Hegel-Einführung und Texte [1 ed.] 9783838534398, 9783770547555, 9783825234393


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German Pages [169] Year 2011

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Table of contents :
Hegel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Intellektuelle Biographie
2. Sein und Liebe – Das „Ideal desJünglingsalters“
3. Der Skeptizismusaufsatz: Freiheitdurch Skepsis und Freiheit von Skepsis
4. Wahrheit und Holismus
5. Aufbau und Funktion der Phänomenologie
6. Die reine Wissenschaft:Das Denken des Denkens
7. Die Übergangsdialektik
8. Die Reflexionsdialektik
9. Die Entwicklungsdialektik im Begriff in Bezug auf Kants Kategoriendeduktion
10. Natur, Metamorphose undNaturphilosophie
11. Philosophie des Geistes am Beispielder Rechtsphilosophie
12. Der Staat als Verwirklichungder Freiheit
13. Ästhetik – Die Geschichte der Kunstals Prozess der Vergeistigung
Auswahlbibliographie
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Hegel-Einführung und Texte [1 ed.]
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Studium Philosophie

herausgegeben von Marcel van Ackeren

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Rainer Schäfer

Hegel

Einführung und Texte

Wilhelm Fink

Der Autor:

Für Theda und Wolfgang

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Hegel, 9783838534398, 2011

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Priv.-Doz. Dr. Rainer Schäfer, geb. 1971, Studium der Philosophie an der Universität zu Köln, Promotion ebenda zur Dialektik in Hegels Logik; 2000-2006 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Heidelberg, 2006 Habilitation ebenda mit einer Studie zur Wissensbegründung in der Moderne (Descartes und Fichte); seit 2007 Akademischer Angestellter in Heidelberg. Forschungsbereiche sind: Erkenntnistheorie, Subjekt- und Geistphilosophie, Ontologie, Ethik, Politische Philosophie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar. Textauszüge aus: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in 20 Bänden. Herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1971. © 2011 Wilhelm Fink GmbH, München Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1–3, 33098 Paderborn ISBN: 978-3-7705-4755-5 Internet: www.fink.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Ruhrstadt Medien, Castrop-Rauxel Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn UTB-Bestellnummer: ISBN 978-3-8252-3439-3

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung: Hegels Stellung in der Geschichte der Philosophie und im Deutschen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . .

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1.

Intellektuelle Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text: Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus

13

2.

Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“ . . . . . . Texte aus: Moralität, Liebe, Religion sowie Glauben und Sein

38

3.

Der Skeptizismusaufsatz: Freiheit durch Skepsis und Freiheit von Skepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie. Darstellung seiner verschiedenen Modifikationen und Vergleichung des neuesten mit dem alten

4.

Wahrheit und Holismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Vorrede zur Phänomenologie des Geistes

5.

Aufbau und Funktion der Phänomenologie: Von der Erkenntnistheorie zur Wissenschaftsphilosophie – Erfahrung, Wissen und Bewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Einleitung zur Phänomenologie des Geistes

55

66

74

6.

Die reine Wissenschaft: Das Denken des Denkens. . . . . . Text aus: Wissenschaft der Logik

89

7.

Die Übergangsdialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Lehre vom Sein

95

8.

Die Reflexionsdialektik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Lehre vom Wesen

105

9.

Die Entwicklungsdialektik im Begriff in Bezug auf Kants Kategoriendeduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Lehre vom Begriff

114

6

Inhaltsverzeichnis

10. Natur, Metamorphose und Naturphilosophie . . . . . . . . . Text aus: Enzyklopädie: Die Philosophie der Natur

12. Der Staat als Verwirklichung der Freiheit . . . . . . . . . . . . Text aus: Grundlinien der Philosophie des Rechts

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Hegel, 9783838534398, 2011

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11. Philosophie des Geistes am Beispiel der Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Enzyklopädie: Die Philosophie des Geistes

125

133

146

13. Ästhetik – Die Geschichte der Kunst als Prozess der Vergeistigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text aus: Vorlesungen über die Ästhetik

157

Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

Einleitung:

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Hegel, 9783838534398, 2011

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Hegels Stellung in der Geschichte der Philosophie und im Deutschen Idealismus Hegels Aktualität in der Philosophie der Gegenwart zeigt sich an der Präsenz seiner Grundgedanken in den verschiedenen Strömungen der Gegenwartsphilosophie. In der sprachanalytischen Philosophie ist er durch seine Analyse des Begriffs und seinen ontologischen und epistemischen Holismus präsent; er wirkt auf John McDowell ebenso wie auf Robert Brandom und Donald Davidson. Wie Richard Rorty herausgearbeitet hat, nahm Hegel über eine spezifische Interpretation des absoluten Idealismus von John Dewey auf den Pragmatismus Einfluss. Allerdings ist in der angloamerikanischen Philosophie auch das Vorurteil weit verbreitet, generell sei der Idealismus – und damit die gesamte klassische Deutsche Philosophie von Kant bis Hegel – eine bloß subjektivistische Position und somit weder in der Lage, Objektivität noch Realität angemessen beschreiben zu können. Gegen diese einseitige und verfehlte Deutung des Idealismus wendet sich zu Recht Frederick Beiser und stellt sogar ganz gegenteilig heraus, dass der Idealismus nicht nur Hegels, sondern bereits seit Kant, die Erklärung von Objektivität und Realität zum Ziel hat und er einen einseitigen Subjektivismus also gerade begrenzt, in gewissem Sinne sogar bekämpft.1 Hegels Gedanke, dass Subjektivität durch objektive Strukturen der Intersubjektivität bestimmt wird, ist präsent im kommunikationstheoretischen Ansatz von Habermas. Hegels Konzept der Dialektik ist in der Hermeneutik Gadamers prägend. Die negative Dialektik Adornos speist sich aus einer intensiven Anverwandlung der spekulativen Dialektik Hegels. Erst in den letzten Jahren wird die Intensität deutlicher, mit der sich Heidegger besonders in seinen Vorlesungen mit Hegel auseinandergesetzt hat. Auch die französische Philosophie erführ durch Hegel wesentliche Anregungen; der Existentialismus Sartres, „Totalität und Unendlichkeit“ von Emmanuel Lévinas sind ebenso wie die Postmoderne nicht ohne Hegels Negativitätskonzept zu begreifen. Der Neu1

Vgl. die vorzüglich systematisch argumentierende und historisch differenzierte Studie von Frederick Beiser German Idealism – The Struggle against Subjectivism – 1781-1801, Cambridge, London 2002.

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Hegel, 9783838534398, 2011

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Einleitung

kantianismus des 20. Jahrhunderts lässt sich oft mit gleicher Berechtigung als Neuhegelianismus bezeichnen, sofern dort, z.B. nicht wie bei Kant die Gleichrangigkeit von Anschauung und Begriff, sondern eine gewisse Prävalenz, ja Dominanz des Begriffes gelehrt wird. In der Politischen Philosophie ist Hegels Begriff der Anerkennung präsent. Die Reihe ließe sich fortsetzen und immer wieder stößt man auf zentrale Bestimmungen Hegels die seinen Einfluss ausmachen. – Dagegen bleiben die Phänomenologie Husserls und die Sprachanalyse Wittgensteins von Hegel unberührt. – Die wohl wirkungsmächtigsten Begriffe sind sein Konzept des Geistes, die Negativität, die Dialektik und das System. Diesen soll daher in der folgenden Darstellung der Denkentwicklung Hegels eine wichtige Stellung eingeräumt werden, denn oft sind Hegels Konzepte in die gegenwärtigen Positionen eingeflossen, ohne eigens reflektiert worden zu sein und so wirkt Hegel dort subkutan. Die direkten Nachfolger Hegels – Schopenhauer, Marx, Kierkegaard und Nietzsche – stehen gerade mit ihrer Ablehnung und Kritik ebenfalls noch im Wirkungskreis der Kraft hegelschen Philosophierens. Auch bei diesen stehen die Begriffe Negativität, System und Dialektik im Mittelpunkt der produktiven Anverwandlung. Die Wirkmächtigkeit des Philosophierens Hegels hat u.a. ihren Grund darin, dass er selbst die Geschichtlichkeit des Denkens in zentraler Weise reflektiert hat. Die Geschichte der Philosophie wird Hegel zu einem in sich schlüssigen, selbst geistigen Prozess, dessen Gestalten sinnvoll aufeinander folgen. Hegel begreift die Geschichte und besonders die Geschichte der Philosophie nicht bloß als willkürliche Aneinanderreihung verschiedener Gedanken oder Ideen, sondern er versucht aus ihr eine dialektische Prozessualität herauszulesen, in der dem Geist eine Notwendigkeit, die einzelnen Stationen zu durchlaufen, auferlegt ist, damit er sich selbst erkennen kann. So hat Hegels Philosophie ein lebendiges Verhältnis zu seiner eigenen Vor- und Nachgeschichte. Hegel hat die gesamte Philosophie des Abendlandes in sein eigenes Konzept integriert. Dies zeigt sich z.B. daran, dass in seiner spekulativen Logik, dem Herz des Systems, jede dort auftretende Gedankenbestimmung einer Position der Philosophiegeschichte entsprechen soll. So entspricht das „Sein“ der Position des Parmenides, das „Nichts“ dem Buddhismus, das „Werden“ Heraklit, Platon findet sich in den Gedankenbestimmungen „Dasein“, „Etwas“, „Anderes“ und „Anderes an ihm selbst“, bis hin zu den höchst entwickelten Denkbestimmungen der Logik wie der Ideenlehre, wo sich die Grundgedanken der neuzeitlichen Positionen von Descartes, Locke, Spinoza, Leibniz, Kant, Fichte, Jacobi und Schelling finden. Die Realgeschichte, die Religions- und Kunstgeschichte

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Hegel, 9783838534398, 2011

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Einleitung

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sowie die Abfolge von Rechts- und Staatsgebilden, aber auch die Gestalten der Natur begreift Hegel jeweils als ein Werden des Geistes. Sofern Hegel versucht, die Geschichte als eine Entäußerung und zugleich als ein Zu-sich-selbst-Kommen des Geistes zu begreifen, nimmt er eine besondere Stellung in der Geschichte ein, denn er verortet sein eigenes Denken im geschichtlichen Werden. Das System Hegels „erkennt“ seine eigene Gewordenheit und kann daher eine neuartige Metaphysik ausbilden, in der Gewordenheit und Universalität keinen selbstzerstörerischen Widerspruch bilden sollen. Hegel konzipiert einen integrierenden Idealismus, der mit der Methode der Dialektik, die verschiedenen ihm vorhergehenden Positionen, die antike Ontologie, Geistphilosophie und Skepsis, das neuzeitliche Substanz- und Subjektkonzept sowie die kritische Erkenntnis-, Moral- und Transzendentalphilosophie in einem begreifbaren Einheitszusammenhang, in ein System, zu verknüpfen in der Lage ist. Dabei fällt der Idealismus Hegels offenbar nicht einfach in eine vorkritische, vorkantische, dogmatische Metaphysik zurück, sondern auch die kritische Position Kants, ja sogar die verschiedenen Formen der Skepsis versucht Hegel in sein System zu integrieren. Mit der Terminologie der Gegenwart kann man sagen, dass Hegel versucht, gleichermaßen eine deskriptive und eine revisionäre Metaphysik aufzustellen. Sein Idealismus soll sowohl das geschichtliche Werden von Phänomenen beschreiben als auch die Phänomene auf ein hinter ihnen liegendes Prinzip zurückführen. Diese Rückführung soll jedoch nicht so geschehen, dass dogmatisch hinter jeder konkreten geschichtlichen Gestalt eine Art geheimer Demiurg stipuliert wird, vielmehr wird mit Bezug auf die beschriebenen Phänomene und geschichtlichen Gestalten selbst das ihnen Gemeinsame herauskristallisiert. Das Prinzip ist also nichts hinter dem von ihm Hervorgebrachten, es ist vielmehr im hervorgebrachten Phänomen manifest. In diesem Sinne zitiert Hegel ein Wort Schillers mehrfach, nämlich dass die „Weltgeschichte das Weltgericht“ ist. Diesen Zusammenhang hat Hegel in der Phänomenologie des Geistes von 1807 besonders klar herausgearbeitet. Das „absolute Wissen“, das sich an deren Ende als das Prinzip herausstellt, war zuvor in allen einzelnen Gestalten des Bewusstseins – sinnliche Gewissheit, Wahrnehmung, Verstand, Vernunft, Geist etc. – auch schon vorhanden und zwar als ihre Form und als Methode ihrer Verknüpfung miteinander, so dass das einheitliche Prinzip nichts anderes ist als die immer schon mitpräsente Form der einzelnen Gestalten. Auf diese Weise gelingt Hegel eine Synthese aus deskriptiver und – er hätte es sicherlich nicht als Schimpfwort empfunden – revisionärer Metaphysik. Revisionär ist diese Art der

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Hegel, 9783838534398, 2011

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Einleitung

hegelschen Metaphysik im strengen Wortsinne: in einem Durchschauen blickt sie auf das Gemeinsame der Phänomene reflexiv zurück, ohne diese zugunsten eines Dogmas zu ignorieren, und destilliert das Allgemeingültige heraus. Das allgemeingültige Prinzip wird im Phänomen selbst gewonnen, nicht in abstrakter Gegenüberstellung gegen dieses. Die Universalien werden in der Sache selbst gewonnen, nicht vor oder nach der Sache. Das verdeutlicht zugleich Hegels Dialektik und seinen Negationsbegriff, er kann nicht bei einem Phänomen, bei einer geschichtlich gewordenen Gestalt stehen bleiben, sondern muss ihre (Selbst-)Negation und ihr Fortwirken, ihr sich Übersetzen in eine andere, neue Gestalt, in der das Alte aufbewahrt ist, verfolgen. Daher ist die Dialektik Hegels im gleichen Sinne analytisch regressiv, wie sie auch synthetisch progressiv ist. Der dialektische Fortgang soll zugleich einen Rückgang in den Grund leisten. Im ersten Kapitel werden biographische und gedankliche Entwicklungsphasen Hegels dargestellt, hier verbinden sich also Biographie und Denkweg. Das zweite Kapitel zeichnet Hegels frühes Frankfurter Konzept von Religion, Sein, Liebe und Glauben nach. Hier ist der Einfluss Hölderlins besonders deutlich. Im dritten und vierten Kapitel stehen die Phänomenologie des Geistes und das Problem des Skeptizismus im Mittelpunkt des Interesses. Die Phänomenologie – lange in der Forschung als Hegels Hauptwerk gesehen – bildet den krönenden Abschluss seiner Jenaer Phase. Neben der Bestimmung von Wissen, Wahrheit, Absolutem und Erfahrung werden im vierten und fünften Kapitel auch Hegels freundschaftliche Zusammenarbeit mit Schelling sowie die Entfremdung der beiden Denker thematisiert. Die Kapitel sechs bis neun beschäftigen sich mit Hegels tatsächlichem Hauptwerk, der Wissenschaft der Logik. Sie bildet die Grundlage seines Systems. In der spekulativen Logik wird das reine Denken gedacht. Bezug nehmend auf neuere Forschungsergebnisse werden Lehre vom Sein, Lehre vom Wesen und Lehre vom Begriff vorgestellt und die verschiedenen Formen von Dialektik, die dort jeweils die Entfaltung reiner Denkbestimmungen generieren, untersucht. Hegels Begriffslehre wird in Bezug zu Kants Deduktion der Kategorien und seinen Entwurf des theoretischen Selbstbewusstseins gesetzt. Das zehnte Kapitel stellt Hegels Naturauffassung dar. Die Natur schließt sich systematisch an die Logik an. Die Grundbestimmungen der Natur – Außereinandersein, Notwendigkeit, Zufälligkeit und Metamorphose – werden dargelegt. Hier zeigt sich mit der „Metamorphose“ eine gewisse Nähe der Naturauffassung Hegels zu derjenigen Goethes. Den Abschluss bilden die Kapitel elf bis dreizehn

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mit einer Untersuchung von Beispielen aus Hegels Philosophie des Geistes. Der Geist folgt systematisch aus der Natur und stellt die Vollendung des spekulativen Idealismus Hegels dar. Die gesamte Komplexität und der gesamte Stufengang der Geistphilosophie Hegels kann hier nicht untersucht werden, aber mit der Rechts-, Staats- und der Kunstphilosophie habe ich drei paradigmatische Beispiele ausgewählt, die Grundsätzliches von Hegels Geistkonzept verdeutlichen. In den einzelnen Kapiteln wird Hegel in den Kontext seiner Zeitgenossen und der Ideengeschichte gestellt und so wird gezeigt, wie sich sein eigenes System in der produktiven Auseinandersetzung und Weiterführung seiner Gegenwart bildet.

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Hegel, 9783838534398, 2011

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Einleitung

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1. Intellektuelle Biographie

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Hegel, 9783838534398, 2011

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Text: Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus Georg Wilhelm Friedrich Hegel wird am 27. August 1770 in Stuttgart geboren; er ist der Sohn von Maria Magdalena, geb. Fromm, und des Herzöglichen Rentenkammersekretärs, späteren Expeditionsrats, Georg Ludwig Hegel.2 Bei den Hegels handelte es sich um Nachfahren von protestantischen Einwanderern, die aus Kärnten oder der Steiermark stammten, von wo sie im 16. Jahrhundert aufgrund von gegenreformatorischen Bestrebungen des Hauses Habsburg fliehen mussten. Hegel wird im Alter von drei Jahren eingeschult, zunächst auf die Deutsche Schule, ab 1775 geht er dann auf die Lateinische Schule. Zwischen 1780-88 besucht er das Gymnasium Illustre in seiner Vaterstadt, wo er stets der Jahrgangsbeste ist. Im Wintersemester 1788/89 tritt er als herzöglicher Stipendiat in das Tübinger Stift ein und studiert an der Tübinger Universität Philosophie und Theologie. Häufig besucht er den von Studenten gegründeten „Politischen Clubb“, der sich von den Ideen der Französischen Revolution eine sittliche Erneuerung Europas erhofft. Seit dem Wintersemester 1790/91 ist Hegel gemeinsam mit seinen Freunden Schelling und Hölderlin auf einem Zimmer im Tübinger Stift untergebracht; Hegel ist – wie Hölderlin – besonders von Rousseau begeistert, der Mitstudent Leutwein bezeichnet Hölderlin und Hegel gar als „Jakobiner“. Die drei Freunde haben Losungen wie: „Reich Gottes“, „Freiheit und Vernunft“, als ihren „Vereinigungspunkt“ sehen sie die „unsichtbare Kirche“. Hegels Leistungen sind auch im Stift zunächst die besten, nehmen dann aber merklich ab, einmal wird sein Betragen sogar mit dem Eintrag: mores languidi gerügt. Hegel studiert Klassiker wie Platon und Sopho2

Hegel wird zitiert nach der der Ausgabe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke. Hrsg. E. Moldenhauer und K.M. Michel, Theorie-Werkausgabe, 20 Bde., Frankfurt a.M. 1971 (zitiert als TW). In diesem Kapitel beziehe ich mich auf die folgende Literatur zu Hegels Biographie: Georg Biedermann Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Köln 1981; Karl Rosenkranz Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Berlin 1844, Nachdruck: Darmstadt 1977; Franz Wiedmann Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 18. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1996 sowie Briefe von und an Hegel, Bde. I-IV, Hrsg. J. Hoffmeister, 3. Aufl., Hamburg 1969.

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1. Intellektuelle Biographie

kles, er liest intensiv Rousseaus Émile, Contrat social und die Confessions, Schiller, Jacobi, Montesquieu, Herder und mit noch wenig Begeisterung Kant; daneben trinkt und spielt er sehr gern; einmal kommt Hegel von einem Zechgelage aus dem „Gogenwirtschäftle“ so spät in das Stift zurück, dass der Stubenälteste ihm zugerufen haben soll: „O Hegel, du saufst dir gewiß no dei bißle Verstand vollends ab!“ Am 27. September 1790 wird Hegel zum Magister der Philosophie promoviert – dieser Magistergrad entsprach dem Dr. phil. anderer Universitäten –, damit war die Vorbereitung für sein Theologiestudium abgeschlossen; am 20. September 1793 schließt er das Theologiestudium mit dem Konsistorialexamen ab. Seit Oktober 1793 ist Hegel als Hauslehrer in der Familie des Patriziers Karl Friedrich von Steiger in Bern und Tschugg angestellt. In der Bibliothek der Steigers liest er Werke von Grotius, Hobbes, Hume, Leibniz, Locke, Machiavelli, Montesquieu, Shaftesbury, Spinoza und Voltaire. Hier entsteht auch sein erstes gedrucktes Werk, es ist die Übersetzung der Lettres a Bernard Demural, sur le droit public de ce Pays, et sur les evenemens actuels (Paris 1793) des Juristen Jean-Jacques Cart, der die oligarchischen Zustände von Bern aus einer girondistischen Perspektive heraus anprangert. Hegels Übersetzung hat den Titel: Vertrauliche Briefe über das vormalige staatsrechtliche Verhältnis des Waadtlandes zur Stadt Bern. Eine völlige Aufdeckung der ehemaligen Oligarchie des Standes Bern und erscheint mit Anmerkungen des Übersetzers versehen 1798 in Frankfurt. Hier übernimmt Hegel die girondistische Position und ordnet sie in eine umfassende historische Perspektive ein. Wieder widmet er sich dem Studium der Werke Kants und kauft sich Schriften Fichtes; an Schelling schreibt er (vgl. den Brief vom 30.8.1795), er versuche, Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre durchzuarbeiten. In der Zeit zwischen 1793-96 verfasst Hegel auch Fragmente und Reflexionen über die christliche Religion und stellt religionsgeschichtliche Vergleiche zwischen Judentum und Christentum an. Noch unter dem Eindruck des Theologiestudiums unterscheidet er objektive und subjektive Religiosität. Die objektive Religion besteht aus dem in einem Volk herrschenden Geist und in den kulturellen Traditionen einer Gesellschaft, diese Form der äußeren Religion ist in subjektive Religiosität eingeschlungen. Die subjektive Religiosität ist individuelles Gefühl des Herzens und besteht in der Liebe zum Leben. Dagegen sind Verstand und Gedächtnis die zuständigen Vermögen, um religiös-kultische Traditionen in Abstraktionen zu fixieren. Als ein schön gelungenes Beispiel objektiver Religiosität nennt

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Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus

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Hegel Lessings Nathan den Weisen. Die objektive Religion ist insofern positiv, als sie institutionell fixiert werden kann, was bei der Lebendigkeit subjektiver Herzensreligiosität nicht möglich ist. In dem schon erwähnten Brief an Schelling erscheinen Hegel seine eigenen Arbeiten als „nicht der Mühe wert [darüber] zu reden“; im Vergleich zu dem fünf Jahre jüngeren Schelling, der zu dieser Zeit bereits über einen – stark durch Fichte und Spinoza – geprägten eigenen systematischen Ansatz verfügt und schon auf mehrere Veröffentlichungen zurückblicken kann, erscheint sich Hegel selbst als bedächtig, umständlich im Denken, und als „nur ein Lehrling“ (a.a.O.). Das berühmte sog. Älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus (vgl. TW 1, 234 ff.) stammt aus der Zeit zwischen dem Sommer 1796 und den ersten Monaten 1797. Obgleich es in Hegels Handschrift abgefasst ist, hat die Forschung auch Schelling oder Hölderlin als gedankliche Urheber vorgeschlagen; Hegel hätte es dann bloß niedergeschrieben. Otto Pöggeler votiert eindeutig und mit klaren Argumenten für die Urheberschaft Hegels.3 Jedenfalls finden sich in dem Fragment, das mitten im Satz beginnt, sowohl schellingsche, hölderlinsche als auch hegelsche Gedanken. Sog. Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus: „ – eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt – wovon Kant mit seinen beiden praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben, nichts erschöpft hat –, so wird diese Ethik nichts anderes als ein vollständiges System aller Ideen oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate sein. Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewussten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts. Hier werde ich auf die Felder der Physik herabsteigen; die Frage ist diese: Wie muss eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich möchte unserer langsamen, an Experimenten mühsam schreitenden Physik einmal wieder Flügel geben. So, wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen bekommen, die ich von späteren Zeitaltern erwarte. Es scheint nicht, dass die jetzige Physik einen schöpferischen Geist, wie der unsrige ist oder sein soll, befriedigen könne. 3

Vgl. Otto Pöggeler Hegel, der Verfasser des ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus, Hegel-Studien Beiheft 4, (1968), 18 ff.

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1. Intellektuelle Biographie

Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, dass es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von der Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muss freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht von selbst, dass hier alle die Ideen vom ewigen Frieden usw. nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind. Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen. Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit, – Umsturz alles Afterglaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst. – Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen. Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in höherem platonischen Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, dass der höchste Akt der Vernunft, der, in dem sie alle Ideen umfasst, ein ästhetischer Akt ist und dass Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind. Der Philosoph muss ebensoviel ästhetische Kraft besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buchstabenphilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man nicht geistreich raisonieren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen – und treuherzig genug gestehen, dass ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht. Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder was sie am Anfang war – Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben. Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Haufen müsse eine sinnliche Religion haben. Nicht nur der große Haufen, auch der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies ist’s, was wir bedürfen. Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müssen eine neue

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Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus

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Mythologie haben, diese Mythologie aber muss im Dienste der Ideen stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden. Ehe wir die Ideen ästhetisch, d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse; und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muss philosophisch werden und das Volk vernünftig, und die Philosophie muss mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden. Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister! – Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muss diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte größte Werk der Menschheit sein.“ (TW 1, 234 ff.) Das Fragment beginnt mit einer Bestimmung der Metaphysik. Ein Teil dieser Philosophie der Zukunft soll eine Ethik bilden, genauer eine Ethik, die aus der Kantischen Postulatenlehre hervorgeht. Die drei Postulate der praktischen Vernunft bestehen nach Kant in der Forderung nach Freiheit und Unsterblichkeit der Seele sowie der Existenz Gottes. In dem Fragment tragen diese Ideen allerdings deutliche Züge einer Weiterinterpretation der Philosophie Fichtes, denn aus der Idee der Freiheit des Selbst soll die Existenz der Welt folgen, die Welt als eine creatio ex nihilo der Seele, zu deren Moralität sie kompatibel sein soll. An diesen Teil des Systems – und dies klingt nach Schellings früher Naturphilosophie – soll eine aus der Idee der Freiheit sich ergebende philosophische Physik anknüpfen. „Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk.“ In einem nächsten Teil – der sehr deutlich die Züge hegelschen Denkens trägt – soll dann die Politische Philosophie dargestellt werden. Diese lehrt, dass Freiheit der einzige Gegenstand der Idee ist. Der Staat sei zu überwinden, sofern er ein bloß mechanisches Gebilde ist. In der philosophischen Geschichte der Menschheit sind die Stationen der Mechanisierung des menschlichen Lebens in äußerlich gewordenen Formen darzustellen, nämlich in den Formen von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung, die der Autor des Systemprogramms „bis auf die Haut entblößen“ möchte. Dann kommt das Programm darauf zurück, dass auch die moralischen Ideen des Anfangs innerhalb der geschichtlich bestehenden Religion veräußerlicht wurden und einer Kritik zu unterziehen sind: „Endlich

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1. Intellektuelle Biographie

kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit, – Umsturz alles Afterglaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst. – Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.“ (TW 1, 235) – Für denselben Gedanken wie den hier zuletzt geäußerten musste sich kurze Zeit später Fichte dem Vorwurf des Atheismus stellen und wurde zur Verantwortung gezogen, indem er seine Jenaer Professur mit dem Einverständnis der Sittenwächter niederlegte, was man geradezu als Bestätigung der hier im Systemprogramm angeprangerten geheuchelten Vernunft und des Afterglaubens sehen kann. – In dem Systemprogramm findet jedenfalls eine eigentümliche Vermischung aus politischem Enthusiasmus, kantischer Postulatenlehre und fichtescher Innerlichkeit statt. Den nächsten Systemteil bildet die Ästhetik. Die Philosophie hat in Kunst – genauer Dichtkunst – zu münden. Die im „platonischen Sinne“ (TW 1, 235) verstandene Idee der Schönheit synthetisiert alle anderen Ideen, der höchste Akt der Vernunft ist ein ästhetischer Akt, nämlich der der Ideenvereinigung. Die Ideen des Wahren und des Guten sind in der Idee des Schönen vereint. Die Idee der Freiheit wird hier nicht mehr eigens genannt, obgleich sie doch im ersten Teil der Ethik und im dritten Teil der politisch-kritischen Philosophie die entscheidende Rolle spielte. Sofern es der Geist ist, in dem sich die Schönheit darstellt, ist jedoch vielleicht hierin die Freiheit enthalten. „Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie.“ (TW 1, 235) – Selbstredend klingt dieser Teil sehr nach Hölderlin, der Verweis auf die Platonische Idee der Schönheit spricht sehr dafür; man denke nur an Hölderlins Abbitte an Platon in der Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion für das in der Geschichte der neueren Philosophie an ihm begangene Unrecht, die ontologische und prinzipielle Rolle der Idee der Schönheit so schmählich vernachlässigt zu haben.4 Auch die Umdeutung Platons ist für Hölderlin charakteristisch, denn es ist nicht originärer Platon, die Idee der Schönheit zur obersten Idee zu erheben. Bei Platon nimmt vielmehr die Idee des Guten die Position des voraussetzungslosen Urgrundes und des Ersten ein. – Das Systemprogramm folgert und postuliert daher aus innerer Notwendigkeit eine neuartige Mythologie. In dieser Mythologie der Zukunft sollen sich Mono- und Polytheismus auf merkwürdige Weise 4

Vgl. Hölderlin Hyperion, in: Sämtliche Werke, Stuttgart 1958, Hrsg. F. Beißner, Bd. 3, 250.

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synthetisieren – auch diesen Gedanken findet man bei Hölderlin. In Vernunft und Herz prävaliert der Monotheismus, in Kunst und Einbildungskraft der Polytheismus. Die Mythologie der Zukunft steht im Dienste der Vernunft und der Ideen, die dem Volk vermittelt werden sollen. Hier ist offenbar Vernunft in weiterem Sinn gemeint, nicht jene im engeren Sinn, die für den Monotheismus fungiert. Das hier angedachte System hat offenbar die folgenden Teile: 1. Moral, 2. spekulative Physik, 3. Politische Philosophie mit den Unterabteilungen: a) kritische Staats- und Rechtsphilosophie und b) kritische Untersuchung der Religionsgeschichte, 4. Ästhetik, Vernunftmythologie der Zukunft. Mitte Januar 1797 wechselt Hegel durch Vermittlung von Hölderlin als Hauslehrer in die Patrizier-Familie Gogel nach Frankfurt am Main. Er freut sich sehr, nach der Abgeschiedenheit in Bern, den Freund wieder zu sehen. Die Freunde stehen nun in intensivem Gedankenaustausch. In den Entwürfen aus der Frankfurter Zeit vertieft Hegel seine Analyse des Christentums. Indem er hier in Entwürfen z.B. Religion und Liebe und den Geist des Christentums und sein Schicksal untersucht, entwickelt er zugleich erste Ansätze zu einem eigenständigen Geistbegriff. – Im nächsten Kapitel ist darauf genauer einzugehen. – Ab August 1798 studiert Hegel besonders intensiv Kants Metaphysik der Sitten, also dessen Rechts- und Tugendlehre. Weil seine Liebe zu Susette Gontard bekannt wurde, verlässt Hölderlin im September 1798 Frankfurt und geht nach Homburg zu seinem Freund Isaak von Sinclair. Als 1799 der Vater stirbt, erbt Hegel ein kleines Vermögen, das es ihm gestattet, die Hauslehrerstelle aufzugeben und sich auf eine akademische Laufbahn vorzubereiten. Gemeinsam mit Hölderlin, Sinclair und Böhlendorff gründet Hegel den „Bund der Geister“. Schelling hatte schon im Oktober 1798, mit 23 Jahren, in Jena auf Empfehlung Goethes eine außerordentliche Professur erhalten. Jena bildet damals das geistige Zentrum Deutschlands, neben Goethe, Schiller, Fichte, Hölderlin, Novalis, August Wilhelm und Friedrich von Schlegel tummelt sich hier auch Tieck. Auf Vermittlung Schellings kommt Hegel 1801 auch nach Jena. Er hat einigen Respekt, sich „dem literarischen Saus von Jena anzuvertrauen“ (Brief an Schelling vom 2.11.1800). Allerdings ist zu dieser Zeit Jenas Stern schon im Sinken begriffen, z.B. ist Fichte wegen des Atheismusstreits 1799 von Jena nach Berlin weggegangen (worden), die Athenäums-Zeitschrift der Gebrüder Schlegel war bereits eingegangen, Hölderlin fristete sein Hauslehrerdasein in Südfrankreich und kehrte wahnsinnig zurück, Novalis war 1801 gestorben und auch Schelling wird nicht mehr lange bleiben.

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1. Intellektuelle Biographie

In dem schon genannten Brief vom 2.11.1800 Hegels an Schelling steht eine interessante Selbstbeschreibung: „In meiner wissenschaftlichen Bildung, die von untergeordnetern Bedürfnissen der Menschen anfing, musste ich zur Wissenschaft vorgetrieben werden, und das Ideal des Jünglingsalters musste sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln; ich frage mich jetzt, während ich noch damit beschäftigt bin, welche Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen zu finden ist.“ Die Vereinigung in wahrem Sein und in religiöser Liebe – „das Ideal des Jünglingsalters“ – hatte Hegel also schon zu diesem Zeitpunkt seiner Vorbereitungen auf eine akademische Laufbahn, soweit durchdrungen, dass er es in ein reflexiv und diskursiv darstellbares System integriert hatte. Hierin ist Hegels Tendenz präsent, einen unmittelbaren Intuitionismus durch eine argumentative und syllogistische Beweis- oder Deduktionsreihe zu ersetzen. – Lange vermutete die Hegel-Forschung, dieses System bestehe in dem fragmentarischen Entwurf mit dem Titel Logik, Metaphysik und Naturphilosophie; man hielt es für Hegels erstes System. Es hat sich jedoch herausgestellt – dank moderner Editionsmethoden in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts –, dass dieses Fragment aus späterer Zeit stammt, nämlich aus der mittleren Jenaer Zeit um 1804/05. – Zum Ende des Sommersemesters 1801 hatte Hegel in Jena eine Dissertation über die Planetenbahnen De orbitis planetarum angefertigt und öffentlich verteidigt; hier wird aus methodologischer Perspektive die Kepler-Newtonsche Vorgehensweise der Naturwissenschaften kritisiert. In einem zweiten Prüfungsschritt habilitiert sich Hegel am 27. August 1801 mit einem programmatischen Thesenblatt, das 12 Thesen zur Philosophie generell, zum Prinzip des Idealismus, zur Philosophie der Mathematik und Natur sowie der Naturrechtstheorie und der Moralphilosophie aufstellt. Er ist nun Privatdozent und muss sich seinen Unterhalt durch die zahlenden Besucher seiner Lehrveranstaltungen erwerben. Hegel hielt Lehrveranstaltungen zur spekulativen Philosophie, d.i. zu Logik und Metaphysik, zum Naturrecht, zur Philosophie der Mathematik und 1805 zur Geschichte der Philosophie. Hegels Vortrag muss um diese Zeit noch viele Ecken und Kanten gehabt haben, denn Schiller und Goethe überlegten, ihm einen Rhetorikkurs zu finanzieren, denn er muss sehr aufgeregt und mit starkem schwäbischem Dialekt gesprochen haben. Zwischen 1800 und 1802 beschäftigt sich Hegel intensiv mit der Verfassung Deutschlands und mit Rechtsphilosophie. Die Ansätze zu seiner systematischen Staatsphilosophie entstehen hier, offenbar verwandelt Hegel hier sein vitales Interesse an politischen Themen in einen

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philosophischen Ansatz. Angesichts der Verfassung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation kritisiert Hegel barsch die reale politische Situation: „Deutschland ist kein Staat mehr“ (TW 1, 461). Mit Voltaire nennt er die geltende Verfassung eine Auflösung des Staates und eine bloße Anarchie, da ihr die leitende Idee fehle. Hegel versucht, die konkrete Verfassungssituation, seinen Zeitgeist auf den Begriff zu bringen, indem er die konkrete Situation mit dem Zweck, d.h. mit der Idee des Staates kontrastiert. Zwar beweise die Unterschiedlichkeit der Landesteile des Reiches den besonderen Freiheitswillen der Deutschen – damit nimmt Hegel einen zentralen Gedanken Fichtes aus den Reden an die deutsche Nation von 1808 vorweg –, doch sie vermögen es nicht, diese regionalen Verschiedenheiten in einer Verfassung unter einer Idee zu synthetisieren. Die herrschende Verfassung spiegle veraltete Sitten wider, die den veränderten Sitten der Gegenwart nicht mehr angemessen seien. Daher studierte Hegel auch mit großem Interesse das 1794 eingeführte Allgemeine Preußische Landrecht und begrüßte z.B. in den Abschnitten über das „Gefängniswesen“ die Abschaffung der Leibesstrafen sehr. Dies ging ihm jedoch noch nicht weit genug, er fand auch den Freiheitsentzug noch sehr „Irokesen-mäßig“, eine Überlegung, Menschen möglichst lange zu quälen, da bei Freiheitsentzug die „moralische Wollust des Strafens und die Absicht der Besserung […] nicht viel verschieden [ist] von der Wollust der Rache, und von der Absicht der Veredelung [ist es] sehr abstehend, Grausamkeit zu zeigen, denn nichts abrutiert und macht so abscheulich als der Anblick derselben. Abschneidung der Kommunikation ist gerecht, denn der Verbrecher hat sich selbst isoliert. Mit kaltem Verstande die Menschen bald als arbeitende und produzierende Wesen, bald als zu bessernde Wesen zu betrachten und zu befehligen, wird die ärgste Tyrannei, weil das Beste des Ganzen als Zweck ihnen fremd ist, wenn es nicht gerecht ist.“ (TW 1, 443) Leitend für den Strafvollzug ist für Hegel also die Idee der Gerechtigkeit – ganz im Geiste Montesquieus begreift er die Grausamkeit des Strafens als Abstumpfung des Menschen, die ihn nicht veredelt. An diesem Beispiel des Strafvollzuges wird deutlich: Hegel begreift den Staat nun als ein organisches Gebilde, in dem der Mensch nicht auf die Verbesserung einzelner Aspekte ausgerichtet werden darf, sondern der Staat muss auf die Vervollkommnung des Menschen als eines Ganzen gerichtet sein; wenn also eine Politik partikuläre Verbesserungen anstrebt und nur bestimmte Aspekte des Menschen fördert – wie heute seine ökonomische Kompatibilität – dann wird der Staat seiner eigentlichen Aufgabe nicht gerecht, den Menschen zu einem Ganzen in Freiheit heranzubil-

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1. Intellektuelle Biographie

den. Ganzheit und Freiheit des Menschen gehen Hand in Hand, weil ein partikularisierter Mensch, der nur Einzelteile ausbildet, bedingt ist und nicht sein gesamtes Potential für seine Tätigkeit einsetzen kann. Hegel hat ein organologisches Politikkonzept. Anfang August 1801, kurz bevor sich Hegel in Jena habilitiert, erscheint dort seine Erstlingsschrift: Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie – in der Hegel-Forschung kurz: Differenzschrift genannt. Schellings und Fichtes Freundschaft hatte ohnehin schon durch Fichtes Animosität, Schelling nicht als eigenständigen Denker, der seine eigene Systematik verfolgt, zu akzeptieren, gelitten, und mit Hegels Differenzschrift wird der Unterschied der beiden Denker noch deutlicher hervorgehoben. Im Gegensatz zu dem subjektiven Idealismus Fichtes und Reinholds schneidet die Identitätsphilosophie Schellings in Hegels Schrift besser ab. Zwar habe Fichte mit dem Gedanken eines absoluten Ich, wie es im ersten Grundsatz seiner Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre formuliert sei – dem: „Ich bin Ich“ der Tathandlung – ein wahrhaft spekulatives Prinzip gefunden, doch habe er es nicht konsequent zu Ende gedacht. Fichte habe nämlich versäumt zu deduzieren, wie das absolute Ich in seiner Identität tatsächlich das endliche Ich in seinen widersprüchlichen Gegensätzen in sich enthält. Die beiden folgenden Argumente sind für Hegels gesamtes Denken von zentraler Bedeutung: 1. Prämisse: Ein erfülltes Prinzip, das Absolute, steht als wahrhaft Absolutes den Entgegensetzungen der Endlichkeit nicht äußerlich gegenüber, sondern 2. Prämisse: Das wahrhaft Absolute enthält diese; daher gilt die Konklusion: Das Absolute ist die Identität seiner selbst und seines ihm Entgegengesetzten. In gewissem Sinne ist dieser Syllogismus zirkulär; das ist jedoch kein fehlerhafter Zirkel sondern ein notwendiger, der sich ergibt, weil aus dem wahrhaft Absoluten nicht herauszutreten ist. Der argumentative Grund für diesen Syllogismus ist der folgende nur hypothetisch konstruierbare Syllogismus: (1. Prämisse:) Wenn das Absolute/Prinzip, die endlichen Gegensätze nicht in sich enthielte, dann (2. Prämisse:) gäbe es offenbar etwas, das das Absolute nicht wäre und das würde bedeuten, (Konklusion:) das Absolute wäre selbst limitiert, nämlich durch jene endlichen Gegensätze oder Nichtidentitäten, die sein Anderes bilden und es begrenzen würden.

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– Die folgende Konsequenz könnte aber auch gezogen werden: Weil das Absolute nicht widerspruchsfrei bzw. nicht sinnvoll als Einheit seiner selbst und der endlichen Entgegensetzungen gedacht werden kann, ist ein umfassendes, wahres Absolutes im Sinne Hegels ein Ungedanke, es gibt einzig die Endlichkeit, der es kein gegenüber Anderes gibt. Dies wäre z.B. die Konsequenz die Heidegger und Gadamer ziehen und die zu einer Position radikaler Endlichkeit führt. Samuel Beckett zieht daraus noch eine andere Konsequenz: Sofern man nicht von einem der Endlichkeit gegenüber anderen Absoluten reden kann, ist die Endlichkeit selbst absolut – was gleichermaßen konsequent und absurd ist. – Das wahrhaft Absolute muss nach Hegel nicht nur absolute Identität mit sich selbst sein, sondern auch seine Entgegensetzung, sein Anderes in sich enthalten. So schreibt Hegel in der Differenzschrift: „Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einssein ist zugleich in ihm.“ (TW 2, 96) Die wahrhaft spekulative Einheit des Widersprechenden vermag das in den Begrenzungen steckenbleibende Ich, das Fichte zum Prinzip der Philosophie gemacht hatte, nicht zu versöhnen, dagegen verläuft sich die absolute Identität Schellings nicht in die Mannigfaltigkeit, sondern hat die Kraft, ein in sich geschlossenes Ganzes, eben ein wahres System der Philosophie zu bilden, indem die Mannigfaltigkeit aus der Einheit der absoluten Identität konstruiert wird. Wenngleich Hegel das Konzept einer spekulativ-absoluten Identität, die den Widerspruch und die NichtIdentität in sich aufgehoben enthält, hier Schelling zuschreibt, so hat er selbst diesen Gedanken lebendig-prozessualer Identität in den folgenden Jahren mit seiner spekulativen Dialektik in äußerster Konsequenz weitergedacht und ihn in genuiner Weise zu seinem Eigentümlichen gemacht. 1802 gründet Hegel gemeinsam mit Schelling das Kritische Journal der Philosophie. Hierin werden – in Weiterführung des Projekts der Differenzschrift – die philosophischen Konzepte der Gegenwart kritisch besprochen. Die beiden Freunde sind sich so sehr einig, dass sie nicht kennzeichnen, von wem welcher Artikel ist. In seinem eigenhändigen Lebenslauf vom September 1804 wird Hegel dann die von ihm verfassten Aufsätze auflisten (vgl. TW 2, 583). 1803 folgt Schelling einer Berufung auf eine ordentliche Professur nach Würzburg. Damit endet auch die Zusammenarbeit am Kritischen Journal. 1805 wird Hegel in Jena zum außerordentlichen Professor ernannt und erhält die sehr geringe Besoldung von 100 Talern im Jahr. 1806 tobt die Schlacht von Jena und Hegel schreibt die letzten Kapitel seiner Phänomenologie des Geistes unter dem Kanonendonner der

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1. Intellektuelle Biographie

heranrückenden und siegreichen Truppen Napoleons, die im Oktober den preußischen Truppen eine entscheidende Niederlage beibrachten. Jena wird am 13. Oktober eingenommen und Napoleon reitet durch die Straßen Jenas; Hegel kann bei dessen Anblick nicht umhin, diese Inkorporierung der „Weltseele“, „auf einen Punkt konzentriert“, zu bewundern (vgl. Hegels Brief an Niethammer vom 13.10.1806). Hegel verlässt nun Jena, da die Plünderungen durch die Soldaten immer bedrohlicher werden. Die Phänomenologie erscheint 1807 und bildet den krönenden Abschluss der Jenaer Zeit. Seit etwa 1804 arbeitete Hegel bereits an diesem Plan, seit dem Wintersemester 1805/06 schrieb er an dem Werk. Die Phänomenologie bildet eine Einführung in die Grundlagen der Wissenschaft, d.h. in die Philosophie; nach dem ursprünglichen Plan soll sie den ersten Teil des wissenschaftlichen Systems ausmachen. Die Phänomenologie soll die Aufgabe erfüllen, auf selbst schon wissenschaftliche und methodisch gesicherte Weise in die Wissenschaft einzuleiten. Darin steckt das philosophische und methodische Grundproblem, womit der Anfang der Wissenschaft gemacht werden muss und wie man begründet philosophieren kann, wenn man sich nicht nur darauf verlassen will, ob jemand zweifelt oder staunt. Diese Einleitung besteht darin, in einer geordneten Abfolge von komplexer und reicher werdenden Gestalten des Bewusstseins die Erfahrungsgeschichte nachzuzeichnen, die das Bewusstsein mit sich selbst macht, wenn es sich zu einem Wissen entwickelt. Besonders in der Vorrede macht Hegel deutlich, dass eine Philosophie mit einem intuitionistischen Prinzip untauglich ist, zu beweisen, denn nur ein Absolutes, das durch begriffliche Argumente zu erhellen ist, kann überzeugen; überzeugen in dem Sinne, dass etwas begriffen und gewusst werden kann. Ein in unmittelbarer Anschauung fundiertes Absolutes lasse dagegen keine Erkenntnis zu, sondern aus einem solchen für das begriffliche oder – wie man heute sagen würde – propositionale Wissen unzugänglichen Absoluten, folge nur ein leerer Formalismus. Sein „Absolutes für die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität der Leere an Erkenntnis“ (TW 3, 22). Diese Provokation ist gegen Schelling gemünzt. Dieser wollte im Ausgang von der intellektuellen Anschauung mittels der Methode der Konstruktion die spezifischeren Inhalte von Natur und Geist deduzieren. In dem Briefwechsel zwischen Hegel und Schelling, kurz nachdem dieser die Stelle aus der Vorrede zur Phänomenologie zur Kenntnis nahm, versucht sich Hegel noch dadurch aus der Affäre zu ziehen, nicht Schelling selbst, sondern nur dessen phantasielose und nachbetende Adlati seien gemeint, aber das hilft auch nichts mehr, denn

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Schelling kritisiert dann mit einigem Recht, dass Hegel diesen Unterschied zwischen ihm selbst und seinen „Nachschwätzern“ an jener Stelle eben nicht macht. Die Entzweiung der einstigen Freunde ist unvermeidbar. Ab 1821 vertritt Schelling seine Gegnerschaft gegen Hegel immer offensiver auch in seinen Vorlesungen. Im September 1829 treffen sich die beiden nochmals zufällig bei einer Kur in Karlsbad, doch die philosophische Kluft zwischen ihnen ist so groß geworden, dass beide einem philosophischen Gespräch aus dem Wege gehen. 1807 geht Hegel auf Vermittlung des Freundes Niethammer nach Bamberg, wo er Redakteur bei der Bamberger Zeitung wird; nicht nur wegen der Kriegswirren war Hegel aus Jena weggegangen, sondern auch schlicht aus finanzieller Not, denn die Erbschaft vom Vater war längst aufgebraucht; Hegel fühlte sich jedoch unter dem „Zeitungsjoch“ und der „Zeitungsgaleere“ sowie der bayerischen Pressezensur nicht wohl. 1808 wird er wiederum durch Vermittlung Niethammers Professor der philosophischen Vorbereitungswissenschaften und Rektor des Ägidien-Gymnasiums in Nürnberg. Hegel entwickelt hier in der Zeit bis 1816 Philosophiekurse für Schüler der Unter-, Mittel- und Oberklassen; er versucht, die komplexen philosophischen Zusammenhänge von Logik, Geistes- und Naturphilosophie für Schüler in transparenter Form darzustellen. In seinen Rektoratsreden und Amtlichen Gutachten über den Philosophieunterricht entfaltet Hegel Ansätze zu einer Pädagogik. Seine Art des Vortrags muss in dieser Zeit im Vergleich zur Jenaer Lehrtätigkeit gewonnen haben. Er nimmt Rücksicht auf seine Zuhörer, gestattet stets Zwischenfragen, die er ausführlich und in geduldiger Zuwendung zum Schüler beantwortet, die Abiturienten lässt Hegel zu sich kommen, um sie bei der Wahl des Studienfaches zu beraten und mit hilfreichen Hinweisen auf das Universitätsleben vorzubereiten, im Unterricht gibt er nicht nur Philosophie, sondern kann stets für andere Lehrer einspringen, in Griechisch, deutscher Literatur sowie Differential- und Integralrechnung, die Schüler der Oberstufe redet er respektvoll mit „Herr“ an. Hoffnungen auf einen Ruf an die Universität nach Heidelberg, Tübingen oder Berlin zerschlugen sich immer wieder. 1811 heiratet er Marie von Tucher. Zwischen 1812 bis 1816 veröffentlicht Hegel seine Wissenschaft der Logik in drei Bänden, diese enthalten Die Lehre vom Sein (1812), Die Lehre vom Wesen (1813) und Die Lehre vom Begriff (1816). Hegels philosophische Entwicklung hat nun eine gewisse Abgeschlossenheit erreicht, denn die Grundfesten seiner Philosophie stehen nun. In der Jenaer Zeit folgen in kurzen Abständen noch teils sehr heterogene Systemkonzeptionen aufeinander, nun ändern sich eigentlich nur noch De-

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1. Intellektuelle Biographie

tails – die freilich auch nicht unwichtig sind, so z.B. wenn er in späteren Logikkonzeptionen neue Kategorien einführt, jedoch ändert sich nun nicht mehr die vollständige Funktion der Logik. Die spekulative Logik bildet das Fundament seiner Philosophie. Die Grundlage von Hegels Logik bildet der Gedanke, dass Sein und Denken identisch sind. Diese Identität bedeutet aber nicht, dass jede Vorstellung auch ein Sein hat, es ist kein esse est percipii in einem trivialen Sinne gemeint, als würde alles, was sich der Geist vorstellt, deswegen auch schon existieren, weil wir nicht aus dem Geist heraustreten könnten, um zu überprüfen, ob etwas anderes als geistig Vorgestelltes existiert. Dies wäre in Hegels Sicht ein bloß subjektiver Idealismus, er stellt jedoch einen spekulativen Idealismus auf, wenn er von einer Identität von Denken und Sein ausgeht und daher auch seine Logik (= reine Strukturen und Bestimmungen des Denkens) zugleich Ontologie (= reine Seinsbestimmungen) ist. – Hierin ist eine Analogie zu der eleatischen Ontologie bei dem Vorsokratiker Parmenides zu erblicken, nämlich zu dem Einen in sich Unterschiedenen, das die Identität von Sein und Denken gleichursprünglich umfasst. – Hegel meint, dass nur ein ganz spezifisches Denken mit dem Sein identisch ist, also nicht jedes Vorstellen verbürgt schon Sein. Dieses reine Denken ist dasjenige, was Hegel am Ende der Phänomenologie des Geistes erreicht, nämlich das absolute Wissen. Insofern beginnt die Wissenschaft der Logik genau dort, wo die Phänomenologie endet, mit der Identität von Sein und Denken/Wissen. Die spekulative Logik beginnt mit den ontologischen Bestimmungen. Diese zeichnen sich durch eine größere Unmittelbarkeit gegenüber jenen aus, die in einer selbstbezüglichen und sich selbst erkennenden Weise das Denken thematisieren. Daher besteht der erste Teil der Logik aus der Lehre vom Sein, der zweite Teil aus der Lehre vom Wesen. Der dritte Teil thematisiert die rein selbstbezüglichen Strukturen des Denkens, deswegen hat dieser Teil den Titel: Lehre vom Begriff, da sich das Denken in Begriffen und in deren Verbindung vollzieht. Einerseits untersucht Hegel hier den Begriff im engeren Sinne, aber auch das Urteil und den Schluss – also die Themen der klassischen Logik und der Prädikatenlogik, aber auch die begrifflichen Aspekte von Mechanik, Chemie und Teleologie sowie die Ideen des Lebens, Erkennens und die absolute Idee, welche die Logik vollendet. Mit der Terminologie der Gegenwart kann man Hegels Begriffslogik sowohl als konsequenten Inferentialismus, Holismus oder auch Kontextualismus bezeichnen. Nach Hegel sollen die ersten beiden Teile der Logik die vormalige universelle Ontologie ersetzen, der letzte Teil führt die neuzeitliche – genauer die von Kant eingeführte – transzendentale Subjekttheorie

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systematisch weiter. Somit versucht Hegel in der spekulativen Logik eine Synthese aus metaphysischer Ontologie und transzendentaler Subjektivität zu leisten. 1816 bekommt Hegel endlich einen Ruf an die Universität, er wird nach Heidelberg berufen, wo er zwischen Oktober 1816 bis September 1818 vier Semester lang lehrt, bevor er dem Ruf nach Berlin folgt. Gegenüber Georg Friedrich Creuzer, Philologieprofessor in Heidelberg und Freund, äußert Hegel, dass nun für ihn bedrohliche 30 Jahre des „Fürchtens und Hoffens“ zu Ende gehen. Die Lehrveranstaltungen Hegels in Heidelberg umfassen jetzt neben den schon üblichen Logik- und Metaphysikvorlesungen auch Rechtsphilosophie, Geschichte der Philosophie und Ästhetik. Die erste Auflage der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse erscheint 1817 in Heidelberg. Hier fasst Hegel sein gesamtes System in einer komprimierten Form zusammen, einer Form, die in seinem Universitätsunterricht Anwendung findet. Hegel diktiert den Studenten zunächst einzelne Paragraphen zur Mitschrift, um sie dann ausführlich zu kommentieren. Die enzyklopädische Darstellungsweise der Philosophie hat Hegel bereits in seiner Nürnberger Zeit als Gymnasiallehrer in der Praxis angewendet. Bis zu seinem Tod erscheinen – 1827 und 1830 – zwei weitere von ihm in Details umgestaltete Auflagen der Enzyklopädie. Hegels System hat in seiner vollendeten Gestalt drei Teile, die sich jeweils wiederum in drei Abteilungen untergliedern, die jeweils wieder in drei Teile unterteilt sind – wir orientieren uns an der dritten Auflage: Erster Teil: Logik A) Sein a) Qualität b) Quantität c) Maß B) Wesen a) Grund der Existenz b) Erscheinung c) Wirklichkeit C) Begriff a) Subjektiver Begriff b) Objekt c) Idee

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1. Intellektuelle Biographie

Zweiter Teil: Naturphilosophie

B) Physik a) Allgemeine Individualität/Elemente b) Besondere Individualität/Schwere/Dichte c) Totale Individualität

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A) Mechanik a) Raum und Zeit b) Materie und Bewegung c) Absolute Mechanik

C) Organik a) Geologische Natur b) Vegetabilische Natur c) Tierischer Organismus Dritter Teil: Philosophie des Geistes A) Subjektiver Geist a) Anthropologie b) Phänomenologie des Geistes c) Psychologie B) Objektiver Geist a) Recht b) Moralität c) Sittlichkeit C) Absoluter Geist a) Kunst b) Geoffenbarte Religion c) Philosophie Auch die Unterabteilungen (a-c) sind oft wieder in Dreiergruppen unterteilt, so dass das System in seiner Durchformung aus in sich dreiteilig gegliederten Triaden besteht. In solcher Konsequenz hatte vor Hegel nur Proklos ein Ternärsystem aufgestellt. Allerdings gibt es auch Zweiteilungen und die absolute Idee aus der Logik kann man auch in 4 oder wahlweise 5 Stufen unterteilen; Hegel lässt dies ausdrücklich offen. Ein starres dreigliedriges Schema aus These, Antithese und Synthese ist ihm also fremd, weil eine solche Quantifizierung äußerlich und dem Denken in seinen fließenden Filiationen unangemessen ist.

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Gegen Ende 1817 erhält Hegel eine Anfrage des ihm sehr gewogenen preußischen Kultusministers Karl Freiherr von Altenstein, es geht um einen Ruf an die Universität in Berlin, den Hegel annimmt. Ab 1818 lehrt er als Nachfolger Fichtes dort Philosophie. Der Lehrstuhl war seit Fichtes Tod 1814 vakant. Hegel hält am 22. Oktober 1818 seine Antrittsvorlesung. Er veröffentlicht in der Berliner Zeit nur noch ein Buch, nämlich seine Rechtsphilosophie und jene schon erwähnte zweite und dritte Auflage der Enzyklopädie. Hegel wird auch die Wissenschaft der Logik für eine zweite Auflage neu bearbeiten, dieses Projekt wird jedoch unvollendet bleiben. Die Berliner Station bildet den Höhepunkt der akademischen Laufbahn Hegels. Er konsolidiert in den 13 Berliner Jahren seine Lehre besonders durch Vorlesungen und Kollegien. Er gibt z.B. jedes Sommersemester sein Hauptkolleg über „Logik und Metaphysik“, er hält jeweils sechsmal seine Vorlesung über Rechtsphilosophie und über die Geschichte der Philosophie, er liest fünfmal über die Philosophie der Weltgeschichte, viermal hält er jeweils seine Ästhetikvorlesung, die Vorlesung über Philosophie der Religion sowie die Vorlesung über Naturphilosophie. Es bildet sich eine Hegel-Schule aus, zahlreiche höhere Staatsbeamte, Intellektuelle und Künstler kommen in die Vorlesungen Hegels. Der noch wenig bekannte Schopenhauer, der sich 1820 in Berlin habilitierte und nun auch Lehrveranstaltungen abhalten darf, will sich mit Hegel messen und legt seine Lehrveranstaltungen auf die Zeiten, die mit Hegels Hauptkolleg über „Logik und Metaphysik“ kollidieren, um zu sehen, wer von beiden mehr Publikum anziehe. Ernüchtert muss Schopenhauer einsehen, dass sich nur sehr wenige Studenten einfinden und stellt seine dortigen Lehrveranstaltungen ein. Antipathien gab es auch zwischen Hegel und Schleiermacher; ein Philosoph, der zur Bildung einer Schule fähig ist, hätte Schleiermachers eigene Position schmälern können. Daher verhinderte dieser in seiner Eigenschaft als Sekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften und als Rektor der Universität erfolgreich Hegels Aufnahme in die Akademie. Begleitend zu diesen Differenzen treten solche in der Sache: Hegel wendet sich nun immer wieder explizit gegen eine Begründung der Religion im Gefühl, präziser in einem Gefühl der Abhängigkeit, was genau Schleiermachers Grundgedanke ist. Berühmt ist Hegels Polemik gegen Schleiermachers Begründung der Religion im Gefühl der „schlechthinnigen Abhängigkeit“, die das Individuum angesichts der Unfassbarkeit der Ganzheit der Welt und eines transzendenten Grundes fühlen soll, worauf Hegel kontert, dann müsse ein Hund der beste Christ sein, denn das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit finde sich in ei-

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1. Intellektuelle Biographie

nem Hund in besonderem Maße. Selbst Erlösungsgefühle habe der Hund, z.B., wenn er seinen Knochen bekommt und sich vom Hungergefühl erlöst fühlt (vgl. Rosenkranz, 346 f.). Das Wesen der Religiosität besteht nach Hegel nun vielmehr in der Selbsterkenntnis der Freiheit des Geistes und in der Befreiung des Geistes von den Partikularitäten der individuellen Gefühlswelt; an diesen festhalten zu wollen, bildet vielmehr eine Knechtschaft. Schleiermacher muss sich auch über die ihm zugetragenen Polemiken Hegels in dessen Lehrveranstaltungen immer wieder empören. Die beiden werden keine Freunde. In Berlin arbeitet Hegel zunächst seine Grundlinien der Philosophie des Rechts aus. Das Werk erscheint 1821 und hat einen Doppeltitel: Naturrecht und Staatwissenschaft im Grundrisse. Zum Gebrauch für seine Vorlesungen – Grundlinien der Philosophie des Rechts. Dieser Doppeltitel macht deutlich, dass Hegel hier – wie bereits die Enzyklopädie von 1817 – einen fortlaufenden Leitfaden zu seinen rechts- und staatsphilosophischen Vorlesungen vorlegt. Da das Werk Hegels gesamte praktische Philosophie beinhaltet, also den objektiven Geist als einen sich realisierenden freien Willen, darf man es nicht „bloß“ als Leitfaden zu den Vorlesungen sehen, sondern eben als eine systematische Darstellung seiner praktischen Philosophie. Das Recht ist deswegen für diese praktische Philosophie von zentraler Bedeutung, weil es die verwirklichte Freiheit des Willens darstellt. Freiheit und Wille stehen in einem essentiellen Verhältnis, d.h., der Wille ist Freiheit wie die Freiheit Wille ist. Damit argumentiert Hegel dafür, ein äußerliches Verständnis des Verhältnisses von Wille und Freiheit zu überwinden, denn es existiert nicht ein Wille als zugrundeliegende Substanz, der die Eigenschaft frei zu sein zukommt (oder auch manchmal nicht zukommt), vielmehr ist Wille ohne Freiheit kein Wille, wie auch umgekehrt Freiheit nicht Freiheit wäre, würde sie nicht von einem Willen vollzogen, realisiert. Der Wille ist insofern frei, als er in der Lage ist, sich auf sich selbst zu beziehen und sich nicht durch Anderes seiner selbst determinieren zu lassen. Ist der Wille primär auf sich bezogen, kann er sich auf das Andere seiner selbst beziehen und es sich gemäß bestimmen. Diese Selbstbezüglichkeit des Willens, darf nicht als eine Beziehung auf die je eigenen Partikularitäten eines individuellen Menschen missverstanden werden, denn damit wäre der Wille auf etwas bezogen, das er nicht in sich selbst findet, sondern auf etwas, das ihm z.B. eine besondere körperliche Konstitution oder das zufällige soziale Umfeld diktieren. Sofern der Wille frei ist, darf nur er selbst sich etwas diktieren. Im Anschluss daran, kann die Vernünftigkeit und Freiheit dessen ana-

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lysiert werden, was der Wille realisiert hat. Nur in dieser Hinsicht gilt: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ (TW 7, 24) – Diese Ansicht macht Hegel schon in den Augen seiner Zeitgenossen zum reaktionären Apologeten des restaurativen preußischen Staates, denn wie schlecht der Staat auch sein möge, immer noch ist er vernünftig. – Wenngleich Hegels Ansicht nicht bedeutet, dass es nicht auch kontingent Wirkliches, Schlechtes oder Böses geben kann, das unvernünftig ist. Vielmehr ist gemeint, dass die essentielle Wirklichkeit vernünftig ist. – Hiergegen kann man natürlich einwenden, diese Ansicht sei eine Tautologie, die auf analytische Weise wahr ist, sofern man die essentielle Wirklichkeit als etwas versteht, das als NichtSinnliches, Nicht-Zufälliges ohnehin schon Vernünftigkeit impliziert. Dann bedeutet Hegels Satz nur, dass das essentiell Vernünftige vernünftig/wirklich ist. – Man kann nach Hegel am Recht ablesen, wie frei der jeweilige geschichtlich sich realisierende Wille ist, der sich in einer bestimmten Gestalt eines Rechtssystems manifestiert. Eine Idee von Recht und Freiheit, die sich damit begnügt, bloß möglich zu sein, und sich dann kritisch resignierend, z.B. mittels einer bloß „negativen Dialektik“, gegen die Wirklichkeit wendet, die es also nicht darauf abgesehen hat, auch wirklich zu werden, ist in Hegels Sicht eitel, keine wirklich philosophische Idee, sondern ein Hirngespinst. Allerdings muss man hinsichtlich der wirklichen Idee nochmals differenzieren, welche Gestalt die Wirklichkeit dieser Idee hat. Ein und dieselbe Idee kann sich in unendlich vielen Gestalten Wirklichkeit geben. So kann z.B. der Gedanke, dass der Staat die Funktion hat, seine Bürger zu schützen, in den verschiedenen Epochen der Weltgeschichte unterschiedliche Formen annehmen, weil der Schutz jeweils unterschiedlich begriffen wird. Oder aus heutiger Sicht kann man sagen, dass auch die Idee der Gewaltenteilung unendlich viele verschiedene Erscheinungsformen haben kann. So gab es auch in antiken Staaten Gewaltenteilung; dort hatte sie aber Effizienzgründe, wogegen in der Moderne die politische Gewaltenteilung eine Legitimation staatlicher Gewalt bildet. War im Systemprogramm von 1797 noch zu lesen, der Staat müsse zugunsten einer neuen Schönheitsmythologie der Zukunft überwunden werden, so nimmt sich das Staatskonzept des späten Hegel gleichfalls affirmativer und differenzierter aus: In seiner Rechtsphilosophie bestimmt er nun den Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee (vgl. TW 7, 398). Das bedeutet, der Staat stellt die Synthese der bürgerlichen Gesellschaft mit der Familie dar, der beiden ihm vorangehenden Stufen des objektiven Geistes. Familie und Gesellschaft haben die Sittlichkeit

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1. Intellektuelle Biographie

in noch vorläufigen Formen realisiert, erst ihre Synthese im Staat führt sie zur Vollendung. Obzwar der Staat eine Synthese aus Familie und Gesellschaft darstellt, darf man ihn dennoch nicht mit der Gesellschaft oder einer Familie verwechseln. Die Sitten, Gefühle und Gewohnheiten, die in der Familie eine Einheit verbürgen, sind im Staat nicht mehr als vereinzelte Sitten oder gefühlsmäßige Zuneigung vorhanden, sondern als eine nach Allgemeingültigkeit strebende Vernünftigkeit. Die Allgemeingültigkeit von Sitten kann durch die gefühlsmäßige Bedingtheit in Familien nur eine sehr begrenzte Gültigkeit beanspruchen, die Familie ist daher nur „empfindender Geist“. Die zunächst unsichtbare und anfänglich im Geheimen arbeitende Vernunft wird zwar in der bürgerlichen Gesellschaft schon auf mehrere teilnehmende Personen ausgedehnt, sie wird aber erst im Staat explizit. In der bürgerlichen Gesellschaft scheint jeder auf seinen individuellen Vorteil bedacht, scheinbar atomisieren sich die Subjekte in eine unverbundene Pluralität – Hegel leitet hieraus das Prinzip der Arbeitsteilung ab – und die die Menschen verbindende Einheitlichkeit ist als ein nur unwillkürlicher, latenter, wie nebenher erreichter Zweck der Vernunft verdeckt. Dieser Zweck, der dem einzelnen Bürger „zunächst und zumeist“ verborgen bleibt, solange er sein Augenmerk darauf richtet, nur vermittels der Arbeit seine Bedürfnisse zu befriedigen, besteht darin, dass, wenn der Bürger dieses Recht für sich einfordert, eigentlich impliziert ist, dass jeder das Recht hat, seine Bedürfnisse zu befriedigen und also eigentlich eine Allgemeingültigkeit des Rechts angestrebt ist. Wenn man die eigene Freiheit als moralisch berechtigten Zweck ansieht, kann man das anderen nicht abschlagen. Im Staat werden diese Strukturen sich realisierender Vernunft explizit gemacht. Diese Explizitmachung von Vernunft geschieht im Recht, das den Staat wesentlich vorbildet, und die Vernunft zeigt sich im Staat in einer neu eintretenden Form von Allgemeingültigkeit, die über die empfundene Einheitsallgemeinheit in der Familie und über die atomisiert aufgespaltene Einheit der vielen freien Bürger in der Gesellschaft zu einer substantiellen Allgemeinheit der Freiheit im Staat hinausgeht. In den 1820er Jahren unternimmt Hegel einige Reisen; Stationen sind Köln, Brüssel, Gent, Antwerpen, Amsterdam, Den Haag, Lüttich, Aachen, Prag, Wien und Paris, wo er besonders die Gemäldegalerie im Louvre bewundert. Am 16. Oktober 1827 trifft er auf der Rückreise von Paris in Weimar für einige Tage mit Goethe zusammen, der Hegel schon seit der Jenaer Zeit verbunden war. Sie trafen sich erstmals im Oktober 1801 und es war Goethe – zusammen mit Schiller – der dem jungen Dozenten bei der Anstellung und der Vergütung der Lehrveranstaltun-

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Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus

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gen entgegenkam. Die beiden Dichter hatten Hegel 1805 zur Berufung als außerordentlichen Professor empfohlen und gemeinsam überlegt, ob sie Hegel eine Art Rhetorikkurs zukommen lassen sollten, da seine Vortragsform – aufgeregt, komplizierte Satzbildung, wenig adressatenbezogen und aufgrund des schwäbischen Dialekts schwer verständlich – dem großartigen Gehalt so weinig angemessen war. Hegel besuchte Goethe auch am 23. September 1818 in Weimar, als er seinem Ruf nach Berlin folgte. Goethe und Hegel haben neben einer persönlichen Freundschaft in einigen Fragen der Naturauffassung ein sachliches Einverständnis. Das dokumentiert z.B. Hegels in der Enzyklopädie (vgl. TW 9, 240 ff.; Enz. §§ 319 ff.) geäußerte Kritik an Newtons Farbtheorie und Optik, die er zugunsten derjenigen Goethes ablehnte. Die Wahrnehmungsstrukturen des Subjekts spielen danach bei der Entstehung und dem Phänomen der Farbe eine wesentliche Rolle; man darf die Chromatik nicht nur mechanisch von der Seite der Lichtreflexion des Objekts her erklären, sondern muss besonders die organischen Bedingungen des Subjekts einbeziehen, um dem Phänomen gerecht zu werden. Hegel lobt (TW 9, 380; Enz. § 345) auch Goethes Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären sehr, denn der Gedanke der Metamorphose im Bereich der Natur gehe über ein bloß äußerliches Erklären der einzelnen Teile der Pflanze und ihrer Lebensform hinaus zu einem ganzheitlichen Ansatz, der das Leben in seiner Einheitlichkeit erfasst. Goethe schenkt Hegel ein Trinkglas mit der Widmung: „Dem Absoluten empfiehlt sich schönstens zur freundlichen Aufnahme das Urphänomen“ und er bezeugt höchsten Respekt vor diesem „wundersam scharf und fein denkende[n] Mann“. 1829 treffen sich Hegel und Goethe also zum letzten Mal, als Hegel auf der Rückreise von Karlsbad ist, wo er auch Schelling zu letzten Mal getroffen hat. Ebenfalls in die Berliner Zeit fällt die Ausarbeitung der Vorlesungen über Ästhetik, welche Hegel als „Ästhetik oder Philosophie der Kunst“ ankündigt. Bereits in die Heidelberger Zeit fielen die ersten Anstrengungen, eine Ästhetik auszuarbeiten. Hegel verortet die Kunst innerhalb seines Systems auf der ersten Stufe des absoluten Geistes, also unmittelbar nach dem objektiven Geist, der mit dem Staat als einer Gestalt der Sittlichkeit endet. Die Ästhetik lehrt das sinnliche Scheinen der Idee bzw. des Absoluten. In der Schönheit gibt sich die Idee im Medium der Sinnlichkeit ein konkretes Dasein. Kunst ist Gottesdienst. Damit konzipiert Hegel in einer Abwendung von Kant eine Gehaltsästhetik. War bei Kant in der Kritik der Urteilskraft das interesselose Wohlgefallen an der Form das Entscheidende für den in das Subjekt fallenden Kunstgenuss, so stellt Hegels Ästhetik eine objektivistische

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1. Intellektuelle Biographie

Wende in der Kunstphilosophie dar. Jenes freie Spiel von Einbildungskraft und Verstand, das nach Kant unser Erlebnis von Schönheit konstituiert, weicht bei Hegel einer objektiven Auffassung von Strukturen des sich manifestierenden Geistes in den Kunstwerken. Eine Gehaltsästhetik steht hier gegen eine formale Kunstauffassung. Wobei Kants „interesseloses Wohlgefallen“ auch bei Hegel seinen Nachklang hat, denn die Kunst ist nicht ein nützliches Instrument, vielmehr „ist die Betrachtung des Schönen liberaler Art, ein Gewährenlassen der Gegenstände als in sich freier und unendlicher, kein Besitzenwollen und Benutzen derselben als nützlich zu endlichen Bedürfnissen und Absichten, so dass auch das Objekt als Schönes weder von uns gedrängt und gezwungen erscheint, noch von den übrigen Außendingen bekämpft und überwunden. Denn dem Wesen des Schönen nach muss in dem schönen Objekt sowohl der Begriff, der Zweck und die Seele desselben wie seine äußere Bestimmtheit, Mannigfaltigkeit und Realität überhaupt als aus sich selbst und nicht durch andere bewirkt erscheinen, indem es, […], nur als immanente Einheit und Übereinstimmung des bestimmten Daseins und echten Wesens und Begriffs Wahrheit hat.“ (Äesth.; TW 13, 156) Damit liegen zwei sehr unterschiedliche Kunstauffassungen vor, die aber paradoxerweise doch gleichfalls idealistisch sind. Heute ist eine solche Gehaltsästhetik, die in der Kunst das sinnliche Scheinen des Absoluten erblickt, selbstverständlich problematisch geworden. Dieses Dasein der Idee hat in doppeltem Sinn eine geistige Qualität, denn sowohl die Idee als auch das konkrete Sinnliche an der schönen Kunst sind geistig. Das Sinnlich-Materiale der Kunst, das, an dem sich die Idee konkretisiert, ist nicht Selbstzweck, sondern Bedeutungsträger, es ist mit geistiger Bedeutung erfüllt. Daher spielt für die Ästhetik Hegels – wiederum im Unterschied zur Ästhetik Kants – das Naturschöne keine wesentliche Rolle,5 von vornherein rückt Hegel das Kunstschöne in den Mittelpunkt, weil sich darin die Geistigkeit klarer ausdrückt. Insofern beweist sich auch im Kunstschaffen die Freiheit des Geistes. – Hegel soll sogar einmal den nächtlichen Sternenhimmel als eine Art „Ausschlag“ auf dem Gesicht der Natur bezeichnet haben. – Die Vorlesungen über Ästhetik hält Hegel in Berlin viermal: Wintersemester 1820/21, jeweils im Sommersemester 1823 und 1826 sowie im Wintersemester 1828/29. Publiziert hat Hegel seine Ästhetik nicht, erst Heinrich Gustav Hotho veröffentlichte sie 1835, er kompilierte aller5

In der Ästhetik kommt das Naturschöne zwar auch vor (vgl. TW 13, 157 ff.), doch es ist unser Bewusstsein, welches den Gestalten der Natur Schönheit zuschreibt bzw. verleiht.

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Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus

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dings verschiedene studentische Mitschriften der Vorlesungen zu einem Werk. Diese Ästhetik nach Hegel weist eine Geschlossenheit auf, welche die einzelnen Vorlesungstexte wohl nicht hatten. Mittlerweile erscheinen die Vorlesungsmitschriften auch einzeln und daran werden die Eingriffe und Zusammenstellungen Hothos deutlicher. Sie zeigen auch, wie sehr Hegel von Vorlesung zu Vorlesung an seiner Ästhetik gefeilt hat. 1829/30 wird Hegel zum Rektor der Berliner Universität ernannt. Am 7. November 1831 beendet Hegel seine Vorrede zur zweiten Auflage der Lehre vom Sein, dem ersten Teil der Wissenschaft der Logik. Er plant, alle drei Teile der Wissenschaft der Logik zu überarbeiten. Die Seinslogik wächst auf fast den doppelten Umfang an. Hegel verändert hier keine Grundlagen seiner Logik mehr, er fügt hauptsächlich Differenzierungen ein. Diese erwachsen aus seiner genaueren Kenntnis, z.B. der Chemie seiner Zeit; besonders die Ausführungen zur Chemie im Kapitel über das Maß werden nun differenzierter, auch die Partien über die Mathematik aus dem Quantitätskapitel werden ergänzt, so finden sich dort neue Ausführungen zur Differential- und Integralrechnung. Bevor Hegel die Wesens- und die Begriffslogik in überarbeiteter Form erscheinen lassen kann, starb er. Es ist aber wahrscheinlich, dass er zumindest noch eine Überarbeitung der Wesenslogik begonnen hat. Hegel verstärkt in den letzten Versionen seiner Logik, das betrifft nicht nur die neue Auflage der Seinslogik, sondern auch die späteren Fassungen der Logik in der Enzyklopädie von 1827 und 1830, eine Tendenz zur Klärung der Systematik und Dialektik der drei Hauptteile der Logik. Er hebt hervor, dass die drei Grundbestimmungen der Logik – Sein, Wesen und Begriff – jeweils aufgrund ihrer spezifischen Begriffs- und Bestimmungsinhalte auch eine spezifische Form der Dialektik aufweisen. Weil den Bestimmungen und Kategorien des Seins noch eine größere Unmittelbarkeit eignet, ist ihre Form der Dialektik das Übergehen. Die Übergangsdialektik zeichnet sich durch eine gewisse Sprunghaftigkeit aus, die Denkbestimmungen schlagen ineinander um. Das zeigt sich deutlich an den ontologischen Kategorien Etwas und Anderes. So ist jedes Etwas dadurch es selbst, dass es etwas Anderes nicht ist; in sich selbst seiend, schließt es Anderes von sich aus. Dieses Ausschließen von etwas Anderem ist dem Etwas wesentlich, es wäre nämlich nicht es selbst, bezöge es sich nicht ausschließend auf Anderes. So geht das Etwas aber auch in das Andere über. Denn das eine Etwas wird genau durch seinen Ausschluss von etwas Anderem, selbst auch ein anderes Etwas, nämlich gegenüber jenem zweiten Etwas, von dem es sich abgrenzte, aus dessen Perspektive ist auch das erste Etwas etwas Anderes; also ist das Etwas selbst zu etwas Anderem geworden.

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1. Intellektuelle Biographie

Dagegen ist die Vermitteltheit ein Spezifikum der Denkbestimmungen des Wesens. Hier findet nicht mehr ein Übergang statt, ein Verschwinden in der nächst höheren Denkbestimmung, wie das Etwas im Anderen verschwand, sondern jede Bestimmung hat ihr Wesen in der ihr entgegengesetzten Bestimmung; beide Bestimmungen bestehen nur in einem beständigen Oszillieren ineinander. Die Bestimmungen reflektieren sich ineinander bzw. sie zeichnen sich durch ihre Reflexion ineinander aus. Daher kann man diese Bewegungsweise der Logik als Reflexionsdialektik bezeichnen. Verdeutlichen lässt sich das an den Wesensbestimmungen Identität und Nichtidentität. Die Identität ist nicht identisch mit der Nichtidentität. Daher ist die Identität nur im Medium der Nichtidentität denkbar. Die Identität ist aber nicht einfach in der Nichtidentität verschwunden, weil auch umgekehrt gilt, dass die Nichtidentität nicht identisch mit der Identität ist, d.h., die Nichtidentität ist mit sich selbst identisch, also ist von vornherein auch die Nichtidentität wesentlich nur dadurch zu denken, dass sie innerlich immer schon auf Identität bezogen ist. Beide schließen sich gleichermaßen aus und ein, beide scheinen ineinander. Dies ist die für das Wesen typische Reflexionsdialektik. Der Begriff entwickelt sich dagegen, er bleibt in seiner Veränderung mit sich identisch. Die Entwicklungsdialektik ist die höchste Form von Dialektik, sie vereint die beiden vorhergehenden miteinander. Sie ist gleichermaßen eine Synthese aus und eine Überwindung von Übergangs- und Reflexionsdialektik, als ein gegenseitiges Scheinen, das zugleich ein Fortschritt zu höheren Denkbestimmungen ist. So entwickeln sich z.B. die Ideen als die höchsten und letzten Denkbestimmungen der Begriffslogik auseinander. – Dies wird im Kapitel über Hegels Ideenlehre noch genauer transparent. – Hegel führt in der Enzyklopädie § 240 aus: „Die abstrakte Form des Fortgangs ist im Sein ein Anderes und ein Übergehen in ein Anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene kontinuiert und als Identität mit ihm ist.“ (TW 8, 391) Man sieht hieran, dass bei Hegel die Dialektik keinesfalls in dem berühmten Schematismus von These, Antithese und Synthese besteht. Dieser vereinfachende Versuch einer schematischen Dreiteilung der Dialektik verdeckt vielmehr, worin Dialektik eigentlich besteht. Die Differenziertheit der Bewegung von Bestimmungen wird dadurch geradezu undenkbar gemacht. Vereinfachungen und die Komplikation dialektischen Denkens schließen sich also aus, hier sind Vereinfachungen den Gedanken zerstörende Fälschungen. Diese Differen-

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zierung von drei verschiedenen Formen von Dialektik in der Logik, gab es zwar bereits in Ansätzen schon in der ersten Auflage der Lehre vom Sein von 1812, doch sie zu einer solchen Klarheit und Bestimmtheit gebracht zu haben, ist ein Frucht von Hegels später Auseinandersetzung mit der Logik. Am 14. November 1831 stirbt Hegel, zunächst heißt es, an der Cholera, das wird aber aufgrund der Symptome schon früh bezweifelt. Todesursache ist wohl eher ein chronisches Magenleiden, das er sich auf der Reise nach Paris 1827 zugezogen hat. Hegel wird auf dem Dorotheenstädter Friedhof in Berlin neben Fichte beigesetzt.

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Ältestes Systemprogramm des Deutschen Idealismus

2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

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Texte aus: Moralität, Liebe, Religion sowie Glauben und Sein Die Frankfurter Zeit Hegels ist durch den intensiven Austausch mit Hölderlin geprägt.6 Hegel entwickelt hier eine theologische Vereinigungs“philosophie“, welche Ansätze des schon untersuchten Ältesten Systemprogramms weiterführt. Es ist deutlich geworden, dass dort nur programmatisch Systemteile postuliert wurden; doch wurden weder Argumente innerhalb einzelner Systemteile ausgearbeitet noch gab es Argumentationen für den Übergang von einem Teil zum nächsten, alles blieb im Programmatischen stecken. In den Entwürfen über Religion und Liebe aus der Frankfurter Zeit ist das jedoch anders. Hier argumentiert Hegel, besonders im Bereich der praktischen Philosophie – genauer in der Postulatenlehre und der Kritik an positiven, bestehenden Religionen –, den wir ihm schon im Systemprogramm zugewiesen haben. Er arbeitet differenzierter heraus, worin die wahre Religiosität besteht. In einem Fragment, das vor dem Juli 1797 geschrieben und von den Herausgebern mit Moralität, Liebe, Religion betitelt wurde, schreibt Hegel: „Positiv wird ein Glaube genannt, in dem das Praktische theoretisch vorhanden ist – das ursprünglich Subjektive nur als ein Objektives; eine Religion, die Vorstellungen von etwas Objektivem, das nicht subjektiv werden kann, als Prinzip des Lebens und der Handlungen aufstellt. Die praktische Tätigkeit handelt frei, ohne Vereinigung eines Entgegengesetzten, ohne durch dieses bestimmt zu werden – sie 6

Instruktiv setzen sich mit dieser Thematik auseinander: Christoph Jamme „Ein ungelehrtes Buch“. Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797-1800, Bonn 1983 und Dieter Henrich Hegel und Hölderlin, in: Hegel im Kontext, (2. Aufl.) Frankfurt a.M. 2010, 9-40; immer noch lesenswert hierzu ist auch: Wilhelm Dilthey Die Jugendgeschichte Hegels, in: ders. Gesammelte Werke, Bd. 4, Stuttgart/Göttingen 1963. Vgl. auch Panajotis Kondylis Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel, Stuttgart 1979.

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bringt nicht Einheit in ein gegebenes Mannigfaltiges, sondern ist die Einheit7 selbst, die sich nur rettet gegen das mannigfaltige Entgegengesetzte, das in Rücksicht auf das praktische Vermögen immer unverbunden bleibt; die praktische Einheit wird dadurch behauptet, dass das Entgegengesetzte ganz aufgehoben wird. Alle moralischen Gebote sind Forderungen, diese Einheit zu behaupten gegen Triebe; jene sind nur verschieden, dass sie gegen verschiedene Triebe gerichtet sind – diese Einheit vorgestellt. Was ist: Begriff von Moralität? Die moralischen Begriffe haben nicht in dem Sinne Objekte, in dem die theoretischen Begriffe Objekte haben. Das Objekt jener ist immer das Ich; das Objekt dieser das Nicht-Ich. – Das Objekt des moralischen Begriffs ist eine gewisse Bestimmung des Ich, die, um ein Begriff werden zu können, dem Ich anders bestimmt entgegengesetzt wird, als ein Akzidens des Ich betrachtet, von der Bestimmung des Ich, das jetzt erkennt, ausgeschlossen wird. – Begriff ist eine reflektierte Tätigkeit. Ein moralischer Begriff, der nicht auf diese Art entstanden [ist], ein Begriff ohne die Tätigkeit ist ein positiver Begriff; doch soll er zugleich praktisch werden; er ist nur etwas Erkanntes, ein Gegebenes, etwas Objektives und erhält seine Macht, seine Kraft, seine Wirksamkeit nur durch ein Achtung oder Furcht erweckendes Objekt, vor dem wir vergehen, dem wir unterliegen müssten, wenn nicht in jenen Begriffen uns der Weg zu jenem Objekt, zur Hoffnung der Verschonung eröffnet würde, dadurch Einigkeit möglich würde. Der positive moralische Begriff ist fähig, den Charakter der Positivität zu verlieren, wenn die Tätigkeit, die er ausdrückt, selbst entwickelt wird und Kraft bekommt, – aber das, was man gewöhnlich positiv nennt, ist von der Beschaffenheit, dass es nicht eine reflektierte Tätigkeit unserer selbst ist, sondern etwas Objektives und diesen Charakter nie ablegen kann. Das Moralische kann zwar auch objektiv werden, indem es vorgestellt und begriffen wird, aber das Bewusstsein ist immer damit verbunden oder kann sogleich hergestellt werden, dass wir selbst, unsere eigne freie Kraft und Tätigkeit das Objekt des Erkennens ist. Moralisches und Objektives im gewöhnlichen Sinn sind einander gerade entgegengesetzt. Das unendliche Objekt, seine Handlungsweise sind auch fürs Erkenntnisvermögen positiv; Wunder, Offenbarungen, Erscheinungen.

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Moralität, Liebe, Religion sowie Glauben und Sein

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Die Theoretische Einheit ist leer, bedeutungslos ohne ein Mannigfaltiges, nur in Beziehung auf dieses denkbar.

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2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

In der Anschauung soll kein Ganzes gegeben sein, das Erkenntnisvermögen soll die Gesetze seines Wesens, zu einem Teil ein Ganzes sich einzubilden, aufgeben, ein Leiden kennen, und nicht die gleiche Quantität von Tätigkeit soll ihm in der Erscheinung gegeben sein, und die soll sich die Anschauung nie als ein Ganzes denken. Die Tätigkeit, die Ursache soll etwas Unbekanntes sein, das eine Glied des Wechsels kein Objekt, kein Nicht-Ich und auch kein Ich, nicht wie bei den Wirkungen von Menschen, wo ein Glied ein Ich ist. Das Wesen des praktischen Ich besteht im Hinausgehen der idealen Tätigkeit über das Wirkliche und in der Forderung, dass die objektive Tätigkeit gleich sein soll der unendlichen. Der praktische Glaube ist Glaube an jenes Ideal; positiv ist nun der Glaube, wenn jenes Hinausgehen sowohl als die Forderung der Gleichheit gegeben ist – gegeben kann diese Forderung werden nur durch ein mächtiges und beherrschendes Objektiv (Autorität), das und dessen Handlungsweise von uns aber nicht kann begriffen werden; indem wir es begriffen, würde es von uns bestimmt – seine Wirkungsarten müssen für uns Wunder sein, die für uns unmöglich sind, d.h. sie setzen eine Tätigkeit voraus, die wir nicht für die Tätigkeit eines Ich erkennen, und dadurch unterscheiden sie sich von den Handlungen, die wir als Handlungen freier Wesen erkennen, dass es Handlungen eines Ich sind. Bei dem moralischen Zweck, den wir der Vorsehung der Gottheit beilegen, reflektieren wir nicht auf ihr übriges uns unbekanntes Wesen, sondern hier urteilen wir, dass ihre Tätigkeit insofern die Tätigkeit eines Ich sei.“ (TW 1, 239) Die Positivität meint hier offenbar keine affirmative, zu bejahende Eigenschaft, sondern eine Fixierung, etwas Negatives. Theorie und Praxis unterscheidet der Frankfurter Hegel dadurch voneinander, dass die Praxis/Moralität ein Selbstverhältnis des Subjekts ausdrückt. D.h., etwas ist praktisch immer nur für jemanden, für ein Subjekt und zwar dadurch, dass es sich auf sich bezieht und von seinen Bedürfnissen weiß. Die Intention des Praktischen besteht darin, dass sich das Ich selbst bestimmen will, sich z.B. Zwecke setzt, die es erreichen will. Umgekehrt besteht das Theoretische in einer Relation auf das, was dem Subjekt entgegengesetzt ist, nämlich das Objekt. Analog zu Fichte formuliert Hegel: „Was ist: Begriff von Moralität? Die moralischen Begriffe haben nicht in dem Sinne Objekte, in dem die theoretischen Begriffe Objekte haben. Das Objekt jener ist immer das Ich; das Objekt dieser ist das Nicht-Ich.“ (TW 1, 239) – In diesem Satz bezeichnet „Objekt“ das In-

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Moralität, Liebe, Religion sowie Glauben und Sein

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tendierte, das Ziel des Subjekts; das Objekt ist also nicht einfach einem äußeren Gegenstand gleichzusetzen. Analog zu Fichte konzipiert Hegel hier, dass es in der Theorie grundsätzlich darum geht, wie das Ich ein Objekt/Nicht-Ich angemessen bestimmen kann, d.h., das Subjekt muss sich dem Objekt unterordnen und versuchen, es genau so zu erfassen, wie es ist. Umgekehrt zielt die praktische Philosophie darauf, zu erklären, wie das Subjekt/Ich das Objekt/Nicht-Ich bestimmen kann. Der praktische Teil der Philosophie ist eine Handlungstheorie im umfassenden Sinne; sie klärt nämlich, wie das Subjekt auf die Objekte, diese beherrschend und beeinflussend, übergreifen kann. – Der Glaube ist eine subjektive Einstellung, die in der Lebendigkeit des Subjekts, im Fluss des Bewusstseinsstroms, veränderlich und beweglich ist. Deshalb ist der Glaube etwas „ursprünglich Subjektives“; dieses wird jedoch vom Subjekt sich selbst gegenübergestellt. Das Subjekt versucht, diesen Glauben auf Begriffe zu bringen, um ihn zu erkennen. In diesem Prozess des Begreifens wird der vormals praktische und somit in der Selbstbezüglichkeit wurzelnde Glaube zu etwas Theoretischem. D.h., das Subjekt verobjektiviert sich den Glauben, indem es ihn unter begriffliche Kategorien oder Postulate setzt, die es in Urteilen ausdrückt. So kann z.B. die lebendige, veränderliche Seele zu einer unsterblichen Substanz werden, wobei – im Sinne Kants – die Unsterblichkeit ein Postulat und die Substantialität eine Kategorie ist. Diese Entfremdung des Glaubens von der Lebendigkeit des Subjekts zu einer subjektunabhängigen Geltungsinstanz bildet einen Schritt in die Ontologie, denn nun erscheint das Geglaubte als ein Bestehendes, ohne inneren Bezug zum Leben des Subjekts. Wenn das Subjekt von seiner eigenen Leistung und verlebendigenden praktischen Tätigkeit abstrahiert, entsteht ein theoretisches Konstrukt, ein „moralischer Begriff“. Hegel versteht den Begriff hier also als eine Abstraktionsleistung, etwas wird im wahrsten Wortsinne „abgezogen“. „Begriff ist eine reflektierte Tätigkeit. Ein moralischer Begriff, der nicht auf diese Art entstanden [ist], ein Begriff ohne die Tätigkeit ist ein positiver Begriff; doch soll er zugleich praktisch werden; er ist nur etwas Erkanntes, ein Gegebenes, etwas Objektives und erhält seine Macht, seine Kraft, seine Wirksamkeit nur durch ein Achtung oder Furcht erweckendes Objekt, vor dem wir vergehen, dem wir unterliegen müssten, wenn nicht in jenen Begriffen uns der Weg zu jenem Objekt, zur Hoffnung der Verschonung eröffnet würde, dadurch Einigkeit möglich würde.“ (TW 1, 240) Hegel zeichnet hier die in sich verschlungenen und teilweise gegenwendigen Pfade der Vernunft nach, die einen religiösen Glauben ausbildet. Hegel deckt hier die psychologischen Geschehnisse auf, die hinter religiö-

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2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

sen Phänomenen stehen. Die Vernunft trennt etwas von sich ab, das doch eigentlich aus ihr selbst stammt, und hat doch einen verborgenen Weg zu sich selbst zurück von dem ihr scheinbar so fremden Objekt, das sie selbst konstituierte. Furcht und Hoffnung werden so als religiöse Phänomene erklärbar. Indem Gott Hoffnung auf Vergebung gibt, wird der zum Gegenstand theoretisierte Begriff eines mächtigen Gottes doch wieder verlebendigt. Aber diese Verlebendigung zweiter Stufe ist auch wieder in das fixierende Gewand der Positivität und des Bestehens gekleidet: „Das unendliche Objekt, seine Handlungsweise sind auch fürs Erkenntnisvermögen positiv; Wunder, Offenbarungen, Erscheinungen.“ (TW 1, 240) Hier hat die Autorität (vgl. a.a.O., 241) ihren spezifischen Ort, denn mit der Positivität des Glaubens wird eine Macht bezeichnet, der zu folgen ist und die als durch uns unbedingt erscheint. So erschiene es vermessen, würden wir Glaube, Hoffnung, Liebe (sowie auch Offenbarungen, das Übersinnliche und Wunder) als unsere subjektiven Leistungen ausschließlich uns selbst zuschreiben wollen; sie erscheinen vielmehr als Gnadengeschenk, eine selbstlose Gabe. Gottes Wege scheinen uns daher unergründlich, weil wir eine Blindheit gegenüber den eigenen Objektivierungsleistungen haben. Dieser Prozess der Positivität des Glaubens ist eine Vereinigung von Subjekt und Objekt. Hegel entwickelt damit – im Sinne Husserls – eine Phänomenologie des religiösen Glaubens, d.h., er beschreibt, welche Tätigkeiten des Subjekts am Werke sind, um dem Glauben eine Erscheinung zu geben. Allerdings handelt es sich bei dieser ersten Variante noch nicht um die höchste Form der Vereinigung von Subjekt und Objekt, weil immer wieder ein einseitiger Anstoß, entweder seitens des Subjekts auf ein Objekt oder seitens des Objekts auf das Subjekt, den Prozess initiiert. Eine zweite Form religiösen Verhaltens besteht darin, die Objektivität ganz zu verleugnen oder zu verdrängen, d.h., alles wird versubjektiviert. Das geschieht z.B. im Animismus, alles erhält eine subjektive Seele. „Das andere Extrem von dem, von einem Objekte abzuhängen, ist das, die Objekte [zu] fürchten, die Flucht vor ihnen, die Furcht vor Vereinigung, die höchste Subjektivität.“ (TW 1, 241) Hegel dekuvriert hier die Allbeseelung als einen Versuch des Subjekts, sich zum universellen Prinzip zu erheben, denn es leugnet schlicht die Objektivität, indem es alles mit seiner praktischen Tätigkeit zu erfüllen sucht. Jeder Bach und jeder Baum kann hier zu einem Gott werden, es wimmelt vor Halbgöttern. Dadurch ist das Subjekt auch in der Lage, die gesamte Welt zu begreifen, weil alles, was ist, seiner Subjektivität gemäß ist. „Begreifen ist beherrschen. Die Objekte beleben ist, sie zu Göttern machen.“ (TW 1, 242) Dieses Zitat ist bemerkenswert, denn einerseits deckt Hegel hier einen Widersinn auf, der darin besteht, jemanden oder etwas zu einem

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Gott zu machen, denn Gott muss nicht gemacht werden, er macht sich höchstens selbst. Wenn etwas allererst zu Gott gemacht werden muss, dann wird – wie eben z.B. im Animismus und in zahlreichen Naturreligionen – eine Projektionsleistung durch das Subjekt vollzogen. Zum anderen ist das Zitat deswegen bemerkenswert, weil Hegel, wenn er Begreifen als Beherrschen bezeichnet, hier genau das Gegenteil dessen entwirft, was er später in seiner vollendeten Philosophie lehren wird, nämlich dass der Begriff die Freiheit ist. Es wird deutlich, welch weiten Weg die Denkentwicklung Hegels noch nehmen wird. Aber das bedeutet nicht, dass dieser hier geäußerte Satz unsinnig ist. Sein Sinn ist vielmehr der, dass gerade der Versuch einer vollständigen Versubjektivierung die höchste Form der Religiosität verfehlt, denn in ihm herrscht kein „freies“ Gleichgewicht von Subjekt und Objekt, da er das Objekt wie ein schwarzes Loch verschlingt. Darin steckt natürlich auch eine Kritik an Fichte und an dessen praktischer Philosophie: Fichte entwirft im praktischen Teil seiner Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, dass die praktische Tätigkeit des Ich darin besteht, sich das Nicht-Ich sukzessive anzueignen, es nach und nach sich gemäß zu bestimmen; das letzte und höchste Ziel des Ich ist nach Fichte Identität mit sich, das Ich = Ich, doch dieses kann das praktische Ich nicht unmittelbar erreichen, sondern nur über den Umweg der schrittweisen Eliminierung des Nicht-Ich.8 Nach dem Frankfurter Hegel bleibt bei einer solchen sukzessiven Beherrschung des Objekts durch das Subjekt die Freiheit auf der Strecke. Es bleibt nur Herrschaft, die Herrschaft des Begreifens und des Sichaneignens übrig, aber kein harmonisches Gleichgewicht, keine harmonische Vereinigung der Entgegengesetzten. Insofern ist die berühmte Äußerung Hegels: „Begreifen ist Beherrschen“ – die so kompatibel zu Adornos Denken des Nichtidentischen und zu dessen „negativer Dialektik“ ist – eine äußerst scharfe Kritik an Fichte. In wahrer Religiosität muss Gott etwas Rätselhaftes, der Andere bleiben. Die höchste Form der Religiosität wird erst durch eine beiderseitige, gleichgewichtige Vereinigung von Subjekt und Objekt erreicht: „Religion ist freie Verehrung der Gottheit.“ (TW 1, 241) Diese Freiheit impliziert ein höheres Verhältnis von Subjekt und Objekt, bei der ersten Variante geht die Initialzündung jeweils von einem der beiden Pole aus, d.h., einer ist herrschend, der andere folgend. Bei der zweiten Variante wird das Objekt vollständig verleugnet. Doch ein freies Verhältnis bedeutet, dass beide ohne Herrschaft und ohne Befehle mitein8

Vgl. hierzu Rainer Schäfer Johann Gottlieb Fichtes >Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre< von 1794, Darmstadt 2006, 192 ff.

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2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

ander in Einklang stehen: „Wo Subjekt und Objekt oder Freiheit und Natur so vereinigt gedacht wird, dass Natur Freiheit ist, dass Subjekt und Objekt nicht zu trennen sind, da ist Göttliches – ein solches Ideal ist das Objekt jeder Religion. Eine Gottheit ist Subjekt und Objekt zugleich, man [kann] nicht von ihr sagen, dass sie Subjekt sei im Gegensatz gegen Objekte oder dass sie Objekte habe. Die theoretischen Synthesen werden ganz objektiv, dem Subjekt ganz entgegengesetzt. Die praktische Tätigkeit vernichtet das Objekt und ist ganz subjektiv – nur in der Liebe allein ist man eins mit dem Objekt, es beherrscht nicht und wird nicht beherrscht. Diese Liebe, von der Einbildungskraft zum Wesen gemacht, ist die Gottheit; der getrennte Mensch hat dann Ehrfurcht, Achtung vor ihr, – der in sich einige [Mensch hat] Liebe; jenem gibt sein böses Gewissen, das Bewusstsein der Zerteilung, Furcht vor ihr.“ (TW 1, 242) – Die Fichte-Kritik Hegels – sicherlich ist er hierin auch durch den Gedankenaustausch mit Hölderlin inspiriert, oder vielleicht von dessen Liebe zu Susette Gontard – wird deutlich: Freiheit ist Liebe, Liebe Freiheit. Das kann die Egologie Fichtes weder im praktischen noch im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre erfassen, weil es ihm dort jeweils darum geht, wie das Subjekt das Objekt bestimmt oder umgekehrt, das Objekt das Subjekt. In diesem Sinne äußert Hegel in einem Fragment mit dem Titel Liebe und Religion: „Das Ideal können wir nicht außer uns setzen, sonst wäre es ein Objekt, – nicht in uns allein, sonst wäre es kein Ideal. Die Religion ist eins mit der Liebe. Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserem Wesen; wir sehen nur uns in ihm, und dann ist er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen.“ (TW 1, 244) Diese Vereinigung von Subjekt und Objekt als eine freie Einheit Selbständiger, Unterschiedener ist das, was eigentlich ist. Die Liebeseinheit bildet somit die Grundlage der Ontologie. Die beiden ersten Varianten nur unvollkommener Vereinigung sind bloß als Privationen vollkommener Liebesvereinigung denkbar, die im Hintergrund und vom Anfang her immer schon existieren muss, damit jene unvollkommeneren Formen zustande kommen können. Gegenüber der Liebesvereinigung sind die anderen Varianten religiöser Vereinigung von Subjekt und Objekt eigentlich Trennungen, denn in der Liebe geschieht nichts Einseitiges, dort sind beide Momente so innig vereint, dass das Subjekt selbst als Objekt erscheinen kann, das Objekt selbst als Subjekt. Denn Liebe impliziert eine Lebendigkeit beider Pole, das Objekt, die Natur muss ebenso an der Lebendigkeit partizipieren wie das Subjekt. Ein bloß unlebendiges Objekt oder Nicht-Ich ist einer solchen Liebe nicht fähig. Liebe impliziert Lebendigkeit.

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Der wahre religiöse Glaube hat aufgrund dieser sich überkreuzenden Struktur der Liebe für den in Begriffen und Differenzen denkenden Verstand eine widersprüchliche Gestalt, er erscheint als eine unbegreifliche „Antinomie“. Antinomie bedeutet, dass zwei einander ausschließende Eigenschaften in derselben Hinsicht demselben zukommen. In der Liebe ist dasselbe sowohl Subjekt als auch Objekt, beides gleichermaßen, wie auch beides gleichermaßen nicht. Der begrifflich denkende, differenzierende Verstand bleibt in dieser Antinomie stecken, kann sie nicht denken, weil er unmittelbar den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch in Anwendung bringt. Der Glaube transzendiert dagegen diese Antinomie. In der zwischen Dezember 1797 und Anfang 1798 entstandenen Aufzeichnung Glauben und Sein führt Hegel aus: Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

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„Glauben ist die Art, wie das Vereinigte, wodurch eine Antinomie vereinigt ist, in unserer Vorstellung vorhanden ist. Die Vereinigung ist die Tätigkeit; diese Tätigkeit, reflektiert das Objekt, ist das Geglaubte. Um zu vereinigen, müssen die Glieder der Antinomie als widerstreitende, ihr Verhältnis zueinander als Antinomie gefühlt oder erkannt werden; aber das Widerstreitende kann als Widerstreitendes nur dadurch erkannt werden, dass schon vereinigt worden ist; die Vereinigung ist der Maßstab, an welchem die Vergleichung geschieht, an welchem die Entgegengesetzten, als solche, als Unbefriedigte erscheinen. Wenn nun gezeigt wird, dass die entgegengesetzten Beschränkten als solche nicht bestehen könnten, dass sie sich aufheben müssten, das sie also, um möglich zu sein eine Vereinigung voraussetzen (schon um zeigen zu können, dass sie Entgegengesetzte seien, wird die Vereinigung vorausgesetzt), so wird damit bewiesen, dass sie vereinigt werden müssen, dass die Vereinigung sein soll. Aber die Vereinigung selbst, dass sie ist, ist dadurch nicht bewiesen, sondern diese Art von Vorhandensein der Vorstellung von derselben wird geglaubt; und [sie] kann nicht bewiesen werden, denn die Entgegengesetzten sind die Abhängigen, die Vereinigung in Rücksicht auf sie [ist] das Unabhängige; und beweisen heißt die Abhängigkeit [aufzeigen]; das in Rücksicht auf diese Entgegengesetzten Unabhängige kann freilich wieder in anderer Rücksicht ein Abhängiges, Entgegengesetztes sein; und dann muss wieder zur neuen Vereinigung fortgeschritten werden, die jetzt wieder das Geglaubte ist. Vereinigung und Sein sind gleichbedeutend; in jedem Satz drückt das Bindewort >ist< die Vereinigung des Subjekts und Prädikats aus – ein Sein; Sein kann nur geglaubt werden; Glauben setzt ein Sein

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voraus; es ist also widersprechend zu sagen, um glauben zu können, müsse man sich von dem Sein vorher überzeugen. Diese Unabhängigkeit, die Absolutheit des Seins ist es, woran man sich stößt; es soll wohl sein, aber dadurch, dass es ist, sei es deswegen nicht für uns; die Unabhängigkeit des Seins soll darin bestehen, dass es ist, es sei nun für uns oder nicht für uns, das Sein soll etwas schlechthin von uns Getrenntes sein können, in dem es nicht notwendig liege, dass wir mit ihm in Beziehung kommen; inwiefern kann etwas sein, von welchem es doch möglich wäre, dass wir es nicht glaubten? d.h. es ist etwas möglich, denkbar, das wir doch nicht glauben, d.h. das deswegen doch nicht notwendig ist – aus der Denkbarkeit folgt nicht das Sein; es ist zwar insofern als ein Gedachtes; aber ein Gedachtes ist ein Getrenntes, dem Denkenden entgegengesetzt; es ist kein Seiendes. Nur hierdurch kann ein Mißverstand entstehen, dass es verschiedene Arten von Vereinigungen, von Sein gibt, und dass man also insofern sagen kann: es ist etwas, aber deswegen ist nicht notwendig, dass ich es glaube, – mit einer Art des Seins kommt ihm deswegen nicht eine andere Art des Seins zu; ferner ist Glauben nicht Sein, sondern ein reflektiertes Sein; auch insofern kann man sagen, dass das, was ist, deswegen noch nicht reflektiert [sein], nicht zum Bewusstsein kommen muss. Das, was ist, muss nicht geglaubt werden, aber was geglaubt wird, muss sein. Das Gedachte nun als Getrenntes muss Vereinigtes werden, und dann erst kann es geglaubt werden; der Gedanke ist eine Vereinigung und wird geglaubt; aber das Gedachte noch nicht. Das Getrennte findet nur in einem Sein seine Vereinigung; denn ein verschiedenes Sein in einer Rücksicht setzte eine Natur, die auch nicht Natur wäre, also einen Widerspruch voraus; eine Vereinigung könnte in derselben Rücksicht auch nicht Vereinigung sein; ein positiver Glaube nun ist ein solcher, der statt der einzig möglichen Vereinigung eine andere aufstellt, an die Stelle des einzig möglichen Seins ein anderes Sein setzt; der also die Entgegengesetzten auf eine Art vereinigt, wodurch sie zwar vereinigt, aber unvollständig, d.h. nicht in der Rücksicht vereinigt sind, in der sie vereinigt sein sollen. […]“ (TW 1, 251). Hegel verbindet hier offenbar Elemente der Philosophie Kants und Fichtes sowie seines regen Gedankenaustausches mit Hölderlin. Von Kant ist sicherlich der Gedanke inspiriert, dass die Kopula >ist< ein Sein ausdrücken kann. Kant differenziert in der Kritik der reinen Vernunft zwischen einem Gebrauch von „ist“ innerhalb eines Urteils, dort

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kann es entweder Identität oder eine Eigenschaftszuschreibung sein, und einem „ist“, das eine Existenz aussagen soll, also tatsächlich ontologische Bedeutung hat.9 Wenn man sagt: „Die Rose ist rot“, bedeutet das noch lange nicht, dass die Rose auch wirklich existiert, es kann eine mögliche Rose sein, der diese Eigenschaft zukommt. Gottlob Frege (Über Sinn und Bedeutung) hat den Unterschied von Eigenschafts-, Identitäts- und Existenzbedeutung von „ist“ sehr klar gemacht. „Der Morgenstern ist der Abendstern“, hier wird Identität ausgesagt; „Gott ist“, soll Existenz aussagen; und: „Der Abendstern ist hell“, bezeichnet eine Eigenschaft. Nach Hegel gibt es aber ein besonderes Verhältnis von Sein und Glauben. Es kann ontologisch gesehen ein Sein geben, an das wir nicht glauben, aber umgekehrt muss das, was wir glauben, auch existieren. Er nimmt also einen Glauben an, der sich spezifisch dadurch auszeichnet, dass er ein Sein impliziert. Die triviale und offenbar richtige Ansicht, dass es auch einen solchen Glauben gibt, der kein Sein impliziert, sei hier geschenkt, und es ist ebenso geschenkt, dass Hegel selbstverständlich auch diese Art von Glauben kennt. Diese Art kann man mit Hume als belief bezeichnen. So kann man glauben, dass morgen die Sonne wieder aufgeht, ohne dass dies eintreten, sein müsste. Man kann Hegel hierin folgen, wenn man als den „Gegenstand“ des spezifischen Glaubens wieder die Liebe annimmt. Der Liebes-Glauben besteht in einer Verbindung, in der der Glaubende mit dem Geglaubten vereint ist und es dadurch existiert, dass der Glaubende glaubt. Damit ist offenbar nicht ein Sein des bloß Möglichen gemeint, denn Hegel wehrt sich ausdrücklich dagegen, das bloß Mögliche von vornherein auch als existent zu bestimmen, „aus der Denkbarkeit folgt nicht das Sein“. Insofern beachtet Hegel die Differenzierung von Kant und Frege. Es ist vielmehr ein spezifisches Sein gemeint, das mit unserem Glauben unmittelbar vereint ist. Mit dem Glauben ist also nicht ein beliebiges Für-wahr-Halten angesprochen, eben kein belief im Sinne Humes, an das man glauben kann oder auch nicht. Der spezifische Glaube ist vielmehr identisch mit dem Existenzgrund in uns. Hegels Argument, weshalb aus Möglichkeit/ Denkbarkeit nicht unmittelbar folgt, dass diesem auch Existenz zukommt, besteht hier darin, dass bei Möglichem, Denkbarem eine Trennung vorliegt. Nämlich die Trennung zwischen dem Denkenden und dem Gedachten. Im Glauben soll dagegen eine solche Vereinigung vorliegen, die nicht getrennt werden kann, ohne das Wesen dessen zu zerstören, was Eines ist; deswegen muss auch sein, was geglaubt wird. 9

Vgl. Kant Kritik der reinen Vernunft, B 100, 141 f., 626 f.

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2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

Auch dem Möglichen muss eine Form des Seins zukommen, natürlich nicht dieselbe wie dem Wirklichen und auch nicht dieselbe wie dem Glaubens-Sein. Insofern nimmt Hegel eine Hierarchie des Seins an, niedrigere Seinsstufen sind in höheren vereinigt und die höchste Vereinigungsform liegt im Glaubens-Sein der Liebe vor. Diese umfasst die verschiedenen niedrigeren Seinsmodalitäten (Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit). Dieses umfassende Sein meint Hegel, wenn er es als mit Vereinigung schlechthin identisch bezeichnet. Als ein Element der Philosophie Fichtes ist in Hegels Gedanken zu erblicken, dass es eine Hierarchie und Abwechslung von Vereinigung und Entgegensetzung gibt. Genau wie in Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre gibt es abwechselnd Einheit und Gegensatz. – So sind sich bei Fichte z.B. Ich und Nicht-Ich entgegengesetzt und werden in der Wechselwirkung vereinigt, d.h., ein begrenztes Ich kann auf ein begrenztes Nicht-Ich einwirken und umgekehrt. – Allerdings hebt Hegel hier den Glauben hervor. Bei Fichte bildet diese Methode des abwechselnden Setzens von Vereinigung und Gegensatz eine wissenschaftliche Methode, die ein durchgängig beweisbares System der Wissenschaftsphilosophie entstehen lassen soll. Doch nach Hegel ist die jeweilige Vereinigung eben nicht mit einem klaren Beweis zu verifizieren, sondern nur die Entgegensetzung, die Trennung kann bewiesen werden. Vereinigung enthält für ihn immer einen Aspekt des Glaubens, denn der Glaube unterscheidet sich vom Beweis: Ein Beweis weist nach, wie etwas entsteht, d.h., er zeigt Abhängigkeit auf. Die Vereinigung ist aber jeweils der Grund für die Trennung. Die Trennung ist abhängig, über sie kann daher ein Beweis geführt werden, der Grund ist das, was das Abhängige hervorbringt, er kann insofern nicht bewiesen werden. Hierin ist sicherlich ein für den frühen Hegel wesentliches Moment der Irrationalität der Vereinigungs“philosophie“ zu erblicken. Doch ist Hegel in dieser Hinsicht nicht einfach ein irrationaler Mystiker, denn die jeweils mit Glauben zu vollziehende Vereinigung Entgegengesetzter ist durch den Beweis der Trennung „beglaubigt“. Der Glaube ist gerechtfertigt, genau dann, wenn er die einzige Möglichkeit ist, die Getrennten zu erklären. Die Vereinigung kann zwar für den Verstand nur durch einen Rückschluss plausibilisiert werden und insofern sind streng genommen immer nur die Trennung und die Existenz der Getrennten beweisbar. Aber die Vereinigung ist Voraussetzung, Bedingung der Möglichkeit des Getrennten, es wäre ohne die vorgängige Vereinigung nicht da, also ist es berechtigt, an ihre Existenz zu glauben. Die durch den intensiven Gedankenaustausch mit Hölderlin in der Frankfurter Zeit entstandenen Aspekte von Hegels Vereinigungs-

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„philosophie“ sind an folgenden Gedanken Hölderlins festzumachen: Hölderlin bestimmt in dem Entwurf Urteil und Sein von 1795: „Urteil. ist im höchsten und strengsten Sinne die ursprüngliche Trennung des in der intellectualen Anschauung innigst vereinigten Objekts und Subjekts, diejenige Trennung, wodurch erst Objekt und Subjekt möglich wird, die Ur=Teilung.“10 Die Ur-teilung des Urteils drückt sich nach Hölderlin vorrangig in dem Satz „Ich bin Ich“ aus. Das Ich entsteht in der Identitätssetzung des Ich mit sich, das Subjekt-Ich identifiziert sich mit dem Objekt-Ich, das denkende Ich setzt sich dem gedachten Ich gleich. Dies impliziert nach Hölderlin aber gerade die Trennung von Subjekt-Ich und Objekt-Ich, also die Trennung in ein sich von sich unterscheidendes Ich. Identität des Ich mit sich setzt so Trennung des Ich von sich voraus. Mit dieser Trennung des Ich von sich wird die Implikation des Selbstbewusstseins im Ich deutlich, denn Selbstbewusstsein ist nach Hölderlin nichts anderes als die vollzogene Trennung von sich selbst, die dazu führt, dass sich das Selbst als mit sich selbig erkennen kann. Das „Ich bin Ich“ ist also nach Hölderlin ein Urteilsvollzug, der Trennung und Identifizierung im Selbstbewusstsein enthält. Diese Trennbaren setzen aber diejenige höhere Einheit schon voraus, aus der sie hervorgehen. Hölderlin bezeichnet diese Einheit, den „Grund des Ich“ und des Selbstbewusstseins, als Sein. Insofern hat Hölderlin hier schon einen ähnlichen Weg wie Hegel beschritten. Das vereinigte Sein ist die Voraussetzung für alles Trennbare. Das idealistische Ich hat für Hölderlin und Hegel (zu dieser Zeit) einen ontologischen Grund. Hölderlin kritisiert von hier aus Fichte. Nach letzterem ist die Identität des absoluten Ich, das „Ich bin Ich“, reine Einigkeit mit sich und gerade keine Trennung. Diese reine Einigkeit mit sich, die Tathandlung, bestimmt Fichte als intellektuelle Anschauung.11 Nach Hölderlin setzt 10

11

Vgl. Hölderlin Urteil und Sein, in: ders. Sämtliche Werke, Bd. 4, Hrsg. F. Beißner, Stuttgart 1962, 226. Zum Thema bes.: Dieter Henrich Der Grund im Bewusstsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794-1795), Stuttgart 1992. Vgl. z.B.: Fichtes Rezension Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Hrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. 1794, GA, Abt. I, Bd. 2, 48, vgl. auch Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre von 1797/98, GA, Abt. I, Bd. 4, 216 ff., 224 ff., 265 f. Hierzu besonders differenziert: Jürgen Stolzenberg Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986.

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2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

dagegen Identität des Ich mit sich Trennung voraus. Denn das reine Ich impliziert trennend beziehendes Selbstbewusstsein. – Das ist nach Fichte nicht der Fall, daher hat das absolute Ich kein Selbstbewusstsein von sich, wenngleich es reine präreflexive Selbstgleichheit und Selbstbezüglichkeit ist. – Die Einigkeit des Seins, der intellektuellen Anschauung, zeichnet sich aber nach Hölderlin gerade dadurch aus, dass hier nicht getrennt werden kann, ohne das Wesen des Zu-Trennenden zu zerstören. – Ein Gedanke, der transformiert in Hegels Liebes-Glauben wiederkehrt, denn dort darf zwischen Glaubendem und Geglaubtem keine Trennung stattfinden. Hegel sieht diese untrennbare Einigkeit im Phänomen des Lebens gewahrt, denn dort, wo das Glaubende vom Geglaubten abgetrennt ist, handelt es sich nicht mehr um lebendigen Glauben, dort setzt das Positiv-Werden der Religion ein, die das Geglaubte zum Gegenstand verdinglicht. – Das „Ich bin Ich“ ist nach Hölderlin eine Trennung dessen, was in der intellektuellen Anschauung vereint ist. Daher ist das „Ich bin Ich“ eine Verletzung der ursprünglichen Einheit, nicht das ursprüngliche Sein, sondern abkünftig. Mit dieser Kritik an der Grundsatzphilosophie Fichtes hat Hölderlin übrigens wohl auch die damalige Konzeption Schellings im Auge, die ihm aus den Gesprächen im Sommer und im Dezember 1795 bekannt war.12 Nähere Ausführungen zur intellektuellen Anschauung macht Hölderlin im Entwurf Über den Unterschied der Dichtarten.13 Für den Frankfurter Hegel bilden Vereinigung, Liebe, Unendlichkeit, Leben, Glauben und Sein einen inneren Zusammenhang. Die Unendlichkeit ist nicht etwas, das der Endlichkeit äußerlich gegenübersteht. 12

13

Vgl. hierzu Christoph Jamme „Ein ungelehrtes Buch.“ Die Philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797-1800, Bonn 1983, 115. Dass Schellings damalige Position sehr stark an Fichte orientiert war, bezeugt z.B. Schellings Brief an Hegel vom 4. Februar 1795, in: Briefe von und an Hegel, Hrsg. J. Hoffmeister, Bd. 1, 1785-1812, Hamburg 1961, 22. Hölderlins Briefe an Niethammer vom 22. Dezember 1795 und vom 24. Februar 1796 belegen, dass es zwischen ihm und Schelling bei diesen Treffen Meinungsverschiedenheiten gab; Sämtliche Werke, Bd. 6, Hrsg. F. Beißner, Stuttgart 1969, Nr. 111, S. 207 und Nr. 117, S. 220. Zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen Hölderlin und Schelling vgl. auch den Brief an die Mutter vom 1. September 1798 (a.a.O., Nr. 164, S. 301). In: Hölderlin Sämtliche Werke, Bd. 4, 279 f. Vgl. zu Hölderlins Fichte-Kritik in Urteil und Sein auch Dieter Henrich Der Grund im Bewusstsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794-1795), Stuttgart 1992, 40-48, zu Hölderlins Schelling-Kritik a.a.O., 126-135.

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Die wahre Unendlichkeit zeichnet sich durch Lebendigkeit aus. Diese Lebendigkeit ist die Tätigkeit der Vereinigung und der Entgegensetzung verschiedener Teile. Dieses Verhältnis von Ganzem und Teilen spiegelt sich z.B. an organischen Lebewesen; jeder Teil hat seine spezifische Funktion in Bezug auf das Ganze und das Ganze ist nicht nur einerseits Summe der Teile, es geht andererseits auch über die einzelnen Teile hinaus und kann höhere Systemeigenschaften entfalten, die sich isoliert gesehen in keinem einzigen Teil finden, die Emergenz von Systemeigenschaften. Somit stehen sich in der wahren Unendlichkeit nach Hegel Vereinigung und Trennung nicht äußerlich gegenüber, sondern sie bilden einen inneren Zusammenhang, denn sie sind verschiedene Phasen desselben Prozesses. Das wahre Sein, die Unendlichkeit ist eine spezifische Form der Ganzheit, nämlich ein sich in sich unterscheidendes und doch mit sich vereinigtes Ganzes. Hegels holistischer Vitalismus kommt zum Ausdruck, wenn er in seinem Systemfragment von 1800 schreibt: „Das ungeteilte Leben vorausgesetzt, fixiert, so können wir die Lebendigen als Äußerungen des Lebens, als Darstellungen desselben betrachten, deren Mannigfaltigkeit, die eben, weil Äußerungen gesetzt werden, zugleich gesetzt, und zwar als unendlich gesetzt wird, die Reflexion dann als ruhende, bestehende, als feste Punkte, als Individuen fixiert“. (TW 1, 420) Die Thematik des unendlichen Lebens als Einheit von Einheit und Vielheit oder als Identität von Identität und Nichtidentität, spielte in den Gesprächen des Frankfurter und Homburger Freundeskreises um Hegel, Hölderlin, Jacob Zwilling und Isaak von Sinclair zwischen 1797 und 1800 offenbar eine wichtige Rolle. So formuliert bereits Jacob Zwilling, dass die „Beziehung auf ihrer höchsten Stufe Beziehung mit der Nichtbeziehung ist und daher die allgemeinste Beziehung oder Kategorie der Beziehung überhaupt, genau betrachtet, die Unendlichkeit selbsten ist“.14 Zwilling ist hier wohl durch Hölderlins Fragment über Urteil und Sein inspiriert. Hölderlin führt den Gedanken in seinem Entwurf Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes (um Anfang bis Mitte 1800) ähnlich weiter. Danach ist die „unendliche Einheit“ durch ihre „dreifache Natur“ ausgezeichnet: Sie ist a) Entgegensetzung, die auf Einheit bezogen ist, b) Einheit, die auf Entgegensetzung bezogen ist, und c) einige Einheit von Einheit und Entgegensetzung, ihre Identität.

14

Jacob Zwillings Nachlass. Hrsg. D. Henrich und Chr. Jamme. Hegel-Studien. Beiheft 28, 1986, 65. Vgl. hierzu auch Hannelore Hegel Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel, Heidelberg 1969.

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2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

Nach Hölderlin ist diese unendliche Einheit nur fühlbar, sie ist nicht begrifflich.15 Das unendliche Leben setzt in sich selbst einerseits den Prozess der Ganzheit und andererseits der Teilung in Mannigfaltiges. Es klingt fast wie ein Zwilling-Zitat, wenn Hegel schreibt: „[…], das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ (TW 1, 422). Diese geteilte Mannigfaltigkeit, die Nichtverbindung hat als Spiegel der Lebendigkeit des Ganzen auch ein Übergehen und ein sich Verändern in sich. Hier hat die Reflexion ihren Ort und eine gewisse Berechtigung, denn sie versucht, in Begriffen das jeweils Einzelne und dessen Entgegensetzungen zu fixieren und dadurch zu begreifen: „[…] jeder Ausdruck ist Produkt der Reflexion, und sonach kann von jedem als einem Gesetzten aufgezeigt werden, dass damit, dass etwas gesetzt wird, zugleich ein Anderes nicht gesetzt, ausgeschlossen ist; diesem Fortgetriebenwerden ohne Ruhepunkt muss aber ein für allemal dadurch gesteuert werden, dass nicht vergessen wird, dasjenige zum Beispiel, was Verbindung der Synthesis und Antithesis genannt wurde, sei nicht ein Gesetztes, Verständiges, Reflektiertes, sondern sein für die Reflexion einziger Charakter sei, dass es ein Sein außer der Reflexion ist.“ (TW 1, 422) Dies ist einerseits eine Aufwertung und andererseits eine Abwertung der Reflexion. Denn hier haben wir wieder jene hegelsche Weiterführung der Methode Fichtes in der Wissenschaftslehre vor uns. Fichtes Methode besteht darin, Antithesen und Synthesen einander folgen zu lassen. Das jeweils als Getrenntes Gesetzte wird wiederum unter einem höheren Gesichtspunkt vereint. Doch Hegel kritisiert, dass ein drittes Element nicht präzisiert wurde, das zu dieser antithetisch-synthetischen Methode hinzukommen muss. Nämlich dasjenige, was Antithese und Synthese wiederum miteinander verbindet. Dieses Verbindende kann weder antithetisch noch synthetisch sein, denn dann würde man zirkulär argumentieren. Daher hat das Vereinigende einen Charakter, der der Reflexion als ontologische Ebene erscheinen muss, die außerhalb ihrer selbst als Sein vorliegt. Doch was genau ist dieses Verbindende? Das Verbindende ist Geist. Aber dieser Geist ist keine kritisch-transzendentale Denkinstanz à la Kant, sondern ein ontologisch daseiender Geist, der der kritischen Vernunft als transzendent erscheint. Das werdende Leben als Ganzes erscheint dem reflektierenden Verstand und der kritischen Vernunft als Widerspruch bzw. als Antinomie. Daher setzt der Verstand nicht nur die 15

Vgl. Hölderlin Sämtliche Werke, Bd. 4, Hrsg. F. Beißner, Stuttgart 1962, 262 f.

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Moralität, Liebe, Religion sowie Glauben und Sein

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Teile, das Mannigfaltige einander entgegen und unterscheidet sie voneinander, sondern er setzt auch das Ganze, das Leben, die Unendlichkeit den Teilen gegenüber. Damit entsteht ein zweites Unendliches, nämlich dasjenige Unendliche, das den Endlichen entgegengesetzt ist. Entgegensetzung ist immer ein Produkt des reflexiven Verstandes und damit ist auch die Entgegensetzung von Unendlichkeit und Endlichkeit reflexiven und fixierenden Ursprungs. Daher kann keine Reflexionswissenschaft jenen wahren Übergang von den mannigfaltigen Teilen zur Lebendigkeit des Ganzen/Unendlichen leisten, das kann nur die Religion: „Diese Erhebung des Menschen, nicht vom Endlichen zum Unendlichen – denn dieses sind nur Produkte der bloßen Reflexion, und als solcher ist ihre Trennung absolut –, sondern vom endlichen Leben zum unendlichen Leben ist Religion. Das unendliche Leben kann man einen Geist nennen, im Gegensatz der abstrakten Vielheit, denn Geist ist die lebendige Einigkeit des Mannigfaltigen im Gegensatz gegen dasselbe als eine Gestalt, [die] die im Begriff des Lebens liegende Mannigfaltigkeit ausmacht, nicht im Gegensatz gegen dasselbe als von ihm getrennte, tote, bloße Vielheit; denn alsdann wäre er die bloße Einheit, die Gesetz heißt und ein bloß Gedachtes, Unlebendiges ist. Der Geist ist belebendes Gesetz in Vereinigung mit dem Mannigfaltigen, das alsdann ein belebtes ist.“ (TW 1, 421) Hier kommt nun ein Hegels gesamtes späteres Denken wesentlich prägender Begriff ins Spiel, der Begriff „Geist“. Der Geist ist hier offenbar noch nicht im Sinne des späteren absoluten Begriffs gemeint, der sich als Prinzip objektiv in Institutionen wie z.B. Recht und Staat manifestiert. Hegel übt mit diesem Geistkonzept eine verdeckte Kritik an Kant. Denn bei Kant ist der Verstand, sofern er die Mannigfaltigkeit der Sinnlichkeit auf einen Begriff und auf Gesetze bringt, das höchste Prinzip von dessen Philosophie. Hegel will offenbar darüber hinausgehen, denn der Geist ist nicht nur fähig, abstrakte Gesetze aufzustellen, er stellt vielmehr ein „belebendes Gesetz“ auf. Der Geist ist nicht nur in der Lage, auf das was ist zu reflektieren und sich dann allgemeine Regeln daraus zu abstrahieren. Der Geist selbst ist vielmehr das, was ist; nämlich die innere Struktur des Lebens. Damit kehrt sich Hegel von der kritischen Philosophie Kants ab, die zwischen dem, was ist, und dem, was der Verstand denkt, trennt. Das mag es auch nach Hegel geben, aber das kann nicht das wahre Sein ausdrücken. Der Hiatus zwischen Sein und Gesetz, der die Philosophie Kants als kritische Philosophie kennzeichnet, weil dort das Gesetz einseitig zu einer Leistung des abstrahierenden Verstandes und einer endlichen Vernunft gemacht wird, dieser Hiatus ist im „belebenden Gesetz“, das der Geist darstellt, zu

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2. Sein und Liebe – Das „Ideal des Jünglingsalters“

überwinden. Das, was ist, und das, was Gesetz des Geistes ist, sind im Phänomen der ursprünglichen Lebendigkeit identisch. In dieser frühen Phase bezeichnet Geist bei Hegel eine ganzheitliche Lebendigkeit, die religiös zu glauben, doch philosophisch nicht zu erfassen ist, eine Mannigfaltigkeit und Einheit versöhnende Vereinigungstätigkeit. Der Geist ist ein onto-kosmo-theologisches Einheitsprinzip, und es klingt fast nach einer Kombination aus Platons Timaios, wo der Kosmos als einheitliches und ganzes Lebewesen begriffen wird, und dem anthropischen Prinzip, wenn Hegel schreibt: „Wenn der Mensch diese belebte Mannigfaltigkeit als eine Menge von vielen zugleich setzt und doch in Verbindung mit dem Belebenden, so werden diese Einzelleben Organe, das unendliche Ganze ein unendliches All des Lebens; wenn er das unendliche Leben als Geist des Ganzen zugleich außer sich, weil er selbst ein Beschränktes ist, setzt, sich selbst zugleich außer sich, dem Beschränkten, setzt und sich zu Lebendigen emporhebt, aufs innigste sich mit ihm vereinigt, so betet er Gott an.“ (TW 1, 421 f.)

Text aus: Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie. Darstellung seiner verschiedenen Modifikationen und Vergleichung des neuesten mit dem alten

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3. Der Skeptizismusaufsatz: Freiheit durch Skepsis und Freiheit von Skepsis

Zwischen 1801 und 1803 entstehen Hegels sog. Jenaer kritische Schriften gegen andere zeitgenössische Denker, wie Kant, Fichte, Reinhold, Jacobi, Gottlob Ernst Schulze und Friedrich Bouterwek; die Differenzschrift und Glauben und Wissen gehören in diesen Kontext. Gemeinsam mit Schelling gibt er das Kritische Journal der Philosophie heraus. In diesem findet sich Hegels Aufsatz Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie. Darstellung seiner verschiedenen Modifikationen und Vergleichung des neuesten mit dem alten von 1802. Auch dieser Skeptizismusaufsatz bildet eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie, nämlich mit Gottlob Ernst Schulzes Kritik der theoretischen Philosophie. Dieser Aufsatz ist von grundlegender Bedeutung auch für Hegels späteres Denken, weil er hier den Skeptizismus systematisch durchdringt und ihn als einen immanenten Teil der Philosophie begreift.16 – Schon Descartes hatte in der ersten Meditation mit seinem methodischen Zweifel die systematische Funktion der Skepsis erkannt und dass die Philosophie ihn nicht äußerlich ablehnen darf, sondern sich ihn als strenge Prüfung von Argumentationsstrategien zunutze machen muss. Ein solcher nicht äußerlicher Umgang mit der Skepsis ist ein 16

Sehr gute Arbeiten zu Hegels Auseinandersetzung mit der Skepsis sind: Hartmut Buchner Skeptizismus und Dialektik, in: Hegel und die antike Dialektik. Festschrift für H.-G. Gadamer, (Hrsg.) M. Riedel, Frankfurt a.M. 1990, 227243; Franco Chiereghin Platonische Skepsis und spekulatives Denken bei Hegel, in: Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, (Hrsg.) H.F. Fulda und R.-P. Horstmann, Stuttgart 1996, 29-49; Ella Csikós Hegels Verhältnis zum Skeptizismus, in: Jahrbuch für Hegelforschung 1, 1995, 121-139; M.N. Forster Hegel and Skepticism. Harvard/Cambridge/London 1989; und Martin Gessmann Skepsis und Dialektik. Hegel und der Platonische Parmenides, in: Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, (Hrsg.) H.F. Fulda und R.-P. Horstmann, Stuttgart 1996, 50-63.

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3. Der Skeptizismusaufsatz

Kriterium für den Intensitätsgrad, mit dem sich die Philosophie mit ihrer Kritik auseinandersetzt. – Hegel deutet, dass der radikale und besonders konsequente Skeptizismus eine Seite des Absoluten selbst ausmacht. Wenn dem Absoluten nichts entgegensteht, dann auch nicht der Skeptizismus. Er ist in der Selbstgestaltung des Absoluten zu verorten, nämlich dort, wo das Absolute die einseitig verstandene Endlichkeit aufhebt und sich von der Einseitigkeit befreit. Die Phänomenologie konzipiert Hegel immerhin auch als einen „sich vollbringenden Skeptizismus“ und später wird er in der Enzyklopädie entwerfen, dass es bei jedem negativen, destruktiven Aspekt eines dialektischen Prozesses möglich ist, diesen durch den Verstand festzuhalten und diese Fixierung auf das Destruktive ist das Wesen des Skeptizismus (vgl. TW 8, 172 f., Enz. §§ 81 f.). In der Frankfurter Zeit hat Hegel noch die Überbietung der Philosophie durch die Religion, des beweisbaren Wissens durch den liebenden Glauben entworfen. Doch auf diese Unmittelbarkeit des liebenden Vereinigens ist methodisch gesehen kein Verlass. Ein Skeptiker oder ein Agnostiker kann ein solches Gebäude leicht einreißen, indem er die liebende Vereinigung mit ihrem jeweiligen Aspekt der Unbeweisbarkeit angreift. Wer jenen Seinsglauben nicht empfindet, der ist vom Sein nicht zu überzeugen – wie Hölderlin in Die Titanen trefflich dichtet: „Göttliches trifft Unteilnehmende nicht“. Daher ist auf Hegels Skeptizismusaufsatz einzugehen: Gottlob Ernst Schulze hat unter dem Pseudonym des antiken pyrrhonischen Skeptikers Aenesidemus zuvor kritische Schriften gegen die Philosophie Kants und des Kantianers Reinhold verfasst, um eine grundlegende skeptische Argumentation gegen die theoretische Philosophie insgesamt zu leisten. – Fichte war einige Jahre zuvor von Schulzes scharfsinnigen Argumenten so beeindruckt, dass er sich in seiner sog. Aenesidemus-Rezension von dem Kantianismus Reinholds abwandte und eine eigenständige Philosophie entwickelte. – Hegel bestimmt im Skeptizismusaufsatz den echten Skeptizismus als Teil einer jeden wahren Philosophie. „Neuere“ skeptische Richtungen, wie die von Schulze selbst oder auch die von Hume, sind nach Hegel kein wahrer Skeptizismus, denn dieser ist in der Radikalität seiner Erkenntniskritik wesentlich konsequenter als die damals aktuellen Richtungen, er ist „unendlich skeptischer“ (TW 2, 228). Der Skeptizismus von Schulze geht von den wahrnehmbaren und erfahrungsmäßigen „Tatsachen des Bewusstseins“ aus. Diese seien unbezweifelbar, da jeder Zweifel an ihnen selbst wiederum eine Tatsache des Bewusstseins sei – letzteres ist offensichtlich ein Cartesianisches Argument. Der Skeptizismus Schulzes richtet sich

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nur gegen bewusstseinstranszendente Gründe der Tatsachen des Bewusstseins. Diese seien nicht zu erkennen, unterlägen vielmehr der Erkenntnisrestriktion auf die bewusstseinsimmanenten Tatsachen. Die Tatsachen des Bewusstseins seien nicht bloß erkennbar, sondern durch die Bewusstseinsevidenz werde auch ihre Existenz bewiesen. Die Grundsätze und Bestimmungen des Verstandes seien ebenfalls als Tatsachen des Bewusstseins unleugbare Gewissheiten (vgl. TW 2, 220 ff.). Damit bezweifelt der Skeptizismus Schulzes nicht die Endlichkeit und die Beschränktheit des Bewusstseins. Hegel erkennt dagegen den antiken Skeptizismus als konsequente und radikale Erkenntniskritik an, weil er alle endlichen Bestimmungen in seine Skepsis einbezieht.

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Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie

„Ohne die Bestimmung des wahren Verhältnisses des Skeptizismus zur Philosophie und ohne die Einsicht, dass mit jeder wahren Philosophie der Skeptizismus selbst aufs innigste eins ist und dass es also eine Philosophie gibt, die weder Skeptizismus noch Dogmatismus und also beides zugleich ist, können alle die Geschichten und Erzählungen und neuen Auflagen des Skeptizismus zu nichts führen. Das Wesentliche zur Erkenntnis des Skeptizismus, dieses Verhältnis desselben zur Philosophie, nicht zu einem Dogmatismus, die Anerkennung einer Philosophie, die nicht Dogmatismus ist, überhaupt also der Begriff einer Philosophie selbst ist es, was Herrn Schulze entgangen ist; und wenn Herr Schulze aus den Philosophien, die er skeptisch vornimmt, die Idee der Philosophie nicht herauskriegen konnte, so musste ihn schon die Geschichte des alten Skeptizismus wenigstens auf den Gedanken von der Möglichkeit führen, dass Philosophie etwas anderes sei als Dogmatismus, den er allein kennt. [… Die philosophischen Skeptiker der Antike; Einf. R.S.] hatten die Einsicht, dass eine wahre Philosophie notwendig selbst zugleich eine negative Seite hat, welche gegen alles Beschränkte und damit gegen den Haufen der Tatsachen des Bewusstseins und deren unleugbare Gewissheit sowie gegen die bornierten Begriffe, welche in jenen herrlichen Doktrinen [vorkommen], die Herr Schulze dem vernünftigen Skeptizismus für unzugänglich hält, gegen diesen ganzen Boden der Endlichkeit, auf dem dieser neuere Skeptizismus sein Wesen und seine Wahrheit hat, gekehrt und unendlich skeptischer ist als dieser Skeptizismus. Welches vollendetere und für sich stehende Dokument und System des echten Skeptizismus könnten wir finden als in der Platonischen Philosophie den Parmenides, welcher das ganze Gebiet jenes Wissens durch Verstandesbegriffe umfasst und zerstört? Dieser platonische Skeptizismus geht nicht auf ein Zweifeln an diesen Wahr-

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3. Der Skeptizismusaufsatz

heiten des Verstandes, der die Dinge als mannigfaltig, als Ganze, die aus Teilen bestehen, [als] ein Entstehen und Vergehen, eine Vielheit, Ähnlichkeit usw. erkennt und dergleichen objektive Behauptungen macht, sondern auf ein gänzliches Negieren aller Wahrheit eines solchen Erkennens. Dieser Skeptizismus macht nicht ein besonderes Ding von einem System aus, sondern er ist selbst die negative Seite der Erkenntnis des Absoluten und setzt unmittelbar die Vernunft als die positive Seite voraus. […] Dieser Skeptizismus, der in seiner expliziten Gestalt im Parmenides auftritt, ist aber in jedem echten philosophischen Systeme implicite zu finden, denn er ist die freie Seite einer jeden Philosophie; wenn in irgendeinem Satze, der eine Vernunfterkenntnis ausdrückt, das Reflektierte desselben, die Begriffe, die in ihm enthalten sind, isoliert und die Art, wie sie verbunden sind, betrachtet wird, so muss es sich zeigen, dass diese Begriffe zugleich aufgehoben oder auf eine solche Art vereinigt sind, dass sie sich widersprechen, sonst wäre es kein vernünftiger, sondern ein verständiger Satz. Spinoza beginnt seine Ethik mit der Erklärung: >Unter Ursache seiner selbst verstehe ich [dasjenige], dessen Wesen Dasein in sich schließt, oder dasjenige, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.< – Nun ist aber der Begriff des Wesens oder der Natur nur setzbar, indem von der Existenz abstrahiert wird, eins schließt das andere aus; eins ist nur bestimmbar, sowie eine Entgegensetzung gegen das andere ist; werden beide verbunden als eins gesetzt, so enthält ihre Verbindung einen Widerspruch, und beide sind zugleich negiert. Oder wenn ein anderer Satz des Spinoza lautet: >Gott ist die immanente, nicht die vorübergehende Ursache der Welt< [Ethik I, Prop. XVIII], so hat er, indem er die Ursache immanent, also die Ursache eins mit der Wirkung setzt – weil die Ursache nur Ursache ist, insofern sie der Wirkung entgegengesetzt wird –, den Begriff von Ursache und Wirkung negiert; ebenso herrschend ist die Antinomie von Eins und Vielen; die Einheit wird mit den Vielen, die Substanz mit ihren Attributen identisch gesetzt. Indem jeder solcher Vernunftsatz sich in zwei sich schlechthin widerstreitende auflösen lässt – z.B. Gott ist Ursache und Gott ist nicht Ursache; er ist Eins und nicht Eins, Vieles und nicht Vieles; er hat ein Wesen, das weil Wesen nur in Gegensatz der Form begreifbar ist und die Form identisch gesetzt werden muss mit dem Wesen, selbst wieder hinwegfällt, usw. – so tritt das Prinzip des Skeptizismus: >pantì lógΩı lógov i¢sov a¬ntíkeitai< [>Jedem Argument steht ein gleichwertiges Argument entgegenPhänomenologie des GeistesPhänomenologie des Geistes< und Schellings >FreiheitsschriftPhänomenologieDieses< etwas vollkommen Bestimmtes auszudrücken; es wird übersehen, dass die Sprache, als Werk des Verstandes, nur Allgemeines ausspricht, außer in dem Namen eines einzelnen Gegenstandes; der individuelle Name ist aber ein Sinnloses in dem Sinne, dass er nicht ein Allgemeines ausdrückt, und erscheint als ein bloß Gesetztes, Willkürliches aus demselben Grunde, wie denn auch Einzelnamen willkürlich angenommen, gegeben oder ebenso verändert werden können. Es erscheint somit das Anderssein als eine dem so bestimmten Dasein fremde Bestimmung oder das Andere außer dem einen Dasein; teils, dass ein Dasein erst durch das Vergleichen eines Dritten, teils, dass es nur um

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Lehre vom Sein

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des Anderen willen, das außer ihm ist, als Anderes bestimmt werde, aber nicht für sich so sei. Zugleich, wie bemerkt worden, bestimmt sich jedes Dasein, auch für die Vorstellung, ebensosehr als ein anderes Dasein, so dass nicht ein Dasein bleibt, das nur als anderes Dasein bestimmt, das nicht außerhalb eines Daseins, also nicht selbst ein Anderes wäre. Beide sind sowohl als Etwas als auch als Anderes bestimmt, hiermit dasselbe, und es ist noch kein Unterschied derselben vorhanden. Diese Dieselbigkeit der Bestimmungen fällt aber ebensosehr nur in die äußere Reflexion, in die Vergleichung beider; aber wie das Andere zunächst gesetzt ist, so ist dasselbe für sich zwar in Beziehung auf das Etwas, aber auch für sich außerhalb desselben. Drittens ist daher das Andere zu nehmen als isoliert, in Beziehung auf sich selbst; abstrakt als das Andere; tò eçteron des Platon, der es als eines der Momente der Totalität dem Einen entgegensetzt und dem Anderen auf diese Weise eine eigene Natur zuschreibt. So ist das Andere, allein als solches gefasst, nicht das Andere von Etwas, sondern das Andere an ihm selbst, d.i. das Andere seiner selbst. […] Das Andere für sich ist das Andere an ihm selbst, hiermit das Andere seiner selbst, so das Andere des Anderen, – also das in sich schlechthin Ungleiche, sich Negierende, das sich Verändernde. Aber ebenso bleibt es identisch mit sich, denn dasjenige, in welches es sich veränderte, ist das Andere, das sonst weiter keine Bestimmung hat; aber das sich Verändernde ist auf keine verschiedene Weise, sondern auf dieselbe, ein Anderes zu sein, bestimmt; es geht daher in demselben nur mit sich zusammen. So ist es gesetzt als in sich Reflektiertes mit Aufheben des Andersseins, mit sich identisches Etwas, von dem hiermit das Anderssein, das zugleich Moment desselben ist, ein Unterschiedenes, ihm nicht als Etwas selbst zukommendes ist. 2. Etwas erhält sich in seinem Nichtdasein; es ist wesentlich eins mit ihm und wesentlich nicht eins mit ihm. Es steht also in Beziehung auf sein Anderssein; es ist nicht rein sein Anderssein. Das Anderssein ist zugleich noch davon getrennt; es ist Sein-für-Anderes. Dasein als solches ist Unmittelbares, Beziehungsloses; oder es ist in der Bestimmung des Seins. Aber Dasein als das Nichtsein in sich schließend ist bestimmtes, in sich verneintes Sein und dann zunächst Anderes, – aber weil es sich in seiner Verneinung zugleich auch erhält, nur Sein-für-Anderes. Es erhält sich in seinem Nichtdasein und ist Sein, aber nicht Sein überhaupt, sondern als Beziehung auf sich gegen seine Beziehung auf Anderes, als Gleichheit mit sich gegen seine Ungleichheit. Ein solches Sein ist Ansichsein.

7. Die Übergangsdialektik

Sein-für-Anderes und Ansichsein machen die zwei Momente des Etwas aus. Es sind zwei Paare von Bestimmungen, die hier vorkommen: 1. Etwas und Anderes; 2. Sein-für-Anderes und Ansichsein. Die ersteren enthalten die Beziehungslosigkeit ihrer Bestimmtheit; Etwas und Anderes fallen auseinander. Aber ihre Wahrheit ist ihre Beziehung; das Sein-für-Anderes und das Ansichsein sind daher jene Bestimmungen als Momente eines und desselben gesetzt, als Bestimmungen, welche Beziehungen sind und in ihrer Einheit, in der Einheit des Daseins bleiben. Jedes selbst enthält damit an ihm zugleich auch sein von ihm verschiedenes Moment.“ (TW 5, 125 ff.)

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„Etwas“ geht vermittels der Kategorie „Anderes“ in die Kategorie des „Anderen an ihm selbst“ über: Das Etwas ist ein bestimmtes Dasein, als solches ist das Etwas zunächst mit sich selbst gleich. D.h., das Etwas ist von demjenigen zu unterscheiden, was es nicht ist. An dieser Gleichheit mit sich zeigt sich die scheinbare Unbezogenheit der Seinskategorien untereinander. Das, was das Etwas nicht ist, ist dem Etwas entgegengesetzt. Dasjenige Daseiende, welches das Etwas nicht ist, ist das Andere. Das Andere ist dasjenige Daseiende, welches das Etwas von sich ausschließt. Indem das Etwas aber Anderes nicht ist, ist es selbst auch ein Anderes, denn es ist das Andere zum Anderen. Somit geht das Etwas zum Anderen über, wird selbst ein Anderes. Daran zeigt sich, dass die einfachen Bestimmtheiten des Seins in ihrem Übergang verschwinden; das Etwas ist selbst zum Anderen geworden, es ist nicht mehr Etwas. Umgekehrt ist aber auch das Andere nicht nur Anderes, sondern auch Etwas. Das Andere ist nämlich gegen das Etwas Anderes; so ist auch das Andere Etwas, denn es ist gegen das Etwas etwas Anderes. Auf diese Weise geht auch das Andere in das Etwas über. Das Andere, das selbst Etwas ist, ist das Andere seiner selbst. Hiermit wird eine Andersheit höherer Ordnung gedacht. Das Andere ist nun selbst Anderes seiner selbst geworden, denn es ist Etwas. Auch hier zeigt sich wieder das Verschwinden im Übergehen; das Andere ist jetzt nicht mehr einfach Anderes, sondern Anderes, das selbst Etwas ist und damit die Struktur einfacher Andersheit eingebüßt hat. Das Andere zum Anderen ist eine Andersheit zweiter Stufe, denn es ist nicht mehr eine Andersheit, die dem Etwas nur gegenübersteht, sondern selbst Etwas ist. (Vgl. auch TW 8, 200; Enz. § 95; in philosophiegeschichtlicher Perspektive steht übrigens im Hintergrund dieser Seinskategorien Hegels Transformation von Platons fünf obersten Gattungen aus dem Sophistes-Dialog; Hegels Verweis auf Platon in dem angeführten Text legt allerdings aufgrund der Opposition von Anderem und Einem auch einen Bezug auf Platons

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Lehre vom Sein

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Parmenides-Dialog nahe. In einem Zusatz aus dem entsprechenden Paragraphen der Enzyklopädie (§ 92) verweist Hegel darüber hinaus auf Platons Timaios und den Demiurgen, der die Welt mittels der Synthese von Einem und Anderem bildet.) In dieser sukzessiven Bedeutungstransformation des Etwas zum Anderen und des Anderen zum Anderen an sich selbst wird die Grundstruktur der Übergangsdialektik einfacher Kategorien im Sein deutlich. Weitere kategoriale Spezifizierungen der Dialektik des Übergehens in der Lehre vom Sein sind hier nur zu skizzieren: Die kategorialen Spezifizierungen des Übergehens zeigen sich in den drei verschiedenen Themenbereichen der Seinslogik, in der Qualität, der Quantität und im Maß. Das Übergehen als sukzessive Transformation von Bedeutungseinheiten in ihr Entgegengesetztes liegt in Reinheit eigentlich nur in den Seinskategorien der Qualität vor, denn diese ist einfache, seiende Bestimmtheit. Dagegen ist die Quantität von anderer Art, denn in ihr ist die einfache Bestimmtheit, die der Qualität eignet, gleichgültig geworden. „Denn die Quantität ist die schon negativ gewordene Qualität; die Größe ist die Bestimmtheit, die nicht mehr mit dem Sein eins, sondern schon von ihm unterschieden, die aufgehobene, gleichgültig gewordene Qualität ist. Sie schließt die Veränderlichkeit des Seins ein, ohne dass die Sache selbst, das Sein, dessen Bestimmung sie ist, durch sie verändert werde; da hingegen die qualitative Bestimmtheit mit ihrem Sein eins ist, nicht darüber hinausgeht, noch innerhalb desselben steht, sondern dessen unmittelbare Beschränktheit ist.“ (TW 5, 80 f.) Mit der „Veränderlichkeit des Seins“ ist die Übergangsdialektik gemeint. Die Quantität vollzieht also nach Hegel auch ein dialektisches Übergehen. Wenn in der Quantität die einfache, qualitative Bestimmtheit als gleichgültig gesetzt ist, dann kann hier die Form der Dialektik allerdings nicht mehr in einem Übergehen bestehen, wie es bei der Qualität der Fall ist, denn dort ist gerade die einfache unmittelbare Verknüpfung der Bestimmtheit mit dem Bestehen von Etwas der Grund des Übergehens. – Wenn man einen Sandhaufen um 1.000 oder 100.000 Sandkörner vermehrt, ändert das an der Qualität „Sand“ nichts. Insofern ist die quantitative Vermehrung gegenüber einer qualitativen Veränderung äußerlich. – In der Quantität vollzieht sich daher ein kategorial spezifiziertes Übergehen, das darin besteht, dass sich die Quantität in ihr Anderes kontinuiert. Dies bedeutet, dass an einer qualitativen Bestimmung eine quantitative Änderung vollzogen wird; diese Änderung der Quantität kann beliebig fortgesetzt werden, als Vermehrung oder Verminderung bis in unendlich kleine oder in unendlich große Änderungen der Quantität, ohne dass sich die

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7. Die Übergangsdialektik

eigentliche Bestimmtheit, die qualitative Beschaffenheit, dadurch mitverändern würde. Dieses Kontinuieren in das Andere bedeutet allerdings bei den Quantitätsbestimmungen etwas anderes als bei den späteren Begriffsbestimmungen. Wie Hegel im § 240 der Enzyklopädie sagt, liegt bei den Begriffsbestimmungen eine Bestimmtheit und eine positive Identität mit sich vor, wenn sie sich in ihr Anderes entwickeln oder kontinuieren. Bei den Quantitätskategorien liegt dagegen eine Gleichgültigkeit der Bestimmtheit vor, die selbst die Bestimmtheit der Quantität ist. Daraus folgt, dass bei den Quantitätskategorien die Kontinuierung in das Andere darin besteht, sich in einem Anderen bloß zu wiederholen, ohne sich wirklich in dieses zu entwickeln. Dies ist das kontinuierliche Übergehen der Quantitätskategorien. Hegel differenziert daher auch zwischen den spezifischen Formen qualitativen und quantitativen Fortgangs: „Die qualitative Bestimmtheit ist als unmittelbar und bezieht sich auf das Anderssein wesentlich als auf ein anderes Sein, sie ist nicht gesetzt, ihre Negation, ihr Anderes an ihr selbst zu haben. Die Größe hingegen ist, als solche, aufgehobene Bestimmtheit; sie ist gesetzt, ungleich mit sich und gleichgültig gegen sich selbst, daher das Veränderliche zu sein.“ (TW 5, 261) Eine weitere kategoriale Spezifizierung des Übergehens in anderes liegt im dritten Teil der Lehre vom Sein, im Maß vor. Das Maß ist die Einheit von Qualität und Quantität. Hier sind die Kategorien von vornherein so gesetzt, dass sich in ihnen ein doppelter Übergang vollzieht. Nicht nur, dass eine Maßbestimmtheit in ihr Anderes übergeht, sondern in dieser Maßbestimmung ist zugleich ihr Rückgang aus diesem Anderen in sie selbst gesetzt. Das Andere wird zum „Zustand“ einer Maßbestimmtheit, die sich damit in ihr Anderes einerseits kontinuiert, was ein quantitatives Moment ist, zugleich aber auch in dieses Andere übergeht, was ein qualitatives Moment ist. Im Maß gilt: „Damit sind die Maße und die damit gesetzten Selbstständigkeiten zu Zuständen herabgesetzt. Die Veränderung ist nur Änderung eines Zustandes und das Übergehende ist als darin dasselbe bleibend gesetzt.“ (TW 5, 444) Durch das Beharren im Wechsel, welches das Maß vollzieht, wird das Übergehen schrittweise überwunden. Das in den Kategorien des Maßes gesetzte doppelte Übergehen hebt das einfache, qualitative Übergehen auf, denn im doppelten Übergang wird gesetzt, dass die Bestimmtheiten in sich Relative, auf ihr Entgegengesetztes wesentlich Bezogene sind. Dadurch wird eine andere Form dialektischer Vermittlung vorbereitet, nämlich die Reflexionsdialektik des Wesens. Aus methodischer Sicht wird also mit der spezifischen Übergangsdialektik des Maßes die Grundlage für die Reflexionsdialektik des Wesens erreicht.

Lehre vom Sein

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Die hier skizzierten kategorialen Spezifikationen der Übergangsdialektik im Sein werden von Hegel angedeutet: „Die qualitative Unendlichkeit, wie sie am Dasein ist, war das Hervorbrechen des Unendlichen am Endlichen, als unmittelbarer Übergang und Verschwinden des Diesseits in seinem Jenseits. Die quantitative Unendlichkeit hingegen ist ihrer Bestimmtheit nach schon die Kontinuität des Quantums, eine Kontinuität desselben über sich hinaus. Das Qualitativ-Endliche wird zum Unendlichen; das Quantitativ-Endliche ist sein Jenseits an ihm selbst, und weist über sich hinaus. Aber diese Unendlichkeit der Spezifikation des Maßes setzt ebensowohl das Qualitative wie das Quantitative als sich ineinander aufhebend, und damit die erste, unmittelbare Einheit derselben, welche das Maß überhaupt ist, als in sich zurückgekehrt und damit selbst als gesetzt. [...] Diese so sich in ihrem Wechsel der Maße in sich selbst kontinuierende Einheit ist die wahrhaft bestehenbleibende, selbständige Materie, Sache.“ (TW 5, 442 f.) Für die qualitativ bestimmte Übergangsdialektik in der Lehre vom Sein ist charakteristisch, dass sie in „Sprüngen“ verläuft. Die Übergangsdialektik im Sein ist „sprunghaft“, weil die ineinander übergehenden Seinsbestimmungen als einfache Selbstgleichheiten einander äußerlich zu sein scheinen und daher nicht als kontinuierlich miteinander vermittelte Bestimmungen erscheinen. Eine allmähliche, kontinuierliche Dialektik gibt es in der Lehre vom Sein nur als Zwischenstufe in der Quantität. Aber sowohl die Dialektik der Qualität als auch die des Maßes vollziehen sich „sprunghaft“ in ihrem dialektischen Anderswerden. Im Maß sind nach dem Durchgang durch die Quantität qualitative Momente restituiert. In diesem Sinn führt Hegel aus: „Nach der qualitativen Seite wird daher das bloß quantitative Fortgehen der Allmählichkeit, das keine Grenze an sich selbst ist, absolut abgebrochen; indem die neu eintretende Qualität nach ihrer bloß quantitativen Beziehung eine gegen die verschwindende unbestimmt andre, eine gleichgültige ist, ist der Übergang ein Sprung; beide sind als völlig äußerliche gegeneinander gesetzt. – Man sucht sich gern durch die Allmählichkeit des Übergangs eine Veränderung begreiflich zu machen; aber vielmehr ist die Allmählichkeit gerade die bloß gleichgültige Änderung, das Gegenteil der qualitativen. In der Allmählichkeit ist vielmehr der Zusammenhang der beiden Realitäten, – [...] – aufgehoben; es ist gesetzt, dass keine die Grenze der andern, sondern eine der andern schlechthin äußerlich ist; hiermit wird gerade das, was zum Begreifen nötig ist, wenn auch noch

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7. Die Übergangsdialektik

so wenig dazu erfordert wird, entfernt.“ (TW 5, 438) Der dialektische „Sprung“, den qualitativ bestimmte Seinskategorien vollziehen, ist allerdings nur eine versinnlichende Metapher für die unmittelbare und direkte dialektische Transformation einfacher seinsmäßiger Bestimmtheiten. Nach Hegel wird gerade die Grenze und damit die Bestimmtheit, die etwas hat, durch einen bloß allmählichen, quantitativ-kontinuierlichen Übergang nivelliert. Hegel wendet sich damit indirekt gegen Schellings Konzeption der „quantitativen Differenz“. Nach dieser Konzeption aus Schellings Identitätssystem ist die verschiedenartige Bestimmtheit endlicher Entitäten durch ihr spezifisch quantitatives Mischungsverhältnis bestimmt. Wahrhaft gibt es nur das Absolute, in dem alles eines ist und qualitativ alles identisch gesetzt ist; die Vielfalt der Welt entsteht dagegen durch das quantitative Mischungsverhältnis der Teile zueinander. Die Qualität endlicher Bestimmungen ist nach dieser Konzeption Schellings aus der Quantität herzuleiten. Nach Hegel nivelliert diese Konzeption die spezifische qualitative Verschiedenheit und kann sie nicht erklären. Das „sprunghafte“ Moment der Übergangsdialektik ist durch die Einfachheit der Seinskategorien bedingt, in ihrem Übergehen werden sie unmittelbar zu etwas anderem, woran ihre qualitative Begrenztheit deutlich wird.

8. Die Reflexionsdialektik

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Text aus: Lehre vom Wesen Die Bestimmungen des Wesens sind in sich relational. Hegel sagt daher in der Enzyklopädie: „Das Wesen ist der Begriff als gesetzter Begriff, die Bestimmungen sind im Wesen nur relative, noch nicht als schlechthin in sich reflektiert; darum ist der Begriff noch nicht als Fürsich.“ (TW 8, 231; Enz. § 112) In einer Vorausdeutung auf den Begriff stellt Hegel hier den Unterschied zwischen Begriff und Wesen dar. Der Begriff bildet ein thematisches Selbstverhältnis. Im Wesen ist dieses noch nicht erreicht. Vielmehr sind die Bestimmungen des Wesens dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nur so auf sich selbst beziehen können, indem sie sich auf Anderes ihrer selbst beziehen, das sie nicht sind. Diese Beziehung auf Anderes, das nicht als immanentes Moment von einer Bestimmung selbst gesetzt ist, bildet noch kein Selbstverhältnis, wie es der Begriff vollzieht. Der Bezug auf sich besteht im Wesen zwar nicht mehr, wie noch im Sein, in einer einfachen Gleichheit mit sich, aber der Selbstbezug der Bestimmungen des Wesens erfolgt dadurch, dass sie auf Anderes ihrer selbst bezogen sind, das ihr eigenes Nichtsein bedeutet. Im Begriff ist das Andere jeweils eine freie Selbstsetzung; daher verhält sich der Begriff in seinem Anderen zu sich selbst. Dies ist allerdings im Wesen noch nicht realisiert, weil hier das Andere als das eigene Nichtsein gesetzt ist. Daraus resultiert eine spezifische Form der Dialektik, die das Wesen auszeichnet, nämlich die Reflexionsdialektik, weil die Wesensbestimmungen in sich relative sind, scheinen sie in ihrem Entgegengesetzten.40 Die Entgegensetzung, also das jeweilige Nichtsein in den Wesensbestimmungen, ist nicht im Sinne der traditionellen Logik als bloß logisch-kontradiktorische Opposition zu verstehen, sondern es handelt sich, wie auch bei den Entgegensetzungen der Seinskategorien, um eine konträre Opposition, denn das Entgegengesetzte einer Wesensbestimmung soll jeweils ihr spezifisch Entgegengesetztes sein. Die Wesensbestimmungen sollen sich als relative durch ihr konträres Gegenteil bestimmen; läge in der Entgegensetzung der Reflexionsbestimmungen eine bloß logisch-kontradiktorische Opposition im Sinne der traditio40

Vgl. hierzu auch G.M. Wölfle Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“, Stuttgart – Bad Cannstatt 1994.

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8. Die Reflexionsdialektik

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nellen Logik vor, könnten sich die Wesenskategorien nicht wechselseitig bestimmen. Die Wesensbestimmungen „Positives“ und „Negatives“ bilden den „Unterschied“, dazu führt Hegel aus: „Der Unterschied an sich ist der wesentliche, das Positive und das Negative, so dass jenes so die identische Beziehung auf sich ist, dass es nicht das Negative, und dieses das Unterschiedene so für sich ist, dass es nicht das Positive ist. Indem jedes so für sich ist, als es nicht das Andere ist, scheint jedes in dem Andern und ist nur insofern das Andere ist. Der Unterschied des Wesens ist daher die Entgegensetzung, nach welcher das Unterschiedene nicht ein Anderes überhaupt, sondern sein Anderes sich gegenüber hat; d.h. jedes hat seine eigene Bestimmung nur in seiner Beziehung auf das Andere, ist nur in sich reflektiert, als es in das Andere reflektiert ist, und ebenso das Andere; jedes ist so des Anderen sein Anderes.“ (TW 8, 243; Enz. § 119) So ist das „Negative“ das Nichtsein des „Positiven“; umgekehrt ist auch das „Positive“ das Nichtsein des „Negativen“. Sowohl dem Positiven als auch dem Negativen ist nach Hegel der Bezug auf das Entgegengesetzte wesentlich und immanent. Dem Positiven ist wesentlich, dass es sich negativ – also ausschließend – gegen das Negative verhält. Schlösse das Positive das Negative nicht in einer Negation aus, wäre es nicht es selbst. Umgekehrt schließt aber auch das Negative das Positive von sich aus, und gerade dadurch ist es positiv, es ist nämlich mit sich identisch – das Negative ist das Negative. So ist dem Positiven das Negative, dem Negativen das Positive essentiell. Daher reflektiert sich das Positive in das Negative: Es scheint in seinem Entgegengesetzten. Die beiden Entgegengesetzten sind gleichursprünglich, von vornherein ist das Positive nicht ohne den Bezug zum Negativen zu denken und umgekehrt das Negative nicht ohne den Bezug zum Positiven. Die entgegengesetzten Seinsbestimmungen sind dagegen nicht gleichursprünglich, sondern folgen einander schrittweise, wie sich z.B. das „Andere“ erst nach dem „Etwas“ darstellen lässt. Aufgrund der wechselseitigen Reflexion ineinander hält Hegel die Bestimmung von Positivem und Negativem für einen paradigmatischen Fall der Reflexionslogik: „das Positive und Negative ist die Reflexionsbestimmung an und für sich“ (TW 6, 58). Anhand der Relation von Positivem und Negativem wird die Reflexionsdialektik des Wesens daher besonders deutlich. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, dass es keine existierenden Entitäten gibt, die dann gegenüber anderem Bestehendem die Relation von Positivem und Negativem entfalten,

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Lehre vom Wesen

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sondern Positives und Negatives sind als reine Relationen zu denken. Die Voraussetzung eines existierenden Substrats, das sich dann positiv oder negativ verhält, wäre nach Hegel eine äußerliche Bestimmung, die den rein relationalen Sinn der Bestimmungen verfehlen würde. Außerdem würde das Bestehen einer solchen Entität, die dem Positiven und Negativen zugrunde liegt, das Positive voraussetzen, denn die Entität müsste positiv bestehen; daher würde eine solche Erklärung voraussetzen, was sie beweisen soll. Allerdings wird erst im „Grund“ die vollständige Reflexionsstruktur, die eine reine Relationalität bedeutet, gesetzt. Im „Grund“ wird deutlich: „Die reine Vermittlung ist nur reine Beziehung, ohne Bezogene.“ (TW 6, 81) Diese reine Relationalität ist aber auch schon für die Reflexionsbestimmungen, die vor dem „Grund“ abgehandelt werden, konstitutiv. Die Reflexionsdialektik des Wesens stellt bereits eine Annäherung an das aktive Selbstverhältnis des Begriffs dar, denn sie ist über die unmittelbare Bestimmtheit der Seinskategorien hinaus, die sich dadurch bestimmen, dass sie in anderes übergehen und zu diesem scheinbar keinen Bezug haben, weil sie einfache und unmittelbare Bestimmungen sind. Die Kategorien des Wesens sind dagegen in sich relational, sie sind in ihrem eigenen Bedeutungsgehalt jeweils immanent auf ihr Entgegengesetztes, auf ihr Nichtsein, bezogen. Im § 65 der Enzyklopädie 1817 hebt Hegel daher die Reflexionsdialektik des Wesens von der Übergangsdialektik des Seins ab: „In der Sphäre des Wesens macht die Relativität die herrschende Bestimmung aus. In der Sphäre des Seins ist die Identität unmittelbare Beziehung auf sich, und das Negative das bloße Anderssein; in der gegenwärtigen Sphäre dagegen ist alles nur so als seiend gesetzt, dass zugleich darüber hinausgegangen ist; es ist ein Sein der Reflexion, Verhältnis.“ In den beiden späteren Überarbeitungen der Enzyklopädie streicht Hegel diesen Paragraphen allerdings. Er hebt jedoch die Differenzierung zwischen den beiden verschiedenen Dialektikformen des Seins und des Wesens nicht auf. Die Reflexionsdialektik des Wesens bildet auch deshalb eine Annäherung an die spontane Begriffsdialektik, weil sich die Wesensbestimmungen wechselseitig „hervorbringen“, also einen bestimmten Grad an Aktuosität besitzen. So bringt die Wesensbestimmung der „Ursache“ die „Wirkung“ hervor, die Seinsbestimmung des Anderen folgt dagegen bloß aus dem Etwas. Die Seinskategorien bringen sich nicht wechselseitig hervor, sondern folgen einander nur.

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8. Die Reflexionsdialektik

Im Sein findet eine schrittweise Transformation von Bedeutungseinheiten in ihr Entgegengesetztes statt; im Wesen sind die Entgegengesetzten dagegen gleichursprünglich gesetzt, beide sind nicht ohneeinander zu denken. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die beiden Entgegengesetzten im Wesen von vornherein denselben Bedeutungsgehalt hätten, sondern dass sie, obwohl beide aufeinander bezogen sind, dennoch distinkt voneinander zu unterscheidende Bedeutungen haben, „die Reflexionsbestimmungen sollen jede für sich abgesondert von der entgegengesetzten, gefasst werden und gelten“ (TW 8, 313; Enz., § 164). Die Einheit der entgegengesetzten Relationskategorien im Wesen muss allererst gesetzt werden, sie ist nicht von vornherein thematisch in ihnen gesetzt. So muss z.B. bei Positivem und Negativem der Grund als Einheit der Entgegengesetzten durch die an beiden aufzuweisende und thematisch zu setzende wechselseitige Implikation der Entgegengesetzten dargestellt werden. Erst wenn sowohl am Positiven thematisch gesetzt ist, dass es positiv und negativ ist, und erst wenn am Negativen thematisch gesetzt ist, dass es negativ und positiv ist, kann ihr Widerspruch sich in den Grund als die Einheit transformieren, die sowohl das Positive als auch das Negative gleichursprünglich in sich enthält. Der Bedeutungsgehalt einer Wesenskategorie bestimmt sich aus dem Bezug auf ihre entgegengesetzte. Diese entgegengesetzte Wesenskategorie hat die Bedeutung des Nichtseins derjenigen Wesenskategorie, von der ausgegangen wurde; es zeigt sich aber, dass die entgegengesetzte Wesenskategorie ein immanenter Bestandteil des Bedeutungsgehalts der ersten Wesenskategorie ist. Konstitutiv für eine Wesenskategorie ist es daher, dass in ihr das eigene Nichtsein thematisch gesetzt wird. Nach Hegel wird daher durch die Reflexionsdialektik des Wesens die Negativität als Struktur des Bestimmungsprozesses in der Lehre vom Wesen in ihrer Reinheit gesetzt. Die dialektische Tätigkeit des Setzens der Bestimmtheit, also des Unterschiedes von Anderem im Wesen bestimmt Hegel daher wie folgt: „Das Unterscheiden ist das Setzen des Nichtseins, als des Nichtseins des Andern. Aber das Nichtsein des Andern ist Aufheben des Andern, und somit des Unterscheidens selbst. So ist aber das Unterscheiden hier vorhanden, als sich auf sich beziehende Negativität, als ein Nichtsein, das das Nichtsein seiner selbst ist; ein Nichtsein, das sein Nichtsein nicht an einem andern, sondern an sich selbst hat. Es ist also der sich auf sich beziehende, der reflektierte Unterschied vorhanden, oder reine, absolute Unterschied.“ (TW 6, 40)

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Die Selbstbezüglichkeit der Negativität unterscheidet die spezifische Form der Dialektik des Wesens von derjenigen des Seins. Im Sein führt die Dialektik jeweils zu einer anderen Bestimmung, im Wesen ist dagegen die Negativität als Dialektik in den relationalen Kategorien selbst gesetzt. Findet der Übergang der Seinskategorien „zwischen“ diesen statt, so ist das Erscheinen im Entgegengesetzten „in“ den Wesenskategorien selbst gesetzt. Auch daher liegt mit der Reflexionsdialektik des Wesens eine Annäherung an die Entwicklungsdialektik des Begriffs vor. Im Begriff ist die dialektisch-methodische Entwicklung ebenfalls in den Bestimmungen selbst thematisch gesetzt, dies allerdings in einem höheren und deutlicheren Grad, als es durch die Reflexionsdialektik im Wesen der Fall ist. Wie es in der Lehre vom Sein kategorial spezifizierte Formen der Übergangsdialektik gibt, so gibt es in der Lehre vom Wesen kategorial spezifizierte Formen der Reflexionsdialektik, also des Scheinens im Entgegengesetzten. Hier ist insbesondere auf die Manifestationsdialektik aufmerksam zu machen, die im dritten Teil der Lehre vom Wesen, in der „Wirklichkeit“ vollzogen wird. Die Manifestationsdialektik bildet die Vorstufe zur Entwicklungsdialektik des Begriffs. In der „Wirklichkeit“ findet zwar auch ein reflektierendes Scheinen im Entgegengesetzten statt, aber dasjenige, in dem die Wirklichkeitsbestimmungen sich reflektieren, sind sie selbst. Das Entgegengesetzte sind die Wirklichkeitsbestimmungen jeweils selbst. Das „Wirkliche“ „ist daher dem Übergehen entnommen und seine Äußerlichkeit ist seine Energie; es ist in ihr in sich reflektiert; sein Dasein ist nur die Manifestation seiner selbst, nicht eines Andern“ (TW 8, 279 f.; Enz. § 142 Anm.). Damit führt Hegel Ansätze zur Manifestation als einer spezifischen Reflexionsdialektik differenzierter und systematisch ausgearbeitet weiter, welche sich bereits in seiner propädeutischen Logik für die Mittelklasse von 1810/11 zeigen. Dort sprach Hegel, mit Anklang an Spinozas Substanzund Leibniz‘ Monadenkonzeption, davon, dass die Wirklichkeit als Substanz in ihren Bestimmungen eine „manifestatio sui“ bildet, die sich in den „Monaden“ darstellt (vgl. TW 4, 179). Auch in der Wissenschaft der Logik konzipiert Hegel die Manifestation in der „Wirklichkeit“ offensichtlich im Anklang an Spinoza und Leibniz. Nach Leibniz repräsentiert und reflektiert die Monade in ihren Perzeptionen das gesamte Universum. Da die Monade aber aufgrund ihrer Einfachheit nicht durch Äußeres bestimmt werden kann und daher nicht passiv-rezeptiv sein kann, folgert Hegel, wie schon Leibniz, dass die Repräsentationen in ihr von ihr selbst aktiv gesetzt sind. Die Perzeptionen sind also nichts anderes als die selbstreflexiven Bestimmun-

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8. Die Reflexionsdialektik

gen der Monade selbst. Die Monade reflektiert sich selbst in ihren Perzeptionen. Dies begreift Hegel als Manifestation: „Die Monade ist daher wesentlich vorstellend; sie hat aber, ob sie wohl eine endliche ist, keine Passivität; sondern die Veränderungen und Bestimmungen in ihr sind Manifestationen ihrer selbst. Sie ist Entelechie; das Offenbaren ist ihr eigenes Tun.“ (TW 6, 198) Die Monade ist also als vollständig bestimmter und individueller Begriff für Hegels Konzeption der sich selbst manifestierenden Substanz von zentraler Bedeutung: „Es ist ein höchst wichtiger Begriff, dass die Veränderungen der Monade als passivitätslose Aktionen, als Manifestationen ihrer selbst vorgestellt, und das Princip der Reflexion in sich, oder der Individuation als wesentlich hervorsteht.“ (TW 6, 199) Nach Leibniz haben die Monaden allerdings verschiedene Grade der Aktivität und auch der Passivität (vgl. Leibniz Monadologie, Hamburg 1982, § 52), aus diesen verschiedenen Aktivitäts- und Passivitätsgraden erklären sich nach Leibniz auch die verschiedenen Grade der Klarheit und der Deutlichkeit der Perzeptionen. Damit geht Leibniz nach Hegels Deutung über Spinoza hinaus, denn dieser hatte die Substanz zwar bereits als causa sui, als Ursache ihrer selbst konzipiert, bei der das Wesen nicht hinter seiner eigenen Verwirklichung zurückbleibt, vielmehr impliziert in Spinozas Konzeption das Wesen, das Wassein zugleich die Wirklichkeit, das Daßsein. Dies ist ein zentrales Moment in der Manifestationsdialektik der „Wirklichkeit“ aus Hegels Logik, denn hier ist die Einheit von Wirklichkeit und Wirklichkeit hervorbringendem Wesen thematisch gesetzt (vgl. TW 8, 279; Enz. § 142 mit Anm.). Aber in dieser Konzeption Spinozas bleibt nach Hegel das Moment der Reflexion unberücksichtigt. Dass und wie die absolute Substanz, in der alles eines ist, die Mannigfaltigkeit der Welt reflektieren und setzen kann, bleibe bei Spinoza unerklärbar. Dies zeigt sich nach Hegel auch daran, dass Spinoza seine Ethik unmittelbar mit der Definition der Substanz beginnt und die Bestimmungen von Attribut und Modus mit der Substanzdefinition unverbunden folgen lässt; daher sind nach Hegel bei Spinoza Attribut und Modus nicht in der Substanz selbst als ihre selbstreflexiven Momente gesetzt. Bei Leibniz sind dagegen die Attribute, die Perzeptionen der Substanz-Monade, deren in ihr selbst gesetzte reflexive Selbsterkenntnis. In Spinozas eigener Konzeption kann man allerdings im „Amor Dei intellectualis“ eine Form von Selbstreflexion sehen. Die absolute Substanz tritt in ein aktives Selbstverhältnis, sofern die von ihr geschaffene Seele der spekulativen Erkenntnisart „sub specie aeternitatis“ fähig ist und Gott in seinen Offenbarungen liebt; da die Seele von Gott geschaffen ist, liebt sich Gott in der Liebe der Seele zu ihm selbst. Dieses Liebesselbstverhältnis

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der absoluten Substanz ist für Hegel keine adäquate, d.h. reflexive Selbsterkenntnis, sondern nur eine intuitive. Für die sich manifestierende Wirklichkeit des Absoluten gilt daher nach Hegel: „So als die Manifestation, dass es sonst nichts ist und keinen Inhalt hat, als die Manifestation seiner zu sein, ist das Absolute die absolute Form. Die Wirklichkeit ist als diese reflektierte Absolutheit zu nehmen.“ (TW 6, 201) Die Manifestationsdialektik der Wirklichkeit als Sonderform der Reflexionsdialektik ist dadurch ausgezeichnet, dass hier die Unmittelbarkeit, das seinsmäßige Moment der Wirklichkeit, mit der Reflexion, also dem Scheinen im Entgegengesetzten verknüpft ist. Die Wirklichkeit, als sich dialektisch manifestierende, ist „die gesetzte Einheit der Reflexion und der Unmittelbarkeit“ (TW 6, 201). Aufgrund dieser gesetzten Einheit von Unmittelbarkeit und Reflexion ist die Wirklichkeit auch von der Erscheinung und der Existenz zu unterscheiden; dort ist diese Einheit nur unthematisch, daher gilt: „Die Wirklichkeit steht auch höher als die Existenz“ (TW 6, 201). Es gibt daher auch für den zweiten Teil der Wesenslehre, „Die Erscheinung“ eine kategorial spezifizierte Reflexionsdialektik, die Erscheinungsoder Existenzdialektik, die Hegel auch als Analyse beschreibt: „Aber weil die Existenz nicht die erste Unmittelbarkeit des Seins ist, sondern das Moment der Vermittlung an ihr selbst hat, so ist ihre Bestimmung zum Dinge und die Unterscheidung beider nicht ein Übergang, sondern eigentlich eine Analyse; und die Existenz als solche enthält diese Unterscheidung selbst in dem Momente ihrer Vermittlung“ (TW 6, 129). Die Erscheinungsdialektik ist also von der Manifestationsdialektik der Wirklichkeit deshalb unterschieden, weil in ihr das Moment der Unmittelbarkeit nicht gesetzt ist, und eine Erscheinungsbestimmung keine wirkliche Selbständigkeit erlangt, dazu vielmehr einer anderen, selbständigen Bestimmung bedarf. Für die Wirklichkeit gilt daher im Unterschied zur Erscheinung: „Sein [der Wirklichkeit; d. V.] Verhalten zu anderem ist die Manifestation seiner, weder ein Übergehen, so bezieht sich das seiende Etwas auf ein anderes; – noch ein Erscheinen, so ist das Ding nur im Verhältnis zu andern, ist ein Selbstständiges, das aber seine Reflexion-in-sich, seine bestimmte Wesentlichkeit, in einem andern Selbstständigen hat“ (TW 6, 208).

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8. Die Reflexionsdialektik

Wegen der durch die Wirklichkeit restituierten Unmittelbarkeit macht sich am Ende der Wesenslehre wieder zunehmend die Übergangsdialektik des Seins geltend. In der Wirklichkeit wird daher methodisch auf eine spezifische Weise die Einheit zweier verschiedener Dialektiktypen vollzogen, nämlich die Einheit von Übergangsdialektik und Reflexionsdialektik. Aufgrund dieser Einheit beider Dialektiktypen und aufgrund der komplexen Struktur der Kategorien der Wirklichkeit sind allerdings die beiden Dialektikformen kategorial modifiziert. Das Übergehen ist nicht mehr einfach eine Transformation eines kategorialen Bedeutungsgehaltes zu etwas anderem, in dem das Übergehende verschwindet. Umgekehrt ist das reflexionsdialektische Scheinen im Entgegengesetzten nicht mehr eine bloße Relation ohne Relata. Denn die restituierte Unmittelbarkeit bildet eine Bestimmtheit, ein Relatum für die Relation. Dieses Relatum besteht in der Substanz. So gehen beispielsweise die Akzidenzien der Substanz ineinander über, eines wechselt zu einem anderen, gleichzeitig reflektiert sich die Substanz in ihren Akzidenzien und in deren Wechsel selbst (vgl. TW 8, 294 ff.; Enz. §§ 150-152). Die Einheit von Übergangsdialektik des Seins und Reflexionsdialektik des Wesens ist dadurch bedingt, dass das Absolute nach Hegel die Einheit von Sein und Wesen ist. Daher bestimmt Hegel die „absolute Notwendigkeit“, welche die letzte Bestimmung vor der Substanz ist, folgendermaßen: „Die absolute Notwendigkeit ist so die Reflexion oder Form des Absoluten; Einheit des Seins und Wesens, einfache Unmittelbarkeit, welche absolute Negativität ist. Einerseits sind ihre Unterschiede daher nicht als Reflexionsbestimmungen, sondern als seiende Mannigfaltigkeit, als unterschiedene Wirklichkeit, welche die Gestalt von selbstständigen Anderen gegen einander hat. Andererseits da ihre Beziehung die absolute Identität ist, ist sie das absolute Umkehren ihrer Wirklichkeit in ihre Möglichkeit und ihrer Möglichkeit in Wirklichkeit.“ (TW 6, 215) Das „Umkehren“ von Möglichkeit und Wirklichkeit bestimmt sich dann in der Substanzkategorie dahin gehend, dass die aktuelle Wirklichkeit eines Akzidens aufgehoben wird, damit geht dieses Akzidens in seine Möglichkeit über, das Akzidens wird damit zerstört. Umgekehrt kann das Akzidens durch die Substanz aber auch von seiner bloßen Möglichkeit in die Wirklichkeit übergehen, damit liegt dann die Erschaffung des Akzidens vor. Hier zeigt sich wiederum die Einheit von Übergangs- und Reflexionsdialektik: Die Substanz ist „absolute Macht“ und reflektiert

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Lehre vom Wesen

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sich selbst in dem Erschaffen und Zerstören der Akzidenzien. Daher ist die Substanz als absolute Macht mit sich selbst positiv identisch. Zugleich sind die Akzidenzien durch das Übergehen, das unmittelbare Anderswerden ihrer selbst bestimmt, sie gehen von der Möglichkeit zur Wirklichkeit über, oder sie gehen von der Wirklichkeit in die Möglichkeit über. Die Entwicklungsdialektik des Begriffs folgt nach Hegel daraus, dass die Übergangsdialektik des Seins und die Reflexionsdialektik des Wesens zu einer Einheit verbunden werden, die beide Dialektikformen transformiert in sich enthält (vgl. TW 6, 238 ff. und TW 8, 304; Enz. § 159 mit Anm.). Die Entwicklungsdialektik des Begriffs ist daher eine kombinierende Weiterführung von Übergangs- und Reflexionsdialektik: Entwicklung bedeutet ein sich in sich reflektierendes Übergehen in Anderes, das jeweils selbst eine Begriffsbestimmung ist. In diesem Sinn liegt die Vollendung der objektiven Logik darin, ihre beiden grundlegenden Dialektikformen miteinander zu kombinieren. Diese am Ende der Wesenslogik erreichte Kombination bildet die Grundlage für die Entwicklungsdialektik des Begriffs. In diesem Sinn sagt Hegel über den Dialektiktypus, den die „Wechselwirkung“ als Abschluss der Wesenslehre auszeichnet: „das Übergehen in Anderes ist Reflexion-in-sich selbst“ (TW 6, 239).

9. Die Entwicklungsdialektik im Begriff in Bezug auf Kants Kategoriendeduktion

[TW 8, 313 ff.; Enz. § 163:] „Der Begriff als solcher enthält die Momente der Allgemeinheit, als freier Gleichheit mit sich selbst in ihrer Bestimmtheit, – der Besonderheit, der Bestimmtheit, in welcher das Allgemeine ungetrübt sich selbst gleich bleibt, und der Einzelheit, als der Reflexion-in-sich der Bestimmtheiten der Allgemeinheit und Besonderheit, welche negative Einheit mit sich das an und für sich Bestimmte und zugleich mit sich Identische oder Allgemeine ist. Das Einzelne ist dasselbe, was das Wirkliche ist, nur dass jenes aus dem Begriffe hervorgegangen, somit als Allgemeines, als die negative Identität mit sich gesetzt ist. Das Wirkliche, weil es nur erst an sich oder unmittelbar die Einheit des Wesens und der Existenz ist, kann es wirken; die Einzelheit des Begriffes aber ist schlechthin das Wirkende, und zwar auch nicht mehr wie die Ursache mit dem Scheine, ein Anderes zu wirken, sondern das Wirkende seiner selbst. – Die Einzelheit ist aber nicht in dem Sinne nur unmittelbarer Einzelheit zu nehmen, nach der wir von einzelnen Dingen, Menschen sprechen; diese Bestimmtheit der Einzelheit kommt erst beim Urteile vor. Jedes Moment des Begriffs ist selbst der ganze Begriff (§ 160), aber die Einzelheit, das Subjekt, ist der als Totalität gesetzte Begriff. [Enz. § 164:] Der Begriff ist das schlechthin Konkrete, weil die negative Einheit mit sich als An-und-Für-sich-Bestimmtsein, welches die Einzelheit ist, selbst seine Beziehung auf sich, die Allgemeinheit ausmacht. Die Momente des Begriffs können insofern nicht abgesondert werden; die Reflexionsbestimmungen sollen jede für sich abgesondert von der entgegengesetzten, gefasst werden und gelten; aber indem im Begriff ihre Identität gesetzt ist, kann jedes seiner Momente unmittelbar nur aus und mit den anderen gefasst werden.“

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Text aus: Lehre vom Begriff

In der Begriffslehre ist die Allgemeinheit die unmittelbare bzw. erste Bestimmung des Begriffs.41 Die Allgemeinheit als Unmittelbarkeit ist 41

Zur Dialektik des Begriffs vgl. Dieter Wandschneider Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung, in: Das Problem der Dialektik, (Hrsg.) D. Wandschneider, Bonn 1997, 114-169; Werner Flach Hegels dialektische Methode,

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Lehre vom Begriff

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daher die Selbstgleichheit, welcher der Begriff zunächst fähig ist. Diese Selbstgleichheit ist zugleich aber auch eine Selbstbeziehung des Begriffs, denn der Begriff nimmt als seine Existenzform aus dem Wesen die manifestatio sui mit, d.h., er ist in dem, was er hervorbringt, bei sich. Das was dem Begriff notwendig ist, ist zugleich seine Freiheit. Für Hegel schließen sich hinsichtlich des selbstbewussten Begriffs Freiheit und Notwendigkeit nicht aus, sondern ein. Die Unmittelbarkeit ist bereits in der Seinslehre einfache Selbstgleichheit. Im Begriff ist die Unmittelbarkeit der Allgemeinheit allerdings eine komplexere Form der Selbstgleichheit als im Sein. Denn im Begriff ist die unmittelbare Allgemeinheit in sich selbst auf die Negativität, d.h. auf den dialektischen Bestimmungsprozess bezogen. Diesen dialektischen Bestimmungsprozess umschreibt Hegel als „An-und Für-sich-Bestimmtsein“, das die Einzelheit ist. Die Einzelheit zeigt sich auch im Abschluss der gesamten Logik, in der absoluten Idee, als das dialektische Zentrum der Negation. Hegels Äußerung bedeutet daher, dass in der Lehre vom Begriff in den jeweiligen Begriffsbestimmungen bereits ihr eigener dialektischer Bestimmungsprozess thematisch gesetzt ist. In den Begriffsbestimmungen sind die ihnen jeweils entgegengesetzten thematisch und positiv gesetzt. Daher sind in allen drei Begriffsbestimmungen: in Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit die beiden jeweils entgegengesetzten Begriffsbestimmungen positiv und thematisch mitenthalten. Auf diese Weise ist der Begriff konkrete Allgemeinheit: „Aber das Allgemeine ist das mit sich Identische ausdrücklich in der Bedeutung, dass in ihm zugleich das Besondere und Einzelne enthalten sei. Ferner ist das Besondere das Unterschiedene oder die Bestimmtheit, aber in der Bedeutung, dass es allgemein in sich und als Einzelnes sei. Ebenso hat das Einzelne die Bedeutung, dass es Subjekt, Grundlage sei, welche die Gattung und Art in sich enthalte und selbst substantiell sei. Dies ist die gesetzte Ungetrenntheit der Momente in ihrem Unterschiede (§ 160) – die Klarheit des Begriffes, in welchem jeder Unterschied keine Unterbrechung, Trübung macht, sondern ebenso durchsichtig ist.“ (TW 8, 314; Enz. § 164 Anm.) in: Hegel-Studien Beiheft 1, 1964, 55-64; und Michael Forster Hegel’s dialectical method, in: The Cambridge Companion to Hegel, (Hrsg.) F.C. Beiser, Cambridge 1993, 130-170; sowie Heinz Kimmerle Die allgemeine Struktur der dialektischen Methode, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33, 1979, 184-209. Vgl. auch den Sammelband: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion, (Hrsg.) D. Henrich, Stuttgart 1986.

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9. Die Entwicklungsdialektik

Daraus folgt die spezifische, kontinuierliche Entwicklungsdialektik des Begriffs. Die Entwicklungsdialektik des Begriffs besteht darin, dass sich die Bestimmungen kontinuierlich in ihr Entgegengesetztes wandeln und dass sie dieses Entgegengesetzte nicht einfach von sich ausschließen, sondern es jeweils positiv in ihrem eigenen Bedeutungsgehalt implizieren, reflektieren und zum Ausdruck bringen. So impliziert nach Hegel in der absoluten Idee die anfangende Begriffsbestimmung der Allgemeinheit in direkter Weise die Bestimmung der Besonderheit. Die Allgemeinheit geht in der Besonderheit nicht verloren, hebt sich nicht in dem Sinne auf, dass sie nivelliert in ihrem Entgegengesetzten untergeht, sondern die Allgemeinheit findet im Besonderen ihre in ihr selbst enthaltene, genauere und komplexere Bestimmung. Ebenso vollendet sich die Bestimmung der Besonderheit positiv in der Begriffsbestimmung der Einzelheit, die sich wiederum positiv zur Allgemeinheit umwandelt. Die Bestimmungen, die in der Lehre vom Begriff auftreten, sind also in sich komplex, weil sie das ihnen jeweils Entgegengesetzte nicht einfach von sich ausschließen, sondern vielmehr dieses von vornherein in sich enthalten. Das positive Enthaltensein macht den Komplexitätsgrad der Begriffsbestimmung aus. Darin zeigt sich auf der logischen Ebene des Begriffs die Struktur der konkreten Allgemeinheit. Die Begriffsbestimmungen enthalten einander in komplexer Weise als notwendige Implikate. Die eigene Bedeutung einer Begriffsbestimmung ist von den von ihr unterschiedenen Begriffsbestimmungen nicht abzutrennen. Im Begriff ist die dialektische „Fortbewegung nur Entwicklung; es ist in ihm dasjenige schon vorhanden, was in ihm hervortritt, und die Demonstration ist insofern nur eine Monstration, eine Reflexion als Setzen desjenigen, was [...] schon vorhanden ist“ (TW 6, 310). Das besondere Signum der Begriffsbestimmungen ist daher die positive Beständigkeit in ihrem Entgegengesetzten. Diese positive Beständigkeit ist gemeint, wenn Hegel davon spricht, dass sich in der Lehre vom Begriff die voneinander unterschiedenen Bestimmungen ineinander „kontinuieren“: „Die abstrakte Form des Fortgangs ist im Sein ein Anderes und Übergehen in ein Anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene kontinuiert und als Identität mit ihm ist.“ Wenn Hegel hier im § 240 der Enzyklopädie gerade den sich entwickelnden Unterschied von Einzelheit und Allgemeinheit erwähnt, dann

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geschieht dies, weil diese beiden Begriffsbestimmungen die Unterschiedenheit, die in den Begriffsbestimmungen gesetzt wird, besonders deutlich machen, denn es handelt sich bei Einzelheit und Allgemeinheit um die einander am deutlichsten entgegengesetzten Begriffsbestimmungen. Die spezifische Entwicklungsdialektik besteht also in dem positiven Sich-Erhalten einer Bestimmung in ihrer entgegengesetzten; Identität im Wechsel. Kontinuierlich erhalten und enthalten sich die Bestimmungen der Lehre vom Begriff in ihren in ihnen selbst gesetzten Unterscheidungen. Damit deckt Hegel die logischen Grundstrukturen der Personalität auf, denn auch z.B. die empirische Persönlichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr der Widerspruch vereint ist, sich gleichermaßen zu ändern und doch dieselbe zu sein. Die Kontinuität der Entwicklungsdialektik des Begriffs ist in seiner Identität begründet. Diese besteht darin, dass sich der Begriff aktiv zu sich selbst verhält, wenn er seine eigenen Bestimmungen, also seine immanenten Unterschiede setzt. Das immanente Setzen der eigenen Bestimmtheiten ist ein freier Akt des Begriffs. Freiheit ist als Unbedingtheit durch ein Äußeres zu verstehen. Der Begriff ist frei, weil er selbstbestimmt ist. In diesem Sinn ist die Freiheit des Begriffs Autonomie, denn die Setzung des Unterschieds erfolgt nach Hegel in den Begriffsbestimmungen gesetzmäßig, wobei sich die Gesetzmäßigkeit aus den Bestimmungen selbst ergibt. Freiheit besteht nach Hegel also darin, dass der Begriff ein aktiv sich wissendes Selbstverhältnis ist. „Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Übergehen noch Scheinen in Anderes, sondern Entwicklung, indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das identische mit einander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freies Sein des ganzen Begriffes ist.“ (TW 8, 308; Enz. § 161) Hegel grenzt wiederum die Übergangsdialektik des Seins und die Reflexionsdialektik des Wesens gegen die Entwicklungsdialektik des Begriffs ab. Diese Abgrenzung ist zu vollziehen, weil in den beiden ersten Typen der Dialektik noch kein aktives, sich wissendes Selbstverhältnis vorliegt, wie es der autonome, sich selbst bestimmende Begriff realisiert. Darin besteht der Grund für die Zweiteilung der Logik in objektive und subjektive Logik. Sein und Wesen bilden die objektive Logik, weil in ihren Bestimmungen und in der dialektischen Struktur, die diesen Bestimmungen zugrunde liegt, das begriffliche Sich-zu-sichVerhalten noch nicht realisiert ist:

9. Die Entwicklungsdialektik

„Die vorhergehenden logischen Bestimmungen, die Bestimmungen des Seins und Wesens, sind zwar nicht bloße Gedankenbestimmungen, in ihrem Übergehen, dem dialektischen Momente, und in ihrer Rückkehr in sich und Totalität erweisen sie sich als Begriffe. Aber sie sind (vgl. § 84 u. 112) nur bestimmte Begriffe, Begriffe an sich, oder was dasselbe ist, für uns, indem das Andere, in das jede Bestimmung übergeht oder in welchem sie scheint und damit ein relatives ist, nicht als Besonderes, noch ihr Drittes als Einzelnes oder Subjekt bestimmt, nicht die Identität der Bestimmung in ihrer entgegengesetzten, ihre Freiheit gesetzt ist, weil sie nicht Allgemeinheit ist.“ (TW 8, 310; Enz. § 162 Anm.)

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Dies bedeutet, dass auch die Bestimmungen der objektiven Logik nicht bloß endlich-einseitige, verständig-subjektive Bestimmungen sind. Auch diese Bestimmungen sind rein logische Gedanken und keine subjektiv willkürlichen Einfälle, denn sie partizipieren bereits an der reinen, spekulativen Dialektik. Dies macht sie zu logisch-spekulativen Bestimmungen, denn sie vereinigen in sich Entgegengesetztes. Aber in diesen Begriffen vollzieht sich kein spekulatives Selbstverhältnis, wie es der Begriff realisiert. Das absolute „Subjekt“ ist in den Bestimmungen des Seins und Wesens nur verhüllt anwesend. Zwar gibt es auch in Sein und Wesen Subjektivitätsstrukturen; so ist das „Etwas“ aus der Lehre vom Sein der „Anfang des Subjekts“ (TW 5, 123), weil hier die dialektische, doppelte Negation erstmalig konkret vollzogen wird; aber dass die Dialektik die Struktur der Subjektivität selbst ist, wird von den Kategorien der objektiven Logik nicht vollzogen. Dass die Kategorien der objektiven Logik Begriffsbestimmungen sind, also von der absoluten Subjektivität, die in letzter Instanz die absolute Idee ist, gesetzt sind, ist in diesen objektiven Bestimmungen nur latent gelegen und nur für uns zu erkennen. Der metareflektierende Philosoph, der bereits über das Wissen der absoluten Idee verfügt, ist in der Lage, die Kategorien der objektiven Logik als spekulative Begriffe der absoluten Subjektivität zu erkennen. Die spekulative Einheit der Begriffsbestimmungen: Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit wird in höchster und komplexester Weise erst in der absoluten Idee methodisch realisiert. Nur aus dieser absoluten Perspektive zeigen sich die Strukturen absoluter Subjektivität schon in den kategorialen Bestimmungen des Seins und Wesens. Diese Strukturen bestehen darin, dass die Kategorien der objektiven Logik an der Dialektik partizipieren. Für den notwendigen und methodisch gesicherten Ableitungsprozess der Logik ist es jedoch von zentraler Bedeutung, dass dieses Vorwissen,

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das der metareflektierende Philosoph aus der absoluten Perspektive hat, nicht in die Kategorien der objektiven Logik einfließt. Was wir wissen und was zwar an sich wahr ist, aber noch nicht systematisch abgeleitet wurde, ist vielmehr von den Kategorien der objektiven Logik fernzuhalten: „In den verschiedenen Kreisen der Bestimmung und besonders im Fortgange der Exposition, oder näher im Fortgange des Begriffs zu seiner Exposition ist es eine Hauptsache, dies immer wohl zu unterscheiden, was noch an sich und was gesetzt ist, wie die Bestimmungen als im Begriffe und wie sie als gesetzt oder als Seiend-für-Anderes sind. Es ist dies ein Unterschied, der nur der dialektischen Entwicklung angehört, den das metaphysische Philosophieren, worunter auch das kritische gehört, nicht kennt“ (TW 5, 131, vgl. auch a.a.O., 116 f.). In den Ableitungsprozess der Kategorien der Logik würden unbewiesene Prämissen einfließen, wenn unser Wissen und die Begriffsbestimmungen vorzeitig in die objektive Logik eingebracht würden. Unser Wissen ist daher streng von dem Ableitungsprozess der Kategorien fernzuhalten. Es kann höchstens zur Erläuterung mitberücksichtigt werden, aber nicht zur Begründung. An dieser Stelle deckt Hegel eine gemeinsame methodische Schwäche der Transzendentalphilosophie Kants und der vormaligen dogmatischen Metaphysik auf, obgleich Kant seine eigene Transzendentalphilosophie deutlich von der Ontologie und Metaphysik der vorkritischen Philosophie absetzt und mit seiner transzendentalen Deduktion der Kategorien auch auf einem durchaus richtigen Weg war. Hegel beansprucht, die gemeinsame methodische Schwäche von Metaphysik und Kritik in seiner gleichfalls (wahrhaft) metaphysischen und (wahrhaft) kritischen Logik durch einen methodischen Neuansatz mit seiner Dialektik eliminiert zu haben. So gesehen ist Hegel sicherlich in methodischer und in methodologischer Hinsicht einer der ausgereiftesten Philosophen überhaupt. Diese Schwäche besteht darin, zwischen den immanenten Bestimmungen des zu analysierenden Gegenstandes und den von uns verwendeten Bestimmungen innerhalb der Analyse nicht hinreichend zu differenzieren. Erst wenn man diese Differenzierung vornimmt, ist ein wirkliches Wissen der einer Sache immanenten Bestimmungen möglich, darüber hinaus wird erst dann die konsequente Elimination von VorUrteilen möglich. Erst wenn man zwischen den Denkoperationen, die wir anwenden müssen, um überhaupt etwas Sinnvolles angesichts eines

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9. Die Entwicklungsdialektik

Gegenstandes begreifen zu können, und den dem Gegenstand selbst immanenten Bestimmungen differenziert, ist ein methodisch präzises Philosophieren möglich. In seiner Transzendentalphilosophie hat Kant z.B. zwischen den zu betrachtenden Denkbestimmungen, die den Gegenstand konstituieren (Kategorien), und den Strukturen unseres Denkens, die wir anwenden müssen, um diese Bestimmungen bestimmen zu können, nicht klar genug differenziert. Innerhalb der transzendentalen Deduktion der Kategorien differenziert Kant nicht klar zwischen denjenigen Aspekten, die den Kategorien immanent sind, und denjenigen, die nur für uns oder für den Transzendentalphilosophen gelten. So bleibt z.B. bei Kant unklar, wie die jeweils dritte einer Kategoriengruppe entsteht. Kant führt aus, dass bei den Kategorien der Qualität: Realität, Negation und Limitation, die dritte Kategorie durch eine Synthese der ersten beiden entsteht.42 Wenn man also Realität in Verbindung mit Negation denkt, entsteht Limitation. Hinsichtlich der Quantitätskategorien gilt dasselbe: Wenn Einheit mit Vielheit synthetisiert wird, entsteht die Allheit. Doch aus Hegels Perspektive kann man hieran in methodischer Hinsicht kritisieren, dass unklar bleibt, ob diese Synthese nur in unserem Denken, also im Denken der mitreflektierenden Philosophen stattfindet oder ob die Kategorien das selbst vollziehen, und falls das der Fall sein sollte, wie es genau geschehen soll, dass Kategorien selbst Synthesen vollziehen. Bei Hegel ist diese Unklarheit methodisch beseitigt. Man könnte fast sagen, die ganze Hegelsche Logik hat zur Aufgabe, zu zeigen, wie sich die Synthese von Denkbestimmungen selbst macht, und um dieses Selbstmachen klar analysieren zu können, dürfen eben keine Bestimmungen von uns, den diese Analyse nachvollziehenden Philosophen, in die Untersuchung als sachliche Voraussetzung einfließen. Kant war hier zwar schon auf einem richtigen Weg, Selbstbewusstsein und gedachten Begriff/Kategorie nicht mehr äußerlich zu trennen, doch hat er nicht klar genug zwischen dem Denken des Transzendentalphilosophen und der „Denktätigkeit“ der von ihm analysierten Begriffe differenziert. Ähnliche methodische Schwierigkeiten sieht Hegel an der zitierten Stelle offenbar auch schon in der vorkritischen Metaphysik und Ontologie. Wenn Platon z.B. im Sophistes Dialog die Dialektik der fünf obersten Gattungen entfaltet, also die dialektische Bestimmung von: Bewegung, Ruhe, Sein, Selbigkeit und Anderssein, dann unterscheidet auch er nicht zwischen denjenigen Abschnitten seiner Dialektik, die nur in unser Denken fallen und solchen dialektischen Abschnitten der Bestimmungsbewegung, die in die Gattungsbegriffe selbst fallen. 42

Vgl. Kant Kritik der reinen Vernunft, B 110 f.

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Die Differenzierung zwischen untersuchtem Denken und untersuchendem Denken gibt es in Hegels Wissenschaft der Logik nicht nur in der Übergangsdialektik des Seins und in der Reflexionsdialektik des Wesens, sondern konsequenterweise auch in der Entwicklungsdialektik des Begriffs. Unsere Metareflexion hebt sich erst in der absoluten Idee vollständig auf, denn dort wird erkennbar, dass unser Wissen und der kategoriale Inhalt der Logik identisch sind. In der absoluten Idee wird nämlich die Methode allen Denkens, die Dialektik zum Inhalt des Denkens. Wenn auch für die rudimentäreren Begriffsbestimmungen gilt, dass sie aktive Selbstverhältnisse der absoluten Subjektivität sind, so gibt es doch bei ihnen noch verschiedene Grade der Realisation der absoluten Subjektivität; diese ist nicht bereits am Anfang der Begriffslogik vollendet, sondern muss verschiedene Stadien ihrer Entwicklung durchlaufen. Ohne diese verschiedenen Stadien gäbe es keine Entwicklungsdialektik des Begriffs, denn er wäre entwicklungslos derselbe am Anfang und am Ende der Begriffslogik. An der Entwicklungsdialektik des Begriffs wird ein wesentliches Strukturmoment der absoluten Subjektivität deutlich. Die sich dialektisch ineinander entwickelnden Begriffsbestimmungen aus der Lehre vom Begriff bilden nicht Prädikate, die dem Begriff, bzw. der absoluten Subjektivität zufälliger- oder akzidentellerweise zukommen, sondern sie bilden in ihrem dialektischen Zusammenhang den Begriff selbst. In diesem Sinn identifiziert Hegel seine Konzeption des Begriffs als absoluter Subjektivität – trotz der im vorhergehenden geschilderten methodischen Kritik – mit Kants Theorie der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption und lobt Kants transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe: „Kant ist über dieses äußerliche Verhältnis des Verstandes als des Vermögens der Begriffe, und der Begriffe selbst, zum Ich, hinausgegangen. Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, dass die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, als Einheit des >Ich denkePhänomenologie des Geistes< und Schellings >FreiheitsschriftPhänomenologie des GeistesGrundlage der gesamten Wissenschaftslehre< von 1794, Darmstadt 2006 Schick, Friedrike Hegels Wissenschaft der Logik – Metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen? Freiburg i.Br./München 1994 Schmidt, K.J. Zum Unterschied zwischen wesenslogischer und seinslogischer Dialektik, in: Das Problem der Dialektik, (Hrsg.) D. Wandschneider, Bonn 1997, 32-51 Sedwick, Sally Erkennen als ein Mittel. Hegels Kant-Kritik in der Einleitung zur >Phänomenologie