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German Pages 130 [132] Year 1875
Heinrich Was Ein Drama in fünf Anzügen mit Gesängen
von
Ludwig Spach.
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Ztraßburg,
Verlag von Karl I. Trübn er. 1875.
Heinrich Maser. Ein Drama in fünf Aufzügen mit Gesängen.
Personen. Heidegger, Bürgermeister von Zürich. La Vater, Prediger und Rathsherr in Zürich. Salomon Geßner, Rathsherr in Zürich. Landolt, Kanzler und Stadtarchivar in Zürich.
Heinrich Maser, entlassener Pfarrer von Kreutz bei Zürich. Schlözer, Geheimerath und Professor in Göttingen.
Dora, seine Tochter. Jeremias Oberlin, Professor in Straßburg. Röderer, Juwelier in Straßburg.
Schnitz, Gehülfe des Archivars von Zürich.
Aenneli, Masers Dienstmagd. Jakob, Saknstan und Diener Lavater's.
Ein Gerichtsschreiber. — Straßburger Studenten. — PedeÜe. Zürcher Schiffer. — Zürcher Schaarwache.
Zeitpunkt: Dezember 1779 bis Ende Mai 1780.
Schauplatz: Straßburg und Zürich.
Arster Ick.
Erste Scene. Zimmer bei Hofjuwelier Röderer.
Professor Oberlirr und Roederer treten auf, jeder einen offenen Brief
in der Hand haltend.
Oberlin. Es trifft, wie ich's euch sagte, Gevatter Hofjuwelier! Heideggers Brief giebt schlechte Aus kunft über Wafer. Röderer. Das wäre! Sonderbar! Da hab' ich einen Brief von Lavater, der sagt gerade das Gegentheil. Wafer ist sehr gut bei unserem geistlichen Freunde angeschrieben. O-berlin. Nichts für ungut, Herr Gevatter! Das Urtheil des Zürcher Bürgermeisters, des gewiegten Geschäftsmannes, fällt, bei mir wenigstens, zehnmal schwerer ins Gewicht, als die Ansicht des prophetischen Schwärmers. Lavater liest sehr genau in den Sterilen und versteht die Offenbarung Johailnis, aber den Charakter eines Menschen
Röderer.
Ick dächte, der Verfasser der Phy
siognomik verstände es auch, im Gemüthe der Men schen lesen. Oberlin. O ja! die natur mag er kennen; aber Fall, über den und den steht der Ochs am Berge. Optimist.
Menschen, dieMenschen-
gilt es, über den und den Menschen zu urtheilen, da Lavater ist nachsichtig und
Röderer. Nicht im geringsten; unsere sündige Natur ist ihm ein Gräuel, und wie unsere Brüder gemeine sucht er vor allem Gnade dort, wo allein Gnade zu finden. Oberlin (lächelnd). Wir gehen von unserem Wege weit ab, Herr Gevatter. Bitte, wie erklärt Euer geist licher und geistreicher Freund die Anwesenheit Masers
in Straßburg? Wie erklärt er absonderlich die Un-, gnade, in die er beim Rathskollegium und dem Pres byterium in Zürich verfallen ist; denn das läßt, sich nun einmal nicht ableugncn; Wafer war Pfarrverweser in Kreutz bei Zürich, und er ist es nicht mehr . . . . er war hochgeachtet und ist nun verklagt und ange feindet; er war ein glücklicher junger Familienvater und ist nun verwittwet, und seine Frau liegt vom Kummer geknickt, im frühen Grabe. Röderer. hören? . . .
Oberlin.
Wollt Ihr nicht Lavaters Brief an
Das ist ganz überflüssig;
gebt mir
den Kern und Inhalt; ick schenke Ellch die biblische Verzierung. Meine Zeit ist gegenwärtig kurz zuge messen; Schlözers Aufenthalt ....
Röderer
(ihn
und seiner
unterbrechend)
Tochter Doktoren-Disputation giebt Euch, ich weiß es, mancherlei zu schaffen. Oberlin
Dora
(mit kaum unterdrückter Verlegenheit).
Schlözer wohnt unter Eurem gastlichen Dache, nicht
Ihr widmet dem
in meiner Junggesellen-Herberge.
lieben Kinde vermuthlich mehr Zeit als ich
Röderer.
Meine Frau, meine Kinder, ja! Ich
mische mich nicht in das Hauswesen.
Und was ent
hält denn Bürgermeister Heideggers Brief an Euch? Oberlin.
Einen kurzen Rückblick auf Wafers
Biographie als Pastor. Röderer.
Nun,
was hat
denn der Arme so
Schweres begangen? Oberlin.
Aus unerklärlicher Ränkesucht,
aus
Haß gegen den Verweser der Pastoralgüter und Kassen hat er solchen des Unterschleifs angeklagt. Nach strenger
Untersuchung wurde die Anklage null und nichtig und kalumniös erklärt, Maser zu einer bedeutenden Geld strafe als Ehrenersatz verurtheilt, und
kurz und gut
genöthigt, sein geistliches Amt niederzulegen.
Das ist
offenkundig und wird auch voll den Freunden. Masers zugestanden.
Röderer. an.
Lavater sieht das mit andern Augen
Glauben wir ihm,
so hat Maser nicht so ganz
ins Blaue geredet, unb die Verwaltung der öffentlichen Gelder in unserer ehemaligen
werthen
Bundesstadt
Zürich läßt viel zu wünschen übrig. Oberlin.
Vor Gericht hat der
Gewinnende
Recht, und der Derurtheilte hat zu dem Schaden noch
den Spott; das ist nun einmal in dieser imperfekten
Welt nicht anders . ..
Thut mir leid, bei dieser Ge
legenheit nicht gefällig zu sein . . . Masers Gesuch um eine etwa erledigte Pfarrstelle im Elsaß wurde hier
schlecht ausgenommen.
Röderer. Das heißt, Ihr wollt kein Wort für
ihn einlegen. Oberlin.
Ich kann nicht. Warum bringt Ihr
ihn nicht in Euerer Brüdergemeine unter Dach und
Fach.
Röderer.
Recht gern,
wenn er sich in unserer
Misston anwerben ließe.
Oberlin.
Nach Grönland oder zu den Hotten
toten zieht Maser nicht,
dafür steh' ich.
Er ist ehr
geizig und liebt Egyptens Fleischtöpfe.
Röderer.
Ihr seid
witzig und etwas boshaft,
wie immer. Oberlin.
sichtig.
Und Ihr, Gevatter, kurz- und nach
Doch still, da kommt Euer Gast.
Zweite Scene. TlchlSzer, die Vorigen.
Schlözer.
Guten Morgen,
lieber Professor;
guten Tag, Freund Röderer .... ihr beide, schon mit
Briefen in der Hand Geschäften?
früh auf, und schon in
Unsere Briefe betreffen Euere Ange
Röderer.
Lavater
legenheit, hochgeehrter Freund!
giebt mir
günstige Nachricht über Maser; Professor haben minder Angenehmes zu berichten .... Wollen Herr Geheime-
rath nicht
Einsicht
nehmen?
(Beide übergeben Schlözer die
Briefe, die sie bis dahin in der Hand gehalicn.) einen flüchtigen Blick hineingeworfen).
Schlözer (nachdem er
Großen Dank, meine Besten, für die Bemühung; ich werde mir die Sache des näheren überlegen. Ich habe
indeß den Pfarrer Maser hierher beschieden; er gefällt mir;
zu meinem Zwecke
ist mir Lavaters Zeugniß
hinreichend. Oberlin
(macht eine mißliebige Bewegung).
Nichts für ungut, lieber Professor;
Schlözer.
ich
danke nochmals für Ihre Vermittlung; sie wird
jedenfalls den Grad des Zutrauens bestimmen, den ich dem Zürcher Pfarrer zu schenken habe.
Sie nicht,
Vergessen
Oberlin.
daß Sie und
Dora, um eilf Uhr, die Deputation der Universität zu
empfangen haben. Die Auszeichnung ist für Dora und
Schlözer.
für mich so erwünscht als schmeichelhaft. Wie? glauben Sie, daß uns die bezeichnete Stunde entfallen,? Dora ist jetzt schon gerüstet und geschmückt.
Oberlin.
ich
Darf
machen? Schlözer.
Sie
ihr
werden
meine ihr
Aufwartung
als
erwünschter
Studienpathe willkommen sein. O berlin
gunst;
(zu Röderer).
führt mich
Hauses Labyrinth.
Herr Gevatter,
mit Ver-
die Wege llnd Stege in Eures
Röd erer. Die würde Euch irgend einer der Heiden götter, die ihr so sehr verehrt, auch ohne mich weisen. Indessen kommt.'
(Röderer und Oberlin ab.)
Dritte Scene. SchlSzer, allem. (Er durchläuft noch einmal die Briefe.)
Heideggers Schreiben ist in der That nicht günstig. Doch, nur desto besser sür mich. Maser hat auswär tige Unterstützung vonilöthen. Er muß mir, nolens volens, in die Hand arbeiten; es wird aus ihm ein
trefflicher amanuensis zu schnitzen sein.
Vierte Scene. Wafer (tritt schüchtern herein).
Schlözer.
Maser. Um Vergebung, hochgeehrter Herr Geheimerath, daß ich so frühe .... Schlözer. Durchaus nicht, lieber Herr Pfarrer! — Durchaus nicht! Ihr kommt zu anberaumter Stunde. Etwas später wäre ich mit meiner Tochter
in Anspruch genommen. Maser. O, ich weiß! Gestern Abend wohnte ich der Disputation im Oratorium bei. Wie gedrängt
voll war der weite Raum!
Ich komite mir keinen
Durchgang mehr erzwingen. Wie gerne hätte ich Ihnen, Verehrungswürdiger, und der Frärüein Tochter meine Huldigung dargebracht. Aber mit Demon strationen solcher Art stnd Vater und Tochter schon
überhäuft; ich hätte nur einen Tropfen Wasser in ein übersprudelndes Fontänebecken gettäufett. Sch löze r. Nicht doch, mein junger Freund, nicht doch! Für meine Tochter kommen solche geistreich ge würzte Tropfen immer erwünscht. Auch heute Morgen kommt ihr nicht zu spät; sie wird es Euch zu Danke wissen.
Maser. Wenn ich das hoffen dürste! Es wäre ein allzuschöner Morgen nach trübep Nacht.
Schlözer. Ihr seht in der That etwas mißmuthig drein, Freund Waser. Was ist Euch denn so Widerwärtiges begegnet? Waser.
Nichts Unerwartetes.
Ich kam hieher,
nicht ganz austs Gerathewohl, weil ich Sie zu treffen hoffte; aber die Aussichten, die mir Lavater gab, und die mir gleich etwas nebligt erschienen, die stnd nun ganz in Duft verhüllt. Professor Oberlin fcebeutete
mir gestern Abend, ich könne hier auf keine Anstellung zählen. — Der Anblick Ihrer reizenden Tochter, der Klang ihrer wunderbaren Stimme, die Gedanken, die sie in ihrer meisterhaften Rede über Olympia Morata ausgeprägt, halten mich in den siebenten Himmel er hoben; Oberlins apodiktisches: Nein! das er nickt einmal mit dem, was die Franzosen hier eau benite de conr heißen, zu versüßen suchte, das herrische Nein warf mich hinab in einen bodenlosen Abgrund.
Schlözer.
Oberlin
es ihm zu Danke wissen.
mit eitler Hoffnung.
ist aufrichtig;
Ihr solltet
Er will Euch nicht speisen
Er packt nun einmal die Men
schen etwas unsanft an, gerade wie seine Antiquitäten,
wenn er sie aus Schutt und Stein herausgraben läßt.
Ihr wart wohl bei der letzten Operation in Königs hoffen ? Nicht doch!
Maser.
Was ! Ihr habt den niedlicheil Votiv
Schlözer.
altar nicht gesehen,
der jetzt in Schöpflins Museum
prangt?
Maser.
Mir stände besser an, selber zu allen
Göttern zu beten.
Haben Euer Hochwohlgeboren an
intd) zu denken geruht? Schlözer. Ganz gewiß! Ich denke, wir können
uns gegenseitige Dienste leisten.
Ihr kennt, denk' ich,
mein halbpolitisches Unternehmen? — Wie sollte ich nicht?
Maser.
Sie haben uns,
Herr Geheimerath, das Alterthmn und den Norden Europas erschlossen, ein neues Panier auf dem unend
lichen Felde der Wissenschaft aufgepflanzt. Zu meiner täglich sich häufenden Ar
Schlözer.
beit brauche ich jugendliche Kräfte.
Ihr könntet mir,
glaub' ich, dabei zu Handen gehen.
Maser.
So wenig oder so viel ich kann,
Nur
sehe ich nicht ein, wo und wie?
Schlözer.
Die Verhältnisse in Zürich und einem
Theil der Schweiz sind Ihnen wohl bekannt. — Nicht
auf den Norden Europas allein beschränke ich meine Forschung;
auch der Süden ist mir willkommen. Wo
absonderliche Regierungsformen bestehen, gilt es,
mit
Heller Fackel solche zu beleuchten. Die Staaten Europas befinden sieb an einem bedeutenden Wendepunkt ; unge heure Ereignisse stehen bevor; sie sollen uns nicht unerwartet treffen; auch das Veraltete, jetzt noch mit einem Scheinleben sich Hinschleppende, hat ein Riecht auf die Nachwelt, wenigstens in schriftlichem Gedächtniß
überzugehen. Meine Korrespondenznachrichten sollen zum-Archive werden, das solche Abnormitäten aufbewahrt. Wollt Ihr mein Mitarbeiter sein?
Maser. Wie sollt' ich, durch Ihr Zutrauen be ehrt, nicht gerne Hand anlegen? Doch erlauben Sie mir die Wiederholung meiner obigen Frage: Wo und Wie? Schlözer. Sie stehen wohl, als geborner Zürcher, mit dem Geheimschreiber des Stadtrathes, mit Archivar Landolt in Verbindung? Maser. Landolt ist mein Freund. Schlözer. Desto besser. Sollten Sie nicht, durch seine Vermittlung, Einsicht in die Register er halten? Maser. Ich habe selber im Archiv für per sönliche Forschung, zu kirchengeschichtlichem Zwecke, ge
arbeitet. Schlözer. Desto besser. Würde Ihnen Ihr Freund nicht über dies und das, über Verwaltung, Finanzen, Kriegswesen, Dokumente mittheilen, zu aus wärtiger Benutzung? Maser. Nicht wohl! Ich glaube kaum, daß es sich mit seinem Amt und mit geleistetem Eide ver tragen sollte. Vielleicht, wenn ich ihm andeütete, zu welchem Zwecke und für wen. Der Name Euer
Hochwohlgehoren wäre vermuthlich eine hinreichende Empfehlung. Schlözer. Nicht doch! Das wäre er gewiß nicht! Es wäre dies vielleicht ein großes Hinderniß. Wafer. Kaum sollte ich's glauben. Schlözer. Man würde meiner Absicht miß trauen. Meine Absicht ist redlich und rechtlich. Ich glaube, man leistet jeder Regierung keinen geringen Dienst, wenn man auf Abstellung der Mißbrauche hinarbeitet. Aber in solchem Falle gilt das Wort des Evangeliums: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Wafer. Sie wünschten also? .... Schlözer. Mittheilungen, sub rosa. Maser. Was ich, ohne Indiskretion gegen meinen Freund .... aber es wird nicht wohl gehen. Veröffentlichen Sie., wie natürlich, solche Notizen, so steigt man zu der Quelle hinauf; verheimlichen ließe sich am Ende nichts. Schlözer (kalt und abbrechend). Das ist Ihre Sache, mein werther Herr Pfarrer. (Bedeutsam) Ich glaubte Sie aus temporärer Verlegenheit zu ziehen; Sie haben als Familienvater Pflichten zu erfüllen. . . Wafer. Woran mahnen Sie mich? . . . unselige
Lage! . . . Schlözer. Die Sie verbessern können Macht man Ihnen in Zürich das Leben allzuschwer, und finden Sie hier in Straßburg keine Auskunft, so ziehen Sie nach Göttingen.
Maser. Welche Aussicht eröffnen Sie mir, gü tigster Herr Geheimerath! Sollte nicht allsobald. . .
Schlözer (kaly. Meine Andeutung ist eventuell und bleibt der vorläufigen Erfüllung meiner Wünsche untergeordnet. Sie wollten vorhin meiner Tochter ihre Aufwartnng machen, da kommt sie selber.
Fünfte Scene. Dora Schlözer.
Wafer.
Schlözer.
(Dora tritt herein, in schwarzer Sammetkleidung, mit einer FlormantiÜe, um den Hals einen Perlenschmuck, silberne Armspangen. — Wafer »nacht eine stumme Verbeugung, Dora erwidert solche mit einer leichten Be wegung des Kopfes; sie eilt auf ihren Vater zu, und beut ihm ihre Stirn zum Kuß.)
Dora. Guten Morgen, gnädigster Vater! . . . . Wohlgeruht?
Schlözer. Wie ein Dachs! Der relative Müßiggang mundet trefllich. Deine gestrige Ovation verjüngt mich. Dora. So? ... . Der Antheil an mir macht Sie schlaftrunken? Bei mir gerade das Gegentheil. Ich war die ganze Nacht über fieberhaft aufgeregt. (Sie erblickt,
zufällig
die Augen
aufschlagend,
den
Zürcher Pastor.)
. . . Nicht doch, was sage ich da ... es muß gestern in der Nähe eine Ballgesellschaft. . . rollten doch die Karossen bis um vier Uhr Morgens vor meinem Fenster; die Fackelträger warfen ihren Schimmer durch die geschlossenen Gardinen. Was war das, Vater?
Wissen Sie's? Schlözer. Nun, der Intendant, Herr de la Galaiziöre wohnt ja in der Nähe. Sagten Dir das nicht gestern Abend Deine Cousinen?
Dora.
Die lieben Kleinen! sie waren zu Bette,
als wir aus dem Auditorium nach Hause kehrten. — Herr Vater, über der plaudernden Tochter vergessen
Sie Ihren Besucher.
(Sie wendet sich
mit
einer
verbindlichen
Bewegung gegen Maser.)
Maser.
Nicht doch, geehrtes Fräulein! Wer ge
würdigt ist, Ihre liebe Stimme zu hören,
verlangt'
nach keiner andern Unterhaltung.
Dora. zu sprechen.
Sie kamen doch, um mit meinem Vater (Macht Miene, sich zu entfernen.)
Schlözer.
Nicht
wohl die Sache
führen.
doch,
liebe Dora!
des Zürcherredners
Herr Pfarrer
Wafer
Ich muß
für ihn selber
ist Deinetwegen
da.
Dir macht er seine Aufwartung; Dein gestriger Vor
trag hat ihn dermaßen bezaubert .... doch er sagt Dir's lieber selbst. Daun magst Du ihm, so gut
und besser als ich, mittheilen, wie wir zusammen zu arbeiten pflegen.
aus Zürich. wünscht.
Herr Maser verspricht mir Beiträge
Laß ihn
wissen,
wie
mir
solche er
(Er entfernt sich.)
Sechste Scene. Dora. Wafer.
Dora.
Sehen
Sie sich,
vernehme mit Freuden,
daß
geehrter Herr!
Ich
Sie meinem Vater in
feiner Riesenarbeit beizustehen gedenken.
Mein Vater
altert, und beladet sich übermäßig. Maser.
Sie stellen mir die Aufforderung des Ge-
heimeraths in ein günstigeres Licht als er selber gethan.
Wie so? Maser. Daß ich es Ihnen nur eingestehe, Gnädigste, was Herr Professor Schlözer von mir ver langt, hängt vielleicht nicht ganz, wie er es dachte, von meinen Kräften ab, und doch wäre ich überselig, mit ihm, mit Ihnen dadurch in nähere Verbindung. . . Dora. Was erwartet mein Vater von Ihnen? Maser. Die Benutzung des geheimen Zürcher Staatsarchivs. Dora. Nun denn? . . . Maser. Sie kennen wohl nicht die engherzigen Verfügungen meiner Vaterstadt? Dora. Wie sollte ich? Die Schweizerverhält
Dora.
nisse sind mir völlig fremd. Maser. Wir leben, so heißt es draußen in der Welt, unter republikanischer Verfassung. Die Form ist der Art, aber der Kern?! . . . Dora. Nun, der Kern? — aristokratisch, nicht wahr? wie in mancher griechischen Republik. Wafer. Sie verstehen mich, Fräulein. Die Ge schichte der Vergangenheit erklärt Ihnen die Geschichte der Gegenwart. Das Zürcherregiment ist in der Hand einer abgegrenzten Zahl von Familien. Der Patrizier stolz kommt dem des alten Adels gleich. Das Land volk lebt in tiefster Untertänigkeit der Stadt gegen über, und in der Stadt selbst abgeschlossene Familien zirkel, die sich konzentrisch um einen Mittelpunkt sammeln, wovon Macht und Einfluß ausströmt. Dora. Wie kommt das? Ihr Name, dachte ich, hat keinen Übeln Klang. Man rühmte mir Ihr Talent,
als Prediger.
Maser.
Ich stamme aus einer eingewanderten
Familie. Ich kam durch des milden Lavaters und des liberalen Geßners Gunst zu meiner Stelle,
wurde angefeindet und verlor sie.
Dora
(teilnehmend).
Sie sind verheirathet?
Wafer. Meine junge Frau starb vor Gram. Ich habe sie vor. wenig Monaten auf einem herrlichen beigesetzt. Geßnerische Quellen murmeln dort am Bergesabhang, Tannen rauschen darüber hin. Es ist ein idyllisches Paradies für die Todten. Mir bleibt ein mutterloser Knabe. Dora (gerührt). Wie alt?
Friedhof
Maser. Zwei Jahre. Der Knabe lächelt immer fort — der Vater ist zermalmt, zerknirscht. Ein oder zwei Sommer währte feilt Glück, und auch das nicht ungetrübt.
Dora. Es giebt Väter und Mütter, die nicht Einen günstigen Frühling zählen. Man spricht nicht umsonst von Flitterwochen. Sie gehören vielleicht noch zu den Bevorzugten, Glücklichen. Es giebt Jüng linge und Mädchen,
die nicht einmal Flittertagen
entgegengehen. Maser. Aus Ihrem Munde das zu hören, mein Fräulein! . . . Erlauben. Sie mir, daß ich staune. Sie, die gefeierte Dora Schlözer! Sie, das Wunder kind! Feenhaft ausgestattet mit allen Vorzügen des Geistes und gewiß auch des Herzens! Sie, im Schooße der Musen aufgewachsen ....
Dora. Bitte, Herr Pfarrer, verfallen Sie ja nicht, mir gegenüber, in die Mythologie; die heidnischen
Symbole verfolgen mich schon genug in meiner täg
lichen Beschäftigung ....
Maser.
Die Ihnen doch nicht unerwünscht ist,
nicht so zu sein scheint. frühen,
Sie beschämen ja mit ihrem
leicht aufgefaßten Wissen bejahrte,
in den
Studien gebleichte Häupter.
Meinem Vater zu Gefallen.
Dora.
leichter um's
Herz,
wenn ich
Mir wäre
den gelehrten Kram
zum Fenster hinauswerfen dürfte, um mir und meinen Freunden zu leben.
Wafer.
Und das dürfen Sie nicht?
nicht wollen, Gnädigste.
Weil Sie
Der rauschende Beifall, der
Ihnen gestern Abend von der versammelten franzö
sischen und deutschen Gesellschaft gezollt wurde,
wie,
er sagte Ihrem Geiste nicht zu? . . .
Ich bin nicht unempfindlich gegen den
Dora.
Beifall. Wenn ich es meinem Vater zu Danke mache, wenn
er
in
seiner
Tochter
fich geehrt
fühlt,
das
schmeichelt auch meiner Eigenliebe, aber . . -
Wafer.
O, ich verstehe! . .
. Sie sehnen sich
nach dem stilleren Beifall einer vertrauten Seele. Und
der sollte Ihnen entgehen?
Auf einen Blick Ihrer
Augen, auf einen Druck ihrer Hand . . .
Ja wohl! Die Tochter des Geheimeraths
Dora.
Schlözer,
das weiß ich,
fände nicht unschwer eigen
süchtige Schmeichler und Bewerber;
sie würde zum
Fußschemel für einen Göttinger Universitätskatheder.
Ich kenne die Männer, junge und alte. Maser.
In früher Jugend,
Ich beklage Sie, mein Fräulein. unwillkürlich ein.
diese Erfahrung! Sie schüchtern mich
Wie darf ich's künftighin wagen,
2*
Ihnen die geringste Bewunderung zu zollen; Sie sähen darin nur eine Berechnung. Dora (sieht ihn ernsthaft und durchdringend an). MitJhnen stände es besser. Sie sind durch den Kummer ge prüft. Seitdem meine Mutter im Grabe, bin ich hellsehend und besser. Wir können uns die Hand reichen. Aber so kommen wir unerwartet ab von unserem Ziele. Sie können also meinem Vater nicht wohl zu Handen gehen? Maser. Ich setze Sie selber auf den Richterstuhl. Darf ich Ihrem Herrn Vater und der Wissenschaft zu Liebe das Zutrauen eines Freundes mißbrauchen? Dora.
Wie so? — das wohl nicht,
das ver
langt mein Vater wohl nicht von Ihnen. Maser. Er denkt, ich könnte durch den Zürcher Rathsarchivar Dokumente erhalten, die für seine poli tische Korrespondenz tauglich.
Dora. Sie haben meinen Vater gewiß miß verstanden. Er kann nichts wollen, das irgend einer Pflicht zuwiderliefe. Aber was sich, unbeschadet der Rechtlichkeit, durch Fleiß und Eifer thun läßt, die Kopie von unverfänglichem Antiquitätenquark, oder statistische Zahlen, das ist Wasser auf meines Vaters Mühle. Weiß ich doch, wie er's in dem starren, eisbepanzerten Rußland anpackle, um seine Wißbegierde zu befriedigen. Glauben Sie mir, mein Vater ist er kenntlich, auch für mäßige Leistung. Nimmt er doch mit meinen Excerpten vorlieb. Schlagen Sie nicht rundweg ab, und besprechen Sie, besehen Sie selber in Zürich das Nähere.
Maser. Sie gießen Oel in eine erlöschende Lampe. Dank für Aufmunterung, Trost und Vermitt lung. Es dürften also meine Notizen durch Ihre Hände gehen? Dora. Warum nickt? .... Ich schichte für meinen Vater den Vorrath auf, den er verarbeitet. Ich bin ihm dienlich, wie er es wünscht. Es wäre naturgemäßer, hätte er mir die Regierung des Hauses übertragen; so hat er mich aber zum gelehrten Werk zeuge umgemodelt. Gehorsam ist des Kindes Pflicht. Maser. Sie zeichnen mir beiläufig meine Vater pflichten vor. Ich darf also auf briefliche Mittheilung von Ihnen hoffen? Dora. Auf mündliche, wenn es Ihnen Freude macht. Mein Vater denkt in künftigen Ferien die Schweiz zu besuchen; wir kehren in Zürich ein. Wafer. Sie eröffnen mir eine goldene Aussicht.
O, daß ich Ihnen sagen dürfte, welch' ein Meer von Gefühlen bei Ihren lieben Worten durch meinen
Busen wogt. Dora. Nein, das dürfen Sie nicht. Hier finge mein Unglaube wieder an.
Siebente Scene. Röderer tritt herein.
Die Vorigen.
Röderer. Schöne Nichte! Wenn ich zu stören wage, nichts für ungut. Die Universitätsdeputation zieht schon am Staden her. Wo denken Sie die Hoch gelehrten zu empfangen?
Studenten kommen mit,
Es ist ein stupendes Gedränge auf der Straße, die schwarzen Talare in corpore zu sehen. Dora. Nun, Herr Onkel, ist dieser Saal nicht hinreichend, so weiß ich nicht wohin ... in die Haus
hinterher.
flur etwa? Röderer. Nicht doch! Das wäre unziemlich. Nun denn, hier an Ort und Stelle; ich gehe, die Herren an der Hofthüre zu komplimentiren.
Achte Scene. Schlözer tritt ihm entgegen.
Die Vorigen.
Schlözer. Wohin, Herr Gevatter? Bleiben Sie doch, die Herren werden schon den Weg herauf finden; Oberlin geleitet sie.
Neunte Scene. Waser hat sich verlegen in eine Ecke deSchlözer und feilte Tochter nehmen gegenüber stehend Platz. Röderer gesellt sich zu Waser. Es treten herein: Oberlin
Die Flügelthüre öffnet sich. Vordergrundes gedrückt.
mit eilf Professoren.
Voran schreiten zwei Pedelle mit silbernen Kolben.
Dicht hinter den Professoren folgt ein junger Studiosus; er trägt ein rothes Sammetkissen, worauf das pergamentene, aufgerollte Doktorendiplom
und ein Lorbeerkranz liegen.
Chor der Studenten. Die nordische Muse grüßen wir, Die Muse der Geschichte. Vergangenheit erscheinet ihr
In zauberhaftem Lichte.
Der ruhmgekrönte Vater weiht Schon frühe sie' zum Siege,
Zum Siege der Beredsamkeit Schon in der Kindheit Wiege.
Nimm, Dora, hin den Lorbeerkranz
Von Straßburgs Musensöhnen,
Verwirf uns nicht bei künftigem Glanz, Wenn Fürsten einst dich krönen.
Du, Ernste, hassest Flittertand, D'rum, nimm Begeist'rungsvolle, 0 nimm aus unj'rer Lehrer Hand Die pergament'ne Rolle.
Oberlin
nimmt das Doktorendiplom, überreicht es der
Dora Dchlözer,
die es ihrem Vater mit einer Verbeugung einhändigt.
Oberlin (zu Dora gewendet). Wir sind noch nicht zu Ende, ehrenwerthe Jungfrau; das Beste zuletzt. Dem frühen Verdienste den Lorbeerkranz, der gewöhnlich nur Männerstirnen schmückt. Auch die schöne Stirne hier wird er mehr zieren, als Perlen und Diamanten. Dora
(verlegen,
macht
eine abwehrende Bewegung,
als ihr
Das ist gegen die lieber einkunft, Herr Professor'; ich empfange tiefgerührt und
Oberlin den Kranz aussetzen will).
hochgeschmeichelt das Diplom, aber der Lorbeer würde mir Unwürdigen die Schläfe brennen. Der Chor der Studenten fällt ein.
Nimm, Dora, hm den Lorbeerkranz Von Straßburgs Musensöhnen; Es werden bald in Purpurglanz
Dich Englands Fürsten krönen.
Verwirf jedoch die Blätter nicht,
Die wir nur schüchtern bieten; Sie fallen schwerer ins Gewicht Als manche Ruhmesblüthen.
Sie stammen her von einem Baum Den Goethe-Werther pflegte, Als hier des Ruhmes erster Traum
In seiner Brust sich regte.
Ihm huldigte, ihn feiert schon Die alma mater grata; Dir winkt von hohem Sternenthron,
Olympia Morata.
Dora Herren,
Ich kann Ihnen, meine
(mit bewegter Stimme).
nicht in Versen antworten.
Bitte,
Ihren
Kommilitonen meinen innigen Dank auszusprechen. . .
Und Sie, Herr Professor, verzeihen wohl, wenn ich die
Stirne nicht vor Ihnen beuge oder nicht vor Ihnen niederkniee? ....
Lassen Sie mich den Kranz hin
nehmen, wie er ist; ich werde ihn aufbewahren als ein heiliges Andenken.
Schlözer
(zu seiner Tochter).
für die Deputation,
Es wäre verbindlicher
wenn Du nach Ihrem Willen
thätest.
Dora.
Legen Sie, bester Vater, den Kranz auf
das Diplom, er kommt Ihnen zu. Schlözer.
So erfülle ich den Wunsch meiner
Kollegen und der hiesigen studirenden Jugend . . . . (Er setzt ihr den Kranz auf die Mantille.)
Dora.
Wenn es denn sein muß . . .
sich gegen die Herren der Universität)
und
ich
Ihnen,
(sie wendet
meine
Herren, so geschmückt nicht unwürdig erscheine?.
. .
Der Chor der Professoren und der Studenten fällt ein.
Dir winkt von hohem Sternenthron Olympia Morata. Dora hat sich gegen die Deputation verneigt, die sich durch die Mittel
thüre entfernt.
Schlözer und Röderer geleiten sie hinaus.
Zehnte Scene. Dora. Oberlin. Wafer.
Wafer. Sie erlauben, mein Fräulein, daß ich mich entferne, aber doch zuvor, Herrn Professor Oberlin gegenüber, meine Gegenwart entschuldige. Sie werden mir Zeugniß geben, daß ich unversehens, von der De putation überrascht, mich Ihres Triumphes erfreuen durfte.
Dora. .Sie waren ein Zeuge meiner Beschämung. Ich traue Ihnen Aufrichtigkeit zu. Oberlin. Herr Pfarrer Maser wird hoffentlich in Zürich melden, daß Straßburg die Verdienste zu
schätzen weiß.
Maser. Wie sollte das Straßburg nicht, wenn die Stadt einen Mann beherbergt, der Schlözers Namen trägt .... einen Herold der Wissenschaft; wenn diese Stadt in Schlözers liebenswürdiger Tochter den Vater doppelt ehrt.
Oberlin. Wir ehren Fräulein Dora um ihrer selbst willen, Herr Pfarrer; melden Sie solches in Zürich ....
Fräulein Dora weiß,
Wafer.
wie hoch meine
Wenigkeit ihr blendendes Genie in aller Demuth an staunt.
Doch Ihren Auftrag, Herr Professor, bitte
ich selber nach Zürich zu berichten. pfang,
den Sie, mein Herr,
keineswegs
gesonnen,
Nach dem Em
mir bereitet,
herzuleihen
mich
bin
zu
ich
Ihrem
Organe. Dora
(besänftigend).
Herr Pfarrer,
so meint es
Herr Oberlin nicht; er bittet Sie blos, gelegentlich... Wafer
Ich bin
(mit steigender Heftigkeit).
nicht
ge
kommen nach Straßburg, um hier wieder zu finden, was ich soeben hinter mir ließ in Zürich.
sagte man,
sei ein
gastlicher
Hier, so
Empfang für Jeden
bereit, der einen ehrlichen Namen an der Stirne trägt; hier wird nicht gefragt, bewohner,
ob
er in der
ob er Land- oder Stadt oder jener Zunft einge
schrieben; hier, hieß es, der Plebejer stehe dem Pa trizier gleich. Oberlin.
Herr Pfarrer?
Weshalb ereifern Sie sich dermaßen, Daß wir
Ihnen
nicht Thür und
Thor öffnen, hängt nicht zusammen mit Ihrer Geburt
und Abstammung,
aber mit der Art, wie der Mann
seine Pflichten erfüllt. Maser
(vor Zorn bebend).
Ich sehe wohl, bei meinen
Feinden haben Sie Erkundigungen über den Armen eingeholt, der ein Asyl im Lände,
in der Stadt hoffte,
die einst ihre Mauern für Calvin und Sturm ge
öffnet. Oberlin.
Nicht dem ersten besten, mein Herr,
können wir die Seelen unserer Pflegebefohlenen an
vertrauen.
27 Maser. Wenn der erste beste seine Proben schon abgelegt und nur offenkundiger Verleumdung erlag, wäre es christlicher, milder gewesen, ihn zu erproben
wenigstens. Oberlin. Sie gestatten mir, Herr Maser, in Gegenwart der Fräulein Schlözer diese Disputation nicht weiter zu verfolgen. Maser. Auch das noch; ich verstehe Sie, Herr Professor. . . . (er wirft itn Abgehen einen schmerzlichen Blick auf Dora, die eine Bewegung macht, um ihn zurückzuhalten, aber verschüchtert
stehen bleibt).
Eilste Scene. Oberlin. Dora.
Dora. Erlauben Sie mir, Herr Professor, mich auszusprechen, frank und frei? Oberlin. Sie finden mich allzustrenge, mein Fräulein, nicht wahr? Es thut mir leid, in Ihrer Nähe. Wie gerne wäre ich dem jungen Manne ge fällig, aber . . . Dora. Aber .... hart find Sie nun einmal gewesen. Und wenn er diese Härte nicht verdiente? Oberlin. Sie beurtheilen den Menschen mit Ihrem Herzen, nicht mit Ihrem Verstand. So geht es meinem Bruder, dem Steinthäler; so Ihrem Ver wandten, dem Hofjuwelier. Mein Bruder hat unlängst wieder so eine herbe Erfahrung gemacht, die ihn auf immerdar von der Begierde kuriren sollte, andern zu helfen. Da war zum Beispiel so ein toller Poet, der Lenz . . .
Dora. Wir kommen von unserem Wege ab. Sie können nichts thun für Maser; Sie werden er lauben, daß ich, daß mein Vater . . .
Oberlin. Wenn Ihr Vater, wenn Sie, Gnä digste, sich böse Händel zuziehen wollen, nach Belieben. So viel steht fest bei mir, Maser bleibt nicht in Straßburg. Er ist mir nun doppelt unausstehlich, indem er mir die kärglich zugestandenen Minuten ver bittert, die ich in Ihrer Nähe zubringen darf.
Dora. Sehr verbindlich für mich ; ich bitte Sie inständig, verzeihen Sie ihm, wenn ich etwas bei Ihnen gelte. Oberlin. Gnädigste! Ob Sie etwas gellen, bei mir?! Sie wissen es wohl; Sie lesen in meines Herzens Grunde; was ich kann, all' meine Kräfte, mein Leben für Sie! Dora.
O, an Ihr Leben will ich nicht; ich will
etwas ganz unbedeutendes, sechs Zeilen von Ihrer
Hand. Oberlin.
Sechs Quartbände,
wenn es Sie
freut; an wen? Dora. Ist Ihnen der Stadtarchivar von Zürich
bekannt? Oberlin.
Kanzler Landolt?
Ziemlich genau.
An ihn soll ich schreiben? Dora. Empfehlen Sie ihm den armen Maser. Oberlin. Zu was Ende, wenn ich fragen darf? Dora. Schon so kühl, Herr Professor? Sie bieten mir sechs Ouartbände, ich verlange sechs Zeilen,
und Sie stehen damit an?
Ober! in. Ihr Wunsck ist ein Befehl für mich; doch wäre mir lieber für einen andern, an einen andern... Dora. Sie versprecken mir also? Oberlin. Wenn es sein muß.
Zwölfte Scene. Röderer.
Die Vorigen.
Röderer. Liebe Dora, Madame de la Galaiziöre ermattet Sie oben bei meiner Frau. Dora. Ich komme (sie verneigt sich gegen Oberlin und eilt weg).
Röderer. Run, Herr Professor? WißtJhrmir's zu Danke? Ich ließ Euch allein mit der schönen Dora. Habt Ihr Eure Zeit gut benützt? Wie viel
Heidengötter habt Ihr der Hochgelahrten vorgeführt? Oberlin (verbissen). Auf Ehre, nicht einen Ein zigen. (Bei Seite.) Frauen- und Mädchenvolk sind sich doch überall gleich . . . Für den widrigen Kerl noch einen Empfehlungsbrief zu schreiben! Aber diplo matisch soll er ausfallen. Röderer (an der Thüre sich umwendend). So kommt doch zu den Frauen hinauf. (Beide entfernen sich.)
Ende des ersten Actes.
Erste Scene. Ein bescheidenes Zimmer bei Maser in Zürich. Im Hinter gründe ein Bett. Im Vordergründe rechts ein einfacher
Arbeitstisch.
Zwischen dem Bureau und dem Hintergründe
eine auf die Hausthüre mündende Thüre. In einer Coulisse, links, der Eingang zu einer Kinder- und Dienstbotenstube.
Die Thüre dieses Zimmers ist halb geöffnet. Eine einzelne Frauenstimme läßt sich in folgendem Wiegenlied vernehmen.
Schlaf ruhig, Kind, in Gottes Schooß, Auf ihn vertrau, er zieht dich groß ;
Schlaf ruhig. Ob Glück ob Unglück warte dein,
Laß dies in Gottes Händen sein: Schlaf ruhig.
Aenneli
tritt herein, schließt leise die Thüre hinter sich, und sieht nach
einer, über dem Arbeitstisch angebrachten Wanduhr.
Ein Uhr .... er sollte schon angekommen sein. Ha! ist er's? . . . (Sie eilt an die Thüre rechts,
(Es klopft.)
um sie zu öffnen.)
Zweite Seme. Jaksb (ein Hausknecht Lavaters) tritt herein.
Aenneli
(ungeduldig).
Nur
Ihr
Aenneli.
seid's.
Was
bringt Ihr, Jakob?
Jakob.
Ein schöner Empfang!
ich vom Herrn Antistes.
Grüße bring'
Er läßt fragen,
ob Herr
Pfarrer Maser von der Reise zurück.
Aenneli. Ich erwarte ihn von einem Augenblick
zum andern.
Er soll diesen Morgen früh von Baden
her unterwegs sein, zu Fuße. Jakob.
Auf
der
Schneestraße?
lgeheimnitzvoll)
Jungfer Aenneli, er thäte besser, gar nicht zu kommen. Zu Haufe, bei uns, hoffte man, er würde in Straß
burg bleiben.
Aenneli.
Nicht kommen? Und sein Knabe hier,
und ich?
Jakob. sieht sich.
Er hätte Euch nachkommen lassen, ver
Aber jetzt wieder nach Zürich!
Aenneli.
Jakob.
Nun, was habt Ihr denn dagegen? Wir nicht,
nicht mein guter Herr An
tistes, der christliche Samariter.
Aenneli.
Aber Zürich . . . .
Ihr quält mich; ist denn wieder was
Neues gegen meinen Herrn im Umlauf?
Jakob.
Ja, denken Sie nur, Jungfer Aenneli,
da ist jetzt der neue Pfarrer von Kreutz, Herr Bürkel, der Nachfolger Herrn Waser's, gestorben.
Aenneli.
Verzeih' mir's Gott, desto besser! Da
wird man schon meinen Herrn wieder anstellen. klopft heftig an der Thüre.)
Ha, da ist et endlich!
(Es
Dritte Scene. Ein Briefträger tritt herein.
Die Vorigen.
Bote. Ein Brief aus der wälschen Schweiz, an Herrn Maser. Kostet vier Batzen. Aenneli (verlegen). Vier Batzen? Bote. Ja wohl. Aenneli. Ich erwarte meinen Herrn zu dieser Stunde. Könnt Ihr nicht wieder vorbeikommen? Bote. Nicht leicht. Aenneli (zupft verlegen an ihrer Schürze). Jakob. Jungfer Aenneli, kann ich aushelfen? Aenneli (feuerroth, schlägt die Augen nieder, und antwotter nicht).
Jakob
(zumBoten).
Die Jungfer hat keine Scheide
münze mehr, da ist vorläufig das Porto. sich.
(Bote entfernt
Aenneli hat den Brief auf den Arbeitstisch gelegt.)
Aenneli. Wir sind knapp an allem. Jakob. Das weiß mein Meister. Gerne würde er aushelfen, aber es sehen viel nasse Augen zu ihm. Aenneli. Wir wissen es wohl. Mein armer Herr Pfarrer überläuft den Herrn Antistes Lavater nicht. . . Ihr sagtet also, d e r von Kreutz sei todt?...
Vierte Scene. Die Thüre öffnet sich; Wafer tritt plötzlich herein.
Die Vorigen.
Wafer. Gott grüß Dich, Aenneli. Was macht der Kleine?
Ich bin's.
Aenneli (hat einen Schrei ausgestoßen). Wie Ihr mich erschreckt! ... Er ist wohl, er schläft da (auf die Thüre linker Hand weisend). Herr Antistes Lavater frägt nach Euch.
Maser
(zu Jakob .sich wendend).
Sag' Deinem Herrn,
daß ich in einer Stunde mich bei ihm einfinde.
(Jakob
entfernt sich.)
Maser
Gute
(hat beide Hände der Dienstmagd gefaßt).
Es geht ihm also wohl?
Aenneli!
Seht selber nach.
Aenneli.
(Sie führt ihn an die
Zch will
Thüre, die sie leise öffnet und wieder hinter ihm» schließt.)
ihm den ersten Augenblick des Wiedersehens nicht ver Gott weiß,
gällen.
was ihm der Antistes zu sagen
hat, und was der Vierbatzenbrief enthalten mag.
Maser
(wieder eintretend),
Hab' Dank, treue Seele!
Du hast ihn gut gepflegt;
er ist rosenroth. Ich hab'
mich
leise über ihn hingebeugt.
seligen Mutter! Aenneli.
nach Euch.
Das Bild seiner
Ich wollte ihn nicht wecken.
Warum nicht?
Der Kleine fragte
Da kommt eben ein Brief.
(Sie reicht ihm
denselben.)
Ich erkenne die Handschrift . . .
Maser.
Von
Johannes Müller. . . Aenneli, laß mich allein; geh' zum Knaben.
Aenneli.
So schnell?
Brief vor mir zu lesen?
Maser.
wach ist.
Ich weiß es.
Rufe, wenn der Kleine
(Amneli ab.)
Wafer sei Dank!
Fürchtet Ihr Euch, den
Ich bin nicht neugierig.
that den Bries erbrochen und flüchtig durchlesm).
Das ist keine üble Botschaft!
wie erwünscht, zu meinem Willkomm.
Gott
Das ist
Der treffliche
Forscher sucht mich zu beschäftigen. Gute Gelegenheit,
mich zuvörderst einzuführen auf dem Archiv.
Fünfte Scene. Lavater (tritt herein). Waser.
Gütigster Herr Anüstes, Sie beschämen
Maser.
mich; Sie kommen mir zuvor. Unser Herr sei mit Euch!
Lavater.
mit Euch! , ...
Friede sei
Ich dachte, Ihr würdet müde sein
von Eurer Reise. Das bin ich in der That, physisch und
Waser.
moralisch. Der Empfang war nicht, wie Ihr ge
Lavater.
wünscht, wie wir gehofft? Nicht ganz; doch nicht in Allem unbe
Waser.
Professor Schlözer trägt mir einige Be
friedigend.
schäftigung auf, und hier, zum Willkomm, einen Brief von Johannes Müller,
öffne ich
der mir ähnliche
Vorschläge macht.
Es ist mir unendlich lieb, das zu ver
Lavater. nehmen;
unendlich lieb,
denn ich habe leider,
mein
guter Pfarrer, einiges auf dem Herzen, das ich gegen
Euch auskramen muß;
es ist besser, Ihr erfahrt das
von mir, denn aus fremdem Munde.
Sie erschrecken mich, Herr Antistes. Wie,
Waser.
ist das Maß noch nicht voll? noch nicht befriedigt?
Sind meine Gegner
Sie haben mich aus dem Amte
gejagt, vorläufig hinaus getrieben in die Fremde; mich
gezwungen,
an
auswärtige Thüren zu klopfen.
Ich
weiß nicht, wie ich mich durchschlagen würde, ständen
Sie mir nicht zur Seite.
Lavater. wissen?
Ihr habt nichts mehr auf dem Ge
Ihr seid Euch keiner Schuld mehr bewußt?
Einer Schuld? Wie verstehen Sie das?
Maser.
Vor meiner Abreise habe ich Ihnen mein ganzes Herz
ausgeschüttet, ich habe auch den kleinsten Fleck heraus grausame Loos,
gekehrt.
Das
hab' ich
als Sühne angesehen meiner, so sagt man,
das
mich betroffen,
voreiligen Anklage des unschuldig befundenen Rech Roch jetzt bin ich in meinem Innern
nungsführers.
nicht ganz überzeugt, daß ich irrte. Die Presbyteriums
kasse war im Defizit.
Und jetzt, was soll ich noch
mehr verbrochen haben?
daß
Ich bete zu Gott,
Lavater.
er meinen
Worten jeden Stachel nehme; daß ich, wie es einem dem schwerbedrängten Bruder
Diener Christi ziemt,
durch meine Eröffnung nicht unwillkürlich einen Dolch in den Busen stoße....
Ihr wißt noch nicht, daß
während Eurer Abwesenheit, daß kürzlich Euer Nach
folger Bürkli mit Tode abgegangen?
Ich erfahre das durch Sie,
Wafer. tistes.
Herr An-
Bürkli war schon lange her brustleidend; ich
konnte es Voraussagen, daß er das Predigeramt nicht
lange in der feuchten Kirche von Kreutz versehen würde. Lavater.
Meint Ihr? Das ist leider nicht die
öffentliche Stimme.
beschied
Bürkli
Krankenbette,
theilung,
Wenige Tage vor seinem Tode
den
Heidegger
und
mich
an
sein
und machte uns eine sonderbare Mit
in extremis.
Abendmahlsfeier,
Er hätte sich nach der ersten
die er in Kreutz
gehalten, sehr an
gegriffen und übel befunden; seine eigentliche Krank
heit leite sich davon ab.
Wafer
(wird aufmerksam).
Doch, wozu das?
Lavater. Wozu? Maser, verzeiht mir, wenn ich des Kranken Andeutung wiederhole. Er behauptet, die Hostien, die Ihr ihm überliefert, — wie soll ich nur sagen — seien von schlechter, unbrauchbarer Paste gewesen. Waser.
Der Kranke war von seiner Einbildung
geplagt. Lavater. Es scheint nicht so ganz; er habe, sagte er, als er sich übel gefühlt, eine der noch übrigen
Hostien an seine Lippen gebracht, und solche wider wärtig, knitternd gefunden. Waser. De inortuis nil nisi Bürkli, vergeben Sie mir, ist absurd.
bene. Aber, Hat er den
Stoff untersucht, untersuchen lasten? Lavater. Nein, er war voreilig und zerstörte
den ganzen Vorrath. Doch, sonderbar genug, von den Abendmahlsgenoffen fanden sich ebenfalls einige nach dem Gottesdienste in üblem Zustande. Waser. Herr Antistes, die Sache wird ernsthaft... ich muß Einsprache thun gegen Ihre Andeutung. Der Hopienlieferant ist ein ehrlicher, braver Mann. Warum hat der unselige Bürkli den Proviant zerstört? Sind unter den Abendmahlsgenossen einige erkrankt, das nimmt mich keineswegs Wunder; vermuthlich alte, gebrechliche Leute, in der feuchten, eiskalten Weihnachts kirche. Herr Pfarrer Bürkli hatte die liebe Gewohn heit, seine Predigt in doppeltem Maaße auszudehnen; er ersetzte von jeher die Qualität durch die Quantität. Lavater. Ihr werdet bitter und einschneidend, mein armer Waser. Nicht der Hostienverfertiger wird beargwohnt oder beschuldigt.
Maser.
Ich bitte Herrn Antistes, sich deutlicher Ein Verdacht, auf wen er auch falle, ein
zu erklären.
Verdacht ist... ist.. . ich weiß nicht, wie ich mich
auSdrücken soll, ebenso absurd als gehässig. Laval er.
Das meine
nnd sage auch ich, mein
bester Maser . . . und doch — Maser.
Und doch? . . .
L av ater (mit steigender Verlegenheit). Heidegger versprach
dem todtkranken, dem sterbenden Bürkli, es solle seiner Eröffnung eine strenge Unterstützung zu Theil werden;
er achtete nicht auf meine flehentliche Bitte; die Aus sage des Pfarrers von Kreutz ist zu Protokoll gebracht.
Maser (ungeduldig). Und was hat sich herausgestellt? Lavater. Ihr wollt es, daß ich alles ausspreche? Bürkli beargwohnt Euch,
Ihr hättet aus Rachesucht
die Hostien verfälscht, vergiftet . . . Maser (in Zorn ausbrechend).
Und
diese
Ausgeburt
eines fieberkranken Hirns konnten Sie bekräftigen? . . . Lavater (besänftigend, die Hand Walers fassend). Die Morte des
Sterbenden konnte
wiederholen
Ich
ich,
mußte
halte Euch für unschuldig,
Mutterleibe.
ich
vor
Gericht
weiter verirrten sich meine Lippen nicht.
Zu
Eurer
wie
keinen anderen Fürsprecher als mich. ist die Rede nicht.
das Kind
im
Rechtfertigung bedürft Ihr
Doch von mir
Die Anklage des Verstorbenen ist
ein öffentliches Geheimniß; nicht Heidegger, nicht Eure
Gegner im
Rathe haben reinen Mund gehalten, der
Argwohn hat manche leichtgläubige Gemüther erfaßt. Maser (in Thränen ausbrechend). Herr Antistes, unsere
Gesellschaft ist ein Tummelplatz von Schuften und Ein faltspinseln.
Ist es mit mir Armen dazu gekommen,
daß ich mich reinigen muß, weil mich altersgraue Buben mit Koch bewerfen? Weil ich Dem und Jenem hier ein Dorn im Auge bin, muß ich wie ein dürres Reis mich auf einen Feuerherd werfen lasten? Sind die Rathsboten, sind die Häscher bereit? Künden Sie meine Rückkehr an, Herr Antistes; nicht einen Schritt werde ich thun aus dieser Stube, die Stirne werde ich bieten der frechen Dummheit, sollte ich auch gesteinigt werden beim Ueberführen ins Gefängniß, beim Heraustreten auf die Straßen dieser Sündenstadt. Lavater. Beruhigt Euch, bester Wafer. Es liegen keine schlagende, keine hinreichende Beweise vor zu einer gerichtlichen Untersuchung. Ich stehe für Euch ein. Ich bin ein unnützer Diener des Herrn, doch in solcher Angelegenheit schenkt mir-der größere, bessere Theil des Rathes und der Bürgerschaft ein geneigtes Ohr. Wafer. Also, wenn Ihr aus ächt christlicher Barmherzigkeit und Liebe nicht einen Schild vorge halten, wäre ich der blinden Gerechtigkeit verfallen? Wer aber rettet mich vom Verdacht? Euer milder Vorspruch mag ihn bekämpfen, doch entkräften, nieder
werfen kann er den unsinnigen Argwohn nimmermehr. Lavater. Das sag' ich auch. Den wahren, diamantenen Schild vorhalten, das kann nur ein stärkerer Arm als der meinige. Lieber Bruder in Christo! Oeffnen sich Deine Augen noch nicht? Siehst Du denn nicht, wo die Hülfe zu suchen, woher der Beistand allein zu hoffen? Hat unser Heiland mich mit der vollnöthigen Kraft zu Deiner Vertheidigung ausgestattet, hat er mich gewürdigt, zum Voraus die
Schlingen zu zerreißen,
die Dich zum Falle bringen
sollten, wie sollte er nicht, wenn Du ihn suchest, wenn
Du
die Arme nach ihm ausstreckest,
nicht Dich erlösen aus allem Uebel?
wie sollte er
Dich will er,
Dich will Dein Heiland.
Maser
Sie erschüttern mich, Herr An
(gerührt).
liftes, und doch . . . Lavater.
Und doch?
Doch kannst Du, willst
Du Dich nicht ihm hingeben? über Dich einbricht,
Alles Trübsal, das
mahnt Dich, schlägt an Dein
Ohr wie eine Sturmglocke, pocht an Dein Herz wie ein Eisenhammer,
Ohren,
und Du
verschließest Herz
Du willst den Mahner nicht hören,
und
bis er
Dich mit noch größerer Trübsal heimsucht.
Maser. schlagen,
Ich kann meine Vernunft nicht in Fesseln
Herr Antistes.
Ich
kann mich mit
Wunder der Vermittlung nicht befassen.
dem
Ich hoffe in
meiner Sache auf den Sieg der menschlichen Vernunft
und Gerechtigkeit. Lavater. Das will auch ich, und für Dich beten. Ruhet Euch aus; begegnet Ihr höhnischen Gesichtern, bemerkt sie nicht. Schon daß Ihr freiwillig zurückkehrt
nach Zürich, ist ein schlagender Beweis für Eure Un
schuld.
Der Herr segne und behüte Euch.
(Lavater um.
arml ihn und geht ab.)
Sechste Scene. Wafer (allein). Er hat sich in einen Stuhl geworfen; er verbirgt sein Gesicht, und bleibt einige Augenblicke in Nachsinnen verloren; dann springt er plötzlich auf.
„Das zum Empfang!
So verschwört sich denn
Alles gegen mich ? Ein Giftmischer, ich ? Mir wird das
Gift eingetrichtert, in einer Dose, einen Riesen zu Grabe zu bringen! Nicht die Schuld, nicht das Ver brechen wird immer bestraft in dieser verrotteten Ge
sellschaft. Wie mancher Betrüger und Mörder schlüpft
durch die Maschen der Gesetze; allein jeder unvorsichtige, leichtsinnige, unbedachte Schritt, jedes Versehen wird
unbarmherzig gerügt und bringt dem Unklugen Weh und Verderben. In diesem Kampfe ums Dasein, Aller gegen Einen, Einer gegen Alle, unterliegt der blinde
Schwächling. Der Heiland will mich, behauptet Lavater.
Ich
bin in tiefster Seele von seinem Worte ergriffen, er schüttert; es spricht aus seinem Mund, aus seinem Auge ein engelgleicher Genius — und dennoch kann
ich nicht.
Der Heiland will mich. . . und wenn ich
dagegen fühle: Der Dämon will mich! Zu tief haben
Verläumdung und tückische Bosheit ihre Krallen ge schlagen in meine schon so lange wunde Brust:
da
bringt auch der Balsam aus dem Paradiese keine Heilung,
keine Lindrung mehr. mer auf und nieder.)
ich entbunden.
(Er W einige Mal heftig in seinem Him-
Meiner Pflichten gegen Zürich bin
Das verruchte Gebühren eines heim
tückischen Bürgermeisters und seiner Genossen erstickt in mir jedes Bedenken. mit mir . . . und Dora?
Schlözer soll zufrieden sein Ich wage es, diese liebe
Gestalt herauf zu beschwören, einen Blick zu werfen
auf ihre reinen Züge durch den düstern Nebel des Hasses,
des Grolles, der Verzweiflung,
der meine
Stirne umdüstert und in die innersten Fasern meines
ganzen Wesens dringt . . . Warum sollte ich nicht, wenn sie mir einen letzten Haltpunkt bietet in diesem
Wogen
widerstrebender
Gefühle . . . warum nicht,
wenn ich an diesem sichtbaren Heiligenbilde mich auf
richte.
(Man hört den Gesang Aennelis in der Nebenstube.)
Schlaf ruhig, Kind, in Gottes Schooß, Auf ihn vertrau, er zieht dich groß,
Schlaf ruhig. Ob Glück, ob Unglück warte dein, Laß dich in Gottes Händen sein. Schlaf ruhig. (Maser schlägt die Hände vor die Stirn und eilt in daS Nebenzimmer.
Die
Scene verwandelt sich.)
Siebente Scene. Das Archiv von Zürich, int Rathhause.
Ein oblonger Saal.
Im Vordergründe einige Arbeitstische. Auf beiden Coulissen-
seiten Repositorien mit Kartons und Foliobänden thekenartig besetzt.
biblio-
Im Hintergrund ein großes Glasfenster,
mit Durchsicht auf einen Theil des Sees.
In der Mitte der
Coulissen rechter Hand führt eine hölzerne Wendeltreppe in ein oberes Stockwerk.
Dieser Treppe gegenüber die Eingangs
thüre.
Landolt,
der Archivar, tritt herein, nähert stch seinem Arbeitstisch im
Vordergrund, wirft die Augen im Saale umher.
Niemand da?! (er geht bis an die Wendeltreppe und rüst Schnitz?! seid Ihr oben? so hört doch! . . .
hinauf.)
der arme Teufel wird stocktaub. Treppe hinauf, und ruft nochmals.)
kommt doch!
(Er geht einige Stufen die
Schnitz! Kreuzelement, so
Achte Scene. Schnitz, eine kurze, gedrungene Gestalt, erscheint am oberen Theile der Wendeltreppe mit einem Konvolut von Schriften beladen.
Schnitz.
Ja!
Ja! Herr Kanzler, da bin ich.
(Beide kommen in den Vordergrund.)
Landolt.
Wie könnt Ihr nur in meiner Ab
wesenheit da oben herumkrabbeln und den Saal hier allein lassen?
Schnitz. Muß alles gethan sein, Herr Kanzler . ..
ich suchte die Schriften zusammen, die Herr Bürger meister Heidegger verlangt.
Landolt.
Was für Schriften? . . . Herr Bür
germeister war also hier? Ich habe Euch schon mehreremal geboten,
nichts auszugeben, bevor Ihr Be
fehle von mir empfangen, und wenn der ganze hohe Rath selber käme.
Was will denn der Herr Bürger
meister ?
Schnitz.
Die acta Waldmann, aus den alten
Prozeduren.
Landolt.
Herr Bürgermeister hätte sich wohl
schriftlich an mich wenden
dürfen, oder Ihr meine
Zurückkunft die kleine halbe Stunde abwarten.
Schnitz (pfiffig).
Um Vergebung, Herr Kanzler,
Ihr seid schon mehr als eine Stunde draußen.
Landolt.
Ihr habt Recht; es war ein schöner
Sonnenblick; ich habe ihn benutzt. Schnitz.
Herr Kanzler thaten wohl; es ist we
niger kalt und feucht draußen, als da droben, auf dem verwünschten alten Kornboden;
der Wind bläst
durch alle Ritzen und der gestrige Schnee ist wieder
durch die Ziegellücken gedrungen. Noch einige Täge, und wir haben da über'm Kopfe eine Schlittenbahn. Land oll. Müßt zum Architekten gehen, und unsere Noth klagen. Schnitz. Ist schon geschehen; der aber hat besseres zu thun. Unsere Papiere, sagt er, die erfrieren nicht.
Landolt. Ich werde selber mit ihm sprechen. Die Pergamente und Papiere, das ist wahr, die er frieren nicht, aber sie verfaulen, Vergangenheit und Gegenwart gehen acl patres. Schnitz (Mit verblüfftem Gesicht). Herr Kanzler mei nen? .. . Landolt. Ja so! ich meine nichts ... ich meine nur, Ihr hättet einen bessern Augenblick zum Ein
suchen dieser Akten wählen dürfen. Schnitz. Herr Bürgermeister waren ungeduldig, und hätten um ein weniges selber gewartet. Landolt. Verlangt er die Auslieferung? Schnitz. Ich denke; er sagte nichts. Landolt. Nun so lege sie hieher. Er mag wie derkommen . . . Was, zum Henker, will er mit dem dreihundertjährigen Kriminalprozeß? Sonst ist nichts vorgefallen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Ist nicht der Bote dagewesen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Wie, nein? ... Ich traf ihn soeben auf der Straße. Er sagte mir, er hätte einen Brief hinterlegt aus dem Waadtland. Schnitz. Ja so, Herr Kanzler! da ist der Brief (Er deutet auf den Schreibtisch deS Archivars.)
Landolt. Zum Henker! so besinnt Euch doch, ehe Ihr nein sagt. Ist sonst nichts vorgefallen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt.
Hat nicht Herr Antistes Lavater das
Manuscript der alten Kirchenlieder abgeholt?
Schnitz.
Ja so, Herr Kanzler, ich habe es ver
abreicht.
Landolt. Und eingeschrieben?' Schnitz. Nein, Herr Kanzler; das gilt wohl nicht für den Herrn Antistes; der behält nichts zurück.
Landolt. Das weiß ich so gut als Ihr; aber für ihn gilt die Regel, wie für andere; Kreuzelement! warum habt Ihr ihn nicht eingeschrieben?
Schnitz. Weil meine Finger steif sind, HerrKanzler, und ich mürb und morsch worden im vierzig jährigen Dienst. Landolt (besänftigt). Schon gut! schon gut! Ich weiß, Ihr seid ein treuer Diener. Wir brauchten wohl noch einen Gehülfen. Sonst ist nichts vorge fallen ? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Besinnt Euch, bringt mich nicht in
Harnisch. Schnitz
(kratzt sich hinter den Ohien).
Ja so !
Herr
Pfarrer Wafer ist diesen Morgen hiehergekommen. Landolt. Nun, was will er? Schnitz. Mit Herrn Kanzler selber sprechen. Landolt. Er hat nichts Schriftliches hinterlassen? Schnitz. Nein, Herr Kanzler. Landolt. Besinnt Euch!
Ja so! Herr Kanzler . . . eine Note
Schnitz.
für Euch hat er mir hinterlassen.
Landolt
Hier liegt sie nicht.
(übersteht den Schreibtisch).
Schnitz. - Ja so! Herr Kanzler, die habe ich in meiner Rocktasche. Nun, so gebt denn her.
Landolt-.
Schnitz
(er sucht in seinen Taschen).
Ja so! Herr Kanzler,
die habe ich zu Hause gelassen. So geht zum Teufel! Ihr seid ver
Landolt.
geßlich wie ein Schuljunge.
Schnitz.
Habe den Rock umgetauscht zu Hause
gegen den wärmeren hier
lindem er auf sein Winterkleid deutet).
Müßt Geduld haben, Herr Kanzler; die alten Pa
piere finde ich;
das Geschreibsel von heute vergesse
ich; mein Gedächtniß wird schwach und alt.
Landolt
(besänftigt).
Ich weiß, Ihr seid ein treuer
Diener; geht nach Hause, und holt mir den Brief. (Schnitz entfernt sich.)
Neunte Scene. Landolt (allein.)
Was nur der Heinrich mit mir will! Er ist also in die Heimath, hieher zurück, zur ungünstigen Stunde für ihn. vergesse
Und ich blamire den armen Schnitz, und
selber . . .
Waadtland ?
Was sagt der Brief aus dem
(er erbricht den auf dem Schreibtisch liegenden Brief)
Siehe da! eine Empfehlung von Johannes Müller . . .
Er wünscht, daß dem Wafer gestattet sei, die Kyburger
Pergamente für ihn zu durchforschen. Das hat keine Schwierigkeit. So erklärt sich Wafers Nachfrage. (In demselben Augenblick öffnet sich die Thüre, Wafer tritt herein.)
Zehnte Scene. Landolt. Wafer.
Wafer. Darf ich stören? Bist Du beschäftigt? Landolt. Nein, wie Du wohl siehst. Ich komme
soeben Von einem winterlichen Spaziergang zurück. Mittlerweile warst Du hier. Ich weiß schon weshalb
Du kamst . . . Maser. Zuvörderst um Dich zu begrüßen, und dann . . . Landolt
(unterbricht ihn). Sei auftichtig, Maser, keine Komplimente zwischen uns, Du kamst . . . Maser Dann komme ich, wenn Du es zugibst, hier einige Zeit zu arbeiten. Johannes Müller . . .
Landolt. Er hat mir selber geschrieben. Maser. Wie es scheint, traute er meiner Ueberredungsgabe oder Deiner Gefälligkeit nicht. Kannst Du mir die Pergamente und die übrigen Akten des Schlosses und der Grafschaft Kyburg anvertrauen? Landolt. Hier, so oft und so lange Du willst. Wie früher schon, nimmst Du hier Deinen Schreibtisch ein. Kein anderer Geschäftsmann oder Gelehrter spricht gegenwärtig hier vor. Nur sind diese Räume in
jetziger Jahreszeit nicht sehr wohnlich und bequem. Russische Pelze wären hier kein überflüssiger Mode artikel.
Maser. So gut versorgt bin ich nicht. Ueberdies hätte ich doppelte Arbeit. Zu der Kyburger Serie sind mir noch parallele Belege von Nöthen. Du würdest mich sehr verbinden, könntest Du mir gestatten, die Kyburger Serie zu Hause zu untersuchen, und das
Nöthige zu kopiren. Landolt (verlegen). Nicht wohl! Es läuft den Vorschriften entgegen; Du siehst wohl ein, wie solche Erlaubniß, sollte sie ins Publikum gerathen, zu Mißbraucb und manchen Ungelegenheiten Anlaß geben
könnte. Dann sind die Dokumente auswärts nicht gegen Zufälle, gegen Feuersbrunst, Entwendung oder Verschleppung gesichert. Maser (einschmeichelnd). Du hättest ganz Recht, wenn es sich hier um einen Privatzweck handelte. Das ist aber nicht der Fall. Wir wollen, Du und ich, einem vaterländischen Unternehmen dienlich sein. Johannes Müller arbeitet und wird schreiben, wir dürfen es als Schweizer behaupten, für die Verherr lichung unserer alten Bünde; der Genius der Geschichte hat ihm schon als Knabe die Weihe gegeben. Wir erfüllen eine Bürgerpflicht, wenn wir ihm die Vor arbeiten erleichtern, wenn wir ihm das Material, die Bausteine in die Hand liefern. Landolt. Ganz wohl, mein Bester; indessen geht nicht, damit Er einen unsterblichen Namen er werbe, unsere Pflicht so weit, daß wir arme Sterb liche uns für ihn und für die Verherrlichung der alten Helden kompromittiren. Vergib mir meinen Galli zismus ; das Wort drückt so recht mit einem Male die gegenseitige Lage aus.
Maser.
Bei mir, dafür stehe ich Dir, sind die
Pergamente so sicher als im Stadtarchiv. Ich halte sie unter Verschluß, und sollte ein unvorhergesehenes Unglück, als da ist, Brand oder ««Schund) ein Erdbeben das Häuschen, das ich bewohne, bedrohen, die Perga mente würde ich zuerst aufpacken. Geld habe ich keines
zu retten. L andol t. Ich begreife nicht, mein Bester, warum Du so durchaus auf dem Arbeiten zu Hause bestehst. Während sechs Tagesstunden bleibt Dir das Archiv geöffnet, mehr wirst Du nicht täglich auf die beschwer liche, augenmörderische Entzifferung verwenden. Maser «dringend). Es ist für mich mehr, als Du glaubst, eine Lebensfrage. Ich muß dem Johannes Müller durch schnelles Arbeiten meine Befähigung kund thun. Ich liege, wie der Fisch auf dem Trocknen. Zu Straßburg sand ich kein Unterkommen, und hier . . . Landolt. Ich weiß es, mein armer Freund; hier ist man nicht gut gesinnt für Dich. Wafer. Nicht gut? Du willst sagen, man bringt mich zur Verzweiflung. Du willst nichts thun, um mich zu retten aus dieser Wirre? Landolt. Was ich kann. . . Nimm tagtäg lich, das will ich Dir zugestehen, das nöthige Material mit nach Hause; die ganze Serie brauchst Du wohl nicht auf einmal. Maser. Doch, mein gütiger, mein großmüthiger Freund; allerdings brauche ich das ganze. Ein Per gament erklärt das andere .... und dann sagte ich Dir schon, ich hätte noch andere Notizen hier zu sammeln; die jetzigen oder die jüngst verfloffenen Zu-
stäube zu vergleichen mit den vergangenen Jahrhun
derten.
So würbe ich Dich hier um andere Akten
bemühen und ansprechen,
Akten,
die Du mir wohl
nicht nach Hause mitzunehmen erlauben würdest. Das wären?
Landolt.
So, zum Beispiel, die mit den laufenden
Maser.
Kriegsfonds zusammenhängenden Schriften. Da liegen
für den Geschichtsforscher höchst belehrende Data vor.
Die könnte ich Dir etwa hier mit
Landolt.
theilen, auswärts auf keinen Fall; und dann nur un
ter der Bedingung,
daß sie allein zur Arbeit für
Johannes Müller dienen. Wafer
(verlegen).
Ich begreife kaum Deine Ein
wendung. Wozu sind am Ende hier die Papiere, alte und neue, aufbewahrt, wenn sie nicht benutzt werden? Wozu die unsägliche Geheimnißkrämerei?
Doch ich
will, ich darf nicht mit Dir rechten. Ich erkenne dank
bar Deine Güte, Deine Bereitwilligkeit, mir auf die Beine zu Helsen.
Nun! darf ich Dich gleich um die
Kyburger Pergamente ansprechen? Ich mache mich auf der Stelle an die Arbeit.
Landolt. Ganz wohl; nur mußt Du mir selber zum Herabholen der Pergamente behülflich sein.
Ich
weiß nicht, warum der Diener, den ich ausgeschickt, so lange nicht zurückkommt.
Was er.
Was Du willst, wie Du willst.
Landolt (nimmt eine an die Coulisse des Vordergrundes lehnende
Leiter, trägt sie einige Schritte weiter, erklimmt die Stufen, und nimmt auS den oberen Reposttorien einen Karton.
wendend).
Von oben herab, gegen Waser sich
Hier, nimm mir die Last ab.
(Waser nimmt den
Karton auS den Händen Landolt's; beide treten an den im Vordergrund stehenden Arbeitstisch.)
Landolt
(den Karton öffnend).
Hier sind die ältesten
Urkunden des Schlosses. Maser. Nun, die sind doch unverfänglich.
Wie
viel erlaubst Du mir, nach Hause mitzunehmen? Landolt. Ein Dutzend, dächte ich, sollten Dir auf einige Tage hinhalten. Wafer. Wie Du willst... Ich hätte den In
halt des ganzen Kartons vorgezogen. Landolt. Unmöglich; nimm das Packetchen in Deine Rocktasche; ich wünsche, daß Du die Pergamente nicht offen über die Straße trägst. Wafer lder das Packet zu fich steckt). Du wünschest einen Empfangschein? Landolt. Natürlich; ich verlange den Schein, um jedem Vorfall vorzubeugen. Wafer. Diktire: ich stelle Dir solchen aus nach Deiner Vorschrift. Landolt. Und zu Hause, Du versprichst mir auf Deine Ehre, daß keine indiskreten Augen diese Do
kumente erblicken? Wafer. Gewiß nicht; aber wie furchtsam Du bist! (@8 wird an die Thüre geklopft.) Landolt. Herein! . . . (der Bürgermeister Heidegger öffnet die Thüre.)
Eilste Scene. Heidegger. Landolt, Wafer.
Landolt. Welche unerwartete Ehre, Herr Bür germeister ! 'Ich weiß durch meinen Gehülfen, was Sie hieher führt; ich wäre Ihnen heute Abend zu-
vorgekommen, und hätte Ihnen meine Dienste angeboten. Darf ich fragen, ob Sie bewußte Akten hier einzusehen wünschen? Heidegger (betrautet Maser mit einem Zeichen des Mitzbehagentz.) Sobald wir allein, Herr Kanzler, erfahren Sie die eigentlichen Beweggründe meines Besuchs. Maser (unterdrückt eine Bewegung des Mißmuthes). Ich will nicht stören. (6t macht Miene sich zu entfernen.) Heidegger. Wenn Herr Wafer mit Herrn Kanzler sein Geschäft abmachen will . . . Maser. Hat keine Eile. Ich werde meinen Freund Landolt wieder sprechen. (Er entfernt sich rasch, ohne zu grüßen.) Landolt
(betroffen, macht eine Bewegung gegen die Thüre).
Maser, wir sehen uns heute noch.
Zwölfte Scene. Heide-ger.
Landolt.
Heidegger. Herr Kanzler, Sie stehen, wie mir scheint, mit Erpfarrer Maser in Geschäftsverbin dung ? Landolt (verlegen). Nicht gewöhnlich; es ist ein
Jugendfreund. Heidegger.
Desto schlimmer ... ein verrufenes
Subjekt. Landolt (beleidigt). Erlauben mir Herr Bürger meister eine Bemerkung? Heidegger. So viel Ihr wollt. Landolt. Nun, verzeihen Sie, ich kann es nicht
4*
zusammenreimen, wie ein Mann, der im öffentlichen
Leben unter seinen Mitbürgern durch seinen Gerech tigkeitssinn bekannt ist,
gegen einen Unglücklichen die
Pfeile seines kaum verhaltenen Zornes losdrückt.
Heidegger.
Ein Unglücklicher! sagt ein Schuft!
ein Verläumder! ein Libellist! ein . . .
Nochmals um Verge
L andolt (ihn unterbrechend).
bung! seine
Die Meinungen über Wafers Prozeß
Absetzung
sind
bleiben
und
getheilt.
und
Die
jüngsten Gerüchte, die über ihn in Umlauf, sind das Fabrikat eines fieberkranken, gepeinigten Gehirnes.
Heidegger.
Ich verzeihe dem Herrn Kanzler
die Vertheidigung eines
Elenden;
sie macht seinem
Herzen Ehre, seinem Verstände nicht.
Ich habe schla
gende Beweise von dem unruhigen, intriganten Treiben des Erpfarrers von Kreuz.
Erinnert Ihr Euch nicht
an das schmachvolle Plakat, das vor sechs Monaten
gegen den
Bürgermeister nächtlicher
Weile an das
Rathhaus angehestet wurde?
Landolt.
Wie sollte ich nicht?
Es empörte
mich, wie jeden Redlichen.
Heidegger.
es bestimmt.
Landolt.
Es kömmt von Maser her, ich weiß
Es ist sein Styl, sein giftiger Styl. Sie sind in einem unseligen Irrthum
befangen, Herr Bürgermeister; Wafer ist nicht feige, nicht heimtückisch.
Der Arme!
Seine Angriffe sind
zu seinem Unheil nur allzusehr unverdeckt.
Wenn er
zürnt, legt er seine geheimstell Gedanken an den Tag.
Heidegger.
Glaubt, was Ihr wollt; mir ist er
im Grund der Seele verhaßt.
Feind unseres Gemeinwesens.
Er ist ein versteckter Zehn Burschen,
wie
er, und unsere auf natürliche geschichtliche Ent wicklung gegründete Republik geht in die Hände nicht einmal der hiesigen Bürger, nein, in die Pfoten des Landvolks über. An uns ist es, dem zuvorzu kommen. Landolt. Ich kann Ihrer Weisheit und lang jährigen Erfahrung nur schüchtern entgegnen. Ich wende mich an Ihre Milde, an Ihr Mitleid.
Heidegger. Er suche anderswo kommen. Was will er hier?
sein Unter
Landolt. In diesem Augenblick will er sich mit historischen Arbeiten befassen. Johannes Müller trägt ihm hier einige Arbeit auf. Heidegger. Ganz unerwünscht. Seid auf Eurer Hut. Das Archiv soll nicht dem ersten besten geöffnet
sein. Landolt. Das sag' ich auch; aber für einen so speziell angegebenen Zweck, für die Glorie des helve
tischen Vaterlandes? . . . Ich
Heidegger. Bah! bah! bah! Verba et voces! sehe hier Convolute geöffnet. War das für
ihn? . . . Landolt. Zum Theil. Heidegger. Unter Eurer Verantwortlichkeit? Landolt. Ich konnte der Intervention Müllers
und Oberlins das nicht abschlagen. Heidegger. Oberlins? des Straßburger Pro fessors? Er! für Maser! Unmöglich! Landolt. Verzeihen, Herr Bürgermeister! Hier liegt ein direkt an mich gerichtetes Schreiben vor. Ich
habe dem Maser nicht einmal davon gesprochen, wollte seinem dringenden Begehren nicht eine doppelte Hand habe bieten. Heidegger. Ohne Indiskretion . . . kann ich das Empfehlungsschreiben einsehen? L an d o lt. Warum nicht ? (Er öffnet eine Schublade, nimmt einen Brief heraus und reicht ihn dem Heidegger.)
Heidegger. Französisch? Sonderbar! (Er lieft.) Le professeur Jörömie Oberlin a Fhonneur de recommander au bon accueil de M. le chancelier Landolt, ä Zurich, le sieur Henri Waser, ancien pasteur ä Kreuz, qui doit 6tre parfaitement eonnu de lui, et qui lui exposera Fobjet de sa demande, Le soussignä saisit cette occasion pour renouveler ä, M. le chancelier Fassurance de sa haute estime. J. J6b6mie Oberlin. (Er wirst den Brief auf den Schreibtisch.) Und das heißt Ihr ein Empfehlungsschreiben? Das ist ein, ich weiß nicht auf welchem Wege, abgerungenes, abgezwungenes
Schriftstück, und sagt gerade das Gegentheil aus, von dem, was es Euch zumuthet. Warum schreibt Euch der Straßburger Professor französisch? Er blast Euch damit in die Ohren: Mache mit dem Wisch, was Du willst; ich konnte nicht anders. Landolt. Also, glauben Herr Bürgermeister . . . Heidegger. Herr Bürgermeister sehen, wissen, greifen mit beiden Handen, daß Jeremias Oberlin
sich mit Waser keineswegs befassen will, und ihn lieber im Lande wüßte, wo der Pfeffer wächst, als in Straßburg oder Zürich.
Dreizehnte Scene. Heidegger. Landolt. Schnitz.
(Schnitz
bleibt verlegen an der Thüre stehen, da er den Bürgermeister
erblickt.)
Sie verzeihen, Herr Bürgermeister . . .
Landelt.
Nun, Schnitz, habet Ihr das Verlangte gefunden? Nein, Herr Kanzler; meine Frau hat
Schnitz.
den alten Flaus dem Schneider zum Ausbessern ge
bracht. Und Ihr habt dort nicht nachgesehen?
Land oll.
Doch, Herr Kanzler; das Papier war
Schnitz. nicht mehr drin.
L aN d 0 lt gut!
(unterdrückt eine Bewegung der Ungeduld).
Schon
Ein alter, Ver
(zum Bürgermeister sich wendend, halblaut)
geßlicher Mann, aber ein treuer Diener.
(Schnitz, auf ein
gegebenes Zeichen, entfernt sich nach dem Hintergründe zu.)
Heidegger.
Ohne Indiskretion, Herr Kanzler,
darf ich fragen, welches Schreiben vermißt wird?
Landolt. Etwas ganz unbedeutendes! Ich habe keinen Rückhalt gegen Sie.
Ein Begehren Masers,
das Archiv zu einem bestimmten Zweck benutzen zu dürfen. Heidegger,
So! so!
Das
müßt Ihr doch
wieder auffinden! Gelegentlich wäre das ein Beweis
stück gegen den Bittsteller.
Landolt
Aber,
(erschreckt).
Herr
Bürgermeister
verzeihen mir, wenn ich gegen jede Verdächtigung des armen Masers einkomme. sonnenklar
und
Beargwohnten.
ganz
zu
Der gegenwärtige Fall ist Gunsten des
von Ihnen
Er sucht ehrliche Arbeit . . .
Heidegger (laut auflachend).
wird
auf
er,
die
eine
gleicht
Bauernente
er;
Euch
die
oder
kompromittiren
andere
Art.
Der
in
einer
ihr ist nur wohl
Mistlache. (mit kaum unterdrücktem Unwillen).
8an d o lt
mein Jugendfreund,
Er
war
bis jetzt habe ick ihn nicht
und
verstoßen.
Nach Gutdünken.
Heidegger.
beral gegen
Da Ihr so li
den Amanuensis von Johannes Müller,
werdet Ihr mir wohl die Akten
des Waldmann'schen
Prozesses zu näherer Einsicht nicht versagen. Herr Bürgermeister haben zu befehlen.
Land oll.
dig;
habe
Ihr seid sehr gnä
Bien obligö!
Heidegger.
doch keinen französischen
Empfehlungsbrief
(Geht ab.)
mitgebracht.
Vierzehnte Scene. Landolt. Schnitz. 8 a n d o l t (sieht dem Abgehenden mit verächtlichen Süden nach.) Ein
Ehrenamt versehen,
mit
danken
in
der Brust! ....
Wenn
ich
Dir
mit
doppeltem
brauche
dazu
behülflich Frohgefühl
keine
diesen
gehässigen
Armer, kann,
sein
Ge
armer Waser! soll
es jetzt
geschehen....................... ich
Mahnung
aus
Straßburg
oder
Valeyres. — Schnitz!
Schnitz (kommt aus dem Hintergrund herbei). Herr Kanzler! Landolt.
Du
trägst
diese
Ladula
des Wald-
mann'schen Prozesses zu Herrn Bürgermeister. Schnitz.
Ja, Herr Kanzler.
Landolt (reicht ihm thänigst ein Recepisse.
Du begehrst unterUnd nun, geh' in Gottes
den Karton).
Schutz . . . Schnitz. Der ist allzeit nöthig (ab). Landolt. Und nun, zu Waser! (Die Scene
verwandelt
sich in WaserS Arbeits- und Wohnzimmer.)
Fünfzehnte Seme. Waser, hierauf Aenneli.
Waser (tritt herein und legt die Pergamente auf den Schreibtisch). Das war kein leicht errungener Sieg! Der gute Landolt! War ihm doch zu Muthe, als begehre ich Fleisch von seinem Fleische! Es soll ihn nicht reuen. Johannes Müller wird ihm ein Zeugniß aus stellen, das seinem Namen in fernen Geschlechtern Ehre machen soll. (Er klopft an die Dienstbotenthüre.) Aenneli!
Aenneli. Da bin ich, lieber Herr Pfarrer! Waser. Aenneli, Du siehst diesen Pack Perga
mente ! Aenneli. Nun ja! Waser. Habe Sorge dafür, wie für Deinen Augapfel, wie für den lieben Kleinen Aenneli (lachend). Ihr spaßt . . . Waser. Nicht doch! In meiner Lage spaßt man nicht. Diese Pergamente sind mir von einem Freunde anvertraut, auf die Seele gebunden. Ich stehe dafür ein. Hier, in dieser Schublade, will ich sie verwahren. Sollte in meiner Abwesenheit irgend ein Zufall, ein Unheil, Feuersbrunst . . .
Aber, Herr Pfarrer!
Aenneli
(erstaunt).
Wafer.
Höre mich an!
allem Unheil;
Gott behüte mrs vor
aber alles ist möglich.
Sollte eine
Feuersbrunst, oder was sonst es sein mag, zu schneller Rettung nöthigen, Du greifst vor Allem nach diesem Päckchen, und rettest, gerade als wäre es pures, reines
Gold.
Aenneli (lächelnd). Was er (ernsthaft).
ihm . . .
Sollte
Auch vor dem Kleinen? Mit ihm . . .
ich
beim
Hörst Du, mit
Ausgehen
auf meinem
Arbeitstisch das Packet vergessen, lege es sorgsam in die Lade, verberge
es vor neugierigem
Blick,
vor
Jedermanns Auge!
Aenneli.
Ihr ängstigt mich.
Sind es denn so
gefährliche Schriften? Maser.
Das nicht, gute, liebe Seele. . . aber,
glaube meinem Wort, forsche nicht warum ... haft mich verstanden?
Du
Du versprichst mir ?
Aenneli. Alles, was Ihr wollt; nur zu meiner Beruhigung,
zu meiner Sicherheit,
wünsche ich zu
wissen . . .
Maser.
Ich glaubte, Du seiest nicht neugierig.
Sechszehnte Scene. Landolt.
Maser (citt
bester!
Die Vorigen.
Landolt entgegen und drückt ihm die Hand).
Was danke ich nicht Deiner Güte!
Zutrauen!
Aller-
Deinem
Ich komme . . . Du kommst, um den Empfangschein Der Bürgermeister mit seiner Fratze
Landolt. Was er. nachzuholen.
vertrieb mich; Du vergibst wohl? Landolt. Schon gut! Und Du verzeihst mir meine Aengstlichkeit. Maser. Aenneli, laß uns allein. (Aenn-n geh« durch die Nebenthiire ab.)
Siebenzehnte Scene. Landolt.
Maser.
W a s e r (hat sich an den Arbeitstisch gesetzt). Ich stehe zu Deinem Befehl. Landolt ldictirt.) Ich Endes unterschriebener, Hein rich Maser, ehemaliger Pfarrer zu Kreuz.... Wafer (mit Nachdruck). Ehemaliger Pfarrer zu Kreuz . . . Landolt. „Bescheinige, von Herrn Kanzler Landolt, Stadtarchivar von Zürich, zwölf auf die Grafschaft Kyburg bezügliche Dokumente aus dem
14. und 15. Jahrhundert zu temporärer Privatarbeit entliehen zu haben, und verpflichte mich, auf erstes Requistt, solche wieder in das Stadtarchiv und in die Hände des obgenannten Kanzlers zurückzuliefern." Wafer (reicht ihm das Papier). Tausend, tausend Dank! Ich empfahl so eben der treuen Dienstmagd,
diesen Schatz, wenn etwa . . . Landolt. Schon gut! Es wird kein Unglück stattfinden. Aber Du und ich, wir müssen auch das
Unwahrscheinlichste berücksichtigen. Und nun ruhe der Segen von oben auf Deiner künftigen Arbeit! Wafer (mit unterdrückter Bitterkeit). Bis jetzt habe ich noch wenig Manna auf meiner Wüstenbahn aufge lesen; aber Du, mein Bester, Du und Lavater, ihr versöhnt mich mit meinem Schicksal. dolts Arme.
(Er wirft sich m Lan-
Der Vorhang füllt.)
Ende des zweiten Actes.
Dritter Ick. Erste Scene. Die Sakristei des Zürcher Münsters.
Durch ein Fenster
des Hintergrundes sieht man einige Bogen des Seitenschiffes. Orgelklänge.
Lavater
tritt im Priestertalar herein und setzt sich in einen Lehnstuhl.
Sonderbar! Selten fühlte ich micb nach einer Predigt so erschöpft als heute. Wäre nicht das Thau wetter und der Föhn, ich glaubte mich am Eingang einer schweren Krankheit. (Er verbirgt sein Gesicht in beiden Händen. Die Orgel begleitet den Schlußgesang der Gemeine.
Frühling weht auf Berg und Triften, In den Lüften Wirbelt froh der Vögel Chor!
Töne, Lied, in unsrer Mitte!
Bring' der Kinder fromme Bitte So zum Vatersitz empor! Gott und Vater!
Wenn wir trauern,
Stärk' uns so mit deinem Wort,
Und aus diesen ird'schen Mauern
Trag' uns in den Himmel fort.
Von der Wiege bis ans Ende, Sende, sende Gottsohn deinen Geist herab:
Auf die Taufe, auf die Gatten, Auf die Kämpfer, so ermatten, Auf den Sarg und auf das Grab. HeiL'ger Geist! Mit deinem Frieden
Komm' herunter, frühlingsgleich! Eine mild, was sich geschieden,
Zieh' uns groß für Gottes Reich. (Die Orgel geht in jubiltrende Töne über.
Mit den letzten Akkorden tritt
der Diener Jakob im Kostüm eines SakristanS herein.
Bei dem Knarren
der Thüre scheint Lavater wie aus einem Schlafe emporgeschreckt.)
Zweite Seme. Lavater. Jakob.
Jakob. Tausendmal um Vergebung, Herr Antistes! Ich sah es wohl; Sie verließen die Kanzel, müde, unwohl, vor dem Schlußgesang. Und doch muß ich Sie stören. Herr Bürgermeister ist im Chorstuhl zurückgeblieben, er wünscht sogleich Sie hier zu sprechen. Lavater. Warum nicht zu Hause, oder warum bescheidet er mich nicht in den Rathssaal? $aibtl eine ungeduldige Bewegung).
Heidegger.
O, ich verstehe!
Herr Antistes,
der Staatshaushalt, auch in einem kleinen Gemeinwesen
wie Zürich,
gleicht nicht,
kann nicht dem Haushalt
eines einfachen Bürgers gleichen.
Es kommen unvor
hergesehene Ausgaben, die gedeckt werden müssen,
ich
gebe Euch darauf mein Ehrenwort — (mit Nachdruck) die
gedeckt werden müssen, und da greift man gezwungen
in solche Gelder zurück, Zweck dienen.
die keinem ganz bestimmten
Aber ich dächte, daß der Zweck, unbe
Lavater.
mittelten Bürgern für den öffentlichen Dienst einige Erleichterung zu verschaffen, bestimmt vorliegt, daß er so klar ist als die Frühlingssonne, die jetzt durch diese
Scheiben bricht. Heidegger (ungeduldig). In der That ein großes Unglück, .wenn Gevatter Schneider und Handschuh macher zur Uniformirung, die ihrer Eitelkeit schmeichelt,
etwas von dem Gelde abzwacken, das sie in den Wein schank tragen würden.
Lavater.
Wir haben die näheren Ausgaben des
Hausvaters nicht zu regeln; genug, ich wage eS, Euch
Diese Uebertragung
zu widersprechen.
aus einem Beutel in den anderen,
von Geldern,
mit einer anderen
Etikette, scheint mir vom Uebel.
So viel Ihr wollt. Davon ist hier
Heidegger. die Frage nicht.
Es gilt zu wissen;
ob ein Beamter
das Recht hat, als Privatmann, einem anderen Staate mitzutheilen, wie es in
den Staatsausgaben seiner
Heimath beschaffen ist. Lavater.
gewiß
Nein,
nicht,
das wäre ein
Mißbrauch seines Amtes. Heidegger. Nennt doch das Kind beim rechten
das ist Verrath, .ein Hochverrath.
Namen; sagt doch:
Lavater.
an
Aber, um's Himmelswillen, übt doch
Euern Brüdern
Barmherzigkeit
und Nacksicht.
Was haben die Enthüllungen in Schlözers Briefwechsel mit Masers Arbeiten gemein.
Heidegger.
mein?
So?
Meint Ihr?
Nichts
ge
In unserem Stadtarchiv allein liegen solche
Ziffern vor.
Ein Schuldiger muß da sein, Landott
oder er, er oder Landott
Laval er
Beargwohnt Ihr Landott?
Irgend Jemand zu beargwohnen ver
bietet mir die christliche Milde.
Der Fall ist uner
klärlich. Ich wiederhole dagegen wie Ihr:
Heidegger.
Der Fall ist klar wie Vie
Frühlingssonne,
die hier
durch diese Scheiben bricht.
Lavater.
Ihr müßt zuvörderst Landott darüber
vernehmen.
Zweifelsohne, das war mein Vor
Heidegger.
satz ; doch vorgehen wollte ich nicht, bis ich mit Euch
gesprochen und Euck von Eurer
väterlichen Nachsicht
für einen Vaterlandöverräther geheilt. Lavater.
Ihr erschreckt mich,
aber überzeugt
Weder Landott noch Maser sind
mich keineswegs.
solcher Veruntreuung fähig.
Heidegger Ich sehe, ich muß Euch des weitern überzeugen.
Kennt Ihr Masers Handschrift?
Lavater.
Wie sollte ich nicht? — Wie meine
eigene. Heidegger.
ihm ein kleines Heft.)
Nun, so überzeugt Euch
(Ergibt
Oesinet immerhin!
Lavater(liest). „Zürich, wie es ist"' (Er blättert.)
Das ist in der That Masers Handschrift. Heidegger.
Nähern angeben.
Nun
laßt mich den Inhalt des
Es ist das imfamste Libell, das je
aus der Feder eines unverschämten Pamphletisten ge
flossen.
Eine Anhäufung
von Beschuldigungen und
Verdächtigungen, von Halbwahrheiten, wie Sie nur
ein undankbarer, hergelaufener, gehässiger Halbbürger
5*
erfinden konnte! Wäre nur die Hälfte, nur der zehnte Theil dieser Behauptungen richtig, so bliebe nur Eines übrig: die Fackel zu legen an Kirchen, Rathhaus und Bürgerwohnungen Zürichs, und Salz zu streuen auf
die Brandstätte, wie weiland Kaiser Barbarossa that im heimtückischen Wälschland. Lavater.
Ich muß Euch zuvörderst aus's Wort
glauben, daß der Inhalt verbrecherisch; daß er von einem Ende zum anderen unwahr; daß jeder ange führte Umstand tadelnswerth. Ich muß Euch glauben, daß eine verrätherische Hand die Fakten so und so zu sammengestellt und die Farben stark aufgetragen. Aber, wie kommt Ihr in den Besitz dieser Schrift? . . .
Heidegger.
Wie? . . .
Ihr seid naiv, Herr
Antistes! Auf ganz natürlichem Wege; auf der Post. . . denn der Schreiber war unverschämt genug, seine Schmähschrift — mit Schlözers Adresse — der hiesigen Briefpost zu übergeben. Lavater. Und Ihr habt das Briefgeheimniß? . .. eine vertrauliche Mittheilung, die gewiß so böse nicht
gemeint war,
den Ausfluß eines durch Unglück ver
wundeten, erbitterten Gemüths . . . Ihr habt . . .
Heidegger (taut auflachend). Ja! in der That! Ich habe... ich habe gethan, was keine vernünftige
Regierung je zu thun verschmäht hat, wenn die Noth an den Mann geht, wenn es gilt, für das Gemeinde wohl zu sorgen. Lavater. Das Gemeindewohl ist ein elastischer Begriff, Herr Bürgermeister. Wir evangelische Christen, wir verdammen die spanische Inquisition.
Mit Euren
Prinzipien würden wir nach und nach denselben Weg einschlagen und zu demselben Ziele gelangen.
Die spanische Inquisition verthei
Heidegger.
digte rücksichtslos ihren Standpunkt, ihren Staat mit
Feuer und Schwert.
pflicht befiehlt uns, kommenes
Unsere Pflicht, unsere Bürger ein von
den Altvordern über
Gemeinwesen
gegen
gemeinschädliche
Wesen zu vertheidigen.
Lavater.
Ihr wollt also? . . .
Heidegger. gehen.
Ich will der Sache auf den Grund
Ist Maser schuldig, wie ich es glaube, so
falle auf ihn die ganze Schwere des Gesetzes.
Lavater.
Ist er schuldig, nun ja, so mag ihn
der Große Rath aus der Stadt verweisen.
Der Un
selige suche dann anderswo sein Unterkommen.
Heidegger.
Ihr
wähnt,
Antistes,
sei
es
damit abgethan, solchem Subjekt, das schon den Prie
sterrock verunreinigte, den Laufpaß zu geben?
Ein
Exempel muß statuirt werden, das jeden anderen ab
halte von solchem Vergehen.
Es kocht im Landvolk;
unser Regiment ist nicht mehr beliebt, so sei es denn
gefürchtet. Lavater.
Furcht ist ein böser Zuchtmeister.
Heidegger. gute Worte hört;
Die
Ruthe
dem,
der nicht
die Liktorenruthe, versteht
auf
Ihr,
wie im alten Rom.
Lavater.
Ihr scherzt freventlich, Bürgermeister.
Die Liktorenruthe verbarg das Beil in ihrem Bündel.
Heidegger.
Deswegen brauche ich das Bild.
Lavater. Ihr wolltet, zu einer Zeitepoche, welche selbst in
monarchischen
Staaten
den
alten. Justiz-
apparat in die Rumpelkammer wirft, ihr wolltet, um ein Preßdelikt, um einer Schmähschrift willen, ver altete Penalvorschriften Hervorrufen, zur Einschüch
terung eines armen Skribenten und zur Ergötzung eines Parterre von Philantropen, die mit den Fin gern auf die republikanische Schweizerjustiz hindeuten würden? Heidegger. Um den Applaus oder Tadel aus
wärtiger Afterphilosophen kümmere ich mich wenig.' Die Würde des Amtes, das ich versehe, und das mir richterliche Befugnisse zuerkennt, auferlegt, diese Würbe
soll unungetastet bleiben. Die strengste Gerichts ordnung werde ich einzuhalten wissen. Lavater. Nicht jeder Rathsherr, Gott sei es gedankt, hat solche drakonische Gedanken. Heidegger. So wenig als Solonische; aber gesunden Menschenverstand haben die Bürger hier, und werden einsehen, daß ein beschmutzter Rathsherren-
mantel nicht in einer larmoyanten Regentraufe, son dern im Blute gewaschen werden muß. Lavater. Ihr preßt mir die Brust zusammen. Ihr thut Unrecht. Ich weiß, daß es mit Euren Aornausbrüchen nicht Ernst, daß Ueberlegung Euch besänftigt, daß auch Ihr milderen Gefühlen zugänglich seid... ich weiß es, und dennoch erschreckt Ihr mich. Heidegger. Euch zu verwunden, thut mir leid; aber ein giftiges Insekt, eine Natter aus dem Wege räumen, das will ich, das ist meine Pflicht. Jakob (steckt ben Kopf schüchtern durch die Thüre). Herr Antistes, darf ich unterbrechen? Der Rathsherr Salo mon Geßner bittet um Einlaß.
Heideg ger
Er
kömmt gerade recht;
er
ist
willkommen.
Vierte Scene. Geßner,
Geßner.
Meine
Lavater,
Heidegger.
Herren Kollegen, ich komme
ganz bestürzt, bei Herrn Bürgermeister mich zu erkun
digen ; es verbreitet sich in der Stadt ein unglaubliches
Gerücht.
faßt.
Auf der Post seien verdächtige Papiere ge
Der Name Wafers taucht wieder auf.
Heidegger. spricht die
So ist's, Herr Geßner; diesmal
öffentliche
Stimme
die
reine
Wahrheit.
Verdächtige, verrätherische Papiere in der That! Euer
Schützling . . . Geßner. Sollte mir
Heidegger. tistes.
leid um ihn sein!
Ein
Ich kann es noch nicht glauben.
fähiger Mann!
So ging, so geht es Herrn An-
Ihr sollt, meine Herren Kollegen, Ihr sollt
mit eigenen Ohren hören, mit eigenen Augen sehen.
Herr Salomo Geßner, wir leben hier nicht in Arka dien.
Nicht auf den höchsten Alpenmatten finden wir
Daphnis imb Chloe.
Doch Ihr habt ja auch den
ersten Brudermord erzählt; nicht in allen Euren Idyllen
schnäbeln flch die Tauben;
auch Geier schweben über
den Heerden. lavater
Herr Bürgermeister, der Gegenstand
und der Ort find allzu ernst.
Lassen wir Arkadien
bei Seite.
Geßner.
Euren Spott, Herr Heidegger,
läßt
sich der Autor gefallen, doch der Menschenfreund wider-
strebt
daß ein Sohn
dem Verdacht,
der Schweiz
zum leichtsinnigen Verräther wird an Stadt und Va
terland. Heidegger.
Begleitet
mich auf dem
den meine Pflicht mich
Wege,
führt.
rauhen
Seid selber
Euch, Herr Antistes, niedergedrückt wie Ihr
Zeuge.
seid, Euch spreche ich
nicht an um Eure Assistenz.
Kommt mit mir, Herr Geßner. Gehn er.
Wohin? Auf das Stadtarchiv (Heidegger und
Heidegger. Geßner ab.)
Fünfte Scene. Lavater.
lEr kniet an einem Betstühle nieder.)
Gott und Vater, wenn wir trauern, Stärk' uns du mit deinem Wort, Und aus diesen irdischen Mauern, Trag' uns in den Himmel fort. (Ab.) Die Orgeltöne in der Kirche wiederholen daS Motiv zu diesen Schlußversen. Die Scene verwandelt sich.
Sechste Scene. Das Stadtarchiv.
Schnitz. Landolt. (Schnitz
kommt die hintere Treppe herunter.
Landolt
Landolt Schnitz.
In demselben Augenblick tritt
durch die Hauptthüre herein.)
(verstört).
Ist Wafer nicht dagewesen?
Nein, Herr Kanzler.
Landolt.
dagewesen? Schnitz.
Besinnt
Euch.
Er ist heute nicht
Ja so, Herr Kanzler, diesen Morgen
ist er dagewesen; er will wieder kommen, hat Wich
tiges mitzutheilen. Landolt. Sah er nicht verlegen, bestürzt aus? Schnitz.
Nein, Herr Kanzler.
Landolt.
Besinnt Euch!
War er nicht finster?
Hat er wie sonst gearbeitet? Schnitz. Finster war er nicht; er war fröhlich, wie nie.
Und kein Blatt hat er angerührt.
Landolt M sich selber).
Sonderbar! Er weiß von
nichts.
Siebente Scene Wafer. Landolt. Schnitz.
Maser (eilt
auf Landolt zu).
bester, bester Freund!
langer,
Gute Nachricht! mein
Endlich ein Sonnenblick nach
finsterer Winternacht.
Du mußt mich an
hören, Du mußt, Du wirst mir verzeihen. blickst Du so finster, so trübe?
Warum
Ich habe, vergib
mir, ich habe von den hier gesammelten Noten einige
Ziffern an Schlözer in Göttingen geschickt. hocherfreut darüber. seine Mühle;
Er ist
Die Zahlen sind Wasser auf
ich meine für seine Kollektaneen,
für
seinen Briefwechsel. Landolt
Maser.
(macht Miene ihn zu unterbrechen.)
Du mußt mich zu Ende hören.
Er
läßt mir schreiben, durch seine Tochter schreiben: „Er wäre selber hiehergekommen, dem Zürcher Regiment zu
danken, die Recherchen in demselben Sinne fortzusetzen; aber er fühle sich zu alt, die Jahreszeit noch zu rauh."
Er schickt uns seine Tochter her, Du kennst ja den Ruf der Dora Schlözer; Du wirst eine herrliche Er
scheinung sehen, eine zehnte Musel so
düster;
mert? theilen.
scheinst verwirrt.
Du
wissen,
Laß es
laß
Aber Du blickst
Bist Du beküm
mich Deinen Kummer
Du warst bis jetzt mein Trost, meine Stütze.
Laß mich Dir vergelten.
Landolt.
Maser, was hast Du gethan?
Du
stürzest Dich und mich ins Verderben. Du
Maser.
redest
sage, ich wiederhole
Mann,
der
irre,
Geheimer.ath
Georgs des Dritten,
mein
Freund!
Ich
Schlözer, der einflußreiche
Dir,
Schlözer,
der
Schützling
er läßt dem Zürcher Regiment
danken.
Du,
Landolt.
Maser!
Du
verlierst
den
Verstand,
Was liegt dem Zürcher Rath an England?
Wenn es Frankreich wäre, Versailles, ja, vielleicht! Maser, was hast
Du gethan?
trauen nicht gerechtfertigt . . .
Du hast mein Zu Ohne mein Wissen
und Willen, hast du an Andere, als Johannes Müller, Mittheilungen gemacht. Wir sind verloren! Maser.
Unmöglich, Landolt!
Wenn Du einen
Verweis erhalten solltest, hundertmal würde er ausge wogen, auch bei einem Zürcher Regiment, durch das
einflußreiche Wohlwollen eines
der ersten Gelehrten
Europas.
Landolt.
Maser!
Unseliger Freund! Bis jetzt
wußte ich Dich über die Maßen unglücklich;
aber
auf diesen Grad unsinnig und verblendet, nein!
Ant--
Worte mir! Hast Du nichts anderes als Zahlen nach Göttingen gesendet?
Nun, ich will Dir nur ge
Maser (etwas verlegen).
stehen, daß ich im vertrauten Briefwechsel mit Schlözers Tocbter, in einer trüben elegischen Stunde mich
gehen ließ, mich über hiesige Zustände und meine im mer noch sehr gedrückte Lage aussprach, daß ich in
ständig bat, mir in Göttingen Unterhalt
und
Be
schäftigung zu erwirken.
Unglücklicher!
Landolt.
Papiere sind ausgegriffen, Feindes!
Unvorsichtiger!
in
Die
Händen Deines
den
Du und ich, wir sind verloren.
Maser (bestürzt). ... So breche der Himmel über mir zusammen, so
vernichte
mich
Gott mit seinem
Donner! Vergieb! Vergieb! ich schleppe das Unglück
wie eine Pestbeule
in meinem Nacken mit mir . . .
Doch nein, Du siehst allzuschwarz. Es ist nicht möglich. Nein, selbst Heidegger kann nicht so grausam, so un sinnig grausam gegen mich verfahren.
Und ®u vol
lends, Du bleibst aus dem Spiele.
Du irrst; kennst Du denn nicht die
Landolt.
Strenge unserer mittelalterlichen Gesetze gegen Verun
treuung in öffentlichen Aemtern? Maser.
Verrostete,
veraltete
Massen in einer
die seit Jahren geschlossen.
Rüstkammer,
Mer wagt
es, in unseren Tagen, mit solcken Waffen auf dem
Forum der Öffentlichkeit sich zu zeigen?
todt,
aber
sein
Geist
beseelt
noch
Voltaire ist
seine
zahllosen
Jünger.
Landolt.
Du rufst eine grausige
unheimliche
Schaar von Heiligen zu Hülfe! Wafer, wir sind ver loren.
(Man hört auf der Treppe und an der Hauptthüre die schweren
Tritte mehrerer Personen.)
Landolt
(zu Schnitz, der während dieser ganzen Unterredung
verlegen zur Seite gestanden oder sich an den Repositorien zu schaffen ge
macht).
Welche ungewöhnlicher Lärm? . . . Sehl
doch
zu, wer kommt.
Achte Scene. Heidegger und Getzner; Echarwächter,
(Die Thüre öffnet sich; es treten herein:
ihnen ein
Gerichtsschreiber;
hinter diesem vier
hinter welche
die Thüren beseht halten.'»
Heidegger.
Herr Kanzler, Ihr seht mich nicht
hier als Bürgermeister; ich komme als Jnstruktions»
richter.
Der Zwanziger-Ausschuß delegirt mich, bei
Euch und hier gegenwärtigen Erpfarrer
von Kreuz
über gewisse staatsverbrecherische Vorkommnisse zu in-
quiriren.
Ihr werdet mir zur Rede steh'n.
Maser
(mitfester Stimme).
Ich bin bereit!
Wenn
ein Fehler begangen ist, so liegt die Schuld an mir. Heidegger.
Schweigt! Ihr seid nicht befragt!
(Er winkt dem Gerichtsschreioer sich an den Schreibtisch
niederzulasien.)
Mit Euch, Kanzler, habe ich vorerst allein zu handeln.
Wo ist indeß in der Nähe ein gehöriger Raum zur Wahrung
und Abschließung von Erpfarrer Maser?
Maser.
Ich denke nicht daran, mich dem Ge
richte zu entziehen.
Es muß mir selber an rascher
Untersuchung gelegen sein. Heidegger.
Landolt.
Schweigt!
Wenn Herr Bürgermeister erlauben,
wird Herr Pfarrer Wafer sich unterdeß im obern Stockwerk aufhallen. Heidegger. Ganz wohl! Gebt ihm Euren Gehülfen mit und einen der gegenwärtigen Wächter. Euer Gehülfe haftet für ihn. (Maser, Schnitz und ein Scharwächter steigen durch die Hintertreppe in daS obere Stockwerk).
Neunte Seene. Heidegger, Getzner, Landolt, der Gerichtsschreiber. (Auf einen Wink Heidcgger's entfernen sich die Wächter und besetzen die äußere Thüre.)
Heidegger. Ihr nehmt zu Protokoll, was Herr Landolt auf meine Fragen antworten mag. — Seit wann arbeitet Wafer auf dem Stadtarchiv? Landolt. Seit verflossenem Januar. Heidegger. Täglich? Landolt. Täglich vier, fünf, sechs Stunden. Heidegger. Er hat Euch um Erlaubniß an
gesprochen ? Landolt. Ja, Herr Bürgermeister, durch einen Spezialbrief; corroborirt, wie Sie wissen, durch ein Empfehlungsschreiben von Jeremias Oberlin und Jo hannes Müller. Heidegger. Ihr könnt diese Briefe als Belege beigeben? Landolt. Ich habe die Empfehlungsschreiben aufbewahrt. Das Begehren von Wafer ist verzettelt.
Heidegger. Ich weiß . . . Welcher Art Schriften sind hier dem Wafer mitgetheilt worden?
Landoll
(nach einer Pause).
betreffend. Heidegger.
Akten, den Kriegsfonds
Ich glaubte nur historische Doku
mente für Johannes Müller.
Landolt. Die nahm er zu schnellerem Vorgehen nach Hause mit. Er behauptete, die modernen Akten als Parallele zu brauchen mit
den Zuständen ver
gangener Jahrhunderte. Heidegger.
Ihr gabt ihm ohne Weilers Per
gamente nach Hause? Landolt. Gegen Empfangsschein. sie regelmäßig nach wenig Tagen aus.
Er tauschte
Heidegger. Ihr habt ihm ein Zutrauen er wiesen, das er nicht verdient. Seid Ihr gewiß, daß er keine andere Papiere mit nach Hause nahm, nichts
veruntreuen konnte? Landolt. Ich glaube dessen gewiß zu sein. Heidegger. Ihr thatet nicht wohl, da Ihr ihm in das hiesige Regiment einschlagende Dokumente unter die Augen legtet. Landolt. Ich erkenne meinen Fehler; es ge schah in der besten Meinung, ihm und der vaterlän dischen Geschichte einen Dienst zu erweisen.
Heidegger Eure langjährigen Dienste und Eure Rechtlichkeit sprechen für Euch, Ein Nichtswür diger hat Euch auf eine unverantwortliche Weise be
trogen. — Ihr habt auf Ehrenwort Arrest zu hallen in Eurer eignen Wohnung und bereit zu sein für weitere Verantwortung und Erklärung. Ihr seid ent lasten.
(Landolt macht eine stumme Verbeugung und entfernt sich.)
Heidegger
(sich zu Getzner wendend).
Bin ich zu strenge,
Herr College?
Bis dato seid Ihr gerecht.
Geßner.
Heidegger
(zum Gerichttzschreiber).
Bescheidet den Er-
pfarrer Maser hierher. (Gerichtödiener gehl nach dem Hintergründe und steigt die Treppe hinau'.)
Heidegger (zu Gegner).
Ihr werdet sonderbaren
Cnthüllungen beiwohnen und
mir bald
zugestehen:
habemus confitentem reum.
Zehnte Scene. Heidegger, Geßner, Gerichtsschreiber mit Maser, Schnitz und den Scharwiichtern. Beide Letzteren entfernen sich durch die Eingangsthüre
Heid egg er (zu Wasen.
Ihr habt Euck
vor etwa
vier Monaten an Kanzler Landolt gewendet, um Einlaß
hieher
Mas besagte Euer Begehren?
Maser
Auf den wörtlichen Inhalt besinne ich
mich nicht mehr. Heidegger. Habt Ihr die Arbeit, die Ihr vor nehmen wolltet, nicht spezisizirt?
Maser.
Wohl möglich, in der That.
sinne mich nicht.
Ich ent
Mein Gedächtniß ist abgeschwächt
durch Kummer und Bedrängniß.
Heidegger.
Schon gut! Schon gut!
Ihr be
gehrtet Einlaß, um einige historische Dokumente anzu
sehen, nicht wahr? Maser.
Wenn Herr Bürgermeister meine Ge
danken und Wünsche errathen, weiß ich nicht, warum ick des Näheren befragt werde.
Heidegger (beißt sich in die Lippen und zieht einen Brief aus der Rocktasche).
Kennt Ihr diesen Brief,
diese Hand
schrift?
das ist mein Begehren
Ganz gewiß;
Was er.
an den Archivar. Heidegger. einer
speziell
Nun, das besagt, daß Ihr hier
historischen
Arbeit
obliegen wolltet.
Gerichtsschreiber notirt, daß Waser, hierüber beftagt,
diesen speziellen Zweck in Abrede stellte.
Waser. Dagegen muß ich einkommen; ich klagte
über mein schlechtes Gedächtniß. Heidegger.
Schon gut!
Schreiber,
wie ich
diktire.
G e ß n er
(macht eine ungeduldige Bewegung.)
Heidegger.
Herr Kollege,
ich bat Sie,
dem
Verhöre beizuwohnen; die Bemerkungen aber verbitte
ich mir zum Voraus.
(Zu Waser.)
Eure Arbeit be
schränkte sich auf das Archiv, nicht wahr? Waser
(nach einer Pause).
Ich
darf der Wahrheit
nichts vergeben; ich arbeitete ebenfalls zu Hause. Wenn dies gegen die judäisch ausgelegte Regel verstieß, so ist die Schuld allein an mir.
Kanzler Landolt gab,
unwillig, meinen dringenden Bitten nach.
Heidegger.
So, so! Herr Kanzler beging einen
unverzeihlichen Fehler,
und
Ihr übtet einen Druck
auf ihn, einen Druck, der einer Bestechung gleichkommt.
Die Einen bestechen mit Geld, die Anderen (spöttisch)
durch eine erprobte Rednergabe und die Berufung auf eine alljährige Freundschaft, auf die wohlbekannte sen timentale Herzensgüte diktire:
Waser gesteht,
— Gerichtsschreiber, wie ich
auf Kanzler Landolt
einen
wahren Druck ausgeübt und Pergamente zur Einsicht, nach Hause,
gegen die gesetzmäßige Vorschrift mitge
nommen zu haben. —
Nichtsdestoweniger setztet Ihr
dieselbe, ich sage dieselbe Arbeit hier auf dem Archiv fort.
Wie vertheiltet Ihr die benutzten Fascikeln?
Was nähmet Ihr mit?
Was blieb hier?
Der Wahrheit gerecht zu werden, muß
Was er.
ich eingestehen, daß die Papiere, die ich hier zur Ein
sicht vornahm, von anderer Beschaffenheit waren, als die nach Hause beförderten.
Heidegger
Ao, so!
Unschuldige,
unverfäng
liche Papiere! Maser.
Sollten sie in anderem Lichte erscheinen,
so falle jede Schuld auf mich.
Landott, so wenig als
ich, sah in der Benutzung dieser Akten ein tadelns wertes Vergehen.
So! so!
Heidegger.
Ist etwa diese Nummer
von Schlözers Briefwechsel in Eure Hände gelangt? Keineswegs,
Waser.
Herr Bürgermeister,
ich
lese Schlözers Briefwechsel nicht. Aber die Maleralien dazu
Heidegger.
liefert
Ihr ihm, Ihr heimtückischer Schurke!
Waser (auffahrend). Herr Bürgermeister! Es muß,
nach Hamlets Ausspruch, etwas faul sein iip Staate Dänemark,
wenn
oie
Mittheilung
statistischer Ta
bellen den Korrespondenten zum Schurken stempelt.
Heidegger.
Warum macht Ihr nicht geradezu
auf Belobung ^Anspruch? diktire:
Waser
gesteht,
Gerichtsschreiber, wie ich
dem Geheimerath Schlözer
zu seinem politischen Briefwechsel ehrenrührige Data
gegen das Zürcher Regiment zugeführt zu haben.
Waser Eurem
Das Epitheton kommt aus
(ihn unterbrechend).
Heidegger!
Herr
Munde,
Ich
Protestire
förmlich gegen die mir untergeschobene Absicht.
Protestation
Für Eure
Heidegger.
gebe
ich
Dem Zwanziger-Ausschuß liegt es
keinen Pfifferling.
ob, meine Ansicht zu
bestätigen,
rendes
Verdikt zu erlassen.
Rede.
Liegen bei
Euch
oder ein
absolvi-
Steht mir ferner zur
gegenwärtig
noch auf das
Archiv gehörende Dokumente? Waser
(nach einer Pause).
Heidgger
Ja, Herr Bürgermeister.
Wie viel?
Die Zahl könnte ich nicht bestimmen.
Waser.
Sie zu beschleunigen,
Meine Arbeit ging zu Ende.
gestattete mir Herr Landolt eine größere Anzahl von
Dokumenten, als früher, gewöhnlich, nach Hause mit
zunehmen. Heidegger
Wie ich
(zum Gerichisschreiber).
diktire:
Waser gesteht zuletzt eine ganz ungewöhnliche Anzahl von Dokumenten entliehen zu haben.
Das Nähere
Wo sind die Charteken
wollen wir selber einsehen.
in Eurem Hause aufbewahrt?
Sie sind auf und in meinem Schreib
Waser.
tisch zu finden.
Ich bin bereit, dazu dienlich zu sein.
Heidegger.'
Ist nicht
nöthig.
Ihr
wandert
von hier in Verschluß auf das nahe Rathhaus.
sind
noch nicht ganz zu Ende;
seid
Wir
eines ferneren
Verhörs gewärtig.
Teßner
(macht eine stumme Bewegung).
Heidegger.
Nichts für ungut, Herr Kollege,
Ihr seid Zeuge; ich handle. einem der Wächter ins Ohr.)
(Er geht an die Thüre und flüstert
Waser (im Abgehen, zu Heidegger gewandt). Seid stolz auf Eure That! Ihr überliefert einen Zögling -mehr in das Zürcher Waisenhaus. (Ab.) Heidegger. Ich begegne Ihrem Vorwurf, Herr Kollege, ich bin allzustrenge, nicht wahr? Gehn er. Ihr wollt' einen Schuldigen! Meide ab.
Die Scene verwandelt sich.)
(Stifte Scene. Wafers Wohn- und Arbeitszimmer.
Auf dem Schreibtisch
liegen Pergamente aufgehäuft.
Aenneli (tritt aus der Nebenthiire herein). Er schläft! Wie lang der Vater ausbleibt! und sagte doch, er würde in einer halben Stunde zurück sein; er wolle den Brief nach Straßburg an Fräulein Schlözer auf der Stelle beantworten. Er ist fort und läßt zum
erstenmale die verwünschten Speckhäute auf dem Schreibtisch. O! ich weiß, ich sehe, sein Herz ist ge theilt zwischen den fernen Lebenden und den nahen Todten. Und ich? ! (mit einem Seufzer) Ich bleibe ihm gut und treu. . . und er bleibt mir doch lieb und werth. (Man vernimmt einen Lärm von der Straße her, daS Geschrei von Gassen
Was ist das ? ! (sie eilt an das Fenste ) Sehe ich recht? Gott stehe mir bei! Mein Herr! mein armer Pfarrer! in einem Wagen mit Schar wächtern ?! Er winkt mir, er fährt vorbei; Gott sei mir gnädig! (sie wankt in die Mitte deS ZimmerS und sinkt in die Kniee nieder) Und wieder Lärm! . . . Ich kann nicht hier bleiben . . . Die Stubendecke erdrückt mich. (Sie geht wieder an das Fenster.) Was sehe ich? Der Bürger
jungen).
meister mit Gerichtsschreiber und Wache nähert sich
unserer Wohnung . . .
(sie eilt gegen die Eingangsthüre und
Und die Schartecken!
schließt sie ab).
Herr? . . .
bergen um jeden Preis. Scharwache auf der Treppe.)
(Man vernimmt die schweren Tritte der
@Ott! @Ott! wohin damit ? . . .
In den Schreibtisch? . . .
Da
Bei Leibe nicht ...
wird zuerst nachgesucht ... das Bett;
Was sagte mein
Bei irgend einem Zufall, sie reiten, sie
Ja! dorthin
es wird an die Thüre gepocht.)
Ja, klopft
(sie deutet auf
NUr!
(Sie er
greift hastig einen Pack Pergamente und verbirgt sie in dem untern Theile des Bettes; einige bleiben in der Eile verzettelt am Boden liegen; einige
auf dem Schreibtisch.
Unterdesien wird wiederholt an die Thüre geschlagen.
Aenneli rafft die übrigen Pergamente auf Tisch nnd Boden zusammen und
nähert sich dem Bette; im selben Augenblick wird die Eingangsthüre gewalt sam geöffnet.
Herein treten: Heidegger, Geßner, Gerichtsschreiber, Schar-
Wächter. Aenneli bleibt wie versteinert an das Bett gelehnt stehen,
die Per
gamente sind ihr aus der Hand gesunken.)
Zwölfte Stellt. Aenneli.
Heidegger.
Getzner. Ein Gerichtsdiener.
Da sehen Sie, Herr College, da
Heidegger.
überzeugen Sie sich! Das Schuldbewußtsein des ganzen Hauses tritt durch diese Handlung der Dienstmagd klar
an den Tag. lZu Aenneli.)
Was wollen Sie noch Beweise mehr?
Was machst Du
da,
Hehlerin fremden
Guts? Nicht wahr, Dein Herr und Meister hat Dich
angewiesen, wie Du
die entwendeten
im Nothfall zu versorgen hast?
Staatspapiere
Heraus damit?
Aenneli (zittert an allen Gliedern und gibt keine Antwort).
Heidegger
(zum Gerichtsschreiber).
Seht einmal nach
in dem Versteck.
Oerichtsdiener hervor und trägt sie, Schreibtisch)
(holt die im Bett geborgenen Pergamente
einem Wink des Bürgermeisters folgend, auf den
Heidegger. Ihr setzt bei mir ein Verzeichniß auf, besiegelt das Packet und hinterlegt das Ganze zu vörderst im Gerichtssaal. (Zu Aenneli.) Du bleibst als Hehlerin im Arrest. Aenneli (emporschreckend). In Arrest? Was ist das? Heidegger. Du gehst tn13 Gefängniß . . . nicht zu Deinem Herrn . . . Vorerst in's Zucht haus. Aenneli.
Habt
Erbarmen,
Herr
Bürger
meister? Was soll aus dem Kleinen, was soll aus dem Kinde meines Herrn werden? Da liegt der arme Wurm allein in der Nebenkammer. Wer bleibt bei ihm? . . .
Geßner. Laßt Gnade für Recht ergehen, Herr Heidegger! Was hat die arme Dienstmagd so schwe res vergangen? Gestattet, daß ich eine Frage an die Arme richte. — Warum suchtest Du die Pergamente so sorgfältig zu verbergen?
Aenneli. Seien Sie gesegnet, Herr Rathsherr! Indem ich itt Ihre Augen sehe, kommt mir die Be sinnung. — Mein Herr hat mir befohlen, bei irgend einem Zufall besorgt zu sein, daß dieses gelehrte Zeug nicht in fremde Hände falle. — Ich hörte Lärm: ich versteckte die zerstreuten Schriftstücke unbedacht, wie
man Gold zu verstecken sucht, wenn — wenn
(sie stockt).
Geßner. Nur frei heraus! Aenneli. Wenn man sich vor Dieben fürchtet.
Geßner (zu Heidegger). In dieser kindlichen Frei müthigkeit erkennt wenigstens, daß die Arme unzu-
rechnungsfähig ist.
Ich stehe für sie ein.
Ich bitte
für sie, Herr Heidegger, laßt sie Mutterdienste bei dem verwaisten Knaben Wafers versehen.
Heidegger.
Augen wie ein
Fern sei von mir, mich vor Euren
österreichischer Landvogt zu geberden.
Ich will nicht, daß es heiße, ich verfolge den Wafer
in allen Gliedern seiner Familie.
Die Dirne hat es
Euch angethan, Herr Salomon Geßner! sie mag bei dem Knaben bleiben, aber hier in Zürich, zu weiterem
Verhöre.
Ihr steht wohl für sie ein?
Ganz gewiß.
Geßner.
Du horst, Du ver
stehst, Aenneli? Du entfernst Dich nicht aus Zürich. Aenneli.
O!
sollte ich hin?
niß?
Das hat keine
Gefahr.
Wo
Mich entfernen von seinem Gefäng
Nimmermehr!
Heidegger. Ihr bleibt hier!
Sperrt uns zu ihm!
Den Scandal voll zu machen? . . (Entfernt sich mit Geßner, dem Schreiber und der
Scharwache.)
Dreizehnte Scene. Aenneli Aenneli. den Sinnen!
(allein).
Herr Gott! erhalte mich'bei gesun
Laß mich Mutterpflicht erfüllen, hier
(auf die Nebenstube deutend)
und Kindespflicht dort, W0 der
Gequälte, Verfolgte sich härmt nung deutend.)
(nach der Außenseite der Woh
Vierzehnte Scene. Dora Schlözer und Röderer treten ein.
Dora (gegen Aenneli gewendet).
Das ist wohl Pfarrer
Masers Wohnung, mein liebes Kind?
Aenneli (halb verwirrt).
geführt
Gewesen.
Was sagst Du?
Dora.
....
Doch
Man hat uns hierher
was
sage,
bedeuten
die
Wächter, die unheimlichen Gesichter, die uns am Ein
gang des Hauses begegneten und uns fast den Weg Ein unfreundlicher Empfang!
versperrten?
Anneli. Was soll ich sagen? Womit beginnen?
mit wem spreche ich? Wer sind Sie, Fräulein? Dora.
Ich bin Dora Schlözer.
Anneli.
Gott sei's gedankt!
Ihr kommt wie
Mein Herr
ein Rettungsengel. —
erwartete Euch,
aber später.
Dora.
Welches
Unglück
befällt
ihn?
Was
geht hier vor? Aenneli.
Er ist im Gefängniß.
Dora u. Röderer
Aenneli.
Ich
(zugleich). Weshalb?
weiß nicht;
ich
errathe
kaum.
Soeben wurden hier Stadtschriften weggeholt. Dora (zu Röderer). Onkel, Sie sehen, meine Ahnung trügt mich nicht.
Die unselige Arbeit!
Mein Vater
ist rücksichtslos.
Röderer.
Erwarte mich hier, liebe Nichte; ich
eile zu Lavater, er wird uns Aufklärung geben. (Ab.)
Fünfzehnte Scene. Dora. Aenneli.
Dora.
Wie heißt Du?
Aenneli. Aenneli. Dora. Aenneli, Du bist Deinem Herrn ergeben? Aenneli. Wie ein Kind seinem Vater. Dora. Du liebst ihn? Aenneli. Ich. kam als ein armes Landmädchen in sein Haus. Die verstorbene Pfarrerin erzog mich; nun pflege ich ihr nachgelassenes Kind — und den Wittwer. Dora.
Er will Dir wohl? Aenneli. Er vertraut mir seinen Knaben. Dora. Du wirst mir beistehen, Aenneli. Un wissend, willenlos habe ich mich mit einer großen Schuld gegen ihn belastet. Aenneli. Unmöglich! Dora. Es ist, wie ich Dir sage. Daß Dein Herr im Gefängniß, daran bin ich Schuld. Aenneli. Das kann nicht sein. Ihr irrt. Mein Herr hat seit lange Feinde in hiesiger Stadt, und er
ist dock so gut! Dora. Ich war unvorsichtig.
Mir zu lieb, hat
er für meinen Vater gearbeitet; diese Arbeit zieht die schwere Strafe auf sein Haupt. Aenneli. Ich muß Euch glauben; ich begreife nicht wie. Dora. Du wirst es begreifen, bald genug, immer noch zu frühe. Du mußt mir beistehen; wir beide wollen ihn retten.
Aenneli.
Was ich kann; so viel ich kann; mit
Leib und Leben; der seligen Frau zu lieb. Dora. Auch sie war Dir gut? Aenueli. Schwester und Mutter. — Laßt mich's Euch noch einmal betheuern, nm ihretwillen lieb^ ich den Wittwer. Dora. Ich will Dir's glauben. Und ich (nach einer Pause) — ich will ihm wohl, um seinetwillen. Er ist verkannt! Er muß fort von hier! Aenneli. Fort von hier? Seine Feinde halten ihn gefangen. Sie werden ihn tödten. Dora. Aenneli, Du sprichst im Fieber. In keinem Lande der Wett tödtet man, um einige alte Pergamente, auch wenn sie, was hier gewiß nicht der
Fall, auch wenn sie entwendet wären. Aenneli. Mein Herr sagte mir mehr als ein mal: Sie werden nicht ruhen, bis sie mich ins Grab gebracht. Dora. Auch er sprach im Fieber; ich, ich werde,
ich muß ihn befreien, herausreißen aus diesen Fesseln, und wäre es mit meinem ganzen Erbgut, und wäre es mit Gefahr meines Lebens. Aenneli Was kann ich thun? Dora. Für's Erste mich hier aufnehmen in diesem für mich geheiligten Raume, wo er für mich gearbeitet, gelitten; hier in der Nähe seines Knaben; wir werden den Knaben zusammen bewachen. Aenneli. Laßt mir diese Sorge allein; Ihr habt Besseres, Eiliges zu thun. Eilt von einem Ge richtsherrn zum anderen; Euren Bitten, Euren Blicken wird Keiner widerstehen.
Dora llächelnd).
Du meinst? —
Meine Augen
üben keine Zauberkraft. Aenneli.
sie haben meinen
Es scheint doch;
Herrn an Euch gekettet, so viel, ja mehr als an unL
Dora.
Was sagst Du?
Aenneli. Dora.
Die Wahrheit.
O, ich Unselige!
Aenneli.
Warum
denn?
Glücklich,
wer zu
fesseln weiß; auch der Tod raubt ihm die Freunde nicht. Dora.
Und kein Vorwurf von Dir, daß ich, ich
die Schuld an Deines Meisters Unglück?
Aenneli.
Das
ist zwischen Gott und
zwischen meinem Herrn und Euch.
Ich
Euch,
kenne nur
ihm dienen, ihm treu dienen, bis ans
meine Pflicht:
Ende. Dora.
ihn,
Du bist besser als ich.
auf Tod und Leben!
seinem Kleinen.
Mit Dir,
für
Und nun bringe mich zu
(Sie gehen Hand in Hand ins Nebenzimmer. Der
Vorhang fällt.)
Ende des dritten Actes.
Erste Scene Ein kleiner Garten, am Hinteren Theile des Rathhauses. Kavater.
Lavater.
Röderer (treten auf.)
Beruhigt
Euch,
Herr
Hofjuwelier.
Ich fand den Bürgermeister gegen alle meine Erwar tung überaus mild und gnädig. Eure Nichte hat mit
ihm gesprochen, und den Eindruck,
den Jugend und
geistreiches Wesen üben, wie es scheint, nicht verfehlt. Die Erlaubniß, mit dem Gefangenen hier in diesem
Gärtchen des Rathhauses unter Aufsicht zu verkehren, ist für sie, für Euch ohne Aufschub und Einrede be willigt. Röderer. wort.
Gott lohne Euch für dies Friedens
Dora Schlözer ließ sich in Straßburg nicht
halten; sie hatte die ganz bestimmte Vorempfindung,
daß dem Maser durch seine Korrespondenz mit Göt
tingen irgend ein Unfall zugestoßen.
Der erste Ein
tritt hier in Masers Wohnung war ergreifend.
Nun
sagt mir, bester Antistes, sind denn die hiesigen Gesetze
in der That so kategorisch gegen eine Mittheilung der Art, wie sie der Pfarrer von Kreutz an den Göttinger
Geheimerath machte? Lavater.
Wenn man die Sache als Staats-
verrath auslegen will, ganz gewiß. Der Tod durchs Henkerbeil steht auf solches Verbrechen.
Röderer.
Nicht möglich!
Ihr preßt mir das
Herz zusammen. Lavater.
Doch
gerade
die gräuliche Strafe,
die in keinem Verhältniß mit dem Vergehen, würde in
gegenwärtigem Falle dem Beklagten zum Heile ge reichen. Zch kann und will nicht glauben, daß im Awanziger-Ausschuß sich eine Mehrzahl für die An
wendung der Penalität aussprechen würde;
vielleicht
einige Stimmen, die dem Bürgermeister durch Dick und Dünn folgen; aber auch in diesem Falle nicht.
Röderer.
Doch
was
stände dann für Maser
zu fürchten?
Lavater.
Vielleicht mehr oder weniger langes
und hartes Gefängniß; vielleicht Geldbuße mit Ver
bannung. Ich kann mich für nichts gewisses verbürgen.
Röderer. Ihr sitzt, Gott sei's gedankt, in diesem
engeren Rathe. Lavater.
Zu meinem großen Leidwesen;
bis
jetzt war es übrigens nur eine Sinekure.
Röderer.
Gerade für
diesen Fall hat Euch
wohl der Herr als Friedensbote hingestellt.
Zweite Scene. Röderer.
Dora SchlSzer.
Kavater.
5) 0 td (verneigt sich gegen Lavater und eilt auf Röderer zu),
Masers Wohnung; ich will dem armen
komme aus
Gefangenen frische Nachricht bringen von den Seinen. Röderer. Du hast den Bürgermeister gesprochen? Dora
(etwas verlegen)
die Zusicherung,
Ja, mein Onkel. Er gab mir
daß schon durch Herrn Anüstes La-
vater Befehle an die Aufseher Masers ergangen. Wenn
wir uns
melden,
Heidegger wünscht,
wird
er hier zugelassen
Herr
daß wir die inneren Räume des
Rathhauses nicht betreten.
In der That,
Lavater. zu
einer
gehörigen
Aufnahme
noch nicht getroffen.
die
Vorbereitungen
Herrn
Masers
sind
Und besser hier im Freien; es
wird auch dem Gefangenen erwünscht sein. Und gibt Dir Herr Heidegger gute
.Röderer.
Hoffnung für den Verlauf der Prozedur?
Scheint er
beschwichtigt? Dora
(mit steigender Verlegenheit).
Er war höstich, und
nach seiner Art galant; dem Gerichte aber werde er die Akten vorlegen und der Sache ihren natürlichen
gesetzlichen Lauf lassen Röderer. Dora.
Und sonst sagte er Dir nichts?
Doch, Herr Onkel; er gab mir einen
direkten Auftrag an Pfarrer Maser mit. Röderer.
Und dürfen wir, meine liebe Nichte,
diesen Auftrag nicht erfahren?
Dora.
Nicht wohl; ich habe versprechen mit
Herrn Maser allein darüber zu verhandeln; ich wünsche,
ohne Ihrer väterlichen Autorität zu nahe zu treten,
ich wünsche mein Versprechen zu halten. Lav ater.
Wir dürfen, Herr Hofjuwelier, uns
ganz gewiß der Hoffnung hingeben, daß der Auftrag, den Fräulein Schlözer übernommen,
zum Heile des
Gefangenen, ausschlagen wird; Ihre diplomatische Da
zwischenkunft wird den Gerichtsgang doch beschleunigen und erleichtern.
Und nun erlauben Sie mir, daß ich
den Gefangenen hierher berufe. (Lavater begibt sich durch den Hintergrund in daS RathhauS.)
Dritte Scene. Dora. Röderer.
Röderer.
Du hast mich bis jetzt nicht als zu
dringlichen Oheim gekannt; aber im gegenwärtigen
Falle dürfte ein väterliches Gutmeinen nicht vom Uebel
sein.
Die Ehre, die.Freiheit Masers stehen auf dem
Spiele.
Vielleicht thätest Du doch besser die ganze
Sache in Lavater's Hände niederzulegen; erkennt den
Boden, auf dem wir stehen und Gottes Gnade ruht auf seinen Worten, seinen Werken. D o r a (etwas ungeduldig). Mein bester verkenne den segensreichen Einfluß
Öheim, ich
Lavaters auf ver
wandte, christliche Gemüther nicht; aber hier, in einem Punkte, stimme ich mit
Professor Oberlin überein.
Mir scheint, als ob Lavater bis jetzt in Masers Sache kein erhebliches
Resultat gewonnen.
Er packt
den
egoistischen Charakter Heideggers wohl nicht von der
rechten Seite.
Röderer.
Ich will Dich nicht belästigen, liebe
Wenn es Dir nicht gelingt, den alten Wolf
Dora.
zu besänftigen, so bleibt immer der Rekurs an uns.
Vierte Scene. Kavater, Waser;
(AuS dem Rathhause treten in den Garten:
zwei Wächter
bleiben am Eingang der Rathhausthüre stehn; doch in gehöriger Entfer so daß der Zuschauer füglich annehmen darf, das Gespräch der im
nung,
Proscenium stehenden Personen bleibe ihnen unverständlich,)
Waser (mit bleichem, abgehärmtem Gesicht,
nähert sich Dora,
ohne auf Röderer zu achten und reicht ihr die Hand entgegen.
Dora er
greift mit beiden Händen die dargebotene Rechte und drückt sie convulsivisch an ihren Busen.)
Dora
(zu Waser).
.
.
.
Sie Verwünschen mich
nicht, Herr Pfarrer?
Sie haben kein Strafwort für
mich, armer Freund?
Wenn ich jetzt die Augen auf
Sie hefte, erwiedern Sie meinen Blick nicht mit dem Blick
des stummen und
dock
beredten
Vorwurfs?
Haben Sie mir vergebeil? Waser.
Vergeben? daß Sie während den letzten
Monaten mich aus dem Alltagsleben durck Ihre Mit
theilungen entrissen und daß ich mir schmeicheln konnte, Ihnen in Ihrer täglichen Berufspflicht Beistand zu
leisten? Vergeben? — noch jetzt hier, in unwillkommner Haft danke ich Ihnen.
Was hat die engherzige
Verfolgung von Seiten der Republik Zürich mit un
serm Verkehr gemein?
(Er wendet sich gegen Röderer.)
Ihnen,
Herr Röderer, bin ich noch Dank schuldig, daß Sie
in Straßburg den schon halb
Verbannten nicht von
ihrer Schwelle wiesen und meinem großmüthigen Gön ner hier
(gegen Lavater sich wendend)
danke ich für Gebet und
thätige Hilfe in meiner allseitigen Noth. Ueberall hin
bin ich Verpflichtungen eingegangen, und läßt mich der
hohe Rath am Leben, so bleibt meine übrige Zeitfrist meinen Gläubigern verfallen. Mein Gebet hat etwas zum wenigsten
Lavater.
erreicht, mein bester Wafer;
es
kommt
Eurer
in
jetzigen Noth kein bitteres Wort über Eure Lippen.
Röderer (zu Maser) Ihr erlaubt uns für diesmal
unseren
Besuch
abzukürzen.
Meine Nichte wünscht
Ich stehe zu fernerem Dienste
Euch allein zu sprechen.
hier UNd in Straßburg bereit. (Lavaler und Röderer ab.)
Fünfte Scene. Dora. Wafer.
Maser.
Die Wächter im Hintergrund.
Darf ich fragen, was ist es, das Sie
mir nicht in Gegenwart des Oheims und Lavaters
mittheilen wollten?
Dora.
Nicht ganz
ohne Vorbehalt.
Ich muß
Ihnen auch eine Frage stellen: Darf ich sprechen, ohne
den Alpdruck der Furcht, ich könne unwillkürlich be
leidigen, auf meinem Nacken zu fühlen, darf ich Sie wie einen alten, lieben,
deln?
Die Umstände,
brüderlichen Freund behan
die uns zusammenführen, sind
außer aller Berechnung; die Gesetze der gewöhnlichen gesellschaftlichen Convenienz haben für uns gegenwär
tig wenig oder gar keine Geltung. Nehmen Sie, was ich Ihnen auch sagen werde, nehmen Sie es auf, als
ob wir in dem
Schattenlande wandelten.
Können
oder wollen Sie auf meine Vorschläge nicht eingehen,
so sei es, in ihrem besonnensten Gemüthe, als hätte
kein menschlicher Laut inzwischen Ihr Ohr berührt. W aser. Wenn irgend ein Ausspruch von Ihnen mich peinigen könnte, würde ich jetzt sagen: Sie pei nigen mich. Dora. Durch mein Hinhalten wollte ich das gerade vermeiden. Ich habe den Heidegger gesprochen, oder vielmehr, ich habe ihn angesprochen; für Sie habe ich einen Hilfsruf ausgestoßen, an das Herz des Verfolgers mich gewandt. Waser. Er hat kein Herz. Dora. Das sag' ich auch. Es ist eine in lo kalem Ehrgeiz ausgegangene und verschrumpfte Seele. In einer Großstadt hätte er sich zu großartigen Ent würfen aufgebläht; hier verfolgt er naheliegende Punkte. Sie sind ihm ein Stein des Anstoßes auf seinem Wege. Waser. Ich weiß es. Was will er jetzt? Dora. Einen Widerruf . . . Sie erklären schriftlich, daß die Fakten, die Sie an meinen Vater über die jetzigen Zustände abgeschickt, durchaus falsch und eine Erfindung ihres persönlichen Haffes gegen das Zürcher Gemeinwesen sind. Diese Erklärung wird durch den Druck verbreitet und durch meine Ver mittlung einer künftigen Nummer des Göttinger Briefwechsels eingerückt. Waser Nie und nimmermehr! Das schlägt Heidegger vor, aber Sie rathen mir nicht dazu. Sie können nicht wollen, daß ich mich vor ganz Deutschland als einen Fälscher hinstelle, da ich nur die reine authentische Wahrheit berichtet. Ihr Vater
7
kann nicht zugeben, daß er fich von einem Fälscher
hinter daL Licht führen ließ.
Heideggers Vorschlag Ich muß
ist auf eine verneinende Antwort berechnet.
ihn verwerfen und sollte ich mir auch damit ein wider rechtliches Verdammungsurtheil zuziehen. — Dora.
hierin wollen, was
Mein Vater würde
ich wünschte, wozu ich ihn beredete. mit fich selber abzurechnen .
der hält Ihnen den Dolch an
.
.
Sie haben blos Ein Meuchelmör
die Kehle; Sie geben
der Nothwendigkeit nach. Maser.
Das ist nicht der Kern Ihrer Mei
nung. Gebe ich nach, so will ich nicht behaupten, daß
ich all' Ihre Achtung verliere; aber
— aber — ich
wäre nicht mehr derselbe in ihrem tiefinnersten Ge müthe.
Ich kann nicht widerrufen;
ich
kann
mich
nicht selber zum ehrenrührigen Lügner stempeln.
Dora.
Bester Maser! Erwägen Sie nochmals
Ihre Antwort; es steht Alles auf dem Spiele.
Maser.
Auch das nicht, so sehr Sie es viel
leichtmeinen. Ich habe Freunde im Gericht; die Stim
men werden fich theilen. Dora.
O Gott! Den Ausspruch
über
Ihre
Freiheit, über Ihr Leben einer blinden Stimmenmehr
oder Minderheit anheim zu geben!
Lieber Maser,
nochmals bedenken Sie, ich, ich beschwöre Sie, ich, die
Schuldige, die Sie in dies Wirrsal hineintrieb. Maser. Dora.
Maser.
Dora.
Ich will nicht — ich kann nicht. Es ist Ihr letztes Wort? Mein letztes.
Ich wußte es zum Voraus. — So sah'
ich
Sie vor meinen Augen!
Mittel
...
Maser.
Dora.
Es bleibt ein anders
die Flucht?
Die Flucht?
Ja! und zwar eine leichte.
Sie sind,
wie mir scheint, nicht strenge bewacht. — Heidegger selbst wünscht wohl ihre Entfernung. — Ihre Aus
seher werden nicht unzugänglich sein; dasür lassen Sie
mich Sorge tragen.
Aenneli wird Ihnen die Mittel
dazu in Hanv stellen . . . Eine Schifferkleidung . . . Sie begeben sich mit einbrechender Nacht an den Zu sammenfluß der Sihl und der Limmat. Dort erwartet Sie ein Schiff;
Sie steigen im Kloster Dettingen
aus; da sind Sie schon ganz geborgen.
Von dort
begeben Sie sich unter den Schutz des französischen Ge sandten in Solothurn; er wird Sie an Herrn von
Galaiziöre nach Sttaßburg befördern; der Intendant nimmt Sie willig auf;
ich war schon dort auf Ihre
künftige Versorgung bedacht.
Ich glaubte, verzeihen Sie mir, Gnä
Wafer.
digste, ich glaubte, Göttingen bliebe mir als Zuflucht
in Aussicht. Dora.
Ein Vorwurf?
sichtslose Offenheit zugesagt.
Ich habe Ihnen rück
Auch in Göttingen wür
den Sie günstige Aufnahme finden; ja wir würden
uns täglich mehr befreunden, täglich mehr an einan der schließen. Maser.
(Sie hält inne.)
Sie reden nicht aus?
Dora. Ein neuer Kummer würde wie ein sorg
sam
gepflegtes
Baume Ihres schießen.
Pfropfreis
früheren
auf
Daseins
dem
abgehauenen
wuchernd
empor
Maser.
Auch den fernsten Gedanken treuer An
hänglichkeit, sich hingebender Frenndschaft verschmähen,
verdammen Sie auf Ihrer ätherischen Höhe?! Dora.
Ich bin des Geheimeraths Schlözer treue
Tochter; er braucht mich; allein.
er will mich ausschließlich
Meiner sterbenden Mutter habe
ich blinden
Gehorsam gegen ihn zugesagt.
Maser. Kirche
Ich sehe,
fordert
nicht
unverbrüchliche
allein
die katholische
Gelübde
von
ihren
Kindern. Dora.
Sie sprechen die
Wahrheit aus;
tiefe Wahrheit, mehr als sie denken. der Priester
eine
Mein Vater ist
der Wissenschaft; er kennt keine andere
An diesem Altar bin ich zur Vestalin ge
Gottheit.
weiht und eingesegnet. Maser.
Ich bitte Sie, um meiner Ruhe willen,
kein Wort mehr! Das Leben ist mir jetzt, ist mir in
alle Zukunft verhaßt. Dora.
Sie versprechen mir,
wenn Sie befreit,
vorerst nach Straßburg zu flüchten? Wafer.
Ich wünsche hier, ich wünsche in Ihrer
Nähe zu sterben. nehmen. Dora.
Ich kann Ihr Anerbieten nicht an
Ich glaubte, Sie hätten Vaterpflichten,
und die stünden höher als jeder andere Herzenswahn. Mein Vater und ich sind Ihre Schuldner;
Sie sind
zur Entgegennahme unseres Anerbietens gehalten. Wafer
(nach einigem Sinnen).
S i e wollen es, Dora!
Erinnern Sie sich an mein Wort; an das Wort eines
Mannes,
der den Glauben an alles verloren,
nur
nicht den Glauben an Sie. Ich folge Ihrem Wünsch,
Ihrem Befehle.
Schlägt alles um, so lege ich das
Schicksal meines Kleinen in Ihre Hände nieder.
Dora. wohl.
Ich werde ihm Mutter sein. Leben Sie
(Sie entfernt sich schnell, ohne zurückzublicken. — Maser folgt ihr
langsam nach und übergibt sich seinen Aufsehern.)
Sechste Scene. Das Theater verwandelt sich in die Halbinsel zwischen Sihl und Limmat.
Ein Schiff
Gebüsch.
Im Hintergründe das Wasser.
mit zwei Ruderern liegt am Bord. — Nacht.
Mondschein. Gesang der Schiffer. Wir rudern, rudern pfeilgeschwind,
Ja schneller als der Wirbelwind,
In unserm leichten schmalen Kahn
Und landen selten, selten an.
Doch, wenn wir landen, muß der Wein In vollem Glas kredenzet sein;
Denn Kräfte brauchen wir zur Fahrt, Und nichts fällt abwärts in den Bart.
Und spricht etwa ein Biedermann, Um schnelle Hüls' und Rettung an,
Sei's nun zu Waffer, sei's zu Land, Wir sind ihm alsobald zur Hand. (Während den letzten Versen ist eine Schaarwache mit einem Führer im Vordergründe aufgetreten.)
Der Führer.
Ja! die Lust soll Euch vergehen,
den Biedermann aufzunehmen.
(Zu dm Wächtem gewendet):
Wenn ich Euch ein Zeichen mit der Pfeife gebe, brecht ihr hervor, Jeder aus seinem Versteck,
Burschen im Schifferkleide.
unb faßt den
Gelingt es ihm bis an
den Nachen dort auf der Limmat durchzubrechen, so gebt ihr Feuer; entkommen darf er nicht; eS ist ein
Kapitalschuft;
wollte
Stadt
und
Land
verrathen.
(Er vertheitt die vier Häscher in die Koulissen rechts und links.)
Die Schiffer beginnen wieder:
Der Mond scheint wunderlieblich hell, Wir rudern und wir fahren schnell. Die Limmat rauscht und plätschert laut: Ich rette den, der mir vertraut!
Siebente Scene. Aenneli
und
Wafer
treten auf; der letzte in Schifferkleidung.
Maser. Um Himmelswillen, Aenneli, kehre um Du kannst mir keine weitern Dienste leisten. Ich
bin an Ort und Stelle.
Du hättest die Stadt nicht
verlassen sollen. Aenneli. Und die Fräulein in Angst und Qual lassen, ob ihr den Kahn erreicht, nicht wahr? Maser. Geh' heim, ich bitte, ich beschwöre Dich. Küsse den Kleinen für mich. Ich seh' den Rettungs
nachen im Mondschein, ich bin geborgen — (Man hört etn schrilles Pfeifen.
Der Führer mit seiner Schaar tritt aus
den Gebüschen hervor.)
Der Führer. Das bist Du! Ja, Du bist ge borgen. Aenneli.
(Stägt einen Schrei aus.)
(Die beiden Schiffer eiten herbei und machen Miene, die Häscher
anzugreifen.)
Der Führer. Haltet mir die Kerle vom Leibe! Haltet sie fest, mit diesem da! (auf Maser deutend.)
Was er. Weh' mir! Unheil bring ich allem, was sich mir nähert. Arme Aenneli! arme Dora! Der Führer. Seid ruhig, Maser; Niemanden wird um Euretwillen das Haar gekrümmt; aber das Eure dürfte wohl kurz abgeschnitten werden. Maser. Den Spott des Elenden zu ertragen! Wie kühlend, wie stärkend war der Nachtwind im Freien, wie erquickend das Vorgefühl der Freiheit!
Und jetzt! Der Führer. Rechts um, nach Zürich! Führt all' das Sündenpack dem Herrn Bürgermeister vor; er mag über sie entscheiden. (Alle ab.)
Achte Scene. Ein Arbeitszimmer bei Lavater. (Lavater, in Morgcnkleidung, geht unruhig im Zimmer auf und ab.)
Ich gelange diesen Morgen zu keiner Ruhe, mein Gebet dringt nicht über die Decke des Zimmers hinaus. Ich fühle mick wie abgeschnitten von meinem Helfer droben und abgeschnitten von jeder herzlichen Berüh
rung mit Heidegger. — O welch' ein harter, ungezähmter Sinn! Der Mann war für ein Jahrhundert des Brutus und nicht für unsere Zeiten geschaffen.
Er ist auf seine Beute erpicht, das geängstete Wild . . .
wie der Jäger auf
Jakob (tritt herein). Herr Bürgermeister kömmt die Treppe herauf, ich wollte Herrn Antistes darauf vor bereiten.
Lavater. So früheI Das bedeutet nichts Gutes!
Dank, lieber Jakob!
(Dichr entfernt sich.)
Neunte Scene. Heidegger. Lavater.
Heidegger. Der Fuchs ist in der Falle! Maser, von Dora Schlözer dazu ermuthigt, hat diese Nacht
zu einem Fluchtversuch sich entschlossen, nachdem er die Wächter bestochen. Der eine, ein braver Patriot, ent deckte bei Zeiten das Vorhaben.
Lavater.
Nachdem er den Judaslohn voraus
genommen .. . Heidegger.
Gleichviel!
Maser ist
nun dem
strengsten Gericht verfallen. Ich ließ ihn zum Wasser
Den Awanziger-Ausschuß beruf ich
thurm hinführen.
auf heute Nachmittag.
geschrieben.
Der Anklageakt, wird nieder
Sein Loos ist zum Voraus besiegelt.
Lavater.
Ihr habt das Wachs dazu gegossen,
und den Stempel geschnitten.
Noch hoffe ich, Ihr
werdet es nicht zu einer Mehrzahl
von Stimmen
bringen, und die Einsicht unserer Räthe wird unserer Stadt ein Urtheil ersparen, das für unsere zukünftige
staatliche Eristenz verderblich werden dürfte. Heidegger. Noch
sind
wir
Ihr träumt mit wachenden Augen.
Meister
in
unserm Hause.
Bern,
Basel, Luzern, die kleinern Kantone werden uns zehn fach Recht geben, daß wir keinen Staatsverräther dul
den in unserer Mitte, und noch aufzuräumen wissen,
wenn man uns Steine zwischen die Füße rollt, oder an die Köpfe wirft. Lavater. Nicht vor unsern jetzigen eidgenössi schen Machthabern ist mir bange; die werden, ver blendet, eure Strenge beloben, in die Hände klatschen. Aber Ihr rechnet nicht mit der öffentlichen Meinung. Glaubt Ihr, Schlözer werde dazu schweigen? Glaubt Ihr, daß in Paris kein Lärm geschlagen wird, Nie mand sich rühren wird für den Unterdrückten? Nie mand Zeter schreien wird gegen eine unsinnige Gesetz gebung? ... die Zeiten sind nicht mehr fern vom Emporkommen der Bürgerschaft und des Volks in Frankreich, und wehe uns und unsern veralteten In stitutionen, wenn die gallische Demokratie sich ver
bindet mit den Unzufriedenen in unserer Mitte. Heidegger. Ihr seht Gespenster am hellen Tage. Lavater. Es ist wahr, ich sehe sie bei Tag und bei Nacht; sie dringen auf mich ein, gerade auf mich, und ich, der friedsame — ich sehe dies in den mir geoffenbarten Gesichten, — ich werde büßen für den Frevel der Gewaltigen. Heidegger. Verschont mich, Antistes, mit Euren apokalyptischen Visionen. Huldigt vor allem mit offe nen Augen den bestehenden Gesetzen, und wacht auf deren Anwendung. Es liegt, ich weiß es, eine un widerstehliche Kraft in Eurer Beredsamkeit; legt ihr
heute den Zügel an, wenn Ihr geneigt wäret, ihr freien Lauf zu lassen. Ich beschwöre Euch fürwahr, predigt heute nicht für Milde, nicht für Nachsicht. Dürfte ich hoffen, daß Ihr der Vernunft Gehör schenkt,
da würde ich in Euer Ohr flüstern: Seid streng, un
nachgiebig, denn eher läßt sich nach einstimmig gefaßtem Urtheil Gnade üben, als bei getheilten Stimmen der Fall. Zum Voraus erklär' ich Euch: Macht Ihr mir in heutiger Endsitzung Opposition, und kömmt es dennoch, wie ich zum Voraus berechne, zu sieghafter Abstimmung gegen Wafer, so gebe ich kein Jota weg vom Buchstaben des Gesetzes. Und nun Gott befohlen. (Er will gehen.)
Jakob (tritt herein — er wendet sich gegen Heidegger). Herr Bürgermeister! Fräulein Schlözer sprach im Rathhaus vor; dort erfuhr sie, daß Herr Bürgermeister hier bei meinem Herrn Antistes sind; sie bittet um Erlaub niß mit ihnen zu sprechen, auf der Stelle. Lava ter. Sie kömmt von Gott gesendet, (gu H-ideggey Gebt ihr Gehör. Heidegger. Das will ich, und zwar auf der Stelle, wenn Ihr es erlaubt, hier in Eurem Kabinette. Lava ter. Warum nicht? Der Geist der Gnade senke sich auf Euch nieder. Ich laste Euch allein mit ihr. Heidegger. Das wollt ich in der That ge rade von Euch erbitten. (Lavater entfernt sich durch eine Seitenthüre in das Innere des Hauses: Jakob durch die Eingangsthüre.)
Zehnte Scene. Dora. Heidegger. (Heidegger ist Dora entgegengegangen; er bietet ihr einen Lehnstuhl an.) Dora.
Ganz unnöthig, Herr Heidegger; ich Sie wissen, was mich her-
verbitte mir die Ehre.
führt.
Ein schnelles Ja oder Nein, von Ihnen aus
gesprochen, wird meinen Besuch abkürzen. Heidegger. den Weg ein,
dürfte.
Mein Fräulein, Sie schlagen nicht
der Sie
Ihrem Ziele entgegenführen
Wafer hat sich jedes regelmäßige Rettungs
mittel abgeschnitten.
Sie hoffen durch mich, durch
meinen Einfluß auf meine Collegen, durch einen Um
weg zu erlangen, was der Angeklagte mit einem ein
fachen Wort,
durch eine nothwendige Demüthigung
erreichen könnte.
Sie sprechen mich an, nachdem Sie
dem Beklagten zu einem thörichten Fluchtversuche ge
rathen und geholfen.
Sie wissen, daß alles für ihn
auf dem Spiele steht,
verloren ist.
daß im Grunde sein Spiel
Es ist Ihnen daran gelegen, Maser zu
retten; ich frage nicht warum; und zur Beförderung
Ihres christlichen Nettungswerkes bezeugen Sie einem der Richter, dem Ankläger, Ihre unverhohlene Nicht achtung. Dora.
Herr Bürgermeister, ich bin noch nicht
in die Jahre getreten, in denen Mann oder Frau im täglichen Verkehr eine bequeme Maske anlegt, noch
habe ich nicht frei zu athmen verlernt.
Und obgleich
mir, der Bittstellerin, dem einflußreichen Kläger gegen
über, Demuth und unterwürfige Mienen besser stünden, als angeborener, ungebeugter Stolz, kann ich mich doch zu dieser Rolle nicht verstehen.
Ich spreche, als
deutsche Jungfrau, zu einem freien Schweizer; ich
mache einen Appell nicht an feilt Mitleid, nicht an seinen Gerechtigkeitssinn,
der,
sagt man,
im freien
Schweizerland tiefere Wurzeln schlägt, als in Mo narchien.
Ich appellire an sein eigenes Interesse, an
den Ruf der Bürgerrepublik, als
deren Vorstand er
zu mir spricht.
Ich
Heidegger.
wäre doch begierig zu wissen,
was Sie mir auf diesem Grund und Boden vorzu
tragen hätten. Dora.
Ich will nicht glauben, Herr Bürger
meister, daß in derselben Stadt, in welcher Lavater
die Münsterkanzel besteigt, Geßner seine Idyllen dichtet, und Klopstock auf spiegelglattem See, in den grünen
Umschaltungen
der
Au den
Reizen
der
friedlichen
Z ircherinnen huldigt, ich will nicht glauben, daß in
dieser Stadt ein Jnquisitionsgericht waltet,
das mo
ralisch zu foltern versteht und mit Strafen droht, die der Despotismus, der öffentlichen Meinung gegen
über, nicht mehr anzuwenden wagt. Heidegger.
Sie schlagen eine falsche Saite an,
mein hochgeehrtes Fräulein.
Daß Lavater von christ
licher Milde predigen kann, daß deutsche Dichter hier sich zu mehr oder minder guten theokritischen Idyllen
und Horazischen Oden hochbegeistert fühlen und ihren Gefühlen freien Ausdruck verleihen,
verdanken wir
gerade den strengen Gesetzen, die wie ernste Wächter
im
Hintergrund
stehen,
und
dem
des
schönen Landschafts-Gemäldes
Einbruch
dämonischer
Gewalten
wehren. Dora (macht eine Bewegung).
Heidegger.' Ich bitte, FräuleinSchlözer, unter
brechen Sie mich nicht.. Maser ist eine dieser dämo
nischen Naturen, die, wo sie auch auftreten, Unruhe und Unheil säen, und, wenn man sie gewähren läßt,
in geordneten Vereinen die Unordnung, den Aufruhr, die Revolution heraufbeschwören. Daß wir, die herr schenden Familien in Zürich, fehlerfrei sind, behaupte ich nicht; aber so viel weiß ich, daß, wäre das Re giment in Masers und seines Gleichen Hand, wir, statt langer ungetrübter Sonnenjahre, uns durch stür mische Hagel - und Regenperioden durchzuarbeiten hätten. Kleine Mißbräuche würde das rohe Land volk, käme es zum Einbruch in unsere Verfassung, kleine Mißbräuche würde es auSrotten, aber dagegen die Grundpfeiler unserer vierhundertjährigen Staats ordnung erschüttern, die Zeiten Hans Waldmanns herbeiführen und binnen Kurzem in Schlemmerei und Unfug die mühsam aufgespeicherten Vorrathskammern der Stadt und des Landes leeren. Dora. Und dem allen, Herr Bürgermeister, wäre natürlich vorgebeugt, wenn man einen litera rischen Arbeiter nicht nur auf die Finger schlägt, sondern ihm die Hand abhackt und wo möglich die Zunge ausreißt. Sie können Maser zu Tode schweigen auf eine ganz andere Weise. Seien Sie großmüthig, er wird, beschämt, sich in seine ursprüngliche Dunkelheit zurückziehen; er wird in fremdem Lande sein Unter kommen suchen und finden; Sie und ihre Räthe werden nicht mit dem Fluche eines Gepeinigten be laden ihre Tage beschließen; Maser wird freiwillig, nicht gezwungen, ihrer Milde huldigen, die Gnade für Recht ergehen ließ. Heidegger. Maser uns huldigen? Nun und nimmermehr! Begnadigt, wird er aus dem fernsten Norden, aus Amerika herüber würde er Schmäh-
schristen gegen uns senden und Rache suchen für die erlittene Unbill.
Unschädlich wird er nur,
wenn er
nicht mehr athmet. Dora.
Sie sprechen da ein grausames Wort, sie
sagen das in einer Zeit, wo die Milde in die Gesetz gebung
aller Staaten einen triymphirenden Einzug
hätt; Sie, der Vorstand eines freien Gemeinwesens, sagen das, zwei Jahre kaum nach Voltaires Tode, des gefeierten Predigers der Toleranz; Sie sagen das
in einem Augenblick, wo jenseits des Jurajs und der Vogesen der Urenkel Ludwigs XIV. an TurgotS Hand von eignem Herzen getrieben, die alten Vorurtheile wie Schutt wegräumt, und
Reformen
der
auf dem sonnigen Pfad
einherschreitet;
wo der Oesterreicher
Leopold von Toskana das Schwert des Henkers nicht
mehr aus der verrosteten Scheide ziehen läßt; das
sagen Sie, Heidegger, wenig Meilen von dem Schlacht feld, wo Zwingli für die Bibel fiel, und am Luzerner see jeder Fels, jeder Bergquell von Recht und Freiheit
spricht.
Unmöglich!
Dies Wort kam nur unbedacht
sam von Ihren Lippen, nicht aus Ihrem Kopfe; denn Sie denken, Sie bedenken, Sie können fich nicht ver
hehlen,
daß eine grausame Bestrafung,
an Wafer
vollzogen, Ihren Namen im ganzen gebildeten Europa brandmarkt.
Heidegger.
Jedenfalls geben Sie mir zu, daß
ich gegen Sie wenigstens mit fahre.
einiger Nachsicht ver
Ein Richter, der sich auf legalem Boden weiß
und fühlt, gestattet, im gewöhnlichen Leben, einem — verzeihen Sie den Ausdruck — einem unberufenen An
walt nicht unbedingt das Wort.
Ich ließ Sie reden,
weil mich der Klang Ihrer Stimme mehr als der Sinn Ihrer Worte bezaubert, weil ich mit unverhohle ner Bewunderung der schönen Rednerin lauschte, die schon mehr als einmal auf der öffentlichen Tribüne die Huldigung der ersten Gelehrten und feinsten Kenner der griechischen Eloquenz empfing. Einem Wesen wie Sie gegenüber, mein Fräulein, kenne ich nur ein Gefühl, hege ich nur einen Gedanken: Be wunderung und ehrfürchtige Liebe. Dora (unwillig). Herr Bürgermeister, verschonen
Sie mich! Heidegger. Ich bin Ihnen unangenehm, wider wärtig, und wünschte doch eine ganz andere Empfin dung in Ihnen zu erregen. Traurige, peinliche Lage für mich! Glauben Sie etwa, ich täusche mich über den Eindruck, den ich auf sie mache, über den Ruf,
der meinen Namen schon halb gebrandmarkt zu Ihren Ohren trug? Ich bin für Sie ein ehrgeiziger Egoist,
und jetzt, durch eine unselige Verwickelung, der tyran nische Verfolger eines verläumdeten, verkannten Ta lentes; dies und noch schlimmeres denken Sie von mir: Sie bemühen sich zu mir, doch nur von Seelen angst getrieben; denn Sie klagen sich an als Ur heberin von Masers Unglück. Ihr Mitleid zeigt Ihnen in verklärtem Lichte einen Mann, der im ge wöhnlichen Lebenslaufe unbeachtet von Ihnen wie viele Hunderte geblieben wäre. Ihr unentweihtes Herz hat Ihr Urtheil bestochen. Könnte ich Ihnen nur einen Augenblick meine Gabe des Hellsehens mittheilen, die Schuppen würden Ihnen von den Augen fallen; der Staar wäre gestochen, und Sie würden
die Hand segnen, die an Ihnen die heilsame Operation
vollzog. Dora.
Wohinaus wollen Sie, Herr Heidegger?
Ich will nicht glauben, daß Sie mich aus die Folter spannen, läge nicht in Ihres Busens Hintergrund der
Gedanke: Ja, ich will der Bittstellerin zu Gefallen, und der öffentlichen Meinung zu Liebe, ich will. . .
Heidegger. meinen Sie? dingung.
Dem
stellen,
Fuß
den
Gesetz
Nein, das würde ich unter keiner Be
Aber es
dürste noch ein Ausweg sich als
gut erweisen, welcher das Zürcher Regiment in helles
Licht hinstellte, und für den Beklagten von der Mehr
zahl seiner Richter nur weiße Kugeln in
die Urne
schmuggeln könnte! Dora.
Und das wäre?
Heidegger. Augenblick,
allein,
kühn,
Ich
Ihnen,
werde
bedenken Sie nochmals,
Fürsprecherin Masers,
ein
im
unverschämt
vielleicht
ersten
erscheinen;
daß auch Sie,
kühnes
und
als
gefährliches
Spiel spielen und auf diesem letzten Wurfe alles steht. Je nach Ihrem Ausspruch entscheidet der Zwanziger-
Ausschuß morgen für oder wider Ihren Schützling. Dora.
Sie verstehen es, Herr Großinquisitor,
eine Menschenseele zu foltern.
Ich hoffe,
Sie haben
auch Mittel, die künstlich hervorgerufenen Schmerzen
zu besänftigen und die verschrobenen
Glieder ihres
Opfers wieder einzurichten. Heidegger.
Ich
stehe
hier
in
Zürich
ganz
allein, das heißt, ich habe wohl Collegen, die wie ich
dieselbe Ueberzeugung von der Nothwendigkeit straff angezogener Zügel hegen, und mit mir dieselben Mittel
Aber ich
zur Handhabung des Bestehenden pflegen. sehe
in
die Zukunft;
den alten Fundamenten
auf
möchte ich der Gründer einer neuen
Dinge
werden.
Zürich
trägt
alle
der
Ordnung
Elemente
eines
helvetischen Athens in sich; es läge mir daran, sie zu
sammenzufassen,
denselben eine
geregelte
rechtliche,
Eristenz zu geben, sie mit auswärtigen Kräften zu bereichern, eine Akademie zu gründen, die weit mehr
als
die Genfer,
historischem
auf theologischem,
Boden
in
philosophischem,
Gelehrten
europäischen
der
republik Sitz und Stimme erhielte.
Dora.
Nun, worauf zielt Ihre Andeutung?
Heidegger.
sich
Sollte
nicht
die
gefeierte
Dora Schlözer verstehen, auf diesem gesegneten Punkte des
Schweizerbodens eine
solche
Epoche einzuleiten,
und mich, als den ersten Ihrer Zuhörer, Ihrer Be wunderer, sehen?
Ihrer besten Freunde zu Ihren Füßen zu
Die Uebersiedelung von Dora Schlözer nach
Zürich würde vielleicht, früher oder später, ihren be
rühmten Vater in dieselbe Lage herüberziehen. Jeden falls würde Ihre Gegenwart die ohnlängst im Brief
wechsel Ihres Vaters enthaltenen Andeutungen über das Zürcher Regiment auf ein ganz anderes, beschei denes Maß zurückführen, und das ehrenrührige Pam
phlet Lügen strafen, das durch einen glücklichen Zufall in unsere Hände kam. Dora.
Auch ich ließ Sie ausreden, Herr Bürger
meister, obgleich —
Heideg ger. nicht alles gesagt ,
Um
Vergebung,
was ich
noch
ich
habe
auf dem Herzen trage.
Sie lächeln spöttisch, denn ich weiß, ich fühle es, Sie
8
sprechen mir Gemüth und Herz ab. O ja! Warum sollten Sie nicht? Wird Ihnen doch in Zürichs Mauern jede Frau und Jungfrau sagen: der Bürger meister ist ein guter Geschäftsmann, aber kein Herz schlägt ihm an der linken Seite der Brust. Wissen Sie warum, verehrte Dora? Weil ich nicht zu dem Modekultus mich anwerben ließ; weil ich nicht in das Gewinsel der schäferlichen Liebe Chorus machte; weil mich Geßners erster Schiffer langweilt, und die pomphaften pseudopindarischen Oden des Mesflasdichters mir wie eine Kakophonie in die Ohren gällen. Ich
stehe vereinzelt hier, kann und will mich nicht an das verzärtelte, verzogene Geschlecht ansckließen, und fühle doch in mir denselben Drang, was sag' ick, einen viel, viel größeren Liebesdrang, der wahren Geistesgröße gegenüber, als mir das Volk hier zugesteht. Wenn ich zu Ihnen aufblicke, Dora, dann fühle ich die ganze unwiderstehliche Gewalt einer Seele, worin sich weib
liche Anmuth
mit männlicker Gedankenkraft paart.
(Er will Doras Hand fassen; sie weist ihn unwillig, zurück.)
Dora. Das thut mir leid; ich fühle mick Ihrer männlichen Seele gegenüber ganz anders gestimmt; sie stößt mich ab und lieber würde ich in Sibirien Kollegien lesen, als in Zürich, so lang ick fürchten dürfte, hier dem Manne zu begegnen, der sich Molares Tartüffe ebenbürtig erweist. (Sie entfernt sich rasch) Heidegger (ruft ihr nach) Sie unterzeichnen Wafers Todesurtheil. (Der Vorhang fällt.)
Ende des vierten Actes.
Iiiusirit Itt. Erste Seme. (Das Innere des Wasserthurms
am
Ausfluß der Limmat
aus dem See.)
(Wafer allein; an seinem Holzlager sitzend, den Kopf in beide Hände
gestützt.) Welch zähes Gewächs ist nicht die Hoffnung! mit hundert und abermals hundert Wurzeln klam mert sie sich im Busen fest. Nicht auszurotten ist sie . . . Vor wenig Stunden las ich mein Todes urtheil zum Voraus verzeichnet auf der Stirne der Mehrzahl meiner Rickter; von einem Moment zum andern, ich weiß es, kann es mir verkündet werden; im Gefängniß der Staatsverbrecher und der Mörder bin ich eingekerkert; von hier, aus bestieg HanS Wald mann das Schaffst. Und dennoch hoff' ich, dennoch scheint mir immer noch der Gnadenstrahl, der aus den Aygen Lavaters und Geßners hervorbrach, auf mehr als ein Angesicht der andern Richter unwiderstehlich hinüber zu spielen. — Und wenn ich gestern ausrief: Ich wünsche hier in Doras Nähe zu sterben, so hab'
8*
ich ihr und mir selber gelogen. Nein, ich sterbe nicht gern! Nein! Das Leben, auch fern von ihr, hat noch Reize, wenn es nur der Thätigkeit offen bleibt und hin und wieder ein freundliches flüchtig geschriebenes Wort von ihr wie Morgenthau erfrischt. (Er steht auf und lehnt das Haupt an eine Fensterluke.) Durch die dichten Kerkermauern hindurch vernehm' ich deutlich das An prallen der Limmat! Das liebe, vertrauliche Kosen und Plätschern der Wellen! Das ferne Gemurmel des bewegten See's! Wie oft bin ich in jugendlichem Uebermuth und Frohsinn gedankenlos vorüber geru dert am finstern Wafferthurm! Mich reizte die ma lerische Lage! Das Auge schwelgte beim Hinblick auf die lieblichen Gestade des See's und die Alpen ferne; mein Busen dehnte sich wollüstig in der bal samischen Seeluft, kannte nicht die leiseste Ahnung, daß mir einst beschieden sein könnte, hinter diesen Quadersteinen das Murmeln der Fluthen wie Todes
boten zu vernehmen und qualvoll auf jeden Ruder schlag zu lauschen; denn jeder Augenblick kann den Nachen herbringen, der mich hinüber trägt auf die Planken des Hochgerichts. Ja! ich habe ein verzweifeltes Spiel gespielt! Das Mittelloos genügte mir nicht; ich habe es verschmäht im großen Haufen mich zu verlieren und mit den Brocken von des Reichen Tische zu begnügen. Und zuletzt hat Doras zauberhafte Erscheinung meine Sinne verwirrt, mein Geist in ein unerreichbares paradie sisches Land gelockt, an dessen Eingang der biblische Engel stand mit abwehrendem Flammenschwert! Und noch kann ich den Traum, dem ich so viel,
dem ich alles geopfert, noch kann ich ihn nicht bereuen!
Grabes schweben mir die feen
am Rande des
noch
haften Gestatten vor, die seit Monaten meinen nächt
lichen Schlummer begleiteten und am Tage wie leicht beflügelte
Sylphen
um
trockenen
die
Pergamente
gaukelten. (Wie von einem Gedanken plötzlich ergriffen.)
mente!
Die
Perga
...£)! gegen Landolt,
die Pergamente!
gegen den treuen, nachgiebigen Freund habe ich gefehlt! und für diesen Fehl büße ich hier
...
(Er horcht.)
Nein, ich trüge mich nicht; das ist fürwahr das An
prallen
eines
Thurmes 1
Schiffes
an der eisernen Pforte des
Das ist der Gerichtsbote!
Zweite Scene. Landolt. Maser.
Wafer.
Wie! Du bist es! Landolt! Der treue,
liebe, Harrgeprüfte Freund!
Du hast mich nicht ver
wünscht, hast mir nicht geflucht, störte, daß ich, wenn auch
in mein Unheil hineinzog! Tod oder Leben? . . .
daß ich Deine Ruhe
nur vorübergehend, Dich
Was bringst Du mir?
Daß Du kommst, daß Du
kommen darfst, das ist doch jedenfalls ein Zeichen,
daß Du mir verziehen und dem untergehenden Freunde
noch einmal die Hand zum Troste reichen willst. Landolt.
loren.
Noch ist nicht alle
Hoffnung
ver
Nach vielstündiger Berathung ist das Gericht
zu keinem Entschluß gekommen.
Vor dem Rathhause
versammelt sich eine Volksmenge, wir solche Zürich
seit Jahren nicht gesehen.
Die Landbewohner
Umgegend sind herbeigeströmt.
Gerichtsaales, theilen sich
der
Wie im Innern des
auf dem
Marktplatz
die
Stimmen. Die heftigen, drohenden Männer des Reb-
geländes von Meila uno Stäfa fordern Deine Frei lassung. Die Thoren!
Waser.
Todesurtheil beschleunigen.
Sie werden nur mein
Heidegger und seine Ge
noffen sträuben sich gegen jeden Zwang; nur ein unterthäniges Bitten hätte den starren Sinn des Bür germeisters vielleicht besänftigt. DaS steht eben noch zu wissen! —
Landolt.
Und dann — nur davon ist jetzt die Rede in der Stadt — sind mehrere Briefe an Rathsherren ange langt von Johannes Müller, von Schlözer, vom fran vom Elsässer In
zösischen Gesandten in Solothurn,
tendanten; alle dringen auf milde Behandlung, auf
Nichtanwendung
der
alten
gänzliche Absolution. trische
Funken
der
Penalität,
Unmöglich,
Humanität
auf
daß
nicht
dieser
von
Deine elek
Herz zu
Herzen fortzünde und unwiderstehlich die versammelte
Richterbank erschüttere.
Waser.
Heidegger
schon abzuleiten wissen.
wird
die elektrische
Kette
Er ist ein geschickter Physiker,
und wo es gilt dem Gegner die Kehle zuzuschnüren, ein geübter Gymnastiker.
Seit Jahren setzt er mir
zu; er erdrosselt mich langsam, aber systematisch. Ich möchte den Hoffnungshalm, den Du mir bietest, mit
fester Hand anfassen; aber durch die Finger hindurch
gleitet er mir. — Eine Bitte noch hätte ich an Dich, Landolt.
Landolt.
Was ich kann!
Das Unmögliche,
wenn es sein muß. Maser.
Sei eS, daß ich gefangen hinsieche, sei
es, daß ich — verzeihe, ich kann das schmachvolle Wort nicht aussprechen, — sei es, daß ich falle durch Henkershand, Dora Schlözer wird die Meinen nicht verlaffen. Aber Dora's Leben ist im tiefsten Keime
angegriffen; das sagte mir gestern der erste Blick aus ihre bleichen Wangen. Dora kann ihrem Versprechen vielleicht nicht lange nachkommen. Dann zähle ich auf Dich. L a n d o l t. Du sollst Dich nicht in mir trügen. Ich bin schuldig wie Du, Du hast ein Recht auf mich. Hätte ich Deinen Bitten Widerstand geleistet, Du fügtest Dich dann in das Unvermeidliche; wir hätten Auswege gesucht; wir stünden nicht, Du und ich, an einem bodenlosen Abgrund.
Dritte Seme. Landolt. Äaser. Gertchtsdlener. (Ein Gerichtsdiener tritt herein mit einer Papierrolle in der Hand.)
Gerichtsschreiber.
Heinrich
Maser,
ich
komme.... Maser (unt-rdricht ihn). Ich weiß warum. Zur Sache. Euer Anblick verkündet mir zum Voraus mein Geschick.
Gerichtsschreiber (Heft); „Die Rathscommission der Zwanziger als pein-
liches Halsgericht der Stadt Zürich hier zusammen berufen, heute den 30 Bürgermeister
Mai 1780, durch Herrn
Heidegger,
zur
Abhörung
und
Aburtheilung der gegen Heinrich Wafer, ehema ligen Pfarrer in Kreuz, angebrachten Klagepunkte,
zweckwidrige und ungesetzmäßige Benützung des ge heimen Stadtarchivs,
hochverrätherische
lung aus dessen Convoluten,
Regierungsakten an
Mitthei
Pergamenten und
auswärtige Publizisten und
frevelhaft libellische Aufsätze betreffend; Erwägend,
daß aus dem Bestand der That
sachen und nach Abhörung der Zeugen die Schuld
des
obbenannten
bis zu letzter Evidenz
Wafers
erwiesen; Erwägend, daß der Beklagte nach Bestechung
einiger Wächter durch
Geld und anderwärtiges
Versprechen, einen Fluchtversuch ausgeführt, und nur durch Gewaltmittel von der Ausführung sei nes verbrecherischen Vorsatzes abgehalten worden; Erwägend, daß Beklagter die ihm zur Last
gelegte Beschuldigung keineswegs zu leugnen, und
nicht anders als durch einseitigen Trotz zu beschö nigen sucht und keinerlei Reue manifestirt; Daß also, im Fall einer Liberation, die Wie
derholung gleicher diffamatorischer Schriften vor
ausgesetzt werden darf, dem
Kanton
Zürich,
als was der Stadt und
und
mithin
der
ganzen
schweizerischen Eidgenossenschaft zu großem Scha den in der öffentlichen Meinung gereichen dürfte; Retrospective in Betracht ziehend die frühere Laufbahn des
Beklagten,
als welcher in seiner
pfarrherrlichen Eigenschaft zu Kreuz bereits disia-
matorischer Anschläge überführt und seines Amtes
entsetzt worden; Daß eine andere Anklage, lebensgefährliche Hostienfälschung betreffend, nur auf inständiges Dazwischentreten des Herrn Antistes Lavater nie
dergeschlagen worden; Daß mithin in der vorigen Laufbahn des Be klagten nur agravirende Motive vorliegen und der Totalcharakter obbenannten Masers mit unaus löschlichem Makel behaftet ist;
Daß während dem Verlaufe des Prozesses hi Stadt und Land aufrührerische Bewegungen un verhohlen an den Tag getreten; mithin eine Ein schüchterung des Gerichts versucht worden; Verordnet, nach offener Berathung und gehei
mer Abgabe der Vota, mit zwölf Stimmen gegen acht, daß Heinrich Maser durch das Beil vom Leben zum Tode gebracht werden soll auf öffent lichem Richtplatz." Gegeben im Rathhaus zu Zürich. (Folgen zwanzig Unterschriften)
Maser (der während der Ablesung öftere Zeichen des Unwillens gegeben). Es haben alle unterschrieben? . . . Gerichtsschreiber. So will es das Gesetz. Landolt. Freund, verzweifle nicht. Du hast drei Tage Zeit, zur Berufung an den hohen Rath.
Ich eile nach Solothurn und hole den französischen Geschäftsträger herbei. Gerichtsschreiber. Das Urtheil ist auf der Stelle erekutorisch. Dem Verurtheilten bleiben nur
etliche Stunden,
sich zum Tode zu
bereiten.
Der
hohe Stadtrath, die Störung der öffentlichen Ord nung befürchtend, entsagt seinem Revisionsrechte. L a n d o l t.
Das ist ein Verfassungsbruch.
Ich würde, falls Herr
Gerichtsschreiber.
Kanzler mir das Wort gönnen, an seiner Stelle mich,
wie der nichtwidersprechende Verurtheilte,
dem Aus
spruch der Richter fügen und die schwierige Lage der
Stadt
nicht
unzeilige
durch
Dazwischenkunft
ver
schlimmern. Landolt.
gehrt. Maser.
Ich
habe
Euern
Rath
Laß gut sein, Landolt.
ist beschlossen.
nicht
be
Mein Schicksal
Du sträubst Dich vergebens und ich
bin müd und matt.
Diese letzten Kämpfe um's Da
sein haben auch meine
letzte Kraft
erschöpft.
Laß
mich noch einmal Dank stammeln und Abschied nehmen tEr umschlingt ihn.)
Lebe wohl.
Ich bitte Dich, kein Wort mehr.
(Er drängt den Landolt gegen die Kerkerthüre, der Ge-
richtSdiener, verwirrt, entfernt sich mit dem Kanzler.
Die Expedition deS
Urtheils bleibt auf dem Tische liegen.)
Vierte Scene. Wafer (allein).
Maser
(auf das Papier deutend).
Ich könnte dies un
sinnige Instrument vernichten und meine Entrüstung
auslaffen, zum letztenmal, gegen den Irrwahn.
das nicht.
Auch
Es bleibe dies Urtheil aufbewahrt, ein
sprechendes Zeugniß gegen
die verrotteten Zustände
dieses heuchlerischen republikanischen Regiments.
Ver-
trauesvoll leg1 ich in den Schooß der Zukunft die Erklä rung, vielleicht
die Rechtfertigung meines Handelns.
Auch mir, dem Niedergetretenen, wird einst ein Für
watt, ein Rächer feierlich erscheinen — im Buche der
Geschichte
oder
auf
den
Blättern
geflügelten
der
Dichtung.
Fünfte Scene. (Die Thüre öffnet sich; herein tritt Dora GchlSzer.)
Dora
(bleich
und verstört, macht einige Schritte gegen Maser,
bleibt dann, auf eine Stuhllehne gestützt, vor ihm stehen).
Maser.
besuch!
Ihnen
Man erlaubt
Eine unerwartete Gnade!
herzig und fürchten sich nicht,
den
Abschieds
Sie find barm
den Todeskampf auf
meiner Stirne zu lesen.
Dora. ich schon
Sie sind stark, das weiß ich, das fühle
längst.
Vielleicht
konnte ich Sie retten;
aber eine Rettung um solchen Preis hätten Sie ver
schmäht.
Maser.
Ich weiß nicht, Dora, kam; oder darf
ich Sie verstehen? Dora.
Er sprach Sie frei, wenn ich mich ihm
verkaufen wollte.
Maser. Dora.
Der Verruchte!
Verstehen Sie mich
wohl
— um den
Preis meiner Hand! Maser.
ruchte !
Ich
wiederhole
dennoch:
Der
Ver
Solch ein Opfer, von Ihnen für mich dar
gebracht, ich hätte es errathen; es wäre zur Folterbank
für mich geworden.
Ich hatte ihn ermordet und den
Tod, den gesetzlichen Tod, als Sühne auf mein Haupt heraufbeschworen.
Darf ich Ihnen jetzt, in diesem feier
Dora.
lichen Augenblick, Rückhalt
ich
fühle?
Ohne
Die Welt liegt hinter mir, wie
In
Ihnen.
hinter
gestehen, was
gestehen?
meinen
für
immer
gebleichten
Wangen kann selbst die jungfräuliche Schamröthe nur noch flüchtig aufsteigen, wie ein erlöschendes Abendroth vor der letzten Nacht.
Tode
Mein bester Maser, mein im
Freund,
angetrauter
mir
als
ich
Sie
zum
erstenmale sah in Straßburg, da fühlte ich mich hin gezogen zu Ihnen, unwiderstehlich, wie die Nachtphaläne
zu
dem Lampenlicht.
Leiden
ich
fühlte
Durch
Ihr halbgeoffenbartes
mich Ihnen
verwandt und
doch
daß solche Gefühle in meiner Lage, in
wußte ich,
Ihrer Lage,
ein Unsinn!
Es war ein verhängniß-
Der Lorbeerkranz, den mir Straß
voller Morgen!
burgs Musensöhne
anboten,
erschien
mir
wie
ein
Kranz von künstlichen Immortellen, für meinen Sarg bestimmt.
Sie eilen mir voraus, Maser, und nicht
auf lange! Wafer
(hat ihre Hände ergriffen).
Nicht weiter, Dora!
Warum, am Eingang ins bodenlose Land der Ewig keit, in
warum hier noch
ein verlorenes
diesen Rückblick mir eröffnen
Paradies? * Warum gestern noch
mir die Aussicht versperren
in jene seligen Räume
deS ungetrennten, ungetrübten, reinen Zusammenlebens
auf dieser unreinen Erde? Dora.
Meine Kinderpflicht wollte ich erfüllen
bis ans Ende.
Der Wille ist frei, aber der Körper
nicht; seine Kraft bricht zusammen , wenn der Wille
ihn bemustert, ihm allzuharte Gesetze vorschreibt.
Dies Geständniß,
Maser.
Dora!
Jetzt!
aus Ihrem Munde,
Und welche Zweifel steigen nun wie
düstere Herbstnebel vor mir auf.
betrogen hätten, Dora!
Wenn wir uns doch
Wenn Sie und
ich,
wenn
beide wir uns für ein Phantom der Pflicht geopfert!
Wenn vielleicht ein kühner Entschluß Sie und mich retten konnte!
O der ewige Richter, der ungesehen
über den Wellen, in unberechenbarer Ferne hoch über der Zeit und dem Raume schwebt, er wolle mich nicht
verdammen, wenn in der Abschiedsstunde ich noch zu letzt gegen mein Loos,
gegen Dein Schicksal, Dora,
mich sträube und mich empöre! Nicht um uns in Klagen zu
Dora. bin ich
gekommen.
Ich komme,
zugemessen.
ich,
ergehen,
Die Augenblicke sind uns karg Ihre Wünsche einzuholen,
die unwillkürliche Urheberin Ihres namenlosen
Elends.
So
lassen Sie mich
denn
auch
die Voll
streckerin sein Ihres Vermächtnisses in dieser Todes stunde.
Lassen Sie mich meine Schuld büßen durch
den zermalmenden Anblick Ihres Leidens. Maser.
Ich drücke den Abschiedskuß auf Ihre
Stirne,
tragen Sie ihn über auf die Lippen meines
Kindes.
(Er küßt Sie auf die Stirne.)
Dora
(umfaßt ihn convulsivifch)
Ich
umarme
Dich,
Heinrich, um Deinetwillen, für jetzt und für die Ewigkeit. (Die Thüre öffnet sich : Lavater tritt herein.)
Sechste Scene. Lavater. Dora. Wafer. ein Knie nieder und zieht Hein
Dora (läßt sich vor Lavater auf
Ihren
rich Maser nach sich).
Segen,
Diener
des
Herrn!
Segnen Sie uns, als Verlobte auf Leben und Tod.
Lavater
ftritt ein wenig zurück,
nicht heftig.)
Was
be
wegt Euch, an der Pforte der Ewigkeit stille zu stehen,
und einen Rückblick zu werfen auf die versagten Freu
den dieser Erde?
Ich komme, einen Pilger zu gelei
ten auf seinem letzten Gange, und mit deS Heilands
stärkendem Beispiel zu wappnen für diese letzte Fahrt;
ich komme nicht um Verlobte zu begrüßen und ihre Ringe zu wechseln und ihnen die Worte der Schöpf zuzuflüstern;
ungsgeschichte
ich
komme
als
ernster
Mahner und Tröster und sage zu der Eva-Tochter:
Warum
verführst Du
den zum Tode Geweihten?
Warum lockst Du ihn ab von dem Pfade des Heils? Dora.
Ihren Segen, mein Vater!
Wir sind
dessen nicht unwürdig; auch wenn wir leben sollten,
leben dürften, wäre Entsagung unser Loos. Sie uns für die Ewigkeit!
Segnen
Ich bitte für ihn, für
den Freund an meiner Seite.
Lassen Sie ihm und
mir den Trost, daß wir uns gehören, daß er mein, daß ich sein bin; daß ich vor Gott und der Aelt,
wenn mein Herz nicht bricht, Mutterpflichten erfüllen
darf an seiner Waise. Lavater.
Heinrich Maser! Du hast die Worte
von dieser Jungfrau Lippen vernommen; bist Du einig
mit ihr in See?
und Gemüth?
ihr Deine Vaterpflichten?
Ueberträgst
Du
Soll dies Verlöbniß ein
Bund sein, wie die engelreinen Geschöpfe des Himmels
vor Gottes Throne sich verbinden, so sprich: Ja! und daß er Dir Stab und
Herrn rufen,
ich will zum
Stecken leihe für die nächste Stunde, und Dich der
Hinblick
diese Eva-Tochter nicht wankend mache
auf
in Deinem Entschlüsse, von jetzt an ganz dem Herrn zu athmen und in seinem Namen dem Tod getrost in die hohlen Augen zu schauen.
Maser (schweigt). Du antwortest
Lavater.
nicht?
Du fühlest
Dich nicht stark genug zu rufen mit dem Apostel:
Tod, wo ist dein Stachel!
Maser.
Hölle, wo ist dein Sieg?
Ich hoffe nur,
siehest ....
Doch ein Ja!
wo
Du
glaubst und
darf ich getrost aus
sprechen. Ja! ich habe der Welt und ihrer Lust entsagt, und sollte am Fuße des Schaffots ein Ruf der Be gnadigung ertönen, ich würde nicht umwenden in dem
breiten Heerweg der nichtigen Freuden dieser Welt.
Hast Du, im Hinblick auf den Hei
Laval er.
land und um seinen
Willen,
Deinen Feinden
ver
geben, und nimmst Du die über Dich verhängte Strafe
als eine Buße für Deine anderwärtigen vielfachen Ver gehen? Maser.
Vor Gott bin ich sündig — doch vor
den Menschen . . .
Lav ate r. nem Geiste ...
Auch diese Bewegung merze aus Dei
(Zu Beiden) Reicht Euch zum letzten
mal die Hände! Der Herr segne Euch ! Er lasse sein Angesicht leuchten über Euch, und schenke Euch seinen
Frieden.
Siebente Scene. (Die Thüre öffnet sich; der Gerichtsschreiber erscheint.)
Gerichts schreib er.
Es ist Zeit aufzubrechen.
Ich bin bereit. — Vater bleiben Sie
Maser. bei ihr.
Lavctter.
Der Herr wird
über ihr wachen.
(Sie gehen ab; an der Thüre wirft Maser noch einen Scheide«
Komm'.
blick auf Dora.)
Achte Scene. Dora
(allein).
(Sie steht dem Abgehenden mit starren Augen nach, preßt die Hände krampf haft auf die Brust und sinkt auf einen Stuhl nieder.)
Gott sei gelobt! Dieser Schmerz ist tödtlich. Die
Kraft versagt mir, Ihm auf diesem letzten Wege zu folgen.
Mir fehlt der Stab, den Lavater für den
geopferten Freund erbittet. (Sie naht einer Fenfterluke > Horch! die Ruderschläge!
Der Kahn entfernt sich . . .
(AuS der Ferne tönt ein gedampfter Ehorgesang herüber):
Miserere! miserere mei domine! (Bon der Münsterglocke tönen vereinzelte dumpfe Schläge.)
Dora.
Er ist auf dem Richiplatz angelangt. —
Herr Gott, erbarme dich seiner Seele! erbarme dich
meiner! einem Stuhle.
(Sie sinkt auf die Kniee nieder und verbirgt ihr Gesicht auf Die Thüre öffnet sich und Aenneli tritt herein.)
Neunte Scene. Aeirrrett. Dora. Aenneli
Kommen
(eilt auf Dora zu, beugt sich über sie.)
Sie, Fräulein Dora!
Sie hört nicht. . .
neben ihr nieder und umfaßt sie.)
Fräulein
Viertelstunde noch harren Sie aus!
(Sie läßt sich
Dora!
Nur
eine
Sie wissen, wer
uns zu Hause erwartet. Dora
uns!
(aufspringend).
Aber
Recht!
auf
mich
Der Sohn wartet aus
Ja!
Vater
der
auch!
Du
hast
Komm, nach Hause!
(Sie gehen mit verschränkten Armen
fort.
Die Schläge an der Münster
glocke beginnen wieder und dauern etwa eine Diertelminute fort.)
Das
Theater verwandelt sich.
Zehnte Scene.*) Saal bei Röderer zu Straßburg.
Oberlin
ist das Haus!
(trittherein).
Sonderbar!
Wie verlassen
Niemand tritt mir auf der Stiege,
Niemand im Vorzimmer entgegen.
dies ein großes Zutrauen in
Jedenfalls bezeugt
die Ehrlichkeit sämmt
licher Hausbewohner und der Außenwelt.
Und, wie
mir scheint, Röderer immer noch abwesend. an das Fenster.)
Wenn man aus
(Sr
tritt
dem einsamen Stein-
thale wieder hereinkömmt in die Stadt, wie dock alles bewegt und belebt erscheint auf Straßen und Plätzen!... Allein, ich trüge mich nicht, das ist fürwahr nicht das *) Bei eventueller Aufführung wären die beiden letzten Scenen auszumerzen.
gewöhnliche Aussehen der Gassen, da, gegenüber, eilen
ganze Gruppen,
der Breusch entlang,
Thomäkirche zu.
Und Niemand zu Hause,
die Ursache dieses Treibens angibt. . .
Begräbnißfeier sein.
der mir
Es muß eine
(Man vernimmt die Glocke der Thomaskirche.)
Die Unruhe treibt
Richtig!
auf die St.
mich doch, wissen muß
ich ... .
Letzte Scene. Röderer (tritt ihm entgegen).
Willkommen, zur Rückkehr, Gevatter
Oberlin.
Ich kam,
Hofjuwelier! holen,
nach
gleich
Steinthal.
Ihr
Trauerkleidung? Ihr?
Nachricht von Euch einzu
meiner Nachhausekunft aus dem
antwortet
Ihr
nichts. . . .
ängstigt
mich.
Und Wen
diese
verlort
Wen verlieren wir?
Röderer.
Also, Ihr wißt nichts. . .
Oberlin.
Ich weiß nichts.
Röderer.
So vernehmt denn alles auf einmal.
Maser ist hingerichtet in Zürich.
Sarg
von Dora Schlözer
Ich instradire den
nach Göttingen;
starb ul der Schweiz. Oberlin
(macht eine stumme Bewegung.)
Der Vorhang fällt
Ende des fünften Actes.
Straßburg, Druck von Fr. Wolff — 361
sie