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German Pages 204 Year 1978
L I N D N E R . H Ö R E N UND V E R S T E H E N
SAMMLUNG AKADEMIE-VERLAG
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SPRACHE
GERHART
HÖREN UND VERSTEHEN Phonetische Grundlagen der auditiven Lautsprachperzeption Mit 29 Abbildungen im Text
AKADEMIE-VERLAG 1977
• BERLIN
LINDNER
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin. Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin, 1977 Lizenznummer: 202 • 100/181/77 Herstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen • 4870 Bestellnummer: 752 208 4 (7540) • L S V 0805 Printed in GDR DDR 1 5 , - M
Vorwort
International wird gegenwärtig auf dem Gebiet der Perzeption von Lautsprache intensiv gearbeitet. Die Ansatzpunkte f ü r Lösungsversuche sind aber sehr unterschiedlich. Die Gebiete reichen von der Phonetik und Linguistik über die Physiologie und Psychologie bis zur Sprachakustik und zur Nachrichtentechnik. Doch sind Arbeiten, die sich speziell mit einer Zusammenfassung beschäftigen, äußerst selten, vielleicht gerade wegen der außerordentlichen Spannweite der Problematik. I n diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant, daß auf dem VIII. Internationalen Kongreß für Phonetische Wissenschaften kein zusammenfassendes Übersichtsreferat gehalten wurde, obwohl die Vorträge zu dieser Problematik zahlreich waren und es sonst die Regel war, daß die Vorträge einer Sektion durch ein Übersichtsreferat zusammengehalten wurden. Auch das zeigt, daß auf diesem Gebiet der wissenschaftlichen Literatur eine Lücke besteht, die die vorgelegte Problemdiskussion mit ausfüllen helfen soll. I n dieser Monographie werden die Ansätze und Ergebnisse von Forschungen zusammengefaßt, die in Arbeitsgruppen unterschiedlicher Zusammensetzung innerhalb des letzten Jahrzehnts durchgeführt wurden. Durch die Zusammenfassung werden Standpunkte auf einer höheren Abstraktionsebene erschlossen, als sie bei der Publikation von Einzelergebnissen möglich sind. Schon allein dadurch erscheint die Zusammenfassung gerechtfertigt. Beim Abschluß der Arbeit ist es mir eine angenehme Pflicht, allen denen zu danken, die an der Entwicklung des Problems und seiner Fassung mitgeholfen haben. Mein Dank gilt in erster Linie den vielen Versuchspersonen und ihrer Geduld. Des weiteren danke ich meinen Mitarbeitern, die durch kritische Bemerkungen und Diskussionen die gedankliche Entwicklung der Grundkonzeption gefördert haben. Aus der Fülle der Einzelpersonen möchte ich besonders hervorheben: die Gutachter Prof. Dr. Stock und Dr. Heinemann, Dr. J a n o t a von der Karls-Universität in Prag sowie von der Berliner Humboldt-Universität Prof. Dr. F . Klix, Dr.-Ing. Mehnert, Dr. K.-H. Pohle, Frau D. Brucks, Frau Petermann und Frau E.-M. Eteuß. Berlin, im Dezember 1975
Gerhart Lindner
5
Inhalt
1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5. 2.4. 2.5.
3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.2.6. 3.3.
Die auditive Lautsprachperzeption als besondere F o r m der Perzeptionsleistung Verwendung von Lautspraehe als gesellschaftliche Tätigkeit . . . Wesen des Analysators Aufgaben des akustischen Analysators Beziehungen zwischen auditiver Perzeption und eigener Aktivität Der akustische Analysator unter dem Gesichtspunkt der individuellen Entwicklung Plan für die Darstellung des Sachverhalts
9 11 15 18 22 23 27
Der akustische Analysator als Glied des sprachfunktionalen Systems Begriff, Aufgabe und Wesen des sprachfunktionalen Systems . . Aufbau des sprachfunktionalen Systems Glieder des sprachfunktionalen Systems Physiologie des akustischen Analysators Überblick über das Leistungsinventar des akustischen Analysators Probleme des akustischen Gedächtnisses Genese der lautsprachlichen Zeichen Glieder des sprachfunktionalen Systems zur K o n t r o l l e und zur Koordinierung der Genese lautsprachlicher Zeichen Teilfunktionen des sprachfunktionalen Systems Verbindungen des sprachfunktionalen Systems zu anderen Funktionalsystemen
31 33 36 40 43 52 60 62
Akustische Struktur lautsprachlicher Zeichen Schwierigkeiten der exakten, objektiven und analysatorbezogenen Darstellung lautsprachlicher Zeichen Analyse der Komplexstruktur lautsprachlicher Zeichen Zerlegung der Komplexstruktur in einzelne E b e n e n Basisstrukturen: Stimmlage, Stimmstärke, Stimmklang Segmentalstrukturen Bindungen der Segmente untereinander Suprasegmentale Strukturen Komplexe suprasegmentaler Strukturen Kennzeichnung der aktuellen Kommunikationssituation
76
66 69 74
80 84 84 87 89 94 96 98 100
7
4.
Experimentelle Untersuchungen der Perzeption lautsprachlicher Zeichen Ansatzpunkte für Meßverfahren Untersuchungen unter Anwendung der Speicherung auf Tonband Versuchsanordnung unter Verwendung synthetischer Sprache . . Übersicht über einige Versuche zur Perzeption von Sprache . . . Versuche zur Perzeption vokalischer Segmentalstrukturen . . . Versuche zur Perzeption von Segmentfolgen Versuche zum Nachweis der subjektiven Abhängigkeit der Perzeptionsurteile
4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.4.1. 4.4.2. 4.4.3.
5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6.
Entwicklung einer Hypothese zur Perzeption lautsprachlicher Zeichen Allgemeine Grundsätze für die Aufstellung einer Hypothese . . . Verhältnis von Beobachtung, Experiment und Modellierung bei der Ordnung der Erkenntnisse zur Perzeption Beobachtungen über besondere Leistungen des akustischen Analysators bei der Perzeption lautsprachlicher Zeichen Folgerungen aus den Experimenten Perzeptionsmodelle in der internationalen Literatur Lautsprachperzeption als Tätigkeit eines sich selbst optimierenden lernfähigen Systems
104 110 115 120 128 128 138 148
156 156 158 163 171 174 183
Literatur
190
Register
199
1.
Die auditive Lautsprachperzeption als besondere Form der Perzeptionsleistung
Die Fähigkeit, I n f o r m a t i o n e n a u f z u n e h m e n u n d zu verarbeiten sowie auf Veränderungen der Umwelt zweckmäßig zu reagieren, ist jedem Organismus eigen u n d ist Grundlage f ü r sein Verhalten. Dieser allgemeine Grundsatz, bezieht sich auch auf den Menschen. Auch sein Verhalten wird von der Tätigkeit der I n f o r m a t i o n s a u f n a h m e u n d -Verarbeitung gesteuert. W ä h r e n d aber bei niederen Organismen oftmals eine lineare Kausalbeziehung zwischen Reiz u n d R e a k t i o n hergestellt werden k a n n , sind beim Menschen sowohl die Vorgänge der I n f o r m a t i o n s a u f n a h m e als auch besonders der I n f o r mationsverarbeitung viel komplizierter; die R e a k t i o n e n werden nicht n u r durch die augenblicklich verarbeitete I n f o r m a t i o n b e s t i m m t , sondern in wesentlichem U m f a n g auch durch die Erfahrungen vermittelt, die der Mensch durch f r ü h e r e I n f o r m a t i o n s a u f n a h m e u n d -Verarbeitung" erworben h a t . U n t e r den vielen Möglichkeiten, Informationen aus der Umwelt a u f z u n e h m e n u n d zu verarbeiten, n i m m t die Perzeption von Lautsprache eine Sonderstellung ein. Einerseits ist die L a u t s p r a c h e einzuordnen in die Signale, die den Menschen umgeben u n d geeignet sind, sein Verhalten zu steuern. D a m i t ist die L a u t s p r a c h e als Signal anderen I n f o r m a t i o n s m i t t e l n gleichgestellt. Andererseits, u n d das ist der viel wichtigere Aspekt, ist die L a u t s p r a c h e eine gesellschaftliche Erscheinung-, sie existiert n u r in der menschlichen Gesellschaft u n d setzt diese voraus. Sie ist aber gleichzeitig das Mittel, das die komplizierten Beziehungen der Menschen u n t e r e i n a n d e r erst ermöglicht. Somit ist die Perzeption von L a u t s p r a c h e sowohl biologisch u n d physiologisch als auch gesellschaftlich determiniert. Sie läßt sich einerseits generell in die Perzeptionsleistungen einordnen, läßt sich mit ihnen vergleichen u n d d a h e r auf Grund von Analogien durchschaubar machen, andererseits aber h a t sie spezifische Eigenarten, die ihr innerhalb der menschlichen Perzeptionsleistungen eine Sonderstellung einräumen. U m einen solchen umfassenden und" komplizierten Z u s a m m e n h a n g wissenschaftlich bearbeiten zu k ö n n e n , ist es notwendig, die Dialektik dieses Sachverhalts mit allen Zusammenhängen u n d Widersprüchen darzulegen. D a s Herangehen a n diesen Ansatz k a n n daher n u r von Positionen d e s 9
dialektischen Materialismus aus erfolgen; denn die materialistische Grundlage gibt die Gewähr dafür, daß die Darstellung komplizierter Zusammenhänge nicht durch subjektive Ansichten verfälscht wird; die dialektische Methode allein vermag die Zusammenhänge so zu erfassen, daß die in der Sache liegenden immanenten Widersprüche aufgedeckt werden können. In einem anderen Zusammenhang, aber auch mit Bezug auf ein kompliziertes Objekt voller Widersprüche, schreibt L E N I N (Werke, Bd. 32, S. 85): „Um einen Gegenstand wirklich zu kennen, muß man alle seine Seiten, alle Zusammenhänge und 'Vermittlungen' erfassen und erforschen. Wir werden das niemals vollständig erreichen, die Forderung der Allseitigkeit wird uns aber vor Fehlern und vor Erstarrung bewahren!" Dieser Ausspruch kann ohne weiteres als Leitlinie für das Herangehen an das Problem der Perzeption von Lautsprache angesehen werden. Von da aus leiten sich eine Menge von Fragen ab, die weniger die Art der Perzeption betreffen als vielmehr die Zusammenhänge, in denen die Lautsprachperzeption gesehen werden muß. Obwohl es nicht möglich sein wird, dabei Vollständigkeit zu erreichen, sollen doch einige der wesentlichen Zusammenhänge angedeutet werden. Die Perzeption ist eine Tätigkeit des Organismus; deshalb muß sie im Zusammenhang mit anderen Tätigkeiten gesehen werden, die der Organismus vollbringt, um das Gleichgewicht mit der Umwelt aufrechtzuerhalten. Wahrscheinlich denkt man hier in erster Linie an die sprachliche Tätigkeit; aber der dialektische Ansatz zwingt dazu, die Tätigkeiten des Menschen umfassend einzubeziehen und nicht nur die sprachliche, sondern auch die produktive (ökonomische) und soziale Aktivität mit zu berücksichtigen. Die Perzeption von Lautsprache ist eine Fähigkeit, die der Entwicklung unterliegt. Der einzelne Mensch erwirbt sie in der Ausübung der sprachlichen Tätigkeit. Beim Kind dauert es Jahre, ehe es sich die Fähigkeit der Lautsprachperzeption für die Formen seiner Muttersprache angeeignet hat. Damit hat es sowohl Fähigkeiten erworben, die die Lautsprachperzeption allgemein betreffen, als auch spezielle Fähigkeiten, die sich nur auf die jeweilige Nationalsprache beziehen und die im späteren Lebensalter, wenn eine Fremdsprache erlernt wird, erweitert und ergänzt werden müssen. Daraus ist ersichtlich, daß es sich bei der Lautsprachperzeption um eine sich entwickelnde Fähigkeit handelt, bei der es allgemeine und spezifische Züge zu unterscheiden gilt. Bei aller Problematik des Prozesses der Lautsprachperzeption im einzelnen muß eine Darstellung des Sachverhalts von der Praxis ausgehen-, denn die Sprachperzeption wird von jedem Mitglied der Gesellschaft in der sprachlichen Tätigkeit, in der Kommunikation, zumeist sicher und störungsfrei ausgeübt, oftmals sogar mit solcher Selbstverständlichkeit, daß wir über dem sicheren Funktionieren die Problematik übersehen. „Ein Kernstück der marxistischen Philosophie ist die Lehre vom dialektischen Verhältnis von 10
Theorie und Praxis. Das ist wohlbekannt und sei hier nur knapp wiederholt. Praxis ohne Theorie ist blind, Theorie ohne Praxis bleibt steril. Vernachlässigung der Theorie führt zum Praktizismus; Verzicht auf die Praxis verleitet zum Theoretisieren, Spekulieren und endet im Dogmatismus." (CLAUSS, 1972, S. 101/2)
Aus diesem Grunde soll zunächst der Teil der Praxis näher untersucht werden, in dem die Perzeption von Lautsprache die überragende Rolle spielt. Das ist die lautsprachliche Kommunikation. Diese wird als eine Tätigkeit ausgeübt, die gesellschaftlich determiniert ist. Daher kann auch die lautsprachliche Kommunikation nicht „an sich", sondern sie muß unter dem Aspekt einer gesellschaftlichen Tätigkeit betrachtet werden.
1.1.
Verwendung von Lautsprache als gesellschaftliche Tätigkeit
Wenn auch die Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen aus der Umgebung allen Organismen eigen ist, so ist doch die Verwendung von Lautsprache auf den Menschen beschränkt. Die Verwendung von Lautsprache schließt die Fähigkeiten zu deren Perzeption und Produktion ebenso ein wie auch die Tatsache, daß die vom Menschen erzeugten lautsprachlichen Zeichen eine Bedeutung haben. Dadurch, daß die lautsprachlichen Zeichen eine Bedeutung haben, sind sie prinzipiell unabhängig von der Situation, in der sie erzeugt und perzipiert werden, wenn auch in manchen Situationen gerade die äußeren Umstände sehr bedeutungsvoll werden können. Der Umstand, daß die Bedeutung der lautsprachlichen Zeichen von der Situation unabhängig ist, hebt sie von anderen organismisch erzeugten Zeichen ab und verleiht ihnen eine Sonderstellung. Trotz dieser Sonderstellung darf aber bei einer umfassenden Betrachtung nicht vergessen werden, daß jedes lautsprachliche Zeichen immer in einer konkreten Situation produziert wird und auch die Perzeption immer in einer konkreten Situation erfolgt. Historisch ist die Sprache so alt wie die Menschheit. „Die Lautsprache entstand durch die Arbeit, auch war ihre erste Funktion offenbar die Koordinierung von Arbeitsprozessen. Der Gebrauch der Lautsprache in allen modernen Sprachen hat längst den ursprünglichen Rahmen bloßer Nützlichkeit gesprengt." ( S E B E B B E N N I K O W 1973, S . 78) Während in der bürgerlichen Sprachwissenschaft der Versuch unternommen wird, die Sprache als etwas Selbständiges oder als „Zwischenwelt" ( W E I S G E B B E B ) darzustellen, sieht „die marxistische Sprachwissenschaft das entscheidende Wesensmerkmal der Sprache in ihrer kommunikativen Funktion, d. h. in ihrer Rolle, den Menschen als Mittel der Verständigung und des gegenseitigen Verkehrs zu dienen. Damit richtet sich unser Augenmerk 11
auf die bedeutungsvolle Grundtatsache, daß die Sprache ihrer Entstehung und ihrer Funktion nach gesellschaftlich bestimmt ist. Sie ist nicht als Mittel des Ausdrucks und der Darstellung der eigenen Individualität des Einzelwesens und als individuelle geistige Schöpfung entstanden, sondern aus den Bedürfnissen eines gemeinsam handelnden Gesellschaftskörpers." (W. SCHMIDT, 1967, S. 20) Das bedeutet aber, daß eine sehr breite Basis für die. Betrachtung der Zusammenhänge eingenommen werden muß. Die wesentlichste Eigenschaft, die den Menschen von allen anderen Organismen scheidet, ist aber, daß er ein individuelles Bewußtsein hat. Noch stärker als die Fähigkeit zur Sprachverwendung ist das Bewußtsein des Menschen von den gesellschaftlichen Bedingungen geprägt. Den engen Zusammenhang zwischen der Kommunikationstätigkeit und der Formung des gesellschaftlichen und individuellen Bewußtseins hat LENIN bei der Führung desKlassenkampfesin glänzender Weise berücksichtigt. (STOLJAROW, 1970, S. 49)
„Das individuelle Bewußtsein des Menschen . . . setzt die Existenz eines gesellschaftlichen Bewußtseins voraus." (A. N. LEONTJEW, 1964, S. 176) Die Übermittlung des gesellschaftlichen Bewußtseins an jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft ist aber ohne sprachliche Tätigkeit undenkbar. Das weist auf die zentrale Rolle hin, die die sprachliche Tätigkeit in allen jenen Bereichen spielt, die für den Menschen typisch sind. Jede sprachliche Tätigkeit hat aber die praktische Tätigkeit des Menschen zur Basis. Die gesellschaftliche Umwelt und die Tätigkeit in ihr sind nicht nur Quelle der sprachlichen Tätigkeit; sondern auch Quelle der Erkenntnistätigkeit und des Denkens. Der dialektische Ansatz der Erkenntnisgewinnung betont, „daß die reale Welt die objektive Quelle der Begriffsbildung und -entwicklung ist und die gesellschaftlich-historische Praxis ihre materielle Grundlage bildet. Alle Begriffe schöpfen ihren Inhalt aus der objektiven Welt. Die praktische Tätigkeit des Menschen geht der Begriffsbildung voraus." (KOPNIN, 1970, S. 283) Einerseits ist es wesentlich festzuhalten, daß die sprachliche Tätigkeit auf der praktischen Tätigkeit des Menschen beruht und nicht davon losgelöst betrachtet werden kann. Andererseits muß aber auch festgestellt werden, daß die Kommunikation selbst eine komplizierte, gesellschaftlich begründete Tätigkeit ist, die von den Menschen ausgeübt wird. In ihr lassen sich einige Tei'Ztätigkeiten herausheben, die Grundlage dafür sind, daß der Prozeß der Übermittlung gedanklicher Inhalte von einem Menschen zum anderen gelingt. Bei diesen Teiltätigkeiten können die Produktion und die Perzeption von Sprache unterschieden werden. Dazu kommt noch als dritter wichtiger Bestandteil des Kommunikationsvorgangs die Übermittlung der sprachlichen Zeichen. Er kann im Rahmen dieser Betrachtung vorläufig in den Hintergrund gerückt werden, weil er nicht zu den Tätigkeiten zählt, die vom Menschen ausgeführt werden. Ontogenetisch geht die Perzeption von Sprache der Produktion voraus. Im 12
Verlauf der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit läßt sich eine solche Trennung nicht konstatieren; hierbei müssen beide Teiltätigkeiten als Bestandteile der Sprachyerwewdimgr gesehen werden, die sich insgesamt und miteinander im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit so weit entwickelt haben, daß es möglich geworden ist, die kompliziertesten Vorgänge in der Umwelt, soweit sie bekannt sind, auch sprachlich auszudrücken. Um Gedanken auszudrücken, verwendet der einzelne Mensch die Mittel der Sprache. I n einer gesellschaftlichen Umgebung, die ständig sprachliche Formen in der praktischen Kommunikation verwendet, wächst ein Kind heran, in ihr vollzieht sich seine Entwicklung. Indem der einzelne in der Oesellschaft tätig ist, trägt er dazu bei, daß die Sprache als Gesamtheit der verwendeten sprachlichen Zeichen überhaupt existieren kann. R U B I N S T E I N hat diese dialektische Beziehung folgendermaßen treffend charakterisiert: „Sprache und Sprechen hängen wechselseitig zusammen: Das Sprechen bedarf der Mittel der Sprache, und die Sprache existiert real nur im Sprechen"