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German Pages [177] Year 2016
Elke Steckkönig
Ich – Jetzt – Hier Ein Beitrag zur Theorie des Selbsterlebens
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ALBER THESEN
https://doi.org/10.5771/9783495808313
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Elke Steckkönig Ich – Jetzt – Hier
ALBER THESEN
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Alles Bewusstsein ist auch Selbstbewusstsein – so lautet die Grundthese, die Elke Steckkönig in diesem Buch vertritt. Doch was ist das für ein Bewusstsein, wenn das Subjekt sich seiner selbst gewahr wird? Weder Identifikation noch (Selbst-)Reflexion sind geeignete Konzepte, um die gesuchte Form von Selbstbewusstsein als Seinerselbst-inne-Sein zu analysieren. Die Autorin gelangt zu einer Positivbestimmung des Selbstbewusstseins im subjektiv wertenden Selbsterleben, indem sie sich auf frühromantische Überlegungen zum »Selbstgefühl« sowie auf aktuellere sprachanalytische Überlegungen beruft und den phänomenalen Aspekt des Bewusstseins vor allem mit Bezug auf Husserl untersucht. Mit Rekurs auf die stoische Oikeiosislehre wird die Analyse um den evaluativen Aspekt der Selbstwahrnehmung erweitert. Die Leitbegriffe dieser Untersuchung des menschlichen Selbstbewusstseins sind demnach »Seiner-selbst-inne-Sein«, »Selbsterleben« und zuletzt »Selbstvertrautheit«.
Die Autorin: Elke Steckkönig ist Literaturwissenschaftlerin und Philosophin mit den Themenschwerpunkten Bewusstseins-, Subjektivitäts- und Emotionstheorie. Sie lebt in Santiago de Chile und unterrichtet dort seit 2010 Philosophie an der Universidad Adolfo Ibáñez. Sie ist Mitglied im Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen und forscht zur Zeit auch zum Thema Tierbewusstsein im Rahmen des FONDECYT-Projekts »Ética del Medioambiente«. 2012 erlangte sie mit der vorliegenden Arbeit die Doktorwürde
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Elke Steckkönig
Ich – Jetzt – Hier Ein Beitrag zur Theorie des Selbsterlebens
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Alber-Reihe Thesen Band 62
Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg/München 2015 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48725-9 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-80831-3
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Für meine Eltern
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Dieser Text ist die überarbeitete Fassung der Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie in der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen
Gedruckt mit Genehmigung der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen Dekan: Prof. Dr. Jürgen Leonhardt Hauptberichterstatter: Mitberichterstatter: Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Otfried Höffe und Prof. Dr. Anton Friedrich Koch. Tag der mündlichen Prüfung: 15. November 2012 Verlag und Ort: Verlag Karl Alber, Freiburg i. Br.
Ganz herzlich möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Höffe und Herrn Prof. Dr. Anton Koch für ihre motivierende, klare und effiziente Form der Betreuung bedanken. Teile dieser Arbeit sind entstanden im Rahmen des durch die DFG geförderten Graduiertenkollegs »Bioethik« (Förderzeitraum 2004– 2006) des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen. Auch für diese Unterstützung danke ich herzlich. Für ihre Motivation und tatkräftige Hilfe danke ich meiner Schwester Ulrike und meinem Mann Daniel.
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.
Selbstgefühl oder das Scheitern von Reflexionsmodell und Produktionsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 Fichtes Produktionsmodell des Selbstbewusstseins 1.2 Das Dilemma des Reflexionsmodells . . . . . . . 1.3 Die Präreflexivität des Selbstbewusstseins . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.
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Bewusstsein und Selbstbewusstsein . . . . . . . . . . .
2.1 Bewusstsein und seine unterschiedlichen Formen
3.
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen . . . . . .
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35 35
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44 49
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Ein Zwischenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 85
3.1 Ich-Bewusstsein: explizites Selbstbewusstsein . . . . 3.2 Akt- und Zustandsbewusstsein: Bewusstsein in propositionalen Einstellungen . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der nichtbegriffliche Aspekt propositionaler Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Propositionale Einstellungen, ihr intentionaler und ihr phänomenaler Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Eine Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Akt- und Zustandsbewusstsein: phänomenales Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
4.
Qualia: Qualitäten unserer Bewusstseinszustände?
Zusammenfassung . . . . . . . . 4.1 Qualia: Definitionsprobleme 4.2 Qualia: Ein neuer Ansatz . . Zusammenfassung . . . . . . . .
5.
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Das Wechselverhältnis: Subjekt, Ding und Erscheinung
5.1 Das Wechselverhältnis: Leib, Ding und Erscheinung . . . 5.2 Das Wechselverhältnis: Der Leib als Subjekt und der Leib als Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Das Wechselverhältnis: Der fungierende Leib und die Breite der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.
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Auf der Flucht ertappt: Selbstbewusstsein als Selbstvertrautheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
6.1 Lust und Unlust . . . . . . . . . . . . 6.2 Selbstbewusstsein als Selbstvertrautheit 6.2.1 Der erste Trieb . . . . . . . . . . 6.2.2 Die erste Wahrnehmung . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . .
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Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
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Elke Steckkönig https://doi.org/10.5771/9783495808313 .
Einleitung
Wir Menschen haben als selbstbewusste Subjekte – meistens implizit – eine besondere Art von Bewusstsein davon, dass wir es sind, die gerade denken, fühlen oder handeln, die gerade in einem mehr oder minder bestimmten Bewusstseinszustand sind, z. B. dass wir es sind, die eine Additionsaufgabe lösen, verliebt sind oder uns an den Wanderurlaub erinnern. Alle Formen menschlichen Bewusstseins, so lautet daher die Grundthese der vorliegenden Arbeit, sind in mehr oder weniger expliziter Form auch Selbstbewusstsein. Dass wir in jedwedem unserer bewussten Zustände ein Bewusstsein von uns selbst haben können, ist nicht nur durch unser Erleben beglaubigt. Es lässt sich als epistemische These untermauern. Ich nenne sie die Dass-Seins-These und bearbeite sie in den Kapiteln 1 bis 3. Ich werde dort im Rahmen einer detaillierten Analyse der unterschiedlichen Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, zeigen, dass ihnen je auch Selbstbewusstsein einwohnt. Diese besondere Form des Selbstbewusstseins wird sich durch folgende (Negativ-) Bestimmungen charakterisieren lassen: sie kommt nicht in einem Identifikationsprozess zustande (und ist daher auch immun gegen Irrtum durch Fehlidentifikation), sie ist präreflexiv und nicht-begrifflich und in diesem Sinne eine unmittelbare Selbstzuschreibung. Auf welche Art und Weise uns diese Form von Selbstbewusstsein bewusst sein kann, und wessen wir bewusst sind, wenn wir unserer-selbst-inne-sind, dem gehe ich in den Kapiteln 4 bis 6 nach. Hier gilt es von den Negativbestimmungen der gesuchten Form von Selbstbewusstsein als Seiner-selbst-inne-Sein zur Positivbestimmung des Selbstbewusstseins im Selbsterleben zu schreiten. Das gelingt im Rahmen einer Untersuchung des phänomenalen Aspekts unseres Bewusstseins. Die zu untermauernde These nenne ich die Was-Seins-These. Da dieses Selbsterleben nicht wertfrei ist, sondern zugleich eine Ich – Jetzt – Hier
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Einleitung
Selbstbeurteilung als Gutes und Erhaltenswertes beinhaltet, ist es in einem letzten Schritt noch genauer, nämlich als Selbstvertrautheit zu charakterisieren. Die Leitbegriffe dieser Untersuchung des menschlichen Selbstbewusstseins sind demnach »Seiner-selbst-inne-Sein«, »Selbsterleben« und zuletzt »Selbstvertrautheit«. Seit geraumer Zeit ist die Diskussion um »Subjektivität« kaum mehr die Diskussion über einen Träger unseres Bewusstseins, also die Diskussion über ein Wesen x, das es in seinen vielfältigen Eigenschaften zu bestimmen gilt und dem dabei unter anderem die Eigenschaft, Bewusstsein zu haben, zugeschrieben wird. Sondern sie ist eigentlich die Diskussion um Bewusstsein, dem unter anderem die Eigenschaft, subjektiv zu sein, zugeschrieben wird. 1 Dementsprechend verstehe ich im vorliegenden Text unter Subjektivität ganz allgemein, dass Bewusstseinszustände einen subjektiven Aspekt und somit subjektiven Charakter haben. Und meine Überlegungen konzentrieren sich auf das Erfassen der Eigenschaft des Bewusstseins, subjektiv zu sein. Im ersten Kapitel konzentriere ich mich auf den subjektivitätstheoretischen Ansatz von Novalis. Er erlaubt es nicht nur, eine bis heute aktuelle Kritik am Reflexionsmodell des Selbstbewusstseins zu formulieren. Sondern Novalis vertritt darin auch die These, dass Selbstbewusstsein in seiner grundlegendsten Form nur im Modus des Fühlens zugänglich sei. Novalis spricht dabei vom »Selbstgefühl« 2. Diesem Ansatz folge ich wenn ich in den Kapiteln 4 bis 6 mit Rekurs auf phänomenologische Überlegungen eine Charakterisierung der gesuchten Form von Selbstbewusstsein als Selbsterleben vornehme. Der Rekurs auf frühromantische Überlegungen, vor allem auf Novalis’ Konzept des Selbstgefühls, das wir »glauben müssen,
So vertritt z. B. Thomas Nagel (1974) in seinem frühen Aufsatz »Physicalism« überzeugend die Position, dass es nicht ausreicht, Subjektivität als Trägerschaft zu definieren, sie müsse vielmehr als eine besondere Art des Verhältnisses zwischen den mentalen Zuständen eines Menschen und diesem Menschen zu beschreiben sein. Demnach wäre ein Selbst als Träger des Erlebens subjektiver und zugleich phänomenaler Qualitäten vorzustellen, das damit auch das Referenzobjekt des Ausdrucks »ich« in einer Ich-Äußerung ist. (Vgl.: Nagel, Thomas: Physicalism. In: Philosophical Review 74 (1965), S. 339–356) 2 Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben in 3 Bänden von Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel, Darmstadt 1999. Im Folgenden zitiert als: Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 1, S. 18. 1
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Einleitung
weil wir es nicht wissen können« 3, bildet so nicht nur einen Ausgangspunkt meines Arbeitens, sondern dient in den Kapiteln 4 bis 6 auch als gedanklicher »roter Faden«. Im Rahmen der Einzelanalysen in den Kapiteln 2 sowie 3.1 und 3.2, die sich auf Positionen aus der analytischen Selbstbewusstseinsdiskussion konzentrieren, werde ich zeigen, dass jede der untersuchten Formen von Bewusstsein auf Subjektivität verwiesen ist, wobei vor allem Überlegungen zur Irreduzibilität herangezogen werden. Denn die Überzeugung, dass Subjektivität im Bewusstsein eine Sonderstellung einnehme, speist sich vor allem aus der Entdeckung seiner epistemischen Irreduzibilität, die (zumindest) als ein Hinweis auf seine ontologische Irreduzibilität verstanden werden kann. Von epistemischer oder erkenntnistheoretischer Irreduzibilität spricht man, wenn es unmöglich ist, ein Phänomen auf eine andere Klasse von Phänomenen zu reduzieren, ohne dabei Verluste im Wahrheitsgehalt der entsprechenden Aussagen über das Phänomen in Kauf zu nehmen. Von ontologischer Irreduzibilität von Bewusstsein spricht man dagegen zumeist in Abgrenzung zur Möglichkeit einer kausalen Reduktion. Ein Phänomen des Typs B (Bewusstsein) ist z. B. genau dann kausal auf ein Phänomen des Typs N (neuronale Prozesse) reduzierbar, wenn man das Verhalten von B vollständig kausal durch das Verhalten von N erklären kann und B keine kausalen Kräfte hat, die anders sind als die Kausalkräfte von N. Das Phänomen Bewusstsein wäre genau dann ontologisch auf neuronale Prozesse reduzierbar, wenn Bs (Bewusstseine) Ns (neuronale Prozesse) wären. Häufig wird eine ontologische Reduktion auf der Basis einer kausalen Reduktion versucht. 4 Nun könnte Bewusstsein durchaus kausal vollständig auf neuronales Verhalten reduzierbar sein (was man allerdings bislang nicht zeigen konnte), aber eine kausale Reduktion von Bewusstsein zeigt nicht, dass es nicht mehr als neuronales Verhalten ist. Das heißt, man darf davon ausgehen, dass Bewusstsein Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 1, S. 9. Man stellt z. B. die Molekularstruktur von Wasser H2O fest und sieht von den Eigenschaften des Wassers, wie Durst zu löschen oder flüssig zu sein ab. Man definiert den Begriff von Wasser anhand der zugrunde liegenden Ursache, der Molekularstruktur und dem Molekularverhalten von H2O neu. Fortan werden Eigenschaften des Wassers auch aufgrund von Molekularstruktur und Molekularverhalten erklärt. Ich möchte hier nicht diskutieren, ob eine solche Erklärung ausreicht, so dass man tatsächlich davon sprechen kann, dass Wasser ontologisch reduzierbar sei auf H2O.
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Einleitung
nicht ontologisch reduzierbar ist: Ich gehe davon aus, dass es in der wirklichen, physischen Welt Entitäten gibt mit einer Dritten-PersonOntologie (z. B. Berge) und Entitäten mit einer Erste-Person-Ontologie 5 (z. B. Farberlebnisse). Manche dieser Entitäten mit Erste-Person-Ontologie kann man in Dritte-Person-Begriffen (objektivierbar, intersubjektiv vermittelbar) definieren. Man kann zu ihrer Definition z. B. über Farben, das heißt über die Reflexion von Licht an Objekten, statt über bewusste Farberlebnisse sprechen. Will man aber über das bewusste Farberlebnis von X sprechen, das Hörerlebnis von Bruckners Neunter Sinfonie, oder darüber, wie es sich für X anfühlt, an einem heißen Sommertag nach einer Stunde Lauftraining einen Schluck kühlen Wassers zu trinken, so reicht die Definition in Dritte-Person-Begriffen, das heißt, das Herausarbeiten der objektivierbaren Aspekte dieser Erlebnis- oder Empfindungsqualität nicht aus. Kurz: Es handelt sich bei allen Bewusstseinszuständen um subjektive Zustände, um Entitäten mit irreduzibler Erste-Person-Ontologie. Diese Rede von der irreduziblen Erste-Person-Ontologie, der ontologischen Subjektivität von Bewusstseinszuständen, das sei betont, impliziert nicht, dass keine objektive Untersuchung von Bewusstseinszuständen möglich ist. Denn »objektiv« und »subjektiv« haben sowohl einen erkenntnistheoretischen Sinn als auch einen ontologischen: Man kann Aussagen danach unterscheiden, ob ihre Wahrheit oder Falschheit unabhängig ist von den Einstellungen und Empfindungen des Aussagenden oder des Zuhörers oder nicht. Diejenigen, die unabhängig davon sind, nennt man im erkenntnistheoretischen Sinne objektiv (z. B. »Diese Brücke ist 100 Meter hoch.«), diejenigen, die abhängig davon sind, dagegen im erkenntnistheoretischen Sinn subjektiv (z. B. »Diese Brücke ist schrecklich hoch.«). Man kann aber auch zwischen zweierlei Seinszuständen unterscheiden: ontologisch subjektiven und ontologisch objektiven. Der Seinszustand von Bewusstseinszuständen ist ontologisch subjektiv, insofern sie nur existieren, wenn sie von einem menschlichen oder tierischen Subjekt erlebt werden. In dieser Hinsicht, so beschreibt es treffend Searle, »unterscheiden sie sich praktisch vom gesamten Rest des Universums, also etwa von Bergen, Molekülen und tektonischen
Diese Verwendung des Begriffs Erste-Person-Ontologie übernehme ich hier von Searle, John R.: Geist. Eine Einführung. Frankfurt/M. 2006, S. 145.
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Einleitung
Platten, die einen objektiven Seinszustand haben.« 6 Die ontologische Subjektivität von Bewusstseinszuständen schließt demnach die Möglichkeit erkenntnistheoretischer Objektivität in der hier vorgenommenen Erforschung von Bewusstseinszuständen nicht aus. Mit Rekurs auf die analytische Selbstbewusstseinsdiskussion kann also sowohl für unser explizites Selbstbewusstsein, auch Ich-Bewusstsein genannt, als auch für unser Akt- und Zustandsbewusstsein wie es in propositionalen Einstellungen vorliegt, ein epistemisch irreduzibles Moment ausgewiesen werden und es wird sich zeigen, dass dieses irreduzible Moment von deren Subjektivität herrührt. Nach den Überlegungen zur Irreduzibilität beantworten dann die Kapitel 3.3 und 3.4 die Frage, ob und, wenn ja, wie man unserem Bewusstsein, das sich in Form von propositionalen Einstellungen ausdrückt, überhaupt nichtpropositionale, nichtbegriffliche Aspekte, kurz: die bislang erarbeiteten Negativbestimmungen, zuschreiben kann. Mit Rekurs auf Searles’ Theorie der Intentionalität und dem theoretisch fundierenden Rekurs auf Husserls Phänomenologie der Bedeutung lässt sich zeigen, dass diese Zuschreibung möglich ist, insofern die Intentionalität propositionaler, sprachlich verfasster Einstellungen von der ihr vorgängigen Intentionalität von Empfindungen, Wahrnehmungen und Handlungen abgeleitet ist. Damit wird es möglich, herauszuarbeiten, dass Bewusstsein in den untersuchten Formen subjektiv ist, (wobei seine Subjektivität wesentlich durch seine Erlebnisqualität zu charakterisieren sein muss). Sowohl das explizite Selbstbewusstsein als auch unser Akt- und Zustandsbewusstsein, wie es in propositionalen Einstellungen zum Ausdruck kommt, enthält demnach einen Aspekt – nämlich subjektiv zu sein –, der, als Teil des Bewusstseins, auch bewusst ist und daher Selbstbewusstsein genannt werden kann. Die transzendentalphilosophischen Überlegungen sowie die semantische Analyse, die mit Rekurs auf Kochs Theorie der Voraussetzungen a priori in Kapitel 3.5 angestellt werden, sollen dann zeigen, dass jeder empirischen, nachgeordneten Selbstidentifikation (als Weise, sich seiner bewusst zu machen) eine Art Selbstidentifikation a priori zugrundeliegen muss. Denn die gesuchte Form von Selbstbewusstsein soll auch als Selbstbewusstsein einer Person im Sinne eines raum-zeitlichen Objekts, eines »Ich-Jetzt-Hier« verstanden werden können. Es wird dafür argumentiert, dass in der bewussten 6
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Einleitung
Bezugnahme auf Dinge, also im Akt- und Zustandsbewusstsein, sowie in der expliziten Bezugnahme auf sich selbst als x Aspekte »der Gegebenheitsweise des eigenen Körpers in Raum und Zeit a priori erkennbar« 7 sind. Da wir uns epistemisch versichern können, dass dieser irreduzible, subjektive Aspekt im Bewusstsein vorhanden sein muss (und dass dieser von der ontologischen Subjektivität herrührt), können wir uns auch epistemisch versichern, dass jedes Bewusstsein auch Selbstbewusstsein sein muss. Anschließend erfolgt die Untersuchung des Akt- und Zustandsbewusstseins in typischen phänomenalen Bewusstseinszuständen. Dazu wird in den Kapiteln 4 bis 4.2 die aktuelle, analytisch geprägte »Qualiadebatte« um den qualitativen Aspekt, die Phänomenalität unseres Bewusstseins beleuchtet. Es wird sich zeigen, dass man sich im Rahmen dieser Debatte auf die Bestimmung der qualitativen Eigenschaft unseres nichtbegrifflichen Wahrnehmungs- oder Empfindungsbewusstseins konzentriert, dass es aufgrund eines Definitionsfehlers jedoch lediglich gelingt, dasjenige am Phänomen zu erfassen, das zum Objekt gehört (die Objektseite des Phänomens). Dasjenige, das zum Subjekt gehört (die Subjektseite des Phänomens), wird als nichteliminierbare, irreduzible Subjektseite, als eine Leerstelle umschrieben. Auf diesem Stand der Untersuchung kann die Dass-Seins-These als untermauert gelten: Menschliches Bewusstsein hat zwar objektivierbare Aspekte, aber es ist stets auch subjektiv. Da diese Form von Subjektivität Teil des Bewusstseins ist, müssen Menschen in jedweder Form von Bewusstsein auch ihrer Subjektivität, d. h. ihrer selbst, inne sein können. In den Kapiteln 4.3 bis 6 gilt es dann, die bislang gewonnenen Negativbestimmungen zu überschreiten und zu Positivbestimmungen zu gelangen. Ausgehend von der Dass-Seins-These ist nun klar: Bewusstseinszustände existieren genau dann, wenn ein menschliches Subjekt in ihnen ist. Das ist es auch, was man als seine »Erste-PersonOntologie« bezeichnet. Bewusstsein ist immer von etwas – nämlich von Objekten, von Sachverhalten. Aber es ist auch jemandes Bewusstsein von diesen Objekten oder Sachverhalten. Insofern ist es auch für jemanden. Subjekte sind nicht ununterscheidbare Punkte im Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 54.
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Einleitung
reinen Raum und der reinen Zeit, sondern das Subjekt besetzt (s)eine Raum-Zeit-Stelle als dieses individuelle, körperliche Erlebnis- und Empfindungssubjekt und es ist als genau dieses in Bewusstseinszuständen. Beides, sowohl der Objektbezug als auch der Subjektbezug, prägt diese Zustände hinsichtlich ihrer Erlebnisqualität, ihrer Phänomenalität: Denn das Subjekt nimmt Dinge und Sachverhalte der Welt wahr, die Qualitäten haben, und es nimmt sie als Phänomene wahr – das heißt so, wie und indem sie ihm als Subjekt mit seiner (auch körperlichen) Beschaffenheit und seinen subjektiven Eigenschaften erscheinen. Und genauso ist das Subjekt auch sich selbst Erscheinung und kann demensprechend seiner selbst inne sein. Dieser neue Ansatz, phänomenales Bewusstsein als Wechselverhältnis von Erlebnis-Subjekt und Objekt zu verstehen, bildet den Ausgangspunkt der weiterführenden, vor allem an der Husserlschen Leibphänomenologie orientierten Überlegungen in Kapitel 5. Ziel ist es, diejenigen Aspekte zu erfassen, derer man sich bewusst ist im Bewusstsein der sogenannten »subjektiven Innenseite« unseres phänomenalen Bewusstseins. So kann die gesuchte Form von Selbstbewusstsein als Selbsterleben beschrieben und damit die Was-SeinsThese untermauert werden. Zu untersuchen ist hier zunächst das subjektiv-objektive Wechselverhältnis zwischen Erlebnissubjekt und Welt (Subjekt/LeibDing-Erscheinung), in dem man Selbstbewusstsein als perspektivisches, kinästhetisches Bewusstsein im Unterschied zum Bewusstsein von Anderem erlangt (a), ferner gilt es, das subjektiv-objektive Wechselverhältnis zwischen dem Erlebnis-Subjekt als fungierendem Leib (d. h. dem Erlebnissubjekt als affizierten und aktiven) und demselben als Leibkörper zu untersuchen (b). Diese Überlegungen zur Propriozeption relativieren das Verhältnis von »innen« und »außen«, von empfindendem Subjekt und empfundenem Objekt. Es gilt, die Besonderheiten im Selbstgewahren klar zu machen, die sich aus dieser Doppelseitigkeit des Leibes (wie Husserl propriozeptive Selbstwahrnehmung nennt) ergeben. Dann wird ein weiterer Aspekt des fungierenden Leibes, in dem Selbstbewusstsein unserer Affektivität und Aktivität vorliegt, untersucht: die zeitliche Dimension unseres Erlebnis- und Empfindungsbewusstseins, welches sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Vergangenheit und die Zukunft bezogen ist. Es wird sich zeigen, dass für die Bewusstseinsweise der subjektiven Innenseite dieses Wechselverhältnisses die ekstatische, nichtsukzessive Zeitlichkeit gilt, die es zu erklären erlaubt, dass unser augenblickIch – Jetzt – Hier
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Einleitung
liches Erleben gleichsam Momente unseres gesamten vergangenen, momentanen und auch des projektierten (Er-)Lebens enthält. Diese Bewusstseinsweise ist allerdings eine, derer wir lediglich im schieren Erleben in der Epoché inne sein können, während wir, entsprechend der Außenseite dieses Wechselverhältnisses, als personale, körperliche Subjekte, die sich das Erleben zum intentionalen Objekt machen, doch auch stets in der momentanen sukzessiven Zeit sind. Bleibt also die Bewusstseinsweise der subjektiven Innenseite flüchtig? Heißt das, es kann zwar eine genauere Charakterisierung der gesuchten Form von Selbstbewusstsein gelingen, als sie Novalis mit seinem Verweis aufs Gefühl gelang, aber am Ende bleibt doch ein subjektiver Erlebnisaspekt unfassbar, einer, den wir laut Novalis nur glauben könnten? Nein, denn die Bewusstseinsweise unserer subjektiven Innenseite hinterlässt Spuren: Was der fungierende Leib als Gesamtheit allen Erlebens in der nichtsukzessiven Zeit erlebt, bleibt als positive oder negative, als lustvolle oder weniger lustvolle Einfärbung erhalten in der verobjektivierenden, referenziellen Bezugnahme, mit der wir uns auf unsere intentionalen Akte einstellen. Damit kann in Kapitel 6 ein weiterer Aspekt desjenigen, dessen wir uns bewusst sind, wenn wir unserer selbst bewusst sind, herausgearbeitet werden. Denn unser lustvolles oder weniger lustvolles Selbsterleben ist evaluativ. Ich werde mit einem abschließenden Rekurs auf die stoische Oikeiosislehre zeigen, dass es sich hier um eine im Erleben vollzogene Bewertung unseres Erlebens handelt, deren Kriterium, ihr Worumwillen, wir selbst sind. Dementsprechend wird sich die Bewusstseinsweise unserer subjektiven Innenseite, also wessen wir uns bewusst sind, wenn wir im Erleben unserer selbst bewusst sind, als Selbstvertrautheit beschreiben lassen.
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1. »Selbstgefühl« oder das Scheitern von Reflexionsmodell und Produktionsmodell
Die in dieser Arbeit vertretene Grundidee, dass jeder Form von menschlichem Bewusstsein mehr oder weniger explizit eine ganz besondere Form von Selbstbewusstsein einwohnt, die als eine Weise des »Seiner-selbst-Inne-Seins« zu beschreiben ist und die eine wesentliche Rolle in der Konstitution unserer unterschiedlichen, davon abgeleiteten Formen von Selbstbewusstsein spielt, ist nicht neu. Sie wird in der aktuellen Bewusstseinsdiskussion jedoch selten beachtet und fruchtbar gemacht. Der Vordenker dieser Grundidee, auf den ich mich in meinen einleitenden Überlegungen berufe, ist Novalis 8. Auch wenn Novalis – teilweise zu Recht – begriffliche und strukturelle Unschärfe vorgeworfen wird, die auf sein frühromantisch geprägtes poetisierendes Denken zurückzuführen ist, lohnt sich der Blick auf seinen subjekttheoretischen Ansatz: Er formuliert, aufbauend auf seiner Fichtekritik, einen Ansatz, aus dem ich zwei Gedanken aufgreifen möchte, denn sie stützen meine Grundidee. Der erste Gedanke lautet: Das Subjekt hat einen inneren Kern, der reflexiv nicht einholbar ist, d. h. man kann ihn (von ihm) nicht in einem epistemisch tragfähigen Sinne wissen, zu seiner Erkenntnis muss das Reflexionsmodell scheitern. Dennoch sind Menschen – als bewusste Wesen – schon immer mit sich selbst bekannt. Der zweite Gedanke lautet: Die Art und Weise des Bewusstseins dieses innersten Kerns ist ein Fühlen. Selbstbewusstsein in dieser urtümlichen und grundlegenden Form ist demnach unser »Selbstgefühl« 9. Weil und indem wir uns fühlend unserer selbst bewusst
Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben in 3 Bänden von Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel, Darmstadt 1999. Im Folgenden zitiert als Novalis. 9 Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 1, S. 18. 8
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»Selbstgefühl« oder das Scheitern von Reflexionsmodell und Produktionsmodell
sind, können wir eben dies, das wir von uns nicht wissen können, »glauben« 10. Beide Gedanken, die die Grundidee zur vorgenommenen Untersuchung und Charakterisierung des Selbstbewusstseins stützen, werde ich nun innerhalb ihres theoretischen Rahmens erläutern. Sie erlauben es, dasjenige Phänomen, das Novalis als ein präreflexives Selbstgefühl beschreibt, mit guten Gründen in den thematischen Fokus dieser Arbeit zu rücken. Damit bildet dieses erste Kapitel einen soliden Ausgangspunkt sowie eine Brücke zur nachfolgenden subjekttheoretischen Analyse.
1.1 Fichtes Produktionsmodell des Selbstbewusstseins In der Beschäftigung mit Novalis’ subjekttheoretischen Überlegungen greife ich einen zentralen Punkt seiner Kritik am Fichteschen Ansatz auf. Einleitend und zur Verdeutlichung der Kritik gehe ich daher knapp auf die für meine Überlegungen relevanten Grundzüge von Fichtes These einer stufenlosen, intellektuellen selbstsetzenden Selbstanschauung (Produktionsmodell) ein. Fichte konzentriert sich bei der Entwicklung seines Modells zur Erklärung von Selbstbewusstsein auf ein zentrales Problem, das in der Struktur der Reflexivität angelegt ist. Selbstbewusstsein impliziert, dass das Ich im Reflexionsprozess von seinem Objekt weiß, davon, dass es mit ihm (diesem Ich) identisch ist. Wie aber kann das Selbstbewusstsein wissen, dass es von sich weiß, wenn dieses Wissen erst durch den Akt der Reflexion zustande kommen soll? Fichte gibt der Theorie des Selbstbewusstseins hier eine ganz neue Wendung. Er trennt das, was Ich ist, von dem, mittels dessen es expliziert werden muss. Er konzipiert ein Ich, das sich selbst setzt, wobei das denkende Ich zugleich mit dem gedachten Ich voraussetzungslos und in einem Akt der Freiheit entsteht. Selbstbewusstsein soll nicht in einer abstrahierenden Rückwendung von der Objektwelt erfasst werden, sondern in einer die Objektivität erst konstituierenden, in sich geschlossenen Bewegung (daher die Bezeichnung Produktionsmodell). Ich greife zwei zentrale Zitate aus Fichtes Text auf, anhand derer sich verdeutlichen lässt, wie diese Bewegung vorzustellen ist: 10
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Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 1, S. 9.
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Fichtes Produktionsmodell des Selbstbewusstseins
»Dadurch also, indem ich auf mich selbst handle, mich selbst setze, daß meine Tätigkeit in mich selbst zurückgeht, kommt das Ich hervor, denke ich mein Ich; und beides: Ich bin Ich und ich setze mich als Ich, erschöpft sich gegenseitig.« 11
Ich verstehe Fichte hier so, dass Selbstbewusstsein zugleich Tätigkeit und Resultat der Tätigkeit sein soll. Wenn nämlich der Akt des Setzens und sein Resultat, dass das Ich gesetzt ist, ein und denselben Sachverhalt ausmachen, dann müssen die konstitutiven Elemente dessen, was gesetzt wird, ursprünglich und gleichzeitig mit der Tätigkeit gegeben sein. Fichte geht von der Identität des Setzenden (Tätigkeit/Subjekt) und des Gesetzten (Resultat/Objekt) aus. Es muss sich bei diesem »in sich zurückgehenden Handeln« also um eine von ihrem eigenen Dasein wissende Tätigkeit handeln. Sie wird von Fichte »intellektuelle Anschauung« genannt. Sie ermöglicht es, dass »das Ich sich setzt als durch sich selbst gesetzt.« 12 Wie hat man sich diese »intellektuelle Anschauung« vorzustellen, mit der man zum Bewusstsein seiner Subjektivität gelangt? Klar ist bislang Folgendes: Die Anschauung muss genau diese Tätigkeit des Setzens sein, denn nur so kann das in der Anschauung repräsentierte Wissen ins Setzen eingehen. Und es muss ins Setzen eingehen, wenn das Setzen sein eigenes Objekt sein soll. Ulrich Pothast formuliert dies folgendermaßen: »Das Wissen der Tätigkeit von ihrem eigenen Dasein wird beigebracht durch eine Anschauung, in welcher sie sich ihrer selbst versichert.« 13 Diese Konzeption der intellektuellen Anschauung (und damit des Ich) gelingt meines Erachtens jedoch nur, indem Fichte die Tätigkeit unterscheidet von dem, was im Zurückgehen der Tätigkeit in sich entsteht, nämlich Erkenntnis vom Ich: Also bilden bei aller Gleichursprünglichkeit doch mindestens diese beiden Momente die Grundstruktur dieser Konzeption des Ich. Dabei handelt es sich eigentlich um zweierlei Vollzüge: zum einen um den Akt, in dem das Ich sich als Ich bezeichnet (»Ich« setzt sich). Bei näherer Betrachtung dieser Tätigkeit fällt auf, dass dabei das Ich einen Begriff von sich braucht,
Johann Gottlieb Fichte: Nachgelassene Schriften. Bd. II. Hg. Hans Jacob. Berlin 1937, S. 355. 12 Fichte, Johann Gottlieb: Sämtliche Werke in 8 Bd. Hg. Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845/46. Nachdruck Frankfurt/Main 1971. Bd. I § 5, S. 97. 13 Pothast, Ulrich: Über einige Fragen der Selbstbeziehung. Frankfurt/Main. 1971, S. 41. 11
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sonst bleibt die Anschauung »blind«. Es braucht einen Begriff, den es nicht selbst erzeugt, sondern von dem es schon Gebrauch machen kann, bevor und damit es zur Erkenntnis von sich selbst als es selbst kommen kann. 14 Also bedarf es eines zweiten Akts in dem das Ich von sich weiß, Ich zu sein. Selbstbeobachtung (innere Anschauung) gibt dem Ich die Möglichkeit, sich das Prädikat »Ich« zuzuschreiben. Die folgenden Schwierigkeiten sind hier erkennbar: Eine Theorie solcher Gleichursprünglichkeit, in der ein ursprüngliches Selbstverhältnis mittels des Begriffs »Ich« konstruiert werden soll, muss (zumindest) diese zwei Vollzüge zusammennehmen, obwohl jeder das Gegebensein des anderen vorauszusetzen scheint: Der zusammengenommene Vollzug muss dabei zugleich beobachtender und sich nicht auf die Beobachtung stützender sein. Er dürfte außerdem nicht an verschiedenen Zeitstellen stattfinden und müsste dieses paradoxerweise dennoch, weil sonst kein Zuschreiben eines Prädikats erfolgen könnte, denn eine Zuschreibung verlangt zweierlei Zeitstellen. In Fichtes Konzept sollen daher Anschauung und Begriff identisch sein: Wenn man dieselbe Tätigkeit »als ein Nichthandeln, also fixiert, in Ruhe sich denkt … so entsteht daraus ein Produkt oder der Begriff des Ichs, der sich bloß denken aber nicht anschauen lässt, denn nur Tätigkeit als handelnde ist Anschauung [verschiedene Zeitstellen], diese aber ist nicht möglich ohne sich zugleich das Entgegengesetzte – dieselbe zuvor als ruhend [eine Zeitstelle] – zu denken, d. h. ohne Begriff. Beide sind also immer zugleich miteinander verbunden – Begriff und Anschauung, sie fallen in Eins zusammen.« 15
Das Zusammenfallen bleibt paradox, denn die Tätigkeit müsste zugleich sowohl auf den Begriff führen als auch Begriff sein. Fichtes »Ich« ist ein zirkelhaft definierter Begriff: Die Eigenschaft, die man angeben muss, um ihn zu umschreiben, enthält ihn selbst wieder. Das Ich kann eine Anschauung seiner selbst nur haben, wenn es sich in Form des Begriffs erfasst. »Da begriffliche Bestimmtheit sich aber der Abgrenzung gegen Anderes verdankt, womit die Setzung des Nicht-Ich impliziert ist, hat Fichte stets die Schwierigkeit, das absolute »Ich« in seiner Reinheit [und Einheit] von Zur Erläuterung des Zusammenhangs von intellektueller Anschauung und Ich-Begriff vgl. Henrich, Dieter: Selbstverhältnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie. Stuttgart 1982(1), S. 67 f. 15 Fichte, Johann Gottlieb: Nachgelassene Schriften. Bd. II. Hg. Hans Jacob, Berlin 1937, S. 358. 14
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Das Dilemma des Reflexionsmodells
diesem gewußten – d. h. endlichen, beschränkten Ich, das der Gegenstand des Bewußtseins ist – abzuheben.« 16
1.2 Das Dilemma des Reflexionsmodells Im Folgenden werde ich etwas allgemeiner die in der Debatte wohlbekannten – und dennoch in so mancher aktuellen Theorie sich wieder einschleichenden – Probleme des Reflexionsmodells für die Erklärung des Zustandekommens von Selbstbewusstsein darstellen. Das Ich hat gemäß solcher Modelle im Prozess des Selbstbewusst-Werdens eine Doppelfunktion von Subjekt und Objekt (S/O). Es ist Wissendes und Gewusstes. Die Differenz der Relata (S/O) ist freilich nicht als lokale, nicht als temporale oder qualitative vorzustellen (vgl. Fichte). Vielmehr soll die Idee einer internen Differenz der Relata vertretbar sein, wenn man von einer funktionalen Differenz ausgeht: Es soll also ein und dasselbe Ich sein, das in der Funktion des Subjekts wie des Objekts auftritt und seine Einheit und Identität trotz dieser Dualität und Differenz bewahrt. Das Reflexionsmodell erweist sich jedoch wegen seiner unüberwindlichen Identifikationsschwierigkeiten als aporetisch. Man müsste die These legitimieren, dass das Ich trotz seiner Spaltung ein und dasselbe bleibt und dass die interne Doppelung seiner Einheit und Identität nichts anhaben kann. Aber jeder Legitimationsversuch impliziert ein Dilemma. Man kann zweierlei mögliche Erklärungsweisen erkennen, die jedoch beide scheitern müssen: (1) die NichtKenntnis des Selbst von sich, (2) die Kenntnis des Selbst von sich:
Das erste Horn des Dilemmas: Nicht-Kenntnis des Selbst von sich Hier geht man von der Annahme aus, dass das Selbst noch keine Kenntnis von sich als Einheit aus Subjekt und Objekt hat und diese erst durch die Reflexion erlangen muss. Da das Subjekt aber keine Vorstellung von sich als Objekt hat, kommt es gar nicht zur Identifikation. Das Subjekt kann, wenn es auf Objekte trifft, gar nicht dasKoch, Manfred: Mnemotechnik des Schönen. Michigan (University of Michigan, de Gruyter) 1988, S. 72.
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jenige Objekt herausfinden, das ihm selbst zugehört. Ohne eine Art von vorgängiger Kenntnis seiner Zugehörigkeit zum Objekt kann das Subjekt diese durch bloße Rückwendung auf sich auch nicht erlangen. Das ihm begegnende Objekt könnte ein fremdes sein oder auch das eigene (es selbst), das aber als solches nicht erkannt würde. Soll die Identifikationsleistung erbracht werden, dann ist also eine vorgängige Kenntnis der Subjekt-Objekt-Einheit die unerlässliche Voraussetzung. Das heißt, diese erste Erklärungsweise zwingt zur Gegenthese. Mit dieser aber gelangt man zum zweiten Horn des Dilemmas:
Das zweite Horn des Dilemmas: Kenntnis des Selbst von sich Man geht von der Annahme aus, dass schon vor der Reflexion Kenntnis der Einheit von Subjekt und Objekt vorliegt (Gegenthese). Dann ist die Identifikation qua Reflexion zwar unproblematisch, aber redundant. Die Reflexion des Subjekts auf sich als Objekt soll das Zustandekommen einer Kenntnis erklären, die bereits vorliegt. Diese Redundanz lässt sich sowohl als Zirkel als auch als Regress verstehen, je nachdem, ob definiendum und definiens auf einer (a) oder auf verschiedenen Ebenen (b) angesiedelt werden. a) b)
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Zirkel: Das zu Erklärende wird jeweils in der Erklärung bereits in Anspruch genommen Unendlicher Regress: Auf jeder (nächsthöheren) Ebene kann gefragt werden, woher denn die vorausgesetzte Kenntnis der Subjekt-Objekt-Einheit stamme. Darauf muss geantwortet werden, dass sie per hypothesin aus der Reflexion stamme, die ihrerseits diese Kenntnis zwecks Identifikation voraussetzt. Damit aber wiederholt sich die Frage nach dem Zustandekommen dieser Kenntnis. Noch einmal anders: Damit das Subjekt sich im Objekt als es selber wieder finden kann, muss es bereits eine Kenntnis von dieser Identität mitbringen – die doch aus der Reflexion erst hat erklärt werden sollen. So findet eine unendliche Selbsteinschachtelung statt, insofern für die schlichte Kenntnis von sich eine Kenntnis der Kenntnis und für diese eine Kenntnis dieser Kenntnis (usw.) die Voraussetzung bildet.
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Die Präreflexivität des Selbstbewusstseins
Aus diesen Erläuterungen geht hervor, dass die Identifikationsprobleme des Reflexionsmodells, und da es dieselben Strukturen aufweist, auch des Selbstbeobachtungsmodells (Theorien des inneren Sinns wie auch Fichtes Produktionsmodell), ungelöst bleiben. Daher ist es zur Erklärung des Zustandekommens von Selbstbewusstsein ungeeignet. Diese Problemstelle entlarvt Novalis sehr früh und entwickelt ein Modell zu deren Lösung. Im Folgenden werde ich Novalis’ Konzept eines präreflexiven Selbst näher untersuchen. 17
1.3 Die Präreflexivität des Selbstbewusstseins Novalis deckt in seinen Fichtestudien 18 das erläuterte Problem des Reflexionsmodells an der Fichteschen Formel von der intellektuellen Anschauung auf: Sie soll das Zentrum des selbstbewussten Ich bilden und so verfasst sein, dass sich aus ihr die Identität von Bewusstem und demjenigen, das Bewusstsein hat, erklären lässt. Aber mit der Unterscheidung von Bewusstseinssubjekt und -objekt, von Anschauung und Begriff, stellt sich eine Dualität ein. Die Kritik an Fichte lautet, dass Dualität nicht angesetzt werden darf als Grund von Identität. 19 Novalis zielt dagegen darauf ab, beides (a + b) auf derselben Ebene anzusiedeln, nämlich als Produkt einer trennenden »Urhandlung« 20: eine nichtbegriffliche Form des Selbstbewusstseins in der Vollzugsanschauung (a) und die Artikulation desselben, ausgehend von einem expliziten Bezug des Selbst auf sich, als Begriffserfassung (b). Dazu muss er aber zeigen, wie ein Ich sich in einem Bewusstseinsvollzug jener trennenden Urhandlung und ihrer Produkte versichern könnte, die dann erst zur Annahme seiner vorgängigen Einheit berechtigte. Ich werde erläutern, wie dies gelingen kann. Eine alternativer Umgang mit diesen Problemen, den ich hier nicht gewählt habe, wäre der Rückgriff auf Hegels Subjekttheorie, worin er den Begriff als solchen, unabhängig von aller expliziten, gestuften Reflexion, vielmehr als stufenlose Selbstbeziehung und Reflexion-in-sich, zum logischen Kern des Selbstbewusstseins erklärt. Hegel stellt sich damit in die Tradition der Kantischen Lehre von der transzendentalen Apperzeption. 18 Novalis: Bd. 2: Das philosophisch-theoretische Werk. 19 Gemeint ist damit eine Identität im strengen Sinne, die zwischen etwas und ihm selbst statthat – nicht Identität als Relation verstanden. 20 Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 31, S. 29 f. 17
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Im Zuge der Interpretation von Novalis’ Fichtestudien habe ich seinen Gedankengang in die folgenden drei Argumentationsschritte gegliedert: 1)
2)
3)
Am Reflexionsmodell lassen sich Fehler aufweisen (Fichtekritik): Die vorgängige Einheit des Ich kann nicht aus der reflexiven Arbeitsweise des Bewusstseins erklärt werden. Daraus kann man den Rückschluss ziehen, dass sie präreflexiv sein muss. Wie kann man sich aber seiner selbst präreflexiv bewusst sein, bzw. sich einer dementsprechenden Bewusstseinsweise epistemisch tragfähig versichern? Ich versuche Novalis’ Überlegung in folgender Wenn-dann-Konstruktion zu fassen: Wenn sich das Faktum des Selbstbewusstseins nicht aus Reflexion erklären lässt, diese also nicht Grund des Selbstbewusstseins sein kann, sondern höchstens etwas thematisieren kann, das zuvor schon sein muss (präreflexiv), dann kann dieses zuvor schon auf eine besondere Art bewusste Sein der absoluten Identität nur in solchen Formen Ausdruck finden, die es gerade nicht ist, in Formen, die es verfehlen. Also muss man zeigen, dass das Bewusstsein mit der epistemisch sichersten Methode, die ihm zur Verfügung steht (das ist die Reflexion, das Denken, mit dem man Wissen herstellen kann), dessen bewusst werden kann, dass es bei dem, was im ersten Reflexionsschritt (1) zum Ausdruck kommt sein Ziel »verfehlt«. Es gilt also zu zeigen, dass und wie das Bewusstsein ein Bewusstsein von seiner Verfehlung erlangen kann.
Diesen Argumentationsschritten folgend interpretiere ich nun zentrale Textabschnitte der Fichtestudien: Zu 1) Novalis untersucht zunächst die (Fichtesche) Reflexion, als die wir unser Selbstbewusstsein kennen, und kritisiert, dass sich in der »intellektuellen Anschauung« als Zweiheit von Anschauen und Begreifen das darstellt, was eigentlich Eines sein soll. Demnach kann Identität beim Reflektieren schon kein Bewusstseinsinhalt mehr sein. Novalis nennt diesen Reflexionsschritt das »scheinbare Schreiten vom Beschränkten zum Unbeschränkten« 21.
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Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 17, S. 19.
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Die Präreflexivität des Selbstbewusstseins
»Im Bewußtseyn muß es scheinen, als gienge es vom Beschränkten zum Unbeschränkten, weil das Bewußtseyn von sich, als dem Beschränkten ausgehn muß – und dis geschieht durchs Gefühl – ohnerachtet das Gefühl, abstract genommen, ein Schreiten des Unbeschränkten zum Beschränkten ist.« 22
Wie ist das zu verstehen? Die bestimmte und dadurch beschränkte intellektuelle Anschauung bezeichnet die Reflexion, die auf ein Gefühl gerichtet ist, das wir von unserem (absoluten/identischen) Sein haben. »Die Anschauung ist für das Gefühl und die Reflexion geteilt. Eins ist sie ohne Anwendung. Angewandt ist sie Tendenz und Produkt. Die Tendenz gehört dem Gefühl, das Produkt der Reflexion. Das Subjective dem Gefühl, das Objective d[er] Reflexion. Gefühl und Reflexion bewirken zusammen die Anschauung. […] Gefühl scheint das Erste – Reflexion das Zweyte zu seyn.« 23
Der intentionale Gehalt dieser Reflexion ist demnach bestimmt als ein Gefühl vom eigenen einheitlichen Sein – nicht als Wissen davon, denn Wissen bestünde im Bezug eines Begriffs auf die Anschauung und ein solcher intentionaler Gehalt wäre schon nichts Einheitliches mehr. Daher bezeichnet Novalis das Ergebnis dieser Reflexion aufs Gefühl auch als »Nicht-Wissen«. Das Absolute kann in der Reflektion nur noch als Verfehltes mitgedacht werden. Man schreitet nur »scheinbar« zum Unbeschränkten. Zur Veranschaulichung dient Novalis’ bildhafte Interpretation der Reflexion als Spiegelung: Das Ich mit dem unthematischen Gefühl von sich als Einheit, tritt vor den Spiegel (es reflektiert sich, um dieses bislang Unthematische – das er Gefühl nennt – fassen zu können). Es sieht sein Spiegelbild und schließt aus der Tatsache, dass es selbst ja noch vor dem Spiegel steht, dass es mit diesem Bild im Spiegel nicht identisch ist. Das Spiegelverkehrte ist »Nicht-Ich«, die Reflexion verfehlt notwendig das »Ich«. Zu 2) Der zweite Argumentationsschritt ist folgender: Das Ich reflektiert nun die Reflexion, denn es kommt auf die Idee, es müsse dieses Spiegelbild nur ein weiteres Mal widerspiegeln (die Reflexion reflektieren), um zur Erkenntnis seines eigentlichen ursprünglichen Ich zu 22 23
Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 17, S. 19. Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 16, S. 19.
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»Selbstgefühl« oder das Scheitern von Reflexionsmodell und Produktionsmodell
gelangen. Wenn aber die Reflexion reflektiert wird, geschieht Folgendes: Die Bewusstseinsweise der ersten Reflexion ist ein Nicht-Wissen. Es ist die Verwandlung des Gefühls in intellektuelle Anschauung, die Verwandlung des Gefühls einer Ganzheit (Ich) in deren Reflexion (Nicht-Ich). Die Bewusstseinsweise der zweiten Reflexion (der Reflexion der Reflexion) muss demnach das Nicht-Wissen sein, das sich als solches weiß. Um im Bild zu bleiben: Das spiegelverkehrte Ich kann in der zweiten Reflexion eben nicht so reflektiert werden, dass sich das Ich zeigt, (so, dass dann das Ich im Spiegel wäre). Was sich in dieser Reflexion der Reflexion einstellt, ist aber das Wissen vom »Spiegel-Ich« als verfehltem Ich, das Wissen, dass das im Spiegel nicht »Ich« ist, sondern »Nicht-Ich«. Zu 3) Daraus geht hervor, und damit komme ich zum dritten Argumentationsschritt, dass das Bewusstsein nicht durch Denken (Reflexion) seines eigentlichen Seins inne sein kann. Was also Fichte als unmittelbares Selbstbewusstsein in der intellektuellen Anschauung interpretierte, verwickelt sich, gemäß dieser Kritik von Novalis, notwendig in den Schein. Aber: Reflexion kann diese Verfehlung insofern korrigieren, als sie sich in einem zweiten Schritt selbst reflektiert und sich darin als Schein durchschaut. 24 Diese Struktur der reflexiven Inversion des Bewusstseins nennt Novalis »ordo inversus.« 25 Stellt sich das Ich im Spiegel dar, was es nicht ist (Fichtes intellektuelle Anschauung), so teilt sich die absolute Identität (Schein + Sein): Das Ich erscheint jeweils nur halb, einmal als Nichtwissen (Gefühl/Sein) und dann als Wissen (Reflexion/Schein). Dies ist der entscheidende Schritt, mit dem Novalis über eine reine Fichtekritik hinausgeht und aus dem er seinen eigenen Vorschlag entwickelt. Ich interpretiere ihn folgendermaßen: Einerseits erhält zwar dieses reflexiv uneinholbare (Selbst-)Sein den Charakter einer regulativen Idee:
Vgl.: Frank, Manfred: Einführung in die frühromantische Ästhetik, VL 15. Frankfurt/Main 1989, S. 251. 25 Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 32, S. 32. 24
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Die Präreflexivität des Selbstbewusstseins
»Jeder Zustand, jede Thathandlung setzt eine andere voraus – Es geht, wie mit der Gattung – Alles Suchen nach der Ersten ist Unsinn – es ist regulative Idee.« 26
Das sehnsüchtig Erstrebte 27, aber in der Selbstreflexion notwendig Verfehlte, ist als Postulat jenseits der endlichen Welt anzusiedeln. Es ist aber epistemisch unverzichtbar, denn gerade die zweifache Reflexion vermittelt andererseits das Bewusstsein einer besonderen Art der Bekanntschaft mit der sich als solcher entziehenden Einheit. Das Bewusstsein macht hier nämlich nicht nur die Erfahrung seines Unvermögens sich denkend seine Einheit und sein Sein verständlich zu machen. Es erkennt auch, welcher der geeignete Zugang zum eigenen Sein ist. Indem nämlich das Subjekt durch Reflexion der Reflexion erkennen kann, dass es sich im Rahmen der ersten Reflexion immer verfehlen muss, kann es auch erkennen, dass es seiner selbst im eigentlichen Sinne (ohne Schein) bewusst sein kann, indem es auf diese Reflexion (die ein Sich-Setzen, Sich-auf-den-Begriff-»Ich«-Bringen ist) verzichtet. Welches Bewusstsein bleibt aber, wenn es dementsprechend auf ein Sich-Setzen verzichtet? Es bleibt ein präreflexives Bewusstsein seiner selbst als ursprüngliche Einheit. In ihm offenbart sich, so Novalis, die »Urhandlung« 28, das »Ich« (als Vollzug des »Selbst-Seins«). Es ist ein Bewusstsein, in dem das Subjekt schon vor dem Akt des Selbstsetzens sein Selbstsein innehat: Novalis nennt es das »Gesetztseyn durch ein Nichtsetzen« oder auch »Gefühl« 29, womit deutlich ist, dass es sich hier nicht um die Einführung einer bislang unfundierten sensualistischen Zusatzprämisse handelt, sondern schlicht um die Verwendung des Gefühlsbegriffs für das präreflexive Bewusstsein seiner selbst als »Gesetztseyn durch ein Nichtsetzen«. Identität, oder die »Urhandlung« kann sich also durchaus im Bewusstsein manifestieren: Wir können ein Gefühl haben von uns selbst: unser Selbstgefühl. Wichtig ist mir hier, zu betonen, dass Novalis das Gefühl (Gesetztseyn durch ein Nichtsetzen) der »Urhandlung« als ihr Resultat Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 4. Handschriftengruppe Nr. 472, S. 164. Vgl. Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, S. 225 ff.: Novalis spricht hier vom »Ergänzungstrieb«. 28 Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 31, S. 29 f. 29 Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 31, S. 30. 26 27
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»Selbstgefühl« oder das Scheitern von Reflexionsmodell und Produktionsmodell
nachordnet. Sie offenbart sich lediglich im Gefühl. Weil es unmöglich ist, sich dem Absoluten (Ich), dem »Seyn« 30 noch weiter zu nähern, müssen wir uns an diesem Punkt auf unser Gefühl verlassen. Mit Novalis: es bleibt uns an dieser Stelle, es zu »glauben« 31.
Zusammenfassung In diesem Kapitel habe ich knapp Fichtes Versuch erläutert, das Reflexionsmodell des Selbstbewusstseins, mit dem kein mit sich identisches Ich hergeleitet werden kann, durch ein Produktionsmodell zu ersetzen. Fichte versucht die Zweistelligkeit zu überwinden, indem er die Selbstnegation ins Ich mit einschließt. Darauf aufbauend konnte Novalis’ Überformung dieses Ansatzes im Sinne einer »Höherverlegung der Identität« 32 ins Transzendente erläutert werden. Dabei habe ich nicht nur gezeigt, welchen Problemen Reflexions- oder Stufenmodelle bzw. Produktionsmodelle sich zu stellen haben, sondern auch, wie es Novalis gelingt, zwar aufbauend auf den Theorien seiner Vordenker, doch in gedanklicher Abkehr, ein Selbstbewusstsein herzuleiten, das nicht an der Überforderung suisuffizienter Selbstbegründung scheitert. Sein bewusstseinstheoretischer Ansatz bleibt bis heute überzeugend und er wird in seiner Qualität häufig auch von aktuellen Ansätzen nicht eingeholt. Das lässt sich nicht zuletzt an der Tatsache ablesen, dass nach wie vor Theoretiker, z. B. der sogenannten Neurophilosophie, Modelle entwickeln, die an derjenigen Zirkularität scheitern müssen, die Novalis bereits am Reflexionsmodell bzw. an Fichtes Produktionsmodell ausgewiesen hat. 33
Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 2, S. 10. Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien, 1. Handschriftengruppe Nr. 1, S. 9. Novalis überführt diese subjekttheoretischen Gedanken dann in ästhetische und erläutert in diesem theoretischen Rahmen, dass solches ganzheitliches Selbstbewusstsein in der Kunst zum Ausdruck kommen könne. Nur die Kunst als Darstellung des Undarstellbaren könne nämlich jene nicht-deutbare Sinnfülle und -ganzheit des einheitlichen »Seyns« positiv zeigen, die sich nicht in Wissen auflösen lässt. 32 Manfred Frank: Einführung in die frühromantische Ästhetik, VL 15. Frankfurt/ Main 1989, S. 260. 33 Dieser Kritik muss sich z. B. Thomas Metzinger stellen, der in seiner repräsentationalistischen Selbstmodelltheorie behauptet, dass ein Ich als einheitliches inneres Objekt, zu dem wir zugleich als Subjekte einen unmittelbaren Zugang haben, eine Fiktion sein müsse. Er behauptet, es sei Ergebnis einer mehrfachen Einschachtelung 30 31
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Zusammenfassung
Novalis konzipiert allerdings ein transzendentes Ich und so bleibt sein Modell spekulativ. Meines Erachtens kann aber sein Ansatz produktiv gemacht werden, auch ohne einem reinen transzendentalen Idealismus zu folgen. Denn Novalis konzipiert ein Ich, das sich und seine intellektuellen Möglichkeiten insofern überschreitet, als es lernt, sich auf ein vorreflexives »Gefühl« zu verlassen, auf ein Gefühl seiner selbst. Diesen Gedanken greife ich auf zur Untersuchung der in meiner Arbeit fokussierten besonderen Form von Selbstbewusstsein: Wie eingangs erwähnt, gehe ich davon aus, dass es jeder anderen Form von menschlichem Bewusstsein in mehr oder weniger expliziter Form einwohnt und dabei eine wesentliche Rolle in der Konstitution unserer ausgeprägten Formen von Selbstbewusstsein spielt. Novalis konzipiert ein Ich, das seines »Urseyns« im Modus des Fühlens inne ist. Ich gehe mit Novalis davon aus, dass die gesuchte Form von Selbstbewusstsein am Besten im Rahmen bewusstseinstheoretischer Überlegungen, die durch phänomenologische maßgeblich ergänzt werden, zu charakterisieren ist. Zunächst gilt es also, diese besondere Bewusstseinsform (von Novalis als »Gefühl« bezeichnet) im Rahmen aktueller bewusstseinstheoretischer Ansätze zu untersuchen und dabei zu erarbeiten, was man über frühromantische (rein idealistische, ästhetisierende) Lösungsvorschläge hinaus darunter verstehen kann. So wird das frühromantische Konzept einer Selbstgegebenheit, die man »glaubt, indem man sie fühlt« in aktuelle Denkzusammenhänge transferiert, und es ergibt sich ein Interpretationsrahmen für die hier fokussierte Form von Selbstbewusstsein, die den nichtreduzierbaren Kern jeder Form von Bewusstsein bildet.
von Repräsentationen bzw. Meta-Repräsentationen. Metzinger, Thomas: Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity, Cambridge (Mass.) 2003: MIT Press. Auch weniger subjektskeptische Ansätze, die Subjektivität als höherstufige Bewusstseinsleistung, als spätes Glied in einer komplexen Reflexionskette ansetzen, verfahren ähnlich. Auch sie legen ihren Konzepten das Subjekt-Objekt-Modell der Erkenntnis, übertragen auf das Selbstbewusstsein, zugrunde (z. B. Damasio, Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. München 2003 (4)). Ich – Jetzt – Hier
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2. Bewusstsein und Selbstbewusstsein
Nun richte ich das Augenmerk auf aktuelle (selbst-)bewusstseinstheoretische Überlegungen, wobei deutlich wird, dass sich viele Gedanken des deutschen Idealismus und der Frühromantik in zeitgenössischen, analytisch geprägten Ansätzen wiederfinden. Ich konzentriere mich hier vor allem auf eine Auswahl von Ansätzen aus der Tradition der Sprachphilosophie, die längst den »turn away from language« vollzogen haben und sich wieder mit der sprachunabhängigen Wirklichkeit des Phänomens Bewusstsein auseinandersetzen. 34 Ziel dieser Auseinandersetzung ist es nicht nur, eine Traditionslinie selbstbewusstseinstheoretischer Überlegungen aufzuzeigen und das Scheitern des Reflexions- bzw. Wahrnehmungsmodells sprachanalytisch aus der Sicht der aktuelleren Diskussion zu bestätigen, sondern auch die unterschiedlichen Weisen, in denen Bewusstsein vorkommt, genauer zu beschreiben. Damit wird die erste der beiden Arbeitshypothesen (Dass-Seins-These) argumentativ untermauert, d. h. es gelingt die Bestätigung der These: Jedes menschliche Bewusstsein ist auch Selbstbewusstsein. Aus der Analyse der unterschiedlichen Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, geht hervor, dass jede dieser Bewusstseinsformen subjektiv ist. Es lässt sich zeigen, dass diese Form von Subjektivität als Aspekt des Bewusstseins selbst auch bewusst sein kann. In diesem Sinne darf man folglich davon ausgehen, dass jedes menschliche Bewusstsein auch Selbstbewusstsein ist. Menschen, indem sie Bewusstsein haben, sind auch jeweils ihrer selbst inne.
Ich beziehe mich hier auf mittlerweile zu ›Klassikern‹ avancierten Vertretern der analytischen Philosophie, wie Castañeda, Shoemaker, Chisholm, Nagel oder Perry, die auf je eigene Weise davon ausgehen, dass Subjektivität sich nicht vollständig reduzieren oder eliminieren lasse. Es handelt sich dabei auch um Ansätze, die den Einbezug aktueller neurobiologischer Erkenntnisse zulassen.
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Bewusstsein und seine unterschiedlichen Formen
2.1 Bewusstsein und seine unterschiedlichen Formen Menschen können ein Bewusstsein von ihrem Selbst haben, das sich seiner bewusst ist. Solches Bewusstsein tritt in der Form reflexiven Wissens desjenigen von sich selbst auf, der bewusst ist, weswegen man auch von Ich-Bewusstsein spricht (»Ich weiß, dass ich ich bin.«). Es wird in Form von Ich-Aussagen explizit, schließt ein Bewusstsein von einem konzeptualisierten Ich ein und wird daher auch als höherer kognitiver Zugang bezeichnet, den Menschen zu sich selbst haben. Solche Gedanken von uns selbst beinhalten die Fähigkeit, Begriffe und Beschreibungen eindeutig auf uns selbst anzuwenden, die wir beim Denken an andere Personen oder Dinge nicht einsetzen können. Daher ist diese Form von explizitem (Selbst-)Bewusstsein als ein Wissen mit begrifflichem Gehalt zu erläutern und es wird häufig auch als Selbstwissen bezeichnet. Es ist erkennbar, dass es sich hier um diejenige reflexive Form von Selbstbewusstsein handelt, die im ersten Kapitel mit Rekurs auf frühromantische Überlegungen erläutert wurde. Dort wurde auch schon deutlich, dass zu ihrer Erklärung das Reflexionsmodell scheitern muss, und dass zum Erwerb solchen reflexiven Selbstbewusstseins je schon ein Selbstbewusstsein in anderer Form vorliegen muss. Diese zugrundeliegende Form von Selbstbewusstsein muss die Eigenschaft haben, präreflexiv zu sein. Das wird in der nachstehenden Analyse dieser Form von Bewusstsein wieder aufgegriffen und durch aktuelle, vor allem sprachanalytische Überlegungen ergänzt. Bewusstsein kann aber auch ein Bewusstsein von einem Bewusstseinszustand oder einem Bewusstseinsakt selbst sein, ohne expliziten Ich-Bezug. Solches Bewusstsein kann in zweierlei Formen auftreten: als begriffliches oder als nichtbegriffliches. Das Bewusstsein, das wir haben, wenn wir in begrifflich fassbaren intentionalen Zuständen sind, hat die Form, wie sie im Ausdruck von propositionalen Einstellungen, z. B. Überzeugungen und Wünschen, vorkommt. Auch das explizite, reflexive Selbstbewusstsein (siehe oben) ist ein solcher Fall, allerdings in epistemischer Hinsicht ein besonderer Fall von propositionaler Einstellung: der Einstellung des Bewusstseinssubjekts auf sich selbst als Objekt dieser Einstellung. Anhand der ebenfalls sprachanalytisch geprägten Untersuchung unterschiedlicher propositionaler Einstellungen (des Bewusstseinssubjekts auf unterschiedliche Objekte der Welt) kann erläutert werIch – Jetzt – Hier
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Bewusstsein und Selbstbewusstsein
den, dass auch dieser Form von Bewusstsein eine andere, nichtbegrifflich verfasste, präreflexive Form von Selbstbewusstsein zugrunde liegen muss; eine, die nicht das Vorliegen eines konzeptualisierten Ich erfordert. Aufgrund der strukturellen Verwandtschaft dieser Bewusstseinsformen stößt man in der Untersuchung von (begrifflich verfassten) propositionalen Einstellungen an die gleichen Erklärungsgrenzen wie im Falle des expliziten Ich-Bewusstseins. Das Herausarbeiten dieser Grenzen aber ermöglicht eine genauere Bestimmung der Eigenschaften derjenigen Form von Selbstbewusstsein, die zugrunde liegen muss: Man gewinnt in dieser Analyse wertvolle Negativbestimmungen. Es wird deutlich, dass jenes zugrundeliegende Selbstbewusstsein ein nichtbegriffliches, durch seine Qualitativität gekennzeichnetes Bewusstsein seiner selbst sein muss. Diese Erkenntnis führt zu einer weiteren Überlegung bezüglich der Form von Bewusstsein, wie sie vorliegt, wenn wir eine propositionale Einstellung haben (die Überlegung gilt in diesem gedanklichen Zusammenhang auch für Ich-Bewusstsein, als Bewusstsein eines Subjekts von sich): Haben wir es, wenn wir einen solchen Bewusstseinszustand charakterisieren wollen, eigentlich tatsächlich mit zweierlei Bewusstseinen zu tun, einem vorgängigen Selbstbewusstsein, auf das wir, ausgehend von einem nachgeordneten rückschließen können (epistemisches Erfordernis) und ebenjenem nachgeordneten Bewusstsein (des Subjekts) vom Gegenstand, das nur erklärbar ist, wenn man jenes vorgeordnete postuliert? Ich habe bereits im ersten Kapitel dargelegt, dass diese Stufung, Vermehrung oder Einschachtelung von »Bewusstseinen« für große Verwirrung sorgt und wenig dazu beiträgt, das Phänomen zu erfassen. Ich verfolge daher eine andere Erklärungsstrategie: Im Zuge der Erläuterung und Untermauerung der Dass-SeinsThese zeige ich, dass Bewusstsein in jeder Form, in der es vorkommt, auch einen qualitativen Aspekt hat. Dann – in einer genaueren Untersuchung von typischen qualitativen Bewusstseinszuständen – zeige ich, inwiefern qualitatives Bewusstsein stets auch subjektiv ist, und zwar so, dass wir uns dessen, d. h. unserer selbst darin stets inne sein können. Das heißt, es gilt im Rahmen der Untersuchung derjenigen Formen von Bewusstsein, die wir als propositionale Einstellungen bzw. 32
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Bewusstsein und seine unterschiedlichen Formen
als Ich-Bewusstsein klassifizieren, herauszuarbeiten, ob und inwiefern man begründet davon sprechen kann, dass diese Bewusstseinsformen selbst auch die Eigenschaft haben, qualitativ zu sein. Dann kann man diese Eigenschaft des Bewusstseins daraufhin untersuchen, ob und in welcher Art und Weise darin implizit ein nichtbegrifflicher subjektiver Bewusstseinsaspekt liegt: derjenige, den ich als »Seiner-selbst-inne-Sein« zu fassen suche. Nun komme ich zur Beschreibung der oben genannten zweiten Form von Bewusstsein ohne expliziten Ich-Bezug, zum nichtbegrifflichen, qualitativen oder auch phänomenalen Bewusstsein eines Bewusstseinszustandes oder -aktes selbst: Es handelt sich dabei um Zustände von Wahrnehmungs- bzw. Empfindungsbewusstsein, die in der Debatte häufig als »Qualia« bezeichnet werden. Dazu gehört zum einen das Bewusstsein, das wir von einigen unserer eigenen physischen Zustände bzw. von Aspekten unserer physischen Verfasstheit haben können, z. B. unser Körperzustandsbewusstsein und unser Bewusstsein von Körperzustandsveränderungen, sowie von unseren Körpergrenzen (physische Eigenwahrnehmung, perspektivisches Orientierungsbewusstsein 35). Ich werde es als Empfindung der sinnlich phänomenalen, öffentlichen Qualitäten unseres Körpers (als Objekt) beschreiben. Dazu gehört zum anderen das Bewusstsein unserer psychischen Zustände. Das können begrifflich fassbare, aber auch nicht begrifflich fassbare Zustände sein und ich werde sie unter anderem mit Rekurs auf die Husserlsche Leibphänomenologie beschreiben. Im Rahmen der Analyse der genannten qualitativen Bewusstseinszustände (vor allem Wahrnehmungsbewusstsein) werde ich zeigen, worin die bereits angesprochenen Erkenntnismöglichkeiten, aber auch Fehler in der Interpretation der »Qualia« als rein private, subjektive Bewusstseinszustände liegen. Dabei wird klar, dass und wie diese Formen von (Akt- bzw. Zustands-)Bewusstsein mit einer Unterscheidung und Charakterisierung ihrer zwei Aspekte adäquat zu erfassen sind. Herauszuarbeiten ist an diesen durch ihre Qualitativität
Vgl. diese Einteilung z. B. mit Newen, Albert: Selbst und Gehirn, Einleitung. In: Newen, Albert, Vogeley, Kay (Hg.): Selbst und Gehirn. Menschliches Selbstbewusstsein und seine neurobiologischen Grundlagen. Paderborn 2001 (2), S. 12.
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gekennzeichneten Bewusstseinszuständen nämlich sowohl der objektivierbare als auch der nichtobjektivierbare, wesentlich subjektive Aspekt der hier bewussten Empfindungsqualitäten.
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3. Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
Damit komme ich zu den Einzelanalysen der unterschiedlichen Formen, in denen Bewusstsein vorkommt. Zunächst wende ich mich der Untersuchung von derjenigen Form von Bewusstsein zu, die ich als explizites, begrifflich reflexives Selbstbewusstsein bereits eingeführt habe. Es ist das Bewusstsein eines Selbst oder Ich von sich.
3.1 Ich-Bewusstsein: explizites Selbst-Bewusstsein Wie gelingt es, dass Menschen Begriffe und Beschreibungen eindeutig auf sich selbst anwenden? Sie müssen Bewusstsein von sich als diesem Ich haben. Daran gibt es etwas Besonderes: Das zeigte bereits Castañeda 36 als er die epistemische (semantische 37) These der SonderCastañeda, Hector-Neri: »Er«: eine Studie zur Logik des Selbstbewusstseins. In: Frank, Manfred (Hg.): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 172–209. Unabhängig von Castañeda, aber etwas später, stellt Shoemaker ähnliche Überlegungen an. Als Beweis der Existenz von Selbstbewusstsein gelten auch für Herrmann Schmitz – und zwar aus seiner (leib-)phänomenologischen Perspektive – folgende Überlegungen: Er zeigt, dass es unmöglich ist, mit »ich« formulierte Sätze (Ich bin traurig.) adäquat in ichlose Sätze zu transformieren, die sich ausschließlich ichloser Termini bedienen. Diese Unmöglichkeit einer adäquaten Transformation, so Schmitz, kann als positives Kriterium für die notwendige und unaufgebbare Existenz des durch den Ich-Satz ausgedrückten Selbstbewusstseins dienen. Denn wenn sich zeigen lässt, dass keine objektive Formulierung an den Sinn des Ich-Satzes heranreicht, muss es als erwiesen gelten, dass das Ich und die ihm zugehörige Bewusstheit vorhanden sind und nicht geleugnet werden können. Das ist eine sehr weit reichende ontologische These, die sich eigentlich an epistemischer Irreduzibilität festmacht. Sie soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Schmitz, Herrmann: System der Philosophie, Bd. 3, 2. Teil. Bonn 1981 (2), S. 47 ff. 37 Bei der Entdeckung der Besonderheiten des Pronomens »ich« handelt es sich um die Entdeckung semantischer Merkmale. Die Entdeckung der Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation, die zur Irreduzibilitätsthese führt, ist eine epistemische Besonderheit. Zwar werden Urteile, die immun sind gegen Irrtum durch Fehlidentifi36
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
stellung indexikalischer Referenz und des Vorrangs der Selbstreferenz vor allen anderen Bewusstseinsleistungen formulierte. Sie wird in der analytischen Selbstbewusstseinsdebatte etwa von Shoemaker und Anscombe aufgegriffen. Castañedas Entdeckung ist, dass in Sätzen wie »sie glaubt, dass sie selbst x ist«, der Bezugsgegenstand von »sie selbst« »weder in einer physikalistisch-objektivistischen Sprache verständlich zu machen ist, noch über die Substitution des »sie selbst« durch einen anderen zeichenreflexiven Ausdruck, z. B. ein Demonstrativpronomen oder eine Zeigegeste, den Gebrauch einer die betreffende Person charakterisierenden Kennzeichnung (›definite description‹) oder die Individuierung einer Proposition.« 38 Castañeda formuliert daraus die Irreduzibilitätsthese, dass wir epistemische Einstellungen zu uns selbst, in denen wir selbst also Bezugsgegenstand unserer Einstellung sind, weder auf Einstellungen zu Propositionen noch auf Einstellungen zu Gegenständen zurückführen können. Das heißt, dass also diese Form von Selbstbewusstsein, genauer der Gehalt der Einstellungen, in denen wir uns selbst zum Bezugsgegenstand machen, epistemisch irreduzibel sei. Diese Irreduzibilitätsthese werde ich nun anhand einer Analyse von Ich-Gedanken erläutern und untermauern. Dazu verwende ich den häufig dafür herangezogenen Beispielfall, der von Ernst Mach stammt 39: kation, gewöhnlich mit »ich« an der Subjektstelle ausgedrückt, aber die Referenzgarantie von »ich«, das werde ich im Folgenden zeigen, bleibt auch dann erhalten, wenn »ich« an der Objektstelle steht. In diesen Fällen sind diese Ich-Aussagen vermittelt durch ein Identitätsurteil zustande gekommen, was der Subjektgebrauch von »ich« ausschließt. 38 Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 16. Castañeda nennt das indirekte Reflexivum Quasi-Indikator für Selbstbewusstsein und führt für dessen Verwendungsweise, wie sie in o. g. Sätzen vorkommt, die Schreibweise »er*/sie*« ein. Vgl. Castañeda, Hector-Neri: »Er«: Eine Studie zur Logik des Selbstbewusstseins. In: Frank, Manfred (Hg.): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994. S. 171 ff. 39 Mach, Ernst: Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen (1902). Neudruck der 9. Aufl. von 1922 mit einem Vorwort von Gereon Wolters: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1985, S. 3, 34. Castañeda konstruiert den mit Ernst Machs Schulmeisterbeispiel vergleichbaren Fall des Herausgebers von Soul, der sich auf einem Foto abgebildet sieht und sich zunächst nicht erkennt, sondern nur, dass der Mann auf dem Bild der Herausgeber von Soul ist. Erst als er darauf hingewiesen wird, dass er der Mann auf dem Foto ist und sich daraufhin erkennt, kann er den selbstbewussten Gedanken ausdrücken: »Ich bin der Heraus-
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Mach beschreibt, wie er in einen Bus steigt und gegenüber einen Mann einsteigen sieht. Er denkt: »Was steigt doch da für ein herabgekommener Schulmeister ein.« Erst nach einiger Zeit bemerkt er, dass er selbst es ist, den er dort in einem Spiegel sieht.
Hier wird eine Situation beschrieben, in der ein Übergang stattfindet von einem bewussten Zustand ohne selbstbewussten Selbstbezug (Akt- bzw. Zustandsbewusstsein) in einen bewussten Zustand mit selbstbewusstem Selbstbezug (Ich-Bewusstsein). In der Analyse des zweiten Zustands wird sich zeigen, wie bedeutsam dafür der erste ist. So kann aus Sicht der aktuellen Diskussion noch einmal auf das Problem so genannter deflationärer Theorien von Selbstbewusstsein 40 eingegangen werden, die sich, wie im ersten Kapitel bereits verdeutlicht, in zweierlei Zirkel verstricken müssen. Die explanatorische Zirkularität entsteht, weil die Fähigkeit, das Erste-Person-Pronomen zu beherrschen, jeweils schon die Fähigkeit voraussetzt, selbstbewusste Gedanken fassen zu können, und umgekehrt. Daraus entsteht die Vermögenszirkularität, denn diese wechselseitige Abhängigkeit schließt es aus, zu erklären, wie das eine aus dem anderen oder das andere aus dem einen entstehen soll. In seinem Beispiel hatte Mach zwar auch mit dem ersten Gedanken bewusst auf sich Bezug genommen (bewusster Selbstbezug), aber diesem Bezug fehlte etwas: Er hatte zwar den richtigen Gegenstand ›herausgesucht‹ (individuiert) aus der Menge von vorhandenen Objekten – aber es fehlte das Wissen, dass er es selbst sei, auf den er sich dabei wissend bezog.
geber von Soul.« Vgl.: Castañeda, Hector-Neri: »Er«: Eine Studie zur Logik des Selbstbewusstseins. In: Frank, Manfred (Hg.): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 172 ff. Damit vergleichbar sind auch die Überlegungen Perrys, die er in seinem berühmt gewordenen Supermarktbeispiel vom Kunden, der den Verursacher einer Zuckerspur verfolgt, um zu entdecken, dass er selbst mit dem löcherigen Zuckerpaket in seinem Wagen diese Spur hinterlässt, illustriert. Perry, John: Das Problem der wesentlichen Indexwörter. In: Frank, Manfred (Hg.): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 402. 40 Es handelt sich hierbei ganz allgemein um Theorien, die annehmen, wir könnten alles, was spezifisch für Selbstbewusstsein ist, erklären, wenn wir eine Theorie dafür entwickelt haben, was es heißt, Ich-Gedanken zu fassen. Z. B. Bermúdez bezeichnet entsprechende Ansätze als deflationär. Bermúdez, José Luis: Nichtbegriffliche Selbsterfahrung und das Paradox des Selbstbewusstseins. In: Newen, Albert/ Vogeley, Kai (Hg): Selbst und Gehirn. Paderborn 2001 (2), S. 80. Ich – Jetzt – Hier
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
Während sich also der erste Gedanke vom herabgekommenen Schulmeister auf ihn bezog, aber nicht auf ihn als ihn selbst, ist Mach nach seiner Entdeckung, dass er es ist, der sich dort spiegelt, in der Lage, einen selbstbewussten Gedanken über sich zu fassen. Erst dann könnte er etwa einen Ich-Gedanken äußern, wie »Der Mann, der sich dort spiegelt und aussieht wie ein herabgekommener Schulmeister, der bin ich« (selbstbewusster Selbstbezug). Das (epistemisch) Besondere an solchen Ich-Gedanken ist als Problem aus der Darstellung und Diskussion von Fichtes Kritik am Reflexionsmodell (Kapitel 1) bekannt. Der Irrtum durch Fehlidentifikation kann Mach unterlaufen, weil er die Informationen über sich von der Objektseite, aus dem Spiegelbild, erhält. Damit es aber zu einem selbstbewussten Selbstbezug kommt, muss er das Objekt des Bewusstseins (Schulmeister-Spiegelbild) als identisch mit dem Subjekt des Bewusstseins (Ich) vorstellen. Wie aber lässt sich diese Identität feststellen? Das Spiegelbild ist als Repräsentation seiner selbst für ihn (Identifikationsleistung) nur dann erkennbar, wenn er vor der Reflexion schon mit sich bekannt war. Beim selbstbewussten Selbstbezug (Ich-Gedanke, Selbsterkenntnis) muss also eine kognitive Leistung vorliegen, die uns zum Ausdruck desselben in der Form »etwas als etwas« (Spiegelbild als Repräsentation Machs) bringt. Der Ausweis der Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation, das ist nun deutlich, wird also zum entscheidenden Merkmal für das Verständnis und den Ausweis von Selbstbewusstsein. Die Signifikanz der Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation besteht in ihrem Nachweis, dass es bestimmte Weisen gibt, sich seiner unmittelbar, nichtidentifizierend als Subjekt einer Selbstzuschreibung bewusst zu sein. Nun gilt es, die epistemischen Besonderheiten des Ich-Bewusstseins noch genauer herauszuarbeiten. Dabei wird nicht nur die Kritik am Reflexions- bzw. Wahrnehmungsmodell (vgl. Kapitel 1) durch einen modernen Ansatz bestätigt und ergänzt, sondern diejenige vorgängige Form von Selbstbewusstsein, auf die die Irreduzibilitätsüberlegungen verweisen, kann durch Negativbestimmungen genauer gefasst werden. In einem Ausschlussverfahren kann gezeigt werden, dass folgende Bedingungen, die für das Bewusstsein von Objekten, also von
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sinnlich wahrgenommenen Tatsachen gelten, im Falle des Bewusstseins von einem Selbst nicht erfüllt sind: 41 Erstens werden sinnliche Tatsachen bewusst gemacht durch demonstrative Bezugnahmen auf das im propositionalen Gehalt der Überzeugungen enthaltene Individuum (»Der Mann da im Bus-Spiegel bin ich«), was im Falle des Selbstbezugs insofern unmöglich ist, als ich zu mir selbst nicht in eine standpunktunabhängige Beobachterrelation treten kann (und mich mir zeigen: »Die da bin ich«), wie ich das bei Sinneswahrnehmungen tue (vgl. Novalis’ Selbstverfehlung im Spiegel). Zweitens einzelt man bei einer Sinneswahrnehmung den Gegenstand aus einer Menge von Gegenständen aus. Diese Möglichkeit besteht nicht beim Selbsterkennen vermittels innerer Wahrnehmung. Denn bei einem wahrgenommenen Gegenstand verfügt man über identifikationsgestützte Informationen, was beim Selbsterkennen nicht der Fall sein kann. Dort muss es so sein, dass ich, jeder Objekt-Präsentation zuvor, schon weiß, dass ich Ich bin, um mich aus einer etwaigen Menge individuieren (herauseinzeln) und mich mit mir identifizieren zu können. 42 Eine letzte Bedingung, die laut Shoemaker für das Bewusstsein sinnlicher Tatsachen gilt, ist, dass man seine Aufmerksamkeit auf sie richten und sie dadurch aus einer Menge »herausfiltern« kann. 43 Selbsterkennen (»Self-knowledge« 44) dagegen ist nicht erklärbar aus einer solchen Kausalbeziehung zwischen einem Gegenstandsbereich und meinem aufmerksamen Gewahren, weil dazu ein Subjekt-Objekt-Gegensatz vorliegen müsste, der in diesem besonderen Fall aber nicht gegeben sein kann. Auch aufmerksames Selbstgewahren verlangt, dass das Subjekt der Objekt-Präsentation zuvor schon seiner inne ist. Diese Form des Selbstbewusstseins, Ich-Bewusstsein von einem Selbst (selbstbewusste Selbstbezugnahme), kann also nicht mit dem Wahrnehmungsmodell bzw. dem Reflexionsmodell von SelbstVgl. Shoemaker, Sydney: Self-Reference and Self-Awareness. In: Shoemaker, Sydney: Identity, Cause, and Mind. Cambridge: Cambridge University Press, 1984. 42 Shoemaker, Sydney: Self-Reference and Self-Awareness. In: Shoemaker, Sydney: Identity, Cause, and Mind. Cambridge: Cambridge University Press, 1984, S. 8 f. 43 Shoemaker, Sydney: The First-Person Perspective and Other Essays. Cambridge: Cambridge University Press 1996, S. 205 f. 44 Shoemaker, Sydney: The First-Person Perspective and Other Essays. Cambridge: Cambridge University Press 1996, S. 205 f. 41
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bewusstsein erklärt werden. »Perceptual self-knowledge presupposes non-perceptual self-knowledge […].« 45 Wendet man diese Erkenntnisse auf das Ernst-Mach-Beispiel an, bedeutet das: Wenn er sich im Bus-Spiegelbild erkennt, dann muss er zuvor schon eine besondere Art von Kenntnis von sich selbst gehabt haben. Auf die Sprachanalyse von Ich-Gedanken (Ich-Sätzen) gewendet, lassen sich diese Überlegungen nun als die Irreduzibilität unserer epistemischen Einstellung zu uns selbst (attitudes de se) auf Einstellungen zu Propositionen (attitudes de dicto) oder Einstellungen zu Gegenständen (attitudes de re) sprachphilosophisch ausführen. David Lewis zeigt, dass es Einstellungen gibt, die sich nicht als Einstellungen zu solchen Propositionen analysieren lassen, in denen wir uns selbst in Raum und Zeit situieren. Wahre Propositionen sagen, was der Fall ist in der Menge von Welten, in denen sie zutreffen. Wir haben damit Kenntnisse über den logischen Raum, wissen aber nicht, in welcher dieser möglichen Welten wir leben. Weil wir aber davon ausgehen, dass jedes Subjekt nur in einer dieser Welten lebt, schreiben wir dem Subjekt (also uns) keine weitere Proposition, sondern eine besondere Eigenschaft zu: nämlich genau in einer Welt zu leben. »Eigenschaften sind auch Mengen, aber – anders als Propositionen – nicht von Welten, sondern von Wesen, die – z. B.– Welten bewohnen.« 46 Unabhängig von der Art und der Größe unseres propositionalen Wissens kann also eine Zuschreibung wie »Ich bin jetzt hier« gelingen, denn sie enthält keine Eigenschaft, der eine Proposition entspricht. Es gibt folglich nichtpropositionale Kenntnis (de se) 47. Laut Lewis, der damit deutlich an Castañeda anknüpft, beziehen wir eine Einstellung de dicto, wenn wir uns propositional auf einen Gegenstand einstellen, während er die Selbstzuschreibung von
Shoemaker, Sydney: Self-Reference and Self-Awareness. In: Shoemaker, Sydney: Identity, Cause, and Mind. Cambridge: Cambridge University Press 1984, S. 105. 46 Frank, Manfred: Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis. In: Die Öffentlichkeit der Vernunft. Festschrift für Jürgen Habermas. Hg.: Lutz Wingert/ Klaus Günther. Frankfurt/Main 2001, S. 13. 47 Vgl. dazu John Perrys bekanntes Beispiel von Rudolf Lingens in der StandfordUniversity-Bibliothek, der sein Gedächtnis und so die Fähigkeit verloren hat, sich für wahr gehaltene Propositionen selbst zuzuschreiben. In: Perry, John: Frege on Demonstratives. In: Philosophical Review 86 (1977), S. 492. 45
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Eigenschaften als Kenntnis de se bezeichnet. »My thesis is that the de se subsumes the de dicto, but not vice versa.« 48 Gleiches gilt auch für objektivistische de re Formulierungen, so Chisholm 49, ebenfalls im Anschluss an Castañeda. Sie implizieren nicht jene besondere Form von (Selbst-) Bewusstsein bzw. Selbstkenntnis. Diese kann ohne die Verwendung der Reflexiva (sie … sie selbst), d. h. nur mit einer objektivistischen, in einer Proposition geäußerten, und damit bezüglich Fehlidentifikation irrtumsanfälligen Beschreibung des gleichen Sachverhalts nicht abgeleitet werden. Chisholm geht davon aus, dass man sich in Fällen von Selbstbewusstsein (de se attitude) eine Eigenschaft nichtpropositional und, in diesem Sinne, direkt selbst zuschreibt, wobei in seiner Ontologie die Eigenschaften Nachfolger von Propositionen sind. Es handelt sich um die Zuschreibung der Eigenschaft, selbst gerade in einem intentionalen Bezug auf einen Gegenstand zu stehen. Sich eine Eigenschaft direkt zuzuschreiben, bedeutet, ohne den Deutungsprozess von »etwas als etwas« (sprachlich Verfasstes) auszukommen und somit immun gegen Irrtümer durch Fehlidentifikation zu sein. Man bezieht sich auf einen Gegenstand in der Welt und man kann sich in der Interpretation desselben durchaus irren. Aber man ist irrtumsimmun darin, sich die Eigenschaft zuzuschreiben, gerade in einer epistemischen Beziehung zu diesem Gegenstand zu stehen. Denn diese Selbstzuschreibung erfolgt direkt, nicht vermittelt durch Interpretation (seiner selbst als etwas), weswegen eben kein Irrtum geschehen kann. Noch einmal zusammenfassend heißt das, ein epistemischer Selbstverweis, wie »x glaubt, dass sie selbst y« lässt sich weder auf Wendungen de dicto, wie »x glaubt [die Proposition], dass x y«, noch auf Wendungen de re reduzieren, wie »es gibt eine res, x, so, dass x mit z identisch ist und x hält x für y« 50. Lewis, David: Attributions ›De dicto‹ and ›De Se‹. In: The Philosophical Review 88, No. 9 (Oct.1997), S. 513–543 sowie: Perry, John: Das Problem der wesentlichen Indexwörter. In: Frank, Manfred. Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 402–424. 49 Chisholm, Roderick M.: Die erste Person – Ein Essay über Referenz und Intentionalität. In: Frank, Manfred. Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, Kapitel 3, 4, S. 265–320. 50 Vgl.: Chisholm, Roderick M.: Die erste Person – Ein Essay über Referenz und Intentionalität. In: Frank, Manfred. Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 265–320. 48
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
Auf das Ernst-Mach-Beispiel angewendet, heißt das: Ernst Mach kann (z. B. eine Teilamnesie erlitten haben und daher) vergessen, dass er Ernst Mach ist, der so und so aussieht. Dann kann er glauben (de re), Ernst Mach sei ein herabgekommener Schulmeister und dieser Glaube muss keiner über ihn selbst sein. Denn diese de re Überzeugung (Glaube, dass x) schließt nicht den selbstbewussten Selbstbezug ein. Während also eine de se Überzeugung eine de re impliziert, kann man eine de re Überzeugung haben, die keine de se Überzeugung impliziert. Davon lässt sich die Annahme herleiten, dass es Kenntnisse (de se) gibt, die nicht de re, also nicht gegenständlich sind. Im Rahmen seiner Teilamnesie könnte Ernst Mach auch eine Überzeugung de dicto haben (»Der Mann dort heißt Ernst Mach«), ohne sie auf sich selbst zu beziehen (de se), z. B. wenn er ein beschriftetes Fotoalbum anschaut. Während also eine Überzeugung de se eine Überzeugung de dicto impliziert, impliziert eine Überzeugung de dicto nicht eine Überzeugung de se. Anhand dieser semantischen Einsichten und Überlegungen zur epistemischen Nichtreduzierbarkeit von expliziten Ich-Gedanken bzw. selbstreferenziellen Termen auf solche, die mit koreferentiellen singulären Termen formuliert sind, lässt sich erneut die These untermauern, dass sich der epistemische Selbstbezug (Selbstwissen, hier: Ich-Bewusstsein) nicht aus dem Mechanismus der propositionalen Einstellung erklären lässt. 51 Diese logische Unersetzbarkeit der Ich-Perspektive verleiht Sätzen mit de se Attributionen (»sie glaubt, dass p«) Sicherheit und macht daher eine Propositional-Theorie von solchen selbstreferentiellen Glaubenskontexten fragwürdig: Wenn ich von mir selbst etwas glaube, muss ich mir dabei nicht in Sätzen ausgedrückte Kenntnisse zuschreiben. Dritte aber, die mir einen solchen Glauben zuschreiben wollen, müssen so vorgehen. Die Grundlage des Wissens von sich selbst kann also nur in solchen Fällen von Selbstzuschreibung zu suchen sein, die keine Identifikationskomponente enthalten, die immun gegen Irrtum durch Fehlidentifikation sind; Selbstzuschreibungen, in denen »ich« (laut
Damit zeigen Castañeda und die Vertreter ähnlicher Positionen, dass mindestens drei Haupttypen des Reduktionismus in Bezug auf die Subjektivität als gescheitert erklärt werden können: Selbstwissen (= Ich-Bewusstsein) ist nicht analysierbar in Begriffen einer Sprache (1) über Gegenstände (vs. Physikalismus), (2) über wahre Aussagen (vs. Nominalismus), (3) über externe Ereignisse (vs. Faktualismus).
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Ich-Bewusstsein: explizites Selbst-Bewusstsein
Wittgenstein in seinen als das Blaue Buch herausgegebenen Überlegungen 52) im Subjektgebrauch vorkommt. Es muss also unterschieden werden zwischen der Form eines voll ausgebildeten Selbstbewusstseins, die die Beherrschung des ErstePerson-Begriffs und die sprachliche Beherrschung des Erste-PersonPronomens voraussetzt und (zumindest) einer anderen, zugrunde liegenden Form des Selbstbewusstseins, die insofern als einfacher bezeichnet werden kann, als sie keine sprachliche oder begriffliche Kompetenz voraussetzt. Auf der Basis dieser Ergebnisse kann festgehalten werden, dass derjenigen Form von Bewusstsein, die ich als explizites Selbstbewusstsein oder Ich-Bewusstsein erläutert habe, eine andere Form von Selbstbewusstsein vorgängig bzw. implizit sein muss. Dieses Selbstbewusstsein muss nichtidentifizierend (daher auch immun gegen Irrtum durch Fehlidentifikation), präreflexiv und nichtbegrifflich sein, eine unmittelbare Selbstzuschreibung, die auch nicht mit dem gängigen Wahrnehmungsmodell erklärt werden kann. Sie ist es, die das Ich-Bewusstsein epistemisch irreduzibel macht. Vieles spricht dafür, dass diese Form von Selbstbewusstsein ein durch seine Erlebnisqualität geprägtes Seiner-selbst-inne-Sein ist, da es eben kein konzeptualisiertes Selbst oder begrifflich verfasstes IchBewusstsein fordert. Die Ergebnisse der Analyse des expliziten Selbstbewusstseins oder Ich-Bewusstseins lassen sich aber auch auf eine weitere Form, in der Bewusstsein vorkommt, übertragen. Es ist bereits deutlich geworden, dass nicht nur der explizite epistemische Selbstbezug, wie er in entsprechenden selbstreferenziellen Aussagen zum Ausdruck kommt (»Ich bin die Autorin dieses Textes« oder noch genauer: »Ich bin der Überzeugung, dass ich die Autorin dieses Textes bin«), sondern auch der in propositionalen Einstellungen implizit enthaltene Selbstbezug (»Das Auto dort ist grün«, oder umformuliert und genauer: »Ich bin der Überzeugung, dass das Auto dort grün ist«) nicht im Rahmen einer Propositionaltheorie erklärt werden kann. Das werde ich im nachstehenden Kapitel genauer untersuchen. Zurückzuweisen ist dabei eine Sichtweise, der gemäß der Bereich der Bewusstseinsinhalte, der zuverlässigerweise einem Lebewesen zugeschrieben werden kann (bzw. den es sich selbst zuschreibt), direkt
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Wittgenstein, Ludwig: Das Blaue Buch. Suhrkamp Werkausgabe Bd. 5, 1984.
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
durch Begriffe festgelegt wird, über die das Lebewesen verfügt. Und dazu gehört nicht nur der Ich-Begriff als Ausdruck der Einstellung des Subjekts zu sich, sondern propositionale Einstellungen im Allgemeinen (als Ausdruck unserer Einstellungen zu etwas: Dingen oder Sachverhalten). Das folgende Kapitel ist demnach als Ergänzung des Kapitels über Ich-Bewusstsein zu verstehen. Ich untersuche die (gemäß meiner Einteilung) zweite Form, in der Bewusstsein vorkommt. Es handelt sich um unser Akt- 53 und Zustandsbewusstsein 54 in propositionalen Einstellungen.
3.2 Akt- und Zustandsbewusstsein: Bewusstsein in propositionalen Einstellungen Bewusstseinszustände, die wir als propositionale Einstellungen klassifizieren, können nicht mit Modellen, die eine »Etwas-als-etwasStruktur« haben (Wahrnehmungs- bzw. Reflexionsmodell, Propositionaltheorie), vollständig erklärt werden. Diese These werde ich nun untermauern. So kann auch bei dieser Form von Bewusstsein ein epistemisch irreduzibles Moment ausgewiesen werden. Dies berechtigt zu der Annahme, dass auch derjenigen Form von Bewusstsein, wie sie in propositionalen Einstellungen zum Ausdruck kommt und die einen impliziten Selbstbezug enthält, eine Form von Selbstbewusstsein zugrunde liegt. Wovon und in welcher Form besteht aber Bewusstsein in Bewusstseinszuständen, die wir als propositionale Einstellungen klassifizieren? Der Gehalt unserer Einstellungen hat jedenfalls Eigenschaften, die (auch) durch die (Außen-)Welt bestimmt werden. Innere Wahrnehmung hat aber nur Zugang zu inneren Eigenschaften der Einstellung. Denn, »meanings« wie Putnam es formuliert, »just ain’t in the head« 55. Und daher können die Gehalte und die Bedeutungen der Gehalte, »die zum Teil durch Faktoren außerhalb des Agenten
Z. B.: Das Bewusstsein davon, gerade durch einen Fluss zu schwimmen. Z. B.: das Bewusstsein davon, gerade Hunger zu haben. 55 Vgl.: Putnam, Hilary: The meaning of ›meaning‹. In: Mind, Language and Reality. Philosophical Papers. Vol. 2, Cambridge University Press 1975 (1992), S. 223. 53 54
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Akt- und Zustandsbewusstsein: Bewusstsein in propositionalen Einstellungen
identifiziert w[erden],« 56 dem Agenten auch unbekannt sein und er kann sich darüber irren. Dasjenige, das ein Subjekt glaubt oder wünscht, oder wovon es überzeugt ist, hängt folglich nicht allein von dem ab, was in ihm selbst vorgeht, sondern auch von der Umwelt und der Sprachgemeinschaft, in der es lebt. Daher kann innere Wahrnehmung allein auch nicht das geeignete Mittel sein, um herauszufinden, wovon denn in solchen Fällen von intentionalen Bewusstseinszuständen überhaupt Bewusstsein besteht. Dieses Argument lässt sich mit Rekurs auf Putnams Aufsatz »The meaning of ›meaning‹« 57erläutern. Putnam geht von zwei aus Freges Ansatz 58 gewonnenen Annahmen über den Sinn von sprachlichen Ausdrücken aus: 1)
2)
Der Sinn eines sprachlichen Ausdrucks bestimmt seinen Bezug. Es kann keine zwei sprachlichen Ausdrücke geben, die denselben Sinn haben, aber verschiedenen Bezug (sie könnten wohl aber dieselbe Bedeutung haben). Der kompetente Sprecher einer Sprache kennt den Sinn aller Ausdrücke dieser Sprache.
Mit seinem berühmt gewordenen Zwillingserde-Gedankenexperiment zeigt Putnam, dass man sich Umstände vorstellen kann, unter denen 1) und 2) nicht beide richtig sein können: Vgl. Davidson, Donald: Seine eigenen Gedanken kennen. In: Frank, M.: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 659. 57 Putnam, Hilary: The meaning of ›meaning‹. In: Mind, Language an Reality. Philosophical Papers. Vol. 2, Cambridge University Press 1975 (1992). 58 Vgl.: Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Funktion, Begriff, Bedeutung: Fünf logische Studien. Hrsg. und eingeleitet von Günther Patzig. 7., bibliogr. erg. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1994, S. 40–66. Frege versucht zu klären, ob ein Gedanke die Bedeutung oder der Sinn eines Satzes sei, und kommt zu folgenden Bestimmungen: Die Bedeutung eines Satzes ist sein Wahrheitswert, wobei nur dann ein Wahrheitswert existiert, wenn die an Argumentstelle stehenden Eigennamen des Satzes nicht bedeutungslos sind. Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand, den er bezeichnet. Der Sinn eines Satzes wiederum ist der durch das Denken erfasste Gedanke, der unabhängig vom Subjekt in einem Reich der Gedanken existiert. Die Bedeutung der Worte ›Morgenstern‹ und ›Abendstern‹ ist dieselbe, der Sinn und mit ihm der erfasste Gedanke jedoch unterscheiden sich. Diesen Gedanken greift Putnam in seiner umgekehrten Fassung auf: Jeder sprachliche Ausdruck hat genau einen Sinn und einen dazugehörigen Bezug. 56
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
Angenommen, es gäbe einen Planeten ›Zwerde‹, auf dem alles genauso ist wie auf der Erde bis auf eines: Dort, wo sich auf der Erde H2O befindet, ist auf Zwerde ein Stoff XYZ, der in Eigenschaften und Funktionen von H2O ununterscheidbar ist, aber eine andere chemische Struktur hat. Auf Zwerde gibt es eine von mir ununterscheidbare Doppelgängerin, die sich, wenn sie auf ein Aquarium zeigt und sagt, »darin ist Wasser« auf XYZ bezieht, während ich, wenn ich dies hier sagte, mich auf H2O beziehen würde. Putnam, der an der Annahme 1) festhält, kommt daher zu dem Schluss, dass der Sinn der Ausdrücke einer Sprache nicht nur durch die intentionalen Zustände der Sprecher dieser Sprache festgelegt wird, sondern dass dabei (mindestens) ein zusätzlicher äußerer Faktor hineinspielt, der sich nicht »in den Köpfen der Sprecher« befindet. Burge radikalisiert dieses Argument noch und behauptet, aus Putnams Überlegungen folge nicht nur, dass die Wörter Wasser und Zwasser, eine andere Bedeutung haben, sondern dass die Gedanken der Doppelgängerinnen einen anderen Inhalt haben. Sein Gedankenexperiment, um dies zu erläutern, handelt von Oscar und Zwoscar: Oscar und Zwoscar stehen je an einer Quelle (auf der Erde bzw. auf der Zwerde) und sagen jeweils: »Das Wasser ist klar«. Die Frage ist: Haben die beiden dieselbe Überzeugung? Bei Oscar gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass sich der Inhalt seiner Überzeugung vom Inhalt des Satzes unterscheidet, mit dem er sie ausdrückt. Bei Zwoscar ist das anders, denn der Inhalt seines Gedankens müsste durch den Satz »Das Zwasser ist klar« wiedergegeben werden. Dann haben aber die beiden Sätze unterschiedlichen Sinn, und Burge folgert, dass die Gedanken von Oscar und Zwoscar verschiedene Inhalte haben. Oscars Wassergedanken beziehen sich auf Wasser, Zwoscars auf Zwasser. Was bedeutet dies nun für das Introspektionsmodell des Selbstbewusstseins und für unsere Irrtumsimmunität bezüglich solcher propositionaler Einstellungen (»Ich glaube, dieses Wasser ist klar!«)? Mein Glaube, etwas sei Wasser, kann falsch sein, wenn ich z. B. (ohne es zu bemerken) auf Zwillingserde gelandet bin, auf der es kein Wasser gibt, sondern Zwasser. In diesem Falle scheint das Bewusstsein seine cartesische, d. h. nicht auf Wahrnehmung oder Sprachkonditionierung beruhende Selbsttransparenz, seine (ich meine) Irrtumsimmunität verloren zu haben, denn die mentalen Inhalte, die im Bewusstsein vorgestellt (Wasser) werden, und damit auch die Wahrheit unserer Überzeugungen, werden nicht von ihm (von mir), son46
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Akt- und Zustandsbewusstsein: Bewusstsein in propositionalen Einstellungen
dern von der Außenwelt bestimmt (These des Gehaltsexternalismus). Anders gesagt: Die Außenwelt beeinflusst unser Bewusstsein von etwas, das sich in propositionalen Einstellungen ausdrückt und sie beeinflusst damit auch die Wahrheit unserer Überzeugungen. Heißt das, dass unsere propositionalen Einstellungen zur Welt vollständig externalistisch determiniert sind – dass sie also keine (irreduzible) subjektive Komponente, ein Bewusstsein des Subjektes von sich als der Dinge und Sachverhalte Bewusstseiendes enthalten? Das muss man nicht unbedingt annehmen. Eine (kompatibilistische) Vermittlung zwischen einem radikalen Externalismus und der cartesischen These von der Irrtumsimmunität unserer Kenntnisse der Gehalte unserer intentionalen Einstellungen erreichen Davidson 59 und Burge 60: Davidson stärkt die These der Irrtumsimmunität mit der These, dass Selbstbewusstsein gar kein gegenständliches, also kein auf Wahrnehmungsbelege gestütztes Wissen sei und demnach unmittelbar und unbegrifflich. Der gehaltsexternalistischen These kann damit entsprochen werden, weil man ja kein explizites Wissen über die (äußeren) Gegenstände haben muss, die den Gedanken dieses Subjekts entsprechen. Burge drückt den Gedanken der Vermittelbarkeit folgendermaßen aus: »Wenn man weiß, dass man gerade denkt, dass p, dann nimmt man seinen Gedanken (oder sein Denken), dass p, nicht bloß zum Objekt. Man denkt, dass p, in ein und demselben Akt, in dem man denkt, dass man dies denkt. Der Gedanke, dass p, wird also in ein und demselben mentalen Akt gedacht, in dem auch etwas über ihn gedacht wird. Deshalb werden alle Bedingungen, die für das Denken, dass p, notwendig sind, gleichermaßen für das relevante Wissen, dass man denkt, dass p, notwendig sein. Und wiederum trifft hier zu, dass man, um den Gedanken zu denken, seine Ermöglichungsbedingungen nicht zu kennen braucht.« 61 Davidson, Donald: Seine eigenen Gedanken kennen. In: Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 659. 60 Vgl. auch Davidson, Donald: Seine eigenen Gedanken kennen. In: Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994: Er macht unsere Irrtumsimmunität stark mit der These, dass die entsprechenden Bewusstseinszustände auch Selbstbewusstsein implizieren, welches gar keine gegenständliche, also keine auf Wahrnehmungsbelege gestützte Kenntnis sei und demnach als unmittelbar und nichtbegrifflich zu charakterisieren. Der gehaltsexternalistischen These kann damit entsprochen werden, weil man ja kein explizites Wissen über die (äußeren) Gegenstände haben muss, die den Gedanken dieses Subjekts entsprechen. 61 Burge, Tyler: Individualismus und Selbst-Wissen. In: Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 697. 59
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
Nicht bezüglich des Gegenstands unseres Wissens in propositionalen Einstellungen sind wir also irrtumsimmun, sondern der ihn spezifizierende Gedanke ist es, der dem Subjekt (irrtumsimmun) bekannt ist. Und genau dieser Gedanke ist für meine Überlegungen relevant, denn an ihm lässt sich das irreduzible Moment im Bewusstsein ausweisen, das zu der Annahme einer auch dieser Form von Bewusstsein zugrunde liegenden Form von implizitem (Selbst-)Bewusstsein berechtigt. Worum handelt es sich also bei diesem den Gegenstand unseres Wissens spezifizierenden Gedanken? Um dies näher zu erklären, kann man mit Burge unterscheiden zwischen »empirical thoughts« erster Ordnung (a), die durch die Außenwelt und den Sprachgebrauch determiniert (und daher nicht irrtumsimmun) sind: man weiß, dass p, und einem »second-order-character« dieser Gedanken (b), in dem das Bewusstsein, das aufs Objekt oder die propositionale Einstellung gerichtet ist, sich unmittelbar, nichtdiskursiv und in selbstverifizierender Weise durchsichtig ist: man denkt, dass man weiß, dass p. »Wir ›individuieren‹ unsere Gedanken oder unterscheiden sie von anderen Gedanken, indem wir sie und nicht die anderen auf selbst-zuschreibende Weise denken. Unser Wissen von unseren eigenen Gedanken ist, grob gesprochen, unmittelbar, nicht diskursiv. […] Grundlegendes Selbst-Wissen [self-knowledge] benötigt zu seiner Rechtfertigung in keiner Weise eine Ergänzung durch diskursive Untersuchungen und Vergleiche.« 62
Burge, Tyler: Individualismus und Selbst-Wissen. In: Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 700. Zu bedenken ist auch, dass im ›Normalfall‹ die Autorität des Selbstbewusstseins doch auch die Gehalte seiner (first-order-)Gedanken in ihrer richtigen Bedeutung erreicht. Das betont auch Frank: »Denn diese Gehalte sind identisch (zwar nicht notwendig mit den Wirkungen des aktuell präsentierten Gegenstandes: Ich sehe Zwasser und glaube, Wasser zu sehen, wohl aber,) mit dem, was im Bewusstsein durch die ursprüngliche Lernsituation (kausal) bewirkt wurde [1] und auch mit dem, worauf sich eine fremde Person stützt, wenn sie meine Gedanken ›interpretiert‹ [2]« Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 28. Mit der Identifikation [1] kann man Gedanken von Gehirnzuständen unterscheiden: Wenn man nämlich einen Bewusstseinszustand durch die Beziehung identifiziert, in der er in der Lernsituation zum äußeren Gegenstand stand, dann kann er nicht nur aus Hirnzuständen erklärt werden, die nicht-relational zu identifizieren sind. Mit der Identifikation [2] kann die Asymmetrie zwischen Ich- und Er-Perspektive geschlossen werden.
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Zusammenfassung
Das Bewusstsein von etwas (propositionale Einstellung) involviert demnach eine unmittelbare Art und Weise der Selbstgegebenheit. Die den Gegenstand unseres Wissens spezifizierenden Gedanken sind gemäß Burge unsere Einstellungsmodi (wie Wünsche, Überzeugungen, Hoffnungen). Bezüglich unserer Einstellungsmodi sind wir irrtumsimmun: Anders als im Falle der Wahrnehmung, in der Objekte unterschieden und aus einer Menge individuiert werden, wobei Verwechslungen geschehen können (Zwasser/Spiegelbild), ist unser epistemischer Zugang zu unseren Einstellungsmodi, immun gegen solche Fehler. Woher rührt unsere Irrtumsimmunität bezüglich unserer Einstellungsmodi? Sie rührt daher, so neben Burge auch Shoemaker, dass dieser Zugang zu unseren eigenen Einstellungsmodi nicht über Urteile, die eine Art demonstrativer Bezugnahme einschließen, erfolgt, sondern unmittelbar ist.
Zusammenfassung Es konnte gezeigt werden, dass auch für diejenige Form von Bewusstsein, die sich in propositionalen Einstellungen ausdrückt, trotz gehaltsexternalistischer Implikationen nichtidentifikatorische Referenzbedingungen gelten und dadurch Immunität bezüglich Irrtums durch Fehlidentifikation herrscht. Unsere bewussten intentionalen Zustände (unsere propositionalen Einstellungen) sind auf ein ihnen zugrunde liegendes, nichtbegrifflich vermitteltes und daher präreflexives Selbstbewusstsein verwiesen: Wir haben darin eine besondere epistemische Autorität der ersten Person. Sie besteht darin, dass wir ohne Schlüsse aus der Beobachtung unseres eigenen Verhaltens unmittelbar um unsere eigenen Zustände wissen. Das kann auch als privilegierter Zugang der ersten Person bezeichnet werden: Keine andere Person als die, die das Subjekt des betreffenden Zustands ist, verfügt über einen derartigen Zugang. Aus der Perspektive der dritten Person müsste man über die Beobachtung des Verhaltens auf die bewussten Zustände des Gegenübers schließen, also ganz regulär empirisches Wissen erwerben. Solche Verhaltensbeobachtung ist bei der hier herausgearbeiteten Art der Selbstkenntnis nicht nötig. Daher kann man von unmittelbarem SichKennen, einer besonderen Art der Selbstgegebenheit sprechen.
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
Die bisher erarbeiteten Erkenntnisse zeigen: a)
b)
c)
Sowohl explizitem Ich-Bewusstsein als auch dem Bewusstsein, das sich in propositionalen Einstellungen ausdrückt, muss eine besondere Art von Selbstbewusstsein zugrunde liegen. Bewusstsein des eigenen Einstellungsmodus ist eine Weise des Selbstbewusstseins das in solchem Bewusstsein vorkommt, das intentional auf ein Objekt, einen Sachverhalt gerichtet ist: Wenn ich der Überzeugung bin, dass gleich Theobald zur Tür hereinkommt, bin ich mir dabei (implizit) irrtumsgewiss bewusst, dass ich diejenige bin, die diese Überzeugung hat. Dieses dem expliziten Ich-Bewusstsein sowie den propositionalen Einstellungen implizite Seiner-selbst-inne-Sein kommt ohne Identifikationsprozess zustande, ist nichtpropositional, nicht begrifflich vermittelt, was darauf hinweist, dass es durch seine oder als eine Erlebnisqualität zu charakterisieren sein muss.
Ziel dieser Arbeit ist es, nachzuweisen, dass Bewusstsein, egal in welcher Form es vorkommt, eine Form von Selbstbewusstsein involviert, und sodann dieses Selbstbewusstsein zu beschreiben. Bisher erfolgte der Nachweis einer solchen Form von Selbstbewusstsein in zwei Formen, in denen Bewusstsein vorkommt und zu seiner Beschreibung wurden die folgenden Negativbestimmungen gewonnen: Das in die untersuchten Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, involvierte Selbstbewusstsein muss nichtpropositional, nichtidentifikatorisch und nichtbegrifflich verfasst sein, so dass wir zu seiner Beschreibung auf die subjektive Erlebnisqualität unserer Bewusstseinszustände verwiesen sind. Die genaue Untersuchung des Subjektiven unserer Erlebnisqualität (Kapitel 4–6) soll dann zur positiven Bestimmung, zu einem adäquaten Erfassen derjenigen Form von Selbstbewusstsein (Seiner-selbst-inne-Sein) führen, die jede Form von Bewusstsein als einen Aspekt involviert. Dazu aber stellt sich zunächst die Frage, wie man unserem Bewusstsein, das sich in Form von propositionalen Einstellungen (dementsprechend auch unserem Bewusstsein, das sich als Ich-Bewusstsein) ausdrückt, überhaupt nichtpropositionale, nichtbegriffliche Aspekte zuschreiben kann. Daher beschäftige ich mich im folgenden Kapitel weiterhin mit denjenigen intentionalen Bewusstseinszuständen die in Kapitel 3.2 als propositionale Einstellungen charakterisiert wurden. Dieses Kapitel nimmt eine Zwischenposition ein. Es ergänzt 50
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Der nichtbegriffliche Aspekt propositionaler Einstellungen
die in 3.2 vorgenommene Charakterisierung propositionaler Einstellungen, indem die genannten Negativbestimmungen eingehend untersucht werden. Dabei wird der qualitativer Charakter, die subjektive Erlebnisweise dieser Bewusstseinszustände so thematisiert, dass die Untersuchung typischer qualitativer Bewusstseinszustände (Kapitel 4 ff.) bereits vorbereitet wird.
3.3 Der nichtbegriffliche Aspekt propositionaler Einstellungen Diese Untersuchung unterstellt bisher die Möglichkeit einer exakten Einteilung unserer mentalen Zustände in intentionale, begrifflich verfasste, propositionale Einstellungen einerseits und phänomenale, empfindungsmäßig verfasste, nichtbegriffliche andererseits. 63 Zur Kategorie der phänomenalen, empfindungsmäßigen Einstellungen zählen gemäß dieser Einteilung zwei ziemlich unterschiedliche Arten von Zuständen: zum einen Körperempfindungen, somatosensorische Erlebnisse wie Schmerzen oder Hautjucken, zum andern Stimmungen sowie Gefühle und auch perzeptuelle oder quasi-perzeptuelle Erlebnisse (dass es einem so scheint, in Theobald verliebt zu sein, einen grünen Laubfrosch bzw. einen grünen Marsianer zu sehen, oder einen schmelzenden Gesang zu hören). Letztere haben (mit Ausnahme der Stimmungen) ein intentionales Objekt, sie handeln von etwas, und darin unterscheiden sie sich von Ersteren. Diese sehr verschiedenen Zustände werden deswegen in einer Kategorie zusammengefasst, weil sie, anders als propositionale Einstellungen, wie ich sie bisher eingeführt habe, durch ihre subjektive Erlebnisqualität definiert sind, dadurch wie sie ihrem Subjekt erscheinen, wie dem Bewusstseinssubjekt in ihnen zumute ist. Das heißt, dass solche Zustände subjektiv und wesentlich bewusste Zustände sind. Nicht so die propositionalen Einstellungen. Deren Intentionalität, deren »Von-etwas-Handeln« steht außer Frage, aber sie sind nicht notwendig bewusste Zustände. Sie werden lediglich als Zustände bestimmt, die bewusst gemacht werden können: Man kann ÜberzeuEine Einteilung in »propositional attitudes« and »sensations«, die Betrand Russel zuerst traf. Russell, Bertrand: »Knowledge by Acquaintance and Knowledge by Description«, Proceedings of the Aristotelian Society (New Series), Vol. XI. 1910–1911, S. 108–128.
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
gungen haben, derer man sich nie oder nicht stets (aber dispositional) bewusst ist. Wie im vorigen Kapitel verdeutlicht wurde, umfassen propositionale Einstellungen nicht nur kognitive Zustände wie Überzeugungen, sondern auch konative und affektive Zustände wie Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen. Dennoch werden sie zumeist nicht durch eine bestimmte, ihnen spezielle Phänomenologie definiert. So zeigt auch schon Humes berühmtes Beispiel 64, dass die Überzeugung, der Eigentümer dieses Hauses zu sein, jedenfalls kompatibel ist mit einer ganzen Bandbreite von unterschiedlichen Weisen des Zumuteseins. Damit kann die oben stehende Einteilung spezifiziert werden: Sicherlich gibt es im breiten Spektrum von mentalen Zuständen »am einen Ende« solche phänomenalen, durch ihre Empfindungsqualität zu definierende Zustände, die nichtintentional sind (Stimmungen). Und sicherlich gibt es »am anderen Ende« propositionale Einstellungen, die ohne ein nur für sie ganz spezifisches phänomenales Bewusstsein auftreten, oder ganz ohne Bewusstsein 65. Daher ziele ich hier nicht darauf ab, zu zeigen, dass qualitative Züge notwendige Züge zur Individuierung aller propositionalen Einstellungen sind. Vielmehr richte ich mein Augenmerk auf den Bereich dazwischen, auf Bewusstseinszustände, insofern sie intentional sind, genauer: auf propositionale Einstellungen und deren Intentionalität. Bereits ein einfaches Gedankenexperiment verweist darauf, dass zumindest gerade diejenigen Bewusstseinszustände, die man beispielsweise in der Diskussion um Qualia häufig nicht als qualitativ auffasst (weil man anderen, nichtbegrifflichen Bewusstseinszuständen diesen qualitativen Charakter zuschreiben möchte), nämlich propositionale Einstellungen, durchaus einen für sie spezifischen qualitativen Charakter haben können:
Hume, David: Ein Traktat über die menschliche Natur. Leipzig (Meiner) 1989. Als Beispiel für propositionale Einstellungen ohne ein nur für sie spezifisches phänomenales Bewusstsein nennt Soldati Vorurteile. Vgl. Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 142. Einige Autoren stellen das phänomenale Bewusstsein überhaupt in Frage, wie z. B. Daniel Dennett in »Quining Qualia«. In: A. Marcel/E. Bisaich (Ed.): Consciousness in Contemporary Science. Oxford 1988, S. 42–77. Andere versuchen, phänomenales Bewusstsein auf andere Bewusstseinsformen zu reduzieren, wie z. B. Horgan/Tienson, in: Horgan, T./Tienson, J.: The Intentionality of Phenomenology and the Phenomenology of Intentionality, in: Philosophy of Mind. Cambridge 1995.
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Der nichtbegriffliche Aspekt propositionaler Einstellungen
Man stelle sich eine Person mit einer entsetzlichen Lernerfahrung bezüglich Additionsaufgaben vor, wie sie »vierhundertsiebenundachtzig Komma sieben plus siebenhundertachtundvierzig Komma eins gleich eintausendzweihundertundfünfunddreißig Komma acht« denkt. Dann stelle man sich eine mit einer angenehmen Lernerfahrung bezüglich Additionsaufgaben vor, wie sie »vierhundertsiebenundachtzig Komma sieben plus siebenhundertachtundvierzig Komma eins gleich eintausendzweihundertundfünfunddreißig Komma acht« denkt. Es scheint einleuchtend, dass es sich um verschiedene Bewusstseinszustände handelt, wenn diese Additionsaufgabe gedacht wird, obwohl der intentionale Gehalt der Gedanken sich nicht unterscheidet: Es ist einem eben auch dann auf eine ganz bestimmte Weise zumute, wenn man über arithmetische Probleme nachdenkt. Ich werde nun zeigen, dass auch begrifflich verfassten Bewusstseinszuständen (propositionalen Einstellungen) ein qualitativer Charakter zugeschrieben werden kann. Das untermauert und ergänzt meine These, dass zu Bewusstseinszuständen ein – wie Searle es nennt – »qualitatives Gefühl gehört« 66 Im Folgenden greife ich einige zentrale Gedanken aus Kapitel 3.2 auf und arbeite sie weiter aus. Mit Rekurs auf Putnams Gedankenexperiment von der Zwillingserde und Burges Ausführungen dazu wurde dort erläutert: Intentionale Zustände weisen über sich selbst hinaus und beziehen sich auf Gegenstände und Sachverhalte in der Welt. Daher müssen sie einen Gehalt haben, der diese Bezugnahme bestimmt. Dieser Gehalt ist (mindestens) durch zwei Faktoren konstituiert, die unterschieden werden müssen: erstens das Objekt, das der intentionale Zustand (z. B. die Überzeugung) zum intentionalen Objekt hat (das, wovon die Überzeugung handelt) und zweitens der Typ des Zustandes, der psychologische Einstellungsmodus oder auch Repräsentationsmodus (wie das, wovon die Überzeugung handelt, das intentionale Objekt, repräsentiert wird). Es hat sich herausgestellt, dass Bestimmungen der Bewusstseinsmodi bzw. der Repräsentationsmodi einen nichtidentifikatorischen, nichtbegrifflichen Aspekt haben müssen, einen, der nicht externalistisch bestimmbar sein kann, sondern – das legt das Voranstehende nahe – der durch die subjektive Erlebnisqualität die diesem Bewusstseinszustand zukommt, bestimmt werden muss, durch seine Phänomenalität. 67 66 67
Searle, John R.: Geist. Eine Einführung. Frankfurt/M. 2006, S. 145. Zur Einordnung dieses Arbeitsschritts in den Gesamtkontext meiner Arbeit: Meine
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
Das hat zur Konsequenz, dass die Zuschreibung einer propositionalen Einstellung sowohl auf der Art und Weise basieren kann, wie die Überzeugung ihr intentionales Objekt repräsentiert, als auch darauf, was repräsentiert wird: das Objekt selbst, nicht sein Repräsentationsmodus. Putnam bezeichnet die Weise, den Gehalt der propositionalen Einstellung zu individuieren, im ersten Fall als eng (narrowly), im zweiten als weit (broadly). Eine eng individuierte propositionale Einstellung schließt den Modus der Repräsentation des intentionalen Objekts ein. Das heißt, hier ist es nicht die Relation zum Referenten (d. h. zum Objekt: was repräsentiert wird), die kausal oder explanatorisch relevant ist für das Verhalten des Bewusstseinssubjekts bzw. für die Zuschreibung einer propositionalen Einstellung, sondern die Art und Weise, wie dieser Referent innerlich repräsentiert wird. Eine weit (broadly) individuierte Überzeugung wird gemäß ihrer referentiellen oder semantischen Eigenschaften individuiert. Mit Rekurs auf Putnam (vgl. Kapitel 3.2) wurde gezeigt, dass diese Weisen, den Gehalt der propositionalen Einstellung zu bestimmen, beide korrekt sind, aber nicht äquivalent, und dass sie manchmal auseinander treten können: Oscar und Zwoscar haben dieselben eng individuierten Überzeugungen (Wasser entspricht Wasser), aber verschiedene Überzeugungen gemäß einer weiten Individuierung (H2O/XYZ). Es gibt eine linguistische Unterscheidung, mit der man diesen unterschiedlichen Standards der Individuation, die die Zuschreibung derselben Überzeugung anleiten, Rechnung trägt: Demnach gibt es opake und transparente Zuschreibungen einer Überzeugung. Eine opake Zuschreibung ist eine Zuschreibung einer eng individuierten Überzeugung, eine transparente Zuschreibung ist eine Zuschreibung einer weit individuierten Überzeugung. Demgemäß haben Oscar und Zwoscar dieselben opaken, aber verschiedene transparente Überzeugungen. 68 Diese Überlegungen führen zu einer Argumentation gegen die These ist, dass sich in der Untersuchung dieses Aspekts der Phänomenalität die gesuchte Form unmittelbaren, nichtidentifikatorischen Selbstbewusstseins fassen lässt. 68 Vgl. mit Quines Beispiel vom Spion: Gesetzt, Jones sei ein Spion und gesetzt, Jones sei der größte Mann im Raum, aber ich wüsste es nicht. Dann bin ich Subjekt der opaken Zuschreibung der Überzeugung, dass Jones ein Spion ist und der transparenten aber nicht opaken Zuschreibung, dass der größte Mann im Raum Jones ist. Quine, Willard Van Orman: Quantifiers and Propositional Attitudes. The Journal of Philosophy Vol 53, Nr. 5 (1956).
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Denkmöglichkeit der Zuschreibung nichtbegrifflicher und dennoch intentionaler Zustände, die von verschiedenen Autoren, sehr klar von Donald Davidson – einem Vertreter des mentalen Holismus –, geführt wird. 69 Ich zitiere Davidson: »Can the dog believe of an object that it is in the tree? This would seem impossible unless we suppose the dog has many general beliefs about trees: that they are growing things, that they need soil […]. There is no fixed list of things someone with the concept of a tree must believe, but without many general beliefs there would be no reason to identify a belief as a belief about a tree. […] We identify thoughts, distinguish between them, describe them for what they are, only as they can be located within a dense network of related beliefs. If we really can intelligibly ascribe single beliefs to a dog, we must be able to imagine how we would decide whether the dog has many other beliefs of the kind necessary for making sense of the first. […] It seems to me that no matter where we start, we very soon come to beliefs such that we have no idea at all how to tell whether a dog has them, and yet such that, without them our confident first attribution looks shaky.« 70
Am Zitat ist erkennbar, dass Davidson in erster Linie einen GehaltsHolismus vertritt: Die Zuschreibung von propositionalen Einstellungen (Fremdpsychisches, gemäß Davidsons Bsp.: Hundepsychisches) fordert, dass der Gehalt der Einstellung jeweils gleich ist (meiner und der desjenigen, dem ich zuschreibe). Dabei ist aber der Gehalt bestimmt durch das Verhältnis dieses Gehalts zu anderen Gehalten anderer Überzeugungen und somit eingeflochten in ein ganzes Netzwerk von Überzeugungen. Dieses Eingeflochtensein in ein Netzwerk bedeutet laut Davidson, dass die Zuschreibung des Gehalts sowohl transparente, externalistisch zu bestimmende, als auch opake, durch den je eigenen Wahrnehmungs- bzw. Erlebnisapparat zu bestimmende Aspekte hat. Wenn wir akzeptieren, dass wir nicht in der Lage sind, nichtsprachlichen Wesen (z. B. Hunden, Babys, geistig Behinderten mit zerstörtem Sprachzentrum) eine propositionale Einstellung zuVgl. Davidson, Donald: Denken und Reden. In: Wahrheit und Interpretation. Frankfurt/M. 1986, S. 246 ff. Auch: Davidson, Donald: Rational Animals. In: LePore, E./McLoughlin, B. (Hg.): Actions and Events: Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson. Oxford 1985: Basil Blackwell, S. 473–480. Als ein weiterer wichtiger Vertreter des mentalen Holismus sei Stephen Stich erwähnt: Stich, Stephen: From Folk Psychology to Cognitive Science. Massachusetts 1983: MIT Press. 70 Davidson, Donald: Rational Animals. In: LePore, E./McLoughlin, B. (Hg.): Actions and Events: Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson. Oxford 1985: Basil Blackwell, S. 475. 69
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zuschreiben, die auch opake (Netzwerk-)Zuschreibungsaspekte enthält, dann – so Davidson – können wir dem Hund, allgemeiner dem nichtsprachlichen Wesen, keine propositionale Einstellung zuschreiben. Diese Argumentation ist eingebettet in Davidsons grundlegendere Überlegungen zur Interpretation intentionaler Zustände. Er geht davon aus, ein Lebewesen brauche, um z. B. eine Überzeugung zu haben, auch den Begriff der Überzeugung und also Sprache. Und zwar, weil man, um eine Überzeugung zu haben, wahre und falsche Überzeugungen unterscheiden können muss, und der Gegensatz zwischen Wahrem und Falschem nur im Kontext der Interpretation (von Sprache) auftreten kann. Wenn also die Vorstellung einer wahren oder falschen Überzeugung von der Vorstellung von wahren oder falschen Äußerungen abhängt, die nur im Rahmen einer gemeinsamen Sprache existieren können, und sie dabei in einem ganzen Netzwerk von (begrifflich verfassten) aufeinander bezogenen Überzeugungen situiert sein muss, kann nur ein sprachlich verfasster und damit identifikatorischer, reflexiver Bewusstseinszustand eine propositionale Einstellung sein. Dann kann auch nur ein Lebewesen, das über eine Sprache verfügt und sie interpretiert, propositionale Einstellungen haben. Auf meine Überlegungen in diesem Kapitel bezogen bedeutet dies: Dann müssen propositionale Einstellungen als wesentlich durch ihre Sprachlichkeit definiert verstanden werden (was die Verwendung des Begriffs »Proposition« auch zeigt) und die Zuschreibung eines nichtbegrifflichen, nichtidentifikatorischen – qualitativen – Aspekts scheint zumindest für die Definition der entsprechenden Zustände überflüssig. Ich möchte im Rahmen meiner Überlegungen zum Seinerselbst-inne-Sein aber zeigen, dass man propositionalen Einstellungen durchaus einen nichtsprachlichen, durch seine Phänomenalität bestimmten Aspekt zuschreiben kann. Daher werde ich nun auf zwei angreifbare Stellen der Davidsonschen Argumentation eingehen, ohne mich dabei auf eine Diskussion seines umfassenden Konzepts eines begrifflichen Holismus einzulassen: Ich nenne sie kurz a) Netzwerk und b) Sprachlichkeit und behandle sie in dieser Reihenfolge. a) Bereits mit Rekurs auf Burges Ausführungen wurde klar: Diejenigen propositionalen Einstellungen, die gemäß ihrer referentiellen oder semantischen Eigenschaften individuiert werden, nicht gemäß 56
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dem Modus und, wie sich noch zeigen wird, nicht gemäß der Art und Weise, wie die propositionale Einstellung ihr intentionales Objekt repräsentiert, fordern nicht, dass die propositionale Einstellung eingebettet ist in ein Netzwerk von ganz vielen anderen propositionalen Einstellungen, wie es Davidson verlangt. Solange für die korrekte Zuschreibung kein Wissen um den (opaken) Einstellungsmodus erforderlich ist, solange es sich also um die Zuschreibung von weit individuiertem, transparentem Gehalt handelt, kann man Individuen, die sehr verschiedene kausale und soziale oder ideologische Netzwerke haben, legitimerweise gehalthabende propositionale Einstellungen zuschreiben. Über deren opaken Gehalt kann man dabei zwar nicht sprechen – dieses Wissen ist für die Möglichkeit der Zuschreibung aber auch gar nicht erforderlich. 71 Damit ist Davidsons »Netzwerk-Argument« zu entkräften. Für meine subjektivitätstheoretischen Überlegungen, aus denen hervorging, wie bedeutend dafür gerade die Untersuchung des Einstellungsmodus als Aspekt der propositionalen Einstellung ist, ist jedoch der nun folgende Einwand gegen das von mir so genannte »Sprachlichkeits-Argument« bedeutsamer: b) Wie bereits erwähnt, basiert Davidsons Argumentation auf der Interpretation, gemäß derer Wahrheit ein metasprachliches semantisches Prädikat ist: Um eine propositionale Einstellung, wie z. B. eine Überzeugung zu haben, braucht man die Fähigkeit, zwischen wahren und falschen Überzeugungen unterscheiden zu können. Daraus folgt laut Davidson, dass »der Besitz von Überzeugungen metasprachliche semantische Prädikate verlangt, und dies setzt offensichtlich Sprache voraus.« 72 Mit Rekurs auf Searles Interpretation von Intentionalität werde ich erläutern, inwiefern man die Intentionalität propositionaler, sprachlich verfasster Einstellungen 73 verstehen kann als abgeleitet Menschen oder auch Hunden können demnach sehr wohl Begriffe von Dingen (wie Knochen) oder Sachverhalten (wie Katzen auf Bäumen) mit transparentem Gehalt zugeschrieben werden, deren eng individuierte Gehalte sich von unseren stark unterscheiden mögen. 72 Searle, John R.: Der Geist der Tiere. In: Perler, D., Wild M. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main (2005), S. 140. 73 Wie viele Philosophen konzentriert sich auch Searle auf Überzeugungen bzw. Wünsche und Absichten als die grundlegenden Formen von Intentionalität. Das be71
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Die Einzelanalysen der Bewusstseinsformen
von der ihr vorgängigen nichtsprachlich verfassten Intentionalität von Empfindungen, Wahrnehmungen und Handlungen. Mit dieser Interpretation von abgeleiteter, sprachlich verfasster und ursprünglicher, nichtsprachlicher Intentionalität lässt sich nicht nur Davidsons »Sprachlichkeits-Argument« entkräften, sondern vor allem dafür argumentieren, dass man (zumindest den meisten) intentionalen Zuständen, die propositional und begrifflich verfasst sind, auch einen (sogar einen ihnen zugrunde liegenden) phänomenalen, nicht begrifflichen Aspekt zuschreiben kann. Und das ist, es sei noch einmal wiederholt, das Ziel dieses Kapitels. 74 Intentionale Zustände ähneln in den verschiedenen Weisen, in denen sie sich auf die Welt beziehen, Sprechhandlungen. Sie repräsentieren Gegenstände und Sachverhalte im selben Sinn wie Sprechakte. Dementsprechend werden sie als begrifflich verfasste propositionale Einstellungen vorgestellt. Searle ist mit dem Teil der Argumentation Davidsons einverstanden, gemäß welchem man, um einen intentionalen Zustand zu haben, die Fähigkeit haben muss, Bedingungen, die den intentionalen Zustand erfüllen, von solchen zu unterscheiden, die ihn nicht erfüllen. Der entscheidende Unterschied, den Searle im Rahmen seiner Interpretation der Struktur von Intentionalität macht, ist, dass man dazu nicht notwendig Sprache braucht. Meinen, und damit eben sprachliche Bedeutung, kann demnach durch Intentionalitätsformen, die an sich nicht sprachlich sind, definiert werden. Ich nehme diesen Gedanken auf und erläutere ihn im Folgenden. Dazu ist es hilfreich, zunächst anhand der Ähnlichkeit von Intentionalität und Sprache, ihre Unterschiedenheit zu verstehen: Im
deutet nicht, so Searle zu Recht, dass alle Formen von Intentionalität sich auf Überzeugungen, Wünsche und Absichten zurückführen lassen. 74 Ein wichtiger Vertreter der These, dass es nichtpropositionale Gehalte von propositionalen Einstellungen gibt, ist freilich Gareth Evans (Evans, G.: The Varieties of Reference. Oxford 1982: Oxford University Press). Er argumentiert dafür, dass Gehalte, die uns unsere perzeptuellen Systeme zugänglich machen, nichtbegrifflich sind. Ich beziehe mich hier auf Searles Intentionalitätstheorie, weil Evans Wahrnehmungszustände mit nichtbegrifflichem Gehalt nicht für Bewusstseinsgehalte hält – sie gelten ihm als unbewusst, bis sie im Rahmen eines Gedankens d. h. eines konzeptuellen Bewusstseinsereignisses nützlich werden und damit aus dem Unbewussten auftauchen können. Meiner Ansicht nach herrscht jedoch beim Versuch, den Übergang des unbewussten Gehalts in einen bewussten zu fassen, Erklärungsnotstand. Daher konzentriere ich mich in meiner Argumentation auf Searles Intentionalitätstheorie.
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Vollzug jedes illokutionären Aktes 75 mit einem propositionalen Gehalt (dass die Katze auf dem Baum sitzt) drücken wir sprachlich einen intentionalen Zustand mit ebendiesem Repräsentationsgehalt 76 und ebendiesem psychischen Einstellungsmodus aus. Dabei begleitet aber der ausgedrückte intentionale Zustand nicht nur den Sprechakt, sondern vielmehr ist der Sprechakt notwendig Ausdruck des entsprechenden intentionalen Zustands. 77 Das heißt, der intentionale Zustand ist die Erfüllungsbedingung für den jeweiligen Sprechakt, nicht umgekehrt. Mit Erfüllungsbedingungen sind schlicht diejenigen Bedingungen gemeint, die bestehen müssen, damit der Zustand erfüllt sein kann (und damit er dann korrekterweise als wahr bezeichnet werden kann). Sie werden durch den intentionalen Gehalt des Zustands festgelegt, an dem sich die so genannte Anpassungsrichtung als bedeutsam erweist: »Im Falle von Überzeugungen soll der intentionale Zustand repräsentieren, wie die Dinge in der Welt sind. Die Überzeugung hat sozusagen die Verantwortung, zur Welt zu passen. Das Ziel des Wunsches ist es aber nicht, zu repräsentieren, wie die Dinge sind, sondern wie wir sie gerne hätten. Im Fall des Wunsches hat sozusagen die Welt die Verantwortung, zum Gehalt des Wunsches zu passen.« 78
Searles Rede von den unterschiedlichen Verantwortlichkeiten lässt sich folgendermaßen verdeutlichen: Überzeugungen, Urteile (wie auch Wahrnehmungen) haben eine Geist-an-Welt-Anpassungsrichtung (mind-to-world direction of fit). Entweder der Bewusstseinszustand entspricht dem, wie die Dinge in der Welt sind (repräsentiert sie korrekt), oder die Anpassung des Bewusstseinszustands (Geist) an die Welt gilt als misslungen. Zur Beurteilung des Gelingens oder Misslingens verwendet man die Ausdrücke »wahr« und »falsch«. Laut Searle gibt es genau fünf Grundkategorien illokutionärer Akte: Assertive, Direktive, Kommissive, Deklarationen und Expressive. Vgl. z. B.: Searle, John R.: Ausdruck und Bedeutung. Eine Taxonomie illokutionärer Akte. Frankfurt/M 1982, S. 17– 50. 76 Der Sinn von Repräsentieren, in dem eine Überzeugung ihre Erfüllungsbedingungen repräsentiert, ist also derselbe Sinn, in dem eine Feststellung ihre Erfüllungsbedingungen repräsentiert. 77 Das heißt nicht, dass man stets den intentionalen Zustand hat, den man ausdrückt. Aber selbst eine Lüge ist der Ausdruck eines intentionalen Zustands, selbst wenn es sich nicht um den ausgedrückten intentionalen Zustand handelt. 78 Searle, John R.: Geist. Eine Einführung. Frankfurt/M. 2006. S. 180. 75
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Meine Überzeugung »Die Katze sitzt dort auf dem Baum« zielt darauf, zu repräsentieren, wie die Dinge in der Welt sind. Sie kann als »wahr« bezeichnet werden, wenn eben mein intentionaler Bewusstseinszustand repräsentiert, wie die Dinge in der Welt sind und wenn die Dinge in der Welt so sind, dass da die Katze auf dem Baum sitzt (das entspricht einer gelungenen Repräsentation). Bei Wünschen oder Absichten ist das anders. Sie haben eine Welt-an-Geist-Anpassungsrichtung (world-to-mind direction of fit). Entweder es gelingt, die Welt so zu ändern, dass sie dem Bewusstseinszustand entspricht (Wunsch ist erfüllt) oder die Anpassung der Welt gilt als misslungen. Zur Beurteilung des Gelingens oder Misslingens verwendet man Ausdrücke wie »erfüllt« oder »nicht erfüllt« (bei Wünschen) bzw. »ausgeführt« oder »nicht ausgeführt« (bei Absichten). Mein Wunsch »Möge die Katze dort auf dem Baum sitzen« zielt darauf, erfüllt zu sein. Er kann als erfüllt bezeichnet werden, wenn die Dinge in der Welt so sind/werden, d. h. wenn die Katze auf den Baum klettert, wie es mein Bewusstseinszustand repräsentiert. Es gibt auch Bewusstseinszustände, die zwar propositionalen Gehalt haben, aber keine Anpassungsrichtung (null direction of fit). In diesen Zuständen geht es nicht darum, sich dem anzupassen, wie die Dinge in der Welt sind und auch nicht darum, die Welt so zu ändern, dass sie zum Bewusstseinszustand passt, sondern dieser Bewusstseinszustand geht schlicht von einer Übereinstimmung aus. Wer sich freut, dass die Sonne heute scheint, geht davon aus, dass die Sonne heute scheint. Man kann also annehmen, dass jeder Bewusstseinszustand, dessen Anpassungsrichtung nicht null ist, bestimmte Erfüllungsbedingungen hat. Erfüllungsbedingungen sind in Searles Konzeption der Intentionalität von zentraler Bedeutung, denn ein intentionaler Zustand kann als Repräsentation seiner Erfüllungsbedingungen interpretiert werden. Und genau dabei – jetzt komme ich zur Pointe der Searleschen Argumentation – bedarf es nicht notwendig der Sprache. Das lässt sich zunächst an einem Beispiel verdeutlichen: Lebewesen 79 korrigieren ihre Überzeugungen ständig aufgrund ihrer Hier spreche ich bewusst von Lebewesen und nicht nur von Menschen oder vom Subjekt des Bewusstseinszustandes. Denn diese Gedanken beziehen sich auf einen größeren Kreis von Lebewesen, den genauer zu bestimmen hier aber nicht die Aufgabe ist.
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Wahrnehmungen, Empfindungen oder Gefühle. Was müssen sie tun, damit diese Korrektur möglich ist? Sie müssen den Sachverhalt, in dem die Überzeugung erfüllt ist (»Mein Auto steht dort vor der Tür«, »Tee ist ein heißes Getränk«, »Ich bin verliebt in Theobald«), von dem Sachverhalt, in dem die Überzeugung nicht erfüllt ist (»Mein Auto steht in der Tiefgarage«, »Peters Auto steht vor der Tür«, »Dieser Tee ist eisgekühlt«, »Ich bin fasziniert von Theobald«), unterscheiden können. Nun ist es so, dass für Sätze die metasprachlichen semantischen Prädikate Wahrheit und Falschheit gelten (und damit für sprachlich verfasste propositionale Einstellungen). Sie gelten nicht für Sachverhalte. Aber für Sachverhalte gilt analog Der-Fall-Sein bzw. Nicht-derFall-Sein, Erfüllt-sein bzw. Nicht-erfüllt-sein. Dementsprechend gilt (und reicht es aus), dass Lebewesen Einstellungen zu Dingen oder Sachverhalten und auch zu sich selbst haben und sie korrigieren können, indem sie erfüllte und nicht erfüllte Sachverhalte wahrnehmen (vor der Tür ist kein Auto zu sehen). Das ist möglich, ohne dass sie über Begriffe (von Wahrheit oder Falschheit oder sogar von Überzeugung oder Wunsch) bezüglich ihres mentalen Zustands verfügen. Denn – so Searle mit kritischem Rekurs auf Davidson – »wahr« und »falsch« (bzw. »erfüllt« und »nicht erfüllt«) sind zwar metasprachliche Prädikate, »aber noch viel grundsätzlicher sind sie metaintentionale Prädikate. Sie werden verwendet, um Erfolg und Versagen von Repräsentationen im Erreichen von Übereinstimmung in der Geist-auf-Welt-Ausrichtung (bzw. Welt-auf-Geist-Ausrichtung) einzusehen und einzuschätzen. Innerhalb der Einsichts-/Einschätzungsmöglichkeiten sind Feststellungen und Sätze nur ein spezieller Fall.« 80 Die grundlegenden Fälle sind laut Searle Wahrnehmungen, Empfindungen und Handlungen. Das heißt mit anderen Worten: Die Intentionalität der Äußerung ist abgeleitet von der »viel grundlegenderen« Intentionalität, wie sie Wahrnehmungserlebnissen und Handlungen zugeschrieben wird. Bevor ich mich in Kapitel 5 der Erörterung dieser grundlegenden Form der Intentionalität eingehender zuwende, möchte ich hier sehr Searle, John R.: Der Geist der Tiere. In: Perler, D./Wild M. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S. 142.
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knapp die Beziehung beschreiben, die laut Searle zwischen der Intentionalität des Geistigen und der Intentionalität des Sprachlichen besteht. Zu unterscheiden sind dabei Zustände einerseits und Sprechakte, also absichtliche Vollzüge von Handlungen andererseits. Die Beziehung des Sprechakts zu seiner physischen Realisierung ist so: Der Vollzug des Sprechakts (Handlung) schließt die Erzeugung einer physischen Entität ein (Töne, Zeichen auf Papier etc.). Diese physische Realisierungsebene ist an sich nicht intentional. Das ist anders bei Zuständen wie Überzeugungen, Wünschen, Befürchtungen: Sie sind an sich (intrinsisch) intentional. Einen Zustand als Überzeugung oder Wunsch etc. zu charakterisieren heißt bereits, ihn als intentional zu charakterisieren. Wie verleiht nun der an sich intentionale geistige Zustand an sich nicht intentionalen Entitäten Intentionalität? Die »verliehene« Intentionalität, so Searle, ist abgeleitet von der an sich – intrinsischen Intentionalität des geistigen Zustands (z. B. des Wunsches). Die Ableitung stellt Searle folgendermaßen dar: »Beim Vollzug des Sprechakts gibt es eine zweifache Intentionalitätsebene. Erstens einmal gibt es da den zum Ausdruck gebrachten intentionalen Zustand, doch dann gibt es zweitens auch noch die Absicht, mit der die Äußerung gemacht wird. Dieser zweite intentionale Zustand (d. h. die Absicht, mit der die Handlung vollzogen wird) verleiht dem physischen Phänomen die Intentionalität.« 81
Indem man also die Absicht hat, mit den Sprech-Geräuschen, die man macht, einen bestimmten Sprechakt zu vollziehen, verleiht man ihnen erst Intentionalität. Das gelingt, weil man bestimmte Erfüllungsbedingungen, nämlich diejenigen der auszudrückenden intentionalen psychischen Zustände (der Überzeugung, des Wunsches etc.) absichtlich auf den Sprechakt, die Äußerung, überträgt und ihr dadurch Intentionalität verleiht. Genauer: Der Äußerungsakt wird mit der Absicht vollzogen, dass die Äußerung selbst Erfüllungsbedingungen hat, und zwar diejenigen Erfüllungsbedingungen, die mit denjenigen, die die Erfüllungsbedingungen des psychischen Zustandes (der Überzeugung, des Wunsches) identisch sind. 82 Wenn ich saSearle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt/M. 1987, S. 47. 82 Vgl. Searle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt/M. 1987, S. 47 f. 81
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Der nichtbegriffliche Aspekt propositionaler Einstellungen
ge: »Die Katze sitzt auf dem Baum«, dann verleihe ich diesem Sprechakt Intentionalität, insofern ich die Erfüllungsbedingung meiner Überzeugung, dass die Katze auf dem Baum sitzt, absichtlich auf die Äußerung übertrage: Meine Äußerung ist genau dann wahr, wenn die Katze auf dem Baum sitzt. So wird das Meinen und die Bedeutung (überzeugt sein etc.), ein Begriff aus dem Bereich des Sprachlichen, mit Rückgriff auf die Absicht (dass das Meinen/der Sprechakt die Erfüllungsbedingungen haben möge, die identisch sind mit denjenigen des intentionalen Zustands), einem Begriff aus dem Bereich des Nichtsprachlichen, definiert. 83 Ausgehend von dieser Interpretation kann man Intentionalität (auch diejenige propositionaler Einstelllungen) folgendermaßen verstehen: Intentionalität ist eine zunächst nicht-sprachliche Repräsentation von Erfüllungsbedingungen bestimmter Bewusstseinszustände, die der Fall sein können oder nicht. Daher, so Searle, brauchen Lebewesen nicht Sprache, sondern »eine [andere] Einrichtung […], um zu erkennen, ob die Welt so ist, wie sie zu sein scheint (wahre Überzeugung) und ob die Welt so ist, wie es das Lebewesen gerne hätte (Wunsch)« 84. Und diese »Einrichtung« sind, laut Searle, »ursprüngliche« Erlebnisse wie Wahrnehmung und Handlung. Sie sind als die biologisch primären Formen der Intentionalität zu verstehen. In diesem Sinne ist »sehen und riechen glauben«. 85
Auch wenn hier nicht näher darauf einzugehen ist, sei erwähnt, dass Searle in seiner ausführlichen Analyse aller fünf Falltypen illokutionärer Akte zeigt, dass die Möglichkeiten sowie die Begrenzungen der Sprache exakt diejenigen Möglichkeiten und Begrenzungen sind, die von der Intentionalität stammen. »Wittgenstein spricht oft so, als könne man nach Laune neue Sprachspiele erfinden; doch wenn man es tatsächlich einmal versucht, wird man feststellen, dass unsere neuen Sprachspiele der Ausdruck bereits vorher existierender Formen der Intentionalität sind. Und die Taxonomie der Sprechakte ist im Grunde eine Widerspiegelung der verschiedenen Möglichkeiten, wie Repräsentationen Ausrichtungen haben können.« Searle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt/M. 1987, S. 221. 84 Searle, John R.: Der Geist der Tiere. In: Perler, D./Wild M. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S. 142. 85 Vgl. Searle. John R.: Der Geist der Tiere. In: Perler, D./Wild M. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S. 141. 83
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Zusammenfassung Damit ist das angestrebte Ziel dieses Kapitels erreicht: Der Rekurs auf Searles Konzept von Intentionalität eröffnet, trotz gehaltsexternalistischer Implikationen, die Denkmöglichkeit nichtbegrifflicher Gehalte von propositionalen Einstellungen (neben denen, die ich als explizites Ich-Bewusstsein beschrieben habe). Es erfolgte eine Interpretation von intentionalen Bewusstseinszuständen, die wir als begrifflich verfasste propositionale Einstellungen klassifizieren, so dass ihre Intentionalität weder als wesentlich noch als notwendig begrifflich zu verstehen ist, sondern zunächst als ursprüngliches Erlebnis, wie Wahrnehmung oder Handlung. Searle gibt eine gute Erläuterung dafür, dass repräsentationale Beziehungen zunächst zwischen internen Zuständen und der Welt bestehen und erst davon abgeleitet zwischen sprachlichen Begriffen und der Welt. Denn wir sind in der Lage, auch ohne Begriffe und sprachliche Konzepte auf etwas (auch auf uns selbst) zu referieren. Searle entwickelt eine Variante des so genannten (direkten) Realismus, demgemäß zu einer Wahrnehmung mindestens die drei folgenden Aspekte gehören: das Wahrnehmungssubjekt, das visuelle Erlebnis und der wahrgenommene Gegenstand bzw. Sachverhalt. Das visuelle Erlebnis ist dasjenige, das intentionalen Gehalt hat, es handelt vom intentionalen Gegenstand. Damit ist nicht gemeint, dass zwischen dem Wahrnehmungssubjekt und dem Objekt zusätzlich noch etwas wie ein visuelles Erlebnis existiert, sondern dass die Existenz des Objektes zu den Erfüllungsbedingungen des Wahrnehmungserlebnisses gehört. 86 So übernimmt Searle von traditionellen Sinnesdatentheorien (Phänomenalismus) die Idee, dass wir (z. B. visuelle) Erlebnisse haben, kritisiert aber, dass sie diese Erlebnisse als Wahrnehmungsgegenstände auffassen (der Gegenstand gilt als Ansammlung von Sinnesdaten) und damit den Ort der Wahrnehmungsintentionalität falsch bestimmen, was zum Solipsismus führt. Von Repräsentationstheorien übernimmt Searle die Idee, dass
Wenn wir halluzinieren (das ist einer der Ausnahmefälle, der den meisten Ansätzen Schwierigkeiten bereitet), haben wir entweder ein visuelles Erlebnis von einem Gegenstand oder Sachverhalt, den wir wahrnehmen, allerdings unter Bedingungen, die uns irreführen, oder wir haben ein visuelles Erlebnis, nehmen aber nichts wahr, es fehlt der intentionale Gegenstand.
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Zusammenfassung
wir (materielle, der öffentlichen Sprache zugängliche) Gegenstände und Sachverhalte (Ereignisse) als Wahrnehmungsgegenstände haben, kritisiert aber, dass sie das visuelle Erlebnis oder Sinnesdatum als eine Art Abbild, eben als Repräsentation des Wahrnehmungsgegenstandes verstehen. Denn dazu muss das Unmögliche geleistet werden, eine Ähnlichkeit zu behaupten zwischen den wahrgenommenen Dingen (den Sinnesdaten) und den von den Sinnesdaten repräsentierten Dingen (dem Gegenstand »in der Welt«), obwohl letztere per definitionem den Sinnen unzugänglich sind. Searles Vorschlag liegt demnach zwischen diesen beiden Denkmodellen. Die (materiellen, öffentlichen) Gegenstände und Ereignisse sind unsere Wahrnehmungsgegenstände, aber sie können nur deshalb Gegenstände der (visuellen) Wahrnehmung sein, weil »die Wahrnehmung einen intentionalen Gehalt hat und das visuelle Erlebnis das Vehikel des intentionalen Gehalts ist« 87. Es sei betont, dass sich diese Überlegungen auf die logische Struktur der Intentionalität von Wahrnehmungen und Handlungen konzentrieren. Searles Frage ist dabei, wie Wahrnehmung (begrifflich) im Rahmen einer Intentionalitätstheorie zu verstehen ist. Phänomenologische Ansätze, so Searle, seien nicht »in der Lage, Zugang zu dieser Struktur [der Intentionalität] zu erlangen.« 88 Ich werde nun mit einem knappen Rekurs auf Husserl einige phänomenologisch geprägte Gedankenschritte machen. 89 Sie unterSearle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt/M. 1987, S. 87. 88 Searle, John R.: Geist. Eine Einführung. Frankfurt/M. 2006, S. 186. Searle, dessen Sprechakttheorie auf Husserls Überlegungen bezogen ist, spricht hier der Phänomenologie diese Erklärungskraft ab. 89 Wenn es um den Einbezug phänomenologischer Überlegungen geht, beziehe ich mich (hier und in Kapitel 4 ausführlicher) vor allem auf Husserl, den Urvater der hier relevanten bewusstseinstheoretischen Thesen. Meiner Ansicht nach ist seine Bewusstseins- und Wahrnehmungstheorie so meisterhaft ausgearbeitet, dass sie an Aktualität nichts eingebüßt hat, auch wenn mittlerweile in der Debatte eher auf »jüngere« Vertreter derselben phänomenologischen Argumentationslinie, wie beispielsweise Merleau-Ponty oder Schmitz zurückgegriffen wird. Die Kritik, beispielsweise Tugendhats, an der hier aufgegriffenen Husserlschen Position kann insofern hier undiskutiert bleiben, als sie sich auf eine Wittgenstein-Interpretation beruft, die selbst wiederum, mit Rekurs auf aktuellere Überlegungen McDowells, wie er sie in Having the World in View, Cambridge/MA, London 2009 darlegt, kritisiert werden kann. McDowell, der ebenfalls mit Wittgenstein argumentiert, geht davon aus, dass man in der sinnlichen Erfahrung sowohl etwas als etwas, als auch die Welt als solche wahrnimmt. Die Welt ist demnach präsent in der Erfahrung (nicht repräsentiert). Mit 87
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mauern die bisherigen Erkenntnisse aus einer anderen Perspektive – der Phänomenologischen – und weisen dabei, entgegen Searles oben genannter Prognose, an einigen zentralen Stellen Husserl als Vordenker für die Searlesche Konzeption der Intentionalität aus. Hier wird sich zeigen, dass die phänomenologischen Überlegungen es erlauben, bestimmten sprachlich verfassten propositionalen Einstellungen mit guten Gründen eine nichtbegriffliche und dennoch ganz bestimmte »eigene« subjektive Erlebnisqualität (ein »Zumutesein«) zuzuschreiben; eine Erlebnisqualität, die nicht einfach eine zur Bestimmung des Zustands zu vernachlässigende Begleiterscheinung darstellt, sondern eine, die für diese Zustände bedeutungskonstituierend ist.
3.4 Propositionale Einstellungen, ihr intentionaler und ihr phänomenaler Gehalt In seinen Logischen Untersuchungen 90 denkt Husserl im Rahmen seiner Überlegungen über Bewusstsein (5. Logische Untersuchung) auch über intentionale Erlebnisse nach. Ich beziehe mich hier vor allem auf den dritten seiner drei Bewusstseinsbegriffe, demgemäß Bewusstsein als intentionales Erlebnis oder Akt zu verstehen ist. Seine Ausgangsfrage ist vergleichbar mit der Searleschen, auf welche Weise uns die Proposition (p) im Urteil (dass p) bewusst ist. Die Proposition, so lautet auch Husserls Antwort, muss uns in dem Sinn bewusst sein, dass wir intentional auf sie gerichtet sind. Gleich eingangs der logischen Untersuchungen stellt er Überlegungen dazu an, wie Sprechen bzw. Verstehen erlebt wird. Er kommt zu einer These, die derjenigen, wie ich sie mit Rekurs auf Searle vertrete, sehr ähnlich ist: »Zum gesprochenen Wort, zur mitteilenden Rede wird die artikulierte Lautkomplexion erst dadurch, dass der Redende sie in der Absicht erzeugt,
seiner Konzeption des kontextabhängigen begrifflichen Gehalts de re zielt er darauf ab, den Gegensatz zwischen begrifflichem Erfassen der Welt und der sinnlichen Präsenz von Welt aufzulösen. Das ist dem phänomenologischen Verständnis des Wechselverhältnisses von Bewusstsein und Welt sehr verwandt. Daher bin ich der Ansicht, dass der Rekurs auf Husserl, ohne eine Verstrickung in Kritik und Gegenkritik mich meinem Argumentationsziel näher bringt. 90 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage).
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sich dadurch ›über etwas zu äußern‹, mit anderen Worten, daß er ihr in gewissen psychischen Akten einen Sinn verleiht.« 91
Sprechen und dementsprechend auch das Verstehen einer Sprache ist ein bewusst erlebter Vorgang, ein verlautbarter sinngebender psychischer Akt bzw. ein gehörter sinnunterstellender Akt. Zum Verstehen gehört dabei nicht nur, zu erkennen (zu unterstellen), dass der Sprecher etwas gemeint hat, sondern auch was er gemeint hat. Zum Sprechen gehört dementsprechend die Absicht, etwas Bestimmtes damit zu meinen. Gesetzt nun, unsere (nicht begrifflich verfasste) Absicht, etwas zu meinen, also dasjenige, das umgekehrt den Verstehenden motiviert, uns eine Absicht (vgl.: zweifache Intentionalitätsebene bei Searle) zuzuschreiben, gehört zum bewussten Erlebnis, dann muss man annehmen, dass es sich dabei um ein bewusstes Erleben (nichtbegrifflicher) qualitativer/phänomenaler Komponenten unserer motivierenden Überzeugung handelt. Wir haben es also, so bezeichnet es Soldati, mit begrifflichen Qualia zu tun: »Begrifflich sind jene Qualia, insofern sie die Bedeutung der zugeschriebenen Intention betreffen und insofern Bedeutungen, zumindest im Zusammenhang mit Überzeugungen begrifflicher Natur sind.« 92 Der qualitative Aspekt wohnt, wie gesagt, der zur Äußerung erst motivierenden und demnach vorsprachlichen Überzeugung ein. Diesen für meine Arbeit zentralen Gedanken will ich nun mit einem Rückgriff auf einige Überlegungen zu Husserls bewusstseinstheoretischem Ansatz näher erläutern: Von Brentanos Lehre des inneren Bewusstseins 93 übernimmt Husserl den aristotelischen Gedanken (Metaphysik XII, 9, 1074b.), dass wir ein primäres intentionales Bewusstsein eines Gegenstandes (mein rotes Auto vor der Tür) haben, dass dieses aber nicht ausreichend sein kann, damit der Akt (als intentionaler Akt) in einem sekundären Sinne bewusst sei. Der Akt muss sich selbst in einer besonderen Weise bewusst sein. 94 Mit seiner Gerichtetheit auf einen Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage). I/§ 7, A32–33, B32–33. 92 Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 148. 93 Brentano, Franz: Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. 1. Hamburg 1955, S. 140 ff. 94 Vgl. Husserl mit Bezug auf Brentanos Psychologie vom empirischen Standpunkt. 91
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Gegenstand ist das Bewusstsein zugleich auf sich selbst gewendet, wobei Husserl das innere Bewusstsein als innere Wahrnehmung versteht – und Wahrnehmung ist prinzipiell intentional strukturiert. Das heißt, sie ist nur dann angemessen interpretiert, wenn man sie als Akt versteht. Anders als Brentano, der einen Akt mit zwei Richtungen unterstellt, geht Husserl von zwei Akten aus. Einer schafft die Beziehung auf etwas, der andere die Beziehung auf sich. Wenn diese so genannte Erlebniskomplexion verständlich werden soll, muss erklärt werden, wie die beiden Akte zu eben dieser selben Erlebniskomplexion gehören. 95 Auch Husserls Ansatz verstrickt sich hier in einen Erklärungszirkel (vgl. Kap. 1.2). Das kann jedoch hinsichtlich der hier angestrebten näheren Erläuterung der Möglichkeit einer Zuschreibung nichtbegrifflicher (dennoch bedeutungsrelevanter), qualitativer Komponenten zu einer propositionalen Einstellung außer acht bleiben. Was ist unter dem Akt (den Akten) bzw. dem intentionalen Erlebnis als demjenigen, das den dritten der Husserlschen Bewusstseinbegriffe 96 ausmacht, zu verstehen? Zunächst gilt es, zu unterscheiden zwischen a) dem »allgemeinen Charakter des Aktes, der ihn je nach dem als bloß vorstellenden, oder als urteilenden, fühlenden, begehrenden usw. kennzeichnet, und b) seinem ›Inhalt‹, der ihn als Vorstellung dieses Vorgestellten, als Urteil dieses Geurteilten usw. kennzeichnet.« 97
In: Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage). II/1 §§ 10,11, S. 366–375. 95 Diese Frage ist bereits als eine der Grundfragen jeder Bewusstseinstheorie, zuletzt als eine der Grundfragen Searles in seiner Intentionalitätstheorie, diskutiert worden: Wie kann der gewahrte Akt derselben Erlebniskomplexion zugesprochen werden wie der gewahrende? Wie gewahrt der gewahrende Akt, dass er zur selben Erlebniskomplexion gehört, wie der gewahrte Akt? 96 Husserl setzt drei theoretisch aufeinander zu beziehende Bewusstseinsbegriffe: 1) Bewusstsein als gesamten, reellen phänomenologischen Bestand des empirischen Ich, als Verwebung der psychischen Erlebnisse in der Einheit des Erlebnisstroms, 2) Bewusstsein als inneres Gewahrwerden der eigenen psychischen Erlebnisse und 3) Bewusstsein als Bezeichnung für jederlei psychische Akte oder »intentionale Erlebnisse«. Vgl. Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde., Tübingen 1968 (5. Auflage). II/1. 97 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage). II/1 § 411.
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a) Der allgemeine Charakter von Bewusstseinserlebnissen, dem Denken, Urteilen, Meinen, Hoffen, Planen, Wünschen, ist Intentionalität im Sinne eines meinenden Gerichtetseins auf einen Gegenstand eigentümlich. Das heißt nicht, dass sich hier »phänomenologisch gesprochen« eine Beziehung eines irgendwie gearteten Ich auf einen Gegenstand feststellen ließe, sondern dass das »Gegenstand-Sein« in bestimmten Erlebnissen liege, nämlich in solchen, in welchen etwas als Gegenstand erscheint oder gedacht ist. 98 Es gehört also zur Struktur solcher Erlebnisse, nicht in einer Relation zwischen Bewusstseinssubjekt und Bewusstseinsobjekt zu bestehen, sondern in der Beziehung des Meinens selbst. »Nach Husserl hat das intentionale Erlebnis oder der Akt von Natur aus die Struktur des meinenden Bezogenseins auf etwas, so dass, verglichen mit der zwei- und einstelligen Relation [vgl. Natorp, den Husserl hier kritisiert], nur noch von einer reinen Relation gesprochen werden kann.« 99 b) Wie seinem Vordenker Brentano (und seinem nicht phänomenologisch argumentierenden »Nachdenker« Searle) gilt Husserl dementsprechend der Inhalt eines mentalen Aktes als Teil dieses mentalen Aktes. Er bildet dessen Materie. Die Materiekomponente kann der mentale Akt mit Akten ganz unterschiedlicher Qualität (Hoffen, Denken, Befürchten) gemeinsam haben. Sie gibt dem Akt eine Beziehung auf das Gegenständliche. Das Problem an dieser Erklärung von Materie ist, dass für die phänomenologische Betrachtung die Gegenständlichkeit selbst nichts ist, besser: Sie ist dem Akt transzendent. 100 Wie kann solches Transzendente in einem Akt als intentionaler Gegenstand gelten? Mit Husserl lautet die Antwort: Es kann, eben insofern der Gegenstand ein intentionaler ist, »das heißt es ist ein Akt mit einer bestimmten charakterisierten Intention, die in dieser Bestimmtheit eben das ausmacht, was wir die Intention auf diesen Gegenstand nennen. Das sich auf den Gegenstand Beziehen ist eine zum eigenen Wesensbestande des Akterlebnisses gehörige EigentümlichVgl.: Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage). II/1 § 9, S. 362 99 Gloy, Karen: Bewusstseinstheorien. Zur Problematik und Problemgeschichte des Bewusstseins und Selbstbewusstseins. Freiburg/München 2004: Alber. 3. Auflage, S. 301 f. 100 Dazu mehr am Ende dieses Kapitels, wenn Husserls Methode der Einklammerung, der Epoché, zur Sprache kommt. 98
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keit, und die Erlebnisse, die sie zeigen, heißen (nach Definition) intentionale Erlebnisse oder Akte. Alle Unterschiede in der Weise der gegenständlichen Beziehung sind deskriptive Unterschiede der bezüglichen intentionalen Erlebnisse.« 101
Mit der Weise der gegenständlichen Beziehung kann nun Verschiedenes gemeint sein: 1)
2)
3)
Die Gegenständlichkeiten können in der Weise vorgestellter, beurteilter, erhoffter etc. intentional sein, d. h. der Unterschied in der Weise der Gegenständlichen Beziehung kann in den Aktqualitäten bzw. in den Einstellungsmodi liegen (vgl. ZwillingserdeExperiment: Putnam, Burge). Der Unterschied in der Weise der gegenständlichen Beziehung kann in der gegenständlichen Beziehung (vgl. Wasser/Zwasser: H2O/XYZ) selbst liegen, wobei jede Aktqualität mit jeder Gegenständlichkeit kombinierbar ist. Hinzu kommt aber noch eine dritte Unterscheidung, denn selbst wenn man die Aktqualität (den Einstellungsmodus) und die gegenständliche Richtung festgelegt hat, d. h. wenn beispielsweise zwei identisch als Vorstellungen qualifizierte Akte und als auf dasselbe Gegenständliche (rotes Auto vor der Tür) gerichtete erscheinen, müssen die Akte nicht in ihrem vollen intentionalen Wesen übereinstimmen: Denn laut Husserl kann derselbe Gegenstand auch dann noch in verschiedener Weise vorgestellt werden.
Das heißt, die Aktqualität bestimmt, ob das in bestimmter Weise bereits Vorgestellte als Erwünschtes, Erhofftes, Erfragtes etc. gegenwärtig ist und die gegenständliche Beziehung bestimmt die Ausrichtung auf (irgend-)einen intentionalen Gegenstand, die im (intentionalen) Akt selbst liegt. Aber hinzu kommt noch die dritte, von der Aktqualität zu unterscheidende Weise der gegenständlichen Beziehung. Es handelt sich hierbei um dasjenige an der gegenständlichen Beziehung, das dem Akt die Richtung auf genau dieses und kein anderes Gegenständliche verleiht, was Husserl Materie nennt. Denn wenn die Aktqualität nur den Modus bestimmt, unter dem
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Propositionale Einstellungen, ihr intentionaler und ihr phänomenaler Gehalt
»das in bestimmter Weise bereits ›vorstellig gemachte‹ […] intentional gegenwärtig sei, […] muss uns die Materie als dasjenige im Akte gelten, was ihm allererst die Beziehung auf ein Gegenständliches verleiht, und zwar diese Beziehung in so vollkommener Bestimmtheit, dass durch die Materie nicht nur das Gegenständliche überhaupt, welches der Akt meint, sondern auch die Weise, in welcher er es meint, bestimmt ist.« 102
Was genau bestimmt dasjenige, das Husserl Materie nennt? Die Materie bestimmt sowohl, dass der Akt die jeweilige Gegenständlichkeit auffasst, als auch »als was der Akt die jeweilige Gegenständlichkeit auffasst, welche Merkmale, Beziehungen, kategorialen Formen er in sich selbst ihr zumisst. […] Sie ist gewissermaßen der die Qualität fundierende (aber gegen den Unterschied gleichgültige) Sinn der gegenständlichen Auffassung.« 103
Ich verstehe diese Interpretation der Materie – auch mit Bezug auf Searles Konzeption der Intentionalität der Wahrnehmung– als einen Vorschlag zur Lösung des sogenannten Problems der Partikularität. Das heißt, es gibt eine Antwort auf die Frage: Wie gelangt der Umstand, dass es zu den Erfüllungsbedingungen meines Zustands gehört, dass dort nicht nur irgendein kleines rotes Auto vor der Türe parkt, das mit meinem typidentisch ist, sondern eben meines, in den intentionalen Gehalt meiner Wahrnehmung (des kleinen roten Autos)? Klar ist, dass es nicht ausreicht, aus der Perspektive der dritten Person eine Antwort zu geben. Sie würde in etwa so lauten: Wenn mein Wahrnehmungserlebnis tatsächlich verursacht ist von meinem Auto, dann sehe ich mein Auto, ich würde nicht mein Auto sehen, wenn das Erlebnis von irgendeinem typidentischen Auto verursacht würde. Analog gibt auch die Kausaltheorie des Bezugs eine Antwort, die nur eine Antwort für die Perspektive der dritten Person sein kann. Aber, wie Searle sehr klar diagnostiziert, »solche Fälle hängen immer davon ab, dass es Intentionalität der ersten Person gibt, durch welche die inneren Erfüllungsbedingungen bestimmt sind, und keine Kau102 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage). II/§ 20, A390, B 415. Siehe auch Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage). II/1 § 10, S. 367. »Diese ›Weise der Beziehung des Bewusstsein auf einen Inhalt‹ (wie Brentano sich an anderen Stellen öfter ausdrückt), ist in der Vorstellung eben die vorstellende, im Urteil die urteilende usw.« 103 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage). II/1 § 416. Zu einer vergleichbaren Interpretation kommt später Searle, wenn er von demjenigen spricht, was genau die Erfüllungsbedingungen für genau diesen intentionalen Zustand repräsentiert.
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sal-Antwort auf unsere Frage kann adäquat sein, wenn sie nicht erklärt, wie die Verursachung derart zur Intentionalität gehört, dass sie festlegt, dass ein bestimmter Gegenstand zu den Erfüllungsbedingungen gehört.« 104 Das zentrale Problem scheint zu sein, dass man sich den intentionalen Gehalt nach Freges Konzeption des Sinns 105 vorstellt, denn dementsprechend könnten beliebig viele Gegenstände einen beliebigen Sinn erfüllen und nichts im intentionalen Gehalt könnte festlegen, dass er nur von genau diesem einen bestimmten Gegenstand erfüllt werden kann. Dagegen steht Husserls Konzept der Materie, die eben nicht den Fregeschen Sinn erfüllt, sondern Bedeutung exemplifiziert: Diejenigen (verschiedenen) mentalen Akte, die dieselbe Materie beinhalten, exemplifizieren, so Husserl, eine gemeinsame ideale Spezies: »Bedeutung als ideale Spezies wird von konkreten mentalen Akten dank ihrer Materie exemplifiziert.« 106
Der Knackpunkt ist, dass Husserl Bedeutung als idealen, als abstrakten Gegenstand betrachtet. Ein idealer Gegenstand muss aber eigent104 Searle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt/M. 1987, S. 91. 105 Der Sinn wird laut Frege vom Subjekt erfasst und ist objektiv in dem Sinn, dass er unabhängig vom Subjekt besteht, Normativitätsanforderungen entspricht und kommunizierbar ist. In Über Sinn und Bedeutung schreibt Frege: »Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst, den wir damit bezeichnen; die Vorstellung, welche wir dabei haben, ist ganz subjektiv; dazwischen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr subjektiv wie die Vorstellung, aber doch auch nicht der Gegenstand ist. […] Nicht immer ist, auch bei demselben Menschen, dieselbe Vorstellung mit demselben Sinn verbunden. Die Vorstellung ist subjektiv. […] Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemeinsames Eigentum von vielen sein kann und also nicht Teil oder Modus der Einzelseele ist.« Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Funktion, Begriff, Bedeutung: fünf logische Studien. Hrsg. und eingel. von Günther Patzig. 7., bibliogr. erg. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1994, S. 43 f. Damit entzieht Frege dasjenige, das den Sinn eines Zeichens ausmacht, der privaten Sphäre des Subjekts und kennzeichnet es als öffentlich und damit objektiv. Das ist möglich, weil Frege im Rahmen seiner Theorie des Gedankens erläutert, wie der Sinn eines Satzes als ein durch das Denken erfasster Gedanke zu verstehen ist, der unabhängig vom Subjekt in einem ›Reich der Gedanken‹ existiert. 106 Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 151.
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lich gar nicht (durch Akte, die dieselbe Materie enthalten) exemplifiziert werden, um zu bestehen. Sein Ansatz beim abstrakten Charakter intentionaler Gehalte zeigt zwar, dass Husserl die Relevanz der Kausalität unterschätzt, und dass dementsprechend seiner Konzeption die stillschweigende Annahme unterliegt, Verursachung sei immer eine nicht-intentionale Beziehung. Ich möchte nun unter Einbezug der Interpretation Soldatis zeigen, dass Husserl, der sich in den Logischen Untersuchungen gegen den Psychologismus wendet, dennoch im Rahmen seiner phänomenologischen Überlegungen nicht inkonsistent argumentiert, wenn er Bedeutung als psychische (ideale) Spezies auffasst: Gemäß Husserl sollen nämlich Bedeutungen Spezien psychischer Akte sein und dennoch Objektivität haben. Das geht, wenn die psychischen Akte auf eine Weise exemplifizieren, die die Objektivität der Bedeutung sichert. Der psychische Akt erfasst eben nicht (wie Freges Sinne) Bedeutung, sondern der psychische Akt exemplifiziert Bedeutung und zwar insofern er intentional ist, insofern er eine Gegenständlichkeit hat. Das heißt, Bedeutungen sind nicht als ideale Spezien objektiv, sondern insofern sie eben dem Akt, der sie exemplifiziert, einen Gegenstand zuweisen. Anders formuliert: Die bedeutungsinstantiierende Materie ist das, was dem psychischen Akt seine Gegenständlichkeit und damit erst seinen Anspruch auf Objektivität verleiht. Die spezifische Objektivität von Bedeutung, (darüber hinaus, dass sie eine platonische Spezies ist), liegt also darin, dass Bedeutungen psychische Akte durch ihre Ausrichtung auf eine bewusstseinstranszendente Gegenständlichkeit auszeichnen. Wenn man nur denjenigen Aspekt des Aktes (des intentionalen Erlebnisses) bestimmen möchte, durch den ihm die Eigenschaft zukommt, sich auf etwas Bestimmtes zu beziehen (in diesem Sinne intentional zu sein), dann ist es für diesen theoretischen Ansatz nicht problematisch, dass sich der Begriff der Bedeutung auf etwas Psychisches bezieht. 107
107 Husserl hätte nur dann ein Erklärungsproblem mit seinem spezifischen Objektivitätsanspruch einerseits und andererseits der Charakterisierung von Bedeutung als idealer Spezies, wenn er sie zugleich (in Freges Sinn) als bewusstseinsunabhängig betrachten wollte. Aber Bedeutungen sind hier ja nicht in Freges Sinn objektiv. Vgl. Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In:
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Wenn die so verstandene Materie das ist, wodurch der Akt seine Bedeutung exemplifiziert, dann gehört die Bedeutung eines Aktes zum subjektiven, erlebten Inhalt: Materie wird als Teil eines psychischen Akts vom Subjekt erlebt. Die Pointe dieses Gedankens in Bezug auf die hier angestrebte Erläuterung der Möglichkeit der Zuschreibung bedeutungstragender nichtbegrifflicher, qualitativer Aspekte zu propositionalen Einstellungen, wie z. B. Überzeugungen, ist folgende: Weil die Materie dasjenige ist, wodurch der Akt seine Bedeutung exemplifiziert, gehört die Bedeutung des Aktes zum erlebten Inhalt. Wenn nun der erlebte Inhalt der qualitative Inhalt eines Aktes ist, dann gehört die Bedeutung durch die Materie zum qualitativen Inhalt des Aktes. Wenn die Bedeutung begrifflicher Natur ist, dann entspricht ihr im Akt ein erlebter (qualitativer) begrifflicher Inhalt. 108 Wie behält nun aber eine Bedeutung, die nicht durch einen Akt exemplifiziert, d. h. erlebt wird oder werden kann, ihre Objektivität? Dies ist, mit anderen Worten, die Frage nach der Möglichkeit einer Verständigung über das Fremdpsychische. Häufig wird zur Erklärung der Möglichkeit unserer Erkenntnisse über das Fremdpsychische der Analogieschluss verwendet. Die Grundidee dabei ist, dass das Subjekt weiß, was es für sein Gegenüber bedeutet, ein Erlebnis x zu haben, wenn es weiß, was es im eigenen Fall heißt, ein dementsprechendes Erlebnis x zu haben. Die Voraussetzung ist, dass es einen einheitlichen Begriff für Erlebnisse x gibt, auf den wir uns sowohl im eigenen Fall als auch im Falle des Fremdpsychischen beziehen. Das Problem dabei ist, so formuliert es sinngemäß Wittgenstein am Beispiel des Schmerzes: Ich soll mir Schmerzen (die des Anderen) vorstellen, die ich nicht habe, auf Grund von Schmerzen, die ich habe. 109 Das heißt, wir wissen erst aus (unserer) Perspektive der ersten Person, was es überhaupt heißt, zu empfinden. Man könnte also gegen Husserl einwenden, dass wir in diesen Fällen (vor allem typische Fälle von qualitativem Bewusstsein) keinen objektiven Begriff der (Husserlschen) Bedeutung haben, also keinen Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 154 f. 108 Vgl.: Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 151. 109 Vgl.: Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Werkausgabe Bd. I. Frankfurt/M. 1984, S. 225–280.
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objektiven Begriff einer Bedeutung, die nicht durch einen Akt exemplifiziert, d. h. erlebt wird oder werden kann. Aber gemäß Husserls Bedeutungsverständnis sind mentale Akte nicht nur durch ihre Erlebnisqualität ausgezeichnet, sondern auch durch ihre Gegenständlichkeit. Und die Gegenständlichkeit – das wurde bereits mit den gehaltsexternalistischen Überlegungen im voranstehenden Kapitel verdeutlicht – ist bewusstseinsunabhängig und kann daher den Anspruch auf Objektivität erheben. Die Verständigung über Fremdpsychisches (Objektivitätsanspruch) ist also insofern möglich, als es in der Kommunikation (in der es um objektive Information geht) ausreicht, wenn die Andere erkennt, welcher Gegenstand gemeint ist – sie muss dabei nicht auch noch einen »passenden Begriff für den qualitativen Charakter des kundgebenden Aktes finden« 110. Dieser Lösungsvorschlag ist wie gesagt bereits bekannt aus der voranstehenden Erläuterung von Burges sowie Putnams Gedankenexperimenten (weit vs. eng individuierte Überzeugungen). Das Problem des Fremdpsychischen ist damit aber nur teilweise beseitigt, denn wir wollen neben der objektiven Information auch noch wissen, wie etwas gemeint ist. Um zu verstehen, wie dies möglich ist, muss laut Husserl der Analogieschluss durch das Modell der Einfühlung ersetzt werden 111: Denn mittels Einfühlung versetzt sich das Subjekt mit seinen eigenen psychischen Begriffen und Erlebnissen an die Stelle des Gegenübers, statt zu versuchen, die Erlebnisse des Gegenübers unter einem objektiven Begriff einzuordnen. Die Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis des Fremdpsychischen mittels Einfühlung oder Sich-Hineinversetzen ist, mit anderen Worten, die Frage danach, wie das Subjekt beschaffen sein muss, damit es objektive Erkenntnis zu erlangen vermag, wie Bewusstsein beschaffen sein muss, damit es ein Bewusstsein von etwas sein kann (gerichtet auf etwas). Damit stellt sich also wieder die Frage der Intentionalität. Husserl stellt sich Intentionalität dynamisch vor. Intentionalität Vgl.: Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 156. 111 Für eine knappe Darstellung des Modells der Einfühlung beziehe ich mich weiterhin auf die Husserl-Interpretation Soldatis. In: Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. Kapitel 5. Husserls Auffassung des Analogieschlusses. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005. 110
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ist keine Eigenschaft, die einem einzelnen Bewusstseinsakt unabhängig von anderen zukommt. Seine Intentionalität erhält er »kraft eines Netzes von Akten, die in unterschiedlichen Beziehungen zueinander stehen« 112: So sind für manche Akte andere konstitutiv (z. B. für manche Urteile Wahrnehmungen). Auch diese Vorstellung ist bereits bekannt und wurde plausibilisiert im Rahmen der voran stehenden Diskussion des »Netzwerk-Arguments« mit Rekurs auf Burge bzw. auf Searle. Vor allem aber, so Husserl, muss sich das Subjekt selbst als in der Zeit seiend empfinden, damit es überhaupt den gemeinten Gegenstand in Raum und Zeit als etwas reidentifizieren kann. »Um demonstrative Gedanken über konkrete Gegenstände haben zu können, muss sich das Subjekt auch im egozentrischen Raum [hier-dort-linksrechts-oben-unten] verorten können. Dieser Raum selber ist teilweise durch unsere Wahrnehmungen, teilweise aber auch durch unsere Handlungen bestimmt.« 113
Damit das Bewusstseinssubjekt eine objektive Repräsentation der aktuellen Welt (so z. B. auch des Zustands seines Gegenübers) erlangen kann, braucht es also ein Netzwerk von Wahrnehmungen, Handlungen und intentionalen Einstellungen und dazu muss es sich selbst, teils unmittelbar im Erlebnis, teils als verortet in Raum und Zeit, und insofern als subjektiver Standpunkt gegeben sein (Perspektivität). »Habe ich mich im Raum und in der Zeit als jetzt-hier verankert, so muss ich in der Lage sein, mich als dort-später oder links-früher zu verorten. Ich muss in der Lage sein, mir die Welt so vorzustellen, wie sie mir erscheinen würde, wenn ich mich da befinden würde, wo sich gegenwärtig ein anderes Subjekt befindet.« 114
112 Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 157. 113 Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 158. Dieser egozentrische Raum ergibt sich unter anderem durch die Repräsentation der eigenen körperlichen Interaktion mit der Umwelt. Dabei betrachtet man seinen Körper nicht als Gegenstand, mit dem man in kausaler Beziehung steht (keine Subjekt-Objekt-Spaltung). 114 Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 158.
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Dies nun ermöglicht Einfühlung: Wer sich in seiner Perspektivität erlebt und/oder und versteht, kann sich sich selbst an der Stelle eines anderen vorstellen, sich in den anderen einfühlen. Das ermöglicht den Zugang zu Fremdpsychischem und die Verständigung über Fremdpsychisches ohne Analogieschluss in Bezug auf einen gemeinsamen, objektivierten Erlebnisbegriff. Damit bietet Husserl für beide der zuvor benannten Probleme des Fremdpsychischen eine Lösung. Ich erfasse also die Bedeutung des (von meinem Gegenüber) kundgegebenen mentalen Aktes, weil ich zum einen erkennen kann, welcher Gegenstand oder Sachverhalt (objektive Information, gehaltsexternalistisch bestimmt) gemeint ist, zum anderen aber auch, wie er gemeint ist. Letzteres gelingt, weil ich mich einfühlen kann, in das, wie für mich der gemeinte Gegenstand/ Sachverhalt gegeben wäre, wenn ich an dessen Stelle wäre. Mit diesen Erläuterungen, wie wir die Bedeutung des kundgegebenen mentalen Aktes unseres Gesprächspartners erfassen können, komme ich nun noch einmal zurück auf die Überlegungen, wie denn Bedeutung, als solchermaßen qualitativer Inhalt eines mentalen Aktes dem mentalen Akt zugeschrieben werden kann. Mit andern Worten: Wie gehört der (mittels Einfühlung intersubjektiv vermittelbare und) mit der propositionalen Einstellung verbundene phänomenale Charakter dieser Einstellung zur Bedeutung des entsprechenden mentalen Aktes bzw. zu dem ihn kundgebenden Ausdruck? Und ist dieser phänomenale Charakter konstitutiv für die Bedeutung? Die phänomenale Komponente oder der qualitative Inhalt mentaler Akte wird oft im Zusammenhang mit sensorischen Erlebnissen (wie z. B. Farbwahrnehmung) verdeutlicht. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass propositionale Einstellungen (Verstehen, Denken, Urteilen) in diesem sensorischen Sinne phänomenal bewusst sein können, denn wir können ja verstehen, denken, urteilen, ohne uns dabei z. B. einer perzeptuellen Eigenschaft bewusst zu sein. Ich gehe davon aus, dass der qualitative, phänomenale Charakter (jedenfalls mancher) propositionaler Einstellungen sich nicht auf den qualitativen Charakter von begleitenden, sensorischen Wahrnehmungs- oder Einbildungsakten reduzieren lässt. Es fühlt sich eben auf eine ganz spezifische Art an, wenn ich urteile, dass der neue Rock der mir unsympathischen Kollegin schön sei, wenn ich nach zahlreichen Stunden harter Arbeit endlich einen kniffeligen Gedanken verstanden habe oder – um das Beispiel Searles aufzugreifen: wenn ich zwei plus Ich – Jetzt – Hier
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zwei gleich vier einmal in französisch und einmal in englisch denke 115. Ein epistemisches Problem der phänomenalen Komponente beispielsweise meines Urteils ist es aber, dass sie relativ unspezifisch, recht vage erscheint. Daher wird sie häufig nicht als Kandidatin dafür betrachtet, konstitutiv für die Bedeutung des intentionalen Gehalts meines Urteils sein zu können. Es wurde aber längst darauf hingewiesen, dass die Vagheit vieler uns zur Beschreibung von Gedanken zur Verfügung stehender Begriffe zwar ein Problem darstellt, dass dies aber nicht impliziert, dass deswegen ihre Anwendung nie wahr sein könnte. Außerdem sind – so z. B. Siewert im Rahmen seiner Argumentation für die Möglichkeit nichtikonischen Denkens – phänomenale Begriffe in Bezug auf Vagheit nicht anfälliger als intentionale Begriffe. Vagheit scheint also keinen triftigen Einwand gegen die Möglichkeit darzustellen, dass phänomenale Begriffe Bedeutung konstituieren können. 116 Wie aber kann man überzeugend für die These argumentieren, dass eben die phänomenale Komponente einer propositionalen Einstellung tatsächlich bedeutungskonstituierend ist? Das gelingt, wenn man zeigen kann, dass Urteile mit demselben intentionalen Gehalt
Searle, John, R.: Geist. Eine Einführung. Frankfurt/M. 2006, S. 145. Vgl.: Siewert, Charles: The Signifiance of Consciousness. Princeton 1998. Sein Beispiel vgl. S. 287 f.: »Welcher Gedanke ist es wohl, der mir bewusst wird, wenn ich auf der Fahrt zur Arbeit plötzlich merke, dass ich meine Aktentasche vergessen habe? Dass ich sie zu Hause vergessen habe? Dass sie zu Hause liegt? Die Erinnerung daran, wie ich sie liegen lasse? Es scheint keine klare Bestimmung dieses Gedankens möglich. Er bleibt vage. Die Frage ist nun, ob dies am phänomenalen Charakter dieses Urteils liegt: Rührt die Vagheit, die keinen Schluss zum entsprechenden intentionalen Gehalt zulässt also vom phänomenalen Charakter des Urteils her?« Vgl. auch: Soldati, Gianfranco: Begriffliche Qualia. Zur Phänomenologie der Bedeutung. In: Grundmann, Thomas (et al.): Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Frankfurt/M. 2005, S. 164. »Die Tatsache, dass ›kahlköpfig‹ vage ist – bei welchem verlorenen Haar beginnt die Kahlheit? –, hindert uns nicht, den Satz ›Kojak ist kahlköpfig‹ als wahr zu betrachten.« Dieses Argument führt in ähnlicher Form Searle in Bezug auf Tierbewusstsein: »Selbst wenn wir annehmen, dass es nichts gibt, das faktisch darauf hinweist, welche die korrekte Übersetzung der mentalen Repräsentation des Hundes in unser Vokabular ist [vgl. Vagheit], zeigt dies alleine noch nicht, dass dem Hund jegliche mentale Repräsentationen, Überzeugungen und Wünsche fehlen, die wir zu übersetzen versuchen.« Searle. John R.: Der Geist der Tiere. In: Perler, D./Wild M. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S. 139. 115 116
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einen unterschiedlichen phänomenalen Charakter haben können. Vieles spricht dafür, dass sie es haben können. Ein und derselbe Gedanke kann zum Beispiel verschiedenen Denkern verschieden erscheinen: So kann man sich gut vorstellen, dass zwei Personen über den neuen Rock der Kollegin urteilen »Sie hat einen wunderschönen neuen Rock«, dass sich dabei jedoch die phänomenale Komponente ihrer propositionalen Einstellung unterscheidet. Es ist nämlich so, dass sich ihre Urteile zwar auf dasselbe Objekt, den Rock der Kollegin, beziehen. Daraus folgt aber nicht, dass ihre Urteile identisch sind. Denn ihr Urteil, wie jede propositionale Einstellung, hat ein intentionales Objekt. Für ein intentionales Objekt sollen nun die drei zuvor mit Bezug auf Husserl herausgearbeiteten unterschiedlichen Weisen der gegenständlichen Beziehung gelten. Aus Sicht der Husserlschen Phänomenologie ist es so, dass die durch den phänomenalen Charakter bestimmte Bedeutung (dritte Weise der gegenständlichen Beziehung) das intentionale Objekt festlegt. Hierin also unterscheiden sich die beiden Urteile über den Rock. Hierin liegt – allgemeiner gefasst – der bedeutungsrelevante Unterschied in den propositionalen Einstellungen. Um diesen letzten Schritt zu verdeutlichen, beziehe ich Husserls Methode der phänomenologischen Reduktion und der Epoché in die Überlegungen ein: Die phänomenologische Reduktion meint die Rückführung der Objekte aufs Subjekt und dessen Konstitutionsleistungen. Sie meint damit den Ausschluss, die Ausklammerung der nicht relevanten, oder nicht thematischen Bereiche. Husserl nennt dies Einklammerung (Epoché). Die phänomenologische Reduktion ist dementsprechend ein Einklammern von allem, was das An-sich-Sein der Objekte ausmacht. 117 Das heißt, die Existenz und damit alle Beziehungen, die von der Existenz abhängen (z. B. kausale), wird im Rahmen der phänomenologischen Reduktion, wie Husserl sie konzipiert, ausgeklammert, wenn man mentale Akte und deren Gegenstände betrachtet. Wenn man so vorgeht, spielen all jene anderen (gemäß der externalistischen These relevanten) Komponenten keine bedeutungskonstituierende 117 Vgl. Gloy Karen: Bewusstseinstheorien. Zur Problematik und Problemgeschichte des Bewusstseins und Selbstbewusstseins. Freiburg/München 2004: Alber (3. Auflage), S. 273 f.
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Rolle mehr, denn diejenigen Faktoren, die die Existenz des intentionalen Gegenstandes voraussetzen, bleiben bei der Bestimmung außer Acht (eingeklammert). Wendet sich die Aufmerksamkeit von dem, das reduziert wird, hin zu dem, das reduziert wird, so findet eine Einstellungsänderung 118 statt: Danach erscheint die Welt, das Objekt als dasjenige, das reduziert wird. Und was zeigt sich endlich? Die Erkenntnis, »dass die Welt in ihrer Totalität in Bewusstseinsleistungen fundiert ist und außerhalb derselben keine Realität hat.« 119 Im Husserlschen Sinne bestimmt die (durch den phänomenalen Charakter bestimmte) Bedeutung des intentionalen Objektes das Objekt in seiner Essenz (nicht in seiner Existenz). Dabei kann folglich die bedeutungsinstantiierende Rolle einzig der phänomenalen Komponente (der propositionalen Einstellung) zukommen. Es muss hier aber betont werden, dass wir unser Augenmerk auf diese essenzielle phänomenale Komponente nur legen können, indem wir absehen von unseren Objektivitätsansprüchen. Das heißt, unser phänomenales, ab-sichtlich nicht-thetisches Bewusstsein der Epoché ist dem thetischen nachträglich. Zuerst müssen wir objektivieren: damit wissen wir erst, wovon es abzusehen, was es einzuklammern gilt. Dieses Absehen, genauer, die Abstraktion von der Objektivität, macht unser Bewusstsein athetisch. Dann aber geschieht etwas Besonderes, denn dieser athetische Bewusstseinszustand ist flüchtig. Es ist das Changieren unseres Bewusstseins zwischen Absehen und Hinsehen, zwischen Deobjektivieren (Einklammern) und Reobjektivieren. Denn sobald wir des Bewusstseinsgehalts unseres phänomenalen athetischen Bewusstseins inne werden wollen, »vielmehr schon, sofern ein mannigfaltiger Inhalt schlicht vorhanden ist, müssen wir ihn und uns selbst auch wieder deobjektivieren« 120. Das heißt, wir haben es im phänomenalen Bewusstsein mit einem stets changierenden Bewusstseinszustand zu tun. Die Konzentration auf das athetische Bewusstseinsmoment in der transzendentalen Epoché lässt sich nicht fixieren. Beim deobjektivierenden Unter-einem-Anschein-Stehen, sind doch 118 Diese Einstellungsänderung findet abrupt statt. Sie wird lediglich zum besseren Verständnis nachträglich in Schritten dargestellt – darauf muss hier aber nicht näher eingegangen werden. 119 Gloy Karen: Bewusstseinstheorien. Zur Problematik und Problemgeschichte des Bewusstseins und Selbstbewusstseins. Freiburg/München 2004: Alber (3. Auflage), S. 274. 120 Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 227.
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Ein Zwischenstand
wir es, die da unter dem Anschein stehen. Das heißt, die transzendentale, das Subjekt einschließende Epoché ist doch eine »Selbstzuschreibung eines athetischen Bewusstseinszustandes […], in welcher das Subjekt sich selbst als reales, objektives, körperliches Wesen fasst.« 121 Denn, so Husserl, das Subjekt muss sich im egozentrischen Raum (hier-dort-links-rechts-oben-unten) verorten und sich selbst als in der Zeit seiend empfinden. Dieser Gedanke wird in Kapitel 5.3 aufgegriffen, wo er unter Bezugnahme auf Kochs »Theorie der Voraussetzungen a priori der Bezugnahme« 122 eine zentrale Stellung in meiner Argumentation einnimmt. Es wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen, dass er auch für die weiterführenden Überlegungen von Bedeutung ist. Damit können die Überlegungen zum Ausweis der Möglichkeit der Zuschreibung eines phänomenalen Charakters zu begrifflich verfassten propositionalen Einstellungen abgeschlossen werden (Kapitel 3.3, 3.4). Sie bilden einen wichtigen Grundstein der weiteren Untersuchung: Ich werde in der Analyse phänomenaler Bewusstseinszustände, das heißt, in der noch ausstehenden Untersuchung der zweiten Form, in der Bewusstsein vorkommt, darauf zurückkommen. Dort wird vor allem die Epoché eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Charakterisierung phänomenaler Bewusstseinszustände des »Mir-so-Scheinens« geht, vor allem aber, wenn es darum geht, den darin enthaltenen subjektiven Aspekt dieser Bewusstseinszustände herauszuarbeiten.
Ein Zwischenstand Etwas ausführlicher als jeweils am Ende der voranstehenden Kapitel möchte ich an dieser Stelle noch einmal zusammenfassend für die gesamte bisherige Untersuchung das Folgende festhalten: Derjenigen Form von Bewusstsein, die ich als explizites Selbstbewusstsein oder Ich-Bewusstsein in Kapitel 3.1 erläutert habe, ist eine andere Form von Selbstbewusstsein vorgängig bzw. implizit, die nichtidentifizierend ist (daher auch immun gegen Irrtum durch Fehlidentifikation) und in diesem Sinne eine unmittelbare SelbstKoch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 227. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, Teil 1, Kapitel 2. 121 122
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zuschreibung. Sie ist es, die Ich-Bewusstsein epistemisch irreduzibel macht. Diese Form von Selbstbewusstsein muss präreflexiv, nicht-begrifflich und dementsprechend nicht-propositional sein. Sie kann zwar nicht mit dem gängigen Wahrnehmungsmodell erklärt werden, dennoch spricht vieles dafür, dass diese vorgängige Form von Selbstbewusstsein ein durch seine (Erlebnis-)Qualität geprägtes Seinerselbst-inne-Sein ist. Die genaue Untersuchung des Bewusstseins einer bestimmten Art intentionaler Zustände, nämlich unseres Akt- oder Zustandsbewusstseins in propositionalen Einstellungen in Kapitel 3.2 verdeutlicht und ergänzt die Ergebnisse der Analyse der Ich-Gedanken bzw. des Ich-Begriffs. Auch für die Form von Bewusstsein, wie sie in propositionalen Einstellungen vorliegt, gelten trotz gehaltsexternalistischer Implikationen nichtidentifikatorische Referenzbedingungen und es herrscht dadurch Immunität bezüglich Irrtums durch Fehlidentifikation. Das heißt, wir haben in propositionalen Einstellungen eine besondere Autorität der ersten Person, die darin besteht, dass wir ohne Schlüsse aus der Beobachtung unseres eigenen Verhaltens (ohne innere oder äußere Wahrnehmung oder Reflexion und damit irrtumsimmun) unmittelbar um unsere eigenen Zustände, um unsere Einstellungsmodi wissen. Sowohl explizites Ich-Bewusstsein als auch Bewusstsein propositionaler Einstellungen fordert also zu seiner Erläuterung und Erkenntnis das Involviertsein einer besonderen Art und Weise von Selbstbewusstsein. Es zeigte sich: Unser Wissen um bzw. Bewusstsein des Einstellungsmodus ist auch eine Weise des Selbstbewusstseins, die dem Bewusstsein, das sich intentional auf ein Objekt, einen Sachverhalt bezieht, einwohnt. Genau diese implizite Weise des Selbstbewusstseins ist die besondere Weise des Seiner-selbst-inne-Seins, die mich in dieser Arbeit interessiert. Sie kommt ohne Identifikationsprozess zustande, ist nichtpropositional, nicht begrifflich vermittelt. Das deutet darauf hin, dass dieses Selbstbewusstsein durch seine (als eine?) subjektive Erlebnisqualität zu charakterisieren sein muss. Dementsprechend gehe ich mit Searle, der diese These erfahrungsunabhängig formuliert, davon aus, dass zu Bewusstseinszuständen (zumindest zu den meisten) »ein qualitatives Gefühl gehört«. Um diese These zu untermauern, galt es zunächst in den Kapiteln 3.3 und 3.4 die Frage zu beantworten, ob und, wenn ja, wie man unserem Bewusstsein, das sich in Form von propositionalen Einstel82
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Ein Zwischenstand
lungen (bzw. dementsprechend auch unserem Bewusstsein, das sich als Ich-Bewusstsein) ausdrückt, überhaupt nichtpropositionale, nichtbegriffliche Aspekte (z. B. etwas wie ein »qualitatives Gefühl«) zuschreiben kann. Es wurde in Kapitel 3.3 deutlich, dass es berechtigt ist, solchen Zuständen (zumindest den meisten) auch einen (sogar einen ihnen zugrunde liegenden) phänomenalen, nicht begrifflichen Aspekt zuzusprechen. Mit Rekurs auf Searles Ansatz ließ sich nämlich die Intentionalität propositionaler, sprachlich verfasster Einstellungen als abgeleitete von der ihr vorgängigen nichtsprachlich verfassten Intentionalität erläutern, der Intentionalität von Empfindungen, Wahrnehmungen und Handlungen. Danach gelten die untersuchten intentionalen Bewusstseinszustände zunächst als nichtsprachliche Repräsentation von Erfüllungsbedingungen bestimmter Bewusstseinszustände, die der Fall sein können oder nicht. Um sie zu erkennen bzw. ihre Bedeutung zu erfassen, bedarf es nicht der Sprache, sondern jener »biologisch primären Formen der Intentionalität« 123, wie es Wahrnehmungen, Empfindungen und Handlungen sind. Mit dem Rekurs auf Husserls Phänomenologie der Bedeutung in Kapitel 3.4 konnte ferner gezeigt werden, dass es unter bestimmten Annahmen möglich ist, dass dieser nichtsprachliche Wahrnehmungs, Empfindungs-, oder Handlungsaspekt für die Bedeutung jener intentionalen (propositional verfassten) Bewusstseinszustände konstitutiv ist. Dabei ist der Umstand, dass er begrifflich nur sehr vage, umschreibend gefasst werden kann, irrelevant. Das Bewusstseinssubjekt kann demnach objektive Repräsentationen der aktuellen Welt (intentionaler Bewusstseinszustand) erlangen, die auch jenen bedeutungsrelevanten nichtsprachlichen, Wahrnehmungs- Empfindungsoder Handlungsaspekt haben, z. B. auch des Zustands seines Gegenübers: Das heißt, die Verständigung über Fremdpsychisches ist möglich. Dazu braucht es zum einen ein Netzwerk von Wahrnehmungen, Handlungen und weiteren intentionalen Einstellungen und zum andern – das ergab sich aus einem mehrschrittigen transzendentalphilosophischen Argument – muss es sich selbst, unmittelbar im Erlebnis und als verortet in Raum und Zeit und insofern als subjektiver Standpunkt gegeben sein. Gemäß Husserl liegt nämlich die spezi123 Vgl. Searle. John R.: Der Geist der Tiere. In: Perler, D./Wild M. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S. 141.
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fische Objektivität von Bedeutung darin, dass Bedeutungen psychische Akte durch ihre Ausrichtung auf eine bewusstseinstranszendente Gegenständlichkeit auszeichnen. Es konnte gezeigt werden: Weil die Materie dasjenige ist, wodurch der Akt seine Bedeutung exemplifiziert, gehört die Bedeutung des Aktes zum erlebten Inhalt. Aber auch diejenige Bedeutung, die nicht durch einen Akt exemplifiziert, d. h. nicht von mir erlebt wird oder werden kann – sondern beispielsweise von meinem Gegenüber – behält ihre Objektivität, denn die Verständigung über Fremdpsychisches ist mittels Einfühlung möglich. Die Bedingung der Möglichkeit zur Einfühlung gemäß Husserls Modell ist es, dass vorgängig Selbstbewusstsein ist, ein Bewusstsein nämlich, das sich in Raum und Zeit verortet weiß und dabei mit sich selbst unmittelbar bekannt ist. Da es möglich ist, sich mit jemandem darüber zu verständigen, wie einem zumute ist (welche propositional-qualitative Einstellung man hat) und Einfühlung zu dieser Verständigung über Fremdpsychisches nötig ist, darf davon ausgegangen werden, dass in diesem Bewusstseinszustand ein dementsprechender Selbstbewusstseinsaspekt involviert ist. Ohne Husserls phänomenologische Methode und sein Konzept der transzendentalen Subjektivität zu übernehmen, können die in diesem Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse als Unterstützung und Ergänzung der Analyse der Rolle und Bedeutsamkeit unseres subjektiven »Zumuteseins« auch in propositionalen Einstellungen gelten. Damit sind die nächsten Analyseschritte vorbereitet: Es gilt weiterhin, den Argumenten für die Annahme einer den unterschiedlichen Bewusstseinsformen impliziten (zugrunde liegenden) Subjektivität und somit eines darin involvierten unmittelbaren Selbstbewusstseins nachzugehen. Dementsprechend gilt es nun, die, gemäß meiner Einteilung der Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, noch fehlende Bewusstseinsform zu untersuchen. Es handelt sich um unser Akt- und Zustandsbewusstsein in phänomenalen Bewusstseinszuständen. Die eingangs dieses Unterkapitels formulierte Frage, ob der nun ausgewiesene nichtpropositionale, nichtbegriffliche und daher wohl durch seine Phänomenalität zu bestimmende Aspekt unserer Bewusstseinszustände auch Selbstbewusstsein ist bzw. einschließen kann, wird dabei mitbeantwortet. Gesucht wird– das Ziel dieser Arbeit sei noch einmal wiederholt – genau derjenige Aspekt unseres Bewusstseins, in dem die bislang als nicht begrifflich, nicht-reflexiv, nicht-identifikatorisch ausgewiesene Form von Selbstbewusstsein zu verorten ist. 84
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Eine Einschränkung
3.5 Eine Einschränkung Für die bisherige Untersuchung muss einschränkend festgehalten werden, dass die nun herausgearbeiteten Charakteristika derjenigen Form von Selbstbewusstsein, die ich als Aspekt jeglichen Bewusstseins ausweisen möchte, bislang nicht als Selbstbewusstsein einer Person im Sinne eines raum-zeitlichen Objekts mit einer kausal nachvollziehbaren Geschichte beschrieben werden können (dessen Elemente könnten in Propositionen formuliert werden). Zwar verbürgt die korrekte Verwendung von »ich«, die uns auf unser Selbstbewusstsein verweist bzw. die nun am Bewusstsein in propositionalen Einstellungen herausgearbeitete Selbstkenntnis (die wir daran erkennen, dass wir unsere Gedanken in selbstzuschreibender Weise denken) die Existenz des Referenten. Aber, so formuliert es McDowell im Rahmen seiner Überlegungen zur Irrtumsimmunität bezüglich Referenzfehler: »The self-reference principle cannot by itself be regarded as an adequate general account of self-conscious thought. Perhaps it can enable us to generate the idea that I am the subject of my thoughts; but this is not an adequate answer to the question ›What am I?‹ – an adequate account of the idea that a subject has of himself. For the notion of the subject of thought is a merely formal notion. It is a device for avoiding the circumlocution involved in this sort of formulation: in any thought on x’s part which he could express by ›I …‹, the object of the thought is x. And such a principle cannot be used to determine what, in any instantation, x is: for example whether x is bodily or not.« 124
Bereits Descartes erkannte diese Einschränkung und formulierte sie im Rahmen seiner Überlegungen über seinen – hier nicht aufzugreifenden – ontologischen Substanzdualismus so: 125 »[…] dass dieser Satz »Ich bin, ich existiere« [cogito ergo sum] so oft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist. Noch erkenne ich aber nicht zu Genüge, wer ich denn bin, der ich jetzt notwendig bin […]« 126
124 McDowell, John: Appendix (zu Kapitel 7). In: Evans, Gareth (Hg: McDowell, J.): The Varieties of Reference. Oxford 1982: Oxford University Press, S. 261. 125 Insofern ich unmittelbar, ohne Identifikation weiß, dass das, was ich für den Referenten halte, auch der Referent ist, habe ich eine Garantie gegen Fehlreferenz. 126 Descartes, René: Meditationes de prima philosophia. Meditationen über die Grundlage der Philosophie. Lateinisch-deutsch. Vollständig neu übersetzt, mit einer Einleitung herausgegeben von Christian Wohlers, Hamburg 2008: Meiner, S. 18.
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Dieser einschränkende Gedanke lässt sich mit Rekurs auf A. F. Kochs Theorie der Voraussetzungen a priori der Bezugnahme auf Einzelnes noch einmal und dabei in sehr grundsätzlicher Hinsicht verdeutlichen. Koch erweitert mit seinem Ansatz Strawsons Theorie der empirischen Voraussetzungen der Bezugnahme auf Einzelnes 127, d. h. seine Überlegungen, wie man zum einen ein Allgemeines a priori in eine Aussage einführen kann, zum anderen, unter welchen Voraussetzungen man – wenn überhaupt – ein Individuelles in den Diskurs einbringen kann. Koch formuliert seine Theorie als Theorie der Voraussetzungen a priori der Bezugnahme auf Einzelnes und zeigt darin, dass »bestimmte Züge der Gegebenheitsweise des eigenen Körpers (in Raum und Zeit) a priori – in reiner Anschauung – erkennbar sein« 128 müssen. Ich möchte an dieser Stelle lediglich einige seiner Leitgedanken und seine Grundthesen aufgreifen, ohne die einzelnen Schritte der Argumentation für diese Theorie zu erklären. Das ist sinnvoll, denn so kann recht knapp und unter einem vertiefenden Blick nicht nur der Stand meiner Untersuchung, sondern auch die angesprochene Einschränkung der bisherigen Untersuchungsergebnisse klarer herausgearbeitet werden. Dabei wird noch einmal das Ziel dieser Arbeit deutlich. Wenn wir auf Dinge Bezug nehmen (d. h. propositionale Einstellungen zu etwas haben), so wurde bereits erklärt und so stellt es auch Strawson dar, dann müssen wir sie aus einer Vielzahl von Dingen herauseinzeln. Das tun wir nicht nur, indem wir Eigenschaften der Dinge benennen, sondern vor allem indem wir sie im Raum oder/ und in der Zeit lokalisieren. Diese Lokalisation findet stets in Bezug auf unseren eigenen Körper statt. Ich nehme gedanklich Bezug auf das Ding und formuliere, meiner gedanklichen Bezugnahme entsprechend, den Satz »Das rote Auto, das gerade dort hinten geparkt wurde (…)« stets von meinem gerade aktuellen Standpunkt im Raum aus (jetzt, weiter vorne) und aus meiner Blickrichtung (nach hinten gewandt). Das heißt, meine Bezugnahme und meine singuläre Aussage sind empirisch voraussetzungsvoll, nicht nur hinsichtlich des Dinges (des roten Autos) als explizitem Bezugsobjekt, sondern auch hinsicht127 Strawson, Peter F.: Einzelding und logisches Subjekt. Ein Beitrag zur deskriptiven Metaphysik. Stuttgart 1972. Vor allem Kap. 6 und 7. 128 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 54.
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Eine Einschränkung
lich meiner Person, genauer meines Körpers als dem impliziten Bezugsobjekt meiner Aussage. Das Problem ist, dass empirische Voraussetzungen stets durch weitere empirische Voraussetzungen vermittelt sind, womit ich z. B. beim immer genaueren Bestimmen meiner Aussage in einen unendlichen Regress gerate (»Welches Auto?« »Das da rechts von dem Baum.« »Von welchem Baum?« (usw.)). Wie kann der Regress vermieden werden? Klar ist, dass Ortsangaben sowie zeitliche Indikatoren ein Koordinatensystem bilden, welches bezogen ist, bzw. sein Zentrum in unserem Körper hier und jetzt (Nullkoordinate) hat: Vorne, hinten, unten, oben, da, dort, neben links und rechts etc. sind dadurch definiert, wo ich jetzt gerade bin. Das heißt, der eigene Körper mit seinen Asymmetrien bildet den empirischen und »realen Bezugsrahmen unseres indexikalischen Koordinatensystems, in dem es verankert und ursprünglich ausgerichtet ist.« 129Das heißt auch, wir können und müssen uns empirisch (a posteriori) selbst identifizieren, um von dort ausgehend Objekte innerhalb unseres Wahrnehmungsfeldes zu identifizieren. Das untermauert die Erläuterungen zu Husserls Modell der Einfühlung: Zur Einfühlung ist demgemäß die Selbstverortung im egozentrischen Rahmen erforderlich. »Das Wahrnehmungsfeld ist die Welt mit eingebautem subjektivem, nämlich egozentrischem Koordinatensystem und mit vielerlei verdeckten Gebieten.« 130 Das heißt, das Wahrnehmungsfeld ist ein Ausschnitt der objektiven Welt, der zugleich subjektiv, nämlich perspektivisch ist. Nun könnte es in der Welt und damit auch in unserem Wahrnehmungsfeld qualitativ identische Duplikate von Einzeldingen aufgrund von Symmetrien oder von Wiederholungen geben. Es ist unsere gelingende Identifikationsleistung auch im Falle von Symmetrien, die nun die Argumentation Kochs für eine Selbstidentifikation a priori stützt. Das Gelingen einer Selbstidentifikation also, die der eben beschriebenen empirischen Selbstidentifikation im Rahmen des de facto Objektbezugs zugrunde liegt: Wäre ich nämlich ein perfekt links-rechts-symmetrisches Subjekt in einem perfekt linksrechts-symmetrischen Umfeld, könnte ich a posteriori meine linke
129 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 47. 130 Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 137.
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Hand nicht von der rechten unterscheiden, sie also nicht identifizieren, denn rechts und links wären nicht deskriptiv unterschieden. Der Indikator »ich« muss also eine physikalische Realität benennen (nicht »nur« eine res cogitans), sonst »hätte das System unserer räumlichen Indikatoren keine Verankerung. Das Designat von »ich« kann dem Designat von »hier« nur dann Konturen verleihen, wenn es selber im Raume, also körperlich ist.« 131 Wäre der Wahrnehmungsausschnitt, der es mir erlaubt, mich als perspektivisches Zentrum dieses Ausschnitts festzustellen, nur meine geistige Repräsentation, so müsste ich mich, das Zentrum dieses Wahrnehmungsausschnitts, dabei ebenfalls als Repräsentation verstehen. »In dem Sinn, in dem sie bloß meine Vorstellungsinhalte wären, wäre auch ich selbst bloß Inhalt meiner Vorstellungen. (Und was hieße dann noch »meiner« Vorstellungen?)« 132 Außerdem gilt: Würde ich nicht empirisch voraussetzungslos wissen, dass ich jetzt hier bin, könnte mein Körper gar nicht das Zentrum des Bezugsrahmens bilden, denn ich müsste dann ein weiteres Koordinatensystem angeben, um das erstgenannte (sonst »freischwebende« 133) Koordinatensystem und sein Zentrum darin einbetten zu können und so fort. Damit gäbe es einen unendlichen Regress der Koordinatensysteme. Daraus und mit Rücksicht auf das Vorhandensein des empirischen und damit voraussetzungsvollen Bezugsrahmens »Ich-JetztHier« folgert Koch, dass ein Subjekt voraussetzungslos, a priori sich (»Ich-Jetzt-Hier«) nicht nur als räumliches Wesen und Nullpunkt (s)eines vorgestellten Koordinatensystems zu einer gegebenen Zeit wissen muss, sondern dabei auch die Raum- und Zeitdimensionen, sowie deren verschiedene Richtungen unterscheiden können muss. Wie aber soll man im »a priori vorgestellten und insofern leeren Raum Dimensionen und Richtungen unterscheiden« 134? Koch beantwortet diese Frage mit der folgenden zentralen Einschränkung des Apriorismus: »Die Leistungen der Selbstlokalisation und der Orientierung a priori kommen nicht für sich, als kognitive Leistungen eigenen Rechtes vor, sondern nur als unselbständige Aspekte der deskriptiv und indexikalisch vermittelten Bezugnahme auf 131 132 133 134
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Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 129. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 137. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 127. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 140.
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Eine Einschränkung
konkrete Einzeldinge, die ihrerseits ein unselbständiger Aspekt des Diskurses bzw. zuletzt der gesamten menschlichen Praxis ist.« 135 Ich gehe hier nicht tiefer auf Kochs umfassende Theorie ein. Die vorangehenden Kapitel und die knappe Ergänzung durch Kochs Hinweis auf den Apriorismus und dessen Einschränkung genügen, um jetzt das folgende Ergebnis festzuhalten: Die semantische Analyse erlaubt es, auf das Vorhandensein eines seiner selbst bewussten Subjekts zu schließen. Klar ist also: Wir sind – in den bislang analysierten Bewusstseinszuständen – unserer selbst inne. Es kann gezeigt werden, dass in der Bezugnahme auf Dinge sowie in der expliziten Bezugnahme auf sich selbst als x (jedes Bewusstsein von etwas) dieses (Körper-)Selbstbewusstsein sogar einen apriorischen Aspekt, wenn auch einen unselbständigen, haben muss. Damit bestätigen sich nicht nur die Überlegungen, die mit Rekurs auf Husserls Modell der Einfühlung (das solches Selbstbewusstsein als Sich-Verorten-Können in Raum und Zeit zur Voraussetzung hat) und die Epoché bereits dargestellt wurden. Sondern es ist nun deutlich, dass dieses bislang durch Negativbestimmungen charakterisierte, als formales Prinzip hergeleitete Selbstbewusstsein als notwendig existent (vgl. Descartes-Zitat eingangs dieses Kapitels) und dem Bewusstsein grundlegend ausgewiesen ist, da wir und damit wir sowohl Ich-Bewusstsein als auch propositionale Einstellungen haben können. Diese Analyse erlaubt es jedoch bisher nicht, auf die Daseinsweise eines besonders gearteten Referenten zu schließen. Die Art und Weise, wie wir unserer selbst inne sind und wessen wir dabei inne sind, darüber kann man auf der Basis der bisherigen Ergebnisse keine Aussagen machen. Bislang sieht es so aus, als könne dies niemals ein Selbstbewusstsein eines körperlichen Erlebnis-Subjekts sein. Denn dies wäre den bisherigen Erkenntnissen gemäß ein Bewusstsein von sich qua Objekt. Und ein Bewusstsein von sich qua Objekt muss zum einen dem hier gesuchten nachgeordnet sein und erfordert zum anderen – so unter anderem mit Rekurs auf Shoemaker dargestellt – stets eine besondere Erkenntnisleistung: eine Identifikation, die fehlgehen kann, weswegen Urteile, die auf Gegenstands- bzw. Körperbewusstsein beruhen, nicht immun gegen Irrtum durch Fehlidentifikation sind. 135 Vgl.: Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 138 bzw. 139: (TVA-1) und (TVA-2).
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So kommt man, wiederum mit Shoemaker als einem Vertreter der These des epistemischen Vorrangs des Psychischen vor dem Physischen, zu dem Schluss, dass man im Fall des gesuchten unmittelbaren Selbstbewusstseins (er nennt es »introspektiv«) »sich selbst nicht als eine Person aus Fleisch und Blut mit Empfindungen oder Wahrnehmungen gegeben ist und man scheint sich überhaupt nicht selbst als ein Objekt gegeben zu sein« 136, wenngleich doch auch Shoemaker als Materialist davon ausgeht, dass wir als Personen physische Wesen sind. Aus dieser Analyse ergibt sich also eine Art epistemischer Körper-Geist-Dualismus: Man scheint zunächst und in dieser unmittelbaren Form von Selbstbewusstsein seiner selbst schlicht als Zentrum (s)einer Perspektive und als wie auch immer geartetes, weil lediglich a priori gewusstes, körperliches Subjekt in Zeit und Raum inne zu sein. Erst mittels eines darauf aufbauenden aposteriorischen Objektbewusstseins könnte ein solches Subjekt ein Bewusstsein der Gegebenheitsweise seines Körpers und damit Selbstbewusstsein als leibliches Wesen entwickeln, kurz: Es könnte wissen, was für einen Körper es hat, und dementsprechend phänomenales Bewusstsein »haben«. Das ist eine unliebsame Konsequenz, bei der ich nicht gerne stehenbleiben möchte, denn es geht mir ja nicht nur darum, auszuweisen, dass Menschen, wenn sie bewusst sind, auch stets unmittelbar ihrer selbst inne sein können, sondern auch auf welche Art und Weise und wessen sie dabei inne sind (Was-Seins-These). Für einen ersten Schritt in diese Richtung ist es aufschlussreich, noch einmal kritisch Shoemakers Analyse zu betrachten: Der Knackpunkt seiner Analyse, der zur genannten unliebsamen dualistischen Konsequenz führt, ist der (übrigens gängige) Ansatz bei einem Wahrnehmungsmodell, das stets eine Identifikationsleistung fordert. Denn – ich wiederhole Shoemakers Punkt noch einmal: Diese kann fehlgehen und das bedeutete für die gesuchte Form des Seiner-selbstinne-Seins, dass ihm Irrtumsimmunität, d. h. unmittelbare Gewissheit fehlte. Will man aber Gewissheit, dann muss man folglich nach einem »non-perceptual self-knowledge« suchen. Wie bereits zitiert, »Perceptual self-knowledge presupposes non-perceptual self-knowledge (…) 137 136 Shoemaker, Sydney: Einheit des Bewusstseins und Selbstbewusstsein. In: Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/M. 1994, S. 68. 137 Shoemaker, Sydney: Self-Reference and Self-Awareness. In: Shoemaker, Sydney:
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Aber verlangt Wahrnehmung (d. h. Wahrnehmungsbewusstsein) tatsächlich eine Identifikationsleistung? Zum Beispiel, das stellt auch Shoemaker fest, verlangen demonstrative Urteile, die ja auf Wahrnehmungsbewusstsein basieren, ebenso wie selbstbewusste Urteile keine Identifikation: »It is characteristic of both sorts of judgments that they are ›identification free‹ and ›immune to error trough misidentification‹. It is not the case that I say ›I am angry‹ because I find that someone is angry and identify that person with myself; and normally it is not the case that I say ›This is red‹ because I find that something is red and identify that thing as ›this‹.« 138
Also kann man davon ausgehen, dass es Identifikation ist, die die Irrtumsimmunität aufhebt und den Zirkel oder infiniten Regress hervorruft, nicht Wahrnehmung. So kann man mit Shoemaker gegen Shoemaker argumentieren, dass nicht »Perceptual self-knowledge presupposes non-perceptual self-knowledge«, sondern dass Wissen, welches eine Identifikationskomponente beinhaltet, eine Art Wissen von sich selbst (selfknowledge) voraussetzt, das nicht auf Wissen beruht, das eine Identifikationskomponente enthält. 139 Damit kann ich nun das Ergebnis dieses Kapitels noch präzisieren: Denjenigen bewussten intentionalen Zuständen, die wir als propositionale Einstellungen klassifizieren, sowie denjenigen, die ich als explizites Ich-Bewusstsein beschrieben habe, ist eine nicht begrifflich vermittelte, präreflexive Form von Selbstbewusstsein (Seiner-selbstinne-Sein) implizit, die einen – wenn auch unselbständigen – a priorischen Aspekt hat. Damit kann für die bisher untersuchten Formen von Bewusstsein die Dass-Seins-These als untermauert gelten. Diese Form von Selbstbewusstsein, darauf lassen die bisher gewonnenen Bestimmungen schließen, könnte durch ihre ErlebnisquaIdentity, Cause, and Mind. Cambridge: Cambridge University Press. 1984, S. 105. Dt. Übersetzung: Selbstbezug und Selbstbewusstsein. In: Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/M. 1994. S. 43–59. 138 Shoemaker, Sydney: Introspection and the Self. In: Shoemaker, Sydney: The FirstPerson-Perspective and Other Essays. Cambridge University Press, Cambridge 1996, S. 15. 139 Vgl.: Kaiser, Peter: Nicht nur in Begleitung meines Körpers. Untersuchungen zum körperlichen Selbstbewusstsein. Mensch und Gesellschaft. Schriftenreihe für Sozialmedizin, Sozialpsychiatrie, medizinische Anthropologie und philosophische Reflexionen, Bd. 11, Frankfurt/M. 2005, S. 53 ff. Ich – Jetzt – Hier
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lität oder Phänomenalität zu bestimmen sein, wobei aber das gängige Perzeptionsmodell, das eine Identifikationsleistung involviert, nicht trägt. Das bedeutet aber nicht, dass die gesuchte Form von Selbstbewusstsein nicht-perzeptuell sein muss, es bedeutet nicht, dass sie keine Art von phänomenalem Bewusstsein sein könnte. Zu klären ist also, ob man sich ein entsprechendes unmittelbares phänomenales Selbstbewusstsein (Ein »Mir-so-Scheinen«) vorstellen kann, dessen Gehalt uns ohne Identifikationsleistung unmittelbar zugänglich ist. Damit komme ich nun zur noch ausstehenden Untersuchung der (gemäß meiner Einteilung) zweiten Form von Bewusstsein ohne expliziten Ich-Bezug, der Beschreibung des phänomenalen, qualitativen Bewusstseinsaspekts eines Bewusstseinszustandes oder -akts.
3.6 Akt- und Zustandsbewusstsein: phänomenales Bewusstsein Der qualitative Aspekt oder die Phänomenalität des Bewusstseins ist seit einiger Zeit in den Fokus der bewusstseinsphilosophischen Debatte gerückt und hat für vielerlei Denkanstöße, aber auch für Verwirrung gesorgt. Daher möchte ich zwei gängige Grundvorstellungen von der Eigenschaft des Bewusstseins, qualitativ zu sein, zum Teil wiederholend, klarstellen. Erstens: In der Philosophie des Geistes hat sich, spätestens mit der Einführung des Begriffs der Qualia durch C. I. Lewis 140, die so genannte Qualiadiskussion etabliert, die sich mit ebenjener Eigenschaft von Bewusstseinszuständen beschäftigt. Meines Erachtens geht aber diese Debatte (freilich nicht ohne Ausnahmen) darin fehl, zu suggerieren, es gäbe spezielle Bewusstseinszustände, die qualitativ sind und andere, die es nicht sind. Das geschieht schon mit der Ver-
140 Wie bereits angesprochen, wird der Begriff in der aktuellen Debatte der Philosophie des Geistes für phänomenales Bewusstsein (lat. qualis: wie beschaffen) verwendet. Er wurde in diesem Sinne 1929 von Clarence Irving Lewis in seinem Buch: Mind and the World Order. Outline of a Theory of Knowledge. New York 1929 (Nachdruck 1991) eingeführt. Die erste Verwendung dieses Begriffs wird aber zumeist Peirce zugeschrieben. Vgl.: Peirce, Charles S.: Collected Papers. Cambridge 1866: Belknap Press of Harvard University Press. Nachdruck 1958–1966, § 223.
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wendung des Begriffes »Qualia« für eine bestimmte Art von Bewusstseinszuständen. So konzentrieren sich viele Versuche der Bestimmung derjenigen Eigenschaft unserer bewussten Zustände, sich irgendwie anzufühlen, eine (Erlebnis-)Qualität zu haben, vornehmlich auf Bewusstseinszustände wie »Eiskremschmecken«, »Bauchwehhaben«, oder »Farbensehen« und versuchen zugleich zu zeigen, dass andere Bewusstseinszustände, wie »eins plus eins gleich zwei denken« diese Eigenschaft eben nicht haben. Aus dieser Unterscheidung erhofft man sich, das Besondere dieser Zustände zu extrahieren und so zu einer Beschreibung des Bewusstseinsmerkmals zu gelangen. Ich habe in Kapitel 3.3 gute Gründe dafür erarbeitet, dass man (zumindest nahezu) jeder Form von propositionalem Bewusstsein auch eine Erlebnisqualität zuschreiben kann. Daher müssen meines Erachtens diese Ansätze fehlgehen: Es gibt kein Bewusstsein unabhängig von seiner Eigenschaft, qualitativ zu sein. Der Begriff von Bewusstsein und der Begriff von Qualia haben in diesem Sinn dieselbe Extension. Was hat man sich aber unter dieser Eigenschaft, der Qualitativität oder Phänomenalität des Bewusstseins, vorzustellen? Damit komme ich zur Erklärung der zweiten Grundvorstellung von der Eigenschaft des Bewusstseins, qualitativ zu sein, auf der meine Überlegungen basieren: In der aktuellen Diskussion wird das phänomenale Bewusstsein, das wir haben, wenn wir z. B. die ersten Frühlingsblumen riechen, ein Stück Schokolade im Mund zergehen lassen, ein Violinkonzert oder einen Vorschlaghammer hören, häufig »Quale« oder auch »Perspektive der ersten Person« genannt. Qualia werden – und so habe auch ich sie eingeführt – als Qualitäten unserer Bewusstseinszustände verstanden. Ausgehend von dieser Definition konzentriert man sich in der Debatte auf die Bestimmung der qualitativen Eigenschaft unseres nichtbegrifflichen Wahrnehmungs- oder Empfindungsbewusstseins. Ich beschäftige mich in Kapitel 4 mit dementsprechenden Positionen aus der analytisch geprägten »Qualiadebatte«. Es wird sich dabei herausstellen, dass es im Rahmen der diskutierten Ansätze zwar gelingen kann, dasjenige am Phänomen zu erfassen, das zum Objekt gehört (die Objektseite des Phänomens), nicht aber dasjenige, das zum Subjekt gehört (die Subjektseite des Phänomens). Das liegt an einem prinzipiellen Denkfehler, der bereits in der Definition der Qualia liegt und der mit Rekurs auf die ErläuteIch – Jetzt – Hier
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rungen Kochs 141 herausgearbeitet werden kann: Was in der Diskussion falsch als »Quale« definiert wird, indem es fälschlicherweise als qualitativer Aspekt des Bewusstseins vollständig ins Innere des Subjekts verlegt wird, kann im Rahmen der Untersuchung als (empfundener) qualitativer Aspekt des Objekts, z. B. als (empfundener) Farbton der reifen Tomate, besser erklärt werden. Die Subjektseite des Phänomens kann im Rahmen der diskutierten Ansätze aufgrund des in Kapitel 4.1 noch genauer zu beschreibenden Denkfehlers zwar nicht erfasst werden, es lässt sich aber zeigen, wie diese Ansätze die nichteliminierbare, irreduzible Subjektseite als eine Leerstelle umschreiben.
141 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 99 f.
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4. Qualia: Qualitäten unserer Bewusstseinszustände?
Die Untersuchung unseres qualitativen Bewusstseins erfolgt nach dem aus den vorangehenden Kapiteln bereits bekannten Muster: Es handelt sich um eine Argumentation gegen Reduktionsversuche und Naturalisierungsversuche (beispielsweise des Physikalismus), die zugleich eine Argumentation für den Ausgang von einem irreduziblen (Selbst-)Bewusstseinsaspekt auch in dieser Bewusstseinsform ist. Die Untersuchung folgt drei Argumentationstypen, nämlich explanatorischen, epistemischen und modalen Argumenten: Ziel ist es, zu zeigen, dass wir aus epistemischen Gründen auch bei dieser Form, in der Bewusstsein vorkommt, darauf schließen dürfen, dass ein subjektiver Aspekt involviert ist, der, eben weil es sich dabei um einen subjektiven Aspekt unseres Bewusstseins handelt, als Selbstbewusstseinsaspekt verstanden werden kann. Die These der Irreduzibilität des Mentalen auf Physisches, also auch von Aspekten unseres qualitativen Bewusstseins auf Physisches, lässt sich mit dem Argument der Erklärungslücke (explanatorisches Argument) gut untermauern. Es erläutert, warum sich das Auftreten phänomenaler Eigenschaften nicht aus ihren physikalischen Bedingungen erklären lässt. Der Physikalismus fordert nämlich, dass sich alle natürlichen Phänomene lückenlos, das heißt vollständig, aus ihren materiellen Bedingungen erklären lassen müssen. Es müsste also z. B. den Kognitionswissenschaften gelingen, zu erklären, wie phänomenale Eigenschaften neurophysiologische Eigenschaften sein können. Das gelingt aber nicht. Denn es besteht eine Lücke zwischen den Erklärungen und Vermutungen der Neurowissenschaften, dass phänomenales Bewusstsein de facto ein natürliches Phänomen sei, und der Einsicht in die Bedingungen der Möglichkeit der Wahrheit dieser Vermutungen. Eine Hauptschwierigkeit dabei scheint zu sein, dass wir zweierlei Zugangsweisen zur Wirklichkeit in unseren Beschreibungen nicht zur Deckung bringen können: »die subjektive Beschreibung des Erlebens Ich – Jetzt – Hier
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Qualia: Qualitäten unserer Bewusstseinszustände?
aus der Perspektive der ersten Person und die wissenschaftlich objektive Beschreibung von Gehirnprozessen aus der Perspektive der dritten Person.« 142 Es scheint deswegen ein Spezifikum (auch) des phänomenalen, qualitativen Aspekts des Bewusstseins zu sein, sich einer vollständig objektiven, objektivierenden Beschreibung zu entziehen. 143 Diese Überlegung bestätigt Thomas Nagel in seiner berühmten Fledermaus-Analogie: Wenn ich in einem mentalen Zustand bin, ist mir bekannt und völlig durchsichtig, wie mir dabei zumute ist, in ihm zu sein (»what-it-is-likeness«), auch wenn ich keine passende Proposition finde, die ich für wahr von diesem Zustand halte. 144 Nagel weist sich einerseits bezüglich solcher Zustände als Erkenntnisskeptiker aus, denn seiner Ansicht nach bleiben der aus der Perspektive der dritten Person beschreibbare Bereich physischer Interaktion und der subjektive und intrinsisch standpunktbezogene Bereich bewussten Erlebens der Perspektive der ersten Person unvermittelt: Seine These, dass das Selbst nicht mittels Sätzen über physikalische Tatsachen beschreibbar sei, stützt sich vor allem auf die bereits erläuterte Beobachtung, dass unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen perspektivisch in dem Sinne sind, dass sie nur mit Hilfe von indexikalischen Ausdrücken und nicht mittels anderer singulärer Terme ausgedrückt werden können. Seine ontologische These, dass es aber ein objektives Selbst gebe, das weder ausgedehnt ist noch in physischen Kausalbeziehungen stehe, stützt sich auch auf Überlegungen zur Perspektivität der subjektiven Erfahrungen. Nagels Ansicht nach ist jede Tatsache subjektiv, die nur mit subjektiven Begriffen erfasst werden kann, also mit Begriffen, die man nur dann erwerben kann, wenn man eine bestimmte Erfahrungsperspektive einnimmt (z. B. Zahnschmerzen hat, oder sich
142 Vgl.: Heckmann, Heinz-Dieter, Walter, Sven (Hg.): Qualia. Ausgewählte Beiträge. Paderborn 2001, S. 27. 143 Z. B. vertritt Ned Block die Ansicht, dass es keine nicht-zirkuläre Definition phänomenalen Bewusstseins gibt und man daher diesen Aspekt nur erläutern kann, indem man synonyme Ausdrücke sucht und auf Beispiele verweist. Block, Ned: Consciousness. In: Guttenplan, Samuel: A Companion to the Philosophy of Mind. Oxford 1994: Blackwell, S. 210 f. 144 Vgl.: Nagel, Thomas: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? In: Frank, Manfred (Hg): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 135– 154.
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zumindest vorstellen kann, wie Zahnschmerzen wehtun). Objektive Tatsachen dagegen – und das trifft laut Nagel auf alle physikalischen Tatsachen zu – können mit Hilfe von Begriffen erfasst werden, für deren Erwerb keine spezielle Erfahrungsperspektive nötig ist. Daraus wird seine These plausibel, dass wir derzeit keine Vorstellung davon haben, wie es möglich sein sollte, dass ihrer Natur nach subjektive mentale Zustände (ihre »what-it-is-likeness«) sich nicht auf objektive physikalische Zustände reduzieren lassen. 145 Das Grundproblem seiner These für meine Überlegungen ist, dass er damit nur bis zur Erklärung eines körperlosen, transzendentalen Ich als Bedingung der Möglichkeit jeder Erfahrung gelangen kann. Es bleibt das Problem der mentalen Verursachung. Wie kann ein mentales Phänomen ein körperliches Phänomen verursachen? Wenn eine Kausalrelation nur als Relation zwischen physischen Ereignissen verständlich werden kann und zugleich die philosophische These von der Immaterialität des Selbst gehalten werden soll, dann bleibt das Problem der mentalen Verursachung ungelöst. Daher bleibt im Rahmen der Nagelschen (cartesischen) Positionen das postulierte objektive Selbst ein Rätsel. Was die Erklärungslücke angeht, könnte sich ein Physikalist darauf zurückziehen, dass wir eben noch nicht weit genug fortgeschritten seien und die Lücke lediglich noch nicht geschlossen sei. Er könnte dafür argumentieren, dass die Physik eine »endlose Folge einander überbietender Nachfolgertheorien bildet« 146, so dass sich die Möglichkeit eröffnet, die Lücke in einer dieser Nachfolgertheorien zu schließen. Das gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass sie die Objektivierung des Realen aufgrund der Natur ihres Gegenstandes, eben des Realen nie vollenden kann, d. h. wenn man von der prinzipiellen Unabschließbarkeit der Physik ausgeht. Wer allerdings die Sonderstellung der Qualia behaupten will, ihren irreduziblen, weil nichtobjektivierbaren – nämlich subjek-
In einem ähnlichen Argumentationsgang kommt Frank Jackson zu dem noch radikaleren Schluss, dass der Physikalismus falsch sei. Denn der Physikalismus behaupte, dass alle Tatsachen physikalische Tatsachen seien – wenn man aber zeigen könne, dass es nicht-physikalische Tatsachen gebe, dann sei der Physikalimus widerlegt. Jackson, Frank: Epiphenomenal Qualia. In: Heckmann, Heinz-Dieter, Walter, Sven (Hg.): Qualia. Ausgewählte Beiträge. Paderborn 2001, S. 123 ff. (Original: Philosophical Quarterly 32. 1982, S. 127–136.) 146 Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 40. 145
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tiven – Aspekt, der muss ein prinzipielles Argument formulieren, das nicht steht und fällt mit den zukünftigen Forschungserfolgen der Neuro- bzw. Kognitionswissenschaften. Darauf zielen nun Levines wie auch Kripkes Überlegungen. Sie erläutern, dass sich genuine wissenschaftliche Reduktionen wie z. B. die Reduktion von Wasser auf H2O und angebliche psychophysische Reduktionen wie die von Schmerzen auf C-Faser-Reizungen darin unterscheiden, dass »unsere chemische Theorie über Wasser [alles] erklärt […], was erklärt werden muss, während eine physikalistische Theorie über Qualia noch immer etwas ›auslässt‹.« 147 Levines wichtige Erkenntnis ist, dass alles, was es bezüglich Wasser zu erklären gibt, durch die Tatsache erklärt wird, dass Wasser H2O ist, aber dass auch die detaillierteste neurophysiologische Erklärung von C-Faser-Reizungen uns nicht erklären kann, warum sich Schmerzen so anfühlen, wie sie sich eben anfühlen. Erklärungen mit psychophysischen Identitätsaussagen lassen notwendigerweise Lücken. Zu bedenken bleibt aber, wie auch beim Einwand gegen Nagel, dass aus epistemischen Prämissen über die Erklärbarkeit bestimmter Prozesse in der Welt keine Schlüsse über die ontologische Natur dieser Welt gezogen werden dürfen. Auch Kripkes Nachweis erfolgt am Beispiel der Unähnlichkeit in der Beziehung von H2O, Wasser und dem, wie sich Wasser anfühlt und der Beziehung zwischen einer C-Faser-Reizung, Schmerz und wie sich Schmerz anfühlt. Während sich etwas wie Wasser anfühlen kann, ohne Wasser zu sein, kann etwas, das sich wie Schmerz anfühlt, nur Schmerz sein. 148 In der Empfindung fallen Schmerzsein und Sich-schmerzhaft-Anfühlen zusammen, was für Schmerz und C-Faser-Reizung nicht gilt. Ich kann also den Satz »mein Schmerz ist eine C-Faser-Reizung« für falsch halten und dennoch Schmerzen haben. 149 Identität ist eine notwendige Beziehung. Demgemäß besteht zwischen Schmerzsein und Wehtun, zwischen Sein und Sich-Erschei-
Levine, Joseph: On leaving out what it’s like. In: Consciousness. Psychological and Philosophical Essays. Oxford 1993, S. 548. 148 Vgl. auch Chalmers, David, J.: One could have something that felt like water without being water, but one could not have something that felt like pain without it being pain. Pain’s feel is essential to it.« In Ders.: The Conscious Mind. In Search of a Fundamental Theory. New York/Oxford. 1996: Oxford University Press, S. 147. 149 Vgl.: Kripke, Saul A.: Identität und Notwendigkeit. In: Frank, M.: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 116–126. 147
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nen einer Empfindung eine notwendige Beziehung (Identität), was wiederum für Schmerz und C-Faser-Reizung nicht gilt. Kripke unterscheidet also den subjektiv empfundenen Schmerz als die Gewissheit, wie einem zumute ist im Falle von Schmerzen, von der propositional und objektiv beschreibbaren C-Faser-Reizung. Er behauptet, wenn man einen Zustand fühlt, sei dies alles, was erfüllt sein müsse, um behaupten zu können, dass es diesen Zustand gibt: Die Existenz eines psychischen Zustands hat also ihr notwendiges und hinreichendes Maß im Bewusstsein, das man von ihm hat. Mit diesem Schritt geht Kripke von der These der epistemischen Sonderstellung (Irreduzibilitätsthese), die anhand des Erklärungslückenarguments formuliert werden kann, über zu einer ontologischen These: Es kann Zustände geben, die mir, bevor ich sie artikuliere, bevor und wenn überhaupt ich sie begrifflich zu fassen vermag, adäquat erschlossen sind. Das erschwert es, ihnen Existenz erst in Abhängigkeit von der Wahrheit der entsprechenden Proposition (mit der ich sie bezeichne) zuzuschreiben, weil die Proposition falsch sein kann. Deswegen aber dem Zustand keine Existenz zuzuschreiben, widerspräche dem aktuellen Empfinden und wäre daher in einer Beschreibung des Phänomens verfehlt. Daraus kann man schließen, dass die Existenz solcher Zustände und unser Bewusstsein (unsere Vertrautheit mit ihnen) derselben nicht abhängen von unserem (konzeptualisierten) propositionalen Wissen von ihnen. Kripkes Überlegungen verweisen auch auf den Unterschied zwischen logischen Subjekten in physischen und psychischen Zuschreibungen: Physisches wird in naturalistischen Vokabeln zugeschrieben, Psychisches in mentalistischen. »Physische Zustände werden von syntaktischen, psychische von semantischen Regeln erfasst. Und wer eine Identität zwischen beiden behauptet, wird nicht weiter kommen als bis zur Einsicht, dass, wenn Semantisches nicht ohne Syntaktisches ist, es darum doch nicht schon zureichend durchs Syntaktische bestimmt ist.« 150 150 Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 32. »Diese Variante der These von der Supervenienz besagt, dass A (Psychisches) hinsichtlich B (Physisches) supervenient ist, wenn es keine nomologische Reduktion von A auf B gibt. Was in A sich nicht auf B reduzieren lässt, ist u. a. die subjektive Erlebnis- oder pour-soi-Perspektive aller Erlebnisse, die als Definiens von Zuständen, deren essentielle, also irreduzible Eigenschaft ist.«
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Diese ontologische These wird sehr kontrovers diskutiert und muss an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Während also das Argument der Erklärungslücke als explanatorisches Argument auf der Behauptung beruht, dass wir allein mit physikalischem Wissen nicht in der Lage sind, adäquate Erklärungen für phänomenale Eigenschaften, für unser qualitatives Bewusstsein zu formulieren, beruht das folgende Argument gegen den Physikalismus auf der Annahme, unser physikalisches Wissen sei nicht ausreichend in dem Sinne, dass es nicht alle Phänomene umfasst. Es handelt sich um das epistemische Argument des unvollständigen Wissens. Hier stellt sich die Frage nach der kognitiven Erfassbarkeit und Relevanz des Phänomens, die Frage, ob und welche solcher subjektiven »Qualia«-Zustände Erkenntnischarakter (Objektivitätsanspruch) haben können. Die Diskussion darüber wurde vor allem anhand Jacksons Gedankenexperiment über Mary geführt: Mary soll eine umfänglich gebildete Wahrnehmungspsychologin sein, die umständehalber gezwungen ist, ihr Leben in einer schwarz-weiß-grauen Umgebung zu verbringen. Mary verfügt also über alle physikalischen und physiologischen Informationen darüber, was vorgeht, wenn jemand, der »normal« sieht, beispielsweise eine reife Tomate sieht oder Wörter wie »rot« oder »blau« verwendet. Jacksons These ist nun, dass Mary beim Verlassen ihrer Umgebung beim ersten Anblick einer reifen Tomate etwas Neues lernt, ja sogar, dass sie neues Wissen erwirbt, nämlich wie es ist, einen Roteindruck zu haben. Wenn es zutrifft, dass Mary hierbei, so Jackson, Wissen um eine neue Tatsache erwirbt, kannte sie vorher nicht alle Tatsachen bezüglich des Farbensehens, obwohl sichergestellt ist, dass sie alle physikalischen und physiologischen Tatsachen darüber kannte. Also gibt es nicht-physikalische Tatsachen und eine Art des Wissens, das man von ihnen erwerben kann. Zwar ist man sich in der Diskussion weitgehend darüber einig, dass Mary etwas Neues lernt. Kritiker formulieren aber drei Argumente gegen Jackson: Gemäß der ersten Kritik erlernt Mary keine Tatsache (kein propositionales Wissen, dass), sondern eine Fähigkeit 151, das heißt Wissen, wie, das darin besteht, dass man über eine bestimmte Fähigkeit verfügt, nicht, dass etwas Bestimmtes der Fall ist. Gemäß der zweiten Kritik erwirbt Mary keine neue Tatsache 151 Vor allem David Lewis vertritt diese Position. Lewis, David: What Experience Teaches. In: Proceedings of the Russellian Society. University of Sydney 1988.
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(Wissen durch Beschreibung), sondern einen neuen Zugang (Wissen durch Bekanntschaft) zu einer bereits bekannten Tatsache. 152 Gemäß der dritten Kritik ist es zu bezweifeln, dass sich aus Jacksons Experiment überhaupt ein Argument gegen den Physikalismus herleiten lässt. 153 Es gibt allerdings triftige Argumente gegen diese Kritikpunkte, die ich nachfolgend knapp erläutern werde. Die erste Kritik, die z. B. David Lewis formuliert, lautet folgendermaßen: Mary erwirbt nur ein Wissen, wie es ist, eine bestimmte Empfindung zu haben und kein Wissen, dass x. Und dazu braucht sie drei Fähigkeiten, die Fähigkeit, sich an Empfindungen solcher Art zu erinnern, sich Empfindungen solcher Art vorzustellen und sie wiederzuerkennen 154. Geht man von dieser Annahme aus, so kann man die folgenden Tatsachen erklären, was die Annahme attraktiv macht: Diese Annahme macht uns plausibel, warum es schwierig oder gar unmöglich ist, unser Wissen, wie es ist, in Sprache zu fassen. Sie erklärt auch, warum wir bei entsprechenden Versuchen gerade das Vokabular verwenden, das sonst mit dem Phänomen des Wissens verwendet wird (Paul »erinnert sich«, wie man Fahrrad fährt, ich »weiß«, wie man mit den Ohren wackelt). Wenn man über Fähigkeiten spricht, sind diese Ausdrücke nämlich angemessen. Und diese Annahme klärte, so z. B. Nemirow (in einer Reaktion auf Nagel), das Rätsel um den subjektiven Charakter von Empfindungen: Identifiziert man das Wissen, wie es ist, eine Empfindung zu haben, mit der Fähigkeit, sich diese Empfindung vorzustellen, ist es nicht mehr rätselhaft, dass nur diejenigen, die eine bestimmte Erfahrungsperspektive einnehmen können, fähig sind, solches WissenWie zu erwerben. 155
152 Diese Kritik formulierte zuerst P. M. Churchland. In: Churchland, P. M.: Reduction, Qualia, and the Direct Introspection of brain states. Journal of Philosophy 82, 1985. S. 8–28. Siehe auch: Tye, Michael: Ten Problems of Consciousness. Cambridge 1995: MIT Press. 153 Vgl. z. B. Dennett, Daniel: Quining Qualia. In: Marcel, A. J., Bisiach, E. (Hg.) Consciousness in Contemporary Science. Oxford 1993: Oxford University Press, S. 42–77. 154 Lewis, David: What Experience Teaches. In: Proceedings of the Russellian Society. University of Sydney 1988, S. 514 ff. 155 Nemirow, L: Review of T. Nagel’s Mortal Questions. Philosophical Review 1980, S. 475–476.
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Mit Jackson kann nun dieser Kritik begegnet werden: Er gibt ihr zum Teil Recht. Ja, so Jackson 156, Mary erlernt Fähigkeiten, aber die Definition des Wissens-Wie umfasst nicht genug. Was Mary lernt, ist mehr als eine Art Fertigkeits-Wissen, wie z. B. das unreflektierte (dispositionale) Wissen, wie man Fahrrad fährt oder mit den Ohren wackelt. Wie kann Jackson dies behaupten und damit seine Position verteidigen? 157 Er erklärt im Zusammenhang mit Überlegungen über das Fremdpsychische, dass Mary nach dem Verlassen ihres SchwarzWeiß-Grau-Umfelds angesichts der Tomate zu sich sagen konnte: »So ist es also für mich, einen Roteindruck zu haben und so ist es wohl auch für andere!«. Laut Jackson konnte es in solchen Überlegungen über ihren Bewusstseinszustand im Vergleich zum Fremdpsychischen nur darum gegangen sein, ob sie faktisches Wissen über andere erworben hat oder nicht. Denn »[wenn] eine Fähigkeit alles gewesen wäre, was sie bei ihrer Befreiung erworben hat, hätte es nichts gegeben, worüber sie hätte nachdenken können.« 158 Wenn ich einen Roteindruck (von einer Tomate) habe, weiß ich, wie mir die Röte der Tomate erscheint, wie mir dabei zumute ist und ich kann mir überlegen, dass es so wohl auch meinem Gegenüber erscheint. Ich brauche dazu zwar kein ausgefeiltes begriffliches Wissen oder Wissen über die kausale Rolle von Farbeindrücken, aber ich könnte diese Fähigkeit oder Fertigkeit zum Vorstellen, Erinnern oder gar Voraussagen von Roteindrücken meines Gegenübers nicht ausbilden, wenn ich nie unmittelbar mit den phänomenalen Qualitäten eines Roteindrucks konfrontiert gewesen wäre. 156 Vgl. Jackson, Frank: What Mary Didn’t Know. In: Rosenthal, David M. (Hg.): The Nature of Mind. NY/Oxford 1991: University Press, S. 394. 157 Jackson, Frank: What Mary Didn’t Know. In: Rosenthal, David M. (Hg.): The Nature of Mind. NY/Oxford 1991: University Press, S. 392 ff. 158 Jackson, Frank: What Mary Didn’t Know. In: Rosenthal, D. M. (Hg.): The Nature of Mind. NY/Oxford 1991: University Press, S. 394. An seinem Argument wird deutlich, dass Jackson davon ausgeht, dass der Analogieschluss unsere Möglichkeit unserer Erkenntnisse über das Fremdpsychische darstellt und nicht etwa das Husserlsche Modell der Einfühlung. So gerät auch er in die bereits dargestellte argumentative Problemlage. Ich wiederhole knapp: Die Grundidee beim Analogieschluss ist, dass das Subjekt weiß, was es für sein Gegenüber bedeutet, ein Erlebnis x zu haben, wenn es weiß, was es im eigenen Fall heißt, ein dementsprechendes Erlebnis x zu haben. Die Voraussetzung ist, dass es einen einheitlichen Begriff für Erlebnisse x gibt, auf den wir uns sowohl im eigenen Fall als auch im Falle des Fremdpsychischen beziehen. Das Problem dabei ist, so formuliert es sinngemäß Wittgenstein am Beispiel des Schmerzes: Ich soll mir Schmerzen (die des Anderen) vorstellen, die ich nicht habe, auf Grund von Schmerzen, die ich habe.
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Jacksons Position, dass Mary mehr hinzugewinnt, als nur Wissen-Wie, kann damit gut verteidigt werden. Unklar bleibt im Rahmen dieser Argumentation aber, was es denn ist, das Mary hinzulernt. Jackson scheint anzunehmen, dass Mary hinzulernt und demnach vor Verlassen ihres Schwarz-Weiß-Grau-Umfelds nicht wissen konnte, dass die Farbeindrücke von anderen Menschen bestimmte phänomenale Qualitäten haben. Aber da Mary noch vor Verlassen ihres alten Umfelds auch wissen konnte, dass Schwarzeindrücke (z. B. von Druckerschwärze auf weißem Papier) die phänomenale Qualität von Schwärze haben, konnte sie wohl auch schon wissen, dass die Roteindrücke von Leuten draußen wohl die phänomenale Qualität von Röte haben. Was Mary gewinnt, kann also nicht das Wissen davon sein, dass und welche phänomenale Qualitäten Farbeidrücke haben: Es könnte aber etwas wie die direkte Bekanntschaft mit der phänomenalen Qualität der Röte sein. Damit komme ich zum zweiten Kritikpunkt und Jacksons Verteidigungsversuch: Die These Jacksons bleibt, dass Mary nach Verlassen ihrer alten Umgebung ohne Hilfsmittel eine neue Tatsache über die Röte der Tomate, also die phänomenale Qualität des Farbeindrucks lernen kann. Der kritische Einwand lautet, dass sie keine neue Tatsache lernt, denn auf die Tatsachen, die sie lernt, hätte sie auch schon in ihrem Schwarz-Weiß-Grau-Umfeld kommen können: Zum Beispiel mit Hilfe von Instrumenten, die messen, Licht welcher Wellenlänge von Gegenständen (der Tomate) reflektiert wird (›knowledge by description‹). 159 Was sie dagegen Neues erwirbt, ist ein Zugang zu einer ihr bereits bekannten Tatsache (›knowledge by acquaintance‹) 160. Wie oben bereits angesprochen, wusste Mary schon, dass der Roteindruck beim Anblick einer reifen Tomate das qualitative Merkmal der Röte haben muss, das konnte sie auch, ohne selbst draußen zu sein, z. B. aus Berichten von anderen, erfahren. Nach dem Verlassen
159 Diesen Begriff verwendet Paul Churchland, um zu erläutern, was Mary lernt, mit Rekurs auf Bertrand Russel. Russel trifft diese Unterscheidung von Wissen durch Beschreibung von Wissen durch Bekanntschaft allerdings in einem anderen Zusammenhang. In: Churchland, Paul M.: Reduction, Qualia and the Direct Introspection of Brain States. Journal of Philosophy 82, 1985, S. 8–28. 160 Vgl. Churchland, Paul M.: Reduction, Qualia and the Direct Introspection of Brain States. Journal of Philosophy 82, 1985, S. 8–28.
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ihres Schwarz-Weiß-Grau-Umfelds braucht sie nun nicht mehr Messungen oder Berichte von andern, denn sie hat nun selbst Zugang. Das Argument dafür, dass Mary mehr erwirbt als nur einen neuen Zugang, lautet folgendermaßen 161: Klar ist, sie kann das Bestehen der Tatsachen, die sie bereits wusste, nun auch durch ihren neuen Zugang feststellen. Aber man kann noch mehr feststellen: Nämlich, dass auch ihr Ausdruck ›Röte‹ einen anderen Sinn für sie bekommt, wenn sie die Tomate sieht. Dann drückt auch ihr Satz: »Roteindrücke sind durch das qualitative Merkmal der Röte gekennzeichnet« für Mary eine andere Tatsache aus als zuvor. Es liegt also nahe, dass Mary auch einen neuen Begriff von Röte (Tomatenröte für Mary) erwirbt. Zentral ist in diesem Argument (pro Jackson) der Gedanke, dass sich für Mary der Sinn des Ausdrucks ›Röte‹ ändert. Denn Sinne sind gemäß der hier zugrunde zu legenden Frege-Interpretation Arten und Weisen des Gegebenseins und die Qualität der Röte ist für Mary, nachdem sie zum ersten Mal die reife Tomate gesehen hat (einen Roteindruck hatte), auf eine ganz andere Art und Weise gegeben als zuvor. 162 Wenn sie nun von der phänomenalen Qualität ihrer Roteindrücke spricht, drückt sie eine andere Tatsache aus als zuvor. Das Argument leuchtet dann ein, wenn man den Fregeschen Tatsachenbegriff annimmt, demgemäß Tatsachen wahre Gedanken sind. »Der Gedanke, den ein Satz ausdrückt ergibt sich aus dem Sinn der Ausdrücke, die in ihm vorkommen. Zwei Sätze ›Fa‹ und ›Gb‹ drücken ver161 Vgl. mit der überblicksartigen Darstellung von Ansgar Beckermann: Beckermann, Ansgar: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. Berlin/New York 2001, S. 398. 162 Anmerkung über Freges Verständnis vom (veränderten) Sinn eines Ausdrucks: Geht man davon aus, dass der Sinn eines Wortes nur eine von vielen möglichen Perspektiven der Wahrnehmung bzw. Erkenntnis ein und desselben Gegenstandes ist (dies entspräche dem Erwerb lediglich eines neuen Zugangs), so müsste folgendes gelten: »Ersetzen wir [in einem Satz] ein Wort durch ein anderes von derselben Bedeutung, aber anderem Sinne, so kann dies auf die Bedeutung des Satzes keinen Einfluss haben. (…) Nun sehen wir aber, dass der Gedanke sich in einem solchen Fall ändert; denn es ist z. B. der Gedanke des Satzes ›der Morgenstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper‹ verschieden von dem des Satzes ›der Abendstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper‹.« Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Funktion, Begriff, Bedeutung: fünf logische Studien. Hrsg. und eingel. Von Günther Patzig. 7., bibliogr. erg. Aufl. Göttingen 1994: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 47. Bei gleichbleibender Bedeutung, aber unterschiedlichem Sinn der Worte eines Satzes ändert sich also der Gedanke. Der Satz mit verändertem Sinn (und gleich bleibender Bedeutung) beschreibt also einen ganz anderen Sachverhalt, die geschilderte Tatsache ist laut Frege eine andere.
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schiedene Tatsachen aus, wenn ›a‹ und ›b‹ oder ›F‹ und ›G‹ sinnverschieden sind.« 163 Auf dieser Basis kann man also mit Jackson behaupten, dass Mary nach dem Verlassen ihrer Schwarz-Weiß-Grau-Umgebung mehr erwirbt als nur einen neuen Zugang, nämlich Wissen um eine neue (Fregesche) Tatsache, von deren Existenz sie vorher gar nicht wissen konnte, da ihr der Sinn des Ausdrucks ›Röte‹ nicht zugänglich war. 164 Die Frage ist allerdings, ob sich daraus ein Argument gegen den Physikalismus herleiten lässt, womit ich zum dritten Kritikpunkt übergehe. Der Physikalismus behauptet nämlich nur, dass alle Gegenstände physische Gegenstände sind und dass alle Eigenschaften physische Eigenschaften sind, d. h. er behauptet nur, dass alle Wittgensteinschen Tatsachen physische Tatsachen sind und macht keine Aussage über Fregesche Tatsachen. Da Sinne nichts mit der Welt selbst, sondern nur damit zu tun haben, wie uns die Welt gegeben ist, implizieren diese Behauptungen nichts darüber, welche Sinne es in der Welt gibt. Also kann man mit Jackson kein Argument gegen den Physikalismus formulieren. Ein Physikalist könnte durchaus die Jacksonsche Position vertreten, dass Mary Wissen um Wittgensteinsche Tatsachen erwirbt. Allerdings dürfte er dann Sinne nicht mehr einfach ignorieren, sondern müsste sie in sein physikalistisches Weltbild integrieren können – was allerdings schwierig sein dürfte, hier aber nicht weiter diskutiert werden soll. Für meine Überlegungen genügt das Ergebnis, dass sich mit Jackson das Argument des unvollständigen Wissens unter der Annahme der Fregeschen Tatsachen halten lässt. Es gibt jedenfalls deutliche Hinweise darauf, dass wir eine Art von Kenntnissen (die nicht unbedingt den Status von Wissen haben) hinzugewinnen können, wenn wir schon über alle physikalischen und physiologischen Infor163 Dieser Tatsachenbegriff setzt sich z. B. ab vom Wittgensteinschen, wonach elementare Tatsachen darin bestehen, dass ein Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft hat, oder dass eine Reihe von Gegenständen in einer bestimmten Relation zueinander stehen. Tatsachen sind bestehende Verkettungen von Eigenschaften bzw. Relationen und Gegenständen. Zwei Sätze ›Fa‹ und ›Gb‹ drücken dieselbe Tatsache aus, wenn ›a‹ und ›b‹ denselben Gegenstand und ›F‹ und ›G‹ dieselbe Eigenschaft bezeichnen. Vgl. Beckermann, Ansgar: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. Berlin/ New York 2001, S. 401. 164 Vgl. Beckermann, Ansgar: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. Berlin/New York 2001, S. 401.
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mationen über einen phänomenalen Zustand verfügen. Die Reduzierbarkeit dieser Kenntnisse auf rein physiologische bzw. physikalische Information scheint jedenfalls ausgeschlossen. Allerdings bleibt auch im Rahmen dieser Argumentationen eine Lücke, eine Leerstelle, wenn es darum geht, Aussagen darüber zu machen, was es denn sei, das da nicht reduziert werden kann. Im Rahmen des Mary-Gedankenexperiments formuliert: Welcher Unterschied liegt zwischen »Röte« und »Marys phänomenalem Roteindruck«? Es ist nun deutlich, dass dieses Argument des unvollständigen Wissens zwar versucht, aus der Art oder dem Umfang unseres Wissens über Qualia auf deren nicht-physikalische Natur zu schließen, dass es sich aber (ebenso wie das Erklärungslückenargument) der Kritik stellen muss, dass sich aus epistemischen Prämissen (Irreduzibilität) keine Schlüsse auf die Art und Weise dieses Zustands ziehen lassen und sich keine ontologischen Konklusionen (auf eine nichtphysikalische Natur des phänomenalen Zustands) ableiten lassen. Also bleiben im Rahmen dieser Debatte modale Argumente. Sie werden eingesetzt, wenn es darum geht, die prinzipielle Unmöglichkeit einer rein physikalistischen Erklärung des Phänomens der Qualia auszuweisen, also dessen (ontologische) Irreduzibilität. Modale Argumente versuchen nicht, das phänomenale Bewusstsein als etwas auszuweisen, das sich unserem Verständnis einfach entzieht (vgl. Erklärungslücke: Nagel, McGinn), sondern sie versuchen nachzuweisen, dass phänomenale Eigenschaften, unabhängig davon, was wir von ihnen verstehen, erklären und wissen können, gar keine physikalischen Eigenschaften sein können. Offen bleibt auch hier, was sie denn sein können. Ich werde knapp die beiden Hauptvarianten des modalen Arguments, das Argument invertierter Qualia und das Argument fehlender Qualia, skizzieren. Ihre Grundstruktur ist die: Wären Qualia mit physikalischen Eigenschaften identisch, dann wäre es nicht möglich, dass ein Quale vorkommt, ohne dass die entsprechende physikalische Eigenschaft instantiiert ist. Aber es ist vorstellbar, also auch möglich, dass dies vorkommt. Also können Qualia nicht identisch sein mit physikalischen Eigenschaften. Laut dem Argument fehlender Qualia »ist es metaphysisch möglich, dass es Wesen geben könnte, die funktional (und daher behavioral) mit uns identisch sind, d. h. deren innere Zustände in denselben Relationen zu Input, Output und anderen inneren Zuständen stehen 106
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wie unsere, deren innere Zustände jedoch keinen phänomenalen Gehalt haben.« 165 Hat der Funktionalismus Recht, so bestimmt ausschließlich die funktionale Organisation eines Systems (und nicht die materielle Natur desselben), ob das System Qualia hat oder nicht. Also könnte es, so argumentiert Block 166, verrückte Realisierungen geben, die genau die funktionale und behaviorale Organisation eines sensitiven Wesens instantiieren, obwohl sie zum einen gar kein Erlebnis eines solchen sensitiven Wesens teilen, zum anderen intuitiv gar nicht als sensitive Wesen betrachtet würden: Zum Beispiel könnte ein hinreichend komplexes System wie die Bevölkerung von China funktional so organisiert sein, dass es genau die funktionale Organisation eines sensitiven Wesens instantiiert. Dass solche Systeme phänomenale Zustände haben sollen, erscheint kontraintuitiv und spricht, so (nicht nur) Block, gegen eine rein funktionalistische Deutung der Qualia. 167 Shoemaker argumentiert im Rahmen der Diskussion um fehlende Qualia, dass ein mit uns funktional identisches System auch alle unsere Überzeugungen teilen müsste, also auch unsere qualitativen Überzeugungen (Überzeugungen, die wir über unsere eigenen phänomenalen Zustände haben). Gestehen wir dem System ›China-Bevölkerung‹ dieselbe epistemische Autorität der ersten Person über seine inneren Zustände zu wie uns, müssen wir annehmen, dass es Situationen gibt, in denen dieses System zu Recht der qualitativen Überzeugung ist, dass es z. B. Schmerzen hat. Das erscheint zwar intuitiv unplausibel, nichtsdestotrotz spricht sonst nichts dagegen, dass zumindest die Klasse phänomenaler Zustände und damit auch die Klasse von Wesen mit phänomenalen Zuständen funktionalistisch definierbar ist und fehlende Qualia unmöglich sind. 168 Damit ist aber die Argumentation noch nicht zu Ende, denn dem 165 Heckmann, Heinz-Dieter/Walter, Sven (Hg.): Qualia. Ausgewählte Beiträge. Paderborn 2001, S. 45. 166 Block, Ned: Sind fehlende Qualia unmöglich? In: Heckmann, H.-D., Walter, S. (Hg.): Qualia. Ausgewählte Beiträge. Paderborn 2001, S. 273 ff. 167 Ich übergehe an dieser Stelle einen Einwand von Putnam, da er von Block wiederum überzeugend abgewehrt werden konnte. Vgl. Block, Ned: Sind fehlende Qualia unmöglich? In: Heckmann, H.-D./Walter, S. (Hg.): Qualia. Ausgewählte Beiträge. Paderborn 2001, S. 279. 168 Shoemaker, Sydney: Funktionalismus und Qualia. In: Heckmann, H.-D./Walter, S. (Hg.): Qualia. Ausgewählte Beiträge. Paderborn 2001, S. 254.
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Funktionalismus, der ja auch eine Form des Reduktionismus darstellt, kann doch etwas entgegnet werden: Zwar müssen wir die Möglichkeit fehlender Qualia ausschließen, aber der Funktionalismus hat kein Argument gegen die Möglichkeit invertierter Qualia. Das Argument invertierter Qualia geht davon aus, dass mein Erlebnis beim Anblick von Gegenständen, von denen wir übereinstimmend sagen, sie seien rot, denselben phänomenalen Gehalt haben könnte wie das Erlebnis meines Gegenübers (das eben eine ›RotGrün-Inversion‹ hat) beim Anblick von Gegenständen, von denen wir übereinstimmend sagen, sie seien grün (und umgekehrt). Wir würden also beide, auch weil wir es so gelernt haben, die reife Tomate ›rot‹ nennen, hätten dabei aber verschiedene phänomenale Erlebnisse. Dann könnte aber der phänomenale Gehalt unserer mentalen Zustände nicht ausschließlich durch deren funktionale Rolle erfasst werden. Denn dieselbe funktionale Rolle wäre mit unterschiedlichen phänomenalen Gehalten kompatibel. In diesem Fall können also phänomenale Eigenschaften keine funktionalen Eigenschaften sein. Stellt man sich nun noch ein Analogon zum Argument des invertierten (Farb-)Spektrums im Feld der Emotionen oder Schmerzzustände vor, die ja (auch) qualitative/phänomenale Zustände sind, so gewinnt das Argument für die Irreduzibilität phänomenaler Qualia an Plausibilität: Es ist schwer anzunehmen, die Verkehrung einer Emotion in ihr Gegenteil (tiefe Trauer in höchstes Glück/größtes Lustempfinden bei einer schweren Körperverletzung) schlage sich nicht im Verhalten bzw. in Verhaltensdispositionen oder im Erleben der betreffenden Person nieder. Das ließe sich auch (alltags-)psychologisch nicht vertreten. Worin liegt der Unterschied zum Fall der Inversion von Farbempfindungen? »Das Verhalten, auch das verbale Verhalten, das sich mit Farbempfindungen verbindet, ist Produkt eines Lernprozesses, innerhalb dessen wir erfahren, dass bestimmte Objekte als ›grün‹ bezeichnet werden […]. Im Falle von Schmerzempfindungen sind solche Lernprozesse nicht erforderlich, hier bestehen offenbar feste, z. T. angeborene Verbindungen.« 169 Dass also Schmerz auf neuronaler Ebene als Schmerz und nicht invertiert als Lust (oder ähnliches) auftritt und bei allen Menschen ähnliche Verhaltensdispositionen aufruft, scheint einer funktionalen Erklärung zugänglich zu sein. Dabei ist allerdings 169 Pauen Michael: Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Frankfurt/Main 2002, S. 204.
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keine Erklärung dafür gefunden wie und wie unterschiedlich der Schmerz jeweils von unterschiedlichen Menschen aus der Perspektive der ersten Person phänomenal erlebt wird. Der Fall der Emotionen scheint also noch komplizierter. Hier reicht eine Unterscheidung zwischen »angeboren« und »erlernt« gar nicht aus. Diese Überlegungen werde ich hier nicht verfolgen, denn zum Erfassen des (irreduziblen) phänomenalen Aspekts von Emotionen wären ausführliche emotionstheoretische Überlegungen nötig, die aber die hier angestellten subjektivitätstheoretischen nicht weiterbringen. Die Diskussion um invertierte Qualia differenziert sich noch weiter aus, und ich werde sie nur knapp skizzieren: Es gibt in einem ersten Schritt ein Argument gegen jene interpersonale Inversion von Qualia von Seiten des Funktionalismus, denn ein zweifelsfreier, objektiver Vergleich der Qualia verschiedener Personen ist auch dem Qualia-Vertreter nicht möglich. Aber er kann in einem zweiten Schritt dem Funktionalisten entgegnen, dass eine intrapersonale Qualiainversion eine Denkmöglichkeit darstellt. 170 Hier ist ein Vergleich der Qualia vor und nach der Inversion aus der Perspektive der ersten Person möglich. Da man sich dabei aber auf die Berichte aus der (subjektiven) Perspektive der ersten Person verlassen muss, die man aus der (objektiven) Perspektive der dritten Person nicht definitiv nachweisen kann, bleibt auch dieses Argument des Qualia-Vertreters, wenngleich es intuitiv zutreffend scheint, anfechtbar. Ned Block argumentiert mit dem Gedankenexperiment der invertierten Erde dafür, dass phänomenale Eigenschaften keine funktionalen Eigenschaften sein können. Er weist nach, dass Erlebnisse verschiedene funktionale Rollen haben können. Das heißt, hier bleiben die Qualia konstant, aber das funktionale Profil des Wesens, das Qua170 Beispiel für intrapersonale Inversion in vier Schritten: 1) X ist ein normalsichtiges erlebendes Subjekt, 2) X wacht auf und für sie sieht der Rasen rot aus, die Tomate grün, der Himmel gelb, für alle anderen trifft das nicht zu. Das Farberleben muss sich also bei X (1.-Person-Perspektive) verändert haben. X hat zunächst Schwierigkeiten mit der Zuschreibung von Farbprädikaten und wundert sich über das Aussehen der Umwelt. 3) Nun ist X in dem Stadium der Gewöhnung angelangt, in dem sie die Farbprädikate wieder ›korrekt‹ zuschreiben kann. Sie ist also bis auf eine Ausnahme funktional wieder normal. Die Ausnahme ist, dass sie sich noch erinnert, dass vor einiger Zeit das Gras so ausgesehen hat, wie jetzt die reife Tomate aussieht. 4) Jetzt aber erleidet X eine Amnesie bezüglich der Zeit vor der Farbinversion: Sie ist zu einem funktionalen Duplikat ihrer selbst vor der Inversion geworden, obwohl ihre Qualia zweifelsfrei und nachweislich invertiert sind. Vgl. dazu: Heckmann, HeinzDieter/Walter, Sven (Hg.): Qualia. Ausgewählte Beiträge. Paderborn 200, S. 49 f.
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lia hat, verändert sich. Das Gedankenexperiment lautet so: Die invertierte Erde ist ein fiktiver Planet, der ein Duplikat der Erde ist, bis auf eine Ausnahme: Die Gegenstände auf der invertierten Erde haben jeweils die Komplementärfarbe zu den Farben auf der Erde. Die Bewohner der invertierten Erde nennen die (grüne) Tomate trotzdem ›rot‹. Nun wird ein Bewohner, ohne es zu bemerken, auf die Erde gebracht und der entsprechende Erdbewohner auf die invertierte Erde, es werden Inversionslinsen eingesetzt und die Körperpigmentierung invertiert. Für diesen ›Erdling‹ sieht die grüne Tomate genauso rot aus wie ›Zuhause‹ (die rote). Zunächst gehört der ›Erdling‹ noch der Sprachgemeinschaft der Erde (Zuhause) an und bezieht sich mit dem Ausdruck ›rot‹ auf Rot. Nach einer Weile auf der invertierten Erde, verändert sich nun unter Annahme des Gehaltsexternalismus die Bedeutung der Farbprädikate. Nun bezieht sich der ›Erdling‹ mit dem Ausdruck ›rot‹ auf grün, wie die ihn umgebenden Bewohner der invertierten Erde. Was heißt das? Am Anfang meint der ›Erdling‹ mit dem Ausdruck ›Die Tomate ist rot‹ noch rot, wie auf der Erde. Das ist jedoch nur auf der Erde richtig, auf der invertierten Erde ist das aber falsch, weil dort die Tomate grün ist. Nach einer Weile meint der ›Erdling‹ mit dem Ausdruck ›Die Tomate ist rot‹, das, was die Bewohner der invertierten Erde damit meinen, dass die Tomate grün ist. Und damit hat er recht. Was ist hier geschehen? Der phänomenale Gehalt der Erlebnisse des ›Erdlings‹ ist immer konstant geblieben, aber er ist ein funktionales Duplikat seiner selbst geworden, denn er bezieht sich auf grüne Dinge in Äußerungen, die von Roteindrücken hervorgerufen wurden. Dieses komplexe Gedankenexperiment zeigt, dass Erlebnisse verschiedene funktionale Rollen haben können. Mit anderen Worten, es zeigt, dass funktionale Eigenschaften mit phänomenalen Eigenschaften nicht identisch sein können, was eine Reduktion der phänomenalen Eigenschaften auf funktionale ausschließt und somit für die Annahme eines irreduziblen Aspekts auch unseres Akt- und Zustandsbewusstseins in phänomenalen Bewusstseinszuständen spricht. Die Probleme modaler Argumente sind aber, dass ihre Einschätzung zum einen davon abhängt, was man sich kohärent vorstellen kann, wobei unsere Intuitionen weit auseinander liegen können, zum anderen davon, dass dasjenige, das wir uns kohärent vorstellen können, auch tatsächlich möglich ist. In beiden Punkten scheint die 110
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Auseinandersetzung zwischen Funktionalisten und Qualia-Vertretern noch unentschieden, denn beide stoßen an ein und dieselbe Argumentationsgrenze, die schon beim Erklärungslückenargument und auch beim Argument unvollständigen Wissens auftrat: Eine zwingende Widerlegung, d. h. ein Nachweis der prinzipiellen Unmöglichkeit der jeweils anderen Position, ist bislang nicht gelungen. Während Physikalisten daran scheitern, ihre Position als zwingend korrekt auszuweisen, scheitern Qualia-Vertreter daran, zu zeigen, dass der Physikalismus falsch sein muss. Bisher scheint also das von den Diskutanten so genannte »hard problem of consciousness« 171 ungelöst. Vertreter eines Qualiaeliminativismus, wie die Churchlands 172, die (verkürzt formuliert) behaupten, die Rede über das Haben von subjektiven Erlebnissen sei veralteten metaphysischen Intuitionen geschuldet, sowie die hier vor allem diskutierten funktionalistischen Ansätze, die phänomenale Zustände als (objektivierbare) Input-Output-Relation beschreiben wollen und dabei nicht erklären können, ob und wenn ja, wodurch diese Relationen ihre subjektive Qualität erhalten sollten, stoßen an argumentative Grenzen 173: All diesen Erklärungen von Qualia, verstanden als subjektive, private Sinneseindrücke, fehlt etwas. Ihre vollständige Formalisierung bzw. ihre vollständige Reduktion auf Objektivierbares, Physikalisches oder Physiologisches kann nie gelingen.
171 David Chalmers und Galen Strawson unterschieden zwischen dem einfachen Problem der Funktion des Bewusstseins und dem schwierigen. Chalmers, David: The Conscious Mind. New York 1996. Strawson, Galen: Mental Reality. Cambridge (Mass.) 1994, S. 93–96. 172 Churchland, Paul: Matter and Consciousness: A Contemporary Introduction to the Philosophy of Mind. Cambridge (Mass.) 1988. Auch: Churchland, Paul: Self-representation in Nervous Systems. Science, Vol. 12. 296, 2002, S. 308–310. Oder auch Dennett, Daniel: Quining Qualia. In: Marcel, A. J., Bisiach, E. (Hg.) Consciousness in Contemporary Science. Oxford 1993: Oxford University Press, S. 42–77. 173 Ebenso problematisch sind auch die Positionen von Vertretern repräsentationalistischer Strategien, die subjektives Erleben als Modus einer Repräsentation bzw. Metarepräsentation erläutern wollen, dabei aber nicht erklären können, warum Repräsentationen denn überhaupt von Erleben begleitet sein sollten, wie z. B. Dretske, Fred: Naturalizing the Mind. Cambridge (Mass.) 1997: MIT Press, oder Metzinger, Thomas: Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity. Cambridge (Mass.) 2003: MIT Press, oder Tye, Michael: Ten Problems of Consciousness. Cambridge (Mass.) 1996: MIT Press, oder Rosenthal, David: The Nature of Mind. Oxford 1991: Oxford University Press.
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Zusammenfassung Hiermit kann also festgehalten werden, dass neben dem expliziten Ich-Bewusstsein sowie dem Bewusstsein, wie es in propositionalen Einstellungen zum Ausdruck kommt, auch unser Akt- und Zustandsbewusstsein in typischen phänomenalen Bewusstseinszuständen ein irreduzibles nicht objektivierbares Moment involviert. Typische phänomenale Bewusstseinszustände sind also Zustände, in denen uns unmittelbar (irgendwie) zumute ist. Das gilt auch für Bewusstseinszustände, wie sie in propositionalen Einstellungen zum Ausdruck kommen, einschließlich unseres expliziten Ich-Bewusstseins, von denen sich ebenfalls zeigen ließ, dass sie einen phänomenalen Aspekt involvieren. Es handelt sich dabei um ein schieres Bewusstsein des Zustandes, um ein Mir-so-Scheinen eines Objekts, einer Situation in der Welt, das perspektivisch auf den je eigenen Standpunkt bezogen und darin subjektiv ist. Insofern dieses Subjektive Teil des phänomenalen Bewusstseinszustands ist, muss es möglich sein, dass ebendiese Subjektivität uns bewusst ist (sonst wäre Nichtbewusstes Teil des Bewusstseins): Man darf also davon ausgehen, dass das Subjekt im phänomenalen Erleben seiner Bewusstseinszustände stets auch seiner selbst unmittelbar inne ist. Selbst wenn wir diesen Aspekt unserer Bewusstseinszustände bislang noch nicht näher charakterisieren können, so ist er für uns doch genau und mit Sicherheit bestimmt. 174 Am Ende dieses Kapitels gelange ich also zur Bestätigung der »Dass-Seins-These« für alle der untersuchten Bewusstseinsformen: Keine der untersuchten Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, lässt sich auf objektivierbare Aspekte reduzieren. Das heißt, menschliches Bewusstsein hat zwar objektivierbare Aspekte, aber es ist stets auch subjektiv. Da diese Subjektivität Teil des Bewusstseins ist, müssen Menschen in jedweder Form von Bewusstsein auch ihrer Subjektivität, d. h. ihrer selbst, inne sein können. Damit schließe ich dieses Kapitel und beende die Beschäftigung mit Positionen aus der analytisch geprägten »Qualiadebatte«.
174 Dass man bei der Selbstdeutung solcher Zustände Fehler machen kann, sei, auch mit Bezug auf die Überlegungen zur Irrtumsimmunität im Falle von propositionalen Einstellungen (Ernst Mach im Spiegel, Wasser/Zwasser), zugestanden.
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4.1 Qualia: Definitionsprobleme Die bisher gewonnenen Erkenntnisse und Beschreibungsmöglichkeiten der verschiedenen Bewusstseinszustände und ihrer Gehalte beschränken sich aus epistemischen Gründen auf die (objektivierbaren) physikalischen Eigenschaften des Objekts in der Welt und deren sprachliche Fassung einerseits, sowie auf die objektivierbaren physiologischen Eigenschaften derjenigen oder desjenigen, die oder der das Objekt wahrnimmt bzw. empfindet und deren sprachliche Fassung andererseits. Und sie erklären, wie daraus das Sinnesdatum bzw. bei vielen propositionalen Einstellungen, mein Gedanke, meine Äußerung, »dass p …«, gebildet wird. Das ist besonders augenfällig bei der Untersuchung unseres phänomenalen Bewusstseins im Rahmen der »Qualiadiskussion«. Wenn aber aus einer derart differenziert geführten Diskussion hervorgeht, dass es keiner der widerstreitenden Diskussionsgruppen gelingen mag, einen Nachweis der prinzipiellen Unmöglichkeit der jeweils anderen Position zu leisten, so drängt sich die Frage auf, ob nicht jede in ihrem Ausgangspunkt einen Fehler macht. Und das ist der Fall, denn es findet sich bereits in der Definition dessen, was »Qualia« als Zustände phänomenalen Bewusstseins sein sollen, ein Denkfehler: Es hat sich in Kapitel 4 mit Rekurs auf Koch gezeigt, dass man sich in der Theoriebildung über »Qualia« darauf konzentriert, den qualitativen Charakter von (per se subjektiven) Bewusstseinszuständen zu erklären. Ohne es zu bemerken, beschäftigt man sich dabei aber eigentlich mit dem qualitativen Charakter der Dinge in der Außenwelt und verlegt ihn ins Bewusstsein. Damit verfehlt man das Phänomen zweifach: Was zum Objekt gehört, wird ins Subjekt verlegt und falsch interpretiert (a), und was eigentlich zum Subjekt gehört, d. h. was als qualitativer Charakter des Bewusstseinszustandes interpretiert werden könnte und daher im Fokus meiner Untersuchung steht, wird übersehen, auf physikalische Entitäten oder funktionale Zusammenhänge unseres Nervensystems reduziert, oder es bleibt, zwar stark verteidigt, aber dennoch als Rätsel »übrig« (b). Man geht also entweder davon aus, dass eben der Einbezug der physiologischen Eigenschaften das Subjektive mitberücksichtige – und verlegt somit die eigentlich objektivierbaren Eigenschaften fälschlicherweise ins Subjekt – oder man geht davon aus, dass das Ich – Jetzt – Hier
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Subjektive nicht mitberücksichtigt sei und ist dann gezwungen, in der Erklärung eine Leerstelle für die so genannte »What-it-is-likeness« zu lassen, was die Erklärung unbefriedigend lässt. So kommt man selbst in den nichtreduktionistischen Ansätzen lediglich auf Negativbestimmungen des gesuchten subjektiven Aspekts unserer unterschiedlichen Bewusstseinsformen (Leerstelle), was auch meine bisherigen Überlegungen und die Erklärungskraft meiner These beschränkt: Der gesuchte subjektive Aspekt, der jeder Form von Bewusstsein einwohnt, soll in seiner Nichtreflexivität, Nichtpropositionalität, Nichtbegrifflichkeit bestimmbar werden. Er soll sich dabei als subjektiver Aspekt des phänomenalen Bewusstseins bzw. Teilaspekt des phänomenalen Aspekts auch der anderen Bewusstseinsformen erweisen. Das zentrale Problem der herangezogenen Ansätze zur Erklärung von Zuständen phänomenalen Bewusstseins scheint folglich zu sein, dass »Qualia« subjektive, private Sinneseindrücke sein sollen. Dementsprechend müsste eine Theorie darüber eine Sinnesdatentheorie sein. Aber eine Sinnesdatentheorie kann sich lediglich mit objektivierbaren, physikalischen (in den meisten Beispielen mit optischen) bzw. physiologischen Eigenschaften befassen. 175 Das heißt, was wir wahrnehmen (was wir als phänomenales Erleben bezeichnen), kann dementsprechend nur interpretiert werden als der intern in unserem Nervensystem verarbeitete Einfluss der Reize, den die Dinge der Außenwelt auf unseren Wahrnehmungsapparat haben. Im Rahmen dieser Definition ist es ausgeschlossen, zur Bestimmung des subjektiven Aspekts dessen zu gelangen, was als Sinneseindruck verstanden wird. Der Ausgang bei einem solchen, zwar vollständig ins Innere des Wahrnehmenden (Empfindenden) verlegten »Quale« kann nur zur Erkenntnis objektivierbarer Eigenschaften führen und zur berechtigten Annahme einer »Leerstelle« für das Subjektive. Wer nun nicht im Rahmen eines dualistischen Ansatzes am Problem mentaler Verursachung scheitern will, d. h. an der Nichterklärbarkeit einer Interaktion von vollständig subjektivierten, mentalen
175 Das erläutert überzeugend A. F. Koch in: Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, Kapitel I.2 bzw. I.4 im Rahmen seiner Überlegungen über transzendentale und personale Subjektivität, auf die ich mich im Folgenden eingehender beziehen werde. Vgl. auch Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 99 ff.
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Qualia mit der materiellen Welt, sieht sich (im Rahmen seiner identitätstheoretischen Versuche) zumindest mit einer kognitiven Dissonanz konfrontiert. 176
4.2 Qualia: Ein neuer Ansatz Vor diesem Horizont gilt es also, phänomenale Bewusstseinszustände noch einmal neu zu betrachten. Der Deutlichkeit der Beispiele halber und weil die aktuelle Diskussion sich hauptsächlich auf dieses Gebiet konzentriert, bleibe ich dabei, dasjenige Bewusstsein genau zu betrachten, das Menschen haben, wenn sie Dinge oder Sachverhalte der Außenwelt sinnlich wahrnehmen (Mary sieht eine reife Tomate). Die neuen Erkenntnisse lassen sich aber auch auf denjenigen phänomenalen Aspekt unseres Bewusstseins übertragen, den man als psychische Qualia bezeichnet und dessen Vorhandensein in Kapitel 3.3 herausgearbeitet wurde. Es handelt sich dabei um die Erlebnisqualität von Zuständen des Denkens (in propositionalen Einstellungen), von Erinnerungs- oder sogar Halluzinationszuständen. Menschen werden durch Dinge ihrer Außenwelt sinnlich affiziert oder sind durch sie in sensorischen Zuständen. Insofern sind Menschen rezeptiv für deren phänomenale Eigenschaften. Wir haben es hierbei mit zwei Bewusstseinsaspekten zu tun: Zum einen mit dem Bewusstsein der öffentlichen phänomenalen Qualitäten der realen Dinge in der Welt, die Gegenstand, d. h. 176 Sie wird m. E. auch recht unbefriedigend zu überbrücken versucht z. B. in begriffspluralistischen Ansätzen, die grob vereinfacht die »These der zwei Seiten einer Medaille« vertreten. So spricht z. B. Goodman von gleichberechtigt nebeneinander stehenden Beschreibungsweisen, die nicht aufeinander zurückführbar sind (vgl.: Goodman, Nelson: Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols. Indianapolis 1976). Ein Grundgedanke solcher Strategien ist der, dass im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Erklärung von Bewusstseinsphänomenen die konzeptuelle Beschreibung von Prozessen in Termini von Funktionen, wie eben auch die phänomenale Beschreibung des Zumuteseins, nicht notwendigerweise auf bestimmte materielle Strukturen Bezug nehmen muss, ohne zugleich zu behaupten, dass sie nicht in unterschiedlichen physikalischen Systemen realisiert sein können. »Solche Beschreibungen verwenden wir Menschen, um uns Phänomene und Zusammenhänge in der Natur verständlich zu machen.« Windmann, Sabine: Was phänomenales Erleben so unerklärlich macht: Brief an einen Zombie. In: Herrmann, C., Pauen, M., Rieger, J., Schicktanz, S. (Hg.): Bewusstsein. Philosophie, Neurowissenschaften, Ethik. Paderborn 2005, S. 188–215 und S. 189.
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externalistisch zu bestimmender, objektivierbarer Gehalt des Bewusstseins sind (objektivierbarer Bewusstseinsaspekt: Tomatenrot). Zum anderen haben aber die Dinge nur als Phänomene, als Dinge, wie sie einem sie wahrnehmenden Subjekt erscheinen, phänomenale Qualitäten (nichtobjektiverbarer Aspekt: Marys Roteindruck). Die Korrektur des Denkfehlers erfordert ein Umdenken hinsichtlich beider Aspekte. Zunächst komme ich noch einmal kurz auf den objektivierbaren Bewusstseinsaspekt zu sprechen. Er wurde in den voranstehenden Kapiteln, wenn auch unter seiner falschen Interpretation als ins Subjekt verlegter Bewusstseinsaspekt, bereits herausgearbeitet: Aus den Überlegungen zu unserer Irrtumsanfälligkeit, wenn wir urteilen, dass p (dass diese durchsichtige Flüssigkeit Wasser ist, dass die Tomate rot ist, dass der neue Rock der Kollegin schön ist) wurde deutlich, wie sich uns Reales »als etwas« präsentiert: diskursartig, propositional, wenn auch nicht zwingend stets begrifflich verfasst (vgl. Kapitel 3.3 z. B. mit Rekurs auf Searle). Es ist klar, dass unabhängig von unserem Urteil oder unserem Eindruck, d. h. unabhängig davon, wie uns die Dinge erscheinen, die Dinge auch anders sein könnten: Die Dinge erscheinen uns (als etwas), wir müssen sie (als etwas) interpretieren und dabei können wir uns irren. Also dürfen wir davon ausgehen, dass die Dinge eine Realität, und damit ihre Objektivität unabhängig davon haben, wie sie uns erscheinen. Die uns erscheinenden Dinge sind also nicht nur unsere privaten, vollständig subjektivierbaren Sinnesdaten. Die Entdeckung der Möglichkeit des Irrtums, die sich in den sprachanalytischen Überlegungen aufzeigen ließ, nämlich an propositionalen Einstellungen und deren zweiwertiger »Etwas-als-etwas-Struktur« (Kapitel 3.2), erlaubt uns so die Erkenntnis der Objektivität der Dinge. 177 Was wir dabei erkennen können, sind nämlich die öffentlichen phänomenalen Qualitäten der realen Dinge in der Welt, die objektivierbarer Gehalt des Bewusstseins sind, und die wir in unserer Interpretation irrtumsanfällig im Satzteil: »…, dass p« ausdrücken. Klar ist also: Was sich uns zeigt, ist stets Reales, wobei wir irren
177 »Unsere Fehlbarkeit und damit die Objektivität der Dinge ist also gebunden an das propositionale ›als‹. Die Proposition (oder Aussage) ist der Ort, wo wir die Zweiwertigkeit und mit ihr die Irrtumsmöglichkeit antreffen.« Vgl.: Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 27.
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können, weil der Anschein, unter dem es sich uns zeigt, unsere Interpretation fehlleiten kann. Es ist jedoch auch klar, dass wir in der Lage sind, dies einzusehen und dasjenige, »wie es für uns ist«, also wie es uns subjektiv als etwas erscheint, nicht zwingend als dasjenige zu nehmen, was objektiv der Fall ist. Wir können diskursiv korrigieren, wobei aber der Anschein für uns bestehen bleiben kann. Es kann mir z. B. nach einer einseitigen Massage am rechten Bein so erscheinen, als liege dieses Bein viel schwerer auf der Unterlage auf als das linke Bein. Dennoch kann ich mich diskursiv korrigieren – d. h. den Anschein reinterpretieren und urteilen, dass dieses Bein nicht schwerer als das andere aufliegt und dennoch den Anschein des schwereren Beins bewahren. Analoges erwiesen die sprachanalytischen Überlegungen zu propositionalen Einstellungen 178 (vgl. Kapitel 3.2, auch 3.3). Aus ihnen ging nämlich hervor, dass wir hinsichtlich eines bestimmten Aspekts unserer Einstellungen irrtumsimmun sind. Es ist derjenige Aspekt, in dem wir selbst, (d. h. wie es uns erscheint, dass p) Bezugsgegenstand unserer Einstellung sind. Solche Einstellungen, bzw. dieser Aspekt unserer Einstellungen, lässt sich weder auf Einstellungen zu Propositionen noch auf Einstellungen zu Gegenständen zurückführen. Das heißt, dass derjenige Aspekt unserer Einstellungen, in dem wir uns selbst zum Bezugsgegenstand machen, epistemisch irreduzibel ist, er ist nichtidentifizierend, nicht objektivierbar: Wir können den Anschein des schwereren Beins bewahren. Damit ließ sich der zweite oben angesprochene Bewusstseinsaspekt, der nichtobjektivierbare, subjektive, sprachanalytisch herausarbeiten. Insofern die Dinge, auf die wir uns in unseren Bewusstseinszuständen richten, uns stets auch Phänomene (Erscheinungen) sind, können wir uns also den subjektiven Aspekt unserer Bewusstseinszustände erschließen. Das ist auf dem Wege möglich, den ich in Kapitel 3 eingeschlagen habe. Ich möchte hier noch ein Stück weitergehen. Anfangs z. T. wiederholend, werde ich diesen subjektiven Aspekt 178 »Ich habe einen Schluck probiert und es schien mir Wasser zu sein, tatsächlich handelte es sich aber um Zwasser, nicht um Wasser.« »Die Tomate, schien mir rot zu sein, tatsächlich ist die Tomate noch grün, sie wurde nur durch rote Brillengläser betrachtet.« Auch die bereits bekannten Beispiele zeigen: wir können gedanklich trennen zwischen dem, was der Fall ist (die Tomate ist grün, es handelte sich um Zwasser) und dem, was uns erscheint. Es kommt mir dennoch so vor, als sei die Tomate rot. Es scheint mir Wasser zu sein.
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durch Überlegungen zur Epoché als Methode des Einklammerns, die dann zu sprachanalytischen Überlegungen über unser Selbstbewusstsein als wissende Selbstbeziehung führen, noch genauer herausarbeiten. Diese Erkenntnisse lassen sich dann mit Rekurs auf Kochs Theorie der Voraussetzungen a priori der Bezugnahme durch Argumente a priori untermauern. Die Konzentration auf den subjektiven Aspekt unserer Bewusstseinszustände gelingt, wenn wir das Augenmerk auf unseren Sprachgebrauch legen: Indem wir unserem ursprünglichen Urteil (mein rechtes Bein liegt jetzt schwerer auf) voranstellen, dass es uns so erscheint, (als liege unser Bein jetzt schwerer auf), geben wir zwar unseren objektiven Wahrheitsanspruch nicht preis, aber wir legen ihn gewissermaßen lahm. So wird der Aussagesatz athetisch, d. h. »wahr, ohne die Möglichkeit des Falschseins und insofern einwertig.« 179 Während das thetische, setzende Bewusstsein eines ist, in dem wir Wahrheitsansprüche stellen, stehen wir im athetischen Bewusstsein (bzw. hinsichtlich des athetischen Bewusstseinsaspekts) schlicht unter einem Anschein. Dieses Anscheins oder »Eindrucks, wie es ist« (vgl. Nagels »what-it-is-likeness«) sind wir uns irrtumsimmun gewiss, dessen ungeachtet, ob wir dasjenige, was uns oder wie es uns eben gerade erscheint, durch eine Thesis untermauern würden oder nicht (mir scheint eben dieses Bein schwerer aufzuliegen als das andere, auch wenn ich nicht behaupten würde, es sei schwerer als das andere). Die Methode zur (theoretischen) Isolation dieser besonderen Bewusstseinsweise der Urteilsenthaltung oder der Einklammerung wurde mit Rekurs auf Husserls phänomenologische Methode der Epoché bereits erläutert. Hier muss allerdings etwas ergänzt werden: Dass Urteilsenthaltung uns Irrtumsimmunität beschert, ist weiter nicht verwunderlich, denn wer sich des Urteils enthält, stellt keinen Wahrheitsanspruch, und daher muss er auch keine Gründe angeben. Der Fall ist nicht mehr so trivial, wenn es sich beim Einsatz des »Mir-scheint-dass«Operators nicht um Enthaltung sondern um die Selbstzuschreibung eines athetischen Zustands handelt (mir scheint, dass eines meiner Beine schwerer aufliegt als das andere). Anders gesagt: Sind wir irrtumsimmun im Falle von »Mir-scheint, dass«-Selbstzuschreibungen? Im Rahmen der Untersuchung unseres Bewusstseins, das sich in propositionalen Einstellungen ausdrückt, wurde dies bereits anhand 179
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Castañedas Irreduzibilitätsthese 180 angesprochen. Es soll in diesem Zusammenhang aufgegriffen und mit Rekurs auf Kochs Überlegungen eingehender erläutert und ergänzt werden. 181 Da im Verlauf der Untersuchung deutlich geworden ist, dass jede Form, in der unser Bewusstsein vorkommt, einen nichtobjektivierbaren, athetischen Aspekt hat, ist nun klar, dass die folgenden Überlegungen für alle Formen gelten, in denen Bewusstsein vorkommt. Wie steht es also um die Irrtumsimmunität im Falle von »Mirscheint, dass«-Selbstzuschreibungen? Klar ist, dass wir sie in Sätzen mit Propositionalstruktur formulieren können, so dass diese Sätze in ihrer Zweiwertigkeit falsch sein können, auch wenn die »Falschheit hier faktisch brach liegt«. 182 Mit Rekurs auf Searles Sprechakttheorie bzw. seine Theorie der Intentionalität (Kapitel 3.4) wurde deutlich: Der propositional verfasste Aussagesatz, der davon handelt, dass ich gerade unter einem bestimmten Anschein stehe, ist ein nachgeordneter kognitiver Akt. Denn bereits der athetische Zustand des »Unter-dem-Anschein-Stehens« ist zwar kein diskursiver aber doch ein diskursbezogener anschaulicher oder imaginativer Zustand oder Akt: »Sehen und riechen [ist] glauben.« 183 Habe ich den Eindruck (stehe ich unter dem Anschein/fühle ich), mein frisch massiertes Bein liege schwerer auf als das andere, dann meine ich und weiß ich, dass es so ist. Denn der athetische Bewusstseinszustand präsentiert sich mir in einer Weise, die A. F. Koch als grammatischen Befund folgendermaßen darstellt: »Aus ›Mir scheint, dass p‹ folgt ›Mir scheint, dass mir scheint, dass p‹.« 184 Dasselbe gilt für Fremdzuschreibungen, wie ›Ihm scheint, dass p‹. Weil außerdem diese besondere Selbstbekundung, so Koch, der sich dabei auf Castañedas Überlegungen in Sprache und Erfahrung 185 bezieht, auch irrtumsimmun sei, ist sie eben als doxastische auch 180 Castañeda, Hector-Neri: »Er«: eine Studie zur Logik des Selbstbewusstseins. In: Frank, M. (Hg.): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt/Main 1994, S. 172–209. 181 Ich rekurriere hier v. a. auf die Ausführungen A. F. Kochs. Das athetische Bewusstsein. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, § 29, S. 219 ff. 182 Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 220. 183 Vgl. Searle. John R.: Der Geist der Tiere. In: Perler, D./Wild M. (Hg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S. 141. 184 Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 221. 185 Castañeda, Hector-Neri: Sprache und Erfahrung. Frankfurt/Main 1982, S. 59.
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epistemisch: »Immer wenn mir scheint, dass mir scheint, dass p, so scheint mir auch, dass p; d. h. aus ›Mir scheint, dass mir scheint, dass p‹ folgt ›Mir scheint, dass p‹. Ein Mir-so-Scheinen ist also seiner Iteration oder ausdrücklichen Reflexion logisch äquivalent und demnach schon selber, vorreflexiv, sein eigenes Meta-Bewusstsein.« 186 Hinsichtlich seines athetischen Aspekts muss also jedes Bewusstsein schon sein eigenes Metabewusstsein – sprich Bewusstsein von sich selbst – sein. Insofern kann es noch einmal mehr als untermauert gelten, dass jedes Bewusstsein auch Selbstbewusstsein ist. Dabei handelt es sich nicht um eine Reflexion oder Referenz des Bewusstseins auf sich selbst: Es konnte ja längst gezeigt werden, dass solches Bewusstsein nicht-reflexiv und nicht-referentiell sein muss. Vielmehr handelt es sich um eine »logische[r] Äquivalenz von ›Mir scheint, dass p‹ und ›Mir scheint, dass mir scheint, dass p‹.« 187 Wer aber nach der Irrtumsimmunität im Falle von »Mir-scheint, dass«-Selbstzuschreibungen fragt, der muss zeigen, wie dieser athetische, also nicht-reflexive, nicht-referentielle Bewusstseinszustand des Anscheinens eines Anscheinens zu einem irrtumsimmunen Meinen führt. Koch erläutert überzeugend, inwiefern hier der Schluss vom Scheinen aufs Meinen gilt, weil eine deobjektivierende Distanznahme vom Anscheinen eines Anscheins einfach nicht möglich ist. Wenn mir scheint, dass mir scheint, dass dort ein rotes Auto steht, dann meine ich auch, dass mir scheint, dass dort ein rotes Auto steht. Und bedenkt man die logische Äquivalenz der Mir-scheint,-dass-Sätze mit ihrer Iteration, dann gilt: »Aus ›Mir scheint, dass p‹ folgt ›Ich meine, dass mir scheint, dass p‹. Insofern bekundet sich das Mir-so-Scheinen nicht nur im Selbstverhältnis der athetischen Anschauung, sondern auch im Diskurs als solchem. Ferner gilt: […] Aus ›Ich meine, dass mir scheint, dass p‹ folgt ›Ich weiß (irrtumsimmun), dass mir scheint, dass p‹. Das Selbstbewusstsein, durch welches sich Subjektivität als solche auszeichnet, kommt vorreflexiv demnach vor als eine inferentielle Selbstbeziehung des (perzeptuellen, anschaulichen) Scheinens, die ein entsprechendes (diskursives) Meinen freisetzt, welches zugleich ein irrtumsimmunes Wissen ist.« 188
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Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 221 f. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 222. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 223.
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Qualia: Definitionsprobleme
Diese sprachanalytische Erkenntnis lässt sich phänomenologisch ergänzen: Bezugnehmend auf die Erläuterungen zur Epoché sei noch einmal betont, dass wir auch dann, wenn wir einklammern, nicht ganz auf Objektivität und damit auf unsere Wahrheitsansprüche verzichten müssen. Zwar wird der realistische Aspekt der Wahrheit (d. h. alles, was das An-sich-Sein der Objekte, ihre Existenz ausmacht und damit alle Beziehungen, die von der Existenz abhängen) eingeklammert. Wahrheit hat jedoch neben dem realistischen noch einen präsentationalen Aspekt. Es ist der Aspekt, dass uns die Dinge Erscheinungen sind, der Aspekt, der uns im athetischen Bewusstsein präsent ist (wobei daran zu erinnern ist, dass unser athetisches Bewusstsein der Epoché dem thetischen nachgeordnet und somit unselbständig ist). Allerdings ist und bleibt dieser präsentationale Aspekt der Wahrheit, d. h. unser athetisches Bewusstsein, flüchtig. Versucht man nämlich zu erfassen, was sich einem im athetischen Bewusstsein zeigt, so hat man es schon wieder reobjektiviert und man ist dabei, sich selbst als objektives, körperliches Wesen einen bestimmten Zustand (thetisch) zuzuschreiben. Was aber im Zustand der Epoché gelingt, ist das Bewusstsein des Changierens unseres Bewusstseinszustandes eben zwischen Deobjektivierung und Reobjektivierung und dabei die Erkenntnis eines spannenden Wechselverhältnisses. Es ist dieses Wechselverhältnis, das das Bewusstsein unserer Subjektivität, d. h. Selbstbewusstsein, ausmacht. Es soll nun näher erläutert werden: Die Einstellungsänderung in der Epoché, die sich als Urteilsenthaltung im Satz ›Mir scheint, dass p‹ ausdrückt, kann unterschiedliche Ausmaße haben. Verzichten wir auf den Objektivitätsanspruch hinsichtlich des intentionalen Objekts unserer Einstellung, erheben wir also keinen Wahrheitsanspruch in unserer Aussage bezüglich des Gehalts im Satzteil, ›p‹, so handelt es sich um eine lokale – eben auf ›p‹ begrenzte – Enthaltung (mir scheint, dass das soeben massierte Bein schwerer aufliegt als das andere, ob es so ist oder nicht, darüber enthalte ich mich des Urteils). Für diese Art der Enthaltung gilt tatsächlich, »dass ich mit ihr eine Auszeit vom Spiel der Gründe nehme; für die (…) Selbstzuschreibung gilt das nicht; sie ist ein Zug im Spiel, ist veritativ und kognitiv.« 189 In einer globalen oder transzendentalen Enthaltung nämlich werden alle Objektivitätsansprüche eingeklammert. Wie steht es dabei aber um den
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Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 229.
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Qualia: Qualitäten unserer Bewusstseinszustände?
Selbstbewusstseinsaspekt, der sich im ›Mir‹ des ›Mir scheint, dass‹Satzes ausdrückt? Oben konnte gezeigt werden, dass jedes Bewusstsein hinsichtlich seines athetischen Aspekts qua logischer Äquivalenz von ›Mir scheint, dass p‹ und ›Mir scheint, dass mir scheint, dass p‹ stets sein Metabewusstsein und also Selbstbewusstsein sein muss. Aber ein Deobjektivieren, das sich ausdehnt auch auf den Operator der Epoché ›mir scheint, dass‹, schließt ja auch das ›mir‹ ein. Es bleibt nichts, worauf dieses ›mir‹ referieren könnte. So kann man mit Koch feststellen: »Logisch gesehen fällt das Mir-Scheinen nun in seinen eigenen Operationsbereich, und zwar dank seiner ursprünglichen Operation an ihm selber, während es grammatisch natürlich nach wie vor außerhalb seines Bereiches, vor dem als Grenze dienenden ›dass‹, stehen bleibt.« 190 Ist also das Subjekt, dessen Selbstbewusstsein es im athetischen Bewusstseinszustand auszuweisen galt, flüchtig und entzieht sich unseren Erkenntnismöglichkeiten? Ersteres muss gelten, ich werde aber zeigen, dass letzteres nicht der Fall ist. Klar ist, dass man es in der Epoché mit ebenjenem Bewusstsein des steten Changierens zwischen Deobjektivierung und Reobjektivierung zu tun hat. Es liegt am Leerlauf jeglichen Objektbezugs in der Epoché und damit eben auch des Objektbezugs von ›mir‹, dass das ›Mir so Scheinen‹ logisch innerhalb seines eigenen Operatorbereiches stehen muss. Interessant für meine Überlegungen ist hier das grammatische Außerhalb des ›mir‹. An ihm zeigt sich, dass man sich von einem gar nicht distanzieren kann: nämlich vom (empirisch leeren) Objektivieren als solchem. Ausgehend von Kochs Theorie der Voraussetzungen a priori der Bezugnahme (3.5) bin ich und weiß mich auch a priori jeweils bezogen auf Einzelheiten einer objektiven Umgebung, denn sonst entfiele überhaupt die Möglichkeit der Bezugnahme auf Einzelnes. Zudem lokalisiere ich mich als Subjekt – wie auch Husserl es im Rahmen seines bewusstseinstheoretischen Ansatzes 191 forderte, in diesem egozentrischen Raum [hier-dort-links-rechts-oben-unten] und muss mich dort selbst als in der Zeit seiend empfinden. Folglich bleibt zwar beim deobjektivierenden Unter-einem-AnKoch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 230. Vgl. Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, 2 Bde. Tübingen 1968 (5. Auflage), II/1. 190 191
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Zusammenfassung
schein-Stehen der Epoché die selbstbewusste Selbstbezogenheit flüchtig, andererseits sind es doch wir Subjekte, die da unter dem Anschein stehen und uns dabei als reale, körperliche Wesen begreifen. Die transzendentale Epoché, die das Subjekt mit einklammert, ist damit zugleich eine Selbstzuschreibung. Es handelt sich um einen Bewusstseinszustand der changiert, der »kippt« zwischen der Selbstzuschreibung des athetischen Bewusstseinszustandes und der transzendentalen Epoché. Zur Veranschaulichung dieses »Einerseits und Andererseits« kann man sich zum Beispiel eine Kippfigur, wie Wittgensteins Duck-Rabbit 192 vorstellen.
Zusammenfassung Die Korrektur des Denkfehlers bezüglich des phänomenalen Aspekts unserer Bewusstseinszustände (»Qualia«) lautet demnach folgendermaßen: Wir nehmen darin weder »nur« öffentliche, objektive Aspekte der Welt wahr noch »nur« private, subjektive Aspekte unseres Bewusstseins. Sondern phänomenales Bewusstsein – unser bewusstes Unter-einem-Anschein-Stehen ist ein bewusstes Wechselverhältnis von (Wahrnehmungs-) Subjekt und Objekt. Die Objekte haben phänomenale Qualitäten, insofern sie Erscheinungen für den Wahrnehmenden sind 193 und als solche auf ein selbstbewusstes Subjekt bezogen. Damit hat folglich nicht nur der wieder ins Objekt verlegte qualitative Aspekt einen Ort, sondern auch der nicht objektivierbare, subjektive Aspekt wird besser fassbar: Der am phänomenalen Bewusstsein herausgearbeitete Selbstbewusstseinsaspekt, (der aber, ich wiederhole noch einmal, allen Bewusstseinsformen einwohnt,) zeigt sich als ein bewusstes Wechselverhältnis unserer einerseits flüchtigen, andererseits aber personalen körperlichen Subjektivität. Dementsprechend werde ich im Folgenden die gesuchte Grundform von Selbstbewusstsein als Bewusstsein dieses Wechselverhältnisses charakterisieren. Damit schreite ich von der bereits gut untermauerten Dass-
192 http://www.google.com/search?q=Wittgenstein+Duck+Rabbit&hl=de&client= safari&rls=en&prmd=imvns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=mLf1T5_ BJojc9ATIkqHsBg&ved=0CGEQsAQ&biw=1024&bih=534 193 Vgl. Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 100.
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Qualia: Qualitäten unserer Bewusstseinszustände?
seins-These zur Was-seins-These und konzentriere mich dementsprechend darauf, zu klären, wessen man sich in der gesuchten Grundform von Selbstbewusstsein denn bewusst sei. Zunächst sind dazu Überlegungen anzustellen, was in diesem Falle unter dem Begriff des Wechselverhältnisses zu verstehen ist.
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5. Das Wechselverhältnis: Subjekt, Ding und Erscheinung
Das bewusste Wechselverhältnis von (Wahrnehmungs-)Subjekt und Objekt, in welchem uns die Dinge Phänomene sind, kann folgendermaßen beschrieben werden: •
Wir haben es dabei mit einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit zwischen (Wahrnehmungs-)Subjekt und Objekt (der Fall Seiendes, Welt) zu tun.
Ein Ding hat zwar seine (objektivierbaren) phänomenalen Eigenschaften, die es zu Erscheinungen machen: die Tomate ist rot. Aber damit die Phänomenalität (von Tomaten) zu dieser besonderen Phänomenalität eines besonderen Dings (dieser Tomate von Mary) gegenüber anderen Dingen sein kann, muss sie die Phänomenalität einerseits des Dings sein, andererseits aber auch ihrer selbst, d. h. sie muss selbstbezogen sein. Und das ist nicht möglich ohne ein genau diese phänomenalen Eigenschaften wahrnehmendes Subjekt. Die Phänomenalität dieses Dings zeigt sich also erst, wenn ein Subjekt eben genau unter diesem Anschein steht und zwar im Unterschied zu anderen Anscheinen. Nur so (als Anschein, unter dem ein bestimmtes Subjekt steht) wird dieser Anschein nämlich herausgelöst aus der Mannigfaltigkeit nicht selbstbewusster Einzelner. Das ist das subjektiv-objektive Wechselverhältnis, das sich an Erscheinungen zeigt. Für das (Wahrnehmungs-)Subjekt gilt darin, dass es Bewusstsein seiner selbst nur im Bewusstsein von Objekten haben kann. Es wird seiner sowie der Dinge in der Welt bewusst, wenn und indem es Welt wahrnimmt und sie von sich unterscheidet (Bewusstsein ist stets von etwas). •
Mit dem Begriff des Changierens bzw. dem veranschaulichenden Beispiel der Kippfigur versuchte ich, dieses Wechselverhältnis als Vorgang zu beschreiben.
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Das führt eventuell in die Irre, weswegen betont sei, dass es sich hier nicht um eine ontologische These handelt, sondern um eine epistemische. So kann das Wechselverhältnis als ein Zugleich verstanden werden, das aus epistemischen Gründen als Hin und Her gefasst wird. Es handelt sich um das Wechselverhältnis zwischen Deobjektivierung in der Epoché, in dem ja sogar der Bezugspunkt des ›Mir‹ im ›Mir so Scheinen‹ innerhalb seines eigenen Operatorbereichs steht und somit irreferenziell wird, und (zugleich) der Reobjektivierung, in der das Subjekt sich auf sich selbst bezieht und sich (auszudrücken im Satz ›Mir scheint, dass p‹) jenen athetischen Bewusstseinszustand selbst zuschreibt (denn noch gilt durch den Mir-Scheint-Operator die Urteilsenthaltung bezüglich der Existenz von p und allem, was damit zu tun hat). •
Es wurde bereits erklärt, dass wir ausgehend vom thetischen Bewusstseinszustand mittels Epoché (durch Abstraktion von Objektivitätsansprüchen) zur Athese gelangen und somit der athetische Bewusstseinszustand dem thetischen nachgeordnet und ihm gegenüber unselbständig ist.
Aber auch hier muss das Zugleich des Wechselverhältnisses ernst genommen werden: Die selbständige Seite lässt sich nämlich nicht von der unselbständigen Seite trennen, denn die unselbständige Seite ist der selbständigen wesentlich. Das ließ sich unter Annahme von Kochs Theorie der Voraussetzungen a priori (im Folgenden TVA) zeigen. Gemäß der TVA wird nämlich die Bezugnahme auf Einzelnes (also der Objektbezug im thetischen Bewusstseinszustand) erst dann ermöglicht, wenn das Subjekt sich selbst a priori in Raum und Zeit lokalisiert und orientiert – als Zentrum seiner Perspektive. Und dies kann, wie in den Kapiteln 3.5 und 4 beschrieben, nur geschehen aufgrund des besonderen Wechselverhältnisses zwischen der jeweils verkörperten Subjektivität und dem raumzeitlichen Mannigfaltigen, das innerhalb des allgemeinen subjektiv-objektiven Wechselverhältnisses besteht. 194 Im und durch das subjektiv-objektive Wechselverhältnis ist das Ding (p) also Erscheinung (mein Anschein p). Das bedeutet, Sich-Verbergen ist hier zugleich Sich-Zeigen. Mit der Abstraktion von Objektivitätsansprüchen verbirgt sich 194 Vgl.: Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 373.
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einerseits alles aufs äußere Objekt Beziehbare, dadurch aber zeigt sich die sogenannte subjektive Innenseite des Verhältnisses: das, wie es für mich ist, im Zustand des Bewusstseins (von p) zu sein. Dass das Ding Erscheinung ist, weist es dementsprechend schon als Glied des subjektiv-objektiven Wechselverhältnisses aus. Das gilt selbstverständlich nicht nur für den Selbst-Welt-Bezug, sondern auch für das körperliche Subjekt und seinen Selbstbezug. Die subjektive Innenseite dieses Wechselverhältnisses gilt es noch genauer zu betrachten: Wessen sind wir uns denn bewusst im Bewusstsein des Wie es für mich ist, (im Zustand des Bewusstseins (von p)) zu sein? Es wird sich zeigen, dass sich in der Beantwortung dieser Frage schlussendlich der gesuchte Selbstbewusstseinsaspekt beschreiben lässt, den ich als Seiner-selbst-inne-Sein bezeichnet habe. Das heißt, ich komme nun zur Untermauerung der Was-seins-These. Dazu werde ich zwei gedankliche Grundpfeiler der Husserlschen Phänomenologie in meine Überlegungen einbeziehen: zum einen die Bedeutung, die Husserl im Rahmen seiner Analyse der Wahrnehmung dem Leib zuschreibt, und zum anderen die Analyse des Zeitbewusstseins. Es wird rasch erkennbar sein, dass ich an einigen Stellen Gedanken wieder aufnehme, die unter Einbezug von Kochs Überlegungen dargestellt wurden. Bevor ich mit diesen Überlegungen beginne, möchte ich erläutern, weshalb ich mich bisher auf die Husserlsche Theorie konzentriert habe und dies auch weiterhin tun werde, wenn es um den Einbezug phänomenologischer Gedanken geht. Man hört oft, dass die post-Husserlschen Phänomenologen, wie Merleau-Ponty, Sartre, Heidegger oder auch Schmitz (um nur einige zu nennen), sich von den Ideen des Gründervaters der Phänomenologie, Husserl, distanzieren. Diese Distanz entstehe, weil Husserls Ansatz als transzendentale Phänomenologie zu verstehen sei, während zum Beispiel die Ansätze von Merleau-Ponty und Heidegger als hermeneutisch-existenziale Phänomenologie interpretiert werden, der es erst gelingt, Intersubjektivität, Körperlichkeit, Historizität und Sprachlichkeit theoretisch adäquat einzubinden. Die Kritik der »neuen Schule« (wenn auch von Merleau-Ponty so nicht vertreten) ist es, dass Husserl letzten Endes ein Idealist und Intellektualist bleibt – ein cartesischer Fundationalist, der Phänomenologie als Erforschung eines transzendentalen Ego treibt, für das sein Körper, andere Objekte oder Subjekte nur von seinem Bewusstsein konstituierte Objekte sein können – womit er dann dem Solipsismus nicht entgehen kann. Wenn dies so Ich – Jetzt – Hier
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wäre, müsste ich mich zur Erkundung der subjektiven Innenseite des Wechselverhältnisses, in dem das verkörperte Subjekt mit sich steht, in der Tat eher auf z. B. Merleau-Ponty oder Heidegger beziehen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass diese Auslegung des Husserlschen Ansatzes fehlgeht, denn seine Emphase auf der Erlebnisperspektive darf nicht verwechselt werden mit dem klassischen idealistischen (transzendentalen) Anspruch, den Geist von der Welt zu lösen und damit ein Pures, Weltloses zu erlangen, welches seinerseits dann seine Objekte und die Welt konstituiert. Wie bereits in Kapitel 3.4 dargelegt wurde, betont Husserl die methodische Notwendigkeit der Epoché nicht, um die Welt und alle Weltrelation auszuschalten und zum puren, apriorischen Bewusstsein zu gelangen, sondern um diejenigen intentionalen Bande, die uns im Grunde mit der Welt verknüpfen, erlebbar zu machen. Es lässt sich also zeigen, dass das Husserlsche Subjekt keine Priorität vor der Welt hat und dass Wahrheit nicht nur im Inneren des Subjekts gefunden werden kann. Weil das Subjekt immer schon in der Welt ist, und es sich und die Welt nur kennt vom Standpunkt des In-der-Welt- Seins 195 aus, gibt es nicht ein inneres Weltloses gegenüber einem äußeren Welthaften. Dies bedeutet, dass dasjenige Selbstbewusstsein, welches wir unter Einbezug Husserlscher phänomenologischer Ideen erkennen können, nicht ein Bewusstsein eines isolierbaren eigenen Innenlebens ist, sondern eine offene Welt-Relation, notwendigerweise eingebettet und verkörpert in einem natürlichen, sozialen, historischen Kontext. So verstanden wird auch deutlich, dass Husserls transzendentale und Merleau-Pontys, Sartres oder Heideggers hermeneutisch-existenziale Phänomenologie nicht als sich ausschließende Alternativen verstanden werden müssen. Hinsichtlich seiner Theorie der Intersubjektivität, deren Basis die Analyse der Wahrnehmung und das Leiblichkeitskonzept bilden, und seiner Analyse des Zeitbewusstseins sind Husserls Überlegungen so klar und ausgereift, dass sowohl Sartre 196 als auch Merleau-Ponty 197 sie in ihrer Grundstruktur übernehmen. Man kann
195 Hier verwende ich die Formulierung Heideggers, die ich für besonders geeignet halte. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. 1986, §§ 12, 13, S. 52 ff. 196 Sartre, Jean-Paul: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Reinbek bei Hamburg 1993 (4). Herausgegeben von Traugott König. Bd. 3: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. 197 Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin: De Gruyter. 1966.
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auch erkennen, dass Heideggers Daseinsanalyse in Sein und Zeit 198 dort merkwürdig steril und abstrakt bleibt, wo sie dem Husserlschen Vorbild nicht folgt, wo sie zwar die Räumlichkeit 199 und (damit) Zeitlichkeit des Daseins analysiert, aber nicht das Konzept der Leiblichkeit integriert. Daher konzentriere ich mich weiterhin auf Husserls Theorie und beziehe Merleau-Ponty, Sartre sowie Heidegger lediglich an Parallelstellen ein, wenn ihre Formulierungen helfen, das Dargelegte zu untermauern.
5.1 Das Wechselverhältnis: Leib, Ding und Erscheinung Mit seinem Leibbegriff versucht Husserl sowohl den objektivierbaren Aspekt unseres Körpers als auch den nichtobjektivierbaren, subjektiven Aspekt unseres Körpers als Erfahrungsorgan zu erfassen. »Der Leib konstituiert sich also ursprünglich auf doppelte Weise. Einerseits ist er physisches Ding, Materie, er hat seine Extension, in die seine realen Eigenschaften, die Farbigkeit, Glätte, Härte, Wärme und was dergleichen materielle Eigenschaften mehr sind, eingehen; andererseits finde ich auf ihm und empfinde ich »auf« ihm und »in« ihm: die Wärme auf dem Handrücken, die Kälte in den Füßen, die Berührungsempfindungen an den Fingerspitzen.« 200
Der Leib spielt als »Erfahrungsorgan« des Subjekts eine konstitutive Rolle in jeder Art Wahrnehmung. Laut Husserl gibt es keinen absoluten Wahrnehmungsstandpunkt sondern einen leiblichen. Damit ist gemeint, dass jede Erscheinung perspektivisch ist, was voraussetzt, dass das sie erfahrende Subjekt selbst im Raum gegeben ist. Das wurde anhand der Überlegungen Kochs bereits erläutert. Das Subjekt ist nur durch seinen Leib räumlich lokalisiert. So kommt Husserl zu dem Schluss, dass räumliche Objekte nur für leibliche Subjekte erscheinen und von ihnen konstituiert werden können. 201 In jeder unserer Wahrnehmungen ist der Leib anwesend als Heidegger, Martin: Sein und Zeit. 1986, § 23, S. 108. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. 1986, §§ 22–24, S. 102 ff. 200 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Zweites Buch, Phänomenologische Untersuchung zur Konstitution. Herausgegeben von Marly Biemel in: Husserliana IV. Den Haag 1952: Martinus Nijhoff, S. 145. 201 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch, Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie. 198 199
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das indexikalische »Hier«, als das Zentrum, um das herum und in Bezug zu dem der egozentrische Raum sich entfaltet. 202 »Wunderbarerweise ist also ein Wahrnehmungsobjekt, das eigener Leib heißt, so ausgezeichnet, dass es bei jeder Wahrnehmung, welchen Gegenstandes sonst, immer dabei und immer mitkonstituiert ist. Und dieser Gegenstand ist dadurch ganz einzig, dass er immer den Nullpunkt, das absolute Hier »in sich birgt«, in Bezug auf welches jeder andere Gegenstand ein Dort ist. […] Wie immer sich die Dinge bewegen und wie immer mein Leib sich bewegt, an diesem allgemeinsten Erscheinungsmodus ändert sich nichts, der Leib bleibt Zentrum, und die sonstigen Dinge bleiben außerhalb.« 203
Sartre formuliert ähnlich: »So bezieht sich das Wahrnehmungsfeld auf ein Zentrum, das durch diese Bezogenheit objektiv definiert und in eben dem Feld situiert ist, das sich um es herum orientiert. Doch dieses Zentrum als Struktur des betrachtenden Wahrnehmungsfeldes sehen wir nicht: wir sind es. […] So lässt sich also mein In-der-Welt-Sein, einfach weil es eine Welt realisiert, durch die Welt, die es realisiert, sich selbst als ein Innerweltlich-Sein anzeigen, und das kann gar nicht anders sein, denn es gibt keine andere Art, in Kontakt zur Welt zu treten, als von der Welt zu sein. Es wäre mir unmöglich, eine Welt zu realisieren, in der ich nicht wäre und die bloßes Objekt darüberschwebender Kontemplation wäre. Sondern im Gegenteil, ich muss mich in der Welt verlieren, damit die Welt existiert und ich sie transzendieren kann. So ist es ein und dasselbe, ob ich sage, dass ich in die Welt eingetreten, »zur Welt gekommen« bin oder dass es eine Welt gibt oder dass ich einen Leib habe.« 204
Der Leib hat folglich die Funktion, perzeptive Intentionalität zu ermöglichen, er ermöglicht Wahrnehmung und den Umgang mit
Herausgegeben von Karl Schuhmann in: Husserliana III. Den Haag 1976: Martinus Nijhoff, 3/116, 4/33, 13/239. 202 Husserl, Edmund: Analysen zur passiven Synthesis. Aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918–1926. Herausgegeben von Margot Fleischer in: Husserliana XI. Den Haag 1966, Martinus Nijhoff, 11/298, 4/159, 9/392. Vgl. auch Kapitel 3.5. 203 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Zweites Buch, Phänomenologische Untersuchung zur Konstitution. Herausgegeben von Marly Biemel in: Husserliana IV. Den Haag 1952: Martinus Nijhoff, S. 298. 204 Sartre, Jean-Paul: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Reinbek bei Hamburg 1993 (4). Herausgegeben von Traugott König. Bd. 3: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. S. 562 ff.
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räumlichen Objekten, also jede weltliche Erfahrung. 205 Dabei ist zu bedenken, dass der Leib beweglich ist. Die Perspektive, aus der wir Erscheinungen wahrnehmen und aus der sich uns Welt konstituiert, ist nicht statisch. Das führt zum Beispiel Gibson folgendermaßen aus: Wir sehen mit beweglichen Augen, die in einem drehbaren Kopf sitzen, der mit einem Körper verknüpft ist, der sich von Ort zu Ort bewegen kann 206. Was bedeutet dies für die hier angestellten subjektivitätstheoretischen Überlegungen und was ist gegenüber der bisherigen Untersuchung neu? Nun, Husserls Überlegungen zum kinästhetischen Bewusstsein führen nicht nur zur zentralen Erkenntnis des Leibes als Möglichkeitsbedingung der perzeptiven Intentionalität, sondern auch zur Erkenntnis, dass »Wahrnehmung eine bestimmte Form leiblichen Selbstempfindens voraussetzt. Er formuliert dies sinngemäß folgendermaßen: Unsere Erfahrung von Wahrnehmungsobjekten ist stets auch ein mitfungierendes, aber unthematisches Bewusstsein der Position und Bewegung des Leibes, das als kinästhetisches Bewusstsein bezeichnet wird.« 207 Aktuell arbeitet zum Beispiel Bermúdez unter Rückgriff auf den Gibsonschen Begriff der visuellen Kinästhesie mit einer ähnlichen These und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass visuelle Information, die durch die Bewegung des Subjekts generiert wird, als eine Art selbstspezifizierender Information zu gelten hat: »Die Struktur der Wahrnehmung [enthält] genauso propriospezifische Informationen über das Selbst wie exterospezifische Informationen über die entfernte Umwelt«. 208 205 Zum Einbezug des Leibes als Ermöglichungsgrund jeder Welterfahrung (nicht nur bezogen auf das perzeptionstheoretische Paradigma) äußert Merleau-Ponty poetisch: Wenn ich Welt erfahre, ist der Leib »mitgegeben als Mittelpunkt der Welt, dem, obgleich selbst unerfasst (d. h. nur vorreflexiv bewusst), alle Gegenstände ihr Gesicht zukehren«. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966: De Gruyter, S. 106. 206 Vgl.: Gibson, James: The Ecological Approach to Visual Perception. Hillsdale, NJ 1979: Lawrence Erlbaum Associates, S. 53, S. 205. 207 Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 103. Dan Zahavi verweist hier auf zwei für die Analyse der Bedeutung der Kinästhese zentrale Textstellen bei Husserl: auf den 4. Abschnitt von Ding und Raum sowie den 1. Abschnitt des 3. Kapitels der Ideen II. 208 Bermúdez, José Luis: Nichtbegriffliche Selbsterfahrung und das Paradox des Selbstbewusstseins. In: Newen, A./Vogeley, K. (Hg.): Selbst und Gehirn. Paderborn 2001 (2), S. 84. Die Frage ist dabei, wie die visuellen Erfahrungen so verarbeitet werden, dass das Subjekt seine eigene Bewegung in der Welt wahrnimmt. Es lässt sich zeigen, dass die Fließmuster im optischen Feld und die registrierten Relationen zwi-
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Die Begrenztheit unseres visuellen Wahrnehmungsfeldes definiert beispielsweise unser subjektives Blickfeld, wobei zum einen diese Grenze Teil dessen ist, was man sieht, zum anderen diese Grenze eine nach unseren (willentlich steuerbaren) Körperbewegungen bewegliche ist. So werden Objekte der Welt zu subjektiven Gegebenheiten, das heißt zu Erscheinungen, an denen Subjektivität als Grenze des Sehfeldes in der Wahrnehmung erscheint und so bewusst werden kann. Ähnlich verhält es sich mit Körperteilen, die stets als Objekte im Sehfeld präsent sind und jede visuelle Erfahrung, indem sie die Außenwelt verdecken, auch gestalten (Nase, Augenbrauen, Wangenknochen, Hände, Arme, Füße, Beine, oder etwa: ein dicker Bauch einer Schwangeren, der das vertraute Sehfeld verändert). »Wahrgenommene Körperteile sind gemäß Gibson ›subjektive Objekte‹ im Inhalte der Seherfahrung.« 209 Sie stellen strukturelle Invarianten der Wahrnehmung dar, die sich das Wahrnehmungssubjekt als selbstspezifizierende Informationen zuschreibt. Damit kann ein Aspekt der gesuchten Grundform von Selbstbewusstsein beschrieben werden. Wessen ist man sich nämlich bewusst im Rahmen des subjektiv-objektiven Wechselverhältnisses? •
Hier wird sich das körperliche Subjekt in seinem Selbstbezug Erscheinung (Was ich wahrnehme, ist meine Nasenspitze, die mir stets einen Ausschnitt der mir im Blickfeld erscheinenden andinen Bergwelt verstellt.).
Laut Husserl ist nun zur Konstitution von Wahrnehmungsgegenständen vor allem das kinästhetische Bewusstsein als Form leiblichen Selbstbewusstseins notwendig. 210 Denn um verschiedene Erscheinungen als Erscheinungen desselben Objekts zu erfahren, müssen nicht schen veränderlichen und konstanten Merkmalen diese Informationen über Bewegungen des Wahrnehmungssubjektes wie auch über die Umgebung zugänglich machen. Daraus ergeben sich starke Indizien dafür, dass das Erlebnissubjekt seine eigene Bewegung im Raum hauptsächlich visuell entdeckt, da die visuelle Spezifikation der Bewegung dasjenige zu sein scheint, das ihm zugänglich ist (d. h. bewusst werden kann). 209 Bermúdez, José Luis: Nichtbegriffliche Selbsterfahrung und das Paradox des Selbstbewusstseins. In: Newen, A./Vogeley, K. (Hg.): Selbst und Gehirn. Paderborn 2001 (2), S. 84. 210 Husserl, Edmund: Ding und Raum. Vorlesungen 1907. Herausgegeben von Ulrich Claesgens in: Husserliana XVI. Den Haag 1973: Martinus Nijhoff, S. 159, S. 189.
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nur die Erscheinungen gemeinsame Eigenschaften haben (die Erscheinung eines Fahrrades von vorne und die Erscheinung eines Liegestuhls von unten haben zu verschiedene Eigenschaften, um als zum selben Objekt gehörig erfahren zu werden), sondern die hinreichende Bedingung dafür ist, dass die Erscheinungen als zum selben Kontinuum gehörend erfahren werden. Das Bewusstsein solcher Kontinuität braucht, so Husserl, Kinästhesen, das heißt, sie braucht unsere Fähigkeit zur Bewegung (Die momentan mir erscheinende Vorderseite eines Fahrrades hat meine bestimmte leibliche Position zum Korrelat. Dem Horizont der mitintendierten, aber momentan abwesenden Profile des Fahrrads, z. B. seine Seitenansicht, entspricht mein kinästhetischer Horizont.) 211 »Alle möglichen Abschattungen eines Objektes als Raumobjektes bilden ein System, das Zuordnung hat zu einem kinästhetischen System und zu dem kinästhetischen Gesamtsystem, derart, dass »wenn« eine beliebige Kinästhese zum Ablauf kommt, »notwendig« gewisse Abschattungen als zugehörige mitablaufen müssen.« 212
Wahrnehmung, d. h. Wahrnehmungsintentionalität setzt also Kinästhese, d. h. Bewegung eines leiblichen Subjekts, d. h. ein leibliches Subjekt voraus. Aus der Tatsache also, dass das Subjekt Raumobjekte wahrzunehmen vermag, kann man schließen, dass das körperliche Subjekt sich bewusst auf sich selbst bezieht, wenn es sich bewegt. Das heißt, ein weiterer Aspekt der gesuchten Grundform von Selbstbewusstsein kann erfasst werden. Wessen ist man sich hier bewusst? •
Hier wird sich im Rahmen des subjektiv-objektiven Wechselverhältnisses das körperliche Subjekt als sich Bewegendes in seinem Selbstbezug Erscheinung. (Ich spüre, dass ich es bin, die sich da bewegt, zum einen dadurch, dass ich aktiv Einfluss nehme auf die Veränderung meines Wahrnehmungsfeldes und damit auf die Konstitution meiner Wahrnehmungsgegenstände, zum anderen auch an zahlreichen Muskelbewegungen, d. h. Propriozeptionen.)
211 Vgl. Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 104. 212 Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie. Vorlesungen Sommersemester 1925. Herausgegeben von Walter Biemel in: Husserliana IX. Den Haag 1962: Martinus Nijhoff, S. 390.
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Körperliche Eigenwahrnehmungen (dazu gehören auch die der eigenen Aktivität in der Bewegung) können also als Formen selbstbewusster irrtumsimmuner Selbstbezugnahme gelten. Es handelt sich dabei um Gehalte, von denen man nicht ein Bewusstsein haben kann, derart, dass diese Information nicht den eigenen Körper betrifft. Damit bestätigt sich nicht nur erneut die Grundthese dieser Arbeit (Dass-seins-These), dass wir als bewusste, erlebende Wesen stets auch selbstbewusste Wesen sind. Hinsichtlich des Wechselverhältnisses von Subjektivität und Welt erweist sich: Die Konstitution und Wahrnehmung von räumlichen Gegenständen, von Welt, ist stets auch Selbstkonstitution und Selbsterfahrung. Wir können keine Gegenstände wahrnehmen, ohne dabei thematisch oder unthematisch Selbstbewusstsein, das heißt hier leibliches Bewusstsein zu haben. Umgekehrt gilt auch, dass Selbstbewusstsein entsteht, indem wir uns zu etwas anderem verhalten (durch unser Gerichtetsein auf die Welt oder auf uns selbst als Objekt) 213. Weiterhin bleibt jedoch zu bedenken, dass es sich auch beim hier beschriebenen phänomenalen Bewusstsein des körperlichen Subjekts in seinem Selbstbezug um ein Wechselverhältnis handelt. Um dies besser zu erklären, wird Husserls Leibbegriff, dessen Analyse vieles vom bereits Dargelegten bestätigt und durch den phänomenologischen Blickwinkel bereichert, noch interessanter. Um mit Volker Gerhard zu sprechen: »Leider hängt ihm [dem Leibbegriff] bis heute noch etwas Verschwiemeltes an. Aber wir haben keinen besseren Begriff, um die Differenz zum physikalischen Körper kenntlich und somit deutlich zu machen, dass wir einen lebendigen Körper meinen.« 214 Meiner Ansicht nach ist der Begriff des lebendigen Körpers nicht weniger verschwiemelt, aber auch ich gehe davon aus, dass eine Analyse des Leibbegriffs zu wertvollen Einsichten führen kann. Mit Rekurs auf den Husserlschen Leibbegriff gelingt eine genauere Beschreibung des gesuchten subjektiven Aspekts, der den Erlebnisqualitäten aller unserer Bewusstseinszustände einwohnt. Das
213 Husserl Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Erster Teil: 1905–1920. Herausgegeben von Iso Kern in: Husserliana XIII. Den Haag 1973: Martinus Nijhoff, S. 386. 214 Gerhard, Volker: Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität. Stuttgart 1999: Reclam, S. 173.
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heißt, es gelingt eine plausible Beschreibung der gesuchten Grundform von Selbstbewusstsein. Dazu gilt es nun die Beziehung von Subjektivität und Leiblichkeit aufzuklären und genauer zu erläutern, worin der Unterschied zwischen dem objektiven thematisierten Leibkörper, also dem körperlichen Subjekt, und dem subjektiven, fungierenden Leib besteht und in welcher Beziehung beide zueinander stehen.
5.2 Das Wechselverhältnis: Der Leib als Subjekt und der Leib als Objekt Der Leib soll gemäß Husserl beides sein, Bedingung der Möglichkeit räumlicher Gegenstände für Subjekte und selbst auch ein räumlicher Gegenstand (Objekt). Hier droht ein Erklärungszirkel, der sich nur vermeiden lässt, indem man zeigt, dass im Leibbegriff zwei Aspekte des Leibes gefasst sind, die sich unterscheiden lassen und die selbst im Wechselverhältnis zueinander stehen. Husserl unterscheidet zwischen dem nachgeordneten thematischen Bewusstseinserlebnis des Leibes als Objekt (ich sehe meine Nasenspitze und ein durch meine Nasenspitze unterbrochenes Stück andiner Bergwelt) und dem unthematischen, vorreflexiven, »lebendigen« Leibbewusstsein, das (zumindest) jede räumliche Erfahrung ermöglicht und begleitet. »Es ist hier zu beachten, dass bei aller dinglichen Erfahrung der Leib miterfahren ist als fungierender Leib (also nicht als bloßes Ding) und dass er, wo er selbst als Ding erfahren ist, eben doppelt und in eins als erfahrenes Ding und als fungierender Leib erfahren ist.« 215
Der Leib wird zunächst laut Husserl nicht als Objekt im objektiven Raum erfahren, das heißt er kann auch zunächst nicht perspektivisch gegeben sein. Dieses erfolgt nachgeordnet als Selbstobjektivation des fungierenden Leibes. Diesen Gedanken beschreibt Merleau-Ponty folgendermaßen: »Die Ständigkeit des eigenen Leibes [aber] ist von ganz anderer Art: er ist nicht Limes einer offenen endlichen Erkundung, er entzieht sich vielmehr
215 Husserl Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Zweiter Teil: 1921–1928. Herausgegeben von Iso Kern in: Husserliana XIV. Den Haag 1973: Martinus Nijhoff, S. 57.
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jeder Durchforschung und stellt sich mir stets unter demselben »Blickwinkel« dar. Seine Ständigkeit ist keine solche der Welt, sondern Ständigkeit »meinerseits«. Dass er stets bei mir und ständig für mich da ist, besagt in eins, dass ich niemals ihn eigentlich vor mir habe, dass er sich nicht vor meinem Blick entfalten kann, vielmehr immer am Rand meiner Wahrnehmung bleibt und dergestalt mit mir ist.« 216
Zunächst gibt es laut Husserl kein Bewusstsein vom eigenen Leib als Objekt, das man außer sich wahrnimmt, sondern zunächst ist der fungierende Leib erlebt als ein einheitliches Feld der Aktivität und Affektivität, als eine Willensstruktur, ein Bewegungspotential, ein »Ich tue« und »Ich kann« 217. Bedeutet dies, entgegen der bisherigen Analyse, die mit Rekurs auf Koch angestellt wurde, dass hier ein körperloses Subjekt aktiv wird und die Konstitution des Leibes als Objekt vornimmt? Bedeutet dies auch, dass die Epoché – bisher verstanden als Einklammern des vorgeordneten Thematischen, Thetischen, um zum Nichtthematischen, Athetischen zu gelangen – umgekehrt stattfinden soll? Nein, hier gilt es, wie bereits verdeutlicht, die ontologische von der epistemischen These zu unterscheiden. Im Rahmen des Erkenntnisprozesses mittels Epoché bleibt der athetische Bewusstseinszustand dem thetischen nachgeordnet und ihm gegenüber unselbständig. Was wir jedoch unmittelbar erleben, ist der fungierende Leib. Es gilt an der Ausformulierung der Bedeutung des Wechselverhältnisses weiterzuarbeiten und Husserl, wie auch Merleau-Ponty so zu verstehen, dass die Selbstobjektivation des fungierenden Leibes durch ein Subjekt vollzogen wird, das eben je schon leiblich existiert. Denn: »[…] Zu verstehen ist das allein, wenn empirisches Ich und Leib eben nicht einfach nur Gegenstände sind, es niemals gänzlich werden, wenn es seinen guten Sinn hat, zu sagen: ich sehe mit eigenen Augen dieses Wachsstückchen, und wenn korrelativ jene Möglichkeit der Abwesenheit, jene Dimension der Flucht und der Freiheit, die die Reflexion in unserem Grunde eröffnet und die man das transzendentale Ich nennt, zunächst nicht gegeben und nie absolut erworben ist, so dass ich nie im absoluten Sinne »Ich« zu sein vermag, vielmehr jeder Reflexionsakt und jede willentliche Stellung-
216 Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966: De Gruyter. § 7: Die Ständigkeit des Eigenleibes, S. 115. 217 Husserl, Edmund: Analysen zur passiven Synthesis. Aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918–1926. Herausgegeben von Margot Fleischer in: Husserliana XI. Den Haag 1966: Martinus Nijhoff, S. 4.
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nahme sich auf dem Untergrund und gleichsam nach dem Vorschlag eines vorpersönlichen Bewusstseinserlebens abspielt.« 218
Will das Subjekt sich dieser seiner Gegebenheitsweisen epistemisch versichern, so muss es allerdings ausgehen von der Selbstobjektivation und im Rahmen der Epoché zur Erkenntnis des Changierens zwischen Verobjektivieren-Deobjektivieren-Reobjektivieren gelangen. Dazu gilt es, das Wechselverhältnis von fungierendem Leib (wessen ist man sich denn bewusst, wenn man sich als »ein einheitliches Feld der Aktivität und Affektivität«, als eine Willensstruktur, ein Bewegungspotential erfährt?) und Leibkörper (Objekt, »erfahrenes Ding«) detaillierter zu erläutern. Das gelingt am besten, zum Teil wiederholend, anhand dreier Fallbeispiele: a) b) c)
Meine Hand berührt die Tischplatte (Objektwahrnehmung). Meine Hand berührt meine andere Hand (Propriozeption). Meine Hand zittert beim Auspacken eines Geschenkpaketes.
Im Falle der Objektwahrnehmung (a) empfinde ich einerseits die Härte, die Glätte, die räumlichen Grenzen des Tisches, das heißt, ich empfinde das Objekt als »erfahrenes Ding« mit seinen Eigenschaften. Im Rahmen einer Epoché jedoch kann ich davon absehen und die berührende Hand thematisieren. So werden mir vielerlei Druck-, Glätteund Bewegungsempfindungen bewusst, die »nicht als objektive Eigenschaften an der Hand aufgefasst werden, obgleich sie in dieser lokalisiert sind, sondern vielmehr ihr Wirken als ein erfahrendes Organ manifestieren (Hua 4/146). Ein und dieselbe Empfindung kann daher auf zwei grundverschiedene Weisen gedeutet werden.« 219 Einerseits kann sie als Erscheinung des erfahrenen, physischen Gegenstandes perspektivisch konstituiert werden: als Leibkörper. Andererseits kann sie als lokalisiertes Empfinden in dem entsprechenden erfahrenden Leibesteil erlebt werden. Dieses lokalisierte Empfinden ist keine Eigenschaft der tastenden Hand als physisches Objekt, als Organ, das gerade erfahren wird, sondern man empfindet die tastende Hand hier als erfahrendes Organ, als fungierenden Leib.
218 Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966: De Gruyter. I. Das Empfinden, § 2. Die Frage nach dem Subjekt der Wahrnehmung, S. 245. 219 Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 107.
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Damit kann dieses Wechselverhältnis (a) als beschrieben gelten. Das Bewusstsein dieses Aktes hat dreierlei Formen: einerseits handelt es sich um Bewusstsein vom Objekt und seinen phänomenalen Eigenschaften. Andererseits handelt es sich um unser Bewusstsein von unserer Hand, das heißt um eine Form von Selbstbewusstsein. An diesem Selbstbewusstsein lässt sich wiederum ein subjektiv-objektives Wechselverhältnis, ein Verhältnis von Innen und Außen ausweisen. Denn einerseits kann die Hand als erfahrenes Objekt, als Äußeres, als Leibkörper bewusst werden. Dieses Bewusstsein hat Propositionalstruktur und ist somit thetisch. Andererseits kann es sich dabei nie um ein schieres Objektbewusstsein handeln, denn der Leibkörper ist stets auch fungierender Leib, er hat eine subjektive Innenseite. Wessen ist man sich bewusst im Bewusstsein dieser seiner subjektiven Innenseite? •
•
•
Die Hand als erfahrende wird als meine Hand wahrgenommen. Diese Erscheinung der Meinigkeit ist als phänomenaler Aspekt des fungierenden Leibes ein Selbstgewahren, also Selbstbewusstsein im Unterschied zu jedwedem Bewusstsein von Anderem, Äußerem (es fühlt sich nicht nur anders an, sondern es fühlt sich überhaupt erst an, wenn eben meine und nicht eine andere Hand den Tisch ertastet). Die Überlegungen zum Aspekt der Meinigkeit werden in b) noch einmal aufgegriffen und weiter ausgeführt. Ferner liegt kinästhetisches Bewusstsein vor, das bereits als eine Form nichtthetischen Selbstbewusstseins ausgewiesen wurde, wobei mit der erfahrenden, sich bewegenden Hand zugleich Bewusstsein ihrer Aktivität aber auch ihrer Urheberschaft vorliegt. Gallagher 220 spricht in diesem Zusammenhang vom »sense of agency«. Hinzu kommt das ebenfalls unmittelbare, nichtthetische Bewusstsein des Affiziertseins. Ich fühle den Eindruck (die Finger der Hand werden beim Berühren der Tischplatte eingedrückt),
220 Gallagher, Shaun: Philosophical Conceptions of the Self: Implications for Cognitive Science. In: Trends in Cognitive Sciences. Vol. 4/1, January 2000. Vgl. z. B. auch Neisser, U.: Five Kinds of Self-knowledge. In: Philos.Psychol. 1, 35–59 1988, Strawson, Galen: The Self and the SESMET. In: Gallagher, S./Shear, J. (Hg.) Models of the Self. Imprint Academic 1999, S. 483–518.
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die Einwirkung der Objekte auf meinen Leibkörper. Der fungierende Leib ist als Erleidender selbstbewusst. b) Nun beschreibe ich weitere Facetten der bereits charakterisierten Propriozeptionen. Wenn, wie im Beispiel b), meine linke Hand meine rechte Hand berührt, ertastet die berührende Hand die Oberfläche der berührten Hand. Das Besondere im Vergleich zum Fall a) ist jedoch, dass die berührte Hand hier nicht nur als Erscheinung eines empfundenen physischen Gegenstandes perspektivisch konstituiert wird (als Leibkörper), sondern dass sie selbst auch empfindet. Husserl spricht hier treffend von der Doppelseitigkeit des Leibes, der als Äußeres und auch als Inneres gegeben ist. Das Äußere, der Leibkörper ist als visuell und taktil Gegebenes bereits bekannt aus a), das Innere ist, wie ebenfalls aus a) bekannt, gegeben als fungierender Leib, als Bewusstsein der Meinigkeit, der Aktivität und Urheberschaft, als eine Willensstruktur und als eine Dimension des Empfindens (als »Affektivität« 221). 222 Das Besondere an Propriozeptionen ist, dass hier das Verhältnis von Berührendem und Berührtem umkehrbar ist. Berührt zum Beispiel meine linke Hand meine rechte Hand, so kommt es darauf an, worauf sich meine Aufmerksamkeit richtet, wenn ich klären will, welche der Hände als Berührte und welche als die berührende Hand interpretiert wird. •
Die Propriozeption erlaubt also die Erfahrung des subjektiv-objektiven Wechselverhältnisses, der Doppelseitigkeit des Leibes, wobei außerdem das Verhältnis von Innerem und Äußerem nicht festgeschrieben ist. So wird bewusst erlebbar, dass das leibliche Innere und Äußere verschiedene Manifestationen ein und desselben sind. 223 Die Wahrnehmung unseres eigenen Leibes
221 Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Zweiter Teil: 1921–1928. Herausgegeben von Iso Kern in: Husserliana XIV. Den Haag 1973: Martinus Nijhoff, S. 540. 222 Diese Beschreibung des Leibes übernimmt Merleau-Ponty, wenn er von den Doppelempfindungen und dem Leib als affektivem Gegenstand spricht. Vgl. MerleauPonty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966: De Gruyter, § 8: »Doppelempfindungen, der Leib als affektiver Gegenstand und kinästhetische Empfindungen«, S. 118 ff. 223 Vgl. Husserl Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Zweiter Teil: 1921–1928. Herausgegeben von Iso Kern in: Husserliana XIV. Den Haag 1973: Martinus Nijhoff, S. 75. Für Husserl bildet die Möglichkeit der Er-
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vollzieht sich zwar immer in einem Objektivierungsprozess, aber wegen der Doppelseitigkeit des Leibes kann innerhalb dieses Prozesses Subjektivität nie ausgeschaltet werden. Um diese Doppelseitigkeit von der Erlebnisseite her zu bezeichnen, gebraucht Husserl das Begriffspaar Empfindung und Empfindnis 224. »Empfindung« bezeichnet das Erleben des Objekts durch das Subjekt, »Empfindnis« bezeichnet demnach unser Bewusstsein leiblicher Subjektivität selbst. Heißt das, dass wir selbst nie eine objektive Sicht unseres Körpers haben können? Laut Husserl ist diese Sicht tatsächlich schwieriger zu erlangen, als sich als Leib in seiner Doppelseitigkeit wahrzunehmen. Um uns selbst als bloßes Ding zu erfahren, müssen wir uns die Perspektive eines Anderen, eines im wahrsten Sinne Außenstehenden aneignen, was zum Beispiel möglich ist, wenn wir ein Foto von uns betrachten, vielleicht sogar ein Foto von hinten. •
Eine weitere Besonderheit der Propriozeption ist, dass an ihr noch besser als im Fall der Objektwahrnehmung (a) klar werden kann, warum der mir visuell und taktil erscheinende Körper überhaupt als mein Körper erfahren wird. Der berührte Körperteil wird doppelt erfahren, äußerlich als Körper, als Objekt und innerlich als fungierender Leib, denn er fühlt die Berührung selbst auch. »Würde die berührte Hand dieser Erfahrung ermangeln, könnte sie kein leibliches Selbstbewusstsein besitzen und würde nicht länger als meine Hand erfahren werden. Jeder, der versucht hat, beim Einschlafen seinen Arm als Kissen zu benutzen, wird wissen, wie befremdlich es ist, mit einem gefühllosen Arm aufzuwachen. Wenn man ihn berührt, antwortet er sozu-
fahrung der eigenen Außenleiblichkeit die Brücke zur Einfühlung in den Anderen. Kurz: Wer diese Doppelempfindung seines Leibes als Wechselspiel von Selbstheit und Andersheit erfassen kann, kann auch andere leibliche Subjekte erkennen. Vgl. Husserl, Edmund: Erste Philosophie (1934/24). Zweiter Teil. Theorie der phänomenologischen Reduktion. Herausgegeben von Rudolf Boehm in: Husserliana VIII. Den Haag 1959: Martinus Nijhoff, S. 62. Ohne näher darauf einzugehen, sei hier bemerkt, dass dies einen Hinweis auf die Möglichkeit bietet, der Solipsismuskritik zu begegnen, der die Husserlsche Phänomenologie sich stellen muss. Vgl. Kap. 3.4 Husserls Modell der Einfühlung. 224 Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Erster Teil: 1905–1920. Herausgegeben von Iso Kern in: Husserliana XIII. Den Haag 1973: Martinus Nijhoff, S. 273.
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sagen nicht und könnte ebensogut der Arm eines Anderen sein.« 225 Meinigkeit als phänomenaler Aspekt des fungierenden Leibes ist ein Selbstgewahren und wird in ähnlichem Sinne ebenfalls von Gallagher 226, aber auch in weiteren, z. T. älteren und prominenten Studien 227 als »sense of ownership« beschrieben. Nun komme ich zum Fall c), der zitternden Hand beim Auspacken eines Geschenkpaketes. Hier trifft zum einen dasselbe wie bei Fall a) zu: Die Hand berührt das Geschenkpapier und das Geschenkpaket, wobei nicht nur das Geschenkpaket als Objekt mit seinen phänomenalen Eigenschaften wahrgenommen wird, sondern es wird auch die Hand als Erscheinung eines erfahrenen, physischen Gegenstandes perspektivisch konstituiert: in diesem Falle als sichtbar zitternder Leibkörper. Andererseits kann ein lokalisiertes Empfinden in dem entsprechenden erfahrenden Leibesteil, in der geschenkauspackenden, zitternden, also affizierten Hand erlebt werden. Wie in Fall a) ist das lokalisierte Empfinden keine Eigenschaft der tastenden Hand als physischem Objekt, als Organ, das gerade erfahren wird, sondern man empfindet die tastende Hand hier als erfahrendes Organ, als fungierenden Leib. Wessen ist man sich also hier bewusst? Es gilt dasselbe wie im Fall a) so dass ich mich hier darauf beschränke, die zentralen Stichworte zu wiederholen. Es herrscht Bewusstsein von der Meinigkeit des Leibes, es herrscht kinästhetisches Bewusstsein von der eigenen Aktivität und Urheberschaft. Und der fungierende Leib ist als Affizierter, Erleidender selbstbewusst. Diese Formen von Selbstbewusstsein werden in aktuellen theoretischen Ansätzen die sich auf Kognitionswissenschaften berufen, häufig als »minimales Selbst« beschrieben. Das minimale Selbst gilt zum Beispiel gemäß Gallagher dabei als »phenomenologically, that is, in terms of how one experiences it, a consciousness of oneself as an immediate subject of experience, unextended in time. The minimal self almost certainly depends on brain processes and an ecologically
Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 108. Gallagher, Shaun: Philosophical Conceptions of the Self: Implications for Cognitive Science. In: Trends in Cognitive Sciences. Vol. 4/1 January 2000. 227 Vgl. z. B. Neisser, U.: Five Kinds of Self-knowledge In: Philos. Psychol. 1, 35–59 1988, Strawson, Galen: The Self and the SESMET. In: Gallagher, S./Shear, J. (Hg.): Models of the Self. Imprint Academic 1999, S. 483–518. 225 226
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embedded body, but one does not have to know or be aware of this to have an experience that still counts as self-experience.« 228 Diese Definition geht meiner Ansicht nach in zweierlei Hinsicht fehl. Erstens, das konnte bereits klar werden, ist dieses Erleben sehr wohl selbstbewusst, und zweitens erlebt sich das Subjekt aus phänomenologischer Sicht nicht »unextended in time«. Darauf gilt es im folgenden Kapitel näher einzugehen. Die Hand als erfahrendes Organ, als fungierender Leib, hat nämlich noch einen anderen Aspekt, einen, der mit Rekurs auf Kapitel 3.3 und 3.4 gut herausgearbeitet werden kann. Denn was hier erfahren wird, ist ja nicht nur das Zittern der Hand und dasjenige, wie sich das Ertasten des Geschenkpakets an der Hand anfühlt. Was hier erfahren wird, ist auch der phänomenale Aspekt desjenigen mentalen Zustands, der eben im Händezittern beim Geschenkpaket-Ertasten seinen leiblichen Ausdruck hat. Dieser mentale Zustand mit seinem spezifischen phänomenalen Aspekt lässt sich (auch phänomenal) klar unterscheiden von demjenigen beim Auspacken des gleichen Geschenkpaketes, von dem ich aber weiß, dass es mein Hochzeitskleid enthält, das ich zuvor selbst ausgewählt habe. In diesem Falle wäre das wahrgenommene Objekt ununterscheidbar (das Geschenkpaket), das Zittern der Hand als Leibkörper und das Erleben der »Innenseite« der Ertastenden, erfahrenden Hand als fungierender Leib ebenfalls. Der Unterschied liegt in der Wahrnehmung des Zitterns der eigenen Hand und dem Erleben desjenigen, das wir nachgeordnet (das Erleben verobjektivierend) auf den (eventuell vage gefassten) Begriff bringen können: als unsere Aufregung, Spannung, freudige Erwartung oder unser Bangesein, aber auch als unsere Freude über ein vom Anderen uns wohlwollend Zugedachtes, als Erinnerungen an andere aufregende Geschenksituationen. Das heißt, der Unterschied liegt im bereits ausführlich ausgewiesenen (Kapitel 3.3, 3.4) phänomenalen Aspekt der intentionalen Einstellung (die auch propositional verfasst werden kann, aber nachgeordnet), die wir jeweils zum Objekt haben, im »qualitativen Gefühl« 229, das laut Searle zur Intentionalität von Empfindungen, Wahrnehmungen und Handlungen gehört. Mit Rekurs auf Searles Theorie der Intentionalität, vor allem aber auf diejenige Husserls, habe ich gezeigt, dass schon das Erleben der eigenen Auf228 Gallagher, Shaun: Philosophical Conceptions of the Self: Implications for Cognitive Science. In: Trends in Cognitive Sciences. Vol. 4/1 January 2000, S. 15. 229 Searle, John R.: Geist. Eine Einführung. Frankfurt/M. 2006, S. 145.
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regung intentional auf die Welt gerichtet ist und von ihr herkommt. Das ist auch dann der Fall, wenn sie erst durch Verobjektivierung als Aufregung, zum Beispiel vor der nahenden Entscheidung zu heiraten, beim Auspacken des Hochzeitskleides wahrgenommen, und damit als Gegenstand der Welt konstituiert und wahrgenommen wird. Was sich hier genauer herausschälen lässt, ist ein weiterer Aspekt der von Husserl so genannten »Affektivität und Aktivität« des fungierenden Leibes. Es wird sich zeigen, dass damit der letzte zentrale Schritt in der Beschreibung der Innenseite des Wechselverhältnisses, des irreduziblen, nichtobjektivierbaren, nichtthetischen, des stets flüchtigen Subjektiven getan werden kann. Damit kann das Ziel dieser Arbeit erreicht werden. Selbstbewusstsein kann als Bewusstsein des Wechselverhältnisses zwischen (verobjektiviertem, thetischem) Leibkörper und (flüchtigem) fungierendem Leib erfasst werden. Dabei muss bedacht werden, dass es sich stets nur um die bestmögliche und nie um eine umfassende Beschreibung dieses Wechselverhältnisses handeln kann, denn man kann die subjektive Seite des Wechselverhältnisses nicht in derselben Weise analysieren, wie man Verobjektivierbares untersucht. Die Erlebnisqualitäten des Flüchtigen buchstäblich zu erfassen, bleibt aussichtslos. Im Herausschälen dieser Aspekte des fungierenden Leibes kann jedoch eingesehen werden, dass Flüchtigkeit nicht »die Unangemessenheit des Ausgangspunktes und die Unbrauchbarkeit der phänomenologischen Methode ausdrückt, sondern einfach die Natur dessen, was hier untersucht wird.« 230 Wessen ist man sich also bewusst, wenn man sich, wie im Fall c) beschrieben, seiner eigenen (auch) mentalen »Affektivität und Aktivität« bewusst ist? Dieses Bewusstsein ist ein Empfindungsbewusstsein, das eine zeitliche Dimension haben muss, denn es ist auf die Gegenwart (aktuelles Handeln: Auspacken), wie auch die Vergangenheit (Erinnerung an andere damit assoziierte Erlebnisse) und die Zukunft (Erwartung, Spannung) bezogen. Wie das möglich ist, gilt es im nächsten Kapitel eingehend zu untersuchen, wobei sich zeigen wird, dass das Subjekt seiner selbst nicht als »unextended in time« 231 inne ist, sondern eher als »not in time but extended«. Held, Klaus: Lebendige Gegenwart. Den Haag 1966. Martinus Nijhoff, S. 77. Gallagher, Shaun: Philosophical Conceptions of the Self: Implications for Cognitive Science. In: Trends in Cognitive Sciences. Vol 4/1 January 2000, S. 15 230 231
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5.3 Das Wechselverhältnis: Der fungierende Leib und die Breite der Gegenwart Das Bewusstsein seiner selbst als affizierter und aktiver, d. h. als fungierender Leib, so hat sich nun gezeigt, ist intentional auf sich selbst gerichtet. Das Auffällige daran ist, dass es dabei auch auf mentale Zustände gerichtet ist, deren Gehalt mehr umfasst als das augenblicklich Erscheinende. Wir können unmittelbares Bewusstsein von etwas haben, das für unser Bewusstsein nicht mehr oder noch nicht gegenwärtig ist. Die erlebte Zeit scheint also eine gewisse Dauer zu haben und nicht nur ein Jetztzeitpunkt zu sein. Wie ist das zu verstehen? Husserl verwendet als Beispiel eine Melodie, eine Tonfolge, die wir hören. Ich konzentriere mich – wenn es nun um die Analyse des Verhältnisses von Subjektivität und Zeitlichkeit geht – weiterhin auf Husserls Analyse, die Merleau-Ponty übernimmt 232 und die sich ähnlich auch bei Heidegger 233 wiederfindet. »Nehmen wir an, wir hören eine Tonfolge, die aus den Tönen C, D und E besteht. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den letzten Teil dieser Wahrnehmung richten, den, der eintritt, wenn der Ton E erklingt, so finden wir kein Bewusstsein, das sich allein des Tones bewusst wäre, sondern ein Bewusstsein, das sich immer noch der zwei vorigen Töne D und C bewusst ist. Und nicht nur das: wir finden ein Bewusstsein, das immer noch die beiden ersten Töne hört (es stellt sie sich weder bloß vor, noch erinnert es sich an sie).« 234
Wir sind uns demnach der drei Töne bewusst. Wir hören sie in unserem Bewusstsein nicht gleichzeitig, sondern in ihrer zeitlichen Abfolge. Die Töne D und C sind wahrgenommen als vergangene, denn sonst würden wir gar keine Tonfolge wahrnehmen, sondern unzusammenhängende Töne, die einander ablösen. Das heißt, wir können zeitliche Objekte wie Melodien deswegen wahrnehmen, weil unser Bewusstsein nicht beschränkt ist auf eine Sukzession von einzelnen Jetztzeitpunkten. Diese These kann man mit Rekurs auf Kochs Analyse der Aspekte der Zeit 235 untermauern, und zwar wenn 232 Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966: De Gruyter. §§ 17–19, S. 472–479. 233 Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 1993 (17), z. B.: S. 350 ff., 422 ff. 234 Ich zitiere hier die konzise Beschreibung des Husserlschen Beispiels (Hua 10/23) von Zahavi. Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 85. 235 Ich beziehe mich hier vor allem auf Kochs Analyse der Aspekte der Zeit und seinen
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man unsere »momentane Gegenwart von der […] transzendentalen Gegenwart her konzipiert«. 236 Die transzendentale Gegenwart ist dabei als nichtsukzessiv zu verstehen. Wie kann man Zeit als nichtsukzessiv verstehen? Man ist es gewöhnt, Zeit als datierbare, objektive zu verstehen, wobei man Ereignisse in ihrer Sukzession auf einer Zeitskala einordnen kann. Jedwedes Ereignis B ist demnach früher als jedwedes Ereignis C und später als jedwedes Ereignis A. Man kann sich dazu eine andere Zeitskala denken, die in einem Bezugspunkt zentriert ist, nämlich der Gegenwart. Diese wird auch als subjektive Zeitskala bezeichnet, wenn der Bezugspunkt, von dem aus oder auf den hin alle Ereignisse als Künftige oder Vergangene geordnet werden, ein Subjekt (ich-jetzt-hier) ist. Was geschieht nun, wenn man, deobjektivierend wie in der Epoché, von der Sukzession der Zeitpunkte abstrahiert? Es bleibt keine zeitliche Skala mehr übrig, denn wenn das Verhältnis von früher und später entfällt, dann erübrigt sich die Skala. Was bleibt, sind die drei Aspekte der Zeit – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – derer wir als dem Ablauf der Zeit entzogen im Modus des Scheinens unmittelbar gewahr werden. Die transzendentale Gegenwart ist demgemäß »von der vollen Struktur der Zeit, von jedem ihrer drei Aspekte geprägt«, das heißt als »nicht einseitig Gegenwart unter Ausblendung von Zukunft und Vergangenheit […], sondern wesentlich auf Zukunft und Vergangenheit bezogene Gegenwart. Kurz, als das Ganze der Zeit ist sie [die transzendentale Gegenwart] die ekstatische, nichtsukzessive Zeitlichkeit.« 237 Versteht man nun die momentane subjektive Gegenwart im Lichte der so konzipierten transzendentalen, dann muss sie eine sein, die das Ganze der Zeit, Vergangenes und Künftiges, in sich aufnimmt. Wie lassen sich nun diese Überlegungen mit meinen Überlegungen zum Selbstbewusstsein verbinden? Ich wiederhole: Selbstbewusstsein soll als Bewusstsein des Wechselverhältnisses von verobjektiviertem, thetischem Leibkörper
Rekurs auf McTaggarts »The Unreality of Time« in: Robin Le Poidevin und Murray MacBeath (Hg.): The Philosophy of Time, Oxford 1993, S. 23–34. Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006. Teil II Kapitel 2, S. 419 ff. 236 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 135. 237 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 135 f. Ich – Jetzt – Hier
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(der personalen Subjektivität) und dem athetischen fungierendem Leib (der flüchtigen Subjektivität) erfasst werden. Wie bereits dargestellt (Kapitel 3.4), werden in der transzendentalen Epoché alle Objektivitätsansprüche eingeklammert. Ein Deobjektivieren, das sich auch auf den Operator der Epoché ›mir scheint, dass‹ ausdehnt, schließt auch das ›mir‹ ein. Es bleibt also auch kein momentan in der sukzessiven Zeit gegenwärtiges Subjekt, worauf das ›mir‹ referieren könnte. Ausgehend von Kochs Theorie der Voraussetzungen a priori der Bezugnahme (Kapitel 3.5) aber bin ich und weiß mich a priori jeweils bezogen auf Einzelheiten einer objektiven Umgebung, lokalisiere mich als Subjekt im egozentrischen Raum [hier-dort-links-rechts-oben-unten] und muss mich dort auch selbst als in der Zeit seiend empfinden. Und das gelingt, wenn man die momentane subjektive Gegenwart im Lichte der nun konzipierten transzendentalen nichtsukzessiven versteht: »Das Oszillieren des Denkens zwischen innerhalb und außerhalb des Bereiches [des Operators der Deobjektivierung] haben wir als sein Oszillieren zwischen personaler und flüchtiger Subjektivität ausgelegt. Wir müssen es ebenso als ein Oszillieren zwischen innerzeitlicher und flüchtiger Gegenwart ansehen.« 238 Denn es gilt zu bedenken, dass nicht nur die Konstitution zeitlicher Objekte so zu interpretieren ist. Auch die subjektiven Akte und Erlebnisse werden konstituiert, das heißt hier, zum Erscheinen gebracht in einem Netzwerk aus gewesenen, gegenwärtigen und künftigen »Erlebenspartikeln«. Husserl bezeichnet dieses Phänomen als die »Breite der Gegenwart« 239. Sie ergibt sich aus drei Aspekten unseres Erlebens des Affiziertseins bzw. der Aktivität. Da ist zum einen der Augenblick des konkreten Aktes, der auf den Jetztzeitpunkt seines intentionalen Objektes gerichtet ist, die Urimpression. Die Urimpression kann nicht für sich genommen auftreten, denn sie ist eine abstrakte Komponente des Aktes. Sie muss stets eingebettet sein in einen zeitlichen Horizont. Dieser zeitliche Horizont formt sich aus der Retention, einer Intention, in der uns die gerade eben vergangene Phase des Objekts oder Aktes bewusst ist, und aus der Protention, einer »mehr oder Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 426 f. Vgl. Husserl, Edmund: Späte Texte über Zeitkonstitution (1929–1934). Die CManuskripte. Herausgegeben von Dieter Lohmar in: Husserliana. Materialien 8. Dordrecht 2006: Kluwer Academic Publishers, S. 51–53. 238 239
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minder unbestimmten Intention der bevorstehenden Phase des Objekts« 240, dem Antizipationshorizont 241. Aus der Tatsache beispielsweise, dass wir überrascht sein können, kann man schließen, dass Antizipation Teil unseres Erlebens sein muss. Zahavi führt dafür als Beispiel an, dass wir überrascht wären, wenn sich hinter der Tür, die wir öffnen, eine Steinmauer zeigte. 242 Man könnte einwenden, was auch der Sprachgebrauch in meinem Beispiel vom zitternden Geschenkauspacken nahelegt, dass es sich hierbei um Erinnerung und Erwartung und somit um nachgeordnetes, verobjektivierendes, thematisches Bewusstsein handelt. Dann wäre es unmöglich, die Unmittelbarkeit des Zusammenerlebens dieser drei Aspekte zu erklären. Daher ist es wichtig, den Unterschied zwischen Protention und Erwartung, zwischen Retention und Erinnerung klarzumachen. Im intentionalen Akt ist unser Erleben im Modus des Scheinens (es scheint mir, dass p) nicht eingereiht in die zeitliche Sukzession, sondern es ist in der ekstatischen, nichtsukzessiven Zeitlichkeit 243. Laut Husserl sind Protention und Retention dementsprechend unselbständige Aspekte des aktuellen Erlebens. Man erlangt durch sie nicht Bewusstsein zweier weiterer Objekte oder Akte (das wäre der Fall, wenn wir das Erleben als momentane sukzessive Gegenwart verstehen würden, denn dann müssten wir das erlebte Antizipierte als Erwartung konzipieren und das retinierte Vergangene als Erinnerung). Vielmehr erlangt man durch sie Bewusstsein des zeitlichen Horizonts der Urimpression, also des Bewusstseins des ekstatisch von der transzendentalen Gegenwart her konzipierten Augenblicks 244.
240 Vgl. Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie. Vorlesungen Sommersemester 1925. Herausgegeben von Walter Biemel in: Husserliana IX. Den Haag 1962: Martinus Nijhoff, S. 202. Ebenso Husserl, Edmund: Die »Bernauer Manuskripte« über das Zeitbewusstsein 1917/18. Herausgegeben von Rudolf Bernet und Dieter Lohmar. Dordrecht 2001: Kluwer Academic Publishers, S. 46. 241 Husserl, Edmund: Analysen zur passiven Synthesis. Aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918–1926. Herausgegeben von Margot Fleischer in: Husserliana XI. Den Haag 1966: Martinus Nijhoff, S. 7. 242 Vgl. Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 86 243 Vgl. Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 136. 244 Ich verwende hier den Begriff »Augenblick«, wie Heidegger ihn gebraucht, um eben das nichtsukzessive zeitliche Erleben, die eigentliche Gegenwart, zu erfassen. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 1993 (17): Niemeyer, § 68, S. 338.
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»Wenn wir die Retention und die Erinnerung miteinander vergleichen, ist die erstere eine Anschauung, selbst wenn sie die Anschauung von etwas Abwesendem ist, von etwas, das soeben existiert hat (Hua 10/41, 118). Die Erinnerung dagegen ist ein vergegenwärtigender intentionaler Akt, der auf ein abgeschlossenes vergangenes Ereignis gerichtet ist (Hua 10/33). 245
Jeder Augenblick des athetischen Bewusstseins hat die Struktur Urimpression-Retention-Protention. »Die Korrelate dieser dreifaltigen ekstatisch-zentrierten Bewusstseinsstruktur sind die Jetzt-Phase (02), die vergangene Phase (01) und die zukünftige Phase (03) des Gegenstandes. Die Jetzt-Phase des Gegenstandes hat einen Horizont, aber dieser besteht nicht aus der Retention und der Protention, sondern aus den vergangenen und zukünftigen Phasen des Gegenstandes.« 246
In diesem Sinne hat jeder unserer erlebten Bewusstseinsmomente eine zeitliche Ausdehnung, eine Breite. »Wenn C erklingt, ist es intendiert durch die Urimpression. Wenn ihm D nachfolgt, ist D in der Urimpression gegeben, während C nun von der Retention festgehalten wird, und wenn wir E hören, ersetzt es D in der Urimpression, während D nun in die Retention übergeht. Die Retention ist allerdings nicht einfach ein Bewusstsein des Tones, der soeben gewesen ist. Wenn D auf C folgt, ist unser Bewusstsein von D begleitet von einer Retention von C (Dc). Wenn D durch E abgelöst wird, ist unser impressionales Bewusstsein von E begleitet von einer Retention von D (Ed), aber auch von einer Retention des Tones der in E retiniert war (Ec) (Hua 10/ 81).« 247
Es bleibt also derselbe Ton erhalten, aber seine Gegebenheitsweise ändert sich. Die Urimpression ist je gegeben zusammen mit der ganzen Reihe von Retentionen (und auch von Protentionen, denn auch im Falle von Tonfolgen können wir den Fortgang der Melodie antizipieren und werden überrascht, wenn das Gehörte sich vom zuvor Antizipierten unterscheidet). So kann man erklären, wie die Gesamtheit meines subjektiven vergangenen Erlebens als Retentionen sowie des subjektiven antizipierten Erlebens als Protentionen ins Erleben der zitternden Hand beim Auspacken des Geschenkpakets eingeht (Urimpression). 248 Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 86. So Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 86 mit Rekurs auf Brough. 1972, 302, 314–15. 247 Zahavi, Dan: Husserls Phänomenologie. Tübingen 2009: Mohr Siebeck, S. 87, 88. 248 Diese Einfärbung des Erlebens x im Augenblick durch die Gesamtheit allen Er245 246
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Im Erleben von Dingen und Sachverhalten sind wir uns unserer selbst als affizierter und aktiver, d. h. als fungierender Leib bewusst. Was wir auf dieser und als diese subjektive[n] Innenseite erleben, ist jedoch nicht das intentionale Objekt, sondern wir erleben den intentionalen Akt in seiner zeitlichen Breite (dasjenige, wie wir uns und alles, was uns ausmacht im Erleben der Welt erleben, wie wir unserer selbst inne sind). Auf den intentionalen Akt ist man aber im Erleben nicht intentional gerichtet, er ist unthematisch, vorreflexiv, irreferentiell bewusst. »Sage ich ›ich‹, so erfasse ich mich in schlichter Reflexion; aber diese Selbsterfahrung ist wie jede Erfahrung, und zunächst jede Wahrnehmung, bloß Hin-mich-richten auf etwas, das schon für mich da ist, schon bewusst ist und nur nicht thematisch erfahren ist, nicht Aufgemerktes.« 249 lebens muss im Verobjektivieren, im Verzeitlichen, im thetischen Erfassen ihre Beschränkung erfahren, da wir sonst unser Bewusstsein kognitiv überladen würden. Dies kann man beispielsweise aus neurobiologischer Sicht mit Rekurs auf Damasio erklären. Damasio, Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. München 2003 (4).: Im Rahmen seiner Emotionstheorie erläutert er, warum nicht alle mentalen Ereignisse gleichermaßen bewusst werden. Das lässt sich zum einen, so Damasio, auf eine Art von Energiesparprinzip zurückführen, das sich (evolutionsbiologisch betrachtet) als dem Überleben förderlich herausgestellt hat. Es steuert, dass solche Prozesse, die viel Energie im Gehirn verbrauchen, nur eingeleitet werden, wenn es (überlebens-)notwendig ist (Damasio S. 37 f.). Er beschreibt, dass der Organismus darauf angewiesen ist, Energiequellen aufzuspüren, sie sich einzuverleiben und Situationen zu vermeiden, die gefährlich sein könnten für die Unversehrtheit der lebenden Gewebe. Das Bewusstsein bietet dabei die Möglichkeit, die innere (unbewusste) Sphäre der Lebensregulation (Erhaltungsmechanismen für relative Stabilität des Körperzustands – Homöostase), mit der Verarbeitung von Vorstellungen (Repräsentationen von Innen- und Außenwelt) zu verbinden. Ein Überleben, das von einer ökonomischen Regulation der Lebensprozesse abhängt, kann sich so neben dem Energiesparprinzip auf ein Prinzip der zielgerichteten Prüfung und Manipulation von Vorstellungen und optimaler Planung stützen (vgl. Damasio S. 37 f.). Das beinhaltet auch ein Versteckspiel, wie Damasio es nennt. Zum Beispiel ist unser eigener Körper, was sich in seinem Inneren befindet und abspielt, uns weitgehend unbewusst, was Damasio anhand einer Vermutung erläutert: »Viel nützlicher ist es wohl, diese Ressourcen auf die Vorstellungen zu konzentrieren, die Probleme in der Außenwelt beschreiben, auf die Prämissen dieser Probleme, auf die Optionen für ihre Lösung und auf ihre möglichen Ergebnisse. Doch für diese Verlagerung der Perspektive in Hinblick auf das, was wir in unserem Geist wahrnehmen können, zahlen wir einen Preis. Wir sind dadurch nicht mehr in der Lage, in vollem Umfang den Ursprung und die Beschaffenheit dessen zu fühlen, was wir Selbst nennen.« (Damasio: S. 43 f.) 249 Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Dritter Teil (1929–1935). Herausgegeben von Iso Kern in: Husserliana XV. Den Haag 1973: Martinus Nijhoff, S. 492–493. Ich – Jetzt – Hier
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»Wann immer ich reflektiere, finde ich mich ›in Bezug auf‹ Etwas, als Affiziertes bzw. Aktives. Das, worauf ich bezogen bin, ist erlebnismäßig bewusst – es ist für mich etwas schon als ›Erlebnis‹, damit ich mich darauf beziehen kann.« 250
Die phänomenologische Beschreibung, wie Husserl sie versteht, zielt auf das Erfassen der vorreflexiv fungierenden Subjektivität durch Reflexion, wobei man genau die Bewegung des Changierens im Wechselverhältnis beschreibt, die eben gerade ein Erfassen des Vorreflexiven nicht zulässt. So muss die fungierende Subjektivität anonym 251 und uneinholbar bleiben: »In diesem Sinn ist es hd. h. das Ichi also nicht »Seiendes«, sondern Gegenstück für alles Seiende, nicht ein Gegenstand, sondern Urstand für alle Gegenständlichkeit. Das Ich sollte eigentlich nicht das Ich heißen, und überhaupt nicht heißen, da es dann schon gegenständlich geworden ist. Es ist das Namenlose über allem Fassbaren ›das‹ über allem nicht Stehende, nicht Schwebende, nicht Seiende, sondern »Fungierende«, als fassend, als wertend usw.« 252
Zusammenfassung Von der flüchtigen Subjektivität, dem fungierenden Leib wissen wir, dass sie/er einen Aspekt im Wechselverhältnis darstellt, innerhalb dessen sich Selbstbewusstsein konstituiert und manifestiert. Den anderen Aspekt bildet der Leibkörper, die personale, körperliche Subjektivität. Wessen ist man also bewusst, wenn man im intentionalen Akt seiner eigenen »Affektivität und Aktivität« inne ist? Auch in diesem Bewusstsein der eigenen Aktivität und Affektivität, also auf der zuvor so bezeichneten »Innenseite des Erlebens« findet sich das changierende subjektiv-objektive Wechselverhältnis. Das heißt, an dem250 Husserl, Edmund: Späte Texte über Zeitkonstitution (1929–1934). Die C-Manuskripte. Herausgegeben von Dieter Lohmar in: Husserliana. Materialien 8. Dordrecht 2006: Kluwer Academic Publishers, S. 196. 251 Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie. Vorlesungen Sommersemester 1925. Herausgegeben von Walter Biemel in: Husserliana IX. Den Haag 1962: Martinus Nijhoff, S. 478. 252 Husserl, Edmund: Die »Bernauer Manuskripte« über das Zeitbewusstsein 1917/ 18. Herausgegeben von Rudolf Bernet und Dieter Lohmar. Dordrecht 2001: Kluwer Academic Publishers, S. 277–278.
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Zusammenfassung
jenigen, das Husserl phänomenologisch als fungierenden Leib beschreibt, demjenigen, das zuvor als flüchtige Subjektivität herausgearbeitet wurde, lässt sich ein weiteres »Innen« und »Außen« herausschälen, was eine noch weiter ausdifferenzierte Charakterisierung der gesuchten Form von Selbstbewusstsein erlaubt. Für die subjektive Innenseite dieses Wechselverhältnisses gilt die ekstatische, nichtsukzessive Zeitlichkeit, das schiere Erleben in der Epoché (Retention-Urimpression-Protention), in dem also auch die zeitliche Sukzession »eingeklammert und gleichsam in den Leerlauf versetzt« wird, obgleich wir mitsamt unseren intentionalen Objekten doch auch weiterhin (»außen auf der objektiven Seite«) in der momentanen sukzessiven Zeit sind. Von dieser »Außenseite« wissen wir, dass dort beispielsweise die in der Breite der Jetztphase erlebten Retentionen zu Erinnerungen verobjektiviert und damit unserem Erkennen und oft auch unserem begrifflichen Erfassen zugeführt werden, womit man sie gleichsam aus der ekstatischen nichtsukzessiven in die sukzessive Zeit, aus der Abstraktion in die Konkretion hineinnimmt. Und wie kann man nun die Innenseite dieses Wechselverhältnisses beschreiben? Laut Husserl muss sie anonym bleiben, denn die Beschreibung dessen, das so radikal verschieden von jedem Objekt ist, bringt die Sprache an ihre Grenzen: So müssen wir von der (absoluten und transzendentalen) Subjektivität sprechen in Übereinstimmung mit dem, was konstituiert ist. Und wir müssen sie mit Prädikaten beschreiben, die auf zeitliche Gegenstände zugeschnitten sind. Wir nennen sie zum Beispiel strömend, stehend, gegenwärtig, obwohl sie eigentlich weder im Jetzt existiert noch als in der Zeit erstreckt. Aber wir ermangeln einfach angemessener Worte. 253 Meiner Ansicht nach kann man doch ein wenig mehr sagen. Ich werde dies nun versuchen, indem ich zunächst metaphorisch beschreibe, was sich bislang nicht erfassen ließ, um dann die Metapher als Sprungbrett zu zwei Begriffen zu gebrauchen, die eine weitere und in meinen Überlegungen letzte Interpretation und Charakterisierung des Selbstbewusstseins erlauben. Die Metapher ist deshalb als sprachliches Mittel geeignet, weil man sie so verstehen kann, dass 253 Vgl.: Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins (1893– 1917). Herausgegeben von Rudolf Boehm in: Husserliana X. Den Haag 1966: Martinus Nijhoff, S. 75.
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sie substituiert, was sie eigentlich bezeichnen soll. Dabei vermögen Metaphern mehr aufzurufen und auf mehr zurückzugreifen, als wir in nichtmetaphorischem Sinne begrifflich fassen können. Damit wird die Metapher gerade für ein zu Bezeichnendes, das über sich selbst hinausweist, zum adäquaten Ausdruck. So ist die flüchtige Subjektivität, die im erlebten Wechselverhältnis zwar anwesend ist, ohne Substitution sprachlich nicht erfassbar. Dies ist vergleichbar mit dem Beispiel von Aristoteles, in dem die Tapferkeit des Achill nicht im Text vorkommt, also abwesend ist. In der Substitution durch den Löwen, mit dem Achill identifiziert wird, ist sie jedoch re-präsentiert – wieder-vergegenwärtigt, wenn auch so unstrittig nur in der Metaphernanalyse, welche die Aristotelische Poetik anstellt. 254 »Dieser Idee liegt ein Verständnis der Metaphern zugrunde, wonach sie als die ›unverwalteten Quellen jener Struktur der Welt‹ – um mit Heidegger zu sprechen –, ›worin Dasein als solches je schon ist‹ 255 und worin es aufbewahrt bleibt, ohne von der wissenschaftlichen Terminologisierung je restlos eingeholt zu werden.« 256
Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Bibliografisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1994 (1457 b). Bei Aristoteles wird die Metapher als Übertragung eines Zeichens auf ein anderes Zeichen, und zwar nach Maßgabe einer Ähnlichkeit zwischen Substituens und Substitutum definiert. 255 Heidegger, Martin: Sein und Zeit. 17. Auflage. Tübingen 1993: Niemeyer, S. 87. 256 Müller-Richter, Klaus/Larcati Arturo (Hg.): Der Streit um die Metapher. Darmstadt 1998, S. 4. 254
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6. Auf der Flucht ertappt: Selbstbewusstsein als Selbstvertrautheit
6.1 Lust und Unlust Wessen sind wir also inne, wenn wir im Bewusstsein des Wie es für mich ist, (im Zustand des Bewusstseins (von p)) zu sein, Bewusstsein von der flüchtigen subjektiven Innenseite dieses Wechselverhältnisses haben? 257 Was der fungierende Leib, die flüchtige Subjektivität als Gesamtheit allen Erlebens in der nichtsukzessiven Zeit erlebt und empfindet, bleibt als Einfärbung, als Geschmack, als Stimmung erhalten in der verobjektivierenden, referenziellen Bezugnahme, mit der wir uns auf unsere intentionalen Akte einstellen. Einfärbung, Geschmack, Stimmung lassen uns unseren Bewusstseinsgegenstand (das heißt unseren uns selbst bewusst gemachten intentionalen Akt, mit dem wir uns auf unser intentionales Objekt einstellen) als positiv oder als negativ, als angenehm oder unangenehm, als schön oder unschön erscheinen. Anders gesagt: Im subjektiv-objektiven Wechselverhältnis erleben wir uns selbst als positiv oder negativ gestimmt hinsichtlich dessen, wie uns unser Gegenstand erscheint. Dieses »Subjektive der Vorstellung«, welches – so Kant – gar kein Erkenntnisstück werden kann und nichts zur Erkenntnis des Objekts Brauchbares enthält, wird »Empfänglichkeit« der Vorstellung, Gefühl genannt, »welches die Wirkung der Vorstellung (diese mag sinnlich oder intellektuell sein) aufs Subjekt enthält und zur Sinnlichkeit gehört, obgleich die Vorstellung selbst zum Verstande oder der Vernunft gehören mag.« 258
257 Dieser Abschnitt enthält zugleich eine Interpretation dessen, was Searle, ohne es weiter zu definieren, als »qualitatives Gefühl« bezeichnet, »das zu jedem Bewusstsein gehört«. Searle, John R.: Geist. Eine Einführung. Frankfurt/M. 2006, S. 145. 258 Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten. Einleitung 1. Anm. AB 1,2 (Akad. Ausg. 1. Anm.). Darmstadt 1998.
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Auf der Flucht ertappt: Selbstbewusstsein als Selbstvertrautheit
Mit einem Verweis auf J. McDowell formuliert Koch dies ähnlich folgendermaßen: »Denken wir daran, dass die Empfindungsqualitäten in der Wahrnehmung nicht auf das Subjekt, sondern auf die Objekte als deren öffentliche phänomenale Qualitäten bezogen werden. Auf das Subjekt hingegen wird das Gefühl der Lust und Unlust bezogen, das jeweils mit der Empfindungsqualität als ihr nichtobjektivierbarer Aspekt verbunden ist.« 259
Wessen sind wir uns also bewusst im »Gefühl der Lust und Unlust, das jeweils mit der Empfindungsqualität als ihr nichtobjektivierbarer Aspekt verbunden ist«? Es sei noch einmal wiederholt: In der referenziellen Bezugnahme auf unsere intentionalen Akte bleibt jene lustvolle, positive oder weniger lustvolle, negative Einfärbung oder Stimmung erhalten, die vom Erleben des fungierenden Leibes in der nichtsukzessiven Zeit herrührt. Das gilt auch für unser Wahrnehmungserleben, das neben dem angenehmen oder unangenehmen Erleben des Leibkörpers auch ein Erleben des intentionalen Akts, ein Erleben der subjektiven »Innenseite« ist. Das heißt, Teil jedweden Erlebens, nämlich derjenige Teil der Einfärbung, den man eben doch und hiermit auf den Begriff bringen kann, ist das Erleben von Lust oder Unlust das Erleben einer »Pro- oder KontraEinstellung« 260. Mit Kant 261 kann man Lust als ein positives Erleben interpretieren, das uns eben deswegen als positiv erscheint, weil das Erlebte zu unserem Leben passt, das heißt gemäß der hier angestellten Interpretation, zur Gesamtheit unserer Erlebnisse, derer wir ja im Zustand des Erlebens, in der Epoché, inne sein können. Lust gilt nämlich als
259 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 99. 260 Davidson, Donald: Actions, Reasons and Causes. Journal of Philosophy 60, 1963, S. 685–700. Nachdruck in: Davidson, Donald: Essays on Actions and Events, Oxford 2001 (2): Clarendon Press und Davidson, Donald: Intending. In: Yovel, Yirmiahu (ed.): Philosophy of History and Action. Dordrecht 1978: D. Reidel. Nachdruck in: Davidson, Donald: Essays on Actions and Events, Oxford 2001 (2): Clarendon Press. 261 Ich beziehe mich hier nicht ausführlicher auf Kant, wenn es um Lust und Unlust geht, zum einen, weil Lust und Unlust in einem Objekt zusammengenommen (Lust per se), laut Kant, ein noumenon ist, zum andern weil Kant selbst eine eingehendere Untersuchung in die Metaphysik seiner Anthropologie verschiebt, wo sie für künftige Generationen zur eingehenden Ausarbeitung verbleibt.
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Lust und Unlust
»die Vorstellung der Übereinstimmung des Gegenstandes oder der Handlung mit den subjektiven Bedingungen des Lebens.« 262 Dazu kommt aber noch ein motivationales Moment, denn mit Kant kann man Lust interpretieren als »das Bewußtsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, es in demselben zu erhalten«. Unlust ist »diejenige Vorstellung […], die, den Zustand der Vorstellungen zu ihrem eigenen Gegenteile zu bestimmen (sie abzuhalten oder wegzuschaffen), den Grund enthält.« 263 Das Gefühl der Lust und Unlust ist »die Empfänglichkeit des Subjekts, durch gewisse Vorstellungen zur Erhaltung oder Abwehrung des Zustandes dieser Vorstellungen bestimmt zu werden« 264
Mit diesen beiden Hinweisen zur Interpretation von der »Pro- oder Kontra-Einstellung« 265 im Erleben des fungierenden Leibes kann man also einen weiteren Aspekt unseres Erlebens unserer subjektiven Innenseite verobjektivieren, das heißt reflexiv einholen, denn »[u]nsere Pro- und Kontra-Einstellungen [aber] bringen wir als diskursiv denkende Wesen auf Begriffe, und so entstehen Wünsche (›Begehrungen‹ in altertümlicher Redeweise).« 266 Das heißt, unser lustvolles oder eben nicht so lustvolles Erleben unserer selbst im Erleben der Welt ist evaluativ. Es ist eine Bewertung des Erlebens, die nachgeordnet, auf den Begriff gebracht, Wunsch genannt wird. Aber eine Bewertung braucht ein Kriterium, ein übergeordnetes Ziel, ein Worumwillen. 267
262 Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, Vorrede 2. Anmerkung A 17, Darmstadt 1998 (Akad. Ausg. 4. Anm.) 263 Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. § 10 B33, 34/A 33, 34 (Akad. Ausg.: § 10II: 58 f.). Darmstadt 1998. 264 Kant, Immanuel: Anthropologie. Didaktik. Von den fünf Sinnen, § 13, BA 46 (Akad. Ausg. § 15). Darmstadt 1998. 265 Davidson, Donald: Actions, Reasons and Causes. Journal of Philosophy 60, 1963, S. 685–700. Nachdruck in: Davidson, Donald: Essays on Actions and Events. Oxford 2001 (2): Clarendon Press und Davidson, Donald: Intending: In: Yovel, Yirmiahu (ed.): Philosophy of History and Action. Dordrecht 1978: D. Reidel. Nachdruck in: Davidson, Donald: Essays on Actions and Events. Oxford 2001 (2): Clarendon Press. 266 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 140. 267 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 141.
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Auf der Flucht ertappt: Selbstbewusstsein als Selbstvertrautheit
Was ist es aber und wie sind wir uns des Worumwillen inne, das unsere Bewertungen leitet? Meine Überlegungen abschließend und als Schlussstein der hier vorgenommenen Charakterisierung desjenigen Selbstbewusstseins, welches jedweder Form von Bewusstsein einwohnt, werde ich nun unter Einbezug einiger zentraler Gedanken aus der stoischen Oikeiosislehre erklären, welchen teleologischen Hintergrund anzunehmen sinnvoll ist, wenn man behaupten möchte, dass uns das Lustvolle erhaltenswert, wünschenswert erscheint, das nicht Lustvolle aber als abzuschaffen gilt. Ich beziehe mich schlaglichtartig auf wichtige Texte und Textstellen zur stoischen Oikeiosislehre, die sich in der Textsammlung, die Diogenes Laertius 268 anlegte, bei Cicero 269, der Cato als Sprachrohr der Stoiker auftreten lässt und im Primärtext bei Hierokles 270 finden. Die inhaltliche Nähe der stoischen Gedanken zu den hier ausgearbeiteten selbstbewusstseinstheoretischen Überlegungen macht es plausibel, erstere als sinnvolle Ergänzung der letzteren zu verstehen. Denn es lässt sich hier ein weiterer Aspekt desjenigen, dessen wir uns bewusst sind, wenn wir uns unserer selbst bewusst sind, herausarbeiten: Es ist der Aspekt der Selbstvertrautheit.
6.2 Selbstbewusstsein als Selbstvertrautheit 6.2.1 Der erste Trieb Das erste Streben (πρώτηορμη = der erste Trieb) jedes Lebewesens richtet sich, so lautet ein Zitat aus Diogenes Laertius’ Textsammlung, auf die Selbsterhaltung. 271 Demnach haben Menschen einen Trieb, der sich charakterisieren lässt als zeitlich und sachlich jeder anderen 268 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Übersetzt von O. Apelt, Phil. Bibl. Bd. 53/4. Hamburg 1967 (2), VII, 85. 269 Gigon, O./Straume-Zimmermann, L. (Hg.): Cicero, Marcus Tullius: De Finibus Bonorum et Malorum. Schiche, T. (Hg.). Zürich 1988. 270 Arnim, H. v. (Hg.): Hierokles: Ethische Elementarlehre. Berliner Klassiker Texte, Heft 4. Berlin 1906. 271 Vgl. Forschner, Maximilian: Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System. Stuttgart 1981. S. 142. Dort zitiert aus: Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Übersetzt von O. Apelt, Phil. Bibl. Bd. 53. Hamburg 1967, VII, 85 ff. Siehe auch: Bees, Robert: Die Oikeiosislehre der Stoa. I. Rekonstruktion ihres Inhalts. Würzburger
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Lust und Unlust
Intentionalität vorgängiges Gerichtetsein auf das Fortbestehen des eigenen Seins. Diese Form der Intentionalität wird auch mit dem klassisch-griechischen Begriff der Selbstliebe bezeichnet, die auf die Erhaltung und Entfaltung des eigenen Selbst zielt. 272 Der Trieb zur Selbsterhaltung ließe sich, so Hierokles 273 wie auch Cicero, der dazu Cato sprechen lässt 274, am konkreten Beispiel zielgerichteter Nahrungssuche erläutern: Die Handlung eines Neugeborenen, nach der Mutterbrust zu greifen, erklärt sich durch den Impuls, dies zu tun. Dieser spezielle Impuls wiederum erklärt sich durch den Grundimpuls, sich selbst zu lieben und zu erhalten. 275 Dieser Grundimpuls der Selbstliebe aber impliziert Selbstwahrnehmung: Denn erst in der Wahrnehmung seiner selbst erfährt sich das Lebewesen in seinem Sein und Sosein. Die desiderative Disposition zu sich selbst (Selbstliebe/Selbsterhaltungstrieb) setzt also die kognitive DisposiWissenschaftliche Schriften, Bd. 258. Würzburg 2004. Kapitel V, v. a. 1.c) Drei biologisch gesteuerte Formen der Oikeiosis. Oikeiosis zu sich selbst. 272 Anders als bei den Epikureern, die Lust und Freude zum Hauptziel jeden Strebens erklären, ist es gemäß stoischer Überlegungen, wie sie Diogenes Laertius wiedergibt, das eigene Sein und dessen Wahrung und Entfaltung, worauf das Streben sachlich und zeitlich vorgeordnet zielt. 273 Arnim, H. v.: Hierokles: Ethische Elementarlehre. Berliner Klassikertexte, Heft 4. Berlin 1906, v. a. Kol. I bis V. 274 Gigon, O./Straume-Zimmermann, L. (Hg.): Cicero, Marcus Tullius: De Finibus Bonorum et Malorum. III 16. Schiche, T. (Hg.). Zürich 1988. 275 Ähnliche Thesen finden sich in aktuellen neurobiologisch orientierten Selbstbewusstseinstheorien, wie zum Beispiel derjenigen Damasios wieder. Damasio konzipiert mentale Zustände so, dass ihnen stets ein Selbst-Sinn implizit ist. Sein Konzept vom Selbst-Sinn bleibt allerdings relativ unterbestimmt. Der Selbst-Sinn ist demnach der Nachfolger des unbewussten, jedoch auf das Überleben des Organismus ausgerichteten und unsere körperlichen Funktionen maßgeblich bestimmenden und kontrollierenden Proto-Selbst. »Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass der Organismus als Repräsentation in seinem eigenen Gehirn wahrscheinlich ein biologischer Vorläufer dessen ist, was schließlich dieser schwer fassbare Selbst-Sinn wurde. Die frühsten Ursprünge des Selbst […] sind in der Gesamtheit jener Hirnmechanismen zu finden, die fortwährend und unbewusst dafür sorgen, dass sich die Körperzustände in jenem schmalen Bereich relativer Stabilität bewegen, der zum Überleben erforderlich ist. […] Diesen Aktivitätszustand innerhalb der Gesamtheit der betreffenden Mechanismen bezeichne ich als Proto-Selbst, den unbewussten Vorläufer jener Stufen des Selbst, die in unserem Geist als bewusste Protagonisten des Bewusstseins in Erscheinung treten. […] Der Selbst-Sinn ist die erste Antwort auf die Frage, die der Organismus niemals gestellt hat: Wem gehören die mentalen Muster, die sich fortlaufend entfalten? Die Antwort lautet, dass sie dem Organismus gehören, wie er durch das Proto-Selbst repräsentiert wird.« Damasio, Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. München 2003 (4). S. 36–40. Ich – Jetzt – Hier
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tion zu sich selbst (Selbstwahrnehmung als Oikeiosis) voraus, wenn Erstere auch nicht auf Letztere reduzierbar ist. Die Wahrnehmung seiner eigenen Verfassung führt, wenn auch unartikuliert, stets zu dem grundlegenden Impuls, diese Verfassung zu erhalten. Es zeigt sich, dass solche Selbstwahrnehmung gemäß der stoischen Interpretation besonders beschaffen ist: In ihr wird das eigene Sein und Sosein nämlich als erstes Zueigenes, d. h. etwas Vertrautes, Nahes und als etwas Gutes 276 wahrgenommen. Dieser besondere Selbst-Wahrnehmungsprozess (die erste Wahrnehmung) wird Oikeiosisprozess genannt und soll im Folgenden eingehender beschrieben werden. Das in der Textsammlung von Diogenes Laertius 277 verwendete griechische Wort oikeiosis (οικειοσιϚ) ist ein nominalisiertes Verb, das in Bezug auf Personen in seiner passiven Verwendung »Vertrautsein mit« in seiner aktiven Verwendung etwas wie »auf seine Seite bringen« bedeutet. In Bezug auf Sachen bedeutet es »sich aneignen«. Den Gegensatz zum entsprechenden Adjektiv oikeios (οικειοϚ) bildet allotrios (αλλοτριοϚ), »was einem fremd ist«, »was einem anderen gehört«. Das Adjektiv oikeios (οικειοϚ) ist abgeleitet von oikos (οικοϚ = Haus) und bedeutet ganz allgemein »zum Haus gehörig«. Als »zum Haus gehörig« gelten Verwandte, Freunde aber auch lebendiges wie nichtlebendiges Inventar, also das Angehörige, Eigene, Nahe, Liebe, Vertraute. 278 Oikeioun (οικειουν) bzw. oikeiousthai (οικειουστηαι) steht auch in enger Verbindung zum sokratischen epimeleisthai (επιμελειστηαι), dem Interessiertsein, dem Sichsorgen um etwas, das einen angeht wie sein Selbst, seine Tugend, sein Glück, das Leben der Polis. 279 »Oikeioun (οικειουν) kann ferner ›etwas mit etwas bzw. jemandem mit jemandem bzw. etwas vertraut machen‹, ›eine positive Beziehung zwischen zwei Relaten stiften‹ heißen. Der Terminus oikeiosis beinhaltet also eine spezifische Beziehung von Etwas (Jemandem) zu 276 Vgl. Arnim, H. v.: Hierokles: Ethische Elementarlehre. Berliner Klassikertexte, Heft 4. Berlin 1906. Kol. I 1–2 bis VI 49. 277 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Übersetzt von O. Apelt, Phil. Bibl. Bd. 53/4. Hamburg 1967 (2), VII, 85. 278 Zitiert nach Forschner, Maximilian: Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System. Stuttgart 1981, S. 145. Dort Verweis auf: Demokrit VS II, 55 B 60; 293. 279 Vgl. Platon: Apologie 29 d7-e3; 30a7-b2; 31b1–5. In: Platon. Sämtliche Werke, Bd. I. Frankfurt/M. 1991.
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Etwas (Jemandem), die als Vertrautsein mit, interessiertes Gerichtetsein auf, Besorgtsein um etwas (jemanden) charakterisiert werden mag.« 280 Diese philologischen Hinweise zeigen, dass der Vertrautheitsbegriff in der stoischen Ethik verwendet wird zur Beschreibung unterschiedlicher Formen von besonders inniger Bekanntschaft und großer Nähe sowie einer Art fürsorglichen Zugewandtseins. Das spricht für die Wahl des Begriffs der Selbstvertrautheit für den hier zu charakterisierenden Aspekt des Selbstbewusstseins. Denn das Ziel ist es, das Worumwillen unserer Pro- und Kontra-Einstellungen zu klären.
6.2.2 Die erste Wahrnehmung Hierokles bemüht sich in seiner Beschäftigung mit dem Thema der Selbstwahrnehmung zunächst darum, anhand von vier empirischen Belegen darauf zu schließen, dass jedes animalische Wesen 281 von Beginn des Lebens an (überlebens-) notwendig eben diese Art von Selbstbewusstsein hat, die er Selbstwahrnehmung nennt. 282 Ziel ist es dann, diesen Schluss durch theoretische Überlegungen zu untermauern: Hierokles erläutert, wie sich jedes Lebewesen jederzeit in einer bestimmten Weise selbst erlebt (sich empfindet) und dass es in diesem Sinne eine kontinuierliche Beziehung zu sich selbst hat. Dies gelingt mit der Darstellung der Selbstwahrnehmung als oikeiosis, als urtümliche, (natürliche) Vertrautheit des Lebewesens mit seiner eigenen Verfassung. Die Selbstwahrnehmung als Oikeiosis, der Vorgang, in dem das 280 Forschner, Maximilian: Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System. Stuttgart 1981, S. 145. 281 Es sei am Rande bemerkt, dass dieser Theorie gemäß das spezifisch Humane nicht im Selbstbewusstsein liegen kann. 282 Die vier empirischen Belege lauten: Zum Überleben braucht das Lebewesen die Wahrnehmung der Glieder seines Körpers (1), der Bestandteile seiner Verfassung und ihrer Funktionen (2), die Wahrnehmung seiner Bedürfnisse (3), die Wahrnehmung seiner Verteidigungsmittel, d. h. seiner körperlichen Stärken und Schwächen und derjenigen des potentiellen Feindes (4). Der Schluss lautet: Da es überlebende Lebewesen gibt, darf angenommen werden, dass sie Selbstwahrnehmung haben. Zitiert nach: Arnim, H. v.: Hierokles: Ethische Elementarlehre. Berliner Klassikertexte, Heft 4. Berlin 1906, Kol. I-III. Vgl.: Lee, Chang-Uh: Oikeiosis. Stoische Ethik in naturphilosophischer Perspektive. Freiburg 2002, S. 65.
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Lebewesen seiner eigenen Verfassung und damit, laut einer gängigen stoischen Interpretation, seiner selbst inne ist und wird 283, soll nun stichwortartig skizziert werden. 284 Das Selbst, d. h. die eigene (bewusste) Verfassung der Lebewesen, konstituiert sich in der Totalität, die Körper und Seele bilden, wobei an der Bildung ebenjener Totalität, diese besondere Art der Selbstwahrnehmung (Oikeiosis) maßgeblich beteiligt ist. Wie ist diese Totalität vorzustellen? Nach stoischem Verständnis befinden sich Seele und Körper in totaler Vermischung, alle Geschehnisse des einen haben ununterbrochen an denen des anderen teil. Insofern ist die Seele auch körperlich, wie der Körper als beseelt gilt. Die totale Vermischung wird charakterisiert als etwas, das zwischen Verband und Fusion liegt: 285 Als Vermischung also, bei der kein Teil übrig bleibt, das von der Teilhabe an allem, was sich in dieser Vermischung ereignet, ausgeschlossen ist, ohne dabei jedoch sein originelles Wesen zu verlieren. Die Seele durchdringt demnach vollständig den Körper, bewahrt dabei aber ihr Wesen. Diese stoische Interpretation von Vermischung wird bedeutsam sein für das Verständnis der Oikeiosis. Die Seele ist dabei (auch) eine Wahrnehmungsfähigkeit. Aufgrund der Vermischung von Seele und Körper kann sich die Wahrnehmungsfähigkeit der Seele überall im Körper aktivieren: Das heißt, das Vermischungsverhältnis erlaubt ihr, den ganzen Organismus als Feld der Wahrnehmung zu gebrauchen. Insofern bildet die totale Vermischung von Körper und Seele die Grundlage der Wahrnehmung. Die Seele aktualisiert sich in diesem Wechselverhältnis als Wahrnehmungsfähigkeit. Die Vermischung von Seele und Körper vollzieht sich im Medium einer Spannungsbewegung: Diese Bewegung entspringt im Hegemonikon 286, durchläuft alle Teile des beseelten Körpers bis an seine 283 Insofern es sich um einen Prozess handelt, der vom Beginn des menschlichen Lebens an kontinuierlich stattfindet, kann hier auch von einem Zustand der Selbstwahrnehmung gesprochen werden. Das Lebewesen ist im Zustand der Nähe und Vertrautheit mit sich, indem es sich kontinuierlich auf eine besondere Weise selbst wahrnimmt (Oikeiosis). 284 Hierzu stütze ich mich auf die Interpretation von Lee, Chang-Uh: Oikeiosis. Stoische Ethik in naturphilosophischer Perspektive. Freiburg 2002, Kapitel IV.2 285 Während ein Verband dadurch entsteht, dass einige Seiende so koexistieren, dass sie dabei ihre verschiedenen Eigenschaften und damit ihr originelles Wesen bewahren, entsteht eine Fusion, indem die sich vermischenden Teile ihren Wesenscharakter verlieren. 286 Das Hegemonikon (leitendes Zentrum) entspricht dem, was wir Vernunft nennen,
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Grenzen und trägt dann, sich wieder nach innen wendend, die Wechselwirkungen aller Teile wieder ins Hegemonikon zurück. Die Ähnlichkeit dieser Vorstellung von der Wahrnehmung der eigenen Verfassung als totaler Vermischung von Körper und Seele mit derjenigen vom Selbstbewusstsein im subjektiv-objektiven Wechselverhältnis, wie ich sie anhand der Husserlschen Leibphänomenologie dargelegt habe (Kapitel 5), ist deutlich. Ausgehend von dieser Vorstellung des Selbst als totaler Vermischung, von Spannungsbewegung und Wahrnehmung, kann mit Rekurs auf Hierokles 287 erklärt werden, wie Selbstwahrnehmung im Oikeiosisprozess zustande kommt: Im Rahmen der Spannungsbewegung in der Vermischung von Körper und Seele, die alle Teile sowohl des Körpers als auch der Seele durchläuft, entsteht nun aufgrund der Wahrnehmungsfähigkeit der Seele eine vollständige Wahrnehmung aller Seelenteile als mit dem Körper vermischter bzw. aller Körperteile als beseelter. So kommt es zur kontinuierlichen Selbstwahrnehmung (τσναιτητιϚ): Das Lebewesen ist sich seiner Verfassung bewusst. 288 Insofern stellt die eigene Verfassung ein totales Vermischungsverhältnis von Seele und Körper dar, das, indem es (nicht nur, aber auch) ein dynamischer Wahrnehmungsprozess ist, dem Lebewesen zugleich im Modus der Selbstwahrnehmung bewusst ist. Die eigene Verfassung und das Bewusstsein davon fallen hier also in eins. »Die Seele wird zwar als Subjekt verstanden, in dem die Identität des Lebewesens liegt, jedoch derart, dass sie nicht aus sich heraus, sondern nur in Relation mit dem Körper ihre Existenz als Identitätsprinzip behaupten kann. Wenn das Identitätsprinzip des Lebewesens nach Senecas Definition der Seele, nicht der Materie – wie Thomas von Aquin gedacht hat – zugeschrieben werden sollte, dann muss immer hinzugefügt werden: die Seele als mit dem Körper vermischte. Im Begriff der Seele ist dieses Vermischungsverhältnis immer enthalten.« 289
es ist in diesem Zusammenhang Impulsgeber und selbst nicht mit dem Körper vermischt. 287 Arnim, H. v.: Hierokles: Ethische Elementarlehre. Berliner Klassikertexte, Heft 4. Berlin 1906. Vgl.: Kap. IV, S. 49–53. 288 Eine ähnliche Vorstellung steht hinter dem neurologischen Begriff der Propriozeption, wie ich ihn in Kapitel 5.2 verwende. 289 Lee, Chang-Uh: Oikeiosis. Stoische Ethik in naturphilosophischer Perspektive. Freiburg 2002, S. 78. Ich – Jetzt – Hier
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Da jedes Lebewesen stets in der Welt ist, muss dieser Prozess auch stets im Zusammenhang mit der Wahrnehmung äußerer Gegenstände gedacht und beschrieben werden. Dabei stellt sich heraus, dass die Selbstwahrnehmung (τσναιτητιϚ) der Wahrnehmung äußerer Gegenstände immanent ist. »Denn im allgemeinen [sic] vollzieht sich die Wahrnehmung äußerer Gegenstände nicht ohne die Selbstwahrnehmung.« 290 Anhand dessen, wie Hierokles Gegenstandswahrnehmung beschreibt, zeigt sich wieder die nahe Verwandtschaft mit dem in dieser Arbeit bereits Dargelegten: Die Gegenstände treffen auf die äußeren Sinne (Perzeption) und sind so mit den entsprechenden, rein körperlichen Teilen total vermischt. Dann wird das Ergebnis der Wechselwirkung der ganzen Seele und des ganzen Körpers, der unter Einfluss der äußeren Gegenstände ist (d. h. mit dem perzipierten Eindruck vermischt), ins Hegemonikon übermittelt, das dieses registriert und als Vermischung interpretiert. Das ist es, was Hierokles als Miterleben oder Mitwahrnehmung seines Selbst in der Gegenstandswahrnehmung bezeichnet (vgl. Kapitel 5.1, 5.2). 291 Dabei darf Selbstwahrnehmung als Mitwahrnehmung der eigenen Verfassung nicht als Begleiterscheinung der Gegenstandswahrnehmung verstanden werden. Sie ist unter logischem Gesichtspunkt die Bedingung für die Gegenstandswahrnehmung, gleichzeitig ist sie unter phänomenologischem Gesichtspunkt deren Miterleben (vgl. Kapitel 5.1). »Beide [zusammen], der äußere Gegenstand und das wahrnehmende Subjekt, […] werden von dem Lebewesen als das Objekt seiner (Gegenstands-) Wahrnehmung wahrgenommen; beide sind, weil sie phänomenologisch betrachtet jeweils mit-erlebt werden und weil sie logisch zueinander geordnet sind, de facto untrennbar.« 292 Die äußere Wahrnehmung ist also vom Beginn des Lebens an 293 je schon eine innere Mitwahrnehmung, eine Selbstwahrnehmung.
290 Arnim, H. v.: Hierokles: Ethische Elementarlehre. Berliner Klassikertexte, Heft 4. Berlin 1906, Kap. VI, S. 1–3. 291 Lee, Chang-Uh: Oikeiosis. Stoische Ethik in naturphilosophischer Perspektive. Freiburg 2002, S. 77. Zitiert nach: Arnim, H. v.: Hierokles: Ethische Elementarlehre. Berliner Klassikertexte, Heft 4. Berlin 1906, Kap. IV, S. 1–3. 292 Lee, Chang-Uh: Oikeiosis. Stoische Ethik in naturphilosophischer Perspektive. Freiburg 2002, S. 78. 293 D. h., gemäß stoischer Überzeugungen, mit der Geburt. Die Frage nach dem Zeitpunkt des Beginns des (menschlichen) Lebens soll hier nicht problematisiert werden.
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Bis hierher zeigt der Rekurs auf die stoischen Überlegungen lediglich die inhaltliche Nähe zum bereits Dargelegten (vgl. Kapitel 3.5, 5.1, 5.2). Aber die Selbstwahrnehmung als Oikeiosis ist damit noch nicht vollständig beschrieben, denn mit dieser Selbstwahrnehmung – man könnte auch von einer Selbstaffektion sprechen – muss eine Art der Selbstaffirmation verbunden sein. Erst sie erlaubte es nämlich, Selbstwahrnehmung als Selbstvertrautheit zu fassen (τσναιτητιϚ als οικειοσιϚ). Wie also kann dieser Selbstwahrnehmungsvorgang als Selbstaffirmation verstanden werden? Es kann sich dabei nicht um einen »neutralen« Wahrnehmungsvorgang von »etwas als etwas (Äußerem)« handeln, denn es liegt in der Struktur dieser Selbstwahrnehmung, dass sich hierbei das Lebewesen als es selbst in seiner Totalität wahrnimmt. Das heißt, es ist sich darin auch je schon als sein erstes Zueigenes (oikeion), also sein Vertrautes, Eigenes gegeben und damit als Gegenstand der primären Zueignung. 294 Oikeiosis ist also derjenige Vorgang der Selbstwahrnehmung, in dem das Lebewesen die Vermischung von Seele und Körper als es selbst, als sein Oikeion, sein Zueigenes, wahrnimmt. Es ist deutlich, dass es sich dabei um einen besonderen Identitätsprozess handelt, denn es handelt sich um das Zusammenspiel einer kognitiven (Selbstwahrnehmung) und einer desiderativen (Grundimpuls) Grundeinstellung. Indem der Mensch sich je schon als erstes Zueigenes und als seinen Gegenstand der primären Zueignung wahrnimmt, fallen Selbstwahrnehmung/Selbstaffektion und Selbstaffirmation zusammen. Er ist sich seiner selbst als das Worumwillen der Bewertungen seines Erlebens bewusst. In dieser besonderen Form der Selbstwahrnehmung im Oikeiosisprozess fallen Sein und Sich-als-sein-Oikeion-Erscheinen, die eigene Verfassung und das Bewusstsein der eigenen Verfassung als Totalität und Gegenstand der primären Zueignung zusammen: (selbstbewusst) Sein und Selbstvertrautsein sind identisch. 295 Vgl.: Lee, Chang-Uh: Oikeiosis. Stoische Ethik in naturphilosophischer Perspektive. Freiburg 2002, S. 85 f. 295 Dabei ist dem Lebewesen genau genommen zweierlei bewusst: die eigene Verfassung und das Bewusstsein dieser Verfassung, als totale Vermischung von seelischen und körperlichen Teilen. In der Erklärung, wie das Bewusstsein dieses ersten Zueigenen identisch mit diesem Zueigenen sein könne, stoßen auch die Stoiker auf das in dieser Arbeit ausführlich diskutierte Zirkularitätsproblem von Wahrnehmungs- bzw. Reflexionsmodellen. Der stoische Lösungsversuch setzt bei einer Neuinterpretation 294
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Zusammenfassung Dieses letzte Kapitel – das sei betont – erhebt nicht den Anspruch, die Grundgedanken der stoischen Oikeiosislehre ausreichend ausführlich zu beschreiben, sondern es zielt darauf ab, die in diesem Text analysierte Form von unmittelbarem und unfehlbarem Selbstbewusstsein, die jedem unserer Bewusstseinszustände einwohnt, im Rahmen stoischer Überlegungen noch einmal als ein ursprüngliches, spontanes und daher unmittelbares Gewahren der eigenen Verfassung zu beschreiben. Dabei zeigt sich, dass einige Gedanken aus dem stoischen Oikeiosiskonzept diese selbstbewusstseinstheoretischen Überlegungen inhaltlich ergänzen können und somit über die Bestätigung des Ausgearbeiteten hinausgehen. 296 Es gelingt nämlich die Charakterivon »Vorstellung« als dasjenige Vermögen an, welches alle mentalen Phänomene zu einem einheitlichen Bewusstsein macht. Anders als z. B. bei Aristoteles wird der Vorstellung, der Phantasia, das Vermögen zugeschrieben, aufgrund dessen alle mentalen Phänomene, seien es kognitive oder rein empfindungsmäßige, zu einem einheitlichen Bewusstsein werden. Genau eine Vorstellung (meine), die sich in genau einem Körper-Seele-Mischungsverhältnis (meinem) einstellt, vereinheitlicht alle diese mentalen Ereignisse zu einem Bewusstsein (meinem). Diese monistische Interpretation, die in engem Zusammenhang mit der stoischen Theorie über das Hegemonikon steht, löst m. E. auch nicht das Zirkularitätsproblem. In Kapitel 4.2 habe ich mit Rekurs auf Koch einen Lösungsansatz dafür dargelegt, so dass an dieser Stelle die stoische Interpretation der Identität von (selbstbewusst) Sein und Selbstvertrautsein übernommen werden kann. 296 Die Ausarbeitung eines dieser weiterführenden Aspekte würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen und kann hier nur stichwortartig erwähnt werden. Es handelt sich um den Ausweis der Selbstvertrautheit als eine der Bedingungen der Möglichkeit für unsere Befähigung zum moralischen Urteilen. Die systematische Funktion der Theorie der Oikeiosis im Rahmen der stoischen Ethik ist – ganz allgemein formuliert – die Vermittlung von vormoralischem Verhalten und vernünftigem Handeln. Eine Grundidee dabei ist es, dass der Mensch neutral, d. h. weder gut noch schlecht, geboren wird und erst nach und nach einen sittlichen oder auch unsittlichen Charakter erwirbt, was einhergeht mit dem Reifen seiner Vernunft. Das Tun und Verhalten des Menschen im vormoralischen Status muss also so präfiguriert sein, dass ein Übergang in den moralischen Status möglich ist. Es ist zunächst, wie das der Tiere, durch Wahrnehmung und Trieb bestimmt. Daher muss im Rahmen der stoischen Ethik ausgewiesen werden, wie Wahrnehmung und/oder Trieb beschaffen sind, dass jener Übergang möglich ist. (Vgl. u. a.: Bees, Robert: Die Oikeiosislehre der Stoa. I. Rekonstruktion ihres Inhalts. Würzburger Wissenschaftliche Schriften, Bd. 258. Würzburg 2004, Kapitel V, v. a. 2.) Die Grundlegung der Ethik in der Oikeiosis. Kapitel V v. a. 1.c) Drei biologisch gesteuerte Formen der Oikeiosis. Oikeiosis zu sich selbst. Dementsprechend hat die Oikeiosislehre das Ziel, in der Lehre über das erste oikeion, das erste
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Zusammenfassung
sierung des evaluativen Aspekts des Selbstbewusstseins in Lust und Unlust: Der Gehalt des Bewusstseins in der kontinuierlichen Selbstwahrnehmung wird als Totalität beschrieben, die Körper (Körperliches) und Seele (Mentales) bilden. Sie beinhaltet zugleich auch die Selbstzuschreibung dieser eigenen Verfassung als »erstes Zueigenes«, also als Nahes und Vertrautes, das die Bewertung dieses Zueigenen als Liebes, Gutes, Schützens- und Erhaltenswertes impliziert. Wessen ist man also bewusst, im Bewusstsein seiner selbst in Lust und Unlust? Unser (lustvolles oder eben nicht so lustvolles) Erleben unserer selbst im Erleben der Welt ist evaluativ. Das Kriterium, das »Worumwillen« 297 unseres je schon evaluativen Erlebens, so zeigt nun der Rekurs auf die stoische Oikeiosislehre, sind wir uns selbst. Denn im Bewusstsein unserer selbst im Oikeiosisprozess bewerten wir uns als unser erstes Zueigenes (etwas Vertrautes, Nahes und Gutes), dem unsere erste und ganze Fürsorge (Vermehrung der Lust, Abschaffung der Unlust) gilt. Daher sind es eben die lustvollen Zustände, die wir als passend (vgl. Kant), als förderlich und erhaltenswert für uns beurteilen. Selbstbewusstsein ist Selbstvertrautsein, und das impliziert immer auch den Aspekt der Selbstsorge. Zueigene, diese neutrale Basis der Sittlichkeit auszuweisen und damit die Grundlegung der Ethik im Vormoralischen zu schaffen. Diese Basis muss sich, wie gesagt, in der Wahrnehmung und/oder den spontanen Trieben bilden, denn sie sind es, die der Tätigkeit einer rational überlegenden und verantwortlich entscheidenden und strebenden Vernunft vorausgehend aktiv sind. Eine solche Grundlegung der stoischen Ethik im Vormoralischen und damit in Wahrnehmung und Trieb kann also im Lichte der Oikeiosislehre gelingen: Der im Sinne seines Fortbestehens strebend tätige Organismus ist im Rahmen seines Strebens stets auch in ein Verhältnis zu sich selbst gesetzt. Das Streben ist also kein distanzloser Prozessverlauf, sondern eine zielgerichtete Aktivität, die resultiert aus einer stetigen Rückwendung dessen, der tätig ist, auf sich selbst. Diese Rückwendung ist zwar (auch) eine kognitive Leistung, aber kein Denken, kein Reflektieren, sondern sie kann als Oikeiosis beschrieben werden – so nicht nur bei Hierokles, sondern auch in der Textsammlung des Diogenes Laertius (Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Übersetzt von O. Apelt, Phil. Bibl. Bd. 53. Hamburg 1967, VII, 85. Diesen Begriff übersetzt Cicero dann als sensus sui: Fieriautem non posset ut appeterent aliquid, nisi sensum haberent sui eoque se diligerent. Cicero, Marcus Tullius: De Finibus Bonorum et Malorum. III, 5.16. Nach: Gigon, O./Straume-Zimmermann, L. (Hg.): Cicero, Marcus Tullius: De Finibus Bonorum et Malorum. Schiche, T. (Hg.). Zürich 1988.). 297 Koch, Anton Friedrich: Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie. Paderborn 2006, S. 141. Ich – Jetzt – Hier
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Schlussbetrachtung
Zum Abschluss dieser Arbeit möchte ich die zentralen Ergebnisse hervorheben und rekurriere dabei auf die an den Kapitelenden befindlichen Zusammenfassungen. Was im Rahmen der Überlegungen zu Novalis’ Konzeption eines transzendenten Ich verdeutlicht wurde, das sich und seine intellektuellen Möglichkeiten überschreitet und lernt, auf ein vorreflexives Gefühl seiner selbst zu vertrauen (»zu glauben«), hat nun eine feinkörnige Ausarbeitung erfahren: Unser Verwiesensein auf eine »uneinholbare Grenze« (des Reflexionsvermögens), auf das »Urgefühl«, konnte zunächst im Rahmen der Bearbeitung der Dass-SeinsThese durch Negativbestimmungen charakterisiert werden: Unserem expliziten Ich-Bewusstsein muss eine Form von Selbstbewusstsein zugrundeliegen, die nicht im Rahmen eines Identifikationsprozesses zustande kommt, die, wie es schon Novalis erkannte, präreflexiv und nichtbegrifflich verfasst ist und daher immun bezüglich Irrtums durch Fehlidentifikation. Diese Form von Selbstbewusstsein ist es, die unser Ich-Bewusstsein epistemisch irreduzibel macht. Für unser Akt- und Zustandsbewusstsein, wie es in propositionalen Einstellungen zum Ausdruck kommt, gelten ebenfalls nichtidentifikatorische Referenzbedingungen und daher Irrtumsimmunität. Auch dieser Form von Bewusstsein muss demnach eine Form von Selbstbewusstsein zugrunde liegen, die ohne Identifikationsprozess zustande kommt, die nichtpopositional verfasst und nicht begrifflich vermittelt ist. Das verweist auf die Unmittelbarkeit dieser Form von Selbstbewusstsein, darauf also, dass sie durch ihre Erlebnisqualität zu charakterisieren sein muss. Die Frage, ob man denn allen Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, eine Erlebnisqualität zuschreiben kann, wurde mit ja beantwortet mit Rekurs auf Searles Theorie der Intentionalität, die trotz gehaltsexternalistischer Einwände die Denkmöglichkeit nichtbegrifflicher Gehalte von propositionalen Einstellungen (Akt- und Zu166
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Schlussbetrachtung
standsbewusstsein einschließlich explizitem Ich-Bewusstsein) eröffnet. Der Einbezug der Husserlschen bewusstseinstheoretischen Untersuchungen ergänzt dieses Ergebnis wesentlich, denn es konnte gezeigt werden, dass es unter bestimmten Annahmen möglich ist, davon auszugehen, dass dieser nichtsprachliche Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Handlungsaspekt für die Bedeutung unserer intentionalen (propositional verfassten) Bewusstseinszustände sogar konstitutiv ist. An dieser Stelle der Untersuchung konnten also zwei wichtige Ergebnisse als erzielt gelten: Den beiden untersuchten Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, ist eine Form von Selbstbewusstsein implizit, die anhand von Negativbestimmungen charakterisiert werden kann und zu deren weiterer Bestimmung man auf deren Erlebnisqualität verwiesen ist. Außerdem wurde ausgewiesen, dass den beiden untersuchten Formen von Bewusstsein je auch ein phänomenaler Aspekt zugeschrieben werden kann. Da an dieser Stelle der Arbeit nur noch die Untersuchung phänomenaler Bewusstseinszustände ausstand, konnte hier schon festgehalten werden, dass jeder unserer Bewusstseinszustände (zumindest) einen phänomenalen Aspekt hat. Allerdings erkennt das (selbst-)bewusste Ich auf der Basis dieser Ergebnisse noch nicht zur Genüge, wer es denn ist, der es jetzt notwendig ist, um mit Descartes zu sprechen. 298 Dazu galt es nämlich zu zeigen, dass es sich hier um das Selbstbewusstsein einer Person handelt, die sich ihrer als raum-zeitliches Objekt mit ihrer kausal nachvollziehbaren Geschichte bewusst ist. Das gelang mit Bezug auf Kochs Theorie der Voraussetzung a priori der Bezugnahme auf Einzelnes, mit der gezeigt werden kann, dass Subjekte empirisch voraussetzungslos wissen müssen, dass sie als räumliche Wesen jetzt hier sind. Einschränkend musste allerdings festgehalten werden, dass solche Selbstlokalisation und Orientierung a priori »nur als unselbstständige[r] Aspekt[e] der indexikalisch vermittelten Bezugnahme auf konkrete Einzeldinge […]« 299 vorkommt. So schritten die Überlegungen fort zur Untersuchung des empirisch voraussetzungsvollen phänomenalen Bewusstseins. Denn die Art und Weise, wie dieses nun
298 Descartes, René: Meditationes de prima philosophia. Meditationen über die Grundlage der Philosophie. Lateinisch-Deutsch. Vollständig neu übersetzt, mit einer Einleitung herausgegeben von Christian Wohlers, Hamburg 2008: Meiner, S. 18. 299 Vgl.: Koch, Anton Friedrich: Versuch über Wahrheit und Zeit. Paderborn 2006, S. 138 bzw. 139: (TVA-1) und (TVA-2).
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erwiesenermaßen körperliche Subjekt seiner selbst inne ist, wessen es sich denn bewusst ist, wenn es seiner selbst bewusst ist, das musste anhand der Beschreibung des erlebnishaften, eben des phänomenalen Aspekts, der jedem unserer Bewusstseinszustände einwohnt, untersucht werden. Diese Untersuchung erfolgte zunächst in der Fortsetzung der Überlegungen zur Irreduzibilität mit Rekurs auf die analytisch geprägte Qualiadebatte. Aus ihr ging hervor, dass die Reduktion der Qualia (verstanden als subjektive, private Sinneseindrücke) auf Objektivierbares, Physikalisches oder Physiologisches nicht gelingen kann. Damit ließ sich die Dass-Seins-These bestätigen. Keine der untersuchten Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, lässt sich auf objektivierbare Aspekte reduzieren: Menschliches Bewusstsein ist stets auch subjektiv. Und da diese Subjektivität Teil des Bewusstseins ist, müssen Menschen in jedweder Form von Bewusstsein auch ihrer Subjektivität inne sein, das heißt, sie müssen selbstbewusst sein. Zudem ließ sich ein Denkfehler herausarbeiten, der die Ursache dafür darstellt, dass man in der analytischen Qualiadebatte an erkenntnistheoretische Grenzen stößt. Die Korrektur des Denkfehlers führte zur Analyse unseres phänomenalen Bewusstseins als subjektiv-objektives Wechselverhältnis. Dabei wurde das am phänomenalen Aspekt des Bewusstseins herausgearbeitete gesuchte Selbstbewusstsein eben als bewusstes Wechselverhältnis unserer einerseits flüchtigen, andererseits aber personalen, körperlichen Subjektivität beschrieben. So gelangte man im Rahmen der Charakterisierung des subjektiven Aspekts unseres phänomenalen Bewusstseins zu Positivbestimmungen des gesuchten Selbstbewusstseins als Selbsterleben, das allen Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, einwohnt: Mit Rekurs vor allem auf die Husserlsche Leibphänomenologie und seine Analyse des Zeitbewusstseins wurde die Was-Seins-These bearbeitet. Wessen sind wir also bewusst, wenn wir im Erleben der Welt uns selbst erleben? Im Erleben von Wahrnehmungsobjekten herrscht stets ein mitfungierendes, aber unthematisches Bewusstsein der Position und Bewegung des Leibes, das als kinästhetisches Bewusstsein bezeichnet wird und eine Form leiblichen Selbstempfindens ist. Dabei wird zum einen der eigene Körper als Fixpunkt in der Konstitution der Wahrnehmungen bewusst (Bsp.: Nasenspitze), zum anderen ist sich das körperliche Subjekt seiner inne als sich Bewegendes, die Konstitution 168
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Schlussbetrachtung
der Wahrnehmung aktiv Beeinflussendes (Veränderung des Wahrnehmungsfeldes, Propriozeption). Solche körperliche Eigenwahrnehmung ist eine Form selbstbewusster, irrtumsimmuner, unmittelbarer Selbstbezugnahme. Die Analyse des nachgeordneten thematischen Bewusstseinserlebnisses des eigenen Leibes als Objekt, des Bewusstseins des Leibkörpers im Unterschied zum vorgeordneten unthematischen, subjektiven Bewusstseinserlebnis des fungierenden Leibes, ergab Folgendes: Im Bewusstsein vom Objekt können wir dreierlei Bewusstseinserlebnisse unterscheiden: Erstens sind wir uns der phänomenalen Eigenschaften des Körpers als Objekt bewusst, zweitens erleben wir in körperlicher Eigenwahrnehmung die Doppelseitigkeit des Leibes. Unser Körper ist uns im Falle der Propriozeption einerseits erfahrenes Objekt, Leibkörper und zugleich sind wir die ihn erfahrenden Subjekte, fungierender Leib. So sind wir uns unserer Aktivität, unserer Bewegung, unserer Urheberschaft (z. B. der Bewegung) inne und zugleich sind wir affiziert durch die Einwirkung der Objekte, wobei wir im Falle der Propriozeption uns selbst Objekt sind, das uns affiziert. Das Besondere an der Propriozeption ist also, dass uns hier das subjektivobjektive Wechselverhältnis deutlich erlebbar wird. Hinzu kommt, dass hier das Verhältnis von Erlebtem, Verobjektivierbarem, Thetischem und Erlebendem, nicht Verobjektivierbarem, Nichtthetischem umkehrbar ist. So wird klar, dass die Eigenwahrnehmung des Leibes zwar im Rahmen eines Objektivierungsprozesses stattfindet, dass darin aber im Unterschied zu jedem anderen Objektivierungsprozess (Interaktion mit der äußeren Welt), Subjektivität nie ausgeschaltet werden kann. So lässt sich auch ein weiterer Aspekt des Selbstbewusstseins, der des Bewusstseins der Meinigkeit erklären. Drittens nun erleben wir im Bewusstsein vom Objekt auch den phänomenalen Aspekt unserer mentalen Zustände als subjektiv-objektives Wechselverhältnis. Die Charakterisierung desselben erfolgte im Rahmen der Analyse des Zeitbewusstseins und erlaubte eine differenziertere Beschreibung der sogenannten subjektiven, nichtthetischen Innenseite des Erlebens. Das Bewusstsein der eigenen mentalen Affektivität und Aktivität weist nämlich in sich ein subjektiv-objektives Wechselverhältnis auf. Für die subjektive Innenseite gilt das schiere Erleben in der Epoché, die ekstatische nichtsukzessive Zeitlichkeit. Hier ist im Augenblick qua Retention-Urimpression-Protention die Gesamtheit all desjenigen bewusst, wie wir uns und was uns ausmacht erleben (im Erleben der Welt). Für die verobjektivierbare Ich – Jetzt – Hier
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Schlussbetrachtung
Außenseite dieses Wechselverhältnisses gilt die momentane, sukzessive Zeit, in der beispielsweise Retentionen zu Erinnerungen verobjektiviert werden. Damit verlieren sie ihre Unmittelbarkeit und ihren vollen Erlebnischarakter. Es konnte aber gezeigt werden, dass in der referenziellen verobjektivierenden Bezugnahme, mit der wir uns auf unsere intentionalen Akte einstellen, dasjenige, das die flüchtige Subjektivität als Gesamtheit allen Erlebens in der nichtsukzessiven Zeit empfindet, sich im Konkretisierten, Verobjektivierten, Verzeitlichten als Einfärbung unserer Empfindungsqualität niederschlägt. Diese Einfärbung ließ sich als Lust und Unlust, als Pro- oder Kontraeinstellung zum Erlebten auf den Begriff bringen, deren Worumwillen wir selbst sind. Unser Selbstbewusstsein im Selbsterleben, so zeigte es sich, ist nicht wertfrei, sondern beinhaltet eine Selbstbeurteilung als Gutes und Erhaltenswertes. Menschliches Selbstbewusstsein konnte schließlich mit Rekurs auf die stoische Oikeiosislehre als Selbstvertrautheit interpretiert werden. Die Ergebnisse der Arbeit gehen also gleichsam mit Novalis als Ideengeber über Novalis hinaus, der den Kern des Selbstbewusstseins als »Gefühl« 300 definiert. Die Interpretation des Kerns menschlichen Selbstbewusstseins als subjektive Innenseite des allen Formen, in denen Bewusstsein vorkommt, inhärenten phänomenalen Bewusstseinsaspekts ergänzt nicht nur die Erkenntnisse der hier diskutierten Beiträge aus der analytisch geprägten Diskussion, sondern bietet als Theorie des Selbsterlebens einen Lösungsansatz für ein fundamentales Problem und damit einen konstruktiven Beitrag zur aktuellen Debatte um das Selbstbewusstsein.
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Novalis: Bd. 2 Fichte-Studien. 1. Handschriftengruppe Nr. 31, S. 30.
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