Heinrich Waser: Ein Drama in fünf Aufzügen mit Gesängen [Reprint 2019 ed.] 9783111479453, 9783111112497


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Heinrich Waser: Ein Drama in fünf Aufzügen mit Gesängen [Reprint 2019 ed.]
 9783111479453, 9783111112497

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Heinrich Was Ein Drama in fünf Anzügen mit Gesängen

von

Ludwig Spach.

----------------- ooo§§OOo

Ztraßburg,

Verlag von Karl I. Trübn er. 1875.

Heinrich Maser. Ein Drama in fünf Aufzügen mit Gesängen.

Personen. Heidegger, Bürgermeister von Zürich. La Vater, Prediger und Rathsherr in Zürich. Salomon Geßner, Rathsherr in Zürich. Landolt, Kanzler und Stadtarchivar in Zürich.

Heinrich Maser, entlassener Pfarrer von Kreutz bei Zürich. Schlözer, Geheimerath und Professor in Göttingen.

Dora, seine Tochter. Jeremias Oberlin, Professor in Straßburg. Röderer, Juwelier in Straßburg.

Schnitz, Gehülfe des Archivars von Zürich.

Aenneli, Masers Dienstmagd. Jakob, Saknstan und Diener Lavater's.

Ein Gerichtsschreiber. — Straßburger Studenten. — PedeÜe. Zürcher Schiffer. — Zürcher Schaarwache.

Zeitpunkt: Dezember 1779 bis Ende Mai 1780.

Schauplatz: Straßburg und Zürich.

Arster Ick.

Erste Scene. Zimmer bei Hofjuwelier Röderer.

Professor Oberlirr und Roederer treten auf, jeder einen offenen Brief

in der Hand haltend.

Oberlin. Es trifft, wie ich's euch sagte, Gevatter Hofjuwelier! Heideggers Brief giebt schlechte Aus­ kunft über Wafer. Röderer. Das wäre! Sonderbar! Da hab' ich einen Brief von Lavater, der sagt gerade das Gegentheil. Wafer ist sehr gut bei unserem geistlichen Freunde angeschrieben. O-berlin. Nichts für ungut, Herr Gevatter! Das Urtheil des Zürcher Bürgermeisters, des gewiegten Geschäftsmannes, fällt, bei mir wenigstens, zehnmal schwerer ins Gewicht, als die Ansicht des prophetischen Schwärmers. Lavater liest sehr genau in den Sterilen und versteht die Offenbarung Johailnis, aber den Charakter eines Menschen

Röderer.

Ick dächte, der Verfasser der Phy­

siognomik verstände es auch, im Gemüthe der Men­ schen lesen. Oberlin. O ja! die natur mag er kennen; aber Fall, über den und den steht der Ochs am Berge. Optimist.

Menschen, dieMenschen-

gilt es, über den und den Menschen zu urtheilen, da Lavater ist nachsichtig und

Röderer. Nicht im geringsten; unsere sündige Natur ist ihm ein Gräuel, und wie unsere Brüder­ gemeine sucht er vor allem Gnade dort, wo allein Gnade zu finden. Oberlin (lächelnd). Wir gehen von unserem Wege weit ab, Herr Gevatter. Bitte, wie erklärt Euer geist­ licher und geistreicher Freund die Anwesenheit Masers

in Straßburg? Wie erklärt er absonderlich die Un-, gnade, in die er beim Rathskollegium und dem Pres­ byterium in Zürich verfallen ist; denn das läßt, sich nun einmal nicht ableugncn; Wafer war Pfarrverweser in Kreutz bei Zürich, und er ist es nicht mehr . . . . er war hochgeachtet und ist nun verklagt und ange­ feindet; er war ein glücklicher junger Familienvater und ist nun verwittwet, und seine Frau liegt vom Kummer geknickt, im frühen Grabe. Röderer. hören? . . .

Oberlin.

Wollt Ihr nicht Lavaters Brief an­

Das ist ganz überflüssig;

gebt mir

den Kern und Inhalt; ick schenke Ellch die biblische Verzierung. Meine Zeit ist gegenwärtig kurz zuge­ messen; Schlözers Aufenthalt ....

Röderer

(ihn

und seiner

unterbrechend)

Tochter Doktoren-Disputation giebt Euch, ich weiß es, mancherlei zu schaffen. Oberlin

Dora

(mit kaum unterdrückter Verlegenheit).

Schlözer wohnt unter Eurem gastlichen Dache, nicht

Ihr widmet dem

in meiner Junggesellen-Herberge.

lieben Kinde vermuthlich mehr Zeit als ich

Röderer.

Meine Frau, meine Kinder, ja! Ich

mische mich nicht in das Hauswesen.

Und was ent­

hält denn Bürgermeister Heideggers Brief an Euch? Oberlin.

Einen kurzen Rückblick auf Wafers

Biographie als Pastor. Röderer.

Nun,

was hat

denn der Arme so

Schweres begangen? Oberlin.

Aus unerklärlicher Ränkesucht,

aus

Haß gegen den Verweser der Pastoralgüter und Kassen hat er solchen des Unterschleifs angeklagt. Nach strenger

Untersuchung wurde die Anklage null und nichtig und kalumniös erklärt, Maser zu einer bedeutenden Geld­ strafe als Ehrenersatz verurtheilt, und

kurz und gut

genöthigt, sein geistliches Amt niederzulegen.

Das ist

offenkundig und wird auch voll den Freunden. Masers zugestanden.

Röderer. an.

Lavater sieht das mit andern Augen

Glauben wir ihm,

so hat Maser nicht so ganz

ins Blaue geredet, unb die Verwaltung der öffentlichen Gelder in unserer ehemaligen

werthen

Bundesstadt

Zürich läßt viel zu wünschen übrig. Oberlin.

Vor Gericht hat der

Gewinnende

Recht, und der Derurtheilte hat zu dem Schaden noch

den Spott; das ist nun einmal in dieser imperfekten

Welt nicht anders . ..

Thut mir leid, bei dieser Ge­

legenheit nicht gefällig zu sein . . . Masers Gesuch um eine etwa erledigte Pfarrstelle im Elsaß wurde hier

schlecht ausgenommen.

Röderer. Das heißt, Ihr wollt kein Wort für

ihn einlegen. Oberlin.

Ich kann nicht. Warum bringt Ihr

ihn nicht in Euerer Brüdergemeine unter Dach und

Fach.

Röderer.

Recht gern,

wenn er sich in unserer

Misston anwerben ließe.

Oberlin.

Nach Grönland oder zu den Hotten­

toten zieht Maser nicht,

dafür steh' ich.

Er ist ehr­

geizig und liebt Egyptens Fleischtöpfe.

Röderer.

Ihr seid

witzig und etwas boshaft,

wie immer. Oberlin.

sichtig.

Und Ihr, Gevatter, kurz- und nach­

Doch still, da kommt Euer Gast.

Zweite Scene. TlchlSzer, die Vorigen.

Schlözer.

Guten Morgen,

lieber Professor;

guten Tag, Freund Röderer .... ihr beide, schon mit

Briefen in der Hand Geschäften?

früh auf, und schon in

Unsere Briefe betreffen Euere Ange­

Röderer.

Lavater

legenheit, hochgeehrter Freund!

giebt mir

günstige Nachricht über Maser; Professor haben minder Angenehmes zu berichten .... Wollen Herr Geheime-

rath nicht

Einsicht

nehmen?

(Beide übergeben Schlözer die

Briefe, die sie bis dahin in der Hand gehalicn.) einen flüchtigen Blick hineingeworfen).

Schlözer (nachdem er

Großen Dank, meine Besten, für die Bemühung; ich werde mir die Sache des näheren überlegen. Ich habe

indeß den Pfarrer Maser hierher beschieden; er gefällt mir;

zu meinem Zwecke

ist mir Lavaters Zeugniß

hinreichend. Oberlin

(macht eine mißliebige Bewegung).

Nichts für ungut, lieber Professor;

Schlözer.

ich

danke nochmals für Ihre Vermittlung; sie wird

jedenfalls den Grad des Zutrauens bestimmen, den ich dem Zürcher Pfarrer zu schenken habe.

Sie nicht,

Vergessen

Oberlin.

daß Sie und

Dora, um eilf Uhr, die Deputation der Universität zu

empfangen haben. Die Auszeichnung ist für Dora und

Schlözer.

für mich so erwünscht als schmeichelhaft. Wie? glauben Sie, daß uns die bezeichnete Stunde entfallen,? Dora ist jetzt schon gerüstet und geschmückt.

Oberlin.

ich

Darf

machen? Schlözer.

Sie

ihr

werden

meine ihr

Aufwartung

als

erwünschter

Studienpathe willkommen sein. O berlin

gunst;

(zu Röderer).

führt mich

Hauses Labyrinth.

Herr Gevatter,

mit Ver-

die Wege llnd Stege in Eures

Röd erer. Die würde Euch irgend einer der Heiden­ götter, die ihr so sehr verehrt, auch ohne mich weisen. Indessen kommt.'

(Röderer und Oberlin ab.)

Dritte Scene. SchlSzer, allem. (Er durchläuft noch einmal die Briefe.)

Heideggers Schreiben ist in der That nicht günstig. Doch, nur desto besser sür mich. Maser hat auswär­ tige Unterstützung vonilöthen. Er muß mir, nolens volens, in die Hand arbeiten; es wird aus ihm ein

trefflicher amanuensis zu schnitzen sein.

Vierte Scene. Wafer (tritt schüchtern herein).

Schlözer.

Maser. Um Vergebung, hochgeehrter Herr Geheimerath, daß ich so frühe .... Schlözer. Durchaus nicht, lieber Herr Pfarrer! — Durchaus nicht! Ihr kommt zu anberaumter Stunde. Etwas später wäre ich mit meiner Tochter

in Anspruch genommen. Maser. O, ich weiß! Gestern Abend wohnte ich der Disputation im Oratorium bei. Wie gedrängt

voll war der weite Raum!

Ich komite mir keinen

Durchgang mehr erzwingen. Wie gerne hätte ich Ihnen, Verehrungswürdiger, und der Frärüein Tochter meine Huldigung dargebracht. Aber mit Demon­ strationen solcher Art stnd Vater und Tochter schon

überhäuft; ich hätte nur einen Tropfen Wasser in ein übersprudelndes Fontänebecken gettäufett. Sch löze r. Nicht doch, mein junger Freund, nicht doch! Für meine Tochter kommen solche geistreich ge­ würzte Tropfen immer erwünscht. Auch heute Morgen kommt ihr nicht zu spät; sie wird es Euch zu Danke wissen.

Maser. Wenn ich das hoffen dürste! Es wäre ein allzuschöner Morgen nach trübep Nacht.

Schlözer. Ihr seht in der That etwas mißmuthig drein, Freund Waser. Was ist Euch denn so Widerwärtiges begegnet? Waser.

Nichts Unerwartetes.

Ich kam hieher,

nicht ganz austs Gerathewohl, weil ich Sie zu treffen hoffte; aber die Aussichten, die mir Lavater gab, und die mir gleich etwas nebligt erschienen, die stnd nun ganz in Duft verhüllt. Professor Oberlin fcebeutete

mir gestern Abend, ich könne hier auf keine Anstellung zählen. — Der Anblick Ihrer reizenden Tochter, der Klang ihrer wunderbaren Stimme, die Gedanken, die sie in ihrer meisterhaften Rede über Olympia Morata ausgeprägt, halten mich in den siebenten Himmel er­ hoben; Oberlins apodiktisches: Nein! das er nickt einmal mit dem, was die Franzosen hier eau benite de conr heißen, zu versüßen suchte, das herrische Nein warf mich hinab in einen bodenlosen Abgrund.

Schlözer.

Oberlin

es ihm zu Danke wissen.

mit eitler Hoffnung.

ist aufrichtig;

Ihr solltet

Er will Euch nicht speisen

Er packt nun einmal die Men­

schen etwas unsanft an, gerade wie seine Antiquitäten,

wenn er sie aus Schutt und Stein herausgraben läßt.

Ihr wart wohl bei der letzten Operation in Königs­ hoffen ? Nicht doch!

Maser.

Was ! Ihr habt den niedlicheil Votiv­

Schlözer.

altar nicht gesehen,

der jetzt in Schöpflins Museum

prangt?

Maser.

Mir stände besser an, selber zu allen

Göttern zu beten.

Haben Euer Hochwohlgeboren an

intd) zu denken geruht? Schlözer. Ganz gewiß! Ich denke, wir können

uns gegenseitige Dienste leisten.

Ihr kennt, denk' ich,

mein halbpolitisches Unternehmen? — Wie sollte ich nicht?

Maser.

Sie haben uns,

Herr Geheimerath, das Alterthmn und den Norden Europas erschlossen, ein neues Panier auf dem unend­

lichen Felde der Wissenschaft aufgepflanzt. Zu meiner täglich sich häufenden Ar­

Schlözer.

beit brauche ich jugendliche Kräfte.

Ihr könntet mir,

glaub' ich, dabei zu Handen gehen.

Maser.

So wenig oder so viel ich kann,

Nur

sehe ich nicht ein, wo und wie?

Schlözer.

Die Verhältnisse in Zürich und einem

Theil der Schweiz sind Ihnen wohl bekannt. — Nicht

auf den Norden Europas allein beschränke ich meine Forschung;

auch der Süden ist mir willkommen. Wo

absonderliche Regierungsformen bestehen, gilt es,

mit

Heller Fackel solche zu beleuchten. Die Staaten Europas befinden sieb an einem bedeutenden Wendepunkt ; unge­ heure Ereignisse stehen bevor; sie sollen uns nicht unerwartet treffen; auch das Veraltete, jetzt noch mit einem Scheinleben sich Hinschleppende, hat ein Riecht auf die Nachwelt, wenigstens in schriftlichem Gedächtniß

überzugehen. Meine Korrespondenznachrichten sollen zum-Archive werden, das solche Abnormitäten aufbewahrt. Wollt Ihr mein Mitarbeiter sein?

Maser. Wie sollt' ich, durch Ihr Zutrauen be­ ehrt, nicht gerne Hand anlegen? Doch erlauben Sie mir die Wiederholung meiner obigen Frage: Wo und Wie? Schlözer. Sie stehen wohl, als geborner Zürcher, mit dem Geheimschreiber des Stadtrathes, mit Archivar Landolt in Verbindung? Maser. Landolt ist mein Freund. Schlözer. Desto besser. Sollten Sie nicht, durch seine Vermittlung, Einsicht in die Register er­ halten? Maser. Ich habe selber im Archiv für per­ sönliche Forschung, zu kirchengeschichtlichem Zwecke, ge­

arbeitet. Schlözer. Desto besser. Würde Ihnen Ihr Freund nicht über dies und das, über Verwaltung, Finanzen, Kriegswesen, Dokumente mittheilen, zu aus­ wärtiger Benutzung? Maser. Nicht wohl! Ich glaube kaum, daß es sich mit seinem Amt und mit geleistetem Eide ver­ tragen sollte. Vielleicht, wenn ich ihm andeütete, zu welchem Zwecke und für wen. Der Name Euer

Hochwohlgehoren wäre vermuthlich eine hinreichende Empfehlung. Schlözer. Nicht doch! Das wäre er gewiß nicht! Es wäre dies vielleicht ein großes Hinderniß. Wafer. Kaum sollte ich's glauben. Schlözer. Man würde meiner Absicht miß­ trauen. Meine Absicht ist redlich und rechtlich. Ich glaube, man leistet jeder Regierung keinen geringen Dienst, wenn man auf Abstellung der Mißbrauche hinarbeitet. Aber in solchem Falle gilt das Wort des Evangeliums: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Wafer. Sie wünschten also? .... Schlözer. Mittheilungen, sub rosa. Maser. Was ich, ohne Indiskretion gegen meinen Freund .... aber es wird nicht wohl gehen. Veröffentlichen Sie., wie natürlich, solche Notizen, so steigt man zu der Quelle hinauf; verheimlichen ließe sich am Ende nichts. Schlözer (kalt und abbrechend). Das ist Ihre Sache, mein werther Herr Pfarrer. (Bedeutsam) Ich glaubte Sie aus temporärer Verlegenheit zu ziehen; Sie haben als Familienvater Pflichten zu erfüllen. . . Wafer. Woran mahnen Sie mich? . . . unselige

Lage! . . . Schlözer. Die Sie verbessern können Macht man Ihnen in Zürich das Leben allzuschwer, und finden Sie hier in Straßburg keine Auskunft, so ziehen Sie nach Göttingen.

Maser. Welche Aussicht eröffnen Sie mir, gü­ tigster Herr Geheimerath! Sollte nicht allsobald. . .

Schlözer (kaly. Meine Andeutung ist eventuell und bleibt der vorläufigen Erfüllung meiner Wünsche untergeordnet. Sie wollten vorhin meiner Tochter ihre Aufwartnng machen, da kommt sie selber.

Fünfte Scene. Dora Schlözer.

Wafer.

Schlözer.

(Dora tritt herein, in schwarzer Sammetkleidung, mit einer FlormantiÜe, um den Hals einen Perlenschmuck, silberne Armspangen. — Wafer »nacht eine stumme Verbeugung, Dora erwidert solche mit einer leichten Be­ wegung des Kopfes; sie eilt auf ihren Vater zu, und beut ihm ihre Stirn zum Kuß.)

Dora. Guten Morgen, gnädigster Vater! . . . . Wohlgeruht?

Schlözer. Wie ein Dachs! Der relative Müßiggang mundet trefllich. Deine gestrige Ovation verjüngt mich. Dora. So? ... . Der Antheil an mir macht Sie schlaftrunken? Bei mir gerade das Gegentheil. Ich war die ganze Nacht über fieberhaft aufgeregt. (Sie erblickt,

zufällig

die Augen

aufschlagend,

den

Zürcher Pastor.)

. . . Nicht doch, was sage ich da ... es muß gestern in der Nähe eine Ballgesellschaft. . . rollten doch die Karossen bis um vier Uhr Morgens vor meinem Fenster; die Fackelträger warfen ihren Schimmer durch die geschlossenen Gardinen. Was war das, Vater?

Wissen Sie's? Schlözer. Nun, der Intendant, Herr de la Galaiziöre wohnt ja in der Nähe. Sagten Dir das nicht gestern Abend Deine Cousinen?

Dora.

Die lieben Kleinen! sie waren zu Bette,

als wir aus dem Auditorium nach Hause kehrten. — Herr Vater, über der plaudernden Tochter vergessen

Sie Ihren Besucher.

(Sie wendet sich

mit

einer

verbindlichen

Bewegung gegen Maser.)

Maser.

Nicht doch, geehrtes Fräulein! Wer ge­

würdigt ist, Ihre liebe Stimme zu hören,

verlangt'

nach keiner andern Unterhaltung.

Dora. zu sprechen.

Sie kamen doch, um mit meinem Vater (Macht Miene, sich zu entfernen.)

Schlözer.

Nicht

wohl die Sache

führen.

doch,

liebe Dora!

des Zürcherredners

Herr Pfarrer

Wafer

Ich muß

für ihn selber

ist Deinetwegen

da.

Dir macht er seine Aufwartung; Dein gestriger Vor­

trag hat ihn dermaßen bezaubert .... doch er sagt Dir's lieber selbst. Daun magst Du ihm, so gut

und besser als ich, mittheilen, wie wir zusammen zu arbeiten pflegen.

aus Zürich. wünscht.

Herr Maser verspricht mir Beiträge

Laß ihn

wissen,

wie

mir

solche er­

(Er entfernt sich.)

Sechste Scene. Dora. Wafer.

Dora.

Sehen

Sie sich,

vernehme mit Freuden,

daß

geehrter Herr!

Ich

Sie meinem Vater in

feiner Riesenarbeit beizustehen gedenken.

Mein Vater

altert, und beladet sich übermäßig. Maser.

Sie stellen mir die Aufforderung des Ge-

heimeraths in ein günstigeres Licht als er selber gethan.

Wie so? Maser. Daß ich es Ihnen nur eingestehe, Gnädigste, was Herr Professor Schlözer von mir ver­ langt, hängt vielleicht nicht ganz, wie er es dachte, von meinen Kräften ab, und doch wäre ich überselig, mit ihm, mit Ihnen dadurch in nähere Verbindung. . . Dora. Was erwartet mein Vater von Ihnen? Maser. Die Benutzung des geheimen Zürcher Staatsarchivs. Dora. Nun denn? . . . Maser. Sie kennen wohl nicht die engherzigen Verfügungen meiner Vaterstadt? Dora. Wie sollte ich? Die Schweizerverhält­

Dora.

nisse sind mir völlig fremd. Maser. Wir leben, so heißt es draußen in der Welt, unter republikanischer Verfassung. Die Form ist der Art, aber der Kern?! . . . Dora. Nun, der Kern? — aristokratisch, nicht wahr? wie in mancher griechischen Republik. Wafer. Sie verstehen mich, Fräulein. Die Ge­ schichte der Vergangenheit erklärt Ihnen die Geschichte der Gegenwart. Das Zürcherregiment ist in der Hand einer abgegrenzten Zahl von Familien. Der Patrizier­ stolz kommt dem des alten Adels gleich. Das Land­ volk lebt in tiefster Untertänigkeit der Stadt gegen­ über, und in der Stadt selbst abgeschlossene Familien­ zirkel, die sich konzentrisch um einen Mittelpunkt sammeln, wovon Macht und Einfluß ausströmt. Dora. Wie kommt das? Ihr Name, dachte ich, hat keinen Übeln Klang. Man rühmte mir Ihr Talent,

als Prediger.

Maser.

Ich stamme aus einer eingewanderten

Familie. Ich kam durch des milden Lavaters und des liberalen Geßners Gunst zu meiner Stelle,

wurde angefeindet und verlor sie.

Dora

(teilnehmend).

Sie sind verheirathet?

Wafer. Meine junge Frau starb vor Gram. Ich habe sie vor. wenig Monaten auf einem herrlichen beigesetzt. Geßnerische Quellen murmeln dort am Bergesabhang, Tannen rauschen darüber hin. Es ist ein idyllisches Paradies für die Todten. Mir bleibt ein mutterloser Knabe. Dora (gerührt). Wie alt?

Friedhof

Maser. Zwei Jahre. Der Knabe lächelt immer­ fort — der Vater ist zermalmt, zerknirscht. Ein oder zwei Sommer währte feilt Glück, und auch das nicht ungetrübt.

Dora. Es giebt Väter und Mütter, die nicht Einen günstigen Frühling zählen. Man spricht nicht umsonst von Flitterwochen. Sie gehören vielleicht noch zu den Bevorzugten, Glücklichen. Es giebt Jüng­ linge und Mädchen,

die nicht einmal Flittertagen

entgegengehen. Maser. Aus Ihrem Munde das zu hören, mein Fräulein! . . . Erlauben. Sie mir, daß ich staune. Sie, die gefeierte Dora Schlözer! Sie, das Wunder­ kind! Feenhaft ausgestattet mit allen Vorzügen des Geistes und gewiß auch des Herzens! Sie, im Schooße der Musen aufgewachsen ....

Dora. Bitte, Herr Pfarrer, verfallen Sie ja nicht, mir gegenüber, in die Mythologie; die heidnischen

Symbole verfolgen mich schon genug in meiner täg­

lichen Beschäftigung ....

Maser.

Die Ihnen doch nicht unerwünscht ist,

nicht so zu sein scheint. frühen,

Sie beschämen ja mit ihrem

leicht aufgefaßten Wissen bejahrte,

in den

Studien gebleichte Häupter.

Meinem Vater zu Gefallen.

Dora.

leichter um's

Herz,

wenn ich

Mir wäre

den gelehrten Kram

zum Fenster hinauswerfen dürfte, um mir und meinen Freunden zu leben.

Wafer.

Und das dürfen Sie nicht?

nicht wollen, Gnädigste.

Weil Sie

Der rauschende Beifall, der

Ihnen gestern Abend von der versammelten franzö­

sischen und deutschen Gesellschaft gezollt wurde,

wie,

er sagte Ihrem Geiste nicht zu? . . .

Ich bin nicht unempfindlich gegen den

Dora.

Beifall. Wenn ich es meinem Vater zu Danke mache, wenn

er

in

seiner

Tochter

fich geehrt

fühlt,

das

schmeichelt auch meiner Eigenliebe, aber . . -

Wafer.

O, ich verstehe! . .

. Sie sehnen sich

nach dem stilleren Beifall einer vertrauten Seele. Und

der sollte Ihnen entgehen?

Auf einen Blick Ihrer

Augen, auf einen Druck ihrer Hand . . .

Ja wohl! Die Tochter des Geheimeraths

Dora.

Schlözer,

das weiß ich,

fände nicht unschwer eigen­

süchtige Schmeichler und Bewerber;

sie würde zum

Fußschemel für einen Göttinger Universitätskatheder.

Ich kenne die Männer, junge und alte. Maser.

In früher Jugend,

Ich beklage Sie, mein Fräulein. unwillkürlich ein.

diese Erfahrung! Sie schüchtern mich

Wie darf ich's künftighin wagen,

2*

Ihnen die geringste Bewunderung zu zollen; Sie sähen darin nur eine Berechnung. Dora (sieht ihn ernsthaft und durchdringend an). MitJhnen stände es besser. Sie sind durch den Kummer ge­ prüft. Seitdem meine Mutter im Grabe, bin ich hellsehend und besser. Wir können uns die Hand reichen. Aber so kommen wir unerwartet ab von unserem Ziele. Sie können also meinem Vater nicht wohl zu Handen gehen? Maser. Ich setze Sie selber auf den Richterstuhl. Darf ich Ihrem Herrn Vater und der Wissenschaft zu Liebe das Zutrauen eines Freundes mißbrauchen? Dora.

Wie so? — das wohl nicht,

das ver­

langt mein Vater wohl nicht von Ihnen. Maser. Er denkt, ich könnte durch den Zürcher Rathsarchivar Dokumente erhalten, die für seine poli­ tische Korrespondenz tauglich.

Dora. Sie haben meinen Vater gewiß miß­ verstanden. Er kann nichts wollen, das irgend einer Pflicht zuwiderliefe. Aber was sich, unbeschadet der Rechtlichkeit, durch Fleiß und Eifer thun läßt, die Kopie von unverfänglichem Antiquitätenquark, oder statistische Zahlen, das ist Wasser auf meines Vaters Mühle. Weiß ich doch, wie er's in dem starren, eisbepanzerten Rußland anpackle, um seine Wißbegierde zu befriedigen. Glauben Sie mir, mein Vater ist er­ kenntlich, auch für mäßige Leistung. Nimmt er doch mit meinen Excerpten vorlieb. Schlagen Sie nicht rundweg ab, und besprechen Sie, besehen Sie selber in Zürich das Nähere.

Maser. Sie gießen Oel in eine erlöschende Lampe. Dank für Aufmunterung, Trost und Vermitt­ lung. Es dürften also meine Notizen durch Ihre Hände gehen? Dora. Warum nickt? .... Ich schichte für meinen Vater den Vorrath auf, den er verarbeitet. Ich bin ihm dienlich, wie er es wünscht. Es wäre naturgemäßer, hätte er mir die Regierung des Hauses übertragen; so hat er mich aber zum gelehrten Werk­ zeuge umgemodelt. Gehorsam ist des Kindes Pflicht. Maser. Sie zeichnen mir beiläufig meine Vater­ pflichten vor. Ich darf also auf briefliche Mittheilung von Ihnen hoffen? Dora. Auf mündliche, wenn es Ihnen Freude macht. Mein Vater denkt in künftigen Ferien die Schweiz zu besuchen; wir kehren in Zürich ein. Wafer. Sie eröffnen mir eine goldene Aussicht.

O, daß ich Ihnen sagen dürfte, welch' ein Meer von Gefühlen bei Ihren lieben Worten durch meinen

Busen wogt. Dora. Nein, das dürfen Sie nicht. Hier finge mein Unglaube wieder an.

Siebente Scene. Röderer tritt herein.

Die Vorigen.

Röderer. Schöne Nichte! Wenn ich zu stören wage, nichts für ungut. Die Universitätsdeputation zieht schon am Staden her. Wo denken Sie die Hoch­ gelehrten zu empfangen?

Studenten kommen mit,

Es ist ein stupendes Gedränge auf der Straße, die schwarzen Talare in corpore zu sehen. Dora. Nun, Herr Onkel, ist dieser Saal nicht hinreichend, so weiß ich nicht wohin ... in die Haus­

hinterher.

flur etwa? Röderer. Nicht doch! Das wäre unziemlich. Nun denn, hier an Ort und Stelle; ich gehe, die Herren an der Hofthüre zu komplimentiren.

Achte Scene. Schlözer tritt ihm entgegen.

Die Vorigen.

Schlözer. Wohin, Herr Gevatter? Bleiben Sie doch, die Herren werden schon den Weg herauf finden; Oberlin geleitet sie.

Neunte Scene. Waser hat sich verlegen in eine Ecke deSchlözer und feilte Tochter nehmen gegenüber stehend Platz. Röderer gesellt sich zu Waser. Es treten herein: Oberlin

Die Flügelthüre öffnet sich. Vordergrundes gedrückt.

mit eilf Professoren.

Voran schreiten zwei Pedelle mit silbernen Kolben.

Dicht hinter den Professoren folgt ein junger Studiosus; er trägt ein rothes Sammetkissen, worauf das pergamentene, aufgerollte Doktorendiplom

und ein Lorbeerkranz liegen.

Chor der Studenten. Die nordische Muse grüßen wir, Die Muse der Geschichte. Vergangenheit erscheinet ihr

In zauberhaftem Lichte.

Der ruhmgekrönte Vater weiht Schon frühe sie' zum Siege,

Zum Siege der Beredsamkeit Schon in der Kindheit Wiege.

Nimm, Dora, hin den Lorbeerkranz

Von Straßburgs Musensöhnen,

Verwirf uns nicht bei künftigem Glanz, Wenn Fürsten einst dich krönen.

Du, Ernste, hassest Flittertand, D'rum, nimm Begeist'rungsvolle, 0 nimm aus unj'rer Lehrer Hand Die pergament'ne Rolle.

Oberlin

nimmt das Doktorendiplom, überreicht es der

Dora Dchlözer,

die es ihrem Vater mit einer Verbeugung einhändigt.

Oberlin (zu Dora gewendet). Wir sind noch nicht zu Ende, ehrenwerthe Jungfrau; das Beste zuletzt. Dem frühen Verdienste den Lorbeerkranz, der gewöhnlich nur Männerstirnen schmückt. Auch die schöne Stirne hier wird er mehr zieren, als Perlen und Diamanten. Dora

(verlegen,

macht

eine abwehrende Bewegung,

als ihr

Das ist gegen die lieber einkunft, Herr Professor'; ich empfange tiefgerührt und

Oberlin den Kranz aussetzen will).

hochgeschmeichelt das Diplom, aber der Lorbeer würde mir Unwürdigen die Schläfe brennen. Der Chor der Studenten fällt ein.

Nimm, Dora, hm den Lorbeerkranz Von Straßburgs Musensöhnen; Es werden bald in Purpurglanz

Dich Englands Fürsten krönen.

Verwirf jedoch die Blätter nicht,

Die wir nur schüchtern bieten; Sie fallen schwerer ins Gewicht Als manche Ruhmesblüthen.

Sie stammen her von einem Baum Den Goethe-Werther pflegte, Als hier des Ruhmes erster Traum

In seiner Brust sich regte.

Ihm huldigte, ihn feiert schon Die alma mater grata; Dir winkt von hohem Sternenthron,

Olympia Morata.

Dora Herren,

Ich kann Ihnen, meine

(mit bewegter Stimme).

nicht in Versen antworten.

Bitte,

Ihren

Kommilitonen meinen innigen Dank auszusprechen. . .

Und Sie, Herr Professor, verzeihen wohl, wenn ich die

Stirne nicht vor Ihnen beuge oder nicht vor Ihnen niederkniee? ....

Lassen Sie mich den Kranz hin­

nehmen, wie er ist; ich werde ihn aufbewahren als ein heiliges Andenken.

Schlözer

(zu seiner Tochter).

für die Deputation,

Es wäre verbindlicher

wenn Du nach Ihrem Willen

thätest.

Dora.

Legen Sie, bester Vater, den Kranz auf

das Diplom, er kommt Ihnen zu. Schlözer.

So erfülle ich den Wunsch meiner

Kollegen und der hiesigen studirenden Jugend . . . . (Er setzt ihr den Kranz auf die Mantille.)

Dora.

Wenn es denn sein muß . . .

sich gegen die Herren der Universität)

und

ich

Ihnen,

(sie wendet

meine

Herren, so geschmückt nicht unwürdig erscheine?.

. .

Der Chor der Professoren und der Studenten fällt ein.

Dir winkt von hohem Sternenthron Olympia Morata. Dora hat sich gegen die Deputation verneigt, die sich durch die Mittel­

thüre entfernt.

Schlözer und Röderer geleiten sie hinaus.

Zehnte Scene. Dora. Oberlin. Wafer.

Wafer. Sie erlauben, mein Fräulein, daß ich mich entferne, aber doch zuvor, Herrn Professor Oberlin gegenüber, meine Gegenwart entschuldige. Sie werden mir Zeugniß geben, daß ich unversehens, von der De­ putation überrascht, mich Ihres Triumphes erfreuen durfte.

Dora. .Sie waren ein Zeuge meiner Beschämung. Ich traue Ihnen Aufrichtigkeit zu. Oberlin. Herr Pfarrer Maser wird hoffentlich in Zürich melden, daß Straßburg die Verdienste zu

schätzen weiß.

Maser. Wie sollte das Straßburg nicht, wenn die Stadt einen Mann beherbergt, der Schlözers Namen trägt .... einen Herold der Wissenschaft; wenn diese Stadt in Schlözers liebenswürdiger Tochter den Vater doppelt ehrt.

Oberlin. Wir ehren Fräulein Dora um ihrer selbst willen, Herr Pfarrer; melden Sie solches in Zürich ....

Fräulein Dora weiß,

Wafer.

wie hoch meine

Wenigkeit ihr blendendes Genie in aller Demuth an­ staunt.

Doch Ihren Auftrag, Herr Professor, bitte

ich selber nach Zürich zu berichten. pfang,

den Sie, mein Herr,

keineswegs

gesonnen,

Nach dem Em­

mir bereitet,

herzuleihen

mich

bin

zu

ich

Ihrem

Organe. Dora

(besänftigend).

Herr Pfarrer,

so meint es

Herr Oberlin nicht; er bittet Sie blos, gelegentlich... Wafer

Ich bin

(mit steigender Heftigkeit).

nicht

ge­

kommen nach Straßburg, um hier wieder zu finden, was ich soeben hinter mir ließ in Zürich.

sagte man,

sei ein

gastlicher

Hier, so

Empfang für Jeden

bereit, der einen ehrlichen Namen an der Stirne trägt; hier wird nicht gefragt, bewohner,

ob

er in der

ob er Land- oder Stadt­ oder jener Zunft einge­

schrieben; hier, hieß es, der Plebejer stehe dem Pa­ trizier gleich. Oberlin.

Herr Pfarrer?

Weshalb ereifern Sie sich dermaßen, Daß wir

Ihnen

nicht Thür und

Thor öffnen, hängt nicht zusammen mit Ihrer Geburt

und Abstammung,

aber mit der Art, wie der Mann

seine Pflichten erfüllt. Maser

(vor Zorn bebend).

Ich sehe wohl, bei meinen

Feinden haben Sie Erkundigungen über den Armen eingeholt, der ein Asyl im Lände,

in der Stadt hoffte,

die einst ihre Mauern für Calvin und Sturm ge­

öffnet. Oberlin.

Nicht dem ersten besten, mein Herr,

können wir die Seelen unserer Pflegebefohlenen an­

vertrauen.

27 Maser. Wenn der erste beste seine Proben schon abgelegt und nur offenkundiger Verleumdung erlag, wäre es christlicher, milder gewesen, ihn zu erproben

wenigstens. Oberlin. Sie gestatten mir, Herr Maser, in Gegenwart der Fräulein Schlözer diese Disputation nicht weiter zu verfolgen. Maser. Auch das noch; ich verstehe Sie, Herr Professor. . . . (er wirft itn Abgehen einen schmerzlichen Blick auf Dora, die eine Bewegung macht, um ihn zurückzuhalten, aber verschüchtert

stehen bleibt).

Eilste Scene. Oberlin. Dora.

Dora. Erlauben Sie mir, Herr Professor, mich auszusprechen, frank und frei? Oberlin. Sie finden mich allzustrenge, mein Fräulein, nicht wahr? Es thut mir leid, in Ihrer Nähe. Wie gerne wäre ich dem jungen Manne ge­ fällig, aber . . . Dora. Aber .... hart find Sie nun einmal gewesen. Und wenn er diese Härte nicht verdiente? Oberlin. Sie beurtheilen den Menschen mit Ihrem Herzen, nicht mit Ihrem Verstand. So geht es meinem Bruder, dem Steinthäler; so Ihrem Ver­ wandten, dem Hofjuwelier. Mein Bruder hat unlängst wieder so eine herbe Erfahrung gemacht, die ihn auf immerdar von der Begierde kuriren sollte, andern zu helfen. Da war zum Beispiel so ein toller Poet, der Lenz . . .

Dora. Wir kommen von unserem Wege ab. Sie können nichts thun für Maser; Sie werden er­ lauben, daß ich, daß mein Vater . . .

Oberlin. Wenn Ihr Vater, wenn Sie, Gnä­ digste, sich böse Händel zuziehen wollen, nach Belieben. So viel steht fest bei mir, Maser bleibt nicht in Straßburg. Er ist mir nun doppelt unausstehlich, indem er mir die kärglich zugestandenen Minuten ver­ bittert, die ich in Ihrer Nähe zubringen darf.

Dora. Sehr verbindlich für mich ; ich bitte Sie inständig, verzeihen Sie ihm, wenn ich etwas bei Ihnen gelte. Oberlin. Gnädigste! Ob Sie etwas gellen, bei mir?! Sie wissen es wohl; Sie lesen in meines Herzens Grunde; was ich kann, all' meine Kräfte, mein Leben für Sie! Dora.

O, an Ihr Leben will ich nicht; ich will

etwas ganz unbedeutendes, sechs Zeilen von Ihrer

Hand. Oberlin.

Sechs Quartbände,

wenn es Sie

freut; an wen? Dora. Ist Ihnen der Stadtarchivar von Zürich

bekannt? Oberlin.

Kanzler Landolt?

Ziemlich genau.

An ihn soll ich schreiben? Dora. Empfehlen Sie ihm den armen Maser. Oberlin. Zu was Ende, wenn ich fragen darf? Dora. Schon so kühl, Herr Professor? Sie bieten mir sechs Ouartbände, ich verlange sechs Zeilen,

und Sie stehen damit an?

Ober! in. Ihr Wunsck ist ein Befehl für mich; doch wäre mir lieber für einen andern, an einen andern... Dora. Sie versprecken mir also? Oberlin. Wenn es sein muß.

Zwölfte Scene. Röderer.

Die Vorigen.

Röderer. Liebe Dora, Madame de la Galaiziöre ermattet Sie oben bei meiner Frau. Dora. Ich komme (sie verneigt sich gegen Oberlin und eilt weg).

Röderer. Run, Herr Professor? WißtJhrmir's zu Danke? Ich ließ Euch allein mit der schönen Dora. Habt Ihr Eure Zeit gut benützt? Wie viel

Heidengötter habt Ihr der Hochgelahrten vorgeführt? Oberlin (verbissen). Auf Ehre, nicht einen Ein­ zigen. (Bei Seite.) Frauen- und Mädchenvolk sind sich doch überall gleich . . . Für den widrigen Kerl noch einen Empfehlungsbrief zu schreiben! Aber diplo­ matisch soll er ausfallen. Röderer (an der Thüre sich umwendend). So kommt doch zu den Frauen hinauf. (Beide entfernen sich.)

Ende des ersten Actes.

Erste Scene. Ein bescheidenes Zimmer bei Maser in Zürich. Im Hinter­ gründe ein Bett. Im Vordergründe rechts ein einfacher

Arbeitstisch.

Zwischen dem Bureau und dem Hintergründe

eine auf die Hausthüre mündende Thüre. In einer Coulisse, links, der Eingang zu einer Kinder- und Dienstbotenstube.

Die Thüre dieses Zimmers ist halb geöffnet. Eine einzelne Frauenstimme läßt sich in folgendem Wiegenlied vernehmen.

Schlaf ruhig, Kind, in Gottes Schooß, Auf ihn vertrau, er zieht dich groß ;

Schlaf ruhig. Ob Glück ob Unglück warte dein,

Laß dies in Gottes Händen sein: Schlaf ruhig.

Aenneli

tritt herein, schließt leise die Thüre hinter sich, und sieht nach

einer, über dem Arbeitstisch angebrachten Wanduhr.

Ein Uhr .... er sollte schon angekommen sein. Ha! ist er's? . . . (Sie eilt an die Thüre rechts,

(Es klopft.)

um sie zu öffnen.)

Zweite Seme. Jaksb (ein Hausknecht Lavaters) tritt herein.

Aenneli

(ungeduldig).

Nur

Ihr

Aenneli.

seid's.

Was

bringt Ihr, Jakob?

Jakob.

Ein schöner Empfang!

ich vom Herrn Antistes.

Grüße bring'

Er läßt fragen,

ob Herr

Pfarrer Maser von der Reise zurück.

Aenneli. Ich erwarte ihn von einem Augenblick

zum andern.

Er soll diesen Morgen früh von Baden

her unterwegs sein, zu Fuße. Jakob.

Auf

der

Schneestraße?

lgeheimnitzvoll)

Jungfer Aenneli, er thäte besser, gar nicht zu kommen. Zu Haufe, bei uns, hoffte man, er würde in Straß­

burg bleiben.

Aenneli.

Nicht kommen? Und sein Knabe hier,

und ich?

Jakob. sieht sich.

Er hätte Euch nachkommen lassen, ver­

Aber jetzt wieder nach Zürich!

Aenneli.

Jakob.

Nun, was habt Ihr denn dagegen? Wir nicht,

nicht mein guter Herr An­

tistes, der christliche Samariter.

Aenneli.

Aber Zürich . . . .

Ihr quält mich; ist denn wieder was

Neues gegen meinen Herrn im Umlauf?

Jakob.

Ja, denken Sie nur, Jungfer Aenneli,

da ist jetzt der neue Pfarrer von Kreutz, Herr Bürkel, der Nachfolger Herrn Waser's, gestorben.

Aenneli.

Verzeih' mir's Gott, desto besser! Da

wird man schon meinen Herrn wieder anstellen. klopft heftig an der Thüre.)

Ha, da ist et endlich!

(Es

Dritte Scene. Ein Briefträger tritt herein.

Die Vorigen.

Bote. Ein Brief aus der wälschen Schweiz, an Herrn Maser. Kostet vier Batzen. Aenneli (verlegen). Vier Batzen? Bote. Ja wohl. Aenneli. Ich erwarte meinen Herrn zu dieser Stunde. Könnt Ihr nicht wieder vorbeikommen? Bote. Nicht leicht. Aenneli (zupft verlegen an ihrer Schürze). Jakob. Jungfer Aenneli, kann ich aushelfen? Aenneli (feuerroth, schlägt die Augen nieder, und antwotter nicht).

Jakob

(zumBoten).

Die Jungfer hat keine Scheide­

münze mehr, da ist vorläufig das Porto. sich.

(Bote entfernt

Aenneli hat den Brief auf den Arbeitstisch gelegt.)

Aenneli. Wir sind knapp an allem. Jakob. Das weiß mein Meister. Gerne würde er aushelfen, aber es sehen viel nasse Augen zu ihm. Aenneli. Wir wissen es wohl. Mein armer Herr Pfarrer überläuft den Herrn Antistes Lavater nicht. . . Ihr sagtet also, d e r von Kreutz sei todt?...

Vierte Scene. Die Thüre öffnet sich; Wafer tritt plötzlich herein.

Die Vorigen.

Wafer. Gott grüß Dich, Aenneli. Was macht der Kleine?

Ich bin's.

Aenneli (hat einen Schrei ausgestoßen). Wie Ihr mich erschreckt! ... Er ist wohl, er schläft da (auf die Thüre linker Hand weisend). Herr Antistes Lavater frägt nach Euch.

Maser

(zu Jakob .sich wendend).

Sag' Deinem Herrn,

daß ich in einer Stunde mich bei ihm einfinde.

(Jakob

entfernt sich.)

Maser

Gute

(hat beide Hände der Dienstmagd gefaßt).

Es geht ihm also wohl?

Aenneli!

Seht selber nach.

Aenneli.

(Sie führt ihn an die

Zch will

Thüre, die sie leise öffnet und wieder hinter ihm» schließt.)

ihm den ersten Augenblick des Wiedersehens nicht ver­ Gott weiß,

gällen.

was ihm der Antistes zu sagen

hat, und was der Vierbatzenbrief enthalten mag.

Maser

(wieder eintretend),

Hab' Dank, treue Seele!

Du hast ihn gut gepflegt;

er ist rosenroth. Ich hab'

mich

leise über ihn hingebeugt.

seligen Mutter! Aenneli.

nach Euch.

Das Bild seiner

Ich wollte ihn nicht wecken.

Warum nicht?

Der Kleine fragte

Da kommt eben ein Brief.

(Sie reicht ihm

denselben.)

Ich erkenne die Handschrift . . .

Maser.

Von

Johannes Müller. . . Aenneli, laß mich allein; geh' zum Knaben.

Aenneli.

So schnell?

Brief vor mir zu lesen?

Maser.

wach ist.

Ich weiß es.

Rufe, wenn der Kleine

(Amneli ab.)

Wafer sei Dank!

Fürchtet Ihr Euch, den

Ich bin nicht neugierig.

that den Bries erbrochen und flüchtig durchlesm).

Das ist keine üble Botschaft!

wie erwünscht, zu meinem Willkomm.

Gott

Das ist

Der treffliche

Forscher sucht mich zu beschäftigen. Gute Gelegenheit,

mich zuvörderst einzuführen auf dem Archiv.

Fünfte Scene. Lavater (tritt herein). Waser.

Gütigster Herr Anüstes, Sie beschämen

Maser.

mich; Sie kommen mir zuvor. Unser Herr sei mit Euch!

Lavater.

mit Euch! , ...

Friede sei

Ich dachte, Ihr würdet müde sein

von Eurer Reise. Das bin ich in der That, physisch und

Waser.

moralisch. Der Empfang war nicht, wie Ihr ge­

Lavater.

wünscht, wie wir gehofft? Nicht ganz; doch nicht in Allem unbe­

Waser.

Professor Schlözer trägt mir einige Be­

friedigend.

schäftigung auf, und hier, zum Willkomm, einen Brief von Johannes Müller,

öffne ich

der mir ähnliche

Vorschläge macht.

Es ist mir unendlich lieb, das zu ver­

Lavater. nehmen;

unendlich lieb,

denn ich habe leider,

mein

guter Pfarrer, einiges auf dem Herzen, das ich gegen

Euch auskramen muß;

es ist besser, Ihr erfahrt das

von mir, denn aus fremdem Munde.

Sie erschrecken mich, Herr Antistes. Wie,

Waser.

ist das Maß noch nicht voll? noch nicht befriedigt?

Sind meine Gegner

Sie haben mich aus dem Amte

gejagt, vorläufig hinaus getrieben in die Fremde; mich

gezwungen,

an

auswärtige Thüren zu klopfen.

Ich

weiß nicht, wie ich mich durchschlagen würde, ständen

Sie mir nicht zur Seite.

Lavater. wissen?

Ihr habt nichts mehr auf dem Ge­

Ihr seid Euch keiner Schuld mehr bewußt?

Einer Schuld? Wie verstehen Sie das?

Maser.

Vor meiner Abreise habe ich Ihnen mein ganzes Herz

ausgeschüttet, ich habe auch den kleinsten Fleck heraus­ grausame Loos,

gekehrt.

Das

hab' ich

als Sühne angesehen meiner, so sagt man,

das

mich betroffen,

voreiligen Anklage des unschuldig befundenen Rech­ Roch jetzt bin ich in meinem Innern

nungsführers.

nicht ganz überzeugt, daß ich irrte. Die Presbyteriums­

kasse war im Defizit.

Und jetzt, was soll ich noch

mehr verbrochen haben?

daß

Ich bete zu Gott,

Lavater.

er meinen

Worten jeden Stachel nehme; daß ich, wie es einem dem schwerbedrängten Bruder

Diener Christi ziemt,

durch meine Eröffnung nicht unwillkürlich einen Dolch in den Busen stoße....

Ihr wißt noch nicht, daß

während Eurer Abwesenheit, daß kürzlich Euer Nach­

folger Bürkli mit Tode abgegangen?

Ich erfahre das durch Sie,

Wafer. tistes.

Herr An-

Bürkli war schon lange her brustleidend; ich

konnte es Voraussagen, daß er das Predigeramt nicht

lange in der feuchten Kirche von Kreutz versehen würde. Lavater.

Meint Ihr? Das ist leider nicht die

öffentliche Stimme.

beschied

Bürkli

Krankenbette,

theilung,

Wenige Tage vor seinem Tode

den

Heidegger

und

mich

an

sein

und machte uns eine sonderbare Mit­

in extremis.

Abendmahlsfeier,

Er hätte sich nach der ersten

die er in Kreutz

gehalten, sehr an­

gegriffen und übel befunden; seine eigentliche Krank­

heit leite sich davon ab.

Wafer

(wird aufmerksam).

Doch, wozu das?

Lavater. Wozu? Maser, verzeiht mir, wenn ich des Kranken Andeutung wiederhole. Er behauptet, die Hostien, die Ihr ihm überliefert, — wie soll ich nur sagen — seien von schlechter, unbrauchbarer Paste gewesen. Waser.

Der Kranke war von seiner Einbildung

geplagt. Lavater. Es scheint nicht so ganz; er habe, sagte er, als er sich übel gefühlt, eine der noch übrigen

Hostien an seine Lippen gebracht, und solche wider­ wärtig, knitternd gefunden. Waser. De inortuis nil nisi Bürkli, vergeben Sie mir, ist absurd.

bene. Aber, Hat er den

Stoff untersucht, untersuchen lasten? Lavater. Nein, er war voreilig und zerstörte

den ganzen Vorrath. Doch, sonderbar genug, von den Abendmahlsgenoffen fanden sich ebenfalls einige nach dem Gottesdienste in üblem Zustande. Waser. Herr Antistes, die Sache wird ernsthaft... ich muß Einsprache thun gegen Ihre Andeutung. Der Hopienlieferant ist ein ehrlicher, braver Mann. Warum hat der unselige Bürkli den Proviant zerstört? Sind unter den Abendmahlsgenossen einige erkrankt, das nimmt mich keineswegs Wunder; vermuthlich alte, gebrechliche Leute, in der feuchten, eiskalten Weihnachts­ kirche. Herr Pfarrer Bürkli hatte die liebe Gewohn­ heit, seine Predigt in doppeltem Maaße auszudehnen; er ersetzte von jeher die Qualität durch die Quantität. Lavater. Ihr werdet bitter und einschneidend, mein armer Waser. Nicht der Hostienverfertiger wird beargwohnt oder beschuldigt.

Maser.

Ich bitte Herrn Antistes, sich deutlicher Ein Verdacht, auf wen er auch falle, ein

zu erklären.

Verdacht ist... ist.. . ich weiß nicht, wie ich mich

auSdrücken soll, ebenso absurd als gehässig. Laval er.

Das meine

nnd sage auch ich, mein

bester Maser . . . und doch — Maser.

Und doch? . . .

L av ater (mit steigender Verlegenheit). Heidegger versprach

dem todtkranken, dem sterbenden Bürkli, es solle seiner Eröffnung eine strenge Unterstützung zu Theil werden;

er achtete nicht auf meine flehentliche Bitte; die Aus­ sage des Pfarrers von Kreutz ist zu Protokoll gebracht.

Maser (ungeduldig). Und was hat sich herausgestellt? Lavater. Ihr wollt es, daß ich alles ausspreche? Bürkli beargwohnt Euch,

Ihr hättet aus Rachesucht

die Hostien verfälscht, vergiftet . . . Maser (in Zorn ausbrechend).

Und

diese

Ausgeburt

eines fieberkranken Hirns konnten Sie bekräftigen? . . . Lavater (besänftigend, die Hand Walers fassend). Die Morte des

Sterbenden konnte

wiederholen

Ich

ich,

mußte

halte Euch für unschuldig,

Mutterleibe.

ich

vor

Gericht

weiter verirrten sich meine Lippen nicht.

Zu

Eurer

wie

keinen anderen Fürsprecher als mich. ist die Rede nicht.

das Kind

im

Rechtfertigung bedürft Ihr

Doch von mir

Die Anklage des Verstorbenen ist

ein öffentliches Geheimniß; nicht Heidegger, nicht Eure

Gegner im

Rathe haben reinen Mund gehalten, der

Argwohn hat manche leichtgläubige Gemüther erfaßt. Maser (in Thränen ausbrechend). Herr Antistes, unsere

Gesellschaft ist ein Tummelplatz von Schuften und Ein­ faltspinseln.

Ist es mit mir Armen dazu gekommen,

daß ich mich reinigen muß, weil mich altersgraue Buben mit Koch bewerfen? Weil ich Dem und Jenem hier ein Dorn im Auge bin, muß ich wie ein dürres Reis mich auf einen Feuerherd werfen lasten? Sind die Rathsboten, sind die Häscher bereit? Künden Sie meine Rückkehr an, Herr Antistes; nicht einen Schritt werde ich thun aus dieser Stube, die Stirne werde ich bieten der frechen Dummheit, sollte ich auch gesteinigt werden beim Ueberführen ins Gefängniß, beim Heraustreten auf die Straßen dieser Sündenstadt. Lavater. Beruhigt Euch, bester Wafer. Es liegen keine schlagende, keine hinreichende Beweise vor zu einer gerichtlichen Untersuchung. Ich stehe für Euch ein. Ich bin ein unnützer Diener des Herrn, doch in solcher Angelegenheit schenkt mir-der größere, bessere Theil des Rathes und der Bürgerschaft ein geneigtes Ohr. Wafer. Also, wenn Ihr aus ächt christlicher Barmherzigkeit und Liebe nicht einen Schild vorge­ halten, wäre ich der blinden Gerechtigkeit verfallen? Wer aber rettet mich vom Verdacht? Euer milder Vorspruch mag ihn bekämpfen, doch entkräften, nieder­

werfen kann er den unsinnigen Argwohn nimmermehr. Lavater. Das sag' ich auch. Den wahren, diamantenen Schild vorhalten, das kann nur ein stärkerer Arm als der meinige. Lieber Bruder in Christo! Oeffnen sich Deine Augen noch nicht? Siehst Du denn nicht, wo die Hülfe zu suchen, woher der Beistand allein zu hoffen? Hat unser Heiland mich mit der vollnöthigen Kraft zu Deiner Vertheidigung ausgestattet, hat er mich gewürdigt, zum Voraus die

Schlingen zu zerreißen,

die Dich zum Falle bringen

sollten, wie sollte er nicht, wenn Du ihn suchest, wenn

Du

die Arme nach ihm ausstreckest,

nicht Dich erlösen aus allem Uebel?

wie sollte er

Dich will er,

Dich will Dein Heiland.

Maser

Sie erschüttern mich, Herr An­

(gerührt).

liftes, und doch . . . Lavater.

Und doch?

Doch kannst Du, willst

Du Dich nicht ihm hingeben? über Dich einbricht,

Alles Trübsal, das

mahnt Dich, schlägt an Dein

Ohr wie eine Sturmglocke, pocht an Dein Herz wie ein Eisenhammer,

Ohren,

und Du

verschließest Herz

Du willst den Mahner nicht hören,

und

bis er

Dich mit noch größerer Trübsal heimsucht.

Maser. schlagen,

Ich kann meine Vernunft nicht in Fesseln

Herr Antistes.

Ich

kann mich mit

Wunder der Vermittlung nicht befassen.

dem

Ich hoffe in

meiner Sache auf den Sieg der menschlichen Vernunft

und Gerechtigkeit. Lavater. Das will auch ich, und für Dich beten. Ruhet Euch aus; begegnet Ihr höhnischen Gesichtern, bemerkt sie nicht. Schon daß Ihr freiwillig zurückkehrt

nach Zürich, ist ein schlagender Beweis für Eure Un­

schuld.

Der Herr segne und behüte Euch.

(Lavater um.

arml ihn und geht ab.)

Sechste Scene. Wafer (allein). Er hat sich in einen Stuhl geworfen; er verbirgt sein Gesicht, und bleibt einige Augenblicke in Nachsinnen verloren; dann springt er plötzlich auf.

„Das zum Empfang!

So verschwört sich denn

Alles gegen mich ? Ein Giftmischer, ich ? Mir wird das

Gift eingetrichtert, in einer Dose, einen Riesen zu Grabe zu bringen! Nicht die Schuld, nicht das Ver­ brechen wird immer bestraft in dieser verrotteten Ge­

sellschaft. Wie mancher Betrüger und Mörder schlüpft

durch die Maschen der Gesetze; allein jeder unvorsichtige, leichtsinnige, unbedachte Schritt, jedes Versehen wird

unbarmherzig gerügt und bringt dem Unklugen Weh und Verderben. In diesem Kampfe ums Dasein, Aller gegen Einen, Einer gegen Alle, unterliegt der blinde

Schwächling. Der Heiland will mich, behauptet Lavater.

Ich

bin in tiefster Seele von seinem Worte ergriffen, er­ schüttert; es spricht aus seinem Mund, aus seinem Auge ein engelgleicher Genius — und dennoch kann

ich nicht.

Der Heiland will mich. . . und wenn ich

dagegen fühle: Der Dämon will mich! Zu tief haben

Verläumdung und tückische Bosheit ihre Krallen ge­ schlagen in meine schon so lange wunde Brust:

da

bringt auch der Balsam aus dem Paradiese keine Heilung,

keine Lindrung mehr. mer auf und nieder.)

ich entbunden.

(Er W einige Mal heftig in seinem Him-

Meiner Pflichten gegen Zürich bin

Das verruchte Gebühren eines heim­

tückischen Bürgermeisters und seiner Genossen erstickt in mir jedes Bedenken. mit mir . . . und Dora?

Schlözer soll zufrieden sein Ich wage es, diese liebe

Gestalt herauf zu beschwören, einen Blick zu werfen

auf ihre reinen Züge durch den düstern Nebel des Hasses,

des Grolles, der Verzweiflung,

der meine

Stirne umdüstert und in die innersten Fasern meines

ganzen Wesens dringt . . . Warum sollte ich nicht, wenn sie mir einen letzten Haltpunkt bietet in diesem

Wogen

widerstrebender

Gefühle . . . warum nicht,

wenn ich an diesem sichtbaren Heiligenbilde mich auf­

richte.

(Man hört den Gesang Aennelis in der Nebenstube.)

Schlaf ruhig, Kind, in Gottes Schooß, Auf ihn vertrau, er zieht dich groß,

Schlaf ruhig. Ob Glück, ob Unglück warte dein, Laß dich in Gottes Händen sein. Schlaf ruhig. (Maser schlägt die Hände vor die Stirn und eilt in daS Nebenzimmer.

Die

Scene verwandelt sich.)

Siebente Scene. Das Archiv von Zürich, int Rathhause.

Ein oblonger Saal.

Im Vordergründe einige Arbeitstische. Auf beiden Coulissen-

seiten Repositorien mit Kartons und Foliobänden thekenartig besetzt.

biblio-

Im Hintergrund ein großes Glasfenster,

mit Durchsicht auf einen Theil des Sees.

In der Mitte der

Coulissen rechter Hand führt eine hölzerne Wendeltreppe in ein oberes Stockwerk.

Dieser Treppe gegenüber die Eingangs­

thüre.

Landolt,

der Archivar, tritt herein, nähert stch seinem Arbeitstisch im

Vordergrund, wirft die Augen im Saale umher.

Niemand da?! (er geht bis an die Wendeltreppe und rüst Schnitz?! seid Ihr oben? so hört doch! . . .

hinauf.)

der arme Teufel wird stocktaub. Treppe hinauf, und ruft nochmals.)

kommt doch!

(Er geht einige Stufen die

Schnitz! Kreuzelement, so

Achte Scene. Schnitz, eine kurze, gedrungene Gestalt, erscheint am oberen Theile der Wendeltreppe mit einem Konvolut von Schriften beladen.

Schnitz.

Ja!

Ja! Herr Kanzler, da bin ich.

(Beide kommen in den Vordergrund.)

Landolt.

Wie könnt Ihr nur in meiner Ab­

wesenheit da oben herumkrabbeln und den Saal hier allein lassen?

Schnitz. Muß alles gethan sein, Herr Kanzler . ..

ich suchte die Schriften zusammen, die Herr Bürger­ meister Heidegger verlangt.

Landolt.

Was für Schriften? . . . Herr Bür­

germeister war also hier? Ich habe Euch schon mehreremal geboten,

nichts auszugeben, bevor Ihr Be­

fehle von mir empfangen, und wenn der ganze hohe Rath selber käme.

Was will denn der Herr Bürger­

meister ?

Schnitz.

Die acta Waldmann, aus den alten

Prozeduren.

Landolt.

Herr Bürgermeister hätte sich wohl

schriftlich an mich wenden

dürfen, oder Ihr meine

Zurückkunft die kleine halbe Stunde abwarten.

Schnitz (pfiffig).

Um Vergebung, Herr Kanzler,

Ihr seid schon mehr als eine Stunde draußen.

Landolt.

Ihr habt Recht; es war ein schöner

Sonnenblick; ich habe ihn benutzt. Schnitz.

Herr Kanzler thaten wohl; es ist we­

niger kalt und feucht draußen, als da droben, auf dem verwünschten alten Kornboden;

der Wind bläst

durch alle Ritzen und der gestrige Schnee ist wieder

durch die Ziegellücken gedrungen. Noch einige Täge, und wir haben da über'm Kopfe eine Schlittenbahn. Land oll. Müßt zum Architekten gehen, und unsere Noth klagen. Schnitz. Ist schon geschehen; der aber hat besseres zu thun. Unsere Papiere, sagt er, die erfrieren nicht.

Landolt. Ich werde selber mit ihm sprechen. Die Pergamente und Papiere, das ist wahr, die er­ frieren nicht, aber sie verfaulen, Vergangenheit und Gegenwart gehen acl patres. Schnitz (Mit verblüfftem Gesicht). Herr Kanzler mei­ nen? .. . Landolt. Ja so! ich meine nichts ... ich meine nur, Ihr hättet einen bessern Augenblick zum Ein­

suchen dieser Akten wählen dürfen. Schnitz. Herr Bürgermeister waren ungeduldig, und hätten um ein weniges selber gewartet. Landolt. Verlangt er die Auslieferung? Schnitz. Ich denke; er sagte nichts. Landolt. Nun so lege sie hieher. Er mag wie­ derkommen . . . Was, zum Henker, will er mit dem dreihundertjährigen Kriminalprozeß? Sonst ist nichts vorgefallen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Ist nicht der Bote dagewesen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Wie, nein? ... Ich traf ihn soeben auf der Straße. Er sagte mir, er hätte einen Brief hinterlegt aus dem Waadtland. Schnitz. Ja so, Herr Kanzler! da ist der Brief (Er deutet auf den Schreibtisch deS Archivars.)

Landolt. Zum Henker! so besinnt Euch doch, ehe Ihr nein sagt. Ist sonst nichts vorgefallen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt.

Hat nicht Herr Antistes Lavater das

Manuscript der alten Kirchenlieder abgeholt?

Schnitz.

Ja so, Herr Kanzler, ich habe es ver­

abreicht.

Landolt. Und eingeschrieben?' Schnitz. Nein, Herr Kanzler; das gilt wohl nicht für den Herrn Antistes; der behält nichts zurück.

Landolt. Das weiß ich so gut als Ihr; aber für ihn gilt die Regel, wie für andere; Kreuzelement! warum habt Ihr ihn nicht eingeschrieben?

Schnitz. Weil meine Finger steif sind, HerrKanzler, und ich mürb und morsch worden im vierzig­ jährigen Dienst. Landolt (besänftigt). Schon gut! schon gut! Ich weiß, Ihr seid ein treuer Diener. Wir brauchten wohl noch einen Gehülfen. Sonst ist nichts vorge­ fallen ? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Besinnt Euch, bringt mich nicht in

Harnisch. Schnitz

(kratzt sich hinter den Ohien).

Ja so !

Herr

Pfarrer Wafer ist diesen Morgen hiehergekommen. Landolt. Nun, was will er? Schnitz. Mit Herrn Kanzler selber sprechen. Landolt. Er hat nichts Schriftliches hinterlassen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Besinnt Euch!

Ja so! Herr Kanzler . . . eine Note

Schnitz.

für Euch hat er mir hinterlassen.

Landolt

Hier liegt sie nicht.

(übersteht den Schreibtisch).

Schnitz. - Ja so! Herr Kanzler, die habe ich in meiner Rocktasche. Nun, so gebt denn her.

Landolt-.

Schnitz

(er sucht in seinen Taschen).

Ja so! Herr Kanzler,

die habe ich zu Hause gelassen. So geht zum Teufel! Ihr seid ver­

Landolt.

geßlich wie ein Schuljunge.

Schnitz.

Habe den Rock umgetauscht zu Hause

gegen den wärmeren hier

lindem er auf sein Winterkleid deutet).

Müßt Geduld haben, Herr Kanzler; die alten Pa­

piere finde ich;

das Geschreibsel von heute vergesse

ich; mein Gedächtniß wird schwach und alt.

Landolt

(besänftigt).

Ich weiß, Ihr seid ein treuer

Diener; geht nach Hause, und holt mir den Brief. (Schnitz entfernt sich.)

Neunte Scene. Landolt (allein.)

Was nur der Heinrich mit mir will! Er ist also in die Heimath, hieher zurück, zur ungünstigen Stunde für ihn. vergesse

Und ich blamire den armen Schnitz, und

selber . . .

Waadtland ?

Was sagt der Brief aus dem

(er erbricht den auf dem Schreibtisch liegenden Brief)

Siehe da! eine Empfehlung von Johannes Müller . . .

Er wünscht, daß dem Wafer gestattet sei, die Kyburger

Pergamente für ihn zu durchforschen. Das hat keine Schwierigkeit. So erklärt sich Wafers Nachfrage. (In demselben Augenblick öffnet sich die Thüre, Wafer tritt herein.)

Zehnte Scene. Landolt. Wafer.

Wafer. Darf ich stören? Bist Du beschäftigt? Landolt. Nein, wie Du wohl siehst. Ich komme

soeben Von einem winterlichen Spaziergang zurück. Mittlerweile warst Du hier. Ich weiß schon weshalb

Du kamst . . . Maser. Zuvörderst um Dich zu begrüßen, und dann . . . Landolt

(unterbricht ihn). Sei auftichtig, Maser, keine Komplimente zwischen uns, Du kamst . . . Maser Dann komme ich, wenn Du es zugibst, hier einige Zeit zu arbeiten. Johannes Müller . . .

Landolt. Er hat mir selber geschrieben. Maser. Wie es scheint, traute er meiner Ueberredungsgabe oder Deiner Gefälligkeit nicht. Kannst Du mir die Pergamente und die übrigen Akten des Schlosses und der Grafschaft Kyburg anvertrauen? Landolt. Hier, so oft und so lange Du willst. Wie früher schon, nimmst Du hier Deinen Schreibtisch ein. Kein anderer Geschäftsmann oder Gelehrter spricht gegenwärtig hier vor. Nur sind diese Räume in

jetziger Jahreszeit nicht sehr wohnlich und bequem. Russische Pelze wären hier kein überflüssiger Mode­ artikel.

Maser. So gut versorgt bin ich nicht. Ueberdies hätte ich doppelte Arbeit. Zu der Kyburger Serie sind mir noch parallele Belege von Nöthen. Du würdest mich sehr verbinden, könntest Du mir gestatten, die Kyburger Serie zu Hause zu untersuchen, und das

Nöthige zu kopiren. Landolt (verlegen). Nicht wohl! Es läuft den Vorschriften entgegen; Du siehst wohl ein, wie solche Erlaubniß, sollte sie ins Publikum gerathen, zu Mißbraucb und manchen Ungelegenheiten Anlaß geben

könnte. Dann sind die Dokumente auswärts nicht gegen Zufälle, gegen Feuersbrunst, Entwendung oder Verschleppung gesichert. Maser (einschmeichelnd). Du hättest ganz Recht, wenn es sich hier um einen Privatzweck handelte. Das ist aber nicht der Fall. Wir wollen, Du und ich, einem vaterländischen Unternehmen dienlich sein. Johannes Müller arbeitet und wird schreiben, wir dürfen es als Schweizer behaupten, für die Verherr­ lichung unserer alten Bünde; der Genius der Geschichte hat ihm schon als Knabe die Weihe gegeben. Wir erfüllen eine Bürgerpflicht, wenn wir ihm die Vor­ arbeiten erleichtern, wenn wir ihm das Material, die Bausteine in die Hand liefern. Landolt. Ganz wohl, mein Bester; indessen geht nicht, damit Er einen unsterblichen Namen er­ werbe, unsere Pflicht so weit, daß wir arme Sterb­ liche uns für ihn und für die Verherrlichung der alten Helden kompromittiren. Vergib mir meinen Galli­ zismus ; das Wort drückt so recht mit einem Male die gegenseitige Lage aus.

Maser.

Bei mir, dafür stehe ich Dir, sind die

Pergamente so sicher als im Stadtarchiv. Ich halte sie unter Verschluß, und sollte ein unvorhergesehenes Unglück, als da ist, Brand oder ««Schund) ein Erdbeben das Häuschen, das ich bewohne, bedrohen, die Perga­ mente würde ich zuerst aufpacken. Geld habe ich keines

zu retten. L andol t. Ich begreife nicht, mein Bester, warum Du so durchaus auf dem Arbeiten zu Hause bestehst. Während sechs Tagesstunden bleibt Dir das Archiv geöffnet, mehr wirst Du nicht täglich auf die beschwer­ liche, augenmörderische Entzifferung verwenden. Maser «dringend). Es ist für mich mehr, als Du glaubst, eine Lebensfrage. Ich muß dem Johannes Müller durch schnelles Arbeiten meine Befähigung kund thun. Ich liege, wie der Fisch auf dem Trocknen. Zu Straßburg sand ich kein Unterkommen, und hier . . . Landolt. Ich weiß es, mein armer Freund; hier ist man nicht gut gesinnt für Dich. Wafer. Nicht gut? Du willst sagen, man bringt mich zur Verzweiflung. Du willst nichts thun, um mich zu retten aus dieser Wirre? Landolt. Was ich kann. . . Nimm tagtäg­ lich, das will ich Dir zugestehen, das nöthige Material mit nach Hause; die ganze Serie brauchst Du wohl nicht auf einmal. Maser. Doch, mein gütiger, mein großmüthiger Freund; allerdings brauche ich das ganze. Ein Per­ gament erklärt das andere .... und dann sagte ich Dir schon, ich hätte noch andere Notizen hier zu sammeln; die jetzigen oder die jüngst verfloffenen Zu-

stäube zu vergleichen mit den vergangenen Jahrhun­

derten.

So würbe ich Dich hier um andere Akten

bemühen und ansprechen,

Akten,

die Du mir wohl

nicht nach Hause mitzunehmen erlauben würdest. Das wären?

Landolt.

So, zum Beispiel, die mit den laufenden

Maser.

Kriegsfonds zusammenhängenden Schriften. Da liegen

für den Geschichtsforscher höchst belehrende Data vor.

Die könnte ich Dir etwa hier mit­

Landolt.

theilen, auswärts auf keinen Fall; und dann nur un­

ter der Bedingung,

daß sie allein zur Arbeit für

Johannes Müller dienen. Wafer

(verlegen).

Ich begreife kaum Deine Ein­

wendung. Wozu sind am Ende hier die Papiere, alte und neue, aufbewahrt, wenn sie nicht benutzt werden? Wozu die unsägliche Geheimnißkrämerei?

Doch ich

will, ich darf nicht mit Dir rechten. Ich erkenne dank­

bar Deine Güte, Deine Bereitwilligkeit, mir auf die Beine zu Helsen.

Nun! darf ich Dich gleich um die

Kyburger Pergamente ansprechen? Ich mache mich auf der Stelle an die Arbeit.

Landolt. Ganz wohl; nur mußt Du mir selber zum Herabholen der Pergamente behülflich sein.

Ich

weiß nicht, warum der Diener, den ich ausgeschickt, so lange nicht zurückkommt.

Was er.

Was Du willst, wie Du willst.

Landolt (nimmt eine an die Coulisse des Vordergrundes lehnende

Leiter, trägt sie einige Schritte weiter, erklimmt die Stufen, und nimmt auS den oberen Reposttorien einen Karton.

wendend).

Von oben herab, gegen Waser sich

Hier, nimm mir die Last ab.

(Waser nimmt den

Karton auS den Händen Landolt's; beide treten an den im Vordergrund stehenden Arbeitstisch.)

Landolt

(den Karton öffnend).

Hier sind die ältesten

Urkunden des Schlosses. Maser. Nun, die sind doch unverfänglich.

Wie

viel erlaubst Du mir, nach Hause mitzunehmen? Landolt. Ein Dutzend, dächte ich, sollten Dir auf einige Tage hinhalten. Wafer. Wie Du willst... Ich hätte den In­

halt des ganzen Kartons vorgezogen. Landolt. Unmöglich; nimm das Packetchen in Deine Rocktasche; ich wünsche, daß Du die Pergamente nicht offen über die Straße trägst. Wafer lder das Packet zu fich steckt). Du wünschest einen Empfangschein? Landolt. Natürlich; ich verlange den Schein, um jedem Vorfall vorzubeugen. Wafer. Diktire: ich stelle Dir solchen aus nach Deiner Vorschrift. Landolt. Und zu Hause, Du versprichst mir auf Deine Ehre, daß keine indiskreten Augen diese Do­

kumente erblicken? Wafer. Gewiß nicht; aber wie furchtsam Du bist! (@8 wird an die Thüre geklopft.) Landolt. Herein! . . . (der Bürgermeister Heidegger öffnet die Thüre.)

Eilste Scene. Heidegger. Landolt, Wafer.

Landolt. Welche unerwartete Ehre, Herr Bür­ germeister ! 'Ich weiß durch meinen Gehülfen, was Sie hieher führt; ich wäre Ihnen heute Abend zu-

vorgekommen, und hätte Ihnen meine Dienste angeboten. Darf ich fragen, ob Sie bewußte Akten hier einzusehen wünschen? Heidegger (betrautet Maser mit einem Zeichen des Mitzbehagentz.) Sobald wir allein, Herr Kanzler, erfahren Sie die eigentlichen Beweggründe meines Besuchs. Maser (unterdrückt eine Bewegung des Mißmuthes). Ich will nicht stören. (6t macht Miene sich zu entfernen.) Heidegger. Wenn Herr Wafer mit Herrn Kanzler sein Geschäft abmachen will . . . Maser. Hat keine Eile. Ich werde meinen Freund Landolt wieder sprechen. (Er entfernt sich rasch, ohne zu grüßen.) Landolt

(betroffen, macht eine Bewegung gegen die Thüre).

Maser, wir sehen uns heute noch.

Zwölfte Scene. Heide-ger.

Landolt.

Heidegger. Herr Kanzler, Sie stehen, wie mir scheint, mit Erpfarrer Maser in Geschäftsverbin­ dung ? Landolt (verlegen). Nicht gewöhnlich; es ist ein

Jugendfreund. Heidegger.

Desto schlimmer ... ein verrufenes

Subjekt. Landolt (beleidigt). Erlauben mir Herr Bürger­ meister eine Bemerkung? Heidegger. So viel Ihr wollt. Landolt. Nun, verzeihen Sie, ich kann es nicht

4*

zusammenreimen, wie ein Mann, der im öffentlichen

Leben unter seinen Mitbürgern durch seinen Gerech­ tigkeitssinn bekannt ist,

gegen einen Unglücklichen die

Pfeile seines kaum verhaltenen Zornes losdrückt.

Heidegger.

Ein Unglücklicher! sagt ein Schuft!

ein Verläumder! ein Libellist! ein . . .

Nochmals um Verge­

L andolt (ihn unterbrechend).

bung! seine

Die Meinungen über Wafers Prozeß

Absetzung

sind

bleiben

und

getheilt.

und

Die

jüngsten Gerüchte, die über ihn in Umlauf, sind das Fabrikat eines fieberkranken, gepeinigten Gehirnes.

Heidegger.

Ich verzeihe dem Herrn Kanzler

die Vertheidigung eines

Elenden;

sie macht seinem

Herzen Ehre, seinem Verstände nicht.

Ich habe schla­

gende Beweise von dem unruhigen, intriganten Treiben des Erpfarrers von Kreuz.

Erinnert Ihr Euch nicht

an das schmachvolle Plakat, das vor sechs Monaten

gegen den

Bürgermeister nächtlicher

Weile an das

Rathhaus angehestet wurde?

Landolt.

Wie sollte ich nicht?

Es empörte

mich, wie jeden Redlichen.

Heidegger.

es bestimmt.

Landolt.

Es kömmt von Maser her, ich weiß

Es ist sein Styl, sein giftiger Styl. Sie sind in einem unseligen Irrthum

befangen, Herr Bürgermeister; Wafer ist nicht feige, nicht heimtückisch.

Der Arme!

Seine Angriffe sind

zu seinem Unheil nur allzusehr unverdeckt.

Wenn er

zürnt, legt er seine geheimstell Gedanken an den Tag.

Heidegger.

Glaubt, was Ihr wollt; mir ist er

im Grund der Seele verhaßt.

Feind unseres Gemeinwesens.

Er ist ein versteckter Zehn Burschen,

wie

er, und unsere auf natürliche geschichtliche Ent­ wicklung gegründete Republik geht in die Hände nicht einmal der hiesigen Bürger, nein, in die Pfoten des Landvolks über. An uns ist es, dem zuvorzu­ kommen. Landolt. Ich kann Ihrer Weisheit und lang­ jährigen Erfahrung nur schüchtern entgegnen. Ich wende mich an Ihre Milde, an Ihr Mitleid.

Heidegger. Er suche anderswo kommen. Was will er hier?

sein Unter­

Landolt. In diesem Augenblick will er sich mit historischen Arbeiten befassen. Johannes Müller trägt ihm hier einige Arbeit auf. Heidegger. Ganz unerwünscht. Seid auf Eurer Hut. Das Archiv soll nicht dem ersten besten geöffnet

sein. Landolt. Das sag' ich auch; aber für einen so speziell angegebenen Zweck, für die Glorie des helve­

tischen Vaterlandes? . . . Ich

Heidegger. Bah! bah! bah! Verba et voces! sehe hier Convolute geöffnet. War das für

ihn? . . . Landolt. Zum Theil. Heidegger. Unter Eurer Verantwortlichkeit? Landolt. Ich konnte der Intervention Müllers

und Oberlins das nicht abschlagen. Heidegger. Oberlins? des Straßburger Pro­ fessors? Er! für Maser! Unmöglich! Landolt. Verzeihen, Herr Bürgermeister! Hier liegt ein direkt an mich gerichtetes Schreiben vor. Ich

habe dem Maser nicht einmal davon gesprochen, wollte seinem dringenden Begehren nicht eine doppelte Hand­ habe bieten. Heidegger. Ohne Indiskretion . . . kann ich das Empfehlungsschreiben einsehen? L an d o lt. Warum nicht ? (Er öffnet eine Schublade, nimmt einen Brief heraus und reicht ihn dem Heidegger.)

Heidegger. Französisch? Sonderbar! (Er lieft.) Le professeur Jörömie Oberlin a Fhonneur de recommander au bon accueil de M. le chancelier Landolt, ä Zurich, le sieur Henri Waser, ancien pasteur ä Kreuz, qui doit 6tre parfaitement eonnu de lui, et qui lui exposera Fobjet de sa demande, Le soussignä saisit cette occasion pour renouveler ä, M. le chancelier Fassurance de sa haute estime. J. J6b6mie Oberlin. (Er wirst den Brief auf den Schreibtisch.) Und das heißt Ihr ein Empfehlungsschreiben? Das ist ein, ich weiß nicht auf welchem Wege, abgerungenes, abgezwungenes

Schriftstück, und sagt gerade das Gegentheil aus, von dem, was es Euch zumuthet. Warum schreibt Euch der Straßburger Professor französisch? Er blast Euch damit in die Ohren: Mache mit dem Wisch, was Du willst; ich konnte nicht anders. Landolt. Also, glauben Herr Bürgermeister . . . Heidegger. Herr Bürgermeister sehen, wissen, greifen mit beiden Handen, daß Jeremias Oberlin

sich mit Waser keineswegs befassen will, und ihn lieber im Lande wüßte, wo der Pfeffer wächst, als in Straßburg oder Zürich.

Dreizehnte Scene. Heidegger. Landolt. Schnitz.

(Schnitz

bleibt verlegen an der Thüre stehen, da er den Bürgermeister

erblickt.)

Sie verzeihen, Herr Bürgermeister . . .

Landelt.

Nun, Schnitz, habet Ihr das Verlangte gefunden? Nein, Herr Kanzler; meine Frau hat

Schnitz.

den alten Flaus dem Schneider zum Ausbessern ge­

bracht. Und Ihr habt dort nicht nachgesehen?

Land oll.

Doch, Herr Kanzler; das Papier war

Schnitz. nicht mehr drin.

L aN d 0 lt gut!

(unterdrückt eine Bewegung der Ungeduld).

Schon

Ein alter, Ver­

(zum Bürgermeister sich wendend, halblaut)

geßlicher Mann, aber ein treuer Diener.

(Schnitz, auf ein

gegebenes Zeichen, entfernt sich nach dem Hintergründe zu.)

Heidegger.

Ohne Indiskretion, Herr Kanzler,

darf ich fragen, welches Schreiben vermißt wird?

Landolt. Etwas ganz unbedeutendes! Ich habe keinen Rückhalt gegen Sie.

Ein Begehren Masers,

das Archiv zu einem bestimmten Zweck benutzen zu dürfen. Heidegger,

So! so!

Das

müßt Ihr doch

wieder auffinden! Gelegentlich wäre das ein Beweis­

stück gegen den Bittsteller.

Landolt

Aber,

(erschreckt).

Herr

Bürgermeister

verzeihen mir, wenn ich gegen jede Verdächtigung des armen Masers einkomme. sonnenklar

und

Beargwohnten.

ganz

zu

Der gegenwärtige Fall ist Gunsten des

von Ihnen

Er sucht ehrliche Arbeit . . .

Heidegger (laut auflachend).

wird

auf

er,

die

eine

gleicht

Bauernente

er;

Euch

die

oder

kompromittiren

andere

Art.

Der

in

einer

ihr ist nur wohl

Mistlache. (mit kaum unterdrücktem Unwillen).

8an d o lt

mein Jugendfreund,

Er

war

bis jetzt habe ick ihn nicht

und

verstoßen.

Nach Gutdünken.

Heidegger.

beral gegen

Da Ihr so li­

den Amanuensis von Johannes Müller,

werdet Ihr mir wohl die Akten

des Waldmann'schen

Prozesses zu näherer Einsicht nicht versagen. Herr Bürgermeister haben zu befehlen.

Land oll.

dig;

habe

Ihr seid sehr gnä­

Bien obligö!

Heidegger.

doch keinen französischen

Empfehlungsbrief

(Geht ab.)

mitgebracht.

Vierzehnte Scene. Landolt. Schnitz. 8 a n d o l t (sieht dem Abgehenden mit verächtlichen Süden nach.) Ein

Ehrenamt versehen,

mit

danken

in

der Brust! ....

Wenn

ich

Dir

mit

doppeltem

brauche

dazu

behülflich Frohgefühl

keine

diesen

gehässigen

Armer, kann,

sein

Ge­

armer Waser! soll

es jetzt

geschehen....................... ich

Mahnung

aus

Straßburg

oder

Valeyres. — Schnitz!

Schnitz (kommt aus dem Hintergrund herbei). Herr Kanzler! Landolt.

Du

trägst

diese

Ladula

des Wald-

mann'schen Prozesses zu Herrn Bürgermeister. Schnitz.

Ja, Herr Kanzler.

Landolt (reicht ihm thänigst ein Recepisse.

Du begehrst unterUnd nun, geh' in Gottes

den Karton).

Schutz . . . Schnitz. Der ist allzeit nöthig (ab). Landolt. Und nun, zu Waser! (Die Scene

verwandelt

sich in WaserS Arbeits- und Wohnzimmer.)

Fünfzehnte Seme. Waser, hierauf Aenneli.

Waser (tritt herein und legt die Pergamente auf den Schreibtisch). Das war kein leicht errungener Sieg! Der gute Landolt! War ihm doch zu Muthe, als begehre ich Fleisch von seinem Fleische! Es soll ihn nicht reuen. Johannes Müller wird ihm ein Zeugniß aus stellen, das seinem Namen in fernen Geschlechtern Ehre machen soll. (Er klopft an die Dienstbotenthüre.) Aenneli!

Aenneli. Da bin ich, lieber Herr Pfarrer! Waser. Aenneli, Du siehst diesen Pack Perga­

mente ! Aenneli. Nun ja! Waser. Habe Sorge dafür, wie für Deinen Augapfel, wie für den lieben Kleinen Aenneli (lachend). Ihr spaßt . . . Waser. Nicht doch! In meiner Lage spaßt man nicht. Diese Pergamente sind mir von einem Freunde anvertraut, auf die Seele gebunden. Ich stehe dafür ein. Hier, in dieser Schublade, will ich sie verwahren. Sollte in meiner Abwesenheit irgend ein Zufall, ein Unheil, Feuersbrunst . . .

Aber, Herr Pfarrer!

Aenneli

(erstaunt).

Wafer.

Höre mich an!

allem Unheil;

Gott behüte mrs vor

aber alles ist möglich.

Sollte eine

Feuersbrunst, oder was sonst es sein mag, zu schneller Rettung nöthigen, Du greifst vor Allem nach diesem Päckchen, und rettest, gerade als wäre es pures, reines

Gold.

Aenneli (lächelnd). Was er (ernsthaft).

ihm . . .

Sollte

Auch vor dem Kleinen? Mit ihm . . .

ich

beim

Hörst Du, mit

Ausgehen

auf meinem

Arbeitstisch das Packet vergessen, lege es sorgsam in die Lade, verberge

es vor neugierigem

Blick,

vor

Jedermanns Auge!

Aenneli.

Ihr ängstigt mich.

Sind es denn so

gefährliche Schriften? Maser.

Das nicht, gute, liebe Seele. . . aber,

glaube meinem Wort, forsche nicht warum ... haft mich verstanden?

Du

Du versprichst mir ?

Aenneli. Alles, was Ihr wollt; nur zu meiner Beruhigung,

zu meiner Sicherheit,

wünsche ich zu

wissen . . .

Maser.

Ich glaubte, Du seiest nicht neugierig.

Sechszehnte Scene. Landolt.

Maser (citt

bester!

Die Vorigen.

Landolt entgegen und drückt ihm die Hand).

Was danke ich nicht Deiner Güte!

Zutrauen!

Aller-

Deinem

Ich komme . . . Du kommst, um den Empfangschein Der Bürgermeister mit seiner Fratze

Landolt. Was er. nachzuholen.

vertrieb mich; Du vergibst wohl? Landolt. Schon gut! Und Du verzeihst mir meine Aengstlichkeit. Maser. Aenneli, laß uns allein. (Aenn-n geh« durch die Nebenthiire ab.)

Siebenzehnte Scene. Landolt.

Maser.

W a s e r (hat sich an den Arbeitstisch gesetzt). Ich stehe zu Deinem Befehl. Landolt ldictirt.) Ich Endes unterschriebener, Hein­ rich Maser, ehemaliger Pfarrer zu Kreuz.... Wafer (mit Nachdruck). Ehemaliger Pfarrer zu Kreuz . . . Landolt. „Bescheinige, von Herrn Kanzler Landolt, Stadtarchivar von Zürich, zwölf auf die Grafschaft Kyburg bezügliche Dokumente aus dem

14. und 15. Jahrhundert zu temporärer Privatarbeit entliehen zu haben, und verpflichte mich, auf erstes Requistt, solche wieder in das Stadtarchiv und in die Hände des obgenannten Kanzlers zurückzuliefern." Wafer (reicht ihm das Papier). Tausend, tausend Dank! Ich empfahl so eben der treuen Dienstmagd,

diesen Schatz, wenn etwa . . . Landolt. Schon gut! Es wird kein Unglück stattfinden. Aber Du und ich, wir müssen auch das

Unwahrscheinlichste berücksichtigen. Und nun ruhe der Segen von oben auf Deiner künftigen Arbeit! Wafer (mit unterdrückter Bitterkeit). Bis jetzt habe ich noch wenig Manna auf meiner Wüstenbahn aufge­ lesen; aber Du, mein Bester, Du und Lavater, ihr versöhnt mich mit meinem Schicksal. dolts Arme.

(Er wirft sich m Lan-

Der Vorhang füllt.)

Ende des zweiten Actes.

Dritter Ick. Erste Scene. Die Sakristei des Zürcher Münsters.

Durch ein Fenster

des Hintergrundes sieht man einige Bogen des Seitenschiffes. Orgelklänge.

Lavater

tritt im Priestertalar herein und setzt sich in einen Lehnstuhl.

Sonderbar! Selten fühlte ich micb nach einer Predigt so erschöpft als heute. Wäre nicht das Thau­ wetter und der Föhn, ich glaubte mich am Eingang einer schweren Krankheit. (Er verbirgt sein Gesicht in beiden Händen. Die Orgel begleitet den Schlußgesang der Gemeine.

Frühling weht auf Berg und Triften, In den Lüften Wirbelt froh der Vögel Chor!

Töne, Lied, in unsrer Mitte!

Bring' der Kinder fromme Bitte So zum Vatersitz empor! Gott und Vater!

Wenn wir trauern,

Stärk' uns so mit deinem Wort,

Und aus diesen ird'schen Mauern

Trag' uns in den Himmel fort.

Von der Wiege bis ans Ende, Sende, sende Gottsohn deinen Geist herab:

Auf die Taufe, auf die Gatten, Auf die Kämpfer, so ermatten, Auf den Sarg und auf das Grab. HeiL'ger Geist! Mit deinem Frieden

Komm' herunter, frühlingsgleich! Eine mild, was sich geschieden,

Zieh' uns groß für Gottes Reich. (Die Orgel geht in jubiltrende Töne über.

Mit den letzten Akkorden tritt

der Diener Jakob im Kostüm eines SakristanS herein.

Bei dem Knarren

der Thüre scheint Lavater wie aus einem Schlafe emporgeschreckt.)

Zweite Seme. Lavater. Jakob.

Jakob. Tausendmal um Vergebung, Herr Antistes! Ich sah es wohl; Sie verließen die Kanzel, müde, unwohl, vor dem Schlußgesang. Und doch muß ich Sie stören. Herr Bürgermeister ist im Chorstuhl zurückgeblieben, er wünscht sogleich Sie hier zu sprechen. Lavater. Warum nicht zu Hause, oder warum bescheidet er mich nicht in den Rathssaal? $aibtl eine ungeduldige Bewegung).

Heidegger.

O, ich verstehe!

Herr Antistes,

der Staatshaushalt, auch in einem kleinen Gemeinwesen

wie Zürich,

gleicht nicht,

kann nicht dem Haushalt

eines einfachen Bürgers gleichen.

Es kommen unvor­

hergesehene Ausgaben, die gedeckt werden müssen,

ich

gebe Euch darauf mein Ehrenwort — (mit Nachdruck) die

gedeckt werden müssen, und da greift man gezwungen

in solche Gelder zurück, Zweck dienen.

die keinem ganz bestimmten

Aber ich dächte, daß der Zweck, unbe­

Lavater.

mittelten Bürgern für den öffentlichen Dienst einige Erleichterung zu verschaffen, bestimmt vorliegt, daß er so klar ist als die Frühlingssonne, die jetzt durch diese

Scheiben bricht. Heidegger (ungeduldig). In der That ein großes Unglück, .wenn Gevatter Schneider und Handschuh­ macher zur Uniformirung, die ihrer Eitelkeit schmeichelt,

etwas von dem Gelde abzwacken, das sie in den Wein­ schank tragen würden.

Lavater.

Wir haben die näheren Ausgaben des

Hausvaters nicht zu regeln; genug, ich wage eS, Euch

Diese Uebertragung

zu widersprechen.

aus einem Beutel in den anderen,

von Geldern,

mit einer anderen

Etikette, scheint mir vom Uebel.

So viel Ihr wollt. Davon ist hier

Heidegger. die Frage nicht.

Es gilt zu wissen;

ob ein Beamter

das Recht hat, als Privatmann, einem anderen Staate mitzutheilen, wie es in

den Staatsausgaben seiner

Heimath beschaffen ist. Lavater.

gewiß

Nein,

nicht,

das wäre ein

Mißbrauch seines Amtes. Heidegger. Nennt doch das Kind beim rechten

das ist Verrath, .ein Hochverrath.

Namen; sagt doch:

Lavater.

an

Aber, um's Himmelswillen, übt doch

Euern Brüdern

Barmherzigkeit

und Nacksicht.

Was haben die Enthüllungen in Schlözers Briefwechsel mit Masers Arbeiten gemein.

Heidegger.

mein?

So?

Meint Ihr?

Nichts

ge­

In unserem Stadtarchiv allein liegen solche

Ziffern vor.

Ein Schuldiger muß da sein, Landott

oder er, er oder Landott

Laval er

Beargwohnt Ihr Landott?

Irgend Jemand zu beargwohnen ver­

bietet mir die christliche Milde.

Der Fall ist uner­

klärlich. Ich wiederhole dagegen wie Ihr:

Heidegger.

Der Fall ist klar wie Vie

Frühlingssonne,

die hier

durch diese Scheiben bricht.

Lavater.

Ihr müßt zuvörderst Landott darüber

vernehmen.

Zweifelsohne, das war mein Vor­

Heidegger.

satz ; doch vorgehen wollte ich nicht, bis ich mit Euch

gesprochen und Euck von Eurer

väterlichen Nachsicht

für einen Vaterlandöverräther geheilt. Lavater.

Ihr erschreckt mich,

aber überzeugt

Weder Landott noch Maser sind

mich keineswegs.

solcher Veruntreuung fähig.

Heidegger Ich sehe, ich muß Euch des weitern überzeugen.

Kennt Ihr Masers Handschrift?

Lavater.

Wie sollte ich nicht? — Wie meine

eigene. Heidegger.

ihm ein kleines Heft.)

Nun, so überzeugt Euch

(Ergibt

Oesinet immerhin!

Lavater(liest). „Zürich, wie es ist"' (Er blättert.)

Das ist in der That Masers Handschrift. Heidegger.

Nähern angeben.

Nun

laßt mich den Inhalt des

Es ist das imfamste Libell, das je

aus der Feder eines unverschämten Pamphletisten ge­

flossen.

Eine Anhäufung

von Beschuldigungen und

Verdächtigungen, von Halbwahrheiten, wie Sie nur

ein undankbarer, hergelaufener, gehässiger Halbbürger

5*

erfinden konnte! Wäre nur die Hälfte, nur der zehnte Theil dieser Behauptungen richtig, so bliebe nur Eines übrig: die Fackel zu legen an Kirchen, Rathhaus und Bürgerwohnungen Zürichs, und Salz zu streuen auf

die Brandstätte, wie weiland Kaiser Barbarossa that im heimtückischen Wälschland. Lavater.

Ich muß Euch zuvörderst aus's Wort

glauben, daß der Inhalt verbrecherisch; daß er von einem Ende zum anderen unwahr; daß jeder ange­ führte Umstand tadelnswerth. Ich muß Euch glauben, daß eine verrätherische Hand die Fakten so und so zu­ sammengestellt und die Farben stark aufgetragen. Aber, wie kommt Ihr in den Besitz dieser Schrift? . . .

Heidegger.

Wie? . . .

Ihr seid naiv, Herr

Antistes! Auf ganz natürlichem Wege; auf der Post. . . denn der Schreiber war unverschämt genug, seine Schmähschrift — mit Schlözers Adresse — der hiesigen Briefpost zu übergeben. Lavater. Und Ihr habt das Briefgeheimniß? . .. eine vertrauliche Mittheilung, die gewiß so böse nicht

gemeint war,

den Ausfluß eines durch Unglück ver­

wundeten, erbitterten Gemüths . . . Ihr habt . . .

Heidegger (taut auflachend). Ja! in der That! Ich habe... ich habe gethan, was keine vernünftige

Regierung je zu thun verschmäht hat, wenn die Noth an den Mann geht, wenn es gilt, für das Gemeinde­ wohl zu sorgen. Lavater. Das Gemeindewohl ist ein elastischer Begriff, Herr Bürgermeister. Wir evangelische Christen, wir verdammen die spanische Inquisition.

Mit Euren

Prinzipien würden wir nach und nach denselben Weg einschlagen und zu demselben Ziele gelangen.

Die spanische Inquisition verthei­

Heidegger.

digte rücksichtslos ihren Standpunkt, ihren Staat mit

Feuer und Schwert.

pflicht befiehlt uns, kommenes

Unsere Pflicht, unsere Bürger­ ein von

den Altvordern über­

Gemeinwesen

gegen

gemeinschädliche

Wesen zu vertheidigen.

Lavater.

Ihr wollt also? . . .

Heidegger. gehen.

Ich will der Sache auf den Grund

Ist Maser schuldig, wie ich es glaube, so

falle auf ihn die ganze Schwere des Gesetzes.

Lavater.

Ist er schuldig, nun ja, so mag ihn

der Große Rath aus der Stadt verweisen.

Der Un­

selige suche dann anderswo sein Unterkommen.

Heidegger.

Ihr

wähnt,

Antistes,

sei

es

damit abgethan, solchem Subjekt, das schon den Prie­

sterrock verunreinigte, den Laufpaß zu geben?

Ein

Exempel muß statuirt werden, das jeden anderen ab­

halte von solchem Vergehen.

Es kocht im Landvolk;

unser Regiment ist nicht mehr beliebt, so sei es denn

gefürchtet. Lavater.

Furcht ist ein böser Zuchtmeister.

Heidegger. gute Worte hört;

Die

Ruthe

dem,

der nicht

die Liktorenruthe, versteht

auf

Ihr,

wie im alten Rom.

Lavater.

Ihr scherzt freventlich, Bürgermeister.

Die Liktorenruthe verbarg das Beil in ihrem Bündel.

Heidegger.

Deswegen brauche ich das Bild.

Lavater. Ihr wolltet, zu einer Zeitepoche, welche selbst in

monarchischen

Staaten

den

alten. Justiz-

apparat in die Rumpelkammer wirft, ihr wolltet, um ein Preßdelikt, um einer Schmähschrift willen, ver­ altete Penalvorschriften Hervorrufen, zur Einschüch­

terung eines armen Skribenten und zur Ergötzung eines Parterre von Philantropen, die mit den Fin­ gern auf die republikanische Schweizerjustiz hindeuten würden? Heidegger. Um den Applaus oder Tadel aus­

wärtiger Afterphilosophen kümmere ich mich wenig.' Die Würde des Amtes, das ich versehe, und das mir richterliche Befugnisse zuerkennt, auferlegt, diese Würbe

soll unungetastet bleiben. Die strengste Gerichts­ ordnung werde ich einzuhalten wissen. Lavater. Nicht jeder Rathsherr, Gott sei es gedankt, hat solche drakonische Gedanken. Heidegger. So wenig als Solonische; aber gesunden Menschenverstand haben die Bürger hier, und werden einsehen, daß ein beschmutzter Rathsherren-

mantel nicht in einer larmoyanten Regentraufe, son­ dern im Blute gewaschen werden muß. Lavater. Ihr preßt mir die Brust zusammen. Ihr thut Unrecht. Ich weiß, daß es mit Euren Aornausbrüchen nicht Ernst, daß Ueberlegung Euch besänftigt, daß auch Ihr milderen Gefühlen zugänglich seid... ich weiß es, und dennoch erschreckt Ihr mich. Heidegger. Euch zu verwunden, thut mir leid; aber ein giftiges Insekt, eine Natter aus dem Wege räumen, das will ich, das ist meine Pflicht. Jakob (steckt ben Kopf schüchtern durch die Thüre). Herr Antistes, darf ich unterbrechen? Der Rathsherr Salo­ mon Geßner bittet um Einlaß.

Heideg ger

Er

kömmt gerade recht;

er

ist

willkommen.

Vierte Scene. Geßner,

Geßner.

Meine

Lavater,

Heidegger.

Herren Kollegen, ich komme

ganz bestürzt, bei Herrn Bürgermeister mich zu erkun­

digen ; es verbreitet sich in der Stadt ein unglaubliches

Gerücht.

faßt.

Auf der Post seien verdächtige Papiere ge­

Der Name Wafers taucht wieder auf.

Heidegger. spricht die

So ist's, Herr Geßner; diesmal

öffentliche

Stimme

die

reine

Wahrheit.

Verdächtige, verrätherische Papiere in der That! Euer

Schützling . . . Geßner. Sollte mir

Heidegger. tistes.

leid um ihn sein!

Ein

Ich kann es noch nicht glauben.

fähiger Mann!

So ging, so geht es Herrn An-

Ihr sollt, meine Herren Kollegen, Ihr sollt

mit eigenen Ohren hören, mit eigenen Augen sehen.

Herr Salomo Geßner, wir leben hier nicht in Arka­ dien.

Nicht auf den höchsten Alpenmatten finden wir

Daphnis imb Chloe.

Doch Ihr habt ja auch den

ersten Brudermord erzählt; nicht in allen Euren Idyllen

schnäbeln flch die Tauben;

auch Geier schweben über

den Heerden. lavater

Herr Bürgermeister, der Gegenstand

und der Ort find allzu ernst.

Lassen wir Arkadien

bei Seite.

Geßner.

Euren Spott, Herr Heidegger,

läßt

sich der Autor gefallen, doch der Menschenfreund wider-

strebt

daß ein Sohn

dem Verdacht,

der Schweiz

zum leichtsinnigen Verräther wird an Stadt und Va­

terland. Heidegger.

Begleitet

mich auf dem

den meine Pflicht mich

Wege,

führt.

rauhen

Seid selber

Euch, Herr Antistes, niedergedrückt wie Ihr

Zeuge.

seid, Euch spreche ich

nicht an um Eure Assistenz.

Kommt mit mir, Herr Geßner. Gehn er.

Wohin? Auf das Stadtarchiv (Heidegger und

Heidegger. Geßner ab.)

Fünfte Scene. Lavater.

lEr kniet an einem Betstühle nieder.)

Gott und Vater, wenn wir trauern, Stärk' uns du mit deinem Wort, Und aus diesen irdischen Mauern, Trag' uns in den Himmel fort. (Ab.) Die Orgeltöne in der Kirche wiederholen daS Motiv zu diesen Schlußversen. Die Scene verwandelt sich.

Sechste Scene. Das Stadtarchiv.

Schnitz. Landolt. (Schnitz

kommt die hintere Treppe herunter.

Landolt

Landolt Schnitz.

In demselben Augenblick tritt

durch die Hauptthüre herein.)

(verstört).

Ist Wafer nicht dagewesen?

Nein, Herr Kanzler.

Landolt.

dagewesen? Schnitz.

Besinnt

Euch.

Er ist heute nicht

Ja so, Herr Kanzler, diesen Morgen

ist er dagewesen; er will wieder kommen, hat Wich­

tiges mitzutheilen. Landolt. Sah er nicht verlegen, bestürzt aus? Schnitz.

Nein, Herr Kanzler.

Landolt.

Besinnt Euch!

War er nicht finster?

Hat er wie sonst gearbeitet? Schnitz. Finster war er nicht; er war fröhlich, wie nie.

Und kein Blatt hat er angerührt.

Landolt M sich selber).

Sonderbar! Er weiß von

nichts.

Siebente Scene Wafer. Landolt. Schnitz.

Maser (eilt

auf Landolt zu).

bester, bester Freund!

langer,

Gute Nachricht! mein

Endlich ein Sonnenblick nach

finsterer Winternacht.

Du mußt mich an­

hören, Du mußt, Du wirst mir verzeihen. blickst Du so finster, so trübe?

Warum

Ich habe, vergib

mir, ich habe von den hier gesammelten Noten einige

Ziffern an Schlözer in Göttingen geschickt. hocherfreut darüber. seine Mühle;

Er ist

Die Zahlen sind Wasser auf

ich meine für seine Kollektaneen,

für

seinen Briefwechsel. Landolt

Maser.

(macht Miene ihn zu unterbrechen.)

Du mußt mich zu Ende hören.

Er

läßt mir schreiben, durch seine Tochter schreiben: „Er wäre selber hiehergekommen, dem Zürcher Regiment zu

danken, die Recherchen in demselben Sinne fortzusetzen; aber er fühle sich zu alt, die Jahreszeit noch zu rauh."

Er schickt uns seine Tochter her, Du kennst ja den Ruf der Dora Schlözer; Du wirst eine herrliche Er­

scheinung sehen, eine zehnte Musel so

düster;

mert? theilen.

scheinst verwirrt.

Du

wissen,

Laß es

laß

Aber Du blickst

Bist Du beküm­

mich Deinen Kummer

Du warst bis jetzt mein Trost, meine Stütze.

Laß mich Dir vergelten.

Landolt.

Maser, was hast Du gethan?

Du

stürzest Dich und mich ins Verderben. Du

Maser.

redest

sage, ich wiederhole

Mann,

der

irre,

Geheimer.ath

Georgs des Dritten,

mein

Freund!

Ich

Schlözer, der einflußreiche

Dir,

Schlözer,

der

Schützling

er läßt dem Zürcher Regiment

danken.

Du,

Landolt.

Maser!

Du

verlierst

den

Verstand,

Was liegt dem Zürcher Rath an England?

Wenn es Frankreich wäre, Versailles, ja, vielleicht! Maser, was hast

Du gethan?

trauen nicht gerechtfertigt . . .

Du hast mein Zu­ Ohne mein Wissen

und Willen, hast du an Andere, als Johannes Müller, Mittheilungen gemacht. Wir sind verloren! Maser.

Unmöglich, Landolt!

Wenn Du einen

Verweis erhalten solltest, hundertmal würde er ausge­ wogen, auch bei einem Zürcher Regiment, durch das

einflußreiche Wohlwollen eines

der ersten Gelehrten

Europas.

Landolt.

Maser!

Unseliger Freund! Bis jetzt

wußte ich Dich über die Maßen unglücklich;

aber

auf diesen Grad unsinnig und verblendet, nein!

Ant--

Worte mir! Hast Du nichts anderes als Zahlen nach Göttingen gesendet?

Nun, ich will Dir nur ge­

Maser (etwas verlegen).

stehen, daß ich im vertrauten Briefwechsel mit Schlözers Tocbter, in einer trüben elegischen Stunde mich

gehen ließ, mich über hiesige Zustände und meine im­ mer noch sehr gedrückte Lage aussprach, daß ich in­

ständig bat, mir in Göttingen Unterhalt

und

Be­

schäftigung zu erwirken.

Unglücklicher!

Landolt.

Papiere sind ausgegriffen, Feindes!

Unvorsichtiger!

in

Die

Händen Deines

den

Du und ich, wir sind verloren.

Maser (bestürzt). ... So breche der Himmel über mir zusammen, so

vernichte

mich

Gott mit seinem

Donner! Vergieb! Vergieb! ich schleppe das Unglück

wie eine Pestbeule

in meinem Nacken mit mir . . .

Doch nein, Du siehst allzuschwarz. Es ist nicht möglich. Nein, selbst Heidegger kann nicht so grausam, so un­ sinnig grausam gegen mich verfahren.

Und ®u vol­

lends, Du bleibst aus dem Spiele.

Du irrst; kennst Du denn nicht die

Landolt.

Strenge unserer mittelalterlichen Gesetze gegen Verun­

treuung in öffentlichen Aemtern? Maser.

Verrostete,

veraltete

Massen in einer

die seit Jahren geschlossen.

Rüstkammer,

Mer wagt

es, in unseren Tagen, mit solcken Waffen auf dem

Forum der Öffentlichkeit sich zu zeigen?

todt,

aber

sein

Geist

beseelt

noch

Voltaire ist

seine

zahllosen

Jünger.

Landolt.

Du rufst eine grausige

unheimliche

Schaar von Heiligen zu Hülfe! Wafer, wir sind ver­ loren.

(Man hört auf der Treppe und an der Hauptthüre die schweren

Tritte mehrerer Personen.)

Landolt

(zu Schnitz, der während dieser ganzen Unterredung

verlegen zur Seite gestanden oder sich an den Repositorien zu schaffen ge­

macht).

Welche ungewöhnlicher Lärm? . . . Sehl

doch

zu, wer kommt.

Achte Scene. Heidegger und Getzner; Echarwächter,

(Die Thüre öffnet sich; es treten herein:

ihnen ein

Gerichtsschreiber;

hinter diesem vier

hinter welche

die Thüren beseht halten.'»

Heidegger.

Herr Kanzler, Ihr seht mich nicht

hier als Bürgermeister; ich komme als Jnstruktions»

richter.

Der Zwanziger-Ausschuß delegirt mich, bei

Euch und hier gegenwärtigen Erpfarrer

von Kreuz

über gewisse staatsverbrecherische Vorkommnisse zu in-

quiriren.

Ihr werdet mir zur Rede steh'n.

Maser

(mitfester Stimme).

Ich bin bereit!

Wenn

ein Fehler begangen ist, so liegt die Schuld an mir. Heidegger.

Schweigt! Ihr seid nicht befragt!

(Er winkt dem Gerichtsschreioer sich an den Schreibtisch

niederzulasien.)

Mit Euch, Kanzler, habe ich vorerst allein zu handeln.

Wo ist indeß in der Nähe ein gehöriger Raum zur Wahrung

und Abschließung von Erpfarrer Maser?

Maser.

Ich denke nicht daran, mich dem Ge­

richte zu entziehen.

Es muß mir selber an rascher

Untersuchung gelegen sein. Heidegger.

Landolt.

Schweigt!

Wenn Herr Bürgermeister erlauben,

wird Herr Pfarrer Wafer sich unterdeß im obern Stockwerk aufhallen. Heidegger. Ganz wohl! Gebt ihm Euren Gehülfen mit und einen der gegenwärtigen Wächter. Euer Gehülfe haftet für ihn. (Maser, Schnitz und ein Scharwächter steigen durch die Hintertreppe in daS obere Stockwerk).

Neunte Seene. Heidegger, Getzner, Landolt, der Gerichtsschreiber. (Auf einen Wink Heidcgger's entfernen sich die Wächter und besetzen die äußere Thüre.)

Heidegger. Ihr nehmt zu Protokoll, was Herr Landolt auf meine Fragen antworten mag. — Seit wann arbeitet Wafer auf dem Stadtarchiv? Landolt. Seit verflossenem Januar. Heidegger. Täglich? Landolt. Täglich vier, fünf, sechs Stunden. Heidegger. Er hat Euch um Erlaubniß an­

gesprochen ? Landolt. Ja, Herr Bürgermeister, durch einen Spezialbrief; corroborirt, wie Sie wissen, durch ein Empfehlungsschreiben von Jeremias Oberlin und Jo­ hannes Müller. Heidegger. Ihr könnt diese Briefe als Belege beigeben? Landolt. Ich habe die Empfehlungsschreiben aufbewahrt. Das Begehren von Wafer ist verzettelt.

Heidegger. Ich weiß . . . Welcher Art Schriften sind hier dem Wafer mitgetheilt worden?

Landoll

(nach einer Pause).

betreffend. Heidegger.

Akten, den Kriegsfonds

Ich glaubte nur historische Doku­

mente für Johannes Müller.

Landolt. Die nahm er zu schnellerem Vorgehen nach Hause mit. Er behauptete, die modernen Akten als Parallele zu brauchen mit

den Zuständen ver­

gangener Jahrhunderte. Heidegger.

Ihr gabt ihm ohne Weilers Per­

gamente nach Hause? Landolt. Gegen Empfangsschein. sie regelmäßig nach wenig Tagen aus.

Er tauschte

Heidegger. Ihr habt ihm ein Zutrauen er­ wiesen, das er nicht verdient. Seid Ihr gewiß, daß er keine andere Papiere mit nach Hause nahm, nichts

veruntreuen konnte? Landolt. Ich glaube dessen gewiß zu sein. Heidegger. Ihr thatet nicht wohl, da Ihr ihm in das hiesige Regiment einschlagende Dokumente unter die Augen legtet. Landolt. Ich erkenne meinen Fehler; es ge­ schah in der besten Meinung, ihm und der vaterlän­ dischen Geschichte einen Dienst zu erweisen.

Heidegger Eure langjährigen Dienste und Eure Rechtlichkeit sprechen für Euch, Ein Nichtswür­ diger hat Euch auf eine unverantwortliche Weise be­

trogen. — Ihr habt auf Ehrenwort Arrest zu hallen in Eurer eignen Wohnung und bereit zu sein für weitere Verantwortung und Erklärung. Ihr seid ent­ lasten.

(Landolt macht eine stumme Verbeugung und entfernt sich.)

Heidegger

(sich zu Getzner wendend).

Bin ich zu strenge,

Herr College?

Bis dato seid Ihr gerecht.

Geßner.

Heidegger

(zum Gerichttzschreiber).

Bescheidet den Er-

pfarrer Maser hierher. (Gerichtödiener gehl nach dem Hintergründe und steigt die Treppe hinau'.)

Heidegger (zu Gegner).

Ihr werdet sonderbaren

Cnthüllungen beiwohnen und

mir bald

zugestehen:

habemus confitentem reum.

Zehnte Scene. Heidegger, Geßner, Gerichtsschreiber mit Maser, Schnitz und den Scharwiichtern. Beide Letzteren entfernen sich durch die Eingangsthüre

Heid egg er (zu Wasen.

Ihr habt Euck

vor etwa

vier Monaten an Kanzler Landolt gewendet, um Einlaß

hieher

Mas besagte Euer Begehren?

Maser

Auf den wörtlichen Inhalt besinne ich

mich nicht mehr. Heidegger. Habt Ihr die Arbeit, die Ihr vor­ nehmen wolltet, nicht spezisizirt?

Maser.

Wohl möglich, in der That.

sinne mich nicht.

Ich ent­

Mein Gedächtniß ist abgeschwächt

durch Kummer und Bedrängniß.

Heidegger.

Schon gut! Schon gut!

Ihr be­

gehrtet Einlaß, um einige historische Dokumente anzu­

sehen, nicht wahr? Maser.

Wenn Herr Bürgermeister meine Ge­

danken und Wünsche errathen, weiß ich nicht, warum ick des Näheren befragt werde.

Heidegger (beißt sich in die Lippen und zieht einen Brief aus der Rocktasche).

Kennt Ihr diesen Brief,

diese Hand­

schrift?

das ist mein Begehren

Ganz gewiß;

Was er.

an den Archivar. Heidegger. einer

speziell

Nun, das besagt, daß Ihr hier

historischen

Arbeit

obliegen wolltet.

Gerichtsschreiber notirt, daß Waser, hierüber beftagt,

diesen speziellen Zweck in Abrede stellte.

Waser. Dagegen muß ich einkommen; ich klagte

über mein schlechtes Gedächtniß. Heidegger.

Schon gut!

Schreiber,

wie ich

diktire.

G e ß n er

(macht eine ungeduldige Bewegung.)

Heidegger.

Herr Kollege,

ich bat Sie,

dem

Verhöre beizuwohnen; die Bemerkungen aber verbitte

ich mir zum Voraus.

(Zu Waser.)

Eure Arbeit be­

schränkte sich auf das Archiv, nicht wahr? Waser

(nach einer Pause).

Ich

darf der Wahrheit

nichts vergeben; ich arbeitete ebenfalls zu Hause. Wenn dies gegen die judäisch ausgelegte Regel verstieß, so ist die Schuld allein an mir.

Kanzler Landolt gab,

unwillig, meinen dringenden Bitten nach.

Heidegger.

So, so! Herr Kanzler beging einen

unverzeihlichen Fehler,

und

Ihr übtet einen Druck

auf ihn, einen Druck, der einer Bestechung gleichkommt.

Die Einen bestechen mit Geld, die Anderen (spöttisch)

durch eine erprobte Rednergabe und die Berufung auf eine alljährige Freundschaft, auf die wohlbekannte sen­ timentale Herzensgüte diktire:

Waser gesteht,

— Gerichtsschreiber, wie ich

auf Kanzler Landolt

einen

wahren Druck ausgeübt und Pergamente zur Einsicht, nach Hause,

gegen die gesetzmäßige Vorschrift mitge­

nommen zu haben. —

Nichtsdestoweniger setztet Ihr

dieselbe, ich sage dieselbe Arbeit hier auf dem Archiv fort.

Wie vertheiltet Ihr die benutzten Fascikeln?

Was nähmet Ihr mit?

Was blieb hier?

Der Wahrheit gerecht zu werden, muß

Was er.

ich eingestehen, daß die Papiere, die ich hier zur Ein­

sicht vornahm, von anderer Beschaffenheit waren, als die nach Hause beförderten.

Heidegger

Ao, so!

Unschuldige,

unverfäng­

liche Papiere! Maser.

Sollten sie in anderem Lichte erscheinen,

so falle jede Schuld auf mich.

Landott, so wenig als

ich, sah in der Benutzung dieser Akten ein tadelns­ wertes Vergehen.

So! so!

Heidegger.

Ist etwa diese Nummer

von Schlözers Briefwechsel in Eure Hände gelangt? Keineswegs,

Waser.

Herr Bürgermeister,

ich

lese Schlözers Briefwechsel nicht. Aber die Maleralien dazu

Heidegger.

liefert

Ihr ihm, Ihr heimtückischer Schurke!

Waser (auffahrend). Herr Bürgermeister! Es muß,

nach Hamlets Ausspruch, etwas faul sein iip Staate Dänemark,

wenn

oie

Mittheilung

statistischer Ta­

bellen den Korrespondenten zum Schurken stempelt.

Heidegger.

Warum macht Ihr nicht geradezu

auf Belobung ^Anspruch? diktire:

Waser

gesteht,

Gerichtsschreiber, wie ich

dem Geheimerath Schlözer

zu seinem politischen Briefwechsel ehrenrührige Data

gegen das Zürcher Regiment zugeführt zu haben.

Waser Eurem

Das Epitheton kommt aus

(ihn unterbrechend).

Heidegger!

Herr

Munde,

Ich

Protestire

förmlich gegen die mir untergeschobene Absicht.

Protestation

Für Eure

Heidegger.

gebe

ich

Dem Zwanziger-Ausschuß liegt es

keinen Pfifferling.

ob, meine Ansicht zu

bestätigen,

rendes

Verdikt zu erlassen.

Rede.

Liegen bei

Euch

oder ein

absolvi-

Steht mir ferner zur

gegenwärtig

noch auf das

Archiv gehörende Dokumente? Waser

(nach einer Pause).

Heidgger

Ja, Herr Bürgermeister.

Wie viel?

Die Zahl könnte ich nicht bestimmen.

Waser.

Sie zu beschleunigen,

Meine Arbeit ging zu Ende.

gestattete mir Herr Landolt eine größere Anzahl von

Dokumenten, als früher, gewöhnlich, nach Hause mit­

zunehmen. Heidegger

Wie ich

(zum Gerichisschreiber).

diktire:

Waser gesteht zuletzt eine ganz ungewöhnliche Anzahl von Dokumenten entliehen zu haben.

Das Nähere

Wo sind die Charteken

wollen wir selber einsehen.

in Eurem Hause aufbewahrt?

Sie sind auf und in meinem Schreib­

Waser.

tisch zu finden.

Ich bin bereit, dazu dienlich zu sein.

Heidegger.'

Ist nicht

nöthig.

Ihr

wandert

von hier in Verschluß auf das nahe Rathhaus.

sind

noch nicht ganz zu Ende;

seid

Wir

eines ferneren

Verhörs gewärtig.

Teßner

(macht eine stumme Bewegung).

Heidegger.

Nichts für ungut, Herr Kollege,

Ihr seid Zeuge; ich handle. einem der Wächter ins Ohr.)

(Er geht an die Thüre und flüstert

Waser (im Abgehen, zu Heidegger gewandt). Seid stolz auf Eure That! Ihr überliefert einen Zögling -mehr in das Zürcher Waisenhaus. (Ab.) Heidegger. Ich begegne Ihrem Vorwurf, Herr Kollege, ich bin allzustrenge, nicht wahr? Gehn er. Ihr wollt' einen Schuldigen! Meide ab.

Die Scene verwandelt sich.)

(Stifte Scene. Wafers Wohn- und Arbeitszimmer.

Auf dem Schreibtisch

liegen Pergamente aufgehäuft.

Aenneli (tritt aus der Nebenthiire herein). Er schläft! Wie lang der Vater ausbleibt! und sagte doch, er würde in einer halben Stunde zurück sein; er wolle den Brief nach Straßburg an Fräulein Schlözer auf der Stelle beantworten. Er ist fort und läßt zum

erstenmale die verwünschten Speckhäute auf dem Schreibtisch. O! ich weiß, ich sehe, sein Herz ist ge­ theilt zwischen den fernen Lebenden und den nahen Todten. Und ich? ! (mit einem Seufzer) Ich bleibe ihm gut und treu. . . und er bleibt mir doch lieb und werth. (Man vernimmt einen Lärm von der Straße her, daS Geschrei von Gassen­

Was ist das ? ! (sie eilt an das Fenste ) Sehe ich recht? Gott stehe mir bei! Mein Herr! mein armer Pfarrer! in einem Wagen mit Schar­ wächtern ?! Er winkt mir, er fährt vorbei; Gott sei mir gnädig! (sie wankt in die Mitte deS ZimmerS und sinkt in die Kniee nieder) Und wieder Lärm! . . . Ich kann nicht hier bleiben . . . Die Stubendecke erdrückt mich. (Sie geht wieder an das Fenster.) Was sehe ich? Der Bürger­

jungen).

meister mit Gerichtsschreiber und Wache nähert sich

unserer Wohnung . . .

(sie eilt gegen die Eingangsthüre und

Und die Schartecken!

schließt sie ab).

Herr? . . .

bergen um jeden Preis. Scharwache auf der Treppe.)

(Man vernimmt die schweren Tritte der

@Ott! @Ott! wohin damit ? . . .

In den Schreibtisch? . . .

Da

Bei Leibe nicht ...

wird zuerst nachgesucht ... das Bett;

Was sagte mein

Bei irgend einem Zufall, sie reiten, sie

Ja! dorthin

es wird an die Thüre gepocht.)

Ja, klopft

(sie deutet auf

NUr!

(Sie er­

greift hastig einen Pack Pergamente und verbirgt sie in dem untern Theile des Bettes; einige bleiben in der Eile verzettelt am Boden liegen; einige

auf dem Schreibtisch.

Unterdesien wird wiederholt an die Thüre geschlagen.

Aenneli rafft die übrigen Pergamente auf Tisch nnd Boden zusammen und

nähert sich dem Bette; im selben Augenblick wird die Eingangsthüre gewalt­ sam geöffnet.

Herein treten: Heidegger, Geßner, Gerichtsschreiber, Schar-

Wächter. Aenneli bleibt wie versteinert an das Bett gelehnt stehen,

die Per­

gamente sind ihr aus der Hand gesunken.)

Zwölfte Stellt. Aenneli.

Heidegger.

Getzner. Ein Gerichtsdiener.

Da sehen Sie, Herr College, da

Heidegger.

überzeugen Sie sich! Das Schuldbewußtsein des ganzen Hauses tritt durch diese Handlung der Dienstmagd klar

an den Tag. lZu Aenneli.)

Was wollen Sie noch Beweise mehr?

Was machst Du

da,

Hehlerin fremden

Guts? Nicht wahr, Dein Herr und Meister hat Dich

angewiesen, wie Du

die entwendeten

im Nothfall zu versorgen hast?

Staatspapiere

Heraus damit?

Aenneli (zittert an allen Gliedern und gibt keine Antwort).

Heidegger

(zum Gerichtsschreiber).

Seht einmal nach

in dem Versteck.

Oerichtsdiener hervor und trägt sie, Schreibtisch)

(holt die im Bett geborgenen Pergamente

einem Wink des Bürgermeisters folgend, auf den

Heidegger. Ihr setzt bei mir ein Verzeichniß auf, besiegelt das Packet und hinterlegt das Ganze zu­ vörderst im Gerichtssaal. (Zu Aenneli.) Du bleibst als Hehlerin im Arrest. Aenneli (emporschreckend). In Arrest? Was ist das? Heidegger. Du gehst tn13 Gefängniß . . . nicht zu Deinem Herrn . . . Vorerst in's Zucht­ haus. Aenneli.

Habt

Erbarmen,

Herr

Bürger­

meister? Was soll aus dem Kleinen, was soll aus dem Kinde meines Herrn werden? Da liegt der arme Wurm allein in der Nebenkammer. Wer bleibt bei ihm? . . .

Geßner. Laßt Gnade für Recht ergehen, Herr Heidegger! Was hat die arme Dienstmagd so schwe­ res vergangen? Gestattet, daß ich eine Frage an die Arme richte. — Warum suchtest Du die Pergamente so sorgfältig zu verbergen?

Aenneli. Seien Sie gesegnet, Herr Rathsherr! Indem ich itt Ihre Augen sehe, kommt mir die Be­ sinnung. — Mein Herr hat mir befohlen, bei irgend einem Zufall besorgt zu sein, daß dieses gelehrte Zeug nicht in fremde Hände falle. — Ich hörte Lärm: ich versteckte die zerstreuten Schriftstücke unbedacht, wie

man Gold zu verstecken sucht, wenn — wenn

(sie stockt).

Geßner. Nur frei heraus! Aenneli. Wenn man sich vor Dieben fürchtet.

Geßner (zu Heidegger). In dieser kindlichen Frei­ müthigkeit erkennt wenigstens, daß die Arme unzu-

rechnungsfähig ist.

Ich stehe für sie ein.

Ich bitte

für sie, Herr Heidegger, laßt sie Mutterdienste bei dem verwaisten Knaben Wafers versehen.

Heidegger.

Augen wie ein

Fern sei von mir, mich vor Euren

österreichischer Landvogt zu geberden.

Ich will nicht, daß es heiße, ich verfolge den Wafer

in allen Gliedern seiner Familie.

Die Dirne hat es

Euch angethan, Herr Salomon Geßner! sie mag bei dem Knaben bleiben, aber hier in Zürich, zu weiterem

Verhöre.

Ihr steht wohl für sie ein?

Ganz gewiß.

Geßner.

Du horst, Du ver­

stehst, Aenneli? Du entfernst Dich nicht aus Zürich. Aenneli.

O!

sollte ich hin?

niß?

Das hat keine

Gefahr.

Wo

Mich entfernen von seinem Gefäng­

Nimmermehr!

Heidegger. Ihr bleibt hier!

Sperrt uns zu ihm!

Den Scandal voll zu machen? . . (Entfernt sich mit Geßner, dem Schreiber und der

Scharwache.)

Dreizehnte Scene. Aenneli Aenneli. den Sinnen!

(allein).

Herr Gott! erhalte mich'bei gesun­

Laß mich Mutterpflicht erfüllen, hier

(auf die Nebenstube deutend)

und Kindespflicht dort, W0 der

Gequälte, Verfolgte sich härmt nung deutend.)

(nach der Außenseite der Woh­

Vierzehnte Scene. Dora Schlözer und Röderer treten ein.

Dora (gegen Aenneli gewendet).

Das ist wohl Pfarrer

Masers Wohnung, mein liebes Kind?

Aenneli (halb verwirrt).

geführt

Gewesen.

Was sagst Du?

Dora.

....

Doch

Man hat uns hierher

was

sage,

bedeuten

die

Wächter, die unheimlichen Gesichter, die uns am Ein­

gang des Hauses begegneten und uns fast den Weg Ein unfreundlicher Empfang!

versperrten?

Anneli. Was soll ich sagen? Womit beginnen?

mit wem spreche ich? Wer sind Sie, Fräulein? Dora.

Ich bin Dora Schlözer.

Anneli.

Gott sei's gedankt!

Ihr kommt wie

Mein Herr

ein Rettungsengel. —

erwartete Euch,

aber später.

Dora.

Welches

Unglück

befällt

ihn?

Was

geht hier vor? Aenneli.

Er ist im Gefängniß.

Dora u. Röderer

Aenneli.

Ich

(zugleich). Weshalb?

weiß nicht;

ich

errathe

kaum.

Soeben wurden hier Stadtschriften weggeholt. Dora (zu Röderer). Onkel, Sie sehen, meine Ahnung trügt mich nicht.

Die unselige Arbeit!

Mein Vater

ist rücksichtslos.

Röderer.

Erwarte mich hier, liebe Nichte; ich

eile zu Lavater, er wird uns Aufklärung geben. (Ab.)

Fünfzehnte Scene. Dora. Aenneli.

Dora.

Wie heißt Du?

Aenneli. Aenneli. Dora. Aenneli, Du bist Deinem Herrn ergeben? Aenneli. Wie ein Kind seinem Vater. Dora. Du liebst ihn? Aenneli. Ich. kam als ein armes Landmädchen in sein Haus. Die verstorbene Pfarrerin erzog mich; nun pflege ich ihr nachgelassenes Kind — und den Wittwer. Dora.

Er will Dir wohl? Aenneli. Er vertraut mir seinen Knaben. Dora. Du wirst mir beistehen, Aenneli. Un­ wissend, willenlos habe ich mich mit einer großen Schuld gegen ihn belastet. Aenneli. Unmöglich! Dora. Es ist, wie ich Dir sage. Daß Dein Herr im Gefängniß, daran bin ich Schuld. Aenneli. Das kann nicht sein. Ihr irrt. Mein Herr hat seit lange Feinde in hiesiger Stadt, und er

ist dock so gut! Dora. Ich war unvorsichtig.

Mir zu lieb, hat

er für meinen Vater gearbeitet; diese Arbeit zieht die schwere Strafe auf sein Haupt. Aenneli. Ich muß Euch glauben; ich begreife nicht wie. Dora. Du wirst es begreifen, bald genug, immer noch zu frühe. Du mußt mir beistehen; wir beide wollen ihn retten.

Aenneli.

Was ich kann; so viel ich kann; mit

Leib und Leben; der seligen Frau zu lieb. Dora. Auch sie war Dir gut? Aenueli. Schwester und Mutter. — Laßt mich's Euch noch einmal betheuern, nm ihretwillen lieb^ ich den Wittwer. Dora. Ich will Dir's glauben. Und ich (nach einer Pause) — ich will ihm wohl, um seinetwillen. Er ist verkannt! Er muß fort von hier! Aenneli. Fort von hier? Seine Feinde halten ihn gefangen. Sie werden ihn tödten. Dora. Aenneli, Du sprichst im Fieber. In keinem Lande der Wett tödtet man, um einige alte Pergamente, auch wenn sie, was hier gewiß nicht der

Fall, auch wenn sie entwendet wären. Aenneli. Mein Herr sagte mir mehr als ein­ mal: Sie werden nicht ruhen, bis sie mich ins Grab gebracht. Dora. Auch er sprach im Fieber; ich, ich werde,

ich muß ihn befreien, herausreißen aus diesen Fesseln, und wäre es mit meinem ganzen Erbgut, und wäre es mit Gefahr meines Lebens. Aenneli Was kann ich thun? Dora. Für's Erste mich hier aufnehmen in diesem für mich geheiligten Raume, wo er für mich gearbeitet, gelitten; hier in der Nähe seines Knaben; wir werden den Knaben zusammen bewachen. Aenneli. Laßt mir diese Sorge allein; Ihr habt Besseres, Eiliges zu thun. Eilt von einem Ge­ richtsherrn zum anderen; Euren Bitten, Euren Blicken wird Keiner widerstehen.

Dora llächelnd).

Du meinst? —

Meine Augen

üben keine Zauberkraft. Aenneli.

sie haben meinen

Es scheint doch;

Herrn an Euch gekettet, so viel, ja mehr als an unL

Dora.

Was sagst Du?

Aenneli. Dora.

Die Wahrheit.

O, ich Unselige!

Aenneli.

Warum

denn?

Glücklich,

wer zu

fesseln weiß; auch der Tod raubt ihm die Freunde nicht. Dora.

Und kein Vorwurf von Dir, daß ich, ich

die Schuld an Deines Meisters Unglück?

Aenneli.

Das

ist zwischen Gott und

zwischen meinem Herrn und Euch.

Ich

Euch,

kenne nur

ihm dienen, ihm treu dienen, bis ans

meine Pflicht:

Ende. Dora.

ihn,

Du bist besser als ich.

auf Tod und Leben!

seinem Kleinen.

Mit Dir,

für

Und nun bringe mich zu

(Sie gehen Hand in Hand ins Nebenzimmer. Der

Vorhang fällt.)

Ende des dritten Actes.

Erste Scene Ein kleiner Garten, am Hinteren Theile des Rathhauses. Kavater.

Lavater.

Röderer (treten auf.)

Beruhigt

Euch,

Herr

Hofjuwelier.

Ich fand den Bürgermeister gegen alle meine Erwar­ tung überaus mild und gnädig. Eure Nichte hat mit

ihm gesprochen, und den Eindruck,

den Jugend und

geistreiches Wesen üben, wie es scheint, nicht verfehlt. Die Erlaubniß, mit dem Gefangenen hier in diesem

Gärtchen des Rathhauses unter Aufsicht zu verkehren, ist für sie, für Euch ohne Aufschub und Einrede be­ willigt. Röderer. wort.

Gott lohne Euch für dies Friedens­

Dora Schlözer ließ sich in Straßburg nicht

halten; sie hatte die ganz bestimmte Vorempfindung,

daß dem Maser durch seine Korrespondenz mit Göt­

tingen irgend ein Unfall zugestoßen.

Der erste Ein­

tritt hier in Masers Wohnung war ergreifend.

Nun

sagt mir, bester Antistes, sind denn die hiesigen Gesetze

in der That so kategorisch gegen eine Mittheilung der Art, wie sie der Pfarrer von Kreutz an den Göttinger

Geheimerath machte? Lavater.

Wenn man die Sache als Staats-

verrath auslegen will, ganz gewiß. Der Tod durchs Henkerbeil steht auf solches Verbrechen.

Röderer.

Nicht möglich!

Ihr preßt mir das

Herz zusammen. Lavater.

Doch

gerade

die gräuliche Strafe,

die in keinem Verhältniß mit dem Vergehen, würde in

gegenwärtigem Falle dem Beklagten zum Heile ge­ reichen. Zch kann und will nicht glauben, daß im Awanziger-Ausschuß sich eine Mehrzahl für die An­

wendung der Penalität aussprechen würde;

vielleicht

einige Stimmen, die dem Bürgermeister durch Dick und Dünn folgen; aber auch in diesem Falle nicht.

Röderer.

Doch

was

stände dann für Maser

zu fürchten?

Lavater.

Vielleicht mehr oder weniger langes

und hartes Gefängniß; vielleicht Geldbuße mit Ver­

bannung. Ich kann mich für nichts gewisses verbürgen.

Röderer. Ihr sitzt, Gott sei's gedankt, in diesem

engeren Rathe. Lavater.

Zu meinem großen Leidwesen;

bis

jetzt war es übrigens nur eine Sinekure.

Röderer.

Gerade für

diesen Fall hat Euch

wohl der Herr als Friedensbote hingestellt.

Zweite Scene. Röderer.

Dora SchlSzer.

Kavater.

5) 0 td (verneigt sich gegen Lavater und eilt auf Röderer zu),

Masers Wohnung; ich will dem armen

komme aus

Gefangenen frische Nachricht bringen von den Seinen. Röderer. Du hast den Bürgermeister gesprochen? Dora

(etwas verlegen)

die Zusicherung,

Ja, mein Onkel. Er gab mir

daß schon durch Herrn Anüstes La-

vater Befehle an die Aufseher Masers ergangen. Wenn

wir uns

melden,

Heidegger wünscht,

wird

er hier zugelassen

Herr

daß wir die inneren Räume des

Rathhauses nicht betreten.

In der That,

Lavater. zu

einer

gehörigen

Aufnahme

noch nicht getroffen.

die

Vorbereitungen

Herrn

Masers

sind

Und besser hier im Freien; es

wird auch dem Gefangenen erwünscht sein. Und gibt Dir Herr Heidegger gute

.Röderer.

Hoffnung für den Verlauf der Prozedur?

Scheint er

beschwichtigt? Dora

(mit steigender Verlegenheit).

Er war höstich, und

nach seiner Art galant; dem Gerichte aber werde er die Akten vorlegen und der Sache ihren natürlichen

gesetzlichen Lauf lassen Röderer. Dora.

Und sonst sagte er Dir nichts?

Doch, Herr Onkel; er gab mir einen

direkten Auftrag an Pfarrer Maser mit. Röderer.

Und dürfen wir, meine liebe Nichte,

diesen Auftrag nicht erfahren?

Dora.

Nicht wohl; ich habe versprechen mit

Herrn Maser allein darüber zu verhandeln; ich wünsche,

ohne Ihrer väterlichen Autorität zu nahe zu treten,

ich wünsche mein Versprechen zu halten. Lav ater.

Wir dürfen, Herr Hofjuwelier, uns

ganz gewiß der Hoffnung hingeben, daß der Auftrag, den Fräulein Schlözer übernommen,

zum Heile des

Gefangenen, ausschlagen wird; Ihre diplomatische Da­

zwischenkunft wird den Gerichtsgang doch beschleunigen und erleichtern.

Und nun erlauben Sie mir, daß ich

den Gefangenen hierher berufe. (Lavater begibt sich durch den Hintergrund in daS RathhauS.)

Dritte Scene. Dora. Röderer.

Röderer.

Du hast mich bis jetzt nicht als zu­

dringlichen Oheim gekannt; aber im gegenwärtigen

Falle dürfte ein väterliches Gutmeinen nicht vom Uebel

sein.

Die Ehre, die.Freiheit Masers stehen auf dem

Spiele.

Vielleicht thätest Du doch besser die ganze

Sache in Lavater's Hände niederzulegen; erkennt den

Boden, auf dem wir stehen und Gottes Gnade ruht auf seinen Worten, seinen Werken. D o r a (etwas ungeduldig). Mein bester verkenne den segensreichen Einfluß

Öheim, ich

Lavaters auf ver­

wandte, christliche Gemüther nicht; aber hier, in einem Punkte, stimme ich mit

Professor Oberlin überein.

Mir scheint, als ob Lavater bis jetzt in Masers Sache kein erhebliches

Resultat gewonnen.

Er packt

den

egoistischen Charakter Heideggers wohl nicht von der

rechten Seite.

Röderer.

Ich will Dich nicht belästigen, liebe

Wenn es Dir nicht gelingt, den alten Wolf

Dora.

zu besänftigen, so bleibt immer der Rekurs an uns.

Vierte Scene. Kavater, Waser;

(AuS dem Rathhause treten in den Garten:

zwei Wächter

bleiben am Eingang der Rathhausthüre stehn; doch in gehöriger Entfer­ so daß der Zuschauer füglich annehmen darf, das Gespräch der im

nung,

Proscenium stehenden Personen bleibe ihnen unverständlich,)

Waser (mit bleichem, abgehärmtem Gesicht,

nähert sich Dora,

ohne auf Röderer zu achten und reicht ihr die Hand entgegen.

Dora er­

greift mit beiden Händen die dargebotene Rechte und drückt sie convulsivisch an ihren Busen.)

Dora

(zu Waser).

.

.

.

Sie Verwünschen mich

nicht, Herr Pfarrer?

Sie haben kein Strafwort für

mich, armer Freund?

Wenn ich jetzt die Augen auf

Sie hefte, erwiedern Sie meinen Blick nicht mit dem Blick

des stummen und

dock

beredten

Vorwurfs?

Haben Sie mir vergebeil? Waser.

Vergeben? daß Sie während den letzten

Monaten mich aus dem Alltagsleben durck Ihre Mit­

theilungen entrissen und daß ich mir schmeicheln konnte, Ihnen in Ihrer täglichen Berufspflicht Beistand zu

leisten? Vergeben? — noch jetzt hier, in unwillkommner Haft danke ich Ihnen.

Was hat die engherzige

Verfolgung von Seiten der Republik Zürich mit un­

serm Verkehr gemein?

(Er wendet sich gegen Röderer.)

Ihnen,

Herr Röderer, bin ich noch Dank schuldig, daß Sie

in Straßburg den schon halb

Verbannten nicht von

ihrer Schwelle wiesen und meinem großmüthigen Gön­ ner hier

(gegen Lavater sich wendend)

danke ich für Gebet und

thätige Hilfe in meiner allseitigen Noth. Ueberall hin

bin ich Verpflichtungen eingegangen, und läßt mich der

hohe Rath am Leben, so bleibt meine übrige Zeitfrist meinen Gläubigern verfallen. Mein Gebet hat etwas zum wenigsten

Lavater.

erreicht, mein bester Wafer;

es

kommt

Eurer

in

jetzigen Noth kein bitteres Wort über Eure Lippen.

Röderer (zu Maser) Ihr erlaubt uns für diesmal

unseren

Besuch

abzukürzen.

Meine Nichte wünscht

Ich stehe zu fernerem Dienste

Euch allein zu sprechen.

hier UNd in Straßburg bereit. (Lavaler und Röderer ab.)

Fünfte Scene. Dora. Wafer.

Maser.

Die Wächter im Hintergrund.

Darf ich fragen, was ist es, das Sie

mir nicht in Gegenwart des Oheims und Lavaters

mittheilen wollten?

Dora.

Nicht ganz

ohne Vorbehalt.

Ich muß

Ihnen auch eine Frage stellen: Darf ich sprechen, ohne

den Alpdruck der Furcht, ich könne unwillkürlich be­

leidigen, auf meinem Nacken zu fühlen, darf ich Sie wie einen alten, lieben,

deln?

Die Umstände,

brüderlichen Freund behan­

die uns zusammenführen, sind

außer aller Berechnung; die Gesetze der gewöhnlichen gesellschaftlichen Convenienz haben für uns gegenwär­

tig wenig oder gar keine Geltung. Nehmen Sie, was ich Ihnen auch sagen werde, nehmen Sie es auf, als

ob wir in dem

Schattenlande wandelten.

Können

oder wollen Sie auf meine Vorschläge nicht eingehen,

so sei es, in ihrem besonnensten Gemüthe, als hätte

kein menschlicher Laut inzwischen Ihr Ohr berührt. W aser. Wenn irgend ein Ausspruch von Ihnen mich peinigen könnte, würde ich jetzt sagen: Sie pei­ nigen mich. Dora. Durch mein Hinhalten wollte ich das gerade vermeiden. Ich habe den Heidegger gesprochen, oder vielmehr, ich habe ihn angesprochen; für Sie habe ich einen Hilfsruf ausgestoßen, an das Herz des Verfolgers mich gewandt. Waser. Er hat kein Herz. Dora. Das sag' ich auch. Es ist eine in lo­ kalem Ehrgeiz ausgegangene und verschrumpfte Seele. In einer Großstadt hätte er sich zu großartigen Ent­ würfen aufgebläht; hier verfolgt er naheliegende Punkte. Sie sind ihm ein Stein des Anstoßes auf seinem Wege. Waser. Ich weiß es. Was will er jetzt? Dora. Einen Widerruf . . . Sie erklären schriftlich, daß die Fakten, die Sie an meinen Vater über die jetzigen Zustände abgeschickt, durchaus falsch und eine Erfindung ihres persönlichen Haffes gegen das Zürcher Gemeinwesen sind. Diese Erklärung wird durch den Druck verbreitet und durch meine Ver­ mittlung einer künftigen Nummer des Göttinger Briefwechsels eingerückt. Waser Nie und nimmermehr! Das schlägt Heidegger vor, aber Sie rathen mir nicht dazu. Sie können nicht wollen, daß ich mich vor ganz Deutschland als einen Fälscher hinstelle, da ich nur die reine authentische Wahrheit berichtet. Ihr Vater

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kann nicht zugeben, daß er fich von einem Fälscher

hinter daL Licht führen ließ.

Heideggers Vorschlag Ich muß

ist auf eine verneinende Antwort berechnet.

ihn verwerfen und sollte ich mir auch damit ein wider­ rechtliches Verdammungsurtheil zuziehen. — Dora.

hierin wollen, was

Mein Vater würde

ich wünschte, wozu ich ihn beredete. mit fich selber abzurechnen .

der hält Ihnen den Dolch an

.

.

Sie haben blos Ein Meuchelmör­

die Kehle; Sie geben

der Nothwendigkeit nach. Maser.

Das ist nicht der Kern Ihrer Mei­

nung. Gebe ich nach, so will ich nicht behaupten, daß

ich all' Ihre Achtung verliere; aber

— aber — ich

wäre nicht mehr derselbe in ihrem tiefinnersten Ge­ müthe.

Ich kann nicht widerrufen;

ich

kann

mich

nicht selber zum ehrenrührigen Lügner stempeln.

Dora.

Bester Maser! Erwägen Sie nochmals

Ihre Antwort; es steht Alles auf dem Spiele.

Maser.

Auch das nicht, so sehr Sie es viel­

leichtmeinen. Ich habe Freunde im Gericht; die Stim­

men werden fich theilen. Dora.

O Gott! Den Ausspruch

über

Ihre

Freiheit, über Ihr Leben einer blinden Stimmenmehr­

oder Minderheit anheim zu geben!

Lieber Maser,

nochmals bedenken Sie, ich, ich beschwöre Sie, ich, die

Schuldige, die Sie in dies Wirrsal hineintrieb. Maser. Dora.

Maser.

Dora.

Ich will nicht — ich kann nicht. Es ist Ihr letztes Wort? Mein letztes.

Ich wußte es zum Voraus. — So sah'

ich

Sie vor meinen Augen!

Mittel

...

Maser.

Dora.

Es bleibt ein anders

die Flucht?

Die Flucht?

Ja! und zwar eine leichte.

Sie sind,

wie mir scheint, nicht strenge bewacht. — Heidegger selbst wünscht wohl ihre Entfernung. — Ihre Aus­

seher werden nicht unzugänglich sein; dasür lassen Sie

mich Sorge tragen.

Aenneli wird Ihnen die Mittel

dazu in Hanv stellen . . . Eine Schifferkleidung . . . Sie begeben sich mit einbrechender Nacht an den Zu­ sammenfluß der Sihl und der Limmat. Dort erwartet Sie ein Schiff;

Sie steigen im Kloster Dettingen

aus; da sind Sie schon ganz geborgen.

Von dort

begeben Sie sich unter den Schutz des französischen Ge­ sandten in Solothurn; er wird Sie an Herrn von

Galaiziöre nach Sttaßburg befördern; der Intendant nimmt Sie willig auf;

ich war schon dort auf Ihre

künftige Versorgung bedacht.

Ich glaubte, verzeihen Sie mir, Gnä­

Wafer.

digste, ich glaubte, Göttingen bliebe mir als Zuflucht

in Aussicht. Dora.

Ein Vorwurf?

sichtslose Offenheit zugesagt.

Ich habe Ihnen rück­

Auch in Göttingen wür­

den Sie günstige Aufnahme finden; ja wir würden

uns täglich mehr befreunden, täglich mehr an einan­ der schließen. Maser.

(Sie hält inne.)

Sie reden nicht aus?

Dora. Ein neuer Kummer würde wie ein sorg­

sam

gepflegtes

Baume Ihres schießen.

Pfropfreis

früheren

auf

Daseins

dem

abgehauenen

wuchernd

empor­

Maser.

Auch den fernsten Gedanken treuer An­

hänglichkeit, sich hingebender Frenndschaft verschmähen,

verdammen Sie auf Ihrer ätherischen Höhe?! Dora.

Ich bin des Geheimeraths Schlözer treue

Tochter; er braucht mich; allein.

er will mich ausschließlich

Meiner sterbenden Mutter habe

ich blinden

Gehorsam gegen ihn zugesagt.

Maser. Kirche

Ich sehe,

fordert

nicht

unverbrüchliche

allein

die katholische

Gelübde

von

ihren

Kindern. Dora.

Sie sprechen die

Wahrheit aus;

tiefe Wahrheit, mehr als sie denken. der Priester

eine

Mein Vater ist

der Wissenschaft; er kennt keine andere

An diesem Altar bin ich zur Vestalin ge­

Gottheit.

weiht und eingesegnet. Maser.

Ich bitte Sie, um meiner Ruhe willen,

kein Wort mehr! Das Leben ist mir jetzt, ist mir in

alle Zukunft verhaßt. Dora.

Sie versprechen mir,

wenn Sie befreit,

vorerst nach Straßburg zu flüchten? Wafer.

Ich wünsche hier, ich wünsche in Ihrer

Nähe zu sterben. nehmen. Dora.

Ich kann Ihr Anerbieten nicht an­

Ich glaubte, Sie hätten Vaterpflichten,

und die stünden höher als jeder andere Herzenswahn. Mein Vater und ich sind Ihre Schuldner;

Sie sind

zur Entgegennahme unseres Anerbietens gehalten. Wafer

(nach einigem Sinnen).

S i e wollen es, Dora!

Erinnern Sie sich an mein Wort; an das Wort eines

Mannes,

der den Glauben an alles verloren,

nur

nicht den Glauben an Sie. Ich folge Ihrem Wünsch,

Ihrem Befehle.

Schlägt alles um, so lege ich das

Schicksal meines Kleinen in Ihre Hände nieder.

Dora. wohl.

Ich werde ihm Mutter sein. Leben Sie

(Sie entfernt sich schnell, ohne zurückzublicken. — Maser folgt ihr

langsam nach und übergibt sich seinen Aufsehern.)

Sechste Scene. Das Theater verwandelt sich in die Halbinsel zwischen Sihl und Limmat.

Ein Schiff

Gebüsch.

Im Hintergründe das Wasser.

mit zwei Ruderern liegt am Bord. — Nacht.

Mondschein. Gesang der Schiffer. Wir rudern, rudern pfeilgeschwind,

Ja schneller als der Wirbelwind,

In unserm leichten schmalen Kahn

Und landen selten, selten an.

Doch, wenn wir landen, muß der Wein In vollem Glas kredenzet sein;

Denn Kräfte brauchen wir zur Fahrt, Und nichts fällt abwärts in den Bart.

Und spricht etwa ein Biedermann, Um schnelle Hüls' und Rettung an,

Sei's nun zu Waffer, sei's zu Land, Wir sind ihm alsobald zur Hand. (Während den letzten Versen ist eine Schaarwache mit einem Führer im Vordergründe aufgetreten.)

Der Führer.

Ja! die Lust soll Euch vergehen,

den Biedermann aufzunehmen.

(Zu dm Wächtem gewendet):

Wenn ich Euch ein Zeichen mit der Pfeife gebe, brecht ihr hervor, Jeder aus seinem Versteck,

Burschen im Schifferkleide.

unb faßt den

Gelingt es ihm bis an

den Nachen dort auf der Limmat durchzubrechen, so gebt ihr Feuer; entkommen darf er nicht; eS ist ein

Kapitalschuft;

wollte

Stadt

und

Land

verrathen.

(Er vertheitt die vier Häscher in die Koulissen rechts und links.)

Die Schiffer beginnen wieder:

Der Mond scheint wunderlieblich hell, Wir rudern und wir fahren schnell. Die Limmat rauscht und plätschert laut: Ich rette den, der mir vertraut!

Siebente Scene. Aenneli

und

Wafer

treten auf; der letzte in Schifferkleidung.

Maser. Um Himmelswillen, Aenneli, kehre um Du kannst mir keine weitern Dienste leisten. Ich

bin an Ort und Stelle.

Du hättest die Stadt nicht

verlassen sollen. Aenneli. Und die Fräulein in Angst und Qual lassen, ob ihr den Kahn erreicht, nicht wahr? Maser. Geh' heim, ich bitte, ich beschwöre Dich. Küsse den Kleinen für mich. Ich seh' den Rettungs­

nachen im Mondschein, ich bin geborgen — (Man hört etn schrilles Pfeifen.

Der Führer mit seiner Schaar tritt aus

den Gebüschen hervor.)

Der Führer. Das bist Du! Ja, Du bist ge­ borgen. Aenneli.

(Stägt einen Schrei aus.)

(Die beiden Schiffer eiten herbei und machen Miene, die Häscher

anzugreifen.)

Der Führer. Haltet mir die Kerle vom Leibe! Haltet sie fest, mit diesem da! (auf Maser deutend.)

Was er. Weh' mir! Unheil bring ich allem, was sich mir nähert. Arme Aenneli! arme Dora! Der Führer. Seid ruhig, Maser; Niemanden wird um Euretwillen das Haar gekrümmt; aber das Eure dürfte wohl kurz abgeschnitten werden. Maser. Den Spott des Elenden zu ertragen! Wie kühlend, wie stärkend war der Nachtwind im Freien, wie erquickend das Vorgefühl der Freiheit!

Und jetzt! Der Führer. Rechts um, nach Zürich! Führt all' das Sündenpack dem Herrn Bürgermeister vor; er mag über sie entscheiden. (Alle ab.)

Achte Scene. Ein Arbeitszimmer bei Lavater. (Lavater, in Morgcnkleidung, geht unruhig im Zimmer auf und ab.)

Ich gelange diesen Morgen zu keiner Ruhe, mein Gebet dringt nicht über die Decke des Zimmers hinaus. Ich fühle mick wie abgeschnitten von meinem Helfer droben und abgeschnitten von jeder herzlichen Berüh­

rung mit Heidegger. — O welch' ein harter, ungezähmter Sinn! Der Mann war für ein Jahrhundert des Brutus und nicht für unsere Zeiten geschaffen.

Er ist auf seine Beute erpicht, das geängstete Wild . . .

wie der Jäger auf

Jakob (tritt herein). Herr Bürgermeister kömmt die Treppe herauf, ich wollte Herrn Antistes darauf vor­ bereiten.

Lavater. So früheI Das bedeutet nichts Gutes!

Dank, lieber Jakob!

(Dichr entfernt sich.)

Neunte Scene. Heidegger. Lavater.

Heidegger. Der Fuchs ist in der Falle! Maser, von Dora Schlözer dazu ermuthigt, hat diese Nacht

zu einem Fluchtversuch sich entschlossen, nachdem er die Wächter bestochen. Der eine, ein braver Patriot, ent­ deckte bei Zeiten das Vorhaben.

Lavater.

Nachdem er den Judaslohn voraus­

genommen .. . Heidegger.

Gleichviel!

Maser ist

nun dem

strengsten Gericht verfallen. Ich ließ ihn zum Wasser­

Den Awanziger-Ausschuß beruf ich

thurm hinführen.

auf heute Nachmittag.

geschrieben.

Der Anklageakt, wird nieder­

Sein Loos ist zum Voraus besiegelt.

Lavater.

Ihr habt das Wachs dazu gegossen,

und den Stempel geschnitten.

Noch hoffe ich, Ihr

werdet es nicht zu einer Mehrzahl

von Stimmen

bringen, und die Einsicht unserer Räthe wird unserer Stadt ein Urtheil ersparen, das für unsere zukünftige

staatliche Eristenz verderblich werden dürfte. Heidegger. Noch

sind

wir

Ihr träumt mit wachenden Augen.

Meister

in

unserm Hause.

Bern,

Basel, Luzern, die kleinern Kantone werden uns zehn­ fach Recht geben, daß wir keinen Staatsverräther dul­

den in unserer Mitte, und noch aufzuräumen wissen,

wenn man uns Steine zwischen die Füße rollt, oder an die Köpfe wirft. Lavater. Nicht vor unsern jetzigen eidgenössi­ schen Machthabern ist mir bange; die werden, ver­ blendet, eure Strenge beloben, in die Hände klatschen. Aber Ihr rechnet nicht mit der öffentlichen Meinung. Glaubt Ihr, Schlözer werde dazu schweigen? Glaubt Ihr, daß in Paris kein Lärm geschlagen wird, Nie­ mand sich rühren wird für den Unterdrückten? Nie­ mand Zeter schreien wird gegen eine unsinnige Gesetz­ gebung? ... die Zeiten sind nicht mehr fern vom Emporkommen der Bürgerschaft und des Volks in Frankreich, und wehe uns und unsern veralteten In­ stitutionen, wenn die gallische Demokratie sich ver­

bindet mit den Unzufriedenen in unserer Mitte. Heidegger. Ihr seht Gespenster am hellen Tage. Lavater. Es ist wahr, ich sehe sie bei Tag und bei Nacht; sie dringen auf mich ein, gerade auf mich, und ich, der friedsame — ich sehe dies in den mir geoffenbarten Gesichten, — ich werde büßen für den Frevel der Gewaltigen. Heidegger. Verschont mich, Antistes, mit Euren apokalyptischen Visionen. Huldigt vor allem mit offe­ nen Augen den bestehenden Gesetzen, und wacht auf deren Anwendung. Es liegt, ich weiß es, eine un­ widerstehliche Kraft in Eurer Beredsamkeit; legt ihr

heute den Zügel an, wenn Ihr geneigt wäret, ihr freien Lauf zu lassen. Ich beschwöre Euch fürwahr, predigt heute nicht für Milde, nicht für Nachsicht. Dürfte ich hoffen, daß Ihr der Vernunft Gehör schenkt,

da würde ich in Euer Ohr flüstern: Seid streng, un­

nachgiebig, denn eher läßt sich nach einstimmig gefaßtem Urtheil Gnade üben, als bei getheilten Stimmen der Fall. Zum Voraus erklär' ich Euch: Macht Ihr mir in heutiger Endsitzung Opposition, und kömmt es dennoch, wie ich zum Voraus berechne, zu sieghafter Abstimmung gegen Wafer, so gebe ich kein Jota weg vom Buchstaben des Gesetzes. Und nun Gott befohlen. (Er will gehen.)

Jakob (tritt herein — er wendet sich gegen Heidegger). Herr Bürgermeister! Fräulein Schlözer sprach im Rathhaus vor; dort erfuhr sie, daß Herr Bürgermeister hier bei meinem Herrn Antistes sind; sie bittet um Erlaub­ niß mit ihnen zu sprechen, auf der Stelle. Lava ter. Sie kömmt von Gott gesendet, (gu H-ideggey Gebt ihr Gehör. Heidegger. Das will ich, und zwar auf der Stelle, wenn Ihr es erlaubt, hier in Eurem Kabinette. Lava ter. Warum nicht? Der Geist der Gnade senke sich auf Euch nieder. Ich laste Euch allein mit ihr. Heidegger. Das wollt ich in der That ge­ rade von Euch erbitten. (Lavater entfernt sich durch eine Seitenthüre in das Innere des Hauses: Jakob durch die Eingangsthüre.)

Zehnte Scene. Dora. Heidegger. (Heidegger ist Dora entgegengegangen; er bietet ihr einen Lehnstuhl an.) Dora.

Ganz unnöthig, Herr Heidegger; ich Sie wissen, was mich her-

verbitte mir die Ehre.

führt.

Ein schnelles Ja oder Nein, von Ihnen aus­

gesprochen, wird meinen Besuch abkürzen. Heidegger. den Weg ein,

dürfte.

Mein Fräulein, Sie schlagen nicht

der Sie

Ihrem Ziele entgegenführen

Wafer hat sich jedes regelmäßige Rettungs­

mittel abgeschnitten.

Sie hoffen durch mich, durch

meinen Einfluß auf meine Collegen, durch einen Um­

weg zu erlangen, was der Angeklagte mit einem ein­

fachen Wort,

durch eine nothwendige Demüthigung

erreichen könnte.

Sie sprechen mich an, nachdem Sie

dem Beklagten zu einem thörichten Fluchtversuche ge­

rathen und geholfen.

Sie wissen, daß alles für ihn

auf dem Spiele steht,

verloren ist.

daß im Grunde sein Spiel

Es ist Ihnen daran gelegen, Maser zu

retten; ich frage nicht warum; und zur Beförderung

Ihres christlichen Nettungswerkes bezeugen Sie einem der Richter, dem Ankläger, Ihre unverhohlene Nicht­ achtung. Dora.

Herr Bürgermeister, ich bin noch nicht

in die Jahre getreten, in denen Mann oder Frau im täglichen Verkehr eine bequeme Maske anlegt, noch

habe ich nicht frei zu athmen verlernt.

Und obgleich

mir, der Bittstellerin, dem einflußreichen Kläger gegen­

über, Demuth und unterwürfige Mienen besser stünden, als angeborener, ungebeugter Stolz, kann ich mich doch zu dieser Rolle nicht verstehen.

Ich spreche, als

deutsche Jungfrau, zu einem freien Schweizer; ich

mache einen Appell nicht an feilt Mitleid, nicht an seinen Gerechtigkeitssinn,

der,

sagt man,

im freien

Schweizerland tiefere Wurzeln schlägt, als in Mo­ narchien.

Ich appellire an sein eigenes Interesse, an

den Ruf der Bürgerrepublik, als

deren Vorstand er

zu mir spricht.

Ich

Heidegger.

wäre doch begierig zu wissen,

was Sie mir auf diesem Grund und Boden vorzu­

tragen hätten. Dora.

Ich will nicht glauben, Herr Bürger­

meister, daß in derselben Stadt, in welcher Lavater

die Münsterkanzel besteigt, Geßner seine Idyllen dichtet, und Klopstock auf spiegelglattem See, in den grünen

Umschaltungen

der

Au den

Reizen

der

friedlichen

Z ircherinnen huldigt, ich will nicht glauben, daß in

dieser Stadt ein Jnquisitionsgericht waltet,

das mo­

ralisch zu foltern versteht und mit Strafen droht, die der Despotismus, der öffentlichen Meinung gegen­

über, nicht mehr anzuwenden wagt. Heidegger.

Sie schlagen eine falsche Saite an,

mein hochgeehrtes Fräulein.

Daß Lavater von christ­

licher Milde predigen kann, daß deutsche Dichter hier sich zu mehr oder minder guten theokritischen Idyllen

und Horazischen Oden hochbegeistert fühlen und ihren Gefühlen freien Ausdruck verleihen,

verdanken wir

gerade den strengen Gesetzen, die wie ernste Wächter

im

Hintergrund

stehen,

und

dem

des

schönen Landschafts-Gemäldes

Einbruch

dämonischer

Gewalten

wehren. Dora (macht eine Bewegung).

Heidegger.' Ich bitte, FräuleinSchlözer, unter­

brechen Sie mich nicht.. Maser ist eine dieser dämo­

nischen Naturen, die, wo sie auch auftreten, Unruhe und Unheil säen, und, wenn man sie gewähren läßt,

in geordneten Vereinen die Unordnung, den Aufruhr, die Revolution heraufbeschwören. Daß wir, die herr­ schenden Familien in Zürich, fehlerfrei sind, behaupte ich nicht; aber so viel weiß ich, daß, wäre das Re­ giment in Masers und seines Gleichen Hand, wir, statt langer ungetrübter Sonnenjahre, uns durch stür­ mische Hagel - und Regenperioden durchzuarbeiten hätten. Kleine Mißbräuche würde das rohe Land­ volk, käme es zum Einbruch in unsere Verfassung, kleine Mißbräuche würde es auSrotten, aber dagegen die Grundpfeiler unserer vierhundertjährigen Staats­ ordnung erschüttern, die Zeiten Hans Waldmanns herbeiführen und binnen Kurzem in Schlemmerei und Unfug die mühsam aufgespeicherten Vorrathskammern der Stadt und des Landes leeren. Dora. Und dem allen, Herr Bürgermeister, wäre natürlich vorgebeugt, wenn man einen litera­ rischen Arbeiter nicht nur auf die Finger schlägt, sondern ihm die Hand abhackt und wo möglich die Zunge ausreißt. Sie können Maser zu Tode schweigen auf eine ganz andere Weise. Seien Sie großmüthig, er wird, beschämt, sich in seine ursprüngliche Dunkelheit zurückziehen; er wird in fremdem Lande sein Unter­ kommen suchen und finden; Sie und ihre Räthe werden nicht mit dem Fluche eines Gepeinigten be­ laden ihre Tage beschließen; Maser wird freiwillig, nicht gezwungen, ihrer Milde huldigen, die Gnade für Recht ergehen ließ. Heidegger. Maser uns huldigen? Nun und nimmermehr! Begnadigt, wird er aus dem fernsten Norden, aus Amerika herüber würde er Schmäh-

schristen gegen uns senden und Rache suchen für die erlittene Unbill.

Unschädlich wird er nur,

wenn er

nicht mehr athmet. Dora.

Sie sprechen da ein grausames Wort, sie

sagen das in einer Zeit, wo die Milde in die Gesetz­ gebung

aller Staaten einen triymphirenden Einzug

hätt; Sie, der Vorstand eines freien Gemeinwesens, sagen das, zwei Jahre kaum nach Voltaires Tode, des gefeierten Predigers der Toleranz; Sie sagen das

in einem Augenblick, wo jenseits des Jurajs und der Vogesen der Urenkel Ludwigs XIV. an TurgotS Hand von eignem Herzen getrieben, die alten Vorurtheile wie Schutt wegräumt, und

Reformen

der

auf dem sonnigen Pfad

einherschreitet;

wo der Oesterreicher

Leopold von Toskana das Schwert des Henkers nicht

mehr aus der verrosteten Scheide ziehen läßt; das

sagen Sie, Heidegger, wenig Meilen von dem Schlacht­ feld, wo Zwingli für die Bibel fiel, und am Luzerner­ see jeder Fels, jeder Bergquell von Recht und Freiheit

spricht.

Unmöglich!

Dies Wort kam nur unbedacht­

sam von Ihren Lippen, nicht aus Ihrem Kopfe; denn Sie denken, Sie bedenken, Sie können fich nicht ver­

hehlen,

daß eine grausame Bestrafung,

an Wafer

vollzogen, Ihren Namen im ganzen gebildeten Europa brandmarkt.

Heidegger.

Jedenfalls geben Sie mir zu, daß

ich gegen Sie wenigstens mit fahre.

einiger Nachsicht ver­

Ein Richter, der sich auf legalem Boden weiß

und fühlt, gestattet, im gewöhnlichen Leben, einem — verzeihen Sie den Ausdruck — einem unberufenen An­

walt nicht unbedingt das Wort.

Ich ließ Sie reden,

weil mich der Klang Ihrer Stimme mehr als der Sinn Ihrer Worte bezaubert, weil ich mit unverhohle­ ner Bewunderung der schönen Rednerin lauschte, die schon mehr als einmal auf der öffentlichen Tribüne die Huldigung der ersten Gelehrten und feinsten Kenner der griechischen Eloquenz empfing. Einem Wesen wie Sie gegenüber, mein Fräulein, kenne ich nur ein Gefühl, hege ich nur einen Gedanken: Be­ wunderung und ehrfürchtige Liebe. Dora (unwillig). Herr Bürgermeister, verschonen

Sie mich! Heidegger. Ich bin Ihnen unangenehm, wider­ wärtig, und wünschte doch eine ganz andere Empfin­ dung in Ihnen zu erregen. Traurige, peinliche Lage für mich! Glauben Sie etwa, ich täusche mich über den Eindruck, den ich auf sie mache, über den Ruf,

der meinen Namen schon halb gebrandmarkt zu Ihren Ohren trug? Ich bin für Sie ein ehrgeiziger Egoist,

und jetzt, durch eine unselige Verwickelung, der tyran­ nische Verfolger eines verläumdeten, verkannten Ta­ lentes; dies und noch schlimmeres denken Sie von mir: Sie bemühen sich zu mir, doch nur von Seelen­ angst getrieben; denn Sie klagen sich an als Ur­ heberin von Masers Unglück. Ihr Mitleid zeigt Ihnen in verklärtem Lichte einen Mann, der im ge­ wöhnlichen Lebenslaufe unbeachtet von Ihnen wie viele Hunderte geblieben wäre. Ihr unentweihtes Herz hat Ihr Urtheil bestochen. Könnte ich Ihnen nur einen Augenblick meine Gabe des Hellsehens mittheilen, die Schuppen würden Ihnen von den Augen fallen; der Staar wäre gestochen, und Sie würden

die Hand segnen, die an Ihnen die heilsame Operation

vollzog. Dora.

Wohinaus wollen Sie, Herr Heidegger?

Ich will nicht glauben, daß Sie mich aus die Folter spannen, läge nicht in Ihres Busens Hintergrund der

Gedanke: Ja, ich will der Bittstellerin zu Gefallen, und der öffentlichen Meinung zu Liebe, ich will. . .

Heidegger. meinen Sie? dingung.

Dem

stellen,

Fuß

den

Gesetz

Nein, das würde ich unter keiner Be­

Aber es

dürste noch ein Ausweg sich als

gut erweisen, welcher das Zürcher Regiment in helles

Licht hinstellte, und für den Beklagten von der Mehr­

zahl seiner Richter nur weiße Kugeln in

die Urne

schmuggeln könnte! Dora.

Und das wäre?

Heidegger. Augenblick,

allein,

kühn,

Ich

Ihnen,

werde

bedenken Sie nochmals,

Fürsprecherin Masers,

ein

im

unverschämt

vielleicht

ersten

erscheinen;

daß auch Sie,

kühnes

und

als

gefährliches

Spiel spielen und auf diesem letzten Wurfe alles steht. Je nach Ihrem Ausspruch entscheidet der Zwanziger-

Ausschuß morgen für oder wider Ihren Schützling. Dora.

Sie verstehen es, Herr Großinquisitor,

eine Menschenseele zu foltern.

Ich hoffe,

Sie haben

auch Mittel, die künstlich hervorgerufenen Schmerzen

zu besänftigen und die verschrobenen

Glieder ihres

Opfers wieder einzurichten. Heidegger.

Ich

stehe

hier

in

Zürich

ganz

allein, das heißt, ich habe wohl Collegen, die wie ich

dieselbe Ueberzeugung von der Nothwendigkeit straff­ angezogener Zügel hegen, und mit mir dieselben Mittel

Aber ich

zur Handhabung des Bestehenden pflegen. sehe

in

die Zukunft;

den alten Fundamenten

auf

möchte ich der Gründer einer neuen

Dinge

werden.

Zürich

trägt

alle

der

Ordnung

Elemente

eines

helvetischen Athens in sich; es läge mir daran, sie zu­

sammenzufassen,

denselben eine

geregelte

rechtliche,

Eristenz zu geben, sie mit auswärtigen Kräften zu bereichern, eine Akademie zu gründen, die weit mehr

als

die Genfer,

historischem

auf theologischem,

Boden

in

philosophischem,

Gelehrten­

europäischen

der

republik Sitz und Stimme erhielte.

Dora.

Nun, worauf zielt Ihre Andeutung?

Heidegger.

sich

Sollte

nicht

die

gefeierte

Dora Schlözer verstehen, auf diesem gesegneten Punkte des

Schweizerbodens eine

solche

Epoche einzuleiten,

und mich, als den ersten Ihrer Zuhörer, Ihrer Be­ wunderer, sehen?

Ihrer besten Freunde zu Ihren Füßen zu

Die Uebersiedelung von Dora Schlözer nach

Zürich würde vielleicht, früher oder später, ihren be­

rühmten Vater in dieselbe Lage herüberziehen. Jeden­ falls würde Ihre Gegenwart die ohnlängst im Brief­

wechsel Ihres Vaters enthaltenen Andeutungen über das Zürcher Regiment auf ein ganz anderes, beschei­ denes Maß zurückführen, und das ehrenrührige Pam­

phlet Lügen strafen, das durch einen glücklichen Zufall in unsere Hände kam. Dora.

Auch ich ließ Sie ausreden, Herr Bürger­

meister, obgleich —

Heideg ger. nicht alles gesagt ,

Um

Vergebung,

was ich

noch

ich

habe

auf dem Herzen trage.

Sie lächeln spöttisch, denn ich weiß, ich fühle es, Sie

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sprechen mir Gemüth und Herz ab. O ja! Warum sollten Sie nicht? Wird Ihnen doch in Zürichs Mauern jede Frau und Jungfrau sagen: der Bürger­ meister ist ein guter Geschäftsmann, aber kein Herz schlägt ihm an der linken Seite der Brust. Wissen Sie warum, verehrte Dora? Weil ich nicht zu dem Modekultus mich anwerben ließ; weil ich nicht in das Gewinsel der schäferlichen Liebe Chorus machte; weil mich Geßners erster Schiffer langweilt, und die pomphaften pseudopindarischen Oden des Mesflasdichters mir wie eine Kakophonie in die Ohren gällen. Ich

stehe vereinzelt hier, kann und will mich nicht an das verzärtelte, verzogene Geschlecht ansckließen, und fühle doch in mir denselben Drang, was sag' ick, einen viel, viel größeren Liebesdrang, der wahren Geistesgröße gegenüber, als mir das Volk hier zugesteht. Wenn ich zu Ihnen aufblicke, Dora, dann fühle ich die ganze unwiderstehliche Gewalt einer Seele, worin sich weib­

liche Anmuth

mit männlicker Gedankenkraft paart.

(Er will Doras Hand fassen; sie weist ihn unwillig, zurück.)

Dora. Das thut mir leid; ich fühle mick Ihrer männlichen Seele gegenüber ganz anders gestimmt; sie stößt mich ab und lieber würde ich in Sibirien Kollegien lesen, als in Zürich, so lang ick fürchten dürfte, hier dem Manne zu begegnen, der sich Molares Tartüffe ebenbürtig erweist. (Sie entfernt sich rasch) Heidegger (ruft ihr nach) Sie unterzeichnen Wafers Todesurtheil. (Der Vorhang fällt.)

Ende des vierten Actes.

Iiiusirit Itt. Erste Seme. (Das Innere des Wasserthurms

am

Ausfluß der Limmat

aus dem See.)

(Wafer allein; an seinem Holzlager sitzend, den Kopf in beide Hände

gestützt.) Welch zähes Gewächs ist nicht die Hoffnung! mit hundert und abermals hundert Wurzeln klam­ mert sie sich im Busen fest. Nicht auszurotten ist sie . . . Vor wenig Stunden las ich mein Todes­ urtheil zum Voraus verzeichnet auf der Stirne der Mehrzahl meiner Rickter; von einem Moment zum andern, ich weiß es, kann es mir verkündet werden; im Gefängniß der Staatsverbrecher und der Mörder bin ich eingekerkert; von hier, aus bestieg HanS Wald­ mann das Schaffst. Und dennoch hoff' ich, dennoch scheint mir immer noch der Gnadenstrahl, der aus den Aygen Lavaters und Geßners hervorbrach, auf mehr als ein Angesicht der andern Richter unwiderstehlich hinüber zu spielen. — Und wenn ich gestern ausrief: Ich wünsche hier in Doras Nähe zu sterben, so hab'

8*

ich ihr und mir selber gelogen. Nein, ich sterbe nicht gern! Nein! Das Leben, auch fern von ihr, hat noch Reize, wenn es nur der Thätigkeit offen bleibt und hin und wieder ein freundliches flüchtig geschriebenes Wort von ihr wie Morgenthau erfrischt. (Er steht auf und lehnt das Haupt an eine Fensterluke.) Durch die dichten Kerkermauern hindurch vernehm' ich deutlich das An­ prallen der Limmat! Das liebe, vertrauliche Kosen und Plätschern der Wellen! Das ferne Gemurmel des bewegten See's! Wie oft bin ich in jugendlichem Uebermuth und Frohsinn gedankenlos vorüber geru­ dert am finstern Wafferthurm! Mich reizte die ma­ lerische Lage! Das Auge schwelgte beim Hinblick auf die lieblichen Gestade des See's und die Alpen­ ferne; mein Busen dehnte sich wollüstig in der bal­ samischen Seeluft, kannte nicht die leiseste Ahnung, daß mir einst beschieden sein könnte, hinter diesen Quadersteinen das Murmeln der Fluthen wie Todes­

boten zu vernehmen und qualvoll auf jeden Ruder­ schlag zu lauschen; denn jeder Augenblick kann den Nachen herbringen, der mich hinüber trägt auf die Planken des Hochgerichts. Ja! ich habe ein verzweifeltes Spiel gespielt! Das Mittelloos genügte mir nicht; ich habe es verschmäht im großen Haufen mich zu verlieren und mit den Brocken von des Reichen Tische zu begnügen. Und zuletzt hat Doras zauberhafte Erscheinung meine Sinne verwirrt, mein Geist in ein unerreichbares paradie­ sisches Land gelockt, an dessen Eingang der biblische Engel stand mit abwehrendem Flammenschwert! Und noch kann ich den Traum, dem ich so viel,

dem ich alles geopfert, noch kann ich ihn nicht bereuen!

Grabes schweben mir die feen­

am Rande des

noch

haften Gestatten vor, die seit Monaten meinen nächt­

lichen Schlummer begleiteten und am Tage wie leicht­ beflügelte

Sylphen

um

trockenen

die

Pergamente

gaukelten. (Wie von einem Gedanken plötzlich ergriffen.)

mente!

Die

Perga­

...£)! gegen Landolt,

die Pergamente!

gegen den treuen, nachgiebigen Freund habe ich gefehlt! und für diesen Fehl büße ich hier

...

(Er horcht.)

Nein, ich trüge mich nicht; das ist fürwahr das An­

prallen

eines

Thurmes 1

Schiffes

an der eisernen Pforte des

Das ist der Gerichtsbote!

Zweite Scene. Landolt. Maser.

Wafer.

Wie! Du bist es! Landolt! Der treue,

liebe, Harrgeprüfte Freund!

Du hast mich nicht ver­

wünscht, hast mir nicht geflucht, störte, daß ich, wenn auch

in mein Unheil hineinzog! Tod oder Leben? . . .

daß ich Deine Ruhe

nur vorübergehend, Dich

Was bringst Du mir?

Daß Du kommst, daß Du

kommen darfst, das ist doch jedenfalls ein Zeichen,

daß Du mir verziehen und dem untergehenden Freunde

noch einmal die Hand zum Troste reichen willst. Landolt.

loren.

Noch ist nicht alle

Hoffnung

ver­

Nach vielstündiger Berathung ist das Gericht

zu keinem Entschluß gekommen.

Vor dem Rathhause

versammelt sich eine Volksmenge, wir solche Zürich

seit Jahren nicht gesehen.

Die Landbewohner

Umgegend sind herbeigeströmt.

Gerichtsaales, theilen sich

der

Wie im Innern des

auf dem

Marktplatz

die

Stimmen. Die heftigen, drohenden Männer des Reb-

geländes von Meila uno Stäfa fordern Deine Frei­ lassung. Die Thoren!

Waser.

Todesurtheil beschleunigen.

Sie werden nur mein

Heidegger und seine Ge­

noffen sträuben sich gegen jeden Zwang; nur ein unterthäniges Bitten hätte den starren Sinn des Bür­ germeisters vielleicht besänftigt. DaS steht eben noch zu wissen! —

Landolt.

Und dann — nur davon ist jetzt die Rede in der Stadt — sind mehrere Briefe an Rathsherren ange­ langt von Johannes Müller, von Schlözer, vom fran­ vom Elsässer In­

zösischen Gesandten in Solothurn,

tendanten; alle dringen auf milde Behandlung, auf

Nichtanwendung

der

alten

gänzliche Absolution. trische

Funken

der

Penalität,

Unmöglich,

Humanität

auf

daß

nicht

dieser

von

Deine elek­

Herz zu

Herzen fortzünde und unwiderstehlich die versammelte

Richterbank erschüttere.

Waser.

Heidegger

schon abzuleiten wissen.

wird

die elektrische

Kette

Er ist ein geschickter Physiker,

und wo es gilt dem Gegner die Kehle zuzuschnüren, ein geübter Gymnastiker.

Seit Jahren setzt er mir

zu; er erdrosselt mich langsam, aber systematisch. Ich möchte den Hoffnungshalm, den Du mir bietest, mit

fester Hand anfassen; aber durch die Finger hindurch

gleitet er mir. — Eine Bitte noch hätte ich an Dich, Landolt.

Landolt.

Was ich kann!

Das Unmögliche,

wenn es sein muß. Maser.

Sei eS, daß ich gefangen hinsieche, sei

es, daß ich — verzeihe, ich kann das schmachvolle Wort nicht aussprechen, — sei es, daß ich falle durch Henkershand, Dora Schlözer wird die Meinen nicht verlaffen. Aber Dora's Leben ist im tiefsten Keime

angegriffen; das sagte mir gestern der erste Blick aus ihre bleichen Wangen. Dora kann ihrem Versprechen vielleicht nicht lange nachkommen. Dann zähle ich auf Dich. L a n d o l t. Du sollst Dich nicht in mir trügen. Ich bin schuldig wie Du, Du hast ein Recht auf mich. Hätte ich Deinen Bitten Widerstand geleistet, Du fügtest Dich dann in das Unvermeidliche; wir hätten Auswege gesucht; wir stünden nicht, Du und ich, an einem bodenlosen Abgrund.

Dritte Seme. Landolt. Äaser. Gertchtsdlener. (Ein Gerichtsdiener tritt herein mit einer Papierrolle in der Hand.)

Gerichtsschreiber.

Heinrich

Maser,

ich

komme.... Maser (unt-rdricht ihn). Ich weiß warum. Zur Sache. Euer Anblick verkündet mir zum Voraus mein Geschick.

Gerichtsschreiber (Heft); „Die Rathscommission der Zwanziger als pein-

liches Halsgericht der Stadt Zürich hier zusammen­ berufen, heute den 30 Bürgermeister

Mai 1780, durch Herrn

Heidegger,

zur

Abhörung

und

Aburtheilung der gegen Heinrich Wafer, ehema­ ligen Pfarrer in Kreuz, angebrachten Klagepunkte,

zweckwidrige und ungesetzmäßige Benützung des ge­ heimen Stadtarchivs,

hochverrätherische

lung aus dessen Convoluten,

Regierungsakten an

Mitthei­

Pergamenten und

auswärtige Publizisten und

frevelhaft libellische Aufsätze betreffend; Erwägend,

daß aus dem Bestand der That­

sachen und nach Abhörung der Zeugen die Schuld

des

obbenannten

bis zu letzter Evidenz

Wafers

erwiesen; Erwägend, daß der Beklagte nach Bestechung

einiger Wächter durch

Geld und anderwärtiges

Versprechen, einen Fluchtversuch ausgeführt, und nur durch Gewaltmittel von der Ausführung sei­ nes verbrecherischen Vorsatzes abgehalten worden; Erwägend, daß Beklagter die ihm zur Last

gelegte Beschuldigung keineswegs zu leugnen, und

nicht anders als durch einseitigen Trotz zu beschö­ nigen sucht und keinerlei Reue manifestirt; Daß also, im Fall einer Liberation, die Wie­

derholung gleicher diffamatorischer Schriften vor­

ausgesetzt werden darf, dem

Kanton

Zürich,

als was der Stadt und

und

mithin

der

ganzen

schweizerischen Eidgenossenschaft zu großem Scha­ den in der öffentlichen Meinung gereichen dürfte; Retrospective in Betracht ziehend die frühere Laufbahn des

Beklagten,

als welcher in seiner

pfarrherrlichen Eigenschaft zu Kreuz bereits disia-

matorischer Anschläge überführt und seines Amtes

entsetzt worden; Daß eine andere Anklage, lebensgefährliche Hostienfälschung betreffend, nur auf inständiges Dazwischentreten des Herrn Antistes Lavater nie­

dergeschlagen worden; Daß mithin in der vorigen Laufbahn des Be­ klagten nur agravirende Motive vorliegen und der Totalcharakter obbenannten Masers mit unaus­ löschlichem Makel behaftet ist;

Daß während dem Verlaufe des Prozesses hi Stadt und Land aufrührerische Bewegungen un­ verhohlen an den Tag getreten; mithin eine Ein­ schüchterung des Gerichts versucht worden; Verordnet, nach offener Berathung und gehei­

mer Abgabe der Vota, mit zwölf Stimmen gegen acht, daß Heinrich Maser durch das Beil vom Leben zum Tode gebracht werden soll auf öffent­ lichem Richtplatz." Gegeben im Rathhaus zu Zürich. (Folgen zwanzig Unterschriften)

Maser (der während der Ablesung öftere Zeichen des Unwillens gegeben). Es haben alle unterschrieben? . . . Gerichtsschreiber. So will es das Gesetz. Landolt. Freund, verzweifle nicht. Du hast drei Tage Zeit, zur Berufung an den hohen Rath.

Ich eile nach Solothurn und hole den französischen Geschäftsträger herbei. Gerichtsschreiber. Das Urtheil ist auf der Stelle erekutorisch. Dem Verurtheilten bleiben nur

etliche Stunden,

sich zum Tode zu

bereiten.

Der

hohe Stadtrath, die Störung der öffentlichen Ord­ nung befürchtend, entsagt seinem Revisionsrechte. L a n d o l t.

Das ist ein Verfassungsbruch.

Ich würde, falls Herr

Gerichtsschreiber.

Kanzler mir das Wort gönnen, an seiner Stelle mich,

wie der nichtwidersprechende Verurtheilte,

dem Aus­

spruch der Richter fügen und die schwierige Lage der

Stadt

nicht

unzeilige

durch

Dazwischenkunft

ver­

schlimmern. Landolt.

gehrt. Maser.

Ich

habe

Euern

Rath

Laß gut sein, Landolt.

ist beschlossen.

nicht

be­

Mein Schicksal

Du sträubst Dich vergebens und ich

bin müd und matt.

Diese letzten Kämpfe um's Da­

sein haben auch meine

letzte Kraft

erschöpft.

Laß

mich noch einmal Dank stammeln und Abschied nehmen tEr umschlingt ihn.)

Lebe wohl.

Ich bitte Dich, kein Wort mehr.

(Er drängt den Landolt gegen die Kerkerthüre, der Ge-

richtSdiener, verwirrt, entfernt sich mit dem Kanzler.

Die Expedition deS

Urtheils bleibt auf dem Tische liegen.)

Vierte Scene. Wafer (allein).

Maser

(auf das Papier deutend).

Ich könnte dies un­

sinnige Instrument vernichten und meine Entrüstung

auslaffen, zum letztenmal, gegen den Irrwahn.

das nicht.

Auch

Es bleibe dies Urtheil aufbewahrt, ein

sprechendes Zeugniß gegen

die verrotteten Zustände

dieses heuchlerischen republikanischen Regiments.

Ver-

trauesvoll leg1 ich in den Schooß der Zukunft die Erklä­ rung, vielleicht

die Rechtfertigung meines Handelns.

Auch mir, dem Niedergetretenen, wird einst ein Für­

watt, ein Rächer feierlich erscheinen — im Buche der

Geschichte

oder

auf

den

Blättern

geflügelten

der

Dichtung.

Fünfte Scene. (Die Thüre öffnet sich; herein tritt Dora GchlSzer.)

Dora

(bleich

und verstört, macht einige Schritte gegen Maser,

bleibt dann, auf eine Stuhllehne gestützt, vor ihm stehen).

Maser.

besuch!

Ihnen

Man erlaubt

Eine unerwartete Gnade!

herzig und fürchten sich nicht,

den

Abschieds­

Sie find barm­

den Todeskampf auf

meiner Stirne zu lesen.

Dora. ich schon

Sie sind stark, das weiß ich, das fühle

längst.

Vielleicht

konnte ich Sie retten;

aber eine Rettung um solchen Preis hätten Sie ver­

schmäht.

Maser.

Ich weiß nicht, Dora, kam; oder darf

ich Sie verstehen? Dora.

Er sprach Sie frei, wenn ich mich ihm

verkaufen wollte.

Maser. Dora.

Der Verruchte!

Verstehen Sie mich

wohl

— um den

Preis meiner Hand! Maser.

ruchte !

Ich

wiederhole

dennoch:

Der

Ver­

Solch ein Opfer, von Ihnen für mich dar­

gebracht, ich hätte es errathen; es wäre zur Folterbank

für mich geworden.

Ich hatte ihn ermordet und den

Tod, den gesetzlichen Tod, als Sühne auf mein Haupt heraufbeschworen.

Darf ich Ihnen jetzt, in diesem feier­

Dora.

lichen Augenblick, Rückhalt

ich

fühle?

Ohne

Die Welt liegt hinter mir, wie

In

Ihnen.

hinter

gestehen, was

gestehen?

meinen

für

immer

gebleichten

Wangen kann selbst die jungfräuliche Schamröthe nur noch flüchtig aufsteigen, wie ein erlöschendes Abendroth vor der letzten Nacht.

Tode

Mein bester Maser, mein im

Freund,

angetrauter

mir

als

ich

Sie

zum

erstenmale sah in Straßburg, da fühlte ich mich hin­ gezogen zu Ihnen, unwiderstehlich, wie die Nachtphaläne

zu

dem Lampenlicht.

Leiden

ich

fühlte

Durch

Ihr halbgeoffenbartes

mich Ihnen

verwandt und

doch

daß solche Gefühle in meiner Lage, in

wußte ich,

Ihrer Lage,

ein Unsinn!

Es war ein verhängniß-

Der Lorbeerkranz, den mir Straß­

voller Morgen!

burgs Musensöhne

anboten,

erschien

mir

wie

ein

Kranz von künstlichen Immortellen, für meinen Sarg bestimmt.

Sie eilen mir voraus, Maser, und nicht

auf lange! Wafer

(hat ihre Hände ergriffen).

Nicht weiter, Dora!

Warum, am Eingang ins bodenlose Land der Ewig­ keit, in

warum hier noch

ein verlorenes

diesen Rückblick mir eröffnen

Paradies? * Warum gestern noch

mir die Aussicht versperren

in jene seligen Räume

deS ungetrennten, ungetrübten, reinen Zusammenlebens

auf dieser unreinen Erde? Dora.

Meine Kinderpflicht wollte ich erfüllen

bis ans Ende.

Der Wille ist frei, aber der Körper

nicht; seine Kraft bricht zusammen , wenn der Wille

ihn bemustert, ihm allzuharte Gesetze vorschreibt.

Dies Geständniß,

Maser.

Dora!

Jetzt!

aus Ihrem Munde,

Und welche Zweifel steigen nun wie

düstere Herbstnebel vor mir auf.

betrogen hätten, Dora!

Wenn wir uns doch

Wenn Sie und

ich,

wenn

beide wir uns für ein Phantom der Pflicht geopfert!

Wenn vielleicht ein kühner Entschluß Sie und mich retten konnte!

O der ewige Richter, der ungesehen

über den Wellen, in unberechenbarer Ferne hoch über der Zeit und dem Raume schwebt, er wolle mich nicht

verdammen, wenn in der Abschiedsstunde ich noch zu­ letzt gegen mein Loos,

gegen Dein Schicksal, Dora,

mich sträube und mich empöre! Nicht um uns in Klagen zu

Dora. bin ich

gekommen.

Ich komme,

zugemessen.

ich,

ergehen,

Die Augenblicke sind uns karg Ihre Wünsche einzuholen,

die unwillkürliche Urheberin Ihres namenlosen

Elends.

So

lassen Sie mich

denn

auch

die Voll­

streckerin sein Ihres Vermächtnisses in dieser Todes­ stunde.

Lassen Sie mich meine Schuld büßen durch

den zermalmenden Anblick Ihres Leidens. Maser.

Ich drücke den Abschiedskuß auf Ihre

Stirne,

tragen Sie ihn über auf die Lippen meines

Kindes.

(Er küßt Sie auf die Stirne.)

Dora

(umfaßt ihn convulsivifch)

Ich

umarme

Dich,

Heinrich, um Deinetwillen, für jetzt und für die Ewigkeit. (Die Thüre öffnet sich : Lavater tritt herein.)

Sechste Scene. Lavater. Dora. Wafer. ein Knie nieder und zieht Hein­

Dora (läßt sich vor Lavater auf

Ihren

rich Maser nach sich).

Segen,

Diener

des

Herrn!

Segnen Sie uns, als Verlobte auf Leben und Tod.

Lavater

ftritt ein wenig zurück,

nicht heftig.)

Was

be­

wegt Euch, an der Pforte der Ewigkeit stille zu stehen,

und einen Rückblick zu werfen auf die versagten Freu­

den dieser Erde?

Ich komme, einen Pilger zu gelei­

ten auf seinem letzten Gange, und mit deS Heilands

stärkendem Beispiel zu wappnen für diese letzte Fahrt;

ich komme nicht um Verlobte zu begrüßen und ihre Ringe zu wechseln und ihnen die Worte der Schöpf­ zuzuflüstern;

ungsgeschichte

ich

komme

als

ernster

Mahner und Tröster und sage zu der Eva-Tochter:

Warum

verführst Du

den zum Tode Geweihten?

Warum lockst Du ihn ab von dem Pfade des Heils? Dora.

Ihren Segen, mein Vater!

Wir sind

dessen nicht unwürdig; auch wenn wir leben sollten,

leben dürften, wäre Entsagung unser Loos. Sie uns für die Ewigkeit!

Segnen

Ich bitte für ihn, für

den Freund an meiner Seite.

Lassen Sie ihm und

mir den Trost, daß wir uns gehören, daß er mein, daß ich sein bin; daß ich vor Gott und der Aelt,

wenn mein Herz nicht bricht, Mutterpflichten erfüllen

darf an seiner Waise. Lavater.

Heinrich Maser! Du hast die Worte

von dieser Jungfrau Lippen vernommen; bist Du einig

mit ihr in See?

und Gemüth?

ihr Deine Vaterpflichten?

Ueberträgst

Du

Soll dies Verlöbniß ein

Bund sein, wie die engelreinen Geschöpfe des Himmels

vor Gottes Throne sich verbinden, so sprich: Ja! und daß er Dir Stab und

Herrn rufen,

ich will zum

Stecken leihe für die nächste Stunde, und Dich der

Hinblick

diese Eva-Tochter nicht wankend mache

auf

in Deinem Entschlüsse, von jetzt an ganz dem Herrn zu athmen und in seinem Namen dem Tod getrost in die hohlen Augen zu schauen.

Maser (schweigt). Du antwortest

Lavater.

nicht?

Du fühlest

Dich nicht stark genug zu rufen mit dem Apostel:

Tod, wo ist dein Stachel!

Maser.

Hölle, wo ist dein Sieg?

Ich hoffe nur,

siehest ....

Doch ein Ja!

wo

Du

glaubst und

darf ich getrost aus­

sprechen. Ja! ich habe der Welt und ihrer Lust entsagt, und sollte am Fuße des Schaffots ein Ruf der Be­ gnadigung ertönen, ich würde nicht umwenden in dem

breiten Heerweg der nichtigen Freuden dieser Welt.

Hast Du, im Hinblick auf den Hei­

Laval er.

land und um seinen

Willen,

Deinen Feinden

ver­

geben, und nimmst Du die über Dich verhängte Strafe

als eine Buße für Deine anderwärtigen vielfachen Ver­ gehen? Maser.

Vor Gott bin ich sündig — doch vor

den Menschen . . .

Lav ate r. nem Geiste ...

Auch diese Bewegung merze aus Dei­

(Zu Beiden) Reicht Euch zum letzten­

mal die Hände! Der Herr segne Euch ! Er lasse sein Angesicht leuchten über Euch, und schenke Euch seinen

Frieden.

Siebente Scene. (Die Thüre öffnet sich; der Gerichtsschreiber erscheint.)

Gerichts schreib er.

Es ist Zeit aufzubrechen.

Ich bin bereit. — Vater bleiben Sie

Maser. bei ihr.

Lavctter.

Der Herr wird

über ihr wachen.

(Sie gehen ab; an der Thüre wirft Maser noch einen Scheide«

Komm'.

blick auf Dora.)

Achte Scene. Dora

(allein).

(Sie steht dem Abgehenden mit starren Augen nach, preßt die Hände krampf­ haft auf die Brust und sinkt auf einen Stuhl nieder.)

Gott sei gelobt! Dieser Schmerz ist tödtlich. Die

Kraft versagt mir, Ihm auf diesem letzten Wege zu folgen.

Mir fehlt der Stab, den Lavater für den

geopferten Freund erbittet. (Sie naht einer Fenfterluke > Horch! die Ruderschläge!

Der Kahn entfernt sich . . .

(AuS der Ferne tönt ein gedampfter Ehorgesang herüber):

Miserere! miserere mei domine! (Bon der Münsterglocke tönen vereinzelte dumpfe Schläge.)

Dora.

Er ist auf dem Richiplatz angelangt. —

Herr Gott, erbarme dich seiner Seele! erbarme dich

meiner! einem Stuhle.

(Sie sinkt auf die Kniee nieder und verbirgt ihr Gesicht auf Die Thüre öffnet sich und Aenneli tritt herein.)

Neunte Scene. Aeirrrett. Dora. Aenneli

Kommen

(eilt auf Dora zu, beugt sich über sie.)

Sie, Fräulein Dora!

Sie hört nicht. . .

neben ihr nieder und umfaßt sie.)

Fräulein

Viertelstunde noch harren Sie aus!

(Sie läßt sich

Dora!

Nur

eine

Sie wissen, wer

uns zu Hause erwartet. Dora

uns!

(aufspringend).

Aber

Recht!

auf

mich

Der Sohn wartet aus

Ja!

Vater

der

auch!

Du

hast

Komm, nach Hause!

(Sie gehen mit verschränkten Armen

fort.

Die Schläge an der Münster­

glocke beginnen wieder und dauern etwa eine Diertelminute fort.)

Das

Theater verwandelt sich.

Zehnte Scene.*) Saal bei Röderer zu Straßburg.

Oberlin

ist das Haus!

(trittherein).

Sonderbar!

Wie verlassen

Niemand tritt mir auf der Stiege,

Niemand im Vorzimmer entgegen.

dies ein großes Zutrauen in

Jedenfalls bezeugt

die Ehrlichkeit sämmt­

licher Hausbewohner und der Außenwelt.

Und, wie

mir scheint, Röderer immer noch abwesend. an das Fenster.)

Wenn man aus

(Sr

tritt

dem einsamen Stein-

thale wieder hereinkömmt in die Stadt, wie dock alles bewegt und belebt erscheint auf Straßen und Plätzen!... Allein, ich trüge mich nicht, das ist fürwahr nicht das *) Bei eventueller Aufführung wären die beiden letzten Scenen auszumerzen.

gewöhnliche Aussehen der Gassen, da, gegenüber, eilen

ganze Gruppen,

der Breusch entlang,

Thomäkirche zu.

Und Niemand zu Hause,

die Ursache dieses Treibens angibt. . .

Begräbnißfeier sein.

der mir

Es muß eine

(Man vernimmt die Glocke der Thomaskirche.)

Die Unruhe treibt

Richtig!

auf die St.

mich doch, wissen muß

ich ... .

Letzte Scene. Röderer (tritt ihm entgegen).

Willkommen, zur Rückkehr, Gevatter

Oberlin.

Ich kam,

Hofjuwelier! holen,

nach

gleich

Steinthal.

Ihr

Trauerkleidung? Ihr?

Nachricht von Euch einzu­

meiner Nachhausekunft aus dem

antwortet

Ihr

nichts. . . .

ängstigt

mich.

Und Wen

diese

verlort

Wen verlieren wir?

Röderer.

Also, Ihr wißt nichts. . .

Oberlin.

Ich weiß nichts.

Röderer.

So vernehmt denn alles auf einmal.

Maser ist hingerichtet in Zürich.

Sarg

von Dora Schlözer

Ich instradire den

nach Göttingen;

starb ul der Schweiz. Oberlin

(macht eine stumme Bewegung.)

Der Vorhang fällt

Ende des fünften Actes.

Straßburg, Druck von Fr. Wolff — 361

sie