Relationen: Texte und Bauten 9783035611106, 9783035612288

Leben für die Architektur Der Titel des Buches setzt die beiden Tätigkeitsfelder, das Bauen und das Schreiben, des Arc

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German Pages 240 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Neue Historiografie − und »Big Data History«
Sozialer Wohnbau
Grenzenlos – Urbanismus: moderne und postmoderne Situationen, Architektur und Kommodität
Transformationen
Fiktion des Raumes: Zur Differenz der Projektionen: Raumhülle, Raumplan, Raumform, Plan Libre, White Cube, Dark Room, Kunstraum
Case Study: das private Haus, das private Wohnen
Vier Positionen aus Wien: Josef Frank, Friedrich Kiesler, Hans Hollein, Wolf D. Prix
Möbel und Installationen
Emigrationen – der verlorene Alltag: Ernst Lichtblau und Ernst A. Plischke
Architekturfotografie – ein architektonisches Album
Biografie und Werkverzeichnis
Index
Abbildungsverzeichnis
Impressum
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Relationen: Texte und Bauten
 9783035611106, 9783035612288

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Relationen: Texte und Bauten

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0.1  August Sarnitz, 2010 Haus Wittgenstein, 1926–1928, Eingangshalle, Detailfoto, bewusst unscharf fotografiertes Bild, entsprechend dem Satz von Ludwig Wittgenstein über die Unschärfe: »Ist eine unscharfe Fotografie überhaupt ein Bild eines Menschen? Ja, kann man ein ­unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das ­unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?« Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Werk­ ausgabe, Band 1, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1989, § 71

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August Sarnitz

Relationen: Texte und Bauten

Birkhäuser Basel

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Gewidmet: Stanford Anderson Beatriz Colomina Kristin Feireiss Kenneth Frampton David Gebhard Otto Graf Hans Hollein Victoria Newhouse Gustav Peichl Wolf D. Prix Eduard Sekler Julius Shulman Kathryn Smith Markus Spiegelfeld Linda Tyler

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Neue Historiographie – und »Big-Data-History« . . . . . . . . . . . 10 Sozialer Wohnbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Grenzenlos – Urbanismus: moderne und postmoderne Situationen, Architektur und Kommodität . . . . . . . . . . . . . . 48 Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Fiktion des Raumes: Zur Differenz der Projektionen: Raumhülle, ­Raumplan, Raumform, Plan Libre, White Cube, Dark Room, ­Kunstraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Case Study: das private Haus, das private Wohnen . . . . . . . . . 118 Vier Positionen aus Wien: Josef Frank, Friedrich Kiesler, Hans Hollein, Wolf D. Prix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Möbel und Installationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Emigrationen – der verlorene Alltag: Ernst Lichtblau und Ernst A. Plischke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Architekturfotografie – ein architektonisches Album . . . . . . . . 214

Biografie und Werkverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

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0.2  August Sarnitz, 2015 Eingangstüre zur Wohnung von Sigmund Freud, Wien, ­Berg­gasse 19. Hinter dieser Tür entstand der Text zum »­Unheim­lichen«, publi­ziert im Jahr 1919

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Einleitung

Relationen: Texte und Bauten ist ein Album und eine Sammlung im übertragenen Sinne: Dokumentationen, Interviews und Spekulationen begleiten das Narrative und das Poetische. Bilder von Architekturen ergänzen diese Texte, existieren aber auch als autonome Abbildungen, als Fotografie. In Relationen: Texte und Bauten werden unterschiedliche theoretische und exemplarische Positionen zum architektonischen Diskurs reflektiert. Ein komplexes System aus Codes, Konventionen und Limitatio­ nen definiert die postmoderne und spätkapitalistische Gesellschaft. Architektur, Design, Mode und die Künste reflektieren dieses komplexe System auf differenzierte Weise. Die Ästhetik der postmodernen Gesellschaft manifestiert sich als verhandelbare Konsensualität im kulturellen Leben.1 Sigmund Freud definierte in Wien um 1900 das »Ich«, das »Es« und das »Über-Ich« und beschrieb eine Gesellschaft, die daran glaubte – zumindest auf einer konventionellen Ebene –, dass es verbindliche moralische und kulturelle Standards gab.2 Postmoderne Gesellschaften suggerieren ein »Es« ohne korrespondierendes »Über-Ich«: Das menschliche Handeln, die Architektur, das Design, die Künste und die Mode spiegeln aus diesem Grund im Allgemeinen eine real existierende Alltäglichkeit wider, eine Aufgeregtheit des Durchschnittlichen und eine Eventgesellschaft der konstruierten Besonderheiten. In seltenen Fällen führt der kritische Diskurs zu aktiven politischen Reflexionen. Das Buch Event-Cities von Bernard Tschumi kommentiert diese veränderten urbanen Strukturen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, es ­erfüllt aber durchaus auch marktkonforme Erwartungen.3 Zwei Begriffe helfen, den postmodernen Diskurs zu umschreiben: »grenzenlos« und »unheimlich«. »Grenzenlos« scheint ein passender Begriff für eine Diskussion dieser Architektur- und Kunstwelt zu sein, die sich in einer Zeit befindet, in der Grenzen neu definiert werden und in der »grenzenlos« sowohl eine positive als auch eine negative Konnotation erhalten kann. Grenzenlos ist der Hunger multinationaler, global agierender Firmen des Finanzkapitalismus, grenzenlos soll aber auch eine Welt sein, in der sich Menschen frei bewegen können. 1 David Harvey, The Condition of Postmodernity, Blackwell, Oxford u. a. 1990; Jean-François Lyotard, Das Postmoderne Wissen, hg. von Peter Engelmann, Passagen Verlag, Wien 2012, Original »La Condition postmoderne« (1979). 2 Sigmund Freud, »Das Ich und das Es«, in: ders., Psychologie des Unbewussten, Studienausgabe, Band 3, S. Fischer, Frankfurt am Main 1982, S. 273−325. 3 Bernard Tschumi, Event-Cities, Praxis, MIT Press, Cambridge (USA) 1994.

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Einleitung

eine Architektur der »Aufgeregtheit« zu vermeiden, die gegenwärtig einen großen Teil der medialen Architektur prägt. Die Bauwerke versuchen, in die Wahrnehmung das Gefühl des »Bauens« und »Werkens« einzubinden. Material und Detail sollen Atmosphären erzeugen. Das erste Kapitel »Neue Historiografie – und ›Big Data History‹« beschäftigt sich mit dem Konstrukt der Historiografie und im weiteren Zusammenhang mit der Informationsflut an Daten, der Welt der Algorithmen, dem Google-Index und dem Google-Faktor als überraschende Information zur Wahrnehmung von Architektur. Unter dem Titel »Sozialer Wohnbau« zeigt der Autor seine Beispiele aus Wien: Neubauten im Stadtkontext und in neuen urbanen Siedlungen. Mit »Grenzenlos« umschreibt der Autor im dritten Kapitel ein Thema, das sich mit den »Cityscapes of Modernity« und den »Cityscapes of Postmodernity« beschäftigt.6 Das Thema »Transformationen« adressiert Veränderungen bestehender Bauwerke. Der Beitrag »Fiktion des Raumes« zeigt die Abhängigkeit der Raumproduktion von den jeweiligen theoretischen Ansätzen. Das Kapitel »Case Study: das private Haus, das private Wohnen« diskutiert exemplarisch das Thema des Wohnens. Im Text »Vier Positionen aus Wien« werden wesentliche Ideen von Architekten zur Architektur des 20. Jahrhunderts diskutiert, die zu Wien eine besondere Beziehung hatten. »Möbel und Installationen« kommentieren das kulturelle Verständnis der kleinen Architekturen. Das neunte Kapitel »Emigrationen« ist den unfreiwilligen Emigrationen aus Österreich gewidmet und zeigt eine Vernetzung der künstlerischen und intellektuellen Potenziale auf. Im letzten Kapitel »Architekturfotografie« werden abschließend wichtigen Impulse aufgrund der fotografischen Wahrnehmung der Architektur diskutiert. Bedanken möchte ich mich bei der Akademie der bildenden Künste Wien, meiner »Homebase« und beim Institut für Kunst und Architektur sowie bei allen Kolleginnen und Kollegen für intensive Diskussionen. Unterstützt wurden meine Recherchen von der ­Universitätsbibliothek der Akademie. Mein besonderer Dank gilt Inge Scholz-Strasser, der ehemaligen Direktorin des Sigmund Freud Museums, und ­Christof Schremmer, Partner und Mitglied der Institutsleitung am Österreichischen Ins­ titut für Raumplanung. Dank gilt auch Michael Wagner, R ­ obert ­Kiermayer und Eva Santo. Mein Dank gilt ferner dem Verlag Birkhäuser für die begleitende Diskussion, insbesondere mit David ­Marold und Angela Fössl. August Sarnitz, Wien 2018

6 David Frisby, Cityscapes of Modernity, Polity Press with Blackwell Publishers Ltd., Cambridge (UK) 2001.

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1.1  Axonometrie von dem Haus Margarete Stonborough-­ Wittgenstein, Architekt Ludwig Wittgenstein und Paul Engelmann, Wien, 1926–1928. Rekonstruktion der Halle und der Raum­ volumina. ­August Sarnitz mit Studierenden der Akademie der bildenden Künste Wien, 2009/10

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Neue Historiografie − und »Big Data History« »The theoretical knot that must be confronted is how to construct a history that, after having upset and shattered the appar­ ant compactness of the real, after having shifted the ­ideological barriers that hide the complexity of the strategies of domination, arrives at the heart of those strategies – arrives, that is, at their modes of production. But here we note the ­existence of a further difficulty: modes of production, isolated in themselves, neither explain nor determine. They themselves are anticipated, delayed, or traversed by ­ideological currents. Once a system of power is isolated, its ­genealogy cannot be offered as a universe complete in itself. The analysis must go further; it must make the previously isolated fragments collide with each ­other; it must dispute the limits it has set up.«1 Manfredo Tafuri

Manfredo Tafuri argumentiert in seinem Buch The Sphere and the Laby­ rinth, dass die Produktion der Geschichte ein künstliches Konstrukt darstelle, das sich innerhalb ideologischer Rahmenbedingungen definiere. Tafuri geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er im nächsten Satz des oben angeführten Zitates auf Sigmund Freud verweist, der die »Analyse« als prinzipiell »unendlich« definiert. Weiter argumentiert Tafuri: »Regarded as ›labor‹, in fact, analysis has no end; it is, as Freud recognized, by ist very nature infinite.«2 Mit dieser Art Verständnis von »Architekturgeschichte« nähern wir uns der prinzipiellen Frage, was eine Analyse leisten kann und wo die Parameter liegen, um diese Analyse auch als valid zu erkennen.

Analysen und Positionen Der Begriff der »Analyse« ist nicht nur »infinite« wie oben zitiert, sondern unterliegt Veränderungen im Modus Vivendi. Neue Begriffe im Diskurs der Architekturtheorie und der Architekturgeschichte wie »critical re-enacting« oder »critical re-constructing«, die einen speziellen Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre herstellen, werden als ergänzende und/oder alternative Methoden diskutiert, um neue Wege der Analyse in der Historiografie zu beschreiten. Erweitert wird 1 Manfredo Tafuri, The Sphere and the Labyrinth, MIT Press, Cambridge (USA) 1987; zitiert nach first MIT paperback edition, Cambridge (USA) 1990, S. 10. 2 Ebd., S. 10.

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Neue Historiografie − und »Big Data History«

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der neue Diskurs auch durch die »Big Data History«, also das Sammeln großer Mengen an Daten, die durch verschiedene Algorithmen sortiert und ausgewertet werden: Algorithmen − Suchalgorithmen und Empfehlungsalgorithmen, verstanden als übergeordnete Informationsträger und Informationsvermittler. »Big Data History« erweitert und differenziert unseren Blick auf die Realität und die Geschichte. Algorithmen sind nicht objektiv, sie können sogar diskriminieren und reflektieren »konstruierte Codes«, welche Teil der Programmierung sind. In diesem Zusammenhang wird exemplarisch der »Architecture Google Index« und der »Architecture Google Factor« diskutiert. Grundsätzlich versucht jede Analyse eine Aufteilung und Zuteilung gegebener Informationen. In der Architektur bezieht sich diese auf generierende Aspekte wie Materialität, Struktur (Konstruktion und Funktion) und Ästhetik (im weitesten Sinne der optischen Wahrnehmung). Diese Aspekte wurden im 17. und 18. Jahrhundert im Umfeld der Aufklärung als definierte und wechselseitig wirkende Aspekte diskutiert. Für diese Zeit kommt zwei Architekturtheoretikern speziell in Frankreich eine übergeordnete Bedeutung zu: Abbé Jean-Louis de Cordemoy (1655–1714) und seinem Bewunderer, dem Abbé Marc-Antoine Laugier (1713−1769). Der Laie Laugier argumentiert in seinem zunächst anonym publizierten Text »Essai sur l’Architecture« (1753), dass die »Urhütte« als Keimzelle aller Architektur anzusehen sei – ganz im Duktus rousseauscher Theorie über den glücklichen »Urzustand« des Menschen. Für Laugier sind die Elemente der Urhütte – Säule, Gebälk und Giebel – diejenigen Architekturelemente, aus denen sich die Architektur natürlich, vernünftig und funktional entwickelt. Es ist also keine historische Legitimation notwendig – die Natur selbst weist den Weg. Die Wand ist für Laugier nur noch eine »licence«, also genau wie später bei Gottfried Semper eine »Bekleidung« und nicht mehr ein konstituierendes Element der Architektur. Mit diesem Paradigmenwechsel ist die Entwicklung der Moderne im Denken vorbereitet, die Natur und die Naturwissenschaften definieren in der Moderne den Diskurs der Architektur. Der Weg zur »modernen Architektur« führt aber über die »Umwege« des 19. Jahrhunderts. Mit Kolonialisierung ab dem 16. Jahrhundert, der Industrialisierung ab dem 18. Jahrhundert und der Kapitalisierung der Welt ab dem 19. Jahrhundert entsteht zugleich die internationale Welt der Ware und der Warenwelt: Warenproduktion, Warenaustausch. Mit der Fetischisierung der Ware entsteht auch eine Fetischisierung der Architektur. Zum Ende des europäischen Historismus − als Abbild der kommerzialisierten Warenwelt − wird zunehmend und verstärkt erneut die Frage nach der »Wahrheit« in der Architektur diskutiert. In einer Zeit, als sich Materialität und Ästhetik weitgehend über eine gegebene Struktur »stülpen«, ohne eine innere Beziehung herzustellen, stellt sich wiederholt die Frage, wie eine – wie auch immer definierte Kohärenz – zu realisieren sei. Otto Wagner umschreibt diese Situation mehrfach in seinen Texten zur Architektur. Seine Formulierung »etwas Unpraktisches kann nicht schön sein« führen die beiden lateinischen Sätze fort, die er an der

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Neue Historiografie − und »Big Data History«

Hauptfassade seiner eigenen Villa in Wien-Hütteldorf einschreiben ließ. Vor der Hauptfassade stehend kann man auf der einen Seite den Satz »Sine arte sine amore non est vita« (Es gibt kein Leben ohne Kunst und ohne Liebe) lesen und auf der anderen Seite den Satz »Artis sola d ­ omina necessitas« (Die einzige Herrin der Kunst ist die Not­wendigkeit).3 Beide Sätze ergänzen einander, sind Teil einer Aussage. Wenn diese S­ ätze jedoch einzeln zitiert werden, ergeben sie einen anderen Sinn. Der Architekt und Theoretiker Wagner gibt hier − an seinem eigenen Haus − direkt Auskunft über sein künstlerisch-architektonisches Konzept, wie es selten zuvor ein Architekt getan hat. Diese Leitsätze stehen für die beiden wichtigsten Aspekte von Wagners Schaffens: die Vereinigung von Nützlichkeit und Schönheit, durchgeführt mit einer großen Leidenschaft für die Sache. Direkt und unvermittelt wird hier in Form von kurzen Aussagen auf die wesentlichen Handlungsanweisungen zur Architekturproduktion verwiesen. Im Rahmen der Architekturgeschichte und der Analyse und Interpretation des Werkes von Wagner sind diese Zitate immer besonders relevant gewesen. Wichtig ist sein Hinweis auf das zeitbezogene Handeln des Architekten. Im Vorwort zu seinem Buch Moderne Architektur (1896) nimmt er direkt Bezug darauf: »Ein Gedanke beseelt die ganze Schrift, nämlich der, dass die Basis der heute vorherrschenden Anschauungen über die Baukunst verschoben werden und die Erkenntnis durchgreifen muss, dass der einzige Ausgangspunkt unseres künstlerischen Schaffens nur das moderne Leben sein kann.«4 Mit der »Modernität«, also dem zeitbezogenen Leben der Menschen, eröffnet Wagner den permanenten Diskurs der Architektur. Ähnlich wie die Analyse, so ist auch die Architektur einer permanenten Veränderung unterworfen, es gibt also keine »definitive« Haltung zur Archi­ tektur − die Produktion der Architektur ist immer prozesshaft zu verstehen − als permanenter »work in progress«. Daher gab Wagner seiner Publikation Moderne Architektur für die vierte Auflage, die im ­November 1913 ­erschien, auch den neuen Titel Die Baukunst unserer Zeit. Somit ist kein »Adjektiv« der Architektur zugeordnet, sondern nur die »zeitbezogene Realität« als Gradmesser für ihre Substanz und Qualität. In der Wiener Tradition des Architekturdiskurses sind die Positionen einzelner Architekten oft unterschiedlich in ihrer Eindeutigkeit und ihrer Definition. Adolf Loos erklärt durch seine Texte und Erzählungen seine Analyse der Architektur. Sein Verständnis von »Wahrheit« gründet sich sehr genau in einem postsemperianischen Materialverständnis und einem kulturell konnotierten »Gebrauchswert« der Architektur. In seinem Artikel »Architektur«, in dem er gleichzeitig sein eigenes Werk erklärt und erläutert, beschreibt Loos den wesentlichen Unterschied zwischen Architektur und Kunst: »Das haus hat allen zu gefallen. Zum unterschiede vom kunstwerk, das niemanden zu gefallen hat. Das kunstwerk wird in die welt gesetzt, ohne dass ein bedürfnis dafür vorhanden wäre. Das haus deckt ein bedürfnis. Das kunstwerk 3 August Sarnitz, Otto Wagner, Taschen, Köln 2005, S. 26. 4 Otto Wagner, Moderne Architektur, Schroll, Wien 1896, 1. Auflage, Vorwort.

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ist niemandem verantwortlich, das haus jedem. Das kunstwerk will die menschen aus ihrer bequemlichkeit reißen. Das haus hat der bequemlichkeit zu dienen. Das kunstwerk ist revolutionär, das haus konservativ. Das kunstwerk weist der menschheit neue wege und denkt an die zukunft. Das haus denkt an die gegenwart […] So hätte also das haus nichts mit der kunst zu tun und wäre die architektur nicht unter die künste einzureihen? Es ist so. Nur ein ganz kleiner teil der architektur gehört der kunst an: das grabmal und das denkmal. Alles andere, was einem zweck dient, ist aus dem reich der kunst auszuschließen.«5 Loos geht in seiner Architekturdiskussion sogar noch einen Schritt weiter, indem er die »horizontale« Produktion der Architektur im Sinne der »Grundrisse« komplett ignoriert und sein Prinzip des »Raumplanes« als neues und der Moderne entsprechendes Entwurfsprinzip entgegenstellt. Dieses Entwerfen im Raum inkludiert ferner die von Loos geforderte »Sparsamkeit«, da nicht nur die Fläche, sondern auch der Raum optimal ausgenutzt werden soll und dementsprechend kleine Räume nicht unnötig »hoch« sein sollen (auch um ihre Proportionen zu wahren). Hier reflektiert Loos die Sparsamkeit als eine Reduktion auf das Notwendige und das wirklich »Wahre« – denn wo sich die Notwendigkeit und die Realität treffen, ist für ihn die Wahrheit zu finden. Daher ist auch die »Nacktheit« bei Loos keine obszöne Darstellung, sondern eine Notwendigkeit, um der Realität zum Ausdruck zu verhelfen. Diese Position erklärt seine geistige Freundschaft mit Karl Kraus, der die architektonische Position von Loos in einem Satz zusammenfasst: »Adolf Loos und ich, er wörtlich, ich sprachlich, haben nichts weiter getan als gezeigt, dass zwischen einer Urne und einem Nachttopf ein Unterschied ist und dass in diesem Unterschied erst die Kultur Spielraum hat. Die anderen aber, die Positiven, teilen sich in solche, die die Urne als Nachttopf, und die den Nachttopf als Urne gebrauchen.«6 Interessant bleibt der Hinweis, dass Loos seine Gedanken zum Raumplan nicht referenziell auf den deutschen Kunsthistoriker ­August Schmarsow zurückführte, der in seiner Antrittsvorlesung »Das ­Wesen der architektonischen Schöpfung« an der Universität Leipzig am 8. November 1893 die Architektur als »Raumgestalterin« bezeichnete. Gleichzeitig setzte sich Schmarsow kritisch mit den Aussagen Sempers über die »Bekleidung« auseinander, als ob die Architektur nichts anderes wäre als eine bekleidete Struktur beziehungsweise Konstruktion. »Die Geschichte der Baukunst ist eine Geschichte des Raumgefühls, und damit bewusst oder unbewusst ein grundlegender Bestandteil der Geschichte der Weltanschauungen.«7 Schmarsows Beschreibungen der Architektur als Raumkunst bleibt für das gesamte 20. Jahrhundert von eminenter Bedeutung, da der »Raum an sich« eine architektonische

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5 Adolf Loos, Trotzdem, Brenner Verlag, Innsbruck 1931 6 Zitiert nach der Jubiläumsschrift zu Adolf Loos’ 60. Geburtstag, Löcker Verlag, Wien 1930. 7 August Schmarsow, Antrittsvorlesung 8. 11. 1893, Universität Leipzig, 1893. Text zitiert nach: August Schmarsow, »Das Wesen der architektonischen Schöpfung« (1894), in: Jörg Dünne und Stefan Günzel (Hg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Suhrkamp, Fankfurt am Main 2006, S. 482.

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Qualität und damit auch eine neue Realität erfährt: Die großen Innenräume der modernen Architektur erhalten dadurch eine doppelte Bedeutung − als »Architekturvisionen« und als »öffentliche Räume« einer zivilen Konsumgesellschaft. In den zeitgenössischen Diskussionen reflektieren die Arbeiten von Richard Sennett viele Untersuchungen zur Historiografie der Architektur und der Urbanität. Seine Publikation Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität beschreibt eindrücklich die Veränderungen der Gesellschaft und die Auswirkungen des Industriekapitalismus auf das öffentliche Leben – auf die Ökonomie der Städte, auf das Konsumverhalten und auf die Situation der großen Konsumtempel in den bürgerlichen Gesellschaften.8 Nicht immer kann die Analyse architektonischer Werke direkt einer Theorie zugeführt werden, wie dies bei Wagner und Loos der Fall ist. Der Wiener Zeitgenosse von Loos, der Architekt und Designer Josef Hoffmann (beide wurden in derselben k. und k. Provinz des ehe­ maligen Habsburgerreiches im Jahr 1870 geboren) äußerte sich wiederholt ­kritisch über die Theorie in der Kunst und der Architektur, wodurch eine sehr subjektive und auratische Entwurfshaltung konnotiert werde. »Hoffmann vermied allerdings […] jegliche kunsttheoretische Auseinandersetzungen, von denen er nichts hielt. Sein Misstrauen gegenüber dem intellektuellen Theoretisieren in der Kunst kommt wohl am ­deutlichsten in einem Ausspruch zum Ausdruck, den er machte, als er eine Einladung ablehnte, im Rundfunk über Kunst zu sprechen. Er meinte: ›Was soll man über Kunst sagen? Machen oder bleiben lassen! Da ist nix zu reden drüber, nicht?‹ Bei einer anderen Gelegenheit sagte er über sich selbst: ›Es gibt zwei Arten von Künstlern, die einen, die eine Sache vernunftgemäß aufbauen und systematisch entwickeln und die anderen, denen etwas einfällt – ich bin mehr für die Einfallenden.‹«9 Eine Analyse der Arbeiten von Hoffmann ist tatsächlich nur über Begriffe wie das »Kunstwollen« von Alois Riegl möglich, da eine innere Haltung des Designers nur in der kumulierten Abfolge seiner Werke möglich erscheint. Die Modernität der Architektur als »linearer Fortschritt« wird von Hoffmann offensichtlich infrage gestellt: Durch seinen subjektiv-künstlerischen Entwurfsprozess erhalten seine Arbeiten eine Zeitlosigkeit, deren Qualitäten sich primär aus den virtuosen Ideen und den materiellen Fertigkeiten definiert. Im Zusammenhang mit der Reflexion der Architekturgeschichte ist eine einfache und direkte »Analyse« der Architekturparameter nicht möglich. Stanford Anderson beschreibt in seinem viel zitierten Text »The Fiction of Function« die vermeintliche Funktionalität der Moderne, die sich gerne und vordergründig durch ihre »Funktionalität« definiert. Anderson zeigt hingegen, dass die Fiktion einer Funktionalität wichtiger war als die reale Funktion. Das »Bild der Funktion« – quasi eine Metapher der Funktion – genüge, um die moderne Funktionalität 8 Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, S. Fischer, Frank­ furt am Main 1983, siehe speziell Kapitel 7. 9 Eduard F. Sekler, Josef Hoffmann, Residenz, Wien/Salzburg, S. 236−237.

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auszudrücken. In seiner Analyse liegt die Kritik einer pseudolinearen Modernität, die sich selbstreferenziell an den Begriff der »Funktionalität« bindet, ohne jedoch den Inhalt tatsächlich zu reflektieren. »My argument will be that ›functionalism‹ is a weak concept, in­ adequate for the characterization or analysis of any architecture. In its recurrent use as the purportedly defining principle of modern archi­ tecture, functionalism has dulled our understanding of both the theories and practice of modern architecture. Further, if one then wishes, as many now propose, to reject modern architecture, this is done ­without adequate knowledge of what is rejected or what that rejection entails. Thus I wish first to argue that, within modern architecture, func­tionalism is a fiction – fiction in the sense of error. Later, I wish to incorporate fiction within a richer notion of fiction – that of story­ telling.«10 Diesem Text von Stanford Anderson kommt eine große Bedeutung im Zusammenhang mit der Diskussion zur Postmoderne (Heinrich Klotz) zu, die den Wandel der Moderne zur Postmoderne kritisch begleitet und die Begriffe »Funktion« und »Fiktion« einer permanenten inhaltlichen Veränderung aussetzt.

»Kritische Dekonstruktionen« Research in der Architekturgeschichte ist verbunden mit einer referenziellen Dekonstruktion der »scheinbar« objektiven Sachverhalte: Mithilfe eines »kritischen Re-Enactment« und »kritischen Re-­Constructing« können Aspekte eines Entwurfes oder einer architektonischen Idee wieder sichtbar gemacht werden.11 Mit Studierenden der Architektur und an der Akademie der bildenden Künste Wien wurde in den letzten Jahren im Bereich der Plattform »History / Theory / Criticism« wiederholt der Versuch unternommen, Analysen zur Architektur in Form von kritischen Rekonstruktionen durchzuführen. Die Parameter der Architekturdiskussion unterliegen Veränderungen, deren Ursachen oft in sozioökonomischen und technischen Entwicklungen liegen, aber außerhalb der kontrollierbaren Professionalität der Architektur. Agieren und Reagieren sind als Parameter im Entwurf und in der Analyse von grundsätzlicher Bedeutung. »Critical Re-enactment« ist deshalb eine vielversprechende Methode und ein Modus im Research der Architekturgeschichte.12 Studierende haben beispielsweise das Haus von Margaret Ston­ borough-­Wittgenstein in Wien (1926−1928, entworfen und gebaut von

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10 Stanford Anderson, »The Fiction of Function«, in: Assemblage, Nr. 2, 1987, S. 18−31. 11 August Sarnitz, Die Architektur Wittgensteins – Rekonstruktion einer gebauten Idee, Böhlau, Wien 2011. Siehe zur »Umfeld-Theorie« – »Beispiel einer offenen Matrix« S. 33. 12 entwerfen erforschen. Der »performative turn« im Architekturstudium, hg. von Angelika Schnell, Eva Sommeregger und Waltraud Indrist, Birkhäuser Verlag, Basel 2016.

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1.2  Video-Still aus dem Video: Resor House, Mies van der Rohe, 1937/38, Video Wintersemester 2013/14, Arbeit der Studierenden des Institutes für Kunst und Architektur, Mario Kaya, Julian Nocker, LMVDR Animated Collage (Vorlage: Ludwig Mies van der Rohe, Collage für Resor House, 1938), HTC-Entwurfsstudio Building the Design 2012/13, Angelika Schnell, Eva Sommeregger, IKA, ­Akademie der bildenden Künste Wien

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ihrem Bruder Ludwig Wittgenstein, kritisch rekonstruiert, und zwar mit allen verfügbaren historischen (zeitgenössischen) Informationen inklusive Möblierung und unterschiedlichen Arten der Glasfüllungen in den Türen. Raumsequenzen und Blickrichtungen konnten präzise simuliert werden, ergänzend zu neuen Fotodokumentationen wurden durch analytische Zeichnungen nachvollziehbare Qualitäten der Architektur dokumentiert. Die Fotos haben nicht nur die ursprünglichen Fotopositionen der historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Moritz Nähr aufgesucht und »rekonstruiert«, sondern die Fotos nehmen auch Bezug auf Texte von Ludwig Wittgenstein selbst. Hier wurde speziell der Begriff der »Unschärfe« verwendet, um neue Realitäten des Bauwerkes zur Diskussion zu bringen. Andere Analysen bezogen sich auf das »kritische Re-Enactment«. Als Beispiel wurde das erste Projekt von Ludwig Mies van der Rohe in den Vereinigten Staaten gewählt, das Resor House (1937/38). Ausgehend von der berühmten Collage des Hauptraumes produzierten die Studierenden eine Videoanimation, in der Tageslichtsituationen und jahreszeitliche Situationen (inklusive Schneefall) simuliert wurden.13 Die Thema­tik der Transparenz bei Mies van der Rohe wurde so eindrucksvoll und nachvollziehbar dokumentiert. Die Qualitäten der Glasarchitektur geben eine Referenz an die Zeit – indem sie die Jahreszeiten bewusst »miterleben« lassen. Der Genius Loci der Architektur wird bewusst überlagert von der realen Zeit des Objektes, wodurch eine atmosphärische Qualität der räumlichen Situation entsteht. Dieses neuerliche »Entstehen« und das bewusste »Re-Thinking« führen zu einem ganzheitlicheren Verstehen der Architekturgeschichte. Das »kritische Re-Enactment« kann bei einer Vielzahl von Situationen zu relevanten Diskursen führen. Mehrfach haben Studierende »fiktive Interviews« geführt, in denen sie Originaltexte dekonstruierten und anhand einer neuen Verknüpfung von Frage und Antwort diese Originaltexte neu interpretierten. Im Wintersemester 2009/10 habe ich mit Studierenden Texte von Karl Kraus, Adolf Loos und Ludwig Wittgenstein in Form von »fiktiven Interviews« dekonstruiert. Die Dialoge der Interviews führten zu umfangreichen Zeitcollagen und situationistischen Begebenheiten, wodurch die ursprünglichen Texte der Autoren durch die Studierenden »aktiviert« und diskursiv vermittelt werden konnten.

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13 Video-Still, Videoarbeit der Studierenden am IKA, Akademie der bildenden Künste Wien, Wintersemester 2013/14.

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»Big Data History« und statistische Häufigkeiten Weitere Modi des Research konzentrierten sich auf das Sammeln und Analysieren von großen Datenmengen. Unter dem Titel »Big Data History« habe ich ab dem Jahr 2008 mit Studierenden der Akademie der bildenden Künste Wien eine Big-Data-Studie durchgeführt. Als Grundlage diente die Deutsche Bauzeitung, Deutschlands älteste Fachzeitschrift für Architekten und Bauingenieure, die im Jahr 1867 von Karl Emil Otto Fritsch, Wilhelm Böckmann und Hubert Göbbels gegründet wurde. Die Zeitschrift erschien im Jahr 1867 noch unter dem Titel Wochenblatt des Architekten-Vereins zu Berlin. Die Deutsche Bauzeitung reflektiert über Jahrzehnte ein repräsentatives Bild der Diskussionen in den Fachbereichen Architektur, Ingenieurbau, Design und ­Architekturkritik. Die Aufgabenstellung bestand für die Studierenden darin, jeweils ein Jahrzehnt nach spezifischen Datenfeldern abzufragen, und diese sollten sie in »digital quantifizierten Textbildern« darstellen − ohne einen subjektiven Kommentar. Ziel war eine »statistische reale Abbildung« von Informationen, zum Beispiel die Häufigkeit der Namensnennung von Architektinnen und Architekten (Big Data), die der kanonischen Historiografie gegenübergestellt werden sollte. Ein wesentlicher Untersuchungszeitraum waren die 1920er- und 1930er-Jahre, weil hier die politischen und kulturellen Veränderungen in Deutschland von größter Relevanz waren. Der internationale Blick auf die Architekturgeschichte der Moderne wurde lange Zeit von der Publikation Space, Time and Architecture von Sigfried Giedion definiert. Dokumentiert wurden die »Charles Eliot Norton Lectures for 1938/39« von Giedion, das Buch selbst wurde erst im März 1941 von der Harvard University Press publiziert, die Übersetzung und die ­Arbeit an dieser Publikation waren im Frühjahr 1940 abgeschlossen. Somit gehörte dieses Buch von Anfang an zu den wesentlichen Bausteinen einer akademischen Architekturgeschichte, besonders unter den Rahmenbedingungen, dass Walter Gropius − damals als Professor an der Harvard University − Giedion persönlich eingeladen hatte, über »the growth of a new tradition« zu schreiben (so der Untertitel von Space, Time and Architecture). Interessant ist der kursiv gedruckte Hinweis von Giedion: »History is not a compilation of facts, but an insight into a moving process of life.« Und weiter in normaler Schrift: »Moreover, such insight is obtained not only by the exclusive use of the panoramic survey, the bird’s-eye view, but by isolating and examining certain specific events intensively, penetrating and exploring them in the manner of the close-up. This procedure makes it possible to evaluate a culture from within as well as from without.«14 Diese Aussagen von Giedion sollten die Studierenden durch eine »statistisch-reale Abbildung« aus der Deutschen Bauzeitung statistisch relativieren. Die Untersuchungen fokussierten sich auf die Namen von Architekten, Nennungen von Städten und Bauaufgaben. Im Folgenden 14 Sigfried Giedion, Space, Time and Architecture, hier verwendet: 7. Auflage, Juni 1947, Harvard Univer­ sity Press, Cambridge (USA). In seinem Vorwort erwähnt Giedion Walter Gropius jedoch nicht.

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werden nur die »Ergebnisse« für die Häufigkeit der Architektennamen aufgezeigt. Die im Folgenden präsentierten Untersuchung stammen von Studierenden des Winter­semesters 2016/17.15 Exemplarisch sind die 1920er-Jahre und die Jahre um die »Ergreifung der Macht« in Deutschland durch die Nationalsozialisten (1932−1934) ausgewählt worden. Anhand der Häufigkeit der Nennung von Architektennamen werden die jeweiligen Veränderungen sichtbar gemacht. Beispielhaft werden die Ergebnisse für folgende Jahre gezeigt: Häufigkeit von Architektennamen 1925, 1926, 1927 und 1932, 1933, 1934 sowie 1937. (Die Schriftgröße der Namen stellt die verhältnismäßige Häufigkeit der Nennung dar, die unterschiedlichen Farben – Blau und Rot – sind nur zur besseren Lesbarkeit ausgeführt.) Darstellung Nr. 1: 1926 In diesem Jahr ist der häufigste Name der von Peter Behrens. Im Jahr 1925 war das technische Verwaltungsgebäude der Chemiefirma ­Hoechst AG in Frankfurt am Main fertiggestellt worden, das als ein besonderes Beispiel für den Expressionismus in der Architektur gilt. Darstellung Nr. 2: 1927 In diesem Jahr sind Walter Gropius, Le Corbusier und O. Kurz (Vor­ name konnte nicht eruiert werden) die am häufigsten genannten ­Namen. Gropius hatte 1926 das epochale Bauhaus-Gebäude realisiert. Darstellung Nr. 3: 1932 In diesem Jahr kommen am meisten die Namen von Fritz Schumacher, Franz Schuster und C. Kühn (Vorname konnte nicht eruiert werden) vor. Weniger oft, aber dokumentiert ist Peter Behrens, sehr selten erwähnt wird Walter Gropius. Darstellung Nr. 4: 1933 Auch im Jahr 1933 wird Fritz Schumacher gemeinsam mit Otto Risse und A. Schumacher (Vorname konnte nicht eruiert werden) am häufigsten genannt. Am 3. Mai 1933 wurde Fritz Schumacher von den Nationalsozialisten sein Amtes in der Bauverwaltung Hamburg enthoben. Darstellung Nr. 5: 1934 In diesem Jahr werden Architekten erwähnt, die heute nicht mehr sehr bekannt sind: H. Hille, E. Jäger, H. Bley (Vorname konnte nicht eruiert werden). Peter Behrens ist noch präsent. Überraschenderweise werden viele Architekten aus der Geschichte genannt: Schinkel, Pöppelmann, Weinbrenner, Hildebrandt, Dietzenhofer und Wren.

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15 Studierende des Wintersemesters 2016/17, Akademie der bildenden Künste Wien, Institut für Kunst und Architektur. Untersuchungen für 1925 und 1926: Manuel Bonell, Andreas Zißler, 1927: Helvijs Savickis; 1930er-Jahre: Adam Hudec, Solmaz Kamalifard, Adrian Man, Silvano Patton, Suna Petersen.

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1.3  Darstellung Nummer 1: Häufigkeit von Architektennamen im Jahr 1926, Quelle: Deutsche Bauzeitung, Research: ­Studierende in der Lehrveranstaltung von August Sarnitz, Akademie der ­bildenden Künste Wien, Wintersemester 2016/17

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1.4  Darstellung Nummer 2: Häufigkeit von Architektennamen im Jahr 1927, Quelle: Deutsche Bauzeitung, Research: ­Studierende in der Lehrveranstaltung von August Sarnitz, Akademie der ­bildenden Künste Wien, Wintersemester 2016/17

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1.5  Darstellung Nummer 3: Häufigkeit von Architektennamen im Jahr 1932, Quelle: Deutsche Bauzeitung, Research: ­Studierende in der Lehrveranstaltung von August Sarnitz, Akademie der ­bildenden Künste Wien, Wintersemester 2016/17

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1.6  Darstellung Nummer 4: Häufigkeit von Architektennamen im Jahr 1933, Quelle: Deutsche Bauzeitung, Research: ­Studierende in der Lehrveranstaltung von August Sarnitz, Akademie der ­bildenden Künste Wien, Wintersemester 2016/17

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1.7  Darstellung Nummer 5: Häufigkeit von Architektennamen im Jahr 1934, Quelle: Deutsche Bauzeitung, Research: ­Studierende in der Lehrveranstaltung von August Sarnitz, Akademie der ­bildenden Künste Wien, Wintersemester 2016/17

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1.8  Darstellung Nummer 6: Häufigkeit von Architektennamen im Jahr 1937, Quelle: Deutsche Bauzeitung, Research: ­Studierende in der Lehrveranstaltung von August Sarnitz, Akademie der ­bildenden Künste Wien, Wintersemester 2016/17

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Darstellung Nr. 6: 1937 Hier sind die Veränderungen ganz offensichtlich. Zum Vergleich: Im Index des Buches Space, Time and Architecture von Giedion (7. Auflage, Juni 1947) werden die Architekten in folgender Häufigkeit genannt: Le Corbusier, Frank Lloyd Wright, Walter Gropius. Im Gegensatz dazu fehlen die Namen von Otto Salvisberg, Franz Schuster, Fritz Schumacher und Hermann Muthesius im Index. Die statistische Gegenüberstellung zeigt unterschiedliche »Realitäten« auf, ohne primär einen weiteren Kommentar abzugeben. Genau das soll den Unterschied zwischen »Big Data« und »Historiografie« darstellen: statistische Daten versus den Diskurs einer konstruierten Geschichte. Durch die Formate der Algorithmen geht eine »Autorschaft« vollständig verloren. Die Interpretationen sind vielfältig.

»Big Data History«, der »Architecture Google Index« und der »Architecture Google Factor« Seit dem Jahr 2008 befrage ich First-Year-Studierende der Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien zu bestimmten Namen und »Google-­ Ergebnissen«. Bestimmten Namen sollen geschätzten Angaben der »Google-­ ­ Ergebnisse« zugeordnet werden. Die Studie­ renden werden gebeten, neben Namen aus den Bereichen Kunst, Architektur, Politik und Medien (Film, Musik) ihre geschätzten »GoogleErgeb­nisse« zu schreiben. Bei der anschließenden Diskussion zeigt sich meistens eine unglaubliche Überraschung zu den einzelnen Daten: nicht nur b ­ezüglich der jeweiligen absoluten Ergebnisangaben, bezeichnet als »Architecture Google Index« (weil hiermit nur die statistische Zahl gemeint ist, also das Indizieren der Häufigkeit), sondern auch bezüglich der Relation der einzelnen Ergebnisse untereinander. Mithilfe des »Architecture ­Google Factor« werden Relationen hergestellt. Der ­»Architecture Google ­Factor« ergibt sich aus der Division der höchsten Ergebnisangaben aus dem »Google Index« durch die nied­ rigeren Er­gebnisangaben aus dem »­Google Index«. Der »Google Index« für Frank Lloyd Wright war zum B ­ eispiel am 17. Februar 2014, 10 Uhr: 15 500 000. Der »Architecture Google Factor« zeigt gewichtete Relationen auf: Einzelne Mega-Stars der Architekturgeschichte wie Frank Lloyd Wright haben einen bis zu 70-fach höheren »Architecture Google Factor« als bekannte internationale Architekten wie Hans Hollein (228 000) und immerhin noch einen 15-fach höheren »Architecture Google Factor« als internationale Stararchitekten wie Norman Foster (1 020 000).16

16 Google-Abfrage für die Beispiele mit Datum, Stand: 17. 02. 2014, 10 Uhr.

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Diese Daten reflektieren zunehmend die verstärkte Situation einer globalen Präsenz. Die Differenz von Quantitäten und Qualitäten bedeutet eine wachsende Herausforderung im Diskurs der neuen Historiografie. »Big Data History«-Research übt auf die Historiografie einen großen Einfluss aus. Daten werden als quantifizierbare Informationen verarbeitet − eine subjektive Gewichtung durch Fachleute wie beispielsweise Giedion wird immer unüblicher werden. Die Geschichte wird zu einem »verhandelbaren Konsens«, abhängig von entsprechend unterschiedlichen Gruppierungen und Initiativen. Die »Große Zahl« (zum Beispiel Teilnehmer im Internet) wird sich auf einige wenige Hauptthemen konzentrieren, die von der jeweiligen Tages­realität zur Diskussion gestellt werden. Eine historische Perspektive oder ein historisches Wissen wird sukzessive in den Hintergrund treten, die Gegenwart wird zur »Minutengeschichte«. Mit der Postmoderne sind nicht nur die Metaerzählungen im Sinne von Jean-François Lyotard obsolet geworden (Das postmoderne Wissen, 1979), sondern auch die Metahistorie. Der Diskurs von Lyotard wird in einem nächsten Schritt durch partielle Algorithmen ersetzt ­werden. Damit endet endgültig jede Form von ersichtlicher Autorschaft. Fragmentarische Betrachtungen zur Historie treten an die Stelle von subjektiv formulierten »Weltgeschichtsbildern«. Die Realitäten der gefühlten Gegenwart »ersetzen« die historische Vergangenheit. In unserer Zukunft ­ iele Personen wird die Vergangenheit daher »relativiert« werden – für v werden Vergangenheit und Geschichte nur noch partiell ­existieren.

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1.9  Plan vom Erdgeschoss Haus Margarete Stonborough-­ Wittgenstein, Architekt Ludwig Wittgenstein und Paul Engelmann, Wien, 1926–1928, Rekonstruktion des Hauptgeschosses mit den unterschiedlichen Glastüren. Zeichnung von Studierenden in der Lehrveranstaltung von August Sarnitz, Akademie der bildenden Künste Wien, 2009/10

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2.1  August Sarnitz Perspektivische Zeichnung Innenhof mit Kinderspielhaus (­Detail oben), Wohnbau Wulzendorfer Straße, 1220 Wien, 1993–1995

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Mein subjektives Statement und exemplarische Projekte: Mit der beginnenden Industrialisierung in England und der Entwicklung des modernen kapitalistischen Wirtschaftssystems, das sich mit dem Ende des 18. Jahrhunderts in diesem Land durchsetzte, entstand zugleich die bis heute anhaltende Diskussion über die soziale Umverteilung. Teil dieser Um­ verteilung war die Versorgung der Bevölkerung mit angemessenem Wohn­ raum, medizinischer Versorgung und Vorsorge für das Alter. Der Wohnbau war das Zentrum der allgemeinen und der architektoni­ schen Diskussion. 1824 gründete der aus England ausgewanderte Unter­ nehmer Robert Owen im amerikanischen Bundesstaat Indiana das genos­ senschaftliche Siedlungsprojekt »New Harmony« für 1200 Personen. Ob­ wohl das Experiment scheiterte, übten Owens Ideen einen großen Einfluss auf die Entstehung von Kooperativen und den sozialen Wohnbau aus. Ein ähnliches Konzept entwickelte der Theoretiker Charles Fourier mit dem Mo­ dell »Phalanstère«, das Produktion und Konsum vereinte, um den ­Handel zu eliminieren. Demnach hätten 1800 Menschen der genossenschaftlichen Organisation in einer palastartigen Anlage gewohnt, die sich optisch an das Vorbild von Versailles anlehnte. Weitere Visionen von einem neuen Leben, Wohnen und Arbeiten setzten sich in den Ideen von Tony Garnier, William Morris und Ebenezer Howard fort.1 Wohnen ist prinzipiell ein Abbild sozialer, gesellschaftlicher und öko­ nomischer Bedingungen. Das singuläre Wohnen ist eingebunden in ein Sozial­system, dessen Konventionen unterschiedliche normative Projektio­ nen für die einzelnen Personen bedeuten: vom liberalen Pluralismus der Post­moderne bis zum deterministischen Sozialismus. Der russische Inge­ nieur und Dichter Alexei Gastew beispielsweise reduzierte das Wohnen auf Schlafen und Sexualkontakte: Das Licht wurde um 22 Uhr zentral ausge­ schaltet und um 6 Uhr wurden nach acht Stunden Schlaf alle Personen zentral geweckt. Auch der Tag war für die »Arbeiter und Arbeiterinnen« genau nach einem Terminplan eingeteilt. Wohnen und Arbeiten verstand er als zentral organisiertes Leben. Der Film Metropolis von Fritz Lang aus dem Jahr 1926 thematisiert die Gefahren der Technik, der Industrie und des Kapitalismus. Mit 27 000 Kom­ parsen für die Massenszenen inszenierte Lang die Welt der Arbeiter und die Welt der Oberschicht: Eindringlicher hat selten ein Film den Diskurs der Ungleichheit des Wohnens in Bilder gesetzt.

1 Das Thema Wohnen und Städtebau, Architektur und Gesellschaft wird durch große Ausstellungen und Publikationen laufend kommentiert, so 2012 im Architekturmuseum der Technischen Universität München, Manifeste zur Veränderung der Gesellschaft, hg. von Winfried Nerdinger, Edition DETAIL, München 2012; Cities Architecture and Society, La Biennale di Venezia, 10. Mostra Internationale di Architettura, Katalog, Venedig 2006.

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1932, sechs Jahre später, publizierte Aldous Huxley seinen Roman Brave New World, in dem er schildert, wie die Glücksdroge »Soma« alle ­Sorgen und Ängste der Menschen verdrängt: eine potenzielle Antwort auf das ­Leben, Arbeiten und Wohnen der Menschen. Das »Rote Wien« war eine Utopie aus Backstein, ein unkonventionelles, radikales Wohnprogramm, umhüllt von einer konventionellen Architektur. Das neue Bauhaus in Dessau versuchte, mit einer technologischen Ästhetik sowie einer sozialen und ideellen Revolution eine Antwort auf das Leben und Wohnen zu finden. Die Wohnung für das Existenzminimum erklärt schon im Titel die Prozesshaftigkeit des neuen Wohnens: Die normative Pla­ nung und Verteilung inkludiert nur das Minimum für alle. Manfredo ­Tafuri beschreibt in seinem Buch Architektur und Utopie (1976) eine Allianz des Prozesshaften im modernen Kapitalismus und der Industrieproduktion, die sich in der Architektur abbildet. Die linearen Wohnblöcke der Moderne re­ flektierten den optimierten Bauprozess. Der Wohnbau der Postmoderne wird pseudoindividualisiert – hinter differenziert gestalteten Fassaden befinden sich standardisierte marktkon­ forme Wohnungen. Nur ein kleiner Anteil des Wohnungsmarktes erlaubt alternative Wohnmodelle. Im Folgenden werden drei Beispiele aus Wien gezeigt, die mithilfe enga­ gierter Bauträger realisiert werden konnten: 1. Wohnbau Wulzendorfer Straße, 1220 Wien, (1993−1995) Hier wurde ein zusätzliches Spielhaus für Kinder im Zentrum der Wohn­ hausanlage errichtet und finanziert durch viele kleine Einsparungen in allen anderen Bereichen der Architektur. 2. Wohnbau am Leberberg, 1110 Wien (1993−1995) Das lichtdurchflutete Stiegenhaus mit Glasbausteinen im Fußboden fun­ giert als »luxuriöse« Erschließung für alle Bewohnerinnen und Bewohner. 3. Wohnbau am Laubeplatz, 1100 Wien (2000−2004) Durch eine optimale Interpretation der Wiener Bauordnung entstanden im Erdgeschoss Wohnungen mit unterschiedlichen Raumhöhen und addi­tiven Räumen für wechselnde Nutzungen. Die Zusammenarbeit mit der Künst­ lerin Eva Schlegel ermöglichte eine »interaktive« Fassade mit Spiegeln und Reflektoren.

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2.2  August Sarnitz Ansicht Wohnbau Wulzendorfer Straße, 1220 Wien, 1993–1995, Erker und Erdgeschoss mit Aluminium verkleidet, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.3  August Sarnitz Ansicht Wohnbau Wulzendorfer Straße, 1220 Wien, 1993–1995, Balkone nach Süden, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.4  August Sarnitz Ansicht Wohnbau Wulzendorfer Straße, 1220 Wien, 1993–1995, Detail Erker, mit Aluminium verkleidet, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.5  August Sarnitz Ansicht Wohnbau Wulzendorfer Straße, 1220 Wien, 1993–1995, Erker nach Osten, mit Aluminium verkleidet, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.6  August Sarnitz Wohnbau Wulzendorfer Straße, 1220 Wien, 1993–1995, Ansicht Kinderspielhaus, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.7  August Sarnitz Wohnbau am Leberberg, Reimmichelstrasse, 1110 Wien, 1993–1995, Ansicht Nord-Westen, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.8  August Sarnitz Wohnbau am Leberberg, Reimmichelstrasse, 1110 Wien, 1993–1995, Ansicht Süden mit verschiebbaren Sonnenschutz­ lamellen aus Aluminium, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.9  August Sarnitz Wohnbau am Leberberg, Reimmichelstrasse, 1110 Wien, 1993–1995, Treppenhaus mit seitlichen Podesten mit Glasprismen, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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rechte Seite: 2.10  August Sarnitz Wohnbau am Leberberg, Reimmichelstrasse, 1110 Wien, 1993–1995, Detailaufnahme der Südfassade mit den verschiebbaren Sonnenschutzelementen aus Aluminium, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.11–2.13  August Sarnitz Wohnbau am Leberberg, Reimmichelstrasse, 1110 Wien, 1993–1995, Detailfotos Treppenhaus, Foto Margherita Spiluttini, 1995

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2.14  August Sarnitz Wohnbau am Laubeplatz, 1100 Wien, 2000–2004, Eingang zum Wohnhaus mit rotem Türchen für die Feuerwehrleiter, Foto ­Margherita Spiluttini, 2004

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2.15  August Sarnitz Wohnbau am Laubeplatz, 1100 Wien, 2000–2004, Ansicht vom Laubeplatz, Fassade mit silberfarbigem Glimmerputz und ver­spiegelten Balkonen (Kunstinstallationt: Eva Schlegel), Foto ­Margherita Spiluttini, 2004

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2.16  August Sarnitz Wohnbau am Laubeplatz, 1100 Wien, 2000–2004, Eingangshalle mit Lichtskulptur von August Sarnitz, Foto Margherita Spiluttini, 2004 2.17  August Sarnitz Wohnbau am Laubeplatz, 1100 Wien, 2000–2004, Eingangshalle mit Sitzbank und Briefkästen, Wände aus durchgefärbten Beton­ fertigteilen, Foto Margherita Spiluttini, 2004

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2.18  August Sarnitz Wohnbau am Laubeplatz, 1100 Wien, 2000–2004, Ansicht Wohn­ raum mit Split-Level-Situation, Foto Margherita Spiluttini, 2004

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rechte Seite: 2.19  August Sarnitz Wohnbau am Laubeplatz, 1100 Wien, 2000–2004, Ansicht Garten­ fassade mit teilweise verspiegelten Wintergärten (Kunstinstallation: Eva Schlegel, Foto Margherita Spiluttini, 2004

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Einleitung Mit der Publikation Collage City (1978) von Colin Rowe und Fred ­Koetter1 hatte der städtebauliche Diskurs der Postmoderne einen neuen, wesentlichen Impuls erhalten, der die Sehnsüchte der modernen Architektur und des modernen Städtebaus relativierte. Was mit der »Krise des Objektes« und »dem unerfreulichen Zustand der Textur« umschreibend kritisiert worden war, war letzten Endes eine Kritik an der Wahrnehmbarkeit und der Gestalt städtebaulicher Architekturobjekte. Das Ende der typologischen Blockrandstadt nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Industrieländern kann auch als Sieg der antiurbanen Moderne und des Großkapitalismus in Sinne von Manfredo Tafuris Architektur und Utopie (1977) verstanden werden. Der Versuch von Leon Krier, Rob Krier und Maurice Culot, den Städtebau nach künstlerischen Aspekten in der Tradition von Camillo Sitte wiederzubeleben, war, losgelöst von den historischen und ökonomischen Bedingungen der Stadt, a priori zum Scheitern verurteilt, weil der Retrolook des traditionellen Stadtraumes nur als Camouflage einer vorgetäuschten Geschichtlichkeit dienen konnte. Die Probleme und die Aufgaben, den Stadtraum zu gestalten, haben sich seit den 1980er-Jahren perpetuiert, ohne hier einen zufriedenstellenden ideologischen Konsens zu erreichen. Neue urbane Implantate versuchen, mit unterschiedlichen gestalterischen Mitteln zu arbeiten, ob mit dekonstruktivistischen Modellen oder – »zeitgeistiger« – mit biomorphen Strukturen. Beiden Ansätzen gemein ist der inhärente Versuch, Urbanität gestalterisch neu zu interpretieren, ohne zu bemerken, dass sich die realen und sozialen Wirklichkeiten zunehmend von objekthaften Modellen verabschieden und zu reinen Kommunikationsmodellen einer urbanen Strategie mutieren. Die wirklichen Herausforderungen an unsere Kommunikationsgesellschaft sind neue Optionen für eine temporäre, räumliche Verdichtung für eine Vielzahl von Menschen, gedacht für Ausstellungen, Events, Clubbings und Meetings aller Art. Bernard Tschumis Begriff der »Event-Cities« ist hierfür ein relevantes Merkmal, da ohne Aktionen und ohne Programme Architektur nicht existieren kann. Die Intensität und die Dynamisierung der gesellschaftlichen Prozesse haben direkt proportionale Auswirkungen auf die gebaute Form. Unabhängig von den funktionalen Anforderungen, die sich immer schneller verändern,

1 Colin Rowe und Fred Koetter, Collage City, MIT Press, Cambridge (USA) 1978.

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verlangt die gebaute Architektur zunehmend einen primären Stellenwert der Identität und Identifikation: Die Einmaligkeit des Ortes verstärkt die Singularität des spezifischen Events. David Harvey zeigt in seinem Buch The Condition of Postmodernity (1990) wesentliche Aspekte auf, welche die Transformation von der Moderne zur Postmoderne begleiten2, ebenso wie vor ihm Jean-­François Lyotard in seiner Publikation Das postmoderne Wissen.3 Joseph Ryckwert bringt in seinem Buch The First Modernes die Architekten des 18. Jahrhunderts und der Aufklärung mit dem Begriff der »Moderne« in Zusammenhang.4 Die Intellektualität und den Verstand versteht er als rationale Instrumente, um die Welt zu verbessern. In der Verbindung von Ratio und Wissenschaft sieht er das Versprechen, die Menschen in ein neues – besseres − Zeitalten zu führen. Das Projekt der Moderne war daher ein Versprechen für die Zukunft, verbunden meistens mit sozialistischen beziehungsweise kommunistischen Gesellschaftsformen und genossenschaftlichen beziehungsweise antikapitalistischen Ökonomien. Mit dem Untergang des »alten Europas« im Jahr 1918 entwickelten sich die Positionen einer technischen und funktionellen Moderne. Die neuen Aufgaben hießen: Minimalwohnungen für das Existenzminimum, Rationalisierung des Bauens und verstärkte Industrialisierung ab 1920.5 Mit der digitalen industriellen Revolution am Ende des 20. Jahrhunderts werden die alten »Bilder der Moderne« endgültig abgelöst und obsolet. Im asiatischen Raum (vor allem in China) und in den Vereinigten Arabischen Emiraten entstehen die weltweit höchsten Bauwerke und zahlenmäßig die meisten Hochhäuser. Von den 50 höchsten Gebäuden der Welt befinden sich derzeit 19 in China, 14 in den Vereinigten Arabischen Emiraten (also zusammen zwei Drittel aller Gebäude), 8 in den USA, 2 in Taiwan, 2 in Russland, 2 in Saudi-Arabien, 1 in Kuwait und 1 in Malaysia und 1 in Vietnam. In Saudi-Arabien wird voraussichtlich ab 2019 der Jeddah Tower mit ca. 1007 Metern das höchste Bauwerk sein.6 Das Hochhaus (»Skyscraper«, Wolkenkratzer) verkörpert die DNA und Architekturtypologie der Postmoderne wie kein anderes Gebäude. Mit seiner phallischen Präsenz dokumentiert der Turm die absolute Möglichkeit der faktischen Realität – ohne an die metaphysischen Referenzen der gotischen Kirchtürme anzuknüpfen. Hans Hollein hat dieses Bild des Phallushochhauses im Jahr 1958 für Chicago thematisiert, ohne sich vielleicht bewusst gewesen zu sein, wie intensiv die Diskussion über die männliche Vorherrschaft im postmodernen Diskurs noch verhandelt werden wird.

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2 David Harvey, The Condition of Postmoderneity, Blackwell, Publishers, Malden 1990. 3 Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen, hg. von Peter Engelmann, Passagen Verlag, Wien 2012, Original »La Condition postmoderne« (1979). 4 Joseph Ryckwert, The First Modernes, MIT Press, Cambridge (USA) 1990. 5 Die Begriffe »zweite« bzw. »dritte industrielle Revolution« werden in der deutschen und englischsprachi­ gen Wissenschaft unterschiedlich verwendet. 6 Wikipedia-Liste_der_höchsten_Hochhäuser_der_Welt, Stand: 07. 02. 2017, 23.32 Uhr.

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vorhergehende Doppelseite: 3.1  August Sarnitz Tokio bei Nacht, Ikebukuro, Foto 2017 (Seite 48) 3.2  Hans Hollein, Hochhaus (Bezeichnung »Skyscraper«), Chicago 1958

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Urbane Realitäten definieren sich in der Postmoderne durch Hochhauscluster, verbunden mit riesigen Shoppingmalls und Entertainmentbereichen. Disneyland wurde Teil des postmodernen urbanen Kontextes und kann sich nicht mehr als separater »Familienpark« distanzieren. Architektur als Kommodität umfasst auch die scheinbar heitere Welt von Micky Maus als Teil des permanenten Konsums. Walter Benjamin konnte die Weltausstellungen im 19. Jahrhundert noch als Orte bezeichnen, wo der Tauschwert von Waren verklärte wurde. »Sie schaffen einen Rahmen, in dem ihr Gebrauchswert zurücktritt. Sie eröffnen eine Phantasmagorie, in die der Mensch eintritt, um sich zerstreuen zu lassen. Die Vergnügungsindustrie erleichtert ihm das, indem sie ihn auf die Höhe der Ware hebt. Er überläßt sich ihren Manipulationen, indem er seine Entfremdung von sich und den anderen genießt.«7 Diese Beschreibung Benjamins ist in der Postmoderne zum allgemeinen Wahnsinn geworden. Im Jahr 1910 war Wien eine Metropole mit 2 083 630 Einwohnern und damit die fünftgrößte Stadt der Welt und die drittgrößte Stadt in Europa.8 Die größte Stadt war London (7 160 441 Einwohner), gefolgt von New York, Paris und Chicago. Berlin war fast gleich groß wie Wien, gefolgt von Tokio und St. Petersburg. Vor rund 100 Jahren war Wien eine globale Stadt und Hauptstadt von Österreich-Ungarn. Mit dieser Funktion und Präsenz ist auch die besondere sozioökonomische und kulturelle Position erklärbar. Reflexionen über »Wien um 1900« gehen auf diesen Sachverhalt ein. Architekten wie Otto Wagner beziehen aus diesem Kontext ihre besondere Bedeutung. Das Ranking der größten Metropolen der Welt zeigt inzwischen (Stand im April 2016)9 folgende Verschiebung nach Asien: Tokio (Metro­pole Tokio) ist die größte Stadt der Welt (37 750 000 Einwohner) gefolgt von Jakarta, Delhi, Seoul und Manila als fünftgrößte Stadt mit knapp 23 Millionen Einwohnern.10 Für eine hypothetische Diskussion heute müsste man sich Wien als fünftgrößte Stadt mit knapp 23 Millionen Einwohnern vorstellen (vergleichbar mit Manila). Der wichtigste Architekt der Stadt – Wagner – würde mit seinem Megabüro die gesamte Infrastruktur inklusive Bürogebäuden und Wohnbauten planen. In diesem größeren Zusammenhang soll der Text über Die Großstadt – eine Studie über diese von Otto Wagner (1911)11 vor dem Hintergrund eines kritischen Re-Enactment neu gesehen werden. Eine wesentliche Referenz gilt dem Buch The Endless City, einer Arbeit der London School of Economics (2007).12 Eine zentrale Aussage des »Urban Age Project«

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7 Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, 2 Bände, hg. von Rolf Tiedemann, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, Band 1, S. 50.  8 www.Kollermedia.at//die-größten-staedte-der-welt-im-jahr-1910, Stand: 07. 02. 2017. 9 https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_größten_Metropolregionen_der_Welt, Stand 07. 02. 2017. 10 London, die ehemals größte Stadt der Welt um 1910, liegt mit 10 350 000 Einwohnern auf Platz 34, verglichen mit der Liste der größten Metropolregionen, Fußnote 9. 11 Otto Wagner, Die Großstadt − eine Studie über diese von Otto Wagner, Schroll, Wien 1911. 12 The Endless City, hg. von Ricky Burdett und Deyan Sudjic, Phaidon Press, London 2007. »The urban Age Project: Urban Age is an investigation into the future of cities organized by the London School of Economics and Political Science with the Deutsche Bank’s Alfred Herrhausen Society.« Text vom Buch­ umschlag.

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ist die Feststellung über die Urbanisierung der Welt. Um 1900 lebten ca. 10 Prozent der Menschheit in Städten. Im Jahr 2007 waren das bereits 50 Prozent und im Jahr 2050 werden es 75 Prozent sein. Die gegenwärtige Diskussion des Urbanen ist zu einem der wichtigsten Bereiche der Planung und der Architektur geworden – ähnlich wie vor 100 Jahren. Der Text Großstadt ist das große architektonische Testament von Wagner. Er reflektiert darin Modernität und Kapitalismus sowie die Möglichkeiten, sozioökonomische Realitäten »architektonisch« abzubilden.

Wegbereiter der Moderne − Realismus versus Verniedlichung 1. Die These dieser Untersuchung postuliert die Aussage, dass Wagner ein Wegbereiter der modernen Architektur war,13 weil er den Begriff der »Realität« als Teil seines architektonischen Programmes akzeptierte,14 verwendete und ausdrücklich betonte – hingegen jeden Ansatz und die Begriffe des »Historismus«, »Eklektizismus« sowie jede Form der »Verniedlichung« für seine Architektur und speziell für sein städtebauliches Programm ablehnte.15 Die Akzeptanz der Wirklichkeit in der Architektur, das heißt die sozioökonomischen und technischen Kräfte, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Architektur als bestimmend wirken im Gegensatz zu einer Architektur, welche das gegenwärtige Kräfte­ verhältnis negiert und ihre Vorbilder in der Vergangenheit oder in der Interpretation bestimmter Stilepochen findet, ist grundlegend in allen Ausführungen Wagners. Zur Wirklichkeitsakzeptanz um 1894 gehörte für ihn die Existenz aller neuen, modernen technischen Entwicklungen und sozioökonomische Verhältnisse einschließlich Automobil, Telefon, Rohrpost, Staubsauger, Elektrizität, Großstadtverkehr, Stadtbahn sowie die Vielfalt neuer Produkte und Materialien wie beispielweise das Aluminium. Diese Auffassung ergänzt Wagner in seiner theoretischen Abhandlung über die Großstadt um den soziologischen Begriff der ­ »­Anonymität«. Die Ausgangsposition der Untersuchung beinhaltet somit ein heteronomes Begriffspaar, »Realität – Verniedlichung«, das geeignet erscheint, eine wahre und fundamentale Charaktereigenschaft in der modernen 13 Der Begriff der »Moderne« bezieht sich hier auf die klassische Moderne der Architektur im Sinne von Louis Sullivan, Charles Mackintosh und Otto Wagner. 14 Der Begriff der »Realität« beziehungsweise der »Wirklichkeit« wird hier nicht in der strengen philoso­ phischen Bedeutung verwendet, sondern in einer literarischen Affinität zu einer Abhandlung von Elias Canetti über »Realismus und neue Wirklichkeit«. Siehe hierzu Elias Canetti, Das Gewissen der Worte, S. Fischer, Frankfurt am Main 1981. 15 »Verniedlichung« wird hier im Sinne von Theodor Fontane verwendet, verstanden als Gegensatz zu einer affirmativen Haltung gegenüber der realen Welt. »Verniedlichung« ist ein Modus, um die tatsäch­ lichen Zusammenhänge des Lebens durch eine scheinbare Einfachheit ohne Probleme zu substituieren.

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Architektur im Allgemeinen und in der Situation von Wagner im Besonderen symptomatisch zu beschreiben. »Realität« beziehungsweise das Wort »Wirklichkeit« beinhaltet seiner Bedeutung nach den Begriff des »Wirkens«, der aktiven Handlung, um etwas Wirklichkeit werden zu lassen. Wie wird nun etwas wirklich im Sinne von »wirken«? Sicherlich nicht dadurch, dass eine Auffassung, Einstellung oder eine Sache einfach nachgeahmt oder wiederholt wird, also ihren Ursprung in der Repetition begründet. Wirkung im konstitutionellen Sinn einer neu zu begründenden Wirklichkeit beinhaltet zum einen den Faktor der Innovation und zum anderen den Faktor der faktischen Transformation. Konzeptuelle Innovation und faktische Transformation begründen im architektonischen Handeln die Tatsache, durch Materialisation die »agens architecturae« aus dem Zustand der vielfältigen Möglichkeiten in die physische Existenz eines Bauwerkes hinüberzuführen.16 Die Kriterien jeder Transformation wiederum begründen zumindest zwei Aspekte: den der Intention und den der Selektion. Beide Aspekte führen dazu, dass wahres architektonisches Wirken im Werk die Wirklichkeit der jeweiligen Zeit interpretiert. Das gegensätzliche Begriffspaar »Realität – Verniedlichung« beinhaltet zum einen das wahre Wirken und zum anderen die Negation des wahren Wirkens im Sinne einer induktiven Reduktion. Verniedlichung beinhaltet die Reduktion als eine Formveränderung des wahren Maßstabes, eine Verzerrung und Ent-Realisierung eines Gegenstandes aus der Wirklichkeit oder einer Einstellung zum Leben selbst. Die Verniedlichung ist demzufolge als Ver-Niedlichung eine Form der Be-Schränkung, weil Schranken den Weg und die Verbindung zum wahren Wirken unterbinden. Ver-Niedlichung als eine Form der Be-Schränkung asso­ziiert deshalb den Begriff der »Idylle« (griechisch eidyllion, »kleines Bild«), indem ein kleines Abbild stellvertretend versucht, die komplexe Realität zu ersetzen. Jean Paul verwendet in seiner Vorschule der Ästhetik den Begriff der »Idylle« als Kernpunkt seiner stilistischen Untersuchung.17 Im Zusammenhang mit der epischen Gattung schreibt er wie folgt: »Wenigstens eine kleine epische Gattung haben wir, nämlich die Idylle. Diese ist nämlich epische Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung. Die höhere Entzückung gehört der Lyra und der Romantik an; denn sonst wären Dantes Himmel und Klopstocks eingestreuter Himmel auch unter die Idylle zu rechnen. Die Beschränkung in der Idylle kann sich bald auf die Güter, bald der Einsichten, bald des Standes, bald aller zugleich beziehen. Da man sie aber durch eine Verwechslung mehr auf Hirten-Leben bezog: so setzte man sie durch eine zweite gar in das goldene Alter der Menschheit, als ob dieses Alter nur in einer nie rückenden Wiege und nicht ebensogut in einem fliegenden Phaetonswagen sich bewegen konnte […] höchstens dies kann man verstehen, daß die Idylle als ein Vollglück der Beschränkung die Menge der Mit-

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16 Die Bezeichnung stammt vom Autor. Die Intention, diesen Begriff zu verwenden, entspringt dem Wunsch, den Zeitbezug im architektonischen Entwerfen stärker zu betonen. 17 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, C. Hanser, München 1963.

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spieler und die Gewalt der großen Staatsräder ausschließe; und daß nur ein umzäuntes Gartenleben für die Idyllen-Seligen passe, die sich aus dem Buch der Seligen ein Blatt gerissen; für frohe Lilliputer, denen ein Blumenbeet ein Wald ist, und welche eine Leiter an ein abzuerntendes Zwergbäumchen legen.«18 So entfernt der Zusammenhang zwischen Wagners affirmativem Realitätsbegriff in der Architektur und Jean Pauls literarischer Begriffserklärung der Idylle im Bereich der Epik als zu verneinendes, weil wirklichkeitsverfremdendes Stilelement auf den ersten Blick erscheinen mag, so aufschlussreich entwickelt sich eine inhaltliche Gegenüberstellung dieser Begriffe, transportiert in den Bereich von Wagners eigenen städtebaulichen Ideen, verglichen mit jenen Vorstellungen seiner Opponenten und Zeitgenossen. Die Gegenüberstellung bezieht sich inhaltlich zum einen auf Otto Wagner und Albert Erich Brinckmann und zum anderen auf Camillo Sitte, Karl Henrici und Josef Stübben. 2. Wagners wichtigster Text zum Thema Städtebau und Stadtplanung ist die 23-seitige Publikation Die Großstadt (1911), verfasst und publiziert kurz vor seinem 70. Lebensjahr.19 Anlass für die Publikation war »eine schmeichelhafte Einladung, welche dem Verfasser dieser Schrift am 18. März 1910, von Professor A. D. Homlin, [sic!] im Namen der ­Columbia Universität zuging, und das Ersuchen erhielt, einen Vortrag in New York beim internationalen, unter der Patronanz des Staates und der Stadt New York stehenden Kongress ›für städtische Kunst‹ abzuhalten«.20 Das historische Umfeld jener Zeit war von einer Reihe von Ausstellungen und Diskussionen über die Stadterweiterung geprägt,21 unter anderem in Stuttgart (Theodor Fische, Stadterweiterungsfragen, 1903), in Berlin durch Publikationen für die städtebauliche Entwicklung von Groß-Berlin (1907), die Allgemeine Städtebau-Ausstellung in Berlin im Jahr 1910, die Stadtplanung für Amsterdam (1917) sowie in den Vereinigten Staaten die Stadtplanungen von Daniel Burnham für Chicago (1908).22 Wagner führte bei seiner Untersuchung eine wesentliche Einschränkung an: Es handele sich ausschließlich um den Begriff der »Großstadt«, einen Vortrag über »städtische« Kunst, der nicht einer bestimmten Stadt, sondern der »Großstadt« 18 Ebd., S. 257. 19 Otto Wagner, wie Anm. 11, S. 1. Wagners Großstadt-Studie erschien im März 1911 in Wien und im Mai 1912 auf Englisch in der amerikanischen Zeitschrift Architectural Record. Die amerikanische Publikation zeigt nur die Perspektive und die Ansicht des neuen 22. Bezirkes, jedoch keine Lagepläne. 20 Ebd. 21 Die unterschiedlichsten Planungsmodelle wurden für die Stadterweiterung vorgeschlagen. Am häufigs­ ten wurden dabei Ringstraßenmodelle diskutiert. Im Jahr 1905 entwickelte zum Beispiel Eugène Hénard ein theoretisches Diagramm der Straßen von Paris, welches einen dreifachen Ring von elliptischen Stra­ ßen um das Zentrum von Paris zeigt. Vergleiche hierzu Eugène Hénard, Études sur les transformations de Paris, Librairies-Imprimiries Réunis, Paris 1904. 22 Ein kurzer Vergleich zum Plan für Chicago von Daniel Burnham (1908) sei hier erwähnt. Burnham er­ wähnte in seinem Chicago-Plan Georges-Eugène Haussmann lobend und dokumentierte anhand von 43 Stadtplänen, Fotos und Zeichnungen europäische Hauptstädte. Dabei sind unter anderen 14 Ab­ bildungen Paris, 5 Abbildungen Wien, 4 Abbildungen London und Rom und 3 Abbildungen Berlin ge­ widmet. Siehe auch Chicago Architecture 1872−1922, hg. von John Zukowsky, Prestel, München 1987.

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überhaupt gewidmet sei. Damit stellte er automatisch alle jene Fragen hintan, die sich mit der Stadtneugründung (Tony Garnier, Une Cité industrielle, 1901−1904, 1910) oder der Gartenstadt­bewegung beschäftigten (Barry Parker und Raymond Unwin, Letchworth, England, 1903). Unter diesen Prämissen unterteilte Wagner seine Abhandlung über die Großstadt neben dem Vorwort in drei Kapitel: erstens »Das Stadtbild«, zweitens »Die Regulierung« mit Lageplan und Perspektive und drittens den »Ökonomischen Teil« mit einer Aufstellung über Flächen, Kosten und möglichen Gewinnen für die Stadt.23 Neben dieser präzisen Dreiteilung in theoretische Grundüberlegung, praktisches Beispiel und pragmatische Umsetzung sind die wichtigsten Begriffe typografisch im Schriftbild angezeigt.24 Wagner macht in der Großstadt-Studie genaue inhaltliche Angaben zu den architektonischen Vorschlägen. Das Kapitel über »Das Stadtbild« beginnt mit der Bemerkung, dass nicht einer bestimmten Stadt, sondern den Großstädten überhaupt die nachfolgenden Betrachtungen gelten. Im Hinblick auf die technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften müsse die Kunst allem Entstehenden die Weihe verleihen. Bei der Kunst kann es sich nach Wagner nur um die zeitgenössische städtische Kunst handeln, deshalb lehnt er alle beliebten Schlagworte wie »Heimatkunst«, »Einfügen in das Stadtbild«, »Gemüt im Stadtbild« etc. ab. Alle malerischen und absichtlich unregelmäßigen Straßen- und Platzlösungen stellt er als unberechtigt hin, ebenso alle dem Zufall entspringenden städtebaulichen Gegebenheiten. Zusammenfassend stellt Wagner fest: »Es besteht wohl kein Zweifel darüber, daß die Mehrzahl der Menschen lieber in einer Großstadt wohnt, als in einer kleinen Stadt, oder auf dem Lande. Ein Großteil der Großstadtbewohner wird durch den Beruf hierzu gezwungen. Erwerb, gesellschaftliche Stellung, Komfort, Luxus, eine niedrige Sterblichkeitsziffer, das Vorhandensein aller geistigen und physischen Hilfsmittel, Zeitvertreib im guten und schlechten Sinne und schließlich die Kunst sind Motive dieser Entscheidung.«25 Nach diesen grundsätzlichen Anmerkungen legt Wagner sein architektonisches Konzept vor, wobei er zwischen der Regulierung des bestehenden Teiles der Stadt und der Regulierung des künftigen Teiles als der kontinuierlichen Stadterweiterung unterscheidet.26 Bei der Aufteilung der Stadt in Bezirke sei auf eine Durchmischung zu achten, damit nicht einzelne Bezirke eine Monostruktur aufweisen. Jeder dieser

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23 Otto Wagner, wie Anm. 11. Diese Unterteilung im Kapitel ist nur in der deutschen Ausgabe ersichtlich. Die amerikanische Übersetzung in der Zeitschrift Architectural Record, Mai 1912, unter dem Titel »The development of a great city« weist eine andere Kapiteleinteilung auf (Foreword, Regulation of the city plan, Economic considerations) und gibt keine typografischen Hervorhebungen durch den Autor an. 24 Die typografische Hervorhebung war bei der Publikation Die Großstadt ein wichtiges didaktisches Merk­ mal. Es besteht kein Zweifel, dass durch diese Vorgehensweise die Abhandlung einen beinahe suggesti­ ven Charakter erhält. Dieses gleiche optische Mittel verwendete Wagner auch bei seiner Publikation Die Baukunst unserer Zeit. Die Wertigkeiten seiner Aussage und die Bedeutung einzelner Begriffe innerhalb des Textes werden der freien Interpretation des Lesers weitgehend entzogen. 25 Otto Wagner, wie Anm. 11, S. 10. 26 Ebd., S. 7. Es ist bemerkenswert, dass die Regulierung des alten Teiles in seiner 23-seitigen städtebau­ lichen Untersuchung im Prinzip in nur einem einzigen Satz abgehandelt wird: »Das vorhandene Schöne zu erhalten und günstig im Stadtbilde zu verwerten.« Die zukünftige Stadtentwicklung hingegen muss in ein System gebracht werden, und zwar durch eine großzügige Regelung für die künftigen Bewohner unter der Annahme von Sicherheitsventilen für die Expansion der Großstadt.

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3.3  Otto Wagner, Die Großstadt, Wien, 1911, »Blick auf das ­Luftzentrum des künftigen XXII. Wiener Gemeindebezirkes«

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Bezirke können erfahrungsgemäß mit ca. 100 000 bis 150 000 Einwohnern angenommen werden.27 Der dritte Abschnitt, der ökonomische Teil, versucht, modellhaft Finan­zierungsvorschläge für die Stadterweiterung vorzulegen. a) Die Stadt solle Versorgungseinrichtungen übernehmen. b) Es solle eine Wertzuwachssteuer für Grundstücke erhoben werden, wobei Wagner sofort den Einwand ergänzt, dass eine zusätzliche Steuer die bestehende ungeheuerliche Steuerquote noch erhöhen werde. c) Das einfachste Mittel sei, wenn die Stadt selbst als Grundstücksmakler und -verkäufer agieren würde und die zukünftigen Gewinne aus der Stadterweiterung selbst realisiere. Grundsätzlich ging Wagner mit allen seinen ökonomischen Vorschlägen von der Stadt als kapitalistischem Unternehmen aus, das die kapi­ talistischen Gewinne in einem sozial-kulturellen Sinne wieder ausgibt, und zwar für Volkshäuser, Volkssanatorien, Monumente, Museen, Thea­ter und Aussichtstürme. Geschmacklosigkeit im Sinne des unreflektierten Historismus war für Wagner die eine Seite der städtebaulichen »Unkultur«, die andere war die weitverbreitete Ansicht über das »Malerische«. Wagner widersprach vehement der allgemeinen Vorstellung von dem »Malerischen« als ästhetischem Qualitätsmerkmal. »Malerisch« im Sinne des geplanten Zufalles sei ein Charakteristikum der spätromantischen Überraschungstheorie mit gekrümmten Wegen, schiefen Ecken, verschobenen perspektiven Ausblicken; es bedeute jedoch keine Bereicherung des Stadtbildes, sondern sei ein lächerliches Argument, um die gerade Straße zu verunglimpfen. »Würden diese Vertreter des Malerischen die Augen öffnen, so wären sie schon lange zur Überzeugung gekommen, dass die gerade, reine, praktische Strasse, zeitweilig unterbrochen von Monumentalbauten, mässig grossen Plätzen, schönen, bedeutenden Perspektiven, Parks etc., die uns in kürzester Zeit ans Ziel führt, auch weitaus die schönste ist.«28 In Wagners weiterer Ausführung steht der Begriff »Realismus« explizit immer wieder im kausalen Zusammenhang zur modernen Architektur: »Unser Realismus, unser Verkehr, die moderne Technik, sie begehren heute gebieterisch die gerade Linie, und nur durch deren Anwendung können jene Verkehrszüge entstehen, welche keine Grossstadt entbehren kann, und auch nur so werden Häuser, Strassen und Menschen zusammenpassen.«29 Die Einstellung Wagners zur Großstadt stand nicht nur im Gegensatz zu der Sittes, sondern auch zu den meisten Architekturtheoretikern außerhalb Wiens.30 Im Erläuterungstext widersprach Wagner der romantischen und malerischen Architekturauffassung von Karl ­Henrici

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27 Ebd., S. 10. 28 Otto Wagner, »Erläuterungs-Bericht zum Entwurfe für den General-Regulierungs-Plan«, Wien 1894, Druck und Verlag von Friedrich Jasper, zitiert nach Otto Graf, Otto Wagner. Das Werk des Architekten, Band 1, Böhlau, Wien/Köln/Graz 1985, S. 93. 29 Ebd. 30 Einer der wichtigsten positiven Artikel über Wagners Generalregulierungsplan für Wien erschien von J. Stübben in der Deutschen Bauzeitung: J. Stübben, »Der General-Regulirungsplan für Groß-Wien«, in: Deutsche Bauzeitung, 10. März 1894, S. 123−125. Stübben schreibt wie folgt: »Otto Wagner ist einer

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heftig, und zwar anhand des Beispiels der Champs Élysées in Paris. Wagner konnte sich keinen schöneren Straßenzug vorstellen als diese 7 Kilometer lange Prachtstraße, während Henrici lieber zwei Stunden im Hochgebirge wandern wollte.31 Dieses singuläre Beispiel zeigt symptomatisch Wagners geradlinige und eindeutige Haltung: Im Jahr 1894, also im gleichen Jahr seiner beginnenden Lehrtätigkeit an der Akademie der bildenden Künste Wien, präsentierte er bereits ein abgeschlossenes Gedankengebäude der Archi­ tekturtheorie, welches seine weiteren Auflagen der Modernen Architektur (1896, 1898, 1902 und 1914) weiter bestätigen. Die Groszstadt (ursprüngliche Schreibweise, 1911) ist seine beste, kürzeste und pointierteste Zusammenfassung zu diesem Thema. Die konsequente, funktionelle Argumentation im Text betrifft vor ­allem die Situation des Verkehrs in der Großstadt: Öffentlicher schienengebundener Verkehr (Hochbahn oder U-Bahn) sowie Radial- und Ringstraßen werden als zwingend notwendig vorgeschrieben. Wien dient als Beispiel für die europäische monozentrale Großstadt und Wagners Planungsvorschläge erhalten einen exemplarischen Charakter für die Großstadt per se. Wagner selbst gebrauchte den Ausdruck »moderne Architektur« im Vorwort zu seinem ersten Band Skizzen, Projekte und ausgeführte Bauten (1889). In seinem frühen Werk beschrieb er den Realismus als ein gesundes Zeichen des Fortschrittes, der sich beispielsweise in den Ingenieurbauten von Gustave Eiffel gestalterisch manifestiere. Wagner sah im Realismus ein grundsätzliches Attribut des modernen Lebens und argumentierte, dass jedes falsche Pathos einer historischen Stilinterpretation der Lächerlichkeit preisgegeben sei. Ebenso wenig wie Wagner für die einzelne Bauaufgabe eine neue Stilform, sondern eine neue Frage­stellung für den Architekten suchte – die er indirekt mit dem Wort »Nutzstil« beantwortete –, so suchte er auch für den Städtebau nicht nach historischen Vorbildern, sondern formulierte eine neue Fragestellung für die moderne Großstadt. Was unterscheidet die moderne »Großstadt« von der herkömmlichen Stadt? Welche Interessen werden von einzelnen Gruppen vertreten? Welche Änderungen werden technisch und ökonomisch relevant? Die Stadtgestaltung antwortet auf diese veränderte Situation nicht mit stilistisch-historistische Assoziationen, sondern mit analytisch-rationalen Interpretationen. Interpretiert wird eine Realität, deren oberste Moral die Sichtbarmachung innerer Strukturen, Materialien und Prozesse darstellt. Folglich betonen die Einzelbauwerk die konstruktiven Elemente und der Städtebau zelebriert die Verkehrsbauwerke: nicht die statische Wand, die Tafel, sondern − im Gegenteil − die dynamisierte, auf Zug und Druck beanspruchte Stahlkonstruktion der hervorragendsten Baukünstler Oesterreichs. Seine Konkurrenzarbeit würde schon hohes Lob ver­ dienen, wenn dieselbe nur aus den reizvollen Bildern bestände, welche die beabsichtigte Gestaltung des Kaiserin Elisabeth-Platzes, des Platzes an der Karlskirche und der Stadtbahnbauten in flottgezeichneten Perspektiven darstellen. Aber neben der göttlichen Phantasie besitzt dieser Künstler scharf ausgeprägte menschliche Verstandeskräfte und versteht es, sie in den Dienst des modernen Grossverkehrs zu stellen. Wir wollen modern sein, sagt er in seinem schneidigen Erläuterungsberichte; modern und geschmacklos ist keineswegs dasselbe.« 31 Otto Wagner, wie Anm. 28; Karl Henrici zitiert nach Deutsche Bauzeitung, 1893, S. 271.

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beziehungsweise nicht der typologische gleichförmige Wohnblock, sondern das dynamisierte Verkehrsbauwerk. Einige Jahre später sollten die italienischen Futuristen diesen wagnerschen Dualismus von Statik und Dynamik aufgreifen, ihn weiter überzeichnen und als komplexe Stadtstruktur auch gestalterisch neu interpretieren. 3. Im historischen Kontext wurde vielfach darauf hingewiesen, dass Wagner die städtebaulichen Regulierungen von Paris von Baron Georges-­ Eugène Haussmann (1809−1891) in den Jahren zwischen 1853 und 1869 als Vorbild für die europäische Stadtbaukunst ansah. In gleicher Weise wie Haussmann präsentiert Wagners Großstadt-Studie sowohl eine architektonische als auch eine ökonomische Lösung. Die ursprüng­lichen Investitionen der Stadt sollten durch spätere Gewinne der Stadtregulierung kompensiert beziehungsweise durch die Bodenpreiswertsteigerung noch übertroffen werden. Mit geringen Abweichungen vertraute Wagner ebenso wie Haussmann auf die Umwegrentabilität bei öffentlichen Investitionen. Im Unterschied zu Haussmann schlug Wagner jedoch ausschließlich eine Stadterweiterung vor und verschonte den historischen Stadtbereich vor Regulierungsmaßnahmen. Fast alle neuen Untersuchungen zu Wagners Großstadt-Studie orientieren sich an einer Gegenüberstellung mit Sittes Buch Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen (1889).32 Sittes Vorstellungen von Städtebau basieren auf der historischen Erfahrung des Platzes, der »in Wahrheit der Mittelpunkt einer bedeutenden Stadt, die Versinnlichung der Weltanschauung eines großen Volkes sei«.33 Sitte war in seinem Buch Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen von der Überlegung ausgegangen, dass den neuen Monu­ men­ tal­ bauten meist ungeschickte Platzformationen gegenüberstehen und somit der Städtebau einer »praktischen Ästhetik« bedürfe, um zu­ künftige Gestaltungsfragen lösen zu können. Sein Buch basiert auf einer Untersuchung historischer und »schöner alter Platzanlagen« mit der Intention, Beispiele aus der Vergangenheit in die Zukunft zu ­projizieren. Seine Abhandlung über die Beziehung zwischen allgemeinen Bauten, Monumenten und Plätzen sowie über die Größe, Form und Unregelmäßigkeiten alter Plätze selbst versuchte eine Gestaltungshaltung zu vermitteln, bei der die emotionalen Reiseerinnerungen an alte, herrliche Stadtbilder als Kriterium für Neuplanungen gelten sollten. Sitte bemühte in seiner Argumentation Aristoteles, »der alle Grundsätze des Städtebaues dahin zusammengefasst hatte, dass eine Stadt so gebaut sein solle, um Menschen sicher und zugleich glücklich zu machen«.34

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32 Camillo Sitte, Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Graeser, Wien 1889. Zur Gegen­ überstellung von Wagner und Sitte siehe unter anderem Carl Schorske, Wien – Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle, S. Fischer, Frankfurt am Main, 1982, S. 60; sowie Hanno-Walter Kruft, Geschichte der Architekturtheorie, C.H. Beck, München 1985, S. 367. 33 Camillo Sitte, ebd., S. 11 (zitiert nach der Ausgabe von 1901). 34 Ebd., S. 2.

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Auch Sitte – ebenso wie Wagner – sieht in der Kunst die einzige Möglichkeit, die Erneuerung im Städtebau zu realisieren. Bei Sitte wird allerdings die Kunst auf ihre motivischen und kompositorischen Merkmale hin reduziert (Sitte bezeichnet es als »künstlerisch«), um dergestalt Auskunft geben zu können, wie das Schöne und Glückbringende zusammengesetzt ist. Nicht das Wesen der Kunst, sondern ihre Wirkung steht bei Sitte im Vordergrund, das subjektiv-objektive Gefallen an einer Sache selbst. Dergestalt wird Kunst und in der Folge Stadtbaukunst als ein Mittel angesehen, dessen Funktion die Erzeugung von allgemeinen Wohlgefallen beinhaltet. Nicht der Inhalt, nicht das wahre Wirken im Sinne der Wirklichkeit, vielmehr die Illusion der städtebaulichen Kulisse ist die indirekte Folgerung sittescher Stadtbaukunst. Wagner formuliert seine Kritik an Sittes Städte-Bau erstmals in seinem Erläuterungsbericht zum »Wiener Generalregulierungsplan« (1892/93) und bekräftigt sie später in seiner Großstadt-Publikation, indem er den Vertretern von Heimatstil und Gemüt im Stadtbild einen scharfen Verweis erteilt und diese Aussagen als »Phrasen« bezeichnet, die nichts zur Lösung der Großstadtbaufrage beitragen können. »Der Hinweis auf Tradition, Gemüt, malerische Erscheinung etc. als Grundlage von Wohnungen moderner Menschen ist unserem heutigen Empfinden nach einfach abgeschmackt.«35 Dieser Angriff ist eindeutig und zielt sowohl auf Sitte, der von seiner Haltung her als ein Vertreter des Historizismus bezeichnet werden kann, als auch auf Wagners Antagonisten aus Deutschland wie zum Beispiel Karl Henrici. Sittes Versuch, in eklektischer Weise Stadträume zu schaffen, ohne die Notwendigkeit und die Realität der modernen Großstadt zu berücksichtigen, wurde um die Jahrhundertwende von dem deutschen Kunsthistoriker Albert E. Brinckmann (1881−1958) ebenfalls vehement angegriffen. Dieser hatte 1908 das Buch Platz und Monument als eine »Untersuchung zur Geschichte und Ästhetik der Stadtbaukunst in neuerer Zeit« (Untertitel) veröffentlicht,36 in dem er Sitte als den Romantiker unter den Stadtbauarchitekten bezeichnet.37 Brinckmanns Urteil in diesem Zusammenhang ist von zweifachem Interesse: erstens wegen dessen überragenden Bedeutung als Kunsthistoriker im Bereich von Architektur und Städtebau und zweitens wegen seiner Begegnung mit Wagner in den Jahren 1911/12.38 Brinckmann war wie Sigfried Giedion Schüler von Heinrich Wölfflin. Platz und Monument ist seinem Lehrer Wölfflin gewidmet. Brinckmann benutzte den Vorteil der typisierenden Stilbegriffe und ihre Charakterisierungen. Seine Untersuchung reicht von der mittelalterlichen Stadtanlage über die deutsche Renaissance und den Barock bis zu den moder­nen Bestrebungen im Städtebau.39 »Wie für die Einzelarchitektur, 35 Otto Wagner, wie Anm. 11, S. 21. 36 Albert E. Brinckmann, Platz und Monument – als künstlerisches Formproblem, Wasmuth, Berlin 1908, 1912, 1922. Dieses Buch wurde in der Zeitschrift Hohe Warte, Jahrgang 1908, Heft 22, S. 337−338, besprochen und allen Architekten dringend empfohlen, da die neuen Gesichtspunkte über Sitte hinaus­ gehen. 37 Ebd., S. 205. 38 Brief von Albert E. Brinckmann an Otto Wagner vom 27. 01. 1912 bezüglich der Großstadt-Studie; Getty Research Institute, Santa Monica. 39 Ebd., S. 204.

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so mußte auch für den Stadtbau eine Reaktion einsetzen, die sich gegen den gesinnungslosen Schematismus auflehnte. Das Verdienst, dieser zuerst das Wort geredet zu haben gebührt dem Wiener Architekten ­Camillo Sitte mit seinem Buch: ›Der Städte-Bau nach seinen künstle­ rischen Grundsätzen‹, Wien 1889.«40 Brinckmann befand sich somit inmitten der zeitgenössischen Städtebauproblematik. Er bezeichnete die sittesche Theorie über den »Platz« als eine Teilwahrheit, dessen Anregungen überschätzt werden. »Sitte als Architekt ist Eklektizist, das von ihm als Anhang seines Buches mitgeteilte ›Beispiele einer Stadtregulierung nach künstlerischen Grundsätzen (für Wien)‹ ein theatermäßiges Komposit aller Baustile.«41 Sitte sprach allzu oft von der malerischen Bildwirkung, die nur zu leicht an einen Theatereffekt erinnert. Brinckmanns eigene Aussagen zum Städtebau sind eindeutig. »Die gerade Linie und der rechte Winkel bleiben die vornehmsten Elemente der Architektur und auch die gerade breite Straße wie der regelmäßige Architekturplatz werden ihren Wert im Stadtbild behalten.«42 Brinckmann postulierte immer wieder entschieden den Zusammenhang von Geschichte und erlebter Wirklichkeit als notwendige Voraussetzung für den Städtebau. In seinem Brief vom Januar 1912 gratulierte Brinckmann Wagner zu seiner Großstadt-Studie und seiner Haltung gegen alle malerischen Altväterweisen und Sitte-Sentimentalitäten.43 Brinckmann schreibt weiter, »dass wir aus jenem Kleinspiel und gefälligem Aufputz herauskommen müssen und wir werden es auch«.44 Es ist evident, dass sowohl Wagner als auch Brinckmann die Realität und die Kunst als die einzige Grundlage für den modernen Städtebau akzeptieren und die malerische Haltung von Sitte als Verniedlichung der Großstadt als Idylle ablehnen. Im Sinne der eingangs erwähnten begrifflichen Zuordnung stellen sich somit »Realität«, »Kunst« und »Idylle« als die Kernbegriffe dar, wobei »Realität« und »Idylle« als Gegensatz auftreten. Der Realismus als literarisches Stilmittel war im engeren Sinne eine Methode, das Tatsächliche, »die Wirklichkeit«, auch für den Roman zu gewinnen: Das bedeutete die uneingeschränkte, volle Wirklichkeit. Es war wichtig, von dieser Wirklichkeit nichts auszuschließen, weder ästhetischen noch bürgerlich-moralischen Konventionen zuliebe. Im literarischen Bereich, als »Realismus ohne Konventionen« umschrieben, war bei Wagner die Großstadt das Untersuchungsobjekt als solches reglementiert, und zwar einzig und allein durch den Kunstbegriff. Er akzeptierte alle Notwendigkeiten (Bedürfnisse) der Großstadt – vom Leichentransport über Luxusgeschäfte bis hin zum Flughafen –, vorausgesetzt, sie waren künstlerisch gestaltet. Die Kunst fungierte hier für Wagner als sichtbarer Kulturersatz, die Kultur manifestierte sich allegorisch als gezähmtes Raubtier, wie von ihm in seinem Denkmal für die Kultur vor dem Kaiser-Franz-Josef-Stadtmuseum aus dem Jahr 1909 geplant. (So lautete der Titel des damals geplanten Museums.)

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40 Ebd., S. 204−205. 41 Ebd., S. 205. 42 Ebd., S. 208−209. 43 Ebd. 44 Ebd.

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Wagners Publikation über die unbegrenzte Großstadt besteht wie dargestellt aus zwei Teilen: einem Erläuterungstext und architektonischen Zeichnungen. Der Text ist allgemein genug, um als Beschreibung einer modernen Metropole gelten zu können, die Zeichnungen hingegen bezeugen den Zeitbezug. Die große Flugperspektive des künftigen XXII. Wiener Gemeindebezirkes mit Blick auf das Luftzentrum zeigt zwei überraschende architektonische Details: Zum einen erinnert die zentrale Kirchenposition mit den beiden seitlichen U-förmigen Gebäuden an den ursprünglichen Lageplan des Columbia-University-Campus von dem Büro McKim, Mead, and White, zum anderen erinnert die Perspektive an eine Collage sämtlicher Wagner-Bauwerke aus dieser Zeit – die Kreativität von Wagner selbst. Die unbegrenzte Großstadt ist Wagner-Stadt, wo alle Bauten und Projekte fein säuberlich ihren zugewiesenen Platz einnehmen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass Wagner die allgemeine Straßenbreite mit 23 Metern und die vorgeschriebene Bebauungshöhe für die Wohnbauten ebenfalls mit 23 Metern festgesetzt hat, das sind nämlich fast genau die gleichen Höhen wie für das Wohnhaus Neustiftgasse (1909; straßenseitig 21,53 Meter, hofseitig 23,05 Meter), das Hotel-­ Wien-Projekt am Kolowratring (1910; straßenseitig 23,50 Meter), das Projekt Universitätsbibliothek (1910; straßenseitig 22,95 Meter) sowie das Künstlerhof-Projekt (sein letztes Projekt 1917/18; straßenseitig 23,50 Meter). Die Übereinstimmung von realisiertem Bauwerk (Neu­ stift­gasse) und einer zukünftigen Stadterweiterung zeichnet Wagner als einen Realisten aus: Die erprobten Architekturelemente werden direkt pro futura übernommen. Damit zeigt sich die Großstadt-Studie von Wagner als ein Prêt-àProdukt: fertig zum Bauen. Sowohl die technischen, ästhetiporter-­ schen als auch ökonomischen Aspekte sind im Detail abgeklärt. Der wichtigste Gesichtspunkt – der gesellschaftliche Aspekt – in Wien im Jahr 1911 ist ausschlaggebend: Wagner war als liberaler Großbürger in der Ära von Bürgermeister Karl Lueger ein Vertreter der sogenannten Zweiten Gesellschaft. Für die Aristokratie, die nach wie vor die Ent­ scheidungsmacht in der Verwaltung innehatte, waren Wagners Vorschläge ein Aufruf zur Veränderung. Die Atmosphäre in der Gesellschaft war von der Erhaltung des Scheins bestimmt, von »Vornehmtun«, was man auch »den guten Ton« nannte, womit ein beträchtlicher Teil des realen Lebens einfach ausgeschaltet wurde. In Kunst und Literatur, im Alltag der oberen Klasse fand eine systematische Verklärung der Wirklichkeit statt. Theodor Fontane hatte dafür das Wort »Verniedlichung« geprägt (in seinen Briefen an Georg Friedlaender)45, und nach einer Definition Jean Pauls ist im Gegensatz zum Realismus die Idylle (eine Form der Verniedlichung) eine »elegische Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung«.46 Die scheinbare Darstellung des Glücks ist im vorliegenden Fall vergleichbar mit der scheinbaren Stadtgestaltung, die 45 Theodor Fontane, Briefe an Georg Friedlaender, hg. von Kurt Schreinert, Quelle & Meyer, Heidelberg 1954, S. 2. 46 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, C. Hanser, München 1963, S. 257.

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sich bei Sitte jedoch als gebautes Stadttheater ohne Ironie entpuppt. Bei Sitte sollen architektonische Stadträume »Urbanität definieren« – ganz im Sinne postmoderner Architekturvorstellungen, bei Wagner hingegen soll architektonische Gestaltung »Urbanität ermöglichen«. Wagners Forderung, die Realität im Städtebau anzuerkennen, war gegen den Schein und gegen die Idylle der damaligen Gesellschaft gerichtet. Was uns heute als logisch und wirklich erscheint, war tatsächlich die Vorbereitung der anonymen Großstadt für den Mann ohne Eigenschaften (Roman von Robert Musil). Mit der Forderung nach Anonymität in der Großstadt als einer ihrer grundsätzlichen Eigenschaften und Voraussetzung für die Massengesellschaft rückt Wagner seine Großstadt-Studie inhaltlich an die tatsächliche Metropolis des 20. Jahrhunderts heran. Dieser Gesichtspunkt der »Anonymität« vertritt die wahre Modernität in Wagners Großstadt. Mit dem Wort »Verkehr« ist bereits jener zweite Begriff gefallen, der pars pro toto und als Metapher die gesamte Komplexität der modernen Realität zusammenfasst: Inhalt der neuen Wirklichkeit ist das Tempo – die Schnelligkeit pro Zeiteinheit, mit der sich Menschen und Güter durch die Großstadt bewegen. Wagners Betonung der Verkehrssituation, der geraden Straße, der Ablehnung jeder Verniedlichung von Plätzen und Straßen ermöglichen diesen Schnelligkeitsrausch der Metropole und antizipieren in der theoretischen Haltung jene Auffassung, die als »Urban Interchange« die Stadtplaner von Antonio Sant’Elia bis Ludwig Hilberseimer herausforderte, die Großstadt als Ort der neuen Wirklichkeit zu zeigen.47

Collage, Heterogenität und Multiplizität – von der Moderne zur Postmoderne Folgende These steht zur Diskussion: Das Versprechen der Moderne wird zwischen 1918 und 1968 intensiv fast ein halbes Jahrhundert lang diskutiert. Die Sprengung der sozialen Wohnbebauung Pruitt-Igoe in St. Louis am 15. Juli 1972 stellt einen symbolischen Akt für das »Ende« der Moderne dar. In den Jahrzenten zuvor wirkte die »Moderne« in einem fragmentierten sozioökonomischen und politischen Umfeld, das sich in diesem Zeitraum laufend verändert hatte. 1932 wird die »europäische« moderne Architektur in einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York von zwei jungen Kuratoren für Architektur, Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson, unter dem Titel The International Style: Architecture since 1922 gewürdigt. Ein Jahr später wird das Experimentallabor der Architektur – das Bauhaus –

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47 Eine sinngemäße gestalterische Interpretation von Wagners moderner Großstadtarchitektur wurde von Antonio Sant’Elia ausgearbeitet, der Wagners Arbeiten aus Publikationen kannte, aber nie bei ihm studiert hatte. Die Umsetzung und die konstruktive Gestaltung der »Città nuova« sind in ihrer kraft­ voll-skulpturenhaften Interpretation von keinem Wagner-Schüler erreicht worden. Siehe auch Otto Graf, Die vergessenen Wagnerschule, Jugend und Volk, Wien 1969; Marco Pozetto, Die Schule Otto Wagners, Schroll, Wien 1980.

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von den Nationalsozialisten geschlossen, die Emigration der Künstlerinnen und Künstler sowie Intellektuellen begann. In den anderen Ländern Europas hatte die moderne Architektur vereinzelt noch bis 1939 eine marginale Bedeutung. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ab 1945 die Ikonografie der modernen Architektur unter neuem Vorzeichen wieder relevant. Nachdem die Ikone der modernen Architektur, das Bauhaus-Gebäude von Walter Gropius, in Dessau 1926 fertiggestellt worden war, folgten 1927 zwei wesentliche Kommentare zur Moderne: erstens die Publikation Großstadt Architektur (mit seinem eigenen »Schema einer Hochhausstadt«) von Ludwig Hilberseimer und zweitens der Film Metro­polis von Fritz Lang. Buch und Film veränderten den Blick auf die Moderne mehr als das Bauhaus-Gebäude von Gropius. Hilberseimer beschreibt die Großstadt als ein Produkt der ökonomischen Entwicklung in der Neuzeit. »Der heutige Großstadttyp verdankt daher seine Entstehung in der Hauptsache der Wirtschaftsform des kapitalistischen Imperialismus, der seinerseits eng zusammenhängt mit der Entwicklung der Wissenschaft und Produktionstechnik. Seine Kräfte greifen weit über die Volkswirtschaft hinaus immer stärker in die Weltwirtschaft ein […] Da die Produktion für den eigenen Bedarf kein Genüge mehr findet, wird sie zur nachbarfeindlichen Überproduktion gedrängt, geht mehr auf die Erregung von Bedürfnissen als auf deren Befriedigung aus. So erscheint die Großstadt in erster Linie als eine Schöpfung des allmächtigen Großkapitals, als eine Ausprägung seiner Anonymität, als ein Stadttypus von eigenartigen, wirtschaftlich-sozialen und kollektiv-psychischen Grundlagen, gleichermaßen größte Isolation und engsten Zusammenschluß ihrer Bewohner gestattend […] Die Großstädte gleichen sich in gewissen Zügen derartig, daß man von einer Internationalität ihres Gesichtes reden kann. Sie sind nicht wie die fürstlichen Hauptstädte auf ein bestimmtes Herrschaftsgebiet bezogen: Physiognomie und Abbild ihres Landes und ihrer Nation.«48 Mit diesem Satz beschreibt Hilberseimer die kapitalistische Großstadt. Ähnlich argumentiert Georg Simmel in seinem Buch Philosophie des Geldes, in dem er die »Charakterlosigkeit des Intellekts und des Geldes« besonders der Großstadt zuschreibt.49 »In den modernen Großstädten gibt es eine große Anzahl von Berufen, die keine objektive Form und Entschiedenheit der Betätigung aufweisen: gewisse Kategorien von Agenten, Kommissionäre, all die unbestimmten Existenzen der Großstädte, die von den verschiedenartigsten, zufällig sich bietenden Gelegenheiten, etwas zu verdienen, leben« und er formuliert diesen Gedanken wie folgt zu Ende: »Dass das Geld und die Intellektualität den Zug der Unpräjudiziertheit oder Charakterlosigkeit gemeinsam haben, das ist die Voraussetzung dieser Erscheinungen, die auf einem anderen Boden als auf der Berührungsfläche jener beiden Mächte nicht wachsen ­könnten.«50 48 Ludwig Hilberseimer, Großstadt Architektur, Verlag Julius Hoffmann, Stuttgart 1927, S. 1. Sein »Schema einer Hochhausstadt« siehe S. 17−20. 49 Georg Simmel, Philosophie des Geldes (publiziert 1901), hier zitiert nach der Gesamtausgabe, Band 6, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, S. 595. 50 Ebd., S. 596 und S. 597.

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Diese kritischen Beobachtungen und Bemerkungen zur Metropole lassen bereits Zweifel erkennen, ob durch Planung und Intellektualität eine »bessere« Stadt überhaupt entstehen kann. Lang griff dieses Thema in seinem Film Metropolis auf. Mit intensiven Bildern klagte er hier in utopischer Vorwegnahme die Stadt als Repräsentant des kapitalistischen Systems an. Er stellte die Präsenz und die Potenz der Großstadt durch eine Gigantomanie der Architektur und durch ein »Multi Layering« der Kommunikation dar: Autos, Züge, Flugzeuge und Reklame illustrieren die Metropole. Der »Turm von Babel« hat mit seinen ca. 120 dargestellten Etagen eine geschätzte Höhe von über 500 Metern. Der Film zeigt ferner eine ausgeprägte Zweiklassengesellschaft in der futuristischen Großstadt. Die Oberschicht lebt in absolutem Luxus, während die Arbeiterklasse unter der Erde riesige Maschinen bedient. Im Sinne der »gleichzeitigen Ungleichheit« ist der Tag der Arbeiter in 20 Stunden aufgeteilt, der Tag der Oberschicht in 24 Stunden: Der Versuch einer Revolte gegen das System mittels eines falsch programmierten »Robotermenschen« ist allerdings zum Scheitern verurteilt. Die Bilderwelt von Metropolis geht weit über die Projektionen der Moderne hinaus. Die urbane Welt ist nicht orthogonal geordnet wie in den Stadtvisionen von Le Corbusier oder Hilberseimer, sondern bedient sich dem Prinzip der Collage als Ausdruck hybrider und heterogener Strukturen, an denen sich Singularität schwer ablesen lässt und in einer Totalität der urbanen Masse untergeht. Mit dem Verschwinden von Grenzen, einer Charakterlosigkeit der Metropole und einer grenzenlosen Maßstabsveränderung beendet der Film Metropolis die Diskussion der Moderne und öffnet – zumindest aus heutiger Sicht – den Blick auf die Postmoderne. Mein Argument ist, dass der Film eine der ersten postmodernen Situationen in der Ästhetik der Stadt abbildet – ähnlich wie später der Film Blade Runner aus dem Jahr 1982 von Ridley Scott. In Metropolis werden unterschiedliche »Bildsprachen« collagiert und kontrapunktisch versetzt: Bilder von kolossalen technischen Maschinen stellen die Arbeitswelt und die Ausbeutung dar, während die Welt des Reichtums und des Vergnügens nicht auf Bilder der Moderne zurückgreift, sondern auf eine postexpressionistische, gartenhafte Bildsprache verweist, mit beinahe biomorphen Strukturen. Auf diese Weise wird der Kontrast zur Ikonografie der klassischen Moderne noch verstärkt und der Moderne abgesprochen, die Projektionsfläche für eine »bessere« Welt zu sein. Der Film Blade Runner spielt im Jahr 2019 in Los Angeles: ca. 110 Jahre nach Wagners Großstadt, ca. 90 Jahre nach Le Corbusiers »La Ville Radieuse« und ca. 55 Jahre nach Ron Herrons »Walking Cities« (1964). Die Premiere des Films war am 25. Juni 1982 in Los Angeles, 55 Jahre nach der Premiere von Metropolis in Berlin. Beide Filme verbindet eine atemberaubende Bilderwelt, welche die Zuschauer in gigantische architektonische Metropolen entführt. Ferner sind ihnen das Thema der kapi­talistischen Produktionsverhältnisse und das Thema der »Künstlichkeiten«, der »Replikanten« und der »Roboter«, gemeinsam. Doch

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während Metropolis den Garten des Vergnügens noch visualisiert, verzichtet Blade Runner auf diese bildliche Darstellung. Der Film beschreibt eine dystopische Gesellschaft, die Stadt ist hier eine düstere Megametropole ohne Sonne und ohne Natur, deren Bewohner hauptsächlich der Unterschicht angehören. Die Oberschicht lebt auf anderen Planeten, die von sogenannten Replikanten erschlossen wurden. Bei ihnen handelt es sich um künstliche Menschen mit einer begrenzten Lebensdauer von vier Jahren, denen eine Rückkehr auf die Erde verboten ist. Im Film werden vier Replikanten gejagt, denen speziell diese Rückkehr zur Erde gelungen ist. Die besondere Qualität des Filmes geht zurück auf seinen Kommentar zu möglichen zukünftigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in einer Welt des wissenschaftlichen Fortschritts. Das pyra­midenförmige Hochhaus der Tyrell Corporation, welche künst­liche Menschen hervorbringt (gentechnisch erzeugte Humanoide), erinnert an das Turmhaus in Metropolis. Die fragmentierten Realitäten, Vermischungen, Collagen, Versatzstücke verschiedener Kulturkreise prägen eine spätmoderne Welt, in der das Natürliche und das Künstliche nicht sofort erkennbar sind. Trash, Slum und Hightechgebäude existieren parallel, begleitet von überdimensionalen Werbetafeln für eine bessere Zukunft, die der Film jedoch nie zeigt. Design und Architektur verlieren sich in einer Megacollage architektonischer Objekte ohne ganzheitlichen Anspruch. Der Architektur wird jede Möglichkeit verwehrt, humane und positive Inhalte zu vermitteln. Die postmoderne Welt ist gleichzeitig eine posthumane Situation geworden.51 Metropolis und Blade Runner zeigen beide »postmoderne« Situationen – Situationen der Vielschichtigkeit, der Heterogenität, der Künstlichkeiten, der Durchmischung, der Collage und der Verfremdungen. 1992 publizierte K. Michael Hays das Buch modernism and the posthuman subject, in dem er die Architekturen von Hannes Meyer und Ludwig Hilberseimer in einen neuen, posthumanistischen Kontext stellt: »I shall argue that an analogous perceptual shift, which I shall call posthumanism, can be detected within modern architecture – in particular the architecture of Hannes Meyer and Ludwig Hilberseimer. Posthumanism is the conscious response, whether with applause or regret, to the dissolution of psychological autonomy and individualism brought by technological modernization; it is a mobilization of aesthethic practices to effect a shift away from the humanist concept of subjectivity and its presumption about originality, universality, and authority.«52 Hays argu­mentiert, dass die Rationalisierung, welche die gesamte Bewegung der Modernisierung begleitet, in sich die Gene einer posthumanistischen Situation trägt. »In humanist thought the role of the subject vis-à-vis the object has been that of an originating agent of meaning, unique, centralized, and authoritative.«53 Moderne humanistische Ar-

51 David Harvey widmet dem Film Blade Runner in seinem Buch The Condition of Postmodernity ein ganzes Kapitel. 52 K. Michael Hays, Modernism and the Posthumanist Subject, MIT Press, Cambridge (USA) 1992, S. 6. 53 Ebd., S. 5.

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chitektur wie Wagners Postsparkasse oder Louis Sullivans Warenhäuser repräsentieren noch die codierten Werte einer bürgerlichen (bourgeoisen) Welt. Mit den fortschreitenden Rationalisierungen der modernen Architektur entwickelte sich eine Objekthaftigkeit, der sich das Subjekt unterordnen musste. Von diesem Standpunkt aus ist der intellektuelle Übergang von der Moderne zur Postmoderne nur ein gradueller. Die Moderne und das posthumane Subjekt wurden zum postmodernen, posthumanen Subjekt. In der Massengesellschaft − einer postindividuellen Welt – heißen die sogenannten Leitworte »Heterogenität«, »Konsum« und »Multiplizität«. Die gesellschaftliche Konsensualität wird in vielen Bereichen nur noch als Minimalkonsens gelebt, der historische Begriff der »Konsensualität« hat als Motor für die urbane Planung seine Bedeutung verloren. Die Ästhetik führt im »Late Capitalism« daher eine Scheindiskussion: Es geht nicht um kritische Positionen, sondern um Optionen der Vermarktung und der Aneignung. Die postmoderne Architektur reagiert aufgrund einer »ästhetischen Aufgeregtheit«, die in keiner Relation zur inhaltlichen Bedeutung steht. Die »ästhetische Aufgeregtheit« nutzt sich schneller ab (»sich sattsehen«), weil sie nicht altern kann, sondern einfach nur »alt« wird. Sie erhält keine Patina, sondern mutiert innerhalb kürzester Zeit zu ästhetischem Müll. Um solchen Situationen zu entgehen, müssen Shoppingcenter, Hotels und Restaurants permanent neu designt werden, um die Konsumenten durch eine erneute »Aufgeregtheit« zu faszinieren. Postmoderne Architekturen verbindet eine ähnliche Kurzlebigkeit wie die Mode in der Bekleidungsindustrie. Georg Simmel analysierte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in seinen Texten »Die Mode« und »Das Problem des Stils« die Kurzlebigkeit von Moden und ortete hierfür eine »Nervosität« der Zeit.54 Die Nervosität ist Ausdruck einer Spannung, die in fehlender Gelassenheit zur Realität einer Situation steht. Daher reflektiert die Nervosität einer Zeit auch die maximale Entfremdung sozioökonomischer Verhältnisse. Auf der literarischen Ebene hat Robert Musil das Thema der Nervosität und Eigenschaftslosigkeit behandelt. In seinem Hauptwerk Der Mann ohne Eigenschaften (Erstveröffentlichung 1943) ist die Hauptfigur Ulrich der »Mann ohne Eigenschaften«, der sich zu nichts ernsthaft bekennen mag und sich jeder Festlegung in seinem eigenen Leben entzieht, um sich neue Optionen offenzuhalten. Mit seiner »Eigenschaftslosigkeit« symbolisiert Ulrich zugleich den metropolen Menschen. Im metropolen Stil des Lebens verbinden sich hier zwei Positionen: der »charakterlose« Ulrich (der Mensch) und das »charakterlose« Geld (Tauschware) der Großstadt. Ein halbes Jahrhundert später verwendete Rem Koolhaas für seinen Text zum Urbanen den Titel »Die Stadt ohne Eigenschaften« (original »The Generic City«, 1994).55 Er beschreibt die Stadt als nützliches Pro-

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54 Georg Simmel, »Die Mode«, in: ders., Philosophische Kultur, Klinkhardt, Leipzig 1911, S. 31−64; Georg Simmel, »Das Problem des Stils«, in: Dekorative Kunst 11, Nr. 7, 1908, S. 307−316. 55 Rem Koolhaas, »The Generic City« (1994), in: S, M, L, XL, The Monacelli Press, New York 1995, S. 1246−1264. Deutsche Textquelle: Rem Koolhaas, »Die Stadt ohne Eigenschaften«, in: ARCH+ 132, Juni 1996, S. 18−26 (Übersetzung von Fritz Schneider).

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dukt, das nach den Regeln der gegenwärtigen Bedürfnisse funktioniert. Der erste Absatz kommentiert die Relation der Stadt zur Geschichtlichkeit kritisch: »1.2 Da Identität größtenteils von physischer Substanz, von Geschichtlichem, vom Kontext und von der Realität determiniert wird, können wir uns kaum vorstellen, daß irgend etwas Zeitgenössisches – etwas von uns Geschaffenes – zu ihr beitragen sollte. Doch die Tatsache des exponentiellen Wachstums der Menschheit bedeutet, daß die Vergangenheit über kurz oder lang zu ›klein‹ sein dürfte, um von allen Menschen bewohnt und geteilt zu erden. Wir brauchen die Vergangenheit auf […]«56 Und die marktkonforme Adaptabilität der Stadt wird als ihre neue Funktionalität beschrieben: »6.1. Die große Originalität der eigenschaftslosen Stadt besteht darin, daß sie einfach auf alles Funktionslose verzichtet – auf alles, was seine Nützlichkeit überlebt hat −, um die Asphaltdecke des Idealismus mit den Preßlufthämmern des Realismus aufzubrechen und alles zu akzeptieren, was dann aus dem Boden sprießt.«57 »The Generic City« analysiert pointiert die Realität urbaner Verände­ rungen unter den Bedingungen einer rasanten Bevölkerungsentwicklung. Was Koolhaas als »Die Stadt ohne Eigenschaften« beschreibt und bezeichnet, ist in Wirklichkeit die Stadt mit den neuen, scheinbar eigen­schaftslosen Eigenschaften. Das Fehlen von konsensualen Leitbildern architektonischer und urbaner Gestaltungen ist ein wesentliches Merkmal der neuen Eigenschaftslosigkeit. Daher gibt es partielle Interventionen im urbanen Gefüge – aber keine übergreifenden architektonischen Planungen. Der postmoderne, eigenschaftslose urbane Raum ist fragmentiert, partikularisiert, zoniert und kontrolliert. Die zukünftigen urbanen Räume werden zunehmend von sozialen Multiplizitäten geprägt statt von physischen Objekten, die Aneignungen der Stadt geschieht über Prozesse und weniger über Funktionen. Seit der Finanzkrise 2008 haben sich Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend und nachhaltig verändert. Globalisierung und Digitalisierung haben neue Parameter geschaffen, auf die urbane Planungen und Architekturen reagieren. Immobilien sind ein »alternatives Investment« in großem Maßstab geworden, speziell in Zeiten niedriger Zinsen (»Null-Zins-Politik«) der großen Notenbanken in Europa, Nordamerika und Asien. »Architecture as Commodity« als handelbare Ware mit guter Verzinsung und Inflationsschutz begleitet die postmoderne Gesellschaft.

56 Ebd., ARCH+. 57 Ebd., ARCH+.

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4.1  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung ­Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, Schema der Zubauten, ­statisch getrennte »Boxen«

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Mein subjektives Statement und exemplarische Projekte: »Transformation« hat viele Bedeutungsebenen: In der Elektrotechnik ist damit die Beeinflussung der Höhe einer Wechselspannung (Transforma­ tor) gemeint, in der Mathematik, Grafik und Physik die Umrechnung von Koor­dinaten (Koordinatentransformation) und in der Genetik die Form der Übertragung von der DNA auf eine Zelle. In der Architektur umschreibt der Begriff eine Vielzahl von »Umformungen« bestehender Architekturobjekte, einen Wandel unterschiedlicher Nutzungen.1 Man könnte in der Architek­ tur auch sagen: »Transformationen sind eine Realität.« Die Geschichte der Architektur kennt Umnutzungen, Umwandlungen und Umformungen von Gebäuden – bis hin zum Abbruch − der totalen Transformation, der Zerstörung. Dazwischen bewegen sich alle sichtbaren und sensiblen Veränderungen. Architektur ist auch eine Geschichte der Transformation: vom Weiterbauen in der Gotik, in der Renaissance und im Barock bis zur subtilen Adaptierung von Bauwerken durch einen Carlo Scarpa im Venedig des 20. Jahrhunderts. Transformationen sind großartige Herausforderungen für die Architek­ ten, begleitet von einem intensivem Verständnis und Kenntnis der beste­ henden Struktur. Eine der berühmtesten Transformationen ist die Umwandlung eines grie­ chischen Tempels in eine katholische Kathedrale in Syrakus auf Sizilien. Hier verweben sich Säule und Wand zu einer neuen Architektur. Das neue »Be­ setzen« der bestehenden Architektur zeigt speziell im Fall der Hagia Sophia in Istanbul zugleich den wichtigen Aspekt der politischen Veränderung und die neue Dominanz über die alte Geschichte. Die New Yorker Lofts sind ein klassisches Beispiel für urbane Transforma­ tionen, bei denen ein bestehender Architekturtypus in einen anderen über­ geht. Für das urbane Gedächtnis sind diese Transformationen von beson­ derer Bedeutung, denn sie reflektieren die Komplexität architektonischer Strukturen im Gefüge der Stadt. In vielen europäischen Städten hat sich aufgrund von Dachausbauten und Dachaufstockungen das gesamte Stadt­ bild verändert – selbst wenn dies nicht immer für alle sichtbar ist. Für den Architekten, Designer und Künstler Hans Hollein war der Be­ griff der »Transformation« besonders relevant. Seine in der Landschaft »ge­ strandeten« Flugzeugträgermontagen (1964) erweiterten den Begriff der »Architektur«: Der Flugzeugträger als komplexe Kleinstadt, transferiert in eine neue Umgebung.

1 Seit 2009 ist August Sarnitz im Editorial Board der US-amerikanischen Zeitschrift Int / RA (Interventions, Adaptive Reuse), die sich speziell dem Bereich der Transformation in der Architektur widmet. Editors in chief: Markus Berger, Liliane Wong und das Department of Interior Architecture, Rhode Island School of Design. Distributed by Birkhäuser Verlag GmbH, Basel P.O.Box 44, 4009 Basel, Switzerland.

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Schlösser, Fabriken und Bahnhöfe werden zu Museen; Krankenhäuser, Bürohäuser, Hotels, Bunker, Schulen und Kirchen werden zu Wohnungen; Bankgebäude, Fabriken und Wassertürme werden zu Hotels – die Transfor­ mationen sind vielfältig und allgegenwärtig. Sie verändern die DNA der ur­ sprünglichen Gebäude und entwickeln eine neue Struktur, Funktion, Mate­ rialität und einen neuen Maßstab. Mit engagierten Auftraggebern konnte ich in Wien mehrere Transfor­ mationen durchführen. Einen europaweit ausgeschrieben Wettbewerb für das Krankenhaus Baumgartner Höhe (heute Otto-Wagner-Spital) konnten wir als Architektenteam (Sarnitz-Soyka-Silber-Soyka) gewinnen und umset­ zen (1997−2001).2 Obwohl hier die Krankenhausnutzung prinzipiell fort­ geführt wurde, haben sich therapeutische und technische Anforderungen nach fast 100 Jahren so grundlegend geändert, dass man von einer »Trans­ formation« sprechen kann. Dem denkmalgeschützten Bauwerk wurde die fast 1 Meter dicke Mittelmauer entnommen und durch Stützen ersetzt. Auf diese Weise hat sich die DNA des gesamten Gebäudes verändert und das Projekt konnte innerhalb der denkmalgeschützten Bausubstanz komplett neu gestalten werden. Die Kinderklinik Glanzing im 19. Wiener Gemeindebezirk stand meh­ rere Jahre lang leer, bevor die Transformation zu einem Wohnhaus statt­ fand. Eine große Herausforderung war die Frage der Erschließung. Die lan­ gen Krankenhausgänge mutierten in der Planung zu Nebenräumen wie ­Küchen, Bäder und Abstellräume. Das ehemalige Souterrain wurde zu einer Wellnesslandschaft mit Indoorpool und direktem Ausgang zum Park über einen neuen Wintergarten (2001−2005). Eine große städtebauliche Transformation diskutierte das Gutachterver­ fahren zum ehemaligen größten Pflegeheim der k. und k. Monarchie in Wien-Lainz. Die veränderten Pflegeanforderungen ermöglichten ein großes Gebiet für ca. 2000 neue Wohnungen. Das Konzept (von August Sarnitz mit Gerhard Brandt und Andrei Gheorghe) erhielt den zweiten Preis im Jahr 2011. Eine weitere Transformation stellt die Erweiterung des ältesten existie­ renden Wein-Heurigen in Wien-Hernals dar (2007/08). Das Stift St. Peter betreibt seit 1042 diesen Heurigen. Das denkmalgeschützte Gebäude mit Bereichen aus der Barockzeit und dem Biedermeier wurde um neue Außen­ flächen (Patio mit Pergola) und diverse Nebenräume unterhalb des Hofes erweitert. Die Übergänge und Schnittstellen zwischen Bestand und »Ein­ griff« wurden gestalterisch definiert, Materialübergänge sorgfältig orches­ triert.

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2 Die Stadt außerhalb, hg. von Caroline Jäger-Klein und Sabine Plakolm-Forsthuber, Birkhäuser Verlag, Basel 2015.

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4.2  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, Eingangsseite mit Verbau der Nischen (»Boxen«) und neuem gläsernen Vestibül, Foto August Sarnitz, 2001

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links 4.3  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung ­Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, neuer innerer Erschließungs­ gang mit neuen Nasszellen, Foto Margherita Spiluttini, 2001 4.4  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung ­Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, neuer zentraler Stützpunkt beim Eingang, Foto Margherita Spiluttini, 2001 oben 4.5  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung ­Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, neue »Implantate« (Nass­zellen) und Einbauschränke für die Krankenzimmer, Foto ­Margherita Spiluttini, 2001

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4.6  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung ­Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, Querschnitt durch das ­Gebäude mit Zubauten

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4.7  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, Aufenthaltsräume im neuen Zubau, Foto Margherita Spiluttini, 2001 4.8  Architektenteam »Baumgartner Höhe, Sarnitz und SoykaSilber-­Soyka« Otto-Wagner-Spital, Umbau und Zubau Pavillon 16, Abteilung Psychiatrie, 1140 Wien, 1997–2001, Aufenthaltsraum im neuen Zubau, Foto Margherita Spiluttini, 2001

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4.9  August Sarnitz Wohnbau Glanzing (ehemalige Kinderklinik Glanzing, ­Transformation eines denkmalgeschützten Bauwerkes), 1190 Wien, 2001–2005, neuer Haupttrakt mit neuem Dachbodenausbau, Foto August Sarnitz, 2005

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4.10  August Sarnitz Wohnbau Glanzing (ehemalige Kinderklinik Glanzing, ­Transformation eines denkmalgeschützten Bauwerkes), 1190 Wien, 2001–2005, Seitentrakt mit neuem Glaszubau, Foto August Sarnitz, 2005

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4.11  August Sarnitz Wohnbau Glanzing (ehemalige Kinderklinik Glanzing, ­Transformation eines denkmalgeschützten Bauwerkes), 1190 Wien, 2001–2005, neuer Glaszubau, Foto Pez Hejduk, 2005

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4.12  August Sarnitz Wohnbau Glanzing (ehemalige Kinderklinik Glanzing, ­Transformation eines denkmalgeschützten Bauwerkes), 1190 Wien, 2001–2005, Indoor-Swimmingpool, Foto Pez Hejduk, 2005

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4.13  August Sarnitz Wohnbau Glanzing (ehemalige Kinderklinik Glanzing, ­Transformation eines denkmalgeschützten Bauwerkes), 1190 Wien, 2001–2005, Indoor-Swimmingpool, Foto Pez Hejduk, 2005

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4.14  August Sarnitz Wohnbau Glanzing (ehemalige Kinderklinik Glanzing, ­Transformation eines denkmalgeschützten Bauwerkes), 1190 Wien, 2001–2005, Indoor-Swimmingpool, Foto Pez Hejduk, 2005

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vorhergehende Doppelseite 4.15  August Sarnitz Wohnbau Glanzing (ehemalige Kinderklinik Glanzing, ­Transformation eines denkmalgeschützten Bauwerkes), 1190 Wien, 2001–2005, Indoor-Swimmingpool, Foto Pez Hejduk, 2005

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4.16  August Sarnitz Stift St. Peter, 1170 Wien, 2007/08, Zubau und Umbau eines denk­ malgeschützten Bauwerkes, neuer Abgang zu den Serviceräumen, Foto August Sarnitz, 2008

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4.17  August Sarnitz Stift St. Peter, 1170 Wien, 2007/08, Zubau und Umbau eines denkmalgeschützten Bauwerkes, Verkleidung mit bedrucktem Glas, Foto August Sarnitz, 2008

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4.18–4.20  August Sarnitz Stift St. Peter, 1170 Wien, 2007/08, Zubau und Umbau eines denkmalgeschützten Bauwerkes, neue Stahlbetontreppe; Detail Treppengeländer; neuer Eingangsbereich mit Treppe aus durch­ gefärbtem Beton; Foto August Sarnitz, 2008

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4.21  August Sarnitz Stift St. Peter, 1170 Wien, 2007/08, Zubau und Umbau eines denkmalgeschützten Bauwerkes, neuer Eingangsbereich als »­historisches Zitat«, Foto August Sarnitz, 2008

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5.1  Peter Kogler Exhibition Views ING Art Center, Brüssel, 2016, Foto Atelier Kogler

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Zur Differenz der Projektionen: Raumhülle, ­Raumplan, Raumform, Plan Libre, White Cube, Dark Room, ­Kunstraum

1. Grenzen Die Fragen nach dem Raum sind immer mit der Frage nach den Grenzen, den Begrenzungen und den Wahrnehmungen verbunden. Die philosophischen Fragen nach dem Raum »an sich« – nach der Idee des Raumes – haben in der Realität der Wahrnehmungen eine vielfältige Gestalt. Raum ist immer auch ein politischer Raum, definiert durch Grenzzäune und Mauern – die mittelalterlichen Stadtmauern sind ein viel zitiertes Beispiel aus der Geschichte. Raum definiert sich daher durch Positionen – Außenraum, Innenraum und Zwischenraum –, »Raum« existiert in der Realität als »Räume«. Der »Pluralismus der Räume« mit seinen räumlichen, zeitlichen und kulturellen Differenzen zeigt sich auch in der Aneignung der Räume selbst auf einer sozialen und architektonischen Ebene. Diskussionen zum Raum bleiben immer fragmentarisch, da es eine absolute Definition des architektonischen Raumes nicht gibt. Eine Sensibilisierung für die unterschiedlichen Raumtheorien und Raumkonzepte basiert auf der Annahme, dass Räume in ihrer Wahrnehmung auch durch kulturelle Codierung belegt sind. Die sinnliche Wahrnehmung von Räumen ist zum großen Teil von der wissenschaftlichen Forschung belegt. Der Pluralismus der Räume der spätmodernen Moderne in der postkapitalistischen Zeit (am Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts) gehört zu den interessantesten Entwicklungen unserer Zeit. Das Problem des homogenen Raumes der Moderne wird im Denken und in der Architektur der Postmoderne relativiert: realer Raum, virtueller Raum, digitaler Raum und Augmented Reality. Damit endet gleichzeitig die Zeit der großen Erzählung der Moderne. Henri Lefebvre war einer der wichtigsten französischen Philosophen des 20. Jahrhunderts. 1974 publizierte er das Buch La Production de l’espace, das seit 1991 unter dem Titel The Production of Space die internationale Diskussion nachhaltig beeinflusst.1 Es bildet zudem einen 1 Lukasz Stanek, »Methodologies and Situations of Urban Research. Re-reading Henri Lefebvre’s The Pro­ duction of Space«, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe 4 (2007), Heft 3, http://www.zeithistorische-forschungen.de/3-2007/id=471, Druckausgabe: S. 461−465. »The Production of Space by Henri Lefebvre is widely considered to be one of the most important books which facilitated the ›spatial turn‹ in social and cultural theory by introducing space, as an interpretative concept, into sociological, political, economic, historical and cultural analysis. This reorientation was

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theoretischen Ausgangspunkt für die Raumsoziologie, die das Entstehen von Räumen durch soziales Handeln in Abhängigkeit von räumlichen Strukturen analysiert. La Production de l’espace ist eine Suche nach dem Ausgleich zwischen dem geistigen, dem philosophischen »Raum«, und dem realen Raum – und den physischen und sozialen Sphären, in denen wir leben. Im Rahmen von Untersuchungen oszillieren metaphysische und ideologische Überlegungen bezüglich der Bedeutung des Raumes in seinem alltäglichen Leben zu Hause und in der Stadt. Dabei wird versucht, die Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen Philosophie und Realität zu überbrücken. Lefebvres Betrachtungen inkludieren Literatur, Architektur, Ökonomie, Physik und Philosophie. Seine wesentlichen Aussagen über die »Production« (Original) verweisen auf seine marxistische Überzeugung, dass alles in der menschlichen Welt produziert wird und die sozioökonomischen Bedingungen hinterfragt werden müssen. Für eine Diskussion im Zusammenhang mit der Architektur führt Lefebvre in den Kapiteln »Social Space« und »Spatial Architectonics« (englische Ausgabe) wichtige Aspekte an. In der Einleitung zu »Spatial Architectonics« relativiert er die unterschiedlichen Positionen von Baruch de Spinoza, Gottfried Wilhelm Leibniz, René Descartes, Isaac Newton und Immanuel Kant.2 Mit dem Begriff der »Wahrnehmung« (discern) bringt Leibniz den Raum in einen modernen Zusammenhang. »Raum« ist nicht mehr göttlich wie bei Spinoza. Es gibt einen direkten Bezug zwischen dem Körper und seinem Raum, zwischen der Entfaltung des Körpers im Raum und der Besetzung des Raumes. Der Körper produziert seinen eigenen Raum, der sich wiederum im Raum findet. Mit dem Körper und den Wahrnehmungen kommen wir zu den Grenzen, Begrenzungen, Rändern und Berührungen, wo etwas beginnt. Dieses Verhältnis (»boundaries« bei Lefebvre) ist für dieses Verhältnis zum Raum von größter Wichtigkeit. Eine ähnliche Diskussion führt auch Martin Heidegger in seiner Publikation Bauen, Wohnen, Denken.3 Die Grenze (griechisch »horizon«) ist nicht dasjenige, wo etwas endet, sondern wo etwas beginnt.

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the programmatic objective of this book which aimed to relate and define ›all possible spaces, whether abstract or real, mental or social‹ (p. 299), and thus account for a wide range of spaces, from those of the body to those of the planet.« 2 Henri Lefebvre, The Production of Space, Blackwell, Oxford u. a. 1991 (erste englische Ausgabe), S. 169−170. 3 Martin Heidegger, »Bauen, Wohnen, Denken« Neske, Tübingen 1954, S. 154−155.

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2. Differenzen Dieser architektonische Diskurs projiziert Ideen und Wünsche der letzten 100 Jahre und versucht nicht, den möglichen zukünftigen Raum als architektonische Fiktion zu diskutieren. Es geht um einen Diskurs, der sich unabhängig von architektonischen Stilen führen lässt. Die »Aufgeregtheit« (als Form und als Geste) der zeitgenössischen Architektur steht offensichtlich im Gegensatz zu ihrer Bedeutung – sofern sich diese Aussage im postmodernen und postkapitalistischen Zeitalter noch definieren lässt. Da die Architektur den Charakter der Kommodität und der Konsumierbarkeit angenommen hat, sind viele subtile Diskussionen obsolet geworden: »Trotzdem« (um Adolf Loos zu zitieren) ist eine Diskussion zu verschiedenen Entwurfstheorien relevant. Die scheinbare Differenz architektonischer Darstellungen reduziert sich im Sinne einer offenen Typologie sehr schnell. Robert Venturis berühmte »Ente« kann viele Formen annehmen, trotz ihrer Mutationen bleibt sie letzten Endes dennoch eine »Ente«. Ähnlich funktioniert auch ­Venturis »Shed«. Sein Postulat des »decorated Shed« ist der Versuch, mittels Zeichensprache (Symbole mit kultureller und architekturhistorischer Konnotation) eine einfache Typologie der Architektur aufzuwerten und einer Bedeutung zuzuführen. Beide Begriffe Venturis sind intelligente Kommentare zur Architektur. Aufgrund seiner radikalen Betrachtung wird die Architektur auf ihre mediale Bedeutung hin untersucht und diese im historischen Kontext decodiert. Methodisch ist seine Publikation Complexitiy and Contradiction in Architecture pluralistisch und phänomenologisch angelegt.4 Venturis Buch ist ferner eine kritische Position zur Architektur der Moderne, zu Le Corbusiers Vers une architecture (1923) und zur großen Tradition des architekturtechnischen Fortschrittes im 19. Jahrhundert. Die Weltausstellung von 1851 in London präsentierte mit dem Glaspalast von Joseph Paxton ein neues Kapitel der Architektur: Industrielle Produktionen versprachen eine unendliche, grenzenlose Architektur, Größe und Höhe wurden zu relativen Fragen. In weiterer Folge setzte die Weltausstellung in Paris 1889 mit dem Eiffelturm und der großen Maschinenhalle von Charles Louis Ferdinand Dutert und Victor Contamin neue Parameter: Die neue Architektur war »scheinbar« zu einer Frage des Ingenieurs und die Technik zum generierenden Faktor der Architektur geworden. Die Geschichte der modernen Architektur hat die Technik rezipiert und in ihren inneren Diskurs aufgenommen. Plötzlich ist der »unendliche Innenraum« Realität geworden, die Megaraumhülle ein konditionierter Innenraum. Mithilfe der Technik war ein neues Bewusstsein für die Architekturproduktion entstanden. Die Konstruktionen wurden wieder zur Basis der Architektur.

4 Robert Venturi, Complexity and Contradiction in Architecture, The Museum of Modern Art, Papers on Architecture, New York 1966, S. 6.

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3. Raumhülle, Raumplan, Raumform Im Jahr 1894 publizierte Otto Wagner in Wien ein kleines Buch − ohne Abbildungen für seine Studenten − und gab dieser Publikation den Titel Moderne Architektur.5 Das Adjektiv »modern« war für Wagner die Zusammenfassung des Zeitgeistes und der Versuch, eine gültige Architekturhaltung für seine Studierenden (das heißt: für die Zukunft) zu formulieren. »Ein Gedanke beseelt die ganze Schrift, nämlich der, dass die Basis der heute vorherrschenden Anschauungen über die Baukunst verschoben werden und die Erkenntnis durchgreifen muss, dass der einzige Ausgangspunkt unseres künstlerischen Schaffens das moderne Leben sein soll.«6 In der vierten Auflage seiner erfolgreichen Publika­tion − diesmal mit Abbildungen seiner eigenen Bauten − änderte Wagner den Titel in Die Baukunst unserer Zeit − mit einem Hinweis auf Hermann ­Muthesius.7 Mit der Änderung des Titels auf unsere »Zeit« revidiert Wagner die Modernität der Architektur und führt die Baukunst in das prozesshafte Entstehen. »Unsere Zeit« ist daher a priori frei von stilistischen und ästhetischen Adjektiven und Zuordnungen − es ist eben die Zeit, in der wir leben, »unsere Zeit«. In einer Zeit global agierender Firmen kann es auch keine moderne oder postmoderne Architektur geben, sondern nur die unterschiedlichen Architekturen − Pluralismus in differenzierter Variabilität. In diesem Diskurs wird die Frage nach der Qualität der Architektur eine sehr komplexe. Für Wagner war Anfang des 20. Jahrhunderts folgende Formulierung plausibel: »Unsere moderne Epoche ist für grosse Effekte, welche in den Forderungen der bisher unerreichten Ansammlung von Menschen in Großstädten ihre Ursache haben, recht empfänglich und motiviert dies einen gewissen grossen Zug, der oft das modern Geschaffene durchzieht […] Es ist hier am Platze, den modern schaffenden Architekten ein kräftiges ermunterndes ›Vorwärts‹ zuzurufen und vor allzu grosser und inniger Anbetung des Alten zu warnen, damit ein, wenn auch bescheidenes, Selbstbewusstsein wieder ihr Eigen werde, ohne welches eine grosse Tat überhaupt nicht entstehen kann.«8 Für Wagner war die Architektur in der modernen Zeit ein Ausdruck von »Komposition« und »Construction«. »Die Bildung unserer ureigenen, den modernen Constructionen entsprechenden Kunstformen liegt also in uns selbst, die Möglichkeit, sie zu schaffen, ist uns durch das r­ eiche Erbe, das wir angetreten haben geboten und erleichtert. Das nutz­ bringende Resultat dieser Betrachtung ist ein sehr einfaches: ›Der Architekt hat immer aus der Construction die Kunstform zu entwickeln.‹«9 Wagner war eingebunden in die sempersche Tradition der Urhütte, in die Tradition des »Urgedanken[s] jeder Construction«10, in die Tradition

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5 Otto Wagner, Moderne Architektur, Schroll, Wien 1896, Erstausgabe mit 101 Seiten ohne Abbildungen. 6 Ebd., S. 8, Vorwort. 7 Otto Wagner, Die Baukunst unserer Zeit, Schroll, Wien 1914, 4. Auflage von Moderne Architektur, pub­ liziert unter dem geänderten Titel, dieses Mal mit zahlreichen Abbildungen aus dem Werk von Wagner, Vorwort vom November 1913 mit dem Hinweis auf Hermann Muthesius. 8 Otto Wagner, wie Anm. 5, S. 44. 9 Ebd., S. 58. 10 Ebd., S. 59.

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5.2  Otto Wagner Cover der ersten Ausgabe von Moderne Architektur, Wien 1896

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von Eugène Viollet-le-Duc. Bei ihm findet sich kein Wort zu August Schmarsow. Der deutsche Kunsthistoriker hatte im gleichen Jahr wie Wagner den Text seiner Leipziger Antrittsvorlesung (8. 11. 1893) im Jahr 1894 unter dem Titel »Das Wesen der architektonischen Schöpfung« publiziert, in dem er die Architektur als »Raumgestalterin« bezeichnet. Die Mythenbildung der Architektur begründe sich in der Faszination, die sie auf die leibliche Raumwahrnehmungsmöglichkeit des Menschen ausübe. »Die Geschichte der Baukunst ist eine Geschichte des Raumgefühls.«11 Die Parameter für eine neue Raumdiskussion könnten nicht unterschiedlicher sein. Fast 100 Jahre nach Wagners Moderner Architektur versucht der Architekturhistoriker Kenneth Frampton in seiner Publikation Grundlagen der Architektur − Studien zur Kultur des Tektonischen (1993) neue Parameter aufzustellen, um exemplarisch Qualitäten der Architektur aufzuzeigen.12 Frampton formuliert seine »Re-Interpretation« des Tektonischen durchaus auch als eine Kritik und einen Ausweg aus der postmodernen Architektur. Ähnlich wie Wagner verfolgt Frampton eine Tradition der Konstruktion an Beispielen von Architekten wie Viollet-le-Duc, ­Gottfried Semper, Auguste Perret und Ludwig Mies van der Rohe. Auch bei Frampton findet Schmarsow nur einen bescheidenen Platz, die »Architektur als Raumkunst« wird mit Distanz diskutiert. »Mehr vielleicht als die anderen Theoretiker des 19. Jahrhunderts, einschließlich seines Kollegen Adolf Hildebrand, der der Fläche den Vorrang gab, und Gottfried Semper, von dessen Werk seine These abgeleitet ist, begriff Schmarsow die Entwicklung der Architektur als die allmähliche Entfaltung des Raumgefühls im Menschen. In der Zeitspanne zwischen 1893 und 1914 entsprach Schmarsows Auffassung vom Raum als der treibenden Kraft, die hinter jeglicher architektonischer Form steht, den von Albert Einstein, Nikolai Lobatschewsky und Georg Riemann beschworenen Raum-Zeit-Modellen vollkommen.«13 Die Veränderungen in der Kunst der Avantgarde sollten die Position von Schmarsow relativieren. So ignoriert der bedeutendste Chronist der Moderne, Sigfried Giedion, in seiner Publikation Space, Time and Architecture (1947)14 gänzlich die Existenz von Schmarsow. Auch Loos erwähnt er nur ephemer.15 Bereits hier zeigt sich die Divergenz der beiden grundsätzlichen Raumpositionen der Architekturtheorie: die tek­tonische »Raumhülle« und die tektonische »Raumkunst«. In beiden Fällen ist die Tektonik existenziell vorhanden, allerdings mit einer unter­ schiedlichen Wertigkeit: Die Raumhülle reflektiert die primäre Qualität der Konstruktion als Loft, als Halle (Dutert, später Mies van

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11 August Schmarsow, »Das Wesen der architektonischen Schöpfung« (1894), in: Jörg Dünne und Stefan Günzel (Hg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, S. 482. 12 Kenneth Frampton, Grundlagen der Architektur − Studien zur Kultur des Tektonischen, Oktogon Verlag, München/Stuttgart 1993. 13 Ebd., S. 1. 14 Sigfried Giedion, Space, Time and Architecture, Oxford University Press, Oxford (UK) 1947, (1. Auflage 1941). 15 Ebd., der Index erwähnt nur drei Mal Adolf Loos.

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der Rohe), als geodätische Kuppel (Richard Buckminster Fuller) und betont die Flexibilität der Nutzungen. Frampton reflektiert in seiner Publikation im Besonderen die Position von Mies van der Rohe. »Das Lebenswerk Mies van der Rohes (1886−1969) kann als ein steter Kampf zwischen divergierenden Faktoren betrachtet werden: dem technologischen Potential der Zeit, der Ästhetik der Avantgarde und dem tektonischen Vermächtnis des romantischen Klassizismus. Mies’ lebenslanges Streben, diese Vektoren miteinander zu verbinden, ist bezeichnend, denn es erhellt die Natur der Avantgarde und zeigt die relative Unvereinbarkeit von abstraktem Raum und tektonische Form.«16 In Bezug auf die letzte Schaffens­periode formuliert Frampton sehr pointiert: »In den letzten zwei Jahrzehnten seiner Laufbahn leitet Mies eine direkte Monumentalisierung der Technik ein; […]«17 Bereits mit dem Barcelona-Pavillon (1929) beginnt Mies van der Rohe die Architektur als eine »Raumhülle« zu interpretieren, die durch die eleganten Stahlstützen eine wunderbare Ordnung und Proportion erhält. Der Grundriss des Pavillons ist ein inszenierter Rundgang – das spanische Königspaar trug sich nur in das Gästebuch ein. Zusätzliche Funktionen hatte das Bauwerk nicht zu erfüllen. Den royalen Parcours begleiteten die allerbesten Materialien: Travertin, Onyx, Klarglas, dunkles Glas, Chrom, eigens entworfene Möbel von Mies van der Rohe (der Barcelona-Sessel war mit weißem Leder bezogen). Luxuriöse Materialien und innovative Konstruktion bildeten die neue Aura der Architektur. 1950/51 realisierte Mies van der Rohe für Edith Farnsworth südlich der Stadt Plano, Illinois, ein Wochenendhaus am Ufer des Fox River. Der rechteckige Stahlbau ist ca. 9 Meter breit und ca. 25 Meter lang. Das Haus besteht aus wenigen Materialien wie weiß gestrichenem Stahl, Spiegelglas und Platten aus Travertin für den Fußboden, diese sowohl im Inneren des Hauses als auch auf den angrenzenden Terrassen. Die Bodenplatte und die Decken werden von acht I-Trägern in einem Höhen­abstand von 10 Fuß (3048 Meter) getragen, die Wände sind komplett verglast. Der loftartige Grundriss hat nur zwei Badezimmer und die Küchenzeile als räumlich definierte Einbauten, alle anderen Bereiche werden durch Möbel »definiert« und durch einen 6 Fuß hohen Schrank. Dieses radikale Wohnkonzept, bei dem die pittoreske Gartenlandschaft im eigentlichen Sinne die »Begrenzung« (die Fassade) bildet, interpretiert den Raum vollkommen neu. Das Glashaus ruht auf Stützen über der Landschaft, weil der nahe gelegene Fluss oft für Überschwemmungen sorgt. Der flexible Raum lebt durch die Proportionen und die edlen Materia­ lien, der Raum selbst ist eine Glasbox, eine gläserne Schachtel. Präzise Handwerkskunst, Ordnung und Proportion erzeugen architektonische Qualitäten. Mies van der Rohe formuliert in einem Aufsatz über das IIT-Curriculum seine Haltung zur Architektur: »Es ist radikal, weil es die wissenschaftlichen und technologischen Impulse aufnimmt und 16 Kenneth Frampton, wie Anm. 12, S. 176. 17 Ebd., S. 177.

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die Kräfte unserer Zeit unterstützt. […] Es ist konservativ, weil es auf den ewigen Gesetzen der Architektur beruht: Ordnung, Raum, Proportion.«18 Anlässlich der Verleihung der goldenen Medaille des American Institute of Architects in San Francisco im April 1960 spricht Mies van der Rohe über den Zusammenhang von Architektur und Zivilisation (nicht der Kultur!): »Wir stehen nicht am Ende, sondern am Anfang einer neuen Epoche; einer Epoche, die von einem neuen Geist geführt sein wird, die von neuen Kräften – technologischen, soziologischen und ökonomischen Kräften − getrieben sein wird, und die neue Werkzeuge und neue Materialien haben wird. Aus diesem Grunde werden wir eine neue Architektur haben […] Ich bin überzeugt, daß Architektur aus den tragenden und treibenden Kräften der Zivilisation kommen muß.«19 Das Vertrauen von Mies van der Rohe in die Zivilisation war für ihn ausreichend, um seine neue Architektur zu formulieren: Unabhängig von der Geschichte und unabhängig von kulturellen Codierungen entstand seine Architektur auf der Basis der Technologie und der »Wahrheit« – wie er sie im Sinne von Thomas von Aquino zitiert – als »adequatio intellectus et rei«. Weiter interpretiert Mies van der Rohe die Wahrheit mit den Worten: »Wahrheit ist der Sinngehalt eines Sachverstandes.«20 In der Folge entstanden mehrere Projekte und Bauwerke, die den flexiblen Innenraum thematisieren. In der Reihe der total verglasten Gebäude ohne innere Stützen stellt das »Haus mit einer Grundfläche von 15 × 15 Metern« (1950/51) eine wichtige Position dar. In der Mitte jeder Seite trägt nur eine einzige Stahlstütze eine feste Dachplatte, welche aus modularen Dachfeldern zusammengeschweißt ist. Die Ecken wurden freigestellt. Frei in den Innenraum platziert ist der Installationsblock mit der Küche, zwei Badezimmern und dem Wirtschaftsraum (für die Heizungsanlage), dessen Höhe jedoch unterhalb der Decke bleibt. Nur die Schächte und Rohre reichen bis an die Decke. Das Resultat ist eine freie, flexible Glasbox, wobei den einzelnen Möbeln ein fixer Platz zugewiesen und die »Mobilität« auf diese Weise relativiert wurde. Mit dem 15-×-15-Meter-Haus hat Mies van der Rohe den Prototyp eines Glaskubus entworfen, mit fast absoluter Flexibilität, dessen Funktionalität mehrfach zu hinterfragen ist. Das Wochenendhaus für Edith Farnsworth war für eine Person – maximal zwei Personen – entworfen und daher funktionell. Hingegen zeigt das 15-×-15-Meter-Haus die Grenzen der Flexibilität auf: Die im Grundriss dargestellten drei Doppelbetten zeigen keinerlei Privatsphäre, die Bewohner müssen asexuell und emotionslos sein, um in diesem Raum friedlich zusammenleben zu können. Die Radikalität der stützenlosen Glasbox wurde später bei größeren Bauten realisiert: der Crown Hall (1950−1956) und dem Bacardi-­ Bürohaus in Santiago de Cuba (1957). Der Entwurf für Letzteres wurde von Mies van der Rohe überarbeitet und von 1962 bis 1968 als Museum

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18 Ebd., S. 207. 19 Ludwig Mies van der Rohe, Ausstellungskatalog der Akademie der Künste in Berlin, Berlin 1968, S. 9. 20 Ebd., S. 9.

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5.3  Ludwig Mies van der Rohe House 50 × 50 Feet, Projekt, 1951, Grundriss (Nachzeichnung)

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Neue Nationalgalerie Berlin realisiert. Acht Stützen tragen die 64,80 × 64,80 Meter große Dachplatte, der Innenraum ist 8,40 Meter hoch und stützenfrei. Lediglich die Installationsschächte täuschen eine tragende Funktion vor, da diese bis zur Decke reichen. Dieser flexible Glasraum wurde nicht nur zum Zeitpunkt der Entstehung intensiv diskutiert. Der Berliner Architekt Werner Düttmann im Gespräch mit Mies van der Rohe: »Ich sagte Mies, in Berlin herrsche Verwunderung, daß der Entwurf jenem für Bacardi […] so sehr ähnlich sei – Darauf er: Ich lehne es ab, jeden Montag morgen eine neue Architektur zu erfinden.«21 Mies van der Rohe hat immer die Konstruktion vor den Raum gestellt, seine Raumhülle war das Ergebnis der Konstruktion. Seine eigene Formulierung hat er in einer Lecture in Chicago gegeben: »Building, when it became great, was almost always indebted to construction, and construction was almost always the conveyor of its spatial form.«22 Obwohl Mies van der Rohes Faszination, die mit der Glasbox verbunden war, eine spätromantische Qualität anspricht, indem sie die natürliche Landschaft als Begrenzung des Innenraumes definiert, veranschaulicht die Glasbox dennoch die technische und zivilisatorische Machbarkeit der Zeit: Diese Form der Architektur war zum Zeitpunkt der Realisierung absolut neu und grenzenlos in ihrer Wirkung. Mies van der Rohe hat die Grenzen der Architektur durchbrochen, seine Glasbox ist auf eine radikale Art unheimlich und sublim. In die Natur geworfen versprechen die kristallinen Boxen alles und nichts: Für den sensiblen Benutzer zeigt das Farnsworth House die vielleicht größte Intimität mit der umgebenden Landschaft und ihren saisonalen Veränderungen. Der Innenraum ist umso präsenter, je dunkler der Tag wird. Erst am Abend, in der Nacht, begrenzt das Glas den Raum gegen das dunkle Nichts. Der Innenraum ist − räumlich gesprochen – unspektakulär und lebt nur von seinem Bezug zur Landschaft.23 Frampton argumentiert, dass Mies van der Rohe den Mittelpunkt seiner Architektur zur Technik und Konstruktion verlagerte in der Annahme, die flexible Raumhülle würde genügend Freiheiten für die Nutzungen ermöglichen. Der Raum werde nicht als »Raum« konzipiert, sondern sei das Produkt konstruktiver Möglichkeiten. Hiermit stelle sich Mies van der Rohe gegen den reinen Funktionalismus und positioniere seine Architektur als eine neutrale, autonome Raumhülle. »Wie viele Menschen seiner Generation – Max Weber, Ernst Jünger, Martin Heidegger – und vor allem wie der Kirchenbauer Rudolf Schwarz, der ihn besonders beeinflusste, betrachtete Mies die moderne Technik als eine zwiespältige Erscheinung. […] Dies bewog ihn, den Mittelpunkt seiner Architektur vom Typ und von der Raumform weg zur Technik hinzu verlagern, in der Vorstellung, die Raumform würde spontan er-

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21 Ebd., S. 11. 22 Ludwig Mies van der Rohe, Rede »Lecture«, in Chicago gehalten, undatiertes Manuskript, Quelle: MvdR Papers, Manuscript Division, Library of Congress. 23 Vergleiche hierzu das Glashaus von Philip Johnson (1949) in New Canaan, Connecticut, ebenfalls mit Möbeln von Mies van der Rohe möbliert. Das dunkel gestrichene Metall des Glashauses, das direkt »auf dem Grund steht«, hat eine Außenbeleuchtung, die am oberen Rand des Hauses montiert ist. Johnson spielt hier bewusst mit dem Thema des romantischen Gartenhauses, das er nur für sich selbst gebaut hat. Seine Besucher wurden in einem separaten Gästehaus untergebracht.

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füllt, entweder durch die unbegrenzte Freiheit des offenen Grundrisses oder durch die veränderliche Unterteilung des Zellenraumes.«24 Diese grundsätzliche Flexibilität der Räume muss prinzipiell infrage gestellt werden: Die Differenzierung ist Ausdruck von Kultur und Arbeitsteilung, von Qualität und Zeichenhaftigkeit. Robert Venturi versuchte, dieser Diskussion mit seiner architektonischen Interpretation von »decorated Shed« und »Duck« zu entsprechen.25 Alle Möglichkeiten verspricht der »decorated Shed« − im Grunde bleibt diese Architektur aber ein »Schuppen«. Im Gegensatz dazu entspricht die Ente den Versprechungen der Gestaltung, dass Architektur selbst als ein Zeichen gelesen werden kann − unabhängig davon, wie »schön« oder wie »hässlich« die Ente ist. Indirekt greift Venturi mit seinen Aussagen die frühen Diskussionen von Karl Friedrich Schinkel (Gebäude als Bedeutungsträger) und Carl Bötticher auf, der zwischen Kernform und Kunstform differenziert.26 Der Anspruch der Architektur, mehr sein zu wollen als nur ein »Schutz vor der Umwelt«, ist eine grundsätzliche Diskussion in der Architekturtheorie. Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert änderte die fundamentalen Parameter. Augustus W. N. Pugin zeigt sich als prophetischer Autor in seiner 1840 publizierten Schrift »Contrasts«, in der er die Auswirkungen der industriellen Revolution auf die Gesellschaft in Hinsicht auf die Technik und die Ware thematisiert: »Gleichzeitig erkennt er in der Architektur unvermeidlich das Schlachtfeld, auf dem der Kampf zwischen ästhetischer Warenproduktion und ethischen Wertvorstellungen ausgefochten wird.«27 Diese Diskussion nahm Adolf Loos ab 1898 in Wien in mehrfacher Weise auf, seine schriftlichen Architekturessays dokumentieren seine konsequente Haltung. Er vertrat eine ethische Einstellung zur Architektur und zur Warenproduktion, eine evolutionäre und kulturelle Basis der Architektur und einen kritischen Konventionalismus in ästhetischer Hinsicht. Letzen Endes könnte man seine Argumente zum »Raumplan« auch auf eine ethische Grundlage zurückführen und als Versuch einer optimalen ökonomischen Raumverwendung interpretieren. In seinen beiden wunderbaren Artikeln »Die Baumaterialien« (28. 08. 1898)28 und »Das Prinzip der Bekleidung« (04. 09. 1898)29 stellt Loos seine radikale Position dar. »Was ist mehr wert, ein kilo stein oder ein kilo gold? Die frage erscheint wohl lächerlich. Aber nur für den kaufmann. Der künstler wird antworten: Für mich sind alle materialien gleich wertvoll.«30 und weiter: »Die leute sagen material und meinen arbeit. Menschliche arbeitskraft, kunstfertigkeit und kunst. Denn der granit verlangt viel arbeit, um ihn dem berge zu entreißen, viel arbeit, ihn nach seinem bestimmungsort zu bringen, arbeit, ihm die richtige 24 Kenneth Frampton, wie Anm. 12, S. 225. 25 Robert Venturi, Learning from Las Vegas, Reihe Bauwelt Fundamente 53, Vieweg, Braunschweig 1979, S. 90. 26 Kenneth Frampton, wie Anm. 12, S. 69–70. 27 Ebd., S. 25. 28 Adolf Loos, Ins Leere gesprochen, Brenner Verlag, Innsbruck 1932, S. 103. 29 Ebd., S. 110. 30 Ebd., S. 103.

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form zu geben, ihm durch schleifen und polieren das gefällige aussehen zu verleihen. Von der polierten granitwand wird unser herz dann in ehrfurchtsvollem schauer erbeben. Vor dem material? Nein, vor der menschlichen arbeit.«31 Dann kommt er konsequent zu dem Punkt der Illusionsimitation: »Aber jede arbeitszeit, ob die der maschine oder die des kuli, kostet geld. Wenn man aber kein geld hat? Dann beginnt man die arbeitszeit zu erheucheln, das material zu imitieren.«32 Mit der Imitation beginne die Demoralisierung des Gewerbes, die Imitation sei die Illusion der Realität. Hier wendet sich Loos bewusst gegen die Massenproduktionen im 19. Jahrhundert, gegen das »falsche« Ornament und gegen die belanglosen historistischen Kopien. Loos führt seine argumentative Logik fort: Von den Baumaterialien sei es ein kleiner Schritt zur »Bekleidung« als Grundlage des Raumes. »Aber aus teppichen kann man kein haus bauen. Sowohl der fußteppich als der wandteppich erfordern ein konstruktives gerüst, das sie in der richtigen lage erhält. Dieses gerüst zu erfinden ist die zweite aufgabe des architekten.«33 Loos argumentiert, dass der Architekt zuerst die Wirkung fühle, die er hervorzubringen versuche, und er sehe dann mit seinem geistigen Auge die Räume, die er erschaffen wolle. »Die wirkung, die er auf den beschauer ausüben will, sei es nun angst oder schrecken, wie beim kerker; gottesfurcht, bei der kirche; […] − diese Wirkung wird hervorgerufen durch das material und die form.«34 Für die Moderne waren diese Argumente von Loos in ihrer Subjek­ tivität nicht nachvollziehbar: Da der Funktionalismus von der ge­ normten Uniformität der Bedürfnisse der Menschen ausging, gab es kein Verständnis für die »räumliche Wirkung«. Das reine Funktionieren − reduziert auf zivilisatorische Bedürfnisse − schien ausreichend. Kul­turelle Differenzierung ist im Internationalen Stil und im Bauhaus-­ Funktionalismus nicht existent. Funktion und Ökonomie sind die Grundlagen der Architektur. »International« heißt in diesem Zusammenhang auch: Gleichheit für alle Menschen und gleiche Bedürfnisse für alle Menschen. Die gute Intention ist aber dafür nicht ausreichend.35 In diesem Umfeld konnte Loos nicht überzeugen. Sein ehema­liger Mitarbeiter Heinrich Kulka formuliert über den Raumplan: »Das freie Denken im Raum, das Planen von Räumen, die in verschiedenen ­Niveaus liegen und an kein durchgehendes Stockwerk gebunden sind, das Komponieren der miteinander in Beziehung stehenden Räume zu einem harmonischen, untrennbaren Ganzen und zu einem raumökonomischen Gebilde«. Aber die Idee des Raumplanes bleibt ohne nennenswerte Nachfolger.36 Allerdings führten zwei Architekten aus Wien in ihrer Emigration in den Vereinigten Staaten die »Raum«-Idee dieser Architektur fort: Rudolph M. Schindler und Friedrich Kiesler formulier-

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31 Ebd., S. 104. 32 Ebd., S. 105. 33 Ebd., S. 110. 34 Ebd., S. 111. 35 Bauhaus: Hier ist eine differenzierte Wahrnehmung notwendig, denn es bestanden große Unterschiede zwischen den drei Bauhaus-Direktoren Gropius, Meyer und Mies van der Rohe. 36 Adolf Loos, Das Werk des Architekten, hg. von Heinrich Kulka, Schroll, Wien 1931, S. 14.

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5.4  Adolf Loos, Das Werk des Architekten, Verlag Anton Schroll, 1931 Doppelseite 102–103

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5.5  Adolf Loos, Das Werk des Architekten, Verlag Anton Schroll, 1931 Doppelseite 104–105

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ten beide in den 1930er-Jahren als Kritik am Internationalen Stil ihre Thesen zur »Space Architecture«.37 Schindler ging noch weiter als sein Lehrer Loos, indem er die Raumqualität der Architektur über das Material stellte. Er bewertete die differenzierten Raumformen höher als die Konstruktion oder die Verkleidungsmaterialien wie Marmor oder edle Hölzer. Die Raumform bedient sich der Konstruktion, um Raumsequenzen, Raumqualitäten und Raumatmosphären zu schaffen, als definierter Raum, der nicht ubiquitär benutzt werden kann. Schindler nannte seine Architekturphilosophie »Space Architecture«38 in bewusster Reaktion auf »Funktionalismus«, »Kubismus«, »Konstruktivismus« oder einen anderen »Ismus«. Er sah einen essenziellen Unterschied zwischen Raum, Ordnung und Proportion auf der einen und Maschinenästhetik auf der anderen Seite. Sein Interesse für englische Architektur hatte eine Parallele in seiner Vorliebe für »naive«, »volkstümliche« Architektur und im Besonderen für die Adobes von New Mexico. Gedanklich lässt sich eine Verbindung zwischen Schindlers Raumarchitektur und der englischen Bautradition bis Pugin und John Ruskin zurückverfolgen. Die englischen Architekturtheorien waren pragmatisch ausgerichtet. Pugin, einer der einflussreichsten englischen Theoretiker des 19. Jahrhunderts, legte in seinen beiden Büchern Contrasts39 und The True Principles of Pointed or Christian Architecture 40 die grundlegenden Regeln für das dar, was später als »funktionalistisches Programm« bezeichnet werden sollte.41 Die Lösung einer Bauaufgabe nach der Funktion ist die Grundhaltung des Neuen Bauens, und Pugins Argumente können ihrem Wesen nach auf das englische Haus angewendet werden, wie es später Muthesius beschrieb. Die funktionale Artikulation erlaubt keine klassischen Plan­arrangements mit strikten Symmetrien, sondern vertritt die Auffassung, dass Komplexität und Irregularität den Anforderungen des Wohnens eher entsprechen als Symmetrie. Als bestes Beispiel für diese Theorie kann das Red House in Bexleyheath, von Philip Webb für William Morris erbaut (1859), gelten. Eine detaillierte Untersuchung zum englischen Wohnhaus legte Muthesius erstmals in seinem dreibändigen Werk Das englische Haus dar, nachdem er in London als Kulturattaché der deutschen Botschaft ab 1896 unter anderem die Architektur seines Gastlandes kennenlernte.42 Bei Schindler beinhaltet der Begriff »Wohnen« die Idee des Neuen Wohnens, eine Wohnform, die in ihrer Art bis dahin noch nicht existierte. Das Neue Wohnen, von Schindler in seinen Schriften und Artikeln beschrieben, kennzeichnet ihn als einen Architekten, der

37 Rudolph M. Schindler und Friedrich Kiesler: Ihre theoretischen Positionen zum Raum stellen einen radi­ kalen Beitrag dar, der noch nicht entsprechend gewürdigt ist. 38 Vergleiche hierzu Rudolph M. Schindler, »Space Architecture«, in: Dune Forum, Februar 1934, S. 44−46. 39 A. W. N. Pugin, Contrasts, or a Parallel between the Noble Edifices of the Middle Ages and Correspon­ ding Buildings of the Present Day, Shewing the Present Decay of Taste, London 1836 (publiziert durch den Autor), später Verleger C. Dolman, London, 1841. 40 A. W. N. Pugin, The True Principles of Pointed or Christian Architecture, London 1841 Verleger J. Weale und London: Henry Bohn, 1853, Nachdruck: St. Barnabas Press, Oxford 1969. 41 Ebd., S. 1 (Nachdruck St. Barnabas Press). 42 Hermann Muthesius, Das englische Haus, 3 Bände, Wasmuth, Berlin 1904/05.

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in seiner Auffassung von der modernen Architektur der Tradition von Wagner, Loos, Muthesius, Mackintosh und Wright angehört und sich vom Internationalen Stil und im Besonderen von Le Corbusier unterscheidet. Das Manifest von 1912 nimmt unter Schindlers Schriften eine wichtige Stellung ein, da es einen Ausblick auf seine zukünftige Architekturhaltung ermöglicht und sehr genau architektonische Vorbilder erkennen lässt.43 Schindlers Vorstellung von »Raum« und seine Haltung gegenüber dem »Inneren« und dem »Äußeren« von Gebäuden können als die physische Interpretation der Entwurfstheorien bezeichnet werden, die ihren Ursprung im englischen Haus haben: Die Frage, wie man wohnt, definiert die Frage, wie man baut. Das Haus ist um den Innenraum herum artikuliert, welcher die Bedürfnisse für einen »flexiblen Hinter­ grund eines harmonischen Lebens« reflektiert (Manifest), und das ­Äußere ist daher durch die Raumfolge des Inneren definiert. Schindlers Konzept der Architektur präsentiert eine konsequente Folge des Entwurfes eines Gebäudes von innen nach außen. Ein kurzer Blick auf Schindlers eigene Entwicklung bringt Aufklärung. Er lernte noch als Student an der Akademie der bildenden Künste Wien die Arbeiten von Frank Lloyd Wright kennen − wahrscheinlich spätestens durch die Wasmuth-Publikation Ausgeführte Bauten und ­ Entwürfe von Frank Lloyd Wright (1910). Anhand einer großen ­Anzahl von Illustrationen, Grundrissplänen und Innenraumperspektiven dokumentierte Wright seine Idee vom Präriestil. Wrights Entwick­ lung bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1910 war extrem konsistent; das ­Resultat war eine Anzahl von Entwürfen, die ungewöhnlicher waren als die aller anderen Architekten, vor allem diejenigen für das Haus Martin in Buffalo (1904) und das Robie Haus in Chicago (1908), die größeren Kommissionen des Larkin-Gebäudes in Buffalo (1904) und den ­Unity Tempel in Oak Park (1905/06). Das Larkin-Gebäude kann man als das innovativste Bürogebäude seiner Zeit bezeichnen.44 Der zentrale offene Raum des Larkin-Gebäudes und die umliegenden Büros schaffen eine voll­kommen neue Raumidee. Der Grundplan zeigt, dass außer den Serviceräumen das ganze Gebäude im Grunde genommen nur aus einem großen Innenraum und Subräumen besteht. ­Schindlers Manifest bezieht sich direkt auf die Architektur von Wright, dokumentiert im B ­ riefwechsel zwischen Rudolph M. Schindler und Richard Neutra. Die Struktur und Konstruktion ist ein Aspekt von Wrights Architektur, seine frühen Bauwerke betonen jedoch eher die räumlichen Zusammenhänge als den konstruktiven Ausdruck. Schindler betrachtete

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43 Vier Gesichtspunkte sind bemerkenswert: der frühe Zeitpunkt des Manifestes, die Nichtveröffentlichung, die Parallele zu Texten von Frank Lloyd Wright und die Frage nach der Authentizität des Entstehungs­ jahres 1912. Im Zusammenhang mit diesen Fragen scheint es sinnvoll, den Untersuchungszeitraum über das Jahr 1912 auszudehnen, da Schindler in späteren Notizen und in Briefen die Problematik des Manifestes wieder aufnimmt. Im Schindler-Archiv an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara existiert nur eine englischsprachige Version des Textes, es gibt keinen Beweis für ein deutschsprachiges Original. 44 Siehe hierzu Linda Gatter, The Office, Thesis am Department of Architecture, MIT, Cambridge (USA) 1982.

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5.6  Rudolph M. Schindler Theoretische Studie von Schindler zur Erklärung seines Architektur­ konzeptes der »Raumarchitektur«, undatiert (wahrscheinlich nach 1930)

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die Konstruktion als ein dienendes Element und die Verwirklichung des Raumes als das primäre Betätigungsfeld des Architekten. Im Jahr 1912 publizierte H. P. Berlage den Artikel »Neuere amerikanische Architektur« in der Schweizerischen Bauzeitung und widmete ihn Wright und Louis Sullivan.45 (In diesem Artikel zeigen Fotos das ­Innere und Äußere des Hauses Coonley, des Hauses Martin, des Larkin-­ Gebäudes und des Unity Tempels, das Äußere des Hauses Dana sowie zwei perspektivische Zeichnungen des Hauses Hardy und des Hauses Westcott.46) Der Artikel »Space Architecture« (Raumarchitektur) von ­Schindler wurde insgesamt drei Mal publiziert, das erste Mal 1934 in Dune Forum, das zweite Mal 1935 in California Arts and Architecture und das dritte Mal 1951 in Atelier. Es handelt sich hierbei um eine architekturtheoretische Schrift Schindlers von zentraler Bedeutung. Sie reflektiert 20 Jahre Berufserfahrung als Architekt, die Zusammenarbeit mit Wright, Schindlers Vorstellung über die Relevanz der Technik in der Architektur und seine Einstellung zum Internationalen Stil. 1932 fand im Museum of Modern Art in New York die epochale Ausstellung The International Style: Architecture since 1922 statt, in diesem Jahr erschien auch das gleichnamige Buch von Henry-Russell ­Hitchcock und Philip Johnson.47 Schindlers Gedanken über die Raumarchitektur wurden zum Teil schon in seinem 1932 veröffentlichten Artikel »Points of View-Contra« vorweggenommen; er verweist darin auf die kulturelle Bedeutung der Architektur und die Raumfrage als das neue Entwurfsproblem. Schindler behauptet, dass die moderne Architektur nicht ein auf Originalität gerichteter »Stil« sei, sondern sich mit der Entwicklung von Raum befasse: »The architectural design concerns itself with ›space‹ as its raw material and with the articulated room as its product […] New architectural problems have arisen, and their infancy is being safe­ guarded with a mask of practicability by the engineer.«48 Schindlers Aussagen über Raumarchitektur korrespondieren eher mit einer perzeptiven Idee von »Raum« (»space«; in der deutschen Sprache wird für den konkreten und den abstrakten Begriff nur das Wort »Raum« verwendet) als mit einem rein funktionalen und formalen Gebrauch der modernen Bautechnologie.

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45 H. P. Berlage, »Neue amerikanische Architektur«, in: Schweizerische Bauzeitung, 14. und 21. September 1912, S. 148−150, 165−167, 178. 46 Ebd., Berlage schreibt über das Larkin-Gebäude: »Das Gebäude umfaßt nur einen einzigen Raum, in dem nach modernen amerikanischen Begriffen ein Kontor nicht in verschiedene Räume getrennt wer­ den soll […] Ich ging von dannen mit der Überzeugung, ein echt modernes Werk gesehen zu haben, und mit Achtung erfüllt vor dem Meister, der solches zu schaffen vermochte, das in Europa seines­ gleichen sucht.« 47 Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson, The International Style: Architecture since 1922, Norton Company Inc., New York 1932. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass schon lange vor Hitchcock und Johnson der modernen Architektur das Adjektiv »international« beigefügt wurde. So lautete der Untertitel einer Dokumentation über die moderne Architektur von Walter Gropius Internationale Architektur (Bauhausbücher). Ludwig Hilberseimer veröffentlichte 1927 ein Buch unter dem Titel Internationale neue Baukunst (Stuttgart). Hitchcock und Johnson führten in diesem Sinne nur eine Tradition fort. Der Begriff »International Style« ist auch in anderer Hinsicht irreführend. 48 Rudolph M. Schindler »Points of View – Contra«, in: Southwest Review, Band 27, Frühjahr 1932, S. 353−354.

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Schindlers Idee der »Raumarchitektur« findet seine Parallelen in der neuen Auffassung des »Raumes«, wie dieser in den 1920er-Jahren in den Naturwissenschaften und in der Physik durch Albert Einstein in dessen Relativitätstheorie definiert wurde. Die Relativitätstheorie brachte eine fundamentale Veränderung in die wissenschaftliche Konzeption des Raum-Zeit-Begriffes, wie sie Hermann Minkowski beschreibt: »From henceforth space in itself and time in itself sink to mere shadows, and only a kind of union of the two preserves an independent experi­ ence.«49 Diese Definitionen und die implizierten Konventionen des Raumes unterlagen einer radikalen Veränderung im 20. Jahrhundert. Hinsichtlich der Bedeutung, »wo« der Raum existiert, scheint es keine Qualität in unserer individuellen primitiven Sinneswahrnehmung zu geben, die den Menschen befähigt, Raum anders zu erfahren als durch eine Art Ordnung der umgebenden materiellen Objekte. Die Existenz eines konkreten Objektes ist ein Mittel, die Persistenz in der Zeit oder die Kontinuität wahrzunehmen. Die Existenz konkreter Objekte ist daher konzeptueller Natur. Im Zusammenhang mit der Diskussion über den Raum kann ein Blick auf Martin Heideggers Begriff des »Raumes« dazu beitragen, die Wahrnehmung über den Raum zu klären. Die Bedeutung der Konzeption von Objekten hängt vollständig von ihrem Verbundensein mit elementaren Sinneserfahrungen zusammen. Dieses Verbundensein zwischen »Objekt – Sinn – Erfahrung« ist der Ursprung der primitiven »Bildvorstellung«, die uns direkt über die Relation materieller Körper (Objekte) informiert. Diese Objekte sind Dinge, und unser Wohnen ist immer ein Sein mit den Dingen. Unsere Wohnumwelt wird daher durch unser Sein mit den Dingen bestimmt, die ihrerseits in dieser Art Raum entstehen lassen: »Was dieses Wort ›Raum‹ heißt, sagt seine alte Bedeutung. Raum, Rum heißt freigemachter Platz für Siedlung und Lager. Ein Raum ist etwas Eingeräumtes, Freigegebenes, nämlich in eine Grenze, griechisch ›peras‹. Die Grenze ist nicht das, wobei etwas aufhört, sondern, wie die Griechen es erkannten, die Grenze ist jenes, von woher etwas sein Wesen beginnt. Darum ist der Begriff ›Horismos‹, d. h. Grenze. Raum ist wesenhaft das Eingeräumte, in seine Grenzen Eingelassene. Das Eingeräumte wird jeweils gestattet und so gefügt, d. h. versammelt durch einen Ort, d. h. durch die Ding von der Art der Brücke. Demnach empfangen die Räume ihr Wesen aus Orten und nicht aus ›dem‹ Raum.«50 Wenn wir jetzt zu Schindler zurückkehren, so sieht man, dass seine Architekturvorstellung auf der raumschaffenden »Lagebeziehung« von Körpern beruht. Es ist weder die Funktion, Konstruktion oder Bautechnologie, die für ihn die determinierenden Faktoren sind, die

49 Hermann Minkowski zitiert nach der Encyclopaedia Britannica (Space), Band 20, Chicago 1973, S. 1070. 50 Martin Heidegger, »Bauen, Wohnen, Denken« (1951), Neske, Tübingen 1954, S. 154−155. Heideg­ gers Texte sind für die Architekturdiskussion durchaus sehr relevant, trotz inzwischen nachgewiesener Verstrickungen mit der Ideologie des deutschen Nationalsozialismus. Siehe hierzu Hugo Ott, Martin Heidegger – unterwegs zu seiner Biographie, Campus, Frankfurt am Main/New York 1988; Victor Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus, S. Fischer, Frankfurt am Main 1989.

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Architektur hervorbringen. Schindler beschreibt deshalb die Haltung des modernen Architekten als »not primarily concerned with the body of the structure and its sculptural possibilities. His one concern is the creation of space forms dealing with a new medium as rich and unlimited in possibilities of expression as any of the other media of art: color, sound, mass, etc.«51 Farbe, Ton und Masse entsprechen direkt den von Heidegger beschriebenen »Grenzen« (peras), von »woher etwas sein Wesen beginnt«. Schindlers Architekturdefinition inkludiert die Signifikanz der Architektur als Kunst und wendet sich entschieden gegen die »­Funktionalisten«.52 Schindlers Artikel richtet sich auch gegen die Äußerungen von Le Corbusier, das Haus sei eine Maschine zum Wohnen, und beklagt den Verlust eines kulturellen Modells des Wohnens durch ein deterministisches Modell des praktisch orientierten operationalen Funktio­ nalismus.53 Die meisten Architekten haben Sullivans »Form follows function« falsch interpretiert. Sullivans Diktum verstand sich als eine Analogie zur Natur, die er in seinen Ornamentformen unzählige Male wiederholte, und war inhaltlich eine organische Expression der Mate­ rialien. Die Gruppe der Architekten, die in »Form follows function« nur einen rohen physikalischen Materialismus sahen, verstand nicht dessen spirituelle Bedeutung: die Idee des Lebens selbst – wahrer Organismus –, Form und Funktion als Einheit. Als Schüler von Wright, in zweiter Generation sozusagen direkter Nachfolger von Sullivan, hatte für Schindler der Funktionalismus nie die eindimensionale Bedeutung, die er in Europa erhielt. Seine Vorstellung vom Raum als das primäre architektonische Mittel wird dadurch weiter verständlich. Raumformen verdanken ihre Genesis dem Versuch, Architektur verstärkt als kulturelle Handlung zu verstehen und nicht nur als ökonomisch-funktionales zivilisatorisches Produkt. Architektur soll keine »Maschine zum Wohnen« sein; die Eindimensionalität des modernen, »rohen Maschinenzeitalters« lehnt Schindler konsequent ab.54 Ähnliche Gedanken formuliert Friedrich Kiesler in seinen Texten zur Architektur, und zwar speziell zu seinem Projekt »Space House« (1933), das er als Modell für die Modernage Furniture Company in New York entwarf. Der Kiesler-Experte Dieter Bogner kommentiert das »Space House« im Zusammenhang mit einer aus psychologischen und sozialen Nutzungsbedingungen abgeleiteten Differenzierung der Raum­höhen: »Das Space-House […] weise verschiedene Niveaus auf, bestimmte Räume verlangen je nach Funktion niedrigere Decken. Der Wohn- und Gemeinschaftsraum habe eine hohe Decke, die Bibliothek eine sehr niedrige, und − um die Bedeutung eines Ortes noch stärker zu betonen, in dem man sich mit seinen Gedanken zurückzieht − liege er um einige Stufen niedriger als der Wohnraum. Das Esszimmer hingegen sei zwei

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51 Rudolph M. Schindler, »Space Architecture«, wie Anm. 38. 52 Ebd. 53 Esther McCoy, langjährige Mitarbeiterin Schindlers, bestätigte dem Autor in Gesprächen am 19. 01. 1982 und 22. 01. 1982 in Los Angeles Schindlers Abneigung gegen Gropius, Le Corbusier und den Internatio­ nalen Stil. 54 August Sarnitz, R. M. Schindler – Architekt, Brandstätter, Wien 1986, S. 152.

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5.7  Le Corbusier und Pierre Jeanneret Haus La Roche, Paris, 1923–1925, Foto August Sarnitz, 2013

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Stufen über dem Wohnzimmer gelegen, um einen leichten Eindruck der Förmlichkeit zu erzielen. Bei den Schlafzimmern handle es sich um intime, private Räume, sie verlangen wiederum eine niedrige, freundliche Decke.«55 Kieslers Aussagen erinnern verblüffend an Loos − der Raumplan wird als psychologische Architektur neu formuliert. Kiesler war überzeugt davon, dass sich seine Architekturvorstellungen nur in einem ganzheitlichen Konzept realisieren lassen, und nur durch die Auflösung von Boden, Wand und Decke eine neue Raum­ architektur entstehen kann. In seinem »Manifeste du Corréalisme« fasst er seine Gedanken aus den letzten 20 Jahren seines Schaffens zusammen. »Ich ahnte damals (1924), dass ich mit meinen Plänen für das ›Endless‹ etwas ›Praktisches‹ gefunden hatte, aber erst später (Space House, 1934) wurde es mir klar, dass ich eine neue Lösung für die Konstruktionen aller Art Bauten gefunden hatte. Es war im Jahre 1924−25 im Strauss-Walzer-Wien und Beaux-Arts-Paris, daß ich den Separatismus zwischen Boden, Wand und Decke aufhob, und aus Wand, Boden und Decke ein einziges Kontinuum schuf.«56

4. Plan Libre »Fünf Punkte zu einer neuen Architektur« heißt das Architekturmanifest der Schweizer Architekten Le Corbusier und Pierre Jeanneret. Le Corbusier veröffentlichte es 1923 in seinem Magazin L’Esprit Nouveau und in der Essaysammlung Vers une architecture. 1927 publizierte Alfred Roth in Zwei Wohnhäuser von Le Corbusier und Pierre Jeanneret erstmals die »Fünf Punkte« einer neuen Architektur.57 »Les Cinq Points d’une Architecture Nouvelle« wurden dafür von Roth ins Deutsche ­übersetzt, dabei ­allerdings verändert. Die »Cinq Points d’une Architecture Nouvelle« stellen innerhalb des schriftstellerischen Schaffens von Le Corbusier das einzige in sich geschlossene Regelwerk dar, das in seiner Ausrichtung auf praktische Fragen des architektonischen Entwurfes wie auch in bewusster Absicht theoretischer Grundlegung und Kodifizierung die klassischen Funktionen der Architekturtheorie erfüllt.58 Die Radikalität der »Fünf Punkte« erforderte eine genaue ­Diskussion, zumal im Manuskript von Le Cobusier bereits Änderungen von ihm selbst vorgenommen worden waren. Spätere Kommentare von ­Sigfried Giedion führten zu inhaltlichen Änderungen und Änderungen in ­ der Reihenfolge. Le Corbusier war sehr präzise in seiner Textierung. Er sprach von »architektonischen Tatsachen« und legte eindeutig ein Regelwerk fest, nach dessen Angaben Architektur entworfen und ge-

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55 Dieter Bogner, »Inside the Endless House«, in: Friedrich Kiesler Lebenswelten. Architektur – Kunst – De­ sign, Ausstellungskatalog des MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwarts­ kunst, Birkhäuser Verlag, Basel 2016, S. 28. 56 Ebd., S. 45. 57 Werner Oechslin, Moderne entwerfen, DuMont, Köln 1999, S. 218. 58 Ebd., S. 207.

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baut werden konnte. »Ce ne sont point des fantaisies esthétiques ou des modes; […]«59 und die original Reihenfolge der fünf Punkte lautet: »1-LES PILOTIS, 2-LES TOIT JARDIN, 3-LE PLAN LIBRE, 4-LA FENETRE EN LONGEUR, 5-LA FACADE LIBRE.« Ausgehend von den Pilotis, also von der Konstruktion des Hauses (ganz im Sinne Vitruvs), führte Le Corbusier seine Punkte aus, die sogar den Unterricht an Architekturschulen überflüssig machen. Aufgrund der konstruktiven Entscheidung, Pilotis mit auskragenden Decken einzusetzen, ermöglichte Le Corbusier den wesentlichen Punkt seiner ­Theorie, den Plan Libre. Gleichzeitig heben die Pilotis das Erdgeschoss vom Boden ab, sodass die erste Wohnebene auf einer Höhe von »3, 4, 5, oder 6 m« liegt.60 Le Corbusier argumentiert, dass so auch das ewige Problem der aufsteigenden Bodenfeuchtigkeit endgültig gelöst werde. Die fünf Punkte sind eine Befreiung für den Architekturentwurf, weil die Konstruktion von der raumbildenden Form getrennt ist. »Tout l’histoire de l’architecture tourne autour de la fenetre pour donner de la ­lumière.«61 Dieser wichtige Satz wird oft sehr allgemein übersetzt, indem von »Maueröffnungen« die Rede ist und nicht explizit von »Fenstern«.62 Dabei geht es Le Corbusier tatsächlich um das Fenster als »Licht­ bringer«. Natürliches Licht – Licht überhaupt – ist der generierende Faktor für die Wahrnehmung von Architektur. Daher argumentiert Le ­Corbusier nur konsequent, dass ein Plan Libre eine Façade Libre einfordere. »Ces cinq points ont une réaction esthétique fonda­ ­ mentale.«63 Werner Oechslin schreibt über die »Fünf Punkte«: »Le Corbusier redet nicht von einzelnen Objekten oder Entwürfen, er suggeriert die Weiter­entwicklung ein und derselben Idee über verschiedene Stadien hinweg.«64 Für den kritischen Betrachter wird eine Aussage von Le Corbusier besonders interessant. Er selbst spricht wiederholt von den Objekten als Haustypen – also einer Architekturtypologie im Sinne der französischen Architekturtheorie von Jean-Nicolas-Louis Durand. Der Typus und dessen Variationen sind von eminent wichtiger Bedeutung. Das Haus ­Citrohan (erster Entwurf 1920) ist hierfür das beste Beispiel. In Analogie zur Automobilindustrie (Modell: Citroën) werden Haustypen an die unterschiedlichen räumlichen Kontexte angepasst. Alle Typen teilen den zweigeschossigen Wohnraum als öffentlichen Raum, die übrigen Geschosse sind auf eine minimale Höhe reduziert. Skizzen für das Haus Citrohan gibt es für eine Lage am Meer (Cote d’Azur) und für eine Lage in der Stadt Paris (jeweils 1922 und 1927). Realisiert wurde dieser Typus für die Weißenhofsiedlung in Stuttgart am Bruckmann-

59 Ebd., S. 208. 60 Ebd., S. 208. 61 Ebd., S. 210. 62 Vergleiche Ulrich Conrads, Programme und Manifeste des 20. Jahrhunderts, Reihe Bauwelt Fundamente 1, Vieweg, Braunschweig 1975, S. 94. 63 Werner Oechslin, wie Anm. 57, S. 211. 64 Ebd., S. 212.

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weg 2. Dieses Bauwerk ist ein gebautes Manifest, denn hier werden Raumqualitäten angeboten, die den architektonischen Raum als »Volu­ men« zelebrie­ren. Anders als bei Loos oder Schindler gibt es dann bei Le ­Corbusier nur den zweifach oder mehrfach hohen Innenraum, entstanden durch das Weglassen der Zwischendecke. Es fehlt die maßstäbliche und kontinuierliche Veränderung der Raumhöhe. Partielle Raumhöhenabstufungen sind nicht vorhanden. Im späteren Werk von Le Corbusier werden die fünf Punkte ganz frei interpretiert, bei der Kirche von Ronchamp (1950−1953) wirkt die plastische Form mit den farbigen Fenstergläsern wie eine Emanzipation von der cartesianischen Ordnung der Moderne.65

5. White Cube, Dark Room, Kunstraum Kunsträume sind auratisch aufgeladene Räume, die letztlich aufgrund ihres Fetischcharakters eine individuell-subjektive Wahrnehmung einfordern. Der White Cube offeriert seine scheinbare Unschuld und Unberührtheit den Künstlerinnen und Künstlern zur Interaktion mit ihrer subjektiven Kunst; der White Cube wird von ihnen besetzt und benutzt und ermöglicht im Dialog mit den Kunst betrachtenden Personen eine subjektiv-passive Wahrnehmung. Die Kunstbetrachterin und der Kunstbetrachter verbleiben (fast) immer in einer passiven Rolle und reflektieren intellektuell eine Kunstposition, die ohne weitere Inter­aktion bleibt. Die Aura des Kunstraumes White Cube entbindet die Nutzer von einer aktiven Handlung und vermittelt das »Besondere« – ungeachtet einer weitergehenden Definition. Kunst wird im White Cube auratisiert, fetischisiert und als unerreichbar dargestellt, als »noli me tangere«. Die Aura wird grenzenlos. Kritische Künstler und Theoretiker sehen den White Cube als eine Situation, in der Kunst durch die Ästhetisierung aus dem Kontext genommen wird. Der White Cube und der Dark Room haben mehr gemeinsam, als der erste Blick vermuten lässt. Auch der Dark Room ist ein auratischer, fetischisierter Kunstraum, allerdings verlieren hier die Nutzer (fast) immer ihre subjektiv-passive Rolle und werden Akteure auf der Suche nach sexuellen Kontakten. Der White Cube ist ein Raum, der alles zeigt und alles verspricht – der Dark Room ist ein Raum, der nichts zeigt und nichts verspricht, aber alles ermöglicht. Echte Dark Rooms entstanden in den 1970er-Jahren in den USA und waren spärliche, oft nur von einem schwarz angestrichenen Glaslicht beleuchtete Kellerräume in Gay Clubs (mit Alkoholausschank, daher für Minderjährige nicht zugänglich). Heutzutage, wenngleich deutlich seltener, gibt es Dark

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65 Aus einer späteren historischen Perspektive würde man diese Kirche im Sinne von Robert Venturi als »Duck« bezeichnen – und als Impuls für viele Raumarchitekturen von Coop Himmelb(l)au und Frank Gehry. Richard Meier hingegen sieht die »Fünf Punkte« immer als ein Regelwerk in der Interpretation der 1920er-Jahre und hat eigentlich nie die gestalterischen »Freiheiten« erreicht, die im Spätwerk von Le Corbusier auftreten.

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5.8  Peter Kogler Ausstellungsansicht ING Art Center, Brüssel, 2016, Foto Atelier Kogler

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Rooms auch für Heterosexuelle, vornehmlich in Swingerclubs. In Berlin und Hamburg existieren ferner Dark Rooms für Lesben.66 Kunsträume sind also eine spezifische Form des architektonischen Raumes. Ihre Präsenz reflektiert die totale künstlerische Kontrolle über die Dreidimensionalität – teilweise ergänzt von zeitlichen Prozessen im Sinne der »vierten Dimension«. Kunsträume sind architektonische beziehungsweise künstlerische Statements, die zu einem Diskurs der Wahrnehmung einladen: In ihrer Totalität sprengen diese Kunsträume die traditionelle Wahrnehmung des Raumes und kreieren eine neue Utopie. In den letzten Dekaden haben sich zahlreiche Künstlerinnen und Künstler mit diesen illusionistischen Raumveränderungen beschäftigt, zum Beispiel diejenigen des Minimalismus wie Daniel Buren, Sol ­LeWitt oder Donald Judd. Dan Flavin hat mit seinen Lichtinstallationen die Raumwahrnehmung neu hinterfragt. In der Nachfolge von Flavin hat zum Beispiel der österreichische Künstler Peter Kogler in den letzten 20 Jahren unsere Wahrnehmung des Ausstellungsraumes grundlegend verändert. »Koglers Arbeiten kreisen immer wieder um die Frage nach Abstraktion und deren elementarem Vokabular, durchdekliniert in Formen, die uns auf den ersten Blick vertraut erscheinen, deren Typologie jedoch immer auf ein generelles Formenregister verweist. Koglers spezifische Art und Weise, das Werk zu verräumlichen und die drei Dimensionen des institutionellen Raumes seinem Willen zu unterwerfen, macht nicht nur die Präsenz des Wiener Künstlers spürbar, sondern beweist auch einen konsequenten Ansatz, der dem Betrachter eine Sonderstellung einräumt.«67 Koglers Kunsträume stehen in einem direkten Diskurs zu den architektonischen Raumprojektionen der Moderne: in direkter Opposition, aber auch als perfekte Metapher für zukünftige Unendlichkeiten. Kogler fordert gleichsam auf, selbst so unterschiedliche Positionen wie diejenigen von Loos oder von Kiesler zu hinterfragen. In beiden Fällen geht es um extreme Haltungen zum kulturellen Verständnis von Architektur. Loos differenziert das Haus prinzipiell vom Kunstwerk und argumentiert: »Das haus hat allen zu gefallen, zum unterschiede vom kunstwerk, das niemanden zu gefallen hat.«68 Er respektiert das Kunstwerk als subjektiven, kreativen Akt. Seine Freundschaft zu Oskar Kokoschka ist anhand von Porträtarbeiten dokumentiert. Das Verhältnis von Loos zum Ornament wird vielfach falsch interpretiert. Es geht ihm um das überflüssige Ornament am Gebrauchsgegenstand, nicht um das Ornament per se.69 Koglers unendliche Kunst-Raum-Welten sind metaphorische Erzählungen, die nur scheinbar das »Ornament« bedienen. »Alle Arbeiten von

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66 Matthew D. Johnson und Claude J. Summers: Gay and Lesbian Bars (http://www.glbtq.com/social-­ sciences/gay_lesbian_bars.html), glbtq: An Encyclopedia of Gay, Lesbian, Bisexual, Transgender, and Queer Culture, Stand: 19. 08. 2005. 67 Ami Barak, »Peter Kogler – eine Ästhetik des Verschiebens«, in: Peter Kogler, Ausstellungskatalog, ­MUMOK Wien, Wien 2009, S. 47. 68 Adolf Loos, Trotzdem, Brenner Verlag, Innsbruck 1931, »Architektur«, S. 107. 69 Ebd., S. 80: »Ich habe folgende erkenntnis gefunden und der welt geschenkt: evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande.«

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Kogler präsentieren sich als Fragmente virtueller, unendlicher Reihen, deren Anfang und deren Ende dem Zuschauer verborgen ­bleiben.«70 Die unendlichen Räume von Kogler berühren auch die Diskussion der »endless architecture« von Kiesler, dessen Projektionen auf eine scheinbare Auflösung von Boden, Wand und Decke zielen. Wo die Übergänge »fließend« werden, entsteht ein neuer Raumgedanke. Koglers computergenerierte Bildprojektionen in den Ausstellungsräumen suggerieren den totalen Übergang von Raumflächen: »Indem Kogler die Wand als Fläche explizit thematisiert, macht er diese Wand potenziell unendlich und gewinnt somit die Chance, die Tradition der palastartigen Wandmalerei fortzuführen – und zwar auf durchaus zeitgemäße Weise.«71 Die Wandflächen werden bei Kogler konsequent besetzt und belegt, ganz gleich, ob es Öffnungen oder Fernster gibt. Mit dieser totalen Flächigkeit egalisiert er räumliche Differenzen und schafft eine neue Einheit. Seine tektonischen Röhren oder seine fluiden Formen hyperaktivieren die Räume in einen permanenten Bewegungszustand – es entsteht der Eindruck einer scheinbaren, permanenten Veränderung. Aufgrund der Komplexität der Formen sind für den Beobachter immer nur partielle und fragmentarische Ausblicke möglich. Koglers virtuos inszenierte Kunsträume werden im besonderen Fall zu multimedialen Raumerlebnissen, wenn die Videoprojektionen zur entsprechenden Musik mit mutierenden Formenwelten ein totales Raumerlebnis generieren. Dynamik, Licht und Musik verschmelzen zu einer assoziativen, aber fiktiven Architekturwelt – wenn auch nur für die Dauer der Videoperformance. Kogler realisiert mit seinen raum-, architektur- und medienbezogenen Positionen eine beispielhafte Rolle an der Schnittstelle von Künstler und Architekt. Seine »Kunsträume« sind positive Projektionen, die eine große Vielfalt räumlicher Assoziationen hervorrufen. Seine labyrinthischen Strukturen repräsentieren Innen- und Außenwelten – und verbinden das Individuum mit dem sozialen Kontext. Gleichzeitig erinnern die labyrinthischen Strukturen an mythologische Geschichten − Kunsträume als Metapher für utopische Architekturen.

70 Boris Groys, »Das unendliche Undsoweiter«, in: Peter Kogler, Katalog, Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 2004, S. 19. 71 Ebd., S. 23.

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6.1  Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm, Weimar, 1776, Foto August Sarnitz, 2015

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6.2  Musterhaus Am Horn, Georg Muche mit Walter ­Gropius und Adolf Meyer, Weimar, 1923, Ansicht von der Straße, Foto ­August Sarnitz, 2015

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Mein subjektives Statement und exemplarische Projekte: »Der Privatmann, der im Kontor der Realität Rechnung trägt, verlangt vom Interieur in seinen Illusionen unterhalten zu werden. Diese Notwendigkeit ist umso dringlicher, als er seine geschäftlichen Überlegungen nicht zu ge­ sellschaftlichen zu erweitern gedenkt. In der Gestaltung seiner privaten Umwelt verdrängt er beide. Dem entspringen die Phantasmagorien des ­Interieurs. Es stellt für den Privatmann das Universum dar. In ihm versam­ melt er die Ferne und die Vergangenheit. Sein Salon ist eine Loge im Welt­ theater […] Das Interieur ist nicht nur das Universum sondern auch das Etui des Privatmanns. Wohnen heißt Spuren hinterlassen.«1 Mit präzisen Worten beschreibt Walter Benjamin in seinem Passagen-Werk im Text »Louis-Philippe oder das Interieur« die private Welt der Bourgeoisie. Ein Rückzugsort, eine private Utopie, Raum für Intimität, Individualität und »Coziness« – das private Haus erlebt seine Blütezeit im 19. Jahrhundert im Rahmen der industriellen und kapitalistischen Entwicklungen, der Arbeits­ teilung und dem Wunsch nach Selbstdarstellung der bürgerlichen herr­ schenden Klasse. Zu einem Zeitpunkt, als das Büro und die Arbeit bereits der wirkliche Schwerpunkt des Lebens geworden war, schaffte das private Haus die »entwirklichte« Stätte der Freizeit.2 Die Illusion von der Privatheit hat ein schönes Beispiel: Das Gartenhaus von Johann Wolfgang von Goethe in Weimar liegt am östlichen Rande des Parks an dem Fluss Ilm und war von April 1776 bis 1832 seine sehr private Wohn- und Arbeitsstätte. Ab 1782 hatte er zusätzlich ein repräsentatives Stadthaus am Frauenplatz. Mehr als 50 Jahre lebte und arbeitete Goethe in dem kleinen Gartenhaus, das im Erdgeschoss über ein großes Speisezim­ mer für Einladungen verfügte. Haus und Garten verkörpern einen privaten Rückzugsort – eine idyllische Situation −, verstärkt von der romantischen Lage am Fluss. Bei Mondschein hat Goethe des Öfteren nackt im Fluss ge­ badet − eine totale Aneignung und Ausdruck seines privaten Lebens. Einige Hundert Meter entfernt befindet sich die vermeintliche Antwort des frühen Bauhauses auf die Frage nach dem privaten Wohnen: das Ver­ suchshaus des Bauhauses von Georg Muche, geplant im Rahmen der Bau­ haus-Ausstellung 1923. Um einen größeren Zentralraum mit Oberlicht (Wohnraum) gruppieren sich auf quadratischem Grundriss alle funktio­ nellen Bereiche für Kochen, Essen, Schlafen und Körperpflege. Es war ein radikales Konzept für 1923, das besonders das Private im »Zentralraum« betonte: Hier kommunizierte die Familie mit Freunden. Die familiäre Kommunikation im Zentrum des Hauses reflektiert die letz­ ten Sehnsüchte bürgerlichen Wohnens. Beinahe gleichzeitig mit dem Jahr 1 Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Band 1, S. 52−53, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982. 2 Ebd., S. 53.

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Case Study: das private Haus, das private Wohnen

1923 beginnt mit dem Radio eine mediale Revolution im Haushalt, die sich ab 1935 (und speziell nach 1945) in Deutschland mit dem Fernsehgerät und heute über die digitalen Medien manifestiert. Das private Haus wird zum »Un-private House« − wie es Terence Riley in seiner Ausstellung zum Wohnen im Jahr 1999 im Museum of Modern Art, New York, nannte.3 Die medialen Veränderungen und die Hightechausstattung im Haus radikalisie­ ren das traditionelle Wohnen. Mit dem Begriff »fragmentiertes Wohnen« könnte man am besten dieses Verhalten beschreiben, wenn sich anlassbe­ zogen einzelne Personen einer Familie oder einer Gruppe treffen. Die statis­ tisch hohe Zahl der Einpersonenhaushalte unterstützt diese Situation. Eine unmerkliche Entprivatisierung durch digitale Tools und digitale Medien erzeugt eine Pseudoprivatheit. Das »Wohnen« findet nur noch medial in der Soap-Opera statt, das Wohnen wird ohne realen Selbstbezug genauso konsumiert wie die globalen Sportereignisse. Die passive Welt reflektiert die medialen Welten. Die postmoderne Realität hat die Projektionen der Moderne relativiert: die normativen, modernen Wohnmodelle von Architekten wie Otto Wag­ ner (eigene Villen in Wien zwecks Selbstdarstellung), Peter Behrens (Wohn­ haus in der Künstlerkolonie Darmstadt), Konstantin Melnikow (Wohnhaus in Moskau), Rudolph M. Schindler (Versuchshaus in Los Angeles), Adolf Loos und Josef Frank (Privatwohnungen in Wien) oder Charles und Ray Eames (Case-Study House in Los Angeles) sind wunderbare Beispiele priva­ ter und individueller Wohnvorstellungen im 20. Jahrhundert. Die allgemeinen Realitäten des privaten Wohnens im 20. und im 21. Jahr­ hundert werden durch die »Levittowns« in den USA und die Wohnhoch­ häuser auf der ganzen Welt abgebildet. Ungeachtet ideologischer Diskussi­ onen existieren global zwei Wohntypologien: das Wohnhochhaus und das Einfamilienwohnhaus. Millionen von Menschen erleben ihre Alltäglichkeit in einem verdichteten Wohnumfeld mit Geschosswohnbauten und einer reduzierten Privatheit. Für relativ wenige Menschen realisiert sich das pri­ vate Haus mit Garten(-Paradies). Martin Heidegger hat das Wohnen mit »Wohnen ist das Sein mit Din­ gen« umschrieben.4 Das private Haus beziehungsweise das private Wohnen ist daher auch eine Möglichkeit, sich vom Kollektiv zurückzuziehen und Ausdruck einer persönlicher Freiheit. Zur Illusion vom privaten Haus: Zurzeit wird in Los Angeles das teuerste Privathaus in den USA für einen Betrag um 235 Millionen Euro angeboten. Das entspricht im Jahr 2017 in Wien dem Gegenwert von rund 1000 priva­ ten Durchschnittswohnungen. Die Illusion hat somit einen Faktor erhalten: 1 zu 1000. In vielen Ländern der Dritten und der Vierten Welt wäre dieser Faktor trotz anderer Lebensbedingungen noch ungleich höher.5

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3 Terence Riley, The Un-private House, The Museum of Modern Art, Ausstellungskatalog, New York 1999. 4 Martin Heidegger, »Bauen Wohnen Denken« (1951), Verlag Neske, Tübingen 1954. Vorträge und Auf­ sätze, Seiten 139–156. 5 Die Presse, 21./22. 01. 2017, Immobilienbeilage, S. 16.

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Case Study: das private Haus, das private Wohnen

6.3  August Sarnitz Wohnhaus Glanzing, 1190 Wien, 2001–2005, Ansicht Westen, Foto Pez Hejduk, 2005

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6.4  August Sarnitz Wohnhaus Glanzing, 1190 Wien, 2001–2005, Ansicht Osten, Detail, Foto Pez Hejduk, 2005

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6.5  August Sarnitz Wohnhaus Glanzing, 1190 Wien, 2001–2005, Ansicht Osten mit Laubengang, Foto Pez Hejduk, 2005

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6.6  August Sarnitz Wohnhaus Glanzing, 1190 Wien, 2001–2005, Innenraum ­Wohn­halle mit Split-Level, Foto Pez Hejduk, 2005

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6.7  August Sarnitz Wohnhaus Glanzing, 1190 Wien, 2001–2005, Beschattungs­element, Foto Pez Hejduk, 2005

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6.8  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Zubau, gartenseitig, Foto Pez Hejduk, 2012

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rechts 6.9  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Detail ­Zubau, gartenseitig, Foto Pez Hejduk, 2012

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links 6.10  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Detail ­Beschattungselement, Foto Pez Hejduk, 2012 6.11  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Beschattungselemente, Foto Pez Hejduk, 2012

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6.12  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Zubau, gartenseitig, Foto Pez Hejduk, 2012

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rechts 6.13  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Detail ­Treppe, Foto Pez Hejduk, 2012

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links 6.14  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Detail Innenraum, Foto Pez Hejduk, 2012 6.15  August Sarnitz Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Detail Innenraum, Foto Pez Hejduk, 2012

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6.16  August Sarnitz Wohnhaus am Attersee, 2016–2018, Ansicht von der Straße, Foto August Sarnitz, 2018

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6.17  August Sarnitz Wohnhaus am Attersee, 2016–2018, Ansicht Süden, Foto August Sarnitz, 2018

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6.18  August Sarnitz Wohnhaus am Attersee, 2016–2018, Detail Fassade, Foto August Sarnitz, 2018

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6.19  August Sarnitz Wohnhaus am Attersee, 2016–2018, Innenansicht, Foto August Sarnitz, 2018

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7.1  Josef Frank, Haus Beer, Wien-Hietzing, Detail Eingang, 1929/30, Foto August Sarnitz, 2016

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Vier Positionen aus Wien: Josef Frank, Friedrich Kiesler, Hans Hollein, Wolf D. Prix

Einleitung Architektur reflektiert immer gleichzeitig regionale und internatio­nale Aspekte und ist ein adäquates Medium, um prozesshaft eine grenzüberschreitende Kultursituation darzustellen. Der »Austausch« von Gedanken und Bauwerken ist ein europäisches und globales Phänomen, verankert in einer jahrhundertealten Tradition der Migrationen künstlerischer Menschen. Wien ist eines der besten Beispiele für einen kulturellen »Melting Pot«, die Identität der Stadt wäre ohne Baumeister und Architekten wie Gabriele Montani, Antonio Beduzzi, Jean Nicolas Jadot de Ville-Issey oder Jean Trehet nicht denkbar. Der »Austausch« von Gedanken und Bauwerken ist ein kulturelles Phänomen, das besonders diejenigen Zeiten auszeichnet, in denen Freiheit und Freizügigkeit der Gedanken möglich ist. »Am Anfang der Neuzeit steht Descartes, der nichts anerkennt als die ›clara et distincta perceptio‹ und daher in ganz konsequenter Weise den Menschen für einen Automaten erklärt; am Ende der Neuzeit steht Freud, der, noch immer mit rein cartesianischen Mitteln, zu der Erkenntnis gelangt, daß die Seele ein geheimnisvolles Ungreifbares ist, das nur mit seinen letzten Ausläufern in die dreidimensionale Empirie ragt.«1 Die Geschichte der Architektur ist eine Suche nach der Seele der Baukunst. Nicht umsonst hat eine Reihe von hervorragenden Architekten (zumindest im deutschsprachigen Raum) eher von »Baukunst« als von »Architektur« gesprochen. Otto Wagner hat seine letzte Publikation – sein künstlerisches Testament – die Moderne Architektur in der vierten Auflage in Die Baukunst unserer Zeit (1914) umbenannt, nachdem ihn Hermann Muthesius durch sein eigenes geistreiches Buch Baukunst, nicht Stilarchitektur darauf hingewiesen hatte. Ludwig Mies van der Rohe sprach mit Vorliebe von Baukunst und seltener von Architektur. Die Frage nach der Seele der Baukunst akzeptierte René Descartes’ clara et distincta perceptio sicher für den Teil des Bauens, der sich durch die physische Präsenz aller Materialien und ihrer jeweiligen Qualitäten und Möglichkeiten darstellt. Weniger greifbar scheint die Seele der Kunst zu sein, das Auratische, die Wirkung und ihre Ausstrahlung – kurz: der Hauch der Seele selbst.

1 Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, C.H.Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1954, Band 3, S. 586.

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Vier Positionen aus Wien

Die Idee zu diesem Text basiert auf der Überlegung, dass aufgrund der zentralen geopolitischen Lage Wiens hier eine kulturelle Vernetzung und eine Dialogfähigkeit entwickelt wurde, die zu allen Zeiten existent, jedoch in bestimmten Zeiten stärker evident ist. Ähnlich wie der Wiener Aktionismus in den 1960er-Jahren der Kunst eine neue, irreversible Richtung gab (mit dem künstlerischen Kampf für die totale Freiheit), eröffnet in dieser Zeit die österreichische Architekturdiskussion von Hans Hollein, Coop Himmelb(l)au und Haus-­ Rucker-Co neue Visionen. Dem Wiener Aktionismus werden auch die Selbstübermalungen und Selbstverstümmelungen von Gunter Brus und Rudolf Schwarzkogler zugerechnet, die bei Letzterem bis zur Selbstzerstörung durch Suizid führten. Dem geistigen Klima verwandt sind ferner die Übermalungen von Arnulf Rainer und die mythischen Vorstellungen von Walter Pichler, die sich in Form von Zeichnungen und Skulpturen manifestieren. Die Zusammenarbeit von Hollein und ­Pichler kann sicher als eines der aufregendsten künstlerischen Statements in dieser Zeit gelten. Ausgehend von dem erweiterten Architekturbegriff ­Holleins Alles ist Architektur (1967) finden unter anderem durch Pichler die Begriffe »Symbol«, »Ritual« und »Mythos« wieder Eingang in die postfunktionalistische Architekturdiskussion und bereichern die internationale Entwicklung. Der Text »Vier Positionen aus Wien« reflektiert die Vernetzung der Wiener Positionen, ohne aber zu vergessen, wie vernetzt die österreichische Situation eigentlich immer war: Unterschiedliche geografische, unterschiedliche kulturelle und unterschiedliche sprachliche Rand­ bedingungen waren Bestandteil der österreichischen Identität. Der historische Kontext österreichischer Architektur in Europa wird unter anderem von Otto Wagner, Max Fabiani, Joseph Olbrich, Adolf Loos, Josef Hoffmann, Josef Frank, Clemens Holzmeister, Lois Welzenbacher, ­Oswald Haerdtl, Margarethe Schütte-Lihotzky und Friedrich Kiesler dargestellt, der moderne und zeitgenössische Kontext unter anderem von Roland Rainer, Gustav Peichl, Wilhelm Holzbauer, Hans Hollein, Heinz Tesar, Boris Podrecca, Ortner & Ortner, Szyszkowitz Kowalski, Coop Himmelb(l)au, Adolf Krischanitz, Baumschlager Eberle, ­Delugan Meissl Associated Architects, Martin Kohlbauer, BEHF Architects, ARTEC Architekten, BWM Architekten, BKK-3, BUSarchitektur, Marga­rethe Cufer, Architekten Tillner & Willinger, Albert Wimmer, PPAG architects, pool Architektur, Jabornegg & Pálffy, Hermann Czech und Rüdiger Lainer.

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Vier Positionen aus Wien

Josef Frank Im Atelier von Josef Frank war in den Jahren 1927/28 der junge Architekt Ernst A. Plischke als Mitarbeiter tätig. Ein Jahr zuvor hatte dieser an der Akademie der bildenden Künste Wien, in der Meisterschule für Architektur bei Peter Behrens, diplomiert und arbeitete anschließend in dessen Privatbüro in Wien. Plischke – selbst einer der wichtigsten Architekten der Wiener Moderne – war 18 Jahre jünger als Frank und bewunderte ihn in mehrfacher Hinsicht. In einem Beitrag zum Ausstellungskatalog Josef Frank beschreibt Plischke die unterschiedlichen Architekturpositionen in Wien: »Frank war in diesen Jahren in Wien der eigentliche Gegenpol zu den üppigen, dekorativen Entwürfen von Hoffmann und Dagobert Peche. Franks Entwürfe waren dagegen leicht, transparent, ja manchmal fast spielerisch. Möbel z. B. wurden in den Wohnraum buntgemischt, sozusagen wie zufällig hingestellt. Es gab keine Achsen und Symmetrie. Die bunten, von ihm entworfenen Kretone lockerten als Vorhänge den Gesamtraum und als Möbelbezug das Einzelmöbel noch weiter auf. Die große Blitz-Wohnung am Ring [Anmerkung des Autors: Diese von Frank gestaltete Wohnung existiert heute nicht mehr] gegenüber der Universität war vielleicht für diese Periode die repräsentativste Arbeit. Diese Lockerheit im Entwurf von Häusern sowie Möbeln aber war nur der sichtbar gemachte Ausdruck einer tief wurzelnden Weltanschauung. In der Architektur war sie gegen jede Form von Monumentalität und besonders aber gegen jede Zwang ausübende Formalität oder Steifheit und dies bis hin zur Möbelgarnitur. Das heißt aber nicht gegen eine geistig entwickelte Ordnung. Dieser Anspruch auf eine solche ­geistig entwickelte Ordnung scheint mir das Kernstück in seinem Umgang mit Menschen sowie in seiner Arbeit. Die Grenzziehung zwischen dieser äußerlichen Formalität und einer inneren geordneten Freiheit war ­ osmopolit und im sein ständiges Problem. Er war ein österreichischer K Herzen anglophil.«2 Eine weitere, sehr persönliche Bemerkung betrifft die Art und Weise, wie sich die Architekten in Wien kleideten: »Während Hoffmann immer dunkel angezogen war und zwischen schwarzen Schuhen und dunklen Hosen weiße ›Flohdackerln‹ trug, damals ein Zeichen Wiener Eleganz, und Peter Behrens immer im perfekt englisch-konservativen Stil angezogen auftrat, ging Frank wohl als einer der ersten in Wien in lichtgrauen Flanellhosen mit doppelreihigem dunkelblauen Sakko, eher betont salopp, aber gut geschneidert, umher; halt ebenso, wie man es damals in Oxford tat. Diese betonte Lockerheit spiegelte sich damals bei ihm auch in der ständigen Wiederkehr der Redensart von der ›nichtssagenden Banalität‹.«3 Plischke spricht in d ­ iesen kurzen Sätzen wesentliche Qualitäten der frankschen Einstellung zu Architektur und Leben an – mit einem wissenden Hinweis über die »Bekleidung«, die seinem Kollegen Adolf Loos so wichtig war. Josef Frank, österreichisch-schwedischer Architekt, Designer, Stadtplaner und Architekturtheoretiker, geboren 1885 in Baden bei Wien 2 Josef Frank 1885−1967, Hochschule für angewandte Kunst Wien, Löcker, Wien 1981, S. 8−9. 3 Ebd.

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Vier Positionen aus Wien

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und verstorben 1967 in Stockholm, zählt zusammen mit Adolf Loos und Josef Hoffmann zu den wichtigsten Architekten der österreichischen Moderne. Franks Eltern gehörten zum wohlhabenden jüdischen Wiener Bürgertum. Neuere Forschungen haben die wichtigen Vernetzungen innerhalb der jüdischen Gemeinde in Wien aufgezeigt – für Frank als Architekt, aber auch für seine Auftraggeber –, die Frank als vertrauenswürdigen Architekten und Designer akzeptierte. Da Frank 15 Jahre jünger war als Loos und Hoffmann, gehörte er eigentlich der »nächsten« Generation der Architekten an, zumal Loos bereits 1933 im Alter von 63 Jahren starb. Frank hat seine Bewunderung für die beiden Architektenkollegen selbst schriftlich festgehalten. Er war einige Jahre lang zur gleichen Zeit wie Hoffmann als Lehrer an der Wiener Kunstgewerbeschule tätig (1919−1925) – heute Universität für angewandte Kunst Wien –, wo unter anderen in den 1990er-Jahren Zaha Hadid und Wolf D. Prix unterrichteten. Ähnlich wie für Loos und Hoffmann war die angelsächsische Kultur für Frank ein besonderes Element seiner Architekturwelt – seine Interieurs zeigen vielfältige Referenzen zum angelsächsischen Wohnideal. Frank hatte nach seinem Studium an der Technischen Hochschule Wien − heute Technische Universität − bei Karl König (der einzige jüdische Professor für Architektur in Wien) und Max Fabiani seine Dissertation über den italienischen Renaissance-Architekturtheoretiker und Architekten Leone Battista Alberti geschrieben (1909/10). Dieser Recherche verdankte Frank eine Einstellung zur Architektur, die man als »humanistisch« bezeichnen könnte und die in der Folge auch zu seiner skeptischen, kritisch-modernen Haltung gegenüber dem Bauhaus und dem »International Style« führte, die in seinem Verständnis die technischen Aspekte der Architektur höher bewerteten, als es Frank sinnvoll erschien. Ab 1912 war Frank Gründungsmitglied des Österreichischen Werkbundes. Ein Jahr später, im Herbst 1913, trat er der Ateliergemeinschaft von Oskar Strnad und Oskar Wlach bei. Das erste gemeinsame Projekt dieser drei Architekten waren die Einfamilienhäuser Scholl und Strauß (1913/14) im Villenviertel von Wien-Grinzing, wobei Frank eindeutig als Entwerfer zu bezeichnen ist, was die Fachliteratur bestätigt. Raumkonzept und Fassade der beiden Häuser sind untypisch für die damalige Architektur in Wien und verweisen auf Franks englische Vorbilder: asymmetrische Fassaden, grob verputzter Ziegelbau (wo die einzelnen Ziegel noch sichtbar waren) und in der inneren Raumabfolge die Verwendung einer kleinen »englischen Halle«. Frank bezog sich hierbei auf die Gedanken des englischen Architekten Baillie Scott, dessen Buch Häuser und Gärten 1912 in deutscher Sprache erschienen war. Scott vertrat einen kulturreformatorischen und sozial bestimmten Aspekt des Wohnens (ganz in Übereinstimmung mit Loos und Frank), wobei seine wichtigste Aussage stellvertretend für die folgende Wohnhausdiskussion gelten kann. Sinngemäß argumentierte Scott, dass ein einfaches Haus in erster Linie für die Bewohner eingerichtet sein sollte und nicht für Fremde oder Besucher. Ferner hebt er die Bedeutung der »Bequemlichkeit« hervor – im Gegensatz zur bürgerlichen ­Repräsentation.

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Die Haltung Franks führte auch dazu, dass er sich bezüglich der Frage nach dem sozialen Wohnbau in Wien nach dem Ersten Weltkrieg so stark für den Siedlungsbau engagierte und gegen die Idee der sozialen (sozialistischen) Geschosswohnbauten auftrat. Hier teilte er die angelsächsische Meinung von Loos, dass das Einfamilienwohnhaus mit Garten »der Traum eines jeden freien Menschen« sei.4 In den Nachkriegsjahren widmete Frank seine Arbeit dem Wohnungselend – der unzureichenden Versorgung mit angemessenen Wohnungen für die Bewohner der Stadt Wien. Frank und Loos sahen die Antwort im Vorbild des englischen Reihenwohnhauses mit Garten, der zugleich der Selbstversorgung mit Gemüse und Obst (neben Kleintierhaltung) dienen sollte. Für den Papierhersteller Bunzl realisierte Frank ab 1919 in Niederösterreich erstmals eine Arbeiterreihenhaussiedlung. In Wien konnte sich die Siedlerbewegung nicht gegen die regierende Sozialdemo­kratische Partei durchsetzen, die aus Platz- und Kostengründen den Massenwohnbau in Miethäusern favorisierte. Trotzdem konnte Frank 1921 die Siedlung Hoffingergasse in Wien-Meidling bauen. Die Wiener Siedlerbewegung organisierte sich in einzelnen Genossenschaften und verstand sich als basisdemokratische Lebens- und Baureform. Frank war einer der wichtigsten Vertreter der Siedlerbewegung, obwohl er auch im sozialen Geschosswohnbau für die Gemeinde Wien tätig war und mehrere Aufträge erhielt. »Höhepunkt« seiner Tätigkeit im Österreichischen Werkbund und in der Siedlerbewegung sollte die Wiener Werkbund-Siedlung im Jahr 1932 werden. Im Jahr 1921 betrug der Anteil der Siedlungsbauten bei der Wohnbautätigkeit der Stadt Wien noch 55 Prozent, ein Jahr später sank er bereits auf 39 Prozent. Im Verband waren mehr als 50 000 Mitglieder und 230 Organisationen. Zwei Jahre später, 1923, fiel die Entscheidung der Gemeindeverwal­ tung, das Problem des sozialen Wohnbaus fast ausschließlich über mehrgeschossige Mietwohnhäuser abzudecken. In der Folge entstanden die berühmten »Wiener Höfe« (Karl-Marx-Hof, Sandleiten-Hof, Friedrich-Engels-Hof), wobei die einzelnen Wohnhäuser größtenteils mit Kleinwohnungen (ca. 38 Quadratmeter mit WC, aber ohne Badezimmer) ausgestattet waren. Frank beteiligte sich mit dem Winarsky-Hof (1924) und dem Leopoldine-Glöckel-Hof (1931) am Geschosswohnbau, versuchte jedoch, über Balkone und Loggien eine verstärkte »Verbindung« zum Außenraum herzustellen. Beim Winarsky-Hof arbeitete Frank unter anderem mit Peter Behrens, Josef Hoffmann, Oskar Strnad, Oskar Wlach und Franz Schuster zusammen, jedoch entwarf jeder Architekt seinen eigenen Bauteil. Ab Wintersemester 1919/20 bis 1925 unterrichtete Frank an der Wiener Kunstgewerbeschule (»Hilfslehrer mit Professorentitel«), wo auch Hoffmann als Professor ab 1899 lehrte. 1925 gründete Frank gemeinsam mit Oskar Wlach und Walter Sobotka die Einrichtungsfirma Haus & Garten, ab 1926 führten nur noch Wlach und Frank die Firma. In Anlehnung an englische und amerikani4 Josef Frank, »Der Volkswohnungspalast« (1926), in: Josef Frank 1885−1967, Hochschule für angewand­ te Kunst Wien, Löcker, Wien 1981, S. 141.

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sche Zeitschriften – beispielsweise House and Garden – widmete sich das Geschäft der beiden Architekten der bürgerlichen Lebenswelt, zu der damals immer auch der Garten gehörte. Im Rahmen der Einrichtungs­ tätigkeiten entwarf Frank Stoffe, Tapeten, Sessel, Beistelltische, Sofas und Polstersessel, die durch ihre »Leichtigkeit« einerseits und ihre »Fantasiestoffe« andererseits eine direkte Weiterführung des englischen Landhauslebens darstellten. Heute werden Franks Entwürfe und Designs gerne als die »Wiener Möbelmoderne« bezeichnet, tatsächlich handelt es sich hierbei um Varianten und Variation englischer und schwedischer Vorbilder, die Frank subjektiv für Wien adaptierte. Das »Neue Wiener Möbel« zeigt mehr Referenzen nach England und dem deutsch-österreichischen Biedermeier als zum deutschen Bauhaus. Franks wichtigste Wohnbauten in Wien wurden von Haus & Garten eingerichtet. Ebenfalls 1925 begannen die Vorbereitungen für die epochale Werkbund-Ausstellung in Stuttgart. Das Doppelwohnhaus von Frank sollte für einen Skandal sorgen. Der Deutsche Werkbund errichtete die Weißenhofsiedlung in Stuttgart 1927 unter der Leitung des Architekten Ludwig Mies van der Rohe und thematisierte damit das Neue Wohnen. Innerhalb kürzester Zeit − 21 Wochen − entstanden 21 Häuser. Diese Siedlung gilt als die bedeutendste Architektursiedlung der »Bauhaus-Moderne«. Frank war der einzige Architekt aus Österreich, der zur Teilnahme an der Werkbund-Siedlung in Stuttgart eingeladen worden war. Die Teilnehmerliste der Architekten steht stellvertretend für die Avantgarde in Deutschland, darauf Namen wie Walter Gropius, Ludwig Hilberseimer, F ­ erdinand Kramer, Ludwig Mies van der Rohe, Hans Poelzig, Hans Scharoun, Bruno und Max Taut. Frank war mit internationalen Kollegen wie Le Corbusier, J. J. Pieter Oud und Mart Stam eingeladen, um das gesamte Spektrum europäischer Architekturhaltungen abzubilden. Sein Doppelwohnhaus für die Werkbund-Siedlung führte zu heftigen Diskussionen in der deutschen Architektenschaft, da Frank es mit »Perserteppichen« ausgestattet hatte – und damit den modernen Purismus seiner Kollegen infrage stellte. Diese und andere Aspekte in der Architektur Franks führten zu der Tatsache, dass er einen anderen »Kanon« der Moderne vertrat, einen, der nicht auf einer reduzierten ästhetischen Darstellung beruhte, sondern im Gegenteil eine komplexe Modernität vertrat. Diese – Wiener Moderne – stand für eine kulturelle Mehrschichtigkeit, die in Deutschland inakzeptabel erschien. Mit seinem Text »Raum und Einrichtung« (1934) legte Frank seine Ideen über das Wohnen dar und votierte für »Freiheiten« in den Möblierungen, Farben, Tapeten und Teppichen.5 Die Aussagen waren damals revolutionärer, als vielfach aus heutiger Sicht angenommen: revolutionär nämlich gegen den Kanon der »Bauhaus-Moderne«, revolutionär gegen das Diktum des Architekten als totalem Designer. Sätze wie »Jeder Mensch ist stolz auf seinen persönlichen Geschmack, das ist ja eine Eigenschaft, deren Wertlosigkeit sich kaum beweisen läßt. Das

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5 Josef Frank, »Raum und Einrichtung« (1934), in: Josef Frank 1885−1967, Hochschule für angewandte Kunst Wien, Löcker, Wien 1981, S. 96.

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7.2  Josef Frank, Haus Beer, Wien-Hietzing, Detail Eingangshalle, 1929/30, Foto Georg Riha, 1997

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Einrichten einer eigenen Wohnung ist eine der großen Augenblicke im Leben und hier kann jetzt dieser persönliche Geschmack sich ungezügelt ausleben« verwirrten und verunsicherten im Jahr 1934 die radikalen Modernen.6 Für die Partizipation, die Frank den Nutzern der Wohnungen zugestehen wollte, war in der perfekten Bauhaus-Welt kein Platz. Fünf Jahre nach der Stuttgarter Ausstellung wurde 1932 in Wien die Werkbund-Siedlung unter der künstlerischen Leitung von Frank eröffnet. In dieser Zeit entstanden modellhafte Bauausstellungen in Brünn (Brno), Basel, Zürich, Breslau (Wrocław) und Prag. Im Gegensatz zu Stuttgart war in Wien die Frage nach neuen Technologien und die neuen Formen der Vorfabrikation, des Stahlbaus (Mies van der Rohe, Wohnbau) und des Stahlbetonbaus kein Thema. Im Sinne von Frank lag das Interesse auf optimalen Grundrissen bei minimalen Wohnungsgrößen. Frank kritisierte übertriebene Rationalisierungsprozesse in der Architektur, welche die tatsächlichen Bedürfnisse der Bewohner vernachlässigten. In Wien wurden 70 Wohnhäuser von insgesamt 31 Architekten realisiert, internationale Teilnehmer waren unter anderen André Lurçat (Frankreich), Gerrit Rietveld (Holland), Gabriel Guevrekian (Frankreich), Hugo Häring (Deutschland) und die beiden in die USA aus­gewanderten österreichischen Architekten Richard Neutra und Arthur Grünberger. ­Allein diese Einladungsliste von Frank reflektiert seinen anderen Zugang zur Moderne: Er wählte Häring (nicht Mies van der Rohe) und ­Lurçat (nicht Le Corbusier), um nur zwei Beispiele zu nennen. Frank und die von ihm eingeladenen Architekten verstanden Wohnen eher als »Prozess« und nicht als »Funktion«. Die Wiener ­Moderne ist – pointiert formuliert – nicht »Stahlrohr und Leder«, sondern »Holz und Stoff«, sie ­ ogmatische Positioreflektiert stärker das Nutzerprofil und weniger die d nierung einer ikonografisch ästhetischen Moderne. Zur Tragik der Wiener Werkbund-Ausstellung gehörte ihre späte Realisierung. Bereits am 9. Februar 1932 wurde im Museum of Modern Art (MoMA) in New York die Ausstellung The International Style: Architecture since 1922 eröffnet, die von Philip Johnson und Henry-Russell ­Hitchcock kuratiert worden war. Beide hatten intensiven Kontakt zu Mies van der Rohe, Walter Gropius und Le Corbusier – der Kanon der Moderne wurde hier geprägt – für die Ausstellung und den Ausstellungskatalog. Als die Wiener Werkbund-Ausstellung am 5. Juni 1932 eröffnet wurde, war damit das »Ende« der modernen Wohnausstellungen eingeläutet. Die Ausstellung endete am 7. August 1932 und fünf Monate später begann mit der sogenannten Machtergreifung Adolf ­Hitlers in Deutschland am 30. Januar 1933 das Ende des Experiments der Moderne. Am 20. Juli 1933 wurde das Bauhaus in Berlin von Mies van der Rohe als dessen Leiter geschlossen. Im Jahr 1934 emigrierte Frank nach Schweden – nach der Ausschaltung der Sozialdemokratischen Partei in Österreich und der Einführung des Ständestaates – und verlegte seinen Wohnsitz nach Stockholm. Er wurde ständiger Mitarbeiter für das Einrichtungshaus Svenskt Tenn

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(dt. Schwedisches Zinn), dessen Leiterin Estrid Ericson er schon seit den 1920er-Jahren kannte. Für Frank war die Situation tatsächlich dramatisch. Schweden wurde – bis auf die Jahre von 1941 bis 1947 in den USA – für 33 Jahre seine neue Heimat. Im Zuge des »Anschlusses« Österreichs an Deutschland im März 1938 erfolgte eine Massenflucht Tausender Österreicher nach Groß­ britannien, in die USA und die Länder Südamerikas, nach Neuseeland und Schweden. Neben Frank emigrierten Architekten wie Felix Augenfeld (1938 nach Großbritannien), Paul Engelmann (1934 nach Israel), Victor Gruen (auch Grün, 1938 in die USA), Ernst Lichtblau (1939 in die USA), Ernst Anton Plischke (1939 nach Neuseeland, 1963 zurück nach Österreich) und Franz Singer (1934 nach Großbritannien) – zusammen mehr als 40 Architektinnen und Architekten. Die Jahre von 1927 bis 1936 waren trotz der politischen Umwälzun­ gen und der Totalisierung von Staat und Kultur die produktivsten Architektur-Baujahre von Frank. Der Skandal anlässlich der Einrichtung der Doppelwohnhäuser in Stuttgart mit »Perserteppichen« und Möbeln der Firma Haus & Garten verweist sehr deutlich auf die Differenzen zwischen der dogmatischen Bauhaus-Moderne und der undogmatischen, pragmatischen und individualistischen Architekturtheorie Franks. In diesem Zeitraum publizierte er nicht nur seine wichtigsten theoretischen Texte zur Architektur, sondern realisierte gleichzeitig die Architekturprojekte zu seiner Theorie. Es erschienen Texte wie »Wiens moderne Architektur bis 1914« (1926), »Die Großstadtwohnung unserer Zeit« (1927), »Die moderne Einrichtung des Wohnhauses« (1927), »Siedlungsbau« (1927), »Gespräch über den Werkbund« (1929), »Wiener Bauten und Wohnungen« (1930), »Das Haus als Weg und Platz« (1931), »Der Siedlungsbau in der modernen Architektur« (1932) und »Raum und Einrichtung« (1934) – um nur die wichtigsten zu nennen.7 Besonders bemerkenswert unter allen Texten ist seine Formulierung über »Das Haus als Weg und Platz« (1931), womit er eine Analogie zur Urbanität der Stadt herstellt und indirekt auch auf Alberti verweist. Dieser schreibt in De re aedificatoria I, 9 und V, 14: »Denn wenn die Stadt, nach einem Grundsätze der Philosophen, ein großes Haus ist, und ein Haus hinwiederum eine kleine Stadt ist […]« So formuliert der Renaissance-Architekt eine Idee, die für Frank zum Inbegriff des Architekturentwurfes werden sollte. Das Haus Beer (1929/30) in Wien-­Hietzing entstand in Zusammenarbeit mit Oskar Wlach für den Kautschuk-­Fabrikanten Julius Beer und seine Frau Grete und verwirklicht die Architekturtheorie von »Weg und Platz«. Dieses Haus ist ein offenes Raumkonzept im Sinne der Architekturpromenade: Der Weg durch das Haus reflektiert die Raumvielfalt – die Blickachsen im Inneren des Hauses und die Blickachsen in den Garten. Ohne Zweifel gehört dieses Wohnhaus zu den herausragenden Beispielen einer modernen Architektur im internationalen Vergleich. Die Eingangshalle mit dem versetzten Treppenlauf ist ein räumliches Meisterwerk, bei dem 7 Diese Texte stehen in: Josef Frank 1885−1967, Hochschule für angewandte Kunst Wien, Löcker, Wien 1981.

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die Halle selbst, das Speisezimmer, der Wohnsalon, die Bibliothek, der Teeraum und das Musikzimmer in einer diskret-offenen »Erräumung« verwirklicht sind. Dieses Haus ist zudem ein Beispiel für die aufgeklärte und moderne Wohnkultur des jüdischen Bürgertums in Wien. Es ist mehr als bemerkenswert, dass in Wien innerhalb von wenigen Jahren vier differenzierte und differente Theorien zum Wohnen realisiert wurden: Das Haus für Sonja Knips (1923/24) von Josef ­Hoffmann als spätes Beispiel eines »Gesamtkunstwerkes«, das Haus Moller (1926/27) von Adolf Loos als eines mit einem »Raumplan«, das Haus für M ­ argaret Stonborough-Wittgenstein (1926−1928) von Ludwig ­Wittgenstein als »strukturelle Raumhülle« und das Haus Beer (1929/30) von Josef Frank als »offenes Raumkonzept«.8 Ergänzend dazu »empfehlen« die Architekten eine spezifische Kultur des »Wohnens«, im Fall von Hoffmann die künstlerische Überhöhung des Alltagslebens durch totales Architekturdesign, bei Loos die Referenz des englischen Wohnens mit Ein­ baumöbeln, bei Wittgenstein die Referenz zur Collage (alle Möbel und Objekte sind möglich, solange nur die Qualität stimmt) und bei Frank die Zufälligkeit des alltäglichen Wohnens mit einer Vielzahl von Möbel­ typen. Diese vier Wohnhäuser reflektieren nicht nur die Qualitäten des bürgerlichen Wohnens und die personellen sowie künstlerischen Vernetzungen in Wien, sondern sie zeigen auch die großen Differenzen zum sozialen Wohnen innerhalb der Gesellschaft: Diese vier Wohnhäuser hatten alle ca. 500 Quadratmeter Wohnfläche, Gärten und Gara­ gen im Vergleich zu den durchschnittlichen ca. 36 Quadratmetern des sozialen Wohnbaus. Von den 70 Wohnhäusern der Werkbund-Siedlung Wien (geplant für den Mittelstand) hatte nur ein einziges Haus eine Garage, die durchschnittliche Wohnfläche war selten größer als 80 Quadratmeter. Die Wiener Werkbund-Siedlung reflektiert die europäischen Diskussionen zum modernen Wohnbau – jedoch vertrat Frank eine eigenständige »Wiener« Haltung, die sich von der »Bauhaus-Moderne« unterschied. Gropius trat beispielsweise für die wirtschaftlichen Aspekte und Ökonomisierung (Typisierung) der Minimalwohnung im Geschossbau ein. Franks Vorstellungen vom Siedlungsbau und vom Flachbau standen diesen Äußerungen diametral entgegen. Seine Funktionalismus-Kritik wandte sich sehr dezidiert an den »Bauhaus-Funktionalismus«. Frank sah im »Bauhaus« den Versuch der »Totalität« und »Normativität« im Sinne einer ökonomisierten Architektur, welche die Individualität und Vielfältigkeit des Lebens negierte. Ab 1934 pendelte Frank zwischen Stockholm und Wien. Seine Entwürfe und Arbeiten für das Einrichtungshaus Svenskt Tenn wurden besonders von dessen Leiterin Estrid Ericson geschätzt und gefördert. Bis zu seinem Lebensende würde diese neue Zusammenarbeit Frank eine ­ msetzen. persönliche Lebensgrundlage geben und seine Designarbeiten u Die Situationen in Deutschland und Österreich änderten sich innerhalb von nur fünf Jahren grundlegend: Bereits 1933 wurde der Deutsche

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8 August Sarnitz, Die Architektur Wittgensteins, Böhlau Verlag, Wien 2011, vergleiche S. 210−214.

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Werkbund von den Nationalsozialisten instrumentalisiert und im Mai 1938 wurde das Geschäft Haus & Garten von den Nationalsozialisten in Österreich »arisiert«. Nach dem »Anschluss« Österreichs an Deutschland wurde Frank schwedischer Staatsbürger (seine Frau Anna war Schwedin). Und trotzdem: Frank realisierte 1931 zusammen mit Wlach für die Gemeinde Wien die Wohnhausanlage Leopoldine-Glöckel-Hof, auf der Pariser Weltausstellung von 1937 waren Frank und Svenskt Tenn mit einer Gartenterrasse vertreten, im Jahr 1935 wurde das Haus Bunzl in Wien-Döbling fertiggestellt und 1936 das Haus Wehtje in Falsterbo (Schweden). Beide Wohnhäuser zelebrieren das »freie und befreite Wohnen« im Sinne Franks mit Wohnhalle und differenzierten Bereichen des Wohnens. In beiden Fällen überzeugt er mit einem »Innenhof«, den die U-förmigen Hausformen umschließen. Das Einrichtungshaus Haus & Garten wird hier als Haus und Garten paraphrasiert – in beiden Fällen erreichte Frank eine besonders hohe Wohnqualität aufgrund von differenzierten Raum- und Lichtsituationen. Mit Haus Wehtje »endet« die bauliche Tätigkeit von Frank im Jahr 1936. Im Alter von 51 Jahren konnte er weder im schwedischen Exil noch ab 1938 in seinem amerikanischen Exil von 1941 bis 1947 Bauwerke realisieren. Er verlegte seine gesamte Tätigkeit auf die Mitarbeit bei Svenskt Tenn, die über 200 Stoffentwürfe (davon ca. zwei Drittel in Schweden entstanden) und über 2000 dokumentierte Möbelentwürfe hervorbrachte. Heute würde man Frank als den »Creative Artist« der Firma bezeichnen, der maßgeblich für den Erfolg und die Entwicklung des Einrichtungshauses zuständig war. Als Frank im Dezember 1941 im Alter von 55 Jahren aus Angst vor einer möglichen Okkupation des neutralen Schweden durch die Nationalsozialisten nach New York floh, arbeitete er weiterhin für Svenskt Tenn und sendete Stoffentwürfe nach Schweden. In New York hatte er zeitweise einen Lehrauftrag an der New School of Social Research (das Gebäude war von dem Exil-Österreicher Joseph Urban entworfen worden, der schon 1911 nach Amerika geflohen war, weil er in Wien per Steckbrief wegen eines fahrlässigen Konkursvergehens gesucht wurde.) Diese Schule war ein »Melting Pot« europäischer Emigranten, unter anderen unterrichteten dort Emil Lederer (aus Wien), Erich Fromm und Hannah Arendt. Wie viele europäische Besucher notierte Frank etwas über die »unge­ zwungene Lebensweise«, welche die Amerikaner in ihrer Freizeit auszeichnete – eine Haltung, die ihm selbst sehr sympathisch war – und seine Wohneinrichtungen idealisierten jene »Ungezwungenheit«, die er später in seinem Text über den »Akzidentismus« (1958) darlegen s­ ollte.9 Dieser Text kann als Franks »architektonisches Testament« gelten – er war damals 73 Jahre alt. Gemeinsam mit den vielen unausgeführten Entwürfen für Ferienhäuser für Dagmar Grill in Südfrankreich entstand hier eine heitere, bunte Welt ohne Konventionen: Die architektonische 9 Josef Frank, »Akzidentismus« (1958), in: Josef Frank 1885−1967, Hochschule für angewandte Kunst Wien, Löcker, Wien 1981, S. 236.

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Sprache ist aufgelöst – losgelöst – und »frei« im Sinne einer architektonischen Ikonografie. Grundlegende Gedanken im Text »Akzidentismus« beschäftigen sich mit Wissenschaft, Ästhetik, Architektur, Tradition und Kunst. »In unserer Zeit des wissenschaftlichen Denkens gehen alle Traditionen allmählich verloren; es ist kein Grund mehr dafür einzusehen, Gesetze anzuerkennen, die nicht bewiesen werden können. Dadurch sind solche Begriffe wie Kunst und Schönheit zweifelhaft geworden, die sich nicht einmal definieren lassen. Wer keine Tradition hat, der ist gezwungen sich seine eigenen Kunstgesetze zu erfinden, die dann ziemlich willkürlich sein müssen. Er muß ihnen moralische oder utilitaristische, wissenschaftliche oder mystische Motivierungen zugrunde legen, um an sie selbst zu glauben und den Glauben an sie zu verbreiten.«10 Frank spricht hier unter anderem wesentliche philosophische Aspekte des Existenzialismus an. Der Mensch befindet sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Atomzeitalter, in dem alles jederzeit möglich ist: totale Zerstörung, nuklearer Weltuntergang. In diesem Zeitalter der Ungewissheit in der Welt ist eine Reaktion mit einem Text über »Akzidentismus« nicht unlogisch, sondern eine intelligente Antwort auf die morallose Technik im Sinne des heideggerschen »Verfahrens«. Ohne Moral sind die Technik und die Moderne ebenso dem Totalitarismus ausgeliefert wie jeder andere »Ismus«. Franks Skeptizismus, der nie in der Welt der »Zufälligkeiten« seinen Ausweg findet, erinnert an die Zeit des Manierismus, als die strengen Regeln der Renaissance »aufgelöst« wurden in heitere, spielerische »Manieren«, »Grotesken« und »Täuschungen«. Insbesondere die Täuschung ist hier von großer Bedeutung: Auch der Akzidentismus täuscht etwas vor, was er eigentlich nicht ist. Seine scheinbare Zufälligkeit ist eine intendierte, geplante und organisierte – ähnlich wie beim englischen Landschaftsgarten. In diesem Sinne könnte man den Akzidentismus als die »höchste Form der Planung« ansehen – ähnlich wie die Improvisationen in der Jazzmusik, weil man als Konsument die »Planung« nicht erkennt. Nur der intellektuelle Kritiker ist sich der »Zufälligkeit« bewusst. Die Ferienhäuser in Südfrankreich für Dagmar Grill können in diesem Zusammenhang als architektonische Capriccios gelten, als Beispiele paradiesischer Entrücktheit im Garten Eden im Kontrast zur urbanen Alltäglichkeit im nordischen Stockholm. Ähnlich könnte man die zahlreichen Stoffentwürfe von Frank als ­ Beispiel einer »paradiesischen Entrücktheit« ansehen. Sie tragen Namen wie »Kontiki« (1947), »Koralle« (um 1925−1930), »Djungle« (um 1943−1945), »Brazil« (1943−1945) oder »Karma« (1925−1930). Vielen dieser Stoffentwürfe ist eine Exotik und Entrücktheit zu attributieren, die als ein großer weltlicher Kosmos verstanden werden könnte − »Freiheit« und »friedliche Natur« (Paradies) als Ultima Ratio eines humanistischen Architekten.

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Friedrich Kiesler Zwei Textzitate zu Friederich Kiesler aus dem Jahr 1947 und dem Jahr 2016: Beinahe 70 Jahre liegen zwischen diesen beiden ­unterschied­lichen »Positionierungen« dieses radikalen, modernen Designers, Architekten, Bühnenbildner und Künstlers. »Frederick John Kiesler, architect, stage designer and structural theorist, is a tiny (5 ft. 1 in.), 51-year-old Viennese who looks like a cross between a mischievous elf and a rather pompous troll. His strut, charm, wit and warm human understanding coupled with a brilliant intellect and fantastic imagination, should already have made him a successful and famous man. But F. J. Kiesler has lived and worked in America for the past twenty years in comparative obscurity. Except for the group of architects and artists who comprise the forefront of the modern movement, his name is unknown even to members of his own profession. Here is a man whom experts rank with Walter Gropius and the late Moholy-Nagy as a pioneer in contemporary design, and some even place next to Wright and Le Corbusier. But unlike the ideas of his famous contemporaries, Kiesler’s best mental images have seldom been translated into actuality. Those which did break through the blueprint prison have been erected with a running accompaniment of difficulties which would have turned a less resilient man into a sanatorium case. Kiesler’s U.S. history is that of the avantgarde European astray in the American commercial woods. He came to the U.S. in 1926, 10 years before his famous colleagues, proudly wearing a brilliant continental reputation. There was only one drawback: Kiesler was so far ahead of America that nobody knew what he was talking about […] Kiesler’s archi­tectural career had begun in the office of Adolf Loos, working on the slum clearance and rehousing projects which were to make Vienna a model for public housing developments all over the world […]«11 »Friedrich Kieslers (1890–1965) vielfältiges künstlerisches Œuvre inspiriert bis heute ArchitektInnen, TheaterproduzentInnen, DesignerInnen, KünstlerInnen und FilmproduzentInnen. Die MAK-Ausstellung FRIEDRICH KIESLER Lebenswelten spiegelt das wachsende Interesse wider, das Kieslers konzeptuellem sowie ganzheitlichem Denken und Handeln in der internationalen Kunst- und Kreativszene entgegengebracht wird. Darüber hinaus zeigt sie die Bedeutung von Kieslers Wiener Jahren als schöpferischer Quelle seines gesamten weiteren Schaffens auf und positioniert Kiesler damit auch als eine der herausragenden Gestalterpersönlichkeiten der Wiener Moderne. Im Fokus der atmosphärischen Ausstellung steht Kieslers transdisziplinäres Schaffen in Malerei und Skulptur, Architektur und Design, Theater und Film, während seine Theorie des Correalismus ebenso zur Diskussion gestellt wird wie seine innovative Ausstellungspraxis.«12

11 February 1947, Architectural Forum, »Design’s bad boy: a pint-sized scrapper who, after thirty years, still challenges all comers«, Einleitungsabsatz zum Artikel, Sonderdruck ohne Pagina, Quelle: ÖFLKS. 12 Auszug aus dem Pressetext des MAK, Museum für angewandte Kunst Wien, 06. 06. 2016.

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Im Folgenden ist es notwendig, den Artikel »Bad Boy« aus der Zeitschrift Architectural Forum (1947) ausführlich zu zitieren. Kiesler war damals 57 Jahre alt, der Artikel war in Zusammenarbeit mit ihm entstanden; er hatte hier bewusst Informationen und Ideen aus Wien und Europa eingebracht. Es ist eine »Selbstdarstellung« Kieslers, verbunden mit dem Versuch des Autors, eine Verbindung zwischen den Architektenkollegen der amerikanischen professionellen Welt herzustellen. Architectural Forum war keine Avantgardezeitschrift, sondern ein Fachmagazin, das 1892 in Boston unter dem Titel The Brickbuilder gegründet worden war und im Jahr 1974 eingestellt wurde. Seine Leserschaft kam aus dem Bereich der »Homebuilding Industry« und der Architektur. Kieslers »Bad Boy«-Artikel muss ein ziemlicher Schock für die Leser gewesen sein. Seine Aussagen über Design und Architektur wirkten auch zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges radikal und absolut neu. Die zeitgenössische, moderne amerikanische Architektur wurde nach 1945 primär von Walter Gropius (Harvard University) und Ludwig Mies van der Rohe (Illinois Institute of Technology) geprägt. Die emigrierten Bauhaus-Meister leiteten maßgebliche und einflussreiche Architekturschulen, wo ebenfalls andere europäische Kollegen unterrichteten, so Marcel Breuer und Ludwig Hilberseimer, um nur zwei zu nennen. In diesem Umfeld waren Kieslers Positionen klar definiert: durch theoretische Arbeiten und Publikationen wie »Contemporary Art Applied to the Store and its Display« (1930, Brentano, NY, Reprint 1939), seine Artikelserie in Architectural Record unter dem Titel »Design Correlation« (ab Februar 1937) und sein in französischer Sprache publiziertes »Manifeste du Corréalisme« (datiert 20. September 1947, publiziert in einer Sondernummer der Zeitschrift L’Architecture d’Aujourd’hui). Ergänzend kamen seine Entwürfe für das Space House (1933) und das Endless House (Paris ab 1947) hinzu. Kiesler kam 1926 im Zusammenhang mit der »International Theatre Exposition« im Steinway Building nach New York. Seine radikalen Arbeiten zur Bühnengestaltung in Wien und Berlin waren geprägt von ­ onstruktivismus. räumlichen Konzepten in Sinne von De Stijl und dem K Anfangs gestaltete Kiesler in New York Schaufenster für das Warenhaus Saks Fifth Avenue – eine Tätigkeit, die 1930 er in seiner bemerkenswerten Publikation Contemporary Art Applied to the Store and its Display diskutierte. Anders als der Titel vermuten lässt, handelt es sich bei der Publikation in Wirklichkeit um einen interdisziplinären Ansatz zur Kunst-, Kultur-, Architektur-, Design- und Konsumgeschichte und zum Thema Kunstvermittlung. Eingebunden sind Themenbereiche wie »The Fine Arts are the basis of decoration«, »Architecture«, »The store evolved from the market«, »The Bazaar has the right sort of stimulus«, »Dramatizing by lighting«, »Aura Frames«, »Light and decoration«, »Light and Architecture«, »Movies as a sales aid« und »Architecture and Decoration«. In dieser Publikation diskutierte Kiesler unter anderem auf der Seite 121 ein Telemuseum. »Just as operas are now transmitted over the air, so picture galleries will be. From the Louvre to you, from the Prado to you, from everywhere to you. You will enjoy the prerogative of selecting pictures that are compatible with your mood or that meet

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7.3  Friedrich Kiesler Multifunktionales Möbel, entworfen für die Peggy ­Guggenheim Galerie Art of this Century, 1942, Reproduktion der Möbel durch die Firma Wittmann, »Correalistischer Rocker« und »­Correalistisches Instrument«, Foto August Sarnitz, 2017

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the demands of any special occasion. Through the dials of your Teleset you will share in the ownership of the world’s greatest art treasures.« Damit nahm er revolutionär die Entwicklung der digitalen Revolution im 21. Jahrhundert vorweg. Die Referenzabbildungen sind ein persönlicher Kommentar zur Kunst- und Architekturavantgarde in Europa: unter anderem der Barcelona-Pavillon von Ludwig Mies van der Rohe, das Glashaus von Bruno Taut und ein Kaufhaus von Erich Mendelsohn – allerdings versehen mit einer kritischen Bemerkung. Im vierten Kapitel von Contemporary Art Applied to the Store and its Display, »Architecture − instead of national international architecture« schreibt Kiesler: »Happily for contemporary architecture, today is no longer a conglomeration of all sorts of materials and styles, but a living expression of the spirit of a community, or of a personality. And so it is in the best way towards becoming an INTERNATIONAL architecture. ONE STYLE FOR ALL. Whether it is in a work of Le Corbusier in France, Frank Lloyd Wright in America, Perret in Tunis, Oud in Holland, Vesnin in Moscow, the modern spirit has, and can only have, the same expression.« Kiesler argumentiert ferner mit der neuen Individualität und dem technischen Fortschritt: »To build or decorate in a more or less indigenous style in an individual idiosyncrasy: the trend of the age is to break down insularity. Our technical progress in construction will soon have gone so far that every building and the processes of living will be independent of heat and cold. Southern and northern temperatures, climatic conditions, will be regulated from inside our rooms as we regulate our watches.« In geradezu begeistertem Duktus teilt er die Zukunft der Architektur der »Brüderlichkeit« zu. »Technical improvements have conquered space and brought together nations, races, lines of longitude and parts of the earth. Physical and spiritual boundaries are disappearing. Architecture announces simplification, understanding and brother­hood.« Spekulativ könnte man eine Verbindung von Kieslers Publikation zu Hans Holleins »Alles ist Architektur« (Manifest, 1967) andenken. Hollein hat seine komplexen Architekturkonzepte später in der Zeitschrift BAU (1968) publiziert.13 Bemerkenswert sind außerdem andere Parallelen zwischen den beiden Architekten, die sich in New York kennengelernt hatten (mündliche Mittelung von Hollein an den Autor im Jahr 1983). Hollein verstand sich als Architekt, Designer, Bildhauer und Objektkünstler, seine ersten Arbeiten galten dem Warenhaus, so ein Projekt aus dem Jahr 1963 für St. Louis, USA.14 Später wurde Hollein

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13 Hans Hollein, Manifest »Alles ist Architektur«, (1966), ausführlich publiziert in: BAU, Heft 1/2 1968, S. 1−27. In seinem Manifest schreibt Hollein: »Diese weitentwickelten physischen Möglichkeiten leiten dazu über, psychische Möglichkeiten einer künstlichen Umwelt verstärkt ins Auge zu fassen, da nach Wegfall der Notwendigkeit gebauter Umwelten (etwa Umhüllung, Klimaschutz und Raumdefinition) ganz neue Freiheiten erahnt werden.« In einem späteren Text »Architecture is a work of art« (1989), zitiert nach Hans Hollein, Peter Weibl (Hg.), Hatje Cantz, Ostfildern 2012, S. 111, schreibt Hollein eben­ falls sehr dezidiert: »Architecture is both a spiritual as well as a technological matter, it has psychological as well as physical concerns.« 14 Vergleiche auch Hans Holleins Arbeit für seinen Abschluss als Master of Architecture an der University of California, Berkeley, unter dem Titel »Space in Space in Space«, zitiert nach Hans Hollein, Peter Weibel (Hg.), Hatje Cantz, Ostfildern 2012, S. 34.

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für seine Geschäfte und Ladengestaltungen berühmt, die Süddeutsche Zeitung bezeichnete ihn als »Meister der architektonischen Inszenierung«15 – auch hier besteht eine »unfreiwillige« Parallele zu Kiesler. Für das Kerzengeschäft Retti in Wien erhielt Hollein den begehrten Reynolds-­Preis (1966). Kieslers Bezüge zu Wien sind vielfältig und offen eingestanden: Selbst wenn seine eigene Aussage, er habe mit Loos zusammengearbeitet, nicht dokumentiert ist und auch von Loos nicht erwähnt wird, so reflektieren viele Aspekte den gemeinsamen Background: Themen wie Raum, Kultur, Materialität, Psychologie, Kunst, Konsum und Urbanität. »Die Ausdehnung einer Großstadt muß unserem heutigen Empfinden nach eine unbegrenzte sein«, schreibt Otto Wagner im März 1911 in seinem theoretisch-praktischen Diskurs zur Urbanität Die Groszstadt.16 »Unbegrenzt« war also ab 1911 in der architektonischen Moderne in Wien ein Begriff, der nicht mehr wegzudenken war: »Unbegrenzt« waren die Projekte der Wagner-Schule an der Akademie der bildenden Künste Wien zu Flughäfen, Hafenstädten, Sportanlagen und Freizeitanlagen. »Unbegrenzt« scheint der Architektengeneration der ersten Moderne alles gewesen zu sein, zumindest bis zum Jahr 1914, dem Vorabend des großen Vernichtungskrieges, der Europa und die Welt in einen Abgrund stürzen sollte. Der technische Fortschritt hatte alles denkbar gemacht – die Entwicklung der Städte und die ­Architektur. Kiesler kam im Jahr 1908 zum Studium nach Wien und begann mit seiner Ausbildung zuerst an der Technischen Hochschule, bevor er ein Jahr später an die Akademie der bildenden Künste Wien wechselte. Er studierte nicht Architektur, sondern besuchte die Allgemeine Malschule und die Spezialschule für Kupferstich – insgesamt sechs Semester lang –, aber ohne formellen Abschluss. In seinen späteren Arbeiten als Designer, Architekt und Künstler werden diese erworbenen künstlerischen Fähigkeiten von besonderer Bedeutung sein. Kieslers erste wichtigen Arbeiten reflektieren die Begeisterung für ˇ die modernen Technik: Seine Bühnengestaltung zu Karel Capeks Stück »R. U. R.«, das im März 1923 im Theater am Kurfürstendamm in Berlin vor einer elektromechanischen Kulisse und mit Filmprojektionen seine Premiere feierte, brachte Kiesler die Anerkennung der internationalen Avantgarde.17 Die Bühne, das Bühnenbild, die »Inszenierung« werden für Kiesler Bereiche, die ihn sein Leben lang begleiten. Seine Gestaltung der Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik in Wien 1924, seine Präsentation der »Raumstadt« in Paris 1925 (wo auch Konstantin Melnikov seinen konstruktivistischen Entwurf für den sowjetischen Pavillon präsentierte) und sein erster Entwurf für ein »Endless Theatre« (1925) markieren wichtige Denkansätze: »endless« wird zum Adjektiv, das für seine Architektur von grundlegender Bedeutung wird. »Endless« ist aber nicht weit entfernt von jenem »unbegrenzt«, das Otto Wagner

15 Süddeutsche Zeitung, 17. 10. 1987 (»Retti Geschäft – USA Reynolds Preis«). 16 Otto Wagner, Die Groszstadt, Schroll, Wien 1911, S. 10 und S. 15. 17 Vergleiche hierzu Friedrich Kiesler, Lebenswelten, Ausstellungskatalog, Birkhäuser, Basel 2016, Beitrag von Barbara Lesák, S. 116−135.

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1911 postuliert hatte. »Unbegrenzt« heißt im Englischen »unlimited« und bedeutet: »having no limits in space«; daher wird »endless« häufig als Synonym verwendet. Hier schließt sich der »Wiener Kreis« der ­Moderne. Die neue, moderne Architektur will und darf sich keine Grenzen aufzwingen, die Herausforderung ist das Überwinden konventioneller und tradierter Begrenzungen. Dabei zeigt sich eine zweite Bedeutungsebene von Kiesler und der modernen Architektur. Das »Unbegrenzte«, das »Endless«, brachte für den Menschen des beginnenden 20. Jahrhunderts zugleich das »Unheimliche« und das »Fremde« in Form von Fortschritt, Technik, Ver­ änderung und Emanzipation mit sich. Sigmund Freud publizierte zu diesem Begriff im Herbst 1919 einen Text unter dem Titel »Das Unheimliche«. Ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wird der Text veröffentlicht, die Arbeit daran reicht aber bis in das Jahr 1913 zurück. »Der Psychoanalytiker verspürt nur selten den Antrieb zu ästhetischen Untersuchungen, auch dann nicht, wenn die Ästhetik nicht auf die Lehre vom Schönen einengt, sondern sie als Lehre von den Qualitäten unseres Fühlens beschreibt«, und weiter: »Das deutsche Wort ›unheimlich‹ ist offenbar der Gegensatz zu heimlich, vertraut, und der Schluß liegt nahe, es sei etwas eben darum schreckhaft, weil es nicht bekannt und vertraut ist. Natürlich ist aber nicht alles schreckhaft, was neu und nicht vertraut ist; die Beziehung ist nicht umkehrbar. Man kann nur sagen, was neuartig ist, wird leicht schreckhaft und unheimlich; einiges Neuartige ist schreckhaft, durchaus nicht alles. Zum Neuen und Nichtvertrauten muß erst etwas hinzukommen, was es zum Unheimlichen macht.«18 Das Begriffspaar »unheimlich« (Freud) und »endless« (Kiesler) ist nur auf den ersten Blick ein scheinbarer Widerspruch. Vielmehr beherbergen beide Begriffe einen inneren Zusammenhalt, der sich gegenseitig bedingt. Freud argumentiert, dass zum Neuen noch etwas hinzukommen müsse, also eine »Differenz« zur allgemeinen Erwartung wie zum Beispiel die Angst. Zukunft und Angst sind hier eine häufige Korre­ lation. Für Freud lassen sich diese Sachverhalte erklären: »Erstens, wenn die psychoanalytische Theorie in der Behauptung recht hat, daß jeder ­Affekt einer Gefühlsregung, gleichgültig von welcher Art, durch die Verdrängung in Angst verwandelt wird, so muß es unter den Fällen des Ängstlichen eine Gruppe geben, in der sich zeigen läßt, daß dies Ängstliche etwas wiederkehrendes Verdrängendes ist. Diese Art des Ängstlichen wäre eben das Unheimliche, und dabei muß es gleichgültig sein, ob es ursprünglich selbst ängstlich war oder von einem anderen Affekt getragen. Zweitens, wenn dies wirklich die geheime Natur des Unheimlichen ist, so verstehen wir, daß der Sprachgebrauch das Heimliche in seinem Gegensatz, das unheimliche übergehen läßt (S. 250 f.), denn dies unheimliche ist wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern

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18 Sigmund Freud, Studienausgabe, Psychologische Schriften, S. Fischer, Frankfurt am Main, 1999, S. 242 und S. 244.

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etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist.«19 Hier sehen wir einen möglichen direkten Zusammenhang zur Architekturwelt der Avantgarde: Die Verdrängung und die Entfremdung thematisieren die Neurose in Bezug auf die Moderne. Verdrängungen und Entfremdungen erleben die Menschen in den Arbeitswelten, den Konsumwelten und den Kunstwelten, wo die allgemeine Orientierung nicht mehr greift. Kiesler versuchte daher, in die neuen Welten der Menschen einzugreifen – Konsumwelten, Kunstwelten und Wohnwelten –, indem er Bereiche der Geborgenheit kreierte, in die sich die Menschen zurückziehen können. Das gilt neben dem Endless House auch für Bereiche seiner Kunst, die bewusst auf archaische Konstrukte verweisen. Und seine Interpretation der Konsumwelt stellte er eindeutig in seiner Publikation Contemporary Art Applied to the Store and its Display zur Diskussion. Sein Entwurf für einen Department Store (Paris, 1925) gehört zu den radikalsten Entwürfen seiner Zeit. Ein rampenförmiger Hochhausturm ermöglicht das ganz bequeme Wandern durch die Konsumwelt. 34 Jahre später wurde das von Frank Lloyd Wright geplante Guggenheim Museum mit seiner kontinuierlichen Rampe in New York eröffnet (geplant ab 1943, eröffnet am 21. Oktober 1959 nach Wrights Tod). Die architektonische Nähe von Konsumwelt und Kunstwelt ist überraschend. Im Original beschreibt Kiesler das Kaufhaus wie folgt: »Project for a department store anchored to the ground only at the central axis, which includes elevator shafts, heating and cooling systems. Glass encases the entire structure. The floors are circular and built on the spiral principles of a corksrew, so that passage is continuously from one floor to the other. Here we have the solution of one of the most pressing problems in department stores today: free, equal distribution of traffic.«20 Wir betrachten die amerikanische Konsumwelt und die Schaufenstergestaltung von Kiesler: Das Wandern durch die angebotenen Produkte erinnert an Walter Benjamins Flaneur, der das urbane Leben und die Kaufhaustempel von Paris besucht. Benjamins Konsumkritik findet sich auch in seiner Schrift Einbahnstraße, in der er unter anderem die soziologische Ungleichheit thematisiert. Gegenwärtige Luxuswaren machen sich breit und stellen eine schamlose Massivität zur Schau. Der wahre Luxus nämlich sei von der Art, dass »Geist und Geselligkeit ihn zu durchdringen vermögen«.21 Diese Konsumkritik war für Kiesler nicht relevant. Er reflektierte die amerikanische Konsumwelt. Für ihn waren im Idealfall die Konsumwelt und die Kunstwelt idente Welten der modernen Welt und des modernen Lebens.22 19 Ebd., S. 261−262. 20 Frederick Kiesler, Contemporary Art Applied to the Store and its Display, Bretnano’s, New York 1930. 21 Walter Benjamin, Einbahnstraße (1928), Suhrkamp, Frankfurt am Main 1955, S. 37. 22 Ulrich Wyrwa, »Luxus und Konsum: Begriffgeschichtliche Entwicklung«, S. 56, in: Reinhold Reith und Thorsten Meyer (Hg.), Luxus und Konsum. Eine historische Annäherung, Waxmann, Münster 2003, Cott­ buser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt. »Für die nordamerikanische Gesellschaft der Mitte des 20. Jahrhunderts konstatieren zahlreiche soziologische Untersuchungen die zunehmende Orientierung des Mittelstandes am Konsum. Diese mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen führten

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Auch für Rudolph M. Schindler, einem anderen österreichischen Architekten in der Emigration, wurde das Entwerfen von Schaufenstern zu einem wesentlichen Inhalt seiner architektonischen Tätigkeit. Bereits in Chicago 1916 (Projekt für ein Geschäftsgebäude) und später in Los Angeles entwickelte Schindler Argumente für eine neue Gestaltung von Geschäften. Unter anderem sollte die Fassade eine »Fernwirkung« für die Autofahrer haben und eine »Nahwirkung« für den Fußgänger. Das Schaufenster wurde als kommunikatives Element verstanden. Viele zum Teil betont skulpturale Entwürfe für Storefront Designs aus den 1930er-Jahren belegen dieses Interesse.23 Kieslers Ausstellungsgestaltung für Peggy Guggenheim kann daher »auch« als ein weiterführendes Beispiel seines Shop Designs gesehen werden. Kiesler selbst schreibt dazu, dass bei dieser Ausstellung das »Präsentieren« der Kunstobjekte genauso wichtig sei wie die Kunstwerke selbst. Mit dem Thema Wohnen beschäftigte sich Kiesler sein ganzes Leben lang. Er reflektiert den Kontext der 1930er-Jahre und notiert die »perennial crises in architecture, viz.: the incapacity of society to provide and sustain a healthful and healthy shelter for each of its members; hence the inability of the designer and builder to deal adequately with these demands for all income levels. We have excelled in erecting architectural monuments to gods of heaven and of earth, but we have failed to provide a simple, healthy home for man himself«.24 Im Jahr 1933 realisierte Kiesler in den Schauräumen der Modernage Furniture Company ein Modellhaus, das seinen Vorstellungen von Wohnen in mehrfacher Weise entsprach.25 Dieses »Space House« basierte auf neuen Baumaterialien wie Spannbeton und Glas, wodurch Stützen und Säulen überflüssig wurden und das gesamte Haus als ein Fußboden-­ Wand-Decke-Kontinuum gesehen werden kann. Einzelne Bereiche können durch geräuschdämmende Gummivorhänge abgetrennt werden, den verschiedenen Funktionsbereichen werden unterschiedliche Raumhöhen zugewiesen. Der Wohnbereich hat eine hohe Decke, die Schlaf­ bereiche und die Bibliothek werden aufgrund ihrer geringen Deckenhöhe zu privaten Rückzugsorten. Die Differenzierung der Raumhöhe ist ein wesentliches Element und Qualitätsmerkmal dieses ­Entwurfes. Hier zeigen sich direkte Referenzen zu den Diskussionen um den Raum und das Bauen in Wien. Der Raumplan von Adolf Loos wird von Kiesler zum »Space House« weiterentwickelt, zur »Space Architecture«. Fast gleichzeitig publiziert ein anderer österreichischer Emigrant in Los

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zur Bildung des Kompositums Konsumgesellschaft. Einflußreich wurde vor allem die Untersuchung des exilierten jüdischen Sozialwissenschaftlers Georg Katona über die Stellung der Konsumenten in der Ge­ sellschaft, insbesondere seine Studie ›The Mass Consumption Society‹. Die zivilisationskritischen und von der marxistischen Kritik des Kapitalismus geprägten Intellektuellen, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die Vereinigten Staaten von Amerika geflohen waren, konnten die optimistische Haltung, wie sie dort mitunter gegenüber dem Konsum formuliert worden war, nicht teilen. Die kapitalistische Produktion, so Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer ›Dialektik der Aufklärung‹, hält die Konsumenten mit Leib und Seele so eingeschlossen, dass sie den Waren ›widerstandslos verfallen‹.« 23 Vergleiche hierzu August Sarnitz, R. M. Schindler − Architekt, Brandstätter, Wien 1986, Werkverzeichnis. 24 Frederick Kiesler, »Architecture as Biotechnique«, Vorwort zum separaten Sonderdruck, ohne Pagina, Quelle: ÖFLKS. 25 »Space House by Frederick Kiesler«, in: Architectural Record, Januar 1934, S. 45.

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Angeles – Rudolph M. Schindler – seine Architekturvision, die er ebenfalls als »Space Architecture« betitelt. In beiden Fällen handelt es sich um eine Beschäftigung mit dem Raum als primäre architektonische und psychologische Qualität des Bauens. 1934 publizierte Schindler seinen programmatischen Text »Space Archi­tecture«,26 den er 1935 erweiterte und unter dem Titel »Furniture and the Modern House: A Theory of Interior Design« vorlegte. Darin beschreibt er die neue »Raumarchitektur«: »The architect of our time is discovering a new medium: space. The house of the future is a synphony of ›space forms‹ – each room a necessary and unavoidable part of the whole. Structural materials, walls, ceilings, floors, are only means to an end: the definition of space forms. They lose their individual importance and are simplified to the utmost – a simple weave of a few materials articulates space into rooms.«27 Die Aussagen dieser beider Architekten sind überraschend: Kiesler an der Ostküste und Schindler an der Westküste der Vereinigten Staaten kritisieren zwei Jahre nach der erfolgreichen Ausstellung The International Style im Museum of Modern Art in New York die Grundpfeiler des Funktionalismus. Damals blieb ihre Kritik ohne Reaktion − heute ist ihre Einstellung immer noch relevant. Weitergeführt werden die Ideen des »Space House« im »Endless House«, bei dem Kiesler unter anderem die Schutzfunktion betont. Hier bietet ein Architekturobjekt, das eine Eiform besitzt, jenen Schutz, der in den Augen Kieslers für das individuelle Wohnen besonders wichtig ist. Das Einzelwohnhaus als Urzelle der Familie, das individuelle Haus aus Keimzelle für die individuelle Familie. Mit dem »Endless House« ist Kieslers Vision von seiner Architektur untrennbar verbunden. Unzählige Fotos dokumentieren unterschiedliche Phasen der Bearbeitung, das Porträt von Kiesler mit dem Modell des »Endless House« (1959) verweist auf die totale Identität: die Vision und das Konzept einer »psycho-­ function«, die Kiesler ab den 1930er-Jahren vertrat.28 »With the concept of ›psycho-function,‹ the material condition of the building and its mechanical operations give way to a form of sensuality understood as psychological pleasure. The architect becomes a kind of therapist unlocking repressions. A tone point, Kiesler describes the model of his Endless House as ›rolled up like a sex kitten.‹ The primary role of the architect is to satisfy appetites, whether sexual or gastric: ›If art could be accepted like sex and sex like eating, men and women would not feel like perverts, shamelessly obscene in the presence of modern art or architecture.‹ For Kiesler, modern architecture was filled with repressions that needed to be unblocked in the name of pleasure.«29

26 Rudolph Schindler, »Space Architecture«, in: Dune Forum, Oceano, Kalifornien, 1934, S. 44−46. 27 Rudolph Schindler, »Furniture and the Modern House: A Theory of Interior Design«, in: Architect and Engineer (San Francisco), Bd. 123, Dezember 1935, S. 22−25, und Bd. 124, März 1936, S. 24−28. 28 Frederick Kiesler, »Pseudo-Functionalism in Modern Architecture,« Partisan Review, Juli 1949, S. 735 29 August Sarnitz und Inge Scholz-Strasser (Hg.), Private Utopia, de Gruyter, Berlin/Boston 2015, Beitrag von Beatriz Colomina, »Endless Interior: Kiesler’s Architecture as Psychoanalysis«, S. 137.

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Von der psychologischen Funktion der Architektur ist es nur ein kleiner Schritt zur totalen Korrelation in der Architektur. Kiesler und sein Begriff der »Korrelation« sollten eine neue Weltsicht ermöglichen, ein neues Verständnis für die Zukunft und die Moderne, aber auch ein Bewusstsein wecken für die Gefahren einer möglichen Zerstörung durch die Technik.30 Das »Manifeste du Corréalisme«, datiert auf Paris, den 20. September 1947, wurde erst zwei Jahre später als Sonderdruck von L’Architecture d’Aujourd’hui publiziert. Hier wird eine dichte Architekturtheorie mit speziell gestaltetem Layout vermittelt: mit Diagrammen zum »Korrealismus«, mit Designentwürfen, Fotos und Fotocollagen von Möbeln, mit Aussagen zur Flexibilität von Möbeln, mit Fotos zur Ausstellungsgestaltung von »Art of this Century« für Peggy Guggenheim, mit Fotos zum »Space House« und mit Referenzen zum »Endless House«.31 Neben den vielen programmatischen Aussagen zu Architektur, Design und Kunst gibt es auch ein wunderbares Wortspiel auf den ersten Seiten zum Kubis­mus: Hier erfindet Kiesler das Wort »cube-prison« – das phonetisch fast mit dem französischen Wort »cubisme« ident ist. Wunderbarer, intellektueller und künstlerischer kann man seine Kritik an der Kunst und an der Architektur nicht formulieren.

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30 Vergleiche hierzu Friedrich Kiesler, Lebenswelten, Birkhäuser, Basel 2016, Beitrag von Spyros Papa­ petros, »Magic Architecture, Höhlen, Tiere und Werkzeuge im Atomzeitalter«, S. 58−71. 31 In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, auch auf die späteren Auswirkungen dieser Publikation hinzuweisen, im Speziellen auf den Artikel von Matthias Boeckl »Kiesler und die Wiener Architekten – Bestandsaufnahme einer vielschichtigen Beziehung«, in: Friedrich Kiesler, Architekt Maler Bildhauer 1890−1965, hg. von Dieter Bogner, Löcker Verlag, 1988, S. 305−319. Boeckl diskutiert die ambiva­ lenten Situa­tionen zwischen Kiesler, Josef Hoffmann, Oswald Haerdtl und Adolf Loos mit genauer Zu­ ordnung historischer Möglichkeiten und Informationen. Ebenfalls wichtig ist sein Hinweis auf die Zeit nach 1945, als Walter Pichler, Hans Hollein, Raimund Abraham und Friedrich St. Florian in New York mit Kiesler in Kontakt standen. Die Relevanz von Kiesler für Hans Hollein ist bis heute noch wenig unter­ sucht.

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Hans Hollein

Interview von August Sarnitz mit Hans Hollein am 4. Juli 2008 August Sarnitz: Das sogenannte Rothschildschloss in Waidhofen an der Ybbs (Niederösterreich) hat seit dem 13. Jahrhundert eine sehr bewegte Baugeschichte mit einer Vielzahl von Eigentümern. Der letzte prominente Eigentümer war Albert Freiherr von Rothschild beziehungsweise sein Sohn Louis Rothschild. Der damals beauftragte Architekt war der berühmte Ringstraßenarchitekt Friedrich Schmidt, unter anderem Erbauer des Wiener Rathauses an der Ringstraße. Mit welchen Ansätzen und Überlegungen gingen Sie an diese bedeutende Bausubstanz heran? Hans Hollein: Man ist an mich herangetreten, mich mit einem Thema und einer Aufgabe zu befassen – ein vorhandenes Gebäude umzubauen, für andere Nutzungen umzustrukturieren. Da ich schon Aufgaben wie Museen und auch Umnutzung und Umbau historischer Bauten in unterschiedlicher Weise angegangen bin – je nachdem welche Inhalte mit zu tragen waren – bin ich dieser Aufgabe gegenübergetreten in einer Weise, die passend für die Situation war als historische Bausubstanz, die vollkommen restauriert werden sollte, auf einen Zustand, der eine ganz bestimmte Jahreszahl hat. Es ging um ein mittelalterliches Schloss, ein Gebäude, eine Burg, die im frühen Mittelalter begann, gebaut zu werden, weitergebaut wurde, erweitert wurde, teilweise zerstört wurde, einen Bergfried erhielt und dann auch andere Nutzungen bekam wie der Turm von seinem ursprünglich mili­ tärischen Aspekt zu einem eigentlich symbolischen Objekt. Ein Turm ist ein Ausdruck einer bestimmten Haltung – ich will nicht unbedingt sagen immer nur Macht, vielmehr Signal. Dieses Schloss, das auch im 19. Jahrhundert zum Teil noch Schäden erlitten hat – so sind ganze Teile abgebrochen –, war von Rothschild für seine Verwaltung der Güter und Zentrale durch Friedrich von Schmidt, wie schon gesagt, erweitert worden. Mir ging es darum, nicht an eine spezifische Restaurierung heranzutreten und auch nicht vielleicht in einer bestimmten Sprache zu arbeiten, wie sie bei Friedrich Schmidt sinnfällig war, denn damals stand als allgemeiner Stil die Gotik im Vordergrund. Jede Epoche, jeder Zeitpunkt hat bei diesem Objekt seine Spuren hinterlassen und ich bin daher davon ausgegangen, dass ich die alte Substanz so herstelle, dass sie für die bestimmten Zwecke, für die sie angedacht war, nutzbar wird. Dabei ging es nicht nur um Dinge, die funktionell notwendig waren, sondern auch von der Botschaft, vom Symbolhaften her habe ich mit Glas und Stahl Materialien eingeführt, die in der Stein- und Putzarchitektur vorher nicht wirklich vorkamen und der Architektursprache unserer Zeit – der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert – entsprechen. So habe ich unterschiedliche Objekte funktionaler Art oder auch Körper, die einfach nur skulpturale Objekte sind, angekoppelt, aufgesetzt und – wie zum Beispiel den Kristallsaal – hineingebaut. 161

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A. S.: Auffallend bei den vielen künstlerisch-architektonischen Interventionen sind die kommunikationsfreundlichen Elemente, die Sie dem Bauwerk zugedacht haben: der gläserne Aufbau auf dem Turm, die auskragende Terrasse, die objekthafte Lichtskulptur beim parkseitigen Bestandstor, der Glaskubus in Ergänzung zum Standesamt. Welche Materialphilosophie stand hinter diesen Interventionen? H. H.: In dieser Hinsicht habe ich schon die vielen Verwandlungen, die dieses Schloss durchgemacht hat, erwähnt. Diese haben mich angeregt, eine weitere Verwandlung zu vollbringen, die eben nicht nur durch bestimmte Funktionen, physische Funktionen, bestimmt sind, sondern durchaus auch etwas mit Signal zu tun haben. Um zu sagen: Hier ist ein lebendiges Objekt, gleichzeitig wieder ein Gebäude unserer Zeit. Gerade im Bereich der Museen gibt es immer wieder Verwandlungen, etwa wenn das Belvedere von einem Prunkdomizil oder umgekehrt die Uffizien von einem Bürogebäude zu einem Museum umgewandelt worden sind. Auf der einen Seite soll der Eingriff einer Vielfalt von Nutzungen und Ansprüchen gerecht werden und neue Aufgaben übernehmen können. Dabei geht es nicht um eine Gestaltung, ganz spezifisch wie ein Löffel oder eine Gabel, sondern um eine freiere und vielfältigere Nutzung – ein Gegenübertreten von verschiedenen Herangehensweisen – zu ermöglichen. A. S.: Der Kristallsaal ist ein zentraler Raum innerhalb der künstlerisch-­ architektonischen Intervention im Rothschildschloss. Etymologisch ist dieses Wort aus dem griechischen kristallos – frieren – beziehungsweise kryos – der Frost – auch ein komplex aufgeladener Begriff im 19. Jahrhundert geworden. Nicht nur im Roman mit dem Titel Bergkristall von Adalbert Stifter, sondern überhaupt wurde der glitzernde Kristall im 19. Jahrhundert zu einem Abbild und Inbegriff des festlichen Lebens, des Feierns, der Selbstdarstellung einer Bourgeoisie, die durch die Industrialisierung reich geworden ist. Der Kristallluster als Beispiel pars pro toto. Beim Kristallsaal geschieht aber etwas ganz Besonderes. Hier wird die abstrakte Idee des Kristallinen abstrakt-virtuell dem Betrachter vor Auge geführt, so als ob man sich im Inneren eines Kristalls befinden würde. Gleichzeitig: die Klarheit, die Reinheit, der transluzierende, der abstrakte Raum, kombiniert mit den unterschiedlichen Lichteffek­ten. Ein begehbares Prisma, in dem die Events zur besonderen Inszenierung werden?

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H. H.: Es geht zunächst von sehr präzisen Forderungen aus, einen großen Vortragssaal zu machen, der auch für musikalische, künstlerische Darbietungen gedacht ist, oder in dem eine Konferenz, ein Ball, eine Hochzeit stattfinden kann. Aber zur Genesis des Saales: In einem Schema, das die Stadt ausgearbeitet hat, bevor ich damit überhaupt in Berührung gekommen bin, war der Veranstaltungssaal im Erdgeschoss vorgesehen. Da gibt es einen großen Raum, der zwar von einer Mittelmauer geteilt,

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7.4  Hans Hollein Transformation Rothschild Schloss, Kristallsaal, Waidhofen/Ybbs, 2005, Foto August Sarnitz, 2008

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aber leicht zugänglich ist. Dann kam vom Bundesdenkmalamt eine Erwähnung, dass diese Mittelmauer eine von wenigen erhaltenen ist, die eben in der Architektur heute fast nicht mehr vorkommen. Ich hatte in Madrid eine ähnliche Aufgabe bei der Banco Santander, die unter Denkmalschutz stand, eben wegen einer solchen Mittelmauer. Dem denkmalpflegerischen Wunsch war ich durchaus gewogen. Aufgrund der niedrigen Decken und der Bögen, die eigentlich einem Saal sehr hinderlich waren, stellte sich die Frage: Warum gehen wir nicht einen Stock höher und beziehen den Dachboden mit ein, der auch schon zum x-ten Male ausgebaut war, wo zum Schluss die Forstfachschüler ihre Schlafräume hatten? Diesen Dachboden galt es ohnedies von seiner Kleinteiligkeit zu befreien. Zuerst hieß es seitens des Auftraggebers: So haben wir uns das nicht gedacht, aber – Gott sei Dank, dann doch: Schauen wir uns das an, obwohl es gewisse Fragen, Schwierigkeiten, Hemmungen gab. Der Ansatz bei meiner eigenen Arbeit mit Auditorien, Konzerthallen, Opernhäusern war, dass nicht unbedingt der viereckige Musikvereinssaal herauskommen muss. Hier in Waidhofen haben wir eine Möglichkeit gehabt, in die vorhandene Hülle zu gehen. Der Dachboden wurde herausgenommen, Stahlrahmen darüber gesetzt, um im Inneren ein freies Gebilde zu machen, das ich auf gewisse Funktionen ausgebildet habe, und dabei ist ein nonrektanguläres Objekt entstanden. Aus der Situation heraus generierte sich ein gewisses Fließen von Räumen, zum Beispiel mit der Empore. Den ersten Grobentwurf habe ich zunächst einmal ohne Akustiker gemacht. Daraus ist ein plastisches Gebilde geworden. Es gab diese klare Entscheidung, warum machen wir dann nicht etwas anderes, entgegen der Meinung, ein guter K ­ onzertsaal dürfe nur aus Holz sein. Dies ist allerdings ein Erbe von Loos, dass der Raum wie eine Geige vibrieren kann. Ich habe mit dem Akustiker schon früher die Diskussion gehabt: Kann man einen Konzertsaal in Stein machen und eben auch in Glas? Wir fanden, ja, natürlich müsste das gehen. Dann haben wir eben ein wenig die Idee weitergeknetet, und es ist dann das herausgekommen, was es jetzt ist. Wichtig war auch der Lichteffekt. Die Wände strahlen Licht aus und dazu gibt es zusätzlich natürlich noch Scheinwerfer. Dass man hier in so einem Gehäuse sitzt, und das vielleicht auch psychologisch, ist schon etwas ganz Besonderes. Ich komme als Besucher in diesen alten Steinbau und dann öffnet sich für mich eine Tür und ich bin in einem extrem hellen Saal und habe eine vollkommen andere Sprache in der Architektur. A. S.: Bei einer Umgestaltung im denkmalgeschützten Bereich hat die Frage der Materialien und der Materialität besondere Relevanz. Das ­ ottfried ist eine zutiefst wienerische Diskussion in der Tradition von G Semper und Adolf Loos. Wie verhält sich die heutige Architektur zu diesen – fast philosophischen Fragen – der Materialität?

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H. H.: Auf der einen Seite werde ich bei einer Reparatur des Türrahmens aus Stein diesen natürlich nicht mit einem anderen Material ersetzen. Auf der anderen Seite hat es restaurative Notwendigkeiten gegeben,

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aber sicher auch bei dem einen oder anderen Mal an der einen oder anderen Stelle, wo es sich angeboten hat, weil nicht baulich so klar definiert eine gewisse Typologie hervorrufend, eben die Entscheidung: Ich kopple an das plastische Gebilde des Schlosses an. Die skulpturale Architektur ist sicher ein Thema, das ich in unterschiedlicher Weise verfolge. An unterschiedlichen Punkten wurden gewisse Räume geschaffen wie der Eingang, der einfach nicht da war. Eine Erhöhung des Bergfriedes war für mich schlüssig, weil eben Waidhofen die Stadt der Türme ist. Als die Waidhofner von den Türken belagert, aber nicht erobert wurden, haben sie den Stadtturm gebaut. Der war nicht vorher da, sondern der Turm wurde im Nachhinein errichtet, an sich ja eine merkwürdige Sache. Auf den Turm vom Rothschildschloss habe ich ein Prisma gesetzt als Zeichen für das 20. und 21. Jahrhundert. Dabei ist ein Raum entstanden, in dem ich mich aufhalten kann, wo Christus und die zwölf Apostel sitzen können (lacht) – und dazu noch der wunderbare Blick in die Landschaft: ein idealer Ort, um Silvester zu feiern, wenn von den anderen Türmen auch Raketen abgeschossen werden. Das Resultat ist dann doch zu einem größeren Akzeptanzproblem geworden, das vor Ort zu großen Kontroversen geführt hat. A. S.: Die Verwendung heterogener Materialien in einer künstlerisch-architektonischen Ausformulierung und Collage zeichnet die hohe Qualität Holleinscher Bauwerke aus. Sprechen wir die sinnliche Qualität der Materialien an: vom Haas-Haus in Wien über das Juweliergeschäft Schullin II bis zum Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Jedes Bauwerk verankert sich auch materiell in dem Ort. Wie entwickeln sich hier Ihre Überlegungen? H. H.: Der Glasaufbau war natürlich auch ganz bewusst ein Signal, ein Objekt, das noch einmal den Turm erhöht. Das hat auch, was die Silhouette betrifft, mit meinen gebauten und nicht gebauten Hochhausprojekten zu tun, weil ich der Meinung bin, dass Hochhäuser nicht nur abgeschnittene Prismen sein sollen, sondern durchaus eine Bewegung in die Höhe unterschiedlichster Art. Hochhäuser, die eine Silhouette schaffen oder in anderer Form »memorable« sind. Darunter verstehe ich, wenn ich ein paar Tage später mit Freunden in einem Restaurant sitze und ich ihnen aufzeichnen kann, wie die Pyramiden von Gizeh ausschauen. Das ist etwas, das merkbar ist. Ich kann mich daran gut erinnern. Natürlich gibt es da beim Turm noch eine ganz andere Menge von symbolischen Aspekten wie der Pharus von Alexandria, ein Leuchtturm. In meinem Denken greife ich oft sehr tief in die Vergangenheit zurück und nicht, um sie als Stil wiederzuverwenden wie im 19. Jahrhundert. Sondern einfach zu erkennen, was waren signifikante plastische Aussagen. Für mich beginnt die Moderne mit dem Kranzgesims des Cronaca am Palazzo Strozzi in Florenz, weil es eine Auskragung ist. Diese schafft, wenn ich darunter stehe, als halb schützendes Element einen städtischen Raum. Da ist eben auch der Turm ein ideales Objekt, um eine ganze Reihe dieser Bedürfnisse des Menschen abzudecken, die

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7.5  Hans Hollein Haas-Haus, Wien, Stephansplatz, Atrium (Originalzustand, heute verändert), 1985, Foto Georg Riha

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7.5  Hans Hollein Haas-Haus, Wien, Stephansplatz, Atrium (Originalzustand, heute verändert), 1985, Foto Georg Riha

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auch Symbolwerte haben und eben sehr stark darin bestehen, dass ich mich noch lange erinnern kann. A. S.: Mies van der Rohe war für seinen Ausspruch berühmt, dass man nicht jeden Montagmorgen eine neue Baukunst erfinden kann. Mies hatte in seinem eigenen Werk eine unglaubliche Konstante, gleichzeitig hatte jeder neue Entwurf auch einen spezifisch genetischen Impuls: durch besondere Materialien, durch ausgeklügelte Konstruktion – oder einfach durch das »Weglassen«. Sie haben in Ihrer Zeit in den USA bei Mies van der Rohe in Chicago am Illinois Institute studiert und haben den zigarrenrauchenden Guru der Moderne noch persönlich kennengelernt. Wenn wir uns heute Ihren neuen, wunderschönen auskragenden Balkon über der Ybbs anschauen – sehen wir darin auch eine Referenz an die Konstruktion von Mies? Oder wie würden Sie diese Qualität umschreiben? H. H.: Bei diesem speziellen Objekt kann man viel hineininterpretieren. Man geht vom Trauungsaal zu diesem auskragenden Balkon, dort steht man dann und schwebt. Das Hochzeitsfoto des Brautpaars wird dort gemacht. Das ist dann auch eine Sache, wo ich sehr viele Interpretation hineinlege wie den Sprung ins kalte Wasser. (schmunzelt) Ich finde aber, dass es manchmal sehr gut ist, wenn etwas sehr vielfältig interpretiert werden kann. Spezifisch mein architektonisches Konzept des »Flugzeugträgers« ist in unterschiedlichster Weise interpretiert worden. Und dies kann auch richtig sein, und manchmal gibt es die Situation, wo die Interpretation falsch ist. Auch bei vielem anderen, was ich mache, wünsche ich mir durchaus, dass zumindest das Resultat von intelligenter Seite her in unterschiedliche Schubladen gesteckt werden kann. A. S.: Kenneth Frampton, einer der berühmtesten, lebenden amerikanischen Architekturhistoriker, hat in seinem Buch Grundlagen der Architektur – Studien zur Kultur des Tektonischen das Primariat des Tektonischen über das Räumliche gestellt: bedingt durch die Technik, die Konstruktion, den Fortschritt. Darunter befinden sich viele Architekten, von denen man sagen kann, dass sie von Hans Hollein geschätzt werden: Louis Kahn, Ludwig Mies van der Rohe, Jørn Utzon und Carlo Scarpa, deren ­ ­Arbeit Sie besonders gut kennen. Wie sehen Sie Ihre eigenen Arbeiten in diesem historischen Kontext? H. H.: Das ist ein weites Feld, das Sie hier eröffnet haben. Auch die genannten sind von mir durchaus geschätzte Architekten, die ich auch persönlich kennengelernt habe. Es geht in meiner Arbeit sicher oft um das Skulpturale, das eben auch eine gewisse Mitteilung hat, eine etwas andere Mitteilung als eine kleine Figur, die genauso gut ein skulpturales Objekt sein kann. Auf der anderen Seite sollte man auch nicht sagen,

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Architektur sei eine bewohnbare Skulptur. Die Neue Sachlichkeit hat nur eine Möglichkeit gesehen und alles andere ausgeschlossen. Für mich gibt es sehr unterschiedliche Architekturen, wo man ganz anders herangegangen ist. Ein Grundsatz: Architektur muss natürlich auch eine schützende Behausung sein. In einer Weise jedoch »Architecture is not the solution of a problem, but the making of a statement«. A. S.: Das Interagieren zwischen Kunst und Kultur, Ihre eigene Tätig­ keit als Künstler und gleichzeitig Ihre Tätigkeit als Architekt, der auch Museen baut, führt zu einem sehr komplexen Arbeitsumfeld. H. H.: Man fühlt, es gibt in gewisse Richtungen eben keine Grenzen. »Trespassing into other territories« war für mich wichtig. Es gibt diese vorgefassten Meinungen. Wenn du Architekt bist, kannst du nicht Dichter oder etwa Designer sein. Diese Beschränkungen gibt es im englischen Sprachgebrauch nicht, da ist alles Design: Urban Design, Architectural Design, Product Design, Stage Design. Unter diesem Begriff gibt es keine sehr klaren Grenzen, und das ist richtig so. Es brauchen keine klaren Grenzen sein. Ich kann natürlich schwergewichtig in der einen oder anderen Richtung tätig sein. Der Architekt produziert Dinge, die eine viel komplexere Vereinigung von Produktresultaten darstellen. Ein Maler kann sich viel leichter ein A4-Blatt leisten, um sein Aquarell zu machen. Das sind Aufwände zur Produktion des Objektes, die im Gegensatz zur Architektur geringfügig sind. Ich habe diese Durchgängigkeit und Durchlässigkeit miteinbezogen, in meinem Leben auch vertreten und manchmal auch mit Grenzfällen gearbeitet. Und ich glaube auch, dass wir uns heute in einer Situation global befinden, wo ein Modeschöpfer meinetwegen einmal ein Haus entwirft. Ich hatte auch kein Problem damit, dass Hundertwasser ein Haus gebaut hat. Da hat sich die Architektenschaft ungeheuer aufgeregt – ich habe es eher toll gefunden, dass es einen Bürgermeister gibt, der etwas wagt. A. S.: In den Arbeiten von Hans Hollein gibt es in sehr kontinuier­ licher Weise den Versuch »Architekturbilder« zu produzieren, Images, die eine Geschichte erzählen, Materialien, die zum einen auf Lokalität und zum anderen auf Exotik verweisen. Wie kommen Sie zu diesem »Bilderdenken«, das für sich genommen ein Phänomen sowohl der Moderne als auch der Postmoderne war? Man denke an die Ozeandampfer von Le Corbusier oder an den Flugzeugträger von Hans Hollein?

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H. H.: Da müsste man jetzt weit ausholen. Der Flugzeugträger ist von unterschiedlichen Gesichtspunkten her interpretiert worden, etwa als sämtliche Funktionen einer Stadt. Alles, was eine Stadt im Grunde genommen braucht, ist in so einem Flugzeugträger vorhanden. So wie ich angefangen habe, über Mikrostrukturen nachzudenken, etwa über die

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Telefonzelle, einem sehr frühen Medium der Kommunikation, wo ich plötzlich mit der ganzen Welt verbunden bin. Wenn man weiterdenkt, ist das »perfekte Gebäude« sowohl die Raumkapsel als auch der Raumanzug. Alle notwendigen Funktionen, die zum Überleben notwendig sind, werden bedient. Diese Interpretationen gehen in die Richtung, dass eben Architektur so etwas wie »survival« ist – »survival during life and after life«. Ein großes Signal des »survival« sind die Pyramiden, die bis heute überlebt haben. Das sind Aspekte, die auch jetzt hinein­ spielen. A. S.: »Geschichtlichkeit« hat eine große Bedeutung im Werk von Hans Hollein. Es gibt wahrscheinlich wenige Architekten wie Sie, die sich so intensiv auch mit kontextuellem Bauen in historischer Substanz auseinandergesetzt haben. Die Authentizität der faktischen Geschichtlichkeit wird gegenwärtig in unserer medialen Umwelt ­ immer mehr geschätzt. Sogar Architekten wie Rem Koohlhaas, die eher für die absolute Avantgarde stehen, werden zunehmend nachdenklich und besinnen sich auf den Denkmalschutz, »national heritage« und die Aura der Geschichte. Hatte hier Hans Hollein über alle Jahre hinweg einen kulturell-intellektuellen Vorsprung? Oder wie erklärt sich die Tatsache, dass für Hollein beide Bereiche, die Avantgarde und die Aura des Denkmals, immer so präsent waren? H. H.: Ich gehe sicher nicht a priori davon aus, wie kann ich in der Kiste der Architekturgeschichte herumklauben und ein Objekt finden, das dem entspricht. Ich lerne von der Geschichte, aber meine Heran­ gehensweise ist nicht Historismus: Gotik für Rathäuser und Kirchen und Griechen für Parlamente. Nein, das ist nicht von Geschichte l­ernen. A. S.: Diese Art von Historismus war auch nicht angedacht. H. H.: Ich schaue mir solche historischen Bauten gerne an. Was ist das Bessere vom gleichen Autor? Wo ist er herausregend, wo weniger? Aus Situationen der Geschichte – und nicht nur der Architektur­ geschichte –, kann man lernen, dass man sie nicht unbedingt wieder­ holen muss, sie aber durchaus immer auch wieder anschauen. Die Frage, wie komme ich zur Exzellenz, ist schon ein Bestreben von mir, aber durchaus nicht retrospektiv, sondern als Perspektive in die Zukunft. A. S.: Und das ist unabhängig von der Größe des Bauwerkes, unabhängig vom Maßstab. H. H.: Dass Exzellenz unabhängig von Maßstab ist, stimmt. So habe ich notwendigerweise begonnen. (Anmerkung: Ladenbau Retti Kohlmarkt Wien) 169

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A. S.: Die Aura eines »Rothschild«-Schlosses verlangt bei der bau­ lichen Transformation besondere Sensibilität – auch im Zusammenhang mit neuer musealer Präsentation. H. H.: Die Innengestaltung des Museums und die Präsentation des museo­logischen Inhaltes der Landesausstellung – und infolge der fünf Elemente – damit hatte ich nichts zu tun. Ich habe nach meinen Erfahrungen den Raum geschaffen, der ein historischer Raum war, und die Möglichkeit geboten, an diesem Ort Ausstellungen zu machen. Wäre die inhaltliche Positionierung des Museums in meinen Händen gelegen, hätte ich ausgenützt, dass es ein Schloss der Familie Rothschild war. Es gibt Räume, die noch gut im Original erhalten sind, und damit hätte man einen Anziehungspunkt gehabt, ohne das ganze Museum dem Thema zu widmen. Das Rothschildschloss ist nach dem Zweiten Weltkrieg schon ziemlich früh restituiert worden. Die Familie hat es aber dem Bund übergeben, dabei war ihr ein großes Anliegen, dass bis hin zu den Forstarbeitern alle früheren Dienstnehmer eine Rente bekommen. A. S.: Professor Hollein, Sie sind bekannt dafür, dass Sie nicht nur als Architekt von Neubauten für eine Sensation sorgen, sondern als ein Architekt, der auch sensationelle Architekturen mit bestehender baulicher Substanz erzielt. H. H.: In Perchtoldsdorf bin ich vom damaligen Bürgermeister und späterem Landeshauptmann Ludwig über eine Empfehlung von Eugen Woerle zu einem Projekt eingeladen worden, für das historische Rathaus einen neuen Ratssaal zu schaffen. Der Bestand aus der Gotik war im Zuge der Türkenkriege niedergebrannt, aber die Struktur noch vorhanden, und war in der Barockzeit wiederhergerichtet und mit Fresken versehen worden. Durch neue Bestimmungen und Vorschriften in Niederösterreich war dieser Ratssaal nun plötzlich zu klein, und so wurde beschlossen, im Hof ein neues Gebäude zu errichten. Ich war eigentlich zerrissen zwischen zwei Dingen. Damals hatte ich noch nicht so viel neu gebaut und dachte mir: Wunderbar, ein neues Gebäude, da fällt mir alles Mögliche ein. Andererseits empfand ich es als sehr problematisch, aus einem Gebäude, das dermaßen historisch aufgeladen ist, einfach auszuziehen, nur weil eine neue Ordnung eine erweiterte Anzahl an Sitzplätzen vorschreibt. Da gibt es eine kulturelle Verantwortlichkeit einer Stadt, die Geschichte hat. So habe ich mir vorgenommen, den alten Ratssaal für die neuen Anforderungen zu adaptieren. Und das habe ich mit einem ovalen Tisch geschafft. Die Klimaanlage ist im Tisch untergebracht. Die Stühle sind von der Dimension etwas enger geworden, sodass die nötige Zahl der Ratsmitglieder untergebracht war. Das war dann für mich eben auch eine Befriedigung und eine gute ­Lösung des Konfliktes. 170

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7.6  Hans Hollein Ladenbau Retti, Wien, Kohlmarkt, 1964, Foto Georg Riha

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A. S.: Als historisches Zitat fallen im Speziellen die Fresken im Rothschildschloss auf. Wie geht man mit diesem historischen Zitat um? H. H.: Das Schloss war sicher sehr verwahrlost, als Rothschild es übernommen hat. Die Fresken hat er übertragen lassen und neu angebracht. Auf der Seite mit der herabgestürzten Apsis, die in die Ybbs gefallen ist, hat man die Stelle nicht wiederaufgebaut, sondern zugemauert, aber die Reste der Fresken und der gotischen Streben sind noch vorhanden. Mit diesen Begegnungen ist es dieselbe Problematik wie im urbanen Raum. Die Frage stellt sich, soll man Bauwerke des 20. Jahrhunderts ähnlich schützen wie die der vorangegangenen Jahrhunderte? A. S.: Wenn man in Ihren gebauten Werken spazieren geht, so merkt man diesen intensiven Umgang mit künstlichem und natürlichem Licht, eine neue Qualität der Lichtregie – quasi eine Art Lichtphilosophie. H. H.: Für mich liegt die Unterscheidung an der Nulllinie: im Bauen über der Erde und dem Bauen unter der Erde. Eigentlich sind beide gleichwertig, aber das Unterirdische stellt die viel größere Herausforderung dar, weil ich kein Tageslicht habe. Wenn man ein schlechtes Einfamilienhaus gebaut hat und dann steht da ein blühender Apfelbaum und es kommt das Sonnenlicht, so wird über viele Mängel hinweggestrahlt. Mich haben aus ganz anderen Gesichtspunkten, nämlich, weil sie immer als Kitschräume angesehen wurden, die Moskauer Untergrundbahnstationen sehr fasziniert. Dieser schwülstige Rokoko hatte zum Ziel, dem arbeitenden Menschen, der zwei Mal am Tag die Metro nutzt, eine großartige Architektur zu widmen. Für Arbeiter in einem Kohlebergwerke ist es bei Tag und Nacht finster. Am Tag halten sie sich unter der Erde auf und in der Nacht bewegen sie sich in der Finsternis des oberirdischen Bereichs. Und aus dem heraus ist eine gewisse Überlegung zur Architektur gekommen. Im Iran habe ich einen Palast realisiert, wo das, was wir Keller nennen würden, mit schönen Kacheln und plätschernden Wasserbecken ausgeführt ist. Das war ganz interessant, weil es eine eigene Kunst ist, die Temperatur ohne Klimaanlagen bis auf 3 bis 4 Grad abzusenken. Die ganze Architektur in den Wüstengebieten ist spannend. Was die Wichtigkeit des Lichtes für ein Museum betrifft, bin ich der Meinung, dass es für moderne Kunst fast noch wichtiger ist als bei Rubens, mit den dicken, goldenen Bilderrahmen, die Lichtführung zu gestalten. In den Badezimmern selbst der teuersten Hotels sind die Leuchten so abgeschirmt, dass man sich im Spiegel nicht ordentlich sieht. Das Licht, das hat schon Corbusier gesagt, ist nicht nur das, wenn sich die Volumen im Glanz der Sonne bewegen. Zum Image einer Großstadt gehört die Nacht und auch das Licht der Nacht. Es scheint, dass sich heute mehr gute Architekten mit dem Thema befassen. 172

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A. S.: Pars pro toto kann man an einem einzigen großartigen Entwurfsobjekt für das Rotschildschloss sehr viel von den holleinschen Gestaltungsideen verfolgen. Es handelt sich hierbei um einen großformatigen Spiegelglasluster, einerseits in der Tradition großer Beleuchtungskörper, auf der anderen Seite doch etwas ganz Neues in Bezug auf die Materialverwendung? H. H.: Das kann man sagen. Teil der architektonischen Intervention war es, Elemente in einer sehr zeitgenössischen Sprache und mit sehr modernen Materialien anzukoppeln. Diese strahlen Licht aus und erzeugen in den Abend- und Nachtstunden eine gewisse zusätzliche Akzentuierung des Schlosses und des Schlossbereichs. Der Kristallsaal führt diese Sache weiter, als Instrument, mit dem man spielen kann, nicht nur ein Musikinstrument, sondern auch ein Lichtinstrument. A. S.: Heute spricht man viel von der Archäologie des Wissens, die »Archäologie« als phänomenaler Gedankenansatz wird immer wichtiger. Hollein hat damit bereits vor über 30 Jahren begonnen, die Kunstaktion »Ausgrabung – Tod« im im Museum Mönchengladbach hat hier interessante Aspekte aufgezeigt. H. H.: Absolut. Aufgrund dieser Ausstellung habe ich auch den Auftrag für das Museum in Mönchengladbach bekommen. Bis dahin hatte ich nicht mehr aufzuweisen als einen Kerzenladen, eine Boutique in Wien und eine Kunstgalerie in New York. Allerdings gab es da zufällig einen Oberbürgermeister, der unbedingt die Strudlhofstiege sehen wollte. Das finde ich gut, dass ein Bürgermeister einer 170 000-Einwohner-Kleinstadt mit Sitz in Norddeutschland die Strudlhofstiege kennt und sie besuchen möchte. Das wäre eine Notwendigkeit für viele Politiker, dieses Ausgreifen in unterschiedliche Bereiche. A. S.: Die Zusammenarbeit mit den Auftraggebern in Waidhofen kann man als sehr gut bezeichnen, aber auch international gibt es Beispiele für eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Architekt. H. H.: Es gibt viele Wege zu einem Resultat. Auch das Museum in Frankfurt und Vulcania waren Resultate eines Wettbewerbs. Im Fall der Banco Santander hat es angefangen, dass Rafael Moneo, der schon ein Gebäude gegenüber gebaut hat, vorgeschlagen hat: Gebt es dem Hollein, der kann das besser. Es gab eine kleine Gruppe Andersdenkender, die sich gegenseitig unterstützten statt zu verhindern. Im Fall der Banco Santander ist ein sehr gutes Resultat herausgekommen. Ich habe mich sehr viel mit dem Zentralraum beschäftigt, der eigentlich ein absoluter Archetyp der Architektur ist, der immer aktuell ist. Es gibt darüber hinaus noch andere. Mit den Bauten der Pueblo-Indianer habe ich mich ja sehr stark beschäftigt. Da gibt es eine ganz simple Grundlage.

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Wohngebäude sind rektangulär, das sakrale Gebäude ist ein Zylinder. Das runde Objekt ist das Sakrale, das eckige ist das Alltägliche. Es gibt einfach Archetypen der Architektur, ob das der Pantheon in Rom ist oder eine Stadteinheit wie ein Pueblo. A. S.: Viele Bauherren und Auftraggeber stehen in einem komplexen, diskursiven Umgang mit Architekten, wobei die gemeinsame Sprache oft erst gefunden werden muss. Hans Hollein ist dafür bekannt, dass er die Fragestellungen, Funktionen und Anforderungen minutiös hinterfragt, dass er die Wünsche der Auftraggeber kritisch reflektiert, anschließend großartig gestalterisch umsetzt und zum Schluss der Zusammenarbeit sehr oft auch Freund des Bauherrn über die Zeit hinaus ist. Worin liegt dieses Geheimnis der Zusammenarbeit, des komplexen Reagierens auf Wünsche und Befindlichkeiten? H. H.: Bei öffentlichen Bauten gibt es ja unterschiedliche Vorgangsweisen. Mit dem Wettbewerb hat sich die Problematik gezeigt beim Wiener Zentralbahnhof oder bei der Brücke von Calatrava. Wenn sich ein Stadtrat jahrelang bemüht, dann soll er schon sagen können: Ich möchte jetzt einmal bestimmen, welcher Architekt da einen Fußgängersteg macht. Natürlich könnte man ja auch ganz andere Fußgängerstege machen, aber es gibt nur eine, die die Handschrift Calatravas trägt. Trotzdem, auch bei der öffentliche Hand, gibt es großartige Bürgermeister oder Stadträte, egal ob in Amerika oder in Europa. Das kann natürlich auf der privaten Ebene auch passieren. Aufträge aufgrund eines Wettbewerbs sind oft ein Vabanquespiel. Sie kennen den Bauherrn nicht und er kennt Sie nicht. Das Projekt ist zunächst nur eine Nummer für ihn. Dahinter steht eine Person, die er nicht kennenlernt. Dabei können sich sehr gute Beziehungen entwickeln, aber manchmal auch auf ganz anderen Vorgangsweisen beruhende Schwierigkeiten. Ich habe beide Alternativen erlebt. A. S.: Wenn wir die Frage der Funktion noch weiter bedenken, so kommt man immer auf die wichtige Überlegung zu sprechen: Wie zwingend sollen Funktionen umgesetzt werden, wo bleibt der »Freiraum« für den Architekten? H. H.: In der Designausstellung (Man Transforms, 1976) in New York haben wir ja vorgeführt, dass »Form follows funcion« nicht immer stimmt. Ein besonders schönes Beispiel ist der Stern, der in Wirklichkeit ganz anders ausschaut. Wenn man jemandem sagt: Zeichne einen Stern, macht er keinen Kreis. Dabei ist das im Vergleich zum tatsächlichen Aussehen eine vollkommen imaginäre Sache.

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(Interview am 4. Juli 2008 im Atelier von Hans Hollein; das Interview wurde mit Video aufgezeichnet. Der Text wurde in dieser Form von Hans Hollein frei gegeben und nicht weiter lektoriert, um den origi­ nalen Duktus zu erhalten.)

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Wolf D. Prix

Interview von August Sarnitz mit Wolf D. Prix am 20. Oktober 2016 August Sarnitz: Im September 1988, vor 28 Jahren, wurde die Ausstellung Deconstructivist Architecture im MoMA (Museum of ­Modern Art, New York) eröffnet, kuratiert von Philip Johnson und Mark ­Wigley. Diese Ausstellung wurde in ihrer Ausrichtung und Relevanz für den Architekturdiskurs gerne mit der Ausstellung von 1932 The Inter­national Style: Architecture since 1922 verglichen, die ebenfalls im MoMA stattfand und wie diese einen großen Einfluss ­ausübte. 1988 war Coop Himmelb(l)au als einziges Büro aus Österreich eingeladen (bei der Ausstellung 1932 war Lois Welzenbacher der einzige Vertreter Österreichs) – gemeinsam mit Architekten wie Zaha Hadid, Peter Eisenman, Daniel Libeskind, Frank Gehry und Bernard Tschumi. Auf dem rückseitigen Cover des Kataloges konnte man den Text lesen: »This book presents a radical architecture, exemplified by the recent work of seven architects. Illustrated are projects from Santa Monica, Berlin, Rotterdam, Frankfurt, Hong Kong, Paris, Hamburg, and Vienna, by Frank O. Gehry, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas, Peter Eisenman, Zaha Hadid, Bernard Tschumi, and the firm of Coop Himmelb(l)au.« Damit war Coop Himmelb(l)au in die globale Architekturdiskussion katapultiert. Wie reflektierst du diese – mittlerweile – historische Position?32 Wolf D. Prix: The International Style war sicherlich die Ausstellung, deren Einfluss längerfristig war. Die Ausstellung von 1988 war zwar wild umstritten, aber in unserer schnelllebigen Zeit war der Einfluss nicht lange andauernd. Das dekonstruktivistische Element wurde aber total missverstanden. Die Bedeutung des Wortes »deconstructivist« ist von Derrida entlehnt und hat nichts mit Form oder Zerstören zu tun, sondern mit einem philosophischen Denkprozess. Letzten Endes haben wir aber recht behalten mit unserer Theorie: dass »Deconstuctivist Architecture« das Spiel mit dem Unbewussten ist. Derrida war ein Schüler Freuds, und daher – sehr verknappt formuliert – regiert das Unbewusste in etwas Geschriebenem oder in einem gemalten Bild oder einem komponierten Musikstück, der sogenannte weiße Fleck, der das ganze Stück regiert. Auf die Architektur übertragen heißt das, dass das unbewusste, nicht rationale Agieren im Entwurf das ganze Gebäude beeinflussen wird. Mir ist klar geworden, dass wir Dekonstruk­ tivisten im Sinne von Derrida – ist gleich Freud – sind, das heißt, unsere Architektur wird im Moment des Entwurfs von allen Sachzwängen befreit, denn nur so kann tatsächlich freier Raum entstehen. Damals, 1968, wollten wir Architektur sofort und radikal verändern. Aber bei Investoren und Auftraggebern waren Experimente dieser Art 32 Interview am 20. Oktober 2016, im Atelier von Wolf D. Prix; das Interview wurde mit Video aufgezeich­ net. Der Text wurde in dieser Form von Wolf D. Prix frei gegeben und wurde nicht weiter lektoriert, um den originalen Duktus zu erhalten.

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damals nicht möglich (heute noch weniger). Wir überlegten, wo wir Architektur zumindest in der Theorie so ändern können, dass neue, bisher unbekannte Räume entstehen werden. Wir vermuteten, dass wir den sensibelsten Teil der Architektur, nämlich den Entwurfsprozess, so ändern müssen, dass es statt einem physischen einen psychischen Grundriss geben wird. Viele Versuche und Methoden aus der Kunst, wie zum Beispiel nicht nur mit dem Bleistift, sondern auch mit dem Feuerzeug zu zeichnen, war ein möglicher Schritt für uns. So ist auch das »Offene Haus« entstanden, das ich mit geschlossenen Augen entworfen habe. Über die Hand als Seismograf wurde das ­Gefühl festgehalten, das man beim Betreten des gebauten Hauses haben wird. Die Zeichnung ist sehr strikt in ein Modell umgesetzt worden, den ­Linien folgend, die zum Teil Kraftlinien dargestellt haben. Gebaut wurde dieses kleine Modell, ohne an Sachzwänge zu denken. Im Gegenteil, wir haben Raumprogramm, Konstruktion und Finan­zierung vollkommen ausgeschlossen, um uns von einer anderen Seite an eine ­Lösung zu ­nähern. Weiterentwickelt bis zu einem Konstruktions­modell, sind auch schon Teile gebaut worden. Ein Teil der zugbeanspruchten Säule wurde in Wien gefertigt, in London ausgestellt und sollte weiter nach Los ­Angeles gehen. Aber inzwischen war der Auftraggeber verstorben und die Kinder wollten das Projekt nicht fortsetzen. Er sollte ja in das Haus ­ arstellt, und er einziehen, das verschiedene Räume als Landschaften d entscheiden sollte, wo er wohnen will, wo er die Bibliothek haben will, wo er schlafen möchte. Er sollte zunächst in der Landschaft campieren, bevor wir Fundamente einschlagen. Gleichzeitig realisierten wir den »Dachausbau Falkestraße« (1987) in Wien nach demselben System: mit einer emotionalen Zeichnung, die sich grundlegend mit der Idee einer Eckgestaltung eines Wiener Hauses zu entwerfen auseinandersetzt. Das Modell dazu war in der Ausstellung im MoMA zu sehen. »Das werdet ihr nie bauen, das ist viel zu kompliziert«, so die Besucher. »Nicht kompliziert, sondern komplex«, haben wir gelacht, denn es war schon teilweise eingeglast. A. S.: Für zehn Jahre, von 1985 bis 1995, warst du Adjunct Professor an der SCI-Arc in Los Angeles – damals sicherlich eine derjenigen Architekturschulen, die als Labor für zeitgenössischen Architektur galt. Du bist damals zwischen L. A. und Wien gependelt, hast mit Michael Rotondi und Thom Mayne wesentliche Impulse an der Westküste der Vereinigten Staaten geleistet – nicht ganz unähnlich wie 60 Jahre zuvor Rudolph M. Schindler und Richard Neutra aus Wien. Gibt es eine Kontinuität – oder sind das eher auch Zufälligkeiten und Kapriolen der Architekturgeschichte?

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W. P.: Als wir unser erstes Projekt in den USA, das »Akron Art Museum«, fertiggestellt hatten, habe ich mich erinnert, dass mein Vater ein Projekt in Chicago in Auftrag hatte. 1938, er hatte die Schiffskarte schon gehabt, aber mit dem Einmarsch Hitlers in Österreich musste er statt nach Westen dann nach Osten gehen. Ich denke, er hat immer davon

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geträumt, das Haus in Chicago zu bauen. Es gibt so etwas wie unbewusste Aufträge, die Eltern ihren Kindern mitgeben. Ich wollte also immer schon nach Amerika, nicht um den Auftrag meines Vaters zu erfüllen, sondern einfach, um Projekte in den USA zu realisieren. Wien oder Öster­reich ist wirklich keine Startrampe für eine internationale Kar­ riere. Und ich wusste, dass in Los Angeles Thom Mayne, Eric Moss und Michael Rotondi die jungen Architekten waren, die im »Windschatten« von Frank Gehry neue Ideen entwickelten und von ihm dazu ermutigt wurden. So ist eine Los-Angeles-Schule entstanden, die unseren Ideen sehr nahe war, nämlich Architektur dreidimensional zu denken und in dreidimensionalen – heute muss man sagen physischen – Modellen darzustellen. Damals sowie heute ist für mich noch immer das »begreifbare« Modell wichtig. Diese Denkweise in der Architektur wurde in L. A. zelebriert und war für mich auch ausschlaggebend, einen zweiten Standort in Los Angeles zu gründen. Ich habe an der SCI-Arc gelernt, dass es hier keine Korrekturen gibt, sondern Reviews, also Gespräche über die Projekte der Studenten, und ich bin stolz darauf, dass ich diese Methode später nach Wien gebracht habe. Als ich zum ersten Mal in der Fakultätssitzung um Geld angefragt habe, um Architekten zu einem Review einzuladen, waren alle empört. Ich sei der Professor, wir bräuchten keine anderen Architekten an unserer »weltberühmten« Angewandten. Ich habe die Einladungen dann aus meiner eigenen Tasche finanziert, und die damals jungen Architektenfreunde sind sehr gerne gekommen. Seitdem hat diese »Review-­ Methode« wie ein Feuer um sich gegriffen. A. S.: Es gibt einen kurzen Film aus dem Jahr 1995 von Doris F ­ ercher über Coop Himmelb(l)au, wo du am Anfang des Filmes mit dem Auto fährst, und dazu wird Rockmusik gespielt. Musik und Architektur – was sind deine Bezüge dazu? W. P.: Ich bin in einer sehr kreativen Familie, mein Vater war ­Architekt, aufgewachsen. Ein Onkel von mir war als Geiger Mitbegründer des Alban Berg Quartetts, sein Vater war Komponist. Also von ganz unge­ fähr kommt meine Begeisterung für Musik nicht. Ich denke auch, dass ein Architekt nicht unmusikalisch sein muss. Denn ich behaupte, dass, wenn man nur »Architektur« denkt, auch nur ­Architektur herauskommen wird. Als wir jung und optimistisch waren, hat uns alles andere mehr interessiert als konventionelle Architektur. Vitruv und Andrea Palladio waren nicht in unserem Fokus, auch Adolf Loos und Otto Wagner nicht. Es waren eher die Rolling Stones, Bob Dylan, die antiautoritäre Theorie, Poppers Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde oder auch die Überwindung der Schwerkraft. Wir waren begeistert von den Formel-1-Rennwägen, den neuen Filmen, von der ­Strategie der Cassius-­ Clay/Muhammed-Ali-Boxkämpfe. Alles das hat uns mehr interessiert als die Ausbildung zu einem kunsthistorischen Architekten. So waren es die Personen aus Philosophie, Erziehung, Musik, Kunst und Technik, die uns bestärkt haben in der Suche nach neuen Entwurfsmethoden.

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Etwas verbindet Musik und Architektur. Ich kann Architektur nicht auf eine Farbseite pressen, genauso wie ich ein Musikstück nicht in einer Note hören kann. Es kommt in beiden Kunstrichtungen etwas dazu, das Zeit heißt. Man braucht die vierte Dimension Zeit, um ein Bauwerk wirklich zu erfahren. Genauso wie es Zeit braucht, die disharmonischen Sequenzen in Mozarts 40. Sinfonie in g-moll zu hören, wo übrigens atonale Sequenzen zu hören sind. Den Vergleich von Architektur mit gefrorener Musik halte ich für nicht geeignet. Aber die Ähnlichkeit über die Zeit ist gegeben. A. S.: Zwischen euren ersten realisierten Projekten in Wien und L. A. liegen etwa fünf Jahre. Das Lokal der »Rote Engel« wurde 1981 realisiert und hat damals die Wiener Szene ziemlich überrascht. Plötzlich war in Wien eine Architekturdiskussion entstanden jenseits von Rob Krier und der Wiener Postmoderne. Wie könnte man aus deiner Sicht die Situation damals beschreiben? W. P.: Günther Feuerstein spielte bei dieser Entwicklung eine große Rolle. Als wir an der TU studierten, zeigte er uns, dass es auch eine andere Architektur als die betonierte Rasterarchitektur gibt. Er zeigte uns Projekte von Bruce Goff und die von Corbusier. Paolo Soleri war ein Geheimtipp. André Bloc war Inspirator für skulpturale Entwürfe. Und natürlich Piranesi und Kiesler. Nachdem ich ein Bob-Dylan-Fan war, haben wir die Bühne des »Roten Engels« so gestaltet, als ob Bob Dylan hier spielen wird. Und den Atem des Sängers übersetzt in »Engels­ flügel«. Von meiner Lieblingsbar in New York haben wir das Profil des Tresens übernommen. Ein fantastisches Profil. A. S.: Nach vielen verschiedenen Gastprofessuren, wie zum Beispiel an der Architectural Association London (1984), am Southern Californian Institute of Architecture, SCI-Arc (1985–1995) oder der Harvard University, Cambridge, Massachusetts (1990), wurdest du 1993 als ordentlicher Professor für Architekturentwurf an die Universität für angewandte Kunst in Wien berufen. Diesen Lehrstuhl hattest du bis zu deiner Emeritierung im Jahr 2012 inne. Das sind rund zwei Dekaden intensiver Lehre, Forschung und künstlerischer Wissenschaft. Deine Kollegen an der »Angewandten« waren zuerst der Pritzker-Preisträger Hans Hollein und Wilhelm Holzbauer (beide Schüler von Clemens Holzmeister, beide auch Absolventen von US-amerikanischen Architekturschulen) und später Zaha Hadid und Greg Lynn. Unter deiner Leitung hat sich die »Angewandte« zu einem internationalen Hotspot für Architekturausbildung entwickelt – mit internationalem Austausch nach Amerika und Asien. Du hast das »Institute of Architecture« an der »Angewandten« wieder auf die Weltkarte der Architektur gesetzt. Wie wurden diese Entwicklungen in Wien wahrgenommen? 178

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W. P.: 1993 war ein Entscheidungsjahr: Ich bin eingeladen worden, mich als Dean an der SCI-Arc zu bewerben. Hans Hollein hat mich zur selben Zeit gefragt, als Nachfolger von Johannes Spalt an die Angewandte zu kommen. Das war eine Lebensentscheidung. Unter dem Motto »Wie man es macht, macht man es falsch«, habe ich mich aus mehreren Gründen entschieden, nach Wien zurückzukommen: Mein Partner Helmut Swiczinsky war in Wien und wir arbeiteten am UFAKino in Dresden. Aber, bei aller Wertschätzung meiner Kollegen – und ich schätzte Hollein und Holzbauer sehr – die »Angewandte« war mir nach meiner USA-Erfahrung zu langweilig. Ich wollte das US-amerikanische System in Wien einführen. Auch die vorhin erwähnte Methode des Reviews hat den Ruf der Schule hierzulande unterstützt. Ich erinnere mich an das erste Jahr: ­Enrique ­Miralles, Lebbeus Woods, Raimund Abraham, Thom Mayne und Eric Moss, und selbst Hans Hollein waren da. Alle meine internatio­nalen Freunde haben den Impetus der Studentenprojekte nach außen getragen. So wurde die »Angewandte« zu einem internationalen ­Hotspot. A. S.: Das Buch über die »Schule Prix« (Studio Prix at the University of Applied Arts Vienna 1990–2011, 2016) dokumentiert diese Situation sehr eindrucksvoll.33 W. P.: Dieses Buch, das meine Kollegen gemacht haben, zeigt die Atmosphäre meines Studios: totales Chaos, aber mit dem absoluten Ehrgeiz, Architektur neu zu definieren. A. S.: Formulierungen sind deine Stärke. Du hast vor einiger Zeit an der TU Wien einen Vortrag gehalten mit dem Titel »In zwei Tagen ist Morgen Heute«. Oder, ich zitiere dich: »Architektur muss brennen.« Deine Vorträge sind ein Feuerwerk an Formulierungen. Eine kurze Frage mit der Erwartung einer langen Antwort. W. P.: Man kann das selber schlecht beurteilen, weil es in Wien auch Tradition ist, so etwas nicht anzuerkennen. Ein Beispiel: Nach einem Vortrag in Amerika kommen die Studenten und sagen: »Es war großartig, inspirierend. Thank you very much.« Als gelernter Österreicher denkst du: Das ist alles gelogen. Wahr oder nicht – es schafft aber eine angenehme Atmosphäre. Nach einem Vortrag im MAK aber, wohin ich nach längerer Zeit wieder eingeladen worden bin, sind die Leute, halb Wien war da, schweigend hinausgegangen. Nur ein einziger Kollege ist zu mir gekommen und hat gemeint: »So gut warst heute aber auch nicht.« Da habe ich gedacht: »Oh, ich bin wieder in Wien.« 33 Studio Prix at the University of Applied Arts Vienna 1990–2011, Edition Angewandte, Birkhäuser Basel, Hg.: Institut für Architektur, Klaus Bollinger, Roswitha Janowski-Fritsch, Anja Jonkhans, Baerbel Mueller, 2016.

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A. S.: Das MAK (Österreichisches Museum für angewandte Kunst) in Wien hat unter der Leitung des ehemaligen Direktors Peter Noever eine große Anzahl von großartigen Architektur-Kunst-Ausstellungen gezeigt. Ausstellungen über Peter Eisenman, über Carlo Scarpa oder über Walter Pichler, um nur einige zu nennen. Im Herbst 2007 wurde eine Ausstellung über Coop Himmelb(l)au eröffnet – eine Werkschau über 40 Jahre intensiver Tätigkeit. Sylvia Lavin hat im Katalog einen großartigen Text mit dem Titel »Feuererprobt« geschrieben. Darin ent­ wickelt sie Assoziationen zu Superstudio, Arata Isozaki, Diller Scofidio + Renfro, Rem Koolhaas und Carlo Molino. Dieser Text ­ macht Schnittstellen von Architektur und Geschichte, Literatur und Film sowie bildender Kunst im Werk von Coop Himmelb(l)au sichtbar. Wie intensiv ist diese Auseinandersetzung? W. P.: Diese Ausstellung hat uns Gelegenheit gegeben, auf dem Schachbrett der Geschichte die Figuren wieder aufzustellen, die in Form von Modellen bei der Entwicklung unserer Projekte wichtig gewesen waren. So haben wir dem aufmerksamen oder unaufmerksamen Beobachter die Möglichkeit gegeben, einen Gesamtüberblick über den Hintergrund unserer Bauten zu bekommen. A. S.: Ein anderes, wichtiges Thema: Wien ist eine »barocke Stadt«, vielleicht »die« barocke Stadt in Europa nördlich der Alpen – als Ergebnis der Gegenreformation, also einer politischen Entscheidung. Wiener Architektur wird sehr oft mit dieser barocken Tradition assoziiert, wenn es um Begriffe wie »Raum«, »Material« und »Bewegung« geht. Auch das »Inszenatorische«, das »Bühnenhafte« wird oft zitiert, wenn es um Versuche geht, die Qualitäten der Wiener Architekturen zu beschreiben. Wie würde dein Statement zum barocken Wien ­lauten?

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W. P.: Als wir jung waren, war uns das barocke Wien immer zuwider. Es war die Schwere und Unbeweglichkeit des Baumaterials, was uns gestört hat. Wir wollten vor dem Hintergrund des blauen Himmels bewegliche, veränderbare Architekturen, also Wolken bauen, daher kommt auch unser Name Coop Himmelb(l)au. Aber je mehr ich mit meinen Freunden aus dem Ausland kommuniziere und ihre Projekte sehe – es gibt zwischen mir und Eric Moss, Thom Mayne und Steven Holl einen ständigen Austausch, auch Zaha und Rem waren in diesem Netzwerk – fällt mir auf, dass alle das Gleiche sagen: Architektur braucht fließende Räume. Aber, so frage ich mich: Warum sehen die Bauten dann so verschieden aus? Warum baut ­Rietveld in Holland so und Kiesler bei uns so? Warum zeichnet Coop Himmelb(l)au solche Gebäude und Rem solche? Kann das etwas mit der Tradition der Architektur und den kulturellen beziehungsweise reli­ giösen Hintergründen in dem jeweiligen Land zu tun haben? Kann es etwas mit dem katholischen Barock zu tun haben, dass Hollein, Abraham, Domenig und wir Raumsequenzen zeichnen und die Holländer,

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als Calvinisten, nur Diagramme? Hat das Kabbalistische meiner jüdischen Freunde Frank Gehry, Eric Moss oder Daniel Libeskind etwas zu tun mit der Tradition ihrer Geschichte? Ich denke: ja. Barock ist der größte architektonische Wahnsinn: Man baut tonnenschwere Gewölbe in schwindelerregender Höhe und malt dann dieses Gewicht mit einer Himmelsszene einfach weg. Eigentlich die erste Medienarchitektur: Du baust eine Kuppel, damit du dann einen Himmel malst. Aber der Weg und die Art und Weise, wie man durch diese prachtvollen Räume geleitet wird und wie diese Räume erfahrbar gemacht werden, das sind Raumsequenzen. Weiter im Süden, in Spanien, wird der Einfluss der Jesuiten spürbar in Form des Gebändigten, Zwanghaften. Ich bin kein Kunsthistoriker, aber Zahas erste Entwürfe, das ist arabische Kalligrafie, und ihre Farbwahl Schwarz-Weiß ist absolut arabisch. Die Frauen schwarz, die Männer weiß. A. S.: Auch in der barocken Tradition sind die Feste, die Musik, die Bespielung der Architektur vorhanden. W. P.: Diesbezüglich gibt es einen interessanten Ausspruch: Die Medien sind das Kurzzeitgedächtnis, die Mythen das Langzeitgedächtnis der Menschheit. Die feierlichen Zeremonien des Barock, die dann pervertiert bei Makart wiederkommen. Das hat mit Wien und mit dem Umgang der Architektur hier zu tun. Ich kann Holleins begehbare Gebäude auch als Zeremonienweg lesen. A. S.: Apropos begehbar. Ich erinnere mich gut an euren Wettbewerbssieg für die BMW-Welt in München und meinen begeisterten Besuch nach der Eröffnung im Jahr 2007 – mit unzähligen Fotos habe ich versucht, diese unglaubliche Dynamik, diese Formenwelt und Raumsymphonie festzuhalten. Die BMW-Welt war der Anfang von einer Reihe von »Signature Architectures« für die mobile Welt – wo Architektur als Metapher für die »Dynamik«, die »Mobilität« und die »Individualität« verwendet wurde. Seitdem sind fast zehn Jahre vergangen. Heute steht die BMW-Welt neben dem BMW-Hochhaus des Wiener Architekten Karl Schwanzer wie eine Ikone in der urbanen Landschaft von München. Wie sieht deine persönliche Reflexion zur »Machbarkeit« dieser Architekturobjekte aus? W. P.: Ich habe beim Entwurf nicht an fahrende Autos gedacht, diese illustrierenden Konzepte interessieren mich nicht. Mich hat die Sichtbarmachung der Dynamik des Raumes interessiert. Überall in unseren großen Projekten in China, Korea, in Lyon gibt es Rampen oder Querungen, die den Raum begehbar und übersehbar machen. Das interessiert uns im Gegensatz zu Zaha, Rem und anderen Freunden. Bei uns kommen Gehwege durch den Raum, in welcher Form auch immer, immer wieder vor. Wir können noch nicht durch den Raum

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7.7  Wolf D. Prix – Coop-Himmelblau BMW-Welt, München, 2001–2007, Foto August Sarnitz, 2007

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7.8  Wolf D. Prix – Coop Himmelb(l)au BMW-Welt, München, 2001–2007, Foto August Sarnitz, 2007

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fliegen, aber bei MOCAPE (Museum of Contemporary Art & Planning Exhibition), unserem neuesten Projekt in China, sind wir nahe dran. Unsere Räume werden sehr gut angenommen, weil man sich in unseren Gebäuden sehr schnell einen Überblick verschaffen kann. BMW zum Beispiel wollte 800 000 Besucher im Jahr, jetzt haben sie 3 Millionen. A. S.: Stichwort »Besucher und Museen«: Museumsbauten haben in den letzten Dekaden zu neuen »Identitäten« von Städten geführt. Angeregt durch den »Bilbao-Effekt« des Guggenheim Museums von Frank Gehry, haben viele Städte versucht, durch Museumsbauten ihre kulturelle Position und Attraktivität zu verbessern. Das berühmte »Museumsufer« in Frankfurt, die Museumsinsel in Berlin – eine große Zahl von neuen und innovativen Projekten sind weltweit ­entstanden. Mit dem Musée des Confluences (2001–2014) habt ihr in der Stadt Lyon eine neue kulturelle Position formuliert. Ich zitiere dich: »Die ­Gesellschaft der Zukunft wird eine Gesellschaft des Wissens sein. ­Dieses Wissen jedoch lässt sich kaum mehr in abgrenzbare Fachgebiete ­teilen. Innovation entsteht in Zwischenräumen, in der Unschärfe, im Übergreifen und Hybridisieren. Die Fragen der Zukunft werden in den Übergangsbereichen zwischen Technik, Biologie und Ethik – den zentralen Themen des Musée des Confluences – ent­ schieden.«

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W. P.: »Confluences« heißt zusammenfließen. Also, das Museé des Confluences beschreibt durch seinen Namen bereits sein Programm. Das Museum steht auf einer künstlichen Halbinsel, auf dem »point of confluence«, an dem die Flüsse Rhône und Saône zusammenfließen. Ein wunderschöner Platz, als Bauplatz aber sehr schwierig. Die Stadt wollte das Museum unbedingt dort errichten, also mussten wir 500 Pfeiler in die Erde schlagen, um den Bau stabil zu machen. Das Programm des Zusammenfließens von naturhistorischen Exponaten, verbunden mit Philosophie, Technik und Kunst, zeigt, dass es kein traditionelles naturhistorisches Museum mit Ausstellungen über Knochen und Schmetterlinge ist. In den sehr flexiblen Ausstellungsräumen werden alle zwei Monate neue Themenausstellungen eröffnet. Es hat zehn Jahre gedauert, bis das Projekt realisiert wurde. Da gibt es natürlich viele Ebenen, auch jene der Politik, die der Architekt beobachten muss. Zum Beispiel: Drei Wochen vor der Eröffnung wurde der Bürgermeister von Lyon gefragt, was er denn von dem Museum hält, das doppelt so teuer geworden ist und zehn Jahre gedauert hat. Seine Antwort war: »Ich war immer gegen dieses Projekt und habe in der Jury gegen das Projekt gestimmt.« Bei der Eröffnung mit Tausenden von Leuten habe ich mich gefragt: »Was wird er jetzt sagen?« Da meinte er: »Ich war immer gegen dieses Museum, aber ich habe alles getan, damit es gebaut werden kann.« Jetzt, nach einem Jahr mit zwei Millionen Besuchern, meinte er: »Das

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Musée des Confluences ist meine Idee gewesen.« Da sieht man, wie Besucherzahlen die Politik beeinflussen. Gerade jetzt nach dem ­Brexit, wo Städte wie Dublin, Frankfurt und Paris um den Sitz der Banken kämpfen, spielt das kulturelle Angebot einer Stadt eine ganz wesentliche Rolle. Man darf nicht vergessen, dass dieses Museum, das eine humane Idee ist, nur so viel kostet wie eineinhalb Kampfbomber und ein einziger Einsatz eines Kampfbombers so viel kostet, wie die Betriebskosten des Gebäudes für ein ganzes Jahr betragen. A. S.: Ich freue mich, dass du die Beispiele der »Kampfbomber« erwähnst und auch die Medien, die den Bau als zu teuer beschreiben. W. P.: Zu teuer, alles zu teuer. Natürlich stimmt es nicht, dass die Baukosten des Museums doppelt so hoch sind. Da wird einiges durch­ einan­dergebracht. Zum Beispiel werden die Grundstückskosten und die Vorbereitungskosten fälschlicherweise ins Budget dazugerechnet. So kommt es dann, dass immer der Architekt und die Architektur Schuld haben. Abgesehen davon, dass ein Kampfbomber ein Kriegsgerät ist, ist er in spätestens fünf Jahren abgeschossen. A. S.: Die Gestalt der Stadt ist das Resultat von identitätsstiftenden öffentlichen Bauten. W. P.: Ja. Wenn es uns nicht gelingt, in dem anonymen Raster unserer Megastädte identitätsstiftende Bauten zu platzieren, verliert unsere Gesellschaft ihr dreidimensionales Gedächtnis. A. S.: Du warst sehr oft Vorsitzender bei Architekturwettbewerben für große Bauwerke und wichtige Projekte, so auch im Dezember 2008 in Wien, als die Pläne für die neue Wirtschaftsuniversität bekannt gegeben wurden. Du wirst folgendermaßen zitiert: »›Die neue Wirtschaftsuniversität ist ein Maßstabssprung für diese Stadt und für ganz Österreich‹, sagt Wolf D. Prix, Juryvorsitzender des internationalen Wettbewerbs um die Bebauung des 88 000 Quadratmeter großen Areals zwischen Messegelände und Prater. Die Mischung der Preisträger der zweiten Stufe könnte nicht internationaler sein. Herzstück des Campus ist das Library & Learning Center (LLC) von Zaha Hadid, die sich gegen die beiden Kontrahenten Hans Hollein und Thom Mayne durchsetzen konnte. ›Es war keine leichte Entscheidung‹, sagt Prix, ›doch die WU als Nutzer hat sich eindeutig für dieses dynamische Projekt entschieden, weil sie sich damit am besten identifizieren konnte.‹ Mit dieser Juryentscheidung hat in Wien eine internationale Architekturdiskussion der besonderen Art begonnen: Junge Studierende werden tagtäglich von zeitgenössischer Architektur begleitet. Wie siehst du diese Realisierung heute, was waren die großen Herausforderungen?

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W. P.: Ich habe selten einen so engagierten Nutzer in einer Jury gehabt wie Rektor Badelt. Er wollte eine international angesehene Wirtschaftsuniversität haben. Das kann man über das Programm steuern, aber dazu braucht es auch ein internationales Flair – und internationale Architektur. Der Rektor ist hinter allen Entscheidungen gestanden, die wir in der Jury herbeigeführt haben. Er und die Jury waren bei der Entscheidung Zaha Hadid gegen Thom Mayne und Hans Hollein einer Meinung. Ich habe sowohl das Hollein-Projekt, das ein bisschen wie seine Bank in Madrid ausgesehen hat, als auch das hochqualifizierte Projekt von Thom Mayne für geeignet gehalten. Zaha hat das Gebäude »Weiß mit blauem Himmel« sehr elegant präsentiert, während Tom Mayne mit den kleinen, den Zweck des Gebäudes nicht sichtbar machenden Perspektiven die Jury verschreckt hat. Es war für mich eine schwere Entscheidung, aber im Sinne von Dynamik und »Signature« war es eine leichte. A. S.: Und ist ein sehr wesentlicher Bestandteil des urbanen Wiens geworden. W. P.: Ganz toll. Aber daneben steht als Gegenbeispiel das Projekt um den Bednar Park und die Remise. Der stadträumliche Ansatz, entworfen von Heinz Tesar und Boris Podrecca, sieht eine kräftige Blockrandbebauung vor, die durch eine der Diagonale in Barcelona ähnliche Straßenkonfiguration verstärkt wird. Dieser Entwurf wurde von der Stadtplanung radikal vereinfacht. Diese sture Aufteilung in Quadrate und Straßenzüge, die von nirgendwoher kommen und nirgendwohin gehen, verhindert Entwicklung. Nun ist dieses Gebiet trotz einiger Versuche leblos. Eine der schönen städtebaulichen Ideen, nämlich die Vorgartenstraße, ist dermaßen korrumpiert und zerstört worden. Das ist unglaublich. Der lockere Entwurf des WU-Campus von BUSarchitektur – die Kombination der Baufelder, die Anordnung der Grünflächen – fordert zur Lebendigkeit auf. Es sind dort Bars, Restaurants und Pizzastuben entstanden, und ich wollte, die Wohnanlagen würden so wie der Campus geplant werden. So etwas gibt es im Bednar-Park-Viertel nicht, weil alles zu begradigt und zu abgeschlossen ist. Manche Gebäude erinnern mich an Bukarest.

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A. S.: Jetzt würde ich gerne einen Maßstabssprung ansprechen: Du hast Architektur in den unterschiedlichsten Typologien und in jedem Maßstab realisiert. Dazu gehören auch Designentwürfe für Möbel und für Küchen. Besonders in Erinnerung ist mir der Entwurf für Vitra, der »Vodöl« (Entwurf 1989, Produktion 1989–1993) – ein intelligenter Kommentar zu einer Möbelikone der klassischen Moderne von Le Corbusier. Ich zitiere: »Kommentar von Vitra: Mit dem Vodöl setzte sich Coop

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Himmelb(l)au erstmals auf der Ebene des Möbeldesigns mit den klassischen Formen der Moderne auseinander. Ausgangspunkt ihres Entwurfs war der 1928 von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand entworfene Fauteuil ›grand confort‹. Während dort ein symmetrisches Stahlrohrgestell rechteckige, aufeinandergestapelte Polsterkissen exakt umschließt, wird beim Vodöl das gesamte Volu­ men des Möbels von einem stählernen Doppel-T-Träger, ein Zitat aus der Architektur Mies van der Rohes, scheinbar aus den Angeln gehoben und in Schräglage versetzt. Die Polster wirken verkantet und das umgebende Stahlrohr wie eine Briefklammer aufgebogen. So lässt sich kaum erkennen, ob man aufrecht und bequem in dem Sessel sitzen kann. Unter dem Sitz angebrachte Stahlfedern lassen ihn jedoch leicht schwingen und vermitteln einen unerwartet behaglichen Komfort. Mit der Namensgebung, die sich auf das Vorbild bezieht, französisch ›fauteuil‹ aber in Wiener Dialekt ausschreibt, sowie ­ immelb(l)au der Farbe, die sie dem Lederbezug gaben, drückt Coop H dem Sessel einen eigenen, unverkennbar subversiven Stempel auf. MSC«. Daher die sehr konkrete Frage: Welchen Stellenwert hat ­Design in deiner Arbeit? W. P.: Zum Unterschied zu Zaha Hadid, die von Schuhen über Aschenbechern und Vasen alles produziert hat, bin ich an Schuhen, Aschenbechern und Vasen herzlichst wenig interessiert. Der Fauteuil ist eine Verbeugung vor Le Corbusier, aber auch humorvoll gemeint, denn er ist als Möbel eigentlich unbrauchbar. Man sitzt zwar sehr gut, aber er ist so schwer, dass man ihn kaum verschieben kann. Er steht schwer wie ein Goldklumpen im Raum. Er war auch sehr teuer. Zum Maßstabssprung: Einer der größten Maßstabsirrtümer, die ein Stadtplaner im letzten Jahrhundert gemacht hat, ist Chandigarh. Die Stadt ist von ihrer Gestalt her am Plan lesbar, in Wirklichkeit braucht man Tage, um einen Platz zu überqueren. Es gibt den Sager, dass ein Stuhl eine Stadt ist. Das würde ich heute ungern wiederholen, denn die Stadt ist kein Sessel. Die Komplexität einer Stadt aber überfordert viele Stadtplaner. Aber Stadtplaner gibt es nicht mehr, es müsste heißen »Stadtraumplanung«. Man sieht das auch in Wien. Die Sachzwänge sind vor allem bei städtebaulichen Wettbewerben zu bemerken. Hier denkt die Jury nur in einer Dimension und Sachzwänge werden als Totschlagargumente ins Spiel gebracht. Es läge aber am Vorsitzenden, den Personen in der Jury die Position zu geben, die ihnen wirklich zusteht. A. S.: Ein Kommentar zur globalen, medialen Architektur. Nahezu jeden Tag ist das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt (2003–2015) in den Medien – ein Gebäude, das für viele Menschen stellvertretend für die Begriffe »Macht« und »Einfluss« steht. Wie kann man als Architekt auf diese Begriffe und Zuordnungen reagieren? Deinen Ansatz für dieses Gebäude hast du wie folgt formuliert: »Durch die Förderung und Betonung der dynami-

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schen internen Kommunikationskultur der EZB setzt dieser Entwurf auch ein beispielloses Zeichen im städtischen Kontext, das die öffentliche Dimension der EZB innerhalb Europas und der Welt zum Ausdruck bringt.« W. P.: Du sagst das richtig. Im anonymen Netzwerk der Stadt sind wie gesagt Identifikationspunkte, die man verbal beschreiben kann, unheimlich wichtig für die mentale Inbesitznahme eines Umfeldes. Man sagt, dass bis ins 20. Jahrhundert die Innenstadt für die mentale Landkarte der Wiener das Idealbild einer Stadt war. Ich bin überzeugt, dass diese Mentalität verhindert hat, dass bei uns eine richtige Moderne entstehen konnte. Erst später wurde diese Sichtweise aufgebrochen. Der soziale Wohnbau war bis vor Kurzem das Rückgrat der Wiener Stadtentwicklung. Aber auch hier erschwert die Mittelmäßigkeit eine Entwicklung, die über eine neue Formfindung neue Inhalte einer zukünftigen Stadt entsprechen würde. Es ist kein Zufall, dass mich diese angeblichen »grünen Bauten«, diese sogenannten Energy-saving-Gebäude, mit Fenstern wie Schießscharten an mittelalterliche Wehrtürme erinnern. Nachdem die Zukunft, glaubt man den Katastrophennachrichten, katastrophal aussehen wird, kann ich mir schon vorstellen, dass die Menschen sich in Wehrtürme zurückziehen wollen, aus Angst vor der Zukunft. Angst löst keine Probleme, und die Haltung des rückschrittlichen Bauens, das mich mit Erschrecken an faschistische Bauten erinnert, ist eine gefährliche Entwicklung. Auch der Wunsch nach autoritärer Führung ist an diesen gefängnishaften Bauten abzulesen. Wien ist aber doch eine lebenswerte Stadt, aber Mittelmäßigkeit und Innovationsfeindlichkeit ist ihr ständiger Begleiter. Und warum Wien als lebenswerte Stadt von Experten so anerkannt wird, kann ich mir nur so erklären, dass sie entweder über den Zentralbahnhof oder den Flughafen angereist sind. Das sind die zwei schrecklichsten Bauten der Stadt. Hat man diese hinter sich gelassen, kann man jede Stadt großartig finden.

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7.9  Wolf D. Prix – Coop Himmelb(l)au BMW-Welt, München, 2001–2007, Foto August Sarnitz, 2007

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8.1  August Sarnitz Ausstellungsgestaltung »Museumsbauten«, Secession Wien, 1992, Foto Margherita Spiluttini

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Mein subjektives Statement und exemplarische Projekte: Seit der Aufklärung gibt es in Europa eine kritische Distanz zu Konventionen. Aufgrund von Vernunft und Verstand erhält das Individuum eine Entschei­ dungsfähigkeit und Entscheidungsmöglichkeit, sich bewusst »für« etwas zu entscheiden, die Gesellschaft akzeptiert den individuellen Geschmack. Diese Wahlmöglichkeiten waren Voraussetzungen für die großen Möbeldis­ kussionen im 19. Jahrhundert. Moralische, ästhetische und gesellschaftliche Argumente wurden Teil des Diskurses und bewirkten eine Individualisie­ rung des privaten Wohnens. Es gibt offene und geschlossene Systeme. Das gilt nicht nur für Gesell­ schaftsformen, Wissenschaftstheorien und Kunsttheorien, sondern auch für das Prinzip der Möbel und der Einrichtung. Architektur und Möblierung verbindet eine komplexe Beziehung: Es gibt autonome Möbel und kontex­ tuelle Möbel mit definierten Beziehungen zu einem Raum. Die Qualität der Möbel ist unabhängig von ihrer Zuordnung zu Status und Bequemlichkeit. Ihre Funktion ist ausschließlich durch den ideellen Wert ihrer Darstellung bedingt. Möbel sind allgemeine Formen von Prothesen, eine Form der »Body­ extension« mit spezifischen Bedeutungsinhalten. Möbel sind Geräte und Objekte, Möbel reflektieren Status oder Bequemlichkeit, manchmal auch Status und Bequemlichkeit. Architekten wie Josef Frank und Adolf Loos sahen Möbel in einem kul­ turellen Kontext, ihre Verwendung war definiert durch die Benutzbarkeit. Josef Hoffmann hingegen verstand Möbeldesign als einen artistischen und ästhetischen Prozess. Rudolph Schindler, Schüler von Otto Wagner in Wien und Mitarbeiter von Frank Lloyd Wright in Chicago und Los Angeles, beschreibt eine sehr weitreichende Definition des Möbels in seiner »Theorie of Interior Design«.1 Im April 1926 publizierte Rudolph M. Schindler in der Los Angeles Times den Artikel »About Furniture«. »Die mittelalterliche Straße diente nicht nur als Passage, sondern auch als Rinnstein, Abwasserkanal und Abfall-Beseiti­ gungsanlage […] Die Möbel erfüllten weitgehend die Erfordernisse nach Sauberkeit und alles war so hoch wie möglich vom Boden entfernt […] Eine körperliche und geistige Tendenz ›zurück zur Erde‹ macht sich in die­ sem Jahrhundert stark […] Die Möbel werden niedriger und niedriger.«2 Schindlers wichtigstes Argument verweist auf Loos und die Befreiung der Menschen durch die neue Bekleidung. »Wie der Gebrauch des Korsetts ver­ 1 August Sarnitz, R. M. Schindler – Architekt, Brandstätter, Wien 1986, S. 149 und S. 153. Den ersten Ar­ tikel »About Furniture« publizierte Schindler am 18. 04. 1926 in der Los Angeles Times Magazine Section. Den zweiten Artikel publizierte er unter dem Titel »Furniture and the Modern House: A Theory of Interior Design« im März 1936 in Architect and Engineer (San Francisco). 2 August Sarnitz, ebd., S. 149.

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worfen wurde, macht sich bei den Möbeln eine ähnliche Entwicklung kör­ perlich und geistig bemerkbar.«3 Loos beschreibt in seinem Text »Vom armen reichen Manne« (1900) den Auftraggeber als »Opfer« eines totalen Designs, weil der Benutzer und Be­ sitzer von Möbeln und Objekten nur noch geduldet werde. Dem geschlos­ senen System des Designs stellt er die Collage als offenes Designsystem entgegen. Unterschiedliche Möbel mit spezifischen Funktionen aus verschiedenen Zeitepochen definieren das Sein mit den Dingen. Walter Benjamin interpre­ tierte das Hinterlassen von Spuren als wesentliches Merkmal des Wohnens. Möbel, Objekte und Kunstgegenstände haben einen Zeitbezug: als Dinge und als Begleiter der Menschen. Die Dinge bringen die Geschichte und die Erinnerung in das Wohnen. Das »Be-sitzen« eines Sessels drückt mehrere Relationen aus: die Eigentumsverhältnisse, den Zeitbezug, die kulturelle Verwendung, die Funktionen und die Materialität. Möbel und Installationen für Ausstellungen teilen sich die Beziehung zum Ephemeren. Ihre Zeitlichkeit ist begrenzt. Installationen bilden ein Rahmen für einen spezifischen Inhalt oder repräsentieren partielle Inhalte. Installa­ tionen sind Inszenierungen und Ausstellungen, die Kontexte neu sichtbar machen. Das »Aus-Stellen« verändert zeitliche und räumliche Bezüge – und fordert daher eine neue Distanz zum Betrachter. Die Materialität hat zu Möbeln und zu Installationen einen asymmetri­ schen Bezug: Möbel sind näher am Körper und daher Teil einer direkten haptischen Erfahrung: Das kann, muss aber bei einer Installation nicht der Fall sein. Hier ist die optische Wahrnehmung die primäre Erfahrung. Die Verwendung von Materialien bei Möbeln verweist auf eine vielschichtige Sinnlichkeit, ergänzt von speziellen kulturellen Konnotationen nobilitieren­ der Materialien: Blattgold, Silberfarbe, Spiegelflächen und polierte Natur­ steine verweisen aufgrund ihrer reflektierenden Oberflächen auf das Aura­ tische und das Immaterielle. Trotzdem bleiben Möbel immer auch Zweck­ gegenstände und beziehen sich auf den menschlichen Maßstab.

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8.2  August Sarnitz Ausstellungsgestaltung »Die Architektur Wittgensteins«, Architektur­zentrum Wien, 2011, Foto August Sarnitz

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8.3–8.4  August Sarnitz Großer Speisetisch, Detail, Wohnung Wien-Hietzing, 1992, Foto August Sarnitz, 2016

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8.5  August Sarnitz Großer Schrank, Detail, Wohnung Wien-Hietzing, 1990, Foto ­August Sarnitz, 2016

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8.6  August Sarnitz Medienschrank, geöffnet, Wohnung Wien-Hietzing, 2000, Foto ­August Sarnitz, 2016

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8.7  August Sarnitz Medienschrank, geschlossen, Wohnung Wien-Hietzing, 2000, Foto August Sarnitz, 2016

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8.8–8.9  August Sarnitz Ausstellungsgestaltung »Eine Zeit zum Bauen«, Jüdisches Museum Wien, 2005, Foto Anna Blau, 2005

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8.10–8.11  August Sarnitz Sessel aus Buche und Buchensperrholz, stapelbar, 2001, Entwurf für das Otto-Wagner-Spital, Pavillon 16, Foto August Sarnitz, 2001

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8.12–8.13  August Sarnitz Regalsystem, mit Detail, Wohnung Wien-Landstraße 2006, Foto ­August Sarnitz, 2006

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9.1–9.2  Ernst Lichtblau Publikation zu Ernst Lichtblau, Seiten 97 und 96, Böhlau Verlag, Autor: August Sarnitz, 1994

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Die Krise der modernen Architektur beginnt historisch ziemlich genau mit der großen Architekturausstellung The International Style: ­Architecture since 1922 im Museum of Modern Art in New York im Jahr 1932. Nicht die Ausstellung war Ursprung der Krise, sondern die darin vorge­nommene – rein ästhetische – Fehlinterpretation der europäischen Moderne als neuer Stil. Losgelöst vom soziokulturellen Hintergrund der sozialistischen Bewegungen verlor die Moderne ihre ideologischen Voraussetzungen, welche sich durch die industrielle und rationale ­Produktion von Wohnungen und sozialen Erziehungsinstitutionen wie Kindergärten, Kinderhorte, Schulen, Bibliotheken und Sportanlagen für einen großen Teil der Bevölkerung legitimiert verstand. Die Veränderungen in Österreich sind in einem größeren Umfeld zu sehen, die sich ab 1933 unterschwellig manifestierten und mit dem »Anschluss« Österreichs an Deutschland 1938 Realität wurden. 1938 ist als Jahreszahl Symbol geworden für eine staats- und kulturpolitische Veränderung innerhalb Österreichs, die sämtliche Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens aller Personen betraf. Am 13. März 1938 hatte die New York Times über den Einmarsch Hitlers in Österreich berichtet. Der Hauptartikel trug folgende Überschrift: »Hitler enters Austria in triumphal parade; Vienna prepares for union, voids treaty ban, France mans border, Britain studies moves.« Nach dem Anschluss waren die Grenzen zu den Nachbarstaaten Österreichs bald geschlossen. Bis zum Mai 1939 gelang es der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, ca. 100 000 Juden die Emigration aus der Stadt zu ermöglichen. Als dann am 7. August 1941 der Auswanderungsstopp für jüdische Männer vom 18. bis zum 45. Lebensjahr verfügt wurde, war die Emigration fast unmöglich. Die Vertreibung bildender Künstler und Architekten 1938 ins Ausland im Allgemeinen und nach Amerika im Speziellen ist eines der zentralen Themen der öster­reichischen Kulturgeschichte. Neben dem zeithistorischen Aspekt der Ver­nichtung fast des gesamten künstlerischen und intel­lektuellen Potenzials nach dem Anschluss ist auch aus kunsthistorischer Sicht b ­ esondere Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten, da die Geschichte der österreichischen Moderne mit der Emigration jüdischer Öster­reicher in die Vereinigten Staaten unversehens einen zweiten Schauplatz erhalten hatte. Darüber hinaus sollten die ­Emigrationen im Jahr 1938 die Aufmerksamkeit auch auf jene österreichischen Künstler lenken, die schon früher nach Amerika gegangen waren und dort zum Teil einen wesentlichen Einfluss auf die ­Avantgarde ­ausgeübt hatten. Schließlich vermitteln die einzel-

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nen künstlerischen Laufbahnen mit ihren vielfältigen ideellen und persön­ lichen ­ Beziehungsgeflechten eine Vielzahl bisher unerschlossener Informationen über die Moderne innerhalb der Landesgrenzen ­Österreichs. Die vor 1933 beziehungsweise vor 1938 emigrierten Künstler bildeten ein besonderes Netzwerk zwischen Europa, Amerika, Südamerika und Neuseeland. Zum einen waren es jene Architekten, welche primär dazu beitrugen, die mitteleuropäischen Gedanken der Moderne nach Amerika zu exportieren und gleichzeitig das »Bild« der neuen Welt als Land der unbegrenzten Möglichkeiten in reziproker Weise nach Europa zu vermitteln. Richard Neutras Publikation Wie baut Amerika (1927) war ein Meilenstein im bilateralen Imagetransfer amerikanischer Architektur nach Europa – ungeachtet der unkritischen Haltung Neutras gegenüber seiner neuen Heimat. Rudolph Schindler und Josef Urban waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Österreich nach 1918 wurde ihre Auswanderung zur unfreiwilligen Emigration. Richard Neutra folgte ihnen erst 1923 nach Amerika, nachdem er zuvor bei Erich Mendelsohn in Berlin gearbeitet hatte. In den Jahren 1925 bis 1926 arbeitete er im Büro von Rudolph Schindler. In dieser Zeit entstanden die ersten wichtigen Gebäude der beiden Architekten: Das Lovell Beach House (1925/26) in Newport Beach, Kalifornien, von Rudolph Schindler zählt zu den Ikonen der amerikanischen Moderne und ist ein Hauptwerk der modernen Architektur überhaupt, ebenso das Health House für die Familie Lovell (1929) in Los Angeles von Richard Neutra. Josef Urban wurde in den Vereinigten Staaten neben seinen Bühnenentwürfen mit dem Bau der New School of Social Research in New York bekannt (1929–1931). Diese Schule spielte eine besondere Rolle im Umfeld der österreichischen Emigranten. Richard Neutra hielt dort den Eröffnungsvortrag im neuen Gebäude, später unterrichtete Josef Frank an dieser Schule. Paul Theodore Frankl war im Alter von 28 Jahren nach New York gekommen. Seine Entwürfe für Geschäftslokale etablierten ihn dort als Designer. Wie Josef Urban arbeitete er auch gelegentlich als Bühnengestalter. 1934 übersiedelte er von New York nach Los Angeles, wo er in Beverly Hills die Frankl Galleries gründete. Im Umfeld der Architekten nimmt Friedrich Kiesler eine besondere Position ein, da er als Architekt, Künstler, Bühnenbildner und Theoretiker tätig war. Er war bereits 1926 nach New York emigriert. Sein Projekt für das »Endless House« (1933) zeigt eine starke Verbindung von Skulptur und organischer Architektur. Wenn man heute versucht, die Auswirkungen des aufkommenden Nationalsozialismus in kultureller Hinsicht zu interpretieren, so muss man für den Bereich der Architektur feststellen, dass fast alle ihre Repräsentanten in die Emigration oder in den Tod getrieben wurden. »Wenn man ergänzt, daß Adolf Loos 1933, Oskar Strnad 1935, Hugo George 1938 starben und Otto Breuer 1938 aus politischen Gründen Selbstmord verübte, so ist es eben eine historische Tatsache, daß Wien

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innerhalb von fünf Jahren praktisch sein gesamtes intellektuelles und progressives Architekturpotential verloren hat.«1 Die bekanntesten Namen der Wiener Architekten, die in die unfreiwillige Emigration gingen, waren: Felix Augenfeld, Rudolf Baumfeld, Josef F. Dex, Ernst Egli, Herbert Eichholzer, Josef Frank, Jacques Groag, Fritz Gross, Otto Rudolf Hellwig, Heinrich Kulka, Ernst Lichtblau, Walter Loos, Ernst Anton Plischke, Egon Riss, Otto Schönthal, Stephan Simony, Franz Singer, Margarethe Schütte-Lihotzky, Walter Sobotka, Hans Adolf Vetter, Oskar Wlach, Liane Zimbler geb. Fischer, Wilhelm Baumgarten, Artur Berger, Walter Eichberger, Martin Eisler, Ernest Leslie Fooks (bis 1946 Fuchs), Fred Forbát (bis 1915 Alfred Füchsl), Paul Theodore Frankl, Ernst von Gotthilf, Victor Gruen (eigentlich Grünbaum), Rudolf Hönigsfeld, Fritz Janeba, Leopold Kleiner, Fritz Michael Müller, Emanuel Neubrunn, Kurt Popper, Alfred Preis, Harry Seidler sowie Hans Vetter.2 Somit war nach 1938 in Österreich nichts mehr »alltäglich«, was als alltäglich erschien. Die Umwertung im Alltag entsprach den Vorstellungen eines totalitären Regimes, der Alltag im Dritten Reich wurde zur scheinbaren Idylle degradiert. Die Welt der Dinge veränderte sich in den späten 1930er-Jahren zunehmend. Der Verdinglichung folgte die Idylle, und somit war der Weg zur Umdeutung der Werte vorprogrammiert. Die scheinbare Wohnidylle des Dritten Reiches war aufgebaut auf der Intoleranz gegenüber der Moderne. Mit dem Begriff »entartete Kunst« wurde die Avantgarde vertrieben.

Ernst Lichtblau Am 21. August 1939 emigrierte Ernst Lichtblau nach England, eineinhalb Jahre nach dem »Anschluss« Österreichs an Deutschland. Lichtblau war bei seiner Ankunft in London 56 Jahre alt, bei seiner Einreise in die Vereinigten Staaten 61 Jahre.3 Anders als die »berühmten« Architekturemigranten wie Walter Gropius oder Mies van der Rohe waren die ersten Jahre für Lichtblau sehr mühevoll und schwierig. In einem Zeitungsinterview 1953 wird über Lichtblau von seiner ersten Zeit in den USA berichtet: »Professor Lichtblau wouldn’t elaborate on the period prior to his departure from Austria other than to say that life became uncomfortable for him. He closed the door on one way of 1 Friedrich Achleitner, »Die geköpfte Architektur«, in: Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich, Aus­ stellungskatalog der Zentralsparkasse und Kommerzialbank Wien in Zusammenarbeit mit der Hoch­ schule für Angewandte Kunst in Wien, Wien 1985, S. 197. 2 Vergleiche hierzu besonders die Publikation Visionäre und Vertriebene (Hg. M. Boeckl), Berlin 1995. Für einzelne Monografien vergleiche u.a. Eduard Sekler, Josef Hoffmann, Residenz, Salzburg 1980; Burkhard Rukschio und Roland Schachl, Adolf Loos, Residenz, Salzburg 1984; August Sarnitz, Lois Welzenbacher, Residenz, Salzburg 1987; August Sarnitz, Ernst Lichtblau, Böhlau, Wien 1994; Eva B. Ottillinger, August Sarnitz, Ernst Plischke, Prestel, München 2003. 3 Für weitere Information siehe: August Sarnitz, Ernst Lichtblau, Böhlau Verlag, Wien 1994.

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life and began on a new one, taking only a few personal possessions and his drawing boards. ›I could take nothing of value, not even my medals,‹ he said. He went to England for a time and earned a skimpy living doing magazine and book cover illustrations, then departed for America, his drawing boards formed into a box to hold his belongings. ›I arrived in New York with five pounds in my pocket. For the first 12 days I slept in a YMCA in Jamaica. Then I rented a garret, so low I had to stoop. I took apart my box, set up my drawing boards and went to work.‹ He held several jobs during these first years in the United States, taught at Cooper Union for a time, became a design consultant for ­Macy’s department store and created exhibits for the store. Eight years ago he came to the School of Design and began a fulltime teaching job. In the last eight years there have been some big moments at the School of Design. Perhaps not quite as wonderful as that first gold medal presented by Otto Wagner, but satisfying. There was the touring exhibit of 100 articles selected by the Museum of Modern Art which has been traveling in Europe for the last two years. Two platters designed by ­Professor Lichtblau are among the items.«4 Lichtblaus Tätigkeit in den USA war eher durch seine pädagogischen Leistungen gekennzeichnet, als Professor für Architektur an der Rhode Island School of Design in Providence, und weniger durch seine Arbeiten als planender Architekt. Seine Entwürfe für die Wohnhausumbauten für die Familie Fulkerson (1947) sowie für die Familie Fish (1948) reflektieren das Designbewusstsein der 1950er-Jahre in den USA, das dem Begriff »Good Design« zugeordnet werden kann. Seine Designentwürfe für Haushaltsobjekte wurden bei verschiedenen Ausstellungen gezeigt (siehe Biografie). Bemerkenswert ist Lichtblaus Ausstellungsgestaltung für die Ausstellung Sculpture im Museum der Rhode Island School of Design, wo er mit minimalen Mitteln aus Maschendraht, Gitterstrukturen und Tuch eine vielfältige Raumabfolge gestaltete. Der Terminus »Good Design« vermittelt verschiedenen Menschen unterschiedliche Inhalte. Gutes Design ist durch heterogene Interpretationen gekennzeichnet, das sowohl kulturelle, funktionale und ästhetische Konnotationen beinhaltet. Die Zusammenarbeit des Museum of Modern Art in New York mit dem Merchandise Mart of Chicago war ein Versuch, das »Post World War II American Design« zu revolutionieren.5 Initiator dieses Programms im Jahr 1950 war Edgar Kaufmann, der als Direktor der Abteilung für industrielles Design am Museum of Modern Art tätig war. Intention beider Vertragspartner war, den Entwurf und die Produktion von Alltagsprodukten neu zu stimulieren, um sowohl für Designer und Produzenten als auch für Konsumenten eine neue Warenwelt zu entwickeln: »The attention of all America will be focused on the good things being created by the home furnishing industry.«6

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4 The Evening Bulletin, »R. I. School of Design’s Lichtblau«, Providence, 1953. 5 Vergleiche hierzu als Einführung in das Thema die Publikation von Arthur J. Pulos, The American Design Adventure, 1940–1975, MIT Press, Cambridge, Massachusetts, und London, 1988. 6 Zeitschrift Interiors, Februar 1953, S. 85.

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Aufgrund der geringen Anzahl von Archivalien über Ernst Lichtblau während seiner Zeit in den USA soll ein Zeitungsinterview als »Zeitzeugnis« eine persönliche Auskunft geben. Entstanden als »Profile of A Professor, R. I. School of Design’s Lichtblau«, wurde dieser Artikel von Stuart O. Hale im Evening Bulletin, Providence, im Jahre 1953 veröffentlicht.7 »The door at the bottom of the stairs leading to the third floor at 344 Benefit Street swung open. A small man wearing a dark gray pinstripe suit and striped tie extended his hand in greeting. ›Won’t you come up please,‹ he said. He had the old world manners you seldom find these days, a subtle blend of deference, dignity and warm hospitality. His thick gray hair, and mustache and heavy horn-rimmed glasses completed the picture of a European gentleman, a man who might surround himself with rich fabrics, shelves of leather-­bound books, dark, ornately carved furniture […] Prof. Ernest Lichtblau, 70-year-old architect and head of the interior design department at the Rhode Island School of Design, was receiving guests. He opened the door of an apartment as contemporary in furnishings as an exhibit at the Museum of Modern Art. As I Really Am ›This is my home,‹ he said, moving his hands with their long, tapering fingers in a small but expressive gesture. The hands seemed to say, ›Now you will know me as I really am.‹ The apartment was old, as was the house, and had once been a series of dull, high-ceilinged rooms, linked by a grimy, dark floor. Then Professor Lichtblau moved in. The walls and ceiling became stark white, the floor, scrubbed until it glowed, showed its natural grain once more. Ceiling-high draperies of cream-colored cloth were placed on metal tracks along two walls. A third wall, in sharp contrast, was ­covered with drapery material colored bright blue. Every piece of furniture in each room was of modern design, down to the smallest object on the coffee table. Many of the articles were of his own creation. He offered cigarettes from a little metal trough with small accessories on the coffee table, and talked about the old days in Vienna, before 1938, about his gold and silver medals for architecture and design, contemporary furniture in America, his students at the School of ­Design, his plans for the future.

7 Stuart O. Hale, »Profile of a Professor, R. I. School of Design’s Lichtblau«, in: The Evening Bulletin, Provi­ dence, Zeitungsausschnitt (wahrscheinlich aus dem Jahr 1953).

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Built His Career Twice It turned out that Professor Lichtblau is a man who had to build a career trice. He came to the United States in 1938, well past 50, penniless and speaking only broken English. Behind him: a flourishing and lucrative career as a leading Viennese architect smashed by Nazi terrorism. But to go back to the beginning: ›My father was the supervisor of the largest pipe factory in Austria-Hungary. We lived next door to the factory and I practically grew up in the factory, where beautiful briars and meerschaums were made, largely for export. I finished my education in Vienna under Otto Wagner, the great architect, in 1912. Two years later I became a professor and could teach and practice architecture. I remember how proud I was when I received my first prize. It was presented by the Master (Wagner) in front of the entire class, by order of Franz Joseph, Emperor of Austria and King of Hungary. It was for the design of a government building in Bosnia.‹« Ernst Lichtblau kehrte im Juni 1957 nach Wien zurück und arbeitete als Architekt unter anderem an der Hauptschule Grundsteingasse gemeinsam mit dem Architekten Norbert Schlesinger. Lichtblau starb am 8. Januar 1963 bei einem Brand im Parkhotel Hietzing, jedoch nicht infolge des Hotelbrandes, sondern aufgrund psychischer Aufregung.8

Ernst A. Plischke Ernst A. Plischke – der seit seiner Emigration das ›A‹ (für Anton) als Namensbestandteil führte – teilt gemeinsam mit vielen Architekten aus Österreich das Schicksal eines österreichischen Emigranten, der im Ausland zu einem Wegbereiter der modernen Architektur geworden war, ohne in Österreich die entsprechende Anerkennung erfahren zu haben.9 Plischke, neben Rudolph M. Schindler und Richard Neutra einer der bekanntesten Exilarchitekten der avantgardistischen Moderne, verbrachte 24 Jahre in Neuseeland. Als Plischke im Alter von 36 Jahren mit seiner jüdischen Frau Anna Wien verließ, ahnte er noch nicht, dass er den wesentlichsten und produktivsten Teil seines Lebens auf der südlichen Halbkugel verbringen sollte. Neuseeland war das Ziel mehrerer österreichischer Emigranten – neben Ernst Plischke waren das die Architekten Heinrich (später Henry) Kulka und Friedrich Neumann (später Frederick Newman) sowie der Philosoph Karl Popper. Ungefähr 500 Emigranten kamen aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei nach Wellington.10

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8 August Sarnitz, Ernst Lichtblau, Böhlau Verlag, Wien 1994, S. 154. 9 Für weitere Information siehe: Eva Ottillinger und August Sarnitz, Ernst Plischke, Prestel, München 2003. 10 Siehe: Anne Beaglehole, »Europe to Wellington. Refugees from Nazi Europe«, in: Wilson (Hg.), 1996.

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Friedrich Achleitner beschreibt in seinem sehr pointierten Artikel »Die geköpfte Architektur. Anmerkung zu einem ungeschriebenen Kapi­ tel der österreichischen Architekturgeschichte«, erschienen 1985 im Zusammenhang mit der Ausstellung Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich, die verklärte Geschichte und die tendenziöse Geschichtsschrei­ bung der Protagonisten der Moderne – allen voran Sigfried ­Giedion – welche für die 1920er-Jahre ein Bild absoluter Dominanz des Neuen Bauens erzeugt hatte. Die publizistische Präsenz der modernen Architektur wird relativiert, sobald man die professionellen Zeitschriften der damaligen Zeit betrachtet. Die Ausgangsituation beschreibt Achleitner folgendermaßen: »Die Moderne wurde sicher von der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der dreißiger Jahre überrollt. Der Weltwirtschaftskrise fiel eine ähnliche Bedeutung für eine Tendenzwende zu, wie dem Ölschock der frühen siebziger Jahre, der einer Postmoderne bis hin zu den alternativen Tendenzen zum Durchbruch verhalf. Am Beginn der dreißiger Jahre waren zwar alle theoretischen Positionen bezogen, aber die Diskussion bei weitem nicht ausgefochten. Die doktrinären Spitzen wären vermutlich von zwei Seiten ins ›Kreuzfeuer‹ gekommen. Von der breiten Basis des bürgerlichen Konservatismus ohnehin, aber auch von der inneren Kritik etwa durch Hugo Häring oder Josef Frank. Mit einiger Kühnheit könnte man also behaupten, daß die folgende Emigration der europäischen Moderne, vor allem in die Vereinigten Staaten, ihren Fortbestand gesichert, ihre Entwicklung beschleunigt hat. In Amerika bestand zu dieser Zeit eine große Bereitschaft, diese ­Impulse aufzunehmen und den Ideen des Bauhauses ein fruchtbares Feld der Realisation zu bieten.«11 Die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, das Gedankengut der europäischen Moderne – relativiert durch die neuen sozioökonomischen Rahmenbedingungen und die entpolitisierte Kulturdiskussion – den etablierten Architekturinstitutionen wie der Harvard Graduate School of Design in Cambridge, Boston, oder dem Illinois Institute of Technology, Chicago, zuzuführen, bewirkte letzten Endes die »Globalisierung« der modernen Architektur (mit ihren unterschiedlichen Facetten) als Architekturstil des 20. Jahrhunderts. Die Lehrtätigkeit von Walter ­Gropius ab 1937 in Harvard oder von Ludwig Mies van der Rohe in Chicago ab 1938 können nur als Pars pro Toto genannt werden, um diese Entwicklung zu skizzieren. Ähnliche Situationen entstanden in Südamerika, Kanada und Neuseeland, wo die Emigranten als Teil der europäischen Avantgarde zu einer kulturellen Veränderung führten. Ernst Plischke, ausgezeichnet mit Preisen in Österreich und publiziert in internationalen Zeitschriften, fühlte zumindest subjektiv eine ähnliche Verantwortung für die moderne Architektur in Neuseeland wie Gropius an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Obgleich Plischke nicht als Lehrer – und in diesem Sinne direkt meinungsbildend – an einer neuseeländischen Architektur11 Friedrich Achleitner, »Die geköpfte Architektur«, in: Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich, wie Anm. 1, S.196.

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schule zu unterrichten begann, war seine Tätigkeit im Department of Housing Construction, dem neu geschaffenen Ministerium für Wohnbau, dennoch dazu angetan, moderne Architektur in einem institutionellen Umfeld zu realisieren. Plischke konnte zu Recht annehmen, dass die moderne Architektur in Neuseeland nicht sehr entwickelt war und deshalb seine Position als »international style architect« besonders günstig aufgenommen wird. Diese Annahmen waren aber nur zum Teil richtig: Plischkes Architekturdiplom wurde für die Baudurchführung nicht anerkannt, und folglich war immer eine Partnerschaft mit einem Architekten des New Zealand Institute of Architects notwendig.12 Plischke musste ebenfalls anerkennen, dass der Wissensstand über internationale Architektur in Neuseeland größer war als von ihm angenommen. Englische sowie amerikanische Zeitschriften und Publikationen waren weitverbreitet; die Rezeption ist anhand von Artikeln im New Zealand Institute of Architect’s Journal aus dieser Zeit dokumentiert, welches unter dem Titel Home and Building publiziert wurde.13 Die restriktive Zuwanderungspolitik, welche Neuseeland in den Regierungsjahren der Labour Party (1935–1949) kennzeichnete, hatte ihre Begründung in der Befürchtung, dass sich nichtbritische Immigranten schwer assimilieren würden.14 Über 80 % der Bevölkerung waren europäischer, meist britischer Abstammung. Durch das politische System als parlamentarische Monarchie im Commonwealth war Neuseeland sehr eng mit Großbritannien verbunden; die wirtschaftlichen und kulturellen Bindungen waren trotz der großen Entfernung zu Großbritannien sehr intensiv. Bedingt durch die Lage im südpazifischen Raum entwickelte sich Neuseeland in Ergänzung zu Großbritannien als wirtschaftlicher und kultureller Partner von Australien, Japan und den USA.15 Die wesentlichen Auswirkungen der modernen Bewegung ab den 1930er-Jahren bis in die 1960er-Jahre hinein hatten in Neuseeland zwangsläufig eine starke Affinität zu den Entwicklungen in den USA – sowohl in der Architektur und dem Design als auch in dem neuen Lebensstil. Anfang der 1990er-Jahre fand über Ausstellungen und Publikationen eine verstärkte Rezeption der eigenen Geschichte im Hinblick auf die kulturelle Identität Neuseelands statt. Über die Jahreswende 1992/93 wurde in Auckland die Ausstellung The 1950s Show gezeigt in direkter Zusammenarbeit mit der Associated Media Group, welche auch die Architekturzeitschrift Home and Building herausgibt. In diesem Zusammenhang schreibt der Architekturhistoriker Peter Shaw zum Thema Modernismus in der neuseeländischen Architektur über die

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12 Plischke weigerte sich, die geforderte Prüfung des New Zealand Institute of Architects zu machen, um als »registered architect« tätig sein zu können. Folglich musste Plischke Partnerschaften mit ansässigen Architekten eingehen. Freundliche Mitteilung an den Autor von Linda Tyler, September 2001. 13 Freundliche Mitteilung an den Autor von Prof. Bill Toomath, Wellington, 13. Februar 2002. 14 Zu ergänzende Information: Im Jahr 1840 lebten ca. 2000 »weiße Einwanderer« aus England in Neu­ seeland. Im Jahr 1908 betrug die Zahl der Einwohner ca. 950 000. Für das Jahr 1991 werden ca. 3,4 Millionen Einwohner genannt. Quellen: Encyclopaedia Britannica, 11. Aufl. 1914, und Brockhaus, 1994. 15 Neuseeland zählte gemeinsam mit Kanada, Südafrika und Australien zu den vier wesentlichsten Domini­ ons des britischen Commonwealth. Mit ungefähr 104 000 »square miles« war Neuseeland geringfügig größer als Großbritannien mit 93 000 »square miles«, hatte aber nur etwas über zwei Millionen Ein­ wohner. Auf die starken kulturellen und soziohistorischen Verbindungen zu den englischen Homelands verweisen die historischen Bauwerke in Wellington, Auckland und Dunedin.

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große Bedeutung der Immigranten: »Among the forward-looking architects was Ernst Plischke, an Austrian modernist who arrived in New Zealand in 1939 and who attempted to introduce modern notions into the design and planning of the New Zealand State House. The story of his disappointment in the Department of Housing Construction is well known. Another was Henry Kulka, a refugee whose impeccable modernist pedigree derived from a long and close association with the great Adolf Loos in Vienna. Both Plischke and Kulka had to adapt their high European modernism to the local conditions of their adopted country; both suffered frustration in the process. Their considerable achievements here still await adequate reassessment. During the early 1940s they were largely ignored by a conservative and even xenophobic New Zealand profession, though Plischke achieved recognition as a teacher at the Architectural Centre, Wellington, and as the result of his influential book Design and Living, published in 1947 […]«16 Mitte der 1930er-Jahre, als die ersten Emigranten aus dem Deutschen Reich vor der Verfolgung durch das Naziregime geflohen waren, betrieb Neuseeland eine restriktive Zuwanderungspolitik. Trotzdem erreichten ca. 1000 Flüchtlinge Neuseeland, bevor die offizielle Teilnahme am dem Zweiten Weltkrieg (für Neuseeland ab 1942) alle weiteren Einwanderungen stoppte.17 Ungefähr 500 Flüchtlinge kamen aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, größtenteils Personen aus der Mittelschicht mit guter Berufsausbildung. Der größte Teil kam aus den Städten Berlin, Wien und Prag, sodass die kleinstädtische Situation in Wellington eine große Umstellung für sie bedeutete. Im Jahr 1941 hatte Wellington mit seinen ca. 160 000 Einwohnern kein Symphonieorchester, kein professionelles Theater, keinen Musikverein, nur wenige Restaurants und auch kein Kaffeehaus im europäischen Sinne.18 Im Vergleich dazu hatte Wien ein großstädtisches Kulturangebot mit Oper, Theater, Musik und Museen, für die europäischen Elite. Viele Emigranten erlebten in Neuseeland einen Kulturschock, der in Wellington noch durch die verspäteten Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise verstärkt wurde: keine offensichtliche Armut, aber vernachlässigte Häuser und urbane Tristesse.19 Obwohl viele Emigranten anfänglich die urbanen Qualitäten der euro­päischen Heimat vermissten, waren sie sich doch der neuen Reali-

16 Peter Shaw, The 1950s Show, Ausstellungskatalog, Auckland City, 1992/93, S. 24. Die intensive Rezeption der Architekturmoderne und der Bauten Ernst A. Plischkes in Neuseeland be­ gann mit der Diplomarbeit von Linda Tyler (1986) und einer Arbeit von Antony James Matthews (eben­ falls 1986). Tyler, 1986; Matthews, 1986. Besonders die umfangreiche Arbeit von Linda Tyler verweist auf die anfänglichen Schwierigkeiten, die Plischke bei seiner Ankunft in Neuseeland hatte. Weitere Pub­ likationen über »New Zealand Architecture« und »The Modern Movement in Wellington« dokumentie­ ren das neue Interesse an einer kritischen Historiografie, wo die Aspekte der »Refugees« und deren Anteil an der kulturellen Modernisierung Neuseelands im historischen Kontext erläutert und hervorgehoben werden. Vergleiche Shaw/Morrison, 1991; Wilson (Hg.), 1996. 17 Vergleiche Anne Beaglehole, A Small Price to Pay: Refugees from Hitler to New Zealand, 1936–1946, Wellington 1988. 18 Zitiert nach: Introduction to New Zealand, Historical Branch, Department of Internal Affairs, Wellington 1945, p. 26. 19 Vgl. Beaglehole (wie Anm. 17), S. 30: »Shabby, grim, even ugly, were some of the adjectives used to describe first impressions of Wellington. It seemed to the newcomers like a provincial town in Europe rather than a capital city.«

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tät bewusst. Durch neue Bekanntschaften und Freundschaften setzte sich ein Prozess der Assimilierung in Gang, der sowohl zum Vorteil beider Bevölkerungsteile beitrug, als sicherlich auch eine stärkere kosmopolitische Situation in Neuseeland bewirkte. Neuseeland war traditionell ein Land, das seine Leitkultur importiert hatte, zuerst im 19. Jahrhundert aus Großbritannien, später aus dem restlichen Europa. Im 20. Jahrhundert kam nach der großen Welle der europäischen Emigranten dem »Kulturimport« aus den Vereinigten Staaten eine wachsende Bedeutung zu. In der Zeitschrift New Zealand Building wurden im Februar 1924 erstmals Fotos amerikanischer Architektur publiziert. In den Bibliotheken waren ab 1939 die Zeitschriften Architectural Forum (USA), ebenso L’archi­tecture d’aujourd’hui (Paris), Pencil Point (später Architectural ­Record, USA) und Architectural Review (London) erhältlich. Die Verbindung von Neuseeland zu den Vereinigten Staaten war geprägt von einem starken medialen Austausch: Architekturzeitschriften und Architekturpublikationen aus Amerika prägten weitgehend die Architekturkultur nach dem Zweiten Weltkrieg. In Neuseeland fand die Rezeption der europäischen Moderne via Amerika statt: Die Amerika-­ Rezeption war de facto eine Rezeption der Rezeption – der »Kultur­ import« der Bauhaus-Moderne erfolgte über den Umweg Amerika. Ernst Plischke war als Europäer ein direkter Vertreter der »Inter­ national Style«-Ikonografie und hat prinzipiell diese Haltung nie verlassen. Seine in Neuseeland publizierten Bücher About Houses (1943) und Design and Living (1947) verstärkten diese Bedeutung. Darin lag seine große Bedeutung für Neuseeland, und später war darin seine »historische« Rolle für Österreich begründet – einschließlich seiner Lehr­ tätigkeit von 1963 bis 1973 an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ernst Plischke lebte von 1939 bis 1963 – also fast ein Vierteljahrhundert lang – in Neuseeland. Seine Rückkehr nach Wien war eine persönliche Bestätigung seiner architektonischen Leistungen. Allerdings konnte sich Plischke – wie so mancher »Rückkehrer« – in das »neue Österreich« nicht mehr einleben. Er starb am 23. Mai 1992 in Wien.

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9.3–9.4  Ernst A. Plischke Publikation zu Ernst A. Plischke, Seiten 184/185 und 162/163, Prestel Verlag, Autoren: Eva B. Ottillinger und August Sarnitz, 2003

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Tokio, Hochhäuser CBD, 2017

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Architekturfotografie – und ein Architekturalbum

Mein subjektives Statement und exemplarische Projekte: Biografische Erfahrungen sind durchaus relevant. Die Fotografie begleitet mich seit meiner frühen Kindheit. In der elterlichen Dunkelkammer beob­ achtete ich das Entwickeln von Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Ein faszinieren­ der Prozess: Zuerst bildet sich das Negativ kaum sichtbar auf dem Foto­ papier ab, um dann innerhalb kurzer Zeit zu einem sichtbaren Fotobild zu werden. Seit diesen Jahren war das Foto für mich immer nur eine mögliche Abbildung der Realität – nie die Abbildung der Realität selbst. Die Dauer der Entwicklung kann das Abbild verändern. Zusätzliches partielles Abdecken verändert den Aufbau des Fotobildes. Das Negativ war nur der Beginn für eine Reihe möglicher Realitäten. Durch meine Research-Arbeiten über Rudolph M. Schindler und die kali­ fornische Moderne lernte ich im Januar 1982 in Los Angeles Julius Shulman kennen, der in einem wunderbaren Studio-House von Raphael Soriano am Woodrow Wilson Drive wohnte und arbeitete. Diskussionen mit Julius er­ öffneten mir eine völlig neue Welt der Architekturfotografie: die inszenierte Welt des Fotos. Seine Fotos erzählen kurze Geschichten: Das scheinbar zu­ fällige Platzieren von Objekten und Personen verband das Optische mit dem Narrativen. Sein berühmtes Foto von dem Haus Kaufmann in der Wüste von Palm Springs zeigt eine Frau am Pool liegend. Später erklärte mir Julius, dass die Position der Frau einen Unterwasserscheinwerfer ver­ decken sollte. Ich war die erste Person, die Julius 1986 nach Wien zu einem Vortrag an die Akademie der bildenden Künste einlud. Seine Frau stammte aus Wien, wollte ihn aber nicht mehr in diese Stadt zurückbegleiten. Sein Vortrag war für die Studierenden voller Überraschungen. Immer wieder betonte Julius die Bedeutung des Fotos, besonders auch dessen dokumentarische Quali­ tät. Die Architektur wird verändert, zerstört, abgerissen – das Foto bleibt. Das Foto archiviert einen Zeitpunkt, der nicht wiederholt werden kann. Mehrere Male besuchte ich Julius auch mit Studierenden im Rahmen unserer Exkursionen nach Kalifornien. Esther McCoy hat mit ihrem Buch Vienna to Los Angeles: Two Journeys eine wunderbare Erzählung über Wien und Los Angeles, über Rudolph Schindler, Richard Neutra und Louis Sulli­ van dokumentiert.1 Später hat Wolf D. Prix die Verbindung Wien–Los Angeles wieder akti­ viert. Beide Städte verbindet ein ungeahntes Netzwerk. Architekturfotografinnen wie Margherita Spiluttini, Pez Hejduk oder Anna Blau sowie Architekturfotografen wie Georg Riha, Thomas Freiler, 1 Esther McCoy, Vienna to Los Angeles: Two Journeys, Art + Architecture Press, Santa Monica 1978. ­Esther McCoy arbeitete im Büro von Rudolph Schindler und hat mir zahlreiche Informationen zu meinem ­Research gegeben.

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­ upert Steiner oder Gerald Zugmann begleiteten mich bei meinen Publika­ R tionen, meinen Tätigkeiten als Ausstellungskurator und bei meinen eigenen Architekturprojekten. Architekturfotos sind bedingte Abbildungen von Realitäten und histori­ sche Dokumentationen. Sie sind keine absolute Realität, sondern mögliche und konstruierte Abbildungen der Welt. Die moderne Architektur und die Fotografie sind in ihrer historischen Ent­ wicklung untrennbar miteinander verbunden. Das Fotobild wurde von der modernen Architektur als Projektion instrumentalisiert. Printmedien und Architekturausstellungen haben im 20. und 21. Jahrhundert mithilfe des Fotos Architekturgeschichte konstruiert. Seit der Präsentation und Markt­ einführung des i-phones im Jahr 2007 hat sich die globalisierte Architektur­ diskussion verstärkt über Medien soziale Plattformen sowie Bilddienste aus­ gedehnt. Der Pluralismus der Bilderwelten führte zu einer neuen Diskussion über die Architektur: Konvention, Kanonisierung, Ikonografie und Ikono­ logie werden laufend hinterfragt und neu interpretiert. Die Frage nach der Bildbeliebigkeit von Fotos ist von großer Relevanz. Ein Aspekt bleibt: die situationistische Qualität des Fotos. Die Auswahl meiner Fotos bezieht sich nur auf die letzten zehn Jahre der digitalen Fotografie. Ein großer Teil der analogen Fotos reicht bis in das Jahr 1972 zurück, als ich erste selbstständige Reisen nach Rom und Pompeji unternahm oder als mich eine erste private Architekturreise 1974 nach Frankreich zu Le Corbusiers Kirche in Ronchamp brachte. Eine erste Architekturexkursion mit Rob Krier und Hans Puchhammer führte mich 1976 nach Moskau, unter anderem zu den Architekturen von Konstantin ­Stepanowitsch Melnikow und Moissei Jakowlewitsch Ginsburg. Die Abbildungen sind nach dem Datum der Reisen chronologisch gereiht – ganz im Sinne eines Albums.

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Paris, Maison La Roche et Jeanneret, Le Corbusier et Pierre ­Jeanneret, Fotos 2009

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Wien, Haus Wittgenstein, Fotos 2010

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Florenz, Chiesa dell’autostrada del Sole, Giovanni Michelucci, Fotos 2011

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Viareggio, Strand, Fotos 2012

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Architekturfotografie – und ein Architekturalbum

London, Videokameras, Umgebung Bahnhof Waterloo, Fotos 2013

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Venedig, Fondazione Querini Stampalia, Carlo Scarpa, Fotos 2014

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Architekturfotografie – und ein Architekturalbum

Mailand, Fondazione Prada, Rem Koolhaas, Fotos 2015

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Mailand, Torre Velasca, BBPR, 1956–1958, Foto 2017

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Tokio, Tokyo Metropolitan Government Building (City Hall), Kenzo Tange und andere, Foto 2017

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Biografie August Sarnitz

Architekt und habilitierter Professor für Architektur, Architekturgeschichte und Architekturtheorie am Institut für Kunst und Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien. Nach dem Architekturstudium in der Meisterschule Gustav Peichl an der Akademie der bildenden Künste, ein post-graduate Studium am Massachusetts Institute of Technology (MIT 1981/82), USA, Promotion 1983 an der Technischen Universität Wien zum Doktor der technischen Wissenschaften. Unter anderem Vorsitzender des Senates der Akademie der bildenden Künste (2003–2006) und Vorsitzender des Gründungskonventes (2002/03) sowie Mitglied diverser Austellungskommisionen und Mitglied verschiedener Berufungskommissionen. Von 2004 bis 2017 in der Kammer für Architekten und Ingenieure für Wien, Niederösterreich und Burgenland als aktives Mitglied tätig. Mitglied für drei Jahre im Gestaltungsbeirat der Stadt Wien, seit 1996 Mitglied des Altstadterhaltungsfonds der Stadt Wien. Laufend Vorträge und Teilnahme an internationalen Symposien in ­Europa und den USA. Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeiten sind die zeitgenössische und moderne Architektur, urbanes Design und die Emigrationsarchitektur im 20. Jahrhundert. Gastprofessuren an der University of California, Los Angeles (1988) und an der Rhode Island School of Design (1990). Kurator einer Vielzahl von Ausstellungen zum Thema Urbanismus, Architektur und Kunst (auch gestaltet). August Sarnitz erhielt eine Vielzahl von Preisen und Auszeichnungen, unter anderem 1990 den Visiting Fulbright Professor Award (USA), 1989 den Förderpreis, den Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung, die Förderung wissenschaftlicher Publikationen, 1982 das I­nstitute of International Education Scholarship, New York William Shepherd Fund, 1981 den Förderpreis für Architektur vom Bundesminis­terium für Wissenschaft und Forschung, Wien, und 1980 den Fügerpreis der Akademie der bildenden Künste Wien. 1981/82 war August Sarnitz Fulbright Scholar der Österreichisch-­ Amerikanischen Fulbright Gesellschaft.

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Biografie August Sarnitz

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Hochhaus Berlin, Spreebogen, Axonometrie, 1988

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Biografie August Sarnitz

Publikationen (Auswahl) Private Utopia (Hg. August Sarnitz, Inge Scholz-Strasser), De Gruyter, Berlin/ Boston 2015 Die Architektur Wittgensteins, Böhlau Verlag, Wien 2011 Architektur Wien: 700 Bauten, Springer Verlag, Wien 2008 Josef Hoffmann, Taschen Verlag, Köln 2007 Otto Wagner, Taschen Verlag, Köln 2005 Ernst Plischke, Prestel Verlag, München 2003 (deutsch) und 2004 (englisch) mit Eva Ottillinger Adolf Loos, Taschen Verlag, Köln 2003 Wien neue Architektur, 1975–2005, Springer Verlag, Wien 2003 Architekturführer Wien, Architektur Wien: 500 Bauten, Springer Verlag, Wien 1997 (dt.), 1998 (engl.) Bauen in Europa, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Springer Verlag, Wien 1998 Lichtung – August Sarnitz, Michael Wagner – Bauten und Produkte, ­Ausstellungskatalog, Hg. Akademie der bildenden Künste, Wien 1997 Ernst Lichtblau – Architekt 1883–1963, Böhlau-Verlag, Wien 1994 Lois Welzenbacher – Architekt, Residenz, Salzburg/Wien, Wien 1989 Rudolf Schindler – Architect, Rizzoli, New York 1988 (erweiterte engl. ­Ausgabe) R. M. Schindler – Architekt, Verlag Brandstätter, Wien 1986 Drei Wiener Architekten, Edition Tusch, Wien 1983

Werkverzeichnis, Arbeiten als Architekt (Auswahl) 2015–18 Wohnhaus am Attersee, Steinbach Auftraggeber: privat 2014

Möbelentwurf, Tisch Auftraggeber: privat

2011–14 Wanderausstellung Die Architektur Wittgensteins, unter anderem in Udine, Venedig, Mailand, Budapest, Pécs, ­Charlottesville (USA) Auftraggeber: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 2010–13 Umbau und Zubau, Generalsanierung privates Wohnhaus Wien-Neustift Auftraggeber: privat 2008–09 Umbau, Zubau und Freiraumgestaltung Stift St. Peter, Wien-­Dornbach Auftraggeber: Stift St. Peter 2007

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Umbau und Inneneinrichtung Wohnung Wien-Josefstadt Auftraggeber: privat

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Biografie August Sarnitz

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Wohnhaus Leberberg, Axonometrie und Regelgeschoss, 1993

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Biografie August Sarnitz

2006

Möbelentwürfe, Regale Auftraggeber: privat

2004–06 Wohnhaussanierung und Dachausbau, Wien, 3. Bezirk Auftraggeber: privat 2004 Ausstellung Ernst Plischke Architect Auftraggeber: City Gallery Wellington, Neuseeland 2003

Ausstellungsgestaltung und komplettes grafisches Konzept für die Architekturausstellung: Ernst Plischke – Das Neue Bauen und die Neue Welt, das Gesamtwerk Auftraggeber: Akademie der bildenden Künste Wien

2002

Ausstellungsgestaltung und Kataloggestaltung (komplette Grafik) für die Ausstellung Ernst Epstein (1881–1938). Der Bauleiter des ­Looshauses als Architekt Auftraggeber: Jüdisches Museum der Stadt Wien

2001–05 Wohnbau Glanzing Park, Neubau, 1190 Wien, Glanzinggasse Auftraggeber: RBM-Wohnbau 2001–05 Revitalisierung und Adaptierung der ehemaligen Kinderklinik Glanzing, 1190 Wien, Glanzinggasse Auftraggeber: RBM-Wohnbau 2000–04 Sozialer Wohnbau, Wohnbau in Wien X., Laubeplatz, Kunst am Bau: Eva Schlegel Auftraggeber: Wohnbauvereinigung für Privatangestellte GPA 2001

Gutachterverfahren Strukturkonzept für den Bereich Medien für das Technische Museum Wien Auftraggeber: Technisches Museum Wien

2000–02 Ausstellung und Ausstellungsgestaltung Wien Städtebau Ausstellungskommissär, Konzept und Redaktion, Ausstellungsgestaltung und Grafik mit Plänen, Modellen und Videos, Katalog Auftraggeber: Stadt Wien MA 18 1999

Gutachten, Schnittbildzentrum, Baumgartner Höhe Auftraggeber: Krankenanstaltenverbund der Stadt Wien

1998–2003 Wanderausstellung Bauen in Europa, Ausstellungskommissär, Konzeption und Redaktion, Ausstellungsgestaltung und Grafik mit Plänen, Modellen und Videos, Katalog. Ausstellungen unter anderem in: 1998 Lyon (Eröffnungssaustellung), 1999 Teheran, 2001 Kopenhagen, 2002 Oslo, 2002 Krakau Auftraggeber: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, vertreten durch Dr. Georg Jankovic.

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Buchcover

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Biografie August Sarnitz



Wanderausstellung anlässlich der österreichischen EU-­ Präsidentschaft

1997–2001  Revitalisierung und Adaptierung Baumgartner Höhe, Psychiatrische Abteilung, Generalplanerauftrag für PAV 16 (Architektenteam Baumgartner Höhe: Sarnitz-Soyka-­Silber-Soyka) Auftraggeber: Krankenanstaltenverbund der Stadt Wien 1996

Studie über Dachausbauten für die Stadt Wien Auftrag­geber: Stadt Wien MA 19

1996

Ausstellungsgestaltung, Ausstellung Tina Blau Auftrag­geber: Jüdisches Museum der Stadt Wien

1995

Städtebauliches Gutachten, Wien, 22. Bezirk (gemischte ­Bebauung) Auftraggeber: Neues Leben, Wohnbaugenossenschaft, Wien

1995–97 Ausstellung und Ausstellungsgestaltung Wien-Architektur – Der Stand der Dinge, Ausstellungskommissär, Konzeption und Redaktion, Ausstellungsgestaltung und Grafik mit Plänen, Modellen und Videos, Katalog. Ausstellungen unter anderem in: 1995 Rom, 1996 Neapel, 1996 Sevilla, 1997 Berlin Auftraggeber: Stadt Wien MA 18, MA 19 1995

Vorentwurf Hauptschule Floridsdorf Auftraggeber: Stadt Wien, MA 19

1994

Studie, Analyse und Bestandsaufnahme Rathauspark Wien, historische Geländer Auftraggeber: Stadt Wien, MA 19

1994

Ausstellungsgestaltung, Ausstellung Marc Chagall Auftraggeber: Jüdisches Museum der Stadt Wien

1994

Ausstellungsgestaltung, Ausstellung Natzler Keramik Auftraggeber: Jüdisches Museum der Stadt Wien

1993–95 Wohnbau Wulzendorferstraße, Wien-Aspern Auftrag­geber: SEG, Wien 1993/94 Denkmalschutzsanierung Akademie der bildenden Künste Wien, Südfassade Theophil Hansen-Bauwerk, sanfte Fassadenrenovierung, Durchführung durch die BIG Auftrag­geber: Akademie der bildenden Künste Wien 1993

Wohnbau Leberberg, Wien-Simmering Auftraggeber: Neues Leben, Wien 233

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Biografie August Sarnitz

1993

Ausstellungsgestaltung, Ausstellung Das Lied der Erde Auftraggeber: Jüdisches Museum der Stadt Wien

1992

Städtebauliches Gutachten und Planung Wohnbebauung Brünner Straße, Wien Auftraggeber: SEG, Wien

1991–93 Wanderausstellung Museumspositionen, Ausstellungskommissär, Konzeption und Redaktion, Ausstellungsgestaltung und Grafik mit Plänen, Modellen, Videos und Katalog. Ausstelungen in: 1991 Wien, Secession (Eröffnungssaustellung), 1992 Sevilla, 1992 ­Madrid, 1993 Berlin, 1993 Dresden, 1994 Mailand, 1994 Paris, 1994 Lindau Auftraggeber: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, vertreten durch Dr. Georg Jankovic 1990

Kirche für St. Pölten (Projekt) Auftraggeber: Österreichische Gesellschaft für christliche Kunst, vertreten durch Dr. Alfred Sammer (Akademiedirektor der Akademie der bildenden Künste Wien)

1990

Möbelentwürfe, Tische, Regale Auftraggeber: privat

1988

Städtebaulicher Ideenvorschlag, Berlin, Spreebogen, Ausstellung Berlin – Denkmal oder Denkmodell, architektonischer Entwurf Auftraggeber: Senat für Bauen und Wohnen, Berlin

1987–90 Städel-Museum, Frankfurt am Main, Zubau Westflügel, als ­Projektleiter für Architekt Gustav Peichl Auftraggeber: Stadt Frankfurt am Main 1987 Wanderausstellung Master Drawings, Ausstellungskommissär, Konzeption und Gestaltung einer Architekturausstellung über Otto Wagner mit 100 Originalzeichnungen. Ausstellungsorte: 1987 New York, 1987 Atlanta, 1988 Los Angeles, 1988 Minneapolis Auftraggeber: The Drawing Centre, New York 1986

Ausstellungskommissär, Konzeption und Gestaltung einer Architekturwanderausstellung über Rudolph ­Schindler mit Modellen, Plänen und Fotos, Ausstellungsorte: Wien, Zürich (ETH), ­Lausanne (EPL), Cambridge (Harvard GSD), Aarhus (Architekturfakultät), Auftraggeber: Akademie der bildenden Künste Wien

1985

Ausstellungskommissär für die Ausstellung und Katalog über den Architekten Otto Wagner, Auftraggeber: Akademie der bildenden Künste Wien

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Index Abraham, Raimund  179, 180 Achleitner, Friedrich  209 Akademie der bildenden Künste Wien  9, 16, 27, 155, 212 Alberti, Leone Battista  142, 147 Anderson, Stanford  15, 16 Aquino, Thomas von  98 Acon Art Museum  176 Arendt, Hannah  149 ARTEC (Architekten)  140 Augenfeld, Felix  147, 205 Basel 146 Bauhaus  32, 65, 144, 146, 148 Baumfeld, Rudolf  205 Baumgarten, Wilhelm  205 Baumschlager Eberle  140 Beer, Julius und Grete  147 Beduzzi, Antonio  139 BEHF (Architetken)  140 Behrens, Peter  20, 141, 143 Benjamin, Walter  119, 157, 191 Berger, Arthur  205 Berlage, H.P.  108 Berlin  52, 55, 67, 116, 146, 175, 184, 204, 211 Beverly Hills Blade Runner  66 Blau, Anna  215 Bley, H.  20 Bloc, André  178 Big-Data  11, 12, 19, 27, BKK (Architekten)  140 Bogner, Dieter  110 Boston Bötticher, Carl  101 Böckmann, Wilhelm  19 Brandt, Gerhard Breuer, Marcel  152 Breuer, Otto  204 Brinkmann, Albert Erich  55, 61, 62 Brno (Brünn)  146 Brown, Vernon Brus, Gunter Buffalo 106 Buren, Daniel  116 Burnham, Daniel  55 BUS Architektur  140, 186 BWM (Architekten)  140 Calatrava, Santiago  174 Capek, Karel  155 Cité Industrielle CIAM Chandigarh 187 Chicago  50, 52, 55, 100, 106, 158, 167, 176, 191, 209 China  50, 181, 184 Christus 165 Clay, Cassius / Muhammed Ali 177

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Columbia University  55, 63 Contamin, Victor  93 Coop-Himmelblau  140, 175, 177, 180, 186, 187 Cordemoy, Abbé Jean-Louis de 12 Cufer, Margarete  140 Culot, Maurice  49 Czech, Hermann  140 Dante, Alighieri Dehli Delugan Meissl Associated ­Architects  140 Derrida, Jacques  175 Descartes, René  92, 139 Dessau  32, 65 DeStijl 152 Dex, Josef F.  205 Deutsche Bauzeitung  19 Dietzenhofer, Johann  20 Diller, Scofidio + Renfro  180 Disneyland 52 Domenig, Günther  180 Durand, Jean-Nicolas-Louis  113 Dutert, Ferdinand  93, 97 Dylan, Bob  177, 178 Eames, Charles und Ray  120 Eichberger, Walter  205 Eichholzer, Herbert  205 Eiffel, Gustave  59 Eiffelturm 93 Egli, Ernst  205 Einstein, Albert  96, 109 Eisenman, Peter  175, 180 Eisler, Martin  205 England 144 Engelmann, Paul  147 Ericson, Estrid  147, 148 Fabiani, Max  140, 142 Farnsworth, Edith  97 Fercher, Doris  177 Feuerstein, Günther  178 Firth, Cederic Flavin, Dan  116 Florenz 165 Fontane, Theodor Fooks, Ernst Leslie (Fuchs)  205 Forbát, Fred (Alfred Füchsl)  205 Foster, Norman  27 Fourier, Charles  31 Frampton, Kenneth  96, 97 Frank, Josef  120, 139–144, 146–150, 191, 205, 209 Frankfurt am Main  165, 173, 175, 184, 185, 187 Frankl, Paul Theodore  204, 205 Freiler, Thomas  215

Freud, Sigmund  7, 8,11, 156, 175 Friedell, Egon Friedländer, Georg  63 Fritsch, Karl Emil Otto  19 Fromm, Erich  149 Fuller, Buckminster Garnier, Tony  31, 56 Gastew, Alexei  31 Gehry, Frank  175, 177, 181, 184 George, Hugo  204 Gheorghe, Andrei Giedion, Sigfried  19, 28, 61, 96, 112, 209 Ginsburg, Moissei J.  216 Gizeh 165 Goethe, Johann Wolfgang von 119 Göbbels, Hubert  19 Goff, Bruce  178 Google-Faktor  9, 12, 27 Google-Index  9, 12, 27 Gotthilf, Ernst von  205 Grill, Dagmar  149, 150 Groag, Jacques  205 Gropius, Walter  19, 20, 27, 65, 144, 146, 148, 151, 152, 205, 209 Gross, Fritz  205 Grossbritannien 147 Gruen, Victor (Grünbaum, Viktor)  147, 205 Grünberger, Arthur  146 Guggenheim Museum (New York) Guggenheim, Peggy  158, 160 Guevrekian, Gabriel  146 Hadid, Zaha  142, 175, 178, 180, 181, 185, 187 Haerdtl, Oswald  140 Haghia Sophia  71 Hamburg  116, 175 Hamlin, A. D., (Homlin)  55 Harvard University  19, 152, 178, 209 Harvey, David  50 Haus-Rucker-Co 140 Haussmann, Baron Georges-­ Eugene 60 Hays, K. Michael  67 Häring, Hugo  146, 209 Heidegger, Martin  100, 109, 110, 120 Hejduk, Pez Hellwig, Otto Rudolf  205 Henrici, Karl  55, 59, 61 Herrons, Ron  66 Hilberseimer, Ludwig  64, 65, 67, 144, 152 Hildebrandt, Adolf  96 Hildebrandt, Johann Lucas von  20

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Index Hille, H  20 Hitchcock, Henry-Russel  65, 108, 146 Hitler, Adolf  176, 203 Hoffmann, Josef  15, 140, 141, 142, 143, 148, 191 Holl, Steven  180 Hollein, Hans  27, 50, 71, 139, 140, 154, 155, 161–174, 178–181, 185, 186 Holzbauer, Wilhelm  140, 178, 179 Holzmeister, Clemens  140, 178 Howard, Ebernizer  31 Hönigsfeld, Rudolf  205 Huxley, Aldous  32 International Style  65, 146, 175, 203 Iran 172 Isozaki, Arata  180 Israel 147 Istanbul 71 Jabornegg und Palffy  140 Jeanneret, Pierre  112, 187 Janeba, Fritz  205 Jakarta 52 Jäger, E  20 Jeddah-Tower Johnson, Philip  65, 108, 146, 175 Judd, Donald  116 Jünger, Ernst  100 Kahn, Louis  167 Kant, Immanuel  92 Kaufmann, Edgar  206 Kiesler, Friedrich  105, 110, 112, 116, 139, 140, 151, 152, 154–159, 178, 180 Kleiner, Leopold  205 Klotz, Heinrich  16 Knips, Sonja  148 Koetter, Fred  49 Kogler, Peter  116, 117 Kohlbauer, Martin  140 Kokoschka, Oskar  116 Koolhaas, Rem  69, 169, 175, 180, 181 König, Karl  142 Kramer, Ferdinand  144 Kraus, Karl  18 Krier, Leon  49 Krier, Rob  49, 178, 216 Krischanitz, Adolf  140 Kulka, Heinrich (Henry)  102, 205, 208, 211 Kurz, O  20 Kühn, C  20 Kuwait 50 Lainer, Rüdiger  140 Lang, Fritz  31, 65 Laugier, Abbé Marc-Antoine  12 Lavin, Sylvia  180

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Le Corbusier  20, 27, 66, 93, 106, 110, 112, 113, 114, 144, 146, 151, 154, 172, 178, 186, 187, 216 Lefebvre, Henri  91 Leibniz, Gottfried Wilhelm  92 Lewitt, Sol  116 Letchworth 56 Libeskind, Daniel  175, 181 Lichtblau, Ernst  147, 203, 205, 206, 207, 208 Lederer, Emil  149 London  8, 52, 93, 105, 176, 205 London School of Economics  52 Los Angeles  66, 67, 120, 176, 177, 191, 204, 215 Lobatschewsky, Nikolai  96 Loos, Adolf  13, 14, 18, 93, 96, 101, 102, 105, 112, 114, 116, 120, 140, 141–143, 148, 154, 158, 164, 177, 191, 192, 204, 211 Loos, Walter  205 Louvre 152 Lurcat, André  146 Lueger, Karl  63 Lynn, Greg  178 Lyon  181, 184 Lyotard, Jean-Francois  28, 50 Mackintosh, Charles Rennie  106 Makart, Hans  181 Malaysien 50 Manila 52 Mayne, Thom  176, 177, 179, 180, 185, 186 McCoy, Esther  215 McKim, Mead and White  63 Melnikow, Konstantin  120, 155, 216 Mendelsohn, Erich  154, 204 Metropolis Meyer, Hannes  67 Minkowski, Hermann  109 Miralles, Enrique  179 Moholy-Nagy, László  151 Molino, Carlo  180 Moneo, Rafael  173 Montani, Gabriele  139 Morris, William  31, 105 Moskau  120, 154, 216 Moss, Eric  177, 179, 180, 181 Mönchengladbach 173 Mozart, Wolfgang Amadeus  178 Muche, Georg  119 Museum of Modern Art (MOMA), New York  64, 108, 120, 146, 159, 175, 176, 203, 206, 207 Musil, Robert  64, 68 Muthesius, Hermann  27, 94, 105, 106, 139 Müller, Fritz Michael  205 München 181

Neubrunn, Emanuel  205 Neumann, Friedrich (Newman, Frederick) 208 Neuseeland  147, 204, 210, 211, 212 Neutra, Richard  106, 146, 176, 204, 208, 215 New Mexiko  105 New York  52, 55, 64, 71, 110, 146, 149, 152, 157, 173–175, 178, 203, 204, 206 Newton, Isaac  92 Noever, Peter  180 Oak Park  106 Oechslin, Werner  113 Olbrich, Joseph  140 Ortner und Ortner  140 Oud, J. J. Pieter  144, 154 Owen, Robert  31 Pallazzo Strozzi Paris  52, 59, 93, 113, 152, 157, 160, 185 Parker, Barry  56 Pascoe, Paul Paul, Jean  54, 55, 63 Paxton, Joseph  93 Peichl, Gustav  140 Peche, Dagobert  141 Perret, Auguste  96, 154 Perriand, Charlotte  187 Pichler, Walter  180 Piranesi, Giovanni Battista  178 Plano, Illinois  97 Pliscke, Ernst A.  141, 147, 203, 205, 208–212 Podrecca, Boris  140, 186 Poelzig, Hans  144 Pompeij 216 pool Architektur  140 Popper, Karl  177, 208 Popper, Kurt  205 Pöppelmann, Carl Friedrich  20 PPAG (Architekten)  140 Prado Prag 146 Preis, Alfred  205 Prix, Wolf D.  139, 142, 175–188, 215 Pruitt-Igoe 64 Puchhammer, Hans  216 Pugin, Augustus W. N.  101, 105 Rainer, Arnulf Rainer, Roland  140 Riley, Terence  120 Riegle, Alois Riemann, Georg  96 Rietveld, Gerrit  146, 180 Riha, Georg  215 Riss, Egon  205 Risse, Otto  20 Rohe, Ludwig Mies van der  18, 96–98, 100, 139, 144, 146, 152, 154, 167, 187, 205, 209 Rolling Stones  177 Rom 216 Rotondi, Michael  176, 177

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Index Roth, Alfred  112 Rothschild, Albert Freiherr von  161, 170, 172 Rothschild, Louis  161 Rowe, Colin  49 Ruskin, John  105 Russland 50 Ryckwert, Joseph  50 Salvisberg, Otto Rudolf  27 Santiago de Cuba  100 San Francisco  98 Sant’Elia, Antonio  64 Sartre, Jean-Paul Saudi-Arabien 50 Scarpa, Carlo  167, 180 Scharoun, Hans  144 Schindler, Rudolph M.  105, 106, 108, 109, 110, 114, 120, 158, 159, 176, 191, 204, 208, 215 Schinkel, Friedrich  20 Schlesinger, Norbert  208 Schmarzow, August  14, 96 Schmidt, Friedrich von  161 Schönthal, Otto  205 Schumacher, A.  20 Schumacher, Fritz  20, 27 Schuster, Franz  20, 27 Schütte-Lihotzky, Margarethe  140, 205 Schwanzer, Karl  181 Schwarz, Rudolf Schwarzkogler, Rudolf  140 Schweden  146, 147, 149 Scott, Baillie  142 Scott, Ridley  66 Seidler, Harry  205 Semper, Gottfried  12, 96, 164 Sennet, Richard  15 Seoul 52 Shaw, Peter  210 Shulman, Julius  215 Simmel, Georg  65, 68 Simony, Stephan  205 Simpson, Robin

Singer, Franz  147, 205 Sitte, Camillo  49, 55, 58, 60–62, 64 Sizilien 71 Sobotka, Walter  143, 205 Soleri, Paolo  178 Soriano, Raphael  215 Spalt, Johannes  179 Spillutini, Margaritha  215 Spinoza, Baruch de  92 St. Louis  64, 154 St. Petersburg  52 Stam, Mart  144 Steiner, Rupert  216 Stift St. Peter (Wien)  72 Stifter, Adalbert  162 Stockholm  142, 146, 148, 150 Stonborough-Wittgenstein, Margarete  16, 148 Straumer, H Strnad, Oskar  142, 143, 204 Strozzi, Palazzo  165 Stübben, Josef  55 Stuttgart  144, 146, 147 Sullivan, Louis  68, 108, 110, 215 Superstudio 180 Svenskt Tenn  147, 149 Swiczinsky, Helmut  179 Syrakus 71 Szyskowitz-Kowalski, Karla  140

Venturi, Robert  93, 100 Vereinigte Arabische Emirate  50 Vereinigte Staaten von Amerika (USA)  50, 55, 146, 147, 149, 151, 154, 159, 174, 176–178, 204, 205, 212 Vesnin, Alexander (Wesnin)  154 Vetter, Hans Adolf  205 Vietnam 50 Ville-Issey, Jean Nicholas Jadot  139 Violet-le-Duc, Eugéne  96

Tafuri, Manfredo  11, 49 Taiwan 50 Taut, Bruno und Max  144 Tel Aviv Tesar, Heinz  140, 186 Tillner Willinger  140 Tokio 52 Trehet, Jean  139 Tschumi, Bernhard  7, 49, 175

Wagner, Otto  8, 12, 13, 52–56, 58, 59–64, 68, 94, 96, 106, 120, 139, 140, 154, 177, 191, 206, 208 Walking Cities  66 Weber, Max  100 Webb, Philipp  105 Weinbrenner, Friedrich  20 Wellington  208, 211 Welzenbacher, Lois  140, 175 Wien  32, 52, 72, 106, 139, 140, 142–144, 146, 148, 149, 151, 154, 165, 175–180, 187, 188, 207, 208, 211, 212 Wigley, Mark  175 Wimmer, Albert  140 Wittgenstein, Ludwig  2, 18, 148 Wlach, Oskar  142, 143, 147, 205 Woerle, Eugen  170 Woods, Lebbeus  179 Wölfflin, Heinrich  61 Wren, Christopher  20 Wright, Frank Lloyd  27, 106, 108, 110, 151, 154, 157, 191 Wroclaw (Breslau)  146

Urban, Josef  149, 204 Unwin, Raymond  56 Utzon, Jorn  167

Zimbler, Liane  205 Zugman, Gerald  216 Zürich 146

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Abbildungsverzeichnis

Akademie der bildenden Künste Wien, Institut für Kunst und Architektur, Arbeiten der ­Studenten und Studentinnen aus den Lehrveranstaltungen: 1.1, 1.2, 1.3–1.9 Akademie der bildenden Künste Wien, Universitätsbibliothek: 3.3, 5.2, 5.4–5.5 Anna Blau: 8.8–8.9 Pez Hejduk: 4.10-4.15, 6.3–6.12 Hans Hollein Archiv (Lilly Hollein): 3.2 Peter Kogler Studio, Vincent Everarts: 5.1, 5.8 Georg Riha: 7.2, 7.5–7.6 August Sarnitz: 0.1, 0.2, 2.19, 3.1, 5.7, 6.1–6.2, 6.13–6.15, 6.16–6.19, 7.1, 7.3–7.4, 7.7–7.8, 8.2, 8.3–8.7, 8.10–8.13, Seite 214, Seite 217, Seite 225 August Sarnitz Archiv: 2.1, 4.1, 4.6, 4.9, 4.16–4.21, 5.3, 5.6, 9.1–9.2, 9.3–9.4, Seite 228, 230 und 232 Margaritha Spillutini: 2.2–2.18, 4.2–4.5, 4.7–4.8, 8.1 Nóra Varga: Seite 226

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Impressum

August Sarnitz, Institut für Kunst und Architektur, Akademie der bildenden Künste Wien, Österreich Gedruckt mit Unterstützung von: Akademie der bildenden Künste Wien Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste HVS-Wien Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung WBVGPA, Wohnbauvereinigung für Privatangestellte

Grafische Gestaltung: Ekke Wolf, A-Wien Lithografie: Pixelstorm Kostal & Schindler OG, A-Wien Acquisitions Editor: David Marold, Birkhäuser Verlag, A-Wien Project and Production Management: Angela Fössl, Birkhäuser Verlag, A-Wien Druck: Holzhausen Druck GmbH, A-Wolkersdorf Coverabbildung: August Sarnitz, Wohnhaus Neustift am Walde, 1190 Wien, 2010–2012, Detail, Beschattungselement, Foto Pez Hejduk, 2012 Library of Congress Control Number: 2018937580 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen ­Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, i­nsbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und ­Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf ­anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur ­auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist g ­ rundsätzlich vergü­ tungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des U ­ rheberrechts. Der Autor weist darauf hin, dass zugunsten des Sprachflusses vorwiegend die männliche Geschlechtsform benutzt wurde. Sie steht gleichermaßen stellvertretend für Männer und Frauen und Genders. ISBN 978-3-0356-1228-8 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-1110-6 © 2018 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 987654321     www.birkhauser.com

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