Hans Ferdinand Maßmann: Altdeutscher Patriotismus im 19. Jahrhundert [Reprint 2015 ed.] 9783110858679, 9783110129106


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German Pages 496 [500] Year 1992

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Table of contents :
Inhalt
Siglenverzeichnis
0. Einleitung: Ansatzpunkt, Forschungsstand, Quellenlage
1. Maßmann und die altdeutsche Bewegung
2. Maßmann in der Heine-Forschung
3. Maßmann in der Tum- und Burschenschaftsgeschichte
4. Maßmann in der Geschichte der Germanistik
5. Maßmann als politischer Lyriker
6. Zur Quellenlage
I. Der Burschenturner: vom Tumschüler zum Agitator
1. Patriotische Erweckung
2. Turnerische Subkultur
3. Polit-Germanistik und Verfassungstumen
4. Jahns Prophet in Jena
5. Wartburgflammen
II. ’Demagogenjahre’: vom Pädagogen zum Philologen
1. Breslauer Possenspiel
2. Die Jagd beginnt
3. Ich hab' mich ergeben: lyrische Bewältigungsversuche
4. Nürnberger Nationalerziehung
5. Für Hellas nach Helvetien - und zurück
6. Wende zur Wissenschaft
III. In der Hut des Südens: germanistisch–literarischer Neuanfang
1. Heidelberger Moosrosen
2. Altdeutsche Erziehungslehren
3. Thronbesteigung eines Teutschen
4. Geisterstimme gegen Görres
5. Straßburger Kulturtransfer
IV. Ein Berliner wird Bayer: Münchener Turnplatz und Katheder
1. Turnerische Klimmversuche
2. Philologische Fettnäpfchen
3.High Noon mit Heine
4. Des Königs Nibelung
5. Des Volkes Dürer
6. Turnvater, Bayer, Professor
V. Der ’Turnprofessor’: Einordnung ins restaurative System
1. Abschwung des Volkstumens
2. Volkstümliche Publizistik
3. Politische Mythen
4. Flucht nach Italien
5. Ordinarius und Panegyrikus
6.Turnend im Establishment
7.Armin, der Rheinwächter
VI. Ein Bayer in Berlin: Glanzlose Heimkehr
1.Rückruf mit Hindernissen
2. Anti–welsche Germanistik
3. Lyrik für Lehrer
4. Spielball der Revolution
5. Politische Mythen II
6. Hiobsjahre mit Heine-Hohn
7. Neue Ära, neues Turnen
8. Großpreußische Erfüllung
9. Nachsprüche
VII. Werkverzeichnis Maßmann
1. Handschriften
a) Prosa
b) Lyrik
2. Prosaveröfffentlichungen
a) Selbständige Publikationen
b) Unselbständige Veröffentlichungen
3. Lyrikveröffentlichungen
a) Sammlungen
b) Zyklen und Einzeldrucke
4. Briefe
VII. Quellen– und Literaturverzeichnis
1. Archivalien
2. Ausgewertete Periodika
3. Literaturverzeichnis
IX. Dokumentation
1. Worte, am 18. October 1816
2. Geisterstimme des Kurf ärsten Maximilian
3. Verein für das Armins-Denkmal
4. Maßmanns Münchener Vorlesungen 1827–1842
5. Buchwidmungen von und an Maßmann
Personenregister
Portrait Hans Ferdinand Maßmann1
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Hans Ferdinand Maßmann: Altdeutscher Patriotismus im 19. Jahrhundert [Reprint 2015 ed.]
 9783110858679, 9783110129106

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Joachim Burkhard Richter Hans Ferdinand Maßmann Altdeutscher Patriotismus im 19. Jahrhundert

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Neue Folge Herausgegeben von

Stefan Sonderegger

100 (224)

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992

Hans Ferdinand Maßmann Altdeutscher Patriotismus im 19. Jahrhundert

von

Joachim Burkhard Richter

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek —

CIP-Einheitsaufnahme

Richter, Joachim Burkhard: Hans Ferdinand Massmann : altdeutscher Patriotismus im 19. Jahrhundert / von Joachim Burkhard Richter — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker ; N. F., 100 = 224) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1989 u.d.T.: Richter, Joachim Burkhard: Hans Ferdinand Massmann und die altdeutsche Bewegung ISBN 3-11-012910-8 NE: GT

ISSN 0481-3596 © Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Dietz Bering mit einem herzlichen Gruß von Sülz nach Klettenberg

im trauernden Angedenken an Ursula Angel (+ 1992)

Persönliche Vorbemerkung Ich freue mich, endlich die Buchfassung meiner Inaugural-Dissertation vorliegen zu sehen, die, im Frühjahr 1989 eingereicht, im Herbst 1989 unter dem Titel Hans Ferdinand Maßmann und die altdeutsche Bewegung. Turnen und Germanistik, Lyrik und Politik im frühen 19. Jahrhundert von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Für den Druck habe ich sie überarbeitet und im Schlußteil wesentlich erweitert, neuerschienene Literatur nach Möglichkeit noch berücksichtigt. Während der langjährigen Recherchen für dieses Projekt war ich auf die Hilfe vieler Archive und Bibliotheken angewiesen und habe sie auch in reichem Maße erhalten. Meinen herzlichen Dank dafür kann ich hier nur pauschal und unter Verweis auf die aufgeführten Institutionen in den Quellenverzeichnissen ausdrücken. Namentlich nennen möchte ich wenigstens diejenigen, deren wissenschaftliche Anteilnahme für mich auch einen menschlichen Gewinn bedeutete: den Turnforscher, Freund und StR Josef Ulfkotte in Dorsten, die Germanistikhistoriker Prof. Dr. Eckhard Grunewald (jetzt Oldenburg) und Prof. Dr. Bernd Neumann (jetzt Kyoto), Archivdirektor Dr. Morenz in München und vor allem meinen Doktorvater Prof. Dr. Walter Pape, der das Projekt von den Anfängen einer Seminararbeit über eine Magisterarbeit zu Maßmanns politischer Lyrik bis zur nunmehrigen Drucklegung der Biographie über ein Jahrzehnt mit Übersicht, Geduld und viel Toleranz begleitet hat. Dankbar bin auch den Bürgerinnen und Bürgern des Landes NordrheinWestfalen für ein Graduiertenstipendium mit Reiseunterstützung, dessen Gewährung nicht zuletzt durch ein Gutachten erreicht wurde, das der spätere Ko-Leser Prof. Dr. O. Dann vom Historischen Seminar dem Fachfremden vertrauensvoll ausstellte. Besonders herzlicher Dank gilt meinen Eltern als weiteren Hauptsponsoren, den Verantwortlichen des Verlagshauses de Gruyter für ihr großzügiges Entgegenkommen und die Aufnahme in die Quellen und Forschungen, Horst Helten, der mich mit Maßmann bekannt machte, den Teilnehmern eines tumhistorischen Doktorandenkolloquiums 1985 in Münster, die meine Außenseiter-Forschungen ermutigten, Christoph Reichwein für seine Unterstützung bei der Herstellung der Druckvorlage und schließlich allen Freundinnen, Freunden und ehemaligen Kollegen, die

νιπ

Vorbemerkung

meine wechselvollen Gefühle während der langen Auseinandersetzung und dem langsamen Werden ertrugen und ertragen halfen. Zwischen der Einreichung und der Drucklegung dieser Arbeit hat sich in Deutschland Erstaunliches ereignet. Die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR haben bewiesen, daß sich Geschichte nicht nur wiederholen, sondern auch einmal überholen kann. Der neuerreichte Nationalstaat hat nicht nur die Notwendigkeit vermehrt, sich mit den Hintergründen des deutschen Nationalbewußtseins auseinanderzusetzen, sondern durch die Öffnung der Ost-Archive auch neue Forschungsmöglichkeiten eröffnet, von denen bis vor kurzem nur zu träumen war. Sollte mein Rekonstruktionsversuch über die biographische Information hinaus zu einer breiteren und vertieften Erforschung des altdeutschen Patriotismus anregen, sähe ich meine voimaligen Mühen doppelt belohnt.

Köln-Sülz, am 15. Mai 1992

Joachim Burkhard Richter

Inhalt Siglenverzeichnis

ΧΠΙ

0. Einleitung: Ansatzpunkt, Forschungsstand, Quellenlage 1. Maßmann und die altdeutsche Bewegung

1

2. Maßmann in der Heine-Forschung

6

3. Maßmann in der Turn- und Burschenschaftsgeschichte

9

4. Maßmann in der Geschichte der Germanistik

13

5. Maßmann als politischer Lyriker

17

6. Zur Quellenlage

18

I. Der Burschenturner:

v o m Turnschüler zum Agitator

1. Patriotische Erweckung

21

2. Turnerische Subkultur

37

3. Polit-Germanistik und Verfassungstumen

47

4. Jahns Prophet in Jena

57

5. Wartburgflammen

71

Π.

'Demagogenjahre': v o m Pädagogen zum Philologen

1. Breslauer Possenspiel

85

2. Die Jagd beginnt

100

3. Ich hab' mich ergeben: lyrische Bewältigungsversuche

111

4. Nürnberger Nationalerziehung

121

5. Für Hellas nach Helvetien - und zurück

132

6. Wende zur Wissenschaft

143

Inhalt

χ

ΠΙ. In der Hut des Südens: germanistisch-literarischer Neuanfang 1. Heidelberger Moosrosen

157

2. Altdeutsche Erziehungslehren

173

3. Thronbesteigung eines Teutschen 4. Geisterstimme gegen Görres 5. Straßburger Kulturtransfer IV.

ι

181 187 196

Ein Berliner wird Bayer: Münchener Turnplatz und Katheder

1. Turnerische Klimmversuche

203

2. Philologische Fettnäpfchen

211

3. High Noon mit Heine

218

4. Des Königs Nibelung

225

5. Des Volkes Dürer

231

6. Turnvater, Bayer, Professor

238

V.

Der 'Turnprofessor': Einordnung ins restaurative System

1. Abschwung des Volksturnens

252

2. Volkstümliche Publizistik

257

3. Politische Mythen

268

4. Flucht nach Italien

276

5. Ordinarius und Panegyrikus

284

6. Turnend im Establishment

294

7. Armin, der Rheinwächter

300

VI. Ein Bayer in Berlin: Glanzlose Heimkehr 1. Rückruf mit Hindernissen

312

2. Anti-welsche Germanistik

327

3. Lyrik für Lehrer

337

Inhalt

XI

4. Spielball der Revolution

345

5. Politische Mythen II

361

6. Hiobsjahre mit Heine-Hohn

370

7. Neue Ära, neues Turnen

378

8. Großpreußische Erfüllung

390

9. Nachsprüche

402

VIT. Werkverzeichnis Maßmann 1. Handschriften a) Prosa

404

b) Lyrik

405

2. Prosaveröfffentlichungen a) Selbständige Publikationen

407

b) Unselbständige Veröffentlichungen

411

3. Lyrikveröffentlichungen a) Sammlungen

421

b) Zyklen und Einzeldrucke

421

4. Briefe

427

Vni. Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalien

433

2. Ausgewertete Periodika

435

3. Literaturverzeichnis

438

IX. Dokumentation 1. Worte, am 18. October 1816

461

2. Geisterstimme des Kurfürsten Maximilian

465

3. Verein für das Armin's-Denkmal

471

4. Maßmanns Münchener Vorlesungen 1827-1842

474

5. Buchwidmungen von und an Maßmann

476

XII

Inhalt

Personenregister

477

Portrait Hans Ferdinand Maßmann1

403

Mit Genehmigung des Stadtarchivs München (Negativ R525/16KB).

Siglenverzeichnis

Verfasserschaft nicht sicher beweisbar

(A)

Anonym erschienen

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie

AdW

Akademie der Wissenschaften

[Ausz.]

Auszug / Auszüge

BHSA

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München

BSB

Bayerische Staatsbibliothek München

BSB/TH

BSB, Thierschiana 187

DHA

Düsseldorfer Heine-Ausgabe

DLAM

Deutsches Literaturarchiv Marbach/N.

DLAM/CA

DLAM, Cotta-Archiv

DLE

Die deutsche Literatur [in Entwicklungsreihen]. Reihe: Politische Lyrik.

DSB

Deutsche Staatsbibliothek Berlin

DTZ

Deutsche Turnzeitung

DuQ

Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung

DVjs

Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte

GAG

Göppinger Arbeiten zur Germanistik

GGA

Göttingische Gelehrte Anzeigen

GNM

Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

LB

Landesbibliothek

MCUC

Mainzer-Central-Untersuchungs-Commission

MCUC-TW

MCUC: Bericht über das Turnwesen

XIV

Siglenverzeichnis

ÖNB

österreichische Nationalbibliothek Wien

NL

Nachlaß

QuD

Quellen und Darstellungen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung

R.

Repertorium

[Rez.]

Rezension

SA

Staatsarchiv

SAB/PA

Staatsarchiv Basel, Privatarchiv 82, Briefe 10: W. Wackernagel

SB

Staatsbibliothek

SBPK

Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin

SBPK/GS

SBPK, Grimm-Schränke

SBPK/SD

SBPK, Sammlung Darmstädter, 2 c 1826 (3)

Slg

Sammlung

StA

Stadtarchiv

StB

Stadtbibliothek

T.

Titel

UA

Universitätsarchiv

UB

Universitätsbibliothek

UBJ/NLF

UB Jena, Nachlaß Fries III

ZfdA

Zeitschrift für deutsches Altertum

ZfdPh

Zeitschrift für deutsche Philologie

ZSAM

Zentrales Staatsarchiv, Abteilung Merseburg

ZSAM/BB.5

ZSAM, Repertorium 76, Titel VII, Section 1, Generalia bb, Nr. 5

ZSAM7BB.6

Dass., Nr. 6

ZSAM/M.3

ZSAM, R. 76, Τ. XXI, Geheime Verbindungen, Literatur M., Nr. 3

ZSAM/M.22

R. 76-Vf, Personalia, Literatur M„ Nr. 22

ZVGS

Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Schlesiens

0. Einleitung: Ansatzpunkt, Forschungsstand, Quellenlage 1. Maßmann und die altdeutsche Bewegung Hans Ferdinand Maßmann (1797-1874) repräsentiert eine geistige und politische Strömung des 19. Jahrhunderts, die heute weitgehend vergessen ist und für die es keine eindeutige Bezeichnung gibt. Schon die Zeitgenossen sprachen wahlweise von Altdeutschen oder Deutschthümlern, es war aber auch von Volksthämlern, Teutschen, Teutonen oder Germanomanen die Rede. Alle diese Begriffe haben einen negativen Beigeschmack; sie erinnern an Chauvinismus und Männlichkeitswahn, unerfreuliche Begleiterscheinungen jener frühen Nationalbestrebungen. Da wir trotzdem eine Bezeichnung auswählen müssen, um das historische Phänomen zu beschreiben, kommen erheblichen Schwierigkeiten auf uns zu. Denn jedes der geeigneten Attribute altdeutsch, teutsch, deutschtümlich und volkstümlich ist für sich allein genommen zur Charakterisierung von Maßmanns geistigem Umfeld zu unspezifisch. Volkstümler finden wir auch noch im 20. Jahrhundert;1 Altdeutsche und Teutsche zwar nicht, aber altdeutsch orientiert waren auch die geistig anders gearteten Frühromantiker und auch jene deutschen Philologen des 19. Jahrhunderts, die keine direkten politischen Wirkungsabsichten hatten. Bei den Teutschen stoßen wir auf eine alte kulturpatriotische Tradition, die schon seit Humanismus 2 und Barock3 im Heldentum der Vorzeit-Teutschen (insbesondere der von Tacitus verherrlichten Germanen) eine schwärmerische Kompensation für die fehlende nationale Größe Deutschlands und die zivilisatorische Überlegenheit der welschen, romanischen Völker suchte. Noch im 18. Jahrhundert verband sich damit ein Reichspatriotismus, der von einer Erneuerung der alten deutschen Reichsherrlichkeit träumte. Teutsche waren also einerseits die mythisierten alten Deutschen, 1 2 3

Hierzu und zum folgenden vgl. jetzt J. Herrn and: Der alte Traum vom neuen Reich. Frankfurt/M. 1988 mit weiterführender Literatur. Hierzu jetzt H. Kloft: Die Germania des Tacitus und das Problem eines deutschen Nationalbewußtseins. Archiv für Kulturgeschichte 1990, S. 93ff. W. Frenzen: Germanienbild und Patriotismus im Zeitalter des deutschen Barock. DVjs 1937, S. 202ff.

2

0. Einleitung

die das Vorbild abgeben sollten, andererseits aber auch die neuzeitlichen Deutschen, die ihnen nachzueifern versuchten. In diesem Zusammenhang waren im 18. Jahrhundert teutsch und altdeutsch weitgehend bedeutungsgleich und wurden auch im frühen 19. Jahrhundert teilweise noch so gesehen. Dennoch müssen wir trennen zwischen den Motiven dieses überkommenen teutschen und des neueren altdeutschen Patriotismus, der zur Erhöhung der Verwirrung teilweise auch auf das Wort teutsch4 zurückgriff.5 Die Subsummierung unter einen Sammelbegriff wie etwa "Teutschtümler"6 verstellt den Blick dafür, daß mit den romantischen Altdeutschen etwas qualitativ Neues begann. Sie brachten Kulturphänomene herauf, die uns auch heute noch vertraut sind: Das Turnen als öffentliche Körperübung, die Universitätsgermanistik, die Studentenbewegung und das massenwirksame politische Lied - sie alle sind bei der rückwärtsgewandten Identitätssuche der Deutschen im frühen 19. Jahrhundert manifest geworden. Auch die Versuche, durch Sprachreinigung das Bewußtsein zu beeinflussen, die politische Überzeugung in Jargon und Outfit, Gesinnungsdemonstrationen und gemeinschaftsstiftende Ritualen zum Ausdruck zu bringen und das Duzen als gesellschaftliche Umgangsform durchzusetzen, waren bei den nationalen Altdeutschen gesellschaftspolitisch motiviert Es handelte sich um den ersten Versuch des deutschen Bürgertums, eine eigene7 Ideologie als politischen Orientierungsrahmen zu gewinnen und eine Gegenkultur aufzubauen, die den Weg in den Nationalstaat beschleunigen sollte. Diese intendierte Gesellschaftsveränderung ist das entscheidende Charakteristikum des altdeutschen Patriotismus.8 Die teutschen Patrioten bekränzten sich zwar auch schon mit Eichenlaub und wollten die Vorherrschaft der französischen Kultur wenigstens in der "teutschen Haubtund Heldensprache" brechen, aber das geschah in elitär-gebildeten,» privatfreundschaftlichen und/oder literarischen Kreisen. Die Altdeutschen rekrutierten sich vornehmlich aus der Jugendgeneration des Kleinbürgertums und verstanden sich als Teil der politischen Öffentlichkeit. 4 5 6 7 8

9

Interessanterweise wurde entweder altdeutsch oder teutsch benutzt, jedoch kaum all-leutsch o.a. Heimand: Reich versucht S. 33ff. noch eine weitere Ausdifferenzierang des romantischen Nationalismus, räumt aber gleichzeitig weitgehende Amalgamierungstendenzen ein. So in dem Kapitel "Der teutsche Traum" bei J. Willms: Nationalismus ohne Nation. Taschenbuchausgabe Frankfurt/M. 1985, S. 105ff. d.h. vor allem von Frankreich unabhängige In der historischen Forschung wird dabei von Nationalismus gesprochen. Dieser Terminus scheint mir aber nur sinnvoll, wenn tatsächlich ein mobilisierbares nationales Handlungspotential vorhanden ist, was vor 1848 eigentlich nur 1813/15 und in der Rheinkrise 1840 der Fall war. Vgl. H. Moser: Sprachgesellschaften. In: Reallexikon zur deutschen Literaturgeschichte. 2. Aufl. Bd 3, S. 122ff.

1. Die altdeutsche Bewegung

3

Sie wollten ihre Überzeugung durch nationalpädagogische Maßnahmen auf das ganze Volk ausdehnen und benutzten die historischen Geisteswissenschaften, um diesen Anspruch zu legitimieren. Ihr mythischer Riickbezug kreiste nicht nur um das idealisierte Germanentum,10 sondern ebenso um das Mittelalter, die frühe Neuzeit und sogar das Gegenwartserlebnis der Leipziger Schlacht von 1813 und die Verehrung der preußischen Kriegshelden. Da das Nationalbewußtsein zudem durch eine deutsche Kirche religiös fundamentiert werden sollte, hatte der Sprach- und Glaubensreformer Luther eine so überragende Bedeutung, daß der "Lutherismus" ein weiteres wichtiges Strukturmerkmal darstellt Der Übergang vom teutschen zum alldeutschen Patriotismus (und Nationalismus) vollzog sich mit Emst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn. Arndt kam aus der teutschen Germanen-Schwärmerei, beschwor und besang ein einiges Teutschland, ging mit seiner antinapoleonischen Propaganda aber weit über die eigentlichen Bildungskreise hinaus. Jahn verlagerte seine Ideologie noch stärker ins Volksthümliche und benutzte bei der nationalen Propaganda nur noch das Wort deutsch. Der fundamentale Umbruch, der sich mit dieser Hinwendung zur Alltagssprache vollzog, ist in der Periode bis 1820 nicht leicht ersichtlich, weil Teutsche und Deutsche politisch zusammenwirkten. Aber selbst dem alten Goethe entging die Konkurrenz der Konzepte nicht: Verfluchtes Volkl kaum bist du frei, so blichst du dich in dir selber entzwei. War nicht der Noth, des Glücks genug? Deutsch oder Teutsch, du wirst nicht klug. 11

Die Teutschen beriefen sich auf den König Teut als Stammvater der Nation, während die Alt-Deutschen mit den Mitteln der historischen Sprachwissenschaft "diet", das Volk, als Ursprung der Nationalbezeichnung ausmachten und in dem Beharren auf teutsch ein Ärgernis sahen, das die Errungenschaften der altdeutschen Wissenschaft ignorierte.12 Der Frühgermanist Friedrich Heinrich von der Hagen benutzte zur Unterscheidung der beiden historisch aufeinander folgenden Richtungen die Termini "Urteutonen" (= Teutsche) und "Deutschtümler" (= Altdeutsche).™ Die Deutschtümelei ist aber ebenfalls zu einem unscharfen Sammelbegriff geworden. - Ich möchte deshalb für Maßmanns geistigen und politischen

10 11 12 13

Hierzu K. v. See: Deutsche Germanen-Ideologie vom Humanismus bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1970. Zitiert nach F.H. v.d. Hagen: Goethe und die deutsche Sprache. Germania 1850, S. 270. "Teutsch läuft ebenso wider unsere Mundart, als wollten wir schreiben ter, tie, tas." Jacob Grimm in GGA 1826, S. 1600. Hagen: Goethe, S. 270.

4

0. Einleitung

Hintergrund den Terminus altdeutsche bzw. deutschtümliche Bewegung vorschlagen, um die ganzheitlich-gesellschaftliche Ausrichtung zu betonen. Diese soziale Bewegung14 umfaßte alle altdeutschen (vor 1820 durchaus auch mit teutsch bezeichneten) nationalpädagogischen Aktivitäten, die über den traditionellen Kulturpatiotismus hinausgingen. Denn die aufklärerischen Teutschen waren bei ihrer Vaterlandsliebe zwar kulturell, aber nicht unbedingt politisch an der Nation orientiert.15 Der entscheidende Wandel zur Identifizierung von Volk und Staat (und damit zum Nationalismus) erfolgte bei Fichte, dessen zeitbeherrschende Idee, den Deutschen ihren Urcharakter geistig und körperlich wieder anzuerziehen,16 durch Jahns volkstümlichen Staatsentwurf und sein Turnen Grundlage einer praktischen Nationalpädagogik und Maßmanns Lebensinhalt wurde. Die uneingelöste Forderung nach einem Nationalstaat aufnehmend, entstand nach den Befreiungskriegen eine freiheitliche (Jugend-)Bewegung, für die das altdeutsche Kolorit des Turnens einen wichtigen Mobilisierungsfaktor darstellte. Was diese Bewegung erreichen wollte, wird an Maßmanns Jugendentwicklung anschaulich werden. Er war zwar erst dreizehn Jahre alt, als Jahn 1810 seine Vorstellungen vom Deutschen Volksthum publizierte, aber schon ein Jahr später wurde er Schüler des legendären Turnvaters. In seinem Sog lernte er alles das kennen, was in Berlin als altdeutsch galt* die Turnübungen auf der Hasenheide, die literarische Mittelalterschwärmerei und die altdeutsche Philologie, die Lyrik der Befreiungskriege und die Lätzower, die patriotische Festkultur und die Burschenschaften, die Verfassungsbewegung und die Volkspädagogik. Der junge Maßmann wurde in der altdeutschen Bewegung schon sehr früh zum Aktivisten, trug das Turnen in die Jenaer Urburschenschaft und durch seine Rolle beim Wartburgfest 1817 und bei der Breslauer Turnfehde 1818 zur politischen Polarisierung bei. 1819 geriet er in die Demagogenverfolgungen, erlitt politische Drangsalierungen und Berufsverbot. Als er sich daraus gelöst hatte, versuchte er unter den Bedingungen der Restauration das politische Anliegen des altdeutschen Patriotismus als Volkspädagoge und Germanist, Turner, Dichter und Publizist dem biedermeierlichen Deutschland näherzubringen.

14 15

16

Vgl. N.F. Schneider: Was kann unter einer "sozialen Bewegung" verstanden werden? In: U.C. Wasmuth: Alternativen zur alten Politik? Darmstadt 1989, S. 196ff. Vgl. R. Vieriiaus: "Patriotismus" - Begriff und Realität einer moralisch-politischen Haltung. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften. München 1980, S. 9ff. Eine umfassende Obersicht gibt H. König: Zur Geschichte der bürgerlichen Nationalerziehung in Deutschland zwischen 1807 und 1815. Bd 1.2. Berlin (Ost) 1972-73.

1. Die alldeutsche Bewegung

5

Der teutsche Patriotismus wurde wieder zur harmlosen Kulturschwärmerei, Gottesgnadentiimler wie Ludwig I. und Friedrich Wilhelm IV. benutzten ihn sogar zur Legitimation ihrer anachronistischen Herrschaftsansprüche. Das alldeutsche Volkstumskonzept mit der egalitären Turnidee dagegen blieb politisch verdächtig, weil es eine ständeübergreifende Volkserziehung propagierte, die die restaurative Ordnung in Frage stellte, auch wenn Maßmann erklärtermaßen (konstitutioneller) Monarchist war. Während teutsch nach 1850 einfach aus dem politischen Sprachgebrauch verschwand, bestand die politische Deutsch\iime\ti weiter als die Ideologie vom besonderen Wesen und Auftrag des deutschen Volkes, als jene Deutsche Ideologie, die Marx und Engels bekämpften und Wagner und Nietzsche zu ästhetisieren versuchten. Wesentlich plumper, aber desto wirkungsvoller diente sie im Kaiserreich dazu, die politische Perspektivlosigkeit des Bürgertums zu verbrämen, über die Niederlage des Ersten Weltkriegs hinwegzutrösten und als völkische Ideologie die Verblendung des Nationalsozialismus vorzubereiten." Ins Maßmanns späterer Entwicklung zeigen sich die Anfänge solcher Irrund Abwege. Ursprünglich war die altdeutsche Ideologie als alternativer Kulturentwurf ein Ausdruck politischen Protestes, die erste Jugendbewegung der deutschen Geschichte, gerichtet gegen Adelsherrschaft und Kleinstaaterei, dann auch gegen den heraufziehenden Kapitalismus mit seinen Entfremdungserscheinungen. Trotz der erzwungenen Unterwerfung nach 1819 gab es noch einmal ein Aufflackern des altdeutschen Patriotismus beim Regierungsantritt Ludwigs I. in Bayern, mit dem Höhepunkt des Dürerfestes 1828 und Maßmanns Münchener Turnplatz. Der Zeitumbruch um 1830 machte ihn dann aber wieder zum Einzelkämpfer, der sich als "Tumprofessor" mit dem restaurativen System arrangierte, um von innen her im Sinne der altdeutschen Nationalpädagogik zu wirken. Obwohl er als Volkstümler niemals zum wirklichen Höfling werden konnte, verlor er zunehmend die Verbindung zur politischen Entwicklung des Bürgertums und verbarrikadierte sich in einer franzosenfeindlichen Ideologie. Der dichtende und bedichtete Turner-Germanist Maßmann ist durch Heines Satiren zu einer Symbolfigur für das politische Dilemma der altdeutschen Deutschtümler geworden, deren Merkmale er tatsächlich in besonders auffälliger Weise verkörperte. Den altdeutschen Recken turnerisch nacheifernd, kam er doch nur auf eine Körpergröße von einem Meter sechzig; seine Behauptung, durch sein asketisches Tumerleben allzeit gesund zu sein,18 wird durch seine eigenen Briefe widerlegt, die immer 17 18

Vgl. Hermand: Traum, S. 47ff. A. v. Schaden: Gelehrtes München im Jahre 1834 ... München 1834, S. 70.

6

0. Einleitung

wieder von Sportunfällen und Erkrankungen berichten, bis hin zu zeitweiligem Erblinden durch übermäßiges Handschriftenlesen. Als Anfangssechziger erlitt er einen Schlaganfall mit Lähmungserscheinungen, dem noch mehrere folgten. Aber selbst in dieser Situation hat er sein patriotisches Engagement in Wort, Lied und Gesinnungstat unermüdlich fortgesetzt. Und dieses Engagement ist nicht ohne Wirkung geblieben. Es umfaßte Turnplatzgründungen und Professuren in München und Berlin, populäre turnerische Vaterlandslyrik und die Mitwirkung an kulturpatriotischen Großprojekten wie dem Hermanns-Denkmal oder dem Germanischen Nationalmuseum, berührte Volkspädagogik und Prinzenerziehung, Militärturnen und die Ideologisierung des Kyffhäuser-My\hos. Die historische Rekonstruktion dieses ganzheitlichem Wirkens für eine deutschtümliche Nationalerziehung, die in einem umfangreichen literarischen Werk überliefert ist, wird hier erstmals interdisziplinär und im kritischen Sinne versucht. Auf welche Vorarbeiten und Quellen ich mich dabei stützen konnte, umreißen die folgenden Forschungsskizzen.

2. Maßmann in der Heine-Forschung Obwohl Hans Ferdinand Maßmann - von den Reisebildern bis zum Romanzero 19 - das meiststrapazierte Spottopfer des wahrlich nicht spottarmen Heinrich Heine war, hat sich die Heine-Forschung dafür bisher so wenig interessiert, daß nicht einmal das persönliche Zusammentreffen der beiden 1828 in München ausreichend durchleuchtet wurde. Erst die jüngsten Nebenprodukte der Harro-Harring-Forschung haben neue Erkenntnisse gezeitigt,20 die wenigstens in den ausführlichen Kommentar der Düsseldorfer Heine-Ausgabe eingegangen sind.21 Insgesamt lassen sich in der marginalen Behandlung Maßmanns zwei Phasen unterscheiden, die mit der ideologischen Entwicklung der Literaturgeschichtsschreibung korrespondieren. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ist mehrfach versucht worden, die Angriffe Heines auf ihren Sachgehalt hin zu untersuchen, zumeist mit Sympathie für den drangsalierten Altdeutschen. Schon damals wurde viel räsonniert, aber wenig recherchiert.22 Lediglich ein gewisser August Mühlhausen hat Familienangehörige 19 20 21 22

Hin Stellenverzeichnis bei E. Loewenthal: Studien zu Heines "Reisebildern". Berlin 1922, S. 125. U. Schulte-Wülwer Die literarische Verarbeitung des griechischen Freiheitskampfes Harro Harring als Theaterdichter 1822-1828. Mitteilungen der Harro-Haning-Gesellschaft 1985/1986, S. 5-40. Besonders DHA VII/2, S. 829ff. (Reisebilder m); DHA XI, S. 543ff. (Börnebuch.) Vgl. z.B. G. Katpeles: H. Heine. Leipzig 1899, S. 107ff.; Loewenthal: Studien, S. 123ff.

2. Heine-Forschung

7

Maßmanns befragt, um herauszufinden, ob der bayerische Turnvater wirklich so schlimm war, wie Heine ihn dargestellt hat. Mehr als die Binsenweisheit, daß Heine bei seinen Karikaturen reale Charakterzüge extrem überzeichnete, kam nicht dabei heraus - und sollte wohl auch gar nicht. Es ging ihm vor allem darum, Stellung gegen Heine und für Maßmann zu beziehen.23 Auch die späteren Attacken der deutschnationalen Turnhistoriker gegen den "internationalen Hermaphroditen"« und "Französling"25 Heine waren ideologisch motiviert. In der modernen Forschung hat sich die Betrachtungsweise umgekehrt Die Behauptung aus dem Jahre 1961: "Posterity will always see Maßmann not as he was, but as Heine made him,"26 stimmt allerdings so nicht mehr. Mittlerweile schildern manche Heine-Forscher Maßmann noch schlimmer als Heine selbst. Immer häufiger wird Maßmann nun zum finsteren Antisemiten erklärt, wofür Heines Karikaturen keinen Anhaltspunkt liefern. Auslöser für diesen Perspektivenwechsel war die Kulturbarberei der Nationalsozialisten, die sich bei ihren Bücherverbrennungen auf Maßmanns Aktion beim Wartburgfest 1817 beriefen. Weil sich unter den mehr als zwanzig Büchern, die Maßmann als Zeichen des politischen Protestes zu verbrennen vorgab, auch das Werk Germanomanie des jüdischen Schriftstellers Saul Ascher befand,27 wird die Aktion des jungen Altdeutschen jetzt als ein antisemitisches Fanal gesehen. Tatsächlich hatten Bücherverbrennungen damals schon eine lange Tradition. Ein satirisches Büchergericht über die spätmittelalterlichen Ritterromane ist durch Cervantes Don Quichotte sogar in die Weltliteratur eingegangen. Maßmann selbst hat sich auf die Verbrennung der päpstlichen Bulle durch Luther 1520 berufen. Die Geschichtsschreibung ist sich zudem ziemlich sicher, daß die Idee dazu nicht von ihm selbst, sondern von Jahn stammte. Jahn hatte schon zehn Jahre vorher geschrieben: "Es giebt Bücher genug, die von Henkershand sammt ihren Verfassern verbrannt zu werden verdienen."28 Auch der schmähende Ascher-Kommentar in Maßmanns Kurzer und wahrhaftiger Beschreibung gehörte zu den "Anmerkungen Einzelner", "die bei jedem Buch dazu gemacht wurden".2»

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A. Mühlhausen: Der Maßmann H. Heines und der historische. Allgemeine konservative Monatsschrift 1894, S. 85 Iff. G. H. Weber: Maßmanns hundertjähriger Geburtstag. DTZ 1897, S. 1%. Lommatzsch: H.F. Maßmann und H. Heine. Die Leibesübungen 1929, S. 331. S.S. Prower Heine. Cambridge 1961, S. 134. Ober ihn jetzt G. Hubmann: "... Um das Feuer der Begeisterung zu erhalten, muß Brennstoff gesammelt werden ..." S. Ascher - ein früher Kritiker des deutschen Nationalismus. Diskussion Deutsch 1990, S. 380-391. Zu den Belegstellen vgl. unten die Darstellung in Kapitel 1/5. [Anonym:] Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen Burschenfestes auf der Wartburg... [Jena 1817,] S. 24.

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0. Einleitung

Die Schmähung des jüdischen Schriftstellers Ascher, die der junge Maßmann durch sein Wartburgpamphlet publik machte, mag die antisemitische Burschenschaftsfraktion in ihrer inhumanen Haltung bestärkt haben und ist ihm insoweit anzulasten. Danach läßt sich weder in Maßmanns Leben noch in seinen Schriften der Antisemitismus mancher seiner altdeutschen Burschenschaftsgenossen nachweisen - mit einer Ausnahme: Bei jenem verbalen Showdown in München, der Ausgangspunkt für Heines Verhöhnungen wurde, hat Maßmann Heines Spöttelei mit einer antisemitischen Bemerkung gekontert und diese Haltung in einem späten Brief, dessen Publikation der Heine-Forschung entgangen ist, noch einmal erneuert.30 Normalerweise hat Maßmann aber getaufte Juden als deutsche Landsleute akzeptiert, um ungetaufte hat er sich nicht weiter bekümmert. 1819 begrüßte er seinen Tumfreund Salomon nicht nur mit "Gott zum Gruß!", sondern auch mit "Schalomm f[ür] Friede".31 Bezeichnenderweise hat es über den Antisemitismusvorwurf nie eine Diskusssion gegeben. Stattdessen wurde das Bild vom Progrom-Anstifter suggeriert3* oder gar die Gleichsetzung Maßmanns mit Goebbels vollzogen.33 Der antisemitische Schmähsatz in Maßmanns Festbeschreibung lautete übrigens: "Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum spotten und schmähen!"34 Heute wird das zu "Wehe über die Juden" verkürzt, so in Martin Walsers Heine-Rede.35 Maßmann zum Judenhasser abzustempeln, scheint es den heutigen Germanisten leichter zu machen, sich von diesem unliebsamen Fachvorläufer zu distanzieren. Es soll aber wohl auch als Entschuldigung dafür herhalten, daß Heine selbst teilweise inhuman wurde, wenn er seine "Lieblingskreatur", seinen literarischen "Hanswurst" Maßmann traktierte.36 So dichtete er etwa: Die bravste, klügste Kuh kein Spanisch weiß, Wie Maßmann kein Latein - Der Marmorsteiß der Venus von Canova ist zu glatte. Wie Maßmanns Nase viel zu ärschig platte.37

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Brief an seinen Enkel Hugo Steffen, 15.X.1870. Veröffentlicht von O. Kurth in : H.F. Maßmann und H. Heine. Die Leibesübungen 1929, S. 225. Brief an J.K.F. Salomon, Mai 1819. ZSAM/M.3, Bl. 25. J. Hermand: Der frühe Heine. München 1976, S. 196. L. Löwenthal: Calibans Erbe. Neue Rundschau 1984, H.3, S. 5-19. Ebd. S. 26. M. Walser: Heines Tränen. Rede zur Verleihung der "Heine-Plakette". Heine-Jahrbuch 1982, S. 207. Eine treffende psychologische Analyse bei J. Voigt: Ritter, Harlekin und Henker. Frankfurt/M. 1982, S. 335ff. Maßmann wird dort allerdings als Durchschnittsphilister gesehen. Heine: Werke. Ed. E. Elster. Bd 1, S. 409.

2. Heine-Forschung

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Die Heine-Forschung hat sich bisher um die Frage herumgedrückt, was Maßmann dadurch geschah, daß er so zu einer öffentlichen Witzfigur gestempelt wurde.38 Dieses Wegsehen wurde dadurch erleichtert, daß es kaum greifbare Zeugnisse der Auseinandersetzung gibt. Der "Turnprofessor" versuchte krampfhaft, Heines Spott zu ignorieren, während er gleichzeitig ebenso krampfhaft bemüht war, jene klassische Bildung unter Beweis zu stellen, die dieser ihm absprachen hatte. Dagegen hat Maßmann mit aller Schärfe zurückgeschlagen, als Hoffmann von Fallersleben ebenfalls in die Kerbe altdeutscher Unbildung hackte, wobei es ursächlich um philologische Rivalitäten ging. Das häßliche Duell der beiden dichtenden Germanisten, die mit Ich hab mich ergeben und dem Deutschlandlied die langlebigsten Vaterlandsgesänge schufen, ist obwohl gut dokumentiert - in der Literaturgeschichte unbeachtet geblieben. Ebenso dämmert erst langsam herauf, daß auch andere Literaten, wie beispielsweise Franz von Pocci39 und Wit von Dönring40, Maßmann satirisch aufs Korn genommen haben. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die moderne Heine-Forschung durch ihre verdrängende Haltung an ein Maßmannbild gebunden bleibt, das von ihm selbst inszeniert wurde, um dem literarischen Rufmord durch Heine entgegenzuwirken. Denn der häufig zitierte Artikel im Gelehrten München stammte aus seiner eigenen Feder/' ebenso der ausführliche Brockhaus-Artikel um 1840, mit dem Maßmann seine Vita anti-Heinisch zu stilisieren versuchte.«

3. Maßmann in der Turn- und Burschenschaftsgeschichte Den Gegenpol zu der heutigen Geringschätzung Maßmanns bildet die Verehrung, die ihm durch die Turnerschaft des Kaiserreiches zuteil wurde. Sein Tod wurde 1874 in der wichtigsten Tumzeitschrift folgendermaßen verkündet; Geboren 1797 zu Berlin, Schüler Jahns, begeisterter Sänger von seltener Volkstümlichkeit, verwachsen nicht allein mit allen turnerischen, sondern auch vielen politischen Begebenheiten in diesem Jahrhundert [...] Hans Ferdinand Maßmann hat sich durch seine Verdienste

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Randbemerkungen dazu jetzt bei H.-E. Rösch: H. Heine und die Turner - ein gespanntes Verhältnis. Düsseldorfer sportwissenschaftliche Studien 1990, H. 6, S. 1 Iff. Dazu W. Pape: Joachim Ringelnatz. Berlin 1974, S. 166ff. Hierzu Schulte-Wülwen Verarbeitung, S. 32ff. A. v. Schaden: Gelehrtes München im Jahre 1834. München 1834, S. 68-76. Ein Sonderdruck in ZS AM/M. 22, Bd 1, Bl. 168f.

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0. Einleitung um die Entwickelung und Ausdehnung deutschen Turnerwesens und deutscher Gesittung ein bleibendes Denkmal gesetzt; in den Liedern wird er als Turner für alle Zeit leben 1 43

1876 wurde Maßmann als dem "Turnvater Bayerns" in München ein Denkmal errichtet, das im 20. Jahrhundert noch einmal erneuert worden ist, und heute im "Volkspark Maßmannstraße" steht.44 1877 wurde an seinem Sterbeort (Bad) Muskau ein Grabdenkmal eingeweiht, unweit des Pücklerschen Landschaftsparkes und der heutigen deutsch-polnischen Grenze. An seinem Sterbehaus erinnert eine verwitterte Gedenktafel an den "Mitbegründer der Deutschen Turnkunst und Dichter des Liedes Ich hab' mich ergeben". Für ein Denkmal in seiner Geburtsstadt Berlin reichte der Ruhm nicht. Aber dort erschien zum 100. Geburtstag die Jubelschrift von Carl Euler und Rudolf Hartstein: Hans Ferdinand Maßmann. Sein Leben, seine Turn- und Vaterlandslieder, zugleich die einzige postume Sammlung seiner Lyrik.« Die umfangreiche biographische Einleitung ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Sie beruhte vor allem auf Maßmanns Selbstdarstellungen und Informationen seiner Nachfahren, und die Autoren folgten der unverkennbaren Intention, einen Goldschnitt-Maßmann für das Kaiserreich hervorzubringen. Da gab es allerhand zu retuschieren, denn Maßmanns turnerischer Lebensweg war keine Erfolgsleiter, sondern ein ziemliches Auf- und Ab. Die Frühzeit endete jäh in der Turnsperre, der Münchener Turnplatz lag nach dem Anfangsruhm jahrelang brach, die aufsehenerregende Rückkehr nach Berlin und die Organisierung des preußischen Schulturnens in den Vierziger Jahren endete mit einem Desaster, weil Maßmann die Zeitverhältnisse falsch einschätzte. Es ging ihm damit letztlich wie seinem Lehrer Jahn, dessen Erbe er eigentlich antreten wollte. Jahn trat nach den politischen Verfolgungen der Frühzeit überhaupt nicht mehr als Turnpädagoge in Erscheinung. Die Turnhistoriker des Kaiserreiches waren bestrebt, ihn zu einer überzeitlichen nationalen Sehergestalt zu stilisieren, zum Propheten des preußisch-kleindeutschen Reiches. Sie mußten dabei gegen die Deutsche Geschichte Treitschkes anschreiben, der Jahn als einen teutomanischen Wirrkopf dargestellt hatte, wobei auch der "biderbe" Maßmann sein Fett wegbekam.4« Die Veröffentlichung der Maßmann-Monographie ist in diesen Kontext zu sehen. Maßmann hat sich nach seinem eigenen Scheitern vor allem um die Repopularisierung Jahns bemüht. Der Maßmann Eulers und Hartsteins 43 44 45 46

Zitiert nach Euler/Hartstein, S. 59. Es fehlt bei A. Alckens: München in Erz und Stein. Mainburg 1973. Die 2. Aufl. von 1902 ist eine unveränderte Titelauflage. H. v. Treitschke: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. T. 2. 3. Aufl. Leipzig 1886, S. 383ff. Über Maßmann S. 386,426ff. Das Zitat T. 3 (2. Aufl.), S. 597.

3. Turn- und Burschenschaftsgeschichte

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ist vor allem der getreue Jahngefolgsmann.*7 Euler war auch der Verfasser der maßgeblichen Jahn-Biographie.4* Dennoch wird die Säkularschrift immer ihren Wert behalten, da sie auf den heute verschollenen Nachlaß zurückgreifen konnte. Zudem läßt sich manches Kritische, was nur angedeutet oder durch die Blume gesagt wurde, aus den Erinnerungen seiner turnerischen Mitstreiter ergänzen.4® Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts trat neben das hagiographische auch das historische Interesse mit einigen wichtigen Detailstudien.50 Der Burschenschaftsgeschichte blieb Maßmann durch zwei Aktionen gegenwärtig: durch die Einrichtung des Turnplatzes in Jena und die Mitwirkung am Wartburgfest. Personenorientierte Burschenschaftsgeschichtsschreibung wird allerdings durch die Diskontinuitäten behindert, die sich aus den kurzen Studienzeiten und den häufigen Ortswechseln der Protagonisten ergeben. Biographisch wichtige Erkenntnisse lassen sich im Grunde nur dann erwarten, wenn ein einzelner Burschenschafter zum Gegenstand einer Detailstudie gemacht wird. Dies ist bei Maßmann bisher nicht geschehen. Hervorzuheben bleibt neben der leider tendenziös verfälschten Edition von Maßmanns Weimarer SelbstverteidigungS1 vor allem die Neuausgabe seiner Wartburgfestbeschreibung als Reclambändchen im Kriegsjahr 1917» Auch nach dem ersten Weltkrieg blieb das idealisierte Interesse an der turnerischen Frühzeit bestehen. Die deprimierten Deutschnationalen suchten Trost im Schicksal des Turnvaters und seiner Genossen. Die völkische Turnideologie erklärte die Jahnsche Turnbewegung ebenfalls zu ihrem geistigen Ursprung und bezog auch Maßmann dabei ein. So finden wir eine seiner turnerischen Denkschriften 1933 in der Quellensammlung Führer in der Zeit der Turnsperre.» Bezeichnend ist es auch, daß ein 1925 entstandenes Burschenschafterdrama Freiheitssturm von Karl Neurath mit einer

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Ober Maßmann schrieb Euler auch in seiner Geschichte des Turnunterrichtes. 2. Aufl. Gotha 1891, S. 176ff. und 214f., sowie im Enzyklopädischen Handbuch des gesamten Tuniwesens. Bd 2. Leipzig 1895, S. 119ff. Außerdem den Aufsatz: MaBmanns Anschauungen über die Gestaltung des Turnens in Preußen. DTZ 1897, S. 1037ff. C.Eulen F. L. Jahn. Stuttgart 1881. E. Dürre: H.F. Maßmann. Neue Jahrbücher für die Tumkunst 1874, S. 197ff.; F. Voigt: H.F. Maßmann. DTZ 1875, S. 3ff; 69ff.; 157ff.; A. Scheibmaier: Maßmann in München. DTZ 1877, S. 105ff.; 113ff.; ders.: Die Gründung der königlich-öffentlichen Tumanstalt München. München 1878. Besonders H. Nöthe: H.F. Maßmann in Magdeburg. DTZ 1902, S. 133ff.; 158ff.; W. Rudkowski: Die Breslauer Tumfehde. ZVGS 1911, S. 1-70. H. Müllen Die Bücherverbrennung auf der Wartburg nach einem ungedruckten Actenstück. Jahrbuch des Allgemeinen Deutschen Burschenbundes 1909, S. 26-37. Unter dem Titel: Das Wartburgfest am 18. Oktober 1817. Leipzig 1917. F. P. Wiedemann (Hrsg.): Führer in der Zeit der Tum sperre. Dresden 1933.

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0. Einleitung

heroischen Verzeichnung des Wartburggeschehens im Juli 1933 seine Uraufführung fand.54 Der leichtherzige Übergang von der völkischen Wesensschau zum Nationalsozialismus wird besonders bei Edmund Neuendorff deutlich, dessen monumentale Turngeschichte von ideologischer Verzerrung und Detailakribie gleichermaßen gekennzeichnet ist. Neuendorff konnte auf die freigegebenen Akten Maßmanns zurückgreifen und gab eine ausführliche (für die Münchener Phase allerdings unvollständige) Beschreibung seines Tumerlebens.55 Die breite Darstellung der zweiten Berliner Zeit wird durch eine erstaunlich sachliche Dissertation von 1937 ergänzt56 Die einzige biographische Archivstudie dieser Phase ist durch zahlreiche Mißverständnisse und Lesefehler gemindert.57 Seit der Jahrhundertmitte ist mit dem Rückgang der Jahnverherrlichung auch ein entsprechend vermindertes Interesse an Maßmann zu verzeichnen. Zwar erklärte die DDR-Geschichtsforschung die frühe Turnbewegung zu ihrem Erbe, aber an die Stelle der Personengeschichte trat die materialistische Betrachtungsweise. Selbst unter diesen Auspizien wurde Maßmanns turnerisches Gesamtwirken in der offiziellen DDR-Turngeschichte unangemessen kurz behandelt58 Beachtung fand vor allem die Frühzeit, so auch in den wegweisenden DDR-Arbeiten zur Burschenschaftsgeschichte.5» Die westdeutsche Turnforschung stand dem nationalen Turnerbe lange Zeit unkritisch oder passiv gegenüber. Bezeichnenderweise war es eine kritische Jahn-Studie, mit der erstmals wieder eine wichtige MaßmannQuelle ans Licht kam.60 In der mittlerweile auch zur Sozialgeschichte umgeschwenkten bundesdeutschen Turngeschichtsschreibung ist Maßmann nur eine Randfigur.61 Eine historische Habilitationsschrift hat zwar zu einer Aufwertung des Themas und zu neuen Perspektiven geführt, vernachlässigt aber ebenfalls Maßmanns Versuche, das Jahnturnen in der Restaurationszeit

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K. Neurath: Freiheitssturm. Berlin 1934, S. 80f. Maßmann rettet sich auf einem alten Klepper vor den Kugeln der preußischen Polizei. 55 E. Neuendorff: Geschichte der neueren deutschen Leibesübungen. Bd 3. Dresden o.J., S. 48-61 (München) und S. 320-361 (Beilin). 56 A. Schumann: Die Entstehung des Schulturnens in Berlin ... Berlin 1937, S. 114-168. 57 K. Müller: H.F. Maßmann. ZVGS 1937, S. 291-311. 58 W. Eichel (Hrsg.): Geschichte der Körperkultur in Deutschland. Bd 2. Berlin (Ost) 1973, S. 106; 126; 153; 210. 51 N. Heise: Die Tumbewegung und die Burschenschaften als Verfechter des Freihedts- und Einheitsgedankens 1811-1847. Diss. Halle 1965; W. Schröder Burschenturner im Kampf um Freiheit und Einheit. Berlin (Ost) 1967; G. Steiger: Aufbruch. Leipzig 1967. 60 Maßmanns handschriftlicher Aufsatz: Ansichten über die ganze Turngemeinschaft in Deutschland ... (1816) in: H. Ueberhorst: Zurück zu Jahn? Bochum 1969, S. 94-109. 61 H. Ueberhorst (Hrsg.): Geschichte der Leibesübungen. Bd 3,1. Berlin (West) 1980, S. 223 u.ö.

3. Turn- und Burschenschaftsgeschichte

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fortzusetzen.62 Die unveröffentlichte sporthistorische Diplom-Arbeit eines Namensvetters beschränkte sich auf die Zusammenfassung älterer Literatur.63 Ausführlich, aber nicht immer kritisch und sachlich richtig, informiert eine bayerische Schultumgeschichte über Maßmanns Wirken in München; der politische Aspekt blieb weitgehend ausgespart.64 Auch die jüngeren Darstellungen sind in ihrem Wert dadurch gemindert, daß entweder aus ideologischen oder technischen Gründen (die wichtigsten Archivmaterialien blieben in der DDR schwer zugänglich) kaum Quellenforschung betrieben wurde. Es gibt noch nicht einmal eine umfassende Sammlung der Jahn-Briefe. Wichtige Vorarbeiten dafür liefert eine neue Teiledition, in die auch zwei wichtige Maßmannzeugnisse abgedruckt wurden.65 Insgesamt läßt sich nach mehr als 100 Jahren turnhistorischer Maßmannliteratur eine erstaunliche Fülle von Veröffentlichungen, aber auch ein enormes Gefälle bezüglich Qualität und Gewichtung feststellen. Eine kritische Gesamtwürdigung neueren Datums gibt es nicht.

4. Maßmann in der Geschichte der Germanistik In der Geschichte der Germanistik kann Maßmann keine entsprechende Aufmerksamkeit beanspruchen, obwohl er 1829 in München einer der ersten Professoren des Faches wurde. Aber während das von Maßmann weiterentwickelte Jahnturnen bis ins 20. Jahrhundert hinein aktuell blieb, ging die deutschtümliche Germanistik mit ihm selbst zu Grabe und wartet noch immer auf eine emsthafte Aufarbeitung. Die Geschichte der frühen Germanistik ist überhaupt bisher nur in groben Umrissen beschrieben worden. Die jüngsten Arbeiten beziehen auch sozialhistorische und wissenschaftssoziologische Fragestellungen ein, können aber naturgemäß den Einzelfall nur streifen.66 Die einzige perso62 63 64 65 66

D. Düding: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1808-1847). München 1984. Über Maßmann in München nur S. 209f., dürftig auch die spätere Berliner Zeit S. 213ff. H. Maßmann: H.F. Maßmann. Ein Leben zwischen Turnen und Politik. Examensarbeit. Deutsche Sporthochschule Köln 197S. G. Krombholz: Die Entwicklung des Schulspoits und der Sportlehrerausbildung in Bayern. München 1982, S. 29ff.; 57-87. Maßmanns turnerische Personalakten im bayerischen Kriegsarchiv (BHSA IV) wurden nicht berücksichtigt. H. Langenfeld/T. Ulfkotte (Hrsg.): Unbekannte Briefe von Friedrich Ludwig Jahn und Hugo Rothstein als Quellen zur Frühgeschichte des Turnens. Oberwerries 1990. Maßmann S. 131ff.; S. 207ff. So z.B. bei W. Bahner/W. Neumann: Sprachwissenschaftliche Germanistik. Ihre Herausbildung und Begründung. Berlin (Ost) 1985. K. Weimar Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. München 1989.

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0. Einleitung

nengeschichtliche Gesamtdarstellung wurde zu Maßmanns Lebzeiten von Rudolf Raumer verfaßt.«7 Obwohl dieser als Student Maßmannsche Vorlesungen gehört hatte, dominierte bei ihm bereits ein philologisches Objektivitätsideal, dem die patriotischen Wirkungabsichten Maßmanns fremdgeworden waren. Auch in den Einzelstudien konzentrierte sich die Fachhistorie auf die herausragenden Gestalten Jacob Grimm, Lachmann usw. Von den Deutschtümlern hat lediglich Friedrich Heinrich von der Hagen wegen seiner Pionierfunktion stärkere Beachtung gefunden.« Bei ihm wurden vor allem methodologische Fragestellungen untersucht, so daß die ideologisch fundamentierte Freundschaft zwischen ihm und Maßmann und ihr gemeinsames Wirken in der Berliner Sprachgesellschaft in den Vierziger Jahren unbeachtet blieb. Über Maßmanns Germanistendasein existieren zwei kurze Abrisse, die ideologiegeschichtlich allerdings wenig ergiebig sind: der Nachruf von Karl Bartsch,« und der Artikel von Wilhelm Scherer in der Allgemeinen Deutschen BiographieObwohl Bartsch ein Freund und Schüler Maßmanns war, während Scherer der Gegenrichtung angehörte, ist der Tenor ihrer Darstellungen gleich. Beide lobten das unermüdliche Engagement, den nie erlahmenden Forschungseifer und Fleiß des "Turnprofessors", stellten aber letztlich das zu schnelle Veralten seiner Werke wegen der methodischen Unzulänglichkeiten fest. Maßmann war bereits in seiner Jugendzeit für die altdeutsche Sprachund Literaturgeschichte begeistert, konnte sie aber nicht regulär studieren und hat auch in seiner Professorenzeit die Nachteile des Autodidaktentums nicht gänzlich überwinden können oder wollen. Denn Wissenschaft war für ihn kein Selbstzweck, sondern dem Zusammenhang seiner Lebensinteressen untergeordnet. Wann immer er direkte gesellschaftliche Wirkungsmöglichkeiten sah, mußte die Philologie zurücktreten. Es ist daher kaum zu glauben, daß er neben seinem vielfältigen turnerischen Engagement und seiner Lehrtätigkeit noch gut 30 Monographien und über 100 Aufsätze publizierte, in einem Forschungsgebiet, das an Umfang dem Jacob Grimms gleichkam. Die romantisch-patriotische Germanistik entstand aus der Suche des deutschen Bürgertums nach einer politischen und nationalen Identität Dies ist in seinen weitreichenden Konsequenzen besonders in dem Sammelband Germanistik und deutsche Nation 1806-1848 herausgearbeitet worden, 67 68 69 70

R. Raumer: Geschichte der germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. München 1870. Maßmann S. 590-592. Zuletzt B. Grunewald: Friedrich Heinrich von der Hagen 1780-1856. Berlin (West) 1988. K. Bartsch: Η .F. Maßmann. Germania 1874, S. 377-380. ADB XX, 569-571.

4. Geschichte der Germanistik

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wobei auch unser "Tum-Professor" Berücksichtigung fand.71 In der Tat ist seine Vita geradezu paradigmatisch für die als bürgerliches Emanzipationsmittel eingesetzte Frühgermanistik. Wichtige Indikatoren dafür sind seine kleinbürgerliche Herkunft, sein nationalpolitisches Engagement und die daraus erwachsene Kriminalisierung, sein Doppelberuf zum deutschtümlichen Pädagogen und Wissenschaftler, sowie seine simultanen Wirkungsversuche als Fach- und Populärwissenschaftler, Literaturkritiker und Kunsthistoriker, Lyriker und Publizist.72 Da es mir vor allem um die ideologische Seite von Maßmanns Germanistenlaufbahn gehen wird, wäre es sicher nützlich, hier einige Sätze zu seiner allgemeinen fachlichen Bedeutung vorauszuschicken. Aber beides läßt sich so nicht trennen. Wenn er sich beispielsweise so gut wie gar nicht an den besonders angesehenen Forschungen zur klassischen staufischen Literatur beteiligte, dann deshalb, weil es sich dabei um Adelsliteratur handelte, während seine heute vergessenen Forschungen zum Gotischen oder zur spätmittelalterlichen Kulturgeschichte der Rekonstruktion des vermeintlichen deutschen Volksgeistes oder Volksthwnes galten. Die Entfaltung der Germanistik nach 1815 wies deutliche Parallelen zur Entwicklung der politischen Öffentlichkeit auf. Nach der romantischen Anfangsbegeisterung gab es nicht einmal eine kontinuierliche Kommunikationsmöglichkeit in Form einer Fachzeitschrift Maßmann hat in den Zwanziger Jahren mehrfach vergeblich versucht, ein solches Organ zu initiieren, und er war unermüdlich bestrebt, die gebildete Öffentlichkeit auf die Leistungen der jungen Philologie hinzuweisen. Die Entwicklung der Frühgermanistik muß vor allem von den teilweise noch unausgewerteten Briefwechseln der Fachvertreter aus rekonstruiert werden. Allein im Falle Maßmanns liegen einige hundert unedierte Briefe vor, die ihn in engem Kontakt mit den Koryphäen der damaligen Wissenschaft zeigen. Die wenigen Behandlungen in der germanistischen Personengeschichte sind meist nur Seitenstücke zur Grimm-Forschung und entsprechend oberflächlich." Eine Ausnahme bildet die berühmt-berüchtigte Waltram-Affäre, ein kurioser Forschungsskandal, den Maßmann 1827 durch eine unüberlegte Publikation hervorrief.74 Eine weitere Ausnahme stellt der Band Aus den Papieren der Basseschen Buchhandlung dar.75 Er 71 72 73 74 75

J.J. Müller (Hrsg.): Germanistik und deutsche Nation 1806-1848. Zur Konstitution bürgerlichen Bewußtseins. Stuttgart 1974. Ebd. S. 22-45. Einige ungedruckte Briefauszüge gibt L. Denecke: Jacob Grimm und seine Freunde. Brüder-Giimm-Gedenken 1981, S. ( f f . Dazu A. Leitzmann (Hrsg.): Briefe aus dem Nachlaß von W. Wackemagel. Leipzig 1916, S. 156-164. - G. Hess: Minnesangs Ende. In: K. Grabmüller (Hrsg.): Befund und Deutung. Tübingen 1979, S. 498-525. O. Dammann (Hrsg.): Aus den Papieren der Basseschen Buchhandlung. Jena 1924.

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0. Einleitung

dokumentiert den zentralen Einfluß, den Maßmann auf die Entwicklung der Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur genommen hat. In Basses Bibliothek erschien auch Maßmanns Ausgabe der Kaiserchronik, die am deutlichsten die Diskontinuitäten seines Germanistendaseins widerspiegelt Fast dreißig Jahre lagen zwischen der Subskriptionsanzeige 182576 und dem Abschluß des Unternehmens. Der Text kam mitten in der Revolution 1848/49 heraus und konnte den Ansprüchen der modernen Forschung nicht mehr genügen. Dagegen bildet der 1854 erschienene Kommentarband noch heute eine unverzichtbare Informationsquelle. Der nächste Herausgeber Edward Schröder befand über seinen Vorgänger Maßmann, daß er [...] nicht nur in der beurteilung der h[and]s[chriften] und bruchstükke vielfach fehlgriff, sondern auch alle sonstigen hauptfragen, die nach dem dialekt, der heimat, dem Verfasser und der entstehungszeit falsch beantwortete und die fragen der höhern kritik in keinem puncte förderte, der text selbst ist vielleicht besser als sein ruf, jedenfalls weit besser als der erwarten würde, der zuerst bei der erörterung der handschriftenverhältnisse die völlige hilflosigkeit des herausgebers sieht 77

Maßmann gehörte also zu jenen Pionieren der Frühzeit, die sich durch ihre natürliche Sprachbegabung und das unentwegte Abschreiben und Vergleichen von Handschriften einen praktischen Editionsinstinkt erwarben. Insofern steht er bei seiner gleichzeitigen Orientierung an Jacob Grimm und Karl Lachmann auf der Grenzen zwischen der modernen Universitätsphilologie und ihren "vorwissenschaftlichen" Vorläufern.78 Trotz methodischer Mängel, die teilweise durch die Lebensumstände verursacht wurden, können Maßmanns Arbeiten zur spätmittelalterlichen Volkskultur und seine motivorientierten Längsschnitte in der modernen Forschung wieder mehr Interesse beanspruchen.7» Einige seiner Werke haben Reprints erfahren.80 Auch als Vollender des Althochdeutschen Sprachschatzes von Graff, des langlebigsten Werkes der deutschtümlichen Phase, hat Maßmann sich ein bleibendes Verdienst erworben.81

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Ein Exemplar dieser verlorengeglaubten Rarität fand sich unter Maßmanns Briefen an Böhmer in der UStB Frankfurt/M, Ms. Ff. J.F. Böhmer. E. Schröder (Hrsg.): Kaiserchronik. Hannover 1892, S.3. Zu diesen B. Neumann: Die verhinderte Wissenschaft. In: P. Wapnewski (Hrsg.): Mittelalterrezeption. Stuttgart 1986, S. lOSff. Vgl. das günstige Urteil bei R. Brandt: Konrad von Würzburg. Darmstadt 1987, S. 11, gegenüber W. Frey: Textkritische Untersuchungen zu Ottes "Eraclius". Frankfurt/M. 1980, S. 8ff. Sie sind im Werkverzeichnis VH/2 nachgewiesen. E.G. Graff: Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. Th. 6 und Register. Berlin 1842-1846.

5. Politische Lyrik

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5. Maßmann als politischer Lyriker Zeit seines Lebens hat Maßmann seine politische Forderungen, Wünsche und Hoffnungen in Gedichten und Liedern artikuliert und ist damit an die Öffentlichkeit gegangen. Er arbeitete allerdings kaum an der Vervollkommnung seiner lyrischen Ausdrucksmöglichkeiten, sondern verließ sich auf die situative Ergriffenheit: Ich kann nicht dichten nach der Elle, Nicht auf Geheiß, nicht für den Witz; Doch, steh ich an geweihter Stelle, Und an der Liebe Lebensquelle, Dann zündet's in mir wie ein Blitz. 82

Auch diese Inspiration durch Gelegenheit brachte mit der Zeit eine gewisse dichterische Routine hervor, allerdings in engen Grenzen: Als Knabe hab' ich manch Gebet geleimet. Als Jüngling, Mann, erträglich rein gereimet. Doch fragst Du nach dem Schwung der Poesie, Den hatt' ich, ehrlich, nie; [...] Empfindung, der ich Wort und Reime lieh. Nenn' ich nicht Poesie. 83

Maßmann hat in diesem für die Münchener Zwanglose (Dichter-) Gesellschaft verfaßten Poem sicherlich ein bißchen kokettiert. Aber tatsächlich glichen seine Lieder mehr gereimten Gesinnungstaten als lyrischen Kunstwerken. Hoffmann von Fallersleben antwortete daher persiflierend: "In's Herz des Volkes drang noch nie, / Gelehrter Herren Poesie".84 Gleichwohl ist Maßmann in seiner Lyrik mancher Treffer geglückt, u.a. verfaßte er einige der populärsten patriotischen Turn- und Burschenschaftslieder. Aber auch sonst kann seine Lyrik nicht nur biographisches Interesse beanspruchen, sondern hat als historisches Zeugnis durchaus Signifikanz für die Epoche. Einige seiner Schöpfungen haben über den Anlaß hinaus Beachtung gefunden, wie ihr Weiterleben in den Anthologien und Darstellungen zur Geschichte der politischen Lyrik dokumentiert.85 Aber gerade die stetige Wiederbehandlung weniger Gedichte, vor allem seiner Vater-

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Am 16. September 1853. Nürnberg 1853. Armin's-Lieder, S.63f. Schulpoeten. In: Deutsche Lieder aus der Schweiz. Zürich 1842, S. 131. Die ausführlichste Behandlung bei C. Petzet: Die Blützezeit der deutschen politischen Lyrik von 1840-1850. München 1903, S. 336ff.; Stephenson: Das Lied der studentischen Emeueningsbewegung 1814-1819. Frankfurt/M. 1958, S. 40 u.ö.; H.G. Werner: Geschichte des politischen Gedichts ... 1815-1840. Beiiin (Ost) 1969, S. 45ff. u.ö.

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0. Einleitung

landshymne Ich hob' mich ergeben, hat die notorische Ansicht vervorgerufen, Maßmann "sei nur selten als Zeitdichter hervorgetreten".8« Die hier vorgelegte Lyrik-Bibliographie beweist das Gegenteil»7 und zeigt doch nur die Spitze des Eisbergs; die Zahl seiner Gedichte soll sich auf ca. 1500 belaufen haben.88 Über die ganze Lebenszeit betrachtet, liest sich Maßmanns Lyrik wie eine Reimchronik der deutschen Nationalbestrebungen aus altdeutscher Sicht. Es ist ein Hauptanliegen meiner Arbeit, den operativen Zusammenhang von Turnen, Germanistik und Lyrik im nationalpädagogischen Wirken Maßmann zu zeigen, der allerdings auch gerne die Rolle des emotionalisierenden Redners einnahm. Kirchenlied und Predigt waren die instrumenteilen Gattungsvorbilder, an denen sich die altdeutsche Bewegung orientierte. Dieser literarische Bezug verweist erneut auf die überragende Bedeutung, die die schwärmerische Religiosität der Befreiungskriegszeit für den deutschtümlichen Patriotismus hatte.

6. Zur Quellenlage Mit der Quellenlage sieht es nicht zum besten aus. Maßmanns wissenschaftlicher Nachlaß ist offenbar schon bald nach dem Ableben verstreut worden, einiges davon kam in das Berliner Literatur-Archiv und befindet sich heute in der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Ein Einzelexemplar des Aufsatzes Deutscher Scherz» mit handschriftlichen Ergänzungen von Maßmann in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover trägt den Zugangsvermerk 1877. Die Deutsche Sporthochschule in Köln verwahrt ebenfalls einige Stücke, die aus Maßmanns Besitz stammen.'0 Maßmanns persönlicher und poetischer Nachlaß ist gänzlich verschollen. Während er bis 1908 von seinem Sohn Berthold gehütet und ergänzt worden war, verlieren sich seine Spuren in den Dreißiger Jahren, nachdem Turnhistoriker in Danzig mehrfach darauf zurückgegegriffen hatten.»1 Immerhin ist der lyrische Teil von Euler und Hartstein ausgewertet worden,»2 und auch das Theaterstück Heinrich der Erste ist im Berliner 86 87 88 89 90 91 92

H. Lamprecht (Hrsg.): Deutschand, Deutschland. Bremen 1969, S. 15f.; 564f. Das Zitat S. 564. Vgl. das Werkverzeichnis VH/3. C. Hirschmann: H.F. Maßmann. Blätter für das bayerische Gymnasialtumwesen 1897, S. 25. Zeitspiegel 1831, Bd 6, S. 57-74. U.a. das Manuskript von Franz Lieber: Die Fahrt nach Schlesien im Jahr 1818. Zuerst R. Stoewer: Zur Geschichte des deutschen Turnens 1814-1841. DTZ 1921, S. 481 und mehrfach dann O. Kurth für Aufsätze in der DTZ 1928 und 1929. Vgl. Euler/Hartstein, S. 5.

6. Zur Quellenlage

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Akademiearchiv erhalten. Seine Korrespondenz hat er aus politischer Vorsicht meist sofort vernichtet. Seine Briefpartner sind dieser Aufforderung nicht unbedingt gefolgt.93 Allerdings bezieht sich der größte Teil der mehr als 600 Briefe, die ich erreichen konnte,94 auf Maßmanns Gelehrtendasein. Eine Ausnahme davon stellen die Briefe an Jacob Grimm, Ludwig Uhland und Wilhelm Wackernagel dar. Das Überleben einiger früher Turner-Postillen verdankt sich den Akten der preußischen Demagogenjäger, sowie den Memoiren des Maßmannfreundes Dürre, die auch für das Dürerfest eine wichtige neue Quelle bieten.95 Bisher nicht beachtet wurden auch Maßmanns Briefe an Friedrich Thiersch, sowie Briefe Öttingen-Wallersteins an Maßmann, die seinen Weg nach München anschaulich machen. Abgesehen von zwei kleineren Skizzen zu den Anfängen des Turnens96 hat Maßmann keine Memoiren veröffentlicht. Außer den schon erwähnten Selbstbiographien bieten aber die oft mehrere Seiten langen Vorreden zu seinen Schriften, in denen er die Motive seines Handelns meist umständlich ausbreitete, eine Lebensbeschreibung eigener Art Die Unmenge seiner Publikationen hat Maßmann glücklicherweise selber bibliographisch erfaßt. In der Bayerischen Staatsbibliothek in München befindet sich ein handschriftliches Verzeichniß der bisher gedruckten wissenschaftlichen Arbeiten aus dem Jahre 1851, das auch das lyrische und publizistische Schaffen einschließt, und die Bibliographie im Gelehrten München von 1834 weiterführt.97 Anhand dieses Verzeichnisses war es möglich, Maßmanns Oevre - soweit noch erreichbar98 und thematisch relevant - in großem Umfang auszuwerten und bibliographisch zu erfassen.» Kleinere Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge, die er absichtlich oder unabsichtlich überging, wurden durch den Umstand auffindbar, daß er meist schwerpunktartig in einzelnen Periodika publizierte. Ich habe deshalb

93 Brief an F. Thiersch, 29.1.1826. BSB/TH; Brief an W. Wackemagel, 23.VH.1828. SAB/PA. 94 Unerreichbar waren zum Zeitpunkt der Quellenauswertung die Briefe A. v. Humboldts, die jetzt wieder in der DSB zugänglich sind. Über den Inhalt informiert O.Kurth: Die Humboldtbriefe an H.F. Maßmann. DTZ 1929, S. 31f. 95 E. Dürre: Aufzeichnungen, Tagebücher und Briefe aus einem deutschen Turner- und Lehrerieben. Leipzig 1881. % Die Turnplätze in der Hasenheide zu Berlin. DTZ 1859, S. 3ff.; Der 18. Februar 1813. DTZ 1864, S. 187ff. 97 Eine Kopie dieses Verzeichnisses mit einigen Ergänzungen befindet sich in ZSAM/M.22, Bd 1. Ich zitiere die Münchener Version als Verzeichniß. 98 Unauffindbar blieben leider Die bunte Well oder Bilder und Geschichten, Lieder und Weisen zur Ergötzung und Belehrung für wißbegierige Kinder. München 1828 und die Lieder für Knaben und Mädchen. Mit Singweisen von Pocci. München 1832. 99 Vgl. das Weikverzeichnis Vn/2.

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0. Ginleitung

in Frage kommende Periodika systematisch ausgewertet,100 soweit es die bescheidene Fernleihsituation zuließ. Durch Bibliotheksrecherchen vor Ort konnten verschollene oder bisher unbekannte Veröffentlichungen wiedergefunden werden, darunter die Rödelheimer Rede von 1816, das anonyme Streitgedicht gegen Görres und ein Flugblatt zum Hermanns-Denkmal. Wegen ihrer Seltenheit habe ich sie in einem Textanhang zusammengestellt.101 Maßmann politische Verfolgung wurde in den Akten der preußischen Demagogenfahnder, sowie den Akten der Mainzer Zentraluntersuchüngskommission minutiös festgehalten.102 Weitere Aufschlüsse über seine Situation direkt nach dem Wartburgfest bietet eine Akte im Staatsarchiv Weimar, die bisher im Universitätsachiv Jena als vermißt galt.103 Die Promotionsakte Maßmanns in Jena wurde mir zu spät zugänglich, um noch ausführlich berücksichtigt zu werden. Maßmanns institutionelle Tätigkeit ist in umfangreichen Personalakten in Merseburg und München dokumentiert.104 Aus den neuaufgefundenen Akten im Münchener Kriegsarchiv geht die in allen Biographien verschwiegene Tatsache hervor, daß er 1830/31 die Leitung der Münchener Turnanstalt kurzfristig niederlegte und seine militärische Tumlehreranstellung 1833 aus disziplinarischen Gründen verlor.105

Ich gebe alle Zitate aus Quellen in der Form, wie sie mir vorlagen, ohne eine Normierung anzustreben. Hervorhebungen im Text, die von den zitierten Autoren stammen, sind kursiv gesetzt Die Literatur wird in den Anmerkungen verkürzt zitiert, die vollständigen Angaben finden sich im Quellen- und Literaturverzeichnis.10*

100 101 102 103 104

Vgl. das Periodikaverzeichnis Vm/2. Siehe die Dokumentation IX/1 -3. Vgl. das Archivalienverzeichnis Vin/1. SA Weimar. A 8732. Die Münchener Fakultätsakten sind von U. Huber: Universität und Ministerialverwaltung. Berlin (West) 1987 ausgeweitet worden. Leider enthält Maßmanns Kurzbiographie dieser gewaltigen Arbeit S. 565 einige Fehldaten. 105 Dazu R. Braun in dem Ausstellungskatalog: Bayern und seine Armee. München 1987, S. 43f.: "Ein Radikaler im Schuldienst". 106 Vgl. hierzu das Siglenverzeichnis S. Xlf. Die genauen Besitzangaben handschriftlicher Briefe sind dem Briefverzeichnis VH/4 zu entnehmen, wobei unspezifische Signaturen, die nur "Autographen Maßmann" o.ä. lauten, nicht angeführt sind.

I. Der Burschenturner: vom Turnschüler zum Agitator 1. Patriotische Erweckung Hans Ferdinand Maßmann wurde am 15. August 1797 in Berlin geboren. Seine Jugend fiel damit in eine Zeit tiefgreifender politischer Veränderungen, und die preußische Hauptstadt war ein Brennpunkt des Geschehens. Dies paßt zu dem frühen Beginn seines politischen Engagements, es relativiert ihn aber auch zugleich. Denn eine ganze Jugendgeneration sah sich damals aufgerufen, für die Befreiung Deutschlands in die Schranken zu treten. Zuerst nach außen, im Kampf gegen Frankreich, dann auch im Inneren, mit der Forderung nach nationaler Einheit und politischer Freiheit. Und es blieb nicht bei der Forderung: in den patriotischen Brüderschaften der Burschen und Turner versuchten sie, konkrete Veränderungen zu erreichen. Doch dieser nationale Aufbruch war schnell zu Ende. 1819/20 wurde die Bewegung von den deutschen Regierungen zerschlagen, und die jugendlichen Vorkämpfer, zu politischen Kriminellen gestempelt, standen am Scheideweg. Die meisten fügten sich und resignierten; andere emigrierten und gaben Deutschland auf. Einige schließlich versuchten, ihre schwärmerischen Ziele auch unter den Bedingungen der Restauration weiterzuverfolgen. Zu diesen gehörte Hans Ferdinand Maßmann. Ein halbes Jahrhundert ließ er sich von seinen jugendlichen Einheitsträumen leiten, auch wenn er dafür ein schweres Opfer bringen mußte: die Forderung der Freiheit Wie wird man so ein Patriot? Wie wurde es Maßmann? Eine sozialpsychologische Erklärung liegt nahe, sie genügt aber nicht. Denn Hans Ferdinand Maßmann hatte einen Zwillingsbruder, Johann Karl, der sich ganz anders entwickelte. Zwar gehörte er auch zu den frühesten Turnern und geriet in die politischen Turbulenzen der Demagogenzeit. Doch dann ließ er sich als Arzt in einer preußischen Kleinstadt nieder und trat politisch nicht mehr in Erscheinung.' Aber Johann Karl Maßmann ist in der frühen Tumbewegung immer nur ein Mitläufer gewesen, während der erstgeborene Hans (eigentlich: Johan1

ZSAM/M.3, Bl. 121f., 146f.

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I. Der Burscheniurner

nes) Ferdinand schon sehr früh selbst initiativ wurde. Das war sicher auch eine Frage der Temperamente. Während Johann Karl wegen seiner Trockenheit "Kiesel" genannt wurde, erhielt Hans Ferdinand den Spitznamen "Kühlebom" - nach dem agilen Wassergeist in Fouqu0s Undine.2 Beide Söhne konnten als spätere Akademiker den sozialen Aufstieg ihres Vaters fortsetzen. Dieser, Johann Christoph Maßmann, 1758 in Thüringen als armer Bauernsohn geboren, hatte sich trotz mannigfacher Widrigkeiten in Berlin als Uhrmacher selbständig gemacht. Wohlhabend wurde er dabei allerdings nicht. Denn der als grämlich-pedantisch geschilderte Mann war alles andere als geschäftstüchtig. Er beschäftigte sich lieber mit autodidaktischen Sprachstudien, ohne freilich viel dabei erreichen zu können. Aber seine aufklärungstypische Bildungsbeflissenheit sorgte dafür, daß die Zwillingssöhne, die einzigen und späten Kinder, trotz ärmlicher Verhältnisse das Gymnasium besuchen durften.^ Wesentlichen Anteil an der Ernährung der Familie hatte die zehn Jahre jüngere Ehefrau Marie Elise Maßmann, geborene Hübner, die weitaus praktischer veranlagt war. Als "rüstige und fromme Hausfrau" betrieb sie nebenbei Bettzeugverleih für unmöbliert Wohnende "mit Ausdauer und Gewandtheit".4 Der Einfluß seiner wesensverwandten Mutter soll Maßmann später auch zum Theologiestudium bewegt haben. Die mühevoll erkaufte höhere Bildung war eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zum altdeutschen Patriotismus, denn dessen Anhänger rekrutierten sich vor allem aus der (klein-) bürgerlichen Bildungselite. Die Berliner Gymnasialjugend war die erste Zielgruppe der turnerischen Nationalpädagogik, wie sie von dem deutschtümlichen Turnvater Friedrich Ludwig Jahn entwickelt wurde. Um daraus allerdings eine Bewegung von nationaler Tragweite entstehen zu lassen, mußte ein Anstoß von außen hinzukommen: das war die patriotische Begeisterung des Jahres 1813. Und dieser Begeisterung war wiederum ein großes Desaster vorausgegangen: der Untergang des deutschen Reiches und die Niederwerfung Preußens im Jahre 1806.5

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Düne: Maßmann, S. 197 u. 209. Euler/Hartstein :Maßmann, S. 9. Alle biographischen Daten, die ich nicht gesondert belege, sind in diesem Werk zu finden. Dürre: Maßmann, S. 209. Zur geschichtlichen Orientierung allgemein H. v. Treitschke: Deutsche Geschichte ... Bd 1-5. Leipzig 1882-1884; F. Schnabel: Deutsche Geschichte ... Bd 1-4. Freiburg i. Br. 1934-1937.; Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 3. 9. Aufl. Stuttgart 1970; W. Bußmann (Hrsg.): Handbuch der europäischen Geschichte. Bd 5. Stuttgart 1981; Th. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1806-1866. München 1983; J. Wfflms: Nationalismus ohne Nation. Frankfurt/M. 1985.

1. Patriotische Erweckung

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Ironischerweise hatte der Mann, der das alles auslöste, den gleichen Geburtstag wie Maßmann. Ironischerweise deshalb, weil Maßmann am 15. August immer auch den mitfeiern mußte, den er als Demütiger Deutschlands abgrundtief haßte: Napoleon Bonaparte. Er haßte ihn so sehr, daß er noch 1849 für sein germanistisches Hauptwerk auf den üblichen Titel Kaiserchronik verzichtete und stattdessen von der Der keiser und der kunige buoch sprach, weil bereits ein pronapoleonisches Weik dieses Titels existierte.6 Was Maßmann nicht sehen wollte, war die Tatsache, daß Napoleon I. nur vollstreckte, was seit langem überfällig war: die Auflösung der alten Feudalordnung, die die politische Entwicklung in Deutschland hemmte. Der zuerst literarisch hervordämmernde Anspruch des deutschen Bürgertums auf Mitverantwortung und Machtteilhabe konnte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nicht erfüllt werden, denn es war nur noch eine apathische Anhäufung einiger hundert Feudalvaterländer unterschiedlichster Größenordnung. Frankreich hatte seit langem von der deutschen Zerrissenheit profitiert und sie nach Kräften geschürt; aber es waren die deutschen Fürsten, die aus Eigeninteresse Napoleons Neuordnung zum Erfolg verhalfen. Der Wegfall der niederen Reichsstände brachte den Fürstendynastien erhebliche Gebietsgewinne, und diese Rheinbundvasallen halfen Napoleon, die deutsche Führungsmacht Österreich niederzuwerfen, während Preußen mit einer gewissen Schadenfreude zusah. So war die Landkarte Deutschlands schon wesentlich vereinfacht, als im August 1806 Franz II. als SS. und letzter deutscher Kaiser abdanken mußte, um fortan nur noch Österreich zu regieren. Während der Masse der Untertanen das Ende der alten Reichsherrlichkeit ziemlich gleichgültig war, sah es bei den Intellektuellen anders aus. Viele von Ihnen hatten sich für die Aufklärung und die französische Revolution begeistert, empfanden aber die französische Usurpation und den Verrat der Rheinbundfürsten als Kränkung ihrer Nationalehre. Ihre letzte Hoffnung stellte Preußen dar, das unter Friedrich dem Großen ein patriotisches Identifikationsobjekt geworden war. Umso vernichtender wurde die Niederlage empfunden, die Napoleon den Preußen zufügte. Der 14. Oktober 1806, der Tag des Debakels von Jena und Auerstädt, wurde zu einem traumatischen Schock. Er steigerte sich noch durch die Art und Weise, wie das absolutistische preußische Staatswesen daraufhin in sich zusammensackte. Weil überall im Lande intakte Truppenteile und starke Festungen kampflos kapitulierten, konnte Napoleon 6

(Hrsg.:) Der keiser und der kunige buoch oder die sogenannte Kaiserchronik. Th. 1. Quedlinburg 1849, S. XVIf. Da Maßmann vorher immer von Kaiserchronik sprach, zitiere ich sein Werk unter diesem gängigen Ittel.

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I. Όα Burschenturner

schon zwei Wochen später in Berlin einziehen, wo die Devise ausgegeben wurde: 'Ruhe ist jetzt die erste Bürgerpflicht*. Die preußischen Patrioten sahen sich durch die Niederlage auch in ihrer Männlichkeit gekränkt. Das Versagen der aristokratischen Heeresführer wurde als Mangel an deutschem Mannesmut empfunden. "Ein neuer Schimpf haftet auf dem deutschen Namen" heißt es in einem Brief Adalbert von Chamissos über die klägliche Kapitulation der Festung Hameln, der in dem Ausruf kulminierte: "O hätten Männer an unserer Spitze gestanden!"7 Mit der preußischen Niederlage war endgültig klar, daß nur die Zusammenfassung aller deutschen Kräfte die französische Vorherrschaft brechen konnte. Daher wurde die deutsche Einheit zu einem vorrangigen Thema. Wenn auch praktisch dafür wenig unternommen werden konnte, so war doch eine geistige Vorbereitung möglich. Der Geist der Zeit, den Arndt seinen "lieben Teutschen" vermitteln wollte, verlangte die Schaffung eines neuen Nationalbewußtseins. Der nächste Schritt wäre dann: dieses Nationalbewußtsein zur Basis des politischen Lebens zu machen. Angesichts der deprimierenden Gegenwartsverhältnisse kann es nicht verwundern, daß der Blick der Patrioten sich in die Vergangenheit richtete, auf das glorreiche deutsche Mittelalter und die germanische Vorzeit, als die Altdeutschen noch wegen ihres Heldenmutes und ihrer Kampfkraft gefürchtet waren. Die romantischen Intellektuellen erhofften sich Deutschlands Wiedergeburt aus der Wiederbelebung dieses besonderen deutschen Nationalcharakters, den sie in Sprache, Kultur und Sitten der Altvorderen zu entdecken glaubten. Der teutschen Germanenschwärmerei wurde die romantische Liebe für das Mittelalter hinzugefügt, das durch die zahllosen geschichtlichen Quellen, die sich aus den aufgelösten Klöstern und Herrensitzen ergossen, wesentlich greifbarer war. Die Berufung auf altdeutsche Vorbilder zur Legitimation politischer Veränderungen war ein wichtiges Propagandamittel des deutschtümlichen Patriotismus, gerade in Berlin. Friedrich Heinrich von der Hagen, der schon in seiner Jugend vaterländische Heldengedichte verschlungen hatte, schrieb 1806: "überall ist jetzt, bei der äußeren Schmach, nur im Altertume, in der Vorzeit, in ihrer Poesie und Geschichte [...] Heil und Leben für uns: zwar nur ein Traum, doch kan ihn uns niemand entreißen".8 Nun war es allerdings mit der literarischen Rückbesinnung so eine Sache. Auch die historisch-mythischen Vorbilder offenbarten bereits die deutsche Misere. Arminius/Hermann, der Hauptheld der Befreiungshoffnung, hatte die Niederlage der Römer durch einen heimtückischen 7 8

Zitiert nach E. Kleßmann (Hrsg.): Deutschland unter Napoleon in Augenzeugenberichten. 2. Aufl. München 1982, S. 223; 225. Zitiert nach E. Granewald: F.H. von der Hagen. Berlin (West) 1988, S. 339.

1. Patriotische Erweckung

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Vertrauensbruch herbeigeführt. Nachrichten über ihn verdankten sich den literarischen Werken der welschen Römer. Er selbst fiel innergermanischen Stammesfehden zum Opfer, die als Urbild der deutschen Entzweiung aufgefaßt werden konnten. Im Nibelungenlied» konnte der Held Siegfried begeistern, der war aber nach der Hälfte des Werkes bereits tot, ebenfalls von einem Kampfgenossen (Hagen) ermordet. Im zweiten Teil gab es noch den großen Verteidigungskampf der Burgunder im Hunnenland. Aber er endete trotz aller Tapferkeit mit ihrer völligen Niederlage, die durch die Hand eines Weibes, die Landestochter Kriemhild, schmählich besiegelt wurde. Der Text blieb den Neudeutschen sprachlich weitgehend unverständlich. Die literarische Rückbesinnung mußte also ziemlich unreflektiert erfolgen, wenn auf diese Weise schwärmerische Begeisterung und neuer Kampfesmut geweckt werden sollte. Und so war es auch. Es wurde vor allem eine emotionale Identifikation gesucht, die dazu führte, das die Damen im altdeutschen Kostüm herumliefen und Unterhaltungen über die Vorzeit zum Modethema wurden. Die "Hoffnung auf dereinstige Wiederkehr Deutscher Größe und Weltherrlichkeit", die von der Hagen in seiner Ausgabe des Nibelungenliedes 1807 aussprach,konnte nur begrenzt aus der literarischen Lektüre geschöpft werden. Ungleich wichtiger wurden die Anstrengungen, eine patriotische Bewußtseinsveränderung durch erzieherische Maßnahmen zu erreichen. Das war nicht von heute auf morgen möglich. In der kommenden Generation sollte sich das wahrhafte Deutschtum wieder machtvoll manifestieren: in der Generation Hans Ferdinand Maßmanns. Fichte gab in seinen Berliner Reden an die deutsche Nation (1807/1808) Mittel für eine solche Nationalerziehung an: Pestalozzis Reformpädagogik und planvolle Körperertüchtigung. Die Garantie dafür, daß der Nationalcharakter wiederherzustellen war, sah Fichte in der deutschen Ursprache gegeben; sie sollte die Gegenwart mit den unverbildeten Anfängen des Urvolks verbinden. Die von Fichte mit großer Wirkung vorgebrachten Vorstellungen waren wirklichkeitsfern bis weltfremd, sie bildeten aber den geistigen Überbau für eine bürgerliche Staatsreform, die tatsächlich die gesellschaftlichen Verhältnisse veränderte. Schuld daran war wieder Napoleon. Er zwang Preußen 1807 einen entwürdigenden Frieden auf, der den Staat halbierte und finanziell ruinierte. In dieser Situation wagte Friedrich Wilhelm ΠΙ. eine kleine Revolution von oben. In allen Bereichen des preußischen Staates kamen bürgerliche Kräfte zum Zuge, die deutsch orientiert waren.

9 10

O. Ehrismann: Das Nibelungenlied in Deutschland. München 1975; L. v. Saalfeld: Die ideologische Funktion des Nibelungenliedes ... Berlin (West) 1977. Zitiert ebd. S. 340.

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I. Der Burschenturner

Die preußischen Reformen setzten neue Energien frei und ließen das Land wieder zum nationalen Hoffnungsträger und zum Sammelort patriotischer Kräfte werden. Ein Zentralpunkt der Reformen war die Neustrukturierung des Bildungswesens, anknüpfend an Reformpädagogik und Neuhumanismus. Hier fand auch der altdeutsche Bildungsgedanke einen Ansatzpunkt, um institutionell wirksam zu werden. Friedrich Heinrich von der Hagen erreichte einen außerordentlichen Lehrstuhl für altdeutsche Philologie an der neugegründeten Reformuniversität, und auch Friedrich Ludwig Jahn kam 1809 nach Berlin, um auf diesem Felde mitzuhelfen, den Schock von Jena und Auerstädt zu überwinden, der ihm angeblich über Nacht das Haar ergraut hatte.11 Das Vorwort zu seinem Deutschen Volksthum datierte er ostentativ auf den 14. Oktober 1808; es erschien allerdings erst 1810 als sein schriftstellerischer Beitrag zu einer deutschtümlichen Erneuerung Preußens. Aber Jahn war im Grunde mehr an einer praktischen Tätigkeit interessiert, denn das Deutsche Volksthum war ein Gesellschaftsentwurf, der mit Leben zu füllen war. Der Dreh- und Angelpunkt seines Denkens war die deutsche Sprache und ihr Überlieferungsträger, die Literatur. Zwar beschwor Jahn "Natur, Geschichte und Vernunft" als die gesellschaftlich wirksamen Mächte,12 aber mit der Vernunft hatte sein Gesellschaftmodell einer staatsbürgerlichen Monarchie wenig im Sinn, stellte es doch einen Gegenentwurf zur aufklärerisch geprägten Revolutionsgesellschaft Frankreichs dar. Die Deutschen sollten sich vielmehr auf ihren einzigartigen Nationalcharakter besinnen, den Jahn als Volksthum bezeichnete. Er verstand darunter das spezifisch Deutsche, das er in allen Lebens- und Kulturäußerungen des deutschen Volkes zu entdecken meinte. Durch den überwältigenden Einfluß Frankreichs war die deutsche Kultur überfremdet und das eigentliche Deutschtum vergessen worden - darin sah Jahn die Ursache der deutschen Misere. Die Reinigung der deutschen Sprache, orientiert an einem historisch rekonstruierbaren Urzustand, war ein Kernpunkt seines Programms. Der Kampf gegen die sprachlich-kulturelle Ausländerei erhielt eine besondere Brisanz dadurch, daß in den vom "Zwingherren" Napoleon annektierten Gebieten und einigen seiner Satellitenstaaten Französisch zur Amtssprache erhoben wurde. Jahn betrachtete sich damals in erster Linie als einen Germanisten. 1806

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Eine kritische Biographie Jahns steht noch immer aus. Vgl. H. Langenfeld: Auf dem Wege zu einer neuen Jahn-Biographie. Salzburger Beiträge zum Sport 1979, S. 45-60. Allgemein vgl. Euler: Jahn; Eichel: Geschichte Π; Uebeihorst: Geschichte m/1 und den Jahn-Sonderband Stadion 1978. F.L. Jahn: Deutsches Volksthum. Lübeck 1810, S. XX.

1. Patriotische Erweckung

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hatte er bereits eine Bereicherung des hochdeutschen Sprachschatzes, versucht im Gebiete der Sinnverwandschaft veröffentlicht13 Leibesübungen stellten dagegen nur einen von zahlreichen Sekundäraspekten seines deutschtümlichen Programms dar. Das wurde in Berlin jedoch bald anders. Auf Grund seines chaotischen Bildungsganges ohne regulären Abschluß gelang es Jahn nicht, die erhoffte Dozentur für Sprachwissenschaft an der neuen Berliner Reformuniversität zu erlangen. Schleiermacher vertröstete ihn auf eine Gymnasiallehrerstelle, für die sich Jahn allerdings auch erst qualifizieren mußte. So wurde Jahn Hilfslehrer am Gymnasium zum Grauen Kloster und an der Pestalozzianischen Modellanstalt von Piamann. Während dieser Lehrertätigkeit begann er dann mit körperlicher Erziehung zu experimentieren, während er gleichzeitig mit anderen Berliner Deutschtümlem einen verschwörerischen Deutschen Bund gegen Napoleon gründete. Damit sind wir im Jahr 1810, Hans Ferdinand Maßmann war zu dieser Zeit 13 Jahre alL Wie er das preußische Desaster und die Franzosenzeit erlebte, die in den Memoiren vieler Altersgenossen so breiten Raum einnehmen, dazu hat er sich kaum geäußert. Vermutlich wird sich am Lebensgang der Familie nicht viel geändert haben, abgesehen von der finanziellen Misere, die die Berliner besonders hart traf.14 Mit Sicherheit wird Hans Ferdinand nicht zu den Jugendlichen gehört haben, die den Franzosen auf der Straße offen die Verachtung zeigten, die die Erwachsenen nicht zu äußern wagten.15 Denn der Junge war einer strengen Erziehung unterworfen, die Pflichterfüllung, Ordnungsliebe und fügsame Zurückhaltung erheischte. Und der Vater war mit Sicherheit kein patriotischer Verschwörer, sondern zufrieden, sein erlerntes Französisch bei der neuen Kundschaft anbringen zu können. Und von der religiösen Schwärmerei, die der romantische Zeitgeist mit sich brachte, wird er auch nichts gehalten haben. Nach dem Zeugnis von Jahn hat der Vater dem Sohn später noch übel mitgespielt, "als er bei einem Berliner Gottesgelehrten, d.h. Vemunftleugner und Menschheitsfrevler,16 den Buchglauben nicht streng genug begriffen, worauf der Vater der Dreieinigkeit mit dem Kantschuh im Bette aufhalf."17 Von den schulischen Verhältnissen wird ähnliches berichtet. In der "Klipp-Schule" regierte die Strafgeißel, im Gymnasium wurde Hans Ferdinands Fleiß und seine tadellose Aufführung gerühmt. Willig unterwarf 13 14 15 16 17

Jahn: Werke. Bd 1. Hof 1884. Zur französischen Besatzungs- und Garnisonszeit vgl. W. Ribbe (Hrsg.): Geschichte Berlins. Bd 1. München 1987, S. 422ff. KleBmaim: Deutschland, S. 350f. Gemeint ist wohl Schleiermacher oder ein anderer romantischer Theologe. F.L. Jahn: Briefe. Leipzig 1913, S. 312.

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L OCT Burschenturner

sich der Knabe den pedantischen Lehrmethoden, dankte seinem Lieblingslehrer Spilleke später für die "Bildung des inneren Menschen",1» entschuldigte aber auch stilistische Umständlichkeiten mit der "frühen persönlichen Entwicklung von der Schulbank her".1' Zu Maßmanns Schulkameraden gehörten sogar die Söhne des frankreichfreundlichen Polizeipräsidenten Lecocq, in dessen Haus er wohlgelitten war. Eine ganz andere Welt stellte der Turnplatz dar, den Jahn 1811 in der Berliner Hasenheide eröffnete und den die Zwillingsbrüder schon im ersten Jahr besuchten. Wie es dort zuging, hat Maßmann 1859 dargelegt,20 ohne allerdings auf sein eigenes Erleben einzugehen. Ein weiteres Indiz dafür, daß er im Gegensatz zu seiner späteren Turnerzeit noch ganz unter dem Diktat erzieherischer Autorität stand. Dazu paßt, daß er durch einen Lehrer, Jahns Freund Friedrich Lange, in die Hasenheide kam. Auch wenn das Turnen als eine rein körperliche Übung begann, so stand es von Anfang an im Zusammenhang mit Literatur. Denn die Anregung dafür bekam Jahn offensichtlich aus seiner studentischen Lieblingslektüre, dem Roman Dya-Na-Sore von Wilhelm Meyem, der auch andere Patrioten der Reformzeit beeinflußte.21 Jahn hat dann auch den schwärmerischen Ton Meyerns im Vorwort seines Deutschen Volksthums ostentativ aufgenommen. In Meyerns patriotischem Staats- und Bildungsroman finden sich alle Motive, die Jahns Nationalerziehungsgedanken ausmachen. Es geht darin um den Befreiungskampf eines Volkes, das durch Degeneration in Knechtschaft gefallen ist Bünde auserwählter Jünglinge stählen sich durch Kampfspiele für die kommende Erhebung, stärken ihren Vaterlandsglauben durch patriotische Gesänge und die Betrachtung altväterlicher Denkmäler. Knaben werden patriotisch erweckt und in eine soldatische Männerwelt sozialisiert, der sie die Größe des einstigen Urvolkes zurückgewinnen sollen. Vaterländische Wettspiele und Weihefeiern formen staatsbürgerliche Tugendhelden, die sich begierig im Freiheitskampf opfern. In diesem Stile soll es seit 1811 auch beim Urturnen in der Hasenheide zugegangen sein - so möchte es die turnhistorische Jahn-Legende des 19. Jahrhunderts. In Wirklichkeit fehlten schon die disziplinarischen Voraussetzungen für eine nationalpädagogische Körpererziehung, erst recht die politischen. Wie Maßmann schrieb, bestand Jahns anfängliche Hauptleistung nurmehr darin, die "in polizeiloser Zeit ziemlich verwilderte Berliner 18 19 20 21

Schaden: Gelehrtes München, S. 68. Brief an Thiersch, 18/VI. 1826. BSB/TH. Die Turnplätze in der Hasenhaide bei Berlin. DTZ 1859, S. 3-5; 10-12. W. Fr. Meyem: Dya-Na-Sore oder die Wanderer. T. 1/3. 3. Aufl. Frankfurt/M. 1984. (Erste Ausgabe 1787-1791.) Vgl. H. Bernett: "Dya-Na-Sore" - Erweckung oder Verführung Jahns? Sportwissenschaft 1987, S. 350-369.

1. Patriolische Erweckung

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Schuljugend zu zügeln". 22 Die Schüler der verschiedenen Gymnasien führten einen ständigen Raufkrieg untereinander, lieferten sich regelrechte Straßenschlachten. 23 Auch innerhalb der Schulen gab es Schranken zwischen den verschiedenen Altersklassen und sozialen Rangstufen. Es war üblich, daß sich die älteren Gymnasiasten siezten und das wilde Leben der damaligen Studenten nachahmten. So war es schon ein Erfolg für Jahn, daß es ihm gelang, seine eigenen Schüler und die von Maßmanns Gymnasium friedlich zusammenzubringen. Das Turnen selbst orientierte sich an der philanthropischen Gymnastik des 18. Jahrhunderts, die GuthsMuths perfektioniert und Jahn bei ihm kennengelernt hatte. Aber der entscheidende Unterschied war, daß Jahn damit aus der Schulanstalt auf einen öffentlichen Platz ging und die Jugend der ganzen Stadt ansprach. Mit der Überwindung der Schulfeindschaften "begann in der damaligen Jugend die Ahnung eines besseren Daseins, einer gemeinsamen Lebensaufgabe, eines höheren vaterländischen Zieles für ihre sprudelnde, bis dahin irregeleitete Kraft aufzugehen", wie Maßmann schrieb. Denn den größten Teil dieser Kraft absorbierten "kühne und kriegerische Jugendspiele", bei denen es rauh zuging. Bei diesen "kräftigeren Wald- und Ringspielen" 24 konnte trotz ihres paramilitärischen Charakters keine nationalpädagogische Propaganda erfolgen. Denn antifranzösische Äußerungen wurden vom preußischen Staat aus politischen Rücksichten unterdrückt. Aber Jahn fand dennoch einen Weg, seine Körperpädagogik in den deutschtümlichen Patriotismus einzubinden, indem er ihr ein altdeutsches Gepräge gab. Schon Jahns Wortschöpfung "Turnen" stellte einen unüberhörbaren Zusammenhang zu dem romantischen Mittelalterinteresse her, das in von der Hagens altdeutscher Professur, Fouquös Siegfriedsdramen Der Held des Nordens (mit Widmungen an Fichte und einer Anspielung auf von der Hagen) 25 und anderen Schöpfungen der antifranzösischen Berliner Romantik zum Ausdruck kam. Ironischerweise war das auf "Turnier" und "turnieren" anspielende Turnen des etymologischen Autodidakten Jahn alles andere als urdeutsch: Das althochdeutsche "turnan" war ein lateinisches

22 23 24 25

Turnplätze, S. 4. Vgl. H. Eichberg/W. Hopf: Der Alltag auf der Hasenheide. In: W. Bornemann: Lehibuch ... (1814). Münster 1981, S. 125ff. Turnplätze, S. 3. "Mit starker Wiinschelrut' ein Hagen kämpft, / Veibessemd so des grimmen Hagne Schuld. / Viel schon gewann er, wird noch mehr gewinnen, / daß, die noch Kinder sind in dieser Zeit, / Dereinst aufwachsen mit der teuem Lehre / Von Siegfrieds Taten und Chriemhildens Treu'." Der Held des Nordens I, Vers 37-42.

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Lehnwort, und die Turniere waren im Mittelalter aus Frankreich gekommen,26 aber die altdeutsch denkenden Zeitgenossen verstanden die dahinterstehende Zeitkritik Jahns und daraufkam es letztlich an. Jahn wußte den deutschtümlichen Symbolgehalt auch anderweitig einzubringen. So erhielten die Jugendlichen lederne Mitgliedsmarken, auf denen die Jahreszahlen der Hermannsschlacht, sowie des ersten und letzten Ritterturniers in Deutschland eingeprägt waren. Die feudale Herrschaftsstruktur des alten deutschen Reiches trat gegenüber dem völkischen Einheitsgedanken in den Hintergrund. Dazu hieß es 1814 in dem ersten Lehrbuch des Turnens: Waren auch die Turniere nur Kampfspiele der Fürsten und Ritter, so weckten sie doch den Waffengeist nicht minder bei den übrigen Ständen. Jeder deutsche Bürger fühlte und übte Schwerdt und Spieß. Deutschland glich einer allgemeinen Waffenschule. Damals gelüstete Keinem an Deutschlands gesegneten Gauen räuberisch die Hand zu legen. 27

Solche Töne wurden aber erst nach dem Befreiungskrieg laut. 1812, als der Verfasser Bornemann zum ersten Mal eine anonyme Broschüre über die Hasenheide veröffentlicht hatte, nahm die preußische Zensur schon an der Verbindung von Turnen und "deutsch" Anstoß.28 Aus Bornemanns Heftchen von 1812 können wir entnehmen, daß der Wurfspeer der Turner "nach alter deutscher Ursprache" als "Ger" bezeichnet wurde.29 Wie bei den ritterlichen Übungen wurde auf einen hölzernen Kopf gezielt, der bei einem Treffer nach unten klappte. Die zivilisationskritische Rückwendung des Turnens manifestierte sich auch in Kleidung und Verhalten. Das Material der turnerischen Einheitskleidung war ein ungebleichter Leinenstoff, das Hemd hatte keinen Kragen, was als eine Demonstration altdeutscher Einfachheit gegenüber der von Jahn verdammten französischen Mode empfunden wurde.30 Als Stärkungsmittel waren in der Turnrast lediglich Wasser und Brot zugelassen. Schließlich duzten sich alle Teilnehmer untereinander, unabhängig vom Alter und auch mit ihren erwachsenen Lehrern. Dieses männerbündische Gleichheitsprinzip wurde ebenfalls aus der "alten Deutschheit" abgeleitet, entsprach aber auch dem Gleichheits- und Brüderlichkeitstreben der französischen Revolution und barg einen gefährlichen sozialen Sprengstoff. Im Interesse des Gleichheitsprinzips war auch die Betonung des gemeinsamen Krafterlebnisses gegenüber der individuellen Leistung des einzelnen. 26 27 28 29 30

Vgl. J. Bumke: Höfische Kultur. Bd 1. München 1986, S. 342ff. Bomemann: Lehrbuch, S. 32. [W. Bomemann:] Der Turnplatz in der Hasenheide. [Berlin 1812.] Vgl. dazu Bomemann: Lehrbuch, S. IXf. Bornemann: Turnplatz, S. 13. Vgl. H. Dihle: Altdeutsche Tracht und turnerische Jugendbewegung in Beiiin nach den Freiheitskriegen. Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins 1927, S. 104ff.

1. Patriotische Erweckung

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So hieß es im frühesten überlieferten Tumlied über den besonders geschätzten Ringkampf laut Bornemann: Wacker haben sie gerungen. Beide stehen unbezwungen. Beide sind des Lobes werth. Da nur kann sich Kraft erzeugen. Wo das Gleiche mit dem Gleichen Ringend, Muth und Stärke mehrt 3 1

Da sich den Jugendlichen so eine Sozialisationsinstanz eröffnete, die zu Haus und Schule im Widerspruch stand, war es von besonderer Bedeutung, daß der Turnplatz außerhalb der Stadt, in der "freien" Natur lag. Hier waren die Jugendlichen "ungestört von den ängstlichen Aeltern, von pedantischen Schulmeistern und fragsüchtigen Strohmännern", d.h. Spitzeln.» Andererseits präsentierten sich die Turner dort selbstbewußt einer erstaunten Öffentlichkeit, denn die Hasenheide stellte ein beliebtes Berliner Ausflugsgebiet dar. Als im Jahr 1812 ein größerer Turnplatz eingerichtet wurde, wurde die stetige Anwesenheit von Zuschauern bereits einkalkuliert. Das Turnen erregte von Anfang an öffentliches Interesse. Während es von den Deutschtümlern, wie etwa Jahns früherem Hochschullehrer Arndt,33 als patriotisches Mittel erkannt und begrüßt wurde, erregte es das Mißtrauen der französischen Spitzel und Sympathisanten, ohne daß sie einen Grund zum Einschreiten sahen. Sie ließen ihm "als unschädlicher, von deutschen Gelehrten ersonnenen Lächerlichkeit freyen Gang".34 Es ist also keineswegs daran zu denken, daß sich zu dieser Zeit auf dem Turnplatz bereits eine Nationalbewegung manifestierte, zumal sich Preußen 1812 von Napoleon in ein Kriegsbündnis gegen Rußland gezwungen sah. Mehr als die sogenannte Franzosenpartei machten Jahn pädagogische Vorbehalte zu schaffen. Für manche Eltern entstand angesichts des wilden Treibens der Eindruck, daß sich ihre Söhne nun noch mehr prügelten, nur in noch größeren Haufen und unter Aufsicht Bomemann beeilte sich 1812 daher zu betonen, daß Jahn seine wilden Geländespiele nur durchführte, weil noch nicht genügend Übungsgeräte zur Verfügung standen.35 Tatsächlich stellten die paramilitärischen Massenkämpfe und Orientierungsmärsche ein Hauptinteresse Jahns dar. Sie wurden auch beibehalten, als der größere Turnplatz eingerichtet war.

31 32 33 34 35

Bomemann: Turnplatz, S. 27. Turnplätze, S. 3. Vgl. Eichel: Geschichte Π, S. 79. F. Passow: Tumziel. Breslau 1818, S. 60f. Bomemann: Turnplatz, S. 5f.; H. Langenfeld: Jahns Einfluß auf die körpeiliche Erziehung im bürgerlichen Zeitalter. Sudion 1978, S. 1-32.

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Dennoch wurden nun Versuche unternommen, dem Turnen einen mehr methodisch-systematischen Charakter zu verleihen, und dies kam dem Turneifer des anfangs sehr zurückhaltenden Maßmann zugute. Im Jahre 1812 nahm sich Jahns Freund Friedrich Friesen des Turnens an. Friesen stellte den Prototyp des deutschtümlichen Patrioten dar. Er war als Zuhörer Fichtes für die Nationalerziehung gewonnen worden, durch von der Hagen für die Altgermanistik. Er unterrichtete ebenfalls bei Piamann und am Grauen Kloster und gründete bereits 1808 einen Fechtverein mit patriotischen Zielsetzungen.36 Unter Friesens Leitung entstand nun "eine Art Turnkünstler-Verein", zur "wissenschaftlichen Erforschung und kunstgerechten Begründung des Tumwesens".37 Die Zusammenarbeit der beiden Leiter sah typischerweise so aus, daß Friesen das Turngerät "Reck" erfand, während Jahn das entsprechende altdeutsche Urwort dafür prägte. Die Disziplinierung des Tumbetriebes hat es Hans Ferdinand Maßmann erleichtert, zu einem begeisterten Turner zu werden, ohne in einen äußerlichen Autoritätskonflikt zu geraten. Denn das gebesserte Betragen der Berliner Schuljugend am Vorabend des Krieges wurde vor allem auf das Turnen zurückgeführt, das dadurch an Popularität gewann. Noch im Jahre 1812 begann sich Jahn für den schüchternen Außenseiter zu interessieren und zog ihn in seinen engeren Schülerkreis, dem er in seiner Behausung tiefere Einblicke in das deutschtümliche Emeuerungswerk gewährte. Hier ist aber auch nur an sehr verhaltene Propaganda zu denken. Denn wie sich der etwas ältere Turner Eduard Dürre später erinnerte, durften die Knaben "nicht wissen, was sich schon damals unter den Alten plante."38 Auch wenn Jahn sich an allerlei patriotischen Verschwörungen beteiligte, zielte er wie Fichte auf einen Bewußtseinswandel der kommenden Generation, so übermächtig wurde die Vorherrschaft Frankreichs empfunden. Aber schon in Spanien hatte sich gezeigt, daß die napoleonische Machtmaschine immer dann ins Wanken kam, wenn die Verteidiger mit religiöser Inbrunst und Todesverachtung zu Werke gingen. Der jähe Untergang der großen Armee in Rußland erschien dann wie ein Gottesgericht Der Haß auf Napoleon, die Sehnsucht nach Befreiung und die vertiefte Religiosität verbanden sich zu einem religiösen Patriotismus, der gewaltige Emotionen weckte. Die Konvention von Tauroggen, der offene Abfall von Napoleon, zeigt die Breite der preußischen Erhebung. Denn sie wurde eigenmächtig von einem konservativen General geschlossen, der normalerweise mit den nationaldenkenden Kräften nichts im Sinn gehabt hätte. Der König sah sich

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Vgl. Eichel: Geschichte Π, S. 64f. F.L. Jahn/E. Eiselen: Die deutsche TumkunsL Berlin 1816, S. VI. Düne: Maßmann, S. 199.

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regelrecht genötigt, ein Bündnis mit Rußland einzugehen, obwohl er Yorck lieber vor ein Kriegsgericht gestellt hätte. Auch der fünfzehnjährige Maßmann wurde von dem jähen Umschwung, von Kriegsbegeisterung und Opfermut ergriffen. Eine wichtige Rolle spielten dabei sicher auch die patriotischen Nibelungenvorträge des Deutschtümlers Zeune und die patriotischen Predigten Schleiermachers, die die Turner gemeinsam besuchten.» Die patriotische Gesangslyrik, die erheblich zur Mobilisierung des Bürgertums beigetragen hat, war im Umfeld Jahns bereits wirksam, bevor sie allgemein die Gemüter zu bewegen begann. Maßmanns Lehrer Lange dichtete das berühmte Lied Es heult der Sturm, es braust das Meer, in dem die kriegerische Männlichkeit gefeiert wurde. Den Turner August veranlaßte Jahn zur Abfassung des antifranzösischen Spottliedes Mit Mann und Roß und Wagen / hat sie der Herr geschlagen, das er dann durch Abschriften verbreiten ließ.40 Mit Arndt, Theodor Körner und Max von Schenkendorf, den Stimmführern der patriotischen Lyrik, war Jahn persönlich befreundet. Als er bald darauf das Lützowsche Freikorps aufzubauen half, ließ er eine Liedersammlung drucken, deren Titel die eigentümliche Mischung aus preußischem und deutschem Patriotismus zeigt: Deutsche Wehrlieder für das Königlich-Preußische Freikorps herausgegeben.41 Sie begannen mit Arndts Was ist des Deutschen Vaterland?, das zur Nationalhymne der Patrioten wurde. Jahn entwickelte eine eigene Vortragstechnik, um auf seine Schüler einzuwirken. Da er vollkommen unmusisch war, trug er im "Wortsturmschritt [...] oftmals die logische Betonung ganz übersehend, Gedichte in scharf accentuiertem Steigen und Fallen der Stimme" vor, was er "mit begleitenden Bewegungen der Arme und des Körpers unterstützte".« Noch größeren Eindruck machten auf den fünfzehnjährigen Maßmann sicherlich die realen Kriegsvorbereitungen. Ende Januar 1813 siedelte der Hof sicherheitshalber nach Breslau über, und Jahn und Friesen gingen ebenfalls dorthin. Am 3. Februar 1813 erschien dann der Aufruf an die preußische Jugend von 17 bis 24 Jahren, als Kriegsfreiwillige einzutreten. Viele Berliner Gymnasiasten folgten ihm begeistert, obwohl sie sich für die Landwehr selbst ausrüsten mußten. Am 13. Februar 1813 schlich sich das

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Düne: Aufzeichnungen, S. 98. Zu Zeune vgl. König: Nationaleräehung Π, S. 151 ff. Euler: Jahn, S. 314ff. Abgedruckt in Jahn: Werke I. S. 389ff. Vgl. hierzu jetzt E. Weben Lyrik der Befreiungskriege. Stuttgart 1991. Euler: Jahn, S. 315.

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Dutzend der älteren Turnschüler nach Breslau, um in das Lützowsche Freikorps einzutreten, das einen besonderen Symbolwert für die gesamtdeutschen Freiheitshoffnungen erhielt. Der fünfzehnjährige Hans Ferdinand will unter dem Eindruck dieser Ereignisse ein regelrechtes patriotisches Erweckungserlebnis gehabt haben: Noch heute wogt und wallt mein Herz wie damals hoch auf, wenn ich des Augenblicks gedenke, an welchem ich am stillen einsamen Abende den Abzug Jahns und später jener genannten 13 Freunde [...] erfuhr. Zu jung damals noch, um mit ihnen zu ziehen [...] wurde ich in jenem Augenblicke, ich darf wohl sagen, Mann, indem ich mein ganzes Leben der Turnkunst und in ihr der Wiedergeburt des Vaterlandes weihte.43

Hier handelt es sich ohne Frage um eine spätere Stilisierung. Denn mindestens zwei Wochen lagen zwischen den beiden Ereignissen, und in einem anderen Aufsatz von 1859 behauptete Maßmann auch, von Jahn Papiere zur Aufbewahrung erhalten Zu haben.44 Aber tatsächlich wurde von nun an die Zusammenführung von Religiosität, Tumkunst und Männlichkeit zum patriotischen Lebensthema. Unter dem Eindruck der Ereignisse begann Maßmann auch zu dichten. Sein Lied Turner-Abschied, offensichtlich direkt nach dem Ausmarsch der Freunde verfaßt, spiegelt die Naivität wieder, mit der Maßmann die Bedeutung des Turnens für die Kriegsführung betrachtete. So rief er den Ausmarschierenden nach: Holla, ihr Turner, wohin denn zieh'n? Glück auf 1 Was deutet im Auge das mutige Glüh'n? Glück auf! Was klirrt an den Seiten das Schwert so laut, Hab das Schwert ihr gewählet zur Lebensbraut? [...]

Und die Freunde antworten: Wo das Leben am allerlautesten saust. Glück auf! Und der Schlachten Donner und Wonne braust, Glück auf! Da ziehen wir Turner allesamt hinaus. Da ist unsere Heimat, da sind wir zu Haus.45

Die fehlende Möglichkeit, zu "ernsterem Turnen" hinauszuziehen und das alte deutsche Schwert als "Tummelbraut" zu führen, motivierte ihn umso 43 44 45

Der 18. Februar 1813. DTZ1864, S. 20. Turnplätze, S. 4. Hier ging es Maßmann wohl darum, die Existenz eines frühen Turnlehrbuchs aus Jahns Feder zu 'belegen'. Zitiert nach Euler/Hartstein, S. 75.

1. Patriotische Erweckung

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mehr, sich auf dem Turnplatz zu engagieren, wo er nun zu den Ältesten gehörte. Er machte sich auch durch Botengänge bei der Nachschubbeschaffung für das Lützowsche Freikorps in Berlin nützlich.« So löste er sich unter dem Eindruck der kriegerischen Emotionen jetzt aus der Enge des Elternhauses und wurde mit Leib und Seele Turner. Auch in der Schule änderte sich das Klima. Seinen gerührten Lehrer Spilleke erfreute er durch ein Gedicht, das er zwanzig Jahre später noch einmal Friedrich Wilhelm III. vorlegte, um seine propreußische Gesinnung zu belegen.47 Es wird sich vermutlich um das gleiche Gedicht gehandelt haben, das Maßmann auch in seine Armin's-Lieder von 1839 aufnahm, wo es aber wohl eher seine frühzeitige nationale Erweckung dokumentieren sollte: Eisern ist die jetz'ge Zeit: Eisem Kreuz, du zier den Krieger, Der im heißen heil'gen Streit Kämpft für's Vaterland als Sieger, Um demselben goldne Zeiten Aus den ehmen zu bereiten.48

Tatsächlich gab es damals ein doppeltes Spiel mit dem Vaterlandsbegriff. Der preußische König mobilisierte über den religiösen Patriotismus Kampfbereitschaft und Opfermut seiner Untertanen, um den Bestand seines Staates zu retten, während die Patrioten die Erhebung Preußens als Ausgangspunkt der nationalen Einigung ansahen. Aber trotz der russischen Katastrophe stand das Rheinbunddeutschland treu im Lager des Imperators und half ihm, in kürzester Zeit ein neues Heer ins Feld zu stellen. Wie Napoleons Siege bei Großgörschen und Bautzen im Mai 1813 zeigten, war er den verbündeten Russen und Preußen noch überlegen, ohne sie jedoch entscheidend schlagen zu können. Aber die preußische Landwehr erwies eine intakte Moral und den Wert der allgemeinen Wehrpflicht. Napoleon bot daraufhin einen Waffenstillstand an, den er später als seinen entscheidenden Fehler betrachtete, denn er bewahrte die vollkommen erschöpfte preußische Armee vor weiteren Substanzverlusten. Dennoch wollten die im Bewußtsein des heiligen Krieges kämpfenden patriotischen Militärs um Blücher diesen Waffenstillstand nicht. Denn nun trat Österreich an die Seite der Alliierten, und dieses Österreich war bereits das Österreich Metternichs. Metternich war an nichts weniger interessiert als an einer starken deutschen Zentralmacht in Mitteleuropa. So kam der lange herbeigesehnte Krieg gegen Frankreich als Einigungsmittel für

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Dürre: Maßmann, S. 199f. Vgl. unten Kap. V/5. Armin's-Lieder, S. 37: Das eiserne Kreuz.

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Deutschland viel zu früh. Die preußischen Patrioten verloren ihren entscheidenden Einfluß auf die Kriegsführung, zumal auch noch England und Schweden der Koalition beitraten. Aus dem erhofften deutschen Freiheitsunternehmen war eine Sache der europäischen Machtbalance geworden. Das Blatt wendete sich schnell. Im August 1813 wurden Napoleons Marschälle in den umjubelten Siegen von Großbeeren, Kulm und an der Katzbach geschlagen. Der preußische General Bülow verhinderte bei Dennewitz einen Entlastungsangriff auf Berlin, der sicher auch den jungen Maßmann in große Aufregung versetzte, denn der Geschützdonner war in der Stadt zu hören. Im Oktober 1813 wurde Napoleon von den überlegenen Armeen der Alliierten eingekreist und bei Leipzig zur Entscheidungsschlacht gezwungen. Der Rheinbund zerfiel bereits, aber Metternich baute den abfallenden Fürsten goldene Brücken, garantierte ihren Besitzstand, während die Reichspatrioten noch immer hofften, sie für den Verrat von 1806 zur Rechenschaft zu ziehen. Die Leipziger Schlacht wurde zum größten Mythos der deutschtümlichen Nationalbewegung. Tatsächlich kämpften in der Völkerschlacht Deutsche bis zum Ende auf beiden Seiten mit. Am 18. Oktober 1813, nach einem dreitägigen Gemetzel, das 100.000 Soldaten das Leben kostete, war der Kampf entschieden. Dennoch gelang es Napoleon am 19. Oktober, sich mit den Resten der Armee aus dem Kessel zu befreien. Die langsame Verfolgung der Alliierten entließ ihn über den Rhein nach Frankreich, woran auch die tapferen Bayern nichts ändern konnten, die sich ihrem früheren Oberherren in den Weg stellten. So war Deutschland zwar frei geworden, aber ganz anders als von den Patrioten erhofft. Der Rheinbund verschwand, aber die Duodezkabinette blieben. Metternichs kühles Kalkül machte den stärksten Kontrast zu dem glühenden Napoleonhaß in Norddeutschland. Erst Napoleons hartnäckiges Vabanquespiel zwang die Alliierten förmlich zum Vormarsch, nachdem sie sich schon über die Verteilung der Beute zu entzweien begannen. Angeführt von den rachedurstigen Preußen zogen sie am 31. März 1814 in Paris ein. Auch dieses Datum wurde zu einem Feiertag für die deutschtümlichen Patrioten, denen es eine große Genugtuung war, das verhaßte französische Sündenbabel erobert zu sehen und die geraubten Kunstschätze heimzuholen. Diese Genugtuung blieb vorerst die letzte. Der 18. Oktober 1813 konnte den 14. Oktober 1806 nicht vergessen machen. Die Deutschtümler mußten einsehen, daß es kein neues deutsches Reich geben würde, daß Preußen trotz seiner enormen Kriegsopfer keine europäische Macht ersten Ranges wurde, geschweige denn zum Kerngebiet eines Nationalstaates. Jahns alt-

1. Patriotische Erweckung

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deutsche Nationalpädagogik sah sich wieder auf ihre Anfänge zurückgeworfen: auf ihre Hoffnung auf die nächste Generation. Und doch war die Zeit eine andere geworden. An die Stelle der alten Reichsruine traten die 40 Staaten des Deutschen Bundes, und auch der bürgerliche Patriotismus ließ sich nicht wieder aus der Welt schaffen. Er fand ein Fortleben in patriotischen Festen und Denkmälern, in patriotischer Lyrik und Pädagogik, in der deutschtümlichen Germanistik und dem Treiben der Turngesellschaften und Burschenschaften. Und damit beginnt Maßmanns politische Biographie.

2. Turnerische Subkultur Bis zum Ende des Feldzuges 1813/14 unterhielt Hans Ferdinand einen lebhaften Briefwechsel mit den turnerischen Kriegsteilnehmern,49 und sicherlich spielte er auch mit dem Gedanken, unter Vortäuschung des Mindestalters in die Armee einzutreten. Aber stattdessen half er bei der Weiterführung des Turnplatzes mit und beendete zügig seine Schulzeit Bereits im Herbst 1814 bezog er siebzehnjährig die Berliner Universität und studierte Theologie und klassische Philologie. Auch ohne Kriegsteilnahme wurde der Geist der Lützower jetzt auf dem Turnplatz nachvollziehbar. Das von Jahn mitorganisierte Freikorps hatte sich zwar kriegerisch kaum auszeichnen können, wurde aber als Schwarze Schar zu einem patriotischen Mythos, der sich durch Kömers Gedichte schnell verbreitete. Der Deutsche Rock, der jetzt außerhalb des Turnplatzes zum deutschtümlichen Erkennungszeichen wurde, war der Lützower Uniformjacke nachgebildet. Die beiden wichtigsten Repräsentanten des Freikorps kamen nicht aus dem Krieg zurück und wurden zum heroischen Vorbild für die Jugendlichen: Körner als Dichter-Soldat und Friesen als Turner-Soldat. Friedrich Friesen wurde von den Altdeutschen zum neuen Siegfried stilisiert. Der Philologe und Blindenpädagoge August Zeune dichtete im November 1814 An Friedrich Friesen, der zu Ende März bei Vouziers von franschen Bauern hinterlistig erschlagen ward: In der Schlacht wie Siegfried ohne Wunde. Fielst Du durch Verrat hin in die Blumen, In Ardennerwaldes finsterm Schlunde Welsche Bauern einsam dich begruben.

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Dörre: Maßmann, S. 199f.

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I. Dei Burschenturner [...] Doch nicht Grabesnacht umhüllt Dein Bild, Edler Jüngling I Hell im Tagesglanze, Um die Schläfe mit dem Eichenkranze, Lebst du fort, ein Siegfried stark und mild.50

In seiner Einleitung zur Deutschen Turnkunst trieb 1816 Jahn die Mythisierung noch weiter: "Von wälscher Tücke fiel er bei düstrer Winternacht in den Ardennen. Ihn hätte auch im Kampfe keines Sterblichen Klinge gefället."51 Der Tod Friesens und einiger älterer Turner bewirkte, daß die jüngeren Turner ihre Plätze einnehmen mußten, und derjenige, der das am konsequentesten tat, war Hans Ferdinand Maßmann. Er wurde sicherlich auch von dem Bemühen beflügelt, den älteren Kriegsteilnehmern gleichrangig an die Seite zu treten, aber die schnelle Wandlung, die mit ihm vorging, war symptomatisch für die stürmische Entwicklung, die das Turnen insgesamt nahm. In wenigen Monaten wurde aus der altdeutschen Gymnastik eine patriotische Subkultur, die vielerorts nachgeahmt und in der Öffentlichkeit stark beachtet wurde. Die Dynamik der Entwicklung wird an zwei literarischen Dokumenten Maßmanns deutlich, die zeitlich nicht weit auseinanderliegen. Für den Urzustand des Turnens noch ganz typisch war das Turnwanderlied, das er 1813 oder 1814 verfaßt hat» Vorbild dafür waren vermutlich die Lieder von Ferdinand August, der etwas älter, Kriegsteilnehmer und der Hausdichter der Hasenheide war.» Wer gleichet uns Turnern, uns frohen, dieses Lied von August kann als Vorbild aller Turnlieder betrachtet werden. Es schildert die einzelnen Turnübungen, lobt Lebensfrische und Charakterstärke der Turnenden und bringt deren Treiben schließlich mit der Wehrertüchtigung in Zusammenhang: Wenn die Trommeln zum Kriege einst schlagen Die Turner wohl nimmer verzagen In dem Feld. Wir wissen zu streiten. Den Sieg zu bereiten. Im Emst wie im Scherz Der Turner hat Herz.54 50 51 52

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DLE Π, S. 234f. Zum Siegfriedsmotiv vgl. auch S. 201 f. Jahn/Eiselen, S. Vif. Euler/Haftstein, S. 71 setzen es ins Jahr 1813. 1814 scheint aber wahrscheinlicher. Gedruckt wurde es laut Goedeke, 2. Aufl. Bd 8, Abt. 1. 1905, S. 141 zuerst 1815 in Lieder auf dem Turnplatz zu singen, zunächst für den Turnplatz zu Friedland in MecklenburgStrelitz. Neubrandenburg 1814, die heute nidit mehr aufzufinden sind. Vgl. Goedeke N.F., Bd 1, S. 715. Über ihn Goedeke N.F., Bd 1, S. 708ff. ADB I, S. 683f. A. Zamack (Hrsg.): Deutsche Volkslieder mit Volksweisen für Volksschulen. Th. 1. Berlin 1818, S. 2.

2. Turnerische Subkultur

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Schon an dem dreifachen Subjektwechsel ("die Turner", "wir", "der Turner") wird deutlich, daß sich die Identität der Turner noch nicht zu jener ostentativen Wir-Haltung verfestigt hatte, die für die Turngemeinden bald typisch wurde. Die gleiche Wechselperspektive findet sich auch in Maßmanns Turnwanderlied, das ebenfalls kaum nationalpolitische Aussageabsichten erkennen läßt. Thematisch beschränkte sich Maßmann auf eine einzige Turnübung, die aber rangmäßig ganz oben stand: die Turnfahrt. Dabei handelte es sich um einen Geländemarsch, der nicht nur Marschier- und Orientierungsfähigkeit stärken, sondern auch Gemeinschaftsgeist und volkstümliche Landeskenntnis verbessern sollte.55 Maßmanns Lied war offensichtlich direkt für den Geländegang gedichtet, auf dem Marschlieder gesungen wurden. Turner zieh'n froh dahin, wann die Bäume schwellen grün. Wanderfahrt, streng und hart: das ist Turnerart. Turners inn ist wohlbestellt: Turnern Wandern wohlgefällt: Darum frey Turnerey stets gepriesen seyl (2x) Graut der Tag ins Gemach: dann ist auch der Turner wach. Wirds dann hell: rasch und schnell ist er auf der Stell; Ist zur Stund' am Sammelort: und dann zieh'n die Turner fort. Damm frey ... Arm in Aim, sonder Hann, wandert fort der Tumerschwarm. Weit und breit zieh'n wir heut bis zur Abendzeit Und der Turner klaget nie, scheut nimmer Wandeimüh. Darum frey ... Stuimessaus, Wettergraus hält den Turner nicht zu Haus. Frischer Muth rollt im Blut, däucht ihm alles gut; Singt [n]en lust'gen Turnersang, hält sich frisch sein Leben lang. Darum frey ... S tubenwacht, Ofenpacht hat die Herzen weich gemacht. Wanderfahrt, Tumerait macht sie frank und hart; Und dem Turner wohl bekannt wird das [d]eutsche Vaterland. Darum frey ... Lebensdrang, Todesgang findet einst uns nimmer bang. Frisches Blut, Männeimuth ist dann Wehr und Hut. Braust der Sturm uns auch zu Grund, fall'n wir doch zu guter Stund; Darum frey ... x

Der Teenager Maßmann hat sein Turnwanderlied auf die Weise Fahret hin gedichtet, es wurde aber dann noch einmal von dem damals berühmten 55 56

Diiding: Nationalismus, S. 83ff. A.L. Folien (Hrsg.): Freye Stimmen frischer Jugend. Jena 1819, S. 11. Abweidlungen ergeben sich bei Zarnack: Volkslieder I, S. 3f.

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Komponisten Albert Methfessel vertont57 und erwies sich als eines der langlebigsten Turnlieder überhaupt Dazu hat sicher auch beigetragen, daß das Lied bis auf das Beiwort "frey" und die Erwähnung des "deutschen Vaterlandes" keine nationalpolitischen Konnotationen besaß und dadurch das Turnverbot unbeschadet überstehen konnte. Seine politische Harmlosigkeit ist ganz typisch für die Frühzeit. Zum Ausdruck kommen Gemeinschaftsgeist, Kraftgebaren und Wanderfreude der jugendlichen Turner und schließlich die Sehnsucht nach kriegerischer Bewährung. Der Ton ist von naiver Frische, aber auch voll unfreiwilliger Komik, und nicht erst heute: Bereits Franz von Pocci, Ludwig Eichrodt und Heinrich von Treitschke haben es in diesem Sinne zitiert und parodiert.® Eine spätere Umarbeitung des Liedes durch Maßmann, für das Ternsche Liederbuch von 1823,» läßt die veränderte Atmosphäre erkennen, die nach 1814 beim Turnen Platz griff. Der Ton wurde martialischer, und es wurde jener Einheitsgeist beschworen, der von vielen Nichtturnern als Kastengeist kritisiert wurde. So führte Maßmann, teilweise mit peinlichen Reimzwangnöten, in allen Strophen die 3. Person Plural durch, aus "weichen Herzen" wurden "feige Herzen", aus "Wanderfahrt" wurde "Sang und Drang". Diese Formel spielte auf den alten Spruch: "Kampf ohne Sang hat keinen Drang" an, der auf diverse Herrscher des Mittelalters zurückgeführt wurde. Er zierte schon das Titelblatt von Jahns Deutschen Wehrliedern, wo er ihn Heinrich dem Löwen zuschrieb.60 Der Beginn des Wandels, der sich mit dem Turnen vollzog, läßt sich ziemlich bestimmt auf den Juli 1814 datieren. In diesem Monat kehrte Jahn nach Berlin zurück. Der preußische Staatskanzler Hardenberg setzte ihm für seine propagandistischen Erfolge ein Ehrengehalt aus, und Schenkendorf widmete ihm ein Gedicht, betitelt Erneuter Schwur, in dem er gelobte, auch fürderhin vom Kaiser und vom Reich zu singen, d.h. die Einheitshoffnungen der Kriegszeit festzuhalten. Der sich jetzt wieder dem Konservatismus zuneigende Friedrich Wilhelm III. wollte davon aber gar nichts mehr hören, auch nicht von einer preußischen Verfassung, wie sie das Bürgertum forderte. Jahn erblickte in der Einführung einer Verfassung in Preußen den ersten

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A. Methfessel (Hrsg.): Allgemeines Commers- und Liederbuch. Rudolfstadt 1818, S. 176177 (Bei einer Turnfahrt). Die Überlieferung ist insgesamt sehr uneinheitlich. Pocci in Kaspert und der Turner (Sämtliche Kasperlkomödien. Bd 3. München 1909, S. 37-49); Eichrodt in Vormärzlicher Turnus (Biedermeiers Liederlust. Stuttgart 1981, S. 31); Treitschke: Geschichte Π, S. 386. [B. Fischer (Hrsg.):] Ternsches Liederbuch, zunächst zum Gebrauche für Hochschulen. Stuttgart 1823, S. 257-59. Falsch S. 483: "Aus Methfessel". Jahn: Werke I, S. 387. Als Motto des TeuSschen Liederbuches wurde es Friedrich Π. zugeschrieben.

2. Turnerische Subkultur

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Schritt auf einem Weg in den Nationalstaat und ein volkstümliches Staatswesen. Er veröffentlichte 1814 Runenblätter gegen die deutsche Kleinstaaterei, die sich eines so verschrobenen Sprachstils befleißigten, daß seine Ausführungen über die richtige "Schalte und Walte" in Deutschland von Außenstehenden kaum noch verstanden werden konnten. Jahn sah seinen Auftrag darin, "Worthalter" des preußischen Volkes zu sein, solange es noch keine gewählten Volksvertreter gab. Und diese Sprache zog jetzt auch auf dem Turnplatz ein. Durch das zunehmende Alter der Tumschüler und das breite öffentlichen Interesse wurde der Turnplatz nun ein Forum für seine nationalen Forderungen. Ein zweites literarisches Dokument Maßmanns zeigt die nationalpädagogische Perspektive, die das Turnen nun realiter gewann. Es handelt sich um eine Schulrede Maßmanns aus dem Jahre 1814 Über den Werth der Leibesübungen. Sie wurde 1815 im Schulrath an der Oder gedruckt, einer reformpädagogischen Zeitschrift, die Wilhelm Harnisch in Breslau herausgab. Hämisch war ein enger Freund Jahns und Mitglied des Deutschen Bundes in Berlin gewesen. Er ging dann als Volksschulseminarleiter nach Breslau und richtete dort auch einen Turnplatz ein. Im Herbst 1814 gab es wohl Überlegungen Jahns, Maßmann in Breslau studieren zu lassen, um ihn Harnisch als Unterstützung an die Seite zu stellen.« Ob Maßmann seine Rede tatsächlich in der abgedruckten Form im Friedrich-Werderschen Gymnasium gehalten hat, ist zweifelhaft. Vermutlich hat er sie für den Druck noch einmal vermehrt mit deutschtümlicher Farbe durchtränkt In einer Vorbemerkung erklärte Harnisch dann auch, daß er die Rede nicht nur "wegen der Hochwichtigkeit des Gegenstandes" veröffentlichte, sondern auch "weil sie uns zeigt, welche Gedanken und Gefühle in einem kräftigen, an Leib und Seele starken Jünglinge wohnen und wie diese oft selbst mit der Sprache ringen".62 Diese Sprache war nicht nur die Sprache Jahns und Arndts. Denn die älteren Jugendlichen, die "Elitetumer", wie sie treffend genannt worden sind,63 entwickelten ein eigenes Gruppenbewußtsein. Das hatte damit zu tun, daß Jahn so lange abwesend war, aber auch damit, daß er sich dann mehr für das geistige Turnen, für deutschtümliche Politik, interessierte. Die Leitung des Turnbetriebes hatte Ernst Eiselen inne, der nur wenige Jahre älter als Maßmann war. Eiselen fühlte sich wegen seiner mangelnden

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Brief Jahns an Harnisch, 6.ΧΠ.1814. Jahn: Briefe (1930), S. 80. Über den Werth der Leibesübungen. Schulrath an der Oder, Lfg. 4 (1815), S. S3. Düding: Nationalismus, S. 69.

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höheren Bildung nur für die Technik des Turnens zuständig, die ideologische Vermittlung, den Ausbau der turnerischen Subkultur, übernahmen vor allem die Eliteturner, also Maßmann und seine Freunde. Als Hans Ferdinand Maßmann im Spätsommer 1814 eine eigene Studentenbude bezog, wurde dieses Zimmer der Ort regelmäßiger Treffen, bei denen sich der Berliner Turnrath konstituierte. Den Vorsitz führte Eduard Dürre, der bei den Lützowern Jahns Adjudant gewesen war. Maßmann wurde der Schreiber, d.h. der Protokollführer. Durch den Turnrath wurde das Turnen zu einer wirklichen Jugendbewegung. Zwar blieb Jahn die unangreifbare Autorität, und die Elitetumer konkurrierten auch um seine Anerkennung, aber viele Entscheidungen trafen sie selbst, und sie waren auch der eigentliche Born der Begeisterung, der das Turnen übersprudelte. In seiner Rede zeigte sich Maßmann als Wortführer dieser jugendlichen Avantgarde. Der Ton erinnert an das prophetische Lutherdeutsch, mit dem Arndt den Geist der Zeit beschwor: [...] es wehet ein mächtiger Geist über uns hin, der das Alte zertrümmert und Neues schafft; sein Brausen dringet zu Herzen und mahnet daran, von Neuem ein kräftiges Leben zu zeugen.

Und Maßmann wollte nun seinen Mitschülern zeigen, "wie Leibesübungen sein müssen, und zumal unter uns, und wie wichtig ihr Treiben ist, damit ein wakkeres Leben gelebt werde".64 Während sprachlich hier der Sprung vom Mittelalter in die frühbürgerliche Neuzeit schon vollzogen wurde, blieb die urtümliche Ahnengalerie der Turner bestehen. Sie führte von Hermann dem Cherusker, über den "Rossetumler" Heinrich I., den Sieger über die Ungarn, bis zu Kaiser Maximilian I., allesamt körperkräftig und Liebhaber von Waffenspielen.63 Zu diesen Feudalherrschern trat noch der Schweizer Bürgerheld Winkelried, dessen Opfertod die Jugendlichen besonders begeisterte. Noch immer war es die heroische Kriegstat, die das Vorbild lieferte für die turnerische Ertüchtigung: Der Jüngling aber vor Allem soll fest werden, wie Stahl und Eisen, dass ihn das eherne Leben nicht zemialme.[...] Da wachsen dann Hochgefühle: Da wagt der Mann, Herrmannsthaten zu thun, und hat Muth, wie Arnold Winkelried in die Schwerter zu fallen! 66

Hermann und Winkelried blieben auch in den folgenden Jahren die wichtigsten Identifikationsfiguren, während der Nibelungenheld Siegfried nur eine untergeordnete Rolle spielte, da er keine historische Figur war. 64 65 66

Über den Werth, S. 55. Ebd. S. 54f.; 59f. Ebd. S. 57.

2. Turnerische Subkultur

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In der neuen Perspektive sollte das Turnen eine alternative Bildungseinrichtung von nationaler Bedeutung werden. Das preußische Kultusministerium hat diese Entwicklung anfangs geduldet, teilweise sogar gefördert, da die meist auf Privatinitiative beruhenden Turnplatzgründungen nur geringe Zuschüsse erforderten, und der Staat finanziell ausgeblutet war. Aber der altdeutsche Eigensinn, den das Turnen entwickelte, brachte es zwangsläufig in Konflikt mit der preußischen Bildungspolitik, und das hieß vor allem auch: mit der herrschenden Bildungslehre des Neuhumanismus. Maßmanns Rede war vor allem ein Versuch, die neuhumanistischen Philologen vom Wert des altdeutschen Turnens zu überzeugen. Wie die deutschtümliche Bewegung war auch der Neuhumanismus ein Versuch, aus einem historischen Vorbild ein überzeitliches Ideal zu abstrahieren und unter veränderten historischen Bedingungen wieder zu beleben. In der Schulpraxis führte das zu einem Bildungsphilistertum, das die verherrlichte Körperbildung der Antike gänzlich vernachlässigte. Maßmann fiel es dann auch nicht schwer, die Körperbildung der Turner und des deutschen Mittelalters mit dem Vorbild der griechischen Antike zusammenzuführen. Er schilderte die antike Polis und den altdeutschen Staat als Einrichtungen, in denen die Leibesübungen die Standesunterschiede überbrückten. Bei den olympischen Spielen "eiferten Könige mit Bürgern um den heiligen Oelkranz des Sieges! [...] Aber auch die Geschichte unsers Volkes kann uns melden von solchem rühmlichen Treiben."«7 Wie die Zeit der Spiele von "Olümpia" durch den "Meister Fidias" die bedeutendsten Kunstwerke hervorbrachte," so war das turnierliebende Mittelalter ähnlich geartet: Und diese Zeit des Kampfes und der gewaltigen Kraft, war es nicht auch die Zeit des Gesanges, der Kunst, und so vieles anderen Herlichen und Schönen? [...] Und wer schuf die Hehrgestalten unsrer Gebäue, den Münster zu Straßburg, den Dom zu Köln? - Deutsche Männer aus dieser Zeit!*9

Schließlich wußte Maßmann auch den Grund für den Untergang der Griechen und Römer anzugeben und daraus die entsprechende historische Lehre zu ziehen: Und wann wir nur den Vätern gleich seyn wollen an Tugend und Kraft, und nicht im ewigen Einerlei wieder geschehe, was Griechen und Römern wiederfuhr, als sie abließen vom löblichen Tummeln des Leibes, indem sie untergingen; so müssen Leibesübungen wieder sein und eingeführt werden. [...] Durch die gemeinsamen Leibesübungen kommt dann wieder ein neues, kräftiges Zusammensein des Volkes, indem sie froh werden und sich durch67 68 69

Ebd. S. 58f. Ebd. S. 59. Ebd. S. 60f.

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L Der Burscheniurner schauen und lieben lernen. Da weiden Arme und Reiche neben einander wandeln, und sich messen und erproben in ihrer Kraft. Da werden die Gemüther an einander gefesselt und der Sinn für Gememschaftlichkeit und Einheit wird aufblühen. Da wird Zwietracht weichen, Eintracht aber die Herzen binden.70

Es ist klar, daß Maßmann mit seinem Sprachgestus die Neuhumanisten kaum für das altdeutsche Turnen einnehmen konnte, - auch wenn er nachdrücklich auf die Notwendigkeit gleichmäßiger Bildung des Geistes und des Köipers hinwies. Schon zu Beginn der Rede wiegelte der Herausgeber Harnisch begütigend dahingehend ab, Maßmann wolle "keineswegs [...] die Zeiten zurückgeführt wissen, in denen unsre Vorfahren Eicheln aßen",71 denn Maßmann schilderte die altdeutsche Kindheit folgendermaßen: "Im lustigen Walde geboren, auf heimischer Erde gelegen, im kalten Strome gebadet, jauchzte der rüstige Säugling in die Welt hinein, als ahnete er das frische frohe Leben, das ihn im Vaterland anlachte."72 Hier hat sicherlich das Vorbild Jung-Siegfrieds Pate gestanden, wie im Schlußappell der "Ichhab's-gewagt"-Gestus Huttens: Drum wohl uns, dass die Gemüther jetzt wieder erwacht sind, und gewagt haben. Großes zu denken und zu thunl Und Heil der Jugend, die in solchen Tagen geboren ist und in dieser Zeit leben sollt Sie hat doch wieder einen kräftigen Halt im Gemüthe, sie weiß doch, warum sie das Leben fühlt und begint, und vermag so, freudig in die Zukunft hinauszuschauen, als in Tage der Wonne, wo das Schöne herrschen wird, und das Herliche und Große; wo wir Deutschen wieder ein wakres tüchtiges Volk sein werden, stark am Leib, gewaltig an Geist, gepriesen vor aller Welt.73

Die verschiedenen altdeutschen Töne, zwischen denen Maßmann in seiner Apologie des Turnens hin- und herwechselte, bereicherte er auch noch um einen neueren: die verbale Kraftkultur des literarischen Sturm und Drang. Der Einfluß dieser geistigen Strömung des 18. Jahrhunderts auf die patriotische Turnkultur ist bisher kaum beachtet worden. Klopstock und der Göttinger Hain verherrlichten ja bereits ein mythisches deutsches Germanentum, und Klopstocks Ode an das Schlittschuhlaufen war einmal literaturgeschichtliches Grundwissen.74 Maßmanns Anknüpfung an das stürmische Gefühlsstakkato aus der Fülle des Herzens ist unüberhörbar: Viel Wandern, gewaltiges Ringen der Leiber, tüchtiges Rukken und Rekken der Glieder das erhält munter, und machet das Blut warm und den Muth kühn: - In frischer Heibstluft die Tage durchtummelt, das färbet die Wangen roth, und weitet das Herz! da ist's freudig 70 71 72 73 74

Ebd. S. 61f. Ebd. S. 54. Ebd. S. 53f. Ebd. S. 62. Zu Klopstock/Göttinger Hain allgemein: Κ. A. Schleiden: Die Dichter des Göttinger Hains. Deutschunterricht 1958, S. 62-85. A. Kranefuss: Klopstock und der Göttinger Hain. In: W. Hinck (Hrsg.): Sturm und Drang. Kronberg/Ts. 1978, S. 134-162.

2. Turnerische Subkultur

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und kühn, da rollet das Blut so warm, da denkt auch der Geist nur Freudiges und Tüchtiges, - da bleiben die bösen Gedanken feml -7S

Schwärmerischer Sprachgestus und überschwänglicher Freundschaftkult wurden wichtige Merkmale der turnerischen Subkultur. Der Berliner Turnrath sorgte aber auch dafür, daß die patriotische Grundhaltung in die organisatorische Struktur des Turnens einging. Das gemeinsame Singen vaterländischer Lieder wurde fester Bestandteil des Turntages. Das beliebteste Lied war Arndts Was ist des Deutschen Vaterland, es wurde praktisch die Nationalhymne der Patrioten, mit der unmißverständlichen Forderung: "Das soll es sein! Das ganze Deutschland soll es sein!" Die Lieder der Befreiungskriegsdichter wurden das wichtigste Liedgut der Turner, sie wurden geradezu als Turnlieder bezeichnet. Die turnerische Begeisterung strahlte stark nach außen aus. Oft waren mehrere hundert Zuschauer bei den Turnübungen anwesend, darunter auch Angehörige des Königshauses oder der Kriegsheld Blücher. Den Höhepunkt des Tumjahres 1814 bildete die Feier zum Jahrestag der Leipziger Schlacht. Dieser Tag wurde von Patrioten in ganz Deutschland als ein Nationalfeiertag begangen.76 Die Idee dazu kam aus Jahns Volksthum und wurde von Arndt popularisiert, die Koordination übernahm der Rödelheimer Patriot Karl Hoffmann. Hoffmann gab dann auch einen Sammelband mit den lokalen Festberichten heraus, betitelt Des Teutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel. Aus diesem Band geht hervor, daß es den Berliner Turnern gelang, mit ihrer Feier alles in den Schatten zu stellen. Sie entwickelten ein Festprogramm, das zum Vorbild aller weiteren Turnfeste wurde, ein regelrechtes Festritual.77 Dazu gehörten Freudenfeuer, Lebehochs, pathetische Ansprachen und der gemeinsame Gesang von Vaterlandsliedern. Ferdinand August dichtete eigens ein Festlied.78 Die besondere Attraktion war ein damit verbundenes großes Schauturnen, das die Zuschauer zu Tausenden anzog. Turnfeste wurden nun eine der wirksamsten Möglichkeiten, den Zusammenhang von Patriotismus und Leibesübungen zu demonstrieren. Der 18. Oktober gab dafür die beste Möglichkeit, da er zugleich zum Schlußtag der Sommersaison, dem Tag des "Abturnens", bestimmt wurde. Was in Berlin von den Eliteturnern unter Leitung Jahns und Eiselens entwickelt wurde, hatte Vorbildcharakter für die anderen Turnorte. Jahn förderte diese Expansionsbemühungen ganz gezielt, indem er seine Berliner Lieblingsschüler (zumeist Tumratsmitglieder) einen nach dem anderen als 75 76 77 78

Werth der Leibesübungen, S. 57. Hierzu jetzt ausfUhilich D. Düding: Das deutsche Nationalfest von 1814. In: Den. (Hrsg.): öffentliche Festkultur. Reinbek b.H. 1988, S. 67-88. Düding: Nationalismus, S. 11 Iff. Abgedruckt im Festbericht bei K. Hoffmann (Hrsg.): Des Teutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel... Offenbach 1815, S. 687ff.

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I. Der Burschenturner

Turnlehrer oder Vorturner in andere Städte vermittelte und brieflichen Kontakt hielt Auf Maßmann hielt Jahn große Stücke. Nach Breslau empfahl er ihn als "eine reine, deutsche Seele, eine ehrliche Haut, ein Jüngling, der etwas gelernt hat, ein Schüler von Lange und Zeune".79 Aus dem Breslauer Plan wurde vorerst nichts, aber Anfang 18IS schickte Jahn den noch nicht Achtzehnjährigen nach Mecklenburg, um für den Landrat Graf von Schwerin einen Turnplatz einzurichten. Dabei hatte Maßmann auch ein Auge auf den größeren Turnplatz in Friedland, zu dem von Berlin aus enge Beziehungen bestanden.80 Friedland ist ein gutes Beispiel dafür, daß das Turnen dort am leichtesten Fuß fassen konnte, wo der antinapoleonische Befreiungskampf besonders stark unterstützt worden war. In Friedland entwickelte sich das Turnen zuerst aus Exerzierübungen eines Gymnasiallehrers. 1814 fand eine besonders eindrucksvolle Feier der Leipziger Schlacht statt.81 Die Friedländer Turner schickten jährlich Berichte nach Berlin und wurden auch von dort aus auf dem Laufenden gehalten. Diese Kommunikation lief vor allem über Maßmann, der auch eine Liedersammlung für die dortigen Turner drucken ließ.82 Friedland bildete auch ein beliebtes Wanderziel für Berliner Turnfahrten. Der Führungsanspruch der Eliteturner wird besonders aus einem Vorfall deutlich, der sich im Frühjahr 1815 auf dem Berliner Turnplatz abspielte. Der einzige ältere Erwachsene, der außer Jahn eine Rolle in der Berliner Turnszene spielte, war der Lotterieeinnehmer und Heimatdichter Wilhelm Bornemann. Er veröffentliche 1814 ein kleines Turnlehrbuch, wie es die Zeit verlangte, aber von Jahn nicht geliefert wurde. Während Jahn auf dem Wiener Kongreß weilte, wurde Bornemann von Maßmann und seinen Freunden vom Turnplatz vertrieben und zog sich aus der Tumbewegung zurück.83 Eine mögliche Erklärung für diese Attacke liefert der Titel von Bornemanns Veröffentlichung: Lehrbuch der von Friedrich Ludwig Jahn unter dem Namen der Turnkunst wiedererweckten Gymnastik. Obwohl Bomemann inhaltlich Jahns Vorstellungen folgte, stellte der Titel den altdeutschen Ursprung des Turnens in Frage und verwies auf die Gymnastik als eigentliche Quelle. Da die Schrift dem Innenminister Schuckmann dediziert war, zu dem Bornemann gute Beziehungen unterhielt, bestand die Gefahr,

79 80 81 82 83

Jahn an Hämisch, 6.ΧΠ.1814. H. Timm: Das Turnen mit besonderer Beziehung auf Mecklenburg. Neustrelitz 1848, S. 75ff. Hoffmann: Ehrentempel, S. 550ff.. Die Turner sangen ein patriotisches Lied und verbrannten eine Strohpuppe Napoleons. Vermutlich die Lieder, auf dem Turnplatz zu singen ... von 1815. Der Vorgang ist in der Turngeschichte merkwürdig unkommentiert geblieben. Gr wird geschildert bei E. Eiselen: Tagebuch. DTZ 1874, S. 67; Eulen Jahn, S. 429f.

2. Turnerische Subkultur

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daß das Turnen mit einer Person identifiziert wurde, die nicht den altdeutschen Interessen entsprach. Zudem liegt nahe, daß sich Bornemann damit auch als ein möglicher Leiter des Tumwesens empfehlen wollte. Dies war nicht unwichtig, weil im Ministerium Überlegungen im Gange waren, das Turnen in den Schulbetrieb zu integrieren. Damit war die nationalpädagogische Funktion des Turnens in Gefahr, denn diese konnte sich im deutschtümlichen Sinne nur außerhalb der Institution als freies Massenturnen entfalten. Ob die Eliteturner auch auf Weisung Jahns handelten, läßt sich schwer sagen, auf jeden Fall verlor er einen unliebsamen Konkurrenten.«4 Der Vorgang verstärkte den bruderschaftlichen Charakter als Jugendbewegung, deren Turnsöhne nur eine Vaterfigur über sich duldeten.83 So hatte sich in kaum einem Jahr die turnerische Subkultur auf vielfältige Weise ausgeprägt. Die jugendlichen Patrioten sonderten sich durch eine besondere Sprache, eine eigene Kleidermode und Haartracht (langes Haar nach "altdeutscher" Art), durch männerbündische Umgangsformen, heroische Identifikationsfiguren, ein besonderes Liedgut und eine spezielle Festkultur aus der steckengebliebenen preußischen Reformgesellschaft aus. Dabei führte die ostentative Ablehnung der ä-la-mode-Kultur die Turner in eine zunehmende Konfrontation mit dem Establishment. Sie wurde forciert durch politische Vorstellungen, die mit und aus der rapiden Verbreitung des Turnens entwickelt wurden. Auch dafür griff der junge Maßmann wieder zu Feder und Leier.

3. Polit-Germanistik und Verfassungsturnen Im Jahre 1815 erlebte die nationale Begeisterung noch einmal einen Aufschwung, und wieder war Napoleon die Ursache. Während die europäischen Herrscher auf dem Wiener Kongreß tanzten und schacherten, versuchte der Korse noch einmal sein altes Glück und übernahm die Macht in Frankreich. Die Großmächte reagierten sofort, ächteten ihn und mobilisierten ihre Streitkräfte. Der preußische König, der seine kriegsmüden Untertanen noch einmal bemühen mußte, sprach diesmal ein förmliches Verfassungsversprechen als Dank im voraus aus. Und dieses Mal zog auch Maßmann mit. Zum Entsetzen seiner Eltern, aber sicher auch mit ihrer Unterstützung, rüstete er sich als Freiwilliger aus. Aber mit der kriegerischen Bewährung wurde es wieder nichts. Bereits am 84 85

Ein späterer Jahn-Brief (ed. Quehl 1918), S. 48 sagt nichts Konkretes darüber aus. Zu Bomemanns Einvernehmen mit Eiselen und Süvem vgl. Ueberhorst: Jahn, S. 45. Vgl. E. Kunze: Eine Generation aufkeimender Kraftmenschen. In: P. Becker (Hrsg.): Sport und Sozialisation. Reinbek b.H. 1982, S. 24ff.

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L OCT Burschenturner

18. Juni 1815 erlebte Napoleon durch die Linientruppen Englands und Preußens das Ende seiner Machtträume in der Schlacht von Waterloo, der Schlacht von Belle-Alliance, wie es damals hieß, was im Jargon der Deutschtümler zu Schönbundigen wurde. Der 18. Juni wurde zwar zu einem weiteren patriotischen Feiertag, aber die kriegsbegeisterte Turnjugend kam dabei nicht zum Einsatz, mußte ihre Kampfesbegierde auf dem Turnplatz abreagieren. Maßmann marschierte mit seiner freiwilligen Jägereinheit bis Paris, das wieder von den Alliierten besetzt worden war. In Paris hatte er hauptsächlich mit seinem früheren Lehrer Lange Umgang und mit Karl Müller, einem anderen deutschtümlichen Patrioten, der während der preußischen Erhebung eine wichtige Rolle gespielt hatte.86 In ihrer Begleitung machte der achtzehnjährige Maßmann auch die Bekanntschaft Jacob Grimms.87 Das war im Spätherbst 1815, und bald darauf ging es wieder nach Hause. Napoleon hatte es also nicht vermocht, die europäische Staatenwelt noch einmal aufzumischen. Diesmal wurde nur der Status quo bestätigt, und der hieß Deutscher Bund, oder wie Jahn spottete: "Deutsches Bunt", wegen der Vielzahl der Einzelstaaten. In der Bundesakte war zwar die Einführung von Verfassungen in den Einzelstaaten festgelegt worden, aber über das Wann und Wie wurde im berühmten Artikel 13 wohlweislich geschwiegen. Und die deutschen Souveräne zeigten sich nicht gewillt, sich freiwillig ihre Macht von ständischen Vertretungen (um mehr ging es noch gar nicht) beschneiden zu lassen. Das galt besonders für Preußen, wo eine restaurative Hofclique Friedrich Wilhelm III. in seiner Vergeßlichkeit bestärkte. Bei innenpolitischen Frustrationen richtet sich der Blick gewöhnlich nach außen. Schon vor dem Wiener Kongreß hatten die Deutschtümler den Wiederanschluß des Elsaß und anderer ehemaliger deutscher Gebiete links des Rheins gefordert. Auch in einem Rheingedicht Maßmanns aus dem Jahre 1814 findet sich ein sentimental-romantischer Widerhall des Arndtschen Rheinpatriotismus.88 Aber Metternich ließ sich davon nicht beeindrucken. Das altdeutsche Kultursymbol Straßburg blieb den Franzosen und gegen diese richtete sich umso mehr der Groll der Deutschtümler. Dabei spielte es auch eine Rolle, daß der Verlierer Frankreich auf dem Wiener Kongreß schon wieder gut dastand. Dadurch belebte sich erneut das alte

86 87 88

Vgl. ADB ΧΧΠ, S. 643ff. Brief an die Brüder Grimm, 15.1.1818. SBPK/GS. Dieses Dokument widerlegt die Behauptung Dürres, Maßmann sei nur bis Köln oder Aachen gekommen und dort in einem Militärbüro verwendet worden. Dürre: MaBmann, S. 201. Der Rhein. In den Armin's-Liedern mit der Schlußstrophe: "Alter ew'ger Zeuge / Deutscher Herrlichkeit: / Fremden nie dich beuge / Bis in Ewigkeit". In den Wächterliedern am Rheine, Schweiiifurt 1841, S. 13, ließ er das Gedicht mit "Franzen nie dich beuge / Bis in Ewigkeit!" enden.

3. Polit-Germanistik

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Feindschaftsmuster vom leichtlebigen, unmoralischen Welschen, der die biedere Tumbheit des deutschen Ehrenmannes überlistet Die preußischen Deutschtümler, und damit kommen wir wieder nach Berlin zurück, warfen sich vor allem auf dieses antifranzösische Ressentiment und die dagegen gerichteten Sprachreinigungsbemühungen, um das Nationalbewußtsein am Leben zu erhalten. Diese Sprachreinigung war vor allem gegen die frankophile Kultur an den Höfen gerichtet Die Taktik der Deutschtümler war einfach: Der Haß auf Frankreich sollte wie 1813 nationale Solidarität in Deutschland wecken, das Verschwinden französischer Kulturelemente sollte das deutsche Volkstumsbewußtsein stärken, mehr Deutschheit in der Sprache würde mehr Deutschheit im Handeln hervorbringen. So sollte die deutsche Sprache zum Kampfplatz der deutschen Einheit werden, und dieses Konzept wurde am offensivsten von Jahn und seinen Anhängern vertreten. Nicht nur auf den Turnplätzen. Im Januar 1815 konstituierte sich auf Initiative des Turnvaters die Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache, in der sich die deutschtümlichen Philologen Berlins sammelten.8» Zu ihnen zählte der nebenamtliche Germanistikdozent Zeune, der eine Feldausgabe des Nibelungenliedes für die Freiwilligen herausgab. Sie wurde mit dem Jahn-Zitat "Der Nibelungenhort ist das Nibelungenlied" eingeleitet,90 womit angedeutet wurde, daß der wertvollste Besitz der Deutschen in ihrer altdeutschen Kultur lag. Aber diese Art patriotischer Germanistik ging wissenschaftsgeschichtlich dem Ende entgegen. Zwar war Zeune zu dieser Zeit der einzige Vertreter der deutschen Philologie an der Berliner Universität, aber bereits im Frühjahr 1816 habilitierte sich Karl Lachmann dort Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichtes von der Nibelungen Noth und damit hielt ein um Objektivität bemühter Forschergeist Einzug. Die Berlinische Gesellschaft wurde zum Reservat einer gesellschaftlich engagierten Germanistik, die sich mehr an der vergangenen Franzosenzeit als an den Erfordernissen der Gegenwart orientierte. Ein typischer Vertreter war der schon genannte Karl Müller. Er veröffentlichte 1814 ein sprachreinigendes Verteutschungswörterbuch der Kriegssprache und 1815 Deutschlands Naturgrenzen gegen Frankreich, worin er Elsaß und Lothringen für Deutschland forderte. Das gesellschaftskritische Potential des Sprachpurismus kommt dagegen in einem Widmungsgedicht Ludwig Uhlands

89

90

J. Koch: Die ehemalige Beiiinische Gesellschaft für deutsche Sprache und ihre Büchersammlung. Berlin 1894; H. Schmidt: Die Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache an der Schwelle der germanistischen Sprachwissenschaft Zeitschrift für Germanistik 1983, S. 278ff.; Euler: Jahn, S. 441ff. Eulen Jahn, S. 444.

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I. Der Burschenturner

zum Ausdruck, der wie Arndt zu den auswärtigen Mitgliedern der Gesellschaft gehörte": Gelehrte deutsche Männer, Der deutschen Sprache Kenner, Sie reichen sich die Hand. Die Sprache zu ergründen. Zu regeln und zu runden Im emsigen Verband. [...] An deiner Sprache rüge Du schärfer nichts, denn Lüge, Die Wahrheit sei ihr Hortl Verpflanz auf Deine Jugend Die deutsche Treu' und Tugend Zugleich mit deutschem Wortl Sie diene nie am Hofe Als Gauklerin, als Zofe, Das Lispeln taugt ihr nicht; Sie töne stolz, sie weihe Sich dahin, wo der Freie Für Recht, für Freiheit spricht!92

Solche Töne, direkt gegen die innere Misere gerichtet, waren in Berlin die Ausnahme, denn die meisten Mitglieder waren als Beamte treue Anhänger der preußischen Monarchie. Hans Ferdinand Maßmann zählte bereits im ersten Jahr zu den "eingetragenen Zuhörern" der Berlinischen Gesellschaft. Für eine Vollmitgliedschaft kam er als Student nicht in Frage.»3 Sicher ging es ihm dort mehr um Wissenszuwachs als um Freiheitsdemonstration, denn die Gesellschaft stellte seit von der Hagens Weggang nach Breslau die beste Möglichkeit dar, sein wachsendes Interesse für altdeutsche Literatur zu vertiefen, das über Jahns dilettierenden Zugang längst hinausging. Hinter dem wissenschaftlichen Interesse stand aber letztlich doch ein gesellschaftliches: die historische Legitimation der politischen Ziele, die mit dem Turnen jetzt verfolgt wurden. Das geschah einmal sprachhistorisch, mit den Mitteln der historischen Sprachwissenschaft, andererseits aber auch kulturhistorisch, durch die Ergebnisse der deutschtümlichen Alterthumskunde. So lieferte der Bezug auf die altdeutsche Literaturüberlieferung die Argumente für die Kritik der Gesellschaft und die turnerischen Veränderungsversuche. 91 92 93

Über die Sprachieinigungsbemühungen der Deutschtümler insgesamt A. Kiikness: Zur Sprachreinigung im Deutschen 1789-1871. Τ. 1. Tübingen 1975, S. 186-247. Vgl. auch Müller: Germanistik, S. 82ff. Der deutschen Sprachgesellschaft. In L. Uhland: Gedichte. Frankfurt/M. 1987, S. 97f. Schmidt: Gesellschaft, S. 283.

3. Poüt-Germamstik

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Das wichtigste Dokument der turnerischen Polit-Germanistik war die Deutsche Turnkunst, die im Frühjahr 1816 erschien. Obwohl auf dem Titelblatt nur Jahn und Eiselen als Verfasser angegeben wurden, war der Berliner Turnrath maßgeblich an der Ausarbeitung beteiligt, und der kalligraphisch versierte Maßmann stellte sogar das Druckmanuskript her. Mit der Deutschen Turnkunst lag nicht nur das langerwartete Handbuch des Jahnturnens vor, das die Gründung neuer Turnplätze erleichtern sollte, es stellte zugleich auch den Versuch dar, das ganze System der Leibesübungen in einer deutschtümlichen Kunstsprache zu beschreiben. Jahns lange Einleitung war geradezu ein Manifest des altdeutschen Sprachpurismus. Durch gemeinsame Körperübungen, ein ständeübergreifendes Gemeinschaftsgefühl und ein reines deutsches Sprachbewußtsein sollte sich ein deutschtümliches Staatswesen von unten herauf und wie von selber ergeben. Jahns Wortbildungsprogramm, seine Ausführungen über die Wiedergewinnung der deutschen Ursprache, wurden maßgeblich für Maßmanns späteres Philologieverständnis. Jahns Konzept war denkbar einfach: Je mehr ein Volk von seiner Ursprache übrig behalten hat, desto höher ist sein kulturelles Niveau. Das Deutsche hatte zwar scheinbar viel von seiner Substanz eingebüßt, aber im Unterschied zu den latinisierten Völkern, war im Deutschen eine Umkehr möglich, durch das "Erwecken scheintodter Urwörter".»4 Daß Jahn dabei versuchte, den Geist der Befreiungskriege weiterzutragen, ist unüberhörbar. Da hieß es etwa: Nur Sprachschwache und Afterdeutsche weifen so gem den Zweifel auf: Ob man im Deutschen sich auch Deutsch ausdrücken könne? Ihre Sprachschwäche, Unwissenheit und Verkehrtheit dichten sie der edlen Deutschen Heldensprache an, verlassen sie feldflüchtig, ergeben sich der W&lschsucht und meindeulschen

Allerdings sollte auch nicht übersehen werden, daß um 1815 der spätfeudale Restaurationsprozeß in vollem Gange war, mit heftiger Polemik gegen das deutsche Nationalbewußtsein. Aber Jahns antizivilisatorische Polemik machte aus dem Meinungsstreit einen Rassenkrieg: Nimmermehr wird die Deutsche Sprache eine Mang[=Misch]sprache werden. Noch immer behauptet sie im siegreichen Kriege ihr Unecht als Ursprache. Ihr ist Wortmengerei Armuth, Reinheit - Reichthum, und Reinigung - Bereicherung. Die Fremdsucht ist ihr Galle, Gift und Greuel, ein Irrleuchten im Dämmer und Nebel. Fremdwörter gehen als solche [...] nie in Gut und Blut über. Ein Fremdwort bleibt immer ein Blendling ohne Zeugungskraft [...] Wälschen ist Fälschen, Entmannen der Utk raft. Vergiften des Sprachquell, Hemmen der Weiteibildsamkeit, und gänzliche Sprachsinnlosigkeit.96

94 95 96

Jahn/Eiselen. S. ΧΧΙΠ. Ebd. S. XXVm. Ebd. S. XX.

I. Der Burschenturner

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Für Maßmanns germanistische Entwicklung wurde es bedeutsam, daß Jahn im Sprachmaterial der Dialekte eine Hauptquelle für das Urwortthum, den deutschen Sprachschatz sah. Während er in seinem Deutschen Volksthum in dem dialektalen Eigenleben der Regionen eher ein Hindernis für das Nationalbewußtsein erblickt hatte," meinte er nun: Mundarten sind keineswegs für bloße Sprachbehelfe zu halten, für Ausdracksweisen von niederm Range [...] Mundarten zeugen immerfort den alten Urstamm in sprachthümlicher Reinheit von Geschlecht zu Geschlecht.98

Die Hochschätzung der Mundarten enthielt auch ein politisches Element. Die Dialekte waren Volkssprache, Sprache der unteren Schichten, die damit gegenüber den frankophilen Gebildeten aufgewertet wurden. Jahn ließ durchblicken, daß das einfache Volk in seiner "Natürlichkeit" zur Ursprache eine tiefere Verbindung hat: Offenbare Sprachwidrigkeiten lassen sich Leute, die nach ihrer Altvordern Weise trachten, nicht zu Schulden kommen [...] Sie können wohl Sprachfehler begehen, aber keine Sprachfrevel. Ein Schriftsteller kann weit eher der Sprache Gewalt anthun, und seine Nothzucht noch obendrein in einem Buche zu Ehren bringen, auch da seine Wälschlinge und Bankerte versorgen."

Die Ausbildung einer deutschtümlichen Turnsprache entsprach aber auch einem ganz vitalen Interesse der Turnbewegung. Denn trotz "Schirken", "Junfemsprung" und "Abhüpfen" war die GuthsMuthsche Komponente des Systems weit erkennbarer als die altdeutsche. Umso bemühter waren die Versuche des Jahnkreises, die eigene Unternehmung als Wiederaufnahme alter Traditionen darzustellen. So schrieb Jahn mit offenkundigem Seitenhieb gegen den Vorgänger Bornemann: Wir konnten unmöglich gleichgültig bleiben, daß die mühsam wiederentdeckte und erweckte Deutsche Tumkunst durch Halbwisserei, Halbschreiberei und Halbthuerei Schaden nehmen sollte. Von bloßem Hörensagen und Zuschauen kann einer über die Tumkunst nur wie der Blinde über die Farbe schreiben.100

Das Bemühen, den altdeutschen Charakter der Turnkunst zu erweisen, wurde schon am Motto deutlich. Es stammte von Albrecht Dürer und lautete: "Gar leicht verlieren sich die Künst', aber schwerlich und durch lange Zeit werden sie wieder erfunden".101 Jahn ging davon aus, daß das Turnen ein Bindemittel der altdeutschen Gesellschaft gewesen war und sich in den

97 98 99 100 101

Jahn: Volksthum, S. 96. Jahn/Eiselen, S. XXXVÜIf. Ebd. S. K U . Ebd. S. XI. Ebd. S. [Π].

3. Polit-Germanistik

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Wettspielen der Volksfeste manifestierte. An diese Tradition knüpfte er mit den Turnfesten an. Die Erforschung altdeutscher Leibesertüchtigung bedeutete daher zugleich die Schaffung einer Traditionslinie. Dazu schrieb Jahn: Die Geschichte der frühem Turnkunst in Deutschen Landen verdient eine gründliche Untersuchung. Fast alle Volksfeste sind durch Vemachläßigung der Tumkunst eingegangen oder verkommen. [...] Geschichtliche Denkwürdigkeit wird im lebendigen Anschaun männlicher Kraft erneuert, und die Ehrenthat der Altvordern verjüngt sich im Wetttumen.102

Als Folge der historischen Turnforschung enthielt die Deutsche Turnkunst ein mehr als 50 Seiten umfassendes Kapitel Zur Bücherkunde der Turnkunst,103 das allem Anschein nach von den Turnratsmitgliedem zusammengetragen worden war. Ich möchte sogar die Behauptung wagen, daß Hans Ferdinand Maßmann daran den größten Anteil hatte. Die in der Deutschen Turnkunst nur grob skizzierten Darlegungen über historische Volksfeste und Turnbräuche, wie die "Tumkunst der Dithmarsen",104 hat er später in ausführlichen Studien vertieft.10* Auch das Weiterleben altdeutscher Urwörter in anderen Sprachen - Ausdruck kultureller Überlegenheit - hat er später immer wieder nachgezeichnet106 Mit der Deutschen Turnkunst wurde auch der Spruch: "Frisch, frey, fröhlich und fromm (ist des Turners Reichthum)"107 populär. Er illustriert nicht nur die Vorliebe der Jahnschen Turnsprache für Alliterationen, sondern enthält in nuce das damalige Programm. Frische und Fröhlichkeit als Gegenmittel gegen Schulsteifheit und Philisteidasein, Frömmigkeit und Freiheitsstreben als das Erbteil des antinapoleonischen Patriotismus. Die Turnkunst wurde verstanden als "vaterländisches Werk und volkstümliches Wesen": "Im Volk und Vaterland ist sie heimisch und bleibt mit ihnen immer im innigsten Bunde. Auch gedeiht sie nur unter selbständigen Völkern, und gehört auch nur für freie Leute."108 Die Deutsche Turnkunst machte deutlich, daß aus der anfänglichen Wehrertüchtigung ein umfassendes nationalpädagogisches Programm geworden war. Für Maßmanns Entwicklung wurde es wichtig, daß er zu 102 103 104 105

Ebd. S. XVIf. Ebd. S. 267-311. Ebd. S. 298-301. Der Ditmarschen Sitten und Siege. Zeitspiegel Π (1831), S. 14-291. Volksfestlichkeiten früherer Jahrhunderte in Deutschland. Zeitspiegel IV (1831), S. 173-330. Vg. Kap. V/2 und V/3. 106 Vgl. Jahn/Eiselen: Tumkunst, S. 310f. und Maßmanns Geschichte des mittelalterlichen, vorzugsweise des deutschen Schachspieles. Quedlinburg 1839. 107 Jahn/Eiselen: Tumkunst, S. 251. 108 Ebd. S. 226.

I. Der Burschenturner

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dieser Zeit bereits auf Seiten der Systementwickler stand. Das Ziel des Turnens war die Umerziehung der Jugend nach einem altdeutschen Sittlichkeitsideal ("Adel des Leibes und der Seele")10», mit der Absicht, selbstbewußte Bürger für einen deutschtümlichen Nationalstaat hervorzubringen. Diese Erziehungslehre kulminierte in dem berühmten Postulat Jahns, daß es "des Deutschen Knaben und Deutschen Jünglings höchste und heiligste Pflicht ist, ein Deutscher Mann zu werden und geworden[,] zu bleiben, um für Volk und Vaterland kräftig zu würken, unsern Urahnen den Weltrettern ähnlich".110 Wie stark der Turnplatz dabei als ein Sonderbereich innerhalb des Erziehungswesens verstanden wurde, geht aus den Turngesetzen hervor, die für den Umgang der Turner miteinander aufgestellt wurden.111 Das oberste Gesetz schrieb einen puristischen deutschtümlichen Sprachgebrauch vor: Wer wider die Deutsche Sache und Sprache freventlich thut oder verächtlich handelt, mit Worten oder Werken, heimlich wie öffentlich - der soll erst ermähnt, dann gewarnt, und so er von seinem undeutschen Thun und Treiben nicht ablasset, vor jedermann vom Turnplatz verwiesen werden. Keiner darf zur Tumgemeinschaft kommen, der wissentlich Verkehrer der Deutschen Volksthümlichkeit ist und Ausländerei liebt, lobt, treibt und beschönigt 112

Die altdeutsche Sprache der Turner wird sehr schön am 6. Turngesetz deutlich, das da lautete: "Beim Kommen und Gehen muß jeder Turner auf den Tie [Versammlungsort] gehen, und am Dingbaum schauen, was vor ist, was es giebt und was jedermann kund und zu wissen Noth tut."1 ^ Das 7. Turngesetz brachte den aggressiven Abgrenzungsdrang gegen die Nichttumer zum Ausdruck: Welcher Turner irgend etwas erfährt, was für und wider die Turnkunst und unsre Übung derselben Freund oder Feind sprechen, schreiben und wirken: muß davon sogleich Anzeige machen, damit zu seiner Zeit und an seinmem Ort aller solcher Kunden - mit Glimpf oder Schimpf - könne gedacht werden.114

Die kodifizierten Umgangsformen der Turner wiesen auf etwas, das den Bürgern vorenthalten wurde: eine Verfassung. Die Verfassungsbewegung, die Forderung nach gesetzlichen Mitbestimmungsrechten im Staate, war die stärkste politische Mobilisierungskraft nach 1815. Jahn beteiligte sich auch öffentlich an dieser Diskussion, während der Rheinische Merkur von Görres mundtot gemacht wurde, der im Krieg gegen Frankreich so gute Dienste geleistet hatte. 109 110 111 112 113 114

Ebd. S. 251. Ebd. S. 252. Ebd. S. 25Iff. Ebd. S. 253. Ebd. S. 254f. Ebd. S. 255.

3. Polil-Geimanistik

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Hans Ferdinand Maßmann ist deijenige gewesen, der am stärksten versucht hat, die Turnbewegung mit der Verfassungsbewegung zu verbinden. Im April 1816, zu der Zeit, als die Deutsche Turnkunst erschien, legte er dem Tumrat ein Schriftstück vor, das den Titel trug: Ansichten über die ganze Turngemeinschqft in Deutschland und über zu verfassende Urkunden. Darin entwickelte er ein Strukturmodell für ein gesamtdeutsches Turnwesen mit nationalpädagogischer Funktion. Er trug auch allgemeine Überlegungen zur Bedeutung von Verfassungen vor: "Verfassung also ist die unabänderliche Bedingung und Notwendigkeit jeder Gemeinde und Gemeinschaft auf Erden."115 Dieses freiheitliche Bekenntnis sollte allerdings nicht als ein radikales Votum für Volksdemokratie mißverstanden werden. Bei Maßmann wie bei Jahn orientierte sich die Verfassungsvorstellung mehr an einem religiösen Bund im mosaischen Sinne als an einem naturrechtlichen Gesellschaftsvertrag, wie aus der damals beliebten Bezeichnung Turngemeinden ersichtlich wird. Für Maßmann war die Verfassung eine Emanation des Volksgeistes. Zuerst bildeten sich durch das Zusammenleben auf dem "natürlichsten Wege" Sitte und Brauch heraus und diese wurden dann "durch Dauer und Übung geheiligt zur festen Verfassung".11« Allerdings ließ er die Kodifizierung bürgerlicher Freiheitsrechte nicht ganz unberücksichtigt, wodurch wieder die eigentümliche Mischung modemer und antiquierter Vorstellungen sichtbar wird: "Verfassung aber, soll sie eine gute dauernde werden, muß rechtmäßig seyn, wo jedem genügt wird, wo der Menge, der ganzen Genossenschaft Recht nicht gefährdet wird, und die Freiheit nicht untergeht."11'' Wie stellte sich Maßmann diese Verfassung konkret vor? Zweifellos dachte er an eine konstitutionelle Monarchie, die - wie das Gottesgnadentum der Heiligen Allianz - religiös legitimiert wurde: An der Spitze jeder Gemeinschaft stehet das Oberhaupt [...] Er trägt in den großen Allgemeinschaften der Menschheit, de[n] Staaten, den geheiligten Schein der Unverletzbarkeit, stehet da als Abglanz der göttlichen waltenden Herrlichkeit118

Angesichts eines solchen Statements ist schwer nachvollziehbar, daß die Turner von den restaurativen Kräften immer wieder als Jakobiner beschimpft wurden. Aber da war auch jenes Pochen auf das volksrechtliche Prinzip:

115 Ansichten über die ganze Twngemeinschaß in Deutschland und über zu verfassende Urkunden. Ueberhorst: Jahn, S. 95ff. 116 Ebd. 117 Ebd. 118 Ebd.

L Der Β urschenturner

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Unter demselben aber wachet der Volksrath, Ausschuß der Gemeinde, die Aeltesten Aller, damit das Obeihaupt ordentlich das Recht handhabe, daß der Gemeinde nichts gefährdet werde an ihrer Freyheit. So wachen die einen fiber den andern, und der eine wachet als Richter über alle [...] So hat diese Verfassung sich geoffenbaret und verwirklicht in großem Glänze und Herrlichkeit weiland in unserm Volke, wie wir ja von neuem derselben harren, daß sie [zurückkehre] als unser alleiniges Heil und Wohl.119

Maßmann war der Überzeugung, daß sich auf dem Berliner Turnplatz eine entsprechende Verfassung auf "ganz natürlichem Wege" herausgebildet hatte und wollte diese nun kodifiziert auf das gesamte Turnwesen übertragen. Jahn war ihm das Oberhaupt der Turner, der "Turnmeister",120 der von dem Tumrat, "den Aeltesten des Turnplatzes", unterstützt und beraten wurde. Da nach unserer Hoffnung und Glauben das Turnwesen fiber ganz Deutschland sich verbreiten wird und muß, und dadurch eine Allgemeinschaft zumal der deutschen Jugend geschaft werden, und es ein Mittel sein soll unter den manchen andern (ja fast das Grundmittel) das deutsche Volk in Liebe und Kraft zu binden; so kommen uns eben diese unsere eignen Verhältnisse in der Sache, wie wir alle durch Zeit und Gott zusammengestellt, zusammenbemfen und verbrüdert sind, für ein Ziel gemeinsam zu leben und zu wirken, so natürlich und leicht entgegen, die Verfassung zu verwirklichen, welche ich oben als die tauglichste, beste und schicklichste aufgestellt habe.-121

Berlin sollte quasi die Hauptstadt des Turnreiches bilden, den "Oberturnplatz" mit dem "Turnmeister" Jahn, dem "Oberturnwart" Eiselen und dem obersten "Tumrath", denen die anderen Turnplätze nachgeordnet werden sollten, wo ebenfalls wieder ein Tumwart mit beigeordnetem Tumrat wirken sollte. Auch wenn Maßmann das energisch bestritt, so mußte daraus notwendig ein turnerisches Sonderwesen, eine Art Turner-Freistaat entstehen, solange kein Verfassungsstaat existierte. Denn die nationalpädagogische Wirksamkeit des Tumlebens, wie sie Maßmann ausmalte, setzte ein gleichgeartetes Staatswesen voraus, [...] da es ja eben die Jugend zu wahren Männern und Bürgern im deutschen Vaterland und für dasselbe mit erziehen, kräftigen und stärken soll, also recht eigentlich in und für das Volk lebt, webt, wirkt und waltet, aus dem Volkssinn und Leben hervorgehend, und für dasselbe arbeitend, also allein zum Heil und Frommen des Vaterlandes; und dasselbe alles offenkundig handelt und schafft 122

Den höchsten Grad der Einheit von Turn- und Staatswesen imaginierte Maßmann wieder in einer altdeutschen Phantasie:

119 120 121 122

Ebd. S. 95f. Ebd. S. 97. Ebd. S. 96f. Ebd. S. 97f.

3. Polit-Germanistik

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Das allerbeste freylich wäre, der deutsche Kaiser selber wäre unser löblicher Turnmeister, wie weiland Heinrich der Vogler, Maximilian der Erste und andere Kaiser Horte der Leibeskunst waren. Da wir nun aber des deutschen Kaisers jetzt noch harren, aber nicht harren sollen mit den Händen im Schoos, [...] so muß das ganze Tumthum bey jetzigem zeitigen Bestände im deutschen Vaterlande selbst eigner Kraft und Verfassung von unten herauf arbeiten, zu der Stufe, so ihm gebührt.123

So unrealistisch Maßmanns Vorstellungen im einzelnen waren, sie lassen doch deutlich werden, daß im Turnen das Potential einer patriotischen Gegenöffentlichkeit angelegt war. Daher wurde es schon in der Deutschen Turnkunst als eine zukünftige Hauptaufgabe angesehen, ein publizistisches Forum zu schaffen.124 In seinem Entwurf führte Maßmann näher aus, welche Funktion die "großen Jahrbücher der Turnkunst" haben sollten. Es sollte darin über die Fortschritte des Tumwesens insgesamt berichtet werden, in einer Zusammenfassung von vierteljährlichen Meldungen der Tumgemeinden an die Berliner Zentrale, Turnlieder sollten darin gesammelt und verbreitet werden. Es sollten auch Berichte darüber veröffentlicht werden, wie sich die Turner nach Absolvierung der nationalpädagogischen Erziehung in der Gesellschaft bewährten," welchen Einfluß die Turnerziehung auf ihr männliches Leben hat [...] und auf ihre Thaten usw."125 Auch wenn Maßmanns Vorlage nur indirekte Wirkungen hatte - nämlich als der Entwurf 1819 in die Hände der preußischen Demagogenjäger fiel und als Beweis für die Turnerverschwörung herhalten sollte - so macht er doch die Motive deutlich, die dem jugendlichen Engagement zugrundelagen. Und dieses Engagement trat im Frühjahr 1816 in eine neue Phase. Der achtzehnjährige Maßmann wurde in Jena zum Burschenturner.

4. Jahns Prophet in Jena Als Hans Ferdinand Maßmann zum Sommersemester 1816 auf die Universität Jena wechselte, stand nicht nur studentische Wanderlust dahinter. Gemeinsam mit Eduard Dürre, dem Ordner des Berliner Turnrathes, war er von Jahn dazu ausersehen, für die Universität Jena einen Turnplatz einzurichten. Dieses Ereignis ist in die Geschichte der Nationalbewegung eingegangen, weil es die Zusammenführung der Burschenschafts- mit der Turn-

123 Ebd. S. 98f. 124 Jahn/Eiselen, S. XLÜ. Es sollte "unfehlbar zur Ostermesse 1817 herauskommen", was aber nicht geschah. 125 Uebeihorst: Jahn, S. 103.

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I. OCT Burschenturner

bewegung bedeutete. Das Ergebnis war ein neuer Studententypus: der von Patriotismus und altdeutschen Idealen erfüllte Burschenturner.126 Die Burschenschaftsbewegung entstand ebenfalls unter dem Eindruck des Befreiungskampfes. Ihr Zentrum war Jena, wo der Historiker Luden durch seine Vorlesungen nationale Begeisterung entfachte und viele Studenten als Freiwillige ins Lützowsche Freikorps gingen. Wie beim Turnen verbanden sich politische und sittliche Erneuerung. Bis dahin waren die Studenten in Landsmannschaften organisiert, die sich untereinander befehdeten, wofür ein unbändiger Saufkomment und traditionelle Rang- und Hackordnungen immer neue Anlässe lieferten. Mit dem nationalen Engagement ging eine Verbürgerlichung dieses Studentenunwesens einher,127 die Jahn im Freikorps vorbereiten half. Vorher hatte er schon zusammen mit Friesen für die Berliner Universität eine Burschenschaftsordnung entworfen, die das Studententum in die deutschtümliche Staatsreform einbinden sollte. Nach dem Krieg waren es dann auch vor allem die Kriegsteilnehmer, die die nationalen Verheißungen im Studentenleben manifestierten. Sie formierten sich in Jena zu einer Wehrschaft für Exerzierübungen und pflegten dabei auch den Gesang von Befreiungskriegsliedern. 1815 wurde nach Auflösung der Landsmannschaften die sogenannte Urburschenschaft gegründet Obwohl es dann an anderen Universitäten ähnliche Entwicklungen gab, behielt Jena die Schrittmacherfunktion. Das lag nicht zuletzt daran, daß außer Luden auch noch andere Professoren sich zum Sprachrohr der liberalen Bewegung machten. Außerdem war der Großherzog von SachsenWeimar einer der ersten Fürsten, der seinen Bürgern eine Verfassung gewährte. Sie garantierte die Pressefreiheit, und Jena wurde durch Okens Isis und die Nemesis von Luden zu einem Zentrum der Publizistik. Schließlich waren die Universitäten, und traditionell besonders Jena, der einzige Platz, wo sich eine gesamtdeutsche Bildungselite zusammenfand. Die Burschenschafter und ihre Professoren betrachteten sich daher als eine Avantgarde der bürgerlichen Nationalbewegung. Das wichtigste Medium der burschenschaftlichen Selbstdarstellung war der gemeinsame Gesang während der Burschenschaftstreffen.12« Es kam zur Herausgabe neuer Kommersbücher (Studentenliederbücher), wodurch sich die neue Burschendichtung auch andernorts verbreiten konnten. Auch hierbei ging Jena voran. 1816 wurde dort nach dem Vorbild des Freikorps 126 Grundlegend W. Schröder: Burschenturner im Kampf um Einheit und Freiheit. Berlin (Ost) 1967. 127 Vgl. W. Hardtwig: Studentische Mentalität - politische Jugendbewegung - Nationalismus. Historische Zeitschrift 1986, S. 581-628. 128 Vgl. K. Stephenson: Das Lied der studentischen Emeuerungsbewegung 1814-1819. Frankfurt/M. 1958.

4. Jahns Prophet in Jena

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sogar ein Chor eingerichtet, für den 1817 Burschenlieder mit vierstimmig gesetzten Weisen veröffentlicht wurden. Unter diesen Liedern befand sich auch das Burschenlied von Hans Ferdinand Maßmann, das einen guten Einblick in sein Verständnis der Burschenschaftsbewegung gibt und das in vielen Kommersbüchern und Stammbucheinträgen nachgewiesen ist: Uns teutschen Burschen stolz und kühn Erblüht das Leben hell und grün, Wir sind gar frisch und Wohlgemuth, Im Herzen rollt uns Lebensgluth: Wir steh'n in des Lebens Morgenglanz Die kommenden Hüter des Vateiiand'sl Den Einen sendet Vater Rhein, Vom Meerstrand zieht der Andre ein; Der Ein' in Bergesluft gesäugt, Der Andre wo die Flur sich neigt: Doch umschlingt uns alle Ein Bruderband Alle Streiter dem Einen Vaterland. Ο Vaterland, Du heilig Land, Du hast ja all' uns ausgesandt: Zu werden ein männlich frey Geschlecht, Zu werben Freyheit dir und Recht, Zu wahren des Vaterlands Heiligthum: Sey unsre Ehre, sey unser Ruhm. Ο Vaterland, du heilig Land. An Helden reich von Herz und Hand, Wo Herrmann einst das Eisen schwang, Und Luther für den Glauben rang: Dir weih'n wir unser junges Blut; Ο weih' uns zu Männern voll Emst und Muthl Und wer das Vaterland nicht ehrt, Ist auch der eignen Ehr' nicht werth! Und wer die Brüderschaft verglimpft. Und wer die Burschenschaft beschimpft: Den treffe hart unser Burschenschwerdt, Das der Ehr' und der Freiheit angehört. So halten fest wir, treu und gut. Und haben rechten Leben smuth: So sind wir frisch und fromm und frey. Und bleiben auch im Tode treu: Dann mag sich einst lösen das Jugendband, Wir bleiben doch alle im Vaterland. Nach Gottes wahrer Wissenschaft, Wir streben hier mit Muth und Kraft, Wir stählen uns zur Lebenswehr,

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I. Oct Burschenturner Zu stehen einst wie Fels im Meer Und wenn dann des Lebens Emst uns begehrt. So sind wir Männer wohl bewährt. 1M

Bereits formal kommt zum Ausdruck, daß sich die Burschenturner als die Erben der Befreiungsdichter verstanden. Die Strophenform entspricht mit einigen Modifikationen Arndts Was ist des Deutschen Vaterland?, das auch in Burschenschaftskreisen mit Begeisterung gesungen wurde und sich leicht auf die neuen Verhältnisse übertragen ließ, besonders wenn es hieß: "Ist's was der Fürsten Trug zerklaubt? / Vom Kaiser und vom Reich geraubt?"130 Den Unterschied zu Arndts diskursiver Grundhaltung markiert die monolithische Wir-Haltung von Maßmanns Lied, das mehr der Selbstvergewisserung als der Fremdpropaganda diente. Die beiden letzten Zeilen jeder Strophe sollten in einer Version des Liedes von allen gemeinsam gesungen werden, zur einmütigen Beschwörung dessen, was der Sänger der ersten vier Zeilen vorgab.131 Doch nicht nur daran wird deutlich, daß sich Maßmann bemühte, den Tumgeist in die Burschenschaft hineinzutragen. Auch das "frisch, fromm und frei" fehlt nicht, jedoch ist an Stelle der Knabenfröhlichkeit die Jünglingsehre getreten. Dieser aus einer vermeintlichen altdeutschen Sittlichkeit abgeleitete Ehrbegriff war ein wesentliches Charakteristikum der patriotischen Studentenbewegung, der auch auf dem Fechtboden vertreten wurde. Denn der burschenschaftliche Wahlspruch "Ehre, Freiheit, Vaterland" ließ sich gegen den altständischen Korpsgeist nicht ohne Konflikte durchsetzen. Der aggressive Tenor der 5. Strophe ist ein deutlicher Beleg dafür. Luther war für die volkstümlichen Patrioten gleich in zweifacher Hinsicht interessant. Er hatte den Deutschen mit seiner Bibelübersetzung eine sprachliche Identität verschafft und dabei auch noch erfolgreich gegen den "welschen" Papst gekämpft. Luthers Kirchenverbesserung erschien in den Augen der Deutschtümler wie die Stiftung eines neuen Urchristentums, das die Deutschen zu den Rettern des abendländischen Glaubens machte. Maßmanns Burschenlied beleuchtet noch eine andere Quelle des studentischen Sendungsbewußtseins: die Berufung auf den "Morgenglanz" des Lebens, eine heldenmütige Jugendlichkeit, die zu einem besonderen Lebenswert erhoben wurde. Auch hier lieferten die jugendlichen Kriegsfreiwilligen von 1813 das Vorbild, die durch Heldenmut das Versagen der

129 Die Jenaer Burschenlieder von 1817 waren mir nicht erreichbar, ich zitiere Maßmanns Burschenlied deshalb nach Fischer Ternsches Liederbuch, S. 281 f. 130 Jahn: Werke I, S. 393. 131 [K. Holtei (Hrsg.):] Breslauisches Commersbuch. Breslau 1819, S. 160-162, vielleicht von Maßmann selbst als Chorgesang eingerichtet.

4. Jahns Prophet in Jena

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Vätergeneration wettmachen wollten. Mills Kriegslied An die wehrbare Deutsche Jugend, in Jahns Wehrliedern abgedruckt, hatte sie angefeuert: Heran, heran, zu Sieg oder Todl JugendI Das Vaterland ist in Noll [...] Jugend I mach gut, was die Alten versahn I Der Ehre Thor ist dir aufgetan.132

Natürlich war es in der Friedenszeit nach 1815 ungleich schwerer für die Jugend, zu politischen Thaten zu kommen. Das von Maßmann und Dürre in Jena popularisierte Turnen bot zumindest einen Ansatzpunkt, das kriegerische Kraftbewußtsein beizubehalten und damit auch die Marschrichtung, die in Mills Lied vorgegeben war: [...] Dem Sonnenschein der Freiheit entgegen; Bald, Deutschland, wird leuchten dein Morgenstern, Und dann ist der goldene Tag nicht feml 133

Das Turnen und der gemeinsame Liedgesang waren die attraktivsten Mittel, um den Bewußtseinswandel in der Studentenschaft voranzutreiben. Beides diente aber mehr der Selbstbestätigung als einer Kommunikation mit der externen Öffentlichkeit In Maßmanns Burschenlied ist das unübersehbar. Die ständige Variation weniger Motive hat (auto-)suggestiven Charakter; auf die gesellschaftliche Realität wird kaum Bezug genommen. Die Burschenturner erscheinen als eine sendungsbeseelte Apostelgemeinde, aber das Schlußbild des Felsen verheißt wenig Gutes. Denn der Fels steht isoliert in der Brandung des Meeres, solchermaßen die Starre und fehlende gesellschaftliche Einbindung des politischen Engagements widerspiegelnd. Der Fels in den anbrandenden Fluten verweist auch auf die Adoleszenzproblematik. Bei der jugendlichen Turngeneration läßt sich unschwer eine erhebliche Verunsicherung gegenüber dem weiblichen Geschlecht ausmachen, die durch einen ostentativen Männlichkeitskult und ein asketisches Streben nach vermeintlich altdeutscher Keuschheit kompensiert wurde. Da das Streben nach männlicher Bewährung mit der Phase sexueller Reifung zusammenfiel, taucht das verdrängte Weibliche doch wieder auf, in der Mutter- und Brautmotivik der 2. und 3. Strophe, in dem nicht näher bestimmten "Heiligthum" des Vaterlandes, dem das jugendliche Streben gilt. Der phallisch ragende Felsen, von den Fluten der geschlechtlichen Lust umwogt, böte dem Psychoanalytiker historischer Männerphantasien sicherlich ein interessantes Studienobjekt. Hier scheint mir vor allem wichtig, daß die jugendliche Apostelgemeinde mit ihrer Entwicklungsproblematik allein132 Jahn: Werke I, S. 393f. 133 Ebd. S. 394.

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L Der Burschenturner

gelassen wurde, denn weder die heroisierten Gestalten der deutschen Geschichte noch die verheirateten Vaterfiguren der Bewegung wie Jahn oder Fries134 lieferten eine nachlebbare Lebensorientierung. Es war dann auch nur folgerichtig, daß die Burschenturner zunehmend eigendynamisch agierten und die "Väter der Bewegung" nicht so sehr die Funktion von Führern, sondern von Ratgebern im Hintergrund erhielten. Die stolze WirHaltung des Maßmannliedes deutet bereits daraufhin. In Jena sehen wir Maßmann also in einer Rolle, die der Jahns in Berlin ähnlich war: als Turnplatzleiter und Agitator. Im Vorstand der Burschenschaft selbst hat Maßmann nicht mitgewiikt, im Unterschied zu seinem Genossen Dürre, der länger in Jena blieb. Dennoch hatte Maßmann nicht nur über Dürre Beziehungen zum Leitungsausschuß. Maßmann wohnte im Hause der Familie Wesselhöft, deren Sohn Robert der wichtigste Burschenschaftsführer in Jena war. Robert Wesselhöft hat später ein aufschlußreiches Werk über die Burschenschaftszeit veröffentlicht: Teutsche Jugend in weiland Burschenschaften und Turngemeinden. Maßmann charakterisierte er darin als einen "Jüngling, der, von Natur fromm, streng und einfach, mit Innigkeit dem Ziele nachstrebte, daß sein wackrer Meister Jahn ihm und der Jugend gestellt hatte".135 Nach Wesselhöfts Angaben standen den etwa 300 Burschenschaftern 150 herkömmlich orientierte Studenten gegenüber. Innerhalb der Burschenschaft gab es noch einmal eine eigentliche altdeutsche Fraktion, die ihr deutschtümliches Bewußtsein in extremer Weise zum Ausdruck brachte. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß Maßmann auch innerhalb dieses Kreises noch durch sein exaltiertes Engagement auffiel und in besonderer Weise den Spott der Neudeutschen auf sich zog. Euler und Hartstein geben eine Karikatur aus jener Zeit wieder, die Maßmann bei einem Ziehwettkampf mit dem Tode zeigt, wobei der als Gottvater drapierte Jahn den Schiedsrichter abgibt. In den Totentanzversen, die Maßmann in den Mund gelegt wurden, kommt sehr schön der bieder-bierernste Überzeugungseifer zum Ausdruck: Ich was ein starker Turner genannt Als ein Biederer teutscher sehre Bekannt nu will ich mit dem tode ziegen. ich oder er muss untirligen.134

134 Fries wurde von Maßmann noch in einem Brief vom 9.1.1819 als "lieber Vater Fries" angeredet. UBJ/NLF. 135 [R. Wesselhöft:] Teutsche Jugend in weiland Burschenschaften und Tumgemeinden. Magdeburg 1828, S. 9. 136 Euler/Hartstein, Abbildung nach S. 24.

4. Jahns Prophet in Jena

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Die turnerische Aufbauarbeit in Jena war so erfolgreich, daß alle Burschenschaftsmitglieder zu einem finanziellen Beitrag für den Turnbetrieb verpflichtet wurden, egal ob sie mittumen wollten oder nicht. Gemäß der nationalpädagogischen Zielsetzung stand der Turnplatz auch der städtischen Schuljugend offen. Vielleicht rührte es von diesen erzieherischen Ambitionen her, daß Maßmann einmal als "Ober-Hof-Huikinder-Schulmeister" verspottet wurde.117 Ganz so ernst dürfen wir uns das damalige Burschenschaftsleben sowieso nicht vorstellen; so gab es etwa in der Fastnachtszeit 1817 einen komischen Maskenzug der Studenten, an dem auch Maßmann mitwirkte.138 Seine turnerischen Aktivitäten haben Maßmann nicht davon abgehalten, sein theologisches Brotstudium pflichtgemäß zu betreiben. Die erhaltenen Kolleghefte, von der ersten bis zur letzten Seite mit sauberer, kleiner Schrift gefüllt,139 geben keine Hinweise auf ein eigenständiges Fachinteresse. Maßmann war von starker Frömmigkeit durchdrungen, theologische oder philosophische Reflexionen lagen außerhalb seines Gesichtskreises. Auch soziale Fragen - die Mißernte von 1816 führte zu der schwersten Hungersnot seit 50 Jahren - stellten keinen Motor seines Handelns dar, sowenig wie für die Mehrheit der Burschenschafter insgesamt. In den Herbstferien 1816 unternahm Maßmann eine größere Fußreise nach Süddeutschland. Sie hatte vermutlich den Zweck, einen neuen Wirkungskreis ausfindig zu machen, nachdem die Aufbauarbeit in Jena getan war. Maßmann brauchte eine Verdienstmöglichkeit, denn seine Eltern waren außerstande, einen längeren Aufenthalt außerhalb Berlins zu finanzieren, und das preußische Kultusministerium verweigerte ein Stipendium aus Mittelknappheit.140 In einem Brief Jahns vom 13. des "Heilmondes", d.h. Oktobers 1816 wurde Maßmann eine Turnlehrerstelle in einer privaten Erziehungsanstalt in Gießen nachgewiesen, die es ihm ermöglichen sollte, nebenher einen öffentlichen Turnplatz aufzubauen.141 Es ist sehr wahrscheinlich, daß Maßmann diesen Brief vor seiner Abreise nicht mehr erhalten hat, denn wenige Tage später hatte er Gießen bereits hinter sich gelassen. Aber in einer anderen Universitätsstadt, in Würzburg, suchte er dann ebenfalls eine Privaterziehungsanstalt auf, in der Turnunterricht erteilt 137 H. Leo: Meine Jugendzeit Gotha 1880, S. ISO. Leo schildert ihn als "den damals auf dem Turnplatz hervorragendsten Mann" und erwähnt sein "eifriges und sehr schulmeisterliches Predigen über ernstere Auffassung der Verhältnisse zum anderen Geschlechte". Bei Düne: Aufzeichnungen, S. 201 heißt es in der gleichen Episode "SchnurTenkinderschulmeister". 138 Düne: Aufzeichnungen, S. 201. 139 Sie belinden sich im Archiv der AdW in Berlin. 140 Brief an J. F. Cotta, 31.X.1828. DLAM/CA. 141 ZSAM/M.3, Bl. 11. Der Brief ist nur in diesen Auszügen überliefert. Ebenso in MCUCTW,§ 18 und 27.

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L Der Burschenturner

wurde. Diese Kappsche Anstalt wurde schon bald darauf geschlossen, so daß es für Maßmann dort ebenfalls keine Aussichten geben konnte.142 Wenn also Maßmann in Süddeutschland eine neue Wirkungsmöglichkeit suchte, dann hat er sie nicht gefunden. Vielleicht handelte es sich auch nur um eine spontane Idee, die kurz vor der Abreise entstand.143 Dennoch blieb Maßmanns Wanderung nicht ohne Ertrag. Solche Privatunternehmungen stellten eine wirksame Möglichkeit dar, politische Kontakte auch über die Landesgrenzen hinaus aufzubauen oder zu vertiefen. Denn die regionalen Initiativen zur Einführung von Verfassungen bezogen sich zuerst einmal auf die Einzelstaaten des Deutschen Bundes, ein bundesweiter Austausch erfolgte eigentlich nur in der Publizistik und in der Privatkorrespondenz der Patrioten. Aus den erhaltenen Quellen wird deutlich, daß Maßmann auf seiner Reise bemüht war, turnerisches Bewußtsein zu verbreiten, wie er das in seinem Verfassungsentwurf projektiert hatte. Im Vergleich zu Preußen war das ehemalige Rheinbundgebiet turnerisches Entwicklungsland. Am weitesten fortgeschritten waren die Verhältnisse in Hessen, insbesondere in Rödelheim und in Gießen. In der Gießener Studentenschaft formierten sich mit den Gießener Schwarzen oder Unbedingten burschenschaftliche Kräfte um den Agitator Karl Folien, die zwar mit dem Jahnschen Volkstumsdenken sympathisierten, aber politisch wesentlich radikaler zu Werke gehen wollten, auch unter dem Einfluß französischer Ideen. Dies mag ein Grund dafür sein, daß Jahn in seinem Brief kein gutes Haar an ihnen ließ: "Die Harmonie oder Schwarze Brüderschaft ist eine Burschen-Freymaurerey, Weltbürgerliches Affenwerk, undeutsches, unjugendliches, unmännliches Treiben, Geheimnißkrämerey und Narrethey."144 In der Tat war bei den Gießenern eine gewisse Verschwörermentalität unverkennbar, aber auch eine wesentlich stärkere Bereitschaft, die Unterschichten zu agitieren.14* Gleichwohl hat Maßmann Kontakt mit den Gießenern aufgenommen, denn Karl Hoffmann-Pfaffenberger, mit dem er über Frankfurt nach Rödelheim wanderte, zählte zum linken Flügel der Gießener Studentenschaft.14« Auf ihrer gemeinsamen Wanderung haben die beiden nach Maßmanns Zeugnis die Idee eines gesamtdeutschen Studententreffens anläßlich des Reformationsjubiläums und der Leipziger Schlachtfeier 142 Die Anstalt wurde am 27.VII.1817 aufgelöst BSA Würzburg, Regierung von Unterfranken 13519. Vgl. Neuendorff: Geschichte Π, S. 192. 143 Dies legt ein Brief Jahns an Luden vom l.X.1816nahe. Jahn: Briefe (1913), S. 76. 144 ZSAM/M.3, Bl. 11. Der ganze Passus sehr fehleihaft bei K. Müller: H.F. Maßmann. ZVGS 71 (1937), S. 295. 145 Vgl. Wemer: Geschichte, S. 53ff. Allgemein H. Haupt: K. Folien und die Gießener Schwarzen. Gießen 1907. 146 G. Steigen Aufbruch. Leipzig 1967, S. 81. Laut Euler/Hartstein, S. 20, ist er mit Hoffmann von Erlangen zurückgewandert.

4. Jahns Prophet in Jena

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besprochen, das dann von Jena aus als Wartburgfest realisiert wurde.147 Und im Anschluß daran siedelten einige der radikalsten Gießener nach Jena über, wodurch sich das ideologische Klima dort wesentlich verschärfte und durch den Mordanschlag Sands auf den verhaßten Kotzebue ins Kriminelle umschlug. Diesen Karl Ludwig Sand hat Maßmann auf seiner Reise ebenfalls kennengelernt und zum Freund gewonnen. Der idealistische Schwärmer versuchte in der bayerischen Universitätsstadt Erlangen das Fähnlein der Altdeutschen hochzuhalten, hatte aber mit dem kleinen Häuflein seiner Gesinnungsgenossen einen schweren Stand. Maßmann konnte hier sicher wichtige turnerisch-moralische Unterstützung geben, zumal zur gleichen Zeit auch der Berliner Tumwart Ernst Eiselen im Fränkischen weilte.148 Wie wertvoll Maßmanns Entwicklungshilfe eingeschätzt wurde, geht aus einem Brief von Heinrich Dittmar hervor. Mit Dittmar, als deutschtümlicher Pädagoge und Schriftsteller ein Gesinnungsgenosse Maßmanns, verband ihn seit dieser Reise eine innige Freundschaft. Dittmar war damals als Lehrer in der Kappschen Reformerziehungsanstalt in Würzburg beschäftigt, die ein beliebter Anlaufpunkt patriotischer Pädagogen war.14» Dittmars Brief aus dem Frühjahr 1817 dokumentiert den tiefen Eindruck, den Maßmann als Repräsentant der norddeutschen Turnbewegung hinterließ. So schrieb der fünf Jahre ältere Süddeutsche, der bald darauf in Nürnberg eine eigene Anstalt eröffnete: Wollte der Himmel wir könnten einst zusammenleben [...] Aber das würde eine Art Löwengemeinschaft, denn wer nur gewönne wäre ich. Übrigens solltet ihr Nordmänner nach dem Süden stieben, um ihn zu Euch hinaufzuheben.130

Auch dieses Dokument belegt emeut die wichtige Bedeutung, die der evangelische Glaube als ideologisches Bindemittel besaß, wenn es an gleicher Stelle hieß: Baiem bedarf der Erregung und Erhebung und vor allem einen Wehrdamm gegen das unseelige und unheilige Jesuitenthum, das mit seinem Geist das ohnedies kleine Häuflein Evangelischer überquarken will. Hätten wir nur einen Jahn, der Quark sollte dann bald zerquaikt sein.

Mit welcher Fulminanz Maßmann seine schwärmerischen Ansichten verbreitete, läßt sich in einer Rede nachlesen, die er am 18. Oktober 1816 bei 147 [Anonym:] Kurze und wahrhaftige Beschreibung des Burschenfestes auf der Wariburg. Jena 1817, S. 4. 148 Eiselen: Tagebuch, S. 68. 149 Zu Dittmar vgl. ADB V, 266 und jetzt G. Polster Politische Studentenbewegung und bürgeiliche Gesellschaft Heidelberg 1989, S. 8 Iff. 150 Dittmar an Maßmann, 29.ΠΙ.1817. ZSAM/M.3, Bl. 9.

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der Leipziger Schlachtfeier in Rödelheim gehalten hat. Obwohl sie gedruckt wurde und ein Exemplar davon in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin erhalten ist, sind Maßmanns Worte, am 18. October 1816 am Feuer auf dem Felde bei Rödelheim gesprochen bis heute unbeachtet geblieben. Maßmann hat sie in seinen Selbstbibliographien sicherlich bewußt verschwiegen, der radikale Ton seiner Freiheitspredigt konnte ihm später nicht mehr angenehm sein. Über die näheren Entstehungsumstände ist deshalb nichts bekannt. Daß Maßmann die Rede erst im nachhinein selber drucken ließ, ist ziemlich sicher, denn im Anhang ist das Uhlands berühmtes Gedicht Am 18. October 1816 abgedruckt, das erst am 17. Oktober vollendet war und ihm schwerlich schon bekannt sein konnte.151 Und während Uhland in seinem Lied den mahnenden Heldengeist Kömers herabbeschwor, ließ Maßmanns Text Schamhorst von oben herniederblicken, eine Motivabweichung, die die Unabhängigkeit von Uhlands Gedicht unterstreicht Die inhaltlichen Parallelen, die gleichwohl zwischen Uhlands Gedicht und Maßmanns Rede erkennbar sind, weisen auf die allgemeine patriotische Bewußtseinslage. Die Diskrepanz zwischen den Hoffnungen von 1813 und der Frustration von 1816 war offenkundig, und der Rekurs auf die Leipziger Schlacht sollte noch einmal das Feuer der Begeisterung schüren. Während Uhland eine bittere Bilanz zog und mit den Politikern und Herrschern durch die Rollenfigur Kömer ("Wenn heut' ein Geist herniederstiege ...") abrechnete, lag das Schwergewicht bei Maßmann auf dem Versuch, patriotische Emotionen aufzupeitschen, die der Nationalbewegung neuen Schwung verleihen sollten. Maßmann traf sich darin mit dem Rödelheimer Justizrat Hoffmann, der ja bereits in seinem Dank- und Ehrentempel den Geist der antifranzösischen Erhebung als politische Stimulans für die Gegenwart benutzt hatte. Die von Hoffmann geleitete Deutsche Gesellschaft versuchte wie die Tumbewegung den Nationalgeist kulturell zu befördern und spielte auch eine wichtige Rolle in der Verfassungsbewegung. Umso bemerkenswerter ist es, daß Maßmann in Rödelheim als Redner auftrat Er tat dies ostentativ als Vertreter der Jugend. Maßmann begann seine Rede mit einer denkbar einfachen Darstellung der jüngsten Geschichte. Er stellte die Niederwerfung durch Napoleon als ein Strafgericht Gottes dar, weil "Treue und Glaube nichts galten, sondern nur Geld und Gold, Eisen und Männlichkeit aber nicht gehandhabt wurden."1» Auch die Befreiung war wieder ein Werk Gottes, während die Rolle der Russen und der anderen Verbündeten mit keinem Wort erwähnt wurde:

151 Uhland: Gedichte, S. 320f. 152 Worte, am 18. October 1816 ..., S. 4. Der vollständige Text in der Dokumentation Di/1.

4. Jahns Prophet in Jena

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Da aber that der Herr sich kund als der alte getreue Gott [...] und sandte Hunger und Durst, His und Frost zu Gehülfen, und zertrümmerte den Bösen mit seinen Horden [...]. Da zogen beisammen Männer und Jünglinge, tausend und abertausend, und haben herrliche Schlachten geschlagen, haben gekämpft, geblutet, und sind in den Tod gegangen; in den Tod für uns, die Briider, für das Vaterland 1153

Um diesen Geist wieder aufleben zu lassen, appellierte Maßmann in Arndtscher Manier an die Haß- und Liebesgefühle seiner Zuhörer. Die Hammen des Gedenkfeuers sollten einerseits eine patriotische "Gluth der Liebe" entfachen, und andererseits "eine Gluth des Hasses wider alles Böse, wider die Franzen und alles undeutsche W e s e n " . U m die patriotische Erregung zu steigern forderte Maßmann "ewigen Haß wider die Franzosen, die ewigen Erbfeinde des deutschen Reiches, Ruhmes und Namens; denn von ihnen kommt uns ja der Lug und der Trug, der undeutsche Leichtsinn und die Untreue."155 Maßmanns antifranzösische Tiraden können nicht darüber hinwegtäuschen, daß er eigentlich durch die innenpolitische Situation frustriert war, [...] da uns Allen im Ganzen bis jetzt noch nicht geworden, was wir Alle gehofft und gewünscht, darum so Viele und Edle kämpften, bluteten und fielen - die wahre Freiheit, wo Jedem sein Recht geschieht in einer freien und festen ordentlichen Verfassung und Walte wo das Volk gehörige Stimme hat, und jeder einzelne Mann des Volkes Recht hat zu klagen und zu sagen, wo ihm Unrecht geschieht.156

So offen diese Worte waren - insgesamt blieb die Zeitanalyse kurz und unkonkret. Das Allheilmittel, damit "endlich der wahre Freiheitstag aufgehen würde", war die Gefühlsgemeinschaft aller Deutschen,"die rechte inbrünstige Liebe zu Gott und dem Guten, zu Wahrheit und Recht, Treue und Ehre, die Liebe zum Vaterlande,"157 der aber eben die Sonderinteressen des Adels entgegenstanden, denn [...] gar viel Böses ist noch unter uns und über uns, um Thron und Krön: Und gar manche böse Gesellen haben noch allerwärts die Schalte und Walte, und gehen darauf aus, die Freiheit wieder zu nehmen, so das Volk sich mit Strömen seines Blutes [...] heiß und hehr wieder errungen. Das sind die wahren Feinde, Frevler und Verräther des Vaterlandes! Darum falle ewige Schmach und Schande über siel15"

Maßmann praktizierte hier bereits, was bald ein bestimmendes Zeichen der politischen Protesthaltung wurde: die turnerische Gefühlskultur mit ihrem oft kritisierten Jahnschen "Grobianismus" verwandelte sich in eine 153 154 155 156 157 158

Ebd. Ebd. S. 5. Ebd. Ebd. S. 6. Ebd. S. 5. Ebd.

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I. Da Burschenturner

Schimpf- und Schmähhaltung, die durch die politische Ohnmacht forciert wurde. Die Turner versuchten durch starke Worte große Thaten zu ersetzen, und die größten Thaten waren kriegerische. So fragte Maßmann schließlich: "Soll denn noch eine Leipziger Schlacht seyn, zu beweisen und lehren, daß der Herr nur die Freiheit will und das Recht auf Erden?"15» Die Gießener Schwarzen planten sogar die Einberufung einer allgemeinen Volksversammlung auf dem Leipziger Schlachtfeld, um die Fürsten zur Anerkennung einer Verfassung zu zwingen. Aber nicht einmal die harmlose Idee, dort ein Nationaldenkmal zu errichten und dadurch patriotisches Bewußtsein zu mobilisieren, ließ sich realisieren. Ein Satyrischer Zeitspiegel von 1816 spottete darüber: Vielleicht kommt einst am Oronokostrande ein würdig Denkmal deutscher That zu Stande, Doch nimmer - glaubt es mir! - bey uns zu Lande. 160

Auch Uhland ließ zum unerwünschten Nationalfeiertag nur noch bittere Töne erklingen, indem er den Geist Körners herabsteigen und klagen ließ: "Man sprach einmal von Festgeläute, man sprach von einem Feuermeer, doch was das große Fest bedeute, weiß es denn jetzt noch irgend wer? [...] Ihr Fürsten) seyd zuerst befraget: Vergaßt Ihr jenen Tag der Schlacht, an dem ihr auf den Knieen läget und huldigtet der hohem Macht? Wenn eure Schmach die Völker lösten, wenn ihre Treue sie erprobt; so ist's an euch, nicht zu vertrösten, zu leisten jetzt, was ihr gelobt."161

In diesem Gedicht, das dem Druck von Maßmanns Rede beigefügt war, dominierte ebenfalls der Patriotenfrust, reale Aussichten ergaben sich nicht Was sollte Maßmann anderes beschwören, als Gottvertrauen und den "wahren Felsen- und Todesmuth", um die Hoffnung zu bewahren für "das Eine, das noth thut, das deutsche Reich, das Eine Reich der Einheit und Einigkeit!"162 Nach seiner Herbstwanderung blieb Maßmann noch ein Semester in Jena, dann kehrte er nach Berlin zurück. Mit der Entwicklung des Turnens

159 Ebd. S. 7. 160 Volksdenkmal der Deutschen (Titelmotto). T.H. Friedrich: Satyrischer Zeitspiegel. Η. 1. Berlin 1816. 161 Zitiert nach Maßmanns Abdruck ohne Paginieiung. 162 Worte, am 18. October, S. 7.

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in Jena konnte er zufrieden sein. Im Frühjahr 1817 stellten die sympathisierenden Professoren Kieser (Spitzname: "Bursch Kieser") und Luden sogar einen Antrag auf finanzielle Absicherung des Tumwesens durch die Universität, da die wachsenden Bedürfnisse nicht mehr durch die Mitgliedsbeiträge finanziert werden konnten. Interessant ist für uns, daß sie dabei ein Organisationsmodell vorlegten, daß dem Maßmannschen Verfassungsentwurf entsprach: Kieser sollte die Oberaufsicht führen, unterstützt von einem Turnlehrer und einem Tumrat. 163 Dieser Plan wurde aus finanziellen Gründen abgelehnt Dagegen stellte es einen Triumph für Jahn und seine Anhänger dar, daß die Universität Jena ihm im Jahre 1817 die Ehrendoktorwürde verlieh. Schon 1816, gleich nach Erscheinen des Werkes, hatte Luden die Deutsche Turnkunst in seiner Nemesis als einen "Gegenstand von höchster Wichtigkeit für Volk und Vaterland" ausführlich besprochen. 164 Auch in Berlin stand Jahn 1817 auf dem Höhepunkt seiner Popularität, aber er geriet durch den Restaurationskurs zunehmend unter Druck. Der Turnvater machte es seinen Gegnern allerdings auch ziemlich leicht. Anläßlich der Neuauflage seines Deutschen Volksthumes hielt er vor zahlreichen Zuhörern öffentliche Vorträge über dieses Thema. Dabei ließ er sich zu der Bemerkung hinreißen, wenn ein deutscher Vater seine Tochter Französisch lernen ließe, sie ebensogut gleich die Hurerei lernen könne. Das brachte ihm die Anzeige eines preußischen Hauptmanns und eine Rüge durch den umgeschwenkten Staatskanzler Hardenberg ein, der ihn am liebsten auf ein Bauerngut nach Hinterpommern verschickt hätte. Zwar konnte Jahn seine Vorträge zu Ende führen, aber er geriet in ein literarisches Scharmützel mit regierungsfreundlichen Publizisten, das als Berliner Turnstreit in die Geschichte eingegangen ist. Dabei brachte der Schlußappell von Jahns Vorträgen zum Ausdruck, wie harmlos seine Forderungen eigentlich waren: Gott segne den König, erhalte Zollern's Haus, schirme das Vaterland, mehre die Deutschheit, läutere unser Volksthum von Wälschsucht und Ausländerei, mache Preußen zum leuchtenden Vorbild des Deutschen Bundes, binde den Bund zum neuen Reich und verleihe gnädig und bald - das Eine, was noth thut - eine weise Verfassung! 165

Hans Ferdinand Maßmann fand sich also in einer geladenen Atmosphäre wieder, als er nach Berlin zurückkehrte. Auch hier wurde er gleich wieder 163 Schröder: Burschentumer, S. 169ff. Der Text der Eingabe bei Schröder: Der Anteil der Turner und Burschenschafter am Kamfrf um die Lösung der nationalen Frage ... Habil.schr. Jena 1965, Bd 2, S. 116f. Der Turnlehrer sollte durch Vermittlung Jahns gefunden werden. Möglicherweise wurde dabei an Maßmann gedacht 164 Nemesis 1816, S. 140-147, das Zitat S. 140. Im Zusammenhang mit der Deutschen Turnkunst besprach Luden typischerweise eine religiöse Veröffentlichung: Die Weisheit Dr. Martin Luthers (Nürnberg 1816). Ebd. S. 148. 165 Zitiert nach Euler Jahn, S. 491.

L Der Burscheniurner

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aktiv. Als der Turnwart Eiselen aus Gesundheitsgründen ausfiel, übernahm Maßmann zusammen mit seinem Freund Franz Lieber die Leitung der Hasenheide, «teilte auch Turnstunden an der Plamannschen Anstalt Quantitativ stand der Berliner Turnplatz 1817 auf dem Höhepunkt, es zeigten sich aber bereits Schwierigkeiten, mit mehr als 1000 Tumschülem ein strukturiertes Massentumen durchzufuhren. Maßmann verfaßte daher eine Anweisung für Vorturner zur zweckmäßigen Leitung der Turnübungen im Jahre 1817, die den Turnbetrieb durch eine stärkere Hierarchisierung mit Vorturnern und Anmännern disziplinierter gestalten sollte.166 Vielleicht war diese Anweisung bereits eine Reaktion auf die literarischen Angriffe, die gegen das Turnen geführt wurden, und die sich vor allem auf mögliche Gesundheitsschäden durch den chaotischen Turnbetrieb stützten. Das eigentliche Ziel der Angriffe waren die patriotischen Ansprachen und Gesänge, die in der Hasenheide ertönten. Maßmann versuchte mit seiner Anweisung, mehr Methodik in den Übungsbetrieb zu bringen, er hat aber andererseits auch die paramilitärischen Geländespiele wieder mehr zur Geltung gebracht, die ihm aus nationalpädagogischen Gründen so wichtig waren.1®7 Der Berliner Turnstreit, auf den Maßmann dann durch seine Bücherverbrennung beim Wartburgfest reagierte, steigerte noch den viel kritisierten Sektengeist der jungen Turner, die ihre Widersacher mit Verachtung und verbalen Drohgebärden bedachten. Dies wiederum veranlaßte viele frühere Anhänger der Reformpartei, sich vom Turnen abzuwenden. Ein» der sich nicht beirren ließ, war Emst Moritz Arndt, der in seinem Geist der Zeit (Teil IV) 1817 eine Lanze für die Turner brach. Als Arndt im September 1817 die Schwester des politisch gleichgesinnten Theologen Schleiermacher heiratete, überreichten ihm die Turner einen silbernen Ehrenbecher mit Eichenlaub, wobei Maßmann eine Dankesrede hielt. Als Autor der Rede wurde von den Demagogenjägern später Jahn vermutet. Die Diktion entspricht aber ganz dem jungen Schwärmer Maßmann, allerdings ist der Ton hier kindlich-sentimental und der berühmte Patriot wurde respektvoll gesiezt, als Maßmann ihm in seiner lithographierten Rede dankte [...] für alles Deutsche, was Sie durch Schriften und Lieder bei uns gestiftet haben. Mit der deutschen Tumkunst erwächst zugleich die sittliche Wehrschaft, und wir vom verschiedensten Alter und Stand, von allen Orten und Enden Deutschlands, sind doch von einem Gefühle durchdrungen. Wir kommen als Boten der jungen Gemeinde, so sich schon am Lebensmorgen dem Vaterlande weihte. [...] frisch, frei, fröhlich und fromm im Herzen das neue Deutschland aufbauend.^ 166 Neuendorff Π, S. 238ff. 167 Ebd. S. 244. 168 MCUC-TW, § 191.

4. Jahns Prophet in Jena

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Diese Selbstdarstellung der Berliner Turner deckt sich weitgehend mit dem, was Maßmann in seinem Burschenlied für die Jenaer Studenten ausgesprochen hatte. Lediglich das Wissenschaftsengagement mußte bei den meistenteils noch Mindeijährigen fehlen. Aber den Ehrenbecher zierte eine Amdt-Strophe ("Das Wort, das unseren Bund geschürzet..."), die dann auch auf dem Wartburgfest demonstrativ gesungen wurde. Und dieses Wartburgfest stand unmittelbar bevor.

5. Wartburgflammen Das Wartburgfest am 18. und 19. Oktober 1817 ist für den damals zwanzigjährigen Maßmann zum Schicksal geworden. Diese Feststellung könnte auch umgekehrt formuliert werden. Denn die von Maßmann inszenierte Bücherverbrennung wurde für die Zeitgenossen zum Inbegriff des Wartburgfestes, obwohl sie nicht zum offiziellen Festprogramm gehörte. Mehr noch: die von Maßmann anonym veröffentlichte Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen Burschenfestes auf der Wartburg bei Eisenach am 18. und 19. des Siegesmonds 1817 wurde die maßgebliche Chronik der Ereignisse, obwohl sie keineswegs so objektiv war, wie der Titel glauben machen sollte. Maßmann gab eine tendenziöse Darstellung im Sinne seiner altdeutschen Fraktion, die von den anderen Veiöffentlichungen169 nicht mehr entscheidend korrigiert werden konnte, nicht zuletzt deshalb, weil den restaurativen Kräften das Maßmannsche Opus gerade recht kam, um eine Burschenschaftsverschwörung zu konstruieren. Und obwohl Maßmann sich weder als Autor noch als Urheber der Verbrennungsszene zu erkennen gab, war sein Name schnell in aller Munde, denn in der Beschreibung nannte er sich selbst als Urheber der Festidee.170 Die Idee des Festes entsprach ganz der Entwicklung des deutschtümlichen Burschenschaftsgeistes. Die Feiern des 300jährigen Reformationsjubiläums und der Leipziger Schlacht wurden kombiniert und zum Anlaß genommen, die einzelnen Burschenschaften zu einer Beratung zusammenzubringen.171 Die Identität von Burschengeist und Protestantismus war 169 D. G. Kieser: Das Wartburgfest am 18. October 1817; FJ. Frommann: Das Burschenfest auf der Wartburg am 18ten und 19ten October 1817. Beide Jena 1818. Des gleichaltrigen Frommanns Schrift endete: "Das war das Burschenfest auf der Wartburg." (S. 76.) 170 [Anonym:] Kurze und wahrhaftiger Beschreibung ... [Jena] 1817, S. 4f. Das Werk wurde bei Frommann in Jena gedruckt und von ihm in Kommission genommen. 171 G. Steiger: Aufbruch. Leipzig 1967. Ders: Die Teilnehmerliste des Wartburgfestes ... DuQ 1963. S. 65-133. R. Keil: Das October-Jubiläum auf der Wartburg. Gartenlaube 1867, S. 473-489. R. und R. Keil (Hrsg.): Die Burschenschaftlichen Wartburgfeste... Jena 1868. H. Kühn (Hrsg.): Das Wartburgfest ... Weimar 1913 und jetzt P. Brandt: Das studentische Wartburgfest... in Düding: Festkultur, S. 89-112.

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wieder augenfällig: die katholischen Hochschulen wurden von den ausrichtenden Jenaem gar nicht erst eingeladen. Ebenso ideologiekonform war es auch, daß die teilnehmenden Universitäten aufgefordert wurden, Festgedichte einzuschicken, die in einem Heftchen Lieder zu singen von Deutschlands Burschen auf der Wartburg zusammengefaßt wurden.172 Wenn die Veranstaltung solchermaßen wie eine Fortsetzung des Maßmannschen Burschenliedes mit anderen Mitteln erschien, dann war dies jedoch nicht repräsentativ für den allgemeinen Bewußtseinsstand. Denn die große Masse der mehr als 500 Teilnehmer kam auf der Wartburg erstmals intensiv mit dem burschenschaftlichen Patriotismus in Berührung. In manchen Städten existierten Burschenschaften und Landsmannschaften feindselig nebeneinander und versuchten bei dieser Gelegenheit eine erste Annäherung. Den Zeitgenossen erschien das friedliche Miteinander so vieler Studenten wie ein Wunder, denn früher hätte es ein wahres Massaker von "Ehren"-Duellen hervorgerufen. Dem Festausschuß gelang es selbst jetzt nur mühsam, solche Ausschreitungen zu verhindern. Der Studentenfrieden auf der Wartburg war dann auch der Festbericht in der Isis überschrieben, obwohl er ebenfalls die Bücherverbrennung in den Mittelpunkt stellte.173 Der drohende Aufmarsch von etwa fünf Prozent der deutschen Studentenschaft alarmierte die Hannoversche Regierung. Sie warnte den Weimarer Großherzog vor drohenden Umtrieben. Der Goethe-Freund Carl August betrachtete das Ansinnen der Studenten jedoch mit Wohlwollen, gab sogar das Holz für die geplanten Oktoberfeuer und forderte die Eisenacher Bürger auf, die Festteilnehmer gastlich aufzunehmen. Diese gem gewährte Gastfreundschaft ging so weit, daß dann auch 200 städtische Honoratioren an einem großen Festmahl teilnahmen, das zum Programm gehörte. Auch sonst war die junge Generation nicht gänzlich unter sich. Unter den älteren Teilnehmern, die sich einfanden, waren wichtige Vertreter des akademischen Liberalpatriotismus, die Jenaer Professoren Fries, Oken, Schweitzer und Kieser. Die deutschtümlichen Vaterfiguren Jahn und Arndt fehlten zwar; ihre Ideologie war durch die altdeutschen Burschenturner jedoch voll präsent, denn sie hatten als Angehörige des Festausschusses und als Redner wesentlichen Einfluß auf den Ablauf des Ganzen.174 Hans Ferdinand Maßmann wanderte nach Turnerart gemeinsam mit anderen Berliner Teilnehmern zum Fest. Eine offizielle Funktion im Festablauf hatte er nicht, und er lieferte auch keinen lyrischen Festbeitrag.

172 Jena 1817. 173 Abgedruckt bei Keil: Waitburgfeste, S. 15-24. 174 Vgl. Schröder Burschentumer, S. 185ff.

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Aber er kam mit der Absicht, der Feier eine Verbrennung undeutscher und turnfeindlicher Schriften hinzuzufügen. Wie Heinrich Leo später schrieb, wurde dieser Plan von der Mehrheit des Jenaer Burschenschaftsvorstandes abgelehnt.175 So machte sich Maßmann mit einigen Vertrauten, vor allem den Wesselhöft-Brüdern, daran, die Bücherverbrennung am Rande des Festes selbst zu inszenieren. Gelegenheit dazu boten die Oktoberfeuer, die auf dem Wartenberg zur Feier des Sieges bei Leipzig entzündet werden sollten, am Abend des 18. Oktobers und gemeinsam mit dem Eisenacher Landsturm. Bis dahin entsprach das Festprogramm weitgehend dem, was Arndt für solche Feiern vorgeschlagen hatte und was die Patrioten seit Jahren praktizierten. Auffällig war wieder das altdeutsche Decorum des Ganzen: So wurde ein "Burgvogt" nebst "Burgmännern" bestimmt, die den morgendlichen Zug auf die Wartburg anführten. Die Teilnehmer waren zumeist mit dem Deutschen Rock bekleidet, Maßmann besorgte mit anderen zusammen Eichenlaub, mit dem die Teilnehmer sich bekränzten.176 "Fahnenschützer" begleiteten die vorangetragene Jenaer Burschenschaftsfahne, allesamt mit Burschenschwertern bewaffnet177 Der polizeiliche Ordnungsdienst wurde während des Festes auf der Wartburg von den Studenten selbst ausgeübt Außer Reden und Chorgesang gab es einen Gottesdienst und das besagte Festmahl. Ein Hauptthema der Festreden war die Beschwörung Luthers als eines Verteidigers bürgerlicher Glaubens- und Geistesfreiheit. Luthers berühmtes Ein feste Burg ist unser Gott eröffnete die Liedersammlung und

wurde mit besonderer Begeisterung gesungen. Es war auch sonst ein Lieblingslied der Burschenschaften. Wenn es darin hieß "Das Wort sie sollen lassen stah'n", wurde an die Freiheit gedacht, und die vorletzte Strophe wurde als Schlußstrophe gesungen, sie endete mit aktuellem Bezug: "Das Reich muß uns doch bleiben."17« Nicht minder beliebt war Arndts Bundeslied ("Sind wir vereint zur guten Stunde / wir starker deutscher Männerchor"), dessen Schlußverse auf Luther anspielten und in der Liederbroschüre ostentativ hervorgehoben wurden: Das Wort, das unsem Bund geschiirzet, Das Heil, das uns kein Teufel raubt. Und kein Tyrannentrug uns kürzet. Das sey gehalten und geglaubt!179

175 176 177 178 179

Leo: Jugendzeit, S. 151ff. Keil: October-Jubiläum, S. 474. Frommann: Burschenfest, S. 9f. Lieder... zusingen auf der Wariburg, S. 4. Ebd. S. 8. Diese Strophe stand auch auf dem Berliner Hochzeitsbecher. Vgl S. 71.

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Zur triumphal-trotzigen Lutherverehrung ("Und wenn die Welt voll Teufel wär") gesellten sich schwärmerische Erinnerungen an die Befreiungskriege und ebensolche Ausblicke auf die Verheißungen, die durch die Eintracht der studentischen Bildungselite für Deutschland »füllt werden sollten. Der Unmut über die restaurativen Tendenzen blieb weitgehend unkonkret, nur die Berliner Teilnehmer brachten ein Lied des Jahn-Anhängers Friedrich Förster mit, das auf den aktuellen Berliner Turnstreit einging. Nach einem Lob auf den Weimarer Staat: [...] Verfassung heißt das eine Wort, Des Volkes und des Thrones Hoitl Herzog August soll leben 1

hieß es in der Schlußstrophe: Zuletzt nun rufet Pereat Den schuft'gen Schmalzgesellen Und dreimal Pere-Pereall So fahren sie zur HöUen! Auf! auf! mein Deutsches Vaterland, Ihr Brüder reichet euch die Hand Und schwört: so woll'n wir's halten!180

Mit den "Schmalzgesellen" waren der Berliner Regierungsrat Schmalz und seine Gesinnungsgenossen gemeint, die zuerst im Tugendbundstreit den Widerstand gegen Napoleon als staatsgefährliche Geheimbündelei denunziert hatten181 und ihre Angriffe gegen Jahn dann auf turnerischem Gebiet fortsetzten. Gegen diese "Schmalzgesellen"" richtet sich Maßmanns Bücherverbrennung vornehmlich, die vermutlich von Jahn selbst angestiftet wurde. Wenn die Turner ihre aktuelle Auseinandersetzung zum Thema des Festes machten, so konnten sie auf starke Beachtung rechnen. Die Altdeutschen betrachteten sich als Avantgarde der Studentenbewegung und bekamen dies im Verlaufe des Festes bestätigt Während des Festmahls wurde nicht allein ihren Vorbildern Arndt, Fries und Jahn als "Horten des deutschen Lebens" ein Lebehoch ausgebracht, sondern dann noch extra "Der löblichen Turnkunst und ihrem Meister" zugetrunken.182 Fries pries in seiner programmatischen Lutherrede An die deutschen Burschen den "Kreis Jahnischer Freunde" als eine "heilige Zunftvereinigung" von paradigmatischem Charakter: "Möge dem deutschen Vaterlande ein solcher Bund seiner 180 Die Burschenfahrt nach der Wartburg. In: Beschreibung, S. 61 f. Das Lied wurde bei Werner: Geschichte, S. 388 irrtümlich Maßmann zugeschrieben. 181 Vgl. O. Dann: Geheime Organisierung und politisches Engagement... In: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung. Bd 5,1. Heidelberg 1979, S. 399-428. 182 Beschreibung, S. 20.

5. Wattburgflammen

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gebildeten Jugend gedeihen!"1» Nachmittags nutzten die Turner die Gelegenheit und führten den Studenten und Eisenachem Turnübungen vor, soweit dies improvisierend möglich war, "fast alle in Turnzeug", wie Maßmann vermerkt.184 Auch der abendliche Studentenredner Rödiger, in Maßmanns anschließende Bücherverbrennung bereits eingeweiht, dankte am Feuer "dem wackern Jahn und seinen begeisterten Freunden, die der ganzen deutschen Jugend diese stolzen Bahnen geöffnet haben, damit das Selbstvertrauen wachse, der Leiber wie der Geister".1« Maßmann nutzte die Situation in doppelter Hinsicht. Er verband die Abrechnung mit den politischen Gegnern mit einer effektvollen Selbstdarstellung. Dabei tat es der Wirkung keinen Abbruch, das nur ein Teil der Anwesenden das spätabendliche Geschehen bei stürmischem Wetter überhaupt mitbekam. Entscheidend wurde Maßmanns Darstellung in seiner Festbeschreibung, in der alle verbrannten Bücher einzeln aufgeführt wurden, inklusive der schmähenden Zwischenrufe, die Maßmanns Genossen dazu abgegeben hatten. Nur diese Eingeweihten wußten, daß nicht die Bücher selbst verbrannt wurden, sondern Makulaturbündel, die der kalligraphisch versierte Maßmann mit entsprechenden Aufschriften versehen hatte. Es spricht alles dafür, daß Maßmann den größten Teil der Buchtitel, die er während der Verbrennung von einer Liste ablas, gar nicht kannte. Diese Liste stammte wohl von Jahn; Fries hatte sie durchgesehen und wahrscheinlich noch ergänzt; auch auf der Wartburg sollen noch Titel hinzugekommen sein.184 Von dem jungen Maßmann selbst herrührend war mit Sicherheit die kurze Rede, die er dem Geschehen vorausschickte. Sie enthielt die extremsten politischen Äußerungen, die auf dem Fest gemacht wurden. Von heftigem Gesinnungseifer getrieben, verstieg er sich zu Äußerungen, die die Gegner des Turnens alarmieren mußten. Vorbild war ihm die Verbrennung der päpstlichen Bannbulle durch Luther im Jahre 1520 in Wittenberg. Was dem damaligen "Feinde der Glaubensfreiheit" geschah, sollte sich nun unter neuen Auspizien wiederholen: So wollen auch wir durch die Flamme verzehren lassen das Angedenken derer, so daß Vaterland geschändet haben, durch ihre Rede und That, und die Freiheit geknechtet und die Wahrheit und Tugend verleugnet haben in Leben und Schriften.187

183 184 185 186

Ebd. S. 53. Ebd. S. 21. Frommann: Burschenfest, S. 44. Zur vermutlichen Urheberschaft Jahns vgl. Schröder Burschentumer, S. 195ff. Maßmann hat in späteren Verhören behauptet, daß der Verbrennungsgedanke spontan beim Fest entstanden sei. Vermutlich war dies eine Schutzbehauptung. 187 Beschreibung, S. 22.

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I. Der Burschentwner

Den Gedanken an "eitel Nachahmung" Luthers wies Maßmann ausdrücklich von sich. Es ging ihm um einen ideologischen Paukenschlag, "zu zeigen aller Deutschen Welt, weß Geistes Kinder wir sind, welchen Geist wir meinen, daß blühen und gedeihen müsse im Vaterlande". Wie in Rödelheim schwor er mit der "mildheiligen Liebe" auch "tiefen grimmigen Haß wider das Böse und Verkehrte und darum wider alle Bösen und Buben im Vaterlande".1«8 Der Ablauf der Verbrennung erinnerte weniger an das Vorbild der Bullenverbrennung Luthers, als an die Büchergerichte und "Hinrichtungen" von Büchern, wie sie von inquisitorischen und absolutistischen Zensurbehörden vorgenommen wurden.189 Noch im Preußischen Landrecht von 1794 war vorgesehen, anonyme Schmähschriften durch den Henker öffentlich verbrennen zu lassen. In Maßmanns Rede hieß es ausdrücklich, daß "Gericht gehalten werde über die Schandschriften des Vaterlandes", wobei er die inkriminierten "Feuerbände" als "Reigenführer der ganzen Sippschaft" bezeichnete.190 Die von manchen Anwesenden mehr als Studentenulk aufgefaßte Szene erhielt durch die Publikation eine größere Tragweite, wurde zu einer Generalabrechnung mit den restaurativen Kräften. Maßmann eröffnete eine nationale Gegengerichtsbarkeit. Er las die mehr als 20 Titel vor, und seine Helfer riefen das Urteil: "In's Feuer!" Daß sich die Verbrennungsszene an den absolutistischen Bücherhinrichtungen orientierte, wird aus einem weiteren Detail ersichtlich. Um symbolisch deutlich zu machen, daß die "Bestrafung" eines Buches eigentlich seinem Verfasser galt, wurde nicht nur das Werk selbst, sondern auch ein Bildnis des Autors verbrannt. So waren die Heißsporne des Göttinger Hains verfahren, als sie 1773 am Geburtstage ihres "Vaters" Klopstock ein Buch des "undeutschen und unsittlichen" Wieland zusammen mit seinem Bildnis verbrannten.'!» Auf dem Wartenberg wurden Symbole des alten preußischen Staates verbrannt: ein soldatischer Schnürleib, ein Offizierszopf und ein "großmächtiger Corporalstock", die Maßmann als "Schmach des ernsten heiligen Wehrstandes" bezeichnete.192 Denn die Turner betrachteten das Volksheer als eine tragende Säule des deutschtümlichen Verfassungsstaates. Mit Ausnahme der tumfeindlichen Postillen und den "unsittlichen" Theaterstücken von Zacharias Werner dürfte Maßmann die geschmähten Schriftsteller vor allem aus Tiraden Jahns gekannt haben. Dieser hatte schon in seinem Volksthum über undeutsche Schriftwerke geäußert: 188 189 190 191 192

Ebd. S. 23. H.-J. Schräder Mit Feuer, Schwert und schlechtem Gewissen. Euphorion 1984, S. 353ff. Beschreibung, S. 23. Schräder: Feuer, S. 347ff. Beschreibung, S. 28.

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"Es giebt Bücher genug, die von Henkershand sammt ihren Verfassern verbrannt zu werden verdienen".193 Was waren es für Werke, die ins Feuer kamen? Den größten Teil machten Schriftsteller aus, die in der Franzosenzeit mit Napoleon kollaboriert hatten oder anschließend als Apologeten der Restauration aufgetreten waren, wie z.B. Ancillon und Haller. Sodann Werke, die die Nationalbewegung attackierten, wie Jankes Der neuen Freiheitsprediger ConstitutionsGeschrei, dem der Satz nachgerufen wurde: "Pfui dich, du Zwingherrnprediger!"194 Unter den Turngegnern läßt besonders der Name Kotzebue aufhorchen, dessen kulturell-literarisches Spöttertum damals so verhaßt war, daß selbst Goethe über dieses Brandopfer jubilierte: [...] Daß Du dein eigenes Volk gescholten. Die Jugend hat es dir vergolten: Aller End' her kamen sie zusammen. Dich haufenweise zu verdammen [...]" 5

Kotzebues späterer Mörder Karl Ludwig Sand, der beim Marsch auf die Wartburg als Fahnenträger fungierte, wurde bei dieser Gelegenheit erstmals auf den Schriftsteller aufmerksam. Für die ideologische Engstirnigkeit des Büchergerichtes spricht die Verbrennung des Code Napoleon, der ein fortschrittliches Bürgergesetzbuch, aber eben von welscher Abkunft war. Ein deutscher Kommentar zu diesem Werk wanderte mit der Bemerkung in die Flammen: "Wer Pech angreift, besudelt sich!"1»6 Die Verdammung des jungen Immermann, der in einem Wort zur Beherzigung die intolerante Hallenser Burschenschaft kritisiert hatte, dokumentiert die Verständnislosigkeit der Altdeutschen für jede Art von Kritik an ihrer Haltung. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Kulturbarberei ist der Bücherverbrennung besonders der Angriff gegen den jüdischen Autor Saul Ascher angelastet worden. Dieser hatte unter dem Titel Germanomanie das despotische Gebaren der Altdeutschen aufs Kom genommen. Ob Maßmann selbst diese Schrift gekannt hat, ist zu bezweifeln. Angesichts der Stoßrichtung der Verbrennungsszene lief das Werk mehr am Rande mit.197 Damit sollen keineswegs antisemitische Tendenzen in der Burschenschaft geleugnet weiden, wie auch Jahn ein antijüdisches Ressentiment pflegte.198 193 194 195 196 197 198

Zitiert nach Euler: Jahn, S. 122. Beschreibung, S. 25. Zitiert nach Steiger: Aufbrach, S. 127. Beschreibung, S. 25. Vgl. oben 0/1 und Hubmann: Feuer. Jahns Angriffe gegen Juden hatten offensichtlich kompensatorische Funktion, werden aber von der der Tumforschung zu leicht genommen. Dazu kritisch Langenfeld: Jahns Einfluß, S. 29.

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Die Maßmannsche Aktion zu einem antisemitischen Fanal zu erklären, erscheint mir überzogen; nirgendwo in den Maßmannschen Frühschriften fällt sonst ein Wort über Juden. Obwohl Maßmann Johann Jakob Fries nahestand, der antisemitisch eingestellt war, ist von einer geistigen Wirkung wenig zu spüren. Was ihn an Fries anzog, war dessen "Liebe zu uns jungem Volke".199 Das meiste Aufsehen erregte die Verhöhnung der Berliner Turngegner, die als "Wadzeck, Sche[e]rer und alle andre schreibende, schreiende und schweigende Feinde der löblichen Tumkunst" subsummiert wurden, und deren Verbrennung der Ausruf: "In's Feuer mit den Wichten! In's Feuer!" begleitet haben soll.200 Noch schwerer wog letztlich die Verdammung einer Sammlung der deutschen Polizeigesetze, die der Berliner Justizdirektor Kamptz unter dem Titel Codex der Gens d'ärmerie herausgegeben hatte. Kamptz wurde zum erbitterten Gegner der Burschenturner. Dabei findet sich zu Kamptz in der Festbeschreibung nicht einmal eine begleitende Verbalinjurie, während z.B. Ancillon nachgerufen wurde: "Frohne Du fortan dem Zwingherren der Hölle!"201 und Kosegarten sich für eine Napoleonsrede von 1809 folgendermaßen deutschtümlich abgeurteilt sah: "Dies Buch frevelt an dem Vaterlande und an der Kunst der Rede, weil es gar redekünstlich geschrieben und den Zwingherrn abgöttisch verehrt".202 Bei der spätabendlichen Veranstaltung bekamen nur die, die in unmittelbarer Nähe des Feuers standen, genauer mit, was vor sich ging; zudem stürmte es heftig, was viele Teilnehmer zur Rückkehr in die Stadt bewogen hatte. Erst durch die Festbeschreibung wurde die Bücherverbrennung zum politischen Skandal. Der Titel der Kurzen und wahrhaftigen Beschreibung lehnte sich offensichtlich an eine Kampfschrift von Arndt aus dem Befreiungskrieg an, betitelt: Kurze und wahrhaftige Erzählung von Napoleon Bonarpaitens verderblichen Anschlägen, von seinen Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung seiner Heeresmacht, und von der Bedeutung des gegenwärtigen teutschen Krieges: ein Büchlein dem teutschen Volke zum Trost und zur Ermahnung gestellt. 203

Die nationale Befreiungswille wurde innenpolitisch umgewendet in Maßmanns Beschreibung. Er verfaßte sie direkt im Anschluß an das Fest, wobei Fries redaktionell mitwirkte. Metternich mußte vor allem durch Maßmanns pathetische Zukunftsblicke alarmiert werden, wenn es hieß:

199 200 201 202 203

Brief an Fries, 3.ΙΠ.1821. UBJ/NLF. Beschreibung, S. 27. Ebd. S. 24. Ebd. S. 25. [Frankfurt/M.] 1813.

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Wir haben ein schönes Fest gesehen. Ein Tag des Herrn ist uns geworden. - [...] Obschon nun die trübe Wintemacht der Knechtschaft noch lastet auf den Bergen und an den Strömen des Deutschen Landes, so sind doch der Beige Gipfel umgoldet, das blutgoldene Moigenroth ziehet herauf, ringend still mit der Finstemiß, aber mit siegender Macht [...p*

Über die wanderlustigen Studenten hieß es: "Was wollen die Völker wider solch wandernd Heer und eine turnende Jugend beginnen?"205 Und nicht minder triumphal: "Unser Fest der Deutschen Jugend ist das erste Deutsche Bruderfest gewesen: mögen ihm größere, schönere bald folgen!"206 Im Anhang druckte Maßmann das Deutsch Burschenlied von Karl Folien, das wesentlich direkter als sein eigenes Burschenlied für die Freiheit eintrat: Gott Vater, dir zum Ruhm Flammt Deutschlands Ritterthum In uns auf's Neul Neu wird das alte Band, Wachsend wie Feuers-Brand: Gott, Freiheit, Vaterland! Altdeutsche Treul Stolz, keusch und heilig sei. Gläubig und Deutsch und frei Hermann's Geschlecht 1 Zwingherrnschaft, Zwingheirnwitz Tilgt Gottes Racheblitz; Euch sei der Herrschersitz: Freiheit und Recht\vn

Die Provokation gegen die Turngegner wiederholte sich noch einmal in dem erwähnten Artikel in Okens Isis. Auch daran war Maßmann beteiligt. Er fertigte zu der Aufstellung der geschmähten Schriftsteller karikierende Holzschnitte an.201 Es läßt sich also gut vorstellen, daß er in dem Hochgefühl schwelgte, der Reaktion einen spektakulären Schlag versetzt zu haben. Aber schon bald schlug die Stimmung um. Maßmanns Kurze und wahrhaftige Beschreibung machte es leicht, den Verdacht einer Wartburgverschwörung zu konstruieren. In der Presse machte das Gerücht die Runde, auch die Bundesakte und Dokumente der Heiligen Allianz seien dort verbrannt worden. 204 205 206 207 208

Beschreibung, S. 3. Ebd. S. 8. Ebd. S. 10. Ebd. S. 64. Der Artikel wurde beschlagnahmt und führte zu rechtlichen Schlitten gegen Oleen, vor allem wegen der Karikaturen. Offenbar hat Mafimann noch weitere böse Zeichnungen der Waitburgszene angefertigt, ohne daB ihm die Urheberschaft nachzuweisen war. Eine Abbildung bei Steiger Aufbrach S. 194, Originale im Β HSΑ Π, ΜΑ 7730.

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Während die Eisenacher Bürgerschaft öffentlich für das vorbildliche Verhalten der Studenten gedankt hatte, intervenierte nun Kamptz auf das giftigste in Weimar und stellte das Wartburgfest als eine jakobinische Zusammenrottung "verwilderter Professoren und verführter Studenten" dar. Daß Fries seine Mitwirkung an der Maßmannschen Festbeschreibung zugab, konnte Kamptz nur recht sein, der in einer Broschüre Rechtliche Erörterung über öffentliche Verbrennung von Druckschriften auch publizistisch in ausfallender Weise Front machte.209 Gegen Kamptz schrieb u.a. Maßmanns Burschenturngenosse Rudolf Stier nicht minder aggressiv.2" Unter dem Druck der Großmächte sah sich Carl August genötigt, die Herausgabe einer gesamtdeutschen Burschenzeitschrift in Jena zu verbieten, die auf der Burschenschaftsversammlung am 19. Oktober beschlossen worden war. Während die Weimarer Regierung die Studenten in Schutz zu nehmen versuchte, wehte in Berlin, wohin Maßmann nach Herausgabe seiner Beschreibung zurückkehrte, ein rauherer Wind. Im November 1817 ordnete der preußische König ein Verhör aller preußischen Festteilnehmer an, ein Auftrag, dem Kamptz mit Feuereifer nachging. Ebenso drohte dem als Wartburgbrenner ruchbar gewordenen Maßmann ein Prozeß beim Berliner Kammergericht, wo ihn der verunglimpfte Schriftsteller Scheerer wegen Beleidigung belangen wollte. Maßmann entzog sich diesen Nachstellungen durch eine schleunige Übersiedelung nach Jena, ohne sonderlich beeindruckt zu sein. Denn im Berliner Intelligenzblatt vom 26. Dezember 1817 zeigte er den Ortswechsel seinen "Verwandten und Freunden" öffentlich "ganz ergebenst" an. Der besondere Spaß dabei war, daß die preußische Zensur diese Anzeige erst zurückwies, dann aber doch übertölpelt wurde.211 Auch in Jena sah sich Maßmann wegen seines radikalen Alleingangs Anfeindungen ausgesetzt, mußte sich sogar im Duell behaupten.212 Dagegen wird ihn die altdeutsche Fraktion eher als Held angesehen haben. In Jena wurde im Wintersemester versucht, die politische Bedeutung des Festes noch zu steigern, indem im nachhinein Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober als auf dem Wartburgfest verabschiedet verbreitet werden sollten. Aus Angst vor späteren beruflichen Schwierigkeiten verweigerten die meisten Studenten die Unterschrift, und die Veröffentlichung unterblieb.

209 Kamptz* Weimarer Protest gegen das "Censoren-Standrecht" bei Kieser: Wartburgfest, S. 135ff. Zufolge einer Erklärung von Kamptz in der Allgemeinen Jenaer Literaturzeitung 1818, Nr. 44, hat Fries bereits am 24.X. 1817 seine Mitwirkung an Maßmanns Beschreibung enthüllt. 210 [R. Stier:] Freies Wort trotz Heizern und Fehmlern! O.O. 1818. 211 ZSAM, R. 77, Tit. XVII, Nr. 15, Bd 2. BL 73. 212 Dürre: Maßmann, S. 203.

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Maßmann soll zu den wenigen gehört haben, die bereit waren, ihren Namen darunter zu setzen.213 Maßmanns preußische Gegner ließen nicht locker. Noch im November 1817 wandte sich Kamptz ein zweites Mal nach Weimar, übersandte ein Exemplar von Maßmanns Pamphlet und bat um staatliches Eingreifen, damit Jena kein "Asyl für Staatsverbrecher und Pasquillanten" werde.214 Ob ihm Maßmann als Verfasser der strafrechtlich verfolgten Beschreibung damals schon bekannt war, ist fraglich. Es wurde aber bald darauf ruchbar, denn Scheerer wandte sich mit seiner Injurienklage nun an das Jenaer Universitätsgericht, durch das Maßmann am 21. Januar 1818 verhört wurde. Maßmann konnte dabei auf das Wohlwollen des liberalen Universitätsrichters Asverus rechnen, der mit Fries befreundet war und diesen bei einer Beleidigungsklage von Kamptz freisprach.215 Maßmann gab sich als Verfasser des Pamphletes zu erkennen, deckte aber seine Mithelfer und bat sich die Möglichkeit schriftlicher Rechtfertigung aus, wofür ihm drei Tage Frist gewährt wurden. Dann legte Maßmann eine Verteidigungsschrift vor, die ein interessantes Dokument für seine damalige Stimmungslage darstellt21« Wieder schien es ihm dabei auch um Selbstdarstellung zu gehen, denn er verfaßte seine Selbstvertheidigung in seinem aphoristischen Turner-Altdeutsch. Zwar war Maßmann von dem Juraprofessor Schweitzer beraten worden, aber er streute juristische Argumente nur gelegentlich ein, bezeichnete seine persönlich an den Richter adressierten Darlegungen als "Bruckstükke" und verließ sich vor allem auf die Sympathie des liberalen Asverus für die jugendliche Schwärmerei. Ganz im Sinne der burschenschaftlichen Gruppenidentität, die auf dem Wartburgfest in einen wahren Bruderkult übergegangen war, schrieb Maßmann in einer emphatischen 'Wir'-Haltung: Wir wollten verbrennen und haben verbrannt, worüber unsre innere Flamme und Glut heiß und hell aufloderte und immerdar auflodern möge, die Grundsätze und Irrlehren der Zwingherrschaft, Knechtschaft, Unfreiheit und Ungerechtigkeit, Unmännlichkeit und Unjugendlichkeit, Geheimkrämerei und Blindschleicherei, des Kastengeistes und der Drillerei (Leibes und der Seelen), die Machwerke des Schergen-Hof-Zopf-Schnür- und Perückenteufels, der Unschönheit und Untugend - alle Schmach des Lebens und Vaterlandes.217

213 Dürre: Aufzeichnungen, S. 214. Zu den Beschlüssen vgl Schröder Burschentumer, S. 212ff. 214 SA Weimar, A 8701. 215 Vgl. Steiger Aufbruch, S. 143ff. 216 SA Weimar, A 8701, Bl. lOff. Mit schwerwiegenden Eingriffen und Auslassungen abgedruckt bei H. Müller Die Bücherverbrennung auf der Wartburg nach einem ungedruckten Actenstück. Jahrbuch des allgemeinen deutschen Burschenbundes, 1909, S. 29-36. 217 SA Weimar, A 8701, Bl. 13.

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Maßmann verteidigte die Bücherverbrennung vor allem mit religiösen Argumenten, was in dem Ausspruch kulminierte: "Wir wollen nur den heiligen GottesMeden auf Eiden, darum die feste deutsche Einigkeit".21* Das Verbrennen der Werke verglich er mit einer öffentlichen Rezension der Bücher, die negativ ausgefallen sei. Er selbst sei nur als Ausführer eines Gesamtwillens in Erscheinung getreten, was er mit köstlicher Naivität folgendermaßen begründete: Der Abend war nicht ewig, der Mensch hat nur zwei Hände. Viele Köche verderben den Breil Ich griff muthig 211, die Furcht nicht kennend, und nichts Arges dabei wissend und wähnend. [...] Die Anderen aber die im Kreise und um das Feur standen, haben stäts freudig gerufen: "Ins Feur! Ins Feurf und haben ihre freudigen Anmerke dazu gemacht und lustige Reden dazu vollführt. 21 '

Bezüglich seines Pamphletes gab Maßmann an, es sei eine "kurze, aber bis ins kleinste wahrhafte Erzählung und Beschreibung des Festverlaufs", als Reaktion auf verleumderische Darstellungen in der Presse.220 Das war sicherlich nicht die Wahrheit, denn Maßmann datierte seine Darstellung auf den 20. Oktober, während zum Beispiel der Festbericht im Eisenacher Landsturmblatt am 22. Oktober das Autodaf6 noch nicht einmal erwähnte.221 Die anonyme Erscheinungsweise begründete Maßmann damit, daß er für die Festteilnehmer geschrieben hätte, die von seiner Autorschaft wußten, außerdem wäre es nicht auf den Schreiber, sondern auf das Geschriebene angekommen, nämlich "die treue unverfälschte Erzählung der Thatsachen".222 Maßmanns ungebrochener Verbalradikalismus in seiner argumentativ wackeligen Selbstverteidigung wurde vom Universitätsgericht mit viel Wohlwollen aufgenommen. Erst am 7. März 1818, nachdem Scheerer seine Klage noch einmal erneuert und mit Intervention beim Herzog gedroht hatte, erging das milde Urteil, das einem Freispruch gleichkam. Maßmann wurde zu acht Tagen geschärftem Karzer und Übernahme der geringen Gerichtskosten verurteilt, wogegen Scheerer vergeblich Revision anstrebte. Interessant ist, daß das Gericht zu dem Schluß kam, daß nicht die Verbrennung der Bücher die Injurie darstellte, sondern die verletzende Art und Weise, wie Maßmann in seiner Rede von den Verfassern gesprochen hatte.223 Maßmann hat das Urteil wohl gar nicht als eine richtige Bestrafung

218 219 220 221 222 223

Ebd. Bl. 16. Ebd. Bl. 17. Ebd. Landsturmblatt Nr. 43, 22.X.1817. SA Weimar A 8701, Bl. 17. Ebd. Bl. 25. Das Urteil erging am 7.ΠΙ.1818.

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aufgefaßt, denn in einer launig geschriebenen Eingabe224 bat er sogar noch um Abkürzung dieser Strafe, weil er eine Turnlehrerstelle in Breslau antreten wollte. Eine Begnadigung wurde jedoch abgelehnt, um die Haft nicht vollends zur Farce weiden zu lassen. Der Universitätsrichter Asverus, der den stellvertretenden Justizminister Kamptz sogar zu einer Gegenklage von Fries nach Weimar zitieren wollte, mußte kurz darauf seinen Posten räumen, da der Herzog immer mehr unter den Druck der Heiligen Allianz geriet Offenbar hat der zwanzigjährige Maßmann den größten Teil seines letzten Studiensemesters in Jena damit verbracht, jene Werke zu lesen und zu exzerpieren, die er als Makulatur verbrannt hatte. Er trug sich mit dem Plan, ihre Verbrennungswürdigkeit der Öffentlichkeit argumentativ darzulegen. In seiner Selbstvertheidigung hatte er dazu ebenso drohend wie vage verlauten lassen: Wenn uns die Herren nicht vom Halse bleiben und mit ihrem blinden Lärm nicht zur Ruhe kommen , so werd ich's vielleicht ihnen und aller Welt noch öffentlich haarklein zeigen und beweisen, was an ihren Schriften ist, und was andere Männer vom Fach schon darüber geurtheilt haben. Da möchte gar Manches zur Sprache kommen.225

Es ist bisher unbeachtet geblieben, daß Maßmann dies Ansinnen zumindest ansatzweise in die Tat umgesetzt hat. Denn im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen, der in Gotha von der Familie seines Studienfreundes Becker herausgegeben wurde, erschienen im Januar und Juni 1818 mehrere Artikel, die aus Exzerpten liberaler staats- und verfassungsrechtlicher Schriften bestanden. Diese Stellvertretung des Volkes, Forderung der neuesten Zeit u.ä. überschriebenen Auszüge waren mit "M" unterzeichnet und stellten offenbar Lektürefrüchte seiner ideologischen Auseinandersetzung dar.22» In einem weiteren Artikel im April 1818, der die Jahnsche Tumsprache verteidigte, nutzte er sogar die Gelegenheit, sich noch einmal über den "Schnürleib" lustig zu machen, der auf der Wartburg verbrannt worden war. In diesem Artikel unterstrich Maßmann die Bedeutung der Sprachreinigung für die Erneuerung Deutschlands und verband das mit Seitenhieben auf die Restauration: Wir haben uns bey Leipzig lebefrey geschlagen, laßt uns sprachfrey sprechen über und in unsrer SpracheI Wahrlich, die Freyheit in der Sprache [...] hat auch ihren Einfluß auf die Gestaltung unsere deutschen Volks- und Staatslebens, (wenigstens würde eine kräftige.

224 Brief an den Akademischen Senat 10.ΠΙ.1818. SA Weimar, A 8732, Bl. 11. Nach seiner eigenen Angabe hat Maßmann den letzten Tag dann doch noch dem Pedellen abkaufen können. Die hohe Schule. Berlin 1858, S. 46. 225 SA Weimar, A 8701, Bl. 13f. 226 Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, Nr. 1, 8 und 150. Die Aufsätze fehlen in Maßmanns Selbstbibliographien.

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I. Oer Burschenturner bündige, schlichte, rein deutsche Gesetzes- und Gerichtssprache das Volk ansprechen, bilden, und, was das Wichtigste, den Regierungen das in Vielem verschanzte und verscherzte Vertrauen [d]es redlichen biederschlichten deutschen Volkes wieder gewinnen [...J)227

Maßmanns hat seine politische Studien später nicht fortgesetzt Es ist symptomatisch für seine antitheoretische Einstellung, daß nicht mehr als Fragmente dabei herauskamen und kein Wille erkennbar wurde, den eigenen Standpunkt kritisch zu reflektieren. Im Gegenteil: Die politische Schwärmerei nahm in Jena durch die Übersiedelung von Gießener Schwarzen noch zu; Opferträume und Aktionismus beherrschten die Köpfe der Altdeutschen. Zwar bildete sich 1818 aus diesen Kreisen auch ein burschenschaftlicher Engerer Verein, in dem nationalpolitische Themen diskutiert wurden, aber da verließ Maßmann bereits Jena. Und dann rückte in der Jenaer Mußezeit auch sein germanistisches Interesse stärker in den Mittelpunkt. Er intensivierte seine sprachwissenschaftlichen Studien und sah wohl in einer deutschtümlichen Gelehrtenlaufbahn seine Zukunft. In einem Brief an die Brüder Grimm, mit dem er ihren Reineke Fuchs subskribierte, offenbarte er seine neue Berufung, "der Muttersprache und Vaterlandskunde im größten Umfange des Germanenthums habe ich mein Forschen und Leben geweiht."228 Wahrscheinlich war der Anlaß für die Intensivierung seiner Sprachstudien eine Preisaufgabe der Berlinischen Sprachgesellschaft gewesen, die für eine zeitgemäße Bearbeitung von Schottels barocker Arbeit von der deutschen Hauptsprache die ansehnliche Summe von 200 Talern ausgesetzt hatte.229 Für Maßmann sollte dieses Projekt der Ausgangspunkt für ein "Urwortthum" und "Wurzelwörterbuch" der deutschen Sprache werden, im Zusammenhang seiner deutschtümlichen Sprachpädagogik.230 Aber dann ging Maßmann nach Breslau, und dort wurde er durch neue Bildungseinflüsse dem Gelehrtenleben so entfremdet, daß ein Germanistendasein in weite Ferne rückte, während gleichzeitig Hegel und nicht Fries nach Berlin berufen wurde, um eine andere Art von staatsrettender Philosophie zu verkünden, als es Fichte 1807 getan hatte. Zu den geistigen Gegnern des Turnens kam nun auch noch "Janhagels [Hegels] Schule, die jetzt viele verhegelt, verhagelt, vernagelt und verführt".231

227 [Anoym:] Sprachdachtel. Allg. Anz. der Deutschen 1818, Nr. 108, Sp. 1177. Dieser ebenfalls mit "M" unterzeichnete Artikel ist durch Schaden: München, S. 71 gesichelt. 228 Brief an die Brüder Grimm, 15.1.1818. SBPK/GS. 229 Koch: Gesellschaft, S. 12. Die Aufgabe wurde zum Luther-Jubiläum verkündet 230 Brief 15.1.1818. 231 Brief an Fries, 3.HL1821. UBJ/NLF.

II. 'Demagogenjahre': vom Pädagogen zum Philologen 1. Breslauer Possenspiel Mit dem Verlassen Jenas war Hans Ferdinand Maßmanns eigentliche Burschenzeit beendet Zwar hat er auch weiterhin Vorlesungen besucht und mit seinen Universitätsfreunden in Kontakt gestanden, aber nun trat etwas anderes in den Vordergrund: die praktische Betätigung als turnerischer Volkspädagoge, zu dem er sich berufen fühlte. Es ist allerdings schwer nachzuvollziehen, daß er dafür gerade nach Preußen ging, das er zuvor fluchtartig verlassen hatte. Vermutlich war er in solch einem schwärmerischen Zustand, daß er über die zu erwartenden Schwierigkeiten hinwegsah. Und tatsächlich agierte er auf dem Breslauer Turnplatz, wo er am 31. März 1818 als neuer Leiter vorgestellt wurde, in einer Weise, als hätte es die preußische Reaktion auf das Wartburgfest nie gegeben. Doch in Wirklichkeit war seine Einschleusung nach Schlesien ein gewagter Coup der Breslauer Reformpatrioten, der zu allerlei tragikkomischen Verwicklungen fühlte und ein böses Ende nahm. Diese Vorgänge sind als Breslauer Turnfehde in die Geschichte eingegangen, ι Breslau war nicht nur die zweitgrößte Stadt Preußens, sondern dort gab es auch ein starkes patriotisches Bewußtsein. Dort war 1813 zum Befreiungskrieg aufgerufen worden, und dort hatte Jahns Freund Wilhelm Harnisch schon damals einen Turnplatz eingerichtet, der nach dem Berliner der zahlenmäßig größte überhaupt wurde. Während 1818 in Berlin die Turnerzahl bereits zurückging, war in Breslau das Wachstum ungebrochen. Hinzu kam, daß Harnisch als Leiter des evangelischen Schullehrerseminars zahlreiche Volksschullehrer ausbildete, die ihrerseits wieder für die Einrichtung weiterer Turnplätze in Schlesien sorgten. Dies bewirkte, daß Schlesien als einziger Teil Preußens bereits auf dem Weg zu einem flächendeckenden Netzwerk von Turngemeinden war. Auch publizistisch bestand eine Ausnahmesituation. Harnisch propagierte das Turnen in seiner 1

Eine sozialgeschichtliche Quellenstudie ist ein dringendes Desiderat. Ich stütze midi vor allem auf W. Rudkowski: Die Breslauer Tumfehde. ZVGS 1911, S. 1-70 und ZSAM/BB.5 und 6.

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schon erwähnten Zeitschrift Schulrath an der Oder, in der ansonsten vor allem die Pestalozzianische Reformpädagogik vertreten wurde. Daß Harnisch diese Zeitschrift gemeinsam mit dem katholischen Schullehrerseminar herausgab, spricht für die nationalkirchliche Orientierung dieses Deutschtümlers, der sich aus den gleichen Motiven besonders um den Deutschunterricht bemühte.2 Hämisch war aber nicht der einzige Förderer des Breslauer Turnens. Es gab eine ganze Gruppe bedeutender Persönlichkeiten in Breslau, die sich zu den Turnfreunden rechneten: Professoren, Schulmänner und hohe Verwaltungsbeamte, die allesamt zur patriotischen Reformbewegung zählten. Ihnen standen allerdings nicht weniger bedeutende Turnfeinde entgegen, was schon vor Maßmanns Ankunft zu Auseinandersetzungen geführt hatte. Die Philomathische Gesellschaft in Breslau, in der sich die geistige Elite zum wissenschaftlichen Austausch traf, brach auseinander, als der junge Philologe Franz Passow, ein hitziger Verfechter des Turnens, dort aus seinem Turnziel vorlas, einer schwärmerischen Streitschrift, die Maßmanns Feuerzauber in nichts nachstand. Erbitterter Gegenredner war der romantische Naturphilosoph Hendrik Steffens, der 1813 noch die Breslauer Studenten für die preußische Erhebung begeistert hatte. Daß er nun dem Aufbegehren der deutschtümlichen Jugendbewegung entgegentrat und auf den autoritären Kurs der Hofpartei einschwenkte, war symptomatisch für die Zeitsituation: überall in Preußen verschärfte sich die Auseinandersetzung um Freiheit und Verfassung. Daß Maßmann die Breslauer Turner unterstützen sollte, hatte vor allem ideologische Gründe. Hämisch selber war zwar kein gewiefter Turner, aber er hatte gute Vorturner. Dagegen war die nationalpädagogische Entwicklung in Breslau hinter Berlin zurück, und die traditionelle Hauptzielgruppe, die Gymnasiasten, waren nur schwach vertreten. Hier sollte Maßmann wohl einen Aufschwung bringen, zumal er von Jena aus auch schon mit der neuen Breslauer Burschenschaft in Kontakt stand.3 Um Maßmann in Breslau finanziell abzusichern, was 1817 noch gescheitert war, verfielen Harnisch und die turnfreundlichen Schulräte des Breslauer Konsistoriums auf eine halboffizielle Lösung. Gleich nach seiner Ankunft legte Maßmann eine Aufnahmeprüfung für das Schullehrerseminar ab und kam in den Genuß eines Seminaristenstipendiums. Dies geschah ohne Wissen des Kultusministeriums, und ohne daß von Maßmann das sonst übliche 2 3

Hämisch berichtete über das Turnen in Breslau in seinen Memoiren: Mein Lebensmorgen. Berlin 1865, S. 331-361. Über Harnisch vgl. Neuendorff: Geschichte Π, S. 460-474. H. Leo: Jugendzeit, S. 139. Eine Burschenschaftsepisode erzählt audi Κ. v. Holtei, der Herausgeber des Breslauischen Commersbuches, in seinen Memoiren: Vierzig Jahre. Bd 2. Breslau 1862, S. 302f. Vgl. Rudkowski: Tumfehde, S. 12f.

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Führungszeugnis verlangt wurde.4 Für seine Tätigkeit auf dem Turnplatz sollte Maßmann je zur Hälfte vom Konsistorium (100 Gulden) und der Stadt entlohnt werden. Als der Magistrat das ablehnte, wurde ein anderer Weg eingeschlagen. Maßmann wurde von dem tumfreundlichen Gymnasialdirektor Kayßler als Hilfslehrer übernommen, auch davon erfuhr das Berliner Kultusministerium nichts. Schließlich wurde Maßmann auch nicht als der neue Tumleiter eingeführt, der er offensichtlich war, sondern als angeblicher Stellvertreter des angeblich kränklichen Harnisch. Dies alles wurde unter den Augen des patriotischen Oberpräsidenten Merckel reibungslos abgewickelt, da dieser mit den politischen Zielen der Turnpartei sympathisierte. Es stellt sich die Frage, was die Breslauer sich von ihren obskuren Bemühungen versprachen, angesichts der Wartburgvergangenheit Maßmanns. Offenbar handelte es sich um eine gezielte Provokation der Berliner Reaktionspartei. In einem Brief des Breslauer Konsistorialrates Gaß, der das Unternehmen einzufädeln half, erscheint die Einschleusung des "bekannten Maßmann" wie ein Schachzug.5 Ohne Rücksicht auf die heiklen Umstände ging der junge Maßmann mit Elan zur Sache und begann damit, das Breslauer Turnen in seine extrem deutschtümliche Richtung zu bringen. Wie weit er dabei auf dem Turnplatz ging, läßt sich aus den vorhandenen Quellen nur schwer erschließen. Denn bei den späteren Vernehmungen haben die Turnanhänger Maßmanns Tätigkeit möglichst herunterzuspielen versucht, während die Turngegner sein Wirken so grell wie möglich darstellten. So traf es nicht zu, daß sich die Jugendlichen beim Turnen mit den Professoren und anderen Honoratioren duzten, wie behauptet worden war. Einige konkrete Einblicke in das damalige Turnleben, allerdings aus historischer Distanz und subjektiver Perspektive, bieten die Memoiren Wolfgang Menzels. Menzel war mit Maßmann fast gleichaltrig und damals einer der Breslauer Vorturner von Harnisch. Er schreibt, daß der kleingewachsene Maßmann ihnen turntechnisch nichts Neues bot, aber einen völlig neuen Ton auf dem Platz einführte.6 Patriotische Agitation von schwärmerischer Realitätsferne wurde nun eine tragende Säule des Turnlebens. Wenn sich Menzel darüber auch lustig machte, für die Breslauer Turnjugend war es offenbar begeisternd, was auf der Berliner Hasenheide schon lange in war, jetzt auch live auf ihrem Turnplatz zu erleben. Der 4 5 6

ZSAM, 2.2.1,22 640, Bl. 38. Gaß an Reimer. Rudkowski: Tumfehde, S. 11. W. Menzel: Denkwürdigkeiten. Bd 1/3. Bielefeld 1877, S. 97ff. Menzel behauptete u.a., daß den älteren Vorturnern der aufdringliche Deutschtumskult Maßmanns peinlich gewesen sei, so daß sie ihm einmal ein TintenfaB über eine pompöse Aufstellung turnerisch-sittlicher Verhaltensnormen gössen, die er für ein Turnfest verfaßt hatte.

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Anteil der Gymnasiasten vervielfachte sich, insgesamt stieg die Zahl der Teilnehmer auf über 500. Typisch für den schwelenden Generationskonflikt war es, daß gerade die Gymnasien mit den turnfeindlichen Direktoren die meisten Turner stellten.7 In der Folgezeit entzündete sich an dem schulischen Verhalten der Turner ein Autoritätskonflikt, denn Maßmanns Eleven eiferten ihm in antizivilisatorischem Verhalten nach Kräften nach, übernahmen auch jene offene Geringschätzung für die Nichtturnenden, wie sie in Berlin üblich war. Die turnfeindlichen Direktoren versuchten ihrerseits die Schüler disziplinarisch unter Druck zu setzen, was deren turnerischen Sektengeist aber nur steigerte. Diese Schulstreitigkeiten, durch Indiskretionen und Interventionen der turnfreundlichen Gymnasialdirektoren forciert, bildeten nur eine Ebene der Breslauer Turnfehde. Hinzu kamen Auseinandersetzungen in der literarischen Öffentlichkeit, die über Schlesien, selbst über Preußen hinaus, Beachtung fanden. Beide Parteien bombardierten sich mit Pamphleten, Zeitungsartikeln, Erwiderungen und Richtigstellungen, bis die preußische Regierung eingriff und weitere Veröffentlichungen verbot. Maßmann selbst hielt sich aus diesem Streit heraus, er hatte mehr katalysatorische Wirkung, wurde selbst zum Stein des Anstoßes, der die Lawine ins Rollen brachte. Er konnte sich schon deshalb zurückhalten, weil angesehene Geistesgrößen Breslaus mit Verve für das Turnen in die Schranken traten. Und damit nicht genug: mit Maßmanns Ankunft bildete sich in Breslau auch ein Turnrath, ganz so, wie es Maßmann in seiner Verfassungsurkunde gewollt hatte. Im Unterschied zum Berliner Gremium waren es hier aber nicht Jugendliche, die Rat hielten, sondern die aktiven Turner unter den besagten Tumfreunden. Darunter befand sich mit dem Oberst Schmeling sogar ein Offizier des preußischen Generalstabes, der das Turnleben zur Basis der allgemeinen Wehrpflicht machen wollte, wie es Jahn für den volkstümlichen Staat vorsah.8 Interessante Einblicke bieten spätere Vernehmungen von Breslauer Schülern, die dann Burschenschafter wurden, insbesondere von Karl Hermes. Hermes legte 1822 ein regelrechtes Geständnis über die politischen Tendenzen des Breslauer Turnens ab. Über den fast gleichaltrigen Maßmann hat er wenig ausgesagt. Er betonte wie die anderen die Vorbildfunktion der akademischen Turnfreunde. Interessant ist, daß auf dem Turnplatz mit Ausnahme von Passows radikalem Turnziel alle gängigen Werke offen angeboten wurden, darunter auch Maßmanns Beschreibung des Wartburgfestes. Auch sollten, wie es Maßmanns Verfassungsurkunde 7 8

Rudkowski: Tumfehde, S. 14. Er führt dies auch auf Maßmanns schlechtes Ansehen am tumfreundlichen Friedrichs-Gymnasium zurück. W. Schmeling veröffentlichte 1819 eine Denkschrift: Die Landwehr, gegründet auf die Turnkunst. Vgl. unten Kap. V,l.

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entsprach, nicht nur die geschicktesten, sondern die geistig engagiertesten Turner in den Turnrat aufgenommen werden. Daß Maßmann die eigentliche Turnvaterrolle aus Altersgründen nicht vollkommen einnehmen konnte, ergibt sich aus einer Bemerkung von Hermes über die Struktur der Turngemeinde: Die Familie war daher das eigentliche Vorbild des Turnplatzes. Alle Einzelnen sollten größtentheils unwillkürlich durch die physische Annäherung [...] auf ein Verhältniß brüderlicher Gleichheit gebracht werden, von welcher nur der Turnwart eine Ausnahme machen sollte. Dieser war seiner Bestimmung nach gleichsam als Vater aller der Tumbriider zu betrachten: nur Jahn in Berlin und Faust in Bäckeburg haben etwas davon erreicht.®

Maßmann war zu jung für diesen patriarchalischen Habitus, aber es spricht alles dafür, daß er im Turnrat den Vorsitz führte. Vermutlich wollte Maßmann von Breslau aus auch die Veröffentlichung einer Zeitschrift in Angriff nehmen, denn eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den Turngemeinden war nach wie vor nicht gegeben. Auch ein Turnliederbuch, das dem Turnergeist explizit Ausdruck geben und den Turngesang noch weiter forcieren konnte, existierte nicht Maßmann hatte dafür schon als Schreiber des Berliner Tumrates zu sammeln begonnen. Zwar erschienen 1818 bei Reimer Deutsche Lieder für Jung und Alt, die wohl auf solche Sammlungen zurückgingen,10 aber wie der Name schon sagte, waren sie nicht geeignet, dem turnerischen Jugendgeist in seiner Radikalität Ausdruck zu verleihen. Wohl begannen sie mit einem Lutherlied, enthielten zahlreiche Befreiungskriegslieder und auch einige (Burschen-)Turngesänge; aber nicht einmal Maßmanns Turnwanderlied war darin zu finden. Stattdessen aber zahlreiche sentimentale Liedchen, die der Jahn-Maßmannschen Vorstellung von einem Volkslied keineswegs entsprachen. Daß die Zeitschrift und das Tumliederbuch nicht mehr zustande kamen, ist ein deutliches Zeichen für die strukturelle Schwäche der Turnbewegung. Bereits die Ausschaltung Maßmanns in Breslau verhinderte weitere Schritte in diese Richtung. Maßmann selbst war vor allem an direkter agitatorischer Wirkung gelegen. So führte er regelmäßig Turnfahrten durch, bei denen er ungestört mit Lied und Rede den Turnergeist vertiefen konnte. Zu diesem Zweck ließ er auch einen schwärmerischen Aufsatz von Harnisch in mehreren hundert

9 10

ZSAM, R. 77, T. 925, Nr. 6, Bd 1, BL 72. [C. Groos/B. Klein (Hrsg.):] Deutsche Lieder für Jung und Alt. Berlin 1818. Vgl. K. Waßmannsdorfs Über Entstehung und Inhalt des Liederbuches Deutsche Lieder für Jung und Alt. Monatsschrift für das Turnwesen 14 (1895), S. 134-139.

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Exemplaren gesondert drucken." In diesem Aufsatz wurden die Kinder aufgefordert, ihre Eltern "zu ermahnen", falls sie sich antiturnerisch verhielten. Als Motive der Eltern wurden "Hochmuth, Eitelkeit, Liebe zum Narrenthum [= Frankophilie]" angegeben. Maßmann fügte diesem Sonderdruck noch eine Empfehlung der Schriften Jahns und des Turnziels von Passow hinzu.12 Zur Erbitterung der Turngegner verteilte er diese Flugschrift nicht nur auf dem Turnplatz, sondern ließ sie auch in der (deutschtümlichen) Buchhandlung Max gratis ausliegen. In dem von Maßmann empfohlenen Turnziel, das der Hitzkopf Passow in vierzehn Tagen hingeworfen hatte, wurden die Turngegner nicht nur als "Freiheits- und Wahrheitsfeinde" und "Schmalzgesellen" bezeichnet, sondern auch als "tausendköpfige Otter, entmannte Feiglinge, Finsterlinge" und "weibische Männer" beschimpft, insgesamt "eine kläglicher Schwärm, Krüppel an Leib und Seele: aber gerade darum sind ihrer viele, und verwandte Geister überall".13 Angesicht solcher Töne mußten die Primaner, die mit ihrem tumfeindlichen Direktor einen Machtkampf austrugen, sich geradezu als Vaterlandshelden vorkommen. Es kam zum Eklat, als gegen einen adeligen Nichtturner in der Klasse ein hämisches Pamphlet verfaßt wurde, das Maßmann ebenfalls auf dem Turnplatz herumgehen ließ. Eine Folge dieses Schulzwistes war die Relegierung mehrerer Turnanhänger, darunter auch Wolfgang Menzels, der darüber eine Wahrhaftige treue Erzählung von den harten Kämpfen und endlichen Siegen der guten Sache des Turnens in einer Schule der deutschen Stadt Breslau aufsetzte. Maßmann machte sich davon eine Abschrift, die durch Unvorsichtigkeit in die Hände der Tumgegner fiel.14 Der Höhepunkt der Turbulenzen wurde mit der Katzbachfeier im August 1818 erreicht. Zuvor war die Stimmung schon durch einen Besuch Jahns angeheizt worden, der Breslau zum Ziel einer Tumfahrt gewählt hatte. Die Katzbachfeier fand zur Erinnerung an den Blüchersieg am Schauplatz der Schlacht statt, zugleich wurde auch der Todestag Körners begangen. Der Festverlauf hatte auch sonst Ähnlichkeit mit dem Wartburgfest, denn erstmals trafen sich Turner verschiedener schlesischer Turnplätze zu einer gemeinsamen Veranstaltung. Für die Organisation waren Maßmann und der Liegnitzer Pädagoge Friedrich Schultze verantwortlich, der die dortige Ritterakademie leitete. Maßmann und Schultze, der ebenfalls von der

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Maßmann schickte auch nach Berlin mehrere hundert Exemplare und berichtete: "Hier wirkts so recht unter ein Volk, weils recht volklich geschrieben ist." Brief an F. Lieber, 15.VHI.1818. MCUC-TW, § 18. Der Aufsatz war ursprünglich für ein Jugendlesebuch von Hämisch verfaßt worden. Rudkowski: Tumfehde, S. 19f. F. Passow: Tumziel, S. 64, 66,68, 71, 73. Menzel: Denkwürdigkeiten, S. 106.

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Hasenheide stammte, hatten schon vorher für eine stärkere Vernetzung des schlesischen Turnens gearbeitet und konnten jetzt ca. 160 teilnehmende Turner und 1000 Zuschauer begrüßen. Wie beim Wartburgfest wurde eine (allerdings nur vierseitige) Liedersammlung gedruckt, betitelt Katzbachlieder zum 26. des Erndtemonds 1818.IS Die Katzbachfeier mobilisierte aber nicht nur die Turner, sondern auch ihre Gegner. Ein turnfeindlicher Direktor hatte seinen Schülern die Teilnahme verboten, aber einige Turner setzten sich darüber hinweg. Entscheidend für den weiteren Verlauf wurde ein denunzierender Bericht des Liegnitzer Regierungspräsidenten, der ein erklärter Gegner des Turnens war. Unter Umgehung der turnfreundlichen Ministerialbürokratie wandte er sich direkt an den König, berichtete über die Katzbachfeier und die Literaturfehde, die in Berlin nicht bemerkt worden war, und forderte eine schärfere Beaufsichtigung des Turnens. Damit geriet das Provinzgerangel zwischen reformerischen und restaurativen Kräften zur Staatsaffäre. Der König wurde in dem Liegnitzer Bericht vor allem vor der Aufwiegelung der Jugend gewarnt, die der Wartburgagitator Maßmann versuchte. In einer freien Rede habe Maßmann "theils Unsinn, theils überspannte Ideen ausgesprochen", außerdem war von "mit Gemeinheiten und Unsinn angefüllten Gesängen der Turner" die Rede.16 Als Beweis war in den Katzbachliedern die folgende Strophe angestrichen worden: So hat Deutsches Volk gefochten, keine Schlauen, keine Fürsten; Und was Zwinghermwitz geflochten, brach der Freiheit Rachedürsten.17

Schließlich hatte auch ein relegierter Primaner eine Rede halten dürfen - die schulische Disziplin war somit hochgradig in Gefahr. Der Bericht klagte über den "von Turnwarten und Turnfreunden gutgeheißenen kecken Trotz der Turnjugend", warnte vor der turnerischen Absicht zur "Kräftigung der Volksgesinnung", politische Absichten seien erkennbar geworden, "getrieben von dem Geist, der die Zeit bewegt".18 Maßmann erlebte allerdings eine Jugendrevolte ganz anderer Art. Er hatte seinen Schülern, die nicht mit zur Katzbach wollten, so viele Hausaufgaben aufgegeben, daß es einer Strafarbeit gleichkam. Da die Schüler diese Anweisung boykottierten, machte er ihnen nach seiner Rückkehr heftige Vorhaltungen, warf ihnen auch noch mangelnde Liebe zum Vaterland

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Hin Exemplar befindet sich in der Kabinettsakte ZSAM, 2.2.1,22640, Bl. 15. Der Bericht ebd. Bl. lOff. [A.L. Folien:] An der Katzbach, Strophe 13. Ebd. BL 16f.

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vor. Daraufhin drang die nichttumende Überzahl auf ihn und seine Turnschüler ein und vertrieb sie aus dem Klassenzimmer.1» Die preußische Regierung entfaltete eine hektische Aktivität, um die Lage in den Griff zu bekommen. Denn die turnerische Jugendbewegung befand sich in Breslau in einem Bündnis mit einem Teil des staatstragenden Bildungsbürgertums. "Handeln wir nicht konsequent [...] in diesem Falle, so hat das die allerschlimmsten Folgen", fürchtete der Staatskanzler Hardenberg.» Das Peinliche war nur, daß in Berlin kaum verläßliche Informationen vorlagen; erst jetzt ging die monatelange Wirksamkeit Maßmanns in Breslau wie eine Bombe hoch. Der König beauftragte das verantwortliche Kultusministerium mit der Untersuchung der Vorfälle in Schlesien. Der Kultusminister Altenstein, wie seine liberalen Räte den Leibesübungen durchaus zugeneigt, befand sich in einer Zwickmühle. Einerseits mußte er ein Exempel statuieren, auch um die eigenen Versäumnisse zu kaschieren, andererseits sollte das Turnen möglichst unbehelligt bleiben. Denn seit langem bestanden Pläne, das Turnen in den Unterrichtskanon aufzunehmen. Dafür hatte aber nach den Kriegen das Geld gefehlt und daher war die Jahnsche Turnbewegung mit ihren privaten Turnplatzgründungen nach Kräften unterstützt worden. Aber schon nach dem Wartburgfest hatte der König seinen Kultusminister angewiesen: "Das Turnwesen, dessen Zweck nur die Ausbildung des Körpers seyn sollte, artet ebenfalls zu einem Vehikel aus, auf den Geist der Jugend nachtheilig zu wirken und muß daher Ihre Aufmerksamkeit auch darauf gerichtet sein."21 Nun stellte sich gar heraus, daß der WartburgMaßmann mit finanziellen Mitteln des Ministeriums von einer Unterbehörde angestellt worden war, ohne daß der Kultusminister etwas davon erfahren hatte. Altenstein und seine Räte hatten Schwierigkeiten, überhaupt herauszubekommen, wie es dazu gekommen war. Es war nicht einmal sicher, welchen Status Maßmann besaß: Turnlehrer, Seminarist, Gymnasiallehrer kamen in Frage. Der Oberpräsident Merckel und sein Breslauer Polizeipräsident Streit gaben auf ministerielle Anfragen nur ausweichende Antworten und bemühten sich offensichtlich, die Turner zu decken. Der erste Bericht, den Altenstein im September 1818 dem König gab,22 zeugte nach wie vor von Desorientierung: Er mußte einräumen, daß eine eindeutige Antwort auf seine Nachfrage aus Breslau nicht gekommen war. Altenstein konnte nicht einmal Genaues darüber angeben, welche Rolle Maßmann beim Wartburgfest gespielt hatte. Die Untersuchung von Kamptz hatte lediglich erbracht, 19 20 21 22

Rudkowski: Tumfehde, S. 31. Hardenberg an Altenstein, 5.IX.1818. ZSAM/BB.5, Bd 1, Bl. 17. Kabinetts-Ordre 7.ΧΠ.1817. ZSAM, 2.2.1, 22 640, Bl. 1. 13.IX.1818. Ebd. Bl. 2-9.

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daß er die Verbrennungsszene geleitet hatte. Über Maßmanns Prozeß in Jena lag gar nichts vor. Selbst der Anführer der Metternichpartei am Hofe, der Polizeiminister Wittgenstein, versuchte sich erst im August Informationen aus Breslau zu beschaffen, obwohl ihn ein Tumgegner schon lange auf Maßmanns Wirken dort hingewiesen hatte.23 Ihm meldete der Breslauer Polizeipräsident, Maßmann sei nicht fest angestellt, sondern nur als "Oberoder Vorturner" nützlich.* Oberpräsident Merckel teilte Altenstein in seinem Bericht sogar kaltschnäuzig mit, er wisse nichts von Maßmanns politischer Vergangenheit, da er oppositionelle Zeitungen, die darüber berichtet hatten, nicht lesen würde.25 Wie provokativ Maßmanns Einschleusung nach Schlesien empfunden wurde, läßt sich daran ablesen, daß Altensteins Bericht sich auf acht von zehn Seiten mit seiner Person beschäftigte, obwohl Maßmanns Autorschaft an der in Preußen verbotenen Festbeschreibung noch gar nicht bekannt war. Und obwohl Altenstein energisch durchzugreifen empfahl, versuchte er selbst, Zeit zu gewinnen, als der König am 16. September 1818 die Schließung der Turnplätze in Breslau und Liegnitz anordnete und die Maßregelung der Behörde befahl, die Maßmann angestellt hatte. Erst am 25. September ließ Altenstein diese Ordre an Merckel in Breslau abgehen. Maßmann sollte auf Befehl des Königs von jedem Jugendunterricht entfernt und nachträglich über das Wartburgfest vernommen werden.26 Die Entscheidung des Königs bedeutete das Ende von Maßmanns Breslauer Hoffnungen. Die wenigen Briefquellen aus dieser Zeit zeigen ihn jedoch weitgehend unbeeindruckt Das hing damit zusammen, daß das Sendungsbewußtsein der radikalen Altdeutschen mittlerweile in ein politisch-religiöses Schwärmertum übergegangen war, das für Außenstehende kaum noch nachvollziehbar war. Zentrum dieser Entwicklung waren Maßmanns burschen-schaftliche Freundeskreise in Jena und Berlin, die angesichts der realen politischen Ohnmacht in Opferphantasien schwelgten. Aber selbst dort wurde Kritik an Maßmanns Ungestüm geübt.37 Was Maßmann zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht begriff, war die Gefährdung seiner ferneren beruflichen Zukunft. Außer der Suspendierung konnte ihm vorläufig wenig geschehen. Daß er die Anstellung in Breslau angenommen hatte, konnte ihm nicht vorgeworfen werden. Für das Turnen selbst war formell Harnisch verantwortlich, deshalb konzentrierten die Ermittlungen sich auf ihn und die anderen Turnfreunde. Diese versuchten natürlich, Maßmanns Breslauer Wirken so unbedeutend wie möglich 23 24 25 26 27

MOllen Maßmann, S. 293, in Ergänzung zu Rudkowski: Turnfehde, S. 35. ZSAM/BB.5, Bd 1. BL 66ff. Ebd. BL 22. Ebd. Bl. 66ff. MCUC-TW, § 173.

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darzustellen, um sich selbst zu entlasten. Außerdem ging die literarische Turnfehde noch immer weiter, in die Maßmann nicht direkt verwickelt war; auch das lenkte von ihm ab. Schließlich kam er auch noch in den Genuß eines sophistischen Winkelzuges: die Anweisung, Maßmann zum Wartburgfest zu vernehmen, wurde von Merckel so aufgefaßt , Maßmann vorerst nur zum Wartburgfest zu vernehmen, zur Katzbachfeier und den anderen Breslauer Vorfällen aber nicht. Wie formalistisch die Ordre des Königs befolgt wurde,wird auch daraus ersichtlich, daß Maßmann stillschweigend sein Seminaristenstipendium belassen wurde, da er dort ja keinen Unterricht erteilte, die Suspendierung vom Unterricht also nicht zutraf.28 Auch die nachträgliche Vernehmung zum Wartburgfest verlief glimpflich. Maßmann kam mit dem gemütlichen Polizeipräsidenten Streit überein, innerhalb von 48 Stunden eine schriftliche Aussage abzuliefern, da er sich an viele Einzelheiten nicht mehr erinnern konnte.» Maßmann ließ sich dann aber noch einen Tag länger Zeit, und es fiel ihm schriftlich natürlich nicht schwer, die Bücherverbrennung harmlos darzustellen.30 Seine Aussagen wichen in manchen Punkten erheblich von denen in Weimar ab, und das setzte sich in späteren Vernehmungen fort Er schilderte die Verbrennungsszene als einen leichtsinnigen Studentenstreich ("jugendliche Begeisterung, fröhlicher Übermuth"), spielte die politischen Bezüge herunter und sah sich durch seine Karzerhaft und den negativen Leumund mehr als genug bestraft. Der heitere Anstrich, den Maßmann dem Wartburggeschehen verlieh, stand natürlich im Widerspruch zu der Sprache seiner Festbeschreibung, als deren Verfasser er mittlerweile erkannt war, und die der Polizeipräsident vorliegen hatte. Wegen einer "Unpäßlichkeit" Streits wurde Maßmann erst eine Woche später zu diesem Pamphlet vernommen, und ohne daß Streit ihn in ein scharfes Verhör nahm. Maßmann gab zu Protokoll, daß er in seiner Beschreibung lediglich die Tatsachen berichtet habe, - was Streit so zu den Akten nahm. Diesmal mußte sich Maßmann zu den Schulstreitigkeiten äußern, aber auch das ging entsprechend harmlos ab.31 Der Ablauf dieses Verhörs erinnerte in vielem an den Prozeß in Weimar, und das gleiche Wohlwollen wurde auch den anderen Tumanhängern entgegengebracht Karl von Raumer, in dessen Haushalt Maßmann wie ein Familienangehöriger lebte, gab an, daß es keine engere Beziehung zwischen Maßmann und den Turnfreunden gegeben habe, nur wegen seiner

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Merckel an Altenstein, 19.V.1819. ZSAM/BB.5, Bd 1, Bl. 303. ZSAM/BB.6, Bl. 19ff. Ebd. Bl. 22ff. Ebd. Bl. 50.

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turnerischen Fähigkeiten habe er als erster Vorturner gegolten.» Es dauerte fast einen Monat, bis Maßmann seine Lehrerstelle entzogen wurde. Unter diesen Auspizien versuchte Maßmann sogar selbst, in die Offensive zu gehen. Er richtete eine Bittschrift an den Oberpräsidenten Merckel, in der er um Aufklärung darüber bat, was ihm denn eigentlich den Verlust "seines öffentlich übertragenen Lehramtes" eingebracht habe. Als Beweis seines guten Leumundes legte er ein äußerst positives Gutachten seines früheren Direktors Kayßler vor, der selbst tief in die Tumfehde verstrickt war.33 Merckel leitete die Angelegenheit an Altenstein weiter und reichte dem Kultusminister auch seinen Untersuchungsbericht ein.34 Darin stellte er wiederum mit Hinweis auf Kayßler Maßmann das beste Zeugnis aus, über ihn sei in der ganzen Breslauer Zeit "nichts Nachtheiliges bekannt geworden".35 Merckels Bericht fiel eindeutig zu Gunsten der Turnfraktion aus. Altenstein gab sich vorerst damit zufrieden. Die weitere Untersuchung blieb dadurch in den Händen des Oberpräsidenten, die Turnplätze allerdings blieben geschlossen. Das Kultusministerium handelte aus taktischen Gründen so zurückhaltend. Ein neuer Skandal hätte das Turnen noch mehr belastet, und auch so hatte Metternich auf dem Aachener Kongreß von 1818 schon darauf gedrungen, das Turnwesen aus politischen Gründen ganz zu verbieten. Währenddessen wurde im Kultusministerium ein Antrag zur Eingliederung des Turnens in den Schulbetrieb voibereitet, der dem König vorgelegt werden sollte. Das taktische Verhalten des Kultusministeriums wird besonders an der Behandlung deutlich, die Maßmann im Schlußbericht an Friedrich Wilhelm III. erfuhr. Wieder wurde der junge Maßmann zum Spielstein, diesmal in den Händen Altensteins.36 Nach sechs Monaten des Stillhaltens bemängelte das Ministerium nun: [...] daß die Vernehmung des p. Maßmann [...] durch die hiermit in Breslau beauftragten Personen weder so vollständig noch so kräftig geführt worden, als es [...] noth wendig ist, und daß besonders meiner ausdrücklichen Anordnung zuwider nicht eine weitere Untersuchung und Nachforschung angestellt worden ist 37

Es bliebe deshalb ganz dem König überlassen, ob er Maßmanns Ausführungen bezüglich des Wartburgfestes Glauben schenken wolle. Damit schien Altenstein dem König die Entscheidung zuzuschieben, ob noch einmal eine Untersuchung gegen Maßmann eingeleitet werden sollte, insbesondere 32 33 34 35 36 37

Ebd. BL 179. Ebd. BL 4f. Abgedruckt bei Rudkowski: Tumfehde, S. 42-48. Ebd. S. 42. Bericht vom 25.ΙΠ.1819. ZSAM/2.2.1,22 640, Bl. 33-46. Ebd. Bl. 34.

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hinsichtlich des Prozeßgeschehens in Jena. Was es für Maßmann bedeutet hätte, wenn seine Selbstverteidigung in die Hände des Königs gekommen wäre, muß nicht weiter erläutert werden. In der Absicht, Maßmann aus dem Blickfeld zu bekommen, suggerierte Altenstein dem König aber, daß aus Jena wohl keine erheblichen neuen Tatsachen zu erwarten wären. Außerdem würde aus Maßmann, dessen Autorschaft an der Kurzen und wahrhaftigen Beschreibung Altenstein mit keinem Wort erwähnte, auch bei einer neuen Untersuchung kaum mehr herauszuholen sein, da er die Folgen seiner Tat inzwischen bereue und sie schon deshalb zu bagatellisieren versuche. Mit der Betonung von Maßmanns Schuldgeständnis schwenkte Altenstein auf einen möglichen Gnadenweg ein: Maßmann mißbillige jetzt sein früheres Handeln und scheine "hiernach zur Erkenntniß seines Fehlers gekommen zu sein, wenn dieses gleich seine wirkliche Besserung noch nicht verbürgt."3« Unter Hinweis auf das positive Gutachten seines Direktors3» und ohne Maßmanns Verhalten auf dem Turnplatz genauer zu untersuchen, empfahl Altenstein dem König schließlich, Maßmann wie die übrigen preußischen Wartburgstudenten zu begnadigen, zumal er bereits eine Strafe abgesessen habe und jetzt in unsicheren Verhältnissen lebe. Fernerhin sollte er aus Schlesien entfernt und unter Aufsicht des Kultusministeriums gestellt werden. Altenstein entwarf dabei einen feinsinnigen staatspädagogischen Mittelweg zwischen Gnade und Bestrafung. Es wäre ratsam, daß Maßmann [...] die Folgen seiner That eine geraume Zeit hindurch fühle und ihm das Auslöschen des Andenkens an solche nicht so gar leicht gemacht werde. Wichtig ist es aber dabey, daß er nicht zur Verzweifelung gebracht werde, und daß nicht Noth und Mangel, bey den Fähigkeiten, die sich ihm nicht absprechen lassen, ihn zum Gegenstand des Mitleids machen.40

Eine feste Anstellung sollte Maßmann aber nicht erhalten, "als bis er während eines längeren Zeitraums, überzeugende Beweise von seiner Besserung, und von einer richtigen Würdigung der bürgerlichen Verhältnisse gegeben, das Andenken an seine Verirrungen sich aber dadurch und durch einen längeren Zeitverlust erloschen hätte."41 Der König schloß sich dem quecksilbrigen Vorschlag seines Kultusministers an, als er im Mai 1819 über die Breslauer Turnfehde entschied.

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Ebd. BL 46. Kayßler "spreche [über Maßmann] mit so feierlicher Betheuerung, daß sich kaum annehmen läßt, daß dieses übrigens so achtenswerthen Mannes Urtheil durch die Leidenschaftlichkeit, mit welcher er sich auch für das Turnwesen erklärt hat, bestochen sey". Ebd. Bl. 36. Ebd. Ebd.

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Maßmann hätte im Prinzip mit dem Ergebnis zufrieden sein können, denn die Fraktion der Turnanhänger fand insgesamt wenig Milde. Sieben von acht Verweisen und Strafversetzungen trafen ihre Seite, bis hin zum Oberpräsidenten. Aber der König verfügte auch, daß Maßmann in Zukunft als Lehrer nur nach direkter Genehmigung durch ihn selbst angestellt werden sollte, und Friedrich Wilhelm III. war mittlerweile gänzlich gegen das Turnen eingenommen. Schon im Dezember 1818 war das Berliner Turnen unter Polizeiaufsicht gestellt worden, ab März 1819 war nur noch Schulturnen gestattet, die Hasenheide sollte bis zu einer staatlichen Neuregelung geschlossen bleiben. Während der Entwurf dafür im Ministerium zur Unterschriftsreife gebracht wurde, erfolgte am 23. März 1819 das Attentat des Burschenturners Sand auf Kotzebue, den verhaßten Bespötter des Nibelungenliedes und verdächtigen "Agenten" des Zaren, den bösen Widersacher der liberalen Weimarer Presse und der Turner. Daraufhin wurde Altensteins Entwurf verworfen und das Turnen bis auf weiteres gänzlich untersagt. Die endgültige Turnsperre (wie es altdeutsch hieß) war damit bereits abzusehen. Sie trat Ende des Jahres 1819 ein. Daß Sand schon auf dem Wartburgfest hervorgetreten war, mußte auch für Maßmann neue Verdächtigungen heraufbeschwören. Die Aussichtslosigkeit weiterer tumpädagogischer Wirksamkeit wurde aber für Maßmann durch einen neuen Büdungseinfluß gemildert. Der Patriot und Mineraloge Karl von Raumer, bei dem Maßmann lebte, war wie Wilhelm Harnisch ein überzeugter Anhänger und großer Kenner der Pestalozzianischen Reformpädagogik. In einem ständigen Meinungsaustausch mit diesen beiden hat Maßmann in den unfreiwilligen Mußemonaten diese Reformpädagogik studiert und sie in sein Nationalerziehungskonzept integriert, zumal zu Pestalozzis Elementarmethode ja auch Körperübungen gehörten. So sah Maßmann eine Möglichkeit, auch außerhalb der Turnbewegung auf die Volkserziehung einzuwirken. Bisher nur philologisch-historisch gebildet, begann er naturkundliche Fächer, vor allem Mineralogie, zu studieren und hörte dabei auch Vorlesungen bei den Turnanhängern innerhalb der Breslauer Universität 42 Maßmanns religiöse Haltung erfuhr unter dem Einfluß Raumers ebenfalls eine Verinnerlichung, an die Stelle des alttestamentarisch geprägten Lutherischen Kraftgebahrens traten mehr pietistische Töne. Auch die ostentative Geringschätzung des weiblichen Geschlechtes, die die Burschentunier charakterisierte, erfuhr eine wesentliche Milderung durch den Einfluß von Raumers Frau, einer geistreichen Schönheit und stillsorgenden Hausmutter, die von den Studenten "Madonna" gerufen

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Schaden: Gelehrtes München, S. 69 nennt Kayßler, Harnisch, Wachler, K. v. Raumer.

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wurde.43 Maßmanns neue Haltung gegenüber dem weiblichen Geschlecht wird auch daran deutlich, daß er dem verwitweten Fries ein Hausmädchen vermitteln wollte, das er in empfindsamen Tönen anpries.44 Auch sich selbst gegenüber wurde er kritischer, da ihm wohl in den Mußemonaten aufging, daß er mit seiner exaltierten Haltung den Gegnern des Turnens vorgearbeitet hatte. Unter dem Eindruck von Sands "Opfertath" und der Anfeindung der Turner sah er sich nicht mehr an der Front, sondern an der Basis wirken. Dabei gingen resignative Einsichten in die eigene Machtlosigkeit und schwärmerische Ausblicke auf einen Neubeginn ineinander über. Wie bei Jahn und Fichte sollte wieder die kommende Generation zum Hoffnungsträger werden. Maßmann versuchte wohl auch, mit seinen extrovertierten Charakterzügen ins Reine zu kommen. Zerknirschung und Reue, wie in einem pietistischen Bußkampf, gehen in den erhaltenen Briefen einher mit eschatologischen Zukunftsblicken. So schrieb er an den Turnlehrer Salomon im Mai 1819: Es ist diese Sperrzeit eine rechte Gnadenfrist des Herrn [...] und heißet vor allen denen, so bisher seine Sache, die gute Sache des Vaterlandes, verfochten und vertreten haben, recht in sich gehen und von sich thun alle Unsauberkeit, Unlauterkeit, Selbstischheit und Eigenheit [...]. Es ist kein ander Heil, denn im Heiland, in seiner Le[h]re, in der Liebe, wie er geliebt hat, im festen Glauben, daß sein Reich kommen muß\ Sein Reich aber ist das Reich-, Eigen- und Erbthum der Kinder. Da nun [...] die Alten ergraut sind und erstarrt [...] so lasset uns nicht femer auf die Wiedergeburt der morschen Gemüther [warten] [...] sondern leben wir allein der Zukunft, dem kommenden Geschlecht, der Jugend. Dies meine Losung! [...] Ein rechtes heldiges Christenthum muB erstehen, und erblühe ein neues Paradies [...] Recht in innigster Gottseligkeit soll das nächste Geschlecht wieder gezogen werden von der Mutteibnist an, tiefsinnig im Glauben, in der Liebe aber klar und lebendig und frisch, nicht grübelnd in Frömmelei und dunklen Himmelsgeheimnissen und wolkigem Wortkram: ein frisches lebensfreudiges, todesmuthiges, glaubensfestes, liebesglühendes Geschlecht soll erstehen [...] Nirgend ist Heil, denn in Gott und seinem Sohn! Zu ihm also, vorwärts, aufwärts! mit der Jugend des Vaterlandes. Jeder auf seine Weise. Unser Eins durch die Domenhekke und über den babylonischen Thurm der Wissenschaft!45

Daß Maßmann seine wissenschaftlichen Studien als babylonische Gefangenschaft im Elfenbeinturm der Wissenschaft empfand und stattdessen ins praktische Leben hinaus wollte, unterstreicht den Einfluß von Raumer, der den organischen Zusammenhang des Lebendigen als den höchsten Wert des Daseins erachtete und wissenschaftliche Betätigung als Selbstzweck nicht gelten ließ.44 In einem anderen Brief Maßmanns an

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Vgl. L. Schulze: Philipp Wackemagel. Leipzig 1879, S. 23f. Brief an Fries, 17.Π.1819. UB Jena/NL. Fries 3. Brief an Salomon, Mai 1819. ZSAM/M.3, Bl. 25f. Vgl. H. Weigelt: Erweckungsbewegung und konfessionelles Luthertum ... Stuttgart 1968, S. 24ff.

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seinen Freund Dürre hieß es: "Ich habe auch alle Schwärmereitelkeit verloren, und alle philologische Eitelkeit und Ehrfurcht des Katheders."47 Gleichwohl hat Maßmann seine germanistischen Studien in Breslau weiterbetrieben. Mit dem Herausgeber der Wöchentlichen Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters, dem Archivar Büsching, unterhielt Maßmann anscheinend gute Beziehungen, denn schon 1817 erschien dort eine kleine kulturhistorische Notiz von ihm, und in diesem und dem letzten Band von 1819 wurden jeweils Stammbucheinträge Jahns als Motto verwendet, die Maßmann auf der Wartburg abgeschrieben hatte.41 In Breslau legte sich Maßmann auch eine Sammlung von Drucken der Reformationszeit zu, die er bei seinem Weggang der Universitätsbibliothek überließ.49 So lebte Maßmann "eine seeige Zeit, außen unscheinlich, innen gebährend, "reich an Himmelssehnsucht, reich an Ringen mit mir, mit Gott."50 Das Ende dieser Zeit war aber im Mai 1819 abzusehen, denn Räumer und Harnisch wurden beide strafversetzt, die Turngenossenschaft, die im privaten Kreise fortgesetzt worden war, gänzlich zerschlagen. Denn bis dahin hatten die alten Turngenossen sich weiter in einem Garten getroffen und dort Körperübungen vollführt. Die Art, wie sich Harnisch fügte, ist symptomatisch für den Tonwechsel von altdeutsch zu pietistisch: "Ich werde Gott bitten, daß er mir rechte christliche Liebe und Geduld verleihe, um so überall das zu thun, was ich vor Gott, meinen Vorgesetzten und meinem Gewissen verantworten kann."51 Obwohl über Maßmann bereits im Mai 1819 entschieden worden war, bequemte sich das Ministerium erst zwei Monate später zu weiteren Schritten. Sein Bruder, der von der Begnadigung in Berlin läuten gehört hatte, empfahl ihm deshalb, einfach nach Berlin zurückzukommen und dort das weitere abzuwarten.» Aber Hans Ferdinand wollte lieber in Breslau bleiben, obwohl ihn nur das Erteilen von Privatstunden und die Unterstützung einiger Turnanhänger mühsam leben ließ. Er plante allerdings für den Sommer, eine Wanderung durch Deutschland zu unternehmen und dabei die verstreuten Turnfreunde zu besuchen.» Am 7. Juli 1819 ließ das Ministerium dann doch von sich hören, aber Maßmann sah sich für seine Willfährigkeit bitter belohnt Denn er sollte sich nach Magdeburg begeben 47 48 49 50 51 52 53

Brief an Dane, 26.V.1819. In: H. Nöthe: H.F. Maßmann in Magdeburg. DTZ 1902, S. 135. [Anonym:] Die Säulen in der Kirche zu Königslutter. Wöchentliche Nachrichten 3 (1817), S. 361-62. Brief an Hoffmann von Fallenleben, 17.VÜI.1824. SB PK. Brief an Dürre, 26.V.1819. Zitat nach Rudkowski: Turnfehde, S. 60. Brief von Johann Karl MaBmaim, 28. V. 1819. ZSAM/M.3, Bl. 21. Brief an Salomon, Mai 1819.

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und dort unter Aufsicht Gymnasialunterricht erteilen, was seinen volkspädagogischen Zielsetzungen zuwiderlief. Schlimmer noch war, daß sein dortiger Lebensunterhalt ungesichert blieb, d.h. Maßmann sollte sich durch Privatstunden selbst ernähren. Wie ihm das, ortsfremd, auf Anhieb gelingen sollte, blieb dahingestellt, zumal seine politische Verdächtigkeit hinzukam. Maßmann versuchte daher alles, um das Ministerium milder zu stimmen und zu einer Unterstützung zu bewegen. Nachdem er "ganz unterthänigst für die mir von seiner Majestät zugesicherte Vergebung" gedankt und "schuldigen Gehorsam" versprochen hatte, legte er Leumundszeugnisse über sein gewandeltes Betragen vor und konnte dabei sogar auf Äußerungen der Turnfeinde verweisen, namentlich auf Steffens, der mit Raumer in einem Haus wohnte. 1818 hatte er diesen Hauptgegner der Turner allerdings noch als "Stiefhans" verspottet, als einen "vor der Geburt gefallene(n) Engel, gefallen in den Pfui der Eitelkeit, Selbstichheit, des Ichthums"« Jetzt bat er um eine Unterstützung des Ministeriums, dessen neues Vertrauen er durch "strenge Berufstreue" zu verdienen versprach: "Gott weiß, wie ungern ich diese Bitte thue, um wieviel lieber ich mir wie früher durch das mühsamste Unterrichten der Kinder mein Brot verdiente".53 Auf die notgedrungene Selbstdemütigung des Schulcandidaten Maßmann antwortete das Ministerium zwei Wochen später huldvoll mit einem PostFreipaß - Maßmann besaß nicht einmal die Mittel für die Reise - und mit einer Zuwendung von 60 Talern. Außerdem wurde Maßmann versichert, daß er auf weitere Unterstützung hoffen könnte, wenn er auch weiterhin so um Besserung bemüht bleiben würde. Mit diesem Schreiben vom 3. August 1819 hätte Maßmann seine Zukunft schon wieder etwas rosiger betrachten können.56 Aber da waren schon die Demagogenverfolgungen über ihn hereingebrochen.

2. Die Jagd beginnt Mit dem Frühjahr 1819 trat der Polizeidirektor im Ministerrang Karl von Kamptz an die Spitze einer Untersuchungskommission, die allein dem König unterstellt war und drohende Umsturzgefahren von Preußen abwenden sollte. Kamptz,57 der schon seit dem Wartburgfest den 54 55 56 57

Brief an W. Wesselhöft ohne Datum. MCUC-TW, § 170. Eingabe an das Ministerium 14.VII.1819, ZSAM/BB.5, Bd 1, Bl. 373: "Leider habe ich durch das, was ich auf der Wartburg gethan, meinem guten Ruf geschadet, und so muß ich nothgedmngen Alles thun, um diesen wieder festzustellen". Ebd. Bl. 388. ADB XV, S. 66-75.

Ζ Die Jagd beginnt

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Altdeutschen Verschwöreipläne nachzuweisen suchte, ging mit Genugtuung an seine Aufgabe, unterstützt von einer "Rotte von Verworfenen und Verblendeten", wies es Treitschke grimmig ausdrückte, und so begannen jene "albernen Sünden der Demagogenjagd",58 deren Opfer auch Hans Ferdinand Maßmann wurde. Kamptz fiel es nicht schwer, aus den opferdürstenden Freiheitsträumen der Altdeutschen höchste Staatsgefahren zu konstruieren. Ein weiterer Mordversuch an dem nassauischen Staatsrat von Ibell durch einen FollenGenossen am 1. Juli 1819 forcierte die Ermittlungen. Am 13. Juli wurden Jahn und Arndt verhaftet, Durchsuchungen und Verhöre vorgenommen, die zu weiteren Verhaftungen führten. Während Arndt am nächsten Tag wieder frei kam, konzentrierten sich die präventiven Willkürakte auf Jahn und seine verbalradikale Schülerschaft Da wegen drohender Statsgefahren geheim ermittelt wurde, gab es keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Am 16. Juli 1819, zwei Wochen vor seiner Breslauer Begnadigung, wurden auch Maßmanns Papiere beschlagnahmt und an Kamptz geschickt "A) Briefe, B) Akademische Aufsätze, C) gedruckte und geschriebene Lieder und Gedichte", wie im Begleitschreiben gemeldet wurde.59 Einen Teil seiner Korrespondenz hatte Maßmann vermutlich vorher noch vernichten können, einen Brief von Franz Lieber versuchte er vergeblich in der Hosentasche zu verbergen. Maßmanns Freund Lieber, einer der engagiertesten und kompromißlosesten Jahnanhänger, hatte mit den Goldsprüchlein aus Vater Jahns Munde, die er aus den Tiraden seines Vorbildes mitgeschrieben hatte, eine der Hauptquellen geliefert, aus denen sich die Kommission Jahns Hochverratspläne zusammenreimte. Kamptz glaubte zudem, daß er selbst von den Turnern als Anschlagopfer ausersehen war. Dabei hätte sich Jahn am liebsten schon 1817 aus der Tumbewegung zurückgezogen, seine Bewerbung um eine germanistische Lehrtätigkeit an der Universität wurde jedoch abgelehnt. Während Hardenberg damals aber noch Anteil an ihm nahm, wurde er jetzt für Jahre in Untersuchungshaft genommen, obwohl nichts Konkretes gegen ihn vorlag. Allerdings konnte jeder Ausspruch in den Briefen seiner Jünger ihn neu belasten, und das war auch der Sinn der vielen Haussuchungen. Für Maßmann war die Lage ganz ähnlich. Er mußte nicht nur mit der Verdächtigkeit seiner eigenen Papiere rechnen, sondern jede Verbindung, die er mit anderen Verdächtigen unterhalten hatte, konnte jederzeit als Teil eines Hochverratsplanes ausgelegt werden. Auch wurden in Berlin die Papiere von Wilhelm Wesselhöft beschlagnahmt, dem Maßmann bei 58 59

Treitschke: Geschichte ΙΠ (4. Aufl. 1896), S. 433. ZSAM/M.3, Bl. 4.

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Π. ' Demagogenjahre'

seinem Weggang von Jena einen Teil seiner Burschenschaftsmaterialien überlassen hatte. Maßmann kam erst jetzt wirklich in ernsthafte Schwierigkeiten. Kamptz durchstöberte die Maßmannschen Papiere und gab am 30. Juli 1819 die Anweisung nach Breslau, Maßmann darüber zu verhören, und wenn er nicht Folge leisten würde, in Zivilarrest zu nehmen.60 Gleichzeitig überschickte er eine Liste mit 56 Fragen, die an Maßmann gestellt werden sollten. Sie bezogen sich nicht nur auf die beschlagnahmten Schriftstücke, sondern auch auf das Wartburgfest. Daraus wird ersichtlich, daß Kamptz keine Kenntnis von dem Ermittlungsverfahren des Kultusministeriums besaß, das schon fast ein Jahr zurücklag. Das Verfahren, mit dem Kamptz zu seiner Verschwörungsfiktion kam, war denkbar einfach. Wo immer er auf umstürzlerische Reizwörter wie "Kampf', "Opfer" usw. stieß, machte er Anstreichungen oder ließ "citissime" Auszüge anfertigen, die dann auch in die Akte des Absenders kamen. Hatte er noch keine, wurde er unter die Verdächtigen aufgenommen, seine Papiere durchsucht, Reizwörter ausgezogen, und schon ergaben sich neue Verdachtsmomente. Auf diese Weise entstand ein unentwirrbares Netz von Querverbindungen, die bei der reizwortreichen Schwärmersprache der altdeutschen Jugendelite leicht an einen drohenden Aufruhr denken lassen konnten. Zudem spielten die Follenschen Unbedingten in Jena tatsächlich mit solchen Ideen, von denen auch ihr Liederbuch Freye Stimmen frischer Jugend wimmelte, das 1819 nach seinem Erscheinen in Preußen sofort verboten wurde. In diesem Band stand auch Maßmanns Turnwanderlied mit dem Verfasserzusatz: "der die unsaubem Bücher verbrannt hat auf der Wartburg."« Die Untersuchungen gegen Maßmann brachten jedoch keine Veibindungen zu Folien zutage.62 Aus dem Extrakt der verdächtigen Stellen, das Kamptz aus Maßmanns Papieren zusammensammelte, wird deutlich, mit welcher bürokratischen Beschränktheit die Jagd auf die Demagogen vor sich ging, ganz wie sie der Dichter und Richter am Berliner Kammergericht, E.T.A. Hoffmann, selber zur Demagogenjagd verdammt, in seinem Meister Floh karikiert hat 63 So hatte Franz Lieber über die Seelenqualen Wilhelm Wackernagels 60 61 62 63

Ebd. Bl. 2f. Eine teilweise irreführende Darstellung der weiteren Geschehnisse bei Müller: Maßmann, S. 294ff. Folien: Freye Stimmen, S. 11. Eine Beziehung zu Kail Folien ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil Maßmanns Freund Robert Wesselhöft mit dem größten Teil der Jenaer Burschenschaft in Opposition zu Folien stand. Hoffmann verspottete in seinem Meister Floh im 4. und S. Abenteuer Kamptz als "Geheimen Hofrat Knanpanti" und geriet dadurch selber in Schwierigkeiten. Vgl. L. Wawrzyn: Staatsschutz um 1819 - Der Staat als Mitautor einer Satire E.T.A. Hoffmanns. In: E. Knödler-Bunte (Hrsg.:) Normalzustände. Beilin (West) 1978, S. 68-83.

2. Die Jagd beginnt

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geschrieben: "Ein solcher Kampf verzehrt bald alle Lebensfrische".6* Dazu notierte Kamptz am Rand: "Welcher Kampf?" usw. Das einzige beschlagnahmte Schriftstück Maßmanns, das radikale Aussagen enthielt, war ein Aufsatz mit dem Titel Schmalzgesellen, der höhnisch über die Berliner Turn- und Freiheitsfeinde herzog. Selbst dieser Aufsatz zeitigte keinerlei konkrete Absichten, zum Aufruhr anzustiften. Die Schmalzgesellen wurden als "feige schmutzige Gesellen" mit einem Schwall von Schimpfworten überschüttet, sie hätten "die Menschheit verraten durch Schweigen über Zwingherrnschaft und Wüthrichsschalten", was sich vermutlich auf die Franzosenzeit bezog, sie "stellten Herrendienst über Gottesdienst" und behaupteten, "die Völker seien den Fürsten zum Spielball oder Willkühr und Laune gegeben".« Gerade aus diesem Pamphlet wird deutlich, daß die Attacke sich nicht gegen die Monarchen, sondern den aristokratischen Privilegiengeist in Regierung und Verwaltung richtete. Denn Maßmann forderte, die Rede des Freiherrn von Gagern Über Vertagung der Bundesversammlung [...]den Höchsten im Volke vorzulegen, damit sie erkennen lernen, daß die ObskuranthenParthey und ihre Sachwalter es eigentlich sind, die darauf ausgehen, die Fürsten und Völker zu trennen, damit sie selber wieder im Diistem dahin gelangen, Fürsten und Völker nach ihrem Dünkel und Nutzen zu leiten und auf deren Kosten zu leben.64·

Kamptz, der sich durch ein Mordkomplott der Jahnturner bedroht glaubte, mußte bei der Schlußformel wieder aufhorchen: "wir jungen Leute, die wir Liebe der Wahrheit und des Vaterlandes bis in den Tod haben".67 Maßmanns Situation verschärfte sich, weil unterdessen auch die Papiere seines Freundes Eduard Dürre beschlagnahmt worden waren. Darin fand sich ein Brief Maßmanns vom Mai 1819, in dem er schwärmerisch seine Zukunftspläne schilderte und dabei auch auf Sand einging, dessen Todesbereitschaft ihn sehr beeindruckt hatte: Ich bin seit der Wartburgfahrth gewaltig durch Gottes Gnade gefördert; das Hinziehen zu Raumers [...], Sand's That, haben tief in mein Inneres gegriffen, wie in die Seiten eines verstimmten Hügels und haben mich aufgerafft und gewaltig vorwärtsgetrieben [...]

schrieb er bewegt und dann noch etwas ausführlicher zu Sands Opferbereitschaft: Sand's groBe Liebe hat mich ergriffen und geläutert, es ist mir durch Mark und Bein

64 65 66 67

ZSAM/M.3, Bl. 11. Weitere Beispiele bei Müller Maßmann, S. 295f. Ebd. Bl. 12f. Ebd. Ebd.

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Q. ' Demagogenjahre'

gegangen, wie elend ich gegen ihn bin, wie's mir noch gewaltig fehlt, um treu und wahr zu sein wie Sand, und rein wie er, um so rein aus dem Leben gehen zu können.®

Die Entschlossenheit, mit der der rührend naive Vaterlandssohn Sand ans Werk gegangen war, um seinen kaltblütigen Mordplan auszuführen, löste damals in breiten Volkskreisen einen erstaunlichen Kult aus, umso mehr mußte er den freundschaftlich verbundenen Maßmann beeindrucken. Der überwiegende Teil des Briefes handelte aber von Maßmanns Hinwendung zur Volkspädagogik, und da hieß es explizit: "Ich will mich begeben mein Leben lang in die Kinderwelt, die das Reich Gottes ist [...]. In diesen will ich dem Vaterlande leben und sterben. Und so ihm lohnen, was ich ihm schulde."« Aber war nützte es Maßmann, wenn er sich in seinem Brief über "naturgemäßes wahrhaft menschliches und christliches frommes Aufleben des kommenden Geschlechts" ausließ, die Kamptzsche Kommission kam zu einem ganz anderen Schluß. Maßmanns briefliche Äußerungen stellten ihn "als einen dem Publiko äußerst gefährlichen Menschen dar, der mit innerer Feststellung des Vorhabens umgeht, eine, der Sandschen That ähnliche auszuüben".70 Dazu wurde noch auf eine (mißverstandene) Briefstelle Wilhelm Wesselhöfts verwiesen, die angeblich "den Maßmann mit Sand in Parallele stellt".71 Schließlich fanden die preußischen Rasterfahnder noch ein sophistisches Verdachtsmoment hinzu: "Die bei ihm selbst vorgefundenen Papiere vermindern den hiernach gegen Maßmann schwebenden Verdacht nicht allein nicht; sondern verstärken ihn auch um so mehr, als man annehmen muß, daß er wahrscheinlich den größten Theil seiner Papiere vernichtet hat".72 Vieles spricht dafür, daß E.T.A. Hoffmann diese Vergewaltigung des Rechtsempfindens in seinem Meister Floh verarbeitet hat, da sie an satirischem Gehalt nicht mehr zu überbieten war. Die Überlegung, ob Maßmann, wenn er wirklich eine solche Tat vorgehabt hätte, sich darüber in seinen Papieren ausgelassen hätte, beschäftigte auch den Polizeiminister Wittgenstein nicht, der sich dem Votum der Kommission anschloß, Maßmann als einen "dem gemeinen Wesen äußerst gefährlichen, des Vorhabens einer Mordthat verdächtig erscheinenden Mensch(en), sofort in Verhaft zu nehmen".73

68 69 70 71 72 73

Briefen Dürre, 26[?].V.1819. Nöthe: Maßmann, S. 134f. Ebd. ZSAM/M.3, Bl. 15. Vgl. Müller: Maßmann, S. 297. Der besagte Brief von W. an R. Wesselhöft, 20.VI.1819, befindet sich in ZSAM/R. 77, XXI, Lit. W, Nr. 2. Bd 1, Bl. 125. ZSAM/M.3, Bl. 15. Ebd.

2. Die Jagd begirmt

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Die Kommission hatte also die Hoffnung, nach soviel vergeblichem Wiibel endlich eine konkrete Spur gefunden zu haben. Maßmann drohte eine strenge Vernehmung in der berüchtigten Hausvogtei, wo er wegen seiner Wartburgschrift sicherlich ins Schwitzen geraten wäre. Aber die Sache ging zur letzten Entscheidung dann doch noch zum Staatskanzler Hardenberg, der wiederum den Innenminister Schuckmann einschaltete. Schuckmann kam zu dem Schluß, daß für einen solchen Schritt die Beweislage nicht ausreichte. Stattdessen forderte Schuckmann den Breslauer Oberpräsidenten Merckel auf, durch Verhör und Beobachtung herauszufinden, ob Maßmann ein Anhänger Sands oder nur ein hochgradiger Schwärmer sei.74 Damit war die schlimmste Gefahr für Maßmann erst einmal abgewendet, denn trotz der strengen Rüge in der Turnfehde blieb Merckel seiner Überzeugung treu, und sein Polizeichef Streit folgte dieser Linie. Auf den ersten Vemehmungsbefehl meldete er Kamptz, Maßmann sei gerade für 14 Tage ins Gebirge gegangen. Da Maßmann eigentlich auf eine Nachricht des Kultusministeriums wartete, war er vermutlich gewarnt worden. Erst vier Wochen später, am 30. August 1819, meldete Streit dann Maßmanns Rückkehr und seine Weigerung, auf die Kamptzschen Fragen zum Wartburgfest zu antworten. Maßmann hatte darauf verwiesen, daß er bereits früher verhört und schon vom König begnadigt worden war. Inzwischen verhörte Merckel Maßmann über den Dürre-Brief. Maßmann erklärte Sands Tat für verwerflich, und Merckel kam zu dem Schluß, Maßmann "sei weder ein gefährlicher Mensch noch ein veriirter Schwärmer".75 Als nächstes bekam Kamptz von Streit das Protokoll einer Vernehmung übersendet, die am 8. September 1819 vorgenommen worden war. Wenige Tage später meldete sich Streit ein zweites Mal mit der Information, er habe Maßmann "aus Versehen" die falschen Fragen gestellt.76 Mittlerweile hatte Maßmann das Kultusministerium über die Verzögerung seiner Abreise informiert, und dieses intervenierte beim Innenminister.77 Daraufhin erhielt Altenstein vom Innenminister eine Kopie des Dürre-Briefes, um ihn bei der weiteren Behandlung Maßmanns zu berücksichtigen, und kurz darauf die Mitteilung, Maßmanns Abreise stünde nun nichts mehr im Wege. Auf diese Weise entging Maßmann der Beantwortung der 56 Fragen von Kamptz. Dieser Ablauf macht deutlich, daß Kompetenzenwirrwar und Rivalitäten in der Staatsverwaltung die Effektivität der Demagogenfahndung verringerten oder gar, durch Sympathie mit den Verfolgten, vereitelten. 74 75 76 77

Ebd. Bl. 23. Ebd. Bl. 29. (3.IX.1819.) Ebd. Bl. 36 und BL 40. ZSAM/BB.5, Bd 2, Bl. 2. (13.IX.1819.)

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IL 'Demagogenjahre*

Aber schon wurden energische Schritte unternommen, um das System bundesweit zu verschärfen. Die politische Opposition sollte nicht nur in Schach gehalten, sondern matt gesetzt werden. Die Karlsbader Beschlüsse, gegen die Bedenken mancher Einzelstaaten im Frankfurter Bundestag 'einstimmig' durchgepeitscht, trafen die Liberalen und Deutschtümler im Mark: Die Burschenschaften, die sich 1818 zu einer Allgemeinen Deutschen Burschenschaft zusammengeschlossen hatten, wurden verboten, Professoren und Studenten durch Universitätsbevollmächtigte überwacht. Das Turnen wurde verboten, die Turngeräte offiziell demontiert: die Turnsperre, wie Jahn es nannte, trat in Kraft. In der Publizistik wurde eine Vorzensur eingeführt, der nur Bücher von mehr als 20 Bogen (320 Seiten) entgingen. Auch die Turn- und Burschenschaftsliederbücher wurden verboten. Wie zum Hohn auf die Patrioten wurde das verschärfte preußische Zensurgesetz am 18. Oktober 1819 verkündet Nicht minder bitter war es, daß als erste und einzige nationale Einrichtung die Mainzer-CentralUntersuchungs-Commission zur Verfolgung demagogischer Umtriebe gegründet wurde, die das preußische Fahndungssystem auf den Deutschen Bund ausdehnte. Der nationalpolitische Hoffnungsträger Preußen war nun Schrittmacher der Restauration, denn manche Staaten in Süddeutschland gingen wesentlich lauer zu Werke. Einige dieser Staaten führten sogar Verfassungen ein, woran in Preußen nun gar nicht mehr zu denken war. Joseph Görres, der Führer der rheinischen Verfassungsbewegung, floh vor den preußischen Häschern hinüber nach Frankreich, das er zuvor so heftig bekämpft hatte. Die bürgerliche Entwicklung in Deutschland war damit weitgehend lahmgelegt, der symbolische Kampf um das deutsche Vaterland ging für die Deutschtümler, - soweit sie nicht in Haft oder im Exil waren, - weiter. Denn der religiöse Vaterlandsgeist stand auf der gleichen ideologischen Stufe wie das Gottesgnadentum als Legitimation der Heiligen Allianz der europäischen Herrscher. Das Festhalten an äußerlichen Symbolen und rituellen Kommunikationsmitteln, wie dem Deutschen Rock oder geheimen Burschenversammlungen, war ohnmächtiger Trotz, enthielt aber auch ein Moment utopischen Trostes: das Vaterland im Herzen war unzerstörbar und blieb eine Bedrohung für die ängstlichen Hüter des Machtmonopols. Auch die Beschäftigung mit altdeutscher Literatur konnte Trost und Trotz vereinigen, wie ein interessantes Beispiel zeigt, das ich Maßmann zuschreiben möchte. Im letzten Band von Büschings Wöchentlichen Nachrichten erschien 1819 eine kleine Miszelle ohne Herausgeberangabe, betitelt Aus Johann Rothe's Chronik von Thüringen. Es handelte sich um die Wiedergabe dreier Episoden aus dem spätmittelalterlichen Geschichtsbuch, die lediglich mit einigen Verständnishilfen versehen waren:

2. Die Jagd beginnt

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[1.] wie graf ludwig der springer gefangen ward und von giebichenstein sprang. [2.] von landgraf ludwig, dem tugendsamen. [3.] wie die waitburg verbrannte.78

Diese Auszüge enthielten versteckte Anspielungen auf die Zeitsituation, die so ganz dem Denken Hans Ferdinand Maßmanns entsprachen. Vermutlich ist er durch das Handbuch der deutschen Prosa darauf aufmerksam geworden, das sein deutschtümlicher Turnfreund Pischon 1818 in Berlin herausgab und das zwei der Episoden schon enthielt.79 Zu der Erzählung vom Giebichenstein paßte, daß Karl von Raumer von Breslau nach Halle versetzt worden war und nun in Giebichenstein wohnte. Die Schilderung Ludwigs des Springers entsprach dem Bild, das in Maßmanns Kreisen von den körperkräftigen Herrschern des Mittelalters gezeichnet wurde. Ludwig der Springer erscheint als ein früher Turner und als solcher zugleich als Gegenbild zu den gegenwärtigen turnfeindlichen Fürsten. Dabei tauchte wieder das altdeutsche Sittlichkeitsideal der Burschenturner auf: Er was schemig mit Worten, gezuchtig mit sinen Geberden, reinlich und kusch mit sinem Libe, warhaftig mit siner Rede, getruwe in siner Frundschaft, torstlich (kühn) mit sime Rathe, und menlich in sime Widersatze (Widerstand) [...] gerecht mit sime Gerichte [...].80

Auch die Wartburg-Episode hatte Spiegelfunktion für die Restaurationszeit. Das Niederbrennen der Wartburg nach Blitzschlag und der herrliche Wiederaufbau hinterher, konnte leicht auf das Ende der Wartburghoffnungen gedeutet werden, mit der Aussicht auf spätere glückliche Wendung. Zudem wurde für das Jahr des Blitzschlages "tusent dreihundert und sibenzen" angegeben, also genau 500 Jahre vor dem Wartburgfest.«1 Die eschatologische Gleichsetzung analoger Geschichtsdaten war typisch für den religiösen Patriotismus. So hatte Maßmann in seiner Selbstvertheidigung den Siegestag der Leipziger Schlacht beschrieben als den "18. October [...], wo die Landwehr so siegreich stand, vier Tage nach dem 14. October [1806], wo ein stehendes Heer in die Flucht geschlagen ward".82 Der Schluß der kleinen Wartburgerzählung konnte geradezu triumphierend auf die restaurativen Verhältnisse übertragen werden. Denn einst war die Wartburg [...] eine forstliche Wonunge, und lag mitten in dem Lande, do Doringen und Hessen ein Herschaft was; nu ist es komen an des Landes Ende, und sin edeler Berg ist den Fürsten zu hoch nu worden.83 78 79 80 81 82 83

[Anonym:] Aus Johann Rothe'ι Chronik von Thüringen. Wöchentliche Nachrichten 4 (1819), S. 218-221. F.A. Pischon (Hrsg.): Handbuch der deutschen Prosa. Th. 1. Berlin 1818, S. 32ff. Johann Rothe, S. 220. Die Erklärungen in runden Klammem stammen von MaBmaim. Ebd. SA Weimar, A 8701, Bl. 14. Johann Rothe, S. 220f.

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IL ' Demagogenjahre'

Zu Maßmanns Zeiten war allein Thüringen unter fünf Souveräne aufgeteilt. Solch augenzwinkernde altdeutsche Selbstverständigung war natürlich für die Zensurbürokratie unbegreiflich, konnte aber auch nur die echten Kenner erreichen. Anders war es mit dem Deutschen Rock und dem langen Haupt- und Barthaar. Das waren Erkennungszeichen, die keinem Verfolger verborgen blieben und die den preußischen Staatsdienern verboten wurden. Maßmann hielt auch jetzt an seinem altdeutschen Outfit fest, obwohl ihn das Ministerium noch einmal zu einem tiefgreifenden Gesinnungswandel ermahnte, wollte er doch "das hochwichtige Amt des Jugendlehrers" übernehmen.84 Daß Maßmann sich nicht scheute, gekleidet ä la Sand den Marsch durch die Institutionen anzutreten, zeigt die Bedeutsamkeit symbolischer Darstellungsmittel für sein politisches Selbstverständnis, während er keine Hemmungen hatte, gegenüber den Behörden seine "freie" Burschensprache aufzugeben und zu subalternen Verhaltensmustem zu greifen. Maßmann hatte also keine Angst, durch den Gebrauch einer unterwürfigen Sprache sein deutschtümliches Mannestum zu korrumpieren, da die äußerlichen Symbole die Intaktheit des Vaterlandsglaubens ausreichend bestätigten. In Magdeburg sollte Maßmann von dem Konsistorialrat Matthias, dem Direktor des Domgymnasiums, ein halbes Jahr lang streng beobachtet werden.8* Matthias quartierte ihn deshalb bei seinem Schwager, einem wohlhabenden Kaufmann, ein. Maßmann, der sich vorgenommen hatte, mit "Wasser und Brot" auszukommen, sah sich zu einer teuren Lebenshaltung genötigt und war Ende 1819 bereits mit 100 Talern verschuldet. Auch der Lateinunterricht konnte ihn nicht befriedigen. Zwar wollte ihm Matthias im neuen Jahr auch Elementarunterricht übertragen, und das Kultusministerium gewährte ihm wegen guter Führung eine Gratifikation von 100 Talern. Aber es ließ doch gleichzeitig verlauten, Maßmann habe es "als eine ganz besondere Berücksichtigung zu betrachten, daß ihm eine solche Gelegenheit Beweise seiner Sinnesänderung vorzulegen, eröffnet worden ist."86 Er sollte also in Zukunft sehen, wie er durch "außerordentliche Anstrengung" zu den nötigen Mitteln käme. Als Maßmann am Jahresende einen Besuch bei Raumer in Giebichenstein machte, wo er auch seinen Bruder traf, entschloß er sich, nicht wieder nach Magdeburg zurückzukehren. Matthias teilte er am Silvester 1819 mit, er wolle sich ganz dem Volksschulwesen widmen: "Mein Sinn steht und stand von jeher dahin, in die untersten Weikstätten des Lebens, in die Hütten der Armut mich zu begeben, da zu lernen und zu helfen nach Kräften."87 84 85 86 87

ZSAM/BB.5, Bd 1, Bl. 64. Eine Darstellung aus den Quellen bei Nöthe: Maßmann. Altenstein an Matthias, 12.XI.1819. Ebd. S. 136. Brief an Matthias. Ebd. S. 158.

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Maßmann lag mit seiner Einschätzung, daß ihn Magdeburg in dieser Hinsicht nicht weiterbringen würde, völlig richtig. Denn der zuständige Oberpräsident von Bülow hatte auf Anfrage nicht nur jegliche finanzielle Unterstützung für Maßmann verweigert, sondern am 28. Dezember zugleich seine Berücksichtigung im Volks- und Bürgerschulwesen rundweg abgelehnt, "wegen der Tendenzen, welche der p. Maßmann früher gezeigt, und wegen der ganz besonderen Richtung, welche seine geistige Bildung genommen hat."« Bei Aufkündigung der unwürdigen Verhältnisse in Magdeburg hatte Maßmann auch verlauten lassen, daß er bei seinen armseligen Lebensverhältnissen wenigstens über seinen Bildungsweg frei bestimmen wollte. Dafür gab er seine letzte Möglichkeit auf, Gnade bei den preußischen Staatsorganen zu finden. Aber auch jetzt sah er sich noch Nachstellungen ausgesetzt, die seinen Lebensplan unmöglich machten. In Giebichenstein bei Raumer erlebte Maßmann für kurze Zeit noch einmal die Solidarität eines gleichgesinnten Kreises, die er in Magdeburg so schmerzlich vermißt hatte. Denn diese verschlafene Provinzstadt ohne universitäre Bildungseinrichtung war bewußt als Besserungsort ausgewählt worden, um Maßmann von seinen Bildungsgenossen zu isolieren. Selbst der Umgang mit den Gymnasiasten wurde ihm außerhalb der Schulzeiten verboten. Nur in den Gesangsstunden, die er sich von seinem spärlichen Taschengeld leistete, kam er mit einigen zusammen. An einigen Wochenenden konnte er Robert Wesselhöft besuchen, der in der Nähe als Gerichtsassessor tätig war. Diese genau beobachteten Exkursionen Maßmanns zu einem alten Burschenschaftsfreund wurden als harmlos eingestuft; 89 1824 kam Robert Wesselhöft wegen Hochverrats in mehrjährige Haft.90 Sein Bruder Wilhelm in Berlin war Ende 1819 bereits verhaftet Unter seinen Papieren befand sich Maßmanns turnhistorische Verfassungsurkunde von 1816. Obwohl der Kultusminister Altenstein diesen Plan für völlig utopisch hielt, wurde Maßmann für die Fahnder dadurch wieder interessant.91 Und es braute sich noch mehr zusammen. Anfang Januar 1820 verließ Maßmann noch wohlgemut Raumer, um bei dessen Freund Gotthilf Heinrich Schubert in Erlangen seine mineralogischen Studien fortzusetzen. Währenddessen meldete der Bürgermeister von Magdeburg, Francke, aufgeregt an Bülow in Berlin, Maßmann habe sich heimlich aus Magdeburg

88 89 90 91

Ebd. S. 159. ZSAM/BB.5, Bd 2, Bl. 85. Vgl. E. Galley: Heine und die Burschenschaft. Heine-Jahibuch 1972, S.81f. Altenstein an Schuckmann und Kircheisen, 25.X.1819. ZSAM/BB.5, Bd 2, Bl. 38. Die Mainzer Kommission widmete dem Verfassungsplan mehrere Seiten, ohne recht schlau daraus zu werden. MCUC-TW, § 90-92.

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weggeschlichen. Das stimmte durchaus nicht, denn Maßmann hatte sich von seinem Aufpasser Matthias und vom preußischen Kultusministerium offiziell verabschiedet und sogar seine Erlanger Studienabsichten mitgeteilt Das Kultusministerium hatte dagegen nichts einzuwenden, denn Maßmann stand ja in keinem staatlichen Dienstverhältnis. Darüber wurde Bülow auch vom Kultusministerium unterrichtet, als er Franckes Meldung weitergab.'2 Bülow oder Francke gaben diese Information nach außen weiter, denn kurze Zeit später war in einer Nürnberger Zeitung die denuntiatorische Nachricht zu lesen, Maßmann habe Magdeburg verlassen, um den Ruf einer auswärtigen Universität anzunehmen.»3 Ob es sich dabei um eine absichtliche Verzerrung handelte oder nicht, die Erlanger Polizeibehörde war bereits informiert, als Maßmann dort nach anstrengender Fußwanderung durch den bitterkalten Winter ankam. Als Legitimation konnte er nur einen Paß aus Weimar vorweisen, der ihn als wohnhaft in Magdeburg auswies und keinen Grund für die Reise angab. Deshalb wurde Maßmann am 18. Januar 1820 dazu verdammt, nach Magdeburg zurückzugehen und mit einem Paß von dort wiederzukehren. Wie Maßmann in einem späteren Brief mitteilte, war der eigentliche Betreiber dieser Ausweisung der Überwachungsbeamte der Erlanger Universität94 Dieser Universitätsbevollmächtigte Freidel machte auch Meldung an die bayerische Regierung, die daraufhin Maßmanns Kurzaufenthalt in Nürnberg auskundschaften ließ, wo sich Maßmann bei seinem Freund Heinrich Dittmar aufgehalten hatte. Der Nürnberger Polizeikommissar berichtete mit humanitärer Anteilnahme über Maßmann. Dieser habe offen seine Lebensverhältnisse dargelegt und [...] konnte nur Mitleid und Bedauern erregen. [...] Nach der Art, wie er sich hier benommen, scheint er nichts weniger als gefährlich und bösartig und man hätte glauben sollen, daß er durch eine angemessene Beschäftigung, die ihm zugleich seinen Unterhalt gewährte, aus einem verirrten Teutonen in ein brauchbares Mitglied des Staates sehr leicht anzuschaffen wäre. 95

Maßmanns Erlanger Ausweisung wurde auch wieder nach Magdeburg gemeldet Der Magdeburger Bürgermeister fragte daher sofort wieder bei Bülow an, welche Maßregeln getroffen werden sollten, wenn Maßmann wieder nach Magdeburg käme, "zur Behinderung einer nochmaligen Entfernung von dort".96 Dabei wußte dieser selbstemannte Demagogenjäger 92 93 94 95 96

ZSAM/BB.5, Bd 2, Bl. 68ff. Ebd. Bl. 82. Briefen Göschen, 6.DC.1822. UB Leipzig. Β HS Α Π, ΜΑ 7678/3. (26.VII.1820.) ZSAM/BB.5, Bd2, Bl. 81. (Bülow an Altenstein, 4.Π. 1820.)

2. Die Jagd beginnt

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nichts Nachteiliges über Maßmanns Magdeburger Zeit berichten, als ihn Altenstein um Auskunft darüber bat.97 Maßmann kehrte nicht in die Elbstadt zurück, forderte aber später noch ein Zeugnis über seine dortige Lehrertätigkeit von seinem Direktor Matthias, das dieser ihm in positiver Form ausstellte.»

3. 'Ich hab' mich ergeben': lyrische Bewältigungsversuche Die Drangsalierungen, denen Maßmann seit 1819 ausgesetzt war, konnten seine patriotische Grundhaltung nicht erschüttern. Im Gegenteil: Gerade unter den Bedingungen der Restauration suchte er Trost im Glauben an das Vaterland des Herzens, das die Befreiungskriegsdichter zuerst beschworen hatten." Auch er griff nun zur Lyrik, um diese Krisenzeit der Verfehmung und Verfolgung zu bewältigen. Auf der Hin- und Rückreise nach Erlangen, vollkommen allein und mittellos, bei klirrendem Frost und morastigem Tauwetter, diente ihm ein lyrisches Tagebuch zur Selbstvergewisserung und Ermutigung.100 Obwohl es nicht erhalten ist, existieren genug poetische Dokumente, um sich ein Bild von seiner Lage zu machen. Trotz seiner schwierigen Lage ließ es sich Maßmann nicht nehmen, auf dem Hin- und Rückweg auf der Wartburg Station zu machen und sich bekenntnishaft in das dortige Stammbuch einzutragen. Als die Berliner Demagogenkommission davon erfuhr, ließ sie sich sofort Abschriften davon anfertigen.10! Interessant ist besonders das folgende Gedicht, das einen Schlußakkord unter Maßmanns frühes burschenturnerisches Engagement setzt. Es thematisierte noch einmal die beiden großen Antriebskräfte der jugendlichen Nationalbewegung, das Gruppenbewußtsein der WirHaltung und die Freiheitssehnsucht, beide aber schon zurückgenommen und ins Religiöse transzendiert. Auch die vorzeitlichen Identifikationsfiguren tauchen noch auf, aber Rettung bringen kann allein der vaterländische Gott: Vaterland der alten Eichen, Deine Freiheit ist verwirkt! Gott, wann wird dies Wetter weichen. Das den Tag des Herrn verbirgt?

97 98 99 100

Ebd. Bl. 85. (7.Π.1820.) Nöthe: Maßmann, S.159f. Vgl. H. Zimmer Auf dem Altar des Vaterlands. Frankfurt/M. 1971, S. 23ff. Brief an Robert Wesselhöft, 9.1.1822 (Abschrift). ZSAM/M.3, Bl. ("Wintertagebuch"). 101 Ebd. Bl. 112f. Mit einigen Ungenauigkeiten bei Müllen Maßmann, S. 299.

158-160

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Π. ' Demagogenjahre' Biedermänner sind gefangen. Deine Jugend ist verfolgt; Ach wir harren mit Verlangen, Daß dein Himmel wird entwölkt. Tag des Friedens, Tag der Sühne, Gottestag der Freiheit kommt Gott, erwecke Helden kühne, Herrmann, Siegfried, Seelen fromm. Traun, dein goldner Freiheitsmorgen Und der seel'ge Tag des Herrn, Vaterland, bleibt nicht verborgen Bald erglüht dein Morgenstern. Herrlich wirst du auferstehen. Frommes, heil'ges Volk des Herrn; Wenn die kalten Schauer wehen, Ist das Morgenroth nicht fem. 102

Die Fülle der Exklamationen und Appelle erweckt den Eindruck von Aktivität, aber die 2. Strophe gibt unzweideutig Auskunft darüber, daß die historischen Subjekte zu leidendem Verharren verurteilt waren. Zwar konnte das Vaterland im Herzen weiterexistieren, aber die Hoffnung ruhte weniger auf den jugendlichen "Hütern" und "Streitern", als auf dem durch Gott gewährten ewigen Wandel der Dinge. Die religiös konnotierte Wetteimetaphorik war von Maßmann aggressiv-optimistisch schon in seiner Wartburgfestbeschreibung bemüht worden, jetzt benutzte er sie sehnsuchtsvoll-trostspendend. Auch wandte sich Maßmann jetzt mehr dem verinnerlichten Freiheitsbegriff Schenkendorfs zu, als dem heldischen Körners und Arndts: das "fromme, heiige Volk" des Herrn kann sich seine Freiheit nicht selbst erkämpfen, sondern muß sich den Himmel durch ein politisches Wunder "entwölken" lassen. Welche Rolle die frommen und kühnen Heldenseelen dabei übernehmen sollten, bleibt unklar, gibt dem Text aber eine religiöse Weihe. Der Versuch, aus dem Rückzug in die religiöse Innerlichkeit politischen Trost zu schöpfen, wird auch an den Prosasprüchen erkennbar, die Maßmann auf seinem Rückweg in das Wartburgstammbuch eintrug. Illustriert mit einer Skizze der Wartburg, hinter der die Strahlen der aufgehenden Sonne erkennbar werden, sind mehrere Sentenzen zu lesen, die allesamt um das Wirken Gottes kreisen: Herr, Du führst die Deinen wundersam. Wen Du aber lieb hast, den suchst Du heim. Herr, suche Dein Volk heim. Gott verläßt keinen Deutschen. Meinem Heiland und meinem deutschen Vaterlande treu bis in den Tod! 102 Ebd. Bl. 113.

3. 'Ich hab' mich ergeben'

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Ein Gott, eine deutsche Kirche, ein deutsches Volk, ein deutsches Reich! Wo der Geist des HErm ist, da ist Freiheit. Die Wahrheit wird uns frei machen. HErr, heilige uns in Deiner Wahrheit! Getrost, die Hand des HErm bleibt nicht aus! 103

Schließlich die biographische Notiz von diesem 3. Februar des Jahres 1820: Von Erlangen verwiesen kam ich hier in Eisenach an; - und ward auch von hier verwiesen. Geleite mich Gott. Oberall verfolgt vertrieben lobe ich doch von Herzen Gott Will ihn loben, will ihn lieben, Treu ihm leben bis in TodI 104

Im Hinundhergerissensein zwischen Aggression und Regression, Revolte und Resignation, neigte sich Maßmann notgedrungen der Zurückhaltung zu, die Gott das weitere überließ. In seinem berühmten Lied Wir hatten gebauet ein stattliches Haus, das August von Binzer zur erzwungenen Selbstauflösung der Jenaer Burschenschaft im November 1819 dichtete, ließ der Dichter ebenfalls keinen Zweifel an der religiösen Überzeugungstreue: [...] Das Band ist zerschnitten (War Roth, Schwarz und Gold): Und Gott hat es gelitten. Wer weiß, was er gewollt! Das Haus mag zerfallen. Was hat's denn für Noth? Der Geist lebt in uns allen. Und unsere Burg ist Gott! 105

Der Geist der Burschenschaft sollte in den einzelnen Individuen weiterleben, die Frage war nur, wieweit dabei auch das rituell vermittelte Gemeinschaftsbewußtsein am Leben bleiben konnte. Eine negative Antwort darauf gab Maßmanns später berühmt gewordenes Lied Ich hob' mich ergeben, dessen Urfassung ebenfalls auf dem Rückweg von Erlangen entstand. Veröffentlicht hat er es allerdings erst 1823 im Teutschen Liederbuch, es ist aber durchaus wahrscheinlich, daß er im Februar 1820 Binzers Lied bereits kannte, auf dessen Strophenform und Liedweise er sich bezog.106 Die doppelsinnige Zeile Ich hab' mich ergeben, mit der Maßmanns Lied begann, stellt die Vereinzelung des Ichs ostentativ in den Vordergrund. Es konterkariert damit das zuvor beschworene Vaterland der alten Eichen, das noch von einem pluralischen Wir-Subjekt ausging. Der Verfehmte gab 103 Ebd. Bl. 112f. 104 Ebd.- Vor seiner Ausweisung aus Eisenach traf Maßmann dort Fries, der ihm über die schlimmste Geldnot hinweghalf. Brief an Fries, 3.ΙΠ.1821. UBJ/NLF. 105 DLEIH.S.61. 106 In [E. Fischer (Hrsg.):] Ternsches Liederbuch, zunächst zum Gebrauch für Hoschschulen. Stuttgart 1823, S. 267 heißt es über die Melodie: "Nach der Weise eines Thüringischen Waldliedes." Vgl. Stephenson: Lied, S. 52.

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seinem neuen Lied den Titel Gelübde, und er erläuterte darin seinen Weg in den innerlich-religiösen Patriotismus, der nur das Vaterland des Herzens als Ansprechpartner übrigließ: Ich hab mich ergeben Mit Heiz und mit Hand, Dir, Land voll Lieb' und Leben, Mein [deutsches 107 Vaterland! Mein Heiz ist entglommen. Dir treu zugewandt! Du Land der Freyen und Frommen, Du herrlich Hermannsland! Du Land, reich an Ruhme, Wo Luther erstand, Für deines Volkes Thume Reich' ich mein Heiz und Hand! Ach Gott, thu erheben Mein jung Herzensblut Zu frischem freud'gen Leben, Zu freyem frommen Muthl Laß Kraft mich erwerben In Herz und in Hand, Zu leben und zu sterben Für's heil'ge Vaterland!08

Angesichts der Zeitumstände war Maßmanns Gelübde ein erstaunliches Verdrängungskunststück, und in dieser Funktion konnte das Lied auch späteren bürgerlichen Bedürfnissen des 19. Jahrhunderts genügen, zeitweise wurde es die inoffizielle Nationalhymne der Turnerpatrioten. Selbst im 20. Jahrhundert ist eine nachhaltige Weiterwirkung festzustellen.109 Vorher mußte allerdings noch die 3. Strophe mit ihren Anspielungen auf Luther und Jahns Deutsches Volksthum verschwinden, was bereits im Jahre 1824 geschah. In diesem Jahr wurde es als Lied eines deutschen Knaben von Heinrich Dittmar in seinem Jugendlesebuch Der Lebensfrühling neu veröffentlicht, das sich um altdeutsche Literaturpädagogik bemühte. Es enthielt zahlreiche Nachdichtungen mittelhochdeutscher Minnelieder und Nacherzählungen von der Hagenscher Sagentexte. Hier wurde nun in Maßmanns Gedicht aus "wo Luther erstand" das abstrakte "Du mächtig 107 Nur in den Kommersbüchern wurde "teutsch" gesetzt. 108 Text nach Fischen Liedeibuch, S. 267-268. 109 Das Lied ist noch 1945 nach Kriegsende als Nationalhymnenersatz gesungen worden, wie aus der Hörspielkollage von E. Schnabel: Ein Tag wie morgen, 29. Januar 1947. Stuttgart 1971, S. 7, ersichtlich wird.

3. 'Ich hab' mich ergeben'

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Heldenland". Maßmann fügte außerdem noch eine zusätzliche Strophe ein, die längerfristig die Lutherstrophe ganz ersetzte: Will halten und glauben an Gott fest und frei, lieb Vaterland, will bleiben auf ewig fromm und treul110

In einer solchen fUnfstrophigen Fassung veröffentlichte Maßmann das Lied dann unter dem Titel Weihe in seiner Anthologie Wächterlieder am Rheine von 1841.1» in späterer Zeit reduzierte sich das Vaterlandsbekenntnis sogar noch zu einer vierstrophigen Version, die nur noch ein pathetisches Vexierspiel mit patriotischen Leerformeln darstellte. Die ursprüngliche Fassung des Gelübdes macht deutlich, wie Maßmann ganz auf sich selbst zurückgeworfen - die Turnerideologie unter den veränderten Zeitumständen ideologisch zu retten versuchte. "Kraft", "Freiheit", selbst die Tumerformel "frisch, fromm, fröhlich (hier "freudig") frei", haben sich erhalten, aber der Schauplatz ist nicht mehr die Öffentlichkeit, sondern die Innenwelt des Vereinzelten, in der Deutschland als "Land voll Lieb* und Leben" weiterleben kann, egal wie es in der Realität darum steht Für dieses Vaterland kann nur noch in der Vorstellung gelebt werden. Gleichwohl vermögen die Formeln "Herz und Hand" und "zu leben und zu sterben" die Identität von innerer und äußerer Realität von Wunsch und Handlungsmöglichkeiten zu suggerieren. Allein die handlungsfördernde Einheit von "Herz und Hand" wird dreimal in fünf Strophen beschworen. Wie in der Zeit der französischen Usurpation half dieser verinnerlichte Vaterlandsglaube dem Patrioten, die Hoffnung nicht aufzugeben und dem äußeren politischen Druck unerschütterlich standzuhalten. Im Falle Maßmanns wurde zugleich auch die ideologische Richtung markiert, die den Übergang vom Opferdrang des Burschenturners zur reformerischen Kleinarbeit des Pädagogen erleichterte. Es kann jedoch nicht übersehen werden, daß der Rückzug in die Innerlichkeit eines idealisierten Vaterlandes des Herzens eine gewisse Trübung der Realitätswahrnehmung verursachte, die realistische Wiikungsmöglichkeiten zu finden erschwerte. Aber wo sollte Maßmann, unter dem Druck permanenter Verdächtigkeit, solche auch finden? Nicht einmal alle seine beschlagnahmten Papiere bekam er zurück, als er von Eisenach aus darum einkam.112 Lediglich seine Zeugnisse und Kolleghefte erhielt er wieder, "die übrigen Papiere erläutern die schädlichen und verkehrten Ansichten von Burschenschaften, Turnwesen und anderen dahin 110 [Anonym:] Lied eines deutschen Knaben. In: H. D[ittmar] (Hrsg.): Der Lebensfrühling. Th. 1. Berlin 1824, S. 306. 111 Wächterlieder, S. 54. 112 Maßmann an IUC, 5.Π.1820. ZSAM/M.3, Bl. 50.

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gehörigen Gegenständen so sehr", daß sie in Staatsbesitz bleiben sollten, wie Hardenberg ihm lakonisch mitteilen ließ.113 Schlimmer noch, die preußische Untersuchungskommission gab ihr gesamtes Material über Maßmann auch an die Mainzer Zentralkommission weiter. Bei der neuerlichen Sichtung der Akten wurde entdeckt, daß Maßmann gar nicht zu den 56 Fragen von Kamptz verhört worden war, und daß in Breslau die Vernehmungen insgesamt "mit tadelnswerther Unüberlegtheit und durchaus nicht erschöpfend" geführt worden waren.114 Die MCUC bat die preußischen Behörden um ein nochmaliges vollständiges Ermittlungsverfahren gegen Maßmann, unter Heranziehung aller verfügbaren Dokumente.115 Erst jetzt wurden in Preußen Akten des Kultusministeriums hinzugezogen, auf die Kamptz keinen Zugriff gehabt hatte. Daraus läßt sich ersehen, wie bereitwillig die Mainzer Ermittlungen jetzt in Berlin unterstützt wurden. Hierdurch wurde die Lage für Maßmann noch kritischer. Die Berliner Demagogenjäger hatten keine Mühe, ihn erneut aufzuspüren. Maßmann hielt sich im Frühjahr hauptsächlich bei Raumer in Halle auf, und der Landrat von Giebichenstein hatte ihn heimlich überwachen lassen, da er seinen Aufenthalt "nicht wünschenswerth" fand.116 Von Ihm erfuhr Bülow in Berlin, daß Maßmann im März einen Paß für eine kurze Reise nach Dresden über Leipzig erhalten hatte. Am 22. April 1820 wurden nach Halle noch einmal die Kamptzschen Fragen übersendet, die jedoch um ein weiteres Hundert ergänzt worden waren. Darin ging es auch um ein Schriftstück Maßmanns, das den Behörden erst später in die Hände gefallen war. Es handelte sich um einen Aufsatz, betitelt D/e Adresse der Studenten, der vom April 1819 datierte. Er befaßte sich mit der Absicht der Breslauer Burschenschaft, sich ohne Rücksprache mit den übrigen Burschenschaften öffentlich von der Sandschen Mordtat zu distanzieren, um drohenden disziplinarischen Schritten der Breslauer Universität entgegenzuwirken. Maßmanns erstaunlich nüchtern abgefaßtes Votum dagegen ist ein Beweis dafür, daß er doch nicht so zurückgezogen in Breslau lebte, wie er das Kultusministerium Glauben machen konnte.117 Der Aufsatz trat der Absicht der Breslauer Burschenschaft mit verschiedenen Argumenten entgegen, warnte eindringlich vor einem Breslauer Alleingang, der die anderen Burschenschaften belasten mußte, die sich 113 114 115 116 117

Hardenberg an Maßmann, 29.Π. 1820. Ebd. Bl. 52. Grano an Hardenberg, 3.ΙΠ.1820. Ebd. Bl. 57. ZSAM/BB.5, Bd 2. Bl. 96-97. ZSAM/M.3, Bl. 63. Der Text war mit "HFM" unterzeichnet, was durch einen Tintenklecks unleserlich gemacht worden war.

3. 'Ich hab' mich ergeben'

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öffentlich nicht von Sand distanzieren würden. Sands Anschlag bezeichnete er als eine "tiefes Mitleid einflößende Verirrung eines edlen Menschen".118 Darüberhinaus betonte er ausdrücklich, daß niemand ein Recht habe, über Sand zu urteilen, wenn er sich nicht vorher "von jeder Gemeinschaft mit Kotzebue" gereinigt hätte. Aus seiner Verachtung für den Turngegner Kotzebue hat Maßmann auch später keinen Hehl gemacht, wenn er auf ihn zu sprechen kam.11» Maßmann bezog sich in seinem Gutachten auf das Protokoll einer Burschenschaftsversammlung, in der es als Absicht der Adresse bezeichnet wurde, "laut auszusprechen, zu welchen entsetzlichen Zielen anfänglich unbedeutende Abweichungen von Sitte, Recht und Religion führen können".120 Die Breslauer Adresse wurde dennoch veröffentlicht, und die Breslauer Burschenschaft sollte dafür auf dem geplanten 2. Burschentreffen in Berlin in Verruf gesetzt werden. Der Berliner Burschentag wurde jedoch durch die Karlsbader Beschlüsse unterbunden. Ende April 1820 mußte Maßmann also noch einmal 177 Fragen über sich ergehen lassen, die ihm an zwei Tagen von dem Hallenser Universitätsbevollmächtigten von Witzleben im Beisein des Bürgermeisters gestellt wurden.121 Karl von Raumer schildert Witzleben als einen liberalen Geist, der nur ungern sein Überwachungsamt ausübte.122 Tatsächlich hatte Maßmann bei seiner Verhörweise keine Schwierigkeiten, sich unangenehmen Fragen zu entziehen. Vielleicht wurde er dadurch sogar ermutigt, Anfang Mai nach Berlin zurückzukehren. Offenbar hatte er noch immer geringe Hoffnungen, im Staatsdienst berücksichtigt zu werden. Denn Maßmann meldete seine Rückkunft dem Berliner Kultusministerium in einem unterwürfigen Schreiben, dessen Stil symptomatisch für seinen weiteren Umgang Maßmanns mit Behörden wurde: Da ich seit meinem Weggang von Magdeburg der bestehenden Zeitveihältnisse halber mir freiwillig zur Pflicht gemacht habe. Einem Hohen Ministerio den öfteren notwendigen Wechsel meines Aufenthaltes anzugeben, so zeige ich hiemit an, daß ich mich bereits seit mehreren Wochen hieselbst bei meinen hier ansäßigen alten Eltern aufhalte, und die nächste, so Gott will, längere Zeit hierorts verweilen werde um meinem inneren Berufe, mich zu einem tüchtigen und rechtschaffenen Bürger- oder Volksschullehrer auszubilden, still und treu nachzuleben, wonach sich also auch die Wahl meiner fortgesetzten Thätigkeit gerichtet und gestaltet hat. 123

118 ZSAM/M.3, Bl. 56. 119 Z.B. [Anonym:] Deutsche Literatur in Frankreich. Heidelberger Jahrbücher 1826, S. 774. Das vergangene Jahrzehend der deutschen Literatur. München 1827, S. 36. 120 ZSAM/M.3, Bl. 56. 121 Ebd.B1.67. 122 K. v. Raumer Geschichte der Pädagogik. Bd. 4. 2. Aufl. Stuttgart 1854, S. 182f. 123 Brief an das Kultusministerium, 20.VI. 1820. ZSAM/M.3, Bl. 88.

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IL 'Demagogenjahre'

Aber das Kultusministerium fühlte sich seit Maßmanns Exodus nicht mehr für ihn zuständig. Umso mehr dagegen die Immediat-UntersuchungsCommission, der sich Maßmann durch seine Rückkehr nach Berlin quasi auslieferte. Ein Jahr zuvor hatte Wilhelm Wesselhöft über Maßmanns unsichere Lage in Breslau noch geurteilt, daß sie kein Grund zur Sorge sei, "denn seine Freunde werden sich seiner immer annehmen, und mit ihm teilen".»m Jetzt war Maßmann von den Verdächtigen noch einer der begünstigten, denn er war um einen Arrest in der berüchtigten Hausvogtei herumgekommen, von der es laut Treitschke im Spottlied hieß: Wer die Wahrheit keimet und sagt sie frei, der kommt nach Berlin auf die Hausvogtei.121

Aber Maßmann mußte bei weiteren Verhören auch damit rechnen, durch unbedachte Äußerungen verdächtige Freunde zu gefährden, da mit aller Gewalt nach Belastungsmitteln gesucht wurde. Maßmann war sich darüber sicherlich im klaren, denn noch im Mai 1820 sollte er erneut aussagen, was er mit Hinweis auf seine frühere Begnadigung durch den König verweigerte.126 Die Kommission hatte aber nach wie vor keine Antwort Maßmanns auf die 56 Kamptzschen Fragen vorliegen, denn gegenüber Witzleben in Halle hatte Maßmann die Beantwortung wegen der früheren Verhöre in Breslau verweigert. So ließ ihn Hardenberg am 12. Juli 1820 unter Androhung einer Haftstrafe erneut vorladen. Gleichwohl blieb Maßmann bei seiner Aussageverweigerung und wurde am 14. Juli in Zivilarrest genommen. Unter dem Druck der Verhältnisse erklärte er sich dann doch bereit, auf diejenigen Fragen zu antworten, "die nicht auf eine erneute Untersuchung gegen ihn selbst hindeuten würden"; schließlich gab er am 15. Juli auf alle Fragen noch einmal Antwort, was sich bis abends zehn Uhr hinzog. Dann wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt Die Verpflegungskosten des Arrestes wurden wegen Maßmanns Armut aus den Fonds von Bülow beglichen.127 Um Maßmann für weitere Verhöre "griffbereit" zu halten, wurde von dem berüchtigten Demagogenjäger Tzschoppe untersagt, Maßmann einen Reisepaß auszustellen. Erst im Dezember 1820 wurde ihm die Erlaubnis für eine dreiwöchige Reise zu Raumer erteilt, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Kommission gar keine Befugnis für ein solches Verbot besaß, da gegen Maßmann kein Kriminalverfahren anhängig war.128 124 W. Wesselhöft an seine Mutter, 20.IV.1820. ZSAM, R. 77, XXI, Lit W„ Nr. 2, Bd 1. Bl. 126. 125 Treitschke: Geschichte m , S. 436. 126 ZSAM/M.3, Bl. 85ff. 127 Das Protokoll des Verhörs ebd. Bl. 91-93. Die Auflistung der 177 Fragen Bl. 99-104. 128 ZSAM/M.3, Bl. 114ff.

3. 'Ich hab' mich ergeben*

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Trotz dieser Widrigkeiten hat Maßmann in Berlin neuen Mut geschöpft, denn immerhin hatte er nun wieder Kontaktmöglichkeiten zu den anderen Versprengten der Burschenschaftszeit. So wurde er im Hause des patriotischen Buchhändlers Reimer aufgenommen, der die Verfolgungen von 1819 aufrecht durchgestanden hatte und auch anderen Patrioten Asyl gewährte.129 Gegen freie Kost und Logis unterrichtete Maßmann die Reimerschen Kinder als Hauslehrer, machte auch gymnastische Übungen mit ihnen. An den Wochenenden traf er sich mit früheren Turngenossen und interessierten Jugendlichen zu Geländespielen und Körperübungen, die der staatlichen Aufsicht entgingen. Daneben lernte Maßmann mit Blickrichtung auf die Armenpädagogik verschiedene Handwerkskünste wie Drechseln, Holz- und Steinschnitt. Für die Elementarmethodik studierte er auch weiterhin naturkundliche Fächer, darunter auch Erdkunde bei Ritter. Den Gedanken an ein etymologisches Wörterbuch der deutschen "Ursprache" nahm er ebenfalls wieder auf. Hierbei machte er einen großen Schritt aus dem Dilettantismus der deutschtümlichen Sprachreiniger heraus, indem er bei Franz Bopp, dem großen Bahnbrecher der vergleichenden Sprachwissenschaft, Sanskrit studierte, als Grundlage für alle germanischen Sprachstudien. Auch Bopp selbst profitierte davon, denn Maßmann stellte später für sein Lehrgebäude des Sanskrit Holzschnittlettern her.'» Für die Germanistik hatte Maßmann aber nicht nur wissenschaftliches Interesse, auch der altdeutsch-ideologische Aspekt blieb von Belang. Mit seinen patriotischen Gesinnungsgenossen las er das Nibelungenlied, für das er auch den Gymnasiasten Wilhelm Wackernagel interessierte. Wackernagel gehörte zu Maßmanns Turnschülem an den Wochenenden und war sein gelehriger Schüler in der Philologie.131 Im Kreise der altdeutschen Genossen erhielt er den Beinamen Giselher das Kind, ein Hinweis darauf, wie weit die Identifikation mit der heroischen Lektüre ging. Die Nibelungenlektüre hat Maßmann in einem Gedicht verewigt, das er an Robert Wesselhöft mitteilte und 1827 in seinem Vergangenen Jahrzehend der deutschen Literatur abdruckte.132 Vor gemeinsamer Lesung des Nibelungenliedes betitelte er die imitierten Nibelungenstrophen, die ganz offensichtlich die Erinnerung an die altdeutsche Sümmung von 1813 wieder wecken sollten, als Zeune seine berühmten Nibelungenvorträge hielt:

129 Vgl. D. Fouquet-Plümacher: "Jede neue Idee kann einen Weltbrand anzünden." G.A. Reimer und die preußische Zensur ... Archiv für Geschichte des Buchwesens 1987, S. 1-150. 130 Verzeichniß S. 20. Über Ritter und Bopp vgl. Jahrzehend, S. 84f. 131 Vgl. R. Wackemagel: W. Wackemagel. Basel 1885, S. 29ff. 132 Jahrzehend, S. 141f. Ich gebe den Text nach der Aktenabschrift, wobei ich offensichtliche Fehler nach dem Druck korrigiere.

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IL ' Demagogenjahre' Glück auf zur guten Stunden I So seid nun frisch bereit. Vernehmt die schönen Kunden von alter hoher Zeit, In Andacht, Zucht und Ehren, ihr Alten und ihr Jungen, Hier wird in alten Mären Wunders viel gesungen! Geöffnet hier zu schauen ein hoher Heldensal, Voll minniglicher Frauen, voll Rekken in Erz und Stal, Von Königen und Mannen zieh'n reisige Scharen ein Die Schild und Huld gewannen zu Wörmes bei dem Rhein. Gar freudenreiches Leben geht eueren Sinnen auf: Viel schöne Blumen und Reben bliih'n am Rhein zu Häuf; Von Geren und von Wehren stand manch ein dichter Wald, Von Kampf und Ruhmes Ehren die Welt noch wiedelhallt Von Siegfried nun vor Allen, dem auserwählten Helden, Und wie er früh gefallen, wird euch das Lied bald melden. Und weil ihn traf zum Tode der arge grimme Hagen, Viel Degen kühn und gute liegen seit erschlagen. Und ist da schön zu schauen, wie Treue wird geübet, Und auch vor Todes Grauen der Muth doch nicht zerstübet. Wie Helden herrlich schlagen in heißer Leben snoth Und ohne Wank und Zagen, sie gehen in den Tod. So lernt denn aus dem Liede zu kämpfen kekk und kühn Und werdet nimmer müde, Müht wie die Reben grün; Und übet Kraft und Milde, wie sie der Siegfried hegt. Verrath nie führt im Schilde, Untreu sich selbst erschlägt Ο daß ihr recht erfaßtet des Liedes Lebens wort; So lang am Rheine rastet der Nibelungenhort, Laßt nimmer auch fürder stauen des teutschen Lebens Strom Und helfet lüstig bauen am Vaterlandesdom: So hebe denn die Schätze der alten Heldenkraft, Und scharf die Geister wetze, du deutsche Männerschaft, Das Vaterland will Helden auf Leben und auf Tod, Vom Memel bis zur Scheiden ist Nibelungennoth. So rüstet Eure Leiber und macht die Seelen stark Das Lied sei euer Treiber, kling euch in Bein und Mark! Ersteht Siegfriedsgestalten, übt Rüdigeres Treu, Daß Freiheit werd erhalten, und unser Volksthum werde neu1133

Es ist gut denkbar, daß Maßmann mit diesem Lied altdeutsches Literaturinteresse und turnerische Ertüchtigung ("rüstet eure Leiber") zusammenbringen wollte, wie Jahn es in den Anfangszeiten der Hasenheide getan hatte. Quellenmäßig ist das allerdings kaum greifbar, wie insgesamt die 133 Beilage zum Brief an R. Wesselhöft, 12.ΧΠ.1821 (Abschrift): Vor gemeinsamer Lesung des Nibelungenliedes (im Reimmaß des Lieds). ZSAM/M.3, Bl. 156.

3. 'Ich hab' mich ergeben'

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notgedrungene zweite Berliner Studienzeit Maßmanns weitgehend im Dunkeln liegt. Sie blieb auch nur eine kurze Episode. Im August 1821 zog Maßmann zum dritten Mal in Richtung Süden. Dieses Mal hatte er eine Anstellung als Pädagoge sicher.

4. Nürnberger Nationalerziehung Im Spätsommer 1821 machte sich Maßmann emeut auf den Weg nach Nürnberg, wo sein Freund Heinrich Dittmar zusammen mit anderen Pädagogen eine Privatschule unterhielt, in die er nun als Lehrer eintreten wollte. Da Maßmann der Staatsdienst verwehrt war, blieb ihm nur übrig, sein Glück in einer privaten Reformerziehungsanstalt zu versuchen. Außer mit Dittmar als dem princeps inter pares der Nürnberger stand Maßmann auch mit dem Pestalozzianer und Vater der Kindergartenbewegung Friedrich Fröbel in Verbindung.134 Fiöbel leitete seit 1817 in Keilhau eine Anstalt und forderte Maßmann bei einem Berliner Besuch auf, bei ihm einzutreten. Aber was Maßmann in Keilhau kennengelernt hatte, entsprach nicht seinen weitgespannten Absichten. Er vermißte vor allem den ihm so wichtigen Naturkundeunterricht und maß dem Unternehmen insgesamt keine große Zukunft für die deutsche Volksbildung zu.135 Dies war eine folgenschwere Entscheidung, denn die Fröbelsche, nicht die Dittmarsche Anstalt hat einen festen Platz in der Erziehungsgeschichte gefunden. Dennoch bleibt eine solche nachträgliche Bewertung unzureichend, denn tatsächlich zeigten sich in Nürnberg Ansätze einer deutschtümlichen Nationalerziehung, die durch Maßmanns Eintritt forciert wurden. Daß diese Absichten im Ansatz steckenblieben, ist wiederum den politischen Verhältnissen zuzurechnen, die Maßmann auch jetzt zu schaffen machten; hinzu kam aber auch eine Überschätzung der realen Wirkungsmöglichkeiten, die sicherlich auch eine Folge der mangelnden Praxiserfahrungen Maßmanns war. Maßmann ging mit der festen Absicht nach Nürnberg, dort die Erziehungsprinzipien anzuwenden, die er von Harnisch und Raumer in Breslau vermittelt bekommen und in seinen weiteren Studien vertieft hatte. Tatsächlich war die Nürnberger Anstalt schon seit ihrer Gründung 1817 ähnlich orientiert, zu ihren Grundprinzipien gehörte die Anbindung des 134 Die wichtigste Quelle für diesen bisher kaum erforschten Lebensabschnitt sind Maßmanns Briefe an R. Wesselhöft (Abschriftlich in ZSAM/M.3, Bl. 153ff.) 135 Bei grundsätzlicher Zustimmung ("Fröbel acht' ich sehr") bemängelte Maßmann, daß jener seine Kräfte zu sehr zersplitterte und in seinen "Schriftchen" ("unglückselige Ankündigungen") mehr versprach, als er halten konnte. (Brief 9.1.1822.) Im Jahrzehend zählte er ihn dann aber zu den wichtigsten Volkspädagogen. (S. 92.)

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Unterrichts an das bürgerliche Alltagsleben und die gleichmäßige Ausbildung von Geist und Körper. Wie es im Gründungsantrag hieß, sollte "das im Unterricht erworbene a u f s Leben anzuwenden und durch's Leben zu befestigen sein", u.a. durch [...] Besuche bei Künstlern, Fabrikanten und Handwerkern, endlich durch tägliche Leibesübungen, wobei ihnen [den Zöglingen] klar werden soll, daß für die Gesundheit des Leibes und der Seele, wie für die Erweckung des Muthes und der persönliychen Tapferkeit, sich nichts wohlthätiger, einflußreicher denken läßt, und daß jede Erziehung unvollständig ist, wenn sie nicht Seele und Körper gleich stark zu machen sucht.136

Diese ebenmäßige Bildung von Intellekt und Physis hatte ja auch bei Jahn auf dem Programm gestanden. Der ursprüngliche Bildungsplan der Dittmarschen Anstalt war aber noch aufklärerischen Tugendzielen verbunden, die mit der Unbändigkeit der "ungebleichten Racker" Jahns nicht zu vergleichen waren. In Nürnberg galt als Erziehungsmethode die [...] treue, liebevolle Aufsicht über die Sitten der Knaben den ganzen Tag hindurch, weil [...] die [...] Tugend [...] am besten in ihm [dem Zögling] zu wecken sei durch eine ununterbrochene, ihm fast unbewußte Reihe guter Gewohnheiten.137

Dittmar und Maßmann waren sich in dem Bestreben einig, den deutschtümlich-religiösen Nationalerziehungsgedanken mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Es gab aber noch einen Grund, der Nürnberg für Maßmann besonders interessant machte. Bayern war ein Verfassungsstaat, und Dittmar war es gelungen, den Sekretär der Stände-Versammlung, Häcker, für einen Ausbau der Anstalt zu interessieren. Auch der Kreisvorsteher, der Staatsrat Graf von Drechsel, war diesem Gedanken zugeneigt.138 Es bestand also die Aussicht, eine halbstaatliche und dadurch wirksamere Erziehungsanstalt zu erlangen. Um nicht wieder Schwierigkeiten mit auswärtigen Behörden zu bekommen, ließ sich der in Berlin zuletzt unbehelligt gebliebene Maßmann vom Innenministerium ein "sicherndes Zeugniß" über die Legalität seiner Abwanderung ausstellen. Dabei verschwieg er freilich, daß er in eine Anstalt eintreten wollte, in der tagtäglich nach Jahnschen Prinzipien geturnt wurde. Stattdessen gab er als Motiv seine weitere handwerkliche Ausbildung an, die er durch Privatunterricht in Nürnberg finanzieren wollte. So wurde ihm die Genehmigung anstandslos erteilt.13»

136 BSA Nürnberg, Kdl, Regierangsabgabe 1932, Tit. ΧΓΠ, Nr. 604. Griindungsantrag vom 1.ΠΙ.1817. 137 Ebd. 138 (H. Diumar [u.a.]:) Bestrebungen des Erziehervereins zu Nürnberg ... Nürnberg 1822, S. 25. 139 ZSAM/M.3, Bl. 117f. (22. bzw. 23.Vm.1821.)

4. Nürnberger Nationalerziehung

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Alle politischen Schwierigkeiten waren damit aber noch nicht aus dem Weg geräumt Tatsächlich gab es schon innerhalb der Schulführung Auseinandersetzungen um den weiteren Kurs, bei denen Maßmanns Vergangenheit für die patriotische Seite diskreditierend wirken konnte. Während die Anstalt bis dahin als Internat für "Knaben und Jünglinge aus den mittleren und höheren Ständen" und damit als höhere Bürgerschule und Gymnasium fungiert hatte, sollte ihr nun eine Abteilung für arme Waisen angeschlossen werden. Diese Waisen sollten dadurch nicht nur sozialisiert, sondern anschließend selbst zu Volksschullehrern ausgebildet und damit Träger des neuen Erziehungsgedankens werden.140 Die Waisen sollten von den verschiedenen Städten Bayerns mit Genehmigung des Staates in die Anstalt gegeben und finanziell abgesichert werden. In der Behandlung und Ausbildung sollten sie mit den Zöglingen aus den begüterten Kreisen völlige Gleichstellung erfahren, eine Konzeption, die der egalitären Einrichtung der früheren Volksturnplätze entsprach. Die Erziehung der Waisen sollte durch Hausväter und -mütter in einer familiären Struktur erfolgen. Die Überwachung des Ganzen oblag einem Erzieherverein, der sich aus den Lehrern der Anstalt gebildet hatte. Das besondere an diesem Gremium war, daß darin völlige Gleichheit unter den Mitgliedern herrschte. Hier lag aber auch das Problem, zu einem Einvernehmen über den Kurs der Anstalt zu kommen. Einige der Lehrkräfte waren als Gymnasiallehrer mit dem neuen Projekt nicht einverstanden oder unfähig, an der Ausgestaltung des Modellversuches mitzuwirken. Vielleicht wollten sie auch in den restaurativen Zeitverhältnissen kein Risiko eingehen, denn Maßmann berichtete an Robert Wesselhöft nicht nur über einen "stillen Geisteskampf", sondern erläuterte genauer Wie allenthalben in unserem deutschen Leben, so tritt auch hier der Zeitkampf hervor, die Scheidung der reinen Schrift- und Ichgelehrsamkeit und der gesunden schlichten Volksliebe, die sich freuend geistiger Kraft und Klarheit nur ein Herz für's Volk hat. Jene hat nur Herz für sich, ist feig vor dem Volk und in der Öffentlichkeit und wo es solche und muthiges Thun gilt.141

Aus diesen markigen Worten läßt sich ersehen, daß der vierundzwanzigjährige Maßmann schon wieder mit Sendungsbewußtsein am Werk war. Der Kernpunkt der Auseinandersetzung war eine Denkschrift, die für die bayerische Stände-Versammlung ausgearbeitet werden sollte, die im Januar 1822 wieder zusammentrat Der Ausbau der bayerischen Verfassung wurde

140 Der Plan ist in den Bestrebungen ausgeführt. Laut MaQmaruis Brief an Wesselhöft vom 9.1.1822 hatten die Städte Nürnberg, Fürth und Erlangen bereits die Entsendung von Waisen zugesagt 141 Brief an R. Wesselhöft, 12.ΧΠ.1821. ZSAM/M.3, Bl. 153.

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Π. 'Demagogenjahre'

von Maßmann mit Genugtuung verfolgt, entsprach sie doch der alten turnerischen Grundforderung.142 Die besagte Denkschrift, die auch gedruckt wurde, ging fast allein aus der Feder von Dittmar und Maßmann hervor, obwohl das Vorwort von sieben Lehrern unterzeichnet wurde, unter denen sich auch der Reformgegner Marx befand.143 Maßmanns Name dagegen fehlte, vermutlich aus politischen Rücksichten. Nach seiner späteren Angabe hat er selbst den speziellen Teil über die Methodik der einzelnen Unterrichtsfächer beigesteuert, während Dittmar die Erziehungsziele und die Grundkonzeption der Anstalt formulierte.144 Es ist aber unschwer zu erkennen, daß Maßmann auch auf den allgemeinen Teil mehr als nur beratend eingewirkt hat Schon der ausführlich-barocke Titel der Denkschrift geht mit aller Wahrscheinlichkeit auf ihn zurück. Er lautete: Die Bestrebungen I des I Erziehervereins I zu Nürnberg, I sowohl I in festerer Begründung seiner Anstak I für I allgemein vorbereitende und gelehrte Bildung, I als auch I in Errichtung einer I Waisenanstalt I zur I Bildung künftiger Volksschullehrer, I dargelegt I den Ständen des Königreichs Baiem. 143

In entsprechender Weise war auch der Titel einer anderen, geographischen Schrift formuliert, an der Maßmann ebenfalls anonym in Berlin mitgearbeitet hatte: Beschreibung I von erhaben gearbeiteten I oder I Relief-Erdkugeln und Landkarten I aus feiner I und I unzerbrechlicher Papiermasse, I besonders I in I hydrographischer und orographischer Beziehung, I nebst anderen I in dies Fach eingreifenden Gegenständen, I zu haben I bei dem Verfertiger I Karl Wilhelm Kummer, I in Berlin, letzte Straße No. 8. 1 4 ί

Maßmanns Liebe für ostentative Selbstdarstellung ging hierbei mit seiner Neigung zur Kalligraphie und Letternschnittkunst eine barocke Verbindung ein, die zeitlebens für die Titelgebung seiner Werke charakteristisch blieb. Aber nicht nur in der Titelgebung läßt sich der Maßmannsche Duktus erkennen, auch das Credo zu einer nationalpädagogischen Jugenderziehung am Anfang der Schrift hat er sicher mitformuliert, wenn es hieß: "Die Erziehung der Jugend ist es vor allem, wodurch ein verfassungsmäßiger

142 So wollte Maßmann Wesselhöft über den Fortgang der Ständeversammlung in weiteren Briefen informieren. 143 Es unterzeichneten Dittmar, Grosch, Gersbach, Steinlein, Lochner, Marx und Kirchner. Bestrebungen, S. 12. 144 In seinem Verzeichnis gibt Maßmann die Seiten 83-84, 94-147 und 163 als von ihm herrührend an.(S. 6.) 145 Nürnberg 1822. 146 Berlin 1822. Maßmann verfaßte darin S. 26-68 die Beschreibung der Gebirgskarte von Deutschland. Schaden: München, S. 74.

4. NQmberger Nationalerziehung

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Staat sein tiefstes und frischestes Leben entfalten kann, und auf sie muß sich daher sein Hauptaugenmerk und seine Hauptkraft richten."147 Auch wenn die Absicht, einen "Beitrag [...] zur Befestigung einer Vernunft- und zeitgemäßen Nazionalerziehung" zu liefern,1« in der vorgelegten Form utopisch wirkt und durch die Entwicklung der Anstalt undurchführbar wurde, ist es als Manifest einer deutschtümlichen Reformerziehung nach dem Vorbild von Harnisch nicht ohne Wert. Es wird darin offensichtlich, daß die Nationalpädagogik schon das Staatsgebilde voraussetzen mußte, das durch Bildung des Volkes erst erwirkt werden sollte. So wurde die bayerische Regierung umschmeichelt: Wo frommer Wille und lichte Einsicht sich so schön begegnen, und Liebe ihr festes Band um König und Volk schlingt, da mag die Zeit wohl nahe sein, darin das Recht den Fuß, und die Freiheit das Haupt eines Jeglichen beschirmt: gerechte Freiheit aber ist Gott angenehm.14®

Wie naiv dieser Appell an den bayerischen Staat, "der im Aufschwung zum Zeitgemäßen dem übrigen Deutschland so fest voranging" im Grunde war, wird aus einer späteren Episode ersichtlich. Im Mai 1823, als Maßmann die Anstalt längst verlassen hatte, meldete die preußische Gesandtschaft die Anwesenheit politisch Verdächtiger in Nürnberg, darunter Eduard Wesselhöfts und angeblich auch Maßmanns, an den bayerischen König. Im Hinblick auf Maßmanns Wirken in der Anstalt wurde gewarnt, daß solche Individuen wie "der von der Wartburg her berüchtigte Maßmann [...] von anerkannt liberalen und revolutionären Grundsätzen schon an und für sich zu den schädlichsten Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft gehören, so werden sie noch gefährlicher, wenn sie als Lehrer der Jugend ihre den Regierungen und ihren Völkern gleich verderblichen Meinungen [...] einflößen."15» Daraufhin entschied Max Joseph I., "solchen Menschen keinerlei Mitwirkung zur Erziehung und zum Unterricht der Jugend des Königreiches gestatten zu wollen" und ließ die Denunzierten aus Bayern ausweisen.151 Andere Verdächtige in der Nürnberger Anstalt wurden heimlich beobachtet und dem Institut bedeutet, keine liberalen Geister mehr herbeizuziehen. 1824 verließ Heinrich Dittmar selbst die Anstalt, die Leitung übernahm nun Karl von Raumer, der unter dem Einfluß der fränkischen Erweckungsbewe-

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Bestrebungen, S. 3. Ebd. S. 4f. Ebd. S. 1 lf. BHSA München Π, ΜΑ 7727/1: Preußische Gesandtschaft an das bayerische Außenministerium, ll.V. 1823. 151 Bayerisches Außenminislerium an Hörmann (MCUC), 26.V.1823. Ebd.

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gung eine pietistische Frömmigkeitserziehung betrieb. Die Anstalt verlor damit ihre Verdächtigkeit, aber auch ihren ursprünglichen Impetus.152 Dieser Vorgriff auf die weitere Entwicklung macht deutlich, welch übermäßigen Kraftakt sich Dittmar und Maßmann mit den Bestrebungen von 1821/22 vorsetzten: sie wollten ein alternativ-freisinniges Erziehungsund Ausbildungskonzept realisieren, sie wollten zugleich den Staat dafür gewinnen und weitere Lehrkräfte mit nationalpädagogischen Überzeugungen nach Nürnberg holen. Das gewünschte Verhältnis zum Bayernstaat entsprach den Anfängen der preußischen Turnbewegung, als die Berliner Tumleiter Jahn und Eiselen ein Staatsgehalt bezogen, aber der Turnunterricht von staatlicher Beaufsichtigung freiblieb. So sollte auch das Walten der Nürnberger Anstalt finanziell von Bayern und seinen Kommunen getragen werden, ohne daß sie sich deshalb in die Erziehungsziele des Institutes einmischen durften. Dazu hieß es in den Bestrebungen ausdrücklich: Diese Freiheit im Innern des Wirkens ist [...] so unumgänglich nothwendig, daß der Verein um keine Gunst der Welt sie aufgeben, daß er um ihre Eihaltung lieber jede Unterstützung entbehren, ja [...] eher das ganze Unternehmen aufgeben würde. 153

Es konnte wieder nur auf staatliches Wohlwollen gehofft werden, das politisch nicht gegeben war. Bei der Beteuerung der eigenen Loyalität mußte Maßmanns Vergangenheit denkbar unwillkommen sein, wenn es hieß: Die Mitglieder glauben durch ihr bisheriges Wirken im Erziehungsfache bewiesen zu haben, daß sie die Freiheit, die ihnen ihre Stellung giebt, nicht mißbrauchen, daß sie sie vielmehr mit der gewissenhaftesten Vorsicht und Besonnenheit zu benutzen trachten, auf daß eben diese Freiheit, und somit die Erreichung ihres Zieles selbst, ihnen nicht durch eigene Schuld verloren gehe. 154

Innere Querelen und äußerer Druck ließen es Maßmann dann wohl auch geraten erscheinen, die Anstalt im Frühjahr 1822 wieder zu verlassen.1» Er hatte allerdings die feste Absicht, zurückzukehren, sobald das Klima in Nürnberg sich im Sinne der Bestrebungen stabilisiert haben würde.156

152 Weigelt: Erweckungsbewegung, S. SOff. Als Maßmann im September 182S noch einmal einige Wochen in der Nürnberger Anstalt weilte, bekam er Ärger, weil er mit den Zöglingen vaterländische Lieder sang. Dürre: Aufzeichnungen, S. 499f. Zum späteren Zustand der Anstalt und ihre Umwandlung in ein Rettungshaus durch Raumer ebd. S. 494-513. 153 Bestrebungen, S. 20. 154 Ebd. 155 Inwieweit Maßmann tatsächlich freiwillig ging oder mehr gegangen wurde, darüber liegen unterschiedliche Aussagen vor. Dittmars sagte am 8.V. 1823 aus, daß "beide Theile, er, seine Verhältnisse kennend, und wir, dieselben prüfend, eine solche Vereinigung unmöglich [fanden]". Maßmann sei dann von selbst gegangen. BHSA Π, MA 7721/1. 156 Brief an Becker, 26.X.1822. Heine-Institut Düsseldorf.

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Diese Hoffnung Maßmanns blieb ebenso vergeblich, wie sein Versuch, durch wissenschaftliche Reputation seine Stellung zu verbessern, was er noch im Herbst 1821 optimistisch angestrebt hatte. Obwohl es seiner volkstümlichen Wissenschaftsauffassung nicht entsprach, verfaßte Maßmann in aller Eile eine lateinische Dissertation, denn ein "Doktorhut, der zieht in München und bedekkt dann alle die demagogischen Umtriebe".157 Allerdings blieb Maßmann auch hierbei seinen altdeutschen Neigungen treu, denn er verfaßte eine Comparatio Caroli Magni et Napoleonis Bonarpartis,1S* die er aber wohl selber nicht sonderlich ernst genommen hat und in späteren Schriftenverzeichnissen überging. Durch Vermittlung Wesselhöfts und mit Unterstützung Ludens, den er zuvor im Oktober 1821 bei einem Besuch in Jena gesprochen hatte, wurde Maßmann im Januar 1822 in Abwesenheit zum Dr. phil. promoviert159 Gegenüber Wesselhöft, der sich über sein holpriges Latein mokierte, entschuldigte sich Maßmann mit der fehlenden Sprachpraxis und verwies auf sein früheren hervorragenden Schulleistungen.1«0 Der notorische Vorwurf der Unbildung, mit dem sich Maßmann als Altdeutscher hier nur scherzhaft konfrontiert sah, stellte in der Nürnberger Anstalt sicherlich ein ernsthaftes Handikap dar. Der anfangs nur legitimatorisch angestrebte Doktortitel wurde zum Ausgangspunkt für Maßmanns späteres Gelehrtenleben, während die pädagogischen Reformvorschläge, die er im speziellen Teil der Bestrebungen machte, Papier blieben. Es lohnt sich dennoch, einen Blick darauf zu werfen, ohne daß dabei auf die von Maßmann vertretene Elementarmethode näher eingegangen werden kann; sie entsprach mit ihrem Schwergewicht auf Naturanschauung dem Vorbild seines Lehrers Harnisch, der auch explizit genannt wurde.161 Von Interesse ist vor allem das Weiterleben turnerisch-altdeutschen Bildungsgutes, das in Maßmanns Äußerungen über körperliche Bildung, sowie über vaterländischen Literatur- und Geschichtsunterricht besonders deutlich wird. Diesen Themen kommt schon deshalb zentraler Stellenwert zu, weil in den Bestrebungen auf die Entwicklung vaterländischen Freiheitsbewußtseins in christlichem Geiste besonderes Gewicht gelegt wurde. Maßmann bemühte sich darum, die turnerische Anthropologie noch auszubauen: der gesunde Körper ist die Basis des gesunden Geistes, die

157 Brief an R. Wesselhöft, 12.ΧΠ. 1821. ZSAM/M.3, Bl. 154. 158 Sie befindet sich heute im Universitätsaichiv Jena, die Rohfassung im Archiv der Akademie der Wissenschaften in Bertiii (Ost). 159 UA Jena, Bestand M, Nr. 248 nach schriftlicher Auskunft vom 27.V. 1988. 160 Brief an Wesselhöft, 9.1.1822. 161 Bestrebungen, S. 23.

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Entwicklung der sinnlichen Anschauung ermöglicht erst eine sinnvolle Ausbildung der intellektuellen Fähigkeiten. Programmatisch hieß es dazu: 160. Eine Seele ist unglücklich, wenn sie ihres Leibes nicht mächtig ist. Darum soll der Leib mit seiner Hirn-, Nerven-, Muskel-, und Emähningsthätigkeit so gehalten und durchgebildet werden, daB durch ihn des Menschen Weisheit und Heiligkeit sich in kräftiger That und Handlung offenbaren könne. 161. Nur dann, wann der Leib so durch die mannigfaltigste vielseitigste Ausbildung zu Kraft und Kunst, Maß und Muth geheiligt wird, ist der Geist Herr, und ohne jene Ausgleichung (Leibes und der Seele) ist Weisheit und Heiligkeit leeres Stückwerkwissen oder Heiligkeitsschein, - künstlicher, übergeistiger, darum ungeistiger Zustand. 162

Maßmann bemühte sich, die geistige Tätigkeit möglichst weit in den Körper zu verlegen, der so zum Motor des Handelns erhoben wurde. Die Ausbildung kritischer, reflektierender Fähigkeiten des Intellekts blieb von sekundärer Bedeutung: der "geheiligte" Körper und die "gereinigten" Sinne machen kritische Denkanstrengungen unnötig. Die Abwertung des Wortes (als Metapher des Denkens) gegenüber der That wird in der Denkschrift immer wieder artikuliert, sie war direktes Erbe der patriotischen Turngemeinden. Das Wort konnte sich überhaupt nur in diesem Handlungsbegehren legitimieren: letztlich sollte das Wort zur That werden, d.h., sie vorbereiten und dadurch mit ihr verschmelzen. Die Sehnsucht nach Tat-Äußerung, die diesem Vorstellungskomplex zugrunde lag, war eine Fortschreibung des patriotischen Aktionismus mit den Mitteln der Pädagogik. In der Einleitung der Bestrebungen, sicherlich auch von Maßmann formuliert, wurde dieses Wort-That-Syndrom als Ausdruck des Zeitgeistes erkannt und als notgedrungene Handlungsunfähigkeit eingestanden: 19. Darum und weil wirklich unsere Zeit, nachdem lang so viel von Vielen gesagt, geschrieben, gehofft, geweissagt und gefordert worden ist, sich vorzugsweise zum Thun anschickt, wollen audi wir verzichten auf vieles Sagen und Schreiben, ja wir möchten lieber mit Rede und Schrift ganz schweigen, und nur handeln, wenn sich dieses immer ohne jenes thun ließe und nicht oft auch das Wort ein Werk wäre. 163

Gerade die mehr als 170 Seiten umfassenden Bestrebungen machten in ihrem Wortreichtum die Handlungsunfähigkeit deutlich. Die Vorliebe für die aus dem Herz hervorgehende That gegenüber dem reflektierenden Intellekt war aber sicher auch aus dem Gedankengut des Pietismus gespeist. Ein wichtiges Vorbild für die armenpädagogischen Ambitionen war das Rettungshaus für Waisenkinder von Johannes Falk in Weimar, das Maßmann aus eigener Anschauung kannte. In den Bestrebungen wurde programmatisch auf einen Spruch von Johannes Falk rekurriert, den 162 Ebd. S. 74. 163 Ebd. S. 24 f.

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Maßmann später noch häufiger zitierte, Handlungsabsichten artikulieren wollte:164

wenn

er

seine

stillen

Sichrer Segen krönt ein stilles TTiun: Komm mit Christus dich aufs Meer zu wagen! Wandle, handle, laßdie Feder ruhnfi65

War der Rückgriff auf das Wort-Tat-Denken eine unübersehbare Weiterführung des aktionistischen Turnerphilosophie, dann gilt das auch von anderen zentralen Motiven in den Bestrebungen. Die Fortschritte der Anstalt und ihrer Zöglinge sollten der Öffentlichkeit an besonderen Demonstrationstagen publik gemacht werden, wie es bei den Turnfesten üblich gewesen war. Die Hausväter als Vorsteher der verschiedenen Erziehungsfamilien sollten sich in einem Erziehungsrat treffen, die Familien insgesamt sollten eine "Gemeinde" bilden, von der ähnliche Vorstellungen geäußert wurden, wie sie einst Maßmann für die Verfassung der Tumgemeinden entwickelt wurden: "Die Verfassung dieses kleinen Vereins soll einer wohleingerichteten Gemeindeordnung gleichen, die den Kindern zum Vorgeschmack und Vorgefühl werde vom spätem bürgerlichen Männerleben."166 Großes Gewicht wurde auf gemeinschaftsstiftende Feste gelegt, die entweder "gottesdienstliche, vaterländische oder häusliche" sein sollten167 und die Jugend "auf die Höhepunkte des Vaterlandes und der Menschheit" zu heben hatten.168 Auch die gemeinschaftsstiftende Wirkung des Chorgesanges wurde hervorgehoben und das Fehlen eines volkstümlichen Liederbuches für die Jugend bedauert Als erster Schritt zur Behebung dieses Mankos wurden von dem Erzieherverein 60 Wanderlieder herausgegeben,169 in Analogie zu den Turnfahrten wurden Fußreisen als Bildungsmittel betrachtet.170 Wanderungen und Feste hat es trotz Maßmanns Weggang in Nürnberg später noch gegeben, im Jahre 1823

164 Vgl. Jahrzehend, S. 95f. Der Spruch auch in Maßmanns Eingabe zur Gründung einer Turnanstalt in München von 25.ΙΠ.1828. (BHSA Π. Mk 13923, Bl. 10.) 165 Bestrebungen, S. 25. Falk wird dort mit MaBmaimscher Diktion als "that- und liebekräftig" bezeichnet. Ebd. S. 23 wird hervorgehoben, was "Johannes Falk in Weimar für Volkserziehung durch rastlose Liebesarbeit an verwaister und verwilderter Jugend zu Gottes Ehren schafft [...]". 166 Ebd. S. 27. Entsprechend: "So lebt denn der Zögling auch sein öffentliches Leben in mancherlei Formen, darin ihm das Leben im Staat nach verjüngtem Maaßstabe vorgebildet ist" Ebd. S. 62. 167 Ebd. S. 58. 168 Ebd. S. 59. 169 Ebd. S. 91: Wandervögelein oder 60 vierstimmige Lieder fiir sang- und reiselustige Knaben. 170 Ebd. S. 60f.

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wurde sogar die Mainz» Demagogenkommission auf entsprechendes Treiben in der Anstalt aufmerksam.171 Der Zusammenklang von volkstümlicher Bildung und körperlichen Übungen für eine "thafkräftige Herzensbildung wurde folgendermaßen expliziert: 180. Des Herzens Wollen wild innerlich vorzugsweise durch die Volkskunde oder Geschichte, an den erhabenen Beispielen aus dem Leben einzelner Großmenschen, so wie der Völker, sittlich geleitet, und äußerlich durch die Bewegungskunst in den mannigfaltigsten Übungen derMuskelthätigkeit gekräftigt.172

Wohlweislich unterblieb in dem Abschnitt über "Leibesübungen" jeglicher Rekurs auf das Jahnsche Turnen, nachdrücklich wurde die Harmlosigkeit der körperlichen Ertüchtigungen beteuert: 363. Welchen guten Einfluß die Leibesübungen auf die sittliche und geistige Entwicklung haben, kann dem unbefangenen Beobachter unmöglich entgehen, und die Besorgnis eines Mißbrauchs hoffen wir bisher durch die That Oberflüssig gemacht zu haben.173

Die Wirkung der Historie als Nationalildungsmittel war ja in der deutschtümlichen Bewegung von je herausgestellt worden. Maßmann definierte ihre Funktion jetzt folgendermaßen: 269. Gott zu zeigen in den Schicksalen der Menschen und Völker, das Unwandelbare und Wahre zu erkennen im Wandel und Wechsel des Vergänglichen und Trüglichen, - Haß gegen alle Unterdrückung und Ungerechtigkeit, Liebe zu Freiheit und Recht, und überhaupt die Kraft des Willens und die Sittlichkeit des Wollens mit wecken, nähren, stärken und richten zu helfen, ist die Geschichte eine der tiefwiikendsten Mittel, das selbst den Volksschulen nie darf vorenthalten, vielmehr dem Volke als Begründung, Fortsetzung und Erweiterung seines Selbstbewußtseins nothwendig, zwar mit besonnener Vorsicht, daß nicht Wirr- und Irrköpfe, aber auch mit freisinniger Sorge gegeben werden muß, daß nicht knechtsinnige Menschen hervorgehen.174

Daß Maßmann es wagen konnte, die Liebe zur Freiheit so freimütig herauszustellen, lag an der religiösen Legitimation, die das Fundament der Bestrebungen bildete. Immer wieder wurden Bibelzitate in den Text eingestreut, die den ideologischen Gehalt entschärften. Zum Thema "Freiheit" wurde auf den 2. Korintherbrief 3,17 verwiesen, wo es heißt: "Freiheit aber ist nur da, wo der Geist des Herrn ist".175 Im Sinne des Wort171 Wohl aufgrund der preußischen Denunziation. BHSA Π, MA 7727/1, 27.VH. und 3.IX.1823. Anhand der Haus-Chronik, die 1822/23 in der Nürnberger Anstalt erschien, wurde ermittelt, daß es in der Anstalt "politische Feste" gab. Später hat Raumer pietistische Feste an ihre Stelle gesetzt Weigelt: Erweckungsbewegung, S. 56f. 172 Bestrebungen, S. 80. 173 Ebd. S. 147. (Leibesübungen S. 144-147.) 174 Ebd.S. 109f. 175 Ebd.S.71.

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That-Syndroms wurde zustimmend der 1. Korintherbrief 4,20 zitiert: "Das Reich Gottes bestehet nicht in Worten, sondern in Kraft".176 Maßmann bedauerte das Fehlen einer volkstümlichen Geschichtsdarstellung für Deutschland, sie sollte "gleich einem Gesangbuche bis in die niedersten Volkshütten dringfen]"'77 Entsprechend seiner altdeutschen Denkweise empfahl er besonders die Beschäftigung mit den germanischen Anfängen der deutschen Geschichte, "darin die kem- und kraftvolle Edelnatur unserer Altvordern so rein und vollwichtig erscheint". Hierbei sollte auch die Lektüre deutscher Heldensagen mithelfen, "des Knaben Seele mit großartigen, bedeutsamen Bildern aufzunähren und mit Liebe zur deutschen Dichtung, Geschichte und Sprache zu erfüllen". Maßmann verwies dafür auf die Sagensammlungen von Grimm und von der Hagen.17« Offenbar um dem deutschen Partikularismus entgegenzuwirken, sollte die Geschichte des "Stammlandes" erst nach der allgemeinen deutschen Geschichte behandelt werden, wobei dann aber der Schüler auch mit den Wohlthaten der bäuerischen Landesverfassung bekannt gemacht, und seine Liebe zu König und Vaterland genährt und befestigtwerden sollte.179 Auch bei der muttersprachlichen Erziehung der angehenden Volksschullehrer setzte Maßmann auf die Wirkung der altdeutschen Literatur. Bis zum 15. Lebensjahr sollten die Zöglinge nach seinem Curriculum von Grammatikunterricht freibleiben, damit sich ihre Redefähigkeit frei entwickeln könnte, dann sollten die Strukturen der deutschen Grammatik durch Lesung "mundartlicher und altertümlicher Sprachstücke, besonders aus Werken guter Schriftsteller der Altzeit" und durch Übersetzung dieser Texte ins Hochdeutsche vermittelt werden.180 Hierzu wollte Maßmann ein Hilfsbuch verfassen. Schließlich sah er auch die Lektüre ganzer Sprachwerke, wie des Nibelungenliedes vor, woran sich auch Moderneres anschließen konnte. Als Lehrbuch sollte dabei das Handbuch der deutschen Prosa von Pischon dienen.1»1 Andere alte Sprachen sollten die Zöglinge nicht lernen, wofür Maßmann eine deutschtümliche Begründung gab: 281. Was das Volk (...] an Sprachbildung bekommen soll, kann und soll ihm nur an und in der Muttersprache werden. Unsere deutsche Sprache, als Ursprache, vereinigt in ihrem Vollgehalt alle die Eigenschaften in sich, die nur irgend von einer Sprache zur tiefem und vorzugsweisen Bildung des Geistes gefordert werden. 182

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Ebd. S. 83. Ebd. S. 113. Ebd. S. 112. Ebd. S. 113. Ebd. S. 122. (Über "Muttersprache" S. 114-123.) Ebd. S. 124. Mafimann bezog sich auch auf die Ausführungen seines Deutschtümlerfreundes Göttling Über den Unterricht in der deutschen Sprache von 1820. 182 Bestrebungen, S. 114.

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Im Zusammenhang mit den von Maßmann besonders herausgestellten naturkundlichen und handwerklichen Unterrichtsteilen hätte sich so also eine volkstümlich-deutschtOmliche Musterschule ergeben, von der aus neue Bildung in die unteren Volksschichten strömen konnte. Daß sich Maßmann im Frühjahr 1822 so leicht von diesem Projekt losmachen konnte, in das er soviel Energie investiert hatte, war zeitgeschichtlich begründet. Der Befreiungskampf der Griechen gegen die Türkei war angebrochen und rief nach Freiwilligen. Maßmann wollte mit.

5. Für Hellas nach Helvetien und zurück Während die Mettemichsche Kongreßpolitik in den Kernlanden der Restauration das erwünschte Ergebnis zeitigte, zeigten sich an den Rändern um 1820 bedenkliche Auflösungserscheinungen. In Südeuropa kam es zu Revolutionen und Aufstandsbewegungen, die zur Absetzung restaurativ legitimierter Regierungen und Dynastien führen sollten. Es spricht alles dafür, daß Hans Ferdinand Maßmann, wie die meisten seiner altdeutschen Genossen, diesen "welschen" Aufstandsversuchen in Spanien und Portugal, Sizilien und Piemont, teilnahmslos gegenüberstand. Zudem gelang es den intervenierenden Großmächten schnell, die Grabesruhe wieder herzustellen. Anders verhielt es sich mit der "Sache der Griechen", die sich seit 1821 gegen ihre türkischen Oberherren empörten und Anfang 1822 einen eigenen Staat ausriefen. Ihr Befreiungskampf löste eine Welle solidarischer Anteilnahme in ganz Europa aus und weckte auch in Mitteleuropa neue Freiheitsbegeisterung. «3 Die deutsche Jugend, und mit ihr auch Maßmann, sah im idealisierenden Blick auf Hellas auch ein Menetekel der deutschen Zukunft: Die bis dahin getrennten griechischen Stämme vereinigten sich im Kampf für einen Nationalstaat. Und sie kämpften gegen eine unchristliche Despotie, was Erinnerungen an die Franzosenzeit wachrief. Tatsächlich beriefen sie die Heiligen Scharen der Griechen auch auf europäische Freiheitstraditionen und kleideten sich nach Art des Lützower Freikorps. Sie stellten eine Provokation der Mettemichschen Ordnung dar, deren Doktrin den türkischen Sultan zum legitimen Herrscher über Griechenland erklärte. Es wurde im deutschen Bürgertum dabei als besondere Provokation empfunden, daß die Monarchen der Heiligen Allianz sich gegen die 183 R. F. Arnold: Der deutsche Philhellenismus. Bayreuth 1896. A. Tischler Die philhellenische Bewegung der 1820er Jahre in den preussischen Westprovinzen. Diss. Köln 1981.

5. Für Hellas nach Helvetien

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christliche Seite stellten, wobei es keine Rolle spielte, daß die Griechen mit ihrem orthodoxen Glauben für die deutschen Christen eigentlich nur Halbbrüder darstellten. Daß die Griechen zudem oft mehr wie Räuberbanden operierten und den Türken an Grausamkeit kaum nachstanden, übersahen die deutschen Philhellenen weitgehend, zumal die schlechte Informationslage den Glauben an einen idealistischen Freiheitsheroismus begünstigte.184 In jedem Fall war der Aufstand der Griechen ein politisches Fanal, das erstmals Risse im restaurativen Völkerblock erkennen ließ. Denn während in Österreich und Preußen die philhellenische Begeisterung weitgehend unterdrückt werden konnte, sah die Lage in Frankreich und England, in der Schweiz und in Süddeutschland anders aus. Dort entstanden zahlreiche Unterstützungsvereine für den griechischen Freiheitskampf, die nicht nur humanitäre Hilfe, sondern auch militärische Unterstützung bezweckten. Mit den gesammelten Geldern wurden Waffen angekauft und Freiwillige geworben, die von Marseille aus nach Griechenland eingeschifft wurden. Zahlreiche Prominente in Süddeutschland haben sich für dieses Unterstützungsunternehmen engagiert, das von der Schweiz aus koordiniert wurde: Kronpriz Ludwig und der berühmte Philologe Friedrich Thiersch in München, Ludwig Uhland, Gustav Schwab und andere Schriftsteller im deutschen Südwesten. Bei vielen war die Anteilnahme vor allem kulturromantisch begründet, aus Verehrung für das antike Griechenland, und deshalb kann sie nicht als ein genuin politisches Phänomen betrachtet werden. Aber die Weite der Anteilnahme, die auch die Unterschichten mit einschloß, war ein bemerkenswertes politisches Signal, das auf Metternich und seine Publizisten höchst alarmierend wirkte. Außer Glücksrittern, gescheiterten Existenzen und ruhmbegierigen oder ausgemusterten Soldaten waren es vor allem Burschenschafter, die es in die griechische Legion zog. In Tübingen, dem wichtigsten studentischen Sammelzentrum, wurde sogar der abenteuerliche Plan ausgebrütet, ein großes Freiwilligenheer zu sammeln, um es dann nicht in Griechenland, sondern in Deutschland einzusetzen, um so einen freiheitlichen Nationalstaat zu erzwingen. Das war und blieb ohnmächtige Phantasterei, aber es verdeutlicht die innenpolitischen Impulse, die von der ausländischen Unternehmung ausgingen. Einer der ersten Freiwilligen, der nach Griechenland übersetzte, war Maßmanns Tumfreund Franz Lieber, dessen Goldsprüchlein die noch immer währende Haft Jahns hervorgerufen hatten. In den Turnerkreisen spielte der kulturelle Philhellenismus vorher schon eine gewisse Rolle. Jahn bezeichnete schon im Deutschen Volksthum die 184 Vgl. H. Eideneier Hellenen - Philhellenen: ein historisches Mißverständnis? Archiv für Kulturgeschichte 1985, S. 137-159.

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Griechen und die Deutschen als "der Menschheit heilige Völker",185 und noch im Alter träumte er von einer Turnfahrt ins Urland der Leibesübungen, um "dort auf den Wettfeldern des Altertums mit Dank und Vergeltung Turnfeste" zu feiern. 1 " Franz Lieber kehrte schon bald und vollkommen desillusioniert nach Preußen zurück, wo er nun erst recht wieder als Demagoge drangsaliert wurde. Hans Ferdinand Maßmann kam gar nicht erst bis Griechenland, und das mag auch der Grund dafür sein, daß er sich über diese Episode seines Lebens später ausgeschwiegen hat. Lediglich einige Briefdokumente und sein Reisepaß, der später in Preußen eingezogen wurde, erlauben eine grobe Rekonstruktion des Reiseweges, den Maßmann genommen hat.187 Die Begeisterung für den griechischen Aufstand war auch bei Maßmann mit innenpolitischen Hoffnungen verquickt. In einem Brief an seinen Jenaer Lehrer Fries betonte er, daß er für sein Vaterland "doch auch eigentlich hier ausziehe, zu helfen, daß der geistige Freiheitsodem von dort auch uns wieder zu frischer Bewegung zu Gute komme".188 Mehr läßt sich diesem Dokument nicht entnehmen, denn Maßmann verwies Fries auf einen Einlagebrief an seine Eltern, der nicht erhalten ist. Maßmann beabsichtigte gemeinsam mit Wilhelm Wesselhöft über die Schweiz nach Marseille zu reisen. Wesselhöft, der in Würzburg Medizin studiert hatte, wollte noch schnell nach Jena zurück, um dort sein Examen abzulegen. Maßmann nutzte die Gelegenheit, um sich an Fries mit der Bitte um finanzielle Unterstützung zu wenden, denn seine Anschaffungen für den Natuikundeunterricht in Nürnberg, - darunter ein teures Mikroskop,189 - und die 6 Goldkarolinen für den Jenaer Doktorhut hatten ihn finanziell erschöpft Maßmann bat nicht nur Fries um in Jena gesammelte Philhellenenscherflein, sowie weitere Sammlung im Kreise seiner Freunde, sondern er trat auch mit dem bekannten Philhellenenwerber Dalberg in Aschaffenburg in Kontakt, der ihm aber sowenig wie Osten in Würzburg weiterhelfen konnte. Während Wesselhöft nach Jena reiste, begab sich Maßmann Ende April 1822 nach Leipzig, vielleicht um dort auch noch den Professor Krug zu sprechen, der zuerst mit einer Flugschrift für die Wiedergeburt Griechenlands geworben hatte und in Sachsen eine zentrale Rolle spielte. Ende Mai/Anfang Juni 1822 ist Maßmann dann schließlich Richtung Schweiz aufgebrochen. Ob er dabei von Anfang an mit Wilhelm Wesselhöft

185 Jahn: Volksthum, S. 20. 186 Zitiert nach J. Ulfkotte: "Die Griechen sind meine Schützlinge". F.L. Jahn als Philhellene. Deutsches Turnen 1987, H. 10, S. 16. 187 Der Paß, ausgestellt am 25. April in Nürnberg, befindet sich in ZSAM/M.3, Bl. 132-133. 188 Brief an Fries, 21.IV.1822. UBJ/NLF. 189 Dürre: Aufzeichnungen, S. 502 und 504.

S. Für Hellas nach Helvetien

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zusammen war, ist nicht festzustellen, vielleicht sind sie erst in da* Schweiz wieder zusammengetroffen. Auch ein längerer Aufenthalt Maßmanns in Tübingen ist aus dem Reisedokument nicht zu entnehmen, erschließt sich aber aus Briefen, die er an Tübinger Genossen später geschrieben hat.190 Durch sein piogriechisches Engagement sah sich Maßmann plötzlich wieder in seine Burschenschaftszeit zurückversetzt, denn Tübingen war nicht nur studentischer Sammelplatz für Griechenlandfahrer, sondern auch ein Zentrum des noch immer wachen Burschenschaftsgedankens.191 Besonders in Süddeutschland konnten die ehemaligen Burschenschaften, z.T. als Landsmannschaften getarnt, weiterexistieren. Die relativ gemäßigte Hochschulpolitik des württembergischen Königs ermöglichte in Tübingen sogar die Fortführung der patriotischen Rituale durch den dortigen Burschenverein. Es wurden Nationalfeste (Waterloofeiern) veranstaltet und Festlieder gedichtet, selbst das Turnen wurde weiter gepflegt. Maßmann konnte hier bei seinem Besuch an alte Traditionen anknüpfen, denn das Tübinger Turnen war 1819 durch den Jenaer Burschenturner Karl Völker ins Leben gerufen worden, der es nach dem Sand-Attentat vorzog, sich in die Schweiz abzusetzen.1»2 Von der Schweiz ging nach 1820 auch der letzte Versuch aus, noch einmal eine radikale Jugendbewegung aufzubauen, die über die geheimen Kommunikationsverbindungen zwischen den Hochschulen hinausgehen und auf einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland hinwirken sollte. Auch dieser sogenannte Jünglingsbund war in Tübingen verhältnismäßig stark vertreten. Er sollte den Männerbund, eine ebensolche Vereinigung bürgerlicher Intellektueller, ergänzen, den Karl Folien mit einigen konspirativen Freunden in Chur gründete. Von dort aus wurden dann deutsche Hochschulen und andere infragekommende Institute agitiert (darunter auch die Nürnberger Anstalt), sich konspirativ dem Jünglingsbund anzuschließen. Dem wurde nur halbherzig Folge geleistet, mit Unbehagen an den extremistischen Leitlinien, und das ganze Unternehmen fiel in der Folgezeit schnell zusammen, da sich herausstellte, daß der Männerbund gar nicht wirklich ins Leben trat.193 Gleichwohl war Maßmann bei seinem Tübinger Besuch mit zwei Varianten patriotischen Studentenlebens konfrontiert: der gemäßigten Tradition im alten Burschenschaftsgeist und der Fortsetzung einer subversiven Politik nach Art der Unbedingten. 190 Brief an C. F. Wurm, 19.ΓΠ.1823. SUB Hamburg, Campe-Sammlung 3. Brief an Göschen, 6.IX.1822. UB Leipzig. 191 G. Schmidgall: Die alte Tübinger Burschenschaft von 1816 bis 1828. QuD 1940, S. 1181; R. Müth: Bekenntnis zu Schwarz-Rot-Gold. In: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477-1977. Tübingen 1977, S. 251-284. 192 Über Völkers Tübinger Turnplatz MCUC-TW, § 75-78. 193 Treitschke: Geschichte ΙΠ, S. 442f. H. Fraenkel: Politische Gedanken und Strömungen in der Burschenschaft um 1821-1824. QuD3 (1912), S. 241-326.

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Es spricht alles dafür, daß Maßmann in Tübingen nur den gemäßigten Kräften nähergetreten ist. Obwohl auch Robert und Wilhelm Wesselhöft dem Jünglingsbund beigetreten sind, ist eine Mitgliedschaft Maßmanns weitgehend auszuschließen. Zwar gehörten in der Dittmarschen Anstalt zwei Lehrer zum Bund, aber sie waren gegen Maßmann eingestellt Wilhelm Wesselhöft will Maßmann gar nicht erst mit dem Jünglingsbund bekanntgemacht haben, weil sein Beitreten nicht zu erwarten war. Der Student Landfermann machte 1824 in Köpenick bei einem Verhör die Aussage: "Ich bemerke hier, daß Maßmann bei den Bundesgliedem im Allgemeinen kein Ansehen hatte, weil man ihn für eine Art Mystiker hielt, und ihm deshalb keine Thatkraft zutraute."1»4 Was Landfermann mit der Bezeichnung "Mystiker" meinte, wird deutlich an einigen lyrischen Beiträgen, die Maßmann für ein Tübinger Studentenliederbuch beisteuerte, an dessen Konzeption er wesentlich mitgewirkt hat: das Ternsche Liederbuch,

zunächst zum Gebrauche

für

Hochschulen, das 1823 anonym bei Metzler in Stuttgart erschien. Es wurde von Eduard Fischer herausgegeben,1»3 und stellte den letzten Versuch dar, noch einmal das burschenschaftliche Liedgut zu sammeln und zusammen mit vielen Volksliedern der Studentenschaft nahezubringen. Maßmann gehörte zu den "wackern Freunden", denen Fischer nicht nur manchen Liedbeitrag verdankte, wie es in seinem Vorwort hieß, sondern auch "manchen fruchtbaren Wink für die zweckmäßige Anordnung des Ganzen und richtige Würdigung des Einzelnen".1»6 Ein Liedbeitrag von Maßmann, betitelt Mahnung, war ausdrücklich als "Schlußlied" tituliert. Es macht eindringlich deutlich, wie Maßmanns Mischung aus burschenschaftlichem Patriotismus und religiösem Mystizismus sich entwickelt hatte, als er sich anschickte, "aus dem bisherigen Stillleben wieder in ernst bewegtes Kampfleben hinauszutreten"1»?: Ein jeder kämpfe Gott ergeben Mit Muth und Macht den Lebenskampf! Wie auch im Sturm die Felsen beben. Bricht auch das Herz im Todeskrampf. Dem Kampf kann keiner hier entgeh'n, Magst du als Sieger ihn besteh'nl [...] Für jenseits heißt es ew'ges Leben, Auf Erden nennt sich's Vaterland,

194 ZSAM/M.3, Bl. 167. 195 Schmidgall: Burschenschaft, S. 99f. Das Ternsche Liederbuch wurde 1822 als "Kommersbuch für die deutschen Burschenschaften" angekündigt, wogegen Preußen intervenierte. 196 Fischen Liederbuch, S. ΠΙ. 197 Brief an Fries, 21 .V. 1822. UBJ/NLF.

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Wofür zu stoben und zu streben Dein Heiz sey ewig liebentbrarmt: Erlösung, Freyheit klingt es auch. Weih' du für sie den letzten Haucht Steh zu der kühnen Volksgemeinde, Die nistig Herz und Hand geweiht, DaB endlich einst der Sieg erscheine Als heil'ges Reich in dieser Zeit! Leg' länger nicht die Händ in Schooß Und mach dein Herze wahr und groß! Schwing wie der Aar zum Sonnenfeuer Zu Himmelsmuth du dein Gemüthl Wie Hermann werde du Befreyer, Stirb freudig kühn wie Winkelriedl Wer frey in Schwerdtesblumen füllt, Ist Freyheitsherold, heil'ger Held! Lafi nicht die Lüg' auf ihrem Throne, Steh' ein mit deinem letzten Blut, Vor Gott sey Demuth deine Krone, Auf Erden kähner freyer Muth! Kämpf, duld und stirb für's heil'ge Recht, Und werde keines Knechtes Knecht! Drum ohne Flecken, ohne Fehle Halt dich zum Abruf stets bereit! Behüt das Kleinod deiner Seele, Bewahr des Herzens Reinigkeit, Der ew'gen Jugend Himmelsblum', Der Gottes-Kindschaft Ritterthum!198

Trotz der Wiederaufnahme der heroischen Burschenschaftsmotive wirkt das Gedicht in seiner hyperbolischen Beredsamkeit mehr niedlich als heldisch und sicherlich schon für die Zeit- und Altersgenossen unglaubwürdig. Das ganze Liederbuch stellte einen verqueren Kompromiß dar. So wurden Lieder aus der Zeit vor 1819, die politisch anstößig wirken konnten, vom Herausgeber textlich abgemildert.199 Gleichzeitig stand aber ein Jahnzitat am Eingang des vaterländischen Teiles, vermutlich auch ein Einfluß Maßmanns, der vier Erstdrucke (darunter Ich hob' mich ergeben), sein Turnwanderlied (modifiziert) und sein Burschenlied beisteuerte.200 Der zweite Teil des Werkes bestand aus Volksliedern, denen im Konzept Maßmanns ebenfalls nationalpädagogische Bedeutung zukam. Ihre

198 Fischer Ternsches Liederbuch, S. 478f. 199 Ebd. S. IV. 200 Turnwanderlied S. 257ff.; Gelübde S. 267f.; Burschenlied S. 281f.; Wie Siegfried den Lindwurm schlug und hörnern ward S. 384f., 'Freudig wallt zur ew'gen Jugend' S. 456f.

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Natürlichkeit sollte sittlich reinigend im Sinne der Volkstumsideologie auf die Jugend einwirken. Vermutlich griff Fischer dafür auch auf Maßmanns Sammlungen zurück. Maßmanns Mitarbeit am Teutschen Liederbuch bildete den einzigen literarischen Ertrag seiner Schweizreise und einen letzten burschenschaftlichen Abgesang. Obwohl der Herausgeber beteuerte, "auf die dermals obwaltenden Verhältnisse alle Rücksicht genommen zu haben", um "der guten Sache eines wahrhaft volksmäßigen Jugendlebens auf der Hochschule" zu dienen,«» wurde das Werk in Preußen nach Erscheinen sofort verboten. An den Tübinger Aufenthalt, der im Reisepaß nicht vermerkt ist, und einen weiteren Halt in Stuttgart, der sicher dem dortigen Philhellenenverein galt, schloß sich eine Kreuz- und Querreise durch die Schweiz an, die Maßmann gemeinsam mit Wilhelm Wesselhöft unternahm. Ursache dieser "Zauderfahrt", wie es Maßmann brieflich nannte,202 war die unklare Nachrichtenlage bezüglich der weiteren Freiwilligentransporte nach Griechenland. Die von Ludwig Bechstein herausgegebenen Fahrten eines Musikanten geben ein anschauliches Bild von der Naivität der Freiwilligen und dem Schindluder, der mit ihnen getrieben wurde.203 Vermutlich im August 1822 erhielt Maßmann in Zürich, wo er sich bei dem Buchhändler Geßner aufhielt,204 endlich positive Nachrichten "über das Gelingen der guten griechischen Sache und das Verhältnis der Deutschen zu den Griechen, das sich alle Tage besser und fester gestalte",Zugleich aber auch einen Brief aus Berlin, der ihm einen Schlaganfall seines Vaters meldete. Die Erweibsunfähigkeit des Vaters stürzte ihn in einen Gewissenskonflikt, da sein Bruder als angehender Arzt auch nicht in der Lage war, über diese Notlage hinwegzuhelfen: "Ich kämpfte anfangs zwischen Eigentrieb und Kindespflicht. Letztre mußte obsiegen."206 Ich möchte es dahingestellt sein lassen, wieweit dies ein Indiz dafür ist, daß ihm die Absicht, für die "Sache der Freiheit und des Glaubens zu kämpfen" doch nicht so nahe ging. Aber selbst wenn ihn die familiäre Entwicklung nicht zurückgehalten hätte, ist es fraglich, ob er nach Griechenland gelangt wäre. Denn sein Genösse Wesselhöft wurde einen Tag vor der Einschiffung aus Marseille ausgewiesen,207 und im November 1822 ging überhaupt das letzte deutsche Freiwilligenkontingent nach Griechenland ab.

201 Fischen Ternsches Liederbuch, S. V. 202 Brief an Göschen. 6.IX.1822. UB Leipzig. 203 [D. Elsten] Fahrten eines Musikanten. Hrsg. von Ludwig Bechstein. Bd 1/2. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1854. 204 ZSAM/M.3, Bl. 127. 205 Brief an Göschen, 6.IX. 1822. 206 Ebd. 207 ZSAM/R. 77, Τ. XXI, Lit. W. Nr. 2, Bd 1, Bl. 171.

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Bald darauf erhielt Maßmann dann auch noch die Nachricht, daß sein Vater am 15. September 1822 gestorben war. Gleichwohl ließ sich Maßmann mit seiner Rückkehr nach Berlin erhebliche Zeit Möglicherweise versuchte er in der Schweiz eine Anstellung zu finden. Dagegen spricht allerdings seine Absicht, auf dem Rückweg nach Norddeutschland Freiwillige für die griechische Sache (vor allem unter Handwerksgesellen) zu werben, wie er seinen Tübinger Burschenschaftsfreund Göschen mitteilte.2» Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Besuche schweizerischer Reformerziehungsanstalten auch schon hinter sich. Belegt ist ein solcher bei Wehrli, der die Armenschule in der Fellenbergschen Anstalt in Hofwyl leitete,209 und bei dem Altmeister der Reformpädagogik, Pestalozzi, in Yverdon. Der Besuch bei Pestalozzi wurde für Maßmann zu einer besonderen Enttäuschung, denn dieser stand nicht mehr der Anstalt vor, sondern hatte sich griesgrämig in die Abfassung eines lateinischen Wörterbuches vergraben, "angekleidet und gestiefelt im Bett liegend, und von dicken Papierstreifen und Stössen um flutet".210 Wesentlich intensiver und zukunftsweisender war die Begegnung mit altdeutschen Emigranten, auf die er in der Schweiz allenthalben treffen konnte. Prophylaktisch oder der Verhaftung sich entziehend, hatte es zahlreiche Burschenturner in die neutrale Eidgenossenschaft verschlagen, wo sie als Lehrkräfte oftmals hochwillkommen waren, wenn sie nicht unter dem Druck der deutschen Verfolger weiter nach Amerika fliehen mußten.211 "Wunderbar, wie rasch die wildesten Radicalen sich hier in gute republicanische Bürger verwandelten"2»2 - diese Beobachtung Treitschkes zeigt, wie an die Stelle von Wortradikalismus und Gesinnungstümelei schnell staatsbürgerliche Loyalität trat, wenn die Demagogen eine sozial sinnreiche Tätigkeit ohne Repressionen ausüben konnten. Ein Zentrum deutschtümlicher Emigration war Aarau, wo Wolfgang Menzel, Maßmanns Breslauer Vorturner, eine Anstellung als Lehrer (u.a. auch in Deutsch und Turnen) gefunden hatte, nachdem er sich seinen Turnerbart abrasierte. Menzel befand sich in einem Kreis von Exilierten, zu denen auch Adolf Ludwig Folien, Joseph Görres und Friedrich List gehörten. Maßmanns ursprüngliche Absicht war es vermutlich, in Aarau den philhellenisch gesonnenen Vielschreiber Zschokke zu besuchen, den er in seinem Vergangenen Jahrzehend kritisch portraitiert hat,213 und zu dem 208 209 210 211

Brief, 6.IX.1822. UB Göttingen. Über Wehiii ein positives Urteil im Jahrzehend, S. 95. Euler/Haitstein, S. 29f. So Wilhelm Wesselhöft E. Brand: Die Auswirkungen der deutschen Demagogenverfolgungen in der Schweiz. Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 1948, S. 139-205. 212 Treitschke: Geschichte ΠΙ, S. 447. 213 Jahrzehend, S.54f.

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ihn Menzel führte.214 Möglicherweise hat Maßmann in Aarau schon mit A.L. Folien eine Ausgabe des Volksbuches von den Haimonskindern verabredet, von der in einem späteren Folien-Brief die Rede ist, die aber nicht zustande kam.«5 Maßmanns Schweizreise hat trotz dieser Kontakte keinen neuen politischen Aufschwung, sondern seinen vorläufigen Ausstieg aus solchem Engagement gebracht. Eine baldige Rückkehr nach Nürnberg stand nicht in Aussicht, und so ließ die dringende Notwendigkeit des Gelderwerbs einen neuen Plan in ihm aufsteigen. Er gedachte nun sein lange verschlepptes Projekt eines etymologischen Sprachschatzes wieder aufzunehmen und es buchhändlerisch zu verwerten. Warum er dafür ausgerechnet nach Göttingen ging, darüber läßt sich nur mutmaßen. In seinem Brief an den Tübinger Studenten Göschen, bei dem er in Tübingen logiert hatte, begründet er die Ortswahl mit der guten Bibliothek dort 216 In Göttingen befand sich mit Georg Friedrich Benecke auch einer der bedeutendsten Vertreter der frühen Universitätsgermanistik. Dennoch ist es merkwürdig, daß Maßmann nicht versuchte, auf schnellstem Wege nach Berlin zu gelangen. Vielleicht fürchtete er dort Repressionen wegen seines philhellenischen Engagements. Der Aufenthalt in Göttingen, wo Benecke die altdeutsche Literatur vertrat, wurde für Maßmann insofern wichtig, als er ihn in seiner Hinwendung zur Germanistik bestärkte. Auch Jacob Grimm hat er im nahen Kassel einen Besuch abgestattet217 Daß Maßmann allerdings immer noch bemüht war, turnerische Verbindungslinien zu halten, belegt ein Besuch bei dem "Bückeburger Turnvater" Faust, den er ebenfalls von Göttingen aus unternahm. Der von der Tumgeschichte kaum beachtete Patriot und Arzt Bernhard Christoph Faust erfreute sich in der frühen Turnbewegung einer hohen Wertschätzung. Maßmann hatte ihn in seiner Weimarer Selbstverteidigung als Fürsprecher des Volkslebens und der praktischen Wissenschaft den turnfeindlichen "Stubengelehrten" konterkarierend gegenübergestellt.218 Daß er ihn nun in Bückeburg aufsuchte und in persönlichem Kontakt "kennen und lieben lernte", bestätigt diese Wertschätzung. Maßmann hat auch später von Berlin aus versucht, mit Faust in Verbindung zu bleiben, was aber wohl nicht gelang.21' Daß sich Maßmann von des Bückeburgers "unermüdlicher Biberthätigkeit" so sehr stark angezogen

214 Brief an W. Menzel, 2.ΠΙ.1859. Briefe an W. Menzel. Berlin 1908, S. 194f. Zu Menzel in Aarau E. Schuppe: Der Burschenschafter W. Menzel. Frankfurt/M. 1952, S. 30ff. 215 J. v. Gönes: Gesammelte Briefe. Bd 3. München 1874, S. 300. 216 Brief an Göschen, 6.IX. 1822. So auch im späteren Verhör ZSAM/M.3, Bl. 128. 217 Brief an J.Grimm, April 1824. SBPK/GS. 218 SA Weimar, A 8701, Bl. 14. 219 Brief an Faust, 7.X.1828. BSB München. Dort auch das folgende Zitat.

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fühlte, lag sicher auch daran, daß Faust sich karitativ für die unteren Volksschichten engagierte.220 In Göttingen wollte sich Maßmann mit Privatunterricht durchschlagen, dann bot sich eine bessere Aussicht Wie er von einem Freund erfuhr, suchte der Buchhändler Friedrich Voigt im thüringischen Ilmenau einen Mitarbeiter für ein literarisches Projekt, das auch handwerklich-technische Fähigkeiten erforderte.221 Vielleicht handelte es sich um jenes Buch der Geheimnisse, das dann 1823 von der bayerischen Regierung verboten wurde.222 Die Bedingungen erwiesen sich für Maßmann jedoch als unannehmbar und so wanderte er, der "den heiligen Allerdeutschen Tag [den 18. Oktober] einsam und verlassen" in Göttingen hatte begehen müssen,223 weiter in Richtung Berlin. Erneut nahm Maßmann seinen Weg über die Wartburg und traf dort mit Robert Wesselhöft zusammen. Wesselhöft kam von einem geheimen Versammlungstag des Jünglingsbundes, der am 12. Oktober 1822 in Nürnberg abgehalten worden war. Ob dieses Zusammentreffen in Eisenach vorher abgesprochen worden war, ist mehr als fraglich, obwohl die beiden dann ihre Wanderung gemeinsam fortsetzten. Mit Sicherheit hatten sie keine konspirativen Absichten, denn sonst hätten sie sich kaum einen so heiklen Treffpunkt ausgesucht Die Weimarer Behörden wurden nämlich auf das Zusammenkommen des ehemaligen Burschenführers und des Bücherverbrenners aufmerksam, und der Jenaer Universitätsbevollmächtigte informierte darüber auch die Berliner Demagogenjäger.224 Die eifrige Zusammenarbeit, die beide Länder dann bei der weiteren Ausforschung des hochverdächtigen Tatbestandes an den Tag legten, belegt den entscheidenden politischen Wandel, der sich seit den Tagen vollzogen hatte, als der Student Maßmann sich noch mit einer Selbstvertheidigung aus der Affäre ziehen konnte. Diesmal fuhr ein Polizeikommissar eigens zur Wartburg und betrieb intensive Ermittlungsarbeit.

220 Z.B. schlug Faust 1816 die Gründung einer Zeitschrift und eines Vereines "Rath und That zur Verminderung der Noth im Jahre 1817" vor. Allgemeiner Anzeiger der Deutschen 1817, Nr. 36. 1819 beteiligte sich Faust an Geldsammlungen für den verhafteten Jahn. (MCUC-TW, § 47.) 221 Brief an Becker, 26.X.1822. Heine-Institut Düsseldorf. 222 Das Buch der Geheimnisse. Eine Sammlung von mehr als 200 besonders magnetischen und sympathetischen Mitteln wider Krankheiten, körperliche Mängel und Übel und zur Beförderung anderer nützlicher und wohlthätiger Zwecke. Vermächtnis eines sterbenden Vaters an seine Söhne. Ilmenau 1824. StA Nürnberg, C 7 HR 10111, Bl. 26f. Im Jahrzehend mokierte sich Maßmann über "Umenauer Tractätiein und Erbaulichkeiten''. (S. 102.) 223 Brief an Becker, 26.X.1822. Vermutlich erhielt Maßmann in Göttingen die Todesnachricht und wandelte daraufhin nach Berlin. So auch ZSAM/M.3, Bl. 128. 224 ZSAM/M.3, Bl. 135ff.

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Als Maßmann im Januar 1823 in Berlin eintraf, sah er sich sofort wieder mit dem preußischen Schnüffelalltag konfrontiert. Sein Paß wurde ihm abgenommen und ein ausführliches Verhör angestellt Natürlich hütete sich Maßmann, etwas von seinen Griechenlandplänen verlauten zu lassen. Vielmehr gab er die Schweizreise als Bildungsunternehmen aus, bei dem er "die Nuancen der deutschen Mundart authentisch kennen [...] lernen" wollte.223 Aus dem Verhör wird auch ersichtlich, daß Maßmann auf der Rückreise noch bei Fröbel in Keilhau vorsprach, vielleicht wollte er sich doch noch dort anstellen lassen. Eine Aussage darüber machte er nicht. Auf die Wartburg angesprochen, kam er in Schwierigkeiten, weil er das Treffen mit Wesselhöft zu leugnen versuchte. Später gab er dann als Grund für seine Falschaussage an, daß er Wesselhöft nicht durch seine eigene Vergangenheit in Verdacht bringen wollte. Daß sie anschließend auch noch gemeinsam bis Gotha gewandert waren, verheimlichte er auch jetzt noch erfolgreich. Erst über ein Jahr später, als Wesselhöft wegen Hochverrats verhaftet war, kam es heraus, aber da erinnerte sich niemand mehr an Maßmanns frühere Aussage.226 Die Kommission stellte noch weitere Nachforschungen an, - u. a. wurde die Identität aller Besucher Eisenachs in der besagten Zeit untersucht, - aber sie gab sich letztlich mit Maßmanns Aussage zufrieden.227 Gleichwohl wurde er im Frühjahr 1823 noch in Berlin überwacht, ohne daß der Spitzel etwas Verdächtiges melden konnte.2» Wie wirkungslos diese Kontrollmaßnahmen waren, wird daraus ersichtlich, daß Maßmann seine Briefkontakte mit den Tübingern fortsetzte und dabei seinen Freund Albert Baur als Vorturner an die Tübinger Burschenschaft vermittelte.22» Auch aus seiner Mitarbeit am Teutschen Liederbuch erwuchsen ihm keine Schwierigkeiten, obwohl auch das oben zitierte Kampflied Mahnung, als offizielles "Schlußlied" bezeichnet, mit Maßmanns Namen versehen war. Der aktenmäßigen Untersuchung der Reise verdanken wir die folgende Personenbeschreibung, mit der der Fünfundzwanzigjährige 1822 in seinem Paß kenntlich gemacht worden wan Alten 24 Jahre Größe: 5' 5' Haare: braun Stim: niedere Augenbrauen: braune Augen: blaue

225 226 227 228 229

Ebd. BL 127. Das ganze VertiörBl. 125ff-131. (25.1.1823.) ZSAM/R. 77, Τ. XXI, Lit. W., Nr. 2. Bd 1, BL 199ff. ZSAM/M.3, Bl. 136-144. Ebd. B1.137. (Polizeipräsidium an Schuckmann, 3.ΠΙ.1823.) Brief an Wurm, 19.ΙΠ.1823. SUB Hamburg.

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Nase: stumpfe Mund: gewöhnlichen Bart: braunen Kinn: rundes Angesicht: ovales Gesichtsfaibe: gesund Besondere Kennzeichen: Altdeutsches Haar und Backenbart230

6. Wende zur Wissenschaft Im Januar 1823 war Maßmann also zum zweiten Male notgedrungen nach Berlin zurückgekehrt, und in dieses Jahr fiel auch seine Entscheidung für eine deutschtümliche Gelehrtenlaufbahn. Die Motive für diese Entscheidung sind nicht dokumentiert. Es ist auch nicht überliefert, wie Maßmann seinen Lebensunterhalt bestritt. Sicherlich hat er auch in dieser Zeit seine pädagogischen Studien und handwerklichen Selbstversuche fortgesetzt. Selbst turnerische Aktivitäten muß er mitgetragen haben. Denn im August 1823 wurde er noch einmal verhaftet, unter Beschlagnahmung seiner Papiere. Dabei wurde zwar "nichts die polizeiliche Aufmerksamkeit erregendes gefunden", aber Maßmann wurde ermahnt, "an Turn-Spielen und Übungen weiter keinen Antheil zu nehmen".231 Diese Aktennotiz ist der einzige Beleg, der für das Jahr 1823 in Maßmanns dicker Demagogenakte noch zu finden ist. Sein Bruder Johann Karl, kurz vor der medizinischen Promotion stehend, sollte aus ähnlichen Gründen sogar zwangsweise aus Berlin entfernt werden, auf eine von Hans Ferdinand formulierte Eingabe hin, durfte er seine Studien dann doch beenden.232 Daß Hans Ferdinand Maßmann seine volkspädagogischen Ambitionen vorerst in den Hintergrund stellte, ist nicht verwunderlich. Aussicht auf eine staatliche Anstellung bestand für ihn nicht, mit Privatinstituten sah es nicht besser aus, soweit sie für reformpädagogische Absichten überhaupt in Frage kamen. Auf der anderen Seite erschien 1822 die 2. Auflage des ersten Teils von Jacob Grimms Deutscher Grammatik, deren bahnbrechende Bedeutung für die historische Sprachwissenschaft Maßmann sofort erkannte. In der wissenschaftlichen Rekonstruktion der deutschen Ursprache sah er eine Möglichkeit, die deutschtümliche Germanistik auf eine qualitativ neue 230 ZSAM/M.3.B1. 133. 231 Schuckmann an Polizeipräsidium, 30.Vm.1823. ZSAM/M.3, Bl. 14S. 232 Ebd. Bl. 121f.; 146f. Johann Kaii sollte sich nach AbschluB seiner Promotion mindestens ein Jahr aus Berlin entfernen. Dieser. Vorgang ist bei Müller Maßmann, S. 300 irrtümlich auf Hans Ferdinand bezogen worden.

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Stufe zu bringen und die Beschäftigung mit dem altdeutschen Volksgeist philologisch zu legitimieren. Wie er ein Jahr später an Jacob Grimm schrieb, sah er in dem "Großbau der Sprachvergangenheit die Ehrensäule, darum wir alle Kräfte sammeln sollen; ja unser rechter Nibelungenhort!"233 Symptomatisch für Maßmanns neue Haltung ist dabei die Tatsache, daß das einzige aus dieser Phase erhaltene Gedicht ein Lobgedicht auf Jacob Grimms bahnbrechende Leistung ("Grimmatik") war.234 Daß sich Maßmann von Anfang an dem Objektivitätsideal der modernen historischen Forschung verpflichtet sah, mag verwundern, angesichts der unhistorischen weltanschaulichen Bindung. Aber dafür gab es einen besonderen Grund. Es bestand nun die Möglichkeit, sich aus dem Schatten der klassischen Philologie und des Neuhumanismus zu befreien. Bis dahin waren es meistens klassische Philologen gewesen, die der Germanistik nebenbei ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Nun erhob sich die germanische Philologie zu einer eigenen Wissenschaft, die dem deutschen Spracherbe mit eindrucksvollen Ergebnissen auf den Grund ging. Maßmann rief daher in seinem Gedicht an Grimm aus: "Lange Schmach ist nun gebüßt!"235 Das Deutsche wurde aus der philologischen Fremdherrschaft befreit, wie Deutschland aus der politischen Fremdherrschaft der Franzosen. Die germanische Sprachentwicklung offenbarte strenge Gesetzmäßigkeiten von denen auch die klassischen Philologen zu lernen hatte. Darum hinweg mit "dieser armen Ritter Kram, / So die heilige Mutter meistern, / nach dem röm'schen Fuße leistem".236 Maßmanns philologischer Bildungsweg bestand hauptsächlich aus Selbststudien, zu denen nun vor allem der Umgang mit Berliner Gelehrten und Liebhabern trat, die der Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache angehörten. Auf die Auswertung bis dahin unveröffentlichter Codices in der Berliner Bibliothek stürzte sich Maßmann mit solchem Feuereifer, daß er sich mehrfach schwere Augenentzündungen zuzog.237 Die Ausgangsbedingungn für Maßmanns Gelehrtenexistenz waren denkbar ungünstig. Seine einzige Qualifikation bestand in dem Jenaer Doktortitel, der ihm den Weg in Bibliotheken und Archive öffnen konnte. Aber es existierte nicht einmal eine Zeitschrift, in der er seine germanistischen Forschungsergebnisse hätte veröffentlichen können. Die Absicht, möglichst schnell mit Publikationen an die Öffentlichkeit zu treten, resultierte nicht zuletzt aus seiner politischen Verdächtigkeit. 233 234 235 234 237

Brief an Jacob Grimm, Juni 1824. SBPK/GS. Ebd. Ebd. Ebd. Zweimal mußte er für längere Zeit im verdunkelten Zimmer liegen. Brief an J.F. Cotta, 31.X. 1828. DLAM/CA.

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"Die Polizei, auf Argwohn geimpft, argwöhnt auch über stilles Arbeiten", klagte Maßmann und beeilte sich, seinen beabsichtigten lexikographischen Arbeiten zum "Wurzelthum" der deutschen Sprache kleinere Etüden vorauszuschicken, um sich wissenschaftlich auszuweisen, "beurtheilen doch die meisten Staatsbehörden bei uns selbst nicht mal zuerst danach: Was hat er geschrieben, sondern: Hat er etwas geschrieben".238 Es war ein besonderer Glücksfall für Maßmann, daß er das Vertrauen von Wilhelm Dorow gewann und schon Anfang 1824 in dessen Denkmälern alter Sprache und Kunst eine längere Abhandlung publizieren konnte. Dorow war selbst ein wissenschaftlicher Außenseiter und ein bekannter Patriot der Befreiungsjahre.239 Als Hardenbergs Vertrauter war er zum Hofrat avanciert und machte sich durch erfolgreiche Ausgrabungen im Rheinland einen Namen, obwohl er kein studierter Altertumskundler war. In Bonn gründete er das heutige Rheinische Landesmuseum, mußte aber wegen Kompetenzstreitigkeiten mit der Universität sein Direktorat aufgeben und ins Berliner Außenministerium wechseln. Dort wurde er wegen seiner patriotischen Vergangenheit kaltgestellt und alsbald pensioniert, was ihm Muße gab, seinem altertumskundlichen Hobby zu frönen. Vermutlich hat es dem selbst politisch diskreditierten Dorow eine diebische Freude bereitet, dem verrufenen Maßmann wissenschaftliches Asyl zu gewähren, er hat aber auch selbst davon profitiert. Denn im ersten Heft seiner Denkmäler hatte er auf ziemlich dilettantische Weise die Freckenhorster Heberolle, das Abgabenverzeichnis eines münsterländischen Damenstiftes aus dem 11. bis 12. Jahrhundert, veröffentlicht, das wegen seines reichen namenkundlichen Materials eine wichtige Quelle für die altsächsische Sprachforschung darstellte.240 Der Abdruck, der sich nur auf eine fehlerreiche diplomatische Abschrift stützte, wurde von Jacob Grimm stark kritisiert, was Dorow zu einer nochmaligen Edition veranlaßte, deren Grundlage die wieder zugängliche Originalhandschrift bildete.2*1 Dorow kam es sicher gelegen, daß Maßmann auf Grund des ersten Abdrucks eine Abhandlung verfaßt hatte, die er ihm zur Kenntnis brachte. Sie wurde in überarbeiteter Form dem Neuabdruck beigegeben, wobei Maßmann auch noch die Schlußredaktion der Textedition übernahm und selbstverfertigte Handschriftenfaksimiles als weitere Beigabe lieferte. Auch der Berliner

238 Brief an Grimm, Juni 1824. 239 Über Dorow ADB V, S. 359f. und seine Memoiren: Eiiebces aus den Jahren 1790-1827. Th. 1-4. Leipzig 1843-45. 240 Vgl. VL. 2. Aufl. Bd 2, Sp. 885ff. 241 Vgl. Dorows Denkmäler alter Sprache und Kunst, Bd 1, Η. 1., Bonn 1823, und den Vorbericht in Bd 1, H. 2/3, Berlin 1824, S. V-XIV.

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Altertumsforscher Ledebur steuerte noch eine Abhandlung bei, so daß sich ein ansehnliches Doppelheft ergab.242 Maßmanns Aufsatz Über Sprache, Zeit und Örtlichkeit der Freckenhorster Heberolle, war ursprünglich in der Absicht entstanden, "Grimm's Sprachlehre immer mehr zu bereichern oder zu berichtigen".2«3 Für die Publikation kam noch ein Wörterbuch hinzu, das auch andere altsächsische Quellen auswertete. Am liebsten hätte Maßmann das Namensverzeichnis gleich zu einem vollständigen "Verzeichnis aller westfälischen Gaunamen aus allen Jahrhunderten" ausgebaut, "als Vorarbeit zu einem Deutschen Namenbuch und dadurch mit zu einem einstigen Deutschen Wurzelbuch im Großen",244 aus Platzgründen mußte er diese Absicht fallenlassen, denn auch so füllten seine Ausführungen über ISO Seiten. Die ausladende Breite von Maßmanns Ausführungen wurde in den zeitgenössischen Rezensionen kritisiert, "der Verfasser wird, wenn er beharrt, künftig in weniger Worten mehr zu sagen haben", urteilte Jacob Grimm in den Göttinger Gelehrten Anzeigen,245 Insgesamt wurde diese Debütleistung Maßmanns aber recht positiv besprochen. Mißfallen erregte Maßmanns Einstreuung deutschtümlicher Termini wie z.B. "Verkleinerungsspelle" für Diminuitive.246 Handelte es sich bei Maßmanns Aufsatz im Grunde um eine verkappte Monographie, so waren seine Erläuterungen zum Wessobrunner Gebet, die er zeitgleich im Verlag der Denkmäler als Buch veröffentlichte, nur eine aufsatzartige Abhandlung von 38 Seiten. Maßmann bemerkte dazu in der Einleitung, daß nur das Fehlen einer germanistischen Zeitschrift die Einzelveröffentlichung bewirkt hätte. Um auf einen monographischen Umfang zu kommen, gab Maßmann noch zwei Gedichte des vierzehnten Jahrhunderts als Zugabe, beide mit Kommentar und Übersetzung, so daß er insgesamt auf 106 Seiten kam.247 Bei den spätmittelalterlichen Lyrikeditionen handelte es sich um ein Geißler- und ein Minnelied, die Maßmann in einer Handschrift entdeckt hatte, die Karl Gregor von Meusebach gehörte. Der Berliner Kammergerichtsrat Meusebach besaß eine der bedeutendsten Privatbibliotheken altdeutscher Literatur. Obwohl er auf diesem Gebiet nur dilettierte, hatte er ein großes Wissen und Stand mit den bedeutendsten 242 Der Neudruck der Heberolle wurde von dem Archivar Höfer kollationiert und von Maßmann dann noch einmal überprüft S. 26Iff. veröffentlichte Dorow noch Zwei sächsische Beschwörungsformeln, die von Maßmann ebenfalls mit Sachanmerkungen versehen wurden. 241 Denkmäler I, H. 2/3, S. 45. Vorwort zu Maßmanns Aufsatz S. 43-204. 244 Ebd. S. 175. 245 GGA 1825.S. 1838. 246 Vgl. Rheinisch-westphälischer Anzeiger, Kunst- und Wissenschaftsblatt 1824, Sp. 615. Grimm (GGA 1825, S. 1840) klagte ebenfalls über Maßmanns "verwünschte, undeutsche Wörter". 247 Erläuterungen zum Wessobrunner Gebet des achten Jahrhunderts. Nebst zweien noch ungedmckten Gedichten des 14. Jahrhunderts. Berlin 1824. Neudruck Niederwalluf 1971.

6. Wende zur Wissenschaft

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Germanisten in enger Verbindung.24« Männer wie Meusebach bildeten den Übergang von der Liebhaberphilologie des 18. Jahrhunderts zu der modernen Universitätsgermanistik, die sich langsam zu etablieren begann. Maßmann war seit 1823 ein gern gesehener Gast in Meusebachs Haus, auch wenn dieser über die Nachwuchsgermanisten an Jacob Grimm klagte: "Es ist jetzt eine schlimme Zeit [...]. Alles will herausgeben! immer nur drucken lassen auf Presz! Man muß alles doppelt und dreyfach verschlieszen, sonst stehlen sie einem Alles weg."24» Der gut situierte Meusebach konnte es sich leisten, umfangreiche Sammlungen für einzelne Editionsprojekte (Fischart, Volkslieder) anzulegen, die er dann doch nicht realisierte. Für angehende Gelehrte wie Maßmann war Publizieren die einzige Möglichkeit, sich für eine Universitäts- oder Archivstelle zu empfehlen. Meusebach profitierte auch von Maßmanns Stöbereien, denn dieser versah ihm mehrere hundert Bucheinbände mit kalligraphischen Titulaturen.2» Obwohl es sich bei den Erläuterungen zum Wessobrunner Gebet erklärtermaßen um einen Schnellschuß handelte, war die Zusammenstellung der Beiträge doch keineswegs so willkürlich, wie die Umstände glauben machen könnten. Denn das frühmittelalterliche Gebet und das spätmittelalterliche Geißlerlied (das Minnelied füllte nur wenige Seiten) entsprachen den beiden deutschtümlichen Forschungsschwerpunkten Maßmanns. In den frühesten Zeugnissen der deutschen Sprachüberlieferung suchte er den unverfälschten Urgrund des deutschen Volkswesens aufzufinden, während die spätmittelalterliche Stadtliteratur die Übernahme der kulturellen Führungsrolle durch das Bürgertum und die religiöse Befreiung vom "welschen" Papstglauben markierte. Am Frühmittelalter sollte sich nach Maßmanns und der anderen Deutschtümler Denken die Identität von Germanentum und Deutschtum erweisen lassen, die die Basis für die Vorstellung von einer jahrtausendealten deutschen "Ursprache" abgab. Das Dilemma war nur, daß eine Überlieferung des vorchristlichen germanischen Volksgeistes in der Dichtung nicht gegeben war. Von der angeblichen Sammlung germanischer Bardenlieder durch Karl den Großen hat sich nichts erhalten,251 das Wessobrunner Gebet sollte nun aber eine Art missing link zwischen germanischem Heidentum und christlichem Deutschtum darstellen. Obwohl es sich offensichtlich um einen christlichen Gebetstext handelt, lassen sich darin Rückgriffe auf 248 Vgl. K.G. v. Meusebach: Hschaitstudien. Halle 1879. 249 Meusebach an Grimm, 22.VI.1824. C. Wendeler (Hrsg.): Briefwechsel des Freiherm Meusebach mit J. und W. Grimm. Berlin 1880, S. 13. 250 Brief Maßmanns an Hoffmann von Fallersleben, 17.Vm.1824. SBPK. 251 Über Karl den Großen und seine "antiquissima carmina" handelte Maßmann in dem Festvortrag: Zum 28. Januar 1846. Germania 1846, S. 120ff.

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altnordische Schöpfungsmythen feststellen.292 Für Maßmann bestand kein Zweifel, "daß hier aus den Anfangszeiten der Umchristung unseres Deutschen Volkes heidnischer Nachklang zu uns den Enkeln überkommen sei".253 Um seine These zu erhärten, nahm Maßmann auf eigenartige Weise die Oral-Poetry-Forschung des 20. Jahrhunderts voraus. Er versuchte nämlich zu beweisen, daß der Schreiber der Wessobrunner Sammelhandschrift ein heidnisches Gedicht aus dem Gedächtnis aufgeschrieben und dabei umgeformt hatte. Dies wiederum sollte ein Beleg für das ungebrochene Fortleben des germanischen Urgeistes im Deutschtum sein.» Dabei versuchte Maßmann seine Behauptung an der Schreibung der Handschrift zu erhärten, die er jedoch nur im diplomatischen Abdruck kannte. Außerdem mußte er noch einige Texteingriffe vornehmen, die sich als unhaltbar erwiesen. Schon als er 1825 das Handschriftenoriginal in München sah, rückte er von seinem Beweisgang ab, den dann sein ehemaliger Schüler Wilhelm Wackernagel in Das Wessobrunner Gebet 1827 genüßlich auseinandemahm.255 Es ist unübersehbar, daß Maßmann bei seiner Abhandlung weniger ein philologisches, als ein ideologisches Interesse leitete. Der Gedanke einer jahrtausendelangen deutschen Kulturkontinuität konnte dem Volkstumsgedanken besondere Autorität verleihen und die Aufrichtung einer deutschtümlichen Gesellschaftsordnung als historische Konsequenz erweisen. Lebendiger und höchster Ausdruck der historischen Kontinuität war ihm das volkstümlich überlieferte Brauchtum, das die sittlichen Tugenden der Altvorderen im Volke weiterleben ließ. So behauptete er in einer Fußnote: "Sehr viele Lebensbräuche und Sitten sind als sittig und sinnig aus frühster Heldenzeit bis auf unsie Tage geheiligt treu vererbt, ohne daß wir es oft ahnen."25« Obwohl Maßmann bei seinen Kontinuitätsbeweisen vor allem auf Grimms historische Sprachforschungen zurückgriff, kam er oftmals über polyhistorische Stoffhuberei nicht hinaus. So zitierte er, um eine Lesart zu stützen, Tacitus, die Klage (nach 1200), ein geistliches Lied von Markgraf Casimir (16. Jahrhundert), Luther, ein volkstümliches Sprichwort und Grimms Kinder- und Hausmärchen,251 252 253 254 255

Vgl. VL. 1. Aufl. Bd 2, Sp. 5-6. Erläuterungen, S. 8. Ebd. S. 13f. Vgl. Brief an LaBberg o.D. [Spätheibst 1826]. UB Krakau. W. Wackemagel: Das Wessobrunner Gebet und die Wessobranner Glossen. Berlin 1827, besonders S. 3Of. 256 Erläuterungen, S. 13f. S. 24 erklärte er die Zentralbegriffe des religiösen Patriotismus, "Gott - Vatervolk - Volksvater usw.", zu den "kräftigsten Grundbegriffen des Volkslebens". 257 Ebd. S. 21f.

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Das aktualisierende Analogiedenken, das Maßmanns deutschtümlicher Ansatz mit sich brachte, wird noch deutlicher bei seiner Kommentierung des Geißlerliedes sichtbar. Sachlich stützte er sich auch dabei vornehmlich auf die Vorarbeiten anderer Philologen, die er um zahlreiche Auszüge aus "Zeitbüchern", d.h. deutschen Chroniken des Mittelalters, ergänzte. Einen heutigen Forschungstrend antizipierend, sah er diese historiographische Literatur als die Quellengattung mit der meisten Authentizität fur die Erforschung des spätmittelalterlichen Gesellschaftslebens an.«8 Die historische Rekonstruktion blieb aber nicht Selbstzweck, sondern es ging Maßmann darum, daß sich "dadurch das Verständniß der Zeit-Gesinnung und der inneren Triebfedern zu solcher ungeheuern Zeitbewegung erst recht erschließt".*» Maßmann sah in dem Schicksal der Geißlerbrüderschaft nicht nur einen Vorläufer der Reformation, sondern fühlte sich auch an das Schicksal der religiösen Turnerpatrioten erinnert, so daß sich seine Abhandlung wie ein indirekter Bewältigungsversuch seiner Turnvergangenheit lesen läßt* Wundersam, wie in Einem Zeitraum alle Gemüther einer großen Volksgemeinde so gänzlich ein strenger Bußgedanke ergreift und zu so bitterer Selbstzüchtigung und unter sich strenger Zucht vermag. 260

Daß Maßmann dabei die Massenbewegung der Turngemeinden mit ihrer "strengen Zucht" auf den Turnplätzen als Folie davor hielt, wird in einem weiteren Zitat deutlich, daß Sittlichkeit und mangelnde Disziplinierung gegenüberstellt: Immer aber wird die Geißlerbriklerschaft eine der merkwürdigsten Zeiterscheinungen bleiben! Tausende strömten zusammen und hielten (zu Anfang) eine bemeikensweithe Ordnung I Sie hatten ihren Brauch, ihr Gesetz, ihre Regell Sie forderten Ausdauer, Keuschheit und eheliche Enthaltung. Zarte Jungfrauen geißelten sich daheim in ihren Gemächern. Anfangs die herrlichsten Wirkungen [...] fortgewurzelte Laster wurden ausgemerzt [...]. Sie hatten "Meister", denen sie viel Gewalt gaben 1 [...] Zu Ende artete es aus: Da bekam die Obrigkeit das Nothrecht einzuschreiten.561

Maßmann Ubersah aber natürlich nicht den wesentlichen Unterschied darin, über den Körper ein neues Bewußtsein zu erreichen, denn die Geißler "zerlästerten" ihre Körper "Unsre Zeit - leider wohl genußreich und lustsüchtig genug! - will aber doch nicht Leibesertödtung, sondern Leibesheiligung durch Kräftigung."2«

258 259 260 261 262

Vgl. das Vorwort in U. Liebertz-Grün: Das andere Mittelalter. Tübingen 1985. Erläuterungen, S. 42. Ebd. S. 41. Ebd. S. 80-82. Ebd. S. 82.

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Maßmanns erster Auftritt als Germanist war nicht eben glorreich, aber er erfüllte seinen Zweck: Der Wartburgbrenner war nun wissenschaftlich initiiert und ein Stück von seiner demagogischen Vergangenheit entfernt. Insbesondere gelang es ihm schnell, das Wohlwollen von Kamptz zu erringen, der sich offenbar etwas darauf zugute hielt, den einstigen Wartburgbrenner zur Räson gebracht zu haben. So beruhigte er den Freiherrn von Ledebur, der Bedenken hatte, mit dem berüchtigten Maßmann in einer Publikation zu erscheinen.*3 Auch Meusebach erhielt von Kamptz ein positives Zeugnis, als er Maßmann als Hauslehrer anstellen wollte.2« Gleichwohl verschärfte sich die politische Situation Anfang 1824 durch die Aufdeckung des Jünglingsbundes noch einmal. Endlich hatten die Demagogenjäger eine wirkliche Geheimverschwörung entdecken können, auch wenn sie über Versammlungen nicht hinausgekommen und wieder zerfallen war. Zu den Verhafteten gehörte auch Maßmanns Freund Robert Wesselhöft. Im März 1824 wurde in Köpenick ein Untersuchungsgericht installiert, das mit allen Mitteln auf drakonische Strafen drängte. Im April mußte auch Maßmann wieder zum Verhör erscheinen, da sich unter Wesselhöfts Papieren Briefe von ihm befanden.265 Es gelang Maßmann jedoch, sich aus der Schußlinie zu bringen, auch andere Aussagen entlasteten ihn, so daß er unbehelligt blieb. Aber seine politische Vergangenheit machte ihm auch weiterhin zu schaffen, wie er bei seinen nächsten philologischen Projekten feststellen mußte. Das erste betraf die Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache, der

Maßmann 1824 als ordentliches Mitglied beitrat. Die Gesellschaft hatte seit ihren patriotischen Anfangstagen einen erheblichen Wandel durchgemacht. Schon 1817 war Jahn bei einer Feierstunde der Gesellschaft auf Widerstand gestoßen, als er ein Hoch auf die Wartburgteilnehmer ausbrachte. Bald darauf zog er sich aus der Gesellschaft zurück, die nach einer Phase der "Gährung" sich auf wissenschaftliche Interessen zurückzog.266 Zu ihren Plänen gehörte eine Handausgabe der gotischen Bibel des Bischofs Ulfllas (Wulfila). Der gotischen Bibelüberlieferung kam für die damalige Germanistik eine besondere Bedeutung zu. Sie galt als das älteste Zeugnis der germanisch-deutschen Sprachgeschichte und dokumentierte für die Deutschtümler den ursprachlichen Zustand des Deutschen. Selbst Jacob Grimm hatte keine Bedenken, das Gotische als die früheste Form des Deutschen anzusehen. Als 1817 umfangreiche neue Funde der fragmentari263 264 265 266

Dorow: Erlebtes ΠΙ, S. 33 lf. Vgl. Meusebach: Fischartstudien, S. 56ff. und 138. ZSAM/M.3, Bl. 105ff. F.A. Pischon: Über den Zweck einer deutschen Gesellschaft und Übersicht der Geschichte der unsrigen. Hagen's Germania 1836, S. 1-12.

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sehen Ulfilas-Überlieferung aus Italien gemeldet wurden, jubelte er "Die todten stehen gleichsam auf, um die abkunft und die herrlichkeit unseres volkes zu bezeugen."»7 Aber wie es mit der Herrlichkeit des Deutschen Reiches nach 1815 nicht vorwärts ging, so stagnierte auch die Herausgabe der italienischen Funde, so daß Grimm eine Reise nach Italien plante, um sich das neue Belegmaterial für seine Grammatik zu sichern. Auch Maßmann war bereits 1817 auf die neuen Funde aufmerksam geworden. Für ihn besaß die gotische Bibelüberlieferung besonderen ideologischen Wert. Die Übersetzungsleistung des Ulfilas stand am Anfang der altdeutschen Literaturüberlieferung, wie Luthers Bibelübersetzung an ihrem Ende. Bei seiner Vorliebe für heilsgeschichtliche Konstellationen sah Maßmann darin eine besonders eindrucksvolle Widerspiegelung des deutschen Volksgeistes, der sie hervorgebracht hatte.268 Maßmann erbot sich, für die Gesellschaft nach Italien zu reisen und dort die neugefundenen Bruchstücke zu faksimilieren, um sie dann der geplanten Ulfilas-Ausgabe einzuverleiben. Hierdurch kam er ungewollt mit Jacob Grimm in Konkurrenz, der 1824 endlich die projektierte Italienreise unternehmen wollte. Grimm reagierte ziemlich gereizt auf die unliebsame Konkurrenz der dilettierenden Deutschtümler.2« Diese bewilligten 200 fl. für Maßmanns Reise und erhielten vom preußischen Kultusministerium positive Signale.270 Aber dann stellte sich das preußische Außenministerium quer. Es verweigerte die Unterstützung von Maßmanns Einreisegesuch ins österreichisch beherrschte Italien. Der Grund dafür lag erneut in Maßmanns WartburgveigangenheiL Das Außenministerium erwartete eine Ablehnung des Einreisegesuchs durch Österreich und wollte sich nicht als demagogenfreundlich bloßstellen.271 Maßmann hätte das Projekt trotzdem (und auch gegen die Konkurrenz von Grimm) weiterverfolgt, aber die Sprachgesellschaft, die offenbar jeden politischen Anhauch zu vermeiden suchte, entzog ihm den Auftrag und suchte einen neuen Bearbeiter. Sie fand keinen, und auch Grimm und Lachmann blieben zuhause, so daß die Germanistik noch einige Jahre auf das Werk des kränkelnden italienischen Herausgebers Castiglione warten mußte.272 Durch den Ulfilas kam Maßmann aber immerhin in einen Briefwechsel mit Jacob Grimm, der in freundschaftlicher Weise über mehrere Jahrzehnte fortdauerte. 267 Zitiert nach C. L. Gottzmann: J. Grimms Bemühungen um die gotische Bibel. BrüderGrimm-Gedenken 1985, S. 24. 268 Maßmann hielt dazu später einen Vortrag: Luther und Utßla. Germania 1846, S. 362-369. 269 Gottzmann: Grimm, S. 25. 270 Brief an J. Grimm, April 1824. SBPK/GS. 271 ZSAM, A.A.l. R. 4, Nr. 529. 272 Es wurde von Maßmann 1834 in den Bayerischen Annalen Nr. 13Iff. rezensiert Vgl. unten Kap. V/4.

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Auch Maßmanns zweites Projekt hatte indirekt mit Grimm zu tun. In seinem Kommentar zur Freckenhorster Heberolle hatte Maßmann eine altsächsische Legende von der Umwandlung des Pantheons in ein römisches Gotteshaus veröffentlicht.273 Grimm wies auf eine spätere Fassung dieser Legende in der Kaiserchronik hin, wodurch Maßmann offenbar dazu angeregt wurde, sich mit diesem frühmittelhochdeutschen Geschichtswerk genauer zu befassen. Vielleicht hat ihn Grimm sogar direkt zu einer Herausgabe des Werkes angeregt.274 Denn obwohl die Kaiserchronik in einer Vielzahl von Handschriften und Versionen überliefert war, waren daraus erst wenige Auszüge (durch Docen und Grimm) veröffentlicht worden.2" Dieses Schicksal teilte der Text mit zahlreichen wichtigen Dichtwerken des Mittelalters, die seit der Aufhebung der Klosterbibliotheken nach 1803 wie eine Springflut vor dem Häuflein der altdeutschen Philologen aufgetaucht waren. Erst mit der Etablierung eines breiteren Wissenschaftsbetriebes seit den Zwanziger Jahren kam nun eine nachhaltige Bewegung in diesen Desideratenstau. Die Kaiserchronik bot für Maßmann in mehrfacher Hinsicht eine interessante Perspektive. Einmal «zählte das umfangreiche Werk (über 17000 Verse) die Geschichte der römischen und deutschen Kaiser, d.h., letztlich der Übernahme der imperialen Macht durch die Deutschen, wobei weltliches und geistliches Geschehen als eine heilsgeschichtliche Ganzheit betrachtet wurden. Das Werk brachte aber auch "Geschichte von unten", durch die Einstreuung zahlreicher Sagen und Legenden, die dafür gesorgt hatten, daß die Kaiserchronik zum meistüberlieferten Werk des 12. Jahrhunderts wurde und nachhaltigen Einfluß auf die spätmittelalterliche Chronistik ausübte. Hier war also wieder der Volksgeist am Werk, der Maßmann so sehr beschäftigte. Schließlich zog die Arbeit an der Kaiserchronik und der damit zusammenhängenden frühmittelhochdeutschen Literatur des 12. Jahrhunderts den weit auseinanderliegenden Forschungsthemen Gotisch/Althochdeutsch und spätmittelalterliche Kulturgeschichte eine stabilisierende Mittelachse ein. Maßmanns Interesse umfaßte von da an den ganzen Bereich des Altdeutschen- mit Ausnahme der höfischen Literatur, der Maßmann als Volkstümler wenig abgewinnen konnte. Die gotische und althochdeutsche geistliche Literatur, die Kaiserchronik und die spätmittelalterliche Lyrik, Didaktik und Chronistik blieben über mehrere Jahrzehnte die Leitmotive seines Forscherlebens. 273 Altsächsische Sage vom Pantheon zu Rom. Dorow's Denkmäler, Bd 1, H. 2/3, S. 40-42 (mit Übersetzung). Grimms Ergänzung aus der Kaiserchronik ebd. S. XXXf. 274 Das behauptete Maßmann in einem Brief an Hoffmann von Fallenleben, 29. Vm. 1824. SBPK. 275 Zur Kaiserchronik vgl. VL. 2. Aufl. Bd 4, Sp. 949-964. Zur Editionsgeschichte E. Schröders Ausgabe, Hannover 1892, S. Iff.

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Hierbei wurde die Kaiserchronik zum eigentlichen Motor seines wissenschaftlichen Lebensplanes, wobei er sich durch anfängliche Hindernisse nicht entmutigen ließ. Denn auf der Suche nach einer Trägerinstitution erlebte er wieder eine Enttäuschung. Er wandte sich nämlich an die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, die die Herausgabe der Monumenta Germaniae Historica leitete, die die gesamte historische Literatur der altdeutschen Zeit zugänglich machen sollte.276 Dieses Unternehmen verdankte sich der Initiative des Freiherrn von Stein, der auf diese Weise nach der Gründung des Deutschen Bundes den reichsständischen Patriotismus wachhalten wollte. Um das Unternehmen im weitesten Umfang durchführen zu können, band es Stein eng an den Frankfurter Bundestag, der es befürwortete und für finanzielle Unterstützung durch die deutschen Fürsten sorgte. Gleichwohl sah sich der Verein in einer heiklen Lage, denn die Staatsmänner der Restauration vermuteten hinter dem nationalen Geschichtswerk demagogische Propagandaabsichten, während es den Liberalen als ein restauratives Unternehmen die Feudalwelt des Mittelalters zu verherrlichen schien. Die Tagespolitik wirkte in den Anfängen von 1819 mit hinein. So wurde Ernst Mortiz Arndt von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, während umgekehrt Friedrich Dahlmann aus Protest gegen die Karlsbader Beschlüsse des Bundes Mitarbeit und Mitgliedschaft aufkündigte. Da Preußen seit 1821 zu den Geldgebern des Unternehmens zählte, ging Stein bei der Auswahl der Mitglieder hochnotpeinlich vor. Bei der Ablehnung Maßmanns hat aber auch sicher alter Groll eine Rolle gespielt Denn Stein gehörte wie Niebuhr zu den älteren Patrioten, die sich seit dem Wartburgfest über die politischen Ansprüche der frühreifen Studentenjugend empörten. Entsprechend schrieb Stein über Maßmanns Ersuchen an Niebuhr: "Herrn Maßmanns Anerbietungen, eines Heroen der Wartburg, 1817, werden wir ablehnen. Seine Sprache ist ganz aus der fratzenhaften Schule der Turner und Volkstümler, wozu er gehört."2" Gegenüber seinem Direktoriumskollegen Pertz machte Stein auch noch die mangelnde Qualifikation Maßmanns geltend.278 Georg Heinrich Pertz hat die Ablehnung unter Bedauern bestätigt, aber Maßmanns Unternehmen dann genau wie Steins Nachfolger Johann Friedrich Böhmer persönlich gefördert.27» Erst als sich die Herausgabe über mehrere Jahrzehnte verschleppte, haben sie sich beide von Maßmann abgewandt.

276 H. Biesslau: Geschichte der Monumenta Germaniae Historica. Hannover 1921, besonders S. 69ff. 277 Freiherr von Stein: Briefe und amtliche Schriften. Bd 6. Stuttgart 1965, S. 723f. 278 Stein an Putz, 20.V.1824. Ebd. S. 722. Biesslau: Geschichte, S. 70. 279 "Pertz bietet mir aus seiner Belesenheit freundbrüderlich die Hand." Brief an Hoffmann von Fallersleben. 27.IX.1824. SBPK.

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IL 'Demagogenjahie'

Durch die Absage Steins war Maßmann ganz auf sich allein gestellt Dies war für den weitgehend mittellosen Maßmann ein schweres Handikap, da die Sichtung der umfangreichen Überlieferung notwendig Bibliotheksreisen erforderte, zudem auch ein Verleger für das voluminöse Werk gefunden werden mußte. Es fehlte ihm aber auch eine leitende Hand bei der Inangriffnahme des schwierigen Editionsunternehmens, da er als Herausgeber epischer Texte keine Erfahrungen hatte. Der diplomatische Abdruck einer Haupthandschrift, der das dringendste Informationsbedürfnis der Germanistik gedeckt hatte, wäre sicher der vernünftigste Weg gewesen. Aber Maßmann ging sofort aufs Ganze einer kritischen Ausgabe, mehr noch: er wollte, entsprechend seiner deutschtümlichen Perspektive, auch noch das Weiterleben der Kaiserchronik in der späteren Erzähl- und Geschichtsliteratur untersuchen und dokumentieren. Dabei war es ihm noch nicht einmal möglich, die Heidelberger Handschrift (Cod. palat. 361), die er für die Haupthandschrift hielt, nach Berlin zu bekommen. Glücklicherweise übernahm der Deutschtümler Friedrich Heinrich von der Hagen, der 1824 als Ordinarius von Breslau nach Berlin zurückkehrte, diesen Auftrag.280 In dem geistig verwandten von der Hagen, mit dem er schnell in freundschaftlichen Umgang kam, fand Maßmann einen wichtigen Unterstützer seiner Pläne. Während der siebenundzwanzigjährige Maßmann noch auf die Übersendung der Handschrift wartete, eröffnete sich ihm eine neue Möglichkeit, sein Unternehmen voranzutreiben. Vermutlich durch Vermittlung Adelbert von Chamissos erhielt Maßmann ein Angebot, einen jugendlichen Adeligen als Hofmeister nach Hannover zu begleiten. Der jugendliche Augsburger Baron von Eichthal war im süßen Studienleben verlottert und sollte abseits der Metropolen an ernsthaftes Arbeiten gewöhnt werden.28' Daß Maßmann dieses Angebot sofort annahm, statt eine Hauslehrerstelle bei Meusebach anzutreten, und auch ohne daß er auf den Heidelberger Codex gewartet hätte, hatte wahrscheinlich auch politischen Gründe. Denn noch immer saß er angesichts der Demagogenverfolgungen auf einem Pulverfaß. Noch immer konnte eine Namensnennung durch einen Delinquenten ihn wieder vor das Untersuchungsgericht bringen, noch immer konnte er durch plötzliche Vorladungen dazu gebracht werden, unbeabsichtigt seine Freunde zu belasten. Wie sehr sich Maßmann dieser damokloiden Situation bewußt war, geht aus einem Brief hervor, den er ein halbes Jahr später aus Heidelberg an den ihm wohlgesonnenen Chamisso schrieb: "Ich bin seit ich von Berlin weg bin, gewissenhaft fleißig gewesen: ich sah dies als Pflicht an für den Genuß, daß ich frei geblieben

280 Brief an Hoffmann von Fallersleben, 17.VIII.1824. SBPK. 281 Brief an Kamptz, 2.VI.1824. ZSAM/M.3 Bl. 166f.

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bin, und nicht im Schloß Kföpenick] bin, was ja leicht hätte geschehen können, wenn ich auch keinen Anlaß gegeben."»2 Als Maßmann bei Kamptz um einen Reisepaß einkam, erhielt er zusätzlich noch ein Empfehlungsschreiben des berüchtigten Demagogenjägers. Kamptz neues Wohlwollen für Maßmann wurde sicher noch dadurch gesteigert, daß Kamptz zusätzlich eine Direktorenstelle im Kultusministerium erhielt und dabei einen merkwürdige Gesinnungswandlung durchmachte. Laut Tieitschke "behandelte Kamptz die Männer der Wissenschaft so freundlich, daß die Berliner spotteten: nun möge er nur sich selber nach Köpenick zu den eingesperrten Demagogen verbannen".283 Die Reise ging traditionsgemäß durch den Harz, wo Maßmann in den Bädern auch seinen vom übermäßigen Handschriftenlesen arg strapazierten Augen Linderung verschaffen wollte.284 Kaum in Hannover angekommen, trat aber sein philologischer Forscherdrang wieder in den Vordergrund. Wie es aussieht, war seine Hofmeisterfunktion mit dem Abschluß der Reise bereits beendet. In Hannover und dem nahegelegenen Wolfenbüttel begann Maßmann sofort die Bestände zu durchforschen und machte dabei reiche Beute. Er kümmerte sich auch um literarische Aufträge, die ihm Meusebach, von der Hagen und Grimm nahegelegt hatten. An Grimm meldete Maßmann sofort alle althochdeutschen Glossenfunde, die er unterwegs machte, als Belegmaterial, wofür sich Grimm im Vorwort zum 2. Teil seiner Grammatik 1826 öffentlich bedankte.283 Ein enormes, aber letztlich wirkungslos gebliebenes Arbeitspensum erledigte Maßmann für von der Hagen, der damals eine Neuauflage seines berühmten Grundriß der mittelalterlichen Literatur plante, die dann aber doch nicht realisiert wurde. Daß Maßmann dafür in "schweren Paketen" Material schickte, entging auch Hagens Widersacher Lachmann nicht 286 Intensität und Kontinuität der Zuarbeit für von der Hagen wird aus Maßmanns Briefen an Wilhelm Wackernagel deutlich, der Amanuensis bei von der Hagen wurde.287 Meusebach fühlte sich - wohl wegen seines Dilettantenstatus - von Maßmann vernachlässigt: "Die jungen Kenner des Altdeutschen wollen wahrhaftig etwas kurz gehalten seyn, sonst machen sie's alle dem Grimm nach, nicht in Werken sondern in Worten und halten sich allein für was anderes als Liebhaber, womit sie als mit einem Scheltworte stark um sich 282 Brief an Chamisso, 7.Π. 1825. DSB, Chamisso Κ 29. 283 Tieitschke: Geschichte ΠΙ, S. 418. 284 Brief an Kamptz, 2.VI.1824. ZSAM/M.3. Die Haizfahit sollte urspriinglich mit Chamisso gemacht werden. Brief an Chamisso, 2.VIII.1824. DSB. 285 J. Grimm: Deutsche Grammatik. Th. 2. Göttingen 1826, S. X. Ebenso in seiner Rezension von Hofmanns Althochdeutschen Glossen, GGA 1826, S. 1589. 286 Brief Lachmanns an Laßberg, 4.VI.1826. In: Pfeiffer's Germania 1868, S. 491. 287 Vgl. die Briefe Maßmanns an Wackernagel 1824ff. SAB/PA.

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werfen." Nach diesbezüglichen Klagen reagierte Maßmann gar nicht mehr.»« Zuvor hatte ihm aber ein Empfehlungsschreiben Meusebachs noch geholfen, seine politische Vergangenheit zu entschärfen.»' An der Unterstützung durch Pertz und dem Hannoverschen Minister Amswald konnte Maßmann merken, daß ein neues Lebenskapitel für ihn begonnen hatte. Doch trat ihm noch ein neues Hindernis in den Weg, diesmal wissenschaftlicher Natur. In Hannover erfuhr Maßmann, daß sich August Heinrich Hoffmann, genannt von Fallersleben, den Heidelberger Codex bereits nach Breslau bestellt hatte, um sich eine Abschrift davon zu machen. Hoffmann, der in Breslau auf einer subalternen Bibliotheksstelle versauerte, war ebenfalls bemüht, sich schnell einen Namen als Germanist zu machen. Dieser beiderseitige Ehrgeiz mag ein Grund für die unschöne Rivalität gewesen sein, die später ins Politische hinüberdriftete. Der Anfang lag in der Überschneidung ihrer Kaiserchronik-Pläne, wenngleich es erst gar nicht danach aussah. Denn Maßmann erkannte Hoffmanns Erstveröffentlichungsrecht an, schilderte ihm jedoch die umfangreichen Vorarbeiten, die er bereits geleistet hatte und bot Hoffmann als Ersatz für die Überlassung des Kodex andere Quellen an.»0 Maßmann war selbst zu einer gemeinsamen Herausgabe bereit und schlug Hoffmann sogar die Korredaktion einer germanistischen Zeitschrift vor, die ein Desiderat des Wissenschaftsbetriebes war. Darüber hinaus subskribierte er auf zwei Buchprojekte Hoffmanns und schenkte ihm ein Exemplar seines Dorow-Aufsatzes. Seine Erläuterungen zum Wessobrunner Gebet enthielt er Hoffmann jedoch vor, was Hoffmann wohl im nächsten Jahr dazu veranlaßte, eine verheerende (und ziemlich verletzende) Rezension dieses Werkes zu publizieren, womit die Fehde ihren offenen Anfang nahm.»1 Im Herbst 1824 verzichtete Hoffmann noch auf die Kaiserchronik, nachdem Maßmann ihn erneut mit Versprechungen zur Gegenleistung bekniet hatte, und schickte die Handschrift nach Heidelberg zurück. Dorthin wanderte im Spätherbst auch Maßmann. Ein neuer Lebensabschnitt in den süddeutschen Verfassungsstaaten begann.

288 Brief an Ebeit, 7.1.1825. Meusebach: Fischartstudien. Ebd. S. 138. 289 Ebd. S. 124f. Meusebach an Eben, 4.VÜ.1824. 290 Vgl. dazu Maßmanns Briefe an Hoffmann, 17.VIII., 29.VHL, 27.IX. und 1.ΧΠ.1824. SBPK. 291 Siehe unten Kap. m/2.

ΠΙ. In der Hut des Südens: germanistisch-literarischer Neuanfang 1. Heidelberger Moosrosen Im Spätherbst 1824 wanderte der junge Maßmann erneut gen Süden. Es war seit den Karlsbader Beschlüssen bereits der dritte Versuch, außerhalb Preußens eine Lebensperspektive zu gewinnen. Und dieses Mal waren die äußeren Umstände weitaus günstiger. Schon in Hannover und Wolfenbüttel wurde dem jungen Gelehrten trotz seines schlechten Leumunds wohlwollende Unterstützung zuteil. Die innere Befreiung, die diese neue Erfahrung für den gerade Siebenundzwanzigjährigen bedeutete, läßt sich daran erkennen, daß sein weiterer Weg nun von spätromantischer Wanderlyrik begleitet wurde. Das erste Lied dieser Art entstand noch in Hannover, im Hause des Bankiers Philipp, wo Maßmann mit seinem adeligen Schützling logierte.1 Es entstand vor der Abreise einer Tochter des Hauses, die Maßmanns geplante Rheinroute vorwegnahm. Maßmann schickte das Lied an Chamisso, veröffentlichte es als An den Rhein im Liederbuch für deutsche Künstler* und übernahm es schließlich mit dem biographisch passenden Titel Glückauf in seine Armin' s-Lieder:* Reisen, Reisen, froh Gewimmel, Wunderreiz, so reich und rein! Überm Haupte blauer Himmel Und im Herzen Sonnenscheini Grüne Wilder, Haue Berge, Hier Schalmei, dort Dannerhall; Kinder, Jungfrau'n, Riesen, Zwerge Und am Abend Nachtigall! Hebe dich, ο Herz, und schlage Lustig in die Lust mit ein.

1 2 3

Brief an Chamisso, 2.VÜI.1824. DSB, Chamisso Κ 29. F. Kugler/R. Reinick (Hrsg.): Liederbuch für deutsche Künstler. Berlin 1833, S. 104. Armin's-Lieder, S. 41.

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ΠΙ. In der Hut des Südens Wehe munter, Wind, und trage. Frohen Graß zum Vater Rhein! Goldne Trauben, grüne Wogen, Heidelberger Schloß und Fasst Erwin's Thurm und Gerhard's Bogen4 Ο wo find' ich Ziel und Maßt Hohe heil'ge Kirchenhallen Aus der frommen Väterzeit, Fuß und Herz euch gegen wallen Und die Sehnsucht euch sich weiht! Nun Glükk auf zum Sonnenscheine, Himmel werde nie Dir graul Und am Neckar und am Rheine Pflükk uns gem ein Blümlein blau! 5

Auch in diesen heiteren Strophen im biedermeierlichen Lapidarstil - in den ersten beiden Strophen findet sich kein Verb - durften die altdeutschen Identifikationsobjekte "aus der frommen Väterzeit" nicht fehlen. Die Reise entlang des Nationalemblems "Vater Rhein" geht in eine religiös gestimmte Szenerie des Vergessens, die "blaue Blume" der Romantik soll die schlechte Gegenwart veredeln, das Herz erheben. Tatsächlich waren Heidelberg mit seinem Schloß und Straßburg mit seinem Münster dann wichtige Orte, an denen Maßmann wieder zu "Ziel und Maß" fand, oder genauer gesagt: wo er seine Zielsetzung zeitgemäßer und maßvoller zu definieren versuchte. Denn an Maßmanns altdeutsch-nationalpädagogischem Sendungsbewußtsein hatte sich unter der notgedrungenen Philologenexistenz nichts geändert, wie ein kleines Gedicht demonstriert, das Maßmann ebenfalls an Chamisso schickte und später in seinen Armin'sLiedern unter dem Titel Vaterland veröffentlichte: Vaterland, von Dir zu singen Wünsch' ich ja vor Allem gem. Doch Du liebst jetzt still Gelingen: Drum von Dir ich schweigen lern'. Aber über allen Dingen Bleibst Du stets mein Morgenstern.6

Noch immer ist es ein imaginäres Vaterland des Herzens, das in Maßmanns patriotischer Minne-Strophe besungen wird. Wie in seinem Burschenlied wird das personifizierte Vaterland zum Handlungsträger erhoben. Dadurch wird von der realen Handlungsunfähigkeit des sprechenden Subjektes 4 5 6

"Das Münster zu Straßburg (1277) und der Dom zu Köln (1257)". Fußnote ebd. Brief an Chamisso, 2. Vm. 1824. DSB. Brief an Chamisso, 7.Π.1825. DSB, Chamisso Κ 29. Armin's-Lieder, S. 40.

1. Heidelberger Moosrosen

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abgelenkt. Die Doppelfunktion von Maßmanns politischer Muse wird hier besonders deutlich: Emotionalisierung und Legitimation. Maßmann besingt ein minneartiges Verhältnis zum Vaterland: die beiden "Stollen" ordnen jeweils die weibliche Kadenz dem Vaterland zu, während das werbende lyrische Ich die männlichen Reime dominiert. Im "Abgesang" der letzten beiden Zeilen werden Objekt und Subjekt unter der männlichen Kadenz vermählt: "Du stets mein". Dieser harmonisierten Vaterland - Patriot Beziehung steht eine diskursive Reflexion zur Seite: "Doch", drum", "aber" erzeugen mit rhetorischen Mitteln einen scheinkausalen Zusammenhang, der aus der Not gar eine Tugend macht: Das Vaterland "liebt" das Schweigen, das lyrische Subjekt "lernt" das Schweigen, das stilles Handeln, sogar "still Gelingen" erbringen muß. Die Trostfunktion, die solche Lyrik für Maßmann hatte, speiste sich vor allem aus den Naturbildern, die den unaufhaltsamen Wechsel der politischen Verhältnisse symbolisieren. Hier ist es der "Morgenstern", der irgendwann nach der Nacht der Restauration wieder sichtbar werden muß. Mit heilsgeschichtlicher Konnotation hatte es ja schon in der Wartburgfestbeschreibung geheißen: "So werden wohl oft noch Wolken sich thürmen [...], aber der Tag des Herrn muß herauf, muß kommen."7 In einem unveröffentlichten Gedicht aus dem Winter 1824/25, das Maßmann ebenfalls an Chamisso schickte, verband er religiöse und kriegerische Motive mit Naturbildern, um seine neue Taktik zu legitimieren. Er betitelte es Der Ungeduld: [...] Willst du in's gelobte Land, Still Ägyptens Frohndienst traget Aber stähle Geist und Hand, DaB Dein Herzblut munter schlaget Trage bis die Kraft dir keimt Und die Se[e]le sich beschwinget. Bis das Roß im Busen bäumt. Und die Glut das Eis durchdringet, Bis der Frühling bricht den Bann Und die Fluthen mächtig gehen: Muthig in den Strudel dann Jenseits wird du neu erstehen!*

Der Ort, an dem Maßmann neuen Mut und neue Hoffnung auf politisches Tauwetter bekam, war Heidelberg. Der Weg dorthin führte ihn durch die preußische Rheinprovinz, und es ist bezeichnend, daß sein Freund Dürre im 7 8

Beschreibung, S. 4. Brief an Chamisso, 7.Π. 1825. DSB.

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preußischen Trier noch froh war, daß Maßmann ihn mit einem Besuch verschonte, "denn verdächtig sieht es auf jeden Fall aus, daß der gute Mann so durch die Welt wandert, wenn er gewiß auch keine demagogischen Umtriebe macht"' Allerdings trat auch in Preußen eine gewisse Entspannung ein. Im Frühjahr 1825 kamen auch Maßmanns Akten von der Mainzer Kommission zurück und waren damit faktisch geschlossen. Jahn wurde 182S von der Anklage des Hochverrates freigesprochen, nachdem er jahrelang unter Arrest gestanden hatte. Jetzt erhielt er sogar eine stattliche Pension des preußischen Staates, als dessen treuen Bürger er sich in seiner Verteidigungsschrift dargestellt hatte. Jedoch mußte er sich dafür in die Provinz zurückziehen und sich von der Jugend fernhalten. Für Maßmann war es eine schwere Enttäuschung, daß der ehemalige Turnvater nun von seinen früheren Aktivitäten gänzlich abließ. Freundliche Aufnahme fand Maßmann in Frankfurt am Main, wo ihn Johann Friedrich Böhmer, der bedeutende Archivar und Vertraute vieler Romantiker, aufnahm und nach Kräften förderte.10 Er vermittelte wohl auch seine Aufnahme in den Frankfurtischen Gelehrtenverein für deutsche Sprache, deren Diplom eine wichtige Anerkennung für Maßmann bedeutete.11 Am 30. November 1824 kam Maßmann in Heidelberg an und konnte endgültig aufatmen. Denn obwohl der Deutsche Bund insgesamt die restriktive Politik Metternichs vertrat, bestand ein erheblicher Klimaunterschied zwischen Österreich und Preußen und den süddeutschen Verfassungsstaaten, zu denen das badische Heidelberg gehörte. Aus der Nähe zu Frankreich und der Vergangenheit des Rheinbundes blühte der süddeutsche Liberalismus auf, der zwar nicht Maßmanns politischer Richtung entsprach, aber geistige Beweglichkeit gegenüber dem dumpf brütenden Preußen verhieß. Die Universitätsstadt Heidelberg hatte die Zeit ihrer großen geistigen Bedeutsamkeit zwar schon hinter sich, aber als Maßmann sich dort für ein knappes halbes Jahr niederließ, waren noch einige Größen vor Ort. Der geistige Dauerkonflikt zwischen Aufklärung und Romantik schwelte in den Auseinandersetzungen zwischen Voß und Paulus auf der einen und Friedrich Creuzer auf der anderen Seite fort. Der Mythologe Creuzer war der letzte Vertreter der Heidelberger Romantik, zu dem Maßmann schnell

9 10 11

Düne an Baur, 7.ΠΙ.1824. Dürre: Aufzeichnungen, S. 369. Über den regen Forschungsaustausch unterrichten Maßmanns Briefe an Böhmer. UStB Frankfurt/M. UA München, Ε Π 197/(9a). Brief an Hoffmann von Fallersleben, 1 .XU. 1824. SBPK.

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Kontakt fand. In einem Brief an Görres lobte ihn Creuzer als einen "geschickten und kundigen jungen Mann"." Auch zu anderen Professoren der Heidelberger Universität, die wegen ihrer publikumsoffenen Haltung bekannt waren,13 fand Maßmann schnell Zugang und nutzte dies für die Förderung seines Unternehmens. Der berühmte Historiker Schlosser, der es aus politischen Gründen abgelehnt hatte, an den Monumenta Germaniae Historien mitzuarbeiten, und der auf die Verbindung von Politik, Literatur und Wissenschaft sein besonderes Augenmerk richtete,14 war von Maßmanns Absicht, die Rezeption der Kaiserchronik umfassend aufzuarbeiten, sehr angetan.In den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur, die Schlosser zusammen mit anderen Universitätsprofessoren herausgab, legte er Maßmanns Unternehmen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit mit Nachdruck ans Herz: Da dem Publikum bekannt ist, daS der Verfasser dieser Anzeige nichts Phantastisches in diesen Blättern zu empfehlen pflegt, so hofft er desto mehr Gehör zu finden, wenn er seinen Landsleuten die Unternehmung des Herrn Maßmarin [...] dringend als Sache der Wissenschaft und als eine wahrhaft für die vateiländisdie Geschichte nützliche Unternehmung empfiehlt.15

Als Direktor der Heidelberger Universitätsbibliothek konnte Schlosser aus nächster Nähe beobachten, mit welchem Eifer Maßmann die fast 800 Codices der berühmten Bibliotheca Palatino auf Überlieferungsspuren der Kaiserchronik durchsuchte und dabei als Nebenprodukt manches verschollene oder unbekannte Werk aufspürte. Dies mußte die mangelnde Erfahrung des jungen Gelehrten wettmachen: "Sollte auch Herrn Maßmanns Arbeit Kennern nicht ganz genügen, so wird doch ein großer Schritt gethan seyn, und ein nachfolgender Bearbeiter des Gegenstandes wird den Weg gebahnt finden".1« Auch einen Verleger konnte Maßmann bereits vorweisen. Der Heidelberger Buchhändler Christian Friedrich Winter,17 als liberaler Patriot und badischer Landtagsabgeordneter weithin bekannt, auch von Bedeutung in der philhellenischen Bewegung, war bereit, den Verlag der Kaiserchronik zu übernehmen. Die Finanzierung des voluminösen Werkes sollte durch Subskription gesichert werden. Zu diesem Zweck veröffentlichte Maßmann

12 13 14 15 16 17

Görres: Briefe ΙΠ, S. 168. Vgl dazu Hesperas 1830, S. 220. ADB XXXI, S. 533-541. Bresslau: Geschichte, S. 70. Heidelbeiger Jahrbücher der Literatur 1825, S. 433f. Ebd. S. 434. ADB XLÜ, S. 464f.

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eine vierseitige Anzeige des Werkes, gewidmet Den Freunden der älteren Deutschen Literatur und datiert auf den 17. Homung [= Februar] 1825.18 Es ist symptomatisch für die damalige Situation der Germanistik, daß Maßmann über den wissenschaftlichen Interessentenkreis hinausgehen mußte. Er lud "alle sowohl selbstthätige(n) als theilnehmende(n) Freunde der vaterländischen Sprachwissenschaft, Dichtkunst und Geschichte ein, dieses Unternehmen zu fördern", das er als eines "unserer größten, ältesten und schönsten Gedichte, ueberaus wichtig für volkliche und kirchliche Ueberlieferung, für Sage und Sprache" bezeichnete.1» Sich selbst stellte er als "unterstützt von unsern trefflichsten Deutschen Sprachforschern" vor und gab eine ausführliche Übersicht des von ihm gesichteten Handschriften und eine Inhaltsangabe. Außerdem skizzierte er den beabsichtigten Umfang des Unternehmens: An den treuesten Abdruck des Textes und der Lesarten wird sich ein vollständiges genaues Wörterbuch schließen, sodann eine ausführliche Untersuchung über das Veihältniß der Kaiserchranik zum Aimoliede, daraus über das Alter des Kaiserbuches; feiner über das Wesen desselben, seine einzelnen Sagen, mit Hereinzug alles Verwandten aus vielen andern Gedichten und pros[aischen] Werken, wozu das Kaiserbuch wie Quelle anzusehen ist, auch aus sämmtlichen deutschen und lateinischen Chroniken des Mittelalters; über das Verhältnis der Kaiserchronik zu Enekels und Rudolfs Weltchroniken; endlich über die große Kette aller Gedicht- und Geschichtwelke des Mittelalters bis auf Königshofen und die Kölner Chroniken pp., über deren Wesen durch den innigsten Zusammenhang aller mit dem Geist und Inhalt der Kaiserchranik neues Licht gewonnen wird. So wird diese Untersuchung auch für die Deutsche Geschichte sehr ergiebig.- 20

Heutigentags müßte für dieses erstaunlich modern anmutende Projekt vermutlich ein ganzes Expertenteam bestallt werden. Der rastlos tätige Maßmann schenkte ihm noch nicht einmal seine volle Aufmerksamkeit, womit er allerdings seine Kräfte überschätzte; bereits im Sommer 1825 wollte er mit dem Druck beginnen! In der weltoffenen und fremdenreichen Neckarstadt konnte Maßmann sich endlich wieder unbehelligt mit zugereisten Altersgenossen zusammenfinden, die seine deutschtümlichen Ansichten teilten. Der wichtigste von ihnen war Wolfgang Menzel, Maßmanns einstiger Vorturner in Breslau, den er 1822 in der Schweiz wiedergesehen hatte. Menzel, der nach den Karlsbader Beschlüssen mehr aus politischen Protest als aus wirklicher Not in die Schweiz gegangen war und 1824 nach Deutschland zurückkehrte, versuchte wie Maßmann, den religiösen Patriotismus der Burschenschafts18

19 20

Maßmann ließ es sich nicht nehmen, Böhmer ein Exemplar für den Freiherm v. Stein zu übersenden. Böhmer war mit der saloppen und hastigen Formulierung der Anzeige nicht glücklich, die Maßmann mit der Eile entschuldigte. Brief an Böhmer, 6.ΠΙ.1825. UStB Frankfurt/M. Den Freunden der älteren Deutschen Literatur. O.O. 1825, S. 1. Ebd. S. 2.

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zeit für die restaurative Biedermeiergesellschaft in ein neues Gewand zu kleiden. In seinen Memoiren erinnert er sich: "Es war mir auffallend, wie in den vier Jahren, die ich außerhalb des deutschen Bundes zugebracht hatte, die politische Stimmung verändert, das christlich deutsche Programm der Burschenschaft, die großartige Reichsidee von Görres vergessen war."21 Im Sinne seiner Doktrin hatte Menzel in der Eidgenossenschaft über den Freiwilligen Tod der alten Deutschen promoviert und in den Europäischen Blättern, die er gemeinsam mit seinem Breslauer Turngenossen Mönnich herausgab, in einer solchen Weise gegen die "Unsittlichkeit" und "Undeutschheit" Goethes polemisiert, daß er allgemeines Aufsehen erregte.22 Auch in der Aphorismensammlung Streckverse, die 1823 mit einigen Zensurlücken bei Winter erschien, leistete Menzel altdeutsche Kritik an der geistig platten und politisch mutlosen BiedermeiergesellschafL Dabei rückte er allerdings auch die eigene Vergangenheit zurecht, wenn er formulierte: "Wie kindisch muß unsre Zeit seyn, daß darin eine Empörung der Kinder möglich war."23 Ein anderer Streckvers lautete: "Die Dichter unserer neuen Freiheitsgesänge hielten die Staaten für Jerichosmauern, die sie mit ihrem ungeheuem Trompetenlärm umblasen wollten."24 Literarisches Engagement aus einer kulturkritischen Haltung heraus war das Mittel, mit dem Menzel auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluß nehmen wollte. Seit dem Sommer 1824 weilte er in Heidelberg, um seine nationalpädagogische Geschichte der Deutschen, für die reifere Jugend und zum Selbstunterricht faßlich beschrieben mit Hilfe der reichen Bibliothek zu Ende zu führen. Wie aus Menzels Memoiren hervorgeht, hatten er und Maßmann trotz ihres großen Arbeitspensums fast täglich Umgang." Sie verbrachten die Abende zumeist auf dem Heidelberger Schloß, das für die Deutschtümler seit je besonderen Symbolwert hatte. Zweimal war es im 17. Jahrhundert von den Franzosen niedergebrannt worden: "Wer von hier aus nicht einen Fluch nach Frankreich hineinschleudert, [...] der kann ohnmöglich ein biedrer Deutscher sein,"26 befand schon der Stürmer und Dränger Schubart, der dem Schloß einen jammervollen Prosahymnus widmete. Zuletzt hatte Schenkendorf die berühmten Ruinen nationalsymbolisch besungen. Dort also wurden Maßmann und Menzel Mittelpunkt eines geselligen Kreises, zu dem auch die Künstler Karl Barth (Friedrich Rückerts sprich21 22 23 24 25 26

Menzel: Denkwürdigkeiten, S. 194. Vgl. Schuppe: Menzel und W. Winkler: W. Menzels Bedeutung in den geistigen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts*. Breslau 1938, S. 7ff.; 42f. W. Menzel: Streckverse. Heidelberg 1823, S. 117. Ebd. S. 154. Menzel: Denkwürdigkeiten, S. 198. Kürschner (Hrsg.): Deutsche National-Litteratur. Bd 81. Berlin ο J., S. 225.

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wörtlicher "Freund und Kupferstecher") und Xeller (ein Berliner Malerfreund) gehörten.27 Waren sie nicht auf dem Schloß zu finden, trafen sie sich in einem Heidelberger Gasthof, vielleicht dem Prinz Karl, in dem Maßmann anfangs wohnte. Wie Menzel schreibt, verkehrten sie auch viel mit dem jungen Grafen Leon, einem natürlichen Sohn Napoleons, wie insgesamt eine Atmosphäre großer Offenheit herrschte. "Es war damals eine Zeit der Opposition, in welcher sich das Heterogenste zusammengefunden hatte und miteinander Chorus machte," erinnert sich ein anderer Schweizheimkehrer.» Der Zusammenklang Menzels und Maßmanns eröffnete kurzzeitig die Aussicht auf eine Fortsetzung der altdeutschen Kulturbewegung, wie sie Heidelberg Anfang des Jahrhunderts erlebt hatte. Menzel hatte im Frühjahr 1825 sogar die Absicht, gemeinsam mit Maßmann nach München zu gehen. Aber dann erhielt er aus Stuttgart von dem Großverleger Cotta das Angebot, das Literaturblatt zum Morgenblatt für gebildete Stände zu redigieren. Damit war er am Ziel seiner Wünsche, denn er wollte aus einer etablierten Position das "nationale Prinzip" und seine Vorstellungen von altdeutschem Mannestum und christlicher Sittlichkeit verbreiten.» Im Unterschied zu Maßmann konnte er es sich erlauben, seine geistigen Gegner öffentlich zu attackieren. So griff er 1825 mit Voß und die Symbolik auf Seiten Creuzers in den Gelehrtenstreit ein, mit scharfer Polemik gegen den rationalistischen "Zopfgelehrten" Voß. Menzel geriet dadurch auch in Gegensatz zu dem Theologieprofessor Johann Gottlieb Paulus, der ihn ohne Erfolg als Demagogen anzuschwärzen versuchte.30 Maßmann wäre in einer solchen Situation sicherlich wieder von seiner Wartburgvergangenheit eingeholt worden, aber das war nicht der einzige Grund, warum er sich in dieser Auseinandersetzung bedeckt hielt. Ihm kam es für die Deutsche Kirche auf ein Bündnis aller christlichen Kräfte an, mochten sie nun der Aufklärung oder dem romantischen Geist verpflichtet sein. So kam es, daß er auch zu Paulus gute Beziehungen unterhielt, der als Herausgeber des Sophronizons 31 und Mitherausgeber der Heidelberger Jahrbücher der Literatur eine publizistische Schlüsselstellung innehatte. Im März 1826 starb der Homer-Übersetzer Voß, aber der Streit kam dadurch noch nicht zum Erliegen. Paulus veröffentlichte mit Schlosser Lebens- und Todeskunden über J.H. Voß, die von dem Creuzer-Freund Görres im Katholiken und in seinen Vermischten Schriften madig gemacht 27 28 29 30 31

Menzel: Denkwürdigkeiten, S. 198. E. Münch: Erinnerungen, Lebensbilder und Studien. Bd 2. Karlsruhe 1837, S. 196. Vgl. Schuppe: Menzel, S. 34ff. Menzel: Denkwürdigkeiten, S. 197f. Mit dem Untertitel: "unpaitheiisch-freymüthige Beiträge zur neuem Geschichte, Gesetzgebung und Statististik der Staaten und Richen".

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wurden, wogegen Paulus dann wieder im Sophronizon polemisierte.32 Maßmann wurde von Jacob Grimm um Informationen über den Heidelberger Streit und das Begräbnis von Voß gebeten. Da er aber gerade auswärts geweilt hatte, konnte er ihm über den "Leichenzug" nur mitteilen: Gefolgt wär' ich von Herzen, denn steh' ich auch nicht auf Voßen's einseitig-philologischer Seite, (von der aus er Wissenschaft u[nd] Lebensbeziehungen in dem Streit mit dem schwachgule* [Cjreuzer vermischte), so ist mir doch Voß im Sterben verehnmgswürdiger, als Göthe noch im Leben. Übrigens sehen sie diese kurzen Worte nicht für ein Urtheil an, das ich nur weitläufiger fassen könnte.33

Auch wenn Maßmann seine Stellungnahme relativiert hat, läßt sich seine Haltung daran ablesen. Voß war zwar Aufklärer, aber christlich orientiert, er hatte als ehemaliger Hain-Bändler auch antifranzösische Töne von sich gegeben und als einer der ersten das Nibelungenlied im Unterricht behandelt. Goethe hingegen war unchristlich und unpatriotisch orientiert, so daß sich Maßmann bei ihm Menzels ablehnender Haltung anschloß. Trotz der religiösen Differenz gab es weitgehende Übereinstimmungen bei Maßmann und Menzel. Ihr stetiger Gedankenaustausch fand bleibenden Niederschlag in zwei kulturkritischen Zeitanalysen: Maßmanns Das vergangene Jahrzehend der deutschen Literatur, 1826 verfaßt, und Menzels Die deutsche Literatur von 1828.34 Beide Schriften operierten mit einem weitgefaßten Literaturbegriff, der die ganze Literaturproduktion von der schönen Literatur bis zu Religion und Wissenschaft einschloß und dadurch eine kritische Musterung der Biedermeierkultur von ihrem Schrifttum aus ermöglichte. Menzels Die deutsche Literatur ist das weitaus wichtigere und bekanntere Werk, was seine guten Gründe hat. Während Maßmann nur eine Nebenarbeit vorlegte, zog Menzel die Summe seiner literaturkritischen Tätigkeit, und er fand dafür einen frischen feuilletonistischen Ton, der selbst Börne und Heine anzog. So konnte er viel Aufmerksamkeit gewinnen für seine Kritik an einer seichten Kultur, deren Wortreichtum die politische Unfähigkeit verdecken mußte: "Die Deutschen thun nicht viel, aber sie schreiben desto mehr", lautete Menzels Eingangsthese.35 Maßmann blieb in seiner Schrift dem schwärmerischen Ton seiner Jugendjahre treu und konnte damit schwerlich einen westlich orientierten Intellektuellen ansprechen: Bücher werden fortan nur Wunder thun und Berge versetzen, werden in den Ruhmhallen 32 33 34 35

J.G. Paulus: Warum eifert J. Görres gegen Voß? Sophronizon 1827, S. 115-124. Brief an J. Grimm. 20.IV.1826. SBPK/GS. W. Menzel: Die deutsche Literatur. Bd 1/2. Stuttgart 1828. Eva Becker hat in ihrem Nachwort im Reprint Hildesheim 1981 ohne Kenntnis der Heidelberger Zusammenhänge auf die Ähnlichkeit beider Werke hingewiesen. Menzel: Deutsche Literatur, S. 1.

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des Vaterlandes nur aufbewahrt werden, wenn sie wiegen und wirken wie Theten; wenn sie die ganze Volksseele in den innersten Geistes- und Lebensbeziehungen mit Schwungkraft beflügeln und zur Dauererhebung entzünden; wenn sie das arbeitsame Volksleben sonntäglich anhauchen mit dem Odem gesunden Lebensmuthes, reiner froher Liederkunst und himmelöffnender Ahnungen, wenn sie klare Anschauungen zuführen, nachhaltige Kembegriffe wecken, Hochgedanken entwickeln, die zuvor noch nicht vollgedacht waren, und thatkräftiges Selbstverständniß der ganzen Volksgemeinde einimpfen, sowohl in gebundener als ungebundener Rede, sowohl im Gedichte, als in der Geschichte, sowohl im Liede als in der Predigt.36

Maßmann eröffnete den 2. Teil seiner Schrift mit einem Aphorismus Menzels: "Unsers Volkes Geist ist eine rein gestimmte Harfe. Es kommt nur darauf an, wer sie spielt"37 Die größte Gefahr für das solchermaßen naiv-romantisch betrachtete Volksbewußtsein sah auch Maßmann von der Entwicklung des kapitalistischen Kulturbetriebes ausgehen, der mit Irreligiosität, sexueller Freizügigkeit und westlichem Fortschrittsglauben die patriarchalische Christlichkeit bedrohte. So wetterte Maßmann über "schreibende Männinnen"38 und verachtete die Berufsjournalisten als "Beflecker von Zucht und Sitte"39. Die offene Frontstellung gegen den freizügigen Atheismus der jungdeutschen Schriftsteller, die Menzel und Maßmann in den Dreißiger Jahren einnahmen, wurde von Maßmann hier schon vorbereitet, denn sie zählten sicher auch zu den [...] niedrigen Spekulanten, Schmugglern und Beutelschneidern, die den elendesten und zugleich den unzüchtigsten Samen aus eselgrauem Papier in den Boden des Volkslebens ausstreuen und in ächtjüdischer Krämerweise - Schriftsteller wie Verleger - ihre Modewaare frech und unverschämt auspreisen! [...] in jenes, nur angedeutete, Wespennest sollten darum die Nachtwächter der Zeit mit ihren Spießen einmal stechen und stoßen I40

Maßmann übernahm auch Menzels kritische Haltung gegenüber Goethe, um den er sich bis dahin nicht gekümmert hatte. Maßmann stellte den alten Goethe als einen "Lebendig-Gestorbenen" dar41 und kontrastierte damit den jungen Goethe, dessen Verse er mehrfach zustimmend zitierte, und den er für seine vaterländische Kultur reklamierte: Man hält fest und hält hoch, was sich und die Nation einmal hoch gehoben. Man scheidet den Legationsrath Friedrich v. Schlegel von weiland Friedrich Schlegel, des Bildners Tieck Marmorbild von Göthe hat nicht den weimarischen Ministerstern auf seine Brust gesetzt und würde Cornelius ihn in dem Walhalla deutscher Kunst im Frischbilde auf homerischem 36 37 38 39 40 41

Jahrzehend. S. 149. Ebd. S. [66.] Ebd. S. 67. Ebd. S. 153. Ebd. S. 27. Nach der Kapitelüberschrift ebd. S. 105: Rückblick, und die Lebendig-Gestorbenen. Vgl. auch ebd. S. 11.

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Dichtersessel mahlen, nicht das Diplom seines geschenkten Adels wiird' er ihm in die Hand legen, sondern den Adel seiner Dichterseele in das Abbild seines plastischen Antlitzes prägen.42

Es war sicher auch Menzelscher Einfluß, daß Maßmann von den eigentlich schöngeistigen Dichtern nur Ludwig Tieck mehrfach positiv herausstellte, den er sonst nie beachtet hat.43 Obwohl Maßmann wie Menzel sich selbst dichterisch betätigten, war die Poesie nur eine unter mehreren Möglichkeiten für sie, literarisch auf die Öffentlichkeit zu wirken. Der Inhalt von Menzels Die deutsche Literatur gliederte sich wie folgt: Bd 1: Die Masse der Literatur. Nationalität. Einfluß der Schulgelehrsamkeit. Einfluß der fremden Literatur. Der literarische Verkehr. Religion. Philosophie. Geschichte. Staat. Erziehung. Bd 2: Natur [= Naturwissenschaft]. Kunst [= Schöne Literatur]. Kritik.

Nicht in der gleichen Abfolge, aber im Prinzip ganz ähnlich war auch Maßmanns Werk aufgebaut Beide bekämpften die breite Rezeption der ausländischen Romanliteratur in Deutschland, beide lehnten eine kunstimmanente Poetik ab. Was sah ihr eigene Vorstellung aus? Beide schätzten die engagierte Literatur der Befreiungskriegszeit hoch ein, aber selbst Maßmann war sich bewußt, daß sie formal nicht geeignet war, die dichterische Potenz des deutschen Volkes vollgültig zu repräsentieren. Das eigentliche Ideal wäre daher ein Schiller gewesen, der den Befreiungskampf gegen Napoleon noch erlebt und dichterisch gestaltet hätte. Eine zentrale These von Maßmanns Vergangenem Jahrzehend war es, daß ein neuer Schiller erst kommen würde, wenn die Bedingungen für eine nationale, deutschtümliche Literatur geschaffen wären. Bis dahin, d.h. unter den Bedingungen der Restauration und des kapitalistischen Literaturbetriebes, waren es die Leistungen der deutschen Natur- und Geisteswissenschaften, die die kulturelle Entwicklung des bürgerlichen Deutschlands am besten repräsentierten. Paradebeispiel für diesen Trend war der hochgeschätzte Ludwig Uhland44: Er hatte sich von der Poesie abgewandt und beschäftigte sich mit germanistischen Forschungen.43 Bis die politischen Bedingungen für eine engagierte Literatur gegeben sein würden, hatte die Veröffentlichung von Poesie für Maßmann vor allem volkshygienischen Charakter. Sittlich-religiöse Innerlichkeit sollte den Schundmassen entgegengesetzt werden. Maßmann wetterte gegen die Verlage, die das Publikum "durch Anpreisungen von reinem Kunsteifer und 42 43 44 45

Ebd. S. 112f. Ebd., besonders S. 108f. "Es spiegelt sich in ihm das deutsche Volksgemüth klar und keusch, frisch und fromm wieder." Jahrzehend, S. 130. Ebd. S. 128 f. und 63f.

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edler Volksehre" täuschten, oder durch "die goldenen Schnitte der glacirten Taschenbücher" verführen wollten: Dort ist vielfach das Wurmhaus des Geldhungers, der als Krebs an dem Schwellmagen der ganzen Zeit frißt, und hier vielfach das Gewürm der Unk raft und Unkeuschheit, in seinen schlüpfrigen Windungen erdrückend die wenigen reinen Rosen, frischen Erdbeeren und bescheidenen Heideblümchen des Waldes, welche unter den wuchernden Quecken und Pilzen unbeachtet sich verlieren.44

Maßmann und Menzel beließen es nicht bei der theoretischen Kritik der zeitgenössischen Dichtung, sondern produzierten selbst. Menzel übernahm die Herausgabe eines literarischen Almanachs, der bei Metzler in Stuttgart erscheinen sollte und den heimelig-sittsamen Titel Moosrosen erhielt. In diesem Taschenbuch für 1826 sammelte Menzel literarische Beiträge, die seiner Vorstellung von zeitgenössischer Poesie entsprachen.47 Ludwig Uhland wurde in einem umfangreichen Essay von Gustav Schwab gewürdigt Friedrich Rückert, die andere lyrische Legende der Befreiungskriegszeit, war mit einem poetischen Liederzyklus vertreten. Mit einer größeren Anzahl von Gedichten findet sich außer Menzel noch ein anderer Breslauer Altdeutscher, Karl Hermes, der als verfehmter Demagoge in Preußen keine Anstellung finden konnte und eine literarische Laufbahn einschlug.48 Maßmann hat auf verschiedene Weise auf den Inhalt der Moosrosen eingewirkt. Einmal gelang es ihm, Adelbert von Chamisso als Mitarbeiter zu gewinnen. Chamisso, der in Berlin zu den letzten aufrechten Vertretern des Liberalismus gehörte, zählte sich selbst zu den Altdeutschen.4» Sein Interesse für altdeutsche Literatur bei gleichzeitiger Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Studien sorgte dafür, daß Maßmann sich mit ihm vor seinem Weggang aus Berlin angefreundet hatte.30 Als Lyriker ist Chamisso erst 1827 mit einer eigenen Veröffentlichung hervorgetreten, aber Maßmann konnte ihm einige Gedichte entlocken, darunter das berühmte Zopflied, das eine Persiflage auf die absolutistische preußische Armee darstellte.51 Die formale und frivole Gewagtheit der ebenfalls aufgenommenen Windmiiller-Lieder deutete eher in die jungdeutsche als in die altdeutsche Richtung, und tatsächlich hat Chamisso bald mit

46 47 48 49 50 51

Ebd. S. 26. W. Menzel (Hrsg.): Moosrosen. Stuttgart o.J. [1825], Vgl. dazu Menzel: Denkwürdigkeiten, S. 206. R. Wittmann: Ein Verlag und seine Geschichte. Stuttgart 1982, S. 402f. Über Hermes: ADB ΧΠ, S. 199ff. Er veröffentlichte in den Moosrosen auch ein Gedicht Zu Tiecks Geburtstag (S. 338.) Vgl. W. Feudel: A. v. Chamisso. 2. Aufl. Leipzig 1980, S. 102-158. Informationen über ihre Beziehung sind nur aus den drei Briefen Maßmaims zu gewinnen. Er versprach Chamisso, nach seiner Rückkehr in der Mittwochsgesellschafl die "schönsten altdeutschen Geschichten" aufzutischen. DSB, Chamisso Κ 29. Brief an Chamisso, 7.Π. 1825. DSB.

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seinen sozialkritischen Balladen wesentlichen Einfluß auf die engagierte Vormärzpoesie bis hin zu Herwegh genommen.» Maßmann, der auch zwei Gedichte zu den Moosrosen beitrug, hat als einziger explizit ein politisches Thema angeschlagen. In seinem elegischen Gedicht Winter versuchte er, die Erinnerung an die Leipziger Schlacht zu erneuem. Das entsprach ganz der Intention Menzels, der es 1839 in seiner Rezension der Armin's-Lieder noch einmal abdruckte.53 Auch in die Anthologien der politischen Lyrik hat Winter als repräsentativ für die Zwanziger Jahre Eingang gefunden«: In den Furchen liegt der Schnee, Dort auf Leipzig's Winfeld-Auen Kommt der Frühling von der Höh, Seine Schollen wieder thauen. Neu ersteht die grüne Saat, Sommer sammelt ein die Garben Aber keiner denkt der That, Die das Feld erkauft mit Narben; DaB dort Blut der Väter rann. Wo das Brot der Söhne keimet: Ach, wann bricht der Morgen an. Den die Helden dort getrüumet?55

Auffällig ist der Widerspruch zwischen d a elegischen Haltung und dem Fehlen eines lyrischen Ichs. Es ist eine geisterhafte Szenerie, die typischerweise wieder in eine Naturmethapher gekleidet ist: Väter und Söhne sind gleichermaßen handlungsunfähig, wobei den Sühnen noch das schlechte Gewissen zukommt. Auch das Publikum trifft durch die Negation "Keiner" ein Vorwurf. Selbst die "Helden" haben nur "geträumt". Der "Morgen", auf den Maßmann wartet, wäre eigentlich ein politischer "Frühling", aber nicht einmal das wird in den drei Strophen ausgeführt, die wie eine lyrische Variation auf einen Streckvers von Menzel erscheinen: "Die Deutschen wohnen in der Winterhalde; zu ihnen kommt die Sonne am spätesten; ihre Saaten thauen am spätesten auf."56 Nirgendwo sind handelnde Subjekte in Sicht, aktiv werden nur die personifizierten Naturobjekte: "Schnee", "Frühling", "Saat", "Sommer", "Feld", "Brot". Diese verrückte Szenerie der restaurativen Welt hat 52 53 54 55 56

Vgl. dazu Werner Geschichte, S. 302ff. Literatuiblan 1839, S. 276. Armin's-Lieder, S. 48. H. Marggraff (Hrsg.): Politische Gedichte aus Deutschlands Neuzeit Leipzig 1843, S. 284. F. Harzmann (Hrsg.): Burschenschaftliche Dichtung. Heidelberg 1930, S. 131. DLE ΠΙ, S. 227. Werner: Geschichte. S. 98. Menzel: Moosrosen, S. 389. Menzel: Streckverse, S. 158.

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Chamisso in eine Wahnsinnsszenerie verwandelt, als er sich (vermutlich von Maßmanns Winter) zu einem sein» ausdrucksstärksten Rollengedichte inspirieren ließ. Sein Der Invalid im Irrenhaus ließ 1827 einen der träumenden Helden von Leipzig wesentlich anschaulicher zu Wort kommen: Leipzig, Leipzig: arger Boden Schmach für Unbill schafflest du. Freiheit! hieß es, vorwärts, vorwärts! Trankst mein rotes Blut, wozu? Freiheit, rief ich, vorwärts, vorwärts! Was ein Tor nicht alles glaubt! Und von schwerem Säbelstreiche Ward gespalten mir das Haupt. Und ich lag, und abwärts wälzte. Unheilschwanger sich die Schlacht; Über mich und über Leichen Sank die kalte, finstre Nacht. Aufgewacht zu grausen Schmerzen, Brennt die Wunde mehr und mehr. Und ich liege hier gebunden, Grimm'ge Wächter um mich her. Schrei ich wütend noch nach Freiheit, nach dem bluterkauften Glück, Peitscht der Wächter mit der Peitsche Mich in schnöde Ruh' zurück?7

Die Ausdrucksstärke, die hier erreicht wurde, ist nicht nur Chamissos größerer dichterischer Begabung zu verdanken, sondern auch seiner Bereitschaft, der politischen Realität ins Auge zu sehen. An einer solchen schonungslosen Sicht war Maßmann nicht gelegen, denn noch immer hoffte er auf einen baldigen Umschwung, mußte es schon deshalb, weil er an seiner heilsgeschichtlichen Weltsicht festhielt Maßmann lieferte außer einem rührseligen Liebesgedicht (Der Wanderer) auch einen Almanach-Beitrag, der im wahrsten Sinne des Wortes altdeutsch war. Mit der Faustianus-Legende nahm Menzel einen umfangreichen Abschnitt aus der Kaiserchronik in seine Moosrosen auf, der offensichtlich von Maßmann übersetzt worden war, obwohl im Inhaltsverzeichnis "vom Herausgeber", d.h. von Menzel, angegeben ist.58

57 58

Zitat nach Feudel: Chamisso, S. 138. Menzel hat es nach Maßmanns Mitteilung aufgenommen. Brief an Cotta, 31.X.1826. DLAM/CA. In Maßmanns Veruichniß steht es als sein eigener Beitrag.

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In einer poetologischen Einleitung pries Menzel die Kaiserchronik (unter Hinweis auf Maßmanns kommende Ausgabe) als eine besonders wertvolle Lektüre für die Gegenwart. "Grundgedanke, die Seele des Gedichtes", sei "Verherrlichung des christlichen Geistes", wobei "die heilige Poesie mit der Heldenpoesie" verbunden werde.5® Außer dieser Analogie zum christlichen Patriotismus der Altdeutschen fand Menzel eine besondere poetische Ausdruckskraft, einen "eigenthümliche[n] Ton und Hauch der Verse, der unverkennbar jene seelenvolle Andacht, zarte Innigkeit und rührende Sehnsucht ausdrückt, die dem Geist des religiösen Gedichts entspricht, als der kecke und einfache Ton des Nibelungenliedes seinem Heldengeist."«0 Menzel sah in diesem "lieblichen Roman" nicht nur "einem rein ästhetischen Interesse vollkommen Genüge geleistet", sondern entdeckte in der Faustianus-Episode eine besonders eindrucksvolle Parabel für die religiöse Situation der Gegenwart: wie die zerstreute Familie des heidnischen Kaisers Faustianus durch den Apostel Petrus wieder zusammengeführt wurde, so habe "die heidnische Philosophie" zwar dazu verführt, [...] die schöne Harmonie der Gesellschaft und wieder im Innern die der Seelen selbst zu zeneissen. Aber das Christentum führt die Verirrten wieder in eine ursprüngliche Familie zusammen, und giebt der Seele den Frieden jener Harmonie zurück.61

Menzels enthusiastische Anpreisung des altdeutschen Textes konnte jedoch ein entscheidendes Manko der Wiedergabe nicht verdecken. Der Versuch, mittelhochdeutsche Eigentümlichkeiten in der Übersetzung durchscheinen zu lassen, führte zu einer Mischform, die sich von den frühen (und längst verworfenen) Bearbeitungen Tiecks und von der Hagens kaum unterschied. Die Wiedergabe des Anfanges kann verdeutlichen, daß das "rein ästhetische Interesse" des Biedermeierlesers damit kaum zu befriedigen war, bei aller Liebe für den "alten Ton": Zu Rom ein Kaiser war, / Faustianus genannt, / Der nahm zur Ehe / Die fromme Frau Mathilde, / Von kaiserlichem Blut geboren, / Zu mancher Tugend erkoren, / Die hielt ihm große Treue. / Sie hatten süBe Wonne / Beyde mit ihrer Liebe. / Ο wohl der Stunde, / Daß sie in diese Welt geboten ward, / Denn sie hat Gott Ehre gebracht. Da stund es unlange, / Bis die Frau mit Kindern ward befangen. / Zweyer Söhne sie zugleich genas, / Wie froh des der Vater wart / Den einen hießen sie Faustinus / und den anderen Faustus. / Da wuchsen die Kindlein auf. / Alle Römer beflissen sich, / Nach Ehren sie zu pflegen. / Litten sie in der Kindheit / Noch manche Noth und Arbeit, / Die überwunden sie hernach, / Und verdienten das ewige Leben.62

59 60 61 62

Menzel: Moosrosen, S. 247f. Ebd. S. 248. Ebd. S. 249. Ebd. S. 250.

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Außer der Faustianus-Legende nahm Menzel noch eine kurze Passage aus der Kaiserchronik in sein Taschenbuch auf, die Legende von den blühenden Lanzen, die davon erzählt, wie Karl der Große nach der verlorenen Schlacht von Ronceval durch ein Heer von unberührten Jungfrauen gerettet wurde, deren Lanzen sich anschließend in einen Wald verwandelten.63 Diese kleine Episode illuminierte ein kriegerisches Frauenideal der Altdeutschen. In seinem Vergangenen Jahrzehend hat Maßmann die Muse der Befreiungskriegsdichter ganz entsprechend geschildert, als "Tochter der That, des Kampfes [...] Eine kühne Heldenjungfrau, geharnischt von Jugend auf, Schlachten träumend, kampffertig wie die langobardischen Frauen oder die fränkischen Jungfrauen, die Karl'n in Ronceval den Sieg gewannen.'** Dieses poetisierte Frauenbild sollte nicht als Emanzipationsversuch des weiblichen Geschlechtes mißdeutet werden. Es galt nur für den Kriegsfall, so wie es Tacitus von den Germaninnen überlieferte, wenn die Volksgemeinschaft in Gefahr war. Für die Biedermeierfrau sah Maßmann tugendsame Häuslichkeit vor und entsetzte sich über die "Schönen unserer Tage", die sich "von kriechenden Schmeichlingen und unverschämten Schmutzlingen freches Sturmes erobern" ließen« oder sich gar in die öffentliche Meinung einmischen wollten. Diese forderte Maßmann au, zu "schweigen in der Gemeinde, und lieber daheim als wahre Mütter große Männer ziehen, welche einst der Stolz und die Stärke des zukünftigen Deutschlandes, welche deine Priester wieder werden, deutscher Geist".*6 Wie Maßmann selbst sich eine solche Frau zu gewinnen gedachte, hat er 1824 in dem Gedicht Der Kecke niedergelegt Auch dabei war eine Anspielung auf das Nibelungenlied unvermeidlich: Wie ich mein Liebchen thäl wählen? Will dir's erzählen. Hm fragt' ich bey Aug' und bey Stirn, Wie's dahinter um Heiz und Him. Ob's hier richtig. Dort tüchtig, Hier züchtig. Dort gewichtig. Dann forscht' ich bey Wang' und bey Munde, Ob Frohsinn im Bunde. 'Und als du gefunden Beides verbunden -

63 64 65 66

Unter Menzels Romanzen, ebd. S. 137-140: Die blähenden Lanzen. Jahrzehend. S. 76. Ebd. S. 152. Ebd. S. 153.

1. Heidelberger Moosrosen

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Die Rose der Jugend Bey der Eiche der Tugend?' Da fragt' ich die Augen von Neuen Die blauen, die treuen; Dann bat ich den rosigen Mund Rasch und rund, Daß er Kuß und Wort Ließe zur Herzenspfort: Und mein war der Hort.97

Bis dahin gingen allerdings noch fünf Jahre ins Land. Der MoosrosenAlmanach fand nach dem ersten Jahrgang schon keine Fortsetzung mehr. Es war symptomatisch für die Lage der altdeutschen Literaten, daß es zu einer Sammlung der Kräfte nicht kam. Maßmann blieb Einzelkämpfer und Gelegenheitsdichter.

2. Altdeutsche Erziehungslehren Maßmann blieb wesentlich länger in Heidelberg, als er ursprünglich gewollt hatte. Der Grund dafür lag in der Langsamkeit, mit der Hoffmann von Fallersleben die Kaiserchronik-Handscimft dorthin zurücksandte. Maßmann sah dies mit einem lachenden und einem weinenden Augen. Einerseits blieb die Heidelberger Moosrosen-RxmAe länger zusammen, aber andererseits gingen seine finanziellen Mittel zur Neige, und er hatte noch München, Straßburg und andere Bibliotheksorte vor sich. So wandte sich Maßmann in seiner Not an das preußische Kultusministerium. In einem ausführlichen Schreiben legte er Kamptz seine bisherigen Forschungsergebnisse und ihre Bedeutung für die Germanistik dar. Er bat um ein Darlehen, daß er "zu seiner Zeit dem Vaterlande durch Thätigkeit in einer dauernden Amtsstellung zurückzahlen" wollte.* Aber Maßmanns Bemühungen fruchteten trotz unterwürfiger Schmeicheleien, Berufungen auf von der Hagen und eines weiteren Briefes an den Minister nichts. Es wurde ihm zwar Anerkennung für seinen Forschungseifer zuteil, aber geeignete Fonds für seine Unterstützung gab es angeblich nicht.69 Vielleicht ging es Maßmann aber auch mehr darum, mit dem Ministerium in Verbindung zu bleiben und sein philologisches Unternehmen zur Verbesserung seiner Reputation zu nutzen. Aus seinen 67 68 69

Armin's-Lieder, S. 43f. Brief an Kamptz, 6JH. 1825. SBPK/SD. Brief an Altenstein, 6.ΙΠ.1825 und Antwort von Schulze, 18.IV. 1825. ZSAM/M.22, Bl. 5ff.

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ΠΙ. In der Hut des Südens

finanziellen Nöten erlöste ihn dann die Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache, die im Mai 1825 200 Gulden für das KaiserchronikProjekt bewilligte.70 Weitere 60 Gulden erhielt er von Böhmer als Vorauszahlung für Subskriptionsexemplare, als er ihn im März 1825 ebenfalls um ein Darlehen anging.71 Maßmann, von dem Jahn gesagt haben soll: "er reise auf Hunger und Durst", war damit fürs erste seiner Finanzsorgen ledig; im folgenden Jahr hat er sich vor allem durch Rezensionen in den Heidelberger Jahrbüchern und durch lyrische Veröffentlichungen neue Mittel verschafft. Auch sein Bruder hat ihn zeitweilig unterstützt Ende März 1825 verließ Maßmann schließlich wie Menzel Heidelberg und machte auf dem Weg nach München in Stuttgart Station, wo er den verehrten Ludwig Uhland zu treffen hoffte. Uhland war gerade auswärts, aber Maßmann kam bald in Briefwechsel und ein freundschaftliches Verhältnis mit ihm. Ganz ähnlich entwickelte sich Maßmanns Beziehung zu einem alemannischen Freund Uhlands, dem Freiherrn Joseph von Laßberg, der als Handschriftensammler und Altertumskenner wie Meusebach ein hochgeschätzer Liebhaber-Germanist war. In Ulm besuchte Maßmann einen der Vorväter der Germanistik, Friederich David Graeter. In seinen Erläuterungen zum Wessobrunner Gebet hatte Maßmann teilweise dessen Ansichten wieder aufgenommen, kein Wunder, daß Graeter sein Werk "verdienstvoll" fand.72 Graeter machte ihn auf die "fuhrmannsmäßige" Rezension der Erläuterungen durch Hoffmann von Fallersleben aufmerksam, die auch Lachmann "unpassend [...] und ebenso ungelehrt" fand.73 Maßmann hatte sein Büchlein als "Thatdank" dafür bezeichnet, "daß ich von Docen viel gelernt habe, so wie bei Grimm in die Sprachschule gegangen bin".7* Hoffmann kanzelte die Erläuterungen wie eine unreife Schülerarbeit ab und hoffte, daß "Herr M[aßmann] künftig lieber in der Sprachschule bei Grimm verbleibe, als auf solche Weise aus der Schule schwatze."75 Das war offensichtlich Hoffmanns Rache dafür, daß ihm Maßmann eine kritische Äußerung Grimms über seine philologischen Leistungen selbstgefällig hinterbracht hatte.76 Aber mittlerweile war schon wieder eine neue 70 71 72 73 74 75 76

Koch: Gesellschaft, S. IS. Briefe an Böhmer, 6. und 21.ΠΙ.1825. StUB Frankfurt/M. Auszug aus einem Brief Graeters, wiedergegeben in Ma&naims Brief an W. Wackemagel, 8.IX.[?]1825. SAB/PA. Lachmann an J. Grimm, 31.X.1825. A. Leitzmann (Hrsg.): Briefwechsel der Brüder Grimm mit Lachmann. Jena 1927, S. 473. Ähnlich J. Grimm an Meusebach, 14.1.1826. Wendelen Briefwechsel, S. 28. Erläuterungen, S. ΠΙ und S. 17. Neue kritische Bibliothek 1825, S. 552. Brief MaBmanns an Hoffmann, 17.Vm. 1824. SBPK Berlin.

2. Altdeutsche Erziehungsiehrai

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Reiberei entstanden. Im März 1825 schickte Maßmann an Hoffmann einen Packen seiner Subskriptionsanzeige Den Freunden der älteren Deutschen Literatur, mit der Bitte, in Breslau Subskribenten für seine Kaiserchronik zu werben. Entweder aus Geldnot oder aus Versehen frankierte Maßmann den Brief nicht, und Hoffmann ließ ihn ungeöffnet zurückgehen, so daß Maßmann ein doppelt teures Nachporto zahlen mußte und auch noch ohne Breslauer Unterzeichner dastand.77 Hoffmann wiederum war sehr unzufrieden mit dem, was Maßmann ihm als Ersatz für die Überlassung der Kaiserchronik zuschickte. In aller Eile hatte ihm Maßmann nebenbei so manches hingekritzelt, auf kleinen Notizzetteln, mit der Entschuldigung: "Die Zeit fehlte, wie zuletzt das Auge".78 Wieweit Maßmann seine so gern geübte Akribie vergessen konnte, wenn er trotz Hektik hilfsbereit sein wollte, karikiert eine Briefäußerung Wilhelm Grimms: Wegen einer Münchener Papierhandschrift könnte ich den Dr. Maßmann angehen, aber wenn man etwas verlangt, erhält man einen ganzen Kehrhaufen von Notizengerümpel, Stroh, Spinneweben, Reisig und alte Lumpen, in einander gefetzt und geknüllt, dazwischen Ausrufungen, punctierte und unterstrichene Zeilen, Hacken, Sterne, fingerzeigende Hände, Fragzeichen links, rechts, queer und verkehrt hinein gekritzelt, daß es mir oft unmöglich ist einen solchen Brief geduldig durchzulesen.79

Auf der anderen Seite dankte Jacob Grimm 1826 in seiner Deutschen Grammatik nicht nur Lachmann für seine "beispiellose gefälligkeit", sondern auch Maßmann für "unerwartete begünstigungen", daß er ihm nämlich "alle glossen, die er auf seiner reise angetroffen, mit der größten Sorgfalt und bereitwilligkeit abgeschrieben hatte."80 Dadurch mußte sich Hoffmann mit seinen Glossen-Hieroglyphen erst recht zweitklassig behandelt vorkommen. So schwelte die Auseinandersetzung weiter, die bald hell aufflammen sollte. Wesentlich erfreulicher für Maßmann war der Austausch mit Eberhard Gottlieb Graff,81 den er bei Graeter antraf. Auch Graff hatte 1824 mit einer Monographie debütiert und verfolgte jetzt die Absicht, einen Althochdeutschen Sprachschatz zu erstellen, der die Ursprache wieder ins Volksbewußtsein bringen sollte. Denn Graff war ebenfalls ein Deutschtümler, der ursprünglich aus der Pädagogik kam. Aber er war zwanzig Jahre älter als Maßmann, in der sicheren Position eines Regierungsrates, und er haue Lachmann in Königsberg zum Lehrmeister gehabt. Die althochdeutschen

77 78 79 80 81

Brief an Hoffmann, 25. V. 1825. SBPK Berlin. Brief an Hoffmann, 27.IX.1824. Ebd. W. Grimm an Lachmann, 21.IV.1827. Leitzmann: Briefwechsel (1927), S. 830. J. Grimm: Grammatik Π, S. X. ADB IX, S. 566-568.

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HI. In der Hut des Südens

Präpositionen veröffentlichte er 1824 mit Unterstützung J. Grimms und Beneckes und erhielt eine Professur dafür, die es ihm erlaubte, mit Muße die Bibliotheken Europas zu bereisen. Die Ergebnisse seiner altdeutschen Recherchen veröffentlichte er 1826-1829 in seinem Sammelwerk Diutiska. Graff, der während der Befreiungskriege engagiert an der Seite Steins gestanden hatte, verstand sich mit dem ähnlich veranlagten Maßmann gut. Im ersten Band der Diutiska widmete er ihm neben Goethe, Wilhelm von Humboldt und anderen Kulturgrößen ebenfalls einen Abschnitt und zeigte sich überzeugt, daß Maßmanns "nahebevorstehende Herausgabe der Kaiserchronik deutschen Fleiß und deutsche Gründlichkeit aufs neue beurkunden wird".«2 Graffs oft bespöttelter, aber bis heute unersetzter Althochdeutscher Sprachschatz, wurde nicht zuletzt durch Graffs weitgehende Konzentration auf die älteste Sprachüberlieferung möglich. Maßmanns Interessen waren viel weiter gespannt, und sie zielten ja überhaupt nur teilweise auf die Fachwissenschaft. In München, wo Maßmann Ende April 1825 eintraf, sah er zum ersten Mal wieder die Möglichkeit, alle seine Lebensziele zusammenzubringen. Er fand dort nicht nur gute germanistische Arbeitsbedingungen, sondern auch Bestätigung durch einflußreiche Persönlichkeiten, die seiner patriotisch-religiösen Position nahestanden und seine nationalpädagogischen Absichten verstanden. Die königliche Bibliothek in München hatte wie keine andere Büchersammlung in Deutschland von der Säkularisierung der Klosterbibliotheken profitiert. Eine unübersehbare Fülle von Kodices und Inkunabeln wurde dort von Bernhard Josef Docen nach und nach gesichtet, aber nur schleppend bekanntgemacht Docen83 war nicht nur einer der profiliertesten Frühgermanisten, sondern auch ein überzeugter Patriot, der 1813 den Abfall Bayerns von Napoleon lyrisch bejubelte.84 Es kann nicht verwundem, daß Maßmann sich mit diesem Germanistikpionier schnell anfreundete und dadurch auch einen privilegierten Zugriff auf die Bibliotheksbestände erhielt. Es ist erstaunlich, wie schnell sich Maßmann in das privatbriefliche Kommunikationssystem der Forscher integrieren konnte. Der einzige, dem Maßmann nicht näher kam, war Karl Lachmann, der 1825 in Berlin eine Professur erhielt Lachmann, Altphilologe und Germanist zugleich, war bestrebt, ein neues Berufsethos in der Germanistik durchzusetzen, um die deutsche Philologie gleichberechtigt neben die klassischen Philologien zu stellen. Exaktheit und textkritische Objektivität waren seine Zielsetzung, 82 83 84

H. G. Graff: Diutiska. Bd 1, Η. 1: Nachricht von vier Handschriften der gereimten Weltchronik. An H. F. Maßmann. Stuttgart 1826, S. 47-75. ADB V, S. 278-80. Lied dem bayerischen Generai Wrede gesungen, DLE Π, S. 186-188.

2. Altdeutsche Erziehungslehren

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vor der alle gesellschaftlichen Wirkungsabsichten unerheblich wurden. Lachmanns Ideal wissenschaftlicher Nüchternheit stand in krassem Gegensatz zum Pathos der Altdeutschen und obwohl Lachmann selbst 1815 als Freiwilliger in den Krieg gezogen war und sich in patriotischen Gedichten versucht hatte, brachte er den deutschtümlichen Germanisten unverblümte Geringschätzung entgegen.** Maßmann wiederum empfand diese Art hochmütiger Distanzierung als Aristokratismus: "Mich kann nur eines aufreizen, wie sonst im Leben, so auch in der Wissenschaft - Privilegiumsgeist" 86 Entsprechend klagte er über Lachmanns Arroganz seinem Freund Wilhelm Wackernagel: [...] er ist mir bis jetzt nur lieblos gewesen. Ich kann einmal die Vornehmheit nicht leiden. Nie. Als ich 1824 ihn in Göttingen wiedersah, war ich gegen ihn [...] natürlich Schüler, aber sonst doch nicht 12 Jahre alt. Auch ist [es] unwürdig, Menschen nicht [zu] heben. Lachmann bleibt der Diutiska natürlich, was er ist Graff [...] wirst du auch als deutschen Menschen lieb gewinnen. Lachmann ist bloß Gelehrter, Europäer.87

Maßmann setzte auch in München seine Versuche fort, außerhalb der Fachwelt Interesse für die altdeutsche Literatur zu wecken. In Bayern wurde, insbesondere durch den Kronprinz Ludwig, die Erinnerung an die Stammes- und Landesgeschichte gepflegt Die Nacherzählung oder Neugestaltung historischer Stoffe traf dort auf eine wohlmeinende Öffentlichkeit So erschien 1825 in München nach der bayerischen Sage von Herzog Theodo /. von Bayern ein episches Gedicht von J. Sutner, das Maßmann zum Anlaß nahm, in der Eos den entsprechenden Abschnitt aus der Kaiserchronik unter dem Titel Herzog Theodo und Adelgar von Baiern zu veröffentlichen.88 Dieser mehrteilige Beitrag gab Maßmann Gelegenheit, für seine geplante Ausgabe die Werbetrommel zu rühren. Darüberhinaus nahm er aber auch zur aktualisierenden Rezeption historischer Sagenstoffe Stellung. Entsprechend seiner Volkstumskonzeption war Maßmann daran gelegen, die alten Stoffe in ihrer ursprünglichen Form zu vermitteln, um den Zeitgeist damit zu veredeln. Mit Seitenblick auf Sutner stellte er die Forderung auf, [...] daß alte Sagen, in sich geschlossen und abgerundet, nur treu wiedergegeben werden sollten: Neubearbeitungen, Umgestaltungen für den Gaumen unsier Tage, für die Brillenaugen unsrer Zeit und unsers Geistes, bleiben zum mindesten - Kunstwerk, oft Machwerk (Sind sie gelehrt - Kopfwerk, sind sie nach dem Reimbuch - Handwerk), Ausgeburten einer 85 86 87

88

ADBXVH.S.472. Brief an J. Grimm, April 1824. SPBK/GS. Brief an W. Wackemagel, August 1827. SAB/PA. Bei A. Leitzmaim (Hrsg.): Briefe aus dem NachlaB von W. Wackemagel. Leipzig 1916, S. 143. Dort fehlt die ergänzende Randbemerkung: "Auch schickt er [Lachmann] mir s[eine] Sachen nicht Anders [Jacob] Grimm." Herzog Theodo und Adelgar von Baiern. Eos 1825, Nr. 79-85.

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ΙΠ. In der Hut des Südens

jenen alten Stoffen nicht entsprechenden Einbildungskraft, der überdies eine schwache Ausbildekraft und Darstellungsgabe gewöhnlich entspricht Alter Sagen innerstes Wesen ist innere Notwendigkeit, Durchzug frischen Lebenswindes, kühner Abglanz der Weltkrüfte, Wiedeihall eines wirklichen gemäßen, in großen Durchschnitten einfachen Lebens. Soll ich unsre Zeit noch erst dagegen halten? Heldengedichte, nicht erst erlebt in der Welt, sondern am Schreibpult, aus dem DintenfaB geboren.89

Solche zeitkritischen Töne waren von Maßmann nun immer wieder zu vernehmen, allerdings hat er nur noch dieses eine Mal versucht, mit einer altdeutschen Übersetzung dagegenzuhalten. Im Unterschied zu der Faustianus-Episode in den Moosrosen (die vielleicht von Menzel noch geglättet wurde), versuchte Maßmann nicht nur die Originalsprache, sondern auch den Reim soweit wie möglich in sein«1 "worttreuen Übertragung oder Vemeudeutschung" zu bewahren. Maßmanns Kompromiß zwischen historisierender und aktualisierender Vermittlung führte zu einem komischen Kauderwelsch, wie ein Auszug aus der Entscheidungsschlacht zwischen Römern und Bayern verdeutlichen kann: [...] Der Streit war unergangen (unentschieden) / All den Tag den sommerlangen. / Römern den Helden viel kühne / Ihre Fahnen die grünen / Wurden alle blutfarben, / Ihre lichten weißen Waffen / Die thauten alle Walblut: / Daß je so mancher Held gut / An einem Felde gelag, / Niemand euch das gesagen mag! / Die gewaltigen grimmen / Und schnellen Jünglinge / Konnte man da schauen / Hart verhauen! / Da fiel Mann über Mann: / Das Walblut von ihnen rann / Mehr denn über eine Meile! 90

Einzelne Stellen der Adebar-Episode, die Maßmann für seine Absichten besonders wirksam fand, druckte er gesperrt, darunter auch eine Aussage des Herzogs über sein Bayernvolk, die sich mit Maßmanns altdeutscher Vorstellung von einer solidarischen Volksgemeinschaft deckte: Auch ist unsre Gewohnheit daheim, Was auch Einem geschieht zu Leid, Das müssen wir allesamt dulden: Wie wir her sind kommen, Er sei arm oder reich, Das tragen wir alle gleich: So ist unsre Sitte.91

In der Folgezeit konzentrierte sich Maßmann darauf, altdeutsch-volkstümliche Propaganda im wissenschaftlichen Bereich zu betreiben. In den Freimüthigen Jahrbüchern der allgemeinen deutschen Volksschulen veröffentlichte er einen umfangreichen Aufsatz Zur Geschichte des Erziehungswesens, der hauptsächlich aus Exzerpten mittelalterlicher 89 90 91

Ebd. S. 317. Ebd. S. 342. Der Orginaltext ist zeilenweise abgesetzt. Ebd. S. 329.

2. Altdeutsche Erziehungslehren

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Dichtwerke bestand, die Maßmann auf seiner Reise ausgewertet hatte. Denn zusätzlich zu seinen Kaiserchronik-S tudien kopierte er sich alles, was sich auf (spät-) mittelalterliche Volkserziehung, Volkssitten und -feste, Volksspiele und Leibesübungen bezog, um es legitimatorisch für seine nationalpädagogischen Ziele zu verwenden. So fand er als Ergebnis bei seinem Streifzug durch die mittelalterliche Erziehung heraus: "Überall spricht sich eine feste, ernste, aber fröhliche, früh gestrenge, ehrenfeste, arbeitsame aber rüstige und - was vor allem zu beachten, gleich ebenmäßige Zucht für die Kinder aller Stände aus."» Maßmann beharrte auf dem Gleichheitsgrundsatz der volkstümlichen Nationalerziehung, vertrat aber auch die väterlich-autoritäre Lenkung der Volksglieder, sowohl im Staat wie in der Familie. Entsprechend gab er die berühmten Walther-Verse "Nieman kan mit gerten / kindeszuht beherten"93 vorsätzlich irreführend wieder: Niemand kann mit Gerten und Ruthen (allein) [siel] Kindeszucht, Erziehung erreichen, erzwingen (erhärten). Die Lehre von der Furcht und von der Liebe, worunter Erzieher wählen. Dasselbe Verhältnis zwischen Lehrerund Schüler, wie zwischen Fürst und Volk.94

Die allgemeine Verbreitung seines egalitär-autoritären Erziehungsideales in der altdeutschen Zeit hat Maßmann in einem Fortsetzungsartikel im nächsten Jahr noch genauer zu beweisen gesucht und dabei sogar auf den historischen Teil der verfehmten Deutschen Turnkunst von 1816 rekurriert.»5 In den mittelalterlichen didaktischen Dichtungen vom König Tyrol, vom Winsbecke und der Winsbeckin, sah er die sittlichen Tugenden versammelt, die auch der Biedermeiergesellschaft frommen sollten: Dem Sohn Lehren der Ritterlichkeit und Männlichkeit, der Tochter Zucht und Scham, beiden aber vor Allem und über Alles reine Gotteslehre und keusche Weihelehre über Lust und Leid der Minne. Durch alle drei gehet femer der Geist eines so würdigen und so wohlthuenden Verhältnisses zwischen Aeltem und Kindern, daß sie wahrhaft unsrer Zeit als ein Spiegel vorzuhalten sind.94

Ironischerweise griff Maßmann für seine historisierende Pädagogik gerade auf die Texte zurück, die von der rationalistischen Frühgermanistik der Aufklärungsperiode geschätzt wurden, während die modernere romantische 92 93 94 95 96

Zur Geschichte des Erziehungswesens. Freimüthige Jahrbücher der allgemeinen deutschen. Volksschulen 1825, Η. 1, S. 148-172. Das Zitat S. 148. Lachmann 87,lf. In der Übersetzung F. Maurers (Walter v.d. Vogelweide : Lieder. München 1972, S. ISS) lauten die Verse: "Niemand versteht es mit Ruten / die Erziehung junger Leute zu fördern". Zur Geschichte des Erziehungswesens, S. 149. Fortsetzung der Beiträge zur Geschichte des Erziehungswesens aus älteren deutschen Gedichten. Freimüthige Jahrbücher 1826, H. l . S . 181-199. Nachtrag H. 2, S. 188-190. Ebd.H. l.S. 186f.

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Germanistik sie sonst links liegen ließ. Die Gleichsetzung patriarchalischer Staats- und Familienverhältnisse war schon von Pestalozzi vollzogen worden, dessen Aphorismenreihe Abendstunde eines Einsiedlers von seinen deutschtümlichen Anhängern mit Vorliebe gelesen wurde. Karl von Raumer hat ihn in seiner Geschichte der Pädagogik komplett abgedruckt und zur vertieften Lektüre empfohlen. Pestalozzi präsentierte ein simples Gleichungssystem für das religiös legitimierte patriarchalische Herrschaftsverhältnis: Der Fürst, der Kind seines Gottes ist, ist Kind seines Vaters. Der Fürst, der Kind seines Vaters ist, ist Vater seines Volkes. Der Unterthan, der Kind seines Gottes ist, ist Kind seines Vaters. Der Unterthan, der Kind seines Vaters ist, ist Kind seines Fürsten. Stand des Fürsten, Bild der Gottheit, Vater einer Nation. Stand des Unteithanen, Kind des Fürsten, der mit ihm Kind Gottes ist. Wie sanft und stark und fein ist dieses Gewebe der Naturvertiältnisse der Menschheit.97

Maßmann konnte sich also für sein progressives Volksbildungsprogramm wie für sein konservatives Staatsmodell gleichermaßen auf Pestalozzi berufen. Sein Ideal blieb ein verfassungsmäßig kodifiziertes Liebesverhältnis zwischen Monarch und Bürgertum. Die gleichrangige Unterwerfung der Herrscher und ihrer Untertanen unter einen deutschen Gott sollte alle zu Mitgliedern einer Volksgemeinde machen. Gemäß seiner deutschtümlichen Ideologie blieb Maßmann aber nicht bei Pestalozzi stehen, sondern versuchte, für seine pädagogischen Ideen eine Traditionslinie zu schaffen. Einen Vorläufer entdeckte er in dem Humanisten Wolfgang Ratke (Ratichius), der im frühen 17. Jahrhundert eine muttersprachliche Bildungsreform versucht hatte. Maßmann sammelte zeitlebens für eine (nicht erschienene) Biographie, veröffentlichte aber bereits 1827 eine ausführliche Studie: Wolfgang Ratichius und seine Lehrkunst, in der er Ratichius als einen Vorläufer Pestalozzis darstellte.»« Das gab ihm anders herum auch wieder Gelegenheit, Pestalozzi in eine historische Traditionslinie einzureihen, die er, wie auch Raumer in seiner Pädagogikgeschichte, mit Luther beginnen ließ: Luther mit seinem durchdringenden Blicke, mit seiner Rath- und Thatkraft griff auch von dieser jugendlichen Seite dem deutschen Volksleben unter die Aime, wie dem Uebel der Zeit an die Wurzel. [...] Aber seit Luther ist, sowohl in seinen Wirkungen für Zucht und Unterricht der Volksjugend, wie in seinen neuesten Selbstgeständnissen, keiner für so gro8 erachtet worden als Pestalozzi. Mit Unrecht unbekannt oder doch unerkannt sind jedoch die 97 98

Zitiert nach K. v. Raumer: Geschichte der Pädagogik. Th. 2. 2. Aufl. Stuttgart 1846, S. 503. Wolfgang Ratichius und seine Lehrkunst. Freimüthige Jbb. 1827, Η. 1, S. 52-84. sowie mehrere Beilagen S. 85-112, die u.a. auch die Wirkung auf den Sprachreiniger Schottel dokumentierten.

2. Altdeutsche Erziehungslehren

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Regungen und Bewegungen, die mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts ein, schon durch sein unruhvolles, rastloses Umtriebsleben merkwürdiger Mann in vielen Städten des deutschen Reichs für das Schulwesen durch eine neue Lehrkunst oder Lehrweise (Methode) herbeifühlte, [...] und woran gelehrte Männer, Landesfürsten und Fürstinnen durch gründliche Prüfung und bedeutende Unterstützung der Sache wie des Mannes großen und dauernden Antheil hatten. Jener Mann ist Wolfgang Ratichius.99

Daß Maßmann die Unterstützung der barocken Landesfürsten so herausstellte, deutet daraufhin, daß er, der selbst seit seiner Jugend ein "unruhevolles, rastloses Umtriebsleben" führte, ebenfalls auf die Unterstützung seiner deutschtümlichen Erziehungsplane durch die Landesfürsten spekulierte. Seine größte Hoffnung war der bayerische Kronprinz Ludwig, der just zu dieser Zeit sein königliches Erbe antrat

3. Thronbesteigung eines Teutschen In München fand Maßmann 182S ein Klima vor, daß seinen Absichten sehr entgegenkam, denn dort war die scharfe Trennung zwischen neuhumanistischen und deutschtümlichen Zielvorstellungen nicht gegeben. Der AntikeSchwärmer Kronprinz Ludwig hatte sich in Rom im Deutschen Rock gezeigt und mit den christlich-patriotischen Nazarenern verbrüdert. Friedrich Thiersch, der philologische Praeceptor Bavarieae, war ein Verfechter des Turnens und hatte dem befreundeten Jahn 1819 unerschrocken seine Pindarausgabe zugeeignet.100 Thiersch gehörte zu den protestantischen Nordlichtern, die um 1809 nach Bayern importiert worden waren, um dem neuen Königreich von Napoleons Gnaden modernen Wissenschaftsgeist einzuhauchen.101 Trotz erbitterter Attacken erzkatholischer Altbayern, die sogar ein Attentat auf ihn verübten, wurde er Leiter des philologischen Seminars und Sekretär der Akademie der Wissenschaften. Nach dem Abfall Bayerns von Napoleon exerzierte er öffentlich mit seinen Studenten, in den frühen Zwanziger Jahren war ein Wortführer der Philhellenen, wurde ein einflußreicher Ratgeber Ludwigs in Bildungsfragen und arbeitete jetzt an einem Reformwerk Über gelehrte Schulen. Ernst Förster, Burschenschaftsfreund Maßmanns und später ein bedeutender Kunsthistoriker in München, hat in seinen Memoiren anschaulich beschrieben, wie er von Thiersch in München gastfreundlich aufgenommen

99 Ebd. S. 52f. 100 Ulfkotte: Griechen. S. 16. Zu Thiersch ADB XXXVffl, S. 7-17. 101 Zur bayerischen Geschichte vgl. M. Spindler (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd 4, 1.2. München 1974-75. A. Kraus: Geschichte Bayerns. München 1983.

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und in seinen Freundeskreis eingeführt wurde.102 So wird es auch Maßmann ergangen sein, der sich außerhalb seiner Bibliotheksarbeiten fast nur mit Thiersch und seinen engsten Freunden traf.105 Dazu gehörte Friedrich Immanuel Niethammer, der seit 1808 das bayerische Volksschulwesen modernisiert hatte, Nepomuk Ringseis, Leibarzt Ludwigs und Medizinalrat, Peter Cornelius, den Ludwig zum Direktor der Münchener Kunstakademie berufen hatte, und Karl Johann Friedrich Roth, später als Oberkonsistorialpräsident der höchste protestantische Kirchenbeamte Bayerns, damals noch Ministerialrat und angesehenes Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Alle diese Persönlichkeiten gehörten zum Umfeld des Kronprinzen, der sich selbst der Landshuter Romantik zurechnete, einer geistigen Bewegung, die das unter Montgelas aufklärerisch gestaltete Bayern wieder in ein religiös geprägtes Staatsgebilde umwandeln wollte. Dabei ging es Ludwig nicht zuletzt um eine Stärkung des Gottesgnadentums, dessen überzeugter Anhänger er war, obwohl er andererseits entscheidend zur Einführung einer Verfassung in Bayern beigetragen hatte.1« Diese Verfassung sah eine Gleichstellung von Katholiken und Protestanten vor, obwohl ein älteres Konkordat mit der katholischen Kirche existierte, das ihr den Vorrang einräumte. Bayern war seit dem Zuwachs unter Napoleon zu fast vierzig Prozent evangelisch bevölkert, und die religiöse Gleichstellung war schon deshalb nötig, um die neugewonnenen Landesteile zu integrieren. Als Maßmann nach Bayern kam, verlief die religiöse Auseinandersetzung nicht so sehr zwischen den Konfessionen, sondern zwischen den Anhängern der rationalistischen Aufklärungskirche und den romantischen Glaubenskräften, die das Land für den Offenbarungsglauben zurückgewinnen wollten. Im Kreis um Ludwig trafen sich die Anhänger einer vertieften Religiosität aus beiden Konfessionen, da dieser eben in einem religiös geprägten Staat sein Gottesgnadentum leichter legitimieren zu können glaubte. Die Annäherung des romantischen Katholizismus, der nicht so stark an Rom gebunden war, an den pietistischen und konservativ-orthodoxen Protestantismus, kam Maßmanns Hoffnungen auf eine Nationalkirche entgegen, die eines Tages alle deutschen Christen vereinigen sollte. Der gemeinsame Glaube war ja eine Grundsäule des Volkstumsgedankens, aber Maßmann sah noch einen anderen Grund für dieses religiöse Bündnis: das starke Vordringen des Unglaubens im Gefolge der atheistischen Naturwissenschaften. Dabei wird wieder Maßmanns Doppelstellung zwischen den 102 E. Förster: Aus der Jugendzeit Berlin 1887, S. 200f. 103 Brief an Thiersch, 19.IV.1826. BSB/TH. 104 H. Gollwitzer: Ludwig I. von Bayern. München 1986.

3. Thronbesteigung eines Teutschen

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Epochen deutlich: einerseits begrüßte er die Fortschritte der "Naturkunde", die er als eine vertiefte Anschauung der Natur und damit der göttlichen Schöpfung verstand; aber andererseits brachte die entfesselte Naturwissenschaft den Glauben insgesamt ins Wanken, wenn sie sich gänzlich von der Freiheit des Geistes leiten ließ. In seinem Vergangenen Jahrzehend formulierte Maßmann: "Die Wissenschaft, thatgeweiht, gottgeheiligt, baut Stufen zum Himmel; sophistisch-satanisch stürmt sie den Himmel, betrügt um den Himmel."105 Gerade die Katholiken Baader und Ringseis entwickelten in dieser Zeit neue Konzepte, um die Wissenschaften wieder der Religion unterzuordnen. Maßmanns Übereinstimmung mit ihnen wird an vielen Zitaten in seinem Vergangenen Jahrzehend deutlich."* Wie sehr er sich mit Thiersch über den sittlichen Verfall der Biedermeierzeit einig war, wird an einer Passage deutlich, die er aus Thierschens Reformwerk Über gelehrte Schulen in seine Zeitanalyse übernahm. Darin wird geklagt über " [...] Wissen ohne Wissenschaft, das seine Nahrung aus Tagblättem und Almanachen zieht; die Verschwimmung des Gefühls für das Schöne, die durch seichte Dichtung und die Genüsse eines Theaters ohne Würde, einer Tonkunst ohne Tiefe veibreilet wird; die Entsittlichung des geistigen Vermögens durch sittenlose Romane und durch die Mördergruben der öffentlichen Zucht, die Leihbibliotheken; die tausendfältige und tausendfaibige Traggestalt der öffentlichen Bildung, die ihre Götzen und Götzendiener auf allen öffentlichen Plätzen der Literatur und Kunst ausstellt, emähit und schmückt und ihr Gift in tausend Adern durch die Völker führt." 107

Die Verhältnisse in München sagten Maßmann so zu, daß er auch dort seinen Aufenthalt wesentlich verlängerte. Dabei unternahm er sogar einen Abstecher ins österreichische Salzburg108 - ein Indiz dafür, daß er sich ungefährdet bewegen konnte. Als sich sein Aufenthalt in München dem Ende zuneigte, kam es zu einem dramatischen Ereignis, das sein Interesse an einer Übersiedlung dorthin noch wesentlich steigerte. Am 13. Oktober 1825 verstarb plötzlich König Max Joseph I., und sein Sohn bestieg als Ludwig I. den langersehnten Thron. Die Regierungsübernahme durch den als deutschtümlich und liberal bekannten Kronprinzen wurde überall in Deutschland mit großen, zum Teil irrealen Hoffnungen verbunden. Schon 1818 war in Ludens Nemesis ein Lobgedicht auf den Kronprinz erschienen, als er von einer schweren Krankheit genesen war. Da hieß es:

105 Jahrzehend, S. 100. 106 Ebd. S. 89,104,144. 107 Ebd. S. 149f. aus F. W. Thiersch: Über gelehrte Schulen, mit besonderer Rücksicht auf Bayern. Th. 1. Stuttgart 1826, S. 12-13. 108 Vom 5.-20.VI. 1825. StA München: Fremdenbuch.

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m . In der Hut des Südens Ja Baiem: - wohl ist euch das Loos gefallen, Daß dieser Fürst zunächst Euch angehört. Doch uns gehört er auch, uns Teutschen Allen, Und Aller Herzen sind ihm zugekehrt.109

Jetzt ergoß sich eine ganze Flut von lyrischen Huldigungen über den neuen Herrscher, der mit dem Wahlspruch "teutsch, religiös, volksrechtlich gesinnt" antrat110 Der berühmteste Zuredner an den neuen König wurde der Dichter August Graf von Platen, der Ludwig mit seinem altdeutschen Bildungsinteresse schmeichelte: Dein Auge spähte durch die Vergangenheit, Es lag das Buch der Zeiten auf deinem Knie, Gedanken pflücktest du, wie Blumen, Über dem Grabe der deutschen Vorwelt.111

Auch Maßmann mischte sich kurz vor seiner Abreise noch in den lyrischen Chor, aber während Platen sein Gedicht in einer Audienz überreichte, blieb Maßmann anonym, als er seinen Zyklus Der König todt! - Es lebe der König! erscheinen ließ.111 Aber schon aus der handschriftlichen Verfasserangabe auf dem Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek: "von Dr. Maßmann aus Berlin" läßt sich erahnen, daß er aus seiner Verfasserschaft im Kreise seiner Vertrauten keinen Hehl machte, was auch aus einer späteren Quelle hervorgeht.1" Maßmann nutzte die Gelegenheit, sich als einen überzeugten Monarchisten darzustellen, der an der ständischen Ordnung nicht rütteln wollte: Immer vereint genannt König und Vaterland! Ehre dann jedem Stand, Der selbst sich ehrt!114

Maßmann baute seinen Zyklus recht geschickt auf; es ist deutlich zu spüren, daß er dichterische Routine gewonnen hatte. Von einer allgemeinen Reflexion über den Wechsel von Leben und Tod ausgehend, schilderte er zuerst die Verehrung der Bürger für den König, im nächsten Gedicht erzählte er von dessen plötzlichem Tod. Das vierte Lied: Der König stirbt nimmer erinnerte daran, daß sich der Monarch durch seine historischen 109 Der Kronprinz von Baiern. Nemesis 1818, S. 126-128. Das Zitat S. 127. 110 Treitschke: Geschichte ΠΙ, S. 603. Zu Ludwigs Programm W. Frühwald: Der König als Dichter. DVjs 1976, S. 127-157 und J. Erichsen/U. Puschner (Hrsg.): 'Vorwärts, vorwärts sollst du schauen...' München 1986. 111 A. v. Platen: An König Ludwig. DLEΙΠ, S. 84. 112 Der König todt! - Es lebe der König! 5 Lieder. München 1825. 113 Brief an Thiersch, [Ende Februar] 1826. BSB/TH. 114 Am Maximilianstage. Der König (1825), S. [4.]

3. Thronbesteigung eines Teutschen

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Leistungen Unsterblichkeit erringen kann, - aber auch die fortdauernde Verachtung der Nachwelt: Doch giebt es Namen, die auch nie verhallen, Die Könige - sie sterben nimmermehrt In der Geschichte Fluch- und Segenshallen Verklingen nie die Namen inhaltschwerl115

Der Appell an die Verantwortung vor der Geschichte war fast die einzige Möglichkeit, den Monarchen zu beeindrucken, wenn diesem die patriarchalische Stellung über seinem Volk erhalten blieb. Eine andere Möglichkeit war Schmeichelei, und davon machte Maßmann im Schlußgedicht: Der König todt! Es lebe der König ausgiebig Gebrauch, als er dem neuen König geradezu messianische Züge andichtete. Hier erst wird Maßmanns wirkliches Anliegen deutlich: Er wollte den neuen König in einen unabhängigen Kurs gegenüber dem nahegelegenen Österreich bewegen, das eine ständige Gefährdung für eine liberale und deutschgesinnte Politik Ludwigs darstellte. In diesem Schlußgedicht, das auch anonym in dem Unterhaltungsblatt Flora erschien,116 schilderte Maßmann zuerst noch einmal die Trauer um den verstorbenen Landesvater, bevor er in Antrittsjubel überging: Der König todtt - Ο laßt die Thränen rinnen. Der Lieb' und Treue letzte Huldigung! Und wenn die neuen Tage nun beginnen, So senke, treues Volk, dein Denken, Sinnen, In seines Vaterbild's Erinnerung! Der König todt! - der Königssohn soll leben! Ja, huldigt gläubig seinem neuen Stern! Wir kennen ja für's Vaterland sein Streben! Dram freudig mit der freien Lieb' Ergeben Empfangt den neuen königlichen Herrn! Der König hoch! im Purpur Deiner Ahnen Zieh' ein mit voller Huld, ο Königssohn! Es schwingt Dein Volk des Vaterlandes Fahnen, Ο führ' es fort auf ruhmgewohnten Bahnen Und schirm' das Recht auf Deiner Väter Thron. Und glaub' an Deines Volkes Lieb' aufs Neue, Es schwöret Dir auf Deines Vaters Gruft! Es brach ja nie die alte deutsche Treue Und immer bäumet sich der Schwertes-Leue117) Wenn's laut für Vaterland und König ruft! 1 IS Der König stirbt nimmer! Ebd. S.[ 6.] 116 Flora 1825, S. 665. 117 "Das baierische Wappen." (Anmerkung von Maßmann.)

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m . In der Hut des Südens So schlagen alle Herzen Di' entgegen. Es hofft auf Dich, ο König, Alt und Jungt Erhalt' uns fest des Friedens frohen Segen, Und bau' auf Deiner Baiern Herz und Degen, Wenn frech sich eindrängt fremde Flüsterung!111

Maßmann appellierte mit biblischer Überhöhung an den neuen König, das Recht zu schützen, patriotisch zu handeln (wobei wieder nicht klar war, welches Vaterland gemeint ist) und nicht auf "fremde Flüsterung", d.h. auf die Metternichsche Politik und die katholische Partei, hereinzufallen. Es war schon beinahe Hohn, daß Maßmann deshalb Ludwig an die "alte deutsche Treue" der Bayern erinnerte, denn nur der doppelte Treuebruch - zuerst gegenüber dem Deutschen Reich, dann gegenüber Napoleon - hatte den Aufstieg Bayerns zum Königreich ermöglicht Symptomatisch ist die mehrmalige Beschwörung von Liebe und Treue, die den patriarchalischen Staat zusammenhalten sollten, auch wenn er eine Verfassung als politische Notwendigkeit ansah. "Freudig mit der freien Lieb' ergeben" drückt den freiwilligen Zwang der halbbürgerlichen Ordnung anschaulich aus. Wenn Maßmann mit seinem messianischem Appell in die Schmeicheleien der bayerischen Zeitungsschreiber eingestimmt hatte, "deren Plumpheit selbst im diplomatischen Korps Ekel erregte",119 dann sah er sich von der Politik Ludwigs bestätigt. Noch 182S hob dieser die Zensur für Zeitungen auf und zerstreute die Befürchtungen vor einer Orientierung an Österreich. Schon in Straßburg weilend erfuhr Maßmann von dem euphorisch gestimmten Thiersch: "Die Wiener Künste und Ränke, welche gesponnen worden, um ein königliches Gemüth zu umgarnen, hat der bayerische Löwe wie die Fäden eines Spinngewebes zerrissen, und wandelt fest und sicher seine Bahn, unter sich die Festigkeit des Rechts, um sich die Verehrung seines Volkes, in sich das Gefühl seiner Würde und Selbständigkeit, die Alle zur Verzweiflung bringt, welche auf Schwäche und Willfährigkeit gerechnet hatten. Glauben sie mir, daß wir einer festen, sichern, großen Zukunft durch ihn entgegengehen."120

118 Der König todt! Es lebe der König! Ebd. S. 7f. 119 Treitschke: Geschichte ΠΙ, S. 605. 120 Aus einem Brief von Thiersch (20.Π.1826) von Maßmann mitgeteilt an J. Grimm, 20.IV. 1826. SBPK/GS.

4. Geisterstimme gegen Görres

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4. Geisterstimme gegen Görres Ende November 1825 verließ Maßmann München, um seine Bibliotheksreise fortzusetzen. Auf dem Weg nach Straßburg war Stuttgart seine nächste Station, wo eine Nebenaufgabe auf ihn wartete. Maßmann hatte Uhland und Laßberg versprochen, dort für sie die Weingartener Liederhandschrift abzuschreiben.121 Aber in Stuttgart, das in den Jahren zuvor als die liberalste Metropole Deutschlands galt und viele Exilheimkehrer aufgenommen hatte, war ein politischer Klimawechsel vorgegangen. Nachdem Maßmann bereits zwölf Seiten des Codex abgeschrieben hatte, wurde ihm die Weiterarbeit verweigert und auf direkten Befehl des Königs sogar die Benutzung der Königlichen Bibliothek untersagt.122 Maßmann konnte zwar noch in der Stadtbibliothek einiges erreichen, hatte auch anregenden Umgang mit Uhland, Schwab und ihrem liberalen Freundeskreis, aber wieder einmal war der Schatten seiner Demagogenvergangenheit auf ihn gefallen. Der württembergische König Wilhelm I. zeigte sich "in Vielem seit einem halben Jahr wie umgewandelt", wie Maßmann an Grimm klagte.123 Diese Bedrohung durch monarchischen Meinungswechsel gab Maßmann sicherlich auch in Hinblick auf Ludwig I. zu denken. Der junge Thronfolger war in München stetig dem Einfluß der altbayerischen Hofpartei ausgesetzt, die den streng katholisch erzogenen Fürsten natürlich zu einer katholischen Politik im Sinne des ausgesetzen Konkordates bewegen wollte. Um so besorgter mußte Maßmann daher reagieren, als er bald darauf in Ludwigs Geburtsstadt Straßburg von einem entsprechenden Beeinflussungsversuch erfuhr, den Görres von dort aus in die Wege geleitet hatte. Daß Maßmann darüber so schnell im Bilde war, verdankte er französischen Protestanten in Straßburg, die ihn ebenso freundlich aufnahmen wie die bayerischen Nordlichter in München. Maßmann wohnte bei dem Vorsteher des protestantischen Seminars in Straßburg, Jung, der auch der Bibliothek vorstand.124 Der Straßburger Asylant Joseph Görres hatte von allen Patrioten die extremste Entwicklung durchgemacht. Vom rheinischen Jakobiner hatte er sich zum deutschtümlichen Germanisten und patriotischen Publizisten gewandelt, an der Spitze der liberalen rheinischen Verfassungsbewegung gestanden und schließlich als politischer Pamphletist (Teutschland und die Revolution) verfolgt, das rettende Frankreich erreicht, das er in seinem Rheinischen Merkur einst als "fünfte Großmacht" so heftig bekämpft hatte. 121 Ursprünglich hatte Maßmann das gleiche für von der Hagen vorgehabt. Brief an Laßberg, 5.ΧΠ.1825. UB Krakau. 122 Brief an Laßberg, 6.ΧΠ.1825. UB Krakau. 123 Brief an J. Grimm, 14.ΧΠ. 1825. SBPK/GS. 124 Brief an Thiersch, 29.1.1826. BSB/TH.

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m . In der Hut des Südens

In Straßburg erlebte er dann seine Bekehrung vom christlichen Reichspatrioten zum römischen Katholizisten strengster Prägung.123 Daß dies gerade im Elsaß geschah, war kein Zufall, denn die dortige Diözese bildete das Zentrum einer aggressiven katholischen Emeuerungsbewegung, die aus einer vertieften Volksfrömmigkeit heraus und vom bourbonischen Restaurationsstaat begünstigt, eine neue Position der Stärke gegenüber den Kräften der gesellschaftlichen Veränderung suchte. Entsprechende ultramontane Tendenzen gab es auch im deutschen Katholizismus, sie fanden ihr Sprachrohr in der Mainzer Zeitschrift Der Katholik, die aus Zensurgründen ebenfalls nach Straßburg abwanderte. Der sprachgewaltige Göires stellte sich in den Dienst des Katholiken, der dadurch stark an Anziehungskraft gewann.12« Im Herbst 182S, nach der Thronbesteigung Ludwigs, brachte der ebenfalls kirchlich-katholisch gewordene Görres-Freund Clemens Brentano den Gedanken auf, den Katholiken nach Bayern zu verlegen, um die neue Konstellation in Deutschland zu nützen.127 Das war wohl noch verfrüht, aber Görres begann nun, seine eigene Berufung nach Bayern ins Auge zu fassen, und wandte sich im November 1825 mit einer anonymen Veröffentlichung an Ludwig I., um ihn zu einem entsprechenden politischen Kurs zu bewegen. Es zielte direkt auf das historisierende Selbstverständnis Ludwigs, daß Görres mit einem Stück historisierender Rollenprosa an ihn appellierte: Der Kurfürst Maximilian der Erste an den König Ludwig von Baiern bei seiner Thronbesteigung hieß der Text, der im Katholiken erschien.12« Görres ahmte darin die Diktion des einstigen Bayernherrschers nach, der seinem Sohn ein politisches Testament hinterlassen hatte, und traf damit genau den Geschmack Ludwigs I. Denn Ludwig verehrte Maximilian I., den Führer der katholischen Liga und ersten absolutistischen Alleinherrscher in Deutschland,12» so sehr, daß er ihm später in München ein großes Standbild errichtete, - zugleich ein deutliches Zeichen dafür, daß es mit Ludwigs liberalen Ambitionen nicht soweit her war, wie das bayerische Bürgertum hoffte. Görres forderte via Maximilian Ludwig zu einer Rekatholisierung 125 H. Grauert: Görres in Straßburg. In: 3. Vereinsschrift der Görres-Gesellschaft. Köln 1910, S. S-S7. L. Pfleger Randglossen zu Görres' Straßburger Exil. In: K. Hoeber (Hrsg.): Görres-FestschrifL Köln 1926, S. 191-205. Zur religiösen Situation der Zeit vgl. F. Schnabel: Deutsche Geschichte im 19. Jahriiundeit. Bd 4. Freiburg i. Br. 1937. Spindler: Geschichte IV/2.S. 883-925. 126 S. Merkle: Zu Görres' theologischer Arbeit am Katholik. In: Hoeber Görres-Festschrift S. 151-190. 127 K.A. v. Müller Görres* Berufung nach München. Ebd. S. 216-246. 128 [J. Görres:] Kurfürst Maximilian I. an den König Ludwig von Baiern bei seiner Thronbesteigung. Der Katholik 1825, Η. 11, S. 219-249. 129 Vgl. Kraus: Geschichte, S. 227ff. Maximilian entschuldete seinen Staat radikal, was auch Ludwig I. beabsichtigte, und entmachtete seine Landstände, legitimiert durch sein Gottesgnadentum.

4. Geisterstimme gegen Görres

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Bayerns auf, die auf eine Reaktivierung des ausgesetzten Konkordates hinauslief. "Befreie die Kirche von jener schmählichen Sklaverei, in der sie ein nichtiges Mifitrauen gefangen hält",130 hieß es da, und deutlicher noch: Erfülle darum getreulich die Concordaten, die dein königlicher Vater mit dem Oberhaupt der Kirche abgeschlossen, und die er nie gegen die Willkür seiner Minister und Beamten durchzusetzen vermocht 131

Zwar mahnte Görres Ludwig auch, "jedem Eifer" zu wehren, "der über seine Grenzen tretend, den Frieden der Confessionen stören möchte",132 aber Görres dachte dabei eher an einen religiösen Minderheitenschutz für die Protestanten und gewiß nicht an religiösen Ausgleich, wie er in München praktiziert wurde: Ehre die Priesterschaft, damit das Volk sie höre, und ihr Unterricht ihm gedeihlich werde [...] statte, soviel es die Umstünde vermögen, die Kirche aufs Neue aus, wie die Concordaten es angelobt [...] Begünstige sie in aller Weise [...],133

das waren die Töne, die die Protestanten alarmieren mußten. Und Görres beließ es nicht bei der Zeitschriftenpublikation. Er ließ seinen Aufsatz in 2000 Exemplaren abziehen und wollte durch dessen Leibarzt Ringseis auch ein Exemplar des Sonderdrucks an Ludwig I. direkt übermitteln. Durch eine schwerwiegende Erkrankung von Ringseis verzögerte sich die Übergabe, so daß die Autorschaft von Görres vorerst im Dunkeln blieb.134 Dies war der Stand, als Maßmann zum Jahreswechsel 1825/26 in Straßburg zu arbeiten begann. Er wurde Zeuge, wie von München aus Nachforschungen nach dem Verfasser der Apostrophe angestellt wurden, und er erfuhr von seinen protestantischen Freunden, Görres "sei so tief gesunken von seiner Geisteshöhe - Jesuit geworden zu sein", wie er an Thiersch schrieb,135 der ihn noch in München über die katholische Problematik informiert hatte.136 Als Maßmann den Sonderdruck dann in die Hände bekam, und zudem erfuhr, daß sich Görres das Testament Maximilians aus einer Bibliothek entliehen hatte, gab es für ihn keinen Zweifel mehr, daß er den Urheber des Pamphletes richtig erkannt hatte. Die Lektüre des fingierten Testamentes zeigte ihm aber dann, daß die Sache sich differenzierter verhielt, als er anfangs angenommen hatte. Denn 130 131 132 133 134 135

Görres: Kurfürst, S. 245. Ebd. S. 244. Ebd. S. 245. Ebd. S. 245f. Müllen Berufung, S. 217f. Brief an Thiersch, 291.1826. Das weitere Geschehen ergibt sich aus den Folgebriefen Mitte (17.) und Ende Februar 1826. BSB/TH. 136 "Thiersch war [...] als Protestant sehr besorgt". Brief an J. Grimm, 20.IV. 1826. SBPK/GS.

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m. In der Hut des Südens

die politischen Forderungen, die Görres an Ludwig I. richtete, entsprachen seinen eigenen Wünschen in Richtung auf einen christlichen Verfassungsstaat - wenn nicht der Pferdefuß des forcierten Katholizismus gewesen wäre. Denn Görres forderte Ludwig auf, "Schützer der Geistesfreiheit" zu sein, "ein Pfleger der Wissenschaft, den Künsten ein Nährvater und Beförderer",137 er sollte auch die Verfassung achten, zwar "väterlich" herrschen, aber auch das "Kindesrecht" der Untertanen anerkennen: Dann kannst du heitern Angesichtes deiner ersten Sündeversammlung entgegentreten; sie wild nicht genöthigt seyn, dir künstlich und ängstlich kleine Zugeständnisse abzudrängen; frank und frei wirst du deine Gabe ihr entgegenbringen, und ihr wird das Geschäft nur bleiben, ihre beste Anwendung auszumitteln. So wirst du ein Segen deinem Volk, dem gesammten Deutschland aber ein großes Beispiel seyn.13*

Selbst seine turnerische Vergangenheit konnte Görres, der 1815 in Koblenz einen Turnplatz anlegen ließ139 und 1816 zum Verteilerkreis der Deutschen Turnkunst gehörte,140 nicht verleugnen. Mit entsprechenden Metaphern forderte er Ludwig auf, "ein bewegtes öffentliches Leben" zu schaffen: "Das sitzende Leben gedeihet den Staaten so wenig wie einzelnen Menschen, und in schlaffer Wohlbeleibtheit aufgedunsen, schwinden ihnen Nerv [Sehne] und Muskel in träger Ruhe."141 So charakterisierte Maßmann Görres Pamphlet in seinem nächsten Brief an Thiersch als "eine Schrift, darin mehr ist denn Loyola!"142 und holte zu einem entsprechend differenzierten Gegenschlag aus. Er verfaßte eine lyrische Gegenapostrophe, wofür er nicht das Testament, sondern die Geisterstimme des bereits verstorbenen Kurfürsten Maximilian bemühte.143 Dieses Opus gehört zu den Kuriosa der deutschen Lyrikgeschichte, ist aber, soweit ich sehen kann, bis heute unbeachtet geblieben. Der Grund dafür lag nicht zuletzt in Maßmanns extremer Vorsichtigkeit. Er hatte offenbar Angst, mit seinem demagogischen Leumund die politische Aussage zu gefährden, die dem von ihm gewählten Pseudonym entsprach: MaßHold FreiMann. In seinem Begleitbrief, den Maßmann dem Exemplar an Thiersch Ende Februar hinzufügte, sprach Maßmann nur in verklausu137 138 139 140 141 142

Görres: Kurfürst, S. 225f. Ebd. S. 228 und S. 234. J. Ulfkotte: Turnen und Turner 1811 bis 1842. Staatsarbeit Münster 1979, S. 162. Schulrath an der Oder Lfg. 8 (1816), S. 175. Görres: Kurfürst, S. 230. Brief an Thiersch, 17.Π.1826. BSB/TH. Maßmann bezeichnete Görres dort als "einst gefeiert im Vateiiande, jetzt nur noch im Mainzer Katholiken und im Offenbacher Staatsmann zu Stu[h]le gehend". 143 Maßhold Freimann: Geisterstimme des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern, heraufbeschworen durch die Schrift 'Der Kurfürst Maximilian an den König Ludwig von Bayern, bei seiner Thronbesteigung.' Straßburg 1826. Der vollständige Text in der Dokumentation IX/2.

4. Geisterstimme gegen Görres

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lierter Form von seinem Werk.144 Und das Thiersch-Exemplar scheint überhaupt das einzige gewesen zu sein, das nach München gelangte. Alles spricht dafür, daß Thiersch darauf verzichtete, es an Ludwig weiterzugeben, vermutlich, weil Thiersch mit Maßmanns ungehobelter Dichtkunst nicht einverstanden war. Einige Monate später reagierte Thiersch nämlich auch ablehnend auf einige philhellenische Gedichte Maßmanns, die sein klassisches Formgefühl verletzten.'^ Auch in einem Brief an Jacob Grimm wies Maßmann nur ganz beiläufig auf die Geisterstimme hin, so, als hätte er persönlich nichts mit ihr zu tun.'46 Dem Heidelberger Kirchenrat Paulus schließlich, der sie in seinem Sophronizon an die Öffentlichkeit bringen sollte, ließ er das Exemplar indirekt durch den Buchhändler Winter zukommen, und auch letzterem schrieb er scheinheilig: "Ich schick' es so frisch, als ich's erhalten habe"»47 Paulus hat dann tatsächlich in einer Polemik gegen den Straßburger Katholiken Auszüge aus Maßmanns zwölfseitigem Großgedicht veröffentlicht, aber in diesen entstellten Fragmenten ging die Aussageabsicht teilweise verloren.14* Eine durchschlagende Wirkung konnte Maßmann so nicht erzielen.14» Vielleicht fürchtete er auch Schwierigkeiten mit den Katholiken in München, wenn seine Verfasserschaft bekanntgeworden wäre. Maßmanns Pseudonym MaßHold FreiMann hatte einen doppelten Hintersinn. Es spielte auch auf den Decknamen an, den Friedrich Rückert sich zugelegt hatte, als er während der Befreiungskriege seine Geharnischten Sonette herausgab: Freimund Reimar hatte sich der von Maßmann verehrte Dichterpatriot damals genannt150 Maßmann hatte das schon vorher aufgegriffen: 1824 versah er einen kleinen sprachwissenschaftlichen Aufsatz mit dem Pseudonym Maßhold Treumann.1*1 In zwei Briefen an Chamisso und Hoffmann von Fallersleben kamen auch die Variationen Mannhold Maß 144 Maßmann gebrauchte dort das Bild vom gespaltenen Besen des "Zaubermeisters" Görres, das er auch in der Geisterstimme, S. 4 benutzte. An Thiersch schrieb er dazu: "Dem Zaubermeister selber ist es begegnet, was bei Göthe nur der Schüler versah - der Besen hat sich gespalten. Den blauen Vogel [d.h. die Geisterstimme] können Sie an seinen Federn bald erkennen, Sie haben audi schon ein monumentum Boicum (poeticum) [=Der König todt/] von ihm in Händen." BSB/TH. 145 Das ergibt sich aus Maßmanns Briefen an Hiiersch vom 17.IV. und 18.VI.1826. BSB/TH. 146 Brief an I. Grimm, 20.IV.1826: "Ist eine Gegenschrift gegen Görres' Schrift schon nach Kassel gekommen [...]?" SBPK/GS. 147 Brief an Winter, 14.Π.1826. UB Heidelberg. 148 H. Paulus: Allerlei aus der Zeitgeschichte. Sophronizon 1826, S. 90ff., Auszüge aus Maßmanns Gedicht S. 109-114. 149 Damit ist nicht gesagt, daß es in München gänzlich unbeachtet blieb. Im Juni 1826 erwähnt ein österreichischer Gesandschaftsbericht eine Gegenschrift gegen Görres. Müller: Berufung, S. 219. 150 Ober Mafimanns Hoch Schätzung Rückerts vgl. Jahrzehend, S. 123ff. 151 Maßhold Treumann: Der Name des Osning, Osding. Rhein.-westphäl. Anz. 1824, Kunstund Wissenschaftsblatt, Sp. 332-334.

m. In der Hui des Südens

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und Maßhold Mann vor.152 Maßmann wollte damit wohl ausdrücken, daß er den kämpferischen Verheißungen von 1813 jetzt mit gemäßigteren Mitteln nachstrebte, nicht mehr wie beim Wartburgfest über die Stränge schlagen wollte. Im Falle der Geisterstimme deutete er aber so schon ein Hauptthema seiner Auseinandersetzung mit Görres an, nämlich dessen Verrat des deutschen Freiheitsgeistes an die römische Kurie. Es war eine Strategie von Maßmann, Görres katholizistische Forderungen dadurch zu diskreditieren, daß er ihn als einen "gefallenen Geist" hinstellte. Formal unterstützte er das dadurch, daß er (allerdings in abgewandelter Form) sich Uhlands patriotisches Mahngedicht Am 18. October 1816 ("Wenn heut ein Geist herniederstiege") zum Vorbild nahm, das uns ja schon begegnet ist Maßmann ließ also den Kurfürsten Maximilian aus seinem Grab heraufkommen, um Ludwig vor den katholischen Forderungen von Görres zu warnen und dessen fortschrittliche Forderungen im eigenen Sinne einer "Deutsche Kirche" (Vorbemerkung) auszulegen, bzw. um weitere Argumente zu bereichern. Hierzu verwies er jeweils in Fußnoten auf die entsprechende Passage von Görres Apostrophe.153 Es war jedoch eine unglückliche Idee von Maßmann, der Görresschen Prosa mit einem schwerfälligen Gebilde von sechsundvierzig achtzeiligen Gedichtstrophen entgegenzutreten, wo es darauf angekommen wäre, die Kürze und Eingängigkeit der Lyrik ins Feld zu führen. Aber gerade die Geisterstimme ist ein Paradebeispiel dafür, daß Maßmann Lyrik als ein Medium für diskursive Auseinandersetzungen betrachtete, wie es in größerem Rahmen dann auch von den liberalen Poeten des späten Vormärz und von Heine aufgegriffen wurde.154 Weil ein satirischer und persiflierender Ton hier nicht in Frage kam, griff Maßmann zu einer quasimusikalischen Leitmotivtechnik, um seinem Großgedicht zu innerer Geschlossenheit zu verhelfen. Fast in jeder Strophe seiner Geisterstimme taucht eine Variation auf das Geist-Thema auf, das durch den Titel und die Beziehung auf Uhlands Körner-Geist ja bereits vorgegeben war. Der Bezug auf Uhland gab Maßmann auch Gelegenheit, sein zweites Hauptmotiv zu entfalten, nämlich die Erinnerung an die Befreiungskriegszeit zu reaktivieren und Ludwig als eine Leitlinie seiner Politik nahezulegen. In der 2. Strophe ließ er den in seinem Grabe ruhenden Maximilian durch den niedersteigenden Geist von Ludwigs Vater wecken: Da stieg ein Bote nieder. Ein hoher Königsgreis;

152 Brief an Chamisso, 2.VEI1824. DSB. Brief an Hoffmann, 17.VIII.1824. SBPK. 153 Die Fußnoten sind seiten weise gezählt, in meinem Abdruck IX/4 aber durchnummeriert. 154 Vgl. R. Rosenberg: Literaturverhältnisse im deutschen Vormärz. 2. Aufl. Berlin (Ost) 1976, S. 202ff.

4. Geisterstimme gegen Görres

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Trug meinen Namen wieder *) 1 5 5 Und frisches Lorbeerreis. Er meldete die Grauen Der jüngstvergang'nen Zeit, Und wie auf Leipzig's Auen Sich deutsches Volk befreit. Und brachte frohe Kunde Von seinem Königssohn Der in hochheil'ger Stunde **) l i 6 Stieg auf der Väter Thron [...]137

Mit dem Befreiungskriegsthema konnte Maßmann sicherlich Aufmerksamkeit bei Ludwig erregen, denn dieser hatte ja maßgeblich den Abfall von Napoleon mitgetragen und dann die bayerische Landwehr in den Kampf geführt. In seiner Würzburger Kronprinzenresidenz veranstaltete er am Tage der Leipziger Schlacht alljährlich Armenspeisungen. So wurden 1817 und 1818 400 Stadtarme und SO Kriegsinvaliden unter den Klängen einer Militärkapelle im Gartensaal der Residenz beköstigt Die Armen wurden festlich gekleidet und erhielten auch ein Glas Wein. Zuschauer aus allen Ständen nahmen "tief gerührt" Anteil, die Armen betrugen sich "mit Anstand und Ordnung" und dankten mit Vivats auf den Kronprinz und die königliche Familie.158 Diese patriotischen Gesten behielt Ludwig auch als König bei. 1 » Im ersten Teil seiner Geisterstimme wurde Görres des Verrats am Patriotismus angeklagt, wobei es aber symptomatisch war, daß Maßmann trotz seines Pseudonyms darauf verzichtete, Görres beim Namen zu nennen. In seinem Rollengedicht rief er ihm nur vielsagend zu: Ich kenne dich, du kühner. Du hochbegabter Geist, Den oft als Deuter, Sühner Das Vaterland gepreis'L Der in den matten Tagen Die Träumenden geweckt. Die Feigen und die Zagen Zum Kampf hat aufgeschreckt. [...] Die hohen Gnadengaben, Die weihst du nun der Nacht, Und rufst, daB ihr Buchstaben

155 156 157 158 159

"*) König Maximilian der Erste von Bayern" (Fußnote von MaBmaim.) **) Verweis auf S. 27 der Görres-Apostrophe. Geisterstimme, S. 3. SA Wünzburg, Regierung von Unterfranken 1127. Noch 1839 lobte ihn Maßmann dafür in seinen Armin's-Liedern, S. 1: "Ach nur ein König hat noch Arme / Dort in Aschaffenburg gespeist."

m . In der Hut des Südens

194 Allein nur selig macht!

Und in der reichen Rede, [Die] du bisher gebraucht, Die oft zu freier Fehde Begeisternd angehaucht, Verkehrst du die Gedanken Und untergräbst den Grand; Und Geister, welche schwanken. Ziehst in den jähen Schlund.160

Nachdem Görres so als "antichristisch Wesen" und "abgefall'ner Geist"161 abgekanzelt war, sprach Maßmann seine Forderung an Ludwig aus und konkretisierte dabei seinen früheren Gedichtszyklus bei der Thronbesteigung. Ausführlich erörterte er seine Vorstellung von einer deutschen Kirche und brachte sie in Beziehung zu einer "natürlichen" Herrschaftsform, wobei er die Forderung nach Erfüllung der römischen Konkordate auf seine Weise beantwortete: Und halte fest in Treue Das heil'ge Concordat, Das mit dem Volk aufs Neue Dein Eid geschlossen hat! Sei Friedefüirst, sei Richterl Halt selber Dein Gebot I Des Staatshaushaltes Sichterl Und banne Gier und Nothl162

Energisch nahm Maßmann gegen Görres Forderung: "Ehre deinen alten Adel"163 Stellung und forderte stattdessen eine bürgerorientierte Politik, Förderung der Volksbildung, Wissenschaft und Kunst: Dem Ruhlieb keine Pfründen, Dem Pfriinder keine Ruh! Wend' es des Landmann's Gründen, Wend' es den Städten zu! Vor allem aber spende Dem kommenden Geschlecht, Den Schulen ohne Ende, Dem Heerd für Licht und Recht. [...] Und bau' ein reiches Bette, Dem Strom der Wissenschaft;

160 161 162 163

Geislerstimme, S. 5f. Ebd. S. 8. Ebd. S. 11. Görres: Kurfürst, S. 235.

4. Geisterstimme gegen Görres

195

Am Ufer dann die Stifte Der Kunst, die Kühnes schafft 164

Im Finale forderte Maßmanns Maximiliansgleis den jungen König auf, dem Staat den christlichen "Geist für's Vaterland" einzuflößen: Dann lafi dem deutschen Geiste Sich selbst die Kirche bau'n. Und laB in kühn und dreiste Mit eignen Augen schau' n! Es will in deutschen Zungen Gott auch gepriesen seyn: Die Welt hat sich entrungen Dem Siebenhügelschein.- [...] Der Priester, der im Wandel Des Herren Geist bewährt. Wird ohne wilschen Handel Vom treuen Volk verehrt. Ja wohl ein Volk der Treue, Du frommes deutsches Blut! In deiner Augen Bläue Des Himmels Glauben ruht. Und diesem deutschen Glauben Sei Eckstein du und Schäd\ Laß nicht die Kirche rauben Ihm von der Römergild! LaB Junkern nicht noch Pfaffen Des Vaterland's Altar, So wirst dem Volke schaffen Ein großes JubeljahrX Ja gieb dem deutschen Hoffen ein voll gerüttelt Maaß; Und thu' die Thore offen Dem Muth, den man vergaß, Den man verfolgt, verhöhnet. Seit er bei Leipzig rangt Es schaut auf Dich versöhnet Ganz Deutschland freudenbang. Bist nicht von Gott vergebens Mit an den Rhein gestellt. Den Strom des deutschen Lebens, Der in das Weltmeer fällt. Sei feste Burg im Süden Dem viel gespalt'nen Reich;

164 Geisterstimme, S. 12.

196

m . In der Hut des Südens Und scheu' den wälschen Frieden In dem Gedankenieich!165

Es ist sehr fraglich, ob Maßmann bei Ludwig mit der Gleichsetzung von katholisch und "wälsch" viel hätte erreichen können. Die abschätzige Art, die Maßmann teilweise an den Tag legte, läßt seine Herkunft aus einem strengen Protestantismus erkennen. Die Anspielung auf Luther ("feste Burg im Süden") war sicher auch nicht glücklich gewählt. Denn Ludwig weigerte sich später, die Büste Luthers in sein Walhalla der deutschen Helden aufzunehmen. Aber wie dem auch sei, Maßmanns Geisterstimme verhallte ohne nennenswertes Echo, es wiederholte sich das deprimierende Fazit, das Uhland seinen Körner-Geist den "Fürstenräth' und Hofmarschälle(n)" zurufen ließ: "[...] Ihr aber hört nicht, was ich sage; ihr glaubt an Geisterstimmen nicht." 166

Maßmanns katholischer Widerpart dagegen erhielt am 15. Februar 1826 die Anerkennung Ludwigs übermittelt, den es erfreut hatte, daß Görres "so vieles in seiner Seele gelesen",167 und es begannen Verhandlungen, um den Verfehmten nach Bayern zu lotsen.

5. Straßburger Kulturtransfer Das lyrische Schattengefecht mit dem Ex-Altdeutschen Görres, das Maßmann auf französischem Boden ausfocht, war nicht die einzige merkwürdige Situation, die sich aus Maßmanns Straßburger Aufenthalt ergab. Nicht minder kurios muten seine Bemühungen an, im Lande des "wälschen Erbfeindes" für die Verbreitung deutscher Kultur zu werben. Hintergrundinformationen dazu gibt eine ausführliche Sammelrezension Deutsche Literatur in Frankreich, die Maßmann 1826 anonym in den Heidelberger Jahrbüchern veröffentlichte.168 Er machte darin auch noch einmal auf seine Geisterstimme aufmerksam1«, ließ sich aber vor allem über das Interesse an deutscher Kultur aus, das in Frankreich seit einigen Jahren erwacht war,170 und gab eine genauere Schilderung der Zustände in Straßburg, das die Drehscheibe dieses Kulturtransfers darstellte. 165 166 167 168 169 170

Ebd. S. 12-14. Uhland: Am 18. Oktober 1816, zitiert nach Worte o. Pag. ZiL nach Müller Berufung, S. 218. [Anonym:] Deutsche Literatur in Frankreich. Heidelberger Jahibücher 1826, S. 7S7-77S. Ebd. S. 775, mit Hinweis auf die Auszüge im Sophronaon. Vgl. dazu R. Poidevin/J. Barifity: Frankreich und Deutschland. München 1982, S. 46ff.

5. Straßburger Kulturtransfer

197

Gemäß seiner Volkstumsideologie betrachtete Maßmann Straßburg und das Elsaß als zu Deutschland gehörig, und natürlich wollte er wie alle deutschtümlichen Patrioten ihren Wiederanschluß. Wie er in einem späteren Brief schrieb, war Straßburg ihm "Grenze deutschen Bundes, nicht deutschen Lebens und deutscher Treue".171 Aber bei seinem Forschungsaufenthalt mußte er feststellen, daß die Elsässer sich politisch längst in das politisch entwickeltere Nachbarland eingefügt hatten, denn: "Wo ist das Eine Deutschland, daran Elsaß sich hätte anlehnen können?"172 Auch kulturell drohte das Deutschtum in Straßburg ins Hintertreffen zu geraten, und da die Volkstumsideologie sich zuerst auf die Sprachzugehörigkeit bezog, mußte es vor allem darum gehen, die deutsche Sprache und Literatur im Elsaß wachzuhalten, wenn Straßburg unter veränderten politischen Bedingungen dereinst wieder eine deutsche Stadt werden sollte. Die geistigen Bedingungen dafür sah er durchaus für gegeben an: Löblicher, erfreulicher und tröstlicher für das Deutsche Gemüth und den Deutschen Glauben ist, daß der Elsaß Deutscher geblieben, als man glaubt, ungeachtet wälscher Behörden und trotz Missionären, die in Straßburg ein ungeschlachtes Riesen-Crucifix, das noch nicht einmal bezahlt ist, vor dem aus anderem Christensinn gebauten Münster aufgepflanzt haben zu ihrem Angedenken.173

Maßmann spielte damit auf die starke katholische Volksmissionierungsbewegung im Elsaß an, die den Protestantismus, als die ursprünglich deutsche Volksreligion im Elsaß, bedrängte. Die Straßburger Protestanten orientierten sich nach Deutschland hinüber, denn sie waren Lutheraner im Unterschied zu den reformierten Protestanten Frankreichs. Die Orientierung nach Deutschland hin veranlaßte auch manchen Elsässer, eine deutsche Frau zu heiraten, auch dieses Sippenband wurde von Maßmann mit Genugtuung festgestellt174 Mehr noch: "Die Gebildeten und Gelehrten in Straßburg sind nach ihrer ganzen Studienart zu Deutschland gerichtet",175 das soll heißen, daß viele Elsäßer deutsche Hochschulen besuchten, wie umgekehrt auch viele Deutsche in Straßburg studierten.176 Zu diesen kulturellen Beziehungen kam schließlich noch ein aktuelles Interesse an der deutschen Literatur bei den französischen Intellektuellen insgesamt, was Maßmann folgendermaßen kommentierte: [...] die Zeit ist eine an sich wundersam gebärende, still umgestaltende. Seltsame, niegefühlte Sehnsucht geht auch den wälschen Menschen auf in der Brost [...] Referent kennt

171 172 173 174 175 176

Brief an F. Kugler, 17.ΧΠ.1831. Grunewald: Liederbuch, S. 131. Deutsche Literatur, S. 762. Ebd. Ebd. Ebd. S. 763. Vgl. Allgemeine Schulzeitung 1825, Nr. 2, Sp. 13-16: Akademie zu Straßburg.

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198

eine gute Anzahl wahrhaft edler Französischer Jünglinge, die ein unbezwinglicher Drang zu Deutschlands hohen Schulen treibt, die eine wahre niegeahnte Wonne in der Deutschen Sprache schmecken, und einen tiefen durchdauernden Seelenemst wieder mit heimnehmen.17'

Der bekannteste dieser Deutschlandfahrer war der Schriftsteller Edgar Quinet, der Herders Geschichtsphilosophie ins Französische übersetzte und bald darauf in die pfälzische Familie Morö einheiratete, aus der später auch Maßmann seine Frau nahm, wie vorher schon sein Freund Heinrich Dittmar.178 Weniger bekannt, aber ebenfalls von Bedeutung für den kulturellen Austausch war der Lyoner Arzt Pierre Lortet, der einer der wichtigsten Philhellenen in Frankreich war, in Heidelberg geheiratet hatte und dort ein Haus besaß.179 Lortet unterhielt Beziehungen nach Rödelheim und zu den süddeutschen Philhellenen, war aber auch mit dem Heidelberger Buchhändler Winter befreundet, der ihn als einen "wahren Mann" an Börne empfahl.180 Maßmann hat Lortet vermutlich schon durch Winter in Heidelberg kennengelernt, denn Lortet übersetzte 1825 das Deutsche Volksthum des Turnvaters Jahn ins Französische, wobei ihm Maßmann Material für die historische Einleitung lieferte.181 In seinem Aufsatz erklärte Maßmann dieses Interesse an der Volkstumsideologie damit, daß es in Südfrankreich Bestrebungen gab, sich kulturell vom Pariser Zentralismus zu lösen und "Gaueigenthümlichkeiten zu sinniger Erfrischung des Ganzen zu nähren".182 Ein anderer Arzt aus Lyon, Stanislas Gilibert, veröffentlichte anläßlich der Jahn-Übersetzung seine Eindrücke von einer Deutschlandreise.183 In Straßburg selbst wurde von einem literarischen Kreis gutsituierter Bürger seit 182S eine Bibliotheque Allemand herausgegeben, die deutsches Kultur- und Wissenschaftsleben nach Frankreich vermitteln sollte. Dieses Periodikum hatte anfangs nur zwei Redakteure, mit Maßmanns Ankunft wurden es aber wesentlich mehr. Auch Maßmann selbst erschien als Mitherausgeber auf dem Titelblatt, und es sieht so aus, als ob er weitere Mitarbeiter in Straßburg warb, wenn Dürre sicher auch damit übertrieben hat, daß Maßmann einen neuen Hainbund gründete.184 In jedem Fall war Maßmann so über die deutschkulturellen Bestrebungen in Frankreich bestens informiert und konnte in seinem Artikel sogar melden: 177 178 179 180

Deutsche Literatur, S. 757f. Vgl. Düne: Aufzeichnungen, S. 448f. Über ihn E. Dürre: P. Lortet DTZ 1870, S. 89-100. Vgl. A. Estetmann: Ludwig Börne. Frankfurt/M. 1986, S. 108. Dort wurde Lortet allerdings irrtümlich als "Sottet" transkribiert. 181 Recherches sur la national«*... par L Jahn. Paris 1825. Vgl. Deutsche Literatur, S. 759. 182 Ebd. S. 758. 183 Ebd. S. 759: S. Gilibert: Letters sur l'Allemagne ί l'ocassion des Recherches ... Lyon 1826.

184 Dürre: Maßmann, S. 206.

5. Straßburger Kulturtransfer

199

Ein kundiger Franzose übersetzt jetzt mehrere Schriften Luthers. [...] Ein Anderer arbeitet (hörtl hält!) an einer Übersetzung der Nibelungen. Dies weiß Referent sieber. Schwerlich gelingt dieser Versuch. Aber das Bestreben ist merkwürdig.185

Zu den Straßburger Mitarbeitern der Bibliotheque Allemande, die 1827 in Revue Germanique umgetauft wurde, gehörten Advokaten, Schul- und Universitätsprofessoren, sowie Jung und Lortet. Maßmann gab in seiner Rezension eine ausfuhrliche Inhaltsübersicht der einzelnen Hefte und forderte die deutschen Gelehrten zur Mitarbeit u.a. "durch Lieferung von historischen Überblicken über ganze Zweige, Abschnitte und Theile Deutscher Literatur" auf.186 Von Maßmanns eigener Mitarbeit an der Bibliotheque Allemand lassen sich nur Spuren feststellen; eine ausführliche Voranzeige seiner geplanten Kaiserchronik-Ausgabe und Übersetzungen seines Burschenliedes und seines Gelübdes ("Ich hab mich ergeben").187 1827 erschien dann in der Fortsetzung Revue Germanique ein zweiteiliger Überblick über die deutsche Literatur der neuesten Zeit, der einen französischen Extrakt aus Maßmanns Vergangenem Jahrzehend der Literatur darstellt188 Der Anlaß dafür war eine Kurze Geschichte und Charakteristik der schönen Literatur der Deutschen, die Ehrenfried Stoiber, ein Redakteur des Blattes, 1826 in Straßburg veröffentlicht hatte. Maßmann besprach dieses Überblickswerk ausführlich in seiner Sammelrezension189, stellte bei allem Wohlwollen aber schwerwiegende Mängel bei der Darstellung der neuesten Zeit fest "Der Verfasser ist zehen Jahre in der deutschen Literatur zurück".190 Maßmanns Absicht, diese Darstellung zu ergänzen und gleichzeitig um "eine leitende Betrachtung" zu bereichem, "wie besonders seit 1813 eine ganz andere Welt auch in der Deutschen Literatur eingetreten sey",191 wurde der eigentliche Anlaß für Maßmanns Vergangenes Jahrzehend der deutschen Literatur. Als er es im Schnellverfahren abfaßte, hielt er sich bereits wieder in Süddeutschland auf. Bereits Anfang März 1826 war er erneut in Heidelberg und verbrachte dann eine längere Zeit in der bayerischen Pfalz bei seinem Freund Heinrich Dittmar, der in Grünstadt Rektor des Progymnasiums geworden war und sich verheiratet hatte.192

185 Deutsche Literatur, S. 760. 186 Ebd. S. 765. 187 Bibliotheque allemande, T. 2 (1826), S. 380f.; T. 3 ( = Revue germanique) (1827), S. 39; T. 4 (1827) S. 106. 188 Les dernieres dix annies de la literature allemande. Revue germanique T. 3 (1827), S. 193-212; 316-326. 189 Deutsche Literatur, S. 767-774. 190 Ebd. S. 768. 191 Ebd. 192 Brief an Thiersch. 19.IV.1826. BSB/TH.

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Maßmanns Vergangenes Jahrzehend der deutschen Literatur sollte ursprünglich ganz in die Revue Germanique erscheinen, wurde aber zu umfangreich dafür. So hat Maßmann es einzeln veröffentlicht, was aber erst 1827 in München geschah. In Grünstadt und Heidelberg verfaßte Maßmann außerdem noch eine Reihe von Rezensionen, um sich finanziell über Wasser zu halten,1«3 und schließlich im April 1826 in Heidelberg auch eine Reihe philhellenischer Gedichte. Das Honorar seiner Griechenlieder spendete Maßmann nicht für die Sammelvereine, wie es meist üblich war, sondern behielt es für sich.1* Diese Lieder von Missolunghi1** erschienen durch Uhlands Vermittlung im Morgenblatt für gebildete Stände und Maßmann veröffentlichte sie auch in den Rheinischen Mannigfaltigkeiten 1826, wo er darüberhinaus eine erkleckliche Anzahl sein« lyrischen Wanderfrüchte unterbringen konnte.196 Maßmanns Griechenlandgedichte waren Ausdruck einer gewandelten historischen Situation. Der Traum von der griechischen Erhebung als Ausgangspunkt der europäischer Freiheitskämpfe war ausgeträumt Die hellenischen Freiheitskämpfer wurden zunehmend zu einem Objekt des Mitleids, da die Türken mit ägyptischer Unterstützung auf einem verheerenden Vormarsch waren. Das entscheidende Signal war die Belagerung der griechischen Bastion Missolunghi, die im April 1826 bereits irrtümlich als erobert gemeldet wurde. Maßmann Gedichte entstanden unter dem Eindruck dieser Falschmeldung.1*7 Nicht mehr politischer Protest, sondern christliche Charitas bewegte die Öffentlichkeit, sogar in Preußen durfte jetzt offen für die Sache der Griechen geworben werden. Im April 1826 bewilligte selbst die brave Berlin« Sprachgesellschaft 12 Taler aus ihr« Vereinskasse für Griechenland.198 Die innenpolitische Brisanz war also weitgehend verlorengegangen. Dies mag der Grund dafür sein, daß Maßmann mit seinen philhellenischen Gedichte in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände mit Verfasserangabe auftreten konnte, obwohl er noch immer den Kontakt mit dem preußischen Kultusministerium suchte und durch dessen Vermittlung eine Berliner Handschrift per Fernleihe nach Heidelberg bekam.199 Es ist aufschlußreich für Maßmanns Schreibpraxis, daß er sich in einem Moment lyrisch zu Wort meldete, wo praktisch nichts mehr zu machen war. 193 Sie erschienen in den Heidelberger Jahrbüchern 1826, S. 776-796; 1163-1217. 194 "Ich bin sehr abgebrannt und möchte doch meiner Kaiserchronik ungestört fortleben". Briefen Uhland, Juni 1826. DLAM. 195 Morgenblatt 1826, S. 513: Missolcnghi, (mit H.F.M. unterzeichnet); S. 640, 657, 681, 753, 819: Lieder von Missolunghi (von "Dr. MaBmann"). 1% Vgl. das Lyrikverzeichnis VW.· 197 Briefen Uhland, Juni 1826. 198 Koch: Gesellschaft, S. 18. 199 Brief an Buttmann, 6.IX.1826. SB PK/SD. Es handelte sich allerdings nur um eine Kopie.

5. Straßburger Kulturtransfer

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1822 dagegen, als er nach Griechland gehen wollte, und auch in der Folgezeit, schwieg er sich darüber poetisch aus, obwohl damals die Griechenlandbegeisterung vor allem mit lyrischen Mitteln geschürt worden war. Jetzt wurden die Lieder von Missolunghi - ähnlich wie die postburschenschaftlichen Beiträge zum Teutschen Liederbuch - zum Tatersatz, zum Frustrationsventil. So formal unterschiedlich die Griechenlieder sind, sie sind fast alle in der Ich-Form gehalten, in einer scheinkämpferischen bis elegischen Haltung: Abends, wenn ich niederliege, Hör' ich nur, wie schaurig kracht, Missolunghi's Todtenwiege, Und in tiefer Mittemacht Träum' ich nur die Opferschlacht 200

Aus dem Traum erwachend, feiert Maßmann dann Missolunghi als neues Saragossa (wo die Spanier heldenmütigen Widerstand gegen Napoeleon geleistet hatten) und endete mit einem Kampfappell, der in der Leere verhallen mußte: Darum, Hellas, hell erwachet Knabe, Jüngling, Mann und Greis! Missolunghi ruft um Rache, Missolunghi mahnet heißt Stambul heiß der hohe PreisZ201

Es ist typisch für Maßmann, daß er in dieser hoffnungslosen Situation in Allmachtsphantasien Zuflucht suchte, wie die Lieder insgesamt von hyperbolischen Exklamationen durchzogen sind, die nicht recht zu der Trauerhaltung passen wollen. Aber Maßmann wäre nicht Maßmann gewesen, wenn er nicht auch jetzt noch versucht hätte, seine altdeutsche Gesinnung in die griechische Sache einzubringen. So ließ er die griechischen Kämpfer nach Siegfriedsart sterben, klagend über die europäischen [...] eisigkalten Herzen, Die beim Taumelkelche [Weinglas] scherzen, Währends dort zu Todesschmeizen Alles in die Blumen sinkt. 202

Dies ist offensichtlich ein Anklang an das Nibelungenlied, wie er auch in der Befreiungskriegslyrik benutzt wurde. "Do viel in die Blumen der

200 Nach Stambul! Morgenblatt 1826, S. 657. Jetzt auch in: H.U. Simon: Titelgedichte des Cotta'schen Morgenblattes ... Bd 1. Stuttgart 1987, S. 435. 201 Ebd.. 202 Die Christenheit. Rheinische Mannigfaltigkeiten 1826, S. 176.

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Chriemhilde man" und "Die blumen allenthalben von blute wurden naz", so liest sich der Tod des Helden in von der Hagens Nibelungen-Ausgabe..™ In seinem Gedicht Auf dem Heidelberger Schlosse wanderte Maßmann poetisch von den dortigen Ruinen zu den imaginierten Trümmern»« Missolunghis: [...] auf dem Schloß zu Heidelberg Sah ich nichts als Trümmeiherrlichkeiten, Und am hohen heil'gen Hämusberg Sah ich auch Vernichtung nur bereiten: Und das christlich-europäische Gezweig Mag nicht Hand und Herz zum Kreuzzug leiten Pfort' und Kabinet sich ganz verstehen: Will die Welt aus ihren Angeln gehen?

Imerhin wagte Maßmann hier die Aussage, daß gerade die restaurativen Ordnungsmächte die natürliche Ordnung der Welt bedrohten. Am Gedichtende wechselte er wieder nach Heidelberg zurück und fand wieder zu seinem neugewonnenen Wanderoptimismus: Doch am Königsstuhl zu Heidelberg Zwischen Trümmern - keimt der Frühling wieder I Und auf Missolunghi's Heldensarg Glüht ein heißer Thränenregen nieder. Drum getrost vertraut! - Noch Kind, noch Zwerg Baut der Geist sich endlich Riesenglieder. Aus dem Winterschlaf zu Frühlingsleben Wird der Phönixgeist205 der Welt sich heben!206

Paradoxerweise führte der Untergang Missolunghis, der bald darauf tatsächlich erfolgte, die entscheidende Wende herbei. Der Aufschrei der Öffentlichkeit und die Auflösung des starren europäischen Machtsystems bewirkten, daß die Westmächte 1827 aktiv wurden, die türkische Flotte vernichteten und den Bestand des griechischen Staates garantierten. Zum ersten König Griechenlands wurde der bayerische Prinz Otto bestimmt Der Ludwigssohn bestieg 1832 als Otto I. den griechischen Thron, nachdem er sich als Prinz im deutschen Turnen geübt hatte. Damit es dazu kommen konnte, mußte Maßmann jetzt nach München gehen.

203 F.H. v.d. Hagen (Hrsg.): Nibelungen Lied. 3. Aufl. Breslau 1820, Vers 396S und 4005. Vgl. oben S. 37. 204 Es handelte sich zugleich um eine Variation des literarischen Topos von den zu betrauernden Trümmern der Akropolis, der den Griechenlandschwärmem sehr vertraut war. Vgl. Arnold: Philhellenismus. 205 Der Phönix galt als Symbol des griechischen Freiheitskampfes. 206 Morgenblatt 1826, S. 681.

IV. Ein Berliner wird Bayer: Münchener Turnplatz und Katheder 1. Turnerische Klimmversuche In der turnhistorischen Literatur wird noch immer verbreitet, daß Maßmann im Sommer 1826 offiziell nach München berufen wurde, um dort das Turnen einzuführen.! Diese Legende wurde von ihm selbst in die Welt gesetzt, um seinen Werdegang aufzuwerten. Tatsächlich war es nur ein Bündel vager Aussichten, das Maßmann bewog, in München sein Glück zu versuchen. Noch im Mai 1826 hatte er sich brieflich bei Böhmer in Frankfurt erkundigt, ob nicht dort eine Anstellung als "Literator oder Lehrer" für ihn zu finden sei.2 Dann aber, noch bevor Böhmer geantwortet hatte, schrieb Maßmann an Thiersch, daß er auf Grund der positiven Entwicklung in Bayern nach München kommen wollte. Symbolträchtig entschied sich Maßmann am 18. Juni 1826, "am Jahrestage von Schönbundigen," wie er sich deutschtümlich ausdrückte.3 Schon aus früheren Briefen Maßmanns an Thiersch wird deutlich, daß er nicht dabei stehenbleiben wollte, gymnastische Übungen zu leiten, die mit der Schul- und der Heeresreform in Aussicht standen.4 Er wollte das Jahnsche Turnen reaktivieren, "diese hochheilige Volksangelegenheit, die Mutter aller Volkskraft", wie er euphorisch schrieb.5 Zudem schien es möglich, die turnerische Nationalpädagogik in den Rahmen einer größeren Kultuireform zu stellen. Im Dezember 1825 war im bayerischen Innenministerium ein Oberster Schul- und Kirchenrath installiert worden, der Ludwigs neuen Geist im Kultusbereich durchsetzen sollte.6 An seiner Spitze stand des Königs Dichterfreund Eduard von Schenk, der als konvertierter

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So noch G. Krombholz: Die Entwicklung des Schulsports und der Sportlehierausbildung in Bayern ... München 1982, S. 59, wo sogar von einem Benifungsreskript die Rede ist. Brief an Böhmer, 6.V.1826. StUB Frankfurt/M. Brief an Thiersch, 18./28.VI. 1826. BSB/TH. Böhmers Antwort an MaBmaim erfolgte erst am 29. VI. Brief an Thiersch, [Ende] Februar 1826. BSB/TH. "Ich habe an vielen Hunderten Knaben, Jünglingen, Männern ihre Wiedergeburtskraft erlebt." Ebd. Vgl. Spindler Handbuch IV/1, S. 1 lOf.

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IV. Ein Berliner wird Bayer

Katholik ein Mann des religiösen Ausgleichs war und mit deutschtümlichem Gedankengut sympathisierte. Geistige Erneuerung versprach auch die Verlegung der Landshuter Universität nach München, ein Geheimplan Ludwigs, von dem Maßmann durch Thiersch bereits 1825 Kenntnis hatte. Auch die Universität sollte dazu beitragen, Wissenschaft und Religion wieder zu versöhnen. Die Verlegung der Universität wurde im April 1826 offiziell bekanntgegeben und durch spektakuläre Berufungen in ihrem Stellenwert unterstrichen.7 Die Berufung von Schelling, von pietistischen Kräften wie Schubert und Karl von Raumer, entsprach der Tendenz zu einer überkonfessionellen Religiosität, wie sie Maßmann im Sinne einer "deutschen Kirche" vorschwebte. Die Berufung von ehemals verfehmten Patrioten (Oken, Görres) und die Liberalisierung der Presse eröffneten die Aussicht auf ein neues politisches Klima. Hinzu kam Ludwigs monumental-deutschtümliche Kunstpolitik, in deren Mittelpunkt die Münchener Akademie mit Cornelius und seinen altdeutschen Schülern stand, die aber auch in kulturpatriotischen Denkmälern wie der Walhalla ihren Ausdruck fand. Ludwig förderte überhaupt den historischen Sinn in jeder Beziehung, nicht zuletzt durch die Denkmalpflege. Diese romantische Rückwendung kam Maßmann wie gerufen, der zwar nicht auf eine Professur hoffen konnte, aber darauf spekulierte, Docens Stelle an der Königlichen Bibliothek einzunehmen, falls dieser zur Universität wechseln würde.8 Konkrete Aussichten bot auch der Plan, bei der Kadettenausbildung Turnunterricht einzuführen. Schließlich baute der Stuttgarter Großverleger und Pressezar Cotta nach der Aufhebung der Zensur eine Zweigunternehmung in München auf, mit einem entsprechenden Angebot an literarischen Verdienstmöglichkeiten, auf die Maßmann angewiesen blieb, auch wenn er "literarische Nebenarbeiten" nur ungern betrieb, "weil sie halb bleiben und die Kraft halbiren".» Wie sich aus den Briefen an Thiersch ablesen läßt, orientierte sich Maßmann an den turnerischen Anfängen der preußischen Reformzeit. Nach Jahnschem Vorbild wollte er den Münchener Knaben Schulunterricht erteilen und anschließend mit ihnen zu Spiel und Übung ins Grüne hinausziehen. Die Öffentlichkeit sollte sich dadurch langsam an das Turnen gewöhnen, als "stille Theilnahme des Königs" hätte vorerst die Bereitstellung

7 8 9

M. Doeberl: König Ludwig I., der zweite Gründer der Ludwig-Maximilians-Universität. München 1926. "Bei den alten deutschen Henen, abseits bei den Manuscripten Vormittags, Nachmittags mit der Jugend - das wäre kein übles Leben, keine üble Vereinigung.'' Brief an Thiersch, 19.IV. 1826. BSB/TH. Ebd.

1. Turnerische Kümmversuche

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eines Platzes genügt, den er nach und nach zu einer zweiten Hasenheide auszubauen gedachte.10 Im Juli 1826 gewann Maßmann einen wichtigen Verbündeten für seinen geplanten Vorstoß, den Fürsten Ludwig von öttingen-Wallerstein.11 Wallerstein war wie sein Freund Ludwig I. ein Schwärmer für kulturelle Deutschtümlichkeit und altdeutsche Kunst. Maßmann lernte ihn 1825 kennen, als er die Wallersteinsche Bibliothek für seine Forschungen benutzte. Maßmann lobte in seinem Vergangenen Jahrzehend die altdeutsche Bildergalerie des Hochadligen,12 aber auch er selbst hinterließ auf Schloß Reimlingen einen nachhaltigen Eindruck. Öttingen-Wallerstein empfand Maßmanns sagengeschichtlichen Plan mit der Kaiserchronik "als wahrhaft groß gedacht und in mehrfacher Hinsicht seegenbringend für unser deutsches Vaterland", und erklärte sich gern bereit, Maßmanns "früchtereiche Thätigkeit" in Bayern fixieren zu helfen. Der Fürst unterhielt beste Beziehungen zu Eduard von Schenk und empfahl Maßmann, eine Eingabe an diesen zu verfassen, die er selbst weiterleiten wollte, "um das mir so erwünschte Resultat herbey zu führen".13 Maßmanns Absicht, mit Hilfe hochrangiger Unterstützer auf den Pfaden des alten Volkstumens zu wandeln, wurde jedoch von den Ereignissen überholt Am 25. Juli 1826 unterzeichnete Ludwig I. bereits einen Erlaß, der "gymnastische Übungen" an Gymnasien erlaubte. Den Anstoß dazu gab eine Eingabe des Nürnberger Gymnasialdirektors Karl Ludwig Roth, der 1821 von Niethammer berufen worden war und an Thierschens Reformwerk Über gelehrte Schulen mitwirkte.14 Roth hatte das verlotterte Nürnberger Gymnasium so schnell in die Höhe gebracht, daß der gymnasiale Teil der privaten (ehemals Dittmarschen) Erziehungsanstalt überflüssig wurde und diese von Raumer nur noch als Rettungshaus weitergeführt wurde.15 Die Münchener Großbürgerfamilie Helferich, die ihre schwierigen Knaben in die Nürnberger Anstalt gegeben hatte, suchte nun einen Hauslehrer, den sie in Maßmann fand. Durch diese "Berufung" war Maßmann wenigstens etwas abgesichert, als er sich Anfang Oktober 1826 von Grünstadt aus auf die Reise machte, um in dem "geistig bewegten München wieder einzuziehen".1« In seinem Sog befand sich Eduard Dürre, der alte Turngenosse, der ebenfalls nach Bayern 10 11 12 13 14 15 16

Brief an Thiersch, [Ende] Februar 1826. BSB/TH. Über ihn ADB XL, S. 736ff. und K.-H. Zuber: Der "Fürst-Proletarier" L. v. ÖttingenWallerstein. München 1978. Jahrzehend, S. 138. Brief Öttingen-Wallersteins an Maßmann, 19.VII.1826. BHSA München Π, Mk 13923/1, Beilage. Ober Roth ADB XXD(, S. 333ff. Vgl. Dürre: Aufzeichnungen, S. 304. Brief an Thiersch, 18. VI. 1826. BSB/TH.

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IV. Ein Berliner wird Bayer

wollte. Aus seinem Reisetagebuch geht hervor, daß sie in Mannheim gemeinsam das Grab ihres Wartburgfreundes Sand aufsuchten.17 In Stuttgart trafen sie sich mit Wolfgang Menzel, wobei über Maßmanns religiöse Hoffnungen debattiert wurde. Menzel hatte als Cottas "Literaturpapst" in Stuttgart eine sichere Stellung und mißtraute dem politischen Tauwetter in München,κ aber andere Ex-Burschenschafter, die er in Stuttgart um sich hatte, sind Maßmann bald nachgefolgt und haben sich ebenfalls in Bayern versucht. Neben den Breslauern Mönnich und Hermes auch Gustav Kolb, der gerade wegen seiner Mitgliedschaft im Jünglingsbund eine schwere Gefängnisstrafe hinter sich hatte, die durch Begnadigung beendet worden war. ι' Da die anderen Delinquenten schon vor ihm freigekommen waren, war dies auch ein Signal für politische Entspannung im Süden. Auf Empfehlung des Justizministers wurde Kolb direkt von Cotta engagiert und ging in dessen Augsburg-Münchener Dependance, die auch die anderen Württemberger anlockte. Auch seinen Freund Heinrich Dittmar versuchte Maßmann über Thiersch nach München und in das dortige "Bürgerschulwesen" zu bringen,20 was jedoch keinen Erfolg hatte. Ein anderer Mitbegründer der Nürnberger Anstalt, Friedrich Benedict Hermann, kam ebenfalls bald nach München, wo er Professor für Nationalökonomie, Staatsrat und ein vertrauter Freund Maßmanns wurde.21 Die Berufung Karl von Raumers stand ebenfalls kurz bevor. So konnte sich tatsächlich das anbahnen, was Maßmann anstrebte, "in München recht viele Lebenskräfte, einen Kem sammeln",22 der Impulse für ganz Deutschland geben sollte. Aber trotz der allgemeinen Liberalisierungstendenzen ging nichts ohne den König selbst. Und Ludwig I. konnte seine ideelle Schwärmerei fürs teutsche Vaterland sehr schnell ablegen, wenn er seine reale Machtbasis in Gefahr sah. Spätestens bei der Erinnerung an das Jahnsche Volksturnen sah er sein Gottesgnadentum durch egalitäre Tendenzen bedroht, sah seine "Unterthanen" (von Staatsbürgern wollte er trotz Verfassung nichts wissen) an der Ständeordnung rütteln. Deshalb erlaubte er an den Schulen auch nur "gymnastische Übungen", und im August 1826 wurden die Kreisregierungen noch einmal angewiesen, darüber zu wachen, daß sich aus den Leibesübungen keine Vereine entwickeln würden, "die eine sittenverderbende

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Dürre: Aufzeichnungen, S. 490. Ebd. S. 492. Vgl. Menzel: Denkwürdigkeiten, S. 206f. Ober Kolb ADB XVI, S. 457-459. Er kam Ende September 1826 frei (S. 458). Brief an Thiersch, 19.IV.1826. BSB/TH. Über Hermann ADB ΧΠ, S. 170-174. Dürre: Aufzeichnungen, S. 535f. Brief an Thiersch, 19.IV.1826. BSB/TH.

1. Turnerische Klimmversuche

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Richtung nehmen, für staatsgefährliche Verbindungen vorbereiten, oder doch der ruhigen Pflege der Studien entfremden" könnten. 23 Damit waren die turnerischen Möglichkeiten auf einen engen Raum beschränkt Ein gymastischss Schulturnen wurde auch in Preußen stillschweigend geduldet. In Berlin konnte der frühere Hasenheidenleiter Eiselen sogar eine Privatanstalt unterhalten, in der er das Turnen technisch weiterentwickelte. Maßmann aber wollte mehr. Ihm stand der Turnplatz als national- und volkspädagogische Bildungsstätte vor Augen. Das gemeinsame Turnen aller Jugendlichen ohne Rücksicht auf Stände und Schulformen und am liebsten auch noch unter Einbeziehung der Erwachsenen war sein Ziel, das im Widerspruch zum Willen Ludwigs I. stand. Umso erstaunlicher ist es, daß es Maßmann schließlich gelang, seine Vorstellungen zu realisieren und dabei selbst die patriotischen Gepflogenheiten des Jahnturnens, teils offen, teils verdeckt, wiederzubeleben. Der erste Schritt dahin war eine Eingabe, die Maßmann über den Fürsten öttingen-Wallerstein an Eduard von Schenk richtete, und die er Erbieten wegen der Leibesübungen überschrieb.24 Dieser mutige Schritt sorgte dafür, daß das Jahnturnen im ministeriellen Meinungsbildungsprozeß von Anfang an präsent war. Es spricht alles dafür, daß Maßmann auch über Thiersch versuchte, Einfluß zu nehmen, denn in dessen Nachlaß befindet sich ein entsprechender Entwurf, betitelt Die nächsten Bedürfnisse und datiert auf den 14. Oktober ("Schlacht bei Jena"). In dieser kleinen Denkschrift propagierte Maßmann ebenfalls ein öffentliches Gemeinschaftsturnen und bat um die Erlaubnis, sofort damit anfangen zu dürfen, nötigenfalls "unter Bürgschaft und Vertretung würdiger Männer". 25 Sein Erbieten an Schenk unterzeichnete Maßmann am 18. Oktober 1826, am "Tage der Schlacht bei Leipzig".26 Und bei dieser Anspielung auf das patriotische Turnleben blieb es nicht, denn Maßmann bezeichnete die Leibesübungen nicht nur als "Angelegenheit des Vaterlandes", 27 sondern ging im Laufe seiner Ausführungen zwanglos auf den alten Turnjargon über. Er berief sich sogar ausdrücklich auf die "norddeutschen Turnplätze", um die Effektivität eines großen Turnplatzes für München zu begründen. 28 Als Qualifikation berief er sich auf "langjährige Selbstübung und mehrjäh-

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Zitiert nach Krombholz: Entwicklung, S. 28. BHSA München Π, MK 13923/1. Die nächsten Bedürfnisse. BSB/TH. Die Jahresangabe 1826 fehlt, ergibt sich aber zweifelsfrei aus dem Inhalt BHSA München Π. MK 13923/1, S. 8. Ebd. S. 2. Ebd. S. 6.

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IV. Ein Berliner wird Bayer

rige öffentliche Leitung" und wußte sich gerade wegen seiner demagogischen Vergangenheit zu empfehlen: Obenein hat die Sache der Leibesübungen [...] eine solche Schule der bitteren Erfahrungen durchlaufen durch leidige Persönlichkeiten ihrer Betreiber wie ihrer Betrüber und Anfeinder, daß - sollen sie weise und besonnen wieder erweckt werden - besonders noth ist, jenes frühere sowohl an Kunst- als Lebenseifahningen reiche norddeutsche Tumleben recht gründlich mitdurchlebt zu haben, um einerseits der Sache und ihrer Leitung durch Kennen und Können im vollsten Umfange gewachsen zu sein und andrerseits durch besonnenen Umblick und redliche ruhige That ihr wahrhaft und dauerhaft zu dienen.29

Um seine eigene Vergangenheit in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen, legte Maßmann eine Reihe von Zeugnissen vor, die hauptsächlich von Breslauer Turnfreunden stammten, die in der Tumfehde selbst gemaßregelt worden waren.30 Daß niemand Maßmanns Referenzen näher überprüfte - der Militärbehörde legte er bald den gleichen Fundus vor - zeigt das Wohlwollen, das ihm entgegengebracht wurde. In seinem Erbieten wegen der Leibesübungen bat Maßmann um die behördliche Erlaubnis, noch im Winter eine "Schule der Leibesübungen" eröffnen zu dürfen, bevor die Angelegenheit im öffentlichen Schulwesen geregelt werden würde.31 Maßmann wollte so eine Reihe von Vorturnern ausbilden, mit denen er auf einem Sommerturnplatz dann gleich richtig loslegen konnte. In Entsprechung zum Jahnturnen wollte er aber auch schon im Winter "rührige und rüstige Gesammtspiele" anbieten. Dafür bat er um Zugang zu einem Teil des Marsfeldes, auf dem das Militär exerzierte.32 Von Anfang an verfocht Maßmann für seinen Turnplatz die Aufhebung der Klassentrennungen und die "Zusammenführung verschiedener Alter und [...] verschiedener Stände, zur Erweckung eines unbefangenen, gerechten und duldsamen Jugendsinnes".33 Auch Erwachsene wollte er miteinbeziehen, wobei er zuerst an Lehrer, Studenten und die Akademieschüler von Cornelius dachte. Wie Maßmann angab, waren die jungen Künstler mit dem Wunsch zu Turnen an ihn herangetreten. Manche von ihnen hatten den Burschenschaften angehört, die meisten schwärmten auch jetzt noch für altdeutschen Patriotismus. Maßmann war sofort mit ihnen in Kontakt gekommen, da die Helferichs direkte Wohnungsnachbarn von Cornelius waren.34

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Ebd. S. 3. Maßmann reichte diese Beilage erst am 26.XI. 1826 ein. BHSA München Π, MK 13923/1, S. 3. Ebd. S. 4. Ebd. S. 5f. Allerdings wollte er sich anfangs auf die beschränken, die ihm von "gebildeten Familien" zugeführt würden.Ebd. S. 7. Vgl. Düne: Aufzeichnungen, S. 515.

1. Turnerische Klimmversuche

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In seiner Eingabe gab Maßmann eine besondere Begründung, warum er die Teilnahme der Künstler wünschte. Ihnen sollte "der Turnplatz auch eine Schule der Anschauung und Kunst-Bildung werden", wobei er - wie in seiner Schulrede Über den Werth der Leibesübungen - auf das griechische Vorbild des Bildhauers Phidias verwies. So hätte turnerisches Bewußtsein die patriotische Kunst bestärken, und umgekehrt die Darstellung in der Kunst Körperbewußtsein wecken können. Denn in seinem Vergangenen Jahrzehend forderte Maßmann ein "reines Thatleben der Leiber", diese hätten "sich überfüllt, abgesatlet und abgemattet, wie in ihnen die Gefühle, die sich zu gesunder Anschauung, klaren Begriffen, warmer Willens- und Thatkraft nicht erheben können"." Schließlich fand Maßmann auch eine listige Begründung, um die turnerische Festkultur wieder aufleben zu lassen. Er schlug nämlich eine regelmäßige Überprüfung der Turnfortschritte durch die höheren Schulbehörden vor, "am Passendsten an den Feiertagen des Vaterlandes". Der Schluß des Sommerturnens sollte dabei mit dem Oktoberfest auf der Theresienwiese zusammenfallen (und dadurch natürlich auch mit den Leipziger Schlachttagen), wo das Turnjahr "in feierlicher Gesammt- und Wettübung aller Art" unter den Augen der Öffentlichkeit beendet werden sollte.36 Maßmanns Eingabe sah wie ein Flop aus. Denn Maßmann erhielt die erwünschte Erlaubnis für sein Pilot-Projekt nicht, was mit dem Regierungsstil Ludwigs I. zusammenhing. Dieser verehrte nicht nur den Kurfürsten Maximilian I., sondern auch Friedrich den Großen als sein königliches Vorbild. Und wie der Alte Fritz regierte er noch immer aus einer Art Geheimkabinett, das die Minister zu Statisten degradierte. Buchstäblich jeder Amtsvorgang wanderte über den Schreibtisch des nimmermüden Monarchen und wurde von ihm mit einer bindenden Ausführungsbestimmung versehen.37 Selbst als 1827 die Königliche Militärschwimmschule am Würmkanale eingerichtet wurde, ließ es sich der König nicht nehmen, eigenhändig die Stundeneinteilung für die Übungsgruppen vorzunehmen, "da er selbst das Schwimmen gelernt habe, könne er selbst über diesen Gegenstand aus Erfahrung sprechen".38 Seine Entscheidung über das Schulturnen in München hat Ludwig I. erst später getroffen, nach Vorlage eines Referentenentwurfs des Innenministeriums. Er trägt das Datum 10. November 1827 und hatte den Titel: Die

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Jahrzehend, S. 145. BHSA München Π, Mk 13923/1, S. 8. Spindler: Handbuch IV/1. S. lOOff. Zitiert nach Krombholz: Entwicklung, S. 19.

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Wiederbelebung der Turnschulen betreffend.» Der Terminus "Turnschule" läßt erkennen, daß Maßmann mit seinen Vorstellungen durchgedrungen war. Denn es ging nicht mehr um die Frage, ob die Turnkunst überhaupt wieder aufgegriffen werden sollte, sondern nur um die Verhinderung von politischen Auswüchsen dabei. Maßmanns Erbieten wegen der Leibesübungen ist somit doch ein wichtiger Schritt gewesen, das Turnen wieder gesellschaftsfähig zu machen. Auch auf das Militärturnen in der Münchener Kadettenschule war Maßmann in seiner Eingabe eingegangen und hatte seine Dienst dafür angeboten.·«' Wenig später legte er dem Chef des Kadettenkorps, General von Tausch, ebenfalls eine Eingabe vor, betitelt: Skizze meines Lebens und Strebens, nebst ZeugnissenGeneral Tausch war selbst ein überzeugter Befürworter des Turnens,42 dazu ist Maßmann wohl auch noch von dem Obristen Heydeck empfohlen worden, der eine wichtige Rolle in der philhellenischen Bewegung spielte.43 In seiner Skizze ging es Maßmann vor allem darum, sich von seiner Demagogenvergangenheit reinzuwaschen, wobei er noch großzügiger an seiner Vita retuschierte. Auf der anderen Seite hatte er keine Hemmungen, die nationalpädagogische Einheit seiner verschiedenen Bestrebungen zu betonen, die er in München realisieren wollte.44 Daß Maßmann unbewußt doch noch ziemlich von seiner Demagogenvergangenheit belastet war, läßt sich daran erkennen, daß er seine Skizze versehentlich auf den 27. November 1819 datierte.45 Für die Beteuerung seiner "politischen Reinheit" war dies ein schlechtes Omen. Am 30. November 1826 entschied der König, daß Maßmann nicht angestellt werden sollte, wobei allerdings in den Bescheid nachträglich eingefügt worden war: "vorerst" nicht 46 Der Kriegsminister, wesentlich unturnerischer als der General eingestellt, hatte die Anstellung des ehemaligen Demagogen Maßmann hintertrieben.47

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Antrag: Die Wiederbelebung der Turnschulen betreffend. Nr. 5325, 10.XI.1827. BHSA München Π, Mk 13923/5b. Der Antrag war vermutlich das Resultat einer weiteren Hingabe Maßmanns direkt an König Ludwig, 15.Vm.1827. BHSA Π, Mk 13923/4. So auch in Die nächsten Bedürfnisse (14.X. 1826). BHSA München IV, KP 106. Dauert auf den 27. November [1826]. Maßmann zitiert eine entsprechende Äußerung von Tausch in: Die öffentliche Turnanstalt zu München. München 1838, S. [26.] Zu Tausch und Heydeck als Förderern Maßmanns vgl. A. Chroust (Hrsg.): Gesandschaftsberichte aus München. Abt. 2, Bd 2. München 1941, S. 159f. Skizze meines Lebens und Strebens (KP 106), S. 3. Ebd. S. 16. Martius an Tausch, 30.XI. 1826. BHSA IV, KP 106. So die Schilderung des österreichischen Gesandten. Chroust: Gesandschaftsberichte Π/4, S. 159f. Vielleicht hat auch die gesinnungsselige Skizze meines Lebens und Strebens eine Rolle gespielt, denn sie wurde von Tausch dem König vorgelegt.

2. Philologische Fettnäpfchen

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2. Philologische Fettnäpfchen "Vorerst nicht" - das konnte heißen, daß der neunundzwanzigjährige Maßmann in München erst noch seine gewandelte Gesinnung unter Beweis stellen sollte. Umso mehr ging sein Bestreben dahin, sich möglichst schnell als Germanist zu profilieren. Das war in München problematisch, denn obwohl selbst Jacob Grimm in seiner Deutschen Grammatik an Ludwig appellierte, sich auch als Mäzen der Mittelalterforschung zu verewigen,48 wurde keine Professur für altdeutsche Philologie eingerichtet. Docen blieb daher auf seiner Bibliotheksstelle, während der einzige Privatdozent der Germanistik, Johann Andreas Schmeller,49 weiterhin sein Auskommen als Lehrkraft am Kadettenkorps finden mußte. In Schmeller fand Maßmann einen geistig verwandten Sprachforscher, mit dem er sich schnell anfreundete. Auch Schmeller war von antinapoleonischer Nationalbegeisterung (und entsprechenden Gedichten) zur Sprachwissenschaft gekommen, hatte aber trotz autodidaktischer Anfänge schnell einen hohen wissenschaftlichen Standard gewonnen. Bereits 1821 hatte er eine Darstellung der bayerischen Mundart vorgelegt, die Maßstäbe setzte und Maßmanns Absicht entgegenkam, das deutsche Volksthum historisch von den Sitten, Bräuchen und Sprachzuständen der einzelnen Stämme her zu rekonstruieren. Seit langem sammelte Schmeller das Material für sein epochales Bayerisches Wörterbuch, dessen 1. Band 1827 bei Cotta erschien. Aber obwohl Ludwig Schmellers Forschungen schon als Kronprinz gefördert hatte (und dafür beide Werke gewidmet bekam), blieb der "bayerische Grimm" ziemlich unbeachtet unter den anderen Wissenschaftskoryphäen Münchens. Von nun an stellte Maßmann immer wieder die wissenschaftlichen Leistungen Grimms und Schmellers heraus, um mehr Interesse für die deutsche Philologie zu wecken. Um sich selbst zu profilieren, wäre es sicher das günstigste gewesen, so schnell wie möglich die Kaiserchronik zu veröffentlichen. Aber obwohl er sich am Ende der "Lesartenjagd" sah, setzte er ihr Erscheinen in weitere Ferne, wohl um seine Sagenforschungen noch zu vertiefen. Jedenfalls löste er seinen Vertrag mit dem Buchhändler Winter in Heidelberg50 und suchte in München nach einem neuen Verleger. Er hoffte ihn in dem Freiherrn von Cotta zu finden, der neben Schmellers Wörterbuch auch Graffs Diutiska im Verlag hatte.

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J. Grimm: Deutsche Grammatik. Th. 2. Göttingen 1826, Vorrede S. X. ADB XXXI, S. 786-792. Das einzige mir bekannte Dokument darüber ist der Brief Maßmanns an Uhland, 6.X. 1826. DLAM.

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Gleich nach seiner Ankunft übernahm Maßmann die Korrektur der Di'u»i£a-Lieferungen, die bis dahin Schmeller besorgt hatte,51 und konnte sich Cotta so schon als halber Verlagsangestellter vorstellen.52 Dringlicher als seine Kaiserchronik ("größeres, späteres Werk") legte er Cotta ein Projekt ans Herz, das schnelleren Ruhm versprach. Graff hatte in seinen Heften zwar ein erstes Informationsbedürfnis gedeckt, indem er Auszüge und Beschreibungen unedierter Texte veröffentlichte, aber Maßmann wollte nun kleinere Werke daraus, die er auf seiner Bibliotheksreise abgeschrieben hatte, ganz wiedergeben, und so "Beihefte" zu Graff liefern, die den Titel Denkmäler deutscher Sprache und Literatur tragen sollten. Schon in einer ausführlichen Rezension der Diuäska hatte Maßmann den Reichtum seiner Nach-Forschungen ausgebreitet und entsprechende Heftlieferungen angekündigt.» Jetzt wollte er aber noch mehr damit erreichen: "Es könnte sich daraus eine, von sämmtlichen Gelehrten dieses Faches (der Deutschen Sprache, Literatur und Kunst) beförderte gemeinsame allgemeine Zeitschrift entwickeln, deren Redaction ich gern übernähme".5* Maßmann war damit wieder bei seinem Projekt einer germanistischen Zeitschrift, die jetzt auch noch Münchens Zentrumsfunktion verstärken konnte, unter gleichzeitiger Ausnutzung des altdeutschen Kunstbooms. Und er beteuerte gegenüber Cotta: "Keine Zeit ist günstiger, als die jetzige, nachdem dieser Zweig der philologischen Wissenschaft, seit seine Zeitschriften seit 10 Jahren geruht haben, einen hohen Grad grammatischkritischer Gewißheit und Wissenschaftlichkeit erlangt hat".55 Aber Cotta war mit solchen Statements allein nicht zu beeindrucken. Er war sicherlich im Bilde über den geringen Zuspruch, den ein solches Periodikum finden würde, denn schon Graffs Diuäska waren ein Zuschußunternehmen, das 1829 nach dem 3. Band eingestellt wurde.56 Die voluminöse Kaiserchronik ließ ebenfalls wenig Gewinn erhoffen, auch wenn Maßmann 200 Subskribenten vorzuweisen hatte. Darunter waren zwar philologische Laien wie Chamisso, Hitzig und der Turnmeister Eiselen, aber das waren Berliner Freunde Maßmanns, auf einen größeren Käuferkreis außerhalb der Fachwelt war schwerlich zu rechnen.57 Cotta ließ sich auf Maßmanns Ansinnen also nicht ein. Dennoch war diese Kontaktaufnahme der Auftakt für einen mehrjährigen Verkehr mit 51 52 53 54 55 56 57

Ab Diutiska Bd I, Heft 3. Brief an Cotta, 31.X.1826. DLAM/CA. Heidelberger Jahrbücher 1826, S. 1163-1217. Briefen Cotta, 31.X.1826. DLAM/CA. Ebd. Vgl. das Schlußwort in Graff: Diutiska. Bd 3. Stuttgart 1829, S. 499f., wo sich Graff bei Maßmann noch einmal herzlich für das jahrelange Korrekturlesen bedankte. Eine Liste der Berliner Subskribenten gibt der Brief an W. Wackemagel, 17.1.1827. SAB/PA.

2. Philologische Fetmäpfchen

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der MUnchener Niederlassung Cottas, die 1827 eröffnet wurde. Für seine Denkmäler fand Maßmann dann doch einen Verleger, der später auch die Kaiserchronik übernehmen wollte. Der Buchhändler Friedrich Wilhelm Michaelis war auch ein nach München verschlagenen Berliner, der für Projekte dieses Umfangs aber weder die Mittel noch die nötige Erfahrung besaß. Maßmann konnte durch ihn zwar schon am 1. Januar 1827 eine Erneute und neue Ankündigung: Den Freunden der ältern deutschen Literatur zukommen lassen, in der er baldigen Druck des Geschichtswerkes versprach und zur Subskription Aar Denkmäler deutscher Sprache und Literatur einlud.» Aber der Druck des ersten Heftes, das Ostern 1827 erscheinen sollte, war erst im Mai 1828 beendet,*9 und mehr ist von Maßmanns Sammelwerk überhaupt nicht erschienen, dessen Vorwort er vaterländischhoffnungsfroh auf den 18. Juni 1827 datiert hatte. Maßmanns Absicht, erst die Denkmäler und später die Kaiserchronik drucken zu lassen, ist von der Fachwelt keineswegs mit Begeisterung aufgenommen worden. Mehr Unwillen erregte Maßmann aber noch durch einen Profilierungsversuch, der als Waltram-Skandal in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist.60 Auslöser war ein fiktives mittelhochdeutsches Epenfragment, das Maßmanns Freund Wilhelm Wackemagel in Berlin gedichtet hatte, und das von einem jugendlichen Helden namens Waltram handelte. Wackernagel machte daraus eine kleine Flugschrift, von der Maßmann einige Exemplare erhielt, die er an die süddeutschen Mitforscher weitergeben sollte.61 Der einige Jahre jüngere Wackemagel, den Maßmann für die Germanistik begeistert hatte, war als Adlatus von Lachmann und Hagen bereits zu einem ernstzunehmenden Nachwuchsgermanisten herangereift, lebte aber in so jammervoller Ärmlichkeit, daß er nicht einmal die Kosten für ein Promotionsverfahren aufbringen konnte. So mußte er notgedrungen auf der Liebhaberschiene des Faches weiterfahren und veröffentlichte eine Anzahl von Kleinstdrucken mittelalterlicher Literaturfunde, um sich irgendwie am Forschungsdiskurs zu beteiligen. Seine Waltram-Okhiung stellte insofern eine Ausnahme dar, als es sich um eine Fiktion handelte, die vordergründig 58 59 60

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Die Anzeige erschien auch als Anhang im Jahrzehend, S. 170-173. Vgl. Maßmanns "Nachschrift zur Vorrede" in: Denkmäler deutscher Sprache und Literatur aus Handschriften des Sten bis löten Jahrhunderts. Η. 1. München 1828, S. 158. Die erste Hälfte des Heftes wurde bereits 1827 ausgegeben. In Unkenntnis der Maßmann-Korrespondenz enthalten die folgenden Darstellungen nicht alle wichtigen Sachverhalte. A. Leitzmann (Hrsg.): Briefe aus dem Nachlaß von W. Wackemagel. Leipzig 1916, S. 156-164. G. Hess: Minnesangs Ende. In: K. Grubmüller (Hrsg.): Befund und Deutung. Tübingen 1979, S. 498-525. R. Wackemagel: Jugendjahre, S. 42f. Brief W. Wackemagel an Maßmann, 16.1.1827. StLB Dortmund. Maßmann erhielt Exemplare für Docen, Laßberg, Uhland, Menzel, Mönnich und A.L. Folien. Brief an Lahberg, 17.1.1827. UB Krakau.

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nicht zu erkennen war, und nicht nur Gelegenheit gab, die erworbene Sprachfähigkeit zu beweisen, sondern die "gelehrten Häupter anzuführen". Für die Veröffentlichung hatte sich Wackernagel mit dem deutschtiimlichen Malerfreund Karl Bräuer zusammengetan, der die kleine Flugschrift mit der Imitation einer mittelalterlichen Zeichnung versah.62 Diese Zusammenführung altdeutscher Philologie und historisierender Bildender Kunst entsprach dem aktuellen Trend, der sich durch das Zusammenfinden Maßmanns mit der Cornelius-Schule in München abzeichnete. Diese, den Berlinern bekannte Konstellation, spiegelte sich auch im Inhalt der Dichtung wieder, denn eines der beiden Wa//ram-Bruchstücke variierte eine griechische Sage von der Erfindung der Zeichenkunst: "Hier ist es aber ächt deutsch, die Liebe eines deutschen Knaben zum Schwerdt, die Thatlust".63 Daß Wackemagel und Bräuer ein zustimmendes Signal zu der Münchener Entwicklung gaben, wird daran deutlich, daß die beiden auch Exemplare für die Maler Cornelius, Overbeck und Stielke mitschickten.« Während die Zeichnung sehr leicht als neudeutsche Imitation zu erkennen war, hatte Wackemagel, der unentwegt Handschriften kopieren mußte, um finanziell zu überleben, seinem Text soviel Echtheit verliehen, daß selbst Lachmann bei einer flüchtigen Lektüre darauf hereingefallen war. Lachmann hatte gute Miene dazu gemacht, aber empfohlen, den anderen Forschem gleich die Wahrheit zu sagen. Auf Wackernagels Bitte unterrichtete Maßmann die süddeutschen Adressaten, indem er an Laßberg ein verschlossenes Kuvert mit der Lösung beilegte. Nur Docen in München sollte nicht sofort die Wahrheit erfahren, sondern erst einmal aufs Glatteis geführt werden.65 Aber der sonst so betuliche Docen machte aus dem Waltrcan sofort eine kleine Abhandlung für die Zeitschrift Eos, bemerkte dann zwar seinen Fehlgriff, aber bevor er sich ^u einem Dementi bequemt hatte, veröffentlichte Maßmann eine Richtigstellung, die eine Passage aus Wackernagels Brief wiedergab und verklauseliert auch Lachmann ("L...") einbezog.66 Maßmann benutzte die Gelegenheit, auf das hohe Niveau der modernen Germanistik hinzuweisen: Der Versuch des jungen Mannes ist ein erfreulicher Beweis, zu welcher grammatischen Sicherheit und selbst poetischen Anschauungskraft die Forschung des Altdeutschen seit

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Wiedergegeben bei Hess: Minnesang, S. 504f. Brief K. Bräuers an Maßmann, 16.1.1827. StLB Dortmund. Brief Wackernagels, 16.1.1827. SAB/PA. Maßmann sollte sie über den fiktiven Charakter aufklären. Ebd. D[oce]n: Aus einem unbekannten alten Heldenliede. Eos 1827, S. 152f. Maßmann: Zu Hm. D-n's Nachricht von den Bruchstücken eines alldeutschen Gedichtes ... Ebd. Nr. 39, S. 161 f.

2. ftiilologische Fettnäpfchen

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zehn und zwölf Jahren, besonders durch Grimm's, Lachmann's, Schmeller's, Docen's. GrafTs, Beneke's Bemühungen gediehen ist.67

Am Schluß seiner Ausführungen warb er für Grimms Grammatik und die Vorlesungen Schmellers, die mit dem Sommersemester beginnen sollten. Während Maßmann in der Eos das Akademiemitglied Docen noch relativ milde bloßstellte68 und sich selbst nur dezent in Szene setzte, sah die Sache in den Heidelberger Jahrbüchern anders aus. Denn Maßmann brachte in einer Rezension, die gegen Hoffmann von Fallersleben gerichtet war, die Geschehnisse noch einmal vor, wobei er die Grimms mit hineinzog und sich selbst von Selbstgefälligkeit triefend als Lehrer Wackernagels darstellte.69 Vielleicht war das Ganze auch noch eine Spitze gegen Wackernagel, denn dieser hatte den Waltram Maßmanns Intimfeind Hoffmann von Fallersleben gewidmet.70 Auf jeden Fall ging ein Aufschrei der Empörung durch die Germanistik, besonders Wilhelm Grimm erregte sich über Maßmanns "ekelhaftes Geschmier",71 und der ahnungslose Wackernagel fühlte sich dermaßen kompromittiert, daß er sich wochenlang nicht auf die Straße traute. Gegenüber Jacob Grimm äußerte Maßmann später einsichtsvolle Zerknirschung: "Den guten Willen, dem W[ackernagel] einen gewissermaßen erbetenen Liebesdienst zu erweisen, hab ich hart gebüßt, am meisten durch eignen moralischen Unmuth in mir selbst".72 Die Weise, wie Maßmann den Waltram herumbrachte, war sicherlich nicht geeignet, der Öffentlichkeit das Bild einer ruhig fortschreitenden, exakt forschenden Philologie zu vermitteln, wie es eigentlich seine Absicht war. Gänzlich unterhalb des wissenschaftlichen Niveaus war die öffentliche Auseinandersetzung mit Hoffmann von Fallersleben, wobei aber Hoffmann die "Hakelei", wie Maßmann es nannte,73 begonnen hatte. Hoffmann war darüber verärgert gewesen, daß er so geringen Gegenwert für den Verzicht auf die Kaiserchronik erhalten hatte, nicht weniger darüber, daß das Erhaltene so schwer leserlich war. Als Rache behielt er

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Eos 1827, S. 162. "Daß ich übrigens durch obige Auskunft dem Herrn D-η vorgegriffen habe, wird mir der Freund nicht verübeln." Ebd. Aeltere deutsche Sprachkunde. Heidelberger Jahrbücher 1827, S. 1071-1088. In seinem Brief an Wackernagel, 8.Π.1827, schrieb Maßmann scheinheilig: "Kurz, Du hast es brav gemacht. Aber nimm Dich in Acht vor der Rache. Sie kommt wie der Dieb in der Nacht". SAB/PA. W. Grimm an Lachmann, 22.ΙΠ.1828. Leitzmann: Briefwechsel (1927), S. 848. "Lesen kann man das Zeug nicht". Brief an J. Grimm, 13./16.VH.1828. SBPK/GS. Entschuldigend auch an Laßberg, 29 JH. 1827. UB Krakau. Brief an Hoffmann von Fallersleben, 17.1.1827, der noch mit "Werthester Freund!" überschrieben war. SBPK.

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Maßmanns Collectaneen in Breslau, obwohl Maßmann sie zurückverlangt hatte.74 Noch mehr reizte er Maßmann dadurch, daß er zwei KaiserchronikFragmente einbehielt, die ihm von Hagen nur geliehen worden waren, und die der Berliner Professor inzwischen seinem Freund Maßmann zum Geschenk gemacht hatte.75 Die Geschichte mit dem zurückgeschickten Brief und der anonymen Rezension kochte sicher auch noch in Maßmann. Zudem ergaben sich auch durch die gemeinsame Freundschaft mit Wilhelm Wackernagel Rivalitäten.76 An die Öffentlichkeit und zum Überlaufen kam die Sache dann durch Hoffmanns Werk Althochdeutsches aus Wolfenbütteler Handschriften, dessen Vorwort er am 7. Mai 1827 unterzeichnet hatte. Einen Teil der Glossen, die Hoffmann darin abdruckte, hatte ihm Maßmann in einer eiligen Abschrift zukommen lassen, aber wie Hoffmann in seinem Vorwort bemerkte, hatte er sich nicht darauf verlassen, sondern sich eine neue Abschrift beschafft. Er ließ seine Leserschaft auch wissen warum: Maßmanns Abschrift sei, "nach seiner einmal angenommenen Art",77 mit der uneindeutigen deutschen Kurrentschrift geschrieben worden, weshalb darauf kein Verlaß sei. Hoffmann lieferte damit eine neue Variante des altbewährten Vorurteils über die Kulturlosigkeit der Deutschtümler. Bei dieser Gelegenheit machte Hoffmann auch seinem Ärger darüber Luft, daß Maßmann die Kaiserchronik weiter verschleppte und stattdessen seine Denkmäler in die Welt hinausschicken wollte: Die vielen Nachlheile dieser wunderlichen Vorliebe für unsere deutsche Schreibschrift werden noch mehr in die Augen springen, wenn Herr M[aßmann] aus seinem reichlichen Abschriftenvorrathe die von ihm angekündigten Denkmäler [...] ausgehen läßt; vorläufig spricht genug dagegen seine Recension der GrafPschen Diutiska [...] - denn wie wäre es möglich, daß eine Rezension so von Fehlem jeder Art wimmeln könnte, wenn man sie nicht mit der vieldeutigen deutschen Currentschrift geschrieben hätte!78

Angesichts der prekären Publikationssituation in der Germanistik war es eine Gemeinheit von Hoffmann, Maßmanns Denkmäler schon im voraus schlecht zu machen. Jetzt hielt auch Maßmann nicht mehr an sich. Die Art, wie er in den Heidelberger Jahrbüchern zurückschlug, war aber auch nicht gerade vom feinsten. In seiner Sammel-Rezension Ältere deutsche Literatur erklärte Maßmann die Angelegenheit zu einer prinzipiellen Frage "der 74 75 76 77 78

Brief an Hoffmann, 25.V. 1825. SBPK. Brief an Hoffmann, Januar 1826: "Hermes gestand mir, daß sie eine Art Repressalie damit üben". SBPK. "Hoffmann ist ein Esel, grade zu ein Esel [...] kannst ihm das meinetwegen schreiben''. Brief an W. Wackemagel, 18.ΠΙ.1827. SAB/PA. Hoffmann von Fallersleben: Althochdeutsches aus Wolfenbütteler Handschriften. Breslau 1827, S. VI. Ebd. S. VE.

2. Philologische Fettnäpfchen

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Gesinnung in Handhabung vaterländischer Literatur [...] Nur um die Sache ist es mir dabei zu thun".7» Aber Maßmann ging es nicht nur um die Erörterung wissenschaftlicher Diskursformen. Er wollte die "Ungebührlichkeit jenes jungen Mannes" - Hoffmann war ein Jahr jünger als er selbst "öffentlich erziehen oder zügeln".80 Zu diesem Zweck brachte er die ganze ungewaschene Wäsche auf den Tisch, bis hin zu Hoffmanns "übermüthigem Briefvertheuern",81 und erklärte zu seiner Rezension der Diutiska, die er in lateinischer Schrift abgeliefert hatte: "Ja leider, lieber Herr von Fallersleben, sind arge Druckfehler drin, aber der Corrector sitzt in Heidelberg und versteht wohl Latein, nur kein Altdeutsch".82 Maßmann hatte durch seine schnelle Abreise nach München nicht mehr selbst Korrekturlesen können. In Hinblick auf Hoffmanns Glossenveröffentlichung, die Maßmann ja bestens kannte, befand er: "Bei Wfackemagel] ist nur ein Druckfehler [...]; bei H[offmann] gar keine, wohl aber Lesefehler, was schlimmer ist,"83 und gab anderthalb Seiten Nachweise dazu.8* Am Ende dieser Rezension, in der er auch den Wa/rram-Skandal produzierte, warb Maßmann dann noch für seine Denkmäler - sicherlich nicht gerade der günstigste Ort Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Maßmann gerade in seiner Rezension der Diutiska ein ganz anderes Bild von wissenschaftlicher Forschungsarbeit entworfen hatte, daß sich an die mittelalterlichen Dombauhutten anlehnte: [...] der Eine ist fleißiger Schanzer und Schaarweiker, Jener ist Sichler und Richter, der Dritte Versöhner (des Lebens mit der Wissenschaft, des Strebens mit der Kraft) - aber es ist und bleibt und bleibe nur Ein Geist, der alle belebt und beseelt [...] daß sie alle, gemeinsam über das besondere Tagewerk des großen Liebeszieles nicht vergessen, der Verherrlichung des Deutschen Namens so durch wissenschaftliche Erkenntniß seiner gewaltigen Vergangenheit als durch weikliche Neubelebung der genesenden Gegenwart für eine große kühne erfüllende Zukunft [...] Weiß Gott, es giebt noch etwas anderes als eine kleine Zunft - ein ganzes Volkl! Es giebt noch etwas Höheies, Heiligeres als die Wissenschaft - das Leben, meines Volkes, dem jene soll die Tenne fegen zum frohen Reigen seinem jugendlicheren zukünftigen Geschlechte.85

Die letzte Formulierung verdeutlicht, daß es Maßmann gar nicht mehr abwarten konnte, den jugendlichen Reigen aus den Bücherhallen auf den Turnplatz hinauszuführen. Ende 1826 wandte er sich an das Berliner Innenministerium und erbat sich ein politisches Zeugnis, wie es auch Men-

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Ältere deutsche Sprachkunde. Heidelberger Jahrbücher 1827, S. 1071. Ebd. Ebd. Ebd. S. 1085. Ebd. S. 1083. Ebd. S. 1086-1087. Heidelberger Jahrbücher 1826, S. 1167f.

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zel von Stuttgart aus gemacht hatte.86 Maßmann wollte sich bestätigen lassen, daß er seit dem Wartburgfest nicht mehr zu politischen Maßregelungen Anlaß gegeben hatte, wobei seine Trumpfkarte wieder die Breslauische Freisprechung durch den König war.87 Ab«1 das Innenministerium unter Schuckmann ging nicht darauf ein, da die Akten angeblich für eine solche Feststellung nicht ausreichten. Erst ein zweites Gesuch Maßmanns, an das Kultusministerium gerichtet, hatte Erfolg. Maßmann erhielt im April 1827 endlich das gewünschte "politische Purificationszeugnis", ausgestellt von Kamptz.88 Aber da hatte sein Schicksal sowieso schon eine glücklichere Wendung erfahren. Ende Februar 1827 genehmigte Ludwig I. doch noch seine Anstellung als Turnlehrer beim Kadettenkorps, - ein Zeichen dafür, daß Ludwig vor gewagten politischen Aktionen keine Angst hatte, wenn er in entsprechender Stimmung war. Als der preußische Staat sich im Fall von Görres weigerte, den Haftbefehl gegen ihn aufzuheben, ließ Ludwig den Verfehmten trotzdem nach Bayern kommen. Im Falle Maßmanns blieb der König allerdings mißtrauisch. Der Tumergermanist wurde nur auf "Ruf und Widerruf", d.h. ohne Verpflichtung zur Festanstellung, besoldet, und seinen Turnstunden mußte ein Sicherheitsoffizier beiwohnen, damit keine Turnagitation betrieben werden konnte.8» Aber Maßmann sah in dem Militärtumen vor allem ein Sprungbrett für höhere Ziele, und nach soviel Fehlversuchen und Fettnäpfchen war die Anstellung mit 700 Gulden im Jahr sicherlich ein Erfolg.

3. High Noon mit Heine Mit seiner Anstellung als Militärturnlehrer hatte Maßmann einen entscheidenden Schritt aus dem Dunkel seiner Demagogenvergangenheit herausgetan, ohne daß er seine deutschtümliche Gesinnung des wegen aufgeben mußte. Im Gegenteil: In München konnte er unbehelligt im Deutschen Rock und mit altdeutscher Haartracht herumlaufen, denn Ludwig wollte in sein» Residenzstadt "keine Kopfhänger, die Jugend soll sich des Lebens freuen [...] Kleiden können sich die Studierenden, wie sie wollen; ich selbst habe

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Brief an Schuckmann, 17.ΧΠ. 1826. ZSAM/M.3, Bl. 172f. Schuckmanns Ablehnung ebd. Bl. 174. ZSAM/M.2Z Maßmann an Altenstein, 1.1.1827. Durch Verzögerang bei der Übermittlung konnte Maßmann das Zeugnis erst am 15.VHI.1827 Ludwig I. vorlegen. BHSA München Π, Mk 13923/4. Kriegsministerium an Ludwig I., 9.XI.1829. BHSA IV, OP 8S379. Alle weiteren Angaben zu Maßmanns Kadettenturnen nach den Akten OP 8S379 und KP 106.

3. High Noon mit Heine

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in Rom den altdeutschen Rock getragen."»0 Dagegen war in Jena 182S noch einmal ausdrücklich diese patriotische Gesinnungskleidung und sogar das Tragen von Bärten verboten worden.'1 Unter diesen Auspizien strömten in München auch wieder Deutschtümler zusammen: Ehemalige Burschenschafter und verfehmte Demagogen, aber auch junge Künstler und Schriftsteller ließen sich von der aufstrebenden Bayern-Metropole anlocken. In diesem Umfeld bewegte sich Maßmann mit besonderer Vorliebe, ohne daß er seine anderen Anknüpfungspunkte deshalb aufgegeben hätte. Im Hause von Thiersch, mit dem er sich eng befreundete und der im Mittelpunkt des Münchener Kulturlebens stand, kam Maßmann stetig mit den Kräften in Berührung, die sich dem religiösen Kampf gegen den Aufklärungsrationalismus, der romantischen Versöhnung von Religion und Wissenschaft verschrieben hatten: Schelling, Schenk, Ringseis, Schubert, Roth u.a. Mit den gemäßigten Kräften der katholischen Romantik verstand Maßmann so gut umzugehen, daß Lachmann davon er fuhr und an Wilhelm Grimm schrieb: Wissen Sie, daß man in München Maßmann für einen Spion der schlechten Partei hält? Es ist glaublich, denn servil sind die ehemaligen Demagogen jetzt alle.92

Einige Jahre später hat Lachmann diese Mutmaßung wieder zurückgenommen, als er Maßmann für "eine ehrliche, ernste Natur, der es freilich an Anmut fehlt" befunden hatte: Daß man ihn in München für einen Zwischenträger der Parteien hält, bin ich geneigt aus seinem ehrlichen Ungeschick herzuleiten: er wird manches zu sagen für Pflicht halten, was zweckmäßiger verschwiegen würde.93

Heinrich Heine hat in seiner München-Satire in den Reisebildern Maßmanns Versuche, zwischen verschiedenen Standpunkten zu vermitteln und möglichst viele Gönner und Fürsprecher zu gewinnen, mit bösartiger Verachtung gestraft, ohne seinen Namen zu nennen. Nachdem er ihn "als wandelndes Denkmal einer untergegangenen Zeit, als letzten Demagogen" charakterisiert hatte, karikierte er seinen Opportunismus folgendermaßen: "Wir haben an ihm einen sehr guten Demagogen, der zugleich so zahm ist, daß er jeden Speichelnapf beleckt, und aus der Hand frißt, Haselnüsse, Kastanien, Käse, Würstchen, kurz alles frißt was man ihm giebt."94

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Zitiert nach Doeberl: König Ludwig, S. 15. Allgemeine Sdiulzeitung 1825, Sp. 488. Lachmann an W. Grimm, Silvester 1827. In: Leitzmann, Briefwechsel (1927), S. 839. Lachmann an W. Grimm. 19.XI. 1834. Ebd. S. 639. H. Heine: Reisebilder. T. 3: Reise von München nach Genua. Kapitel 3. DHA VH/1, S. 23.

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IV. Hin Berliner wird Bayer

Das hat Heine jedoch nicht davon abgehalten, sich täglich mit Maßmann beim Mittagessen zu treffen und Duzfreundschaft mit ihm zu pflegen, als er Ende 1827 ebenfalls nach München kam.» Auch er gehörte zu Maßmanns Generationsgenossen, die bei Cottas neuen Zeitschriftenprojekten Unterschlupf fanden. Heine sollte zusammen mit Friedrich Lindner die Neuen politischen Annalen herausgeben, hoffte aber durch die Vermittlung Schenks mit einer Professur an der Münchener Universität versorgt zu werden. Da Heine und Maßmann beide mit Menzel befreundet waren, gab es einen natürlichen Anknüpfungspunkt zwischen ihnen. Andere MenzelFreunde, mit denen Maßmann nahen (und engeren) Umgang hatte, waren Kolb, Mebold, Hermes und Mönnich, die Cottas Ausland und Inland in Fahrt bringen sollten. Maßmann, der sich mit Kolb gut verstand, hat versucht, Mitarbeiter für das Ausland zu werben, u.a. Chamisso,* Jacob Grimm»7 und Wilhelm Wackernagel, letzteren wollte er damit sogar nach München locken.«8 Zu Maßmanns Leidwesen ging Wackernagel dann aber zu Hoffmann von Fallersleben nach Breslau, nicht zuletzt eine Reaktion auf Maßmanns Verhalten in der Waltram-Airäic. Zwischen den jungen Literaten und Künstlern bestanden ebenfalls Beziehungen, so daß sich eine bunte Kolonie bildete, die mittags im Kaffeehaus zusammenkam. Zwischen den Deutschtümlern und dem liberalen Kosmopoliten kam es immer wieder zu heißen Diskussionen, an denen auch andere literarische Glückssucher wie der politische Abenteurer Wit von Dörring und der philhellenisch-deutschtümliche Dichter Harro Harring teilhatten. Georg Fein, ein junger deutschtümlicher Gesinnungsgenosse von Maßmann, hat Szenen dieser Art in Briefen an seine Mutter festgehalten, die anschaulicher machen, wie es dazu kam, daß Maßmann zum Dauerspottopfer von Heine wurde." Wie der Burschenschafter Fein an seine Mutter schrieb, führten er und Maßmann ein "sehr lebhaftes deutschtümliches Feuer" gegen Heine, wenn es um politische oder historische Gegenstände ging.100 Heine hat sich dabei immer wieder über Maßmanns Deutschtümelei lustig gemacht, was dieser mit Angriffen gegen Heines "Unsittlichkeit" konterte. In einer besonders 095 U. Schulte-Wülwen Verarbeitung, S. 29ff. Zu Heine in München vgl. F. Mende: HeineChronik. 2. Aufl. Berlin (Ost) 1981, S. 68ff. E. Galley: Heine und die Burschenschaft Heine-Jahrbuch 1972, S. 66-95 H.-G. Poll: Heine in München. Heine-Jb. 1985, S. 215226.. 096 Brief an Eduard Hitzig, 3.XI.1827, der zugleich an Chamisso gerichtet war. DSB, Chamisso Κ 29. 097 Brief an J. Grimm. 31.X.1827: "Man kann auch im Auslande dem Vaterlande dienen, mein' ich." SBPK/GS. 098 Brief an W. Wackemagel, 26.X. 1827, nebst Prospekt. SAB/PA. 099 Ausschnitte aus Feins Briefen bei Schulte-Wülwer: Verarbeitung, S. 34-36. 100 Ebd. S. 35.

3. High Noon mit Heine

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heftigen Diskussion, die nach Feins Äußerung über Deutschheit und Vaterlandsliebe ging, "wo Heine wieder über alles Heilige [...] spottete", soll Maßmann endlich "in gerechtem Zorn" gesagt haben: "Du Heine, kannst übrigens auch gar nicht von Vaterland und Deutschheit sprechen, da du nur ein Schutzjude bist".101 In den Fünfziger Jahren hat Maßmann in Berlin einem seiner Studenten die Geschichte folgendermaßen zum Besten gegeben: "Was in aller Welt", lief er aus," mag H. Heine mit den Worten gemeint haben: "Maßmann kann nicht lateinisch!" Ich bin von München aus bedeutet worden, ich habe vor 24 Jahren, als Heine dort weilte und unter uns verkehrte, ihm, als er einmal Clemens Brentano u[nd] A[ndere] lästerte, zugerufen: "Heine! Sie sind nur ein Schutzjude in unserer Literatur, Sie werden nie deutsch schreiben lernen, wie Brentano" und darauf sagte er mir lachend: "Und Sie nie lateinisch!" Von da an bin ich unausgesetzt das Ziel seines Spottes gewesen."102

Zufolge einer noch späteren, aber von Maßmanns selbst brieflich überlieferten Erinnerung, hat sich der Vorgang folgendermaßen abgespielt: Als ich noch in München war und noch unverheiratet lebte, aß ich Mittags in Einem Gasthofe, wo auch Heine aß. [...] Ich mußte jedes Mal da vorbei, wo H. Heine saß und aß. Er machte jedes Mal seine schlechten Witze über Altdeutsch, Turnen usw. Da sagte ich ihm mal: "Sie werden nachgerade langweilig, Heine; bemühen Sie sich doch, einmal wieder Witze zu machen." Darauf sagte er: "Und Sie weiden grob." Da antwortete ich ihm rasch: "O, wenn ich grob kommen soll, will ich Ihnen ganz anders antworten. Sie sind ja nur ein Schutzjude in der deutschen Literatur." Dieses meine letzten Worte zu ihm. Dafür seine lang fort getragene Rache [...]1