Heimatheer und Revolution 1918: Die militärischen Gewalten im Heimatgebiet zwischen Oktoberreform und Novemberrevolution 9783486826401, 9783486553581


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German Pages 456 Year 1989

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegungen im Reichsgebiet
II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt
III. Militärisch-politische Entscheidungen zwischen dem 8. und 10. November 1918
Schlußbemerkung
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Personenregister
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Heimatheer und Revolution 1918: Die militärischen Gewalten im Heimatgebiet zwischen Oktoberreform und Novemberrevolution
 9783486826401, 9783486553581

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SCHRIFTENREIHE DES M I L I T Ä R G E S C H I C H T L I C H E N

FORSCHUNGSAMTES

BEITRÄGE ZUR MILITÄR- UND KRIEGSGESCHICHTE

H E R A U S G E G E B E N VOM MILITÄRGESCHICHTLICHEN

FORSCHUNGSAMT

23.BAND

DEUTSCHE

VERLAGS-ANSTALT

STUTTGART

HEIMATHEER UND REVOLUTION 1918

Die militärischen Gewalten im Heimatgebiet zwischen Oktoberreform und Novemberrevolution

VON ERNST-HEINRICH SCHMIDT

1981

DEUTSCHE

VERLAGS-ANSTALT

STUTTGART

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schmidt, Ernst-Heinrich: Heimatheer und Revolution 1918 [neunzehnhundertachtzehn] : d. militar. Gewalten im Heimatgebiet zwischen Oktoberreform u. Novemberrevolution / von Ernst-Heinrich Schmidt. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1981. (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte; Bd. 23) ISBN 3-421-06060-6

© 1981 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart Gesetzt aus der Linotype Garamond Antiqua Satz und Druck: Georg Appl, Wemding Printed in Germany I S B N 3 421 06060 6

Inhalt

EINLEITUNG I.

7

MONARCHISCHE STAATSGEWALT GEGEN REVOLUTIONÄRE BEWEGUNGEN IM REICHSGEBIET

11

1. V o r der Revolution 11 a) Die Vorentscheidungen vom 29. O k t o b e r 1 9 1 8 f ü r das Ende des Kaiserreiches 11 b) Die Ersatztruppenteile als verfügbare Machtmittel zur Revolutionsabwehr 16 c) Die außerordentliche Anordnungsbefugnis der Militärbefehlshaber zur „Aufrechterhaltung von R u h e , Ordnung und öffentlicher Sicherheit" . . . 25 d) Die Pläne zur Bildung einer „ S c h u t z w e h r " 27 2. Während der Revolution 41 a) Der unerwartete Gegner: Matrosenrevolte statt „Bolschewistenaufstand" 41 b) Heeresformationen gegen aufständische Matrosen 43 c) Die Ausbreitung der Umsturzbewegung im Ost- und Nordseeküstenbereich 73 d) Von der „ N o r d f r o n t " zur „Festung Berlin" 90 e) Das sogenannte allgemeine Schießverbot für das Heimatheer 109 II. MASSNAHMEN ZUR REVOLUTIONSABWEHR IN DER REICHSHAUPTSTADT

. . 145

1. Die Berliner Kommandostruktur 2. Die planerischen Vorbereitungen der Militärbehörden zur Unterdrückung von Unruhen a) Der Alarmbefehl „Einschließung" b) D e r Alarmbefehl „ S t r e i k a b w e h r " c) Die U-Abteilung als Planungszentrale des Stellvertretenden Generalkommandos des Gardekorps d) D e r Alarmplan „Teilabschnitte besetzen" 3. Die Abschreckungsmittel a) ö f f e n t l i c h e Ankündigung von Zwangsmaßnahmen b) Verschärfter Belagerungszustand und außerordentliche Kriegsgerichte . . . c) Standgerichte 4. Truppeneinsatz im Innern und Schußwaffengebrauch a) Rechtliche Grundlagen zur Anwendung militärischer Gewaltmittel . . . . b) Beschränkungen beim Ordnungseinsatz durch partei-politische Einmischung c) Die „ G e n e r a l p r o b e " der Ordnungskräfte am 27. O k t o b e r 1 9 1 8

145 153 153 155 160 164 167 168 173 181 185 186 189 197

Inhalt

6

5. Die „Direktive N r . 1 5 " des Stellvertretenden Generalkommandos des Gardekorps vom 5. N o v e m b e r 1918 über den Waffengebrauch 6. Die praktischen Vorbereitungen zur Revolutionsabwehr a) Der Schutz der Regierungsgebäude und militärischen Dienststellen . . . . b) Die erste Auslösung von „Streikabwehr" am 4. November 1918 c) Die zweite Auslösung von „Streikabwehr" am 7. November 1918 d) Alarmierung und Aufmarsch der Berliner Garnisontruppen am 8-/9. November 1918 7. Letzte Konflikte um die „Bekämpfungsmaßnahmen" a) Absperrungen und technische Hindernisse b) Verwendung von chemischen Kampfstoffen c) Einsatz der Heeres-Luftstreitkräfte 8. Das Militär als Garant des Systems a) Stärke, Gliederung und Zuverlässigkeit der Truppen in und um Berlin . . . b) Die Offiziere als „ B o l l w e r k der Hohenzollerndynastie" III. MILITÄRISCH-POLITISCHE ENTSCHEIDUNGEN ZWISCHEN DEM 8. UND 10. NOVEMBER 1918

199 209 210 212 214 217 223 223 226 229 241 241 268

301

1. Das Preußische Kriegsministerium wird Kommandobehörde 2. Operationsplanungen der O H L zur „Wiedereroberung der Heimat" mit Feldtruppen 3. D e r preußische Kriegsminister bei Ausübung seiner Kommandobefugnis . . . 4. Erste Verbindungsaufnahme, Kompromisse und Absprachen mit den neuen politischen Gewalten 5. Die Frage des Weiterdienens a) Rückzug aus den Dienstpflichten: Das Beispiel des Generals v. Loewenfeld b) Die Verteidigung des Preußischen Kriegsministeriums c) Zwischen Dienstbereitschaft und Konterrevolution 6. „Königsdiener" oder „Staatsdiener" 7. D e r Beitrag des Preußischen Kriegsministeriums zur Machtsicherung der Mehrheitsozialdemokratie am 9./io. N o v e m b e r 1918

301 306 326 337 351 351 353 357 361 385

SCHLUSSBEMERKUNG

433

Abkürzungen Quellen und Literatur Personenregister

436 440 453

Anlage 1 : Spitzengliederung der Truppen in und um Berlin Anlage 2: Zentralbehörden der Kaiserlichen Marine im Heimatgebiet (Auszug)

. . .

143 144

Einleitung

In den letzten Tagen des Oktober 1918 lösten die Vorgänge bei den deutschen Hochseestreitkräften und die Folgeereignisse im Reichskriegshafen Kiel jene Aufstandsbewegung aus, die im Verlauf einer Woche fast das gesamte Reichsgebiet erfassen sollte und zum Sturz des monarchischen Systems führte. Daß sich die revolutionäre Bewegung überhaupt und dann mit solcher Schnelligkeit erfolgreich durchzusetzen vermochte, ist die notwendige Konsequenz des Umstandes, daß die bewaffnete Macht ihre tradierte innenpolitische Ordnungsfunktion nicht mehr erfüllen konnte, weil nämlich ihre eigenen Angehörigen, Matrosen und Soldaten, die Träger der Bewegung waren und zumeist erst in deren Gefolge die Arbeiter kamen, denen doch nach überkommener Vorstellung die Rolle des Hauptgegners bei einer Revolution zugedacht war. O b diese für das Weiterbestehen des monarchischen Staates katastrophale Entwicklung für die politische und militärische Führung vorhersehbar und damit vermeidbar war, gehört zu den bisher noch nicht näher untersuchten Fragen bei der Erforschung der Novemberrevolution. Daher soll gerade auf diesen Punkt in der folgenden Abhandlung näher eingegangen werden. Des weiteren soll hier festgestellt werden, wieweit die Anfänge und der weitere Verlauf der Aufruhrbewegung abhängig waren vom Verhalten der führenden militärischen Stellen, die im Heimatgebiet für die Aufrechterhaltung der innerstaatlichen Ordnung und öffentlichen Sicherheit verantwortlich waren und hierzu mit den außerordentlichen Vollmachten des Gesetzes über den Belagerungs- resp. Kriegszustand ausgestattet worden waren. Schließlich erschien es dem Verfasser von Interesse, ob mit dem vom Heimatheer nicht verhinderten Einsturz der alten monarchischen Staatsgewalt ein vollständiger Abbruch der über Jahrhunderte aufs engste verflochtenen Beziehungen zwischen der Staatsführung und ihrer bewaffneten Macht verbunden war oder ob Kontinuitäten und wechselseitige Einflußnahme im gegenseitigen Verhältnis von Politik und Militär festzustellen sind, die auch in der frührevolutionären Übergangszeit mitbestimmend wirkten. Infolge des weitgehenden Verlustes der preußischen Heeresakten war der Verfasser vor erschwerte Bedingungen bei der Beschaffung von Quellenmaterial über die preußischen Militärbehörden gestellt, mehr noch vor die Schwierigkeit, dessen in nicht wenigen Fällen nur einmalige Aussagen auf ihre faktische Stichhaltigkeit oder zumindest auf ihre historische Glaubwürdigkeit hin nur bedingt überprüfen zu können. Um aber solche militärischen Entscheidungsprozesse, die zu grundsätzlichen Entschließungen und zu bedeutungsvollen Einzelmaßnahmen führten, überhaupt nachvollziehen zu können, ist es unerläßlich, sich auch auf Darstellungen damaliger Entscheidungsträger und mitbeteiligter Akteure zu stützen. Uber die Problematik, seine Untersuchung streckenweise allein aus solchen Ressourcen nähren zu müssen, ist sich der Verfasser im klaren. Denn stärker noch als der hier verwendeten, gedruckten Memoirenliterarur ist den bald nach dem 9. November 1918 verfaßten, bisher zumeist unveröffentlichten Dienstberichten, Denk-

s

Einleitung

Schriften und Erklärungen ein apologetischer und zugleich auch anklagender Charakter zu eigen, der sich nicht allein damit erklären läßt, daß die jeweiligen Autoren oftmals in polemischer und unreflektierter Weise zu den Phänomenen des Niedergangs des Hohenzollernstaates und zu den Begleiterscheinungen der revolutionären Übergangsphase Stellung beziehen, oder damit, daß sie das Geschehen je nach ihrem politischen Standort, ihrem persönlichen Bildungs- und schließlich auch ihrem dienstlichen Kenntnisstand verschieden beurteilen. Vielmehr wird hier ihr Bemühen deutlich, sich selbst weitgehend von Schuld freizusprechen und stattdessen andere politische und militärische Instanzen, d. h. zugleich auch Angehörige ihres Standes und Kameraden, zu belasten und anteilig für den Zusammenbruch des monarchischen Systems verantwortlich zu machen. Von ihnen unbeabsichtigt wird aber für den späteren Betrachter die Summe ihrer subjektiven Einzelanklagen zu einer objektiven Anklage gegen einen ganzen Stand und Pfeiler des alten Systems. Die damaligen Korrespondenzen, Gegendarstellungen, Pressefehden, privaten und Ehrengerichtsverfahren förderten für den Verfasser eine Fülle von Details zutage, die das Handeln und Unterlassen einzelner Stellen rücksichtslos bloßstellen und damit die in der gängigen Literatur bis heute fehlenden oder bislang nur nachkonstruierten Glieder in der tatsächlichen Ereigniskette liefern. Völlig neuartige Begründungen für den Zusammenbruch des kaiserlichen Deutschlands ließen sich jedoch weder in diesen erstmals erschlossenen Primärquellen noch in den bei der Arbeit zu Rate gezogenen über 400 Veröffentlichungen aus den letzten sechs Jahrzehnten finden, wenngleich bei der Erforschung von Ursachen für das Desaster des ancien régime einige Aspekte hinzugetreten sind und andere eine veränderte Zuordnung oder stärkere Hervorhebung erfahren haben. Die für eine historische Betrachtung problematische Natur des mitverwendeten Quellenmaterials machte es insbesondere bei den Abschnitten, in denen eine mikroskopische Innenansicht militärischer Führungsbereiche und -Verhältnisse geboten werden soll, nötig, eine möglichst große Breite und Dichte des Quellenmaterials zu erreichen, um Widersprüche in den Aussagen aufzulösen und die objektiven Tatsachen aus den zahlreichen, mit Bedacht umschreibenden und geschickt verschleiernden Einzeldarstellungen herauszufiltern. Dabei ist es auch das Ziel des Verfassers, die Ereignisse und Handlungen in den Umsturztagen des „Schutzumschlags" zu entkleiden, in den sie nach Art der kriegswissenschaftlichen Forschung der Zwischenkriegszeit zur Wahrung der Reputation ehemals hochgestellter militärischer Führer, ihres Berufsstandes oder bestimmter Institutionen gehüllt worden waren 1 . ' Als Beispiele seien hier die publizierten Schriften des nachmaligen Chefs der Kriegswissenschaftlichen Abteilung der Marine, V.Adm. Eberhard v. Mantey, aus den 1920er und 30er Jahren genannt, der schon in der intern unter seiner Ägide im Marinearchiv verfaßten „Zusammenstellung der Revolutionsereignisse" (Anfang der 30er Jahre entworfen) und definitiv kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Ausdruck brachte, daß eine eingehende Darstellung der Marinemeutereien u. Revolutionsereignisse (projektierter X X . Band: Der Krieg zur See) die Kaiserliche Marine zu sehr decouvriere u. deshalb nicht geschrieben werde (beide Belege in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4077, P G 64921). Der ehem. Insp. für die Ausbildung u. Erziehung in der Reichsmarine u. damalige O B der Kriegsmarine, A d m . Raeder, ließ Ende 1936 alle greifbaren Exemplare von Major Trowitz' aufschlußreichem Zeitschriftaufsatz über die „Revolution in Kiel" (Anm. I 193) einziehen u. einstampfen (Beleg ebd.). Das vom Reichsarchiv hrsg. Weltkriegswerk führt o. a. Ereignisse in seinem Schlußband in ungewöhnlicher Kürze auf.

Einleitung

9

Nicht unberührt bleiben darf schließlich eine der Hauptfragen zum staatlichen Zusammenbruch, nämlich welche Bereitschaft maßgebliche Repräsentanten und Instanzen im kaiserlichen Deutschland zeigten, für das Fortbestehen des monarchischen Systems einzutreten. Es soll hier aufgezeigt werden, welches Verhalten sie, die als die ersten Vertreter und Wahrer der politischen, soziologischen und ökonomischen Strukturen angesehen wurden, tatsächlich an den Tag legten, als es darauf ankam, persönlich für die bestehende Gesellschaftsordnung zu haften. So wenig der Verfasser das in den unveröffentlichten und in den gedruckten Quellen bereitgehaltene Überangebot an signifikanten Beispielen für das fachliche und persönliche Versagen der berufenen Entscheidungsträger dazu benutzen will, frühere Kontroversen Wiederaufleben zu lassen, gleichsam Ehrengerichtsverfahren erneut aufzurollen, um nun seinerseits „die Verantwortung" zu „verschieben" (Ludendorff) und dabei in einer bestimmten Richtung Bekenntnishistorie zu schreiben, so verfolgt er doch die Absicht, Tatsachen und Zusammenhänge aus der Umbruchsituation aufzuzeigen, die der ehemals weitverbreiteten These widersprechen, „daß ein unentrinnbares Schicksal hereingebrochen war, demgegenüber die Schuldfrage nicht persönlich gestellt werden kann" 2 . Dem Verfasser kommt es darauf an, einige jener Zwangsläufigkeiten bei dem haltlosen Einsturz des Kaiserreichs aufzudecken, die man in der sogenannten bürgerlichen G e schichtsschreibung häufig als unabänderliches tragisches Geschehen bezeichnet hat, die aber nicht nur nach marxistisch-leninistischer Auffassung als geschichtsnotwendige K o n sequenz einer längst angelegten Entwicklung anzusehen sind 3 ; das Bemühen des Verfassers ist es, die Kausalkette von Fehlern und Versäumnissen der im damaligen Deutschland Verantwortlichen nachzuweisen. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das allgemein bei den konservativen Führungsschichten im zu Ende gehenden Kaiserreich zu beobachten ist. In einzelnen Punkten ist es daher unerläßlich, diese Eliten in eine vergleichende Betrachtung miteinzubeziehen, wenngleich die bewaffnete Macht und hier insbesondere das Verhalten der im Heimatgebiet führenden Kommandostellen im Zentrum der Untersuchung stehen.

' So z. B. Brauweiler, S. 12. Unter anderen hielt auch der letzte Chef des Stellv. Genst. der Armee, Gen. d. Inf. Frhr. v. Freytag-Loringhoven, „Anschuldigungen [ . . . ] hinsichtlich des Handelns einzelner in der Heimat" für „unangebracht", da „wir alle der revolutionären Bewegung machtlos gegenüberstanden" (Menschen und Dinge, S. 331). ' Vgl. Walter Ulbricht, Die Novemberrevolution und der Kampf der deutschen Arbeiterklasse in der Nachkriegskrise des deutschen Kapitalismus 1918 bis 1923, in: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1953, Bd I, S. 9/lf.; Marion Einhorn, Zur Rolle der Räte im November und Dezember 1918, in: Z f G , IV. Jg (1956), H . 3, S. 543ff.; Heinz Wohlgemuth, Neue westdeutsche Publikationen zur Novemberrevolution 1918 in Deutschland, in: Z f G , X I V . J g (1966), H. 5, S. 827ff.; Ernst Diehl, Die Bedeutung der Novemberrevolution 1918, in: Z f G , X V I I . Jg(i99), H. 1/2, S. 1 5 f f . , 209H.; Lutz Winckler, Die Novemberrevolution in der Geschichtsschreibung der D D R , in: G W U , 21. J g (1970), S. z 1 6 f f . ; Alexander Decker, Die Novemberrevolution und die Geschichtswissenschaft in der D D R , in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, IO Jß (1974), S. 269ff Hierzu jüngst Wolfgang J. Mommsen, Die deutsche Revolution 1918-1920. Politische Revolution und soziale Protestbewegung, in: Geschichte und Gesellschaft, 4. Jg (1978), H. 3, S. 363 f.

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegungen im Reichsgebiet

i. Vor der Revolution a) Die Vorentscheidungen vom 29. Oktober 1918 für das Ende des Kaiserreiches Am selben Tage, an dem sich bei der politischen und militärischen Führung des kaiserlichen Deutschland die Gewißheit verdichtete, daß die Lage an den Fronten im Süden und Südosten des Reiches infolge des Zusammenbruchs der Bundesgenossen auf weite Sicht aussichtslos geworden war, im Westen nur sehr kurzfristig und, wenn überhaupt, nur durch eine neuerliche allgemeine Rückzugsbewegung gemeistert werden konnte, spielten sich in Berlin und in der Deutschen Bucht jene Vorkommnisse ab, denen die Bedeutung von Vorentscheidungen über das Ende der Hohenzollernmonarchie zukam. Die fluchtartige Entfernung Kaiser Wilhelms II. aus seiner Berliner Residenz und damit zugleich aus der Einflußsphäre seiner verantwortlichen politischen Berater in das Große Hauptquartier „unter die Obhut seiner Generale" (Max Weber) mitten auf dem Höhepunkt des reichsweiten Verlangens nach sofortigem Thronverzicht und Kriegsschluß bedeutete für die heftig widerratende Reichsregierung und zugleich für die erst einen Tag alte parlamentarische Monarchie eine schwere Niederlage und ließ in der politisch erregten Öffentlichkeit die Sorge vor einem Staatsstreich der Krone gegen „Volksregierung" und Reichstag, vor einem Bürgerkrieg, aufkommen. Am selben 29. Oktober führte das von der Flottenleitung geplante, angesichts der politischen und militärischen Gesamtlage jedoch nicht mehr vertretbare Unternehmen der Hochseestreitkräfte zum offenen Ausbruch von Meutereien unter den Marinesoldaten, deren Revolte zum Signal für die Umsturzbewegung des November 1918 wurde. Die Rolle der unmittelbar beteiligten militärischen Gewalten im Kaiserreich bei diesen Ereignissen am historischen Wendepunkt ist in der bisherigen Literatur noch nicht eingehend gewürdigt worden; deshalb soll im folgenden, beginnend mit dem preußischen Kriegsminister und Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet, der alsbald immer stärker von den Folgeerscheinungen der Marinemeutereien auf der Flotte und in Kiel betroffen war, die Mitwirkung dieser Gewalten bei den Geschehnissen zwischen dem 29. Oktober und dem 9. November 1918 im einzelnen untersucht und gewertet werden. In den späten Nachmittagsstunden des 29. Oktober 1918 meldete sich der Chef des Militärkabinetts, Generalmajor Ulrich Frhr. Marschall gen. Greiff, beim preußischen Kriegsminister, Generalleutnant Heinrich Scheüch, dem er von jetzt an unterstellt war 1 . Dieser persönliche Rapport darüber, daß „das Militärkabinett wiederum 2 in die Stellung einer Personalabteilung des Preußischen Kriegsministeriums überführt" 3 wurde, zeigte ' Böhm, Tgb.-Eintr. v. 29. 10. 1918, Hürten/Meyer, S. 50. Durch A . K . O . v. 8. 3. 1883 war dem p r . K M . die Verwaltung der Personalangelegenheiten über die Offiziere des preuß. Kontingents entzogen und dem Chef des Militärkabinetts übertragen worden; vgl. Meisner, Kriegsminister, S. 34 ff. ' Zit. aus Pkt. 4 der von Müller-Meiningen (FVP) gez. „Vorschläge des Untersuchungsausschusses des Interfraktionellen Ausschusses zur verfassungsmäßigen Regelung der Kommandogewalt" v. 1

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung eine u n m i t t e l b a r e A u s w i r k u n g der V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g an, die am T a g e z u v o r das D e u t sche R e i c h aus d e m Status einer h a l b a b s o l u t i s t i s c h g e l e n k t e n , k o n s t i t u t i o n e l l e n in eine M o n a r c h i e , deren R e g i e r u n g allein d e m P a r l a m e n t v e r a n t w o r t l i c h w a r ,

umgewandelt

hatte 4 . D e r D i e n s t v o r t r a g des P e r s o n a l c h e f s w u r d e v o n einem a l a r m i e r e n d e n T e l e f o n a n r u f des R e i c h s k a n z l e r s b e i m K r i e g s m i n i s t e r u n t e r b r o c h e n ' . P r i n z M a x v o n B a d e n w a r eilig u n d mit allem N a c h d r u c k d a r u m b e m ü h t , U n t e r s t ü t z u n g bei P e r s ö n l i c h k e i t e n z u f i n d e n , die u n m i t t e l b a r e n Z u g a n g bei W i l h e l m II. u n d dessen b e s o n d e r e s V e r t r a u e n b e s a ß e n , u m d e n K a i s e r v o n seinem u n v e r m i t t e l t g e f a ß t e n E n t s c h l u ß a b z u b r i n g e n , n o c h a m A b e n d dieses T a g e s die R e i c h s h a u p t s t a d t z u verlassen u n d sich ins G r o ß e H a u p t q u a r t i e r nach S p a z u b e g e b e n . N e b e n seinen b e g r ü n d e t e n p o l i t i s c h e n B e d e n k e n , die p l ö t z l i c h e A b r e i s e w e r d e in einer z u n e h m e n d d u r c h die A b d a n k u n g s f r a g e erregten Ö f f e n t l i c h k e i t den A r g w o h n w e c k e n 6 , d a ß sich d e r K a i s e r unter d e n S c h u t z seiner G e n e r a l e stellen w o l l e u n d eine militärische G e g e n a k t i o n p l a n e 7 , standen die n i c h t m i n d e r b e r e c h t i g t e n B e f ü r c h t u n g e n 8 W i l h e l m s I I . : „ D i e R e g i e r u n g des P r i n z e n M a x v o n B a d e n arbeitete auf S e i n e B e s e i t i g u n g hin, d e m hätte E r in Berlin Sich w e n i g e r entgegenstellen k ö n n e n als inmitten

Seiner

Armee9." D i e „ s c h w e r e n B e d e n k e n " , die d e r K r i e g s m i n i s t e r s o f o r t g e g e n ü b e r M a r s c h a l l

geltend

m a c h t e , i n s b e s o n d e r e d e r E i n w a n d , d a ß „ d i e E n t s c h l ü s s e , die in B e r l i n g e f a ß t w e r d e n m ü ß t e n , eine u n m i t t e l b a r e B e r ü h r u n g mit d e m K a i s e r e r f o r d e r t e n " 1 0 , s t i m m t e n inhaltlich mit d e n A r g u m e n t e n ü b e r e i n , mit d e n e n M a x v o n B a d e n W i l h e l m II. b e d r ä n g t e , in d e r 18. 10. 1918 (abgedr. in Quellen I/2, N r . 81), denen durch A . K . O . v. 28. 10. 1 9 1 8 (Schultheß 1 9 1 8 / I , S. 400; A V B 1 . N r . 57 v. 2. 12. 1 9 1 8 , lfd. N r . 167), korresp. m. Art. 66, Abs. 3 u. 4 geänd. Bism.-Verf. ( R G B l . 1 9 1 8 , S. 1 2 7 4 ^ , Z i f f e r 6), stattgegeben wurde. Offizielle Bestätigung f ü r den 29. 10. 1918 als Beginn des Unterstellungsverhältnisses in: A V B 1 . 1 9 1 8 , 52. J g , N r . 64 v. 7. 12. 1 9 1 8 , lfd. N r . 1 2 7 2 , Abs. 1, Satz 1. 4 Die vom Reichstag am 25. u. 26. 10. 1 9 1 8 beschlossenen Änderungen der Reichsverfassung erlangten nach Zustimmung des Bundesrates am 28. 10. 1918 Gesetzeskraft; sie wurden von einem kaiserlichen Erlaß v. 28. 10. 1918 „begleitet"; Max von Baden, S. 525. 1 Ebd., S. 527; Niemann, Revolution von oben, S. 2 1 5 . 6 Z u r Reaktion in Regierung u. Presse vgl. Max von Baden, S. 527; Wahnschaffe, Der letzte A k t der Kaisertragödie, abgedr. in: Niemann, Revolution von oben, S. 424; „ B e r i c h t " G r ü n a u , ebd., S. 437; Quellen I/2, S. 502f., S. 5 2 1 , N r . 108 A n m . 4 m. weiterführenden L i t . - A n g a b e ; Stutzenberger, S. 1 1 1 f., 122. 7 Vgl. Telegramm des Reichskanzlers v. 30. 10. 1918 an den Kaiser (abgedr. bei M a x von Baden, S. 534f.) u. dessen Reaktion hierauf, vgl. „ A u f z e i c h n u n g " Hintze, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 3 7 1 ; Max von Baden, S. 536. Bestätigung derartiger Verdachtsmomente, vgl. „ A u f z e i c h n u n g " Hintze, Anl. 1, in: Niemann, Revolution von oben, S. 382; „ A u f z e i c h n u n g " Plessen, ebd., S. 366; Schiffer, S. 1 3 7 ; Wilhelm II., Ereignisse, S. 239t. - Z u r „Heimatoperation" siehe Kap. III 2. " Vgl. Max von Baden über - seine zunächst indirekten u. vergeblichen Versuche v. 28. u. 29. 10. 1 9 1 8 , den Kaiser über Hofleute zum freiwilligen Verzicht zu bewegen, ders., S. 5 1 8 f S . ¡ 2 6 ! . Kritik an dieser „MittelspersonenPolitik" bei Keim, S. 89; Delbrück, in: W U A , I V / 4 , S. 1 6 1 ; - seinen danach am 29. 10. 1 9 1 8 gefaßten Entschluß, darüber direkt mit Wilhelm II. zu sprechen (Max von Baden, S. 527, S. 530). Der Kaiser war über derartige Absichten des Regierungschefs informiert, vgl. Niemann, Revolution von oben, S. 2 1 3 f.; „ B e r i c h t " G r ü n a u , ebd., S. 438; Max von Baden, S. 530; Quellen I/2, S. 458; H e r z , S. 3^f. 9 Wilhelm II. am 30. 10. 1 9 1 8 bei seiner A n k u n f t in Spa gegenüber Hintze; vgl. ders., in: Niemann, Revolution von oben, S. 3 7 1 . Max von Baden, S. 528.

i. V o r der R e v o l u t i o n : Vorentscheidungen v o m 29. O k t o b e r 1 9 1 8

Hauptstadt zu bleiben: „Wir gehen jetzt den schwersten Tagen entgegen, da können Eure Majestät nicht abwesend s e i n " ! " Hinter Scheüchs Einwendungen stand jedoch nicht12 eine weiterführende Absicht wie bei dem Regierungschef, den Kaiser in Berlin verfügbar zu halten für den höchstwahrscheinlich unvermeidbaren nächsten Schritt zur Erringung „glaubwürdiger" Friedensverhandlungsfähigkeit und erträglicher Waffenstillstandsbedingungen, nämlich Wilhelm II. die Abdankung nahezulegen 1 '. Die Tatsache, daß der preußische Kriegsminister erst durch den Anruf des auch nicht eingeweihten und deshalb um so peinlicher überraschten Reichskanzlers von dem Vorhaben des Kaisers erfuhr, während der voll informierte und für die Inszenierung dieses Coups mitverantwortliche Marschall' 4 seinem Vorgesetzten erst auf Vorhalt die Nachricht „bestätigte und erläuterte" 1 ', wirft ein bezeichnendes Licht auf die tatsächlichen Machtverhältnisse in dieser erst am Vortage etablierten deutschen parlamentarischen Monarchie: Der durch die Verfassungsreform wesentlich erweiterten Verantwortlichkeit und Kompetenz des Kanzlers wurden hier durch selbstherrliche Erklärung des Kaisers, durch Rat und Handlungen der früher konstitutionell kaum beschränkten alten Machtträger erstmals die Grenzen des politisch Möglichen in einer von Wilhelm II. repräsentierten „Sonderform der deutschen Monarchie" (Redslob) deutlich gesteckt. Die wenig zuvor im Auftrag der Reichsleitung propagierten „Reformen der Volksregierung auf dem Gebiet der inneren Politik"' 6 hatten u. a. „die Unterstellung des Militärkabinetts unter den Kriegsminister und damit ebenfalls die Ausschaltung jedes unverantwortlichen Einflusses" zum Inhalt' 7 . Diese aus der sog. Oktoberverfassung abgeleitete Bestimmung galt primär für den Chef des Militärkabinetts. Generalmajor Frhr. Marschall bestätigte zwar mit seiner formellen Meldung' 8 die verfassungsgemäße Reduzierung einer seit einem halben Jahrhundert „allmächtigen"' 9 Immediatstelle auf die einer Abteilung

" Max von Baden in seinem Telefongespräch mit dem Kaiser am 29. 10. 1 9 1 8 abends; vgl. M a x von B a d e n , S. 528. Z u s t i m m u n g bei K e i m , S. 9 1 . 12

D e r p r . K M . Scheüch hat seit A u f k o m m e n der „ K a i s e r f r a g e " eine Haltung von persönlicher A n h ä n g lichkeit an Wilhelm II. und die H o h e n z o l l e r n d y n a s t i e w i e auch unbedingten Eintretens f ü r die monarchische Staatsform gezeigt, die nach Intensität und D a u e r selbst von den anderen engagiert monarchischen Kabinettskollegen ( G r ö b e r , T r i m b o r n ; E r z b e r g e r s. A n m . III 485) nicht durchgehalten w u r d e . H i e r z u siehe A n m . III 479, 4 8 1 ; S. 3 7 7 H . ' > Max v o n Baden, S. 527, 530. U n t e r dem Eindruck der „sibyllinisch verschleierten W i l s o n n o t e n " (Solf), insbesondere aber auch durch die Berichterstattung der Presse in den feindl. u. neutralen Staaten, der diplomatischen Vertretungen u. der Vertrauensleute der Reichsregierung im A u s l a n d , hatte in K a b i nett, Mehrheitsparteien, Presse u. B e v ö l k e r u n g die U b e r z e u g u n g immer mehr Anhänger g e w o n n e n , daß die Person Wilhelms II. ein Hindernis f ü r den Frieden bedeute, da trotz aller Verfassungsänderungen die Handlungsfreiheit der nunmehr dem Reichstag verantwortlichen Regierung solange infragegestellt bleibe, wie eine fortgesetzte H e r r s c h a f t dieses Kaisers den R ü c k f a l l in das „persönliche R e g i m e n t " einschließen könnte. 14 N i e m a n n , Revolution von oben, S. 2 1 4 ; siehe A n m . I 19. 11 Max von Baden, S. 527. 16 V o n StSekr. E r z b e r g e r am 26. 10. 1 9 1 8 hrsg. „Richtlinien f ü r den Heimatdienst N r . 2 " ; abgedr. in Quellen I/2, N r . 97. Zit. e b d . , S. 3 8 1 . 18 Dieser Meldung Marschalls waren ab Mitte O k t o b e r 1 9 1 8 mehrere Organisationsbesprechungen mit Scheüch vorausgegangen; vgl. B ö h m , T g b . - E i n t r . v. 22. 10. 1 9 1 8 , H ü r t e n / M e y e r , S. 44; Quellen I/2, S. 388. 19 Dieser u. der nachf. Terminus bei Schoenaich, D a m a s k u s , S. D u r c h A . K . O . v. 18. 1. 1861 w a r das Militärkabinett in den R a n g eines „selbständigen I m m e d i a t o r g a n s " gehoben w o r d e n (vgl. Meisner,

I. M o n a r c h i s c h e Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

M

f ü r p e r s ö n l i c h e A n g e l e g e n h e i t e n i m K ö n i g l i c h P r e u ß i s c h e n K r i e g s m i n i s t e r i u m - s e i n e in d e r V e r f a s s u n g n i c h t v o r g e s e h e n e , a b e r a u c h n i c h t v e r b o t e n e E i g e n s c h a f t als e i n e r d e r „höchsten

ratgebenden

Hofbeamten"

vermochte

Marschall

jedoch

ungeschmälert

zu

wahren. A l s G e n e r a l ä la s u i t e S e i n e r M a j e s t ä t h a t t e er a m M i t t a g d e s 2 9 . O k t o b e r 1 9 1 8 im N e u e n Palais

dem

militärischen

Hauptvortrag

beigewohnt20,

bereits

zu

diesem

Zeitpunkt21

K e n n t n i s v o n d e r F o r d e r u n g S c h e i d e m a n n s auf A b d a n k u n g d e s K a i s e r s 2 2 u n d g e m e i n s a m m i t d e m D i e n s t t u e n d e n G e n e r a l a d j u t a n t e n v . P l e s s e n d i e A b s i c h t z u r R e i s e W i l h e l m s II. nach Spa mit d e m politischen Z w e c k v e r b u n d e n , „ d e n Kaiser den Berliner Einflüssen zu e n t z i e h e n , d e n e n e r auf d i e D a u e r n i c h t s t a n d h a l t e n w ü r d e " ; d e n n g e r a d e a u c h i n n e r h a l b des militärischen G e f o l g e s hatte die B e s o r g n i s vorgeherrscht, daß „ d e r Kaiser unter der e i n s e i t i g e n E i n w i r k u n g d e r R e g i e r u n g s i c h m ö g l i c h e r w e i s e v o r e i l i g z u e i n e m V e r z i c h t auf d e n T h r o n b e r e i t f i n d e n lassen w ü r d e " 2 5 . Wenn Max

v o n Baden im weiteren Z u s a m m e n h a n g 2 *

v o n seiner damaligen

Annahme

berichtet, d a ß die K r ä f t e , w e l c h e die E n t f e r n u n g des Kaisers aus Berlin betrieben

und

d u r c h g e s e t z t Watten, d e n „ i l l o y a l e n V e r s u c h " u n t e r n o m m e n h ä t t e n , d e n K a i s e r s e i n e m R a t z u e n t z i e h e n 2 ' , s o t r i f f t d i e s e r V o r w u r f in d o p p e l t e r H i n s i c h t d e n V o r t r a g e n d e n G e n e r a l adjutanten

im persönlichen

Dienste

Seiner Majestät26,

Generalmajor Frhr.

Marschall.

D i e s e r m a c h t e , a u s g e s t a t t e t m i t d e n V o r t e i l e n d e r a k t u e l l e n N a c h r i c h t e n k e n n t n i s s e bei H o f e u n d d e n u n k o n t r o l l i e r t e n E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t e n d e r G e n e r a l a d j u t a n t u r auf d i e k a i serlichen E n t s c h l i e ß u n g e n , v o n b e i d e m r i c h t u n g w e i s e n d e n - u n d , w i e sich herausstellen

Kriegsminister, S. 5, 24); erst die A . K . O . v. 8. 3. 1883 „besiegelte die völlige E m a n z i p a t i o n des Militärkabinetts v o m K r i e g s m i n i s t e r i u m " (ebd., S. 3 4 f f . ) . S c h m i d t - B ü c k e b u r g macht S. 292 f. zu Recht auf die „gleichzeitige S t e l l u n g " G e n . M a j . v. Marschalls als C h e f des dem Kriegsminister unterstellten Militärkabinetts u. als „ V o r t r a g e n d e r Generaladjutant im persönlichen Dienste Seiner M a j e s t ä t " a u f m e r k s a m , behauptet aber ohne k o n k r e t e Belegstelle, daß d e r C h e f des Militärkabinetts im Z u g e der Verfassungsänderungen „ n i c h t e t w a A b t e i l u n g s d i r e k t o r [sie!] des K r . M s . w u r d e " , zumal auch „ d e r Kriegsminister nicht w o l l t e , daß w i e d e r eine A b t e i l u n g f ü r die persönlichen Angelegenheiten im Kriegsministerium e n t s t a n d . " A b g e s e h e n v o n der Tatsache, daß die A . f . d . p . A . trotz der A . K . O . v. 8. 3. 1883 nach wie vor „ a u f d e m Etat des Kriegsministers stand, etatrechtlich noch immer dessen Personalabteilung w a r " (Zit. M e i s n e r , K r i e g s m i n i s t e r , S. 9 1 ; vgl. Schoenaich, D a m a s k u s , S. 69), lassen selbst die durch die Vorläuf i g e V e r f ü g u n g v. 2. 1 1 . 1 9 1 8 (siehe A n m . I 26) f ü r den C h e f des Militärkabinetts erstaunlich großzügig geregelten besonderen Dienstobliegenheiten f ü r die K r o n e keinen Z w e i f e l , daß dem neuerdings dem pr. K M . unterstellten V e r w a l t e r dieser über die V e r f a s s u n g s r e f o r m e n geretteten Reste einer ehemals umfassenden monarchischen Prärogative auf d e m Personalsektor n u r m e h r der faktische Stellenwert eines D e p a r t e m e n t s d i r e k t o r s z u k a m . D i e „ W i e d e r u n t e r s t e l l u n g des Personalwesens unter den preußischen K r i e g s m i n i s t e r " bedeutete tatsächlich die „ W i e d e r h e r s t e l l u n g der ministeriellen Zuständigkeit an ihrem schwersten V e r l u s t p u n k t e " ( M e i s n e r , Kriegsminister, S. 9 1 ) - die G e f a h r e n der zweiseitigen V e r p f l i c h t u n g des C h e f s des Militärkabinetts w a r e n hierdurch jedoch nicht gebannt. 20 N i e m a n n , R e v o l u t i o n von o b e n , S. 2 1 4 . " „ B e r i c h t " G r ü n a u , ebd., S. 438. " V g l . diesen Z u s a m m e n h a n g mit w e i t e r f ü h r e n d e r Literatur in Q u e l l e n I/2, N r . 1 1 1 , insbes. A n m . 9; Stutzenberger, S. 1 0 5 f f . ; u o f . N a c h der U n t e r r e d u n g mit Marschall, von G r ü n a u berichtet; siehe A n m . I 2 1 . u Z u r Mitbeteiligung H i n d e n b u r g s vgl. Sauer, D a s Scheitern der parlamentarischen M o n a r c h i e , S. 83; R a k e n i u s , S. 3 4 f f . B e i d e V e r f . zogen nicht die eindeutige Ä u ß e r u n g H i n d e n b u r g s v 2. 1 1 . 1 9 1 8 über seine „ S o r g e f ü r den K a i s e r " heran ( E b e r h a r d t , K r i e g s e r i n n e r u n g e n , S. 270). 15 M a x von B a d e n , S. 529. 16 D i e n s t p o s t e n b e s c h r e i b u n g des C h e f s des Militärkabinetts It. V o r l ä u f i g e r V e r f ü g u n g v. 2. 1 1 . 1 9 1 8 in: A c t a des K ö n i g l i c h e n Militärkabinetts II. I. 10, vol. 2, Bl. 187, abgedr. bei S c h m i d t - B ü c k e b u r g , S. 293.

i. Vor der Revolution: Vorentscheidungen vom 29. Oktober 1918

15

sollte, auch verhängnisvollen - Gebrauch, hierbei der verpflichtenden Bindung dienstlicher Unterstellung und persönlicher Loyalität gegenüber dem parlamentarisch verantwortlichen Kriegsminister nicht achtend. General Scheüch wahrte als Angehöriger des Gesamtkabinetts die gebotene Solidarität mit dem Regierungschef, indem er dessen erkennbarem Kurs beipflichtete. Die Zusicherung, die Marschall gleichzeitig dem Kriegsminister und dem Reichskanzler gab, daß der Kaiser sofort zurückkehren werde 2 7 , ist infolge der entgegenlaufenden Absichten Wilhelms II. und der sich überstürzenden politischen Entwicklung nicht eingelöst worden. Weder der nachdrückliche Widerspruch des Reichskanzlers noch die „schweren Bedenk e n " des preußischen Kriegsministers haben diese sogenannte Flucht nach Varennes 1 ® verhindern können, hinter der eine einflußreiche Presse und breite Bevölkerungsschichten das Vorspiel zu einer von Wilhelm II. geplanten Militärdiktatur vermuteten und weiterhin befürchteten, daß hieraus möglicherweise ein Bürgerkrieg erwachsen könnte. D e r scharfe Akzent, den schon im N o v e m b e r 1 9 1 8 ein politisch engagierter und unmittelbar betroffener Zeitgenosse auf das Mehr-Als-Tatsächliche an diesem geschichtlichen V o r g a n g setzte, daß nämlich Wilhelm II. „durch Desertion aus der Hauptstadt und Spielen mit dem Staatsstreich die Revolution geradezu provoziert" 2 9 habe, hat inzwischen die notwendige differenzierende A b s c h w ä c h u n g erfahren. Tatsächlich zeitigte das negative Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen von Kanzler und Kriegsminister, den Kaiser nicht unter spektakulären Umständen „in der A t m o sphäre des Hauptquartiers" 5 0 unter unerwünschtem und unkontrollierbarem Einfluß zu wissen, innerhalb der nächsten zehn T a g e irreparable und in solcher Tragweite vorher nicht 3 ' abzusehende Folgewirkungen: Mit seiner „ F l u c h t aus B e r l i n " ' 2 durchkreuzte der

*7 Max von Baden, S. 528. An anderer Stelle war von „ein paar Tagen" (vgl. „Bericht" Granau, in: Niemann, Revolution von oben, S. 437 u. 438) resp. „drei Tagen" (ebd., S. 215) die Rede. *8 So Wahnschaffe, in: Niemann, Revolution von oben, S. 424, siehe Anm. I 6. Nachweise für die zunehmenden Besorgnisse der Politiker: Dove, Ebert, Junck (5. 1 1 . 1918), vgl. Quellen I/2, S. J22f.; David (8. 1 1 . 1918), ebd., S. 598. Mit verharmlosender Tendenz vgl. Stutzenberger, S. 1 1 1 f. 19 Sauer, Das Scheitern der parlamentarischen Monarchie, setzt sich S. 89 mit diesem Urteil Max Webers auseinander. ,0 Formulierung bei Max von Baden, S. 531. »' Daß sich Scheüch schließlich mit der dem Regierungschef unverzüglich berichteten Zusicherung Marschalls abfand, „daß der Kaiser sofort zurückkehren würde" (ebd., S. 528), hat - gemessen an den ausführlichen Berichten über die Vorgänge am 29. 10. 1918 abends - keine sofortigen Bedenken oder gar einen Tadel des Reichskanzlers in der Richtung ausgelöst, daß ihm „der Kriegsminister die Schnelligkeit zu unterschätzen schien, mit der sich die Ereignisse entwickeln konnten" (ebd., S. 528). Diese 1927 niedergeschriebene Unterstellung des Prinzen Max erinnert an in der Memoirenliteratur häufiger anzutreffende Nachtragsweisheiten. Formulierung Solfs in seinem Brief vom 23. 1. 1919 an Hammann, abgedr. bei Hammann, S. 135f.; ebenso Haußmann am 9. 1 1 . 1918, vgl. Quellen I/2, S. 632. Den Eindruck, daß „der Kaiser fluchtartig die Hauptstadt verließ", hatte auch Haeften, der nach eigener „Vermutung" an der Herbeiführung des von Wilhelm II. eilig getroffenen Entschlusses zur Abreise ins Gr.H.Qu. mittelbar beteiligt war. Vgl. N1 v. Haeften, „Erlebnisse 1918", Bd 3, in: B A - M A , N 35/5, fol. 226. Auch Adm. v. Hipper vermerkte, „daß der Kaiser aus Berlin weg ist und sich ins Hauptquartier verkrochen hat", sei „sehr schlimm," mache einen „ganz schlechten Eindruck" und „schade [ . . . ] ungemein"; N1 v. Hipper, I2 B A - M A , N 162/9, > Tgb.-Eintr. v. 2. 1 1 . 1918. Ähnlich konstatiert Payer, S. 120, daß sich Wilhelm II. „den Ratschlägen des Reichskanzlers Prinzen Max in der Stunde, da er des guten Rats am bedürftigsten war, durch seine fluchtartige Entfernung aus der Reichshauptstadt in das Große Hauptquartier entzogen" habe. Nach Müller-Franken, S. 21 f., hat

i6

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Kaiser die auf seinen freiwilligen T h r o n v e r z i c h t gerichtete Politik seines R e i c h s k a n z l e r s " und verlieh dem seit der dritten W i l s o n - N o t e im V o l k immer heftiger vorgebrachten A b d a n k u n g s b e g e h r e n einen weiteren A u f t r i e b . H i e r d u r c h erhielt eine zunächst nur gegen die Persönlichkeit Wilhelms II. gerichtete, eher passiv-lethargische als kämpferische Stimm u n g im L a n d e erst jenen aggressiven Charakter einer antimonarchischen revolutionären M a s s e n b e w e g u n g ' 4 . E s kam zu einer A r t abrupten U m s c h l a g s im „innenpolitischen A g g r e g a t z u s t a n d " 3 i , der nur noch der gewaltsamen Initialzündung bedurfte, um politisch explosiv zu wirken. Diesen A n s t o ß lieferte die Revolte der Kieler Matrosen. Sie brach am gleichen T a g e , aber unabhängig v o n den oben dargestellten Ereignissen aus u n d sollte infolge ihrer beispielgebenden, schließlich umstürzlerischen W i r k u n g alsbald im Z e n t r u m aller Überlegungen des preußischen

Kriegsministers

als dem

Obermilitärbefehlshaber

im

Heimatgebiet

stehen.

b) Die Ersatztruppenteile

als verfügbare

Machtmittel

zur

Revolutionsabwehr

U n t e r d e m seit dem S o m m e r 1 9 1 8 angesichts der sich abzeichnenden militärischen N i e derlage allenthalben bemerkbaren „ S t i m m u n g s n i e d e r b r u c h " 5 6 hatte eine rasch a n w a c h sende S t r ö m u n g innerhalb der deutschen B e v ö l k e r u n g den A u s w e g aus der bedrückenden persönlichen und politischen Situation in der immer dringlicher geforderten Beendigung

die „Flucht Wilhelms II. - angeblich aus Furcht vor Grippe - ins Große Hauptquartier - [ . . . ] einer radikalen Lösung geradezu den Weg gewiesen". Nach Bernstein, S. 21 u. 24, „verschwand Wilhelm II. schleunigst ins Hauptquartier, wo er sich gesichert glaubte". Zu dem „verhängnisvollen Schritt" des Kaisers aufgrund eines „üblen Rats" vgl. auch Rosen III/IV, S. 215. " Nach der Beurteilung durch Max von Baden, vgl. ders., S. 5 3 1 ; vgl. auch Obkircher, S. 3 2 j f . Vgl. Anm. I 8. 54 Booms bezeichnet zutreffend „Kriegsmüdigkeit, Kriegsverdrossenheit und Erbitterung gegen das kaiserliche Regime [ . . . ] und seine herrschenden Kreise" als „die bedeutsamsten Bewußtseinshaltungen im deutschen V o l k " (S. 591). In Verbindung mit der „an der Ungeduld des Wartens auf den Waffenstillstand aufsteigenden Nervenkrisis" (S. 592) kulminierte sie in dem Moment zur Umsturzbereitschaft, als Ende Oktober mit der „überraschenden Rückkehr des Kaisers ins Große Hauptquartier und der erneuten Rekrutierungskampagne" (S. 601) - und durch andere Indizien - „die nervöse Besorgnis des Volkes, die alten Mächte im Staate könnten doch noch [ . . . ] den Krieg fortsetzen wollen, die Radikalisierung vorwärtsgetrieben wurde". Das „immer hektischer werdende Kriegsschlußverlangen", die „Hysterie des Friedenstrends" hätten in der rechtzeitigen Beseitigung „selbst vermeintlicher Hindernisse" (S. 602) - also des Kaisers - ihr Hauptanliegen gesehen. Uber das „Anwachsen von Irrationalismus und Verzweiflung" u. die „zeitweilige seelische Störung" in der Bevölkerung vgl. auch Snell, S. 2 i 4 f . , u. Metzmacher, S. I36ff., 2$9ff. " Kocka hat S. 13 5 f. darauf aufmerksam gemacht, daß spätestens ab Herbst 1918 die psychologische Lage der Nation nicht allein von „Kriegsmüdigkeit, Friedenssehnsucht und Niederlage" bestimmt war, sondern sich der bis dahin nurmehr mühsam konservierte Zustand im Innern schließlich als gouvememental nicht mehr beherrschbar erwies, weil die „beispiellose Not der Kriegs- und BlockadeSituation", „die staatliche Erfolgslosigkeit" im expandierenden Verwaltungsbereich, die „wachsenden Belastungen und Pressionen einzudämmen", und „seine politische Unfähigkeit, bestimmte Reformen durchzusetzen," als Reaktion in der Bevölkerung nicht mehr nur bloße „Staatsverdrossenheit und Verwaltungskritik" hervorriefen, sondern sich in massivem „antistaatlichen Ressentiment und antibürokratischem Protest" äußerten. >' Terminus des Hptm. d. Res. Prof. Dr. Hermelink, Unterrichtsoffizier des Stellv. Gen.Kdo. XIII. A . K . in seiner „Aufzeichnung" vom 16.9. 1918 über die „Stimmung im Lande", abgedr. in: Quellen II, 1 /II, Nr. 365. Siehe auch Metzmacher, S. 145.

i. V o r der R e v o l u t i o n : Ersatztruppenteile als v e r f ü g b a r e Machtmittel

des Krieges gesehen. Tatsächlicher oder vermeintlicher Widerstand der alten Machteliten und der Reichsregierung gegen das schließlich bedingungslose Friedensbegehren verbreiterte die Massenbasis einer bislang unbedeutenden 37 und von der Regierung kontrollierten3® politischen Bewegung, deren Verfechter sich nun 39 anschickten, die Schwelle von latenter Umsturzgeneigtheit zur entschlossenen Revolutionsbereitschaft zu überschreiten. Ließen sich die Anzeichen drohenden Umsturzes in der Provinz vielleicht noch als „antimonarchisches Gerede" oder „Spielen mit der Revolution" 4 0 abtun, so hatten sie sich zum gleichen Zeitpunkt für viele Bürger in der politisch hoch gespannten Atmosphäre der Reichshauptstadt bereits zu der nahezu schon greifbaren Gewißheit verdichtet, „einer Revolution außerordentlich nahe" zu sein 4 '. Aufgrund schonungsloser Meldungen der Stellvertretenden Generalkommandos über die psychologische Verfassung der Bevölkerung 42 und in der Erkenntnis, „daß ein Versagen der seelischen Widerstandskräfte im jetzigen Augenblick den Untergang Deutschlands bedeutet" 43 , hatte das Preußische Kriegsministerium erstmals im September 1918 auf die dringliche Einleitung einer Aufklärungskampagne in den Korpsbereichen hingewirkt 44 . Die im gleichen Zeitraum nach Umfang und agitatorischer Schärfe erheblich gesteigerte Aktivität der radikalen Sozialisten, die den verhaßten monarchischen Obrigkeitsstaat durch eine Serie von öffentlichen Massendemonstrationen, Generalstreiks und örtlichen Aufruhrbewegungen zu erschüttern und unter einer allgemeinen Umsturzwelle zu begraben trachteten 45 , wurde von den Sicherheitsorganen hinsichtlich ihrer augenblicklichen revolutionären Potenz ebenso zutreffend beurteilt, wie auch ihre Entfaltungsmöglichkeiten zu einer unvermittelten, dabei sprunghaft ausweitbaren Wirksamkeit nicht unterschätzt wurden 46 . Daß sie einer solchen vielleicht dicht bevorstehenden und spontan anbrechenden Wende nur mit höchst unzulänglichen Ordnungskräften begegnen konnten, erschien den obersten Polizeibehörden, Regierungspräsidenten und Innenministerien als besonders be-

17

T o n n i n , S. 3 5 , A n m . 4, schätzt den aktiven Kern der S p a r t a k u s g r u p p e / G r u p p e Internationale auf höchstens 1000 Personen. >8 K o l b , Arbeiterräte, S. 4 9 f f . ; P e t z o l d , D e r 9. N o v e m b e r in Berlin, S. 9 (Peters), S. 1 1 ( P f e i f f e r ) ; V o r wärts und nicht vergessen, S. 273 (Franke). " Z u den nächsten „ K a m p f z i e l e n " der linken Sozialisten im O k t o b e r 1 9 1 8 vgl. K o l b , Arbeiterräte, S. 5 2 f . Z u r M a s s e n w i r k s a m k e i t ihrer Parolen vgl. B o o m s , S. 587, 603. 40 Siehe A n m . I 3 6 ; A r c h . Forsch. 4 / I V , S. 1 6 7 8 . 41 A u s dem Bericht der W a h l r e c h t s k o m m i s s i o n des Preuß. H e r r e n h a u s e s von A n f a n g September 1 9 1 8 , zit. bei W e r m u t h , S. 409. Ä h n l i c h e Sentenz im Monatsbericht des Stellv. G e n . K d o . V I I I . A . K . (Rheinp r o v i n z ) , a u s z u g s w . abgedr. bei K l e i n , S. 2 3 , A n m . 3 1 . 41 Vgl. Q u e l l e n I I , 1 / I I , N r . 469; 3 6 5 ; 4 7 2 , 1. A b s . ; „ Z u s a m m e n s t e l l u n g der M o n a t s b e r i c h t e der stellvertretenden G e n e r a l k o m m a n d o s " als letzter Bericht des Pr. K M . am 15. 10. 1 9 1 8 hrsg.; a u s z u g s w . abgedr. bei Klein, S. 2 2 f . , A n m . 3 1 . 41 Zit. aus Schreiben des pr. K M . , G e n . d. A r t . v. Stein, an die Stellv. K o m . G e n . v. 18. 9. 1 9 1 8 , abgedr. in: Quellen II, i / I I , N r . 366. 44 A u c h die beiden anderen obersten Militärbehörden des R e i c h e s , das unter der D i r e k t i v e der O H L stehende Kriegspresseamt (3. 9. 1 9 1 8 ) und der A d m i r a l s t a b (27. 9. 1 9 1 8 ) , bemühten sich u n g e f ä h r zeitgleich mit dem Pr. K M . um die Intensivierung der P r o p a g a n d a angesichts der niederziehenden Kriegslage; vgl. Quellen II, 1 /II, N r . 366, A n m . 3 u. 4. 41

4t

Vgl. A r c h . F o r s c h . 4 / I V , D o k . N r . 687, 6 9 1 , 695, 697, 704, 7 1 0 - 7 1 6 , 7 1 8 , 7 2 5 , 7 3 9 , 742, 7 5 0 , 7 5 1 , 759, 760, 7 6 5 , 787. Siehe auch A n m . II 366. V g l . ebd., D o k . N r . 685, 7 1 7 , 7 2 4 , 7 2 9 , 7 4 7 , 748, 757, 7 5 8 , 7 6 4 ; M e t z m a c h e r , S. 1 5 2 f 2 1 5 .

lg

I. M o n a r c h i s c h e Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

drohlich, zu deren Aufsichts- und Exekutivbereich Industriegebiete gehörten, da dort die notleidende Bevölkerung von der politischen U n r u h e am meisten erfaßt war 4 7 . Alle H i l f s ersuchen, die ab Mitte O k t o b e r 1 9 1 8 in immer dringlicherer F o r m von den Spitzen der kommunalen und Landesbehörden an die Militärbefehlshaber gerichtet wurden, hatten den gleichen T e n o r , „ d a ß sich die Polizeibehörden mit aller Tatkraft f ü r die möglicherweise bevorstehenden unruhigen Zeiten zu rüsten hätten, daß sie sich aber bei aller Vervollkommnung in dieser Hinsicht der Grenzen ihrer Macht und Leistungsfähigkeit ohne Selbsttäuschung bewußt seien und daß das ausschlaggebende Gewicht bei Unterdrückung bevorstehender Unruhen in den Händen der Stellvertretenden Generalkommandos liege, die sich in jeder Weise hierauf einzurichten hätten" 4 8 . Von den Militärbefehlshabern wurde die Aufstellung besonderer Truppenkörper verlangt, deren Schlagkraft und Beweglichkeit durch reichliche Ausstattung mit schweren W a f f e n , Maschinengewehren und Lastkraftwagen sowie durch Zuteilung von Panzerautos und Flugzeugen erhöht werden sollte. Als erste Maßnahme sollten unverzüglich „unter dem Deckmantel erhöhter Fliegergefahr entsprechende A b w e h r k o m m a n d o s in die Großstädte gesandt" werden und damit der „erforderliche Schutz gegen bolschewistische Umtriebe und Putsche sofort g e w ä h r t " werden. Angesichts ihrer eigenen unzulänglichen „Unterdrückungsmittel" und in vollkommener Uberschätzung der den Befehlshabern zu G e b o t e stehenden militärischen Ressourcen verstiegen sich die zivilen Antragsteller zu der Ansicht, daß solche T r u p p e n „ i n größerem A u f g e b o t unter guter zuverlässiger Leitung überall in kürzester Frist zur V e r f ü g u n g " gestellt werden könnten 4 9 . Bei dem Ernst der Lage hätte die Reaktion der Militärbefehlshaber in deutlichem Eingestehen der Grenzen ihrer augenblicklichen Einwirkungsmöglichkeiten bestehen müssen. Stattdessen verschleierte beispielsweise der für die „Aufrechterhaltung von Ruhe, O r d nung und öffentlicher Sicherheit"' 0 im rheinisch-westfälischen Industrierevier verantwortliche Stellvertretende Kommandierende General, General d.Inf. Frhr. v. G a y l , noch am 2. N o v e m b e r 1 9 1 8 die Tatsache der eigenen Machtlosigkeit: Die Aufstellung zuverlässiger Ordnungstruppen aus dem Ersatzheer werde sich „ s o rasch w o h l nicht [ . . . ] durchführen lassen, doch solle nach Möglichkeit dafür gesorgt w e r d e n " ' ' . In Wirklichkeit w a r es um die Einsatzbereitschaft der bewaffneten Macht, über welche die Militärbefehlshaber derzeit verfügen konnten, schlecht bestellt. Mit der von der O H L zu A n f a n g 1 9 1 8 ausgegebenen Parole „ F r i e d e und Sieg in diesem J a h r e " ' 2 waren die Anstrengungen des schon erschöpften Reiches noch einmal aufs äußerste gesteigert w o r den. So waren nicht nur f ü r die strategisch verfehlten Frühjahrsoffensiven, sondern auch

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Vgl. ebd., D o k . N r . 709, 7 4 3 , 747, 766, 7 7 3 ; W e r m u t h , S . 4 1 1 ; M e t z m a c h e r , S. 1 3 6 f f . , 2 5 9 f f . , 265. Zit. aus A r c h . F o r s c h . 4 / I V , D o k . N r . 709. 49 Z u dieser „ W u n s c h l i s t e " verschiedener ziviler E x e k u t i v b e h ö r d e n vgl. ebd., S. 1606, 1 6 7 3 , 1 7 1 5 , 1 7 3 0 ; Zit. S. 1 7 3 0 . E i n seltenes Beispiel von realistischer E i n s c h ä t z u n g militärischer Möglichkeiten und der tatkräftigen E i g e n h i l f e bot der D ü s s e l d o r f e r Polizeidezernent; siehe A n m . I 6 3 0 ff. 10 T e r m i n u s aus dem preußischen G e s e t z über den B e l a g e r u n g s z u s t a n d v. 4. 6. 1 8 5 1 ( p r . B e l . Z . G e s . ) , vgl. G e s e t z - S a m m l u n g f ü r die K ö n i g l i c h e n Preußischen Staaten 1 8 5 1 , S. 4 5 1 f f . ; H u b e r , D o k u m e n t e II, N r . 1 6 , bestätigt durch die kaiserl. V O . v. 3 1 . 7. 1 9 1 4 ( R G B l . 1 9 1 4 , S. 263) über das A n o r d n u n g s r e c h t der Militärbefehlshaber w ä h r e n d des Kriegszustandes. 51 Z i t . aus A r c h . F o r s c h . 4 / I V , S. 1 7 3 0 . ' ' E b e n s o sprach die O H L von einer „letzten K a m p a g n e " , vgl. „ D a r s t e l l u n g des Prinzen M a x von Baden v o m 3 0 . 7 . 1 9 1 9 über die A b d a n k u n g des K a i s e r s " , abgedr. bei M a r x , S. 1 o5 f f . ; siehe auch T h a e r , S. 188. 48

i. Vor der Revolution: Ersatztruppenteile als verfügbare Machtmittel

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für die nachfolgenden Abwehrschlachten sämtliche personellen und materiellen Reserven für das Feldheer mobilisiert w o r d e n " und dabei dem ohnehin ausgelaugten Ersatzheer die letzte Substanz entzogen worden. Der Kampfwert dieser Ersatzformation, denen seinerzeit die Hauptrolle bei der Niederschlagung bewaffneter Aufruhrbewegungen hätte zufallen müssen, wurde Anfang November 1918 in der unmittelbaren Umgebung des Obermilitärbefehlshabers im Heimatgebiet denkbar gering veranschlagt: „ A u s diesen Truppenkörpern hatte man alle nur einigermaßen brauchbaren und kampffähigen Elemente gründlich herausgekämmt, um mit ihnen die wankende Front im Westen zu stützen. Die Ersatztruppenteile sind nur noch blutleere, schwindsüchtige Gebilde ohne jeden militärischen Wert' 4 ." Diese drastisch formulierte „prope mortem-Diagnose" gibt umso mehr zu denken, als gerade dieser Militärbehörde verschiedentlich" nach den Novemberereignissen das Versäumnis vorgeworfen wurde, keine verwendbaren Ordnungstruppen geschaffen zu haben. Wenn also aus postkatastrophaler Sicht von namhaften Offizieren des Feldheeres (Litzmann, Waldersee, Bauer) und der Inaktivität (Bernhardi, Keim) behauptet wurde, es sei Aufgabe des Kriegsministers gewesen, „angesichts drohender Revolution besondere Vorkehrungen zu treffen und zuverlässige Formationen für einen Kampf im Reiche" aufzustellen, so wurde dabei übergangen, daß das Material über die Umsturzabsichten des sogenannten inneren Feindes, das die zuständigen Stellen im Heimatgebiet zu solchen Lagebeurteilungen und Schlüssen hätte bringen können, frühestens seit September 1918 vorlag. Davon ist auszugehen, wenn die Überlegungen und Maßnahmen der maßgeblichen militärischen Führer im Reich zutreffend gewertet werden sollen. Auch Groener, in der ihm eigenen kritischen, von Offizieren der alten Armee als „pessimistisch" gerügten Art, „immerzu und nachgerade erbarmungslos" auf realistischer Beurteilung der gegebenen Situation zu insistieren' 6 , hat festgestellt' 7 , daß „nach Lage der Dinge" eine Formierung kleinerer, zuverlässiger Eingreifverbände in den einzelnen Korpsbereichen spätestens im Sommer oder Frühherbst hätte abgeschlossen gewesen sein müssen, um diese Verbände dann durch psychologische Vorbereitung und taktische Aus" Vgl. Armee und Revolution, S. ¿ 3 f f . ; Altrock, Deutschlands Niederbruch, S. 35 f f . ; „Warum es so kam - warum es so kommen mußte", von einem altgedienten hohen Offizier, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 95 v. 3. 2. 1919 (Abend-Ausg.); Gen.Lt. z. D. Kügler, Haben die Ersatzbataillone im Kriege versagt?, in: MWBI., 104. J g , N r . 7, v. 15. 7. 1 9 1 9 , Sp. 1 1 7 - 1 2 8 ; Bauer, Der große Krieg, S. 263, 184. H N1 Böhm, I f Z , E D 87, S. 50: „Aufzeichnungen"; später von Max von Baden für eine erweiterte Fassung verwendet, vgl. ders., S. 587. Zweifel über die Verwendbarkeit der Ersatzformationen im Falle bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen im Innern waren schon früher durch führende Militärs u. Polizeiführer angemeldet worden, z. B. beim X I I . u. X I X . A . K . (Sachsen), in: Arch. Forsch. 4/IV, S. 1606; beim VII. A . K . (Prov. Westfalen), in: Metzmacher, S. 201. " Litzmann II, S. 236; Bauer, Der große Krieg, S. 267; Keim, S. 96, t o z f f . ; „Auszügliche N o t i z e n " , „Ergänzungen (Anm. I 514) u. hds „Schreiben" v. 6. 12. 1921 (in: N1 Scheüch, B A - M A N 23/3) v. Graf Waldersee; 2 „Zuschriften" sowie „Schreiben" des Gen.d.Kav. a. D. v. Bernhardi v. 5. 3. 1922 an Gen.d.Inf. a. D. v. Kühl (in: N1 Scheüch, ebd., fol. 76ff.)i Z' 1 - nach „Schreiben" Mantey, fol. 1 1 9 (Anm. I 67). (< Hds „ A u f z e i c h n u n g " v. Gen.Lt. a. D. Behschnitt v. 10. 7. 1960, in: B A - M A , H 02-7/6; Anker, Unsere Stunde kommt, S. 1 i o f f . ; H o e f f e r v. Loewenfeld, S. 9 4 f f . ; Keim, S. 1 1 3 f . ; Moser, Ernsthafte Plaudereien, S. 389; Westarp/Conze, S. 1 j o f f . ; Kritiken v. d. Schulenburg, Plessen, Kronprinz Wilhelm, in: Niemann, Revolution von oben, passim. 17 Groener, Lebenserinnerungen, S. 449; Zit. ebd.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

bildung für Straßenschlachten und den Kampf gegen die aufständischen Landsleute, unter Umständen auch „gegen die Kameraden von vier Kriegsjahren", zu rüsten. Daß es zu einer solchen Konfrontation kommen konnte, war nach den seit der zweiten Septemberhälfte vorliegenden Berichten der politischen Polizei nicht mehr auszuschließen. Diesen zufolge hatten sich zumindest die Militärbefehlshaber über das rheinischwestfälische, sächsische und Groß-Berliner Industriegebiet auf eine Auseinandersetzung mit stoßtruppartig organisierten Aktionsgruppen aus revolutionären Arbeitern einzustellen, die nach jahrelangem Heeresdienst entlassen worden und im Gebrauch leichter wie auch schwerer Waffen und im Umgang mit Sprengmunition geübt waren, die größtenteils bereits mit Hieb-, Stich- und Faustfeuerwaffen ausgestattet waren und deren Ausrüstung durch eine umfangreiche illegale Beschaffung von Waffen und Kampfmitteln beständig zunahm' 8 . D i e wesentliche Frage, ob und von welchem Zeitpunkt ab diese einzelnen territorialen militärischen Befehlshaber und der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet sich ein solches Bild über den Feind im Innern machten und welche praktischen Gegenmaßnahmen sie daraufhin ergriffen, ist wegen des Verlustes der diesbezüglichen Akten des Preußischen Kriegsministeriums und der meisten Stellv. Generalkommandos nicht mehr mit Bestimmtheit zu klären. Immerhin geht aus den verfügbaren Quellen über die Zahl und den inneren Zustand der Ersatztruppenteile soviel hervor, daß es in keinem Korpsbereich resp. Festungsgouvernement zur Bildung gesonderter militärischer Formationen aus den Formationen des Ersatzheeres für den Einsatz im Innern gekommen ist. Eine geschlossene Verwendung von Ersatzbataillonen kam so gut wie überhaupt nicht in Frage, da deren verschieden zusammengesetzte Einheiten in der Regel aus noch nicht oder gerade erst wieder feldverwendungsfähigen Genesenen u. dergl. sowie aus jungen Rekruten bestanden. Demnach hätten einsatzfähige Abteilungen erst aus Teileinheiten und Korporalschaften mit am meisten fortgeschrittenem Ausbildungsstand sowie aus einzelnen unbedingt befehlstreuen und im Waffenhandwerk tüchtigen Soldaten zusammengestellt werden müssen. Für das Zurückhalten von Teilen des jeweils jüngsten Rekrutenjahrgangs wäre die Genehmigung der Kriegsministerien und die Zustimmung der O H L nötig gewesen; einem solchen Begehren war, zumindest beim preußischen Kontingent, seit Januar 1918 in keinem einzigen Falle mehr entsprochen worden' 9 . V o n der zweiten Möglichkeit, die verläßlichsten Unterführer und Mannschaften als K a der herauszuziehen, haben die Verantwortlichen höchstwahrscheinlich deshalb Abstand genommen, weil sie befürchteten, dadurch die Garnisonstruppen ihrer letzten Stützen zu berauben und dem allgemeinen Verfall ihres diziplinären Gefüges Vorschub zu leisten 60 .

Vgl. A r c h . Forsch. 4 / I V , S. 1 5 7 0 , 1604, 1 7 3 1 , 1 7 7 0 ; Metzmacher, S. 2 i 7 f . , 224, 226; K ö n n e m a n n , E i n w o h n e r w e h r e n und Zeitfreiwilligenverbände, S. i 6 f . ; Scheidemann am I J . 10. 1 9 1 8 anl. einer B e sprechung im P r . K M . über „ V e r s c h a f f u n g von H a n d g r a n a t e n " , in: „ B e r i c h t " Berge u. H e r r e n d o r f f , fol. 1 8 } ( A n m . II 172); dito M a x von Baden, in: Quellen I/2, S. 555; Petzold, D e r 9. N o v e m b e r in Berlin, S. 10. H i n w e i s e auf „zahlreiche große W a f f e n d i e b s t ä h l e " ( B ö h m , T g b . - A u f z . v. 1. 1 1 . 1 9 1 8 , H ü r t e n / M e y e r , S. 52) u. auf die schon A n f a n g September 1 9 1 8 v o m O b . K d o . i. d. M . angeordnete „ v e r s c h ä r f t e W a f f e n k o n t r o l l e " ( B A - M A , H 0 1 - 1 / 2 0 ) , und am 5. 1 1 . 1 9 1 8 verfügte „ B e s c h l a g n a h m e von W a f f e n in L ä d e n " (Mantev, „ D e r 9. N o v e m b e r " , in: N ! Scheüch, N 23/4, Bl. 18). " H i e r ü b e r ausführlich A n m . II 5 5 4 - II 575. Die riskante Führungsentscheidung, die loyalen K a d e r zu versammeln, dabei gleichzeitig das G r o s der Truppen sich selbst zu überlassen, hat 1789 zum sofortigen Z u s a m m e n b r u c h des königl. f r a n z ö s .

i. Vor der Revolution: Ersatztruppenteile als verfügbare Machtmittel N e b e n einigen Berichten über den meist gescheiterten improvisierten Einsatz schnell z u s a m m e n g e r a f f t e r Ersatztruppenteile gegen die örtlichen Revolutionsbewegungen findet sich in den Darstellungen der deutschen N o v e m b e r r e v o l u t i o n überhaupt nur ein Beispiel, daß ein Militärbefehlshaber den Versuch unternahm, dem A u f s t a n d mit einer K a d e r t r u p p e zu begegnen: A m 9. N o v e m b e r 1 9 1 8 verfügte der Stellv. K o m m a n d i e r e n d e General des X I I I . A r m e e k o r p s , General d.Inf. v. Schaefer, zur Organisierung des Widerstandes in Stuttgart nur über einen Stamm von weniger als 10 unbedingt zuverlässigen Soldaten 6 '. In den wenigen Fällen, in denen ein Einsatzbataillon geschlossen und mit mindestens 500 G e w e h r t r ä g e r n gegen meuternde Soldaten und aufständische Bevölkerungsteile eingesetzt w u r d e , handelte es sich nicht um neu aufgestellte Sonderformationen, sondern um die regulären Ersatzbataillone der im Felde stehenden aktiven b z w . R e s e r v e - R e g i menter 6 2 . Soweit festzustellen, haben die Militärbefehlshaber entgegen anderslautender Darstellung 6 ' mit nur einer Ausnahme 6 * ihre in Kommandoangelegenheiten uneingeschränkte V e r f ü g u n g s g e w a l t über die in ihren Korpsbereichen liegenden Ersatzformationen nicht zur S c h a f f u n g v o n speziell f ü r die R e v o l u t i o n s a b w e h r bestimmten Einsatztruppen genutzt. In 24 von 25 K o r p s - und weiteren Festungsbereichen unterblieben Neuaufstellungen. O b die versiegenden Ressourcen oder formale Bedenken gegen die Bildung und Unterhaltung v o n T r u p p e n außerhalb des ordentlichen Etats oder gar ein U n v e r m ö g e n , die erforderlichen und nach ihrer Z u s a m m e n s e t z u n g und Aufgabenstellung völlig neuartigen gemischten K a m p f t r u p p e n f ü r einen Einsatz im Innern zu formieren und vorher entsprechend auszubilden, die jeweils ausschlaggebende Ursache gewesen ist, darüber ist im einzelnen nichts mehr zu ermitteln. Fußend auf der historisch irrelevanten Polemik in den O f f i z i e r b ü n d e n und Traditionsvereinigungen w i e auch auf den Presseveröffentlichungen der politischen Rechten hat sich in der einschlägigen Literatur der Zwischenkriegszeit und selbst noch in jüngeren Darstel-

Heeres geführt; ein ganz ähnlicher Befehl des KdH bewirkte am 6. 11. 1918 die definitive Revolutionierung der vor Wilhelmshaven liegenden Teile der Kaiserlichen Marine (vgl. Quellen II, I/II, Nr. 504, Anm. 6). ' ' WHStA, E 130, Akten des Königl. Staatsministeriums, Bd CXIX; Schäfer-Rümeün, Der 9. November; Wilhelm Kohlhaas, Revolutionserlebnisse 1918, in: Schwäbische Heimat. 19. Jg (1968), H. 4, S. 233-242; siehe Anm. I 741 ff. 61 Z. B. Ers.Btl./Inf.Rgt. 163 (Neumünster), vgl. Anm. I 265, 269 mit entsprechenden Textstellen; Ers.Btl./i. Hannoversches Inf.Rgt. 74, siehe Anm. I 557; 8. Brandenb. Inf.Rgt. 64, S. 337f. im Königreich Bayern auf das Bayerische Kriegsministerium als oberste Heeresverwaltungs- und Kommandobehörde gegenüber den Stellv. K o m m a n dierenden Generalen der drei bayerischen Armeekorps und den bayerischen Festungsgouverneuren 8 ' übergangen und diesen zugleich die verantwortliche Handhabe der G e setze 86 über den Belagerungs- resp. Kriegszustand übertragen worden. Während des Weltkrieges w a r f ü r den Geltungsbereich des preußischen Belagerungszustandsgesetzes aus den gesetzlichen Bestimmungen ( § § 4 u. 5 korresp. m. §9) ein im Ergebnis „allumfassendes Verordnungsrecht des Militärbefehlshabers" (Deist) entwickelt worden; demzufolge w a r er sogar ermächtigt, vorläufig jenen Verfassungsartikel aufzuheben (Art. 36 preuß. Verf.), der die V e r w e n d u n g des Militärs zur Unterdrückung von Unruhen im Innern ausdrücklich an gesetzlich enumerierte Bedingungen gebunden hatte 87 .

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H i n d e n b u r g s teilw. a u f g e h o b e n , teilw. durch die „ B e m e r k u n g e n " des P r . K M . v. 8. 2. 1 9 1 2 bekräftigt. H i e r z u Deist, in: Q u e l l e n I I , i / I , S. X X X V I f . ; ders., A r m e e in Staat und Gesellschaft, S. 3 1 8 f . f) „ B e m e r k u n g e n " des P r . K M . v. 19. 1 1 . 1908 über die H a n d h a b u n g des preuß. B e l . Z u s t . G e s . , gez. v. Einem. g) „ B e m e r k u n g e n " des P r . K M . v. 8. 2. 1 9 1 2 , gez. v. H e e r i n g e n ; vollst, abgedr. bei Dieter Dreetz, D e r Erlaß des Preußischen Kriegsministers v o m 8. Februar 1 9 1 2 über die V e r w e n d u n g der A r m e e zur B e k ä m p f u n g innerer U n r u h e n , in: Militärgeschichte, 14. J g ( 1 9 7 5 ) , S. 5 6 1 - 5 7 1 . h) B a y e r i s c h e s G e s e t z über den K r i e g s z u s t a n d v. 5. 12. 1 9 1 2 . i) „ A n o r d n u n g e n " des B a y e r . K M . v. 2. 4. 1 9 1 7 über das „Verhalten gegenüber A u f l ä u f e n und revolutionären V o l k s b e w e g u n g e n " , gez. v. Hellingrath. k) „ A n o r d n u n g e n " des B a y e r . K M . v. 22. 2. 1 9 1 8 , betr. „ A r b e i t s e i n s t e l l u n g e n " , gez. v. Hellingrath. 1) Studie der Kriegsgeschichtlichen A b t e i l u n g ( 2 a ) des G r o ß e n Generalstabes a. d. J . 1908: „ D e r K a m p f in insurgierten S t ä d t e n " . 0 . a. Fasz. (ausgen. d. u. h) sind archiviert im B H S t A , A b t . I V , Kriegsarchiv M K r 2497. Siehe auch K a p . II 4 u. 4a. S o H e l l i n g r a t h , siehe A n m . I 8 2 i , u. H i n d e n b u r g , siehe A n m . I 82e. V g l . den v o n G e n . L t . Scheüch gez. „ R u n d e r l a ß " v. 2. 1 1 . 1 9 1 8 an die Stellv. G e n . K d o . , insbes. Z i f f e r I 1, 3, 4 ; abgedr. in: Q u e l l e n I/2, N r . 1 0 9 b ; siehe auch A n m . II 1 4 3 , II 1 7 6 f f . Z u den von den preuß. abweichenden Regelungen im Kgr. Bayern vgl. Deist, „ E i n l e i t u n g " zu Quellen I I , 1 , S. X L V , X L V I I I . X X X I X . Preuß. G e s e t z über den Belagerungszustand ( p r . B e l . Z u s t . G e s . ) v. 4. 6. 1 8 5 1 . Bayerisches G e s e t z über den K r i e g s z u s t a n d v. 5 . 1 1 . 1 9 1 2 . Siehe auch K a p . II 4 u. 4 a . H i e r z u ausführlich Deist, Militärbefehlshaber und Obermilitärbefehlshaber, S. 222 f f . ; insbes. Teil II u. III seiner Einleitung zu den von ihm bearb. Quellen 1 1 / 1 .

i. V o r der R e v o l u t i o n : Pläne zur B i l d u n g einer „ S c h u t z w e h r "

Im Spätherbst 1918 jedoch fehlten den Stellv. Kommandierenden Generalen die geeigneten Machtmittel zur Ausübung jener weitgehenden Befugnisse und damit zur Niederschlagung revolutionärer Aufstandsbewegungen in ihren Korpsbereichen. Denn mit dem zahlenmäßigen Aufgebot und dem inneren Zustand der Ersatztruppen konnte „im Ernstfalle die Aufrechterhaltung der Staatsordnung und das Weiterbestehen des Staatswesens" 88 nicht sichergestellt werden.

d) Die Pläne zur Bildung einer ,,Schutzwehr" Bereits Mitte Oktober 1918 hatte das sächsische Innenministerium an die zuständigen militärischen Stellen die skeptische Frage gestellt, „ o b beim Eingreifen der bewaffneten Macht die Militärverwaltung ihrer Truppen unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch genügend sicher sei, um ihre wirksame Verwendung gegen den inneren Feind gewährleisten zu können". Zugleich hatte es als erste Behörde im Reich den von ihm selbst mit starken Vorbehalten versehenen Vorschlag unterbreitet, den militärischen Schwächezustand im Heimatgebiet mit „Schaffung einer Bürgerwehr durch Bewaffnung der gutgesinnten Bevölkerung" unverzüglich zu beheben 89 . Im angrenzenden Königreich Preußen hielt es der preußische Minister des Innern, Drews, erst am 25. Oktober 1918 9 0 für erforderlich, „in der nächsten Zeit" unter Hinzuziehung eines Mitgliedes des Kriegskabinetts eine Besprechung über die „Aufstellung gemeinschaftlicher genereller Grundsätze zur Unterdrückung bolschewistischer Putsche" abzuhalten. Gleichzeitig kündigte er Absprachen mit dem preußischen Kriegsminister an „über die Aufstellung von Grundsätzen, die den kommandierenden Generälen für die Behandlung etwaiger Unruhen im Lande mitzuteilen seien." Mit der Herausgabe von Anweisungen an die Ober- und Regierungspräsidenten aber ließ sich das Preußische Ministerium des Innern noch Zeit; das Berliner Kriegsministerium jedoch reagierte unverzüglich mit Vorbefehlen 91 an die Militärbefehlshaber, „jetzt solche Organisationen zu schaffen": Schon ehe die Unruhen in Kiel ausgebrochen seien, habe man bei den Stellv. Generalkommandos die Vorbereitung von Bürgerwehren angeregt, lautete eine spätere Erklärung des stellvertretenden preußischen Kriegsministers 92 . Der Obermilitärbefehlshaber regte noch in der letzten Oktoberwoche Sofortmaßnahmen

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F o r d e r u n g von höheren Polizeiführern u. zivilen Vertretern der regionalen Selbstverwaltungen Sachsens v. 14. 10. 1 9 1 8 an die verantwortlichen Militärbehörden (Stellv. G e n . K d o . X I I . u. X I X . A . K . ) ; vgl. A r c h . F o r s c h . 4 / I V , S. 1606. E b d . , S. 1605. 90 A n l . der Sitzung des Preuß. Staatsministeriums; nachf. Z i t . aus dem in A r c h . F o r s c h . 4 / I V , N r . 747, a u s z u g s w . abgedr. Sitzungsprotokoll. Siehe auch A n m . I 85. ' ' U b e r die Verbindlichkeit solcher Willensbekundungen (hier: „ V o r b e f e h l e " ) , mit denen der O b e r m i l i tärbefehlshaber auf die bis dato ungeschmälerte A l l e i n v e r a n t w o r t l i c h k e i t der Militärbefehlshaber einz u w i r k e n versuchte, soweit es um deren K o m p e t e n z f ü r die „ A u f r e c h t e r h a l t u n g der öffentlichen Sicherheit" mit H i l f e der ihnen direkt unterstellten militärischen F o r m a t i o n e n ging, siehe A n m . I 68 f., K a p . III 1. M ö g l i c h e r w e i s e haben Rathenaus briefl. A n r e g u n g e n v. 1 5 . 10. 1 9 1 8 an Scheüch den E n t scheidungsprozeß im P r . K M . beschleunigt, vgl. R a t h e n a u , S. 195 f f . ' ' G e n . M a j . v. W r i s b e r g in der Sitzung im Reichsamt des Innern am 7. 1 1 . 1 9 1 8 ; vgl. A r c h . F o r s c h . 4 / I V , S. 1 7 7 0 . U b e r die einflußreiche Stellung des D i r e k t o r s im A l l g e m e i n e n Kriegsdepartement des P r . K M . siehe A n m . I I I 4 1 1 .

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I. M o n a r c h i s c h e Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

an 95 , die „ z u m Schutze gegen etwaige revolutionäre Putsche [ . . . ] vorzubereiten und zu ergreifen" 9 4 seien, und empfahl den Militärbefehlshabern ein doppelgleisiges Vorgehen, nämlich sowohl reguläre militärische als auch paramilitärische Sondereinheiten aufzustellen und für den bewaffneten Einsatz in Bereitschaft zu halten 9 '. In zutreffender Einschätzung der beschränkten Verläßlichkeit und Verwendbarkeit der im Heimatgebiet stationierten Ersatzformationen wurde das Konzept verfolgt, aus ihnen schlagkräftige Kerntruppen herauszuschälen. Demnach waren „aus unbedingt zuverlässigen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften des Besatzungsheeres

besondere

Übungs-Kompanien, -Eskadrons und -Batterien zu bilden" 9 6 und ihre Beweglichkeit und Feuerkraft durch mit Maschinengewehren ausgerüstete Kraftwagen 9 7 zu erhöhen. Diese mobilen Eingreiftruppen, die in den nächsten Garnisonplätzen bereitzustehen hatten 98 , sollten durch zusätzliche paramilitärische Sondereinheiten, eine sogenannte Bürgerwehr, verstärkt werden, die aus der „gutgesinnten männlichen Bevölkerung" 9 9 zu stellen sei. Sie sollte in engem Zusammenwirken mit der Schutzpolizei ortsgebundene Sicherungsaufgaben übernehmen' 0 0 . Die Bedenken einzelner Vertreter von Zivil- und Polizeibehörden gegen die Pläne zur Aufstellung einer Bürgerwehr blockierten eine entschlossene und beschleunigt betriebene Formierung. N e b e n dem innenpolitischen Aspekt, der Sorge nämlich, daß die Existenz einer Bürgerwehr den A u f r u h r provoziere, anstatt ihn niederzuhalten - durch „derartige Maßnahmen würde nur ö l ins Feuer gegossen [ . . . ] , ja vielleicht der allgemeine Bürgerkrieg entfesselt w e r d e n " 1 0 1

bestanden Zweifel an der militärischen Effizienz solcher

Bürgerwehren, der man „erhebliche Bedeutung nicht beimessen" mochte 1 0 1 .

"

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Diese ersten z w i s c h e n dem 25. u. 29. 10. 1 9 1 8 v o m P r . K M . verfügten Richtlinien sind in einem zusammenhängenden A k t e n s t ü c k nicht überliefert, lassen sich aber rekonstruieren, da sie einen nach Sinn u. teilweise sogar W o n l a u t übereinstimmenden N i e d e r s c h l a g in den S o f o r t m a ß n a h m e n zweier Militärbefehlshaber (Stellv. G e n . K d o . I V . u. V I I . A . K . ) g e f u n d e n haben. S o der Stellv. K o m . G e n . V I I . A . K . (Münster), G e n . d . I n f . F r h r . v. G a y l , am 3 1 . 10. 1 9 1 8 fernschriftl. an die R e g . - P r ä s . in der preuß. P r o v i n z W e s t f a l e n ( A r n s b e r g , D ü s s e l d o r f , M ü n s t e r , Minden), vgl. Bericht des R e g . - P r ä s . in A r n s b e r g an den preuß. M i n . d . I . v. 3 1 . 10. 1 9 1 8 , abgedr. in: A r c h . Forsch. 4 / I V , S. 1 7 1 5 . G e n . v. G a y l am 2. 1 1 . 1 9 1 8 v o r Vertretern aus o. a. Z i v i l v e r w a l t u n g s b e r e i c h e n ; vgl. Bericht des R e g . - P r ä s . in A r n s b e r g an den preuß. M i n . d . I . v. 4. 1 1 . 1 9 1 8 , abgedr. ebd., S. 1730.

1,1

V g l . auch die „ R i c h t l i n i e n " des Stellv. G e n . K d o . I V . A . K . ( M a g d e b u r g ) v. 29. 10. 1 9 1 8 an „alle G a r n i s o n e n , B e z i r k s k o m m a n d o s , Bürgermeister und L a n d r ä t e " , a u s z u g s w . abgedr. bei Schmidt, S. 348, der in seiner A b h a n d l u n g über den Anteil der Militärbehörden an den „ M a c h e n s c h a f t e n zur Rettung des imperialistischen S y s t e m s " ( K a p . II 2) trotz des ihm v o r z u g s w e i s e z u r V e r f ü g u n g stehenden u. reichlich verwendeten Archivmaterials auf die n o t w e n d i g e scharfe institutionelle Unterscheidung zwischen E i n g r e i f t r u p p e n aus dem Ersatzheer, Polizeikräften und B ü r g e r w e h r verzichtet. * Ebd. 97

Siehe A n m . I 94. Siehe A n m . I 94. 99 T e r m i n u s in A r c h . F o r s c h . 4 / I V , S. 1607. Ä h n l i c h lautende o f f i z i e l l e U m s c h r e i b u n g e n f ü r die zu mobilisierenden staatserhaltenen K r ä f t e als H a u p t k r i t e r i u m bei der P e r s o n a l a u s w a h l f ü r die Bürgerw e h r e n : ebd., S. 1 7 3 0 , 1 7 6 8 f . , 1 7 7 4 ; T h a e r , S. 2 5 3 ; Schmidt, S. 3 4 8 ; Schulte, Münstersche C h r o n i k , S. 3 1 . N ä h e r e Beschreibungen in Rathenaus Schreiben v. 15. 10. 1 9 1 8 an S c h e ü c h , in: Rathenau, S. 197, 200. 100 Z u den taktischen A u f t r ä g e n im einzelnen: A r c h . F o r s c h . 4 / I V , S. 1 7 3 0 ( G a y l ) , 1 7 7 0 , 1 7 7 2 (Breitenbach u. O p p e n ) . '=' E b d . , S. 1605. E b d . , S. 1 7 3 0 , 1 7 7 0 (mecklenb. Gesandter). 98

I. V o r der R e v o l u t i o n : Pläne zur B i l d u n g einer „ S c h u t z w e h r '

Beispielhaft dafür, daß die geplanten Bürgerwehren von vornherein von nicht wenigen der für ihr Zustandekommen im Reich und in Berlin verantwortlichen Entscheidungsträger weder als innenpolitisch opportun noch militärisch bedeutend angesehen wurden, ist neben den erwähnten Besprechungen, die am 21. Oktober 1 9 1 8 I 0 J und am 7. November 1918' 0 4 im Oberkommando in den Marken resp. im Kriegsministerium mit maßgeblichen Vertretern der Exekutive geführt wurden, insbesondere der Verlauf jener Sitzung, die am 4. November 1918 unter Leitung des Oberkommandierenden und Gouverneurs mit allen Bürgermeistern von Groß-Berlin stattfand 105 . Die kommunalen Repräsentanten harten um diese Unterredung gebeten, um dem Militärbefehlshaber gegenüber ihre „große Sorge vor der Revolution" zum Ausdruck zu bringen 106 . Sie befürchteten „namentlich einen Sturm auf alles, was Verpflegung heißt", und betonten die Notwendigkeit sofortiger besonderer Schutzmaßnahmen für den drohenden Fall solcher Hungerrevolten. Wie wenig sie tatsächlich bereit waren, sich selbst, ihr Eigentum und die bestehende Ordnung konsequent kämpfend zu verteidigen, wurde offenbar, als ihnen die Militärs die praktischen Konsequenzen ihrer Forderungen präsentierten Da der seit Ende Oktober ständig wiederholte „Schrei nach Schutz" bereits zu einer unvertretbaren Verzettelung ihrer Ordnungskräfte durch Wachaufgaben geführt habe 107 , sei es jetzt an den Bürgervertretern, einen aktiven Beitrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit durch Bildung lokaler Bürgerwehren zu leisten. In der anschließenden Entgegnung des Bürgermeisters von Berlin-Schöneberg, Dominicus, wurde noch einmal die allgemeine Zurückhaltung gegenüber einer „Wehr ihrer Bürger" verdeutlicht. Dieser führte nämlich unter einhelliger Zustimmung seiner Amtskollegen aus, er sei von seinen Stadtverordneten ermächtigt, nur einer solchen Bürgerwehr sein Plazet zu geben, die keine Gewehre bekomme, sondern Stöcke oder Gummiknüppel und Seitengewehre oder gar Revolver für den äußersten Fall. Aufgebracht über die Passivität des Bürgertums, das sich sogar vor Aufruhr, Plünderung und vor dem drohenden Umsturz der gerade sie begünstigenden Staatsordnung nicht selbst schützen wollte, schloß der Chef des Stabes des Stellv. Gardekorps, Oberst v. Mantey, damals wohl der engagierteste Verfechter freiwilliger Bürgerwehren, seinen Sitzungsbericht über die „Bürgermeister-Besprechung vom 4. 1 1 . 1 9 1 8 " mit dem Resümee: „Eine traurige Versammlung, die mit dem Beschluß endete, keine Bürgerwehr zu schaffen' 0 8 ." Damit war jedoch die endgültige Entscheidung über die Errichtung von Bürgerwehren in Berlin und im Reich noch nicht gefallen. Die Frage, ob die Unterdrückung der sich im Heimatgebiet ausweitenden Revolution Reichs- oder Ländersache sei' 09 , der Einwand, nicht zu viel auf die Zivilbehörden abzuwälzen" 0 , der Hinweis, es handle sich in erster Linie um eine militärische Angelegen,c

' H i n w e i s e siehe A n m . I 15 5 f f . H i n w e i s e siehe A n m . I 1 2 4 f f .

104 101

106

"c

N a c h f . D a r s t . u. Z i t . nach dem Sitzungsbericht M a n t e y s , in: „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 1 4 f . ( A n m . I 58). Z u solchen B e f ü r c h t u n g e n hatten sie gerade am 4. 1 1 . 1 9 1 8 einen akuten A n l a ß ; siehe K a p . II 6 b . Siehe A n m . II 75 f f . Siehe A n m . I 105 (Bl. 15). A r c h . Forsch. 4 / I V , S. 1668 ( T r i m b o r n ) , 1 7 6 9 (hanseat. Gesandter). E b d . , S. 1 7 7 0 (mecklenb. Gesandter).



I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

h e i t ' " , kennzeichneten noch am 7 . N o v e m b e r den M e i n u n g s s t r e i t " 2 über die ordnungsgemäße Institutionalisierung einer sogenannten V o l k s w e h r (Trimborn). Statt in dieser Situation dem E r f o r d e r n i s der Zusammenarbeit n a c h z u k o m m e n , meldeten von den drei innenpolitischen Machtfaktoren - Eingreiftruppen aus dem Ersatzheer, B ü r g e r w e h r e n und G e n d a r m e r i e - Polizei und Militär ihre organisationstechnischen V o r behalte gegen den vorgesehenen Partner, die B ü r g e r w e h r , an. D e r Berliner Polizeipräsident, v. O p p e n , erhob „ g a n z erhebliche Bedenken gegen die Angliederung derselben an die P o l i z e i " w o b e i

er sich auf negative E r f a h r u n g e n mit den bei Weltkriegsbeginn

mobilisierten B ü r g e r w e h r e n " 4 berufen konnte. Z w a r hatte O p p e n „ a n sich gegen die Einrichtung nichts e i n z u w e n d e n " " ' , schlug aber f ü r die B ü r g e r w e h r nur relativ unbedeutende O r d n u n g s - und B e w a c h u n g s a u f g a b e n v o r , die ein unverbundenes Nebeneinander beider Organisationen bewirkt haben w ü r d e n und einer Zersplitterung der bewaffneten K r ä f t e nur förderlich sein konnten. D e r preußische Kriegsminister und der preußische Minister des Innern folgten den B e denken des P o l i z e i p r ä s i d e n t e n " 6 und machten sich auch dessen Vorstellungen von der Erteilung rein defensiver und eng begrenzter Sicherungsaufträge an die örtlichen Bürgerwehren zu eigen: In seinem erst am 6. N o v e m b e r " 7 an alle O b e r - und Regierungspräsi" ' Ebd., S. 1769 (hanseat. Gesandter). Vgl. Aufz. über die Sitzung im Reichsamt d.i. am 7. 1 1 . 1918, abgedr. in Arch. Forsch. 4/IV, S. 1765 ff., an der Vertreter aus den Reichs- u. prcuß. Ressorts, des Bundesrates sowie des R.M.A., Pr.KM., der Stellv. Gen.Kdo. u. der Berliner Polizei teilnahmen. " ' S o der Berliner Pol.-Präs. anl. o.a. Sitzung, ebd., S. 1772. Die von Oppen abgelehnte unmittelbare Verstärkung seiner Schutzmannschaften durch Freiwillige der Bürgerwehr steht in starkem Widerspruch zu seiner im gleichen Atemzuge erhobenen Klage über ein Besetzungsfehl von „mehr als einem Drittel der etatmäßigen Stellen" (ebd., S. 1772) bei der Berliner Polizei. Das durch derartige Personallücken bei der Gendarmerie/Schutzpolizei vermehrte Sicherheitsrisiko im Innern war insbesondere für die politisch unruhigen Industriegebiete Sachsens, Westfalens und um Berlin festgestellt worden (vgl. ebd., Nr. 709, 761, 773; Metzmacher, S. 200, 226f.) und hatte noch am 24. u. 29. 10. 1918 zu Eingaben des Ob.Kdo. i. d. M. u. des preuß. Min.d.I. an das Pr.KM. geführt, „alle zur Zeit noch im Heere stehenden" Polizeiangehörigen, wenn möglich sogar sich für den Polizeidienst entscheidende Militäranwärter („Zwölfender") vorweg zu demobilisieren; vgl. ebd., N r . 761. Ebenso Rathenau in seinem Schreiben v. 15. 10. 1918 an Scheüch, abgedr. bei Rathenau, S. 195ff., Bezug: S. 197. " 4 Hierüber ausführlich Könnemann, Bürgerwehren, S. 699ff. So Scheüch am 7. 1 1 . 1918 in der Sitzung des Kriegskabinetts über seine Absprachen mit dem Berliner Pol.-Präs.; vgl. Quellen I/2, S. 581. Siehe Anm. I 1 1 5 . Bei gleicher Gelegenheit teilte der pr.KM. mit, daß „entsprechende Weisungen an die Regierungspräsidenten gegangen" seien. Die von Scheüch unterstützten Bedenken Oppens, „eine Vermischung von Schutzmannschaften beziehungsweise Militär mit Bürgerwehren führe zu Reibereien und behindere eine strenge Durchführung der den ersteren gegebenen Befehle" (vgl. Dok. u. Mat. II/2, S. 319), haben in den vom Kriegs- und Innenministerium hrsg. Weisungen ihren Niederschlag gefunden. Die Behauptung von Könnemann: Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände,

"7

S. 34, daß „die Bürgerwehren nur in Verbindung mit den Truppen operieren [sie!] sollten", entspricht weder dem angestrebten Integrationsgrad noch den sehr begrenzten Möglichkeiten ihrer taktischen Verwendbarkeit. Immerhin hatte der preuß. Min.d. I. Drews „die Aufstellung gemeinschaftlicher Grundsätze" schon am 25. 10. 1918 für „erforderlich" gehalten (siehe Anm. I 90). Diese bereits von Schmidt, S. 348, als „differenziert" gewertete „Anweisung" Drews' stellte ein gelungenes Produkt sorgfältiger Abstimmung zwischen den beteiligten Reichs- und preuß. Ressorts dar; in der Ausführlichkeit seiner Ausführungsbestimmungen war es im herkömmlichen Stil gründlicher Behördenarbeit verfaßt - infolge seiner langfristigen Genesis jedoch hinter den in revolutionärer Zeit drängenden Erfordernissen zu schneller Auftragserteilung weit zurückgeblieben.

l. Vor der Revolution: Pläne zur Bildung einer „Schutzwehr"

3'

denten gerichteten Rundschreiben verfügte Drews zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in städtischen und ländlichen Bezirken die Organisation von Bürgerwehren; er stellte dabei den nachgeordneten Zivilbehörden anheim, diese „in je nach den örtlichen Verhältnissen geeigneter Weise in die Wege zu leiten"" 8 . Diese Ermessensfreiheit gab das Regierungspräsidium in Merseburg in seiner „Anweisung" vom 7. November 1918 wiederum den Landräten weiter, auch die Erlaubnis, über „die Form und Zweckmäßigkeit ihres Einsatzes örtlich zu entscheiden"" 9 . In einem Zusatz vom 8. November 1918 verfügte das Preußische Ministerium des Innern 120 , daß in Industriestädten die Polizeitruppe nur dann durch die Bürgerwehr zu ergänzen sei, wenn die Polizeileiter dies für durchführbar und erwünscht hielten; als ihre eigentliche Aufgabe wurde dabei die Sicherung der Lebensmittelversorgung bezeichnet. Der schon im ausgefeilten Rundschreiben vom 6. November 1918 auffallende Verzicht des preußischen Innenministeriums auf uneingeschränkten Anspruch zum sofortigen Vollzug und seine Entscheidung, standessen die Provinzialbehörden nach dem Delegationsprinzip anzuweisen, gingen auf die Einwirkung des Kriegsministeriums zurück, das vorgeschlagen hatte, „die Bildung einer nationalen Wehr [ . . . ] gleichmäßig für ganz Preußen nicht zu empfehlen, vielmehr es dem Ermessen der Landräte zu überlassen, inwieweit sie davon Gebrauch machen w o l l t e n " " ' . Ob die Vorbehalte des an den eingehenden Erörterungen 122 maßgeblich beteiligten Direktors des Allgemeinen Kriegsdepartements, Generalmajor v. Wrisberg, auf negative Erfahrungen mit jenen „Bürgerwehren" zurückzuführen waren, die ihre freiwillige Tätigkeit bereits 1 9 1 5 / 1 6 wieder eingestellt hatten"', ist nicht zu belegen. Den Ausschlag gaben Sicherheitsbedenken, die das Kriegsministerium gegen die Aufstellung und Ausstattung von sogenannten nationalen Wehren in Großstädten wie Berlin hegte; dort könne ein „Häuflein zusammengeraffter Männer [ . . . ] einem vorbereiteten Aufstand nicht die Spitze bieten" und „dem Militär nur hinderlich" sein" 4 . Wrisberg wandte ein, daß alle geeigneten Mannschaften an der Front seien und daß die den nationalen Wehren

Institut für Marxismus-Leninismus, Zentrales Parteiarchiv: Reichsamt des Innern, N r . 9/15 [Kriegszustand, Streiks und sonstige Unruhen während des Krieges], Bl. 9 1 , teilw. faks. in: III. Gesch. der Novemberrevolution in Deutschland, S. 1 2 1 ; Hinweis bei Drabkin, S. 1 2 1 . " ' L H A Magdeburg, Rep. C 4 1 : Bitterfeld II 26, Bl. 3; auszugsw. abgedr. bei Schmidt, S. 348. 1,0 Auszugsw. Abdruck des Telegrammtextes bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 3 1 ; Schmidt, S. 348, Anm. 260; Struck, S. 388; Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 384, Anm. 256. 111 Zit. aus „Stellungnahme" des Gen.Maj. a. D . v. Wrisberg v. 2 5 . 4 . 1922 an Ehrengericht ScheüchWaldersee, in: N 1 Scheüch, N 23/5, fol. 244. Vgl. die ähnlich lautenden Formulierungen Trimborns am 7. 1 1 . 1918 im Reichsamt d.i., abgedr. in Arch. Forsch. 4/IV, S. 1769. 121 Beurteilung der im P r . K M . geführten Verhandlungen über die vom Stellv.Gen.Kdo. des Gardekorps vorgeschlagene „nationalen W e h r " , in: „ E r g e b n i s " des Ehrengerichts, fol. 154 (Anm. I 73). Könnemann, Bürgerwehren, S. 7 0 1 , versucht auf schmaler Quellenbasis den Beweis zu führen, man habe sich „höheren Orts keine Illusionen über den wirklichen Kampfwert der Bürgerwehren gemacht". 1:4 Gen.Maj. v. Wrisberg am 7. 1 1 . 1918 im P r . K M . anl. einer Besprechung, an der u . a . teilnahmen: Minister d.i. Drews, Ob.-Präs. v. Loebell, Oberbürgerm. Wermuth, Pol.-Präs. v. Oppen („Stellungnahme" Wrisberg, fol. 243, Anm. I 1 2 1 ) ; Zit. Wrisberg bei Wermuth, S. 412. Zur Entlastung Scheüchs gegenüber Vorwürfen, er habe die Bürger der Reichshauptstadt der „roten Flut überantwortet" (Waldersee), stellte das Ehrengericht später fest: „Besonders machten die Verhältnisse in Berlin die Aufstellung einer nationalen Wehr unratsam"; vgl. o. a. „ E r g e b n i s " v. 7. 7. 1922 (Anm. I 73).

I. M o n a r c h i s c h e Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

zur V e r f ü g u n g gestellten W a f f e n sich schnell in den Händen der A u f r ü h r e r befinden würden12'. Demnach hat o f f e n b a r im Preußischen Kriegsministerium die pessimistische A u f f a s s u n g vorgeherrscht, daß einzelne Bürgerwehren die regulären Truppen und Schutzmannschaften fast ebenso zu gefährden vermöchten wie militante Revolutionäre. Dieser noch am 7. N o v e m b e r von Wrisberg gegenüber D r e w s betonte „Hauptgesichtspunkt [ . . . ] , daß nur wirklich zuverlässige Leute bewaffnet würden und W a f f e n wie Munition gesichert w ä r e n " ' 2 6 , veranlaßte den preußischen Innenminister, seine schon geforderten Vorsichtsmaßnahmen bei der Bildung von Bürgerwehren durch noch darüber hinausführende Sicherheitsauflagen zu verstärken. Der den Bürger-, V o l k s - oder nationalen Wehren ursprünglich zugedachte weitreichende Auftrag, in Verein mit T r u p p e und Polizei eine „ S c h u t z w e h r gegen die R e v o l u t i o n " (Scheüch) zu bilden 1 2 7 , hatte Einschränkungen erfahren, die diese Gliederungen schon in der Planungs- und frühesten Aufstellungsphase' 2 8 zu fast vollständiger Ineffizienz verurteilten; die federführend von Berliner Stellen verordnete Reduzierung der Aufgaben vollzog sich etwa ebenso schnell wie der Machtverfall der föderalen und zuletzt auch der zentralen Gewalten Militär, Politik und Bürokratie des monarchischen Staates. Gegen die Räte - Verkörperung der Umsturzbewegung im zusammenbrechenden Kaiserreich und Träger der revolutionären Macht - mit Waffengewalt vorzugehen, könne nicht A u f g a b e der Bürgerwehren sein; diese sei „prophylaktischer N a t u r " . D i e Wehren sollten „dort, w o es noch nicht zu Aufständen gekommen sei, die öffentliche O r d n u n g schützen und vor allem eine Überrumpelung v e r h ü t e n " 1 2 9 - so lautete die letzte Direktive" 3 0 des Staatssekretärs des Reichsamts des Innern, T r i m b o r n . Auch die anfänglich v o m Preußischen Kriegsministerium eingebrachten Ideen und seine administrativen Initiativen zur Bildung sogenannter Schutzwehren im Heimatgebiet hatten sich infolge der mannigfachen Bedenken, die von Seiten der kommunalen und regionalen Selbstverwaltungskörper, der Landes- und der Reichsregierung erhoben wurden, schnell verbraucht. Zuletzt waren sie durch die formal-institutionellen Einwände der Spitzenvertreter von Polizei und Militär, ja sogar einflußreicher Persönlichkeiten aus dem eigenen H a u s e ' 3 ' , gänzlich erstickt.

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Zit. aus o . a . „ E r g e b n i s " , dessen T e n o r wesentlich durch mehrere „ S t e l l u n g n a h m e n " des damals zuständigen W r i s b e r g beeinflußt w u r d e . Zit. aus Wrisbergs „ S t e l l u n g n a h m e " , f o l . 2 4 4 f f . ( A n m . I 1 2 1 ) , die W . mit der B e m e r k u n g abschließt: „ D a r a u f h i n hat der Minister d . i . seine V e r f ü g u n g g e ä n d e r t . " G e m e i n t ist der in A n m . I 1 2 0 erwähnte fernschriftl. Z u s a t z v. 8. 1 1 . 1 9 1 8 . H i e r z u u . a . K ü s t e r , O b e r s t e Heeresleitung, S. 567, der jedoch dem p r . K M . fälschlicherweise ein Befehlsrecht gegenüber „allen Regierungen und B e h ö r d e n im L a n d e " unterstellt. U b e r den mißlungenen V e r s u c h , in M a g d e b u r g am 7. 1 1 . 1 9 1 8 eine B ü r g e r w e h r entsprechend den ergangenen Weisungen zu bilden, berichtet K ö n n e m a n n , E i n w o h n e r w e h r e n und Zeitfreiwilligenverbände, S. 34. U b e r das Scheitern gleichgerichteter A u f s t e l l u n g s v o r h a b e n am 7. 1 1 . in K ö l n und am 8. 1 1 . in K o b l e n z vgl. M e t z m a c h e r , S. 165 f. u. S. 192. T r i m b o r n anl. der Sitzung im Reichsamt d . i . am 7. 1 1 . 1 9 1 8 ; zit. nach D o k . u. Mat. I I / 2 , N r . 1 2 2 , S. 3 1 8 f . , u. A r c h . Forsch. 4 / I V , S. 1768. A m 8. 1 1 . 1 9 1 8 mußte T r i m b o r n v o r dem gleichen G r e m i u m eingestehen, das am 7. 1 1 . abends zusammengetretene Kriegskabinett habe „ d i e Fülle der A n r e g u n g e n mit Interesse entgegengenommen, doch keine Entschließungen fassen k ö n n e n " , vgl. A r c h . F o r s c h . 4 / I V , S. 1 7 7 4 . Z u den verschiedenen G r u p p i e r u n g e n im P r . K M . siehe A n m . I I I 405 f f . , insbes. III 4 1 1 f f .

I. Vor der Revolution: Pläne zur Bildung einer „Schutzwehr'

33

Nichts kennzeichnet das Abrücken des Kriegsministeriums von seiner zunächst mit der notwendigen Aktivität wahrgenommenen Rolle als „koordinierende Instanz" für die aus dem Reich eingegangenen Vorschläge zur Formierung von Bürgerwehren deutlicher als die Abgabe der Federführung an das preußische Innenministerium: Am 8. November 1918 ließ der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet den Stellv. preußischen Generalkommandos eine „Mitteilung" zukommen, nach der „der preußische Minister des Innern alle Regierungspräsidenten ersucht habe, nunmehr die Organisation von Bürgerwehren in die Wege zu leiten"' 1 2 . Von der zu relativ spätem Zeitpunkt angeregten Möglichkeit, „gesinnungstüchtige kaisertreue Männer"' 3 3 gegen die Umsturzbewegung zu mobilisieren, haben die für die Sicherung des monarchischen Systems verantwortlichen Organe weder rechtzeitig noch entschieden Gebrauch gemacht. Das Ergebnis ihrer Absprachen war eine Bürgerwehr, die bei zeitgerechter Aufstellung' 3 4 vielleicht geeignet gewesen wäre, „einen moralisch-politischen Druck auf ihre Umgebung auszuüben und die revolutionären Kräfte einzuschüchtern"'", nicht jedoch, dem Obermilitärbefehlshaber für die ihm vom Kaiser noch am 8. November 1918 aufgetragene „einheitliche und wirkungsvolle Bekämpfung der Revolution"' 3 6 eine ins Gewicht fallende Verstärkung zu sein. Die in der bedrohlichen Situation des sich ankündigenden äußeren, militärischen Zusammenbruchs und des dadurch heraufbeschworenen innenpolitischen Staatsnotstandes aufgekommenen und in letzter Stunde doch verworfenen Pläne zur Bildung einer Schutzwehr lassen sich wegen der fragmentarischen Uberlieferung allenfalls noch in den Planungen und Entscheidungsabläufen auf oberster militärischer und Regierungsebene in groben Zügen nachzeichnen. Vor allem ist nicht mehr feststellbar, ob es sich bei solchen Plänen lediglich um den wenig originellen Lösungsvorschlag handelte, die bei Kriegsbeginn zeitweilig aufgebotenen lokalen „Bürgerwehren" erneut zu mobilisieren, oder ob die kriegsministerielle Konzeption der „Schutzwehr" u. a. zum Inhalt hatte, die auf enge Zusammenarbeit mit den erst noch zu formierenden mobilen Eingreiftruppen und mit den örtlichen Schutzmannschaften angewiesenen paramilitärischen Sondereinheiten („Bürgerwehren") möglichst weitgehend nach militärischen Organisationsprinzipien zu gliedern. Daher bleibt eine Reihe von Fragen militär-technischer Art unbeantwortet, die zu Aufschlüssen über den überhaupt erreichbaren Grad an Effizienz geführt hätten, wie Modalitäten bei der Auswahl und Einberufung, Präsenzgrad, Unterstellungsverhältnisse, Gliederung, Bewaffnung und Ausbildung solcher Formationen. Ebensowenig gibt es eine Auskunft über die Führerfrage, ob sich nämlich die einer freiwilligen Landwehr vergleichbaren Bürgermilizen ihre Führer selbst wählen durften, wodurch ein vertrauensvollerer Zusammenhalt hätte entstehen können, oder ob diese von den militärischen Stellen berufen und eingesetzt werden sollten. 1,1 1,5 154

1)6

Zit. nach „Bericht" Stoeßel, fol. 209 (Anm. II 32). Formulierungen bei Mantey. In seinem fernschriftl. Zusatz v. 8. 1 1 . (siehe Anm. I 120) verfügte das Preuß. Min. d. I., „die Organisation von Bürgerwehren sofort bis zum 1. Dezember in die Wege zu leiten"; zit. nach Schulte, Münstersche Chronik, S. 3 1 . Charakteristik bei Könnemann, Bürgerwehren, S. 701. Zit. aus Telefonspruch v. 8. 1 1 . 1918 nachm. aus dem G r . H . Q u . an das Pr.KM. über die Übertragung der Kommandogewalt an Gen.Lt. Scheüch; siehe Anm. II 523.

34

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

D a zu diesem Fragenkomplex keinerlei Materialien aus den maßgeblichen Innenministerien und obersten Militärbehörden des R e i c h e s 1 ' 7 zur V e r f ü g u n g stehen, ist es notwendig, auf Aufzeichnungen von Offizieren aus dem Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o des Gardekorps zurückzugreifen 1 ' 8 , die bereits seit dem August 1 9 1 8 an einem Gesamtkonzept f ü r die Unterdrückung von Unruhen im hauptstädtischen R a u m gearbeitet h a t t e n ' " , hierbei einen Großteil ihrer Stabstätigkeit den „ G e d a n k e n über die Einrichtung einer nationalen W e h r " gewidmet und beständig vervollkommnete Fassungen ihrer Stabsstudie ab September 1 9 1 8 dem O b e r k o m m a n d o in den Marken immer wieder zur Genehmigung vorgelegt hatten' 4 0 . An diesem einzig verfügbaren Beispiel einer zu vergleichsweise sehr frühem Zeitpunkt begonnenen und über ein Vierteljahr mit zunehmender Intensität betriebenen militärischen Planungstätigkeit soll im folgenden untersucht werden, welche Vorstellungen über die Bildung von Bürgerwehren bei einer namhaften K o m m a n d o b e h ö r d e im Reiche herrschten und wie die Chancen f ü r eine Verwirklichung dieses Modells im nachhinein zu beurteilen sind. In Großstädten wie Berlin, F r a n k f u r t , Magdeburg, K ö l n , die mit ihren Festungsgouvernements, Stellv. Generalkommandos und einer Vielzahl anderer militärischer Dienststellen über zahlreiche O f f i z i e r e verfügten, stellte sich das in garnisonfreien Industriestädten nur sehr schwer lösbare Problem, jederzeit O f f i z i e r e f ü r die untere Führungsebene präsent zu haben, überhaupt nicht; nach der zutreffenden A u f f a s s u n g des C h e f s des Stabes des G a r d e k o r p s , Oberst v. Mantey, gab es hier „Persönlichkeiten genug, um ein Gerippe zu b i l d e n " ' 4 ' . N u r unzulängliche Angaben jedoch enthielten die Planungen des Stellv. Gardekorps über die „ M ä n n e r auserlesener A r t " , die in diesen besonderen Formationen zusammengefaßt werden sollten. Keineswegs überall gangbar w a r der f ü r Großstädte wie Berlin und Köln (die zugleich die beiden größten Garnisonen des Reiches waren' 4 2 ) aufgezeigte Weg, die O f f i z i e r k a d e r der Wehren mit allen nur irgendwie abkömmlichen O f f i z i e r e n aus den dort zahlreichen Dienststellen aufzufüllen und dabei keine übertriebenen Rücksichten auf ihre jeweilige C h a r g e zu nehmen, wenn es sich darum handelte, einen weiteren einsatzfähigen und zuverlässigen Waffenträger mehr zu gewinnen. Eine in der Reichshauptstadt durchaus vorhandene, dann aber am 8. N o v e m b e r 1 9 1 8 wegen Führungsversagen ungenutzt gebliebene Möglichkeit, weit über Soll mit O f f i z i e r e n ausgestattete Wehren oder gar reine Offizierseinheiten aufzustellen' 4 ', bestand - soweit ersichtlich - nur in sehr wenigen Garnisonen im Heimatgebiet. Da es der Eigeninitiative eines jeden Formationsführers überlassen bleiben sollte, „sich 1.7

Siehe Anm. I 160. A u f z . von Mantey, Planitz, Stoeßel (siehe Anm. II 32). Siehe Kap. II 2c. 140 Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 9 (Anm. I 58); Zit. ebd.; „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 106; „Bericht" Stoeßel, fol. 209 (beide Anm. II 32): „Diesen Vorschlag hatte der Chef des Stabes des Gen.Kdo. schon monatelang vorher und zwar mdst. sechs Male mit besonderer Nachdrücklichkeit beim O b . K d o . i. d. M. gemacht." 141 Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 10 (Anm. I 58). Dieses u. nachf. Zit. aus „Schreiben" Mantey, fol. 1 1 9 (Anm. I 67). 141 Die Angaben über die Zahlenstärke der im Oktober/November 1918 im Festungsgouvernement Köln garnisonierten Soldaten schwanken zwischen 45000-60000 Mann; vgl. Metzmacher, S. 159, Anm. 8. ,4 > Siehe Kap. II 8 b. 1.8

i. Vor der Revolution: Plane zur Bildung einer „Schutzwehr"

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eine Truppe von 50-100 Köpfen zu bilden"' 4 4 , konnten solche Stärken natürlich weder allein mit Offizieren noch mit von diesen aus ihrer Dienststelle im Alarmfall „mitgebrachten" verläßlichen Mannschaften noch mit Heimaturlaubern erreicht werden. Deshalb sah das Stellv. Generalkommando des Gardekorps eine Lösung des Personalproblems bereits darin, daß „das Bürgertum sich nur regte" und dem von Revolution bedrohten Staat „eine Macht schaffte"' 4 '. Bezeichnenderweise enthalten weder die Aufzeichnungen aus dem Stellv. Generalkommando des Gardekorps noch die Pläne des Reichsmarineamtes und der O H L über die Aufstellung von Bürgerwehren irgendwelche konkreten Hinweise zur Klärung des Problems, welche personellen Kräfte denn „die Bürger" hätten stellen sollen: Die genannten „Studenten"' 4 6 befanden sich, soweit wehrfähig, im Felde wie die Angehörigen aller aufzurufenden Bevölkerungsschichten, mit Ausnahme gerade der „politisch unruhigen, unzufriedenen Arbeiter", die als Reklamierte zum Dienst in die heimischen Rüstungsbetriebe beordert waren. Es liegt demnach der Schluß nahe, daß die „Zahl von 2-400 zuverlässigen Leuten, die jedem einzelnen Bataillon zugeführt würden'" 4 7 , sich größtenteils aus dem Kontingent der für die Kriegs- und Volkswirtschaft unentbehrlichen Personen, also der Beurlaubten und Reklamierten, rekrutieren sollte, möglicherweise noch verstärkt durch ortsansässige und vertrauenswürdige Garnisonverwendungsfähige. Bei Betrachtung ihrer zwischen Ende Oktober und dem 9. November 1918 an den Tag gelegten Verhaltensformen und gemessen am Grad ihrer politischen und praktischen Resistenz gegenüber der Aufruhrbewegung, ist nicht zu verstehen, warum der alte Staat in den zur Bourgeoisie gerechneten Kreisen eine zuverlässigere oder größere Stütze zu finden erwartete als in den zahllosen, gleichermaßen dem Bürgertum entstammenden aktiven und Reserveoffizieren. Darüber, wie die Organisation der nationalen Wehr „zunächst im stillen, dann öffentlich betrieben" werden sollte, hatte das Stellv. Generalkommando des Gardekorps dem Oberkommando in den Marken mehrere Alternatiworschläge unterbreitet, von denen hier die ausgereifteste Konzeption erörtert wird' 4 8 . Als kleinste Einheiten waren Wehren von 50 bis 100 Mann vorgesehen, die von ihrem Hauptmann ausgewählt und geführt werden sollten. Jeweils vier solcher Wehren sollten zu einem Verband zusammengefaßt und von einem Stabsoffizier kommandiert werden. Diese Verbands- und Einheitsführer sollten von den Militärbehörden ernannt werden. Von irgendwelchen Mitspracherechten bei der Bestimmung ihrer Führer war nicht die Rede: Ihnen sollte weder das Vorrecht der direkten Offizierwahl noch das Vorschlagsrecht eingeräumt werden. Zum Herstellen einer schnellen Präsenz und Einsatzbereitschaft der Wehren hatte das Stellv. Generalkommando folgende von den Militärbehörden vorzubereitenden Maßnahmen vorgesehen: Für jeden „nationalen Wehrmann" sollten Gewehr, Taschenmunition und Monrur in Depots bereitgehalten werden. Dort hatten sich die Angehörigen der

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So Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 10 (Anm. I. 58). '4> Ebd. 146 Die hier angeführten Bevölkerungsgruppen nach Mantey (Anm. I 141). 147 Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 10 (Anm. I 58). 148 Zit. u. Darst. nach Mantey, ebd.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

lokalen Wehren nach einem entsprechenden Aufruf ihres Hauptmanns oder ihres Garnisonskommandos beziehungsweise aus eigener Initiative unverzüglich zu versammeln. Darüber hinaus entwickelte diese Kommandobehörde eine interessante Variante zu der oben beschriebenen Organisationsform selbständiger Bürgerwehren, deren Bildung reichsweit, mit Schwerpunkt in Großstädten und Industrierevieren, in Angriff genommen werden sollte. Für die Sicherung und Behauptung des Großberliner Raums gegen Aufstandsversuche erschien es dem Stellv. Generalkommando weniger vorteilhaft, die Wehren als Truppenkörper eigener Art in relativer Unabhängigkeit von den regulären Ordnungskräften wirken zu lassen; sie sollten nicht geschlossen und „reinrassig", sondern eng gekoppelt und als „Blutzufuhr an die Ersatz-Bataillone" der Garde agieren. Konkret war hierbei an die Verstärkung aller Garde-Ersatz-Bataillone durch die jeweils 200 bis 400 Wehrmänner der Bürgerwehr-Verbände gedacht. Dabei sollte ihnen als überzeugten Anhängern des monarchischen Staates die Doppelrolle zukommen, ihn sowohl gegen Aufrührer zu verteidigen als auch für ihn innerhalb der bewaffneten Macht einzutreten, so daß „die unzuverlässigen Elemente in der Truppe nicht die Oberhand gewinnen" könnten. Die Vorstellungen des Stellv. Generalkommandos zielten darauf, die Organisation der hauptstädtischen „nationalen Wehr" derart auszuweiten, daß allen seinen 24 ErsatzBataillonen solche freiwilligen Bürgerwehr-Verbände würden zugeteilt werden können. In enger Anlehnung an Kommandostruktur und Unterstellungsverhältnisse in der Berliner Garde sollte auf je vier der von Hauptleuten geführten Einheiten ein Kommandeur, auf je sechs der so entstandenen, von Stabsoffizieren kommandierten Verbände ein General kommen. Immerhin waren die Planungen bis Ende Oktober 1918 schon so weit gediehen, daß für die Bildung einer nationalen Wehr in Groß-Berlin bereits der General d.Inf. v. Lochow vorgesehen war'* 9 , der sogar bevollmächtigt werden sollte, sich seine Hilfskräfte und Generale selbst auszusuchen. In Anbetracht der weit über tausend Offiziere, die in und um Berlin Dienst taten, hätte bei einer Realisierung der personell aufwendigen Aufstellungsvorhaben des Stellv. Generalkommandos wohl kaum ein Mangel an Generalen, Stabs- und Subalternoffizieren bestanden. Leider aber geben die Aufzeichnungen keinerlei Aufschlüsse darüber, auf welches realistische Kalkül sich die Annahme stützte, noch im Spätherbst 1918, d. h. vor dem Waffenstillstand und der Rückführung der Feld- und Besatzungstruppen in ihre Friedensstandorte, ein derart zahlenstarkes Freiwilligen-Aufgebot an „nationalen Wehrmännern" zusammenbekommen zu können, um sowohl die Formationen der Garde zu festigen als auch den Abschreckungswert des Berliner Militärs glaubhaft zu erhöhen. Wie schon erwähnt, wurden die Vorhaben der Korpsführung über die „Errichtung einer nationalen Wehr" in der Reichshauptstadt nicht in die Tat umgesetzt. Damit blieb es offen, ob sich die hohen Erwartungen, welche das Stellv. Generalkommando des Gardekorps in die Mobilisierbarkeit des Bürgertums setzte, in der Wirklichkeit erfüllt hätten. Ausschlaggebend für ihr NichtZustandekommen war die Art und Weise, wie das OberEbd. Gen.d.Inf. v. Lochow war auf hervorgehobenen Dienstposten im Pr.KM. verwendet worden, hatte sich als Korn.Gen. des aktiven III. A . K . schon vor dem Kriege, dann im Westen u. gegen Serbien einen Namen gemacht (Pour le mérite m.E.), war dann Befehlshaber einer Armeegruppe, der Angriffsgruppe Ost (Verdun), und wurde schließlich als O B 5. Armee im Januar 1 9 1 7 z. D. gestellt; vgl. Möller, S. 686ff.

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kommando in den Marken und Gouvernement von Groß-Berlin auf diesen und andere Vorschläge zur Revolutionsabwehr einging 1 ' 0 . Erste Ergebnisse der Stabsarbeit''' über die Bildung von Bürgerwehren hatte Mantey dem Chef des Stabes des Oberkommandos in den Marken, Oberst v. Berge und Herrendorff, bereits im September gelegentlich zweier Vorträge über die bedenkliche Sicherheitslage in Berlin und über seine Zweifel an der Zuverlässigkeit der Gardeersatzformationen gemeldet 1 ' 2 . Da das Oberkommando auf die „durchaus greifbaren Vorschläge" nicht reagierte, beorderte der Stellv. Kommandierende General, General d.Kav. Frhr. v. Richthofen, seinen Korpschef Anfang Oktober mit dem ausdrücklichen Auftrag ins Oberkommando, dort nur über den einzigen Punkt „Einrichtung einer nationalen Wehr" Vortrag zu halten. Auch bei diesem Rapport zeigte sich das vorgesetzte Oberkommando in den Marken „nicht gerade ablehnend; aber es griff den Gedanken nicht auf." In der dritten Oktoberwoche schließlich unternahm das Stellv. Generalkommando seinen massivsten Vorstoß 1 ' 3 , indem es von den mündlichen Verhandlungen der Chefs der Stäbe, die wegen des immer wieder vorkommenden Bruchs von Brief- und Dienstgeheimnissen geboten waren 1 ' 4 , abging und seine Studie dem Oberkommando am 19. Oktober 1918 schriftlich vorlegte. Hierin hat es u. a. vorgeschlagen, neben dem Oberkommando in den Marken und Gouvernement von Groß-Berlin ein zweites Oberkommando zu errichten, ausschließlich für Aufgaben der Revolutionsabwehr und zur einheitlichen Führung aller verwendungsfähigen Ersatzformationen der Berliner Garnison, der erst noch zu organisierenden nationalen Wehren und Offiziereinheiten sowie zweier zur Unterstützung erbetenen Divisionen des Feldheeres. In einer vom Oberkommando zum 2 1 . Oktober 1918 anberaumten Besprechung, an der auch der Berliner Polizeipräsident, v. Oppen, als Vertreter des preußischen Innenministers teilnahm, drängte neben dem Korpschef insbesondere auch der U-Referent des Preußischen Kriegsministeriums, Major Henning, auf die sofortige Bildung von Bürgerw e h r e n ' " . Die Vertreter des Kriegsministeriums und des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps vermochten sich jedoch mit ihrer teilweise recht vehement vorgetragenen Ansicht 1 ' 6 über den Zwang zum Handeln und mit ihrem „Revolutionsbild" (Mantey) gegenüber dem Militärbefehlshaber über die Provinz Brandenburg und Groß-Berlin nicht durchzusetzen. Zum einen hatten der Oberkommandierende, Generaloberst v. Linsingen, und sein Chef 1.0 1(1 1.1

1,4

1,6

Siehe Kap. II passim; Anm. II 97. Siehe Kap. II 2c. Darstellung u. nachf. Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 9 (Anm. I 58). Ebd., Bl. 1 1 . Ebd.; weitere Hinweise auf milit. Geheimnisverrat durch „stark links orientiertes Schreibstubenpersonal" (Zit. aus Sauer, Bündnis Ebert-Groener, S. 133, Anm. 306), siehe Anm. I 478. Uber undichte milit. Meldewege u. a. Höhn, Sozialismus und Heer III, S. 3 j 2 f . ; Fricke, S. 1 3 0 5 ; Deist, Armee in Staat und Gesellschaft, S. 326. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 11 f. (Anm. I 58). Zu den Vorträgen u. Aktivitäten des U-Referenten/Pr.KM., Major Henning, siehe Anm. II 1 1 2 . Der vom O b . K d o . i. d. M. beständig abgewiesene Chef des Stabes des Stellv. G e n . K d o . des Gardekorps drohte schließlich in einem in den ersten Novembertagen an das O b . K d o . gerichteten Dienstschreiben, unverzüglich aus dem Amt zu gehen, wenn „nicht endlich etwas f ü r die Schaffung einer nationalen Wehr geschähe"; Zit. aus Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 14 (Anm. I 58). Siehe auch A n m . II 3 1 7 f .

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

des Stabes, Oberst a.D. v. Berge und Herrendorff, bedingt durch ihre große Truppenferne 1 ' 7 , eine abweichende Vorstellung von der eigenen und der „Feindlage". Da bei ihnen noch keine begründeten Zweifel an der Zuverlässigkeit der in und um Berlin stehenden Ersatzformationen aufgekommen waren, unterstellten sie „folgerichtig", über das Garnisonmilitär als ein im wesentlichen intaktes Befriedungsinstrument verfügen zu können. Obwohl die Führung des Oberkommandos nach allgemeinem Urteil in administrativer Routinetätigkeit erstickte und ihr dadurch die Zeit für ihre eigentliche Aufgabe im Innern fehlte 1 ' 8 , die Bildung eines zweiten „operativen" Oberkommandos also sachlich notwendig gewesen wäre, ist der Militärbefehlshaber auf den entsprechenden Antrag des Stellv. Gardekorps - womöglich aus Konkurrenzdenken und aus Furcht vor dem Verlust seiner exklusiven Position - nicht eingegangen. Wie noch im einzelnen nachgewiesen werden wird, hat das Oberkommando und Gouvernement in dieser und in anderer Hinsicht durch die dilatorische Behandlung aller Verbesserungsvorschläge - was praktisch einem Veto gleichkam - wesentlich dazu beigetragen, daß das Konzept einer durch Sonderformationen gestärkten Abwehr unter einheitlicher und effizienter Führung nicht verwirklicht wurde' 5 9 . Mit Plänen zur Aufstellung von paramilitärischen Schutzformationen gegen den Umsturz befaßten sich neben dem preußischen Kriegsminister auch die Inhaber der beiden anderen vergleichbaren Spitzenstellungen in der bewaffneten Macht des Kaiserreiches' 6 0 ; es waren dies der Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Vizeadmiral Ritter v. Mann, und der Chef des Generalstabes des Feldheeres, Generalfeldmarschall v. Hindenburg. Beunruhigt durch den in seinem Verantwortungsbereich zuerst ausgebrochenen „Militärstreik" (Troeltsch) und die von meuternden Matrosen im Lande entfachte „Friedensrebellion" (Matthias), riet Mann am 6. November in gleichlautenden Eilschreiben an verschiedene Reichs- und preußische Ressortchefs 1 6 ' zur „schleunigen Bildung von Bürgerund Bauernwehren" als dem „einzigen Mittel, das schnelle Abhilfe schaffen und vielleicht den inneren Zusammenbruch noch verhindern kann". Da das Militär allein der sich schnell ausbreitenden Bewegung kaum Herr werde, schlug Admiral v. Mann „Selbsthilfe" durch die „vielen schon bestehenden [ . . . ] bürgerlichen Körperschaften" vor, die zu bewaffnen seien. Nachdem seinem Ersuchen, ungesäumt kommissarische Beratungen zwischen den hauptsächlich beteiligten Staats- und Kommunal-Behörden einzuleiten, mit 1(7 1,8

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161

Siehe Kap. II 8 a. Ausfuhrt. Beweisführung für diese These anhand zahlreicher Beispiele: Kap. II passim. Ebd. Hinsichtlich der Sonderformationen gilt dies auch für die mehrfach beantragte Aufstellung von Offizierseinheiten im Gouvernement von Groß-Berlin, siehe Kap. II 8 b. a) Hinsichtl. Aufgaben u. Finanzen (Etat) galt das Pr.KM. als zentrale Reichsbehörde; dieser faktische Status fand jedoch keinen Eingang in das Verfassungsrecht des Reiches. b) Staatssekretär des Reichsmarineamtes (V.Adm. Ritter v. Mann Edler von Tiechler): Noch am } i . io. 1918 war das R M A erneut als Reichsbehörde, der Chef des R M A als Reichsressortchef u. Stellv. des Reichskanzlers bestätigt worden (RGBl. 1918, S. 1273). c) Chef des Generalstabes des Feldheeres (Gen.Feldm. v. Hindenburg): Im Juni 1918 war der Große Generalstab „in der Rangordnung den Zentralbehörden gleichgestellt" worden (AVB1. 1918, Nr. 37). Mann an Reichskanzler, in: ZStA, Akten der Reichskanzlei, Nr. 755/4, diesbezgl. Entwurf des Kapt. z. S. v. Brüninghaus, vollst, abgedr. in: Quellen II, 1 /II, Nr. 506; nachf. Zitate ebd.

I. Vor der Revolution: Pläne zur Bildung einer „Schutzwehr"

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den beiden Sitzungen im Reichsamt des Innern entsprochen worden, die angestrebte „schnelle Abhilfe" jedoch nicht mehr zu erreichen war, hegte er bereits am 7. November nachmittags' 6 ' nurmehr die „ H o f f n u n g " , durch Verhandlungen mit einer Abordnung der meuternden Matrosen die Aufruhrbewegung „zurückzurollen"' 6 '. So sah sich der Staatssekretär des Reichsmarineamts, der noch am 5. November Scheüchs Warnung vor einem solchen Präzedenzfall zugestimmt hatte' 64 und der noch am 6. November Organisationen gegen den „Bolschewismus" und „ T e r r o r " ' 6 ' aufrufen wollte, bereits wenig später genötigt, sich als erster Chef eines Reichsressorts auf den Boden der Tatsachen zu stellen. Noch in der ersten Novemberwoche hatte auch die O H L dem Reichskanzler vorgeschlagen l6é , „sofort von der Regierung aus einen Aufruf an das deutsche Volk zu erlassen" und „die Mithilfe und Sammlung aller für Ordnung eintretenden [ . . . ] nationalen Kräfte [ . . . ] zur Sicherung des Bestandes der bürgerlichen Rechtsordnung" zu betreiben. Es sollte ein „Heimatschutz mit allen verfügbaren militärischen und zivilen Mitteln [ . . . ] unter den gesetzlichen staatlichen Gewalten organisiert" werden, dadurch „das Entstehen neuer Bolschewistenherde schon örtlich unterdrückt und die Bewegung bald räumlich so eingedämmt werden", daß günstige Vorbedingungen für eine „planmäßige Bekämpfung" geschaffen würden. Obwohl im Großen Hauptquartier umfassende und auf neuestem Stand befindliche Nachrichten vom raschen Umsichgreifen der Revolution im Reiche vorlagen' 67 , baute die O H L einen wesentlichen Teil ihres „Operationsplans zur Wiedereroberung der Heimat"' 6 8 auf der „ H o f f n u n g " , nämlich der falschen Voraussetzung auf, daß noch zu diesem Zeitpunkt „in allen Bundesstaaten [ . . . ] die überragende Mehrheit des deutschen Volkes [ . . . ] gesammelt" werden könne, im Heimatgebiet also noch eine national und bürgerlich orientierte Wehr mobilisierbar sei. Hier wurden in enger zeitlicher Aufeinanderfolge Wunschvorstellungen erneuert, denen die überforderten Adressaten bereits wenig zuvor bei ähnlichem Anlaß eine unmißverständliche Abfuhr erteilt hatten: Schon im Oktober 1918 waren die letzten realpolitischen Chancen gescheitert, eine levée en masse gegen die von Wilson angekündigten Vorleistungen für einen alsbaldigen Waffenstillstand und die zu gewärtigenden noch härteren Friedensbedingungen zu mobilisieren; sie scheiterten nicht an der heftigen Obstruktion ,f

" Zit. Manns bei Max von Baden, S. 602; dieser bemerkt hierzu, die Deputation (vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1766) habe „schon durch äußere Aufmachung das Bild der Revolution in die Regierungsgebäude getragen." Ähnliches Urteil im „Bericht" Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 401. Siehe Anm. I 302. l6) So Mann gegenüber dem Reichskanzler, vgl. Max von Baden, S. 602. ,64 Vgl. Quellen I/2, S. 542 f. Zur ähnlich ablehnenden Haltung Scheüchs am 7. 1 1 . 1918 vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1763. ,6( Formulierungen Manns; siehe Anm. I 161. ,t6 Zit. aus dem von Hindenburg gez. Fernschreiben v. 7. 1 1 . 1918 an Reichskanzler Max von Baden, in: Z S t A , Akten der Reichskanzlei, Nr. 755/4, Bl. 201-203. ,t? Zum Informationsstand der O H L am 7. n . 1918 über die Lage im Heimatgebiet vgl. N1 Stülpnagel, B A - M A , N 5/17, fol. 2; Groener, Lebenserinnerungen, S. 541; Thaer, S. 2 j 3 f . ; Poll, S. 42; N1 Reinhardt, W H S t A - H A , M 660, Bü. 14, fol. 1; hds. „Bericht" des Kgl. Bayer. Militärbevollmächtigten im G r . H . Q u . , Gen.Maj. Ritter v. Köberle.v. 7. n . 1918 an den bayer. K M . , i n : B H S t A IV, M K r 1828; N1 Haeften, B A - M A , N 35/5, fol. 191 f. ,68 Zit. aus N 1 Heye, B A - M A , N 18/4, fol. 4s 5 f. Uber die von der O H L getroffenen „Anordnungen für die Bildung einer .Heimatarmee' unter dem Kriegsminister zur Niederwerfung der sich verstärkenden Revolution in der Heimat" (Heye) siehe ausführlicher Kap. III 1.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

der Unabhängigen oder an den vielfachen Einwänden der Mehrheitssozialdemokratie, sondern vornehmlich an der bis zur Lethargie geratenen Passivität des sogenannten nationalen Bürgertums. Hatte es also bei den Kreisen, an die der Chef des Generalstabes des Feldheeres noch nach dem 7. November' 6 9 appellieren lassen wollte, schon nicht zum „nationalen Widerstand" (Rathenau) gegen den äußeren Feind gereicht, so erwiesen sich die „ H o f f n u n g e n " Hindenburgs auf eine militante Abwehrbereitschaft derselben Bevölkerungsschichten gegen den sog. inneren Klassenfeind als um so illusionärer, zumal bei der O H L zu diesem Zeitpunkt bereits klare Erkenntnisse vorlagen über Art, Umfang und Geschwindigkeit der sich ab 3V4. N o v e m b e r 1918 weitgehend ausbreitenden Umsturzbewegung. Die operativen Erwägungen der O H L noch am 7. November vormittags' 7 0 über eine „Wiedereroberung der Heimat" (Heye) gingen von der Fiktion einer sofort verfügbaren und einsatzbereiten Bürgerwehr 1 7 ' aus. Diese hätte demnach in nicht näher bezeichnetem Zusammenwirken „mit allen verfügbaren militärischen Mitteln"' 7 2 lokale Pazifizierungsund Zernierungsaufgaben nach A r t eines taktischen Vorlaufs zu lösen, bis dann „ O p e r a tionen gegen die Aufstandsgebiete planmäßig"' 7 5 mit Hilfe freigewordener Truppenteile des Feldheeres durchgeführt werden könnten - eine Generalstabsstudie, die schon im Ansatz von falschen psychologischen und faktischen Voraussetzungen ausging und deren Aussichtslosigkeit sich Groener und Hindenburg bereits 36 Stunden später eingestehen mußten' 7 4 . Die noch kurz vor Ausbruch der Kieler Matrosenrevolte angeregten und unter dem Eindruck der sich rasch ausweitenden Umsturzbewegungen eilends beschlossenen Maßnahmen der Regierung zur Bildung einer Schutzwehr gegen die Revolution waren allesamt über das Stadium der Planung, günstigenfalls einer ersten Anordnung zur alsbaldigen Durchführung, nicht hinausgekommen. Mannigfache institutionelle Bedenken, durch den interministeriellen Geschäftsgang verschleppte Entscheidungsprozesse, eine im obrigkeitlichen Verordnungsstaat unterentwickelte psychologische Bereitschaft der Bürger, in Eigeninitiative und ungesäumt zur „Selbsthilfe" (Mann) zu greifen, können hierfür als Gründe angeführt werden. O b die personellen Möglichkeiten der Bevölkerungsteile, die den monarchischen Staat im Herbst 1918 noch bejahten und aktiv für ihn einzutreten bereit waren, zur Formierung

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Das nicht vor dem Mittag des 7. 11. 1918 in Spa aufgegebene Femschreiben Hindenburgs („Eilt sehr") weist den Eintrag auf „ A n g e k o m m e n in Berlin: 7. N o v e m b e r 1918, 5 U h r 15 n a c h m . " ; siehe A n m . I 166. - A u c h bei unverzüglicher A n n a h m e des Vorschlags der O H L , „ s o f o r t von der Regierung aus einen A u f r u f an das deutsche V o l k zu erlassen" (ebd.), hätte ein solcher nicht f o r d e r n 8. 11. 1918 die Öffentlichkeit erreicht. N1 Stülpnagel, B A - M A , N 5/17, fol. 2; G r o e n e r , Lebenserinneningen, S. 452; N1 H e y e ( A n m . I 168). O f f e n b a r w a r dieser G e d a n k e nicht nur in der Operationsabteilung I ( C h e f : O b e r s t i . G . H e y e ; I a: M a j o r i.G. Joachim v. Stülpnagel) am 7. 11. 1918 vorherrschend, sondern schon früher auch in anderen Abteilungen der O H L verbreitet: vgl. Brief des C h e f s des Generalstabes beim Generalquartiermeister II (Oberst i.G. v. Thaer) v. 6. 11. 1918 mit der geläufigen Formulierung (siehe A n m . I 99), „sofort eine Bürgerwehr z u organisieren aus den zuverlässigen Elementen der Einwohnerschaft" (Thaer, S. 255). Zit. aus Fernschreiben H i n d e n b u r g s ( A n m . I 166). A l l e r Wahrscheinlichkeit nach waren hiermit die Ersatztruppenteile im Heimatgebiet gemeint. Ebd. Siehe ausführlicher A n m . I 719 ff.

2. Während der R e v o l u t i o n : Matrosenrevolte statt B o l s c h e w i s t e n a u f s t a n d

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von auch nur bedingt abwehrfähigen paramilitärischen Ordnungskräften im ganzen Heimatgebiet ausgereicht hätten, ist eine schon im Oktober 1918 mit großer Skepsis gestellte Frage gewesen, deren direkter Beantwortung die hierbei angesprochenen Bevölkerungsschichten durch die Geschwindigkeit der sich überstürzenden Ereignisse enthoben wurden. Denn zusätzlich zu den berechtigten Zweifeln an der noch vorhandenen Widerstandskraft' 7 ' der führenden Gesellschaftsschichten, ihren sozialen Status und „ihren" Staat wenn nötig mit Waffengewalt zu erhalten, erscheint der Zeitfaktor als das ausschlaggebende Moment bei der seinerzeitigen und nachträglichen Erörterung, weshalb sich nicht eine organisierte und bewaffnete konservative Bourgeoisie der spontanen revolutionären Massenbewegung erwehrte. Es waren vor allem der unvorhersehbar frühe Ausbruch und die in diesem Ausmaß nicht vermutete schnelle Ausbreitung der Umsturzbewegung, die eine rechtzeitige Organisation von Bürgerwehren im ganzen Reich verhinderten - und damit den gewaltsamen Zusammenstoß unter Bürgern desselben Landes. Abschließend bleibt festzustellen, daß die in letzter Stunde unternommenen Anstrengungen der legitimen Staatsgewalt, dem durch Revolution bedrohten monarchischen System die zusätzlich notwendigen Machtmittel zu seiner Erhaltung zuzuführen, gescheitert waren. So verfügten zur Monatswende Oktober/November 1918 die Militärbehörden, denen die Ausübung der vollziehenden Gewalt im Reiche übertragen war, zur Unterdrückung innerer Unruhen lediglich über nicht ins Gewicht fallende örtliche Schutzmannschaften und über Ersatzformationen, deren Zuverlässigkeit seit längerem zweifelhaft war.

2. Während der Revolution a) Der unerwartete Gegner: Matrosenrevolte statt ,,Bolschewistenaufstand" Die Meldungen, die den Ministerien und Militärbehörden bis Ende Oktober 1918 über die Sicherheitslage im Innern zugegangen waren, berichteten zwar übereinstimmend, daß „in den breiten Massen der Arbeiter und des proletarischen Volkes [ . . . ] vielfach Neigungen für Massenstreiks und revolutionäre Unruhen vorhanden"' 7 6 seien, auch sprachen führende sozialdemokratische Parteiorgane „von Unruhen wie von einer nahenden Wirklichkeit"' 77 - sichere Beweise oder verläßliche Meldungen darüber, „daß eine Revolution unmittelbar bevorstehe"' 78 , lagen jedoch zu diesem Zeitpunkt keiner Stelle des StaatsapI7S

E s verdient hervorgehoben zu werden, daß sich auch die im Kaiserreich t o n a n g e b e n d e B e v ö l k e r u n g s schicht nach jahrelanger U b e r s p a n n u n g der staatlichen A n s p r ü c h e an ihre moralischen u. physischen K r ä f t e nach Frieden sehnte. - Z u r Kritik am B ü r g e r t u m vgl. N i e m a n n , R e v o l u t i o n von o b e n , S . 2 5 3 ; Breit, S. 1 2 2 . ,7 ' Siehe A n m . I 4 o f . , insbes. I 46. Zit. aus A r c h . F o r s c h . 4 / I V , N r . 7 1 7 . 177 Spätere Charakteristik der zumeist v o m C h e f r e d a k t e u r S t a m p f e r verfaßten A r t i k e l u. K o m m e n t a r e im „ V o r w ä r t s " bei M a x von Baden, S. 569. Ähnliches gilt f ü r die von L o e b e geleitete „Schlesische V o l k s w a c h t " (Breslau), die von D r . Adolf Braun hrsg. „ F r ä n k i s c h e T a g e s p o s t " ( N ü r n b e r g ) s o w i e die von Heilmann und N o s k e beeinflußte „ C h e m n i t z e r V o l k s s t i m m e " . Zit aus ms „ E r w i d e r u n g " Scheüchs v. 16. 1. 1 9 2 2 an Ehrengericht, in: N 1 Scheüch, B A - M A , N 2 3 / 3 , fol. 10, w o r i n der ehem. p r . K M . , unterstützt von Wrisberg, die B e h a u p t u n g Lonsingens (kolportiert

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

parates vor. Nichtsdestoweniger hatten Drews und Scheuch bereits Polizei und Militär für den Fall von Unruhen „ z u großer Zurückhaltung instruiert"' 7 '. In Anbetracht ihrer Informationen scheinen sich die beiden preußischen Staatsminister mit ihren Weisungen in erster Linie auf vom Spartakusbund inszenierte, allenfalls noch von den Unabhängigen mitgetragene' 8 0 örtliche Putschversuche bezogen zu haben. So wurden die alten Gewalten nicht nur vom Zeitpunkt, sondern auch durch Ursprung und Charakter des allgemeinen Aufruhrs überrascht: einem spontanen und elementaren Aufbegehren innerhalb der bewaffneten Macht selbst, primär geboren aus Kriegsmüdigkeit und Kritik an den innermilitärischen Zuständen und erst in zweiter Linie eine gegen die bestehenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse gerichtete Protestbewegung. A u c h für General Scheüch waren die dem Kabinett am 2. N o v e m b e r 1918 erstmals gemeldeten Gehorsamsverweigerungen in der Flotte' 8 ' nicht mehr als „Meuterei und O b s t r u k tion im großen U m f a n g e " ' 8 2 . D e r Maßstab, den Scheüch hierbei anlegte, beruhte auf seinen Erfahrungen mit den seit den gescheiterten Frühjahrsoffensiven vermehrt auftretenden Disziplinwidrigkeiten im Heer, von denen der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet eine umfassende Kenntnis hatte und gegen die er innerhalb seines Kompetenzbereichs nach Möglichkeit eingeschritten war. D a ß diese Rebellion gegen den Krieg die Initialzündung für den allgemeinen Aufruhr bedeutete, erkannte der Kriegsminister' 8 ' aller Wahrscheinlichkeit nach erst am 4. N o vember, nachdem Ritter v. Mann seinen Kabinettskollegen ein überdies „nur undeutliches Bild" (Kluge) von dem inzwischen fünf Tage zurückliegenden Ausbruch und vom bisherigen Verlauf der Matrosenrevolte vermittelt hatte. Darüber hinaus wurde den meisten Mitgliedern der Reichsregierung, die bis zum 4. N o v e m b e r mittags „ v o n den Kieler Vorkommnissen eine ganz unklare, unzutreffende Vorstellung" hatten '''S der gefährliche „Umschlag einer bis dahin friedlichen Demonstrationsbewegung in eine militante politivon Waldersee) z u r ü c k w e i s t , der ehem. O b e r k o m m a n d i e r e n d e in den Marken habe ihn bereits Ende O k t o b e r 1918 vor dem nahen A u s b r u c h einer A u f s t a n d s b e w e g u n g gewarnt. So Scheüch in der Sitzung des Kriegskabinetts am 2. 11. 1918; vgl. Q u e l l e n I/2, S. 467. 180

181

1,1

l8)

U b e r das revolutionäre Aktivitätsgefälle v o m Spartakusbund zur U S P D vgl. „ B e r i c h t " des Berliner Pol.-Präs. v. 21. 10. 1918 an den preuß. Min.d.i., abgedr. in: A r c h . Forsch. 4/IV, N r . 729. Ein erster dürftiger Bericht über die bereits am 27. u. 29./30. 10. 1918 v o r g e k o m m e n e n schweren U n b o t m ä ß i g k e i t e n bei der Flotte w u r d e dem Kriegskabinett erst am 2. 11. 1918 durch den StSekr. des R M A erstattet; vgl. Q u e l l e n I/2, S. 470. D i e These, der StSekr. des R M A habe „offensichtlich seine Informationspflicht gegenüber dem Kabinett verletzt" (Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 39), stimmt dem Wortlaut nach. Hinsichtlich Manns erster M e l d u n g an den Regierungschef Mix v o n Baden am 1. r i . 1918, die der Vortragende, Kapt. v. Gladisch, später bezeugte ( W U A , 2. A b t . , IV/4, S. 341 ff.), bestehen Z w e i f e l (Deist, Politik der Seekriegsleitung, S. 367, A n m . 68); höchstwahrscheinlich ist der C h e f des Generalstabs eher (2. 11. 1918 vormittags) unterrichtet w o r d e n als der Regierungschef (Deist, ebd., S. j 6 6 f . ; Q u e l l e n II, 1 /II, N r . 501, A n m . 13). U b e r die ansonsten außerordentliche „ Z u r ü c k h a l t u n g " , w e l c h e sich das K d H in der ersten Berichterstattung gegenüber S K L (Spa) u. R M A (Berlin) auferlegte, vgl. Q u e l l e n II, i/II, N r . 498, A n m . 3, N r . 501, A n m . 6. U b e r die von den C h e f s des Stabes von S K L u. K d H „festgelegte M a r s c h r o u t e " für die v o m Reichskanzler angeordnete Berichterstattung vor dem Kabinett vgl. Q u e l l e n II, i/II, N r . 501, A n m . 15. N a c h den hds. „ N o t i z e n " Scheüchs aus den ersten N o v e m b e r t a g e n 1918, in: N 1 Scheüch, B A - M A , N 23/1, fol. 163. U b e r die Beurteilung der „sehr ernsten L a g e " (Scheüch) durch den p r . K M . u. a. führende Politiker am 4. 11. 1918 vgl. Q u e l l e n I/2, S. 495-503. Zit. aus N o s k e , V o n Kiel bis K a p p , S. 8.

2. Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

43

sehe U n i s t u r z b e w e g u n g " ' 8 ' erst dadurch angezeigt, daß eilends ein Vertreter des Kriegskabinetts (Staatssekretär H a u ß m a n n ) und der Mehrheitssozialdemokratie ( N o s k e ) zur „ A u f k l ä r u n g " ' 8 6 nach Kiel entsandt wurden sowie ein A u f r u f an die dortigen Seeleute und A r b e i t e r ' 8 7 erging.

b) Heeresformationen

gegen aufständische

Matrosen

Z u r U n t e r d r ü c k u n g der Matrosenunruhen sind gleichzeitig und nacheinander verschiedene W e g e beschritten und mehrere Instanzen eingeschaltet w o r d e n , darunter der O b e r militärbefehlshaber im Heimatgebiet. Spätestens am A b e n d des 3. N o v e m b e r hatte es sich erwiesen, daß die Beurteilung v o n U r s a c h e n und Charakter der Revolte durch die Seeoffiziere ebenso falsch w a r w i e ihre U b e r z e u g u n g , der Unbotmäßigkeiten noch mit dem herkömmlichen Geltungsanspruch und einer unverminderten

Wirksamkeit der innermilitärischen Repressivgewalt

Herr

w e r d e n zu k ö n n e n ; alle V e r s u c h e , die Meuterer durch A p p e l l e , A l a r m i e r u n g s ü b u n g e n , Disziplinarmaßnahmen, G e w a l t a n d r o h u n g und b e w a f f n e t e G e g e n a k t i o n in die soldatische Z u c h t z u r ü c k z u z w i n g e n , waren gescheitert. A l s das S t a t i o n s k o m m a n d o ( C h e f der Marinestation O s t s e e : A d m i r a l S o u c h o n ) in der N a c h t z u m 4. N o v e m b e r und in seinen frühen Morgenstunden endgültig z u der Erkenntnis gelangen mußte, daß es ihm an ausreichenden Einwirkungsmöglichkeiten fehlte, aus eigener K r a f t die nun vollends politisch gewordene, an Zahl und W a f f e n überlegene A u f s t a n d s b e w e g u n g innerhalb des Festungsbereichs des Reichskriegshafens Kiel unter Kontrolle zu bringen, ersuchte es um militärische U n t e r s t ü t z u n g v o n außen. Bezeichnenderweise hat das G o u v e r n e m e n t Kiel seine ersten Hilfeersuchen nicht an den Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet gerichtet, sondern unmittelbar an das Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o des angrenzenden Korpsbereichs ( I X . A r m e e k o r p s , A l t o n a ) ' 8 8 . Diese

185

Charakteristik bei Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 36, für den Transformationsprozeß, den der Aufruhr in Kiel am 3. 1 1 . 1918 nach einem blutigen Zusammenstoß zwischen Demonstranten u. einer vom Gouverneur aufgebotenen Patrouille durchmachte. Die von Kluge behauptete „Friedlichkeit" in Absicht und Vorgehen des nach Tausenden zählenden Demonstrationszuges muß in Frage gestellt werden; vgl. hierzu Quellen II, 1 /II, N r . 502, Anm. 1 1 ; Zeisler, S. 201 f.; Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 8; ms „Angaben" des Patrouillenführers, Lt.d.Res. Steinhäuser, in: B A - M A , R M 31/v. 2373, fol. 23; Pol.-Bericht v. 3. 1 1 . 1918, ebd., fol. 21 f.; „Aufzeichnung" Souchon v. 7. 10. 1926, in: N1 Souchon, B A - M A N 156/31. ' " Zit. aus Quellen I/2, S. 491; vgl. auch Haußmann, S. 265; Scheidemann, Memoiren II, S. 267; Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 8.; Brecht, S. 184f.; Quellen I/2, S. 491, 495 f. Die Entsendung erfolgte auf Betreiben des R M A u. K d H sowie mit Unterstützung der „politischen" Reichsstaatssekretäre o. P. (Scheidemann, Haußmann, Erzberger u. Gröber). '*-' Abgedr. bei Max von Baden, S. 572; vgl. auch Scheidemann, Memoiren II, S. 267. Bei Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 41, findet sich eine kritische Beurteilung des von Max von Baden, Scheidemann u. Mann unterschriebenen Flugblattes. 188 Aus einem Schriftwechsel (in: Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Schleswig, Abt. 301, Nr. 1783), den der Chef der Marinestation Ostsee in seiner Eigenschaft als Gouverneur des Erweiterten Befehlsbereichs des Reichshafens Kiel mit dem Stellv. Kom.Gen. IX. A . K . u. dem Ob.-Präs. der Provinz Schleswig-Holstein unter teil weiser Hinzuziehung von R M A und Pr.KM. zwischen Ende [914 und Mitte 1915 geführt hatte, geht hervor, daß sich der Festungskommandant gegenüber allen Einmischungsversuchen der o. a. Stellen als „völlig selbständige Immediatbehörde des obersten Kriegsherrn" zu behaupten vermochte. Die von Souchons Vorgängern (Adm. Bachmann u. Ingenohl) so nachdrück-

44

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Form militärischer Kommunikation auf gleichrangiger Führungsebene entsprach gänzlich der Unabhängigkeit der immediat gestellten Militärbefehlshaber in rein militärischen Kommandoangelegenheiten, die von allen während des Krieges zugunsten des Obermilitärbefehlshabers geregelten Zentralisierungsmaßnahmen' 8 9 verschont geblieben war. Solche Verbindungsaufnahme zwischen zwei selbständigen Befehlshabern demonstriert zugleich den auf gefährliche Weise desintegrierend wirkenden Mangel „ a n hierarchischer O r d n u n g der Verantwortlichkeiten bei den höchsten [ . . . ] K o m m a n d o b e h ö r d e n " und an „Einheitlichkeit der militärischen F ü h r u n g " , 9 ° im Heimatgebiet. Angesichts des angestrebten Zieles: beschleunigte H e r a n f ü h r u n g und koordinierter Einsatz überlegener Heeresformationen gegen eine immer machtvoller werdende Militärrebellion und unter besonderer Berücksichtigung des hierfür nötigen A u f g e b o t s an Eingreiftruppen war der erste Antrag der Marinestation, schon vom ausschließlich militärtechnischen Standpunkt aus betrachtet, zu spät erfolgt und an eine zur Erledigung derart umfassender Aufgaben ungeeignete Stelle ergangen 1 9 1 . Für seine Absicht, die O r d n u n g im Gouvernement Kiel gewaltsam wiederherzustellen, hatte Admiral Souchon bereits in den frühen Abendstunden des 3. N o v e m b e r zum ersten Mal „telefonisch Unterstützung beim I X . A r m e e k o r p s erbitten" müssen, nachdem nachmittags der von ihm angeordnete „laute Stadtalarm" versagt hatte und wenig später auch noch der Stadtkommandant, Kapitän z.S. Heine, und die Kommandeure von Landformationen der Marine ihm gegenüber erklärt hatten, gegen einen vieltausendköpfigen Demonstrationszug mit Waffengewalt nicht vorgehen zu wollen' 9 2 . Der angesprochene Stellv. Kommandierende General in Altona, General d.Inf. v. Falk, beauftragte den Truppenführer des dem Kieler Festungsbereich nächstgelegenen Stellv. Brigadekommandos, Generalleutnant v. W r i g h t ' 9 ' , alle verfügbaren Infanteriekräfte aus den ihm unterstellten Ersatzbataillonen unter einheitlichem Befehl zu sammeln und noch während der N a c h t im Eisenbahntransport nach Kiel hinein zu befördern. Die in den benachbarten Heeresgarnisonen eingeleiteten Maßnahmen konnten jedoch bereits gegen 22.30 U h r wieder rückgängig gemacht werden' 9 4 , da es Souchon noch einmal gelungen w a r , eine von ihm direkt beorderte Applikanten-Patrouille, die von einer gewaltsam vorgehenden Menge eingekeilt w o r d e n war, nach „wiederholtem dringenden B e f e h l " ' 9 ' zum Feuern zu bewegen und damit „augenblicklich [die] R u h e [wieder] herge-

189

1,1 I,!

194

'9!

lich betriebene „Scheidung der Befehlsbefugnis zwischen dem Gouvernementsbereich und dem benachbarten Korpsbezirke" hat am 4. 1 1 . 1918 eine geradezu selbstmörderische Wirkung gehabt; siehe Anm. I 205 ff. (O. a. Aktenhinweis durch cand. phil. Dirk Dähnhardt, dessen Arbeit: Revolution in Kiel. Der Ubergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik 1 9 1 8 / 1 9 , 1978 erschienen ist.) A . K . O . vom 27. 5. 1 9 1 6 (Quellen II, i/I, N r . 18, Anm. 14); v. 1. 1 1 . 1 9 1 6 (ebd., Nr. 196); v. 4. 12. 1916 (ebd., N r . 27); v. 15. 10. 1918 (Quellen I/2, N r . 26, Anm. 17); siehe Kap. III 1. Zit. Deist in Einleitung zu Quellen I I / i , S. X X I V f . ; Vorstehendes in Anlehnung an S. X L V , X L V I I . Entspr. Urteile auch bei Scheer, Hochseeflotte, S. 498; Kolb, Arbeiterräte, S. 73. „Handschreiben" Souchon v. 7. 3. 1920 an den Chef der Admiralität, B A - M A , R M 31/v. 2366, anl. Fasz. 1660, fol. 103. Ebd. die Meldungen der Marinedienststellen im Festungsbereich an das Gouvernement. Vgl. hierzu Volkmann, Marxismus, S. 2 1 8 f . ; Czech-Jochberg, S. 19. Gen.Lt. v. Wright, Kdr. Stellv. 81. Inf.Brig. (Lübeck), alarmierte Ers.Btl./Inf.Rgt. 163 (Neumünster), Ers.Btl./Res.Inf.Rgt. 84 (Schleswig), Ers.Btl./Inf.Rgt. 162 (Lübeck); Befehlshaber dieser Eingreiftruppen: K d r . E . / i 6 3 . Durch Stellv. G e n . K d o . I X . A . K . war die Bereitstellung von Sonderzügen in Lübeck u. Neumünster zugesagt. Vgl. Trowitz, S. 2. Trowitz, S. 3; Czech-Jochberg, S. 19. Zit. „Handschreiben" Souchon (Anm. I 192); dito in „Aufzeichnung" Souchon (Anm. I 185).

2. Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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stellt" zu haben 796 . Souchons Erfolgsmeldung vom 4. November frühmorgens gründete auf dem Fehlschluß seines Stationskommandos, „durch das scharfe Vorgehen, bei dem Blut geflossen, [ . . . ] wieder vollkommen Herr der Situation geworden zu sein"' 9 7 ; die „zuversichtliche H o f f n u n g " , dies auch „zu bleiben"' 9 8 , verknüpfte Souchon mit einem vage angedeuteten Antrag an die obersten Marinebehörden, das Gouvernement zu unterstützen: „Vorgänge zeigen Notwendigkeit der Entlastung Kiels' 9 9 ." Unerwartet für die Kieler Marinedienststellen schwelte jedoch der mühsam eingedämmte revolutionäre Brand in den Nachtstunden weiter und brach am 4. November morgens erneut aus 200 . Dem Aufruhr schlössen sich nun auch die für zuverlässig gehaltenen Truppenteile an oder erklärten, ihm nicht entgegentreten zu wollen 201 . Gegen 10 Uhr lauteten Souchons Lagebeurteilung und Entschluß: „Vorgesetzte sind hilflos. Stadtkommandant 202 [ . . . ] nicht mehr Herr der Lage. Erbitte erneut Truppenhilfe aus Rendsburg und Lübeck." Souchons Kurzformel ist irreführend: Der Admiral wandte sich nicht an die Heeresgarnisonen direkt, sondern telefonisch zunächst an den Chef des Generalstabes des Stellv. IX. Armeekorps, der wiederum etwa um 11 Uhr den Kommandeur der Stellv. 81. Infanterie-Brigade (Lübeck) „zum Befehlshaber sämtlicher gegen Kiel in Marsch zu setzenden Ersatz-Bataillone des Korpsbezirks ernannte" 2 0 '; die erste Eingreiftruppe, die auf dessen Befehl den Erweiterten Festungsbereich des Reichskriegshafens Kiel erreichte und am 4. November mittags in Wik die Marinekaserne besetzte, kam aus dem 30 km entfernten Rendsburg 204 . Die operative Absicht des Befehlshabers der Eingreiftruppen war, alle aus dem Korpsbereich anrollenden Truppen südlich von Kiel bereitzustellen und mit der versammelten Macht in Kiel einzurücken. Er hielt die Leitung der Truppen gegen Kiel von außen her für leichter, als wenn sie der Gouverneur in der Stadt übernahm 20 '. Doch der FestungsZit. aus FS (ganz geheim) Ostseestation Abw[ehrabteilung] v. 4. 1 1 . , 2.45 Uhr an Marinekabinett. [Stellv.] Admiralstab, S K L , in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 7 , fol. 7, im Auszug abgedr. in: 197 Quellen II, 1 /II, N r . 502, Anm. 1 1 . Zit. aus „Schreiben" Küsel (Anm. I 198). 1,8 Mit dem Zusatz: „ D i e Wirkung war aber eine ganz andere" später an das Reichsmarinearchiv berichtete nächtliche Lagebeurteilung v. 3/4. 1 1 . 1918 des Chefs der Ostseestation (Souchon) u. seines Chefs des Stabes (Küsel); lt. ms. „Schreiben" (S. 3) des Konteradm. a. D . Küsel v. 15. 1 1 . 1936, B A - M A , R M 8/Fasz. 4077, P G 6 4 9 2 1 . ' ' ' Schlußpassage aus dem in Anm. I 196 gen. FS. " " Zum Revolutionierungsprozeß am 3V4. 1 1 . 1918 vgl. Zeisler, S. 2 0 2 f f . ; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 508. 101 Dienstmeldungen über Neutralitätserklärungen einzelner Formationen aus eigenem Entschluß resp. unter massivem Druck durch Züge meuternder Flotten- u. Marinelandsoldaten, in: B A - M A , R M 3 i/v. 2366 passim. Zum dementspr. Lagebild beim Stationskommando u. beim Kieler Stadtkommandanten: Berichte Souchons und Küsels (Anm. I 196). Kapt. z.S. Heine, am 5. 1 1 . 1918 von marodierenden Meuterern in seiner Wohnung erschossen. Zit. aus „Handschreiben" Souchon (Anm. I 192). ,0 > Zit. aus Trowitz, S. 3; vgl. auch Czech-Jochberg, S. 20. Es handelte sich um eine Kp. des Ers.Btl./I.R. 85 (Hptm. Scheele), dessen in Kiel stationiertes III. Btl. noch am Vormittag die Versuche meuternder Matrosen, es durch Überredung u. Gewalt zum Anschluß an die Revolte zu bewegen, mit den Waffen zurückgewiesen hatte; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1739; Trowitz, S. 5. Wiedergabe des am 4. 1 1 . zwischen 11 und 12 Uhr geführten Ferngesprächs zwischen Gen.Lt. v. Wright u. V.Adm. Souchon, aufgez. bei Trowitz, S. 3; Volkmann, Marxismus, S. 219; Czech-Jochberg, S. 20: „ D i e Festung brennt, aber es geht um die Kompetenz!"



I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

kommandant, Admiral Souchon, dachte nur an sein Prestige: „Es ist ausgeschlossen, [ . . . ] daß ein Truppenbefehlshaber des Landheeres auf dem Gebiet des Marinekriegshafens Kiel den Befehl führt. [ . . . ] Ich lehne Sie ab. Ich bestehe darauf, daß die Truppen mir direkt unterstellt sind." Tatsächlich gelang es dem Gouverneur, sich im angestrebten Sinne - d. h. unter weitgehender Behauptung seiner persönlichen Reputation und seiner Immediatstellung - mit dem Militärbefehlshaber in Altona zu verständigen'06, jedoch unter sachlichen Einschränkungen, die die Erfolgsaussichten der militärischen Aktion gegen das Aufstandsgebiet schmälerten: Dem Truppenführer, Generalleutnant v. Wright, hatte das Stellv. Generalkommando noch „soviel Kompanien und diese so stark wie möglich aus allen ErsatzBataillonen des Korpsbezirks" zur Verfügung stellen wollen 207 ; dem Chef der Marinestation Ostsee aber erklärte das Korpskommando wenig später, weitere als die in Rendsburg und Neumünster bereits alarmierten 600 Mann 108 „nicht abgeben zu können, da es selbst zum eigenen Bedarf sichere Truppen zurückhalten" müsse209. Entgegen den eindringlichen Gegenvorstellungen des von Souchon abgelehnten Heeresbefehlshabers, Generalleutnant v. Wright 210 , ließ das Stationskommando alle Sonderzüge mit Eingreiftruppen in den Hauptbahnhof der von bewaffneten Aufrührern beherrschten Stadt einfahren. Die Marinestation verfolgte zwar das taktische Konzept, mit Hilfe der letzten ihr noch ergebenen Formationen und mit den ihr zugeführten Heerestruppen innerhalb des Festungsbereichs gewaltsam Remedur zu schaffen; sie erwies sich aber schon in der Anfangsphase, nämlich bei Herstellung der befehlstechnischen Voraussetzungen für ein Gelingen der Gesamtoperation, als unfähig, das Kommando über die Eingreiftruppen fachkundig zu führen. Während der entscheidenden Nachmittags- und Abendstunden des 4. November gelang es dem Gouvernement in keinem einzigen Falle, die Bahnhofskommandantur über das zeitgerecht vorangekündigte Eintreffen der Militärzüge zu informieren, ihr entsprechende Befehle zur Sicherung des Ausladebahnhofs sowie zur geschützten Aufnahme der anrollenden Transporte und zu deren gefechtsbereiter Aufstellung in Kriegsgliederung zu erteilen 2 ". Das Stationskommando verabsäumte es, das „zur Gänze versagende [technische] Meldewesen" 2 ' 2 durch Einrichtung und Unterhaltung von Meldeköpfen auszugleichen, von denen aus an die eintreffenden resp. bereits eingetroffenen Eingreiftruppen die Weisungen des Festungskommandanten hätten ergehen können. Aber selbst an solchen Weisungen hat es gefehlt 21 ': Die gut vier Stunden zwischen dem 106

Noch am Mittag des 4. 1 1 . war Gen.Lt. v. Wright durch einen Anruf vom Stellv.Gen.Kdo. IX. A . K . wieder von der Führung der Eingreiftruppen entbunden worden, die dem Gouvernement Kiel direkt unterstellt wurden; Trowitz, S. 3. 207 Lt. Mitteilung von Wright an Trowitz am 4. 1 1 . , gegen 1 1 U h r ; vgl. ebd. *° ! 1 Kp. des Ers.Btl./I.R. 85 (Rendsburg) u. die 3 verst. Marsch-Kpn. des Ers.Btl./I.R. 163 (Neumünster). 109 Zit. aus ms „Stellungnahme" des K . A d m . Küsel zum ms „Bericht" des Kapt. z.S. Heinrich v. 25. 1. 1 9 1 9 über die Lage im Stationskommando am 4. 1 1 . 1918, kurz vor 14 Uhr, B A - M A , R M 31/v. 2366, anl. Fasz. 1660, fol. 96. " " Gen.Lt. v. Wright konnte sich in seinem Disput mit Souchon nicht nur auf „Erfahrungen der Kriegsgeschichte" abstützen (Zit. bei Trowitz, S. 3), sondern auch auf die bis zu den Brigadestäben verteilte Generalstabsstudie a.d.J. 1908 über den „ K a m p f in insurgierten Städten" (Anm. I 82 1). Trowitz, S. 4. Zu den Folgen dieser Objektschutz-Versäumnisse im Bahnhofsbereich siehe Anm. 1 244 f. 111 Zit. aus „Handschreiben" Souchon (Anm. I 192). Nach den Recherchen des Verf. über die Führungsverhältnisse im Gouvernement Kiel irrt Lewis,

l . Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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Zeitpunkt der Befehlsübernahme durch Souchon und dem Eintreffen des ersten Sonderzuges mit Heerestruppen auf dem Kieler Hauptbahnhof 2 1 4 waren vom Stationskommando nicht dazu genutzt worden, mit der Stadtkommandantur die Kompetenzen hinsichtlich der Verfügungsgewalt über die Eingreiftruppen zu regeln sowie sich über die Erteilung vordringlicher Sicherungsaufträge und über das geplante offensive Vorgehen gegen die bewaffneten Aufständischen abzustimmen 2 ''. Die Lagebeurteilung des Stadtkommandos ergab am 4. November gegen 14 Uhr, daß ihm „um diese Zeit keine militärischen Machtmittel, das heißt Truppen, die sicher in der Hand der Offiziere und gewillt waren, mit der Waffe gegen die Meuterer vorzugehen, zur Verfügung" standen 2 ' 6 . - „ S o wurde der Stationschef [ . . . ] auf den Weg des Verhandeins gezwungen 2 ' 7 ." Seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit den Aufständischen erklärte Souchon in einem Telegramm an alle Marinedienststellen im Reichskriegshafen Kiel: „ U m Blutvergießen zu vermeiden, ist der Gouverneur geneigt, den Wünschen der Truppen entgegenzukommen. Die Truppen sind sofort zu befragen, welches der Grund für ihr Verhalten ist. Die Wünsche sind mir sofort zu melden 2 ' 8 ." Jahre nach den Ereignissen haben der Chef der Marinestation Ostsee und sein Chef des Stabes, Kontreadmiral Küsel, den Versuch 2 ' 9 unternommen, ihr anfechtbares Führungsverhalten und ihre Arrangements mit den Aufständischen zu rechtfertigen: So habe ihre Absicht darin bestanden, „die erregten Massen bis zur Ankunft der unterwegs befindlichen Abg. Noske und Haus[s]mann durch Verhandlungen hinzuhalten" 220 . Das eigentliche Ziel ihres Verhandlungsversuches aber sei es gewesen, die Phase der Machtlosigkeit der Marinestation dadurch zu überbrücken, daß „Zeit gewonnen würde, bis die Armeetruppen vollständig zur Stelle wären, wodurch wieder ein militärisches Machtmittel in die Hand des Gouvernements kam" 2 2 '. Die Erörterung der politischen Lage am 3. und 4. November in der Reichshauptstadt war fast gänzlich von der fortdauernden Ungewißheit um die Abdankung des Kaisers, die Waffenstillstandsbedingungen des Feindbundes und die Sicherung der deutschen Südostgrenze bestimmt. Die Kieler Ereignisse standen im Hintergrund, weil weitgehende Unkenntnis der tatsächlichen Lageentwicklung im Aufstandsgebiet herrschte. Max von Baden führte das auf schlecht funktionierende telegraphische und telephonische Verbindungen zwischen Kiel und Berlin zurück 222 . Dieser Zustand berührt zwar ein p. 160: „Decision making was difficult, communications as well, but enforcement or implementation were even harder." - Bei den dem Festungskommandanten unterstellten Eingreiftruppen waren Entschlußfassung, Befehlsgebung und Befehlsausführung mit Ausnahme eines Detachements (siehe Anm. I 243) vorbildlich. " 4 Ers.Btl./Inf.Rgt. 1 6 } (Neumünster), „etwa um 4 Uhr nachmittags"; vgl. Trowitz, S. 4. "> Uber die Auswirkungen dieses Befehlsvakuums resp. Befehlswirrwarrs im einzelnen: Trowitz, S. 4 f f . " 6 Zit. aus „Stellungnahme" Küsel (Anm. I 209). 2,7 Zit. aus „Schreiben" Küsel (Anm. I 198). i,s

U m 14 Uhr von Küsel entworfener u. hds von Souchon erg. Telegrammtext, um 14.20 U h r aufgegeben, B A - M A , R M 3 1 / v . 2373, fol. 37; R M 3 1 / v . 2366 m. anlieg. Fasz. 1660, fol. 9 3 f . Der nachträgliche Selbstfreispruch Souchons u. Küsels findet weder in der Sekundärliteratur noch in den Zeugenberichten (Anm. I 192, 2. Teil) von Seeoffizieren des Gouvernements eine Stütze. Zit. aus „Handschreiben" Souchon (Anm. I 192). Zit. aus „Stellungnahme" Küsel (Anm. I 209). Max von Baden, S. 573.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

damals allgegenwärtiges nachrichtentechnisches Problem 223 , das aber, wie die Dichte der zwischen Kiel - Spa - Berlin gewechselten Sprüche beweist, gerade am 4. November nicht bestand. Die wahre Ursache für den um jeweils entscheidende Stunden überfälligen Informationsstand bei der politischen Reichsleitung und ihren obersten militärischen Beratern, dem Staatssekretär des Reichsmarineamtes und dem preußischen Kriegsminister, bestand in der verschleppenden Meldetätigkeit der Befehlshaber in Kiel und Altona. In der am 4. November um 9.30 Uhr beginnenden und noch vor 11 Uhr endenden Sitzung des Kriegskabinetts hatte Mann den Staatssekretären mitgeteilt, daß zur Bereinigung der „sehr ernsten Lage" in Kiel „ H i l f e [ . . . ] von Lübeck und Ratzeburg 224 erbeten" sei 22 '. Dieses erste Hilfeersuchen an das Altonaer Armeekorps vom j . N o v e m b e r 1918 abends hatte der Gouverneur bereits wenig später widerrufen 226 : Für die am j . November gegen 22 Uhr erstmalig alarmierten Eingreiftruppen 227 - sie waren nach der Ostseestation, dem Stellv. Generalkommando des I X . Armeekorps und der Stellv. 81. Infanterie-Brigade die vierte Instanz auf dem militärischen Melde- und Befehlswege - hatte es bereits um 22.30 Uhr geheißen: „ 1 . Nach Mitteilung des Gouvernements sind die Unruhen in Kiel unterdrückt. 2. Die befohlenen militärischen Maßnahmen gehen zurück 2 2 8 ." Dagegen besaß Ritter v. Mann selbst 12 Stunden später noch keine ausreichenden Kenntnisse über den Ablauf und das Ergebnis der außerordentlichen Sicherungsmaßnahmen, die Souchon über seinen unmittelbaren Befehlsbereich hinaus in die Wege geleitet hatte 229 . Um den Informationsstand des preußischen Kriegsministers war es nicht besser bestellt. So hatte Scheüch auf der oben erwähnten Vormittagssitzung des engeren Kriegsrates auf die skeptische Frage des zu scharfem Vorgehen neigenden Erzberger, ob denn die militärischen Kräfte stark genug seien, um den Aufstand zu unterdrücken, zugeben müssen, die Frage nicht konkret beantworten zu können, da „er vom Generalkommando Altona Ein Vergleich der zumeist als Mehrfachnutzen aufgegebenen u. aufgenommenen Diensttelegramme/ Drahtnachrichten, die zwischen den Marinestationen Ostsee (Kiel), Nordsee (Wilhelmshaven), R M A u. Stellv. Admiralstab (Berlin), S K L u. O H L (Spa) und den in der Nord- u. Ostsee stationierten Marinedienststellen resp. operierenden Flottenverbänden verkehrten, ergab Laufzeiten zwischen 1 u. ; Stunden. Die überlieferten Aufzeichnungen von zahlreichen Direkt-Telefonaten zwischen den o. a. Dienststellen sind von besonders aktuellem u. ergiebigem Inhalt. So insbes.: B A - M A , Ehem. Archiv der Marine, Akten betreffend Revolution 1 9 1 8 , P G 6 4 9 1 6 - 6 4 9 2 1 , 91 844, 91 8 5 1 ; N1 v. Levetzow, B A M A , N 239/23 D . Da Ersatzformationen des in Ratzeburg stationierten Jäger-Bataillons N r . 9 bei den Heerestruppen, die an der gegen Kiel gerichteten Aktion unmittelbar beteiligt waren, nicht nachzuweisen sind, wird es sich tatsächlich um das zuerst alarmierte Ers.Btl./lnf.Rgt. 85 aus Rendsburg handeln. Die aktiven Ratzeburger Jäger befanden sich zur fraglichen Zeit auf dem Eisenbahntransport von der Elsässer Front (Hartmannsweilerkopf) nach Münster; vgl. Schulte, Münstersche Chronik, S. 27. "> Quellen I/2, S.495. 226 Siehe Anm. I 194. 117 Siehe Anm. 1 193. 1,8 Zit. nach Trowitz, S. 3. Erst im Anschluß an die o. a. Kabinettssitzung u. noch im Reichskanzlerhaus - „etwa gegen 11 U h r " (Noske) - vermochte der StSekr. des R M A Scheidemann u. N'oske über einen Teil der Kieler Ereignisse vom Vorabend „flüchtig zu informieren". Ein Vergleich der bei Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 8, u. bei Scheidemann, Memoiren II, S. 267, genannten Fakten mit dem Text des in Anm. I 196 und I 230 angeführten Telegramms von Souchon deutet auf den nunmehr erfolgten Eingang dieses Fernschreibens hin.

2. Wahrend der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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noch keine Nachricht erhalten [habe], daß seine Truppen nicht ausreichten"*' 0 . Demnach war der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet zu dem Zeitpunkt keineswegs im Bilde über eine Aktion, die in direkter Absprache zwischen zwei selbständigen Befehlshabern geregelt und unter der alleinigen Kompetenz dieser militärischen Territorialgewalten durchgeführt werden konnte, ohne der Billigung oder Gesamtleitung durch eine übergeordnete Instanz zu bedürfen; die institutionelle Unabhängigkeit dieser partikularen Immediatinstanzen ging in Kommandoangelegenheiten so weit, daß sie nicht einmal ausdrücklich verpflichtet waren, die obersten Marine- und Heeresbehörden im Reich über ihre internen Absprachen vollständig und unverzüglich zu informieren und sie auf dem laufenden zu halten. Uber die erneute Zuspitzung der revolutionären Situation in Kiel während der Vormittagsstunden des 4. November und über die sich daraus ergebende Machtberaubung des Stationskommandos besaß das Reichsmarineamt jedoch bereits mittags eine ausnahmsweise aktuelle Kenntnis: „ D e r Stationschef hat telefonisch mitgeteilt, daß er nicht mehr Herr der Lage ist; er verfügt über keine Machtmittel mehr" 2 ' 1 - so schildert eine verhältnismäßig eingehende Darstellung der Ereignisse die dem Gouverneur entwundene Handlungsfreiheit. Erst der Anruf Souchons vom Mittag des 4. November im Reichsmarineamt darf als der Auftakt zu den gemeinsamen Bemühungen der Spitzenbehörden von Heer und Marine im Reich angesehen werden, die bisherigen, auf gefährliche Weise erfolglosen Anstrengungen regionaler Befehlshaber durch zentral gelenkte Gegenmaßnahmen abzulösen. Noch vor 15 Uhr hatte sich „der Staatssekretär mit dem Kriegsminister in Verbindung gesetzt, daß von außen Truppen nach Kiel geschafft werden"; allerdings war dem Reichsmarineamt zu diesem Zeitpunkt „noch nicht bekannt, ob es möglich" sein werde 2 ' 2 . Die Aktivitäten des Preußischen Kriegsministeriums, in kürzester Frist eine möglichst starke Truppenmacht bereitzustellen und gegen den von etwa 20000 Meuterern und bewaffneten Arbeitern beherrschten Festungsbereich 2 " zu führen, sind aus dem schnellen Depeschenwechsel zwischen den an der Gegenaktion beteiligten Heeres- und Marinedienststellen abzulesen. Aufgrund einer Zusicherung Scheüchs glaubte sich das Reichsmarineamt bereits am späten Nachmittag des 4. November in der Lage, dem bedrängten Stationskommando zur Behauptung seiner Position gegenüber den Aufständischen den Rücken stärken zu können; es übermittelte an Souchons Chef des Stabes, „daß der Kriegsminister alles tun werde, um möglichst viel Truppen nach Kiel zu werfen. Exzellenz Souchon möchte unter Berücksichtigung dieses Umstandes möglichst nicht nachgeben 2 ' 4 ." Kontreadmiral Küsel 1)0

Quellen I/2, S. 495. - Erzbergers Frage impliziert zugleich, daß das am 4. 1 1 . 1918 um 02.45 Uhr u - a ' an die obersten Marinestellen in Berlin (Stellv. Admiralstab, Marinekabinett [seit 29. 10. 1918 dem R M A unterstellt]) gerichtete Fernschreiben (Ganz geheim! Eilt sehr!) Souchons noch nicht zur Kenntnis der Kabinettsmitglieder gelangt war; möglicherweise hatten die Schlußsätze aus Souchons „ E r folgsmeldung" (siehe Anm. I 196) Erzbergers Zweifel vorerst zu glätten vermocht: „Augenblicklich Ruhe hergestellt. H o f f e zuversichtlich, Herr der Lage zu bleiben." 11 ' Zit. aus ms „Aufzeichnung" der S K L (K.Kapt. Schwerdtfeger) über ein Telefongespräch mit dem R . M . A . (F.Kapt. Raeder) am 4. 1 1 . 1918 um 2.50 Uhr nachm., B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64918, fol. 107; N1 v. Levetzow, ebd., N 239/23 D , fol. 168f. '»-• Ebd. Zeisler, S. 205f.; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 508. i)4 Dieses u. das nachf. Zit. aus der ms Aufzeichnung des R M A über eine „Verbindungsaufnahme mit

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung dämpfte s o g l e i c h 2 " die in den Berliner Zentralbehörden gehegten E r w a r t u n g e n mit der A n t w o r t , „ e s sei z u spät. D i e Situation sei nicht zu halten gewesen. A d m i r a l S o u c h o n habe z w e i Deputationen e m p f a n g e n 1 ' 6 und w o h l w o l l e n d e P r ü f u n g b z w . E r f ü l l u n g z u g e sagt." Ritter v. M a n n hatte bereits in der oben erwähnten Vormittagssitzung gegenüber seinen Kabinettskollegen 2 1 7 und w e n i g e Stunden später gegenüber der S K L 2 ' 8 die „persönliche A n s i c h t " vertreten, „ d a ß jeder Widerstand sofort gebrochen w e r d e n muß und daß die Rädelsführer aufs strengste bestraft w e r d e n m ü s s e n " 2 ' 9 : Reichsmarineamt und K r i e g s ministerium setzten ihr hartes U n t e r d r ü c k u n g s k o n z e p t fort - unbeeindruckt, möglicherweise auch ohne Kenntnis v o n der durch S o u c h o n s Vorleistungen 2 4 0 vorerst entspannten Situation im revolutionären Kiel - u n d bemühten sich eilig um die Mobilisierung v o n Eingreiftruppen aus den sogenannten K ü s t e n k o r p s 2 4 ' . N o c h v o r A b l a u f des 4. N o v e m b e r konnte der Staatssekretär des Reichsmarineamts erste konkrete Ergebnisse über sein enges Z u s a m m e n w i r k e n mit dem Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet mitteilen: „Kriegsministerium hat außer den T r u p p e n des I X . K o r p s noch die Entsendung von 1 2 K o m p a n i e n des II. K o r p s zugesagt u n d w i r d versuchen, weitere T r u p p e n verfügbar zu machen242." Bei den am 4. N o v e m b e r zunächst v o n Befehlsstellen aus dem A l t o n a e r Korpsbereich durchgeführten, später v o m Obermilitärbefehlshaber koordinierten M a ß n a h m e n zur Z u sammenstellung und beschleunigten H e r a n f ü h r u n g von Eingreiftruppen zeigte sich die Militärorganisation im Heimatgebiet auf überraschend hohem S t a n d ; positive Urteile sind auch überliefert über die in dieser A n f a n g s p h a s e noch w e i t g e h e n d 2 4 ' vorhandene Ostseestation, 04. N o v . 1 8 " , die auf den Zeitraum nach Empfang der zweiten Abordnung (siehe Anm. I 236) u. vor der um 21 Uhr beginnenden „Besprechung" (vgl. Quellen II, 1 /II, N r . 503) zu datieren ist; vollst.: B A - M A , R M 31/v. 2366 m. anlieg. Fasz. 1660, fol. 1. Zur gleichzeitig einsetzenden Kritik unter den an den Kieler Vorgängen unmittelbar mitbeteiligten Seeoffizieren gegen den seit dem 3. 1 1 . 1918 für sie erkennbaren Kurs Souchons u. insbes. Küsels siehe Anm. I 301 u. die in Anm. I 2 2 3 , 1 209,1 254 aufgeführten Dienstakten pp.; Vorwürfe u. Replik, in: N1 Souchon, B A - M A , N 156/31. 1,6 Gegen 15 Uhr hatte der Gouverneur zunächst eine Abordnung der meuternden Matrosen u. kurz darauf Vertreter der beiden sozialistischen Parteien angehört; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1740. Vgl. Quellen I/2, S. 495. 1)8 „Aufzeichnung" der S K L , fol. 108 (Anm. I 231). *>' Uber eine derartige Verfahrensregelung, die dem Vorgehen bei der Flottenmeuterei von 1917 entlehnt war, hatte am 4. u. 5. 1 1 . 1918 ein Meinungsbildungsprozeß stattgefunden: A m 4. vormittags (siehe Anm. I 237) kündigte Mann an, hierüber „müsse eine Einigung mit den militärischen Stellen erzielt werden"; nachmittags (siehe Anm. I 238) ließ er seine diesbezügliche „persönliche Ansicht" nicht ohne Nachdruck ins G r . H . Q u . übermitteln. Am 5. 1 1 . teilte der StSekr. des R M A - unter eigenmächtiger Vorwegnahme einer eindeutigen Kabinettsentscheidung (vgl. Quellen I/2, N r . 129) - fernschriftl. dem K d H , Pr.KM. u. Stellv. Admiralstab mit, daß das vom R M A vorgeschlagene Vorgehen „im Einvernehmen mit der Regierung" [sie] beschlossen sei; vgl. N1 v. Levetzow, B A - M A , N 239/23 D, fol. 179. Hervorhebung im Orig. 140 Siehe Anm. I 272 ff. 141 Die Stellv. Gen.Kdo. I X . A . K . (Altona), II. A . K . (Stettin), X . A . K . (Hannover). Uber Alarmierung (3. 1 1 . ) u. Einsatz (ab 4. 1 1 . ) der in Oldenburg u. Varel stationierten Ersatzformationen des X. A . K . siehe Anm. I 4 i o f f . 241 Fernschreiben (Ganz geheim!) des R M A an S K L , K d H , Nord- u. Ostsee-Station, dort eingeg. am 4. 1 1 . 1918 um 22.50 Uhr, in: B A - M A , R M 31/v. 2366. Das erstmalige Versagen einer im südlichen Festungsbereich (Bhf. Lübische See) ausgeladenen Forma-

i . Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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Bereitschaft von Soldaten aus dem Heimatheer, nötigenfalls den „schweren Auftrag, gegen Volksgenossen zu kämpfen" (v. Wright), auszuführen, soweit sie von ihnen seit längerem vertrauten Vorgesetzten befehligt wurden. Vom Uberschreiten des Erweiterten Festungsbereich des Reichskriegshafens Kiel ab, d. h. mit Unterstellung der Eingreiftruppen unter das Kommando der Marinestation der Ostsee, wurden diese Heeresverbände Einsatzbedingungen unterworfen, die das anfänglich verfolgte Konzept - Unterdrückung der Revolte in Kiel - innerhalb weniger Stunden zum Scheitern brachten. In der Mehrzahl der nachprüfbaren Fälle waren es nicht die von den revolutionären Versammlungen und Massenumzügen ausgehenden psychologischen Wirkungen oder solche der physischen Gewalt, welche die Eingreiftruppen daran hinderten, in den Nachmittags- und Abendstunden des 4. November im Sinne des zuerst gegebenen Auftrages zur Niederwerfung der Aufruhrbewegung zu handeln. Auch liegen keine stichhaltigen Belege für die des öfteren in der Literatur anzutreffenden Behauptungen vor, daß die Fälle von „Fraternisierung" zwischen den herbeigerufenen Heeresformationen und den Meuterern „spontaner" Natur gewesen seien oder sich unter Begleitumständen „begeisterter Freiwilligkeit" abgespielt hätten*44. Tatsächlich gelang es zwar einer in die Tausende gehenden revolutionär gestimmten Menge, die dichtgedrängt die Bahnsteige füllte, drei aus Lübeck in den Hauptbahnhof einfahrende Transporte zu überrumpeln: Die Sonderzüge wurden mit Hurra empfangen, die Soldaten beim Aussteigen „als Brüder begrüßt und umarmt", dabei sofort entwaffnet, ihre Offiziere mißhandelt und festgesetzt 145 . Aber dieser gelungene Überraschungscoup hatte ebenso wie das gesamte Scheitern der Eingreiftruppen seine wahre Ursache im Versagen des Gouvernements, hier zum Beispiel in dessen Unfähigkeit, das Streckennetz

M
Zit. aus ms Aufzeichnungen über ein am 4. 1 1 . 1918 nachm. zwischen Küsel u. R M A geführtes Telefonat, in: B A - M A , R M 3 1 / v . 2366 m. anlieg. Fasz. 1660, fol. 1. *'« Der am „späten Nachmittag des 4. 1 1 . an Bord zugestellte schriftl. Befehl Souchons" schloß mit den Namensangaben seiner Verhandlungspartner von der zweiten Nachmittags- u. für die Nachtsitzung, in: Ni v. Waldeyer-Hartz, B A - M A , N 1 7 1 / 2 , fol. 10. Zit. aus K T B der Kdtr. Kiel, Eintr. v. 4. n . 1 9 1 8 : „etwa um 17 U h r " (Anm. I 259; Bezug: fol. 73). 166 Die zwischen 30. 10./1. 1 1 . u. 4. n . 1918 von der Kieler Stadtkdtr. entwickelten Fähigkeiten, zeitgerecht Entschlüsse zu fassen, Maßnahmen zu ergreifen, den Informationsfluß nach unten u. die Meldetätigkeit nach oben zu unterhalten, sind von ihren nächsten Vorgesetzten (vgl. Küsels „Schreiben", Anm. I 198; „Stellungnahme", A n m . I 209; „Bericht" Küsel, in: B A - M A , R M 3/F. 7590, Bd 2; Souchons „ A u f z e i c h n u n g " , Anm. I 185, u. „Handschreiben", Anm. I 192) sowie von Untergebenen (Anm. I 223) schärfster Kritik unterworfen worden. - Zur Durchgabezeit der Anweisungen Souchons siehe Anm. I 265; „ 5 . 1 9 U h r " lt. „Bericht" des Stellv. Kdr. I. W . D . ( B A - M A , R M 31/v. 2 ) 7 3 , fol. 92), ergangen an Kdt. Marinekaserne Feldstraße, Kp.-Chef E./85, K d r . E . / i 6 3 (Trowitz, S. 4f.). 167 Darst. u. Zit. nach Trowitz, S. 4 f . 268 Siehe Anm. I 204. Vgl. Arch. Forsch. 4/IV, N r . 779.

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I. Monarchische Stutsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Befehl des Gouvernements zur Oberrealschule Waitzstraße zurückbeordert 270 , dem neuen Sammelpunkt für das gleichfalls gegen die Befehle der Kieler Marinedienststellen aufbegehrende Ersatzbataillon des Infanterieregiments 163. Die Marschstrecke Wik Waitzstraße sollte die Kompanie in unbekannter, von Aufständischen beherrschter Großstadt „auf Schleichwegen, einzeln und unauffällig, ohne Waffen" zurücklegen, „um jeden Zusammenstoß zu vermeiden" 2 7 1 . N u r durch Nichtbefolgen solcher Anweisungen vermochte sich die Rendsburger Formation mit dem Gros des Ersatzbataillons aus Neumünster zu vereinen; ebenso gelang es dieser Heerestruppe allein durch fortgesetzten Ungehorsam gegenüber dem Marinebefehlshaber und durch abschreckende Verteidigungsbereitschaft gegenüber den sich daraufhin merklich zurückhaltenden Aufständischen, seine weitere Verwendbarkeit dem Stellv. Generalkommando des I X . Armeekorps zu erhalten. Die Informationen der politischen und militärischen Zentralbehörden des Reiches über die Situation im Aufstandsgebiet seit dem 4. November nachmittags waren jeweils um Stunden überholt und inhaltlich mangelhaft, die in Berlin beschlossenen Gegenmaßnahmen von dementsprechender Unzulänglichkeit. Seit den späten Nachmittagsstunden des 4. November wurde das Stellv. Generalkommando des IX. Armeekorps durch die Führer der Eingreiftruppen 272 über die revolutionäre Lage in Kiel und über die Maßnahmen der donigen Marinedienststellen auf dem laufenden gehalten. Da eine direkte Kommunikation zwischen dem Gouvernement Kiel und Berliner Stellen nach dem unvollständigen Bericht Küsels nicht mehr zustande gekommen war, konnte General Scheüch möglicherweise erst mit Hilfe der zwischen Preußischem Kriegsministerium und Altonaer Korpskommando unterhaltenen Nachrichtenverbindung ausführlich darüber ins Bild gesetzt werden, welche militärischen Vorleistungen Admiral Souchon bei den „in der Nachmittagssitzung getroffenen Vereinbarungen" 2 7 ' hinsichtlich Anstransport und Verwendung auswärtiger Eingreiftruppen gemacht hatte. Jedenfalls ist es dem Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet gelungen - noch bevor 170

KTB der Kdtr. Kiel, Eintr. v. 4. 1 1 . 1918, 4.15 Uhr nachm. (Anm. I 259; Bezug: fol. 72f.). Darst. u. Zit. nach Trowitz, S. ' 7 ' Diese informierten zunächst über Dienstleitung, nach deren Überwachung durch die Aufständischen über das Postnetz mit Hilfe ziviler Verbindungsleute; vgl. Trowitz, S. 5 f. Über die Tatsache, nicht über die Dichte u. Aktualität der Unterrichtung des Pr. KM. durch das Stellv. Gen.Kdo. IX. A.K. schreibt Volkmann, Marxismus, S. 223, dem als Mitglied des Reichsarchivs das 1924 noch unzerstörte Quellenmaterial zur Verfügung stand. 17) Formulierung Souchons (vgl. Quellen II, 1 /II, Nr. 503, S. 1364). - Küsel (siehe Anm. I 234) hatte gegenüber dem R M A über diesen für die Berliner Militärbehörden höchst bedeutungsvollen Punkt nichts verlauten lassen. Erste Dienstmeldungen hierüber - sie beinhalten das diesbezügl. Ergebnis der Nachtsitzung, ließen aber Ereignisse u. Entscheidungen der zurückliegenden (mindestens!) 6 Stunden unerwähnt - wurden vom Stationskommando am 4. 1 1 . 1918 um 23.59 Uhr (siehe Anm. I 278) u. am 5. 1 1 . um 06.10 Uhr (siehe Anm. I 279/280) abgesetzt. Ein zusammenfassender, von Souchon gez. Bericht des Stationskommandos an KdH, Stellv. Admiralstab u. RMA (vollst, in: BA-MA, RM 8/Fasz. 4076, PG 64917, fol. 22; fehlerhafter Abdruck einer auszugsw. Abschrift in: Arch. Forsch. 4/IV, Nr. 779), in dem über Führungsentscheidungen u. Zugeständnisse sowie über Einsatz u. Verhalten der „herbeigeeilten Armeetruppen" nur unvollkommene bis verschleiernde Angaben gemacht wurden, traf in Berlin erst zu der Zeit ein, als der soeben aus Kiel zurückgekehrte Haußmann dem Kabinett vortrug (vgl. Quellen I/2, Nr. 129). 171

Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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erste Nachrichten über die Verhandlungsergebnisse aus der Nachtsitzung im Kieler Stationsgebäude die Reichshauptstadt erreicht haben konnten die Verzichterklärung des Gouverneurs vom Nachmittag auf eine „militärische Lösung", d. h. auf eine gewaltsame Bereinigung des Konflikts, in Erfahrung zu bringen: „Kiel. Mar.[ine-]Station der Ostsee hält zugesagtes Eingr.[eifen] von Armeetruppen nicht mehr für erforderlich, da Verhandlungen mit den Meuterern eingeleitet 17 *." Die endgültige und öffentlich erklärte Preisgabe des von Souchon ursprünglich verfolgten Eindämmungskonzepts erfolgte dann bereits während der ersten Runde dieser „Verhandlungen" in der Nacht vom 4. zum 5. November 2 7 '. Der einleitenden und mit allem Nachdruck von den Matrosenvertretern immer wieder vorgebrachten Forderung auf Neutralisierung aller Eingreiftruppen - vom massiv intervenierenden Noske zudem als Vorbedingung für die Weiterführung der Besprechung erklärt - glaubte der Gouverneur nun keinen Widerstand mehr entgegensetzen zu können. Admiral Souchon entsprach dem ultimativen Verlangen, indem er „hierfür sofort die Befehle zur Ausführung erteilte" 276 : Der innerhalb des Festungsbereichs noch verwendungsbereiten Eingreiftruppe wurde „etwa um 1 1 . 3 0 Uhr nachts durch Fernruf mitgeteilt, der Kaiserliche Gouverneur habe sich verpflichtet, die Zurücksendung der aus der Provinz herbeigeholten Truppen zu veranlassen. Das Bataillon habe Kiel sogleich zu verlassen. Ein Sonderzug werde dazu auf Hauptbahnhof Kiel bereitgestellt. Es würden beim Bataillon sogleich ,Soldatenräte' eintreffen, welche das Bataillon ungehindert zum Bahnhof geleiten würde. Sie würden durch rote Armbinden kenntlich sein und einen schriftlichen Befehl des Gouverneurs mitbringen 277 ." Hierüber ließ das Stationskommando wenig später nicht etwa den bei Gestellung und Entsendung von Eingreiftruppen unmittelbar beteiligten Stellen im Reich, sondern unerklärlicherweise vor anderen der S K L in Spa die erste, überdies in Teilen falsche Nachricht zukommen: „Bitte keine weiteren Truppensendungen nach Kiel; unterwegs befindliche sind angehalten; hier angekommene sind übergegangen und werden versucht zurückzusenden 278 ." Später erst ist ebenfalls an das Reichsmarineamt und das Stellv. IX. Armeekorps die „entsprechende Bitte gerichtet" worden 279 . In den frühen Morgenstunden des 5. November setzte die Ostseestation ein Telegramm ab, wonach der Gouverneur in der Nachtsitzung als „Punkt 1 zugesagt" hatte, „daß die in Kiel eingetroffenen und noch unterwegs befindlichen Armeetruppen nach ihren Garnisonen zurückgesandt werden". Auch hierüber wurde der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet nicht unmittelbar informiert 280 . i74 171

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Zit. aus hds „ N o t i z e n " Scheüchs v. 4. 1 1 . 1918, in: N1 Scheuch, B A - M A , N 2 3 / 1 , fol. 164. Vgl. hierzu Protokoll der „Besprechung", abgedr. in: Quellen II, i/II, N r . 503, insbes. S. 1 3 6 5 - 1 3 6 7 . Zur Reaktion bei den „alten Berufssoldaten, Deckoffizieren und Maaten, hinter denen der beste Teil der Mannschaften stand", auf das „gänzliche Versagen des O f f i z i e r k o r p s " u. die „Erfüllung aller Forderungen der Meuterer durch die Admirale am 4. 1 1 . 1 9 1 8 " vgl. auch Kässner, S. 96ff. 177 Quellen II, i / I l , Nr. 503, S. 1366. Zit. nach Trowitz, S. 6. Reichsdiensttelegramm Ostseestation 4. 1 1 . , 1 1 . 5 9 nachts, an S K L , urschriftl. in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64917, fol. 16; ms Abschrift (ohne Uhrzeitangabe) dieses Telegr. aus S K L - A k t e n durch ehem. Stabschef/SKL, in: N1 v. Levetzow, B A - M A , N 239/23 D. Zit. nach Fernschreiben der Ostseestation v. 5. 1 1 . , 06.10 U h r (Abgangszeit) an R M A , S K L u. K d H , „ z u 1 " , in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 7 , fol. 24; abgedr. in: Quellen II, 1 /II, Nr. 503, Anm. 34. Dieses - demnach zwischen 23.59 und 06.10 Uhr aufgegebene - Fernschreiben war nicht aufzufinden. Zit. aus Fernschreiben der Ostseestation v. 5. 1 1 . 1918, 06.10 Uhr (Anm. I 279).



I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutioniere Bewegung

Die zuletzt zitierten Meldungen des Stationskommandos markieren das unrühmliche Ende seiner Hilfeersuchen an die Armee, der Matrosenrevolte im Reichskriegshafen Kiel durch Einsatz von Heeresformationen Herr zu werden. Die nicht mehr behebbaren Führungsfehler, die mit zum Ausbruch der Flottenunruhen und zu ihrer Ausbreitung an Land geführt hatten, wie auch das menschliche und militärische Versagen der Seeoffiziere, die ihre unbotmäßigen Mannschaften nicht auf den Boden des Gehorsams zurückgezwungen hatten, waren bei der vorliegenden Untersuchung nicht darzustellen; sie sind aber zu berücksichtigen bei der Beurteilung der Entscheidungen, die zur Abwehr der Aufruhrbewegungen von Seiten der örtlichen Befehlshaber über die Festungsgouvernements der See- und Landfront ergingen. Es war die mangelnde Härte des Kommandos der Hochseestreitkräfte, die es gehindert hatte, einmal schon am 27. Oktober 1918, beim ersten Auftreten kollektiven Ungehorsams auf Großkampfschiffen, unverzüglich mit schärfsten Maßregeln durchzugreifen das hätte geheißen, „den Mut zu haben, den ersten Meuterer sofort an der Raa aufzuhängen" 2 8 ' - , spätestens dann aber am 29. Oktober der gemeinen Meuterei mit rücksichtslosem Waffengebrauch, nötigenfalls sogar mit Versenkung von Schiffseinheiten mit aufrührerischer Besatzung, zu begegnen 2 ® 2 . Solche Unterlassungen wie auch nicht zuletzt der von Anfang an heftig umstrittene Entschluß des Hochseekommandos, das III. Geschwader in seinen Heimathafen Kiel zu entlassen 28 ' und damit „einfach eine Prämie auf Meuterei zu setzen" - dies alles waren extrem ungünstige Voraussetzungen für das Kommando der Marinestation Ostsee, die zu Tausenden ins Festungsgouvernement detachierten Matrosen des unzuverlässigen Hochseegeschwaders auch nur leidlich in Disziplin halten zu können. Bei der durchweg negativen, z. T. vernichtenden Wertung, die das in den ersten Novembertagen gezeigte Verhalten des Gouvernements und seine Entscheidungen erfahren haben, fand die Tatsache kaum oder überhaupt keine Erwähnung, daß nicht einmal 48 Stunden vor Eintreffen des III. Geschwaders 284 in der Führung der Marinestation der Ostsee ein Wechsel erfolgt war, vor dem der seit zwei Jahren amtierende und am 20. Oktober 1918 abgelöste Stationschef 285 , Admiral Bachmann, noch kurz zuvor wegen der „besonders kritischen Periode" und der „Unsicherheit der Lage" in seinem „schon seit geraumer Zeit als sozialistisch verseucht" geltenden Gouvernement 286 gewarnt hatte. 181

Schon vor seiner Berufung zum Chef des Admiralstabs hatte der Flottenchef, Adm. Scheer, seinen späteren Nachfolger, A d m . v. Hipper, als „ z u weich" beurteilt (Nl v. Selchow, B A - M A , N 428, Logbuch N r . )8). Uber den jovialen „Papa Trotha", den Chef des Stabes des K d H , vgl. Schubert, passim, insbes. S. 232. Zit. aus Tgb.-Eintr. des Korv.Kapt. v. Selchow v. 24. 10. 1918, geschrieben in der Gewißheit, daß „die Revolution unvermeidlich sei", in naher Zukunft auf Großkampfschiffen Meutereien ausbrechen u. diese bei umsichtiger u. entschlossener Gegenwehr sogleich unterdrückt werden könnten. 181 Siehe Anm. I 406. ,8 > B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 4 ; W U A , 2. Abt., 4. Reihe, B d 9 / I , S. 485 f.; Kutscher, S. Legahn, S. 7 1 ; Schubert, S. 236. Am deutlichsten „Bericht" Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 394, Zit. ebd. 184 Das auf Anregung seines Chefs vom K d H von Wilhelmshaven nach Kiel verlegte III. Geschwader machte dort in der Nacht vom 3 1 . 10. zum 1. 1 1 . 1918 fest; vgl. Quellen II, 1 /II, N r . 502; Artelt, S. 91. Zit. aus Dienstschreiben des Adm. Bachmann v. 7. 10. 1918 an den Chef des Marinekabinetts; abgedr. in: Quellen II, i/II, N r . 486 Anm. 13. ' u Zit. nach „Bericht" Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 394 u. 396, bestätigt in der in Anm. I 244, Teil 1 angeführten Lit.

2. Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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Die im Marinekabinett Anfang August 1918 erstmals erwogene und Ende September gefällte Personalentscheidung, an Stelle des mit den innermilitärischen und parteipolitischen Verhältnissen im Gouvernement Kiel vertrauten Admirals Bachmann 287 Admiral Souchon zu berufen 188 , sollte sich als verhängnisvoll erweisen. Souchon war nach vierjährigem Auslandskommando erst seit einem Jahr wieder in der Heimat und hatte hier als Geschwaderchef 289 keinerlei Erfahrungen im Umgang mit den politisch unruhigen Angehörigen der Marinelandformationen, den kriegsdienstverpflichteten Werftarbeitern und den in Kiel einflußreichen Parteigliederungen beider sozialistischer Richtungen. Daß der neue Stationschef in einer gefahrvollen Ausnahmesituation ohne Kenntnis der örtlichen Verhältnisse 2 * 0 und nach einer Einarbeitungszeit von nur ganz wenigen Tagen 2 9 ' sein Amt ausüben mußte, fand damals bei seinen Untergebenen durchaus verständnisvolle Berücksichtigung 292 . Dennoch lehnte er aus unerfindlichen Gründen Bachmanns Anerbieten ab, der „in den kritischen Tagen zweimal seine Dienste Souchon angeboten" hatte 295 . Im Widerspruch zu diesem starken Selbstvertrauen erweckte Souchon bei einigen Seeoffizieren den Eindruck von Unsicherheit 294 , die nicht durch die sachbedingten Einschränkungen seiner Aktionsfähigkeit verursacht schien, sondern vielmehr in den Führungsqualitäten des neuen Stationschefs begründet war: Admiral Souchon „schien auch persönlich den kommenden Ereignissen gegenüber keine feste Stellung gewonnen zu haben". Diese Beobachtung datiert vom 3. November 1918 2 9 5 . Sie offenbart zugleich, daß das mit diesem Eindruck völlig übereinstimmende Verhalten Souchons am entscheidenden 4. N o vember schon früher zutage getreten war. Im passiv oder doch nur schwach reagierenden Auftreten des Admirals während der folgenden Tage fand sie immer wieder erneute Bestätigung und bewahrheitete sich auch bei der freiwilligen Verzichtserklärung, mit der Souchon seinem Allerhöchsten Kriegsherrn schließlich am 7. November das eine Woche zuvor übertragene Kommando zurückgab 296 . Mehrere Zeugnisse hierfür in Quellen II, 1. Nach einer beachtlichen Karriere (vgl. Raeder I. passim), zuletzt von 1913 bis 1918 als Chef der Marinestation Ostsee, hatte B. vorübergehend im 1. Halbjahr 1915 den herausragenden Dienstposten des Chefs des Admiralstabs der Marine bekleidet, zählte aber nach seiner politisch bedingten Ablösung (Herbst 1915) in der auf seinen Protektor Tirpitz folgenden Ära Holtzendorff-Scheer/Hipper nicht mehr zur ersten Garnitur; B. sollte ebenso wie der altgediente Adm. v. Krosigk, Stationschef der Ostsee, im Rahmen des allgem. Personalrevirements (Errichtung der SKL, Verjüngung in den Marinespitzenstellungen), nicht aus Leistungsschwäche verabschiedet werden. 1,8 Vorläufig als Vertreter des beurlaubten Bachmann; für Jahresende endgültig als dessen Nachfolger vorgesehen; vgl. B A - M A , Pers 6/2150 (Souchon), fol. 84; Anm. I 28 j f. i8 » S. war vom Herbst 1913 bis Herbst 1917 Chef der Mittelmeer-Division auf „Goeben", dann bis Mitte August 1918 Chef des IV. Geschwaders (Wilhelmshaven) auf „Friedrich der Große"; vgl. B A - M A , Pers 6/2150, fol. 2 f., 8. 2 »° Hierzu auch Raeder I, S. 148. 1,1 Entspr. seiner Anfang Oktober mit Bachmann getroffenen Vereinbarung (BA-MA, Pers 6/2150) war die Übergabeverhandlung am 28. 10. 1918 begonnen u. am 30. 10. mittags abgeschlossen worden (ebd., fol. 2, 65, 85; Quellen II, i/U, Nr. 486, Anm. 13). 191 Siehe die in Anm. I 209, I 223, I 234t., I 301 aufgeführten Dienstakten pp. Zit. aus Bachmanns Brief v. 16. 1 1 . 1918 an Trotha; auszugsw. abgedr. in: Quellen II, 1 /II, Nr. 486, Anm. 13. 1,4 Siehe Anm. I 292; „Bericht" Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 403. "< N1 v. Waldeyer-Hartz, B A - M A , N 171/2, fol. 2 f f . (Anm. I 301). 196 Fernschreiben (Ganz geheim!) Stationskdo. Kiel, gez. Souchon, v. 7. 1 1 . 1 9 1 8 , 21.20 Uhr, an

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Die auch schon von den sogenannten Front-Seeoffizieren 197 an Bord der ,.Meutererschiffe" (Scheer) gezeigte Haltung des Treibenlassens und Abwartens, des resignierten Zuschauens und Hoffens auf Änderung, schließlich der widerstandslosen Hinnahme ihrer Ausschaltung 2 ' 8 , spiegelt sich im Verhalten des Kieler Stationschefs (und wenig später der meisten anderen Gouverneure der Marinefestungen) wider. Zu einem Zeitpunkt, als es noch möglich war, mit eigenen zuverlässigen Kräften die überkommene Kommandogewalt zu behaupten, und auch später - bis zum 4. November nachmittags als diese mit Hilfe von herbeigerufenen befehlstreuen Eingreiftruppen noch zurückzugewinnen gewesen wäre 1 * 9 , hatte es der Stationschef Souchon ebenso wie wenige Tage vor ihm der Flottenchef, Admiral Ritter v. Hipper, an jenen Führungsqualitäten fehlen lassen, die beim ersten Auftreten von Widersetzlichkeiten und erst recht bei Meuterei von jedem militärischen Vorgesetzten verlangt werden konnten: rücksichtslose Konsequenz und eine bedingungslose Bereitschaft, gegen den Aufruhr sogleich alle notwendigen und verfügbaren Machtmittel einzusetzen. Dies alles war eine Frage des moralischen Mutes' 00 , den ein verantwortlicher Befehlshaber auf solch herausragendem Dienstposten nach den herkömmlichen Kategorien der Kaiserlichen Marine bereits mitzubringen hatte. Admiral Souchon jedoch hatte schon vor der Matrosenrevolte kapituliert, als er zum Kommandieren noch die Gelegenheit hatte. Bei der Sitzung der Befehlshaber im Festungsgouvernement und Reichskriegshafen Kiel am 3. November vormittags' 01 , bei der grundlegend über den modus procedendi gegen die rebellierenden Marinemannschaften entschieden werden sollte, ließ es der Gouverneur durch seine wortlose Passivität zu, daß die Konferenzleitung im wesentlichen an seinen Chef des Stabes, Kontreadmiral Küsel, überging. Seine Zurückhaltung gab Souchon auch dann nicht auf, als sich gegen den unverkennbar nachgiebigen und möglichen Konfrontationen ausweichenden Kurs Küsels immer heftigerer Widerstand seitens der nachgeordneten Inspekteure erhob. Der Gouverneur überging sogar die Forderung einiger Admirale, sich nicht, wie empfohlen, auf die „Beruhigungsrede" der Vorgesetzten zu verlassen, sondern auch den „Fall der Anwendung von Waffengewalt ins Auge [zu] fassen" und vorsorglich zumindest die Kommandogebäude, Waffen- und Munitionsdepots vor Übergriffen zu schützen. Ebensowenig widersprach er, als Küsel „immer wieder betonte, die ganze Angelegenheit müsse in G r . H . Q u . , Admiralstab: „Ausübung der Gouverneursbefugnisse durch Abgeordneten Noske bietet einzige Aussicht, die Erhebung in ruhigen Bahnen zu leiten. Meine Person dafür hinderlich. Bitte um Anerkennung dieser Auffassung der L a g e " ( B A - M A , Pers 6/2150, fol. 88). Souchon erläutert seinen Amtsverzicht am 8. 1 1 . 1918 in einem Brief an Trotha (ebd., fol. 89f.), der bereits 2 Tage vor Souchon wegen „nervlicher Erschöpfung" um Ablösung als Chef des Stabes des K d H gebeten hatte. ">7 Siehe Anm. I 525. ' 9> Formulierungen schärfster Kritik in „Bericht" Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 395f., 4C2f., Legahn, S. 7 1 , 75. Siehe Anm. I JI 1. >oc Souchons soldatischer Mut stand außer Zweifel. Der hochdekorierte Adm. hatte diesen als Geschwaderchef bei zahlreichen Operationen im Mittelmeer, in der N o r d - und Ostsee ( B A - M A , Pers 6/2150, fol. 3 Anl., 8, 10) u. auch noch als entmachteter Festungsgouverneur zwischen 4. u. 7. 1 1 . 1918 bewiesen (Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 20). )cl Darst. u. Zit. nach ms „Bericht" korresp. m KTB/Schulschiff „Schlesien" des F.Kapt. v. WaldeyerHartz (N1 v. Waldeyer-Hartz, B A - M A , N 1 7 1 , fol. 2-4), der „persönlich den Eindruck gewonnen hatte, daß die Ansicht des Admirals Küsel durchaus nicht von der Allgemeinheit geteilt wurde. Trotzdem wurde die Sitzung geschlossen mit dem Befehl, im Sinne der Ausführungen des Chefs des Stabes zu verfahren".

2. Wahrend der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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Ruhe und Frieden abgewickelt werden, sie gelangte durch die vorgeschlagene Ausnutzung von Waffengewalt in ein völlig falsches Fahrwasser. Anlaß zu ernster Beunruhigung läge keineswegs v o r . " Als dieser Anlaß dann doch in den Vormittagsstunden des 4. November unübersehbar gegeben war, hat es das Stationskommando gar nicht mehr auf einen umfassenden Versuch ankommen lassen, seine Machtposition durch Mobilisierung aller Führer, Unterführer und zuverlässig gebliebener Mannschaften zu verteidigen, selbst auf die Wahrscheinlichkeit der akuten Gefahr blutiger Straßenkämpfe hin. Bei der Entscheidung vom Mittag des 4., durch Unterhandeln und durch schnell gewährte Vorleistungen Blutvergießen zu vermeiden (ohne die zumindest zweifelhafte Rechtslage, die sich aus Verhandlungen eines Vertreters der legalen Staatsmacht mit Aufständischen ergab, zu bedenken 301 ), unterschied sich Admiral Souchons Verhalten von dem der meisten anderen territorialen Befehlshaber im Heimatgebiet allerdings nur in Nuancen. Ein wesentlicher Unterschied bei ähnlichem Verhaltensmuster bestand aber darin, daß der Kieler Stationschef im Gegensatz zu einigen dieser Militärbefehlshaber zeitweilig noch über einsatzfähige Machtmittel verfügte. Die schon geschilderten Entscheidungsabläufe am 4. November 1918 wie auch die zuletzt aufgezeigten, das weitere Verhalten wesentlich bestimmenden Vor- und Grundentscheidungen des Stationskommandos gegen die unbotmäßigen Soldaten der Flotte und der Marinelandformationen waren ein gewichtiges Glied in der Kette der Faktoren, die zum schnellen Erfolg der Militärrebellion in Kiel und alsbald von dort aus zum Sieg der Aufstandsbewegung im Reich führten. Aus bestimmtem Blickwinkel wird manchem Betrachter der Kieler Revolutionsszene die dort vom Inhaber der Kommandogewalt eingenommene Haltung gegenüber den Aufrührern in negativem Licht erscheinen. Unbestreitbar im Zwielicht steht die Führung der Marinestation der Ostsee allerdings durch ihre unterschiedlichen Verhaltensweisen, mit denen sie auf der einen Seite Meuterern und Aufständischen begegnete und die sie gleichzeitig auf der anderen Seite gegenüber den obersten Instanzen in der Kaiserlichen Marine wie auch gegenüber den in das Desaster mit hineingezogenen Führungsstellen und Truppenabteilungen des Heeres an den Tag legte. Solche Kritik meint weniger die ungewöhnliche Geste, daß Admiral Souchon einen der Hauptanführer der Revolte gleich bei Aufnahme erster Verhandlungen, zu denen er die Meuterer gebeten hatte, mit Handschlag begrüßte 503 , wohingegen er dem Befehlshaber der herbeigerufenen Eingreiftruppen eine ungerechtfertigt zurücksetzende, den Führern der einzelnen Heeresdetachements eine ausgesprochen brüske Behandlung zuteil werden )oi

Während der pr. K M . jedes Präjudiz strikt ablehnte und es bspw. am 5. 1 1 . 1918 für einen „ F e h l e r " erklärte, irgendwelchen Bedingungen der Aufrührer nachzugeben (Arch. Forsch. 4/IV, S. 1 7 3 7 ) u. ebenso am 7. 1 1 . den StSekr. d. I. kritisierte, weil Trimborn den in die aufständischen Städte reisenden Abgeordneten „Schutz- u. Geleitbriefe" mitgegeben hatte (ebd., S. 1763), ereignete sich bei der Flotte die als „unerhörter V o r g a n g " verurteilte Reise des II. A d m . des III. Geschwaders, K . A d m . Feldt, zusammen mit einer Abordnung von Meuternden seines Geschwaders zu Verhandlungen nach Berlin: „ D i e Revolution mußte schon eine arge Begriffsverwirrung in den Köpfen auch der ältesten Flaggoffiziere hervorgerufen haben". So Restorff, in: Niemann, Revolution von oben, S. 4 0 1 . Protokoll über Besprechung dieser Deputation im R M A , in: B A - M A , R M 3/Fasz. 3202/XVII 1.4.-6/2, fol. 1 9 4 f f . ; W U A , 2. Abt., 4. Reihe, 10/I, S. 3 4 o f f . Popp/Artelt, S. 16.

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I. M o n a r c h i s c h e Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

ließ und schließlich diesen Abteilungen Bedingungen für ihren Einsatz und Abmarsch auferlegte, die diese als entehrend empfanden. Ungleich schwerer wiegt die Tatsache, daß das Stationskommando von seinen schnell gemachten Zugeständnissen weder die unmittelbar betroffenen Eingreiftruppen noch die Militärbehörden außerhalb des Festungsgouvernements unverzüglich und vollständig ins Bild setzte. Ein Vergleich des Handlungsablaufs mit den darüber erstatteten Meldungen läßt einen unübersehbaren Hang der zuständigen Persönlichkeiten in der Marinestation erkennen, über Ereignisse und Führungsentscheidungen unter Verschweigen wesentlicher Teilzusammenhänge oder gar falsch zu berichten. Zu dieser Art von Meldewesen gehörte auch, die anfechtbaren und mit Sicherheit zu peinlichen Rückfragen Anlaß gebenden Schwachstellen eigenen Verhaltens dadurch zu kaschieren, daß die eigentlichen Vorkommnisse sowie die Entschlüsse des Gouverneurs erst zu wesentlich späterem Zeitpunkt, wenn die rasche revolutionäre Entwicklung schon über sie hinweggeschritten war, mitgeteilt wurden, und dann in solch verschleiernder Weise, daß Einzelentscheidungen mit erst später eingetretenen Zwangssituationen begründet wurden. Dieser Stil unterschied sich in nichts von dem „System des Beschönigens und Verschweigens"' 0 4 , das in den Vortagen einzelne Kommandanten in den Hochseestreitkräften und das Flottenkommando selbst in ihren Dienstberichten über „einzelne Disziplinwidrigkeiten an B o r d " angewandt hatten' 05 . Von der in den Reichskriegshafen getragenen Meuterei, von den Verhältnissen im Aufstandsgebiet, insbesondere aber von der Reaktion des Stationskommandos hierauf, hatte - nach den Meldungen der Marinestation der Ostsee bei keinem der Adressaten ein wahres Bild entstehen können. Auch bei einer Synopse der an die mitbeteiligten Heeresstellen und an die Spitzenbehörden der Marine gegangenen Lagemeldungen pp. zeigen sich gerade in dem Bereich auffällige Nachrichtenlücken, der die Entscheidungen des Gouverneurs betraf. Ganz im Gegensatz zu solchem Informationsstand militärischer Stellen war aus Furcht vor weiterer Radikalisierung und eventuellem Blutvergießen dafür gesorgt worden, daß die Anführer der örtlichen Aufstandsbewegung sogleich in Kenntnis gesetzt wurden über die Ergebnisse der beiden Verhandlungen, die Souchon am Nachmittag des 4. November mit verschiedenen Abordnungen geführt hatte. Auf ähnliche Weise zeigte sich die Stadtkommandantur im Auftrag des Stationskommandos bemüht, durch Zugeständnisse beschwichtigend auf die Menschenansammlungen einzuwirken, die sich vor den Unterkünften und Einsatzräumen der letzten befehlstreuen (Teil-)Einheiten der Marinelandformationen gebildet hatten. Solche Aktivitäten von Stationskommando und Stadtkommandantur gewannen seit den späten Nachmittagsstunden des 4. November noch sichtlich an Methode, als es ihnen nämlich darum ging, die im Erweiterten Festungsbereich dislozierten und auf sich gestellten Eingreiftruppen zunächst bei der Wahrnehmung ihrer Sicherungsaufträge einzuschränken und sie schließlich gegen ihren heftigen Widerspruch demonstrativ vor der Menge zu neutralisieren. Auch die Schnelligkeit und Vollständigkeit, mit der Admiral Souchon bei der über die endgültige Entmachtung der militärischen Gewalten entscheidenden Nachtsitzung in we' c < Kritik des Weltkrieges, S. i j f . )0

' E i n d r u c k des D i r . des A l l g e m . M a r i n e - D e p . / R M A , K a p t . z.S. Michaelis, bei der B e s p r e c h u n g am 2. 1 1 . 1 9 1 8 beim K d H in Wilhelmshaven, in: N 1 Michaelis, B A - M A , N 164, N r . 5 c); teilw. abgedr. in: Quellen II, 1 /II, N r . 498, A n m . 3.

2. Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

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sentliche Forderungen der Räte einwilligte und auch sogleich ihre unverzügliche Ausführung anordnete, steht in auffälligem Gegensatz zum späten Abgangstermin und zur lükkenhaften Darstellung seines Berichts, den er anschließend darüber erstattete. Die hier resümierten Maßnahmen und die Haltung des Chefs der Marinestation der Ostsee und Gouverneurs der Befestigungen des Reichskriegshafens Kiel haben - soweit sie überhaupt im einzelnen bekannt wurden - schon in den ersten Novembertagen 1918 und besonders im darauffolgenden Jahrzehnt scharfe Kritik erfahren. Admiral Souchon hatte sich ins Zwielicht manövriert, indem er es unterließ, dem Gültigkeits- und Machtanspruch der überkommenen Staats- und Militärgewalt zur Durchsetzung zu verhelfen, und indem er gleichzeitig durch sein Handeln die Aufruhrbewegung eine starke Ausgangsbasis für zukünftige Aktionen gewinnen ließ. Angesichts des in sich unstimmigen und doppelbödigen Verhaltens des Admirals stellt sich grundsätzlich die (auch auf andere Militärbefehlshaber im Heimatgebiet anwendbare) Frage nach den Ursachen: War dieser hochgestellte Flaggoffizier einer „höheren Einsicht" in die Ubermacht der gegen seine Herrschaftsposition gerichteten Verhältnisse gefolgt? H a u e er sich - trotz zeitweilig im Befehlsbereich noch bestehender Erfolgschancen für eine gewaltsame Erhaltung der bisherigen Ordnung - wegen wankend gewordener Uberzeugungstreue nicht mehr für das überkommene System schlagen wollen? Oder war sein Verhalten der Ausdruck einer in seiner Persönlichkeit begründeten und schon früher zutage getretenen Schwäche? Im Marinekabinett war man im Herbst 1915 zu der Ansicht gelangt, daß der damalige Vizeadmiral Souchon in einer heiklen Personalangelegenheit „ein sehr übles, eines so hohen Offiziers besonders unwürdiges Doppelspiel gespielt" hatte )o6 . Dieses hatte sogar den Kabinettschef veranlaßt, mit dem Chef des Admiralstabs „die Frage der Ablösung von Souchon zu besprechen". Durch höchsten Entscheid scheint dieser „in der Tat schlimme Fall' (Admiral v. Müller), der im Beurteilungsmaßstab der Friedenszeit einer weiteren Karriere Souchons aller Wahrscheinlichkeit nach einen Riegel vorgeschoben hätte, den Interessen der Staatsräson untergeordnet worden zu sein; denn inzwischen war Souchon durch eine Reihe wagemutiger Seeoperationen für das Volk zum Helden, für seine Vorgesetzten zum außerordentlich erfolgreichen Verbandsführer im Gefecht und unentbehrlich geworden. Seine spätere Abberufung als Chef der MittelmeerDivision erfolgte deshalb nicht wegen seines so schwer gerügten charakterlichen Fehlverhaltens, sondern „um ihm Gelegenheit zu geben, sich als Führer eines Geschwaders in der Flotte weiterzubilden", nachdem ihm „seine Mittelmeer-Unternehmungen einen Ehrenplatz in der Marine gesichert" hätten; „Seine Majestät halten große Stücke auf ihn 5 ° 7 ." Bereits Ende 1917 hatte man Souchon als Führer, Ausbilder und Erzieher in Spitzenverwendungen, nämlich „ f ü r jede militärische Stellung in der Marine, als Reserve-Hochseechef, zunächst als Stationschef [ . . . ] für geeignet" erachtet 308 . ,0
°7 Zit. aus dem vom Chef des Marinekabinetts eigenhändig verfaßten „Abschluß der lfd. Qualifikationsberichte" v. 12. 9. 1 9 1 7 , ebd., fol. 46. 508 Qualifikationsberichte des Flottenchefs (Adm. Scheer) v. 1. 12. 1 9 1 7 u. 6. 8. 1 9 1 8 ; „ A n m e r k u n g " des Marinekabinetts v. 3. 8. 1918 (ebd., fol. 65) u. entspr. A . K . O . v. 8. 8. 1918, ebd., fol. 8.

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1. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

W e n n es selbst noch kurz nach den Revolutionsereignissen dem mit allen personellen Interna aufs engste vertrauten ehemaligen Stellv. C h e f des Marinekabinetts, Kapitän z. S. v. Restorff, durchaus verständlich war, daß „dieser sonst so bewährte Flaggoffizier hier [ = als Stationschef in Kiel] völlig versagt" und „jede Autorität v e r l o r e n " hatte 3 0 9 , so berührt dies eine Schwachstelle im alten System, das berufstechnischen Fähigkeiten ein höheres G e w i c h t beimaß als den moralischen Faktoren und charakterlichen Eigenschaften, die bei der Auswahl militärischer F ü h r e r für solch überragende Stellungen hätten mit ausschlaggebend sein müssen. Das unvermutete Versagen des Kieler Stationschefs führte nicht nur zum schnellen Verlust des Festungsgouvernements, sondern durchkreuzte zugleich die Pläne führender militärischer Stellen für eine Lokalisierung und U n t e r d r ü c k u n g der U n r u h e n . Möglicherweise hatten die bis zum 4. N o v e m b e r abends in Berlin eingelaufenen N a c h richten über die neuerliche Zuspitzung der Lage im Aufstandsgebiet beim preußischen Kriegsminister den E i n d r u c k erweckt, daß der Verzicht des Stationskommandos auf eine Gewaltlösung im Festungsbereich 1 1 0 auf S o u c h o n s persönlicher Lagebeurteilung und Entscheidung beruhte, man diesen aber mit umfassenderen Einsichten und mit den noch zu G e b o t e stehenden Machtmitteln der militärischen Zentralbehörden nachhaltig entgegenwirken k ö n n e . M i t Ü b e r m i t t l u n g der o b e n erwähnten Meldungen an den O b e r m i l i tärbefehlshaber wurden nun aber jeglichem kriegsministeriellen K o n z e p t , durch Eingreifen der A r m e e die alten Machtverhältnisse im revolutionierten Kiel wiederherzustellen, die letzten Erfolgsaussichten g e n o m m e n ' " . N a c h d e m die operative Absicht, in direkter militärischer Intervention die Aufruhrbewegung niederzuwerfen, innerhalb eines Tages gescheitert war, sollte sie durch das vorläufige 5 ' 2 Aushilfskonzept „Absperrung von Land und S e e " ' ' ' ersetzt werden. D e r G e danke, „Kiel von der Außenwelt hermetisch abzuschließen durch Unterbindung des Telegraphen-, T e l e p h o n - , B a h n - und S t r a ß e n v e r k e h r s " 3 ' 4 , war dem Obermilitärbefehls509

Zit. aus „Bericht" Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 397; Souchon wurde ein Jahr nach diesem „Fall" mit dem Orden pour le mérite ausgezeichnet (29. 10. 1916), zwei Jahre danach Geschwaderchef (5. 9. 1917) u. drei Jahre später ( 1 1 . 8. 1918) außer der Reihe zum Admirai befördert, schließlich am 28./jo. 10. 1918 (kommissarisch) Stationschef Ostsee. >'° Siehe Anm. I 274. >" Bereits am 4. 1 1 . 1918, etwa zwischen 19 u. 21 Uhr, hatten die Führer der Eingreiftruppen mehrfach fernmündl. an das Stellv. Gen.Kdo. IX. A.K. den „Ernst der Lage", die „Stärke der revoltierenden Marinemannschaften" und den „Umfang der Bewegung" gemeldet: „Es wurde die Notwendigkeit des Auftretens eines größeren geschlossenen Truppenkörpers für dringend notwendig gehalten. Nur ein ganz rücksichtsloses und energisches Eingreifen mit Waffengebrauch ließe dann die Niederwerfung dieser umfangreichen Meuterei noch möglich erscheinen " Zit. nach Trowitz, S. 5. - Eine Weitergabe dieser Meldungen ans Pr. KM. ist wegen Aktenverlustes nicht zu belegen. Abgesehen von den bei Trowitz unberücksichtigt gebliebenen, allerdings nur begrenzten politischen Möglichkeiten für eine rasche Beilegung des Konflikts - und nach dem unterbliebenen, aber bis zum späten Nachmittag noch erfolgversprechenden Einsatz der loyalen Eingreiftruppen - waren die physischen Möglichkeiten zu dem von Trowitz genannten Zeitpunkt nicht vorhanden. Der in der Abendsitzung des Kabinetts am 5. 1 1 . 1918 von Erzberger u. Mann befürwortete Plan, sofort gewaltsam in Kiel einzudringen, traf auf den Widerstand ihrer Kabinettskollegen; vgl. Quellen I/2, S. J24H. Ausführl. hierzu siehe Anm. I 338ff. >'' Kurzformel Adm. Scheers in seinem hds Immediatbericht v. 5. 11. 1918 abends an Wilhelm II. (Abschnitt „Maßnahmen durch Kriegsminister"), in: BA-MA, RM 8/Fasz. 4076, PG 64918, fol. 28f. JU Ms Aufzeichnung Haeftens über seinen Disput mit Scheüch am 4. 11. 1918, in: NI v. Haeften: „Erlebnisse 1918", Bd 2, BA-MA, N 35/5, fol. 69ff.

i . Während der R e v o l u t i o n : H e e r e s f o r m a t i o n e n gegen aufständische M a t r o s e n

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haber im Heimatgebiet bereits am 4. November nachmittags vom Vertreter der O H L beim Reichskanzler, Oberst v. Haeften, angetragen, von Scheuch jedoch zurückgewiesen worden. Nach dem Eintreffen „immer ernsterer Nachrichten aus Kiel über entwaffnete, dann übergegangene" Eingreiftruppen wiederholte Haeften am 5. November vormittags3' diesmal mit ausdrücklicher Zustimmung des Prinzen Max, vor dem Reichskabinett seinen Vorschlag: „Neue Truppen dürften nicht nach Kiel hineingeworfen werden, vielmehr müßten die Verstärkungen zur Absperrung benutzt werden." Für die Untersuchung und Wertung der kriegsministeriellen Entscheidungen und Maßnahmen im Verlaufe des 5. November verdient die Tatsache hervorgehoben zu werden, daß auch jetzt noch der Obermilitärbefehlshaber den Operationsplan für eine rücksichtslos durchgeführte Zernierung des Aufstandsgebietes sehr entschieden als „ganz unausführbar" abgelehnt hat; unter „lebhafter Zustimmung" der Staatssekretäre Scheidemann und Erzberger - so Haeften - habe der Kriegsminister argumentiert, „man könne Kiel in dem jetzigen Stadium nicht mehr absperren, da man damit das Bürgertum der Wut der meuternden Matrosen und dem Hunger preisgäbe." Von dieser Auffassung rückte General Scheüch jedoch bis zur Abendsitzung weitgehend wieder ab, um ganz im Sinne der Vorschläge Haeftens tätig zu werden - jetzt aber unter nur schwer behebbaren Nachteilen für den militärischen FührungsVorgang3'6 und für die Erfolgsaussichten einer Unternehmung dieses Ausmaßes, bei der Zeitverlust das Gelingen der gesamten Operation in Frage stellen mußte. Die Gründe für den plötzlichen Meinungsumschwung bei Scheüch sind nicht überliefert, aber annähernd rekonstruierbar: Inzwischen hatten erste Meldungen über die Ausbreitung der Militärrebellion auf dem Land- und Seewege das Kriegsministerium erreicht' 17 . Möglicherweise wurde Scheüchs Haltung auch von dem Staatssekretär des Reichsmarineamts beeinflußt, der unbedenklich „den Weg der Gewalt zu gehen" 3 ' 8 bereit war und mit dem sich der Obermilitärbefehlshaber nachmittags über das weitere gemeinsame Vorgehen abgesprochen hatte3'9. Das aus ihrer ersten Verbindungsaufnahme vom 4. November mittags erwachsene, zunächst kooperative Vorgehen gegen die Aufständischen320 wurde nun einvernehmlich unter die Hauptverantwortung des Obermilitärbefehlshabers im Heimatgebiet gestellt. Er betraute mit der unmittelbaren Durchführung vorläufig das Stellv. Generalkommando des IX. Armeekorps 311 und forderte dieses auf, „als Gegenmaßregel sofort alle von Kiel Darst. u. Zit. über H a e f t e n s V o r s p r a c h e n am 5. 1 1 . 1 9 1 8 : ebd., fol. 7 1 f f . >'* Bei dem damaligen M e l d e w e s e n u. E n t w i c k l u n g s s t a n d der F ü h r u n g s t e c h n i k , v o r allem angesichts der polykratischen Befehlsverhältnisse im Heimatgebiet, k o n n t e bei einem grundlegenden Wandel in der operativen Planung nicht mit schneller U m s e t z u n g in entsprechende M a ß n a h m e n gerechnet werden. ' " Z u Scheüchs Reaktion auf das schon Stunden z u v o r über die L i n i e n k o m m a n d a n t u r angekündigte Eintreffen von sog. „ U r l a u b e r z ü g e n " siehe A n m . I 478.

1,8

,;c

Z u den A k t i o n e n revolutionärer M a t r o s e n , per Bahn in die Reichshauptstadt zu gelangen, siehe A n m . I 4 9 6 f f . - A m 5. 1 1 . 1 9 1 8 nachm. teilte das Pr. K M . dem R M A mit: „ N a c h M e l d u n g des G e n e r a l k o m mandos A l t o n a sind aus Kiel 5 - 6 P a n z e r s c h i f f e ausgelaufen, die bei T r a v e m ü n d e 500 M a n n gelandet haben, um auf L ü b e c k zu marschieren. E s w i r d a n g e n o m m e n , daß sie weiter die K ü s t e entlang fahren, um weitere Putsche zu v e r s u c h e n " , in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 0 1 7 , f o l . 48. Charakteristik bei M a x von B a d e n , S. 586. „ V e r e i n b a r u n g e n mit R M A z w e c k s e i n h e i t l i c h e r ] M a ß n [ a h m e n ] zur A b s p [ e r r u n g ] von Kiel und Isolierung des A u f r u h r e s " , in: hds „ N o t i z e n " Scheüchs v. 5. 1 1 . 1 9 1 8 , f o l . 164 ( A n m . I 182). Siehe A n m . I 232. D i e hds A u f z e i c h n u n g der S K L v . 5. 1 1 . 1 9 1 8 mittags - o f f e n b a r über eine telef. V o r a n k ü n d i g u n g des

66

I. Monarchische S t u t s g e w a l t gegen revolutionäre B e w e g u n g

a u s g e h e n d e n S t r a ß e n u n d E i s e n b a h n v e r b i n d u n g e n f ü r A u f s t ä n d i s c h e z u s p e r r e n , u m eine Weiterverbreitung zu

verhindern"'2\

U m die W i r k u n g der vereinbarten „einheitlichen M a ß n a h m e n z u r A b s p e r r u n g von Kiel u n d z u r I s o l i e r u n g des A u f r u h r e s " z u s t e i g e r n , richtete S c h e ü c h „ e n t s p r e c h e n d e A n w e i s u n g e n an [die S t e l l v . G e n e r a l k o m m a n d o s d e r K ü s t e n k o r p s ] I., I I . , X . , X V I I . , während

Scheer „allen

XX."'2',

K ü s t e n f o r t s B e f e h l erteilte, n a c h h e r u m s t r e i f e n d e n T r u p p s

zu

f a h n d e n u n d sie f e s t z u n e h m e n " , s o w i e d a s H o c h s e e k o m m a n d o a n w i e s , „ s o f o r t f ü r v ö l lige A b s p e r r u n g K i e l s nach See z u d u r c h z u v e r l ä s s i g e S t r e i t k r ä f t e i n n e r h a l b d e s a b z u s p e r renden Gebiets z u s o r g e n " ' 2 4 . D i e operative Idee der Militärs, Kiel rasch v o m Reichsgebiet zu isolieren, w a r zugleich e m i n e n t p o l i t i s c h e r N a t u r . G e m ä ß seiner A u f f a s s u n g , im A u g e n b l i c k k e i n e a n d e r e W a h l z u h a b e n , als d e r „ K i e l e r S i t u a t i o n " p r i m ä r d u r c h „ A b s p e r r u n g des S e u c h e n g e b i e t s " z u b e g e g n e n ' 2 ' , hatte d e r R e i c h s k a n z l e r n o c h a m V o r m i t t a g d e s 5. N o v e m b e r d i e s e m a u c h p o l i t i s c h e n O p e r a t i o n s p l a n seine Z u s t i m m u n g e r t e i l t ' 2 6 . E r hatte d a m i t n a c h G e i s t u n d S i n n eines erst a m V o r t a g e erlassenen R e g i e r u n g s a u f r u f s ' 2 7 g e h a n d e l t , d e r u. a. d a s seit E n d e O k t o b e r 1 9 1 8 neu g e r e g e l t e V e r h ä l t n i s v o n M i l i t ä r - zu Z i v i l g e w a l t b e k a n n t g e m a c h t hatte: „ D i e U n t e r s t e l l u n g d e r M i l i t ä r v e r w a l t u n g u n t e r d e n v e r a n t w o r t l i c h e n R e i c h s k a n z ler ist d u r c h g e f ü h r t ' 2 8 " . A b e r t r o t z d e r T a t s a c h e , d a ß diese m i l i t ä r i s c h e A k t i o n mit a u s drücklicher Billigung, wenn

nicht s o g a r auf W e i s u n g ' 2 ' d e s R e g i e r u n g s c h e f s ins W e r k

g e s e t z t w o r d e n w a r , geriet sie S t u n d e n , n a c h d e m die A b s p r a c h e n z w i s c h e n d e n beiden

nachf. Diensttelegramms aus dem R M A - ist der früheste Beleg f ü r die neugeregelten Zuständigkeiten: „Kriegsminister als Oberbefehlshaber nimmt die Sache gegen Kiel in die H a n d . I X . R e s . K o r p s sperrt Kiel zu Lande a b " ( B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 9 4 9 1 8 , fol. 30); ausführt. Bestätigung der Absprachen zwischen R M A u. Pr. K M . im Fernschreiben des C h e f s des Admiralstabes der Marine ( S K L ) , G r . H . Q u . , G g . op. Ia. 776, G a n z G e h e i m , an K d H Wilhelmshaven, aufgeg.: 5. 1 1 . 1 9 1 8 , 17 U h r ; eingeg. 18.30 U h r : „ 2 . Kriegsminister als Militär-Oberbefehlshaber hat die Operation gegen Kiel übernommen. Mit D u r c h f ü h r u n g wird ein General beauftragt. N a m e noch nicht bekannt. Vorläufige Adresse I X . R e s e r v e k o r p s " ( B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 8 , fol. 25 f.). >" Zit. aus hds „ B e r i c h t " des stellv. Königl. Bayer. Militärbevollmächtigten in Berlin, G e n . L t . Ritter v. K o p p e l , v. 6. 1 1 . 1 9 1 8 an den Bayerischen Kriegsminister über eine „vertrauliche Besprechung" vom gleichen Tage mit G e n . M a j . v. Wrisberg, in: B H S t A , I V , M K r 1828. ,1J Zit. aus „ N o t i z e n " Scheüch v. 5. 1 1 . 1 9 1 8 ( A n m . I 319). >*4 Zit. aus Fernschreiben der S K L v. 5. 1 1 . 1 9 1 8 , 17 U h r , an K d H ( A n m . I 3 2 1 ) . >'< Zit. aus M a x von Baden, S. 588. >i6 Quellen I/2, N r . 126. 1:7

Abgedr. bei B e r t h o l d / N e e f , S. 8 6 f . ; Ursachen und Folgen II, S. 370. " U m die von ihm in den Verfassungsverhandlungen geretteten Reservatrechte der A r m e e u. ihres Obersten Kriegsherrn nicht durch anderslautende Proklamation der Regierung ( „ D i e Militärgewalt ist der Zivilgewalt unterstellt") infragestellen zu lassen, hatte Scheüch auf redaktionelle Änderung gedrungen und o . a . Fassung in der 2. Kabinettssitzung des 4. 1 1 . 1 9 1 8 durchgesetzt (vgl. Quellen I/2, N r . 124). R M A u. P r . K M . (siehe A n m . I 160, K a p . III, 1) waren de iure keine Kommando-Behörde, sondern oberste Mi\iiirverwa/tung von Marine b z w . H e e r und daher in dieser Hinsicht der Reichsregierung unterstellt. Dennoch waren ihnen als „koordinierende Instanz" (Deist) die Planung und A n o r d n u n g der operativen Führung*aufgaben gegen das Aufstandsgebiet de facto zugefallen, da die in Kommandoangelegenheiten uneingeschränkt selbständigen Militärbefehlshaber im Küstengebiet (Stellv. K o m . G e n . u. Festungskdten.) von sich aus kein geschlossenes Vorgehen resp. eine gemeinsame Operation gegen Kiel verabredeten u. ihr verfassungsmäßiger Oberbefehlshaber, „ d e r Kaiser, infolge seiner Abwesenheit in Spa nicht in der Lage war, die nötige Z u s a m m e n w i r k u n g zwischen ihnen herzustellen" (Zit. nach M a x von Baden, S. 588). > 2 ' Von einem „diesbezüglichen B e f e h l " des Prinzen Max berichtet H a e f t e n ; vgl. Quellen I/2, N r . 126.

)2

2. Während der Revolution: Heeresformationen gegen aufständische Matrosen

67

militärischen Ressortchefs stattgefunden hatten und die entsprechenden Befehle ergangen waren, ins Kreuzfeuer der Kritik einiger Kabinettsmitglieder. Kriegsminister und Marinestaatssekretär sahen sich in einer Angelegenheit, die sie bereits für grundsätzlich entschieden hielten, mit jener „eigentümlichen Regierungsführung" (Payer) des letzten kaiserlichen Reichskanzlers und seines Kriegskabinetts konfrontiert, die sich in einer irritierenden Praxis mehrfach wiederholter „civil control" durch die höchsten politischen Entscheidungsträger gegenüber schon legalisierten oder noch im Gang befindlichen Maßnahmen der zentralen Exekutivgewalt ausdrückte. Die in der Kabinettsrunde erhobenen Bedenken und Einwände gegen die von den Militärs in Aussicht genommenen Einzelmaßnahmen provozierten bei Scheüch und Mann einige scharf formulierte Gegenvorstellungen, die womöglich weniger von der Sache angeregt waren, als daß sie sich gegen eine im Kriegskabinett immer häufiger praktizierte und von den beiden militärischen Ressortchefs 330 wohl nicht ohne Unmut miterlebte „Auffassung vom Regieren" 53 ' richteten, derzufolge es weder ungewöhnlich noch unmöglich war, eine bestimmte Willensbekundung des Reichskanzlers durch die ausschlaggebende Mitwirkung des Kabinetts nachträglich zu relativieren, d. h. den endgültigen Regierungsbeschluß erst nach gründlich geübtem „kollegialischen Verfahren" 33 * herbeizuführen. Der Disput im Kabinett über die zu ergreifenden militärischen Maßnahmen zeigte zugleich aber auch ein neuartiges Selbstverständnis der Regierungsmitglieder, insbesondere der parlamentarischen Staatssekretäre, auf bisher vorwiegend von den Militärs beanspruchtem Terrain. Das selbstbewußtere Auftreten der obersten politischen Repräsentanz des Reiches steht in deutlichem Gegensatz zu der in vier Kriegsjahren von den obersten Militärbehörden demonstrierten und weitgehend durchgesetzten Autonomie ihrer „rein militärischen" Entscheidungen gegenüber den als „Einmischung" empfundenen Ansprüchen der Reichsleitung auf ein Mitwirken bis hin zum Uberwiegen des Politischen. Der kleinste gemeinschaftliche Nenner bei den auseinanderstrebenden Auffassungen innerhalb der Kabinettsrunde bestand darin, „kein weiteres Militär hinzuschicken wegen der Ansteckungsgefahr" 333 und zunächst das Aufstandsgebiet abzuriegeln. Zum Streit der Meinungen kam es über die Modalitäten der Absperrung. Die totale Absperrung Kiels wurde von Erzberger, Scheidemann und Haußmann 334 entschieden abgelehnt, da sie auf einen „Aushungerungsversuch" hinauslaufe, der die Gefahr schneller Solidarisierung des noch ruhigen Teils der Zivilbevölkerung mit den unbotmä3)0

Nicht nur der milit. Behördenchefs (Fachminister), vgl. Protestschreiben des StSekr. des Äußeren, Solf, v. 5. 1 1 . 1918 an den Reichskanzler; abgedr. in Quellen I/2, Nr. 545. 1)1 Zit. Payer, S. 116; hierzu auch Max von Baden, S. 371 f.; neuere Wertung des Regierungssystems unter Max von Baden in: Quellen 1/2, S. X X I f . ,u Zit. Solf (Anm. I 330). Das vom ersten Kanzler des Kaiserreichs für die Reichsleitung scharf abgelehnte Kollegialsystem hatte nach Wortlaut u. Sinn weder in den Text der Bismarck-, noch der Oktoberverfassung Eingang gefunden, wurde aber in der Reichsregienmg unter dem letzten kaiserlichen Reichskanzler zur Verfassungswirklichkeit. !>! Zit. aus Empfehlung Haußmanns am Schluß seines Berichts vor dem Kabinett am 5. 1 1 . abends (Quellen 1/2, S. 537); gemeint: in das aufständische Kiel hinein; im ähnlichen Sinn vgl. Stellungnahmen von Scheüch, Simons/Twardowski (ebd., S. 538), Mann, Drews (ebd., S. 542ff.) u. Max von Baden (S. 588). »< Vgl. Quellen I/2, S. 509, 542.

68

I. M o n a r c h i s c h e Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

ßigen Marinesoldaten heraufbeschwöre und unvermeidbar zu weiterer Politisierung und Radikalisierung der Aufstandsbewegung führe. Allerdings fand sich im „Kriegsrat" (Solf) auch kein weiterer Befürworter für die in ihrer Konzessionsbereitschaft sehr weitgehende Empfehlung des kurz zuvor aus Kiel zurückgekehrten Haußmann, „den Verkehr der Züge nicht einzustellen" 33 '; sie war überdies bereits durch die am 5. November einsetzenden Kontrollmaßnahmen des Stellv. IX. Armeekorps überholt, denen zufolge nur noch ein „überwachter Personenverkehr [ . . . ] zugelassen" war" 6 . Auch der nach dem Kriegsrat von Payer an Noske übermittelte Kabinettsbeschluß, daß durch die „vorerst" zu ergreifenden militärischen Maßregeln die Herbeiführung einer Hungersnot nicht beabsichtigt sei, vielmehr erreicht werden solle, „daß die Bewegung nicht weitere Wellen ins Land hinein schlage und zu diesem Zweck [ . . . ] die Eisenbahnen dahin abgesperrt werden"' 3 7 , stimmte mit den tatsächlich ergriffenen, ab 5. November nachmittags stündlich verschärften Maßnahmen, mit denen die bewaffnete Macht den Festungsbereich Kiel abschnürte, immer weniger überein. Allein von Erzbcrgcr unterstützt, verfocht Ritter v. Mann die uneingeschränkte Gewaltlösung 338 . Der Marinestaatssekretär hielt eine machtvolle Demonstration der Regierungsautorität für unumgänglich; es sei unverzüglich ein Exempel zu statuieren, indem man die revolutionierte Stadt in einer kombinierten Land- und Seeoperation bezwinge. Dagegen war der Nichtmilitär Scheidemann nicht nur aus politischem Instinkt 339 , sondern auch aufgrund seiner aktuellen Kenntnisse über die Situation im Aufstandsgebiet 340 zu einer weitaus realistischeren Lagefeststellung gelangt als der Fachminister. Lapidar wies er darauf hin, daß man „ja auch die Leute nicht angreifen [könne], da sie zuviel Munition und Schiffsgeschütze haben" 3,4 '. Daß der Plan des Marinestaatssekretärs nicht die augenblicklichen militärischen Möglichkeiten berücksichtigte, wurde dem Kabinett durch die eindeutige Erklärung des preußischen Kriegsministers bestätigt, die „militärischen Kräfte seien vorläufig zu schwach; mit Waffengewalt ginge der Aufruhr daher jetzt nicht zu unterdrücken 342 ."

!>7

Zit. Haußmann (Anm. I 333). Scheidemann, Z u s a m m e n b r u c h , S. 194. Zit. nach der in Q u e l l e n I/2, N r . 1 3 1 , A n m . 3, abgedr. A u f z e i c h n u n g über das am 5. 1 1 . 1 9 1 8 nach 22.45 U h r g e f ü h r t e T e l e f o n a t mit N o s k e . Sie e r w e c k t den sehr bestimmten E i n d r u c k , als w e n n während des von P a y e r geleiteten Teils der Kabinettssitzung einvernehmliche resp. mehrheitliche Entscheidungen über den militärischen m o d u s procedendi gegen Kiel gefallen seien. Dies entsprach w e d e r den in dieser H i n s i c h t bis zuletzt heterogen gebliebenen A u f f a s s u n g e n der Sitzungsteilnehmer noch f o r m a l e m V e r f a s s u n g s r e c h t (keine Verbindlichkeit von „ K a b i n e t t s b e s c h l ü s s e n " , hierzu auch P a y e r ,

S. 1 1 8 f.). » 8 V g l . Q u e l l e n I/2, S. 5 4 2 f . " 9 Scheidemann (vgl. Q u e l l e n I/2, S. 544) befürchtete w i e schon v o r ihm N o s k e (Quellen II, 1 / I I , S. 1 3 6 5 ) u. H a u ß m a n n (Quellen I / 2 , S. 542) einen zu reichsweiter S t r e i k b e w e g u n g / R e v o l u t i o n i e r u n g führenden Solidarisierungseffekt in der Arbeiterschaft im Falle von T r u p p e n e i n s a t z u. Blutvergießen im Innern (Kiel). !4 ° Scheidemann w u r d e seit d e m 3. 1 1 . 1 9 1 8 laufend von dem S P D - P a r t e i s e k r e t ä r f ü r Schleswig-Holstein, K ü r b i s , informiert. >4' Zit. aus Q u e l l e n I/2, S. 544. !" Funkspruch des Uboot-Tenders „Meteor" v. 5. 1 1 . 1918 vorm., zit. in hds „Bericht" des Lt. z.S. G. Wolff v. 24. 12. 1918, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, PG 64916, fol. 24. 360 Femschreiben R M A an SKL, Punkt 1, v. 5. 1 1 . 1918, 23.20 Uhr, B A - M A , RM 8/Fasz. 4076, PG 64917, fol. 48, u. Fernschreiben der Marine-Nachr.-Stat Swinemünde v. 5. 1 1 . 1918 (ohne Uhrzeitangabe u. Empfänger), ebd., fol. 52. Hiemach sollten u. a. die Anlandung eines Geschwaders von 5 bis 6 Panzerschiffen und die Einschiffung meuternder Matrosen verhindert sowie „mit allen Mitteln" ein unter roter Flagge aus Kiel ausgelaufenes T-Boot „am Verkehr mit Land behindert, eventuell entwaffnet werden".

2. Während der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

7)

Ausnahmen vollziehenden Zusammenbruch des Gehorsams in den Seestreitkräften des Reiches schloß sich am darauffolgenden Tage der Fall der Ost- und Nordseeküste und des preußischen resp. des nach den Militärkonventionen zum sog. preußischen Kontingentsbereich gehörenden Hinterlandes an; für den preußischen Kriegsminister bedeutete diese am 6. und 7. November raumgreifende Entwicklung zugleich den Verlust seiner wesentlichen Gegenwirkungsmöglichkeiten im Heimatgebiet. c) Die Ausbreitung der Umsturzbewegung im Ost- und Nordseeküstenbereich Etwa zur gleichen Zeit, als die um Kiel stationierten Ersatztruppenteile den „politischen K o r d o n " ' 6 ' um das Aufstandsgebiet zogen, wurde das ihnen unmittelbar übergeordnete Lübecker Brigadekommando von den in Travemünde gelandeten Matrosen und den von ihnen zum Anschluß bewogenen Garnisontruppen' 62 ausgehoben' 6 '. Während der am 6. November morgens von einem schwachen Detachement vorgetragene Entsatzversuch zur Rückgewinnung Lübecks nicht mehr durchschlug' 64 , brach die Militärrebellion gleichzeitig in Schwerin' 6 5 , Wismar, Warnemünde und Rostock' 6 6 aus. Zwar wurde das erstmals am 4. November vom Kriegsministerium zur Entsendung von Eingreiftruppen verpflichtete II. Armeekorps (Stettin)' 67 zunächst nur in seinen vorpommerschen Randbezirken von Ausläufern der Kieler Matrosenbewegung erfaßt, doch erfolgte der U m schlag in den Machtverhältnissen beim westlichen Korpsnachbarn um so rascher und vollständiger. Gleichzeitig mit der teilweise gewaltsamen Revolutionierung mecklenburgischer Städte waren die meisten Garnisonen' 68 in Schleswig-Holstein bereits bis zum Mittag des 6. November von der Bewegung erfaßt worden. Mit diesem Zeitpunkt ist zugleich das Ende aller von der Landseite gegen Kiel gerichteten Abschließungsmaßnahmen bezeichnet. Den wenigen in diesem geographisch mittleren Teil des Altonaer Korpsbereichs noch loyal gebliebenen Formationen' 69 ging die Lageorientierung zu, daß „militärische Unterstützung von außerhalb nicht zu erwarten" sei' 70 . >6' Forderung Erzbergers in der Kabinettssitzung am 5. 1 1 . 1918 abds.; vgl. Quellen I/2, S. 542. Nach Popp/Artelt, S. 20, waren hierbei vor allem jene Soldaten des Lübecker Ers.Btl./Inf.Rgt. 162 beteiligt, die am 4. 1 1 . 1918 abds. beim Eintreffen auf dem Kieler Hbhf. entwaffnet u. noch in der Nacht zum 5. 1 1 . , „da Übergehen zu befürchten, wieder abgeschoben" worden waren. Zit. aus hds Immediatbericht Scheers an den Kaiser v. 5. 1 1 . 1918, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G ¿ 4 9 1 8 , fol. 28f. Vgl. auch Wilhelm Eildermann, Im Kampf für ein sozialistisches Vaterland, in: Vorwärts und nicht vergessen, S. 1 5 7 f f . ,6 > Vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1766 (Wrisberg); Max von Baden, S. 595; Zeisler, S. 2 1 3 f . ,64 Vgl. Scheidemann, Zusammenbruch, S. 194, über Lageschilderung Scheüchs in der Vormittagssitzung des Kriegskabinetts am 6. 1 1 . 1918. >*' Träger der bewaffneten Militärrebellion in der Hauptstadt Mecklenburgs war das „nicht aus Landeskindern bestehende" Schweriner Ers.Btl./Gren.Rgt. 89; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, N r . 7 8 1 ; Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 49, insbes. Anm. 148. Wismar, Warnemünde u. Rostock: vgl. Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 49. )6? Siehe Anm. I 242. Zu dem - für Direktabsprachen unter selbständigen Militärbefehlshabern nicht untypisch! - vom Stellv. G e n . K d o . des Altonaer IX. A . K . wieder rückgängig gemachten Antransport dieser Eingreiftruppen aus dem Stellv. G e n . K d o . des Stettiner II. A . K . vgl. Volkmann, Marxismus, S. 223. 568 Flensburg, Schleswig, (Eckernförde), Rendsburg, Heide, Itzehoe, Lübeck; vgl. Zeisler, S. 2 1 5 , 222; Vorwärts und nicht vergessen, S. 159 (Eildermann); Quellen I/2, S. 554 (Scheüch); W U A , 2. Abt., IV/ ro/I, S. 291 ff. Siehe Anm. I 370. ) 9 * Ratzeburger Jäger, Wandsbeker Husaren, E./Inf.Rgt. 163 (Neumünster). 170 „ M e l d u n g " Braune (Anm. I 355).

74

I. M o n a r c h i s c h e Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

Bis zum 6. N o v e m b e r abends löste sich auch der Hamburger Großraum, der westlichste und bedeutendste Teil im Befehlsbereich des Stellv. Generalkommandos des I X . Armeekorps, aus der bisherigen staatlichen O r d n u n g . Die in der Vorkriegszeit unter militanten linken Sozialisten immer wieder erörterte „Blanquistische T a k t i k " ' 7 1 der handstreichartigen Machtergreifung wurde hier in einem für die deutsche Novemberrevolution seltenen Paradebeispiel praktiziert, bei dem die revolutionäre Kampfentschlossenheit einiger w e niger, begünstigt durch eine allgemein verbreitete Umsturzgeneigtheit, binnen kürzester Frist zum E r f o l g führte: E s gelang einer G r u p p e aus dem Urlaub zurückkehrender Kieler Matrosen, die am 5. N o v e m b e r wegen der Absperrung aller Verkehrswege nach Kiel nicht hatten Weiterreisen können, nach einer Reihe erfolgreicher nächtlicher Stoßtruppunternehmen den A u f r u h r unter der Bevölkerung und in den Kasernen zu entfachen 3 7 2 . Die dem Kriegsminister am Mittag des 6. N o v e m b e r vorliegenden 1 7 3 und im Kabinett verbreiteten Meldungen 3 7 4 , daß H a m b u r g und Altona „in der H a n d der A u f r ü h r e r " seien, nahmen jedoch den tatsächlichen U m s c h w u n g der Machtverhältnisse vorweg. Dieser trat erst ein, nachdem der Stellv. Kommandierende General nachmittags sein mit beachtlichcn A b w e h r m i u e l n ausgestattetes und nur schwer zu erstürmendes Stabsgebäude kampflos vor einem anrückenden Demonstrationszug geräumt hatte 3 7 ' und damit denjenigen Hamburger Garnisonstruppen, die ihre Kasernen bisher unter Waffeneinsatz verteidigt hatten, das Signal zur A u f g a b e ihres Widerstandes gab' 7 6 . Unmittelbar bevor der Befehlshaber über das Altonaer Armeekorps, dem noch nicht 24 Stunden zuvor die sofortige Durchführung der Abschließung Kiels von Landseite übertragen worden war, „sein Stellvertretendes Generalkommando nach Lüneburg verl e g t e " ' 7 7 , vorgeblich um von dort die Wiedereroberung des fast vollständig revolutionierten Korpsbereichs zu organisieren' 7 8 , hatte er alle Truppenteile und Garnisonen seines

)7

' Z i t . aus der R e d e H u g o Haases v. 3 . 3 . 1 9 1 9 , abgedr. i n : U S P D . Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages v o m 2. bis 6. M ä r z 1 9 1 9 in Berlin, Berlin 1 9 1 9 , S. 8 4 f f .

372

Ü b e r die multiplikatorische W i r k u n g der v o m M a t r o s e n m a a t Zeller geleiteten A k t i o n e n ausführl. bei

373

S o die M e l d u n g des C h e f s des Generalstabs des O b e r k o m m a n d o s der Küstenverteidigung, „ O b e r s t v.

N e u m a n n , H a m b u r g , S. 5 ff. Z i t z e w i t z - A l t o n a [ . . . ] daß einige T r u p p e n unzuverlässig, in H a m b u r g habe Stellv. G e n e r a l - K o m m a n d o I X . [ A . K . ] keine M a c h t m e h r " ; zit. nach hds „ N o t i z e n "

Scheüchs v. 6. 1 1 . 1 9 1 8 , in: N 1

S c h e ü c h , B A - M A , N 2 3 / 1 , fol. 1 6 4 . 174

W ä h r e n d der V o r m i t t a g s s i t z u n g des Kriegskabinetts am 6. 1 1 . 1 9 1 8 , vgl. Q u e l l e n 1 / 2 , S. 554.

371

Ritter/Miller, S. 5 2 H . ; B u c h n e r , S. 7 4 ; M ü l l e r - F r a n k e n , S. 3 1 f.; D e u t s c h l a n d im Ersten Weltkrieg III, S. 5 2 9 .

37

' D o k . u. M a t . I I / 2 , S. 3 1 7 ; N e u m a n n , H a m b u r g , S. 6 f f . ; Erlebnisberichte in: V o r w ä r t s und nicht vergessen, S. 2 4 4 , 2 4 7 t . , 2 5 0 ; B u c h n e r , S. 7 4 ; G ö r l i t z , S. 1 2 9 f .

377

W o r t l a u t z u r offiziellen O r i e n t i e r u n g der Bevollmächtigten der Bundesregierungen am 7. 1 1 . 1 9 1 8 , in:

378

a) L a u t G ö r l i t z , S. 1 3 0 , „ u m kaisertreue T r u p p e n h e r a n z u h o l e n " ; W i d e r l e g u n g siehe unten.

D o k . u. M a t . I I / 2 , S. 3 1 7 . b) L a u t N i e m a n n , R e v o l u t i o n von oben, S . 2 5 1 , „ u m mit T r u p p e n des benachbarten X . A r m e e k o r p s gegen H a m b u r g zu m a r s c h i e r e n " ; tatsächlich hatte das Stellv. G e n . K d o . X . A . K . ( H a n n o v e r ) gegen die von örtlichen Matrosenrevolten bedrohten M a r i n e s t ü t z p u n k t e ( C u x h a v e n , Geestemünde, B r e m e n , B r e m e r h a v e n , W i l h e l m s h a v e n ) das G r o s seiner E i n g r e i f t r u p p e n bereits aufgeboten. Diese w u r d e n jedoch w ä h r e n d b z w . nach V e r l e g u n g z u ihren Einsatzorten in den Strudel der revolutionären Ereignisse mit hineingerissen. ( E r k l ä r u n g ihrer Neutralität oder S y m p h a t h i e gegenüber den A u f s t ä n d i s c h e n ; unterbundener Eisenbahntransport w e g e n der v o m Feldeisenbahnchef verhängten totalen V e r k e h r s s p e r r e f ü r alle M i l i t ä r z ü g e . ) D a s d e m P r . K M . am 6. 1 1 . 1 9 1 8 v o m Stellv. G e n . K d o . X . A . K . unterbreitete A n g e b o t , mit einem D e t a c h e m e n t H a m b u r g z u r ü c k z u e r o b e r n , fiel noch am

2. Während der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

75

Befehlsbereichs angewiesen: „ K e i n e n Widerstand leisten, Blutvergießen vermeiden, in Verhandlungen eintreten 5 7 9 ." D i e Tatsache, daß nun innerhalb von 4 8 Stunden der zweite Militärbefehlshaber im Reichsgebiet eine derartige Kapitulationserklärung abgegeben hatte, der noch ähnlich lautende am 7 . N o v e m b e r beim Stellv. X . A r m e e k o r p s ( H a n n o v e r ) und des weiteren am 8. N o v e m b e r bei den Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o s des I V . ( M a g d e b u r g ) , V I I . (Münster) und X V I I I . A r m e e k o r p s ( F r a n k f u r t ) folgten, vermittelt einen E i n d r u c k v o m rasanten Fortschreiten der revolutionären E n t w i c k l u n g und weist zugleich auf den eng bemessenen Zeitraum hin, der den obersten politischen und militärischen Instanzen noch zur Organisation der G e g e n w e h r und z u r B e w a h r u n g der ü b e r k o m m e n e n staatlichen O r d nung verblieb. V o m j . N o v e m b e r 1 9 1 8 abends datiert der früheste A n t r a g der M a r i n e f ü h r u n g , auch das Preußische Kriegsministerium an seinen erst T a g e nach dem A u s b r u c h der schweren Unruhen auf der H o c h s e e f l o t t e beschlossenen G e g e n m a ß n a h m e n zu beteiligen. Bis dahin hatte man w e d e r versucht, „ e i n e bedingungslose E r g e b u n g der A u f r ü h r e r auf G n a d e oder U n g n a d e " mit H i l f e „schärfster M a ß r e g e l n " herbeizuführen 3 * 0 , noch „ d i e Sache sich bei taktvoller B e h a n d l u n g w i e d e r b e r u h i g e n " zu l a s s e n ' 8 ' , sondern vielmehr Massenverhaftungen ohne differenzierende Täterermittlung v o r g e n o m m e n 3 ® 1 . In V e r b i n d u n g mit der Dislozierung der G e s c h w a d e r auf getrennte Liegeplätze hatte die Pazifizierungsaktion des H o c h s e e k o m m a n d o s am 3 1 . O k t o b e r / 1 . N o v e m b e r 1 9 1 8 Festnalime

von

etwa

1000 M a t r o s e n

geführt3'3.

Das

weitergehende

Vorhaben,

zur die

gleichen Tage in sich zusammen: der Stellv. Kom.Gen. vermochte die an die Zustimmung des pr. KM. für diese Unternehmung gebundene Bedingung (kalkulierbare Erfolgsaussicht, gemessen an der Zulänglichkeit u. Zuverlässigkeit der Eingreifmittel) nach eigenem Eingeständnis nicht mehr zu erfüllen; vgl. Volkmann, Marxismus, S. 226. c) Laut Volkmann, Revolution, S. 38, u. Trowitz, S. 10, „um die im Anrollen angekündigten - von der Obersten Heeresleitung dem Generalkommando zugesagten [sie!] - beiden Felddivisionen in Empfang zu nehmen und deren Führung zu übernehmen"; tatsächlich waren die 2. Garde-Inf.Div. nach Alten-Grabow, die 52. Res.Inf.Div. zunächst nach Münster beordert sowie die Führungs-/Unterstellungsverhältnisse hinsichtl. der Feldtruppen für die drei „ A O K Heimatschutz" erst drei Tage später - Trowitz nennt den 4. 1 1 . 1918 - geregelt worden; siehe Anm. I 681 ff.; II 590ff.; Kap. III 1. d) In Wirklichkeit hat der entmachtete Stellv. Kom.Gen. IX. A . K . , Gen.d.Inf. v. Falk, seine eilige Fahrt im Automobil von Altona nach Lüneburg bis Berlin fortgesetzt u. sich dort beim pr. K M . um die fiskalische Erstattung seines geplünderten Privateigentums bemüht; vgl. Böhm, Tgb.-Eintr. vom 12. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 75. 179 „Meldung" Braune (Anm. I 355). Eingangszeit für diesen „Befehl des Generalkommandos" bei F.F.Station Neumünster: 6. n . 1918, 2 Uhr nachm.; fernschriftl. Weiterleitung im o . a . Wortlaut durch Funkempfangsstelle Neumünster an Admiralsstab um 15.35 Uhr. B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 94617, fol. 105. Bestätigt durch Trowitz, S. 10. )io Zit. aus Absichtserklärung des als Nachfolger für Souchon designierten Befehlshabers des Marinekorps in Flandern, Adm. v. Schröder; vgl. Waldeyer-Hartz, S. 274ff. Hierzu Quellen I/2, N r . 1 3 1 a . ji ' So das vom Chef des Stabes des K d H noch am 2. 1 1 . 1918 verfolgte Befriedungskonzept, vgl. Quellen II, i/II, N r . 498 Anm. 3. jSl Diese Kollektivmaßnahmen, bei denen nicht zwischen Rädelsführern u. mehr oder minder aktiv beteiligten Gefolgsleuten unterschieden wurde, übte eine solidarisierende u. radikalisierende Wirkung auf die Matrosen aus. Siehe auch Anm. I 339. }il Angabe der Gesamtzahl bei Zeisler, S. 196; im einzelnen: W U A , 2. Abt., IV/9/I, S. 486; 9/II, S. 158; Zeisler, S. 2 1 4 f . ; Rosenberg, Entstehung, S. 234; Anlauf, S. 10; Fikentscher, S. 14, 23; „Dienstbcrichte" des I. Geschwaders, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64914.

76

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

„Schiffe in großem Umfange von unzuverlässigen Elementen zu säubern", barg nach Ansicht der Flottenführung' 84 für den Fall, daß es zur „Ansammlung dieser Leute in Arrestanstalten" käme, nicht nur „schwere Gefahren" in sich, sondern „fiihrfe] auch nicht zum Ziel". Die Sorge des Kommandos der Hochseestreitkräfte bestand also einmal darin, nicht ohne Not Revolutionspotential 385 in den Arresthäusem der großen Garnisonen zu konzentrieren. Die andere Befürchtung, daß Militärarrest „nicht zum Ziel führe", meint die Unzulänglichkeit dieses Zuchtmittels gegen jene meuternden Flottensoldaten, die „aus Furcht vor G e f a h r " das Auslaufen der Hochseegeschwader zur sogenannten Todesfahrt verhindert hatten und die Hipper am 30. Oktober in seinem „Aufruf an die Mannschaften der Hochseeflotte" direkt angesprochen hatte' 86 ; nach dem Verdikt des Flottenchefs „stempelte sich [derjenige], der jetzt nachläßt, der sich jetzt dazu hergibt, die Waffen zu schwächen, [ . . . ] zum Feigling." Mit anderen Worten: Man erwartete, daß das im Normalfall abschreckende Disziplinierungsmittel des Arrests im jetzigen Stadium des Krieges seine erzieherische Wirkung verfehle, da Arrest dem, der aus Feigheit handle, begehrenswerter erscheine als der ungleich risikohaftere Frontdienst in den Seestreitkräften^ 7 . Um einer Säuberung in der Flotte aber trotzdem den erwünschten Sühne- und Abschrekkungseffekt zu verleihen, drängte das Kommando der Hochseestreitkräfte darauf, daß für die unzuverlässigen Elemente sofort geeigneter Platz geschaffen werde 388 . Was unter dieser Zwangsmaßnahme im einzelnen zu verstehen sei und wie sie durchgeführt werden sollte, besprachen führende Marineoffiziere am 3. November in Wilhelmshaven, dem Sitz der Marinestation Nordsee, deren Stationschef, Admiral v. Krosigk, um die innere Sicherheit des unmittelbaren Festungs- und seines gesamten Befehlsbereichs fürchtete. Deshalb ersuchte er die Chefs der Stäbe von Seekriegsleitung und Kommando der Hochseestreitkräfte, Kapitän z.S. v. Levetzow und Kontreadmiral v. Trotha, daß die im Gouvernement sowie in anderen Festungen und Stützpunkten der Marine vorläufig arretierten „schlechten Elemente schleunigst wegkommen" und von der Armee mehrere bestimmte Plätze vorgesehen und bereitgehalten wurden, „wohin sofort die in Haft befindlichen und später hinzukommenden unverzüglich abgeschoben" werden könnten 38 '. Dieser Dringlichkeitsantrag forderte genau wie die Maßregeln, die kurz zuvor zwischen Trotha und Levetzow gegen die verhafteten Matrosen vereinbart worden wa-

184

Zit. aus Fernschreiben Chef K d H an Admiralstab/SKL, zgl. nachrichtlich an StSekr. des R M A , v. 2. 1 1 . 1918, aufgeg. 13.05 Uhr, in Spa eingetr. 16.05 Uhr (ms Telegrammabschrift in: B A - M A , R M 8/ Fasz. 4076, P G 64918, fol. 69f.; vollst. Abdruck des Entwurfs in: Quellen II, 1 /II, N r . 501. Uber die Einschätzung der Militärrevolte als „bolschewistische Bewegung": Quellen II, 1 /II, Nr. 501, Anm. 8; Scheer, Hochseeflotte, S. 497. - Daß es sich hierbei um eine großangelegte, mehr Zeit u. die Hilfe der Armee in Anspruch nehmende Säuberungsaktion handeln würde, belegen auch die Aufzeichnungen über die Besprechung in Wilhelmshaven am 3. 1 1 . 1918 (siehe Anm. I 389) u. Hippers Tgb.Eintr. v. 3. 1 1 . 1918, in: N 1 v. Hipper, B A - M A , N 162/9, fol. 12. >'« Abgedr. in Quellen II, i/II, N r . 498.

>8? Vgl. Volkmann, Marxismus, S. 1 5 6 f f . , 3 1 3 f f . ; ders., in: W U A , 2. Abt., I V / 1 1 / I , S. 87^, 3 3 9 f „ D o k . 39a-g, 4 3 a - b ; ders., Soziale Mißstände im Heer, S. >88 Siehe Anm. I 384. >"' Zit. aus hds Protokoll über die „Besprechung zwischen den Chefs der Stäbe der Flotte u. der SK.L, 3. 1 1 . 1 8 . , Stationskommando Nordsee, unter späterer Hinzuziehung des Stationschefs Nordsee, Ad. v. Krosigk", in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64918, fol. 84. Hierüber auch Tgb.-Eintr. Hippers v. 3. 1 1 . 1918 (Anm. I 385).

i . Während der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

77

ren, „Unterbringung in verschiedenen Lagern unter zuverlässiger Armee-Bewachung (Kavallerieregiment). Abholung durch Armeekommando" 39°. Die noch am gleichen Abend aus dem Kaiserlichen Großen Hauptquartier an das Berliner Kriegsministerium gerichtete Bitte 39 ' um sofortigen Abtransport von etwa 600 Mann, verbunden mit dem dringenden Wunsch, Truppenteile der Armee als Transportkommandos zu stellen, gewährt zugleich einen Einblick in die Absichten der obersten Kommandostellen des Reiches, die in den letzten zwei Kriegsjahren geübte Praxis aufzugeben, Unbotmäßige in die obrigkeitsstaatliche oder militärische Zucht zurückzuzwingen. Das bisherige System, linksradikale Agitation („Bruch des Burgfriedens") und Störung des Arbeitsfriedens (führende Beteiligung an Streiks) mit Dienstverpflichtung oder Einberufung, schwere Disziplinverstöße mit Militärarrest oder „Festung" zu ahnden, hatte sich in den negativ multiplikatorischen Wirkungen, welche die Gemaßregelten in den ihnen verordneten Bereichen auslösten, gleichsam als Bumerang erwiesen 392 . Nicht mehr die von der Regierung reglementierte Einspannung in die kriegswirtschaftliche Produktion oder die disziplinare Einbindung in die soldatische Ordnung wie bisher, sondern Deportation in scharf bewachte und von der Umwelt isolierte Lager im Heimatgebiet - die allerdings für eine zusätzliche Massenunterbringung der Matrosen keineswegs eingerichtet waren 393 - bedeutete die Empfehlung aus Spa an das Preußische Kriegsministerium: „ O H L hält es nicht für angebracht, die Leute im besetzten Gebiet zu verwenden, und schlägt vor, sie durch Kriegsministerium in der Heimat unterzubringen 394 ." Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die seinerzeitigen Führungsverhältnisse, wenn ungeachtet der gefährlich zugespitzten Situation, in der jedenfalls die Autorität, wenn nicht sogar bereits das Fortbestehen des Militärapparates und des Staates auf dem Spiel standen, für die zunächst marineintern, dann auf der Ebene der Ober- und Militärbefehlshaber geführten Absprachen und Ersuchen volle zwei Tage benötigt wurden, bevor die schon am 3. November von allen beteiligten Stellen 395 als höchst dringlich eingestuften Aufgaben des Abtransports und der Bewachung festgesetzter Matrosen in die Tat umgesetzt wurden. Nachdem das Reichsmarineamt am 5. November telegraphiert hatte, daß aus Wilhelmshaven „Flottenmannschaften [ . . . ] durch X . A . K . abtransportiert werden" sollten und 190

Protokoll über „Besprechung", fol. 78 f. " ' Zit. aus dem von Scheer gez. Vorzugsfernschreiben des Admiralstabs/SKL an R M A u. Stellv. Admiralstab Berlin. Von Offizier zu Offizier. Ganz geheim. 3. 1 1 . 1 9 1 8 , 20.40 U h r : „Bitte übermitteln an Kriegsministerium Berlin: [ . . . ] " , in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 8 , fol. 18. w Noske, Bolschewismus, S. 22; Vorwärts und nicht vergessen, S. 89-91 (Artelt), S. 1 0 9 f f . (Baier); Allgemeiner Kongreß, Sp. 93 (Ledebour). "> Während der ersten Novemberwoche waren zwar die jüngsten Einberufungen rückgängig gemacht worden, aber auch keine Ersatztransporte mehr zur Front resp. in die Feldrekrutendepots abgegangen, so daß sich die Ausbildungslager nach wie vor in einem überfüllten - und ebenso wie die Kasernen seit Jahren vernachlässigten baulichen u. sanitär unzulänglichen Zustand befanden. Berichte über die schlechten Unterbringungsbedingungen u. die Schwierigkeiten bei der Aufbringung des nötigen Wachpersonals für die in Lagern bei Oslebshausen (bei Bremen), Lockstedt (nördlich von Itzehoe), Soltau u. Berlin (Neuhammer, Zossen, Döberitz) verbrachten Matrosen, in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4077, P G 6 4 9 2 1 ; N1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. 164; Repetzky, S. 289^ Siehe Anm. I 391. Chefs des Stabes von K d H u. S K L mit Stationschef Nordsee; S K L / O H L an Pr. K M . ; Pr. K M . an Stellv. Gen.Kdo. X . A . K . „in unmittelbarem Benehmen mit Hochseekommando" (siehe Anm. I 306).



I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

„ X . A . K . Anweisung [habe], weiteren Platz zu schaffen und Flotte und Nordseestation mitzuteilen, w o Platz vorhanden" sei5*6, wurde in der Nacht vom 5. auf den 6. November mit dem „Abtransport der von den Schiffen heruntergeholten 350 Mann nach Lockstedter Lager" durch das Stellv. X . Armeekorps begonnen 397 . Es muß als höchst unwahrscheinlich gelten, daß dieser um Tage zu spät beorderte Gefangenentransport noch seinen Bestimmungsort (nördlich von Itzehoe) erreichte, denn die zu durchfahrenden Bahnhöfe von Bremen 3 ' 8 , Hamburg 3 9 9 und Itzehoe 400 waren seit dem 6. November von aufständischem Militär kontrolliert, ebenso der Platz des vorgesehenen „sicheren Gewahrsams" (Scheer). Ein weiterer Transport gelangte am 6. November bis Hannover und übernahm dort sogleich eine wesentliche Rolle bei der Revolutionierung der Stadt 401 . Mehrere hundert 401 verhaftete Matrosen, die von Marineinfanteristen bewacht wurden 403 , verhinderten ihren Transport nach Munsterlager bereits auf dem Bremer Hauptbahnhof. Zusammen mit über 200 noch am Vormittag des 6. November in der Strafanstalt Oslebshausen eingeschlossenen, aber dort von Kieler Matrosen wieder freigesetzten Marinesoldaten404 formierten sie einen bewaffneten Demonstrationszug. Unter dem Eindruck der von den aufständischen Soldaten ausgehenden Gewaltandrohung und angesichts umfangreicher Befehlsverweigerungen unter den Garnisontruppen verlegte sich der Standortälteste aufs Unterhandeln. Daß die Revolutionierung Bremens wegen vollständig ausgebliebener militärischer Gegenwehr einen „unblutigen Verlauf" genommen und der Stadtkommandant, Oberst Lehmann, „eine Verteidigung" nur „per Vertrag mit dem Arbeiterund Soldaten-Rat" geführt hatte, und zwar unter Annahme aller revolutionären Forderungen, erschien dem Preußischen Kriegsministerium 40 ' ein herausragendes Beispiel für das rapide Abnehmen der Widerstandskraft im Heimatheer. Die vier Tage zwischen dem Ausbruch erster Unruhen auf Großkampfschiffen der Hochseegeschwader und dem Beginn des systematischen Einschreitens der Flottenführung 406 , 1,6

Zit. aus: Der Staatssekretär des R M A , Allg. Marinedepartement No. A I a 1044 gg. v. 5. 1 1 . 1918 fernschriftl. (ms Abschrift) an Admiralstab/SKL, Stellv. Admiralstab Berlin, Kgl. Pr. KM., ausdrücklich nicht an Ostseestation Kiel, B A - M A , RM 8/Fas. 4076, PG 64917, fol. 56. 7 >' Zit. aus hds Immediatbericht Scheers an den Kaiser v. 5. 1 1 . 1918 (ohne Uhrzeitangabe), BA-MA, RM 8/Fasz. 4076, P G 64918, fol. 28; bestätigt durch hds Immediatbericht Scheers v. 6. 1 1 . 1918 über „Aufruhrbewegung auf Schiffen", ebd., fol. 35ff. Vgl. Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 50. >» Vgl. Zeisler, S. 216. 4 °° Ebd., S. 215. 401 Arch. Forsch. 4/IV, Nr. 799. Zahlenangabe bei Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 50. 4 °> Es handelte sich um Marine-Infanteristen des II. Ers.See-Btl. (Wilhelmshaven). 404 Zeisler, S. 218; Vorwärts und nicht vergessen, S. 189 (Miller); Drabkin, S. 119; Forstner, S. I4f.; Kukkuk, Linksradikale, S. 2; Müller/Breves, S. 1 off.; Kliche, S. 6; Tgb.-Eintr. Hippers v. 5. 1 1 . 1918, N l v . Hipper, B A - M A , N 162/9, fol. 14. 4 °* Auszugsw. zit. nach Böhm, Tgb.-Eintr. v. 7. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 57, und N1 Böhm, S. 049. Das „Abkommen zwischen dem Gamisonältesten [Oberst Lehmann] und dem Soldatenrat vom 6. 1 1 . 1918" ist abgedr. bei Kuckuk, Revolution, S. 33t. 406 Die ersten Dienstverweigerungen ereigneten sich bereits am 27. 10. 1918, also noch während der allgem. Vorbereitung für den Flottenvorstoß, auf S.M.S. „Straßburg" u. „Nassau" (Kutscher, S. 53; Cisnik, S. 655; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 505; Herwig, Elitekorps, S. 912, Anm. 85; Deist, Politik der Seekriegsleitung, S. 361). Flottenchef v. Hipper verschweigt nicht, daß ihm die erst

2. Während der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

79

die folgende fünftägige Zeitspanne zwischen dem Anfang der Massenverhaftungen und dem Anlaufen des zwischen Marine und Heer vereinbarten Abtransports der vorläufig festgenommenen Matrosen in endgültigen Gewahrsam kennzeichneten den Zeittakt von Entscheidungsprozessen und Maßnahmen militärischer Führungsorgane des Kaiserreichs gegen eine Bewegung, die sich in wesentlich rascheren Abläufen aus einer innermilitärischen Revolte zur allgemeinen Revolution entwickelte. Das Unvermögen maßgeblicher Kommandostellen, in diesen sich schnell - aber für einzelne örtliche Führer durchaus nicht „unabsehbar" oder „unübersehbar" rasch 407 - zuspitzenden revolutionären Geschehen in angemessen forciertem Takt zu agieren, das Gesetz des Handelns zu geben und nicht zu nehmen, zeigt sich in geradezu grotesker Weise am Fall Wilhelmshavens, den mit Heeresmacht zu verhindern auch der preußische Kriegsminister vergleichsweise frühzeitig ersucht worden war. Die am 4. November erstmals in Kiel und dann am 6. im ganzen Befehlsbereich der Nordseestation von aufständischen Matrosen mit Erfolg durchgeführte Aktionen zur Befreiung ihrer festgesetzten Kameraden bedeuteten für die rebellierenden Marinemannschaften die gewaltsame Einlösung ihrer Hauptforderung nach Amnestie 408 , für den Stationschef und Gouverneur des Reichskriegshafens Wilhelmshaven, Admiral v. Krosigk, aber das Eintreten seiner seit Beginn der Massenverhaftungen gehegten Befürchtungen, die sich mit dem Anschwellen der Gefangenenzahlen und der im Kieler Gouvernementsund Kommandobereich zu beobachteten Entwicklung immer mehr verstärkt hatten409. So führte Admiral v. Krosigk u.a. am j . November gegenüber den Chefs der Stäbe vom Kommando der Hochseestreitkräfte und Seekriegsleitung, Trotha und Levetzow, aus, daß im Festungsbereich Wilhelmshaven augenblicklich „nur 200 zuverlässige Leute zur Verfügung stünden", erst noch „weitere Maschinengewehrtruppen in Bildung begriffen seien" und deshalb „etwa 1000 Mann Armeetruppen dringend erwünscht seien". Nachdem Krosigk auf seine Vorstellungen hin wohl „zugesichert" worden war, daß „alles geschehen werde, um Truppen zu beschaffen", bis zum frühen Nachmittag des folgenden 4. November ihm aber noch keine weitere Nachricht übermittelt, geschweige denn ein Heeresdetachement zugeteilt worden war, forderte er wiederholt beim Stellv. Admiralstab in Berlin und bei der Seekriegsleitung in Spa Heerestruppen als „eine Sicherungsreserve für das Stationskommando in Wilhelmshaven" an 4 ' 0 . In indirekter Form am 3 1 . 10. 1918 einsetzende Gegenwirkung „als Schlappheit ausgelegt werden" könnte (Tgb.-Eintr. v. 3 1 . 10. 1 9 1 8 , N 1 v. Hipper, B A - M A , N 162/9, • 1 )• Der an der Inszenierung des „Einsatzes der Flotte zum E n d k a m p f " (Zit. Scheer, B A - M A , R M j/Fasz. 4055, P G 64723) führend beteiligte Levetzow ging soweit, für dessen „bereits im Ansatz mißlungene" Durchführung (Schubert) u. für die spätere Reaktion auf die grassierenden Dienstverweigerungen unter den Flottenmannschaften die ganze Verantwortung dem K d H aufzubürden: „ H i p p e r und Trotha haben beide armselig versagt", N1 v. Levetzow, B A - M A , N 239/25; hierzu Schubert, S. 233; indirekt dito Scheer (siehe Anm. I 457, 459). Ahnliche Vorwürfe Levetzows u. Restorffs (Niemann, Revolution von oben, S. 393 f.) u. a. gegen das Flottenkommando abgedr. bei Kutscher, S. 63 Anm. 18; Kässner, S. 96; Legahn, S. 7 1 , 75; Deist, Unruhen, S. 342: ders., Politik der Seekriegsleitung, S. 362; Fikentscher, S. 23; Keim, S. 97. 407

408 409 4,0

In der Rechtfertigungsliteratur ehem. Repräsentanten des kaiserl. Deutschland oftmals wiederkehrender Formel für ihr unterlassenes b z w . zu spät erfolgtes Eintreten für die alte Ordnung. Hierzu Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 52; Rosenberg, Entstehung, S. 235. Ausf. in: Protokoll über „Besprechung" (Anm. I 389); nachf. Zit. ebd. Fernschreiben Nordseestation Wilhelmshaven, N . 23909 I N . A. 3 1 3 an Stellv. Admiralstab (Berlin) u. S K L (Spa), aufgeg.: 4. 1 1 . 1918, 1 $.! 5 Uhr, K T B der S K L 817,Tambach Archive Reel T A - 1 1 3 - A , P G 64918; zit. bei Lewis, p. 160.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

drängte Krosigk schließlich nochmals kurz darauf bei den gleichen Adressaten auf beschleunigtes Wirksamwerden der zugesagten Unterstützung, indem er über sein neuerliches, nun an das Reichsmarineamt gerichtetes Hilfeersuchen berichtete: „Bitte sofort beim Kriegsminister Verlegung von etwa iooo Mann geeigneter Infanterie-Truppen nach Wilhelmshaven aus umliegendem Bereich X. Armeekorps erwirken, wie dies bereits für Kiel geschehen 4 "." Schon daß ein immediat gestellter Festungskommandant sich veranlaßt sah, nacheinander und wiederholt beim Flottenkommando, Reichsmarineamt, Stellv. Admiralstab in Berlin und bei der Seekriegsleitung, d. h. bei allen vier obersten Dienststellen der Marine des Reiches, um Unterstützung nachzusuchen, wirft ein bezeichnendes Licht auf den sogenannten kaiserlichen Verordnungs- und Maßnahmenstaat (Ernst Fraenkel), in dem - ein bereits mehrfach beobachtetes Phänomen - ausgerechnet die militärischen Spitzengliederungs- und Befehlsverhältnisse nur unzulänglich geregelt waren. Noch mehr muß die eifersüchtige Wahrung eines solchen „Prinzips" unkoordinierter Kompetenzen und exklusiver Sonderstellung in Zeiten größter Gefährung des gesamten militärischen und staatlichen Systems auffallen: Schon Admiral Souchon hatte am 4. November dem die dringlich herbeigerufenen Eingreiftruppen stellenden Heeresgeneral die Führung seines Aufgebots innerhalb des Festungsgouvernements Kiel verweigert. Dieselben Motive leiteten jetzt den Stellv. Admiralstab (Berlin), gegenüber dem Admiralstab/ Seekriegsleitung (Spa) darauf zu bestehen, daß keinesfalls im Sinn der zwischen dem Chef des Stabes der Seekriegsleitung und dem Stationschef der Nordsee getroffenen Absprachen Armeedetachements in den Bereich der Befestigungen des Reichskriegshafens gelegt werden dürften, da Wilhelmshaven eine Marinefestung wäre und immer gewesen sei; eine solche Maßnahme störe die Seekriegführung und schaffe einen unerwünschten Präzedenzfall 4 ' 2 . Mit seinen nachfolgenden Ersuchen, Heeresabteilungen nunmehr in Festungshaft- bei Varel und Oldenburg bereitzuhalten4'5, entsprach der Stationschef zwar der vorrangig „Prestige- und Statusfragen" (Lewis) berücksichtigenden Willensbekundung des Admiralstabs; er handelte jedoch damit gegen die sachliche Notwendigkeit, innerhalb des Festungsbereichs eine Sicherungstruppe zur Hand zu haben, sei es nun zur Abschreckung oder zum direkten oder jederzeit möglichen Eingreifen gegen den in der Marine grassierenden Aufruhr. Die Bereitschaft des immediaten Festungskommandanten und Stationschefs, eher einer vagen Weisungsbefugnis und den „ungnädigen" Einwänden des „weitab vom Schuß" residierenden Stellv. Admiralstabs Genüge zu tun, als den seit Tagen unmittelbar gewonnenen und auch weitergemeldeten eigenen Erkenntnissen zu folgen, führte nicht nur zum Verlust des befestigten Kriegshafens und des Stationskommandos und damit zur Ausschaltung der Marinebefehlszentrale für den Nordseebereich, sondern zog zugleich auch die auf Weisung des Preußischen Kriegsministeriums und des Stellv. Generalkommandos 4

" Fernschreiben Nordseestation an Stellv. Admiralstab Berlin u. Admiralstab/SKL, aufgeg.: 4. n . 1918, 17.30 Uhr: „ A n Marineamt ist gedrahtet: [ . . . ] " , B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 7 , fol. 9. 4 " Fernschreiben Stellv. Admiralstab Berlin, Nr. 18 2 } 6 d an Admiralstab/SKL, aufgeg. am 4. 1 1 . 1918, 19 Uhr. Von Offizier zu Offizier. Ganz Geheim, in: K T B der S K L 8 1 7 (Anm. I 410). 411 Fernschreiben Nordseestation Wilhelmshaven an Stellv. Admiralstab Berlin u. Admiralstab/SKL v. 4. 1 1 . 1918, 19.45 Uhr, in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 7 , fol. 8, sowie an R M A , S K L u. Stellv. Admiralstab v. 5. 1 1 . 1918, 20.45 Uhr, ebd., fol. 34.

2. Wahrend der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

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des X . A r m e e k o r p s bereitgestellten und entsandten Heeresformationen mit in das D e s a ster hinein. A m späten V o r m i t t a g des 6. N o v e m b e r formierten sich mehrere bewaffnete D e m o n s t r a tionszüge 4 1 4 und drängten die w e n i g e n , dem G o u v e r n e u r in der Marinestation zur V e r f ü gung stehenden A b s p e r r - T r u p p e n z u r ü c k 4 ' * , w o b e i die auf W e i s u n g Krosigks aufgefahrenen Maschinengewehre v o n ihren Bedienungen verlassen w u r d e n 4 ' 6 . N u n besaß der A d m i r a l keine Machtmittel mehr, u m die Ö f f n u n g der Arrestanstalten und die Freilassung hunderter gefangengesetzter - von den seit T a g e n erbetenen, aber noch nicht eingetroffenen H e e r e s k o m m a n d o s nicht bewachter b z w . abtransportierter - Flottensoldaten zu verhindern 4 ' 7 . D i e Militärrevolte breitete sich im Erweiterten Festungsbereich so schnell aus, daß die aus Varel herbeieilenden und aus O l d e n b u r g antransportierten Eingreiftruppen teilweise zu spät kamen. D i e Detachements gerieten in die gleiche Situation w i e z w e i T a g e z u v o r jene des Stellv. I X . A r m e e k o r p s in Kiel: A m 6. N o v e m b e r mittags w u r d e dem machtlosen Stationschef die F o r d e r u n g der Aufständischen unterbreitet, „auswärtiges Militär [ . . . ] sofort aus Wilhelmshaven zu entfernen b z w . dessen A u s l a d u n g z u v e r h i n d e r n " 4 ' 8 . rend

Wäh-

der U n t e r h a n d l u n g des G o u v e r n e u r s mit einer A b o r d n u n g der mehr als i o o o o in

großen Teilen bewaffneten D e m o n s t r a n t e n 4 ' ' traf eine 8o M a n n starke Maschinengewehrkompanie ein, „ w e i t e r e 7 5 0 M a n n verschiedener Armeetruppenteile" sollten „erst in einigen S t u n d e n " nachfolgen 4 2 0 . A m 6. N o v e m b e r mittags w a r es A d m i r a l v. Krosigk z w a r noch einmal gelungen, in 414

Bestehend aus Marine-Infanteristen (II. Ers.See-Btl.) u. -Landeinheiten (T.-Div., W.-Div.) sowie Schiffsbesatzungen (Teile des im Kriegshafen liegenden IV. Geschwaders), später verstärkt durch die aus Bremen zurückgekehrten Flottenmeuterer (Anm. I 404). Zur Revolutionierung Wilhelmshavens im einzelnen: Zeisler, S. 2 i 9 f f . , 226; Kliche, S. 9 ff.; Cramer, S. 33fi.; Anlauf, S. 1 3 f f . 415 Femschreiben Nordseestation an Stellv. Admiralstab Berlin u. R M A v. 6. 1 1 . 1918, aufgeg. 19.00 Uhr, in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64917, fol. i o i f f . 4.6 Ms Immediatbericht Scheers v. 7. 1 1 . 1918 über den 6. 1 1 . 1918, ebd., P G 64918, fol. 41. 4.7 Auch mit dem vorletzten Hilfeersuchen des Stationschefs waren nochmals ausdrücklich zwei verschiedene Heeresdetachements für voneinander unabhängige Aufgaben im Festungsgouvernement angefordert worden: „Beim [Stellv.] X . A . K . sind außer den vom R M A angekündigten [„zunächst 4 " ] Kompagnien, die für Flotte [nmeuterer] bestimmt sind, weitere 1000 Mann Infanterietruppen für Stationskommando beantragt. Letztere sollen in Varel bereitgehalten werden"; zit. aus Fernschreiben Nordseestation an R M A u. S K L , dort eingeg. am 5. 1 1 . 1918, 17.00 Uhr; ebd., fol. 136. Im letzten Hilfeersuchen Krosigks hieß es: „ N a c h Rücksprache mit [Stellv.] X. Armeekorps wird gebeten, als weitere Verstärkung 1000 Mann Fußartillerie [Oldenburg] zur Verfügung des Stationskommandos beim Kriegsminister zu erbitten. Es wird beabsichtigt, diese letzteren Truppen erst im Bedarfsfalle von Oldenburg abzurufen"; zit. aus Fernschreiben Nordseestation an R M A , Admiralstab/SKL u. Stellv. Admiralstab Berlin, v. 5. 1 1 . 1918, 20.45 Uhr, ebd., P G 64917, fol. 34. Hervorhebungen durch Verf. Ergänzung betr. Bewachungs- u. Transportkommandos aus dem in Anm. I 396 gen. Fernschreiben. Im einzelnen ungenaue Darstellung aus den Heeresakten bei Volkmann, Marxismus, S. 223. 4.8 Punkt 2 der am 6. 1 1 . 1918 mittags von einer „Fünfer-Delegation" dem Gouverneur vorgetragenen 7 Forderungen; zit. nach Kliche, S. 12; nicht zu verwechseln mit den wesentlich weitergehenden Forderungen des 21er Rats v. 7. 1 1 . 1 9 1 8 ; abgedr. ebd., S. 14. 4 ' ' Zur Zahlenangabe: Scheer meldete dem Kaiser „gegen 6000 bewaffnete Matrosen und Soldaten" am 6. 1 1 . vorm. (Anm. I 416); Zeisler, S. 220, gibt für die Mittagsstunde 10000 an; Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 50 nennt 20000 bis 40000 für die frühen Nachmittagsstunden - allemal eine unbezwingbare Ubermacht. 4io Darst. u. Zit. nach dem in Anm. I 415 gen. fernschriftl. Bericht der Nordseestation über den Verlauf der Revolutionierung.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

vorläufigen Vereinbarungen über die herbeigerufenen Heeresformationen ein schwaches Remis zu erzielen: „Erbetene Zurückziehung der M[aschinen-]G[ewehr-]K[ompanie] am Bahnhof und Zurückfahrt noch eintreffender, falls Strecke freigegeben wird. Truppen werden aber jederzeit zurückbefohlen bei U n r u h e n 4 " ; " solche Erwartungen der überkommenen Militärgewalt in eine fortbestehende Verfügbarkeit dieser Ersatzformationen erwiesen sich jedoch noch vor Ablauf der nächsten 24 Stunden als grundlegender Irrtum. Die im revolutionierten Wilhelmshaven gewonnenen Eindrücke zeigten bei den nach Varel und Oldenburg zurückgeschickten „Eingreiftruppen" alsbaldige Wirkung; hauptsächlich von Wilhelmshavener Matrosen agitatorisch beeinflußt, schlössen sich die Garnisonen des Oldenburger Landes am 7. November 1918 der Bewegung a n 4 " . Das Preußische Kriegsministerium wurde in mehrfacher Hinsicht von diesen Ereignissen an der Nordseeküste betroffen. Zum einen hatten die Begleitumstände und mittelbaren Folgewirkungen der Revolutionierung Wilhelmshavens den Loyalitätszerfall in den umliegenden Heeresgarnisonen wenn nicht verursacht, so zumindest doch beschleunigt. Zum anderen fiel mit der Marinestation der Nordsee der Initiator und Hauptantragsteller für die Ersuchen führender Marinestellen an den Kriegsminister, bei den immer aufwendigeren Sicherungsmaßnahmen zur umfassenden personellen Säuberung der Flotte Hilfe zu leisten. Auch hatten die seit Tagen voll im Gang befindlichen Massenverhaftungen unter den als unbotmäßig bezeichneten Schiffsbesatzungen sowie die gerade angelaufenen bzw. kurz bevorstehenden Aktionen von Sonderkommandos des Heimatheeres zur Deportation der Gefangenen wesentlich dazu beigetragen, daß der Aufruhrbewegung starke Kräfte zuwuchsen: Aus Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihren bereits festgesetzten Kameraden und aus Furcht, binnen kürzester Frist das gleiche Schicksal zu erleiden 42 ', verbanden sich zahlreiche Matrosen des in die Mündungsgebiete von Jade/Weser und Elbe detachierten IV. und I. Hochseegeschwaders und der dort liegenden Marinebefestigungen der Seeund Landfront zu regionalen unkoordinierten Militärstreiks. Unter deren Druck verloren die örtlichen Befehlshaber in jedem der Fälle die zum Abtransport bestimmten Arrestanten aus ihrer Verfügungsgewalt und - je nach Grad ihres Widerstandes - oft auch ihre gesamte Kommandogewalt. Auf eine nicht vorgesehene Weise löste sich damit für den Kriegsminister die ihm erst drei Tage zuvor angetragene und vom Militärapparat im Heimatgebiet mit Verzögerungen begonnene Aufgabe der zwangsweisen Verbringung und Bewachung der Marinemeuterer von selbst. Etwa 24 Stunden bevor aufständische Matrosen in raschen Aktionen alle weiteren Maßnahmen zum Abschub der Militärgefangenen und zur Sicherung der von Aufruhr bedrohten Küstenplätze vollends überflüssig machten, waren die in unangemessen langwierigen Absprachen zwischen den beteiligten Ressortchefs und Befehlshabern vereinbarten Verfahrensregelungen für den Nordseeküstenbereich übermittelt worden; in einem Fernschreiben des Reichsmarineamts vom 5. November, das ausdrücklich nicht an 4

" Ebd. Tatsächlich hat der A.- u. S.-Rat Wilhelmshaven bereits in der Nacht vom 6V7. 1 1 . 1918 „die A b w e h r eventuell von auswärts anrückenden Militärs geregelt" sowie „Aufklärungsdienst durch Flugzeuge eingerichtet"; zit. nach KJiche, S. 13. 4 " Marx, S. 1 1 9 ; Buchner, S. 83; Kliche, S. 16. 41 ' Eine treffende Charakteristik der Motivationen der aufrührerischen Matrosen liefert Kolb, Arbeiterräte, S. 71 ff.; vgl. hiermit: Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 5o6f.

2. Während der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

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den bereits weitgehend in revolutionärer Gärung befindlichen Befehlsbereich der Ostseestation gerichtet war 424 , hieß es u.a.: „Anforderungen [von] Truppen gehen durch Station direkt an benachbartes Armeekorps; nur wenn dieses nicht zur Hilfe im Stande ist, haben Stationskommandos durch Marineamt Hilfe des Kriegsministeriums in Anspruch zu nehmen." Die Empfehlung eines solchen Dienstweges für die Stationschefs und Festungskommandanten demonstriert aufs neue, daß den obersten Militärbehörden im Reich zur Sicherung der innerstaatlichen Machtverhältnisse nicht mehr zu Gebote stand als ein auf Absprachen gegründetes „System von Aushilfen", keinesfalls aber eine durchorganisierte Militärhierarchie mit vertikalem Befehlsstrang und kompetentem Obermilitärbefehlshaber für das Heimatgebiet. Der oben zitierte Hinweis auf direkte Absprachen und Abhilfen auf mittlerer Befehlshaberebene belegt zudem das Fehlen eines ausgebauten Melde- und Befehlsapparates, der allein einen bevollmächtigten Obermilitärbefehlshaber zu reichsweiter Lagebeurteilung und schnellem Einsatz der notwendigen resp. verfügbaren Machtmittel befähigt hätte. Im Ergebnis stellt auch diese gemeinsame Weisung der „beiden militärischen Ressortchefs" nur eine befehlstechnische Verlegenheitslösung dar, die den polykratischen Charakter immediater Zuständigkeit und dezentraler Befehlsverhältnisse kaum kaschiert und überdies zu jenem Zeitpunkt nicht mehr geeignet war, den staatsgefährdenden Anlaß für die Entstehung eines solchen interministeriellen Fernschreibens aus dem Wege räumen zu helfen. Zusammen mit den Freisetzungen arretierter Marinesoldaten war im Verlaufe des 6. N o vember 1918 eine weitgehende Machtentblößung der Festungskommandanten im Nordseeküstenbereich erfolgt. Uber die Revolutionierung sämtlicher Marinebefestigungen der See- und Landfront an der Jade-/Wesermündung (Wilhelmshaven, Geestemünde, Lehe) und an der Elbmündung (Cuxhaven, Brunsbüttelkoog) 425 lagen in Spa und Berlin infolge der dort reichlich eintreffenden Dienstmeldungen aktuelle und zutreffende Nachrichten vor, auch über den Disziplinverfall bei den Marinelandformationen der Ostseefestungen und über die rapide abnehmende Einsatzbereitschaft von schwimmenden Einheiten der Flotte. Sie führten bei den politisch und militärisch Verantwortlichen bereits am 6. N o vember zu der zusammenfassenden Lagebeurteilung, daß die Kaiserliche Marine als disponibles Machtmittel der Reichsleitung ausfalle 4 ' 6 . Zur Charakterisierung der Situation verdient der im Kriegskabinett ernsthaft vorgebrachte Vorschlag erwähnt zu werden, die Marine aufzulösen und ihre Mannschaften zu entlassen; bemerkenswerterweise war es Scheüch, der eine weitere Erörterung dieser 424

Zit. aus dem in Anm. I 396 gen. Militärdiensttelegramm; hierin steht unter Siebtens: „ Z u r Vermeidung von Unklarheiten und Verzögerungen [sie!] Einhaltung folgenden Dienstwegs unbedingt erforderlich". 4 *> Literatur zur regionalen Revolutionsgeschichte bei Zeisler, S. 221 ff.; Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 49f.; Schroeder, S. 1 5 f f . ; Horn, p. 260. 4J ' Vortrag des Verb.Offz. des Admiralstabs bei der O H L , K.Kapt. Frhr. v. Weizsäcker, über die „ L a g e bei der Marine" gegenüber dem 1. Gen.Qu.Mstr., Gen.Lt. Groener, am 6. 1 1 . 1 9 1 8 , vgl. Herzfeld, S. 380. Ebenso nach den gemeldeten Fakten, bezeichnenderweise aber unter Vermeidung einer Schlußfolgerung: Adm. Scheer in seinem Immediatbericht v. 6. 1 1 . 1918 an den Kaiser über die „Aufruhrbewegung auf Schiffen", B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64918, fol. 3 5 f f .

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Radikallösung durch seinen Widerspruch unterband 4 2 7 . Möglicherweise haben seine nicht überlieferten - Gegenargumente in den Überlegungen bestanden, daß der durch die Demobilisierung der dienstpflichtigen Marinesoldaten mit Sicherheit zu gewärtigende Zustrom revolutionären Potentials ins Reichsgebiet verhindert werden müsse, daß aber andererseits die Alternative unabsehbar ausgeweiteter Masseninternierung eine f ü r das Heimatheer nicht zu bewältigende A u f g a b e darstelle. Vielleicht hat Scheüch sich auch von dem Gedanken leiten lassen, dem Reich zumindest f ü r die nahe bevorstehenden Waffenstillstands- b z w . Friedensverhandlungen eine „fleet in being" 4 2 8 zu erhalten, selbst wenn diese Seemacht nur sehr mühsam in Dienst zu halten und lediglich bedingt einsatzbereit wäre. D e r Kollaps der Militärgewalt im westlichen Ostsee- und im Nordseebereich am 6./ 7. N o v e m b e r 1 9 1 8 hatte sich in weniger als 72 Stunden vollzogen. In der dichten Ereignisfolge revolutionärer Aktionen und vorsorglicher oder bloß abwehrender Sicherungsmaßnahmen der Regierung hatte der Obermilitärbefehlshaber die Rolle des beteiligten Mitverlierers gespielt: D i e angeordnete Verlegung von Heeresformationen in oder an die von Aufstandbewegungen bedrohten Festungsbereiche der Marine hatte sich ebenso als Fehlschlag erwiesen wie die eingeleiteten Maßnahmen zur Deportation und Internierung der in Massen verhafteten Flottensoldaten. Z u untersuchen bleibt die dem preußischen Kriegsminister verschiedentlich 429 angelastete Mitverantwortung beim Schlußakt des Zusammenbruchs der alten O r d n u n g im N o r d s e e küstenbereich. Deutlich hatte die Tatsache der raschen Revolutionierung der Marinestützpunkte und der benachbarten Heeresgarnisonen die Unmöglichkeit einer Absperrung von Land her bewiesen; einem solchen operativen Konzept hatte General Scheüch schon von A n f a n g an trotz am j . N o v e m b e r noch bestehender Voraussetzungen skeptisch gegenübergestanden 4 3 0 . Dennoch beantragte der Admiralstab in Berlin keine 24 Stunden nach dem offensichtlichen Scheitern der Zernierung Kiels beim Preußischen Kriegsministerium, nunmehr auch gegen die von Aufständischen beherrschten Festungsgouvernements im Befehlsbereich der Nordseestation mit Heeresmacht vorzugehen. Erstaunlicherweise entsprach dieses gemeinsame Ansinnen der obersten Marinedienststellen durchaus nicht den Absichten der nachgeordneten Kommandanten über die gefallenen Küstenplätze. So schloß die Nordseestation am 6. N o v e m b e r mittags ihre (Weiter-)Meldung v o m vollzogenen Machtwechsel in Wilhelmshaven, Brunsbüttelkoog und Cuxhaven mit der bezeichnenden Formel: „ D a trotz Forderungen allgemeine R u h e und Sicherheit nicht gestört ist, hält Kontreadmiral Engelhardt es f ü r besser, vorläufig noch keine Armeetruppen nach C u x h a v e n zu schicken 4 5 '." Gleichermaßen beschwichtigend-herabspielend ließ sich 427 4,8

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4)0 4)1

Quellen I/2, S. 548f.; Scheidemann, Zusammenbruch, S. 194. Der vom engl. Adm. Herbert (1690) geprägte Begriff charakterisiert die strategische Defensive einer Flotte, die bei zeitweiliger Kampfabsage durch ihr bloßes Vorhandensein wirkt, dabei allerdings zum jederzeitigen Eingreifen fähig bleibt; vgl. Meurer, S. 1 f . ; Wallach, S. J 2 j f . So z. B. Volkmann, Marxismus, S. 2 2 2 f f . ; Niemann, Revolution von oben, S. 2 5 2 ^ ; Bauer, Der große Krieg, S. 266. Siehe Anm. 1 3 1 5 . Zit. aus Fernschreiben Nordseestation Wilhelmshaven an Admiralstab v. 6. 1 1 . 1918, 4 U h r , B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 7 , fol. 1 6 1 .

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die Kommandantur Cuxhaven auch am darauffolgenden Tage vernehmen: „Solange nicht von außen gegen Cuxhaven vorgegangen wird, kann für Aufrechterhaltung der Ruhe garantiert w e r d e n 4 ' 2 . " A m 8. N o v e m b e r schließlich zeigte derselbe Absender den Vorrang, den er der im Festungsbereich trotz Umsturz wiedereingekehrten bürgerlichen Ruhe und Ordnung einräumte, mit den Worten an: „ G e f a h r besteht lediglich [durch] unbegründete Gerüchte über Eingreifen eines Anillerieregiments 4 , 3 . , < Die Wilhelmshavener Marinestation der Nordsee hatte bereits am 6. N o v e m b e r die oben zitierte Nachricht aus den Befestigungen der See- und Landfront an der Elbmündung „funkentelegraphisch übermittelt", ohne als vorgesetzte Kommandobehörde selbst in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen. A m 7. November verdeutlichte sie noch einmal ihre eigene Stillhalteposition gegenüber den revolutionären Machthabern 4 J 4 , indem sie erneut unter auffallender Vermeidung jeglichen Kommentars eine Meldung an den Stellv. Admiralstab weitergab, die als ein erneutes Beispiel f ü r die örtlichen Arrangements der ihr nachgeordneten Befehlshaber gelten kann: „Kommandantur Geestemünde drahtet: U m jede Aufregung zu vermeiden, wird dringend gebeten, keine Truppen hierher zu schicken. Die Bewegung ist in ruhige Bahnen gelenkt 4 5 '." D i e Art und Weise, in der sich hier hochgestellte Marineoffiziere zu den grundlegend geänderten Machtverhältnissen äußerten und übergeordneten Instanzen Wohlverhaltensmaßregeln anempfahlen, läßt ein erstaunliches Phänomen zutage treten: Die unmittelbare Konfrontation mit der in deutschen Streitkräften f ü r „undenkbar" gehaltenen allgemeinen Meuterei führte bei diesen Trägern des monarchischen Staates zugleich zur eigenen Infragestellung ihrer in langen Dienstjahren unangefochten innegehabten Stellung in der bewaffneten Macht und in der Gesellschaft. Wie von Lähmung befallen, weil das innermilitärische „System der Uberdisziplin" 4 3 6 und die ihnen selbstverständlichen Herrschaftsverhältnisse im Obrigkeitsstaat zusammenbrachen, verloren diese Offiziere ihre gewohnte Initiative und Führungskraft; sie vermochten weder ihre eigene Position zu verteidigen noch in Erfüllung des auf den obersten Repräsentanten des Kaiserreichs geleisteten Fahneneides die kämpferische Bereitschaft aufzubringen, in kompromißloser Uberzeugungstreue unter bedingungslosem Einsatz der eigenen Person für die Erhaltung oder Wiedereinsetzung des überkommenen Systems 4JJ

Zit. aus ms Aufzeichnungen eines Offz./Stellv. Admiralstab Berlin über Ferngespräch v. 7. 1 1 . 1918, 16 Uhr mit Kapth. v. Tippelskirch/Kdtr. Cuxhaven, ebd., fol. 201. Zur Kritik an K.Adm. Engelhardt vgl. „Bericht" Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 398; Schroeder, S. 1 5 f f . ; Vorwärts und nicht vergessen, S. 1 1 8 f f . (Baier); Hester, S. 369ff. 4 " Zit. aus Fernschreiben Kdtr. Cuxhaven an Stellv. Admiralstab Berlin, Admiralstab/SKL u. Ostseestation v. 8. 1 1 . 1918, 23.40 Uhr, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64917, fol. 215. Zur Kritik am Verhalten des Stationschefs Nordsee, Adm. v. Krosigk, vgl. „Bericht" Restorff, in: Niemann, Revolution von oben, S. 397. 4)< Uber die Verhältnisse in der Marinestation der Nordsee u. beim K d H am 6. u. 7. 1 1 . 1918 vgl. Raeder I, S. 149; Tgb.Eintr. Hipper v. 6. u. 7. 1 1 . 1918, in: N1 v. Hipper, B A - M A , N 1 6 2 / 9 , ' 4 f f - , auszugsw. abgedr. in: Quellen II, 1 /II, Nr. 504 Anm. 6; Meldung K d H an S K L v. 6V7. 1 1 . 1918 über eigene Machtlosigkeit zur Brechung von Widerstand vgl. W U A , 2. Abt., IV/10/I, S. 294. 4,1 an Fernschreiben Nordseestation Wilhelmshaven v. 7. 1 1 . 1918, 20.25 Stellv. Admiralstab Berlin, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64917, fol. 175. 4Jt Zur „Uberkultur des Befehl-Gehorsam-Mechanismus" u. zum plötzlichen Zusammenfall des beständig „überspannten Gehorsamsbegriffs" in den deutschen Seestreitkräften vgl. Waldeyer-Hartz, S. 276; ders., Vom Geist der deutschen Kriegsmarine, in: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen, hrsg. v. Walter Jost u. Friedrich Felger, Leipzig '1938, S. 472.

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einzutreten . Nicht im Schutz des monarchischen Staats, sondern in der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung um ihrer selbst willen - unter welchem System auch immer - sah ein Großteil der Offiziere, die auf ihren Posten verblieben, das vorrangige Anliegen, den neuen Sinn ihres soldatischen Dienstes. Bei den Besprechungen, die Scheuch zwischen dem 5. und 8. November mit Ritter v. Mann über die jetzt zu ergreifenden, schon in Gang befindlichen und überhaupt noch möglichen Gegenmaßnahmen zu führen hatte, waren ihm die bei den obersten Marinebehörden eingelaufenen Nachrichten über die Situation in den zu ihrem Befehlsbereich gehörenden Küstenplätzen und über das Verhalten der Festungskommandanten bekannt. General Scheüch vermied es im Interesse der zu wahrenden Reputation und Berufsehre des Offizierstandes, in seinen Befehlen und Maßnahmen die kampflose Resignation örtlicher Befehlshaber im Aufstandsgebiet zu brandmarken 4 ' 8 ; ihnen gegenüber wäre der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet - gemessen am Wortlaut ihrer Meldungen - tatsächlich zum „Streikbrecher" 4 3 9 geworden, wenn es ihm gelungen wäre, den norddeutschen Küstenbereich mit Hilfe überlegener Truppenmacht in die Botmäßigkeit zurückzuzwingen. Die Illusion, die hier geschaffenen Machtverhältnisse mit Hilfe des vorhandenen Aufgebots an Ersatztruppenteilen und unter der Verantwortlichkeit des Kriegsministeriums noch rückgängig machen zu können, wurde allerdings zwischen dem 5. und 8. November an höchster militärischer Stelle gehegt. So hat der in Spa residierende Chef der Seekriegsleitung, Admiral Scheer, in unerklärlicher Uberschätzung der Handlungsmöglichkeiten, die dem Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet von den ihm übertragenen Kompetenzen und faktisch verfügbaren Mitteln her gegeben waren, gegenüber dem Kriegsministerium eine erstaunliche Aktivität im Absetzen von Telegrammen entfaltet, die in fordernd-drängendem Ton abgefaßt waren. Immer wieder und in verschärfter Diktion richtete Scheer dringliche Ersuchen um unverzügliches bewaffnetes Eingreifen an den preußischen Kriegsminister und stellte Nachfragen über A n und Verlauf der gegen die revolutionierten Marinefestungen erbetenen Zwangsmaßnahmen an, als ob es nur der Initiative eines einzigen entschlossenen militärischen Führers bedurft hätte, den von Matrosen im Reichsgebiet entfachten revolutionären „Steppenbrand" (Max von Baden) auszutreten. Zudem hielt es Scheer für richtig, seinen eigenen Aktivitäten (die allein schon wegen ihres die tatsächlichen Voraussetzungen und Verhältnisse außer acht lassenden militärischen Kalküls bemerkenswert sind) einen bevorzugten Platz in seinen täglichen persönlichen Immediatberichten einzuräumen 440 ; 4,7

Weitere Beispiele für diese Haltung in: Quellen II, 1 /II, Nr. 508, insbes. Anm. Es entsprach dem Stil Scheüchs, über interne Querelen innerhalb der bewaffneten Macht nichts nach außen dringen zu lassen, so auch im Dezember 1918 anl. seines schweren Konflikts mit der O H L ganz im Gegensatz etwa zu den in der Armee allgemein bekannten „Uriasbriefen" (Wild v. Hohenborn) u. „Brandbefehlen" (Rupprecht von Bayern), in denen der 1. Gen.Qu.Mstr. Ludendorff seinen Bannstrahl gegen vermeintliche u. tatsächliche Versager im Offizierkorps gerichtet hatte. 4 " In mehrfach berichteten Fällen hatten deutsche Sicherungs- u. Nachtnippen, die während der verlustreichen Abwehr- u. Rückzugskämpfe im Sommer u. Herbst 1918 bereits eingeschlossen waren u. ihrer unmittelbar bevorstehenden Gefangennahme entgegensahen, jene Eingreifsreserven, die sich zu ihnen durchgekämpft hatten, um sie zu befreien, mit dem Ruf „Streikbrecher", „Kriegsverlängerer", „Messer raus, haut sie" empfangen. 440 Die hds Entwürfe, teilw. auch ms Endfassungen seiner sehr ausführlichen Immediatvorträge v. 5., 6., 7. u. 8. 1 1 . 1918 befinden sich im BA-MA, RM 8/Fasz. 4076, P G 64918; zu dem reichlichen, seinerzeit vom Stab der SKL zur Abfassung dieser Berichte benutzten Material (Tagesmeldungen etc.) siehe

4)8

2. Während der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

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er hat damit womöglich dazu beigetragen, im Kaiserlichen Hauptquartier positive Erwartungen zu wecken* 4 ', denen eine um so tiefere Enttäuschung folgen mußte 441 . Das auch von Scheer geübte Verfahren, die Meldungen örtlicher Marinebefehlshaber über die getroffenen Ubereinkünfte und die Stillhalteempfehlungen 44 ' weiterzugeben, ohne in irgendeiner Weise als Chef des Admiralstabes und als rangältester Offizier der Kaiserlichen Marine zu diesen außerordentlichen Vorkommnissen Stellung zu nehmen, deutet darüber hinaus auf die Absicht hin, sich selbst zu salvieren: Im gleichen Atemzuge, da Scheer kommentarlos die Meldungen der entmachteten Kommandanten zitierte, stellte er mit Nachdruck die Verantwortlichkeit des Kriegsministers heraus, der für die Rückgewinnung der verlorenen Machtpositionen mit geeigneten Maßnahmen Sorge zu tragen habe. So berichtete Scheer am 6. N o v e m b e r nach reinem Faktenvortrag über den Fall von Wilhelmshaven, Brunsbüttelkoog und Cuxhaven, er „habe das Kriegsministerium sofort nach Bekanntwerden der Meldungen bitten lassen, auch gegen diese drei Orte entsprechend bisher gegebenen Richtlinien vorzugehen" 4 4 4 . Diese von Scheer bei gleicher Gelegenheit zitierten „Richtlinien" aber forderten im Punkt 1, daß „jeder Widerstand sofort zu brechen" sei; solches war wiederum die unumgängliche, wenn auch nicht expressis verbis genannte Voraussetzung, wenn die Staatsgewalt den ernsthaften Versuch unternehmen sollte, innerhalb der Aufstandsgebiete „die Rädelsführer" zu fassen und „auf das strengste zu bestrafen" 4 4 '. A m 7. November bat der Chef des Admiralstabes die Berliner Marinebehörden, „festzustel-

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Anm. I 447. Die bereits 1919 veröffentl. Darstellung Scheers (Hochseeflotte, S. 498), er habe „über die Einzelheiten des Aufruhrs, der bald darauf in allen Marinestandorten aufloderte, [...] keine amtlichen Berichte mehr erhalten", zeigt neben anderen ebd. vermerkten Hinderungsgründen Scheers für eigenes durchschlagendes gegenrevolutionäres Wirken die exkulpatorische Absicht einer der führenden Autoritäten des von ihnen weitgehend widerstandslos aufgegebenen monarchischen Deutschland. Tendenziell vermitteln Scheers Immediatberichte trotz reichlich enthaltener Hiobsbotschaften über die Lage bei der Marine den Eindruck von Entschlußfreudigkeit u. ungeschmälerter Tatkraft der SKL, schnell befohlene Maßnahmen energisch zu verfolgen. In der gespannten Atmosphäre des Gr.H.Qu. u. bei der bekannten Empfänglichkeit des Kaisers u. seines persönlichen Gefolges für die Tätigkeits- u. Vollzugsmeldungen einer forsch auftretenden Führernatur wie die Scheers können die durchaus nicht pessimistisch gehaltenen Berichte des Admirals eine gewisse zuversichtliche Beurteilung der Gesamtlage hervorgerufen haben. Damit soll Scheer als dem „direkten Gegentyp eines Höflings" (Giese) nicht die Neigung zum Beruhigenwollen, Verschweigen u. zur Schönfärberei unterstellt werden, ein Verfahren, mit dem die kaiserliche Suite Belastendes von Wilhelm II. fernzuhalten wünschte; vgl. Schiffer, S. 105ff.; Rosen III/IV, S. 213; Groener-Geyer, S. 97; Anker, Unsere Stunde kommt, S. 113; Merton, S. 49; Westarp/Conze, S. 164. Der Chef des Stabes des KdH hat sich zwischen dem 5. u. 7. 11. 1918 immer dringlicher darum bemüht, die sofortige Verlegung der SKL von Spa nach Berlin zu bewirken, um durch räumlichzeitliche Nähe zu den Ereignissen siruationsgerechtere Entscheidungen der SKL zu erhalten, „da unvermeidliche Verzögerung in Befehlserteilung unwiderbringlichen Schaden verursachen kann". So Trotha in seinem Fernschreiben v. 7. 11. 1918, 16.45 Uhr, BA-MA, RM 8/Fasz. 4076, PG 64917, fol. 2 1 1 ; ähnlich lautende Telegramme u. Telefonate Trothas ebd., PG 64318, fol. 32; N1 v. Levetzow, BA-MA, N 239/23 D, fol. 195. So referierte Adm. Scheer bspw. am 6. 11. 1918, es habe „in Cuxhaven der Festungskommandant mit den Aufrührern verhandelt und gemeldet, daß Ausschreitungen gar nicht stattfänden"; K.Adm. Engelhardt halte „es für ratsam, nicht mit Truppen gegen Cuxhaven vorzugehen"; auszugsw. zit. aus hds Entwurf zu Scheers Immediatbericht v. 6. 11. 1918, BA-MA, RM 8/Fasz. 4076, PG 64918, fol. 38. Ebd., nachf. Satz. Zit. aus ms Endfassung des o. a. Immediatberichts, ebd., fol. 40.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

len, ob Kriegsminister gegen Wilhelmshaven, Cuxhaven, Geestemünde und Brunsbüttelkoog entsprechende Maßnahmen wie gegen Kiel beabsichtigt und wann mit Beginn der Operation zu Lande gerechnet wird" 4 4 6 . Am 8. November 1918 lagen im Großen Hauptquartier über Ausbreitung, Geschwindigkeit, Erfolge und voraussichtliche Entwicklung der revolutionären Bewegung im Reichsund Etappengebiet umfängliche und größtenteils zuverlässige Informationen vor 447 , und am fast ausnahmslosen Versagen des Heimatheeres in der Provinz sowie am Ausfall der Marine konnten kaum mehr Zweifel bestehen. Trotzdem erneuerte die Seekriegsleitung ihre inhaltlich längst überholten Anträge an den preußischen Kriegsminister in zunehmend hektischer und drängender Form 44 ®. Es verleiht ihren Aktivitäten einen befremdlichen Akzent, daß sie sich selbst in der Frage eines Einsatzes noch loyaler Teile der Marine gegen die Aufständischen auffallend rückversicherte. Und zwar hatte Scheer in seiner letzten Anfrage Ritter v. Mann „um umgehende Mitteilung gebeten, ob die Abhilfe des Kriegsministers, gegen Kiel und die Nordseeführer zu marschieren, aufgegeben ist. Es wird darauf hingewiesen, daß einseitiges Vorgehen der Marine zu den schwersten Folgen führen kann 449 ." Die Antwort Manns zeigte noch einmal alle Illusionen der obersten Marinestellen, daß der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet doch noch der Aufstandsbewegung gewaltsam Herr werden könnte: „Armeetruppen für Kiel [werden] vorerst anderweitig gebraucht [ . . . ] Also aufgeschoben, nicht aufgehoben 450 ." Noch im Verlaufe desselben Tages 45 ' hatte sich infolge der mittlerweile grundlegend geänderten Voraussetzungen für die bisher durchgehaltene Leitlinie, mit „Brachialgewalt gegen die Revolution" vorzugehen, nun bei der Reichsregierung und „verschiedenen Organen der kaiserlichen Staatsmacht" der in der ersten Novemberwoche immer nachdrücklicher verfochtene Gedanke durchgesetzt, die mehrheitssozialdemokratischen „Reformisten heranzuziehen, um den Vorstoß der Revolution aufzufangen" 4 5 2 . 446

Fernschreiben S K L an R M A , Stellv. Admiralstab Berlin v. 7. 1 1 . 1 9 1 8 , 13.00 Uhr, ebd., fol. 52. Dies gilt nicht nur für die O H L (siehe Anm. I 167), sondern auch für die S K L , die durch einen dichten Telegramm- u. Telefonverkehr mit stationären Marinedienststellen sowie dem Kdo. bzw. Teilen der Hochseestreitkräfte auf dem laufenden gehalten worden war (siehe Anm. I 223). 448 So hatte Scheer noch am 8. 1 1 . vorm. in einem Telefonat mit Mann auf eine Invasion des Ersatzheeres in die Aufstandsgebiete an der Küste gedrungen; in: hierauf hinweisender Eingangsformel des in Anm. I 449 gen. Fernschreibens. 449 Zit. aus Fernschreiben S K L an R M A , aufgeg. am 8. 1 1 . 1918, 15.35 Uhr, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64918, fol. 55. 41 ° Zit. nach undat. hds Vermerk auf Rückseite des in Anm. I 449 gen. Fernschreibens: „ A n f r a g e ist vom R M A telefonisch dahin beantwortet [ . . . ] " . - Berechnet nach Abgangszeit von Scheers Femschreiben an das R M A (8. 1 1 . , 15.35 Uhr) wird ihn o. a. telef. Antwort zu einem Zeitpunkt in Spa erreicht haben, als sich dort - unbekannt für Berliner Stellen u. S K L - Groener u. Hindenburg bereits darüber klar geworden waren, daß sich weder Heimatheer noch Feldheer zur Führung eines Bürgerkrieges verwenden ließen (siehe A n m . I 72off.). 41 ' Vgl. hiermit die von opportunistischer Logik bestimmte Stellungnahme Scheüchs in der Vormittagssitzung des Kriegskabinetts am 8. 1 1 . 1918, in: Quellen I/2, S. 588. 4,1 Über derartige „Machenschaften zur Rettung des imperialistischen Systems" ausführl. Schmidt, S. 344-362; Zit. S. 352 u. 361. Uber dieses v o r d e m 9. 1 r. 1918 der MSPD-Führung von der Reichsregierung in der Metropole u. seitens der Aufständischen in der Provinz den M S P D - L o k a l vereinen gleichermaßen angetragene u. nur sehr zögernd wahrgenommene Engagement, das schließlich am 9. 1 1 . in die „Übernahme der Konkursmasse" ( E b e n gegenüber Schiffer, vgl. ders., S. 74) einmündete, siehe auch Kolb, Arbeiterräte, S. 81 ff.; Max von Baden, S. 589ff. 447

2. Während der Revolution: Ausbreitung der Umsturzbewegung

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Ganz im Sinne eines solchen wegen des Mangels an Ordnungsmacht gebotenen Wechsels der zur Pazifizierung der Bewegung einzusetzenden Mittel und der entsprechend im militärischen Bereich zu treffenden Maßnahmen teilte der Staatssekretär des Reichsmarineamts dem Stellv. Chef des Admiralstabs am 8. November folgende „Entschließung der Regierung" mit: „Nachdem Bewegung so großen Umfang angenommen hat, stehen nicht genügend Truppen zur Abschließung zur Verfügung. Daher sollen durch sozialdemokratische Führer Verhandlungen eingeleitet werden, um Bewegung zum Stehen zu bringen 4 ' 3 ." Diese Nachricht aus dem Reichsmarineamt bestätigt - reichlich zwei Tage nach seinem tatsächlichen Scheitern - das Ende des von den beiden militärischen Ressortchefs unternommenen Versuchs, einen „rein militärischen" Aufruhr* 54 einzudämmen, der als „gemeine Meuterei" 4 5 ' begonnen, sich zur allgemeinen Matrosenrevolte ausgeweitet und schließlich als in eine reichsweite Umsturzbewegung einmündender „Generalstreik" 4 ' 6 große Teile der bewaffneten Macht und der Bevölkerung des Kaiserreichs erfaßt hatte. Der aus der Gesamtansicht der revolutionären Ereignisse zur näheren Untersuchung herausgegriffene Aspekt der militärischen Entscheidungen und Maßnahmen, mit denen auf oberer und mittlerer Führungsebene auf die Anfänge der Bewegung im Küstenbereich reagiert wurde, zeigt eine unzulänglich durchformte vertikale Militärorganisation im Heimatgebiet als eine wesentliche strukturelle Ursache für das Versagen der Gegenwehr. Erfuhr hierdurch der Handlungsspielraum des als Obermilitärbefehlshaber eher nominell Einfluß nehmenden denn de iure zu effizienter Koordination und durchgreifender Aktion autorisierten preußischen Kriegsministers schon eine erhebliche Einschränkung, so wurde er noch zusätzlich durch Vorentscheidungen und Maßnahmen der Befehlshaber eingeengt. Das später von Admiral Scheer gefällte Urteil: „Nur ein entschlossenes Eingreifen der an Ort und Stelle befindlichen obersten Befehlshaber [wäre] imstande [gewesen], die Lage zu retten" 457 , nennt freilich ein unbestreitbares Manko bei den befehlsmäßig dem Chef des Admiralstabes der Kaiserlichen Marine unterstellten 458 örtlichen Entscheidungsträgern. Berechtigte Kritik an ihrem persönlichen Führungsverhalten heißt jedoch nicht, diesen Mangel an „entschlossenem Eingreifen" und „energischem Vorgehen gegen die Rädelsführer" 4 5 9 für den Zusammenbruch der Lage im Küstengebiet als alleinverantwortlich hinzustellen. Die in Scheers Verdikt zum Ausdruck gebrachte Fiktion von der selbst noch in der aufkommenden Staatskrise ungebrochen aufrechtzuerhaltenden Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit eines autokrat isch kommandierten sie iubeo berücksichtigt weder die Psycholo-

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4,4

4,1 4(6

4.7 4.8

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Zit. aus einem am 8. 1 1 . 1918 im Stellv. Admiralstab Berlin hds aufgez. Telegramm des StSekr. des R M A , B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 7 , fol. 222. Charakteristik der Bewegung am 5. 1 1 . 1918 in Travemünde/Lübeck durch Gen.Maj. v. Wrisberg; vgl. Arch. Forsch. 4 / I V , S. 1766. Wertung der Unruhen auf der Flotte bei Hubatsch, S. 1 8 1 . Terminus vom „Generalstreik einer besiegten Armee" bei Walter Rathenau, Kritik der dreifachen Revolution, Berlin 1919, S. 9. Zit. nach Scheer, Hochseeflotte, S. 498. Siehe allgem. Anm. I 406. Mit A . K . O . v. 28. 8. 1918 war dem Chef des Admiralstabs der Marine die „Befugnis erteilt" worden, „direkte Befehle an die Verbände und an einzelne Befehlshaber und dergleichen zu geben"; vgl. Hubatsch, S. 178; Kutscher, S. 1 1 f. So Scheer, Hochseeflotte, S. 498.



I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

gie der Führer noch der Geführten und läßt die machtvollen Entfaltungsmöglichkeiten einer weitverbreiteten revolutionären Stimmung außer Betracht. In der nächsten Umgebung des preußischen Kriegsministers herrschte dagegen die Auffassung, die Pazifierung der Aufstandsbewegung sei kaum mehr mit den Zwangsmitteln militärischer Gewalt zu erreichen - jedenfalls nicht mit den derzeit verfügbaren des Heimatheeres 460 . Daß die Situation im Innern mit solcher Beschleunigung „sich außerordentlich ernst gestaltet" hatte und wegen des „Unvermögens der Regierungs- beziehentlich Militärgewalt, die Staatsautorität aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen" 46 ', bereits am 6. und 7. November für eine fortgesetzte optimistische Lagebetrachtung nach Art oberster Marinestellen keinen sichtbaren Anhalt mehr bot, belegen auch andere Äußerungen führender politischer Stellen. Auf die sich rasant verschlechternde Gesamtsituation weist auch die nach Datierung und Inhalt zutreffende Feststellung des Prinzen Max hin, mit dem 6. November sei „eine neue Front - die Nordfront - im Entstehen" gewesen 46 '. Diese Aussage umschreibt zugleich die Teilhabe des preußischen Kriegsministers an der Aufgabe, die Absicht der Reichsregierung zu verwirklichen, das Binnenland und die Hauptstadt vor der von den Festungsgouvernements und Kriegshäfen der Marine und neuerdings auch von den Bereichen der preußischen Küstenkorps ausgehenden revolutionären Welle abzuschirmen. d) Von der ,,Nordfront" zur ,,Festung Berlin" Die Bezeichnung „ N o r d f r o n t " gibt ein Bild davon, wie die Bewegung nach Richtung und Art ihrer Ausbreitung von der Reichsregierung eingeschätzt wurde. Die Entwicklung in den Marinegarnisonen Kiel und Wilhelmshaven war, wie zutreffend festgestellt worden ist 46 ', nicht nur für den Küstensaum, sondern auch „aufs Ganze gesehen, für den Ausbruch, den Verlauf und den Erfolg der Aufstandsbewegung des Militärs und der Industriearbeiterschaft von entscheidender Bedeutung": Zwischen dem 4. und 6. November hatte der dort vonstatten gegangene und von dort weitergehende Revolutionierungsprozeß eine Serie gleichartiger Modellfälle geschaffen für die tiefgreifende Unsicherheit und schnelle Resignation der Inhaber der überkommenen militärischen und kommunalen Gewalten, für ihren fast ausnahmslosen Verzicht auf rücksichtsloses Durchgreifen sowie für ihr in wenigen Einzelfällen noch schrittweises, zumeist aber 4
Drahtnachricht des R M A v. 6. 11. 1918, 09.30 U h r , an das P r . K M . , in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64918, fol. 250; vollinhaltl. als „ B e f e h l des K ö n i g l i c h Preußischen Kriegsministeriums" bestätigt durch Telegramm des Stellv. Admiralstabes Berlin v. 7. 11. nachm. an das rückfragende Stellv. X I I I . A . K . (Stuttgart), in: B A - M A , R M 3/v. 2612, fol. 302. V o n L e v e t z o w verf. Brieftelegramm des C h e f s des Admiralstabs / S K L , B. N r . G g . O p . Ia. 846 ( G a n z geheim! F ü r O f f i z i e r e im G r . H . Q u . u. K T B ) über V o l l z u g der Festnahme von „ i n Berlin eintreffenden Matrosen o h n e ordnungsgemäßen Urlaubsschein", in: K T B der S K L 817 ( A n m . I 410). 4ij

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Überwachung, Sammeln der Aufwiegler, zwangsweise Unterbringung und Beschäftigung geboten. Uber diesen Antrag ging das Kriegsministerium in seiner noch am selben Tage an die Stellvertretenden preußischen Generalkommandos gerichteten Anweisung 4 ® 4 hinaus, indem es analog zum inzwischen gemeldeten Fortschreiten der Revolution im Küstengebiet anordnete, „alle in den Bereich des Stellv. Generalkommandos I X . A K und in den westlichen Teil des Stellv. II. A K unterwegs befindlichen Einzelreisenden der Armee und M a rine anzuhalten". Unter gleichzeitiger Benachrichtigung der Stellv. Generalkommandos über die westlich und nördlich angrenzenden Korpsbereiche befahl Linsingen die Besetzung der wichtigsten Durchgangsbahnhöfe mit starken Wachen: Personenzüge aus Richtung H a n n o v e r ( X . A K ) wurden nach Durchquerung der Provinz Sachsen ( I V . A K ) am „ G r e n z b a h n h o f " Rathenow gestoppt, solche aus den bereits revolutionierten Gebieten Holsteins einschließlich H a m b u r g und Mecklenburg ( I X . A K ) wurden sowohl in Wittenberge als auch in Neustadt an der Dosse zum Halten gebracht und die aus Vorpommern (II. A K ) anrollenden Z ü g e bereits vor ErTeichen der Provinz Brandenburg in dem noch z u m Befehlsbereich des Altonaer Korps gehörigen mecklenburgischen

Neustrelitz

abge-

fangen 4 ®'. Unmittelbar nach den Erfahrungen mit dem ersten „ M a t r o s e n z u g " hatte Linsingen bereits am 6. N o v e m b e r morgens Wachverstärkung für die im Gouvernement von G r o ß berlin liegenden Bahnhöfe befohlen, um alle dort ankommenden „Matrosen zu sichten und etwa verdächtige sofort zu verhaften" 4 ® 6 . Die Behauptung 4 ® 7 , daß ähnliche Maßnahmen zur Kontrolle b z w . Unterbrechung der Fernverkehrsverbindungen auch für Pommern (Stettiner II. A K ) , Hannover ( X . A K ) und Sachsen (Magdeburger I V . A K ) angeordnet worden seien, enthält keine Aussage darüber, 484

Geh. Telegrammbrief des Pr. KM., beim R M A eingetr. am 6. 1 1 . 1918, 18.30 Uhr, in: BA-MA, R M 3/ v. 2611, fol. 295 f. Ähnlich die Anordnung des Pr. KM., Nr. 1620 EA v. 7. 1 1 . 1918 an alle LinienKdtren., abgedr. bei Schulte; Münstersche Chronik, S. 22. 48 ' „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 623; Max von Baden, S. 596. Der für das Gamison-Kdo. Neustrelitz unzuständige Oberkommandierende i.d.M. hatte dieses am 6. 1 1 . 1918 um Überwachung des Bahnverkehrs „gebeten"; vgl. „Bericht" Linsingen, S. 623. 486 Ebd.; Volkmann, Marxismus, S. 240. 4,7 So Volkmann aufgrund der inzwischen in Verlust geratenen preuß. Heeresakten. - Allerdings: Die am 7. u. 8. 1 1 . 1918 im Raum Gießen u. Frankfurt gegen anreisende „bewaffnete Matrosen und Werftarbeiter aus Kiel und den Hansestädten" eingeleiteten u. weitgehend mißlungenen Verhaftungsaktionen waren vom Stellv. Gen.Kdo. XVIII. A.K. (Frankfurt) direkt befohlen worden; vgl. Drüner, S. 329^; Lucas, S. 17; Collischonn (Anm. I 579); Ottering, S. 88. Als ähnlich erfolglos erwiesen sich die am 7. 1 1 . 1918 vom Gouverneur der Festung Köln aus eigener Initiative unternommenen Absperrungsversuche gegen den Zuzug von 200 Kieler Matrosen; vgl. Metzmacher, S. 158, 167H.; Sollmann, S. 5ff. Am 6. 1 1 . abds. äußerte sich Scheuch im Pr. KM. in dem Sinne, „daß unverzüglich ein verantwortlicher Befehlshaber ernannt werden müsse, der die bolschewistischen Teile des Landes vom Rest absperrt [...]. Die ganze Aktion, d. h. die Abriegelung der Strecke Kiel-Hamburg muß in eine energische Hand gelegt werden. Leider hat der Kriegsminister keine unmittelbare Befehlsgewalt"; Zit. aus Böhm, Tgb.-Eintr. v. 6. 1 1 . 1918, Hünen/Meyer, S. 56. Aus dem vom Grafen Waldersee gesammelten Material für das von Scheüch angestrengte Ehrengerichtsverfahren geht hervor, daß W. unter Zuhilfenahme des ihm von Linsingen zur Verfügung gestellten „Berichts" die Maßnahmen des Oberkommandierenden („Errichten von Bahnhofswehren, Halten aller Züge dort, Bitte an IL, IV., X. Stellv. A . K . " ) als gerichtsverwertbare Tatsachen vorbrachte, um Scheüchs „Passivität und Versagen" zu belegen: „Also keine Anordnung des Kriegsministers!". In: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/4, fol. 74.

2. Während der Revolution: Von der „ N o r d f r o n t " zur „Festung Berlin"

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ob hierbei der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet als „koordinierende Instanz" (Deist) tätig geworden ist, obwohl ihm in militärischen Führungs- und Kommandoangelegenheiten keinerlei Weisungsrecht gegenüber den Stellv. Kommandierenden Generalen zustand. Jedenfalls ist ein - wenn auch vor dem Ansturm „beurlaubter" Matrosen versagendes militärisches Melde- und Sicherungssystem innerhalb des Befehlsbereichs des Stellv. X . Armeekorps nachweisbar: Ein während der zweiten Tageshälfte des 6. November in den Hauptbahnhof von Hannover einlaufender Zug mit Matrosen aus Wilhelmshaven war durch Linienkommandanturen vorangekündigt worden, so daß seine Insassen unverzüglich gefangengesetzt werden konnten 4 ® 8 ; der noch am Abend des gleichen Tages von einer anderen Gruppe dortiger Marinesoldaten unternommene Versuch, nach der Revolutionierung des Festungsgouvernements ins Landesinnere zu reisen, scheiterte an der über Wilhelmshaven verhängten totalen Bahnsperrr* 8 '. Es war die Besatzung eines vorwiegend mit Kieler Matrosen gefüllten Personenzuges, deren Ubermacht das bis dahin gut funktionierende, von den auf der Strecke liegenden Bahnhofs- und Linienkommandanturen unterhaltene Warnsystem gegenstandslos machte, da es ihr am 7. November frühmorgens auf Anhieb gelang, die zum Hannoveraner Bahnhof beorderte Wachtruppe zu überrennen und damit das Signal zum allgemeinen Aufstand des Militärs in der Landeshauptstadt zu geben 490 . Für die am 6. November mittags von der Umsturzbewegung noch nicht direkt berührte südwest-mecklenburgische Randzone des Altonaer Befehlsbereichs ist belegt 49 ', daß dort vor diesem Zeitpunkt die auf Berlin zuführenden Bahnstrecken nicht überwacht wurden. Den hoheitsrechtlichen Eingriffen in das zivile Verkehrswesen, die innerhalb des Reichsgebietes von verschiedenen Militärbefehlshabern vorgenommen wurden, korrespondiert eine „Verkehrssperre für sämtliche Militärtransporte in der Heimat" 4 ' 1 , die vom Chef des Feldeisenbahnwesens im Großen Hauptquartier noch am 6. November verhängt worden war 493 . Der Verzicht auf Widerstand, den das Altonaer Korpskommando vor seiner Ausschaltung den ihm nachgeordneten Trägern örtlicher Militärgewalt auferlegt hatte, bewirkte noch in der Nacht vom 6. zum 7. November den fast vollständigen Ausfall 494 der in der ersten Aufbauphase stehenden Bahnüberwachung und ermöglichte der vom Verkehrsknotenpunkt Hamburg aus in Richtung auf Berlin fahrenden „Avantgarde der Revolu488

Vgl. Anlauf, S. 1 7 ; Kluge, Soldatenräte und Revolution (ms phil. Diss.), S. 84f. '» Küche, S. 10; Tgb.-Eintr. Hippers v. 7. 1 1 . 1918, in: N 1 v. Hipper, B A - M A , N 162/9, '$• 490 Buchner, D o k . - N r . 1 0 3 a ; Volkmann, Marxismus, S. 226; Anlauf, S. I 7 f f . ; Arch. Forsch. 4/IV, N r . 799. Lt. hds „Revolutionsbericht" des Kieler U b o o t - O f f z . Lt. z.S. Luck, W . O . U C 103, der „ a m 6. 1 1 . nachmittags" zur Berichterstattung im Stellv. Admiralstab „mit dem letzten noch durchgelassenen Zug über Ratzeburg nach Berlin" gelangt war; in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64916, fol. 22. 4,2 Zit. nach Volkmann, Marxismus, S. 226; Hinweis in „Bericht" Schlesinger, in: Vossische Zeitung v. 28. 12. 1928. 4 " Dementspr. sollte am 7. 1 1 . vorm. sogar „der durchgehende Zug Spa-Berlin zum ersten Mal nicht mehr gefahren werden"; N1 Reinhardt, W H S t A - H A , M660, Büschel 14, Bl. 1. 494 Die bis zum 7. 1 1 . 1918 mittags durchgehaltene Unterbindung des Bahnhofsverkehrs im westlichen (Itzehoe) u. mittleren Holstein (Neumünster) konnte nur eine Einschränkung, keine nachhaltige Lähmung des Bahnbetriebs bewirken; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, N r . 780, korresp. hierzu: Max von Baden, S. 600; Müller-Franken, S. 36; Trowitz, S. 10; „Bericht" Braune v. 15. 1 1 . 1918, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 6 4 9 1 6 , fol. 132. 4

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1. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

tion" (Wrobel) zunächst eine ungehinderte Annäherung bis an die im nordwestlichen Brandenburg gelegenen, neuerdings von Wachtruppen gesicherten Grenzbahnhöfe. D a n n erzwangen mehrere hundert teilweise bewaffnete Matrosen nach nächtlicher Forcierung dieser vom O b e r k o m m a n d o bis zum Bahnhof Wittenberge vorgeschobenen ersten Postierung ihre Weiterfahrt auch bei der zweiten bewachten Kontrollstation (Neustadt a.d.D.), bevor sie auf dem Lehrter Bahnhof von einer ihrer Stärke angemessenen O r d nungstruppe festgenommen und in Gewahrsam überführt werden konnten 4 9 '. - D i e anfängliche Unzulänglichkeit der für die Mark Brandenburg angeordneten Streckensicherung zeigte sich nicht nur anläßlich der oben beschriebenen ersten „Bewährungsprobe", bei der überraschendes und zahlenmäßig überlegenes Auftreten zugunsten der Marinesoldaten entschieden hatte, sondern auch in der Tatsache, daß derselbe von Provinzbahnhöfen gemeldete „ Z u g mit 1500 bewaffneten Matrosen" bei Eintreffen in Berlin „nur etwa 300 Matrosen" enthalten hatte; auch die von Scheüchs Stellvertreter 496 gegebene Erfolgsmeldung über die Neutralisierung eines nachfolgenden Zuges - man „hatte 300-400 Matrosen [ . . . ] von Kiel [ . . . ] in Wittenberge und den Rest in Berlin anhalten können" beweist nur ein weiteres Mal die Durchlässigkeit eines Oberwachungssystem, das umsichtig und entschlossen vorgehenden Revolutionären erlaubte, Kontrollen in der Provinz entweder direkt zu durchbrechen oder durch rechtzeitiges Verlassen der Züge zu umgehen, um dann auf andere Weise die Reichshauptstadt zu erreichen. Nachdem während des 6. N o v e m b e r in Hamburg die „ A u f r ü h r e r die Ablassung von Personen- und Schnellzügen in der Richtung Berlin, Hannover, Köln verhindert" hatten 497 , rollten nun ab 7. morgens in dichter Aufeinanderfolge zumeist mit Militärpersonen besetzte Züge ins Landesinnere. Wenn auch durchaus nicht alle Reisenden als „Verkörperung des revolutionären Geistes"49® anzusehen waren, sondern sich auch bei diesen eher „eine Art vergnügten Feriengefühls" 4 9 9 darüber zeigte, der Bindungen militärischer Disziplin ledig zu sein und nach Hause fahren zu „dürfen"' 0 0 , so mußten fraglos die Ursachen und Begleitumstände ihres massenhaften Auftretens die noch intakten militärischen Stellen in ihrer Überlegung bestärken, daß mit jedem durchkommenden „Matrosenzug" das revolutionäre Potential im abzuschirmenden Gebiet erhöht wurde. N i c h t zuletzt infolge dieses Zustroms auswärtigen Militärs und des von ihm ausgehenden Einflusses auf die Besatzung der an den Fernverbindungslinien nach Berlin liegenden und

" „ B e r i c h t " Linsingen, in: Q u e l l e n I/2, S. 623; nachf. Zit. ebd. G e n . M a j . v. W r i s b e r g am 7. 11. 1918 in der Sitzung im Reichsamt d . i . ; vgl. A r c h . Forsch. 4/IV, S. 1767. 4 . 7 Zit. nach einer der am 6. 11. 1918 v o m preuß. Minister für öffentliche Arbeiten u. a. an den pr. K M . gerichteten ,.Mitteilungen"; abgedr. ebd., N r . 780. 4 . 8 Z u m vorgeblichen „revolutionären Elan" der bahnreisenden Matrosen vgl. III. G e s c h . der deutschen Revolution, S. 192; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 528; N e u m a n n , Jägerbataillon, S. 553.

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So die treffende Charakteristik über den „ V e r l a u f der Militärrevolution" bei Troeltsch, S. 26. - D a ß es sich bei den Zuginsassen nicht selten um „nicht bösartige, keinerlei bedrohliche Elemente" handelte, „ b e z e u g t e nach eigenem A u g e n s c h e i n " u. a. O b e r s t W . Reinhardt, der am 7. 11. 1918 von Spa über H a n n o v e r - M a g d e b u r g nach Berlin (Pr. K M . ) reiste; N1 Reinhardt, W H S t A - H A , M 660, Büschel 14, Bl. 1.

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W e n n b s p w . Reinhardt von dieser „ V o r f l u t der R e v o l u t i o n " als „ w i l d e n Urlaubern, die die Matrosen aus H a n n o v e r einfach nach Hause geschickt hatten", berichtet (ebd.), so entspricht dieses Phänomen der seit dem 4V5. 11. beispielgebend von Kieler Soldatenräten gehandhabten frührevolutionären D e mobilmachungspraxis, derzufolge sie ihre U r l a u b beantragenden Kameraden „ b i s auf weiteres" nach Hause entließen. Beispiele für derartiges W i r k e n sog. „revolutionärer B a h n h o f s k o m m a n d a n t u r e n " bei Metzmacher, S. 182, 219; V o r w ä r t s und nicht vergessen, S. 475 (Biehl).

2. Während der Revolution: Von der „ N o r d f r o n t " zur „Festung Berlin"

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diese sichernden Garnisonen erwiesen sich die Bahnüberwachungsmaßnahmen der Stellv. Generalkommandos in Hannover und Magdeburg als wirkungslos, und zwar von Stunde zu Stunde mehr, beginnend mit den Abend- und Nachtstunden des 6V7. November und damit bereits 12, im anderen Falle sogar 24 Stunden vor der eigentlichen Entmachrung dieser Korpskommandos , c l . Meldungen über mehrere aus Hannover und Hamburg anrollende Züge veranlaßten den Oberkommandierenden in den Marken noch am 7. November vormittags, die entsprechenden Hauptstrecken zu unterbrechen: Die oben genannten Bahnhöfe wurden durch gesicherte Sperren verstärkt 502 , die zwischen ihnen und Berlin liegenden Streckenabschnitte an mehreren Stellen' 03 durch Aufreißen der Schienenstränge' 04 und vorbereitete Brückensprengungen' 0 ' unbenutzbar gemacht. Da die „bisherigen Vorgänge deutlich genug" gezeigt hätten, daß „das Bahnpersonal völlig außerstande" sei, „bei überraschenden Angriffen Widerstand zu leisten", setzte sich der preußische Eisenbahnminister' 06 für die „Bildung der Bürgerwehr zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Verkehr" ein; höchstwahrscheinlich sollten diese noch an keiner Stelle im Reiche aufgestellten paramilitärischen Hilfskräfte entsprechend ihrem lokalen Aufgebot in erster Linie stationär an Bahnhöfen, Haltepunkten und anderen ortsgebundenen „wichtigen Verkehrsanstalten"' 07 Verwendung finden, nicht aber mobil als bewaffnete Reisebegleiter. Jedenfalls hat dieser immerhin erst am 7. November abends vorgebrachte Antrag Breitenbachs angesichts der bekannten revolutionären Progression im Reichsgebiet noch ausgeprägter den Charakter einer organisationstechnisch glatt undurchführbaren Wunschvorstellung als die im Stil einer militärischen Lagefeststellung verfaßte, eher unverbindliche Empfehlung, die das Preußische Kriegsministerium wenige Stunden zuvor an die noch intakten Befehlsstellen im Heimatgebiet gerichtet hatte: „Innere Lage macht Verstärkung des Personals der Eisenbahnüberwachungsreisenden erforderlich' 08 ." Mit derartigen Aufstellungsvorhaben bzw. Dringlichkeitserklärungen konnte jedoch in dieser prekären Situation höchst akuten Staatsnotstandes keine Abhilfe geschaffen werden. Nachdem im Verlaufe des 7. November durch den Zusammenbruch staatlicher und 2' Berichte hierzu in: B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, PG 64921; H o r n , p. 261; R a h n , S. 19. Zit. nach „ S c h r e i b e n " Stockhausen ( A n m . I 476). 5 , 0 So Linsingen in seinem „ B e r i c h t " , in: Q u e l l e n I/2, S. 624; „ E r g ä n z u n g e n " Graf W a l d e r s e e ( A n m . I 514). W r i s b e r g u. T r i m b o r n am 7. 11. 1918 abds. in der S i t z u n g im Reichsamt d . i . über einen „von H a m b u r g nach Berlin geschickten b e w a f f n e t e n Z u g " , von dem „300-400 M a t r o s e n in W i t t e n b e r g e " , der bis Berlin v o r g e d r u n g e n e „Rest mit e t w a 150 Meuterern bei seiner A n k u n f t e n t w a f f n e t w o r d e n " sei; zit. nach Arch. Forsch. IV/4, N r . 739b. M s „ Z u s a m m e n h ä n g e n d e Darstellung. A u s z u g aus A k t e n des Pr.KM./Abt. A . M . " des M a j o r Krall/Adjutantur P r . K M . a . d . J . 1919, u. a. über „in der Nacht vom 7-/8. 11. 18. bei Paulinenaue zur Entgleisung gebrachten M a t r o s e n z u g aus H a m b u r g ; die Matrosen haben den F u ß m a r s c h auf Berlin a n g e t r e t e n " , in: N1 Scheuch, B A - M A , N 23/5, fol. 129; in gekürzter Fassung bei M a x von Baden, S. 615. Scheüch in der V o r m i t t a g s s i t z u n g des Kriegskabinetts am 8. 11. 1918 über „ z w e i Eisenbahnzüge mit M e u t e r e r n " aus R i c h t u n g H a n n o v e r , die erst „in W u s t e r mark a n g e h a l t e n " w e r d e n konnten, s o w i e über „einen anderen Z u g " , der „auf M a g d e b u r g zu abgedreht w o r d e n " sei; zit. nach Quellen I/2, S. 586; A n l a u f , S. 42. - Zu den Fällen vollendeter Forcierung vgl. „ D e r R e v o l u t i o n s z u g " ( A n m . I 504); siehe auch A n m . I 469. - Die v o l l k o m m e n e Machtlosigkeit der E i s e n b a h n v e r w a l t u n g dokumentiert anschaulich die an den M i n i s t e r der öffentlichen Arbeiten, StSekr. des R M A u. pr. K M . gerichtete „ F e m s p r e c h m i t t e i l u n g d e s Präsidenten der Königlichen Eisenbahndirektion in H a n n o v e r , a u f g e n o m m e n am 8. 11. 1918, 6 U h r abends: Auf Bahnhof Stendal hatte sich heut mittag eine große A n z a h l Reisender, die mit Zügen von H a n n o v e r g e k o m m e n waren, angesammelt, unter anderem auch etwa 400 - scheinbar h a r m l o s e - M i l i t ä r u r l a u b e r , die in R i c h t u n g Berlin weiter befördert zu werden verlangten, w i d r i g e n f a l l s sie auf Bahnhof Stendal alles zu demolieren drohten. Die zwischen R a t h e n o w und Berlin u n t e r b r o c h e n e Strecke ist daraufhin w i e d e r hergestellt u n d der Personenzugverkehr z w i s c h e n Stendal und Berlin w i e d e r a u f g e n o m m e n w o r d e n . Jeder Zug w i r d nach Berlin besonders v o r g e m e l d e t " ; ms A b d r u c k in: B A - M A , R M 3/v. 2612, fol. 3 1 1 . Zit. nach hds „ S c h i l d e r u n g " des Oberst i.G. a.D. v. M a n t e y , ehem. Chef des Stabes im Stellv. Gen.Kdo. des G a r d e k o r p s , v. 1 5 . 4 . 1922 an Ehrengericht, in: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. 114ff.; zu F.inzelanweisungen vgl. ders., in: „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 19 ( A n m . I 58); vgl. auch „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 624. Der Kdtr. Spandau w a r die Ü b e r w a c h u n g der Bahnlinie N a u e n - F a l k e n s e e übertragen; der Kdtr. D ö b e r i t z die Kontrolle der an die Havel angelehnten Siehe-

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Berlin waren bereits am V o r m i t t a g des 7 . N o v e m b e r angewiesen w o r d e n , „ d u r c h starke Patrouillen alle verdächtigen Matrosen in den Straßen verhaften zu lassen"' 3 ' 1 . D u r c h S p e r r k o m m a n d o s , W a c h t r u p p e n und Streifen w u r d e n allein am 7. etwa „ 1 3 0 0 von auswärts a n k o m m e n d e Matrosen v e r h a f t e t " " 5 und noch „ m e h r e r e H u n d e r t " bis z u m M o r gen des 8. N o v e m b e r 5 3 4 , weitere bis z u m Mittag des 9. N o v e m b e r ' 3 ' . D i e von M a x von Baden getroffene Lagefeststellung über die am J./6. N o v e m b e r

1918

einsetzende „planmäßige Verbreitung des A u f r u h r s in die Städte der W a s s e r k a n t e " ' 3 6 sah Staatssekretär Scheidemann, der „Revolutionsluft w i t t e r t e " ' 3 7 , am 8. N o v e m b e r auch f ü r den hauptstädtischen R a u m als zutreffend an; mit seiner A u f z e i c h n u n g ' 3 8 , daß die , , M a trosen-Vorbereitung in Berlin ganz systematisch" v o r sich gehe, nennt er einen wesentlichen A s p e k t der Sicherheitslage, der auch in dem von Scheüch und M a n n dem Kriegskabinett am 8. N o v e m b e r morgens vorgetragenen Situationsbericht anklingt. D i e Darstellung des Kriegsministers, die militärischen Stellen hätten die unausgesetzt in Berlin eintreffenden M a t r o s e n „ i m R a m s c h z u s a m m e n [ z u ] f a n g e n " ' 3 9 , weitere aufzugreifen und festzuhalten, stimmte inhaltlich mit einer am V o r a b e n d mit dem O b e r k o m m a n d i e r e n d e n getroffenen A b s p r a c h e ' 4 0 über Abtransport und Internierung v o n festgenommenen Militärpersonen' 4 1 überein. D i e Absichtserklärung und Absprachen der obersten Militärbehörden in der Reichshauptstadt sind allerdings nur unvollkommen in die T a t umgesetzt w o r d e n . W e n n auch rungslinie Rathenow-Brandenburg; die Stadtkdtr. Berlin hatte mehrere Panzerautos abzustellen. Hier versagte das Sicherungssystem bereits in der Nacht vom 8V9. 1 1 . 1918 vollends (vgl. Anlauf, S. 42). Zit. nach „Schreiben" Stockhausen (vgl. Anm. I 476); vgl. auch „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 624. "> So StSekr. Trimborn vor den Bundesvertretern am 7. 1 1 . 1918 abds.; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1773. 1)4 „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 624. Im einzelnen zum Vorgehen der - Bahnhofswehren u. mobilen Sperrkommandos gegen Züge, deren Insassen die Durchfahrt gewaltsam zu erzwingen suchten: Anm. I 531. - Ordnungstruppen am Stettiner u. Lehrter Bahnhof: Böhm, Tgb.-Eintr. v. 7. 1 1 . 1918, Hürten/ Meyer, S. 57; „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476); „Gegendarstellung" Mantey (ebd.); Vorwärts v. 8. 1 1 . 1918, abgedr. bei Buchner, Nr. 96; Germania Nr. 523 v. 8. 1 1 . 1918, auszugsweise abgedr. bei Stutzenberger, S. 165; Zeisler, S. 222f.; Arch. Forsch. 4/IV, S. 1764; Quellen I/2, Nr. 137 (Scheidemann), N r . 139 (Scheüch); Wrobel, Sieg der Arbeiter, S. 1 1 . - Streifen in der Provinz u. in Groß-Berlin: Krieger, S. 3; „Der Revolutionszug" (Anm. I 504); Anm. I 53.. Bleeck-Schlombach, S. 26; Runkel, S. 109, 1 1 3 ; Vorwärts und nicht vergessen, S. 280 (Franke). 1,6 So Max von Baden, S. 595. »7 Ebd., S. 614. '>' Zit. nach Quellen I/2, N r . 139 Anm. 20. - Uber „große Scharen meuternder Matrosen, die auch in der Reichshauptstadt eine Erhebung vorzubereiten suchten", vgl. „Zuschrift" Wahnschaffe, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 426f. - „öffentlich war durch die 1000-e von Matrosen eine maßlose Unruhe erzeugt, wilde Gerüchte durchschwirrten die Stadt" (Mantey, „Der 9. November", Bl. 20, Anm. I 58); Neumann, Jägerbataillon, S. 353; siehe Anm. I 480. Zit. nach Aufzeichnungen Haußmanns (Quellen I/2, Nr. 139 Anm. 20) über die Stellungnahme Scheüchs, vollst, ebd., S. 586. 140 Nach den im Laufe des 7. 1 1 . 1918 vom Oberkommandierenden noch getroffenen Maßregeln zu urteilen, kam die diesbezügl. Absprache nicht bei seinem ersten Zusammentreffen mit Scheüch am 7. 1 1 . morgens („Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 624), sondern bei der zweiten Begegnung der Generale am 7. 1 1 . abends zustande (ebd., S. 624; Max von Baden, S. 6 1 2 ; „Zusammenfassende Darstellung" Krall, fol. 129 f., Anm. I 530). 141 Die Masse der Marinesoldaten wurde nach Neuhammer a. d. Queis überführt, andere in Döberitz u. Zossen festgesetzt.

2. Während der Revolution: Von der „Nordfront" zur „Festung Berlin"

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d i e A k t i o n e n b e a c h t l i c h e G e f a n g e n e n z a h l e n e r b r a c h t e n , s o s c h e i n t es sich n a c h d e n B e r i c h t e n ü b e r b e i s o l c h e n S c h u t z m a ß n a h m e n nicht g e f a ß t e M i l i t ä r p e r s o n e n d o c h n u r u m mäßige E r f o l g e der Sicherungskräfte gehandelt zu haben. A u f f ä l l i g ist, d a ß es n i c h t z u l e t z t n ä c h s t e M i t a r b e i t e r des S t a a t s s e k r e t ä r s d e s R e i c h s m a r i n e a m t e s s o w i e d i e s e r B e h ö r d e k u r z z u v o r unterstellte M a r i n e o f f i z i e r e g e w e s e n w a r e n , die d e m u n w i l l k o m m e n e n E i n d r i n g e n v o n g e f ä h r l i c h e m R e v o l u t i o n s p o t e n t i a l in d e n G r o ß b e r l i n e r R a u m n u r g e r i n g e n W i d e r s t a n d e n t g e g e n g e b r a c h t h a b e n u n d s i c h d u r c h i h r bei a n d e r e n D i e n s t s t e l l e n A n s t o ß e r r e g e n d e s D e s i n t e r e s s e , illegal a n r e i s e n d e M a t r o s e n v o r l ä u f i g f e s t z u n e h m e n u n d in G e w a h r s a m z u h a l t e n , v ö l l i g d e n p r o n o n c i e r t e n W i l l e n s b e k u n d u n g e n ihres B e h ö r d e n c h e f s entgegenstellten. D i e v o m R e i c h s m a r i n e a m t seit d e m 6 . / 7 . N o v e m b e r eigens z u r V e r s t ä r k u n g d e s W a c h p e r s o n a l s an B e r l i n e r B a h n h ö f e n b e o r d e r t e n M a r i n e o f f i z i e r e h a n d e l t e n u n s t r e i t i g g e g e n a u s d r ü c k l i c h e n B e f e h l 5 4 2 , i n d e m sie M a t r o s e n „ i n S c h a r e n d i e B a h n h o f s s p e r r e n p a s s i e r e n " l i e ß e n , d i e „ s i c h s e l b s t d e m o b i l i s i e r t " , a l s o e i g e n m ä c h t i g o h n e M i l i t ä r p a p i e r e in R i c h t u n g H e i m a t w o h n s i t z ihre Dienststellen verlassen hatten. J e n e O f f i z i e r p o s t e n , die n o c h a m 8. N o v e m b e r v o n S o l d a t e n r ä t e n a u s g e s t e l l t e U r l a u b s s c h e i n e o h n e w e i t e r e s a k z e p t i e r t e n 5 4 3 , w u r d e n in i h r e m j e g l i c h e A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e n z u m e i s t b e w a f f n e t e n und oftmals gewalttätigen Matrosen vermeidenden Verhalten sogar noch von zwei D e p a r t e m e n t s d i r e k t o r e n d e s R e i c h s m a r i n e a m t s ü b e r t r o f f e n , die d i e M e h r z a h l d e r in H e e r e s g e w a h r s a m ü b e r f ü h r t e n I n s a s s e n d e s e r s t e n „ M a t r o s e n z u g e s " v o m 5. N o v e m b e r s o g l e i c h w i e d e r f r e i l i e ß e n ' 4 4 . A m 7. N o v e m b e r e r s c h i e n ein F r e g a t t e n k a p i t ä n aus d e m R e i c h s m a r i n e a m t i m K a s e r n e m e n t d e r 2. G a r d e - U l a n e n , in d e m H u n d e r t e a u f g e g r i f f e n e r M a t r o s e n unter strenger A r m e e b e w a c h u n g

standen, und schickte einen beträchtlichen Teil v o n

ihnen in d i e H e i m a t ' 4 ' . U m e i n e „ F o r m v o n a n e r k a n n t e r M e u t e r e i " ' 4 ® h a n d e l t e es sich a l l e m a l b e i d i e s e m in B e r l i n z w i s c h e n d e m 5. u n d 9. N o v e m b e r v o n M a r i n e o f f i z i e r e n geübten B r a u c h , unerlaubt v o n ihrer T r u p p e abwesende o d e r von ihren Soldatenräten „ b e u r l a u b t e " M a t r o s e n g e w ä h r e n - , d . h. l a u f e n z u l a s s e n b z w . w i e d e r f r e i z u s e t z e n . H i n z u k o m m t , d a ß sich a u c h n i c h t alle K a s e r n e n k o m m a n d a n t e n g l e i c h e r m a ß e n i m s t a n d e zeigten, die z w a n g s w e i s e U n t e r b r i n g u n g und scharfe B e w a c h u n g v o n jeweils ü b e r tausend G e f a n g e n e n sicherzustellen. A b g e s e h e n d a v o n , daß die T r u p p e n u n t e r k ü n f t e nicht f ü r e i n e d o p p e l t e B e l e g u n g s s t ä r k e , z u d e m an A r r e t i e r t e n , e i n g e r i c h t e t w a r e n , v e r s a g t e s t e l l e n w e i s e das B e w a c h u n g s s y s t e m v ö l l i g . W ä h r e n d d e r F ü h r e r d e r E r s a t z s c h w a d r o n d e s 2. G a r d e - U l a n e n r e g i m e n t s

mit H i l f e z w e i e r ihm unterstellter K o m p a n i e n

die i h m in

immer größeren Schüben zugeführten Matrosen durch rücksichtslose G e w a l t m a ß n a h m e n z u s a m m e n h i e l t ' 4 7 , e r w i e s sich d e r n o c h a m 9. N o v e m b e r m o r g e n s w e g e n m e h r f a c h e n V e r s a g e n s a b g e l ö s t e K o m m a n d e u r d e s E r s a t z b a t a i l l o n s v o m 4. G a r d e r e g i m e n t z . F . , M a jor v. P l e h w e , als u n f ä h i g , m i t d e n i h m z u G e b o t e s t e h e n d e n je z w e i F e l d m a r s c h - u n d Siehe Anm. I 483. Siehe Anm. I 529. Nach Stammer „Persönliche Erfahrungen" (Anm. I 473) handelte es sich um Kapt. z.S. Seebohm (Chef Zentralabteilung/RMA) u. Kapt. z.S. Michaelis (Allgem. Marine-Dep.), die Inhaber einflußreicher Dienstposten im u. nach dem Ersten Weltkrieg; vgl. Stoelzel, S. 1 3 1 ; Raeder I, S. 51, 147, 157, u. Stoelzel, S. 1 1 8 ; Raeder I, S. 1 0 1 , 162, 183f. Nach Maldeghem, S. 336: F.Kapt. Lauterbach. ( 6 * Formulierung von Meinecke, Die Revolution, S. 108. " 7 Maldeghem, S. 336; zunächst 2 Kpn./2. Garde-Rgt. z.F., dann 2 Kpn./Res.-Jäger-Btl. Nr. 3 (Hibben); Repetzky, S. 266 f.

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Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Rekrutenkompanien die Unterbringungsräume für etwa iooo aufgegriffene Matrosen ausreichend zu sichern. Diese wurden „nicht ernstlich daran gehindert, auszubrechen und dann in der Stadt furore zu machen" 548 . Ähnlich mangelhaft war auch die praktische Durchführung der am 3. November in Wilhelmshaven und am 7. in Berlin auf oberer Ebene getroffenen Absprachen über den Abtransport und die Internierung festgenommener Marinemannschaften. Unter erheblichem Aufsehen und Zurufen von Passanten („Brudermörder! Streikbrecher!") hatten die Wachsoldaten ihre Gefangenen durch weite Stadtteile bis zum Verladebahnhof zu geleiten und sicherzustellen, daß ihnen weder auf dem unübersichtlichen Weg dorthin Matrosen entwischten noch bei Abholung des Gepäcks, das von unzulänglich eingewiesenen Transportkommandos des Gardekorps auf einem nahegelegenen, nicht abgesperrten Bahnhof ungeordnet deponiert worden war' 4 9 . Die für den Bahntransport vom Stellv. Generalkommando des Gardekorps angeordnete Wachstärke - pro Abteil sollten auf jeweils acht Matrosen acht Mann Wacheskorte kommen - konnte von der Garde selbst nicht aufgebracht werden, da sie alle ihre verfügbaren Mannschaften zur unmittelbaren Sicherung der „inneren Stadt" benötigte 5 ' 0 , so daß auf Teile der kriegsministeriellen Eingreifreserve zurückgegriffen werden mußte, um überhaupt am 8. November die beiden für das Lager Neuhammer bestimmten Gefangenentransporte von je 1600 Matrosen abgehen lassen zu können. Daß sich die Uberführung der Marinemannschaften unter äußerst turbulenten und disziplinlosen Umständen vollzog, lag weniger an der machtlosen, schließlich doch im Zahlenverhältnis von 1 -.j unterlegenen Eskorte, als daran, daß der schon erwähnte Fregattenkapitän aus dem Reichsmarineamt den zur zwangsweisen Verbringung und Intemierung bestimmten Matrosen „in längerer Ansprache eine rosige Zukunft verhieß" und damit den Militärtransport noch „wilder machte." Im Endeffekt hatte das Preußische Kriegsministerium mit dem aus zwei kriegsstarken Kompanien des Lübbener Jägerbataillons bestehenden Bewachungskommando für diesen Gefangenentransport einen Teil seiner Eingreifreserven umsonst aus der Hand gegeben: In der Nacht vom 8. zum 9. November am Bestimmungsort Neuhammer angelangt, mußten die Jäger fassungslos miterleben, wie der Lagerkommandant, ein Heeresgeneral 551 , der offensichtlich unter dem Eindruck von Meldungen über die Erfolge der Revolutionsbewegung stand, den ihn bestürmenden Matrosen Zugeständnisse über Zugeständnisse machte und sie, versehen mit Genehmigungsschreiben der Lagerkommandantur, noch am 9. November mittags samt ihrem Gepäck aus dem Gewahrsam entließ. Wenn die von führenden Marine- und Heeresstellen angeordneten Maßnahmen zur Bewachung, Deportation und Internierung unbotmäßiger Marinemannschaften nicht nur im norddeutschen, sondern auch im hauptstädtischen Raum scheiterten, so ist ihr Mißlingen nicht nur auf die unerwartete Schnelligkeit zurückzuführen, mit der sich der Umsturz im Lande ausbreitete und alle Planungen und Aktivitäten der obersten staatlichen und militärischen Gewalten überrollte. Die Gründe sind nicht weniger in den Unvollkommenheiten der Organisation bei den mit der Erteilung der Einzelaufträge und der Ausführung betrauten truppenführenden Kommandostellen zu suchen. Eine ebenfalls nicht Zu Plehwe siehe auch Belege in: Anm. I 476, II 714. Zit. aus „Mitteilung" Seivers (Anm. II 419). Darst. u. Zit. nach Repetzky, S. 267ff. „Äußerung" Planitz, fol. 164 (Anm. II 32, s. Anm. II 75 f.). Nach Repetzky, S. 27of.: Gen.Maj. a.D. Neubauer.

i . Während der Revolution: Von der „ N o r d f r o n t " zur „Festung Berlin"

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unbedeutende Rolle spielten dabei zum einen die Konfliktscheu hochchargierter O f f i ziere bei der persönlichen Konfrontation mit renitenten Gefangenen und zum anderen die Verwässerung oder sogar Aufhebung eigener und auch auferlegter Weisungen, die, aus persönlicher Schwäche gegeben, ihnen von Zeitgenossen als „Gefühlsduselei" ausgelegt w u r d e " 1 . Den überlieferten Erlebnisberichten zufolge konnten die Führer von Wach- und Begleitkommandos, ihre Unterführer und ihnen bis zuletzt ergebene Mannschaften für die im Detail unzulängliche, mehr noch, für die widersprüchliche, aufhebende Befehlsgebung übergeordneter Dienststellen ebensowenig Verständnis aufbringen wie für das nachgiebige, „wohlwollende" Auftreten hoher Dienstgrade gegenüber den festgenommenen und nur mit äußerster Mühe unter Kontrolle zu haltenden Matrosen. Was in den beschriebenen Fällen bei einigen befehlstreuen Einheiten an blankem Unverständnis und Konsterniertheit über die ihre bis dahin intakte Truppendisziplin nachgerade zersetzenden Verhaltensformen und Anordnungen höherer Stellen aufkam, sollte sich noch deutlicher am Umsturztage in Berlin zeigen, als einzelne Postierungen und Sicherungstruppen die Passivität und schnelle Kapitulationsbereitschaft maßgeblicher Vorgesetzter als Zumutung empfanden und sich deshalb den Befehlen zur Waffenstreckung entzogen, indem sie eigenmächtig unter dem Kommando ihrer nächsten Führer geordnet in ihre Unterkünfte abrückten. Die noch am 8. November erklärte Absicht der Berliner Marinebehörden, „durch eine größere Zahl von Offizieren die in Berlin angehaltenen und in einem Gefangenenlager untergebrachten Besatzungen übernehmen"" 3 und „die Leute dann wieder auf die Schiffe" zurückbringen" 4 zu wollen, bezeugt ein völliges Ignorieren der tatsächlich vorherrschenden revolutionären Realitäten und der allgemeinen Machtentblößung bei den Kommandostellen der Kaiserlichen Marine. Nachdem sich seit dem 5. November immer mehr Kommandanten veranlaßt gesehen hatten, ihre Schiffe außer Dienst zu stellen, gezwungenermaßen oder aus Protest gegen ihre Entmachtung von Bord zu gehen und teilweise ihre rebellierenden Mannschaften vorher noch in befristeten Heimaturlaub zu schicken - soweit diese sich nicht selbst „bis zum Nimmerleinstag""' durch ihre Soldatenräte hatten „beurlauben" lassen - , mußten sich solche Erwartungen auf die Wiederherstellbarkeit der gewohnten Verfügungsgewalt über inzwischen doch längst vorsätzlich unbotmäßige und politisch revolutionär gesonnene Marinesoldaten als von vornherein irreal erweisen. Im ganzen Reich standen am 8. November die von Matrosen gesetzten Zeichen nicht auf Liberalisierung oder Demokratisierung, sondern auf Revolutionierung der herkömmliCharakteristik aus „ D e n k s c h r i f t " Stammer (Anm. I 476). Zit. aus Fernschreiben Stellv. Admiralstab Berlin an S K L , dort eingetr.: 8. 1 1 . 1 9 1 8 , 17 Uhr, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64918, fol. 184. Tatsächlich wurden noch am gleichen Tage See-Offz. für diese Aufgabe in Marsch gesetzt; vgl. ms „Darstellung" des Prof. Dr. Stieler, K.Kapt.a.D. u. ehem. I O auf SMS „Regensburg'VIV. A . G . , v. 9. 8. 1938 an die Kriegswissenschaftl. Abt. der Marine, ebd., P G 64921; Führer des 2. Transports v. 8. 1 1 . mit gefangenen Matrosen war ein K.Kapt.; vgl. Repetzky, S.27.. i, t ' Verlautbarung des StSekr. des R M A in der Vormittagssitzung des Kriegskabinetts am 8. 1 1 . 1 9 1 8 ; vgl. Quellen I/2, S. 586. Vgl. „ B e r i c h t " Restorff, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 400. - Zit. nach dem Erlebnisbericht eines an der Kieler Revolte Mitbeteiligten, in: Schleswig-Holsteinische Volkszeitung. Organ für das arbeitende Volk (Kiel), N r . 266 v. 8. 1 1 . 1 9 1 9 (Beilage).

ioé

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

chen staatlichen und militärischen Ordnung. Die gegen diese Entwicklung innerhalb von weniger als hundert Stunden aufgebotenen Gegenmaßregeln - lokale Abschnürung von Unruheherden und überregionale Errichtung einer Nordfront - hatten die Umsturzbewegung nirgendwo eingedämmt, kaum irgendwo gehemmt, vielerorts eher gefördert. Von kämpferischer Gegenwehr gegen bewaffnete Revolutionäre über den 6-/7. November hinaus durch Repräsentanten des monarchischen Staates oder durch noch loyale Ersatztruppen wird nur selten berichtet: A m Mittag des 7. November konnte in Hannover der unter rückhaltlosem Einsatz der eigenen Person bis zum äußersten Widerstand leistende Stellv. Kommandierende General nur durch physischen Zwang überwunden werden" 6 , nachdem ein von ihm befohlener Angriff treu gebliebener Ersatztruppen" 7 auf den von Matrosen besetzten Hauptbahnhof fehlgeschlagen sowie aus dem Korpsbereich herbeigerufener Entsatz" 8 übergelaufen war und das Preußische Kriegsministerium hatte eingestehen müssen, daß „die erbetenen Verstärkungen [ . . . ] Hannover vorläufig nicht gegeben werden" könnten"'. Die Rückeroberung der Marinefunkstelle Neumünster durch ein Kommando der Heeresgarnison währte kaum länger als 24 Stunden. Die am Mittag des 6. November vom Altonaer Armeekorps ausgegebene Parole, den Revolutionären keinen Widerstand zu leisten, Blutvergießen zu vermeiden und in Verhandlungen einzutreten, besorgte auch hier die Selbstaufgabe der örtlichen Militärgewalt und verschaffte mehreren hundert Matrosen, die inzwischen in Neumünster festgehalten worden waren, die Freiheit und die aus Kiel reichlich mitgeführten Handfeuerwaffen zurück' 60 . Für eine vergleichsweise kurze Zeitspanne gelang es am Sitz des Stellv. XII. Armeekorps (Großenhain/Königreich Sachsen) einer aus Husaren und Infanterie zusammengestellten Eingreiftruppe' 6 ', während des 6-/7. die von einer Fliegerabteilung ausgehenden revolutionären Aktivitäten gewaltsam zu unterdrücken' Äi . Von längerer Wirksamkeit war die Intervention eines von der Kommandantur Swinemünde mobilisierten Aufgebots, das am 7. November erfolgreich die von Kieler Matrosen (III. Geschwader) schon weitgehend revolutionierten Marinelandformationen in die Disziplin zurückzwang. Die in ihre früheren Rechte wieder eingesetzten Seeoffiziere " ' V o l k m a n n , Revolution, S. 38; ders., Marxismus, S. 227; Niemann, Revolution von oben, S. 2 5 1 ; Schultze-Pfaelzer, S. 1 1 8 . Dem entschlossenen Widerstand des Stellv. Kom.Gen. v. Hänisch, der die Meuterer mit dem Degen in der Faust zur Räson bringen wollte, entsprach das Verhalten des Kdr. der 81. Stellv.Inf.Brig., Gen.Lt. v. Wright, der am j./6. 1 1 . 1918 revolutionären Matrosen, die von Kriegsschiffen unter roter Flagge ausgeschifft worden waren (Anm. I 3 1 7 , I 360), in Lübeck mit gezogener Pistole entgegentrat (vgl. Volkmann, Revolution, S. 37; Arch. Forsch. 4/lV, S. 1766). 557 Max von Baden, S. 601, in enger sprachlicher Anlehnung an die ihm von Gen.Lt.a.D. Scheüch zur Verfügung gestellten „Aufzeichnungen" Böhms (siehe Anm. I 559) u. an „Zusammenhängende Darstellung" Krall (Anm. I 530). - Bei dieser Eingreiftruppe handelte es sich um das Ers.Btl. des 1. Hannoverschen Inf.Rgt. N r . 74. " 8 Buchner, N r . 103 a. Die Ers.-Soldaten, die am späten Vormittag u. Mittag des 7. 1 1 . die Ausführung von Angriffsbefehlen verweigerten u. stattdessen ihre Waffen übergaben, entstammten dem 1. Hannoverschen Königs-Ulanen-Rgt. N r . 13 u. dem 2. Hannoverschen Inf.Rgt. N r . 77 (Celle). Zit. aus Böhm, Tgb.-Eintr. v. 7. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 57. ,6c „ M e l d u n g " u. „Bericht" Braune, fol. 132 u. fol. 133 (Anm. I 355 u. 494); Trowitz, S. 10. 161 Ein von Kavallerieoffizieren angeführtes gemischtes Detachement aus Ers.-Soldaten des Kgl. Sächs. Husaren-Rgt. „ K ö n i g Albert" N r . 18 u. des Res.Inf.Rgt. N r . 102. >6i Zu den Zielen u. der sich am 7. 1 1 . durchsetzenden Agitation der Flieger-Ers.Abt. 6 vgl. Kluge, Soldatenräte und Revolution (ms phil. Diss.), S. 87, insbes. die in Anm. 247 gen. Lit.

2. Während der Revolution: Von der „ N o r d f r o n t " zur „Festung Berlin"

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zeigten sich seitdem bis zu ihrer endgültigen Entmachtung am 10. November sehr darum bemüht, der politisch hoch gespannten Atmosphäre durch Lockerung der regulär verfügten Bahnsperre'6' und durch lokale Ausgleichsverhandlungen unter Zuhilfenahme prominenter sozialdemokratischer Parteiführer'6* ein Ventil zu verschaffen. Die geschilderten Aktionen sind nur scheinbar Episoden; sie erhalten vielmehr inmitten von seit dem 5. November im Heimatgebiet allerorten zu verfolgenden schnellen und kampflosen Abdankungen der alten militärischen Gewalten den Rang des durchaus Untypischen und Bemerkenswerten. Da, wo nicht überstürzte Kapitulation vor Militärrebellion und Volksbewegung die Szene beherrschte, waren es zumeist die Wege der Arrangements und des sich duldenden Nebeneinanders' 6 ', die von den regionalen bzw. lokalen Autoritäten in der preußisch-deutschen Militärmonarchie im Umgang mit den Räten als Repräsentanten der revolutionären Macht beschritten wurden. Die Begleitumstände, unter denen die verschiedenen Übereinkünfte zustande kamen, weisen eine in weiten Strecken verwandte Typologie auf' 64 ; die Form, in der sich die ersten Kontakte zwischen den heterogenen Repräsentanten abspielte, war häufiger „eher manierlich", als daß es zu der „eigentlich" zu erwartenden scharfen Konfrontation zwischen Vertretern meuternder Soldaten und den Kommandierenden mit ihren Offizieren gekommen wäre, die zwar der Verfügungsgewalt über ihre Truppenmacht, nicht jedoch über den Einsatz der eigenen Person beraubt waren. Zwangsläufig drängt sich an dieser Stelle die oben nur beispielhaft berührte, im Zusammenhang mit dem Umsturz in Berlin eingehender zu behandelnde'67 Frage auf nach den Ursachen für die unerwartet indifferente Haltung nicht weniger militärischer Führer im Heimatgebiet. Wenn in der Reichshauptstadt Spitzenvertreter des alten Systems eine wesentliche Ursache für die bis zum 7-/8. November erzielten Erfolge der revolutionären Bewegung darin erblickten, daß „die Ersatzformationen - jedenfalls in der Provinz ihrer Aufgabe nicht gewachsen" waren' 68 , so findet auch bei dieser frühen Globalverurteilung „ ¿ e r Ersatzformationen" bzw. „des Heimat- resp. Besatzungsheeres" der seiner,6)

Verhängt durch zwei inhaltsgleiche Anordnungen des Stellv. G e n . K d o . II. A . K . (Stettin) u. des Preuß. Min. f. öffentl. Arbeiten über sämtliche Eisenbahnverbindungen von der u. zur Marinefestung Swinemünde, B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64917, fol. 250; R M 3/v. 2612, fol. 328. ,8' 187 1,8 ,8

'

Zit. des „ B e f e h l s " u. Wertung nach Collischonn. Darst. u. Zit. nach Drüner, S. 330. - Stellv. Kom.Gen. X V I I I . A . K . war seit Ende 1916 Gen.d.Inf. Riedel. Zeitangabe nach Lucas, S. 18; It. Drüner, S. 330 „lief der von der Reichsregierung ausgehende Befehl am 8. 1 1 . 1918 um 10 U h r ein". So Lucas, S. 18, dessen Darstellung ohne archivalischen Beleg Struck, S. 420 folgt. Nach Auskunft des Hessischen HStA v. 1 . 6 . 1976 konnte in dem von Lucas, S. 18, u. Kluge, Soldatenräte und Revolution (ms phil. Diss.), S. 1 1 7 Anm. 363, angegebenen Aktenbestand kein Schreiben mit dem oben zitierten „Befehl der Reichsregierung" (Lucas/Struck) bzw. „Befehl aus Berlin" (Kluge) festgestellt werden, wohl aber das vom Verf. in Anm. I 589 zit., von Lucas, Kluge, Struck Anm. 1 1 0 mit falscher Zeitangabe angeführte Telegramm des Stellv. Gen.Kdo. X V I I I . A . K . an das Reg.-Präs. in Wiesbaden. Zit. u. Angaben nach Collischonn. Volkmann, Marxismus, S. 228. Zit. nach Drüner, S. 330. Das zit. Telegramm wurde am „8. 1 1 . 18, 6.40 n[achm.]" in Frankfurt aufgegeben u. ging am „8. 1 1 . 18,

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre B e w e g u n g

Das Schauspiel haltlosen Zusammenbruchs, das der Repräsentant der Militärgewalt in Frankfurt bot, wirkt umso kläglicher, je eingehender man die Machtverhältnisse betrachtet, die tatsächlich bis in die Nachmittagsstunden des 8. hinein am Sitz des Stellv. Generalkommandos herrschten. Dabei stellt sich heraus, daß - ebenso wie in Hamburg' 9 0 einem tatkräftigen und in der Mehrzahl zu energischem Widerstand gegen die lokale A u f standsbewegung bereiten Teil des Offizierkorps und einer der Zahl nach ausreichenden befehlsgewohnten und auch noch befehlstreuen Mannschaft' 9 ' durch ihren verantwortlichen Befehlshaber angeordnet worden ist, von gewaltsamen Schritten zur Aufrechterhaltung der alten staatlichen Ordnung abzusehen und stattdessen durch Verhandeln und Vergleiche mit Aufständischen und Meuterern zumindest einigermaßen die öffentliche Ruhe zu bewahren. Die den Inhabern der vollziehenden Gewalt als vorrangig auferlegte Verantwortung, in ihrem jeweiligen Befehlsbereich den Weiterbestand des überkommenen Systems zu sichern, war fraglos unteilbar. Deshalb bedeutete das Ansinnen dieses territorialen Befehlshabers, es dem Ermessen der ihm nachgeordneten lokalen Gewalten zu überlassen, d. h. es in ihre Verantwortung zu stellen, ob sie Widerstand resp. Unterdrückung von Aufruhr für „überhaupt zweckmäßig" erachteten, eine viel flagrantere und folgenschwerere Pflichtverletzung als der augenfälligere und daher allenthalben vermerkte Tatbestand der Flucht des Stellvertretenden Kommandierenden Generals vom Sitz seines Generalkommandos. Zur beschriebenen Handlungsweise dieses Militärbefehlshabers im Reichsgebiet ist es ohne irgendeinen „Befehl aus Berlin" (Kluge), vielmehr aufgrund ganz persönlichen Entschlusses gekommen. Als unmittelbarer Zeuge dieses Geschehens hat der in letzter Stunde mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Stellv. Kommandierenden beauftragte Chef des Stabes des Frankfurter Generalkommandos bereits wenige Jahre später verbindlich mitgeteilt, daß „alle Gerüchte von Schießverboten des Kriegsministeriums usw., soweit sein Standort Frankfurt a.M. in Betracht kommt, falsch s i n d " " 2 . Unzutreffenderweise ist dem umstrittenen Telegramm des Frankfurter Stellv. Kommandierenden Generals auch eine ursächliche Mitverantwortung am schnellen Erfolg der Umsturzbewegung im Koblenzer Raum zugeschrieben worden, überdies noch verbunden mit der nicht belegten und auch nicht belegbaren Behauptung, das Stellv. Generalkommando des X V I I I . Armeekorps habe sich mit seiner Mitteilung an eine „Anweisung aus Berlin" gehalten. Das in Frankfurt am späten Nachmittag des 8. November 1918 aufgegebene Telegramm war noch in den Abendstunden bis in die Randbezirke des territorial heterogenen Befehlsbereichs" 3 , der das Großherzogtum Hessen und Teile von Hessen-Nassau umfaßte,

1,1

9.40 n a c h m . " in Wiesbaden ein, w a r an den dortigen R e g . - P r ä s . gerichtet u. w u r d e von diesem textgleich am 9. 1 1 . an die Landräte u. Magistrate „ z u r gefälligen K e n n t n i s " weitergeleitet. In: H e s s i sches H S t A , A k t e n b a n d 405/2778, f o l . 108 u. 109. Siehe A n m . I 375 ff. Diese Einschränkung ist notwendig, da sich beim F r a n k f u r t e r G a r n i s o n m i l i t ä r während der ersten N o v e m b e r w o c h e n schwere, demonstrativ in der Öffentlichkeit begangene u. von Teilen der Bevölkerung unterstützte Disziplinverstöße zugetragen hatten; vgl. C o l l i s c h o n n . Zit. aus „ M i t t e i l u n g " des G e n . M a j . a . D . v. Studnitz, a u f g e f ü h r t in „ V o r s c h l ä g e betr. Z e u g e n " des G e n . L t . a . D . Scheüch v. 16. 1. 1 9 2 2 , in: N l Scheüch, B A - M A , N 2 3 / 3 , f o l . 43. U b e r den geringen Koordinationsgrad von militärischen Befehlsbereichen u. zivilen Verwaltungsbezirken vgl. Deist, in: Quellen II, i / I , S. X L f.

2. Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

1

'3

übermittelt worden und ging in Koblenz um 21 Uhr ein' 94 . Es war an das dortige Regierungspräsidium gerichtet, das seine Anordnungen vom zuständigen Inhaber der vollziehenden Gewalt aus Frankfurt erhielt, wohingegen die Stadtkommandantur Koblenz nicht auf Befehl des Frankfurter Stellv. Generalkommandos oder der benachbarten Festungskommandantur Koblenz-Ehrenbreitstein handelte, sondern die Weisungen des Stellv. Kommandierenden Generals des VIII. Armeekorps zu befolgen hatte, der ebenso wie der Oberpräsident der Rheinprovinz in Koblenz residierte 5 ' 5 . Hier war man bei einer Besprechung zwischen den Spitzen der Zivilverwaltung noch am Vormittag des 8. übereingekommen, speziell in Koblenz, aber auch in anderen Regierungsbezirken der Rheinprovinz keine „Bürgerwehren im Sinne einer Polizeitruppe", sondern stattdessen unverzüglich „Bürgerwohlfahrtsausschüsse unter Vermeidung aller militärischen Anklänge" zu gründen, um dadurch den sich ankündigenden Ausbruch lokaler bzw. regionaler Unruhen in letzter Stunde zu verhindern. Dieser eilig gefaßte Beschluß zeigte sich jedoch schon in den Nachmittagsstunden als durch die revolutionären Ereignisse überholt, als nämlich eine aus Zivilpersonen und Garnisonsoldaten bestehende Demonstrationsbewegung die Schutzmannschaften zum kampflosen Abzug und sodann den Polizeiführer und den Stadtkommandanten von Koblenz zur widerstandslosen Aufgabe ihrer Positionen veranlaßte59*. Der Machtwechsel war jedenfalls in Koblenz bereits vollzogen, als hier das kapitulative Telegramm des Stellv. Kommandierenden Generals aus Frankfurt eintraf. Es kann deshalb den örtlichen Ordnungskräften und ihren Führern nicht bestätigt werden, mit ihrem freiwilligen, schon am Nachmittag des 8. unblutig vonstatten gegangenen Zurückweichen „ganz im Sinne der Berliner Behörden gehandelt" und sich dabei sogar direkt an eine sogenannte „Anweisung aus Berlin" gehalten zu haben, die das „ f ü r Koblenz zuständige Generalkommando in Frankfurt/ Main 597 dem Regierungspräsidenten in Koblenz in einem Telegramm am 8. November 9.00 Uhr vormittags mitgeteilt" haben soll und derzufolge „bei etwa ausbrechenden Unruhen unter allen Umständen Blutvergießen zu vermeiden" gewesen sei59®. Diese Anordnung stammte unzweideutig nur vom Frankfurter Militärbefehlshaber und ist von diesem eigenmächtig ohne irgendeine Beteiligung der Berliner Zentralstellen abgesetzt worden. Vom Sitz der Reichsverwaltung ist keine auch nur ähnlich lautende Anweisung an eine der Zivil- oder Militärbehörden in Koblenz ergangen 599 . In einem auf den ersten Blick nicht ersichtlichen Zusammenhang mit der Kapitulationsbereitschaft des Stellv. Kommandierenden Generals des X V I I I . Armeekorps und der ent-

1,4

Textgleich mit dem in Anm. I 589 u. I 623 belegten Telegramm, in Frankfurt aufgeg. am „8. 1 1 . 18, 6.40 nachm.", in Koblenz aufgen. am „8. 1 1 . 1 8 , 9 Uhr nachm.", in: Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 441, N r . 22647. Wie auch Lucas, Struck u. Kluge (siehe Anm. I 585) datiert ebenso Metzmacher, S. 19} Anm. 8, o. a. Telegramm-Mehrfachnutzen fälschlich um 12 Std. vor u. verleiht damit der kampflosen Resignation der Koblenzer Kommandantur u. Schutzmannschaft eine in Wirklichkeit noch nicht erteilte Legitimation. Der Oberpräsident der Rheinprovinz war auf enge Zusammenarbeit mit mehreren Inhabern der vollziehenden Gewalt, den Stellv. Kom.Gen. des VII., VIII., X V I . / X X I . u. X V I I I . A . K . angewiesen. " 2. 1918 dazu brachte, seinen Kabinettskollegen den früheren Gouverneur v. Mainz als neuen pr.KM. zu empfehlen (vgl. Quellen I, 6/1, S. 397). 6,9 Vgl. Quellen II, i/I, S.XLf., N r . 4, 12, 2of.; Deist, Militärbefehlshaber und Obermilitärbefehlshaber, S. 230 f. 610 Zit. nach übereinstimmenden Verlautbarungen in der Mainzer Tagespresse v. 22. 1. 1915, in: StdA Mainz, Abt. 70/VIII 8, Akte „Fall Claß". 611 So lauteten die vom Frankfurter Stellv. Korn.Gen. unterfertigten Anweisungen pp.: „Diese Anordnung des Stellv. XVIII.A.K. tritt sofort für den Befehlsbereich der Festung Mainz in Kraft"; „ f ü r den mir unterstellten Befehlsbereich - im Einvernehmen mit dem Gouverneur - auch für den Befehlsbereich der Festung Mainz bestimme ich [ . . . ] " , in: StdA Mainz, Abt. 70/VIII 8, passim; vgl. auch Quellen II, i / I , Nr. 92 Anm. 3, 96, 98. 6 " Am 8. 11. um „ 7 Uhr 10 nachmittags" lt. „Notizen" Scheüchs v. 8. 11. 1918, in: NI Scheüch, BA-MA, N 23/1, fol. 164; in gekürzter Fassung bei Max von Baden, S. 623. 61 > Identisch mit dem in Anm. I 589 u. I 594 belegten, am 8. 11. 1918 um 18.40 U h r in Frankfurt aufgegebenen Telegramm-Mehrfachnutzen, in: StdA Mainz, Abt. 7oA T III 8, Akte „I.Sicherheitsdienst".

118

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

der Festungsgouverneur den Festungskommandanten stellvertretend mit der Führung der Dienstgeschäfte im Gouvernement 624 und verließ unmittelbar darauf die Stadt. In der Nacht vom 8. auf den 9. November ist den gewalttätig und unter Gebrauch ihrer Schußwaffen vorgehenden „Matrosen und ihrem Anhang" aus Mainzer Ersatzsoldaten und freigesetzten Kriminellen von seiteii der Festungskommandantur, der Truppenführer oder ihrer Formationen an keiner Stelle irgendein Widerstand entgegengesetzt worden 6 ' 5 . Als erster der zum Vergleich anstatt zu bewaffneter Gegenwehr instruierten Truppenvorgesetzten rief der Kommandeur der Mainzer Infanterie 626 am frühen Morgen des 9. beim Gewerkschaftsbüro an und bat um die Entsendung örtlicher Gewerkschafts- und sozialdemokratischer Parteivertreter. Diese machten die in der Kaserne und im Gouvernementgebäude „versammelten Offiziere mit der inzwischen eingetretenen Situation bekannt" 6 ' 7 und erhielten „nach durchaus befriedigenden Besprechungen" die Zusicherung des Festungskommandanten, „sich mit dem durch ihn vertretenen Verwaltungsapparat dem Arbeiter- und Soldatenrat zur Verfügung zu stellen" 6 ' 8 . Uber ein Gebiet, über das am Vortage noch der Stellv. Kommandierende General in Frankfurt und der Festungsgouverneur von Mainz anteilig verfügt hatten, übernahm am 9. November nachmittags der Arbeiter- und Soldatenrat für Mainz und die Provinz Rheinhessen kampflos die vollziehende Gewalt 6 ''. In einer vergleichsweise umfangreichen Regionalgeschichtsschreibung über den Umsturz in Düsseldorf hat sich über fünf Jahrzehnte in immer neuen Varianten die Behauptung gehalten, die donigen Ordnungskräfte hätten auf Geheiß der obersten politischen und militärischen Instanzen des Kaiserreichs ihre seit Wochen mit außerordentlicher Umsicht und Energie getroffenen „Vorbereitungen, den Aufständischen gewaltsam entgegenzutreten, abbrechen" müssen 6 ' 0 . In diesen Darstellungen ist nicht nur mehrfach von Anordnungen die Rede, welche das für den Regierungsbezirk Düsseldorf zuständige Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps (Münster) für die Vorbereitung, Durchführung und Einstellung von Maßnahmen zur Revolutionsabwehr erlassen haben soll, sondern auch von Empfehlungen und Befehlen, die von der für die zivilen Verwaltungsbezirke im Heimatgebiet gänzlich unzuständigen O H L ausgegangen sein sollen. Ausschlaggebende Bedeutung für den Verzicht der hochgerüsteten Ordnungsmacht in Düsseldorf, in den entscheidenden Stunden des 8. November von ihren Waffen Gebrauch zu machen, wird dabei den Telefonauskünften „aus der Reichskanzlei" beigemessen. Entsprechend solchen Behauptungen würde demnach den preußischen Kriegsminister eine starke Mitverantwortung für die vom Sitz der Reichsregierung ausgegangenen Schießverbote treffen, es sei denn, man hätte ihn bei der Entscheidungsfindung über diese 6 5 ' 2 4 Generalmajor Klotz. ' Siehe Anm. I 602. 6,6 Thomas (Anm. I 604). - Ers.Btl./i. Nassauisches Inf.Rgt. N r . 87, Brandenburger-Kaserne. - Die direkte Herbeirufung von örtlichen Parteifunktionären der M S P D durch milit. Vorgesetzte war u. a. für Köln (Sollmann, Meerfeld), Münster u. Berlin (Wels) typisch. 617 Zit. nach Thomas (Anm. I 604). 628 Ebd.; Zit. aus Neuester Anzeiger (Mainz), N r . 261 v. 9. 1 1 . 1918 u. N r . 262 v. 10. 1 1 . 1918. Siehe Anm. I 602. 6,0 So noch zuletzt Metzmacher, S. 204, in seinem a.d.J. 1967 stammenden Forschungsergebnis in sprachlicher u. inhaltlicher Anlehnung an Oehler, Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf (1919), S. i f .

2. Wahrend der Revolution: Das sogenannte Schieß verbot

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grundlegende Frage nicht beteiligt. Denn in der Regel wurde der Rat des Kriegsministers bei der Abfassung und vor der Herausgabe von Entschließungen, die bestimmte Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten der bewaffneten Macht im Heimatgebiet betrafen, von der Reichsregierung eingeholt. Da aber im nachhinein das Preußische Kriegsministerium den Erlaß allgemeiner Schießverbote für das Reich bestritten und die „örtlichen Befehlsstellen" und auch „Falschmeldungen" dafür verantwortlich gemacht hat 6 ' 1 , erscheint es notwendig, nach der tatsächlichen Urheberschaft für solche Weisungen, die auch für den jetzt behandelten Teil der Rheinprovinz ergangen sein sollen, zu fragen. Durch einen ganz raren - nur noch mit den „Streikabwehr"-Maßnahmen in der Reichshauptstadt vergleichbaren - Akt frühzeitiger Kooperation zwischen ziviler und militärischer Exekutive „zur Bekämpfung der U S P D und etwa ausbrechender revolutionärer Bewegungen" war in Düsseldorf bereits Ende Oktober eine beachtliche bewaffnete Abwehrbereitschaft hergestellt worden 632 . Psychologisch geriet diese jedoch im Verlauf der ersten Novemberwoche in dem Maße immer stärker ins Wanken, als sich, entgegen allen früheren Annahmen, von Tag z u Tag mehr zeigte, daß man es nun nicht mehr nur mit einem Putschversuch der örtlichen Linkssozialisten zu tun haben werde, sondern mit einer großangelegten militanten Umsturzbewegung. Sie wurde von Unabhängigen aus dem ganzen Revier getragen und erhielt seit dem 7. November durch meuternde Matrosen aus den bereits revolutionierten Küstenstädten 633 sowie durch die aus Köln angereisten „völlig undisziplinierten Soldatenbanden" 634 einen zahlenstarken, gefährlichen Zulauf. Angesichts der akuten Bedrohung durch einen so gearteten landesweiten „inneren Feind" sahen sich die verantwortlichen Düsseldorfer Stellen vor die Alternative gestellt, entweder die bereitstehenden Ordnungskräfte in Bürgerkriegskämpfe mit voraussichtlich „großen Verlusten" und „zweifelhaftem" Ausgang zu schicken oder aber den sich abzeichnenden Konflikt mit der Aufruhrbewegung politisch zu lösen 6 ". Der zweiten Möglichkeit den Vorzug zu geben, erschien um so opportuner, als sie einer in der Rheinprovinz schon seit längerem verbreiteten Volksmeinung vom baldigen Zusammenbruch des diskreditierten und schwer erschütterten Systems, für das sich daher kein engagiertes, geschweige denn bewaffnetes Eintreten mehr lohne, am meisten Rechnung trug. In dieser Auffassung wurden die politisch verantwortlichen Düsseldorfer Stellen noch bestärkt durch die Berichterstattung der Düsseldorfer Lokalpresse, die sich seit dem 6. November nicht mehr nur auf die Bestätigung der Gerüchte, die über Meutereien in der Marine umliefen, beschränkt hatte, sondern ausführlich über das widerstandslose Zurückweichen der alten Machtträger und das schnelle Vordringen der Umsturzbewegung von der Küste ins Binnenland zu berichten wußte 636 . 6)1 6)2

6,6

Zit. nach „Zusammenfassende Darstellung/Aktenauszug" Krall, fol. 142 (Anm. I 530). Erklärung Düsseldorfer Stellen v. 2. 1 1 . 1918 gegenüber Stv. G e n . K d o . V I I . A . K . , vgl. Schulte, Münstersche Chronik, S. 36; Düsseldorfer Volkszeitung v. 29. 1 1 . 1918. Nach dem vom Pol.-Dez. Dr. Lehr verfaßten „Bericht" des Oberbürgermeisters Oehler an den Reg.-Präs. Dr. Kruse v. 14. i t . 1918 (StA Düsseldorf, X X I - 3 3 6 , auszugsw. abgedr. bei Foerst, S. 25) war die „beschleunigte Mobilmachung" endgültig am 7. 1 1 . 1918 abgeschlossen. 6,4 Oehler, Düsseldorf im Weltkrieg, S. 632; Hoffmann, S. 179. H o f f m a n n , S. 180. Wendungen aus Telegramm des Oberbürgermeisters an den Reichskanzler v. 7. 1 1 . 1918 abds.; zit. nach Foerst, S. 24. Weitere Telegrammauszüge bei Metzmacher, S. 202. Vgl. die gründliche Auswertung der Regionalpresse seit Spätsommer 1918 bei Metzmacher, passim, hier S. 199.

I 20

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

So handelte es sich denn auch bei den Beratungen, die am 7. November zwischen Polizeiverwaltung und Garnisonkommando stattfanden, schon nicht mehr ausschließlich um eine bloße Fortsetzung der seit Wochen geführten Einsatzbesprechungen zur Klärung taktischer und organisationstechnischer Fragen, sondern es ging erstmals um die grundsätzliche Entscheidung, ob den zu erwartenden bewaffneten Aktionen von Aufständischen „militärisch und polizeilich entgegengetreten" werden sollte 4 ' 7 . Das sich schon hier ankündigende und beim sog. Schießverbot endende Abgehen von der bisher verfolgten Linie bedingungsloser Putschabwehr zeigte sich noch deutlicher in den beiden Besprechungen zwischen dem Oberbürgermeister und den Spitzen der Düsseldorfer Polizei am 7. abends. Zum gleichen Zeitpunkt, da der Polizeidezernent die „beschleunigte Mobilmachung" der Ordnungskräfte als abgeschlossen ansah, hielten er und der Oberbürgermeister es „nach den Vorgängen in Kiel, Hamburg und Hannover für erforderlich, die Frage zu prüfen, ob man von allen diesen Rüstungen Gebrauch machen solle. Es erschien untunlich, rein örtlich etwaige revolutionäre Erhebungen niederzukämpfen, wenn die gesamte Lage im Reich auf einen anderen Verlauf der Dinge schließen ließ 6 ' 8 .*' Im Einverständnis mit den zu einer zweiten Unterredung hinzugezogenen Führern der Schutzmannschaft und der politischen Polizei entschloß sich der Oberbürgermeister noch am späten 7. November zur Absendung eines Telegramms an den Reichskanzler 6 ' 9 . Nach einer eingehenden Schilderung der kritischen Sicherheitslage schloß er mit der Entscheidungsfrage: „Erbitte sofortige telegraphische Anweisung, ob Kampf von Militär und Polizei bis zum Äußersten versucht oder wie in Hamburg Zugeständnisse gemacht werden sollen 640 ." In seiner ersten, im Jahre nach dem Staatsumsturz veröffentlichten Rechtfertigungsschrift 641 hat der ehemalige Oberbügermeister hinsichtlich der Reaktionen auf dieses Telegramm an den Reichskanzler, das den Prinzen Max nicht vor dem Vormittag des 8. November, also etwa 24 Stunden vor der Entmachtung der letzten kaiserlichen Reichsregierung, erreicht haben kann, die Version verbreitet: „Antworten hierauf, die in den folgenden Tagen eintrafen, brachten keine Klärung und keine Hilfe." Irgendwelche Belege für solche „Entscheidungen" aus der Reichskanzlei, die auf den Düsseldorfer Dringlichkeitsantrag hin ergangen sein sollen, liegen nicht vor 6 4 1 . Am Vormitag des 8. November in Düsseldorf einlaufende Nachrichten über die Ereignisse in Köln, wonach dort inzwischen ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet worden und das Garnisonmilitär zur Bewegung übergegangen war, ließen Regierungspräsidenten und Oberbürgermeister in einer schnell anberaumten Sitzung zu der Ansicht gelangen, daß „die Revolution in Düsseldorf militärisch und politisch nicht niedergekämpft werden

6)7 6,8

640 641 641

Oehler, Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, S. 1. Zit. aus „Bericht" Oehler/Lehr (Anm. I 632). Z u Datierung u. Ablauf dieser zwei Unterredungen ausfuhrt. Metzmacher, S. 202. Oehler, Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, S. 1. StA Düsseldorf, X X I - ) 3 6 ; siehe Anm. I 635. Oehler, Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, S. 1. Es ist für den Untersuchungsgegenstand von Belang, daß sich in der reichhaltigen stadtgeschichtlichen pp. Uberlieferung keinerlei Antwort auf dieses Telegramm finden läßt, eine Feststellung, die in der Biographie über den seinerzeitigen Düsseldorfer Pol.-Dez. Lehr bereits Anfang der 1960er Jahre getroffen u. entspr. kommentiert worden ist (Foerst, S. 24), dennoch in der jüngsten Arbeit über den „Novembersturz in der Rheinprovinz" unberücksichtigt blieb (Metzmacher, S. 202).

z . Während der Revolution: Das sogenannte Schieß verbot

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könnte, solange nicht eine zusätzliche militärische Macht hierfür zur Verfügung stände" 64 '. Gemessen am bereitstehenden Potential für den Ordnungseinsatz in der Stadt war diese Auffassung über die eigene Machtlosigkeit nicht berechtigt. Richtig ist zwar 644 , daß der Polizeidezernent die Zuverlässigkeit der Gamisontruppe und die Fähigkeit der Offiziere, ihre Ersatzsoldaten in der Hand zu behalten, schon im Oktober gering einschätzte. Eben dies hatte ihn dann aber bewogen, seine Schutzmannschaften personell bedeutend zu verstärken und sie durch Ausstattung mit Waffen, Nahkampfmitteln, Maschinengewehrzügen auf Lastkraftwagen und durch eine forcierte Ausbildung auf einen sonst im Reichsgebiet nicht anzutreffenden Einsatzwert für innerstädtische Pazifizierungsaufgaben zu bringen. Selbst wenn sich am entscheidenden 8. November jegliche Requisition von Truppen durch die Zivilgewalt beim zuständigen Garnisonkommando als völlig erfolglos erwiesen härte, weil keine Offiziere, Unteroffiziere und zuverlässige Mannschaften für ein Einschreiten im Innern aufzubringen gewesen wären, so verfügten Regierungspräsident und Oberbürgermeister seit dem Morgen dieses Tages doch über einen zusätzlichen Garanten dafür, die alte Ordnung behaupten zu können: Z u dieser Zeit war nämlich in Düsseldorf eines der drei Frontbataillone eingetroffen, das zu den Ende Oktober von der O H L erbetenen kampfstarken Abteilungen gehörte. Das Sturmbataillon war auf Antrag des Stellv. Generalkommandos des VII. Armeekorps und des Preußischen Kriegsministeriums dorthin in Marsch gesetzt worden, ursprünglich, um den Korpsbereich wegen der allgemeinen Unzuverlässigkeit der Ersatzformationen sichern zu helfen. Der nachträglich erteilte Zusatzauftrag, die dortigen Rheinbrücken für die „Heimatoperation" offenzuhalten 6 4 ', änderte aber nichts an der Grundbestimmung dieser Truppe, auf Weisung des Stellv. Kommandierenden Generals in Münster dem Düsseldorfer Garnisonkommando für Ordnungsaufgaben zur Verfügung zu stehen646. Mit dieser Detachierung blieb der General überdies gegenüber dem Regierungspräsidenten im Wort, der ihm seinerseits unter Hinweis auf seine verläßliche Schutzmannschaft noch am 2. November zugesichert hatte, in Düsseldorf „der Sache Herr zu bleiben, wenn man ihm eines der zu erwartenden Frontbataillone gäbe" 647 . Noch am Morgen des 8. November war der Kommandeur, dem die Düsseldorfer Zivilpolizei zum gemeinsamen Einsatz mit der Feldtruppe unterstellt werden sollte, mit dem Regierungspräsidenten und Oberbürgermeister übereingekommen, die Infiltrationsversuche anreisender revolutionärer Soldaten durch Absperrung der nach Düsseldorf hineinführenden Verbindungslinien abzuwehren 64 ®. Diese Sicherungsmaßnahme entsprach einer schon am Vortage mit dem Garnisonkommando getroffenen Vereinbarung 649 und

' 44

646

647 648 649

Zit. nach Oehler, Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, S. 1; vgl. auch ders., Düsseldorf im Weltkrieg, S. 632. Belege zum Nachfolgenden in Anm. I 632. N1 Groener, B A - M A , N 46/130, fol. 157 (Jarosch), fol. 159 (Finkenstein); N1 v. Stülpnagel, B A - M A , N 5/17, fol. 3 ff. „Amtlicher Bericht" des Stv. Gen.Kdo. VII. A.K. v. 20. 7. 1919 an das Pr.KM., verf. v. ehem. Chef des Stabes Oberst a.D. Giffenig, erg. v. ehem. Stv. Kom.Gen., Gen.d.Inf. a.D. Frhr. v. Gayl, auszugsw. abgedr. bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 34.ff.; Bezug: S. 37 (Giffenig). Ebd., S. 3 5 f. (Giffenig). Hoffmann, S. 180. Oehler, Düsseldorf im Weltkrieg, S. 633; ders., Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, S. 1.

22

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

einem Befehl des Stellv. Generalkommandos des VII. Armeekorps vom 7. November, „die auf der Bahn ankommenden aufständischen Trupps anzuhalten, zu entwaffnen und zu internieren, ohne Rücksicht darauf, ob sie geschlossen oder einzeln auftreten" 6 ' 0 . Die noch am Vormittag des 8., gleich nach der soeben erwähnten Übereinkunft mit dem Truppenführer, von den zivilen Verwaltungsstellen nach Berlin telegraphierte Lageauffassung, ihre Stadt weder gegen einen örtlichen Umsturzversuch im Innern noch gegen revolutionäre Aktionen nach außen sichern zu können, gewinnt nur unter der unwahrscheinlichen Voraussetzung eine gewisse Berechtigung, daß man dem über 40000 Mann zählenden Militär des über Nacht revolutionierten Kölner Festungsgouvernements unterstellt hätte, Düsseldorf mit übermächtigem Aufgebot für die Bewegung erobern zu wollen. Tatsächlich zeigten sich Oberbürgermeister und Polizeidezernent von einzelnen Nachrichten über aufständische Matrosen und Soldaten, deren Anreise mit der Eisenbahn, insbesondere aus Richtung Köln, gemeldet wurde 6 ' 1 , mehr beeindruckt als von der Stärke der eigenen, sofort verfügbaren Kräfte und der sich zur Abwehr bereitstellenden Feldtruppe; so „appellierten" sie noch am Vormittag des 8. an das Stellv. Generalkommando in Münster, „zusammen mit der Polizei ein militärisches Eingreifen vorzubereiten" 6 ' 2 . Dieses Hilfeersuchen gibt in mehrfacher Hinsicht Fragen auf. Den Antragstellern mußte klar sein, daß nicht der Inhaber der territorialen, sondern der örtlichen Militärgewalt für den geschlossenen Einsatz von Garnisonmilitär und Schutzmannschaft in Frage kam; dies war eine Regelung 6 ' 5 , der sie selbst seit Wochen durch „feste Absprachen" mit dem Garnisonskommando und in gemeinsamen Übungen nachgekommen waren 6 ' 4 . Außerdem verfügte der Stellv. Kommandierende General über keine eigenen mobilen Polizeiabteilungen 6 ". N u r scheinbar besser stand es um seine Verfügung über Eingreiftruppen aus den Ersatzformationen seines Korpsbereichs, die sich - wie den Düsseldorfer Stellen hinlänglich bekannt 6 ' 6 - noch in Aufstellung bzw. gerade auf dem Transport in ihre Bereitstellungsräume befanden. Da sich das Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps „schon in der letzten Zeit vor der Revolution" darüber klar geworden war, daß man sich „im Bedarfsfall" nicht auf die Ersatztruppenteile im Korpsbereich würde verlassen können 6 ' 7 , hatte der Stellv. Kommandierende General noch in der ersten Novemberwoche die beschleunigte Formierung von zwei Sonderbataillonen angeordnet, deren Mannschaftsbestand sich nicht aus den aus Bergbau und Industrie kommenden „unzufriedenen Elementen" rekrutieren 6.0

Zit. aus Geheimschreiben Stv. Gen.Kdo. VII. A.K., Abt. Ia, Nr. 10227 v - 7>9>8 ( N u r durch Offizier!) an die milit. Dienststellen u. Zivilbehörden (Ob.-Präs., Reg.-Präs., Landräte, Oberbürgermeister, Pol.-Präs.), das auf dem Geheimerlaß des Pr.KM. Nr. 1793. i8g.Ai v. 5. 11. 1918 basierte. Vollst, abgedr. bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 20-22. 6 >' Oehler, Düsseldorf im Weltkrieg, S. 632 f. 6.1 So Foerst, S. 24, nach den Aufzeichnungen, die Lehr 15 Jahre nach den Ereignissen für seinen polit. Rehabilitationsprozeß erstellte (unveröffentl. N1 Dr. Robert Lehr, „Aus meinem Leben", Hinweise bei Foerst). Preuß. Allerhöchste Dienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs und seine Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruher. v. 19. 3. 1914, II, Ziff. 2 u. 3 Abs. 2: abgedr. in: Huber, Dokumente II, S. 395. Siehe auch Anm. I 632. 6 " Erstmalig bestand eine Bereitschaftspolizei auf Landesebene (Sipo der Provinz Westf.) 1919-21. 4.6 Siehe Anm. I 49-51. 6.7 Schulte, Münstersche Chronik, S. 34 (zit. Giffenig).

l . Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

sollte 6 ' 8 , sondern aus „möglichst nur aus der Landwirtschaft stammenden Leuten"*". Diese Neuaufstellungen hatten sich jedoch schon vor den „allgemeinen Gehorsamsverweigerungen in der Umsturznacht" vom 8. auf den 9. November als illoyal erwiesen 440 , womit dieses Potential der Korpsführung nicht mehr zur Verfügung stand. In die ersten Novembertage fiel auch die vom Stellv. Generalkommando befohlene Verlegung von drei Maschinengewehrkompanien vom Sennelager in „Kantonnements in der Nähe des Industriegebietes", um sie dort „im Notfalle" verfügbar zu haben 44 '. Noch am frühen Morgen des 8., sogleich nach ihrem Eintreffen an ihrem vorläufigen Bestimmungsort Haltern, hatten zwei dieser Kompanien wie auch die ganze Garnison dem Stellv. Generalkommando in Münster den Gehorsam aufgekündigt 441 . Auch die dritte dieser Einheiten, die in die Gegend zwischen Duisburg und Düsseldorf gelegt werden sollte, schloß sich noch während ihrer Überführung der Aufstandsbewegung an, nachdem sich bereits ihr Abtransport zu einer „revolutionären Kundgebung gestaltet" hatte; somit kam auch diese Formation für Ordnungsaufgaben im Bereich des Stellv. VII. Armeekorps nicht mehr in Betracht 44 '. Im Gegensatz zu diesen Ersatztruppenteilen, von deren Existenz und Einsatzbereitschaft die Düsseldorfer Antragsteller möglicherweise nicht einmal gewußt haben 444 , und im Vergleich zu den beiden anderen aktiven Infanteriebataillonen, die am 7. November im Korpsbereich eingetroffen waren 4 4 ', stellte das am 8. früh in Düsseldorf angekommene Sturmbataillon den unbestritten bestausgerüsteten Kampfverband im Befehlsbereich des Stellv. Generalkommandos dar 444 ; vor allem zählte der Umstand als Vorteil, daß in einer als überaus kritisch und als unhaltbar hingestellten Situation für die Stadt diese Truppe bereits am Einsatzort war und mitten in den Vorbereitungen stand, sich zur Abwehr zu gliedern. Wenn also die Spitzen der städtischen Zivilgewalt gegenüber dem Stellv. Generalkommando dennoch die Erfüllung ihres erkennbar unerfüllbaren Hilfeersuchens zur Bedingung für ihre gewaltsame Revolutionsabwehr machten, weil sie angaben, ohne weitere zuverlässige und überlegene militärische Kräfte eine „Revolution in Düsseldorf nicht niederkämpfen zu können" (Oehler), so blieben sie mit dieser Rückversicherungsformel für eventuelles späteres Stillhalten bei der schon am Vortage gegenüber dem Reichskanzler gewahrten reservatio mentalis. " « Ebd., S. 34 (Gayl). Ebd., S. 37 (Gayl). 660 „Bericht" des Beauftragten Garnisonkommandanten Münster, Hptm.d.R. Klose, abgedr. bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 72 f. Schulte, Münstersche Chronik, S. 36 (Gayl). 641 Ebd., S. 35 (Giffenig/Gayl). Ebd.; lt. Morgenmeldung des Stv. G e n . K d o . VII. A . K . v. 8. 1 1 . 1918, vgl. Schulte, Münstersche Chronik, S. 37. 664 Am 2. 1 1 . hatte der Stv. Korn.Gen. u. a. dem Reg.-Präs. v. Düsseldorf den in Anm. I 51 zit. Bescheid erteilt; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, N r . 766, 773; Schulte, Münstersche Chronik, S. 35 f. Wegen Aktenverlustes ist nicht zu belegen, ob außer den vom Stv. G e n . K d o . VII. A . K . an das Garnisonkdo. Düsseldorf übermittelten u. nachf. erwähnten Befehlen noch weitere Nachrichten ü b e r o . a. Bereitstellungsvorhaben dorthin gedrungen sind. 64 > Siehe Anm. I 734. 444 Ein kriegsgegliedertes Sturm-Btl. verfügte ungefähr über den gleichen Personalbestand wie ein JägerBtl., war ihm aber in der Ausstattung mit Großgerät, schweren u. Sonderwaffen überlegen; vgl. Matuschka, Organisationsgeschichte des Heeres 1890 bis 1918, S. 164 f., 2 34 ff.

124

Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Die späteren Darstellungen der seinerzeit in Düsseldorf verantwortlichen Persönlichkeiten haben durch Widersprüchlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten in den Aussagen wesentlich zur Bildung von Legenden beigetragen. Dies betrifft die zwischen Empfehlung und verbindlicher Weisung placierten Auskünfte, mit denen die obersten Stellen auf das dringliche Hilfeersuchen reagiert haben sollen. Nach den autobiographischen Aufzeichnungen des Düsseldorfer Polizeidezernenten hat das am Vormittag des 8. November angerufene Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps zunächst nicht selbst geantwortet, sondern die O H L eingeschaltet 667 . Offenbar668 wollte die militärische Heimatbehörde die eigene Entscheidung von einer entsprechenden Auskunft der O H L abhängig machen. Die eben genannten Düsseldorfer Stellen haben sich jedenfalls, um einen gültigen Bescheid zu erhalten, direkt nach Spa gewandt bzw. eine Stellungnahme der O H L über das Stellv. Generalkommando zu erwirken versucht. Nach einer über vier Weltkriegsjahre sorgfältig beachteten Kompetenzabgrenzung gegenüber den selbständigen Militärbefehlshabern im Heimatgebiet hatte der Generalstab des Feldheeres erstmal : g zur Monatswende Oktober/November 1918 mit dem Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps in Münster unmittelbar in Verbindung treten müssen, um die mit dem beabsichtigten Ordnungseinsatz von Feldtruppen im Innern zusammenhängenden Fragen zu klären. Lediglich die Aussicht, daß im Bereich des Stellv. VII. Armeekorps schon in nächster Zeit ein Großverband des Westheeres für absehbar vordringliche Pazifizierungsaufgaben im rheinisch-westfälischen Industriegebiet zur Verfügung stehen könnte 669 , sowie die Tatsache, daß dem Korpskommando seit dem 7-/8. November bereits drei Frontbataillone unterstellt worden waren, von denen eines soeben seinen Einsatzort Düsseldorf erreicht hatte, veranlaßten die Aufnahme einer Querverbindung von Düsseldorf über Münster ins Große Hauptquartier, obwohl hierdurch die im Innern kompetente Reichsverwaltung umgangen wurde. Derselben Quelle zufolge soll die O H L die Antragsteller zur Erteilung von Auskünften an die Reichskanzlei verwiesen haben. Das war formal korrekt. Es ist nicht überliefert, inwieweit die O H L ' 7 0 , die nach tagelangem Warten auf eine Entscheidung des Kaisers dann nach der entscheidenden Großen Lage am frühen Vormittag des 8. die Einsatzplanung und praktische Einleitung der „Heimatoperation" forciert in Angriff genommen hatte, bei dem fraglichen telefonischen Bescheid am späten Vormittag hat erkennen lassen, daß an der beabsichtigten gewaltsamen Behauptung resp. Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse kein Zweifel bestünde. Jedenfalls können von Seiten der O H L den Düsseldorfer Spitzen zum Zeitpunkt ihres Anrufes schlechterdings keine pessimistischen, d. h. zur Kapitulation vor den Aufständischen ratende Auskünfte erteilt worden sein, denn im Großen Hauptquartier dauerte die in Gegenwart des Kriegsherrn abgehaltene Große Lage über die „Heimatoperation" bis zum Mittag des 8. No667 648

649

670

Foerst, S. 24 (siehe Anm. I 652). Ebd. Hier befindet sich in den Aufzeichnungen Lehrs eine Uberlieferungslücke. Für o. a. Annahme spricht die Auskunft Heyes an Giffenig (siehe Anm. I 716). Die 52. Res.Inf.Div. sollte im Eisenbahntransport zunächst in einen Versammlungsraum „ f ü r jeden Fall" (Münster) verlegt werden, um von hier möglicherweise auch nach Norden gegen den in Aufruhr befindlichen Nordseeküstenbereich abgedreht zu werden; siehe Anm. I 645. Zum Ablauf der Ereignisse u. Führungsentscheidungen bei der O H L am 8. 1 1 . 1 9 1 8 , die „Heimatoperation" betreffend, siehe Anm. I 717H., III i 6 o f f .

ì . W ä h r e n d der R e v o l u t i o n : D a s s o g e n a n n t e Schieß verbot

vember an; auch wurden dort die zur Ablehnung des Planes „zur Wiedereroberung der Heimat" (Heye) führenden Bedenken nicht vor dem späten Nachmittag des 8. „offiziell dienstlich" vorgetragen und erst in der nachfolgenden nächtlichen Unterredung vom Ersten Generalquartiermeister und vom Chef des Generalstabs des Feldheeres als berechtigt anerkannt. Nach der einzigen Aufzeichnung, die über die Initiativen der Düsseldorfer Stadtvertreter am 8. vormittags vorliegt 671 , haben sich diese, nachdem ihnen weder das Stellv. Generalkommando noch die O H L die erbetene Anweisung für ein bestimmtes Verhalten in der sich zuspitzenden örtlichen Situation erteilt hatten, schließlich an die Reichskanzlei gewandt: „Prinz Max von Baden ließ erklären, man solle im Wege von Verhandlungen versuchen, der Lage Herr zu werden; Blutvergießen sei unter allen Umständen zu vermeiden." Was hier als Willensäußerung der obersten, politisch verantwortlichen Instanz im Reich bezeugt wird, steht - abgesehen von der für Kiel schon seit dem 4. November beschlossenen politischen Sonderbehandlung - einzig da und im Widerspruch zu allen in den Vortagen und bis zur Entmachtung der letzten kaiserlichen Reichsregierung gefaßten Entschließungen. Lediglich die „großen Schwierigkeiten der Lage" waren es nach einer Erklärung des Staatssekretärs des Innern am 7. November vor den versammelten Bundesvertretern gewesen, welche die Regierung hinsichtlich Kiel „auch zu Verhandlungen mit den Aufständischen genötigt" hatten 671 , die andererseits aber den „Kabinettsrat" bewogen hätten, „bei der Obersten Heeresleitung die Verwendung von Fronttruppen zur Niederschlagung des Aufstands anzuregen". Deshalb hatte die Reichsregierung aber noch keineswegs grundsätzlich auf Gewaltanwendung zur Wiederherstellung der Staatsautorität verzichtet, wenn sie im Einzelfall bewaffnete Konflikte, die innerhalb der Bürgerschaft - vor allem bei Beteiligung von Ordnungskräften - drohten, durch Verhandlungen beizulegen trachtete und hierzu Kabinettsmitglieder bzw. Abgeordnete in die von der Unruhe erfaßten Städte entsandte, wenn diese es beantragt hatten 673 . Ebensowenig bedeutete die am 7./8. November vom preußischen Innenminister gegebene und vom Preußischen Staatsministerium noch in seiner letzten Sitzung am 8. abends gedeckte Anweisung an die Behörden in den bereits revolutionierten Orten, ihre Tätigkeit fortzusetzen, „soweit es zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur Durchführung der Volksemährung nötig sei" 674 , eine Präjudizierung seiner Stellung gegenüber den Aufständischen; sie schuf auch hier keine Einschränkung seiner Entschlußfreiheit, in den verlorengegangenen Gebieten doch noch die früheren Machtverhältnisse mit Hilfe der vom preußischen Kriegsminister geführten Feldverbände neu zu begründen. 471 672 6?>

674

Siehe A n m . I 652. Ü b e r n o m m e n von M e t z m a c h e r , S. 203 u. 204. T r i m b o r n am 7. n . v o r m . , vgl. A r c h . F o r s c h . IV/4, S. 1770; ähnlich StSekr. o . P . G r ö b e r , e b d . , S. 1769. Ü b e r diese n u r in Kiel ( H a u ß m a n n , N o s k e ) u. H a m b u r g (Haase, M ü l l e r - F r a n k e n ; vgl. ders., S. ¿ 3 f f . ) realisierte, aber in S w i n e m ü n d e ( G o t h e i n , L a n d s b e r g ; vgl. B A - M A , R M 8/Fasz. 4076, P G 64917, fol. 241; ebd., R M 20/9, fol. 143) u. in Düsseldorf ( O e h l e r , M e i n e Beziehungen z u r R e v o l u t i o n , S. 1) nicht m e h r zu realisierende Absicht der Reichsregierung vgl. die E r k l ä r u n g T r i m b o m s in der Vormittagssitz u n g des 8. 11. vor d e m gleichen G r e m i u m , abgedr. in: Arch. Forsch. IV/4, S. 1774. Gebilligter A n t r a g D r e w s ' ; vgl. ebd. S. 1777.

126

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Erst recht kann die fragliche „Erklärung aus der Reichskanzlei" vom 8. November vormittags nicht von Generalleutnant Scheüch autorisiert gewesen sein. Dessen scharfe Verurteilung der kapitulativen Formel Souchons, „Blutvergießen unter allen Umständen zu vermeiden", war am Sitz der Reichsregierung nur zu bekannt 67 '. Die vom Kriegsminister am 8. in der Vormittagssitzung des Kriegskabinetts getroffene Feststellung*7*, daß keine direkte militärische Einwirkung auf Kiel stattfinden könne, solange Noske in vollem Einverständnis mit der Regierung dort tätig sei, bezog sich unzweideutig allein auf den modus procedendi. Von seiner prinzipiellen Auffassung, daß er von „militärischen Gewaltmaßnahmen" nicht Abstand nehmen wolle, wenn es um die „Wiederherstellung der Ordnung" gehe, war Scheüch jedenfalls auch bei diesem Kabinettsvortrag nicht abgewichen. Ein akutes und nicht minder eindeutiges Beispiel für diese Entschlossenheit, den Aufruhr mit Waffengewalt einzudämmen, stellt jene „Instruktion für die zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Heimat eingesetzten Truppen" des Frontheeres dar, die der preußische Kriegsminister als jetzt designierter Obermilitärbefehlshaber mit Kommandobefugnis noch in den Vormittagsstunden des 8. November an den Chef des Generalstabes des Feldheeres mit der Bitte um Weiterleitung an die Eingreifverbände hatte ergehen lassen: „Die Stadt X ist zu besetzen und vorgefundener Widerstand zu brechen 677 ." Es läßt sich nicht mehr ermitteln, ob auch nur einer der seit dem i. November von der OHL in Marsch gesetzten Sicherungsverbände resp. Vorausabteilungen für die „Heimatoperation" 678 - zu ihnen gehörte das am 8. morgens in Düsseldorf eingetroffene Sturmbataillon - jemals in den Besitz dieser Instruktion gelangte. Doch der Gegensatz zwischen der tatsächlich erlassenen kriegsministeriellen Weisung zum gewaltsamen Vorgehen und der in einer späteren Rechtfertigungsschrift behaupteten kapitulativen „Erklärung" des Prinzen Max von Baden bleibt unüberbrückbar. Zu letzterer ist noch hinzuzufügen, daß zu derselben Zeit, da diese aus der Reichskanzlei übermittelt worden sein soll, im selben Regierungsgebäude die besagte Kabinettssitzung über die innere Lage stattfand, bei der sich gegen den von Scheüch verfolgten Kurs kein Widerspruch erhob. Zwar befand sich der preußische Kriegsminister im Vergleich zu seinen Kabinettskollegen in einer verfassungsrechtlich schwachen Position - er verfügte hier 679 nur über einen Sitz, nicht über das Stimmrecht - , jedoch hatte seine Stellung, bedingt durch die außen- und innenpolitische Situation des Reiches, real außerordentlich an Gewicht gewonnen. Als parlamentarisch verantwortlicher militärischer Berater der Reichsregierung, insbesondere des Kanzlers, hatte General Scheüch in Ubereinstimmung mit dem Großen Hauptquartier eine vom Kriegskabinett - zumindest stillschweigend gebilligte Haltung gegen den Aufruhr eingenommen und diese durch seine scharfe Instruktion vom gleichen Vormittag noch nachdrücklich unterstrichen. In Anbetracht der in den Vormittagsstunden des 8. November in Berlin und auch noch in Spa tatsächlich vorherrschenden Auffassung, die Lage im Innern sei noch nicht vollkom676 '7> Siehe Anm. I 575. Zum Nachfolgenden vgl. Quellen I/2, S. 588. 677 „Zusammenhängende Darstellung/Aktenauszug" Krall, fol. 147t. (Anm. 1 530). 678 Die Datierung bei Volkmann, Marxismus, S. 240, die O H L habe neben den beiden Felddivisionen erst am 6. 1 1 . 1918 „eine Reihe von Einzelformationen in Bewegung gesetzt", ist durch die Akten der O H L widerlegt; ms Abschriften in: N1 Groener, B A - M A , N 46/130, fol. 157, 159. Im Preuß. Staatsministerium stand dem pr. K M . in seiner Eigenschaft als preuß. Staatsrat ( = Minister) beides zu.

2. Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

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men aussichtslos und könne mit Hilfe der Waffen bewältigt werden, erscheint die Version unglaubwürdig, nach der zum selben Zeitpunkt die Düsseldorfer Stellen vom Prinzen Max telefonisch die verbindliche Anweisung zum Verhandeln und zur Vermeidung von Blutvergießen erhalten haben wollen. Sie ist um so mehr in Zweifel zu ziehen, als zwar in anderen Darstellungen der ehemals in Düsseldorf Verantwortlichen noch mehrfach von solchen kapitulativen Weisungen aus der Reichskanzlei und auch aus dem Großen Hauptquartier die Rede ist, jedoch bezeichnenderweise für jeweils zeitlich verschiedene Phasen des Revolutionierungsprozesses in Düsseldorf und mit unterschiedlicher Angabe der Urheberschaft der anordnenden Instanzen. In diesen Zusammenhang gehört auch eine nicht minder zweifelhafte und daher untersuchenswerte Mitteilung, die das Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps den Düsseldorfer Spitzen noch während ihrer Beratungen am späten Vormittag des 8. November gemacht haben soll. Bei dieser Telefonnachricht wurde angeblich ,,in Aussicht gestellt, daß drei Divisionen von der Westfront nach Köln, Düsseldorf und Münster kommen sollten"680. Tatsächlich hat die O H L in der ersten Novemberwoche neben der für Berlin bestimmten 2. Garde-Infanteriedivision nicht mehr Feldtruppen entbehren und in Marsch setzen können als die schon erwähnten drei Infanteriebataillone und die 52. Reserve-Infanteriedivision, diese mit der Order, sich im Bereich des Stellv. VII. Armeekorps für Sicherungsresp. Pazifizierungsaufträge bereitzuhalten. Die Absicht der O H L , eine dritte Felddivision bei der am südlichsten stehenden Heeresgruppe der Westfront mitten aus schwerem Stellungskampf herauszulösen und vom Oberelsaß ins rechtsrheinische Gebiet abzutransportieren, hatte bereits am j./6. November aufgegeben werden müssen68'. Wenn der Düsseldorfer Oberbürgermeister in seinen späteren autobiographischen und stadtgeschichtlichen Darstellungen betont, die Nachricht von den drei Divisionen sei „später widerrufen" worden 6 ' 2 , so widerspricht dies bereits seinem damaligen Behördenbericht an den Regierungspräsidenten, in dem er feststellte, am späten Nachmittag des 8. sei „von der angeblich anmarschierenden Division nichts zu hören" 68 ' gewesen. Er näherte sich damit den tatsächlichen Ereignissen nur insofern, als von dem Vorhaben, „die Infanterie der 2. G.I.D. zur Wiedereinnahme von Cöln und Öffnung der Rheinbrücken" zu verwenden68* und die ersten Transporte der 52. Reserve-Infanteriedivision in Köln, Koblenz und Trier durch die sog. roten Brückenköpfe zu schleusen, schon am Vormittag dieses Tages hatte Abstand genommen werden müssen68'. 680

So Oehler, Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, S. 1; ders., Düsseldorf im Weltkrieg, S. 632; dito Metzmacher, S. 203. Nach der Meldung der Heeresgruppe Herzog Albrecht von Württemberg befand sich die 7. Kav.Schtz.-Div. in „ungenügendem Zustand für eine Verwendung in der Heimat", vgl. N1 Stülpnagel, BAMA, N 5/17, fol. 3. - Die am 8. 1 1 . befohlene Versammlung von 6. Kav.Schtz.Div., mehreren MGScharf-Schtz.Abt. u. 4 Landsturm-Btl. sowie von 1. Gd.Inf.Div., Sturm-Btl. Rohr u. Gendarmeriekorps war für die „grenzschutzartige Absperrung" gegen die revolutionierte Etappe u. für die örtliche Sicherung des Gr.H.Qu, bestimmt, nicht aber für die „Heimatoperation"; vgl. ebd., fol. 3f.; Thaer, S. 256; N1 Groener, B A - M A , N 46/130, fol. 166 (Queis); Ilsemann I, S.40; Brüning, S. 26ff. 6,1 Siehe Anm. I 680. Bericht v. 14. 1 1 . 1918 (siehe Anm. I 632). Hervorhebung durch Verf. 68 « Siehe Anm. I 677; Thaer, S. 256; Niemann, Revolution von oben, S. 454 (Friedeburg); Volkmann, Marxismus, S. 240. N1 Groener, B A - M A , N 46/130, fol. 159 (Finkenstein); Schatz, S. 173f.; Lennartz S. 4 i 2 f .

6,1

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Ferner gibt es kein Indiz für die Richtigkeit des kaum verhüllten Vorwurfs, das um Unterstützung angerufene Stellv. Generalkommando in Münster habe durch den Inhalt und die Formulierung von Mitteilungen über ein alsbaldiges Eintreffen solcher Eingreifdivisionen unberechtigte Hoffnungen bei den Stadtvertretern wecken, also eine Art moralischer Aufrüstung für weiteres Durchhalten betreiben wollen. Optimistische Lagefeststellungen der Führung des Stellv. VII. Armeekorps nämlich entsprachen schon seit dem frühen Morgen des 8. November nicht mehr den Tatsachen. Nachrichten von der Revolutionierung Hannovers und Meldungen aus dem an der nördlichen Grenze des eigenen Korpsbereichs gelegenen Osnabrück, wo sich am Vorabend zwei aus Münster kommende Ersatzkompanien sogleich hatten entwaffnen lassen686, bestimmten den Chef des Stabes bei einer internen Lagebesprechung zu der „sehr pessimistischen" Äußerung, „die Situation sei im Bereich des VII. Armeekorps nur zu halten, wenn nach Düsseldorf und Münster je eine Division käme. Hieran sei jedoch nicht zu denken687." Die vom Chef des Stabes als unmittelbar bevorstehend betrachtete Gefahr688, daß bald alle größeren Städte im Korpsbereich „von bewaffneten Meuterern umflutet" sein würden und den „Revolutionskräften" nur ein befristeter Widerstand würde entgegengesetzt werden können, wenn dem Stellv. Generalkommando nicht „mindestens eine Division vom Kriegsschauplatz zur Verfügung gestellt" werde, hatten die Korpsführung am späten Vormittag des 8. veranlaßt, sich mit einem entsprechenden Hilfeersuchen telefonisch an die O H L zu wenden. Aus dem Großen Hauptquartier erfolgte jedoch eine definitive Absage, die ihre Ursache offenbar in den dort bis zum Mittag eingelaufenen Meldungen der beiden Eingreifdivisionen hatte, keinem ihrer nach dem 7./8. ins Reichsgebiet entsandten Militärtransporte sei es gelungen, die Rheinübergänge zu überschreiten68'. Jedenfalls haben die Düsseldorfer Stadtverordneten nach ihrer eigenen Aussage „besonders auch deswegen" übereinstimmend den Beschluß gefaßt, mit den Führern der Aufstandsbewegung Verhandlungen anzustreben, weil zur Sicherung ihrer Stadt eine solche Felddivision nicht zur Verfügung stand; sie schlössen sich damit der Erklärung ihres Oberbürgermeisters und des Polizeidezernenten an, daß „von einem gewaltsamen Widerstande abgesehen werden" müsse690 - ungeachtet der Tatsache, daß eine intakte, hochgerüstete Schutzmannschaft und das Sturmbataillon in der Stadt anwesend waren. Auf Teile des Sturmbataillons scheint69' allerdings schon vor diesem Beschluß kein Verlaß mehr gewesen zu sein. Die ihnen übertragene Absperrung der Verkehrslinien in die Stadt erwies sich als derart durchlässig, daß es einer größeren Anzahl aus Köln angereister 6U

488

690

6,1

Schulte, Münstersche Chronik, S. 32, 3 7 f f . , 48. Diese „Eingreiftruppe" wurde gestellt von der 1. u. 3. E r s . K p . / i . Westf.Inf.Rgt. Herwarth v. Bittenfeld N r . 13. Zit. aus Schulte, Münstersche Chronik, S. 32. Zur Lagebeurteilung u. Entschlußfassung im Stellv.Gen.Kdo. V I I . A . K . u. zur Reaktion aus dem G r . H . Q u . vgl. „Bericht" des Hptm. d . L d w . a.D. Hellraeth „über die inneren Vorgänge im Generalkommando", abgedr. bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 32. Hervorhebung im Orig. Z u den Formationen der mit Masse noch vor der 52. Res.Inf.Div. verladenen 2. Gd.Inf.Div., die noch vor dem 7. 1 1 . 1918 die Rheinlinie passieren konnten, siehe Anm. II 597. So Metzmacher, S. 203, nach o. a. Bericht v. 14. 1 1 . 1918. Zit. Stellungnahme des Oberbürgermeisters nach Oehler, Meine Beziehungen zur Revolution, S. 2. O b es sich hierbei um die gleiche K p . des Sturm-Btl. handelte, die den Befehl verweigerte, „als sie gegen aus Köln anmarschierende Soldatenbanden vorgehen sollte" (Hoffmann, S. 180) - und ob sie dies vor oder nach der 18 Uhr-Weisung aus Münster tat - ist nicht mehr zu klären.

2. Wahrend der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

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Aufständischer am 8. November nach 17 Uhr auf Anhieb gelang, den Düsseldorfer Hauptbahnhof zu besetzen, in den Straßen die Postierungen des Garnisonmilitärs samt Offizieren zu entwaffnen und sich, ohne irgendwo auf Widerstand zu treffen, auch gegenüber Polizeibeamten durchzusetzen 692 . In Düsseldorf war die Umsturzaktion jedenfalls schon seit einer knappen Stunde erfolgreich 6 ", als gegen 18 Uhr beim dortigen Garnisonkommando die telefonische Weisung vom Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps einging, es nicht aufs Blutvergießen ankommen zu lassen, sondern zu verhandeln 694 . Bei einer eingehenden Untersuchung des Zeitpunkts und der jeweiligen Verantwortlichkeit für die Erteilung der sog. Schießverbote im Heimatgebiet trifft man auch bei dieser Weisung auf das Phänomen, daß sie hinsichtlich der ihr nachträglich unterstellten „eigentlichen" Urheberschaft von „politischen Legenden" und jenen „aus düsteren Quellen gespeisten Behauptungen" (Hans Delbrück) umgeben ist, wie sie für bestimmte literarische Erzeugnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit typisch waren. Uber den Endaufgeber und den Inhalt des oben wiedergegebenen Telefonats aus Münster bestehen keine begründeten Zweifel; dieses Faktum ist mehrfach belegt. Ganz anders verhält es sich mit der Jahre nach den Ereignissen aufgestellten Behauptung des damaligen Oberbürgermeisters von Düsseldorf 6 9 ', der am 7. November vom Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps ausgegebene schriftliche Geheimbefehl zur Arretierung und Internierung anreisender Aufständischer 696 habe „am 8. November auf Anweisung der Regierung des Reichskanzlers Prinz Max von Baden vom Generalkommando durch Fernsprecher zurückgenommen werden müssen"; der Befehl sei durch die „in letzter Stunde" ergangene „Weisung, es nicht zum Blutvergießen kommen zu lassen, sondern zu verhandeln", ersetzt worden. Bekanntlich 697 hatte der Oberkommandierende in den Marken seit dem 6. November über die Provinz Brandenburg eine Verkehrssperre verhängt, die am 7. vom Eisenbahnministerium im Einvernehmen mit den Militärbehörden über alle von der Bewegung ergriffenen Teile des preußischen Herrschaftsbereichs ausgedehnt worden war. Hinsichtlich Anordnung und Aufrechterhaltung solcher einschneidenden Maßnahmen waren dem Oberkommandierenden durch den Reichskanzler „in keiner Weise Beschränkungen auferlegt" worden 698 ; Kriegsminister und Kriegskabinett 699 hielten ebenso bis zum Sieg der 6,1

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6,1

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Düsseldorfer Nachrichten v. 9. 1 1 . 1918 (Morgenausg.), auszugsw. zit. bei Foerst, S. 26; „Bericht" Oehler/Lehr v. 14. 1 1 . 1918 (Anm. I 632). Größtenteils Ers.-Soldaten des Niederrheinischen FüsilierRgt. N r . 39. Wie teilweise schon Foerst, S. 25, u. nach ihm eindeutig Metzmacher, S. 204 Anm. 28/29, aufgedeckt haben, hat Oehler unzutreffenderweise den Gewaltverzicht der zivilen u. militärischen Stellen in Düsseldorf allein dem gegen 18 U h r ergangenen „Befehl aus Münster" zugeschrieben. Dieser telef. Vorbefehl (8. 1 1 . , 17.30/18.00 Uhr) ist im Wortlaut nicht erhalten, inhaltlich aber zu rekonstruieren aus der Uberlieferung des Oberbürgermeisters Oehler (Düsseldorf im Weltkrieg, S. 633, u. Meine Beziehungen zur Revolution in Düsseldorf, S. 2, hier zit.); des Reg.-Präs. Kruse (Hoffmann, S. 180, dort 1. Zit.-Teil); verschiedener milit. Stellen in Münster, vgl. Schulte, Münster sche Chronik, S. 38 (Giffenig), S. 40 f. (Meyer). Zur erweiterten Fassung dieser Weisung des Stv. G e n . K d o . VII. A . K . (Staatstelegramm v. 22 Uhr) siehe Anm. I 736. Darst. u. Zit. nach Oehler, Düsseldorf im Weltkrieg, S. 633, übernommen aus Foerst, S. 25. Siehe A n m . I 650. Siehe A n m . I 481 f f . ; I s i o f f . So Max von Baden, S. 6 1 2 ; siehe Anm. I 482. Siehe A n m . I j j 6 ff.

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

revolutionären Bewegung in Berlin unverändert an ihren Beschlüssen vom }./6. November fest, den sich über Schiene und Straße beschleunigt ausbreitenden Unruhen durch Sperrmaßnahmen, insbesondere durch die Festnahme aufrührerischer Elemente, entgegenzuwirken. Diese Anordnungen wurden infolge der „schwächlichen Haltung der Lokalbehörden" 700 nur unvollkommen ausgeführt; in einzelnen Reichsteilen unterblieben sie wegen des unerwartet schnellen Zusammenbruchs der territioralen militärischen Gewalten sogar gänzlich bzw. wurden regional rückgängig gemacht. Tatsächlich ist ein Gegenbefehl, durch den die in den Vortagen angeordnete Überwachung und Unterbrechung der Hauptverbindungslinien wieder aufgehoben wurde, ebenso für das Streckennetz der sog. Rheinlinie ergangen, zu der auch Düsseldorf gehörte. Aber: Diese Aufhebungsorder ist nicht etwa „auf Anweisung der Regierung des Reichskanzlers Max von Baden" (Oehler) erfolgt, sondern auf Befehl der Linienkommandantur Köln. Diese unterstand dem Königlich Preußischen Festungsgouvernement Köln, dessen Gouverneur und Offiziere am frühen Nachmittag des 8. November gegenüber dem bei den aufständischen Massen einflußreichen Vorsitzenden des sozialdemokratischen Lokalvereins ihre „tatsächliche Machtlosigkeit" eingestanden und dann vor dem Arbeiter- und Soldatenrat ihre „Abdankung vollzogen" hatten 701 . O b es nun auf Geheiß oder mit Duldung des entmachteten Gouverneurs oder allein auf Initiative der revolutionären Gewalten hin geschah, läßt sich nicht mehr ermitteln, unbestritten aber ist, daß die Linienkommandantur Köln noch am Nachmittag des 8. November den Bahnhofskommandanturen die bestimmte Anweisung gab, „der Rätebewegung keinen Widerstand entgegenzusetzen" 701 . Hiermit wurde der am Vortage vom Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps herausgegebene Geheimbefehl 705 annulliert, demzufolge das weitere Vordringen meuternder Soldaten noch durch „sofortige Vorkehrungen" hatten unterbunden werden sollen. Die Aufhebungsorder der Linienkommandantur Köln wurde zusätzlich noch durch eine fast gleichlautende Anordnung des Stellv. Generalkommandos des VII. Armeekorps bekräftigt. Am 8. erhielt der Bahnhofskommandant von Münster gegen 17.40 Uhr aus dem Korpskommando die Weisung 704 , bei seinen Bahnbewachungstruppen alle inzwischen getroffenen Vorbereitungen für den vom Stellv. Kommandierenden ursprünglich beabsichtigten „heißen Empfang" 7 0 ' rückgängig zu machen, der einem für 18 Uhr gemeldeten Eisenbahnzug mit 60 Matrosen aus Hamburg hatte bereitet werden sollen. Stattdessen hieß es nun, daß bei Ankunft der Matrosen unter allen Umständen jeder Zwischenfall zu vermeiden sei und daß kein Schuß fallen dürfe. Die Matrosen seien dazu anzuhalten, einen Ausschuß zu wählen, der sich zu Verhandlungen ins Generalkommando begeben solle. Eine derartige Verhaltensmaßregel hat das Stellv. VII. Armeekorps zum genannten Zeitpunkt nicht nur seiner örtlichen Bahnhofskommandantur gegeben; nach dem Dienstbe700

701 701 701 704

Formulierung Scheüchs in seinem Immediatbericht zum 8. 1 1 . 1918 an den Kaiser, in: „Zusammenhängende Darstellung/Aktenauszug" Krall, fol. 142 (Anm. I 530). Zit. nach Sollmann, S. 12. - Festungsgouverneur in Köln war Gen.Lt. Kruge. Hermanns, S. 20. Siehe Anm. I 650; Zit. ebd. Nachf. Darst. u. Zit. nach Aufzeichnung des Bhf.Kdt., Hptm. d.Ldw. Wilh. Meyer, „Auf der Bahnhofskommandantur", abgedr. bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 40. Siehe Anm. I 688.

2. Wahrend der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

rieht des Chefs des Stabes erhielten alle Truppenteile im Korpsbereich die Anweisung, sich der Bewegung nicht mit Waffengewalt entgegenzustellen, da bei der völligen Aussichtslosigkeit der Verteidigung zweckloses Blutvergießen vermieden werden sollte70*. Fundierter als die Unterstellung, die letzte kaiserliche Regierung trage die Verantwortung für die vom Stellv. Generalkommando in Münster übermittelte Anweisung, ist die Version des damaligen Regierungspräsidenten in Düsseldorf, daß diese Weisung, unnützes Blutvergießen zu vermeiden, die revolutionären Gewalten anzuerkennen sowie „Truppen nur einzusetzen, wenn Ausschreitungen gegen Leben und Eigentum vorlägen, im Einvernehmen mit der Obersten Heeresleitung erlassen" worden sei 707 . Tatsächlich läßt sich diese erweiterte Fassung der ersten, vom 8. November gegen 18 Uhr datierten Weisung des Stellv. VII. Armeekorps urkundlich ebenso belegen wie auch die Mitwirkung der O H L bei der vorausgegangenen Führungsentscheidung im Stellv. Generalkommando in Münster. Im Laufe des Vormittags des 8. November häuften sich bei der Korpsführung die Meldungen der Linienkommandanturen über „ Z ü g e mit meuterischen Matrosen" aus Richtung Bremen, Emden und Hamburg 7 0 8 . Darüber hinaus trafen sichere Nachrichten über die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten in Hannover, Osnabrück und im nahegelegenen Haltern ein 709 , und es bestätigte sich am Beispiel der dort bereits revolutionierten bzw. auseinandergelaufenen Ersatzformationen die schon früher angenommene Unzuverlässigkeit der Korpstruppen. Der Chef des Stabes und schließlich auch der Stellv. Kommandierende gelangten nun zu dem Schluß, ihren in revolutionärer Gärung befindlichen Befehlsbereich nicht mehr behaupten zu können, wenn sie sich zur Erhaltung der bisherigen staatlichen Ordnung nur auf die wenigen befehlstreuen Ersatztruppenteile sowie auf die gerade erst eingetroffenen drei Frontbataillone stützen konnten. Da sich das Stellv. Generalkommando in Münster am 8. mittags in Anbetracht der bisherigen Erfolge der Aufstandsbewegung im Reichsgebiet aus keinem der angrenzenden Korpsbereiche irgendeine Hilfe erhoffen konnte und auch der Kriegsminister als Obermilitärbefehlshaber ohne Kommandogewalt und Truppen dazu nicht in der Lage war, sah sich die Korpsführung zu der bereits erwähnten Direktanfrage in Spa genötigt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat die Korpsführung das Preußische Kriegsministerium bei ihrer Lagemeldung am 8. November gegen 13 Uhr darüber nicht in Kenntnis gesetzt 7 ' 0 . Auch bleibt es nur eine Vermutung, daß der Stellv. Kommandierende General in seiner Eigenschaft als immediater Militärbefehlshaber mit seinem Telefonat ins Kaiserliche Große Hauptquartier eine Entscheidung seines unmittelbaren Vorgesetzten, des Kaisers, herbeiführen wollte. Fest steht nur, daß sich das Stellv. Generalkommando in seiner akuten Notlage, der kompetenzmäßigen Abgrenzung zwischen den Führungsbereichen des Feld- und des Heimatheeres nicht achtend, mit der O H L ins Benehmen setzte und von dieser eine Auskunft erhielt, die zumindest für die Entschlußfassung dieses einen Militärbefehlshabers im Heimatgebiet ausschlaggebend werden sollte. 706 707 708 710

Schulte, Münstersche Chronik, S. 38 (Anm. I 646). Hoffmann, S. 180. 709 Schulte, Münstersche Chronik, S. 40 (Meyer), S. 32 (Hellraeth). Ebd., S. 32Ì., 37. „ 1 Uhr mittags: Im Bereich des Stellv. G e n . K d o . VII. A . K . drohen Unruhen auszubrechen"; zit. aus „ N o t i z e n " Scheüch v. 8. 1 1 . 1918 (siehe Anm. I 622). - Die Hervorhebung der Telefonauskunft Heyes (siehe Anm. I 716) spricht gegen eine vorherige Konsultation des p r . K M . durch den Stv. K o m . G e n . VII. A . K . ( „Zusammenfassende Darstellung" Krall, fol. 142; Anm. I 530).

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung D e r in anderem Z u s a m m e n h a n g schon e r w ä h n t e erste Teil dieser A u s k u n f t , w o n a c h die O H L dem Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o in M ü n s t e r „ k e i n e D i v i s i o n zur V e r f ü g u n g stellen k ö n n e " 7 " , b e w e g t e sich durchaus im R a h m e n der f ü r dieses F ü h r u n g s o r g a n abgesteckten E n t s c h e i d u n g s k o m p e t e n z : D i e O b e r s t e Heeresleitung, streng g e n o m m e n nur aus dem Kaiser als O b e r s t e m K r i e g s h e r r n und d e m C h e f des Generalstabes des Feldheeres, im erweiterten Sinn auch aus den dem Generalstabschef nachgeordneten Führungsgehilfen bestehend, hatte einen Bescheid erteilt, der gänzlich die L e i t u n g der O p e r a t i o n e n des Feldheeres und die D i s p o s i t i o n über die F e l d t r u p p e n b e t r a f 7 ' 2 . D i e O H L hätte jedoch ihre ressortbedingten G r e n z e n ü b e r s c h r i t t e n 7 ' w e n n sie dem Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o im zweiten Teil ihrer A u s k u n f t einen „ B e f e h l " zur „ V e r h a n d lung mit den M e u t e r e r n " gegeben hätte 7 ' 4 . A u s ihrer A n t w o r t w a r ersichtlich, daß sich die O H L o f f e n b a r allein am E r g e b n i s des Vergleichs der K r ä f t e der wenigen noch loyalen F o r m a t i o n e n und der im rheinisch-westfälischen Industriegebiet schnell zunehmenden aufständischen E l e m e n t e o r i e n t i e r t e 7 1 ' ; aus diesem f ü r die Staatsgewalt schon rein quantitativen K a l k ü l leitete sie dann die V e r z i c h t s e m p f e h l u n g f ü r eine b e w a f f n e t e R e v o l u t i o n s a b w e h r ab. N a c h einer späteren M e l d u n g des Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o s des V I I . A r m e e k o r p s an das Preußische Kriegsministerium lautete die T e l e f o n a u s k u n f t der O H L : „ H i n d e n b u r g habe V e r s t ä r k u n g e n zu den drei dem G e n . - K d o . aus d e m Felde gesandten Infanterie-Bataillonen abgelehnt und sagen lassen, unnützes Blutvergießen vermeiden, w e n n mit vorhandenen K r ä f t e n nichts erreichbar. Sprecher w ä r e O b e r s t H e y e gewesen7'6." D a s in der Tagesmitte des 8. N o v e m b e r v o n der O H L erteilte G e b o t z u r V e r m e i d u n g von unnützem Blutvergießen und z u r A u f n a h m e v o n V e r h a n d l u n g e n mit den A u f s t ä n d i s c h e n steht in klarem G e g e n s a t z z u r W i l l e n s b e k u n d u n g des Kaisers, der noch bei der G r o ß e n L a g e v o m 8. vormittags v o m C h e f des G e n e r a l s t a b s über die bereits eingeleiteten Maßnahmen, w i e z. B . der A u s w a h l v o n „geeigneten T r u p p e n f ü r den K a m p f gegen die A u f s t ä n d i s c h e n in der H e i m a t " , ins B i l d gesetzt w o r d e n w a r und der bis z u m M i t t a g des 9. an seinem Entschluß „ z u r N i e d e r w e r f u n g der heimischen R e v o l u t i o n " festgehalten hat 7 ' 7 . D i e oben zitierte, a k t e n k u n d i g g e w o r d e n e W e n d u n g , „ H i n d e n b u r g habe sagen l a s s e n " , könnte die V e r m u t u n g nahelegen, daß der K a i s e r , staatsrechtlich die Spitze der obersten K o m m a n d o b e h ö r d e f ü r das Feldheer, v o m C h e f des Generalstabes des Feldheeres bereits unmittelbar nach der am 8. mittags abgeschlossenen G r o ß e n L a g e über die „ H e i m a t o p e r a t i o n " in seinen Entschließungen konterkariert w o r d e n ist; dies w ä r e ein weiteres A n z e i chen f ü r die am 9. N o v e m b e r o f f e n b a r g e w o r d e n e und dem Generalfeldmarschall von verschiedenen Seiten v o r g e w o r f e n e „ w a n k e n d e Vasallentreue des .allzeit getreuen Eckart H i n d e n b u r g ' gegenüber seinem kaiserlichen H e r r n Wilhelm II. v o n H o h e n z o l l e r n " 7 ' 8 . 7

7 71 " Siehe Anm. I 688. " Vgl. Doerr, S. 545> Siehe Anm. I 160c). Nach der hinsichtl. der Anwendung milit. Fachbegriffe unsicheren Berichterstattung des Justizrats u. Landwehroffiziers Hellraeth hat „das Armeekommando telephonisch [...] die Verhandlung mit den Meuterern befohlen" u. auch der Stv. Kom.Gen. diesen Bescheid als „Befehl" gewertet. Vgl. Schulte, Münstersche Chronik, S. 33. Hervorhebung im Orig. 71 ' Zum Informationsstand der O H L über die revolutionäre Entwicklung im ostwärtigen Etappengebiet u. in der „Rheinlinie" siehe Anm. I 167. 716 Zit. aus „Aktenauszug" Krall, fol. 149 (Anm. I 530). 717 Authentische Ausspruche Wilhelms II. u. Hindenburgs, zit. in: N1 Heye, BA-MA, N 18/4, fol. 455. 7,8 Westarp/'Conze, S. 158ff.; ähnlich Reventlow, S. 449ff.; Treutier, Kronprinz Wilhelm; Keim; Hoeffer 714

2. Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

Tatsächlich aber hatte Hindenburg noch bis zum Abend des 8. an dem Plan, „mit dem Kaiser an der Spitze jede umstürzlerische Bewegung in Deutschland niederzuschlagen", unverändert festgehalten 7 ' 9 . Erst während der nächtlichen Beratung, die er mit dem Diensttuenden Generaladjutanten und dem Ersten Generalquartiermeister über die vom Kaiser befohlene „Heimatoperation" geführt hatte, ist der Chef des Generalstabs erstmalig mit einem im einzelnen begründeten „Undurchführbar" konfrontiert worden 720 . N u r nach schwerem inneren Kampf 7 2 1 hat sich der Feldmarschall dieser Auffassung Groeners angeschlossen, die sich faktisch auf die dem Ersten Generalquartiermeister am späten Nachmittag gehaltenen, im wesentlichen übereinstimmenden Dienstvorträge der Abteilungschefs stützte 722 . Das für die Reichsleitung so überaus bedeutungsvolle Ergebnis dieser nächtlichen Unterredung ist nicht aus dem Kreis der drei beteiligten Generäle herausgedrungen. Kaiser und Reichskanzler sind nicht vor dem Morgen des 9. November 7 2 3 über die „veränderte Stellungnahme der Obersten Heeres-Leitung" 7 M informiert worden, die bis zum Mittag desselben Tages zu beider Resignation führen sollte. Nachweislich hat auch der Chef der Operationsabteilung I, Oberst Heye, erst am 9. gegen 9 Uhr, als er nämlich von Hindenburg „nähere Weisung" für die Befragung der nach Spa beorderten Regimentskommandeure erhielt 72 ', vom Feldmarschall direkt vernommen, daß nach dessen Auffassung „nun wirklich nichts mehr zu wollen" sei 726 . Da der Chef des Generalstabs am 8. zwischen der Großen Lage und der nächtlichen Besprechung unverwandt auf Durchführung der befohlenen „Heimatoperation" gegen die Aufständischen insistierte und Oberst Heye vom Inhalt dieser Unterredung, die mit „Hindenburgs Sinneswandel aus Vernunftgründen" (Westarp) endete, seiner eigenen Darstellung zufolge nichts erfuhr 727 , spricht letztlich alles dagegen, daß Heye, der vom Stellv.

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v. Loewenfeld; Viktoria Luise, Ein Leben, S. 207, 237H., insbes. S. 239. - Seinerzeit gängiges Epitheton omans, z. B. Victor Ottmann, Paul von Hindenburg. Des deutschen Reiches treuer Eckart. Lebens- und Charakterbild, Berlin (1925). Janßen, S. 9 6 f f . Siehe Anm. II 500. Nach „Aufzeichnung" Hintze (Anm. I 7) hat Hindenburg dieses „punctum saliens" bejaht, Groener es verneint; vgl. Niemann, Revolution von oben, S. 276, 374, 384f. Weitere Hinweise in „ Z u s c h r i f t " Wahnschaffe, ebd., S. 426; Payer, S. 159; Max von Baden, S. 625, 644 (Grünau). - Die Besprechung Hintze/Grünau mit Hindenburg u. Groener hat am 8. 1 1 . abends, kurz vor „der achten Stunde" stattgefunden; vgl. Max von Baden, S. 623. N1 Heye, B A - M A , N 18/4, fol. 460; Westarp/Conze, S. 42, 164; Max von Baden, S. 6 2 5 f f . ; „ D e n k schrift" Schulenburg, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 3 51 f.; „Darstellung" Hindenburg/PIessen/Hintze/Marschall/Schulenburg, abgedr. ebd., S. 340f.; Huber, Dokumente II, S. 5 1 4 f . Nach Groener, Lebenserinnerungen, S. 454, fand die Beratung am 8. 1 1 . „abends zwischen '/,io und '/,i 1 U h r " statt. Westarp/Conze, S. 4 3 f . , 164; „ D e n k s c h r i f t " Plessen/Marschall/Schulenburg, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 333 f.; „ A u f z e i c h n u n g " Plessen, ebd., S. 366. N1 Heye, B A - M A , N 18/4, fol. 4 5 9 ^ ; N1 v. Stülpnagel, B A - M A , N 5/17, fol. 5 ; T h a e r , S. 256, 261 f.; Groener, Lebenserinnerungen, S. 4 5 4 f f . ; „Bericht" Groener, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 203. Zur Kontroverse über die späte Übermittlung vgl. Max von Baden, S. 6 2 5 f f . ; Presseerklärung des Prinzen Max von Baden v. 9. 8. 1 9 1 9 , abgedr. in: Schultheß 1 9 1 8 / 1 , S. 441 ff., Bezug: S. 444; Groener, Lebenserinnerungen, S. 456. Siehe Anm. III 202. Zit. aus „Denkschrift" Plessen/Marschall/Schulenburg, in: Niemann, Revolution von oben, S. 333. N1 Heye, B A - M A , N 18/4, fol. 460. Äußerung Hindenburgs auf dem Wege zum letzten Kaiservortrag in Gegenwart Groeners u. Heyes gegenüber Thaer; vgl. Thaer, S. 258. Siehe Anm. I 725.

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Generalkommando in Münster als „Sprecher" bei der mehrfach belegten Telefonauskunft genannt wurde, für einen solchen Bescheid von Hindenburg in irgendeiner Weise autorisiert worden ist. Der Wahrheitsgehalt der Telefonauskunft, welche die O H L am 8. November mittags dem nachfragenden Stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps gab, wird noch durch eine Darstellung über einen der zur „ G r u p p e Winterfeld" gehörenden Truppenteile erhärtet. Dieser hatte sich im Rahmen der „grenzschutzartigen Absperrung" an der Wiedereinnahme des sog. roten Brückenkopfes Aachen zu beteiligen und hierzu den wichtigen Eisenbahnknotenpunkt Herbesthal von den aus dem Ruhrgebiet zurückflutenden belgischen Bergleuten, von Angehörigen meuternder Landsturmbataillone und von Aufständischen zu säubern. Zur Durchführung des schwierigen Auftrages gab die O H L am späten Nachmittag des 8. der ihr unminelbar unterstellten Formation telefonisch den strikten Befehl, „unter keinen Umständen auf die Revolutionäre zu schießen" 728 . Beide Telefonbefehle aus der Operationsabteilung I des Generalstabs des Feldheeres lassen unverkennbar jene pessimistische Lagebeurteilung erkennen, zu welcher der Abteilungschef gemeinsam mit seinem Ia7*9 bereits vor der Chefbesprechung bei Groener gelangt war und derzufolge beide Generalstabsoffiziere „kaum noch Hoffnung bezüglich der militärischen Möglichkeiten" sahen, „der Sache jetzt mit wenigen Divisionen Herr zu werden". Nach Heyes Auffassung standen bereits am Nachmittag des 8. alle zum Verfügungsbereich der O H L gehörenden Truppen des Westheeres, insbesondere die inzwischen auf die Bahn gesetzten Eingreifverbände, „gewissermaßen unter der Herrschaft der Roten", da die revolutionäre Bewegung nicht nur in großen Gebietsteilen des Reiches, sondern vor allem auch in der sog. Rheinlinie übermächtig stark geworden sei. Bei Formulierung seines Bescheids folgte der Chef der Operationsabteilung einem allgemeinen Brauch unter Führergehilfen und einem speziell bei der 3. O H L von der „Gruppe der Obersten" um Ludendorff praktizierten Führungsstil 730 , indem er seine Auskunft mit der namendichen Nennung und Billigung der maßgeblichen Führerpersönlichkeiten, hier also Hindenburgs, einleitete und ihr damit wegen der überragenden Autorität des Generalfeldmarschalls jenen Nachdruck verlieh, der nach allen bisherigen Erfahrungen jeden Widerspruch beim Empfänger von vornherein ausschloß. Jedenfalls wurde der angeblich von Hindenburg erteilte, in Wirklichkeit von Heye zu verantwortende Bescheid in Münster als „Befehl" Hindenburgs aufgefaßt. Daraufhin ergab sich dort am Nachmittag des 8. die kuriose Situation, daß der Stellv. Kommandierende General in der irrigen Annahme, die telefonische Anweisung der O H L sei für das Stellv. VII. Armeekorps verbindlich, es seinem Chef des Stabes („wenn dieser schon einmal den Befehl zum Verhandeln eingeholt habe") überließ, sich mit der Ortsleitung der M S P D in Verbindung zu setzen 7 ' 1 , während er, jeglichem Verhandeln strikt 718

Vgl. Brüning, S. 2 6 f f . ; Zit. S. 28 u. 29. Br. war Kp.-Chef in einer der als „Verfügungstruppe" der O H L direkt unterstellten MG-Scharf-Schtz.-Abteilungen der „ G r u p p e Winterfeld" (vgl. A n m . I 681). Zit. Telefonbefehl wurde über die von der Op.Abt./Genst.d. Feldheeres geführte „vorgeschobene Befehlsstelle" Aachen-West übermittelt. 7 *' Zit. nach dem vom Chef des Genst. des Gen.Qu.Mstr. II berichteten Eindruck; Thaer, S. 261 f. Über Naturell u. Geschäftsführung des Chefs der O p . A b t . / O H L vgl. ebd., S. 255; Bauer, D e r große Krieg, S. 265; Hoeffer v. Loewenfeld, S. 94. - Ia war Major i.G. Joachim v. Stülpnagel. Vgl. hierzu Deist, in: Quellen II, i/I, S. L I I - L V I I I . 7)1 Schulte, Münstersche Chronik, S. 33, 38.

i . Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

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abgeneigt, den Plan verfolgte, sich zunächst mit den drei Frontbataillonen in die Festung Wesel zu werfen, dort alle „königstreuen Elemente" seines Befehlsbereichs zu sammeln und sodann von dort aus die Wiedereroberung der Provinz einzuleiten 73 '. Der General gab sich erst am späten Nachmittag des 8. geschlagen, nachdem er sich davon hatte überzeugen müssen, daß die Eisenbahnstrecken zum vorgesehenen Versammlungsraum (Rheinlinie) und durch den Korpsbereich (Haltern) inzwischen von meuternden Ersatz- und Etappensoldaten besetzt worden waren, der benötigte Transportraum in der kurzen Frist nicht bereitgestellt werden konnte 733 und vor allem bereits starke Anzeichen der Unzuverlässigkeit bei den nach Düsseldorf und Münster gelegten Feldtruppen gemeldet wurden 734 . Zudem ergab eine nach 17 Uhr vom Stellv. Kommandierenden persönlich durchgeführte Befragung aller Truppenführer, daß sich die Ersatzformationen in und um Münster bei der unmittelbar bevorstehenden Konfrontation mit revolutionären Elementen bestenfalls „neutral", zumeist aber „absolut unzuverlässig" verhalten würden 7 3 '. Diese Meldungen zeigten der Korpsführung nach den bereits vorliegenden Nachrichten über bald eintreffende „Matrosenzüge" nun definitiv die Aussichtslosigkeit jeglicher Bemühungen um eine erfolgreiche Revolutionsabwehr und führten so zur Herausgabe der schon erwähnten, zunächst telefonischen Anweisung an alle ihm unterstellten Truppenteile, sich der Bewegung nicht mit Waffengewalt entgegenzustellen. Diese am 8. November noch vor 18 Uhr ergangene Anordnung wurde gegen 22 Uhr in einem an alle militärischen und zivilen Stellen des Befehlsbereichs gerichteten Staatstelegramm noch erweitert und präzisiert: „Generalkommando wird mit Arbeiter- und Soldatenrat in Verhandlung treten. Waffengebrauch ist verboten, falls nicht Personen und Eigentum angegriffen werden. [ . . . ] Bei dem gezeigten Entgegenkommen wird erwartet, daß die Truppen Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten und Selbstdisziplin üben 7 3 '." Auch den Vereinbarungen, die noch in den Abendstunden des 8. in Münster von den militärischen, in Düsseldorf zunächst von den zivilen Gewalten mit den Vertretern der örtlichen revolutionären Bewegung getroffen wurden, war ausdrücklich die Devise vorangestellt, Blutvergießen zu vermeiden und die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten 737 . Diese von den regionalen und lokalen Repräsentanten der überkommenen Staatsgewalt angestrebten und auch sehr schnell herbeigeführten Ubereinkünfte setzten einen vorläufigen Schlußpunkt hinter ihren zumeist schon seit dem Vortage, spätestens aber seit dem Ebd., S. 37 (Gayl/Giffenig). » Ebd., S. 37f. 7,4 Über das Sturm-Btl. in Düsseldorf vgl. Schulte, Münstersche Chronik, S. 37. Zu dem am Sitz des G e n . K d o . untergebrachten aktiven Lauenburger Jäger-Btl. N r . 9 (Ratzeburger Jäger), verst. durch 1 Kp./Pi.Btl. 1 u. 1 Panzerautozug, vgl. ebd., S. 27, 3 1 , 3 6 ^ . Uber das nach Krefeld gelegte dritte Inf.Btl. (Verfügungstruppe des Stv. Kom.Gen.) lagen keine Meldungen vor; vgl. Schulte, Münstersche Chronik S. 37. 7,1 Schulte, Münstersche Chronik, S. 3 7 f f . 7)6 Faksimile bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 39; vgl. ebd., S. 44f.; H o f f m a n n , S. 180; Schreiben des Landrats in Essen v. 9. 1 1 . 1918 an Reg.-Präs. Kruse, auszugsw. zit. bei Metzmacher, S. 220 Anm. 16. Bei Metzmacher, S. 204 wird zwischen der telef. Anweisung von 17.40/18.00 U h r (vgl. Anm. I 694, I 705-707) u. dem Staatstelegramm von 22 U h r nicht unterschieden. 7)7 „ A n o r d n u n g " resp. „Vereinbarung" des vorläufigen Vollzugsausschusses u. des A - u. S.-R. Münster mit dem Stv. G e n . K d o . VII. A . K . u. Garnisonkdo. v. 8V9. r 1. 1918, abgedr. bei Schulte, Münstersche Chronik, S. 5 3 f f . ; erstes Unterhandlungsergebnis zwischen dem Pol.-Dez. u. dem provisorischen A.u. S.-R. in Düsseldorf v. 8. 1 1 . , in: Bericht v. 14. 1 1 . 1918 (Anm. I 632). 7

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

frühen Morgen des 8. N o v e m b e r o f f e n b a r gewordenen Meinungswandel darüber, wie in der nun tatsächlich gegebenen kritischen Situation der Aufstandsbewegung zu begegnen sei. Die Bereitschaft, von dem seit einiger Zeit vorbereiteten Einsatz der vorhandenen Machtmittel abzusehen, um es so bei den Ordnungskräften erst gar nicht auf die äußerste Verläßlichkeitsprobe ankommen lassen zu müssen 7 1 8 , der Verzicht der Vorgesetzten, insbesondere der militärischen, sich mit ihrer ganzen Person, der eigenen physischen Gefährdung nicht achtend, rückhaltlos f ü r das bisherige System einzusetzen, kurz, das Absehen von jeglichem bewaffneten und nachhaltigen Widerstand gegen die Umsturzaktion kennzeichneten auch in Münster und in Düsseldorf die revolutionäre Lage. Der hier wie anderswo zu beobachtende V o r g a n g des Zurückweichens und der kampflosen A b d a n k u n g der alten Machtträger verdient insofern eine nähere Betrachtung, als die seinerzeit verantwortlichen, den monarchischen Staat repräsentierenden Akteure angaben, an höchste Weisungen gebunden gewesen zu sein, denenzufolge es ihnen ausdrücklich und im Widerspruch zu ihren eigenen ursprünglichen Absichten zur Pflicht gemacht worden w a r , den unblutigen (aber rechtlich unhaltbaren!) Weg des Ausgleichs mit A u f ständischen und Meuterern zu beschreiten. Eine solche nur scheinbar ungewollte Fremdbestimmung erwies sich wenigstens hinsichtlich der angeblich von der Reichskanzlei ausgegebenen kapitulativen Anweisungen als eine reine Schutzbehauptung; der Realität entsprechen jedoch die Belege f ü r eine von der O H L ausgegebene Verhaltensmaßregel gegenüber der A u f r u h r b e w e g u n g im Innern. Hinter der Telefonauskunft aus Spa stand für das Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o in Münster das ganze G e w i c h t der Zentrale der deutschen Kriegführung - ungeachtet ihrer gänzlichen Inkompetenz für die in einem Korpsbereich des Heimatgebietes zu treffenden Führungsmaßnahmen. So erwies sich die informelle Autorität der O H L als gewichtiger gegenüber den Entschließungen der politischen Zentralgewalt in Berlin und dem Votum des mitspracheberechtigten parlamentarisch verantwortlichen preußischen Kriegsministers: Z u r gleichen Zeit, nämlich in den Mittagsstunden des 8. N o v e m b e r 1 9 1 8 , als sich der Kriegsminister prononciert f ü r die gewaltsame Wiederherstellung der alten Ordnung aussprach 7 ' 9 und ein anderes Mitglied der Reichsregierung fortbestehende Diensttreue oder „ A b f a l l des Militärs" als „entscheidend" f ü r das Uberleben oder das Ende der Hohenzollerndynastie und des monarchisch verfaßten Staates erklärte 7 4 0 , erging aus dem Kaiserlichen Hauptquartier der als Befehl verstandene Bescheid, der in einem bereits stark vom U m s t u r z bedrohten Korpsbereich des Heimatgebietes zur A u f g a b e aller A b wehrvorbereitungen und damit zum unverzüglichen Einsturz der staatlichen Machtposition in diesem Teil des Reiches führte. Im folgenden soll ein Beispiel f ü r die sehr parteilichen und persönlich gefärbten Streitigkeiten um die Verantwortlichkeit der „Berliner Stellen", also des Reichskanzlers, Kriegskabinetts und Kriegsministers, f ü r die Ausbreitung der Revolution durch Erlaß eines ,j8

Etwa im Sinne der vom G e n . O b . v. Plessen am 9. 1 1 . gegenüber Wilhelm II. geäußerten Aufassung über die „Haltung der Truppen [ . . . ] : wir sollten doch erst mal sehen, was geschehe, wenn die Truppen feuerten", vgl. „ A u f z e i c h n u n g " Hintze, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 376. 7 " Siehe Anm. I 676f. ,,= Amendement des StSekr.o.P. Haußmann vor dem Interfraktionellen Ausschuß des Reichstages, der am 8. 1 1 . mittags (vgl. Quellen I/2, N r . 140 Anm. 2) zusammentrat; ebd., S. 603; Niemann, Revolution von oben, S. 274f.; Haußmann, S. 268f.; Max von Baden, S. 620.

2. Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

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allgemeinen Schießverbots für das gesamte Reichsgebiet, d. h. über den preußischen Herrschaftsbereich hinaus, angeführt werden. Aus diesen Kontroversen nämlich, die während des ganzen ersten Nachkriegsjahrzehnts ausgetragen wurden, sind selbst noch in der darauf folgenden Zeit einige Unterstellungen aus dieser früheren, von starken Emotionen diktierten Polemik ungeprüft in Darstellungen über das Ende des Kaiserreichs übernommen worden. Anläßlich einer im ehemaligen Königreich Württemberg geführten Pressefehde über das vielfach beeidete, in der Entscheidungssituation jedoch nur von wenigen gewahrte „persönliche Treueverhältnis zwischen Offizier und Fürst" 7 4 ' wurde die Behauptung, die Reichsregierung habe durch ihre Schießverbote der Umsturzbewegung Vorschub geleistet, ein Dutzend Jahre nach den Novemberereignissen von 1918 erneuert. So hieß es in einer Parteinahme 742 für den ehemaligen Stellv. Kommandierenden General des X I I I . Armeekorps (Sitz: Stuttgart), dieser 743 habe in richtiger Erkenntnis der Umsturzgefahr die Zentralbehörden mehrfach gewarnt und um schärfere Maßnahmen und größere Handlungsfreiheit gebeten: „ A b e r die Erlasse aus Berlin sprachen sich eindeutig im Sinn des Gehenlassens der Dinge, des Augenzudrückens, der Schonung aus und nahmen ihm schließlich mit dem berühmten Schießverbot die Waffen aus der Hand." Richtig ist: Das Württembergische Kriegsministerium und das Staatsministerium hatten das „heillose antimonarchische Gerede" und das „Spielen mit der Revolution" spätestens seit Mitte September 1918 als eine große Gefahr konstatiert 744 und zu ihrer Abwendung bereits auf das „ernste Abmahnen" der Parteileitung der gemäßigten Sozialdemokratie gesetzt 745 , weil diese sich schon des öfteren ganz entschieden gegen die „selbstmörderische Putschpolitik" (Keil) der linken Sozialisten ausgesprochen hatte. Uber diese politische Lösung hinaus trachteten die Landesbehörden in Stuttgart, alle Maßnahmen zu treffen, um politisch motivierten Unruhen mit den ihnen angemessenen Zwangsmitteln der Staatsgewalt begegnen zu können. Das Württembergische Kriegsministerium schätzte die Verwendbarkeit der im Bereich des Stellv. XIII. Armeekorps stehenden Ersatzformationen, deren bedingungslose Befehlstreue bei einem möglichen Einsatz im Innern allgemein in Frage gestellt wurde, zutreffend ein und hatte deshalb bereits im September „Grundsätzliche Instruktionen" für den Waffengebrauch des Militärs erlassen 746 . Diese Anordnungen ergänzten die genereller gefaßte württembergische Dienstvorschrift über den Schußwaffengebrauch aus dem Jahre 1914 7 4 7 insofern, als sie den Truppen eine Reihe von Verhaltensmaßregeln für bestimmte Krisenlagen gaben. Offenkundig verfolgte die württembergische Heeresverwaltung damit die Absicht, die nur bedingte Einsatzbereitschaft ihrer Soldaten durch spezielle Verpflichtung auf ein klar umrissenes, der Situation angepaßtes - und deshalb als wirkungsvoll erhofftes - Einschreiten zu stärken. 741

Zit. nach Kohlhaas, Die November-Ereignisse. Schäfer-Rümelin, Der 9. November; nachf. Zit. ebd. 74 ' Ähnliche Globalvorwürfe wegen ihrer vergeblichen Berichte pp. wurden nachträglich auch von Seiten des Ob.Kdo.i.d.M. (siehe Kap. II passim) u. des Stellv. G e n . K d o . V I I . A . K . (siehe Anm. I 646) erhoben, ohne detailliert u. substantiell auf ihre „Änderungsanträge" u. die „abschlägigen Bescheide" der Reichsverwaltung einzugehen. 744 Siehe Anm. I 36. 741 Zit. aus streng vertraul. Schreiben des württ. K M . , Gen.d.Inf. v. Marchtaler, v. 6. 1 1 . 1918 an den Württ. Militärbevollmächtigten im G r . H . Q u . , W H S t A - H A , M 10, Bd 22, fol. 68. 746 747 W H S t A - H A , M 7 7 / 1 , Bü. 93. Siehe Anm. II 2 3 1 . 741

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I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Am 6. November 1918 schließlich, als sicher schien, daß die „Polizeimacht [ . . . ] der großen, von den Unabhängigen geleiteten und das Gepräge ihres Geistes tragenden Straßendemonstrationen" nicht mehr Herr werden konnte und daß auch die sodann aufzubietenden, als „durchweg ungenügend zuverlässig" bezeichneten Heimattruppen versagen würden, richtete der württembergische Kriegsminister ein eiliges Hilfeersuchen an die OHL 7 " 8 . An diesem Melde- bzw. Dienstweg, der nur in der Form von den aus dem preußischen Kontingentsbereich dargestellten Einzelfällen abwich, zeigte sich, in welcher Weise die militärische Befehlsstruktur polykratisch angelegt war, darin ganz dem übrigen Herrschaftssystem des kaiserlichen Deutschland entsprechend. Der Kriegsminister in Stuttgart war zuständig für die Heeresverwaltung des im Reichsgebiet stehenden Teils des württembergischen Kontingents und in Kommandoangelegenheiten dem Preußischen Kriegsminister in dessen Eigenschaft als Obermilitärbefehlshaber in keiner Weise verpflichtet. Er hielt sich durchaus an die ihm vorgegebenen Normen der Heeresverfassung, als er über den württembergischen Militärbevollmächtigten im Großen Hauptquartier mit der O H L wegen Entsendung eines Feldtruppenteils in Verbindung trat, ohne über seinen Antrag überhaupt den Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet zu unterrichten. Im einzelnen begründete er sein Ersuchen mit der „Staatsnotwendigkeit, eintretenden Falles über eine Truppe zu gebieten, auf die man vertrauen" könne. Eine solche schien ihm das Württembergische Gebirgsregiment zu sein, da dieses vorzugsweise mit Freiwilligen und „Angehörigen der besseren Stände durchsetzt" und deshalb „revolutionären Umtrieben nicht so leicht zugänglich" sei. Nach den Vorstellungen des Kriegsministeriums in Stuttgart sollte dieser Eliteverband unter der offiziellen Tarnbezeichnung „verstärkter Grenzschutz" im württembergischen Oberland 749 versammelt und dort, fernab von „hetzerischen Einflüssen", auf seine Pazifizierungsaufgabe vorbereitet werden. Mit Hilfe gesondert bereitzustellenden Eisenbahnmaterials750 sollte die Ordnungstruppe sodann beschleunigt an kurzfristig befohlene Einsatzorte innerhalb des Königreichs Württemberg transportiert werden; hierbei rechnete man im Staatsministerium nach den jüngsten negativen Erfahrungen mit der politischen Protestbewegung damit, das Regiment in der Landeshauptstadt, in Untertürkheim und Friedrichshafen verwenden zu müssen, w o das „ G i f t der Verhetzung nachweisbar" von den zwangsüberwiesenen norddeutschen Metallarbeitern und den aus der Schweiz herübergekommenen „Agenten der Entente eingeschleppt" worden sei 7 ' 1 . Dieses direkt an die O H L gerichtete Hilfeersuchen war die einzige derartige Initiative, die von der Führung eines außerpreußischen, einzelstaatlichen Kontingents ausging, um die durch Revolution bedrohte Herrschaft in einem Bundesstaat mit Hilfe von Truppen 74>

Darst. u. Zit. nach Eilschreiben Marchtalers (Anm. I 745). ' Allgäuer Alpen mit provisorischen Garnisonen der Ers.Tr./Württ.Geb.Rgt.: Leutkirch, Isny. 750 Eine fast unerfüllbare Forderung. - Der Engpaß Transportraum hatte seit Herbst 1918 nicht nur die Abwehrkämpfe, sondern abschnittweise sogar die Schnelligkeit des strategischen Rückzugs beim deutschen Westheer mehr beeinflußt als der Feinddruck. Die „Heimatoperation" scheiterte nicht zuletzt am fehlenden Eisenbahnmaterial; hierzu auch Görlitz, S. 167; Quellen I/2, S. 480. Siehe auch Anm. III 1 '37,1 Siehe Anm. I 745; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, N r . 783, 78y ff.; Kohlhaas, Revolutionserlebnisse 1918, S. 236. 74

2. Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

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des Feldheeres sichern zu helfen 7 ' 1 . Allerdings erging der Auftrag des Kriegsministers an seinen Militärbevollmächtigten, „mit der O H L in dieser dringenden Angelegenheit alsbald Fühlung zu nehmen", entschieden zu spät: Das Eilschreiben erreichte den Gesandten am Tage vor dem Umsturz in der Landeshauptstadt 7 ". Das erbetene Württembergische Gebirgsregiment, nach schweren verlustreichen Rückzugskämpfen ohnehin kaum mehr bataillonsstark, erwehrte sich gerade in diesen Tagen der weit überlegenen amerikanischen Angriffskräfte 7 ' 4 , die nach geglücktem Maas-Ubergang im Begriffe standen, ihren tiefen Einbruch in die von der O H L vorgesehene letzte Verteidigungslinie (AntwerpenMaas-Stellung) zum Durchbruch auszuweiten und damit die deutsche Front nördlich von Verdun aus den Angeln zu heben 7 ". Es erscheint ausgeschlossen, daß die O H L in dieser kritischen Phase eines ohne Reserven geführten Abwehrgefechts den am gefährdetsten Abschnitt der Westfront kämpfenden Eliteverband für Ordnungsaufgaben in der Heimat hätte freigeben können 7 ' 6 . Neben diesen Vorsorgemaßnahmen wurde in Stuttgart noch während der ersten Novembertage 1918 der Gedanke erwogen, eine „besondere Schutztruppe" zu formieren 7 ' 7 . Sie sollte ausschließlich dem persönlichen Schutz des Landesherrn dienen und sich aus unzweifelhaft königstreuen Ersatzsoldaten des Infanterieregiments der Residenzstadt 7 ' 8 und den sich dort aufhaltenden württembergischen Offizieren zusammensetzen. Um dieses Aufstellungsvorhaben rankten sich bereits kurz nach dem Staatsumsturz die unwahrscheinlichsten Spekulationen; unter anderem wurde mit dem nicht erfolgten Einsatz der „Schutztruppe" auch das „berühmte Schießverbot aus Berlin" (Schäfer-Rümelin) in Zusammenhang gebracht. Nicht vor dem 7. November war unter Federführung des Stellv. Kommandierenden Generals des X I I I . Armeekorps damit begonnen worden, in der zentral gelegenen Kaserne des Stuttgarter Hausregiments geeignetes Personal für diese Sondereinheit auszuwählen und über die übliche Waffenausstattung hinaus vorzugsweise mit Maschinengewehren und Nahkampfmitteln auszurüsten. Ein am 8. November abends durchgeführter Appell der in der Garnison anwesenden Offiziere eröffnete die Möglichkeit, die „Schutztruppe" überreichlich stark mit Offizierkadern zu versehen resp. Teileinheiten zu bilden, die ausschließlich aus Offizieren bestehen sollten. 7,1

Ursprünglich als Grenzschutz nach Südtirol beordert war ein Anfang November 1918 von der O H L entsandtes u. vom bayer. Generalmajor Krafft v. Dellmensingen (Konrad) geführtes Detachement (7. preuß. Res.lnf.Div. u. ein bayer. Inf.Rgt.). Das G r . H . Q u . hat von der Absicht des nach Pasing geflohenen bayer. K M . , diesen Militärtransport am 7-/8. 1 1 . gegen die revolutionierte Landeshauptstadt abzudrehen (Volkmann, Marxismus, S. 232; Kluge, Soldatenräte und Revolution, S. 55 f.; Berliner Tageblatt, N r . 576 v. 10. 1 1 . 1918, Morgen-Ausg.) ebensowenig erfahren wie vom telegraph. Ersuchen des Detachementführers an die O H L v. 9. n . um „zwei Divisionen, aber keine Preußen, um die Revolution in München wieder rückgängig zu machen" (Die Freiheit, N r . 22 v. 27. 1 1 . 1 9 1 8 ; zu einem ähnlichen Antrag des bayer. Min.-Präs. Ritter v. Dandl v. 3. 1 1 . 1918 an den pr. K M . vgl. Böhm, Tgb.Eintr. v. 3. I i . 1918, Hürten/Meyer, S. 53). 7,) Lt. Datumeintrag u. Paraphe ging das in Anm. I 745 gen. Eilschreiben am 8. 1 1 . im G r . H . Q u . ein. 7,4 Sproesser, Theodor (Bearb.), Die Geschichte der württembergischen Gebirgsschützen, Stuttgart 1933 ( = Die württembergischen Regimenter im Weltkrieg 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Bd 49), S. 4 1 9 f f . ; Erwin Rommel, Infanterie greift an. Erlebnis und Erfahrung 1 9 1 4 - 1 9 1 8 , Potsdam 1943, S. 400. "> Weltkrieg X I V , S. 692ff.; Baer X X V I , S. 282f. Groener, Lebenserinnerungen, S. 446. 7,7 Zit. u. Darst. nach Schäfer-Rümelin, Der 9. November, u. Kohlhaas, November-Ereignisse. 7! ® Ers.Btl./Inf. Rgt. Kaiser Friedrich, König von Preußen (7. Württembergisches) N r . 125, RotebühlKaseme.

I. Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Nicht wenigen Teilnehmern an dieser O f f i z i e r v e r s a m m l u n g 7 ' 9 erschien es äußerst problematisch, gegen die f ü r den 9. angekündigten Massenumzüge und Demonstrationen nötigenfalls mit den W a f f e n einzuschreiten, da „die Straße" ja nur ihren Protest gegen die unerträglich gewordene kriegsbedingte N o t , die Sorge um die im Felde stehenden Verwandten und gegen die Lebensmittelknappheit ausdrücken wolle und für den sofortigen Abschluß eines Waffenstillstands eintrete. Allen diesen O f f i z i e r e n waren die Folgen von Massenkundgebungen, die an den Vortagen im Königreich, insbesondere in der Hauptstadt von „unverantwortlichen A n s t i f t e r n " inszeniert worden waren 7 6 0 , bekannt. D e r Kriegsminister harte sie als außerordentlich bedrohlich beurteilt. T r o t z d e m scheint in dieser Offizierversammlung irgendein G e s p ü r für die krisenhaft zugespitzte und f ü r das alte System möglicherweise katastrophal endende Situation 7 6 ' ebensowenig vorhanden gewesen zu sein wie ein politisch geschärftes Bewußtsein f ü r die Entfaltungsmöglichkeiten und f ü r die wegen ihrer Wechselhaftigkeit potentiell staatsgefährdenden Zielrichtungen innerhalb dieser sogenannten Friedensbewegung (Matthias) vom O k t o b e r / N o v e m b e r 1 9 1 8 . Erst recht w a r es f ü r diese O f f i z i e r e „ u n v o r s t e l l b a r " , daß die Demonstranten etwas gegen den allseits beliebten K ö n i g Wilhelm II. von Württemberg unternehmen würden. N i e mand sah den in dieser ungewissen Lage nicht auszuschließenden Fall voraus, daß sie f ü r ihren Treueid nötigenfalls mit dem eigenen Leben würden einstehen müssen 7 6 2 . Allerdings wurden die württembergischen O f f i z i e r e solcher möglichen Konsequenzen enthoben, nämlich durch die eindeutige Willensbekundung nicht etwa irgendwelcher Berliner Stellen, sondern ihres eigenen Monarchen. N a c h d e m der Stellv. Kommandierende General in der Sitzung des Württembergischen Staatsministeriums am 8. N o v e m b e r abends, in der über die Revolutionsabwehr im Königreich entschieden wurde, hatte eingestehen müssen, daß eine „gewaltsame Unterdrückung von Unruhen nicht d u r c h f ü h r b a r " sei 7 6 3 , wiederholte K ö n i g Wilhelm II. seinen schon an den Vortagen geäußerten Wunsch, daß um seiner Person willen kein Blutvergießen stattfinden möge und jeder O f f i z i e r auf seinem Posten bleiben solle 764 . Als dann am Morgen des 9. mehrere Demonstrationszüge aus Industriearbeitern der Vororte geschlossen anrückten und verstärkt von Teilen der übrigen Stadtbevölkerung und des Garnisonmilitärs sich anschickten, die Straßen und Plätze Stuttgarts zu beherrschen 7 6 ', leistete die Zivilpolizei angesichts der „ S c h w ä c h e der staatlichen M a c h t " in der

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" Kohlhaas, Revolutionserlebnisse 1918, S. 237. So Marchtaler; siehe Anm. I 745. 761 Nach Kolb/Schönhoven, S. X L I I f f . , waren auch in Württemberg die sozialstrukturellen Voraussetzungen der Revolution in der als mangelhaft empfundenen Lösung der Verteilungs-, Versorgungs- u. Verwaltungsprobleme sowie in den im Krieg anwachsenden Klassenspannungen zu suchen, die nicht entschärft werden konnten. 761 Kohlhaas, Revolutionserlebnisse 1918, S. 236-238. - Die verharmlosende Prognose der Offiziere bewahrheitete sich, abgesehen von einem Episode gebliebenen Versuch, am 9. 1 1 . spätnachmittags das vom König bewohnte Wilhelmspalais zu „stürmen" und Teile des Fideikommisses zu plündern. 74 > Zit. Gen. v. Schaefer bei Schäfer-Rümelin, Der 9. November. Uber diese Sitzung vgl. Weller, S. I04f.; Keil II, S. 48 f., 5 8 f.; Forsthoff, S. n f . ; Hegelmeier, S. i 31 ff.; W H S t A , E 130, Akten des Königl Staatsministeriums, Bd C X I X . 764 Schäfer-Rümelin, Der 9. November; Weller, S. 106, Keil II, S. 59. 761 Untertürkheim, Cannstadt, Feuerbach. Vgl. Kohlhaas, Revolutionserlebnisse 1918, S. 2 3 7 ^ ; Keil II, S. 62f.; Bios, S. 21 f.; Hegelmeier, S. 2 3 1 ; Weller, S. 1 0 6 f f . ; Kolb/Schönhoven, S. 28f. 760

2. Während der Revolution: Das sogenannte Schießverbot

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Landeshauptstadt nur noch „passiven Widerstand" 7 **. Auch das Gouvernement der Residenz nahm davon Abstand, für seine Truppen den Gebrauch der Schußwaffen anzuordnen 7 ' 7 . Die von den höchsten politischen und militärischen Instanzen des Königreichs mitgetragene Entscheidung des örtlichen Befehlshabers, auf bewaffneten Widerstand zu verzichten und damit die mit dem Prozeß der revolutionären Machtaneignung verbundenen Veränderungen kampflos hinzunehmen, ist dann schon am Nachmittag desselben Tages wegen verschiedener turbulenter Ereignisse und Übergriffe vom Gouverneur bedauert worden. Sein zu diesem Zeitpunkt geäußerter Wunsch, die inzwischen geschaffenen revolutionären Tatsachen gewaltsam wieder rückgängig zu machen 768 , erfolgte viel zu spät, um auch nur eine vage Aussicht auf Realisierbarkeit zu haben. Aber mit dieser Äußerung tauchte schon am Umsturztage zum ersten Mal jene Meinung auf, die sich einige Tage später in der vielfach laut gewordenen Ansicht zuspitzte, daß „eine einzige entschlossen und rücksichtslos eingesetzte Kompanie zur Unterdrückung der Revolution in Stuttgart vollkommen genügt" hätte7*9. Nicht minder im Widerspruch zum historischen Handlungsablauf und den tatsächlichen Entschließungen der führenden Persönlichkeiten in der Württembergischen Landeshauptstadt steht auch die später verbreitete Version einer angeblich eingeschränkten Aktionsfreiheit des seinerzeitigen Kommandierenden Generals, den „die Weisungen der Berliner Regierung, schonend vorzugehen und nicht zu schießen" 770 , an einem wehrhaften Eintreten für die überkommene Staatsordnung gehindert haben sollen. Tatsächlich war der grundsätzliche Beschluß, in Stuttgart die Aktionen der demonstrierenden Massen widerstandslos hinzunehmen und stattdessen durch eine fortgesetzte pflichtgetreue Wahrnehmung der Amtsgeschäfte „die Gewalt der Bewegung zu mildern", von den örtlich verantwortlichen Instanzen ausgegangen. Weder im oben zitierten Wortlaut noch in sinngemäß ähnlicher Form sind vom Sitz der Reichsverwaltung irgendwelche kapitulativen Anweisungen an die Adresse der politischen oder militärischen Spitzen im Königreich Württemberg gerichtet worden 77 '. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß alle Behauptungen, das Kriegsministerium bzw. die Regierung in Berlin hätten die „Erfolge der Umwälzungen noch selbst durch ihren Erlaß über den Waffengebrauch des deutschen Heimatheeres, der einem Verbot des Eingreifens gleichkam, gekrönt" 772 , vollends der sachlichen Grundlage entbehren. Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, wenn auf die orts- und situationsgebunden heterogenen 773 Ursachen und die hinsichtlich Machtzerfall der alten und 7« Zit. Keil II, S. 63; dito Weller, S. 106. 7 7 < Weller, S. 109; Keil II, S. 64; Kohlhaas, Revolutionserlebnisse, S. 238. 768 Zur Stellungnahme des Gen.Maj. v. Ebbinghaus vgl. Weller, S. 109. 769 Zit. nach Weller, S. 109 u. Schäfer-Rümelin, Der 9. November. 770 Dieses u. nachf. Zit. nach Schäfer-Rümelin, Der 9. November. 771 Eigene Recherchen u. Mitteilungen des W H S t A v. 14. 6. u. 1 1 . 7. 1977, daß die Bestände des Württ. Staats- u. des Innenministeriums sowie des Stv. G e n . K d o . X I I I . (württ.) A . K . , des Württ. K M . u. des württ. Militärbevollmächtigten in Berlin keinen Hinweis auf ein von der Berliner Regierung ausgehendes Schießverbot enthalten. So z. B. Moser, Ernsthafte Plaudereien, S. 386. 77 ' So war bspw. in dem von alliierter Invasion bedrohten Bayern nicht das Verlangen nach einem Wandel der Regierungsform, sondern der bedingungslose Wille zu sofortigem Frieden der Motor für die auf

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I- Monarchische Staatsgewalt gegen revolutionäre Bewegung

Machtaneignung durch die revolutionären Kräfte im wesentlichen gleichartigen Phasen des plötzlichen Zusammenbruchs der jeweiligen lokalen und territorialen militärischen sowie der kommunalen und regionalen zivilen Gewalten eingegangen würde. Der beim allerersten und frühesten Auftreten kollektiver Dienstverweigerungen und revolutionärer Unruhe sich offenbarende Mangel an Entschlossenheit der Obrigkeit, eine aufrührerische Minorität zur Verteidigung der dem Gesetz gehorchenden Majorität mit in so frühem Stadium noch verfügbaren Gewaltmitteln zu bezwingen, schuf erst die entscheidenden Voraussetzungen für die schnellen Erfolge der allgemeinen Aufstandsbewegung in Kiel und Hamburg. Daß in eben dieser Tatsache „die ungeheure Ansteckungsgefahr" liege und daher „sich die Putsche über das ganze Land ausbreiten" würden, erschien am 8. November 1918 in der nächsten Umgebung des Reichskanzlers als „nicht mehr zu vermeiden" 774 . Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich innerhalb der Reichsgrenzen ein „gewaltiger revolutionärer Halbring" (Volkmann) von den Küstenorten über Hannover, Köln, Frankfurt a.M., Bayern, Provinz und Königreich Sachsen um die Hauptstadt gelegt. Der Fall der westlichen 771 und südwestlichen 77 * Landesteile war als unmittelbar bevorstehend zu gewärtigen; nur die östlichen Provinzen galten noch als relativ sicher 777 . Als etwas günstiger wurde seit dem 7./8. November, nämlich seit den jüngst getroffenen und spürbar greifenden Vorkehrungen der Kommandobehörden, die Sicherheitslage im politischen Zentrum des Kaiserreichs beurteilt. Auf den ersten Blick schien angesichts der in einer der größten Garnison des Reiches angehäuften Machtmittel die entscheidende Frage beantwortet, welcher Spielraum für Sympathisantentum zugunsten der revolutionären Bewegung gewissen Gruppen der hauptstädtischen Bevölkerung innerhalb der von der Obrigkeit gesetzten Grenzen noch verbleiben konnte. O b die Militärgewalt aber tatsächlich stark genug sein würde, den Aufruhr von Berlin fernzuhalten, war letztlich keine Frage der Zahl der Bajonette.

Staatsumsturz drängende panikartige Massenstimmung; vgl. Kolb, Arbeiterräte, S. 6 7 f f . ; Rosenberg, Entstehung, S. 2 j 6 f f . ; Snell, S. 216. Kritik an „Indolenz, Fassungslosigkeit, fehlendem moralischem M u t " hochgestellter Offiziere im Kgr. Bayern durch General Meyer, „ D i e Münchener NovemberRevolution 1 9 1 8 " , abgedr. bei Keim, S. 98. - Einer der bayer. Militärbefehlshaber (Gen.d.Kav.z.D. Frhr. v. Könitz) hatte seiner fatalistischen Haltung bereits Ende Oktober vielsagend Ausdruck verliehen: „ E r wisse, daß die Revolution kommen werde, aber er wolle nicht, daß sie zuerst in Nürnberg [ = Sitz seines Stv.Gen.Kdo. III. Bayer. A . K . ] ausbreche"; zit. nach Müller-Franken, S. 15. 774 775

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Zit. bei Max von Baden, S. 615 (siehe Anm. I 465). Vortrag Scheüchs in der letzten Sitzung des Preuß. Staatsministeriums am 8. r i . 1918 abends; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1777; Max von Baden, S. 623; Metzmacher, S. 1 5 8 f f . Zum Revolutionierungsprozeß im Königreich Württemberg vgl. Kolb-Schönhoven, S. X L V I I - L V I u. die ebd. N r . 3 Anm. 31 angeführte Lit. Zum Großherzogtum Baden vgl. Oeftering u. Kaller, passim. Böhm, Tgb.-Eintr. v. 9. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 5 8 f.: „ D i e in der Nacht eingegangenen Nachrichten ergaben, daß [ . . . ] auch das Land östlich Berlins [ . . . ] im Wesentlichen noch ruhig [war]." Dito Max von Baden, S. 630.

Anlage i

143

Spitzengliederung der Truppen in und um Berlin

C erkommandierender und Gouverneur/Militärbefehishaber über die Provinz Brandenburg und Berlin: Generaloberst v. Linsingen Chef des Stabes: Oberst a.D. v. Berge und Herrendorff Ia: Major v. Lettow-Vorbeck

Stellv. Generalkommando des Gardekorps Stellv. Kommandierender General: General d. Kav. Frhr.v. Richthofen Chef des Stabes: Oberst i.G.v. Mantey

Kommandantur von Berlin Kommandant: Oberst Schwerk Chef des Stabes: Major v. Stockhausen

Stellv. Generalkommando des III. Armeekorps Stellv. Kommandierender General: General d.Inf.v. Oertzen Chef des Stabes: Generalleutnant a.D.v. Scriba

Anlage 2

Zentralbehörden der Kaiserlichen Marine im Heimatgebiet (Auszug) (ohne Berücksichtigung von Unterstellungsverhältnissen)

Kriegsmarine des Deutschen Reiches (Kaiserliche Marine) unter dem Oberbefehl des Kaisers Oberster Befehlshaber u. Chef der Marine: Kaiser Wilhelm II.

Stellv. Chef des Admiralstabs: Kapitän z.S. v. Bülow

Kommando der Hochseestreitkräfte (KdH/Hochseeflotte) Flottenchef: Admiral Ritter v. Hipper Chef des Stabes: Kapitän z.S. v. Trotha

Marinescation der Nordsee Wilhelmshaven Stationschef u. Gouverneur: Admiral v. Krosigk

Marinestation der Ostsee Kiel Stationschef u. Gouverneur: Admiral Souchon Chef des Stabes: Konteradmiral Küsel

Reichsmarineamt ( R M A ) Berlin Chef des RMA/Reichsressortchef u. Stellv. des Reichskanzlers: Vizeadmiral Ritter v. Mann u. Edler v. Tiechler Art. 53 Bism.Verf. A . K . O . v. 28. 8. 1918 R G B l . 1918, S. 1 2 7 } (31. 10. 1918). Unterstellung des Marinekabinetts unter das R M A lt. geänd.Bism.Verf. (28. 10. 1918).

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt i. Die Berliner Kommandostruktur Die seit dem Sturz der Hohenzollernmonarchie häufig gestellte Frage nach den Gründen für den unerwartet raschen und unblutigen Verlauf der Revolutionierung Berlins am 9. November 1918 hat eine Vielfalt zutreffender Antworten und Argumentationen zur Folge gehabt. Indes hat sich die wissenschaftliche Analyse bei der Behandlung des militärischen Aspekts im wesentlichen mit der Feststellung begnügt, daß sich die Berliner Truppen dem bewaffneten Einsatz gegen die Demonstrationszüge versagt und hierdurch den Zusammenbruch der kaiserlichen Regierungsmacht herbeigeführt hätten. Während sich die umfangreiche Historiographie über die Ursprünge und Fortentwicklung der Hohenzollernschen Monarchie auf die apodiktische Formel vom preußischdeutschen Militärstaat und der Armee als der tragenden Säule dieses Staatsgebäudes einigte, hat dieses auf Preußen bezogene geschichtsphilosophische Axiom, wonach eine Herrschaft durch eben die Mittel behauptet werde, durch die sie entstanden sei, unter negativen Vorzeichen, nämlich bei der Untersuchung der Zusammenbruchsituation vom Herbst 1918 selten Anwendung gefunden 1 . Der Zusammenhang zwischen schwindendem Kriegsglück und dementsprechend verminderten Chancen für eine Konservierung des Bismarckisch-Wilhelminischen Systems war zwar schon im Oktober 1918 ins allgemeine politische Bewußtsein gedrungen; die Konsequenz jedoch, daß der militärische Bankrott zwangsläufig zur Abdankung des Kaisers, wenn nicht sogar zur Liquidierung der monarchischen Herrschaft überhaupt führen müsse, stand selbst in den ersten Novembertagen erst wenigen eingeweihten Zeitgenossen und maßgeblichen Akteuren vor Augen. Soweit sie nicht ideologisch der Dolchstoßlegende verpflichtet sind, betonen auch jene Darstellungen, in denen der unmittelbare Zusammenhang von Weltkriegsniederlage und Staatsumsturz hervorgehoben wird 2 , den Gesichtspunkt der hoffnungslosen Lage an den Fronten, gekennzeichnet durch das definitive Versiegen der Abwehrkräfte des Feldheeres und unübersehbar verschlimmert durch die Folgen des Militärstreiks in Flotte und Besatzungsheer. Beides ergab für die führenden Repräsentanten in Politik und Armee des Reiches überstürzt die Zwangssituation, „die weiße Fahne hissen" 3 und schließlich auch den Souverän preisgeben zu müssen 4 .Der entscheidende Umschwung der staatlichen Verhältnisse wurde nicht von den im Kaiserlichen Hauptquartier in Spa gefaßten Beschlüssen bestimmt, sondern ausschlaggebend vom endgültigen Fiasko der militärischen Gewalten

' Ganz im Sinne dieses insbes. von der Schule Treitschkes vertretenen Machtstaatsgedankens äußerte sich Kaiser Wilhelm II. am 18. 10. 1894: „Die einzige Säule, auf der unser Reich besteht, war das Heer. So auch heute!" Zit. aus Johann, Reden, S. 65. Sallust, Catilina II, 4: N a m Imperium facile iis artibus retinetur, quibus inito partum est. ' Konrad Haenisch, Die Ursachen der deutschen Revolution, in: Handbuch der Politik, Berlin-Leipzig, '1920, S. 255 ff.; Troeltsch, S. 1 ff.; Bernstein, S. Kolb, Kaiserreich, 4. Teil. > So Erzberger, zit. nach Quellen I, 6/1, S. 48; ähnliche Formulierungen Groeners (Lebenserinnerungen, S. 450; Quellen I/2, Nr. 1 3 1 a , Anm. 24; Max von Baden, S. 589) u. Stresemanns (Quellen I/2, S. 519). 4 Aus konträrer Sicht vgl. Westarp/Conze u. Petzold, Absetzung, passim; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 540, 542.

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

in Berlin, dem Sitz der obersten Reichsverwaltung und der Residenz der führenden Dynastie im kaiserlichen Deutschland. Die Ende Oktober 1918 durch die Abreise des Kaisers in das Große Hauptquartier' offenbar gewordene „Teilung der Reichsleitung in eine monarchisch-militärische und in eine parlamentarisch-bürokratische Regierung" 6 mit ihrer verhängnisvollen Herausbildung der beiden politisch antagonistischen Pole Spa/Berlin führte zu einer in der Literatur häufig anzutreffenden Fixierung der Betrachtung auf die in Spa beratschlagten Kriegsund Revolutionsereignisse. Dagegen schildert die vorliegende Untersuchung überwiegend die Vorgänge in der Reichshauptstadt und die Maßnahmen der Berliner Befehlsstellen, speziell des Preußischen Kriegsministeriums. Die Sicherheitslage in Berlin war von zwei Faktoren bestimmt: Zum einen durch den von der revolutionären Bewegung während der ersten Novemberwoche im Heimatgebiet unaufhaltsam vorwärtsgetriebenen und bereits weitgehend zum Abschluß gebrachten Prozeß der Entmachtung der alten Ordnungskräfte. Zum anderen, nicht minder negativ für die Behauptung der Reichshauptstadt, wirkten sich neben dieser erst jüngst von der „bolschewistischen Aufruhrbewegung" 7 diktierten „Feindlage" die seit langem bestehende Verworrenheit der innermilitärischen Befehlsstruktur auf die Effizienz der zahlreichen Berliner Kommandobehörden und auf die Einsatzbereitschaft der in und um Berlin stationierten Truppenteile aus. Durchaus zutreffend hat schon früher ein intimer Kenner der seinerzeitigen Szene auf die „ungemein schwierige Natur der damals herrschenden unheilvollen Befehlsverhältnisse" und auf „die Fehler der Organisation und das dadurch mögliche Intrigenspiel einzelner Persönlichkeiten" aufmerksam gemacht und nicht ohne Berechtigung die „Folgen des gänzlich unverträglichen Zustandes" als „in kritischen Zeiten unausbleiblich" bezeichnet8. So kann bei dem Versuch, Abwehrmaßnahmen und Verhalten der bewaffneten Macht unmittelbar vor dem Übergreifen der Revolution auf das Zentrum des Reiches wie auch in der Entscheidungssituation des 9. November 1918 eingehender zu schildern und zu bewerten, nicht auf eine einleitende institutionsgeschichtliche Beschreibung der im hauptstädtischen Raum zuständigen militärischen Dienststellen verzichtet werden. Die Darstellung der Verantwortlichkeiten und der Mitverantwortung der zur bewaffneten Abwehr autorisierten, jedoch entweder überhaupt nicht oder bestenfalls „dilatorisch" und „reaktiv" 9 handelnden Kommandobehörden wie auch die Vorstellung der einander konterkarierenden Zwischeninstanzen und Suborgane innerhalb der militärischen Hierarchie sind unumgänglich, um die Fälle von einander paralysierenden Einzelmaßnahmen, das hierdurch mögliche Wirken inkompetenter Akteure und nicht zuletzt den kampflosen Sieg der Demonstrationsbewegung erklärlich zu machen.

' Siehe Anm. I 32. Troeltsch, S. 1 1 ; Hinweise auf die folgenschweren Nachteile der „räumlichen Entfernung zwischen den beiden Regierungszentren" bei Groener, Lebenserinnerungen, S. 456; ähnlich Max von Baden, S. 606; Schwertfeger, S. 185. 7 Terminus nach Max von Baden, S. 6 1 5 ; Quellen II, 1 /II, S. 1358. 8 Zit. aus „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476); St. gehörte von 1906 bis 1 9 1 9 der Kdtr. Berlin an, von 1914 bis 1918 als Chef des Stabes. ' Nach dem Umbruch häufig verwendete Begriffe in der sog. politischen Kampfliteratur, in Presse u. ehrengerichtl. Auseinandersetzungen zur Charakterisierung des Prinzen Max, seines Kriegskabinetts u. einiger Repräsentanten der obersten Militärgewalt. 6

i. Berliner Kommandostruktur

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Ihren Sitz in Groß-Berlin hatten - abgesehen vom (Stellv.) AdmiraJstab und Reichsmarineamt - neben dem Preußischen Kriegsministerium, der Zentralstelle der preußischdeutschen Heeresverwaltung ohne Kommandobefugnisse über Dienststellen und immediate Militärbefehlshaber im Heimatgebiet, auch noch das Oberkommando in den Marken und ferner, gegenüber diesem in besonderem Unterstellungsverhältnis, die (Stellvertretenden) Generalkommandos des Gardekorps und des III. Armeekorps sowie die Kommandantur Berlin. Zur militärischen Eindämmung der bürgerlichen Revolution in der Hauptstadt des Königreichs Preußen geschaffen 10 , wurde das „Ober-Kommando in den Marken und Gouvernement Groß-Berlin" zwischen 1848 und 1851 mit außerordentlichen Vollmachten für den Belagerungszustand ausgestattet, die im wesentlichen unverändert fast 70 Jahre Bestand hatten". Dem Oberkommandierenden sollte im Falle innerer Unruhen die Führung aller in und um Berlin stehenden Formationen zufallen, d. h. insbesondere die unmittelbare Befehlsbefugnis gegenüber den Kommandierenden Generalen der beiden aktiven Berliner Armeekorps 11 . Rückten diese ins Feld, so machte das Oberkommando selbst nicht mobil' 5 , sondern übte nach den Bestimmungen des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand'4 den Oberbefehl über die Stellvertretenden Generalkommandos des Gardekorps und des III. Armeekorps aus. Im Mobilmachungs- und Kriegsfall nahm somit der Oberkommandierende in den Marken in seiner Eigenschaft als Militärbefehlshaber für Berlin und die Provinz Brandenburg eine herausragende Position im Vergleich zu den über 60 anderen immediaten territorialen Befehlshabern ein 1 '. Die Bedeutung, die diesem Dienstposten in der militärischen Hierarchie beigemessen wurde, zeigte sich auch in der Auswahl der Führerpersönlichkeiten, die während der Kriegszeit an die Spitze des Oberkommandos gestellt wurden. Der Ruf besonderer Entschlußkraft und ausgeprägten Durchsetzungsvermögens, der den beiden aktiven Generalobersten v. Kessel und v. Linsingen vorausging'*, stand in einigem Gegensatz zum Ansehen und zur fachlichen Qualifikation einiger der im Generalsrang dienstgradniederen

10

Erlaß des P r . K M . v. 1 . 8 . 1849 (Militair-Wochenblatt, 33. J g (1849), N r . 147, S. 1 6 1 ) ; A . K . O . v. 4. 4. 1850 (ebd., 35. J g (1850), N r . 267, S. 105). Mit der unhaltbaren Version, Kaiser Wilhelm II. habe „ z u Anfang seiner Regierung" das Ob.Kdo.i.d.M. „zur brutalen Unterdrückung einer möglichen Revolution" geschaffen, folgte Görlitz, S. 136, offenbar der ähnlich lautenden („aus Revolutionsfurcht vor der Sozialdemokratie") romanhaften Schilderung von Berndorff, S. 31 f. " Das durch A . K . O . v. 4 . 4 . 1850 als selbständige Behörde eingegangene u. mit dem Ob.Kdo.i.d.M. vereinigte „Gouvernement der Residenz Berlin" wurde am 2. 3. 1 9 1 9 als „Gouvernement Groß-Berlin" wieder vom Ob.Kdo.i.d.M. abgetrennt u. bis zu seiner Auflösung am 3 1 . 8 . 1 9 1 9 vom M S P D Abg. Schöpflin als Gouverneur geführt; vgl. Handbuch der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung 1919, S. 256 (Schöpflin); Schultheß 1919/I, S. 93, 403; Darstellungen V I , S. 12. Der Posten des Oberkommandierenden i.d.M. wurde nach dem Rücktritt des letzten Stelleninhabers, Reichswehrminister Noske, Mitte März 1920 nicht mehr besetzt. " Erlaß des P r . K M . v. 26. 1. 1 8 5 1 , abgedr. in: Militair-Wochenblatt, 36. J g ( 1 8 5 1 ) , N r . 4 1 0 , S. 25 f. " Ebd. Siehe hierzu Quellen II, i/I, S. X X X I I f . , X L f . M Deist, Militärbefehlshaber und Obermilitärbefehlshaber, S. 228. 16 Über Kessel vgl. „Schreiben" Stockhausen (Anm. I. 476); „Auszügliche N o t i z e n " Waldersee, fol. 189 (Anm. I 514); Henninger, S. 5; Quellen II, 1 /II, N r . 438, 447. Über Linsingen vgl. Möller, S. 679ff.; Volkmann, Revolution, S. 48; Keim, S. 106; N o w a k , Hoffmann I, S. 1 9 1 ; ms „Stellungnahme" Haeften v. 7 . 6 . 1922 an Ehrengericht, in: NI Scheuch, B A - M A , N 23/5, fol. 344; Haeften, „Erlebnisse 1 9 1 8 " , fol. 192 (Anm. I 314).

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II. M a ß n a h m e n z u r R e v o l u t i o n s a b w e h r in der Reichshauptstadt

Befehlshaber, die im Kriege reaktiviert worden waren oder nach Abberufung aus ihren aktiven Frontkommandos im Heimatgebiet verwendet wurden' 7 . Durch einen noch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammenden Erlaß des Kriegsministeriums zur „Regulierung der Wirkungskreise"' 8 des Oberkommandos in den Marken und Gouvernements von Groß-Berlin einerseits und der Kommandantur Berlin andererseits war der Kommandant zum Stellvertreter des Gouverneurs bei Bekämpfung von inneren Unruhen bestellt worden. Infolge höfischer Einmischung endete die 1 9 1 1 / 1 2 scharf ausgefochtene Ämter- und persönliche Rivalität zwischen den Generälen des Oberkommandos, der Kommandantur und des Gardekorps mit einer nicht unerheblichen Planstellen- und Kompetenzbeschneidung für die Berliner Kommandantur: Die bislang mit einem Generalleutnant 1 ' besetzte Stelle des Stadtkommandanten wurde etatmäßig so herabgestuft, daß sie zu Kriegsende nurmehr von einem Stabsoffizier mit dem Dienstgrad eines Obersten 10 besetzt war. Die Stellvertretung des Gouverneurs in Zeiten des Belagerungszustandes wurde dem Kommandanten entzogen und in die Hände des dienstältesten Kommandierenden Generals gelegt; dies war der des Gardekorps nach einer sorgfältig durchdachten Regelung des Militarkabinetts 2 '. Vor allem aber verlor die Kommandantur ihre herkömmlichen A u f g a b e n " bei der Bekämpfung innerer Unruhen, ausgenommen die der unmittelbaren Befehlserteilung an die Schloßwache 25 zur Verteidigung der königlichen Palais gegenüber Insurgenten. Ansonsten unterstanden der Kommandantur Berlin keine eigenen Truppen, sie verfügte über keinerlei Befehlsgewalt im Bereich des Gardekorps und III. Armeekorps 2 4 ; auch blieb sie ohne Einfluß auf die Heranziehung fremder Truppen zur Sicherung der Hauptstadt. Die Ausschaltung der Stadtkommandantur ging so weit, daß das ihr vorgesetzte Oberkommando und Gouvernement die dringend erbetenen laufenden Informationen über die innenpolitische und Sicherheitslage nur sporadisch lieferte, so daß sie in den kritischen Novembertagen im wesentlichen „auf die dürftigen Zeitungsnachrichten angewiesen" war 2 '. Die Einstufung, " V g l . hierzu die Feststellungen von Deist, in: Q u e l l e n II, A n l . 1, A n m . 1. 11 Z i t . nach Z i f f . 4 der A . K . O . v. 4. 4. 1850 ( A n m . II 1 1 ) . " L t . „ S c h r e i b e n " Stockhausen ( A n m . I 476) w u r d e n diese K o n t r o v e r s e n schon 1906/1908 in aller H e f t i g k e i t ausgetragen; sie erreichten 1 9 1 1 / 1 9 1 2 einen spektaktulären H ö h e p u n k t , als sich der K d t . , G e n . L t . v. Boehn, zur W a h r u n g der institutionellen Rechte der Stadtkdtr. persönlich bei Wilhelm II. beschwerte u. nach negativem Entscheid aus dieser Stellung ging. Seit 1 9 1 7 der nicht mehr f e l d d i e n s t v e r w e n d u n g s f ä h i g e , hochdekorierte (p.l.mérite m . E . ) Oberst S c h w e r k , ein „ N i c h t g e n e r a l s t ä b l e r " , vgl. hds. „ S c h r e i b e n " des O b e r s t a . D . S c h w e r k v. 1 2 . 6. 1922 an Ehrengericht, in: N I Scheüch, B A - M A , N 2 J / 5 , f o l . 356. " N i c h t sachliche, sondern dienstaltersbedingte u. sehr persönliche G e s i c h t s p u n k t e bei der Stellenbesetz u n g des K o r n . G e n . des G a r d e k o r p s führten 1 9 0 1 / 1 9 0 2 z u m Versetzungsgesuch des K o r n . G e n . v. B o c k und Polach s o w i e zur A b l ö s u n g des hochästimierten K o r n . G e n . v. L o e w e n f e l d im Frühjahr 1918. 11 Im wesentlichen seit A . K . O . v. 13. 5. 1838. ¡1 Standortgebundene S o n d e r f o r m a t i o n mit eigenen U n i f o r m e n u. Dienstgradbezeichnungen z . b . V . des K ö n i g l . Hauses von H o h e n z o l l e r n . ;4 D i e kurz nach dem 9. 1 1 . 1918 erfolgende Unterstellung der E r s . - F o r m a t i o n e n der G a r n i s o n u. auch der aktiven T r u p p e n des heimgekehrten G a r d e k o r p s unter die K d t r . (Darstellungen V I , S. 1 2 f . ) entsprang einer frühnachrevolutionären R e g e l u n g z u r mehrheitssozialdemokratischen Machtsicherung f ü r ihren am 10. 1 1 . 1 9 1 8 neu ernannten Ersten K o m m a n d a n t e n , den b e i d e n Berliner Soldaten bekannten A b g . Wels; „ E r w i d e r u n g " Scheüch, fol. 21 ( A n m . I 178). Dieses u. nachf. Zit. nach „ S c h r e i b e n " Stockhausen ( A n m . I 476). D i t o K l a g e n des Stellv. G e n . K d o . des G a r d e k o r p s , siehe A n m . II 7 8 7 f f .

i. Berliner Kommindostruktur

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die dieser „unpolitischen, bloßen Verwaltungsbehörde" 2 * mit ihrer Benennung als „militärische Garnisonbehörde" zuteil wurde, täuschte eine Kompetenz der Stadtkommandantur vor, die im Verhältnis zu anderen Gamisonkommandos längst eingeschränkt war. Zu den Ungereimtheiten bei den Befehlsverhältnissen in der Reichshauptstadt gehörte, daß Oberst Schwerk bei seiner Ernennung zum Kommandanten mit der Leitung von Verteidigungsmaßnahmen im Zentrum von Berlin betraut worden war, obwohl die Kommandantur institutionell ausdrücklich nicht mehr mit der Bekämpfung von Unruhen beauftragt war. Für diesen persönlichen Sonderauftrag entsprechend dem Instanzenzug vom Oberkommando dem Stellv. Generalkommando des Gardekorps zur Verfügung gestellt, hat der durch eine schwere Kriegsverletzung kaum bewegliche Schwerk 27 wohl noch den Anfang November 1918 durchgeführten Alarmübungen des Gardekorps zur Zernierung des Regierungsviertels beigewohnt; am entscheidenden 879. November ist jedoch von seiten des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps auf eine Verwendung des ortskundigen und mit allen Details der Einsatzplanung vertrauten Obersten verzichtet worden 28 . Die Befehlsgewalt des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps über die Ersatzformationen der im hauptstädtischen R a u m 2 ' stationierten preußischen Garde bestand nur nominell. Schon vor dem Kriege hatte sich das aktive Generalkommando der ständigen Einmischungen des Oberkommandos in den Marken nicht mehr zu erwehren verstanden; die mit Kriegsausbruch umfassend ausgeweitete Anordnungsbefugnis des Militärbefehlshabers von Berlin und Brandenburg, dem selbst keine eigenen Formationen unterstanden' 0 , hatte die Verfügungsgewalt des Stellv. Generalkommandos über seine Garnisontruppen weiterhin eingeschränkt. Alle laufenden Anforderungen auf Abstellung von Gardesoldaten für die zahlreichen Wach- und Ehrendienste in der Reichshauptstadt ergingen zwar von der Kommandantur, hatten aber den „umständlichen, unzweckmäßigen Weg über das Gouvernement" zu durchlaufen, das die Forderung in verbindliche Befehlsform kleidete' 1 . Selbst in den viel bedeutenderen Bestimmungen zum bewaffneten Einsatz im Innern gab es ähnlich dysfunktionale Verfahrensregelungen, die dem bewährten militärischen Führungsgrundsatz von der möglichst engen Verbindung zwischen befehlender Stelle und ausführendem Organ direkt zuwiderliefen. So bestand im Stellv. Generalkommando des Gardekorps eine „U-(Unruh-Unterdrückungs-) Abteilung"' 2 , die insbesondere nach 16

Durch die Führung einer Intendantur (die das übergeordnete Ob.Kdo.i.d.M. nicht hatte) kam der Kdtr. in truppenwirtscbaftlichen Angelegenheiten eine besondere Rolle innerhalb der Großberliner Garnison zu. 17 „Gegendarstellung" Mantey (Anm. I 476); „Schreiben" Stockhausen (ebd.). 18 „Schreiben" Schwerk (Anm. II 20); „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). Berlin, Potsdam, Charlottenburg, Lichterfelde, Spandau. Das im Kriege gesondert für Bewachungszwecke aufgestellte „Garnisonsregiment" war dem Stellv. Gen.Kdo. des Gardekorps, nicht dem Ob.Kdo.i.d.M. u. Gouvernement von Groß-Berlin unterstellt. Vgl. Matuschka, Organisationsgeschichte des Heeres 1890 bis 1918, S. 280; „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). '' „Schreiben" Stockhausen (Anm. I. 476). 12 Uber personelle Besetzung u. Tätigkeit dieser einmal als „Unruh " , einmal als „Unterdrückungs-", zumeist als „Unruh-Unterdrückungs-Abteilung" bezeichneten Sektion im Stellv. Gen.Kdo. des Gardekorps vgl. ms Darstellung des ehem. Korpschefs, Oberst i.G.a.D. v. Mantey, „Der 9. November", v. 6. 5. 1921, mit „Zusatz" v. August 1922, in: N1 Scheüch, BA-MA, N 23/4, fol. 89ff., 1 1 4 f f . ; ms

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

dem Januarstreik 1918 eine rege Planungstätigkeit entfaltete; für mehrere Eventualfälle von Bedrohung der königlichen Palais, des Regierungsviertels und des „Erweiterten Stadtcentrums" durch Zusammenrottungen, Demonstrationszüge oder Stoßtrupps einer organisierten Umsturzbewegung waren die polizeilichen und militärischen Abwehrmöglichkeiten erkundet, die entsprechenden Detachements aus den Gardeersatztruppen festgelegt und weitgehend sogar die Kommandoführer an den Einsatzorten eingewiesen' 5 . Aber weder dem Kommandierenden General, geschweige denn der auf verschiedene Formen der Abwehr vorbereiteten U-Stabsabteilung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps war vom Oberkommando in den Marken die nötige Handlungsfreiheit zum schnellen, wirkungsvollen Eingreifen zugestanden worden 54 . Ebensowenig hatte das Oberkommando und Gouvernement die Modalitäten des taktischen Einsatzes der in Krisenlagen auf enge Zusammenarbeit mit dem Berliner Militär angewiesenen Berliner Schutzmannschaften geklärt 3 '. Nach dem Debakel des Berliner Militärs am 8-/9. November 1918 ist verschiedentlich behauptet worden' 6 , daß es energischer für ihr direktes Befehlsrecht eintretenden Persönlichkeiten an der Spitze des Stellv. Gardekorps gelungen wäre, eine Freigabe der eigenen Truppen und eine von allzu dirigistischen Eingriffen des Oberkommandos und Gouvernements ungehinderte Verfügung über diese zu erwirken, um so den am 9. morgens gebotenen Erfordernissen und zwar durch rechtzeitig zu befehlende und flexibel zu leitende Abwehrmaßnahmen angemessen entsprechen zu können. Solche Hypothesen lassen zwar wesentliche Voraussetzungen für das Versagen der Garnison außer Betracht; sie sind jedoch hinsichtlich ihrer einheitlichen und beweiskräftigen Verurteilung der vom Militärkabinett getroffenen Personalauswahl für die Spitzenpositionen im Stellv. Generalkommando des Gardekorps interessant, da sie erneut die Schwäche bei der Nominierung geeigneter Führungskräfte darlegen. So blieb den kritischen Beobachtern der Szene unerfindlich, weshalb der bei den Truppen und in der Bevölkerung angesehene, als tatkräftig, umsichtig und mit den hauptstädtischen Verhältnissen bestens vertraute General der Infanterie v. Loewenfeld, nachdem er gerade noch anläßlich des Truppeneinsatzes beim Januarstreik eine glückliche Hand gezeigt hatte, unvermittelt als Stellv. Kommandierender General verabschiedet wurde' 7 „Äußerung" des Hptm.d.R. a.D. Edler von der Planitz, ehem. Aufklärungsoffizier u. Gehilfe in der U-Abt./Stellv. Gen.Kdo. des Gardekorps, v. 1 8 . 4 . 1 9 2 2 , ebd., fol. 164H.; hds „Bericht" des Hptm.a.D. v. Stoeßel, ehem. m.d.W.d.G. des Chefs der U - A b t . im Stellv. G e n . K d o . des Gardekorps beauftragt, v. 28. 4. 1922, ebd., N 23/5, fol. 206ff.; hds „Bericht" des Oblt. d. Ldw.a.D. Dr. Schmidt, ehem. Adjutant beim Inspekteur der immobilen Garde-Infanterie III, v. 7. 12. 1919, ebd., N 23/4, insbes. fol. 83 f. " Ein Hauptanliegen der U-Abt. angesichts des kriegsbedingt starken Wechsels in den Dienstposten der 14 Zug- u. Kp.-Führer. „Äußerung" Planitz, fol. 165 (Anm. II 32). " Siehe Anm. II 219; Mantey, „ D e r 9. November", Bl. 21 (Anm. II 32). „Bericht" des Gen.d.Inf.a.D. Magnus v. Eberhardt über seinen Besuch im Stellv. Gen.Kdo. des Gardekorps am 8. 1 1 . 1918, N1 M. v. Eberhardt, GehStA, Rep. 92, N r . 89 A ; Artikel des Kdt. der AlexanderKaserne am 879. 1 1 . 1918, Oberst a.D. Roderich Jachmann, Im Schloß bei Ausbruch der Revolution, in: Tägliche Rundschau v. 20.8. 1923; „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). Daß ausgerechnet Gen.d.Kav. Frhr. v. Richthofen u. Oberst v. Mantey sich „ z u einer Yorck-Tat aufraffen" sollten (Keim, S. 9 1 , 1 1 0 , 123), bedeutete nicht nur eine Uberforderung ihres Naturells, sondern auch ihres Verständnisses vom soldatischen Gehorsam. ,r „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). - Dem Berliner Militär war für sein Auftreten gegenüber den Ausständischen betonte Zurückhaltung auferlegt worden, vgl. Quellen II, 1 /II, S. I i 6 f . ; Neumann,

i. Berliner Kommandostruktur

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und dem General der Kavallerie Frhr. v. Richthofen Platz machen mußte, der nicht in Berlin wurzelte und wegen psychischen Versagens von der Front in die Heimat versetzt worden war. Über den seit Juli 1918 als Chef des Stabes im Stellv. Generalkommando des Gardekorps amtierenden Generalstabsobersten v. Mantey lauteten die Urteile noch ungünstiger. Ihm wurde nachgesagt, daß er als Frontgeneralstäbler die Nerven verloren habe und deshalb in der Etappe verwendet worden sei. Am Vorabend des Umsturzes machte Mantey auf einen hochgestellten Besucher den Eindruck eines „völlig gebrochenen, schwer kranken und in solch ernster Lage für den Dienst in verantwortlichster Stellung unfähigen Mannes" 3 ®. Zur Auflösung der bisher bestehenden Machtverhältnisse in Berlin hat in der Tat wesentlich das Führungsverhalten beigetragen, das der Kommandierende und der Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps bei den in der ersten Novemberwoche zu ergreifenden Sicherungsmaßnahmen, insbesondere am entscheidenden 8V9. bei der von ihnen erwarteten Entschlußfassung und Befehlsgebung, an den Tag legten. Neben den bereits genannten Militärbehörden hatte auch das Stellv. Generalkommando des III. Armeekorps seinen Sitz in der Reichshauptstadt; die Masse seiner Ersatzformationen stand um Berlin und in der Mark Brandenburg. Dieser Dislozierung seiner Truppen hatte es das brandenburgische Armeekorps zu verdanken, daß es den unmittelbaren Einwirkungen auf die Ausübung seiner Kommandobefugnisse durch das Oberkommando in den Marken nicht in dem Maße unterworfen war wie das Berliner Gardekorps 3 '. Aber als es dann am 9. November morgens die Lage gebot, mit intakten Verbänden aus dem von der Umsturzbewegung noch weitgehend unberührten ösdichen Teil des Korpsbereichs in der Hauptstadt einzugreifen und die seit den Abendstunden des Vortags zunehmend in Rebellion begriffenen Ersatzformationen des Gardekorps abzulösen, da hat weder das für die Koordination und Leitung aller Abwehrmaßnahmen zuständige Oberkommando in den Marken und Gouvernement von Groß-Berlin entsprechende Einsatzbefehle erteilt, noch das Stellv. Generalkommando des III. Armeekorps irgendwelche Ansätze zu unabhängigen Entscheidungen oder selbständigem Handeln gezeigt, obwohl es infolge des Standorts seines Stabsgebäudes über die innerstädtische Revolutionsentwicklung aus nächster Nähe aktuell informiert war. Das ursprünglich auf die oberste militärische Führung bei den Alliierten und Mittelmächten bezogene Wort von der fatalen Wirkung von Krise und Krieg als Rechnungsprüfer der Institutionen40 ist auch auf die polykratischen Berliner Kommandoverhältnisse anwendbar. Der Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet war ohne Befehlsbefugnis in sogenannten Jägerbataillon, S. 325 f.; Waase, S. 39; Repetzky, S. n j f . ' , Schenck zu Schweinsberg, S. 1 j o f f . ; Maldeghem, S. 333. )S Zit. nach „Bericht" Eberhardt (Anm. II 36). Weitere Urteile über die Korpsführung: „Aufzeichnung" des Oblt. v. Etzdorf, Adj. beim Chef des Kriegsamtes, v. 10. 1 1 . 1918, ms. Abschrift in: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/1, fol. 139; Jachmann (Anm. II 36) u. „Stellungnahme" Kralls u. Scheüchs hierzu, ebd., fol. 1 3 9 f . ; Zeitungsartikel von Saekel, Schlesinger (siehe Anm. II 341) u. Knoll (siehe Anm. II 146); „Bericht" Schmidt, fol. 84 (Anm. II 32); „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476); siehe Anm. II 99. " „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). Corelli Barnett, Anatomie eines Krieges. Eine Studie über Hintergründe und entscheidende Phasen des Ersten Weltkrieges, München-Esslingen 1963, S. 8.

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Kommandoangeiegenheiten gegenüber den immediaten Militärbefehlshabem und ebensowenig gegenüber dem gleichfalls in der Hauptstadt des Reiches residierenden Oberkommandierenden in den Marken und Gouverneur von Groß-Berlin. Diesem waren nach Allerhöchster Kabinettsorder (1850) zur Bekämpfung innerer Unruhen wohl drei weitere Berliner Kommandobehörden 4 ' unterstellt, ihm stand aber keine gesonderte Stabsabteilung für diesen hauptsächlichen Zweck und „Nachweis seiner Daseinsnotwendigkeit" 4 ' zur Verfügung, die ihn befähigt hätte, die revolutionäre Lage zutreffend zu beurteilen, um dann einerseits vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen sowie andererseits rechtzeitige Weisungen über Art und Umfang des Truppeneinsatzes zu erteilen. Daneben stand das mit seinen Garnisontruppen für die Beherrschung der innerstädtischen Situation nach aller Voraussicht ausschlaggebende Stellv. Generalkommando des Gardekorps mit seinen gründlichen Vorarbeiten und ausreichenden befehlstechnischen Möglichkeiten zur Einsatzleitung, aber ohne unmittelbare Verfügungsgewalt über die eigenen Ersatzformationen, zudem unter nicht mehr voll belastbarer Führung. Weiterhin bestand noch die von Oberkommando und Gardekorps 43 entmachtete und unvermittelt in letzter Stunde mit einer Führungsaufgabe zur Stabilisierung der gefährdeten Sicherheitslage beauftragte Kommandantur von Berlin 44 , die sich der Situation ebensowenig gewachsen zeigte wie das Stellv. Generalkommando des III. Armeekorps, das in der gewohnten Rolle als Befehlsempfänger unter der Regie des Oberkommandos verharrte, anstatt, in der Krise ohne Weisung, zu „selbständigem Entschluß und Handeln im Sinne der zugrundeliegenden Generalabsicht" 45 zu gelangen. Bei näherer Betrachtung der innermilitärischen Verhältnisse in der Reichshauptstadt erweist sich, daß die Hauptverantwortung für die Ohnmacht und Kapitulation der alten Gewalten vor der Umsturzbewegung den unbotmäßig gewordenen Berliner Truppen nicht zugewiesen werden kann. In einem bisher unterschätzten Ausmaß beruhte das Versagen der Garnison auf Voraussetzungen, die außerhalb der stärkemäßigen und truppenpsychologischen Überforderung der Ersatztruppen 46 beim Kampf im Innern lagen. Das Debakel des Berliner Militärs vom 8-/9. November 1918 war nicht zuletzt auch in lange zuvor angelegten und bei einigen Befehlsstellen nicht unbekannt gebliebenen Fehlern im Führungssystem begründet: zum einen in der allen Normen für militärische Effizienz widersprechenden Kommandostruktur, zum anderen in der Auswahl von zur Krisenbewältigung ungeeigneten Führerpersönlichkeiten 47 . 41

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Neben den (Stellv.) G e n . K d o . von Garde- u. III. A . K . findet sich des öfteren auch für die Kdtr. Berlin die Bezeichnung „ K o m m a n d o - B e h ö r d e " . Jedenfalls machten noch in unmittelbarer Vorkriegszeit die Generalleutnante Graf v. Moltke (1906) u. v. Boehn ( 1 9 1 1 ) von ihrem Recht des unmittelbaren Zugangs zum Monarchen Gebrauch. Mit Truppeneinsatz im Innern, d. h. Kommando-Befugnissen, war die Berliner Stadtkdtr. bis 1906, dann wieder ab 7. 1 1 . 1918 befaßt. Terminus im „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). Ebd. über die bereits 1906 erfolgte Ausschaltung des Stadtkommandanten durch den Gouverneur „auf Anregung des Gen.Kdos. des G a r d e - K o r p s " . Zur improvisierten Aufstellung von Offizierbataillonen siehe Kap. II 8 b. Ältere Fassung des milit. „Führungsgrundsatzes": „Außerordentliche Lagen erfordern außerordentliche Entschlüsse" u. „eigenständiges Handeln im Sinne des Auftrages und der vorgesetzten Stelle bei unterbrochenen Verbindungen". Über den Zustand der Formationen in und um Berlin siehe Kap. II 8 a. Daß ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz auch in der mittleren und unteren Führerschicht des Stellv. Gen.Kdo. des Gardekorps den Anforderungen nicht zu entsprechen vermochte, ist belegt in: „Äußerung" Planitz; „Bericht"Schmidt; „Bericht" Stoeßel (alle Anm. II }2); siehe auch Kap. II 8b.

2. Planerische Vorbereitungen: Alarmbefehl „Einschließung"

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2. Die planerischen Vorbereitungen der Militärbehörden zur Unterdrückung von Unruhen Zur Erfüllung seines Hauptauftrages, ausbrechendem Aufruhr im Innern mit vorbeugenden Mitteln oder direkter Gewalt zu begegnen, hatte sich das Oberkommando in den Marken auf zwei Eventualfälle eingestellt. Der Militärbefehlshaber für die Provinz Brandenburg und Berlin hatte diese beiden noch aus der Vorkriegszeit stammenden Modelle von Insurrektion und entsprechender Gegenwirkung der Ordnungskräfte für die Stabsarbeit bei den U-Sektionen der ihm nachgeordneten Militärbehörden im Kern unverändert bis in die ersten Novembertage hinein zugrundelegen lassen*8. Die kriegsbedingt reichlichen Erfahrungen im Umgang mit den Bestimmungen des Belagerungszustandsgesetzes, das zuletzt beim politischen Massenstreik vom Januar 1918 in verschärfter Form angewandt worden war 49 , hatten zwar eine für die polizeilichen und militärischen Ordnungskräfte kaum noch überschaubare Menge zusätzlicher Verfahrensregelungen hervorgerufen; jedoch hatte die planerische Vorstellungskraft des Oberkommandos nicht ausgereicht, nach dem verstärkten Auftreten von Umsturzsymptomen, die sich seit dem Sommer 1918 immer bedrohlicher gezeigt hatten, zu einer fundamentalen Revision des konzeptionell längst überholten und hinsichtlich seiner Handhabung so gut wie untauglich gewordenen Alarmkalenders zu gelangen' 0 .

a) Der Alarmbefehl

„Einschließung"

Als das bedeutendere Modell unter den beiden sog. „Hauptarten von vorbereitenden Maßnahmen für den Fall innerer Unruhen" wurde die „Einschließung von Berlin" angesehen. Hierbei handelte es sich um eine großangelegte Zernierungsoperation, bei der das Stadtzentrum von Formationen der Berliner Garnison unmittelbar gesichert und der Raum von Groß-Berlin in einem Umkreis von 15 km gegen Zuzug von außen abgeschlossen werden sollte, während Gardetruppen aus dem Innern des Kordons vorstoßen sollten, um vorrückende Aufrührer zu bekämpfen. Das unverkennbar an eine Kampfart der offenen Feldschlacht („Gefecht in der Einschließung") angelehnte Modell zum Schutz der Reichshauptstadt erschien schon damaligen U-Sachbearbeitern als nicht schlüssig' 1 und war auch tatsächlich in mehrfacher Hinsicht den weiterentwickelten Formen revolutionärer Aktion nicht angemessen; so stellte es weder ein geeignetes Abwehrmittel gegen Putschtaktik dar noch gegen den aus gezielten permanenten Massendemonstrationen erwachsenden Umsturzversuch. Gegen beide Staatsstreichpläne der sozialistischen Linken aber hätte das Oberkommando in den Marken seit langem gefeit sein können. Der zuletzt Ende Oktober/Anfang N o vember 1918 kulminierende Richtungsstreit über die Form der Einleitung des Umsturzes

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Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 14, 16 (Anm. II 32). Uber Verlauf u. Charakter des sog. Munitionsarbeiterstreiks siehe Quellen II, 1 /II, Nr. 424, 42öff., 432ff., 441-447.

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66

Z u r Verläßlichkeit der Dienstpflichtigen im deutschen Friedensheer f ü r den Fall ihrer V e r w e n d u n g im Innern siehe K a p . II 8 a. So „ B e r i c h t " Schmidt, fol. 80 ( A n m . II 32). So M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 2 ( A n m . II 32). Lt. A r t . 6 3 , A b s . 3 B i s m . V e r f . , infolge Scheüchs Intervention v o n den verfassungsändernden Bestimmungen über die K o m m a n d o g e w a l t des Kaisers nicht berührt; vgl. Quellen I/2, N r . 9 1 . F o r m u l i e r u n g M a n t e y s in: „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 2 ( A n m . II 32), über seine erste diesbezügl. V o r sprache am 10. 7. 1 9 1 8 beim O b . K d o . i . d . M . Ü b e r die seit S p ä t s o m m e r 1 9 1 8 grassierende „ R e v o l u t i o n s p s y c h o s e " (Mantey), die sich in einigen zivilen u. militärischen Stellen Berlins zur G e w i ß h e i t verdichtete, siehe K a p . I 2.

i . Planerische Vorbereitungen: Alarmbefehl „Streikabwehr"

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dos entgegengesetzt war*7. Nach diesem „Revolutionsbild" beabsichtigten die Aufständischen, sich in einem Überraschungscoup der kommunalen, preußischen und vor allem der Reichsbehörden zu bemächtigen, das Militär überfallartig oder durch den Druck der vor den Kasernen demonstrierenden Massen zu paralysieren und auf seine Seite zu bringen. Die Lagebeurteilung gipfelte in der Feststellung, daß sich das Gelingen oder Mißlingen der Revolution „in wenigen Stunden entscheide", je nachdem, ob die Berliner Truppen in der Hand ihrer Führer bleiben oder sich als unbotmäßig erweisen würden. In dieser Studie wurde der hauptstädtische Großraum als eine Art Kriegsschauplatz angesehen, aus dem bei Zuspitzung der revolutionären Lage das Gros der Truppen herauszuziehen und an der südwestlichen und südöstlichen Peripherie zu sammeln sei. Ferner war beabsichtigt, kampfstarke Sicherungskräfte lediglich in das Regierungsviertel zu legen, um dieses vor jedem Zugriff zu schützen, das Weichbild der Stadt dagegen nur durch Aufklärungsflugzeuge und motorisierte Patrouillen überwachen zu lassen. Der Bevölkerung war anzukündigen, daß der Ausbruch erster Unruhen automatisch die Beschießung der vorwiegend von Arbeitern bewohnten Stadtteile, wie z. B. Neukölln und Lichtenberg, auslösen werde. Wenn diese Pression auf das „politisch unruhige Proletariat" 68 nicht zur sofortigen Pazifizierung führen werde, dann sollte die Hauptstadt von Süden nach Norden durch die bei Döberitz und Zossen zum vorgeplanten Gegenangriff bereitgestellten Truppen durchkämmt und jeglicher Aufruhr niedergeschlagen werden 69 . Im Gegensatz zu den Abwehrplänen des Oberkommandos hatte der Entwurf des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps den entscheidenden Vorzug, auf eine handstreichartige Aktion ebenso eingestellt zu sein wie auf das Auftreten einer revolutionären Massenbewegung; er war für die in Krisenzeiten erfahrungsgemäß friktionsbehaftete Befehlsgebung einfach genug, hielt die verfügbaren Truppen zusammen und rechnete nicht mit fremder Hilfe. Das Oberkommando in den Marken verweigerte der operativen Radikallösung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps seine Zustimmung. Die Gründe waren - soweit ersichtlich - nicht nur Skrupel wegen der unterschiedslos gegen eine bestimmte Bevölkerungsschicht vorgesehenen Repressalie. Der Vorschlag des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps, der an den Überblick des Befehlshabers und an die taktische Beweglichkeit der Führer und Truppen hohe Anforderungen stellte, überschätzte zugleich bei weitem die Risikobereitschaft des Bürgertums mit seinem gegen alle Eventualfälle gerichteten Anspruch auf jederzeitige Sicherstellung von Ruhe und Ordnung durch die Exekutivgewalt 70 . Ausschlaggebend für die Ablehnung des Alternatiworschlages des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps, bei dem die Metropole durch ein flexibles und zweifellos in vieler Hinsicht anspruchsvolles Verfahren möglicherweise erst bei Abschluß der Pazifizierungsaktion wieder vollends hätte behauptet werden können, scheint 7 ' gewe' 7 Ausführlicher zu. o. a. Richtungsstreit siehe Kap. II 2d. 68 Terminus des Berliner Polizei-Präs. v. Oppen, vgl. Archiv. Forsch. 4/IV, N r . 724, 757; ähnliche Beurteilungen in N r . 709; siehe auch Anm. I 47. 69 Falsche Darstellung bei Drabkin, S. 1 5 1 , Anm. 127. O . a. Operationsplan praktizierte N o s k e beim sog. ersten Spartakusaufstand im Januar 1919. 70 Zur Stellungnahme maßgeblicher Berliner Vertreter des sog. staatserhaltenden Bürgertums gegenüber dem Projekt einer „nationalen W e h r " siehe Kap. I 1 d. 7 ' Hierauf deutet das wenige zur Klärung der diesbezügl. Entscheidungsprozesses verfügbare Material hin.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

sen zu sein, daß sich das Oberkommando bei seinem traditionell statischen Verständnis 72 von der Durchführung seines Auftrages der „Aufrechterhaltung von öffentlicher Ruhe und Ordnung" nicht auf irgendein Wagnis einlassen wollte. Offenbar entsprach die Studie des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps nicht dem Sicherheitsbedürfnis des Oberkommandos in den Marken. Es wollte das in der Anfangsphase der Operation nur von schwachen Ordnungskräften geschützte Bürgertum nicht der „Wut der Straße" aussetzen 73 , Privateigentum und öffentlichen Besitz nicht dem M o b preisgegeben sehen und insbesondere auch die kriegswirtschaftlich wichtigen Betriebe gesichert wissen, obwohl gerade die Berliner Erfahrungen in dem einwöchigen Massenstreik vom Januar 1918 mit seinen bis zu 170000 Aufständischen gelehrt hatten, daß mit einer solchen Stillegung noch keine einschneidenden Einbußen in der Rüstungsproduktion verbunden sein mußten 74 . Während sich das Stellv. Generalkommando des Gardekorps noch um die Durchsetzung seines operativen Modells und die Absetzung des Alarmplanes „Einschließung" bemühte, legte sich die seit Oktober 1918 immer unverhohlener sich ausbreitende „Revolutionspsychose" (Mantey) unverkennbar auch auf alle Dispositionen des Stellv. Gardekorps. Es wurde von der Vielzahl der militärischen Dienststellen, der zivilen Behörden und der militarisierten Betriebe mit Aufträgen auf Gestellung von Wachen nachgerade „überlaufen" 7 '. Die anfängliche Nachgiebigkeit der Korpsführung, dem Schutzbedürfnis auch der sog. lebenswichtigen Betriebe „nach Möglichkeit" stattzugeben, führte schließlich zu einer derartigen Fülle von Wachabstellungen, daß einige Gardeersatzbataillone sich wenige Tage vor dem 9. November außerstande erklären mußten, noch Begleitkommandos aufzubieten, welche die in und um Berlin abgefangenen Matrosen in die vorgesehenen Lager überführen sollten. Die fehlende Entschlossenheit der Korpsführung, eine Zersplitterung ihrer Truppen zu verhindern, und die ungeniert vorgebrachten Maximalforderungen förderten die weitverbreitete Tendenz unter Behördenchefs, sich in jedem Falle schützen zu lassen, selbst aber keinen aktiven Beitrag zur Verteidigung der ihnen anvertrauten Institution zu leisten. Der Höhere Telegraphie-Beamten der Reichshauptstadt z. B. weigerte sich, sich mit den ihm zur Sicherung der beiden Berliner Haupttelegraphenämter angebotenen reichlichen und durchaus wirksamen technischen Sperren zufriedenzugeben, und forderte stattdessen ein starkes Wachaufgebot, da „der Eid wohl den Soldaten verpflichte, sein Leben einzuset-

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Abgesehen von der 1849, 1 9 1 0 (Lohnstreikbewegung), 1 9 1 3 (Wahlrechtsdemonstration) u. Ende Januar 1918 vom Ob.Kdo.i.d.M. u. Gouvernement von Groß-Berlin ergriffenen, im wesentlichen gleichartigen Verfahrensweise, mit der es Unruhen entgegengetreten war, darf auch der Oberkommandierende, G e n . O b . v. Linsingen (geb. 1850, Patent v. 1869), gemessen an seiner älteren operativen Schulung u. seinem Führungsverhalten als Kommandierender u. Oberbefehlshaber an West- u. Südostfront (vgl. Möller, S. 6 7 9 f f . ; N o w a k , H o f f m a n n I, S. 191), als ein Vertreter der konventionell methodischen Führungstechnik bezeichnet werden, dem die Anwendung des Rochade-Modells auf Berlin als besonders gewagt erscheinen mußte.

Vgl. die sinngleiche von Scheidemann u. Erzberger unterstützte Argumentation des p r . K M . Scheüch am 5. 1 1 . 1918, siehe S. 65. 7 < Vgl. Quellen II, 1 /II, Nr. 432, 438; N r . 437, S. t i 6 z f . ; Feldman, p. 452. 71 So Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 17; dito „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 164, der die Wachgestellung zu bearbeiten hatte (beide Anm. II 32).

2. Planerische Vorbereitungen: Alarmbefehl „Streikabwehr"

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zen, er dazu aber seine Telegraphen-Beamten nicht zwingen könne" 7 *. In Wahrheit aber waren etwa 3c» dieser Beamten vom Dienst an der Front reklamiert und standen bei der Ausübung ihrer Funktion als uniformierte Soldaten unter Kriegsrecht. Als das Korpskommando unmittelbar vor Ausbruch der Revolution in Berlin erkennen mußte, daß sogar die Reserven seiner ohnehin nur sehr bedingt mobil verwendbaren Ersatztruppen 77 erschöpft waren7®, ließen sich seine in Wochen angehäuften Führungsfehler nicht wiedergutmachen: Die nach vier entbehrungsreichen Kriegsjahren angesichts der sich abzeichnenden Niederlage ohnehin immer weiter abnehmende Dienstbereitschaft der Gardeersatzsoldaten wurde noch mehr gemindert durch die laufenden, teilweise sogar pausenlosen Abkommandierungen zum eintönigen Wachdienst rund um die Uhr. Dem allgemeinen Überdruß am Militärdienst und der auf die Dauer abstumpfenden Wirkung des Wachdienstes entgegenzuwirken, war den für die Erziehung ihrer Soldaten verantwortlichen Führern außerordentlich erschwert, da sie ihre Einheiten, geschweige denn ihren Verband, so gut wie nie geschlossen zu Gesicht bekamen. Die für die fechtenden Teile des Stellv. Gardekorps unerläßliche und wesentlich abwechslungsreichere Kampfausbildung konnte kaum noch improvisiert werden, und wenn, dann nur noch in solch begrenztem Rahmen, daß die gesteckten kleintaktischen Ausbildungsziele nur noch sehr bedingt erreicht wurden. Da sich der Gardesoldat kaum noch in der formierten Kampfgemeinschaft von angestammter Korporalschaft, Kompanie und „seinem" Bataillon erlebte, verlor auch ein nicht zu unterschätzendes truppenpsychologisches Stimulans, der weit über die Berliner Garnison hinausreichende Nimbus des Angehörigen der preußischen Garde und der damit verbundene ausgeprägte Waffenstolz, seine innere BerechtigungDie schließlich nicht mehr erfüllbaren zusätzlichen Auflagen des Stellv. Generalkommandos zum Objektschutz führten zu einer faktischen Auflösung der Formationen in Teileinheiten, deren personelle Zusammensetzung und Wachaufträge ununterbrochen wechselten. Es darf nicht wundernehmen, daß unter solchen Dienstbedingungen keine Kameradschaft aufkommen und eine enge Verbundenheit von Offizier, Unteroffizier und Mann weder hergestellt noch erhalten werden konnte, die in Kriegszeiten die nötige innere Geschlossenheit der Truppe und die Zuverlässigkeit des einzelnen hätten gewährleisten können. „Restlos kaputtorganisiert" fühlte sich die Truppe durch eine Anordnung des Stellv. Gardekorps, wonach Wachdetachements unterschiedlicher Stärke aus ihren Stammbataillonen „herausgesprengt" 79 und für längere Wachperioden in Kasernen nahe am Einsatzort gelegt wurden. Die jahrelang durch die enorme Fluktuation von Rekruten in Mitleidenschaft gezogenen Kasernen der Garderegimenter Augusta und Alexander galten als derart „miserable" und beständig überbelegte Massenquartiere, daß die Mannschaften, 76

Darst. u. Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 17 (Anm. II J2). Auf Anweisung des Stellv. Gen.Kdo. des Gardekorps hatte das Jager-Btl. N r . 14 ab 8. 1 1 . Teile (1 M . G . K p . ) zur Sicherung des Haupttelegraphenamts abzustellen; vgl. Schenck zu Schweinsberg, S. 190. 77 Zur Zahl, Gliederung, Zusammensetzung der Ers.-Formationen des Gardekorps siehe Kap. II 8a. 78 Beleg Anm. II 76. Über die erfolglosen Meldungen des Korpschefs beim Ob.Kdo.i.d.M., die er mit Wachgestellungstabellen für die Betriebe pp. zu stützen suchte, „allda wir gegenüber einer Revolution schon an sich zu wenig Truppen hätten", vgl. „Bericht" Stoeßel, fol. 208 (Anm. II 32). 7 ' Formulierung des Majors a.D. Rosenow, ehem. Ers.Btl./Königin Elisabeth Garde-Grenadier-Rgt. N r . 3, in seinem „Schreiben" an Ehrengericht Scheüch-Waldersee, in: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/4 fol. 2off.; 59f.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

die ihre in Berliner Vororten gelegenen und im Eigeninteresse instandgehaltenen Stammunterkünfte für die Dauer ihres Wachkommandos verlassen mußten, dieses keineswegs als „Ehrendienst" auffaßten. Die schlechten Unterbringungsverhältnisse in der Alexander-Kaserne, die mit ihrer Lage gegenüber dem Schloß eine Schlüsselposition bei der Verteidigung Berlins einnahm 80 , sollen „hauptsächlich" jene „mißvergnügte Stimmung" erzeugt haben, welche die dort einquartierten auswärtigen Truppen als erste der Berliner Formationen am 9. November morgens auf den Weg der Rebellion trieb 8 '. c) Die U-Abteilung als Planungszentrale des Gardekorps

des Stellvertretenden

Generalkommandos

Die Erkenntnis, daß eine Umarbeitung der vom Oberkommando in den Marken vor Jahren konzipierten und von den unterstellten Kommandobehörden dann jeweils im einzelnen vorzubereitenden Alarmmaßnahmen unerläßlich war, ist dem neuen Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps nach seiner Darstellung schon im Juli 1918, wenige Tage nach seinem Dienstantritt, gekommen" 1 . Von dieser Behauptung ausgehend, ist zu untersuchen, wie weit die Korpsführung die „Neuaufstellung der Vorarbeiten" tatsächlich als „nötig und dringend" erachtete und vor allem, welche Aktivitäten sie folgerichtig im Sinne dieser Schwerpunktaufgabe entwickelte und welche praktischen Ergebnisse ihr Einsatz zeitigte. Als Führungsorgan zur planerischen Ausgestaltung seiner Vorstellungen bis zur Entscheidungsreife stand dem Chef des Stabes grundsätzlich und in seiner Gesamtheit das Stellv. Generalkommando des Gardekorps zur Verfügung. Auf den ersten Blick handelte es sich hierbei um einen vergleichsweise 8 ' reichlich besetzten Korpsstab; seine tatsächliche Effizienz war jedoch infolge eingeschränkter fachlicher Eignung und physischer Belastbarkeit des Führungspersonals niedrig zu veranschlagen: Der Vertreter des seit längerem nicht mehr voll verwendungsfähigen Chefs des Stabes war ein betagter und „zu schweren Aufgaben nicht befähigter" Oberst z.D., die Generalstabsdienstposten waren ausnahmslos von schwer kriegsinvaliden Offizieren besetzt, diese z.T. ohne Führergehilfenausbildung und von niederem Dienstgrad, ihre Hilfsoffiziere „aktive und inaktive Herren bis an die 70 Jahre"® 4 . Die beiden einzigen wirklichen Sachkenner der komplizierten Materie 8 ' waren zwei Subalternoffiziere, die im Stellv. Generalkommando mit der Führung des Alarmkalenders für 8c

Müller-Franken, S. 4 / f . ; Schultze-Pfaelzer, S. i 2 o f . ' Jäger-Btl. N r . 4 (Naumburg), Teile Ers.Btl./Res.Inf.Rgt. 64 (Neukölln). - Darstellung u. Zit. zum „Kasernierungs-Roulette", in: „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 167; „Bericht" Schmidt, fol. 85 (beide Anm. II 32); Jachmann. ' 2 Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 2 (Anm. II 32). '> Ebd.; im Vergleich zu den aktiven G e n . K d o . des Friedensheeres u. auch noch im Vergleich zu den erweiterten mobilen G e n . K d o . der im Felde stehenden aktiven, Reserve- u. Landwehr-Korps; vgl. Cron, S. 85 ff., 294ff. 84 Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 3 (Anm. II 32); vollinhaltlich bestätigt durch einzelne Hinweise in „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476); „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 165, 167 (Anm. II 32); „Persönliche Erfahrungen" u. „Denkschrift" Stammer (siehe Anm. I 473 u. 1 476); „Gegendarstellung" Mantey (Anm. I 476). Uber Persönlichkeiten u. Dienstverhältnisse in der U-Abt./Stellv. G e n . K d o . des Gardekorps: „Äußerung" Planitz, fol. 165; „Bericht" Schmidt, fol. 84; Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 3; „Bericht" Stoeßel, fol. 206ff. (alle Anm. II 32). 8

2. Planerische V o r b e r e i t u n g e n : U - A b t e i l u n g als Planungszentrale

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das Gardekorps betraut waren, deren Arbeitskapazität aber durch die tägliche Sicherstellung der laufenden und der zusätzlichen Objektschutzaufträge schon weitgehend ausgelastet war. Daß es subjektiv eine Uberforderung bedeutet hatte, diese zudem in ihrer Leistungsfähigkeit durch Kriegsverletzungen eingeschränkten U-Sachbearbeiter noch mit der Entwicklung und detaillierten Ausgestaltung von Alternativkonzeptionen zu beauftragen, war dem für die Regelung des Dienstbetriebes im Korpsstab verantwortlichen Chef des Stabes durchaus klar. Damit hätte er objektiv eine sich über längere Zeit erstrekkende Stabsarbeit in Kauf nehmen müssen. Nur mit einer Ausnahme hat der Korpschef von den Möglichkeiten seiner Stellung Gebrauch gemacht, mehrere Offiziere seines „großen Stabes" zu von ihm im einzelnen umrissenen Dienstleistungen in die U-Abteilung abzustellen, um die „sehr umfangreiche und auf das Genaueste zu überlegende Arbeit" nach eigener Weisung und unter Anleitung der Sachbearbeiter voranzutreiben 8é . Diese offenkundige Vernachlässigung des Zeitfaktors bei den Vorbereitungen des Stellv. Generalkommandos für eine Aufgabe, deren praktische Durchführung im wesentlichen bei seinen Gardeersatztruppen liegen würde und bei der Erfolg oder Scheitern beim Einsatz im Innern Auswirkungen von größter Tragweite hervorrufen könnten, beruhte unzweifelhaft auf einem grundlegenden Führungsfehler und auf Mängeln in der Stabsdienstorganisation. Der von anderer Seite gegen die Korpsführung gerichtete Vorwurf, sie hätte sich „in das Unabänderliche des Kommens der Revolution geschickt" und die „Dinge treiben lassen"®7, kann hieraus nicht abgeleitet werden; für ein frühzeitiges Versagen der psychologischen Abwehrbereitschaft bei den militärischen Entscheidungsträgern im Stellv. Generalkommando des Gardekorps gibt es kein Indiz 88 . Allerdings haben sich Kommandierender General und Chef des Stabes durch die täglichen Anforderungen der militäradministrativen Routinetätigkeiten über Gebühr beanspruchen 8 ' und durch Dienstverrichtung ohne eindeutige Schwerpunktbildung den Blick verstellen lassen auf den ersten Auftrag und die bis zuletzt nicht aufgehobene existenzielle Grundbestimmung der preußischen Garde»0, vor allen anderen Rücksichten Garant für die Aufrechterhaltung des Regiments ihres Obersten Kriegsherrn zu sein. Bei den militärischen Dienststellen in und um Berlin waren die bis dahin von äußeren Einwirkungen verschont gebliebenen Abläufe eines fast friedensmäßig geregelten Dienst86

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Lt. „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 164 ( A n m . II 32) w u r d e die U - A b t . personell nur durch die zeitweise Z u k o m m a n d i e r u n g des Leiters des vaterländischen Unterrichts beim Stellv. G e n . K d o . des G a r d e k o r p s (d.i. H p t m . v.d. Planitz) verstärkt; dort hatte Planitz Wachpläne aufzustellen. - F o r m u l i e r u n g e n bei M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. j u . 2 ( A n m . II 32). Z u r Kritik an G e n . d . K a v . Frhr. v. R i c h t h o f e n u. O b e r s t v. M a n t e y siehe A n m . II 38. D i e Beteiligung des G e n s t . - M a j o r s Staabs, F ü h r u n g s g e h i l f e des I a , bei der wieder a u f g e h o b e n e n Festsetzung Kieler Matrosen ( A n m . I 476) w a r w o h l w e n i g e r in „ u n e r k l ä r b a r e r Ü b e r z e u g u n g s s c h w ä c h e " (Stockhausen) begründet als in dem U m s t a n d , daß St. „ p f l i c h t t r e u , aber nicht mit großer Ubersicht b e g a b t " w a r (Mantey). Charakteristische F o r m u l i e r u n g e n M a n t e y s in: „ D e r 9. N o v e m b e r " ( A n m . II 32): „ I m m e r h i n habe ich unter täglichen Vorträgen mit den O f f i z i e r e n des Stabes sehr viel gearbeitet" (Bl. 2); „alle hatten alle H ä n d e voll zu tun, keiner hatte Zeit u. der G e w o h n h e i t s z u s t a n d w u c h s " (Bl. 1 1 ) . Vgl. das z w e i f a c h e Schutzangebot v. 9. 1 1 . 1 9 1 8 an W i l h e l m II. durch G e n . M a j . G r a f von der Schulenburg, aktiver „ G a r d i s t " , bis 1 9 1 6 C h e f des G e n s t . des G a r d e k o r p s , danach der H e e r e s g r u p p e D e u t scher K r o n p r i n z , welche alle aktiven G a r d e t r u p p e n f ü h r t e , in N i e m a n n , R e v o l u t i o n von o b e n , S. 327, 330, 3 5 5 , 3 6 2 ; W e s t a r p / C o n z e , S. 46, 96.

I 62

II. Mißnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

betriebes erstmals im Januar 1918 durch den sog. Munitionsarbeiterstreik unterbrochen und ihre Fähigkeit, nachdrücklich ihre Funktion als Ordnungsmacht des monarchischen Staates auszuüben, auf eine ernste Bewährungsprobe gestellt worden. In den streckenweise schönfärberischen Immediatberichten, in denen damals Obermilitärbefehlshaber und Oberkommandierender dem Kaiser ihre Erfolge meldeten 9 ', wurde nicht nur die von einem sachkundigen und einflußreichen Militär festgestellte anfängliche Unsicherheit der leitenden Stellen verdeckt 92 , es wurden auch die organisatorischen Mängel in der Vorbereitung auf den Alarmfall „Streikabwehr" verschwiegen. Tatsächlich hatte erst „etwas passieren müssen, bevor einiges passierte". Der von nachgeordneten Dienststellen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps seit Jahren beklagte häufige Wechsel in der Leitung der U-Abteilung stagnierte 93 ; zur Bereinigung der zutage getretenen Unstimmigkeiten im Alarmkalender wurde ein Generalstäbler zukommandiert, bald aber wieder abberufen 94 . Keine Beachtung schenkte allerdings das Oberkommando den daraufhin im Laufe des Jahres 1918 beständig wiederholten und seit Herbst immer dringlicher gestellten Anträgen der Korpsführung, ihr auf Dauer „einen voll leistungsfähigen Gencralstabsoffizier" zuzuteilen, der dank seines geschulten Planungsvermögens die unumgängliche Neubearbeitung aller Alarmmaßnahmen leiten sollte und durch seinen höheren und etatmäßigen Dienstgrad mehr auszurichten vermocht hätte als die Subalternoffiziere, die die U-Abteilung führten 95 . Diese negative Reaktion des hauptverantwortlich mit der Eindämmung von Aufruhr beauftragten Oberkommandos in den Marken ist als eine Folge seiner andersgearteten Beurteilung der Lage zu werten. Im Gegensatz zu der bereits aus dem Sommer stammenden Lagefeststellung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps, in der der Ausbruch von Unruhen als sicher und nahe bevorstehend angenommen wurde, ist das Oberkommando - wenn überhaupt - zu einer solchen Auffassung frühestens Ende Oktober 1918 gelangt' 6 . Entsprechend dilatorisch behandelte es daher auch andere Dringlichkeitsanträge des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps zur Putschabwehr wie die auf Verhängung des verschärften Belagerungszustandes, auf sofortige Bildung einer „nationalen Wehr" sowie eines zweiten Ober- resp. Generalkommandos zur Bekämpfung von Unruhen 97 . Möglicherweise hat das Oberkommando schon deshalb für die Anregungen und Anträge des Stellv. Gardekorps nur wenig Verständnis aufgebracht, weil man bei dieser Kommandobehörde ohne eigene Truppen nicht so sehr deren ständiges Drängen auf exakt umrissene Aufträge spürte und damit auch nicht die entsprechenden Schwierigkeiten der Ausführbarkeit von Einzelmaßnahmen kannte, sich insgesamt also von den auf einem Truppengeneralstab lastenden Aufgaben für die Alarmvorbereitung nur schwerlich eine realistische Vorstellung machen konnte 98 . " Quellen II, i/II, N r . 4)7f. 9 ' „Aufzeichnungen" des Oberstlt. Bauer, ebd., S. 1 1 7 2 . " „Bericht" Schmidt, fol. 84 (Anm. II 32). ,4 Ebd.; „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 165 (Anm. II 32). 9( Ebd.; Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. i f . ; Zit. ebd., Bl. 3 (Anm. II 32). * Vgl. „Bericht" Linsingen in: Quellen I/2, S. 6 2 ! , u. die von den Generalen Scheuch u. v. Wrisberg geäußerten Zweifel an der Prognose des Ob.Kdo.i.d.M. aus „den letzten Tagen des Oktobers, [ . . . ] daß wir unmittelbar vor dem Ausbruch der Revolution ständen"; ebd., Anm. 3. 97 Ausführlicher siehe Kap. I d; dort insbes. Anm. I 1 3 7 f f . ' s Zu den Vorwürfen der „Truppenferne" des Ob.Kdo.i.d.M. siehe Kap. II 8a, insbes. Anm. II 637f.

2. Planerische V o r b e r e i t u n g e n : U - A b t e i l u n g als Planungszentrale

.63

Da sich der Oberkommandierende zur Bewältigung seiner Hauptaufgabe, der Führung von drei Kommandobehörden im Falle innerer Unruhen, selbst keine eigene U-Abteilung geschaffen hatte und alle U-Angelegenheiten vom Chef des Stabes und dessen I a unmittelbar erledigen ließ, hat er die Personalanforderungen des Stellv. Gardekorps aller Wahrscheinlichkeit nach als zu aufwendig angesehen und deshalb nicht mit dem nötigen Nachdruck gegenüber dem Militärkabinen vertreten. Als dem Stellv. Generalkommando des Gardekorps in den ersten Novembertagen schließlich Generalstabsoffiziere zugewiesen wurden, geschah dies auf eine Initiative des preußischen Kriegsministers hin, „um zunächst eine Festigung der Verhältnisse bei diesem Generalkommando ungesäumt zu erreichen", weil nämlich General Scheüch von der nervlichen Verfassung und Führungsbefähigung des Korpschefs derart negative Eindrücke gewonnen hatte, daß dessen „alsbaldige Ablösung ins Auge gefaßt" werden mußte". Die Zuteilung von Führungsgehilfen zu diesem Zeitpunkt erfolgte in jeder Hinsicht zu spät: Im Spätsommer und Herbst 1918 war nicht mehr aufzuholende Zeit verloren worden, weil das Stellv. Generalkommando die sofortige Ausarbeitung einer dem eigenen „Revolutionsbild" entsprechenden Abwehrplanung wohl zur Priorität erklärt, sie aber nicht zu einer solchen gemacht hatte. Ein Generalstabsoffizier, der am 6. November in den Korpsstab beordert worden war, konnte nur noch feststellen, daß die erst am Vortage beendeten schriftlichen Arbeiten am Tage seines Dienstantritts noch mit einer mündlichen Direktive des Kommandierenden Generals an die Alarmsachbearbeiter der Gardeersatzformationen versehen und damit anscheinend alle vorbereitenden Abwehrmaßnahmen zum Abschluß gebracht worden waren 1 0 0 ; dieser Generalstabsoffizier hat nach 24 Stunden das Generalkommando wieder verlassen, um seinen unterbrochenen Urlaub fortzusetzen 101 . Die beiden Generalstäbler, die am 7. und 8. November an seine Stelle traten, waren mit den Berliner Verhältnissen in keiner Weise vertraut; sie kannten weder die komplizierte Kommandostruktur noch die Kommandeure und U-Sachbearbeiter der über- und nachgeordneten Dienststellen. Da sie zudem ortsunkundig, also zu lagegerechter Einsatzplanung und Befehlsgebung außerstande waren, vor allem aber die Vorarbeiten nicht miterlebt und sich in die Alarmkalender noch nicht eingearbeitet hatten, beschränkten sie sich auf „geringe Betätigung" 1 0 2 . So ergab sich in den entscheidenden Vormittagsstunden des 9. November die kuriose Situation, daß in der Befehlszentrale des Stellv. Generalkommandos über die Sicherungskräfte und die schwachen Eingreifreserven der Gardeersatztruppen ein Oberleutnant disponierte, „der allein völlig im Bilde über jede Einzelheit der getroffenen Anordnungen war und am Telephon von allen Stellen dauernd persönlich verlangt wurde" 1 0 5 .

"

Zit. aus „ E r w i d e r u n g " Scheüch, f o l . 16 ( A n m . I 178). Weitere Urteile über die K o r p s f ü h r u n g siehe A n m . II 36, II 3 8 ; M a n t e y in eigener Sache siehe A n m . I I 4 1 1 . ' x Siehe A n m . II 1 1 9 / I I 3 2 1 . 101 „ Ä u ß e r u n g " Planitz, f o l . 165 ( A n m . II 32). ,CI Charakteristik bei M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 26; „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 1 6 5 , beobachtete, „daß sie sich nicht aktiv beteiligen w o l l t e n , unter dem E i n d r u c k , daß sie [ . . . ] den n u n m e h r rollenden Würfel nicht aufhalten d u r f t e n " . Ä h n l i c h Stoeßel in seinem „ B e r i c h t " , f o l . 209 (alle A n m . II 32). ,= > D.i. O b l t . v. Stoeßel u. sein H i l f s o f f i z i e r , L t . v. H o r n . Z i t . nach „ Ä u ß e r u n g " Planitz, f o l . 165 ( A n m . II 32). In allen Berichten über die ab 9. 1 1 . 1 9 1 8 mittags bis z u r Direktionslosigkeit geratenen F ü h r u n g s verhältnisse im K o r p s s t a b wird die zentrale R o l l e u. ü b e r s i e h t dieser z w e i S u b a l t e r n o f f i z i e r e hervorgehoben.

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

d) Der Alarmplan „Teilabschnitte

besetzen"

Da das Oberkommando in den Marken das vom Stellv. Generalkommando des Gardekorps unterbreitete Gegenkonzept zu „Einschließung" abgelehnt harte"*, versuchte die Korpsführung, wenigstens einen wesentlichen taktischen Bestandteil ihres Operationsentwurfs zu retten. Bei der Anlage der Einzelbefehle an die alarmkalenderführenden Dienststellen, in denen das Stellv. Generalkommando des Gardekorps seine Grundidee auszugestalten beabsichtigte, harte es mehrere Faktoren in Rechnung zu stellen. Zum einen mußte das stark ausgeprägte Beharrungsvermögen des Oberkommandos berücksichtigt werden, das unverrückt an „Streikabwehr" festhielt, also in der Sicherung kriegswirtschaftlich wichtiger Betriebe und in der Verhinderung einer Einschränkung der Rüstungsproduktion durch Aufstandbewegungen der Industriearbeiterschaft seinen Hauptauftrag sah 105 . Inwieweit es der Korpsführung mit ihren immer wieder unterbreiteten Abänderungsanträgen gelingen konnte, das Oberkommando in den Marken vom unbedingten Vorrang der Sicherung des Regierungsviertels und sogenannt strategisch wichtiger Punkte 10 * zu überzeugen, blieb deshalb lange ungewiß und wurde erst am 4. November angesichts der inzwischen unverkennbar revolutionären Lage zugunsten des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps entschieden. Neben der vom Stellv. Generalkommando angestrebten Schwerpunktverlagerung im Objektschutz - Regierungsgebäude und andere Schlüsselpositionen statt Fabriken in GroßBerlin - richtete es sein Hauptaugenmerk auf die Verbesserung der Alarmierungsverfahren und der Verteidigungsvorbereitungen zur beschleunigten Heranführung der Truppen in zuvor erkundete und womöglich ausgebaute „Teilabschnitte". Der langsame Handlungsablauf, den das Oberkommando und Gouvernement bei „Streikabwehr" für die Aktionen der Ausständischen und die entsprechenden Reaktionen von Polizei und Militär zugrundegelegt hatte, erschien dem Stellv. Generalkommando des Gardekorps zu unrealistisch. Von den bisherigen Erfahrungen mit einzelnen Arbeiterausständen in der Vorkriegszeit und in den ersten Kriegsjahren bis hin zu den erst ein halbes Jahr zurückliegenden reichsweiten Massenstreiks durfte nach Auffassung der Korpsführung nicht mehr ausgegangen werden: Die allgemeine Unzufriedenheit der breiten Masse, der hohe Organisationsgrad und die revolutionäre Entschlossenheit großer Teile der Arbeiterschaft' 07 würden nicht mehr zu der Hoffnung berechtigen, einem allmählichen Anschwellen einer Streikbewegung mit einem entsprechend langsam zu erhöhenden Aufgebot an Ordnungskräften begegnen zu können; es wäre eine „trockene Revolution"' 08 zu gewärtigen und „die Entscheidung schnell da"' 0 9 , wenn die Truppe nicht zuverlässig und zur Stelle sei. Die beim Chef des Stabes und in der U-Abteilung des Stellv. Generalkommandos des ,0

« Siehe Anm. II 70ff. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 15 f.; „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 164 (beide Anm. II 32); siehe Anm. II 106; i.e. siehe Kap. II 6. 106 Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 1 f.; „Bericht" Schmidt, fol. 80 (beide Anm. II 32); vgl. Quellen II, 1/ II, S. 1164 u. 1 1 5 9 einschl. Anm. 1 1 . 107

Vgl. die Darstellungen von Mantey, Planitz und Henninger passim. Kolb, Arbeiterräte, S. 24ff. ' Terminus u. a. bei Niemann, Revolution von oben, S. 285; auch „unblutige Revolution" genannt, so bei Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 5 u. 14 (Anm. II 32); ders., Im Heimat-Lazarett, S. 17t.; Bauer, Konnten wir den Krieg vermeiden, S. 58. 109 Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 8 (Anm. II 32). Nachf. Zit. ebd.

,c 8

2. Planerische V o r b e r e i t u n g e n : A l a r m p l a n „ T e i l a b s c h n i t t e b e s e t z e n "

.65

Gardekorps „allmählich entstandenen Bilder" von einer Revolution zeigten einen in jedem Falle und von Anbeginn seiner Aktion an planvoll, zielstrebig und vor allem schnell vorgehenden inneren Feind, unabhängig davon, o b er den Staatsumsturz durch Überraschungscoups eingespielter K o m m a n d o t r u p p s " 0 einleitete oder durch „bis an die Zähne bewaffnete S t o ß t r u p p s " " 1 , die sich aus den Demonstrationszügen lösen würden, um den Widerstand der Ordnungskräfte zu brechen und die Behördengebäude zu besetzen. Auch mit einem einheitlich dirigierten Massenaufgebot sich gleichzeitig formierender und sternförmig auf das Stadtzentrum vorrückender Arbeiterkolonnen wurde gerechnet, die nach einer Serie von an den Vortagen inszenierten Zusammenrottungen den Regierungsgewalten ihre Ohnmacht vor Augen führen sollten, um sodann bei dem „mit Sicherheit zu erwartenden U m s c h l a g " von einer Protest- in eine Umsturzbewegung „spontan" die Macht zu ergreifen" 2 . Wenn daher das Stellv. Generalkommando seine Abwehrplanung ganz auf Zeitgewinn bei der Alarmierung und auf möglichst unauffällige technische Vorbereitungen am Einsatzort abstellen wollte, dann hatte es dort eine ständige Sicherung für alle Fälle ebenso vorzusehen wie deren sofort abrufbereite Verstärkung und jederzeit verfügbare Eingreifreserven. Bis in die erste Novemberwoche bestand Ungewißheit, wieweit sich die von der Korpsführung angestrebte Konzeptionsänderung beim O b e r k o m m a n d o in den Marken durchsetzen ließ. Durch eine sich immer länger hinausziehende Freigabe dieser neuen Direktiven geriet ihre Umsetzung bei den alarmkalenderführenden Dienststellen unter immer größeren Zeitdruck, den das Korpskommando als wesentlichen Faktor in seine Überlegungen einbeziehen mußte. So wurde der Entwurf der U-Abteilung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps in einer Reihe von Einzelmaßnahmen an den gültigen Alarmbefehl „Streikabwehr" des Oberkommandos in den Marken angeglichen, um einen zu erwartenden grundsätzlichen Widerspruch möglichst zu vermeiden und um den mit der Umstellung der Alarmkalender verbundenen Arbeits- und Zeitaufwand klein zu h a l t e n " 3 . Derartige Rücksichten, insbesondere aber auch der Zeitverlust durch die sich über Monate erstreckende Planungstätigkeit im Korpsstab und schließlich die hinausgezögerte Zustimmung des Oberkommandos förderten das Zustandekommen einiger folgenschwerer Basiskompromisse zwischen den Alarmbefehlen des Oberkommandos in den Marken und den Alarmplänen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps. Beispielsweise übernahm das Stellv. Generalkommando des Gardekorps die im Prinzip Daß einzelne revolutionäre G r u p p e n nach dem M u s t e r der Blanquistischen Putschtaktik den alten Staat stürzen w o l l t e n , w a r auch der politischen Polizei in Berlin ( A n m . II 53) und in anderen Reichsteilen ( A n m . I 54) schon frühzeitig bekannt. " ' Beschreibung bei H e n n i n g e r ( A n m . I 53/I 466) f ü r die von den R e v o l u t i o n ä r e n O b l e u t e n formierten „ S c h w a r z e n K a t z e n " ( A n m . II 327 u. 437), über deren A u f s t e l l u n g s p l ä n e Berliner B e h ö r d e n schon vor dem 3. 1 1 . 1 9 1 8 ( V e r h a f t u n g u. G e s t ä n d n i s des O l t . d . R . W a l z ) Kenntnis hatten; vgl. L e d e b o u r , S. 28. ' " I m O k t o b e r 1 9 1 8 hatte M a j o r H e n n i n g , U - R e f e r e n t / P r . K M . , in einer Vortragsreihe v o r Vertretern der Innenministerien, Polizei u. milit. Dienststellen über dieses der bolschewistischen O k t o b e r r e v o l u t i o n zugrundeliegende U m s t u r z m o d e l l ( A n m . II 52) gesprochen u. M ö g l i c h k e i t e n zu seiner A b w e h r in der kriegsministeriellen Stabsstudie v. 4. 1 1 . 1 9 1 8 z u s a m m e n g e f a ß t ( A n m . I 576, II 1 6 2 , III 354). - Ein nach gleichem M u s t e r perfekt vorbereiteter u. eingeleiteter Putschversuch (sog. Betriebsräte-Demonstration v o r dem Reichstag) scheiterte am 1 3 . 1. 1 9 2 0 an der A u f m e r k s a m k e i t der S i p o ; vgl. Kessel, S. 2 2 9 f f . A b s i c h t s e r k l ä r u n g des ehem. Chef des Stabes v. M a n t e y in: „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 1 6 ( A n m . II 32).

i66

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

richtige Weisung des Oberkommandos in den Marken, aus je drei Bataillonen Infanterie, verstärkt durch eine Abteilung Fuß- bzw. Feldartillerie, eine „Nordreserve" und „Südreserve" zu bilden und in zentraler Lage bereitzuhalten. In ihrem Bestreben, nahezu übereinstimmende Phasen in beiden Alarmplananlagen „so viel als möglich an .Streikabwehr' anzulehnen" "'S überprüfte die Korpsführung jedoch nicht kritisch genug die Voraussetzungen für die vom Oberkommando getroffenen Dispositionen hinsichtlich der derzeitigen Stärke und Garnisonierung der Truppen sowie des davon abhängigen Zeitpunkts des frühestmöglichen Eintreffens am Einsatzort. Genausowenig rührte die U-Abteilung an dem alten und längst unhaltbar gewordenen Zustand, daß die Artillerie für die am Lehrter Bahnhof liegende „Nordreserve" aus Potsdam, für die in der Augusta-Kaserne zu versammelnde „Südreserve" aus Jüterbog anzurücken hatte. Damit vernachlässigte das Stellv. Gardekorps wie vor ihm das Oberkommando einen der vom Großen Generalstab erarbeiteten Grundsätze für den „Kampf in insurgierten Städten", wonach Reserven aus Kampf- und Unterstützungstruppen rechtzeitig vor dem Gefecht geschlossen bereitzustellen seien, damit sie nicht Gefahr liefen, bei ihrer Versammlung während des Gefechts in Kampfhandlungen gezogen und einzeln geschlagen zu werden" 5 . Zugleich handelte das Stellv. Generalkommando seiner eigenen Überlegung zuwider, daß in Anbetracht der Kürze der öffentlichen Vorbereitungsphase und wegen der schnellen Aufeinanderfolge von Aufmarsch und Angriff der revolutionären Aktion eine wirkungsvolle Gegenwehr nur bei rascher Alarmierung unmittelbar verfügbarer Ordnungskräfte geleistet werden könnte. Als der neue Alarmbefehl „Teilabschnitte besetzen" nach über viermonatiger Bearbeitungszeit und verschleppter Genehmigung durch das Oberkommando den mit seiner Ausführung beauftragten Dienststellen schließlich zuging, entstand in nicht wenigen Stäben der Berliner Gamisonstruppenteile der Eindruck, daß die „sich kurz vor dem 9. 1 1 . geradezu jagenden Ergänzungen und Berichtigungen einen völligen Systemwechsel in den U-Befehlen" bedeuteten" 6 . Gemessen an den zahlreichen Friktionen, die zwischen dem j./6. und 879. November bei der praktischen Umsetzung des Befehls auftraten, wiegt dieses nachträgliche Urteil schwerer als die Erklärung des federführenden Stellv. Generalkommandos des Gardekorps, es sei seine Absicht gewesen, „alle Maßnahmen zu vereinfachen" Die Feldwebelleutnants, Landwehr- und Reserveoffiziere, die zum größten Teil in den Inspektionen und Bataillonen der Gardeersatztruppen die Dienstgeschäfte des Adjutanten besorgten, also sich neben anderen auch mit den U-Angelegenheiten zu befassen hatten, konnten bei bestem Willen und selbst bei größter Vertrautheit mit dieser schwierigen Materie" 8 der Flut der am 5. und 6. November sich über sie ergießenden U-Anweisungen nicht sogleich Herr werden. Aus Geheimhaltungsgründen, Rücksichten auf noch

"8

Zit. ebd. Zur „ N o r d " - u. „Süd-Reserve" ebd., BI. 25 ff.; „Bericht" Stoeßel, fol. 2 1 0 (Anm. II 32); Altrock, Deutschlands Niederbruch, S. 5 1 ; Rieben, Franz-Regiment, S. 524; ders., 2. Garde-Regiment z.F., S. 597f.; Mühlmann/'Mohs, S. 6 5 3 f . ; Maldeghem, S. 33 j f . Siehe Anm. I 82 1). Zit. nach „Bericht" Schmidt, fol. 80, 84 (Anm. II 32). Anm. II 1 1 3 . Bei der enormen Fluktuation in der Besetzung der Offiziersdienstposten bei den Ersatztruppenteilen, insbes. auch im Gardekorps, waren eingearbeitete Stabsdienstoffiziere selten; siehe Kap. II 8b.

3. A b s c h r e c k u n g s m i t t e l

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schwebende Verhandlungen mit Behörden- und Polizeivertretern, vor allem aber wegen der erst am 4. November vom Oberkommando erteilten Freigabe der „Grundlegenden Bestimmungen" des Stellv. Gardekorps war es nicht möglich, daß den Sachbearbeitern ein geschlossener Aktenordner zuging. Innerhalb von weniger als 48 Stunden sahen sie sich einer dichten Folge nacheinander eintreffender schriftlicher Einzelbefehle gegenüber. Die ganz wesentliche „Direktive Nr. 1 5 " vom 5. November über den Schußwaffengebrauch bei Uberfall z.B. erfuhren sie erst am Nachmittag des 6. November aus dem Mund ihres Kommandierenden Generals" 9 ; wieweit darüber hinaus noch Orientierungen durch Kuriere, persönliche oder telefonische Rücksprache gegeben wurden, ist nicht mehr feststellbar' 20 . Soweit ersichtlich 121 , ließ die zwischen dem 5. und 7. November vom Stellv. Generalkommando des Gardekorps an den Tag gelegte Befehlstechnik so gut wie keinem Kommandeur und Sachbearbeiter die Chance, mit der gebotenen Schnelligkeit und Deutlichkeit aus dem Konglomerat der einlaufenden Einzelanweisungen die im Vergleich zu „Streikabwehr" grundlegend geänderte Generalabsicht zu erkennen und einen durchdachten Auftragskatalog für die eigenen Truppenteile aufzustellen. Anstelle eines genauen Kalküls der verwendbaren Kräfte und ihrer möglichen waffen- und kampftechnischen Verstärkungen, der Mittel zu ihrer Beweglichmachung und des Zeitbedarfs für ihre Verfügbarkeit am Einsatzort trat ein hektischer Führungsstil mit seinen unvermeidbaren Symptomen: Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit durch teilweise Aufhebung alter und Erteilung neuer Einzelanweisungen, Flüchtigkeit, oft sogar vollständig unterlassene vorherige Erkundungen der Annäherungswege und Teilabschnitte. Hauptursache für die Entstehung einer solchen Hektik und ihrer Folgen innerhalb des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps war der Zeitdruck, unter den das Stellv. Generalkommando die ihm nachgeordneten Dienststellen setzen mußte, um nun, inmitten einer höchst angespannten revolutionären Situation, in kürzester Frist umfassende Änderungen in den Alarmkalendern und Dispositionen zu erwirken, für deren Konzipierung sich die Korpsführung selbst eine unangemessen lange Zeitspanne eingeräumt hatte. Eine Reihe anderer, im folgenden zu behandelnder Unterlassungen und Vorkommnisse im militärischen Bereich trug weiter dazu bei, Befehlsunsicherheit in die Berliner Garnisontruppen zu tragen und ihre Unzuverlässigkeit zu steigern, die im wesentlichen ihre Ursache in latenten Antimilitarismus-Affekten und Kriegsmüdigkeit hatte und der erschöpften physischen wie psychischen Widerstandskraft der Nation entsprach.

3. Die Abschreckungsmittel Der Idee vom preußischen Militärstaat lief ein Ausnahmezustand, in dem die - längst unzuverlässig gewordene - Macht vor einer ihr Begehren kämpferisch vortragenden Volksbewegung zu schützen sei, gänzlich zuwider. Der sich seit der Jahrhundertwende anbahnende und durch das allgemeine Aufgebot " » Siehe A n r a . II 322. Die angeführten Q u e l l e n stimmen in ihrer Schilderung der ständig hin- u. hergehenden Lageorientierung s o w i e der M e h r f a c h k o m p e t e n z u. der U n s t i m m i g k e i t e n in der B e f e h l s g e b u n g überein. Siehe die friktionsreiche D u r c h f ü h r u n g von A l a r m i e r u n g u. A u f m a r s c h am 8 /9. 1 1 . 1 9 1 8 , in: Kap. II 6d.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

während des Weltkrieges beschleunigte Umwandlungsprozeß vom Königs- zum Volksheer hatte die militärische Führung vor die Problematik gestellt, inwieweit sich diese Angehörigen der bewaffneten Macht überhaupt noch gegen Angehörige ihres eigenen Volkes, die sich gegen die monarchische Herrschaft auflehnten, einsetzen ließen" 2 . Für viele Offiziere bedurfte es deshalb nicht erst der „Feuerprobe"' 2 ' während der ersten Novemberwochen, um zu erkennen 124 , daß Ersatzformationen gegen die Befehle ihrer Vorgesetzten rebellieren könnten, wenn sie gezwungen würden, mit Waffengewalt gegen aufständische Volksgenossen und revoltierende Kameraden einzuschreiten. So gingen weitsichtige Planungen im Stellv. Generalkommando des Gardekorps schon im Spätsommer 1918 davon aus, daß die Militärbehörden eben wegen der nicht zweifelsfrei feststehenden Zuverlässigkeit der Berliner Garnisontruppen eine Reihe vorbeugender Maßnahmen veranlassen oder selbst treffen müßten, die geeignet seien, bestimmte Bevölkerungsteile von revolutionären Aktivitäten von vornherein zurückzuhalten. Wegen dieses frühzeitig verfolgten Ziels, nämlich es für seine Ersatzformationen gar nicht erst auf eine Belastungsprobe mit fragwürdigem Ausgang ankommen zu lassen, beschäftigte sich das Stellv. Generalkommando sehr eingehend mit der Frage, wie der Ausbruch einer Revolution durch öffentlich demonstrierte Abschreckungs- und Schutzmaßnahmen verhütet werden könne. Dabei faßte es nicht nur die Anwendung konventioneller militärtechnischer Abwehrmittel ins Auge; es suchte vor allem auch, über das Oberkommando in den Marken und Gouvernement von Groß-Berlin die der Reichs- und Preußischen Regierung zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Beeinflussung, d. h. Warnung der politisch unruhigen Massen zu aktivieren.

a) öffentliche Ankündigung von Zwangsmaßnahmen Unter dem Druck der „ungeheuren Verhetzung, die offen und natürlich erst recht im geheimen stattfand" 1 2 ', hatte die Korpsführung seit Anfang September beim Oberkommando in den Marken die Einleitung einer Aufklärungskampagne angeregt: Das jahrelange Leben unter dem Belagerungszustand habe bei Obrigkeit wie Untertanen einen auf Dauer „verderblichen Gewohnheitszustand" erzeugt, bei dem die Exekutivgewalten „in den vielen kleinen Fällen" von Zusammenrottung nicht mit der ganzen Schärfe des Ausnahmerechts, d. h. unter Schußwaffengebrauch, durchgegriffen und damit exemplarisch jegliche Aufruhrbereitschaft schon im Keim erstickt hätten. Deshalb sei es dringend an der Zeit, eine öffentliche Erklärung mit dem Tenor zu verbreiten, daß „jede Zusammenrottung eine Bedrohung der Regierung bedeute, jede Massendemonstration einen Angriff auf die Regierung darstelle", denen die Ordnungskräfte unweigerlich mit härtesten Zwangsmitteln entgegenzutreten hätten.

Siehe Kap. II 8a. > Zit. nach Äußerungen des G e n . O b . v. Plessen am 9. 1 1 . 1918 vorm. im G r . H . Q u . , abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 376; vgl. auch ebd., S. 334, 34of., 352, 367. " 4 Die Deprimierung der von dieser Entwicklung überraschten Offiziere gibt der Erste Persönliche Adjutant des p r . K M . wieder: „ D i e Stimmung unter den Offizieren ist sehr gedrückt. Ein Teil der Truppen ist anscheinend nicht mehr zuverlässig, ihre Offiziere können sich nicht mehr durchsetzen." Zit. nach Böhm, Tgb.-Eintr. v. 7. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 57. 111 Darst. u. Zit. nach Mantcy, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 5 f. (Anm. II 32); ähnlich dessen „Schilderung", Pkt. 5, fol. 1 1 4 (Anm. I 531). I2

3. Abschreckungsmittel: öffentliche Ankündigung von Zwangsmaßnahmen

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Gerade zu der Zeit, als sich der Chef des Stabes des Stellv. Gardekorps in persönlichen Vorsprachen beim Chef des Stabes und Militärbefehlshaber über die Provinz Brandenburg und das Gouvernement Berlin um die rasche Realisierung seiner Anträge bemühte, liefen in der Hauptstadt Berichte aus dem ganzen Reichsgebiet über die gefährlich zunehmende politische Unruhe in der Bevölkerung ein. Trotzdem schien sich das Oberkommando vollkommen sicher zu wähnen: Da „jeder Umzug als ein Angriff auf die Regierungsgewalt anzusehen" sei, sei er auch „seit Jahren schon verboten" gewesen; eine neuerliche Mahnung sei „jetzt weder billig noch gut" l l Ä und „gleichbedeutend mit Schwäche" 1 2 7 . Dieser negative Entscheid des Oberkommandos in den Marken auf die Initiative des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps, insbesondere auch seine lapidare Begründung, machen aufs neue sein starres Verständnis vom Führen einer militärischen Kommandobehörde durch bloßes Verwalten sowie das eindeutige Verkennen der ihm gestellten außerordentlichen Aufgaben klar; dazu kam beim Oberkommandierenden und seinem Chef des Stabes noch ein persönlicher tiefverwurzelter obrigkeitlicher Glaube an die von keiner Krise zu erschütternde Gültigkeit staatlicher Machtbefugnisse. Was Immobilität und Prestigedenken beim Oberkommando in den Marken verhindert hatten, wurden auch unter dem Zwang der inzwischen eingetretenen revolutionären Situation am 4. und 6. November nur noch in der abgeschwächten Form beschwörender Aufrufe an die Bevölkerung realisiert, in denen Reichsregierung und Reichskanzler sich für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit durch das Volk selbst" 1 2 8 und gegen „Unruhe und disziplinloses Verhalten" 1 2 ' aussprachen. Gegen die mit Gewalt hereingebrochene Umsturzbewegung vermochten solche vom „Vertrauen zu dem deutschen V o l k " getragene Appelle an den bisher gewahrten Sinn für Ordnung und die „hohe Verantwortung der Staatsbürger" 130 nichts mehr auszurichten; auch bestehen begründete Zweifel, ob diese Aufrufe, denen nach einer Ausführungsbestimmung des Reichsstaatssekretärs des Innern durch Maueranschlag und Flugblatt die „denkbar weiteste Verbreitung in allen irgendwie von Unruhen gefährdeten Städten und Bezirken gegeben werden" sollte, überhaupt im gewünschten Umfang die von der Regierung besonders angesprochenen Bevölkerungsteile erreichten' 31 . Die Rücksichten in den Formulierungen, insbesondere auch der völlige Verzicht auf Ankündigung von Zwangsmaßnahmen, die sich die obersten politischen Vertreter der bis in den Kern diskreditierten und nun zusammenbrechenden alten Ordnung auferlegen mußten, wären wenige Wochen zuvor noch nicht vonnöten gewesen. So steht es dahin, welche hemmenden Wirkungen eine bereits im September 1918 veröffentlichte scharf abgefaßte Proklamation des Oberkommandos hätte erzielen können, die unzweideutig " 6 Zit. nach „Schreiben" Mantey, fol. 1 1 8 (Anm. I 67). 127 Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 6 (Anm. II 32). Zit. aus „Aufruf der Regierung des Prinzen Max von Baden vom 4. 1 1 . 1 9 1 8 " , u. a. gez. vom Vizepräsidenten des Preuß. Staatsministeriums Friedberg u. vom p r . K M . Scheüch, vollst, abgedr. bei Berthold/ Neef, S. 86f.; Huber, Dokumente II, N r . 364. Zit. aus „Mahnung des Reichskanzlers an das deutsche Volk vom 6. 1 1 . 1 9 1 8 " , vollst, abgedr. bei Max von Baden, S. j 9 8 f . ; Runkel, S. i o / f . ; Huber, Dokumente II, N r . 367. '>° Zit. siehe Anm. II i 2 8 f . ' 5 ' „Dringliche Aufforderung" Trimborns, verbreitet durch W T B u. Telegramm v. 6. 1 1 . 1918, 23.30 Uhr, u. a. an das Großherzogl. Hess. Min. d. I., von dort weitergeleitet an das Polizeiamt Mainz a m 8 . 1 1 . ! Zit. nach StdA Mainz, Abt. 70/VIII 8 „Sicherheitsdienst". Selbst in der (Regional-)Presse fand die „Mahnung des Reichskanzlers" v. 6. n . nur sporadische Verbreitung.

'7°

II. Mißnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

schon jeden Ansatz von Aufruhr mit rücksichtslosem Schußwaffengebrauch bedroht hätte, so wie es die Führung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps frühzeitig und mehrfach erbeten hatte. Aufgrund der früheren Erfahrungen sah sich das Gardekorps zudem imstande, seine wiederholten Initiativanträge, das hierfür zuständige Oberkommando solle „das Volk auf die drohende Gefahr aufmerksam machen"' 3 \ differenziert zu begründen. Fast noch mehr als die Aktionen einer zum Staatsumsturz entschlossenen militanten Minderheit schien die Korpsführung die „Neugierde des Berliner Volks am Spektakel" 1 " zu fürchten, also die Sensationslust, die es in unübersehbaren Scharen auf die Straßen und Plätze der Hauptstadt treiben würde. Das Stellv. Gardekorps sah es deshalb mit Recht als höchst problematisch an, gegen nicht einmal als Sympathisanten oder Mitläufer ausgewiesene Zuschauer „die Feuerwaffen mit gutem Gewissen zu lösen"' 1 4 . Das Oberkommando in den Marken glaubte auch in dieser Angelegenheit die Dinge auf sich zukommen lassen zu können: Wenn Unruhen tatsächlich einträten, sei es immer noch an der Zeit, eine entsprechende Bekanntmachung zu erlassen' 55 . Obwohl das Oberkommando am 27. Oktober, 4. und 7. November, als es vorsorglich Gardeersatztruppen zur Putschabwehr aufbieten ließ' 36 , genau die gegenteiligen Erfahrungen machen mußte jedesmal war eine „interessierte" Menschenmenge zur Stelle gewesen, aber vorher keine Zeit, sie rechtzeitig zu warnen - , beharrte der Oberkommandierende bis zuletzt auf der ihm vom sog. Aufklärungsoffizier des Gouvernements eingegebenen Erklärung, die schon früher betriebene „Aufklärung genüge"' 3 7 . Daher sahen sich schließlich die im Regierungsviertel postierten Soldaten der Garde am 8. abends bei der vom Oberkommando angeordneten Alarmierung aller Ordnungskräfte einer Menge „ 1 0 0 0 0 zusehender Neugieriger" gegenüber, die ihre Bewegungs- und Handlungsfreiheit erheblich einschränkte. Auch innerhalb des Stadtzentrums, zu dessen Sicherung zur gleichen Zeit Militär aufgezogen war, soll, einem plastischen Augenzeugenbericht zufolge, „ein Leben auf den Straßen wie etwa beim Einzug eines fremden Herrschers" geherrscht haben' 38 . A m darauffolgenden Entscheidungstage war dieses gefährliche und sich ungehindert ausbreitende Phänomen zu einem folgenschweren Faktor des revolutionären Gesamtgeschehens geworden. Das Stellv. Generalkommando des Gardekorps, also die Führungsstelle, welche ihren Truppenteilen Einzelbefehle von größter Tragweite erteilen mußte und die Verantwortung für einen situations- und objektgebundenen Waffengebrauch mitzutragen hatte, zeigte „das allergrößte und dringendste Interesse" an einer öffentlichen Klarstellung der ' ' ' Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 15 (Anm. II 32). Ein Beispiel für eine solche „Bekanntmachung" ist der bei Schulte, Deutsche Armee, S. 269 Anm. 1, erwähnte Befehlsentwurf des Kom.Gen. VI. A . K . v. 29. 9. 1 9 1 3 . Formulierung aus „Bericht" Schmidt, fol. 83, über den „revolutionären" Charakter der Umzüge am Vor- u. Nachmittag des 9. 1 1 . 1 9 1 8 ; dito Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 27 (beide Anm. II 32); Wrobel, Sieg der Arbeiter und Matrosen, S. 14. Drastischere Kennzeichnungen siehe Anm. III 314. ,J4 Zit. aus dem letzten u. gleichfalls vergeblichen Antrag des Stellv. Kom.Gen. des Gardekorps v. 4. 1 1 . 1918 an den Oberkommandierenden (Anm. II 127). ">! Entscheid des Ob.Kdo.i.d.M., ebd. '>' Ausführlicher siehe Kap. II 4c, II 6 b u. c. 1)7 Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 15 (Anm. II 32). 1,8 Darst. u. Zit. ebd., Bl. 2 1 , von z . T . noch illustrativeren Schilderungen der Tagespresse bestätigt; siehe Anm. II 133/III 314.

}. Abschreckungsmittel: ö f f e n t l i c h e Ankündigung von Zwangsmaßnahmen

171

Position für Führer, Soldaten und jene Bevölkerungsteile, die als aktive Revolutionäre oder Schlachtenbummler das Risiko, auf der Szene zu erscheinen, auf sich nehmen wollten. Nach der an das Oberkommando gemeldeten Auffassung der Korpsführung bestand die einzige wirkungsvolle Abhilfe in einer Wiederauflage von Jagows „Warnung Neugieriger"' 39 . Diese vielumstrittene Formel erneut anzuwenden, hatte sich der Oberkommandierende jedoch ausdrücklich geweigert, sich aber auch zu moderateren Proklamationen nicht verstehen wollen' 40 . Seine Unterlassung war in mehrfacher Hinsicht ein schwerer und, wie sich zeigen sollte, irreparabler Führungsfehler: Schon die den Generalkommandos des deutschen Bundesheeres, also auch dem Oberkommando in den Marken, vorliegende Generalstabsstudie über den „Kampf in insurgierten Städten"' 4 ' hob bei fast allen ihren ausgewerteten Fallbeispielen als „Hauptelement bei Volksaufruhr" die dynamische Kraft großstädtischer Massen hervor und vermerkte warnend ihre häufige Unterschätzung durch die Befehlshaber der gegen sie eingesetzten regulären Truppen. Gerade im Fall des Oberkommandos und Gouvernements als der Befehlsstelle über die in und um Berlin stehenden Formationen hätte es besonderer Anstrengungen bedurft, damit seine Truppen im voraussehbaren Fall der unmittelbaren Konfrontation nicht dem optischen, moralischen und politisch-agitatorischen Druck der sie umringenden Menschenmassen erliegen würden. Denn der Oberkommandierende und Gouverneur war in Ermangelung unbedingt zuverlässiger und kampfstarker Ordnungskräfte darauf angewiesen, die Berliner Ersatzformationen trotz ihres als gering eingeschränkten Einsatzwertes gegen breite Volksschichten der eigenen Heimatgarnison zu verwenden'42, wenn auch mit einiger Hoffnung auf die abschreckende oder Widerstand brechende Wirkung ihrer Waffen. Ein geeignetes Mittel, das Entstehen einer derart brisanten Situation zu verhindern, bestand zweifellos in einer eindringlichen Unterrichtung der Bevölkerung über die Auffassung des Oberkommandierenden über die Sicherheitslage, verbunden mit einer unmißverständlichen Warnung, den Konflikt mit den bewaffneten Organen der Staatsgewalt zu provozieren. Dafür waren dem Militärbefehlshaber auch durch die seit der zweiten Oktoberhälfte erlassenen liberalen Bestimmungen über die Handhabung des Belagerungszustandes'43 keine Einschränkungen auferlegt, die seine Initiative hätten hemmen können' 44 . So bestätigte der für die Fragen der Pressezensur, des politischen Demonstrations1)9

Um die 1 9 1 0 von der Sozialdemokratie initiierten polit. Straßendemonstrationen zu unterbinden, hatte Jagow als Polizei-Präs, von Berlin folgende Bekanntmachung erlassen: „ E s wird das .Recht auf die Straße' verkündet. Die Straße dient lediglich dem Verkehr. Bei Widerstand gegen die Staatsgewalt erfolgt Waffengebrauch. Ich warne Neugierige." Zit. bei Max Peters, Friedrich E b e n , Berlin 2 1954,

S.71. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , B 1 . 6 f . , 15, 21 (Anm. II 32); „Schreiben" dess., fol. 118 (Anm. I 67); „Bericht" Schmidt, fol. 84 (Anm. II 32). ' 4 ' Siehe Anm. I 82I. ' 4 ' Richtlinien des bayer. u. preuß. Kriegsministers a.d.J. 1 9 1 7 , in denen nachdrücklich vor dem Ordnungseinsatz von Soldaten in ihren Heimatgarnisonen gewarnt wurde, in: Quellen II, 1 /II, N r . 274 (Pkt. 12); ebd., Nr. 3 1 6 (Pkt. 5). Vgl. Anm. II 178 ff. Zum „Runderlaß" des p r . K M . v. 2. 1 1 . 1918 vgl. Quellen 1/2, N r . 109. Siehe auch Anm. I 84, I 515/520. 144 Zu derartigen massiven Globalvorwürfen gegen die ihm u. den anderen Militärbefehlshabern von der Reichsregierung vorgeblich auferlegte Restriktion der „alten Machtbefugnisse" siehe ausführlicher Anm. II 173 ff. Ein ähnlich krasses Fehlurteil über das „unglückselige Eingreifen des parlamentarischen Ministeriums, das alle Versammlungsverbote und Pressezensuren untersagte und nun noch den

172

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

rechts pp. parlamentarisch verantwortliche Staatssekretär noch am 7. November in einer öffentlichen Erklärung, daß den oben bezeichneten Erlassen noch immer starke Möglichkeiten zur Repression innewohnten: Sie ließen für Versammlungsverbote viel freien Raum, und „es handle sich nur darum, daß von der auch durch die neuen Bestimmungen gegebenen Möglichkeit, dort, w o es wirklich notwendig sei, scharf aufzutreten, Gebrauch gemacht werde M 5 ." Indem das verantwortliche Gouvernement nichts unternahm, um durch amtliche Kundgebungen auf mehr oder minder revolutionär gesonnene und agierende Bevölkerungsgruppen einzuwirken, trug es damit ungewollt dazu bei, daß sich in Öffentlichkeit und Truppe der fatale Eindruck von der fehlenden inneren Abwehrbereitschaft der führenden militärischen Kommandobehörde verfestigte' 46 . Daher hieß es auch in Dienststellen der Berliner Garnison, daß bei der Verteidigung der bestehenden Machtverhältnisse „alle Last ausschließlich auf die Truppe geschoben" worden sei und ihr „keine Behörde diese Riesenverantwortung abgenommen habe"' 4 7 . Weniger theoretisch, vielmehr als bedrängendes praktisches Führungsproblem wirkte sich das Versäumnis prophylaktischer Abwehrmaßnahmen durch ihren Oberkommandierenden für die Masse der Gardesoldaten aus, die am 8. / Nach dem Tode des G e n . O b . v. Kessel (27. 3. 1918) wurde G e n . O b . v. Linsingen neuer Oberkommandierender; Chef des Stabes blieb Oberst a.D. v. Berge und Herrendorff. ,6

}. AbschreckungsmitteI: Verschärfter Belagerungszustand, außerordentliche Kriegsgerichte

17$

Standpunkt. Weder die allgemeinen politischen, unruhigen und im Hinblick auf die Machtsicherung durchaus instabilen Verhältnisse im hauptstädtischen Raum' 6 * haben sie zur Anordnung außerordentlicher Maßregeln veranlaßt noch die Demonstrationsereignisse vom 27. Oktober vor der russischen Botschaft, als die Ordnungskräfte in eine blamable Situation gerieten' 67 . Selbst die zwingende Erkenntnis der akut drohenden Putschgefahr durch das schnelle und vollständige Geständnis des Oberleutnants Walz am 3. November' 6 8 und darüber hinaus durch die bei Däumig am 8. November gefundenen Unterlagen 169 haben das Oberkommando nicht dazu bringen können, unverzüglich den verschärften Belagerungszustand zu verhängen. Z u diesem zurückhaltenden Führungsverhalten des Oberkommandierenden und Gouverneurs hat sich ein Jahr nach den Ereignissen - gewissermaßen als Kronzeuge der anderen Seite - der „Revolutionsmacher" Emil Barth' 7 0 geäußert, der in die oben erwähnten Ereignisse selbst tief verstrickt war und mit den Revolutionären Obleuten, deren Putschpläne diese Vorkommnisse am Vorabend des Umsturzes in Berlin bestimmten, in engster Verbindung stand: Barth hat die Tatsache, daß das Aktionskomitee weiterhin seine umstürzlerischen Tätigkeiten so gut wie ungehindert bis zum 9. November entfalten konnte, auf die Unterlassung des Oberkommandos zurückgeführt, den Belagerungszustand zu verschärfen' 7 '. Oberkommandierender und Chef des Stabes haben es später in ihren Darstellungen über die von ihnen verantwortlich getroffenen Maßregeln' 72 vermieden, den verschärften Belagerungszustand, diese in das Leben der Bürger am tiefsten eingreifende Form des den territorialen militärischen Gewalten übertragenen Anordnungsrechts, überhaupt zu erwähnen, geschweige denn, sich über dessen Gebrauch resp. Nichtanwendung zu erklären. Beide stimmten bei ihren globalen Vorwürfen gegen die „schwächliche Reichspolitik unter Badenmax und seinem sogenannten Kriegskabinett"' 7 3 darin überein, daß die den Militärbefehlshabern auferlegte Restriktion ihrer alten Machtbefugnisse „ausreichende, energische Maßnahmen gegen inneren Umsturz ausgeschlossen [...], systematisch unmöglich gemacht und verhindert" habe. Wenn derartige Unterstellungen auch ihre Berechtigung im Zusammenhang mit der Frage haben mögen, ob gegen Aufrührer die stärksten Mittel, insbesondere Schußwaffen, voll M

167

169 170

171

171

I7)

Siehe Kap. I 2, Anm. II 66. Vgl. insbes. auch die Berichte des Berliner Polizeipräsidenten v. Oppen, abgedr. in: Arch.Forsch. 4/IV, N r . 724, 728, 750, 757, 760, S. 1 7 1 3 . Ausführlicher siehe Kap. II 4c. Siehe Anm. II 314. Ausführl. siehe Anm. II 324ff. Ironische Titulierung Barths bei Müller-Franken u. Stampfer; andere diesbezügl. Bemerkungen bei Müller, Kaiserreich, S. 16. So prophezeite Barth, der selber kein revolutionärer Obmann der Großberliner Betriebe war, am 2. 1 1 . 1918 vor Obleuten u. Vorstandsmitgliedern der U S P D u. der Spartakusgruppe, daß ihnen „der Erfolg vor allem auch durch die infolge der Niederlage erzeugte Depression der militärischen Kamarilla verbürgt" sei, wobei er namentlich den „Oberstkommandierenden in Berlin" meinte. Vgl. Barth, S. 44 «„Bericht" Linsingen, vollst, abgedr. in: Quellen I/2, N r . 150, insbes. S . 6 2 1 ; im gleichen Sinne: hds. „Bericht" des Obersten a.D. v. Berge u. Herrendorff (Chef des Stabes) v. 2 1 . 4. 1922 an Ehrengericht Scheüch-Waldersee, in: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. 1 8 3 - 1 8 7 ; ms „ Ä u ß e r u n g e n " Lettow (Ia), fol. 332f. (Anm. I 517); „Zuschrift" dess., in: Tägliche Rundschau, N r . 288 v. 1 3 . 6 . 1919 (AbendAusgabe); „Auszügliche Notizen" Graf Waldersee (Anm. I 514). Zit. nach „Bericht" Berge u. Herrendorff, fol. 184 (Anm. II 172).

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

17«

angewendet w e r d e n sollten' 7 4 - bezogen auf den Bereich des Belagerungszustandsgesetzes und die liberalisierende T e n d e n z seiner neuen A u s f ü h r u n g s b e s t i m m u n g e n v o m O k t o b e r / N o v e m b e r 1 9 1 8 kann eine solche destruktive A b s i c h t dem „ v o n sozialistischen und freisinnigen Exzellenzen beherrschten K r i e g s k a b i n e t t " 1 7 '

nicht nachgewiesen

werden;

jedenfalls bieten die als Beweismittel angeführte Kaiserliche V e r o r d n u n g oder die K a b i nettsorder v o m 1 5 . O k t o b e r 1 9 1 8 ' 7 6 f ü r die Richtigkeit solcher Behauptungen nicht den geringsten A n h a l t s p u n k t . S o w o h l der f ü r die erste Reichstagsrede des neuen Kanzlers zunächst entworfene T e x t ' 7 7 w i e auch die dann tatsächlich am 5. O k t o b e r v o m Prinzen M a x vorgetragene E r k l ä r u n g ' 7 8 bekunden die grundsätzliche A u f f a s s u n g der Regierung, daß im Reiche „bis auf weiteres [ . . . ] die außerordentlichen M a c h t b e f u g n i s s e nicht entbehrt werden [könnten], die der Belagerungszustand verleiht." A u c h keiner der Abänderungsanträge, die seit 1 9 1 7 von den Mehrheitsparteien in Plenum und H a u p t a u s s c h u ß des Reichstags gegen die H a n d h a bung

insbesondere

des

preußischen

Gesetzes

über

den

Belagerungszustand

einge-

b r a c h t ' 7 9 , schließlich im O k t o b e r verabschiedet w o r d e n waren und mit denen M a x von Baden im wesentlichen übereinstimmte'" 0 , hatte eine ersatzlose Annullierung der Bestimmungen über den verschärften Belagerungszustand z u m Inhalt. Tatsächlich also ist - wie in der Regierungserklärung a n g e k ü n d i g t ' 8 ' - die Zuständigkeit der Militärbefehlshaber bei der A u s ü b u n g der vollziehenden G e w a l t „ i n rein militärischen

Angelegenheiten"

nicht b e r ü h r t ' 8 2 , die A u f r e c h t e r h a l t u n g der diesbezüglichen Machtbefugnisse sogar expressis verbis bestätigt w o r d e n ' 8 ' . ,74 171

176

177 178 ,7

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° '

,8

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l8

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Siehe Kap. II 4b. Linsingens „Eindrücke" von dessen Geschäftsführung, vgl. „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 620 f. - In der gegen die „schwächliche Regierung der Großherzoglichen Hoheit" gerichteten Agitation sogenannt „altpreußischer" Provenienz wurde auch gegen die „katholischen Exzellenzen" gewettert, also gegen Scheuch u. die vom Zentrum ins Kabinett entsandten Staatssekretäre o.P. Vgl. z. B. Hoeffer v. Loewenfeld, S. 9of.; Keim, S. 3ff., 41 f., 1 8 i f . ; siehe Anm. III 4 1 7 ^ Textabdruck u. zeitgenössische Kommentare in: Schultheß 1918/I, S. 343; Reichsanzeiger Nr. 246 v. 16. 10. 1918; R G B l . 1918, Nr. 138; Huber, Dokumente II, Nr. 321 f.; Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 532 v. 17. 10. 1918 (Abend-Ausg.); Berliner Tageblatt, Nr. 530 v. 16. 10. 1918 (AbendAusg.). Max von Baden, S. 36off., hier insbes. S. 366; vgl. Quellen I/2, Nr. 23. Steno-Berichte, Bd 314, S. 6 1 5 0 L , hieraus nachf. Zit. Vgl. Schultheß 1917/I, S. 5 5 2 « . , 8 9 o f f . , 898ff.; ebd., 1918/I, S. 45 f.; Quellen I, i/II, Nr. 1 4 1 a ; insbes. ebd., S. 704ff., 783 ff. Max von Baden, S. 358. Siehe Anm. II 178. Dies gilt für die Beratung der entspr. Regierungsentwürfe anl. einer Sitzung im Reichsamt des Innern am 7. 10. 1918 (Hinweis in: Arch.Forsch. 4/IV, S. 1592; „Bericht" des stellv. württ. Bundesratsbevollmächtigten, WStA Ludwigsburg, E 1 3 1 , F 4/9, Bd I) ebenso wie für die Kaiserliche Verordnung u. die Allerhöchste Order v. 15. 10. 1918 (siehe Anm. II 176). So heißt es in einem ms „Schreiben", das „ D e r Reichskanzler (Reichsamt des Innern, I M 3354) an sämtliche Bundesregierungen - außer Bayern - und an den Herrn Statthalter in Elsaß-Lothringen" direkt, sowie am 18. 10. 1918 in ms Abschrift an führende bayer. Stellen richtete, u. a. „Seine Majestät der Kaiser hat daher in seiner Eigenschaft als Oberster Kriegsherr Allerhöchst angeordnet, daß die Militärbefehlshaber die vollziehende Gewalt, soweit es sich nicht um rein militärische Angelegenheiten handelt, nur im Einvernehmen mit den von den Landeszentralbehörden bestellten höheren Verwaltungsbehörden ausüben und die Entscheidung des Obermilitärbefehlshabers einzuholen haben, falls sich ein Einverständnis zwischen dem Militärbefehlshaber und der Landeszentralbehörde nicht erzielen läßt"; B H S t A I, Ministerium des Innern, Bd IV, 71706.

3. Abschreckungsmittel: Verschärfter Belagerungszustand, außerordentliche Kriegsgerichte

177

Schon die genannten Fälle, bei denen durch die Aktionen der radikalen Linken die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit in der Reichshauptstadt dringend gefährdet und damit die in und um Berlin geltenden Bestimmungen des einfachen Belagerungszustandes gravierend verletzt worden waren, hätten den Militärbefehlshaber in jedem Einzelfalle berechtigt, mit Verhängung des verschärften Belagerungszustandes zu drohen oder ihn sofort anzuordnen 1 ® 4 . Im wesentlichen hätten derartige demonstrativ ergriffene Maßnahmen zur Stabilisierung der Sicherheitslage im Innern in der Einsetzung unverzüglich tätig werdender außerordendicher Kriegsgerichte bestanden. Infolge der Öffentlichkeit solcher Kriegsgerichtsverfahren, insbesondere aber auch angesichts der beeindrukkenden Wirkung ultimativ angekündigter bzw. bereits in Kraft befindlicher außerordentlicher Maßregeln wäre voraussichtlich mehr als nur ein spektakulärer „Abschreckungseffekt" erzielt worden. Dazu ist es jedoch, wie erläutert, nicht gekommen, weil auch das Oberkommando von der irrigen Annahme ausging, daß fortan ausnahmslos „alle auf Grund des Belagerungszustandes ergehenden Anordnungen der Militärbefehlshaber nur noch in Übereinstimmung mit den zuständigen zivilen Verwaltungsstellen ergehen" dürften' 8 '. Es unterstellte, daß ihm die frühere uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit über die Verhängung des verschärften Belagerungszustandes genommen oder beschnitten worden sei' 86 . Bei einer solchen Annahme ist allerdings die Frage zu stellen, welche Anstrengungen das Oberkommando spätestens im Oktober 1918, also während der entscheidenden Verhandlungen zwischen den politischen Gremien und den militärischen Spitzen, tatsächlich unternahm, um seinem Standpunkt Geltung zu verschaffen, nämlich die „alten Machtbefugnisse" zu behalten oder wiederzuerhalten' 87 . Die verfügbaren Zeugnisse über die gerade vor dem 9. November reichlich zustandegekommenen dienstlichen Kontakte zwischen den Spitzenvertretern aus Politik sowie ziviler Bürokratie mit den höchsten Chargen des Oberkommandos liefern jedoch keinen einzigen Hinweis darauf, daß der Militärbefehlshaber über die Provinz Brandenburg und Groß-Berlin bei dem vom Oberpräsidenten zu bestimmenden Beamten' 88 oder beim Oberpräsidenten selber auf Verhängung des verschärften Belagerungszustandes gedrängt hätte. Auch gibt es kein Indiz für einen Konflikt, der darüber zwischen den obersten Repräsentanten der territorialen militärischen Kommandogewalt und der preußischen

184

Nichtachtung einzelner Anordnungen nach pr.Bel.Zust.Ges. konnte das Eintreten einer schweren Folge bedeuten resp. befürchten lassen u. damit die Verschärfung des Belagerungszustandes rechtfertigen. Hierzu Keim, S. 103. '® ! So die forcierte Interpretation der Allerhöchsten Order v. 15. 10. 1918, in: Berliner Tageblatt, N r . 530 v. 16. 10. 1918 (Abend-Ausg.). 1,6 Von dieser Rechtslage u. der sich aus ihr ergebenden „verhängnisvollen Schwächung" ihrer Gewalt bei Anordnung aller ausnahmerechtlich „wichtigen Maßnahmen" ist die Führung des O b . K d o s . ausgegangen; vgl. „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 6 2 1 ; „Bericht" Berge u. Herrendorff, fol. 184 (Anm. II 172); „Zuschrift" Lettow, in: Tägliche Rundschau, N r . 288 v. 1 3 . 6 . 1 9 1 9 (AbendAusg.). ' 87 Die Maximalforderungen (status quo ante), die Linsingen am 2. 1 1 . 1918 gegenüber Scheüch u. Wilsberg erhob, wurden von diesen zurückgewiesen; vgl. „Stellungnahme" Wrisberg, fol. 244f. (Anm. I 1 2 1 ) ; Hinweise in „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 621. 1,8 Vgl. Quellen II, 1 /II, S. 58f. - Der Oberkommandierende sah offenbar nur den Oberpräsidenten persönlich als ihm adäquaten Verhandlungspartner an; vgl. „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 621.

>7«

II. M a ß n a h m e n zur R e v o l u t i o n s a b w e h r in der R e i c h s h a u p t s u d t

Landeszentralbehörde ausgebrochen wäre, zumal auch der Obermilitärbefehlshaber nicht ersucht wurde, als hierzu berufene Stelle eine Entscheidung zu fällen 1 ® 9 . Schließlich deutet nichts darauf hin, daß der Oberkommandierende die Autorität des Regierungschefs bzw. des für Angelegenheiten des Belagerungszustandes zuständigen Stellvertreters des Reichskanzlers' 90 angerufen hat, um der obersten Instanz doch noch die Zustimmung abzuringen, den verschärften Belagerungszustand als ein Mittel zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung anwenden zu dürfen. Bei einer machtbewußten Persönlichkeit wie der des Generalobersten v. Linsingen, der gewöhnlich sehr hartnäckig auf Durchsetzung seiner Absichten bestand, wäre in Anbetracht seiner häufigen Vorsprachen im Reichskanzlerhaus, bei denen es ihm auch nicht in jedem Fall auf die Anwesenheit des preußischen Kriegsministers ankam, ein solches Vorgehen nicht auszuschließen gewesen' 9 '. Zusammenfassend ergibt sich also, daß das Oberkommando in den Marken den verschärften Belagerungszustand im Oktober/November 1918 nicht angeordnet hat und auch nicht versucht hat, seine Verhängung zu erwirken. Die militärischen Führer, die in der Phase des Zerfalls und Zusammenbruchs der Machtpositionen im kaiserlichen Deutschland an der Spitze des Oberkommandos über die zentrale Provinz und die Metropole des Reiches standen, haben in ihren Berichten den verschärften Belagerungszustand vollkommen unerwähnt gelassen. In ihren Darstellungen, die der Selbstrechtfertigung dienen sollten, wurde die Bedeutung des verschärften Belagerungszustands als eines starken, gesetzlich begründeten und dem Militärbefehlshaber über den hauptstädtischen Raum bis zuletzt zu Gebote stehenden Machtmittels ausgeklammert und damit zugleich der Ausblick auf Möglichkeiten versperrt, die im damaligen Handlungszeitraum bestanden : Bei rechtzeitiger und entschlossener Anwendung des verschärften Belagerungszustandes durch das Oberkommando in den Marken hätte ein nicht zu unterschätzender Einfluß auf den Verlauf und Ausgang der Existenzkrise der Hohenzollernmonarchie - zumindest in ihrer Residenz - ausgeübt werden können. Die Schlüsselposition, die insbesondere während des Ablaufs revolutionärer Ereignisse die Hauptstadt als Zentralpunkt der Regierungs-, Militär- und Polizeigewalten eines Staates einnimmt, hätte auch im Fall Berlin den erwähnten möglichen Einfluß auf die gesamtpolitische Entwicklung weit über den Bereich der Reichshauptstadt wirksam werden lassen können. Eine mit Hilfe des streng gehandhabten verschärften Belagerungszustandes stabilisierte Machtlage in Berlin hätte unausweichlich zu folgenschweren Weiterungen für die Novemberbewegung führen müssen, weil es dieser unter solchen Umständen jedenfalls nicht im ersten Anlauf hätte gelingen können, die Herrschaft über die Hauptstadt des selbst schon weitgehend im Aufruhr befindlichen Landes zu erringen' 92 . Die am 9. November eingetretenen Konstell!

' N a c h der Allerhöchsten O r d e r v. 1 5 . 10. 1 9 1 8 w a r „ u n v e r z ü g l i c h die Entscheidung des Obermilitärbefehlshabers e i n z u h o l e n " , falls ein E i n v e r n e h m e n z w i s c h e n Militärbefehlshaber und V e r w a l t u n g s b e hörde nicht z u s t a n d e k a m " ; zit. nach H u b e r , D o k u m e n t e II, N r . 322. Siehe auch A n m . II 183. 190 L t . amtlicher Mitteilung v. 1 7 . 10. 1 9 1 8 bestellte der Reichskanzler den StSekr.o.P. G r ö b e r zu seinem Stellvertreter f ü r diesen G e s c h ä f t s b e r e i c h ; vgl. Schultheß 1 9 1 8 / 1 , S. 3 4 3 ; Quellen I/2 N r . 41 A n m . 3. Bis z u m 8. 1 1 . 1 9 1 8 abends bestand f ü r den Militärbefehlshaber über die P r o v i n z B r a n d e n b u r g und Berlin „ i n rein m i l i t ä r i s c h e n " , d. h. K o m m a n d o - A n g e l e g e n h e i t e n , kein Unterstellungsverhältnis gegenüber dem p r . K M . u. O b e r m i l i t ä r b e f e h l s h a b e r im Heimatgebiet (siehe A n m . II 5 2 3 f . ) , wohl aber seit dem 1 5 . 10. 1 9 1 8 in Angelegenheiten des Belagerungszustandes. 1,1 Z u dieser real in der G e s c h i c h t e nicht eingetretenen M ö g l i c h k e i t äußerten sich in einer A r t theoreti-

3. Abschreckungsmittel: Verschärfter Belagerungszustand, außerordentliche Kriegsgerichte

179

lationen, die dann zu den historischen Entscheidungen in Berlin und in Spa führten, wären möglicherweise nicht zustandegekommen. Die Führung des Oberkommandos hat ihre Versäumnisse später dadurch zu kompensieren gesucht, daß sie nun ihrerseits die letzte kaiserliche Reichsregierung der Führungsschwäche und Passivität bezichtigte. Ihre Vorwürfe gegen die verantwortlichen Politiker gipfelten in der Anklage, den Inhabern der militärischen Gewalt bei der „Verhinderung drohender Unruhen" in den Arm gefallen zu sein; Gesetzesnovellierungen hätten dazu geführt, daß sie nicht mit aller Entschiedenheit die ganze Staatsmacht gegen die umstürzlerischen Umtriebe hätten aufbieten dürfen und man daher „unter diesen Umständen der Revolution entgegengetrieben" s e i 1 " . Solche Behauptungen waren vielleicht geeignet, jenem gegen die Reichskanzlerschaft des Prinzen Max von Baden aufgebauten Nachkriegsmythos weitere Nahrung zu geben; sie lassen aber jedenfalls die Versäumnisse und die Unterlassung des Oberkommandos bei Anwendung der ihm verbliebenen Machtbefugnisse unberücksichtigt. Im nachfolgenden wird aufzuzeigen sein, daß solche Versäumnisse bei der extensiven Ausübung außerordentlicher Anordnungsbefugnisse nicht nur dem Oberkommandierenden in den Marken und Gouverneur von Groß-Berlin nachzuweisen sind, sondern mit nicht geringer Folgewirkung auch dem Obersten Kriegsherrn. In seiner Eigenschaft als Bundesfeldherr hatte der Kaiser gemäß Artikel 68 der Reichsverfassung durch Verordnung vom 31. Juli 1914 „das Reichsgebiet in Kriegszustand" erklärt' 94 - ausgenommen B a y e r n ' " . Nach dem preußischen Gesetz über den Belagerungszustand waren durch diesen Rechtsakt automatisch die „Zivilbehörden [zu] ausführenden Organen der mit Zivilzuständigkeit ausgestatteten Militärgewalt" 1 ' 6 geworden und deren territoriale Repräsentanten, die Militärbefehlshaber, den Weisungen des Kaisers über die Ausübung der ihnen übertragenen Zivilgewalt unterworfen. Nun hatte die konstitutionell begründete Krongewalt, bei der der Kaiser im Kriegsfall als oberster militärischer Befehlshaber und zugleich als „oberstes Organ der Militärdiktatur"' 97 fungierte, gerade auch im militärischen Bereich, der alten herrscherlichen, früher unverantwortlichen absolutistischen Domäne, erhebliche Machteinbußen durch den Parlamentarisierungsprozeß erlitten. Aber wie auch immer die Kommandoakte des Kaisers und das Anordnungsrecht der Militärbefehlshaber durch die verfassungsändernden Bestimmungen' 98 , durch die Verordnungen und Erlasse' 99 der Oktoberreform beschränkt worden waren - die tief in das Leben der Bürger eingreifende Diktaturkompetenz der

1,4 1,1

1,7

sehen Revolutionsmodells Müller, Kaiserreich, S. 9 f., und, bezogen auf das Beispiel Berlin, Volkmann, Revolution, S. 44. Zit. nach „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/1, S. 6 2 1 ; noch prononcierter in „Bericht" Berge u. Herrendorff, fol. 183f. (Anm. II 172); „Äußerungen" Lettow, fol. 332 (Anm. I 517). Text bei Huber, Dokumente II, N r . 305. Der König von Bayern kam dem entsprechenden - an Ziffer III § 5 des Bündnisvertrages v. 23. 1 1 . 1870 (abgedr. ebd., Nr. 200) gebundenen - Ersuchen des Kaisers am gleichen Tage nach (Verordnung Ludwigs III. betreffend die Verhängung des Kriegszustands in Bayern vom 3 1 . Juli 1 9 1 4 ; abgedruckt ebd., Nr. 306) gemäß bayer. Landesgesetz über den Kriegszustand v. 5. 1 1 . 1 9 1 2 , ebd., Nr. 256. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 1049f.; Zit. ebd. Terminus bei Laband IV, S. 44. Vgl. Quellen I/2, N r . 97. Siehe Anm. II 176, II 143.

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Krone, die Zuständigkeit der Kriegsgerichte für Straftaten von Zivilpersonen einzuführen, war von diesen Restriktionen nicht betroffen. In seiner Ermessensfreiheit, während des Kriegszustandes solche Kriegsgerichte einzusetzen, wurde der Kaiser durch kein Einspruchsrecht des Reichstages oder Bundesrates behindert; er war also formal berechtigt, die wankende Macht des monarchistischen Systems mit den Mitteln einer verschärften Strafjustiz zu stabilisieren. Die einschüchternde Wirkung, die von der Anordnung dieser strafprozessualen Ausnahmeregelung hätte ausgehen können, tritt noch deutlicher hervor, wenn man sich den mit Kriegsbeginn faktisch veränderten Rechtszustand vergegenwärtigt. Mit Verhängung des Belagerungszustandes waren nämlich nicht nur für alle Militärpersonen besondere Strafrechtsnormen in Kraft getreten 200 ; auch das allgemeine Strafrecht war wesentlich verschärft worden 2 0 1 . Straftaten, die in Friedenszeiten mit hohen Zuchthausstrafen geahndet worden waren, wurden jetzt von den ordentlichen Gerichten als Kapitalverbrechen behandelt. Delikte wie Hochverrat, Aufruhr, Anstiftung zur Meuterei, tätlicher Widerstand, Gefangenenbefreiung, Lähmung oder Zerstörung von Verbindungsmitteln (Eisenbahn, Telegraph etc.) galten als todeswürdig. Entsprechend konsequente Urteile der während des Belagerungszustandes zu konstituierenden Kriegsgerichte hätten außer Frage gestanden, und der Abschreckungseffekt wäre sicher gewesen. Dem Kaiser als „oberstem Diktaturorgan" (Laband) waren also wirkungsvolle rechtliche Möglichkeiten in die Hand gegeben, um durch die Einsetzung der auch für Zivilpersonen zuständigen Kriegsgerichte des Belagerungszustands jener Gefahr entgegentreten zu können, die von der radikalen Linken mit ihrer Taktik des unmittelbar gegen die Regierungsund Staatsgewalt gerichteten Putsches ausging und durch die die öffentliche Sicherheit im hauptstädtischen Raum seit Ende Oktober 1918 akut bedroht war. Die erforderliche Anordnung hat Wilhelm II. während des Krieges nie gegeben, auch nicht als es zur Bewältigung der Existenzkrise seiner Herrschaft und des monarchischen Staates überhaupt dringend notwendig erschien. Dieser Verzicht auf ein starkes Mittel seiner ausnahmerechtlichen Verfügungsgewalt ist auch in anderer Hinsicht erwähnenswert: Am 29. Oktober 1918, nur zwei Tage nach der aufsehenerregenden Schlappe eines umfangreichen Aufgebots von Berliner Polizei und Militär 202 , hatte Wilhelm II. seine Residenz verlassen, um sich in die Obhut seiner Generale zu begeben, vorgeblich auch aus dem Grunde, weil für seine Sicherheit in Potsdam nicht mehr gebürgt werden könne 20 '. Sogleich nach seiner Ankunft im Großen Hauptquartier äußerte er die Absicht, „Putschversuche in Berlin niederzuschlagen" 204 , indem er den Anführern „die Antwort mit Maschinengewehren auf das Pflaster schreiben" werde 20 '. Dieser Wille zu einem unvermittelt hohen Grad offener Gewaltanwendung steht im völligen Gegensatz zur behandelten Vorgeschichte seines nicht wahrgenommenen Anordnungsrechts. Im Rückblick auf die seit Mitte Oktober zum Zerreißen gespannte innenpolitische Situa-

151

201 1:4

Reichsmilitärstrafgesetzbuch ( R M S t G B ) , § 9, Abs. 1 u. 3. Ausführl. Darst. der veränderten Rechtslage bei Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 1051 f. Ausführl. zu den Ereignissen vom 27. 10. 1918 siehe Kap. II 4c. Max von Baden, S. 529. Erklärung Wilhelms II. 1 m 2 . 1 1 . 1918 gegenüber Hintze/Grünau, vollst, abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 382. Zit. aus Brief Wilhelms II. v. 3. 1 1 . 1918, vollst, abgedr. bei Schiffer, S. [37.

3. A b s c h r e c k u n g s m i t t e l : Standgerichte

tion und Sicherheitslage in der Reichshauptstadt stellt sich allerdings die Frage, ob nicht eine rechtzeitige und konsequente Anwendung der dem Kaiser unbenommen gebliebenen kriegsrechtlichen Ausnahmegewalt den Widerstandswillen des Monarchen angemessener und wirkungsvoller demonstriert hätte und ob damit möglicherweise die dann seit der Monatswende vom Oktober zum November 1918 tatsächlich im Berliner Raum eingetretene Lageentwicklung von vornherein in andere Bahnen gelenkt worden wäre, durch die sich eine verspätete und überzogene Gewaltanwendung erübrigt hätte. Die dargestellten Versäumnisse und Führungsfehler des Oberkommandierenden in den Marken und auch des Obersten Kriegsherrn erwiesen sich als folgenschwer. Die psychologischen Auswirkungen waren beträchtlich. Auf der einen Seite stand die in Teilen revolutionär gesonnene oder auch nur schaulustige Bevölkerung, die durch keine der beschriebenen Repressivmaßnahmen vorgewarnt oder abgeschreckt worden war. Auf der anderen Seite standen die Gardesoldaten und ihre nächsten Vorgesetzten. Beider Verhalten war der Hauptinhalt der einseitigen Anklagen, in denen sie als die eigentlichen Sündenböcke für den Zusammenbruch der alten Machtverhältnisse in Berlin bezeichnet wurden. Für die Garnisonsoldaten stellte sich die Situation so dar, daß sie gegenüber den auftretenden Menschenmassen die Macht des Staates nicht mehr nur zu demonstrieren, sondern unvermittelt auch mit Maschinengewehr und Bajonett zu verteidigen hatten. Wider Erwarten sahen sie sich nicht „bewaffneten Stoßtrupps aus hochgerüsteten Revolutionären" gegenüber" 56 , sondern fanden sich, dem äußeren Bilde der Menschenansammlung nach, mit dem Volk schlechthin konfrontiert. Die in unübersehbarer Zahl auftretende Menschenmenge mußte keine Risikoschwelle überschreiten, weil diese vorher aufzubauen von den obersten Exekutivgewalten versäumt worden war. Es fehlte jener im voraus deutlich zu markierende psychologische Pufferabstand zwischen Angreifer und Verteidiger, der die ersteren zurückschrecken läßt und damit letzteren die ultima ratio regis erspart - oder aber den schweren Entschluß zur Anwendung der äußersten Gewaltmittel erleichtert, wenn Abwehr aufgezwungen wird. c) Standgerichte In den Abendstunden des 8. November 1918, als sich in Berlin die Auseinandersetzung um das Weiterbestehen der Hohenzollernherrschaft als unmittelbar bevorstehend ankündigte, entlud sich die seit Tagen im Stellv. Generalkommando des Gardekorps angestaute Spannung in der drängenden Forderung nach einer „Proklamation, die den Ernst der Lage zeichnete", und nach Einführung des „Standrechts" 207 . Damit wurde die Anwendung der extremsten Form innermilitärischer Exekutivgewalt verlangt, und es stellt sich hier die Frage nach der Anwendungsmöglichkeit im hauptstädtischen Garnisonbereich am Vorabend der Revolution. Nach der Reichsmilitärstrafgerichtsordnung von 1898 lag es in der Zuständigkeit des 106

107

So b s p w . das „ F e i n d b i l d " , das einer zur Schloßverteidigung abgestellten A b t e i l u n g des 2. G a r d e P i o n i e r - E r s . B t l . in der Truppeninstruktion vorgestellt w o r d e n w a r ; vgl. Saekel, D e r unbekannte A b g e ordnete. Zit. nach M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 21 ( A n m . II 32).

182

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Kommandanten von Berlin10®, in seiner Eigenschaft als Gerichtsherr der niederen Gerichtsbarkeit Standgerichte zu bestellen, damit binnen kürzester Frist mit Vorrang über strafbare Handlungen gegen die allgemeine Sicherheit, Ruhe und Ordnung entschieden werden konnte 10 *. Die besondere Wirkung, die von der Tätigkeit dieser militärischen Sondergerichte ausging, bestand in der prinzipiellen öffendichkeit der Verhandlungen, ferner in einer strengen Auslegung der vom Reichsmilitärstrafgesetzbuch beschriebenen Vergehen bzw. Verbrechen bei dementsprechend häufiger Zumessung der jeweils angedrohten Höchststrafen. Vor allem auch die Unanfechtbarkeit und schnelle Vollstreckbarkeit der Urteile hatten einen großen Effekt. Der sogenannten Feldstandgerichtlichen Militärgerichtsbarkeit waren an erster Stelle die Militärpersonen des Aktivstandes, dazu die aus dem Beurlaubtenstand zum Dienst einberufenen Mannschaften unterworfen 110 , ebenso „alle Personen, welche sich in irgendeinem Dienst oder Vertragsverhältnis bei dem kriegsführenden Heere" befanden 1 "; zu diesem Personenkreis gehörten auch jene Wehrpflichtigen, die noch nicht zum Kriegsdienst eingezogen oder wiedereingezogen und dann reklamiert worden waren, unter den Militärgesetzen standen und in solchen Rüstungsbetrieben zu arbeiten hatten, die unter militärische Leitung gestellt waren 111 . Die Absicht, die die Führung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps mit der Proklamation des Zusammentretens von Feldstandgerichten 113 verband, bestand im wesentlichen darin, die in ihrem Dienst nachlässig gewordenen Soldaten durch Strafandrohung auf den Weg unbedingten Gehorsams zurückzuzwingen. Zwar konnten im soldatischen Bereich das Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis und das dichte Netz beständiger Dienstaufsicht ein formales disziplinares Wohlverhalten während des normalen militärischen Alltags sicherstellen. AI' fraglich aber mußte es schon damals den führenden Stellen erscheinen, ob die Furcht vor den proklamierten, bis zur Todesstrafe reichenden Repressivmaßnahmen des Standgerichts 114 ausreichen würde, die uneingeschränkte BeReichsmilitärstrafgerichtsordnung ( R M S t G O ) , §§ 19, 22, 27; Endres, Standgericht, S. 81. Zur Praxis der Kdtr. Berlin, die unter dem Ob.Kdo.i.d.M. „die disziplinaren Verhältnisse mit großer Vollmacht regelte", vgl. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 1 1 (Anm. II 32); „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). 109 Dies war die diesen Militärstrafgerichten unterster Instanz überwiesene erste Aufgabe; vgl. Endres, Standgericht, S. 8. Zur persönlichen Zuständigkeit der Standgerichte, vgl. R M S t G O , §§ 1, 5, 14 korresp. m. Reichsmilitärgesetz ( R M G ) , § 38; vgl. Endres, Standgericht, S. 1 f. Angehörige des Offizierstandes wurden nicht von Standgerichten abgeurteilt; Unteroffiziere zählten zu den Mannschaften. * " Erweiterung des o. a. Personenkreises im Kriegs-ZBelagerungszustand, d . h . während der Gültigkeit der Feldstandgerichtlichen Militärgerichtsbarkeit, vgl. R M S t G , § 1 5 5 ; auszugsweise zit. nach Endres, Standgericht, S. 78. 2,1 Hinweis auf die Praxis der Dienstverpflichtung in: Quellen II, i/II, N r . 441, S. 1009, S. 1 1 5 9 ; Feldman, p. 481. Ihre dienstliche Bekanntmachung durch die Kdtr. Berlin war nach § 5 Einführungsgesetz zur R M S t G O geregelt; vgl. Endres, Sundgericht, S. 77. 214 Für die hier beschriebene Situation im Oktober/November 1918 waren insbes. folgende §§ des R M S t G B anzuziehen: 83 (Simulation); 87 (Dienstverletzung aus Furcht vor pers. Gefahr) korresp. m. 84, 85 (Feigheit); 101 (Veranstaltung von Versammlungen m.d. Ziel der Zusammenrottung/Meuterei); 104 (Unterlassung der Anzeige einer Meuterei); 1 4 1 , Abs. 1 (Dienstpflichtverletzung als Posten); 146 (Verlassen der Wache oder des Platzes auf dem Marsche); für Unterführer: 1 1 6 (Unternehmung der Bestimmung eines Untergebenen zu einer strafbaren Handlung); 147 (Unterlassung der Beaufsichtigung der Untergebenen).

j . Abschreckungsmittel: Standgerichte

.83

fehlsausführung bei allen Soldaten durchzusetzen, auch bei jenen, bei denen keine erzieherische Einwirkung mehr fruchten konnte, weil sie von der Richtigkeit der ihnen eingegebenen und von ihnen früher auch zumeist anerkannten Wehrmotive schon lange nicht mehr überzeugt waren und weil bei ihnen die Zweifel an der bedingungslosen Gültigkeit des dem Kaiser geleisteten Treueides gerade für den Fall eines Bürgerkriegseinsatzes zu tief saßen. Daher war Zuverlässigkeit im Sinne strikter Auftragserfüllung dort nur sehr bedingt zu garantieren, wo die taktische Zersplitterung der Gardeersatzformationen die im überdehnten Sicherungskordon auf „einsamen Posten" stehenden Soldaten nur schwer kontrollierbar machte. In solcher Lage mußte sich in jedem einzelnen Konflikt erneut zeigen, ob die Furcht vor dem Standgericht wirklich stärker war als alle Gewissensentscheidungen, politische Einstellung und auch die Angst vor persönlicher Gefahr. Um notfalls mit Zwangsmaßnahmen einen trotzdem aufkommenden Ungehorsam zu unterbinden, verfügte das Oberkommando auch über die personellen Mittel: Neben den Stammoffizieren der Garnisontruppen befanden sich in und um Berlin Tausende von Offizieren, die in den dortigen zahlreichen Ämtern und kleineren militärischen Dienststellen tätig waren. Ihr Einsatz zur Verstärkung der Kader, ihre Verwendung in einem „Hintermann-System der doppelten Sicherung" 21 ' hätte zwar nicht dem in der preußisch-deutschen Armee angestrebten Erziehungsideal entsprochen, wonach der Soldat dazu angehalten werden sollte, auch ohne den Druck eines hinter ihm stehenden Vorgesetzten im Sinne des vorgegebenen Auftrages selbständig zu handeln und sich freiwillig dem absoluten Gehorsamsgebot zu unterwerfen 1 ' 6 . Allerdings hätte ein solches drohendes Vorgehen von Offizieren gegen Soldaten, die „vor den Augen und gegen den Befehl von Vorgesetzten" ihren Posten verließen und sich der „Gehorsamsverweigerung vor dem Feinde" schuldig machten, bereits als vorbeugende Maßnahme seine Berechtigung gehabt. Denn im Falle von „äußerster Not und dringendster Gefahr" hätten die Offiziere nach dem Gesetz 1 ' 7 ihre Rolle als Garanten unbedingt aufrechtzuerhaltender Disziplin übernehmen müssen, d. h., sie hätten mit ihrer Waffe solche Straftaten sofort zu sühnen gehabt, die sonst in feldstandgerichtlichen Verfahren als todeswürdige Verbrechen behandelt und zumeist auch entsprechend geahndet wurden 2 ' 8 . Aber schon die bloße Präsenz der zugeteilten Offiziere, ihr Eingreifen bei Befehlserteilung und Befehlsdurchsetzung im Sinne der Sicherungsaufträge hätte starke Garantien dafür geboten, daß bereits in der Phase des Aufmarsches und der Abwehrvorbereitungen und vor allem später in Momenten unmittelbarer Konfrontation zwischen Aufständischen und Ordnungskräften jeglicher aufkommende Ungehorsam, wie z. B. Verweigerung des Waffengebrauchs gegen Insurgenten, unterdrückt worden wäre. Außerdem verfügten die Teilabschnittsführer über die rechtliche Handhabe, Unbotmäßige unverzüglich den Standgerichten zuzuführen; falls die Lage dies nicht mehr zuließ,

"7 "8

Leo Trotzki, Die Offiziersfrage, in: Iswestija, N r . 154 v. 23. 4. 1918, abgedr. in: ders., Die Geburt der Roten Armee. Reden, Befehle, Aufsätze und Thesen aus dem Gründungsjahr der Roten Armee, autoris. Übers., Wien 1924, S. 64 ff. Vgl. Exercier-Reglement für die Infanterie v. 29. 5. 1906 ( E x R , D V E , N r . 130), Einleitung. R M S t G B , § 124, korresps. m. § 95, Abs. 1 u. 2; Zit. ebd. Kriegsartikel 13, 2, abgedr. bei Klaß/Loefen, S. 196. Vgl. Dienstschreiben Ludendorffs v. 9. 7. 1918 an das P r . K M . , abgedr. bei Volkmann, Marxismus, S.jijf.

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

waren sie sogar verpflichtet, den Gehorsam mit ihrer Schußwaffe zu erzwingen 1 1 '. Es gab durchaus praktikable Möglichkeiten, den eingesetzten Garnisontruppen solche „Korsett stangen einzuziehen"; aber dies ist erst in letzter Stunde und dann auch nur mit halber Kraft und in unbegreiflicher Planlosigkeit unternommen worden. Insgesamt blieben die bestehenden Chancen ungenutzt und die mit untauglichen Mitteln unternommenen Versuche zur Formierung dieser Offiziere „nur eine Geste" 2 2 0 . Eine andere, gleichfalls den Militärgesetzen unterworfene Gruppe war die der dienstverpflichteten Rüstungsarbeiter, die ebenso wie ihre von den Militärbehörden nicht mehr erfaßten Kollegen dem kollektiven Verdacht seitens der herrschenden Kreise in Staat und Gesellschaft ausgesetzt waren, in jedem Fall staatsfemer, zu allermeist staatsfeindlicher, sogar staatsumstürzlerischer Gesinnung zu sein. Es läßt sich nicht mehr feststellen, ob sich die Führung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps mit ihrer Forderung nach Proklamation des Standrechts eine einschüchternde Wirkung gerade auch bei dieser Gruppe erhoffte. Die Wunschvorstellung, im „staatsbejahenden Sinne" auf die politische Auffassung der Arbeiter Einfluß zu nehmen, etwa durch eine „innere Militarisierung" der Betriebe, war während des Weltkriegs von verschiedenen militärischen Stellen gehegt und des öfteren vorgetragen worden 2 2 1 . Aber der Einführung einer der soldatischen vergleichbaren Ordnung in den kriegswirtschaftlich wichtigen und Rüstungsbetrieben waren enge Grenzen gesetzt und solche Versuche bereits früher gescheitert 222 . Der Befehl-Gehorsam-Mechanismus der Armee war nur sehr bedingt übertragbar auf die industriellen Führungsverhältnisse von technischer Betriebsleitung und einer nachgeordneten Hierarchie aus Ingenieuren, Meistern und Vorarbeitern, wobei die militärische Oberleitung nur eine nominelle war. Man konnte kaum erwarten, daß diese „Vorgesetzten" im Oktober/November 1918, also unter den weitaus bedrückenderen innerbetrieblichen Arbeitsverhältnissen des vierten Kriegsjahres - Zehntausende waren unfreiwillig auf bestimmte Arbeitsplätze beordert 22 ' - neben der Arbeits- und Leistungskontrolle zusätzlich noch die ideologische Zuverlässigkeit ihrer dienstpflichtigen Arbeiter überwachten. Selbst ein straff organisiertes und gelenktes industrielles Arbeitssystem war dem des militärischen Dienstes, das den einzelnen Dienstpflichtigen weitaus totaler beaufsichtigte, nicht vergleichbar. So konnten die Berliner militärischen Stellen lediglich hoffen, daß für

Siehe Anm. II 2 1 7 ; Tagesbefehl Hindenburgs v. 22. 10. 1918 (Offiziere im Bild von Dokumenten, N r . 68); Erlasse des p r . K M . v. 22. 7. 1918 ( W U A , 2. Abt., I V / 1 1 , 1, S. 341 f., D o k . } 8 ) u . v . 15. 8. 1918 ( G L A Karlsruhe, Abt. 456, Bd 37) u. Schreiben des p r . K M . v. 23. 8. 1918 an Hindenburg (WUA, 2. Abt., I V / 1 1 , 1, D o k . 43b), in denen die Pflicht der Offiziere zu sofortigem rücksichtslosen Einschreiten, einschl. des Waffengebrauchs, auch bei nur geringfügigen Widersetzlichkeiten, betont wurde. Vgl. auch Altrichter, S. 224 t. - Über die Nichtanwendung dieser „Verfügungen von wahrhaft drakonischem Kolorit" (so Hobohm in W U A ) im Bereich des Stellv. G e n . K d o . des Gardekorps, vgl. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 5 (Anm. II 32). 110 Siehe Kap. II 8 b; zit. Charakteristik aus „Schreiben" Stockhausen (Anm. I 476). 1,1 Vgl. Quellen II, i/I, N r . 242; II, i/II, S. io58ff. " ' Modell des freikonserv. Industriellen v. Stumm-Halberg; vgl. Stolberg-Wernigerode, S. 237. - Zu Vorstellungen der O H L , nach dem gescheiterten Januarstreik auf die Arbeiterschaft einen größeren Druck auszuüben, vgl. Feldman, p. 454t. "> Durch das Hilfsdienstgesetz wurde das Recht auf freie Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes in sein Gegenteil verkehrt; vgl. Feldman, p. 520, 5 3 5 f f . ; Groener, Lebenserinnerungen, S. 341.

4. Truppeneinsatz und Schußwaffengebrauch

.85

die nichtuniformierten Dienstpflichtigen von der Proklamation und Tätigkeit der Standgerichte eine abschreckende Wirkung ausginge. Im hier beschriebenen Zeitraum hätte vom Standrecht lediglich in Verbindung mit anderen Zwangsmitteln - d. h. überhaupt nur von einer insgesamt energischen, umsichtigen und vollständigen Anwendung exekutiver Gewalt - eine nennenswerte Wirkung ausgehen können. N u r damit hätte man offenem Sympathisantentum und tätiger Zusammenarbeit mit umstürzlerischen Elementen wirkungsvoll zu begegnen vermocht; dies mußte besonders für gegenrevolutionäre Aktionen gegen Soldaten gelten, bei denen eine Beeinflussung zum Umsturz größere Erfolgsaussichten haben konnte, weil ihre innere Abwehrbereitschaft schon zuvor weitgehend geschwächt war. Daß erstmals am Vorabend des Umsturzes in Berlin der Ruf nach dem Standrecht erhoben wurde, belegt erneut den geringen Umfang und die mangelnde Intensität der von Gouvernement und Kommandantur Berlin tatsächlich getroffenen vorbeugenden Abwehrmaßnahmen. Spätestens seit Ende Oktober 1918 wären auch im hauptstädtischen Raum die rechtlichen Voraussetzungen dafür vorhanden gewesen, das Zusammentreten und die Tätigkeit von Standgerichten „dienstlich bekannt zu machen" 1 2 4 , um hierdurch Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit zu bekunden. Der Anwendungsbereich der standgerichtlichen Militärgerichtsbarkeit war zwar vom Gesetz ausdrücklich auf alle in einem Dienst- oder Vertragsverhältnis beim kriegführenden Heere stehenden Personen beschränkt; dennoch stand die Wirksamkeit solcher außerordentlicher Maßregeln in der Öffentlichkeit außer Frage. Die für ihre Anordnung verantwortlichen Männer, der Gouverneur und der in wehrrechtlichen Angelegenheiten weitgehend selbständige Kommandant von Berlin, haben von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht - eine Unterlassung, die symptomatisch ist für den freiwilligen Verzicht der militärischen Gewalten auf Machtausübung zum Zwecke der Machtbehauptung.

4. Truppeneinsatz im Innern und Schußwaffengebrauch Der Unentschlossenheit der obersten kommandoführenden Instanzen, alle gesetzlich gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, die im Zentrum des Reiches die bestehenden Machtverhältnisse hätte sichern helfen können, entsprach ihre Befehlsgebung zur unmittelbaren Anwendung militärischer Gewaltmittel im Innern. Diese war gekennzeichnet durch Unterlassungen und Widersprüche, obwohl der Kriegszustand die formalen Bedingungen für ein requisitionsloses Eingreifen der Armee eingeschränkt hatte. Einige der für Friedenszeiten vorgeschriebenen"' umständlichen Verfahren waren weggefallen oder zugunsten unverzüglich tätig werdender Staatsgewalt radikal vereinfacht worden; dabei war spezifisch militärischen Erfordernissen unbedingter Vorrang gewähn. Ein auffälliger Mangel an Fachkenntnissen im eigenen Metier, sachlich und psychologisch bedingte Unsicherheit in der Wahl der zu benutzenden Kampfmittel, der scharfe Kontrast zwischen blindwütiger Bereitschaft zum rücksichtslosen Durchgreifen auf der einen und Skrupel vor Gewaltanwendung - selbst bei strikter Wahrung des Grundsatzes der 1,4

Zit. nach Endres, Standgericht, S. jyi. Preußische Allerhöchste Dienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militärs und seine Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruhen (Wa.Gebr.VO.) v. 19. 3. 1 9 1 4 ; vollst, abgedr. bei Huber, Dokumente II, N r . 258.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Verhältnismäßigkeit - auf der anderen Seite, all dies beeinflußte maßgeblich die Entscheidungen der Spitze der militärischen Hierarchie und griff von dort über alle Führungsebenen bis zur Basis über. Diese Phänomene fachlicher und menschlicher Unzulänglichkeit in den führenden Stellen mußten sich um so verheerender auf die Einsatzbereitschaft und Schlagkraft der Garnisontruppen auswirken, als sie durch die polykratische Kommandostruktur in der Reichshauptstadt potenziert wurden. a) Rechtliche Grundlagen zur Anwendung militärischer Gewaltmittel Ein untrüglicher Gradmesser für die Entschlossenheit, das System des monarchischen Staates zu verteidigen, sind die verschiedenen Anordnungen über den Waffengebrauch für den Fall innerer Unruhen. Die Zulässigkeit des Einsatzes der bewaffneten Macht ergab sich nicht nur aus dem „überpositiven Grundrecht des Staates auf Erhaltung seiner Existenz und seiner F u n k t i o n " " 6 ; darüber hinaus war das Einschreiten des Militärs durch kaiserlichen Armeebefehl und preußisches Landesrecht verbindlich geregelt: Neben den Fällen, bei denen schon in Friedenszeiten ein requisitionsloses Eingreifen der Militärgewalt nach allgemeinem Rechtsgrundsatz als „fraglos" galt 227 und die zudem in der Dienstvorschrift vom 19. März 1914 auf gezählt waren 228 , räumte seit Erklärung des Kriegszustandes auch das Ausnahmerecht 229 dem Kaiser und den ihm unterstellten Militärbefehlshabern die Befugnis ein, durch besondere Verordnung den Verfassungsartikel 230 außer Kraft zu setzen, der jeglichen Truppeneinsatz im Staatsinnern ohne vorherige Anforderung durch die Zivilbehörden verbot. Obwohl mit Verhängung des Kriegs-/Belagerungszustandes die vollziehende Gewalt auf die Militärbefehlshaber übergegangen war, legten die obersten militärischen Instanzen im Heimatgebiet dennoch großen Wert darauf, die in Friedenszeiten für die Unterdrückung von Aufruhr zunächst verantwortlichen Exekutivorgane nicht von ihren Aufgaben zu entbinden. Nach den gültigen Verfahrensnormen 251 war nämlich in erster Linie die Polizei dazu bestimmt, „innere Unruhen in ihrem Entstehen zu unterdrücken und die Ruhe zu erhalten". N u r wenn die „Kräfte der Polizeigewalt" zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung nicht ausreichten, sollte ihnen das Militär Beistand leisten 232 . Um die " 6 Zur entspr. Argumentation vgl. Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 598. 227 Erklärung Bethmann Hollwegs v. 23. 1. 1914 vor dem Reichstage; vgl. Verhandlungen des Reichstages, XIII. Leg.-Per., I. Sess. 1914, Steno-Berichte Bd 292, S. 6729^. 128 Notwehr, Selbsthilfe bei Behinderung hoheitlicher Aufgaben, Staatsschutz bei Überwältigung der öffentlichen Gewalten durch aufrührerische Kräfte gem. Wa.Gebr.VO., Abschn. II, Ziff. 4. 219 Pr.Bel.Zust.Ges. § 5 (Suspension der sieben wichtigsten Grundrechte). 130 Art. 36 preuß. Verfassung, korresp. m. Wa.Gebr.VO., Teil III. Vgl. auch Deist, Militärbefehlshaber und Obermilitärbefehlshaber, S. 223; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 1052. 1)1 Für das preuß. Kontingent: Wa.Gebr.VO. vom 19. 3. 1914, II. Abschn., Ziff. 1 u. 3; in Anlehnung hierzu die entspr. Dienstvorschriften für das sächs. u. württemb. Kontingent ( = Armeebefehle). Bayerisches Landesgeirtz, betreffend das Einschreiten der bewaffneten Macht zur Erhaltung der gesetzlichen Ordnung v. 4. 5. 1851. 1,2 Zit. aus der für den hier abgehandelten Großberliner Raum gültigen pr.Wa.Gebr.VO. - In Friedenszeiten nur nach vorheriger Anforderung; in diesem Falle und in Krisenlagen während des Belagerungszustandes waren die Schutzmannschaften den Militärbefehlshabern/Garnisonältesten unterstellt (ebd., Ziff. 3). Zur Praxis der Requisition während des Weltkrieges vgl. Quellen II, 1 /II, Nr. 274, Ziff. 4 u. Anm. 8; Mantey „Der 9. November", Bl. 21 (Anm. II 32); Erlaß des bayer.KM. v. 22. 2. 1918, Ziff. 4 u. 7, in: BHStA IV, MKr 2497.

4. Truppeneinsatz und S c h u ß w a f f e n g e b r a u c h : Rechtliche G r u n d l a g e n

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Truppe als innenpolitische Ordnungsmacht so wenig wie irgend möglich in Erscheinung treten zu lassen, empfahl der Obermilitärbefehlshaber nach den Streiks im Sommer 1917 und im Januar 1918 mehrfach, die Polizei durch „verständige Unteroffiziere erheblich zu verstärken", da „hierin ein sehr gutes Mittel zur Unterdrückung der Unruhen" zu erblikken sei 213 . Die seitdem bis in die Umsturzwoche andauernden Kontakte und Vereinbarungen zwischen Stellv. Generalkommandos und Innenministerien bis hinunter zu den regionalen Militärpolizeistellen und örtlichen Polizeibehörden 2 ' 4 bedeuteten im Ergebnis eine willkommene Stützungsmaßnahme für die unterbesetzten Schutzmannschaften 235 und hatten gleichzeitig eine Alibifunktion für die militärischen Befehlshaber, die damit der undankbaren Aufgabe enthoben wurden, ganze Truppenkörper der inneren Zerreißprobe durch die offene Konfrontation mit Angehörigen des eigenen Volkes aussetzen zu müssen. Bei den militärischen Gewalten ist bis in das letzte Weltkriegsjahr die Tendenz erkennbar, die in Armeebefehlen und Gesetzen der Bundeskontingente hauptsächlich für den Friedensfall aufgestellten Normen für den Einsatz und Waffengebrauch des Militärs im Innern auch unter dem Kriegszustand weiter gelten zu lassen. Hierbei ließen sich die maßgeblichen militärischen Instanzen im Heimatgebiet von mehreren Rücksichten leiten. Zum einen kam es ihnen darauf an, größtmögliche Zurückhaltung zu üben und zu vermeiden, daß das „Militär in der Rolle der Polizei" 2 3 6 hervortrete. Zum anderen wünschten sie im Interesse soldatischer Disziplin, daß alle Unterführer, d. h. die in Frage kommenden örtlichen Einsatzleiter, angewiesen würden, jegliche Herausforderung strikt zu unterbinden, die von den militärischen und polizeilichen Kräften an die Adresse der erregten Volksmassen ausgehen könnte 237 . Diese Maßnahme sollte zwar zugleich der Sicherheit der Ordnungskräfte dienen, damit diese nicht durch einen von ihnen selbst provozierten Angriff in problematische Konfliktsituationen mit möglicherweise blamablem Ausgang gerieten. Hauptsächlich kam es den Verantwortlichen jedoch darauf an, das Ansehen der Armee zu wahren, indem alle Soldaten im Falle eines unvermeidlichen Einsatzes im Sinne der Waffengebrauchsvorschriften die Grenzen des Rechts zur Waffenanwendung in keinem Falle überschritten. Nach übereinstimmender Auffassung der führenden militärischen Stellen im Heimatgebiet sollte die bewaffnete Macht im Innern eher die Rolle einer „army in being" spielen 23 ', die ihre Pazifizierungsaufgabe in erster Linie durch Prävention und nur, wenn unumgänglich, durch aktive Repression lösen sollte. Ließ sich ein Truppeneinsatz nicht umgehen, weil sich die Polizei der Aufgabe nicht gewachsen zeigte, Aufläufe, Demonstrationen und Aufruhrbewegungen größeren Ausmaßes zu verhindern, und sich schwere Störungen der inneren Sicherheit und Ordnung nur noch durch Anwendung der Mittel des unmittelbaren Zwanges abwenden ließen, so galten für solches Eingreifen auch unter dem Belagerungs-/Kriegszustand in jedem Fall ,J

> Zit. aus „ S c h r e i b e n " Steins v. 1 1 . 7. 1 9 1 7 an die Militärbefehlshaber, Z i f f . 4, vollst, abgedr. in: Quellen II, i / I I , N r . 3 1 6 . D a s P r . K M . im gleichen Sinne, vgl. ebd., S. 1007, u. anl. der Januarstreiks 1 9 1 8 ebd., S. 1 1 5 1 u. 1 1 5 9 .

Beispiele f ü r diese K o o p e r a t i o n ebd., N r . 3 1 6 , A n m . 7, N r . 274, A n m . 8. » Vgl. A r c h . F o r s c h . 4 / I V , S. 1 7 0 8 f f . , 1 7 7 2 . 256 T e r m i n u s in p r . W a . G e b r . V O . , I. A b s c h n . , Z i f f . 3, A b s . 4. 1,7 Auf p r . W a . G e b r . V O . , II. A b s c h n . , Z i f f . 5, A b s . 3 basierende „ H i n w e i s e " des Obermilitärbefehlshabers v. 1 1 . 7. 1 9 1 7 an die Militärbefehlshaber, vgl. Quellen II, 1 /II, N r . 3 1 6 , Z i f f . 2; ähnlich der b a y e r . K M . in seinen „ R i c h t l i n i e n " v. 2. 4. 1 9 1 7 , vgl. ebd., N r . 274, insbes. Z i f f . 6 u. 9. ; 8 > Vgl. A n m . I 428. 2

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Es war dem „handelnden Befehlshaber der bewaffneten Macht" grundsätzlich die Pflicht auferlegt, durch Prüfung die Art und den Umfang des Truppeneinsatzes und des Waffengebrauchs von den jeweiligen Umständen abhängig zu machen 2 ' 9 . Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die detaillierten Anweisungen, die der bayerische Kriegsminister im Frühjahr 1 9 1 7 zur angemessenen Handhabung der bayerischen Landesgesetze vom 4. Mai 1851 und 5. November 1912 2 4 ° erließ. Danach sollten die Ordnungskräfte in all den Fällen, in denen sie nicht in direkte kämpferische Verwicklung gerieten, lediglich mit dem Kolben und nicht mit aufgepflanztem Seitengewehr voran vorgehen 24 '; anderes galt in Preußen 242 , w o als niedrigste Eskalationsstufe im Waffengebrauch das Einschreiten mit blanker Waffe vorgesehen war 2 4 '. Die moderate bayerische Richtlinie, nach der Tätlichkeiten und vor allem Blutvergießen zu vermeiden seien, solange sich der Zweck mit anderen Mitteln erreichen ließ 244 , unterbot der preußische Kriegsminister allerdings noch in seinen etwa gleichzeitigen Hinweisen zu Maßnahmen bei Ausbruch von Streiks: Der Obermilitärbefehlshaber hielt die Militärbefehlshaber in sehr dringlicher Form dazu an, vom Gebrauch der Schußwaffe, soweit es irgendwie möglich sei, abzusehen, „selbst wenn die Menge sich zu Tätlichkeiten hinreißen" ließe 24 '. Die mit Kriegsdauer zunehmende Kompromißgeneigtheit einzelner Militärbehörden im Reich, die sie um einer wenigstens nach außen hin leidlich gewahrten Stabilität der Machtverhältnisse willen sogar die Verletzung ausnahmerechtlicher Gebote hinnehmen und sie durch solches Verhalten indirekt zur weiteren Zerstörung der ohnehin angeschlagenen Staatsautorität beitragen ließ, zeigte sich unverkennbar auch im Bereich der „Verwendung des Militärs zur Unterdrückung innerer Unruhen und zur Ausführung der Gesetze" 2 4 6 . Wie oben beschrieben, sollte unter Umständen die „Tätigkeit der Menge" geduldet werden. Nicht nur das: Mit dem ausdrücklich erklärten Ziel, „Gewalttätigkeiten hintanzuhalten", sollten Anfang 1918 in Bayern sogar die seit Verhängung des Kriegszustands grundsätzlich verbotenen Versammlungen im Freien „nur im äußersten Notfall" noch durch Eingreifen des Militärs gesprengt werden 247 . Diese neuartigen Konzessionen beruhten weniger auf der Annahme, die unzufriedenen Massen durch Konzessionen besänftigen zu können, als vielmehr auf Schwäche: Der bayerische Kriegsminister als oberster Militärbefehlshaber über das bayerische Kontin-

Vgl. pr.Wa.Gebr.VO., II. Abschn., Ziff. 5, Abs. 1 u. 2. ° Bayer. Gesetz, betr. das Einschreiten der bewaffneten Macht zur Erhaltung der gesetzlichen Ordnung v. 4. 5. 1 8 5 1 ; bayer. Gesetz über den Kriegszustand v. 5. 1 1 . 1 9 1 2 . 241 „Richtlinien" des b a y e r . K M . v. 2. 4. 1 9 1 7 , Ziff. 4; vollst, abgedr. in: Quellen II, i/II, S. 698. 142 Standen Truppen des preuß. Kontingents in Bundesländern, die mit Preußen durch Militärkonventionen verbunden waren, so galten dort regelmäßig die Landesgesetze/-vorschriften, nicht die preußische Wa.Gebr.VO. Pr.Wa.Gebr.VO., II. Abschn., Z i f f . 5, Abs. 1. 144 „Richtlinien" des bayer.KM. v. 2. 4. 1 9 1 7 , Ziff. 6 (siehe Anm. II 241). 1,1 Zit. aus „ H i n w e i s e n " des Obermilitärbefehlshabers v. 1 1 . 7. 1 9 1 7 , Ziff. 2 (Anm. II 237), die wie andere Passagen in unmißverständlicher Befehlsform abgefaßt waren, wozu der p r . K M . gar nicht die Kompetenz hatte. 146 So der Titel des II. Abschnitts der pr.Wa.Gebr.VO. 247 „Aufzeichnungen" v. 1 . 2 . 1918 aus dem B a y e r . K M . über Maßnahmen zur Streikbekämpfung, Ziff. 2; vollst, abgedr. in: Quellen II, i/II, N r . 434. M

4. Truppeneinsatz und Schußwaffengebrauch: Beschränkungen beim Ordnungseinsatz

189

gent im Heimatgebiet verfügte nicht mehr über ausreichende Ordnungskräfte, um in schärfster Weise auf demonstrative Durchbrechung von Versammlungsverboten reagieren zu können24®. Denn gerade solche Zusammenkünfte, die in Umfang und Verlauf nur schwer unter Kontrolle zu halten waren, konnten zu idealen Ausgangspunkten für Aufruhrbewegungen werden; das schon in den Anfängen zu verhindern, war jedoch angesichts der auftretenden Volksmassen und der geringen Polizeikräfte nur mit Hilfe eines starken und zuverlässigen Truppenaufgebots durchzusetzen. Das Gravierende an der nachlassenden Bereitschaft der vollziehenden Gewalt, drohenden oder bereits vorhandenen Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit, wenn nicht gar der Staatsverwaltung und Staatsverfassung24», entgegenzuwirken, lag darin, daß sie sich bei den obrigkeitlichen Organen allgemein etwa zur gleichen Zeit zeigte, da sich die Protestbewegungen im Innern zusehends politisierten. Bis in den Sommer 1917 hinein waren die Menschenansammlungen, Aufläufe, Demonstrationen und Arbeiterausstände 2 ' 0 in der Regel spontan, lokal oder regional begrenzt und in wirtschaftlichen Schwierigkeiten begründet; es handelte sich zu allermeist um Proteste gegen ungünstige Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie gegen Engpässe und organisatorische Mißstände in der Lebensmittelund Kohleversorgung. Als mit der Fortdauer des Weltkrieges diese Lasten immer drückender, die Opfer an Menschen immer unübersehbarer wurden, die Hoffnungen auf baldige Beendigung des Krieges immer wieder enttäuscht und insbesondere auch die seit langem unerledigten innen- und gesellschaftspolitischen Probleme immer dringlicher wurden, war genügend Zündstoff zur Entfachung von Aufruhr zusammengekommen. Er konnte sich binnen kurzem zu einer umfassenden Volksbewegung mit eindeutig politischem und revolutionärem Charakter ausweiten. Die Massenstreikbewegung, die im Januar 1918 fast das gesamte Reichsgebiet erfaßte, hatte unverkennbar politische Beweggründe und nahm im Berliner Raum anfangs sogar gewalttätige Formen an - bis die Polizeikräfte im scharfen Schuß die Macht auf den Straßen und Plätzen wieder in ihre Hand bekamen und sich der Oberkommandierende in den Marken mit außerordentlichen Maßregeln erfolgreich durchsetzen k o n n t e 2 ' D i e s e Erfahrungen sowie die ab August/September 1918 ungeschminkt pessimistisch abgefaßten Stimmungsberichte aus den Korpsbereichen konnten die maßgeblichen militärischen Instanzen in der Reichshauptstadt nicht darüber im Zweifel lassen, daß Revolution in Sicht sei. b) Beschränkungen

beim Ordnungseinsatz

durch partei-politische

Einmischung

Daß energisch vorbeugende Abwehrmaßnahmen unter voller Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten des preußischen Belagerungszustandsgesetzes schon in anderer Hinsicht nicht ergriffen worden sind, ist im vorausgehenden dargestellt; im nachfolgenden !4

® „ Z u Versammlungen ist keine Erlaubnis zu erteilen. In vielen Fällen wird allerdings nicht zu hindern sein, wenn sie trotzdem stattfinden"; Zit. aus „Aufzeichnungen" (Anm. II 247). 1,9 Repräsentativorgane wie Aktionskomitees u. Arbeiterräte waren in der Verfassung des Reichs u. der Lander nicht vorgesehen. 2.0 Unterscheidungsmerkmale von „ A u f r u h r " in den sog. Monatlichen/Wöchentlichen Berichten des Polizei-Präs, von Berlin an den preuß. Minister d.i. - Hierzu auch Deist, Armee in Staat und Gesellschaft, S. 469. 1.1 Siehe Anm. II 49.

190

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

wird untersucht, welche Entschlossenheit die Verantwortlichen an den Tag legten, dem sich ankündigenden Aufruhr mit Truppen entgegenzutreten, und welche Instruktionen sie den Soldaten für den Waffengebrauch im Sinne oder außerhalb des Rahmens des Allerhöchsten Armeebefehls erteilten. Frühesten Aufschluß über die von Anfang an heterogenen Auffassungen, die unter der Kanzlerschaft des Prinzen Max maßgebliche Vertreter seiner Regierung und der Berliner Militärbehörden über den Truppen- und Waffeneinsatz vertraten, bieten die Aufzeichnungen von einer „Besprechung über eventuelle Unruhen und die Lage" 2 ' 2 , bei der der neue preußische Kriegsminister, Generalleutnant Scheüch, am 13. Oktober 1918 im Kriegsministerium den Vorsitz führte. Staatssekretär Scheidemann (MSPD) trug dort u. a. vor, daß sich radikal gesonnene Arbeiter Handgranaten verschafft hätten und die Unabhängigen anscheinend beabsichtigten, „kleine Putsche in Szene zu setzen; man möchte aber unter keinen Umständen schießen, das würde bei der ganzen Lage ein großer Fehler sein." Den Ordnungskräften empfahl er, sie „könnten doch mit Wasserspritzen vorgehen". Scheüch, erst seit vier Tagen im Amt und als Obermilitärbefehlshaber im Heimatgebiet nur zu einem „ R a t " befugt, plädierte gleichermaßen für äußerste Zurückhaltung: Man „müsse mit Schießen ungeheuer vorsichtig" sein. Der Chef der Reichskanzlei, Unterstaatssekretär Wahnschaffe, warnte ebenso vor scharfem Zufassen der Ordnungskräfte und argumentierte, daß „Schießen gegen die Dynastie sich auswirken" werde. Dem hielt der Chef des Stabes des Oberkommandos in den Marken und Gouvernements von Groß-Berlin entgegen, daß sich Generaloberst v. Linsingen auf solche Rücksichten sicherlich nicht einlassen werde, da sie „eine Unmöglichkeit" seien. Der Oberkommandierende werde, „wenn nötig, unbedingt schießen lassen". So knapp dieser Sitzungsbericht auch ausfällt, so läßt er doch den grundsätzlichen Konflikt zwischen politisch orientierter Argumentation und einseitig militärischem Gesichtspunkt deutlich hervortreten. Dieser Gegensatz der Meinungen und der Absichtserklärung unter den tonangebenden staatlichen und Berliner Gewalten, der sich hier bereits in den ersten Tagen der Regierung des Prinzen Max von Baden anbahnte, sollte am Vormittag des 9. November 1918 eine wesentliche Rolle beim Zusammenbruch ihrer Macht spielen. Die eindringliche Mahnung Scheüchs zur Vorsicht bei der Anwendung der Schußwaffen beruhte möglicherweise auf seinen eigenen Erfahrungen, die er als Chef des Kriegsamtes beim Munitionsarbeiterstreik gesammelt hatte; damals hatte er durch die Art seiner Verhandlungsführung zu dessen schnellem Zusammenbruch maßgeblich beigetragen 2 ". Bei seinem „ R a t " vom 13. Oktober 1918 zeigte sich Scheüch noch Auffassungen verhaftet, die bedeutende Vertreter aus Heimatheer und O H L Anfang Februar 1918 dienstlich verbreitet hatten, als sie mit deutlicher Befriedigung darüber berichteten, daß es nirgends zum Waffengebrauch durch das Militär gekommen sei und schon sein bloßes Erscheinen überall genügt habe, die Demonstranten zum Auseinandergehen zu veranlassen 2 ' 4 . Wenn seinerzeit als einer der wichtigsten Punkte hervorgehoben wurde, daß ein miltäri1,1

T g b . - A u f z . des Chef des Stabes im O b . K d o . i.d.M. v. 13. 10. 1918, wiedergegeben im „Bericht" Berge u. Herrendorff, fol. 183 (Anm. II 172). Zum seinerzeitigen Verhalten Scheüchs vgl. Quellen I, 3/II, N r . 446, S. 367; Quellen II, 1 /II, Nr. 442, S. 1 1 7 2 ; Böhm, T g b . - A u f z . v. 3 1 . 7 . 1918, H ü n e n / M e y e r , S. 24. Immediatberichte des O b . K d o s . u. des p r . K M . ; Stellungnahme des Oberstlt. Bauer hierzu; vgl. Quellen II, 1 /II, S. 1 1 6 4 f . , 1 1 5 9 , 1 1 7 2 .

4. Truppeneinsatz und Schußwaffengebrauch: Beschrankungen beim Ordnungseinsatz

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sches Einschreiten mit Waffengewalt nur im äußersten Notfall stattfinden, sonst aber mit Nachdruck alle geeigneten Mittel zur Niederhaltung angewendet werden sollten 1 ", so waren solche Verhaltensregeln für die äußerste Eindämmung von wirtschaftlich, gegebenenfalls auch noch von sozial motivierten Unruhen gedacht. Im Oktober 1918 jedoch handelte es sich für die Verantwortlichen in Regierung und Armee nicht mehr darum, großangelegten Streiks zu begegnen, sondern entsprechend der eigenen Lageauffassung vom „Herannahen einer revolutionären Situation seit Sommer 1 9 1 8 " 2 ' 6 Aufruhrbewegungen als spezifisch politisch begründete, unmittelbar gegen die Regierungs- und Staatsgewalt gerichtete Umsturzversuche zu begreifen und mit allen Mitteln niederzuschlagen. Insofern wandte Scheüch die alte Regel auf einen neu- und andersartigen Fall an. In dieser - soweit feststellbar - ersten offiziellen Sitzung auf höchster Ebene, die eigens für die Besprechung der revolutionären Lage anberaumt war, hat neben dem Kriegsminister auch keine andere der genannten Persönlichkeiten aus der nächsten Umgebung des Reichskanzlers Max von Baden einem rücksichtslosen Durchgreifen der Staatsmacht das Wort geredet. So mußte sich in der Führungsspitze des Oberkommandos und Gouvernements zwangsläufig die Meinung bilden 2 ' 7 , das Kriegskabinett sei von Anfang an „gegen jede Art energischen Handelns" gewesen. Weiter argumentierte man dort, daß diese mangelnde Entschiedenheit bei der Verteidigung des alten Staates den Truppen nicht verborgen geblieben sei und daß sie die Vorgesetzten unsicher und schwankend gemacht habe. Die disziplinschädigenden Wirkungen einer „von oben verbreiteten Unsicherheit" hätten sich insbesondere am Umsturztage in Berlin gezeigt, als die von mehreren Seiten ausgestreuten Nachrichten und Befehle über die Zurückhaltung von Truppen sowie die Verbote über den Schußwaffengebrauch „ f ü r möglich gehalten und daher geglaubt" wurden. Ansprüche auf Mitentscheidung über den militärischen Einsatz mit den angeblich destruktiven Folgen sind allerdings von Seiten einflußreicher Regierungsmitglieder und Parteigliederungen spätestens seit Ausbruch der Kieler Matrosenrevolte bis zum Tage der Staatsumwälzung in immer massiveren Formen erhoben worden. Als hauptsächlicher Initiator solcher Interventionsversuche aus dem politischen Bereich erwies sich die in Berlin tätige Repräsentanz der Mehrheitssozialdemokratie. Sie bediente sich der ihr durch den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bezirksorganisation von Groß-Berlin zugehenden Nachrichten 2 ' 8 , um Vorstand wie Fraktion ihrer Partei und die Reichsregierung durch ihre an der sog. Oktoberregierung beteiligten Parteigenossen 2 ' 9 über die Bewegung unter den Arbeitern und vor allem auch über die revolutionären Umtriebe der radikalen Elemente auf dem laufenden zu halten. Ihren Einfluß als schon vor dem Kriege zahlenmäßig stärkste Partei im kaiserlichen Deutschland machte sie dahin geltend, daß sie die Reichsregierung vor dem Gebrauch der Waffen zur Unterdrückung von Unruhen am vernehmlichsten durch das von ihr gestellte 2,i 1,6

',7 1,8

Direktive des p r . K M . v. Stein, vgl. ebd., S. 1 1 5 9 . Terminus aus „Persönliche Erfahrungen" Stammer (Anm. I 473). Vgl. „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 62of.; „Bericht" Berge u. Herrendorff, fol. 1 8 } (Anm. II 172); „Äußerungen" Lettow, fol. 332 (Anm. I 517), nachf. Zit. hieraus; Henninger, S. 3 f . Vgl. als ein Beispiel die Sitzung vom „Fraktions- und Parteivorstand unter Zuziehung der Berliner Ortsleitung" am 7. 1 1 . 1 9 1 8 , abgedr. in: Quellen I, 3/II, N r . 5 1 1 ; Wels, Die Revolution in Berlin; Henninger, S. 3. Ph. Scheidemann, G . Bauer, R . Schmidt, E. David.

192

II. M a ß n a h m e n z u r R e v o l u t i o n s a b w e h r in der Reichshauptstadt

Kabinettsmitglied, Staatssekretär Scheidemann, warnen ließ, „das Sprachrohr für die A n sichten des Parteivorstandes und der Reichstagsfraktion" l6 °. Spätestens seit dem 5. N o vember 1918 ließ Scheidemann keine Gelegenheit mehr aus, um sich im Kabinett gegen jegliches scharfe Vorgehen der militärischen Gewalten gegenüber tatsächlichen und potentiellen Insurgenten auszusprechen. Seine Sorge war doppelt begründet. Z u m einen befürchtete er, aktive militärische Eindämmungsaktionen könnten einen Prozeß allgemeiner Solidarisierung und Radikalisierung unter den Aufständischen und ihren Sympathisanten unvermeidlich heraufbeschwören b z w . gefährlich beschleunigen 1 6 '. Z u m anderen sah er die Gefahr, infolge einer solchen Entwicklung einen Großteil der mehrheitssozialdemokratischen Gefolgschaft an die U S P D oder Spartakusgruppe zu verlieren, die bereits seit Wochen mit massenwirksamen Parolen gegen die in ihren Augen kompromittierende Beteiligung der M S P D an einer kaiserlichen Regierung und deren Politik zu Felde gezogen waren. Schon prophylaktische Abwehrmaßnahmen wie die Verbote von Massenveranstaltungen der U S P D und der Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten sowie die demonstrative Postierung von Polizei und Militär, die der Oberkommandierende in den Marken angeordnet hatte, um ein nochmaliges A u f k o m m e n von Unruhen 2 6 1 , die Bildung verfassungswidriger Institutionen 2 6 ' und letztlich ein Uberspringen der Revolution auf den hauptstädtischen Raum 2 6 4 von vornherein z u unterbinden, hatten Scheidemann Anlaß gegeben, seinen Kabinettskollegen die außerordentliche „ E r r e g u n g " , „ A u f r e i z u n g " und „Erbitterung" in der Berliner Arbeiterschaft vorzustellen 2 6 '; durch seine von der Parteibasis getragenen Einsprüche hatte er verhindert, daß in der Kabinettsrunde eindeutige Beschlüsse zugunsten einer Machtdemonstration der Staatsgewalt gefaßt wurden. Schon am j . N o v e m b e r , „ a m Schlüsse eines Ministerrates" 26 *, bei dem der I. Generalstabsoffizier die vom O b e r k o m m a n d o in den Marken beabsichtigten Maßnahmen zur Abschiebung der sowjet-russischen Botschaft vorgetragen hatte und anschließend aufgefordert worden war, über die Pläne seiner Kommandobehörde zur Unterdrückung einer Revolution Auskunft zu geben, war dieser Vertreter des O b e r k o m m a n d o s „dringend davor gewarnt" worden, „ d a ß eintretenden Falles vom O b e r k o m m a n d o der Befehl zum Schießen gegeben w ü r d e " .

T e r m i n u s bei Heidegger, S. 214, bestätigt durch Beurteilung von N o s k e , Aufstieg, S. 77, u. durch Erklärungen Scheidemanns in eigener Sache, vgl. Q u e l l e n I/2, S. 580, dito in seiner Einleitung z u : Z u s a m m e n b r u c h . Sch. w a r A n g e h ö r i g e r des Parteivorstandes der S P D , seit dem Rücktritt Haases u. bis z u seiner B e r u f u n g als „kaiserliche E x z e l l e n z " Vorsitzender der MSPD-Reichstagsfraktion. 161 Vgl. Q u e l l e n I/2, S. 544. ,6 * O b e r k o m m a n d i e r e n d e r u. Polizei-Präs, hatten fünf Versammlungen der U S P D , die aus A n l a ß des Jahrestages der russ. O k t o b e r r e v o l u t i o n für den 7. i r . 1918 einberufen waren, verboten (vgl. Huber, D o k u m e n t e II, N r . 371; siehe A n m . II 268-274), o f f e n b a r auch, um eine Wiederholung der Ereignisse v o m 27. 10. 1918 (siehe Kap. II 4c) ä priori auszuschließen. l6> T e x t bei H u b e r , D o k u m e n t e II, S. 501. l 6 < Seit 6. 11. 1918 v o r g e n o m m e n e militärische A b s p e r r u n g Berlins von den bereits revolutionierten Reichsteilen.

160

165 M

Formulierungen Scheidemanns; vgl. Q u e l l e n I/2, S. 564, 576. Zit. u. dargestellt nach „ Ä u ß e r u n g e n " L e t t o w , fol. 332 ( A n m . I 517); nicht im amtlichen Protokoll über die Nachmittagssitzung des Gesamtkabinetts aufgezeichnet (vgl. Q u e l l e n I/2, S. 544ff ). A m darauffolgenden 6. 11. hatte Maj. v. L e t t o w erneut Gelegenheit, anl. der Kabinettsberatung über milit. A b w e h r m a ß n a h m e n in Berlin mit Scheidemann z u s a m m e n z u t r e f f e n (vgl. ebd., N r . 133); H i n w e i s bei Scheidemann, Z u s a m m e n b r u c h , S. 207.

4. Truppeneinsatz und Schußwaffengebrauch: Beschränkungen beim Ordnungseinsatz

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Neben dem bereits angeführten parteipolitischen Hauptinteresse, „die Massen ruhig und bei der Stange zu halten" 267 und ihr Abschwenken ins radikale Lager zu verhindern, schreckte man bei der M S P D generell aus überwiegend ethischen Gründen vor der Anwendung äußerster Gewaltmittel zur Verteidigung einer staatlichen Ordnung zurück, die wegen ihrer noch immer erheblichen Reformbedürftigkeit von der Parteibasis und von der Mehrzahl der Parteimitglieder nicht voll bejaht wurde. Am 7. November kamen Fraktions- und Parteivorstand zusammen mit der Berliner Ortsleitung der M S P D darin überein, daß die Partei sich „nicht mit Blutschuld belasten" dürfe 268 und daß deshalb ein weiteres Verbleiben ihrer Mitglieder im Kriegskabinett nicht verantwortet werden könne, falls die Regierung nicht sofort Anweisung an die zuständige Militär- und Polizeibehörde ergehen lasse, daß von den Ordnungskräften bei ihrem etwaigen Einsatz anläßlich der verbotenen USPD-Versammlungen „keine Dummheiten gemacht werden" sollten. Wenn der Oberkommandierende in den Marken nach außen hin auch das umstrittene Versammlungsverbot nach einem ausschlaggebend vom Obermilitärbefehlshaber beeinflußten Entscheid des Reichskanzlers 269 aufrechterhalten konnte 270 , so steht dem doch der immerhin bis zur Kabinettsfrage zugespitzte Versuch der M S P D gegenüber, die Modalitäten des Einsatzes der polizeilichen und militärischen Exekutivorgane bestimmend zu beeinflussen. Das Begehren einer die Regierungspolitik mittragenden Partei, die Regierung solle „Polizei und Militär zur äußersten Besonnenheit" anhalten 27 ', war in seiner ultimativ vorgetragenen Form durchaus geeignet, über den aktuellen Anlaß der Versammlungsverbote hinaus auf die bisher gewahrte Ermessens- und Entschlußfreiheit der militärischen und Polizeiführer einen Druck auszuüben. Seit dem 7. November 1918 fungierten diese Instanzen als eine Art Gelenkstelle, die nach zwei Seiten ausbalancieren mußte, nach der einen, indem sie den Auftrag zu erfüllen trachtete, Störungen der inneren Sicherheit und Ordnung wirksam abzuwehren, nach der anderen Seite, indem sie vermied, durch die Art der Auftragserfüllung das Auseinanderbrechen der Regierung zu riskieren. Dieser Fall hätte bereits in den Abendstunden des 7. November eintreten und damit die erfolgreichen Bemühungen von Kabinettsmitgliedern, ihren Kollegen Scheidemann zur Rücknahme des Ultimatums zu bewegen 272 , sogleich wieder zunichte machen können, als mehrere tausend Demonstranten, die nach dem Verlassen eines der Versammlungslokale einen Zug formierten, lautstark die Kieler Revolutionäre und die Internationale hochleben ließen und die Schutzmannschaften durch beleidigende Zurufe herausforderten. Der zurückhaltenden Reaktion der Polizeioffiziere ist es zu verdanken, daß es nicht zur Zuspitzung kam; immerhin riskierten sie dabei, daß dieser zahlenmäßig bisher stärkste 167

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170 271

Formulierungen Scheidemanns über Eberts Verdienste anl. der Kabinettsaussprache über das 1. Ultimatum der M S P D ; vgl. Quellen I/2, S. 577 u. 581. Dieses u. nachf. Zit. bei Scheidemann, Zusammenbruch, S. 205 f. Vgl. Quellen I/2, S. 574, Max von Baden, S. 604, 609. Gen.Lt. Scheüch war in dieser Angelegenheit gem. „Runderlaß" v. 2. n . 1918, Abschn. I, Ziff. 3 u. 5, zuständig (siehe Anm. II 143) u. gem. Allerhöchster Order v. 15. 10. 1 9 1 8 , Ziff. 2 (siehe Anm. II 176, 183) verpflichtet, sich mit dem Reichskanzler resp. StSekr. Gröber (siehe Anm. II 190) ins Benehmen zu setzen; vgl. Quellen II, i/II, S. 1394. Zur offiziellen Begründung vgl. Quellen I/2, S. 579; Drabkin, S. 146. 2. Punkt des 1. Ultimatums zur Zurückziehung von Mitgliedern der M S P D aus der letzten kaiserlichen Regierung; vollst, abgedr. bei Schultheß 1918/1, S. 422; Max von Baden, S. 604; Quellen I, 3/II, Nr. 5 1 1 , insb. Anm. 4; im Zusammenhang vgl. auch N o w a k , Chaos, S. 198H. Quellen 1/2, S. 581.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

und nach geltendem Ausnahmerecht verbotene politische Demonstrationszug 275 bis ins Stadtinnere hatte vordringen können, bevor seine Auflösung in auffallend „schonender" und in zu keinen Weiterungen Anlaß gebender Weise erzwungen werden konnte 274 . In den letzten Tagen des Kaiserreichs, als es darauf ankommen mußte, den Sitz der Reichsverwaltung zu schützen, um damit zugleich den Fortgang der Regierungsgeschäfte und eine ununterbrochene Verhandlungsfähigkeit gegenüber dem Feindbund sicherzustellen 27 ', haben die Parteiführer der Mehrheitssozialdemokratie aus Furcht, mit dem stürmischen Tempo der revolutionären Ereignisse nicht Schritt zu halten und den infolgedessen ihrer Partei drohenden existentiellen Gefahren nicht mehr begegnen zu können, stärkste politische Pression auf die Reichsregierung ausgeübt. Damit wollten sie erreichen, daß sie von den äußersten Maßregeln zur Verteidigung der noch bestehenden alten Staatsordnung Abstand nähme. Die „durch die Haltung der Sozialdemokratie entstandene Krisis" 2 7 6 harte bereits am 7_/8. November eine klare Entschlußfassung der Regierung über das von den meisten Bundesbevollmächtigten sowie von anderen Spitzenvertretern aus dem Reich und Berlin vorgebrachte Verlangen verhindert, mit aller Entschiedenheit durch die bewaffnete Macht einer weiteren Ausbreitung der Umsturzbewegung Einhalt zu gebieten. Zweifellos hat der von der M S P D erstmals am 7. November 1918 angedrohte Rückzug aus der Regierungsverantwortung den Verantwortlichen in Berlin dabei Fesseln angelegt, die Mittel der Staatsmacht voll in Anwendung zu bringen. Ein wesentliches Motiv, der kaiserlichen Regierung die Unterstützung aufzusagen, hatte für die MSPD-Führung am 7. darin bestanden, daß sie sich nicht, wie schon erwähnt, mit einer Blutschuld belasten wollte. Das Argument, Blutvergießen vermeiden zu wollen 277 , stand auch an erster Stelle bei der Erklärung der von Ebert geführten Abordnung der M S P D , die am Mittag des 9. November bei Max von Baden das Amt des Reichskanzlers und des Oberkommandierenden in den Marken forderte - jene Stellen also, von denen auch zu diesem Zeitpunkt noch Befehle zum bewaffneten Widerstand an loyal gebliebene Truppen ausgehen konnten. Die Verzichterklärung des letzten kaiserlichen Reichskanzlers setzte den Schlußpunkt 17)

174

171

276

177

Quellen I/2, S. 578. Zur Rechtsnorm vgl. „Runderlaß" des p r . K M . v. 2. 1 1 . 1918, Abschn. I passim (Anm, II 14}) u. die Anordnung: Der Ober-Militärbefehlshaber, N r . 1787, 10.18.A 1 v. 6. 1 1 . 1918, wonach „Versammlungen der U.S.P. nicht grundsätzlich mehr verboten werden" könnten, es sei denn in den vom „Runderlaß" beschriebenen Einzelfällen ( B H S t A , Abt. I V , M K r X I V c, III 17, Bd IV v. 1 . 9 . 18 - Schluß). Leipziger Tageblatt v. 8. 1 1 . 1918, abgedr. bei Buchner, D o k . - N r . 96a. Die Pressemeldung (Vossische Zeitung v. 8. 1 1 . 1918, Morgen-Ausg.), wonach die vor den fünf Lokalen versammelte „größere Menschenmenge" nach Unterrichtung über das Verbot des O b . K d o . „in größter R u h e " auseinandergegangen sei, ist unzutreffend. - Für die Eindämmung dieser im beschriebenen Handlungszeitraum bisher potentiell gefährlichsten Massendemonstration gegen die Regierung war bei den Ordnungskräften die bezeichnende Parole ausgegeben worden: „Keinesfalls harte Bandagen!" (Befehl des Berliner Polizeiobersten Froehlich It. „Polizeibericht v. 19. 2. 1 9 2 0 " , Anl. zu Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " (Anm. II 32). - Zu den vom Ob.Kdo.¡.d.M. für den 7. 1 1 . angeordneten milit. Sicherungsmaßnahmen („Streikabwehr") siehe Kap. II 6c. Vgl. diesbezügl. Argumentation von Payer u. Roedern am 7. 1 1 . 1918 gegenüber Scheidemann, in: Quellen I/2, S. 578 u. 579. Zit. aus der Erklärung Trimborns in der Sitzung im Reichsamt d.i. am 8. 1 1 . morgens; vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1774. Zu den entspr. „Anregungen" u. „Wünschen" der Bundesvertreter vom Vorabend vgl. ebd., S. 1765 ff. Max von Baden, S. 635.

4. Truppeneinsatz und Schußwaffengebrauch: Beschränkungen beim Ordnungseinsatz

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hinter eine einwöchige Phase der Rat- und Tatenlosigkeit seiner Regierung, die in ihrer letztlich ausschlaggebenden Entscheidungsgewalt über Truppeneinsatz und Waffengebrauch im Innern spätestens seit dem 7. November gelähmt schien und die auch schon vorher wichtiges Terrain für eine gewaltsame Behauptung der überkommenen Machtpositionen preisgegeben hatte. Auf einen wesentlichen Anteil der Mehrheitssozialdemokratie an den auf höchster Regierungsebene gefaßten resp. ausgebliebenen Entschließungen sowie am Gang der dann eingetretenen Entwicklung haben zwei namhafte Persönlichkeiten dieser Partei bereits kurze Zeit nach den Ereignissen des Oktober und November 1918 hingewiesen: Friedrich Stampfer, der während des hier untersuchten Zeitraums als Chefredakteur des „ V o r w ä r t s " in seinen Leitartikeln wie kaum ein anderer die politische Auffassung seiner Parteifreunde beeinflußte und verbreitete, hat deutlich gesagt, wie sehr sich das Risiko für die Initiatoren und Träger einer Erhebung vom Oktober 1918 an verringert hatte, seitdem „die Sozialdemokraten mit in der Regierung saßen". Wie gering es durch diesen Umstand dann tatsächlich geworden sei, führt Stampfer weiter aus, „zeigte sich ganz freilich erst einige Wochen später, als die Sozialdemokratie die widerstandslose Kapitulation der alten Gewalthaber durchsetzte" 27 ®. Der andere, Philipp Scheidemann, wurde heftig von der konservativen Rechten angefeindet, die ihn beschuldigte, als Staatssekretär in einer kaiserlichen Regierung gleich zweimal seinen Wilhelm II. geleisteten Treueid gebrochen zu haben, zum einen, weil er als erstes Kabinettsmitglied die Abdankung des Monarchen gefordert, und zum anderen, weil er von sich aus am Umsturztage die Republik ausgerufen habe. Dennoch scheute er sich nicht, durch eine Erklärung in eigener Sache Anlaß zur Vermehrung dieser Vorwürfe zu geben. Im Zusammenhang mit der im Jahre 1919 in der Öffentlichkeit noch nicht vollständig geklärten Frage nach den Gründen für den Ausbruch und die schnelle Ausbreitung der Revolution und nach den von der Reichsregierung angeordneten Gegenmaßnahmen äußerte Scheidemann unumwunden, er habe „als Staatssekretär nichts zugelassen, was zu ihrer Eindämmung hätte führen können" 2 7 9 . „Nicht schießen lassen", lautete die Maxime, unter die Scheidemann nach eigener Darstellung in den letzten Tagen vor dem 9. November 1918 seine „unausgesetzten Bemühungen im Kabinett und im Gespräch mit den einzelnen Regierungsmitgliedern" gestellt haben will2»0. Für die vorliegende Untersuchung ist dabei die Frage von Belang, inwieweit die von den Berliner Kommandobehörden gefaßten Entschlüsse über den Truppen- und Waffeneinsatz tatsächlich im Einzelfall durch Eingriffe aus Regierungskreisen beeinflußt oder gar maßgeblich bestimmt wurden, ob der gegenüber dem obersten politischen Entscheidungsträger schon Mitte Oktober 1918 geweckte Argwohn, bestätigt durch die zitierten Selbstzeugnisse der sogenannten kaiserlichen und bürgerlich-republikanischen Regierungssozialisten 281 über ihre Aktivitäten, im wesentlichen nichts weiter war als der Ausdruck einer gegen die Politik des Prinzen Max von Baden gerichteten „Stimmung" bzw. einer sich „kaisertreuer" gelierenden politischen Gesinnung. Vielleicht war es aber letztlich nur ein weiterer der zahlreichen Versuche der ehemals im Heimatgebiet verantwortlichen Militärs, von eigenen Versäumnissen und Führungsfehlern abzulenken und stattdes178 i?9 1,0 181

Zit. nach Stampfer, Der neunte November, S. 18. Scheidemann, zit. bei Schreckenbach III, S. 973. Zit. aus Scheidemann, Zusammenbruch, S. 207. Politischer Kampfbegriff der extremen Linken u. Rechten gegen die Mehrheitssozialdemokratie.

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

sen nachdrücklich auf die den militärischen Gewalten von der politischen Leitung auferlegte folgenschwere Einengung ihrer bisherigen Selbständigkeit und Handlungsfreiheit hinzuweisen 2 * 2 . Von Seiten des Oberkommandos in den Marken wurden die schon mehrfach erwähnten einschränkenden Bestimmungen über die Befugnisse der Militärbefehlshaber 28 ' auch als Beweis zu der Behauptung herangezogen, daß der angeblich von der letzten kaiserlichen Regierung gegen die Omnipotenz der Stellvertretenden Kommandierenden Generale im Heimatgebiet geführte Angriff sich auch gegen deren Befehls- und Kommandogewalt in ausschließlich militärischen Angelegenheiten gerichtet hätte. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich solche Unterstellungen nicht halten lassen, soweit mit ihnen Restriktionen über den Truppen- und Waffeneinsatz aus den Erlassen vom 15. Oktober und 2. November 1918 abgeleitet werden. Wie wenig diese Bestimmungen tatsächlich an den vom Oberkommandierenden in den Marken zurückgeforderten „alten Machtbefugnissen" 2 ® 4 über den Gebrauch äußerster Zwangsmittel geändert hatten, belegt überdies eine Auskunft des preußischen Kriegsministers, die dieser in der zweiten Oktoberhälfte und höchstwahrscheinlich in Gegenwart des Reichskanzlers den um eindeutige Verhaltensnormen nachsuchenden Generalobersten v. Linsingen erteilte. Generalleutnant Scheüch sicherte dem Militärbefehlshaber über die Provinz Brandenburg und Berlin zu, „daß er wieder völlige Selbständigkeit haben werde, wenn geschossen würde, daß also die rein militärischen Maßnahmen für die Unterdrückung von Unruhen durch Waffengebrauch im entscheidenden Augenblick von den Befugniseinschränkungen nicht berührt werden würden" 2 8 '. Diese Direktive des Kriegsministers, die an seiner bis zum frühen Nachmittag des 9. November durchgehaltenen grundsätzlichen Entschlossenheit 286 , gegen Aufständische mit Waffengewalt vorzugehen, keinen Zweifel läßt, deutete hingegen die Führungsspitze des Oberkommandos in den Marken dahingehend, die Regierung wolle nicht zugeben, daß es in dem von Scheüch bezeichneten „entscheidenden Augenblick" für eine Sicherung der bestehenden Machtverhältnisse zu spät sein werde, weil Revolutionen im wesentlichen nur vorbeugend bekämpft werden könnten 287 . Eine solche Reaktion mag als Mißmutsäußerung des Oberkommandos über die Irreversibilität des von ihm angestrebten status quo ante 15. Oktober 1918, d. h. über den Verlust seiner früheren politisch unkontrollierten „Diktaturgewalt" (Laband), angesehen werden oder als ein weiteres Beispiel für die mangelnde interne Ubereinstimmung und die oftmals gesucht erscheinenden Auffassungsunterschiede unter den Berliner Militärbehörden. Viel gravierender war, daß sich das Oberkommando und Gouvernement selbst nicht an die eigene, für durchführbar erachtete Konzeption prophylaktischer bewaffneter Abwehr hielt und während der letzten Oktober- und der ersten Novemberwoche letzte Chancen ungenützt vorübergehen ließ, durch schnellen und rücksichtslosen Einsatz seiner Machtmittel den Willen zur gewaltsamen Behauptung der Lage unzweideutig zu demonstrieren. i8i ,8) 184 ,8(

i86

Siehe Anm. II i 7 2 f f . , II 2 5 6 f . Siehe Anm. II 143/176, 183, 190, 269. Zit. nach „Bericht" Linsingen in: Quellen 1/2, S. 621. Zit. nach Mitteilung Linsingens an seinen Chef des Stabes über eine seiner Unterredungen mit Max von Baden u. Scheüch, in: „Bericht" Berge u. Herrendorff, fol. 185 (Anm. II 172). Zur Aufhebung von Linsingens allgemeinem Schießverbot v. 9. 1 1 . mittags durch Scheüch, siehe Anm. 187 III 250f. Siehe Anm. II 285.

4. Truppeneinsatz und Schußwaffengebrauch: „Generalprobe" am 27. Oktober 1918

c) Die „Generalprobe"

der Ordnungskräfte

am 27. Oktober

197

1918

„Wie nötig es sei, klare Verhältnisse zu schaffen und die Waffe zu gebrauchen", war eine Vorstellung, von der auch die Führung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps beherrscht wurde 288 . Nach den negativen Erfahrungen bei unerlaubten Demonstrationen der USPD/Spartakusgruppe am 16. und 23. Oktober 1 8 ' erschienen ihr die insgeheim von den Linkssozialisten für den 27. Oktober geplanten „Sonntagsversammlungen" mit anschließender Massendemonstration vor der sowjetrussischen Botschaft 290 als eine günstige Gelegenheit für eine solche „Generalprobe" (Mantey), bei der durch raffiniert vorausdisponierten und möglichst massierten Waffeneinsatz den revolutionären Elementen und ihren Sympathisanten die blutige Konsequenz ihrer Aktionen verdeutlicht und ihnen bis auf weiteres auch jegliche Aussicht auf einen erfolgreichen Umsturz genommen werden sollte. Mit der zu jenem Zeitpunkt noch zutreffenden Nachricht 29 ' der politischen Polizei, für den 27. Oktober sei „ein Putsch in Aussicht" 2 9 1 , meldete sich am 25. Oktober der Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps beim Chef des Stabes des Oberkommandos und Gouvernements und unterbreitete diesem den Einsatzplan. Den zu gewärtigenden Demonstrationszügen sollte - möglicherweise, um sie in Sicherheit zu wiegen - zunächst ein ungehinderter Durchzug durch die auf das Brandenburger Tor zuführenden Hauptanmarschstraßen erlaubt werden; erst in Höhe des Brandenburger Tores, d. h. auf dem übersichtlichen Glacis des Pariser Platzes, sollte eine Kette der Berliner Schutzmannschaft die Linie markieren, die den Demonstranten nur unter Todesgefahr zu überschreiten möglich gewesen wäre: Noch am Vortage (26. Oktober) sollte öffentlich bekanntgemacht werden, daß jedes gewaltsame Vorgehen gegen die Polizei automatisch Schußwaffengebrauch zur Folge haben werde. Würden also die Demonstrationszüge gegen die Schutzmannkette vordringen und diese zu durchbrechen suchen, dann sei eindeutig der Fall eingetreten, in dem die dahinter in überhöhten und flankierenden Stellungen postierte „Hilfstruppe" des Gardekorps ihre Maschinengewehre zu lösen hätte. Dem Plan des Korpschefs, mit einer solchen Gewaltlösung den „über die Regierung des Prinzen Max in der Öffentlichkeit entstandenen [ . . . ] Eindruck unbestreitbarer Unsicherheit zu verwischen" 29 ', mochte das Oberkommando nicht zustimmen - ganz entgegen seinen damaligen und auch späteren Absichtserklärungen über „denkbar scharfes Zufassen gegenüber Aufrührern" 2 ' 4 . So kam es also, daß gründliche Erkundung und verdecktes Beziehen überlegener Kampfstellungen unterblieben; vielmehr wurde ein kleines Aufgebot von Gardesoldaten direkt 1,8

Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 13 (Anm. II 32). Vgl. Arch. Forsch. 4/IV, S. 1642; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 499; III. Gesch. der deutschen Revolution, S. i8of. 2,0 Zit. nach Liebknechts T g b . - A u f z . v. 28. 10. 1918, abgedr. in: III. Gesch. der deutschen Revolution, S. 203; vgl. Barth, S. 44; Schultheß 1918/I, S. 358. Liebknechts dahingehende Absicht wurde durch Barths u. anderer Einspruch in letzter Stunde vereitelt; siehe vorige Anm. ">' Nachf. Darst. u. Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 13 (Anm. II 32). Das P r . K M . verfügte über ähnliche Nachrichten; vgl. Böhm, Tgb.-Eintr. v. 26. 10. 1918, Hürten/Meyer, S. 49. * " Zit. nach „Schreiben" Mantey, fol. 1 1 7 f . (Anm. I 67). 1,4 Formulierung von Oberst v. Berge u. Herrendorff, in: „Auszüglichc N o t i z e n " Graf Waldersee, fol. 191 (Anm. I 514). 189

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

hinter die Schutzmannkette beordert, mit dem Auftrag, „zurück, zurück" zu rufen und zu drängen 1 "; und dies, obwohl Barth in der den militärischen Stellen bekannt gewordenen Sitzung des Zentralvorstands der U S P D am 23. Oktober erklärt hatte, am 27. bis zu „20000 Mann auf die Beine bringen" zu können 2 **. Auch versäumte es der Militärbefehlshaber, die in seine Zuständigkeit fallende, nach dem Belagerungszustandsgesetz und entsprechenden Anordnungen aus jüngster Zeit 297 zwingend gebotene Absprache mit dem preußischen Innenminister bzw. Berliner Polizeipräsidenten zu treffen, um für diesen Auftrag die Unterstellungs- und Befehlsverhältnisse zwischen dem örtlichen militärischen Einsatzleiter und dem Führer der Schutzmannschaft eindeutig zu klären. Ebensowenig erging seitens des Oberkommandos die vom Stellv. Generalkommando des Gardekorps erbetene Proklamation, in der vorher der Öffentlichkeit ausdrücklich der Waffengebrauch für den „eintretenden Fall" angekündigt werden sollte. Das Debakel der Ordnungskräfte am 27. Oktober gegen die Marschsäulen der Demonstrationszüge war nicht etwa die Folge revolutionären Elans. Diese Schlappe resultierte vielmehr aus der unerklärlichen Unfähigkeit des Oberkommandos, anhand der vorliegenden Meldungen den hohen Gefährlichkeitsgrad der angekündigten Demonstration und ihre politische Zielsetzung realistisch einzuschätzen, und aus seinem Versäumnis, die zur Abwehr einer solchen Aktion unumgänglich nötige militärische Alleinkompetenz zu schaffen und schließlich angemessen starke Machtmittel nach umsichtiger Vorbereitung im einzelnen einzusetzen. Stattdessen schickte das Oberkommando ohne nähere Instruktion eine schwache Abteilung von Gardesoldaten ans Brandenburger Tor, w o diese unversehens abgedrängt und überrannt wurde. Weit mehr als 500 Demonstranten gelangten durch das Regierungsviertel bis zum russischen Botschaftsgebäude, vor dem sie programmgemäß ihre Sympathiekundgebung abhielten. Daß die für die Ordnungskräfte zunächst haltlos gewordene Situation überhaupt noch einigermaßen gerettet werden konnte, lag am persönlichen Eingreifen des preußischen Ministers des Innern, der mit einem stärkeren Polizeiaufgebot Unter den Linden die öffentliche Sicherheit wiederherstellte. Für die vom Oberkommando wider besseres Wissen unterlassenen Dispositionen für den voraussehbaren Konfliktfall sind die Geschehnisse vom 27. Oktober nur ein, wenn auch herausragendes Beispiel unter anderen, das, was den gesamten Verlauf der „Sonntagsversammlungen" betrifft, nicht wenig geeignet war, die Berliner Revolutionäre zu kühneren Aktivitäten zu ermutigen. Daß die zahlenmäßig sehr schwache Gruppe um Liebknecht, die stürmisch die sofortige Einleitung des Staatsumsturzes schon zu Ende Oktober forderte, „ihren Putsch" nicht bereits zwei Wochen vor dem historischen 9. November in Szene setzen konnte - und dies, wie dargestellt, auch mit überraschend großen Erfolgschancen - , hatte seine Ursache nur darin, daß dieser radikale Kern unmittelbar zuvor von der Mehrheit der unabhängigen Zentralvorstandsmitglieder überstimmt worden war 2 ' 8 . Irgendein Verdienst daran, daß die Sicherheitslage in der Reichshauptstadt am 27. Oktober 1918 noch einmal stabilisiert werden konnte, gebührt jedenfalls nicht dem Oberkommando in den Marken und Gouvernement von Groß-Berlin, da dieses es an jeglicher Vorausplanung und Entschlossenheit hatte fehlen lassen, seinem ureigensten Auftrag zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung nachzukommen. Siehe Anm. II 292. Barth, S. 44. w Siehe Anm. II 232. Siehe Anm. II 29of.; Barth, S. 4 2 f f . 196

j . Die „Direktive N r . 1 5 " des Stellvertretenden Generalkommandos des Gardekorps vom 5. November 1918 über den Waffengebrauch In dem Jahrzehnt nach den beschriebenen Ereignissen ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß nichts so sehr die „Unzuverlässigkeit bei der Truppe hervorgerufen" habe2*9 wie die Bestimmungen, die das Stellv. Generalkommando des Gardekorps über den Waffengebrauch ungeachtet aller zuvor erlassenen Armee- und Korpsbefehle über den Truppen- und Waffeneinsatz 300 erlassen hatte. Max von Baden enthält sich im diesbezüglichen Teil seiner Erinnerungen jeglicher heftiger Verurteilungen derjenigen, die seinen „minleren Kurs" 3 0 ' als Reichskanzler durch ihr aktives Gegensteuern oder ihre ausbleibende Unterstützung zum Scheitern brachten, und merkt lediglich an 302 , die Anordnung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps sei „von vornherein geeignet" gewesen, die Garnisontruppen in der Anwendung der ihnen zu Gebote stehenden Mittel „zu beschränken". Dagegen bekräftigen die ehemaligen Generalstabsoffiziere Volkmann und Niemann in ihren Darstellungen des Umsturzes in Berlin das eingangs zitierte Verdikt Scheüchs über die Korpsführung. Der Verzicht auf das zur Erhaltung des alten Systems notwendige offensive Einschreiten müsse unstreitig als eine Folge der vom Korpskommando ausgegebenen „Grundlegenden Bestimmung" angesehen werden; auf deren „nicht ganz eindeutige Fassung" sei in jedem Falle das Ausbleiben selbst bloßer bewaffneter Gegenwehr zurückzuführen 303 . Am härtesten geht Niemann 304 mit den Verfassern dieser „recht unklaren Bestimmungen" ins Gericht. Ihnen gibt er in monokausaler Zuspitzung die eigentliche Schuld daran, „die Truppe unsicher gemacht" zu haben. Unumwunden erklärt er die Anweisungen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps für ein Produkt der „grauen Theorie des Schreibtisches, wohl eine Frage der vielfältigen Mahnungen der Reichsregierung, auf die Bevölkerung Rücksicht zu nehmen". Da ähnlich scharfe Anklagen oder die Versuche, diese im einzelnen begründet zurückzuweisen, auch in den unveröffentlichten Stellungnahmen der damaligen Akteure enthalten sind, stellt sich die Frage, inwieweit tatsächlich die angefochtenen Bestimmungen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps, insbesondere ihr Kern, die „Direktive N r . 1 5 " , Ursache waren für das Versagen des Berliner Militärs am 8./9. November 1918. Wegen der in Literatur und ungedruckten Quellen immer wieder anzutreffenden Ungenauigkeiten in den Bezeichnungen der verschiedenen Weisungen für die Unterdrückung von Unruhen in Berlin sei einleitend festgestellt: Der Alarmplan des Stellv. Gardekorps trug den Arbeitstitel „Grundlegende Bestimmungen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps, I b U . i o o o g . " ; er ist in anderem Zusammenhang unter dem Stichwort für seine Auslösung „Teilabschnitte besetzen" bereits mehrfach erwähnt worden 3 0 ' und wird

Aussage Scheüchs vor dem Ehrengericht am 13./14. 6. 1922; zit. in „Schreiben" Mantey, fol. 1 1 7 (Anm. I 67). ,oc Allerhöchster Armeebefehl ( = W a . G e b r . V O . ) v. 19. 3. 1914 (Anm. II 5ff.); Erlasse des P r . K M . v. Oktober/November 1918 (Anm. II 162). )01 Zu dem von Hintze u. dem Prinzen Max verfolgten „Mittelweg" vgl. Sauer, Das Scheitern der parlamentarischen Monarchie, S. 77 ff. ,0 ' Max von Baden, S. 638, Anm. 1. )°! Volkmann, Marxismus, S. 241. ,0 >°* Niemann, Revolution von oben, S. 285. * Siehe Kap. II 2d.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

wegen der folgenreichen Begleitumstände bei seiner Durchführung noch eingehender zu behandeln sein. Die „Grundlegenden Bestimmungen" des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps sollten den seit Jahren gültigen Alarmbefehl „Streikabwehr" des Oberkommandos in den Marken ersetzen; sie bestanden nicht, wie sonst üblich, aus einem geschlossenen Alarmpaket, sondern aus einer Reihe von „Direktiven", die nach der Folge ihrer geschäftsmäßigen Fertigstellung numeriert und datiert waren. Aus der Serie dieser Einzelanweisungen verdient die Direktive Nr. 15 vom 5. November 1918 die größte Beachtung. Eine der Varianten im „Revolutionsbild" der Korpsführung war die Möglichkeit akuter Bedrohung der Ordnungskräfte 306 , nämlich dann, wenn die Fernmelde- und andere Verbindungswege zwischen den Berliner Befehlsstellen und den Truppen in einer überraschenden Putschaktion unterbrochen und die Formationen in ihren Unterkünften überfallen würden. Die auf sich gestellten Truppenteile sollten vorbeugend mit einer verbindlichen Verhaltensweisung ihrer Kommandobehörde versehen werden, um für solche Situationen gefährliche Weiterungen vorausplanend auszuschalten, die angesichts der innenpolitisch angespannten Lage durch zu weitgehendes selbständiges Handeln entstehen konnten - z. B . wenn eine Einheit, durch irgendeine Menschenansammlung nahe der Kaserne beunruhigt, präventiv das Feuer eröffnete. Die umstrittene Ziffer dieser Direktive lautet: „Zunächst sind alle Maßnahmen nur Abwehr, bei feindlichem Angriff tritt der Waffengebrauch ein, und zwar so, daß der Erfolg auf unsere Seite kommt' 0 7 ." Bei einer näheren Betrachtung der Weisung lassen sich drei Stufen innerhalb des insgesamt flexiblen taktischen Konzepts erkennen: - Zuerst strenger Verzicht auf ein initiativ-angriffsweises Vorgehen der Truppe, - Aufgabe der Zurückhaltung und des Feuervorbehalts erst im Falle aufgezwungener Abwehr, - dann aber nachhaltige und uneingeschränkte Verwendung der Waffen „im Schlag aus der Nachhand". Es wird deutlich, daß es sich hier nicht - wie in den eingangs angeführten verdammenden Urteilen behauptet - um eine allgemeine Direktive handelt, gültig für jedwede Einsatzbedingung und für alle Einsatzfälle, in denen die Ordnungskräfte nach den Dispositionen des Stellv. Gardekorps Verwendung finden sollten, sondern um eine „Direktive für den besonderen Fall"' 0 8 . Dieser war den oben aufgezeigten Einsatzphasen nach zweifelsfrei gegeben bei einem unprovozierten und unvermuteten Uberfall auf Truppenunterkünfte, er galt also für alle kasernierten Formationen der Berliner Garnison. Zum anderen war die Weisung für einen Einsatzfall vorgesehen, bei dem nach allgemeiner Alarmierung einige Abteilungen zu besonderer Verwendung (Reserven, Gegenangriffskräfte) bereitgehalten wurden, während das Gros der Garnisontruppen in die „Teilabschnitte" eilen und diese besetzen sollte. Die Truppe, die in einen Sicherungskordon um das Stadtzentrum gelegt wurde, sollte die Spree-Ubergänge nach Norden sperren und sie 1=6

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Annahme gem. Ziff. 1 der Direktive N r . 15, vgl. „Aktennotiz" Mantey, in: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. 1 1 6 ; „Schreiben" dess., fol. 1 1 7 (Anm. I 67); ders., „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 21 (Anm. II 32). Zit. nach „Bericht" Schmidt, fol. 80 (Anm. II 32); abgedr. bei Niemann, Revolution von oben, S. 285; Volkmann, Marxismus, S. 241. So die spätere Charakterisierung durch ihren Verfasser, Oberst v. Mantey; vgl. dessen „Schreiben", fol. 1 1 7 (Anm. I 67).

j. Die „Direktive N r . 1 5 " vom 5. November über den Schußwaffengebrauch

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aus Maschinengewehrstellungen, die in den zweiten und dritten Stockwerken der angrenzenden Gebäude vorzubereiten waren, überwachen' 09 . Auf ähnliche Weise sollten die auf das Regierungsviertel zuführenden Straßen durch Panzerabwehrkanonen und schwere Maschinengewehre beherrscht, Nebenstraßen durch Absperrungen, ständige Posten und Patrouillen kontrolliert werden. Nach den Überlegungen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps würden die Spree-Brücken im Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen den aus dem Berliner Norden erwarteten Arbeiterkolonnen und den Sicherungskräften liegen, die jenen ein weiteres Vorrücken auf Schloßinsel und Innenstadt verwehren sollten. Dieser unauffällig in die Tiefe gestaffelten Abwehr, bestehend aus vorgeschobenen Gewehrträgern und dahinter versteckt eingebauten Hauptwaffen, lag ein ähnlicher Einsatzplan zugrunde, wie er schon im taktisch begrenzteren Rahmen für die „Generalprobe" am 27. Oktober 1918 vorgelegen hatte, jedoch damals nicht ausgeführt worden war 1 ' 0 . Für den von der Korpsführung „vorgesehenen" F a l l 3 " , daß die aufgestellten Doppelposten durch Angriff der Demonstranten auf die technischen Sperren zurückgedrängt oder überrannt werden würden, sollte die überlegene Feuerkraft der eingerichteten Abwehrwaffen voll zur Geltung gebracht werden. In diesem „Revolutionsbild" rechnete das Stellv. Generalkommando also mit einem offenen Angriff umstürzlerischer Elemente auf formierte Ordnungskräfte. Demnach richtete das Stellv. Generalkommando des Gardekorps seine taktischen Dispositionen so ein, daß für alle im Sicherungskordon eingesetzten Verteidiger der Zeitpunkt zum Auslösen ihrer Waffen unausweichlich dann gegeben war, wenn die Revolutionäre jene Feuerlinie zu überschreiten im Begriffe standen, die der „Fall des konstruierten Angriffs" ins Vorfeld projiziert hatte. Am Umsturztage hat sich diese Annahme eines offen vorgetragenen Angriffs als irrig erwiesen und daher die befehlstaktisch starr festgelegte Truppe in dem Moment versagen lassen, da die ihr von ihren Teilabschnittsführern eingeprägte alternativlose Voraussetzung für die geplante automatische Auslösung der Abwehrwaffen wider Erwarten nicht eintrat. Ausgehend von diesem militärtechnisch-operationellen Faktor, der eine wesentliche Rolle im Gesamtgeschehen während der entscheidenden Vormittagsstunden des 9. N o vember spielte, sind zwei bald darauf laut gewordene Vorwürfe gegen die Verantwortlichen am plötzlichen und katastrophalen Zusammenbruch des Militärs in Berlin auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. Zum einen wurde behauptet, die Führung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps habe sich von vornherein eine falsche Vorstellung über das von den Revolutionären beabsichtigte und am Umsturztage dann auch eingeschlagene Verfahren zur gewaltsamen Machtaneignung gemacht, habe seine Truppen entsprechend falsch instruiert und durch seine Fehlkalkulation die eigene Niederlage geradezu planmäßig angelegt. Zum anderen warf man der Korpsführung vor, dem geringen Zuverlässigkeitsgrad nicht weniger als „bolschewistisch verseucht" geltender Ersatzformationen, die sich - wie weithin bekannt - mit absehbar hoher Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht hätten schlagen wollen, nicht genügend Bedeutung beigemessen und ihm ,D9

Zur Einsatzplanung im einzelnen vgl. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 15 (Anm. II 32); ders., „ A k tennotiz", fol. 1 1 5 (Anm. II 306). >'= Siehe Kap. II 4c. Zit. nach „Aktennotiz" Mantey, fol. 1 1 6 (Anm. II 306). Dito über diese „kalkulierte A b w e h r " Stoeßel in seinem „Bericht", fol. 209 (Anm. II 32).

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

deshalb nicht genügend entgegengewirkt zu haben. Auf diesen V o r w u r f wird später noch zurückzukommen s e i n ' " . Die Behauptung, daß die Korpsführung das Vorgehen des sog. inneren Feindes „im G a n z e n " falsch eingeschätzt habe, kann in dieser pauschalen Form nicht übernommen werden. Wie schon an anderer Stelle belegt 3 ' 5 , hatte die U - A b t e i l u n g des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps aufgrund zutreffender - und von den treibenden Kräften des Staatsumsturzes später bestätigten - Nachrichten angenommen, die hauptsächliche Gefahr gehe von einer politischen Bewegung aus, die immer häufiger und mit immer aufreizenderen Parolen Demonstrationen mit wachsendem Zulauf aus den unzufriedenen Bevölkerungsschichten entfachte, um dann zu einem ihr günstig erscheinenden Zeitpunkt die Formierung von Umzügen mit umstürzlerischem Ziel zu wagen. Hinter einem auf den ersten Blick Harmlosigkeit vortäuschenden Schirm von in den ersten Reihen aufmarschierenden Frauen, Kindern und Kriegsinvaliden sollten jene kampfstarken Stoßtrupps bereitgehalten werden, die dann auf ein verabredetes Zeichen vorspringen, die Ordnungskräfte überraschen und im ersten gewaltsamen Zugriff die Macht auf Straßen und Plätzen an sich reißen sollten. Bereits seit Ende O k t o b e r 1918 auf diese Erscheinungsform einer nahe bevorstehenden Umsturzaktion eingestellt' 14 , wurde die Führung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps in ihrer Annahme noch am 3. November durch die Aufdeckung von konspirativen Plänen der Berliner Unabhängigen bestärkt, die der Pionieroberleutnant Walz maßgeblich mitenrworfen und dann in einem raschen und vollständigen Geständnis preisgegeben hatte'' 5 . A n diesem „Revolutionsplan" hat das Revolutionskomitee, soweit ersichtlich, bis zum 7. November festgehalten; erst danach ist er aufgrund neuer Erkenntnisse und Umstände in wenigen, aber entscheidenden Punkten abgeändert worden. Die grundlegende Neufassung der „ A n g r i f f s z i f f e r " im „Revolutionsplan" der Obleute 3 ' 6 steht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Vorgängen um die Genehmigung und den Erlaß der Direktive N r . 15. A m 28. O k t o b e r hatte das Stellv. Generalkommando des Gardekorps seine gerade fertiggestellten „Grundlegenden Bestimmungen" dem O b e r k o m m a n d o in den Marken vorgelegt und „im Hinblick auf den Ernst der Lage" um die vorrangige Freigabe der Direktive N r . 15 gebeten 3 ' 7 . Entgegen seinen späteren Bekundungen scheint das O b e r k o m m a n d o jedoch zu dem Zeitpunkt von einer drohenden revolutionären Gefahr wenig überzeugt gewesen zu sein,

>" Siehe Kap. II 8a. Siehe A n m . II 51 f., II u o f . 3 , 4 D i e Vorlage dieser Lagebeurteilung des Stellv. G e n . K d o . des G a r d e k o r p s mit A n t r a g auf baldmögliche

)l!

Freigabe der entspr. Direktive durch das O b . K d o . i . d . M . datiert v o m 28. 10. 1918; vgl. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 14 ( A n m . II 32). Z u r vor- u. nachrevolutionären Rolle von Eduard W a l z vgl. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 14, 18; K n o l l , N o v e m b e r - R e v o l u t i o n , hierzu „Stellungnahme" Scheüch, in: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/1, fol. 154ff.; Henninger, S. 3; Ross, S. 209^; Barth, S. 45 ff.; Pieck I, S. 416,420, 432; Ledebour, S. 28f.; Müller-Franken, S. 93ff.; N o w a k , C h a o s , S. 196; Schultze-Pfaelzer, S. 148; Berichte über Vollversammlungen/Sitzungen aller Soldatenräte von G r o ß - B e r l i n resp. ihres Vollzugsrates v. 27., 28. n . u.

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5. 12. 1918, abgedr. in: Freiheit, N r . 22 v. 27. 11. 1918, Berliner Tageblatt v. 29. 11. 1918, Vorwärts, N r . 335 v. 6. 12. 1918 (Morgen-Ausgabe). Z u r Terminologie siehe A n m . II 330. Vgl. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 14 (Anm. II 32); Zit. ebd.

S. Die „Direktive N r . 1 5 " vom 5. November über den Schuß waff engebrauch

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da es für das Drängen der nachgeordneten Kommandobehörde kein Verständnis aufbrachte: Den vom Oberkommando und Gouvernement zunächst für den 6. November in Aussicht gestellten Entscheid erhielt das Stellv. Generalkommando des Gardekorps nur deshalb zwei Tage früher, weil sein Chef des Stabes wegen des unvertretbaren Zeitversäumnisses mit sofortigem Verlassen seines Dienstpostens drohte. So bekam der Stellv. Kommandierende General am späten 4. November erstmals Gelegenheit 3 ' 8 , dem Oberkommandierenden persönlich und den Führern der Eingreifreserven'' 9 das von der U-Abteilung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps entworfene und bis in Einzelheiten ausgearbeitete Konzept „Teilabschnitte besetzen" in seiner Gesamtheit vorzustellen. In dieser Besprechung fügte der Militärbefehlshaber über die Provinz Brandenburg und Berlin der Reihe seiner in sich unstimmigen Führungsmaßnahmen zur Abwehr der Revolution eine weitere Fehlentscheidung hinzu, indem er die vom Stellv. Generalkommando des Gardekorps vorbereiteten Anordnungen, insbesondere auch die Direktive Nr. 15 genehmigte, jedoch den schon früher unterbreiteten und nun mit allem Nachdruck wieder vorgebrachten Antrag des Stellv. Kommandierenden Generals erneut ablehnte, die revolutionär gestimmte oder auch nur neugierige Bevölkerung durch öffentliche Bekanntmachungen zu warnen und auf die ihr drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Mit schlüssigen Argumenten hatte der Stellv. Kommandierende General seinen Vorgesetzten letztmalig davon zu überzeugen versucht, seine Zustimmung in der „Proklamationsfrage" könne dazu beitragen, daß es gar nicht erst zur Alarmierung komme und daß ein blutiger Bürgerkriegseinsatz des in der Hauptstadt bereitgehaltenen Militärs vermieden werden könne, wenn „das Berliner Volk wisse, woran es sei", bevor es sich zu politischen Massenaktionen versammle' 20 . Daß sich der Oberkommandierende und Gouverneur dieser Argumentation auch jetzt nicht anschloß, hat unzweifelhaft am 8-/9. N o vember die ungehinderte Entfaltung der hauptstädtischen Umsturzbewegung begünstigt. Nach der Freigabe der „Grundlegenden Bestimmungen" durch den Oberkommandierenden arbeitete die U-Abteilung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps am darauffolgenden 5. und 6. November unter persönlicher Anleitung des Chefs des Stabes' 2 ' noch fieberhaft an der Endfassung, bevor die Einzelanweisungen den unterstellten Formationen im hauptstädtischen Raum zugeleitet werden konnten. Da die Korpsführung Geheimnisverrat befürchtete, fertigte sie die Direktive Nr. 15 nicht schriftlich aus, sondern bestellte die Adjutanten der alarmkalenderführenden Dienststellen ins Generalkommando. Hier diktierte und erläuterte ihnen der Stellv. Kommandierende General persönlich die wesentlichen Ziffern der Direktive und wies ausdrücklich darauf hin, daß die Weisung über den Schußwaffengebrauch bei Überfall nur für die Kommandeure bestimmt sei' 2 2 ; er wolle mit ihr innerhalb des Gardekorps ein weitgehend einheitliches Handeln der örtlichen Führer sicherstellen und diese auf eine schnelle und selbständige, >'8 Im Anschluß an eine Besprechung mit den Spitzen aus Verwaltung, Militär u. Polizei von Groß-Berlin, auf der beschlossen wurde, von der Bildung einer „nationalen Bürgerwehr" Abstand zu nehmen; siehe Kap. I 4, Anm. I i o j f f . ' ' ' Kommandeure der aktiven Jäger-Bataillone Nr. 4 u. 14, des Res.-Jäger-Btl. N r . 3; dienstältester Schwadronschef des akt. Dragoner-Rgt. Nr. 12. >10 Ausführl. Darst. dieser Besprechung bei Mantey, „ D e r 9. November", Bl. 15 (Anm. II 32); sehr lückenhaft erwähnt in „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 622. s ¡ ' „Bericht" Schmidt, fol. 84 (Anm. II 32). Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 16 (Anm. II 32); „Bericht" Stoeßel, fol. 209 (Anm. II 32).

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

von telefonischen Rückfragen und Bestätigungen unabhängige Entschlußfassung verpflichten. Darüber hinaus hat der Stellv. Kommandierende General am Vormittag des 7. November die Kommandeure selbst „zur Empfangnahme persönlicher Weisungen" zu sich beordert 3 * 3 . Nach dem hierüber vorliegenden Bericht soll der General nach gründlicher Analyse der augenblicklichen innenpolitischen und militärischen Situation die in der nächsten Zelt möglichen Entwicklungen der Lage eindringlich vorgestellt und seine Unterführer „zu scharfem Vorgehen ermuntert" haben. Auch diese erneute Inpflichtnahme hat die Untätigkeit der Kommandeure am 9. November und den oftmals unter blamablen Begleitumständen angetretenen Rückzug aus ihrer Veranrwortung nicht verhindern können. Zu den ungeklärten Punkten bei den militärischen Vorgängen unmittelbar vor dem Staatsumsturz gehört die Frage, auf welchem Wege der ab 4. November gültige und den alarmkalenderführenden Dienststellen der Garde seit dem j./6. zugeleitete Geheimbefehl „Teilabschnitte besetzen" in die Hände der Revolutionäre geriet. Überhaupt bleibt es im ganzen rätselhaft, wie die Direktive N r . 15 aus dem Kreis der am 6. mündlich informierten Adjutanten und ihrer am darauffolgenden Tage ebenso ohne schriftliche Instruktion eingewiesenen Kommandeure überhaupt nach außen und derart schnell zur Kenntnis der Insurgenten gelangen konnte. Als nämlich am 8. November Däumig, einer der führenden Vertrauensmänner der Revolutionären Obleute 5 M , das erste Opfer der Verhaftungsaktion wurde, die das rückhaltlose Geständnis des Oberleutnants d. Res. Walz ausgelöst hatte' 2 ', wurden im vollen Umfang der Verrat der geheimen Alarmanweisungen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps und aus ihnen abgeleitete Einzelheiten des geplanten revolutionären Vorgehens offenbar. In Däumigs Wohnung fand man eine Plankarte von Groß-Berlin, in die der militärische Autodidakt 326 in Form eines graphischen Befehls sämtliche Dispositionen für die Truppen in und um Berlin (Unterkünfte/Bereitstellungsräume, Anmarsch-/Annäherungswege) und vor allem auch die Stellungen der Sicherungskräfte eingetragen hatte. Zugleich hatte Däumig die Einsatzskizze für die Garde mit den Einzeichnungen seines „Revolutionsplanes" überlagert: Aus ihren Wohnbezirken und Fabriken durch sog. Schwarze Katzen 327 , die bewaffneten Trupps linksradikaler Arbeiter aus 36 Großbetrieben 328 , auf > !) Hinweis bei Böhm, Tgb.-Aufz. v. 6. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 55; Zit. u. Darst. nach „Aktennotiz" Mantey, fol. 1 1 6 (Anm. II 306); „Schreiben" dess., fol. 1 1 8 (Anm. I 67). Ernst Däumig vertrat den prononciert linksradikalen Kurs der Revolutionären Obleute als Sekretär in der Parteileitung der U S P D u. als M.d.R. Henninger, S. 3; Ledebour, S. 28f.; Barth, S. 52; Pieck I, S. 423; Knoll, November-Revolution; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 532. Der von Dittmann als „deutscher T r o t z k i " bezeichnete Däumig zählte unter den frühen deutschen Sozialisten zu den wenigen Experten in militärischen Fragen; z. Zt. der Revolution war er ihr einziger fachlich qualifizierter, jeglicher entspr. amtlichen Berufung jedoch heftig abgeneigter Vertreter. Vgl. u. a. Müller-Franken, S. 102H.; Ross, S. 251 f., 287t.; Wilhelm Dittmann, „Wie alles kam. Deutschlands Weg seit 1914. Ein Ariadnefaden durch das deutsche Labyrinth", Teil I, S. 1 4 1 , Teil III, S. 927; ms Man., in: N1 Dittmann, Archiv der Sozialen Demokratie ( A D S D ) , Bonn, Kassette 14. Bei Dittmann III, S. 862f. detaillierte Angaben aus Walz' „strategischem Aufmarschplan", auf dem Däumigs „Revolutionsplan" im wesentlichen aufbaute. 1:7 Henninger, S. 3; Petzold, Der 9. November in Berlin, S. 1 7 ; Wrobel, Sieg der Arbeiter, S. 6; Allgemeiner Kongreß, Sp. 9 2 f f . (Ledebour); W U A , 2. Abt., IV/5, S. 84 (Herz); Stampfer, Der 9. November, )lS S. 1 7 f . Zahlenangabe bei Henninger.

j. Die „Direktive Nr. 1 5 " vom 5. November über den Schußwaffengebrauch

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die Straße gebracht und angeführt' , sollten sich in Tegel 5000, in Siemensstadt 8000, bei Schwarzkopf bis zu 10000, insgesamt in Berlin an die 75000-80000 Köpfe 3 ' 0 , in 11 Zügen" 1 als „Versammlungstruppen der Revolution" formieren, um in den vorgegebenen „Einmarschrichtungen" und „auf einen Schlag""' gegen das Stadtzentrum vorzurücken. Von noch größerer Bedeutung war das Material, das Däumig bei seiner Festnahme auf offener Straße mit sich geführt hatte'". Zu den wesentlichen Erkenntnissen, zu denen Oberkommando und Stellv. Generalkommando am 8. November beim Studium der konfiszierten Pläne und Anweisungen Däumigs für den Aufstand in der Hauptstadt gelangen konnten, gehörte vor allem, daß Däumig die Direktive Nr. 15 vollständig bekannt war" 4 und daß er ihre entscheidende Schwachstelle vor dem durch sie mitverursachten Desaster der Berliner Ordnungskräfte schärfer erfaßt und dann in kürzester Frist entschlossener auf sie reagiert hatte als die Berufsoffiziere. In seinen Verhaltensregeln für die Anführer der bewaffneten Arbeitergruppen wies Däumig ausdrücklich darauf hin, daß das Militär angewiesen sei, erst dann scharf zu schießen, wenn es direkt angegriffen werde. Auf dieser Grundlage konstruierte er den Plan für den Ablauf der revolutionären Aktion, nämlich die tatsächlichen Umsturzabsichten und -Vorbereitungen der Putschisten unter dem Deckmantel einer scheinbar friedlichen Demonstrationsbewegung mit Menschenansammlungen und Massenumzügen durchzuführen. Dabei sollten „zunächst" keine der insgeheim mitgeführten Waffen benutzt resp. diese „so spät wie eben nur angängig" eingesetzt werden. Immerhin zeigte sich die Korpsführung am 8. November beeindruckt von der „Sicherheit", mit der Däumig den „Nichtgebrauch der Schußwaffen durch die Truppe" fest in Rechnung stellte, weil er wie selbstverständlich von der Voraussetzung ausging, daß das Vorgehen der Aufrührer programmgemäß erfolgte, also zumindest nicht sogleich in der ersten Phase zur Auslösung der äußersten Zwangsmittel staatlicher Gewalt herausfordere. Dies war eine Annahme Däumigs, die wiederum den Korpschef auf einen hohen Grad an Disziplin und auf eine „glänzende Organisation" bei den Revolutionären schließen ließ'». Aus dem Vorstehenden wird deutlich, daß die bald nach dem 9. November 1918 aufgekommene Polemik, die Führung des Stellv. Gardekorps habe die gewaltsamen Formen revolutionärer Machtaneignung grundsätzlich und von Anfang an falsch eingeschätzt und deshalb seien ihre militärischen Abwehrmaßnahmen schon im gedanklichen Ansatz, aber auch in der praktischen Ausführung verfehlt gewesen, nicht dem wahren Sachverhalt entsprach. In Wahrheit waren die Planungen der U-Abteilung jedenfalls bis zum 7. NoBarth, S. 54, über das geplante „taktische Verfahren" zur zwangsweisen Aufbringung von Demonstranten für die Bildung der Massenumzüge. c Terminologie aus dem „Revolutionsplan", zit. nach Mantey, „ D e r 9. November", Bl. 20 (Anm. II 32). Zahlenangaben über die einzelnen Züge ebd.; Henninger, S. 3 f . ; Ledebour, S. 28. >>• Barth, S. 54. So Henninger. JJ) Pieck I, S. 423; Mantey, „ D e r 9. November", Bl. 21 (Anm. II 32); ders., Im Heimat-Lazarett, S. 45; „Bericht" Stoeßel, fol. 209 (Anm. II 32). 15< Hoeffer v. Loewenfeld, S. 91. - In der letzten Einsatzbesprechung der „Obleute, Stoßtruppenführer und Kuriere" am 8. 1 1 . abends teilte Barth mit, am Vortage „den nagelneuen Aufmarschplan des Oberkommandos" in die Hand bekommen zu haben; zit nach Barth, S. 54. Zit. nach Mantey, „ D e r 9. November", Bl. 21 (Anm. II 32).

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

vember sachlich berechtigt. Erst dann entwickelten die Putschisten, beunruhigt durch die Festnahme ihres „Schlachtendenkers" Walz 5 1 ', auf der Grundlage der ihnen verratenen Alarmanweisungen für die Garnisontruppen innerhalb von 24 Stunden ihren neuen ,»Revolutionsplan", dem sie dann am 9. morgens auch folgten. Eine breite Angriffsfläche für Kritik bieten dagegen die Maßnahmen, mit denen die obersten Berliner Kommandostellen auf die Aufdeckung des „Revolutionsplans" reagierten. Dasselbe gilt für die Unfähigkeit der in Berlin mit Kommandobefugnis ausgestatteten Führerpersönlichkeiten und ihrer maßgeblichen Berater, die durch den Verrat der A b wehrpläne wesentlich verschlechterte Ausgangslage durch umsichtige und rasche Befehlsgebung noch in letzter Stunde zu verbessern. Überdies muß generell die Frage gestellt werden, ob oder in welchem Umfang die Führung jene Chance überhaupt wahrnahm, die ihr mit dem in Einzelheiten vorliegenden „Revolutionsplan" in die Hand gegeben war. Am frühen Nachmittag des 8. November hatte der Kurieroffizier des Oberkommandos in den Marken dem Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps den Befehl überbracht, sofort die Teilabschnitte zu besetzen, und ihm gleichzeitig die bei Däumig sichergestellten Unterlagen ausgehändigt" 7 . Uber diese „hochverräterischen Anzettelungen" war auch der Abteilungschef für die Polizeiangelegenheiten beim Oberkommando und Gouvernement frühzeitig ins Bild gesetzt worden 3 ' 8 und sicher in gleicher Weise die Führung des Oberkommandos. Daß trotzdem das Oberkommando in den Marken als verantwortliche militärische Instanz für die Revolutionsabwehr im Groß-Berliner Raum das gesamte konspirative Material unverzüglich an das ihm nachgeordnete Stellv. Gardekorps weiterreichte, kommt einem Eingeständnis seiner Hilflosigkeit gleich, der Situation durch eigene Führungsmittel Herr werden zu können. Der ihm von jeher zugekommenen Rolle, federführend alle planerischen Vorarbeiten zur Abwehr einer Revolution zu leiten und im Falle des eingetretenen inneren Konflikts diese Abwehr aktiv zu führen, war das Oberkommando schon seit dem Sommer 1918 immer weniger gerecht geworden. Es fehlte an Kooperation. Entweder reagierte das Oberkommando auf diesbezügliche Initiativen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps und der Kommandantur Berlin überhaupt nicht oder erst nach wiederholtem Drängen der Antragsteller, dann aber zumeist nur in sehr zurückhaltender oder strikt ablehnender Form. Es hatte auch nicht immer die nachgeordneten Dienststellen mit den aktuellen Nachrichten über die Entwicklung der innenpolitischen und Sicherheitslage versorgt, mit denen es selbst von der politischen Polizei und dem Kriegsministerium auf dem laufenden gehalten wurde. So hatte sich das Oberkommando in den Marken in einer Zeit zunehmender politischer Unruhe zu einer reinen Empfangsstelle für eine Vielzahl von Nachrichten und Anweisungen von oben sowie von Dienstmeldungen und Anregungen von unten entwickelt und So N o w a k , Chaos, S. 196; „Generalstabschef der Revolution" lt. Volkmann, Revolution, S. 51 Weniger schmeichelhafte Bezeichnungen für den „verhinderten Napoleon der Revolution" (SchultzePfaelzer, S. 148) fielen in den Versammlungen der Soldatenräte (Anm. II 315). Nach Pieck I, S. 423, u. Barth, S. 54, rechneten die Revolutionäre schon seit der Verhaftung Walz' mit der Möglichkeit der schnellen Aufdeckung ihrer Pläne, wenn auch nicht in dem während der zweiten Novemberhälfte bekanntgewordenen Umfang. - Nach Ledebour, S. 29, bedeutete aber erst Däumigs tatsächlich erfolgte u. die vermutete Festnahme anderer Verschwörer „das Signal zum sofortigen Losschlagen"; ähnlich Barth, S. 5 z f f . ; Pieck I, S. 424; Henninger, S. 3; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 532. 1,8 Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 20 (Anm. II 32). Henninger, S. 3t.

j . D i e „ D i r e k t i v e N r . 1 5 " v o m 5. N o v e m b e r über den S c h u ß w a f f e n g e b r a u c h

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sich dabei als unfähig erwiesen, die ihm zugegangenen Erkenntnisse im erforderlichen qualitativen und quantitativen Umfang für den eigenen Kommandobereich umzusetzen. Dieses Manko, seine Hauptfunktion als Befehlsstelle nicht aktiv ausüben und somit die hauptsächliche Führung über das ihm nominell unterstellte Militär in und um Berlin nicht übernehmen zu können, trat am 8. und 9. November 1918 beim Oberkommando in den Marken offen zutage. In den sonst detailreichen Berichten des Oberkommandierenden und seiner Führungsgehilfen findet sich bezeichnenderweise kein Hinweis auf den unstreitig bedeutenden Fund „aus der Werkstatt der deutschen Revolution" 539 . Ob die Stabsabteilungen des Oberkommandos am Mittag des 8. überhaupt über eine flüchtige Sichtung des „Revolutionsplans" hinausgeraten sind, ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich: Die schnelle und vollständige Ubergabe des beschlagnahmten Materials an das Stellv. Generalkommando des Gardekorps hat möglicherweise jede auch nur grobe Analyse des „Revolutionsplans" verhindert'40. Denn keiner der danach bis in die späten Vormittagsstunden des 9. November herausgegebenen Befehle läßt darauf schließen, daß das Oberkommando energische Aktivitäten entwickelt hätte, um seine aus dem „Revolutionsplan" bezogenen Erkenntnisse zu verwerten und die Direktive für den Waffeneinsatz grundlegend neu zu fassen. Noch eher durfte allerdings vom Stellv. Generalkommando des Gardekorps eine solche Reaktion erwartet werden, dem ja mit der Weitergabe des „Revolutionsplans" auch zugleich die Verantwortung zum weiteren Handeln übertragen worden war. Es verfügte über einen Chef des Stabes und eine eingearbeitete U-Abteilung, die sich seit Monaten mit allen voraussehbaren Formen und Eventualitäten revolutionären Vorgehens und mit den Möglichkeiten zu seiner Bekämpfung intensiv beschäftigt hatten; so waren sie nach dem Stand ihrer Vorausplanung und bereits geleisteten praktischen Vorarbeit mehr als irgendeine andere Operationszelle der Berliner Militärbehörden dazu befähigt und verpflichtet, die durch den akuten Staatsnotstand erforderlichen schnellen Schlüsse aus dem für sie jetzt offen daliegenden Feindmaterial zu ziehen. In den 24 Stunden zwischen der Entgegennahme des „Revolutionsplans" und der Kapitulation der Korpsführung vor den Aufständischen34' hat jedoch kein Befehl das Stellv. Generalkommando verlassen, der auf ein diesem Plan angepaßtes neues Abwehrkonzept hindeutet. Sowohl Zeit als auch Möglichkeiten hätten hierzu bestanden: Vom 8. November, 14.30 Uhr an, als an die Gardeersatztruppen das Stichwort „Teilabschnitte besetzen" ausgegeben wurde 342 , bis in die Abendstunden, als die örtlichen Führer bei ihrem Rapport im Berliner Schloß meldeten, die Aufstellung zur Absperrung der inneren Stadt zwischen Spree und Landwehrkanal habe sich „planmäßig vollzogen" 343 , hatten die Füh1,9

So der Buchtitel von Barth, dem D ä u m i g als militärischer u. politischer Berater v o r u. nach der R e v o l u t i o n zur Seite stand. Däumigs konspiratives Material, das in z w e i getrennten A k t i o n e n der politischen Polizei im L a u f e des Vormittags des 8. 1 1 . sichergestellt w u r d e , hat nur sehr k u r z e Zeit im O b . K d o . vorgelegen, denn es ist bereits um 1 4 . 3 0 U h r v o m K u r i e r o f f i z i e r im Stellv. G e n . K d o . übergeben w o r d e n . >4' Z u den w e n i g ruhmlichen Begleitumständen dieser Kapitulation u. des A b z u g s des K o r p s k o m m a n d o s aus dem Berliner Schloß vgl. Rotheit, S. 8 f . ; K r i e g e r , S. 7 f . ; J a c h m a n n ; „ B e r i c h t " Schlesinger, in: Vossische Z e i t u n g v. 28. 1 2 . 1 9 2 8 , u. Saekel, D e r unbekannte A b g e o r d n e t e . >4' „ B e r i c h t " Schmidt, fol. 81 ( A n m . II 32); M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , B l . 2 o f . ( A n m . II 32). H i n w e i s in „ B e r i c h t " Linsingen, in: Q u e l l e n I/2, S. 6 2 5 ; Zit. nach M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 21 ( A n m . II 32), der die mannigfachen Friktionen beim Beziehen der Sicherungslinie verschweigt.

2o8

II. M i ß n a h m e n zur R e v o l u t i o n s a b w e h r in der Reichshauptsiadt

rungsgehilfen im Stellv. Generalkommando eine erste Gelegenheit zur Auswertung der Däumigschen Unterlagen. A b e r beim sogenannten Befehlsempfang, der nur in einer erneuten „Inpflichtnahme" der Teilabschnittsführer bestand, blieb der „ R e v o l u t i o n s p l a n " unerwähnt. Auch die ereignislos verlaufende Nacht vom 8. auf den 9. N o v e m b e r w u r d e nicht zu einer entsprechend ungestörten Stabstätigkeit in der Operationszelle des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps genutzt. Damit wurden Chancen f ü r eine gründliche Analyse der Feindabsichten und f ü r deren unverzügliche und wirksame Durchkreuzung vertan. Ebensowenig haben die am Umsturztage ab 10 U h r einlaufenden Katastrophenmeldungen die Korpsführung dazu bewogen, von ihrer grundlegenden Anweisung abzuweichen: „ V o n der Schußwaffe ist nur, falls angegriffen, Gebrauch zu machen 3 4 4 ." Welche Wirkungen die Direktive N r . 15 nach den ursprünglichen Vorstellungen ihrer Verfasser tatsächlich haben sollte und welche Möglichkeiten für eine erfolgversprechende Putschabwehr erst durch diese Weisung gegeben waren und schließlich, welche Bedeutung ihr nach Aufdeckung des „Revolutionsplans" bei einer adäquaten Modifizierung wieder hätte zukommen können, gehört zu den bisher noch unerforschten Einzelfragen über die Ursachen für den plötzlichen und totalen Zusammenbruch der militärischen Machtposition in Berlin, die noch wenige Tage zuvor selbst von führenden Revolutionären für unüberwindbar gehalten worden war 5 4 '. Die Maßnahmen der mittleren Führung zur Alarmierung, zur Bereitstellung und zum Instellunggehen der Ordnungskräfte, also jene Aktivitäten zur praktischen Vorbereitung der militärischen Sicherung, die seit dem Nachmittag des 8. N o v e m b e r die hauptstädtische Szene beherrschten, können in den wesentlichen Zügen ihrer Durchführung einer kritischen Beurteilung standhalten; dies gilt aber nicht f ü r die an die Truppen in der Sicherungslinie ausgegebenen Befehle über das Verhalten gegenüber Aufständischen. Diese waren seit den letzten Instruktionen des Stellv. Generalkommandos an die G a r deersatzformationen unverändert geblieben, obwohl der Verrat der geheimen Alarmanweisungen seit dem 8. mittags unstreitig feststand und obgleich die verantwortlichen Militärs durch das in ihre Hände gefallene konspirative Material einen doppelten Vorteil errungen hatten: Z u m einen war ihnen eine treffende Analyse ihrer eigenen Abwehrplanung, gesehen mit den Augen ihres Gegners, präsentiert worden, speziell der Grundlegenden Direktive N r . 15, der schwächsten Stelle in ihrem Gesamtkonzept zur Unterdrückung einer Aufstandsbewegung. Z u m anderen waren mit dem „Revolutionsplan" die Leitlinien für das gegnerische Vorgehen vor ihnen ausgebreitet. Wenn also, wie es ihnen von ihrer eigentlichen Bestimmung her zukommt, die Handlungsmöglichkeiten der führenden Persönlichkeiten im O b e r k o m m a n d o in den Marken und im Stellv. Generalkommando des Gardekorps nach ausschließlich militärischen G e sichtspunkten gewertet werden, so befanden sie sich am 8. N o v e m b e r 1918 in einer

>44 ,4t

F o r m u l i e r u n g in „ S c h r e i b e n " M a n t e y , fol. 1 1 7 ( A n m . I 67). S o lehnte H a a s e in den Sitzungen des Vorstandes der U S P D u. des Vollzugsausschusses der Revolutionären O b l e u t e die Inszenierung eines Putsches zum 4. 1 1 . 1 9 1 8 ab, weil dieser „sicherlich noch b e w a f f neten Widerstand von Militär und Polizei gefunden und so Tausende blutiger O p f e r g e k o s t e t " hätte; er assistierte Dittmann, der am 7. 1 1 . erklärte, es sei „ein Verbrechen, jetzt von der Revolution zu reden, da deren blutige Niederschlagung sicher sei". Zit. nach M ü l l e r - F r a n k e n , S. 7 7 ; D r a b k i n , S. 148. Vgl. Barth, S. 50; Pieck I, S. 4 1 7 , 4 2 2 ; III. G e s c h . der deutschen Revolution, S. 2 0 3 f . ; W U A , 2. A b t . , I V / 5 , S. 84 ( H e r z ) ; Allgemeiner K o n g r e ß , Sp. g z f f . ( L e d e b o u r ) ; L e d e b o u r , S. 2 8 f f .

6. Praktische Vorbereitungen

209

Ausgangssituation, die jeder Truppengeneralstab im Felde als ideal angesehen hätte 1 « 6 , weil sie gestattete, die eigene prekäre Lage durch schnelle Entschlußfassung und Herausgabe verbesserter Befehle doch noch zum Positiven zu verändern. Derartige neue Überlegungen und daraus abgeleitete Gegenmaßnahmen kennzeichneten jedoch keine der Führungsentscheidungen, die am Vorabend und am Tage des Umsturzes selbst im Stellv. Generalkommando des Gardekorps als der unmittelbaren Befehlsstelle über das G r o s der Garnisontruppen getroffen und vom vorgesetzten Oberkommando in den Marken gebilligt wurden. Gerade auch die Funk- und Telefonbefehle, mit denen der Stellv. Kommandierende General noch am Vormittag des 9. N o v e m b e r das Verhalten seiner Truppen gegenüber den von allen Seiten heranströmenden Aufständischen zu dirigieren trachtete, lagen noch immer unverwandt auf der Linie der nun einmal ausgegebenen Direktive. Eine erst auf dem Höhepunkt der Konfliktsituation getroffene verschärfte Ausführungsbestimmung, „ „ U m z ü g e mit allen Mitteln zu verhindern"' 4 7 , erreichte die größtenteils schon von den Massen eingeschlossenen Sicherungskräfte erst, nachdem sie bereits seit über einer Stunde weisungsgemäß die Demonstranten aufgrund ihres nach außen hin friedlichen Auftretens und wegen des im voraus geplanten Ausbleibens eines direkten Angriffs hatten durch- und weiterziehen lassen müssen. D e r Adjutant einer Gardeersatz-Inspektion meldete unmittelbar nach den Ereignissen in ungewöhnlich freimütiger Form dienstlich 548 , daß die Direktive N r . 15 vom 5. und die Telefonbefehle vom 9. N o v e m b e r „auf jeden Fall im entscheidenden Moment vollkommen versagt" hätten, weil in ihnen der „ H a u p t p u n k t , ob in die aufrührerischen Massen hineingeschossen werden sollte oder nicht, pflaumenweich b z w . widerspruchsvoll" geblieben wäre. Diese „Frontstimme" 3 4 9 aus einem bis zum Abend des 9. N o v e m b e r befehlstreu gebliebenen Eingreifverband der G a r d e hat ein besonderes Gewicht. So konfrontieren die Fragen nach dem Führungsverhalten der maßgeblichen militärischen Entscheidungsträger im hauptstädtischen Raum und nach den Ursachen f ü r das Versagen des Berliner Militärs den Betrachter mit der Tatsache, daß die staatlichen Ordnungskräfte zur Sicherung der überkommenen Machtverhältnisse mit einer grundlegenden Direktive versehen worden waren, die, obwohl inhaltlich überholt, von den kommandoführenden Stellen wider besseres Wissen und Vermögen nicht der neuen Situation angepaßt und während des Zusammenstoßes mit den Aufständischen sogar noch von ihnen bekräftigt worden war. 6. Die praktischen Vorbereitungen zur Revolutionsabwehr Die seit dem 5./6. N o v e m b e r 1 9 1 8 erlassenen „Grundlegenden Bestimmungen" des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps bestanden größtenteils aus Einzelanweisungen an die Berliner Garnisontruppen zu ihrer Alarmierung und f ü r ihre jeweiligen takti-

1.6

S o b s p w . die deutschen A b w e h r k r ä f t e in der C h a m p a g n e u. am C h e m i n de D a m e s v o r der NivelleO f f e n s i v e im F r ü h j a h r 1 9 1 7 wie auch umgekehrt die franz. A r m e e im F r i i h s o m m e r 1 9 1 8 unmittelbar v o r der deutschen M a r n e s c h u t z - O f f e n s i v e . 1.7 „ B e r i c h t " Schmidt, f o l . 82, 84; M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 23, 25 (Beide A n m . II 32). I „ B e r i c h t " L i n s i n g e n , in: Q u e l l e n I/2, S. 6 2 2 ; nachf. Zit. ebd. 164

Z i t . nach D r e w s ' Kabinettsvortrag in der V o r m i t t a g s s i t z u n g des 4. 1 1 . 1 9 1 8 ; vgl. Q u e l l e n I/2, S. 495 u. A n m . 33. Z i t . H e n n i n g e r , dito L i e b k n e c h t .

6. Praktische V o r b e r e i t u n g e n : Erste A u s l ö s u n g von S t r e i k a b w e h r am 4. N o v e m b e r

21 j

kräften Erfahrungen sammeln zu lassen. Durch Ausrufung des Generalstreiks sollte lediglich der Ubergang zur kämpferischen Aktion und zur allgemeinen Aufstandsbewegung erleichtert werden, nicht aber unmittelbar durch Generalstreik der Machtwechsel herbeigeführt werden 366 . Mit den herkömmlichen Zwangsmaßnahmen wie der Besetzung und Militarisierung der Rüstungsfabriken, der Verhaftung von Streikposten, dem Schutz von Arbeitswilligen auf ihrem Wege vom und zum Arbeitsplatz und dergleichen war diesen neuen, vorangekündigten Erscheinungsformen von Unruhen' 6 7 nicht beizukommen. So hatte der Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps in seinem erneuten Dringlichkeitsantrag, den Alarmplan „Teilabschnitte besetzen" endlich freizugeben, alle Ursache, eine solche Durchführung von „Streikabwehr" dem Oberkommando gegenüber als „nicht glücklich" zu bezeichnen. Ohnehin von Zweifeln an der Zuverlässigkeit seiner Gardesoldaten erfüllt, beklagte er darüber hinaus, daß die Mannschaft bei diesem Einsatz „in unerwünschter Weise mit den Fabrikhetzern zusammengekommen" sei' 68 , ein Geschehen übrigens, das sich am 7. November in verstärkter Form wiederholen sollte. Ein wesentlicher Anstoß, die ganz auf „Streikabwehr" ausgerichteten Dispositionen des Oberkommandos in den Marken durch situationsgerechtere Führungsmaßnahmen zu verbessern, war noch am Vorabend dieser Ereignisse vom preußischen Kriegsminister ausgegangen. Gewarnt durch die auch in seiner Behörde einlaufenden Nachrichten über einen möglicherweise bevorstehenden „großen Putsch"' 6 9 , hatte sich Generalleutnant Scheüch noch am 3. November abends vom Chef des Stabes des Stellv. Gardekorps darüber unterrichten lassen, welche Aufträge das Stellv. Generalkommando als die unmittelbar mit der Ausführung der Anordnungen des Oberkommandos betraute Befehlsstelle nun im einzelnen zu erteilen beabsichtigte. Bei dieser Gelegenheit drängte der Kriegsminister darauf, daß eine Besetzung des Regierungsviertels als Teil der für den folgenden Tag geplanten „größeren Handlung" vorgenommen werde' 7 0 . Nach Scheüchs Vorstellungen sollten hierbei die Mannschaften unauffällig in Häusern verteilt und nicht auf offener Straße postiert werden, weil er aus innen- wie außenpolitischen Rücksichten eine solche Demonstration der bewaffneten Macht zum damaligen Zeitpunkt für inopportun hielt' 7 '. Die Intervention des Kriegsministers ist von mehr als nur episodenhafter Bedeutung: Selbst ohne jegliche Kommandobefugnis über das Heimatheer, hatte er als Behördenchef über die Heeresverwaltung unverkennbar die enggezogenen Grenzen seiner Amtskompetenzen überschritten. Wieweit nun der Kriegsminister selbst wegen der nahezu vollständigen Bindung der Gardeersatzformationen im Fabrikschutz mitgeholfen hat, durch teilweise Freigabe seiner Eingreifreserven' 72 den für vorrangig erklärten Schutz des Regie166

Vgl. Deutschland im Ersten Weltkrieg I I I , S. 5 2 5 f . , 528; Z i t . ebd. Siehe A n m . II 1 1 2 .

>'7 Z u r V o r a n k ü n d i g u n g vgl. R u n k e l , S. 106 f. >68 Zit. nach M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 16 ( A n m . II 32). 169 Zit. nach R u n k e l , S. 160, bestätigt durch „ S t e l l u n g n a h m e " W r i s b e r g , fol. 2 4 o f f . ( A n m . I 1 2 1 ) . 170 Darst. u. Zit. nach „ E r g e b n i s " des Ehrengerichts, fol. 1 5 5 ( A n m . I 73). E b d . , f o l . 1 5 6 ; vgl. Kabinettsvortrag des p r . K M . über die Sicherheitslage in Berlin am N a c h m i t t a g des 6. 1 1 . 1 9 1 8 , in: Quellen I/2, S. 563. Siehe A n m . II 3 7 3 . ,7) D i e A n g a b e bei G ö r l i t z , S. 148, es habe sich hierbei um vier J ä g e r - E r s a t z b a t a i l l o n e gehandelt, ist u n z u t r e f f e n d ; in Wirklichkeit waren dies: aktives M a g d e b u r g i s c h e s ( „ N a u m b u r g e r " ) J ä g e r - B t l . N r . 4, Teile aktives G r o ß h e r z o g l i c h M e c k l e n b u r g i s c h e s J ä g e r - B t l . N r . 1 4 , B r a n d e n b u r g i s c h e s ( „ L ü b b e n e r " ) R e s e r v e - J ä g e r - B t l . N r . 3. - Schon im Immediatbericht über den Januarstreik 1 9 1 8 hatte das O b . K d o .

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

rungsviertels zu ermöglichen, ist für die formale Bewertung seiner direkten Einflußnahme auf eine Führungsentscheidung der Truppe ohne besonderes Gewicht. Denn tatsächlich hat sich das Stellv. Generalkommando durch Scheüch veranlaßt gesehen, von einer strikten Durchführung des Alarmbefehls „Streikabwehr" abzuweichen und erstmals Sicherungskräfte in die Wilhelmstraße zu schicken 373 . Scheüch scheint seine Bemühungen um eine sinnvollere Truppenaufstellung, als sie die alten Aiarmbefehle des Oberkommandos vorsahen, in den folgenden Tagen noch fortgesetzt zu haben; hierauf deutet der verstärkte Einsatz von Eingreifreserven des Kriegsministeriums sowie von militärischen und Polizeikräften hin, die am 7. November zur Sicherung der inneren Stadt aufzogen. c) Die zweite Auslösung von ,,Streikabwehr" am 7. November

1918

Die erneute Alarmierung der Garnison am 7. November wurde durch Nachrichten veranlaßt, die seit dem Vormittag des 6. November im Polizeipräsidium 374 und im Oberkommando 375 eingegangen waren und noch am Nachmittag desselben Tages das Kriegskabinett beschäftigten 37 *. Hiernach beabsichtigten die Putschisten, am 7. November im Anschluß an die USPD-Versammlungen, die zum Jahrestag der russischen Revolution in mehreren Berliner Lokalen abgehalten werden sollten 377 , „durch Zusammenleiten der Herausströmenden nach einer Stelle" eine „große Kundgebung" zu gestalten 378 , aus deren Mitte dann verschiedene Aktionen, u. a. gegen das Polizeipräsidium, geführt werden sollten 379 . Polizeipräsident und Oberkommandierender konnten nicht wissen, daß zum gleichen Zeitpunkt, da sie den Ausbruch von Unruhen in der Hauptstadt als unmittelbar bevorstehend annehmen mußten3®0, das Revolutionskomitee Liebknechts Aktionsvorschläge als eine augenblicklich inopportune „Forcierung" ablehnte 38 '. Der Oberkommandierende hatte am späten Vormittag des 7. November die Vorbereitungen von „Streikabwehr" angeordnet, weil er nun die Lage als bedrohlich einschätzte, und bereits mittags ihre Durchführung befohlen 38 '. Gemäß den seit langem feststehenden ¡.d.M. melden müssen, daß es mangels noch verwendungsbereiter Truppen zum Schutz öffentl. G e bäude über die Eingreifreserven der Kriegsherrn ( = 4 mob. Jäger-Btle.) zur Verstärkung des bei „Streikabwehr" zersplitterten Gardekorps verfügt habe; vgl. Quellen II, 1 /II, S. 1 1 6 0 ; Telegramm des Gen.Ob. v. Kessel v. 1. 2. 1918 „ A n des Kaisers Majestät", in: B A - M A , P H 2/14, fol. 280. J7) „Ergebnis" des Ehrengerichts, fol. 156 (Anm. I 73); Mantey, „ D e r 9. November", Bl. i 6 f . (Anm. II 32); „Schilderung" u. „Schreiben" Mantey, fol. 1 1 5 u. 1 1 7 , Pkt. 6 (Anm. I 531 u. I 67); „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 166; „Bericht" Stoeßel, fol. 208 (beide Anm. II 32). 174 Vortrag des Pol.-Präs. von Berlin, v. Oppen, über die Sicherheitslage am 7. r 1. 1918 im Reichsamt des Innern; vgl. Arch.Forsch. 4/IV, S. 1 7 7 1 ; Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 528. 171 „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 623. ,7i Vgl. Stellungnahme Haußmann, in: Quellen I/2, S. 562. 377 Siehe Anm. II 262. )7 ' Zit. aus Tgb.-Aufz. Liebknechts v. 7. 1 1 . 1918, abgedr. in: III. Gesch. der deutschen Revolution, S. 204. Das revolutionäre Vorgehen am 7. 1 1 . sollte nicht darin bestehen, die Macht auf Anhieb zu ergreifen, sondern „die Arbeiter über Zwischenetappen an die Revolution heranzuführen"; vgl. Deutschland im Ersten Weltkrieg III, S. 528; vgl. auch Kap. II 6c, S. 217. >n Siehe Anm. II 374. Gen.Ob. v. Linsingen gab seinen Befehl, „Streikabwehr" vorzubereiten, am 7. 1 1 . gegen 1 1 Uhr (Anm. II 375); gleichzeitig trug Oppen den Bundesbevollmächtigten vor (Anm. II 374). >8' Belege in Anm. II 378. ,82 „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 623.

6. Praktische Vorbereitungen: Zweite Auslösung von Streikabwehr am 7. November

215

Einzelanweisungen verlief die militärische Besetzung der bedeutenderen Rüstungsfabriken schnell und reibungslos' 1 '. Friktionen traten auf, als es darum ging, die entsprechend der Generalabsicht von „Streikabwehr" nicht mit Priorität ausgestatteten übrigen Weisungen in die Tat umzusetzen und zusätzlich Wachmannschaften aufzubringen, welche die sogenannten lebenswichtigen, zumeist städtischen Betriebe und öffentlichen Gebäude sichern sollten' 84 . Obwohl der Oberkommandierende mit den Befehlen zur Vorbereitung und Durchführung von „Streikabwehr" zugleich die Verstärkung des Gardekorps angeordnet hatte' 8 ', reichten auch die in der Hauptsache vom Stellv. Generalkommando des III. Armeekorps entsandten Unterstützungen nicht aus, um die Vielzahl der über den Groß-Berliner Raum verstreuten Objekte zu schützen. Im Laufe des Nachmittags stellte sich dann endgültig heraus, daß die personellen Ressourcen des Oberkommandos und Gouvernements bereits so ausgeschöpft waren, daß über die oben genannten Aufträge hinaus nicht auch noch die unmittelbare Sicherung des Regierungsviertels, speziell der Zentralstelle der Reichsverwaltung, übernommen werden konnte: Mehr als eine indirekte Sicherung der inneren Stadt durch Absperrung der wesentlichen Zugänge durch einzelne Polizeiund Militärposten sowie durch schwache Patrouillen in den Hauptstraßen' 86 war nicht zu leisten. Während so z. B. das Reichsmarineamt ohne jegliche Bedeckung blieb' 87 , war zwar das Preußische Kriegsministerium „in Erwartung eines Angriffs" mit starken Wachen belegt' 88 ; aber die Mannschaften stammten aus der in Zossen bereitgehaltenen eigenen Eingreifsreserve des Kriegsministeriums' 8 '. Wegen der unzulänglichen Schutzmaßnahmen für die Zentralbehörden hat höchstwahrscheinlich das Kriegsministerium in der zweiten Tageshälfte des 7. November auch noch veranlaßt, daß aus seinem Kontingent kleinere Detachements zu dem Sonderauftrag aufgeboten wurden, „die Königgrätzer und Wilhelmstraße gegen Massenumzüge abzusperren"" 0 . Somit ist es auf eine Initiative des preußischen Kriegsministers zurückzuführen, wenn die bedeutenderen Reichsämter, abgesehen von den am Brandenburger Tor postierten Schutzmannschaften, im Krisenfall überhaupt gesichert w a r e n " ' . Dabei wäre es unbestritten die auch traditionsgemäß erste Aufgabe des Oberkommandos in den Marken und Gouvernements von Groß-Berlin gewesen, für die Sicherung des Regierungssitzes Sorge zu tragen. Da es sich aber nach dessen Auffassung von der Lage um das unmittelbare ,l!

Vgl. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 16 (Anm. II 32); Germania, Nr. 523 v. 8. 1 1 . 1918, auszugsw. abgedr. bei Stutzenberger, S. 165; Pieck I, S. 422; III. Gesch. der deutschen Revolution, S. 206. „ Ä u ß e r u n g " Planitz, S. 164 (Anm. II 32); Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 17 (Anm. II 32). >8' „Bericht" Linsingen, in: Quellen I/2, S. 623. Vorwärts v. 8. 1 1 . 1918, auszugsw. abgedr. bei Buchner, Nr. 96. Hds. Militair-Telegramm des R M A v. 8. 1 1 . 1918 an die Kdtr. Berlin, B A - M A , R M 20/9, fol. 132. )88 Zit. aus „ B e r i c h t " Köberle v. 7. 1 1 . 1918 (Anm. I 167); vgl. auch Böhm, Tgb.-Aufz. v. 7. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 57. j8 ' „Schreiben" der Wachoffiziere im Pr.KM., Majore Rosenow, v. Rautter u. a.; siehe Anm. III 321. Hinweise in „Bericht" der Sachs. Gesandtschaft Berlin v. 7. 1 1 . 1918 an den sächs. Min. der auswärtigen Angelegenheiten, abgedr. in: Arch.Forsch. 4/IV, S. 1764. ,,c Zit. aus sächs. Gesandtschaftsbericht. Beide Straßen flankierten die wesentlichen Regierungspalais, so daß diese durch das an der Leipziger Straße gelegene P r . K M . (von Süden), durch die kriegsministeriellen Sicherungen in der Königgrätzer(von Westen) u. Wilhelm-Straße (von Osten) u. durch die Polizeiposten am Pariser Platz/Brandenburger Tor (von Norden) zerniert wurden.

2 16

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Bevorstehen eines großangelegten Arbeiterausstandes handelte, meinte man, ihn durch schnelle Besetzung der vom „Streik" bedrohten Betriebe sogleich ersticken zu können. Entsprechend hatte das Oberkommando einen Schwerpunkt für seinen Truppeneinsatz bestimmt, mit dem es nicht nur seinen eigentlichen Hauptauftrag verfehlte, sondern indirekt auch dazu beitrug, die Verläßlichkeit der Ersatzsoldaten bei der Verwendung im Innern zu mindern. Das Zentralorgan der M S P D beklagte in einer durch die Zensur gelassenen Schilderung der militärischen Sicherungsmaßnahmen vom 7. November, daß das „kriegerische Bild", das durch die Postierungen vor und in den Fabriken entstand, „den Unwillen der Arbeiter erregt und keineswegs zur Beruhigung der Gemüter beigetragen" habe' 9 '. Hinter dieser neuerlichen Kritik an dem bei der Berliner Parteiführung schon lange ungelittenen Oberkommando verbarg sich die begründete Sorge, daß die Wirkung der von ihren Vertrauensleuten in den Betrieben ausgestreuten Parolen zur Beschwichtigung der politisch aufgereizten Arbeiterschaft' 93 durch solche Maßnahmen des Oberkommandos zunichte gemacht werden könnte. Daß Gardesoldaten „in unerwünschter Weise mit den Fabrikhetzern zusammengekommen" wären, entsprach auch nicht den Interessen der Truppenführung 394 . Die vom A u f klärungsoffizier und vom Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps zum Ausdruck gebrachte Sorge über eine negative Beeinflussung der Mannschaften, die ihre bedingungslose Verwendbarkeit im Innern beeinträchtigt hätte, war nur zu berechtigt. Angesichts der unter den Berliner Garnisonsoldaten schon länger vorherrschenden und beständig zunehmenden Sympathien für die Mehrheitssozialdemokratie ist es leicht vorstellbar, wie sich Kontakte zwischen dem trupp- und gruppenweise zur „Streikabwehr" in die Betriebe entsandten Militär und den aufgebrachten Arbeitern gestalteten 39 '. Die Sinnlosigkeit der Alarmbefehle, denen zufolge sie am 4. und 7. November vor Fabriktoren und in Werkhallen aufzuziehen harten, wird den Soldaten nicht erst durch die ihnen an den Einsatzorten gebotenen Bilder normalen Produktionsablaufs, der erst durch ihr Auftreten unterbrochen und gestört wurde, klar geworden sein; vielmehr werden schon gehegte Zweifel an dem Sinn des angeordneten Fabrikschutzes durch persönliche Konfrontation und Gedankenaustausch mit den überwachten Belegschaften vermehrt worden sein. Die vom Oberkommando in den Marken am 7. November angeordnete Vorbereitung und Durchführung von „Streikabwehr" läßt das intellektuelle Versagen seiner obersten Chargen und ihre Ignoranz gegenüber zeitgerecht unterbreiteten Anträgen zur Verbesserung ihrer Führungsentscheidungen zutage treten. Zu der bereits erwähnten Realitätsferne in der Lageauffassung und der Immobilität im Ergreifen situationsgerechter Maßnahmen für den Truppeneinsatz trat noch ein weiteres folgenschweres Fehl verhalten: Das Oberkommando maß der Stimmung und Moral seiner Truppen nicht die wichtige, ja sogar ausschlaggebende Bedeutung zu, die diesen psychologischen Faktoren in jener

>9i Zit. nach Vorwärts v. 8. 1 1 . 1 9 1 8 ; ähnlicher Kommentar in: Mainzer Journal, N r . 261 v. 8. 1 1 . 1 9 1 8 ; Mainzer Anzeiger, N r . 261 v. 9. 1 1 . 1918. 5 " Müller, Kaiserreich, S. 36; Petzold, Der 9. November 1918 in Berlin, S. 32. '*> Siehe Anm. II 368. J " Vgl. Scheidemanns Stimmungsbericht in der Kabinettssitzung am 7. 1 1 . 1918 über die hierdurch verursachte Verbitterung in der Arbeiterschaft (Anm. II 265).

6. Praktische V o r b e r e i t u n g e n : A l a r m i e r u n g der G a r n i s o n t r u p p e n am 8V9. N o v e m b e r

217

politischen Umbruchsituation zukam" 6 . Die taktischen Fehldispositionen vom 7. und ihre negativen Auswirkungen auf das innere Gefüge der Truppen wären vermeidbar gewesen, weil sie bereits am 4. November bei der ersten Auslösung von „Streikabwehr" offenkundig geworden waren und sogar sogleich zu entsprechenden Vorstellungen des Chefs des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps beim Oberkommando in den Marken geführt hatten. Obwohl es der Korpsführung noch am 4. gelungen war, beim Oberkommandierenden die Freigabe ihrer „Grundlegenden Bestimmungen" zu erwirken, und deren wesentliche Einzelanweisungen auch am 7. bei den alarmkalenderführenden Dienststellen vorlagen und obwohl es nach dem Raisonnement des Chefs des Stabes des Stellv. Gardekorps am 7. möglich und „besser gewesen wäre, die Direktive .Teilabschnitte besetzen* auszuführen"' 9 7 , hatte das Oberkommando auf der Durchführung seines überholten Alarmbefehls „Streikabwehr" beharrt. Wenn also trotz solcher fundamentaler Führungsfehler des Oberkommandos in den Marken die alten Machtverhältnisse am 7. November noch aufrechterhalten werden konnten, so ist dies nicht Art, Umfang und Abschreckungswert der vom Oberkommando angeordneten Sicherungsmaßnahmen zuzurechnen, sondern eine Folge des Stillhalte-Beschlusses der von Liebknecht getadelten „superklugen Revolutionsfabrikanten", die sich seiner Absicht, die seit Ende Oktober 1918 beständig intensivierte „Putschtaktik" zum 7. zu „forcieren", widersetzt hatten" 8 . Eine wohlvorbereitete und kämpferisch entschlossen vorgetragene Aktion gegen den Sitz der Regierung hätte dort aller Voraussicht nach nur unzureichenden Widerstand gefunden. Wegen der Zersplitterung der Garnisontruppen und der dadurch zahlenmäßigen Unzulänglichkeit der zum Schutz des Regierungsviertels aufgebotenen Sicherungskräfte wäre der erfolgreiche Ausgang einer die Entscheidung suchenden Umsturzaktion sehr wahrscheinlich gewesen und hätte womöglich den zwei Tage später tatsächlich erfolgten Zusammenbruch der überkommenen Herrschaft vorweggenommen. d) Alarmierung und Aufmarsch der Berliner Garnisontruppen

am 8J9. November

1918

Als dem Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps am frühen Nachmittag des 8. November durch Kurieroffizier der Befehl des Oberkommandos in den Marken überbracht wurde, unverzüglich die „Teilabschnitte besetzen" zu lassen399, durfte das Stellv. Generalkommando nicht damit rechnen, sofort über alle Gardeersatzformationen verfügen zu können, die es für die Abschirmung des Stadtzentrums vorgesehen hatte. Nur eine Minderzahl der Berliner Truppen stand in ihren Unterkünften Gewehr bei Fuß; der Großteil war im hauptstädtischen Raum durch verschiedenartige Aufträge gebunden. Denn der am späten Nachmittag des 7. ergangene Befehl des Oberkommandos zur Aufhebung von „Streikabwehr" hatte nicht etwa den Abmarsch aller Abteilungen aus 196

N a c h d e m drastischen Urteil von G ö r l i t z hatte G e n . O b . v. Linsingen „ v o n Politik keinen S c h i m m e r " (S. 136) u. „ v o n p s y c h o l o g i s c h e r K a m p f f ü h r u n g nichts v e r s t a n d e n " (S. 149). 1,7 Zit. nach M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. >6 ( A n m . II 32). " 8 Zit. nach Liebknechts T g b . - A u f z . v. 7. 1 1 . 1 9 1 8 , abgedr. in: III. G e s c h . der deutschen R e v o l u t i o n , S. 204. > " Siehe A n m . II 337.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

ihren Alarmstellungen und die Versammlung in ihren Kasernen zur Folge gehabt. Für die meisten Ersatzsoldaten bedeutete die Absetzung von „Streikabwehr" zugleich die Wiederaufnahme der „friedensmäßigen" Wachaufgaben, die ihren Dienstalltag seit wenigen Wochen immer stärker, zuletzt fast ausschließlich, beansprucht hatten 400 . Mit Auslösung von „Teilabschnitte besetzen" mußte es deshalb für die U-Abteilung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps und f ü r alle alarmkalenderführenden Dienststellen vorrangig darauf ankommen, das G r o s ihrer Mannschaften binnen kürzester Frist von allgemeinem Wachdienst auf die besonderen Aufträge zur Sicherung der inneren Stadt umzustellen. Die Bilder, die dieser militärische Führungsvorgang am Nachmittag und A b e n d des 8. innerhalb der Garnison Groß-Berlin entstehen ließ, zeigten ganz und gar nicht eine solche geordnete Einheitlichkeit, wie sie etwa 1 9 1 4 in den Mobilmachungstagen vorgeherrscht hatte, als es um die Formierung und Inmarschsetzung weitaus größerer Truppenkörper gegangen war. Eine umfassende Ubersicht scheinen nur die beiden Subalternoffiziere der U-Abteilung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps behalten zu haben 4 0 1 ; die Zustände in den einzelnen Ersatztruppenteilen sind von einigen Beobachtern der bewegten Szene mit nicht zitierfähigen Vokabeln bedacht worden. Infolge der angeordneten vordringlichen Regelung der gerade in den ersten Novembertagen vermehrten wie auch hinsichtlich der Objekte ständig geänderten Wachauflagen und wegen der Unterbrechung des normalen Dienstbetriebes durch die zweite Auslösung von „Streikabwehr" am 7. war es den Alarmsachbearbeitern zeitlich nicht möglich gewesen, die seit dem 6-/7. eingelaufenen Einzelanweisungen der „Grundlegenden Bestimmungen" des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps sogleich in entsprechende Einzelbefehle für ihre Truppenteile umzusetzen. Nicht immer eindeutige, oftmals widerrufene A u f tragserteilungen vom Schreibtisch und nach Karte, in der Regel ohne Erkundung der Einsatzorte und ohne Einweisung der örtlichen Führer waren die Folge. Während des ganzen Nachmittags und Abends des 8. mußte von den Adjutanten eine rege Meldertätigkeit in G a n g gehalten werden, damit die im Großberliner R a u m bereits eingesetzten Wachmannschaften mit neuen Aufgaben versehen werden konnten. Deren Verbleib am Wachobjekt bildete die Ausnahme; zumeist waren sie von ihren alten Wachaufträgen über einen der „kriegswirtschaftlich wichtigen" oder f ü r einen der weniger „lebenswichtigen" Betriebe zu entbinden und hatten nach Eilmärschen in einen ihnen unbekannten „Teilabschnitt" zum Schutz der inneren Stadt einzurücken. A b e r auch da, w o es nicht einen neuen Sicherungsauftrag auszuführen galt, sondern sich die vom Objektschutz abgerufenen Abteilungen nur in einem Bereithalteraum zu versammeln und auf Eingreifaufgaben vorzubereiten hatten, mangelte es den unzulänglich eingewiesenen Führern an Überblick und der Fähigkeit, in das „wimmelnde Heerlager" der aus allen Truppen- und Waffengattungen stammenden Detachements Ordnung zu bringen und unverzüglich die Bildung gemischter Kampfgruppen zu improvisieren 402 . Allerdings war es für die Alarmsachbearbeiter der Ersatztruppenteile und immobilen Inspektionen wie auch f ü r die mit der Sicherung von „Teilabschnitten" und „empfindlichen Punkten" beauftragten Verbands- und Einheitsführer schwer, nach Auslösung des

401

401 Siehe Anm. II ^ H . , 75 ff. Siehe Anm. II 103. Details aus dem aufschlußreichen Zeitungsartikel des am 8. n . 1918 als Kdt. über die AlexanderKaserne u. die dort versammelte „Hauptreserve" berufenen Obersten R. Jachmann (siehe Anm. II 36).

6. Praktische Vorbereitungen: AJarmierung der Garnisontruppen am 8-/9. November

219

Alarms die Übersicht - wenn auch nicht die Initiative - zu behalten. Es erforderte schon ein ungewohntes Maß an Beweglichkeit und organisatorischem Geschick, die trupp-, gruppen- und zugweise zu Wach- und Sonderdiensten abkommandierten Mannschaften schnellstmöglich abzuberufen und dabei auch oftmals die durch Alarmkalender und Situation gebotene Ablösung mit Abteilungen anderer Formationen zu regeln; in jedem Einzelfall war zu entscheiden, ob die auf sich gestellten Teileinheiten zunächst zur Entgegennahme neuer Instruktionen in die Unterkunft beordert und dort mit anderen Gruppen vereinigt werden sollten, bevor sie als geschlossene Abteilung zum Einsatzort abrückten, oder ob sie aus Zeitmangel direkt in die neue Stellung geschickt und erst dort eingewiesen werden sollten. Die in den letzten Wochen fortgeschrittene Auflösung der Verbände und Einheiten in „Sonderkommandos und Außenposten" und die „Irritation", die für Führer und Unterführer von den immer wieder verlangten Abstellungen für Sicherungsaufträge ausging, die nur schnell improvisierte und bald wieder aufgehobene Mischformen aus den Alarmbefehlen „Streikabwehr" und „Einschließung" darstellten 40 ' - dies alles forderte nun in der tatsächlichen Bewährungsprobe seinen Tribut. Unter solchen Gegebenheiten konnte ein einheitlicher und überschaubarer Führungsakt gar nicht Zustandekommen. Es ist zwar nicht aktenkundig, aber sehr wahrscheinlich, daß die Teilabschnittsführer oftmals erst an den Einsatzorten ein klares Bild darüber gewinnen konnten, wieviele Köpfe ihre Sicherungstruppe tatsächlich zählte. Die Zahl der Gewehrträger, die von den Ersatzformationen zur Absperrung der Innenstadt aufgebracht werden konnten, erwies sich erst in letzter Stunde als unzureichend. Dieses Fehl an Mannschaften lag nicht etwa an einem spontanen Aufkommen kollektiver Dienstverweigerungen oder an einem sprunghaften Anstieg der Desertionen: Die erste Soldatenrebellion in der Hauptstadt ereignete sich erst nach bereits vollzogenem Truppenaufmarsch am frühen Morgen des Umsturztages 404 , und die schon im Oktober 1918 auf 20000-40000 Mann geschätzten Deserteure, die sich in Berlin aufhielten 40 ', waren bereits Wochen vorher und nur zu einem Bruchteil bei den Berliner Ersatz-Regimentern von der Fahne gegangen406. Die eigentliche Ursache für die personelle Unterbesetzung der Sicherungslinie ist in den Führungsentscheidungen zu sehen, die nach dem J./6. November vom Oberkommandierenden in den Marken und vom Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps getroffen wurden: Zur Abschirmung seines Befehlsbereichs gegen Infiltrationsversuche meuternder Matrosen hatte der Militärbefehlshaber über die Provinz Brandenburg und Groß-Berlin seit dem j./6. ein beständig verstärktes Truppenaufgebot angeordnet. Für die Ausführung seiner Befehle, die auf Berlin zuführenden Bahnlinien und Straßen durch Bahnhofswehren, mobile Sperrkommandos, stationäre Ordnungstruppen 4

°> Formulierungen in „Äußerung" Planitz, fol. 164 (Anm. II 32). Die am 8. n . 1918 von einem Berliner Presseorgan verbreitete Meldung vom „Versagen eines der hiesigen Regimenter" war unzutreffend; vgl. Quellen II, i/II, S. 1395. 401 „ 2 0 0 0 0 " lt. Bericht des Berliner Pol.-Präs. v. Oppen v. 29. 10. 1918 an Wilhelm II. (Arch.Forsch. 4/IV, S. 1696); Böhm, Tgb.-Eintr. v. 1. 1 1 . 1918, Hürten/Meyer, S. 52. „Weit über 25000" bei Altrock, Deutschlands Niederbruch, S. 49. „ 4 0 0 0 0 " lt. Friedrich Ebert und seine Zeit. Ein Gedenkbuch, Charlottenburg o. J . , S. 20. 406 Zu den Fahnenfluchtfällen während des Bahntransports bei den vom Stellv. Gen.Kdo. des Gardekorps an die Front entsandten Feldmarsch-Bataillonen vgl. „Gegendarstellung" Mantey (Anm. I 476); ähnlich ders., „ D e r 9. November", Bl. 5 (Anm. II 32).

404

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

und Streifen überwachen zu lassen, standen ihm Ersatzformationen aus dem III. Armeekorps und dem Gardekorps zur Verfügung. Hierbei hätte es sich dem Oberkommando aus Gründen der taktischen Zweckmäßigkeit und der Ökonomie der Kräfte angeboten, Militär aus der jeweils nächstgelegenen Garnison an die im Befehlsplan vorgesehenen Einsatzorte zu entsenden, d. h. konkret, die über die ganze Mark Brandenburg dislozierten Truppenteile des Stellv. Generalkommandos des III. Korps mit der Kontrolle der Verbindungslinien in der Provinz zu beauftragen und das ausschließlich im Großberliner Raum stationierte Stellv. Generalkommando des Gardekorps mit der unmittelbaren Sicherung der Reichshauptstadt. Stattdessen erhielt das Stellv. Generalkommando des Gardekorps vom Oberkommando in den Marken quantitativ ständig vermehrte und geographisch immer weiterreichendere Auflagen zur Gestellung infanteriestarker Abteilungen sowie motorisierter und gepanzerter Einsatzgruppen, die außerhalb Berlins Verwendung finden sollten, während das Gros der Truppen des Stellv. Generalkommandos des III. Korps hierzu nicht herangezogen wurde. Dieses erhielt vielmehr am 7. sogar den Befehl, nun seinerseits die Ersatzformationen des Gardekorps innerhalb der Hauptstadt zu verstärken 407 . Bei solchen Eingriffen in die Struktur der Verbände und in die Dispositionen, die für sie zur Revolutionsabwehr in den „Grundlegenden Bestimmungen" getroffen waren, darf es nicht wundernehmen, wenn sich taktische Führer beim Beziehen ihrer Teilabschnitte vor unlösbare Aufgaben gestellt sahen408. Allein auf die Systemlosigkeit und Zerfahrenheit der Einsatzleitung des für die Gesamtoperation verantwortlichen Oberkommandos in den Marken läßt sich die unzulängliche Besetzung der Sicherungslinie jedoch nicht zurückführen. Nicht weniger geht die Schwächung der innerstädtischen Verteidigungsposition auf jene militärische Führungspersönlichkeit zurück, die paradoxerweise auch als der eigentliche Initiator des Alarmplans „Teilabschnitte besetzen" zu gelten hat. Der Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps hatte noch Anfang November 1918, zu einer Zeit also, da der für Sicherungsaufgaben verfügbare Mannschaftsbestand schon in besorgniserregender Weise am Dahinschmelzen war 409 , die Ausweitung der Sicherungslinie auf mehr als das Doppelte angeordnet. Damit minderte er zugleich ihre Abwehrwirkung. Die ursprünglichen Planungen der U-Abteilung im Stellv. Generalkommando des Gardekorps hatten einen enggezogenen Kordon um das sog. Regierungsviertel vorgesehen, der neben der Schloßinsel die wesentlichen Reichsämter, Regierungs- und öffentlichen Gebäude einschloß 410 . Trotz Einspruchs aus der U-Abteilung, die mit den geringen Einsatzstärken bei den Formationen der Garnison Groß-Berlin und mit dem voraussichtlichen Ausbleiben auswärtiger Verstärkungen argumentierte 4 ", bestand der Chef des Stabes darauf, die auch als innere Stadt bezeichnete große Spree-Insel, ein doppelt so großes Areal mit einer zweibis dreimal so ausgedehnten Sicherungslinie, behaupten zu können 4 ' 2 . 407

„Bericht" Linsingen, in: Quellen I/1, S. 623. Zum Verhalten einzelner Kommandeure am 879. 1 1 . 1918 siehe Kap. II 8b. 4 °» Siehe Anm. II 59t., II 75ff. 4.0 „Regierungsviertel": Spree - Reichstagsgebäude - Königgrätzer-, Voss-, Mohren- /resp. LeipzigerStraße - Reichsbank - Schloßinsel. Gesamtareal ca. 1000 x 2000 m im Quadrat; Sicherungslinie ca. 6000m (grober Anhalt!). Ortsangaben nach Mantey, „ D e r 9. November", Bl. 15; „Äußerung" Planitz, fol. 164 (beide Anm. II 32). *'• Siehe Anm. II j 6 f f . 4.1 „Innere Stadt": Spree - Technische Hochschule (Knie) - Landwehrkanal (Schöneberger-Ufer - Pots408

6. Praktische Vorbereitungen: A l a r m i e r u n g der G a m i s o n t r u p p e n am 8V9. N o v e m b e r

221

In die langen Auseinandersetzungen Manteys mit dem Oberkommando in den Marken um seine immer wieder vorgebrachten Verbesserungsvorschläge zur Revolutionsabwehr 4 '' gehörte gerade auch sein Eintreten für eine bescheidenere operative Lösung, wegen der geringen Zahl der verfügbaren eigenen Kräfte und der Einschätzung, daß kaum fremde Truppenanteile zu erwarten seien. Daher muß sein „erst wenige Tage vor der Revolution" gegebener Befehl zur Ausweitung des Sicherungskordons 4 ' 4 umso unbegreiflicher erscheinen. O b Mantey letztlich ein Opfer der Überfülle an ihn gestellter Anträge zur Sicherung von Objekten geworden war, die in der „inneren Stadt", also außerhalb des vorrangig schutzwürdigen „Regierungsviertels" lagen, oder ob es sich hier um eine Auflage des Oberkommandos und Gouvernements gehandelt hat 4 ' 5 , bleibt ungeklärt. Eindeutig jedoch ist das Ergebnis: Die „Teilabschnitte" hatten eine stark geminderte Verteidigungskraft, waren ausgedünnt infolge Uberdehnung und waren zudem nur bedingt gefechtsbereit durch mangelhafte Vorbereitung und überstürztes Beziehen. Hiermit in engem Zusammenhang stehen die Kampfkraft weiterhin herabsetzende Unzulänglichkeiten in der Versorgungsführung und -durchführung für die zersplitterten Truppenteile. Stellt man die friktionsreichen Abläufe bei Alarmierung und Aufmarsch der Truppen am 8-/9. November in Rechnung, muß es als höchst zweifelhaft erscheinen, ob es den bei immobilen Ersatztruppen ohnehin schwach besetzten Versorgungsdiensten im ganzen hätte gelingen können, bei der Vielzahl der taktischen Bewegungen und bei der Bestimmung neuer Einsatzorte mit den aufgebotenen fechtenden Teilen ihrer Formationen Schritt zu halten, d. h. die für die jeweiligen Kampfaufträge erforderliche Nachschubleistung zu erbringen. Bezeichnend für die Versorgungslage am 8-/9. November war, daß bei einem felderprobten aktiven Bataillon, welches, von nicht ins Gewicht fallenden Sonderkommandos abgesehen, mit Kampfstaffel und Troß in den festen Unterkünften der „Hauptreserve" bereitgehalten worden war, die Ausgabe von Zusatzmunition und Nahkampfmitteln erst 12 Stunden nach der allgemeinen Alarmierung vorgenommen wurde 4 ' 6 . Unter Feldbedingungen machte es einen möglicherweise schon gefechtsentscheidenden Unterschied aus, ob eine eilig in einen Sicherungs- oder Verteidigungsabschnitt geworfene Abteilung mit der Taschenmunition ihres letzten Objektschutzauftrages auskommen mußte oder in ihrer Stellung die dreimal so große Munitionsausstattung vorfand bzw. erhielt. Die Verweigerqng des Schußwaffengebrauchs am 9. November hat dieses Problem nicht auftreten lassen; im Falle einer unter vollem Einsatz aller Waffen geführten Verteidigung des Staates hätte womöglich aber ein Munitionsengpaß das Militär in kritische Situationen bringen können. d a m e r - B r ü c k e - Hallesches T o r ) - Spree (Schloßinsel - H u m b o l d t - H a f e n ) . Gesamtareal ca. 2000 X 4 bis 6000 m = 8 bis 12 q k m ; Sicherungslinie 1 2 - 1 6 km (grober Anhalt!). Ortsangaben siehe A n m . II 4 1 0 . 4,1

Im „ Z u s a t z " (Bl. 30) v o m A u g u s t 1921 zu seiner Darstellung: „ D e r 9. N o v e m b e r " schrieb M a n t e y : „ A u ß e r g e w ö h n l i c h e Vorbereitungen [ . . . ] sind v o r dem 9. X I . gänzlichst unterlassen w o r d e n . Ich habe mich in den letzten Wochen vor dem 9. X I . völlig aufgerieben, infolge fruchtloser K ä m p f e " ( A n m . II 32); ähnlich „ S c h r e i b e n " dess., fol. 1 1 7 ( A n m . I 67). 4,4 Zit. nach „ Ä u ß e r u n g " Planitz, fol. 164 ( A n m . II 32). 4 " „ B e r i c h t " l.insingen, in: Quellen I/2, S. 625. 416 Belege zur Rebellion des J ä g e r - B t l . N r . 4 in A n m . II 8 1 , II 6 1 7 , III 199.

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II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Ein untrüglicher Indikator für das nicht bewältigte Nachschubproblem ist die Versorgung der innerhalb des Sicherungskordons eingesetzten Truppenteile mit Verpflegung. Bereits in den Vortagen waren zum Schutz von Regierungsgebäuden abgestellte Wachmannschaften nicht verköstigt worden 4 ' 7 . Dieser organisatorische Mangel ist offenbar so häufig aufgetreten und auch im Diplomatenviertel dermaßen offenkundig geworden, daß er am 8. nachmittags zur Vorsprache des Doyen im Preußischen Kriegsministerium führte und dem Kriegsminister Anlaß genug war, den Rahmen seiner Kompetenzen zu überschreiten und den Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps trotz dessen starker Inanspruchnahme durch die gerade angelaufene Alarmierung der Garnison zu sich zu zitieren 4 ' 8 . Wirkungsvolle Abhilfe hat die scharfe Rüge des Kriegsministers nicht geschaffen. Die Wachmannschaften für das Neue Palais, in dem sich die nächsten Angehörigen des regierenden Hauses aufhielten, verließen wegen der seit Tagen unzulänglichen und am 8-/9. vollends ausgebliebenen Verproviantierung eigenmächtig ihre Posten 4 ' 9 . Nach den Erinnerungen des Stellvertreters des Reichskanzlers sind auch Abteilungen des als Kerntruppe geltenden Lübbencr Jäger-Bataillons (Res.) N r . 3, die am 8. zur Sicherung von Reichsämtern aufgezogen waren, am Umsturztage „wegen angeblicher oder wirklicher Vernachlässigung ihrer Verpflegung verschwunden" 420 . Bei den nach den Ereignissen des 9. November in militärischen Dienststellen und in interessierten Kreisen der Reichshauptstadt kursierenden Erklärungsversuchen für das frühe Versagen des als besonders zuverlässig eingeschätzten aktiven Naumburger Jäger-Bataillons N r . 4 rangierte das Motiv, dieser Eliteverband sei „nur mangelhaft verpflegt" worden und habe deshalb als erster Truppenteil der Garnison rebelliert, mit an erster Stelle 421 . Die begründeten Aussichten auf erfolgreiche Abwehr einer Aufstandsbewegung in Berlin durch Militär und Schutzmannschaften waren bereits durch die Art der Vorbereitungen und ihre Begleitumstände erheblich vermindert worden. Einzelne Planungsfehler in den „Grundlegenden Bestimmungen" waren durch z. T. in letzter Stunde vorgenommene Eingriffe in das Konzept aufeinander abgestimmter Einzelanweisungen keineswegs behoben, sondern eher erheblich vermehrt worden. Obere und mittlere Truppenführung zeigten sich aber darüber hinaus außerstande, die objektiven Schwierigkeiten der Ausnahmesituation durch koordiniertes und entschlossenes Handeln zu bewältigen. Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten in der Befehlsgebung sowie eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen erteiltem Auftrag und den Mitteln zu seiner Durchführung waren bereits in der Phase der Alarmierung und des Aufmarsches der Truppen besonders auf der untersten Führungsebene deutlich geworden. Als unmittelbar beteiligte Zeugen hatten viele Gardesoldaten, die in der Mehrzahl des militärischen Dienstes ohnehin seit langem überdrüssig und dem Einsatz im Innern gänzlich abgeneigt waren, das befehls- und organisationstechnische Versagen des militärischen 4,7

Bericht der Sachs. Gesandtschaft Berlin v. 7. 1 1 . 1918, abgedr. in: Arch.Forsch. 4/IV, S. 1767. Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 2: f. (Anm. II 32). 4 ' ' Mitteilung v. 4. 5. 1977 an den Verf. von Dr. Friedrich Seivers, ehem. Lt. im 4. Garde-Rgt. z.F. u. Wachführer für das Neue Palais am 9./10. 1 1 . 1918. 4.0 Payer, S. 160. 4.1 „Bericht" Schmidt, fol. 85 (Anm. II 32) u. hds. Randbemerkung Scheüchs hierzu. 411

7. Konflikte um die „Bekämpfungsmaßnahmen": Absperrungen, Technische Hindernisse

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Apparates bei den Vorbereitungen zur Revolutionsabwehr miterlebt. Solche Eindrücke waren nur zu geeignet, in Momenten extremer psychologischer Belastung auf den Zusammenhalt und die Verläßlichkeit der Truppe verheerend zu wirken. 7. Letzte Konflikte um die „Bekämpfungsmaßnahmen" Seit dem Spätsommer 1918 gehörte es zu den Absichten verschiedener militärischer Stellen in Berlin, das Fehl an Sicherungstruppen durch reichliche Ausstattung mit technischen und chemischen Kampfmitteln zumindest annähernd auszugleichen, jedenfalls hierdurch die abstoßende Wirkung des Verteidigungsringes nach Möglichkeit zu erhöhen. Aber der Streit um ihre eifersüchtig gewahrten Mitspracherechte bei der Wahl der zu ergreifenden „Bekämpfungsmaßnahmen"*" hat das rechtzeitige Zustandekommen einheitlicher Lösungen verhindert und sogar zu der schwersten persönlichen und Führungskrise bei den obersten Militärs im hauptstädtischen Raum geführt, die ausgerechnet am Vortage des Staatsumsturzes zum offenen Ausbruch kam. Nach den Darstellungen der ehemaligen Chefs der Stäbe des Oberkommandos in den Marken und des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps sind auch von politischer Seite Einflüsse auf die Modalitäten des Einsatzes bestimmter Kampfmittel ausgeübt worden, wobei die eigentliche Absicht gewesen sei, von ihnen überhaupt keinen oder einen weniger rigorosen Gebrauch zu machen. a) Absperrungen und technische Hindemisse Die Korpsführung wollte in realistischer Einschätzung der auf ihre Gardeersatzformationen zukommenden Aufgabe, im Falle eines bewaffneten innneren Konflikts vor allen anderen Truppenkontingenten die Hauptlast bei der Verteidigung des Staates tragen zu müssen, es bei unausweichlichen Kampfhandlungen nicht zur Verzahnung von angreifenden Demonstranten und Sicherungskräften kommen lassen. Dabei verfolgte sie nicht nur die übliche Absicht, von vornherein kampftechnische Nachteile bei der Führung der Abwehr zu vermeiden; noch mehr ließ sie sich von Rücksichten auf die geringe psychische Belastbarkeit der Gardeersatzsoldaten leiten, die möglicherweise Nahkampfsituationen gegen die eigenen Landsleute nicht würden durchstehen können 423 . Am geeignetsten erschien der Korpsführung dafür die „Verwendung von Draht in weitestem Umfange, um klar zu stellen, wann die Menge zum Angriff übergeht" 424 . Hierzu sollten von den Sicherungskräften schnell verlegbare Sperren vorbereitet 42 ' und in ihren Teilabschnitten nach Plan oder bei Bedarf flüchtig errichtet werden. In die Absichten des Stellv. Generalkommandos gehörten insbesondere auch großräumige Absperrungen von Straßenzügen, Plätzen und Brücken für den Durchgangsverkehr 42 *. Dieses militärtechni411

424 411

416

Damaliger terminus technicus für „Befehlsgebung und Maßnahmen zur A b w e h r " ; vgl. Mantey, Berge 4,3 u. Herrendorff, Schmidt passim. Siehe Anm. I 82 l/II 141 ff. u. Kap. II 8a. Zit. nach Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 7 (Anm. II 32). Bereithalten von unverbautem glatten u. Stacheldraht (K- u. S-Rollen) für Flächendrahthindernisse sowie von fertiggestellten „Flandernzäunen" u. „spanischen Reitern" zum Transport resp. zur Mitführung durch die Truppe an ihre Einsatzorte. Nachf. ausführl. in: „ A k t e n n o t i z " Mantey, fol. 1 1 6 (Anm. II 306); ders., „ D e r 9. November", Bl. 7f. (Anm. II 32).

II. M a ß n a h m e n z u r R e v o l u t i o n s a b w e h r in der Reichshauptstadt

sehe Detail wäre nicht berichtenswert, wenn nicht die Art seiner Erledigung durch die Kommandobehörden und durch die ihnen nachgeordneten Dienststellen erneut deren vollständiges organisatorisches Unvermögen und ihren Mangel an Durchsetzungskraft offenbart hätte, selbst einfache Aufgaben lösen zu können. Bereits Anfang September 1918 hatte das Stellv. Generalkommando des Gardekorps beim Oberkommando in den Marken zum erstenmal beantragt, eine Zuweisung von Sperrmaterial baldestmöglich in die Wege zu leiten und die für den Einsatzfall vorgeplanten Absperrungen zu befürworten. Formelle Anträge in solchen Angelegenheiten waren durch die Besonderheiten der Berliner Kommandostruktur vorgeschrieben; die immobilen Stellv. Generalkommandos der Garde und des III. Korps hatten nicht etwa wie die anderen 23 Stellv. Generalkommandos im Heimatgebiet sämtliche Funktionen der im Felde stehenden aktiven Generalkommandos übernommen, die im allgemeinen auch zur selbständigen Durchführung der umfangreichen Sicherungsaufgaben befugt waren 4 * 7 ; vielmehr waren sie auch in dieser Hinsicht an die einheitlichen Weisungen des Militärbefehlshabers für Berlin und die Provinz Brandenburg gebunden 428 . Dieser entschied, daß sich der Antragsteller die erforderlichen Mengen an Draht selbst beschaffen sollte. Eine solche Auskunft war aus folgenden Gründen unverantwortlich: Allein der kommandoführenden Instanz im Korpsbereich, nicht aber einer nachgeordneten Befehlsstelle kam es zu, Wehrmaterial beim Kriegsamt anzufordern und für die schnelle Zuweisung der notwendigen Verteidigungsmittel Sorge zu tragen. O b nun allerdings das in seinem Führungsstil sonst so starr dirigistische Oberkommando in diesem Einzelfall nur deshalb beim Delegationsprinzip Zuflucht nahm, weil es selbst - im Gegensatz zum Stellv. Generalkommando des Gardekorps - etatmäßig über keine eigene Intendantur verfügte, um Sperrmaterial dezentral beschaffen zu können, steht dahin. Jedenfalls hat das Oberkommando in den Marken die wiederholten Anträge des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps nicht einmal als Anregung genommen, die Verteidigungsmöglichkeiten durch Anlegen von Hindernissen erhöhen zu lassen und entsprechend bei seinen Truppen die Vorfertigung von Geländeverstärkungen zu überwachen. An nachdrücklicher und gezielter Dienstaufsicht scheint es in dieser Hinsicht jedoch nicht nur beim Oberkommando, sondern auch bei der Korpsführung gefehlt zu haben. Verschiedenes deutet darauf hin, daß die „dem G e n . K d o . überlassene Beschaffung von D r a h t " 4 2 ' letztlich doch bewerkstelligt werden konnte, sonst hätte beispielsweise der Stellv. Kommandierende General am 7. N o v e m b e r bei seiner Befehlsausgabe an die Kommandeure (Teilabschnittsführer) nicht ausdrücklich auf die „Verwendung von Stacheldraht", insbesondere zur „Sperrung der B r ü c k e n " , hingewiesen 4 ' 0 . Wie hoch aber der Abschreckungs- bzw. Hinderniswert dieser von einzelnen Gardeersatzformationen vorbereiteten und am 8. beim Truppenaufmarsch errichteten Drahtsperren in den kritischen Vormittagsstunden des 9. dann tatsächlich war, hat der Kommandant der AlexanderKaserne, aus der Mannschaften für die Sicherung der vis-à-vis gelegenen Ubergänge zur

418 419 4,0

Q u e l l e n II, i / I , S. X L I . E b d . , S. X L I V . Z i t . aus Entscheid des O b . K d o . i . d . M . , bei M a n t e y , „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 7 ( A n m . II 32). Zit. ebd., Bl. 1 6 ; „ A k t e n n o t i z " dess., f o l . 1 1 6 ( A n m . II 306). A u c h einigen als Reserve bereitgehaltenen E r s . - F o r m a t i o n e n des G a r d e k o r p s stellte sich die „ V e r w e n d u n g von Stacheldrahtverhauen" durchaus nicht als ein N a c h s c h u b p r o b l e m ; vgl. „ B e r i c h t " Schmidt, f o l . 84 ( A n m . II 32).

7- Konflikte um die „Bekämpfungsmaßnahmen": Absperrungen, Technische Hindernisse

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Schloßinsel entsandt worden waren, ohne Beschönigung geschildert: „Die spanischen Reiter, die an den Brücken aufgestellt waren, konnten den Tausenden von Demonstranten gegenüber nicht emsthaft in Frage kommen. Ein Fußtritt hatte sie beseitigt 45 '." Die Antwort des Oberkommandos auf den Antrag des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps auf Absperrung von „empfindlichen Punkten" im Stadtzentrum bestätigt keineswegs die rigorose Entschlossenheit, mit der Linsingen nach seiner späteren Darstellung seine Maßnahmen in Angriff genommen haben will. Tatsächlich nämlich hatte sich der Militärbefehlshaber vorbehalten, in jedem Einzelfall über den von der U-Abteilung des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps vorgeplanten Einsatz von technischen Sperren zu befinden; die auf das Regierungsviertel zuführenden Hauptstraßen, wichtigen Brücken und Knotenpunkte für „den Verkehr zu sperren, sei nicht angängig", lautete seine grundsätzliche Entscheidung 43 '. Davon ist er auch am 8. und 9. November nicht abgewichen 455 , obwohl er seit dem späten 8. „keinerlei Zweifel" mehr darüber hatte, daß es durch die angekündigte konzentrische Marschbewegung ausständischer Arbeiter auf das Innere der Stadt „zu ernsten Ereignissen kommen" werde 434 . So ergaben sich zwangsläufig am 9. die bekannten Bilder, in denen die Postierungen von Militär und Polizei durch die ungehindert vordringenden Menschenmassen abgedrängt, eingekeilt und schließlich wie von einer Flut umschlossen und dadurch vollständig neutralisiert wurden. Diese Bilder konnten entstehen, weil sich der in Berlin für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit" - in dieser konkreten Situation hieß das: für den Bestand des monarchischen Staates - verantwortliche Militärbefehlshaber als unfähig erwies, eine umsichtig geplante und alle verfügbaren Einsatzmittel geschickt und rechtzeitig nutzende Abwehr zu führen. Einer Truppe, die nicht durch die Vorbehalte ihres Oberkommandierenden daran gehindert, sondern durch dessen energisches Betreiben dazu gebracht worden wäre, die abschreckende Wirkung und den Verteidigungswert ihrer Teilabschnitte durch reichliche Verwendung vorbereiteter technischer Sperren sichtbar und effektiv zu erhöhen, hätte sich die Frage des Waffengebrauchs gegen die anrückenden Demonstrationszüge völlig anders gestellt. Das von den Aufständischen allerorten gebotene Schauspiel diszipliniert vorgetragenen politischen Protestes 455 hätte an ausgedehnten Flächendrahthindernissen im Vorfeld der Sicherungskräfte zwangsläufig sein Ende finden müssen; denn der bis dahin vorgetäuschte Charakter der Umzüge wäre nicht zu bewahren gewesen und die „zunächst friedliche Demonstrationsbewegung" 436 nun unter revolutionärer Regie in eine offensiv gegen die Staatsgewalt gerichtete bewaffnete Umsturzaktion umgeschlagen, eingeleitet durch den Einsatz von Stoßtrupps aus „besonders kampferprobten Arbeitern" 4 5 7 , die sich beim ersten Auftreffen auf Widerstand leistende Ordnungskräfte an die Spitze der 4)1

Zit. nach Jachmann. >' Siehe Anm. II 429; Bezug Bl. 8. 4 >> Abgesehen von den am 6V7. 1 1 . angeordneten enggezogenen Absperrungen von innerstädtischen Bahnhöfen zur Kontrolle eintreffender „Matrosenzüge". 4,4 So Linsingen in seinem „Bericht", in: Quellen I/2, S. 625. 4 " Allen Umzügen vom Vormittag des 9. 1 1 . w a r d e r Ruf nach sofortiger Abdankung Kaiser Wilhelms II. und nach unverzüglichem Kriegsschluß gemeinsam. 4 >* So Däumig in seinem „Revolutionsplan"; siehe Anm. II 335. 4,7 Zit. nach Petzold, Der 9. November 1918 in Berlin, BI. 17. 4

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II. M a ß n a h m e n zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Umzüge zu setzen gehabt hätten. Solch ein offener Angriff auf das Militär wäre aber nicht nur die Voraussetzung für den „Waffengebrauch bei Überfall" gemäß der Direktive Nr. 15 gewesen, sondern er hätte auch ein fundamentales Selbstschutzbedürfnis bei den Gardesoldaten geweckt, die in so einer Notwehrsituation wohl kaum auf das Lösen ihrer Waffen verzichtet haben würden 4 ' 8 . Eine wesentliche Ursache dafür, daß es den Demonstranten gelingen konnte, die Garnisontruppen ohne nennenswerte Kampfhandlungen zu überwinden, war die Unfähigkeit der militärischen Führung, die Angreifer auf Distanz zu halten. Nachdem das O b e r k o m mando und Gouvernement darauf verzichtet hatte, durch amtliche Bekanntmachung vor öffentlichen Zusammenrottungen zu warnen, und damit bei Putschisten und ihren Mitläufern keine psychologische Hemmschwelle gegen die Entfaltung revolutionärer Aktivitäten errichtet hatte, durchkreuzte es darüber hinaus durch verweigerte materielle Unterstützung und Befehlsvorbehalt das Verteidigungskonzept der mittleren Truppenführung, die allen Versuchen gewaltsamer Machtaneignung von vornherein durch ausgedehnte Absperrungen und technische Sperren wirksam einen Riegel vorschieben wollte. D a es aber die verantwortliche Führungsinstanz unterließ, diese „Barrieren" gegen Umsturzaktionen zu unterstützen, brachte sie ihre Soldaten in eine unhaltbare Situation, indem sie zugleich die andere Voraussetzungen zugrundelegende Direktive über den eingeschränkten Schußwaffengebrauch unverändert ließ. So kam es am Vormittag des 9. November doch zu jener „hautnahen Konfrontation" zwischen Demonstranten und Ordnungskräften, die das Stellv. Generalkommando des Gardekorps seit Wochen vorausgesehen und hatte vermeiden wollen, die aber nicht zuletzt durch das Versagen des Oberkommandos und Gouvernements doch noch stattfinden konnte. Eben diese wesentliche Schwachstelle in der Revolutionsabwehr berührte bereits unmittelbar nach den Ereignissen der Verfasser eines „Dienstberichts" über den frühzeitigen Ausfall einer der überforderten Ersatzformationen mit der rhetorischen Frage: „ D i e Tumultuanten [ . . . ] drängten in geschlossenen Zügen von Zehntausenden in das Stadtinnere. Sollten sich die Doppelposten mit ihren Rücken [ . . . ] den lawinenartig anrollenden Zügen entgegenstemmen 4 ' 9 ?" b) Verwendung von chemischen

Kampfstoffen

Die Bedenken, die bei führenden militärischen und politischen Stellen der Reichshauptstadt gegen eine Verwendung der Schußwaffen bestanden, bevor nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, ließen die Militärbehörden nach Alternativen suchen 440 . Abgesehen von dem bereits erwähnten Vorschlag Scheidemanns, gegen Aufständische „mit Wasserspritzen vorzugehen", der vom Oberkommando in den Marken nicht weiterverfolgt und höchstwahrscheinlich auch gar nicht ernstgenommen worden ist 44 ', gingen die Überlegungen im Preußischen Kriegsministerium und im Stellv. Generalkommando des Gardekorps dahin, größere Menschenansammlungen durch Einsatz von trä4,8

Saekel, D e r unbekannte A b g e o r d n e t e .

" Zit. nach „ B e r i c h t " Schmidt, fol. 84 ( A n m . II 32). 440 Diese Absicht w i r d u. a. im „ S c h r e i b e n " M a n t e y , fol. 117 ( A n m . I 67), betont: „ D i e V e r w e n d u n g von tränenerregenden Gasen w u r d e als eine Z u r ü c k h a l t u n g von W a f f e n g e w a l t angesehen." 4

441

Siehe A n m . II 252.

7. Konflikte um die „Bekämpfungsmaßnahmen": Chemische Kampfstoffe

227

nen- und übelkeiterregenden Kampfstoffen zu zerstreuen. O b auf eine Verwendung der „ f ü r diesen Zweck ausgebildeten und bereitgestellten besonderen Gastruppen bei den Ersatzbataillonen" 441 deshalb verzichtet worden ist, weil sie für einen Einsatz im Innern weniger sicher erschienen als das „zuverlässige Offiziers-Material" bei den Fliegertruppen des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps 4 4 ', läßt sich nicht mit letzter Gewißheit klären; die Entscheidung jedenfalls, nicht im Erdeinsatz, sondern durch „Flieger mit kräftigem Bombenwurf sehr schnell Ordnung zu schaffen" 4 4 4 , ist bereits Mine September 1918 gefallen 44 '. Seit Anfang Oktober übten die Piloten der Fliegerersatz-Abteilung des Gardekorps nach den Richdinien der preußischen Inspektion der Fliegertruppen und der Luftfahrt-Abteilung im Preußischen Kriegsministerium (A 7 L) 44 * den Abwurf von sog. Stinkbomben aus geringer Höhe. Daß diese dann in der ersten Novemberwoche doch nicht zum scharfen Einsatz gelangten, hatte seine Gründe nicht in der „sehr geringen Zahl" sofort verfügbarer Kampfmittel und der „lange dauernden Anfertigung" größerer Einsatzvorräte 447 ; auch mangelte es nicht an der Einsatzreife von Piloten und Flugzeugen mit geeigneter Ausrüstung für den gezielten Abwurf 4 4 ®. Der Verzicht war vielmehr das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, an dem zwischen Mitte September und Anfang November das Preußische Kriegsministerium, mehrere Militärbefehlshaber, der Kommandierende General der Luftstreitkräfte und die Inspektion der Fliegertruppen beteiligt waren. Die Vielzahl der mitspracheberechtigten resp. Mitspracherecht beanspruchenden, aber nicht mit Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Instanzen gibt ein Lehrbeispiel ab für die polykratischen militärischen Strukturen im Kaiserreich. Zu einer weiteren „gewissen Unsicherheit" führten auch schon frühzeitig die von diesen Instanzen jeweils vertretenen, später modifizierten oder gänzlich wieder aufgegebenen, dabei aber niemals scharf umrissenen Auffassungen über den Abwurf von „Gasbomben" 4 4 9 . Die Initiative für einen Luftwaffeneinsatz im Innern war vom damaligen preußischen Kriegsminister, General v. Stein, ausgegangen, allerdings mit wenig systematischer Vorbereitung. Ohne die Luftfahrt-Abteilung seines Ministeriums (A 7 L) zu Rate zu ziehen 4 ' 0 oder die preußische Inspektion der Fliegertruppen zu beteiligen, die nach der vom Kriegsministerium herausgegebenen Dienstanweisung als vorgesetzte Dienststelle für fachliche Anweisungen an die Heeresluftstreitkräfte im Heimatgebiet zuständig war 4 ' 1 , 441 441 444 441 446

447

44il

449 4(0 411

Zit. nach „ B e r i c h t " Schmidt, fol. 84 (Anm. II 32). So Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 11 (Anm. II 32). Ebd. Siehe Anm. II 452. Über die Kommando-Gliederung u. Unterstellungsverhältnisse der Heeres-Luftstreitkräfte im Heimatgebiet vgl. Köhler, Organisationsgeschichte der L u f t w a f f e , S. 288, 293 t. Meldung A 7 L (Luftfahrtabteilung)/Pr.KM. v. 2. 10. 1918 an A.(bteilung für) M.(obilmachungsangelegenheiten)/Pr.KM.; vollst, ms Abschrift in: N 1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. 136. In der 3. Oktoberwoche wohnten K o m . G e n . u. Chef des Stabes des Stellv. G e n . K d o . des Gardekorps den gelungenen Lehrvorführungen ihrer Flieger-Ers.Abt. in Döberitz bei; vgl. Mantey, „ D e r 9. N o vember", Bl. 1 (Anm. II 32). In seinem ms „Schreiben" v. 15. 6. 1922 an Gen.Lt. a . D . v. Hülsen bestätigte der ehem. Inspekteur der Fliegertruppen (Idflieg), Oberstlt. a. D. Siegert, die sofortige Verfügbarkeit „zahlreicher geschulter Piloten und Maschinengewehrschützen der Waffenabteilung [ . . . ] in Döberitz"; N 1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. 288. Beurteilung aus „Zusammenhängende Darstellung" Krall, fol. 142 (Anm. I 530). Lt. Meldung der A 7 L / P r . K M . v. 2. 10. 1 9 1 8 ; siehe Anm. II 447. Unzuständig f ü r die von der bayer. Inspektion des Luft- und Kraftfahrwesens/Bayer.KM. geführten

228

II. M a ß n a h m e n zur R e v o l u t i o n s a b w e h r in der Reichshauptstadt

hatte G e n e r a l v. Stein am 17. S e p t e m b e r 1918 die Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o s a u f g e f o r dert, „ M a ß n a h m e n f ü r den Fall innerer U n r u h e n " zu treffen und „alle verfügbaren u n d geeigneten K r ä f t e h e r a n z u z i e h e n [ . . . ] , auch F l u g z e u g e und A b w u r f m u n i t i o n (in erster Linie G a s b o m b e n , erst in s c h w e r e n Fällen B r i s a n z m u n i t i o n ) " 4 ' 2 . D a m i t hatte das K r i e g s ministerium eine jener „ R i c h t l i n i e n und F i n g e r z e i g e f ü r das Verhalten bei U n r u h e n " gegeben, z u denen es g e m ä ß der ihm bis z u m 8. N o v e m b e r 1918 zustehenden und ihm nach d e m D a f ü r h a l t e n der selbständigen Militärbefehlshaber zugebilligten W e i s u n g s b e fugnis in F ü h r u n g s a n g e l e g e n h e i t e n berechtigt w a r " ' . D e r erste W i d e r s p r u c h gegen die A b s i c h t e n Steins k a m dann auch tatsächlich aus der F ü h r u n g s e b e n e der Stellv. K o m m a n dierenden G e n e r a l e , die in ihren B e f e h l s b e r e i c h e n f ü r die V e r w e n d u n g e r d g e b u n d e n e r W a f f e n 4 5 4 e b e n s o w i e „ ü b e r den E i n s a t z v o n F l u g z e u g e n bei U n r u h e n [ . . . ] allein verantw o r t l i c h " w a r e n 4 " . S c h o n bis E n d e S e p t e m b e r 1918 hatten mindestens z w e i Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o s ihre „ernstesten B e d e n k e n " a n g e m e l d e t 4 ' 6 , denen sich „ a u s denselben G r ü n d e n " am 30. S e p t e m b e r 1918 der K o m m a n d i e r e n d e General der Luftstreitkräfte anschloß4'7. M i t d e m A n f a n g O k t o b e r 1918 erfolgten W e c h s c l im A m t e des preußischen Kriegsministers v o n G e n e r a l der Artillerie v. Stein auf G e n e r a l l e u t n a n t Scheüch trat auch ein W a n d e l in den A u f f a s s u n g e n u n d den W e i s u n g e n des O b e r m i l i t ä r b e f e h l s h a b e r s ein: „ D a s w i r d nicht g e m a c h t " ,

lautete die kategorische

A b l e h n u n g des A b w u r f s v o n

chemischen

K a m p f s t o f f e n im H e i m a t g e b i e t , z u der S c h e ü c h und H o e p p n e r bei ihrer A u s s p r a c h e am 30. O k t o b e r 1918 ü b e r e i n s t i m m e n d gelangten 4 ' 8 . Z w e i T a g e später teilte Scheüch d e m K o m m a n d i e r e n d e n General der Luftstreitkräfte verbindlich mit, d a ß der umstrittene E r l a ß Steins v o m 17. September „ i n s o f e r n eine Berichtigung e r f a h r e n " habe, als die „ V e r w e n d u n g v o n G a s b o m b e n f ü r besagte Z w e c k e nicht in Frage k o m m t ; gemeint w a r e n B - S t o f f - H a n d g r a n a t e n . " G l e i c h z e i t i g hatte der O b e r m i l i t ä r b e f e h l s h a b e r in vertraulichen Schreiben den C h e f s der Stäbe der Stellv. G e n e r a l k o m m a n d o s die „ V e r w e n d u n g v o n Fliegern mit M a s c h i n e n g e w e h r e n z u r Bestreichung der Straßen u n d mit leichten B o m b e n , aber nicht solche mit tödlichen G a s e n " e m p f o h len 4 ' 9 . D e m n a c h hatte sich G e n e r a l S c h e ü c h bereits v o r dem 2. N o v e m b e r definitiv gegen die V e r w e n d u n g c h e m i s c h e r A b w u r f m i t t e l im Innern a u s g e s p r o c h e n , um sich dann schon am 3. z u einer n o c h viel w e i t e r g e h e n d e n R e s t r i k t i o n der W e i s u n g seines V o r g ä n g e r s zu

4(1

Flieger-Ersatztruppen. K o m p e t e n z der pr. Idflieg umrissen im Militärtelegramm des P r . K M . v. 7. 11. 1918, 17.15 U h r , an Idflieg, K o g e n l u f t ( = K o m m a n d i e r e n d e r General der Luftstreitkräfte, G e n . L t . v. H o e p p n e r ) , O b . K d o . i . d . M . , Stellv. G e n . K d o . III. u. G a r d e k o r p s ; vollst, ms Abschrift in: N1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. i 3 8 f . Vollst, ms A b s c h r i f t des von Stein gez. Erlasses N r . 10351/18. geheim A . M . v. 1 7 . 9 . 1918 „ A n alle

G e n . K d o s . " , ebd., fol. 136; H i n w e i s e bei M a n t e y , siehe A n m . II 464. " Zit. nach „ S t e l l u n g n a h m e " Wrisberg, fol. 242 ( A n m . I 121). Ausführlicher hierzu siehe Kap. III 1. 4'4 Ebd.

4

4" 4,6

417

4,8 419

Zit. aus dem in A n m . II 451 gen. Militärtelegramm des P r . K M . v. 7. 11. 1918. A . M . / P r . K M . vermerkte am 2. 10. 1918 „ m e h r e r e G e n . K d o s . " , bezeichnete aber nur das Stellv. VII. u. X . A . K . ; abschriftl. in N1 Scheüch, B A - M A , N 23/5, fol. 136. Dienstschreiben 4313 pers Fl II geh. des K o g e n l u f t v. 30.9. 1918, ebd.; hds „ S c h r e i b e n " des Gen. d . K a v . a . D . v. H o e p p n e r , v. 10.6. 1922 an G e n . L t . a.D. v. H ü l s e n , ebd., fol. 339. Zit. aus „ N o t i z z e t t e l " Scheüch v. 30. 10. 1918, abschriftl. ebd., fol. 136. Zit. aus T e l e g r a m m des P r . K M . , N r . 11305/18 geheim A . M . v. 2. 11. 1918 an K o g e n l u f t ; vollst, ms A b s c h r i f t ebd., fol. 136f. A l s „gültige Richtlinie auch für I d f l i e g " bestätigt durch Fernspruch des K o g e n l u f t an Idflieg v. 6. 11. 1918, ebd., fol. 138.

7. Konflikte um die „Bekämpfungsmaßnahmen": Heeres-Luftstreitkräfte

229

entschließen und den Einsatz von Flugzeugen als A n g r i f f s w a f f e überhaupt zu verbieten 460 . Diese Entscheidung des Kriegsministers hat nicht einmal die Zustimmung des ihm nahestehenden und ihm sonst loyal ergebenen Adjutanten gefunden 4 6 '; sie hat sogar zu politisch gefärbter Verdächtigung Anlaß gegeben 462 . Während jener sechs Wochen zwischen dem ersten Erlaß des Kriegsministers, in dem die Stellv. Generalkommandos zum Einsatz von Gasbomben aufgefordert wurden ( 1 7 . 9 . 1918), und dem zweiten Erlaß, durch den ihnen dieser verboten worden war (2. 1 1 . 1918), hatten nach einer Meinungsäußerung aus dem Kriegsministerium 4 6 J in der ungeklärt gebliebenen „Auslegung des Wortes G a s b o m b e n " die eigentlichen „ G r ü n d e für die Verwirrung der Ansichten" gelegen. Keine der oben erwähnten Instanzen, welche die verschiedensten Auffassungen über den Luftwaffeneinsatz gegen Aufständische vertraten, hatte den Rat der chemischen Abteilung im Truppen-Departement des Preußischen Kriegsministeriums eingeholt und sich vom kompetenten Waffenreferat über die grundverschiedenen Wirkungsweisen von tränen- und übelkeitserregenden Kampfstoffen („Stinkbomben") einerseits und von Blaukreuz-Abwurfmunition ( „ G a s b o m b e n " ) andererseits Auskunft erteilen lassen. V o n daher erklärt sich auch das völlige Unverständnis, das Mantey dem Verbot, tränenerregende Gase gegen Demonstranten zu verwenden, entgegenbrachte, zumal ihm bekannt war, daß Steins „ E m p f e h l u n g " an die Stellv. Generalkommandos sich auf die „gute W i r k u n g " stützte, die diese sog. Stinkbomben kurz zuvor bei der Eindämmung von Unruhen in Ingolstadt gezeigt hatten 464 . Die Effizienz eines solchen, für einen örtlich begrenzten Ordnungseinsatz auch ausreichend vorhandenen chemischen Kampfstoffes stand also außer Frage. D a dabei auch keine gesundheitsschädigenden Dauerwirkungen bei betroffenen Demonstranten befürchtet werden mußten, konnten bei der Entscheidung über die Verwendung gegen eigene Landsleute auch jene sittlichen Bedenken keine Rolle gespielt haben, die bei den verantwortlichen Akteuren in den ersten Novembertagen gegen den Schußwaffengebrauch und gegen den Abwurf von Brisanz- und Blaukreuz-Munition bestanden hatten. c) Einsatz der

Heeres-Luftstreitkräfte

Die zwischen September und N o v e m b e r 1918 unter den militärischen Stellen intern ausgetragenen Auseinandersetzungen um die Verwendung von Flugzeugen, die nach den Revolutionsereignissen in den Offiziersbünden fortgesetzt und sogar in aller ö f f e n t l i c h -

4 Anruf des Verbindungsoffiziers des P r . K M . bei der O H L am 8. 1 1 . 1918, 15.15 Uhr, aufgez. in: „Zusammenhängende Darstellung/Aktenauszug" Krall, fol. 130 (Anm. I 530). 117

238

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

Inspekteurs der Fliegertruppen niederzuhalten' 14 . Gleichzeitig erging auch an das Oberkommando in den Marken das mit „Obermilitärbefehlshaber" unterfertigte Telegramm, in dem nochmals Scheüchs Verbot, Eisenbahnzüge aus Flugzeugen zu bekämpfen, bekräftigt und die Erlaubnis erteilt wurde, nach vorheriger gründlicher Aufklärung Kraftwagen mit Maschinenwaffen zu verwenden 5 ''. Wie schon dargestellt, hatte Generaloberst v. Linsingen am 7. November ohne vorherige Benachrichtigung des Kriegsministers die diesen brüskierende Ziffer des Befehls auf dem Dienstwege verbreitet, die Bestimmungen des Kriegsministeriums für die Verwendung von Flugzeugen seien nicht maßgebend' 26 . Daß nun seinerseits Generalleutnant Scheüch am darauffolgenden Tage die Einsatzbefehle des Oberkommandos an die Flieger rückgängig machte, hat wiederum Generaloberst v. Linsingen veranlaßt, beim Kaiser die Enthebung von seiner Dienststellung zu beantragen, da er wegen der Eingriffe des Kriegsministeriums in seine Kommandogewalt die Verantwortung für die Ruhe und Sicherheit nicht mehr tragen könne und durch die Aufhebung von ihm gegebener Befehle in seinem militärischen Ansehen geschädigt werde' 2 7 . Die am Nachmittag des 8. November im Oberkommando herrschende Empörung darüber, daß der Kriegsminister den Oberkommandierenden desavouiert hatte, indem er „durch unmittelbaren Befehl an die Inspektion der Fliegertruppen"' 28 , „ohne vorherige Mitteilung an das Oberkommando hierüber [ . . . ] und überhaupt über den Kopf des Generalobersten v. Linsingen hinweg"' 2 9 in dessen Befehlsbereich eingegriffen habe, ohne dazu schon kompetent gewesen zu sein, ist sachlich berechtigt' 10 . Selbst zu diesem Zeitpunkt, da der Generaloberst sein Telegramm „an des Kaisers und Königs Majestät" richtete, hatten die maßgeblichen Persönlichkeiten im Oberkommando und Gouvernement noch keine Kenntnis davon, daß sich der Kaiser vor wenigen Stunden erst zu einer Einschränkung von Befugnissen entschlossen hatte, die das Oberkommando seit 1848 unangefochten innegehabt und die es sogar auf Kosten anderer Berliner Kommandobehörden ausgeweitet hatte. Zwei Jahre lang hatten die preußischen Kriegsminister Stein und Scheüch einige ihrer an die Militärbefehlshaber pp. gerichteten Erlasse mit „Obermilitärbefehlshaber" gezeichn e t " 1 . Vom Oberkommandierenden und seinen Führungshilfen konnte nicht wie „ganz selbstverständlich erwartet" werden' 3 2 , daß sie aus Scheüchs ebenso unterfertigtem Auf Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 3 (Anm. II 32); W U A 2. Abt. I V / I I , I, S. i w f . 696 Erhsse pp. hierzu in: W U A , 2. Abt., IV/i 1, II Anl. 1. 697 Belege in Anm. II 678, 680; „Mitteilung" Seivers (Anm. II 419); Garde-Jäger-Bataillon, S. 4 5 z f . ; Brcderlow, S. 344ff.; Maldeghem, S. 326; Geschichte des Inf.Rgt. N r . 64, S. 333, 336; Held, S. 699. * * W U A , 2. Abt., I V / 1 1 , II, S. 35 (Volkmann); Altrichter, S. 232. 6,5

iyi

II. Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

stehenden front/außendienstfähigen Offiziere der Inaktivität fast noch mehr als die sog. Kriegsleutnants die schärfste Kritik der übrigen Heeresangehörigen auf sich gezogen haben. Unter ihnen befand sich nämlich eine „nicht unerhebliche Zahl unfähiger und moralisch nicht absolut einwandfreier Elemente", die aus der Friedensarmee wegen ungenügender dienstlicher Leistungen oder geringen Persönlichkeitswerts mit schlichtem Abschied aus ihrem aktiven Dienstverhältnis entfernt worden waren. Von ihrer Wiederverwendung nicht Abstand genommen zu haben, ist dem wegen seiner Personalführung im Kriege ohnehin stark angefochtenen Militärkabinett nicht nur aus prinzipiellen Gründen angekreidet worden, sondern noch mehr deshalb, weil das im Vergleich zur Friedensarmee stark gelockerte Gefüge des Ersatzheeres zu viele Freiräume für unkontrollierte Führertätigkeiten ließ, in denen „manche dieser Persönlichkeiten" ihre negativen Qualitäten zum Schaden der Armee entfalten k o n n t e n 6 " . Auch von den als Führer von Ersatzbataillonen eingesetzten Offizieren z. D. gab nicht jeder eine überzeugende Figur ab. Bei ihnen handelte es sich um Offiziere, die schon vor dem Weltkriege den Anforderungen für eine nächsthöhere Stelle im Truppendienst nach dem Urteil ihrer Vorgesetzten nicht mehr entsprochen hatten und die, wenn sie nicht von sich aus um ihren Abschied eingekommen waren, auf Auslaufposten bei höheren Stäben, Bezirkskommandanturen etc. gesetzt worden waren. Obwohl sie hierdurch aus dem regulären Beförderungsrhythmus ihrer aktiven Kameraden ausgeschieden waren, gelangten nicht wenige von ihnen schon im Frieden auf Etatstellen, die eigentlich ranghöheren aktiven oder z. D.-Offizieren vorbehalten gewesen waren und die sonst, nachdem das Gros des Offizierkorps ins Feld gerückt war, auf Dauer unbesetzt geblieben wären. D e r diesen Offizieren dann während des Krieges doch noch gewährte Aufstieg um eine, oftmals gar um mehrere Rangstufen hat an vielen Stellen lebhafte Kritik hervorgerufen 7 0 0 . Zum einen führte dies zu einer mit Karriereneid gemischten Verärgerung vieler Aktiver, die alle Feldzugsjahre an der Front verbracht und dort Führerpositionen bekleidet hatten, die laut Etat für ein bis drei Rangstufen höhere Dienstgrade vorgesehen waren 7 0 '. Wegen geringen Dienstalters hatten sie jedoch ungeachtet ihrer vielfachen Bewährung vor dem Feinde nicht das entsprechende Patent erhalten und fühlten sich gegenüber jenen Offizieren z. D . benachteiligt, die wegen ihres zumeist hohen Dienstalters und dank des starr gehandhabten Beförderungsgrundsatzes nach Anciennität „auf ruhigen Druckposten in der Heimat" hatten Karriere machen können. Die in diesem Zusammenhang wesentliche Folge der verfehlten Ernennungs- und Beförderungspraxis des Militärkabinetts war, daß ursprünglich für Kommandeurverwendungen abqualifizierte Offiziere z. D. während des Krieges dennoch in Führerstellen beim Ersatzheer gelangten. Wegen des Verlustes der Stellenbesetzungslisten, Zustandsmeldun699

700

701

Zit. nach Volkmann u. Aitrichter. Hierzu auch Gässler, S. 70; Altrock, Deutschlands Niederbruch, S-49Vgl. Edgar Graf v. Matuschka, Die Beförderung in der Praxis, in: Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps, S. 167. Anstelle von etwa 50 Stellungnahmen u. Zuschriften an das MWB1., 104. J g (1919), über Beförderungen, Offiziersentschädigungsgesetz, Trennungszulage etc., hier Schultz, Zur Verordnung des Kriegsministeriums „Beförderungen und Ernennungen" vom 8. 5. 19., ebd., N r . 146, Sp. 2725 t. In nicht wenigen Fällen wurden bei Weltkriegsende Regimenter von Hauptleuten, Bataillone von Oberleutnanten geführt. - Nachfolgendes Zitat: Schultz (Anm. 700).

8. Militär als Girant des Systems: Offiziere als „Bollwerk der Dynastie"

273

gen, Qualifikations- und Besichtigungsberichte können detaillierte Aussagen über die dienstliche Befähigung und den Anteil von z. D.-Offizieren an der Führung von Ersatzbataillonen und Stellv. Brigaden nicht mehr gemacht werden 7 0 1 . Hinweise auf unzulängliche Leistungen der niederen und mittleren Führer bei den Ersatzformationen lassen sich allerdings reichlich finden in den fast einhellig verurteilenden zeitgenössischen Darstellungen über die Verhältnisse beim Heimatheer sowie in deren schlechter Presse in den Militärzeitschriften, Mitteilungsblättern der Offiziersbünde, Traditionsvereinigungen der Truppenteile und dergleichen mehr. Solche Abwertung, oftmals in einem Atem mit den gängigen „ D o l c h s t o ß " - V o r w ü r f e n gegen das „bolschewistisch zersetzte Ersatzheer", bezog sich allerdings nicht nur auf das Auseinanderlaufen der Ersatztruppenteile während der ersten N o v e m b e r w o c h e 1918, sondern auch auf das gleichzeitig „ v o n überall h e r " gemeldete „Verschwinden oder das passive Verhalten" ihrer Führer 7 0 3 . Solches scheint, wenn auch nicht in dieser katastrophalen Dimension, vom Stellv. Generalkommando des Gardekorps schon im Spätsommer 1 9 1 8 befürchtet worden zu sein, als man nämlich die unsichere Schlagfertigkeit der Gardeersatzformationen auf die U n z u länglichkeit ihrer Kommandeure meinte zurückführen zu müssen und sich daher um einen großangelegten Dienstpostenwechsel bemühte, der sich hauptsächlich auf nichtaktive Hauptleute und Majore in der Dienststellung eines Bataillonskommandeurs erstrecken sollte, aber auch einen Generalmajor z. D . in der Funktion eines Inspekteurs der immobilen Garde-Infanterie mit einschloß 704 . Soweit die dürftigen Hinweise auf die Besetzung der unteren Führerstellen bei den Berliner Garnisontruppen eine solche Aussage erlauben, hatte dort kein einziger aktiver O f f i zier mit Friedensdienstzeit und -ausbildung eine Etatstelle inne 7 0 '. Als Bataillons- und Kompanieführer fungierten nichtaktive Offiziere und Feldwebel-Leutnants, die wegen ihres Alters oder wegen einer Kriegsverletzung keinen Frontdienst mehr leisten konnten 7 0 6 . Schon im Frieden war für den Mobilmachungsfall in Aussicht genommen worden, bei Offiziermangel die Leutnantsstellen der Ersatztruppenteile, Landwehr- und Garnisonbataillone mit erfahrenen, gut beurteilten ehemaligen Portepeeunteroffizieren „aus geord7

°' Bis auf verschwindend geringe Reste wurde das zur Erforschung dieser Frage nötige Schriftgut zum einen Teil schon 1919/20 im Zuge der Demobilmachung, Auflösung der Verbände der alten Armee, Heeresverminderung der Vorläufigen Reichswehr bei den Abwicklungsstellen vernichtet, zum anderen Teil durch Kriegseinwirkung 1944/45. In den insgesamt 44 erschienenen, vom Verf. vollständig durchgesehenen „Geschichten" der 13 Inf.-, 8 Kav.-, 5 Art.-Regimenter u. sonstiger aktiver u. Reserve-Formationen des Gardekorps sind ihre Ersatz-Truppenteile überhaupt nur in 11 erwähnt u. in diesen die Angaben über das Führerpersonal (speziell jenes vom 8V9. 1 1 . 1918) zumeist auch noch sehr dürftig. So z. B. Payer, S. 160; Müller-Franken, S. 28f.; Eberhardt, Kriegserinnerungen, S. 271 ff. 704 Vgl. „Bericht" Schmidt, fol. 81 (Anm. II 32). - Bezeichnung bei der Garde für die Kommandeure der Stellv. Infanterie-Brigaden bzw. Landwehr-Inspektionen. 701 Unger, S. 280; Brederlow, S. 344; Garde-Jäger-Bataillon, S. 452; Bose, S. 10, 587; Rieben, FranzRegiment, S. 524; ders., 2. Garde-Rgt. z.F., S. 597; Both/Schulz, S. V I I ; Loebenstein, S. 69; Senftieben, S. 402; Wied, S. 177; Gayling v. Altheim, S. 5; Held, S. 699; Maldeghem, S. 326; Anm. II 714. Wegen Aktenverlusts kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob sich auch unter den Kommandeuren der Berliner Ers.-Btl. solche Offiziere a.D., z.D. und des Beurlaubtenstandes befanden, die zuvor als Führer im Gefecht versagt hatten u. nun in der Heimat verwendet wurden.

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II- Maßnahmen zur Revolutionsabwehr in der Reichshauptstadt

neten bürgerlichen Verhältnissen" als Feldwebel-Leutnants zu besetzen 7 0 7 . Z u dieser G r u p p e der älteren, bei Reaktivierung zugleich beförderten Führer traten während des Krieges noch jene Feldwebel-Leutnants, die wegen ihrer militärischen Tüchtigkeit und Tapferkeit vor dem Feinde aus der Laufbahn der aktiven Unteroffiziere hatten aufsteigen können und die nun, weil oft infolge der im Felde erlittenen Verwundungen nicht mehr fronttauglich, ihre Erfahrungen als Ausbilder in der Heimat an den Mannschaftsersatz weitergaben; so auch im Stellv. Generalkommando des Gardekorps, w o sie einen G r o ß teil der Chefstellen bei den Rekrutenkompanien bekleideten 708 . Ihr im Vergleich zur sonstigen etatmäßigen Dienstpostenbesetzung im Feld- und Besatzungsheer auffallend bevorzugtes Avancement („Dienstpostenkarriere") 7 0 9 war jedoch eher ein nominelles als ein gemeinhin anerkanntes. Feldwebel-Leutnants galten als O f f i ziere zweiter Klasse; sie waren zu Offizierwahlen und Offizierehrengerichten nicht zugelassen und rangierten infolgedessen hinter dem jüngsten Reserveleutnant. Ungeachtet ihrer langjährigen, soliden Friedensausbildung und ihrer Verdienste im Kriege blieben sie gegenüber den kurzausgebildeten, dabei noch zu allermeist wesentlich lebensjüngeren Kriegsoffizieren in der Position des Untergebenen 7 ' 0 . D i e mit ihrem Status verbundene Diskriminierung und die G e w ö h n u n g an ihre beständig ausgeübte Rolle als Befehlsempfänger haben bei ihnen zur Herausbildung einer Haltung relativer Unselbständigkeit und Abhängigkeit von den Willensäußerungen der „vollwertigen" Offiziere beigetragen und nicht zuletzt dazu geführt, daß sie auch in den kritischen Vormittagsstunden des 9. N o v e m b e r auf ihre unmittelbaren Vorgesetzten schauten und sich in ihrem eigenen Handeln ganz nach diesen richteten, ungeachtet der ihnen als Unter- bzw. Teilabschnittsführern erteilten grundsätzlichen Weisung zur selbständigen Führung der A b w e h r 7 " . V o n den älteren Reserve- und Landwehroffizieren, die in Hauptfunktion und als Stellvertreter die Ersatzbataillone des Gardekorps führten, scheint ein relativ hoher Anteil dem Standard nicht mehr entsprochen zu haben, der nach der sorgfältigen Selektion und Indoktrination, denen sie früher im Friedensheere unterzogen worden waren, zu erwarten gewesen war. So hieß es damals schon, die Berliner Ersatztruppenteile seien „ o f t genug zu wenig in der Hand ihrer O f f i z i e r e " gewesen, weil die von ihren Untergebenen „ R e s e r v e o n k e l " ge707

Zit. aus Schmidt-Richberg, Regierungszeit Wilhelms II., S. 91. Hierzu auch Geschichte des Inf.-Rgt. N r . 64, S. 334. 7 °* Nach Mantey, „ D e r 9. November", Bl. 4 (Anm. II 32), waren die Führer der Rekruten-Kpn. sogar „meist" Fw.-Lts. Gewisse Einschränkungen durch Both/Schulz, S. V I I ; Brederlow, S. 344f.; GardeJäger-Bataillon, S. 4 j 2 f . ; Bose, S. j ä ^ f f . ; Rieben, Franz-Regiment, S. 524ff.; Held, S. 699; Geschichte des Inf.-Rgt. N r . 64, S. 333f. 709 Im allgem. wurden Fw.-Lts. nur selten Kp.-Führer, W U A , 2. Abt., IV/i 1, II, S. 36 (Volkmann); ebd., u / \ , S. 108f. 7,0 Ebd.; Schmidt-Richberg, Regierungszeit Wilhelms II., S. 9 1 ; Gässler, S. 73; Adolf Stein, Schafft ein Heer! (1919), in: Rumpelstilzchen (Pseud.): Politisches, Militärisches, Weltanschauung, Berlin 1928, S. 95. Von Gen. v. Stein gez. Geheimerlaß des Pr.KM. Nr. 429. 18. g.C.Ia v. 22. 6. 1918 über das „nicht immer einwandfreie Verhalten der jungen Offiziere gegenüber Feldwebel-Leutnants", ms Abschrift, B A - M A , Fasz.-Nr. 582, R M 5 v. 4029. 7 " Mit ihrer „Inpflichtnahme" durch den Stellv. Korn.Gen. des Gardekorps u. durch die Bindung an die „Direktive N r . 1 5 " waren die Abschnittsführer aus dem unmittelbaren Unterstellungsverhältnis ihrer ohnehin unvertretbar dislozierten Verbände herausgelöst u. auf sich selbst gestellt.

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nannten Anführer eine viel zu geringe persönliche Autorität besessen hätten, um disziplinschädigende Einflüsse abschwächen bzw. unwirksam machen zu können 7 '*. Wie auch andere Führer von Berliner Ersatztruppenteilen (Bataillonen/Abteilungen, Eskadrons) 7 1 ' haben beispielsweise selbst zwei mit „vorzüglich" beurteilte Bataillonskommandeure die wahre Stimmung unter ihren Soldaten nicht gekannt und sich bereits am frühen Morgen des 9. November „aus Nervosität" krank gemeldet, nachdem ihnen über die allerersten Anzeichen von Unsicherheit und Unzuverlässigkeit bei ihren alarmierten Einheiten berichtet worden war 7 ' 4 . Schon im August 1918, nachdem der neue Chef des Stabes des Stellv. Generalkommandos des Gardekorps alle Formationen seines Befehlsbereiches inspiziert hatte, war man zu der Auffassung gelangt, daß die „niederen Truppenführer [der 24 Ersatzbataillone] großenteils nicht mehr voll leistungsfähig" seien 7 ''. Vom Chef des Stabes gingen daher im September 1918 die ersten beiden Anträge auf Überstellung tüchtiger Kommandeure aus; das Oberkommando in den Marken ließ diese Dienstschreiben jedoch wochenlang unbearbeitet liegen 7 ' 6 . Gleichzeitig hatte sich das Stellv. Generalkommando des Gardekorps auch an das Stellv. Militärkabinett (Berlin) gewandt, w o es jedoch mit seiner zahlenmäßig anspruchsvollen Bitte um „geeignete, insbesondere aktive Kommandeure aus der Front" erst einmal nicht durchdringen konnte 7 ' 7 , zumal beim Militärkabinett seit Mitte September 1918 ein außerordentlich dringliches und vom Kriegsministerium unterstütztes Ersuchen der O H L vorlag, „alle in der Heimat nur irgend entbehrlichen Offiziere, vor allem aus stellvertretenden Generalkommandos, [ . . . ] dem Feldheer im weitesten Umfange zur Verfügung zu stellen" 7 ' 8 . Erst Anfang November 1918 wurde dem Stellv. Generalkommando des Gardekorps eine erste Rate von sechs zur Führung von Ersatzbataillonen bestimmten Frontoffizieren zugewiesen 7 ' 9 . Diese konnten jedoch nirgendwo mehr Einfluß nehmen, da die zwischen Dienstantritt ($.-7. November) und Aufmarsch der Garnisontruppen (8. /' Helfferich u. Radowitz; siehe Anm. II 768ff.; II 850. 7.1 „Erwiderung" Scheuch, fol. 2of. (Anm. I 178).

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Groß-Berlin zur Verfügung gestellten Offizieren per saldo von 400 die Rede war. Nach der letzten Alarmiiste der U-Abteilung kam günstigenfalls von fünf Offizieren nur einer für eine mobile Verwendung in der Reichshauptstadt in Betracht, nach den beim Zählappell am 8. November listenmäßig erfaßten Offizieren nur etwa 150, also jeder zwanzigste Offizier in der Garnison Großberlin. Eingesetzt wurde am 9. November keiner. An Erklärungen für dieses krasse Mißverhältnis zwischen Präsenz- und Einsatzstärke der Berliner Offiziere hat es nicht gefehlt. Allerdings stehen der stattlichen Reihe äußerlich sachlicher Gründe nur ganz wenige Zeugnisse für die tiefer liegenden, eigentlich bestimmenden Ursachen gegenüber. Wie schon erwähnt, hatte das Oberkommando in den Marken wegen des Mangels an Wachmannschaften und der Vielzahl an wichtigen schutzwürdigen Objekten am 19. Oktober sämtlichen militärischen Behörden zur Auflage machen müssen, bei inneren Unruhen ihre Dienstgebäude mit eigenem Personal zu sichern bzw. sichern zu helfen 733 . Wenn also gemäß dieser Anordnung seit der zweiten Oktoberhälfte auf manchen Offizier zusätzliche Aufgaben als Wachführer oder Rondeoffizier zukamen, so hielt sich die Beanspruchung doch in Grenzen, denn die Zahl der bei diesen Dienststellen beschäftigten Offiziere befand sich auf einer „ o f t beängstigenden Höhe" 7 3 4 . Da es die Bürooffiziere vielfach verstanden hatten, ihre eigene Unersetzlichkeit dadurch zu beweisen, daß sie sich einen Stab mit entsprechend starkem Unterpersonal organisiert hatten, konnte bei den Militärbehörden - zumindest numerisch - von unterbesetzten Alarmstellungen nicht die Rede sein. Jedenfalls wird von keiner einzigen Dienststelle berichtet, daß sich deren Selbstschutz nur aus Offizieren zusammengesetzt hätte und diese aus solchem Grunde für die mobile Verwendung in der „inneren Stadt" unentbehrlich gewesen wären. Trotzdem haben sich die drei bedeutendsten Militärbehörden in der Reichshauptstadt, Preußisches Kriegsministerium 735 , Oberkommando in den Marken 736 und das Stellv. Generalkommando des Gardekorps 7 3 7 ungeachtet ihres eigenen beachtlichen Offizierbestandes und Stabspersonals zur unmittelbaren Sicherung noch je eine verstärkte Kampfkompanie ins Kommandogebäude gelegt. Auch der Umstand, daß durch die unübersehbare Vielzahl nahezu selbständiger Sektionen des Kriegsamtes 738 und infolge der Uberorganisation der Militärbehörden - so gab es bspw. in Berlin fünf verschiedene Spionagebüros - unnötig viele Offiziere gebunden wurden, erklärt zu einem gewissen Teil das relativ geringe Aufkommen an freigestellten Offizieren zur bewaffneten Revolutionsabwehr. Dem vielgeschmähten „Geschlecht der Unabkömmlichen" und den von ihnen nachgezogenen personalstarken „Sippen" lieferte das Oberkommando in den Marken noch dazu das vollkommenste Alibi für ihre eigene Unentbehrlichkeit im jeweiligen Funktionsbereich 739 . Die Anordnung, sämtliche militärischen Stellen selbst zu schützen, war für die 7

" Siehe Anra. II 352. Darst. u. Zit. nach Altrock, Deutschlands Niederbruch, S. 49. 7)1 Siehe Anm. III 3 1 9 . 7.6 Schenck zu Schweinsberg, S. 19c. 7.7 Rotheit, S. 7; Krieger, S. 4; Saekel, Der unbekannte Abgeordnete; Bose, S. 586f.; Mantey, „ D e r 9. N o vember", Bl. 22 (Anm. II 32). 7 >« Wrisberg, Wehr und Waffen, S. i 4 o f f . ; Cron, S. 1 7 4 « . ; Quellen II, i/I, S. X L V 1 I ; „Aufzeichnungen" des Major Fleck (Wolfgang), D e m o b . - A b t . / P r . K M . , in: N1 Walther Reinhardt, B A - M A , N 86/59, fol. 2. 7) ' Formulierungen bei Altrock. 7)4

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Frühphase gefährlicher innen- und sicherheitspolitischer Bedrohung sinnvoll und angemessen. Gleiches aber auch „ b e i Ausbruch von U n r u h e n " zu befehlen, mußte eine völlige Zersplitterung von Personal und Kampfmitteln zur Folge haben. Unter Außerachtlassung aller taktischen Grundregeln für Schwerpunktbildung und f ü r eine Ö k o n o m i e der K r ä f t e wurde durch die befohlene Verteidigung selbst des unwichtigsten militärischen Objekts am 8-/9. N o v e m b e r mit negativen Vorzeichen die friderizianische Kriegslehre durchexerziert: „ W e r alles defendiren will, teniret zu Ende nichts 7 4 0 ." Kaum eine der zahlreichen, von eigenen und fremden Wachen geschützten Dienststellen war für sich stark genug, entschlossen geführte revolutionäre C o u p s abzuwehren, um als eine in der sog. roten Flut mit E r f o l g behauptete Insel etwas an den an anderer Stelle zugunsten der Aufstandsbewegung fallenden Entscheidung ändern zu können. Ebenso sinnwidrig, wie es bei seinem Alarmplan „ S t r e i k a b w e h r " durch ein Uberfülle von O b jektschutzaufträgen seine Truppen im Gouvernement zerstreut hatte, ließ das O b e r k o m mando in den Marken auch durch die unterschiedslose Sicherung aller Dienststellen die noch vorhandenen personellen Ressourcen versiegen, die zur Bildung einer zahlenstarken und im Konfliktfall hinlänglich schlagkräftigen O f f i z i e r t r u p p e ausgereicht hätten. Bei einer planvoll und mit aller Konsequenz betriebenen Vorbereitung f ü r die aktiv zu führende Verteidigung der Residenz hätte der militärischen Devise, f ü r den Moment der Entscheidung gar nicht stark genug gerüstet sein zu können, in doppelter Hinsicht unbedingt Priorität eingeräumt werden müssen: Z u m einen bedurfte es der Risikobereitschaft des O b e r k o m m a n d o s , die f ü r eine Behauptung der „inneren Stadt" unerheblichen Dienststellen ungesichert zu lassen, also preiszugeben. Z u m anderen war eine rigorose Auswahl unter den etatmäßigen Berliner O f f i z i e r e n hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit f ü r den Straßenkampf zu treffen. Das erste Erfordernis w u r d e nicht gewagt, das zweite nur im Ansatz versucht. Denn zweifellos waren nicht alle der vielzitierten Tausende von Offizieren - es wurde sogar mit der imaginären Zahl von 4000 Berliner Offizieren argumentiert 7 4 ' - f ü r einen infanteristischen Einsatz zu mobilisieren. Nachdem fast alle frontfähigen aktiven O f f i z i e r e in den letzten beiden Kriegsjahren, zuletzt noch Ende O k t o b e r 1 9 1 8 , bis auf einen verschwindend geringen Rest von weniger als 600 im gesamten Etappen- und Heimatgebiet aus kriegswirtschaftlich bedeutenden Betrieben, Stäben und Behörden herausgezogen worden waren 7 4 2 , wird es sich bei den Berliner Stellen höchstwahrscheinlich nur noch um ganz wenige frontverwendungsfähige O f f i z i e r e des Aktivstandes, der höheren Adjutantur und des Generalstabsdienstes gehandelt haben, die allerdings wegen der von ihnen bekleideten Schlüsselpositionen im Stellv. Generalstab 7 4 ', Preußischen Kriegsministerium 7 4 4 und Reichsmarineamt 7 4 ' nicht entbehrt werden konnten. Soweit ersichtlich, waren beim O b e r k o m m a n d o in den Marken nur noch der Oberbefehlshaber selbst und seine Ia O f f i z i e r e des Aktivstandes, bei der 740

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Friedrich II. (d. Gr.), Betrachtungen über die Taktik; zit. bei Gerhard Niemann, Die Kriegslehren Friedrichs des Großen - zeitloses militärisches Erfahrungsgut, in: Kampftruppen, 1966, S. 162. W U A , 2. Abt., IV/4, S. 38 (Moses). W U A , 2. Abt., IV/3, S. 64 u. 70 (Kühl). Freytag-Loringhoven, Menschen und Dinge, S. 3 1 8 ff. Schoenaich, Damaskus, S. 1 3 3 f f . ; „Übersicht der Offiziere, Räte usw. des Kriegsministeriums" (Stellenbesetzung) v. 20.6. 1918, B A - M A , H 0 2 - 1 / 1 0 . Hinweise in „Persönliche Erfahrungen" u. „Denkschrift" Stammer (Anm. I 473 u. I 476).

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Stadtkommandantur Berlin nur noch der Chef des Stabes und beim Stellv. Generalkommando des Gardekorps, nachdem sich noch im Sommer 1 9 1 8 der vorletzte Chef des Stabes an die Front gemeldet hatte, überhaupt keine feldverwendungsfähigen O f f i z i e r e des Aktivstandes mehr vorhanden. In diesen Zusammenhang gehört die Behauptung 7 4 *, es habe ein „verhülltes Drückebergertum" von aktiven Offizieren des Besatzungsheeres, speziell bei den Berliner Stellen 747 , gegeben, die sich, obwohl vollwertig, als nicht mehr kriegsverwendungsfähig eingestuft haben sollen. D a f ü r ist nie ein Beleg gefunden w o r d e n , auch nicht zu der Zeit, als noch alle Personalakten des ehemaligen Militärkabinetts zur armeeinternen und parlamentarischen Untersuchung zur V e r f ü g u n g standen. Hingegen w a r der hochdekorierte Generalstabsoberst und Departementsdirektor, der am Mittag des 9. N o v e m b e r persönlich mit dem Karabiner Posten bezog, keine Ausnahmeerscheinung unter den waffentragenden Angehörigen des Kriegsministeriums im Offiziersrang 7 4 8 . Weiterhin ist bei der in der Literatur anzutreffenden summarischen Verurteilung der Berliner Offiziere wie auch bei mehr ins einzelne gehenden V o r w ü r f e n wegen ihres unterbliebenen bewaffneten Eintretens f ü r den monarchischen Staat vor allem auch unberücksichtigt geblieben, daß ein zahlenmäßig nicht mehr exakt bestimmbarer, aber wohl einige hundert K ö p f e umfassender Teil außerstande war, noch eine W a f f e zu führen, jedenfalls nicht mehr bei einem mobilen Einsatz. Es handelte sich dabei einmal um jene O f f i z i e r e , die infolge ihrer im Felde erlittenen schweren Verwundung oder Gesundheitsschädigung derart eingeschränkt verwendungsfähig waren, daß sie nicht einmal mehr als Adjutanten und O r d o n n a n z o f f i z i e r e in höheren Truppenstäben eingesetzt werden konnten 7 4 9 . Z u m anderen kamen die nicht mehr einsatzfähigen Offiziere aus der großen G r u p p e der reaktivierten O f f i z i e r e der Inaktivität und des Beurlaubtenstandes. Gerade unter den Altpensionären befanden sich nicht wenige, die sich bei Kriegsbeginn als Endsechziger gemeldet und seitdem Bürodienst geleistet hatten. V o n diesen z. T . über siebzigjährigen Veteranen der Einigungskriege, die, obwohl physisch und nervlich verbraucht, noch ihren Dienst versahen 7 5 0 , konnte eine aktive Beteiligung an Straßenkämpfen nicht mehr erwartet werden. Inwieweit Mantey nach direkter Verbindungsaufnahme mit dem Stellv. Chef des III. A r meekorps, bei dem er in die Offizierslisten Einblick nehmen und „geeignete Persönlichkeiten" auswählen durfte 7 5 ', und bei seinen Anträgen an das Stellv. Militärkabinett 7 ' 2 und das Kriegsministerium/Kriegsamt 7 " dennoch eine gewisse Anzahl von kriegsversehrten und älteren Offizieren a. D . zur Verstärkung der Revolutionsabwehr heranzuziehen vermochte, läßt sich nicht feststellen.

7,7 7,5

Behauptung Hobohms, vgl. W U A , 2. Abt., IV/i i, I. Schoenaich, Damaskus, S. 166. Es handelte sich um den nachmaligen p r . K M . W. Reinhardt (Komturkreuz des königl. Hausordens von Hohenzollern m. Schwertern; p.l. mérite m.E.), siehe Anm. III 220; „Mitteilung" Frentz (Anm. II 357); Schoenaich, Damaskus, S. 1 8 5 f f . ; Böhm, Tgb.-Eintr. v. 1. bis 9. 1 1 . 1918, passim. Siehe Kap. III

5CW U A , 2. Abt., IV/i 1, II, Anl. 1, insbes. Pkt. 4; Einzelbeispiele im Stellv. G e n . K d o . Gardekorps (siehe Anm. II 83 ff.) u. in der Stadtkdtr. Berlin (siehe Anm. II 27f.). 7 3 > Jachmann; div. Artikel in MWBI., 104 J g ; W U A , 2. Abt., I V / 1 1 , II, S. 47 (Volkmann). 7r So Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 10 (Anm. II 32). 7,: „Bericht" Stoeßel, fol. 209 (Anm. II 32). 7i > Mantey, „ D e r 9. N o v e m b e r " , Bl. 17 (Anm. II 32). 74