellerin aktiv am lokalen gesellschaftlichen Leben. Zusammen mit Priester Antoni Marchewka rief sie die katholische Wochenzeitung »Niedziela« [»Der Sonntag«] wieder ins Leben. Als sie ihre Familie in Krakau besuchte, traf sich Zofia Kossak mit Doktor Kunicki aus Bielsko-Biała. Bei dieser Gelegenheit ließ sie sich die auf ihrem Unterarm tätowierte Lagernummer entfernen. Diese Maßnahme wurde aus gesundem Menschenverstand, getroffen, denn man wollte die Sicherheit der Schriftstellerin gewährleisten und sie beim Versuch unterstützen, das Trauma des Lagers zu bewältigen. Anfang April 1945 fuhr sie mit ihrer Tochter zum ersten Mal nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit in die Hauptstadt nach Warschau, um Auskunft über Zygmunt Szatkowski – ihren Ehemann, der die gesamte Kriegszeit im Kriegsgefangenenlager in Murnau bei München verbracht hatte, und Witold – 94 A. Bugnon-Rosset, Z białych plam w z˙yciorysie Zofii Kossak [Zu weißen Flecken in der Biografie von Zofia Kossak], [In:] »Tygodnik Powszechny« 1988, Nr. 14–15, S. 5, Zit. nach: Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 83. 95 Ebd., S. 84.
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ihren Sohn, welcher nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands von den Deutschen verschleppt wurde, zu erlangen. In Warschau wurde die Leiche von Anna Kossak exhumiert und auf dem Powa˛zki-Friedhof in Warschau beigesetzt96. Im Juni 1945 erhielt sie einen Brief, der an ihren richtigen und nicht an den konspirativen Namen adressiert war. In dem Schreiben wurde Zofia Kossak zu einem Treffen mit Jakub Berman eingeladen, dem Unterstaatssekretär im Präsidium des Ministerrats der neuen kommunistischen Regierung und Bruder von Adolf Berman, einem Mitglied des Rates für die Unterstützung der Juden, dem Zofia Kossak geholfen hatte, Kinder aus dem Warschauer Ghetto zu retten. Der Minister für Inneres bot der Schriftstellerin als Anerkennung für das langjährige Engagement zur Rettung der Juden an, ihr eine legale Ausreise zu ermöglichen, sofern sie sich dazu bereit und willig erklärte. Im Gespräch legte er ihr nahe, dass es in ihrer Lage die beste Lösung sei. Letztendlich stimmte Zofia Kossak dem Vorschlag nicht ohne Zögern zu. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass die Entscheidung, das Land zu verlassen, Zofia Kossak schwer fiel und nicht selbstverständlich war. Sie suchte Rat bei ihren Freunden, Mitgliedern der Regierungsdelegation und ihrer Familie. Auf Drängen von Bekannten und Verwandten verließ die Schriftstellerin mit ihrer Tochter Anna am 15. August 1945 Polen mit einem Flugzeug des Schwedischen Roten Kreuzes. Über Skandinavien kamen sie nach Großbritannien in der Hoffnung, Zygmunt Szatkowski und Witold zu treffen, die sich nach der Befreiung aus deutscher Gefangenschaft der Armee von General Anders angeschlossen hatten. Im Mai 1945 wurde der Gutshof in Górki Wielkie, in dem Zofia Kossak vor dem Krieg lebte, durch einen Brand völlig zerstört.
1.3. September 1945–9. April 1968 Im Februar 1946, nach mehreren Jahren der Kriegstrennung traf Zofia Kossak ihren Mann – Zygmunt Szatkowski, in Italien. Sie ließen sich in Großbritannien nieder, zunächst in London, wo sich die Schriftstellerin für die Wohltätigkeitsarbeit des Polnischen Roten Kreuzes einsetzte. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands ihres Mannes zogen sie aufs Land nach Trossell in Cornwall, wo sie einen Bauernhof betrieben und von der Viehzucht lebten. Die zeitaufwendige und anstrengende körperliche Arbeit ging mit der literarischen Tätigkeit
96 Anna Kossakowa, geborene Kisielnicka, wurde auf dem Friedhof in Górki Wielkie neben ihrem Mann, Tadeusz Kossak, beigesetzt.
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nicht einher. Im Exil entstand das von Kritikern und Lesern hochgelobte Buch Przymierze [Der Bund]. Ihr ursprünglich als vorübergehend geplanter Auslandsaufenthalt dauerte insgesamt zwölf Jahre. Die lange Abwesenheit von Zofia Kossak in Polen war unmittelbar auf die Tatsache zurückzuführen, dass inzwischen in der Heimat ihre Bücher aus dem Verkehr gezogen worden waren und man sie zum Feind des politischen Systems erklärt hatte. In Emigrantenkreisen stieß die Schriftstellerin auf Distanz und Ablehnung, weil ein verleumderisches Gerücht kursierte, sie soll in Polen Sekretärin von Bolesław Bierut gewesen sein97. Nach dem Krieg schrieb Zofia Kossak mehrere Erzählungen zur Kriegsthematik (u. a. Wigilia na Pawiaku [Heiligabend im Pawiak], Nagla˛ce wołanie [Ein dringender Ruf], Konspiracja w konspiracji [Konspiration im Untergrund], Akusia i Babcia [Akusia und Oma]). In die Texte fügte sie autobiografische Motive ein, die mit der Okkupationszeit verbunden waren und sich auf authentische Kriegsereignisse bezogen. Nach ihrer Rückkehr nach Polen im Jahre 1957 lebte die Schriftstellerin wieder in Górki Wielkie, und zwar in einem Gärtnerhaus98, das den Brand überstanden hatte, obwohl ihr eine Wohnung in Warschau zur Verfügung stand. Dort verbrachte sie die letzten elf Jahre ihres Lebens und wurde in den Ferien von ihren im Ausland lebenden Kindern und Enkelkindern besucht. Die meisten Nachkriegswerke von Zofia Kossak entstanden nach der Rückkehr aus der Emigration. Die Schriftstellerin widmete viel Zeit den Begegnungen mit ihren Lesern im ganzen Land. Sie hatte alltägliche Probleme zu bewältigen, wie ihre sich verschlechternde Gesundheit, finanzielle Angelegenheiten und Schwierigkeiten mit der Zensur. 1964 unterzeichnete sie den »Brief 34«, eine Art Protest polnischer Schriftsteller und Intellektueller gegen die Kürzung der Druckkostenzuschüsse für Bücher und Zeitschriften und Verschärfung der Pressezensur. Die damaligen Behörden betrachteten das Dokument als Kritik am Regime. 1966 lehnte sie den Staatspreis ersten Grades aus religiösen und patriotischen Gründen ab und manifestierte damit ihren Widerspruch gegen die »Inhaftierung« einer Kopie des Gnadenbildes der Muttergottes von Tschenstochau, die durch das Land wanderte. Auf diese Art und Weise sorgte Zofia Kossak wiederum für Missfallen bei den Staatsbehörden und setzte sich dem Ostrazismus und Boykott aus. Im kirchlichen Milieu und in der Gesellschaft wurden ihre Gesten hochgeschätzt, die Autorität von Zofia Kossak wuchs und sie selbst äußerte sich mehrmals zu so97 Bolesław Bierut – kommunistischer Politiker, Präsident der Republik Polen in den Jahren 1947–1952 (gewählt vom polnischen Sejm nach den manipulierten Parlamentswahlen von 1947). 98 In der Vergangenheit befand sich im Gebäude die offizielle Wohnung des Gärtners, der sich in der Zwischenkriegszeit um den umgebenden Park kümmerte.
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Abb. 2: © Zofia Kossak-Szatkowska-Museum in Górki Wielkie. Einladung des Vorstands des Literarischen Klubs in Sosnowiec an Zofia Kossak zu einem Autorenabend.
zialen Fragen, indem sie sich besorgt über die moralische Verfassung der Mitbürger äußerte. Sie behauptete, dass aus der Liebe zu Gott die Liebe zu Menschen erwachse. Sie war bestrebt, jeden Menschen mit Respekt, Würde und Freundlichkeit zu behandeln, und gab dabei ihrem Humanismus, Glauben, sowie ihren menschlichen und christlichen Werten Ausdruck. Zofia Kossak verstarb am 9. April 1968 in Bielsko-Biała. Gemäß ihrem Willen wurde sie auf dem Friedhof in Górki Wielkie bestattet. 1982 wurde die Schriftstellerin posthum mit dem Titel Gerechter unter den Völkern geehrt, der seit 1962 von Yad Vashem – Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust, verliehen wird. Die Auszeichnung wurde der Schriftstellerin in Anlehnung an das Zeugnis von Maurycy Gelber (konspirativer Name Aleksander Artymowicz) zuerkannt, der sich während der Okkupation 1943 ein halbes Jahr lang in der Wohnung von Zofia Kossak in der Nowakowskiego-Straße 12/75 versteckt hielt und dabei half, den Vertrieb von Flugblättern und Zeitungen der Front für die Wiedergeburt Polens zu organisieren99. 99 C. Tonini, Czas nienawis´ci i czas troski…, S. 135–136. In der Arbeit von Michał Grynberg, Ksie˛ga Sprawiedliwych [Das Buch der Gerechten], in der die mit dem Ehrentitel der Gedenkstätte Yad Vashem ausgezeichneten Polen vorgestellt werden, sind keine näheren Angaben zu den Umständen und Personen vorhanden, die zur Verleihung des Titels beigetragen
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Heutzutage befindet sich in Górki Wielkie im Teschener Schlesien das Museum der Schriftstellerin, das von ihrem Ehemann ins Leben gerufen wurde. 1998 wurde auf Initiative ihrer Kinder – Anna Bugnon Rosset und Witold Szatkowski – sowie der Gemeinde Brenna, die Zofia-Kossak-Stiftung mit Sitz in den renovierten Ruinen des ehemaligen Gutshofes der Familie Kossak – Kultur- und Kunstzentrum »Dwór Kossaków«, gegründet.
haben. Die Arbeit enthält allgemeine Informationen über die Kriegstätigkeit von Zofia Kossak für die Juden – kurze Angaben zu publizistischen Texten: Protest [Der Protest], Jestes´ katolikiem… Jakim? [Du bist Katholik…Was für ein?], Dzisiejsze oblicze wsi [Das heutige Gesicht der Provinz], und über das Provisorische Komitee für die Unterstützung der Juden »Z˙egota«. Vgl. M. Grynberg, Ksie˛ga Sprawiedliwych, Warszawa 1993, S. 254–255.
2.
Die konspirative und publizistische Tätigkeit der Schriftstellerin
Władysław Bartoszewski äußert sich präzise zur Lebenshaltung von Zofia Kossak in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, indem er feststellt: »Tante« nahm die Angelegenheiten der Konspiration sehr ernst. Sie sah sie als ihre wichtigste Lebensberufung an100. Wenn man die umfangreichen Kontakte der Schriftstellerin mit mehreren Vertretern des Untergrunds analysiert bzw. ihre Aktivitäten und ihr Engagement für die Untergrundbewegung in verschiedenen Bereichen verfolgt, fällt es schwer zu glauben, dass sie noch Zeit dafür fand, ihren Mitmenschen Hilfe zu leisten und mit zahlreichen Herausgebern der Untergrundpresse zusammenzuarbeiten. In dem vorliegenden Kapitel wird ein Versuch unternommen, die Geschichte, Ziele und Ideen der Publikationen, in denen Zofia Kossak ihre publizistischen Texte veröffentlichte, in Umrissen darzustellen. Um den grundlegenden Gegenstand der publizistischen Tätigkeit der Schriftstellerin hervorzuheben, werden einige Artikel und Aufrufe kurz besprochen. Den gemeinsamen Nenner für praktisch alle publizistischen Texte von Zofia Kossak aus der Kriegszeit bildete die Frage des Glaubens, der katholischen Kirche und des Patriotismus. Die Forscher101, die sich mit dem Schaffen von Zofia Kossak auseinandergesetzt haben, weisen immer wieder darauf hin, dass die Schriftstellerin während der Okkupation ihr literarisches Talent dazu nutzte, den Kampfgeist im Volk zu entflammen. Gleichzeitig hielt sie sich aber an die Ideen des Katholizismus und den Wandel jedes Menschen nach den Grundsätzen des Glaubens, die – ihrer Meinung nach – sowohl während des Krieges als auch nach dessen Ende unabdingbar waren, um den Sieg zu erringen und ein wirtschaftlich, politisch und moralisch starkes Land wieder aufbauen zu können. Eine ganze Reihe von Texten, die Glaubensfragen gewidmet sind, befassen sich mit dem geistigen 100 W. Bartoszewski, Z Zofia˛ Kossak w podziemiu…, S. 38. 101 Die Autorin der vorliegenden Arbeit stützt sich an mehreren Stellen auf die Dissertation von Beata Gdak, Okupacyjna twórczos´c´ literacka i dziennikarska Zofii Kossak [Literarisches und publizistisches Schaffen von Zofia Kossak in der Hitlerbesatzung] (Katowice 2012, unveröffentlicht), die ein interessantes und wertvolles Material enthält.
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Die konspirative und publizistische Tätigkeit der Schriftstellerin
Wandel des Menschen, deren Ziel es war, das Fundament für die Wiedergeburt eines starken polnischen Staates und in Zukunft – der ganzen Welt, zu schaffen. Das waren die ideologischen Voraussetzungen der Front für die Wiedergeburt Polens, die Zofia Kossak sehr am Herzen lagen und die sie den Katholiken und allen Polen einprägen wollte. Zu erwähnen wäre auch, dass die Autorin von Przymierze alle möglichen sprachlichen Mittel in ihre Texte geschickt einflocht, damit ihre Artikel überzeugend wirkten und die Gemüter bewegten. Sie rief dazu auf, sich in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ehrlich zu verhalten. Trotz der Gefahr, welche der Schriftstellerin von Kriegsbeginn an vonseiten der Gestapo drohte, setzte sie sich, ohne zu zögern, für die konspirative Tätigkeit ein. Dies lag wahrscheinlich an ihrer Hingabe an die Ideale und Familientraditionen, denen sie treu war – Liebe zur Heimat und Bereitschaft, Polen und den Polen zu dienen. Sicherlich war diese Haltung auch auf ihr Temperament zurückzuführen, worauf unter anderem Aleksander Kamin´ski zu sprechen kommt, der in seinen Erinnerungen aus der Nachkriegszeit die Schriftstellerin als eine energische Person darstellt, die neugierig auf Menschen und die Welt war und es nicht scheute, ihre Vorhaben zu verwirklichen, mit einem Hang zum Abenteuer, zum Reisen, zum Erleben neuer und ungewöhnlicher Situationen102. Daher wundert es nicht, dass sich die Schriftstellerin angesichts der Kriegswirren nicht auf dem Familiengut in Sucha verkroch, sondern in die Hauptstadt zurückkehrte, um aktiv an entscheidenden Momenten und Ereignissen in der Geschichte Polens teilzunehmen. Im Oktober 1939 kam Zofia Kossak nach Warschau und zog in ein Mietshaus an der Ecke Idz´kowskiego-Straße und Zagórna-Straße ein. Die Wohnung der Schriftstellerin diente als Unterschlupf für entfernte Verwandte und Freunde. Da sie sich dessen bewusst war, dass nach ihr gefahndet werden könnte, nahm sie den Namen Zofia S´liwin´ska an (die Schriftstellerin verwendete auch die Nachnamen Sikorska bzw. Sokołowska). Sie engagierte sich aktiv für den Kampf um die Unabhängigkeit und wirkte an Untergrundzeitschriften mit, die kurz nach dem Ende des verlorenen Septemberfeldzugs erschienen und eine Antwort auf die Propagandamaßnahmen des Okkupanten in den eroberten Gebieten waren. Es muss daran erinnert werden, dass jegliche polnische Presse verboten war, und an deren Stelle erschien deutsche Presse: deutschsprachige, aber auch polnischsprachige Propagandapresse (sog. »gadzinówki«). Die darin enthaltenen Informationen waren meist unwahr und zeigten die Macht Hitlerdeutschlands, dessen Siege an der Front und die hoffnungslose Lage von Polen. All dies sollte den Widerstandsgeist des polnischen Volkes schwächen.
102 A. Kamin´ski, Wspomnienie o pani Zofii, [In:] Zwyczajna ´swie˛tos´c´…, S. 106.
Die konspirative und publizistische Tätigkeit der Schriftstellerin
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Es bedarf keiner Erklärung, wie wichtig die Rolle der Untergrundpresse im damaligen Leben der Polen war. Ihre Aufgabe war es, wahre und zuverlässige Auskunft über die Geschehnisse an der Front, die politischen Ereignisse im In- und Ausland, sowie Aktivitäten der Widerstandsbewegung im Lande zu geben. Die Untergrundpresse beeinflusste die Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Okkupanten, verbreitete den Glauben an den Sieg und weckte den Widerstandsgeist – sie vermittelte Optimismus und Hoffnung. Am zutreffendsten wurde das Wesen der Untergrundpresse von einem anonymen Autor in »Dziennik Polski« [»Polnische Tageszeitung«] vom 16. Mai 1942 erfasst: Wenn die Untergrundpresse ihr Erscheinen einstellte, verschwände die letzte sichtbare Spur der polnischen Unabhängigkeitsbewegung. Wenn es diese Zeitungen, die anscheinend niemand braucht, nicht mehr gäbe, bekäme die ganze Gesellschaft den Eindruck, dass alles zum Stillstand gekommen ist, dass Angst und Schrecken alle ergriffen haben, dass es keinen Widerstand mehr gibt, dass alle Mittel des Kampfes und der künftigen Mobilisierung aufgegeben sind, dass alles vorbei ist, dass sogar der polnische Gedanke zu Grabe getragen worden ist. Gerade diese Zeitungen sind ein Zeichen dafür, dass […] trotz Verfolgungen und Morden, trotz Demütigungen – der Kampf und die Unabhängigkeitsbestrebungen weiter fortdauern.103 Zofia Kossak erkannte die Wichtigkeit der den Literaturschaffenden gestellten Aufgabe, ihr Talent in den Dienst ihrer Heimat zu stellen, und nutzte ihr schriftstellerisches Potenzial, um sich für die Unabhängigkeit einzusetzen, indem sie in der Untergrundpresse Artikel, Aufrufe und Appelle veröffentlichte. Im Folgenden werden anhand der Informationen über bestimmte Titel von Untergrundzeitschriften, an denen Zofia Kossak mitarbeitete, ausgewählte Texte präsentiert, die das geistige Kriegsporträt der Schriftstellerin wiedergeben bzw. vervollständigen. Es ist nämlich unmöglich, über das Leben von Zofia Kossak in der besetzten Heimat zu reflektieren, ohne auf solch wichtige Themen wie ihre ideologische Haltung, Treue zu humanistischen Werten und das gleichzeitige Ringen mit den eigenen Entscheidungen einzugehen. Wie sie nach dem Krieg in einem Brief an Irena Rybotycka schrieb, habe sie immer Angst um die Gesundheit und das Leben ihrer Kinder gehabt, an die Vorsehung Gottes geglaubt, sowie daran, dass ihre Kinder sicher sein würden104. Sie erwartete von allen Polen und Katholiken, dass sie sich patriotisch und zugleich katholisch verhalten. Sie war der Meinung, dass jemand, der sich für einen Polen hält, auch wirklich ein Pole sein müsse und sich wie ein solcher verhalten solle. Wenn einer behauptet, 103 Aby nie zasna˛´c przed ´switem wolnos´ci [Um nicht vor Anbruch der Freiheit einzuschlafen], »Dziennik Polski« [»Polnische Tageszeitung«], 12. 05. 1942, Zit. nach J. Jarowiecki, Prasa polska w latach 1939–1945, [In:] Historia prasy polskiej, hrsg. von J. Łojek, Bd. 4., Warszawa 1980, S. 41. 104 Z. Kossak, List do Ireny Rybotyckiej [Brief an Irena Rybotycka], [In:] Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 338.
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Die konspirative und publizistische Tätigkeit der Schriftstellerin
katholisch zu sein, müsse er tatsächlich wie ein echter Katholik leben und den Prinzipien und Geboten seines Glaubens treu bleiben.
2.1. »Polska Z˙yje« [»Polen lebt«] und »Orle‚ta« [»Junge Adler«] Herausgeber einer der ersten militärischen Untergrundzeitschriften – »Polska Z˙yje« (kurz »Pez˙etka« genannt), eines Presseorgans von Komenda Obron´ców Polski [Polnisches Verteidigungskorps] (Organisation, die nach der Auflösung von Korpus Ochrony Pogranicza [Grenzschutzkorps] gegründet worden war), war Witold Hulewicz – Dichter, Schriftsteller, Publizist, aktives Mitglied von Zwia˛zek Literatów Polskich [Verband der Polnischen Literaten] und Vorkriegsleiter der Literaturabteilung beim Polnischen Rundfunk in Warschau. Hulewicz bot Zofia Kossak eine Zusammenarbeit an, woraufhin die Autorin von Poz˙oga Texte, Artikel und Aufrufe für »Pez˙etka«105 verfasste. Bereits in der ersten Nummer der ab dem 10. Oktober 1939 erscheinenden Zeitschrift, die sich großer Popularität erfreute, wurde das Programm der Untergrundpresse formuliert, deren Hauptaufgabe darin bestand, wahrheitsgemäße Nachrichten zu übermitteln, den Volksgeist aufrechtzuerhalten, Trübsinn und Verbitterung zu bekämpfen […], die Öffentlichkeit darüber zu belehren, wie sie mit dem Feind umzugehen hat […] und wie man sich gegen Ausplünderung verteidigen kann, sowie diejenigen anzuprangern, die Beziehungen zum Feind unterhalten106. Im Sommer 1940 begann die Redaktion von »Polska Z˙yje« eine eigenständige Zeitschrift für junge Leute unter dem Titel »Orle˛ta« herauszugeben. Ihr Chefredakteur wurde Witold Bien´kowski – Publizist und angehender Schriftsteller, der vor dem Krieg in katholischen Zeitschriften, unter anderem in der Posener »Kultura« [»Kultur«], publiziert hatte. Zofia Kossak lernte ihn auf dem Landgut Dzierz˙bie in der Region Łomz˙a bei Anna und Roman Lasocki, mit denen sie verwandt war, kennen, wo Bien´kowski als Hauslehrer arbeitete. In seiner publizistischen Tätigkeit beschäftigte er sich mit den Fragen der Qualität des polnischen Katholizismus und der damit verbundenen Zukunft des polnischen Sozialkatholizismus. Die ideologische Botschaft der Zeitschrift war, die patriotische Haltung der Jugendlichen, ihre Aktivität und ihr Engagement für die Heimat zu fördern. Auch Artikel von Zofia Kossak wurden darin veröffentlicht107. 105 Für »Pez˙etka« arbeiteten auch: Wacław Borowy, Jerzy Hulewicz, Wanda und Stanisław Miłaszewski, sowie Witold Bien´kowski. Die meisten von ihnen waren Zofia Kossak bekannt, weil sie schon vor dem Krieg Kontakte zu ihnen gepflegt hatte. 106 J. Jarowiecki, Prasa polska w latach 1939–1945…, S. 49. 107 Z. Kossak, O co i jak walczyc´ [Wofür und wie man kämpft], [In:] »Orle˛ta«, 10. 01. 1941; Z. Kossak, Wzywamy was do walki [Wir rufen euch zum Kampf auf], [In:] »Orle˛ta«, 10. 10. 1940.
»Polska Z˙yje« [»Polen lebt«] und »Orle‚ta« [»Junge Adler«]
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Nach der Verhaftung von Hulewicz am 30. September 1940108 wurde »Polska Z˙yje« von Witold Bien´kowski und Zofia Kossak gemeinsam herausgegeben. Wie die Schriftstellerin berichtete, erschien die letzte Nummer der Zeitschrift im Dezember 1940. Als Beilage (sowohl zu »Polska Z˙yje« als auch zu »Orle˛ta«) wurde in der Weihnachtsnummer ein Kalender von Komenda Obron´ców Polski mit Dekalog Polaka [Der Dekalog eines Polen] beigefügt. Am 17. Januar 1941 kam es zum »Reinfall« des Redaktionspersonals und der Druckerei109. Am 10. Dezember 1940 veröffentlichte Zofia Kossak in der Zeitschrift »Polska Z˙yje« den Artikel Do kobiet polskich [An die polnischen Frauen], in dem sie die Bedeutung des Engagements der Frauen für den Kampf um das unabhängige Polen hervorhob. In den einleitenden Worten zum Artikel wurde die polnische Frau als jene dargestellt, die in allen für das Land historisch wichtigen und gefährlichen Momenten auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg, Aufstand bzw. Exil wartete. Für Zofia Kossak war die auf die Rückkehr ihres Mannes oder Sohnes wartende Frau nie passiv – sie symbolisierte die Hüterin des Hauses und des Polentums. Die Schriftstellerin glorifizierte die Frau, welche jeder Widrigkeit, Verfolgung und verheerender Atmosphäre von Terror und Hass die Stirn bot, weswegen sie als Heldin galt, und deren Tat ebenso wichtig war, wie der Kampf an der Front mit einer Waffe in der Hand. Zofia Kossak schrieb: Aber da war das Familienhaus, das gerettet werden musste, und da waren die Kinder. Das Polentum musste im Familienhaus erhalten bleiben, wie ein kostbarer Schatz in den Seelen der Kinder aufbewahrt werden. Das war der mächtigste weibliche Akt, jener unerbittliche Kampf um das Polentum der jungen Herzen, um die polnische Sprache, um das polnische Gebet.110 Auf dieses Familienmodell bezog sich die Schriftstellerin in ihrem Artikel, indem sie versuchte, ihren Lesern – vor allem Frauen – bewusst zu machen, dass ihre aktive Haltung unentbehrlich ist, um die an der Front kämpfenden Väter und Ehemänner aufzumuntern: Die in der Ferne, unsere Liebsten, sie müssen wissen, dass wir durchhalten werden, dass wir wie sie kämpfen können. Für unsere Kinder, für unser Zuhause, für das tägliche Brot, für die Schule, für die polnische Idee und die polnische Seele.111 108 L. Wanat, Za murami Pawiaka [Hinter den Mauern des Pawiak], Warszawa 1967, S. 424. 109 Z. Kossak, Uwagi o prasie podziemnej Polski… [Anmerkungen zur polnischen Untergrundpresse …], S. 346.; nach Jerzy Jarowiecki erschien die Zeitschrift »Polska Z˙yje« bis 1944. Er schrieb: »In den Jahren 1943–1944 wurde sie zum Zentralorgan der Polska Armia Ludowa [Polnische Volksarmee]. Anschließend wurde das Redaktionspersonal ausgewechselt und durch neue Personen besetzt, und zwar Stanisław Chudoba, Mieczysław Krzepkowski, Teofil Głowacki und Jan Mulak.« Vgl. J. Jarowiecki, Prasa polska w latach 1939–1945…, S. 49. 110 Z. Kossak, Do kobiet polskich [An die polnischen Frauen], [In:] Zofia Kossak, W Polsce Podziemnej, hrsg. von S. Jon´czyk, M. Pałaszewska, Warszawa 1999, S. 194. 111 Ebd., S. 195.
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Darüber hinaus wies die Schriftstellerin darauf hin, für wen und wofür eine Frau kämpfen sollte. Sie betonte die Rolle der Mutter, deren Pflicht es sei, ihre Söhne und Töchter zu verantwortungsbewussten und klugen Menschen zu erziehen, die dem deutschen Einfluss widerstehen können. Hingegen kritisierte sie scharf die Passivität ihrer Landsleute gegenüber Pornografie, Alkohol und Kino mit Propagandafilmen, die durch den Okkupanten verbreitet wurden und die polnische Jugend verblödeten. Angesichts der Flut von deutscher »Pseudokultur«, die an Polen adressiert war, stellte Zofia Kossak eine pathetische und ausdrucksstarke Frage: Soll Passivität unsere Antwort sein? Es gibt nur eine Ehre und eine Antwort: Unsere Heimat vor Zerstörung bewahren, die Jugend unserer Kinder für Polen erhalten. Aushalten!112 In diesem sehr speziellen Appell an die polnischen Frauen äußerte die Schriftstellerin die Essenz des Patriotismus, zu dem sie sich bekannte und den sie von sich und anderen Polen erwartete. Ein weiterer Text, dessen Ziel es war, den Kampfgeist zu fördern, aber auch den Glauben an den Sieg in dem polnischen Volk zu stärken, war der Aufruf Wierzymy [Wir glauben], der am 22. Juni 1940 im Biuletyn Informacyjny Obron´ców Polski [Informationsbulletin der Verteidiger Polens] – »Polska Z˙yje«, veröffentlicht wurde. Der bedeutsame Titel, der als eine Aufforderung zum Glauben an Gott interpretiert werden kann, enthielt eine einfache und klare Botschaft, in der sich der auf die Kriegszeit bezogene Glaube an den Sieg ausdrückte. Während der Okkupation, als sogar sehr schwache Signale konnotativ angereichert wurden, nahmen die semiotischen Funktionen aller Inhalte und Texte zu und ihre Bedeutung ging über den eigentlichen Informationsgehalt hinaus – wofür der Titel des Textes von Zofia Kossak ein Beispiel sein kann. Wierzymy ist ein Appell an alle Polen, die sich der Hoffnungslosigkeit und dem Zweifel hingeben. Der zweiseitige Text beschreibt zunächst die Situation an der Front und analysiert die mögliche Entwicklung der Ereignisse. Die Schriftstellerin brachte ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass der immer länger andauernde Krieg eine sichere Niederlage von Hitler bedeutete. Ihr zufolge kam der Glaube an den Sieg dem Glauben an Gott gleich. Der Zweifel hingegen war ein Mangel an Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit. Die Autorin von Z otchłani verwendet im Text Verben in der ersten Person Plural, damit dem Empfänger klar wird, dass sich die Autoren des Aufrufs mit ihm identifizieren und selbst an die Worte glauben, die sie an ihn richten. An die Pessimisten, die ihren eigenen Zweifeln nachgegeben hatten, wendete sie sich jedoch in der zweiten Person Plural. Der gesamte Text ist sehr expressiv (viele Ausrufezeichen, mehrere Auslassungspunkte und Fragesätze). Anzumerken ist, 112 Ebd.
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dass der Text überzeugend ist, was in diesem besonderen Moment der Geschichte auch seine Aufgabe war. Zofia Kossak brachte in ihrem Aufruf eine einfache Botschaft unter: Entweder glauben wir an den Sieg oder wir glauben an Gott, und höchstwahrscheinlich – glauben wir an den Sieg, weil wir an Gott glauben. Wie auch immer man diese eigenartige Pointe interpretieren mag, fasst sie den Aufruf auf eine sehr einfache Art und Weise zusammen und schließt zugleich die gesamte Schachtelkomposition des Textes ab, dessen Titel wie der letzte Satz klingt. Zu beachten ist auch der vorhandene Gegensatz von »ihr« und »wir«: Kleinheit und Schwäche werden Größe und Stärke, Dummheit – Weisheit gegenübergestellt. Diese Art von literarischen Stilmitteln wurde von Zofia Kossak auch in anderen Texten aus der Okkupationszeit verwendet, was darauf schließen lässt, dass sie dies absichtlich und persuasiv tat, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wierzymy ist ein Text aus dem Grenzbereich zwischen der patriotischen und religiösen Publizistik. Der Glaube an Gott und der Patriotismus sind die wichtigsten Botschaften, die in den Artikeln, Feuilletons und Aufrufen von Zofia Kossak am häufigsten vorkommen und sich miteinander verflechten. Es ist zu betonen, dass diese beiden Eigenschaften nach Ansicht der Schriftstellerin die wichtigsten Attribute eines guten katholischen Polen seien.
2.2. »Biuletyn Informacyjny« [»Informationsbulletin«] Ende Oktober 1939 begann Zofia Kossak113 auch mit der Zeitschrift »Biuletyn Informacyjny« zusammenzuarbeiten, die von Aleksander Kamin´ski114 »Hubert« (das war sein Pseudonym115 in der Okkupationszeit), dem Leiter des Biuro In-
113 Ende Oktober 1939 traf Zofia Kossak auf der Straße in Warschau Aleksander Kamin´ski, der vor dem Kriegsausbruch Antek Cwaniak [Antek, der Schlaukopf], Kra˛g rady [Im Kreis des Rates] und in der Hitlerbesatzung Kamienie na szaniec [Steine für die Schanze] schrieb. Kamin´ski wirkte an der Organisation und Redaktion von »Biuletyn Informacyjny« mit – dem Organ der Warschauer Abteilung von Słuz˙ba Zwycie˛stwu Polski [Dienst für den Sieg Polens], der späteren Armia Krajowa [Heimatarmee]. Seine zahlreichen Pflichten absorbierten ihn vollends. Alle seine Aktivitäten waren mit der Untergrundbewegung verbunden, er war gezwungen, sich unter einem fremden Namen zu verstecken und seinen Wohnort zu ändern. Wie sich der Autor von Kamienie na szaniec erinnert, bot ihm Zofia Kossak sehr direkt und sachlich die Möglichkeit an, in ihre Wohnung in der Idz´kowskiego-Straße einzuziehen. Die Wohnung war groß und die Schriftstellerin ließ dort mehrere vertraute Personen unterkommen, die einen Unterschlupf brauchten. Kamin´ski wohnte etwa sechs Monate lang in der Wohnung in der Idz´kowskiego-Straße. Die Bewohner kannten die Regeln der Konspiration und fragten einander nicht nach ihren Aktivitäten, aber Kamin´ski sah, wie die Schriftstellerin die Zeitschrift »Polska Z˙yje« nach Hause mitbrachte und vermutete, dass sie in die konspirative Tätigkeit verwickelt war.
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formacji i Propagandy Okre˛gu Warszawskiego [Warschauer Bezirksbüro für Information und Propaganda], herausgegeben wurde116. Die Zeitschrift war das Organ von Dowództwo Główne Słuz˙by Zwycie˛stwu Polski [Oberkommando des Dienstes für den Sieg Polens], später umbenannt in Zwia˛zek Walki Zbrojnej [Verband für den bewaffneten Kampf] und Komenda Główna Armii Krajowej [Oberkommando der Heimatarmee]. Zunächst erschien »Biuletyn Informacyjny« in Form von Vervielfältigungen (ab 5. November 1939). Bis zum Warschauer Aufstand kam sie als Wochenzeitung und während des Aufstandes als Tageszeitung heraus. Insgesamt wurden 317 Nummern herausgegeben. Zum Redaktionspersonal gehörten: Stanisław Berezowski, Maria Straszewska, Czesław Michalski, Ryszard Zarzycki. Die Wochenzeitung hatte einen informativ-programmatischen Charakter117. Es sei darauf hingewiesen, dass die Schriftstellerin Aleksander Kamin´ski, den Chefredakteur von »Biuletyn Informacyjny«, spätestens seit 1933 gut kannte118. Zofia Kossak wurde zu einer Art Beobachterin und Kommentatorin, die für den literarischen Teil von »Biuletyn Informacyjny« verantwortlich war, in dem Informationen aus der Welt der Literatur erscheinen sollten. Aleksander Kamin´ski erinnert sich: Ich habe Frau Zofia gebeten, mit mir ein wöchentliches Gespräch über die Ereignisse in der literarischen Welt in und außerhalb War114 Aleksander Kamin´ski war Chefredakteur von »Biuletyn Informacyjny«, ab 1941 auch Leiter des Büros für Information und Propaganda, sowie Begründer und Oberkommandant von Organizacja Małego Sabotaz˙u [Organisation für Kleine Sabotage] »Wawer«. Vgl. K. HeskaKwas´niewicz, Braterstwo i słuz˙ba. Rzecz o pisarstwie Aleksandra Kamin´skiego [Brüderschaft und Dienst. Über das schriftstellerische Werk von Aleksander Kamin´ski], Katowice 1998, S. 19. 115 Aleksander Kamin´ski nahm mehrere Pseudonyme an, u. a. Da˛browski, Hubert, Kamyk, Kazimierczak. Vgl. S. Broniewski, Całym z˙yciem. Szare Szeregi w relacji naczelnika [Mein ganzes Leben. Die Grauen Reihen aus der Sicht des Anführers], Warszawa 1983, S. 358. 116 J. Jarowiecki, Prasa polska w latach 1939–1945…, S. 49. 117 Ebd. 118 Die Bekanntschaft dauerte jahrelang an, bereits in der Vorkriegszeit. Unweit des Gutshofes der Familie Kossak in Górki Wielkie, auf einem Grundstück, das früher zum Familienbesitz gehört hatte und vom Woiwoden Graz˙yn´ski für den Zwia˛zek Harcerstwa Polskiego (ZHP) [Polnischer Pfadfinderverband] gekauft worden war, befand sich ein Pfadfinderzentrum, in dem alljährlich Ferienlager, Zeltlager und Begegnungen von Pfadfindern aus ganz Polen stattfanden. In den Jahren 1935–1939 wurde dieses Zentrum von Kamin´ski geleitet, der zuvor (in den Jahren 1933–1934) Leiter eines ähnlichen Zentrums in Nierodzim, fünf Kilometer von Górki Wielkie entfernt, gewesen war. Es kam oft vor, dass Pfadfinder die Schriftstellerin in ihr Lager einluden, zum Beispiel zu einem Lagerfeuer. Sie wurden auch in den Gutshof eingeladen. Aleksander Kamin´ski erinnert sich an die Kontakte von Zofia Kossak mit den Pfadfindern folgendermaßen: Obwohl sie keinen Pfadfindereid abgelegt hatte, hielt sich Frau Zofia für eine Pfadfinderin. In Górki und auf Pfadfinderausflügen trug sie eine graue Pfadfinderuniform aus Leinen und nahm ihre Mitgliedschaft im ZHP sehr ernst. Bei einem Lagerfeuer erhielt sie ein Pfadfinderkreuz, das sie immer an ihrer Pfadfinderkleidung trug. Vgl. A. Kamin´ski, Wspomnienie o pani Zofii… , S. 108.
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schaus zu führen. Sie stimmte zu und wurde somit zu einer Art »Korrespondentin« von »Biuletyn Informacyjny«.119 Die Zusammenarbeit von Zofia Kossak mit »Biuletyn Informacyjny« dauerte bis zum Frühjahr 1940, als »Hubert« aus konspirativen Gründen gezwungen wurde, nach Z˙oliborz umzuziehen. Ihr nächstes Treffen fand im Sommer 1944 statt, nachdem Zofia Kossak aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zurückgekehrt war. Über die Begegnung können wir in den Erinnerungen von Aleksander Kamin´ski lesen, der davon in der Druckerei berichtet, als die Schriftstellerin in der Druckerei einer Gruppe vertrauter, wenn auch eher zufälliger Personen, von ihrem Aufenthalt im Lager erzählte: Wir versammelten uns alle in der Halle mit Druckmaschinen, die zu dieser Zeit stillstanden – das Redaktionspersonal, die Druckereimitarbeiter, Korrektoren, Wächter, ständige Bewohner des Hauses und Personen aus anderen Stadtteilen, die im Hof »kampierten«. Frau Zofia begann scheinbar ruhig über Auschwitz zu erzählen, aber das Stottern beim Sprechen und die unnatürlich langen Pausen deuteten darauf hin, dass etwas Ungewöhnliches mit ihr geschah. Schließlich traten ihr Tränen in die Augen. Sie hörte nicht auf, die Geschichte zu erzählen, nur die Sätze wurden immer kürzer. Sie sprach unter Tränen. Es war erschütternd.120 Im Sommer 1944 schrieb Zofia Kossak für »Biuletyn Informacyjny« den Text mit dem Titel Najbiedniejsi121 [Die Ärmsten], der in der Ausgabe vom 22. August 1944 erschien. Der Aufruf, welcher zu einem besonderen Zeitpunkt, und zwar während des Warschauer Aufstands, entstand, spricht das Problem der Obdachlosigkeit an. Infolge enormer Kriegszerstörungen standen viele Warschauer ohne Dach über dem Kopf da. In dem Bewusstsein, was das Zuhause für einen Menschen bedeutet, übernimmt die Autorin von Protest gerade in Najbiedniejsi gewissermaßen die Rolle einer Betreuerin von Obdachlosen und ruft alle zur Hilfe auf. Diesmal wendet sie sich an die Besitzer großer und komfortabler Wohnungen, die über freie Zimmer, Wohnzimmer bzw. Geschäftsräume verfügten, und macht ihnen klar, dass sie die Hilfe für die Brandgeschädigten nicht 119 A. Kamin´ski, Wspomnienie o pani Zofii …, S. 111; der von Mirosława Pałaszewska und Stefan Jon´czyk verfassten Bibliographie zufolge wurde in »Biuletyn Informacyjny« der Text Najbiedniejsi [Die Ärmsten] aus der Feder von Zofia Kossak veröffentlicht. In Uwagi o prasie podziemnej Polski w czasie okupacji niemieckiej erwähnte die Schriftstellerin einen längeren Text über das Schicksal der Vertriebenen aus der Region Posen, den sie für »Biuletyn Informacyjny« geschrieben hatte, sie behauptete aber, nicht zu wissen, was damit passiert sei. Vgl. Z. Kossak, Uwagi o prasie podziemnej Polski w czasie okupacji niemieckiej, [In:] Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 344. 120 A. Kamin´ski, Wspomnienie o Pani Zofii…, S. 113. 121 In Uwagi o prasie podziemnej Polski w czasie okupacji niemieckiej erwähnte die Schriftstellerin einen längeren Text über das Schicksal der Vertriebenen aus der Region Posen, den sie für »Biuletyn Informacyjny« geschrieben hatte, sie behauptete aber, nicht zu wissen, was damit passiert sei. Vgl. Z. Kossak, Uwagi o prasie podziemnej Polski w czasie okupacji niemieckiej, [In:] Zofia Kossak, W Polsce Podziemnej …, S. 344.
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als Gefälligkeit oder Wohltat betrachten sollten, die sie zu erweisen haben, sondern als ihre Pflicht. Im Text mangelt es nicht an scharfen Ausdrücken wie »verwöhnter Geizhals«. Er enthält auch eine an die herzlosen Egoisten, die keine Fremden unter ihr Dach aufnehmen wollen, gerichtete Warnung, die sogar als Drohung aufgefasst werden kann: Sofort alles zu Schlafzimmern für obdachlose Brüder machen. Damit sich die Heimat zu Lebzeiten nicht von denen abwendet, die eine fundamentale Bürgerpflicht vernachlässigt haben, und nach ihrem Tod – damit sich Gott nicht von ihnen abwendet.122 Die von der Schriftstellerin angewandten, rhetorischen Stilmittel sollen die Ausdruckskraft des Textes hervorheben – man stößt auf zahlreiche Wiederholungen, Ausrufesätze bzw. Anreden in der zweiten Person Singular, die durch Verwendung der Pronomen »du«, »dein« verstärkt werden. Hauptziel des Aufrufes war es, das Gewissen der Empfänger aufzurütteln.
2.3. »Miecz i Pług« [»Schwert und Pflug«] Die Organisation »Miecz i Pług« wurde im November 1939 auf Initiative einer Gruppe von Berufsmilitärs und Reserveoffizieren gegründet, die politisch rechts orientiert waren123. Auch Mitglieder von Stowarzyszenie Katolickiej Młodziez˙y Akademickiej Juventus Christiana [Verein der Katholischen Akademischen Jugend Juventus Christiana] wirkten aktiv daran mit, darunter Priester Leon Poeplau124 (Pseudonym »Wolan«). Als Mitbegründer der Organisation war er maßgeblich an deren Aufbau und Entwicklung beteiligt. Zum Jahreswechsel 1939/1940 hatte sich bei »Miecz i Pług« noch kein ideologisch-politisches Profil herauskristallisiert. Laut Zofia Kossak wollte der junge Geistliche eine polnische, radikale, katholische Bewegung aufbauen. Mitherausgeberin der Zeitschrift »Miecz i Pług« war Krystyna Karier von der Organisation »Juventus Christiana«, mit der wiederum Witold Bien´kowski in Kontakt stand. Auch Zofia Kossak arbeitete für eine relativ kurze Zeit an der Zeitschrift mit und steuerte von Zeit zu Zeit einen Artikel bei125. Die Zusam122 Z. Kossak, Najbiedniejsi, [In:] »Biuletyn Informacyjny«, 22.VIII.1944, Nr. 59 (267), [In:] Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 276. 123 J.J. Terej, Na rozstajach dróg. Ze studiów nad obliczem i modelem Armii Krajowej [Am Scheideweg. Aus den Studien zum Bild und Modell der Heimatarmee], Wrocław 1980, S. 77– 78. 124 Das Porträt des Priesters Leon Poeplau wurde von Zofia Kossak in ihren Texten aus der Okkupationszeit verewigt – Golgota [Golgota], eine Reportagensammlung über das Martyrium des polnischen Volkes, u. a. des Klerus, sowie W Piekle [In der Hölle], ein Werk über die NS-Konzentrationslager. 125 Z. Kossak, Uwagi o prasie podziemnej Polski…, S. 345.
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menarbeit dauerte allerdings nicht lange – im April 1940 wurde Priester Leon Poeplau verhaftet, in den Pawiak gebracht und von dort im Sommer, am 14. August 1940, in das Konzentrationslager Auschwitz126 übergeführt, wo er kurz darauf starb. Von da an änderte sich die Orientierung der Zeitschrift diametral und entsprach der Schriftstellerin nicht mehr, worauf sie in Uwagi o prasie podziemnej Polski zu sprechen kommt. Die Leitung der Organisation übernahmen Anatol Słowikowski (Pseudonym »Andrzej Nieznany«) und Zbigniew Grad (Pseudonym »Doktor Zbyszek«) – die beiden waren Agenten des NS-Sicherheitsapparats und gaben der Organisation eine faschistische Ausrichtung127.
2.4. »Prawda« [»Die Wahrheit«] Die Zeitschrift, mit der sich Zofia Kossak während der Okkupationszeit höchstwahrscheinlich am stärksten verbunden fühlte, war »Prawda« – das Organ von Front Odrodzenia Polski (FOP) [Front für die Wiedergeburt Polens], die im Sommer 1941 auf Initiative von Zofia Kossak, Witold Bien´kowski und Priester Edmund Krauze offiziell ins Leben gerufen wurde. Den Anstoß zur Gründung von FOP, einer neuen Untergrundorganisation, gab die Verhaftung von Personen, die an der Redaktion und Veröffentlichung der Zeitschrift »Polska Z˙yje« beteiligt waren, im Januar 1941. Zofia Kossak entging in der Nacht vom 16. zum 17. Januar 1941 der Verhaftung, als ihre Wohnung von der Gestapo durchsucht wurde. Die Deutschen fahndeten nach Zofia Szczucka und in der Wohnung hielt sich Zofia Szatkowska auf. Als man herausfand, dass es sich bei Zofia Szatkowska und Zofia Szczucka um dieselbe Person handelt, kontrollierten die Gestapoleute erneut die Wohnung in der Idz´kowskiego-Straße, aber die Schriftstellerin war bereits weg. Bei der erneuten Durchsuchung wurde allerdings Wanda Wilczan´ska, eine Verwandte von Zofia Kossak, Mitglied von FOP, Mitarbeiterin von »Prawda« und spätere Pawiak-Insassin, verhaftet, die sich 1943 und 1944 um »Tante« im Pawiak kümmerte. Die Mission und Hauptbotschaft der FOP bestand darin, die moralische Erneuerung der gesamten polnischen Gesellschaft anzustreben. Grundlage dieser Erneuerung sollte der katholische Glaube sein. In der ersten Nummer von »Prawda« von April 1942 war eine Erklärung der Front für die Wiedergeburt Polens zu lesen, in der die Ziele und Grundsätze der Organisation beschrieben sowie die politische Tätigkeit und die sozialen Aufgaben, denen sie dienen sollte, 126 L. Wanat, Za murami Pawiaka…, S. 479. 127 A. Tokarz, Miecz i Pług w pertraktacjach i porozumieniach mie˛dzyorganizacyjnych [»Miecz i Pług« in Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den Organisationen], [In:] Dzieje Najnowsze: kwartalnik pos´wie˛cony historii XX w., Nr. 3/1969, S. 164.
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festgelegt wurden. Alles wurde von der Idee des katholischen Glaubens geprägt, der in allen Bereichen des sozialen und politischen Lebens präsent sein und so die moralische Wiedergeburt des Einzelnen fördern sollte. In der Erklärung steht geschrieben: (…) als Ausgangspunkt für ihre Arbeit nimmt die FOP die Restitution der Rechte, des Sinnes, der Heiligkeit und der Unverletzlichkeit der Familie, (…) des Fundaments jeder christlichen Ordnung, an.128 Ein weiterer Punkt der Erklärung ist die richtige Erziehung der Jugend, welche die moralische Gesundheit, Entwicklung und Macht des Staates gewährleisten sollte129. Als besonders wichtig galt das Schulwesen, das zusammen mit der Familie die Gesellschaft bilden sollte, ebenso wie die Kultur und Kunst, d. h. die engagierte (…) Nationalkunst und eine gesunde und zuverlässige Presse130. Das Fundament, auf dem das wiedergeborene Polen aufgebaut werden sollte, war der im Familienhaus verankerte, katholische Glaube, der durch Eltern, Schule, Kultur und Kunst in den Herzen der Jugendlichen gepflegt werden sollte. Zofia Kossak veröffentlichte in der Zeitschrift zahlreiche Artikel, Feuilletons und Reportagen, und die ideologischen Botschaften ihrer publizistischen Texte waren identisch mit denen, die von der Front für die Wiedergeburt Polens verkündet wurden. Außer der Schriftstellerin publizierten auch Ignacy Barski, Jan Kozielewski (Karski), Stanisław Cies´lak von »Juventus Christiana« und Witold Bien´kowski ihre Texte in »Prawda«131. Die Zeitschrift erschien fast bis zum Kriegsende, mit einer kurzen Unterbrechung in der Zeit, als Zofia Kossak von September 1943 bis Juli 1944 im Pawiak und im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau inhaftiert war. Die letzte Ausgabe von »Prawda« kam im August 1944 im aufständischen Warschau heraus. Der Text von Zofia Kossak Prawa i obowia˛zki młodziez˙y [Rechte und Pflichten der Jugend] ähnelt in seinem Stil und Inhalt der Erklärung der FOP. Wie der Titel des Artikels es vermuten lässt, ist er an die Jugend gerichtet, obwohl sich viele der von der Autorin angesprochenen Themen auf die Eltern und deren Rolle bei der Erziehung junger Menschen beziehen. Zofia Kossak war sich der Rolle bewusst, die den Jugendlichen in der Untergrundbewegung zukam. Sie bildeten diesen Teil der Gesellschaft, den man als führende soziale Formation der Kriegszeit132 bezeichnen kann und der als Generation der Kolumbusse133 bekannt ist. 128 129 130 131 132
Deklaracja FOP [Erklärung der FOP], [In:] »Prawda«, IV 1942. Ebd. Ebd. Władysław Bartoszewski. Ska˛d pan jest? Wywiad rzeka…, S. 77. Ebd.
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Von der jungen Generation sollte nämlich die Gestaltung der polnischen Nachkriegsrealität abhängen, und zwar sowohl in Bezug auf das politische System des Landes als auch dessen Kondition in der Nachkriegszeit – seine wirtschaftliche Stärke und das ethisch-moralische Niveau des Volkes. Die Appelle von Zofia Kossak an die Jugendlichen und ihre Eltern sind sicherlich auf ihr Bewusstsein für die Wichtigkeit dieses Problems zurückzuführen. Der Beitrag Prawa i obowia˛zki młodziez˙y wurde im Juli 1942 in »Prawda« veröffentlicht. Ähnlich wie bei dem Artikel Do kobiet polskich wird in der Einleitung an die Frage der Verantwortung von Frau-Mutter für die Erziehung rechtschaffener Polen, sowie an historische Motive angeknüpft – angeführt werden die Namen von bedeutenden Polen und Heiligen, die als Jugendliche infolge ihres wahren Heldentums und ihrer Hingabe an die Heimat berühmt wurden (z. B. Stanislaus Kostka, Boleslaus Schiefmund oder Wladislaus von Warna). Im Gegensatz zu den großartigen Persönlichkeiten aus der polnischen Geschichte schildert die Autorin einen zeitgenössischen jungen Menschen, der um jeden Preis geschützt, von der Gefahr ferngehalten werden muss, dessen Zurückhaltung oder Unwissenheit in Sachen Konspiration von der Gesellschaft allgemein toleriert und sogar gebilligt wird: Heute ist es anders. In der Gesellschaft setzte sich eine Tendenz durch, Jugendliche von gefährlichen Arbeiten fernzuhalten, sie um jeden Preis zu schützen, ihnen die Teilnahme an Unabhängigkeitsbemühungen zu verbieten und ihre diesbezügliche Zurückhaltung oder Gleichgültigkeit zu tolerieren, oder sogar gutzuheißen.134 Eine schonungslose Darstellung dieser ziemlich beunruhigenden, geradlinig zu einer Art Zusammenbruch der patriotischen Haltung unter Polen führenden Tendenzen in Prawa i obowia˛zki młodziez˙y war wahrscheinlich beabsichtigt, vielleicht sollte so das polnische Gewissen aufgerüttelt werden. Da die Informationen über die an Unabhängigkeitsaktivitäten beteiligten Jugendlichen im Text komplett verschwiegen wurden, konnten negative und verwerfliche Haltungen besonders stark hervorgehoben werden, was aber ungerecht gegenüber den Jugendlichen war, die sich für die Angelegenheiten des »Untergrunds« einsetzten. Zofia Kossak bewies, dass eine passive Haltung gegenüber dem Okkupanten niemandem Sicherheit garantierte. Durch die Hand des Feindes fänden sowohl Untergrundmitglieder als auch diejenigen, die nie in ihrem Leben eine illegale Zeitung in die Hand genommen hätten, den Tod. Dieses Thema greift die Schriftstellerin in mehreren Texten aus der Okkupationszeit auf. Dieselben 133 Die Bezeichnung »Kolumbowie« [»Kolumbusse«], die sich auf die polnische Jugend aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs bezieht, ist für immer in die Literaturgeschichte und polnische Kultur eingegangen. Sie entstammt dem Roman Kolumbowie. Rocznik 1920 [Kolumbusse. Jahrgang 1920] von Roman Bratny aus dem Jahre 1957. 134 Z. Kossak, Prawa i obowia˛zki młodziez˙y, [In:] Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 196.
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Worte kann man ebenfalls in den Erinnerungen Z otchłani lesen, wo neben den in den Untergrundkämpfen abgehärteten Verschwörern auch von verängstigten, unschuldigen, zufällig verhafteten Menschen im Lager die Rede ist. In Prawa i obowia˛zki młodziez˙y steht geschrieben: Wenn man nur die Polen in zwei Kategorien aufteilen könnte: diejenigen, die kämpfen, sich einer Gefahr aussetzen und deswegen umkommen, und diejenigen, die sich passiv verhalten und daher unbedroht leben! Dies ist aber nicht der Fall. Der Feind hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Polen auszurotten, ob sie nun gegen ihn kämpfen oder nicht. Die Schläge treffen blindlings sowohl die Aktiven als auch die Passiven.135 Im weiteren Verlauf werden die Eltern erwähnt, die ihren Kindern verboten, an der Untergrundbewegung mitzuwirken, und gleichzeitig für ihre Unterhaltung sorgten, weil sie der Meinung waren, dass Jugendliche das Recht hätten, Spaß zu haben. Die Autorin beklagt sich darüber, dass die Eltern von vornherein annähmen, dass ihre Kinder unvernünftig und unfähig seien, Mut zu zeigen. Das Mitwirken der Jugendlichen an der konspirativen Tätigkeit erscheint nicht als Pflicht, sondern als Recht – auf das eigene Heldentum und Größe. Von den Müttern zu verlangen, dass sie ihre Kinder in den – vielleicht heldenhaften, aber nichtsdestotrotz – Tod schicken, ist eine durchaus umstrittene Haltung. Und dennoch fürchtete Zofia Kossak nicht, als kleinmütig und herzlos abgestempelt zu werden. Die von ihr an die polnischen Mütter gerichteten Appelle entsprangen ihrem aufrichtigen Glauben und der Überzeugung, dass jeder Pole so vorgehen sollte. Für Zofia Kossak war dies selbstverständlich, was das Beispiel ihres eigenen Lebens am überzeugendsten bestätigt – eine Mutter, die ihre jugendlichen Kinder in die konspirative Tätigkeit drängte, auch wenn es für sie eine schmerzhafte Erfahrung war. In der Ausgabe von »Prawda« vom August 1942 erschien in der Dauerrubrik »Pre˛gierz«136 [»Pranger«], wo Vertreter des polnischen Volkes wegen ihrer ver135 Ebd., S. 197. 136 Die Rubrik »Pre˛gierz« war die letzte, manchmal die vorletzte Position in mehreren Nummern von »Prawda«. Die Anordnung der in dieser Rubrik veröffentlichten Texte war wahrscheinlich dadurch begründet, dass die interessantesten Feuilletons in der Regel auf der letzten bzw. vorletzten Seite einer Zeitschrift erscheinen, um das Interesse des Lesers zu wecken, der bewusst die Lektüre von der letzten Seite an beginnt. In der ersten Nummer vom April 1942 legte die Redaktion in Form einer Einleitung die Bestimmung der Rubrik fest, und zwar, die Bekämpfung ungesunder Toleranz gegenüber falschen Haltungen und Taten, es sollte »eine alte Institution wiederbelebt werden: Der Pranger (Schreibweise und Hervorhebung wie im Original – Anmerk. L.S.). Die öffentliche Zurschaustellung und Stigmatisierung des Täters«. Vgl. Pre˛gierz, [Anonym], [In:] »Prawda«, April 1942, S. 8. In der Tat wurden darin diejenigen behandelt, deren Taten nicht nur eines Polen unwürdig waren, sondern auch als größte Gemeinheit betrachtet und unter allen Umständen verurteilt werden mussten. Dazu gehörten die Texte über Denunzianten, die politisch anders denkende Polen bei der Gestapo anzeigten (»Prawda«, Mai 1942), über Menschen, die die schwierige Lage unter der Hitlerbesatzung zur eigenen Bereicherung ausnutzten und
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werflichen Taten – Kollaboration, Verrat bzw. Feigheit – angeprangert wurden, ein kurzer Beitrag mit dem Titel Co najgorsze137 [Das Allerschlimmste], in dem sich Zofia Kossak in recht harschen Worten zur Gedankenlosigkeit, um nicht zu sagen Dummheit, jener polnischen Frauen äußerte, die angesichts der nationalen Tragödie ihre Aufmerksamkeit weiterhin auf solch triviale Sachen richteten, wie gepflegter Haarschnitt bzw. perfekt gezupfte Augenbrauen, und dies oft aus dem Wunsch heraus taten, deutschen Offizieren zu gefallen. Für diese Frauen habe die Okkupation nichts geändert. Wenn Zofia Kossak ihre Haltung kommentiert, greift sie zu expressiven Beschimpfungen: »hirnlose Puppen«, »frisierte Strubbelköpfe«, »zügellose Weiber«. Die bissigen, mit Ironie durchsetzten Attribute bringen die absolute Ablehnung der Schriftstellerin gegenüber solcher Vorgehensweise zum Ausdruck. Die Unüberlegtheit und Eitelkeit dieser Frauen sind ein Angriff auf das Wohl der Familie, die für Zofia Kossak den höchsten Wert darstellt. Die Autorin bezieht sich auf das historische Bild der Frau – einer Patriotin, die das Polentum in den Herzen ihrer Kinder pflegt, einer Hüterin von Heim und Heimat, einer treuen Ehefrau, die auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg, Aufstand bzw. Exil wartet. Angesichts der sich ausbreitenden, falschen Haltungen und Verhaltensmuster setzte sich die Schriftstellerin zum Ziel, die Gesellschaft und Jugend davor zu schützen, und die führende Rolle bei der Umsetzung dieser Aufgabe schrieb sie den stolzen, ehrlichen patriotisch gesinnten Polinnen zu: Alle ehrlichen, stolzen und treuen Frauen, die sich als Polinnen fühlten, sollten für die Gegenmaßnahmen engagiert werden. Ihr Einfluss, ihr Boykott würde vielleicht die zügellosen Weiber etwas bändigen, die zynisch behaupten: ich habe es so schwer… ich kann kein drittes Jahr ohne Mann mehr aushalten.138 Der letzte Absatz des Feuilletons weist den Leser darauf hin, wer an diesem Zustand schuld ist. Die tiefgläubige und religiöse Katholikin, die in Opposition zu den liberalen Kreisen des Vorkriegspolens stand, schreibt: Wir, Katholiken, wussten es, dass die von dem verstorbenen Boy und Co. gestreute Saat schädlich ist. Wir haben laut darüber gesprochen, darüber geschrieben. Aber wir haben nicht gedacht, dass die verfluchte Saat so schnell und so üppig aufgeht, und dass wir eine »goldene« Geschäfte auf Kosten ihrer Mitbürger machten (»Prawda«, Mai 1942), über Ehefrauen, die »Lebensprüfung nicht bestanden haben« und in Abwesenheit ihrer in Kriegsgefangenschaft befindlichen Ehemänner Scheidungsanträge bzw. Anträge auf Eheauflösung stellten (»Prawda«, April 1942), sowie viele andere Situationen und Tatsachen, die der öffentlichen Schande preisgegeben wurden. In der Rubrik erschien auch der Text Co najgorsze [Das Allerschlimmste], in dem die Untreue der polnischen Frauen angeprangert wurde. 137 Z. Kossak, Co najgorsze [Das Allerschlimmste], [In:] »Prawda«, VII 1942, S. 10 (Die Urheberschaft von Zofia Kossak wurde bestätigt von S. Jon´czyk und M. Pałaszewska in: Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 358). 138 Ebd.
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so bittere Ernte einfahren werden.139 Dabei lässt sich Kossaks gewissermaßen extremes, ja bösartiges Verhältnis zu dem bekannten Publizisten und Übersetzer der Vorkriegszeit nicht übersehen, den die Schriftstellerin als einzig Schuldigen an der eingetretenen Situation ansieht. An dieser Stelle ist der auf der Titelseite publizierte Text zu erwähnen, der die Merkmale eines Einführungsartikels trägt, und zwar Kto z nami? [Wer steht auf unserer Seite?] (Ausgabe von »Prawda« vom August 1942). Es ist ein typischer Programmartikel der Front für die Wiedergeburt Polens, welcher sich auf die ideologischen Fragen bezieht, wobei daran zu erinnern ist, dass die eigentliche Erklärung der FOP, in der die Ziele und Grundsätze der Organisation im Einzelnen festgelegt wurden, bereits einige Monate zuvor in der ersten Ausgabe von »Prawda« vom April 1942 erschienen war. In Kto z nami? knüpft Zofia Kossak an die Parole an, die schon früher in der Zeitschrift zu lesen war: Jedes System ist gut, aber nur mit Gott – jedes System ohne Gott ist schlecht.140 In ihrem Artikel betont die Schriftstellerin den überparteilichen Charakter der Organisation, zu deren Reihen alle gehören können, die sich zu den christlichen Werten bekennen: Wir wiederholen es noch einmal, dass die Grundsätze des katholischen Glaubens und der katholischen Moral, sowie die Soziallehre der Kirche es nicht verbieten, dieser oder jener politischen Gruppierung anzugehören, solange sie sich nicht zu einer dem Christentum feindlichen Weltanschauung bekennt und sich nicht nach Grundsätzen richtet, die der christlichen Ethik widersprechen.141 Die politischen Grundsätze der Front für die Wiedergeburt Polens manifestierten sich in der Forderung nach Ehrlichkeit in allen gesellschaftspolitischen Bereichen: ehrliche Gesetze, ehrliche Regierungen, ehrliches politisches und soziales Handeln, während die eigentliche Tätigkeit der FOP auf »Diversion« ausgelegt war, deren Ziel nicht darin bestand, die tätigen Organisationen zu zerschlagen bzw. Macht und Zuständigkeiten zu übernehmen, sondern diese bestehenden Organisationen bzw. Kreise so zu beeinflussen, dass Gott und seine Gesetze sowohl in Hinblick auf die Qualität der Gesetze als auch die Art und Weise des Regierens den obersten und führenden Platz einnehmen142. Diese durchaus weise und zeitlose Aussage über die Sehnsucht jedes Polen nach Ehrlichkeit unter den Regierenden bezieht sich auf Kazania sejmowe [SejmPredigten], in denen Piotr Skarga im Bewusstsein der Schwierigkeiten des Regierens über das Land und die ganze Nation auf die Notwendigkeit hinweist, dass alle Regierenden bei dieser schwierigen, aber sehr wichtigen Aufgabe auf die 139 Ebd. 140 Z. Kossak, Kto z nami?, »Prawda«, VIII 1942 (Die Urheberschaft von Zofia Kossak wurde bestätigt von S. Jon´czyk und M. Pałaszewska in: Zofia Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 358). 141 Ebd. 142 Ebd.
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Hilfe Gottes vertrauen. Nach Skarga bilden Gott und Ethik die Grundlagen eines starken und gesunden Staates. Diese Ansicht unterscheidet sich kaum von den Grundsätzen der FOP. Skarga nennt ebenfalls »nachbarschaftliche Zwistigkeiten und Uneinigkeiten« als eines der Übel, welche die Polnische Republik plagen. Man könnte also die These aufstellen, dass Kazania Sejmowe auch im Streben der FOP nach Unabhängigkeit und Überparteilichkeit, wenn auch innerhalb der Kreise, die nicht in Widerspruch zu der christlichen Ethik stehen, Widerhall finden. Zwischen den Appellen zur politischen Ehrlichkeit finden sich auch verurteilende Worte, die denjenigen gelten, die aus persönlichem Ehrgeiz und rücksichtslosem Karrierismus vortäuschen, Polen zu dienen, stattdessen aber sich selbst dienen143. Kto z nami? ist ein Programmartikel der FOP, aber auch ein Motto von ehrlichen und sich nach Ehrlichkeit sehnenden Menschen, die nicht unbedingt etwas mit der Front für die Wiedergeburt Polens zu tun hatten. Darüber hinaus sind darin spezifische Vorgaben für alle gesellschaftlich-politischen Kreise, aber auch eine Warnung enthalten. Schließlich ist Kto z nami? eine rhetorische Frage, eine Art Einladung, sich den Reihen der Polen anzuschließen, die das moralische Recht haben, Ehrlichkeit von anderen zu verlangen, weil sie selbst ehrlich sind. Der Artikel endet mit den Worten: Wer ist auf unserer Seite? Wir sind überall! – überall gebe es echte Polen, die ehrlich und treu zu ihrer Heimat stünden, und ihre Zahl sollte sich noch vermehren. Zofia Kossak wendete sich mit ihren Texten an junge Menschen bzw. deren Eltern (Do kobiet polskich, Prawa i obowia˛zki młodziez˙y), die den größten Einfluss auf die Entwicklung und Gestaltung der Persönlichkeiten ihrer Söhne und Töchter hatten. Die Autorin von Poz˙oga, wie auch die Vertreter der meisten politischen Gruppierungen, war sich der Bedeutung der Erziehung der Jugend und deren Formung nach bestimmten, von der jeweiligen Umgebung anerkannten Prinzipien bewusst. Sie wollte Jugendliche dazu bewegen, nach christlichen Werten, nach den Grundsätzen der katholischen Kirche zu leben. Diese sollten den künftigen Wiederaufbau eines starken und gesunden Staates garantieren. Mit Feder und durch ihre eigene Haltung, die für viele ein Vorbild war, kämpfte Zofia Kossak um den jungen Menschen und seine gut ausgerichteten Ideale – dank denen ein moralisch starkes und ehrliches Volk in Zukunft imstande sein würde, einen eben solchen Staat aufzubauen. Obwohl Zofia Kossak nach ihrem Aufenthalt im Konzentrationslager im August 1944 erschöpft und ermattet war, setzte sie ihre publizistische Tätigkeit fort. In dem Bewusstsein, dass sich der Krieg dem Ende zuneigt, veröffentlichte sie Texte, in denen sie sich zu den sie quälenden Fragen äußerte, und zwar: was 143 Ebd., S. 2.
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nach dem Krieg geschehen werde und welche Aufgaben auf die Polen zukommen würden. In der August-Ausgabe von »Prawda« aus dem Jahr 1944 erschien der Artikel Zadania na jutro [Aufgaben für morgen]. Darin legte Zofia Kossak sehr ausführlich ihre Erwartungen an die polnische Gesellschaft fest. Sie forderte vor allem eine systematische Organisationsarbeit in allen Bereichen unseres Lebens, sowohl des kollektiven als auch des individuellen. Und obwohl solche Arbeit nicht dem nationalen Charakter entspricht, müssen wir sie tun, um Frieden zu gewinnen, so wie wir jetzt den Krieg gewinnen144. Die Schriftstellerin warf den Polen vor, dass sie als katholisches Volk, das in einem Land zwischen zwei aggressiven Nachbarn lebte, es bisher versäumt hatten, den Nachbarvölkern die Werte beizbringen, welche einen solch grausamen Lauf der Geschichte vielleicht hätten verhindern können, wenn die beiden sich diese zu eigen gemacht hätten. Und gerade die »Arbeit an den Seelen« der Besetzer Polens, deren Schuld am größten war, stellte ihrer Ansicht nach eine der wichtigsten Aufgaben der Polen unmittelbar nach dem Krieg dar. Zofia Kossak war sich dessen bewusst, dass man mit der Wiederherstellung der Moral bei sich selbst anfangen muss. Dieses Handeln sollte durch die Angst vor dem in die Herzen und Köpfe der Polen eindringenden Bösen motiviert sein, aber auch durch den Gedanken daran, dass unser Nachbar, auch wenn er Feind und Peiniger ist – ein Kind Gottes und ein Mitglied des mystischen Leibes Christi bleibt145. In dem Text hallt die spezifische Idee des Messianismus wider, die im Grunde genommen das gesamte Schaffen von Zofia Kossak in der Okkupationszeit begleitet und dem Hauptgedanken der Front für die Wiedergeburt Polens entspringt. Das Kollektiv, welches das große Werk der Welterneuerung vollziehen sollte, sind die polnischen Katholiken, die den Wandel nicht nur zu erwarten, sondern daran mitzuwirken haben. Das katholische Polen erscheint als ein auserwähltes Land, dessen Bewohner sich nicht absondern, entfremden, sondern ihre Mission auch unter anderen Völkern verbreiten sollten. Die Schriftstellerin gibt keine fertigen Antworten auf die Frage, wie diese Arbeit aussehen sollte. Sie bietet keine konkreten Lösungen an. Der diesmal ohne starke emotionale Färbung verfasste Artikel macht lediglich darauf aufmerksam, dass die Polen neben dem Wiederaufbau des polnischen Staates auch ihren Nationalcharakter verändern müssen, was sich auch auf die Nachbarländer konstruktiv auswirken würde. Es ist eine Art Prophezeiung, die in den Werken von Zofia Kossak aus der Okkupationszeit relativ häufig vorkommt. In Zadania na jutro zeigte die Autorin noch während des Krieges die Denkrichtungen auf, 144 Z. Kossak, Zadania na jutro [Aufgaben für morgen], [In:] »Prawda. Pismo polskich katolików s´wieckich«, August 1944, S. 10. 145 Ebd.
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die nach mehreren Jahrzehnten, im 21. Jahrhundert, zu reifen beginnen und langsam die Gestalt konkreter Handlungen annehmen (die polnisch-deutsche Versöhnung ist ein Versuch, die historischen Barrieren zwischen Polen und Russland zu überwinden, auch in Bezug auf sehr schmerzhafte Angelegenheiten). Erwähnenswert sind die späteren Veröffentlichungen von Zofia Kossak, die sich direkt auf die in der Erklärung der Front für die Wiedergeburt Polens enthaltenen Ideen beziehen und vor allem die Notwendigkeit der Umwandlung der polnischen Katholiken, propagieren: Ba˛dz´ katolikiem [Sei katholisch], veröffentlicht in »Prawda« im April 1943, und Od redakcji [Von der Redaktion] in der Nummer vom August 1944. In Ba˛dz´ katolikiem konzentrierte sich die Schriftstellerin zwar immer noch auf das Problem der Umwandlung des Menschen, doch in den Mittelpunkt der Überlegungen stellte sie die Frage des inneren Lebens. Im Artikel hob Zofia Kossak nachdrücklich die Bedeutung des Gebets und einer aktiven und bewussten Teilnahme an der heiligen Messe hervor. Diesen Fragen widmete sie auch den Artikel Modlitwa na dzien´ dzisiejszy [Gebet für heute], der etwa zur gleichen Zeit, im März 1943, in »Prawda« herauskam. Die regelmäßige und bewusste Teilnahme an der Eucharistie war für sie gleichbedeutend mit der gemeinsamen Herrschaft über die Welt mit Gott: Aber Christus behält die Macht nicht nur für sich selbst, sondern teilt sie mit denen, die »Seine Miterben« sind. Durch die Befolgung Seines Willens, durch das Gebet für Seine Vorhaben, durch das Leiden mit Ihm, durch die Teilnahme an der heiligen Messe, haben wir Anteil an Seiner Herrschaft über die Welt.146 Durch das Gebet und die Teilnahme an der Eucharistie habe jeder Katholik Einfluss auf die Gestaltung der Welt, sowohl im metaphysischen Sinne – Gott erhört die Gebete seiner Gläubigen – als auch im Sinne der Arbeit an sich selbst. Denn das Gespräch mit Gott und der Empfang der heiligen Kommunion prägen die menschliche Seele, machen Menschen immer besser und bewirken die ersehnte Wandlung von einem nominellen Anhänger des Katholizismus zum leidenschaftlichen und wahrhaftig gläubigen Katholiken, was wiederum das Verhalten, den Glaubensmangel bzw. Kleinmut beeinflussen soll: Können wir sicher sein, dass Gott das Lebensschicksal eines Menschen, dessen Ewigkeit, das Schicksal unserer Heimat, die Stunde des Kriegsendes nicht davon abhängig gemacht hat, dass wir unsere Sünden aufrichtig bereuen, dass wir uns von irgendeiner Schwäche lossagen, dass wir unser Herz von irgendeiner Bindung lösen – vielleicht sogar von einer anständigen, aber weniger vollkommenen – davon, dass wir nicht nur der Gnade nicht widerstehen, sondern sie auch nicht zu spät annehmen, ihr
146 Z. Kossak, Ba˛dz´ katolikiem [Sei katholisch], [In:] »Prawda«, Warszawa, IV 1943, S. 5.
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keine Grenzen setzen.147 Zofia Kossak spricht des Weiteren das für Atheisten auch heute noch schwer zu verstehende Problem des Leidens an. Ihr nach ist das Leiden die Gelegenheit, ein Opfer für die Anliegen der Nächsten, für die Anliegen der ganzen Nation und der Heimat zu bringen. Wenn einem Menschen ein Unglück oder ein Leiden widerfährt, so sei dies vielleicht ein Aufruf Gottes, ein großes oder kleines, aber lästiges und andauerndes Opfer zu bringen148. Zofia Kossak fordert dazu auf, das Geschehene (die Schrecken des Krieges) nicht als Strafe anzusehen, sondern als Gelegenheit, unsere Seele zu heilen, und vielleicht auch als Chance, die Welt zu heilen. Die Schriftstellerin erklärt das Wesen des Martyriums des gekreuzigten Christus in klar verständlichen Worten: (…) obwohl wir körperlich gefesselt, angekettet und auf den Boden gedrückt, in dem Zeitalter einer allgemeinen Verwirrung und einer Flut von unzähligen Verbrechen leben, deren schmutzige Wellen alles zu überschwemmen scheinen – sind wir dennoch nicht machtlos. »Das Opfer Gottes wird nicht mit der ihm gebührenden Heiligkeit gefeiert – sagt der heilige Cyprian – wenn unser eigenes Opfer und unsere eigene Hingabe nicht mit dem Opfer des Kreuzes vereint sind«. Welch Reichtum sind die gegenwärtigen Momente angesichts dieser Worte!149 Die Autorin von Z otchłani betrachtet Krieg, Leid und menschliche Tragödien als eine Chance, ja sogar eine Pflicht, all unsere Leiden, Qualen, Entbehrungen und Sorgen in dem Geist eines aktiven Mitleidens und Mitopfers mit Christus zu erleben, so wie Er mit uns im Olivengarten und am Kreuz gelitten hat (…)150. Es scheint, dass die Theodizee von Zofia Kossak, die sie in ihren publizistischen Texten verkündete, für Ungläubige vielleicht unverständlich, für einen tiefgläubigen Katholiken allerdings klar und offensichtlich sein sollte. Aber auch unter den Katholiken führte das Ausmaß des sie umgebenden Bösen manchmal dazu, dass sie sich vom katholischen Glauben und von Gott abwandten. Für viele waren Massenmorde, Genozid und Gräueltaten des Okkupanten ein Beweis dafür, dass es keinen Gott gibt – viele erklärten, dass er, wenn es ihn gäbe, die Ungeheuerlichkeit des verübten Bösen nicht zugelassen hätte. Zofia Kossak wollte dem sekundären Heidentum entgegenwirken, über welches sie früher in der Broschüre Jestes´ katolikiem… Jakim? [Bist Du Katholik?… Was für einer?] geschrieben hatte. Deswegen widmete sie in ihren Texten auch der »Lehre des Kreuzes« bzw. den Fragen nach dem Sinn des erlittenen Leidens und Schmerzes viel Raum.
147 148 149 150
Ebd., S. 5. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Ebd., S. 6.
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Obwohl die Sprache und der Stil von Ba˛dz´ katolikiem stark emotional gefärbt sind und anderen Texten von Zofia Kossak aus der Okkupationszeit ähneln, ist auf die spezifische Verwendung von Imperativformen der Verben in der ersten Person Plural hinzuweisen, wie zum Beispiel: »überlegen wir«, »seien wir bereit«, »denken wir daran«! Hier, anders als es bei z. B. Jestes´ katolikiem… Jakim? der Fall war, wo die zweite Person Singular vorherrschte, manchmal auch im Imperativ, führt der Einsatz von Pluralformen zur Entschärfung der Aussage und gibt dem Leser zu verstehen: wir – das heißt nicht nur du, sondern auch ich mit dir. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch die auf Fragen der größten Heiligkeit bezogene Thematik den Einsatz einer weniger kategorischen Form bedingt, weil die erste Person Plural als solche anzusehen ist. Es geht nicht mehr darum, auf die Fehler der polnischen Katholiken hinzuweisen bzw. deren Wandlung zu »fordern«, sondern um eine etwas mildere Form der Verpflichtung aller Gläubigen zu bestimmten Handlungen und Taten. In einem ähnlichen Ton wie in Ba˛dz´ katolikiem knüpfte die Autorin von Szalen´cy Boz˙y an die wichtigsten göttlichen Tugenden in dem Artikel Zapoznana cnota [Die vertraute Tugend] an, der 1943 in »Prawda« (August-SeptemberNummer) veröffentlicht wurde. Neben den drei wichtigsten Tugenden, die im Katechismus der Katholischen Kirche genannt sind – Glaube, Hoffnung und Liebe – betonte die Schriftstellerin die Bedeutung der ihrer Meinung nach unterschätzten Tugend der Demut. Dabei bezog sie sich nicht auf die Parolen über den Wandel der Katholiken oder den geistigen Wandel des Menschen. Sie schrieb über die Demut als unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung aller anderen Tugenden151, die unerlässlich für den Vollzug eines menschlichen Wandels überhaupt ist. Nach ihrer Auffassung bedeutete Demut nicht Selbsterniedrigung, Flachheit, oder gar einen Minderwertigkeitskomplex. Ein demütiger Mensch ist jener, der Gott für alles preist (…) und auf seine Fähigkeiten vertraut, weil er weiß, dass Gott sie vermehren kann, wenn er will. Der demütige Mensch nimmt große und scheinbar unmögliche Aufgaben auf sich, weil er die Unterstützung Gottes fühlt152 Der demütige Mensch urteilt nicht über andere, er lebt im göttlichen Willen, ohne gegen die Urteile Gottes zu polemisieren. Eine zutiefst katholische Haltung, sowohl in Bezug auf die geistige Wandlung des Menschen als auch auf sein äußeres Leben, das ja die Frucht der Ersteren ist, bildeten laut der Schriftstellerin das Fundament. Auch in dem Artikel Od redakcji [Von der Redaktion] – der in seiner Form einem Einführungsartikel ähnelt – kam sie auf das Thema der Wiedergeburt des polnischen Katholizismus zurück. Von September 1943 bis Juli 1944 wurde die Veröffentlichung von »Prawda« aufgrund der Verhaftung der Schriftstellerin und ihres Aufenthalts im Kon151 Z. Kossak, Zapoznana cnota [Die vertraute Tugend], [In:] »Prawda«, VIII–IX 1943, S. 2. 152 Ebd., S. 3.
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zentrationslager Auschwitz-Birkenau und im Pawiak eingestellt. Die Nummer vom August 1944 war die erste, die nach dieser langen Pause erschien, weswegen auf der Titelseite der bereits erwähnte, einleitende Artikel Od redakcji gedruckt wurde. Darin gab man die Gründe für die Nichterscheinung der Zeitschrift in den vergangenen Monaten bekannt und ging zugleich erinnerungshalber auf die wichtigsten programmatischen Ideen der Front für die Wiedergeburt Polens ein. Es war ein Echo der Ideologischen Erklärung der FOP, die in »Prawda« vom April 1942 veröffentlicht wurde, deren Hauptgedanke die moralische Erneuerung der Welt durch die moralische Wiedergeburt des Einzelnen war. Die Autorin von Dziedzictwo [Der Nachlass] weist abermals darauf hin, dass nur die Katholiken »die Welt aus dem Abgrund auferstehen lassen« können. Und wir bezweifeln – wie man weiter liest – dass es irgendein anderer Steuermann zu tun imstande wäre.153 Die Schriftstellerin war sich der Verfassung des polnischen Katholizismus durchaus bewusst, sie wusste, dass wir nur durch unsere eigene Bedeutsamkeit Einfluss auf das Schicksal unseres Landes und der ganzen Welt erlangen können, indem wir das Vertrauen und den Respekt der Nichtkatholiken gewinnen.154 Die schätzens- und bewundernswerte Haltung der Katholiken ist ihre größte Waffe, deshalb war und ist es wohl auch heute noch so wichtig, dass jeder, der sich als Katholik sieht, sich so verhält, wie es der Katechismus vorschreibt, und mit seiner Haltung die Bewunderung und Anerkennung der Anderen – auch der Nichtgläubigen – gewinnt. Ähnlich wie in der Broschüre Jestes´ katolikiem… Jakim? ist ebenfalls in dem betreffenden Text von der spezifischen »Typologie der Katholiken« sowie der Notwendigkeit, »ein Modell des Katholiken zu erarbeiten«, das für diese besondere Zeit – die Zeit des Krieges – am wünschenswertesten wäre, die Rede. Auch in diesem Fall betont die Schriftstellerin, dass der häufigste Typus des Katholiken – ein Scheinheiliger, der leider recht häufig anzutreffen ist, einen erheblichen Teil der Verantwortung für die heutige allgemeine Unbeliebtheit der Kirche trägt155. Die Autorin von Krzyz˙owcy hielt die Notwendigkeit eines geistigen Wandels des polnischen Katholizismus für ein dringendes Thema. Davon hing ihrer Meinung nach die Gestalt des künftigen Polens und der Welt ab, sowohl was den direkten Einfluss eines Katholiken auf die Erziehung der Jugend, auf die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten des Landes betrifft, als auch im Hinblick darauf, dass er nur dank einer wahrhaft moralischen, ehrlichen, katholischen Haltung die tiefe Achtung aller Menschen, auch der Nichtgläubigen, erreichen könnte. Dies würde dazu führen, dass sich immer mehr Menschen den Katholiken anschließen würden: Diese Linie würde nicht dazu dienen, sich von irgendjemandem abzu153 Z. Kossak, Od redakcji [Von der Redaktion], [In:] »Prawda«, Warszawa, VIII 1944, S. 1. 154 Ebd. 155 Ebd., S. 2.
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sondern, sondern ganz im Gegenteil, andere anzuziehen. Wir wollen, dass alle zu uns kommen, und das wird nur dann geschehen, wenn wir zu w i r k l i c h e n Katholiken geworden sind. Wir haben keine anderen Ziele und Bestrebungen.156 Der letzte Satz des Zitats ist der letzte Satz des Artikels. Er scheint zu bestätigen, wie wichtig für die Schriftstellerin die in ihren Texten aus der Hitlerbesatzung wiederkehrende Forderung nach einem Wandel der Katholiken ist, deren Aufgabe es sein sollte, alle Menschen zu vereinen und die Welt zu verändern. Unter zahlreichen Texten von Zofia Kossak über den Glauben und die Religion finden sich mehrere, in denen die Schriftstellerin auf Prophezeiungen, Wahrsagerei bzw. prophetische Zeichen Bezug nimmt. In dem ersten von ihnen, Sen-mara, Bóg-wiara [Träume sind Schäume], der im August 1942 in »Prawda« veröffentlicht wurde, warnte Zofia Kossak zwar vor selbsternannten Hellsehern, Wahrsagern und der Suche nach immer neuen Zeichen, die das Ende des Krieges ankündigten, aber zugleich vertrat sie die Meinung, dass einige der von Mund zu Mund weitergegebenen Prophezeiungen »ehrwürdig« seien, nichts Böses enthielten und dass es nicht schädlich wäre, sich mit ihnen zu befassen, wenn ihre unzähligen Umschreiber (…) nicht immer wieder die Redaktion verändern würden, indem sie sie nach ihren innersten Wünschen interpretieren, vor allem durch das Hinzufügen von Termini157. Zofia Kossak warnte vor einem blinden Glauben an Prophezeiungen, der oft zu Fatalismus und einem passiven Warten darauf, was geschehen soll, führe. Erstaunlich sind daher ihre darauf folgenden Worte, die in Widerspruch zu dem zuvor Gesagten zu stehen und sogar den auf manchen Aberglauben und Zaubereien bezogenen Verboten der katholischen Kirche zu widersprechen scheinen: Der Hellseher, wie der Chiromant, definiert die Möglichkeiten, die Gott den Menschen vorgibt. Es ist eine Frage des freien menschlichen Willens, diese Möglichkeiten zu nutzen oder sie zu vertun. Wer an bestimmte Prophezeiungen glaubt und deren Erfüllung wünscht, muss aktiv in diesem Geist arbeiten.158 Es ist schwierig, eindeutig festzustellen, wie die Schriftstellerin zu den kursierenden Prophezeiungen stand – ob sie daran glaubte oder versuchte, sie in irgendeiner Weise zu interpretieren. Sicher ist, dass sie sich vor dem Krieg von Agnieszka Pilchowa beraten ließ, die als »Hellseherin aus Wisła« bekannt war und welcher die bereits erwähnte Prophezeiung aus Te˛goborze159 zugeschrieben wird, worüber Anna Szatkowska160, die Tochter der Schriftstellerin, schreibt. Vielleicht glaubte die Autorin von Z otchłani also doch an den Wahrheitsgehalt der Prophezeiung? 156 157 158 159 160
Ebd., S. 3. Z. Kossak, Sen – mara, Bóg – wiara [Träume sind Schäume], [In:] »Prawda«, VIII 1942, S. 7. Ebd., S. 7–8. S. Hadyna, Przez okna czasu [Durch die Fenster der Zeit], Kraków, 1993, S. 67. A. Szatkowska, Był dom…, S. 30–31.
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Unabhängig von der Einstellung der Autorin zu Wahrsagerei und Prophezeiungen in Sen-mara, Bóg-wiara betonte sie schließlich, dass die einzige legitime, verbindliche und sichere Prophezeiung für einen Katholiken die in der Heiligen Schrift offenbarte Wahrheit sei. Zofia Kossak kam noch zweimal auf Prophezeiungen zu sprechen – im Juli 1943 veröffentlichte sie in der Rubrik Głosy z oddali [Stimmen aus der Ferne] in »Prawda« drei kurze Texte: Quando Marcus Pascham dabit, in dem sie an die Prophezeiungen von Schwester Nimfa vom Orden der Dienerinnen des Heiligen Geistes aus Krakau anknüpfte, Tej samej krwi [Des gleichen Blutes], der ein Zitat aus einem Brief von Rafał Krajewski161, dem Mitglied der Nationalregierung und Direktor der Abteilung für Inneres während des Januaraufstands, ist, der am 5. August 1864 an den Hängen der Warschauer Zitadelle erhängt wurde, sowie Proroctwo, które sie˛ spełniło [Die Prophezeiung, die in Erfüllung ging], die sich auf Der Mythus des 20. Jahrhunderts von Alfred Rosenberg162 bezieht, welcher rassistische Theorien verbreitete und sich kritisch zu den Worten von Papst Pius IX. äußerte, der Bismarck und das deutsche Volk als diejenigen bezeichnete, die sich über Gott erheben und deswegen in einer Weise gedemütigt werden sollen, wie es keine Nation je zuvor erlebt hatte163. Anspielungen auf Prophezeiungen sollen die Empfänger dazu bewegen, sich für deren Erfüllung einzusetzen. Im Fall von Quando Marcus Pascham dabit handelt es sich auch um einen Appell, Leiden und Qualen geduldig zu ertragen, die als Opfer im Namen des Sieges und einer besseren Zukunft betrachtet werden sollten. In diesem Text erinnerte die Schriftstellerin an die Person von Schwester 161 Rafał Krajewski (1834–1864) – Pseudonyme Wujaszek, August, Helena; Teilnehmer des Januaraufstands, von Romuald Traugutt zum Direktor der Abteilung für Inneres ernannt; man bot ihm eine Stelle in der Nationalregierung an, aber er zog es vor, in der Abteilung für Inneres zu bleiben, wo er als Referent für zwei Provinzen – Krakau und Sandomir – tätig war; in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1864 wurde er von den Russen verhaftet und in der Warschauer Zitadelle inhaftiert, wo er während der Ermittlungen trotz Misshandlung und Aushungerung ungebrochen blieb; nach Zeugenaussagen gestand er schließlich die Leitung der Abteilung für Inneres und wurde zum Tode verurteilt. Er wurde am 5. August 1864 an den Hängen der Warschauer Zitadelle zusammen mit anderen Aktivisten des Januaraufstands – Romuald Traugutt, Jan Jezioran´ski, Józef Toczyski – erhängt; nach: S. Kieniewicz, E. Kozłowski, Polski Słownik Biograficzny [Polnisches Biografisches Wörterbuch], Wrocław 1990, Bd. XVI, S. 117–118. 162 Alfred Rosenberg (1893–1946) – einer der Hauptbegründer rassistischer Theorien, NSIdeologe, seit 1920 Mitglied der NSDAP und führender Publizist ihres Organs »Völkischer Beobachter«; Autor des Buches Der Mythus des 20. Jahrhunderts aus dem Jahre 1930, welches neben Mein Kampf das wichtigste Werk mit nationalsozialistischen Theorien war; nach dem Krieg verhaftet und vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zu Tod durch Erhängen verurteilt; hingerichtet am 16. Oktober 1946. Vgl. Wielka Encyklopedia PWN [Große Enzyklopädie PWN], Bd. XXIII, Warszawa, 2004. 163 Z. Kossak, Głosy z oddali: Quando Marcus Pascham dabit, Tej samej krwi, Proroctwo, które sie˛ spełniło…, [In:] »Prawda«, VII 1943, S. 8–9.
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Nimfa Suchon´ska, einer Nonne im Orden der Kanonikerinnen des Heiligen Geistes de Saxia in Krakau, die im Jahre 1700164 zahlreiche Offenbarungen erlebte und in Polen für ihre Visionen über die Zukunft des Landes berühmt wurde. Nach den Worten der Schriftstellerin soll ihr von Gott verkündet worden sein: Angenommenes und aufgeopfertes Leid wird dein Volk vor Meinem Zorn bewahren.165 Die wichtigste Botschaft des gesamten Textes ist die Lehre des Kreuzes, die Liebe zum Leiden, das nicht als Strafe, sondern als Gnade anzusehen ist, dank der jeder Mensch ein Opfer in einer bestimmten Intention darbringen kann. Kossak schreibt: Heute wird so viel Leid über die Menschen gebracht. Dieses Kapital darf nicht verschwendet werden. Diejenigen, die davon betroffen sind, sollen erkennen, dass dies der Preis für das künftige, große und glückliche Polen ist.166 Auf eine etwas andere Weise behandelt die Autorin von Szalen´cy Boz˙y die Prophezeiungen, oder genauer gesagt symbolische »Zeichen« in einem kurzen Text mit dem Titel Proroctwo, które sie˛ spełniło. Darin zitiert die Schriftstellerin eine Passage aus dem Buch von Adolf Rosenberg – einem der Begründer der rassistischen Theorien, dem »Flügeladjutanten« von Adolf Hitler, »Johannes der Täufer des Messias Adolf« – wie sie ihn selbst bezeichnet. Das zitierte Fragment bezieht sich auf die Worte von Papst Pius IX., mit denen er sich bereits 1874 durchaus abwertend über Bismarck und das deutsche Volk äußerte. Laut Rosenberg zeugten die Worte von dem gegen Deutschland gehegten Hass des Vatikans. Zofia Kossak hingegen weiß zu argumentieren, dass die von Rosenberg angeführten Worte des Papstes Pius IX. über die Deutschen und das deutsche Volk die Unfehlbarkeit des Nachfolgers Petri unter Beweis stellen, denn alles, was das Oberhaupt der katholischen Kirche Ende des 19. Jahrhunderts gesagt hatte, bewahrheitete sich soeben: Bismarck ist eine Schlange im Paradies der Menschheit. Diese Schlange verführt das deutsche Volk dazu, mehr sein zu wollen als Gott, und diese Selbsterhöhung wird von einer Demütigung begleitet sein, wie sie noch kein Volk zuvor erlitten hat. Der Allmächtige allein weiß, ob sich nicht schon »ein Sandkorn auf den Hügeln der ewigen Vergeltung« abgelöst hat, um im Herunterrollen zu einer Lawine heranzuwachsen und Jahre später auf die tönernen Füße dieses Staates zu stürzen, der einst wie der Turm zu Babel gegen Gott entstand und der zur Ehre Gottes vergehen wird… .167 Die Autorin von Rok polski [Das polnische Jahr] benutzte jedoch diese Prophezeiung von Papst Pius IX. dazu, den Glauben an den Sieg zu fördern. In der August-September-Ausgabe von »Pra164 Do nicos´ci larum graja˛, czyli ksie˛ga proroctw najstarszych oraz współczesnych [Der Ruf nach dem Nichts oder das Buch der ältesten und modernen Prophezeiungen], hrsg. von P. Płatek, Kraków 1998, S. 37. 165 Z. Kossak, Quando Marcus Pascham dabit…, S. 8. 166 Ebd. 167 Z. Kossak, Proroctwo, które sie˛ spełniło…, S. 9.
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wda« aus dem Jahr 1943 findet man einen weiteren kurzen Text mit dem Titel Zapomniane skojarzenie [Vergessene Verbindung]. Der Verweis auf »Zeichen« und »Symbole« kann als Versuch gedeutet werden, Zweifler in ihrem Glauben an die göttliche Gerechtigkeit und Macht zu bestärken. Dieser nicht sehr umfangreiche Text, der keine direkt moralisierenden bzw. belehrenden Inhalte hat, wie sie für Zofia Kossak charakteristisch sind, ist in gewisser Weise ein kurzes, zum Nachdenken anregendes Signal – eine Erinnerung an Gottes Macht und Gerechtigkeit. Die Botschaft enthält sowohl einen Appell, sich eines Katholiken würdig zu verhalten, als auch eine Ermutigung für diejenigen, die am Sieg und an der Gerechtigkeit Gottes zweifelten. Einige der Texte, die sich mit den intimsten Fragen des Sacrums – der heiligen Kommunion und dem Gebet – befassen, wurden von Zofia Kossak in einem eher zurückhaltenden Stil verfasst, der durch die dem Thema angemessene Ernsthaftigkeit geprägt ist. Andere, die sich der Wiederherstellung des polnischen Katholizismus widmen, schienen eine Waffe im Kampf »für einen neuen Typus des polnischen Katholiken« zu sein. Die Schriftstellerin betrachtete die Feder eben als eine solche Waffe, und in ihren publizistischen Texten war sie oft sehr prinzipienfest, fordernd, ja streng. Eine derartige Haltung führte zu einem Extrem, das es den Gegnern der Schriftstellerin ermöglichte, ihr eine Art militanten Fundamentalismus zuzuschreiben.168 Der im März 1943 in der Zeitschrift »Prawda Młodych« [»Die Wahrheit der Jugend«] veröffentlichte Artikel Tolerancja a z˙ycie169 [Die Toleranz und das Leben] ist dem Glauben und der heilsamen Rolle des Katholizismus gewidmet und kann aufgrund seines prägenden und prinzipiellen Charakters viele Kontroversen hervorrufen. Zofia Kossak gibt darin die für viele vielleicht etwas überraschenden Definitionen von Toleranz und Intoleranz, wonach Toleranz eine negative Eigenschaft, Haltung bzw. Verhaltensweise sei, die aus Gleichgültigkeit und Egoismus170 resultiere. Intoleranz hingegen bedeute zwar einen Eingriff in die Handlungen und Gedanken anderer Menschen, aber je nachdem, welche Motive einen zu intolerantem Verhalten bewegten, könne sie als negative oder positive Haltung angesehen werden. Kossak zufolge gibt es verschiedene Gründe für Intoleranz. Eigenwilliger Geist, der versucht, die Umgebung zu beherrschen, Rücksichtnahme auf das Wohl und den Nutzen einer bestimmten Gemeinschaft, Engstirnigkeit und schließlich eine aufrichtige, herzliche, christliche Nächstenliebe.171 Die Autorin von Bez ore˛z˙a analysiert die Begriffe Toleranz und Intoleranz aus der Sicht eines Katholiken, der verpflichtet sei, dem Bösen nicht zu frönen, 168 169 170 171
C. Tonini, Czas nienawis´ci i czas troski…, S. 69. Z. Kossak, Tolerancja a z˙ycie, [In:] »Prawda Młodych«, III 1943, S. 2–5. Ebd., S. 2. Ebd., S. 3.
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indem sie sich auf die der Nächstenliebe entspringenden Intoleranz konzentriert und betont: Intoleranz ist die B e r g u n g von jemandem gegen seinen Willen, sie ist die Verurteilung der Handlungen von anderen, auch wenn sie den Verurteilenden in keiner Weise betreffen172, und schließlich stellt sie eindeutig und unverblümt fest: Ein Katholik d a r f n i c h t (Hervorhebung im Original) tolerant sein.173 Es ist davon auszugehen, dass die Autorin von Nieznany kraj den Begriff der Toleranz anders verstand als dies heute der Fall ist, aber andererseits versuchte sie, wahrscheinlich, sich der Bestürzung bewusst, die ihre Worte auslösen können, die Definition näher zu erläutern und deren Wahrheitsgehalt nachzuweisen. Um zwischen der Intoleranz gegenüber dem vom Menschen getanen Bösen und Intoleranz gegenüber dem Menschen selbst zu unterscheiden, berief sie sich auf ein Zitat des Heiligen Augustinus: Wer nach Gott lebt, muss die Bösen mit rechtem Ernst hassen, das heißt, er soll weder um der Sünde willen den Menschen hassen, noch um des Menschen willen die Sünde lieben, sondern die Sünde hassen und den Menschen lieben. Ist aber der Mensch von der Sünde genesen, ist alles liebenswert und bleibt nichts, was man noch hassen müsste… .174 Indem die Schriftstellerin die Fehler des Menschen von ihm selbst trennte, kristallisierte sie, wie sie selbst schrieb, »die Essenz der katholischen Intoleranz« heraus, derzufolge man »die Sünde hassen und den Menschen lieben« sollte, und macht ihre Definition für Katholiken »akzeptierbar«, obwohl sie damit bei Nichtgläubigen bzw. Andersgläubigen wohl Zweifel weckte. Dabei stellt sich die Frage, wie Intoleranz gegenüber der Sünde, sich zu einem anderen Glauben zu bekennen, aussehen würde, denn zu diesen Schlussfolgerungen kommt man, wenn man den ersten Absatz des Artikels liest: Bis vor kurzem hegten die Menschen Illusionen, dass man in materiellen, wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten intolerant und in geistigen Angelegenheiten tolerant sein kann. Zu den letzteren gehörte vor allem die Religion, die Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zu Gott. (…) Man kann den einen Bereich nicht vom anderen trennen. Man kann die Weltanschauung nicht anders betrachten als die Handlungen, die sich aus dieser Weltanschauung ergeben. Entweder darf man nach diesen Gedanken und Überzeugungen denken, glauben und handeln, oder man darf es nicht. Von Freiheit des Geistes kann nicht die Rede sein, wenn es keine Freiheit des Handelns gibt, und umgekehrt.175 In dem Artikel wird nicht gesagt, auf welchem Weg die »gegenüber dem Bösen intolerante« katholische Kirche »in dem Kampf um die menschliche Freiheit nicht nachlassen wird«. Wie sollte der »Kampf« der 172 173 174 175
Ebd., S. 2. Ebd., S. 4. Ebd. Ebd., S. 3.
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Kirche um die menschliche Freiheit aussehen? Wie sollte ein Katholik einen Nichtgläubigen bzw. einen Andersgläubigen dazu veranlassen, die richtige Entscheidung zu treffen? In Tolerancja a z˙ycie sind keine Antworten auf diese Fragen zu finden und die strengen Ansichten werden unter anderem mit folgenden Worten hervorgehoben: Die Kirche handelt zum Wohle der Gemeinschaft und verlangt von ihren Anhängern einen f r e i w i l l i g e n Dienst zugunsten der Allgemeinheit. (…) Eine f r e i w i l l i g e Unterordnung unter die Gesamtheit und: Wir, Katholiken, sind wahnsinnig intolerant.176 In Ermangelung einer klar definierten Antwort auf die Frage, wie sich diese »wahnsinnige Intoleranz« äußern sollte, sowie im Hinblick auf die Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Juden, die im 18. und 19. Jahrhundert von vielen als intolerant angesehen werden durfte177, können die Aussagen von Zofia Kossak in Tolerancja a z˙ycie oft zu schädlichen Überinterpretationen führen.
2.5. »Prawda Młodych« [»Die Wahrheit der Jugend«] Während der Okkupation war man der festen Überzeugung, dass die Gestalt des Nachkriegspolens von der Jugend abhängen würde, und aus diesem Grund wurden alle möglichen Versuche unternommen, auf die Jugendlichen einzuwirken, sie zu erziehen, aber auch für sich zu gewinnen, indem man sie zur konspirativen Tätigkeit ermutigte, in ihrem Handeln unterstützte oder die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift ermöglichte178. Die Front für die Wiedergeburt Polens beschloss auch die Gründung einer an Jugendliche gerichteten Zeitschrift – »Prawda Młodych« [»Die Wahrheit der Jugend«], deren Chefredakteur Władysław Bartoszewski wurde und deren erste Nummer im Dezember 1942 erschien. Vereinzelte Informationen über diese Zeitschrift finden sich in Prasa polska 1939–1945 [Polnische Presse 1939–1945], herausgegeben von Jerzy Jarowiecki, oder Prasa okupowanej Warszawy 1939–1945 [Presse im besetzten Warschau 1939–1945] von Stanisława Lewandowska. Die Tatsache, das dieser Titel erschienen war, wurde kaum erwähnt. Er galt als Beispiel für eine soziokulturelle Zeitschrift, die in Verbindung mit einer bestimmten Gruppierung entstand und
176 Ebd., S. 5. 177 D. Kertzer, Papiez˙e a Z˙ydzi. O roli Watykanu w rozwoju współczesnego antysemityzmu, Warszawa 2005. Deutsche Ausgabe: D. Kertzer, Die Päpste gegen die Juden. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemintismus, München 2004. 178 Vgl. Konspiracyjna publicystyka literacka 1940–1944. Antologia [Konspirative literarische Publizistik 1940–1944. Eine Antologie], hrsg. von Z. Jastrze˛bski, Kraków 1973, S. 14.
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darauf abgezielt war, neue Formen der Selbstverteidigung zu finden und breitere Kreise der Gesellschaft zu mobilisieren179. Ein spezifischer patriotischer Text ist Dekalog Polaka [Der Dekalog eines Polen]. Zum ersten Mal erschien er im Kalender des KOP [Grenzschutzkorps] aus dem Jahre 1941 und wurde später mit einigen Änderungen in »Prawda Młodych« nachgedruckt (VII–VIII 1943). Der Text wurde auch im Exil unter dem Titel Dziesie˛c´ przykazan´ Polaka [Die Zehn Gebote eines Polen] von Polskie Biuro Wydawnicze »S´wiatpol« veröffentlicht. Dekalog Polaka bezieht sich auf die im Katechismus der Katholischen Kirche enthaltenen Zehn Gebote. Der Text beginnt mit dem Satz: Ich bin Polen, deine Heimat, das Land deiner Väter, in dem du herangewachsen bist. Alles, was du bist, verdankst du Gott und mir. Den Regeln der biblischen Prosa folgend, knüpft die Schriftstellerin an den originalen Eröffnungssatz der Zehn Gebote an. Anschließend werden in zehn Punkten, wie im katholischen Dekalog, die wichtigsten Gebote und Verbote aufgelistet, welche die richtige und erwünschte Haltung eines wahren Polen gegenüber seinem Heimatland festlegen. Einige der »Gebote« gehen mit dem Katechismus der Katholischen Kirche einher, während der Wortlaut anderer völlig verändert wird, wobei die für den gesamten Text spezifische Stilistik beibehalten wird. Das Ganze nimmt eine für die biblische Prosa charakteristische Form an. Die Wiederholbarkeit zeigt sich in den aufeinanderfolgenden Geboten, in denen die Autorin bei der Aufzählung der an den Empfänger gerichteten Gebote und Verbote Verben in der zweiten Person Singular des Imperativs verwendet. Zofia Kossak stellt das Gebot auf, dass jeder Pole in seiner Wertehierarchie die Liebe zum Vaterland an erste Stelle unter den »irdischen Dingen« setzen müsse, nicht nur im Sinne von Loyalität zum eigenen Land, sondern auch als Verzicht auf andere Gottheiten – Eigenliebe, Macht- und Vergnügungssucht – all das, was zu Verrat und Veruntreuung führen könne. Ähnlich wie bei ihrer Einstellung zur Katholizität verlangte die Schriftstellerin auch in Bezug auf das Polentum aller ihrer Landsleute treu ergebene Seelen – sie erkannte keine »Lauheit« an, sie hatte zuweilen einen Hang dazu, von einem Extrem ins andere zu fallen. Beide Gebote – sowohl das aus dem Katechismus als auch das aus Dekalog Polaka, enthalten einen Hinweis darauf, dass man mehr sein als haben sollte, dass man geistige, immaterielle Werte zu schätzen wissen sollte. Nach Dekalog Polaka sollten materielle Dinge für einen wahren Patrioten keine Rolle spielen, wenn sie dem Land zugutekommen. Etwas schwieriger umzusetzen ist das Gebot, das persönliche Glück und Leben für das Land zu opfern. Darüber hinaus ist anzumerken, dass sich die Worte des vierten Gebots von Zofia Kossak ebenfalls auf die Worte des Schwurs beziehen, der von allen, die 179 Prasa polska 1939–1945 [Polnische Presse 1939–1945]…, S. 122.
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dem Untergrund beitraten, abgelegt wurde. Über das Opfer des Lebens sprachen feierlich die künftigen Soldaten der polnischen Heimatarmee: Im Angesicht des allmächtigen Gottes und der Allerheiligsten Jungfrau Maria, der Königin der polnischen Krone, lege ich meine Hände auf dieses heilige Kreuz, das Zeichen des Leidens und der Erlösung und gelobe meiner Heimat, der Republik Polen, treu zu sein, unnachgiebig ihre Ehre zu verteidigen und für ihre Befreiung aus der Gefangenschaft mit all meinen Kräften zu kämpfen – bis zum Opfer meines Lebens. (…)180 Die völlige Selbsthingabe und das Opfer des Lebens waren in der Kriegszeit eine Pflicht jedes Polen, nicht nur der eingeschworenen Untergrundaktivisten. Laut Zofia Kossak gebühre der Heimat die Ehre und völlige Hingabe – es ist eine Analogie zum »Mutter Heimat«-Begriff. Die darauffolgenden drei Gebote der katholischen Kirche: »Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen.« nehmen in Dekalog Polaka eine ganz andere Form an und haben einen anderen semantischen Inhalt – sie sind keine Verbote, sondern Befehle zum Kampf: gegen den Feind, gegen die eigene Bequemlichkeit und Feigheit und gegen die Verräter. Im sechsten Punkt dieser spezifischen »Verhaltensregeln« fügt sie sozusagen dem vorangehenden Satz hinzu, dass der Kampf gegen den Feind nicht ausreiche. Man müsse außerdem gegen die eigene Bequemlichkeit und Feigheit kämpfen – Eigenschaften, welche die Schriftstellerin als eine der aktivsten Frauen des polnischen Untergrunds nicht duldete und bei anderen verurteilte. Schließlich schlossen diese Eigenschaften die Möglichkeit aus, den früheren Befehl zum Kampf gegen den Feind zu befolgen. Als Feigling konnte niemand dem Angreifer Auge in Auge gegenübertreten. Zofia Kossak vertrat die Ansicht, dass die größte Sünde, die ein Pole gegenüber seinem Heimatland begehen könne, der Verrat sei. Wie auch immer er verstanden werde – ob als Handeln zum Schaden des Landes, als Nichteinhalten des Ehegelübdes oder als Verletzung der allgemein anerkannten Grundsätze, gelte er als eine der am meisten sozial verurteilten Sünden, die ein Mensch begehen könne. Schließlich werde der Verrat von demjenigen geübt, dem man vertraut, den man oft liebt und in den man Hoffnungen setzt. Der Aufruf von Zofia Kossak, mutig über das eigene Polentum zu sprechen, bezieht sich jedoch eher auf die Tugenden – Ehre und Würde, bzw. auf den nicht als ungesunden, als Hochmut verstandenen Nationalstolz, sondern auf den schönen und edlen Stolz, welcher der Liebe zum Heimatland entspringt. Die nächsten beiden Gebote aus Dekalog Polaka sind eine Art Fortsetzung des vorangehenden, und zwar: Du sollst nicht zulassen, dass an Polen gezweifelt wird
180 B. Wilkowicz, Polska przysie˛ga wojskowa [Der polnische Fahneneid], Kraków 1999, S. 64.
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bzw. Du sollst nicht zulassen, dass Polen beleidigt wird, indem man dessen Größe und Verdienste, dessen Erfolge und Majestät herabwürdigt.181 Dekalog Polaka endet mit dem Satz: »Du sollst Polen mit der ersten Liebe nach der Liebe zu Gott lieben. Du sollst es mehr lieben als dich selbst.« Dieser für die Heilige Schrift charakteristische Aufruf, der sich aus dem Modalverb »sollen« in der zweiten Person Singular und der Infinitivform des Verbs »lieben« zusammensetzt, hebt die Bedeutung der Liebe zum Land gegenüber dem eigenen Leben hervor, auch wenn es die erste Liebe nach der Liebe zu Gott ist. Die zweimalige Wiederholung der grammatikalischen Form »du sollst lieben« scheint dabei gewollt zu sein. Zum einen ist sie eine typische Stilisierung nach biblischer Prosa, zum anderen verstärkt sie die persuasive Funktion des Textes. Wenn man versucht, seine Sprache unter dem Gesichtspunkt der verwendeten Persuasion zu analysieren, die für die literarische Form des Dekalogs von Bedeutung ist, fällt eine bewusste Auswahl von Worten mit einer bestimmten Aussagekraft auf. Die ersten und die letzten zwei Gebote bilden eine Art Klammer – sie enthalten jeweils eine Negation (»du sollst nicht«). Die übrigen Gebote (vom dritten bis zum achten) werden hingegen in Imperativform ausgedrückt. Darüber hinaus ist auf die Form: »denke daran, Polen das zurückzugeben, …«, die anstelle der einfachen Form: »gib Polen das zurück, …« eingesetzt wird, hinzuweisen, was ebenfalls für die biblische Prosa kennzeichnend ist und die Aussagekraft der Botschaft verstärkt. Außerdem sind alle Zehn Gebote in der zweiten Person Singular formuliert, wodurch jeder, der die Worte des Dekalogs las, das Gefühl hatte, der Text sei direkt an ihn gerichtet. Diese Form der sprachlichen Persuasion, wie man weiter sehen kann, wurde von Zofia Kossak öfters verwendet, was schlussfolgern lässt, dass sie beabsichtigt war (z. B. in dem Text Jestes´ katolikiem… Jakim?). Dekalog Polaka bildet insgesamt eine Parabel, fast jedes Gebot wird zu einer Analogie der Zehn Gebote, die eher auf patriotische als auf religiöse Inhalte ausgerichtet ist. Und obwohl die beiden Kodizes einen gemeinsamen Nenner haben, nämlich die Liebe zu Gott als Richtschnur für alles, auch für jede Tat, die im Namen der Vaterlandsliebe vollbracht wird, spürt man zuweilen eine gewisse Dissonanz – die Okkupation bewirkt, dass die Vaterlandsliebe manchmal im Widerspruch zu den Geboten der Kirche steht (die Forderung nach einer gnadenlosen Haltung gegenüber den Verrätern, die im Widerspruch zu dem vom Christentum verkündeten Gebot der Barmherzigkeit steht, oder der Befehl zum Kampf bis zum letzten Blutstropfen).
181 Die zitierten Passagen aus Dekalog Polaka entstammen der Beilage zum Kalender von KOP aus dem Jahre 1941 – die Materialien wurden Beata Gdak von Mirosława Pałaszewska aus Muzeum Niepodległos´ci [Museum der Unabhängigkeit] in Warszawa zur Verfügung gestellt.
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In Dekalog Polaka, der zwei Jahre später in der Juli-August-Ausgabe von »Prawda Młodych« von 1943 veröffentlicht wurde, lassen sich in Bezug auf manche Gebote gewisse Unterschiede feststellen. Doch obwohl einige von ihnen einen anderen Wortlaut haben und die Reihenfolge geändert wurde, ist ihre allgemeine Botschaft nach wie vor dieselbe. Obwohl die Anzahl der Verbote und Gebote in Dekalog Polaka aus »Prawda Młodych« im Vergleich zu der Version aus dem Kalender des KOP ähnlich ist, scheint letztere weniger kategorisch zu sein – sie enthält keinen nachdrücklichen Aufruf zum Kampf gegen den Feind bzw. gegen die Verräter Polens, sondern legt auf die Selbstvervollkommnung Wert – auf das Streben nach dem Ideal eines tapferen, fleißigen, achtenswerten Polen, dessen Haltung dem Namen Polens Ruhm einbringen sollte. Dekalog Polaka ist ein spezifischer Text. Es handelt sich dabei um keine Publizistik, mit der sich Zofia Kossak in der Kriegszeit beschäftigte. Durch dessen Stilisierung nach der biblischen Prosa konnte er einen sehr persuasiven, für die Heilige Schrift typischen Charakter annehmen und das Bewusstsein der Empfänger sehr deutlich prägen. Wie man sehen kann, passte die Autorin von Krzyz˙owcy die Gattung an die jeweilige Botschaft bzw. Funktion des Textes an. Wichtig ist auch die Tatsache, dass in der kurzen, prägnanten Form des aus vierzehn Sätzen bestehenden Dekalog Polaka die Quintessenz aller moralischen und patriotischen Inhalte erfasst ist, die für die gesamte polnische Untergrundliteratur repräsentativ sind. Manche Gebote, die dazu auffordern, dem Land Liebe und Respekt zu erweisen, könnten mit Erfolg als ein universelles Regelwerk gelten, das zu jeder Zeit in der Geschichte Polens anwendbar wäre. Die anderen jedoch, die zum Kampf und zur Verurteilung der Verräter aufrufen, können in Friedenszeiten einer ernsthaften Überinterpretation und Verzerrung unterliegen und einem gänzlich entgegengesetzten Gedanken dienen als dem, welcher der Schriftstellerin bei der Entstehung von Dekalog vorschwebte. Dies ist bei der Jugendorganisation Młodziez˙ Wszechpolska [Allpolnische Jugend] der Fall, die mehr als 60 Jahre nach dem Kriegsende unter Berufung auf Dekalog Polaka nationalistische Haltungen propagiert und Hass gegen andere Nationalitäten verbreitet, indem sie die während des Krieges so wichtige Worte von Zofia Kossak entstellt182.
182 Der Text Dekalog Polaka von Zofia Kossak ist auf der Website der nationalistischen Jugendorganisation Młodziez˙ Wszechpolska [Allpolnische Jugend] veröffentlicht. Im Jahre 2007 erschien in der Beilage zu »Gazeta Wyborcza« ein Artikel, der unter anderem diesem Thema gewidmet war. Anna Fenby Taylor, Enkelin von Zofia Kossak, behauptet darin: Der Dekalog kann nur in dem Kontext seiner Entstehungszeit verwendet werden. Damals stand Polen unter Besatzung, war bedroht. Und heute? Wir haben niemanden zu befürchten, es gibt keinen Grund, die Polen im Angst zu versetzen; A. Klich, Wszechpolak ukradł dekalog, »Gazeta Wyborcza«, Beilage »Wysokie Obcasy«, 24. 03. 2007, S. 23.
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In dem aus der Okkupationszeit stammenden Essay O nowy typ Polaka [Hin zu einem neuen Typus des Polen], der im Februar 1943 als Beilage zu »Prawda Młodych« veröffentlicht wurde, setzte sich die Autorin von Krzyz˙owcy mit den ihrer Meinung nach für das Land besonders wichtigen Fragen auseinander. Ähnlich wie in der Broschüre Jestes´ katolikiem… Jakim?, in welcher sie die Verfassung des polnischen Katholizismus Schritt für Schritt analysierte, ging die Schriftstellerin in diesem Fall auf den Zustand der polnischen Gesellschaft ein oder genauer gesagt, zeichnete sie ein Bild des polnischen Bürgers. In der für ihr publizistisches Schaffen charakteristischen Weise deutete sie zunächst auf die Laster der polnischen Gesellschaft hin, die ihres Erachtens als Ursache für den Zusammenbruch des polnischen Staates und die Kriegsniederlage zu betrachten waren. Anschließend gab sie Punkt für Punkt Anweisungen in Bezug auf den Aufbau einer neuen Gesellschaft – eines »neuen Typus des Polen«. Das wichtigste Kriterium war selbstverständlich die Religiosität und die sich daraus ergebenden Eigenschaften: Pflichtbewusstsein, Ehrlichkeit und Verständnis für die kollektive Verantwortung. Im Essay werden Probleme thematisiert, die auch in anderen Artikeln der Schriftstellerin aus der Kriegszeit zum Ausdruck kommen. Dies betrifft unter anderem die Anknüpfung an das Naturgesetz Gottes, das bei jedem Menschen instinktiv in der Seele verankert sei und für alle den Auslegungsgrundsatz bilden sollte; an das Heldentum, das nicht nur große, heldenhafte Taten bedeute, sondern auch die alltägliche, harte, mühsame und beharrliche Arbeit; an die Aktivität, die als eine im Gegensatz zur Neutralität und Gleichgültigkeit gegenüber dem allgegenwärtigen Bösen stehende Pflicht jedes Katholiken und jedes Polen verstanden wird; und schließlich an die Ehrlichkeit. Die abschließenden Worte des Textes lauten: Jeder wird für den Dienst geboren, lebt im Dienst und stirbt im Dienst. Die freie Wahl betrifft nur den Herrn, dem man dient. Gott oder Teufel, Vaterland oder Feind. Neutralität gibt es nicht. Man muss dafür oder dagegen sein. Es gibt keinen dritten Weg.183 Diese Worte bildeten auch das Motto der Schriftstellerin und wurden zum Leitmotiv sowohl in ihren publizistischen Schriften aus der Okkupationszeit als auch in ihrem Gesamtwerk. In ihren Artikeln aus der Kriegszeit wies die Autorin von Poz˙oga auf die Wege hin, welche die Polen einschlagen sollten. Sie forderte in ihren Texten zur Teilnahme an der Untergrundbewegung auf und schien in ihren Überzeugungen anspruchsvoll und unnachgiebig zu sein. Auch was die Haltungen anbetraf, die sie kategorisch ablehnte oder gar verurteilte, scheute sie sich nicht davor, diese klar und deutlich benennen.
183 Z. Kossak, O nowy typ Polaka [Über den neuen Typus des Polen], [In:] Zofia Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 271.
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Im Dezember 1942 kam in »Prawda Młodych« ein Betrag mit dem Titel Drogowskaz [Der Wegweiser] heraus. Der Titel ist symbolisch und seine Semantik scheint offensichtlich zu sein. Auf der zweiten Seite der Zeitschrift, ganz oben, wurde das Gedicht Burza [Der Sturm] von Cyprian Kamil Norwid gedruckt. Es ist ein fesselndes, sich an junge Menschen richtendes Stück, in dem ein »Jugendlicher« als starker, unnachgiebiger und zielstrebiger Mann dargestellt wird, der selbst den schwersten Widrigkeiten zu widerstehen vermag. Die abschließenden Worte des Gedichts sind eine Art Überleitung zum Inhalt des Artikels von Zofia Kossak, der als eine Antwort darauf zu deuten ist: S´miało wie˛c zda˛z˙aj ku przeczystej cnocie, Jes´li zas´ burza wyrwie ci wawrzyny, Mys´l wskazac´ be˛dzie nas´ladowców krocie. A w posa˛g własne skamienieja˛ czyny184. In dem Artikel wendet sich der Vertreter der Alten, der Erfahrenen, die alle Überraschungen auf der Strecke, alle Irrwege kennen185, ebenfalls an die Jugendlichen, obwohl die von der Schriftstellerin verwendeten Formulierungen schlussfolgern lassen, dass der Text an die Redaktion von »Prawda Młodych« oder an die um die Zeitschrift gruppierten Personen gerichtet ist, an diejenigen, die in Zukunft die Verantwortung für das Land und dessen Gestalt übernehmen werden. Damit sie ihre Aufgabe ordnungsgemäß erfüllen können, müssen sie sich ein Ziel setzen und es bestimmten Wegweisern folgend anstreben. Die Schriftstellerin liefert keine fertigen Antworten, offenbart nicht, wo die Jugendlichen nach einem Kompass bzw. Wegweiser suchen sollten, obwohl jeder Leser, der die Programmlinie der Front für die Wiedergeburt Polens kennt, sehr gut weiß, von welchem Kompass die Rede ist. Die Antwort ist zwischen den Zeilen enthalten und man kann nur vermuten, dass der Weg zum Ziel den jungen Menschen durch die christliche Ethik aufgezeigt werden sollte. Der Text war als eine Art Sammlung guter Ratschläge gedacht, obwohl die Autorin von Z otchłani genau diese zu vermeiden sucht – weil sie sich dessen 184 C.K. Norwid, Burza [Der Sturm], [In:] »Prawda Młodych«, XII 1942, S. 2. Vorgeschlagene Übersetzung von Christian Jakob Altmann: Strebt also kühn nach der reinsten Tugend, Wenn jedoch der Sturm die Lorbeeren entreißt, Wird der Gedanke auf seine vielen Anhänger zeigen. Und seine eigenen Taten zu einer Statue versteinern. 185 Z. Kossak, Drogowskaz [Der Wegweiser], [In:] »Prawda Młodych«, XII 1942; (Die Urheberschaft von Zofia Kossak wurde bestätigt von S. Jon´czyk und M. Pałaszewska in: Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 357).
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bewusst ist, dass sie nichts nützen, dass sich jede Generation ihren Weg von Grund auf neu bahnen, ihn selbst suchen und finden, und sich irren muss (…)186. Die Schriftstellerin scheint nicht zu vergessen, dass ein Wegweiser nicht befiehlt, sondern informiert, wohin der Weg führt, und dass die Entscheidung, welche Richtung man einschlägt, von jedem Einzelnen selbst getroffen wird. In dem Artikel vergleicht die Schriftstellerin den Lauf der Zeit und die Generationenabfolge mit dem Lauf der heiligen Fackel bzw. einem Staffellauf, bei dem die Älteren die Fackel mit dem heiligen Feuer an ihre Nachfolger – die nächsten Generationen – weitergeben. Hier zeigt sich deutlich das Bewusstsein für die wichtige Rolle der Jugend bei der Gestaltung des zukünftigen Polens, der zukünftigen Welt. Zofia Kossak betont die Liebe der älteren Generation zu allen Jugendlichen und die Wahrheit, die für jeden reifen Menschen bzw. alle Eltern schwer zu akzeptieren ist – dass ein Jugendlicher das Leben selbst erlernen muss. Man kann ihn zwar in der frühen Kindheit formen, aber an einem bestimmten Punkt im Leben wird das Kind langsam zu einem immer reiferen Beobachter und Teilnehmer des sozialen Lebens und niemand, nicht einmal die liebevollsten Eltern oder Erzieher, ist in der Lage, das Leben für sein geliebtes Kind zu leben. Hier hallt der Appell an die Mütter aus Prawa i obowia˛zki młodziez˙y wider, dass sie ihre Söhne und Töchter aktiv an den wichtigsten Ereignissen der polnischen Geschichte teilnehmen, sie zu Helden werden lassen. Die Unfähigkeit, bestimmte Lehren und Lebensweisheiten an die junge Generation weiterzugeben, vergleicht die Schriftstellerin hingegen mit einer Kluft, einem Abgrund, über den jedoch eine Brücke führt: Eine Brücke… Nur dass die Weisheit sie fast nie überquert. Die Brücke ist einzig aus Gefühlen und Intuition gewoben… .187 In Drogowskaz wird deutlich, dass die Schriftstellerin sehr wohl versteht, dass die Jugend anders ist: Wir nehmen eifrig jede Information über euch zur Kenntnis, die wir von Leuten erhalten, die behaupten, die Jugend durch Beobachtung gut zu kennen. Diese Informationen variieren. Ihnen zufolge ist die Jugend mal wunderbar, wach, wachsam, verantwortungsbewusst, glühend (wir sind dann froh und nicken hastig mit dem Kopf: ja, ja…), mal materialistisch, demoralisiert, zynisch, ohne Rückgrat (…) (dann werden wir trübe und fragen voller Trauer: ist das möglich?). Wir vermuten, dass beide Darstellungen zutreffen, dass das Gesicht der heutigen Jugend ein breites Spektrum umfasst und die Extreme der menschlichen Fähigkeiten abdeckt. Welcher Typ überwiegt in dieser Armee? (…) Die Antwort erführen wir gerne von euch selbst.188 Sie weiß allerdings nicht, welche Jugend zahlreicher ist – die wertvolle und edle oder die eitle, ohne Ideale. Als Vertreterin einer erfahrenen, sich langsam zurückziehenden Generation erwartet sie die 186 Ebd. 187 Ebd. 188 Ebd.
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Antwort auf diese Frage von denen, die um »Prawda Młodych« gruppiert sind. Und obwohl man die Worte liest: Es gibt nichts Langweiligeres als die Lehren der Älteren. Wie sehr wir sie hassten! Wir sind uns bewusst, dass ihr sie bestimmt genauso nicht mögt. Nichtsdestotrotz kommt diese einzige Moral, diese einzige Weisheit im Artikel zum Ausdruck: Ohne Kompass, ohne Ziel, ohne Richtungsbewusstsein, ohne Wegweiser verirrt sich jeder, der sich auf den Weg macht (…).189 Der letzte Satz des Artikels erinnert an die Worte, die bei der Einweisung junger Menschen in ihre Mission fallen. Ein anderer beachtenswerter Text ist der im März 1943 in »Dodatek do Prawdy Młodych« veröffentlichte Essay Co odrzucamy i czego chcemy? [Was wir ablehnen und was wir wollen]190. Die Gründe für den Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation werden hier nicht nur durch das Prisma des katholischen Glaubens betrachtet, wie es bei anderen Texten von Zofia Kossak der Fall ist, sondern auch durch solche philosophischen Begriffe, deren Verwendung es in gewisser Weise erleichtern würde, nicht nur den Empfänger – einen Katholiken, sondern auch einen Atheisten zu erreichen. Laut der von Mirosława Pałaszewska und Stefan Jon´czyk191 zusammengestellten Bibliographie der konspirativen Publikationen von Zofia Kossak stammt der oben erwähnte Essay aus der Feder der Autorin von Bez ore˛z˙a. Bei der Lektüre des Artikels bekommt man den Eindruck, als würde man die ideologische Erklärung der Front für die Wiedergeburt Polens lesen, während seine Komposition der Broschüre Jestes´ katolikiem… Jakim? in vielem ähnelt. Zunächst werden die Gründe für die damalige schlechte Lage in Europa und in der Welt geschildert. Bei der Analyse der beiden totalitären Systeme, die Europa erobert haben – Kommunismus und Faschismus, wurde an den aus der Aufklärung stammenden Rationalismus und Nietzscheanismus angeknüpft, die statt Gott den Menschen in den Mittelpunkt der Welt stellten. Das Ergebnis dieser philosophischen Konzepte war die Abkehr des Menschen von Gott, was wiederum dazu führte, dass sich der Mensch aus Angst vor dem Tod und um den Sinn der eigenen Existenz zur Befriedigung materieller Bedürfnisse – den Vergnügungen und Genüssen der irdischen Welt, hinwandte. Auf diese Weise soll es zum Fall der Kultur gekommen sein. Weiter erfährt der Leser, wie die »polnische Realität« vor diesem Hintergrund aussieht, und es wird Kritik laut, die bezogen ist auf: Mangel an Ideologie, extremen Materialismus, Nervosität, stumpfe Empfindsamkeit und damit – auf die Oberflächlichkeit eines durchschnittlichen Polen. 189 Ebd. 190 Z. Kossak, Co odrzucamy i czego chcemy [Was wir ablehnen und was wir wollen], [In:] »Dodatek do Prawdy Młodych«, Warszawa, III 1943, S. 1–6. 191 Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 357.
»Rycerski Zakon Krzyz˙a i Miecza« und »Polska Zbrojna Moralnie«
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Dieses Streben nach Geld wird bei dem modernen technischen Fortschritt immer schneller, so dass das Leben für die meisten von uns nur noch ein äußeres Leben ist. Die Menschen, überflutet von einer Fülle von Zeitschriften, Artikeln, Büchern und Filmen, die ihre gesamte arbeitsfreie Zeit in Anspruch nehmen, haben keinen Augenblick, sich mit dem Tiefsten ihrer Persönlichkeit auseinanderzusetzen, sie leben gewissermaßen zur Hälfte, auf ihr äußeres Dasein beschränkt, sind sozusagen nur Halbmenschen.192 In der Publizistik von Zofia Kossak kehrt wie ein Mantra das Fazit wieder: Das wichtigste ist der menschliche Wandel. Diesmal geht es darum, »Laster in Tugenden zu verwandeln«, wobei Tugenden hier als erlebte Kraft, das vom Menschen erlebte Gute, Schöne, Wahre und Liebe193, gedeutet werden. Zu den wünschenswertesten Eigenschaften, die für den menschlichen Wandel unabdingbar sind, gehören: konsequentes Handeln, das die Willenskraft stärkt; Kompromisslosigkeit; Wissen – allerdings nicht im wissenschaftlichen Sinne, sondern allgemeines »metaphysisches« Wissen; innere Harmonie, die es einem ermöglicht, die richtige Wertehierarchie aufzustellen, und »die Krönung der Menschlichkeit und deren tiefstes Wesen« – die Liebe. Neben dem Wandel des polnischen Katholiken und der in allen Bereichen des menschlichen Lebens erwünschten Ehrlichkeit war für Zofia Kossak die Frage der Barmherzigkeit und Güte von besonderer Bedeutung. Der Autorin von Krzyz˙owcy zufolge ist sie eine der wichtigsten Tugenden, die ein wahrer Christ besitzen sollte. Deswegen konzentrierte sie sich in den Artikeln, die der Barmherzigkeit gewidmet waren, im Allgemeinen weiterhin auf das Thema des geistigen Wandels des Menschen und alle Texte bilden somit ein kohärentes Ganzes.
2.6. »Rycerski Zakon Krzyz˙a i Miecza« [Ritterorden vom Kreuz und Schwert] und »Polska Zbrojna Moralnie« [»Das moralisch bewaffnete Polen«] Vor dem Krieg wurde auf Initiative von Władysław Polesin´ski – Hauptmann der polnischen Armee, einem Patrioten und leidenschaftlichen Katholiken – eine katholische Militärorganisation mit dem Ziel gegründet, die katholischen Ideen im Leben des polnischen Staates zu verbreiten und umzusetzen – einen starken Bürger zu erziehen, d. h. Patrioten, Katholiken, »Ritter«, der durch sein tadelloses Verhalten und seine Haltung zur moralischen Wiedergeburt des Menschen und damit zur moralischen Wiedergeburt des Staates beitragen sollte. Der Anstoß zur Gründung dieser Bewegung kam aus der Sorge um die Moral der jungen Soldaten 192 Z. Kossak, Co odrzucamy i czego chcemy…, S. 2. 193 Ebd.
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und Offiziere, denen Polesin´ski während seines Militärdienstes begegnete und deren Haltung bei weitem nicht ideal war. Zum Monatswechsel April / Mai 1938 gründete Polesin´ski eine Organisation mit dem Namen »Zakon Krzyz˙a i Miecza« [»Orden vom Kreuz und Schwert«]. Jan Włodarkiewicz, Gründer von Tajna Armia Polska (TAP) [Geheime Polnische Armee] und Mitarbeiter der Front für die Wiedergeburt Polens, war indirekt mit dem Ritterorden vom Kreuz und Schwert verbunden. Höchstwahrscheinlich kann man wegen der Kontakte zu Jan Włodarkiewicz über eine informelle Zusammenarbeit von Zofia Kossak mit der Zeitschrift »Polska Zbrojna Moralnie« [»Das moralisch bewaffnete Polen«] sprechen – dem Organ des Ritterordens vom Kreuz und Schwert, in dem mehrere spätere Broschüren der Front für die Wiedergeburt Polens gedruckt wurden, darunter Texte bzw. Textpassagen von Zofia Kossak – Jestes´ katolikiem… Jakim? (XI 1941), Sprawiedliwie (XII 1941), Prawdziwe Oblicze Piusa XII (II 1942)194.
2.7. »Znak« [»Das Zeichen«] Die seit März 1940 erscheinende Untergrundzeitschrift »Znak« [»Das Zeichen«] (die letzte Ausgabe ist auf den 5. April 1943 datiert) war ursprünglich das Organ der gleichnamigen Organisation und anschließend, ab Ende 1940, das Organ von »Znak« und »Konfederacja Narodu« [Konföderation der Nation]. Es wurde beschlossen, tägliche Mitteilungsblätter mit Rundfunknachrichten herauszugeben und mit einer Veröffentlichungskampagne zu starten, einschließlich der Gründung eines eigenen Presseorgans195. Zu dem Redaktionsausschuss gehörten: Lucjan Ros´ciszewski – Chefredakteur, den die Schriftstellerin kannte196, Roman Dangel, Major Jan Włodarkiewicz, Professor Kazimierz Kumaniecki und Zygmunt Waz˙yn´ski. In »Znak« wurde Zofia Kossaks Spowiedz´ inteligenta polskiego [Die Beichte eines polnischen Intellektuellen] (Ausgabe von 1940) veröffentlicht.
194 S. Jon´czyk, Zofia Kossak, konspiracyjna »Weronika« [Zofia Kossak, die konspirative »Weronika«], [In:] Zofia Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 11–12. 195 K. Malinowski, Tajna Armia Polska, Znak, Konfederacja Zbrojna [Geheime Polnische Armee. Zeichen, Militärische Konföderation], Warszawa 1986, S. 64. 196 Z. Kossak, Uwagi o prasie podziemnej Polski w czasie okupacji niemieckiej…, S. 345.
»Rzeczpospolita Polska« [»Republik Polen«]
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2.8. »Rzeczpospolita Polska« [»Republik Polen«] Die Beschlüsse zur Gründung der Regierungsdelegation für Polen wurden von der Regierung von Władysław Sikorski im Mai 1940 gefasst197. Die Delegation war für zivilpolitische Angelegenheiten zuständig. Eine ihrer Hauptaufgaben war die Einrichtung eines Untergrundapparats für die künftige Staatsverwaltung198. Am 1. März 1941 wurde die Informationsabteilung bei der Regierungsdelegation für Polen ins Leben gerufen. Zum Direktor der Abteilung wurde Stanisław Kauzik (Pseudonyme »Jezierski«, »Dołe˛ga«, »Modrzewski«) von Stronnictwo Pracy [Partei der Arbeit] gewählt, der im September 1939 in Warschau eine Presseauskunft organisierte, welche die Tätigkeit der evakuierten Polska Agencja Telegraficzna [Polnische Telegraphenagentur] fortsetzte199. Die Informationsabteilung der Regierungsdelegation für Polen war ein ziviles Gegenstück zu Biuro Informacji i Propagandy ZWZ AK [Büro für Information und Propaganda des Verbandes für den bewaffneten Kampf (ZWZ) und der Polnischen Heimatarmee (AK)] und das Presseorgan dieser Abteilung war die Zeitschrift »Rzeczpospolita Polska« [»Republik Polen«], die von März 1941 bis Juli 1944 alle zwei Wochen erschien200. Die Zeitschrift erfüllte die Rolle eines »Anleitungsblattes« und wurde zu einer Informationsquelle für polnische politisch-militärische Organisationen und Redaktionen von den londonorientierten Untergrundzeitschriften. Sie informierte über die Tätigkeit der staatlichen Behörden im Exil sowie über die Tätigkeit der Untergrundbehörden201. Chefredakteur war zunächst Stanisław Kauzik, später Franciszek Głowin´ski (Pseudonym »Czołowski«). Zum Redaktionsteam gehörten unter anderem: Tadeusz Kolski, Witold Z˙arski, Stefan Krzywoszewski, Marian Grzegorczyk, Zbigniew Kunicki und Jan Mosin´ski. Artikel für die Zeitschrift verfasste auch Wacław Borowy202. Zofia Kossak, die in verschiedenen Kreisen und Einrichtungen hoch geachtet wurde, genoss das Vertrauen der kirchlichen Autoritäten, sowie die Anerkennung und Unterstützung der Untergrundbehörden, sowohl der zivilen als auch der militärischen. Sie nahm Kontakt zu den Emissären der polnischen Regierung auf und übermittelte Briefe, Berichte bzw. Informationen über die Geschehnisse im Land nach London. Anzumerken ist, dass in London auf die Meinung von Zofia Kossak, aber auch von FOP, Rücksicht genommen wurde, obwohl diese, wie Władysław Bartoszewski berichtet, eine relativ kleine Organisation war203. 197 198 199 200 201 202 203
J. Jarowiecki, Prasa polska w latach 1939–1945…, S. 56. Ebd. S. Lewandowska, Prasa okupowanej Warszawy…, S. 85. J. Jarowiecki, Prasa w Polsce w latach 1939–1945…, S. 56. Ebd., S. 86. Ebd. Władysław Bartoszewski. Ska˛d Pan jest?…, S. 77.
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Die Schriftstellerin arbeitete mit Jan Karski-Kozielewski, der 1942 dadurch berühmt wurde, dass er die Berichte des polnischen Untergrunds über die fortschreitende Vernichtung der Juden dem Westen übermittelte204, sowie mit Maciej Kalenkiewicz, Pseudonym »Kotwicz«, zusammen, der sie bat, eine Fahne von der polnischen Bewohner Warschaus für die 1. Fallschirmbrigade anfertigen zu lassen und zu überreichen, so wie schon die Flieger eine Fahne von der Gemeinschaft der Stadt Vilnius erhalten hatten. Während Zofia Kossak im September 1942 das Provisorische Komitee für die Unterstützung der Juden »Z˙egota« gründete, organisierte sie Unterstützung vonseiten der Londoner Regierung – sie unterhielt Kontakte mit dem Regierungsdelegierten Jan Piekałkiewicz205, mit dem damaligen Direktor der Abteilung für Arbeit und Soziales der Regierungsdelegation – Jan Stanisław Jankowski, und mit dem Direktor der Abteilung für Inneres – Leopold Rutkowski206. Die Regierungsdelegation unterstützte finanziell das Provisorische Komitee und später den Rat für die Unterstützung der Juden »Z˙egota«, indem sie bestimmte Geldbeträge für ihre Aktivitäten spendete207. Über die Kontakte mit der Schriftstellerin berichtet ebenfalls Jerzy Lerski, ein weiterer Emissär aus London, der von Zofia Kossak für die Tätigkeit der Sozialen Selbstverteidigungsorganisation (SOS) engagiert wurde – seinen eigenen Worten zufolge habe sie es auf ihn abgesehen208. Die Zusammenarbeit mit London ging auf mehreren Ebenen vonstatten und betraf unter anderem die Publikationen in der »Rzeczpospolita«. Die Schriftstellerin schätzte die Zeitschrift nicht sehr hoch ein. In ihren Nachkriegsberichten kann man lesen: Was den Wert einzelner Zeitschriften betrifft, so ist es schwierig, etwas zu sagen, was nicht allgemein bekannt wäre. Es steht fest, dass »Robotnik« [»Der Arbeiter«] eine der am besten redigierten Zeitschriften war, gefolgt von »Walka« [»Der Kampf«] und »Szaniec« [»Die Schanze«]. Das Regierungsblatt »Rzepa« [unter der Bezeichnung »Rzepa« versteht man die Zeitschrift »Rzeczpospolita Polska« – Anm. des Übers.] war eher schwach….209 In Anlehnung an den aktuellen Forschungsstand lässt sich nicht eindeutig feststellen, welche der in »Rzeczpospolita« veröffentlichten Texte aus der Feder von Zofia Kossak stammen.
204 S. Jon´czyk, Zofia Kossak, konspiracyjna »Weronika«, [In:] Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 27. 205 »Z˙egota« Rada Pomocy Z˙ydom 1942–1945 [»Z˙egota« Rat für die Unterstützung der Juden 1942–1945], hrsg. von A. Kunert, Warszawa 2002, S. 28. 206 Władysław Bartoszewski. Ska˛d Pan jest?…, S. 84. 207 »Z˙egota« Rada Pomocy Z˙ydom…, S. 28, 32. 208 M. Pałaszewska, Zofia Kossak w latach okupacji [Zofia Kossak in den Hitlerbesatzungsjahren], [In:] Z. Kossak, W Polsce Podziemnej…, S. 37. 209 Z. Kossak, Uwagi o prasie podziemnej Polski…, S. 347.
»Barykada Powis´la« [»Barrikade von Powis´le«]
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2.9. »Barykada Powis´la« [»Barrikade von Powis´le«] Während des Warschauer Aufstands wurden auf dem Gebiet der kämpfenden Hauptstadt etwa 130 Pressetitel veröffentlicht, darunter »Barykada Powis´la« [»Barrikade von Powis´le«]. Die Zeitschrift war eine Fortsetzung von »Komunikat Informacyjny« [»Informationsblatt«] – dem Organ der Dienststelle für zivile Sicherheit [Komisariat Bezpieczen´stwa Cywilnego] bei dem Kommando der Heimatarmee »Powis´le« [Komenda AK »Powis´le«]. Nachdem die Zuständigkeiten der zivilen und militärischen Behörden offiziell getrennt worden waren, wurde die Dienststelle für zivile Sicherheit auf Beschluss von Józef Kwasiborski – dem stellvertretenden Direktor der Abteilung für Inneres der Regierungsdelegation, in die Bezirksdelegation der Regierungsdelegation für Polen umgewandelt. Das Organ der Bezirksdelegation war »Barykada Powis´la«, herausgegeben von der Abteilung für Propaganda. Zum Chefredakteur der Zeitschrift wurde Władysław Wa˛sowicz. Die Texte wurden unter anderem von Jerzy Braun, Jan Brzechwa, Adrian Czermin´ski bzw. Allan Kosko verfasst. Wie Jerzy Jarowiecki, Autor einer Studie über die Kriegspresse, vermerkte, war »Barykada Powis´la« eine der interessantesten und am besten redigierten Zeitschriften, die im Druck erschienen. Die Zeitschrift zeichnete sich durch ihre sorgfältige grafische Gestaltung und ein hohes inhaltliches Niveau aus. Es wurden darin sowohl Artikel veröffentlicht, die über den Ablauf der Aufstandskämpfe informierten, als auch Nachrichten aus dem Funkempfang, sowie Texte aus dem Bereich der literarischen Publizistik; gedruckt wurden ebenfalls Gedichte, satirische Werke bzw. Anekdoten. In der Zeitschrift veröffentlichte die Schriftstellerin in der Rubrik »Migawki« [»Schnappschüsse«] List do przyjaciółki [Brief an die Freundin]210 (»Barykada Powis´la«, 27. August 1944, Nr. 21) und Piwniczne rozmowy [Die Kellergespräche]211 (»Barykada Powis´la«, 19./20. 08. 1944,
210 List do przyjaciółki [Brief an die Freundin] – ein in Form eines ganz gewöhnlichen Briefs einer jungen Krankenschwester, Teilnehmerin des Warschauer Aufstands, verfasster Text, aus dem sich für den Leser das Bild eines Mädchens mit einer sehr oberflächlichen Geistigkeit ergibt, weit entfernt von der Rationalität, die der Ernst des Augenblicks verlangte. Die Protagonistin beschreibt ihre Arbeit als Krankenschwester. Sie freut sich dabei nicht, dass sie verwundeten Soldaten helfen kann, sondern die Möglichkeit zu flirten. 211 Piwniczne rozmowy [Die Kellergespräche] – ein Dialog zwischen zwei Personen, ohne erzählerische Einschübe bzw. Didaskalien; man begegnet zwei Personen, einer Frau und einem Mann, die sich während des Aufstands, versteckt im Keller eines Warschauer Mietshauses, unter dem Lärm explodierender Bomben unterhalten. Die sprechenden Namen – Tchórzowska (Frau Angstmeier) und Strachowski (Herr Hasenfuß) – reichen aus, um das Thema des Dialogs zu erraten. Beide leben in Angst und trauen sich nicht, aus dem Versteck zu kommen. Obwohl die egoistische Frau es sehr eilig hat, ihre in den Wehen liegende Tochter zu sehen und, wie sie behauptet, für ihr Kind durchs Feuer gehen würde, sitzt sie immer noch
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Die konspirative und publizistische Tätigkeit der Schriftstellerin
Nr. 13–14) – unterhaltsame, spöttische Texte, in denen sie die Dummheit, Feigheit und den Egoismus der passiven Polen anprangerte, die davor zurückscheuten, in irgendeiner Form am Kampf um das Polentum und Polen teilzunehmen. Dabei handelt es sich zwar um keine publizistischen Texte, aber sie verfolgen denselben Zweck wie andere Artikel, welche den Patriotismus und Glauben an die Wiedererlangung der Unabhängigkeit fördern und die Werte wie Ehre und Liebe zum Vaterland propagieren. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich Zofia Kossak mit zahlreichen publizistischen Texten in Form von Aufrufen und Appellen an ihre Leser wandte, um die Moral ihrer Mitbürger zu steigern und in ihnen – wenn schon nicht die Liebe zum Vaterland und den Wunsch, sich an dessen Verteidigung zu beteiligen – dann wenigstens die Verlegenheit zu wecken. Das publizistische Schaffen von Zofia Kossak hatte einen interventionistischen Charakter, es hatte etwas Vorläufiges. Es richtete sich an verschiedene Empfänger – an die »denkenden«, aber auch an diese, denen man die richtigen patriotischen Haltungen und die Grundsätze der Kriegsmoral nahebringen musste; an junge und ältere Menschen, die vor dem Krieg Angst hatten und am Rande standen; an Frauen – Mütter, und an Männer. In ihrem Bestreben, alle Mitbürger zu erreichen, wählte sie angemessene publizistische Gattungen und Formen mit entsprechendem Stil, Wortschatz und Satzbau, die das Herz und den Verstand jedes Empfängers treffen konnten.
zusammengekauert im Keller und fürchtet sich, nach draußen zu gehen. Die Aufständischen, die auf der Straße vorbeilaufen, hält sie hingegen für »Verrückte«.
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Egodokumente von Zofia Kossak aus der Lagerzeit – Rechercheergebnisse
Die Okkupationszeit in der Biografie von Zofia Kossak ist äußerst interessant und immer noch lückenhaft erforscht. Das genaue Datum und die Umstände ihrer Verhaftung und Freilassung aus Birkenau werden auf unterschiedliche Weise dargestellt. Die zuverlässigste Informationsquelle bilden ihre eigenen Erinnerungen, die in Zwyczajna ´swie˛tos´c´212 [Gewöhnliche Heiligkeit], Granice ´swiata213 [Die Grenzen der Welt], sowie in S´rodowisko naturalne. Korzenie214 [Umwelt. Die Wurzeln] von Michał Komar und Władysław Bartoszewski veröffentlicht wurden. Nach Ansicht von Anna Fenby Taylor, Enkelin von Zofia Kossak, an die ich mich Mitte Februar 2021 um Hilfe gewandt habe, vermitteln die Erinnerungen von Maria Przyłe˛cka, geb. Tomaszewska, Pseudonym »Urszula«, die Zofia Kossak bei ihrer Verhaftung und dem Aufenthalt im Konzentrationslager AuschwitzBirkenau begleitete, zuverlässige Informationen zu diesem Thema. Anna Fenby Taylor äußerte sich auch zu dem Datum der Verhaftung. Die Enkelin von Zofia Kossak schrieb hierzu: »Urszula« beschreibt diesen Tag so detailliert, dass ich davon überzeugt bin, dass es ein Montag und kein Samstag oder Dienstag war (der für die ganze Woche vorbereitete Schulunterricht für die Kinder, die abgeholten Fotos, Zofia Kossak »hatte […] einen Korb mit Unterwäsche zu waschen«). Im Jahre 1943 war dieser Montag der 27. September (»Urszula« gibt den 28. September, Władysław Bartoszewski den 25. September an). Außerdem war es eine zufällige Verhaftung wegen der in ihrer Tasche gefundenen »Prawda«, nicht weil Zofia Kossak wie eine Jüdin aussah oder weil sie Juden rettete… In den Erinnerungen von »Urszula« ist auch das Ende von Bedeutung – die Umstände der Freilassung aus Birkenau. In »Magdalena, die Tochter von Kossak« von Rafał Podraza ist in zwei Erinnerungen eine Information über die Umstände der In212 Zwyczajna ´swie˛tos´c´. Wspomnienia o Zofii Kossak… 213 M. Kann, Granice ´swiata [Die Grenzen der Welt], Warszawa 2000. 214 M. Komar, W. Bartoszewski, S´rodowisko naturalne. Korzenie [Umwelt. Die Wurzeln], Warszawa 2010. Das Buch entstand anhand von Interviews mit Władysław Bartoszewski, die von Michał Komar in den Jahren 2008–2009 durchgeführt wurden.
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haftierung von Zofia Kossak im Pawiak und die Rolle, welche Teresa Skarzyn´ska, verehelichte Zyberk-Plater, dabei spielte, enthalten. Ich erinnere mich an ein Familiengespräch mit meiner Großmutter Zofia in den sechziger Jahren, in dem es um die »Kollaboration« Teresas mit dem Okkupanten ging, aber meine Großmutter erhob nie Anschuldigungen gegen Teresa oder ihren Mann, Zyberk-Plater, die sie persönlich betroffen hätten.215 2007 hatte Anna Fenby Taylor die Gelegenheit, mit Władysław Bartoszewski zu sprechen, der meinte, dass Zofia Kossak vom Untergrund absichtlich an die Deutschen ausgeliefert worden war. Sie sei damals erschöpft gewesen und nur so habe man ihr das Leben retten können. Laut Maria Przyłe˛cka »Urszula« fand die Verhaftung am 28. September 1943 statt, doch in den Erinnerungen vieler anderer Freunde der Schriftstellerin ist zu lesen, dass Zofia Kossak am 25. September von der Gestapo festgenommen wurde. Dieses Datum wird auch von Leon Wanat angegeben, einem Häftling und zugleich Angestellten der Gefängniskanzlei im Pawiak, der die neuen Häftlinge in das Gefängnisbuch eintrug. In seinem Buch Za murami Pawiaka [Hinter den Mauern des Pawiak] verzeichnete er: Kossak Zofia – Schriftstellerin, verhaftet am 25. September 1943 an der Ecke Tamka-Straße und Kopernika-Straße, nach einem kurzen Aufenthalt im Pawiak am 05. 10. 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz übergeführt; sie kehrte am 20. April 1944 nach einigen Tagen Aufenthalt im Gefängnis in der Daniłowiczowska-Straße in den Pawiak zurück. Sie wurde am 28. Juli 1944 entlassen.216 Die im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau aufbewahrten Berichte von Mithäftlingen stellen die Schriftstellerin als eine Person dar, die trotz der schweren Bedingungen im Lager und ihres nicht mehr jungen Alters an der konspirativen Tätigkeit aktiv mitwirkte. Man kann lesen, wie einer der SSMänner – Włodzimierz Bilan – die in Zofia Kossaks Kleidung eingenähten Kassiber fand217, wie konspirative Treffen organisiert wurden, bei denen man patriotische Lieder sang, z. B. bei Luftangriffen, wenn die Schriftstellerin Geschichten über die nahegelegenen Beskiden erzählte, und wie es ihr gelang, erschöpfte, oft resignierte Frauen, die dem Zusammenbruch nahe waren, aufzumuntern. Die Echtheit des positiven Einflusses der Schriftstellerin auf andere weibliche Häftlinge scheint durch die Tatsache bestätigt zu werden, dass zu215 Ein Ausschnitt der E-Mail-Korrespondenz von Anna Fenby Taylor mit der Autorin des Buches (15. Februar 2021). 216 L. Wanat, Za murami Pawiaka…, S. 443. 217 Es handelt sich um den Bericht von Henryk Bartosiewicz über den SS-Mann, Włodzimierz Bilan (ein Deutscher, der mit einer Polin verheiratet war), der den Polen gegenüber entgegenkommend war und sie in vielen Situationen vor Schwierigkeiten bewahrte. Abteilung für Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erklärungen, Bd. 84, S. 117, 130–131.
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mindest einige Insassinnen218, die Zofia Kossak im Lager trafen, in ihren Berichten darüber schrieben. Bei meiner Recherche im Januar 2021 in dem Archiv des Museums AuschwitzBirkenau konnte ich feststellen, dass die Archivsammlung ein Verzeichnis mit den Lagernummern der weiblichen Häftlinge enthält, denen am 12. April 1944 Blutproben zur Untersuchung auf Typhus entnommen wurden. Die Lagernummer von Zofia Kossak-Szczucka (64491) ist auf der Liste als Position 59 aufgeführt.
Abb. 3: Aus dem Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim. Liste der Lagernummern der weiblichen Häftlinge, denen am 12. April 1944 Blutproben entnommen wurden, um sie auf eine Typhusinfektion zu testen; die Lagernummer von Zofia Kossak (64491) ist in Punkt 59 der Liste aufgeführt.
In dem Archiv wird auch die Sterbeurkunde von Tadeusz Szczucki aufbewahrt, ausgestellt vom Standesamt des Lagers, mit dem Sterbedatum 17. März 1943. Da in den Sterbeurkunden keine Lagernummern der Häftlinge angegeben wurden, lässt sich nicht feststellen, welche Lagernummer Tadeusz Szczucki im Konzen218 Über die Bedeutung der geistigen Unterstützung, welche die von Zofia Kossak erzählten Geschichten den Lagerinsassinnen von Auschwitz-Birkenau gaben, kann man in den Berichten von Eugenia Kurzelowa, Stanisława Rachwałowa bzw. Jadwiga Budzyn´ska lesen, die sich an die heimlichen Treffen erinnerten, bei denen die Frauen patriotische Lieder sangen; Abteilung für Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erklärungen, Bd. 36, S. 102, 107; Bd. 69, S. 104, 107–108; Bd. 66, S. 157, 160–161.
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trationslager Auschwitz hatte, und es ist daher nicht bekannt, wann er nach Auschwitz übergeführt wurde.
Abb. 4: Aus dem Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim. Sterbeurkunde von Tadeusz Szczucki, ausgestellt vom Standesamt des Lagers, mit dem Sterbedatum 17. März 1943.
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Im Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau befinden sich keine weiteren Dokumente, die den Aufenthalt von Zofia Kossak oder ihrem Sohn im Konzentrationslager betreffen. In Ksie˛ga pamie˛ci. Transporty Polaków z Warszawy do KL Auschwitz 1940–1944219 [Das Gedenkbuch. Transporte der Polen aus Warschau ins KL Auschwitz 1940–1944] wird in dem Kapitel Frauen – Transport vom 5. Oktober 1943 Zofia Kossak-Szczucka (im Lager Zofia S´liwin´ska) erwähnt. Die Recherche in den Internetressourcen des Gefängnismuseums Pawiak (www.muzeumniepodleglosci.art.pl) ergab folgendes Ergebnis: 1943–08–27 Verhaftung zusammen mit der Verbindungsperson Urszula Maria Tomaszewska, Ort der Inhaftierung: Warschau, Pawiak; Datum der Inhaftierung im Konzentrationslager:1943–10–05, Nummer 64491, Ort der Inhaftierung: Konzentrationslager Auschwitz; Datum der Freilassung: 1944–07–29. Es ist erwähnenswert, dass in der Publikation von Regina Doman´ska mit dem Titel Wie˛zienie gestapo. Kronika 1939–1944 [Das Gestapo-Gefängnis. Die Chronik 1939–1944] unter dem Datum vom 25. September 1943 Folgendes vermerkt ist: Drei Insassinnen wurden in den Ruinen des Ghettos erschossen. Verhaftet wurde die bekannte Schriftstellerin Zofia Kossak-Szczucka unter dem Decknamen Zofia S´liwin´ska220, und unter dem Datum vom 14. Dezember 1943 steht der Vermerk: Im Zusammenhang mit der Fahndung nach Zofia Kossak-Szczucka, die seit dem 6. Oktober l. J. unter dem Namen Zofia S´liwin´ska in Auschwitz gefangen gehalten wird, wurde ihr Schwager – Alfred Szatkowski, verhaftet.221 In Za murami Pawiaka kann man lesen: Am 5. Oktober 1943 ging wieder ein großer Transport vom Pawiak nach Auschwitz. Er umfasste 805 Männer und 244 Frauen. Unter ihnen befanden sich: Marian Balcerzak – Fahnenjunker der Polnischen Heimatarmee, Łucja Charewiczowa, geborene Strzelecka – Dozentin für Geschichte an der Universität Lemberg, Doktorin für Philosophie, sie starb im Lager an Fleckfieber, Jadwiga Jezierska – Angestellte in der Kanzlei des Gefängnisdepots im Pawiak, Stanisława Kiesłowska – Ehefrau eines Majors der Polnischen Armee, Janina Kolendo, Zofia Kryczkowska, Tadeusz Mikułowski – Doktor für Philosophie, Germanist, ehemaliger Inspektor des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten und öffentliche Bildung, Helena Pomorska, Emilia Racinowska, Wojciech Sekuła – Fahnenjunker der Polnischen Heimatarmee, Kamila Skwara, Zofia KossakSzczucka – bekannte Schriftstellerin.222
219 Ksie˛ga pamie˛ci. Transporty Polaków z Warszawy do KL Auschwitz 1940–1944 [Das Gedenkbuch. Transporte der Polen aus Warschau ins KL Auschwitz 1940–1944], Bd. III, Warszawa-Os´wie˛cim 2000, S. 1231. 220 R. Doman´ska, Wie˛zienie gestapo. Kronika 1939–1944 [Das Gestapo-Gefängnis. Die Chronik 1939–1944], Warszawa 1978, S. 354. 221 Ebd., S. 389. 222 L. Wanat, Za murami Pawiaka…, S. 118.
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Bei der Recherche im Filialarchiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk [Oddziałowe Archiwum Instytutu Pamie˛ci Narodowej – Komisja S´cigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu] in Kattowitz und im Archiv des Instituts für Nationales Gedenken [Archiwum Instytutu Pamie˛ci Narodowej] in Warschau wurden die Akten mit folgenden Nummern ausgewertet: IPN BU 00170/646 Bd. 2, IPN BU 00231/1–2, IPN BU 00231/247 Bd. 1–2, IPN BU 0648/49 Bd. 1–2, IPN BU 01041/12, IPN BU 01221/35. Im Archiv des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau ist im Konvolut Akten der Krakauer Bezirkskommission zur Untersuchung deutscher Verbrechen [Akta Krakowskiej Okre˛gowej Komisji Badania Zbrodni Niemieckich] in der Strafsache gegen den ehemaligen Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau RUDOLF HOSS (Aktenzeichen IPN GK 196/89, Aktenersteller: Oberstes Nationales Tribunal Polens [Najwyz˙szy Trybunał Narodowy]), im Vernehmungsprotokoll des Zeugen Dr. Jan Olbrycht, der Professor an der Jagiellonen-Universität und vereidigter Gerichtsarzt war, zu lesen: Im Lager Auschwitz waren vor den Blocks Fässer mit chloriertem Wasser aufgestellt, aus denen die Häftlinge mit einem an dem Fass befestigten Becher Wasser schöpfen konnten. In Birkenau gab es keine solche Vorrichtung, die Häftlinge litten Durst /Zeuge Wolken/ und die Insassinnen benutzten zum Waschen Kaffee, den sie zum Frühstück bekamen /Szmaglewska, Kossak-Szczucka/. In der Archivsammlung Der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für den Distrikt Radom [Komendant Policji Bezpieczen´stwa i Słuz˙by Bezpieczen´stwa w Radomiu] (Aktenzeichen IPN GK 105/266/1) befinden sich Dokumente mit Anmerkungen zu Zofia Kossak (Pseudonym »Weronika«). In der Archivsammlung Oberstes Nationales Tribunal Polens [Najwyz˙szy Trybunał Narodowy] (Aktenzeichen IPN GK 196/251), wird auch ein Verzeichnis des antideutschen, schädlichen und unerwünschten polnischen Schrifttums aus dem Jahre 1940 aufbewahrt. Bei dem Namen von Zofia Kossak-Szczucka sind sieben Titel ihrer Werke aufgeführt, und zwar: Poz˙oga [Die Feuerbrunst], Wielcy i Mali [Die Großen und die Kleinen], Legnickie Pole [Die Walstatt von Liegnitz], Kłopoty Kacperka góreckiego skrzata [Die Sorgen des Zwerges Kacper], Nieznany kraj [Unbekanntes Land], Na S´la˛sku [In Schlesien], S.O.S…! [SOS …!].
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Abb. 5: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Akte bezüglich der Ermittlungen zum Thema Untergrundorganisationen.
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Abb. 6: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Archivierte amtliche Dokumente.
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Abb. 7: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Archivierte amtliche Dokumente.
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Abb. 8: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kommentierte Dokumentation über Zofia Kossak (Pseudonym »Weronika«).
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Abb. 9: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Ausführliche Informationen über Zofia Kossak.
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Abb. 10: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Liste des deutschfeindlichen, schädlichen und unerwünschten polnischen Schrifttums.
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Abb. 11: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Detaillierte Informationen zu den Büchern von Zofia Kossak.
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Als Ergebnis der Recherche im Filialarchiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk [Oddziałowe Archiwum Instytutu Pamie˛ci Narodowej – Komisja S´cigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu] in Kattowitz und im Archiv des Instituts für Nationales Gedenken [Archiwum Instytutu Pamie˛ci Narodowej] in Warschau wurden ebenfalls die bisher unveröffentlichten Kassiber von Zofia Kossak aufgefunden (Aktenzeichen IPN BU 1571/424). Die inoffizielle Korrespondenz der Schriftstellerin befindet sich im Konvolut Die Regierungsdelegation für Polen. Der Nachlass von Władysław Bartoszewski: Dokumente, Korrespondenz und Flugblätter, die bei Bartoszewski gefunden wurden [Delegatura Rza˛du na Kraj. Depozyt Władysława Bartoszewskiego: dokumenty, korespondencja i ulotki znalezione u Bartoszewskiego] (Grenzdaten der Archiveinheit: [1943] 1945–1946; Aktenersteller: Ministerium für Öffentliche Sicherheit [Ministerstwo Bezpieczen´stwa Publicznego] in Warschau [1944] 1945–1954). Eine Passage aus einem Kassiber wurde erstmals von Joanna Jurgała-Jureczka223 auf der wissenschaftlichen Konferenz in Górki Wielkie im Jahre 2019 zitiert. Die Enkelin der Schriftstellerin, Anna Fenby Taylor, war überzeugt, dass die Kassiber von Zofia Kossak nicht erhalten geblieben sind. Hierzu sind folgende Details anzumerken: die Handschrift von Zofia Kossak war unleserlich, die Bedingungen im Lager bzw. im Pawiak waren dem Briefwechsel nicht förderlich. Das Schreiben von Kassibern, d. h. der inoffiziellen Korrespondenz, auf die im nächsten Kapitel der Arbeit näher eingegangen wird, war verboten und undisziplinierte Häftlinge wurden streng bestraft. Ein Kassiber von Zofia Kossak aus dem Krankenhaus in »Serbia«224 vom Juni 1944 war auf Papier geschrieben (es ist davon auszugehen, dass es sich um 223 Ich halte mich auf dem Laufenden über den Stand der Forschung bezüglich des Lebens von Zofia Kossak. Bisher ist die Frage der Kassiber von Zofia Kossak weder in wissenschaftlichen Arbeiten noch in den Büchern von Joanna Jurgała-Jureczka (z. B. J. Jurgała-Jureczka, Kossakowie. Tango [Die Kossaks. Der Tango], Poznan´ 2020; J. Jurgała-Jureczka, Kossakowie. Biały mazur [Die Kossaks. Die weiße Mazurka], Poznan´ 2018; J. Jurgała-Jureczka, Kobiety Kossaków [Die Frauen in der Kossak-Familie], Warszawa 2015; J. Jurgała-Jureczka, Zofia Kossak. Opowies´c´ biograficzna [Zofia Kossak. Eine biografische Geschichte], Warszawa 2014) behandelt worden. 224 »Serbia« – die Frauenabteilung des Pawiak-Gefängnisses, die sich in den Jahren 1835–1944 in der Dzielna-Straße 24/26 in Warschau befand. Das Gebäude von »Serbia« wurde wahrscheinlich 1830–1835 als Strafgefängnis für Frauen errichtet. Nach 1863 beherbergte das Gebäude das politische Frauengefängnis, zu dessen Insassinnen Wera Kostrzewa und Rosa Luxemburg gehörten. In den Jahren 1939–1944 wurde das Gebäude zusammen mit dem gesamten Pawiak von der Gestapo übernommen. Es war für 250 Insassinnen ausgelegt, in der Okkupationszeit belief sich die Zahl der dort inhaftierten Frauen allerdings auf 800 (vgl. A. Czuperska-S´liwicka, Cztery lata ostrego dyz˙uru [Vier Jahre im Notdienst], Warszawa 1965, S. 15). Am 21. August 1944 sprengten die Deutschen den Gefängniskomplex des Pawiak mitsamt dem Gebäude von »Serbia« (vgl. L. Wanat, Za murami Pawiaka…, S. 605). Nach dem Krieg wurde der Pawiak nicht wiederaufgebaut.
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Zigarettenpapier handelte), auf dem der Name der Papierfabrik Solali in Saybusch225 [Z˙ywieckie Zakłady Papiernicze Solali] aufgedruckt war. Wie aus einer Notiz von Władysław Bartoszewski hervorgeht, wurde ein weiterer Kassiber von Zofia Kossak aus dem Frauengefängnis im Pawiak (»Serbia«) geschickt. Der Kassiber beinhaltete einen Artikel für die geheime Zeitschrift, die von der Schriftstellerin vor ihrer Verhaftung herausgegeben wurde (gemeint ist die Zeitschrift »Prawda«). Laut der Beschreibung wurde der Kassiber Ende Mai oder Juni 1944 aus dem Gefängnis übermittelt. Und weiter kann man lesen: Am 2.05.44 kehrte Zofia Kossak nach 7 Monaten Inhaftierung in Auschwitz in ihre Warschauer Wohnung zurück.
225 Die Papierfabrik in Saybusch wurde 1833 gegründet. Ende des 19. Jahrhunderts, nach der Installation von Papiermaschinen, gehörte der Betrieb zu den am besten ausgestatteten und modernsten Papierfabriken landes- und europaweit. Hergestellt wurden hier unter anderem: Zigarettenpapier, hochwertiges Verpackungspapier und Pappe. In der Zwischenkriegszeit wurde die Produktion um ein neues Sortiment erweitert, und zwar: Ölpapier, dekoratives Krepppapier, Servietten und Transparentpapier. Heutzutage ist der Betrieb als Z˙ywieckie Zakłady Papiernicze Solali SA tätig. Siehe auch: http://www.solali.drukarniewpol sce.pl/ [Zugriff: 13. März 2021].
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Abb. 12: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Titelblatt einer Mappe mit Kassibern.
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Abb. 13: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber in der Akte von Władysław Bartoszewski.
Abb. 14: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber in der Akte von Władysław Bartoszewski.
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Abb. 15: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber von Zofia Kossak.
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Abb. 16: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber von Zofia Kossak.
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Abb. 17: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber von Zofia Kossak mit einem Artikel für eine geheime Zeitschrift, deren Herausgeberin sie vor ihrer Verhaftung war.
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Abb. 18: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber von Zofia Kossak.
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Abb. 19: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber von Zofia Kossak.
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Abb. 20: Archiv des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk. Kassiber von Zofia Kossak.
4.
Die inoffizielle Lagerkorrespondenz: Kassiber, geheime und linke Briefe. Ein Überblick226
Die achtzehnjährige junge Goralin, Helena Błaz˙usiakówna, ritzte in die Wand des Gestapo-Gefängnisses »Palace« in Zakopane, wo sie 1944 inhaftiert war, folgende Inschrift: Nein, Mutter, weine nicht – Unbefleckte Himmelskönigin, Steh mir allzeit bei.227 Henryk Mikołaj Górecki komponierte zu den zitierten Worten, die er mit dem Gebetsruf »Ave Maria« beendete, seine eigene Musik. So entstand ein wunderschönes, schmerzerfülltes, langsames Klagelied für Solo-Sopran, ergänzt durch zarte Orchesterakkorde, voller Anspielungen auf traditionelle tonale und modale Kombinationen. Inschriften, Kassiber, geheime und linke Briefe aus dem Lager, deren Inhalte einen Baustein des Kulturnervs darstellen, ermöglichen eine Antwort auf die Fragen: Was ist die wichtigste Fortsetzung und generationsübergreifende Transmission der Nachkriegszeit? Welche Werte und Wahrheiten sollten wir hochhalten? Für einen großen Teil der Inhaftierten war die Möglichkeit, mit Familien und Freunden zu kommunizieren, nicht weniger oder vielleicht sogar mehr wert als zusätzliche Nahrungsmittel. Aufgrund der Zensur war die Kommunikation in begrenztem Maße durch offizielle Korrespondenz auf Lagervordrucken möglich: Postkarten und Briefe. In weitaus größerem Umfang fand inoffizielle Korrespondenz in Form von Kassibern, geheimen und linken Briefen statt – es handelte sich in der Regel um kleine, in winziger Handschrift akribisch aufgeschriebene Zettelchen, die auf verschiedene Weise, meist in Kleidung oder Arbeitsgeräten versteckt, aus dem Lager herausgeschmuggelt oder den Häftlingen zugestellt wurden.
226 Der vorliegende Text enthält eine überarbeitete Fassung des Kapitels aus der Arbeit Listy z lagrów i wie˛zien´. 1939–1945. Wybrane zagadnienia [Briefe aus Arbeitslagern und Gefängnissen. Ausgewählte Probleme], Katowice 2019. 227 Trzej kompozytorzy. Ninateka [Drei Komponisten. Ninateka], https://ninateka.pl/kolekcje /trzej-kompozytorzy/gorecki/audio/iii-symfonia-symfonia-piesni-zalosnych-op-36 [Zugriff: 20. Dezember 2018].
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Die inoffizielle Lagerkorrespondenz: Kassiber, geheime und linke Briefe
Im Kapitel Die Geschichte eines Kassibers des Buches Ostatni kra˛g [Der letzte Kreis] schildert Józef Kret die Geschichte eines Kassibers, der auf Wunsch von Stanisław Kłodzin´ski geschrieben wurde. Der Inhalt bezog sich auf eine Strafkompanie. Hier die entsprechende Passage: Es wird eine Durchsuchung geben! Was hätte ich mit dem Kassiber tun sollen? Es gab keinen anderen Ausweg. Mit unmerklichen Bewegungen zog ich das Bündel aus der Naht, nahm es in den Mund und kaute es. Es hat geklappt! (…). Ich habe die Strafkompanie später, nach der Befreiung beschrieben. Aber ein freier, sicherer und gesättigter Mensch sieht seine vergangenen Erlebnisse ganz anders. Die von mir verschluckten, in Echtzeit an Ort und Stelle verfassten Aufzeichnungen – wären sicherlich das beste Dokument, das die tragische Wahrheit über die finstersten Seiten der Lagerhölle, d. h. die berüchtigte Strafkompanie, ans Tageslicht bringt.228 Kassiber wurden auf Heftpapier, Maschinenpapier, Durchschreibepapier und manche auf Korrespondenzpapierfetzen geschrieben. Man verfasste geheime Botschaften auf eingeschmuggeltem Löschpapier bzw. Zigarettenpapier. Erhalten sind auch Kassiber auf Pergament- bzw. Transparentpapier. Die 37 Kassiber von Krystyna Wituska229 aus den Gefängnissen in Alt-Moabit, die aus dem Zeitraum vom 1. August bis Ende Oktober 1943 stammen, wurden auf verschiedenen Papierzetteln geschrieben, auch auf der Rückseite von Werbeanzeigen oder Fetzen von Packpapier, und zwei sogar auf dem Formularpapier der Haftanstalt. Die Übermittlung von Kassibern aus dem Lager »nach draußen« und umgekehrt, wie auch von Berichten und Mitteilungen der inhaftierten Mitglieder der Widerstandsbewegung, erreichte Ausmaße, welche die Feststellung, dass während der deutschen Besetzung beispielsweise in Lublin und Auschwitz ein gut ausgebautes Netz von Untergrundpost existierte, voll und ganz rechtfertigen. Unter den schweren Okkupationsbedingungen stellte sie die Verbindung zwischen den Häftlingen im Lager und der Außenwelt sicher und deckte nicht nur die nahe gelegenen Städte und Dörfer, sondern auch weit entfernte Gebiete ab. Anzumerken ist, dass den erwischten Verbindungsleuten Lagerhaft drohte; Häftlinge wurden für die Aufrechterhaltung illegaler Kontakte und Übermittlung von Korrespondenz in der Regel mit Auspeitschung bestraft. Es gab allerdings auch Fälle, dass die Häftlinge wegen solcher Straftaten zum Tode verurteilt wurden.
228 J. Kret, Ostatni kra˛g [Der letzte Kreis], Kraków 1973, S. 148–149. 229 Na granicy z˙ycia i ´smierci. Listy i grypsy wie˛zienne Krystyny Wituskiej [An der Grenze zwischen Leben und Tod. Briefe und Kassiber von Krystyna Wituska], bearbeitet und mit einem Vorwort versehen von W. Kiedrzyn´ska, Warszawa 1970, S. 231.
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Die Korrespondenz wurde auch von Häftlingen übermittelt, die zur Arbeit ausgingen230 (in die städtische Wäscherei, zur Feldarbeit oder in die Brauerei). Sie trugen die geheimen Briefe in den dafür speziell vorbereiteten Nähten ihrer Sträflingsanzüge hinaus. Die Kassiber wurden ebenfalls in den speziell angefertigten Schuheinlagen, unter einem zusätzlich angebrachten und abnehmbaren Schuhabsatz, in einem Ledergürtel231 und im Winter in doppelt genähten Handschuhen deponiert. Falls ein größerer Kassiber aus dem Lager verschickt werden musste, wurde er in eine ausgehöhlte Kerze hineingelegt. Wenn es einen größeren Bericht abzusenden gab, besorgte Koll. Bucki, ein Experte in Sachen
230 Stanisław Kłodzin´ski erinnerte sich an den Saal, in dem die Typhuskranken untergebracht waren (Saal Nr. 3), folgendermaßen: In dem Raum gab es einen Herd. Rechts vom Herd befand sich eine Ecke, die durch an Drähten aufgehängte Decken abgetrennt war. Hinter die Decken wurde eine Schnur mit einer Lampe gezogen – dort wurden Kassiber geschrieben und Dokumente kopiert, um sie nach Krakau zu schicken. […] J. Cyrankiewicz schlief gleich am Fenster an einem Tisch im dritten Stock der Pritsche. Die Kassiber wurden oft durch das Fenster übergeben, bevor die Kommandos zur Arbeit abmarschierten […]. Vgl. APMA-B, Erklärungen, Bd. 48, K. 89–90. Bericht von Stanisław Kłodzin´ski vom 4. Juni 1965. 231 Martyna geb. Gryglaszewska, Fürstin von Puzyna aus Koselsk, vor dem Krieg Assistentin bei Professor Jan Czekanowski, fertigte geheime Abschriften von allen in Auschwitz durchgeführten, anthropometrischen Untersuchungen an; dadurch blieben die Dokumente von 295 weiblichen Häftlingen – griechischen, ungarischen, holländischen, französischen und italienischen Jüdinnen, sowie 117 Zwillingen beiderlei Geschlechts (Juden aus Ungarn) erhalten, die sie in Form von Kopien sicherstellte. Hierfür wandte sie sich an die Inhaftierte Antonina Pia˛tkowska, welche bereits früher Dokumente verwahrt hatte, mit dem Vorschlag, dieser die Abschriften von Mengeles Untersuchungen zukommen zu lassen. Pia˛tkowska versteckte sie unter dem Boden der von ihr bewohnten Baracke und gab sie später an Zofia Gawron – eine Bewohnerin von Brzeszcze – weiter, die Kontakt zu Zivilarbeitern hatte. Sie half dabei, die zunächst in Gläsern verschlossenen und dann in dem von Pia˛tkowska getragenen Gürtel eingenähten Berichte von Puzyna aufzubewahren, zu vergraben bzw. zu übermitteln. Als es Zofia Gawron gelang, Kontakt zu einem Polen außerhalb des Lagers aufzunehmen, übergab sie die Dokumente mit dessen Hilfe an ihre Familie in Brzeszcze, wo sie bis zum Kriegsende überdauerten. Nach dem Verlassen des Lagers holte Pia˛tkowska die Abschriften ab und gab sie an die »Caritas« weiter, von wo her sie in Hände von Kardinal Adam Sapieha wanderten, der sie an Kanoniker Jasin´ski übermittelte; dank ihm wurden sie ¯ in der Presse und im Rundfunk veröffentlicht und später an die Hauptkommission zur Untersuchung der NS-Verbrechen in Polen gesandt. Vgl. G. L. Posner, J. Wore: Mengele. Polowanie na anioła ´smierci [Mengele. Die Jagd nach dem Todesengel], Kraków 2000. Es sei anzumerken, dass Puzyna beauftragt wurde, wichtige Dokumente zu beschaffen, die ein hoher Gestapo-Beamter im Nachtclub »Barbara«, wo »Tychna« als Kellnerin arbeitete, bei sich haben sollte. Dort wurde sie verhaftet, strengen Verhören unterzogen und gefoltert. Da sie befürchtete, bald ans Ende ihrer Kräfte zu gelangen, bat sie in einem Kassiber um ein Gift. Die Deutschen fingen aber das Paket ab und ersetzten das Gift durch ein Schlafmittel, das sie einnahm. Dabei wurde die Familie über den Tod der Fürstin benachrichtigt und in der Emigrationspresse erschienen Nekrologe. In der Zwischenzeit wurde Puzyna von Lemberg nach Auschwitz übergeführt.
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Verpackung, eine Kerze. Eine gewöhnliche Kerze, deren dicker Docht eigentlich eine ebenso dicke Papierrolle war.232 Das Funktionieren der geheimen Brücke war dank Mut und Opferbereitschaft mehrerer Personen möglich: Zivilarbeiter, die z. B. bei Bauarbeiten auf dem Gelände von Majdanek beschäftigt waren, Mitglieder der Widerstandsbewegung, Mitarbeiter von Wohltätigkeitseinrichtungen und Bewohner benachbarter Ortschaften, die Hilfe für die Häftlinge organisierten. Eine besondere Rolle beim Austausch von Kassibern fiel den bereits genannten Mitarbeitern von Baufirmen, Handwerkern bzw. Hilfsarbeitern zu, unter denen manche – auf Wunsch der Familien, in Absprache mit dem Untergrund oder aus eigener Initiative – als geheime »Postboten« tätig waren. Diese Hingabe wurde von den Häftlingen und ihren Angehörigen sehr geschätzt. Unsere Kontakte zur freien Welt – so Wanda Ossowska – waren unglaublich, in jedem anderen Lager wären sie unmöglich gewesen, aber ihre Grundlage, ihr Keim waren Zivilarbeiter. […] Diese völlig fremden Menschen riskierten ihr Leben, ihre Freiheit oder bestenfalls Schläge und Folter und brachten uns alles, was man versteckt hineinschmuggeln konnte.233 An dieser Stelle sei auf die Frage der zuvor erwähnten, besonderen »Postboten« einzugehen. Ihr Casus ist nur in Hinblick auf die Analyse der geheimen Lagerbriefe von Bedeutung. Während die offizielle Korrespondenz oder literarische Briefe auch ohne geheime Verbindungsleute kursieren durften, waren sie bei der Übermittlung von Kassibern unentbehrlich, in denen man eher offen und ohne auf den Zensor zu achten das wahre Bild des Lagerlebens schilderte. Krystyna Czyz˙-Wilgatowa erinnerte sich, dass ein anderer Weg, Nachrichten nach Polen zu übermitteln, durch die Kontaktaufnahme mit einer kleinen Zweigstelle des Oflag II-A in Neustrelitz möglich war. Einer der Fähnriche – Eugeniusz S´widerski – korrespondierte regelmäßig mit Aniela Chałubin´ska, die mit meiner Familie befreundet war, und übermittelte verschiedene Informationen über das Lager und die Operationen. Seinen wertvollsten Dienst erwies er, als er meiner Familie in einer Kaffeedose mit doppeltem Boden einen ganzen Lagerbericht zusandte – d. h. eine ausführliche Beschreibung des Lagers und der dortigen Ereignisse, die von den Pfadfinderinnen verfasst worden war.234 In dem Kassiber 232 Der Auszug stammt aus der Sammlung von Stanisław Kłodzin´ski Junior, Manuskript von Stanisław Kłodzin´ski ohne Titel und Datum, beginnend mit den Worten: Ciekawa jest technika korespondencji [Interessant ist die Technik der Korrespondenz]. Zit. nach: Grypsy z Konzentrationslager Auschwitz Józefa Cyrankiewicza i Stanisława Kłodzin´skiego [Die Kassiber von Józef Cyrankiewicz und Stanisław Kłodzin´ski aus dem Konzentrationslager Auschwitz], Vorwort und Bearb. I. Paczyn´ska, Kraków 2013, S. XLIII. 233 T. Kranz, Wprowadzenie [Einführung], in: Listy z Majdanka. Obóz koncentracyjny w ´swietle grypsów. Katalog wystawy [Die Briefe aus Majdanek. Das Konzentrationslager im Lichte der Kassiber. Der Ausstellungskatalog], bearb. von D. Olesiuk, Lublin 2010, S. 5. 234 Ponad ludzka˛ miare˛. Wspomnienia operowanych z Ravensbrück [Über das menschliche Maß hinaus. Die Erinnerungen der Operierten aus Ravensbrück], Warszawa 1969, S. 59–60.
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vom 20. Januar 1944 erwähnt Stanisław Kłodzin´ski, welche Medikamente er brauchte und wie er die offizielle Post zu deren Beschaffung nutzte.235 Die oft anonymen Helden – weitere Zeugen der Zeit des Werteverfalls, überbrachten selbstlos (wenn auch nicht immer, denn es gab solche, die von Gefangenen bzw. deren Familien für die Zustellung von Kassibern, Medikamenten und Lebensmitteln Entgelt bezogen) und von Verhaftung bedroht illegale Korrespondenz. Vielleicht war es ein lobenswertes Bedürfnis ihres Herzens, vielleicht ein Ausdruck des Mitleids mit den Gefangenen, vielleicht auch die einzig mögliche Form des Kampfes gegen den Okkupanten. Man wird es nie erfahren. Im Kontext der inoffiziellen Lagerkorrespondenz soll allerdings an diese wenig bekannten, aber sehr denkwürdigen, zuverlässigen Postboten erinnert werden. Es steht fest, dass zu denjenigen, die das Risiko eingingen, Informationen zwischen den Häftlingen in Majdanek und deren Familien zu übermitteln, Klaudiusz Jelin´ski, Franciszek Pniewski und Stanisław Szacon´ gehörten236, die auf Befehl bzw. im Einvernehmen mit der Widerstandsbewegung wirkten. Ein höchstwahrscheinlich vom 24. Mai 1943 stammender Kassiber stellt einen dramatischen Versuch dar, Teresa Lasocka zu benachrichtigen, dass ihre bisherige Verbindung zum Lager wegen der Verhaftung von Helena Płotnicka237 nicht mehr gültig ist. Darin enthalten ist auch eine Mitteilung über Zofia Gawron. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass im Spätherbst 1944 die Korrespondenz von und nach Auschwitz auch von den Mitgliedern des Lagerpersonals übermittelt wurde, z. B. von der Krankenschwester Maria Stromberger und dem SS-Mann Frank, den man in den Kassibern »Botschafter«238 bzw. »Botschafter I« nannte, sowie von zwei weiteren SS-Männern, deren Namen nicht bekannt sind und die
235 […] Also, das Ganze sieht so aus. Ihr aus Auschwitz oder z. B. aus Zator gebt ein gut verpacktes Paket mit Medikamenten auf einen fiktiven Namen auf […] – und wir holen es ohne Kontrolle von unserem Postamt ab. Broniław Pe˛dzin´ski, Kapo von der Paketpost, der mit Häftlingen zusammenarbeitete, konnte Pakete mit Medikamenten ohne SS-Kontrolle schmuggeln, wenn ihm der Deckname des Häftlings bekannt war. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 134–135. 236 Die Angaben stammen aus Listy z Majdanka…, S. 10. 237 Helena Płotnicka wurde am 19. Mai 1943 verhaftet und im Bunker des Blocks 11 im KZ Auschwitz untergebracht. Trotz grausamer Foltern gab sie die Namen der Gefangenen, mit denen sie in Verbindung stand, nicht preis. Am 20. Oktober 1943 wurde sie mit der Häftlingsnummer 65492 in das Frauenlager Birkenau eingeliefert. Am 17. März 1944 starb sie im Lagerkrankenhaus an Typhus. M. Maniakówna, W os´wie˛cimskim bloku 11 [Im Block 11 von Auschwitz], »Przegla˛d Lekarski – Os´wie˛cim« [»Ärztliche Rundschau – Auschwitz«] 1970, Nr. 1, S. 210. 238 Der SS-Mann Frank, Leiter des Blocks 5 im Hauptlager, informierte die Häftlinge zunächst über die Anzahl der Wachmannschaften, Bewaffnung der SS-Männer und die neuen Befehle der Lagerverwaltung. Später wurde er zum Vermittler zwischen den Häftlingen und dem Lageruntergrund. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 401.
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in den Kassibern als »Botschafter II« und »Botschafter III«239 bezeichnet wurden. Die Kassiber enthielten Anfragen bezogen auf die Auslotung von Möglichkeiten, bestimmte Personen als Vermittler im Verbindungssystem einzusetzen, wie z. B. »Jasia«240, die im Truppenwirtschaftslager Rajsko arbeitete, oder aus dem Lager entlassene Häftlinge, die zwangsweise in Wirtschaftsstrukturen des Lagers beschäftigt waren (z. B. Władysław, Ludwik Paprzyca, Ludwik Moch). Es wurde ebenfalls unermüdlich nach Möglichkeiten gesucht, alternative Wege zur Übermittlung der geheimen Korrespondenz aus den Lagern zu schaffen. Die mit Bleistift bzw. Tinte241 geschriebenen Briefe wurden auf verschiedenste Art und Weise geschmuggelt: unter dem Futter der Kleidung, in speziell vorbereiteten Werkzeugen, die von den Arbeitern für ihre Arbeit verwendet wurden (z. B. in einer Ahle, einem Hammer o. ä.), in einer Teigrolle242, zwischen Paketen und Suppeneimern243, in einem Brillenetui, in einem Füllfederhalter, einer elektrischen Taschenlampe, einem Brötchen und einem Feuerzeug, in Tuben und Gläsern mit Cremes, Filzschuheinlagen, einem Lippenstift, im doppelten Boden 239 Botschafter II wird am Freitag zwischen 8 und 9 Uhr morgens am selben Ort sein. […] In diesem Fall werden sie sicherlich am Freitag am selben Ort sein. Botschafter III, der zurückkehrt, wird sie begleiten […] – schrieben Józef Cyrankieiwcz und Stanisław Kłodzin´ski am 21. September 1944 in dem Kassiber an Władysław Pytlik. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 494. 240 […] Bedient Jasia aus dem TWL [Truppenwirtschaftslager] Rajsko die SS-Männer im Gebäude neben der Gärtnerei Rajsko und hat sie über Józek, den dortigen Gärtner, Kontakt zum Lager? Welchen Kontakt kann sie zu Euch haben? – fragten Józef Cyrankiewicz und Stanisław Kłodzin´ski in einem Kassiber vom 4. September 1944. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 439. 241 Es sei darauf hingewiesen, dass die meisten Kassiber mit Tinte geschrieben wurden. Manchmal passiert es, dass ein mit Tinte oder einem chemischen Bleistift verfasster Text von einer Seite des Kassibers auf die andere durchschlägt, die ebenfalls mit Text beschrieben ist, was die Lesbarkeit der Korrespondenz zusätzlich verschlechtert. In vielen Fällen bildeten sich in den Faltbereichen Risse, die zum irreversiblen Verlust von Manuskripten führten. 242 In der ersten Maihälfte 2012 wurden 53 originale Kassiber, die in einer Teigrolle versteckt waren, dem Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau übergeben. Sie enthalten unter anderem die Abschriften des Leichenbuches sowie das Namensverzeichnis der in den Gaskammern ermordeten Häftlinge. »Dziennik Polski« [»Polnische Tageszeitung«] vom 12. Mai 2012, Grypsy znalezione w kuchennym wałku [Die Kassiber in einer Teigrolle gefunden]. W: https://dziennikpolski24.pl/grypsy-znalezione-w-kuchennym-walku/ar/31433 46. 243 An dieser Stelle ist anzumerken, dass im Februar 1943 zwei in Lublin tätige Wohlfahrtsverbände: das Polnische Rote Kreuz und der Hauptfürsorgerat (Rada Główna Opiekun´cza), die Erlaubnis erhielten, polnische Häftlinge mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Ihre Mitarbeiter schmuggelten Briefe, Berichte über die Situation im Lager und die Untergrundpresse. In der zweiten Hälfte des Jahres 1943, als die Korruption im Lager ihren Höhepunkt erreichte und die Ereignisse an der Ostfront die bevorstehende Niederlage Deutschlands andeuteten, wurden illegale Briefe, Medikamente und Berichte über die Situation im Lager auch von SS-Leuten übermittelt: Willi Reinartz, Hans Lück und Otto Schulz. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 14.
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der offiziellen Lebensmittelpakete, die ins Lager gesandt wurden, und in mehreren anderen »kleinen Gegenständen«, an vorher vereinbarten Orten, auf dem Gelände des Bauhofs – des Baustofflagers, in der Mühle, im Garten. Am 4. August 1943 sandte Mieczysław Bien´ko einen Kassiber an seine Eltern, der eine erschütternde Passage über die Regeln im Lager enthielt: Ich möchte Euch mitteilen, dass ich Gott sei Dank noch am Leben bin. Herzlichen Dank für die Pakete. Hier erhalten wir zweimal wöchentlich Pakete bis zu 5 kg, die man über das Rote Kreuz oder per Post zuschicken kann. […] Wenn ihr ein Paket schickt, schreibt ein paar Worte und legt unbesorgt ins Brot hinein, es wird nicht kontrolliert. Wisst ihr, derjenige, wer hier ein bisschen Brot und Fett hat, kann am Leben bleiben, und wer nicht – fliegt durch den Schornstein hinaus. Ich mache Feldarbeit, an der Straße nach Hrubieszów. […] Ich verabschiede mich von Euch, vielleicht nicht für immer, aber wenn Gott gnädig ist, werden wir uns wiedersehen. Verzeiht mir, dass ich so schlecht schreibe, aber ich mache es auf dem Knie in der Latrine, denn einen solchen Brief in Angst abzuschicken, kostet bis zu 100 Zloty oder eine Prügelstrafe, und wenn man einen beim Übermitteln erwischt, landet er in Majdanek […].244 Eine andere Möglichkeit bestand darin, die auf dem Löschpapier geschriebenen Kassiber in ein ausgehöhltes Bonbon einzustecken, das wiederum verklebt und ins originale Papier eingewickelt wurde. Ein solches Bonbon konnte dem Gefangenen in einem Paket zugestellt werden.245 Zur Übermittlung von Kassibern wurden ebenfalls Schlüssel verwendet, die – innen ausgehöhlt – einen Schraubenkopf mit Gewinde hatten. Für eine bessere Absicherung der im Inneren des Schlüssels246 befindlichen Sendung wurde dieser zusätzlich verlötet. In Kassibern wurden oft Verzeichnisse mit Häftlingsnummern, Vor- und Nachnamen von Häftlingen verschiedener Nationalitäten, die in dem jeweiligen Lager inhaftiert waren, aber auch von denen, die in ein anderes Lager übergeführt wurden, mit ihren aktuellen Adressen in die Außenwelt geschmuggelt, damit die Lagerin244 Mieczysław Bien´ko wurde 1919 geboren. Im Juni 1943 wurde er wegen seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung verhaftet und im Juli 1943 nach Majdanek gebracht, wo er die Häftlingsnummer 2808 erhielt. Er arbeitete bei Geländenivellierung zur Errichtung von Baracken, beim Bau einer SS-Kantine und später auch in Tischlerwerkstätten. Er blieb in Majdanek bis zur Befreiung des Lagers. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 11. 245 Eine derartige Sendung wurde in einem Kassiber von Stanisław Kłodzin´ski an Władysław Pytlik vom 9. Mai 1944 angekündigt. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 286–288. 246 Diese Art und Weise der Übermittlung von Kassibern wurde von Józef Dyntar vorgeschlagen, der in einer Schlosserei arbeitete (APMA-B, Erklärungen, Bd. 19, K. 16, Bericht von Stanisław Kłodzin´ski vom 24. Juli 1984. Józef Dyntar überbrachte auch persönlich die geheime Korrespondenz und gab sie an Zivilarbeiter weiter, u. a. einen Kassiber mit 87 Namen der niederländischen Juden, die Ende 1942 mit Phenolspritzen getötet worden waren). Die Schlüssel wanderten zwischen dem Lager und Krakau. In einem Kassiber vom Dezember 1944 schrieb Józef Cyrankiewicz: Geben Sie den Schlüssel zusammen mit der Post ab. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 575.
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sassen Pakete erhalten konnten. Ziel war es insbesondere, die Zusendung der Pakete durch das Internationale Rote Kreuz zu veranlassen.247 Das Thema kam in der geheimen Korrespondenz häufig zur Sprache. In konspirativen Kreisen war man der Meinung, dass die Versandaktion nicht nur einem Teil der Gefangenen unmittelbare Hilfe brachte, sondern auch eine wichtige psychologische, moralische und politische Bedeutung hatte. Die weiblichen Häftlinge von Ravensbrück erlebten Triumph und Freude, als Pakete von verschiedenen internationalen Institutionen für die Gruppe der Operierten eintrafen. Die Konzepte zur Organisation der Aktion und das wegen deren Verwirklichung empfundene Glück kommen in den letzten Briefen der »Versuchskaninchen« zum Ausdruck.248 Die Informationen darüber, wo, wie und um wieviel Uhr die Pakete für Häftlinge abzuholen waren, wurden oft in den Kassibern übermittelt. Ähnlich wie konspirative Sendungen wurden die Kassiber an bestimmten Orten abgegeben und abgeholt. Der Schriftwechsel fand zu einem vereinbarten Zeitpunkt statt, nichts wurde dem Zufall überlassen. Im Kassiber an seine geliebte Terenia äußerte Andrzej Majewski seine Anweisungen, Erklärungen und Bitten mit folgenden Worten: […] die Bedingungen haben sich sehr verschlechtert und wir müssen das System der Paketübergabe ändern. Vor allem erhalte ich wieder Pakete von P.C.K. [dem Polnischen Roten Kreuz – Anm. des Übers.]. […]. Was hast du mit dem Paket gemacht? Gib es niemals in fremde Hände, denn es wird gestohlen. Hier im Lager stiehlt man in einem gnadenlosen Kampf um das Überleben alles Mögliche. […] Liebe Terenia, Mitfahrgelegenheiten in die Stadt sind nicht sehr häufig. Wenn du alle paar Tage früher aufstehen und vor 5 Uhr morgens 247 Nach dem Krieg berichtete Stanisław Kłodzin´ski über die Bedeutung der Lebensmittelpakete Folgendes: … es hat ihn [den Gefangenen – Anm. L. S.] psychisch gestärkt. Es ließ ihn glauben, dass er nicht nur eine verachtete, vergessene, zum Tode verurteilte Nummer war. Sogar in der Schweiz wusste man von seiner Existenz, kannte seine Häftlingsnummer, seinen Vor- und Nachnamen, sein Geburtsdatum. Eine mächtige internationale Organisation interessierte sich für ihn und schritt deswegen auf das Lagergelände von Auschwitz ein. Vgl. Kłodzin´ski, Paczki Mie˛dzynarodowego Czerwonego Krzyz˙a dla wie˛z´niów Os´wie˛cimia [Die Pakete des Internationalen Roten Kreuzes für die Häftlinge von Auschwitz], »Przegla˛d Lekarski – Os´wie˛cim« [»Ärztliche Rundschau – Auschwitz«] 1967, Nr. 1, S. 124. 248 In einem geheimen Brief vom 28. Februar 1944 merkte Krystyna Czyz˙-Wilgatowa an: Seit einiger Zeit kommen Pakete vom Roten Kreuz aus Genf zu den polnischen Frauen – erst einmal werden sie an diejenigen verteilt, deren Namen von den Oflags angegeben werden – wenn es möglich wäre, die Namen der dort Operierten zu übermitteln, wäre es für uns eine sehr große Hilfe – dabei geht es nicht um Lebensmittel, sondern um die moralische Bedeutung der Sache. Die Pakete werden sorgfältig quittiert und wenn sie an alle Operierten versandt würden, würde es unsere Betreuer sicherlich beeindrucken – und es würde so aussehen, als hätten sie dort unsere Liste, was sogar einen Einfluss auf unser Schicksal haben könnte. Denn wir haben immer noch den Eindruck, dass sie uns als lebende Beweise liquidieren wollen. Wenn dies nur über das Oflag geregelt werden kann, schlägt Dziuba vor, sich damit an Józef Mazurkiewicz und Czesław Stefan´ski zu wenden, die helfen könnten […]. Vgl. Ponad ludzka˛…, S. 73–74.
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zum Lager kommen würdest, d. h. bevor die Posten aufgestellt werden, könntest du ungehindert am vereinbarten Ort ein Paket für mich hinterlassen und ich könnte es ohne Kosten und Risiko abholen, wenn ich zur Arbeit komme. Viele Personen machen dasselbe. Komm morgen und leg zur Probe ein Paket hinter das nicht fertiggestellte, gemauerte Haus, aus dessen Fenster ich am Montag mit Dir sprach. Hinten am Haus liegt ein Stapel Bretter, steck es tief zwischen die Bretter, mach es schnell und so, dass es niemand sieht. Dann beobachte aus der Ferne, ob niemand das Paket stiehlt, und wenn ich komme, können wir vielleicht auch reden. Zu dieser Stunde ist das Risiko für Dich am geringsten. Wenn es klappt, werden wir es in ein paar Tagen wiederholen. Wenn sich dieses System als gut erweist, werde ich Z˙aba bitten, sich mit Dir abzuwechseln.249 Dank Bekanntschaften und guten Beziehungen zu ihren Kolleginnen in der Außenkolonne Hohenlychen gelang es den weiblichen Häftlingen aus Ravensbrück, den Briefversand mit der regulären Post zu organisieren. Dabei handelte es sich um so genannte »linke Briefe«, die eine Zeit lang parallel mit der in den Umschlägen enthaltenen, geheimen Korrespondenz verschickt wurden. Der Versuch, die Haltungen, Erlebnisse und Gefühle der Häftlinge im Lichte von Kassibern bzw. geheimen und linken Briefen darzustellen, die – unter dem Eindruck des Augenblicks, inmitten des Geschehens verfasst – ohne Zweifel besondere Zeugnisse enthalten, ist eine komplexe Aufgabe. Ihre Schwierigkeit ergibt sich auch daraus, dass einige der Briefe einen sehr persönlichen Charakter haben250, andere – voller Schmerz und Verzweiflung – ein Flehen um Rettung ausdrücken oder über die letzten Lebensstunden der Gefangenen berichten. Manche sind nicht frei von Vorurteilen und radikalen Ansichten, die sich unter den extremen Bedingungen des Lagers noch verstärkt haben. Es ist aber gerade die Authentizität der Berichte und die darin enthaltenen Informationen und Emotionen, die nach wie vor einen so starken Eindruck hinterlassen. Die inoffizielle Korrespondenz legt die verborgene, verbotene und für die Folterer unbequeme Wahrheit über das Lager bloß. Für die Enthüllung der schockierenden Tatsachen konnte sich ein Gefangener von seinem Leben verabschieden. Die inoffizielle Korrespondenz hat immer noch einen relativ engen Empfängerkreis. Sie bleibt jedoch eine dauerhafte Spur des Lageruntergrunds. Die inoffiziellen Briefe zeugen von dem Kampf, der unter äußerst schwierigen, spezifischen Bedingungen intensiv und mit großem Engagement aufgenommen und 249 Ein Auszug aus dem Kassiber von Andrzej Majewski, Vgl. Listy z Majdanka…, S. 13. 250 Für manche Häftlinge war das Schreiben von Kassibern ein Befehl des Gewissens und ein inneres Bedürfnis. Henryk Szczes´niewski schrieb zum Beispiel 1943 und 1944 regelmäßig Kassiber. Darin schilderte er seine persönlichen Erlebnisse, beschrieb die Atmosphäre im Lager und berichtete über die Judenermordung am 3. November 1943. Vgl. J. Mozdzan, Postgeschichte des Konzentrationslagers Lublin-Majdanek. Über das Lager, Briefe und Menschen, Manching 2010, S. 86.
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geführt wurde. In Hinblick auf die charakteristischen Merkmale der Quelle, d. h. der geheimen Lager- bzw. Gefängniskorrespondenz, und die zutiefst komplexe und dramatische Wirklichkeit, auf die sich sie bezieht, bedürfen viele der darin angesprochenen Fragen aus heutiger Sicht einer Erklärung. Aus den Briefen ergibt sich der Charakter und das Ausmaß des Widerstands der Häftlinge gegen das Verbrechen (in den offiziellen Briefen gab es die Möglichkeit nicht) und der Gefahren, die in den Lagern Auschwitz, Majdanek bzw. Ravensbrück sowie in den Berliner Gefängnissen, in denen unter anderem Krystyna Wituska inhaftiert war (Alexanderplatz, Alt-Moabit, Halle/Saale, wo sie hingerichtet wurde), ständig bestanden. Die inoffiziellen Briefe enthüllen und dokumentieren auch den tiefen humanitären Sinn des von den Häftlingen ausgetragenen Kampfes. Sie wurden nicht nur für derzeitige Zwecke geschrieben und verschickt, sondern auch mit dem Ziel, eine historische Dokumentation zu erstellen, die heutzutage eine wertvolle Wissensquelle über das Lager bietet und eine umfassende Untersuchung dessen Geschichte ermöglicht. Das Wissen über das Schicksal der polnischen Häftlinge, die in deutschen Gefängnissen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, ist immer noch nicht zufriedenstellend. Die Schwere der Vergehen der Gefangenen war groß, weil es sich in der Regel um geheimdienstliche Tätigkeit handelte. In die Dunkelheit des Vergessens verschwinden die Geschichten der Häftlinge, welche aus dem Generalgouvernement und den ins Reich eingegliederten Gebieten in die Gefängnisse übergeführt und dort hingerichtet wurden. Eine relativ große Gruppe bildeten junge Frauen, die nach einem Urteil des Kriegsgerichts bzw. des Volksgerichtshofs tapfer und in Würde in den Tod gingen. Aus den Kassibern von Krystyna Wituska und Berichten der anderen Überlebenden geht hervor, dass Gemeinschaft, Solidarität, Brüderlichkeit sowie ein tiefer Hass gegen den Nationalsozialismus und der Wille, ihn um jeden, auch den höchsten Preis zu bekämpfen, den gemeinsamen Nenner dieser »Internationalen der Hoffnungslosen«251 bildeten. Die außergewöhnliche Persönlichkeit der jungen KassiberAutorin ist durch den Glauben an die schöne Zukunft, ein besseres Morgen und den Sinn des erbrachten Opfers geprägt.
4.1. Absender und Empfänger der inoffiziellen Korrespondenz Die Kassiber wurden von den Gefangenen der Konzentrationslager und Gefängnisse an ihre Familien geschrieben, die, wenn möglich, ihrerseits Kassiber verschickten. Halte noch ein wenig durch – bat die Schwester von Krystyna
251 Die Worte stammen von Wanda Kiedrzyn´ska. Vgl. Na granicy z˙ycia i ´smierci…, S. 6.
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Z˙ywulska in ihrem Kassiber.252 Für Krystyna Wituska war die Lektüre von Briefen der schönste Moment des Tages.253 Bekannt ist die ehrenvolle Haltung von Privatpersonen wie: Teresa Lasocka, Adam Rysiewicz, Elz˙bieta Krzyz˙ewska, Janina Siwin´ska, Antonina Grygowa mit ihren Töchtern, Saturnina Malmowa »Mateczka« [»Mütterchen«]254, die den Häftlingen bedeutende und umfassende Hilfe leisteten: sie organisierten Lebensmittelpakete, versorgten sie mit Medikamenten, schickten Bücher und übermittelten Kassiber, die sie selbst an die Gefangenen schrieben, um ihnen Mut zu geben. Ein Beweis der großen Dankbarkeit und Ehrerbietung für »Mateczka« ist ein kollektiver Kassiber, der am 4. April 1944 von einer Gruppe der Häftlinge an Saturnina Malmowa geschrieben wurde, um ihr für die Hilfe und bedeutende geistige Unterstützung, die sie anonymen Gefangenen erwies, zu danken. Der Inhalt des Kassibers lautet: Selbstaufopferung und Opferbereitschaft kommen nicht nur aus der Pflicht, sondern vor allem aus dem Herzen – nur mit dem Herzen kann man sich dankbar zeigen. Und für das Herz und die tiefe Sorge um unser Leben und Schicksal zollen wir Dir, Mütterchen, Ehrerbietung und Dank. Der Wille der Polin stärkte unseren Geist – unbekanntes, nie gesehenes, gutes Mütterchen, Du hast uns zärtliche Fürsorge erwiesen. Deine Söhne aus Majdanek senden Dir diese wenigen Worte – weil sie sich zurzeit nur solchen Akt der Ehrerbietung leisten können – Du sollst aber wissen, liebe Betreuerin, dass jedes dieser Worte ein lebendiges Herz Deiner Söhne ist. Majdanek 4.4..44. … wenn die Freiheit nun anbricht.255 Es kam auch vor, dass ein Kassiber Nachrichten von zwei Absendern enthielt und mindestens an zwei Empfänger adressiert war. Dies trifft auf den Kassiber von Stanisław Wrzos zu. Am Ende des Briefes bittet er seine Verwandten, an die Familien der Mitgefangenen zu schreiben. Er gibt die Adresse von Wiktoria Peim 252 Eines Tages bekomme ich den ersten Kassiber in einem Paket von meiner Schwester, die mit der Mutter in Wien wohnt. Der Kassiber ist gut im Rand der Schachtel versteckt. Meine Schwester schreibt über die Offensive im Westen, über die sich nähernde Befreiung: »Halte noch ein wenig durch«. Ich lerne den Kassiber auswendig und eile zur Baracke von Zosia, um Wacek zu treffen. Vgl. K. Z˙ywulska, Przez˙yłam Os´wie˛cim [Ich überlebte Auschwitz], Warszawa 1960, S. 284. Deutsche Ausgabe: Z. Z˙ywulska, Wo vorher Birken waren. Überlebensbericht einer jungen Frau aus Auschwitz-Birkenau, München 1979. 253 In einem Kassiber vom September 1943 stellt Krystyna Wituska fest: Dein Brief ist angekommen und bereits durchgelesen; der schönste Moment des Tages ist schon vorbei! Vgl. Na granicy z˙ycia i ´smierci…, S. 168. 254 Das Staatliche Museum in Majdanek besitzt 1877 authentische Kassiber, die von über 100 polnischen Häftlingen geschrieben wurden. Die Bestände umfassen vier bedeutende Sammlungen der Kassiber von einzigartigem dokumentarischem Wert, die an Saturnina Malmowa, Janina Siwin´ska, Elz˙bieta Krzyz˙ewska und Antonina Grygowa adressiert sind, welche die Hilfe für die Häftlinge organisierten. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 15, 57. 255 Kollektiver Kassiber an Saturnina Malmowa, geschrieben von den Häftlingen aus Majdanek am 4. April 1944. Listy z Majdanka…, S. 56.
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und Familie Orlik an. Ein Kollege von Stach schreibt in seinem Brief: Ich nutze die Freundlichkeit meines Kollegen aus. Alles, was er geschrieben hat, betrifft auch mich. Ich bin bei guter Gesundheit! Ich habe 2 Pakete von Euch und 1 Paket von Wanda erhalten. Ich bin auf Feld IV. Es ist nicht so schlimm, weil es warm ist – das Schlimmste ist, dass man sich nicht waschen und kein Wasser trinken darf. Macht Euch keine Sorgen – wenn Gott will, werden wir uns wiedersehen […].256 Nicht alle Gefangenen konnten über den offiziellen Schriftverkehr mit ihren Familien kommunizieren, weil sie unter falschen Namen inhaftiert waren. Bei Verhören und später während ihres Aufenthalts im Lager benutzten sie gefälschte Ausweispapiere. Um sich selbst und ihre Angehörigen nicht zu gefährden, durften sie keine offiziellen Lagerbriefe verschicken. Als Ausweg erwies sich die Kontaktaufnahme mit den Adressaten mittels Kassiber, die von Verbindungspersonen übermittelt wurden. Dank der Hilfsbereitschaft von Mitgefangenen, die Kontakte zum Lageruntergrund hatten, konnten sie ihren Familien mitteilen, dass sie im Lager waren. Franek Grochowski aus Hrubieszów ist hier mit uns, der an seine Frau und Kinder nicht schreiben kann. Er hat mich gebeten, eine Nachricht nach Hause zu schicken. Liebe Bronia, schreib bitte direkt an seine Frau, wenn Du könntest […]. Ihre Adresse lautet: Maria Grochowska, Hr. Z˙eromskiego Straße 34.257 Im Mai 1943 vereinten die Auschwitz-Häftlinge Józef Cyrankiewicz und Stanisław Kłodzin´ski ihre Übermittlungswege für geheime Nachrichten, obwohl sie ihre Kassiber getrennt voneinander schrieben, weil sie in verschiedenen Blocks untergebracht waren. Ab Januar 1944 bewohnten die beiden Häftlinge denselben Block Nr. 20 im Lagerrevier und von dem Zeitpunkt an können die versandten Kassiber als gemeinsam betrachtet werden258, unabhängig davon, wer sie tatsächlich geschrieben hat: Cyrankiewicz oder Kłodzin´ski. An die Anführer der am Lager tätigen Gruppe der PPS [Polnische Sozialistische Partei], Ende September und im Oktober 1944 auch an Konstanty Jagiełło259, der aus dem Lager ausgebrochen war, wurden die geheimen Nachrichten über die Fluchtversuche aus dem KL Auschwitz, Zusammenarbeit mit dem Untergrund, Verbindung mit dem Lager, benötigte Medikamente bzw. Kampfmittel sowie die 256 Ein Auszug aus dem Kassiber des Kollegen Stanisław Wrzos. Listy z Majdanka…, S. 20. 257 Ludzie dobrej woli. Ksie˛ga pamie˛ci mieszkan´ców Ziemi Os´wie˛cimskiej niosa˛cych pomoc wie˛z´niom KL Auschwitz [Menschen guten Willens. Gedenkbuch für die Bewohner des Auschwitzer Landes, die den Häftlingen des KZ Auschwitz zu Hilfe kamen], hrsg. von H. S´wiebocki, Os´wie˛cim 2005, S. 107. 258 Hier ein Zitat aus den Erinnerungen von Stanisław Kłodzin´ski: Wenn es um Kassiber geht, haben wir sie gemeinsam mit Józef Cyrankiewicz geschrieben, d. h. mal haben wir einen Kassiber gemeinsam geschrieben, mal hat nur Cyrankiewicz sie geschrieben, mal nur ich allein. Alles hing von Umständen ab. APMA-B, Erklärungen, Bd. 119, K. 14. Bericht von S. Kłodzin´ski. 259 Grypsy z Konzentrationslager…, S. XXXI.
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Korrespondenz mit Warnungen vor aufkommenden Bedrohungen und Verhaftungen, die für die Sicherheit der Untergrundbewegung von Bedeutung waren, gerichtet. Die Autoren unterzeichneten die Kassiber mit den Initialen ihrer Namen, Pseudonymen, verschlüsselten Vor- und Nachnamen oder einer verkürzten Form ihres Namens. Viele geheime Nachrichten von den Auschwitz-Häftlingen sind unsigniert, wie der längste Kassiber vom 22. März 1944, der insgesamt 16 Textseiten in kleiner Schrift umfasst260 (die Identifizierung war nur anhand des Schriftcharakters möglich). Die Empfängerin der nicht unterzeichneten Kassiber von Krystyna Wituska war Helga Grimpe, eine deutsche Frau, die mit der Gefangenen befreundet war. Über ihre Mutter – Hedwig Grimpe261, eine Wärterin im Gefängnis Alt-Moabit, hatte Helga Kontakt zu der jungen Polin. Es sei zu erwähnen, dass im Gefängnis »am Alex«, in dem unter anderem Wituska inhaftiert war, die Kommunikation zwischen Häftlingen aus verschiedenen Zellen nichts Ungewöhnliches war. Die Gefängnisgebäude hatten die Form eines Vierecks, so dass die Fenster der Zellen auf den Innenhof blickten. Die Kassiber und Pakete wurden mithilfe der Stöcke weitergegeben, die zum Öffnen der oberen Fensterteile verwendet wurden. Aus den Frauenzellen wurde den Männern oft Suppe in einer in einen Strumpf eingewickelten Blechdose weitergereicht. Die Abwasserrohre dienten als internes Telefon. Die Häftlinge versuchten, mithilfe ihres Einfallsreichtums und der eigenen Kreativität um jeden Preis miteinander in Kontakt zu bleiben. Einige der Kassiber und geheimen Briefe, die in der Regel mit winziger Schrift auf einem kleinen Blatt Papier bzw. Löschpapier von einem Rand zum anderen Rand geschrieben wurden, waren verschlüsselt. Ursprünglich bestand die Chiffre grundsätzlich in der Ersetzung von Buchstaben durch die ihnen entsprechenden Zahlen. Beim Ablesen der Nachrichten traten Fehler auf, die schwer zu vermeiden waren. Die mangelnden Fähigkeiten im Chiffrieren sowie die Bedingungen, unter denen die Kassiber verfasst wurden, erleichterten den schreibenden Gefangenen 260 In dem Kassiber an Adam Rysiewicz vom 22. März 1944 berichtete Józef Cyrankiewicz über die Entwicklung der Situation im Lager und sein eigenes Schicksal von Mitte November 1943 bis Mitte März 1944. Der Nachricht fügte er eine Kopie des Schreibens an den Kommandanten des KZ Auschwitz I, Arthur Liebehenschel, vom 24. Dezember 1943 bei. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 192–214. 261 Der Block mit den Kassibern von Krystyna Wituska, die von ihrer Adressatin, Helga Grimpe, aufbewahrt wurden, befindet sich in der von den Gefangenen als Kleeblattalbum bezeichneten Mappe (zusammen mit den Kassibern von Maria Kacprzykówna und Lena Dobrzycka). Die Mappe, die sich aktuell im Besitz des Archivs der Hauptkommission zur Untersuchung der NS-Verbrechen in Warschau befindet, enthält eine Fotografie von Krystyna Wituska. Auf der Rückseite steht folgender Satz: Gelebt als Mensch, geadelt zur Heldin durch bittere Leiden, geendet als Heldin für die Freiheit Polens. Auf dem anderen Karton ist der polnische Adler in Rot-Weiß zu sehen mit der Aufschrift: »Bóg-Honor-Ojczyzna« [»Gott, Ehre, Vaterland«]. Vgl. Na granicy…, S. 231.
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die Aufgabe nicht. In der Regel wurde nachts geschrieben, in tiefer Konspiration, nicht nur vor dem Lagerpersonal, sondern auch vor Denunzianten, zufälligen Personen und Neugierigen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Erstellung der inoffiziellen Korrespondenz von großer Spannung und Angst vor den Folgen der Aufdeckung begleitet wurde. In der zweiten Dezemberhälfte 1943 kündigte Stanisław Kłodzin´ski an, dass von da an die Kassiber wie folgt zu verschlüsseln seien: Namen und wichtige Angaben mit der Chiffre: »Kto sie˛ w opieke˛ podda Panu swemu« usw. [es sind die ersten Worte eines bekannten polnischen Kirchenliedes, das auf dem Psalm 91 Wer im Schutz des Höchsten wohnt… basiert – Anm. des Übers.], also: k=1, t=2, o=3, s=4, i=5, e˛=6, w=7, o=3, p=9, i=10, e=11, k=1, e˛=6, p=9 usw., das ganze Alphabet ohne die Digraphen sz, cz, rz usw.262 Der Kassiber enthielt allerdings keine Information darüber, ob sich die Chiffre auf den Psalm 91 stützte, der 1579 von Jan Kochanowski ins Polnische übersetzt worden war, oder auf dessen Liedversion – Kto sie˛ w opieke˛, die in Kirchen gesungen wurde, und welche Fassung die richtige war, was zu Schwierigkeiten bei der Festlegung des Chiffreschlüssels für die Buchstaben aus den aufeinanderfolgenden Versen des Liedes führte. Ohne Zweifel zeugte die Wahl des Liedes von Kłodzin´skis Glauben an den Schutz Gottes, der einen Menschen, der auf ihn vertraut, nicht ohne Hilfe lässt. Eine andere Lösung, wie man eine Nachricht verschlüsseln konnte, war der Text des Liedes Czerwony sztandar [Die rote Fahne]. In dem Kassiber mit der Information über den zu verwendenden Chiffreschlüssel wurde vermerkt: Beim Schreiben muss man sich ein Alphabet mit entsprechenden Zahlen überlegen und die Buchstaben in Zahlen übersetzen – beim Lesen geht es umgekehrt – die Zahlen sind in deren Reihenfolge gegen die entsprechenden Buchstaben einzutauschen, um die Bedeutung zu entschlüsseln.263 In den Kassibern vorkommende Zahlen wurden jedoch nicht verschlüsselt. Die weiblichen Häftlinge von Ravensbrück – in der Anfangsphase waren vier Personen an der Aktion, geheime Briefe zu schreiben, beteiligt: Janina Iwan´ska, ihre Schwester Krystyna, Wanda Wojtasik (Półtawska264) und Krystyna Czyz˙ – beschlossen, die an gesunden Frauen gegen ihren Willen durchgeführten, experimentellen Operationen zu beschreiben, indem sie hierfür die für das Auge unsichtbare, so genannte sympathische Tinte verwendeten, um zwischen den 262 Ein Auszug aus dem Kassiber von Stanisław Kłodzin´ski an Teresa Lasocka, Edward Hałon´ und Adam Rysiewicz vom 16. Dezember 1943. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 125. 263 Ein Auszug aus dem Kassiber von Józef Cyrankiewicz an Adam Rysiewicz vom 23. Januar 1944. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 146. Es ist nicht bekannt, ob diese Verschlüsselungsmethode verwendet wurde, weil kein darauf basierender Kassiber erhalten geblieben ist. 264 W. Półtawska, I boje˛ sie˛ snów [Und ich habe Angst vor Träumen], Cze˛stochowa 1998.
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Zeilen eines offiziellen Briefes zu schreiben. Die Familien der Initiatorin – Janina Iwan´ska – und anderen Frauen lebten in Lublin, was für die Übermittlung der geheimen Korrespondenz von großer Bedeutung war, weil sich die in den Briefen enthaltenen Informationen auf Fragen bezogen, die alle weiblichen Häftlinge betrafen. Da die Gefangenen über kein gängiges Mittel verfügten, das als sympathische Tinte dienen konnte, beschlossen sie, ihren eigenen Urin zu verwenden, der praktischer als Milch bzw. Zwiebelsaft war, weil er keine Spuren auf dem Papier hinterließ. Die größte Schwierigkeit, die darin bestand, die Empfänger über den unsichtbaren Inhalt des ersten Briefes zu benachrichtigen, wurde durch einen Hinweis auf das Buch Szatan z siódmej klasy [Der Teufel aus der siebten Klasse] von Kornel Makuszyn´ski überwunden. In dem offiziellen Text des Briefes mit dreifachem Inhalt erinnerte Krystyna Czyz˙ ihren jüngeren Bruder an die Lektüre sowie daran, dass die Geschwister von dem Einfallsreichtum des Protagonisten beeindruckt waren, als dieser in der Notlage einen Brief mit scheinbar unbedeutendem Inhalt verschickte. In der Korrespondenz war der eigentliche Inhalt verschlüsselt, da die ersten Buchstaben jeder Zeile des Briefes, von oben nach unten gelesen, die Lösung ergaben. Der Inhalt des offiziellen deutschen Briefes war so konzipiert, dass sich die ersten Buchstaben jedes Verses zum Wort »Urinbrief« zusammenfügten. Der zwischen den Zeilen geschriebene Text war sehr kurz und begann mit den Worten: Wir haben beschlossen, Euch die ganze Wahrheit zu schreiben.265 Die Gefangenen notierten darunter ein paar Sätze über die Operationen, kündigten die nächsten Briefe an und gaben Hinweise darauf, welche Wörter in der Korrespondenz von der Familie ein Zeichen dafür sein werden, dass der Brief korrekt abgelesen wurde. Der erste Brief, der im Januar 1943 an die Familie von Krystyna Czyz˙ verschickt wurde, konnte trotz unvorhergesehener Schwierigkeiten entziffert werden (die Information »Urinbrief« wurde von der Familie entschlüsselt, obwohl die letzten beiden Buchstaben unleserlich und der ganze Text mit Wasser verwischt war). Bei den weiteren Briefen setzten die Familien der RavensbrückHäftlinge eine geeignete Methode ein, um die geheime Schrift abzulesen – sie bügelten nämlich das Papier mit einem erhitzten Bügeleisen. Durch hohe Temperatur vergilbte das Papier und die Buchstaben der geheimen Korrespondenz wurden braun. Die Lesbarkeit der Briefe ist unterschiedlich, in manchen Fällen sind die Buchstabenkonturen bis heute klar und deutlich, in den anderen kann man sie kaum noch entziffern.266 Als das System der geheimen Korrespondenz 265 Ponad ludzka˛ miare˛…, S. 57. 266 Barbara Oratowska schrieb: Im Jahre 2017 erwarb das Museum des Martyriums »Pod Zegarem«, eine Filiale des Staatlichen Museums Lublin, eine einzigartige Sammlung von geheimen Briefen, die von den weiblichen Häftlingen aus dem Lubliner Transport aus dem deutschen Konzentrationslager Ravensbrück versandt worden waren. Die Korrespondenz kam als Geschenk von Maria Wilgat, Tochter von Krystyna Czyz˙-Wilgat, die als eine der in
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verbessert und erweitert wurde, entschied man sich dafür, die Nachrichten auf der Innenseite des Lagerpostumschlags statt zwischen den Zeilen des Brieftextes zu schreiben. Solch eine Lösung war zweifelsohne sicherer und bot mehr Platz, weil die Schrift auf dem leeren Papier verdichtet werden konnte, was auf einem offiziellen Briefbogen in der Größe eines Notizbuchblattes, dessen erste Seite zur Hälfte mit dem Auszug aus den Vorschriften zum Briefwechsel bedruckt war, nicht möglich war. In der ersten Phase der geheimen Korrespondenz wurde jeder Umschlag mit einer fortlaufenden Nummer versehen, damit die Familien der Absenderinnen es kontrollieren konnten, ob alle von Ravensbrück-Häftlingen geschriebenen Briefe ihre Adressaten in Polen erreichten. Die Zahl der Schreibenden, d. h. Frauen, die in das Verfassen von geheimen Briefen eingeweiht waren, stieg um vier weitere: Zofia Sokulska, Alicja Jurkowska, Bogumiła Ba˛bin´ska und Wojciecha Buraczyn´ska. Aus den Erinnerungen von Krystyna Czyz˙Wigatowa ergibt sich, dass alle Briefe, die an ihre Familie und von Bogumiła Ba˛bin´ska und Wojciecha Buraczyn´ska nach Warschau und in die Umgebung der Hauptstadt während der gesamten Dauer des »Prozedere«, d. h. anderthalb Jahre, verschickt wurden, ihre Adressaten erreichten. Jede Art von Briefwechsel mit dem Land endete im Juni 1944, nachdem die Ostfront verlagert worden war. Ende 1943 sowie 1944 gaben die Gefangenen das Schreiben auf den Lagerpostumschlägen auf, weil sich die so genannten »linken Briefe« als wirksamer erwiesen und bessere Möglichkeiten boten, ihren Familien mehr Informationen zukommen zu lassen als Briefe, die der Postzensur unterlagen. Im Falle der von den weiblichen Ravensbrück-Häftlingen organisierten, geheimen Korrespondenz waren hauptsächlich ihre Familien aus Lublin die Adressaten der Briefe. In der Anfangsphase der Korrespondenz, als die Absenderinnen bestrebt waren, möglichst schnell möglichst viele Informationen zu übermitteln, erhielt jede Familie ein anderes Nachrichtenpaket. Manchmal kam es vor, dass sich in einem Brief der Anfang und in dem anderen die Fortsetzung desselben Inhalts befand. Bei den Familien in Lublin wurden geheime Nachrichten solidarisch durch gemeinsames Bügeln und Ablesen entschlüsselt. Dies war der Grund dafür, warum die Frauen in ihren Briefen keine allzu persönlichen Inhalte preisgaben. Auf eine andere Art und Weise wurden die Kassiber von jungen Mädchen in den Gefängnissen konstruiert, die durch ihren Wagemut und ihre lebensverachtende Einstellung auffielen. Damit einher ging eine unschuldige, jugendliche Ravensbrück inhaftierten Frauen an dem komplizierten Briefwechsel mit den Familien in Lublin beteiligt war. Das Museum erhielt insgesamt achtundzwanzig geheime Briefe, die mit der einzigen sympathischen Tinte, die den Gefangenen zur Verfügung stand, nämlich Urin, geschrieben worden waren. B. Oratowska, Tajna korespondencja pisana z KL Ravensbrück [Die geheime Korrespondenz aus dem KZ Ravensbrück], http://www.ravensbruck.pl/pl/arty kuly/tajna-korespondencja [Zugriff: 30. August 2018].
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Freude am Leben, ein unersättliches Bedürfnis, selbst an den dramatischsten Momenten des Gefängnisdaseins Anteil zu haben. Und das alles begleitet von dem Gefühl der Liebe, des Verständnisses und der Verbundenheit zu ihren Mitgefangenen. Um ihre Eltern bei den seltenen Besuchen nicht zu beunruhigen, gaben sie sich als leichtsinnige, unbeschwerte Personen aus, die sich gar nicht darum kümmern, dass sie bald hingerichtet werden sollen: Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich meinen lieben Papi gesehen habe. Als er mir gegenüber saß, kam es mir vor, als wäre das ganze Jahr im Gefängnis und die Todesstrafe nur ein Alptraum gewesen. Es ist mir gelungen, Helga, die ganze Zeit über so gut gelaunt zu sein, dass mein Vater bestimmt davon überzeugt war, dass es mir wirklich prima geht.267 Man muss eine andere Person wirklich lieben, um ihre Erwartungen und Gefühle höher als die eigenen Bedürfnisse zu stellen.
4.2. Die Thematik der Kassiber, geheimen und linken Briefe Manche Kassiber enthalten Antworten auf die Fragen, die in den aus der Außenwelt eingesandten Briefen gestellt wurden. Da davon keine Spuren erhalten geblieben sind, ist es derzeit nicht mehr möglich, ihren genauen Sinn nachzuvollziehen. Die Kassiber unterscheiden sich voneinander in ihrem Inhalt und Umfang: von den kurzen, manchmal nur einen Satz umfassenden Mitteilungen, die den modernen SMS-Nachrichten ähneln, bis hin zu mehrseitigen Texten, wie z. B. der Kassiber mit einer Beschreibung von Tätigkeiten mehrerer Dutzend Lagerverbrecher – der so genannten »Henker von Auschwitz«.268 Die meisten Kassiber enthalten die wichtigsten Informationen über den Gesundheitszustand, das Wohlbefinden, die Ernährung bzw. die Lebensbedingungen der Häftlinge im Lager. In den an die Familien gerichteten Kassibern wurden oft die wahren Informationen verschwiegen. Man achtete nämlich darauf, die Angehörigen keinen Repressalien auszusetzen und sie nicht zu beunruhigen. Deswegen schrieben die Häftlinge in lakonischen Worten, das Leben im Lager sei gar nicht so schlimm und es gehe ihnen recht gut. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die tatsächliche Situation eines Häftlings von mehreren Faktoren abhing, und zwar: Zugehörigkeit zu einem guten Kommando, Unterstützung durch Mitgefangene, Organisationstalent, Bestechung eines Kapos bzw. von SS-Männern mit Wodka, Zigaretten oder anderen Luxusartikeln.
267 Ein Auszug aus dem Kassiber vom 17. August 1943, der von Krystyna Wituska auf einem Gefängnisformular geschrieben wurde. Zob. Na granicy…, S. 129. 268 Grypsy z Konzentrationslager…, S. 476–488.
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Die weiblichen Ravensbrück-Häftlinge waren hingegen der Meinung, die Welt müsse von den Schandtaten der deutschen Ärzte und Experimenten an »Versuchskaninchen« erfahren. Sie waren sich dessen bewusst, dass ihr Zeugnis möglichst ausführlich und präzise sein sollte. Sie rechneten mit der realen Gefahr, als lebende Beweise für das Verbrechen getötet werden zu können. Die Aufgabe, die Wahrheit über die Geschehnisse in Ravensbrück an die Außenwelt zu übermitteln, wurde für die Gefangenen zu etwas äußerst Wichtigem und Besonderem. Damit verbunden war die Hoffnung, die Aufdeckung der Wahrheit über die Operationen werde in der internationalen Öffentlichkeit die Entscheidungen beeinflussen, von denen das Leben aller Operierten in Zukunft abhängen könnte. Aus diesem Grund widmeten sich die ersten geheimen Briefe diesem Problem. Den meisten Platz nahmen die Listen der operierten Frauen ein, die zunächst in Form von Lagerbriefen und später als so genannte linke Briefe verschickt wurden. Bei den Namen und Lagernummern der Gefangenen kommen manchmal Fehler vor. Sie sind grundsätzlich auf die Bedingungen, unter denen die Listen erstellt wurden, zurückzuführen. Einige davon können heute nicht mehr korrigiert werden, weil die Originale unleserlich sind. Hier sei eine Passage aus einem der lückenhaften Briefe zitiert, den man nicht zu vervollständigen vermag: Bei Knochenoperationen werden alle Schnitte nacheinander ein zweites Mal geöffnet. Die Knochen werden an einem oder an beiden Beinen operiert. Bei den so genannten Knochenoperationen … … an Knochen und bei den von der Ärztin so genannten … an Muskeln. Es gibt also … … und 6 an Muskeln. Die infektiösen Operationen werden einmal durchgeführt, ausnahmsweise hatten einige der in der Liste aufgeführten Personen eine zweite Operation.269 Die Verzeichnisse enthielten jeweils auch zusätzliche Informationen über die Operierten, z. B. die Anzahl der Schnittwunden an den Beinen, die Art der Operation, die rätselhaften Kombinationen aus Buchstaben und Zahlen, mit denen die Ärzte jedes »Versuchskaninchen«270 kennzeichneten, sowie die Angaben zum Transport, mit dem die Gefangene ins Lager eingeliefert worden war. Die anderen 269 Ein Auszug aus dem Kassiber von Krystyna Czyz˙ (Häftlingsnummer: 7708) vom 24. März 1943. Vgl. Ponad ludzka˛ miare˛…, S. 62. 270 In dem Artikel »Wir sind doch keine Versuchskaninchen«. Eksperymenty pseudomedyczne we wspomnieniach wie˛z´niarek z Ravensbrück [Pseudomedizinische Experimente in den Erinnerungen weiblicher Ravensbrück-Häftlinge] analysiert Piotr Krupin´ski die Erinnerungen der polnischen Lagerinsassinnen aus dem KZ Ravensbrück. Als »Versuchskaninchen« wurden bereits während ihres Aufenthalts im Lager die Gefangenen bezeichnet, die einer Reihe von folgenschweren, pseudomedizinischen Experimenten zur Wirksamkeit neuer Arzneimittel, der so genannten Sulfonamide, zum Opfer fielen bzw. von den NSÄrzten medizinischen Versuchen unterzogen wurden. Auf diesen Begriff, der »Vergegenständlichung und Unterdrückung« (Bezeichnung nach Donna Haraway) in sich verbindet, stützt sich der Hauptteil der präsentierten Überlegungen. Vgl. P. Krupin´ski, »Wir sind doch keine Versuchskaninchen«. Eksperymenty pseudomedyczne we wspomnieniach wie˛z´niarek z Ravensbrück, [in:] »Konteksty Kultury« [»Kulturelle Kontexte«] 2017/14, H. 4, S. 421–434.
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Informationen umfassten Angaben zu Hinrichtungen, Transporten und den Lebensbedingungen im Lager. Von einem kollektiven Protest der »Versuchskaninchen« gegen die Operationen handelt der einzige erhaltene Brief aus der geheimen Korrespondenz aus Ravensbrück, der wahrscheinlich Ende März bzw. Anfang April 1943 geschrieben wurde.271 Er enthält die Beschreibung einer spontanen Manifestation der polnischen Frauen, der die erneuten Hinrichtungen ihrer Mitgefangenen zugrunde lagen. Die Kassiber von Krystyna Wituska an die sechzehnjährige Helga Grimpe unterscheiden sich völlig von der offiziellen Korrespondenz mit ihrer Mutter vor allem deswegen, weil sie nicht die Zensur durchliefen. Wituska schrieb darin frei über die Situation im Land, um der Empfängerin die Methoden und Mittel der Nazis zum Kampf gegen Polen und Juden vor Augen zu führen. Darüber hinaus berichtete sie über interne Gefängnisangelegenheiten, Freuden und Mühen des Alltags, über die Wärterinnen und ihre Schikanen, die Vernehmungen am Alex und die dortigen Bedingungen, und schließlich über die eigenen Wünsche und Träume. Sie glaubte daran, dass Träume, Wachträume, Darstellungen von Sehnsüchten, Begierden, Schwärmereien usw. – allesamt Kräfte sind, die ein historisch bedingtes, menschliches Wesen in eine geistige Welt versetzen, die unvergleichlich reicher ist als die geschlossene Welt des »historischen Augenblicks«272. Der angeführte Gedanke von Mircea Eliade spiegelt sich in den Kassibern von Krystyna Wituska wider, in denen sie über ihre Kriegserfahrungen, den Eintritt ins Erwachsensein, die emotionale Reifung und den Schmerz des Vergehens erzählt. Im Rahmen der unmenschlichen Welt versucht das junge Mädchen, den Tod als etwas Endgültiges und Hoffnungsloses abzulehnen. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Kassibern, die von Wituska verfasst wurden, nachdem der Befehl, die Hände der zum Tode Verurteilten zu fesseln, verkündet worden war. Die Anordnung nahm sie mit dem ihr angemessenen 271 In dem Brief kann man lesen: […] Am 17.III. wurden 8 politische Polinnen erschossen, dies geschah im Geheimen, wie immer, unter dem Deckmantel eines Transports … … der Polinnen nahm die Form einer Demonstration an, die Situation wurde ohne Gewalt entschärft. Die Gesunden traten energisch entgegen. Die Machthaber, über den Vorfall besorgt, griffen zu keinen Repressionen. Wären diese Dinge im Radio bekannt gemacht worden, hätte man vielleicht die Hinrichtungen gestoppt, die Racheakte für politische Niederlagen infolge der Kämpfe im Osten waren. Vgl. Ponad ludzka˛ miare˛…, S. 64. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Autorinnen der Kassiber und geheimen Briefe aus Ravensbrück junge Mädchen waren. Ihr Alter und mangelnde Distanz bzw. Perspektive in Bezug auf unmittelbare und authentische Erlebnisse konnten eine bestimmte Art der Beschreibung und Interpretation von Fakten beeinflussen. 272 M. Eliade, Symbolizm a psychoanaliza [Symbolismus und Psychoanalyse], [in:] ders., Sacrum, mit, historia. Wybór esejów [Sacrum, Mythos, Geschichte. Essays. Eine Auswahl], ausgewählt und mit einem Vorwort versehen von M. Czerwin´ski, übersetzt von A. Tatarkiewicz, Warszawa 1993, S. 26.
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Stolz und Verachtung entgegen. Die damit verbundenen Umstände schilderte sie stets mit Distanz und Humor. Die Schwierigkeiten waren für sie kein Anlass zur Traurigkeit oder Verzweiflung. Wenn man ihre Kassiber liest, kommt man zu dem Schluss, dass sie ein heiteres und fröhliches Mädchen war, welches selbst das Todesurteil und Leben in Erwartung der Hinrichtung weder betrüben noch aus dem inneren Gleichgewicht bringen konnten. Trotz anstrengender Zwangsarbeit fand sie Zeit zu korrespondieren und allerlei Spielzeuge wie Püppchen oder Hündchen anzufertigen. Diese scheinbar unbedeutenden Tätigkeiten kamen ebenfalls in ihren Kassibern zum Ausdruck. Sogar hinter den Gefängnismauern hörte sie nicht auf, das Leben zu genießen: sie las viel und teilte manchmal ihre Eindrücke von der Lektüre. Sie träumte von einem Grammofon, weil ihr die Musik fehlte. In einem Kassiber beschrieb sie voller Rührung den Moment, als sie die Klänge klassischer Musik vernahm. Die Gefangenen kamen in ihren Kassibern immer wieder auf die geplante Flucht zu sprechen und schilderten konkret und in allen Details ihre Vorhaben. Die Sträflinge waren nämlich nicht nur scharfsinnige Beobachter der komplizierten Wirklichkeit, die das Wesen der Sache treffsicher erkannten, sondern auch Menschen, welche es vermochten, die analysierten Phänomene und Prozesse geschickt zusammenzufassen und in die Zukunft zu blicken. Sie lieferten auch genaue und präzise Daten über den Organisationszustand des Militärrats Auschwitz [Rada Wojskowa Os´wie˛cim], dessen Kampfbereitschaft und Aktionspläne, die Zahl und nationale Zusammensetzung der Auschwitz-Häftlinge sowie die Pläne des Feindes.273 In einem Kassiber vom 6. September 1944274 wurde eine Nachricht über den so genannten Moll-Plan, welchem zufolge die Lagereinrichtungen in Birkenau, vor allem die Krematorien, zerstört und die Häftlinge als Zeugen der Vernichtung ermordet werden sollten, untergebracht. Dem in Form einer Mitteilung verfassten Kassiber wurde die Bitte hinzugefügt, die darin enthaltenen Informationen via Rundfunk an die polnische Exilregierung zu übermitteln. 273 Kassiber des Militärrats Auschwitz (RWO) an Stefan Jasien´ski und das Bezirkskommando Schlesien der Polnischen Heimatarmee (AK) vom 22. August 1944. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 405–412. 274 […] Nach London senden. […] Es handelte sich also um einen groß angelegten Versuch, alle Existenzspuren des Lagers zu verwischen, in dem Millionen von Menschen – sowohl Häftlinge als auch aus ganz Europa deportierte Juden, in den Gaskammern umgebracht wurden. Sie wollen also vermeiden, dass solche Beweise für Verbrechen erhalten bleiben, wie sie beispielsweise in Lublin hinterlassen worden sind. […] Die Antwort Molls lautete: Er sei bereit, diese Aktion durchzuführen, wenn er über motorisierte SS-Einheiten, Artillerie zur Beschießung und Zerstörung von Blocks, 6 Flugzeuge zur Bombardierung sowie über eine ausreichende Anzahl an Kräften verfüge, die das Gelände aufräumen und für dessen unschuldiges Aussehen sorgen würden. […] So schnell wie möglich weitersenden und im Rundfunk bekannt geben. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 450–451.
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Die geheimen Nachrichten bezogen sich auf die bevorstehenden Transporte, Serien von Massenhinrichtungen, Spitzel innerhalb und außerhalb des Lagers, die sich in den Lagern ausbreitenden Krankheiten, mangelhafte medizinische Versorgung, Stimmung unter den Häftlingen, Sehnsucht nach Familie und Freunden und das Bedürfnis, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Die Autoren der geheimen Briefe legten die Bombardierung einer Betriebshalle durch die alliierte Luftwaffe nahe, oder gaben Ratschläge, wie man Pakete an bestimmte Mitgefangene adressiert. Sie flehten um Hilfe für die Häftlinge, die beabsichtigten, aus dem Lager zu fliehen. Darüber hinaus berichteten sie über den auf die jüdischen Häftlinge ausgeübten Zwang, Briefe zu schreiben, sowie die eintreffenden Transporte mit Juden aus den liquidierten Ghettos in Sosnowiec, Be˛dzin und aus dem KZ Lublin. […] Der Transport soll von der dritten Pension [Jargon für ›Lager‹ – Anm. des Übers.] aus abgehen, überwiegend Russen, achtzehnhundert, am Samstag oder am Montag, genau wissen wir es nicht. Darunter nur wenige Polen. Keine Ahnung, wie es weiter geht. Wir leben in einer gewissen Unsicherheit, da wir nicht wissen, was mit uns geschehen soll – die Front rückt immer näher und sie müssen uns entweder evakuieren oder töten. Wir hoffen auf Ersteres. Vor Letzterem haben wir wenig Angst – es wäre aber schade, ums Leben zu kommen. Übrigens ist es sinnlos, über das Unbekannte zu diskutieren. Wir werden mal sehen. Ich schicke die gewünschten Namen in der Freitagspost, früher geht es nicht. […] Mit großer Freude habe ich Eure Entscheidung begrüßt, den Russen zu helfen – es sterben so viele von ihnen, dass mein Herz bricht, wenn ich ihrem trüben Schicksal zusehe. Die Unseren sehen meistens schon gut aus. Hier und da ziehen wir »Astheniker« heraus und bieten ihnen Hilfe an […].275 Häufig wird um Bücher gebeten. Liebes Mütterchen – ich möchte Dich um ein paar Bücher bitten. Das ist unser großer Wunsch. Ihr wundert euch vielleicht, dass wir solche Wünsche haben, während Ihr hart und mit angespannten Nerven arbeitet – ich erwidere, dass nichts den Schmerz und die Verzweiflung besser lindert und für das Vergessen sorgt als ein gutes Buch. Das bedeutet noch lange nicht, dass wir sonst tagelang nur verzweifeln. Es ist nicht unsere Art. Noch eine Bitte – schreibt bitte von Zeit zu Zeit […].276 Krystyna Czyz˙-Wilgatowa aus dem KL Ravensbrück notierte in einem Kassiber vom Juli 1943 Folgendes: Alle lesen mit Rührung die zugeschickten Seiten von »Pan Tadeusz«. Wir bitten, das gesamte Buch in drei Pakete aufzuteilen und im doppelten Boden eines Kartons zu versenden… .277 Manchmal wurden die Lebensmittel in den zugesandten Paketen in Buchseiten
275 Ein Auszug aus dem Kassiber von Roman Pawłowski an Saturnina Malmowa, geschrieben am Abend des 18. November 1943. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 34. 276 Ebd. 277 Ponad ludzka˛ miare˛…, S. 69.
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eingewickelt. Auf diese Art und Weise schmuggelten die Familien Pan Tadeusz und Echa les´ne von Stefan Z˙eromski für die Ravensbrück-Häftlinge. Eine Vielzahl an Informationen über das Bücherlesen in Lagern und Gefängnissen ist wahrscheinlich auf die therapeutische Rolle der Lektüre selbst zurückzuführen. Die Begegnung mit einem Buch hat auch eine ethische Dimension, denn der Text bringt die Rettung mit sich in einer extremen Situation wie bei dem Aufenthalt in einem Konzentrationslager. Das Situationsmodell wurde erstmals von Fjodor Dostojewski in seinen Aufzeichnungen aus einem Totenhaus dargestellt und später von Gustaw Herling-Grudzin´ski in Inny ´swiat [Eine andere Welt] anhand seiner eigenen Erfahrungen umformuliert. Das Lesen ist nämlich […] eine Fähigkeit, sich Wissen und Begriffe anzueignen, Gefühle zu erleben, das eigene »Ich« durch den Kontakt zu anderen »Ichs« zu bereichern: Autoren, Gestalten und Problemen […].278 Im Kontext des Krieges wird dieser Feststellung eine besondere Bedeutung zuteil, denn die Größe eines Buches wurde damals nach ganz anderen Maßstäben gemessen. Was in erster Linie zählte, war die Hoffnung zu überleben und die umgebende Realität zu vergessen. In den Gefängnissen und Lagern hatte die Lektüre279 nicht nur eine andere Aussagekraft, sondern wurde oft auch zu einem ironischen Kommentar zur Wirklichkeit. Unter dem Einfluss der Literatur erkannten die Häftlinge ihre Lebenserfahrungen, was sie zu einer Katharsis führte. Damit konnte auch eine Gemeinschaft von Menschen und Büchern zustande kommen. Die Lektüre im Lager und Gefängnis war nicht nur ein heilendes Mittel. Die Bücher wurden immer wieder gelesen, um den Geist zu stärken. Ungewöhnlich war, dass die Häftlinge ihre Verwandten um Lebensmittel, Medikamente und Bücher baten. Und obwohl ein Buch im Lager in kleinere Teile aufgeteilt wurde (das Papier ist von Natur aus vergänglich und zerbrechlich), hatte es eine enorme Wirkung auf die Leser in Gefangenschaft. Die Lektüre gab ihnen Unterstützung, 278 H. Orsza (H. Radlin´ska), Zadania biblioteki szkolnej [Die Aufgaben der Schulbibliothek], Warszawa 1927, S. 21. Zit. nach: H. Langer, Biblioteka szkoły powszechnej miejscem edukacji czytelniczej i bibliotecznej (1918–1939) [Die Bibliothek einer allgemeinen Schule als Ort von Lesererziehung und Bücherbildung], [in:] Zalecenia i przestrogi lekturowe (XVI–XX wiek) [Empfehlungen und Warnungen für Lektüren (16.–20. Jahrhundert)], hrsg. von M. Jarczykowa, A. Bajor, Katowice 2012, S. 172. 279 Otto Dov Kulka, der als Kind im Familienlager Auschwitz-Birkenau inhaftiert war, notierte in seinem Buch ein für die Psychologie des Lesens relevantes Eingeständnis: Wir beide hatten ein unterhaltsames Spiel, das vor allem er [Herbert – Anm. L.S.] genoss: Er vermittelte und erklärte mir etwas von dem kulturellen Reichtum, den er in seinem Leben angesammelt hatte, und übergab ihn mir gleichsam als Erbe […] Und es blieb nicht bei Dostojewski. Weiter ging es mit Shakespeare, Beethoven, Mozart, alles, was er nur an europäischer Kultur in meinen Kopf hineinbekam, und ich konnte einiges aufnehmen. Vgl. O. D. Kulka, Pejzaz˙e metropolii ´smierci. Rozmys´lania o pamie˛ci i wyobraz´ni [Landschaften der Metropole des Todes. Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft], übersetzt von M. Szczubiałka, Wołowiec 2014, S. 48–49.
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schützte sie, sorgte für Ablenkung und – in Momenten des Zweifels – versetzte sie in eine alternative Welt – all das, damit man zumindest für eine Weile der Hölle des Gefangenseins entkommen konnte.280 Das Bücherlesen rettete das Leben im wörtlichen Sinne, wovon sich die weiblichen Gefangenen aus Ravensbrück überzeugen konnten. Für viele Häftlinge bedeutete die Zeit der Gefangenschaft eine intellektuelle Stagnation, die sie mit allen Mitteln zu bekämpfen suchten. Die Lektüre war im Lager ein Luxus, den sich nicht alle leisten konnten. Das Bücherlesen diente als Zeitmesser, denn so maß man den Rhythmus des Lagerlebens ab und näherte sich der ersehnten Freiheit. Bücher, die gelesen wurden, »um sich Mut zuzusprechen«, stärkten den Geist und Überlebenswillen. Damit man die extremen Lebensbedingungen im Lager überstehen konnte, wurden Medikamente und eine grundlegende medizinische Versorgung benötigt. Viele Kassiber enthielten deswegen Listen mit medizinischen Gegenständen, die notwendig und erforderlich waren, um Kranken zu helfen. […] Calciumchlorid erhielten wir vom Polnischen Roten Kreuz. Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen. Jede Dosis ist wirklich sehr wichtig, Thermometer auch. Wir beenden die Arbeit oft erst um 8 Uhr abends, weil uns Spritzen fehlen. Und nicht nur die Kranken sind pflegebedürftig – keine von Schwestern ist bei vollen Kräften und wir würden ihnen gerne etwas von der unnötigen Mühe ersparen. Wenn Sie nicht das nötige Geld haben, können Sie meins ausgeben. Aber es ist sehr dringend. Dort wurde niemand behandelt. Sie lagen einfach da und warteten auf den Tod […] Ich bitte noch um intramuskuläre (2), ein paar (6) intravenöse und 6 subkutane Nadeln (Nr. 16 und 18).281 Nur wenige Häftlinge trauten sich, in ihren Briefen die Lagerrealität offen zu beschreiben und dramatische Informationen über die Verhaftungen, Verhöre, Hinrichtungen, Vernichtung von Dokumenten, die geplanten Transporte in andere Lager, das Lagerregime, neue Verbindungspersonen und die damit verbundene, notwendige Vorsicht, sowie über die Veränderungen in der Politischen Abteilung und die Tatsache, dass der entflohene Otto Küsel ins Lager eingeliefert worden war, zu übermitteln. Nun eine Handvoll Informationen, um welche 280 Im Februar 2017 hat die Autorin der Arbeit ein Interview mit Alina Da˛browska (Insassin von insgesamt 5 Konzentrationslagern: KZ Auschwitz-Birkenau, KZ Ravensbrück, KZ Malchow, KZ Buchenwald, KZ Leipzig) durchgeführt, in dessen Mittelpunkt zwei Fragen standen: die Judenvernichtung und das Bücherlesen im Lager. Vgl. »Oni szli do lasu, po prostu do lasu…«. Zagłada Z˙ydów w KL Auschwitz-Birkenau we wspomnieniach Aliny Da˛browskiej [»Sie gingen in den Wald, geradewegs in den Wald …«. Die Judenvernichtung im KZ AuschwitzBirkenau in den Erinnerungen von Alina Da˛browska], bearb. von L. Sadzikowska, [in:] »Narracje o Zagładzie« [»Narrationen über die Shoah«] 2017, Nr. 3, S. 366–373. 281 Kassiber von Hanna Protassowicka (Pseudonym »Kuba«, im Januar 1943 aus dem PawiakGefängnis nach Majdanek gebracht, wo sie im Frauenkrankenhaus auf Feld V arbeitete, im April 1944 nach Ravensbrück übergeführt) an Saturnina Malmowa vom 12. März 1944. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 36.
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»Mateczka« gebeten hat: auf Feld III und IV gibt es heute insgesamt 2666 Unsrige, auf Feld V – 977, davon 765 sind krank. Von den Produkten, die wir vom Polnischen Roten Kreuz erhalten haben, ernähren wir alle Polen und alle Kranken anderer Nationalitäten in der Gesamtzahl von heute etwa 2700, übrigens habe ich den Bericht für den vorigen Monat d. h. Januar an den Vorsitzenden des Polnischen Roten Kreuzes verschickt. Wir haben im Monat Januar mehr als 29000 Liter Suppe gekocht. Das wäre glaube ich alles […].282 Die Tochter283 von Zofia Kossak erinnerte sich, dass sich in den Notizen, welche ihre Mutter auf Zigarettenpapier aufzeichnete, Informationen über wichtige Ereignisse im Lager, bemerkenswerte Personen, die Methoden der Lagerwächter bzw. -leitung sowie über Transporte befanden. Die in den Kassibern enthaltenen Berichte sind mal brutal ehrlich und furchterregend, ein anderes Mal sehr praktisch und einfach, insbesondere in Bezug auf die Einweihung einer neuen Verbindungsperson in das konspirative Kommunikationssystem. Noch andere berühren die Probleme der menschlichen Natur, Psyche und des Überlebenswillens: […] Ich habe hier einige Deutsche kennen gelernt, ganz unterschiedliche Menschen; ich pflege kranke deutsche Frauen, die sterben, um Hilfe bitten – ich muss sie retten! Ich beobachte russische Frauen. – Oh – da gibt’s viel Interessantes zu beobachten! Das Einzige, was mich beunruhigt, ist, dass ich zwar körperlich gut in Form bin, aber von Tag zu Tag stumpfer werde und mein Gehirn austrocknet.284 […] Neulich traf ein großer 282 Ein Auszug aus dem Kassiber von Jerzy Bargielski (geboren 1898, war im Untergrund unter dem Pseudonym »S´redni« [»Der Mittlere«] tätig; Ende 1941 aus einem Lager im Deutschen Reich nach Majdanek übergeführt, erhielt die Häftlingsnummer 40. Am Anfang arbeitete er als Dolmetscher, später im Proviantmagazin. Er beteiligte sich an der Widerstandsbewegung im Lager als Informant der Regierungsdelegation für Polen. Am 23. Juli 1944 entfloh er während des Zwischenstopps in Kras´nik dem Evakuierungstransport nach Auschwitz) an Saturnina Malmowa. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 37. 283 Mama hinterließ Tante Anulka ihre armselige Lagerjacke, in deren Nähten Mamas Freunde die Notizen einnähten, die sie jeden Tag auf Zigarettenpapier aufzeichnete, solange ihre Kräfte reichten. Mit größter Sorgfalt rissen wir mit meiner Cousine Teresa die Nähte der Jacke auf, um die vollgeschriebenen, winzigen Zettelchen vorsichtig herauszuziehen. Daraus ergaben sich, in zwei oder drei Worten abgekürzt, wichtige Ereignisse im Lager, Transporte, bemerkenswerte Personen, Daten, Methoden der Lagerwächter und -leitung… Informationen, die für Mama von Bedeutung waren. Mit der Zeit – und nachlassenden Kräften! – wurde ihre Handschrift immer unleserlicher und es fiel uns sehr schwer, sie zu entziffern. Die Notizen aus den letzten Wochen enthielten nur noch einzelne Wörter und Gebetspassagen. Wir schrieben akribisch alles um, was auf den Zettelchen stand, obwohl wir manchmal nicht verstanden, was das bedeutete, aber für Mama war es sicherlich ganz klar. Das Päckchen mit diesen rührenden Dokumenten wurde bei Onkel und Tante Lasocki versteckt, in der Hoffnung, dass Mama zurückkehrt. Leider verbrannte alles drei Monate später während des Aufstands. Vgl. A. Szatkowska, Był dom…, S. 139. 284 Über eine ähnliche intellektuelle Stagnation und den Büchermangel in der Kriegszeit schreibt Michał Głowin´ski in dem Kapitel Ksia˛z˙ki, których nie czytałem za młodu [Bücher, die ich in meinen jungen Jahren nicht gelesen habe]. Vgl. M. Głowin´ski, Czarne sezony [Die
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Transport mit Frauen aus Ravensbrück (etwa 800) bei uns ein. Alles »Gamle« (was im hiesigen Jargon Menschen am Ende ihrer Kräfte bedeutet). – Eine Menge Arbeit! […] Wir gehen ziemlich oft auf die Felder mit männlichen Häftlingen – ich komme aber immer deprimiert zurück – es ist mir so greifbar, so schmerzhaft bewusst, dass ich im Lager bin, wenn ich das alles sehe! Bei mir in der Krankenstation vergesse ich es leicht, wo ich doch dem größten Elend des Lagers gegenübertrete […] Ich werde nie ein einziges Lobeswort über dieses verfluchte Geschwür des Lubliner Landes aussprechen können; aber ich muss feststellen, dass hier ein Häftling, wenn er sich dank seiner Fähigkeiten oder Umstände durchzusetzen vermag, es zu etwas bringen, voll anerkannt werden kann (es geht um die Arbeit zum Wohle von Hitl.), der Intelligenz wird der Vorzug gegeben, sie hat sich eine Reihe von Privilegien (ungeschriebenes Gesetz) verschafft, die ungeahnt weit reichen. Der Kurs ist leicht, von Zeit zu Zeit versuchen sie sich nur »pro forma« zu beugen, aber tun es ohne Überzeugung […].285 Manchmal ist es auch umgekehrt – die Wahrheit über das Schicksal der Angehörigen wird vor den Gefangenen verborgen. Aus den Kassibern kann man auch Näheres über Lagerpläne, Fotografien, ein im Gepäck der aus dem Ghetto von Lodsch eingelieferten Juden aufgefundenes Album in Form einer Collage286 und über viele andere Dokumente erfahren, die in die Außenwelt verschickt wurden. Die linken Briefe und Kassiber sind ein wichtiges Dokument der Beziehungen zwischen den Häftlingen, sowohl innerhalb derselben als auch zwischen verschiedenen Nationalitäten.287 In dem von einem unbekannten Autor im Juli 1944 verschickten Kassiber wurde die Lage der sowjetischen Kriegsgefangenen dargestellt, die im September 1941 aus Kriegsgefangenenlagern nach Auschwitz schwarzen Saisons], Kraków 2002. Deutsche Ausgabe: M. Głowin´ski, Schwarze Jahreszeiten: meine Kindheit im besetzten Polen, übersetzt von P.O. Loew, Darmstadt 2018. 285 Ein Auszug aus dem Kassiber, der am 9. Februar 1943 von Wiesława Grzegorzewska, die man 1942 wegen konspirativer Tätigkeit verhaftet hatte, geschrieben wurde. Im Januar 1943 wurde sie aus dem Pawiak-Gefängnis nach Majdanek übergeführt, wo sie die Häftlingsnummer 4572 erhielt. Sie arbeitete im Frauenkrankenhaus. Im April 1944 wurde sie nach Auschwitz transportiert. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 39. 286 Ein Album in Form einer Collage wurde in dem bei der Ankunft im Lager weggenommen Gepäck aufgefunden, das die aus dem liquidierten Ghetto von Lodsch deportierten Juden auf der Rampe zurücklassen mussten. Der Autor des 1943 entstandenen Albums war der aus dem Ghetto eingelieferte Arie Printz (Arie Ben-Menachem, sog. »Depothäftling«). Die darin enthaltenen Fotografien stammen von Mendel Grossman, dem Fotografen des Ghettos von Lodsch. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 558–560. 287 Informationen über die nationale Zusammensetzung der Häftlinge im KZ Auschwitz sind in dem Kassiber von Stanisław Kłodzin´ski an Władysław Pytlik vom 21. August 1944 und eine Aufschlüsselung nach Häftlingskategorien für Auschwitz I, Auschwitz II, Auschwitz III und das Frauenlager – im Kassiber an Teresa Lasocka vom 21. August 1944 enthalten. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 401–404.
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gebracht worden waren.288 Darin werden manchen Gruppen polnischer Häftlinge (Intelligenz, Widerstandsaktivisten) Unehrlichkeit, Eigennutz sowie eine privilegierte Stellung vorgeworfen. Einerseits kommen hier nationale Antagonismen (Polen-Ukrainer) bzw. die Abneigung gegen Juden und Kommunisten zum Ausdruck. […] Gestern habe ich ein Paket von Adela bekommen, in einem ziemlich guten Zustand. Mit der Kleidung aus den Paketen können wir uns fast wie Menschen anziehen, denn als man uns hierher gebracht hatte, wurden wir, wie ja bekannt, in alte jüdische Klamotten gekleidet, wie Zirkusartisten eben. Wenn wir den Nachrichten Glauben schenken dürfen, werden wir bald zu Hause sein. Wir halten alle zusammen, denn wir sind in einen Block mit Ukrainern geraten, und der Blockführer ist ebenfalls ein Ukrainer, so dass es uns sehr schwer fällt, mit ihnen zusammenzuleben. Aber für alles gibt es ein Mittel. Schick keine linken Pakete, denn ihr habt auch nur wenig und das kostet sehr viel. Für mich reichen 2 Pakete pro Woche aus, wenn Du etwas Fett hineinlegst […].289 Andererseits sind die Kassiber ein Zeugnis der Bemühungen, allen Bedürftigen, Hungernden und Kranken Hilfe zu leisten, unabhängig von deren Nationalität, Religion oder Herkunft. In ihrer Arbeit stellt Maria Orwid fest: »(…) neben Glück und Zufall war die Hilfe anderer Menschen am wichtigsten. Eine Scheibe Brot, die sie uns schenkten, ihre freundlichen Worte, eine Ermutigung, sich zum Durchhalten zu zwingen, zu den einfachsten Dingen, wie das Waschen…«.290 […] Auf V ist es noch schlimmer – dort gibt es Tausende (angeblich 10) aus Warschau. Sie haben weder Wasser noch Brot – man muss ihnen helfen – gebt alles her, was ihr könnt (Zwiebeln und Medikamente). Passt auf euch auf, hier gibt es ständig Geiseln […].291 Es kam auch vor, dass das Blatt sich wendete und die Opfer ihre Folterer anzeigten, damit man sie hinrichtete.292 Am 21. August 1943 schrieb Stanisław Wrzos an seine Angehörigen über die Lebensbedingungen im Lager, den Tagesablauf, die Abzeichen sowie die Art der Arbeit und sicherte ihnen gleichzeitig zu, dass es »nicht so schlecht« sei: Das ist mein zweiter Brief an Euch. Den ersten habe ich vom Feld III geschrieben und jetzt 288 Ebd., S. 352. 289 Ein Auszug aus dem Kassiber von Stanisław Wrzos an seine Angehörigen vom 11. September 1943. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 43. 290 M. Orwid, Przez˙yc´…i co dalej? Rozmawiaja˛ Katarzyna Zimmerer, Krzysztof Szwajca [Überleben… und was dann? Ein Interview von Katarzyna Zimmerer und Krzysztof Szwajca], Kraków 2006, S. 164–165. 291 Ein Auszug aus dem Kassiber von Danuta Brzosko, geschrieben wahrscheinlich um den 20. Mai 1943. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 40. 292 Am 16. September 1944 schickte Józef Cyrankiewicz einen Kassiber an Teresa Lasocka mit der Information über die »Henker von Auschwitz«: Anbei senden wir Allgemeines über die Henker von Auschwitz. Alle Daten sind zweifellos authentisch. Es wäre sehr wünschenswert, wenn London so bald wie möglich die Todesurteile über sie verhängen würde. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 476.
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sind wir auf Feld IV. Wie hast Du mich denn gefunden, Gienia? Ich habe eine Karte von Dir bekommen. Macht Euch keine Sorgen. Alles wird gut. Es ist nicht so schlecht. Wir stehen um 4 Uhr auf, um 6 Uhr ist Appell, dann geht’s los zur Arbeit. Mittagessen um 12 Uhr. Abendappell um 6 Uhr, danach Abendessen und Schlafenszeit. Wenn jemand entkommt, bleiben wir beim Appell stehen, bis er gefasst wird. Das Essen ist besser als im Schloss. Wir sind ganz schön von der Sonne gebräunt. Die Unterwäsche wird jede Woche gewechselt. Fürs Waschen droht die Todesstrafe. Wir tragen spezielle Abzeichen. Rote Kreise auf Weiß. Wir sind isoliert und dürfen nur auf dem Feld arbeiten, nicht außerhalb des Lagers. Schade, denn sonst könnten wir uns sehen. Ich arbeite in der Küche. Ich bereite Suppengemüse zu und hole Wasser. Leichte Arbeit, mehr Essen. So sehen unsere Abzeichen aus. Weiße Nummer, rotes Dreieck, schwarzes P und ein Kreis. […] Vielleicht werde ich noch zwei Monate lang sitzen müssen. Wenn ich Euch erzähle, was hier alles los ist, werdet Ihr mir nicht glauben wollen. Am Sonntag ab 12 Uhr habe ich frei. Wenn Ihr könntet, schickt mir bitte ein Paar Schuhe. Mehr brauche ich erstmal nicht […].293
4.3. Die Sprache der Kassiber Abgesehen von ihrer Verschlüsselung zeichnen sich die Kassiber durch maximale Kürze aus (damit ähneln sie modernen SMS-Kurznachrichten). In manchen Fällen können die darin enthaltenen Informationen für den heutigen Leser unverständlich sein. Erst ein Vergleich des knappen, nicht selten unklaren und rätselhaften Inhalts mit den Berichten bzw. Aussagen von Häftlingen bzw. mit anderen Dokumenten ermöglicht es, die sich stellenden Fragen zu beantworten. Hervorzuheben sei, dass viele Kassiber in einer präzisen, ausdrucksstarken Sprache verfasst sind und konkrete Angaben über das Konzentrationslager, dessen Personal und Opfer beinhalten. Und zu guter Letzt, das Wichtigste, worauf ehemalige KZ-Häftlinge hingewiesen haben: die Kassiber, geheime Korrespondenz und linke Briefe wurden in polnischer Sprache verfasst. Dies hatte für die inhaftierten Polen großes Gewicht. Um die eigentliche Bedeutung ihrer Mitteilungen zu verschlüsseln, verwendeten die Gefangenen ihre eigenen, jargonhaften Begriffe. Das Lager wurde oft als »Pension« oder »Sanatorium« bezeichnet, das Lagerpersonal – als »Betreuer«, ein Transport – als »Ausflug«, »Rendezvous« bedeutete ein vereinbartes Treffen mit einer Person aus der Au293 Stanisław Wrzos (geb. 1923) wurde im Mai 1943 wegen seiner Untergrundtätigkeit verhaftet und im Schloss Lublin inhaftiert. Ab August 1943 Häftling in Majdanek (Nummer 9489), wo er u. a. in der Küche, im Garten und in der Tischlerei arbeitete. Im April 1944 wurde er nach Groß-Rosen übergeführt. Listy z Majdanka…, S. 19.
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ßenwelt, das z. B. »bei Felek«, d. h. auf dem zum Lager gehörenden Landgut in Felin oder »bei Herrn Kus´minek«, also im Stadtviertel »Kos´minek«, stattfand. Als »Eins« bezeichneten Józef Cyrankiewicz und Stanisław Kłodzin´ski in den geheimen Nachrichten ein schnell wirkendes Gift. In dem Kassiber von Janina (Nina) Szugajew an Janina Siwin´ska vom 29. August 1943 kann man lesen: […] Mata hat unseren Standpunkt in dieser Sache schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, wir sind entschlossen. Leider haben sich die Bedingungen in letzter Zeit sehr verschlechtert – bei Herrn Kus´minek geht es nicht und auch bei Felek ist es kaum möglich. Ansonsten haben wir keine anderen Probleme, die Paradekostüme sind bereits bei uns eingetroffen. P. B. ist eine ziemlich nette Person und nimmt uns ohne Schwierigkeiten jedes Mal mit, wenn wir darum bitten, es ist schwierig, etwas mehr über sie zu sagen, sie hat die Stelle bei Felek nur deswegen angenommen, um uns Kontakte zu vermitteln, so behauptet sie zumindest […] Ich warte auf den Termin des Rendezvous. Herzliche Grüße […].294 Die Kreuze +++ in den Kassibern von Danuta Brzosko symbolisieren den Tod weiterer Lagergefangener. Die Formulierung: »Bigos kann mich nicht oft treffen. Ziel. Kap. bittet um doppelten Boden« bedeutet, dass die Autorin Schwierigkeiten hatte, mit Józef Kapusta Kontakt aufzunehmen, der bei der Weitergabe von Kassibern und Paketen mithalf. Daher wendet sie sich an ihre Familie mit der Bitte, den Brief im doppelten Boden eines offiziell versandten Pakets zu verstecken. Wie bereits erwähnt, war Deutsch die offizielle Sprache im Lager. Obwohl viele Häftlinge die deutsche Sprache fließend beherrschten, verwendeten sie in ihren Kassibern Wörter, die aus dem Deutschen übernommen und polonisiert wurden, z. B. bunkier, bunker, lagier, lager, rolwaga, spera, sztuba, zugang, szrajber, komando, kommando, heftling, häftling. Darüber hinaus kommen darin auch Wortverbindungen vor, bei denen eines der Elemente ein deutsches bzw. polonisiertes Wort ist (lager kobiecy, Baubiuro, Zimmerei komando) oder die Abkürzung »SS« vorangestellt wurde (SS-apteka). Es gibt eine große Zahl an deutschen Wörtern, die nicht polonisiert sind, aber von den Häftlingen häufig verwendet werden. Dies gilt insbesondere für Lagerfunktionen, Dienstgrade der SS sowie offizielle deutsche Namen. Üblich sind Abkürzungen, wie z. B. TWL, HWL, FKL. Man stößt ebenfalls auf Wörter, denen in der Lagerrealität eine neue Bedeutung zukam, zum Beispiel: Kanada bzw. kanada – bedeutete je nach Kontext: ein Depot für beschlagnahmte Gegenstände, eine Gruppe von Depotarbeitern oder einen unermesslichen Reichtum und Meksyk [Mexiko] – den unvollendeten Abschnitt B III des Lagers Birkenau.295 294 Kassiber von Janina Szugajew (geb. 1916) an Janina Siwin´ska. Es ist erwähnenswert, dass Janina (Nina) Szugajew im Januar 1943 aus dem Pawiak-Gefängnis nach Majdanek gebracht (Häftlingsnummer 4692) und im April 1944 nach Ravensbrück übergeführt wurde. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 17. 295 Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. LXVIII–LXXI.
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Es besteht kein Zweifel daran, dass die Sprache der Kassiber auch eine Wissensquelle über die im Lager herrschenden Beziehungen darstellt und gesondert untersucht werden kann, weil sie das Leben der Gefangenengemeinschaft widerspiegelt und ein Beweis für die verübten Verbrechen ist. Dabei handelt es sich um eine Sprache, die unter spezifischen Umständen entstanden ist.296 In solch einer Grenzsituation erforderte der inoffizielle Schriftverkehr ständige Wachsamkeit und Disziplin. Am 18. März 1943297 deutete Stanisław Kłodzin´ski an, dass seine Mitgefangenen zur größten Vorsicht ermahnt werden. Die Häftlinge von Majdanek waren in ihren Kontakten besonders achtsam, was der Inhalt der Kassiber, die nach der Hinrichtung von jüdischen Gefangenen am 3. November 1943 verschickt wurden, unter Beweis stellt. Henryk Wieliczan´ski schreibt in einem Brief an seine Frau in sehr allgemeinen Worten, dass am Geburtstag ihrer Tochter, der auf den 3. November fiel, »ein Zahnarzt mitsamt seiner ganzen Familie erstickt war«. Und in einem weiteren Brief fügt er hinzu: »Am Geburtstag unserer Zochna [Diminutiv für den Vornamen Sophia – Anm. des Übers.] kamen hier achtzehntausend aus der Familie des Zahnarztes um«. Aus Sicherheitsgründen wurde bei der Übermittlung von Informationen größtmögliche Vorsicht geboten. Man vermied daher jegliche Namen oder eindeutige Anspielungen auf das Leben und einzelne Ereignisse im Lager. Einige Passagen aus dem von Roman Pawłowski an Saturnina Malmowa gerichteten Kassiber mögen mit ihrem starken, ja harschen Ton überraschen. Er schrieb: Ich 296 Mehr über die Lagersprache vgl. Z. Jagoda, S. Kłodzin´ski, J. Masłowski, Os´wie˛cim nieznany [Das unbekannte Auschwitz], Kraków 1981, S. 26–97; Z. Jagoda, S. Kłodzin´ski, J. Masłowski, Osobliwos´ci słownictwa w os´wie˛cimskim szpitalu obozowym [Die Besonderheiten des Wortschatzes im Lagerkrankenhaus von Auschwitz], »Przegla˛d Lekarski – Os´wie˛cim« [»Ärztliche Rundschau – Auschwitz«] 1972, Nr. 1, S. 34–35. Ab 1978 gab dasselbe Autorenteam in »Przegla˛d Lekarski – Os´wie˛cim« das Auschwitz-Wörterbuch heraus. Vgl. auch: D. Wesołowska, Słowa z piekieł rodem. Lagerszpracha [Wörter aus der Hölle. Die »lagerszpracha« der Häftlinge von Auschwitz], Kraków 1996. 297 In einem Auszug aus dem Kassiber von Józef Cyrankiewicz und Stanisław Kłodzin´ski an Edward Hałon´ (»Boruta«, geboren am 17. März 1921 in Brzeszcze bei Auschwitz; einer der Gründer von »Pomoc Wie˛z´niom Obozów Koncentracyjnych« [»Hilfskomitee für KZ-Häftlinge«]; beaufsichtigte und leitete die am Lager tätige Untergrundsgruppe, stand in Verbindung mit Józef Cyrankiewicz und Stanisław Kłodzin´ski sowie dem Auschwitz-»Netzwerk« der PPS. Vgl. E. Hałon´, W cieniu Auschwitz. Wspomnienia z konspiracji obozowej [Im Schatten von Auschwitz. Erinnerungen an den Lageruntergrund], Os´wie˛cim 2003; H. S´wiebocki, Ludzie dobrej woli: ksie˛ga pamie˛ci mieszkan´ców Ziemi Os´wie˛cimskiej niosa˛cych pomoc wie˛z´niom KL Auschwitz [Menschen guten Willens. Gedenkbuch für die Bewohner des Auschwitzer Landes, die den Häftlingen des KL Auschwitz zu Hilfe kamen], Os´wie˛cim 2005, S. 172–174) heißt es: »Hier bei uns ist es relativ ruhig, aber die Spannung nimmt zu. Außerdem sind manche Leute angesichts des etwas sanfteren Kurses weniger wachsam und vorsichtig geworden. Wir versuchen, sie an der Kette zu halten […]«. Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 30.
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erledige alle Angelegenheiten nach Ihrem Wunsch. Wir alle schulden Ihnen viel Respekt und Dank für Ihre Fürsorge und Arbeit. […] In Zukunft nennen Sie aber bitte keine Namen in Ihren Karten. Verstehen Sie, dass wir im Krematorium enden, wenn man uns erwischt? Viele Personen auf der Stelle. Vermeiden Sie also bitte eindeutige Themen, denn man darf es weder tun noch offen davon reden. Ich würde Ihnen zu großer Vorsicht raten, auch unter Ihren Leuten. Das Leben hier wird nicht sehr hoch geschätzt, ein Hieb und es ist aus. Bitte vernichten Sie alle Zettel, damit keine Spuren zurückbleiben […].298 Im Falle der von Lagergefangenen verfassten Kassiber sind persönliche Berichte, Reaktionen sowie Stellungnahmen zu den Lebensbedingungen im Lager von besonderer Bedeutung. Manche Häftlinge behandelten die geheimen Briefe nicht als persönliche Korrespondenz. Krystyna Wituska schilderte in ihrem Kassiber vom August 1943299 die nicht selten fünf bis sieben Stunden langen, sehr anstrengenden Verhöre. Die weiblichen Häftlinge von Ravensbrück entschieden gemeinsam darüber, welche Fakten sie in ihren Briefen festhalten wollten, für deren Redaktion zwei Personen zuständig waren. Eine wichtige Rolle spielte die Atmosphäre, in der die inoffizielle Korrespondenz entstand und aus dem Lager hinausgeschmuggelt wurde. Das Bewusstsein, den Kontakt zu Angehörigen bzw. Menschen in der Außenwelt aufnehmen zu können, die im Gegenzug Briefe mit unterstützenden und verständnisvollen Worten einsandten, hielt die Gefangenen oft am Leben. In vielen Briefen fällt der Kontrast zwischen der tragischen Aussage des Inhalts und den optimistischen Bemerkungen, die in der Regel ihre Absender persönlich betrafen, auf. Damit wollten viele Häftlinge wahrscheinlich den Adressaten die schwer belastenden Erfahrungen, um die es in ihren Briefen ging, leichter machen. In dem ersten Kassiber300, der Anna Lasocka erreichte, schrieb Zofia Kossak mit Humor unter anderem, dass während der Untersuchung in der Szucha-Allee [ihr]e immer schwachen Zähne das ehrenvollste Ende gefunden hatten.301 Die Autorin von Poz˙oga schilderte sanft, witzig und mit Distanz schwere Ermittlungen und brutale Schläge. Vielleicht war es der Tatsache zu 298 Ein Auszug aus dem Kassiber von Roman Pawłowski (geboren am 24. Juni 1911, Pseudonym »Syneczek« [»Söhnchen«], Ende 1941 aus dem KZ Dachau nach Majdanek gebracht, wo er die Häftlingsnummer 47 erhielt, ab März 1942 arbeitete er im Lagerkrankenhaus, im chirurgischen Block; im April 1944 nach Groß-Rosen übergeführt) an Saturnina Malmowa. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 16. 299 Na granicy z˙ycia i ´smierci…, S. 16. 300 Das Konvolut Delegatura Rza˛du na Kraj. Depozyt Władysława Bartoszewskiego: dokumenty, korespondencja i ulotki znalezione u Bartoszewskiego [Die Regierungsdelegation für Polen. Der Nachlass von Władysław Bartoszewski: Dokumente, Korrespondenz und Flugblätter, die bei Bartoszewski gefunden wurden] befindet sich im Archivbestand des Instituts für Nationales Gedenken [Instytut Pamie˛ci Narodowej] in Warschau, Aktenzeichen: IPN BU 1571/ 424, Grenzdaten der Archiveinheit: [1943] 1945–1946. 301 J. Lasocka, Zofia Kossak w czasie okupacji [Zofia Kossak in der Okkupationszeit], »Kierunki« [»Richtungen«] 1973, Nr. 15, S. 53–54.
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verdanken, dass sie ihren Glauben ins Lager mit hineingenommen hat.302 Ein heiterer Ton, eine leichte Sprache sowie zuversichtliche Nachrichten über das Leben im Lager, die sehr oft unwahr und übertrieben waren, verfälschten das Bild des KZs und der Kriegskatastrophe. Und obwohl die Kassiber nur Ausschnitte aus der gesamten Lagerrealität, aus dem Leben der operierten, ausgehungerten und schwer bestraften Menschen sind, die statistische Daten über das Ausmaß des Bösen in der »Zeit der Verachtung« enthalten, geben sie dennoch eine Vorstellung vom höllischen Alltag. Im Angesicht des Krieges, der traumatischen KZ-Erfahrungen ermöglichten sie, das todesbringende Wesen des Lagers wirksam festzuhalten und zu entlarven. In mehreren veröffentlichten Erinnerungen und Studien aus der Okkupationszeit stößt man auf vielerlei Kassiber, deren Inhalt einen informierenden bzw. warnenden Charakter hat oder Bitten enthält. Eingeflochten in das narrative Gewebe entgehen sie oft der Aufmerksamkeit des Lesers, erscheinen zweitrangig und nebensächlich. Erst wenn sie daraus entnommen und erforscht werden, zeigt sich, wie wichtig ihre Funktion war und welche bedeutenden Inhalte sich darin verbargen. So sind, neben dem Kassiber von Zofia Kossak, im Kapitel über Józef Skrzek folgende Worte zu lesen: Schließlich traf der von Pfadfindern übermittelte Kassiber aus dem Gefängnis ein. »Gromek« schrieb darin: »Die Ermittlungen sind hinter mir. Sie haben sich einen Monat lang hingezogen. Ich habe niemanden verraten, verratet mich also auch nicht. Ich redete der Gestapo ein, ich sei ein Pfadfinder bei der Polnischen Wohltätigkeitsorganisation, die den Familien der Gefangenen hilft. Alles ging gut aus. Es drohen mir acht Jahre ›Zuchthaus‹. Jula arbeitet für die Gestapo.«303 In den Kassibern bzw. geheimen und linken Briefen vermischt sich das Schöne mit dem Grässlichen. Die verschlüsselten, mittels spezifischer gedanklicher Abkürzungen übermittelten Informationen werden von klar und deutlich zum Ausdruck gebrachten Bemerkungen begleitet. Die Worte sind manchmal schwer zu glauben. Vor allem da Gott zuschaut! Den gerührten Lagerinsassinnen steigen Tränen in die Augen, wenn ein Jasmin zum Geburtstag einer von ihnen aufblüht304, ihnen kommen aber keine Tränen mehr, wenn weitere Gefangene im 302 D. Kulesza, Dwie prawdy…, S. 82. Weiter kann man lesen: Zofia Kossak – eine typische Vertreterin der Märtyrerliteratur (…) Sie erlebte die KZ-Realität mit und hatte ein – ihres Erachtens – zuverlässiges Heilmittel gegen Auschwitz – ihren Glauben. Vgl. D. Kulesza, Dwie prawdy… S. 89. 303 J. Kret, Harcerze wierni do ostatka [Pfandfinder, die bis zum Äußersten treu blieben], Katowice 1978, S. 77. 304 Über den Jasmin schrieb Danuta Brzosko in einem weiteren Kassiber an ihre Mutter um den 20. Mai 1943: Mütterchen, der Jasmin neben dem weißen Haus ist voller Blüten […]. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 40. Der Jasmin, dessen Name »eine Gabe Gottes« bedeuten soll, wurde dichterisch von Bolesław Les´mian verarbeitet, und zwar in den Versen: Ty przychodzisz jak noc majowa… / Biała noc, noc us´piona w jas´minie… / I jas´minem pachna˛ twe słowa… / I
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Krematorium sterben. Die beiden Ereignisse sind nur schwer miteinander zu vergleichen. Danuta Brzosko-Me˛dryk, die im August 1942 wegen ihrer Untergrundtätigkeit für Zwia˛zek Walki Zbrojnej [Verband für den bewaffneten Kampf] von der Gestapo verhaftet wurde, schrieb in einem Kassiber: Liebes Mütterlein, schon ist bei uns der Jasmin zum Geburtstag von Wł. aufgeblüht. Wir weinten über diese ärmliche Blume. Für dich, Liebste, und für Wł. Ich schlafe schlecht wegen nächtlicher Kopfschmerzen, schickt mir Cibalgina. Heute hatte Ala L. einen furchtbaren Anfall, sie wand sich in Krämpfen, pod. hat dr b. gerufen [Abk. im Orig. – Anm. des Übers.]. Er ist gekommen! Und hat sogar Arzneimittel gegeben. Meine Lieben, der Chef von Uli holt Kinder und Bauern – vom Land. Und Gott schaut zu! […] Wie geht es Lu – wir wissen nicht, ob sie bei Euch angekommen ist? Es war heiß! Traktoren, Traktoren ++++ am Morgen. Wir schlafen nicht, sondern hören zu, ob das Geräusch ertönt. Uns fehlen die Tränen. Ewa W. ist sehr nett, singt oft – ich mag das sehr. Sucht nicht nach Krysia M., wenn sie nicht von selbst gekommen ist. Lieber Andrzejek, gib keine Nachrichten weiter. Wir haben Borys. Ja! Ziel. Kap. [Danuta Brzosko – Anm. L.S.] soll angeblich den Chef wechseln, leider wissen wir nicht, wer es sein wird. Ich vermisse Euch und liebe Euch sehr – Euer Ziel. Kap.305 Das Singen306, ähnlich wie das Bücherlesen und die von Mitgefangenen erzählten Geschichten307, beflügelte die Häftlinge, ermutigte sie, löste die Spannung und ließ sie ihre Emotionen und Gefühle ausdrücken.
ksie˛z˙ycem sen srebrny płynie… / Kocham cie˛… . Władysław Broniewski, indem er einen Dialog mit Les´mian aufnimmt, greift ebenfalls das Motiv des Jasmins auf. 305 Listy z Majdanka…, S. 18. 306 Stanisław Pigon´ gab in seinen Erinnerungen an den Aufenthalt im Lager zu, dass das Absingen eines Weihnachtsliedes unter den Teilnehmern des Heiligabends einen tiefen Schock und Rührung hervorrief. Und als wir später in unserer Schar »Ws´ród nocnej ciszy…« [ein polnisches Weihnachtslied – Anm. des Übers.] sangen, konnte es der Oppositionelle nicht mehr ertragen. Schwere Tränen liefen über seine Wangen. Nicht nur über seine. Nicht nur aus polnischen Augen. An den Nachbartischen erlebten die deutschen Kollegen dasselbe, auch bei ihnen war der Gesang zu hören: »Stille Nacht, heilige Nacht…«. Egal, welche Anschauung, welchen Glauben sie vertraten – alle sangen mit. Vgl. S. Pigon´, Wspominki z obozu w Sachsenhausen (1939–1940) [Erinnerungen aus dem KZ Sachsenhausen (1939– 1940)], Warszawa 1966, S. 44. 307 In den Erinnerungen von Tadeusz Borowski kann man lesen: Im Lager bricht der Abend an, der Appell ist schon vorbei. Wir sitzen in einer kleinen Gruppe am Tisch und erzählen. Man hat überall erzählt: auf dem Weg zum Kommando, auf dem Rückweg ins Lager, an der Schaufel und Lore, abends auf der Pritsche, beim Appell. Wir erzählen Romane und erzählen Lebensgeschichten. Über dieses und jenes aus der Außenwelt. Vgl. T. Borowski, Wybór opowiadan´ [Ausgewählte Erzählungen], Warszawa 2009, S. 78. Zu den Hauptthemen der Erzählungen gehörten die Erinnerungen an das Leben vor der Ankunft im Lager, die Erinnerungen aus den Gefängnissen, in denen man inhaftiert war, und Anekdoten. Man erzählte auch die gelesenen literarischen Werke oder griff populärwissenschaftliche Themen auf.
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4.4. In Erwartung des Todes Erschöpfende Arbeit, Hunger und Krankheiten, vor allem aber der im Lager herrschende Terror führten bei vielen Häftlingen zu Nervenzusammenbrüchen und Verzweiflung über ihre sinkenden Überlebenschancen. In Briefen an die Familien wurde deswegen gebeten, alles zu tun, um die Absender aus dem Lager herauszuholen. Zu diesem Zweck griffen die Schreibenden zu Formulierungen wie: »Eile ist geboten, sonst komme ich um«, »Ich weiß nicht, wie lange ich noch am Leben bleibe, ich fühle aber, dass Gott mich vergessen hat und meine Kräfte schwinden«, »Man muss schnell handeln, sonst halte ich nicht durch«. In den Kassibern drücken sich Schreie der Verzweiflung, Flehen um Hilfe bzw. Rettung vor dem Tod aus. Abgesehen von Hinrichtungen war der Tod oft die Folge einer Krankheit und von Erschöpfung. Manchmal verbesserte sich der Gesundheitszustand und die Kräfte nahmen zu, doch ein Unfall führte dazu, dass der Tod unter den Gefangenen seinen Tribut forderte. Unter solchen Umständen, wie von Gott auf die Schanze geworfene Steine [es sind die Worte eines bekannten polnischen Gedichts von J. Słowacki – Anm. des Übers.], schrieben mehrere Häftlinge in den letzten Stunden oder sogar Minuten ihres Lebens Kassiber, deren Aussage besonders tragisch war. Im Angesicht des nahenden Todes übermittelten sie darin ihren letzten Willen, verabschiedeten sich von ihren Familien, hinterließen Worte des Segens bzw. Liebesbeteuerungen. Man darf sich daher nicht wundern, dass auch der Dichter Julian Tuwim einen ähnlichen Ton anschlug: A tu sie˛ działo i działo To, za czym serce pe˛kało, Za czym wył – obła˛kaniec: Na ´smierc´ szli po kolei Jak kamienie Przez Boga Rzucane Na szaniec!308. 308 J. Tuwim, Pogrzeb Słowackiego [Die Bestattung von Słowacki], in: ders.: Wiersze wybrane [Ausgewählte Gedichte], bearb. von M. Głowin´ski, Wrocław 1986, S. 113. Vorgeschlagene Übersetzung von Christian Jakob Altmann: Und es ging drunter und drüber Das, wonach das Herz brach, Wonach – der Irre – schrie: In den Tod gingen sie nacheinander wie von Gott auf die Schanze geworfene Steine!
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Ein rührender Kassiber stammt aus der Feder von Józef Wójcik, der seinen Tod auf den Schanzen des Lagers vorausahnte. Er kam höchstwahrscheinlich am 13. März 1943 in der Gaskammer ums Leben. Die Nachricht über seinen Tod wurde von den Blockkameraden durch Bauarbeiter an die Familie übermittelt. In den Kassibern von Józef Wójcik findet sich alles Mögliche: das Sakrale und das Profane, das Körperliche und das Geistige, das Triviale und das Erhabene. Seine Bitte um Medikamente wird von der Aufforderung begleitet, für die Gesundheit des Gefangenen zu beten. Einerseits denkt er an die Gegenwart und Arzneimittel, die ihm bei künftigen Krankheiten helfen könnten, andererseits behält er das ihm bevorstehende Schicksal im Blick. Er ist sich dessen bewusst, dass er nicht mehr nach Hause zurückkehren wird. Sein letzter und einziger Wunsch ist das Bedürfnis, vor dem Tod jemanden aus der Familie zu sehen. Er bemüht sich, gelassen zu handeln und für seine Angehörigen zu sorgen, indem er ihnen einen Brief mit seinem letzten Willen schickt. Das Verfassen eines Testaments309, in dem das Leben zusammengefasst wird, muss den Gefangenen viel gekostet haben, denn er musste damit alle noch übrig gebliebenen Hoffnungsfetzen aufgeben. Die Hölle auf Erden zehrte ihn völlig auf, nahm ihm die Kräfte und den Glauben an das Überleben. Nachdem er den Kampf ums Leben mit dem Schicksal, mit der Geschichte verloren hatte, blickte er desillusioniert der Zukunft entgegen. In dem an seine Schwester Lodzia [Verkleinerungsform von Leokadia – Anm. des Übers.] gerichteten, sehr emotionellen Kassiber schrieb er: Es gibt so viel, worüber ich Dir gerne schreiben würde, aber was könntest du schon mit Beschreibungen der irdischen Hölle anfangen […]. Viele Kollegen aus Kielce, die mit mir gekommen waren, wurden bereits verbrannt. Auf unserem Feld verbreitet sich eine seltsame Krankheit und außerdem noch das Fleckfieber. Ich bin stets darauf gefasst, dass sie mir die Augen ausstechen oder mit einem Stock die Rippen brechen. Ich sehe elend aus und trockne furchtbar aus. Ich bin erkältet und habe eine Grippe. Dazu bin ich seit mehreren Tagen an Cholerine erkrankt. Die Mittel aus der Apotheke habe ich verbraucht und der Rest wurde mir gestohlen. Schick bitte die Medikamente in einer festen Verpackung, weil ich darauf schlafen muss, da sie sonst gestohlen werden. Ich werde versuchen, auf Feld II überzuwechseln, wo es keine Krankheiten gibt. Was die Einkäufe angeht, bräuchte ich 309 Das im Lager verfasste Testament von Józef Wójcik lautete: [keine Datumsangabe] Im Falle meines Todes wünsche und verlange ich, dass mein gesamter Besitz auf meine Schwester Lodzia Niwin´ska übergeht als Dank für ihren selbstlosen Einsatz und die mir erwiesene Hilfe. Damit ist alles gemeint, was mir von meinen Eltern in Skalbmierz zusteht. Alle meine beweglichen Sachen in Bodzentyn, die Einrichtung des Zimmers in Kielce – Plac Wolnos´ci Nr. 5, die Uhr, das Zigarettenetui im Gefängnis in Kielce. Meine Sachen im Lager in Lublin. 1000 Zloty von Sikorski aus Katarzyna – im Allgemeinen alles. Alle, die mich gernhatten – haben meinen Willen zu respektieren und sich ihm nicht zu widersetzen. Lublin, Konzentrationslager, Feld Nr. 3, Józef Wójcik, Nr. 9870. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 28.
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Folgendes: Aspirin oder Motopyrin, Tannalbin, Kohle, Abführmittel, Impfstoff […]. Ich weiß nicht, wie lange ich noch am Leben bleibe, ich fühle aber, dass Gott mich vergessen hat und meine Kräfte schwinden. Liebe Lodzia, bete für mich. Ich tue es jeden Tag und bitte Gott, dass ich noch jemanden aus der Familie sehen kann, bevor ich sterbe. Dass ich das Haus wiedersehe – daran glaube ich nicht mehr. Beiliegend schicke ich dir einen Umschlag mit meinem letzten Willen. Ich wünsche mir, dass du ihn aufbewahrst und dass er ausgeführt wird. Pass auf Dich auf, Lodzia, denn auch Du bist schwach und überanstrengst Dich für mich. […] Ich grüße Dich herzlich. Grüß alle daheim von mir und richte meinen Lieben die Abschiedsworte aus – Józek.310 Die angeführte Passage des Kassibers ist besonders reich an Inhalt. Was steht alles drin? Die Sehnsucht vermischt sich mit der Sorge um die Schwester, die sich – trotz ihres schlechten Gesundheitszustands – für den Bruder aufopfert. Die brutale Wahrheit über die Mechanismen des Lagerlebens wird ans Tageslicht gebracht. Alles konnte zu einem Diebstahlsobjekt werden311 und der einzige Schutz davor, dass sich jemand anderer das Eigentum aneignet, war äußerste Wachsamkeit, selbst im Schlaf. Der dramatische Text endet mit der Feststellung, dass der Gefangene nur zu »fühlen« vermag, dass ihn Gott vergessen hat. Trotz alledem bemüht sich Wójcik, von dem Allerhöchsten zu erbeten, dass er jemanden aus der Familie noch sehen kann. Im Bewusstsein dessen, dass seine Kräfte nachlassen, weil er von mehreren Krankheiten geplagt wird, und sich der Moment, vom Leben Abschied zu nehmen, unvermeidlich nähert, spricht er den 310 Der Kassiber von Józef Wójcik (geboren 1899), verhaftet im Dezember 1942 in Kielce; um den 10. Januar 1943 nach Majdanek gebracht, kam höchstwahrscheinlich am 13. März 1943 in der Gaskammer ums Leben; Häftlingsnummer 9870, Feld III. Listy z Majdanka…, S. 25. 311 Krystyna Heska-Kwas´niewicz schreibt in dem Kapitel Pfadfinder in Auschwitz folgende Worte: Der Historiker und Mitbegründer der schlesischen Pfadfinderbewegung – Józef Kret, erinnert sich in »Ostatni kra˛g« [Der letzte Kreis] – seinem oft nicht hoch genug eingeschätzten Buch, das mit »Medaliony« [Die Medaillons] von Nałkowska gleichgestellt werden könnte – dass ihm jemand bereits am zweiten Tag nach der Ankunft im Lager die Mütze gestohlen hat. Das Fehlen der Mütze beim Appell hätte tragisch enden können: In meiner Verzweiflung begab ich mich auf die Allee hinter der Blockreihe und setzte mich auf eine Bank. Drei junge Männer, Häftlinge in sauberer gestreifter Kleidung, die offenbar bei der Lagerverwaltung arbeiteten, kamen auf mich zu und fragten nach dem Grund meiner Besorgnis, die sie mir aus den Augen ablesen konnten. Als ich ihnen verriet, worum es ging, verschwand einer der drei wortlos und tauchte kurz darauf mit einer Mütze wieder auf. Ich war gerettet. Meine Retter entpuppten sich als drei Häftlinge aus Schlesien, »Pfadfinder, die im Registerbüro für die neu angekommenen Häftlinge beschäftigt waren, und zwar: Karol Bock, Otto Szubert und Jan Tre˛baczowski«. In dem Buch von Józef Kret, aber auch in den Erinnerungen anderer Häftlinge, kann man auf viele ähnliche Beispiele stoßen. Kret gibt unumwunden zu, dass er u. a. dank Hilfe der Pfadfinder Auschwitz überlebte. Für die Pfadfinder war das Konzentrationslager eine harte Probe für ihre Solidarität und Prüfung für ihr Gesetz und Versprechen. Vgl. K. Heska-Kwas´niewicz, Szkice ´sla˛skie. Ludzie – sprawy – wydarzenia [Schlesische Skizzen. Menschen – Sachen – Ereignisse], Katowice-Mysłowice 2006, S. 175–176.
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letzten Wunsch aus. Die Angehörigen zum letzten Mal sehen zu können, würde ihn wahrscheinlich trösten. Es wäre zugleich auch ein Akt der Nächstenliebe. Aus Liebe wünschte sich der Gefangene, vor dem Tod jemanden aus seiner Familie zu sehen. Nur noch in diesem Bereich fühlt er sich fest verwurzelt, weil die Wurzeln der anderen – laut der von Józef Tischner312 verbreiteten Überzeugung vom existenziellen Bedürfnis nach Verwurzelung – und zwar der Arbeit, Religiosität und des Erbes der Vorfahren, bereits ausgerissen sind. An dieser Stelle gehört es sich, auf das von Józef Wójcik angesprochene Problem zurückzukommen, das mit den im Lager herrschenden Regeln oder eher mit dem Fehlen von Regeln zusammenhängt. Der Verfall der Werte verursachte, dass Diebstähle zu einem häufigen Phänomen im Lagerleben wurden. Krystyna Czyz˙-Wilgatowa teilte ihrer Familie in dem Kassiber vom 22. Juni 1943 Folgendes mit: Diebstähle im Lager nehmen ein immer größeres Ausmaß an. Dass weibliche Gefangene stehlen und z. B. unglaubliche Mengen an Lebensmitteln für ihre Kameradinnen aus der Küche herausschmuggeln, ist nicht verwunderlich. Die Aufseherinnen stehlen aber bei jeder Gelegenheit, z. B. gehen sie so weit, dass sie Spargel aus einer Miete auf dem Landgut stehlen, in einer Apfelkolonne stehlen sie Äpfel körbeweise. Sie kämpfen untereinander um bessere Kolonnen, werfen sich gegenseitig Knüppel zwischen die Beine und zanken miteinander. Die Aufseherinnen aus den Werkstätten gehen sogar so weit, dass sie den kranken Gefangenen Brotscheiben (die um Mitternacht verteilt werden) stehlen.313 Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass das Gebot »Du sollst nicht stehlen« im Lager seine Bedeutung und Tragweite verändert hat. Wie von Anna Pawełczyn´ska314 dargelegt, wurde der Diebstahl als Straftat oder als Handlung von hohem moralischem Wert beurteilt, je nachdem, was und wo gestohlen worden war. Über das Zurechtkommen315, ein auf das Überleben abgezieltes Sicheinrichten, das Messen mit zweierlei Maß schrieb in einem ihrer Kassiber Wiesława Grzegorzewska: […] Die Stimmung bei uns hat sich ein wenig verändert. Wir fühlen uns wie auf einem 312 Die Überzeugung vom existenziellen Bedürfnis nach Verwurzelung steht der Philosophie von Simone Weil nahe, ebenso wie der von Józef Tischner, für den sich die Verwurzelung in vier Bereichen realisiert: Familie, Arbeit, Religiosität und Erbe der Vorfahren. Vgl. J. Tischner, Filozofia dramatu [Philosophie des Dramas], Kraków 1998. 313 Ponad ludzka˛ miare˛…, S. 68. 314 Anna Pawełczyn´ska schreibt: Einen Gefangenen zu bestehlen, der unter ähnlichen oder noch schlechteren Bedingungen lebte, war eine zutiefst unmoralische Handlung. Jeglicher Diebstahl, der dem Gefangenen nicht schadete und ausschließlich dem eigenen Nutzen diente, war etwas Gewöhnliches, was allein nach dessen Zweckmäßigkeit beurteilt wurde. Die uneigennützig zum Wohle anderer Gefangener begangenen Diebstähle stellten den höchsten Wert dar, da sie auf die Rettung des Lebens von Kameraden abgezielt waren. Vgl. A. Pawełczyn´ska, Wartos´ci a przemoc. Zarys socjologicznej problematyki Os´wie˛cimia [Werte und Gewalt. Ein soziologischer Abriss der Auschwitz-Problematik], Warszawa 1995, S. 134–135. 315 A. Applebaum, Strategie przetrwania [Strategien des Überlebens], [in:] ders., Gułag [Der Gulag], übersetzt von. J. Urban´ski, Warszawa 2005, S. 327.
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Bahnhof in einer riesigen Wartehalle der IV. Kl.: Der eine Transport fährt ab, der zweite wird komplettiert und der dritte macht sich bereit, vorgesehen sind der vierte, fünfte – bis es aus ist. Die Tatsache ist, dass wir (d. h. das Krankenhaus) als Letzte gehen werden – dann wird es schon warm sein [ein Ausschnitt herausgeschnitten] (Krysia lacht über meine Korrektur). Zurzeit werden nur die Russinnen in Betracht gezogen, nicht weil das ein Befehl ist, sondern weil die hiesigen Machthaber mit polnischen Frauen als Lagerpersonal zufrieden sind. Die beiden stehlen in Harmonie und Übereinstimmung, jeder auf seine Weise – um zu überleben! Man könnte über diese Beziehungen lange erzählen und ganze Bände schreiben – und betrachtet bitte den kurzen Satz nicht unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen und ethischen Normen. Wir richten uns möglichst vernünftig und bequem ein: für Brot kaufen wir (gestohlene) Kohle und Kartoffeln. Wir verkaufen Brot, das Geld wird uns unterwegs nützlich sein, und wenn es sich gehörte, würden wir Euch eine Kontribution unter dem Pseudonym »Majdanek« schicken. [ein Ausschnitt herausgeschnitten] kann ich erst die Demoralisierung sehen, aber ich versichere Euch, dass die beiden Seiten damit sehr zufrieden sind. Und wenn wir mit ihnen scherzen, dass die Bolschewiki kommen und uns »anstecken« werden – sind sie über diese Idee sehr erstaunt oder tun vielleicht nur so? Weiß der Kuckuck! Tatsache ist, dass das gefährlichste Element unsere sehr gastfreundlichen Pforten verlässt – in Richtung – großes Reich. Vielleicht können sie dort sogar nützlich sein und wir kommen hier auch ohne sie aus. Manche von ihnen sind sogar treu ergeben und mögen uns sehr, besonders die Genesenen bleiben gerne als Helferinnen […].316 Neben den Häftlingen, welche das Lager überstanden, weil sie sich geschickt an die dort herrschenden Regeln anzupassen vermochten, indem sie tüchtig zu pragmatischen Mitteln griffen, um sich in der Gefangenschaft »zurechtzufinden« oder »einzurichten«, gab es auch diejenigen, die überlebten, weil sie dem System der moralischen Grundsätze und Werte treu blieben. Menschen, die der »Freundschaft, Solidarität, Verpflichtung zur Wahrung der persönlichen Würde und Kultivierung des geistigen Lebens« gehorchten.317 316 Ein Auszug aus dem Kassiber von Wiesława Grzegorzewska, Vgl. Listy z Majdanka…, S. 40. 317 A. Applebaum, Strategie przetrwania…, S. 357 (Abschnitt Cnoty powszednie [Allgemeine Tugenden]). An dieser Stelle sei anzumerken, dass die gleichen Strategien des Überlebens in den Lagern angewandt wurden. In Inny ´swiat [Eine andere Welt] von Gustaw HerlingGrudzin´ski stößt man auf folgende Worte: »Er hasste die Mitgefangenen und hielt sie bis dahin für seine natürlichen Feinde. Er wäre vielleicht noch tiefer gesunken, bis an den Rand des größten Verbrechens, das ein Mann, der diesen Namen verdient, im Lager begehen kann – das Verbrechen der Denunziation, wenn nicht ein Zufall ihn auf eines der Bücher aufmerksam gemacht hätte, das er einst in Wladiwostok gelesen hatte. Kostylew las es von neuem und heulte wie ein Kind, das in Dunkelheit die Hand seiner Mutter gefunden hat« (G. Herling-Grudzin´ski, Re˛ka w ogniu [Die Hand im Feuer], [in:] ders., Inny ´swiat. Zapiski sowieckie, Warszawa 1997, S. 109). Deutsche Ausgabe: G. Herling-Grudzin´ski, Welt ohne Erbarmen, übersetzt von H. Wille, München 2000.
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Diebstähle wurden mit Krankheiten, Kälte und Hunger motiviert. In einem Kassiber von Andrzej Majewski kann man lesen: […] Ich befinde mich in schrecklicher, für mich unerträglicher Lage. Ich bitte Euch, versucht mich mit allen möglichen Mitteln herauszuholen. Ich warte jeden Tag darauf, dass man mir gestreifte Kleidung anzieht, dann muss ich den ganzen Tag halbnackt in der Kälte arbeiten. Mit meinen Lungen wird es bald aus mit mir sein. Ich habe kaum noch Kraft. Stundenlange Appelle im Freien vor und nach dem Sonnenuntergang erschöpfen mich. Dazu leide ich unter quälendem Hunger; wir kriegen zu essen ein paar gefrorene Kartoffeln mit Schale, ungekochte Kohlrüben und Minzwasser. Hunger und Krankheiten dezimieren die Menschen. Es kommen keine Pakete an. Schickt mir etwas Brot durch den Überbringer dieser Karte […].318 Eine Art Testament, in dem Anregungen, Warnungen und Empfehlungen für die Zukunft für Geschwister, Verwandte und Familie enthalten sind, stellt der Kassiber des zuvor genannten Gefangenen – Andrzej Majewski, dar, welcher darin seine Nächsten um Verzeihung bittet. Gleichzeitig drückt er den tröstlichen Gedanken aus, dass nach dem Tode seine sterblichen Überreste in der Heimat bleiben. Es ist schwer zu glauben, dass diese ungewöhnlichen Worte einen gewöhnlichen Moment des Lebens eines Gefangenen schildern: Meine Lieben! Es ist mein letzter Brief an Euch. Mein Gesundheitszustand ist seit Krankheitsbeginn sehr ernst und seit einer Woche leider hoffnungslos. Liebe Terenia, meine fürsorgliche und tapfere Betreuerin! Möge Gott Dich mit Glück belohnen für alles, was Du für mich getan hast. Meine Lieben, Terenia und Mietek, heiratet bitte so bald wie möglich. Krysia, Bajka, Tomcio und Dziodek, ich grüße Euch zum letzten Mal von ganzem Herzen… Verzeiht mir alles Böse, das ich Euch angetan habe. Ich bin froh, dass meine Überreste hier, in der Heimat und in Eurer Nähe bleiben. Liebe Geschwister, ich habe eine letzte Bitte an Euch alle. Liebt einander und lebt in Frieden zusammen, so werdet ihr glücklich sein. Möge der liebe Gott Euch beschützen.319 In einem anderen der veröffentlichten Kassiber kommt ein – selbst unter den Kriegs- bzw. Lagerbedingungen – unheimliches, spezifisches Paradox des Lebens, eine böse Ironie des Schicksals zum Ausdruck.320 Ein grausamer Zufall ließ 318 Kassiber von Andrzej Majewski (geboren 1912), Soldat der Polnischen Heimatarmee (AK), verhaftet im November 1942. Zunächst wurde er im Schloss Lublin inhaftiert und im Februar 1943 nach Majdanek übergeführt. Er erhielt die Häftlingsnummer 2226, arbeitete bei der Errichtung von Baracken, im Lagergarten und in der Lagerkanzlei auf Feld III. Im Januar 1944 erkrankte Majewski wieder. Die Lagerärzte stellten neben Bauchtyphus auch einen Rückfall von Tuberkulose fest. Er starb am 18. März 1944. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 29. 319 Der Kassiber von Andrzej Majewski, Vgl. Listy z Majdanka…, S. 30. 320 In einem Ausschnitt aus dem Kassiber von Roman Pawłowski an Saturnina Malmowa heißt es, dass solche Fälle von dem Gefangenen als Schicksal bezeichnet wurden. Hier ein Zitat zum betreffenden Vorfall: […] Medikamente – von Herzen habe ich sie sofort nach Erhalt zur
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Janina Modrzewska, die als Rekonvaleszentin im Frauenkrankenhaus behandelt wurde, ihre Mutter treffen, welche im Auftrag des Polnischen Roten Kreuzes ins Lager gekommen war, um zwei Wochen nach diesem Treffen nachts versehentlich in den Bauch geschossen zu werden. Im hohen Fieber schrieb sie einen Abschiedsbrief an ihre Familie: Mun´cia Mäuslein ich sterbe 5 V 43 Czesiek Ojczyk Julek [weiter unleserlich]
versehentlich in den Bauch geschossen Küsse ich liebe Euch Janka321
Bei der Lektüre der bisher in Polen veröffentlichten, geheimen und linken Briefe bzw. Kassiber von Häftlingen deutscher Gefängnisse, insbesondere von jungen Menschen, die vor deren Hinrichtung verfasst wurden, fällt eine Ähnlichkeit in Bezug auf ihre Gefühle gegenüber den Nächsten auf. Den Hauptgrund für ihre Besorgnis stellte der Gedanke an das Leid dar, das sie ihren Eltern zugefügt hatten. Die Abschiedskassiber waren oft in einem fröhlichen Ton gehalten, als hätten sie den Schreibenden eine Erlösung gebracht. Eine besondere Art des Abschieds, die einzige Spur von den im Block Nr. 11 des KZ Auschwitz inhaftierten Opfern322, sind die Inschriften an den Wänden, Fensterbänken, Türen und Deckenbalken. Die Häftlinge benutzten hierfür Werkzeuge wie spitze Gegenstände, Bleistifte, Haarnadeln und Buntstifte. Sie wurden ebenfalls mit Fingernägeln eingeritzt. Abgesehen von den mehreren hundert Inschriften kratzten die Häftlinge auch ihre Initialen und Lagernummern ein. Es gibt auch Zeichnungen. Wahrscheinlich war es die letzte körperliche Aktivität der Gefangenen. In den ungewöhnlichen Inschriften, die oft zum Pension Nr. 5 geschickt und auch gleich eine Quittung von der Ärztin erhalten, die ich beilege. Offenbar ist der Zustand hoffnungslos. Schwere Schusswunde im Bauch. Bauchfellentzündung. Ein Fall wie viele andere. Man schläft und wird angeschossen. Es soll wohl auch diesmal der Fall gewesen sein. Das nenne ich Schicksal. Dabei kann weder Gott noch die Mutter Gottes helfen – es ist eben Schicksal. Mir fehlen die Worte, es muss für die Mutter eine Tragödie sein – aber wie kann man das Unglück rückgängig machen […]. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 32. 321 Der Kassiber von Janina Modrzewska, geboren 1903. Sie starb am 17. Mai 1943. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 31. 322 Über den Block Nr. 11 im KZ Auschwitz, das polizeiliche »Standgericht« und die Inschriften schreibt Adam Cyra (es sei erwähnenswert, dass die letzten Inschriften mit dem Datum des 6. Januar 1945 versehen sind, sie sollen also drei Wochen vor der Befreiung des Lagers eingeritzt worden sein). Vgl. A. Cyra, Pozostał po nich ´slad… Z˙yciorysy z cel ´smierci [Eine Spur von ihnen bleibt… Lebensgeschichten aus dem Todestrakt], Os´wie˛cim 2006.
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letzten Abschied von der Welt wurden, waren Bitten der Verurteilten enthalten, die Angehörigen über ihr tragisches Schicksal zu benachrichtigen. Die Inschriften zeugen von außerordentlichem Mut und Liebe zum Heimatland. Sie beweisen, dass die Verurteilten bis zuletzt innere Stärke, Tapferkeit und Würde bewahrt haben.
4.5. Judenvernichtung im Lichte der Kassiber von KZ Majdanek und KZ Auschwitz In den letzten Jahren zeigte sich, dass Postmemory-Geschichten, die der Autor von »Fiasko« [Fiasko] zur Hochkultur zählen würde, durch narrative Erzählungen verdrängt werden, die den Holocaust als Ware behandeln.323 Michał Głowin´ski behauptet: Die polnische Literatur über die Shoah ist von Anfang an sehr vielfältig und reichhaltig (…) Die polnische Literatur hat intellektuelle und moralische Klasse gezeigt.324 Die Fachliteratur über die Judenvernichtung in den Konzentrationslagern ist reichhaltig und erörtert ausführlich alle Nuancen, Probleme und Fragen zu diesem Thema.325 Weniger detailliert ist die Analyse der von 323 M. Tomczok, Czyja dzisiaj jest Zagłada? Retoryka – ideologia – popkultura [Wessen ist heute die Shoah? Rhetorik – Ideologie – Popkultur], Warszawa 2017, S. 10. 324 M. Głowin´ski, G. Wołowiec, Czas nieprzewidziany… [Unvorhersehbare Zeit…], S. 441. 325 Um nur auf ausgewählte Positionen hinzuweisen: P. Czaplin´ski, Zagłada jako horror. Kilka uwag o literaturze polskiej 1985–2015 [Holocaust als Horror. Einige Bemerkungen zur polnischen Literatur 1985–2015], »Zagłada Z˙ydów. Studia i Materiały« [»Der Holocaust. Studien und Materialien«] 2016, Nr. 2; S. Buryła, Tematy (nie)opisane [(Un)beschriebene Themen], Kraków 2013; G. Ojcewicz, Skazani na trwanie. Odmien´cy XX wieku w esejach Jarosława Mogutina [Zum Fortleben verdammt. Die Außenseiter des 20. Jahrhunderts in den Essays von Jarosław Mogutin], Olsztyn 2007; S. Buryła, Wokół Zagłady. Szkice o literaturze Holokaustu [Rund um die Shoah. Skizzen über die Holocaustliteratur], Kraków 2016; B. Engelking, J. Leociak, Getto warszawskie. Przewodnik po nieistnieja˛cym mies´cie [Das Warschauer Ghetto. Ein Führer durch die nicht existierende Stadt], Warszawa 2013; M. Tomczok, Metonimie Zagłady. O polskiej prozie lat 1987–2012 [Metonymien des Holocausts. Über die polnische Prosa 1987–2012], Katowice 2013; J. Tokarska-Bakir, Okrzyki pogromowe. Szkice z antropologii historycznej 1939–1946 [Pogromrufe. Skizzen zur historischen Anthropologie 1939–1946], Wołowiec 2012; P. Forecki, Od »Shoah« do »Strachu«. Spory o polsko-z˙ydowska˛ przeszłos´´c i pamie˛´c w debatach publicznych [Von der »Shoah« zur »Angst«. Auseinandersetzungen über die polnisch-jüdische Vergangenheit und Erinnerung im öffentlichen Diskurs], Poznan´ 2010; Naste˛pstwa Zagłady. Polska 1944–2010 [Die Folgen der Judenvernichtung, Polen 1944–2010], hrgs. von F. Tych, M. Adamczyk-Garbowska, Lublin-Warszawa 2012; Literatura polska wobec Zagłady (1939–1968) [Die polnische Literatur und der Holocaust (1939–1968)], hrsg. von S. Buryła, D. Krawczyn´ska, J. Leociak, Warszawa 2012; E. Janicka, T. Z˙ukowski, Przemoc filosemicka? Nowe polskie narracje o Z˙ydach po roku 2000 [Philosemitische Gewalt? Neue polnische Narrationen über die Juden nach 2000], Warszawa 2016; W. Panas, Pismo i rana. Szkice o problematyce z˙ydowskiej w literaturze polskiej [Schrift und Wunde. Skizzen zur jüdischen Problematik in der polnischen Literatur],
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jüdischen Gefangenen verfassten Kassiber.326 Sie geben jedoch hauptsächlich die Problematik wieder und sind zugleich eine wichtige Stimme im Chor der Ankläger des Totalitarismus. Henryk Wieliczan´ski äußerte sich hierzu in seinem Kassiber vom 13. Mai 1943 folgendermaßen: Meine liebste Lusienka! […] Ich bin gesund und beruhigt, und nur wenn ich die Dinge um mich herum betrachte, versinke ich manchmal in einem solchen Zweifel, einem tiefen Misstrauen gegen alles, was mir bisher heilig war, dass mir alles gleichgültig wird, sogar das Getriebenwerden in den Tod in die Gaskammer. […]Epidemien sind ausgebrochen. Lungenentzündung und Fleckfieber haben die Hälfte unserer Kollegen hinweggerafft, viele andere wurden vergast. Das Krematorium kommt nicht mehr hinterher (dabei kann es 250 Menschen pro Tag verbrennen), also brennen die mit Teer und Petroleum begossenen Leichenhaufen, so dass ihr manchmal von Lublin aus die Feuerzungen sehen könnt und Rauchsäulen327 den ganzen Tag über wahrnehmbar sind. Das ist unser Leben. Darum habe ich über den Tod geschrieben, denn er tanzt ständig um uns herum, und jetzt erst recht, wenn jeden Tag Judentransporte ankommen, die sie auch massenweise liquidieren – zum Beispiel können sie während einer Nacht zweitausend Juden in der Gaskammer vergasen. Und sie treiben hier Juden aus Warschau, aus verschiedenen Städtchen, wo es Ghettos gibt, aus Lodsch – aus Frankreich, den Niederlanden, der Slowakei, Tschechen, russische Juden usw. Lublin 1996; P. Wolski, Holocaust online czyli internetowa topizacja Zagłady [Holocaust online oder der Holocaust-Topos im Internet], »Warmin´sko-Mazurski Kwartalnik Naukowy« [»Wissenschaftliche Vierteljahresschrift für Ermland und Masuren«] 2012, Nr. 3; S. Karolak, Dos´wiadczenie Zagłady w literaturze polskiej 1947–1991. Kanon, który nie powstał [Die Erfahrung des Holocaust in der polnischen Literatur 1947–1991. Ein nicht zustandegekommener Kanon], Poznan´ 2014; M. Wójcik-Dudek, W(y)czytac´ Zagłade˛. Praktyki postpamie˛ci w polskiej literaturze XXI wieku dla dzieci i młodziez˙y [Holocaust ein- und auslesen. Postmemory-Praktiken in der polnischen Kinder- und Jugendliteratur des 21. Jahrhunderts], Katowice 2016. 326 Zweifellos kam es vor, dass die Briefe von jüdischen Häftlingen auf geheimen Wegen an ihre nichtjüdischen Freunde in der Außenwelt übermittelt wurden. Vgl. Ludzie dobrej woli. Ksie˛ga pamie˛ci mieszkan´ców Ziemi Os´wie˛cimskiej niosa˛cych pomoc wie˛z´niom KL Auschwitz [Menschen guten Willens. Gedenkbuch für die Bewohner des Auschwitzer Landes, die den Häftlingen des KL Auschwitz zu Hilfe kamen], hrsg. von H. S´wiebocki, Os´wie˛cim 2005, S. 108. 327 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die in den Kassibern enthaltenen Schilderungen von brennenden Leichen und Rauchsäulen bestimmt ein interessantes Thema für ökokritische Studien darstellen, die eine engagierte Praxis erfordern, weil sie eine Antwort auf die ökologische Krise bieten. Mehr dazu: G. Garrard, Ecocriticism, New York 2004, S. 20–23; B. Lawrence, The Future of Environmental Criticism: Environmental Crisis and Literary Imagination, Massachusetts 2005; G. Greg, Ecocriticism, London-New York 2004; M. Timothy, Dark Ecology: For a Logic of Future Coexistence, New York 2016; M. Timothy, The Ecological Thought, Massachusetts 2010; »Teksty Drugie: Ekokrytyka« 2018, Nr. 2; A. Kłos, S´mierc´ i rola trupów w »martwych przestrzeniach« [Zum Tod und zur Rolle der Leichen in »Toträumen«], »Narracje o Zagładzie« 2016, Nr. 2, S. 163–201.
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zusammen. Das macht aber nichts. Das ist ihr Schicksal. – Wer glaubt, wird gerettet werden. Ich freue mich auf die Erlösung und das Reich Gottes auf Erden – da werde ich ein friedliches, glückliches Leben mit Euch führen, meine lieben Lusien´ka und Zosia.328 In einem weiteren Kassiber dokumentiert Henryk Wieliczan´ski – sozusagen beiläufig – den Höhepunkt der antijüdischen Politik. Am 3. November 1943 fand unter dem Decknamen »Erntefest« die größte Hinrichtung in der Geschichte der deutschen Lager statt, bei der über 18.000 Juden erschossen wurden. Die zusehenden Mitgefangenen schrieben in ihren Kassibern über den ununterbrochen rauchenden Schornstein des Krematoriums und die brennenden Scheiterhaufen. In den meisten Berichten kamen die Gefühle der Schreibenden zum Ausdruck: Entsetzen und Mitgefühl für die ermordeten Juden, verbunden mit der Angst, dass allen anderen Häftlingen das gleiche Schicksal bevorsteht. Am 16. November 1943 schrieb Wieliczan´ski an seine Frau: Ich habe vor kurzem Deine Karte vom 8. bekommen, wo Du schreibst, dass Dir rob. B. [Abk. im Orig. – Anm. des Übers.] so viel über den hier sehr unangenehmen 3/XI berichtete. Das ist eben der Wille Gottes. Bleib ruhig, wie auch ich es tue, und glaub an Gottes Schutz, der unser Schicksal lenkt. […] Am Geburtstag unserer Zochna kamen hier achtzehntausend aus der Familie des Zahnarztes um. Ich liebe dich jetzt und für immer, solange das Leben währt.329 Die Worte von Witold Kiedrowski, dem Kaplan der Polnischen Armee, der sich während des Krieges als Laie unter dem Namen Kołodko versteckte, klingen authentisch und schmerzhaft. Sie sind zwischen einer zuverlässigen, fast berichterstattenden Schilderung und einem vom Zweifel und Glaubensverlust geprägten Bericht anzusiedeln. Er schreibt an Saturnina Malmowa, wie folgt: Mein allerliebstes Mütterchen […] Die Situation hat sich bei uns nicht geändert. Fast jeden Tag werden immer neue, angeblich Juden, hergebracht – ich weiß nicht woher – und erledigt. Heute waren es wieder mehrere Dutzend. Tag und Nacht steigt eine graue Rauchwolke von dem Leichenhaufen empor. Außerdem ziehen die Gerüchte über den Transport immer weitere Kreise. Man spricht von 1000 Frauen und 1000 Männern, darunter 300 Russen. Die Listen sollen bereits zu328 Ein Ausschnitt aus dem Kassiber von Henryk Wieliczan´ski vom 13. Mai 1943. Dazu sei anzumerken, dass der 1903 geborene Wieliczan´ski, Pseudonym »Zygmunt«, in den Kriegsjahren im Untergrund tätig war. Nach seiner Verhaftung durch die Gestapo wurde er zunächst im Pawiak-Gefängnis inhaftiert und im Januar 1943 nach Majdanek gebracht, wo er die Häftlingsnummer 3348 erhielt. Er nahm die Arbeit im Lagerkrankenhaus auf und war gleichzeitig ein aktives Mitglied des Lageruntergrunds – als Leiter eines Netzwerkes der Polnischen Heimatarmee (AK) auf Feld V. Während seines gesamten Aufenthalts im Lager verheimlichte er seine jüdische Herkunft. Im April 1944 wurde er nach Auschwitz übergeführt. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 45. 329 Ein Ausschnitt aus dem Kassiber von Henryk Wieliczan´ski vom 16. November 1943. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 48.
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sammengestellt und komplett sein. Wer geht und wer bleibt, ist ein großes Fragezeichen […].330
4.6. Informationen über die Evakuierung des Lagers und der Gefangenen Viel Platz nahmen in den Kassibern Informationen über die Gefangenentransporte ein. Regelmäßig wurde darin über die im Lager durchgeführten Aktionen berichtet. Ein häufiges Thema inoffizieller Briefe waren Benachrichtigungen über ankommende und abgehende Transporte bzw. Pläne hinsichtlich der Evakuierung des Lagers. Die von den Häftlingen übermittelten Informationen finden in den Berichten verschiedener Untergrundorganisationen Widerhall, unter anderem in den Meldungen von Centralna Opieka Podziemia (Kryptonym OPUS) [Zentraler Schutz der Untergrundbewegung] sowie in den Berichten, die für Zwecke der Regierungsdelegation für Polen erstellt wurden.331 Darüber hinaus beinhalteten die Kassiber Hinweise auf die Entwicklung der politisch-propagandistischen Tätigkeit in Bezug auf die Lagerproblematik und deuteten auf die Möglichkeit hin, die im Lager versammelten Kräfte im Falle eines Aufstandes in Schlesien unter bestimmten Bedingungen einzusetzen, sowie auf die Bedeutung des Austausches von aktuellen Informationen und Programmmaterialien zwischen den Untergrundeinheiten in und außerhalb des Lagers. In den Sammlungen des Staatlichen Museums Majdanek befindet sich ein Bericht vom 6. August 1943, welcher auf der Grundlage der von Gefangenen übermittelten Kassiber von Wanda Szupenko, Pseudonym »Elz˙bieta«, erstellt wurde, die in Centralna Opieka Podziemia bei dem Bezirkskommando Lublin der Polnischen Heimatarmee (AK) tätig war. Die Häftlinge schickten mehrmals Kassiber mit Angaben zur Anzahl der Inhaftierten im KZ Auschwitz. Hinüberschmuggelt wurden ebenfalls Akten und Bescheinigungen, die von den bei der Lagerverwaltung eingesetzten Häftlingen kopiert bzw. entwendet worden waren. 330 Ein Ausschnitt aus dem Kassiber von Witold Kiedrowski, Pseudonym »Z˙migród« [»Trachenberg«], an Saturnina Malmowa vom 14. November 1943. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 49. 331 Der Inhalt der Kassiber, u. a. von Józef Cyrankiewicz und Stanisław Kłodzin´ski, wurde zur Erstellung von Berichten für die Regierungsdelegation für Polen verwendet. Obóz Koncentracyjny Os´wie˛cim w ´swietle akt delegatury RP na Kraj [Das Konzentrationslager Auschwitz im Lichte von Akten der Regierungsdelegation für Polen], »Zeszyty Os´wie˛cimskie« [»Die Auschwitz-Hefte«], Sonderheft, bearbeitet von Zakład Historii Partii przy KC PZPR [Institut für die Geschichte der Partei beim Zentralkomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei] in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, ausgewählt und bearbeitet von K. Marczewska, W. Waz˙niewski, Os´wie˛cim 1968, S. 111–115, 154–155.
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Die inoffizielle Lagerkorrespondenz: Kassiber, geheime und linke Briefe
Die Dokumente haben mittlerweile nicht nur einen historischen Wert, sondern sind auch eine Fundgrube für Informationen über das Wohlergehen der Gefangenen. Einem nach dem 9. April 1944 verfassten Kassiber wurde ein Verzeichnis mit den Namen von 32 Frauen und Kindern aus Bromberg beigefügt, die im September 1943 im KZ Auschwitz vergast wurden. Nach Februar 1944 wurden mehrere Kassiber übermittelt, in denen die Abschriften des Leichenbuches vom KZ Auschwitz mit den Nummern der verstorbenen, erschossenen oder durch intrakardiale Phenolinjektionen ermordeten Häftlinge enthalten waren. Auch zwei Registerbücher des Kommandanturarrests, die so genannten Bunkerbücher, mit den Namen der Lagerinsassen, die zwischen dem 9. Januar 1941 und dem 1. Februar 1944 im Keller des Block 11 gefangen gehalten wurden, konnten herausgeschmuggelt werden. Die Zahlenangaben vermischten sich mit emotionalen Berichten, die unter anderem den psychischen Zustand der Gefangenen betrafen: Angaben zum KZ Majdanek. 6.8.43. Anzahl der Gefangenen: 6 100 – Ruthenen 5 000 – jüdische Männer 5 000 – Polen 7 200 – Polinnen 2 000 – Rutheninnen mit Kindern 1 000 – Jüdinnen Korrespondenz: Es dürfen beliebig viele Briefe per Post empfangen werden. Das Versenden von Briefen ist verboten. Verpflegung: Gefangene, die harte Arbeit verrichten, erhalten zusätzlich ½ Liter Suppe vom Polnischen Roten Kreuz und 100–120 g Brot aus der Lagerküche. Behandlung: Im Allgemeinen – brutal. Es gibt einen Unterschied in der Behandlung von Juden und Polen, zum Vorteil der Letzteren. Frauen werden mit mehr Nachsicht behandelt. Deportationen: am 15. 7. wurden 500 Frauen und am 31. 7. – 500 Männer ins Reich übergeführt. Die Vertriebenen aus den pazifizierten Gebieten bleiben unberücksichtigt. Am 13. 7. erhielt ich folgende Nachricht von einem »Unseren« aus Feld III: »Es sind bei uns etwa achttausend Neue angekommen. Alles Bauern, meistens aus den Bezirken Biłgoraj, Chełm, Frauen, Männer, Kinder. Man bildet Transporte mit jeweils einigen Hundert Personen und schickt sie zur Zwangsarbeit. Wohin – ist nicht bekannt. Ein paar Tausend Juden wurden ebenfalls zur Zwangsarbeit geschickt und etwa zweitausend – in der Gaskammer vergast. Vor allem Frauen, Greise und Kinder. Das Vergiften dauert 10 Minuten. Die Leichen werden in den
Informationen über die Evakuierung des Lagers und der Gefangenen
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Wald gebracht und verbrannt. Polen werden etwas besser als Juden behandelt, aber man prügelt die einen und die anderen«. Stimmung: Man sollte die Gefangenen von Majdanek nicht schlecht beurteilen. Sie sind manchmal tapferer als viele von uns in Freiheit. Hier die Worte eines Briefes: »Glaubt nicht, dass es hier bei uns traurig zugeht. Es gibt viele nette Leute und manchmal haben wir auch eine schöne Zeit« – »Mir geht es gut. Gott hilft. Ich habe die besten Lebensbedingungen, die es hier geben kann. Luft, Sonnenschein, angenehme Arbeit, relativ ruhige Nerven. Ich bin nicht hungrig. Wir leben hier wie in einer großen ›Familie‹ – wir führen einen gemeinsamen Haushalt. Im Allgemeinen ist der Teufel nicht so schwarz, wie man ihn malt«. »Wir werden durchhalten«. Alle warten begierig auf Nachrichten aus der Welt. Es sind noch keine Nachrichten von der Hauptquelle eingegangen. Elz˙bieta.332 Der Inhalt des Kassibers von Witold Kiedrowski an Elz˙bieta Krzyz˙ewska vom 23. März 1944 macht deutlich, dass es dabei nicht nur um die schriftliche Schilderung einer Erfahrung geht. Vielmehr ist es ein Handeln mit Worten, das die gegenwärtige und künftige Wirklichkeit zu beeinflussen vermag, auch wenn nicht sicher ist, ob dies geschehen wird: Mein liebes Edelweiß. Inmitten einer Vielzahl von allerlei Geschichten, Nachrichten und Gerüchten ist es manchmal sehr schwierig festzustellen, was Wahrheit und was nur Gerede oder eine panische Erfindung ist. Bevor ich zu derlei allgemeinen Nachrichten übergehe, möchte ich zunächst einige Tatsachen nennen: a) Gestern wurde ein Teil der Kleider nach Radom gebracht. Die Häftlinge sind mit Gefängniswärtern und Autos aus Skarz˙ysko gekommen, um die Sachen abzuholen. b) Gestern wurden aus dem Offizierskasino Teppiche, Tischdecken usw. weggebracht. c) Ich habe Dir bereits berichtet, dass die russischen Gefangenen auf Feld II gefragt wurden, wer nach dem Krieg in Deutschland bleiben will. Es haben sich 134 gemeldet. Als ganz gesund wurden 48 eingestuft. Die 48 werden morgen entlassen, erhalten Zivilkleidung und werden dem Arbeitsamt zur Verfügung gestellt. d) Heute fand in der Nähe des Krematoriums eine Hinrichtung statt. Es sollen 3 Autos hergebracht worden sein – sie sahen aus wie Gefangene – blass, erschöpft. e) Am Montag traf wieder ein Transport mit Kranken aus Buchenwald bei uns ein. 500 Personen. f) Die Garnison von Majdanek zählt derzeit etwa 700 Personen einschließlich Offiziere usw. Dazu gehören etwa 20 SS-Aufseherinnen, 200 Rumänen und mehrere Litauer. Was unsere Evakuierung betrifft, so gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen behaupten, die Evakuierung sei vorläufig eingestellt, die anderen – sie bleibe aktuell. Aufgrund mangelnder 332 Bericht vom 6. August 1943, welcher anhand der von Gefangenen übermittelten Kassiber von Wanda Szupenko, Pseudonym »Elz˙bieta«, erstellt wurde. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 53.
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Verkehrsmittel käme wahrscheinlich nur ein Fußmarsch in Frage. Die Rede ist von Radom oder Lodsch. Heute wurden 50 Juden aus Feld IV mit Autos weggebracht, angeblich in die Lipowa-Straße – es ist aber nicht gewiss. Laut einem der im Lager kursierenden Gerüchte sollten die Kranken zusammen mit dem (reduzierten) Personal zurückbleiben und später vom Roten Kreuz übernommen werden. Ansonsten ist hier alles beim Alten. Im Allgemeinen herrscht aber eine Aufbruchstimmung – vor allem unter den Aufsehern, die ihre Koffer und Köfferchen packen. […] Ich beende daher meinen Brief und mache mich auf den Weg zu Dir. Tschüs, liebes Edelweiß. Ich küss Dich auf die Nase, Augen, das Gesicht und alle Fingerchen. Dein Z˙migród.333 Unter den Insassinnen des Gefängnisses Moabit334, wo Krystyna Wituska inhaftiert war, herrschte eine Atmosphäre von Herzlichkeit, kameradschaftlichen Gesten und gegenseitiger Hilfsbereitschaft. Alle fühlten sich wie in einer großen Familie, unabhängig von Nationalität. Die Gefangenen waren einander sehr zugetan und ihr Verhalten durch eine Art Exaltiertheit gekennzeichnet. Jede Hinrichtung erlebten sie schmerzlich und teilnahmsvoll mit, was nur manchmal in ihren Kassibern zum Ausdruck kam.
4.7. Die Bedeutung der Kassiber, geheimen und linken Briefe Vor allem wurde durch Kassiber die Wahrheit über die Geschehnisse im Lager enthüllt und Falschheit der sich aus der offiziellen Korrespondenz zwischen den Häftlingen und ihren Familien ergebenden Vorstellungen entlarvt. Die Wahrheit über das KZ Auschwitz bzw. KZ Ravensbrück kam dank Verfasser, Vermittler und Empfänger von Kassibern sowie dank Polskie Pan´stwo Podziemne (PPP) [des Polnischen Untergrundstaates] noch vor dem Kriegsende ans Tageslicht. Einer der wichtigsten Zwecke der geheimen Korrespondenz von weiblichen Ravensbrück-Häftlingen war die Übermittlung von Informationen über das Lager und die durchgeführten Operationen an Länder, die sich nicht unter der deutschen Okkupation befanden. Es gilt hervorzuheben, dass die Verfasser der inoffiziellen Korrespondenz den größten Wert darauf legten, die dem Wesen des Briefes innewohnende Zweckmäßigkeit zu erreichen. Zwar in Gefangenschaft, aber immer noch freie Menschen – wir senden der freien Welt die Nachricht von
333 Ein Ausschnitt aus dem Kassiber von Witold Kiedrowski an Elz˙bieta Krzyz˙ewska vom 23. März 1944. Vgl. Listy z Majdanka…, S. 54. 334 Das Zellengefängnis Lehrter Straße im Berliner Stadtteil Moabit war während des Zweiten Weltkriegs die Hinrichtungsstätte für viele Polen (u. a. Zdzisław Maszewski, Bischof Juliusz Bursche, den Lebensgefährten von Rosa Luxemburg).
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unserer Existenz…335 Immer wieder überwanden sie die äußeren Bedingungen und die inneren Schemata der traditionellen Briefe, um dem Inhalt der Korrespondenz einen neuen, stärkeren Ausdruck zu verleihen. Das Lebensbedürfnis bestimmte die in den Kassibern bzw. geheimen und linken Briefen enthaltenen Informationen. Die inoffizielle Korrespondenz gab den Verfassern unbegrenzte Freiheit, den Inhalt eines Briefes zu individualisieren, vor allem in Hinblick auf vielfältige Zwecke, denen er dienen sollte. Die geheime Korrespondenz ermöglichte es den Schreibenden, die harten Bedingungen des Lagerlebens leichter zu ertragen und sich hinter dem Stacheldraht frei zu fühlen. Dadurch konnten sich die Gefangenen gewissermaßen der antideutschen Widerstandsbewegung anschließen. Samt den Kassibern wurden die auf verschiedensten Wegen beschafften Lagerdokumente und Namenslisten von Häftlingen bzw. Lagerpersonal hinübergeschmuggelt. Das in den Kassibern enthaltene Informationsmaterial wurde mehrmals an die konspirativen Strukturen übermittelt und für die Zwecke der veröffentlichten Broschüren und Prospekte verwendet oder an die Untergrundsender bzw. -presse weitergegeben. Auf diese Weise wurden Lieferungen von Gift realisiert und Pakete für Häftlinge organisiert. An das Internationale Rote Kreuz wurden die Namenslisten der Gefangenen mit der Bitte um Paketsendungen für sie geschickt. Durch die Kassiber wurde der Kommunikationsaustausch mit der Außenwelt aufrechterhalten. Man benutzte sie auch zur Beschaffung von Medikamenten336: (…) Ihr könnt sicher sein, dass Eure Bemühungen nicht umsonst sind und viele Menschen Euch ihr Leben zu verdanken haben. In den Monaten Juni, Juli und August habe ich rund 7500 cm3 Injektionen ins Lagerkrankenhaus geholt (…), außerdem 70 Typhusimpfstoff-Serien337, sowie zur Vorbereitung und Or335 Ein Ausschnitt aus »Rezolucja wie˛z´niów politycznych« [»Resolution der politischen Häftlinge«], die in der Kampfgruppe Auschwitz (Grupa Bojowa Os´wie˛cim) vorbereitet und von Józef Cyrankiewicz im Zusammenhang mit der Bezeichnung der politischen Häftlinge der Konzentrationslager als kriminelle Elemente durch Roland Freisler, den Präsidenten des deutschen Volksgerichtshofs, verfasst wurde, mit dem beigefügten Kassiber von Józef Cyrankiewicz an Teresa Lasocka, in dem er fordert, die Hilfe für KZ-Häftlinge als Teil des Kampfes gegen den Nationalsozialismus zu behandeln (21. August 1944). Vgl. Grypsy z Konzentrationslager Auschwitz…, S. 394. 336 In dem Kassiber von Janusz Skrzetuski an seinen Bruder vom 4. September 1942 heißt es: Ich habe bereits ein paar tausend Injektionen ins Lager herbeigeschafft und zweifellos sind viele Menschen dadurch gerettet worden. Obwohl es gefährlich ist, muss man anderen im Unglück helfen. Vgl. J. Kret, Ostatni kra˛g [Der letzte Kreis], Kraków 1973, S. 136. 337 Eine Fotografie des Kassibers von Edward Biernacki aus dem Jahre 1942, in dem der Erhalt von illegal ins Lager geschmuggelten Medikamenten quittiert wird. Vgl. B. Jarosz, Organizacje obozowego i przyobozowego ruchu oporu i ich działalnos´c´ [Die Widerstandsbewegung im Lager und in der Umgebung], in: Auschwitz. Nazistowski obóz ´smierci [Auschwitz. Nationalsozialistisches Vernichtungslager], Sammelwerk, hrsg. von F. Piper, T. S´wiebocka, Os´wie˛cim-Brzezinka 2012, S. 224ff.
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ganisation der Flucht aus dem Lager. Nach außen wurden die beschafften Informationen über die Gefahren, die den Untergrundstrukturen vonseiten des Feindes drohten, sowie über misslungene Fluchten der Gefangenen übermittelt. Man berichtete über die Situation in der Gefangenschaft, die eintreffenden Transporte bzw. die Notwendigkeit, die Tatsachen über die Geschehnisse und Lebensbedingungen in den Lagern in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Die inoffizielle Korrespondenz enthielt nicht selten Hinweise auf die nervöse Stimmung unter den Gefangenen, kursierende Gerüchte, beruhigende Schritte der Lagerkommandanten sowie das bestehende Bedürfnis, die Welt ständig über das Schicksal der Häftlinge zu alarmieren. Mit Hilfe des dargestellten Kommunikationssystems wurde der Versuch unternommen, die Widerstandsbewegung im Land zu mobilisieren, damit diese sich dauerhaft für das Schicksal der Inhaftierten interessierte, Maßnahmen zur Abwendung drohender Gefahren ergriff und bei Bedarf sogar Vorbereitungen für einen bewaffneten Kampf der Polnischen Heimatarmee (AK) zusammen mit den Kräften innerhalb der Lager traf. Außerdem hegte man die Hoffnung, durch die öffentliche Bekanntmachung der im Lager begangenen Verbrechen Druck auf die Entscheidungsträger des Dritten Reichs auszuüben, den Deutschen mit Vergeltungsmaßnahmen durch die Alliierten zu drohen und möglicherweise Vorteile für die Gefangenengemeinschaft zu erzielen. Die Häftlinge warteten gespannt und mit großem Interesse auf die Korrespondenz und Untergrundpresse. Die Kassiber bieten Material von großer historischer Bedeutung, sie dokumentieren die in den KZs verübten NS-Verbrechen, enthalten eine Vielzahl an Informationen über die einzelnen Ereignisse, die nationale Zusammensetzung und Zahl der Häftlinge, Methoden der Menschenvernichtung durch Vergasung, tödliche Phenolspritzen, Erschießung, medizinische Experimente bzw. harte Arbeits- und Lebensbedingungen. Sie entlarven diejenigen, die sich dieser Verbrechen schuldig gemacht haben; enthüllen die Pläne und Absichten der Lagerleitung. Viel Aufmerksamkeit wurde in den Kassibern dem Schicksal von Juden gewidmet, die in die Konzentrationslager Auschwitz und Majdanek gebracht wurden. Einen wichtigen Platz in der Korrespondenz nimmt die Tragödie der Juden im Lager-Ghetto Theresienstadt338 ein. Es gibt viele Informationen über das Schicksal von ungarischen Juden sowie über die tragische Lage von Roma, Ukrainern und sowjetischen Kriegsgefangenen. Berichtet wird ebenfalls über das Schicksal mancher Polen, deren Erschießung, Tod durch Erschöpfung und Transporten zu anderen Konzentrationslagern. Schließlich gibt es mehrere 338 Dem Kassiber vom 21. November 1944 wurden zwei Verzeichnisse mit den Namen von jüdischen Frauen beigefügt, die im August und November 1943 vergast worden waren, sowie drei kurze Namenslisten der aus dem Lager-Ghetto Theresienstadt deportierten und vom 8. auf den 9. März 1944 vergasten Juden (Kassiber vom 25. März 1944, Vgl. Grypsy z Konzentrationslager…, S. 236).
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Informationen über den psychischen Zustand der Häftlinge, ihren Glauben an die Vorsehung Gottes sowie daran, dass ihnen das Schicksal gnädig sein wird und sie zu ihren Familien zurückkehren lässt. Die Religion spielte im Leben der Gefangenen eine wichtige Rolle, was die zu Beginn des Kapitels zitierte Inschrift einer Inhaftierten unter Beweis stellt. Gott das eigene Schicksal und das der Familie anzuvertrauen sowie der Glaube an die göttliche Vorsehung erleichterten es, die Zeit der Isolierung und Gefangenschaft durchzuhalten, waren aber auch die Quelle der Hoffnung auf ein gutes Ende. Daher kommen in den Kassibern Verweise auf Gott, die Muttergottes, Christus bzw. abstrakte Begriffe, die mit der religiösen Sphäre verbunden sind, wie der Wille Gottes und die göttliche Vorsehung, zahlreich und häufig vor (z. B. im Glauben an die göttliche Vorsehung warte ich auf mein weiteres Schicksal…, verabschiede mich im Namen Gottes, mit Gottes Hilfe, empfehle mich der Obhut Gottes, vertraut auf die göttliche Fürsorge und Barmherzigkeit, die Heilige Mutter wird unsere Gebete erhören, bleibt mit Gott und betet für mich339). Die Schlussformeln der Kassiber enthalten oft den verbalen Akt, sich selbst und seine Nächsten (den Absender und die Empfänger der Nachricht) der Obhut Gottes bzw. der Heiligen Mutter anzuvertrauen: Nun komme ich zum Schluss, ich empfehle uns alle dem Schutz Gottes; also nochmals, möge Gott Euch für alles segnen und die Heilige Jungfrau Maria Euch beschützen. Ihr habt meinen väterlichen Segen.340 Die erhaltene inoffizielle Korrespondenz der Häftlinge zeugt vom tiefen Glauben der Verfasser. In keinem der Dokumente findet sich eine Spur von Zweifel an Gottes Schutz für die Absender der Briefe und Kassiber. Trotz tragischer Lebensbedingungen und geringer Überlebenschancen betonten die Häftlinge immer wieder ihre Standhaftigkeit, ihren Stolz und ihr Polentum. Sie waren sich der Ausweglosigkeit ihrer Lage durchaus bewusst. In den meisten Fällen behielten sie jedoch ihre gute Laune bei. Viele Inhaftierte in den Lagern und Gefängnissen konnten ihre Umgebung mit Humor und Tapferkeit positiv beeinflussen. Sie imponierten durch ihren unerschütterlichen Glauben an die Befreiung und das Überleben sowie durch ihre Todesverachtung. Sie versicherten ihren Angehörigen, dass sie vernünftig und besonnen handelten und die Werte respektierten, zu denen sie sich bekannten. Macht Euch keine Sorgen um uns, wir haben mehr und mehr Chancen, entlassen zu werden. Wir benehmen uns gut, gehen kein unnötiges Risiko ein, aber manchmal müssen wir
339 Ein Ausschnitt aus dem Abschiedskassiber von Jan Cupiał an seine Frau Stefania Cupiał, der derzeit im Museum Auschwitz-Birkenau ausgestellt ist. Vgl. A. Cyra, Pozostał po nich ´slad…, S. 10. 340 Ein Ausschnitt aus dem ersten Kassiber von Jan Cupiał an seine Frau Stefania Cupiał nach dessen Verurteilung. Vgl. A. Cyra, Pozostał po nich ´slad…, S. 11.
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unseren Standpunkt klar darstellen.341 Die angeführte Feststellung legt den Gedanken nahe, der von Simone Weil zum Ausdruck gebracht wurde, und zwar man müsse handeln und gleichzeitig auf die Früchte des Handelns verzichten.342 Jeden Tag343 unternahmen die Gefangenen erneut Anstrengungen, den Briefwechsel mit der Außenwelt fortzusetzen. Sie bauten ein Netzwerk von allerlei Formen der inoffiziellen Korrespondenz nicht deswegen auf, weil es eine bewährte Routine war, sondern weil die Aufgabe, Nachrichten zu übermitteln, IHR Handeln war, und ohne dieses Engagement, Arbeit und Mut hätten sie höchstwahrscheinlich ihre eigene Identität nicht bewahren können. Die Kassiber erscheinen daher als Performativ, d. h. ein Sprechakt, der zugleich eine Handlung ist. Die Kassiber sowie die geheimen und linken Briefe sind Quellen, die untrennbar mit ihrer Entstehungszeit verbunden sind, d. h. mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs und, genauer gesagt, mit der Zeit der Inhaftierung ihrer Autoren im Lager bzw. Gefängnis. Sie entstanden als Zeitzeugnisse, in einem Zustand des Geschlossenseins darin, was dauert, und dessen Ende den Gefangenen unbekannt blieb. Ausgeschlossen dabei ist deswegen die Position des Schreibenden, der mit Sicherheit überlebt hat (wie es z. B. bei den Verfassern von Tagebüchern, Erinnerungen oder Berichten der Fall ist). Die inoffizielle Korrespondenz aus Konzentrationslagern und deutschen Gefängnissen bildet ein großes, ebenso dramatisches wie bewegendes Zeugnis – vielfältig, interessant, an den Rand der zeitgenössischen Leservorlieben und Forschungsinteressen gedrängt. Das Schlüsselproblem in der besprochenen Korrespondenz und in den Biografien derjenigen, die sie verfassten, ist das Schreiben selbst. Und das ist keine einfache Sache. In den inoffiziellen Briefen wird um eine präzise Sprache und Leben gerungen, das die Absender zu bewahren hoffen. In jedem einzelnen Text kann man die Zäsuren eines diskontinuierlichen, sehr variablen und spezifischen »Briefgesprächs« erkennen. Jeder einzelne Kassiber, geheime bzw. linke Brief hat seinen eigenen Charakter und Stil, seine eigene Thematik und Dynamik, seine eigenen Formen des Schweigens und eine sich ständig verändernde Asymmetrie zwischen Leben und »Briefwechsel«.
341 Ein Ausschnitt des geheimen Briefes von Krystyna Czyz˙-Wilgatowa vom Juni 1944. Vgl. Ponad ludzka˛…, S. 76. 342 S. Weil, S´wiadomos´c´ nadprzyrodzona [Übernatürliches Bewusstsein], übersetzt von A. Ole˛dzka-Frybesowa, Warszawa 1965, S. 331. 343 An dieser Stelle sei an das Buch von Mikołaj Grynberg erinnert, der die Besucher des Museums Auschwitz-Birkenau fotografierte und sie nach dem Grund ihrer Anwesenheit fragte. Es scheint, dass die Museumsbesucher nach mehreren Jahrzehnten jeden Tag aufs Neue versuchen, die Geschichte des Ortes zu verstehen. Vgl. M. Grynberg, Auschwitz. Co ja tu robie˛? [Auschwitz. Was mache ich hier?], Os´wie˛cim 2009.
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Die inoffizielle Korrespondenz als spezifischer Ort der Begegnung344 kann es dem zeitgenössischen Leser erleichtern, die Kriegs- und Okkupationszeit zu verstehen, ohne ihn dazu zu verdammen, dieselben Gesten und Denkmuster zu wiederholen. Die Lektüre der angeführten Briefe hilft dabei, das Verständnis für die Geschichte aufzubringen, weil sie die Erfahrung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg erfordert, die vor allem auf authentischen Gefühlen beruht. Die Forderung nach Platz für Affekte bei der Wissensvermittlung über die »Zeit der Verachtung« ergibt sich aus einer Überfülle an Fakten und Daten, denn Informationen sind absolut notwendig, aber ihre Überdosis lähmt das Handeln, verursacht Stagnation und Apathie, wirkt sich negativ auf das Gedächtnis aus.345 Es bleibt zu hoffen, dass die inoffizielle Korrespondenz vor allem aufgrund der paradoxen Ontologie des Briefes ein wachsendes Interesse der Leser erfahren wird.
344 Der Ort der Begegnung wird hier auf das von Emmanuel Lévinas’ Konzept abgeleitete Modell der Erziehung gestützt: Die Begegnung hängt nicht mit der Frage »Wer bin ich?« oder »Wer bist du?« zusammen; die Begegnung findet statt, wenn wir mit der Frage »Wo bist du?« konfrontiert werden, wenn wir mit der Antwort »Ich bin hier« in eine Beziehung mit dem Anderen treten. Vgl. T. Szkudlarek, Postkolonializm jako dyskurs toz˙samos´ci: w strone˛ implikacji dla polskich dyskusji edukacyjnych [Postkolonialismus als Identitätsdiskurs: Zu den Implikationen für die polnischen Bildungsdiskussionen], [in:] Spory o edukacje˛. Dylematy i kontrowersje we współczesnych pedagogiach [Diskussionen über die Bildung. Dilemmata und Kontroversen in den modernen Pädagogien], hrsg. von Z. Kwiecin´ski, L. Witkowski, Warszawa 1993, S. 310. 345 Afekt, trauma i rozumienie: sztuka ponad granicami wyobraz´ni [Affekt, Trauma und Verständnis: die Kunst über die Grenzen der Vorstellungskraft hinaus], Ernst van Alphen im Gespräch mit Roma Sendyka und Katarzyna Bojarska, »Teksty Drugie« 2012, Nr. 4, S. 217.
Zusammenfassung
Aus heutiger Sicht und wahrscheinlich auch aus der Perspektive der Okkupations- und Nachkriegszeit kann es scheinen, dass die evangelische Geste von Zofia Kossak, die in ihrem publizistischen Schaffen, in ihrer inoffiziellen Korrespondenz aus dem Lager bzw. Gefängnis, sowie in ihrer Haltung während der Besatzung zum Ausdruck kommt, zumindest Erstaunen hervorrufen muss. Für einige mag es eine naive, einfältige, törichte und überraschende Geste gewesen sein (und sie mag sie immer noch sein). Die evangelische oder, richtiger gesagt, Adams Geste (in Bezug darauf, der Welt die Werte zu verleihen und sie wiederherzustellen) nimmt jedoch eine ganz andere Dimension an. Sie wird zu einer Geste der Erlösung, Verkörperung von Ideen, Hoffnung und Zukunftsglauben, die heutzutage so sehr erwünscht ist. Die Wahrheit von Zofia Kossak kann überzeugen, kann heilen346, kann Leben retten. Die in der Besatzungszeit veröffentlichten Artikel, Aufrufe und Appelle von Zofia Kossak, sowie die im Buch präsentierten Kassiber und Anmerkungen ihrer Enkelin, Anna Fenby Taylor, und die schriftlich verfassten Erinnerungen ihrer Tochter, die das wahre Gesicht der Schriftstellerin und oft auch ihre Beziehungen zu den engsten Angehörigen enthüllen, bestätigen, dass die Autorin von Z otchłani ihren Überzeugungen und Idealen immer treu geblieben ist. Der literarische Nachlass von Zofia Kossak bietet ein breites Spektrum an Kontexten, in denen das Werk der Schriftstellerin aus heutiger Perspektive ausgelegt werden kann, dazu gehören: historische, religiöse, ökologische, zoopsychologische, kulturelle bzw. historisch-literarische Kontexte. Die Identität von Zofia Kossak, die sich unter anderem in ihrer Lebenseinstellung und ihrem reichen, ideologischen und künstlerischen Erbe manifestiert, das sie in Form ihres persönlichen Dekalogs und eines gemeinnützigen Wertesystems an die 346 Hier eine Anspielung auf die von Dariusz Kulesza formulierte These, dass Zofia Kossak ein ihres Erachtens zuverlässiges Heilmittel gegen Auschwitz hatte, und zwar ihren Glauben. D. Kulesza, Dwie prawdy…, S. 89.
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Zusammenfassung
folgenden Generationen weitergab, lässt ihre Fremdheit in den Augen der damaligen, aber auch zeitgenössischen Menschen nachvollziehen. Nicht jeder zeigt Verständnis für Kossaks Auffassung vom Humanismus und Christentum, die jeglicher Doktrin bzw. Einschränkung entbehrt. Die Schriftstellerin nimmt die Welt aus der Perspektive einer Gläubigen wahr. Ihre Weltanschauung bestimmt die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Die Authentizität ihrer Erzählungen, die Wahrheit über den Krieg und das Lager, ist die Wahrheit eines gläubigen Menschen. Es mag naiv, lächerlich und archaisch erscheinen – was Zofia Kossak tut und nicht verbirgt – nach dem Eingreifen göttlicher Kräfte in die Existenz eines einzelnen Menschen und in die Geschichte der Welt zu suchen. Selbst wenn wir die von der Autorin vertretenen Werte nicht verstehen oder uns damit nicht identifizieren, schulden wir ihr und ihrer Weltanschauung Respekt. Aus der Wertschätzung und Achtung vor der in Bezug auf die Identität kohärenten Botschaft, die im literarischen Nachlass und Erbe von Zofia Kossak enthalten ist, ergaben sich die in der vorliegenden Arbeit präsentierten Überlegungen zu verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung von Fremdheit im Leben jedes Menschen. Wir sollten, um die Worte von Hannah Arendt anzuführen, Freude darüber empfinden, dass wir nicht allein in der Welt sind347, und das »Meine«, das »Unsere« darf keine privilegierte Stelle für sich beanspruchen. Zofia Kossak forderte dazu auf, die spezifische Stumpfheit loszuwerden, die sich darin manifestierte, dass man unfähig sei, die Welt anders als ausschließlich vor dem Hintergrund des eigenen Handelns zu betrachten. So führe man ein bequemes Leben nur in einer maßgeschneiderten Welt und nach dem Maß eigener – manchmal aggressiv befriedigter – Bedürfnisse, denn alles, was einen übersteige oder durch das Anderssein entsetze, werde sofort überhört, aus dem Blickfeld entfernt, als fremd also böse, bedrohlich, gefährlich abgelehnt. Allerdings, wie Zofia Kossak zu Recht behauptete, wird die Identität nicht dadurch konstituiert, was man über sich selbst weiß, sondern dadurch, was an einem, sich selbst unbekannt und fremd ist. Die Schriftstellerin war sich dessen bewusst, dass der Sieg des Nihilismus und Verfall der moralischen Ordnung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, abgesehen von der gesamten Komplexität des nationalsozialistischen Systems, in erster Linie auf den Ausschluss Gottes zurückzuführen war. Laut Stefan Jon´czyk war Zofia Kossak der Ansicht, dass die moralische Krise und furchtbare Anhäufung des Bösen in der Welt vor allem durch die Verdrängung Gottes aus Philosophie, Ethik, Literatur, Kunst, Schule und Politik ausgelöst wurde, der ein ideenloser, praktischer Materialismus und noch mehr atheistische Totalitarismen (Bolsche-
347 H. Arendt, Polityka jako obietnica…, S. 98.
Zusammenfassung
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wismus – Nationalsozialismus) zu Grunde lagen, welche die Ideologie, die Partei, das Volk, den Führer an die Stelle Gottes setzten.348 Es scheint nachvollziehbar und gerechtfertigt, sich an den deutschsprachigen Leser mit Inhalten zu wenden, die zu Regressionen der Vergangenheit werden und eine Art Asylfunktion erfüllen, um es allgemein zu fassen – ein »Gegengift« gegen die Vergangenheit und die dadurch geprägten Gemeinschaftsbeziehungen bieten. Die Vergangenheit wird oft zu einem Raum für Streitigkeiten. Die Werke von Zofia Kossak aus der Okkupationszeit bringen die Tatsachen im Einzelnen ans Tageslicht, sie unterliegen keinen Manipulationen oder Transformationen. Die Autorin von Przymierze nutzt die historischen Ereignisse nicht nur als Handlungshintergrund, sondern auch als Raum für die Abrechnung damit, was traumatisch, schwierig und unvergesslich ist. Indem die Schriftstellerin dem in ihren Aufrufen, Artikeln, Kassibern und Proklamationen geschilderten Geschichtsabschnitt ein bestimmtes Werte- und Ordnungssystem auferlegt, verleiht sie jedem Text einen subjektiven Charakter. Jede Geschichte verbindet in sich private, intime und kollektive Narrationen, die sich gegenseitig durchdringen. Natürlicherweise kann der Leser sie sich zu eigen machen oder ablehnen, weil sie die Gegenwart in die Abhängigkeit von der Vergangenheit zwingen. Keiner der Rezipienten kann jedoch Zofia Kossak historische Unkenntnis vorwerfen, sowohl in Bezug auf die Kreuzzüge als auch auf die neuesten Ereignisse aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs, die sie miterlebt hat. Das umfassende und tiefe Interesse der Autorin von Bursztyny [Die Bernsteine] an der polnischen und europäischen Geschichte bzw. Philosophie lag ihrer Reflexion über die Theodizee-Fragen, die christlichen Werte, welche sich aus dem Christentum und der Präsenz des Schöpfers im menschlichen Leben ergeben. Der Schlüssel zum Verständnis der Haltung und des Schaffens von Zofia Kossak ist die Annahme, dass ein treuer Dienst der Idee des christlichen Universalismus für die Schriftstellerin der einzige Sinn ihrer Existenz war. Viele Forscher halten Zofia Kossak für die Autorin von nur wenigen Büchern, weil ihr Werk im Allgemeinen eher unbekannt bleibt, sowie für eine Schriftstellerin, die einigen, von der modernen Philosophie weit entfernten Themen »zugeordnet« ist, wie Religiosität, Arbeit, Patriotismus, moralische Werte und Ethik. In der vorliegenden Arbeit wurde ein Versuch unternommen, die falsche Vorstellung zu dekonstruieren und eine andere Lesart von Kossak anzudeuten. Es wurde eine Analyse vorgeschlagen, die sich auf zwei Begriffe stützt: Fremdheit und Identität, sowie auf die sich daraus ergebende These, dass die beiden ihre 348 S. Jon´czyk, Zofia Kossak, konspiracyjna »Weronika« [Zofia Kossak, die konspirative »Weronika«, [in:] Z. Kossak, W Polsce Podziemnej. Wybrane pisma dotycza˛ce lat 1939–1944 [Im Polnischen Untergrundstaat. Ausgewählte Schriften aus den Jahren 1939–1944], mit einleitendem Wort von W. Bartoszewski, Auswahl und Bearb. S. Jon´czyk, M. Pałaszewska, Warszawa 1999, S. 19.
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eigene Quelle und Gewissheit bilden, etwas absolut Getrenntes füreinander sind und eine gemeinsame, jenseits deren Unterschiede liegende Natur haben. Deshalb fügt sich die christliche und patriotische Haltung von Zofia Kossak zu einem musterhaften, kohärenten Buch der Lebenskunst zusammen, in dem alles – auch fremde, andersartige, scheinbar nicht dazugehörige Elemente, die man mit der Existenz der Schriftstellerin nicht identifiziert – an seinem Platz ist: Wertekodex, Weltanschauung, reiche Erfahrungen, Glaube und Widrigkeiten des Schicksals. Die Arbeit gründet auf wissenschaftlich glaubwürdigen Informationsquellen über die Autorin von Z otchłani, da dies bei dieser Art von Studien wesentlich ist. Egodokumente349, Archiv- und Quellenmaterialien sowie die in der Untergrundpresse veröffentlichten Texte350 ermöglichen es, den kulturellen Wert des Erbes der Schriftstellerin wahrzunehmen und darzustellen, und öffnen dem Leser die Augen für viele Aspekte der Auswirkung von Zofia Kossaks Werken aus der Okkupationszeit auf den Rezipienten und im weiteren Sinne – auf die Gesellschaft. Das Leben und der literarische Nachlass der Autorin von Przymierze enthält eine denkwürdige Wahrheit über die Sehnsüchte der Menschheit und Gemeinschaft, über das Anständigsein und die Dienstbereitschaft zu jeder Zeit, und schließlich über Zofia Kossak – eine Patriotin, Katholikin, Geschichtsinteressierte, Lagerinsassin; vor allem – eine echte Humanistin. Einfach über den Menschen.
349 Mehr über Zofia Kossak: Z. Kossak, Wspomnienia z Kornwalii 1947–1957 [Erinnerungen aus Cornwall 1947–1957], Kraków 2013. Die Aufzeichnungen von Zofia Kossak sind ein wertvolles Zeugnis für das Leben von einem Teil der polnischen Nachkriegsemigration. Sie erzählen eine Geschichte von Menschen, die in einer fremden Umgebung existieren mussten. Das Buch spricht die Mentalität der Briten und die polnisch-britischen Beziehungen an. Die Erinnerungen sind mit den Fotografien aus dem Archiv der Autorin illustriert. 350 An dieser Stelle sei an einen Brief zu erinnern, den die Schriftstellerin kurz vor ihrem Tod an den Präsidenten Władysław Raczkiewicz richtete. Sie äußerte darin ihren Wunsch, des Leidens der Anderen zu gedenken. Eine Kopie befindet sich in der Sammlung von Studium Polski Podziemnej [Archiv der polnischen Untergrundbewegung] in London. Z. Kossak, Brief an den Präsidenten Władysław Raczkiewicz, »Arcana« 2021, Nr. 159, S. 124–131.
Bibliografie
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Quellenmaterialien (Auswahl) Abteilung für Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erinnerungen, Bd. 19, S. 88, 156. APMA-B, Erklärungen, Bd. 48, K. 89–90. Bericht von Stanisław Kłodzin´ski vom 4. Juni 1965. APMA-B, Erklärungen, Bd. 119, K. 14. Bericht von Stanisław Kłodzin´ski. Bericht von Wanda Lewandowska, Lagerinsassin von Auschwitz-Birkenau. Abteilung für Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erklärungen, Bd. 94, S. 166 u. 173. Delegatura Rza˛du na Kraj. Depozyt Władysława Bartoszewskiego: dokumenty, korespondencja i ulotki znalezione u Bartoszewskiego [Die Regierungsdelegation für Polen. Der Nachlass von Władysław Bartoszewski: Dokumente, Korrespondenz und Flugblätter, die bei Bartoszewski gefunden wurden] befindet sich im Archivbestand des Instituts für Nationales Gedenken [Instytut Pamie˛ci Narodowej] in Warschau, Aktenzeichen: IPN BU 1571/424, Grenzdaten der Archiveinheit: [1943] 1945–1946. Den Bericht von Henryk Bartosiewicz über den SS-Mann, Włodzimierz Bilan. Abteilung für Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erklärungen, Bd. 84, S. 117, 130–131. Muzeum Niepodległos´ci [Museum der Unabhängigkeit] in Warschau: Liste des deutschfeindlichen, schädlichen und unerwünschten polnischen Schrifttums, Nr. 1, 30. 04. 1940; Nr. 2, 31. 10. 1940; Nr. 3, ohne Datum der Bekanntgabe; Nr. 4, 31. 12. 1943.
Quellenmaterialien (Auswahl)
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Beriche von Eugenia Kurzelowa, Stanisława Rachwałowa bzw. Jadwiga Budzyn´ska: Archivdokumentation, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Os´wie˛cim, Erklärungen, Bd. 36, S. 102, 107; Bd. 69, S. 104, 107–108; Bd. 66, S. 157, 160–161.