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German Pages 186 [188] Year 2007
Beitrge zur Dialogforschung
Band 38
Herausgegeben von Franz Hundsnurscher und Edda Weigand
Jçrn Bollow
Hinterfragt: Das politische Fernsehinterview als dialogisches Handlungsspiel
Max Niemeyer Verlag Tbingen 2007
n
D6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-75038-8
ISSN 0940-5992
Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier. Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Politik und Massenmedien in der Mediengesellschaft . . . . . . . . . .
1 1 5
2 Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Sprechen als Form menschlichen Handelns . . . . . . 2.2 Entwicklungen seit der pragmatischen Wende . . . . . 2.2.1 Sprechakttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Konversationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Birmingham School . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Die Dialoggrammatik . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Die Negation der Regel durch Taylor/Cameron 2.3 Untersuchungen zu politischen Interviews . . . . . . 2.3.1 Das Interview als regelgeleitetes Rollenspiel . . 2.3.2 Aspekte der Dialogsteuerung bei Schwitalla . . 2.3.3 Juckers pragmalinguistische Analyse . . . . . . 2.3.4 Hoffmanns empirische Analysen . . . . . . . . 2.3.5 Ethnomethodologisch orientierte Arbeiten . . 2.4 Implikationen für das eigene Vorgehen . . . . . . . .
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3 Theoretische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Ausgangspunkt: Das Modell des dialogischen Handlungsspiels . . 3.2 Die Theorie des dialogischen Handlungsspiels . . . . . . . . . . 3.2.1 Konstitutive Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Das Handlungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2 Das dialogische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.3 Das Kohärenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Regulative Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Regulatives Prinzip von Rationalität und Emotion 3.2.2.2 Das regulative Prinzip der Rhetorik . . . . . . . . 3.2.3 Exekutive Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI 4 Das Interview in der Theorie des dialogischen Handlungsspiels . . . . . . 4.1 Das politische Interview als Formkategorie . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die formale Frage-Antwort-Struktur . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Das Verhältnis von Äußerungsform und Handlungsfunktion . 4.1.3 Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Die spezifische Interviewsituation . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Zwei Basistypen des politischen Interviews . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Das Interview als exploratives Handlungsspiel . . . . . . . . . 4.2.2 Das Interview als argumentatives Handlungsspiel . . . . . . . 4.3 Handlungsmaximen und exekutive Prinzipien . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Prinzipien der Kooperation und Konfrontation . . . . . . 4.3.2 Das Initiativprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Das Vermeidungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Das Prinzip des Insistierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Provokation und emotionale Neutralität . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Prinzipien der Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6.1 Das Strukturprinzip der koordinativen Argumentation 4.3.6.2 Das Referenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6.3 Auf Vorwürfen basierende Argumentationen . . . . . 4.3.6.4 Auf Indizien basierende Argumentationen . . . . . . 4.3.6.5 Negative Argumentation . . . . . . . . . . . . . . .
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41 42 42 43 45 48 50 51 56 60 61 63 64 65 66 67 67 69 71 71 72
5 Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . 5.1 Auswahl der Interviews . . . . . . . . . . 5.2 Strukturierung der Analysen . . . . . . . . 5.3 Bemerkungen zum Transkriptionsverfahren
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73 73 73 74
6 Analysen der explorativen Handlungsspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Hard Talk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Anlass und Hintergrund des Interviews . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Der kommunikative Zweck des Interviews . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Die Intervieweröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Einstiegsfrage: Etablierung des übergeordneten Wissensanspruchs 6.1.5 Insistieren und Vermeidungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.6 Insistieren in Argumentationsdiskursen . . . . . . . . . . . . . 6.1.7 Provokation und emotionale Neutralität . . . . . . . . . . . . . 6.1.8 Konkurrierende Orientierung am Initiativprinzip . . . . . . . .
76 76 76 78 79 80 81 83 84 86
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VII 6.1.9 Indirekte Verfolgung des Wissensanspruchs 6.1.10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 6.2 Bericht aus Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Anlass und Hintergrund des Interviews . . 6.2.2 Der kommunikative Zweck des Interviews . 6.2.3 Die Intervieweröffnung . . . . . . . . . . 6.2.4 Vermeidungs- und Initiativprinzip . . . . . 6.2.5 Orientierung am Prinzip der Kooperation . 6.2.6 Insistieren und Fragedisqualifizierung . . . 6.2.7 Agenda Setting . . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . .
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7 Analysen der argumentativen Handlungsspiele . . . . . . . . . . 7.1 Newsnight . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Anlass und Hintergrund des Interviews . . . . . . . 7.1.2 Der kommunikative Zweck des Interviews . . . . . . 7.1.3 Die Argumentationsstruktur . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Die Intervieweröffnung . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Argumentationsdiskurs I . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5.1 Das Referenzprinzip in der Argumentation . 7.1.5.2 Argumentation in Vorwurfshandlungen . . . 7.1.6 Argumentationsdiskurs II . . . . . . . . . . . . . . 7.1.6.1 Indizienbasierte Argumentation . . . . . . . 7.1.6.2 Das Prinzip der negativen Argumentation . . 7.1.7 Argumentationsdiskurs III . . . . . . . . . . . . . . 7.1.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Was nun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Anlass und Hintergrund des Interviews . . . . . . . 7.2.2 Der übergeordnete kommunikative Zweck . . . . . 7.2.3 Die Argumentationsstruktur . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Die Intervieweröffnung . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Argumentationsdiskurs I . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5.1 Konfrontationsprinzip und Sprecherwechsel 7.2.5.2 Referenzprinzip und Subjektivität . . . . . . 7.2.6 Argumentationsdiskurs II . . . . . . . . . . . . . . 7.2.7 Argumentationsdiskurs III . . . . . . . . . . . . . . 7.2.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIII 8 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/06 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Mit der Wahl des politischen Fernsehinterviews als Untersuchungsgegenstand konnte ich zwei Interessen verbinden, die ich während meines Studiums der Deutschen Philologie und meiner mehrjährigen Tätigkeit am Arbeitsbereich Sprachwissenschaft der Universität Münster lange parallel verfolgt hatte. Sprachen interessieren mich vor allem unter dem Aspekt ihrer Verwendung und damit ihres Handlungscharakters. Zahlreiche Vorlesungen, Seminare und Diskussionen mit Prof. Dr. Franz Hundsnurscher und vor allem mit Prof. Dr. Edda Weigand haben dieses Interesse stetig weiter vertieft. Daneben hatte ich immer wieder Gelegenheit, im Rahmen von Hospitationen und freier Mitarbeit, z. B. beim Norddeutschen Rundfunk, Einblicke in die journalistische Praxis zu gewinnen und – nicht zuletzt – Interviews zu führen. Die vorliegende Arbeit untersucht das politische Fernsehinterview im Rahmen der Theorie des dialogischen Handlungsspiels. An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank der Betreuerin meiner Dissertation, Frau Prof. Dr. Edda Weigand. Der offenen und immer wieder zu neuen Denkansätzen inspirierenden Art und Weise, in der sie Mitarbeiter und Studenten an der Entwicklung dieser Theorie hat teilhaben lassen, verdankt diese Arbeit viel. Gern erinnere ich mich an die zahlreichen und oft erfrischend kontrovers geführten Diskussionen in Oberseminaren, Vorträgen und Projektarbeiten. Weiterhin bedanke ich mich bei Prof. Dr. Jürgen Macha für die Übernahme des Zweitgutachtens. Der ard, dem zdf und der bbc danke ich für ihre Genehmigung zur Verwendung der Transkriptionen. Ganz besonderer Dank gilt Dr. Stefanie Schnöring, Hendrik Cyrus und Constanze Lohff für ihre konstruktive Kritik und ihr aufmerksames Auge beim Korrekturlesen. Ein ganz eigener Dank gilt meiner kleinen Tochter Theresa, die sich zwar überhaupt nicht für Interviews interessiert, die aber immer für die bei jeder Arbeit so wichtige Abwechslung zu sorgen weiß. Meinen Eltern danke ich für ihre uneingeschränkte Unterstützung, ihren stets konstruktiven und kritischen Rat sowie Ihr Vertrauen während jeder Phase des Projekts Dissertation. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.
1
Einleitung
1.1 Ziel der Arbeit Die Rolle der Massenmedien in unserer Kultur ist längst zu einem wichtigen Forschungsfeld in zahlreichen Wissenschaften geworden. Politikwissenschaftler, Soziologen, Kommunikations-, Kultur- und Medienwissenschaftler, Pädagogen und nicht zuletzt Sprachwissenschaftler versuchen, sich auf verschiedenen Wegen1 Zugang zu einem Phänomen zu verschaffen, dessen Einfluss auf die erlebte Realität des Einzelnen zwar unterschiedlich bewertet, aber von niemandem geleugnet wird. Insbesondere in den Kommunikationswissenschaften geht man heute davon aus, daß Massenmedien – allen voran das Fernsehen [ . . .] – für unsere Sozialisation, unsere Gefühle und Erfahrungen, unser Wissen, unsere Kommunikation, für Politik und Wirtschaft usw. eine entscheidende Rolle spielen: Sie sind zu Instrumenten der Wirklichkeitskonstruktion geworden (Schmidt 1994: 14).
Die Annahme, dass Wirklichkeit immer die individuelle Konstruktion einer empirisch letztlich nicht objektiv zugänglichen Realität sei, ist, wie Kruse/Stadler (1994: 20) feststellen, »argumentativ zwingend«, wird sie doch auch durch Erkenntnisse über die Funktionsweisen menschlicher Wahrnehmung und Informationsverarbeitung gestützt (vgl. z. B. Birbaumer/Schmidt 1996). Gleichwohl gilt es, sich nicht einfach auf die Plausibilität des konstruktivistischen Paradigmas zu berufen, ohne zu hinterfragen, wie ein Bild, eine Meinung oder eine Einstellung als Ergebnis individueller Wahrnehmung entsteht und so das, was als Realitätskonstruktion bezeichnet wird, beeinflusst. Die Massenmedien stellen hier einen Untersuchungsgegenstand unter vielen dar, wenn auch einen zunehmend wichtigen, der seinerseits jedoch wieder differenziert nach der Vielfalt existierender Medienprodukte betrachtet werden muss. Die vorliegende Arbeit greift aus der breiten Palette massenmedialer Angebote das politische Interview heraus, um einen Beitrag zur Klärung dieses Wie zu leisten. Dazu werden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollen auf der Basis der von Weigand entwickelten Theorie des dialogischen Handlungsspiels zwei funktional unterscheidbare Typen des politischen Fernsehinterviews differenziert werden. Dabei handelt es sich um die Typen des explorativen und des argumentativen Interviews. Zum anderen soll auf der Basis dieser Unterscheidung im Rahmen funktionaler Analysen dargestellt werden, an welchen Prinzipien dialogischen 1 Eine engere Kooperation von Geschichts-, Kunst-, Gesellschafts- und Sprachwissenschaften fordert dabei z. B. Schmitt (2004: 16).
2 Handelns sich die Akteure in einem politischen Interview orientieren, um die ihren jeweiligen Rollen entsprechenden Ziele so effektiv wie möglich zu verfolgen. In der mittlerweile sehr umfangreichen Literatur zum politischen Interview fehlt es nicht an Versuchen, die kommunikativen Praktiken der Dialogpartner zu erklären, wobei auf der Basis eines geschichtlich gewachsenen Konzepts des Interviews2 mit seiner spezifischen Rollenverteilung Folgendes für die meisten festzustehen scheint: Interview, in whatever form, is an interrogative encounter between someone who has the right or privilege to know and another in a less powerful position who is obliged to respond, rather definitely, to justify his or her actions, to explain his/her problems, or ‘to give himself up for evaluation’ (Akindele 2000: 2).
Für die unmittelbaren Akteure in einem Interview bedeutet dies nach Greatbatch (1988: 404), dass »irs and ies3 confine themselves to producing turns that are at least minimally recognizable as questions and answers, respectively«, und Clayman/Heritage (2002: 127) stellen fest, dass »[. . . ] they (interviewees) generally treat interviewer questions – no matter how hostile or in other words prejudicial they are – as activities which do not involve the expression of opinions«. Das letzte Zitat wird wahrscheinlich bei vielen, die regelmäßig Interviews verfolgen, auf gewissen Widerspruch stoßen, während die Auffassungen Akindeles und Greatbatchs vielleicht erst bei genauerem Hinsehen den Blick auf eine Problematik freigeben, die ganz entscheidend für das Verständnis politischer Interviews ist. Was bedeutet es, mit Akindele, vom Interview als einem »interrogative encounter« zu sprechen, und welche Kriterien haben wir, um, wie Greatbatch behauptet, Äußerungen »at least minimally« als Fragen bzw. Antworten zu klassifizieren? Und wie passt seine Beobachtung zu seiner späteren Feststellung, dass Interviewer »[. . . ] frequently accomplish other activities in and through their turns«? An dieser Stelle soll noch nicht näher auf diese Fragen eingegangen werden. Dass sie schon hier gestellt werden, hängt mit einer grundlegenden These zusammen, die im Rahmen dieser Arbeit verifiziert werden soll: Politische Fernsehinterviews sind Handlungsspiele, die auf der funktionalen Ebene eine weitaus höhere Komplexität aufweisen, als die so häufig postulierten und oben nur exemplarisch belegten Funktionszuschreibungen, die auf einer festgelegten Rollenverteilung beruhen, es suggerieren. Genauer: Interviewer, so meine These, beschränken sich nicht auf das Stellen von Fragen, sondern sind in vielen Fällen Initiatoren komplexer argumentativer Handlungsspiele. Da dieser Arbeit ein grundsätzlich dialogischer Sprachbegriff zugrunde liegt, folgt daraus für den Interviewten, dass seine Rolle sich nicht in der des Antwortgebenden erschöpft. Diese These widerspricht damit zum Teil einer in der linguistischen und vor allem ethnome2 Zu Entstehung und Geschichte des Interviews siehe z. B. Nilsson (1971) oder Haller (1997). 3 ir = Interviewer, ie = Interviewee
3 thodologisch geprägten Literatur über die letzten Jahrzehnte tradierten Vorstellung vom Interview als einer journalistischen Gattung, deren oberstes Prinzip die Befragung eines Politikers durch einen quasi neutralen, ja bisweilen fast voraussetzungslos fragenden Journalisten ist. Dass es eine Vielzahl von Interviews gibt, in denen sich der Journalist auf die Rolle des Fragenden beschränkt, soll dabei nicht bestritten werden, jedoch möchte die vorliegende Arbeit ein differenzierteres Bild von den in Interviews verfolgten kommunikativen Zwecken entwickeln. Wenn dies gelingt, so ist damit ein Beitrag zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach dem wie der »konstruktiven Prozesse« (Schmidt 1994: 18) unserer (Medien)realität geleistet. Eine weitere Frage ist, inwieweit ein sprachvergleichendes Vorgehen behilflich sein kann, Prinzipien kommunikativen Handelns sicht- und beschreibbar zu machen. Im Bereich der pragmatisch orientierten lexikalischen Semantik (vgl. z. B. Weigand 1998) haben sich m. E. schon deutlich die Vorteile kontrastiver Vorgehensweisen gezeigt. Der Vergleich mit anderen Sprachen erlaubt häufig Einblicke in Struktur- und Funktionsprinzipien der eigenen Muttersprache, die anderenfalls verschlossen blieben. Daher werden hier nicht nur deutsche, sondern auch englische Interviews untersucht. Neben den erwartbaren Gemeinsamkeiten gilt es dabei, Unterschiede insbesondere in der Interviewführung durch den Journalisten herauszustellen. Kontrastive Untersuchungen in diesem Bereich liegen für das Sprachenpaar Deutsch-Englisch meines Wissens nicht vor.4 Auch diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch, hier zu repräsentativen Ergebnissen zu kommen. Dafür wären Analysen in einem Umfang nötig, die von einem Einzelnen sowohl in zeitlicher wie auch qualitativer Hinsicht kaum zu leisten sind. Clayman und Heritage (2002) haben eine kontrastive Untersuchung amerikanischer und britischer Interviews vorgelegt, wobei ihr Korpus ungefähr 250 Interviews, die einen Zeitraum von zwanzig Jahren abdecken, umfasst. Im ersten Satz ihrer Danksagung räumen die Autoren ein, dass »[t]his project turned out to be a more ambitious and time-consuming undertaking than we anticipated when we began« (Clayman/Heritage 2002: ix), obwohl durch das Korpus zu weiten Teilen Befunde bestätigt werden, die frühere konversationsanalytische Arbeiten bereits geliefert hatten. Für die vorliegende Arbeit wurden ca. 40 Fernsehinterviews aus dem Zeitraum zwischen 2000 und 2004 aufgezeichnet. Das noch zu erläuternde Vorgehen bei der Analyse erforderte jedoch eine Beschränkung auf insgesamt vier Interviews, anhand derer die
4 Gleichwohl gibt es eine Reihe eher medienwissenschaftlicher Arbeiten, insbesondere im europäischen Kontext. Exemplarisch genannt seien hier die sehr detaillierten und empirisch fundierten Arbeiten von Barbara Thomaß (1997; 1998), die die Frage der journalistischen Ethik in Frankreich, Großbritannien und Deutschland untersucht, sowie der Beitrag Essers (1997) zu Arbeitsbedingungen und Arbeitsweisen im britischen und deutschen Pressejournalismus.
4 wesentlichen kommunikativen Prinzipien, die im politischen Interview zum Tragen kommen, herausgearbeitet werden sollen. Eine Untersuchung von politischen Interviews im Rahmen funktionaler Analysen muss – wie noch zu begründen sein wird – von den Zwecken ausgehen, zu denen Interviews geführt werden. Wie bereits angedeutet, greift hier eine vereinfachende Funktionsbeschreibung wie Informationsgewinnung zu kurz. Um die kommunikativen Zwecke politischer Interviews herausarbeiten zu können, bedarf es eines genauen Blicks auf die Bedingungen, unter denen die Kommunikationspartner interagieren. Hier spielt das Verhältnis von Politik und Medien als gesellschaftlichen Teilsystemen eine wichtige Rolle. Dieser Frage wird daher zunächst nachgegangen, wobei ich mich auf die für die Arbeit wesentlichen Aspekte beschränke. Anschließend wird in einem Forschungsüberblick der derzeitige Stand pragmatischer Ansätze innerhalb der Sprachwissenschaft skizziert, um dann konkret auf Arbeiten zum politischen Interview einzugehen. Die Kritik an existierenden Arbeiten soll dabei gleichsam Anforderungen aufzeigen, die m. E. an funktionale Analysen authentischer Dialoge im Allgemeinen und politischer Interviews insbesondere zu stellen sind. Diese Anforderungen gilt es dann im Rahmen der theoretischen Grundlegung zu berücksichtigen. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, ein Modell zur Analyse dialogischer Interaktion zu wählen, das nicht durch ihm inhärente Prämissen bereits wieder den Blick auf die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes verstellt. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht beinhaltet ein solches Postulat sicherlich einen Widerspruch, denn jedes Modell basiert natürlich auf Prämissen, die bereits die Beobachtung des Untersuchungsgegenstandes beeinflussen. In der noch näher zu erläuternden Theorie des dialogischen Handlungsspiels von Weigand (2000, 2003a, demn. a/b) wurde dieser Tatsache jedoch im Prozess der Theoriebildung Rechnung getragen, indem die Methodologie systematisch aus dem Untersuchungsgegenstand, Sprache im Gebrauch, entwickelt wurde und die formulierten Prämissen das Ergebnis der Beobachtung nicht nur des Sprachgebrauchs unter seinen komplexen Voraussetzungen ist, sondern auch der systematischen Reflexion über die Erkenntnisbedingungen im Prozess der Theoriebildung (siehe dazu insbes. Weigand 2002). Die Theorie des dialogischen Handlungsspiels soll in ihren Grundzügen bereits mit Blick auf meinen Untersuchungsgegenstand erläutert und, wo dies für die vorliegende Arbeit nötig ist, ergänzt werden. Nachdem anschließend das methodische Vorgehen erläutert wurde, sollen die in der theoretischen Grundlegung herausgearbeiteten kommunikativen Prinzipien5 im Rahmen des Analyseteils genauer beschrieben und systematisiert werden.
5 An späterer Stelle wird dieser Terminus durch den vorher noch zu erläuternden Begriff exekutive Prinzipien, wie ihn Weigand (demn. a/b) verwendet, ersetzt.
5
1.2 Politik und Massenmedien in der Mediengesellschaft Politik findet zunehmend in den Medien statt, die hier umkämpfte öffentliche Meinung ist – von manchen kritisiert6 – der Seismograph für das Mögliche, das Zumutbare mit Blick auf die nächste Wahl. Es geht um Machtgewinn und Machterhalt, und die Medien sind die Arena, in der darüber entschieden wird. Wie die Machtverteilung zwischen Medien und Politik aussieht, darüber gibt es keine Einigkeit. Ebenso wenig darüber, welche qualitativen Auswirkungen die Beziehung dieser beiden Systeme für die Politik und damit für die Gesellschaft hat. Kann überhaupt von zwei getrennt operierenden gesellschaftlichen Teilsystemen die Rede sein? In diesem Punkt scheint zumindest eine weitgehende Übereinstimmung zu herrschen, wie Meyer/Ontrup/Schicha (2000: 36f.) feststellen: Die klassische Vorstellung, der zufolge beide Funktionssysteme zwei durch ihre unterschiedlichen Funktionslogiken klar und eindeutig voneinander getrennte gesellschaftliche Handlungsbereiche sind, die jeweils füreinander und für die Gesellschaft im ganzen bestandsnotwendige Aufgaben erfüllen, ist offenkundig radikal überholt. Die ursprüngliche Lehrbuchvorstellung des Verhältnisses der beiden Teilsysteme, der zufolge die Politik eigensinnig und unbeirrt den ihr zugeschriebenen Dienst der Erzeugung gesamtgesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen leistet und das Mediensystem das politische Handeln und seine Folgen aus kritischer Distanz beobachtet und einem breiten Publikum möglichst ausgewogen und objektiv, angemessen und sachlich vermittelt, ist von den Wissenschaften, die sich empirisch oder analytisch mit dem Thema befassen, seit längerem kommentarlos zur Seite gelegt worden [ . . .].
Wenn Politik und Medien also nicht klar voneinander abgegrenzt werden können, so stellt sich dennoch die Frage, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Die unterschiedlichen Standpunkte zu dieser Frage lassen sich m. E. unter zwei Thesen zusammenfassen. Während die sogenannte Dependenzthese davon ausgeht, dass Politik heute in eine starke Abhängigkeit von den Massenmedien geraten ist, behaupten Vertreter der Instrumentalisierungsthese eine Abhängigkeit der Medien von der Politik (Schulz 1997; Jansen/Ruberto 1997). Die erste These ist insofern stark normativ geleitet, als sie die angenommene Abhängigkeit der Politik von den Medien unter Verweis auf deren eigentliche Funktion als Vehikel für Informationen, Forum für die politischen Akteure und Spiegel der öffentlichen Meinung kritisiert. Die Medien beschränkten sich heute nicht mehr auf diese Aufgaben, sondern bestimmten den Entscheidungsspielraum der Politik und seien somit »zu einer politischen Macht geworden, die nicht mehr nur reagiert, sondern wesentlich agiert und [. . . ] indirekt mitregiert« (Kepplinger 1983: 61). Choi (1994: 73) spricht in diesem Zusammenhang 6 So z. B. Rupp (1997), der sich mit Möglichkeiten befasst, die politische Macht des Fernsehens zu begrenzen.
6 von einer »Interviewdemokratie«, da die Kommunikation zwischen Parlament und Öffentlichkeit nur unter den Bedingungen der Medienkommunikation öffentlich wirksam werden könne. Wichtige politische Fragen würden heute nicht mehr zuerst im Parlament bekannt gegeben, sondern vorab in den Massenmedien diskutiert. Anders als die Dependenzthese bezieht sich die Instrumentalisierungsthese mehr auf die verfassungsrechtliche Kontrollfunktion der Medien und kritisiert, dass Regierung, Parlament und Parteien Leistungsdefizite staatlicher Politik zunehmend durch eine gesteigerte Kontrolle des von den Massenmedien definierten »Themen- und Problemhaushalts« (Schulz 1997: 25) kompensierten. Dies spiegele sich in Deutschland unter anderem in der Besetzung der Rundfunkräte öffentlich-rechtlicher Anstalten wider, in denen Parteien einen erheblichen Einfluss haben (Jansen/Ruberto 1997). Die Parteien beobachteten permanent die parteipolitische Ausgewogenheit des Programms und intervenierten, wenn sie sich unterrepräsentiert fühlten. Außerdem sei die Pressearbeit der politischen Parteien insofern von entscheidendem Einfluss, als die Berichterstattung in den Medien ganz wesentlich davon abhänge, was ihnen zu welchem Zeitpunkt mitgeteilt werde. In einer sprachwissenschaftlichen Arbeit kommt es nicht auf die Entscheidung dieses Streits an. Beide Thesen bieten jedoch interessante Anhaltspunkte, die für ein Verständnis dessen, was in politischen Interviews geschieht, wichtig sind. Offensichtlich spielen unterschiedliche Interessen eine Rolle. Zu dem Bestreben der Medien, über Politik zu informieren, gleichzeitig zu unterhalten und so Meinungen zu formen (vgl. Weigand 1999: 38), kommt das Bestreben von Politikern, sich selbst durch die Medien darzustellen, natürlich auch zu informieren und gleichzeitig meinungsbildend zu wirken. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch Politiker heute einen erheblichen Teil ihrer Informationen aus den Medien beziehen. Für sie ist die Lektüre von Zeitungen und die Information über Rundfunk und Fernsehen fester täglicher Bestandteil ihrer Arbeit. Zwar sind Politiker diejenigen, die letztlich politisch verbindlich handeln, ihr Handeln basiert jedoch entscheidend auf Informationen (z. B. über den politischen Gegner), die sie häufig auch nur durch die Medien – und damit bereits selektiert – erlangen. Wegen dieser unverkennbaren Bedeutung der Medien richten Politiker ihr Handeln gewöhnlich schon im Vorfeld danach aus, wie es von Journalisten aufgenommen werden könnte. Insofern greifen sie zum einen auf medial vermittelte Informationen zurück und steuern zum anderen durch medienkonformes Handeln zukünftige Berichte, auf die dann wiederum zurückgegriffen wird. Der sich hier schließende Kreislauf zeigt deutlich, wie stark die Politik heute von den Medien abhängig ist. Andererseits nutzen Politiker die Medien zur Selbstdarstellung und zur Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Neben den mittlerweile auf fast allen Kanälen etablierten Talkshows sind Fernsehinterviews eine der effizientesten Möglichkeiten, sich öffentlich zu äußern. Die ständige Präsenz in den Medien hat dabei mittlerweile zu einer starken Personalisierung der Politik geführt
7 (Sarcinelli 1996; Jansen/Ruberto 1997). Programme und politische Ziele werden demnach immer stärker mit zentralen politischen Rollenträgern in Verbindung gebracht, auf sie reduziert und Politik damit langfristig auf Personen verkürzt (Kaase 1986: 365).7 Diese Entwicklung zwingt Politiker um so stärker, sich gerade in Interviews der Öffentlichkeit zu präsentieren. Gelegenheiten dazu sind reichlich vorhanden, wenn auch Talkshows als die wohl beliebteste Form des öffentlichen Auftritts von Politikern noch intensiver frequentiert werden. So wird Politik ohne Massenmedien zunehmend undenkbar. Zu der beschriebenen Abhängigkeit kommt jedoch noch ein weiterer wichtiger Punkt hinzu, nämlich die bereits erwähnte und von Kepplinger (1983) betonte politische Gestaltungsmacht der Massenmedien. Dass dieses Problem vor allem auch im angelsächsischen Raum erkannt wird, zeigt ein aufschlussreiches Interview8 , das der bbc-Journalist Andrew Marr mit einem ehemaligen Minister des Labour-Kabinetts, Peter Mandelson9 , geführt hat. In diesem Interview geht es um eine kritische Bestandsaufnahme des Verhältnisses von Politik und Medien: pm
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[ . . .] There’s a sort of awful downward spiral that is going on. Now, can ministers and politicians learn to relax a bit and open up a wee bit, and be a little bit more honest about the complexities and the shadings and difficulties they encounter in navigating their way through Government? Can journalists be a little bit more responsible, see things in. . . in greater proportion and perspective in the way in which they interrogate ministers and then report what they say, but also a little less sort of interposing themselves and their own personalities and their own analysis and their own interpretation on what politicians and ministers are saying and allow the politicians to speak for themselves a bit more? But it’s a market, it’s a very intense market. You think. . . you think we are becoming effectively sort of para-politicians or would-be unelected politicians? I think you’re becoming players rather than reporters. I think that, too much. I think that. . . I don’t mean to sound rude, but perhaps, you sometimes behave as if you like the sound of your own voices too much. Well, we all do, that’s true.
Mandelsons Kritik bezieht sich vor allem auf die seiner Meinung nach zunehmend verfehlte Rolle der Journalisten als »players rather than reporters«. Auch die Politikwissenschaft hat hier ein Problem insbesondere für das politische Interview erkannt (Finlayson 2001: 337): 7 Die besten Beispiel für diese Entwicklung sind in Deutschland wohl die Bundestagswahlkämpfe der Jahre 2002 und 2005, in denen unter erheblichem Aufwand – und durch die Medien zum wahlentscheidenden ›Showdown‹ inszeniert –, tv-Duelle nach amerikanischem Vorbild veranstaltet wurden. 8 Ausgestrahlt durch bbc 4 am 9. April 2002. 9 Mandelson war bereits vor dem Regierungsantritt Blairs verantwortlich für die Entwicklung von Kommunikationsstrategien und dem Aufbau eines professionellen Kampagnenmanagements für die LabourPartei, was unter anderem die Entwicklung konkreter Kommunikationsvorgaben im Umgang mit den Massenmedienmedien beinhaltete.
8 In the political encounter, certain things are at stake [ . . .]. Insistence on the perception of neutrality, and the development of a practice whereby the interviewer, rather than the politician, is seen as the representative of the people, change the nature of this particular form of political encounter in ways quite contrary to the needs of democratic politics.
Finlayson spielt hier kritisch auf das an, was häufig als watchdog-Funktion, also als Kontrollfunktion der Medien bezeichnet wird. Diese ist in Deutschland in gewissem Sinne verfassungsrechtlich gewährleistet und in Großbritannien, wenn auch nicht legislativ begründet, so doch bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Selbstverständnis der Presse als »unabhängiger Spiegel der öffentlichen Meinung, der die Regierung informiert, berät und kontrolliert« (Esser 1997: 116), verankert. Wichtig ist an dieser Stelle jedoch, dass die angeführten Zitate ein vielschichtiges und nicht immer unproblematisches Rollenverständnis der Medien berühren, das sich direkt auf den in dieser Arbeit untersuchten Gegenstand, das politische Interview, auswirkt. Aus den bisherigen Beobachtungen kann geschlossen werden, dass in der heutigen Mediengesellschaft das, was als politische Realität bezeichnet wird, keine einseitige Konstruktion der Politik oder der Medien ist. Medien und Politik sind heute nicht mehr voneinander trennbare gesellschaftliche Bereiche. Erst in ihrem Wechselspiel, das durch die Verfolgung unterschiedlicher Interessen geprägt ist, erzeugen sie das, was dem Beobachter als politische Realität zugänglich und erfassbar wird. Diese Tatsache spiegelt sich auch im politischen Interview wider. Im Verlauf der Arbeit wird es darauf ankommen, die jeweiligen Interessen zu den von den Kommunikationspartnern eingesetzten kommunikativen Mitteln in Beziehung zu setzen und somit kommunikatives Handeln im politischen Interview beschreibbar zu machen.
2 Forschungsüberblick
Für die Untersuchung authentischen Sprachmaterials stellt sich neben der Frage des Erkenntnisinteresses bei der Analyse immer auch die nach dem theoretischen Fundament, auf dem die Analysen basieren. Die Möglichkeiten und Ziele einer Analyse hängen unmittelbar davon ab, welcher Sprachbegriff zugrunde gelegt wird, genauer, wie der Gebrauch der Sprache theoretisch erfasst wird. In den bisherigen Ausführungen ist bereits impliziert worden, dass Sprechen als eine Form menschlichen Handelns verstanden werden soll. Sprachliche Handlungen zeichnen sich, an dieser Stelle noch etwas verallgemeinert gesagt,1 durch die bewusste Verfolgung von Zwecken unter Verwendung der von den Kommunikationspartnern für geeignet gehaltenen Mittel aus. Wie allerdings Sprechen als Form menschlichen Handelns beschrieben werden kann, ist eine Frage, auf die es bis heute keine einheitliche Antwort gibt. Unterschiedliche methodologische Zugänge haben zur Ausformung einer Reihe von Modellen geführt, die sich zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Im Folgenden wird die Vielfalt einiger prominenter Ansätze umrissen, wobei jedoch keineswegs der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Vielmehr soll gezeigt werden, wo wichtige Unterschiede liegen, da diese Unterschiede – dies zeigt sich auch insbesondere in den verschiedenen Analysen von Interviews – Erkenntnisinteresse und Ergebnisse maßgeblich beeinflussen. Wer versucht, sich einen Überblick über die Literatur zum politischen Interview zu verschaffen, stößt unweigerlich auf die Vielzahl der Arbeiten von Clayman, Greatbatch und Heritage. Der mit diesen Autoren fest zu verbindende soziologische Ansatz der Konversationsanalyse prägt auch zahlreiche sprachwissenschaftliche Arbeiten. Dies liegt sicherlich daran, dass sich die ca (Conversation Analysis) mit Phänomenen wie der strukturellen Organisation von Interviews, dem Sprecherwechsel, Einstellungen der Interviewpartner u. a. befasst, die auch für Sprachwissenschaftler von Interesse sind. Daher nimmt die Diskussion konversationsanalytischer Arbeiten in diesem Überblick einen etwas größeren Raum ein. Damit soll diesem Ansatz keineswegs Vorrang gegeben, sondern nur der erwähnten Beobachtung Rechnung getragen werden, dass die Konversationsanalyse bisher die dominierende theoretische Grundlage für Interviewanalysen darstellt.
1 Eine genauere Beschreibung des dieser Arbeit zugrunde liegenden Handlungsbegriffs wird in der theoretischen Grundlegung gegeben, insbesondere in den Erläuterungen zum Handlungsprinzip (Kap. 3.2.1.1).
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2.1 Sprechen als Form menschlichen Handelns Die systematische Reflexion über menschliches Handeln hat ihren Ursprung bereits in der Antike. Allerdings bezieht sich der aristotelische Handlungsbegriff auf praktische Handlungen des Einzelnen und bedarf daher hinsichtlich des kommunikativen Handelns einer Differenzierung (Weigand 2001: 66). Gleichwohl findet sich hier bereits die bis heute gültige Zuordnung von Zwecken und Mitteln als Charakteristikum jeder Handlung. Cicero hingegen erwähnt schon ausdrücklich die Möglichkeit der Sprache, Wirkungen hervorzurufen: »[. . . ] Wie mir scheint, gibt es nichts Vortrefflicheres, als wenn man es durch Sprache (dicendo) vermag, den Geist der Menschen zu fesseln, ihren Willen zu binden, sie zu bewegen, wozu man will und sie abzuhalten, wovon man will« (De oratore I. 30).2 Für Cicero hat Sprechen, auch wenn er es nicht explizit formuliert, also bereits Handlungscharakter. Beim Reden werden Zwecke verfolgt, wobei es dem geschulten Redner obliegt, die dafür geeigneten sprachlichen Mittel zu wählen. Indem er davon ausgeht, dass Menschen durch Sprache zu einem Handeln veranlasst werden können, beschreibt Cicero auch eine Beziehung von Aktion und Reaktion, wobei es der Sinn einer Aktion ist, eine bestimmte Reaktion hervorzurufen. In der modernen Sprachwissenschaft stellt der Handlungscharakter der Sprache seit der pragmatischen Wende den Ausgangspunkt vielfältiger Theoriebildungen dar. So hat sich inzwischen ein breites Spektrum pragmatischer Ansätze entwickelt, auf die, wie gesagt, im Folgenden nur punktuell eingegangen werden soll.
2.2 Entwicklungen seit der pragmatischen Wende Mit der pragmatischen Wende in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtete sich das Interesse der Sprachwissenschaft zunehmend von der formalen Beschreibung eines angenommenen Zeichensystems auf die Beschreibung des Sprechens als einer Form menschlichen Handelns. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass wesentliche Annahmen, wie z. B. die Dichotomien langue/parole (de Saussure 1916) oder competence/performance, die Chomskys (1965) Beschreibung einer universellen generativen Transformationsgrammatik zugrunde liegt, auch in pragmatische Modelle Eingang gefunden haben. Daraus ergeben sich eine Reihe von Implikationen, die im Folgenden anzusprechen sein werden. 2 Übersetzung von Braun (1996).
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2.2.1 Sprechakttheorie Bei der Entwicklung seiner Sprechakttheorie geht Searle (1969) von der Hypothese aus, dass das Sprechen einer Sprache ein komplexes, regelgeleitetes Verhalten darstelle. Sprechakte sind für ihn »the basic or minimal units of linguistic communication« (Searle 1969 : 16). Ausgehend vom kommunikativen Zweck, den ein Sprecher mit dem Vollzug eines Sprechakts verfolgt, unterscheidet Searle (1979) in seiner Taxonomie fünf Sprechakttypen: Repräsentative, Direktive, Kommissive, Deklarative und Expressive. Darüber hinaus wurden weitere Vorschläge für die Aufstellung einer Sprechakttaxonomie entwickelt (z. B. Wunderlich 1976, Hindelang 1978).3 Für die vorliegende Arbeit ist neben den Repräsentativen vor allem eine weitere Klasse von Sprechhandlungen wichtig, die von Searle jedoch nicht gesondert aufgeführt wird. Dabei handelt es sich um die so genannten Explorative (vgl. Weigand 2003a), die durch einen Wollensanspruch, der sich auf Wissen richtet, definiert sind. Mit dieser Klasse sind die für Interviews besonders wichtigen Fragehandlungen erfasst. Searle ordnet diesen Sprechakttyp jedoch der Klasse der Direktive zu, da Fragen letztlich einen Wollensanspruch etablierten. Gleichwohl ist eine Differenzierung des Wollensanspruchs vor allem deshalb sinnvoll, weil der korrespondierende reaktive Akt jeweils funktional verschieden ist. Mit einer Frage zielt ein Sprecher auf eine Antwort, mit einer Aufforderung jedoch auf eine Handlungszusage bzw. eine praktische Handlung. Berücksichtigt man diesen Unterschied bezüglich des korrespondierenden Akts, so ist die Annahme einer gesonderten Klasse explorativer Sprechakte unmittelbar einleuchtend (vgl. Weigand 2003a: 84). Dass Searle hier einen anderen Weg wählt, hängt wahrscheinlich vor allem mit der monologischen Konzeption seiner Taxonomie zusammen, bei der kein Augenmerk auf die Reaktion gelegt wird. An diesem Punkt setzt auch eine wesentliche Kritik an Searles Sprechakttheorie an.4 Zwar räumt Searle ein, dass es Sprechakte gibt, die in einem dialogischen Zusammenhang analysiert werden können (Searle 1992: 10): If we consider cases such as offers, bets, and invitations, it looks as if we are at last getting a class of speech acts where we can extend the analysis beyond a single speech act, where we can discuss sequences. But [Kursivierung jb] it seems that this is a very restricted class.
Er gibt ein Beispiel, in dem sich der reaktive Sprechakt seiner Meinung zufolge nicht auf den initiativen bezieht (1992: 10): For example, if I say to you ‘I think the Republicans will win the next election’, and you say to me ‘I think the Brazilian government has devalued the Cruzeiro again,’ at least on the surface your remark is violating a certain principle of relevance. 3 Für einen detaillierten und kritischen Überblick siehe Weigand (2003a). 4 Auf die Unzulänglichkeit eines monologischen Sprachbegriffs weist bereits Schwitalla (1979) bei seinen Analysen von Medieninterviews hin.
12 Searle versucht, mit Bezug auf die Gricesche Maxime der Relevanz (Grice 1975) die dialogische Beziehung zwischen Aktion und Reaktion zu problematisieren, allerdings bedient er sich dazu eines Beispiels, das in authentischer Form so wohl kaum auftauchen dürfte. Selbst wenn ein solcher Dialog zustande käme, wäre er unter Hinzuziehung der situativen Bedingungen sicherlich interpretierbar.5 Auf diesen Aspekt sprachlichen Handelns wird in der theoretischen Grundlegung insbesondere im Rahmen des zu erläuternden Kohärenzprinzips (Kap. 3.2.1.3) noch ausführlicher eingegangen. Der Fortschritt, den Searles Sprechakttaxonomie gegenüber Austins (1962) gleichartigem, wenn auch ausdrücklich vorläufigem Versuch darstellt, liegt vor allem darin, dass sie aus einzelsprachunabhängigen Kriterien gewonnen wurde. So geht Searle (1979: 9), anders als Austin, nicht von einer Liste so genannter Sprechaktverben aus: The first thing to notice about these lists is that they are not classes of illocutionary acts but of English illocutionary verbs. Austin seems to assume that a classification of different verbs is eo ipso a classification of kinds of illocutionary acts. But there is no reason to suppose that this is the case.
Searle gründet seine Differenzierung illokutiver Akte auf insgesamt 12 Kriterien, die hier nicht im Einzelnen betrachtet werden sollen. Wichtig ist an dieser Stelle, dass Searle den grundsätzlichen Handlungscharakter der Sprache in den Mittelpunkt seiner Theorie stellt und seine Taxonomie dem Anspruch der Universalität genügt. So konnten weitere Arbeiten (z. B. Rosengren 1979, Stati 1982), die im Gegensatz zu Searle den dialogischen Aspekt der Sprachverwendung betonen, dennoch in wesentlichen Punkten auf seinen grundlegenden Erkenntnissen aufbauen. Dies gilt auch für das noch im Detail zu erläuternde Modell des dialogischen Handlungsspiels, das den theoretischen Rahmen für die Interviewanalysen in der vorliegenden Arbeit bildet.
2.2.2 Konversationsanalyse Unter dem Oberbegriff Konversationsanalyse soll hier nicht die ganze Bandbreite der von Taylor/Cameron (1987) diskutierten Orientierungen verstanden werden. Es genügt die Beschränkung auf den ethnomethodologischen Ansatz, der wegen seiner Dominanz heute oft synonym für den Begriff Konversationsanalyse verwendet wird. Diese Einschrän5 Man kann sich verschiedene Gründe für den reaktiven Sprechakt vorstellen: es könnte ein rein akustisches Missverstehen vorliegen, sp2 könnte mit seiner Reaktion bewusst ausdrücken wollen, wie irrelevant die Information von sp1 für ihn ist, indem er als Mittel der Ironie eine seiner Einschätzung nach ebenso irrelevante Äußerung gebraucht, oder er will vielleicht ohne Umschweife das Thema wechseln, weil er sein Anliegen für sehr dringend hält. Warum die Reaktion so ausfällt wie in Searles Beispiel, lässt sich nicht bestimmen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass sp2 mit dem von ihm vollzogenen Sprechakt auf sp1 reagiert, dass er also mit der Äußerung von sp1 einen pragmatischen Anspruch verbindet.
13 kung ist deshalb möglich, weil die relevanten Untersuchungen zum institutional talk, zu denen auch das Interview gehört, auf einer soziologisch dominierten Tradition basieren, die ihren Ausgangspunkt in der von Garfinkel (1967) entwickelten Ethnomethodologie hat. Großen Einfluss hatten darüber hinaus die Schriften Goffmans zur Interaktionsanalyse (Goffman 1981).6 Die institutionalisierte Kommunikation stellt wohl deshalb einen Schwerpunkt ethnomethodologischer Forschung dar, weil sie aufgrund ihrer beobachtbaren formalen Strukturierung dem konversationsanalytischen Untersuchungen zugrunde liegenden Erkenntnisinteresse entgegenkommt (Levinson 1979: 373): The emphasis here is on structural information about conversational organization, and the way in which such information predisposes participants to see utterances as fulfilling certain functions by virtue of their structural location.
Konversationsanalytische Untersuchungen versuchen, die strukturelle Organisation von Gesprächen zu beschreiben. Daher sind zwei von Sacks/Schegloff/Jefferson (1974) eingeführte Begriffe von zentraler Bedeutung: turn-taking und adjacency pair. Das turntaking bezeichnet den gesprächsorganisierenden Sprecherwechsel, der sequenz- und gesprächstypabhängig ist. Während er in normalen Gesprächen von den Kommunikationspartnern selbst organisiert wird, sind in institutionalisierten Gesprächen sowohl Sprecherwechsel als auch Länge und Inhalt der Beiträge teilweise oder ganz vorgeschrieben (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974: 701, 729f.). Es gibt demnach spezifische turn-taking systems für unterschiedliche Gesprächstypen, so z. B. auch für Interviews (vgl. Greatbatch 1988). Der zweite Begriff, adjacency pair, bezeichnet das komplementäre Verhältnis von Äußerungen zweier Sprecher, wie z. B. Frage-Antwort oder EinladungAkzeptieren/Ablehnen. In der Konversationsanalyse bilden adjacency pairs zwar das grundlegende Interaktionsschema jeglicher Konversation, sie sind jedoch nicht als funktional definierte, sondern lediglich als formale Einheiten der Interaktionsstruktur zu verstehen. Das Vorgehen in der Konversationsanalyse ist vor allem durch ein methodisches Prinzip gekennzeichnet, das m. E. am besten als das ›Dogma der Authentizität‹ zu beschreiben ist. Gemeint ist damit die unbedingte Forderung, real ablaufende Gespräche so wenig wie möglich durch nachträgliche Rekonstruktion zu ›verfälschen‹, sondern die einmalige, nicht wiederholbare Performanz so akribisch wie möglich zu konservieren. Ausgangspunkt für die Untersuchung des Sprachgebrauchs ist also allein der authentische Text, ein Stück minutiös transkribierte Performanz, die entsprechend der »order at all points«-Maxime (Sacks 1984) jedes empirisch registrierbare Merkmal der Konver6 Einen zusammenfassenden Überblick über Entwicklung und Programm der Konversationsanalyse gibt Bergmann (1994).
14 sation für potentiell relevant erachtet. Wie Bergmann (1994: 9) treffend feststellt, liegt die Abneigung der ca, »ihr Vorgehen in Gestalt allgemeiner methodischer Regeln zu kanonisieren«, vor allem in ihrem Vertrauen auf den selbstexplikativen Charakter sozialer Handlungen. Auf dieses Vertrauen bezieht sich denn auch Hundsnurschers Kritik an der Konversationsanalyse, die durch ihre strikte Orientierung an rein formalen Eigenschaften eines Gesprächs den generellen Handlungscharakter der Sprache vernachlässige: »Der inhaltliche Aspekt und damit das Charakteristische der einzelnen Gesprächstypen muss einem solchen formalen und empirischen Ansatz allerdings verschlossen bleiben« (Hundsnurscher 1980: 90). Wenn es also zwar ein Verdienst der Konversationsanalyse ist, die der Sprechakttheorie zugrunde liegende Orientierung an einer intuitiv angenommen Kompetenz zu problematisieren und auch die Dialogizität des Sprachgebrauchs zu berücksichtigen, bleibt dennoch das Fehlen eines handlungstheoretischen Fundaments zu kritisieren.
2.2.3 Die Birmingham School Auch die Birmingham School of Discourse Analysis (Sinclair/Coulthard 1975) geht vom authentischen Text als ihrem Untersuchungsgegenstand aus.7 Die Sequenz der Äußerungen wird dabei in einem Dreier-Schema strukturiert: Initiieren → Reagieren → Bewerten. Der Anspruch der Birmingham School of Discourse Analysis liegt jedoch nicht lediglich in der formalen, sondern auch in einer funktionalen Analyse des Sprachgebrauchs, da die angenommenen Strukturierungsregeln unter Bezug auf die Sprecherintentionen für den ganzen Dialog gewonnen werden. Problematisch, weil m. E. nicht generalisierbar, ist die Annahme von drei Zügen als Konstituenten der Minimalsequenz. Der dritte Zug, das Bewerten, ist sicherlich in den von Sinclair/Coulthard hauptsächlich untersuchten Unterrichtsgesprächen regelmäßig zu finden. Er ist aber m. E. eher charakteristisch für speziell diesen Gesprächstyp.8 So fehlt z. B. in Interviews ein dritter Zug als Konstituente einer Minimalsequenz.9 Die Zweiersequenz aus Aktion und Reaktion mit den damit ver7 Eine detaillierte Diskussion des Modells der Birmingham School findet sich z. B. bei Lörscher/Schulze (1994). 8 Mit Weigand (2003a: 28) könnte man argumentieren, dass auch Unterrichtsdialoge im Grunde auf einer Zweiersequenz basieren, da der zweite Zug, also die Schülerantwort, einerseits primär reaktiv ist, sekundär jedoch initiativ einen neuen pragmatischen Anspruch etabliert, der auf eine Bewertung durch den Lehrer abzielt. 9 Eine mögliche Erklärung dieser Phänomens bietet Heritage (1985): Indem Interviewer z. B. auf verstehensanzeigende Züge konsequent verzichteten, zeigten sie an, dass nicht sie, sondern letztlich die Zuschauer Adressat der Politikeräußerung seien.
15 bundenen pragmatischen Ansprüchen ist jedoch nicht nur für Interviews, sondern m. E. grundsätzlich als die minimale Einheit des Dialogs anzunehmen (siehe dazu Kap. 3.2.1).
2.2.4 Die Dialoggrammatik Anders als die Birmingham School sieht die Dialoggrammatik ihr Erkenntnisinteresse in einem Regelwerk, das der Performanz als zugrunde liegend angesehen wird. Nicht der authentische Text, sondern die davon isoliert betrachtete kommunikative Kompetenz der Sprecher bildet hier den Untersuchungsgegenstand, da davon ausgegangen wird, dass nur die kommunikative Kompetenz die Grundlage für den tatsächlichen Sprachgebrauch darstelle. Aus dieser Annahme folgt für die Dialoggrammatik eine strikte Priorität des Modells gegenüber dem authentischen Text. Da der Sprachgebrauch auf der Ebene der Kompetenz als regelgeleitet aufgefasst wird, bestimmt die Formulierung dieser Regeln das Erkenntnisinteresse der Dialoggrammatik. Sie geht also von einer klaren Trennung zwischen Kompetenz und Performanz aus (Hundsnurscher 1980: 91), die der von Chomsky (1965: 4) getroffenen Unterscheidung entspricht: »We thus make a fundamental distinction between competence (the speaker-hearer’s knowledge of his language) and performance (actual use of language in concrete situations«. Wenn Chomsky feststellt, dass »a grammar of a language purports to be a description of the ideal speaker’s-hearer’s intrinsic competence« (ebd), folgt daraus für die Dialoggrammatik, dass Dialoganalysen die Kompetenz der Sprecher zugrunde liegen muss. Der Bezug auf den idealen Sprecher bedeutet, dass Verstehen immer vorausgesetzt werden kann. Missverständnisse beruhen auf füllbaren Informationslücken, wobei die vorausgesetzten und von den Sprechern beherrschten Regeln eine Verständigung letztendlich immer ermöglichen oder der Dialog anderenfalls scheitert. Der Sprachgebrauch wird so analog zu einem regelgeleiteten Spiel erklärbar. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Beschränkung auf wohlgeformte Äußerungen bzw. Dialoge. Dass es Äußerungen gibt, die dem Wohlgeformtheitskriterium nicht entsprechen, wird dabei nicht bestritten. Da solche Äußerungen jedoch der Ebene der Performanz zugeordnet werden, sind sie für die Integrität des Modells unschädlich, denn »die Orientierung an der Kompetenz ist zwingend; die zugrunde liegenden Strukturen und Regeln können nicht durch eine noch so minutiöse Beschreibung und Interpretation einer Vielzahl von authentischen Gesprächen empirisch gewonnen werden« (Hundsnurscher 1980: 91). An dieser Stelle wird m. E. das Problem der Trennung von Kompetenz und Performanz sehr gut deutlich. So ist Hundsnurscher einerseits zuzustimmen, wenn er bezweifelt, dass rein empirische Untersuchungen, zumal solche, die sich mehr oder weniger auf »minutiöse Beschreibungen« beschränken und Evidenz bereits in der Empirie verankert sehen, am Kern des Problems vorbeigehen, indem sie zunächst
16 alles irgendwie Registrierbare als relevant ansehen und sich so den Blick auf zugrunde liegende Handlungsstrukturen verstellen. Andererseits stößt man ebenso auf Probleme, wenn man versucht, unter der Annahme einer isolierbaren Kompetenz idealer Sprecher von dieser Ebene zu der des Sprachgebrauchs, also der Performanz, zu gelangen. Diese erscheint dann geradezu chaotisch, und die Frage bleibt, warum der Unterschied zwischen angenommener Kompetenz und tatsächlicher Performanz häufig so groß ist, dass wir ihn keineswegs nur mit Missverständnissen, situativen Bedingungen oder anderen Einflüssen erklären können. Eine Lösungsmöglichkeit für dieses Problem wäre, die Ebene der kommunikativen Kompetenz zu erweitern bzw. immer weiter zu differenzieren, so dass sie die betreffenden Phänomene auf der Performanzebene berücksichtigen und erklären könnte. Man würde auf diesem Weg sicherlich ein Stück vorankommen; das Ziel, tatsächlich ein Regelwerk schaffen zu können, mit dem die Transformation von der Kompetenz zur Ebene der Performanz lückenlos erklärbar würde, bliebe jedoch eine Illusion. Die zweite Möglichkeit bestünde darin, die Trennung beider Ebenen aufzuheben. So geht Weigand (2001, 2003) von einer kommunikativen Kompetenz der Sprecher aus, die als eine Kompetenz-in-der-Performanz zu verstehen sei (2003: 173): Kompetenz-in-der-Performanz meint die Fähigkeit der Kommunikationspartner, mit dem Komplexen umgehen zu können, d. h. zwischen Ordnung und Unordnung vermitteln zu können. In der Kommunikation versuchen wir zunächst, Komplexität nach Regularitäten zu strukturieren. Wo diese an ein Ende gelangen, setzen wir andere Techniken ein, im wesentlichen Wahrscheinlichkeitsprinzipien der Vermutung.
Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass das Kompetenz/Performanz-Problem im Grunde ein Problem der angenommenen Regelhaftigkeit des Sprache und ihres Gebrauchs ist. Erst mit der Aufhebung dieser Dichotomie lässt sich der Sprecherwechsel im Rahmen eines offenen Modells, das neben Regeln auch Prinzipien der Wahrscheinlichkeit kennt, beschreiben (vgl. Kap. 3.1).
2.2.5 Die Negation der Regel durch Taylor/Cameron Einer gänzlich anderen Auffassung als Hundsnurscher folgen Taylor/Cameron (1987) in ihrer kritischen Arbeit zu konversationsanalytischen Ansätzen, in der sie die Existenz von Regeln sprachlicher Interaktion gänzlich ablehnen: What our discussions have shown is that every conversational model considered assumes conversation to consist in certain types of units, the production of which is governed by rules. It is this assumption which we take to be fundamentally misguided and to be the source of conceptual, theoretical and methodological difficulties [ . . .] (1987: 159).
17 Die Problematisierung eines Sprachverständnisses, das den Sprachgebrauch als ausschließlich regelgeleitet versteht, ist zwar überzeugend, jedoch bieten Taylor/Cameron keine Alternative in Form eines Modells, mit dem der Sprachgebrauch besser beschrieben werden könnte. Weigand (2000) kritisiert den radikalen Pessimismus als einen wenig konstruktiven Wechsel von einem Extrem in ein anderes, betont jedoch die Notwendigkeit, eine angenommene Regelhaftigkeit, wie sie der kommunikativen Kompetenz im Sinne der Dialoggrammatik unterliegt, zu problematisieren. Nach Weigand ist die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes, also des Sprachgebrauchs, als Ausgangspunkt für die Analyse zu wählen. Die Entwicklung einer Methodologie muss demnach aus einer umfassenden Untersuchung des Sprachgebrauchs hervorgehen: Such a methodology will accept rules, conventions and units but will take into account that they are only of restricted and partial relevance. In language use we behave and interact in cultural units which I call ›action games‹ (Weigand 2000: 4).
Auf das hier zentrale Konzept des Handlungsspiels wird in der theoretischen Grundlegung ausführlich eingegangen.
2.3 Untersuchungen zu politischen Interviews Während es in diesem Forschungsüberblick bisher darum ging, einige innerhalb der linguistischen Pragmatik wichtige Modelle zu skizzieren, soll im weiteren Verlauf zu konkreten Untersuchungen politischer Interviews kritisch Stellung genommen werden. Zwei bereits etwas weiter zurückliegende Arbeiten, die sich mit dem Interview als Textsorte befassen, sind die von Berens (1975) und Ecker et al. (1977). Auf Berens sei nur kurz eingegangen, da dessen streng empirische Untersuchung sich im Wesentlichen mit Fragen befasst, die für die vorliegende Arbeit nicht von Bedeutung sind. So belegt Berens z. B. anhand von 12 zufällig ausgewählten Interviewtexten, dass es »wesentliche Merkmale der Redekonstellation« gibt, die »konstituierend für den Redekonstellationstyp interview« (Berens 1975: 22) seien. Berens untersucht hier beispielsweise die Distribution nebensatzeinleitender Konjunktionen, wobei er signifikante Unterschiede zu anderen Textsorten feststellt. Außerdem bestätigt er seine Hypothese, dass Merkmale wie die Länge der Sprecherbeiträge, die Satzkomplexität oder die Distribution von Parenthesen mit der Rangverteilung der Kommunikationspartner korrelieren. Bedenkt man, dass Berens das Sprachverhalten im Rundfunk- und Fernsehinterview untersuchen möchte, ist aus heutiger Sicht das Fehlen einer handlungstheoretischen Fundierung zu kritisieren.
18 Diese wäre nötig, um das Verhalten der Kommunikationspartner in Interviews, genauer, deren Sprachgebrauch, analysieren zu können.
2.3.1 Das Interview als regelgeleitetes Rollenspiel Anders ist die Arbeit von Ecker et al. (1977) zu bewerten. Ihnen geht es darum, »die Textsorte Interview [. . . ] in ihren typischen Merkmalen« (13) zu beschreiben, wobei zunächst formale Merkmale dargestellt werden, die dann eine »erste und vorläufige Bestimmung der Funktionen des Interviews« ermöglichen sollen. Für die Autoren ist das Interview ein regelgeleitetes kommunikatives Rollenspiel, in der die Aufgabe des Interviewers darin besteht, »Anreize (Stimuli) zur Informationsabgabe durch den Interviewten« zu geben, während der Interviewte selbst nur als »der reagierende Teil, der ›nur‹ auf Fragen, Anregungen und Reizimpulse eingeht«, begriffen wird. Problematisch ist hier die Auffassung, das Interview könne hinreichend mit Hilfe solcher Spielregeln beschrieben werden. Zwar gibt es für das Interview charakteristische Regeln und Konventionen, was seinen formalen Ablauf und in Teilen die Rollenverteilung zwischen den Kommunikationspartnern betrifft; die Autoren stoßen jedoch selbst auf Schwierigkeiten bei der Analyse, wenn sie z. B. feststellen, dass der Interviewer sich in der Praxis tatsächlich nicht auf die Formulierung von Fragen beschränkt. Nicht akzeptabel ist m. E. der Lösungsweg, den Ecker et al. hier vorschlagen. Ausgehend von der angenommenen Regel, dass der Interviewer nur Fragen stelle, werden dessen Äußerungen, die z. B. als Behauptungen zu klassifizieren wären, durch »das Mittel der gezielten Umformulierung« (75) in eine andere syntaktische Form überführt, um sie als Fragen zu kennzeichnen. Behauptungen des Interviewers seien – dies wird einfach vorausgesetzt – verdeckte Fragen, und durch die Umformulierung würde deren verdeckte Fragestruktur »auch syntaktisch zum Ausdruck« gebracht (74). Das von Ecker et al. empfohlene Vorgehen der gezielten Umformulierung stellt m. E. einen gravierenden Eingriff in die Integrität des Untersuchungsgegenstandes dar, der eine funktionale Analyse des authentischen Interviewtexts unmöglich macht. Wird das Mittel der gezielten Umformulierung nicht akzeptiert, erscheint auch die vorgenommene Funktionsbestimmung des Interviewers fragwürdig. Er würde sich dann nicht mehr auf das Stellen von Wissensansprüchen beschränken, sondern eine weit komplexere Funktion wahrnehmen. Dass dies tatsächlich der Realität entspricht, soll im weiteren Verlauf der Arbeit deutlich werden. Die von Ecker et al. angenommene strikte Rollenverteilung findet sich jedoch durchgängig auch in der neueren Literatur zum politischen Interview, vor allem in den fast ausschließlich konversationsanalytisch geprägten Arbeiten aus dem angelsächsischen Raum, aber auch in den meisten gängigen Handbüchern für Journalisten. Für Konversations-
19 analytiker bedeutet eine Abweichung vom Frage-Antwort-Format einen gravierenden Verstoß gegen das turn-taking system, der mitunter einem Ende des Interviews gleichkommt.10 Wäre dies tatsächlich der Fall, wäre wohl einer Mehrzahl der heute gesendeten Interviews ihr Status als Interview abzusprechen.
2.3.2 Aspekte der Dialogsteuerung bei Schwitalla Zu genau dieser Einschätzung gelangt bereits Schwitalla (1979), wenn er feststellt, dass aus Anhaltspunkten wie dem »Frageprivileg« oder der Steuerung des Interviews durch den Journalisten keine Regeln für Medieninterviews ableitbar wären, deren Durchbrechung bereits die Aufhebung des Interviews bedeuten würden: »Es gibt zu viele Gegenbeispiele, wo gerade die I-ten hier die Initiative ergreifen« (Schwitalla 1979: 325). Schwitallas Untersuchung unterscheidet sich von den beiden bisher erwähnten vor allem durch ihre unvoreingenommene Herangehensweise. Die kommunikativen Mittel der Interviewpartner werden nicht von vornherein den entsprechenden Rollen zugeschrieben, sondern diese Zuordnung basiert auf einer handlungstheoretisch fundierten Analyse authentischer Interviews. Dabei geht Schwitalla zu Recht davon aus, dass nicht einzelne Züge analysiert werden dürften, sondern dass ein initiativer Zug – in Anlehnung an Steger (1975) – immer mit »Erwartungsnormen« verbunden sei, weshalb immer Sequenzen aus Aktion und Reaktion (Schwitalla spricht von initiierendem und respondierendem Akt) betrachtet werden. In dieser Arbeit soll von pragmatischen Ansprüchen die Rede sein, die mit dem Vollzug eines initiativen Sprechakts etabliert werden, die also auf eine bestimmte Reaktion des Kommunikationspartners abzielen. Anders als Schwitalla möchte ich aber über die Analyse von solchen Minimalpaaren hinausgehen, indem ich die Äußerungen der Interviewpartner immer auch auf einen übergeordneten Zweck des Interviews und rollenspezifische Interessen, die sich im gesamten Interviewverlauf widerspiegeln, beziehe. Auf diese Weise werden Strategien sichtbar gemacht, die ihrerseits die jeweiligen Orientierungen der Sprecher an Prinzipien dialogischen Handelns erkennen lassen. Schwitalla (1979: 72) untersucht in seiner Arbeit Möglichkeiten der Dialogsteuerung in Interviews, wobei er dialogaufrechterhaltende von dialogthematischen Steuerungen unterscheidet:
10 Vgl. z. B. Schegloffs (1989) Analyse eines Interviews mit dem damaligen Vize-Präsidenten der usa, George Bush, in dem dessen Unterbrechungen nach Auffassung Schegloffs einen Wechsel vom Interview zur Konfrontation darstellen.
20 Ein Dialogteilnehmer muss erst die Möglichkeit haben, das Wort zu ergreifen, um einem anderen überhaupt mitteilen zu können, was er will. Dialogaufrechterhaltende Steuerungen sind demnach die notwendige Bedingung für inhaltliche Steuerungen: ohne sie kommt ein Dialog überhaupt nicht zustande. Was ein Sprecher von seinem Hörer übers bloße Zuhören hinaus verlangt, und wie der Hörer dann auf diese ›Zumutungen‹ reagiert, wenn er an der Reihe ist, zu sprechen, das gehört in den Bereich der dialogthematischen kommunikativen Gesprächssteuerung.
Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung ist m. E. jedoch unklar. Natürlich muss z. B. ein Interviewer die Möglichkeit haben, eine Frage zu stellen. Indem er dies tut, führt er jedoch gleichsam den Dialog weiter und stellt einen Wissensanspruch, erwartet also eine Antwort, die sich auf eben diese Frage bezieht. Die Aufrechterhaltung des Dialogs und seine »thematische Steuerung« fallen also zusammen. Ausnahmen sind höchstens explizite Aufforderungen an den Interviewten, z. B. eine Frage zu beantworten, was allerdings nicht nur in Interviews selten vorkommt. Dies hängt mit der grundsätzlichen Dialogizität des Sprachgebrauchs zusammen, auf die ich in der theoretischen Grundlegung genauer eingehen werde.
2.3.3 Juckers pragmalinguistische Analyse Eine bis heute viel rezipierte Arbeit zu Interviews ist die von Jucker (1986). Der Titel, »News Interviews: a pragmalinguistic analysis«, ist jedoch insofern etwas irreführend, als Jucker nicht eine Methodologie zur Analyse entwickelt bzw. anwendet, sondern sich unterschiedlicher Modelle bedient. Dies stellt nach Jucker jedoch einen Vorteil dar, denn »in order to unravel the constraints and rules at work in a particular activity type, various methodologies have to join forces« (165). So sind die untersuchten Aspekte des Interviews recht heterogen und gelegentlich nur schwer in Bezug zueinander zu bringen. Unklar ist beispielsweise, warum in einer pragmatischen Analyse ein ganzes Kapitel statistischen Fragen der Äußerungslänge gewidmet wird. Problematisch wird Juckers bewusst methodenpluralistisches Vorgehen aber besonders dann, wenn Ansätze als komplementäre Analyseinstrumente herangezogen werden, die nur bedingten Bezug zueinander haben. So kann das vermeintliche Problem der Birmingham School of Discourse Analysis, sie biete, wie auch Searles Sprechakttheorie, keinen überzeugenden Weg, Äußerungssequenzen Handlungsfunktionen zuzuordnen, m. E. nicht einfach dadurch gelöst werden, dass Grices (1975) Kooperationsprinzip, Leechs (1983) Höflichkeitsprinzip und Brown/Levinsons (1978; 1987) Theorie gesichtsbedrohender Akte als Orientierungshilfen herangezogen werden. Der Anspruch, eine regelhaft rekonstruierbare Zuordnung von Äußerungsstrukturen zu Handlungsfunktionen zu ermöglichen, ist m. E. von vornherein verfehlt, da diese Verbindung letztlich nur vom Sprecher selbst eindeutig
21 hergestellt wird. Dieser Anspruch widerspricht auch der von Jucker zu Beginn seiner Arbeit betonten Tatsache, dass »pragmatics is not rule-governed but principle-controlled« (1). Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass eine Beschränkung auf bestimmte Prinzipien, wie z. B. die von Grice formulierten, das Problem der Zuordnung von Äußerungsformen zu Handlungsfunktionen löst, nicht zuletzt weil damit den Prinzipien wieder quasi der Status sprecherunabhängiger Regeln zugeschrieben würde. Die aktuelle Bedeutung einer Äußerung wird zwischen den Dialogpartnern ausgehandelt. Sie ist im Rahmen einer Analyse nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ermittelbar, wobei eine Beschränkung auf Kooperations- und Höflichkeitsprinzipien schon allein deshalb viel zu kurz greift, weil sie die von den Dialogpartnern verfolgten kommunikativen Interessen, die sich gerade in Interviews auch aus den jeweiligen institutionellen Rollen (vgl. auch Bell/van Leeuwen 1994) herleiten, weitgehend ignoriert. Aufschlussreich an Juckers Arbeit ist vor allem die Aufstellung verschiedener Möglichkeiten, interviewte Politiker in Konflikte zu verwickeln. Jucker spricht hier zwar von »ways to threaten the interviewees face«, was auf die Orientierung an Brown/Levinsons face-Konzept zurückzuführen ist. Die Liste ist aber insofern sehr hilfreich, als sie implizit auch Handlungsmaximen für Politiker erkennen lässt, die auch für diese Arbeit eine wichtige Rolle spielen.
2.3.4 Hoffmanns empirische Analysen Eine sehr umfangreiche empirische Analyse politischer Interviews bietet die Arbeit von Hoffmann (1982), in der der Versuch unternommen wird, anhand eines Korpus von 163 sehr kurzen Interviews insgesamt 16 Hypothesen zur Gestaltung und Funktion dieser »Sprechtätigkeit« (25) zu verifizieren. Angesichts der Zahl der untersuchten Interviews muss sich Hoffmann zwangsläufig auf eine Darstellung von statistischen Befunden beschränken, die seine Hypothesen entweder bestätigen oder widerlegen; dem Leser ist es jedoch nur sehr beschränkt möglich, die Ergebnisse am Material, das nur in Auszügen vorhanden ist, zu überprüfen, zumal er über entscheidende definitorische Grundvoraussetzungen im Unklaren gelassen wird. So könnte die interessante Hypothese, »kritische, engagierte Interviews« seien »absolut in der Minderzahl«, nur dann fundiert überprüft werden, wenn Hoffmann Kriterien dafür liefern würde, was er unter einem kritischen bzw. engagierten Interview versteht. Diese Bedingungen lassen sich aber im Grunde nur aus Hoffmanns Differenzierung übergeordneter Frageziele ableiten: Information, Meinung und Problematisierung, außerdem die Kombinationen Information/Problematisierung, Meinung/Information sowie Problematisierung/Meinung, »falls keine eindeutige Zuordnung möglich erscheint« (91). Nach Hoffmann werden die Inter-
22 views in den meisten Fällen zur Meinungsdarstellung und Eigenpräsentation der Politiker genutzt, wobei Information und Problematisierung zu kurz kommen. Allerdings stellt er eine Korrelation zwischen der Interviewlänge und dem Grad des Problematisierungsund Informationspotentials fest. So böten lediglich längere Interviews »differenzierte Argumentation«. Daher fordert Hoffmann, »kurze, lediglich darstellende Interviews auf ein Minimum zu reduzieren« (152). Unberücksichtigt bleibt der Rahmen, in dem die meisten von Hoffmann analysierten Interviews gesendet wurden. Es handelt sich dabei nicht um eigenständige Sendungen, sondern zumeist um Elemente, die in einen größeren Kontext, z. B. einen Beitrag der Tagesschau (ard) oder heute (zdf), eingebettet sind und die m. E. aus diesem nicht herausgelöst werden dürfen. Insofern muss das von Hoffmann kritisierte Informationsdefizit sicherlich relativiert werden. Beachtet man weiterhin, dass Nachrichtensendungen die Information des Zuschauers als obersten Zweck verfolgen und Objektivität – jedenfalls als Ideal (vgl. hierzu Weischenberg 1995) – dabei als eines der wichtigsten Prinzipien gilt, erklärt sich auch das weitgehende Fehlen kritischer Argumentationen. Interviews mit einer festgelegten durchschnittlichen Länge von knapp über zwei Minuten sind hierfür ohnehin kaum geeignet.
2.3.5 Ethnomethodologisch orientierte Arbeiten Die Literatur zum politischen Interview ist in den letzten Jahren nachhaltig vom konversationsanalytischen Paradigma beeinflusst worden. Greatbatch (1988) hat einen Vorschlag für das turn-taking system britischer Interviews erarbeitet, wobei er sich nur auf Nachrichteninterviews bezieht. Nach Greatbatch ist die institutionalisierte Rollenverteilung zwischen den Kommunikationspartnern das wichtigste Merkmal des Interviews, wobei er die Beobachtung macht, dass »irs and ies systematically confine themselves to producing turns that are at least minimally recognisable as questions and answers« (Greatbatch 1988: 404). Er räumt ein, dass dieses Format nicht immer strikt eingehalten werde, besteht aber dennoch auf der Annahme, dass diese Aufteilung im Interview grundsätzlich gilt. Problematisch ist hierbei, dass Greatbatch sich in seiner Argumentation lediglich auf die Äußerungsform stützt. So ist für ihn folgende Äußerung eine Frage (405): Int:
Well that makes you a Marxist, doesn’t it.
Die angehängte Bestätigungsfrage (question tag) doesn’t it gilt Greatbatch hier als Indikator für den Fragecharakter der Äußerung. Der Interviewte hat zuvor die Frage, ob er ein Marxist sei, negativ beantwortet, wobei er einräumte, dennoch die marxistische ökonomische Philosophie zu unterstützen. Folglich muss, wenn die angenommene Form des
23 Interviews eingehalten werden soll, der Interviewer darauf eine neue Frage stellen. Dies scheint jedoch, auch wenn die Frageform gewählt wird, nicht zuzutreffen. Die Äußerung hat eher die Funktion eines Repräsentativs, da auf der Grundlage einer Schlussfolgerung ein Wahrheitsanspruch gesetzt wird. Diesen Schluss legt auch die angegebene Intonation nahe. Der Interviewte soll so möglicherweise in einen Widerspruch verstrickt werden und damit unter den Druck geraten, diesen aufzulösen. Auf die nötige Unterscheidung von Form und Funktion wird im Rahmen der theoretischen Grundlegung dieser Arbeit genauer eingegangen. Heritage (1985) geht in seinen Analysen von news interviews unter anderem auf das Fehlen sogenannter third-turn receipts, also verstehensanzeigender Äußerungen wie hm oder ja, ein. Auch er bleibt dabei bei einer formalen Beschreibung von Frage-AntwortSequenzen, die das Interview strukturieren. Hier geht Clayman (1993) in seiner Untersuchung zu Umformulierungen von Fragen in Interviews zwar einen Schritt weiter, indem er den Zweck solcher Umformulierungen beschreibt: »Question reformulations may serve to indicate how a complex question will be dealt with, but they may also enable the public figure to sidestep the question« (1993: 159). Die Analysen von unterschiedlichen Interviews dienen ihm jedoch wiederum lediglich zur Illustrierung möglicher Umformulierungstechniken. Eine funktionale Analyse, so wird eingeräumt, »may be far from simple« (183), weshalb weitere Analysen sich auch auf »embedded reformulations« (185), also auf Umformulierungen, die nicht explizit vorgenommen werden, konzentrieren sollten. Damit wird ein Bereich in der Forschung zu Interviews angesprochen, der sich derzeit wachsenden Interesses erfreut. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang neben Arbeiten von Bull (1998) die Untersuchung Lauerbachs (2001), in der sie aufzeigt, wie Interviewte implizit ihre eigenen kommunikativen Ziele verfolgen, obwohl sie die Fragen des Interviewers scheinbar beantworten. Die Beobachtung, dass die Interviewpartner im Verlauf des Dialogs unterschiedliche Interessen verfolgen (vgl. auch Bucher 1994), die jedoch in einer rein formbezogenen Untersuchung nicht herausgearbeitet werden können, ist auch für die vorliegende Arbeit wichtig, da diese Interessen maßgeblich den ˇ Charakter des Interviews beeinflussen. Cmejrková (2003: 108) deutet dies ebenfalls an, indem sie feststellt, dass an interview is above all an encounter of two people, two individuals, whose discursive practices transgress those anticipated by their institutional roles and whose dialogical interaction shares many elements in common with other types of discourse, including casual conversation, ordinary dialogue, discussion, and controversy.
Aus diesem Grund hält sie eine klare Unterscheidung zwischen dem institutionalisierten Sprachgebrauch in Interviews und alltäglichem Sprachgebrauch für zweifelhaft, da letzterer die Grundlage für alle Gesprächsformen darstelle. Wie in jeglicher Konversation
24 werde Bedeutung auch im Interview zwischen den Teilnehmern ausgehandelt. Für Interviews sei jedoch die Asymmetrie der Möglichkeiten charakteristisch, weshalb die Form des Interviews der eines Kreuzverhörs entspreche. ˇ Die von Cmejrková beobachtete formale Asymmetrie wird in den meisten Untersuchungen zu Interviews betont und führt häufig zu einer angenommenen Privilegierung des Interviewers (siehe auch Doll 1979) hinsichtlich seiner Möglichkeiten der Dialogsteuerung, so auch bei Clayman/Heritage (2002). Deren breit angelegte sprach- bzw. kulturvergleichende Studie mit dem Titel »The News Interview. Journalists and public figures on the air« fußt im Wesentlichen auf den vielen in einzelnen Publikationen präsentierten Beobachtungen konversationsanalytischer Untersuchungen und illustriert die verschiedenen interviewspezifischen ›Ethnomethoden‹ anhand von Beispielen. Das Vorgehen ist dabei ebenfalls klassisch konversationsanalytisch: »Priority must be given to isolating and describing the elementary practices that constitute the basic building blocks of news interview interaction« (16). Die Basisbausteine sind dabei die Intervieweröffnung (siehe hierzu bereits Clayman (1991)), der durch das interviewspezifische turn-taking system gekennzeichnete eigentliche Kern und die Interviewbeendigung. Während in diesem Überblick auf die »openings and closings« (vii), denen die Autoren ein gesondertes Kapitel widmen, nicht eingegangen wird, sollen vor allem die Praktiken des Interviewens, wie sie von Clayman/Heritage dargestellt werden, näher betrachtet werden. Dies geschieht jedoch nicht ausschließlich im Rahmen dieses Forschungsüberblicks, sondern vor allem auch in der theoretischen Grundlegung für diese Arbeit sowie in den Analysen, wenn handlungsspielspezifische Prinzipien des Interviewens beschrieben werden. Zweifelsohne ist es ein Verdienst der zahlreichen konversationsanalytischen Studien, durch das genaue Studium großer Datenmengen eine Vielzahl von typischen Praktiken des Interviewens aufgedeckt zu haben. Was allerdings in der Regel fehlt, ist die Interpretation des Beobachteten in einem handlungstheoretischen Zusammenhang. So betonen zwar Clayman/Heritage, anders als die meisten konversationsanalytischen Arbeiten, dass die Kommunikationspartner in einem politischen Interview verschiedene Interessen verfolgen und bezeichnen das Interview als ein »game in action«: Like true games, the news interview is a distinct form of activity that is bounded off from the ordinary run of social life. It is organized by well-established rules [ . . .]. It is played through a series of moves and counter-moves. Its participants are locked in competition, and with varying levels of skill they deploy their moves strategically in pursuit of divergent goals and objectives (25).
Allerdings verzichten die Autoren dennoch darauf, das »game in action« auf der Basis eines kohärenten Handlungsbegriffs zu beschreiben. Vielmehr geht es ihnen darum, zu zeigen, welche Techniken die Kommunikationspartner einsetzen, um den Regeln des Spiels zu genügen. So verkennen letztlich auch sie, dass den Zweck des games nicht die Einhaltung der Regeln ausmacht, sondern die Einhaltung von ›Spielregeln‹ nur eine
25 Voraussetzung für das Erreichen der jeweiligen Ziele sein kann.11 Diese Problematik kann gut an folgenden Beispielen verdeutlicht werden. Eine Eigenschaft des Interviews, die immer wieder betont wird (vgl. u. a. auch Clayman 1988; Greatbatch 1988; Heritage/Greatbatch 1991) ist die angenommene Neutralität des Interviewers. Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie Neutralität im Interview sprachlich zum Ausdruck gebracht werden kann, welche Techniken der Interviewer also einsetzt, um nicht als Verfechter einer bestimmten Position aufzutreten. Ein Mittel, das konversationsanalytische Studien immer wieder betonen, liegt hiernach bereits im Formulieren von Fragen durch den Interviewten: [ . . .] Because the manifest purpose of a question is to solicit the interviewees’ point of view rather than to express a viewpoint in itself, this type of speech act has an intrinsically neutralistic quality (Clayman/Heritage 2002: 152).
Allerdings ist wiederholt zu bemerken, dass natürlich nicht jede Frageäußerung auch eine Fragehandlung vollzieht. Dies räumen die Autoren zwar ein12 , jedoch lässt ihr ermittelter Wert von 85% Fragehandlungen bezogen auf alle Interviewerzüge vermuten, dass die Trennung von Äußerungsform und Handlungsfunktion kaum konsequent vorgenommen worden sein dürfte. Zumindest lässt sich ein solch hoher Wert in kaum einem Interview nachvollziehen. Zu überlegen wäre eventuell, ob bei Vorliegen eines tatsächlichen Wissensanspruchs Neutralität gegeben ist, allerdings wäre es natürlich absurd, dann in der Neutralität – wobei noch zu fragen ist, was genau dieser Terminus bezeichnet – den Zweck der Fragehandlung zu sehen. Neutralität als Eigenschaft, dem Kommunikationspartner – und im Interview vor allem gegenüber dem Publikum – keine eigene Einstellung zu einem Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen, wird laut Clayman/Heritage jedoch auch auf eine andere Weise erreicht. Mit Bezug auf den von Goffman (1981) gebrauchten Begriffs des sog. footing (vgl. auch Clayman 1992 bzw. Lauerbach 200313 ) sprechen Clayman/Heritage von einer Technik des »speaking on behalf of a third party« (152ff.), wenn der Interviewer sich 11 Siehe zu dieser Problematik auch Kallmeyer (1996: 10), der sich in der Erläuterung seines Konzepts einer Gesprächsrhetorik von ausschließlich ethnomethodologischen Analyseverfahren ein Stück weit distanziert: »Die Beteiligten unterliegen dem interaktionsinhärenten Zwang zur Herstellung von Ordnung, aber ihre handlungspraktische Orientierung richtet sich auf das Verfolgen von Interessen; in der Beteiligtenperspektive hat Ordnung instrumentellen Charakter, sie widmen ihr gerade soviel Aufmerksamkeit wie nötig und versuchen ansonsten, sie für ihre praktischen Zwecke zu instrumentalisieren«. 12 Die Autoren weisen ausdrücklich auf die wohl unstrittige Tatsache hin, »that there is no one-to-one correspondence between the grammatical form of an utterance, and the action it performs. As we shall see, declaratively formatted utterances can function as questions, and interrogatively formatted utterances can accomplish many non-questioning actions- including assertions, agreements, and accusations« (Clayman/Heritage 2002: 100). 13 Lauerbach (2003: 176) gebraucht den Terminus voicing, wobei sie zwischen »free, indirect and free indirect speech« unterscheidet.
26 auf Dritte, z. B. andere Politiker, Experten, oder das Publikum o.ä. beruft, um so seine Neutralität zu wahren. Allerdings überzeugen die zahlreich aufgeführten Beispiele kaum, wie z. B.: ir: It’s been widely reported that these matters `e:re are an:d particularly have put. hhh heavy strains ou th- your relationship with the Foreign Secretary and indeed with the Chan:cellor. How would you defi::ne that relationship ( ) (Clayman/Heritage 2002: 153).
Was der Interviewer (John Cole) hier tut, ist m. E. nichts weiter, als auf die Einschätzung einer Situation, wie sie von einer dritten unbestimmten Person vorgenommen wurde, zu referieren, um anschließend seine Interviewpartnerin (Margaret Thatcher) zu einer eigenen Stellungnahme aufzufordern. Dabei bezieht er sich nicht auf (einen) Dritte(n), um seine Neutralität anzuzeigen, sondern weil die betreffende Einschätzung eben von diesem/n Dritten stammt. Dass damit in bestimmten Situationen auch ganz dezidierte Zwecke verfolgt werden können, wird in meinen Analysen deutlich werden. Interviewer, so soll gezeigt werden, orientieren sich vor allem in Argumentationsdiskursen an einem Referenzprinzip (vgl. Kap. 4.3.6.2), um vertretene Wahrheitsansprüche zu stützen. Eine solche Sichtweise ist jedoch für konversationsanalytische Arbeiten von vornherein ausgeschlossen, wenn sie, wie z. B. auch Heritage/Roth (1995: 2), davon ausgehen, dass »interviewers are specifically not authorized to argue with, debate, or criticize the interviewees’ point of view [. . . ].« Dass dies für eine ganze Klasse von Interviews nicht zutrifft, soll in den Analysen von Interviews, die als argumentative Handlungsspiele einen eigenen Interviewtyp bilden, gezeigt werden. Neben der Unterscheidung von Fragetechniken in »defensible« bzw. »adversarial questioning« führen Clayman/Heritage eine weitere Unterscheidung ein, die nicht nur für Interviews relevant ist. Dabei geht es um das Problem, wann die Reaktion auf eine Frage als Antwort oder aber als ausweichender Zug zu bewerten ist. Dieses Problem ist bei der Analyse von politischen Interviews insofern relevant, als gerade Politikern immer wieder bescheinigt wird, auf Fragen nicht richtig zu antworten, ihnen auszuweichen oder sie gar zu ignorieren (vgl. Harris 1991). Die zunächst grundsätzlich zu klärende Frage in diesem Zusammenhang ist, was eigentlich eine Antwort ausmacht, wie also beurteilt werden kann, ob eine Äußerung als Antwort zu klassifizieren ist. An dieser Stelle zeigt sich erneut die Schwäche der Konversationsanalyse, da eine Definition, die nicht den Handlungscharakter einer Äußerung in den Mittelpunkt stellt, unbefriedigend bleiben muss. So bezeichnen Clayman/Heritage Antworten zwar als »type of social action« (242) und erkennen die Unzulänglichkeit einer Antwortdefinition als "action that addresses the agenda of topics and tasks posed by a previous question" (ebd.). Hinzu käme das Problem, dass »there is no primary indicator or marker of ›answering‹ (unlike questioning, which is typically marked by interrogative syntax)« (243). Dazu ist zu bemerken, dass die
27 Position in der Sequenz einen Zug als Antwort ausweist, wenn ihm eine Frage vorausgeht, wenn also von einem Kommunikationspartner ein Wissensanspruch etabliert wurde.14 Damit ist allerdings noch nicht das Problem geklärt, ob der reaktive Zug auch tatsächlich als Antwort bewertet werden kann, da dazu ein Eingehen (positiv oder negativ) auf diesen Wissensanspruch feststellbar sein muss. Auf das in diesem Zusammenhang näher zu erläuternde dialogische Prinzip wird in der theoretischen Grundlegung eingegangen. Festzuhalten ist hier zunächst, dass sich in einer an Handlungskategorien orientierten Analyse grundsätzlich das von Clayman/Heritage formulierte Problem gar nicht stellt. Die Entscheidung, ob ein Politiker eine Frage beantwortet hat oder ihr ausweicht, ob er also auf einen Wissensanspruch eingegangen ist oder nicht, ist ohnehin abhängig von der Perspektive des Betrachters. Im Rahmen dieser Arbeit werden unterschiedliche Möglichkeiten von Politikern, ein positives Eingehen auf Wissensansprüche zu vermeiden, aufgezeigt. In diesem Zusammenhang spielen dann auch eine Reihe der Beobachtungen Claymans und Heritages eine Rolle, jedoch soll das Verweigern einer Antwort oder das Ausweichen vor einer Frage nicht als ›departure‹ von einem turn-taking system verstanden werden, zumal – und hier irren Clayman/Heritage ganz offensichtlich – Politiker nicht zur Antwort verpflichtet sind. Die Auffassung, dass »attempts to resist, sidestep, or evade are [. . . ] accountable actions that usurp the interviewer’s role and prerogatives in the encounter« (239), wird hier demnach nicht geteilt.
2.4 Implikationen für das eigene Vorgehen Aus dem bereits beschriebenen Verhältnis von Medien und Politik und aus der Kritik an einer Reihe von Untersuchungen zu politischen Interviews geht hervor, dass es zweifelhaft ist anzunehmen, Politiker würden sich lediglich auf die Rolle der Antwortenden beschränken. Umgekehrt dienen scheinbare Fragehandlungen von Journalisten nicht zwangsläufig der Ermittlung von Informationen, sondern richten sich bisweilen auf ganz andere Zwecke, die im weiteren Verlauf der Arbeit noch genauer ergründet werden sollen. Vermeidet man einen direkten Schluss von der Form einer Äußerung auf die Handlungsfunktion, wird die Analyse politischer Interviews wesentlich komplizierter, da sie u. a. die von Wolf (1998: 11) thematisierten »Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Politik- und Sprachanalyse« in den Blickpunkt rückt. Jedoch haben politische Inter14 Weigand (2003a: 85) definiert Antworten als »sequenzabhängige perlokutive Sprechakte nach Explorativen, die den Sprecher, hier den Antwortenden, festlegen.«
28 views Funktionen, zu deren Beschreibung eine in ihren Grundzügen letztlich formale Analyse nicht genügend beiträgt. Während des Interviews verfolgen die Kommunikationspartner – auch dies wird in den Analysen zu zeigen sein – teilweise unterschiedliche Interessen, die sich aus ihren Rollen ergeben. So tritt ein Politiker meist in der Rolle eines Repräsentanten seiner Partei und deren Positionen auf. Die Wahrnehmung dieser Rolle beeinflusst sein Verhalten im Interview. Insofern gilt für das politische Interview, was Holly/Kühn/Püschel (1989: 2) für politische Fernsehdiskussionen formuliert haben: Es ist personenbezogen, plakativ, emotional; es geht um alles mögliche: Information, Unterhaltung, Selbstdarstellung, Karrierearbeit, Parteienwerbung, Legitimation, Interessenartikulation, Beschwichtigung, Meinungsbildung usw.; das meiste davon wird nicht explizit verfolgt, sondern unauffällig bis verdeckt.
Diese Beobachtung gilt auch für die hier untersuchten Interviews. Um sie genauer analysieren zu können, muss im Folgenden ein Modell gewählt werden, das die Form des Interviews berücksichtigt und darüber hinaus eine funktionale Analyse ermöglicht. Dem Modell muss also ein klarer Handlungsbegriff zugrunde liegen. Da es sich bei jedem Interview um einen Dialog handelt, besteht ein weiterer wichtiger Anspruch an das Modell in der Anerkennung der Dialogizität sprachlichen Handelns. Darüber hinaus ist es wichtig, die beschriebene Komplexität des Untersuchungsgegenstandes im Auge zu behalten. Das Modell muss berücksichtigen können, dass das politische Interview Ausdruck eines vielfältigen gesellschaftlichen Beziehungsgeflechts ist. Es ist auf einer Ebene durch das Verhältnis von Medien und Politik und auf einer anderen durch die sich daraus ableitenden Interessen der Interviewpartner bestimmt. Daraus folgernd muss berücksichtigt werden, dass der Sprachgebrauch in Interviews, wie überhaupt jeglicher Sprachgebrauch, nicht auf der Textebene allein erklärbar ist. Ein Modell, das von der Annahme ausgeht, jeglicher Sprachgebrauch sei mit Hilfe eines ihm zugrunde liegenden Regelwerks erklärbar, kann Prinzipien in dem hier verwendeten Sinn nicht akzeptieren. Daher muss das zu wählende Modell eine Unterscheidung zwischen Regeln, Konventionen und Prinzipien des Sprachgebrauchs treffen. Es muss gleichwohl auch eine Einschränkung anerkennen, die für alle Modelle, auch in den Naturwissenschaften, gilt: Jede Analyse bleibt immer die Beobachtung und somit die Konstruktion eines Phänomens unter den natürlichen Voraussetzungen des Beobachters und unter den Voraussetzungen der im Modell enthaltenen Prämissen. Letztere können durch ein offenes Modell, das Wahrscheinlichkeiten an die Stelle von Regeln im klassisch grammatischen Sinn stellt, in ihrer Auswirkung auf die Beobachtung minimiert werden. Konkret bedeutet diese Forderung an das zu wählende Modell, dass die Methodologie aus der Beobachtung des komplexen Phänomens entwickelt worden sein muss und nicht auf vereinfachenden Annahmen über den Untersuchungsgegenstand beruhen darf, die, da sie ihm vorausgehen, den Blick für seine Komplexität bereits verstellen.
3
Theoretische Grundlegung
3.1 Ausgangspunkt: Das Modell des dialogischen Handlungsspiels In ihrem Aufsatz »The Dialogic Action Game« hat Weigand (2000) aus einer kritischen Bestandsaufnahme über den derzeitigen Stand der Dialoganalyse (vgl. auch Weigand 2003b) das Modell des dialogischen Handlungsspiels entwickelt. Die Bandbreite der heute zur Verfügung stehenden Modelle reicht von vollkommen regelgeleiteten bis hin zu solchen, die Regeln vollkommen ablehnen, von rein empirisch bis hin zu ausschließlich deduktiv vorgehenden (2000: 1). Einige dieser Ansätze sind bereits im Forschungsüberblick aufgeführt worden. Der entscheidende Schritt, den Weigand seinerzeit mit der Entwicklung ihres Modells vollzogen hat, liegt in dessen Öffnung. Während strikt regelgeleitete Modelle den Sprachgebrauch im Grunde nur auf der Ebene der Kompetenz eines idealen Sprechers beschreiben können und damit viele Phänomene, die im Gebrauch der Sprache zu beobachten sind, ausklammern müssen oder gar nicht zur Kenntnis nehmen, führt die vollkommene Negation von Regeln des Sprachgebrauchs letztendlich in eine Sackgasse, da sie konsequenterweise das Ende einer wissenschaftlichen Untersuchung des Sprachgebrauchs bedeuten müsste. Ein offenes Modell dagegen kann existierende Regeln und Konventionen des Sprachgebrauchs berücksichtigen und darüber hinaus der Erkenntnis Rechnung tragen, dass er eben nicht wie ein Schachspiel funktioniert, in dem beide Spieler mit den gleichen begrenzten Möglichkeiten ausgestattet sind (Weigand 2000: 6). Vielmehr orientieren sich die Sprecher im Handlungsspiel an Prinzipien, auf die in diesem Kapitel näher eingegangen wird. Damit wird keineswegs bestritten, dass es auch Regeln und Konventionen des Sprachgebrauchs gibt, die von den Sprechern befolgt werden müssen, damit Kommunikation möglich wird. Allerdings reichen Regeln und Konventionen nicht aus, um Verständigung zu gewährleisten. Ein Prinzip in dem von Weigand vorgeschlagenen Sinn ist »a technique of orientation in complex and open surroundings« (2000: 8). Mit der Abkehr von der Vorstellung, der dialogische Sprachgebrauch sei auf der Grundlage von Regeln beschreibbar, übernehmen Prinzipien die Funktion, den Sprechern Orientierungen für die Verfolgung ihrer kommunikativen Zwecke zu geben. Damit wird der Sprachgebrauch beschreibbar als ein Phänomen, das durch Wahrscheinlichkeiten an Stelle fester Zuordnungen im klassisch grammatischen Sinn gekennzeichnet ist (vgl. Weigand 2003b). Das wichtigste Argument für die Offenheit des Modells und die Skepsis gegenüber
30 Ansätzen, die den Sprachgebrauch als ausschließlich regelgeleitet betrachten und analysieren, leitet sich aus der einfachen Tatsache ab, dass Sprache von Menschen gebraucht wird. Daraus folgt für das Modell des dialogischen Handlungsspiels, dass die Untersuchung des Sprachgebrauchs den Menschen und dessen natürliche Voraussetzungen und Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen muss (Weigand 2000: 6): In language use we behave and interact in cultural units which I call ‘action games’. [ . . .] At the centre of these units there are human beings with human characteristics, i. e. in principle different human beings with different cognitive backgrounds and different personal experiences, which inevitably imply different understandings.
Sprecher treten in einen Dialog, um ihre jeweiligen Positionen auszuhandeln (vgl. auch Rickheit/Strohner 1993: 45). Der interaktive Zweck eines Handlungsspiels hängt dabei von den Einstellungen der Sprecher ab. Mit Habermas (1981) könnte man zwischen einer verständigungs- und einer erfolgsorientierten Einstellung der Kommunikationspartner unterscheiden, wobei jedoch eine klare Grenzziehung im Einzelfall oft schwer fallen dürfte. Der Begriff ›Verständigung‹, wie er von Weigand gebraucht wird, darf nicht in dem vielleicht zunächst naheliegenden engen Sinne ausgelegt werden, als ob es um eine Einigung über einen aktuellen Sachverhalt ginge. Handlungsspiele sind immer eingebettet in ein Netzwerk von Bedingungen sozialer und kultureller Art, von dem sie nicht isoliert werden können, von dem also auch in der Analyse nicht abstrahiert werden darf. Die Bedingungen, unter denen ein Handlungsspiel abläuft, gehören gleichsam zu seinen unmittelbaren Konstituenten und beeinflussen die Möglichkeiten der Verständigung. So muss für diese Arbeit z. B. insbesondere der institutionelle Rahmen, in den Interviews eingebettet sind, berücksichtigt werden. Im ersten Kapitel ist bereits die Komplexität der Beziehungen, denen das Interview unterliegt, geschildert worden. Das Verhältnis von Politik und Medien, das sich in einer bestimmten Rollenverteilung im Interview konkretisiert, ist ein wichtiger Faktor innerhalb der Handlungsspiele, die in der Form des Interviews ablaufen. Hier sind die unterschiedlichen Interessen, die gegenseitigen Abhängigkeiten und der formale Rahmen Faktoren, die den Sprachgebrauch des Einzelnen und damit die Verständigung insgesamt beeinflussen.
3.2 Die Theorie des dialogischen Handlungsspiels Für diese Arbeit soll der aktuelle Stand der Theoriebildung zum dialogischen Handlungsspiel zugrunde gelegt werden. Insbesondere die Anwendung des Modells bei der Analyse
31 authentischer Handlungsspiele aus so unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft (vgl. Schnöring demn.), Politik, Recht oder Medienkommunikation hat dazu beigetragen, das ursprünglich entwickelte Modell des dialogischen Handlungsspiels in eine umfassende Theorie dialogischen Handelns zu integrieren, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Die wesentlichen Grundzüge können jedoch hier dargelegt werden. Die erste Frage, die der Formulierung einer Theorie vorausgeht, ist die nach dem Untersuchungsgegenstand. Dieser besteht für Weigand im Gebrauch der Sprache durch den Menschen, genauer, in der Analyse menschlicher Kompetenz-in-der-Performanz. Weigand (2000; 2002; 2004) beginnt mit der Aufstellung einer Reihe fundamentaler Prämissen über diesen Untersuchungsgegenstand, um dann in einem zweiten Schritt eine angemessene Methodologie zu entwickeln. Die entscheidenden Prämissen sind teilweise bereits erwähnt worden, sollen an dieser Stelle jedoch noch einmal zusammengefasst werden (siehe auch Weigand demn. a): – Competence-in-performance is the complex integrated ability of human beings to orientate themselves in dialogic interaction. In order to describe it we need an interactively autonomous unit and a heuristic key. – The unit is the cultural unit of the Dialogic Action Game which includes all variables which influence dialogic interaction in the specific action game. – The game is not a chess game based on rules which are the same for both sides, but a creative and adaptive game based on principles of probability. – Dialogic interaction is not interpretation but action and reaction. If we do it at all, we interpret an utterance only in problematic cases when we are not sure what the speaker intended to mean. To some extent, interpretation is part of the negotiation process. Strictly speaking, however, it is a meta-dialogic step, correlated to the cognitive level of reflecting on meaning and understanding, which is not the level of interaction. – The heuristic key, which enables us to open up the complex object competence-in-performance, must be a dominant feature of the human species. In my view, it is a basic drive of human beings to maintain their position in the social group. It is due to this survival drive that they are purposeful beings, guided by interactive purposes and individual interests.
Den Kern der Theorie des dialogischen Handlungsspiels bilden drei Typen von Prinzipien, an denen sich die Kommunikationspartner in jedem Handlungsspiel orientieren: konstitutive, regulative und exekutive Prinzipien.
3.2.1 Konstitutive Prinzipien Die konstitutiven Prinzipien bilden die drei Basisprinzipien dialogischen Handelns. Zum besseren Verständnis sollen sie bereits an konkreten Beispielen aus politischen Interviews erläutert werden.
32 3.2.1.1 Das Handlungsprinzip »The Action Principle states that taking communicative actions means pursuing specific dialogic purposes with specific dialogic means« (2000: 9). Sprachliches Handeln ist demnach wie jedes Handeln zweckgerichtet. Zum Erreichen eines kommunikativen Zwecks setzt ein Sprecher geeignete kommunikative Mittel ein. Diese sind jedoch nicht nur verbaler, sondern ebenso kognitiver und perzeptiver Natur und werden gemeinsam, also nicht voneinander trennbar, verwendet (2000: 9). So fließen beispielsweise in die sprachlichen Handlungen eines Journalisten im Interview dessen Annahmen über das Wissen oder die Einstellung des jeweiligen Politikers und des Publikums ein, weshalb längst nicht alles, was mit dem Vollzug eines Sprechakts ausgedrückt wird, auf der verbalen Ebene expliziert werden muss. Aus diesem Grund ist die Beziehung zwischen dem kommunikativen Zweck eines Sprechakts und den kommunikativen Mitteln, die zur Erreichung dieses Zwecks eingesetzt werden, auch nicht auf der Grundlage sprecherunabhängiger Regeln herstellbar, wie folgendes Beispiel zeigt: (1) Newsnight, bbc 2, 14.5.2002, ir=Jeremy Paxman, ie=Tony Blair ' ( ) *
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Ausgehend von der Äußerungsform könnte es sich bei der Äußerung in 191 um einen explorativen Sprechakt handeln. Der damit etablierte Wissensanspruch würde dann eine Antwort auf die Frage erwarten lassen, ob der Premierminister es bereue, die Erhöhung von Abgaben zur Sozialversicherung entgegen einer früheren Ankündigung geplant, umgesetzt, und damit die Bürger getäuscht zu haben. Diese Interpretation wäre jedoch nur unter der Bedingung sinnvoll, dass der Wahrheitsgehalt zweier Präsuppositionen von beiden Interviewpartnern als unstrittig angesehen würde: 1. Die Abgaben zur Sozialversicherung wurden erhöht. 2. Blair hat die Bürger getäuscht, da er eine solche Erhöhung ausgeschlossen hatte. Aus der Reaktion Blairs wird ersichtlich, dass nur die erste Präsupposition1 als unstrittig 1 Auf die verschiedenen Möglichkeiten, Präsuppositionen in Intervieweräußerungen strategisch einzuset-
33 wahr gelten kann. Den Wahrheitsanspruch der zweiten übernimmt er offensichtlich nicht (192), sondern weist ihn zurück und versucht, einen entgegengesetzten Wahrheitsanspruch argumentativ zu vertreten. Folglich behandelt er die Äußerung des Interviewers nicht wie einen explorativen, sondern – bedingt durch die in der Äußerung enthaltene Präsupposition – wie einen repräsentativen Sprechakt und erfasst damit auch Paxmans Intention, trotz der verwendeten Frageform einen Wahrheitsanspruch zu etablieren. Auf das Problem der Zuordnung von Äußerungsformen und Handlungsfunktionen wird in Kap. 4.1.2 noch einmal gesondert eingegangen. An dieser Stelle sei zunächst festgehalten, dass die Handlungsfunktion, die dem initiativen Sprechakt vom Interviewpartner zugeschrieben wird, von dessen individuellen Annahmen über die Absicht des interviewenden Journalisten abhängt. Der empirisch erfassbare Text im obigen Beispiel beinhaltet dabei offensichtlich längst nicht alles, was von Paxman tatsächlich ausgedrückt wird. Wie die Analysen zeigen werden, kann diese Eigenschaft des Sprachgebrauchs insbesondere durch die Verwendung von Präsuppositionen strategisch genutzt werden. Da die Kommunikationspartner sich bei der Interpretation aber nicht lediglich auf die verbale Äußerung stützen, sondern gleichsam ihre kognitiven Fähigkeiten, also z. B. ihr Wissen um die Situation und ihre Vermutungen über die Ziele des anderen nutzen, gelangen sie zu Einschätzungen über die Zwecke, die innerhalb des Dialogs verfolgt werden. Entscheidend ist zunächst jedoch, dass Äußerungen aufgrund des Handlungsprinzips immer als zweckgerichtet aufgefasst werden. Die Beziehung zwischen kommunikativen Zwecken und Mitteln ist aufgrund der kognitiven Voraussetzungen wie z. B. Annahmen, Einstellungen und Vorwissen nicht regelhaft generalisierbar, so dass letztendlich nur der Sprecher selbst, also in diesem Fall der Interviewer, weiß, welche Handlungsfunktion mit seiner Äußerung verbunden war. Dennoch lässt sich diese Handlungsfunktion im Kontext des gesamten Handlungsspiels mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestimmen. Aufgrund der gezeigten Unbestimmtheit der Handlungsfunktion, mit der sich der Kommunikationspartner, aber auch der Beobachter der Kommunikation, auseinandersetzen muss, spricht Weigand vom Handlungsprinzip. Zusammenfassend kann es als ein grundlegendes Prinzip des Sprachgebrauchs bezeichnet werden, das das In-BeziehungSetzen von kommunikativen Zwecken und den zu ihrer Erreichung eingesetzten kommunikativen Mitteln als individuelle Leistung beschreibt, die von den natürlichen Voraussetzungen des Individuums nicht gelöst werden kann. Daraus ergibt sich die bereits erwähnte Notwendigkeit, von einem ausschließlich regelgeleiteten Konzept des Sprachgebrauchs abzusehen und stattdessen Prinzipien sprachlichen Handelns, an denen sich alle Sprecher orientieren, anzunehmen.
zen, wird vor allem in den Analysen noch ausführlicher eingegangen.
34 Wenn, wie dargelegt wurde, die tatsächliche Handlungsfunktion eines Sprechakts letztlich nur der Sprecher mit Sicherheit kennt, so bedeutet dies dennoch nicht, dass der Kommunikationspartner keine Möglichkeit hätte, die intendierte Handlungsfunktion zu erkennen. Die Orientierung an dem noch zu beschreibenden Kohärenzprinzip ermöglicht es den Akteuren in einem Handlungsspiel, über die Äußerungsform hinausgehende Indikatoren für die Bestimmung der Handlungsfunktion heranzuziehen. Zu diesen Faktoren gehören u. a. Annahmen über Interessen des Kommunikationspartners, die nicht nur hinter einem einzelnen Sprechakt stehen, sondern ganze Sequenzen bzw. komplette Handlungsspiele dominieren können. Weigand (demn. a) hat dies in der Theorie des dialogischen Handlungsspiels berücksichtigt, indem sie Searles Formel F(p) zur Beschreibung der funktionalen Struktur eines Sprechakts erweitert hat: (Fig. 1) Kommunikative Handlung interest [F(p)] ↔ kommunikative Mittel Die Kategorie interest kann in Abhängigkeit von den jeweiligen Handlungsspielen unterschiedlich besetzt sein. Für politische Interviews lassen sich hier, wie im weiteren Verlauf der Arbeit gezeigt werden soll, verschiedene Möglichkeiten angeben. An dieser Stelle soll jedoch bereits vorweggenommen werden, dass die Annahmen der Interviewpartner, welche grundsätzlichen übergeordneten Interessen der andere jeweils verfolgt, sich bis auf die Ebene der Interpretation einzelner Äußerungen auswirken.
3.2.1.2 Das dialogische Prinzip Indem im oben genannten Beispiel bereits auf die Reaktion Blairs eingegangen wurde, ist das zweite konstitutive Prinzip dialogischen Handelns bereits angesprochen worden. Offensichtlich besteht zwischen der Handlungsfunktion des initiativen Sprechakts und der Reaktion des Kommunikationspartners ein Zusammenhang. Mit dem Vollzug eines initiativen Sprechakts wird auf der funktionalen Ebene bereits eine eingrenzbare Menge möglicher Reaktionen etabliert. So kann Blair, wenn er Paxmans Sprechakt als Repräsentativ interpretiert, nur auf den damit gesetzten Wahrheitsanspruch eingehen, indem er ihn akzeptiert, zurückweist und/oder einen Klärungsdialog initiiert. Die Minimalform des dialogischen Handlungsspiels besteht aus einer Aktion und einer Reaktion, einem initiativen und einem reaktiven Sprechakt. Da jeder Sprechakt einen pragmatischen Anspruch stellt, existiert er nie isoliert, sondern nur als Teil eines minimalen Dialogs, der den zum initiativen Sprechakt gehörenden reaktiven Sprechakt mit einschließt. Initiativer und reaktiver Sprechakt sind also nicht nur auf einer formalen Ebene voneinander zu unterscheiden, sondern stellen funktional unterscheidbare Hand-
35 lungstypen dar, deren interne Beziehung das dialogische Prinzip beschreibt. Zwischen dem Stellen eines kommunikativen Anspruchs und dem Eingehen auf denselben besteht ein rationaler und konventioneller Erwartungszusammenhang (Weigand 1991: 89; Weigand 2000: 10). Von einem dialogischen Prinzip ist deshalb auszugehen, weil der mit einem Sprechakt verfolgte kommunikative Zweck nicht von vornherein feststeht (Blair hätte Paxmans initiativen Sprechakt, wie bereits erwähnt, auch als Frage deuten können). Die Zuordnungen finden also erst im Verlauf des Dialogs statt und sind nicht mit Hilfe eines Regelsystems überindividuell festlegbar. Daher besteht in jedem Dialog auch die Möglichkeit des Missverständnisses.
3.2.1.3 Das Kohärenzprinzip Dass Verstehen tatsächlich jedoch in den meisten Fällen gesichert ist, gewährleistet das Kohärenzprinzip: [ . . .] in language use coherence is not a relation between different pieces of text but a principle used by the interlocutors, namely the joint attempt by the interlocutors to understand and to give sense to what is going on (2000: 12).
Aus dieser Definition geht hervor, dass Kohärenz nicht auf der Textebene anzusiedeln ist, sondern vielmehr ständig im Verlauf eines Dialogs von den jeweiligen Kommunikationspartnern neu gestiftet wird. Diese Erkenntnis ist keineswegs selbstverständlich. So geht z. B. Sinclair (1994) davon aus, dass der empirisch erfassbare Text bereits alle Informationen enthält, die ein richtiges Verstehen ermöglichen. Das bereits diskutierte Interviewbeispiel kann hier nochmals zur Klärung dienen. Wären, wie von Sinclair behauptet, alle Informationen für ein richtiges Verstehen bereits im initiativen Sprechakt enthalten, so dürfte es keinen Interpretationsspielraum für die Zuordnung der vom Interviewer intendierten Handlungsfunktion geben. Dies ist jedoch, wie bereits dargelegt wurde, nicht der Fall. Wie soll allein auf der verbalen Ebene entschieden werden, ob hier eine Frage oder aber eine Präsupposition, eine Behauptung im Fragesatz, und damit möglicherweise eine andere Handlungsfunktion vorliegt? Diese Entscheidung trifft der Interviewpartner aufgrund seines Wissens um die Gesamtsituation, in der die Äußerung vollzogen wurde. Er setzt also seine kognitiven Fähigkeiten ein, um der Äußerung eine Funktion, und damit auch erst einen Sinn, zuzuschreiben. Mit dem Handlungsprinzip, dem dialogischen Prinzip und dem Kohärenzprinzip sind die drei konstitutiven Prinzipien dialogischen Handelns beschrieben. Wie deutlich geworden sein sollte, sind diese Prinzipien nicht voneinander trennbar, sondern wirken in jeder Kommunikation zusammen und ermöglichen so überhaupt erst sinnvolle Interaktion. Damit ist jedoch nur ein Teil der Prinzipien beschrieben, an denen sich die Kommunikationspartner in jedem Handlungsspiel orientieren.
36
3.2.2 Regulative Prinzipien Waren die drei bisher behandelten konstitutiven Prinzipien bereits integraler Bestandteil des Modells des dialogischen Handlungsspiels, wie Weigand es in ihrem Aufsatz »The Dialogic Action Game« (2000) erstmals systematisch vorgestellt hat, so stellen die nun zu erläuternden regulativen Prinzipien eine Erweiterung dar, die eine differenziertere Erklärung des Sprachgebrauchs ermöglicht. Die Annahme von regulativen Prinzipien beruht auf der Beobachtung, dass gewisse menschliche Fähigkeiten nicht isoliert voneinander existieren, sondern sich regulierend aufeinander auswirken.
3.2.2.1 Regulatives Prinzip von Rationalität und Emotion Insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Sprache und Emotion und damit auch mit Forschungsergebnissen aus den Bereichen der Neurologie und Psychologie hat dazu geführt, die Notwendigkeit, in einer Theorie des Sprachgebrauchs den wichtigen Aspekt der Emotionen fest zu integrieren, anzuerkennen. Das Wissen um diese Notwendigkeit ist zwar schon lange vorhanden, jedoch ergaben sich für die klassische Pragmatik bisher scheinbar unüberwindbare Schwierigkeiten, Emotionen in Modelle und Analysen einzubinden (vgl. auch Fiehler 1990). Dieses Defizit ist m. E. vor allem dem Umstand geschuldet, dass das Verständnis des Sprachgebrauchs und die damit verbundenen Handlungsbegriffe meist ausschließlich auf einem strengen Konzept der Rationalität und Regelhaftigkeit begründet sind. Kommen Emotionen ins Spiel, geraten traditionelle regelbasierte Modelle in Schwierigkeiten, da ihre Erklärungskraft an Grenzen stößt. Weigand nimmt bei der Formulierung des regulativen Prinzips der Rationalität und Emotion an, dass die Begriffe Kognition und Emotion sich auf Fähigkeiten des Menschen beziehen, die sich evolutions- und zivilisationsgeschichtlich nicht trennen lassen (vgl. auch Andersen/Guerrero 1997: 50), sondern in einem engen Verhältnis zueinander stehen2 und sich gegenseitig regulieren: (Fig. 2) Regulative Principle emotion ↔ reason Ein wichtiger Aspekt für die Untersuchung authentischen Sprachgebrauchs ergibt sich nun aus der Tatsache, dass wir uns des gegenseitigen Einflusses von Rationalität und 2 Siehe hierzu z. B. auch Pinker (1997: 370), der Emotionen als »adaptations, well-engineered software modules that work in harmony with the intellect and are indispensable to the functionig of the whole mind« beschreibt.
37 Emotion, also auch der Abhängigkeit unseres Denkens von unseren Gefühlen (und umgekehrt) durchaus bewusst sind. Der Versuch, diese beiden Komponenten zu trennen, findet in unterschiedlichem Maße vor allem im Bereich der verbalen Mittel3 und abhängig von den Handlungsspielen statt, in denen wir aktuell agieren. Hier haben sich in verschiedenen Kulturen teilweise sehr unterschiedliche Konventionen entwickelt (vgl. hierzu z. B. Walrod 2004). So ist es, um das Beispiel des politischen Interviews zu nehmen, ein Prinzip, dass Emotionen von Journalisten und Politikern weitgehend kommunikativ unterdrückt werden, um den Eindruck eines sachlichen, auf Rationalität basierten Gesprächs zu wahren. Werden Emotionen sichtbar, so geht dies häufig mit einem Konflikt zwischen Journalist und Interviewer einher. Fiehler (1990: 22) spricht in diesem Zusammenhang von einem »precept of emotional neutrality«, das für die meisten institutionalisierten Gesprächsformen gelte. Die Kommunikationspartner würden in diesen Situationen vor allem rational und zielorientiert argumentieren. Damit fällt er m. E. genau in die alte Trennung zwischen Kognition und Emotion zurück, denn die Tatsache, dass Emotionen nicht explizit ausgedrückt werden, bedeutet ja noch nicht, dass sie nicht vorhanden wären (Bollow 2004). Außerdem hat sich bei den Analysen der Interviews gezeigt, dass die ›emotionale Neutralität‹ vor allem auf Seiten der Interviewten nicht immer gewahrt wird. Allerdings ergeben sich für den Beobachter der Kommunikation häufig Schwierigkeiten, will er konkrete Emotionen wie z. B. Ärger, Freude oder Verdruss nachweisen. Dies liegt vor allem daran, dass insbesondere erfahrene Interviewpartner die Kunst, Emotionen zu verbergen, vorzutäuschen und strategisch einzusetzen, gut beherrschen. An einer Sequenz aus meinem Materialkorpus können jedoch einige für Interviews interessante Beobachtungen gemacht werden: (2) Hard Talk, bbc World, 1.10.2002, ir=Tim Sebastian, ie=Clare Short & ( )
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3 Während es noch vergleichsweise einfach ist, auf verbaler Ebene das Ausdrücken von Emotionen zu vermeiden, fällt dies im Bereich der perzeptiven Mittel oft schon ungleich schwerer. Seine Mimik kann der Mensch nur zu einem gewissen Grad kontrollieren.
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An dieser Stelle des Interviews gibt die interviewte Politikerin es auf, ihren über das gesamte Interview zunehmenden Ärger zu verbergen. Der Grund dafür liegt in der Interviewführung durch den Journalisten. Dieser orientiert sich u. a. stark an dem noch zu erläuternden exekutiven Prinzip der Konfrontation (Kap. 4.3.1), indem er das Interview einzig an der Frage nach einem Rücktritt der interviewten Ministerin ausrichtet. Nach mehrfacher Ablehnung einer Antwort wehrt sie sich mit vehementer Kritik an der Interviewführung. Dabei bewirkt der offene Ausdruck ihrer Verärgerung, der sich in Mimik und Intonation, aber auch in der kurzzeitigen Übernahme der Interviewsteuerung manifestiert, tatsächlich ein Einlenken des Interviewers. Kaum zu entscheiden ist m. E. jedoch, ob hier die Emotion ärger nicht mehr unterdrückt werden konnte oder aber gerade als ultima ratio eingesetzt wurde. Dies nachzuweisen dürfte in vielen Fällen schwierig sein, insbesondere wenn die Interagierenden professionell geschulte Kommunikationspartner sind. Ein weiterer Aspekt bei der Einbeziehung von Emotionen in die Untersuchung ist die Tatsache, dass sie auch strategisch mit Bezug auf das Publikum eingesetzt werden, sei es, um bestimmte Emotionen beim Publikum zu fördern, oder um antizipierte Emotionen zu verstärken bzw. abzuschwächen. So hat z. B. die Analyse eines der zwei tv-Duelle zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber im Herbst 2002 gezeigt, wie Politiker ihre Argumentationen gezielt auf angenommene Emotionen im Publikum hin orientieren (vgl. Bollow 2004).
3.2.2.2 Das regulative Prinzip der Rhetorik Ein zweites bei der Analyse von Handlungsspielen zu beachtendes regulatives Prinzip leitet sich, zunächst allgemein formuliert, aus dem Spannungsfeld zwischen der Verfolgung eines individuellen Interesses und dem Anerkennen und Respektieren der Interessen des Kommunikationspartners oder der Umwelt allgemein ab. Als soziales Wesen ist der Einzelne von der Anerkennung durch die Gemeinschaft abhängig; als Individuum, oder auch als Teil einer bestimmten Gruppe, hat er Interessen, die der Gemeinschaft (oder auch nur einem anderen Individuum) entgegenstehen können. Rhetorik, verstanden als die Fähigkeit, effektiv und zielgerichtet auf ein bestimmtes Interesse hin zu kommunizieren, muss demnach zwischen eigenem und Fremdinteresse vermitteln können, will der Einzelne bei der Verfolgung seiner Interessen Teil des Ganzen bleiben und trotzdem
39 seine Individualität wahren. In diesem Spannungsfeld sind die Gewichtungen in verschiedenen Kulturen unterschiedlich verteilt, wie dies z. B. Cho (2005) am Beispiel des Vergleichs von Höflichkeitsprinzipien im Deutschen und Koreanischen herausgearbeitet hat (vgl. auch Grein demn.). Koreanische Sprecher richten ihr Handeln eher danach aus, als Teil einer Gruppe innerhalb einer relativ klaren Hierarchie anerkannt zu werden bzw. dem Anderen diese Anerkennung zuteil werden zu lassen. Für deutsche Sprecher, so ein Ergebnis Chos, ist diese Form der Anerkennung zwar ebenfalls wichtig, jedoch zeigt sich gerade bei der Untersuchung direktiver Handlungsspiele, dass Höflichkeit in einem höheren Maß als im Koreanischen strategisch eingesetzt wird, um einen gesetzten Wollensanspruch durchzusetzen. Weigand (demn. b) stellt das regulative Prinzip der Rhetorik in folgender Abbildung dar: (Fig. 3)
effectiveness self-interest
↔
respect/politeness interest of the other
Principles of Rhetoric Bezogen auf das politische Interview ist das regulative Prinzip der Rhetorik insofern wichtig, als eine Reihe von exekutiven Prinzipien, auf die in Kap. 4.3 eingegangen wird, auf dieses grundlegende Prinzip rückführbar sind. Hierzu zählen vor allem die rhetorischen Prinzipien der Kooperation und Konfrontation. Politische Interviews unterscheiden sich hier stark von anderen Handlungsspieltypen. Das möglichst effektive Durchsetzen eigener Ziele ist in den meisten Interviews das vorrangige Interesse beider Interviewpartner, die hier oft in Konkurrenz zueinander treten. Dennoch gibt es auch in Interviews Grenzen (wenn Interviews z. B. zu Verhören werden), deren Überschreitung in der Regel zu Konflikten führt, die dann häufig eine zumindest vorübergehende Re-Orientierung am regulativen Prinzip der Rhetorik zur Folge haben. Wichtig und für die Analyse von Handlungsspielen generell zu beachten ist m. E. die gegenseitige Abhängigkeit der regulativen Prinzipien untereinander. Ihr Verhältnis wird zum einen durch die Interessen der Kommunikationspartner, zum anderen aber auch durch handlungsspielspezifische Rahmenbedingungen und Konventionen beeinflusst.
3.2.3 Exekutive Prinzipien Neben den bereits beschriebenen konstitutiven und regulativen Prinzipien wird in der Theorie des dialogischen Handlungsspiels ein dritter Typ von Prinzipien angenommen.
40 Die so genannten exekutiven Prinzipien (vgl. Weigand demn. b) unterscheiden sich von den bereits beschriebenen vor allem dadurch, dass sie nicht in einem allgemeinen Sinne Gültigkeit für alle möglichen Typen von Handlungsspielen besitzen, sondern handlungsspielspezifisch beschrieben werden müssen. Die Orientierung an diesen Prinzipien lässt sich nur mit Bezug auf Interessen und Zwecke erklären, die spezifisch für die jeweiligen Handlungsspiele sind. Zu denken ist hier einerseits an situationsspezifische Dialoge, wie sie ständig in unserem Alltag auftreten, vor allem aber an institutionalisierte Dialoge, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in einem genau beschreibbaren institutionellen Rahmen stattfinden und die Kommunikationspartner in festgelegten Rollen auftreten. Das politische Interview gehört ganz eindeutig in den Bereich der institutionalisierten Dialoge. Exekutive Prinzipien in politischen Interviews stellen demnach Orientierungen der Interviewpartner dar, die sich aus ihren jeweiligen Rollen und den damit verbundenen Interessen ergeben. Um diese Prinzipien genauer charakterisieren zu können, muss jedoch zunächst geklärt werden, wie das politische Interview als Form des institutionalisierten Dialogs erfasst werden kann.
4 Das Interview in der Theorie des dialogischen Handlungsspiels
Um meinen Untersuchungsgegenstand in der Theorie des dialogischen Handlungsspiels beschreiben zu können, muss zunächst eine tragfähige Definition für das politische Interview entwickelt werden. Hier bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an. Zum einen könnte man versuchen, eine Definition zu erarbeiten, indem man zunächst fragt, zu welchen Zwecken politische Interviews geführt werden. Dieser Weg scheint mir jedoch wenig erfolgversprechend zu sein. Zum einen sind so allgemeine Zwecke wie politische Information, Meinungsbildung und bisweilen auch Unterhaltung ungeeignet, das Interview von anderen Medienprodukten abzugrenzen. Die Ermittlung konkreter Zwecke wäre jedoch, wie Burger (1990: 89) bemerkt, auf der Grundlage breit angelegter empirischer Untersuchungen noch zu leisten. Selbstverständlich müsste dabei jeder Definitionsversuch von individuellen Funktionen konkreter Interviews abstrahieren und würde damit je nach Abstraktionsgrad zu einem anderen Ergebnis führen. Das entscheidende Argument gegen ein solches Vorgehen ist jedoch, dass man auf diese Weise wohl keine distinktiven Merkmale finden würde, die das Interview von verwandten journalistischen Gattungen wie Talkshows oder Podiumsdiskussionen im Fernsehen trennscharf abgrenzen könnten. Die zweite und in dieser Arbeit gewählte Möglichkeit besteht darin, die Form und den Ablauf von Sendungen zu analysieren, die als politische Interviews bezeichnet und wahrgenommen werden. Einen Versuch in diese Richtung unternimmt Hoffmann (1982), wenn er das Interview formal in Abgrenzung zur Diskussion zu definieren versucht. Für Hoffmann (1982: 74) ist die Gerichtetheit der Sprecherbeiträge ein wichtiges Kriterium: Richtet sich ein Beitrag des Journalisten an einen Politiker, dessen Antwort wieder an den (oder die) Journalisten, nicht aber – mit Ausnahme in metakommunikativer Funktion zur Organisation des Sprecherwechsels – an gleichzeitig anwesende andere Politiker, so handelt es sich um ein Interview.
Burger (1990: 76) hält diese Abgrenzung für problematisch, da sich die kommunikativen Aktivitäten auch immer an ein internes (Studio) und/oder externes (Fernsehen) Publikum richteten. Dem kann jedoch entgegnet werden, dass das Publikum zwar eine ganz wesentliche Komponente im Handlungsspiel darstellt und insbesondere auf das Verhalten der Politiker entscheidenden Einfluss ausübt, da sie die Öffentlichkeit und nicht einen einzelnen Journalisten für ihre Positionen zu gewinnen suchen. Öffentliche Repräsentation stellt jedoch ein rollenspezifisches Interesse von Politikern und somit eine Funktion im Interview dar. Neben dem Kriterium Gerichtetheit gibt es jedoch weitere Aspekte des politischen Interviews, die in eine Definition einbezogen werden müssen. Hierzu zählen neben spezi-
42 fischen situativen Bedingungen auch Aspekte der Organisation des Sprecherwechsels und der Interviewsteuerung, vor allem aber die für Interviews charakteristische Aufteilung des Reservoirs an Äußerungsformen, die von den Kommunikationspartnern gebraucht werden.
4.1 Das politische Interview als Formkategorie Das politische Interview soll in dieser Arbeit als Formkategorie definiert werden, die den Rahmen für eine Vielzahl unterschiedlicher Handlungsspiele darstellt. Diese Handlungsspiele werden später nach funktionalen Kriterien in zwei Basistypen unterteilt. Für die Beschreibung des Interviews als Formkategorie gilt zunächst allgemein, was Clayman/Heritage (2002: 7) über das Interview als genre gesagt haben: Like most ordinary language categories, the ‘news interview’ has fuzzy boundaries – its members share a loose family resemblance rather than a rigid set of defining attributes. Nevertheless, certain attributes do tend to characterize instances of this programming genre. The prototypical interview involves a distinctive constellation of participants, subject matter, and interactional form.
Politische Interviews zeichnet aus, dass der Interviewgast ein Politiker und damit in der Regel auch Repräsentant einer politischen Partei ist. Der Interviewer ist meist ein professioneller Journalist. Im Folgenden wird nun der Frage nachgegangen, welche formalen Merkmale den Dialog zwischen diesen Kommunikationspartnern zu einem eigenständigen genre machen.
4.1.1 Die formale Frage-Antwort-Struktur Die Zusammenfassung aller politischer Fernsehinterviews in einer Kategorie ist möglich, weil alle Interviews, unabhängig von ihrer spezifischen Funktion, auf der formalen Ebene eine Reihe gemeinsamer Merkmale aufweisen. Die Grundstruktur eines Interviews bildet ein relativ stabiles Schema, bestehend aus einer Intervieweräußerung in Frageform und einer korrespondierenden Äußerung des interviewten Politikers. Diese kann auf derselben Ebene als Antwortzug klassifiziert werden. Damit ist jedoch noch nichts über die mit den Äußerungen verbundenen Handlungsfunktionen ausgesagt. Das Frage-Antwort-Muster wird während eines Interviews in der Regel immer wieder durchbrochen. Dabei kommen auch längere Abweichungen von dieser grundlegenden Struktur vor. Die vielfältigen Gründe hierfür sind ein wichtiger Bestandteil der Analysen.
43
4.1.2 Das Verhältnis von Äußerungsform und Handlungsfunktion Wenn die Frage-Antwort-Struktur im Interview, wie behauptet wurde, lediglich die Ebene der Äußerungsformen betrifft, so stellt sich die Frage nach den damit verbundenen Handlungsfunktionen. Es ist bereits mehrfach angedeutet worden, dass aus dem Vorliegen einer syntaktisch wohlgeformten Frageäußerung nicht automatisch geschlossen werden kann, es handele sich bei dieser Äußerung auch funktional um eine Frage. Versuche, feste Zuordnungen von Äußerungsformen und Handlungsfunktionen aufzustellen, wie Heritage/Roth (1995) dies für Interviews mit einem »framework for coding interviewer turns at talk« beabsichtigten, stoßen daher in der Praxis schnell an Grenzen: [ . . .] the development and application of a framework for coding ir turns at talk was an important analytic tool. As we have seen, however, it is far from perfect. Indeed, it is quite a blunt instrument. Not only are there cases where questioning is being done that are not captured by the framework, but there are also cases [ . . .] where interrogatives do not accomplish questioning in the first place (52f.).
Die Gründe für das durchaus übliche Abweichen einer Handlungsfunktion von der ihr schulgrammatisch zugeschriebenen Äußerungsform sind vielfältig. Zu denken ist hier z. B. an indirekte Sprechakte1 wie: (3) Newsnight, bbc 2, 6.2.2003, ir=Jeremy Paxman, ie=Tony Blair
In diesem Fall ergibt sich aus dem Kontext des Interviews, dass der Interviewer hier keine Frage und damit auch keinen Wissensanspruch stellt, sondern einen indirekt repräsentativen Sprechakt vollzieht. Weitere Indikatoren dafür sind zum einen die hier qualifizierenden Adverbien quite conclusively, die die persönliche Überzeugung des Sprechers andeuten, sowie die in diesem Zusammenhang typische Verwendung der Negationspartikel not. Dennoch bleibt die Schwierigkeit, zwischen indirekt repräsentativer und direkt explorativer Handlungsfunktion zu unterscheiden, vor allem in Abgrenzung indirekter Behauptungen zu Tendenzfragen, bei denen der Interviewer eine gewisse Antwortpräferenz markiert, z. B.: 1 Als ein Indiz für das Vorliegen eines indirekten Sprechakts gilt häufig eine als unbefriedigend bzw. nicht relevant einzustufende direkte Interpretation. Daneben gibt es häufig Fälle, in denen sowohl eine direkte als auch eine indirekte Interpretation plausibel ist (vgl. Weigand 2003a: 216), weshalb weitere Indikatoren für die Entscheidung nötig sind. Als ein Indiz dafür, dass die indirekte Illokution als primär anzusehen ist, nennt Weigand (ebd.) das Vorliegen konventionalisierter eigener Formen, die sie als Prinzip der Phraseologisierung bezeichnet. Als solche konventionalisierte Formen sind z. B. Negationspartikel einzustufen, was sowohl für das Deutsche als auch für das Englische gilt.
44 (4) Bericht aus Berlin, ard, 31.10.2003, ir=Thomas Roth, ie=Gerhard Schröder
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In diesem Fall wäre es, wie in der Analyse des Interviews gezeigt werden soll, unangemessen anzunehmen, der Interviewer wollte hier in 004 indirekt eine Behauptung aufstellen. Sähe man allerdings vom Kontext des Handlungsspiels ab, wäre auch eine solche Interpretation denkbar. Eine Untersuchung von Heritage (2002) zu so genannten negative interrogatives in Interviews zeigt, wie unterschiedlich Interviewte auf Frageäußerungen dieser Art reagieren. Heritage (2002: 1428) beschreibt Intervieweräußerungen wie die in den beiden angeführten Beispielen als type of interrogative that is not always understood as questioning in the information seeking sense. This is the ‘negative interrogative’, exemplified by turns that begin with interrogative frames like ‘Isn’t it. . . , ‘Doesn’t this. . . ’, and ‘Don’t you. . . ’. Such questions are quite commonly treated as expressing a position or point of view.
Allerdings sind solche »negative interrogatives«, wie aus den Beispielen hervorgeht, keine verlässlichen Indikatoren für eine bestimmte Handlungsfunktion. Letztlich handelt es sich bei der Zuordnung von Äußerungsformen zu Handlungsfunktionen um eine rein kognitive, auf komplexen Inferenzen beruhende Leistung, die ein bestimmtes Weltwissen voraussetzt. Damit beantwortet sich u. a. auch die Frage, ob die Entscheidung, ein Sprechakt sei direkt oder indirekt, überhaupt in irgendeiner Weise einem Quasi-Mechanismus folgen kann. Weigand (2003a) bemerkt hierzu, dass der Schluss vom direkten auf den indirekten Sprechakt meist nicht zwingend ist. Wäre er es, würde die Qualität des Indirekten abgeschwächt. Es bleibt in der Regel ein Wahrscheinlichkeitsschluss, und letztlich weiß im Einzelfall der Sprecher allein, wie er seinen Sprechakt intendiert hat. Der indirekte Sprechakt stellt m. E. jedoch noch das geringere Problem bei der Zuordnung dar. Bleibt die direkte Interpretation einer Äußerung unbefriedigend, so ist dies häufig bereits ein Indiz dafür, dass eine zweite, indirekte Illokution vorliegt. Zwar ist der Schluss auf eine indirekt ausgedrückte Illokution nicht konventionell ableitbar, dennoch finden sich meist Indikatoren dafür, dass eine indirekte Interpretation vom Sprecher beabsichtigt wurde. Weit komplizierter als indirekte Sprechakte sind jedoch die Fälle, in denen die direkte Interpretation einer Frageäußerung als explorativer Sprechakt zunächst naheliegend ist, sich aber im Verlauf des Dialogs als irreführend erweist. Dies ist der Fall, wenn ein Wissensanspruch nur vorgegeben wird, der Sprechakt jedoch von einem übergeordneten, jedoch nicht unbedingt offensichtlichen Interesse geleitet ist. In Kapitel 3.2.1.1. war diese Möglichkeit bereits erwähnt worden. In diesem Fall ist die
45 Einzeläußerung oft nur im Zusammenhang einer kommunikativen Strategie erklärbar, die aus einem übergeordneten Interesse resultiert. Ein Einwand gegen diese Argumentation könnte sich natürlich auf die von Searle (1969) eingeführte Aufrichtigkeitsbedingung stützen, nach der für Fragehandlungen ein tatsächlicher Wunsch nach dem erfragten Wissen vorhanden sein muss. Fehlt der aufrichtige Wunsch des Sprechers nach diesem Wissen, könnte gefolgert werden, handele es sich bei der Äußerung nicht um eine Frage. Die Aufrichtigkeitsbedingung Searles ist jedoch in zweifacher Hinsicht problematisch: Zum einen wissen wir als Beobachter nie, ob ein Sprecher aufrichtig ist, was ja gerade ein Grund für das beschriebene Zuordnungsproblem ist. Zum anderen ist es fraglich, ob für Interviewer die Aufrichtigkeitsbedingung im Sinne Searles überhaupt gelten kann, da Journalisten die Auswahl ihrer Fragen nicht ausschließlich an ihrem eigenen Wissensstand orientieren, sondern immer vor allem auch das angenommene Wissen und die Interessen des Publikums berücksichtigen. Festzuhalten bleibt in jedem Fall, dass die Zuordnung von aktuellen Handlungsfunktionen zu grammatisch wohlgeformten Frageäußerungen und solchen, die in irgendeiner Weise, z. B. durch Intonation, die Frageform erkennen lassen, nicht regelhaft beschreibbar ist, sondern nur situationsabhängig unter Einbeziehung aller kommunikativen Mittel bestimmt werden kann. Damit wird hier ein grundsätzlich anderer Standpunkt vertreten, als er fast durchgängig in der Literatur zum Interview zu finden ist. Wie auch schon im Forschungsüberblick deutlich wurde, geht man hier oft davon aus, dass Interviewer ausschließlich Fragehandlungen vollziehen. Der Grund dafür liegt in einer bisweilen vagen Konzeption des Interviews als Frage-Antwort-Spiel, die den Interviewer auf die Rolle des Fragenden reduziert und so ein komplexeres Rollenverständnis, das dem Gegenstand angemessener wäre, ausschließt. Zu Unrecht behaupten etwa Heritage/Roth (1995: 1), dass »in most Western societies at least, interviewers are specifically not authorized to argue with, debate, or criticize the interviewee’s point of view«. Damit liefern sie eine auch dem Laien kaum plausibel erscheinende Begründung für ein Phänomen, das in der Realität des Interviews so längst nicht (mehr) existiert. Für die Analysen in dieser Arbeit wird eine strikte Trennung von Äußerungsformen und Handlungsfunktionen durchgehalten. Interviewer bedienen sich für ihre Züge sehr häufig der Frageform; ob sie damit jedoch auch in funktionaler Hinsicht eine Frage stellen, wird im Einzelfall zu prüfen sein.
4.1.3 Ablauforganisation Interviews orientieren sich an einem festen Ablauf. Eröffnung und Beendigung obliegen dem Interviewer. Dieser orientiert sich dabei an einem vorgegebenen zeitlichen
46 Rahmen. Häufig beginnen Interviews nicht direkt mit der ersten, das Interview eröffnenden Frage, sondern mit einer vorgeschalteten so genannten Anmoderation durch den interviewenden Journalisten:2 (5) Bericht aus Berlin, ard, 31.10.2003, ir=Thomas Roth, ie=Gerhard Schröder
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Diese vorgeschaltete Sequenz richtet sich nicht an den Interviewpartner, sondern dient zur Ankündigung des Interviews, zur Nennung und ggf. Vorstellung des interviewten Politikers und zur Erläuterung des Anlasses, aus dem das Interview geführt wird (vgl. auch Clayman/Heritage 2002: 58ff.). Indem die Anmoderation ausschließlich an das Publikum gerichtet ist, kann sie bereits gewisse Verstehensvoraussetzungen für das folgende Interview schaffen, also relevante Fakten oder Ereignisse nennen, die aus Sicht des Journalisten für ein Verständnis wichtig sind. Der auch formal dialogische Hauptteil des Interviews beginnt mit einer so genannten Einstiegsfrage. Diese kann direkt an die Anmoderation oder aber an eine fragevorbereitende Sequenz anschließen. Fragevorbereitende Sequenzen dienen der aktuellen Kontextualisierung der anschließenden Frageäußerung, d. h. sie schaffen Verstehensvoraussetzungen (vgl. Bucher 1994) und geben Aufschluss über das Motiv der Frage, sofern dies nicht bereits in der Anmoderation geschehen ist. Da mit der Einstiegsfrage, anders als mit der Anmoderation, ein kommunikativer Anspruch gegenüber dem interviewten Politiker gesetzt wird, kann dieser sich auch auf die fragevorbereitende Sequenz beziehen, wenn diese z. B. Behauptungen enthält, deren Wahrheitsanspruch der Interviewte nicht übernehmen möchte. Der von mir hier eingeführte Terminus Einstiegsfrage bezeichnet, wie betont werden soll, keine Handlungsfunktion, sondern – in Analogie zu meiner Definition des Interviews als Formkategorie – lediglich die Form der Intervieweräußerung. Interviews beginnen fast immer mit einer solchen Frageäußerung. Eine weitere Eigenschaft der Einstiegsfrage ist, dass sie auch an anderen Stellen eines Interviews auftreten kann. In Abhängigkeit von der Länge des Dialogs und den Interviewzielen des Journalisten dienen Einstiegsfragen zur Strukturierung des gesamten Interviews in Themen und ggf. 2 Ist das Interview Bestandteil einer Sendung, so kann die Anmoderation auch durch den Moderator dieser Sendung erfolgen.
47 Unterthemen.3 Einstiegsfragen führen neue Themen ein und markieren damit gleichsam den Abschluss eines gerade behandelten. Das Verlassen eines Themas muss dabei nicht definitiv sein und ist manchmal auch strategisch begründet, wenn der Interviewer es z. B. nach mehreren Versuchen nicht erreicht hat, eine Antwort auf eine bestimmte Frage zu bekommen. Eine Rückkehr zu dieser Frage zu einem späteren Zeitpunkt ist dann häufig sinnvoller als beharrliches Insistieren. In den Analysen wird auf diese Technik des Interviewens genauer eingegangen. Festgehalten sei an dieser Stelle zunächst, dass Einstiegsfragen eines der wichtigsten Mittel der Interviewsteuerung für den Journalisten darstellen. Aus dem institutionell begründeten Recht der Interviewsteuerung durch Einstiegsfragen lässt sich bereits ein exekutives Prinzip, das ich das Initiativprinzip nenne, herleiten. Eine genauere Beschreibung dieses Prinzips erfolgt in Kapitel 4.3.2. Die thematische Steuerung des Interviews ist zwar ein Privileg des Interviewers, jedoch muss er dieses Privileg häufig gegen Versuche des interviewten Politikers, eigene Themen einzuführen, verteidigen. Auf dieses Phänomen, das in der Literatur meist als agenda shifting (vgl. z. B. Greatbatch 1986) bezeichnet wird, soll ebenfalls im Kapitel zu den exekutiven Prinzipien näher eingegangen werden. Der sich zwischen zwei Einstiegsfragen entfaltende Dialog ist formal ebenfalls durch die bereits beschriebene Frage-Antwort-Struktur gekennzeichnet. Allerdings sind hier Abweichungen weitaus häufiger üblich, wenn auch keineswegs willkürlich. Das Verlassen der Frage-Antwort-Struktur gehört ebenfalls zu den Steuerungsmöglichkeiten des Interviewers, insbesondere in argumentativen Sequenzen oder ganzen Argumentationsdiskursen, in denen bisweilen offen Wahrheitsansprüche vertreten werden. Ein weiteres wichtiges Mittel zur Steuerung des Interviewverlaufs sind metakommunikative Äußerungen, mit denen der Interviewer z. B. den Versuch eines Politikers, ein anderes Thema einzuführen, unterbinden kann, z. B. in 089–090 des folgenden Ausschnitts: (6) Newsnight, bbc 2, 14.5.2002, ir=Jeremy Paxman, ie=Tony Blair & &
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3 Der Begriff Thema wird in der Regel recht unreflektiert gebraucht. In dieser Arbeit bezeichnet er von mir so genannte übergeordnete bzw. untergeordnete Propositionen. Ausführlicher hierzu siehe Kap. 4.2.1.
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Die Beendigung des Interviews obliegt dem Interviewer. Sie erfolgt in der Regel im Rahmen einer schließenden Sequenz. Diese kann eine kurze und gelegentlich auch wertende Zusammenfassung des Interviews durch den Journalisten enthalten und mündet in die Verabschiedung des interviewten Politikers. Möglich sind außerdem Programmhinweise verschiedener Art.
4.1.4 Die spezifische Interviewsituation Die bisherige rein formbezogene Beschreibung der Struktur politischer Interviews mag in einigen Punkten zunächst vielleicht trivial erscheinen. Sie ist jedoch aus verschiedenen Gründen wichtig. Zum einen ging es mir darum zu betonen, dass die Form einer einzelnen Äußerung oder auch einer Sequenz im Interview streng von damit verbundenen Handlungsfunktionen zu unterscheiden ist. Zum anderen wirkt sich die Ablauforganisation des Interviews entscheidend auf die Verteilung der Handlungsmöglichkeiten der Interviewpartner aus, was die Verfolgung ihrer kommunikativen Ziele betrifft. Die Form des Interviews bedingt zu einem Teil die Orientierung an den noch zu erläuternden interviewspezifischen exekutiven Prinzipien. Zur Beschreibung des politischen Fernsehinterviews als Formkategorie gehört noch eine weitere wesentliche Eigenschaft. Interviews werden vor einem Publikum geführt, das entweder direkt im Studio oder auch durch das Fernsehen vermittelt anwesend ist. In einem politischen Interview agieren die Kommunikationspartner in spezifischen Rollen als Vertreter verschiedener Institutionen. Das Publikum ist dabei Beobachter des Dialogs zwischen dem/den Journalisten und einem Politiker. Vor allem aber werden politische Interviews für dieses Publikum geführt (vgl. auch Bucher 1994). Haller (1997: 140f.) spricht daher von einer »Verdopplung der Interviewsituation«. Diese sei »das Hauptmerkmal des journalistischen Interviews: Der persönliche Dialog ist immer auch öffentliches Spektakel«. Der Begriff Verdopplung läuft dabei Gefahr, ein entscheidendes Charakteristikum der Interviewsituation zu vernachlässigen, da er z. B. für das politische Interview impliziert, ein Dialog zwischen einem Journalisten und einem Politiker würde gewissermaßen nur nach außen gespiegelt. Vernachlässigt wird dabei, dass das Publikum zwar externer Beobachter ist, dennoch aber einen wesentlichen Faktor im Handlungsspiel darstellt. Der Grund dafür liegt hauptsächlich in der Funktion des Interviews aus der Perspektive des Politikers. Für ihn geht es letztlich um seine Wirkung
49 auf den potentiellen Wähler. Diesen will er gewinnen und überzeugen. Wie jedoch kann er dies erreichen, wenn die Form des Interviews ihn scheinbar darauf festlegt, lediglich auf vom Interviewer gesetzte pragmatische Ansprüche einzugehen, mithin den primär reaktiven Part innezuhaben? In den Analysen der Interviews soll gezeigt werden, dass Politiker sich hierfür verschiedener Strategien bedienen. An dieser Stelle geht es zunächst darum zu zeigen, dass aufgrund der spezifischen Interviewsituation jede kommunikative Handlung eines Politikers gewissermaßen zweifach gerichtet ist. Direkt bezieht sie sich dem dialogischen Prinzip entsprechend auf einen pragmatischen Anspruch, der vom Interviewer gesetzt wird. Indirekt jedoch etabliert sie immer auch einen pragmatischen Anspruch gegenüber dem Publikum, wobei noch genauer zu differenzieren wäre, welcher Art dieser indirekte pragmatische Anspruch sein kann. Hier kommen m. E. Wahrheitsund Wollensansprüche in Betracht. In jedem Fall ist letztlich dieser indirekte pragmatische Anspruch für Politiker der entscheidende: Es geht ihnen selbstverständlich nicht darum, einen Journalisten von ihren Standpunkten zu überzeugen oder ihn aufzufordern, ihnen ihre Stimme zu geben, sondern diese perlokutionären Effekte sollen beim Publikum erreicht werden (vgl. auch Holly/Kühn/Püschel 1986). Die formalen Eigenschaften politischer Interviews, die eine Zuordnung zu einer Kategorie ermöglichen, werden hier noch einmal zusammengefasst: 1. Politische Interviews verlaufen in der Form des Dialogs. Kennzeichnendes Merkmal dieses Dialogs ist eine formale Frage-Antwort-Struktur, an der sich beide Interviewpartner orientieren. Abweichungen von dieser Struktur sind jedoch möglich. 2. Dem interviewenden Journalisten obliegt die thematische und ablauforganisatorische Steuerung des Interview. Der Dialog ist zeitlich fest begrenzt. 3. Charakteristisch für das Interview ist eine institutionell begründete Rollenverteilung, die sich in der formalen Struktur des Interviews widerspiegelt. 4. Das Interview ist ein beobachteter Dialog. Es wird vor einem Publikum geführt, das manchmal räumlich (Studio), immer jedoch über das Fernsehen vermittelt anwesend ist. Dieser Umstand beeinflusst das Verhalten der Kommunikationspartner maßgeblich.
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4.2 Zwei Basistypen des politischen Interviews Nachdem im vorherigen Kapitel erläutert wurde, was unter dem politischen Interview als Formkategorie verstanden wird, geht es im Folgenden darum, zwei Typen des politischen Interviews, wie sie auch in den Analysen unterschieden werden, nach funktionalen Kriterien zu differenzieren. Holly (1993) hat eine Reihe von Versuchen, Untermuster des Medieninterviews zu beschreiben, aufgelistet und festgestellt, dass es offenbar keine verbindlichen Kriterien für eine Differenzierung gibt. Natürlich hängt jede Differenzierung vom Blickwinkel des Betrachters und seinem Erkenntnisinteresse ab, jedoch kann man sich durchaus auf einige grundlegende Kriterien einigen. Indem ich mich in dieser Arbeit mit politischen Interviews beschäftige, habe ich bereits impliziert, dass es weitere Typen von Interviews gibt, so z. B. Experten- oder Starinterviews. Die Rolle der interviewten Person ist ein einfaches und sinnvolles Kriterium, nach dem Interviews unterschieden werden können (vgl. auch Schwitalla 1979). Ein weiteres sehr einfaches Kriterium ist das Medium, in dem ein Interview geführt wird, also Presse, Rundfunk oder Fernsehen (vgl. Burger 1990). Diese Kriterien sind bereits in meine Beschreibung des politischen Interviews als Formkategorie eingegangen. Neben einer Differenzierung nach formalen Kriterien, die das politische Fernsehinterview von anderen Interviewtypen abgrenzen, ist es darüber hinaus möglich, auch nach den kommunikativen Zwecken solcher Interviews zu differenzieren. Wer regelmäßig Interviews im Fernsehen verfolgt, wird feststellen, dass es neben Interviews, die formal und funktional als Frage-Antwort-Dialoge beschreibbar sind, auch solche gibt, in denen die Interviewpartner konträre Positionen vertreten und die eher den Eindruck eines Streitgesprächs vermitteln. Diese Beobachtung ist spätestens seit Schegloffs (1988) viel rezipierter Analyse eines Interviews, das Dan Rather 1988 mit dem damaligen usPräsidentschaftskandidaten George Bush geführt hat, immer wieder auch in der Literatur aufgegriffen worden. Schegloff kam in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass in dem betreffenden Interview die Grenzen des Interviewens überschritten worden seien, wobei er sich dabei im Wesentlichen auf die massiven Abweichungen vom turn taking system und damit wiederum vornehmlich auf formale Kriterien stützte. Aber auch auf der funktionalen Ebene individueller Intervieweräußerungen ist bereits wiederholt festgestellt worden, dass ir’s, particularly in interviews with politicians and other public figures, often challenge, probe, and cast doubt upon the statements of ies, who, in turn, usually respond by countering and resisting such investigative procedures [ . . .] (Greatbatch 1988: 405).
Mit meinem Vorschlag zu einer Differenzierung politischer Interviews in explorative und
51 argumentative Handlungsspiele gehe ich über eine Unterscheidung solcher procedures hinaus, da meine Differenzierung bereits auf der Ebene übergeordneter kommunikativer Interessen ansetzt. Explorative Handlungsspiele sind auf dieser Ebene solche Interviews, in denen der interviewende Journalist hauptsächlich die Erfüllung eines pragmatischen Wissensanspruchs durchzusetzen versucht, während es ihm in Interviews des argumentativen Typs um etwas anderes geht. Hier besteht für ihn der Zweck des Interviews darin, argumentativ, d. h. auf der Basis konkurrierender Wahrheitsansprüche, die vom interviewten Politiker vertretenen Positionen auf ihre Plausibilität zu testen, sie gewissermaßen zu hinterfragen und möglicherweise als unhaltbar zu entlarven. Interviews dieses Typs haben, um es vereinfacht auszudrücken, nicht das für explorative Interviews typische Element des Wissen-Wollens als erkennbares Hauptmotiv, sondern die Interviewer setzen eigene Konzeptualisierungen der politischen Realität den in der Regel stark von Parteiinteressen gefärbten Schilderungen ihres Gastes entgegen. Diese noch vorläufige Differenzierung zweier Typen politischer Interviews soll im Folgenden konkretisiert werden. Als funktionale Unterscheidung lehnt sie sich an eine von Weigand (2003a) vorgeschlagene Differenzierung fundamentaler Illokutionsklassen an. Weigand (2003a: 81) unterscheidet vier fundamentale Funktionsklassen4 als »Klassen der kommunikativen Funktion, die mittels konstitutiver Kriterien aus der Definition der kommunikativen Funktion hergeleitet werden«. Von diesen vier Klassen ist für politische Interviews, so meine These, neben der explorativen auch die repräsentative Klasse5 relevant.
4.2.1 Das Interview als exploratives Handlungsspiel Allgemein sind explorative Sprechakte durch einen Wollensanspruch definiert, der sich auf Wissen richtet. Wie bereits in den Erläuterungen zum dialogischen Prinzip deutlich wurde, zielen explorative also auf eine Antworthandlung des Kommunikationspartners. Ein minimales exploratives Handlungsspiel besteht also aus Frage- und Antworthandlung. Interviews als explorative Handlungsspiele weisen natürlich eine weitaus höhere Komplexität auf, jedoch ist unabhängig von ihrer Komplexität, die in den Analysen aufgezeigt werden soll, ein übergeordneter Wissensanspruch das definierende Merkmal für Interviews, die ich dem explorativen Typ zuordne. 4 Dabei handelt es sich um die fundamentalen Klassen der deklarative, explorative, direktive und repräsentative (Weigand 2003a: 81ff.). 5 Warum ich neben Interviews als explorativen Handlungsspielen nicht von Interviews als repräsentativen Handlungsspielen spreche, sondern den Terminus argumentativ bevorzuge, soll an dieser Stelle noch nicht begründet werden. Siehe dazu 4.2.2.
52 Für die Beschreibung dessen, was ich als übergeordneten pragmatischen Anspruch in einem Interview bezeichne, orientiere ich mich zunächst an der von Searle (1969) entwickelten funktionalen Struktur F(p), in der er die Beziehung von Illokution und Proposition für den einzelnen Sprechakt dargestellt hat. Searle stellte fest, dass der Ausdruck einer Proposition immer mit dem Vollzug eines illokutionären Aktes verbunden sei. Indem ein Sprecher also eine Äußerung tätigt, stellt er damit einen pragmatischen Anspruch, der z. B. im Falle der Explorative6 in einem Wissensanspruch besteht. Die grundsätzliche Beziehung zwischen Proposition und Handlungsfunktion bleibt auch in einer dialogischen Sprechakttaxonomie (Weigand 2003a) erhalten, in der die Beziehung zwischen Aktion und Reaktion, zwischen initiativem und reaktivem Sprechakt, vom dialogischen Prinzip erfasst wird. Da in Interviews dem Journalisten gemäß dem in 4.1.3 bereits erwähnten Initiativprinzip die inhaltliche und ablauforganisatorische Steuerung zukommt, wählt er eine übergeordnete Proposition aus und verbindet sie mit einem übergeordneten pragmatischen Anspruch, der im Falle explorativer Handlungsspiele ein Wissensanspruch ist. Als übergeordnete Proposition bezeichne ich dabei das, was für gewöhnlich recht unscharf das Thema des Interviews genannt wird.7 An einem Beispiel wird dieser Zusammenhang noch einmal deutlich: Im ersten der vier in dieser Arbeit analysierten Interviews möchte der Interviewer von einer Politikerin erfahren, ob sie unter bestimmten Umständen von ihrem Amt als Ministerin zurücktreten wird: (7) Hard Talk, bbc World, 1.10.2002, ir=Tim Sebastian, ie=Clare Short ) *+ .
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6 Die Illokutionsklasse der Explorative existiert bei Searle nicht, da er Fragen der Klasse der direktiven Sprechakte zuordnet. Wie bereits in 2.2.1 ausgeführt, folge ich hier jedoch Weigand (2003a: 84), die argumentiert, dass Direktive auf eine Handlungszusage abzielen, Fragehandlungen jedoch auf eine Antwort, und eben dieser Unterschied die Annahme einer eigenen Klasse der Explorative rechtfertigt. 7 Im weiteren Verlauf der Arbeit verwende ich den Begriff Thema ausschließlich im Sinne einer übergeordneten Proposition. Die heuristische Trennung von übergeordneten Propositionen und übergeordneten pragmatischen Ansprüchen ist deshalb hilfreich, weil sie veranschaulicht, dass ein und dasselbe Thema (i. S. einer übergeordneten Proposition) je nach Interview von unterschiedlichen Handlungsfunktionen dominiert sein kann. Davon zu sprechen, dass ein Interview mit einem Politiker zu einem bestimmten Thema (im allgemeinen Sinn) geführt wird, reicht also im Grunde nicht aus, da hier die Unterscheidung des vom Interviewer verfolgten übergeordneten Zwecks von der übergeordneten Proposition im allgemeinen Begriff Thema verschwimmt.
53 Die Frage in 017–018 ist die eigentliche Einstiegsfrage8 in dieses Interview und bestimmt seinen weiteren Verlauf, wobei der Interviewer mit den verschiedensten Mitteln versucht, eine Antwort zu erhalten. Die übergeordnete Proposition ob X die Regierung verlassen wird, wenn. . . wird also in diesem Interview von einem übergeordneten Wissensanspruch dominiert und der Zweck des Interviews, an dem sich alle weiteren Züge des Journalisten orientieren, besteht darin, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten. Insbesondere in längeren Interviews werden häufig mehrere Themen nacheinander eingeführt. Dabei kann der Interviewer mit einem neuen Thema auch den übergeordneten pragmatischen Anspruch ändern, so dass ein Interview explorative und argumentative Sequenzen enthalten kann. Damit ist klar, dass meine Unterscheidung von explorativen und argumentativen Interviews in gewisser Weise Idealtypen bezeichnet, die durchaus existieren, neben denen aber häufig auch Mischformen auftreten können. Wenn übergeordnete Wissensansprüche das definierende Merkmal des Interviews als explorativem Handlungsspiel sind, so kann überlegt werden, ob dieser Wissensanspruch weiter differenziert werden sollte. Weigand (2003a: 102) schlägt allgemein eine Differenzierung nach drei abgeleiteten Typen vor, wobei als Kriterium der Zweck, zu dem das Wissen benötigt wird, dient. Danach können repräsentative, direktive und deklarative Fragehandlungen unterschieden werden: (Fig. 4)
⎧ ⎪ ←→ antworten (repräsentativ) ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ Wissen um des Wissens willen ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎨ ←→ antworten (direktiv) explorativ Wissen um zu handeln wissen wollen ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ←→ antworten (deklarativ) ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ Wissen, um einen deklarativen ⎪ ⎩ Zustand zu schaffen/zu bestätigen
Wichtig ist dabei, dass hier nach dem Motiv des Fragenden differenziert und damit auch für den Kommunikationspartner eine gewisse Festlegung vorgenommen wird. Eine Fragehandlung, die auf eine Antwort um des Wissens willen abzielt, ist z. B.: (8) Bericht aus Berlin, ard, 31.10.2003, ir=Thomas Roth, ie=Gerhard Schröder
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Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass erst im Kontext des Handlungsspiels und oft auch nicht unmittelbar zu dem Zeitpunkt, an dem die Frage gestellt wird, offensichtlich 8 Die Frage in 003–004 dient lediglich zur Vorbereitung der für das Interview zentralen Frage in 017–018.
54 ist, zu welchem Zweck Wissen erfragt wird. Im obigen Fall könnte es sich durchaus auch um eine strategische Frage handeln, also um eine Frage, die einen bestimmten Zweck vorgibt, eigentlich aber einem dem Kommunikationspartner noch nicht unmittelbar erkennbaren Zweck dient. Im Falle der direktiven Fragen soll die Antwort ein Wissen liefern, das als Handlungsempfehlung dienen kann. Übergeordnete Wissensansprüche, die auf direktive Antworthandlungen abzielen, finden sich weniger in politischen Interviews, sondern vor allem in so genannten Experteninterviews.9 Ein Grund dafür ist vielleicht, dass Politikern, die ja häufig auch auf bestimmte Sachgebiete spezialisiert sind und durchaus als Experten gelten können, offenbar dennoch nicht die für Experten so wichtige Unabhängigkeit des Urteils zugeschrieben wird. So werden in politischen Interviews auch häufig Experten als quasi neutrale Instanz zitiert, wenn es darum geht, Argumente für einen vertretenen Standpunkt zu liefern (vgl. hierzu insbesondere Kap. 4.3.6.2). Wenn direktive Fragehandlungen für das politische Interview also keine wesentliche Rolle spielen, bleibt noch die Möglichkeit deklarativer Fragehandlungen zu erwägen. Dieser abgeleitete Typ ist insofern sehr interessant, als er eigentlich immer an bestimmte situative oder auch institutionelle Voraussetzungen geknüpft ist. Deklarative Fragen etablieren einen pragmatischen Anspruch, dessen Erfüllung einen deklarativen Zustand schafft bzw. bestätigt, z. B.: (9)
Nehmen Sie die Wahl an? – Ja, ich nehme die Wahl an.
Mit der Antwort wird unmittelbar ein Zustand geschaffen, der allgemein und vor allem über die Dauer des Handlungsspiels hinaus Gültigkeit hat. Eine wichtige Frage ist nun, ob politische Interviews Handlungsspiele sein können, in denen Intervieweräußerungen deklarative Kraft besitzen. Dann müssten die Antworten von Politikern diese in irgendeiner Weise binden. Es lohnt sich, dieser Frage nachzugehen, da deklarative Fragen möglicherweise im Zusammenhang mit einem Phänomen stehen, das in der Literatur meist mit dem Begriff evasion bezeichnet wird (vgl. z. B. Clayman 2001; Lauerbach 2001; Harris 1991) und in dieser Arbeit im Rahmen eines exekutiven Prinzips erfasst wird. Es handelt sich dabei um das Prinzip der Antwortvermeidung, an dem sich Politiker aus unterschiedlichen Gründen orientieren können. Eine Ursache dafür, dass Politiker bestimmten Fragen ausweichen, kann darin liegen, dass ihre Antworten sie in hohem Maße auf eine zukünftige Handlung festlegen würden, Politiker eine solche Festlegung aber nicht treffen wollen. Dies ist z. B. in dem bereits angeführten Beispiel 7 der Fall:
9 Eine umfangreiche Studie zu ratgebenden Beiträgen allgemein hat Franke (1997) vorgelegt, wobei er sich allerdings auf Presse- und Hörfunkbeiträge beschränkt.
55 (10) Hard Talk, bbc World, 1.10.2002, ir=Tim Sebastian, ie=Clare Short
Hier fragt der Interviewer nach einer Handlung seiner Interviewpartnerin, einer Ministerin, für den Fall, dass sich die britische Regierung am Irak-Krieg beteiligt, ohne dass dafür ein Mandat der Vereinten Nationen vorliegt. Eine genauere Erläuterung erfolgt in den Analysen; hier geht es zunächst darum zu begründen, warum diese Frage auf eine Reaktion zielt, die für die Interviewte bindende Wirkung hat. Natürlich behaupte ich nicht, dass die Interviewte sich hier mit einer positiven Antwort verbindlich auf einen Rücktritt festlegen würde. Gleichwohl hätte eine öffentliche Rücktrittsankündigung insofern eine gewisse bindende Wirkung, als sie, um glaubwürdig zu bleiben, ggf. tatsächlich die angekündigte Konsequenz ziehen müsste. Mit Bucher (1993) könnte man auch davon sprechen, dass die Politikerin hier eine Eintragung auf ihrem Festlegungskonto vornimmt,10 also eine Handlungsankündigung, an deren Umsetzung sie in späteren Interviews immer wieder gemessen werden kann. Diese Handlungsankündigungen haben oftmals ähnliche deklarative Kraft wie Versprechen und werden auch so behandelt. Wie der Bruch eines Versprechens haben auch (vermeintlich) nicht umgesetzte Handlungsankündigungen einen Verlust an Glaubwürdigkeit und damit für Politiker einen gravierenden Imageschaden zur Folge. So werden in Interviews häufig vermeintliche und tatsächliche Widersprüche zwischen Handlungsankündigungen von Politikern und ihrem tatsächlichen Handeln kommunikativ sanktioniert, wenn auch meist indirekt, in der für Interviews typischen Frageform: (11) Was nun?, zdf, 4.12.2002, ir 1=Thomas Bellut, ir 2=Nikolaus Brender, ie=Gerhard Schröder
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In diesem Fall hatte der interviewte Politiker – zumindest nach Meinung des Journalisten – in einem früheren Interview die Erhöhung von Sozialversicherungsabgaben ausgeschlossen und wird nun mit dem Vorwurf konfrontiert, damit die Zuschauer ge10 Bucher spricht von Festlegungskonten auf Seiten der Politiker, die öffentliche Äußerungen gewissermaßen speichern, und auf die in verschieden Interviews immer wieder zurückgegriffen werden kann. Daher sei es für Politiker wichtig, dieses Konto widerspruchsfrei zu halten. »Er wird bemüht sein, keine Eintragungen auf das Konto zu riskieren, die ihn später in seinen Handlungsmöglichkeiten einschränken könnten und im Falle der Mißachtung seine Glaubwürdigkeit kosten könnten« (Bucher 1993: 99).
56 täuscht zu haben.11 Aufgrund solcher potentieller Konsequenzen ist es erklärlich, dass Politiker Antworten, mit denen sie sich auf zukünftige Handlungen festlegen würden, vermeiden. Fragen, die auf solche Handlungsfestlegungen abzielen, behandele ich als deklarative Fragen. Fragen dieses Typs können durchaus den übergeordneten Zweck eines ganzen Interviews bestimmen, weshalb die Annahme eines eigenen deklarativen Untertyps gerechtfertigt ist.
4.2.2 Das Interview als argumentatives Handlungsspiel Während die allgemeine Klassifizierung eines Typs politischer Interviews als explorative Handlungsspiele wohl unmittelbar einsichtig ist, bedarf die Annahme, dass es darüber hinaus Interviews gibt, in denen der übergeordnete pragmatische Anspruch nicht in einem Wissens-, sondern in einem Wahrheitsanspruch besteht, sicherlich einer weiteren Begründung. Wahrheitsansprüche sind das definierende Merkmal repräsentativer Sprechakte. Indem ein Sprecher eine bestimmte Proposition mit der Einstellung zum Ausdruck bringt, dass er diese für wahr hält, erwartet er von seinem Kommunikationspartner, dass er zu dem Wahrheitsanspruch Stellung bezieht, indem er ihn übernimmt (+akzeptieren) oder zurückweist (–akzeptieren). Wird der Wahrheitsanspruch nicht übernommen, so ist damit die Voraussetzung für einen bestimmten Untertyp repräsentativer Handlungsspiele, die argumentativen Handlungsspiele, gegeben. Für die Initiierung eines argumentativen Handlungsspiels ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Andere einen eigenen konkurrierenden Wahrheitsanspruch vertritt, wie auch van Eemeren et al. (2002: 04) betonen: A difference of opinion12 arises when two parties do not fully agree on a given standpoint. It need not be the case that the second party adopts an opposing standpoint. It is enough that in response to one party’s standpoint, the other party has doubts or is not sure [ . . .].
Das Ziel jedes Kommunikationspartners in einem argumentativen Dialogs ist es, sein Gegenüber dazu zu bewegen, den eigenen Wahrheitsanspruch (oder auch nur seine Zweifel) zu Gunsten des anderen aufzugeben, wobei es durchaus möglich ist, dass beide Kommunikationspartner ihre ursprünglichen Positionen verlassen und einen Kompromiss aushandeln. 11 Wenn heute oft von einem Glaubwürdigkeitsproblem der Politik oder auch von Vertrauensverlust gegenüber Politikern die Rede ist, so spielen folgenlose oder nicht einlösbare Handlungsankündigungen in den Medien hierbei sicherlich eine entscheidende Rolle. 12 Nach van Eemeren et al. (2002: 4) ist eine so genannte difference of opinion die Voraussetzung für das Entstehen einer argumentativen Diskussion.
57 Diese noch sehr allgemeinen Ausführungen zu repräsentativen bzw. argumentativen Handlungsspielen lassen es zunächst vielleicht fraglich erscheinen, ob es gerechtfertigt ist, einen eigenen Typ des politischen Interviews als argumentatives Handlungsspiel anzunehmen. Zum einen kann es einem Journalisten doch wohl kaum primär darum gehen, eigene Wahrheitsansprüche zu vertreten, wie er es z. B. im formal monologischen Kommentar13 tut, denn wozu bräuchte er dann überhaupt einen Interviewpartner? Zum anderen kann es ihm wohl noch weniger darum gehen, den von ihm interviewten Politiker oder auch das Publikum von seinen eigenen Positionen zu überzeugen. Wenn aber trotzdem daran festgehalten werden soll, dass Interviews als argumentative Handlungsspiele von einem übergeordneten Wahrheitsanspruch dominiert werden, muss also konkreter gefasst werden, welcher Natur dieser Wahrheitsanspruch ist und warum er vertreten wird. Weigand (2003a: 108ff.) differenziert in ihrem Überblick über die breite Palette repräsentativer Handlungsspieltypen zunächst zwei grundlegende Wahrheitsansprüche. Danach gibt es neben einem einfachen auch den so genannten modalen Wahrheitsanspruch. Einfache Wahrheitsansprüche sind durch die Einstellung des Sprechers, dass es so ist, gekennzeichnet, während für modale Wahrheitsansprüche, genauer, für deliberative14 , ein dass es so sein würde/könnte/sollte als Einstellung des Sprechers zum Ausdruck kommt. Damit impliziert dieser Illokutionstyp mit modalem Wahrheitsanspruch immer auch die Möglichkeit einer alternativen Wahrheit, und genau hier liegt m. E. sein Potential auch für das politische Interview. Im einleitenden Kapitel dieser Arbeit bin ich bereits auf die konstruktivistische These eingegangen, dass Realität immer als individuelle Konstruktion zu begreifen ist, die von verschiedenen Faktoren abhängt. In einer Mediengesellschaft, so wurde mit Schmidt (1994: 14) weiter argumentiert, sind die Massenmedien »zu Instrumenten der Wirklichkeitskonstruktion geworden«, wobei die Frage nach dem wie der Konstruktionsprozesse aufgeworfen wurde. Für das politische Interview gilt es hier vor allem zu berücksichtigen, dass Politiker in Interviews stets versuchen, ein Bild der politischen Realität zu vermitteln, das ihren rollenspezifischen Interessen dient. Sie sind Repräsentanten einer Partei, die um Zustimmung wirbt, die sich von anderen abgrenzen und ein eigenes Profil schärfen muss. Dabei entscheidet insbesondere die innerparteiliche Abstimmung bei der Bewertung aktuell-politischer Themen – mitunter bis auf die Ebene vereinbarter Sprachregelungen – 13 Der Kommentar ist ein eigenständiges journalistisches Format, in dem ausdrücklich wertend Stellung zu einem aktuellen politischen Ereignis bezogen wird, wobei die jeweilige Bewertung argumentativ untermauert wird. 14 Weigand (2003: 114ff.) unterscheidet neben deliberativen auch konditionale und desiderative als repräsentative Illokutionstypen des modalen Wahrheitsanspruchs. Diese sind jedoch in politischen Interviews, zumindest als übergeordnete Wahrheitsansprüche, nicht relevant.
58 darüber, wie die Partei von den Wählern wahrgenommen wird. Konflikte, dies zeigt sich immer wieder in Umfragen, verringern die Zustimmung zu einer Partei, was sich bei Wahlen in Stimmverlusten niederschlägt. Wenn in einem Interview für Politiker also einiges auf dem Spiel steht, hat dies auch Auswirkungen auf den Interviewer, der natürlich um die Situation und Interessen seines Kommunikationspartners weiß. Für die Behandlung von Themen, die ein hohes Risikopotential für Politiker beinhalten, muss er schon bei der Planung des Interviews seine Rolle festlegen. Weiß er bereits im Vorfeld, dass der Politiker seinen Fragen ausweichen und sie nicht beantworten wird, so kann er eine Rolle einnehmen, in der er bezogen auf den übergeordneten Zweck des Interviews nicht Fragender in einem funktionalen Sinne ist, sondern die Rolle eines Antagonisten einnimmt. Haller (1997: 233) spricht hier von einem »Grundmuster« der Konfrontation: Der Interviewer tritt als Diskutant, gelegentlich auch als Kombattant auf, der nicht naiv fragt, sondern seinerseits kenntnisreich argumentiert und wenn möglich auch aus einem Fundus von Gegeninformationen schöpft. Aus der Sicht des Publikums ähnelt dieses Interview einer Bühne, auf der sich beide Partner auseinandersetzen und das Publikum der Zuschauer ist.
Eine solche Rollenwahrnehmung durch den Interviewer ist ein Hauptgrund dafür, dass Interviews häufig auch treffend als inszenierte Gespräche (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000) bezeichnet werden. Auf die funktionale Unterscheidung von Interviews nach übergeordneten Zwecken bezogen bedeutet dies, dass in Interviews, die ich als argumentative Handlungsspiele beschreibe, die Rolle des Interviewers darin besteht, einen übergeordneten Wahrheitsanspruch zu vertreten, der in Konkurrenz zu dem des Politikers steht. Dieser Wahrheitsanspruch wird nicht notwendigerweise explizit vorgebracht, kann aber im Verlauf des Interviews sowohl vom Politiker als auch vom Publikum problemlos kognitiv erschlossen werden. Wichtig ist es dabei zu betonen, dass der übergeordnete Wahrheitsanspruch vom Interviewer nicht durchgesetzt werden muss, sondern dass es ihm lediglich um das Aufzeigen von alternativen Interpretationsmöglichkeiten der von Politikern gezeichneten Realität geht. So fungiert dieses Interview auch als Chance für einen Volkvertreter, seine Standpunkte überzeugend zu vertreten und gegenüber anderen glaubwürdig zu verteidigen, wobei er gleichsam Gefahr läuft, im Falle des Nichtgelingens an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Anders als für explorative Interviews ist es für argumentative Interviews schwierig, den übergeordneten kommunikativen Zweck aus einer Einstiegsfrage abzuleiten, da er sich meist erst im komplexen argumentativen Zusammenhang erschließt. Jedoch gibt es häufig bereits in der Eröffnungsphase des Interviews Indizien dafür, dass sich ein argumentatives Handlungsspiel entwickeln wird:
59 (12) Was nun?, zdf, 4.12.2002, ir 1=Thomas Bellut, ir 2=Nikolaus Brender, ie=Gerhard Schröder 5
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Die Psychologie eine Rolle.
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Es gibt aber Deutschland durch diese...
Die genauere Analyse dieser Sequenz erfolgt an späterer Stelle. Zum jetzigen Zeitpunkt genügt es festzustellen, dass mit der Einstiegsfrage (001–008) zunächst scheinbar ein Wissensanspruch etabliert, also eine Frage im funktionalen Sinn gestellt wird. Dass der Interviewer hier tatsächlich jedoch einen Wahrheitsanspruch (bezogen auf die übergeordnete Proposition dass die Regierung Schuld ist an der Krise) etabliert, deutet sich bereits in 012–013 und 016–017 an. Er unterbricht den Bundeskanzler jeweils, um zu dessen Argumenten Gegenargumente zu liefern. Im weiteren Verlauf der ersten Sequenz dieses Interviews untermauern die Interviewer ihre These, dass es eine Stimmungskrise gibt, und damit auch die übergeordnete These, die Regierung sei Schuld an der Krise in Deutschland. Demselben Zweck dienen die sich anschließenden Sequenzen, so dass sich insgesamt eine Reihe von Unterthemen (i. S. v. untergeordneten Propositionen) benennen lassen, die im kommunikativen Zusammenhang einen übergeordneten modalen Wahrheitsanspruch stützen. Die dabei zu berücksichtigenden exekutiven Argumentationsprinzipien werden in Kap. 4.3.6 benannt und sollen vor allem in den Analysen verdeutlicht werden. Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich auf der Grundlage einer funktionalen Unterscheidung pragmatischer Ansprüche zwei Grundtypen politischer Interviews differenzieren lassen. Der Typ des explorativen Interviews lässt sich dabei weiter in den repräsentativ-explorativen und den deklarativ-explorativen Typ unterteilen. Daneben gibt es Interviews, denen kein pragmatischer Wissensanspruch zugrunde liegt und die als argumentative Handlungsspiele klassifiziert werden können. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der von Weigand (2003a) beschriebene Illokuti-
60 onstyp des modalen Wahrheitsanspruchs, den sie als deliberativ bezeichnet und der es dem Journalisten erlaubt, seine Rolle als die eines Antagonisten zu definieren, um im Prozess eines argumentativen Dialogs die Positionen seines Interviewpartners kritisch zu hinterfragen und so auf ihre Haltbarkeit zu überprüfen. In dem nun folgenden Abschnitt wird es darum gehen, Handlungsmaximen und exekutive Prinzipien, an denen sich die Interviewpartner im Handlungsspiel orientieren, zu benennen und kurz zu charakterisieren. Da die Orientierung an bestimmten Maximen und Prinzipien jedoch oft nur im Kontext des ganzen Handlungsspiels nachweisbar ist, wird ihre Bedeutung vor allem in den Analysen der einzelnen Interviews veranschaulicht werden.
4.3 Handlungsmaximen und exekutive Prinzipien Für die Analyse politischer Interviews ist neben der Differenzierung von explorativen und argumentativen Handlungsspielen auch die Unterscheidung einer Reihe von exekutiven Prinzipien des Interviewens relevant. Exekutive Prinzipien im Sinne der Theorie des dialogischen Handlungsspiels können als Strategien verstanden werden, an denen sich die Kommunikationspartner orientieren, um unter den handlungsspielspezifischen Voraussetzungen, zu denen vor allem auch institutionell bedingte Handlungszwecke gehören, ihre Interessen so effektiv wie möglich zu verfolgen (vgl. auch Weigand demn. a/b). Im Folgenden werden die m. E. wichtigsten exekutiven Prinzipien, an denen sich die Interviewpartner orientieren, benannt und näher erläutert. Ihre Relevanz in authentischen Handlungsspielen kann dann in den anschließenden Analysen nachgewiesen werden. Da die meisten exekutiven Prinzipien nur im Zusammenhang mit einer Reihe von Handlungsmaximen, die für alle Politiker in der Öffentlichkeit gelten, erklärbar sind, sollen diese zunächst kurz geschildert werden. Im Verlauf der Analysen haben sich im Wesentlichen vier solcher Maximen herauskristallisiert. Die erste Maxime nenne ich die Handlungsmaxime der Identität. Dieser Terminus bezeichnet das Bestreben von Politikern, ihre im Interview vertretenen kommunikativen Ansprüche und Positionen als im Einklang mit denen ihrer Partei zu präsentieren. Dies ist insofern äußerst wichtig, als Widersprüche zwischen Politikern und ihren Parteien entweder der Partei schaden oder aber den Politiker ausgrenzen. Daher bergen kommunikative Strategien von Interviewern, die diese Maxime in irgendeiner Weise zu untergraben versuchen, für Politiker stets ein hohes Risiko.
61 Mit der Maxime der Identität steht eine weitere Handlungsmaxime in engem Zusammenhang. Dabei handelt es sich um die Handlungsmaxime der Integrität (i. S. v. Glaubwürdigkeit) eines Politikers. Hier kann es durchaus zu Konflikten beider Maximen kommen, wenn z. B. ein Politiker, um glaubhaft zu bleiben, einem bestimmten Standpunkt treu bleiben muss, er damit aber gleichzeitig eine andere Position als seine Partie vertritt. Ein klares Beispiel für einen solchen Konflikt bietet das in Kap. 6.1 analysierte Interview. Die Maxime der Solidarität verlangt von Politikern, andere Politiker ihrer Partei im Interview zu verteidigen. Angriffe auf Parteifreunde sind ohnehin ausgeschlossen. Bezogen auf den politischen Gegner lässt sich eine vierte Maxime formulieren, nämlich die Maxime der Abgrenzung. Wenn es gilt, sich mit der eigenen Partei und deren Standpunkten zu identifizieren oder dies zumindest vorzugeben, so gilt es ebenso, sich von konkurrierenden Parteien oder Politikern zu unterscheiden und diesen Unterschied explizit zu machen. Im Verlauf der Analysen wird an verschiedenen Stellen auf die Relevanz dieser Maximen hingewiesen. Sie spielen eine wichtige Rolle für die kommunikativen Strategien beider Interviewpartner und bewirken, wie gezeigt werden soll, deren Orientierung an verschiedenen exekutiven Prinzipien. Auf den Stellenwert dieses dritten von Weigand (demn. a/b) unterschiedenen Typs von Prinzipien dialogischen Handelns wurde bereits im Rahmen der theoretischen Grundlegung hingewiesen.
4.3.1 Die Prinzipien der Kooperation und Konfrontation Unabhängig davon, ob ein Interview explorativen oder argumentativen Charakter hat, kann es mit Bezug auf die jeweils übergeordneten kommunikativen Zwecke auf zwei verschiedene Weisen geführt werden: kooperativ oder konfrontativ. Wo jedoch liegt der entscheidende Unterschied zwischen einem kooperativ und einem konfrontativ geführten Interview? Um diese Frage beantworten zu können, ist eine kurze Klärung insbesondere des Begriffs Kooperation angezeigt, da dieser insbesondere auch in der sprachwissenschaftlichen Literatur auf verschiedene Weisen verwendet wird. Kooperation kann einerseits in einem sehr allgemeinen Sinn jeglicher Kommunikation unterstellt werden. Ein solches Verständnis besagt dann allerdings nichts weiter, als dass Dialoge immer ein kooperatives Verhalten der Kommunikationspartner voraussetzen (Henne/Rehbock 1982). Kooperation in diesem landläufigen Sinn bedarf keiner weiteren Problematisierung und darf, wie Coulmas (1981: 100) bereits festgestellt hat, einfach vorausgesetzt werden. Keller (1987: 3) stellt jedoch fest, dass »Kommunikation als Kooperation« zu unterscheiden ist von »Kooperation in der Kommunikation«. Was
62 aber bedeutet Kooperation in der Kommunikation? Im Rahmen einer pragmatischen Betrachtung könnte hier zunächst die Beziehung zwischen initiativem und reaktivem Sprechakt ins Blickfeld rücken. Kooperation, so könnte man meinen, zeige sich im Verhältnis von Aktion und Reaktion, im Setzen eines pragmatischen Anspruchs und dem Eingehen auf eben diesen. In der Theorie des dialogischen Handlungsspiels ist, wie unter 3.2.1.2. bereits dargelegt wurde, die gegenseitige Abhängigkeit von initiativem und reaktivem Sprechakt jedoch Ausdruck des dialogischen Prinzips, das hier nicht mit dem Prinzip der Kooperation gleichgesetzt werden soll. Die am häufigsten mit dem Begriff Kooperation erweckte Assoziation betrifft sicherlich das Cooperative Principle von H. Paul Grice (1975). In seinem einflussreichen Aufsatz »Logic and Conversation« (1975) nähert sich Grice einer Definition von Kooperation, indem er zunächst feststellt: Our talk exchanges do not normally consist of a succession of disconnected remarks, and would not be rational if they did. They are characteristically, to some degree at least, cooperative efforts; and each participant recognizes in them, to some extent, a common purpose or a set of purposes, or at least a mutually accepted direction (45).
Grice setzt sprachliche Äußerungen in Beziehung zu angenommenen Zwecken der Kommunikation, die allerdings auch in den »Further Notes on Logic and Conversation« (Grice 1978) nicht weiter spezifiziert werden. Dennoch stellt der angenommene Zweck der jeweiligen Konversation das Entscheidungskriterium für die Angemessenheit sprachlicher Äußerungen dar, so dass »at each stage, some possible conversational moves would be excluded as conversationally unsuitable« (Grice 1975: 45). Auf der Grundlage dieser Beobachtungen formuliert Grice sein Kooperationsprinzip: »Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged« (ebd.). Was Grice hier also beschreibt, ist eine Bedingung für Verständigung in einem allgemeinen Sinn, deren Erfüllung von den Kommunikationspartnern grundsätzlich angenommen werden muss, damit Sinnstiftung überhaupt stattfinden kann. Daher ließe sich Grices Kooperationsprinzip im Rahmen der Theorie des dialogischen Handlungsspiels im Kohärenzprinzip und damit in einem konstitutiven Prinzip dialogischen Handelns verorten. Um Kooperation und Konfrontation jedoch als interviewspezifische Prinzipien definieren können, sei noch einmal auf das unter 3.2.2.2. beschriebene regulative Prinzip der Rhetorik verwiesen. Dieses Prinzip, das das Verhältnis divergierender Interessen und deren Ausgleich im Dialog beschreibt, konkretisiert sich für das politische Interview in dem Verhältnis zwischen kommunikativen Zwecken, die vom Interviewer verfolgt werden, und solchen, die der interviewte Politiker auf seiner Agenda hat. Während das Ziel eines Journalisten z. B. in der Information oder auch Aufklärung des Zuschauers
63 über einen bestimmten Sachverhalt oder eine Person liegt,15 kann ein Politiker ganz andere, mitunter entgegengesetzte Interessen verfolgen. Möglicherweise will er genau diese Information nicht geben. Beispiele hierfür finden sich in fast jedem Interview. Die Frage ist nun jedoch, wie divergierende Interessen im Handlungsspiel aufeinander abgestimmt werden. Die exekutiven Prinzipien der Konfrontation und Kooperation regeln genau diese Abstimmung. Da die ablauforganisatorische Steuerung des Handlungsspiels, wie in Kap. 4.1.3 beschrieben, zu den Privilegien des Interviewers gehört, kommt ihm hier entscheidende Bedeutung zu. Er kann einerseits versuchen, seine kommunikativen Ziele maximal umzusetzen, indem er z. B. unterbricht, insistiert oder provoziert. Solche und andere Strategien werden im Rahmen weiterer exekutiver Prinzipien aufgezeigt. Die Orientierung am Prinzip der Konfrontation ist also dadurch gekennzeichnet, dass Interviewer ihre kommunikativen Ziele zu erreichen versuchen, indem sie den Interviewten bei der Verfolgung seiner kommunikativen Ziele behindern. Im Extremfall kann das Handlungsspiel, wie auch in den Analysen deutlich wird, damit an die Grenzen des Interviews stoßen bzw. diese überschreiten. Andererseits kann ein Interviewer auch versuchen, die Interessen eines Politikers in seiner Interviewführung zu berücksichtigen. Er kann den Verlauf flexibel gestalten, indem er in einem gewissen Rahmen auf Initiativen des Interviewten eingeht; er kann auf Unterbrechungen oder wiederholtes, offenes Insistieren auf Antworten verzichten. Charakteristisch für die Orientierung am Kooperationsprinzip ist demnach die Verfolgung kommunikativer Zwecke unter Berücksichtigung der Interessen des Kommunikationspartners. Natürlich besteht dabei stets die Gefahr, dass ein medienerfahrener Politiker das Interview zu seiner Bühne macht. In der Praxis nutzen Politiker jeden sich bietenden Raum, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, weshalb es auch kaum Interviews gibt, in denen eine ausschließliche Orientierung am Prinzip der Kooperation zu finden ist.
4.3.2 Das Initiativprinzip Die in Kap. 4.1 beschriebene, auf der formalen Frage-Antwort-Struktur des Interviews basierende Zuordnung der Zugmöglichkeiten für die Interviewpartner ist mehr als eine formale Eigenschaft des Interviews. Sie regelt vor allem, wer bei der Setzung kommunikativer Ansprüche initiativ agieren kann. Dieses Privileg steht in der Konzeption des Interviews ausschließlich dem Interviewer zu (vgl. Blum-Kulka 1983: 133). Er ist derje15 Als allgemeine Zwecke für jedes politische Interview gelten heute die Information des Publikums sowie die Meinungsbildung. Sie sind in Deutschland teilweise durch das Grundgesetz geschützt und ergeben sich aus Art. 5 gg, der allgemein dahingehend ausgelegt wird, dass der Staat verpflichtet ist, die »freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten« (Hesselberger 1990: 86).
64 nige, der kommunikative Ansprüche setzt. Vom Interviewten wird erwartet, auf diese Ansprüche einzugehen. Diese Verteilung der Handlungsmöglichkeiten schlägt sich in einem für Interviews spezifischen exekutiven Prinzip nieder, das ich als Initiativprinzip bezeichne. An dieser Stelle könnte eingewandt werden, dass mit der Orientierung an der FrageAntwort-Struktur im Grunde bereits geregelt sei, wer innerhalb einer Sequenz initiativ und wer reaktiv agiere. Eine solche Betrachtung würde jedoch einen wichtigen Aspekt ignorieren, der bereits in einer Reihe von Arbeiten erkannt und untersucht wurde. Es handelt sich dabei um die Beobachtung, dass Politiker ihrerseits durchaus versuchen, initiativ in dem Sinne zu agieren, als sie eigene Themen in den Dialog einzubringen versuchen und damit Einfluss auf die inhaltliche Steuerung des Handlungsspiels nehmen. Greatbatch (1986) hat im Kontext dieser Beobachtung verschiedene Möglichkeiten des so genannten agenda shifting beschrieben. Der damit bezeichnete Versuch, die ›Agenda‹ des Interviewers zu beeinflussen, bedeutet im Grunde nichts anderes als eine konkurrierende Orientierung am Initiativprinzip. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass ein Politiker versuchen wird, Fragen zu stellen, jedoch kann er versuchen, bestimmte Themen (i. S. v. übergeordneten Propositionen) in den Dialog einzubringen bzw. sie auszuschließen. Dies geschieht seltener direkt (wie z. B. in Kap. 6.2.7 gezeigt), sondern häufiger dadurch, dass scheinbar auf kommunikative Ansprüche eingegangen wird, dann aber letztlich eigene Themen eingeführt werden. Bezieht der Interviewer sich nachfolgend auf diese oder gibt er eigene Themen auf, so kann aus Sicht des Politikers von einem gelungenen Themenwechsel oder agenda shift gesprochen werden. Verschiedene Mittel und Varianten der konkurrierenden Orientierung am Initiativprinzip sollen in den Analysen verdeutlicht werden. Zu diesen Mitteln gehören auch metakommunikative Äußerungen, mit denen der Interviewte z. B. Kritik am Interviewer bzw. dessen Interviewführung übt. Der mit der Annahme eines Initiativprinzips verbundene Vorteil besteht hauptsächlich darin, dass damit die in der Praxis gelegentlich schwer aufrecht zu erhaltende Rollenzuweisung i. S. v. Agierendem vs. Reagierendem oder Fragendem vs. Antwortendem relativiert wird und die Dynamik des Dialogs, die sich vor allem auch aus der Aushandlung dessen, worüber gesprochen wird, ergibt, berücksichtigt werden kann.
4.3.3 Das Vermeidungsprinzip Wenn im Zusammenhang mit dem Initiativprinzip das Phänomen des agenda shiftings erwähnt wurde, so muss an dieser Stelle ein exekutives Prinzip genannt werden, das in vielen Interviews eine wichtige Rolle spielt. Politiker verfügen nicht nur über ein ganzes Repertoire an Möglichkeiten, selbst initiativ zu werden, sondern haben auch
65 verschiedene Möglichkeiten, Fragen des Interviewers auszuweichen. Damit vermeiden sie es, auf einen bestehenden kommunikativen Anspruch einzugehen. Die Gründe für ein solches Verhalten sind vielfältig und stehen meist in Zusammenhang mit den beschriebenen Handlungsmaximen, die für alle Politiker in der Öffentlichkeit gelten. So wird ein Politiker beispielsweise aufgrund der Handlungsmaxime der Solidarität wohl nie den Rücktritt eines Parteifreundes fordern, selbst wenn das aufgrund einer bestimmten Sachlage angemessen wäre. Damit kann er jedoch seine eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen, also gegen die Handlungsmaxime der Integrität verstoßen. Einem solchen Konflikt entgehen Politiker in der Regel durch den Einsatz verschiedener kommunikativer Techniken. So können sie beispielsweise die Relevanz der Frage relativieren (Technik des Herunterspielens). Damit soll der Interviewer dazu bewegt werden, seinen ursprünglichen kommunikativen Anspruch fallen zu lassen oder zumindest den propositionalen Gehalt einer Frage zu modifizieren. Eine direktere Variante der Orientierung am Vermeidungsprinzip ist die (direkte oder indirekte) Fragedisqualifizierung. So können Politiker behaupten, eine Frage sei irrelevant oder auch falsch gestellt (weil z. B. auf vermeintlich ungültigen Präsuppositionen beruhend). Eine sublimere und häufig erfolgreichere Technik ist die der Fragemodifizierung bzw. -reformulierung (vgl. auch Clayman 1993). Dabei geben Politiker vor, auf eine Frage einzugehen, sie also zu beantworten, beziehen sich tatsächlich jedoch auf eine Proposition, die nicht der der ursprünglichen Frage entspricht. In den Interviewanalysen werden verschiedene Möglichkeiten der Orientierung am Vermeidungsprinzip aufgezeigt.
4.3.4 Das Prinzip des Insistierens Die Orientierung am Vermeidungsprinzip auf Seiten eines Politikers führt häufig zur Wiederholung einer Frage oder auch einer Behauptung durch den Interviewer. Damit insistiert dieser auf der Erfüllung des von ihm gesetzten pragmatischen Anspruchs. Das Prinzip des Insistierens leitet sich unmittelbar aus dem bereits beschriebenen Initiativprinzip ab. Da der Interviewer das Privileg hat, initiativ pragmatische Ansprüche zu setzen, hat er auch das Recht, auf deren Erfüllung zu insistieren. Da es jedoch umgekehrt in Interviews keine Verpflichtung des Politikers gibt, auf einen pragmatischen Anspruch einzugehen, muss der Interviewer abwägen, wie stark er sich an Prinzip des Insistierens orientieren will. Theoretisch kann z. B. eine Frage beliebig oft wiederholt werden; allerdings verliert das Interview damit wahrscheinlich seinen Informationswert für den Zuschauer. Je häufiger ein Interviewer insistiert, desto klarer zeigt er auch an, den von ihm verfolgten kommunikativen Zweck unabhängig von den Interessen des Anderen durchsetzen zu wollen. Damit ist klar, dass das Prinzip des Insistierens in engem Zu-
66 sammenhang mit dem Prinzip der Konfrontation und damit auch mit dem regulativen Prinzip der Rhetorik steht.
4.3.5 Provokation und emotionale Neutralität Zwei weitere exekutive Prinzipien, die in politischen Interviews eine wichtige Rolle spielen, sind die Prinzipien der Provokation und der emotionalen Neutralität. Das Prinzip der emotionalen Neutralität bezeichnet das beobachtbare Bestreben von Politikern, vor allem ›negative‹ Emotionen wie Ärger oder Wut zu unterdrücken. Dies hat vor allem damit zu tun, dass Politiker, die sich gegenüber einem Interviewer verärgert zeigen, aus Sicht des Publikums eine Schwäche offenbaren und somit negativ wahrgenommen werden. »Never become antagonistic toward the interviewer«, warnt Rafe (1991: 96) in seinem populären Ratgeber »Mastering the News Media Interview«: At any sign of anger, interviewers and their audiences will wonder how you might handle more critical matters and how much of your message is based on emotion rather than on fact.
Insbesondere in konfrontativ geführten Interviews fällt es Politikern jedoch gelegentlich schwer, diese Warnung zu beachten, insbesondere dann, wenn Interviewer zum Mittel der gezielten Provokation greifen und damit die Orientierung am regulativen Prinzip von Rationalität und Emotion zu beeinträchtigen suchen. An dieser Stelle könnte die Frage aufkommen, warum es so etwas wie ein Prinzip der emotionalen Neutralität überhaupt geben soll. Die Erklärung dafür ist die gleiche, mit der auch Rafes Rat begründet werden kann, und sie betrifft m. E. ein kulturelles Phänomen unserer westlichen Zivilisation, in der es so etwas wie ein kollektives Bewusstsein dafür gibt, dass Emotionen sich negativ auf ein planvolles und rationales Verhalten auswirken (vgl. auch Kap. 3.2.2.1). In diesem Bewusstsein stehen sich Rationalität und Emotionalität als polare Alternativen gegenüber, so dass, wer Emotionen zeigt, zumindest in seiner Rationalität beeinflusst ist. Umgekehrt wird sich, wer ›bewusst rational‹ argumentiert, gelegentlich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, gefühllos zu handeln. Dass Denken und Emotionen gleichwohl in einem auch evolutionär bedingten, für unser Überleben wichtigen komplementären Verhältnis stehen, verdeutlicht überzeugend Pinker (1997). Aufgrund der Wahrnehmung von Emotionen als Störfaktor in rationalen Diskursen, zu denen das Interview in unserer Kultur gerechnet wird, hat sich jedoch eine Orientierung am Prinzip der emotionalen Neutralität bewährt.
67
4.3.6 Prinzipien der Argumentation In Kapitel 4.2.2 wurde das Interview als argumentatives Handlungsspiel beschrieben, wobei als definierendes Kriterium für diesen Interviewtyp die Verfolgung eines modalen Wahrheitsanspruchs durch den Interviewer genannt wurde. Für die Verfolgung dieses pragmatischen Anspruchs orientieren sich Interviewer an einer Reihe von Argumentationsprinzipien, die im Folgenden erläutert werden sollen. Der Beschreibung dieser exekutiven Prinzipien liegt ein Argumentationsbegriff zugrunde, der sich von dem häufig verwendeten Konzept Toulmins (1958) unterscheidet. Toulmin legt zwar überzeugend dar, warum ein rein formal-logisches Verständnis von Argumentation nicht nur an der Alltagsrealität vorbeizielt, sondern die Lösung gesellschaftlicher Konflikte sogar verhindert. Da es raum- und zeitunabhängige Wahrheiten nicht gebe, sei die klassisch-absolutistische Position unhaltbar und stünde einer praktischen Vernunft entgegen. Gleichzeitig lehnt Toulmin jedoch auch die von ihm so bezeichnete relativistische Position, nach der Wahrheit bzw. die einen Wahrheitsanspruch stützenden Argumente allein abhängig vom Subjekt sei, ab, da dann eine Unterscheidung von guten und schlechten Argumenten unmöglich würde (siehe auch Toulmin 1972 ; Foss/Foss/Trapp 1991). Gerade die Untersuchung des Sprachgebrauchs in Politik und Massenmedien zeigt m. E., dass es weniger auf die Entscheidung dieses für Toulmin zentralen Streits ankommt als vielmehr darauf, vom Zweck des Argumentierens auszugehen. Dieser liegt allgemein in der Überzeugung des Kommunikationspartners oder auch eines Publikums, wobei die für Interviews wichtigen Spezifizierungen in Kap. 4.2.2 dargelegt wurden. Argumente werden demnach nicht in erster Linie nach ihrem Wahrheitsgehalt, sondern nach ihrer Wirkung beurteilt. Es gibt verschiedene Techniken, diese persuasive Wirkung zu erzielen, womit sich vor allem Perelman/Olbrechts-Tyteca (1969) im Rahmen der von ihnen entwickelten so genannten New Rhetoric befasst haben (vgl. auch Kienpointner 2003). Diese Techniken werden im Folgenden weniger strikt als Prinzipien des Argumentierens beschrieben, an denen sich die Kommunikationspartner orientieren.
4.3.6.1 Das Strukturprinzip der koordinativen Argumentation In den meisten politischen Interviews des argumentativen Typs lässt sich beobachten, dass der vom Interviewer gesetzte übergeordnete Wahrheitsanspruch im Rahmen verschiedener Argumentationsdiskurse gestützt wird. Diese Diskurse werden jeweils von spezifischen Thesen (und damit ebenfalls von Wahrheitsansprüchen) dominiert, wobei jede These für sich den übergeordneten Wahrheitsanspruch stützt:
68 (Fig. 5)
Struktur einer koordinativen Argumentation in Analogie zu van Eemeren (2002) Wichtig dabei ist, dass aus Sicht des Interviewers in der Regel keine These für sich genommen ausreichen würde, den übergeordneten Wahrheitsanspruch hinreichend zu stützen. Dafür bedarf es zusätzlicher Argumentationsdiskurse, die zusammen eine hinreichende argumentative Kraft entwickeln. So reicht es z. B. für das in Kap. 7.1 analysierte Interview nicht aus, dass der Wahrheitsgehalt der übergeordneten Proposition that the country does not work properly lediglich durch die untergeordnete These gestützt wird, das öffentliche Transportsystem funktioniere nicht richtig. Wie die Analyse zeigen wird, kommen zwei weitere Thesen hinzu, die ihrerseits im Rahmen eigener Argumentationsdiskurse gestützt werden. Diese Diskurse prägen die Struktur des gesamten Interviews. Das Prinzip der koordinativen Argumentation muss im Kontext der von van Eemeren et al. (2002) beschriebenen Typen komplexer Argumentation gesehen werden, wonach es zwei weitere Argumentationstypen, nämlich den der multiplen sowie den der subordinativen Argumentation zu unterscheiden gilt. In einer multiplen Argumentation ist jedes Argument für sich ausreichend, um den Wahrheitsgehalt einer Proposition zu stützen, jedes weitere Argument bildet eine alternative Stützung. Im Rahmen einer subordinativen Argumentation werden Argumente zur Stützung eines Wahrheitsanspruchs selbst wieder durch Argumente gestützt. Diese beiden Argumentationstypen finden sich eigentlich in jedem komplexeren Argumentationsdiskurs und auch in den meisten Interviews, da der Wahrheitsgehalt einer These oder eines Arguments selbstverständlich jederzeit vom Kommunikationspartner problematisiert werden kann. Bezüglich der Stützung von Wahrheitsansprüchen, die sich auf übergeordnete Propositionen beziehen, finden sich jedoch meist koordinative Argumentationen. Im Unterschied zu van Eemeren et al. wird in dieser Arbeit jedoch nicht von Argumentationstypen, sondern von Prinzipien der Argumentation gesprochen. Damit soll betont werden, dass die Entscheidung, ob ein Argument eine These hinreichend stützt
69 oder nicht, zwischen den Kommunikationspartnern ausgehandelt wird. Hier ist für das Interview natürlich die Wirkung auf das Publikum einzubeziehen: Ob es Argumente für hinreichend plausibel hält oder nicht, hängt von dessen Einstellungen ab, was die Interviewpartner im Rahmen ihrer kommunikativen Strategien auch berücksichtigen. Diese Subjektivität gilt im Grunde auch für das einfache Beispiel, das van Eemeren zur Illustration des koordinativen Argumentationtyps liefert (2002: 65): The dinner was organized perfectly, for the room was exactly the right size for the number of guests, the arrangement of tables was well thought out, and the service was excellent.
Hier könnte das Argument, der Service sei exzellent gewesen, bereits ausreichen, um den Wahrheitsanspruch der Behauptung hinreichend zu stützen, so dass es gar nicht der Koordination mehrerer Argumente bedurft hätte. Diese Entscheidung obliegt jedoch dem Sprecher. Er schätzt ein, inwieweit er zusätzliche Argumente zur Überzeugung des Kommunikationspartners liefern muss. Da es m. E. also keine sprecherunabhängige Regel dafür gibt, ob Argumente sich ergänzen oder in einem alternativen Verhältnis stehen, wird in dieser Arbeit vom Prinzip der koordinativen Argumentation gesprochen.
4.3.6.2 Das Referenzprinzip Insbesondere in argumentativen Interviews ist häufig zu beobachten, dass Interviewer sich zur Stützung eines Wahrheitsanspruchs auf Äußerungen von Dritten, die nicht am Handlungsspiel partizipieren, berufen, oder auch frühere Äußerungen des Interviewpartners zitieren, um einen aktuell vertretenen Wahrheitsanspruch zu stützen. Dabei wird mit der Referenz auf diese Äußerungen (in direkter oder auch indirekter Redewiedergabe) suggeriert, sie würden den vom Interviewer vertretenen Wahrheitsanspruch stützen, womit sie eine argumentative Funktion erhalten. (13) News Night, 14/05/2002, bbc 2, ir=Jeremy Paxman, ie=Tony Blair
Wie in den Analysen gezeigt werden soll, vertritt der Interviewer hier die These, dass das öffentliche Transportsystem Großbritanniens schlecht funktioniere. Die Äußerung 027–028 dient ihm zur Stützung dieser These. An diesem Beispiel kann gut erläutert werden, warum ein rein logisch-rationaler Argumentationsbegriff für die Analyse authentischer Dialoge ungeeignet ist. Die vorliegende Argumentation lässt sich relativ einfach in das bekannte Toulmin-Schema übertragen. Danach bestünde die Behauptung (claim) in der vom Interviewer (mit modalem Wahrheitsanspruch) vertretenen These, die Äußerung 027–028 fungierte entsprechend als Datum. Das Problem ergibt sich nun vor allem bei der Formulierung der Schlussregel (warrant). Diese müsste, um datum und
70 claim in einer Argumentation zu verbinden, in etwa wie folgt lauten: ›Statements by your transport minister about public transport are necessarily true‹. Dieser Zusammenhang lässt sich wie folgt veranschaulichen: (Fig. 6)
Das Problem dieser Schlussregel ist nun, dass sie einerseits unakzeptabel ist (Verkehrsminister können durchaus falsche Einschätzungen über ihr Ressort abgeben), ihre Unhaltbarkeit jedoch vom Interviewten nicht thematisiert werden kann, da dieser dann gegen die Handlungsmaxime der Solidarität verstoßen und seinem eigenen Minister öffentlich widersprechen müsste. Daher erhält die Argumentation ihre potentielle Wirkung nicht aus einer logischen Beziehung zwischen claim, datum und warrant (diese existiert ja aufgrund der fehlerhaften Schlussregel nicht), sondern aus der einfachen Tatsache, dass der Interviewte den Fehlschluss nicht ohne weiteres aufdecken kann. Dies wäre in einem unbeobachteten Dialog sicherlich möglich, jedoch nicht vor den Augen eines zuschauenden Publikums. Genau dieser Umstand wird bei der Orientierung am Referenzprinzip genutzt. Neben der Möglichkeit, Äußerungen Dritter zur argumentativen Stützung eines Wahrheitsanspruchs zu bemühen, gibt es auch die Möglichkeit, auf Äußerungen des interviewten Politikers zu rekurrieren, die dieser zu einem früheren Zeitpunkt, möglicherweise in einem früheren Interview, getätigt hat. So gerät der betreffende Politiker häufig in die Gefahr, gegen die Handlungsmaxime der Identität oder auch der Integrität zu verstoßen, wenn er den vom Interviewer vertretenen Wahrheitsanspruch zurückweist. Die häufigste Reaktion in einem solchen Dilemma besteht dann in einer Behauptung des Politikers, die referierte Äußerung ›so nicht‹ getätigt zu haben. In der Tat besteht ein häufiges Problem für Politiker darin, dass frühere Äußerungen aus ihrem Kontext herausgelöst werden und im aktuellen Handlungsspiel unter ganz anderen Voraussetzungen zitiert werden. Festzuhalten bleibt für die Orientierung am Referenzprinzip vor allem, dass sie insbesondere in argumentativen Interviews dem Interviewer die Möglichkeit eröffnet, seinen
71 Gesprächspartner unter Druck zu setzen, da dieser Wahrheitsansprüche des Interviewers oft nur zurückweisen kann, wenn er die Verletzung einer oder mehrerer Handlungsmaximen in Kauf nimmt.
4.3.6.3 Auf Vorwürfen basierende Argumentationen Da sie einen Untertyp repräsentativer Sprechakte bilden, sind auch Vorwürfe unter bestimmten Umständen dazu geeignet, einen Wahrheitsanspruch zu stützen und so als Argument zu fungieren. Dabei wird eine Handlung oder Unterlassung, auf die der Interviewer referiert, als ursächlich für einen negativ beurteilten Weltzustand betrachtet, womit gleichzeitig eine Verantwortung des interviewten Politikers behauptet wird. Zwar könnte hier eingewandt werden, dass Vorwürfe, da sie sich gegen eine Person richten, als Variante eines argumentum ad hominem unter logischen Gesichtspunkten nicht die Wahrheit einer Proposition stützen oder widerlegen können. Dem kann jedoch entgegnet werden, dass die Eigenschaft des Vorwurfs, gegen eine Person gerichtet zu sein, auf seiner grundsätzlichen Eigenschaft beruht, eine Beziehung zwischen einem Zustand und der Handlung/Unterlassung, die aus Sicht des Sprechers für diesen Zustand (mit)verantwortlich ist, herzustellen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob diese Beziehung unter logischen Gesichtspunkten tatsächlich haltbar ist (vgl. Kap. 7.1.5.2). Dies kann zwischen den Kommunikationspartnern ausgehandelt werden. Es wird also nicht nur die Kausalität zwischen einer Handlung und einem bestimmten Zustand, sondern gleichzeitig auch (implizit oder explizit) eine Verantwortung behauptet. Insofern überlagern sich hier zwei Wahrheitsansprüche, und Politiker versuchen oft gar nicht erst, die behauptete Kausalität zu hinterfragen, sondern beschränken sich auf eine Zurückweisung ihrer Verantwortung. Damit wird jedoch der mit der These verbundene Wahrheitsanspruch, zu deren Untermauerung der Vorwurf verwendet wurde, übernommen.
4.3.6.4 Auf Indizien basierende Argumentationen Um einen Wahrheitsanspruch zu verteidigen, ist es nicht immer notwendig, den Zusammenhang zwischen der jeweiligen These und dem sie stützenden Argument völlig explizit zu machen. Entsprechend dem Kohärenzprinzip (vgl. Kap. 3.2.1.3) versucht der Kommunikationspartner (und im Interview auch der Zuschauer), diesen Zusammenhang selbst herzustellen. So kann man sich in der Kommunikation in der Regel darauf verlassen, dass nicht explizierte Prämissen, auf denen eine Argumentation fußt, von den Akteuren im Handlungsspiel auf der kognitiven Ebene erfasst werden, und dass, wenn dies nicht möglich ist, ein Missverständnis angezeigt wird. In Kap. 7.1.6.1 wird an einem Beispiel gezeigt, wie sich die Argumentation des Interviewers auf eine nicht explizierte Prämisse
72 stützt. Der hierfür verwendete Begriff der indizienbasierten Argumentation entspricht in etwa dem der von van Eemeren so genannten »argumentation based on a symptomatic relation« (vgl. van Eemeren et al. 2002: 96ff.). Allerdings schließt er einen größeren Kreis von auf nicht explizierten Prämissen beruhenden Argumentationen ein, da, anders als bei van Eemeren et al., im Argument kein Symptom im Sinne eines typischen Anzeichens für die Wahrheit einer These oder Behauptung vorliegen muss.
4.3.6.5 Negative Argumentation Das letzte hier zu nennende Prinzip der Argumentation unterscheidet sich von allen anderen bisher genannten dadurch, dass der Interviewer zur Stützung des von ihm vertretenen Wahrheitsanspruchs keine eigenen Argumente einbringt, sondern sich stattdessen darauf beschränkt, die Argumentation des interviewten Politikers oder auch diesen selbst als unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Da es für Politiker entsprechend der Handlungsmaxime der Integrität jedoch wichtig ist, vor dem Publikum glaubwürdig zu bleiben, wird er so in der Regel gezwungen, sich, seine Meinung oder sein Handeln argumentativ zu verteidigen. Interviewerfahrene Politiker versuchen, dies möglichst sachlich und betont rational zu erreichen (vgl. das Beispiel Blair in Kap. 7.1.6.2). Jedoch ist häufiger zu beobachten, dass die so genannte emotionale Neutralität nicht gewahrt wird, was allerdings die Glaubwürdigkeit des Politikers dann noch weiter gefährden kann. Die in diesem Kapitel beschrieben exekutiven Prinzipien und ihre Bedeutung für die Kommunikationspartner im Interview werden in den folgenden Analysen authentischer Handlungsspiele genauer erläutert.
5
Methodische Vorbemerkungen
5.1 Auswahl der Interviews Für die Analysen wurden aus 40 aufgezeichneten politischen Fernsehinterviews vier Beispiele ausgewählt. Die beiden englischen Interviews aus den Sendungen Hard Talk und Newsnight wurden am 1. Oktober 2002 bzw. 14. Mai 2002 ausgestrahlt. Die deutschen Interviews stammen aus den Sendungen Bericht aus Berlin (ard) und Was nun? (zdf) und wurden am 31. Oktober 2003 bzw. 4. Dezember 2002 gesendet. Für die Auswahl der Interviews war die Verteilung auf die bereits erläuterten Typen des explorativen bzw. argumentativen Handlungsspiels ausschlaggebend. Die Beispiele Hard Talk und Bericht aus Berlin lassen sich deutlich dem explorativen Typ zuschreiben, während Newsnight und Was nun? eindeutige Vertreter des Typs argumentativer Handlungsspiele sind. Allen Interviews ist gemein, dass sie – mit Ausnahme von einem Interview (Bericht aus Berlin) – wesentlich länger sind als Interviews im Rahmen von Nachrichtensendungen. Bei den Interviewern handelt es sind ausschließlich um sehr erfahrene Journalisten der jeweiligen Rundfunkanstalten.
5.2 Strukturierung der Analysen Angesichts der Länge der Interviews ist eine jeden einzelnen Zug berücksichtigende Analyse nicht möglich. Ein solches Vorgehen ist jedoch auch nicht nötig, da sich die exekutiven Prinzipien, an denen sich die Interviewpartner im Verlauf des Dialogs orientieren, an ausgewählten Sequenzen genau untersuchen lassen. Dabei wird es jedoch wichtig sein, diese immer auf die jeweiligen übergeordneten kommunikativen Zwecke und damit auf die Einheit des gesamten Handlungsspiels zu beziehen. Jede Analyse beginnt mit einer kurzen Darstellung des Anlasses bzw. Hintergrundes des jeweiligen Interviews. In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Verstehensvoraussetzungen für die Analysen geschaffen, weitere Erläuterungen werden jedoch ggf. auch während der Analysen geliefert. Im nächsten Schritt wird der jeweilige kommunikative Zweck des Interviews beschrieben, d. h. die für das Interview bzw. die analysierte Sequenz jeweils übergeordnete
74 Proposition wird einem pragmatischen Anspruch zugeordnet (vgl. Kap. 4.2). Im Falle der argumentativen Handlungsspiele wird zusätzlich die in den Analysen herausgearbeitete Argumentationsstruktur beschrieben. Anschließend wird das jeweilige Interview zumeist in der chronologischen Abfolge der einzelnen Sequenzen analysiert. Wie bereits geschildert wurde, kommt es dabei nicht auf Vollständigkeit im Sinne einer jeden Zug berücksichtigenden Analyse an, sondern auf die Erfassung und Beschreibung möglichst aller relevanten exekutiven Prinzipien.
5.3 Bemerkungen zum Transkriptionsverfahren Für die Wahl des Transkriptionsverfahrens sind in dieser Arbeit zwei Kriterien maßgebend. Zum einen soll eine leichte Lesbarkeit garantiert sein, zum anderen soll die Transkription eine möglichst genaue Wiedergabe des linearen Dialogverlaufs auf der Textebene präsentieren. Daher bietet sich die Verwendung einer einfachen Partiturschreibweise an. Einwürfe und Unterbrechungen sind als solche in linearer Folge erkennbar. Eine neue Zeile wird nur dann begonnen, wenn ein Sprecher das Wort ergreift, ohne den anderen damit unterbrochen zu haben. Gleichzeitiges Sprechen wird ebenfalls in die Transkriptionen aufgenommen und ist kursiv dargestellt. Dialekte werden nicht berücksichtigt, da sie für diese Untersuchung keine erkennbare Relevanz haben. Redepausen wie /äh/ werden aus dem selben Grund nicht aufgenommen. Zwar deuten sie bisweilen auf die Unsicherheit eines Sprechers hin, allerdings hat die Betrachtung einer Vielzahl von Interviews ergeben, dass ihre Verteilung vor allem sprecherindividuell ist. Generalisierende Schlussfolgerungen sind daher m. E. in Bezug auf dieses Phänomen nur sehr bedingt möglich und werden daher nicht versucht. Die Mimik der Interviewpartner trägt zwar im Dialog zwischen den Kommunikationspartnern zur Interpretation ihrer Äußerungen bei und kann auch für die Wahrnehmung durch den Zuschauer eine Rolle spielen; sie ist jedoch aufgrund der wechselnden Kameraperspektiven immer nur bedingt erkennbar und kann damit nicht systematisch erfasst werden. Mit den genannten Einschränkungen bei der Transkription setzt sich diese Arbeit einer möglichen Kritik von Seiten derer aus, die ausgehend von der Ebene der akribisch dokumentierten Performanz versuchen, Regeln oder Konventionen des Sprachgebrauchs zu beschreiben. Mit diesem von mir so genannten Dogma der Authentizität (vgl. Kap. 2.2.2) verbindet sich die Hoffnung, durch die möglichst genaue Erfassung aller empirisch registrierbaren Daten auch die Qualität der Analysen und damit die Qualität der Beschreibung zu verbessern. Diese Hoffnung ist jedoch insofern unberechtigt, als sich
75 m. E. immer das Problem stellt, sprecherindividuelle Eigenschaften des Sprachgebrauchs, insbesondere im Bereich der Prosodie, angemessen zu interpretieren. Zwar wird auch in dieser Arbeit für die Analyse einiger Äußerungen die Betonung zur Interpretation herangezogen, jedoch geschieht dies nur in eindeutigen Fällen. Darüber hinaus jedoch zu generalisierbaren Schlussfolgerungen gelangen zu wollen ist ein m. E. nicht einzulösender Anspruch. Daneben stellt sich die Frage der Relevanz möglicher Schlussfolgerungen. Wittgenstein (1999: 291) deutet dies in einem Beispiel an: ›Unexakt‹, das ist doch eigentlich ein Tadel, und ›exakt‹ ein Lob. Und das heißt doch: das Unexakte erreicht sein Ziel nicht so vollkommen wie das Exaktere. Da kommt es also darauf an, was wir das Ziel nennen. Ist es unexakt, wenn ich den Abstand der Sonne von uns nicht auf 1 m genau angebe; und dem Tischler die Breite des Tisches nicht auf 0,001 mm.?
Die vollständigen Transkriptionen der hier untersuchten Interviewsequenzen befinden sich im Anhang. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit sind die für die Analysen relevanten Züge, die genauer untersucht werden, in den Text aufgenommen. Dennoch empfiehlt es sich, vor der Lektüre der Analysen die zusammenhängenden Transkriptionen im Anhang zu lesen, um sich ein besseres Bild von den untersuchten Handlungsspielen verschaffen zu können.
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Analysen der explorativen Handlungsspiele
6.1 Hard Talk Das erste hier analysierte Interview wurde am 1.10.2002 auf bbc World im Rahmen der Sendung Hard Talk ausgestrahlt. Hard Talk wird täglich montags bis freitags gesendet. Das Interview dauert 30 Minuten. Der Interviewer (ir) in der hier analysierten Sendung ist Tim Sebastian, ein erfahrener und renommierter Journalist der bbc.
6.1.1 Anlass und Hintergrund des Interviews Hard Talk, bbc World, 1.10.2002, ir=Tim Sebastian, ie=Clare Short
Aus der Anmoderation geht hervor, dass zum Zeitpunkt des Interviews ein Parteitag der britischen Labour-Partei stattfindet. Das Interview wurde am Konferenzort in Blackpool geführt. Das nicht nur in der britischen Öffentlichkeit dominante politische Thema des Herbstes 2002 war ein möglicher Militärschlag der usa gegen den Irak, den die us-Regierung auch ohne eine Autorisierung durch die Vereinten Nationen zu führen gewillt war. In Großbritannien war diese Frage insofern von besonderer Brisanz, als der britische Premierminister, Tony Blair, dem amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, seine Unterstützung bei einem Militärschlag gegen den Irak zugesagt hatte. Blairs regierende Labour-Partei befand sich nun im Herbst 2002 in einer heftigen innerparteilichen Debatte, ob sich Großbritannien an einem Krieg beteiligen solle, wenn dieser nicht durch ein Mandat der Vereinten Nationen legitimiert sei. Dabei stand zeitweise nicht weniger als der Fortbestand der Regierung auf dem Spiel. Der Interviewer deutet dies in seiner Anmoderation an, indem er feststellt, dass die Aussicht eines Krieges die regierende Labour-Partei spalte (001–002). Eine entschiedene Gegnerin eines nicht autorisierten Militärschlags war die damalige britische Entwicklungshilfeministerin, Clare Short, die hier von Tim Sebastian interviewt wird. Für sie stellt sich in dem vorliegenden Interview folgendes Problem: Zum einen
77 muss sie in ihrer Rolle als Ministerin, als Mitglied der Regierung, integrierend wirken, also eine mögliche Spaltung der Partei vermeiden helfen. Daher muss sie versuchen, Standpunkte zu vertreten, mit denen sie für ihre Partei als ganze spricht und diese Standpunkte gleichzeitig glaubhaft als ihre eigenen darstellen (vgl. Handlungsmaxime der Identität in Kap. 4.3). Die Schwierigkeit dieser Aufgabe in diesem speziellen Interview wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass Clare Short sich zum anderen mit ihrer Ablehnung eines Militärschlages ohne un-Mandat im Widerspruch zu ihrem Premierminister befindet, der einen solchen Angriff an der Seite der usa nicht ausschließen will. Zum Zeitpunkt des Interviews gab es bereits den konkreten Verdacht, dass die Ministerin im Falle eines nicht autorisierten militärischen Engagements von ihrem politischen Amt zurücktreten könnte. Dieser Verdacht entsprang vor allem einem Interview mit der bbc, das Short bereits Monate vor dem hier analysierten Interview gegeben hatte: On the Record, bbc 1, 17.3.2002, ir=John Humphrys, ie=Clare Short ! . ! . !
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Dieses Interview mit John Humphrys wurde in den meisten Medien anschließend so interpretiert, als habe Clare Short für den Fall mit ihrem Rücktritt gedroht, dass Großbritannien sich an einem nicht autorisierten Militärschlag beteiligen werde.1 Insbesondere die Äußerungen in 015–020, 022–023, 025 und 031–034 legen eine solche Interpretation nahe. Mit ihren Drohungen hatte Short nicht unwesentlich zu der nun von Tim Sebastian erwähnten Spaltung der Labour-Partei beigetragen. Betrachtet man die Handlungsmaximen der Identität und der Repräsentation als wichtige Handlungsorientierungen für Politiker, kann man durchaus davon sprechen, dass Short ihrer Partei mit diesem Interview einen schlechten Dienst erwiesen hatte. Daher versucht sie nicht nur in dem hier analysierten Interview, eine Antwort auf die Frage nach ihrem möglichen Rücktritt zu vermeiden. Mit genau dieser Frage ist jedoch der wichtigste kommunikative Zweck des im Folgenden analysierten Interviews erfasst.
6.1.2 Der kommunikative Zweck des Interviews Das vorliegende Interview lässt sich nach übergeordneten Propositionen in vier Blöcke untergliedern, wobei ich mich für die Analyse im Wesentlichen auf den ersten und für das Interview wichtigsten beschränke. Der übergeordnete kommunikative Zweck besteht hier darin, eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob die britische Entwicklungshilfeministerin von ihrem Amt zurücktreten wird, falls sich ihr Land an einem nicht durch die un legitimierten Krieg gegen den Irak beteiligt. Der analysierte Teil des Interviews wird also von einem übergeordneten Wissensanspruch dominiert. Daher handelt es sich hier um ein Interview des explorativen Typs. Auf die genauere Bestimmung des übergeordneten pragmatischen Anspruchs für dieses Interview wurde bereits in dem Kapitel zu Interviews als explorativen Handlungsspielen eingegangen (vgl. Kap. 4.2.1). Es wurde argumentiert, dass hier ein deklarativer Wissensanspruch vertreten wird. Der Interviewer 1 So z. B. im Independent vom 18. März 2002, einen Tag nach dem Interview: »Claire Short described military action against Iraq as ‘very unwise’ yesterday, hinting that she might resign from the Cabinet if Britain backed strikes against Saddam Hussein.«
79 beabsichtigt demnach, dass die interviewte Politikerin hier eine Frage beantwortet, wobei sie sich mit ihrer Antwort auf eine zukünftige Handlung festlegt, an deren tatsächlicher Umsetzung dann auch ihre Glaubwürdigkeit hängt. Die Brisanz dieses Interviews ergibt sich wesentlich aus dem früheren Interview (siehe oben), in dem die Ministerin ihr ›Festlegungskonto‹ (vgl. Bucher 1993) bereits mit einer Handlungsankündigung (Rücktritt) belastet hatte. Insofern ist das nun analysierte Interview auch ein Beispiel für das Phänomen, das ich in Kap. 4.2.1 die kommunikative Sanktionierung von Politikeräußerungen genannt habe.
6.1.3 Die Intervieweröffnung Nach der Begrüßung in 001–002 stellt Tim Sebastian die erste Frage. Sie ist offen und könnte zunächst dem repräsentativen Fragetyp zugeordnet werden:2
Sebastian fragt hier nach der Meinung der Ministerin zu einem nicht durch die uno legitimierten Angriff auf den Irak. Die öffentliche Meinung zu dieser Frage (3/4 der Bevölkerung sind gegen einen unautorisierten Militärschlag) wird dabei einleitend als Fakt präsentiert. Insbesondere im Kontext dieses Meinungsbildes fällt es der Politikerin zunächst leicht, sich auf einen eindeutigen Standpunkt festzulegen, da sie sich in Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung weiß:
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Short beantwortet hier nicht nur eindeutig die Frage nach ihrer Haltung zu einer Kriegsbeteiligung Großbritanniens ohne un-Mandat und betont darüber hinaus ihre Überein2 Im weiteren Verlauf des Interviews wird deutlich, dass es sich bei dieser Frage nicht um die tatsächliche Einstiegsfrage handelt, sondern eigentlich um eine strategische Frage.
80 stimmung mit der Bevölkerung (005), sondern liefert mit der auf dem Spiel stehenden Autorität der Vereinten Nationen (006–008) auch ein sehr starkes Argument dafür, eine solche Kriegsbeteiligung abzulehnen. Sie stellt einen kausalen Zusammenhang zwischen einem möglichen Militärschlag und einem Autoritätsverlust der uno her. Was Short nicht erwähnt, ist, dass sie sich mit ihrer Ablehnung im Widerspruch zu einem Teil der Regierung, vor allem zu Premier Tony Blair befindet, der eine Kriegsbeteiligung ohne unMandat nicht ausschließen will. Dass sie eine Thematisierung dieses innerparteilichen Konflikts, den der Interviewer ja bereits in der Anmoderation erwähnt hatte, vermeiden möchte, erklärte sich aus ihrer Rolle als Repräsentantin ihrer Partei. In ihrer Rolle als Ministerin des Kabinetts von Tony Blair vertritt sie die Regierung und ist entsprechend der Handlungsmaxime der Identität bestrebt, deren Positionen mit den eigenen im Einklang zu präsentieren. Die folgende Frage des Interviewers bringt Short daher in eine schwierige Lage.
6.1.4 Einstiegsfrage: Etablierung des übergeordneten Wissensanspruchs
Bei dieser Frage handelt es sich um die eigentliche Einstiegsfrage für das vorliegende Interview, da hier ein übergeordnetes Thema mit einem pragmatischen Wissensanspruch verbunden wird, auf den sich alle folgenden Äußerungen des Interviewers direkt oder vermittelt beziehen lassen. Die Frage in 003–004 diente rückblickend lediglich der strategischen Vorbereitung der eigentlichen Einstiegsfrage. Der Ministerin wurde Gelegenheit gegeben, ihre Meinung zu einem möglichen Militärschlag deutlich zu artikulieren. Damit hat der Interviewer die Möglichkeit, eine Folgerungsfrage zu formulieren, die sich auf den – seinerzeit noch hypothetischen – Fall eines Militärschlags bezieht. Für die Ministerin ist diese Frage jedoch in zweifacher Hinsicht brisant: Zum einen spielt sie nicht auf einen hypothetischen, sondern tatsächlichen Konflikt zwischen ihr und ihrer Partei an, zum anderen handelt es sich hier auch um eine deklarative Frage im bereits beschriebenen Sinn, da Clare Short sich mit der Antwort auf eine zukünftige Handlung (±Rücktritt) festlegen soll. Auffällig an der Formulierung in 017–018 ist, dass ir hier sowohl syntaktisch als auch der Intonation entsprechend einen Deklarativsatz äußert. Dennoch handelt es sich funktional um eine Frage, da ein Wissensanspruch etabliert wird: Ob sie in dem von ir beschriebenen Fall zurücktreten wird, kann schließlich nur die Interviewte wissen. Fragen dieses Typs werden in der Literatur gelegentlich als »B-event questions« bezeichnet (vgl.
81 auch Labov/Fanshel 1977: 100). Dabei handelt es sich um Fragen, deren Antwort nur die interviewte Person liefern kann, also z. B. Fragen nach subjektiven Einstellungen oder Absichten. Clayman/Heritage (2002: 102) stellen fest, dass Fragen dieser Art auch, wie in vorliegendem Fall, »hypothetical or future-oriented statements about the interviewee‹s likely actions or policies« beinhalten können, gehen jedoch nicht auf den m. E. wichtigen Aspekt ein, dass Interviewer mit einer solchen Frage häufig bereits andeuten, die Antwort zu kennen. In Clayman/Heritages Beispielen wie auch in dem hier diskutierten suggeriert der Interviewer mittels der deklarativen Äußerungssyntax, die Antwort zu kennen oder zumindest zu erahnen, so dass der Eindruck entsteht, der Interviewer ziele mit seiner Frage eigentlich nur noch auf eine Bestätigung seines Wissens. Der Interviewer zeigt damit gleichzeitig an, über ein bestimmtes Hintergrundwissen zu verfügen, auf das er auch explizit rekurrieren kann, wie u. a. die nächste Frage Tim Sebastians (021–23) zeigt. Hier insistiert der Interviewer auf der Erfüllung seines Wissensanspruchs aus 017–018.
6.1.5 Insistieren und Vermeidungsprinzip
In 019–020 lehnt Clare Short eine Antwort auf die Frage nach einem Rücktritt ab. Sie begründet dies damit, nicht mit einem Rücktritt drohen zu wollen, wobei sie einleitend (»as I said before. . . «) betont, bereits in einem anderen Zusammenhang Rücktrittsdrohungen abgelehnt zu haben. Somit verhält sie sich hier konträr zu dem bereits erwähnten Interview mit John Humphrys, in dem sie ja recht deutlich mit Rücktritt gedroht hatte. Genau diesen Widerspruch nutzt nun der Interviewer, um auf einer Antwort zu insistieren (021–023). Er unterbricht Short in 021 mit dem Verweis auf die »bottom lines«, die Clare Short in dem früheren Interview (siehe oben 18–19, 32) mehrfach betont hatte und fragt in 023, ob eine Kriegsbeteiligung ohne un-Mandat eine solche ›Schmerzgrenze‹ darstelle. Damit wiederholt er seinen Wissensanspruch aus der Einstiegsfrage nun explizit im intertextuellen Zusammenhang3 des früheren Interviews, das natürlich Bestandteildes ge-
3 Aus der von mir vorgestellten Konzeption des dialogischen Handlungsspiels folgt für den Begriff der Intertextualität, dass dieser sich nicht nur auf Texte im engeren Sinne bezieht, sondern dem Kohärenzprinzip folgend auf sämtliche Handlungsspiele der Vergangenheit, die in dem aktuell ablaufenden für das Verständnis relevant sind bzw. von den Kommunikationspartnern als relevant erachtet werden.
82 meinsamen Hintergrundwissens der Kommunikationspartner und wahrscheinlich vieler Zuschauer ist. Indem er sich ausdrücklich auf Äußerungen Shorts aus dem früheren Interview bezieht, bringt der Interviewer die Ministerin in ein ›kommunikatives Dilemma‹, das auch als avoidance-avoidance conflict bezeichnet wird (vgl. Bavelas et al. 1990; Bull 1998; Bull 2000; Hamiton/Mineo 1998): Jede mögliche Antwort hat für sie potentiell negative Konsequenzen. Konkret bedeutet dies hier, dass Short die Frage nicht positiv beantworten kann, da sie sich dann wieder in einem offensichtlichen Widerspruch zu Teilen ihrer Partei und insbesondere zum Premierminister befinden würde. Damit würde die Zerrissenheit ihrer Partei erneut zutage treten, was Short als Ministerin im Kabinett Blairs vermeiden muss. Andererseits würde eine negative Antwort in dem Sinne, dass eine Kriegsbeteiligung für sie kein Rücktrittsgrund sei, die Ministerin in einen kaum zu vermittelnden Widerspruch zu ihren nicht nur in dem früheren Interview artikulierten moralischen Prinzipien und damit mit der Handlungsmaxime der Integrität bringen. Hier ist sehr gut erkennbar, dass der beschriebene Konflikt sein Potential vor allem aus der gelegentlichen Unvereinbarkeit verschiedener Handlungsmaximen von Politikern schöpft, in diesem Beispiel aus der Unmöglichkeit, den Maximen der Identität und der Integrität gleichermaßen Rechnung zu tragen. War in 018–019 noch eine Orientierung am Prinzip der Vermeidung erkennbar, indem eine Antwort abgelehnt wurde, wählt Short nun einen anderen Weg. Da eine erneute direkte Ablehnung einer Antwort möglicherweise ein erneutes Insistieren zur Folge gehabt hätte, wodurch der Druck auf die Ministerin gestiegen wäre, geht sie in 024–026 zunächst scheinbar auf die Frage ein:
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Tatsächlich beantwortet Short hier jedoch nicht die Frage nach einem möglichen Rücktritt, sondern versucht erneut auszuweichen. In 024–025 (»Well, what I’m saying is. . . «) scheint sie zunächst ihre Haltung erklären zu wollen, wechselt dann aber innerhalb eines Satzes das Thema von der Rücktrittsfrage hin zur öffentlichen Meinung über ein militärisches Engagement. So ergreift sie mit dem Versuch eines Themenwechsels selbst die Initiative. Short argumentiert, ihre Partei befinde sich in Einklang mit der öffentlichen Meinung und der wachsenden öffentlichen Meinung in den usa, dass ein Krieg
83 ohne un-Mandat nicht unterstützt werden solle. Dieser Zug ist insofern geschickt, als die Argumentation Shorts die Relevanz der Frage, ob sie zurücktreten werde, herabstufen kann. Wenn es ihr nämlich gelingt, so die These zu etablieren bzw. zu stützen, dass es keine Befürworter für einen Militärschlag ohne un-Mandat gibt, erübrigt sich die Frage nach ihrem möglichen Rücktritt, die sich ja nur auf ein solches Szenario bezieht. Strategien, die darauf abzielen, die Relevanz eines pragmatischen Anspruchs in Frage zu stellen, stellen eine von mehreren Möglichkeiten der Orientierung am Vermeidungsprinzip (Kap. 4.3.3) dar. In den weiteren Analysen werden noch andere Strategien herausgearbeitet, die ebenfalls eine Orientierung an diesem Prinzip anzeigen.
6.1.6 Insistieren in Argumentationsdiskursen In dem aktuellen Beispiel ist die Strategie, die Relevanz des Wissensanspruchs argumentativ herabzusetzen, nicht erfolgreich, da der Interviewer in 032–034 eine Gegenthese einbringt, woraufhin sich eine argumentative Sequenz entwickelt: " # ' ( ) , " # ' (
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Sebastian argumentiert hier, dass die über ein Eingreifen letztlich entscheidende Instanz, nämlich die us-Regierung, ausdrücklich einen Militärschlag ohne un-Mandat als Option erwägt (»That’s their stated policy«). Das Referenzprinzip ermöglicht es ihm hier, seine Gegenthese (»It’s not the view of the administration«) argumentativ zu stützen, indem er sich auf Äußerungen der us-Regierung bezieht. Zwar versucht Short in 035–036 und 041–042, die Argumente des Interviewers zu relativieren oder, wie in 041–044, dezidiert Gegenargumente einzubringen, jedoch gelingt es ihr nicht, die These des Interviewers zu entkräften, der sich in 046–047 auf Äußerungen des us-Präsidenten
84 als »presumably [. . . ] the authoritative statement from the White House« beruft. Die in dieser Äußerung mitschwingende Ironie, hervorgerufen durch das Adverb presumably, lässt Shorts Argumentation als vergeblichen Versuch erscheinen, die Relevanz der Rücktrittsfrage zu abzuschwächen. In 047–048 beendet Sebastian den Argumentationsdiskurs mit der Wiederholung eben dieser Frage.4 Damit insistiert er erneut auf der Erfüllung des übergeordneten Wissensanspruchs, was nun bereits auf eine deutliche Orientierung am Konfrontationsprinzip schließen lässt.
6.1.7 Provokation und emotionale Neutralität In 049–051 lehnt Short erneut eine Antwort ab. Wieder setzt sie die Beantwortung der Rücktrittsfrage mit einer Rücktrittsdrohung gleich, was darauf schließen lässt, wie sehr sie in diesem Dialog darauf achtet, die Rücktrittsdrohung aus dem früheren Interview nicht zu wiederholen und sie so gewissermaßen auch zu revidieren:
Auf die Sequenz 052–066 gehe ich nicht genauer ein. In ihr fragt der Interviewer nach den Einflussmöglichkeiten Shorts auf die Politik von Tony Blair. Short weicht dieser Frage aus, betont erneut wortreich die Wichtigkeit eines un-Mandats und gleichzeitig die Notwendigkeit, dass Saddam Hussein sich an die bestehenden un-Resolutionen hält. An dieser Stelle wird sie vom Interviewer unterbrochen, der nun den Druck auf seinen Gast auf andere Weise zu erhöhen versucht, indem er provoziert (067–071): " $ %
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Abwegig wäre es, 068–069 hier aufgrund des question tags als Frage zu klassifizieren. Angesichts der offensichtlich ungleichen Machtverteilung zwischen der Entwicklungs4 Der metaphorische Gebrauch vom Verlassen des »caravan train« in 048 evoziert beim Zuschauer möglicherweise das Bild des dann (hoffnungslos) Isolierten und ist insbesondere vor dem Hintergrund der irakischen Wüste als Kriegschauplatz treffend gewählt, wenn über eine beabsichtigte Herstellung dieses Zusammenhangs hier auch nur spekuliert werden kann.
85 hilfeministerin und dem Diktator handelt es sich um eine indirekte Behauptung des Interviewers, Clare Short habe keinen Einfluss darauf, ob Saddam Hussein sich an bestehende un-Resolutionen halten wird. Vor dem Hintergrund der in 067 erwähnten Versuche, Saddam Hussein zur Kooperation mit der uno zu bewegen,5 ist jedoch der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu offensichtlich, um den eigentlichen Zweck der Äußerung Sebastians darzustellen. Insbesondere 071 zeigt eindeutig an, dass es ihm hier darum geht, Shorts Argumentationen ironisch als wortreiches Ausweichmanöver zu charakterisieren und sie gleichzeitig zu provozieren, indem er ihre sehr begrenzten Einflussmöglichkeiten betont. An Shorts Reaktion – auch an der Intonation – in (072–073) ist deutlich erkennbar, dass sie die Provokation zwar erkannt hat, sich aber nicht provozieren lassen möchte. Bezogen auf das Prinzip der emotionalen Neutralität (vgl. Kap. 4.3.5) lässt sich hier also noch eine klare Orientierung an diesem exekutiven Prinzip erkennen. In 074–077 insistiert der Interviewer erneut auf einer Erfüllung seines Wissensanspruchs:
Sebastian nimmt hier mit einer scheinbaren Fragepräzisierung der Ministerin die Möglichkeit, eine Antwort erneut mit dem Verweis auf eine »posture«, wie z. B. eine Rücktrittsdrohung, abzulehnen. Die Frage des Rücktritts wird nun zu einer Frage der moralischen Prinzipien, auf die sich die Ministerin in dem früheren Interview berufen hatte. Somit entsteht für sie erneut die Gefahr, in einen Widerspruch zu ihren früheren Äußerungen zu geraten. Short weicht daher der Frage erneut aus, indem sie nun ihrer Entrüstung über das anhaltende Insistieren des Interviewers Ausdruck verleiht:
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Dieser Zug Shorts kann m. E. als ein Paradebeispiel für die Orientierung am Vermei5 Es gab zum Zeitpunkt des Interviews bereits eine Reihe von un-Resolutionen, in denen der irakische Diktator zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und zur Offenlegung seiner Rüstungsprogramme aufgefordert worden war.
86 dungsprinzip gelten. Es ist offensichtlich, dass sie die in dem früheren Interview betonten moralischen Prinzipien hier nicht wiederholen will. Sie rechtfertigt dies damit, diese Prinzipien bereits dargelegt zu haben, obgleich dies für das aktuelle Interview nicht zutrifft. Außerdem wirft sie dem Interviewer vor, sein Insistieren ziele nur darauf ab, ein »hysterical statement« (079) und damit eine Schlagzeile zu erhalten. Diese Einschätzung Shorts zeigt deutlich an, wie sehr es ihr in diesem Interview darum geht, sich nicht emotional motiviert zu Äußerungen verleiten zu lassen, wie sie sie in dem früheren Interview getätigt hatte. Insofern findet sich hier erneut eine Bestätigung dafür, dass Emotionen, insbesondere negative, in politischen Interviews stark kontrolliert und möglichst nicht gezeigt werden.
6.1.8 Konkurrierende Orientierung am Initiativprinzip Short behauptet weiterhin, ihre Haltung (kein Militärschlag ohne un-Mandat) werde von ihrer Partei und der Mehrheit der Bevölkerung sowohl in Großbritannien als auch in den usa geteilt (081–083). Damit geht sie jedoch in keiner Weise auf die immer noch übergeordnete Frage ein, ob sie im Falle eines Angriffs ohne un-Mandat zurücktreten würde. Genau dies ist jedoch die Frage, die der Interviewer mit den moralischen Prinzipien verbindet und auf die er weiterhin eine Antwort haben möchte (086): !
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Das erneute Insistieren in 086, das aufgrund des beschriebenen Initiativprinzips zu den Rechten des Interviewers gehört (vgl. Kap. 4.3.2), bewirkt nun ein klares Abweichen von den Konventionen des Interviews: Die Interviewte fordert Tim Sebastian auf, nicht weiter auf einer Antwort zu insistieren (087–088) und versucht damit nun explizit, Einfluss auf die inhaltliche Steuerung des Interviews zu nehmen. Hier handelt es sich um eine Technik des so genannten agenda shifting (vgl. Kap. 4.3.2), bei dem die Interviewte einen Themenwechsel ausdrücklich fordert. In der Regel versuchen Politiker, diese Wechsel möglichst unauffällig zu vollziehen, indem sie eigene Themen einbringen. Der Erfolg dieser Strategie hängt natürlich immer davon ab, inwieweit der Interviewer sie erkennt und Themenwechsel durch den Interviewten zulässt. Für das aktuelle Beispiel ist folglich interessant, inwieweit sich der Interviewer auf die nachdrücklich geforderte Aufgabe seines Wissensanspruchs einlässt. Tatsächlich insistiert er zunächst nicht erneut, sondern
87 gibt den übergeordneten Wissensanspruch scheinbar auf und kommt der ausdrücklichen Forderung seines Gastes nach:
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In 094–095 fragt Sebastian nach den Gründen Shorts für deren Ablehnung eines weiteren Golfkrieges. Wieder nutzt er in einer einleitenden Sequenz (092–094) die Möglichkeit der Referenz auf frühere Äußerungen der Politikerin. Indem er Short hier indirekt zitiert (»you are on record. . . «), engt er ihren Antwortspielraum insofern ein, als sie nun konkrete Gründe für ihre Ablehnung eines Krieges nennen muss. Shorts Ablehnung des Krieges wird dabei als gegeben vorausgesetzt. So entsteht für Short hier erneut die Gefahr eines kommunikativen Dilemmas, da Teile der Regierung und insbesondere Premierminister Blair einen Krieg nicht ausschließen wollen. Sie versucht daher, ihre kategorische Ablehnung zu relativieren: )
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In 096–097 spricht sie von der Notwendigkeit, sich die Option eines militärischen Eingreifens offen zu halten, stellt in 101–104 aber die Bedingung, dass im Falle militärischer Handlungen die Zivilbevölkerung nicht betroffen sein dürfe. Damit lehnt Short ein Eingreifen nicht kategorisch ab, sondern verbindet es mit einer Kondition. Der Interviewer behauptet daraufhin, dass genau diese Kondition nicht erfüllbar und ein militärisches Eingreifen folglich ausgeschlossen sei (105–106). Dabei stützt er sich auf das Urteil einer Entwicklungshilfeorganisation6 , nutzt also hier das Referenzprinzip, um seine Behauptung argumentativ zu stützen. Die anschließende Frage des Interviewers bezieht sich 6 cafod (Catholic Agency for Overseas Development) ist eine weltweit agierende Entwicklungshilfeorganisation der katholischen Kirche Englands und Wales (http://www.cafod.org.uk).
88 dann wieder auf den übergeordneten Wissensanspruch. Allerdings insistiert Sebastian hier nicht mehr direkt: Der mit seiner Frage in 108–109 verbundene Wissensanspruch ist lediglich kognitiv erschließbar, wenn unterstellt wird, dass der Interviewer die übergeordnete Frage weiterhin verfolgt. Short zumindest scheint dies hier zu unterstellen und interpretiert die Frage folglich als einen verdeckten Versuch, die Rücktrittsfrage erneut zu stellen. Insbesondere die Strategie Sebastians, ihr nun indirekt und auf der Basis von Schlussfolgerungen eine Antwort entlocken zu wollen, bewirkt zum ersten Mal in diesem Interview, dass die Interviewte ihre Verärgerung deutlich zum Ausdruck bringt:
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Bezogen auf das Initiativprinzip lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass der von Clare Short beabsichtigte Themenwechsel vom Interviewer nur scheinbar mitvollzogen wurde. Zwar wechselte Sebastian in 092–095 zunächst das Thema, allerdings war dieser Wechsel strategisch motiviert, da ein weiteres direktes Insistieren auf einer Erfüllung des übergeordneten Wissensanspruchs wenig sinnvoll erschien. Der Wissensanspruch wird dennoch weiterhin verfolgt, allerdings lässt er sich hier und im weiteren Verlauf nicht mehr direkt aus den Frageäußerungen ableiten. Dieser Strategiewechsel kann an einem weiteren Beispiel noch klarer nachvollzogen werden.
6.1.9 Indirekte Verfolgung des Wissensanspruchs Einen weiteren Beleg dafür, dass der Interviewer die inhaltliche Steuerung nicht aus der Hand gibt und auf der Erfüllung des übergeordneten Wissensanspruchs beharrt, liefert die fast unmittelbar anschließende Sequenz. Auch hier wird die Frage nach dem Rücktritt nicht mehr direkt gestellt, sondern der Interviewer geht in zwei Schritten vor. Zunächst ermittelt er mit einer einfachen Bestätigungsfrage erneut die Einstellung der Ministerin zu einem möglichen Militärschlag:
Der zweite Schritt besteht in einer unmittelbar anschließenden Frage, auf die Short spürbar gereizt reagiert:
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Die Frage in 130–132 lässt sich wie die in 108–109 nicht direkt dem übergeordneten Wissensanspruch zuordnen, sondern nur im kognitiven Rückgriff auf den gesamten bisherigen Verlauf und die intertextuellen Beziehungen des Interviews erklären. Der Interviewer stellt zwar für sich genommen eine einfache repräsentative Satzfrage und etabliert so einen Wissensanspruch um des Wissens willen (vgl. Kap. 4.2.1), jedoch vermutet die Interviewpartnerin hinter der Frage einen anderen pragmatischen Anspruch, nämlich den übergeordneten deklarativen Wissensanspruch, aus dem sich der übergeordnete Zweck des Interviews ableitet. Ihre Reaktion in 133–136 ist ein klares Indiz hierfür. Für den Interviewer lässt sich feststellen, dass er seine Strategie bei der Verfolgung des übergeordneten Wissensanspruchs geändert hat. Ließen die Fragen 017–018, 021–023, 045–048, 076–077 und 086 alle einen direkten Schluss auf die übergeordnete Rücktrittsfrage zu, so ist dies in 108–109 und in 130–132 nur indirekt möglich. Die direkten Fragen lassen sich auf die einfache funktionale Struktur für den explorativen Sprechakt zurückführen, wobei p hier die übergeordnete Proposition bezeichnet: (Fig. 7) F explorativdeklarativ
(p) (ob Ministerin zurücktritt)
↔
kommunikative Mittel (017–018, 021–023, 045–048, 076–077, 086)
Dagegen ist für die indirekten, also nur kognitiv erschließbaren Rücktrittsfragen die von Weigand (demn. a/b) erweiterte funktionale Struktur anzunehmen. Die übergeordnete Proposition (obr Ministerin zurücktritt) ist hier nicht mehr aus der Frageäußerung ableitbar, sondern kann erschlossen werden, wenn, wie in diesem Fall geschehen, ein übergeordnetes eigentliches Interesse (interest) angenommen wird, das den aktuellen Sprechakt dominiert: (Fig. 8) interest explorativdeklarativ (Rückrittsfrage)
[F explorativrepräsentativ Wissensanspruch
(p)] (siehe Proposition in 108–109, 130–132)
↔
komm. Mittel (108–109, 130–132)
90 Der Strategiewechsel vom wiederholten Insistieren zu einer indirekten, auf Schlussfolgerungen basierenden Verfolgung des übergeordneten Wissensanspruchs bewirkt nun bei der Interviewten die Reaktion, auf die bereits im Rahmen der theoretischen Grundlegung (siehe 3.2.2.1) eingegangen wurde. Der Ministerin ist die Verärgerung über die Hartnäckigkeit, mit der Tim Sebastian eine Antwort auf die Rücktrittsfrage zu finden sucht, deutlich anzumerken. Sie unterbricht ihn und droht indirekt mit dem Abbruch des Interviews (133–134), wenn diese Drohung wohl auch nur als rhetorisches Mittel zu werten ist, um den Interviewer dazu zu bewegen, seinen Wissensanspruch endlich aufzugeben. Tatsächliche Abbrüche bzw. Beendigungen von Interviews durch den Interviewten sind äußerst selten und stellen einen gravierenden Eingriff in die formalen Bedingungen des Interviews dar, der nur schwer zu rechtfertigen ist. Short gelingt es jedoch mit 135–136 (»[. . . ] I don’t think that’s of any interest to anybody«) und 138–142, am Prinzip der Antwortvermeidung festzuhalten. Sie nutzt dazu das Mittel der Fragedisqualifizierung (vgl. Kap. 4.3.3): Zum einen sei es für niemanden interessant, eine Antwort auf die Frage nach ihrem Rücktritt zu bekommen, zum anderen sei diese Frage im Rahmen der Irakkrise vollkommen unwichtig (»[. . . ] as nothing compared with how serious things are.«): ' (
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In 143 und 146 gibt Tim Sebastian daraufhin zu erkennen, dass er nun tatsächlich bereit ist, das Thema zu wechseln, womit für die Analyse noch einmal deutlich wird, dass Shorts Interpretationen der bisherigen Fragen als Fragen nach ihrem Rücktritt durchaus richtig waren. Die folgenden Fragen Sebastians lassen sich nicht mehr auf den ursprünglichen übergeordneten Wissensanspruch, der die übergeordnete Proposition (ob Clare Short zurücktritt) dominierte, beziehen, so dass von einer endgültigen Aufgabe dieses Wissensanspruchs ausgegangen werden kann.
91
6.1.10 Zusammenfassung Diese erste Analyse hatte eine Sequenz aus einem Interview zum Gegenstand, das in meiner Einteilung politischer Interviews in explorative und argumentative Handlungsspiele dem ersten Typ zuzuordnen ist. Das hervorstechende Merkmal dieses Interviews besteht in dem Nachdruck, mit dem der Interviewer versucht, eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob sein Interviewgast unter den geschilderten Bedingungen von ihrem Amt zurücktreten werde. Dabei orientiert er sich deutlich am exekutiven Prinzip der Konfrontation, indem er trotz wiederholter Versuche der Politikerin, der Frage auszuweichen oder das Thema zu wechseln, auf einer Erfüllung des Wissensanspruchs beharrt. Sein Interesse dominiert hier klar die möglichen Interessen seines Gastes. Für die Verfolgung des übergeordneten Wissensanspruchs lassen sich zwei Strategien unterscheiden. Zunächst versuchte der Interviewer immer wieder, direkt auf der Erfüllung des Wissensanspruchs zu insistieren, wobei er u. a. durch die Einbettung seiner Fragen in intertextuelle Zusammenhänge immer wieder suggerierte, die Antwort gewissermaßen schon zu kennen. Da die Ministerin eine Antwort jedoch hartnäckig verweigerte, wurden andere exekutive Prinzipien des Interviewens relevant. Hier sind vor allem das Prinzip des Insistierens, das Prinzip der Provokation und das Festhalten am Initiativprinzip zu nennen. Nachdem die direkte Verfolgung des übergeordneten Wissensanspruchs erfolglos blieb, wählte der Interviewer die Strategie der Indirektheit. Kennzeichnendes Merkmal dieser Strategie ist, wie deutlich wurde, dass sich der übergeordnete Wissensanspruch nicht mehr unmittelbar aus den Fragen ableiten lässt. Das eigentliche Interesse des Interviewers verbirgt sich dann hinter Fragen, die zunächst einen anders gerichteten Wissensanspruch vorgeben. Für die Interviewte war der eigentlich Wissensanspruch jedoch stets erkennbar, da sie sämtliche Fragen des Interviewers ständig darauf hin bewertete, inwieweit diese – die kommunikative Vorgeschichte des Interviews eingeschlossen – sich auf die Rücktrittsfrage beziehen ließen, bzw. inwieweit Antworten auf diese scheinbar anders gerichteten Fragen Schlussfolgerungen hinsichtlich eines möglichen Rücktritts zugelassen hätten. Hier zeigt sich die enorme Bedeutung der kognitiven Mittel für die Orientierung im Handlungsspiel. Für die interviewte Ministerin lässt sich zunächst festhalten, dass es ihr durch die starke Orientierung am Prinzip der Vermeidung gelungen ist, eine Antwort auf die Rücktrittsfrage zu umgehen. In den Analysen sollte deutlich geworden sein, wie wichtig es hier für die Politikerin war, unterschiedliche Handlungsmaximen, über deren teilweisen Widerstreit der Interviewer sie wiederholt in Konflikte (kommunikative Dilemmas) verwickeln wollte, in Einklang zu bringen. Die Beantwortung der Rücktrittsfrage in diesem Interview hätte immer die Verletzung einer Maxime bedeutet: Eine Rückritts-
92 ankündigung hätte der Regierung geschadet (Verletzung der Identitätsmaxime, nach der Politiker ihre Partei repräsentieren und sich zu deren Standpunkten bekennen), den Rücktritt ausschließen hätte dagegen bedeutet, sich in einen gravierenden Widerspruch zu dem zu begeben, was man in einem früheren Interview bereits deutlich vertreten hatte (Verletzung der Integritätsmaxime). Die starke Orientierung des Interviewers am Konfrontationsprinzip machte für sie dabei eine Orientierung am Inititiativprinzip im Sinne des agenda shifting unmöglich, wenn auch indirekte und direkte Versuche diesbezüglich aufgezeigt wurden. Die These, dass Politiker sich in Interviews um emotionale Neutralität bemühen, lässt sich für dieses Interview insoweit bestätigen, als die Ministerin ihre Verärgerung über den konfrontativ-insistierenden Interviewstil erst sehr spät deutlich werden lässt. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass dies nicht unkontrolliert geschieht, sondern, wie in der letzten analysierten Sequenz gezeigt, wohl strategisch motiviert ist. Die deutlich registrierbare Verärgerung, die bis zur Drohung mit dem Interviewabbruch führt, bewirkt letztendlich die Aufgabe des übergeordneten Wissensanspruchs durch den Interviewer. Clare Short hat somit hier zumindest das Minimalziel erreicht, ihre Rücktrittsdrohung aus dem früheren Interview, das zur Spaltung der Regierung beigetragen hatte, nicht zu wiederholen. Die Analyse des nächsten Interviews soll zeigen, dass politische Interviews des explorativen Typs auch durchaus anders verlaufen können. Es handelt sich um ein deutsches Interview aus der Sendung Bericht aus Berlin. Interessant wird dabei vor allem sein, wie sich die Orientierung an den rhetorischen Prinzipien der Kooperation bzw. Konfrontation im Vergleich zu dem englischen Beispiel auswirkt.
6.2 Bericht aus Berlin Das zweite Interview wurde im Rahmen der wöchentlich von der ard ausgestrahlten Sendung Bericht aus Berlin geführt. Der Interviewer ist der Chefredakteur des Berliner Hauptstadtstudios der ard, Thomas Roth. Das Interview hat eine Länge von ca. 10 Minuten.
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6.2.1 Anlass und Hintergrund des Interviews Anlass des Interviews mit dem deutschen Bundeskanzler, Gerhard Schröder, ist die zum Zeitpunkt des Interviews intensiv geführte Diskussion um eine Steuerreform in Deutschland. Hierzu liegt einerseits ein Vorschlag des cdu-Finanzexperten Friedrich Merz7 aus der Opposition vor, andererseits wird zum Zeitpunkt des Interviews ebenfalls das Vorziehen einer geplanten Steuersenkung, wie sie die Regierungskoalition aus spd und Grünen beschlossen hat, diskutiert. Für diesen Schritt benötigt die Regierungskoalition allerdings die Zustimmung der Opposition im Bundesrat. Dem hier analysierten Interview ging im Rahmen der Sendung Bericht aus Berlin bereits ein Experteninterview zum Steuerreformvorschlag von Friedrich Merz und ein Interview mit diesem selbst voraus. In beiden Interviews war das Reformkonzept des Finanzexperten positiv bewertet worden. Aufgrund der vorausgegangenen Interviews kann somit ein relativ aktuelles Hintergrundwissen um die inhaltlichen Alternativen zum Thema Steuerreform beim Zuschauer vorausgesetzt werden. Das Interview wird, wie auch das bereits analysierte bbc-Interview, durch eine Anmoderation eingeleitet. Aus dieser wird ersichtlich, dass es nicht live geführt, sondern bereits vor der Sendung aufgezeichnet und anschließend integriert wurde (006–008). Bericht aus Berlin, ard, 31.10.2003, ir=Thomas Roth, ie=Gerhard Schröder
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6.2.2 Der kommunikative Zweck des Interviews Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Bericht aus Berlin dem aktuellen Thema Steuerreform gewidmet. Aus der Anmoderation des Interviewers, Thomas Roth, geht hervor, dass dieses politisch umstrittene Thema ein wesentlicher Gegenstand des folgenden Interviews mit dem Bundeskanzler Gerhard Schröder sein soll. In der Anmoderation wird noch recht allgemein angedeutet, worauf sich das Interview bezieht: Steuerreform, Opposition und 7 Zum Zeitpunkt des Interviews war Friedrich Merz der stellvertretene Vorsitzende der cdu/csuBundestagsfraktion und gleichzeitig deren ausgewiesener finanzpolitischer Experte.
94 Lage der spd (006 ). Dabei handelt es sich jedoch um eine nachträgliche Zusammenfassung durch den Interviewer. Der übergeordnete kommunikative Zweck des Interviews besteht tatsächlich in einem komplexen Wissensanspruch, der sich auf verschiedene Aspekte der zum Zeitpunkt des Interviews aktuell diskutierten Steuerreform bezieht. Dieser übergeordnete kommunikative Zweck konkretisiert sich im Wesentlichen in drei Themen: 1. die Möglichkeit einer alternativen Steuerreform, wie sie ein Oppositionspolitiker vorgeschlagen hat, 2. die Chancen/Risiken der aktuellen Steuerreform, wie sie von der Regierungskoalition umgesetzt wird 3. daraus hergeleitet, die Situation des Bundeskanzlers und seiner Partei. Da diese Themen vom Interviewer jeweils mit einem pragmatischen Wissensanspruch verbunden werden, gehört auch dieses Interview zum Typ der explorativen Handlungsspiele.
6.2.3 Die Intervieweröffnung
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Die Einstiegsfrage, mit der Thomas Roth das Interview eröffnet, gehört zum Typ der repräsentativen Fragen. Der eigentlichen Fragehandlung geht eine fragevorbereitende Sequenz (001–003) voraus, in der Roth sich auf den Vorschlag einer alternativen Steuerreform bezieht, den der Oppositionspolitiker und Finanzexperte Friedrich Merz vorgelegt hat. Funktional hat diese vorbereitende Sequenz repräsentativen Charakter, da mit ihr gewissermaßen ein komplexer Wahrheitsanspruch etabliert wird: 1. Es gibt einen neuen Vorschlag zur Steuerreform. 2. Dieser ist einfach, radikal, verständlich. Wie bereits ausgeführt wurde, zielen Wahrheitsansprüche in fragevorbereitenden Sequenzen nicht auf eine explizite Reaktion des Interviewten ab, sondern setzen eine Übernahme dieser Ansprüche als ›common ground‹, als gemeinsam akzeptierte Wirklichkeit voraus. Dieses für Interviews sehr typische Phänomen wurde bereits in Kap. 4.1.3 erwähnt.
95 Fragevorbereitende Sequenzen haben jedoch auch ein argumentatives Potential. Werden sie nämlich wie hier zur Vorbereitung einer Tendenzfrage, also einer Frage mit markierter Antwortpräferenz, eingesetzt, so können bestimmte Propositionen, die unter einem Wahrheitsanspruch stehen, als Argumente für eine bestimmte Antwortpräferenz fungieren: (Fig. 9) Vorber. Sequenz Vorschlag ist:
TendenzFRAGE Vorschlag zustimmen?
Präferenz
↔
ANTWORT
⎛
⎞ nein/ja - einfach ⎝ - radikal ⎠ ja, weil. . . ← − − − − − − − − − − − − − − − − − − − − −−−−− - verständlich Argumente Struktur der Einstiegsfrage Mit dieser Einstiegsfrage wird zugleich ein übergeordneter pragmatischer Wissensanspruch etabliert, der sich auf die übergeordnete Proposition ob der Vorschlag zur Steuerreform der richtige ist bezieht. Wie bereits erwähnt, richtet sich der pragmatische Anspruch hier, anders als in dem britischen Interviewbeispiel, auf ein Wissen um des Wissens willen. Damit liegt hier zunächst der repräsentative Typ des explorativen Interviews vor. Schröder läuft also nicht Gefahr, sich mit einer Antwort auf zukünftige Handlungen festzulegen, sondern kann seine Meinung zum Steuerreformvorschlag der Opposition frei äußern. Dennoch weicht er der Frage aus, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
6.2.4 Vermeidungs- und Initiativprinzip
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Die Reaktion des Kanzlers auf die Einstiegsfrage kann nur bedingt als Antwort klassifiziert werden, da Schröder nicht auf den gesetzten Wissensanspruch eingeht. Zwar könnte an dieser Stelle eingewandt werden, der Kanzler könne die Frage nicht positiv oder negativ beantworten, da er unmittelbar angibt, den betreffenden Reformvorschlag nicht zu kennen (005). Dies ist allerdings angesichts der Tatsache, dass dieser Vorschlag bereits seit längerem auch in den Medien intensiv diskutiert wurde, kaum glaubhaft. Zudem impliziert Schröder selbst in 006–007, Kenntnis von dem in Rede stehenden Vorschlag zu haben, wenn er urteilt, einige »Elemente« seien diskussionswürdiger als andere. Zu fragen ist jedoch, warum er hier eine direkte Antwort vermeiden möchte. Die Motive dafür sind in der Handlungsmaxime der Abgrenzung zu finden, die bereits in Kap. 4.3 erläutert wurde. Eine positive Antwort im Sinne einer Befürwortung des Vorschlags scheidet in Analogie zu dieser Maxime deshalb aus, weil der Vorschlag von einem führenden Vertreter des politischen Gegners kommt, von dem es sich zu distanzieren gilt, vor allem, da Schröders eigene Partei ein anderes Konzept (008–009) vertritt, das der Kanzler nicht angezweifelt sehen möchte. Zu fragen bleibt dann allerdings, warum Schröder den Vorschlag der Opposition nicht ablehnt und an dieser Stelle die Chance nutzt, das Steuerkonzept des Gegners zu kritisieren. Der Hauptgrund für dieses Verhalten liegt m. E. darin, dass der Interviewer in der Vorbereitung der Einstiegsfrage bereits seine positive Einstellung zu dem betreffenden Steuerkonzept (einfach, radikal, verständlich) zum Ausdruck gebracht hat. Kritik an diesem Konzept würde für den Kanzler nun bedeuten, dass er eine Gegenposition zum Interviewer beziehen und damit die Voraussetzungen für einen Argumentationsdiskurs über ein Steuerkonzept schaffen würde, das er zu diesem Zeitpunkt offensichtlich gar nicht diskutieren möchte. Ihm geht es darum, für den eigenen Vorschlag (Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform (012–014)) zu werben. Schröder entscheidet sich folglich dafür, nicht auf den Wissensanspruch einzugehen und stattdessen sein eigenes bzw. das Steuerkonzept seiner Partei in den Vordergrund zu rücken. Er orientiert sich hier also sowohl am Vermeidungs- als auch am Initiativprinzip. Bei dem von Schröder angesprochenen Steuerkonzept geht es zum Zeitpunkt des Interviews vor allem um das zeitliche Vorziehen geplanter Steuererleichterungen, dem allerdings die Opposition im Bundesrat zustimmen muss. Aus dieser Tatsache erklärt sich Schröders Bemühen, für den entsprechenden Beschluss seiner Regierung zu werben, um öffentlich Druck auf die Opposition auszuüben. Schröders Werben für die notwendige Zustimmung zieht sich, wie gezeigt werden soll, durch das gesamte Interview und kann als sein eigentliches kommunikatives Interesse angesehen werden, das er gegen die
97 Interessen des Interviewers durchsetzen möchte. Insofern liegt hier ein Unterschied zum englischen Interview vor, in dem Clare Short keine eigenen kommunikativen Zwecke verfolgen konnte, sondern hauptsächlich darum bemüht war, die nachdrücklichen Fragen zu ihrem möglichen Rücktritt abzuwehren. Die Ursache für ihre sehr beschränkten Möglichkeiten, Einfluss auf die inhaltliche Steuerung des Interviews zu nehmen, lag im Wesentlichen in der starken Orientierung des Interviewers am rhetorischen Prinzip der Konfrontation. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem deutschen und dem englischen Interview. So könnte der Interviewer als Reaktion auf Schröders Ausweichen gemäß dem Initiativprinzip auf einer Antwort insistieren. Er verzichtet jedoch darauf und überlässt seinem Interviewgast die Initiative, indem er den von Schröder beabsichtigten Themenwechsel mit vollzieht, wie die folgende Sequenz zeigt.
6.2.5 Orientierung am Prinzip der Kooperation In 016–018 bezieht sich der Interviewer nicht mehr auf den eingangs durch ihn gesetzten Wissensanspruch, obwohl Schröder der Frage, wie dargelegt wurde, ausgewichen ist. Damit sei an dieser Stelle schon einmal ein wesentliches Merkmal explorativer Interviews im Deutschen angesprochen: Von der Möglichkeit einer Fragewiederholung, also des Insistierens auf der Erfüllung eines Wissensanspruchs, wird im Vergleich zu englischen Interviews tendenziell weniger Gebrauch gemacht. Im vorliegenden Beispiel bezieht sich die anschließende Frage Roths auf das von Schröder eingeführte Steuerkonzept der spd, genauer, auf die Möglichkeit, es im Parlament durchzusetzen (018–020):
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Damit bezieht sich der nun etablierte Wissensanspruch nicht mehr auf den propositionalen Gehalt der Einstiegsfrage, sondern ein neues Thema, das jedoch vom Interviewten eingebracht wurde, bestimmt den inhaltlichen Fortgang des Dialogs. Mit diesem aus Schröders Sicht gelungenen agenda shift war seine Orientierung am Initiativprinzip erfolgreich. Möglich wurde der Eingriff in die inhaltliche Steuerung hier vor allem, weil der Interviewer den mit der Einstiegsfrage verbundenen Wissensanspruch zu Gunsten der vom Interviewten eingeführten Themas sofort aufgab, was auf eine starke Orientierung am Prinzip der Kooperation schließen lässt.
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6.2.6 Insistieren und Fragedisqualifizierung In seiner Reaktion auf die Frage 018–020 vermeidet Schröder erneut eine konkrete Antwort, geht also wieder nicht auf den nun aktuellen Wissensanspruch ein:
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Schröder bleibt hier bei relativ vagen Aussagen über unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten der Steuerreform, ohne auf die von Roth in 019 angesprochene Bedingung (25%)8 einzugehen. Einen Kompromissvorschlag macht er nicht. Dass er tatsächlich nicht auf die von Roth erwähnte Bedingung der Opposition (»25 Prozent Verschuldung und mehr nicht auf Pump«) eingehen möchte, zeigt sich im weiteren Verlauf des Interviews. Roth wiederholt seine Frage aus 018–020 in 033–034 leicht modifiziert und insistiert somit zumindest ansatzweise:
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In seiner Reaktion bedient sich Schröder eines kommunikativen Mittels, das auch bei der Analyse des englischen Beispiels aufgezeigt worden war. Es handelt sich hierbei um das Mittel der direkten Fragedisqualifizierung, mit dem Politiker versuchen, Fragen auszuweichen. Auch Schröder tut dies hier, indem er behauptet, die Frage sei irrelevant (035). Er nutzt anschließend seinen Zug dazu, die Notwendigkeit zur Einigung über die Steuerpläne seiner Koalition zu betonen (038–046), wobei er mit »taktische[n] Spielchen« (044) bereits impliziert, eine mögliche Ablehnung durch die Opposition wäre nicht sachlich, sondern lediglich strategisch begründet:
8 Eine zunächst diskutierte Bedingung der Union für eine Zustimmung zum Vorziehen der Steuerreformstufe war, dass die damit einhergehenden Steuerausfälle zu maximal 25 % durch Neuverschuldung finanziert werden dürfen.
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Im bisherigen Verlauf des Interviews fällt auf, dass Schröder zum einen auf gestellte Wissensansprüche durch den Interviewer kaum eingeht, zum anderen selbst initiativ wird, indem er dezidiert eigene kommunikative Ziele verfolgt. Es gelingt ihm, Einfluss auf die inhaltliche Steuerung des Interviews zu nehmen, weil der Interviewer weitgehend darauf verzichtet, auf der Erfüllung von Wissensansprüchen zu insistieren. Die Selbstverständlichkeit, mit der Schröder in die inhaltliche Steuerung des Interviews eingreift und diese sogar vollkommen übernimmt, wird an dem folgenden Beispiel deutlich.
6.2.7 Agenda Setting + , / / / /+ /, // / // / /
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In 058–061 bereitet Roth seine nächste Frage vor, wird in 062 jedoch von Schröder unterbrochen. Zu Beginn dieser Analyse wurde geschildert, dass in fragevorbereitenden Sequenzen Wahrheitsansprüche etabliert werden, die jedoch nicht auf eine Reaktion des Interviewten abzielen, sondern einen Interpretationshorizont für die anschließende Frage bilden. Anders als in dem zu Beginn beschriebenen Fall wartet Schröder hier jedoch nicht, bis ein Wissensanspruch erkennbar wird und sich damit die interviewtypische Möglichkeit des Sprecherwechsels ergibt, sondern er unterbricht den Interviewer, bevor dieser seinen Zug beenden kann. Bemerkenswert ist dabei die Selbstverständlichkeit, mit der Schröder in den Verlauf des Interviews eingreift, vor allem aber, wie er diesen Eingriff begründet. Er kritisiert den Interviewer dafür, ein Problem aus einer Perspektive zu »diskutieren«, aus der er es »nicht diskutiert sehen will« (062–064), was darauf hindeutet, dass er den Journalisten hier keineswegs nur als Fragesteller wahrnimmt, sondern als einen Diskussionspartner mit eigenen Standpunkten. Er lässt sich auch nicht durch den Versuch des Interviewers, die frageeinleitende Argumentation zu rechtfertigen (065), irritieren. Vielmehr übernimmt er nun nicht nur formal, sondern auch inhaltlich die Initiative und nutzt seinen selbst initiierten Zug dazu: 1. eine eigene Frage einzubringen (»Was sehen wir denn jetzt, und was ist jetzt notwendig«? (066) 2. eine Problemanalyse zu liefern, um gleich anschließend die Lösung zu präsentieren (»das schaffen wir nur, wenn wir den Impuls, der jetzt notwendig ist, auch wirklich setzen«), wobei 3. ausführlich die Verantwortung der Opposition betont wird, sich kooperativ zu verhalten (072–089). Das Interview dient Schröder also wiederum vor allem als Plattform für die Verfolgung seiner eigenen kommunikativen Ziele, wobei er in diesem Fall sogar eine Frage des Interviewers unterbindet, um eine eigene einzubringen. Das so genannte agenda setting, also die thematische Steuerung des Interviews im Sinne des Privilegs, pragmatische Ansprüche setzen zu können, wird hier entgegen dem für Interviews charakteristischen
101 Initiativprinzip vollständig vom Interviewten übernommen. Gelingen kann ihm dies nur, weil der Interviewer selbst gesetzte kommunikative Ansprüche immer wieder denen seines Interviewpartners unterordnet. Roth orientiert sich also weiterhin in einem sehr hohen Maße am Prinzip der Kooperation, ohne dass dies jedoch die gewünschten Auswirkungen auf die Strategie des Interviewten hat. Schröder kooperiert nicht, sondern strebt die maximale Durchsetzung eigener kommunikativer Ziele an. Ihm geht es hauptsächlich darum, Druck auf die Opposition zu erzeugen, indem er immer wieder auf deren Verantwortung hinweist, den Steuerreformplänen der Regierungskoalition zuzustimmen. Dies trifft auch auf das folgende Beispiel zu, das insofern interessant ist, als Roth in 090–095 seine Strategie ändert. Hatte Schröder in 087–089 noch zum wiederholten Mal auf die Verantwortung der Opposition hingewiesen, so zweifelt der Interviewer in seinem anschließenden Zug an, ob Schröder damit überhaupt den gewünschten Druck ausüben könne:
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Roth versucht hier nicht, die in 058–061 eingeleitete Frage erneut zu stellen. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, wie wenig er sich am Initiativprinzip orientiert. Mit seinen Fragen in 090–095 reagiert er in erster Linie auf die vorherigen Züge des Kanzlers, die dieser genutzt hatte, die Opposition zur Kooperation aufzufordern. Bei der Äußerung 090–095 handelt es m. E. sich um einen indirekt repräsentativen Sprechakt. Vom Interviewer wird hier also kein Wissens-, sondern ein Wahrheitsanspruch gesetzt, allerdings in der für Interviews typischen Frageform. Indikatoren für eine dominante repräsentative Handlungsfunktion sind neben der typischen Negationspartikel nicht 9 in 090 vor allem die anschließenden Argumente in 091–095, die den indirekt aufgestellten Wahrheitsanspruch stützen. Damit ändert sich jedoch der grundsätzliche Charakter des Interviews nicht. Der übergeordnete pragmatische Anspruch besteht in einem Wissensanspruch bezogen auf die Durchsetzbarkeit eines Steuerreformvorschlags. Roth bringt hier Argumente für die These ein, dass der Kanzler aufgrund seiner schwachen Position (Umfragen im Keller, verlorene Landtagswahl) die von ihm angestrebte Einigung mit der Opposition nicht erreichen wird. Schröder versucht, ihn in 092 zu unterbrechen, indem er eine Frage einwirft, wartet dann jedoch ab, bis der Interviewer seinen Zug beendet hat. Er geht anschließend nicht 9 Nach Weigand (2003a: 216) kennzeichnet die Partikel nicht sogenannte phraseologisierte Äußerungen, die dann besser als indirekte Sprechakte funktionieren.
102 auf die Argumente des Interviewers (schlechte Umfragewerte etc.) ein, sondern liefert seinerseits Gegenargumente, um die vom Interviewer indirekt behauptete Schwäche der Regierung zu relativieren (096–099).
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Im Anschluss (104–106) weist er wieder auf die »Verantwortung bei der Mehrheit des Bundesrates« und damit auf die Verantwortung der Opposition hin, den Gesetzesentwürfen der Regierung zuzustimmen. Dabei spitzt er die Frage der Zustimmung in 107–109 noch einmal zu, um den Druck auf die Opposition zu verstärken: »Hier geht es darum, ob unser Land gewinnt durch die Reformmaßnahmen oder ob wir in einer Phase der Stagnation stecken bleiben.« Damit endet auch dieser Zug des Kanzlers, wie auch in 014–017, 044–046 und 087–089 gezeigt, mit der Artikulation seines Interesses in diesem Interview, die Opposition zur Zustimmung zu den steuerlichen Maßnahmen der Regierung aufzufordern.
6.2.8 Zusammenfassung Die Analysen maßgeblicher Sequenzen aus dem Interview mit dem Bundeskanzler lassen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zum englischen Handlungsspiel erkennen. Die wichtigste Übereinstimmung liegt darin, dass in beiden Interviews pragmatische Wissensansprüche den kommunikativen Zweck des Interviews bestimmen. Zwar wurde für das englische Beispiel ein deklarativ-explorativer Wissensanspruch festgestellt, während es sich bei dem deutschen Interview um einen repräsentativ-explorativen Wissensanspruch handelte, dennoch lag für beide Interviews auf der übergeordneten Ebene fundamentaler Illokutionsklassen der für explorative charakteristische Wissensanspruch
103 vor. Weiterhin hielten sich die Interviewpartner in beiden Handlungsspielen in der Regel an die formale Frage-Antwort-Struktur, wie sie für Interviews typisch ist. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Interviews besteht letztlich in der unterschiedlichen Orientierung der Journalisten an den rhetorischen Prinzipien der Kooperation bzw. Konfrontation. Wie in Kap. 4.3.1 dargelegt wurde, lassen sich diese exekutiven Prinzipien auf das allgemeinere regulative Prinzip der Rhetorik, wie Weigand (demn. a/b) es beschreibt, zurückführen. Dieses regulative Prinzip bezeichnet das allgemein gültige Spannungsverhältnis zwischen der Durchsetzung eigener Interessen bzw. kommunikativer Ziele und der Anerkennung bzw. Berücksichtigung der Interessen und Ziele des Anderen. Im Interview konkretisiert sich dieses Verhältnis in den exekutiven Prinzipien der Kooperation bzw. Konfrontation. Im deutschen Interview verhielt sich der Journalist in diesem Sinne äußerst kooperativ, da er seine Wissensansprüche in keinem Fall über die des interviewten Politikers stellte, sondern sich, wie gezeigt wurde, dessen Interessen weitgehend unterordnete. Symptomatisch dafür war das fast völlige Fehlen insistierender Äußerungen, zu denen er als Interviewer natürlich berechtigt ist. Auch unterbrach Thomas Roth seinen Gast nie, sondern gab ihm Raum für sehr lange Ausführungen, den Schröder auch systematisch nutzte, seine eigenen Interessen in diesem Interview zu verfolgen. In dem englischen Interview war ein gegenteiliges Verhalten des Interviewers beobachtet worden. Tim Sebastian machte von seinem Recht, auf der Erfüllung des von ihm gesetzten übergeordneten Wissensanspruchs zu insistieren, nachhaltig Gebrauch, orientierte sich also stark am Prinzip der Konfrontation. Seiner Interviewpartnerin ließ er äußerst wenig Raum, eigene Interessen zu verfolgen. Die Frage ist nun, ob sich aus der Analyse dieser beiden Beispiele verallgemeinerbare Unterschiede zwischen englischen und deutschen Interviews des explorativen Typs ergeben. Vergleicht man sie mit anderen Interviews, so ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei den von mir ausgewählten Beispielen hinsichtlich der Orientierung an den Prinzipien der Konfrontation und Kooperation um stark ausgeprägte Typen handelt. Weder insistiert jeder Interviewer im Englischen so nachhaltig, wie Tim Sebastian es tat, noch kann aus dem deutschen Interview geschlossen werden, dass Interviews hier generell von Politikern so stark als Forum für ihre Zwecke genutzt werden können, ohne dass Journalisten auch auf die Beantwortung ihrer Fragen insistieren. Wenn man verallgemeinern will, so kann man allenfalls von Tendenzen sprechen. Demnach insistieren englische Interviewer in der Regel häufiger als Deutsche (vgl. auch Cohen 1987) und machen Politikern die Orientierung am Initiativprinzip (z. B. mittels agenda shiftig oder agenda setting) schwerer. Demzufolge wirken englische Interviews häufig direkter, bisweilen auch aggressiver, eine Eigenschaft, die deutsche Journalisten einer Erhebung von Cohen (1987) zufolge durchaus schätzen und die sie in ihren Interviews bisweilen vermissen.
104 So äußerte sich z. B. ein deutscher Journalist folgendermaßen (Cohen 1987: 128): People here say ‘Look at the British and American interviews! They are tough and hard, they are to the point.’ I don’t think they are so much better than we are, but they have the language on their side. English is a good interviewing language. Questions can be short while German is a difficult interviewing language.
Die von dem Journalisten angeführte Begründung (»they have the language on their side«) für das auch von ihm beobachtete Phänomen kann aus sprachwissenschaftlicher und insbesondere pragmatischer Perspektive nicht geteilt werden. Ein anderer Kollege kommt m. E. der möglichen Ursache für den Unterschied schon näher, auch wenn er sich hier auf amerikanische Interviews bezieht (Cohen 1987: 129): [ . . .] American politicians must answer the questions otherwise the journalist is not so polite as the German journalist. It’s a cultural difference – the Americans are tougher, they come to the point; yes, it’s culturally different.
Die Frage ist, wie dieser kulturelle Unterschied zu konkretisieren wäre. Hier bietet ein weiterer Journalist eine Erklärung, die tendenziell beim Vergleich deutscher und englischer Interviews zutrifft (ebd.): German interviews have more visible respect. Not as tough, and should be tougher. Should use the revolver technique – Bang! Bang! Bang!
Bei der Analyse der beiden Interviews ist in der Tat ein Unterschied bezüglich des Respekts vor dem Interviewten festzustellen, wobei hier Respekt natürlich nicht in dem sehr engen Sinne ausdrücklicher Respektsbezeugungen zu verstehen ist. Letztlich ist Respekt ein kulturell geprägtes Phänomen, das die Anerkennung des Gegenüber unter Einbeziehung seiner Wünsche und Bedürfnisse, seiner Interessen, bezeichnet. In diesem weiteren Sinne versteht auch Weigand (demn. a/b) Respekt im Rahmen des regulativen Prinzips der Rhetorik. Für das politische Interview konkretisiert sich dieses Prinzip, wie dargelegt wurde, in den exekutiven Prinzipien der Konfrontation und Kooperation. Die Analysen haben gezeigt, dass hier tatsächlich Unterschiede zwischen dem englischen und dem deutschen Interview bestehen. Sowohl bei englischen als auch bei deutschen Interviews besteht ein interessanter Zusammenhang zwischen der Gesamtlänge eines Interviews und dem Grad der Orientierung am Prinzip der Konfrontation seitens der Interviewer. Je kürzer ein Interview, desto geringer ist auch die Orientierung an diesem Prinzip. Dies erklärt sich daraus, dass in kürzeren Interviews weniger häufig auf der Beantwortung von Fragen insistiert werden kann, weshalb es Politikern gerade in kürzeren Interviews oftmals leichter fällt, Fragen auszuweichen oder diese einfach für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies kritisiert auch Hoffmann (1982), der daher fordert, zu kurze Interviews möglichst zu vermeiden, um dieser Instrumentalisierung entgegenzuwirken.
105 Nachdem in diesem Kapitel zwei politische Interviews des explorativen Typs analysiert und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede aufgezeigt wurden, geht es in dem folgenden Kapitel um den zweiten von mir angenommenen Typ politischer Interviews. Bei den im Folgenden analysierten Beispielen handelt es sich um Interviews, die als argumentative Handlungsspiele bezeichnet werden sollen. Auch hier wird zunächst ein englisches und anschließend ein deutsches Interview in Auszügen analysiert, bevor dann nach einem Vergleich der Interviews untereinander abschließend die Erkenntnisse über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von explorativen und argumentativen Interviews zusammengefasst werden.
7 Analysen der argumentativen Handlungsspiele
Wie unter 4.2 dargelegt wurde, unterscheiden sich politische Interviews als argumentative Handlungsspiele von solchen, die als explorativ bezeichnet werden, auf der Ebene übergeordneter kommunikativer Zwecke bzw. Handlungsfunktionen. Für argumentative Handlungsspiele, um die es im Folgenden geht, war als definierendes Merkmal die Verfolgung eines übergeordneten Wahrheitsanspruchs durch den Interviewer genannt worden, wobei es diesem dabei nicht darum geht, den Anspruch tatsächlich durchzusetzen, sondern vielmehr darum, im Prozess einer argumentativen Auseinandersetzung mit dem Politiker dessen Positionen kritisch zu hinterfragen und auf ihre Plausibilität zu prüfen. Die nun folgenden Analysen sollen zeigen, wie übergeordnete Wahrheitsansprüche in politischen Interviews verfolgt werden und welche exekutiven Prinzipien hier eine Rolle spielen.
7.1 Newsnight Das folgende Interview wurde im Rahmen einer Extrasendung von Newsnight am 14. Mai 2002 ausgestrahlt. Newsnight wird täglich von bbc 2 gesendet und umfasst neben Reportagen zu aktuellen politischen und anderen gesellschaftlichen Themen ausführliche vertiefende Interviews. Einer der drei Moderatoren ist der in Großbritannien sehr bekannte und vielfach ausgezeichnete Journalist Jeremy Paxman.1 Das Interview hat eine Länge von ca. 26 Minuten.
7.1.1 Anlass und Hintergrund des Interviews Der Anlass des hier analysierten Interviews wird auf der Homepage zur Sendung explizit genannt:2 At the fifth anniversary of Labour’s 1997 election victory, the Prime Minister gave Newsnight an unprecedented opportunity to test his ideas and policies. Jeremy Paxman spoke to Tony Blair in three interviews shown on 14–16 May 2002. 1 Siehe http:/ /news.bbc.co.uk/1/hi/programmes/newsnight/3094255.stm (..). 2 Siehe http:/ /news.bbc.co.uk/1/hi/programmes/newsnight/1985222.stm (..).
107 Von diesen drei Interviews wurde hier das erste ausgewählt. In diesem, wie auch in den anderen beiden, geht es neben »ideas and policies« vor allem auch um eine Bestandsaufnahme der ersten Legislaturperiode unter Labour nach vorausgegangenen 18 Jahren ununterbrochener konservativer Regierung. Eine »unprecedented opportunity« bietet sich in diesem Interview natürlich nicht nur Jeremy Paxman, sondern ebenfalls dem Premierminister. Ein Interview zum Jahrestag eines historischen Wahlsiegs ist für den gestandenen Medienprofi Blair eine Gelegenheit, sich und seine Regierung in einem möglichst positiven Licht zu präsentieren, Erfolge zu betonen und für seine Politik zu werben.
7.1.2 Der kommunikative Zweck des Interviews Wenn es dem Interviewer in diesem Handlungsspiel darum geht, die Ideen und die Politik Blairs ›auf die Probe zu stellen‹, so ist damit bereits ein allgemeiner Zweck dieses Interviews angegeben. Die Verwendung des Verbs to test gibt darüber hinaus auch einen Hinweis auf eine bestimmte Art der Interviewführung, für die sich Jeremy Paxman hier entschieden hat. Jemanden auf die Probe zu stellen heißt ihn herauszufordern, seine Standpunkte auf ihre Plausibilität zu prüfen und eventuell Widersprüche aufzuzeigen. Die Frage ist jedoch, wie ein solches ›testing‹ als recht allgemeiner kommunikativer Zweck handlungstheoretisch, genauer, auf der Ebene übergeordneter pragmatischer Ansprüche, am besten zu fassen ist. Wenn für dieses Interview behauptet wird, dass es sich um ein argumentatives Handlungsspiel handelt, folgt daraus in Analogie zu der in Kap. 4.2.2 erarbeiteten Definition dieses Interviewtyps, dass es von einem übergeordneten modalen Wahrheitsanspruch dominiert wird. Dieser wird zwar nicht explizit durch einen repräsentativen Sprechakt etabliert, kann jedoch im Prozess des Handlungsspiels leicht erschlossen werden. Wie gezeigt werden soll, bezieht sich der übergeordnete Wahrheitsanspruch hier auf die in der Einstiegsfrage enthaltene Proposition that the country does not work properly.
7.1.3 Die Argumentationsstruktur Das Interview ist nach dem in Kap. 4.3.6.1 beschriebenen Prinzip der koordinativen Argumentation strukturiert. Das bedeutet, dass der Interviewer für die Verfolgung des kommunikativen Zwecks eine Strategie wählt, die sich, wie in Anlehnung an van Eemeren et al. (2002) dargelegt wurde, dadurch auszeichnet, dass verschiedene voneinander abgrenzbare Argumente bzw. Argumentationen in komplementärer Weise der Stützung
108 des übergeordneten Wahrheitsanspruchs dienen. So lassen sich zwischen der Eröffnungsund Schlussphase des Interviews drei Argumentationsdiskurse unterscheiden, in denen der Interviewer jeweils eine These vertritt, die, bezogen auf den übergeordneten modalen Wahrheitsanspruch, den Status eines Arguments hat. Die insgesamt drei Thesen lassen sich wie folgt wiedergeben: 1. Es gibt massive Probleme mit dem privatisierten Bahnsystem, für die die Regierung mitverantwortlich ist. – Thema Railway System 2. Die Regierung hat zu spät auf die Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems (NHS) reagiert. – Thema National Health Service 3. Die Kriminalität wurde – entgegen den Wahlversprechen – nicht gesenkt. – Thema Street Crime Die argumentative Struktur des Interviews lässt sich in einer Grafik abbilden. (Fig. 10)
Eine ausführliche (i. S. einer Zug für Zug vorgehenden) Analyse der einzelnen Argumentationsdiskurse wird auch in diesem Interview nicht angestrebt, da der Schwerpunkt auf dem exemplarischen Aufzeigen exekutiver Prinzipien liegt, die für argumentative Interviews typisch sind.
7.1.4 Die Intervieweröffnung Der Interviewer eröffnet den Dialog mit einer kurzen Einstiegsfrage. Ungewöhnlich ist dabei, dass die Frage nicht durch eine vorbereitende Sequenz eingeleitet wird, wie es in den bisherigen Interviews der Fall gewesen und in den meisten Interviews üblich ist:
109 Newsnight, bbc 2, 14.5.2002, ir=Jeremy Paxman, ie=Tony Blair
Entscheidend für das Verständnis dieser Einstiegsfrage und ihrer bereits beschriebenen Rolle im gesamten Interview ist, dass sie die Präsupposition people think the country does not work properly enthält. Für Wortfragen gilt allgemein, dass sie auf Präsuppositionen basieren, da sie eine komplette Proposition enthalten, deren Wahrheitsgehalt vorausgesetzt wird. Die Proposition soll dabei vom Kommunikationspartner erweitert werden, z. B. durch adverbiale Bestimmungen der Zeit, des Ortes oder auch des Grundes (vgl. Weigand 2003a: 134). Wortfragen verfügen so u.U. über ein wichtiges strategisches Potential: Da der mit der Präsupposition verbundene Wahrheitsanspruch vom Kommunikationspartner implizit akzeptiert wird, sobald dieser sich nur auf den mit der Fragehandlung verbundenen Wissensanspruch bezieht, können Wortfragen dazu genutzt werden, Behauptungen aufzustellen, die durch die vorgegebene Fragefunktion der Äußerung verdeckt werden, die aber, bleiben sie unwidersprochen, als akzeptiert gelten können. Van Eemeren et al. (2002: 129) bezeichnen einen solchen Einsatz von Präsuppositionen als »unfair«, wenn sie den Eindruck eines »common starting point« erwecken, der tatsächlich jedoch nicht vorhanden ist. Für den Interviewer bietet der Gebrauch von Präsuppositionen wie der hier vorliegenden jedoch die Möglichkeit, bei Einhaltung der formalen Struktur des Interviews Wahrheitsansprüche zu etablieren. In den meisten Fällen ändert sich mit der Zurückweisung einer Präsupposition durch den Politiker die funktionale Qualität des Dialogs. Aus einem (formalen) Frage-AntwortSpiel wird ein argumentativer Dialog; die mit der Präsupposition verbundene Behauptung wird als These aufgegriffen, die vom Politiker teilweise oder auch gar nicht akzeptiert wird. Dies ist auch in dem vorliegenden Interview der Fall. Blair reagiert auf die Frage, ob er verstehe, warum die Leute den Eindruck hätten, das Land funktioniere nicht richtig, mit einer Modifizierung der Proposition that the country does not work properly:
Das Referenzobjekt der Proposition, »the country«, ersetzt Blair durch »parts of the public services« und relativiert so die Behauptung, das Land als Ganzes funktioniere nicht richtig. Die Relativierung eines pragmatischen Anspruchs zielt darauf ab, dass der Kommunikationspartner diesen entweder fallen lässt oder zumindest teilweise davon abrückt (vgl. Kap. 4.3.3). Dieses Bestreben Blairs ist auch in 004 erkennbar, wenn er dafür plädiert, die Dinge sachlich zu sehen (»get it in perspective«).
110 Paxman reagiert auf die von Blair verfolgte Strategie der Relativierung mit einem Vorwurf, wobei der Vorwurfscharakter seiner Äußerung insbesondere auch durch die Intonation (Betonung auf »years«) deutlich wird:
Als normativer Sprechakt zählt der Vorwurf zu den repräsentativen Sprechakten mit modalem Wahrheitsanspruch (Weigand 2003a: 161ff.). Dabei ist für den Vorwurf charakteristisch, dass dem Kommunikationspartner eine Handlung/Unterlassung zugeschrieben und negativ bewertet wird, wobei als Maßstab für die Bewertung eine Norm dient, die nicht notwendig explizit genannt werden muss, da ihre Kenntnis vorausgesetzt werden kann. Mit einer Norm verbindet sich stets die Erwartung ihrer allgemeinen Akzeptanz, und aus dieser Erwartungshaltung entsteht das Recht, dem Kommunikationspartner ggf. sein Handeln bzw. Unterlassen vorzuwerfen. So impliziert der Vorwurf in 005, dass in den fünf Jahren die Probleme des Landes (besser) hätten bewältigt werden können. Damit wird nun gleichsam die mit der Einstiegsfrage verbundene Behauptung people think the country does not work properly vom Interviewer selbst übernommen3 und die Verantwortung dafür dem Premierminister bzw. seiner Regierung zugeschrieben. Blair weicht dem Vorwurf aus 005 aus, indem er in 007–010 mehrere Argumenten gegen eine These, das Land funktioniere nicht richtig, auflistet und darüber hinaus sogar eine gewisse Vorbildfunktion Großbritanniens impliziert:
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In 014–016 orientiert Blair sich darüber hinaus an einem rhetorischen Mittel, dass in argumentativen Interviews immer wieder zu beobachten ist. Dieses rhetorische Mittel, das hier als taktische Konzession bezeichnet werden soll, basiert auf der schon aus der klassischen Rhetorik bekannten concessio (vgl. z. B. Ottmers 1996: 184 ). Dabei erkennt 3 Damit zeigt sich, dass die Referenz auf people in der Einstiegsfrage einer formalen Neutralität geschuldet war, Paxman also die mit der Präsupposition verbundene Behauptung »the country does not work properly« nicht als eigene, sondern im Sinne eines »third party attributed statement« (Clayman/Heritage 2002: 152) als Meinung der Öffentlichkeit vorbringen wollte.
111 der Sprecher den Wahrheitsgehalt einer Proposition scheinbar an, relativiert dann diese Anerkennung jedoch umgehend und lässt die Äußerungen des Kommunikationspartners so als Übertreibungen erscheinen. So räumt Blair hier »big problems« (014) bzw. »huge challenges« (015) ein und impliziert anschließend in 015–016, Paxman hätte ein zu negatives Bild vom Zustand des Landes gezeichnet. Weitere Beispiele für die Orientierung an diesem rhetorischen Prinzip finden sich für dieses Interview in 061–066 und 083–088. Der in der Intervieweröffnung von Paxman etablierte Wahrheitsanspruch ist, wie die weitere Analyse zeigen wird, der übergeordnete pragmatische Anspruch in diesem Handlungsspiel. Das Ziel des Interviewers ist dabei nicht, dass Blair den Wahrheitsgehalt der These, das Land funktioniere nicht richtig, akzeptiert. Vielmehr geht es Paxman darum, dem bereits in der Eröffnungsphase deutlich erkennbaren Interesse Blairs, das Interview zum Anlass zu nehmen, eine möglichst positive Bilanz seiner bisherigen Regierungszeit zu ziehen, argumentativ zu begegnen, um Defizite aufzuzeigen und so eine kritische bzw. ausgewogene Bestandsaufnahme der Regierungsarbeit Blairs und der Labourpartei insgesamt zu erreichen.
7.1.5 Argumentationsdiskurs I Paxman begegnet dem geschilderten Ausweichversuch Blairs in (006–016) mit folgendem Zug:
Eine Bewertung dieser Äußerung hinsichtlich ihrer Handlungsfunktion ist nicht möglich, wenn das zum Zeitpunkt des Interviews (14. Mai 2002) für alle Akteure des Handlungsspiels – einschließlich der Zuschauer – vorauszusetzende Hintergrundwissen vernachlässigt wird. Die Äußerung muss vor dem Hintergrund einer Reihe schwerer Zugunglücke gesehen werden, von denen sich eines nur wenige Tage vor dem Interview ereignet hatte. Dabei handelt es sich um das schwere Zugunglück bei Potters Bar am 10. Mai 2002, bei dem sieben Menschen starben und 76 verletzt wurden. Andere schwere Zugunglücke waren das bei Hatfield im Jahr 2000, bei dem vier Menschen ums Leben kamen, und das Zugunglück vor Paddington Station im Jahr 1999 mit 30 Toten und 245 Verletzten. Vor diesem Hintergrund steht es wohl außer Zweifel, dass es sich bei der Äußerung 017–018 nur formal um eine Frage handelt, da ein tatsächlicher Wissensanspruch bezogen auf die Proposition ob die Bevölkerung meint, der Zugverkehr funktioniere besser. . . ausgeschlossen werden kann. Die Absicht des Interviewers ist hier vielmehr, Blairs ausweichender Aufzählung von Beispielen dafür, was »extremly well« (005) funktioniere, ein
112 starkes Argument dafür entgegenzusetzen, dass das Land durchaus Probleme habe. In dem mit diesem Gegenargument initiierten Diskurs lassen sich vor allem zwei exekutive Argumentationsprinzipien aufzeigen, die charakteristisch für politische Interviews des argumentativen Typs sind.
7.1.5.1 Das Referenzprinzip in der Argumentation In den Analysen der explorativen Interviews ist an einer Stelle bereits angedeutet worden, dass sich Interviewer zur argumentativen Stützung möglicher Behauptungen auf Dritte berufen können, die z. B. als Autoritäten oder Experten auf einem bestimmten Gebiet gelten. Diese Orientierung am Referenzprinzip lässt sich im ersten Teil des vorliegenden Interviews gleich mehrfach zeigen. Allerdings bezieht sich Paxman hier in den meisten Fällen auf Mitglieder der Blair-Regierung, was für den Premierminister eine besondere Herausforderung darstellt. Blair räumt in 019–026 ein, dass es massive Probleme mit dem Zugverkehrsnetz gibt und nennt entsprechende Ursachen (021–026). Anschließend liefert der Interviewer ein Argument dafür, dass sich dieser Zustand der Bahn seit dem Regierungsantritt Blairs sogar verschlechtert habe (027–028): ( -
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Der Bezug auf seinen eigenen Verkehrsminister macht es Blair hier aufgrund der Handlungsmaxime der Solidarität (vgl. Kap. 4.3) unmöglich, dem Interviewer einfach zu widersprechen.4 Blair weist das Argument dementsprechend auch nicht zurück, sondern versucht, es zu entkräften, indem er die Äußerung seines Verkehrsministers, Stephen Byers, in einer bestimmten Weise interpretiert, wobei es dem Interviewer unmöglich ist zu entscheiden, ob diese Interpretation plausibel ist: 4 An diesem Beispiel lässt sich gut zeigen, dass Interviewer sich nicht nur zur Wahrung ihrer institutionell geforderten Neutralität auf Dritte beziehen, wie dies Clayman/Heritage (2002) (vgl. auch Clayman 1992) vorschlagen. Für die Orientierung am Referenzprinzip gibt es unterschiedliche Motive. So wäre eine Behauptung des Interviewers, der Zustand der Bahn habe sich seit dem Regierungsantritt verschlechtert, von Blair u. U. leicht als dessen persönliche Auffassung zurückzuweisen.
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Hier zeigt sich bereits ein möglicher Nachteil der Orientierung am Referenzprinzip für den Interviewer. Der Politiker kann die betreffende Äußerung des Dritten einfach anders interpretieren, ihren Wahrheitsgehalt und damit ihre Glaubwürdigkeit problematisieren (vor allem wenn sie vom politischen Gegner oder auch Experten stammen) oder auch gänzlich bestreiten, die Äußerung zu kennen. Auf diese Weise können Argumente abgeschwächt oder, ähnlich wie Fragen, ganz disqualifiziert werden. Gleichwohl greift Paxman im ersten Teil dieses Interviews immer wieder auf diese kommunikative Strategie zurück, so z. B. in 046–049, in 052–053 und 058: ) ) )+ ), ) )) ) ) )
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Ein wichtiger Unterschied besteht in 046–049 darin, dass der Interviewer sich hier nicht auf Dritte, sondern auf seinen Interviewgast selbst bezieht. Er zitiert eine Äußerung Blairs, die mittlerweile fünf Jahre zurückliegt, wörtlich. Das Herstellen von Beziehungen zu früheren Handlungsspielen war in der Analyse des Hard Talk-Interviews als ein Mittel beschrieben worden, Politiker in Widersprüche zu verwickeln. Hier dient es Paxman dazu, eine Entscheidungsfrage vorzubereiten, wobei Blair mit seiner Antwort das erste Hauptargument für die übergeordnete These (the country does not work properly) bestätigen soll. Insbesondere die Intonation (feststellend) deutet dabei eine deutliche Präferenz des Interviewers an. Die Orientierung am Referenzprinzips durch direktes Zitieren ist eine von Paxman häufig genutzte Möglichkeit zur Stützung oder auch zur Etablierung potenzieller Wahrheitsansprüche (vgl. auch 186–191, 371–375).
114 7.1.5.2 Argumentation in Vorwurfshandlungen In der Analyse der Intervieweröffnung ist bereits gezeigt worden, wie mittels des Vorwurfs, Blair habe seine Amtszeit nicht effektiv genutzt, vom Interviewer die übergeordnete These, das Land funktioniere nicht richtig, übernommen wurde. Die Eigenschaft des Vorwurfs, als repräsentativer Sprechakt einen Wahrheitsanspruch zu etablieren, verleiht ihm jedoch auch ein argumentatives Potential. So wird z. B. in 035–037 das Nichthandeln der Regierung Blair für den schlechten Zustand des Bahnsystems verantwortlich gemacht:
Mit diesem Zug liefert Paxman ein weiteres Argument für die These, die Regierung sei für die Probleme der Bahn mit verantwortlich. Ob die aus Sicht des Interviewers zu späte Verabschiedung einer »Transport bill« tatsächlich für die Probleme des Schienenverkehrs verantwortlich ist, lässt sich nach logischen Kriterien natürlich nicht beantworten. Was zählt ist, dass hier eine weitere Begründung für die These, es gäbe Probleme mit dem Bahnverkehr, eingebracht wurde, die ihrerseits als Argument für den Wahrheitsgehalt der übergeordneten Proposition the country does not work properly fungiert. Ein weiteres Beispiel für eine vorwurfsbasierte Argumentation findet sich in 079–082. Hier wird insbesondere durch das Adverb even der Vorwurfscharakter der Äußerung betont:
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Paxman wirft dem Premierminister vor, nötige Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit des Schienennetzes noch nicht umgesetzt zu haben.5 Zwar wendet Blair ein, man befinde sich im Prozess der Umsetzung, jedoch insistiert Paxman auf dem seinem Vorwurf zugrunde liegenden Wahrheitsanspruch. Dieser wird von Blair im nächsten Zug zwar übernommen (»sure. . . «), jedoch weist er das mit dem Vorwurf implizierte Fehlverhalten zurück, indem er argumentiert, man müsse auf die Industrie Rücksicht nehmen (083–084):
5 Der Report, benannt nach dem mit der Erstellung beauftragten Lord Cullen, enthält umfangreiche Analysen zu den Ursachen des schweren Zugunglücks vor Paddington und Empfehlungen zur Verbesserung der Sicherheit der britischen Schienennetzes.
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In 084–088 greift Blair erneut zu dem rhetorischen Mittel der taktischen Konzession, wobei er hier deutlich einen Themenwechsels anstrebt. Dass Blair sich am Initiativprinzip orientiert, also die inhaltliche Steuerung des Interviews beeinflussen will, zeigt die metakommunikative Äußerung »Let’s sort of short cut it« an, wobei »it« sich klar auf das gesamte Thema Railway System bezieht. Der Interviewer reagiert auf den Versuch Blairs, das Thema zu wechseln, ebenfalls mit einer metakommunikativen Äußerung (089–090), aus der hervorgeht, dass er dieses Thema noch nicht abschließen will. Der dann in 092–093 eingeleiteten explorativen Sequenz stellt er noch einmal sein Urteil über den Gesamtzustand des Schienenverkehrs voran und stellt diesbezüglich einfach zusammenfassend fest, dass Blair seine Einschätzung teile (you would obviously accept that). Mit der Orientierung am Referenzprinzip und der auf Vorwürfen basierenden Argumentation, die sich auch in den zwei weiteren Teilen des Interviews zeigen lassen, sind die für den ersten Teil des Interviews wesentlichen zwei kommunikativen Strategien beschrieben, mit denen der Interviewer den übergeordneten pragmatischen Wahrheitsanspruch stützt. Die These, es gäbe massive Probleme mit dem britischen Schienennetz, fungierte insbesondere deshalb als ein sehr starkes Argument, weil es Blair aufgrund der nicht zu leugnenden Schwierigkeiten, die sogar von Ministern seines Kabinetts eingeräumt worden waren, unmöglich war, eine überzeugende Gegenthese zu vertreten. Dies verhält sich im zweiten Argumentationsdiskurs anders.
7.1.6 Argumentationsdiskurs II In 149–151 wird ein neues Thema eingeführt, was der Interviewer deutlich durch die metakommunikative Äußerung in 149 anzeigt. Mit diesem Zug wird gleichsam die zweite These, die die übergeordnete These argumentativ stützen soll, geliefert. Auch hier wird sie nicht direkt vorgebracht, sondern muss vom Interviewpartner wie vom Zuschauer kognitiv erschlossen werden:
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Die These, deren Wahrheitsgehalt der Interviewer im Folgenden zu untermauern versucht, ist hier in einer Präsupposition enthalten. Der damit verbundene Wahrheitsanspruch bezieht sich auf die komplexe Proposition that it did take five years to wake up to the fact that. . . . Wie anhand der Intervieweröffnung bereits gezeigt wurde, sind Wortfragen besonders geeignet, Behauptungen in der Form von Fragesätzen vorzubringen. So wird hier vom Interviewer behauptet, Blair bzw. seine Regierung hätten erst nach fünf Jahren auf die massive Unterfinanzierung des staatlichen Gesundheitsdienstes (nhs) reagiert. Blair widerspricht dieser Behauptung und stellt damit in 152–153 eine Gegenthese auf, die er im selben Zug durch das Argument, man habe zusätzlich investiert, stützt:
Damit schafft Blair hier die Voraussetzung für einen Argumentationsdiskurs, der sich, anders als der bereits analysierte, durch eine klare Opposition von These und Antithese auszeichnet.
7.1.6.1 Indizienbasierte Argumentation Paxman liefert in 154–157 folgendes Argument zur Stützung der von ihm vertretenen These, die Regierung habe zu spät ins Gesundheitssystem investiert:
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Bemerkenswert an diesem Argument ist, dass es die These, man habe zu spät auf die Probleme des nhs reagiert, stützt, indem eine Handlung (Steuersenkung), die für sich betrachtet eigentlich in keiner zwingenden Beziehung zur These steht, als Indiz dafür herangezogen wird, dass Blair nicht um die finanziellen Probleme des nhs gewusst oder diese ignoriert habe. Ihr argumentatives Potential schöpft die Äußerung Paxmans dabei aus der nicht explizierten Prämisse (vgl. van Eemeren 2001: 56ff.), dass die Steuern nicht gesenkt worden wären, wenn man um die Unterfinanzierung des nhs gewusst hätte. Um das Ausmaß der vermeintlichen Fehlentscheidung Blairs zu veranschaulichen, beendet Paxman seinen Zug mit einer rhetorischen Frage, die in der aktuellen Situation auch als Vorwurf interpretiert werden kann (156–157).
117 Blair rechtfertigt daraufhin die Steuersenkungen (158–160) und wiederholt sein Argument aus 152–153 in 161–162, versäumt es hier jedoch, die nicht explizierte Prämisse aufzudecken und ihren Wahrheitsgehalt zu problematisieren:
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Hätte er an dieser Stelle einen kausalen Zusammenhang zwischen den Steuersenkungen und der von Paxman unterstellten Unkenntnis über den Zustand des nhs ausdrücklich zurückgewiesen, so hätte er Paxmans Argumentation die Basis entzogen. Da er dies hier jedoch nicht tut, kann Paxman sein Argument wiederholen, wobei er die Verantwortung der Regierung für die Finanzierungslücken beim nhs ausdrücklich betont, da sie die Wahl gehabt hätte, anstelle von Steuersenkungen Geld in diesen Bereich des öffentlichen Dienstes zu investieren:
Blair wiederholt sein Argument, man habe in das nhs investiert, noch einmal in 172–173, versucht dann jedoch in 173–174, die Bedeutung der Finanzierungsfrage zu relativieren, indem er einen Themenwechsel anstrebt und dies auch deutlich markiert:
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Der Versuch Blairs, den gewissermaßen zirkulären Argumentationsdiskurs auf diese Weise zu beenden, scheitert jedoch unmittelbar in 179:
6 miras= Mortgage Interest Relief at Source.
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Da Paxman in 179 deutlich anzeigt, den Argumentationsdiskurs bezüglich der angeblich von Blair zu spät erkannten Finanzierungsprobleme des nhs fortführen zu wollen, beziehen sich alle Züge zwischen 180–275 auf die ursprüngliche Behauptung Paxmans, die Regierung habe erst nach fünf Jahren auf die Finanzierungsprobleme des nhs reagiert. Für ein detailliertes Verständnis dieses längeren Argumentationsdiskurses ist eine zugweise Analyse unter Einbeziehung weiterer Hintergrundinformationen nötig, was im Rahmen dieser Analyse jedoch zu weit führen würde. Zusammengefasst geht es Paxman in diesem Argumentationsdiskurs darum, die Tatsache, dass erst nach den letzten Wahlen zum Unterhaus die Sozialversicherungsabgaben zur Finanzierung des nhs erhöht wurden, als Argument dafür zu verwenden, dass die Regierung vor den Wahlen die Finanzierungsprobleme beim nhs zwar mittlerweile erkannt, unpopuläre Abgabenerhöhungen jedoch im Wahlkampf verschwiegen hatte:
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In 189–191 zitiert Paxman aus einem Interview mit Blair vor der Wahl (vgl. Referenzprinzip in Kap. 4.3.6.2), um zu suggerieren, dass Blair zum damaligen Zeitpunkt Steuererhöhungen ausgeschlossen habe. Die in der anschließenden Frage enthaltene Präsupposition, Blair habe die Wähler getäuscht, indem er geplante Steuererhöhungen zur Finanzierung des nhs aus wahlkampftaktischen Gründen verschwiegen hätte (191), bringt diesen nun in folgendes Dilemma: Bestreitet er den Wahrheitsgehalt der Präsupposition, kann er zwar den möglichen Vorwurf der Täuschung zurückweisen. Allerdings bestätigt er dann aber implizit Paxmans bisher lediglich durch Indizien gestützte These, dass seine Regierung die Finanzierungslücke nicht rechtzeitig erkannt habe, da er anderenfalls ja die zur Schließung dieser Lücke nötigen Steuererhöhungen bereits vor der Wahl angekündigt hätte. Blair weist in 192–198 den Vorwurf der Täuschung zurück. Auch er bezieht sich dazu ausdrücklich auf das bereits von Paxman zitierte Interview, um zu belegen, seinerzeit überhaupt keine Festlegung zu möglichen Steuererhöhungen getroffen zu haben:
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Da sich Blair und Paxman auf dasselbe Interview beziehen, läuft Paxmans Strategie, seinen Gast auf der Basis des Referenzprinzips in Widersprüche zu früheren Aussagen zu verwickeln, ins Leere. Die Argumente neutralisieren sich hier gewissermaßen, da ihr Wahrheitsgehalt nicht näher überprüft werden kann. Im weiteren Verlauf orientiert sich der Interviewer daher an einem anderen exekutiven Prinzip, das vor allem dazu dient, die Glaubwürdigkeit Blairs in Zweifel zu ziehen.
7.1.6.2 Das Prinzip der negativen Argumentation Unter dem Prinzip der negativen Argumentation wird, wie in Kap. 4.3.6.5 bereits geschildert wurde, ein Argumentationsprinzip verstanden, das dadurch gekennzeichnet ist, dass an die Stelle eines Arguments zur Stützung eines eigenen Wahrheitsanspruchs der Versuch tritt, den vom Kommunikationspartner vertretenen Wahrheitsanspruch als fragwürdig erscheinen zu lassen, indem dessen Aufrichtigkeit angezweifelt wird. Diese Strategie lässt sich in den nächsten Zügen gut verfolgen. In 199–200 stellt Paxman zunächst noch einmal die Frage, ob die Steuererhöhungen tatsächlich nicht bereits vor der Wahl beschlossen worden waren:
Auf die Versicherung Blairs, die Erhöhungen seien tatsächlich nicht geplant gewesen, sondern erst aufgrund späterer Gutachten beschlossen worden, reagiert Paxman nun in 209 mit einem repräsentativen Sprechakt, der deutlich anzeigt, dass er Blairs Versicherung und deren Begründung für wenig glaubhaft hält: -
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120 Blair wiederholt daraufhin erneut mit Bezug auf das frühere Interview mit Paxman, keine Festlegungen zu Steuererhöhungen gemacht zu haben. Ein deutlicher Beleg dafür, dass auch er den gesamten Argumentationsdiskurs immer noch auf Paxmans These, man habe zu spät auf die Finanzierungslücke des nhs reagiert, bezieht, findet sich in 217– 220. Die nach der Wahl beschlossenen Steuererhöhungen rechtfertigt Blair in 223–227. Der Interviewer hingegen bleibt bei seiner Strategie des Zweifelns. In 228 zeigt Paxman mit der Verwendung des Adverbs honestly deutlich an, dass er die Aufrichtigkeit des Premierministers in Frage stellt.
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Auch der nächste Zug des Paxmans deutet auf eine Orientierung am Prinzip der negativen Argumentation hin, da er auch hier darauf abzielt, die Aufrichtigkeit Blairs anzuzweifeln:
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Paxman geht in diesem Zug noch einen Schritt weiter, indem er durch eine Präsupposition in 241 impliziert, dass nicht nur er, sondern die Bevölkerung allgemein die Aufrichtigkeit des Premierministers anzweifelt. Obgleich mit der persönlichen Glaubwürdigkeit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die moralische Legitimation politischen Handelns angegriffen wird, reagiert Blair hier scheinbar ungerührt. Wie im gesamten
121 Interview zeigt er trotz des konfrontativen Interviewstils auch hier keinerlei emotionale Reaktion im Sinne von Ärger, sondern weist die Unterstellung, Steuererhöhungen vor der Wahl verschwiegen zu haben, zurück: !
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Die ausgeprägte Fähigkeit Blairs, trotz heftiger Attacken gegen die eigene Person die für Interviews charakteristische emotionale Neutralität zu wahren, ist, wie sich in vielen Interviews mit dem Premierminister zeigt, charakteristisch für sein Auftreten in den Massenmedien. Inwieweit Paxmans Orientierung am Prinzip der negativen Argumentation, also sein Hinterfragen der Glaubwürdigkeit von Blairs Argumenten, hier letztlich die These, man habe zu spät auf die Finanzierungsschwierigkeiten beim nhs reagiert, stützen konnte, hängt sicherlich von der Beurteilung des einzelnen Zuschauers ab. Es zeigt sich deutlich, dass effektive Argumentation in der Performanz nicht ausschließlich logisch-rational verläuft. Einer strengen Überprüfung nach rationalen Kriterien halten die wenigsten Argumentationen im Sprachgebrauch stand. Die Identifizierung nicht explizierter Prämissen, deren Wahrheitsgehalt jedoch fraglich wäre, den Gebrauch von Vorwürfen, oder auch Angriffe auf die Glaubwürdigkeit des Kommunikationspartners als fallacies7 im Sinne van Eemerens (2001; van Eemeren et al. 2002) zu klassifizieren, hilft zwar bei einer nachträglichen, rekonstruierenden Analyse eines Argumentationsdiskurses, gelingt jedoch im Prozess des Handlungsspiels aufgrund der vielen anderen die Performanz beeinflussenden Faktoren bei weitem nicht immer.
7 Van Eemeren et al. verwenden den Begriff fallacy nicht in dem engen Sinn eines scheinbar gültigen, gleichwohl jedoch ungültigen Arguments (vgl. van Eemeren 2001: 135). Ausgehend von der Annahme, Argumentationen dienten der Beilegung einer »difference of opinion« (van Eemeren et al. 2002: 3ff.), verstehen sie unter fallacy »[ . . .] a violation of the discussion rules that must be followed in order to successfully resolve a difference of opinion« (110). Zum Problem der fallacies siehe auch Willard 1989: 220ff.
122
7.1.7 Argumentationsdiskurs III Auf den dritten Argumentationsdiskurs zur Stützung der übergeordneten These soll nur kurz eingegangen werden, da hier keine neuen exekutiven Prinzipien beschrieben werden können. Jeremy Paxman führt das dritte und letzte Thema, Kriminalität, mit einem Zitat in der fragevorbereitenden Sequenz ein: ,
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Seine abschließende Äußerung in 375 ist funktional sicher nicht als Frage zu klassifizieren, da hier kein aufrichtiger Wissensanspruch etabliert wird. Vielmehr bringt der Interviewer hier seine Einschätzung zum Ausdruck, dass Kriminalitätsproblem sei in Blairs bisheriger Amtszeit keineswegs gelöst worden. Blair räumt in 376–377 unmittelbar ein, dass Kriminalität ein großes Problem sei, womit er bereits den von Paxman vertretenen Wahrheitsanspruch und damit die These, die Kriminalität sei nicht erfolgreich bekämpft worden, implizit akzeptiert. Dies gilt auch bezogen auf ein konkretes Beispiel: & '
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Der dritte Argumentationsdiskurs stützt somit die übergeordnete These, das Land funktioniere nicht richtig, sehr deutlich, auch wenn Blair in einer für ihn typischen Weise nur indirekt einräumt, seine Ziele bezüglich der Kriminalitätsbekämpfung nicht erreicht zu haben, z. B.:
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123
7.1.8 Zusammenfassung Das erste der beiden Interviews, die zum Typ der argumentativen Handlungsspiele gezählt werden, hat bereits deutliche Unterschiede zu den beiden explorativen Interviews erkennen lassen. Wie in der Analyse der Intervieweröffnung gezeigt und dann anhand des weiteren Verlauf des Interviews bestätigt werden konnte, wurde das Interview von einem übergeordneten Wahrheitsanspruch dominiert, den der Interviewer im Verlauf dreier Argumentationsdiskurse jeweils argumentativ vertrat. Zwar lässt sich insgesamt eine Orientierung an der formalen Frage-Antwort-Struktur für Interviews feststellen, jedoch weicht Paxman auch durchaus davon ab, um Argumente direkt vorzubringen. Dies gilt insbesondere für die beschriebene Orientierung am Referenzprinzip und ebenso für Vorwurfshandlungen, die ebenfalls als ein Mittel beschrieben wurden, Wahrheitsansprüche argumentativ zu stützen. Festzuhalten bleibt bereits an dieser Stelle, dass die Argumentationen sich nicht auf ausschließlich logisch-rationale Beziehungen zwischen Thesen und Argumenten reduzieren lassen. Argumentiert wird auch auf der Basis von Indizien. Das Ziel, einen Wahrheitsanspruch zu stützen, kann darüber hinaus auch dadurch erreicht werden, dass die Aufrichtigkeit bzw. Glaubwürdigkeit des Kommunikationspartners (hier der Premierminister) angezweifelt wird. Natürlich wird der Bereich der Argumentation sehr erweitert, wenn er ein exekutives Prinzip wie das der negativen Argumentation mit einschließt. Dies scheint mir jedoch insofern gerechtfertigt, als die übliche Klassifizierung solcher Phänomene als fallacies vernachlässigt, dass in der Performanz gerade diese indirekten Formen der Argumentation erfolgreich sind, solange sie nicht als Fehlschlüsse identifiziert werden. Für politische Interviews als argumentative Handlungsspiele war in Kap. 4.2.2 ausgeführt worden, dass es nicht das Ziel des Interviewers ist, von ihm vertretene Wahrheitsansprüche tatsächlich durchzusetzen, sondern durch ein bewusstes Vertreten von Gegenpositionen und durch das Aufzeigen alternativer Deutungsmöglichkeiten den Politiker zu zwingen, Anspruch und Realität politischen Handelns aufeinander zu beziehen. Da hierbei zwangsläufig grundsätzliche Interessen von Politikern, wie z. B. die positive Präsentation, Werbung oder auch Abgrenzung tangiert werden, verlaufen argumentative Interviews in der Regel konfrontativ. Dies gilt auch für das Interview mit Blair, obgleich sich in der noch folgenden Analyse zeigen wird, dass die Orientierung am Prinzip der Konfrontation hier nicht übermäßig ausgeprägt war. So gab es beispielsweise kaum gegenseitige Unterbrechungen. Blair hatte, auch wenn er keinen Einfluss auf die Interviewsteuerung nehmen konnte, stets die Gelegenheit, seine Standpunkte ausführlich zu vertreten. Der vorletzte Zug des Interviewers zeigt darüber hinaus ebenfalls noch einmal an, dass es Paxman in diesem Interview nicht um eine spektakuläre Demontage des
124 Premierministers oder um ein für konfrontative Interviews oftmals charakterisierendes ›grilling‹ ging:
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Die folgende Analyse eines deutschen Interviews wird zeigen, inwieweit sich Unterschiede hinsichtlich der Interviewführung in argumentativen Handlungsspielen feststellen lassen und wie diese zu erklären sind.
7.2 Was nun? Das vierte zu analysierende Interview stammt aus der Sendung Was nun?. Interviews dieses Formats werden vom zdf jeweils aus aktuellen Anlässen kurzfristig ins Programm aufgenommen. Anders als in den bisherigen Interviews sind es hier zwei Journalisten, die einen Politiker interviewen: Nikolaus Brender, Chefredakteur, und Thomas Bellut, Programmdirektor des zdf.
7.2.1 Anlass und Hintergrund des Interviews Der konkrete Anlass für das vorliegende Interview war eine Rede Gerhard Schröders anlässlich einer Haushaltsdebatte im Bundestag, die insbesondere deshalb mit Spannung erwartet worden war, weil sich das Land in einer tiefen wirtschaftlichen Krise befand. Im Rahmen seiner Rede, in der Schröder den geplanten Bundeshaushalt für das Jahr 2003 gegenüber der Opposition verteidigte, hatte er drei Gründe für diese Krise genannt: Die Ursachen für die Fehlprognosen und für die nicht erfüllten Wachstumserwartungen liegen auf dem Tisch. Erstens: Massive Einschnitte im Neuen Markt, und zwar weltweit. Zweitens: Unseriöse Geschäftspraktiken, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern inzwischen auch in Deutschland, was das Frisieren von Bilanzen und Ähnlichem angeht. Drittens: Niemand kann sich doch Illusionen darüber machen, dass das weltwirtschaftliche Klima durch die Krise in und um den Irak aufs Schwerste
125 geschädigt ist. Das sind die zentralen Ursachen für die ökonomischen Schwierigkeiten, mit denen natürlich auch unser Land zu kämpfen hat.8
Diese Passage aus der Rede Schröders ist, wie die Intervieweröffnung zeigt, auch für das vorliegende Interview von zentraler Bedeutung.
7.2.2 Der übergeordnete kommunikative Zweck Wie in dem bereits analysierten argumentativen Interview besteht der übergeordnete kommunikative Zweck auch hier in der Verfolgung eines übergeordneten modalen Wahrheitsanspruchs. Dieser bezieht sich, wie gezeigt werden wird, auf die Proposition dass die Regierung Schuld ist an der Krise in Deutschland. Auch in dem deutschen Interview lässt sich der übergeordnete pragmatische Anspruch nicht unmittelbar an einem einzelnen Sprechakt festmachen, jedoch kann er bereits während der Intervieweröffnung und auch im weiteren Verlauf des Handlungsspiels problemlos erschlossen werden.
7.2.3 Die Argumentationsstruktur Für das bereits analysierte englische Interview war eine klare Orientierung des Interviewers am Prinzip der koordinativen Argumentation festgestellt worden. Die gleiche Beobachtung trifft auch für das deutsche Interview zu. Auch hier versuchen die beiden Interviewer, den übergeordneten Wahrheitsanspruch im Rahmen verschiedener Argumentationsdiskurse zu stützen. Die jeweiligen Thesen, die bezogen auf den übergeordneten Wahrheitsanspruch als Argumente fungieren und die ihrerseits durch subordinative Argumente gestützt werden, lassen sich wie folgt formulieren: 1. Es gibt eine Stimmungskrise in Deutschland. 2. Die Bundesregierung steckt in einer Führungskrise. 3. Sowohl geplante als auch bereits wirksame Steuererhöhungen sind Ursachen für die wirtschaftlichen Krise.
8 Dieses wörtliche Zitat entstammt der Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Haushaltsdebatte vor dem Deutschen Bundestag am 4.12.2002.
126 (Fig. 11)
7.2.4 Die Intervieweröffnung Die Analyse der Intervieweröffnung soll zeigen, welche Anzeichen bereits zu Beginn des Interviews darauf hindeuten, dass von den Interviewern ein übergeordneter Wahrheitsanspruch verfolgt wird. Das Interview beginnt mit einer für Was nun? typischen Floskel, die eine ausdrückliche Begrüßung des Interviewgastes ersetzt. Was nun?, zdf, 4.12.2002, ir 1=Thomas Bellut, ir 2=Nikolaus Brender, ie=Gerhard Schröder
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Die einleitende Sequenz (001–004), in der Thomas Bellut noch einmal die von Schröder genannten Gründe für die wirtschaftliche Krise wiederholt, dient hier zur Vorbereitung einer bestimmten Einstiegsfrage, die in der journalistischen Praxis auch als interpretierende Frage bezeichnet wird: Der Interviewer greift eine frühere Äußerung des Politikers auf und formuliert eine Schlussfolgerung in Frageform (vgl. Haller 1997: 257), wobei der mit der Frage etablierte Wissensanspruch darauf abzielt, dass der Interviewpartner zum Wahrheitsgehalt der Schlussfolgerung Stellung bezieht.9 Anders als bei Präsupposi9 Wie dieses Beispiel zeigt, beziehen sich solche interpretierenden Fragen nicht zwangsläufig auf Äußerungen des Interviewpartners innerhalb des aktuellen Handlungsspiels, sondern können sich auch auf Äußerungen beziehen, die aus früheren Handlungsspielen stammen. Problematisch ist dabei gelegentlich, dass Äußerungen so aus ihrem kommunikativen Zusammenhang gerissen werden können. Auf diese
127 tionen lässt der Interviewer in interpretierenden Fragen zunächst offen, wie er selbst den Wahrheitsgehalt der Schlussfolgerung beurteilt. Schröder bestätigt den Wahrheitsgehalt der Schlussfolgerung, die Ankündigung von Steuern und Abgaben spiele keine Rolle für die wirtschaftliche Krise und impliziert somit gleichsam, die Regierung hätte keine Schuld an der wirtschaftlichen Krise. Sein Argument für den Wahrheitsgehalt der Schlussfolgerung ist dabei, dass »das, was wir angekündigt haben, es ja noch nicht gibt«:
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Schröders darüber hinausgehende Beurteilung der Einstiegsfrage als »überflüssig« ist ein erstes Anzeichen dafür, dass er sich hier auf ein konfrontatives Interview einstellt und sich selbst bereits von vornherein an dem entsprechenden Prinzip der Konfrontation orientiert. Zwar nimmt er die direkte Disqualifizierung der Frage unmittelbar zurück, die Zurücknahme ist jedoch ein nachträglicher Versuch, seine abschätzige Bewertung der Einstiegsfrage etwas zu relativieren. Mit seinem Einwurf in 012–013 unterbricht Bellut bereits den ersten Zug des Kanzlers im Handlungsspiel, was tatsächlich auf eine Orientierung am Konfrontationsprinzip hindeutet:
Bellut zeigt in seiner Äußerung u. a. durch den adversativen Gebrauch der Partikel aber klar an, dass er eine Gegenposition zu Schröder vertritt. Mit seinem Einwurf bezieht er sich auf das Argument Schröders aus 009–010, genauer, auf eine diesem Argument zugrunde liegende, von Schröder nicht explizierte Prämisse, die wie folgt formuliert werden kann: Nur was bereits durch die Regierung beschlossen (und rechtskräftig) ist, kann auch ursächlich für eine Krise sein. Bellut zweifelt den Wahrheitsgehalt dieser Prämisse an, indem er andeutet, auch Ankündigungen durch die Bundesregierung seien auf Grund ihrer psychologischen Wirkung geeignet, zu einer Krise beizutragen. Wenn es damit zwar hier noch nicht ausdrücklich formuliert wird, gleichwohl aber unschwer erschlossen werden kann, dass Weise kann z. B. ein Politiker in Konflikte mit gerade getätigten Äußerungen geraten. Entsprechend häufig ist dann auch der Verweis darauf, etwas ›in einem anderen Zusammenhang‹ gesagt zu haben.
128 Bellut eine Verantwortung der Bundesregierung für die Krise annimmt, so macht er dies in 016–017 schon deutlicher, nachdem der Kanzler in 014–015 vergeblich versucht hat, das Rederecht zurückzuerlangen und seine Argumentation zu verteidigen:
Bellut vollzieht hier einen direkten repräsentativen Sprechakt und setzt damit einen Wahrheitsanspruch, der eine klare Gegenposition zu Schröders Behauptung, die Ankündigungen hätten keinen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Lage, anzeigt. So lässt sich das der Intervieweröffnung insgesamt zugrunde liegende interesse Belluts (im Sinne der in Kap. 3.2.1.1 beschriebenen erweiterten funktionalen Struktur interest [F(p)] (vgl. auch Weigand demn. a/b) dahingehend charakterisieren, dass hier ein Wahrheitsanspruch bezüglich der Proposition dass die Regierung Schuld ist an der Krise etabliert werden soll, um so die Position des Kanzlers, die er bereits in seiner Rede vertreten hatte, kritisch hinterfragen zu können.
7.2.5 Argumentationsdiskurs I In seinem Einwurf in 016–017 stellt Bellut die These auf, die Ankündigungen der Regierung hätten eine Stimmungskrise bewirkt. Diese These, die potentiell geeignet ist, den übergeordneten modalen Wahrheitsanspruch argumentativ zu stützen, wird insbesondere auf der Basis des in Kap. 4.3.6.2 beschriebenen Referenzprinzips untermauert. Bevor jedoch die entsprechenden Sequenzen aufgezeigt werden, soll eine bereits angesprochene Beobachtung vertieft werden, die den organisierten Sprecherwechsels, wie er im Interview aufgrund der formalen Frage-Antwort-Struktur angelegt ist, betrifft.
7.2.5.1 Konfrontationsprinzip und Sprecherwechsel Die Tatsache, dass Bellut seinen Interviewpartner mit seinem Zug in 016–017 bereits zum zweiten Mal unterbricht, Schröder also überhaupt noch keinen Zug beenden konnte, deutet auf eine starke Orientierung des Interviewers am Konfrontationsprinzip hin. Indem der Kommunikationspartner daran gehindert wird, seine Position vollständig darzulegen, werden zwangsläufig seine Möglichkeiten, eigene kommunikative Ziele zu verfolgen, eingeschränkt. Ein klares Indiz dafür, dass Schröder die Orientierung Belluts am Konfrontationsprinzip erkennt, findet sich in 018–19. Schröder unterbricht Bellut hier seinerseits, wobei er seinen Zug mit einer metakommunikativen Äußerung beginnt:
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Schröder insistiert hier auf seinem Recht, den aktuellen Zug zu beenden. Das Adverb wenigstens deutet dabei darauf hin, dass Schröder sich durch den Interviewer benachteiligt fühlt. Ein analoges Beispiel findet sich in 134–135:
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Weitere Unterbrechungen durch die Interviewer finden sich z. B. in 051, 099–100, 114–115, 147–148. Damit ist die Zahl der Unterbrechungen in diesem Interview deutlich höher als in den bisher analysierten. Interessant ist nun, wie die so angezeigte Orientierung der Interviewer am Konfrontationsprinzip sich auch auf das Verhalten des Kanzlers auswirkt. Auch Schröder unterbricht die Journalisten zunehmend, was bisweilen dazu führt, dass die Sprecher sogar über längere Zeiträume gleichzeitig sprechen: ( ) * ( ( ( ( (
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Diese Sequenz dient jedoch nicht lediglich als ein Beleg von mehreren dafür, dass auch der Kanzler die Interviewer unterbricht10 , sondern gibt darüber hinaus auch Aufschluss über einen weiteren möglichen Grund für die Abweichungen von der formalen Frage-Antwort-Struktur. Schröder nimmt hier gleich zweimal eine funktionale Charakterisierung der Intervieweräußerungen vor. In 247 spricht er von »Behauptungen, die sie 10 Vgl. z. B. auch 032, 182–188, 214, und 225–237.
130 aufstellen« und deren Wahrheitsgehalt zunächst einmal überprüft werden müsse, und in 254 erwidert er auf die metakommunikative Äußerung des Interviewers (253), es handele sich bei dessen Äußerung in 238–241 nicht um eine Frage, sondern um eine Feststellung. Schröder unterscheidet hier demnach klar verschiedene Handlungsfunktionen. Stellt er fest, dass der Interviewer keine Frage stellt, scheint dies offenbar eine Unterbrechung zu legitimieren. Auszuschließen ist m. E. die andere Möglichkeit, nämlich dass der Interviewte aufgrund der hier nicht gewahrten interviewertypischen Frageform unterbricht. Als Beleg gegen eine solche These kann z. B. die Sequenz 357–365 dienen, an der deutlich wird, dass Schröder klar zwischen Handlungsfunktionen und Äußerungsformen trennt und die Äußerungsform kein Kriterium für mögliche Unterbrechungen darstellt: '( ' ') ' '* '
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Hier zeigt sich, dass Schröder aufgrund seiner aktuellen Einschätzung des Interviewverlaufs hinter der Frageform keinen Wissensanspruch vermutet. Auch in den anderen bisher analysierten Interviews ist wiederholt festgestellt worden, dass die Politiker ein sehr sensibles Gespür dafür haben, welche tatsächliche Handlungsfunktion einer Äußerung zugrunde liegt. Dieser Befund wird deshalb hier erwähnt, weil insbesondere die aufgezeigten Beispiele aus dem vorliegenden Interview sehr gut illustrieren, warum die in konversationsanalytischen Arbeiten oft vertretene These, das turn-taking system operiere vor allem auf der Basis der Identifizierung sogenannter trps (transition relevance points) anhand von prosodischen Merkmalen, zu kurz greift. Im Zweifel werden diese trps irrelevant. Vielmehr sind die vom Politiker identifizierten Absichten des Journalisten entscheidend dafür, wie stark er sich an dem interviewtypischen turn-taking system orientiert. In stark konfrontativen Interviews ist diese Orientierung durchweg geringer.
7.2.5.2 Referenzprinzip und Subjektivität Wenn für den Zug in 016–017 festgestellt wurde, dass der Interviewer mit ihm die These etabliert, es gäbe eine Stimmungskrise, so gilt es nun, mögliche Argumente zur Stützung dieser These zu finden. Nachdem der Kanzler in 018–019, wie bereits gezeigt wurde, auf sein Recht zu antworten aufmerksam gemacht hat, vermeidet er es, auf die von Bellut behauptete Stim-
131 mungskrise einzugehen. Vielmehr wiederholt er sein Argument aus 009–010 in 019–020 und bestreitet anschließend, dass es sich bei den beschlossenen Maßnahmen überhaupt um Steuererhöhungen handele:
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Insbesondere die Behauptung des Kanzlers in 021–027, die Regierung hätte keine Steuererhöhungen beschlossen, wird zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews noch eine wichtige Rolle spielen, da sie, bezogen auf die übergeordnete These, die Regierung sei Schuld an der Krise in Deutschland, ein wichtiges Gegenargument des Kanzlers darstellt. An dieser Stelle geht es zunächst darum, die Argumente, für die übergeordnete These, dass es eine Stimmungskrise gäbe, herauszuarbeiten und dabei eine Variante der Orientierung am Referenzprinzip aufzuzeigen. Nachdem der Kanzler in 019–027 in keiner Weise auf die Behauptung, es gäbe eine Stimmungskrise, eingegangen ist, schaltet sich der zweite Interviewer, Nikolaus Brender, ein:
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Brender orientiert sich hier am Referenzprinzip, um ein Argument für die von Bellut behauptete Stimmungskrise zu liefern. Er bezieht sich hier explizit auf ein Gefühl der Bevölkerung, das er zu kennen vorgibt (»wenn man mit denen spricht, die haben ein ganz anderes Gefühl«).11 Zwar unterbricht Schröder den Interviewer an dieser Stelle, um die von Brender beanspruchte Deutungshoheit bezüglich der Stimmung in der Bevölkerung zurückzuweisen (033–036), wenn auch unklar bleibt, auf welchen »Grund« sich Schröder in 036 bezieht:
11 Die einleitende, provozierende Frage, wann der Kanzler das letzte Mal mit der Bevölkerung gesprochen habe, ist ein gutes Beispiel dafür, wie persuasiv der Sprachgebrauch insbesondere durch die Möglichkeit des indirekten Ausdrucks sein kann. So suggeriert Brender mit dieser Frage hier, der Kanzler habe im Grunde keinen Kontakt zur Bevölkerung bzw. wisse nicht um deren Probleme.
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In 039–050 räumt Schröder dann jedoch indirekt ein, dass es eine Stimmungskrise gäbe. Sehr deutlich ist dabei sein Bemühen erkennbar, die Ursache dafür lediglich als ein Kommunikationsproblem zu schildern (039–041) und die »Belastungen« (046) zu rechtfertigen:
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Gleichwohl wiederholt und konkretisiert Brender sein Argument für die These, das Land befinde sich in einer Stimmungskrise, wobei er sich erneut auf die Bevölkerung bzw. auf deren Einschätzungen über ihre Zukunft bezieht:
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Erneut impliziert Brender hier einen Kontrast zwischen der Wahrnehmung der Realität durch den Kanzler (»Schwarzmalerei«, 052) und durch die Bevölkerung (»sehen die Zukunft schwarz«, 053), um mit seiner anschließenden Frage wieder auf das bereits in 029–032 thematisierte Problem der fehlenden Nähe des Kanzlers zur Bevölkerung zurückzukommen. Anders als in dem englischen Interview, in dem der Interviewer die Referenz auf Äußerungen von Ministern der Regierung Blairs argumentativ nutzte, bezieht sich der Interviewer in diesem Argumentationsdiskurs auf letztlich schwer zu belegende Eindrücke
133 einer heterogenen Bevölkerung, um die These von der Stimmungskrise zu stützen. Daher gilt für die Orientierung am Referenzprinzip hier noch stärker als für das englische argumentative Interview, dass der Politiker die Stichhaltigkeit der Argumentation leicht in Zweifel ziehen kann. So reagiert Schröder hier entsprechend geschickt, indem er auf die Subjektivität der Argumentation Brenders hindeutet (063–064, 074–079):
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Eine weitere Antwort Schröders zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews veranschaulicht noch einmal diese potentielle Schwierigkeit einer Argumentation auf der Basis des Referenzprinzips: . / / /
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7.2.6 Argumentationsdiskurs II Im zweiten Argumentationsdiskurs zur Stützung des übergeordneten Wahrheitsanspruchs liefern die Interviewer Argumente dafür, dass sich die Bundesregierung in einer Führungskrise befinde:
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Bellut behauptet in der fragevorbereitenden Sequenz in 086–087, es gäbe Abstimmungsschwierigkeiten in der Koalition und liefert dafür zwei Argumente: Münteferings Äußerungen zu Steuererhöhungen und Schröders Widerspruch, sowie Äußerungen des Generalsekretärs und der darauf folgende Widerspruch des Koalitionspartners. Die anschließenden Fragen deuten an, dass der Kanzler für das Durcheinander in der Koalition verantwortlich sein könnte, genauer, dass er nicht die Führungsstärke besitze, seine Regierung hinter sich zu vereinen. Belluts Argumente für das »Durcheinander« in der Regierung stützen diese Interpretation. Damit rührt der Interviewer hier an der wichtigen Handlungsmaxime der Identität. Schröder weist den Eindruck einer Führungskrise in seiner Reaktion zwar zurück, wird allerdings in 099–100 von Bellut unterbrochen: *
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Der Interviewer insistiert hier auf seiner Interpretation, dass es eine Krise in der Regierung gegeben habe. Schröder nutzt daraufhin geschickt in 101–108 das bereits in Kap. 7.1.4 beschriebene rhetorische Mittel der taktischen Konzession im Rahmen einer Vermeidungsstrategie. Er versucht so, von der behaupteten Führungskrise abzulenken und anschließend das Thema Steuerpolitik einzuführen. Allerdings wird Schröders Initiative vom zweiten Interviewer unterbrochen (115), der sehr direkt auf die behauptete Führungskrise zurückkommt und mit einer provozierenden Alternativfrage Schröders Unfähigkeit zu Regieren andeutet:
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Hier und im weiteren Verlauf zeigt sich eine deutlich zunehmende Orientierung der Interviewer am Prinzip der Konfrontation. Schröder wird in 115 unterbrochen, und die Äußerungen Brenders in 119–122 sind lediglich formal als Frageäußerungen zu klassifizieren, dienen tatsächlich jedoch der Provokation Schröders. Auch in 132–133 wird Schröder unterbrochen und ein weiteres Argument für die Führungskrise geliefert:
In den Reaktionen Schröders auf diese aggressive Art der Interviewführung wird deutlich, dass er zum einen das Prinzip der emotionalen Neutralität zu wahren sucht, sich also nicht provozieren lässt, und andererseits auch auf der Einhaltung der Frage-AntwortStruktur besteht und folgerichtig kommunikative Ansprüche, die durch Äußerungen in Unterbrechungen wie in 132–133 etabliert werden, ignoriert:
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In 140–146 wird Schröders eigene Orientierung am Initiativprinzip deutlich. Er schlägt den Interviewer explizit vor, auf »sachliche Einzelheiten« einzugehen und eröffnet unmittelbar anschließend ein entsprechendes Thema. Das Recht der inhaltlichen Inter-
136 viewsteuerung geben die Interviewer jedoch nicht aus der Hand. Brender beendet den zweiten Argumentationsdiskurs in 159–160:
Damit ist der zweite Argumentationsdiskurs beendet. Der dritte und letzte wird unmittelbar anschließend von Thomas Bellut eröffnet. In der Analyse dieses Diskurses soll vor allem gezeigt werden, welche Auswirkungen die im Verlauf des Interviews stets zunehmende Orientierung der Interviewer am Prinzip der Konfrontation hat.
7.2.7 Argumentationsdiskurs III Mit folgendem Zug eröffnet Thomas Bellut den nächsten Argumentationsdiskurs:
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Die Analyse eines ähnlichen Zuges aus dem Paxman/Blair-Interview hatte gezeigt, dass der Interviewer hier präsupponierte, Blair habe die Wähler getäuscht, indem er Steuererhöhungen im Wahlkampf ausgeschlossen, später aber dennoch beschlossen habe (189–190): Newsnight, bbc 2, 14.5.2002, ir=Jeremy Paxman, ie=Tony Blair
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Auch für das deutsche Beispiel gilt, dass der Interviewer in 166–167 impliziert, Schröder habe entgegen anderslautender Versprechungen Steuererhöhungen beschlossen. Zwar geht dies nicht mit der gleichen Deutlichkeit aus der Frageäußerung »Müssen sie sich jetzt beim Wähler entschuldigen?« hervor; dass diese These hier vertreten wird, lässt sich jedoch für den Zuschauer im Kontext des gesamtem Handlungsspiels leicht erschließen. In der Einstiegsfrage des Interviews hatte Thomas Bellut bereits vorausgesetzt, dass die Erhöhung von »Steuern und Abgaben auf breiter Front« (005–006) beschlossen
137 worden sei, so dass bezüglich der aktuellen Frage in 166–167 ausgeschlossen werden kann, Bellut wolle vom Kanzler wissen, ob die Steuern erhöht worden seien. Die Frage, ob Schröder sich jetzt beim Wähler entschuldigen müsse, dient vielmehr der Implikation eines moralischen Fehlverhaltens. Daher betrifft sie für den Kanzler vor allem die Maxime der Integrität, also der Glaubwürdigkeit vor dem Wähler, wodurch sie natürlich hohe Brisanz erhält. Schröder reagiert auf die Andeutung, er habe die Wähler getäuscht, betont sachlich, indem er sie deutlich zurückweist und klar strukturiert zwei Argumente gegen eine solche Behauptung anführt: 0 1
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In 174 ist ein erster Versuch Belluts, die Argumentation des Kanzlers zu unterbrechen, erkennbar, und in 180–181 unterbricht Bellut erneut, um Argumente für die Steuererhöhungsthese einzubringen. Daraufhin entwickelt sich eine Sequenz, die zum einen dadurch gekennzeichnet ist, dass die Interviewer Schröder immer wieder unterbrechen, um auf ihrem Wahrheitsanspruch zu insistieren, insbesondere in 191 und 196: ! " # $ % & * * * *! *" *# *$
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Zum anderen ist das nachdrückliche Bemühen Schröders erkennbar, sich mit den einzelnen Behauptungen bzw. Argumenten der Interviewer auseinanderzusetzen, wobei er wiederholt betont, dass es ihm um eine sachliche Klärung gehe (193–194, 208–211). Auffällig ist dabei, dass er auch wiederholt auf den Zweck des Interviews, der hier aus seiner Sicht in einer »Klärung« (209) liegt, verweist:
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Der hohe Grad der Orientierung am Konfrontationsprinzip erlaubt Schröder diese Klärung nur unter größten Schwierigkeiten. Auf die These, er hätte Steuererhöhungen beschlossen, und auf den damit im Raum stehenden Vorwurf der Wahlkampflüge kann er nur in Konkurrenz zu den Interviewern eingehen, die durch ständige Unterbrechungen seine Handlungsmöglichkeiten massiv beschränken. Im Hinblick auf das Publikum/die Zuschauer ist festzuhalten, dass eine der wichtigsten Funktionen eines politischen Interviews, nämlich die Information, hier nicht mehr erfüllt wird. Die Frage, ob denn tatsächlich Steuern erhöht wurden, lässt sich aus dem Dialog heraus nicht beantworten, da eine von Schröder immer wieder eingeforderte sachliche Auseinandersetzung nicht stattfindet. Bezeichnend dafür ist z. B., dass Schröders Argumentation in 214–219, die darauf abzielt, darzulegen, warum er die Wähler nicht getäuscht habe, mit einem Angebot begegnet wird, sich »darauf [zu] einigen«, dass der Wähler den »Eindruck« habe, er müsse »viel mehr Steuern zahlen«, was »der entscheidende Punkt« sei (222–226). Die geschilderten Beobachtungen werfen die Frage auf, inwieweit das Handlungsspiel zu diesem Zeitpunkt noch das für argumentative Interviews entscheidende Merkmal aufweist, das, wie herausgearbeitet wurde, in der Verfolgung eines modalen Wahrheitsanspruchs durch den (die) Interviewer besteht (vgl. Kap. 4.2.2). Fraglich ist also, ob hier bezüglich der These, die Regierung Schröder hätte Steuererhöhungen beschlossen, tatsächlich noch ein modaler Wahrheitsanspruch der Interviewer (im Sinne eines dass es so sein könnte) in Konkurrenz zu einem Wahrheitsanspruch Schröders steht, oder ob die Interviewer hier die Grenzen ihrer Rolle nicht insofern überschreiten, als sie einen einfachen Wahrheitsanspruch (im Sinne eines dass es so ist, vgl. Weigand 2003a), vertreten. Da außerdem auch die formale Frage-Antwort-Struktur aufgelöst ist, unterscheidet sich das Handlungsspiel kaum noch von einem einfachen Streitgespräch, bei dem sich die Kommunikationspartner gegenseitig ins Wort fallen. Die folgende Sequenz liefert einen Hinweis darauf, dass auch Schröder die Auflösung des Handlungsspiels in formaler wie funktionaler Hinsicht registriert und die Rückkehr zu einem geordneten Sprecherwechsels einzufordern versucht (242–243):
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Auch der Kanzler unterbricht den Interviewer nun massiv, so dass dieser in 252 explizit darauf hinweist, seine Fragehandlung vollständig beenden zu wollen. Schröders Reaktion in 254 zeigt daraufhin an, dass er die Äußerung Brenders funktional als nicht als Fragehandlungen interpretiert. Mit der Äußerung Schröders in 254 beginnt nun tatsächlich die Rückkehr zu einer Frage-Antwort-Struktur, die für den Rest des Interviews weitestgehend bestehen bleibt. Für diesen Argumentationsdiskurs bedeutet das jedoch nicht, dass die Interviewer damit von ihrem Wahrheitsanspruch abrücken würden: % & ' ( % & ' (
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Die These, dass Steuererhöhungen beschlossen worden seien, ist nun wieder in 256–257 als Präsupposition untergebracht und wird anschließend von Schröder erneut zurückgewiesen. Zu einer endgültigen Klärung der Frage, ob Steuererhöhungen beschlossen oder auch umgesetzt wurden, kommt es in diesem Interview letztlich nicht. Im weiteren Verlauf ist jedoch deutlich erkennbar, dass die Interviewer Schröder in der Folge der beschriebenen Eskalation deutlich mehr Raum zur Darlegung seiner Argumentation geben, so dass er sich in der Wahrnehmung der meisten Zuschauer sicherlich erfolgreich gegen zwei Journalisten in einem konfrontativen Interview durchsetzen konnte. Dass Schröder somit letztlich als eine Art Gewinner in diesem Interview wahrgenommen wurde, deutet die Reaktion der welt am darauffolgenden Tag an: Ja, was ist denn nun, Herr Schröder? So respektlos der Titel der zdf-Sendung, die keine Parteichefs, Kanzler oder Kardinäle kennt, sondern nur bürgerliche Nachnamen, so aufgedreht empfingen gestern Abend Nikolaus Brender und Thomas Bellut auch Gerhard Schröder. Ihre nicht gespielte, sondern von der Nachrichtenlage grundierte Aufgeregtheit traf auf einen Kanzler, der ihnen gelassen »das falsche Bild, das Sie von Deutschland zeichnen,« zurückreichte.
7.2.8 Zusammenfassung Bei dem Vergleich der beiden zum Typ der argumentativen Handlungsspiele gehörenden Interviews lässt sich vor allem ein wesentlicher Unterschied feststellen. Dieser betrifft den Grad der Orientierung am exekutiven Prinzip der Konfrontation. Beide Interviews wurden im Rahmen einer koordinativen Argumentation konfrontativ geführt. Die Interviewer verfolgten also den jeweils von ihnen gesetzten übergeordneten kommunikativen Zweck des Handlungsspiels in verschiedenen Argumentationsdiskursen. Dabei ließen sie ihren Interviewpartnern wenig bis keinen Raum zur Verfolgung eigener Ziele. Die Orientierung am Konfrontationsprinzip war jedoch in dem deutschen Beispiel wesentlich stärker ausgeprägt. Ein erster Grund hierfür mag bereits darin liegen, dass der Bundeskanzler sich zwei Interviewern gegenübersah. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass diese – zunächst verdeckt und später bisweilen offen – eigene einfache Wahrheitsansprüche vertraten. So geriet Schröder gleich zu Beginn des Interviews in die Rolle desjenigen, der sein Recht zu Antworten bisweilen ausdrücklich einfordern musste, da er immer wieder von einem der Journalisten unterbrochen wurde. Auch Schröder unterbrach im weiteren Verlauf des Handlungsspiels die Interviewer, was allerdings damit zusammenhing, dass die Interviewer eigene Behauptungen bisweilen offen vertraten und eine von
142 Schröder geforderte differenzierte Aushandlung der damit verbundenen Wahrheitsansprüche nicht zuließen. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass dem Zuschauer eine Antwort auf die eigentlich einfache Frage, ob denn nun Steuern erhöht worden seien, versagt bleibt. Hinsichtlich des für dieses Interview ermittelten übergeordneten Wahrheitsanspruchs, der sich auf die Proposition dass die Regierung Schuld ist an der Krise in Deutschland bezog, lässt sich eine Wandlung im Verlauf des Handlungsspiels feststellen. Konnte man zunächst noch von einem modalen Wahrheitsanspruch ausgehen (vgl. hierzu Kap. 4.2.2), so offenbarte sich im Verlauf des Interviews immer deutlicher, dass es den Interviewern weniger auf eine Klärung von Fragen im Rahmen argumentativer Diskurse als vielmehr auf die Durchsetzung eines einfachen Wahrheitsanspruchs ankam: Deutschland befindet sich in einer Krise, an der die Bundesregierung (und damit natürlich der Kanzler) die Schuld trägt. Damit wurden in diesem Interview, obgleich die formale Frage-AntwortStruktur in ihren Grundzügen gewahrt blieb, dennoch die Grenzen des Handlungsspiels überschritten. Die Gefahr, die sich mit einer solchen Überschreitung verbindet, hat Holly (1993) in der Analyse eines Interviews, das Fritz Pleitgen 1991 mit Helmut Kohl geführt hatte, bereits beschrieben: Wird ein Interviewer »einklagbar parteiisch«, so verliert er im Grunde seine Funktion, da er in dem entstehenden Streitgespräch nun um das Wort und die Themen ebenso kämpfen [muss] wie um die Überzeugungskraft seiner Argumente. [ . . .] Aus dem kritischen Interview, das den Politiker unter die Kontrolle der Öffentlichkeit bringen soll, wird so doch wieder eine potentielle Propagandaplattform, auf der der Politiker ziemlich ungehindert agiert (193).
Zwar lässt sich für das analysierte Interview nicht behaupten, Schröder hätte ungehindert seine Interessen verfolgen können; letztlich präsentierte er sich jedoch – dies deutet auch das Zitat aus der welt an – als Politiker, der auch in einer schwierigen Situation imstande ist, sich und seine Partei als handlungs- und durchsetzungsfähig auch gegenüber scheinbar parteiischen Medien zu präsentieren.
8 Fazit und Ausblick
Im Rahmen dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, das politische Interview auf der Basis der von Weigand entwickelten Theorie des dialogischen Handlungsspiels zu beschreiben und handlungsspielspezifische Prinzipien für diesen Typ institutionalisierter Dialoge aufzuzeigen. Das politische Interview wurde definiert als Formkategorie, die den Rahmen für unterschiedliche Handlungsspiele bildet. Die Vielzahl möglicher Handlungsspiele ließ sich dabei nach funktionalen Kriterien in zwei Basistypen gliedern. Abhängig von einem übergeordneten pragmatischen Anspruch, der jeweils vom Interviewer gesetzt wird, können Interviews als explorative Handlungsspiele von solchen, die ich als argumentativ bezeichnet habe, unterschieden werden. Diese Unterscheidung bildet einen innovativen Schwerpunkt dieser Arbeit, da damit die bislang in der Literatur überwiegend vertretene Auffassung, Interviews seien eine institutionalisierte Form des Dialogs, die vor allem durch eine funktional klar definierte Rollenverteilung gekennzeichnet ist, differenziert hinterfragt werden konnte. Zwar existiert eine Rollenverteilung aufgrund der institutionellen Voraussetzungen der Interviewpartner und aufgrund der relativ stabilen formalen Struktur des Interviews, jedoch greifen Analysen dann zu kurz, wenn sie auf der Ebene einzelner Äußerungen daraus a priori auch Zuordnungen entsprechender Handlungsfunktionen vornehmen. Viele Intervieweräußerungen sind funktional nicht als Fragehandlungen klassifizierbar, auch wenn sie in der interviewtypischen Frageform vollzogen werden. In der Regel kann eine Funktionszuschreibung erst mit Blick auf die Komplexität des ganzen Handlungsspiels vorgenommen werden. Die Einzeläußerung erhält ihre Funktion demnach in ihrer aktuellen Verwendung mit Blick auf einen übergeordneten pragmatischen Anspruch des Handlungsspiels. Die auf dieser Ebene vorgenommene Unterteilung in explorative und argumentative Interviews hat sich dabei als tragfähig erwiesen. Explorative Interviews, so wurde gezeigt, sind von einem übergeordneten Wissensanspruch dominiert, während der Interviewer in argumentativen Handlungsspielen einen übergeordneten modalen Wahrheitsanspruch vertritt. Diese Unterteilung gilt für deutsche und britische Interviews. Die Beobachtung, dass Interviews auf der Handlungsebene bei weitem nicht immer wohlkoordinierte Frage-Antwort-Spiele, sondern bisweilen in hohem Maße argumentative Auseinandersetzungen darstellen, lässt sich mit Hilfe des zumeist angewandten konversationsanalytischen Methodeninventars nur unzureichend erklären. Die Beschränkung auf vornehmlich formale Spezifika der Dialogführung hat zwar einerseits eine Reihe interessanter und wichtiger Beobachtungen ergeben, jedoch fehlt, wie ausgeführt wurde, die Einordnung dieser Beobachtungen in einen konsequent funktionalen Zusam-
144 menhang. Schließlich treten die Interviewpartner nicht in einen Dialog, um durch die Orientierung an einem bestimmten turn-taking system und anderen gesprächstypischen Anforderungen das hervorzubringen, was die Zuschauer dann als Interview wahrnehmen. Vielmehr ist das Interview ein Vehikel für die Verfolgung institutionell bedingter Interessen, und diese verlaufen bisweilen entgegengesetzt. Um diesem komplexen Zusammenhang gerecht werden zu können, bot sich für diese Arbeit die Methodologie an, wie sie in der von Weigand entwickelten Theorie des dialogischen Handlungsspiels beschrieben wurde. Die den Analysen zugrunde liegende Einheit ist demnach die des Handlungsspiels, das als eine kulturelle Einheit verstanden werden muss. Wie sich gezeigt hat, gelten die von Weigand formulierten konstitutiven und regulativen Prinzipien auch für das politische Interview. Eine Weiterentwicklung der Theorie erfolgte im Bereich der exekutiven Prinzipien. Die Beschreibung des Interviews in der Theorie des dialogischen Handlungsspiels und die Erläuterung der exekutiven Prinzipien bildete den zweiten Schwerpunkt der Arbeit. Diese Prinzipien sind, wie gezeigt wurde, unterschiedlicher Natur. Zum einen betreffen sie die Strukturierung des Handlungsspiels (vgl. das Prinzip der koordinativen Argumentation in Kap. 4.3.6.1), zum anderen stellen sie die von Weigand (2000: 8) so genannten »technique[s] of orientation« dar, geben den Dialogpartnern also die Möglichkeit, zum einen durch den Einsatz geeigneter kommunikativer Mittel eigene Ziele zu verfolgen, ermöglichen es ihnen zum anderen aber auch, die Strategien des Kommunikationspartners zu erkennen und sie ggf. zu durchkreuzen. Zwei sehr wichtige exekutive Prinzipien sind in diesem Zusammenhang die der Kooperation und der Konfrontation, die vor dem Hintergrund des von Weigand (demn. a/b) formulierten regulativen Prinzip der Rhetorik verstanden werden müssen. Der damit beschriebene Ausgleich zwischen den eigenen Interessen und denen des Kommunikationspartners findet in Interviews unterschiedlich statt. Politische Interviews sind heute häufig durch eine starke Orientierung der Interviewer am Prinzip der Konfrontation geprägt. Diese Tendenz lässt sich sowohl in deutschen als auch in britischen Interviews feststellen. Dies mag zum einen daran liegen, dass Politiker Interviews zunehmend als Gelegenheit zur Verfolgung ihrer jeweiligen Interessen nutzen, zum anderen aber auch daran, dass konfrontative Interviews, da sie immer auch das Element des Widerstreits zweier Antagonisten enthalten, unterhaltsamer für das zuschauende Publikum sind. Inwieweit damit bisweilen die Funktionen der Information oder Meinungsbildung beeinträchtigt werden, wäre in jedem Fall eine eigene Untersuchung wert. Viele Interviews – in den Massenmedien Deutschlands wie in Großbritanniens – scheinen heute bereits oft ihren Zweck in der Inszenierung unterhaltsamer Konfrontation zu finden. Generalisierungen sind hier jedoch unmöglich. Wie auch schon Clayman/Heritage (2002) bei ihrem Vergleich britischer und amerikanischer Fernsehinterviews feststellten, sind
145 Unterschiede nicht so stark zwischen den Kulturen als vielmehr zwischen individuellen Journalisten und ihrem Stil der Dialogführung zu finden. An dieser Stelle sollen nicht noch einmal sämtliche ermittelten exekutiven Prinzipien aufgeführt werden. Erwähnt sei jedoch noch einmal das mehrfach aufgezeigte Referenzprinzip, vor allem, weil an diesem Prinzip deutlich wird, wie die Beobachtung eines Phänomens abhängig vom Erkenntnisinteresse unterschiedlich gedeutet werden kann. Interviewer, so wurde mehrfach gezeigt, stützen sich häufig auf Zitate Dritter, seien es andere Politiker, Wirtschaftsfachleute oder Experten anderer Provenienz. Wie in den Analysen gezeigt wurde, dient dies vor allem in Interviews des argumentativen Typs zur Stützung spezifischer Thesen und damit auch der Verfolgung übergeordneter pragmatischer Wahrheitsansprüche. Das Referenzprinzip ist in dieser Arbeit somit eines von mehreren exekutiven Prinzipien der Argumentation. Genau entgegengesetzt wird das gleiche Phänomen in konversationsanalytischen Studien gedeutet: Hier dient es als eindeutiges Indiz dafür, dass Interviewer keine eigenen Standpunkte vertreten, da ihnen ihre Rolle und ihr Berufsethos die Wahrung der Neutralität gebiete (vgl. Clayman 1992; Clayman/Heritage 2002). Die Analysen haben jedoch gezeigt, dass Interviewer sehr wohl eigene Standpunkte vertreten, auch wenn es nicht ihr Ziel ist, diese auch tatsächlich durchzusetzen. Der Grund für die problematische Annahme, Interviewer verhielten sich neutral, hängt mit einem für eine freie Presse grundlegenden Berufsethos und der journalistischen Pflicht zur ausgewogenen Berichterstattung zusammen. Ziel ist es, einer objektiven Berichterstattung möglichst nahe zu kommen. Zu fragen ist jedoch, ob dies in Interviews allgemein und insbesondere in Interviews des argumentativen Typs möglich ist. Hier hat der Vergleich des englischen und des deutschen Beispiels einen wichtigen Hinweis geliefert. Obgleich in beiden Interviews Wahrheitsansprüche von den Journalisten vertreten wurden, entspricht das englische Interview dem Anspruch der Ausgewogenheit in der Meinungsdarstellung wesentlich mehr als das deutsche. Die Ursache hierfür liegt jedoch hauptsächlich in der stärkeren Orientierung der deutschen Interviewer am Konfrontationsprinzip. Der Interviewte hatte hier wesentlich weniger Raum zur Verfolgung seiner kommunikativen Interessen, als dies in dem englischen Beispiel der Fall war. Auch diesbezüglich lassen sich jedoch keinen Verallgemeinerungen dahingehend vornehmen, dass deutsche Interviews konfrontativer geführt werden als englische. Für Interviews des explorativen Typs ergibt sich mit Blick auf das dieser Arbeit zugrunde liegende Korpus eher eine entgegengesetzte Tendenz. Entscheidend ist allerdings die Erkenntnis, dass Objektivität, die ja ohnehin nur als ein Ideal gelten kann und als solche nie sprecherunabhängig existiert, nicht dadurch gewährleistet wird, dass Interviewer auf das Vertreten eigener Wahrheitsansprüche verzichten. Argumentative Interviews sind also per se nicht, wie man zunächst meinen
146 könnte, weniger geeignet, dem Ideal eines um Objektivität bemühten Journalismus zu entsprechen. Viel mehr kommt es darauf an, wie der Ausgleich zwischen den kommunikativen Interessen der Interviewpartner gelingt. Das regulative Prinzip der Rhetorik, das sich für das politische Fernsehinterview im bereits erwähnten exekutiven Prinzip der Konfrontation bzw. Kooperation konkretisiert, spielt hier die zentrale Rolle. Wichtig ist tatsächlich ein Ausgleich kommunikativer Interessen. Wie sich in dem deutschen Interview des explorativen Typs gezeigt hatte, bewirkt eine zu starke Orientierung des Interviewers am Kooperationsprinzip, dass Politiker das Handlungsspiel zu ihrer Bühne machen. Andererseits bewirkte eine zu starke Orientierung am Konfrontationsprinzip, dass die Grenzen des Interviews überschritten wurden. In jedem Fall wird dann das Ziel journalistischer Objektivität verfehlt. Wie letztlich der Zuschauer ein Interview wahrnimmt, hängt natürlich auch entscheidend von dessen individuellen Voraussetzungen ab. Untersuchungen zu Medienwirkungen (z. B. Früh/Wirth 1991) haben hier bereits eine Reihe sehr interessanter Erkenntnisse geliefert. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass die Entscheidungen eines Interviewers, ob er das Interview als ein exploratives oder argumentatives Handlungsspiel gestaltet, in welchem Maße er die divergierenden kommunikativen Interessen im Dialog austariert, und inwieweit er auch sein eigenes Handeln mit Bezug auf den kommunikativen Zweck des Interviews hinterfragt, eine zentrale Rolle spielen. Indem in dieser Arbeit eine Reihe von exekutiven Prinzipien für politische Interviews beschrieben und in Analysen nachgewiesen wurden, ist ein Schritt dahingehend getan worden, die Komplexität des politischen Interviews transparent zu machen. Wenn, wie eingangs mit Schmidt (1994: 14) formuliert wurde, die Massenmedien zu »Instrumenten der Wirklichkeitskonstruktion« geworden sind, so hoffe ich, durch die Untersuchung eines dieser Instrumente dazu beigetragen zu haben, einige wesentliche Voraussetzungen für diesen Konstruktionsprozess besser zu verstehen.
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