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German Pages VIII, 174 [172] Year 2020
Hans G. Bauer Fritz Böhle
Haarige Kunst Über den Eigensinn des Haars und das Können von Friseuren
Haarige Kunst
Hans G. Bauer · Fritz Böhle
Haarige Kunst Über den Eigensinn des Haars und das Können von Friseuren
Hans G. Bauer München, Deutschland
Fritz Böhle München, Deutschland
ISBN 978-3-658-29086-3 ISBN 978-3-658-29087-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlagbild: Der Gott der Friseure von Otto Dix © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Bereitstellung der Daten: Buchheim Museum, Bernried Verantwortlich im Verlag: Cori A. Mackrodt Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
I n h a lt
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Wer kennt es nicht? – Eine Einführung 1 Alltagsspiegel 2 Kulturspiegel 3 Wissenschaftsspiegel 4 Berufs-, Handwerksspiegel 5 Inhaltsspiegel
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II Was alles am Haar hängt – ein kulturhistorischer Streifzug 1 Sprache – was sie über das Haar verrät 2 Rituale – mit dem und um das Haar 3 Haare und Friseure – die alten Kulturen 4 Die (europäischen) Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit 5 Das Jahrhundert des Bürgers 6 Im Dschungel der Moderne
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III Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches 1 Bedeutung und Charakteristika der Branche 2 Betriebstypen 3 Entwicklung der Betriebsstätten 4 Entwicklung von Angebot und Nachfrage 5 Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen
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Inhalt
IV Unsichtbares Handeln – die (Un-)Möglichkeit, ein guter Friseur zu sein 1 Der Friseur als Beruf 2 Das Geschehen im Friseursalon 3 Das Besondere der Dienstleistungsarbeit 4 Kooperation mit Kunden – Das Wunder der Verständigung 5 Gefühlsmanagement – Eigene Gefühle und die Gefühle Anderer 6 Die Arbeit mit dem Haar – Eigensinn und Lebendigkeit
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Epilog145 Literaturverzeichnis149 Internetseiten155 Anhang159 Tabellen159 Abbildungen159 Bildnachweise160 Anmerkungen165
Anmerkung zur gendergerechten Begrifflichkeit Oft wird mit dem Argument der Leserfreundlichkeit des Textes die Variante bemüht, man behalte zwar die maskuline Sprachform bei, Frauen und Transgender seien aber selbstverständlich mitgemeint. Uns ist bei der Bearbeitung dieses Themas immer wieder die Frage begegnet: Soll man sich aus Gründen gendermäßig-politischer Korrektheit wirklich die Haare raufen, wenn das Haar, um das es ja eigentlich geht, im Deutschen sowieso ein Neutrum ist? Hinzu kommt: Über lange Zeit war das Haar fest in Männerhand. Erst in der jüngeren Vergangenheit wurde er zu einem ›typischen‹ und dominant von Frauen ausgeführten Beruf. Der Ruf nach der »Friseuse« ist bereits seit einer ganzen Weile ähnlich diffamierend wie der nach dem verniedlichenden, bedienenden und unverheirateten ›Fräulein‹. Und für die Unterstellung eines in diesem Beruf vorfindbaren besonders hohen Anteils Homosexueller finden sich keine statistischen Belege. Gerne hätten wir uns auf die Position des liebevoll-genauen Alltagsbetrachters, Kabarettisten und Philosophen Karl Valentin zurückgezogen, dass viele Friseure wie Kunden an vielen Tagen nicht so recht wüssten, ob sie heut’ ein ›Manderl‹ oder ein ›Weiberl‹ seien, und man sie daher getrost als ›Friseure‹ ansprechen könne. Wir haben uns daher entschlossen, diese Bezeichnung überall dort beizubehalten, wo in erster Linie der Beruf des Friseurs gemeint ist. Auch Kunden bleiben Kunden (selbst wenn sie mehrheitlich Kundinnen sind). Die in den Literaturzitaten genutzten Begrifflichkeiten bleiben unverändert. Ansonsten aber sprechen wir von ›Friseurinnen‹ – insbesondere dann, wenn sie selbst zu Wort kommen. Die männlichen und anderen Kollegen sind selbstverständlich immer mitgemeint.
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Im Dickicht der Haare
I W e r k e n n t e s n i c h t ? – Ei n e Ei n f ü h r u n g
Niemand entflieht der tagtäglichen Erfahrung mit seinem Haar. Kaum jemand kommt ohne ein dramatisches, wenn nicht traumatisches Friseurerlebnis durchs Leben. Mit dem Haar verbinden sich intensive persönliche Erlebnisse und Erfahrungen. Sie berühren uns und gehen unter die Haut. Wovon hängt es ab, dass wir nicht verstört, sondern möglichst zufrieden in den Spiegel des Friseursalons blicken? Damit befasst sich dieses Buch. Man könnte natürlich auch ein Markt- und Meinungsforschungsinstitut mit einer Kundenbefragung beauftragen. Aber wir als Kundin und Kunde wissen: Wir können zwar meist recht gut beschreiben, ob und wie zufrieden wir mit dem Ergebnis sind. Weit schwieriger ist jedoch die Beurteilung, wie dieses zu Wege gebracht wurde. Wir richten daher die Aufmerksamkeit auf das ›Gegenüber‹: die Friseurinnen und Friseure sowie auf das Haar. Sie erscheinen uns als gewohnt und bekannt – aber vielleicht hat es gerade mit dieser Selbstverständlichkeit des Bekannten zu tun, dass uns vieles von dem verborgen bleibt, was dort stattfindet. Wir laden Sie daher ein zu einem Blick hinter das Gewohnte, zu einer Betrachtung der Kulturgeschichte des Haares und der nicht unmittelbar sichtbaren Seiten der Friseurarbeit. Es gibt vieles zu entdecken: In unserer Alltagssprache taucht das Haar in vielfältigen Redewendungen und Bedeutungen auf. Wir alle kennen ›das Haar in der Suppe‹ oder die ›Haarspalterei‹. Das Haar spielt seit jeher in Mythen und Ritualen der gesamten Menschheitsgeschichte eine gewichtige Rolle. Es ist ein Teil des menschlichen Körpers und bringt das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper zum Vorschein: wie er ihn pflegt, zur Schau stellt, ausgrenzt oder diszipliniert. Wir begegnen hier unserer eigenen Natur und sehen sie als eine höchst persönliche und individuelle Angelegenheit. Doch das, was uns so © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. G. Bauer und F. Böhle, Haarige Kunst, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0_1
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Wer kennt es nicht? – Eine Einführung
naturhaft, persönlich und individuell erscheint, ist zugleich eng verwoben mit sozialen und kulturellen Wertungen, Normen, Erwartungen und Verhaltensformen. So kommt dem Umgang mit dem Haar in der Kultur- und Gesellschaftsentwicklung eine sehr wechselvolle Geschichte zu, die bis heute andauert. Am Haar hing und hängt vieles – das ist nicht nur eine Redensart. Auch die soziale Stellung derjenigen, die sich beruflich mit dem Haar befassen, wird dadurch geprägt, welche Rolle das Haar und der Körper in der Gesellschaft spielen. Dies findet seinen Ausdruck in Anerkennung und Status, aber auch Abwertung und Geringschätzung. Die Arbeit von Friseurinnen und Friseuren beruht auf solidem technisch-handwerklichen Fachwissen und Fertigkeiten – aber nicht nur auf diesen allein. Eine andere, weniger sichtbare Seite bezieht sich auf das Menschliche und Lebendige der Kunden – wie auch des Haares. Friseurinnen und Friseure interagieren und kommunizieren mit Kunden, ihre Arbeit ist so gesehen eine ›Interaktionsarbeit‹. Aber auch das Haar selbst ist keineswegs nur ein Gegenstand und lebloses Objekt. Es ist vielmehr höchst eigenwillig, eigensinnig und widerspenstig. Friseurinnen und Friseure müssen damit zurechtkommen. Sie benötigen ein ganz besonderes Gefühl und Gespür, um das Haar zu bändigen wie auch mit ihm ›zusammenzuarbeiten‹. Und schließlich werden bei der Arbeit mit dem Haar nicht nur unsere Haare, sondern auch wir selbst ›berührt‹. Friseurinnen und Friseure dringen immer auch in die Intimsphäre ein, und wir müssen dies zulassen und aushalten. All dies hat Einfluss darauf, wie das Werk von Friseurinnen und Friseuren gelingt und wie zufrieden wir sind. Wer an Fakten, Daten, Trends u. ä. interessiert ist, findet in diesem Buch auch aktuelle Informationen zur Lage und Entwicklung des Friseurhandwerks. Zunächst jedoch zur weiteren Einstimmung ein Gang durch ein Spiegelkabinett, in dem wir unterschiedlichsten Blicken auf das Haar begegnen.
Alltagsspiegel
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Alltagsspiegel
»Wer kennt nicht die Mikrosekunde des scheuen Blicks in den Spiegel, der einem gegen Ende der Sitzung im Friseursalon hinter den Kopf gehalten wird, um das Werk des Friseurs oder der Friseurin aus der Panoramaperspektive abschließend zu beurteilen. Es ist die Aufgeregtheit der Generalprobe, mit der die Kundin oder der Kunde den Salon verlässt.«1
Für das Theater gilt die Regel, dass die verpatzte Generalprobe ein Garant für die gelungene Aufführung sei. Man mag das gar nicht zusammendenken mit dieser oben geschilderten Mikrosekunde, die wir ja alle kennen! Denn was passierte, wenn diese Generalprobe beim Friseur tatsächlich misslänge? Müssten wir nicht sofort aus dem Spiegelblick heraustreten und diese Mikrosekunde mit einem gar nicht scheuen, sondern höchst erregten Blick und dem Aufschrei beenden: »Scheren Sie sich zum Teufel, so geht das aber schon gar nicht!« Abgesehen von der fatalen Unumkehrbarkeit der in diesem Moment geschaffenen Gefühls-, und vielleicht sogar Lebenslage: Eine zutiefst persönliche, höchstwahrscheinlich äußerst erregte Auseinandersetzung mit der ›Fachkraft‹ wäre darüber hinaus wohl unvermeidlich. Und auch ›das Leben danach‹ wäre definitiv ein anderes. Denn wer kennt es nicht, sich bereits in dieser Mikrosekunde, noch heftiger meist kurz nach dem Verlassen des Tatorts, zumindest unwohl zu fühlen. In schlechteren Fällen sich selbst fremd, entfremdet – wenn nicht gar entstellt –, seiner Persönlichkeit richtiggehend beraubt! Oder, wie es die Literaturwissenschaftlerin Maria Antas beschreibt, »das Gefühl, meine Seele sei in den falschen Kopf eingezogen.«2 Wie gut, dass Theaterregeln nur für die Bühne gelten. Den Friseursalon auf der Bühne des wirklichen Lebens verlässt man ja meist in der positiven Aufgeregtheit – oder in der gewohnten Coolness –, den nächsten Alltagsauftritten einmal mehr mit gerichtetem Haupthaar und gestärktem Selbstbewusstsein ins Auge sehen zu können. Soziologen sagt man gelegentlich nach, sie würden ja noch aus der trivialsten Nebensache ein interessantes Phänomen oder zumindest einen ungewöhnlichen, jedenfalls meist schwer verständlichen Begriff konstruieren. Genau nach so etwas mag es klingen, wenn wir uns in diesem Buch mit soziologischem Blick ›dem Haar‹ zuwenden. Sind Haare doch, wie auch Friseurbesuche, auf den ersten Blick höchst nebensächliche, profane Alltagsangelegenheiten. Und auch dem Friseurberuf haftet ja, abgesehen von einigen Promi- und Starcoiffeuren, das Image eines zwar tren-
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Wer kennt es nicht? – Eine Einführung
digen, aber nicht gerade hoch eingestuften Handwerks an. Schließlich, um dem noch eine geschlechtsspezifische Krone aufzusetzen: Er ist ein Frauenberuf! Doch das Haar, das aus uns heraus und über uns hinauswächst, ist eben weit mehr als nur ein Hornfaden, der zur Hälfte aus Kohlenstoff und zu geringeren Anteile aus Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Schwefel besteht. Es ist ein Phänomen, das über seine anscheinende Alltäglichkeit auch deshalb weit hinausragt, als sich in ihm – so von Tilman Allert gesehen und formuliert – wie in einem Prisma die »Übergängigkeit von Natur und Kultur« abspielt.3 Will besagen: Natur und Kultur sind, seit es beide gibt, im Haar innig verknüpft.
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Kulturspiegel
Besäße das Haar lediglich seine – heute allerdings recht reduzierten – körperlichen Funktionen, verdiente es wohl kaum besonderer Betrachtung. Doch schon die Tatsache, dass man bereits in der Antike die Kahlköpfigkeit (Alopecia) nicht nur kannte, sondern sie verabscheute und mit Rezepturen zu überwinden suchte, macht auf den Umstand aufmerksam, dass es sich hierbei nicht nur um ein persönliches Leiden handelte, sondern weithin sogar um ein sozial wie kulturell unerwünschtes Phänomen. Es ist, wie die dänische Literatur- und Kulturhistorikerin Nina Bolt pointiert formuliert, vor allem die »kolossale psychologische Bedeutung« des Haares als »zentraler Teil unserer Körpersprache«, die dem Haar in der Tat einen besonderen Platz in der gesamten Geschichte des Menschen verschafft hat. Folgt man der Darstellung dieser Autorin und der von ihr zitierten ›Wasseraffentheorie‹, so sind die Haare des Menschen die ihm noch verbliebenen Fellreste. Durch die Schweißabsonderung habe er, der Mensch, ein alternatives Kühlsystem entwickelt, das seine Ganzkörperbehaarung – um im Wortspiel zu bleiben – zunehmend überflüssig machte. Seither sei die Behaarung zwar insgesamt geringer, das Haar aber, so der Untertitel ihrer kulturgeschichtlichen Betrachtung, für viele zur »wichtigsten Hauptsache der Welt« geworden.4 Haare sind, so lässt sich sagen, ein elementarer Bestandteil unserer menschlichen und kulturellen Körpersprache. Sie sind, so die Beschreibung des Kunsthistorikers Christian Janecke, »im Bunde mit dem Körper«. Dort aber, wo sie »den Körper engeren Sinnes verlassen«, werden die Haare »Gegenstand expliziter kultureller Überformung; erstens in symboli-
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schen Deutungen, zweitens in der Physiognomik, drittens in der Verwertung als Rohstoff, etwa für Perücken, für Kleidung, für Schmuck, viertens in der Haarpflege«.5 Die Haare spielen in Mythen, Sagen, Märchen, Romanen, Gedichten, Theaterstücken, in der Musik, Opern und Liedern, bei Statuen, in unzähli gen Gemälden, Bildern, Filmen usw. eine kulturschöpfende wie kulturtragende Rolle. Seit Menschengedenken haben sie kulturprägende, religiöse, soziale, politische und andere Funktionen übernommen: Sie symbolisieren Zugehörigkeit und Abgrenzung, Religiosität, Individualität sowie Gruppenzugehörigkeit. Sie sind rituelle Medien, gelten für manche als Sitz der Seele und der Lebenskraft, gelten als Zeichen von Gesundheit und körperlicher Stärke, aber auch von Krankheit, von Wohlstand, weltlicher (männlicher) Kraft und Macht, wie auch von Armut. Sie sind Mittel der Selbstdarstellung, genauso aber auch der Züchtigung, der Strafe und Demütigung, aber auch des Protests, der Auflehnung. Sie sind sexuell-erotische Symbole etwa des Begehrens, des Verschlingens, aber auch der Rettung (insbesondere bei weiblichem Haar, z. B. Rapunzel), sie sind Fetische u. v. a. m. Das Haar spiegelt nichts weniger als die (eher äußere) menschliche Kulturgeschichte, und sogar eine (eher innerliche) Mentalitätsgeschichte. Als Haarträger, und sogar ganz ohne Haar, drücken wir uns ständig mit ihnen und über sie aus, kulturell, gesellschaftlich, damit auch moralisch und spirituell. Das Haar ist sowohl natürlich wie kulturell gebändigt, dressiert, vereinnahmt. Es ist somit zwar ein ›Gegenstand‹, aber immer auch ein ›Gegenüber‹ – alleine schon deshalb, weil es uns an uns selbst, die ›Subjekte‹ des Haartragens, immer wieder heftig erinnert. Man würde ihm also wichtige Wurzeln ausreißen, würde man es lediglich unter Gesichtspunkten seiner Körperbezogenheit betrachten.
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Die in vielfältige Einzeldisziplinen spezialisierte, stets um Exaktheit, Ordnung und Objektivität bemühte Wissenschaft tut sich außerordentlich schwer mit dem Umstand, dass an diesem dünnen, langen Hornfaden aus Keratin so vieles und verschiedenartiges hängt.6 Dass so viel an ihm zu hängen scheint, zeigt die Beachtung, die es in den verschiedensten Feldern der Wissenschaft erfahren hat. Mit ihm beschäftigt haben sich Archäologen, Biologen, Mediziner, Pharmazeuten und Chemiker genauso wie Kunst-, und Literaturwissenschaftler, Histori-
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Wer kennt es nicht? – Eine Einführung
ker, Psychologen, Soziologen, Pädagogen, Volkskundler, Anthropologen, und neuerdings auch Genderforscher. Aber selbst die erst in jüngeren Jahren gegründete Kulturwissenschaft, die sich eine interdisziplinäre Zusammenführung der vielfältigen (Be-)Funde zu diesem zerfaserten und ausfransenden Thema zur Aufgabe gemacht hat, tut sich damit sehr schwer. So benennt beispielsweise eine interdisziplinär zusammengesetzte Auto renschaft den eigenen als kulturwissenschaftlich ausgewiesenen, von Christian Janecke herausgegebenen Beschreibungsversuch mit dem Titel »Haar tragen« vorsichtig und bescheiden nur als »Annäherung«.7 Denn ihnen, den Haaren, käme in ihrer wissenschaftlichen Betrachtung und Bearbeitung eine »komplexe Zwischenstellung« zu. Es gäbe nämlich, so heißt es dort, sehr unterschiedliche, sogar polare Betrachtungsperspektiven auf das Haar: Entweder wird es unter dem Aspekt seiner ›Körperbezogenheit‹ betrachtet, also aus einem eher biologisch-medizinisch-technischen Blickwinkel heraus. Oder der Blick wird eher auf die Ebene der Mode bzw. kultureller Formentscheidung gerichtet, was die Frisur als solche stärker in den Vordergrund rückt – und damit auch deren Gestalter, also die Friseure. Schließlich lässt sich das Haar auch unter dem Gesichtspunkt seiner »Bedeutungssetzung im lebendigen Vollzug« betrachten, was wohl bedeuten soll: Die Aufmerksamkeit bezieht sich vor allem auf die Träger des Haares, auf deren Umgang mit ihm und auf ihr »Verhalten mittels Haaren«. Dass einzelne Wissenschaften diesem so vielschichtigen Phänomen Haar bisher kaum gerecht werden konnten, wird dieser seiner »Zwischenstellung« zugerechnet – so Janecke in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Buchs.8 Auch wissenschaftlich bekommt man es also nur schwer in den Griff. Wissenschaftsgeschichtlich und -theoretisch gesehen ist diese Problem lage durchaus nachvollziehbar. Die immer weiter vorangetriebene Trennung in akademische Disziplinen, Bereiche und Fächer führt dazu, dass auch ein ›Forschungsgegenstand Haar‹ leicht in den Zugriff der einzelnen Fachlichkeiten und Fachperspektiven gerät. Schnell geht hierdurch der Blick auf das Ganze und Wesentliche verloren. Die naturwissenschaftliche Tradition der Wissenschaften verstärkt dabei die Sicht, die jeweiligen ›Gegenstände‹ der Forschung seien nichts anderes als ›Forschungsobjekte‹ – und als ›Objekte‹ distanziert und ›objektiv‹ zu betrachten und zu behandeln. Das widerborstige Haar scheint sich jedoch gegen solche Vereinnahmungen und Kategorisierungen zu sträuben. »Haare« so wiederum Janecke, »sind Produkte des Körpers, ohne selbst dieser Körper zu sein. Unterhalb der Haut als Grenze zwischen Körper und Außenwelt verankert, entwachsen sie dieser«.9
Wissenschaftsspiegel
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In dem Begleittext zu der bereits erwähnten Ausstellung »Im Dickicht der Haare« stellen die Herausgeberinnen Annemarie Hürlimann und Nicola Lepp fest: Das Haar hat »[…] keinen angestammten Platz im Kanon des Wissens. Es stiftet Unruhe. Und als Unruhestifter erweisen sich die Haare einmal mehr, als sie ein höchst prekäres Verhältnis zur Ordnung pflegen. Es gibt kaum einen Gegenstand, in dem Ordnung und Unordnung so unauflösbar miteinander verbunden und so eng aufeinander bezogen sind wie bei den Haaren. Dies ist nicht nur eine abstrakte Tatsache, sondern auch eine ganz konkrete Erfahrung, von der noch jeder und jede beim morgendlichen Blick in den Spiegel eingeholt wird. Denn der Schlaf gebiert Unordnung, die einigermaßen bewältigt werden muss, um gut durch den Tag zu kommen. Das Haar ist für unser unbewaffnetes Auge und unsere tastenden und greifenden Hände das Vielfältigste, Kleinteiligste und Wirrste am Außen des Menschenkörpers. Auch wenn wir dem Haar mit mannigfaltigen Ordnungsversuchen beikommen möchten […] ändert dies nichts daran, dass das Haar im Prinzip nicht nur das faktisch-strukturelle, sondern auch der phänomenale, also optisch und haptisch offenkundige Protagonist des Vielfältigen [ist]. Haare haben also grundsätzlich mit Unordnung zu tun, mit Versuchen, Ordnung und Ordnungen zu schaffen. Und sie rücken damit auch die Grenzen solcher Versuche und den Eigensinn der Unordnung in den Blick«.10 Zwar ist es sinnvoll wie wichtig, dieses fachlich so genannte ›Hautan hangsgebilde‹ biologisch, medizinisch, pflegerisch u. ä. unter das naturwissenschaftliche Objektiv zu legen und mikroskopisch genau zu analysieren. Zu Recht, wenngleich vielleicht etwas sehr instrumentell, wird es von dem Dermatologen Otto Braun-Falco beispielsweise als eine »Art Fahrtenschreiber« bezeichnet, »der objektiv wichtige Informationen liefern kann«.11 Doch man muss das Haar gar nicht unter die Glasplatte des Mikroskops quetschen, es spricht auch von selbst, indem es beispielsweise seine genetischen Bedingungen unübersehbar zum Ausdruck bringt. Ähnlich, aber noch viel spektakulärer als die Haut, die Nägel oder die Zähne erneuern sich die Haare, sie wachsen munter immer nach. Anders als die meisten anderen Körperteile verwesen sie nicht beziehungsweise zersetzen sich so langsam, dass sie – hierin den Knochen und Zähnen ähnlich – eine Dauerhaftigkeit besitzen, die für endliche Wesen, wie es die Menschen sind, einen besonderen Reiz darstellt. Zudem übertreffen sie alle anderen Körperteile in ihrer Wandlungsfähigkeit. Wie man auf der Website eines dermatologischen Instituts nachlesen kann, ist, um nur im europäischen Raum zu bleiben, von einem nord-, mittel- und nordeuropäischen Typ die Rede, der in Verbindung mit der Haut die Struktur der Haare vorgibt. Es
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gibt sich zu erkennen, indem es sich in verschiedenen biografischen Stadien verändert und einem vorgegebenen Lebenszyklus folgt, nach seiner Blütezeit stirbt – aber nie aufhört, zu wachsen. Es erkrankt selbst, und es zeigt Erkrankungen und hormonelle Entwicklungen an. Es reagiert auf uns, und es steht mit uns wie auch mit der Umwelt in wechselwirksamer Beziehung. Damit bringt und biegt es uns auch bei, mehr als nur ein rein materieller ›Gegenstand‹ und ein ›Objekt‹ zu sein, sondern sogar so etwas wie ein ›Gegenüber‹. Der Zugriff der Wissenschaft auf das Haar ist von einer ›objektivierenden‹ Distanz geprägt. Das Haar ist ein ›Objekt‹, ein ›Gegenstand‹. Dies besonders dann, wenn im Vordergrund steht, quantifizierbare, vergleichbare und reproduzierbare Ergebnisse gewinnen zu wollen. Ohne Frage ist das Haar in diesem Sinne ein höchst interessantes ›Objekt‹ und ein faszinierender ›Gegenstand‹. Die Überlegung, ob es nicht angemessener wäre, in diesem ›Forschungs-Gegenstand‹ auch ein ›Gegen-Über‹ zu sehen, liegt allerdings nicht ganz im ›Mainstream‹ wissenschaftlichen Denkens,– wissenschaftlich gesehen also selbst eine etwas widerborstige Frage. Denn es scheint, als ob sich solche Ansätze besser zum Verständnis des Haares eignen, die es nicht nur als ›Gegenstand‹ oder ›Objekt‹ objektivierend betrachten und vermessen. Angemessener scheint es vielmehr, auch das Haar als ein ›Gegenüber‹ zu verstehen, zu dem eine ›Beziehung‹ besteht, die es auch in den wissenschaftlichen Umgang mit ihm einzubeziehen gilt. Es geht, auch wenn das vielleicht etwas pathetisch klingen mag, um ein empfindungsnahes Verstehen dieses ›Gegenübers‹.
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Berufs-, Handwerksspiegel
Arbeits- und Berufssoziologen beschäftigen sich vor allem mit denjenigen, die diesen ›Gegenstand‹ oder dieses ›Gegenüber‹ unmittelbar beruflich bearbeiten: den Friseuren. Das Haar hat in seiner Geschichte mit dem Menschen – oder müsste man es umgekehrt sagen? – schon immer Anlass dafür geboten, ihm zugeordnete Tätigkeitsfelder, Berufe, Handwerksstände und Zünfte zu gründen. Sehr zutreffend trägt eine der ertragreichsten, von Susanna Stolz (1992) verfassten Studien zum Thema daher den Titel: »Die Handwerke des Körpers«. Historisch wie neuzeitlich lassen sich, vielleicht etwas dramatisch ausgedrückt, gewisse Schicksalsentwicklungen des Berufsfeldes feststellen. Zeitenweise musste das Haar – bzw. die beruflich mit ihm Befassten – Imageschäden und sogar Berufsverbote erleben.
Berufs-, Handwerksspiegel
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Diese Handwerke des Körpers erlebten sowohl interne, ständische Berufskonkurrenzen (etwa zwischen Badern, Barbieren, Perückenmachern etc.), aber auch Konkurrenzen durch andere, sich etablierende Berufe (insbes. Heilberufe, Medizin). Für die Haar-Behandler galt immer wieder, sich ›neu erfinden‹ zu müssen – sich also so zu strukturieren, dass man sich selbst beruflich dabei behaupten konnte. Und um dem Haar, seinen Trägern und den jeweiligen historischen sozialkulturellen und politisch-wirtschaftlichen Bedingungen gerecht werden zu können. Dem Handwerk zugesellt hat sich in den neueren Zeitläuften dann überdies eine veritable Industrie, die sich um die Befriedigung wie die Erweckung von Bedürfnissen der weiblichen wie männlichen Haarträger kümmert. Technische Erfindungen und pharmazeutische Entwicklungen sowie die zunehmende Einverleibung in eine Beauty- und Wellnessindustrie haben den Umgang des Friseurs mit dem Haar und den Kunden massiv verändert. Die sozialen und kulturellen Entwicklungen bringen es mit sich, dass die Arbeit am oder mit dem Haar nicht nur durch seine biologische Beschaffenheit und nicht nur durch den gesellschaftlichen und kulturellen Umgang des Menschen mit seinem Haar, sondern auch durch den industriell-pharmazeutischen Zugriff bestimmt wird. Die Entwicklungen und Angebote einschlägiger Industrien haben das schier unerschöpfliche Gestaltungspotenzial des Haars im Sinne seiner Manipulierbarkeit immens verstärkt. Ähnlich wie die vor wenigen Jahrzehnten noch kaum vorstellbare Herztransplantation ist zwischenzeitlich z. B. auch die Transplantation des Haares zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Ähnliches gilt für die sog. ›extensions‹, die langen, künstlichen oder echten Strähnen, die an der Kopfhaut unter einem Büschel Haare befestigt werden, damit die Stelle, an der sich eigenes und fremdes Haar verbinden, verborgen bleibt. Technisch-pharmazeutisch ist beinahe alles möglich. Ein dermatologisches Institut beschreibt das auf seiner Homepage ganz nüchtern so: »Die Industrie hat die Problematik der Haut- und Haarpflege derart gelöst, daß sie in ihre Produkte einfach Silikone eingefügt hat. Diese Silikone legen sich wie ein Überzieher auf Haar und Kopfhaut. Das Haar ist gut kämmbar, hat Glanz und Fülle und ist trotzdem schwer krank. Der Plastiktüteneffekt auf der Kopfhaut durch die Silikone ist vergleichbar mit dem Plastiktüteneffekt durch Paraffine bei der Hautpflege. Auch hier erscheint die Haut ›so schön glatt‹«.12 Auch angesichts einer Prognose aus dem Jahr 2015, dass der Umsatz der globalen Haarkosmetikindustrie von 2012 bis 2021 von 75 Milliarden Dollar auf 94,6 Milliarden steigen wird,13 stellt sich immer wieder die Frage, was die im Wortsinn eigentliche Qualität dieses beruflich-professionellen
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Handelns ausmacht – oder ausmachen sollte. Denn die kulturgeschichtliche Betrachtung verweist auf eine lange Geschichte hin zu der neuzeitlichen, als ›Individualisierung‹ bezeichneten Entwicklung. Die Individualisierung ist aber keine ›glatte‹ Angelegenheit. Kunde, Friseur und Haar geraten in immer diffizilere Verhältnisse zueinander. Fast scheint es, als wäre es kaum mehr möglich, unter diesen Bedingungen noch Friseur zu sein – oder wenn doch, dann wie? Was macht diese Beziehung eigentlich aus, wenn man ihr an die Wurzel geht?
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Inhaltsspiegel
In Teil II begeben wir uns auf einen ›kulturhistorischen Streifzug‹. Diesen beginnen wir mit der Tatsache, dass erstaunlich viel von all dem, was den ›Gegenstand‹ oder das ›Gegenüber‹ Haar betrifft, in unserer Alltagssprache Ausdruck findet (Abschn. II.1). Den Besonderheiten des Haars zugewidmete ›Rituale‹ lassen sich in allen epochalen Entwicklungen der Menschheitskultur auf finden. Sie transportieren immer hohe Symbolgehalte (Abschn. II.2). Haare waren und sind immer religiös, gesellschaftlich, sozial, politisch und individuell bedeutsam. Sie spiegeln zu allen Zeiten etwas vom Verhältnis des Menschen zu seinem Körper und zu sich selbst. Damit beschäftigt waren schon immer diejenigen, die sich beruflich handwerklich mit ihm, dem Haar wie dem Menschen, beschäftigt haben. Die Haare wie die Friseure verfolgen wir daher kulturhistorisch genauer: in den alten Kulturen (Abschn. II.3), zwischen dem Mittelalter und dem 19. Jahrhundert (Abschn. II.4), im ›Jahrhundert des Bürgertums‹ (Abschn. II.5) und schließlich im ›Dschungel der Moderne‹ (Abschn. II.6). In Teil III richten wir einen ›soziodemografischen‹ Blick auf die jüngeren Entwicklungen in diesem Handwerk und die Lage des Friseurs. Wie bilden sie sich in Form von Daten, Zahlen, Fakten und Einschätzungen in neuerer Zeit ab? In Teil IV geht es dann um die Arbeit im Friseursalon. Dienstleistungsarbeit stellt heute das größte Segment unserer Wirtschaftsgesellschaft dar. Insbesondere personenbezogene Dienstleistungen haben eine eigene Charakteristik, die wir in den Mittelpunkt unserer Betrachtung stellen. Dort geht es um eine ›Interaktionsarbeit‹, die ein ganz besonderes berufliches
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Handeln erfordert. Wir machen deutlich, wo und wie dies im Friseursalon in Bezug auf die Kunden, aber gleichermaßen auch auf das Haar selbst zum Vorschein kommt.
Kiki Smith, Untitled
Copyright: Kiki Smith, courtesy Pace Gallery
I I Wa s a l l e s a m H a a r h ä n gt – e i n ku lt u r h i st o r i s c h e r St r e i f z u g
Der Umgang mit dem Haar beschäftigt den Menschen tagtäglich. Er beschäftigt ihn wahrscheinlich schon so lange wie sein Umgang mit dem Apfel. »Am Anfang«, so eine Tagungsausschreibung der Evangelischen Akademie Tutzing 2017, »war der Apfel – und der Biss kostete das Paradies«.1 Auf den zur Vertreibung aus dem Paradies führenden Verlockungs- und Apfelbissdarstellungen ist jedenfalls, meist recht lockig, auch die Behaarung unserer Stammeltern abgebildet. Ab wann der Umgang des Menschen mit seinem Haar professionalisiert wurde, ist nicht bekannt. Wir wissen aber viel darüber, dass das Haar den Menschen schon immer massiv beschäftigt hat.2 »Schon immer«, so schreibt die skandinavische Literaturwissenschaftlerin Maria Antas, »wurde an Haaren gearbeitet und herumgepfuscht, weil die Träume von etwas Größerem, Glatterem, Glänzendem oder längerem als das, was der Spiegel zeigt, so groß waren. Jedenfalls für einige von uns. Verzweiflung und Hoffnung wechseln sich ab.«3 Diesen gesamten Teil bezeichnen wir als einen ›Streifzug‹. Denn wir beabsichtigen keine vollständige Geschichtsdarstellung, sondern wollen an verschiedenen Entwicklungen und Epochen entlang verdeutlichen, auf welche Weise der Umgang mit dem Haar aufs das Engste verbunden ist mit der jeweiligen Betrachtung und Wertschätzung des menschlichen Körpers. Dies hat sich immer auf die Arbeit mit dem Haar ausgewirkt, und tut es auch heute. In ihrer sehr aufschlussreichen Studie über die »Handwerke des Körpers« vermerkt die Autorin Susanna Stolz: »Der menschliche Körper ist nicht reine Natur; denn er ist nicht außerhalb von Kultur denkbar, er ist immer als zentraler Punkt in das imaginäre Netz dessen eingespannt, was eine Gesellschaft über sich selbst und ihren Standort in der Welt © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. G. Bauer und F. Böhle, Haarige Kunst, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0_2
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Was alles am Haar hängt – ein kulturhistorischer Streifzug
glaubt: Die Menschen aller Zeiten und aller Kulturen hatten jenseits des ›natürlichen‹ Körpers auch genau den ›kultürlichen‹ Körper, den sich die Mitglieder ihrer Gesellschaft dachten und gemäß dieser Vorstellung auch so wahrnahmen«.4 Kein anderes Körper(-anhangs)-gebilde verkörpert diese Verflechtung zwischen ›Natürlichkeit‹ und ›Kultürlichkeit‹ ähnlich innig wie das Haar. Immerhin – paradiesisch zufällig? – stellt die Behaarung das auffälligste sekundäre Geschlechtsmerkmal des menschlichen Körpers dar. Dieser schier undurchdringlichen, vielleicht sogar chaotischen, aber gerade deshalb höchst interessanten Verbindung beider widmete sich 2015/2016 die bereits erwähnte Ausstellung unter dem Namen »Im Dickicht der Haare«. Wie eine der Kuratorinnen, die Kulturwissenschaftlerin Mira Frye, im Begleittext unter der Überschrift »Im Dickicht der Haare und des Sinns« berichtet, hat man sich entschlossen, die Ausstellung nach acht Themenbereichen zu gliedern, die sich von der »Eigenlogik der Haare« ableiteten lassen: ∘∘ Der Bereich ›Flechten‹ soll die ›soziale Dimension der Haare‹ aufzeigen, die Weise also, wie sie »familiäre, freundschaftliche und ethnische Zugehörigkeiten stiften.« ∘∘ Der Bereich ›Scheren‹ ist auf die ›politische Dimension‹ der Haare gerichtet, denn über sie wird »staatliche Macht und Kontrolle über Menschen ausgeübt, während sie gleichzeitig auch zum Medium politischen Protests gegen Autoritäten werden können.« ∘∘ In der Ausstellung schließt sich hier der Bereich des ›Archivierens‹ an, da die zugehörigen anthropologischen und ethnografischen Haarsammlungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beispielsweise koloniale Machtstrukturen, aber bereits auch das Auftauchen wissenschaftlicher Rassenideologien spiegeln. ∘∘ Die Abteilung ›Glänzen‹ hebt den Aspekt der Schönheit der Haare und der mit ihm verbundenen Schönheitspraktiken hervor. ∘∘ Dem gegenüber steht das ›Verschleiern‹: In der Ausstellung dargestellt wird der Gegensatz zwischen der islamischen Verschleierung der Haare und dem »westlich-kapitalistisch geprägten Blick, der auf die Sichtbarkeit speziell des weiblichen Körpers drängt«. ∘∘ Die Abteilung ›Berühren‹ geht dem »Animalischen und Sinnlichen« der Haare nach, während der ∘∘ Bereich ›Verwandeln‹ die »ästhetischen Gestaltbarkeit« der Haare die Perspektive auf die »Verwandlung der Haare vom natürlichen Rohstoff zur Ware am kapitalistischen Markt« darstellt.
Sprache – was sie über das Haar verrät
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∘∘ Der Abschnitt ›Zaubern‹ widmet sich schließlich der »magischen Dimension«: In den verschiedensten kulturellen Zusammenhängen galten Haare als »Speicher magischer Kräfte«.5 Auf viele dieser Spuren begeben auch wir uns nachfolgend.
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Sprache – was sie über das Haar verrät
Dass die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm in ihrem berühmten und historischen »Deutschen Wörterbuch«6 einen langen Eintrag mit einer enormen Fülle von historischen Wortbelegen zum Stichwort ›Haar‹ zusammengetragen haben, zeigt, wie vielfältig und detailreich das Haar in unsere Sprache eingedrungen ist. Warum trifft manches ›haargenau‹ zu, warum ist die Rede von ›Haarspalterei‹, weshalb findet man ein ›Haar‹ ausgerechnet ›in der oder jeder Suppe‹? Bei manchen Redewendungen ergibt sich die Gesamtbedeutung nicht unmittelbar aus dem Einzelelement. Oft löst sich die manchmal schier unmöglich erscheinende Analysierbarkeit ihrer Bedeutung auf, wenn man die Geschichte einer Redewendung nur weit genug zurückverfolgen kann. In ihnen stecken immer epochale Symbolisierungen, Sinnbilder, kollektives Bewusstsein, Mentalitätsgeschichte. Diese Arten und Wendungen der Rede bestimmen die Spezifik einer Sprache oft sogar stärker als dies der pure Wortschatz vermag. Den geschätzten Gebrüdern Grimm und anderen Sprachforschern können wir hier in Bezug auf die Breite und Tiefe ihrer Recherchen nicht nacheifern. Nachfolgend beziehen wir uns lediglich auf einige herausgegriffene, aber markante Beispiele, die natürlich bei dem Haar beginnen, das unsere Zunge sofort aufspürt. ▶▷ ›Haar in der Suppe‹ Es ist durchaus möglich, einfach nur an (ein) Haar zu denken. Es ist genauso gut möglich, einfach nur an (eine) Suppe zu denken. Sobald man aber an Haar und Suppe denkt, ist ersteres längst in die letztere gestürzt: Das Haar ist in der Suppe, der Sprach- und Assoziations-›link‹ ist zugeschnappt. Was besagt diese Verbindung?
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Ein kleines, feines Haar in einer Suppe kann eine böse Überraschung sein und eklige Empfindungen hervorrufen. Man bemerkt etwas Missfälliges, dorthin nicht Gehörendes – das sogar bis hin zu Rückschlüssen auf die Küche, auf hygienische Verhältnisse u. ä. führen kann. Gleichzeitig stellt das Auffinden dieses unscheinbaren, nur schwer erkennbaren Hornfadens aber auch eine hochsensible Leistung dar, die, so gesehen, auch für die Konzentration und Wahrnehmungsgenauigkeit des Suppenessers sprechen könnte. Im heutigen Verständnis verbindet sich das Haarsuppenfinden mit einem pessimistischen Menschentyp, also jemandem, der das (eine) Haar in der oder sogar in jeder Suppe findet. Der immer etwas auszusetzen hat, den Nachteil sucht, nur das Schlechte/Negative sieht, permanent nörgelt, das Suppenhaar also nicht nur findet, sondern es sogar permanent sucht. Selbst wenn, wie in dem auf 1669 datierten Schelmenroman »Simplicissimus« von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen7 der Fall, auch die positive Seite des ›scharfen Blicks‹ Anerkennung findet, so galt sie auch dort nur der Fähigkeit der Entdeckung von Nachteilen! Auf der sprachsymbolischen Ebene finden wir hier jedenfalls den Hinweis auf das Haar als ›Sinnbild der Feinheit‹. Ebenfalls der mittelhochdeutschen Sprachentwicklung zugeschrieben, und zumindest in Bedeutungsanteilen dem ›Haar in der Suppe‹ zuordenbar, gilt das Haar auch als ›Symbol der Kleinigkeit oder Geringfügigkeit‹. ▶▷ ›Am Haar, an einem Haar hängen‹ Eine gesteigerte Rolle spielt das kleine, dünne Einzelhaar dann, wenn von einem solch geringfügigen Faktor Vieles, sogar Wichtiges und Entscheidendes abhängt. Starke Abhängigkeit, hohes Risiko, Gefährdung, eine äußerst wichtige, entscheidende, brisante Situation mit einer höchst riskanten weil ungleichgewichtigen, prekären Ausgangssituation u. ä. bieten sich hier als Anknüpfungspunkte für Assoziationen an. Die Sprachsymboliken sind hier häufig auf mehr als nur eine Sinnbildhaftigkeit bezogen. Auch in diesem Beispiel spielen die Haar-Eigenschaften der ›Kleinigkeit‹ und ›Geringfügigkeit‹ eine Rolle, dabei aber auch die seiner erstaunlichen, oft verblüffenden ›Bedeutsamkeit‹. Überdies verbunden wird mit seiner ›Feinheit‹ oft auch ein ›Schutz- und Trostgedanke‹ (»Was es alles aushält!«). Ähnliche Mehrfachbezüge finden sich auch in den folgenden Beispielen.
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▶▷ ›Auf ’s Haar …/(nicht) um ein Haar …‹ Sich aufs Haar, also aufs Kleinste bzw. Genaueste gleichen, oder sich nicht um die Kleinigkeit eines Haares, sich nicht im Geringsten unterscheiden. Das Haar gilt somit auch als Sinnbild der ›Genauigkeit‹ und ›Übereinstimmung‹. Und ebenso ist es auch ein Sinnbild der ›Menge‹. Es ist so unermesslich dünn, klein und wenig – aber genau deshalb auch ein so genauer Maßstab. ▶▷ ›Kein gutes Haar finden/an jemandem lassen‹ Trotz der großen Menge an Haaren findet man kein einziges gutes an diesem Menschen. Diese seit dem 17. Jahrhundert überlieferte Redensart bezieht sich entweder auf eine sehr negative Einschätzung einer gesamten Persönlichkeit – oder auch auf den Beurteilenden selbst: Er übertreibt seine Kritik! Wenn jemand hingegen Haare lässt, ist dies nicht nur ein Zeichen des Alterns, sondern man zieht (in einem Streit) den Kürzeren, erleidet Schaden, Verlust, an Wert. ▶▷ ›Kein Haar krümmen‹ Jemandem, insbesondere einem Schutzbedürftigen, nichts Böses antun, sie/ihn schonend behandeln, keine Gewalt anwenden. Ihm/ihr soll kein Leid geschehen. In Übertragung kann man auch ›ungeschoren‹ bleiben, also unbestraft davonkommen. Etwas platt, aber etymologisch richtig, kann man hinzufügen, dass die Bezeichnung ›Friseur‹ vom französischen Wort, ›friser‹ abstammt, was dort ›sich kräuseln‹ oder ›wellen‹ bedeutet. Man kann sich bereits von hier aus diverse Gedanken über die wahrlich nicht einfachen Anforderungen an den Friseurberuf machen. ▶▷ ›Mit Haut und Haar‹ Diese Redewendung geht zurück auf eine mittelalterliche Rechtsformel (vgl. Sachsenspiegel um 1239), d. h. eine körperliche Züchtigungsstrafe, die sich auf das Scheren des Haares und das Schlagen der Körperhaut mit Ru-
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ten erstreckte. Sie wurde zur Abschreckung und Entehrung des Delinquenten vor allem öffentlich und in der Regel nur bei kleineren Vergehen angewendet. Dennoch beinhaltet der Bezug auf die äußerlichsten Teile des menschlichen Körpers etwas Extremes und Vollständiges: den ganzen Körper, den Menschen ganz und gar. So gesehen kann die Wendung auch als Synonym für ›das Leben‹ als solches oder ganzes dienen – was ja auch dann eine Rolle spielen mag, wenn man sich mit Haut und Haaren verliebt und/oder vollumfänglich einem Menschen oder einer Sache verfällt. Ob und wie man sich dann noch mit eigener Kraft an den eigenen Haaren (oder dem Zopf) aus dem Sumpf ziehen bzw. aus der üblen Lage befreien und mit heiler Haut davonkommen kann, hat uns Freiherr von Münchhausen in einer seiner Lügengeschichten demonstriert. Letzteres klingt eventuell ein wenig wie: ▶▷ ›… an den Haaren herbeigezogen‹ Etwas ist abwegig, fragwürdig, grund- und haltlos, nicht nachvollziehbar, unsachlich, aberwitzig, absurd, befremdend, aus nichtigem Anlass, weit hergeholt, gewagt, ausgefallen, exotisch, ausgedacht, eingebildet, erfunden, gar erlogen, fiktional, frei erfunden, aus der Luft gegriffen, zusammenfantasiert etc., etc. Dass dabei auch etwas ›weh tun‹ kann, ist spürbar. ▶▷ ›Haare auf den Zähnen‹ Diese Rede, so wird beschrieben, erinnere an die »wölfische Natur« des Menschen. Umso erstaunlicher, dass sie dem Sprichwort zu Folge »nur Frauen haben, während Männer von diesem Relikt […] frei zu sein scheinen« – so gesehen jedenfalls von Inge Stephan in einem Beitrag zum »Haar der Frau«.8 In welchem Geschlechtszusammenhang auch immer: Die Bedeutungen umfassen etwa autoritär, hart, rigide/rigoros, streng/strikt, (übertriebene) Strenge, unnachsichtig, ehern, fest, entschieden, bestimmt, energisch. Irgendwie ist mit einem solchen Menschen, auch wenn wir da schon in ein ganz anderes Sprachspiel geraten, ›nicht gut Kirschen essen‹. Solche Menschen scheinen von schroffer, herrschsüchtiger, aggressiver Wesensart sein und behaupten sich auch sprechend so.
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▶▷ ›Haare lassen‹ … kann und muss man natürlich aus biologisch-biografischen Gründen. Manchmal wird auf den mittelalterlichen Zusammenhang verwiesen, dass Leibeigene kurzes Haar zu tragen hatten. Weiter zurückgehen die Verweise auf die biblische Samson- oder Simson-Erzählung, die wiederum Bezug zu sehr vielen weiteren Haarsymboliken besitzt: Das Haar als Kennzeichen von Schönheit, erotischer Ausstrahlung, Kraft, Stärke u. a. m. – weshalb dann deren Aus- oder Wegfall immer einen recht elementaren Verlust darstellt. Heute geht es meist um den übertragenen Sinn, dass man aus einer Situation oder Sache nicht ganz ohne Verlust oder Schaden, also nicht ganz ›ungeschoren‹ herauskommt. ▶▷ ›Haar spalten‹ Wenn man das eh’ schon so dünne Haar auch noch spalten will, versucht man, im positiven Sinne etwas sehr, sehr genau zu untersuchen, dranzubleiben, im Sinne der Sophisten spitzfindig zu sein und etwas auseinanderzunehmen – oder aber, und so heute gebräuchlicher, etwas übertrieben, mehr als nötig zu diskutieren, zu traktieren … wie auch immer: ›haarklein‹ eben. ▶▷ ›Haare sträuben, zu Berge stehen‹ Wir begegnen hier nicht nur der biologischen Tatsache, dass jedes einzelne Haar mit einem kleinen, geschmeidigen Muskel versehen ist, der ein Zusammenziehen, aber auch ein ›Aufplustern‹ oder ›Sträuben‹ ermöglicht. Ausdrücklich im Wortsinn ist vor allem die bio-psychische Reaktion: Das ›Sträuben‹ der Haare kennen wir aus vielen Alltagserfahrungen beispielsweise des partnerschaftlichen Zusammenlebens, aus (beruflichen) Gesprächssituationen oder Ähnlichem. Tiefere Schreck- und Angsterlebnissen, bei denen einem die Haare richtiggehend ›zu Berge stehen‹ können, stehen oft in Zusammenhang mit Unfall-, Verletzungs-, Kriegs- und anderen Traumatisierungserlebnissen. Gelegentlich wird auch die Konversation in Friseursalons so, nämlich als ›haarsträubend‹, empfunden. ›Zerzauste‹ Haare wiederum sind Elemente von Liebeskonzepten ebenso wie von Vergewaltigungen. Und das
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›krause Haar‹ steht hiermit zumindest in der Beziehung, als mit ihm ein darunter befindlicher gewundener, seltsamer, fragwürdiger Gedankengang gemeint ist. ▶▷ ›… die Haare vom Kopf fressen‹ … jemandem etwas Wichtiges, sehr viel oder gar alles nehmen. ▶▷ ›… sich in den Haaren liegen, sich in die Haare kriegen/sich in die Haare geraten‹ … zumindest in Streit geraten, meist: sich heftiger streiten. ▶▷ ›… mehr Schulden als Haare auf dem Kopf haben‹ … kann selbst ein Kahlköpfiger. Weder die potentiell gewaltige Anzahl von etwa 100 000 Haaren, die durchschnittlich auf dem Kopf eines Menschen wachsen, noch der Umstand, dass diese Durchschnittszahl von der Haarfarbe abhängt (bei Rothaarigen ca. 80 000, bei Brünetten ca. 100 000, Schwarzhaarigen ca. 110 000 und Blonden ca. 150 000, wie eine Website zur Haardichte festhält), haben unseres Wissens bislang weder Ingresso unternehmen noch Schuldnerberatungen dazu gebracht, solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. ▶▷ ›… das graue Haar‹ … ist nicht nur ein körperlich-biografisches Phänomen, sondern kann schon früher und immer dann auftreten, wenn größere, tiefere Sorgen dafür sorgen oder sogar dafür sorgen könnten, dass sie leibhaftig sichtbar werden – oder man das annimmt oder ahnt. Das graue Haar kann auch in Form ›Grauer Panther‹ sozial-politisch auftreten – jedenfalls ist es eine biografisch-biologisch-psychophysische Erscheinung und Wahrheit.
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Zusammenfassend Bei den alltäglichen Sprachformen handelt es sich zu einem Teil um Metaphern, bei denen statt etwas wörtlich Gemeintem ein Ähnliches, Anschaulicheres, Reicheres, insbesondere Bildhaftes genutzt wird. So beschreibt etwa die ›Haarkrone‹ mehr als nur ein nach oben frisiertes Haar. Wie den bisherigen, meist im engsten Sinn auf das Stichwort ›Haar‹ bezogenen Beispielen abzulesen ist, geht es dabei oft auch um das Überschreiten von Grenzlinien verschiedenster Art, die mit dem Haar beschrieben werden: Es ist oder scheint so leblos wie lebendig; es wächst auch bei regelmäßigem Schnitt beständig nach; es krönt, adelt – und beschämt … Ein wenig entfernter vom einzelnen Haar sind, der ›Zopf‹ wie der ›Schopf‹, den man ›abschneiden‹ oder an dem man einen ›packen‹ kann. Von dort zur verlockenden ›Locke‹, und dann noch weiter eventuell bis dahin, gleich alles ›gegen den Strich zu bürsten‹ … Wenn wir im Folgenden auf die Bader, Barbiere und die Entwicklungsgeschichte des Friseurhandwerks zu sprechen kommen, kommt auch deren medizinisch-chirurgischer Tätigkeitsanteil sprachlich deutlich zum Vorschein. Hatte ein Bader beispielsweise einem Kunden bzw. Patienten die Zähne gezogen, steckte er ihm zur Rasur einen Esslöffel in den Mund, um ihn über die nach außen gewölbte Wange besser rasieren konnte. Eigentlich eine hilfreiche Verrichtung. Die Redensart, jemanden ›über den Löffel balbieren (barbieren)‹ ist dennoch mit der Konnotation behaftet, jemanden zu betrügen oder zumindest rücksichtslos zu behandeln. Wir denken, jedenfalls in unserem alltäglichen Sprachgebrauch, meist nicht darüber nach, dass in solchen Wendungen ein Körper-Wissen transportiert wird, welches sich, natürlich nicht nur im deutschen Sprachschatz, über viele Jahrhunderte erhalten hat. Dieses auch in der Sprache abgebildete Körper-Wissen lässt sich, wie die Literaturwissenschaftlerin Claudia Benthien und der Erziehungswissenschaftler Christoph Wulf das sehr ausführlich und eindrücklich in dem von ihnen herausgegebenen Band über »Körperteile« getan haben, in Form einer »kulturellen Anatomie« der einzelnen Körperteile darstellen.9 Schon die kleine Auswahl über den Zusammenhang von Sprache und Haar über Symboliken wie ›Feinheit‹, ›Menge‹, ›Genauigkeit‹ genauso wie ›Macht‹, ›Strafe‹ usw. macht aufmerksam auf die immer vorhandene ›Kulturbedeutung‹ des Haares. Zu der aber, wie in der Einführung schon erwähnt, eben auch noch die Sache mit dem ›Wirrkopf‹ und der dem Haar eigenen »Unruhestiftung« zählt. Die Haare sind eben, um nochmals die Autorinnen Hürrlimann und
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Lepp zu bemühen, ein zwar »profanes«, aber nur »auf den ersten Blick nebensächliches Ding«.10
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Die kulturgeschichtliche Rolle, die dem Haar zukam, lässt sich wohl kaum eindrücklicher dokumentieren und besser verstehen als durch ihre Einbindung in existenzielle, weltweit vorfindbare Rituale. Vorangestellt sei eine buntgemischte ›Impression‹: Der Name des mexikanischen Sonnengotts Quetzalcoatl übersetzt sich in ›Den Buschhaarigen‹, und der des aztekischen Sonnengotts Tzontemoc in ›Der mit dem kräftigen Haar‹. Schon bei den Inkas soll man in flagranti ertappte Ehebrecher an den Haaren aufgehängt haben. Ein (wahrscheinlich afrikanischer) Magier kommuniziert mit einem Feuergott: Das Haar nährt das Feuer, nährt den Liebestrunk, nährt Himmel und Erde. Das Haar ist die Sonne, die uns das Universum erblicken lässt. Dem ägyptischen Sonnengott Ra wurde goldenes Haar nachgesagt. Die Römer beschrieben ihren Sonnengott Sol als mit schönem, goldenem Haar ausgestattet. Der Beiname des griechischen Sonnengotts Apollo, Chrysocomes, bedeutete: ›Der mit den goldenen Locken‹ – die Saiten seiner Lyra hatte er, wie könnte es auch anders sein, aus eigenem Haar angefertigt. Mit rotem Haar dargestellt wird, jedenfalls seit dem 14. Jahrhundert n. Chr. und seitdem her so, der größte christliche Verräter: Judas. Weil die Form, Farbe, Länge und die Art der Haare – und mehr noch die mit ihnen hergestellten Frisuren – leicht erkennbare Merkmale sind, über die sich Individuen wie Gruppen unterscheiden lassen, sind Haare oft genutzter Gegenstand von Trennungs- wie aber auch Initiationsritualen. Dazu gehört auch die immer schon verbreitete Annahme, das Haar repräsentiere oder symbolisiere Lebenskraft. Gerade dem ›Scheren der Haare‹ kommt deshalb besondere Bedeutung zu. In Ritualen wird das abgeschnittene Haar vor allem gewidmet, geweiht und geopfert, um etwa die Bindung
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an eine sakrale Welt oder Gottheit, oder die Loslösung von einer solchen aufzuzeigen. Wo die sehr verbreitete Vorstellung existiert(e), abgeschnittene Haare repräsentierten einen Teil der Persönlichkeit, von der sie abstammen, werden die Haare verbrannt, vergraben, aufbewahrt, auf das Grab gelegt oder auch künstlerisch genutzt. Ähnliches gilt übrigens auch für Finger- wie Fußnägel. Übergangsrituale Wenn der französische Ethnologe Arnold v. Gennep, der insbesondere die sog. Übergangsrituale (›Rites de passage‹) erforscht hat, das Abschneiden der Haare als ein »zahmeres Beispiel für eine symbolhafte rituelle Handlung« anführt.11 bezieht er sich auf die Übergänge zwischen verschiedenen biografischen Phasen. So kennzeichnet beispielsweise der Ritus, den Kopf eines Kindes zu rasieren, dass dieses in eine neue Phase eintritt: Oft wurden dem Kind die Haare erst im siebten Jahr (feierlich) geschnitten, verbunden mit der Namensgebung und seiner Anerkennung als Familienmitglied. Bei einer Vielzahl von Völkern galt das erste Schneiden der Haare des Kindes der Abwehr von bösen Geistern. Das erste Haar verbindet, wie das oft gesehen wurde, noch mit dem pränatalen Leben. Hingegen ist das eigene Haar dann Ausdruck der eigenen Lebenskraft und nicht mehr der noch von der Mutter gespeisten. Bei Germanen wie Ägyptern war es üblich, beim Haareschneiden auf dem Kopf des Kindes eine kleine Stelle auszusparen, um der Seele einen Rückzugsort zu bieten. Sie wurde als ›Jugendsträhne‹ bezeichnet – eine Strähne, die man übrigens noch heute bei hinduistischen Hare-Krishnas findet. Bei jungen Mädchen markierte das Abschneiden der Haare die Zugehörigkeit zu einer neuen Altersstufe. Die Art und Weise, wie das Haar getragen wurde, zeigte insbesondere im Mittelalter den Familienstand an. Die damals übliche Darstellung der Jungfrau Maria mit offenem Haar führte dazu, dass sich auch nur Jungfrauen mit offenem Haar in der Öffentlichkeit zeigen durften – welches umgehend abgeschoren wurde, wenn sie sich fälschlicherweise als solche ausgaben. Gleiches galt – für Frauen – bei sexuellen Vergehen und Ehebruch.
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Biografische Phasen In engem Zusammenhang mit Übergangsriten stehen die biografischen Phasen: Die Pubertät, insbesondere das Erreichen der Fortpflanzungsfähigkeit, wurde verbunden mit gesteigerter Vitalkraft. Laut Plutarch opferten die Jungen im antiken Griechenland ihr bis dahin nie gekürztes Haar in Delphi dem Sonnengott Apollo, dies aber erst dann, wenn ihr erster Bartwuchs sprießte. Die Römer feierten den Eintritt des jungen Mannes ins Mannesalter mit dem Fest ›Despositio Barbae‹, der ersten Rasur. Afrikanische Stämme wiederum initiierten den Übergang des Jungen zum Mann nicht durch das Opfern des Haares, sondern durch die Durchführung eines Auftrags. In die Wüste hinausgeschickt, hatten die jungen Männer eine Kopfbedeckung zu verfertigen, die in symbolischer Form ihre Psyche und geistige Reife, somit ihr Erwachsensein anzeigte. Ein großer Sprung in eine (meist) spätere biografische Situation: Bei Witwen symbolisierte das Abschneiden der Haare das abgetrennte Eheband. Opferrituale Sie sind oft mit der Kontaktaufnahme zu Gottheiten und mit Bitten um oder einem Dank für die Erfüllung von Wünschen verbunden. Beispielsweise opferten Frauen in der griechischen Antike ihr Haar, um Kinder zu bekommen. Im Sternbild ›Coma Berenices‹ – Kopfhaar der Berenice – leuchten die abgeschnittenen Locken dieser ägyptischen Königin, die ihr Haar opferte, damit ihr Mann Ptolomäus den Krieg überlebe. Und in auf das Jenseits orientierten Kulturen wurden abgeschnittene Haare (auch Nägel und Zähne) aufbewahrt, um über sie als sich regenerierende Träger der Vitalität (insbesondere Kopf- und Barthaare als Verbindung zur Seele und als körperliche Verlängerung der Persönlichkeit) nach der Auferstehung wieder verfügen zu können. Ebenfalls als Zeichen der Unterwerfung wurden im katholischen Ritus Frauen beim Eintritt ins Kloster lange Zeit die Haare geschnitten. Mönche rasierten sich als Zeichen der Keuschheit eine Tonsur. Um Gehorsam und das Eingehen neuer Verpflichtungen geht es da, aber auch um das Opfer des Verzichts auf einen Teil des ›Ich‹, und um die Kennzeichnung der Distanz zur Welt. Geschnitten und geopfert wurden nicht nur bei den Germanen Haare dann, wenn ein Racheversprechen erfüllt oder ein Feind getötet war. Dar-
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in spiegelt sich allerdings ein Verhältnis zum (überdies langen!) Haar, das als Träger der Kraft und Männlichkeit gesehen wurde. So schnitt, freilich schon deutlich früher (und bezeugt im biblischen Buch der Richter (13 – 1 6)), Delilah dem schlafenden Auserwählten Gottes Samson sieben Locken12 ab und beraubte ihn hiermit nicht nur seiner enormen physischen Kräfte, sondern auch seiner Verbindung zu Gott. Er galt, so sein Geheimnis, für die Philister als unbesiegbar, solange sein Haupthaar ungeschoren blieb.13 Magie In der Magie galt im Mittelalter das weibliche Haupthaar als Versteck für böse Geister, dessen Abscheren ein Mittel der Reinigung und zum Austreiben von obskuren Kräften, die man ja vor allem bei Hexen vermutete. Benutzt wurden abgeschnittene Haare (aber auch Nägel etc.) immer auch in der ›Schwarzen Magie‹, vor allem um einem missliebigen Menschen oder Feind Schaden zuzufügen. Direkte wie symbolisch-repräsentative Bedeutung besitzen sie in der ›Weißen Magie‹: Wegen ihrer Wachsrichtung zum Himmel findet man in vielen Kulturen imitierende und homöopathische Anwendungen insbesondere in der Landwirtschaft, und naheliegender Weise auch bei der Wetterbeeinflussung: In der nordischen Sagenwelt erzeugte Thor Stürme, indem er hart in seinen Bart hineinblies. Sicherlich gehört das religiöse wie familienbezogene Aufbewahren von Haaren in Form von Reliquien ebenfalls in diesen Magiebereich. Magische Verbindungen werden gesehen zu den Bereichen Gesundheit und Pflege, sie reichen vom Kampf gegen Ungeziefer bis hin zur Inthronisation der Schönheit. Der Weißen Magie zugerechnet wird der Zusammenhang zwischen Haar und Kräutern wie Gräsern, die, wie Nina Bolt sie beschreibt, als die »Haare der Erde« gesehen werden.14 Einen (aber gar nicht so ganz) anderen Bereich stellt die ›Liebesmagie‹ dar: die Haarlocke des/der Geliebten im Medaillon (sehr beliebt im 19. Jh.), das Verflechten von Haarlocken zur Besiegelung einer Verbindung und Treueverpflichtung. All solche Darstellungen in Sagen, Märchen, Kultur-/ Kunstproduktionen ziehen sich durch alle Zeiten, und selbstverständlich gilt dies für auch die herausragende Bedeutung des Haars als sexuellem Fetisch.
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Demütigung Damit haben wir den Bereich der ›zahmeren‹ rituellen Bedeutungen bereits mehr oder weniger deutlich verlassen. Das selbst- oder fremderzeug te In-Unordnung-Bringen von Haaren spiegelt schon immer durchaus auch freudige, aber auch andere Befindlichkeit. Seit der Antike ist der Griff ins Haar einer Frau konnotiert mit gewaltsamer Unterwerfung, Versklavung. Das Zerstören des Haares, der Frisur – speziell einer Frau – ist meist eine Codierung sexueller Gewaltanwendung, sprich: Vergewaltigung – aber auch Kastration. Wie es scheint, ist es über alle Zeiten hinweg vor allem das ›Abscheren‹ der Haare, dem die symbolische wie reale Bedeutung der ›Strafe‹, aber auch die des ›Protests‹ gegen patriarchalische, herrschaftliche und gesellschaftliche Strukturen zukommt. Der mit dem strafenden Abschneiden bzw. Abrasieren von Haaren verbundene Raub und die Schändung der Würde, Kraft und Sexualität der Opfer galt und gilt oft genug nicht nur der Schwächung und Bestrafung anderer Ansichten und Verhaltensweisen, sondern auch der Absicht, damit ganze Stämme und Ethnie, Religionen und Kulturen richtiggehend zu entwurzeln. So mutet das Kahlscheren als Strafpraxis etwa des 17. Jahrhunderts noch wie eine gewissermaßen harmlose Strafe an. Und nicht erst in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts wurde in von Deutschland besetzten Ländern denjenigen Frauen, die sich mit deutschen Soldaten einließen, zum Zeichen ihrer Schande die Haare geschoren und man trieb sie nackt durch die Straßen – Tacitus zufolge eine allerdings schon 2000 Jahre früher übliche Praktik. All das ist wieder aufzufinden in den militaristischen und zivilen Unterordnungs- und Demütigungsakten von Frauen wie Männern bis in die Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Zum final demütigenden und entehrenden Eingangsritual für die jüdischen und politischen Gefangenen beiderlei Geschlechts wurde das Scheren der Haare dann in den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus. Wahrscheinlich sind die Hintergründe dessen, worum es hier eigentlich geht, durch solche Betrachtung am tiefsten ausgeleuchtet, die sich auf die Zusammenhänge von Ritualen, Religion, Macht und Sexualität beziehen. Dort taucht immer wieder auf, dass das Haupthaar des Mannes dessen Potenz symbolisiert, und deshalb offen und lang getragen werden kann. Das Haar der Frau ist hingegen einer Fülle von Regeln der Unterordnung (besonders Keuschheitsregeln) unterworfen. Es muss daher gebändigt, gebunden, geschnitten oder unter Tüchern und Hauben ganz oder teilweise verhüllt werden. Daher geht die Unterwerfung der Frau häufig mit dem
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Abschneiden der Haare einher. Aber das kann auch mit dem scheinbaren Gegenteil erreicht werden: »Die christliche Kirche hatte großen Einfluss darauf, welche Haarlänge von Frauen bzw. Männern getragen wurde. Grundlegend war wohl Paulus’ Ermahnung im Ersten Brief an die Korinther (11,14 – 16): ›Lehrt euch nicht die Natur selbst, dass es für den Mann eine Schmach ist, wenn er langes Haar trägt, es hingegen der Frau zur Ehre gereicht, wenn sie langes Haar trägt? Das Haar ist ihr gewissermaßen als Schleier verliehen worden‹.«15 Es klingt in solchen Zusammenhängen dann beinahe verharmlosend, wenn wissenschaftlich sachlich-trocken befunden wird, das Haarschneiden habe etwas mit ›sozialer Kontrolle‹ zu tun. Aber selbst das alltagsübliche Schneiden der Haare ist ja nicht nur ein privat-harmloser, sondern, genau besehen, ein sozialer Akt, der Selbst- und Fremdkontrolle beinhaltet – wie (in-)direkt oder (un-)bewusst auch immer.
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Aus Ägypten stammen Funde von Steinschabern, die bereits 6000 v. Chr. als Rasiermesser Verwendung fanden. Und aus der Herrschaftszeit der ägyptischen ›Nofretete‹ (übersetzt übrigens: Die Schöne ist gekommen) wird vom Rasieren des Haupthaars bei Männern wie Frauen berichtet, wie auch vom Gebrauch von aus Menschenhaar oder den Fasern von Palmblättern gewirkten Perücken, die bereits komplizierte Frisuren ermöglichten. Gräberfunde zeigen, dass die Ägypter schon 4000 v. Chr. ihre Haare mit Messern, Kämmen und Haarnadeln aus Elfenbein pflegten. Eher technisch gesehen bildete die Erfindung der Bronze um 3000 v. Chr. den Grundstein zur Anfertigung wichtiger Frisiergeräte, so z. B. sichelförmiger Rasiermesser. Erste Hinweise auf ein professionelles Friseurhandwerk dort gibt bereits ab 3000 v. Chr. – wobei es Sklaven waren, die das Haar und die Kopfhaut der Herrscher salbten, ölten und frisierten. Die Mutter des ägyptischen Königs Teti, Schech, hinterließ jedenfalls eine umfangreiche medizinische und kosmetische Sammlung zu Haarfärbe-, Haarwuchsund Haarentfernung. Etwas unklar ist, ob sich dieser Hinweis auf eine der größten altägyptischen Sammlungen medizinischer Kenntnisse, den sog. ›Papyrus Ebers‹ bezieht, dem an mancher Stelle ein Alter von 4000 Jahren, an anderen aber noch immer beachtliche 2000 Jahre weniger zugeschrieben wird.
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Es ist sicherlich angebracht, bei manchen Quellen und Hinweisen einige Vorsicht insbesondere hinsichtlich gesellschaftlich-kultureller Pauschalisierung walten zu lassen. So etwa, wenn von der Haaranalytikerin Svetlana Balabanova, das Haar »im Spiegel der Kultur und Wissenschaft« betrachtend, beschrieben wird: »Die Ägypter der Frühzeit trugen lockiges Haar und einen spitzen Kinnbart […] Die Haare standen im Mittelpunkt der täglichen Toilette. Für die Haartracht war ein Haarmacher zuständig. So entstand schon früh ein Handwerk zur Pflege des Haares«, das schon »seit ca. 4500 v. Chr. belegt« sei. »Der ›Haarmacher‹ gehörte neben dem ›Barbier‹ zu den obligaten Hausangestellten« – ergänzt durch die Klarstellung, dass diese »als Hofbeamte zu Reichtum und Ansehen« kamen.16 Jedenfalls lassen sich den jeweiligen Dynastien zugehörige Haar- und Barttrachten identifizieren. Ob dies nun der ägyptischen Alltagslage jener Tage entspricht oder nicht, sei dahingestellt. Nina Bolt jedenfalls meint: »Auch wenn die Ägypter zu Anfang womöglich ihr natürliches Haar trugen, wurde es für Männer wie Frauen üblich, sich die Haare abzurasieren und eine Perücke zu tragen. Diese Sitte hielt sich, bis Ägypten unter römischen Einfluß geriet. Die Perücken waren insofern sehr nützlich, als sie die Kopfhaut vor der Sonne schützten. Die genaue Ursache für das Abrasieren der Haare weiß man jedoch nicht«.17 Auf vielen ägyptischen Wandfresken finden sich jedenfalls Abbildungen von Haarschneidern bei der Arbeit. Ab etwa 1800 v. Chr. finden sich Hinweise auf erste berufsständische Organisationen in Mesopotamien. Eine babylonische Urkunde soll von ›Klatsch‹ in Friseurläden berichten. Um ca. 1550 v. Chr. werden Rasiermesser mit beweglichem Griff benutzt, letzterer vermutlich auch als Lockenwickler. Seit ca. 1400 v. Chr. wird in Ägypten und Mesopotamien Henna zur Färbung der Haare genutzt. Die erste Pharaonin des Alten Ägypten, Hatschepsut, wurde zum Zeichen ihrer Herrscherwürde mit dem traditionellen Königsbart (oder sogar als Mann) dargestellt. Perücken waren einerseits Bestandteil der Staats- und Festtracht und somit Kennzeichnung des Rangs. Gleichzeitig wird die in diesem warmen Klima notwendige Hygienemaßnahme des Haarabschneidens vielfach in Verbindung gebracht mit der Bekämpfung von Läusen. Pythagoras soll sich deshalb auf einer Ägyptenreise geschoren und eine ägyptische Perücke getragen haben. Dass Kahlköpfigkeit schon seinerzeit nicht erwünscht und »immer schon als Handicap« angesehen wurde, wird sich dann auch für die Römer und andere Kulturen feststellen lassen. Für Nina Bolt hängt dies damit zusammen, dass die Glatzköpfigkeit »den Alterungsprozess anzeigt und somit an den Tod erinnert.«18 Man kann das aber auch anders sehen.
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Immerhin zeigen, um noch bei den Ägyptern zu bleiben, Abbildungen von Nofretete, Pharao Echnatons Frau, diese zwar meist mit glattgeschorenem Kopf, aber auch mit speziellem Haarschmuck, z. B. einem Horn, einer Sonnenscheibe oder der Uräusschlange. Mythologisches, alltagsbezogene Hygienemaßnahme oder Statussymbol? Die weiteren Veränderungen der Machtverhältnisse sind haar- und frisurenmäßig auf Münzen wiederzufinden: Kleopatra, die letzte weibliche Pharaonin, die 30 v. Chr. starb und mit der das ägyptische Ptholemäerreich zu einer römischen Provinz wurde, ist dort »mit natürlich hochgestecktem Haar abgebildet und mit einigen Zöpfen geschmückt, die möglicherweise künstlich hineingeflochten wurden, eine Frisur also, die sehr an die der römischen Matronen erinnert«.19 In Griechenland wie im ›antiken Rom‹ wird ab ca. 300 v. Chr. der ›Kalamister‹, das Brenneisen des Altertums, zum Wellen der Haare benutzt. Bei den Römern werden die begabten Sklavinnen, die die Haarpflege der wohlhabenden Frauen durchführen, deshalb auch ›Kalamis‹ genannt. Soweit es die Männer, mit ihnen auch den Bart angeht – schon immer einem Symbol für Manneskraft und militärische Stärke: Diogenes, der griechische Philosoph, so wird berichtet, soll glattrasierte Männer mit der Frage konfrontiert (und wohl provoziert) haben, ob sie Mann oder Frau seien. Zunächst zu den Griechen. Wenngleich wiederum etwas verallgemeinernd, seien folgende Schilderungen von Svetlana Balabanova aufgenommen: »Das Tragen von langen Haaren war bei den Griechen ein Privileg der Freigeborenen.« Eine für die zukünftige Entwicklung des Handwerks wichtig werdende fachliche Differenzierung habe hier ihre Wurzeln: »Von einem ›Kosmetes‹ (Schmücker) wurden die Haare geordnet und geschmückt.« Ähnlich wie bei den Ägyptern könne man auch die Haartrachten der Griechen verschiedenen Epochen zuordnen: »Für Frauen und Männer gab es charakteristische Frisurenstile«. So finde man »bei Dichtern-, Gelehrten- und Götterstatuen oftmals langes Kopf- und Barthaar«, während »für Sportler und Soldaten kurzgelocktes […] Haar üblich war. Die Frauen trugen hochgekämmtes oder offenes Haar«.20 Nicht erst bei den Griechen, bei ihnen aber besonders ausgeprägt und bedeutsam, sind die Zuordnungen: Haare als Sitz der Kraft und der Seele, Symbole der Macht und Besitzergreifung. Zu den Römern, und wiederum aus derselben Quelle: »Die Römer der Antike« (oder wie man heute kabarettistisch sagen würde: ›der gemeine Römer‹) »trugen kurzes Haar und waren gewöhnlich bartlos«.21 Vielfach berichtet wird auch von den im alten Rom allerorts vorzufindenden
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Abb. 1 Friseur, Terracotta aus Tanagra (Griechenland), ca. 300 – 200 v. Chr.
Aufnahme-Nr.: 1.019.029; Haar schneider-Gruppe aus Tanagra Copyright: Bildarchiv Foto Marburg
Haare und Friseure – die alten Kulturen
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›Tonstrinae‹, den Barbierstuben, Orten, in denen es – wir werden das immer wieder vorfinden – nicht nur um Verschönerung ging, sondern auch um geschäftlichen wie persönlich-privaten Austausch. Besonders angesagt soll ein gewisser Licinius (etwa 300 v. Chr.) gewesen sein – ein VIP-Friseur, wie es scheint, und sozusagen ›the place to go in Rome‹. In welcher seiner vielen Schlachten genau Alexander der Große es seinen Soldaten verbot, einen Bart zu tragen, scheint etwas unklar. Dies habe aber, wie öfters erwähnt, dazu geführt, dass es nach und nach auch unter der Zivilbevölkerung in Mode kam, sich zu rasieren. Dass hierbei Opferrituale eine gewisse Rolle spielten, mag dem Hinweis von Plutarch entnommen werden, dass Alexander den Tod seines Freundes Hephaiston 234 v. Chr. zum Anlass nahm, u. a. die Haare von Pferden und Maultieren abrasieren und opfern zu lassen. Allemal interessant ist die im Orient verbreitete Darstellung Alexanders als zweihörnig (bzw. als Widder), mit denen ihm Gott die Macht verlieh, die Königreiche der Welt zu erobern. Jedenfalls besaßen die Körperpflege, vor allem das Baden – wie auch schon bei den Griechen – einen hohen Stellenwert. Luxuriöse Bäder gab es in beiden Kulturen – für die gehobenen Schichten. Als chronistisch-launig darf in diesem Zusammenhang die Meldung der ›streethair.wordpress‹ in ihrer Website-Darstellung zu ›friseurberuf-historisch‹ gelesen werden: »Vornehme Römer errichteten luxuriöse Badestuben in ihren Häusern und ließen sich dort von Sklavinnen massieren und salben. Auch die Behandlung des Kopfhaares kam hierbei nicht zu kurz.«22 In wissenschaftlicher und sehr neuzeitlicher Darstellung, gleichzeitig in gewisser Zusammenfassung, klingt das wie folgt: »Und im antiken Griechenland und Rom wurden in Barbiersalons Haare geschnitten und gefärbt, es wurden künstliches Haar, Pomade und Salben benutzt, Bärte rasiert und der neueste Klatsch ausgetauscht. Damit sind die wesentlichen Leistungen des heutigen Friseurs bereits vor Tausenden von Jahren angeboten worden – in der Öffentlichkeit allerdings ausschließlich für die Männerwelt«.23 Nicht völlig überspringen dürfen wir die (frühen) Germanen, denen schließlich zugesprochen wird, sowohl die Haarbürste wie die Seife erfunden zu haben. Das lateinische Wort ›sapo‹, so kann man nachlesen, leite sich vom germanischen ›saipon‹ ab (davon dann engl. soap und franz. savon). Und auch die ›Borste‹ wie die ›Bürste‹ gingen auf das germanische ›brozza‹ bzw. ›brosse‹ zurück. Hingewiesen wird häufig auch auf den ›Suebenknoten‹ als typisch germanische Männerfrisur. Er soll sowohl dazu gedient haben, die Freien von den Sklaven und den übrigen Germanen zu unterscheiden, aber
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auch dazu, in den Kämpfen und Schlachten größer und furchteinflößender zu erscheinen. Das blonde Haar der Germanen war zudem die bevorzugte Haarfarbe der Römer. Nina Bolt beschreibt diesen kriegerisch-geschäftlichen Zusammenhang wie folgt: »Sie«, die Römer, »ließen deshalb oft den germanischen Kriegsgefangenen das Haar abschneiden und verkauften es an römische Perückenmacher«.24
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Die (europäischen) Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit
Üblicherweise wird das ca. ein Jahrtausend währende Mittelalter (ca. 500 bis 1500 n. Chr.) in mehrere Epochen (Früh-, Hoch-, Spätmittelalter) unterteilt. Die Zeit danach wird in der Forschung als Frühe Neuzeit bezeichnet. Dieser gesamte Geschichtszeitraum ist zwar durch seine Gegensätzlichkeiten und Brüche geradezu definiert. Betrachtet man ihn jedoch, wie wir dies hier tun, vor allem unter dem Gesichtspunkt seines Verhältnisses zur menschlichen Körperlichkeit, lässt er sich jedoch durchaus als ein spezifischer Entwicklungszeitraum beschreiben. Die Dokumentarin der Geschichte der ›Handwerke des Körpers‹, Susanna Stolz, stellt das so dar: »Der mittelalterliche Mensch ist transzendental in das Verstehen von Welt eingebunden. Transzendentalität bedeutet hinsichtlich der Erfahrung mittelalterlicher Körperlichkeit die Ganzheitlichkeit des Körpers.« Was besagen will: »Körperliches Ausleben« und »religiös asketischer Fanatismus« erscheinen uns heute in der Wahrnehmung des Mittelalters zwar als widersprüchliche kulturelle Phänomene. Im Blick auf den mittelalterlichen Körperbezug stehen sie jedoch, so Stolz, »ohne Widerspruch nebeneinander«.25 Dem wollen wir sozusagen mit Hilfe der Bewegungen des Haars weiter nachgehen. Manche Quellen verbinden mit dem Niedergang der Antike auch einen Niedergang der Kultur der Haarpflege. Andere weisen auf die charakteristischen Haartrachten hin, die sich einzelnen Epochen des als Mittelalter bezeichneten Gesamtzeitraums zuordnen lassen. Svetlana Balabanovas Darstellungen ist beispielsweise zu entnehmen, dass »die Frauen in der Gotik um das 13. Jahrhundert geflochtene Zöpfe« trugen, insgesamt eine »hohe, gewölbte Stirn als besonders schön« galt, die Haare der Stirn- und Schläfenregion abrasiert wurden, und »die Männer langes oder halblan-
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ges, gewelltes Haar, sowie vereinzelt auch Zöpfe« trugen. Stilbildend für das frühe Mittelalter seien die Vorstellungen der Germanen, Franken und Langobarden, wobei das Haar »im rechtlichen Sinne als Zeichen von Macht und Ansehen«, und insbesondere »das ›lange, lockichte haar (Grimm 1899)‹« als »äußeres Kennzeichen eines Freigeborenen« galt. Bei den Frankenkönigen sei der Verlust der Haare »einem Thronverzicht gleichzusetzen« gewesen, und bei allen drei besagten Stämmen das Abschneiden der Haare eine »symbolische Handlung für eine Adoption« Für das späte Mittelalter sei bei den Männern die »Kolbenfrisur« charakteristisch.26 In Sachen Langhaar und Macht erfahren wir von Nina Bolt: Bei den Merowingern, dem ältesten Königsgeschlecht der Franken (frühes 5. Jahrhundert bis 751), galt das lange Haar ganz besonders als Zeichen der Macht. Von Karl dem Großen (747 – 814) wird berichtet, dass auch er (noch) schulterlanges Haar trug. Sein Sohn wurde »Karl der Kahle« genannt. Es gibt Hinweise darauf, dass er ›kahl‹ – allerdings im Sinne von land- und besitzlos – war. So kann man sich also auch täuschen! Und »um das Jahr 800 war langes Haar als Symbol der Königsmacht und der Heiligkeit schon auf dem Rückzug«.27 Eine Kultur der Haarpflege hat, wie geschildert, ja bereits in der Antike ihr zugehörige Institutionen und Beruflichkeiten geschaffen. Dies setzt sich in den mittelalterlichen Entwicklungen fort. Sie sind gerade deshalb äußerst interessant, weil sie z. T. bis in die heutige gesellschaftliche und berufliche Verortung der Friseure nachwirken. Schließlich weist selbst das heutige Friseurhandwerk noch immer gern auf seine lange historische Entwicklung hin – worauf etwa das bis heute erhaltene Aushängeschild des Rasierbeckens aufmerksam macht, welches den mittelalterlichen Bade- und Scherstuben entstammt. Von der Herausbildung eines Friseurgewerbes kann zwar strenggenommen erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Rede sein. Die dafür wegweisenden und bis heute spürbaren Entwicklungen setzen jedoch bereits recht früh(-mittelalterlich) ein. Sie stehen in engem Zusammenhang mit dem Entstehen der Handwerksberufe und ihrer Zünfte, wobei das Berufsfeld der Friseure einige Besonderheiten aufweist. Große Bedeutung kommt dabei der mittelalterlichen Stadtentwicklung zu: Mit der Einführung des Marktrechts im 12. Jahrhundert gewinnen sowohl das produzierende wie das dienstleistende Handwerk gerade für die Stadtbevölkerung zunehmende Bedeutung. Wiederum ist es die Chronistin der Geschichte der Körperpflege-Handwerke (unter diese gezählt werden die Bader, Barbiere, Perückenmacher und Friseure), Susanna Stolz, die darauf hinweist,
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dass jedes dieser Handwerke »Ausdruck eines epochenspezifischen Körperverständnisses« ist, in und mit denen zeitweilig wechselnde Kulturbedürfnisse handwerklich organisiert werden. Dabei seien die Handwerke der Körperpflege »in zweifacher Weise« vom jeweiligen epochenspezifischen Körperverständnis abhängig: »[…] sie sind erstens Ausdruck von Wertvorstellungen, erhalten durch sie ihre spezifische Gestalt in Bezug auf die Ausformung der handwerklichen Tätigkeiten, und verbunden mit der Bedeutung, die diesen Tätigkeitsfeldern zugewiesen wird, bestimmen sie sowohl die Stellung des Handwerks als auch die des Handwerkers. Darüber hinaus sind die Körperpflege-Handwerke als Dienstleistungshandwerke zu charakterisieren. Durch ihre direkte Arbeit am Menschen unterliegen sie besonders stark gesellschaftlichen Veränderungen. ›Arbeitsprodukt‹ und ›Konsument‹ sind eine untrennbare Einheit im Unterschied zu anderen Gewerben, in denen durch das Arbeitsprodukt der Abstand zwischen Produzent und Konsument gewahrt bleibt.«28 In Vorgriff auf den folgenden Abschnitt fällt der Hinweis in der Studie von Stolz auf, dass die Körperpflege-Handwerke in anderen europäischen Ländern, so etwa Frankreich, Italien oder Großbritannien, »von vornherein in einem Beruf vereinigt« waren. Für Deutschland berichtet sie hingegen von einer »traditionellen Zergliederung«, die stets zu »Abgrenzungsschwierigkeiten« führte, »da die Arbeitsinhalte zum Teil ineinander übergriffen«.29 Die Betrachtung der mittelalterlichen Geschichte der Körperpflege-Handwerke macht jedenfalls deutlich, dass sie verschiedenartige Berufe und Berufsinhalte, wie auch länder- und regionsspezifische, organisatorische, ökonomische und soziale Strukturen hervorbrachte. Und, wie noch zu sehen sein wird, birgt die Arbeit am Körper anderer Menschen immer auch die Gefahr der Abwertung eines Berufs, etwa durch die Unterstellung von Anrüchigkeit oder Unehrlichkeit. 4.1
Bader, Barbiere, Scherer und die ›Kleine Chirurgie‹
Erste öffentliche Badestuben, von Badern betrieben, die daher oft auch als ›Stübner‹ bezeichnet wurden, werden bereits ab etwa 900 n. Chr. erwähnt. Sind die Dampfbäder die ältere Badeform, finden Wannenbäder erst mit dem fortschreitenden Mittelalter breitere Verwendung. Die Ursprünge dieses Badewesens, das Susanna Stolz zufolge zu einem der »zentralen kulturellen Phänomene des mittelalterlichen Lebens« werden wird, lassen sich nach ihrer Einschätzung eher nur »spekulativ« erschließen. Sie ver-
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mutet dahinterliegend das »mittelalterlich-medizinische Verständnis vom Körper und seiner Gesundheit«.30 Eines der in den Badestuben befriedigten mittelalterlichen Lebensbedürfnisse besteht z. B. darin, dass Knechten und Gesellen oft statt eines Trinkgelds ein Badegeld gewährt wird, damit sie sich zum Durchwärmen in die saunaähnliche Badestube zurückziehen können. Allemal lohnt es, dem ›Baderuf‹ genau zu lauschen, um sich die wichtigsten Phänomene der mittelalterlichen Badekultur wie in einer Zusammenschau vor Augen zu halten: »Hört reich vnd arm Das Bad ist warm Wer sich wöll waschen vnd salben Am hobt vnd allenthalben Er sey herr, knecht, frow oder man Dem wirt gewartet schon«.31
Dokumente aus dem 12. Jahrhundert bezeugen, dass die ersten öffentlichen Badestuben von ›Badern‹ betrieben werden. Sie bereiten nicht nur das Bad, sondern übernehmen auch das Rasieren, was aber auch von den Barbieren angeboten wird. Sehr plakativ wird der Unterschied in einer Studie von Maximilian Uttenthaler beschrieben: »Sagte man von den Badern, sie scheren auf der nassen Bank, so spricht man von den Barbieren als den Scherern auf der trockenen Bank oder von den Trockenscherern«.32 Freilich hatten die Scherer bzw. Barbiere somit nur Männer als Kunden. Für Frauen scheint dort einzig das Waschen des Kopfes üblich gewesen zu sein. Im Sinne einer beruflichen Differenzierung spezialisiert sich dann zunehmend der scherende Barbier aus dem Baderhandwerk heraus, es entstehen Barbierstuben. Seit dem 15. Jahrhundert wird die aus dem Französischen stammende Bezeichnung ›Barbier‹ statt des herkömmlichen ›Scherers‹ benutzt, um die gewerbliche Stellung gegenüber den Badern hervorzuheben. Ein weiterer, schon bei der Funktion des Baders als Wundarzt angedeuteter Tätigkeitsbezug ist wichtig, denn es gehören auch gewisse medizinische Versorgungsleistungen zu den üblichen Abläufen im Badehaus. Sie bilden mit dem Badevorgang oft eine Einheit, und innerhalb der Badestube hat sich oft ein Teil des Personals auf diese medizinischen Tätigkeiten spezialisiert: Aderlass, Schröpfen, Wund- und Zahnbehandlung, Hautkrankheiten, Knochenbrüche etc. Die mittelalterlich ganzheitliche Vorstellung von Körperlichkeit gerade bezüglich des gesundheitlichen Wertes des Badens und der Körperpflege ist auch von den
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Kenntnissen aus der arabischen Medizin gespeist, welche z. B. heimkehrende Kreuzritter mitbringen. Eine besondere Rolle spielt dabei die so genannte ›Körpersaftlehre‹, nach der für die Gesundheit des Menschen eine richtige Mischung der vier Säfte im Körper (Blut, gelbe und schwarze Galle und Schleim) ausschlaggebend sei. Nicht umsonst wird dieses Tätigkeitsfeld auch als das der ›kleinen Chirurgie‹ bezeichnet, in dem ›Handwerkschirurgen‹, Wundärzte, Barbiere, Bader und Scherer ihre Dienste anbieten. Wie eine Studie von Sabine Sander zur »Sozialgeschichte einer verdrängten Berufsgruppe« zeigt, sind es diese Handwerkschirurgen, die die »wichtigsten staatlich autorisierten Heiler« darstellen, bevor »die akademischen Ärzte eine nennenswerte Rolle in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu spielen begannen und schließlich diese nahezu völlig an sich bringen konnten.« Diese Studie schreibt es übrigens der noch immer gültigen u. a. medizinhistorischen Einschätzung zu, dass diese Tätigkeiten eine Projektionsfläche für negative Urteile wie z. B. »Quacksalber« abgeben.33 Die Einschätzungen darüber, ob die Loslösung der Scherer bzw. Barbiere vom Baderhandwerk eher aus nachfragebedingten Gründen oder ökonomischen Zwängen erfolgte, sind uneindeutig. Als nachfragebedingt wird beispielsweise angeführt, dass die Pflege des Haares und die Rasur sehr viel öfter in Anspruch genommen werden als der Genuss eines Bades. Für ökonomische Zwänge sprechen die für die Badestuben komplexer werdenden stadtgeschichtlichen Entwicklungszusammenhänge: Die Zahl der Badestuben wird zunehmend auf eine bestimmte Zahl beschränkt, ihr Kauf und Betrieb erfordert immer größeren Mitteleinsatz. Das führt, berufssoziologisch modern ausgedrückt, zu neuen Wegen der Berufsentwicklung und Karriereplanung: Ein Teil der Bader übt daher, um nicht lebenslang nur Geselle zu bleiben, das Scheren, Schröpfen, Aderlassen und die Wundbehandlung ohne die eigentliche ›Baderei‹ aus. Zudem offerieren Bader und Barbiere auch das ›Mobilitätsangebot‹, Kunden zu Hause zu scheren, zu rasieren und zu kurieren. Mit eigens dafür angefertigten Werkzeugen betätigen sie sich auch als Hühneraugenausschneider, behandeln Verrenkungen, Hautleiden und Geschwüre, setzen Klistiere an, schröpfen, ziehen Zähne und lassen zur Ader. Das Verhältnis beider Berufsgruppen ist teilweise durch Kooperation, oft allerdings auch durch deutliche Konkurrenz gekennzeichnet, was in gemeinsamen, dann aber wieder getrennten Zünften zum Ausdruck kommt. Im Vergleich zu anderen Handwerken organisieren sie sich erst relativ spät zunftmäßig, und immer wieder kommt es, wie durch Zunftrollen seit dem 14. Jahrhundert belegt, zu anhaltenden Streitigkeiten hinsichtlich gemeinsamer oder getrennter Organisationsformen. Immerhin
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fungieren Zünfte im Rahmen der mittelalterlichen Stadtentwicklung gewissermaßen als Kartelle wirtschaftlicher Einflussnahme. Letztere bezieht sich auf Fragen der Produktion, der Warenqualität und Löhne und reicht bis hin zu Regelungen der Ausbildung. Gerade bei der Einrichtung öffentlicher Badestuben geht es häufig um Interessenklärungen hinsichtlich deren Lage, Architektur (Wasser-, Heiz- und Feuerungsanlagen) und z. B. ihrer Anzahl, hatte sich diese doch z. B. an den Einwohnerzahlen einer Stadt auszurichten. Es geht aber auch um Ausbildung und Qualifizierung. Soweit in Zünften organisiert, hatten Bader wie Barbiere eine jeweils vorgeschriebene Ausbildung zu absolvieren. Durch die Reichsgesetze der Jahre 1548 und 1577 werden die Bader schließlich als ›ehrliche Zunft‹ anerkannt. In manchen Regionen und Städten geschieht das bereits früher (z. B. in Augsburg und Würzburg 1373, in Hamburg 1375). Im südlichen Teil des Heiligen Römischen Reichs werden sie zu geschätzten Mitgliedern des Bürgertums. In Wien, wo sich die Zunft der Bader bis an den Beginn des 15. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt, wird für sie eine handwerkliche Lehre eingerichtet, und sie bilden einen Stand. In der weiteren Entwicklung wird jedoch die Wertschätzung von Badern und Barbieren als ›ehrbare‹ Berufe erheblich erschüttert. Denn in westlichen Gesellschaften vollziehen sich seit dem 15. Jahrhundert tiefgreifende Veränderungen im Umgang mit dem Körper, durch den vor allem auch körperbezogene Tätigkeiten (Berufe) nachhaltig betroffen sind. 4.2
Vom Leib zum Körper
Im frühen, und sogar noch im hohen Mittelalter wird der menschliche Körper als beseelt und mit dem menschlichen Dasein als untrennbar verbunden gesehen. Statt vom ›Körper‹ wird daher auch von dem mit der Seele verbundenen ›Leib‹ gesprochen. Seit dem 16. Jahrhundert wird demgegenüber der beseelte ›Leib‹ zunehmend ›entseelt‹ und zu einer Sache. Damit tritt – in Analogie zur naturwissenschaftlichen Beschreibung der Natur – der Begriff ›Körper‹ nun an die Stelle des Wortes ›Leib‹. Der Philosoph Descartes begründet im 18. Jahrhundert diese ›Versachlichung‹ des menschlichen Körpers mit der Trennung zwischen Geist und Körper. Er stellt fest, dass sich der Mensch von der Natur durch seinen Geist unterscheide und der Geist getrennt vom Körper existiere. Der Mensch habe zwar einen Körper, aber dieser zähle zur bloßen, unkultivierten Natur, gegenüber der sich der Mensch abgrenzen und behaupten muss. Oft
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wird Descartes als Urheber der Trennung zwischen Geist und Körper in der westlichen Kultur gesehen. Doch die Betrachtung des Körpers als eine Sache erfolgt schon weit früher und findet nicht nur im philosophischen Denken, sondern vor allem ganz praktisch im täglichen Leben statt. Wie die bahnbrechenden Studien der Soziologen und Sozialhistoriker Norbert Elias34, Michel Foucault35 und Robert Muchembled36 zeigen, treten in Europa Veränderungen im Umgang mit dem Körper seit dem späten Mittelalter in unterschiedlichen Bereichen wie der Familie, öffentlichen Leben, Erziehung, Gesundheitswesen und Militär auf. Sie reichen von der Tabuisierung körperlicher Berührung und Sexualität bis hin zur Disziplinierung körperlichen Verhaltens und der Erziehung zu Hygiene. Diese Entwicklung beschreibt der Soziologe Karl-Heinz Bette37 als paradox erscheinende Verdrängung und neue Beachtung des Körpers: Der menschliche Körper wird nun, so wie die Natur, verdrängt und missachtet, aber auch in neuer Weise instrumentell benutzt und nach Belieben umgestaltet. Doch bevor es zu einem neuen Bewusstsein für Hygiene und Gesundheitspflege kommt, geht es in den mittelalterlichen Entwicklungen, wie man an den Badestuben gut verfolgen kann, über lange Strecken – und regional sehr unterschiedlich – um Auf- wie Abwertungen, um die Wertschätzung, wie aber auch die Zurückdrängung von allem Körperlich-Naturhaftem. So verlieren die mittelalterlichen Badestuben und die Tätigkeit von Badern und Barbieren zunehmend ihre gesellschaftliche Wertschätzung und Akzeptanz. Im Unterschied zu den körperfreundlichen Beschreibungen im frühen Mittelalter wird das Badewesen nun deutlich kritischer betrachtet. Wie die Soziologin Angela Paul-Kohlhoff beschreibt, ging es in den öffentlichen Badestuben bis zur zunehmenden Trennung der Geschlechter im 15. Jahrhundert »mitunter mehr als lustig, ja ausgesprochen sittenlos zu, das Dirnenwesen darin und recht lockere Badegewohnheiten beider Geschlechter halfen Seuchen zu verbreiten. Die Dienste, die Bader und Barbiere gegen Geld an den Körpern anderer Leute verrichteten, sahen viele als entehrend, erniedrigend, sklavisch an«.38 Oft wird zudem angemerkt, dass zur Ausübung der eher niederen Dienste in der Badestube keine besondere Geschicklichkeit oder Intelligenz erforderlich waren. So habe man dort dann zunehmend allerlei ›Gesindel‹ wie etwa ›Spielleute‹ oder gar ›verkommene Studenten‹ angetroffen. Nicht verwunderlich somit, dass das Baderhandwerk auch aus diesen Gründen in den Ruf eines ›unehrenhaften Handwerks‹ gerät, ähnlich etwa den Abdeckern, Henkern, Gauklern, Tänzern. Und obwohl dem Baden als hygienischer Maßnahme laut dem obigen ›Badespruch‹ auch das ›Salben‹ zugehört – nach Paul-Kohlhoff »in der christlichen Religion einer der höchsten Dienste, vor Gott an
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einem Menschengeschöpf« – hebt die Autorin die Veränderung dieser dienenden Funktion insbesondere für Frauen hervor. Diesen würden im beruflichen Kontext der Badestuben nur zwei dienende Rollen zugestanden: »die der Magd und Dirne«.39 Schließlich wird die Badestube auch als ein Ort wahrgenommen, der politisch gefährlich werden könnte. Der Nachhall des obigen ›Baderufs‹, gerichtet sowohl an »frow oder man«, an »herr« wie »knecht« und »reich vnd arm«, trägt ganz offenbar, wenn man so will, egalitäre Züge. Diese Vermutung wird auch in einer von Alfred Martin 1906 verfassten Betrachtung über das deutsche Badewesen deutlich gestützt: »Nicht nur die Mißachtung einer sich herauskristallisierenden städtischen Moral und Ethik ist auf Mißfallen gestoßen, die städtische Ordnung sah schließlich ihre Ordnung auch durch ›Schwetzereien‹ in der Badestube gefährdet.« Sie, die Badestube, Hauptort mittelalterlicher städtischer Kommunikation, wird zunehmend als bedrohlich für die gesellschaftliche Ordnung und sogar als »politischer Unruheherd« empfunden: »Dort sitzen sie im padstübl und reden keczerich wider gott und kaisser«.40 Eine weitere Abwertung erfahren Bader und Barbiere durch die sich über die verschiedenen Epochen der Mittelalter hinweg langsam entwickelnde Schulmedizin und die wissenschaftlich-akademisch ausgebildeten Ärzte. Auch wenn sich dies massiv erst mit dem 19. Jahrhundert verändert, in dem die heilungsbezogenen Anteile der Bader, Barbiere/Scherer völlig an akademisch ausgebildete Ärzte übergehen, ist insbesondere die folgende Entwicklung festzuhalten: Bader und Barbiere verfügen überwiegend über ein Erfahrungswissen, welches sie durch ihre praktische Tätigkeit erworben haben und weitergeben. Ein solches Erfahrungswissen erscheint allerdings immer weniger als Beleg für ein besonderes ›Können‹. Wie die Soziologen Fritz Böhle und Stephanie Porschen feststellen41, wird mit der Entwicklung der Wissenschaften das im Handwerk und der Landwirtschaft hochgeschätzte Erfahrungswissen gesellschaftlich abgewertet und auf die unteren Ränge des Wissens platziert. Das Erfahrungswissen als primäre Quelle des Wissens und Könnens verliert gegenüber ›wissenschaftlich gesichertem‹ Wissen an Wert. Den Badern und Barbieren ergeht es damit ganz ähnlich wie den Handwerkern, für die die Entstehung des Ingenieurberufs und die Entwicklung der Natur- und Ingenieurswissenschaften ebenfalls zu einer Abwertung des Erfahrungswissens führt. Damit einher geht eine Abwertung ihrer sozialen Stellung. Auch die Bader und Barbiere geraten hierdurch auf die unteren Ränge beruflicher wie sozialer Wertschätzung. Dies geht mit der Tatsache einher, dass der Inhalt ihrer Tätigkeit verstärkt als bloß körperliche Verrichtung an einem ›dem
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Geistigen‹ gegenüber immer minderwertiger erachteten ›Gegenstand‹ gesehen wird. Zwar bezieht sich auch die Tätigkeit des Arztes auf den Körper. Der Arzt verfügt jedoch über wissenschaftliches Wissen, und unmittelbare körperliche Berührungen sind diesem Wissen untergeordnet. Man kann also sagen: Die Badestuben spiegeln in ihrer Auf- wie auch in der folgenden Abwertung deutlich die beiden Gesichter des mittelalterlichen Menschen in seinem Verhältnis zu Natur und Körper. Die Aufwertung dieses Verhältnisses geht vor allem einher mit einer wachsenden Wertschätzung der ›Reinigung‹. Dies ist gut nachvollziehbar, wenn von den in den Badestuben gegebenen Möglichkeiten berichtet wird, »die tägliche Bedrohung des Lebens, die damals weit größer war als heute, zu vergessen, die Angst vor Krankheit und Fegefeuer abzuschütteln.« Dort konnte der Mensch, wie in vielen Quellen beschrieben, »sein körperbewußtes Verhalten, seine Fähigkeit, Lebensfreude ohne Zwänge, auch auf sexuellem Gebiet« entwickeln.42 Wenn Susanna Stolz dies als »Reinigung contra Vergnügen«43 beschreibt, scheint sie bereits jene oben beschriebenen, zunehmenden Abwertungstendenzen anzudeuten: Bevor es zu einem veränderten Bewusstsein von Hygiene, Gesundheit und Körperpflege kommt, schlägt die historische Entwicklung den Weg über die Zurückdrängung alles Körperlich-Naturhaften ein. Die Bader und Barbiere sind in Zeiten des sich herausbildenden mittelalterlichen Stadtlebens für die Mehrheit der städtischen Bevölkerung zunächst so wichtig wie unverzichtbar. Umso massiver trifft die nun anwachsende Geringschätzung und Abwertung das gesamte Berufsfeld. Vieles deutet darauf hin, dass gerade die Kombination von haar-handwerklicher Dienstleistung und medizinischer Versorgung bzw. die Verbindung von pflegender und heilender Tätigkeit zu dieser Abwertung beiträgt. Denn der Beschäftigung mit Erkrankungen in der Badestube kommt immer auch die Seite des Abstoßenden zu. Durch deren Behandlung dort konnten Krankheiten übertragen werden, was insbesondere für Haut- und Geschlechtskrankheiten gilt. Zudem ist angesichts der zur Verfügung stehenden Instrumente die Therapie durch die Bader in der Regel oft recht schmerzhaft. Ein weiterer Aspekt: Die Bader dienen häufig als ›Feldscherer‹ und Wundärzte für die Truppen, daher auch ›Militärchirurgen‹ genannt. Geringes Fachwissen und mangelnde Hygienestandards führen oft zu mangelhaften Heilungserfolgen und zu weiterer Abwertung des beruflichen Ansehens. All das wirkt bis heute nach und hat diesen Beruf, wie Angela Paul-Kohlhoff betont, »seit jeher besonders angreifbar« gemacht.44 Susanne Stolz zufolge »verliert die eigentliche Tätigkeit des Baders seit
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dem 15. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung – Baden wird zu einer Leibund Seele gefährdenden Praktik und kommt vielerorts im 17. und 18. Jahrhundert völlig außer Gebrauch«.45 Noch aber ist für unsere Betrachtung ›das‹ Mittelalter mit seinen fließenden Übergängen wie Brüchen nicht zu Ende. Mit dem Barock (üblicherweise datiert 1575 bis 1770) verbunden ist das verstärkte Aufkommen der Perücke, die dann zu dem Epochensymbol des absolutistischen Zeitalters avanciert. 4.3
Die Perücke als Statussymbol – und ihre Macher
»Die absolute Verfügungsgewalt der Obrigkeit über die Untertanen – und selbst der Adel wird (…) ›veruntertant‹ – zeigt sich kulturell in der ›bürgerlichen‹ Nachahmung des höfisch Vorgelebten. Die höfische ›Manier‹ – die Art zu gehen, zu sprechen, sich zu kleiden wird zum erstrebenswerten Ziel aller.«46
Für das frühe 16. Jahrhundert wird berichtet, dass das Tragen von Perücken viel zu tun hat mit dem Kaschieren von krankheitsbedingtem Haarausfall, den Folgen anderer gesundheitsbedingter Behandlungen – und nicht zuletzt mit der Kopferwärmung für diejenigen, die immerhin feudale, aber eben sehr klamme Schlösser bewohnen. Häufig werden zwei Daten zur Kennzeichnung dieser Epoche herangezogen: Die große Zeit der Perücke wird eingeläutet, als der französische König Ludwig XIII. beginnt, seiner Haarlosigkeit wegen ab 1624 eine Perücke zu tragen. Ihr eigentlicher Durchbruch wird jedoch dem 18. Jahrhundert zugerechnet. Susanne Stolz beschreibt das dahinterliegende, sich verändernde Körperverständnis über »Verherrlichung des Leibes und seine Verachtung«, über »helle Lebenslust und dunkles Bewußtsein der Vergänglichkeit«, als »Widersprüche« und als »Leitmotive barocker Existenz«. Sie greift die Beschreibung des Barock als einer »ungeduldigen Kultur« auf, die deren »Augenblicklichkeit« betont. »Der Mensch des 17. Jahrhunderts, so sagt sie, lebt nicht auf die Zukunft hin, er stellt keine Berechnungen an.«47 Erklärbar sei das vor allem durch die kriegerischen Katastrophen des 16. und 17. Jahrhunderts. In seinen Betrachtungen über gesellschaftliche Wandlungsprozesse stellt der Soziologe Richard Sennett heraus, dass gerade die höfische Kleidung eine »Versachlichung« des Körpers bewirkt und ihn zu einem »Dekorationsobjekt« macht. Der Körper wird »entkör-
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perlicht«, wird zum bloßen Träger, zur »Folie des Kleidungsstückes, sei es nun die Perücke, die Frisur oder die Schönheitspflästerchen etc. Die Hauptaufmerksamkeit liegt nicht auf dem individuellen Körper der Person, sondern auf der jeweiligen Dekoration«.48 Susanne Stolz schätzt das aus ihrem mental- und körpergeschichtlichen Überblick so ein: Im Zeitalter des Barock wurde der Körper zum »zentralen, umfassend reglementierten Medium der Darstellung individueller Macht und Ohnmacht im sozialen Gefüge stilisiert […] das äußere Erscheinungsbild und das Körperbild wurden bewußt instrumentalisiert, die Gestaltung des Körpers wurde zum politischen Mittel« mit dem »Ziel der Sozialdisziplinierung«.49 In der Literatur ist die Darstellung des Barockzeitalters überwiegend auf die absolutistisch-höfische Kultur ausgerichtet. Die Mentalitäts- und Kultur-Körpergeschichte der unteren Schichten oder des ›gemeinen‹ Volks, dem die absolutistisch-höfische Kultur wie eine Perücke übergestülpt wird, bleibt weitgehend ausgeblendet. Gerade in diesem Zeitraum vollzieht sich in der europäischen Entwicklung eine tiefgehende Spaltung zwischen der höfischen und der Volkskultur. Noch um 1400 war die populäre Kultur die Kultur von jedermann. Zwischen den höheren Ständen und dem Volk gab es keine grundlegenden kulturellen Unterschiede. Um 1800 waren dann jedoch in den meisten Teilen Europas wie niemals zuvor in der Geschichte der Klerus, die Aristokratie, die Kaufleute und die Vertreter freier Berufe von der populären Kultur der unteren Schichten durch eine tiefe kulturelle Kluft getrennt. Diese Epoche ist somit durch die Spaltung und Spannung zwischen der Kultur der oberen Schichten- und des ›niederen‹ Volkes geprägt – wobei letztere in der Literatur lange Zeit kaum Beachtung fand. Susanna Stolz beschreibt sie daher zurecht als Epoche der »Produktion von Untertanen«.50 Das aber gilt keineswegs nur für Frankreich. Am englischen Hof war das Tragen der Perücke bereits ab etwa Mitte des 16. Jahrhunderts richtungsweisend geworden: Nina Bolt zufolge, der ja auch eine Art Hofberichterstattung naheliegt, soll Königin Elisabeth I. eine »stattliche« Sammlung an Perücken besessen haben, die katholische Thronanwärterin Maria Stuart »sogar eine noch größere«.51 Frankreichs Ludwig XIII., der seiner vorzeitigen Kahlköpfigkeit wegen nach 1624 den gesamten Hofstaat zum Tragen von Perücken gebracht haben soll, folgt der Sonnenkönig Ludwig XIV. Dieser wiederum sei zunächst auf sein langes und kräftiges Haupthaar stolz gewesen – dann aber genauso auf seine mindestens 40 ›Perruquiers‹. 1673 ernennt er die ›Allongeperücke‹ (abgel. vom französ. alonger = verlängern) zur Staatsperücke. Genährt und befeuert wird das durch die Zentralstellung des Ancien Regime und seine prunkvolle Hof-
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haltung in Paris, für die insbesondere die Frau Ludwig des XVI, Marie Antoinette, modisch und in aufwändig gestalteten, reich geschmückten Turmfrisuren Maßstäbe setzt. So nimmt es nicht Wunder, dass die französischen Revolutionäre gerade auch diesen Haarprunk etwas später zum Inbegriff der Exzesse und Privilegien, des Konsums, der Verschwendung und der absolutistischen Machtausübung erklärt. Am 17. 10. 1793 schoren sie ihr daher vor ihrer Enthauptung auf der Place de la Revolution in Paris das Haar radikal kurz – welches zudem in ihrer letzten Nacht noch völlig ergraute. Für die Barbiere bietet der monarchistische Zentralstaat den Nährboden dafür, sich zunehmend dem Tätigkeitsfeld des Perückenmachens zuzuwenden, das sich im Frankreich des 16. Jahrhundert vor allem in Paris etabliert. Damit wird das Friseurhandwerk jedoch keineswegs um Kopf und Kragen gebracht. In Großbritannien soll es 1795 von ihnen 5000 gegeben haben, in Paris im Jahr 1769 eine Zahl von 1200. Trotz des Vordringens der Perücke wird dort 1630 der erste Friseursalon eröffnet, und zwar für Frauen. Dort begegnet man dann einem männlichen Damenfriseur – eine sehr ungewöhnliche Geschlechterkonstellation, da bis dahin Frauen das Haar immer nur von anderen Frauen frisiert wurde. Und auch wenn es ein wenig nach einer im Friseursalon der Geschichte ausliegenden ›Yellow Press‹ klingen mag: Zu seinen Kundinnen soll auch die Königin Christina von Schweden gehört haben. Ihm gefolgt und zu Berühmtheit gelangt sei dann der Damenfriseur Legros von Rumigny: Immerhin habe er, wie weiterhin Nina Bolts Berichterstattung zu entnehmen ist, auch etwas für die Entwicklung des Berufs wichtiges getan: »Er sorgte dafür, dass im 18. Jahrhundert der Friseurberuf als Handwerk anerkannt wurde. Er gründete die ›Académie de Coiffure‹, eine Schule, wo Schüler viel Geld bezahlen mussten, um von ihm die originale Frisurgestaltung gelehrt zu bekommen«.52 Ende des 18. Jahrhunderts eröffnet dann ein anderer berühmter Damenfriseur, Leonard, einen Salon in Paris. Er war tragischer Weise der Hofcoiffeur von Marie Antoinette. Das Tragen von Perücken als Zeichen von Status und Würde setzt sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts auch bei Beamten, Ärzten, Richtern, Geistlichen, Lehrern und auch bei niedrigen Hofbeamten durch. In England wuchs sich das Tragen der Perücke nach Nina Bolt zu einer »regelrechten Manie«53 aus. Schließlich bildet die Allongeperücke dort noch heute einen Teil der richterlichen Dienstkleidung. Die englischen Royalisten des 17. Jahrhunderts trugen, die Königsmacht verteidigend, lange Haare und Perücken, die Anhänger des republikanisch gesinnten Cromwell hin-
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gegen ›Rundköpfe‹. Diese gegen Verweichlichung und Dekadenz am Hof verstandenen Haar-Zeichen waren allerdings so kurz angelegt, dass sie kaum als Vorläufer der späteren britischen Beatle-Pilzköpfe gedacht werden können. Um aber die Entwicklungen des Handwerks besser zu verstehen: Einmal mehr macht Susanna Stolz darauf aufmerksam, dass mit dem Beruf des Perückenmachers ein Handwerk entstanden ist, welches »in seinen Arbeitsinhalten durch Bedürfnisse der höfischen Gesellschaft bestimmt« wird, »dessen Mitglieder jedoch einer sozial wesentlich niedriger gestellten Schicht entstammen«.54 Die Perückenmacher am Hof genossen hohen gesellschaftlichen Status (»Schoßkinder des Hofes«), wurden als Künstler betrachtet und zelebrierten sich auch als solche. Ob es nun Ludwig XIV. selbst war, der für seine Perückenmacher 1657 die erste Innung gegründet haben soll, oder ob schon 1637 in Paris die erste Perückenmacher-Innung für Frankreich eingerichtet wurde – im Gegensatz zu den Handwerken am Hofe bildet sich das Zunfthandwerk des Perückenmachers außerhalb des Hofs erst verzögert aus und ihre Zahl nimmt erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich aufgrund der steigenden Nachfrage ständig zu. Barbiere und Perückenmacher sind einer Zunft vereinigt. In Deutschland tritt die Blütezeit dieses Handwerks erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Barbieren oder Badern ist es dann strikt untersagt, Perückenmacher zu werden. Sie dürfen, Stolz zufolge, Perücken »weder für sich, noch zum Verkauf verfertigen, noch weniger durch ihre Gesellen und Lehrjungen verfertigen und verkaufen lassen«.55 Wichtig für das Verständnis des Tätigkeitsfelds des Perückenmachers ist, dass sich dies keineswegs nur auf das Herstellen neuer Perücken beschränkt. Zu ihm gehört auch die Besorgung von und der Handel mit Haarmaterial menschlicher und tierischer Herkunft, natürlich auch der Verkauf der fertigen Produkte, sowie die Umarbeitung gebrauchter Perücken zu deren Wiederverkauf. Hinzu kommen schließlich der Kundendienst des Auffrischens (›Akkomodieren‹) und die Perückenpflege. Wurde die Perücke aus eigenem, natürlichem Haar gefertigt, ist der Perückenmacher auch für die Rasur derselben verantwortlich. Und auch eine allgemeine, natürliche Haarpflege ist für die Perücke noch nötig. Zunehmend wird die Technik der Perückenfertigung verfeinert, wodurch der Kostenaufwand und auch der Verkaufspreis einer Perücke reduziert werden können. Eine Vielfalt verschiedener Perückenarten entsteht. Auffällig ist, dass in diesem Zusammenhang auch über die Frage der Zugehörigkeit zu ›künstlerischen Hand-
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werken‹ berichtet wird. Zu letzteren werden einerseits die ›Perruquiers‹ und ›Fontangenmacher‹ wie auch die ›Barbierer‹ gezählt. Dem wird aber entgegengehalten, dass die ›Perruquiers‹ und ›Fontangenmacher‹ zwar die »menschliche Notdurfft« erfüllten, zusammen mit anderen »Galanteriemachers« jedoch als »überflüssig« bezeichnet werden. Dies »im Gegensatz zu den ›Barbierern‹, deren Handwerk als nützlich eingeordnet wird«.56 Ganz im Zeichen des absolutistischen Zeitalters ist das Handwerk des Perückenmachens somit zunächst ein primär höfisches, das dem Körper die Darstellung ständischer Repräsentation zuweist. Aber nachdem die Perücke zur allgemeinen Mode geworden ist, wandelt sie sich von einem Element der Nachahmung der Natur (durch die Nachahmung des natürlichen Haars) zu einem »sich steigernden Stilelement«, wie Johan Huizinga es in seiner Betrachtung des »Ursprungs der Kultur im Spiel« ausdrückt. »Sie ist das ›Barockste des Barock‹, weil sie dazu dient, zu isolieren, zu veredeln und zu steigern – sie wird schließlich zum Ornament«.57 Und so, als ob man diesem bereits eindrücklichen Bild noch eine Steigerung zufügen müsse, wird von den Herausgebern einer »Kulturgeschichte des Haares« hinzugefügt: »Die Perücke ist das krönende, majestätische Kostümstück einer höfischen Gesellschaft, deren Leben sich nach den Regieanweisungen der Etikette wie auf einer Bühne abspielt. Ihre künstliche Stilisierung ist gewollt. Sie wird zum Symbol von absoluter Macht, Würde und Autorität«.58 Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wird dieses Symbol auch für das Bürgertum in den Städten erschwinglich und, wie es ein 1733 herausgegebenes »Universallexikon aller Wissenschaften und Künste« darstellt, sogar zum »unentbehrlichen Stück einer anständigen Kleidung«.59 Nach wie vor gilt sie als Symbol der Unterscheidung zwischen arm und reich, und sie wird nicht nur von den Damen, sondern auch von Herren getragen. Für letztere bietet sie die Möglichkeit, je nach persönlichem Geschmack verschiedenartige, dem Alter, Status und dem Beruf entsprechende ›Frisuren‹ zu wählen. Es ist das 18. Jahrhundert, welches die Perücke immer mehr vom Präsentationsobjekt zu einem Kleidungsstück macht und ihr über Frankreich und die höfischen und großbürgerlichen Kreise hinaus auch in Spanien, Italien, England und Deutschland zu ihrem großen Durchbruch verhilft. Ihre Verbreitung erfolgt übrigens insbesondere durch hugenottische Flüchtlingsströme in Europa. Wie in Zusammenhang mit den Tätigkeiten und Geschäften des Perückenmachers schon angedeutet, wächst mit diesem Wandel vom Repräsen-
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tationsobjekt zum Kleidungsstück natürlich auch die Nachfrage nach zu verarbeitendem Haar. Dieses »ausgefeilte System des Haarhandels«, recherchiert von Susanna Stolz, verdient eine etwas ausführlichere Darstellung: »Das Haar wird von Maklern und Zubringern besorgt (›die Juden‹ werden pauschalisierend als Haarmakler erwähnt), das aus Zuchthäusern, Kriegsgegenden (Leichen) und verarmten Landregionen stammt. Das zu einem Spottpreis erworbene Haar wird nun von einigen ›Perruquiers‹ relativ teuer aufgekauft, die dieses wiederum mit einer weiteren Preiserhöhung an die eigentlichen Perückenmacher verkaufen. Das Haar wird nach Pfund berechnet und meistens nach der Haarfarbe vergütet (blond war die begehrteste Farbe). Weitere Qualitätsmerkmale bezogen sich auf die Stärke, den Glanz und den Zustand der Haare – es durfte vorher nicht gekräuselt gewesen sein.« Sie führt das noch weiter aus: »Aufgrund des stark ausgeprägten Importgeschäfts läßt sich von einem europäischen Haarhandel sprechen, dessen Haupthandelsplatz in Marseille lag. In Deutschland gab es zwei Haarmessen, nämlich die Frankfurter und die Leipziger Messe für Perückenhaare. In den Augen eines Haarhändlers waren die Nationen unter dem Kriterium ›Haarqualität‹ eingeordnet: Brabant, Flandern, Holland, Deutschland und Skandinavien lieferten das beste Haarmaterial. Die Bevorzugung der nördlichen Länder ergab sich aus der Tatsache, daß die Haarware des Südens zu stark der Sonne ausgesetzt war und dadurch ausblich, zu trocken und spröde war. Etwas makaber erscheint die Bemerkung des Verfassers, daß das Wiederaufleben der Perückenmode im Zusammenhang steht mit dem häufigen Gebrauch der Guillotine, wodurch die benötigte Menge des mangelnden Rohstoffes ›Haar‹ anfiel (eine Feststellung, die sich jedoch in mehreren Quellen findet).«60 Zwar nimmt die Popularität des Perückentragens schon im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ab. Bis dahin gilt sie jedoch auch als Symbol für Wohlstand, für Gelehrtheit und Wissenschaft, ebenso wie für Konservatismus – alle unzweifelhaft gepaart mit den je zugehörigen Eitelkeiten. Eine Quelle des Jahrgangs 1748 illustriert die Zeitumstände auf inhaltlich wie sprachlich höchst amüsante Weise: » […] nichts desto weniger so kan man doch bey jetzigen verkehrten Zeiten das in gäntzlichen Schwung gekommene Paraquentragen nicht allerdings bey manchen vor eine Weisheit ausrechen, sonderbar dererjenigen, welche glauben und ihnen einbilden, daß alle Weisheit und Reputation in den Paroquen gebacken seye. Es kan uns Niederland fast nicht mehr Haar genug, und die Geiß- und Ziegen- Böcke sattsame Wolle verschaffen, daß die Paroquenmacher in einem JahrMarckt so viel Strobel-Nester verfertigen mögen, die affectirte Köpff dar-
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innen zu verstellen und herrlich zu machen, ein jeder Calcant und Pfannen Flicker will ihm durch die Paroquen eine Parade machen«.61 Solches mag Goethe, der selbst eine Perücke mit Zopf trug, als älterer Mann dann aber auf sie verzichtete, dazu veranlasst haben, Mephistopheles im Faust die folgenden Worte in den Mund zu legen: »Setz dir Perücken auf von Millionen Locken, Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken, Du bleibst doch immer, was du bist.«62
Man ist versucht, auch Faust selbst noch das Wort zu geben – selbst wenn dieser dabei ausgerechnet das Barthaar bemüht: »Allein bei meinem langen Bart Fehlt mir die leichte Lebensart. Es wird mir der Versuch nicht glücken; Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken. Vor andern fühl ich mich so klein; Ich werde stets verlegen sein.«63
Dem Dichterfürsten darf unterstellt werden, über Perücke und Bart hinaus die historischen Entwicklungen hin zu den Verlegenheiten einer zunehmenden ›Individualisierung‹ epochal bereits vorausschauend verspürt zu haben. Ganz profan nimmt die Popularität der Perücke im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ab, und durch eine neue Hinwendung zu einer ›natürlichen‹ Haarpflege wird dem Perückenmacherhandwerk mehr und mehr die ökonomische Grundlage entzogen. Es kommt zwar, insbesondere im britischen Empire, nochmals zu einem kurzfristigen Aufblühen dieser Haarmode. Doch F. Nicolai, der sich 1808 Gedanken »Über den Gebrauch der falschen Haare und Perrucken in alten und neuen Zeiten« macht, stellt fest: »Das Reich der Perrucken schien sich seit einigen Jahren ganz seinem Untergang zu nahen, so wie das Land aus welchem das Regiment der Perrucken über ganz Europa ausging«.64 Körper-handwerksgeschichtlich bedeutet dies, wie einschlägig die Expertin Susanna Stolz darstellt: »Zwar können sich manche der ausgebildeten Perückenmacher auf die natürliche Haarpflege spezialisieren – neben der Herstellung von Haarteilen, die bei den Frauenfrisuren Verwendung finden –, vielfach verlieren sie jedoch ihren Broterwerb und sind gezwungen, den Beruf zu wechseln. Zudem hatten sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ungelernte Arbeiter
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auf die natürliche Haarpflege spezialisiert, die damit in das Tätigkeitsfeld des Perückenmachers eingriffen.«65 Der mentale Umgang mit dem Körper, so fügt sie im Blick auf diese Entwicklungsphase an, wendet sich von der »Gravität barocker Körperlichkeit spöttisch ab« und, gerade auf das Handwerk bezogen, hin zur »natürlichen Frisierkunst«.66 Mit dem geschilderten Vordringen der Perücke ist, wie erwähnt, auch eine Parallelgeschichte der Haarformen und Friseure verbunden. Denn schon im 15. Jahrhundert, so berichtet Nina Bolt ausführlich, habe man begonnen, »mehr und mehr zu reisen und die Europäer nahmen sich gegenseitig ins Visier. So waren es nicht mehr nur die Moden aus der eigenen Hauptstadt, die interessierten. Auch Neues aus anderen Ländern konnte sich ausbreiten.« Erwähnt wird etwa die aus Florenz kommende ›zazzera‹, eine bis an bis an die Schultern reichende, stark gekräuselte Frisur, die dem Afrolook der 60-er Jahre geähnelt haben soll. Als ›florentinischer Schnitt‹ habe sich diese dann nach Paris und weiter nach London ausgebreitet. Berichtet wird auch von einer aus Frankreich kommenden »schlichten Locke, die in der Regel über der linken Schulter lag« und als ›cadenette‹ firmierte, während die Engländer sie als ›lovelock‹ bezeichneten. Sie greift »in so starkem Maße um sich, dass sie Eingang in viele englische Werke aus dem 16. und 17. Jahrhundert findet, wo sie voller Verachtung oder voller Spott beschrieben wird.« Denn bei oder wegen aller ihrer Popularität: »Ach, ist es nicht bei vielen Engländern, die als fromme und gute Christen gelten, so, daß ihre Friseure ihre eigentlichen Priester sind? Und: Die Friseursalons sind ihre Kirchen … so reden sie häufiger mit dem Friseur über ihren Haarausfall als mit dem Priester über ihr Seelenheil«. Die ›lovelock‹ galt daher sowohl als »unpassend als auch für Christen sträflich«.67 Und um die Zeitumstände um das Haar – jedenfalls in gewissen Schichten – noch ein klein wenig weiter literarisch zu verfolgen: In einem 1592 erschienenen Roman von Robert Greene lässt er einen Friseur einen adligen Kunden fragen: »Wünschen Euer Hochwohlgeboren das Haar nach italienischer Art, kurz und rund sowie gewellt mit dem Lockenstab geschnitten, so daß man dem Halbmond im Nebel gleicht? Oder nach der spanischen Mode, bei der die Haare über den Ohren lang und herabhängende Strähnen gelockt sind, wie bei einer altmodischen Perücke? Oder wünscht Ihr eine spanische Frisur mit einer schlichten Locke über den Schultern, an der Ihr eine Schleife von der Geliebten tragen könnt. Der englische Schnitt ist minderwertig, und Gentlemen pflegen ihn zu verachten. Das Neueste vom Neuen ist elegant. Äußert nur ein Wort, und meine Scheren sind sogleich bereit […]«.68
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Von einem Ende des natürlichen Haars kann also aus zweierlei Gründen nicht die Rede sein: Zum einen blendet die Berichterstattung das haartragende nicht-höfische Volk weitgehend aus. Zum anderen wird das natürliche Haar jetzt, wie berichtet, in sehr großen Mengen benötigt, um die nun angesagten Perücken-Kronen zu verfertigen. Im Vergleich zu den Fürstenhöfen anderer europäischer Länder werden die deutschen Höfe, bedingt durch den Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1 648) erst mit Verzögerung nicht nur zu politischen, sozialen und wirtschaftlichen, sondern auch zu kulturellen Aktionszentren. Dies in starker Anlehnung an das französische Vorbild, das, noch bevor sich die Perückenmacher auch in deutschen Städten niederlassen, an den Höfen kopiert wird. Die Mode und insbesondere die Haartracht gelten als Ausdruck der Persönlichkeit und der Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Stand und demonstrieren die neue gesellschaftliche und individuelle Bedeutung. »Haare«, so beschreibt es Angela Paul-Kohlhoff, »wurden nicht mehr als natürlich zum Körper gehörig betrachtet, sondern durch möglichst kunstvolle und voluminöse Perücken sollte nun die Person aufgewertet bzw. ihre Position in der Gesellschaft deutlich werden. Wenigstens die Angehörigen der Oberschicht und des wohlhabenden Bürgertums wurden damit zu Kunden der Perückenmacher und brauchten daher weder Bader noch Barbiere«.69 Auch infolge dessen nimmt, wie oben beschrieben, die Zahl der Bader und Badestuben deutlich ab – was, jedenfalls in Deutschland, zu erneuter Konkurrenz zwischen Badern und Barbieren führt.
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»Noch immer das hölzern pedantische Volk, Noch immer ein rechter Winkel In jeder Bewegung und im Gesicht Der eingefrorene Dünkel. Sie stelzen noch immer so steif herum, So kerzengrade geschniegelt, Als hätten sie verschluckt den Stock, Womit man sie einst geprügelt. Ja ganz verschwand die Fuchtel nie, Sie tragen sie jetzt im Innern; Das trauliche Du wird immer noch An das alte Er erinnern. Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur Des Zopfturns neuere Phase: Der Zopf der ehemals hinten hing, Der hängt jetzt unter der Nase« (Heinrich Heine)70
Der britische Historiker Eric Hobsbawm hat mit Blick auf die Entfaltung der Bürgergesellschaft die Phase von der Französischen Revolution (1789) bis hin zum 1. Weltkrieg (1914) als »Langes 19. Jahrhundert«71 bezeichnet. Diese übergreifende Sicht scheint uns hilfreich, um die Entwicklungen für die Handwerke des Körpers in ihren größeren kulturgeschichtlich-sozialpolitischen Zusammenhängen besser zu verstehen. Die Idee der bürgerlichen Gesellschaft entstammt der Epoche der Aufklärung. In der Französischen Revolution von 1789 spielt der Bürger als ›Dritter Stand‹ eine ausschlaggebende Rolle und wird auch unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung von Körperbewusstsein und Körpermentalität zunehmend zu einem stilbestimmenden Milieu. Schon beim Übergang der mittelalterlichen Städte hinein in die Neuzeit ging es um die Entwicklung von Heterogenität hin zur Autonomie. Dies bildet sich auch in den epochalen Orientierungen ab, die der Französischen Revolution nachfolgen. Das Erschaffen von kulturellen Wertstandards, die man als ›bürgerlich‹ bezeichnet, erfolgt durch eine Umformung traditioneller Elemente: Ständische Privilegien, formale Schranken und die absolutistische Mentalität der Abgrenzung werden abgebaut, es geht um mehr Gleichheit sowie Ausbildung und Förderung von Identität. Um sich jedoch als Bürger
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Abb. 2 Chez le Coiffeur erkennbar machen zu können, müssen gleichwohl soziale Grenzen und Distanzen in der Gesellschaft gewahrt werden. Körperpflege bzw. Hygiene, verstanden als rationaler Umgang mit dem Körper, werden zu einem Kennzeichen solcher ›Bürgerlichkeit‹. Nicht nur wendet man sich damit ab von der historischen Körperkultur des Adels im Barock und Rokoko, sondern schafft hierdurch neue Möglichkeiten der Abgrenzung von den unteren Schichten. Hygiene wird zu einem Zeitmerkmal. Einige Markierungen in Stichworten: Der menschliche Körper wird verstärkt zu einem Objekt, das auch öffentlich verwaltet wird: Es entstehen ›Wasch- bzw. Volksbadeanstalten‹ wie ›öffentliche Brausebäder‹. Immer mehr geht es um ›Medikalisierung‹, um ›Verwissenschaftlichung‹, nicht zuletzt um eine sich entfaltende ›Rationalisierung‹ und ›Industrialisierung‹ der Körperangelegenheiten, und auch um (neue) geschlechtsbezogene Differenzierungen: Soweit es das männliche Haar und seine Bearbeitung anbetrifft, wird der gepflegte Kurzhaarschnitt zum Sinnbild für Bürgerlichkeit. Bei der Frau wird demgegenüber die Natur des Haares kultiviert und geschätzt. Das Weibliche wird zum Symbol für das, was sich dem rational ordnenden Zugriff entzieht, und findet speziell im langen, gewellten Haar seinen Ausdruck. Doch zugleich muss es kultiviert werden.
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Es darf zwar lang sein, aber weder (zu) wild noch (zu) sinnlich. Diese Spiegelung der veränderten Einstellungen im Umgang mit dem Haar bzw. der Frisur lässt weiteres an Hintergründigem erahnen. Doch zugleich tragen nach dem einschneidenden Ereignis der Französi schen Revolution – und zum ersten Mal in der europäischen Frisurenge schichte – vermehrt Frauen nun kurzgeschnittene Haare. Zwar finden sich bereits vor der Französischen Revolution libertinäre Tendenzen, so z. B. bei Jean Jaques Rousseau (1712 – 1778) in der von ihm propagierten Hinwendung zur Natur, zu Natürlichkeit und einem befreiten Naturmenschen. Sicherlich kaum philosophisch begründet ist die Tatsache, dass nach der Revolution die dem römischen Vorbild folgende ›Frisur a la Titus‹ auf die Bühne tritt. Die Kunsthistorikerin Irene Antoni-Komar, die sich unter dem anspielungsreichen Titel »Die Ohren ganz nackt und frey« mit diesem Schnitt ausführlich beschäftigt hat, stellt heraus, dass diese Frisur angesichts der früheren Strafpraxis des Haarabschneidens als »revolutionärer Schnitt« gilt.72 Sie stellt heraus: »Die kurzen Haare sind […] weit mehr als die Kleidungsgewohnheiten geeignet, schichtenübergreifend die durch die Französische Revolution hervorgerufenen Veränderungen widerzuspiegeln«.73 Den kurzgeschnittenen Titushaaren der Frauen attestiert sie unter Berufung auf das »Journal des Luxus und der Moden« des Jahres 1804, dass »in den ›vernünftigeren, geschmackvolleren, der Natur und folglich auch der Gesundheit angemesseneren‹ Kleidern und Frisuren die Ideale der Aufklärung zum Tragen« kommen. Dies sei ebenfalls verbunden mit einer »Hinwendung zur antikisierenden Mode« und dem »politischen Vorbild der antiken Demokratien«. Es gehe um neue politische und kulturelle Konstruktionen, die gegen das überkommene des Ancien Regime gesetzt werden. Mode- und haarbezogen handele es sich »vor dem Hintergrund der artifiziellen Modeerscheinungen der feudalen Gesellschaft« dabei vor allem um »Vereinfachung (›Simplicität‹)«.74 Interessanterweise werden, worauf dieselbe Autorin hinweist, die »künstlerische Praxis, Theater und bildende Kunst« sogar als »Auslöser einer »neuen Frisurenmode« bezeichnet, »die republikanische Ideen transportiert. Der Tituskopf wird zum Instrument politischer Debatten, und er bekräftigt das Bild einer neuen, geläuterten Gesellschaft«.75 Für das Paris des Jahres 1769, so erfährt man von Susanna Stolz ergänzend, wird von 1200 ›Coeffeures des Dames‹ gesprochen, die sich eben »im Gegensatz zur Dreierinnung der Bader, Barbiere und Perückenmacher als ›Künstler‹ verstehen«.76 Das Berufsverständnis betreffend, lohnt ein kurzer, der Kulturgeschichte von Jedding-Gesterling/Brutscher entnomme-
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ner literarisch-dokumentarischer Ausflug: »Wir frisieren vorwiegend die Damen. Was aber tun die Barbiere? Sie scheren die Köpfe, sie kaufen abgeschnittene Haare und kräuseln nicht mehr lebendige Locken, sondern fügen sie mit dem Hammer zu Flechten! Sie arrangieren das Haar eines Savoyarden auf dem Haupte eines Marquis, sie beseitigen mit Hilfe eines scharfen Messers die Merkmale des Geschlechts von einem männlichen Kinn. All diese mechanischen Verrichtungen haben mit Kunst nichts zu tun! Zu der Kunst aber, Frauen zu frisieren, gehört Talent, und man muß Dichter, Maler und Bildhauer zugleich sein, um diese Kunst wahrhaft zu beherrschen!«77 Schaut man zu ungefähr jenem Zeitpunkt von Frankreich nach Deutschland hinüber, in dem die Bader, Barbiere und Perückenmacher jeweils ein eigenes Gewerbe bilden, steuert das bereits zitierte »Journal des Luxus und der Moden« die folgende Perspektive bei: »Von Frankreich her blickten einige schön geordnete Titusköpfe aus dem neuen Kaiserthume in das ehrliche Teutschland herüber; seitdem wimmeln unsere großen Residenzen von ähnlichen Kaiserköpfen. Sie werden fast ganz kahl geschnitten«.78 Die Titusfrisur – für Frauen wie Männer luftig, leicht und kurz, sozusagen die Veranschaulichung der demokratischen Vision in einer Frisur. 1804 ordnet Napoleon den kurzen Schnitt für alle Soldaten in der Armee an – für viele verbunden mit der schmerzlichen Erkenntnis, dass das Haar unter der engsitzenden Perücke gelitten hatte, oft sogar ausgefallen war. Man vermeint, einen gewissen schmunzelnden wie aber auch bitteren Unterton herauszulesen, wenn Maria Antas anmerkt: »So entstand eine neue Industrie, die Kosmetikindustrie. Begeistert entwickelte man Pomaden, die das Haarwachstum anregen sollten. Wie heutzutage gab man den Produkten Namen, die wissenschaftlich anmuten sollten: Régénérateur und Huile de Phénomène«. Und sie fügt hinzu: »Mit pomadisiertem Haar marschierten die kurzhaarigen Männer der Zukunft entgegen, die Frauen kamen unterwegs ins Stolpern, denn ihre Titusfrisuren waren nur ein Trend von kurzer Dauer.« Sie verschwinden gegen 1810 – nicht ohne höchst bemerkenswerte, von Maria Antas notierte Begleiterscheinungen: »Nun meldeten sich auch die Mediziner zu Wort und verbreiteten den Mythos alter Kulturen, dass zu häufiges Haareschneiden, diese gefährliche Verstümmelung des natürlichen Körpers, zu einem Verlust wichtiger Lebensenergie führe. Und in physische und geistige Krankheitszustände münde.« Mit Verweis auf den Arzt Wilhelm Harcke, der dies im »Journal des Luxus und der Moden« veröffentlichte, litten Frauen mit kurzen Haaren an
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»Zahn- und Kopfschmerzen, Migrainen, die bis zur Verzweiflung führen können, Blödigkeit des Gesichts, Blindheit sogar, Geschwüre im inneren Ohr, Taubheit, Ausschlägen im Gesicht, Drüsengeschwülsten, bei Kindern zurückgehaltenes Wachstum, Stumpfheit des Geistes.« Sie weist dazu verschärfend auf die Aussage des Arztes Carl Christian Matthäi hin, dass »so oft Tituskopf, Brutuskopf, Dummkopf Synonymen sind«.79 Zu Anfang des 19. Jahrhunderts werden dann wieder feminine Langhaarfrisuren modern, »meist zu einem glatten Knoten gebunden, ein sichtbarer Scheitel teilte das Haar […] Anständigkeit und Symmetrie wurden wieder eingeführt, für eine lange Zeit.« Männer bleiben hingegen bei den Kurzhaarfrisuren, weil, wie die Expertin für diese Frisur, Antoni-Komar, festhält, »diese ihren neuen Aufgaben als aktiven Bürgern angepasster erscheinen«.80 Was aber bedeutet diese neue Hinwendung zur ›natürlichen Haarpflege‹ für die Handwerks- und Berufsentwicklung? Aus dem Handwerk des Perückenmachers entwickelt sich sukzessive der neue Berufszweig der Körperpflege-Handwerke, nämlich der der ›Accomodirer‹ oder ›Friseure‹ für die bürgerliche Gesellschaft. 5.1
Kurzhaarschnitt und Dauerwelle
Aus der Perspektive der Historikerin fügt Svenja Kornher diesem Bild weitere Farben hinzu: »Die geschlechtsspezifische Differenz liegt nur vordergründig in der Gegenüberstellung von Lang- zu Kurzhaar. Bedeutender ist, dass das Frauenhaar den Funktionen Formbarkeit und flexible Anpassung genügen muss (und zwar in allen sozialen Schichten), während Männerhaar als eine konstante Gestaltung angelegt ist, die mit dem Schnitt geleistet wird und solange hält, bis er herauswächst. Die Frisuren sind, jedenfalls für die Zeitgenossen der wilhelminischen Ära, nicht allein Ausdruck und Symbol der Gesellschaftsordnung, sondern buchstäblich handwerklicher Part des Diskurses, der sie konstituiert«.81 Was wohl (auch) besagen soll: Es kommen hier auch deutliche ständisch-geschäftliche Interessen der Handwerke selbst ins Spiel. Von Susanna Stolz wird es jedenfalls als »bemerkenswertestes Phänomen männlicher Frisuren- und Bartmode des 19. Jahrhunderts« bezeichnet, dass sich in deren Gestaltung »die politische Aktivität wie auch die Gesinnung des Mannes« niederschlug. In besonderer Weise zeigt sich das an der Rolle des Barts (um den wir einfach nicht ganz herumkommen): »Vor allem junge Männer waren es, die ihre
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Ablehnung tradierter Werte durch kurzgeschnittene, in die Stirn gekämmte Haare und mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Backenbart zum Ausdruck brachten. Bis 1848 galt das Tragen von Bärten als politische Demonstration als ungewöhnlich, unschicklich und staatsgefährdend, ab 1848 war das Tragen eines Bartes akzeptiertes Symbol politischer Opposition. Ebenso sprachen lange, natürlich fallende Haare für eine fortschrittliche Gesinnung – diese wurden meist von Mitgliedern der damaligen Burschenschaften getragen. Dagegen stand ein glattrasiertes Gesicht für Traditionalismus, Wohlerzogenheit und Anständigkeit. In der 48er Revolution wird der Bart zum Abzeichen revolutionärer Gesinnung«.82 Nicht unerwähnt bleiben kann an dieser Stelle der Hinweis auf den 1845 von Heinrich Hoffmann veröffentlichten »Struwwelpeter«. Neben der umstrittenen Erziehungsfunktion wird dieser Figur auch ein zeitrelevanter politischer Symbolgehalt zugeordnet: Denn nicht nur die Körpergestalt Struwwelpeter weicht vom bürgerlichen Normalbild ab. Auch der rote Rock, die langen Fingernägel und das gekräuselte, lange Haar sind Inbegriff politischer und moralischer Unzuverlässigkeit – abschreckend, aber eben auch anstiftend. Als Vorbild für die Figur des Struwwelpeters soll der radikale Demokrat des Vormärz, Gustav von Struwe (1805 – 1 870) gedient haben. Das ist umso weniger erstaunlich, als solche Formen der äußerlichen Abgrenzung und Demonstration im 19. Jahrhundert von vielen Vertretern der Boheme, von politisch Außenstehenden und Intellektuellen genutzt wurden. Umso erstaunlicher hingegen, dass in solchen Zusammenhängen z. B. das ausgeprägte Kopfhaar eines Karl Marx (1818 – 1883) so gut wie keine Erwähnung findet. Allerdings ist es schon wieder der Bart, der in der 1848-er Revolution zu einem Abzeichen revolutionärer Gesinnung wird. Susanne Stolz stellt fest: »Es ist bezeichnend, dass Karl Marx und Gottfried Keller den zeittypischen ›Demokratenbart‹ trugen«.83 Mit der Ausbreitung des Kapitalismus und der Marktwirtschaft sowie der 1871 erlassenen Gewerbefreiheit wird die Konkurrenzsituation im gesamten Gewerbesektor, damit auch im Friseurgewerbe, deutlich verschärft. Die strengen Zunftgrenzen zwischen Badern, Barbieren, Friseuren und Perückenmachern verschieben sich durch die freiwirtschaftliche Gestaltung der Verhältnisse. Das Betreiben eines Gewerbes ist nun jedermann gestattet, wodurch sich neue ökonomische, technische und organisatorische Anforderungen und vor allem neue Bedingungen der Konkurrenz ergeben. Interessanterweise sind die Einschätzungen über die Entwicklungen nach der Gewerbefreiheit uneinheitlich. Ein gewisser Ferdinand Müller, der als einer der frühen Theoretiker des Friseurhandwerks gilt und
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1903 selbst eine Friseurfachschule gründet, berichtet von einem »rapiden Aufstieg« der Industrie, des Handels, von Austausch und Verkehr. Selbst führende Nationalökonomen hätten dem Handwerk daher dessen »Erdrosselung« prophezeit. »Die Erfahrung lehrte aber das Gegenteil. Auch das Handwerk hat an dem Aufschwung teilgenommen, spezialisierte und verfeinerte seine Leistungen und war vor allem in der individuellen Kunstbetätigung schöpferisch, ein Gebiet, auf das ihm die Industrie nicht so ohne weiteres und schnell folgen konnte. Im Friseurberufe trat dieser Vorgang ganz besonders zutage, begünstigt durch gesellschaftlichen Aufwand und Luxus. In erster Linie war es der Damenfriseur und die Haarkonfektion, die tüchtig vorwärts schritten, aber auch der Herrenfriseur erweiterte sein Erwerbsfeld und nahm allerlei Anregungen des In- und Auslandes auf.«84 Susanne Stolz sieht das etwas anders und spricht von einem »schwierigen, zuweilen mühseligen Erwerbsleben, das sich einem einheitlichen Berufsbild des Friseurs verwehrt. Die ›Kulturbedürfnisse‹, denen das Friseurhandwerk Rechnung trägt, erweisen sich vom Standpunkt des Handwerkers aus als mühsame Umorientierungen des Barbiers und Perückenmachers, als Suche nach neuen Erwerbsmöglichkeiten in einer sich verschärfenden Konkurrenzsituation einer allgemein mißlichen Wirtschaftslage.«85 Mit Müller stimmt sie aber dahingehend überein, dass ein Beruf mehr oder minder in den anderen überging, wodurch sich der Arbeitsbereich des Friseurs derart erweitert habe, dass es im weiteren Verlauf zu neuen Differenzierungen und Spezialisierungen kommt. Dies spiegelt sich in den wechselnden Innungs-, Zunft- und Verbandszugehörigkeiten. Stolz zufolge zeigen damalige Adressverzeichnisse, dass Bader, Barbiere und Friseure – und langsam hinzukommend dann auch ›Friseusen‹ – zunächst getrennt geführt, dann Bader und Friseure zusammengenommen werden. 1875 wird, wie sie es dokumentiert, »in elitärer Abgrenzung«86 zum (1872 gegründeten) ›Bund Deutscher Barbierherren‹ (später umbenannt in ›Bund Deutscher Friseure‹) der ›Bund Deutscher Haarformer‹ gegründet, der aus den ehemaligen Perückenmacherinnungen hervorgegangen sein soll und sich alleine auf die Frisurengestaltung konzentriert. Erst seit ca. 1880 sucht weibliche Kundschaft in größerer Zahl Friseurgeschäfte auf – und nur zögerlich werden Frauen in Salons beschäftigt und ›Damenfrisierschulen‹ eröffnet. Richtet man den Blick noch konzentrierter auf die Entwicklung der Berufe in diesem Sektor, ist festzuhalten: Ab etwa den 1880-er Jahren entsteht insbesondere im Kaiserreich (1871 – 1918) eine eigene Fachliteratur zum Friseurberuf – verfasst im Übrigen vor allem von männlichen Friseuren. Interessant ist der Hinweis der Historikerin Svenja Kornher, die sich
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mit der »Erfindung der typgerechten Frisur« beschäftigt hat, dass seither, also etwa seit 1880, »die Fachleute auf der Suche nach »fachtheoretischen Begründungen ihres Berufs, vornehmlich nach Gestaltungsregeln für Frisuren« seien.87 Ein Diskussionsstrang jener Übergangszeit windet sich um Versuche, die Proportionsideale der Antike (z. B. Leonardo da Vincis Goldenen Schnitt) für die Friseurarbeit zu nutzen. So beginnt besagter Ferdinand Müller im Jahr 1905 eine Artikelserie in der »Deutschen Allgemeinen Friseur-Zeitung« über »Die Proportionen des menschlichen Körpers und ihre Beziehung zur Frisur«. Da sich diese Orientierung jedoch für das Friseurhandeln, so die Historikerin, »im Berufskontext als unbrauchbar« erwies, entwickelte sich als Alternative die besagte »typgerechte« Frisur. Sie passt auch deshalb gut in den Zeitraum der Jahrhundertwende, als hier die Annahme größeren Zuspruch erfährt, man könne den Charakter seines Gegenübers aufgrund dessen Erscheinungsbildes ermitteln. Diese Einschätzung wird um 1900 unter dem Forschungsthema der »Deutung von Menschen nach ihrer Erscheinung« auch in der Wissenschaft, besonders unter Physiologen, Kriminalanthropologen, Juristen und Medizinern massiv diskutiert.88 Allerdings stützt sich bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nur das ›Herrenfrisieren‹ auf eine Handwerkslehre. Kornher stellt in Bezug auf Qualifikation und Geschlecht klar: »Im Friseurberuf um 1900 war die Annahme, das angeborene Gefühl für weibliche Frisuren wäre schließlich weniger bei Männern, sondern eben eher bei Frauen vorhanden.« Für das Herrenfrisieren benötige man eine Handwerkslehre, das Damenfrisieren basiere auf Intuition und Begabung. Das sei der Grund dafür gewesen, kaum weibliche Kollegen in den Salons zu beschäftigen oder als selbständige Unternehmerinnen zu tolerieren bzw. gar zu respektieren. Bis in die die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein wird »nur das ›Herrenfrisieren‹ handwerklich tradiert, und die Kenntnisse über das ›Damenfrisieren‹ stellten eine gehütete Exklusivität dar, die man aus wirtschaftlichen Gründen nur im kleinen Kreis oder gegen Geld in Schulen weitertrug«.89 Einen weiteren, nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Friseurberufs besitzt die schon angedeutete, massive Ausdehnung des Berufsstandes der akademisch ausgebildeten Mediziner in diesem Zeitraum. Sie führt zu einer regelrechten Amputation des einstmals breiten Aufgabenfelds der Friseure. Badern und Barbieren bleiben lediglich einige sog. heilgehilfliche Aufgaben. Von medizinischer Seite her erkennt man den Friseur des beginnenden 20. Jahrhunderts zwar als fachliche Autorität für die Haarpflege an – aber selbst dies nur bedingt. Susanna Stolz führt
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eine nach 1913 erschienene Quelle an, welche die medizinische Perspektive drastisch spiegelt: »Der moderne Mensch überläßt die Alleinherrschaft über sein Haupt der Friseuse oder dem Friseur, weil er diese für Fachleute hält. Aber so wenig wie ein Uhrmacher im Zeitproblem, eine Hebamme und ein Totengräber in den Problemen des Werdens und des Vergehens maßgebend sind, ebenso wenig ist ein Friseur stets als Autorität über individuelle Haarpflege zu betrachten. Dazu fehlt es ihm meist an den elementarsten anatomischen und physiologischen Kenntnissen. Hat er auch Erfahrung, so wird sein Urteil doch beeinflusst durch sein geschäftliches Interesse. […] Der Friseur ist lediglich maßgebend in Bezug auf die Haartracht«.90 Bezeichnender Weise wird dieser Zeitabschnitt in kulturhistorischer Betrachtung als ›Medikalisierung‹ des Körpers beschrieben, wobei insbesondere die Körperpflege, also die bereits angedeutete rationale Kultivierung des Körpers, als Ausdruck von Bürgerlichkeit immer wichtig wird. Es wächst die öffentliche, wie auch die wissenschaftliche Zuwendung zum Körper. Sogar das Haar selbst wird in der Wissenschaft zu einem Forschungsobjekt. Burkhard Eble begründet beispielsweise seine Studie von 1831 »Die Lehre von den Haaren in der gesammten organischen Natur« mit der »Nothwendigkeit einer gründlichen und umfassenden Bearbeitung dieses Gegenstandes als wahres Bedürfnis unserer gegenwärtigen Zeit.«91 Manche solcher Studien sind allerdings auch obskuren Charakters. Wenn etwa Zusammenhänge zwischen dem Haar und seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität ergründet werden sollen, gerät man in die Nähe politisch-mentaler Entwicklungen, die in der Folge noch üble Wirkungen entfalten sollen. Öffentlich wuchert eine Körperpflege-Literatur mit Ratschlägen, Hinweisen und Forderungen, die zur persönlichen Verantwortung für eine angemessene, sachlich-rationale Behandlung des individuellen Körpers aufrufen. Stolz folgert daraus: »Einerseits rückt die Körperpflege in die Intimsphäre des bürgerlichen Menschen, andererseits wird jedoch ein intimes (emotionales) Verhältnis des Menschen zu seinem Körper unterbunden, er wird zu einem Neutrum – der Ausdruck ›Körperentfremdung‹ ist hier durchaus nicht fehl am Platze.«92 Zum Kodex der Bürgerlichkeit gehört auch ›der Anstand‹ – der nicht zuletzt auch den Friseur gehörig unter Druck setzt. In der für die Friseure anwachsenden Fachliteratur in Richtung eines ›persönlichkeitstypisierenden‹ Handelns wächst das Kapitel ›Anstandslehre‹. In seinen Abhandlungen über den modernen Friseur und Haarformer führt der bereits erwähnte Ferdinand Müller 1925 hierzu weitreichende Hinweise an: »Ein sich
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stets gleichbleibendes, freundliches, doch zurückhaltendes Wesen fördert sicher mehr sein Ansehen. Obwohl der Friseur immer temperamentvoll, d. h. aufgeweckt, flink, entgegenkommend sein soll, so möchte ich diese Eigenart mehr auf die Beherrschungssucht seines eigenen Wesens gegenüber dem des Kunden beziehen, ohne daß er sich deswegen etwas zu vergeben oder seine Ehre und sein Standesgefühl in den Augen des Kunden herabzusetzen braucht. […] Die Grundbedingung im Verhalten und Auftreten eines Friseurs ist also hauptsächlich in der Anpassung an die verschiedenen Charakterzüge der Kundschaft, in der Unterdrückung seines eigenen Empfindens, seinen gewählten Worten und seinen maßvollen Handlungen zu erblicken. Er muß selbst in den schwierigsten und heikelsten Lagen seine Würde bewahren und sein eigenes, vielleicht hitziges Wesen zu zügeln suchen, damit dieses nicht mit ihm durchgeht und vielleicht nicht wieder gut zu machenden Schaden anrichtet.«93 5.2
Technisierung, der neue Weimarer Mensch und sein Ende
Auf heutigen friseurnahen Internetseiten, so zeigt eine kleine Eigenre cherche, wird gerne auf die antiken Vorbilder des Friseurberufs zurückgegriffen. Gleichermaßen betont werden auch die wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Erfindungen insbesondere im Übergang zum 20. Jahrhundert. Nachfolgend ein Auszug hierzu – ganz aus der Friseurperspektive: Übersicht 1 Entwicklungen, Erfindungen im Friseurhandwerk •• 1818 stellte der französische Chemiker Thenard Wasserstoffperoxyd als Mittel zur Haarbleiche her. •• 1827/28 erfindet der Pariser Coiffeur Nardin ein Verfahren, um totes Haar dauerhaft zu kräuseln. •• 1860 bis 1868: Gewerbefreiheit in fast allen deutschen Ländern. •• 1867: Die erste funktionsfähige Blondierung wird auf der Pariser Weltausstellung offiziell vorgestellt. •• 1872 Der französische Coiffeur Marcel Grateau in Paris das Ondulationsverfahren. •• 1872: Gründung des Bundes Deutscher Friseure.
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•• 1883: Erstes Oxydations-Haarfärbemittel im Handel (französisches Patent). •• 1889: Gründung des Verbandes der Barbier-, Friseur- und Perücken machergehilfen. •• 1900: Erfindung des Föhns: Hier »gelingt Wella Gründungsvater, dem Friseur Franz Ströher eine revolutionäre Erfindung, das Tüllemoid … Es war zwei Kilogramm schwer und blies 90 Grad heiße Luft aus einer Art Düsenrohr.« •• 1901: Der Amerikaner Gillette lässt den Sicherheitsapparat mit Klinge patentieren. •• 1906 Das Dauerwellverfahren für lebendes Haar wurde entwickelt und der erste elektrische Dauerwellapparat konstruiert. •• 1916: Erste Modeschauen in Berlin, auf denen auch Frisuren vorgestellt werden. •• 1920: »Der erste elektrische Rasierapparat wird in Deutschland hergestellt. Etwa zur gleichen Zeit setzt sich die Kurzhaarmode für Frauen durch und erfindet der Franzose René Rambaud das Legen von Wasserwellen.« •• 1925: Gründung der Internationalen Gesellschaft der Damencoiffeure •• 1928: Erfindung der für das Ausdünnen von Haaren bestimmten Effilierschere. •• 1970: Der Engländer Vidal Sassoon entwickelt eine revolutionäre Haarschneidetechnik, den Systemformhaarschnitt. »Diese Technik ist bis heute Grundlage der handwerklichen und künstlerischen Arbeit der Friseure.« •• Der deutsche Zentralverband des Friseurhandwerks unterteilt seit den 1990-er Jahren die Salons nicht mehr in Herren- und Damensalons Quelle: Eigene Internetrecherche, insbes. http://www.hairweb.de/friseur-geschichte-friseurhandwerk.htm
Die Entwicklung naturwissenschaftlicher Methoden und technischer Geräte hat, wie die obige Übersicht zeigt, schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Entwicklung der Handwerke fundamental angestoßen. Angesichts der Energiesituation jener Tage ist bemerkenswert, dass etwa der damals so genannte Haar-Trockenapparat, anfänglich wasser-angetrieben und mit Gasflamme arbeitend, als eine der wichtigsten Erfindungen für das Gewerbe gilt wird. Einem 1920 erschienenen Lehrbuch von P. Guß-
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mann ist aus zeitgenössischem Blickwinkel zu entnehmen: »Wenn jemand vor Jahren prophezeit hätte, dass die Elektrotechnik und Elektrochemie auch in unser Gewerbe eindringen würde […]. Heutzutage sind elektrische Anlagen in jedem modern eingerichteten Friseur- und Perückenmachergeschäft zu finden, sei es auch nur, um zeitweise das Schaufenster zu beleuchten oder einen elektrischen Haartrockenapparat anzutreiben.«94 Auch die Spezialisierung in das Damenfach und dessen Aufschwung hätten nicht stattfinden können ohne die Ondulation, die künstliche und anhaltende Wellung des Haares – vom gleichen Autor euphorisch beschrieben als »eine Kunst, der Natur abgelauscht«. Um 1890 herum ersetzt ein gewisser Monsieur Marcel die bis dahin gebräuchlichen Brenneisen durch eine verbesserte Ausführung. Mit diesem Dauerwellenverfahren konnte die Wellung des Haares sowohl gleichmäßiger gestaltet wie auch um etwa 14 Tage haltbarer gemacht werden – weshalb die Ondulation, wie an gleicher Stelle bejubelt, einen »Siegeszug durch die ganze Welt« antreten konnte.95 Die so gepriesene Welle wird allerdings erst Ende der 1930-er Jahre eine quasi alltägliche Angelegenheit des Friseurhandelns. Eine ebenso wichtige Rolle wird den zunehmenden Pflege- und Schönheitsbedürfnissen der Frauen sowie der Herausbildung von speziellen Angeboten für diese zugerechnet: der besagten Ondulation wie auch dem wachsenden Angebot an chemischen Bleich- und Färbemitteln. Immer weniger werden, sei es zur Pflege im Salon, sei es zum Verkauf, noch selbstgefertigte Rezepturen eingesetzt. Und angesichts der zwischenzeitlich immensen Anzahl von vielblättrigen, höchst aufwändig eingepackten Klingen zur Selbstrasur für Männer (nach Gillette zur Bearbeitung ›des Besten im Mann‹), für Frauen zur Haarentfernung an allen anderen unerwünschten Stellen des Körpers, ist kaum zu glauben, dass erwähnter Herr Gillette mit seiner Erfindung 1901 beinahe einen ganzen Berufsstand über die Klinge springen ließ. In solchen Veränderungen spiegeln sich die hinter ihnen stehenden indus triell-ökonomischen Entwicklungen. Schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert hat sich eine florierende Schönheitsindustrie etabliert. Kosmetik- und Haarpflegemittelhersteller wie z. B. Beiersdorf (1882), die Lingner-Werke (1883), Schwarzkopf (1889) oder Wella (1880) existierten bereits. Der Historiker Alexander Schug, der sich mit der Haarmode in der Weimarer Republik beschäftigt hat, stellt fest: »Es waren solche Unternehmen, die den Markt der Eitelkeiten wie der Moden erst fest etablierten und von der Unvollkommenheit und Unsicherheit der Menschen profitierten. […] Die Botschaft dahinter war nicht nur das tröstende ›so gehörst du
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wieder dazu‹, sondern auch ein bedrohliches ›ohne Produkt XY schaffst du das nicht‹. Das ›body management‹ war in diesem Sinne ein auf sich selbst und andere bezogener, aggressiver Reflex auf die neue marktwirtschaftliche Körperlichkeit der Republik. Der Körper wurde zu einer ›Waffe im Lebenskampf‹«.96 In welcher Weise hierdurch der Umgang mit dem Haar beeinflusst wurde, wird daran deutlich, dass z. B. eine regelmäßige Haarwäsche tatsächlich erst nach der Jahrhundertwende üblich wurde. Über die Seife hinausgehende Haarwaschmittel hatte es zunächst nichts gegeben. »Erst als Anlagen für die Kopfwäsche der Damen geschaffen wurden«, so beschreibt es der für die Entwicklung des Handwerks wichtige Ferdinand Müller, »wurde die Abneigung der Damen, ein Friseurgeschäft aufzusuchen, überwunden.«97 Dies führt zu Anfang des neuen Jahrhunderts zu einem plötzlichen Aufschwung. Der angewachsene Nationalreichtum in den 25 Jahren vor dem 1. Weltkrieg bringt nun auch die Inanspruchnahme der Friseurtätigkeit durch die Damen der wohlhabenderen Mittelklassen mit sich. Mit der Professionalisierung des Friseurhandwerks wächst auch das chemisch-technologische Know-how der Friseure in Deutschland. Alexander Schug bebildert das in seiner historischen Betrachtung des Kopfhaars so: »Zum modernen Friseurladen gehört seit Beginn des Jahrhunderts nicht mehr nur Waschbecken und Schere, sondern Pipetten, Mess- und Reagenzgläser, Filtriergestelle, Bunsenbrenner und Säuremesser: Der Friseurladen wurde zum Laboratorium aufgerüstet.«98 Nicht zuletzt schaffen Untersuchungsmethoden wie die Verbesserung der Mikroskopie neue Blicke auf das Haar. Die Gestaltungsmöglichkeiten des Haares verändern sich enorm. Die Jahre 1918/1919 werden nicht nur in politischer Hinsicht als eine Stunde Null bezeichnet, sondern auch deshalb, weil man sich in dieser Phase in Absetzung zur Kaiserzeit neue Muster und Orientierungen sucht. Die bislang üblichen Embleme wie etwa der Kaiser-Wilhelm-Bart, die gutbürgerliche Rundlichkeit, die ondulierten Hochsteckfrisuren, selbst die Körperhaltung, Mimik, Gestik, also der gesamte kaiserzeitliche Habitus, verlieren ihre Gültigkeit. Mit der ›Weimarer Republik‹ (1918 – 1 933) beginnt die von Historikern sogenannte ›klassische‹ Phase der Moderne. Nach Alexander Schug wurde diese neue Republik »zumindest in ihren Brennpunkten wie Berlin zum großen Laboratorium eines ›Neuen Menschen‹.« Und noch zugespitzter: »Auch der durchschnittliche und reale ›Neue Mensch‹ der Weimarer Republik gab sich anders, bewegte sich anders, kleidete sich anders und trug
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die Haare anders als noch unter der Monarchie. Ein wesentliches Element dieses Laboratoriums war die Entdeckung und vor allem mediale Verarbeitung der Körperlichkeit.«99 Freikörperkultur und Aktfotografie, wie auch die plastische Chirurgie, Gesichtscremes und Haarpflegeprodukte besetzen die Bühne der neuen und intensiver genutzten Möglichkeiten der Körpermodifikation. Zunehmend wirkt die Idee, dass »der menschliche Körper – und nicht mehr nur der einer Oberschicht – eine ›gestaltbare Oberfläche‹ sei, die individuell, aber stets auch im Rahmen kollektivistischer Normen angepasst werden konnte und damit vordergründig Freiheit und Glück versprach«.100 Eine der Bewegungen dieser Zeit und eine epochenbestimmende Frisur beschreibt zeitgenössisch der bereits genannte Ferdinand Müller: »Schon vor der Kriegszeit machte sich eine Emanzipation in der weiblichen Frisur bemerkbar, die wir Bubenfrisur nannten. Ihre Form bestand in der absoluten Rundgestaltung des Kopfes, bei der das lange Haar entweder vollständig flach am Hinterkopf verdeckt oder in einer eng im Nacken anschließenden Rolle befestigt wurde.« Diesen ›Bubikopf‹ benennt er sogar als »heutige Signatur der gesamten Modewelt.«101 Die neuzeitliche Expertin für diese Frisur, Svenja Kornher, weiß noch Genaueres: »Neu ist am Bubikopf eben nicht nur die Kürze der Frauenhaare, neu sind auch die sogenannten ›individuellen Nuancen‹, also Berücksichtigungen der Merkmale des Gesichts und des Kopfes, wie es schon für den Herrenkunden üblich war.«102 Das Haar ist seither, so lässt sich in moderner Begrifflichkeit sagen, sowohl Bestandteil einer ›body modification‹ wie eines ›body managements‹ geworden. Was Alexander Schug zufolge besagen will: »Seit den 1920ern musste der Einzelne selbst initiativ werden und sich als Manager seines Grundkapitals ›Körper‹ empfinden, als Dirigent und Organisator eines komplexen Kapitalverwertungsprozesses.«103 Oder: Zusätzlich zu sozialen Unterscheidungs- und Abgrenzungskriterien wie Geschlecht, Gruppenzugehörigkeit, finanzielle Verhältnissen etc. ist es das eigene Äußere – mit ihm maßgeblich das Haar – welches das Individuum als ›Kapital‹ ansehen und einsetzen muss, um Einfluss darauf zu gewinnen, welche sozialen Rollen man einnehmen und absichern will und kann. Susanna Stolz fügt in Sachen Frisurenentwicklung des 19. Jahrhunderts hinzu, dass ein »Übergang« stattgefunden habe »von einer ständedifferenzierenden Haarmode (die Frisur als Teil der Distinktion, vgl. Barock und Rokoko) und zu einer »grundsätzlichen Unterscheidung in Alltags- und Festtagsfrisur.«104
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All dem setzt die nationalsozialistische Machtübernahme mit ihrer rassenhygienischen Ideologie ein Ende. Grässliche Haarrituale leben wieder auf. Die arische Herkunft und die ›reinrassischen‹ Merkmale ›blauäugig und blond‹, basierend auf germanisch-nordischen Vorbildern, avancieren in den 30er Jahren zu Leitbildern der Körpermodifikation und des nicht nur körperbezogenen ›Managements‹ des arischen Menschen. Damit verschwindet auch der Bubikopf. Von den geschorenen Köpfen in den Konzentrationslagern war schon die Rede. Heere von Männerköpfen und Haaren werden dann unter Stahlhelme gepresst. Auf Befreiungsversuche davon kommen wir noch zu sprechen.
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6.1
Wo beginnt, was ist sie?
Aus dem Blickwinkel der Philosophie beginnt die ›Moderne‹ bereits mit der im 17. Jahrhundert einsetzenden ›Aufklärung‹. Ganz allgemein grenzt sie die Gegenwart von der ›antiken‹ Vergangenheit ab und bezeichnet die einschneidenden Veränderungen in der Folgezeit der industriellen Revolution (Urbanisierung, Entstehung der Massenindustrie, eines Proletariats, der sog. sozialen Frage etc.). Gesellschaftlich und individuell spürbar wird sie im 19. Jahrhundert mit der Entstehung eines Bürgertums und in der Weimarer Republik. Als Geistesepoche gesehen beschreibt sie die immer nachhaltigere, in Wellenform anbrandende Erschütterung althergebrachter Werte. Aber etwa von den 1970-er Jahren an scheint sie bereits überholt. Man trifft dann auf Bezeichnungen wie ›Post-Moderne‹, ›Zweite‹ oder ›Reflexive Moderne‹, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass in der Entwicklung selbst der ›modernen‹ Gesellschaft erneut ›neue Zeiten‹ angebrochen sind. Sie sind, wie sie der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman charakterisiert, »flüchtige Zeiten«, geprägt durch »Ungewissheit« und durch das »Ende der Eindeutigkeit«.105 Die Analyse des Soziologen Ulrich Beck stellt die Zustände der Moderne als die einer »Risikogesellschaft«106 dar, die es angesichts ihrer Entwicklung hin zu einem »modernen Mittelalter der Gefahr«107 erforderlich machten, sich auf den Weg in eine »zweite« oder »andere« Moderne zu begeben. Ähnlich auch der Medien- und Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz, der die Moderne »zwischen der europäischen Aufklärung und dem Ersten Weltkrieg« ansiedelt. Er erkennt die Entwicklungen als »Uto-
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Abb. 3 Lust der Täuschung. Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality. Kunsthalle München (17. 08. 2018 – 13. 01. 2019). Foto: Hans G. Bauer
pie und Alptraum zugleich« – weswegen es uns so schwerfalle, »souverän in eine neue Zeit einzutreten.«108 Soweit es das das Haar und seine weiteren Formungen angeht: Die Entwicklungen nach dem zweiten Weltkrieg vermitteln den Eindruck, als verwirbelte sich zwischen einer ›ersten‹ und einer dann irgendwann ausgerufenen ›Post-Moderne‹ viel bereits Bekanntes in immer schnellerem Wechsel mit Neuem und ganz Anderem. Man ist versucht zu sagen: Es spricht immer weniger das Haar selbst. Ein Begriff wie der der ›Haartracht‹ scheint nach der arisch-rassistischen ›Kultur‹-Offensive wie aus der Zeit gefallen. Fragen nach ›kurz‹ oder ›lang‹ sind nach Kriegsende erst einmal irrelevant. Blicken wir zunächst nochmals genauer in die Zeiten des Brüchig-Wer-
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dens, des Übergangs in eine irgendwie neue Moderne nach Weltkrieg II. Im Deutschland des Wiederaufbaus besteht zu Protest zunächst so gut wie kein Anlass. Von ›Pragmatismus‹ wie ›Kontinuität‹ und ›Aufbruch‹ ist die Rede. Der Historiker Norbert Grube, der sich mit demoskopischen Daten über die westdeutschen Haarmoden in den 50er und 60er Jahren befasst hat, berichtet: Männer tragen »kurzes, mitunter gescheiteltes Haar«, »Nacken ausrasiert und Koteletten deutlich gekürzt. Die Haare fielen selten in die Stirn, sondern wurden streng nach hinten oder zur Seite gekämmt« und »erinnerten eher an die 30er und 40er Jahre«109: Von manchen als Verwestlichungs- oder Amerikanisierungstendenz betrachtet, avanciert der sog. ›Bürstenhaarschnitt‹ in den 50-er Jahren zur meistgetragenen Herrenfrisur. Eine der frühen Untersuchungen des AllensbachInstituts für Demoskopie, das 1947 meinungsforschend gegründet und berühmt wurde, stellt fest, dass noch um die Mitte der 50-er Jahre, als der wirtschaftliche Aufschwung langsam auch die privaten Haushalte erreichte. Rund »60 Prozent der Männer« trugen »zurückgekämmtes oder scharf gescheiteltes Haar«. Man deutete das so: »Haare, die nach hinten gekämmt sind und die Stirn freilassen, kennzeichnen eine Persönlichkeit, die vorwärts strebt«.110 Wie stichhaltig auch immer, jedenfalls interessant ist die Überlegung von Michel Odoul und Remy Portrait in ihrem Band »Was Haare verraten«: »Die Geschichte zeigt immer wieder, dass Männer in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit eher zum kurzen Haarschnitt tendieren. Damit unterwerfen sie sich unbewusst einer höheren Ordnung, die ihnen ein Gefühl der Sicherheit bietet. In Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Befreiung ist das gegenteilige Phänomen zu beobachten«.111 Erst allmählich kommt andere Bewegung an den Kopf: Extrem kurze Frisuren wie der besagte Bürstenhaarschnitt oder stahlhelmartig ausrasierte Nacken- und Seitenpartien fallen aus der Mode. Für die zweite Hälfte dieser Dekade stellt Norbert Grube eine »vorsichtige Orientierung der Männer hin zu modischen Frisurstilen sowie das erwachte Bewusstsein für Haarmode bei einigen Frauen« fest, wie auch eine »zunehmende Aufgeschlossenheit für häufige Frisurwechsel«.112 Vergleichsweise nüchtern liest sich demgegenüber der – selbstverständlich ebenso von Allensbach erhobene und von Grube dokumentierte – Befund, dass die nun zunehmend per Shampoo statt Seife erfolgende Haarwäsche »allmählich zu einem familiären Ritual« tendierte, das »besonders am letzten Wochenarbeitstag, dem Samstag, gepflegt wurde«. Zur Dauerwelle, geradezu zu einem Brandmal der 50-er Jahre, wird an gleicher Stelle bemerkt: »Zwei
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Drittel der Frauen trugen zu Beginn der 50er Jahre dauergewelltes und, je nach Modetrend, kurzes oder halblanges Haar. Die Dauerwelle wurde häufig ideologisch als Symbol für das züchtige, unkreative und starre Jahrzehnt der 50er Jahre gesehen.« Demoskopisch betrachtet wurde sie »im Durchschnitt lediglich zweimal im Jahr« angelegt.113 Manche Beschreibungen zu den haar-tragenden und haar-getragenen Bewegungen dieser Zeiten wirken ein wenig wie friseur-zünftige Trendund Frisurenverteidigungen. Mental- wie handwerksgeschichtlich interessante Diskussionen winden sich, wie Grube nachzeichnet, etwa darum, dass die »ideologisch als Symbol für das züchtige, unkreative und starre Jahrzehnt der 50er Jahre bezeichnete Einordnung der Dauerwelle als ›restaurativ‹ und ›rückschrittlich‹, gar ›anpasslerisch‹, so nicht zutreffe. Vielmehr habe sie zu tun mit »neuem weiblichem Selbstbewusstsein«. Dies drücke auch die »Präferenz junger, städtischer, zum Teil berufstätiger Frauen für einen dauergewellten Kurzhaarschnitt aus. Lange Haare mit zotteligen Köpfen oder einen Dutt trugen dagegen eher ländlich lebende ältere Frauen.« Der vielzitierte ›Bubikopf‹, »der in den 20er Jahren seinen Siegeszug […] angetreten hatte«, kam »nicht massenhaft zur Geltung und blieb wie seit jeher eine Haarmode für jüngere Frauen oder die großstädtisch-künstlerische Avantgarde. Doch Aufbruch, Dynamik, neues Selbstbewusstsein und eine Tendenz zur Emanzipation symbolisierten auch die Frauen mit dauergewelltem Kurzhaarschnitt. Man könnte sogar weitergehend die These aufstellen, dass erst die Dauerwelle zur massenhaften Verbreitung der Kurzhaarfrisur beitrug. Durch sie wurde das langwierige Wellen mit der Brennschere, das Ondulieren der Haare obsolet«.114 Auch die chemisch-pharmazeutische Industrie ist heftig am allgemeinen Wiederaufbau beteiligt. Wie Zahlen aus Allensbach belegen, gibt es einen bemerkenswerten Aufschwung bei der Haartönung und -färbung. Grube hält fest: »Im Vergleich zu 1949 hellten sich bei wechselnden Modewellen […] die Haarfarben bei Männern und Frauen auf. Statt des düsteren, vor allem bei älteren Frauen und Arbeitern zu beobachtenden Braun und Grau kam Blond fast dauerhaft in Mode, wenngleich es wechselnden Konjunkturen unterlag«.115 Auch Männer benutzen demnach seit 1952 verstärkt Haarkosmetika. Ab Mitte der 50-er Jahre sollen auch Arbeiter vermehrt zu Frisiermitteln gegriffen haben. Die Haargestaltung, so lässt sich weiterverfolgen, wurde »trotz aller Wertschätzung der Natürlichkeit zunehmend von natürlichen Einflussfaktoren abgekoppelt […] für 70 bzw. 85 Prozent der Bundesbürger galt 1964, dass Sauberkeit zu mehr Ansehen und zu mehr beruflichem Erfolg
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führt. Ab- oder aufstehendes Haar, mangelhafte oder unregelmäßige Rasur beim Mann galten in den späten 50er und beginnenden 60er Jahren zusehends als Makel, da bürgerliche Tugenden noch große gesellschaftliche Präge- und Bindekraft besaßen«.116 Gelegentlich hört man von gewissen jugendlichen, Aufmerksamkeit erregenden Minderheiten in den USA und deren von langem Haar gestützten Protesten und Demonstrationen. Insbesondere durch US-Film- und Musikproduktionen geraten verschiedenste Haarvariationen auch ins deutsche Rampenlicht. Sei dies der Tony-Curtis-Schnitt oder, noch größeres Aufsehen erregend, allemal pomadisierter, die Elvis-Locke (dort als ›duck’s ass‹ gestartet und als ›Entenschwanz‹ in Deutschland gelandet), die er den ›Pachucos‹, mexikanischen Immigranten in vielen Städten der amerikanischen Westküste, abgeschaut hatte. 1957 erscheint in Deutschland der Band des Soziologen Helmut Schelsky unter dem Titel »Die skeptische Generation«117: Es ist die Analyse einer bis dahin weitgehend nicht gesehenen Jugendgeneration, die, wie es im Klappentext heißt, »aus den Enttäuschungen der Nachkriegszeit in die organisierte Welt der industriellen Wohlstandsgesellschaft hineinwuchs.« Nebst Kleidungsaccessoires wie Jeans und Lederjacke, der bevorzugten Nutzung von Mopeds und Motorrädern, den oft rüpelig-aggressiven und krawalligprovozierenden Auftritten in Gangs, ist es die ›Tolle‹, womit die sogenannten Halbstarken auf sich aufmerksam machen (Idole etwa James Dean in »Denn sie wissen nicht, was sie tun«, Marlon Brando in »Der Wilde«, und Karin Baal und Horst Buchholz im Film »Die Halbstarken«). Immerhin, wenngleich vielleicht etwas dick aufgetragen, gelten sie in eher journalistischer Betrachtung als die »erste Generation, die sich weltweit identisch unter den Zeichen einer neuen Zeit formierte. Ihre an technischen Innovationen orientierte Kultur erhob den Rhythmus und die Geschwindigkeit zum Paradigma. Nachfolgende Generationen praktizieren unter Namen wie Mods, Rocker oder Punks nur Variationen dieses erstmals in den 1950er Jahren verbreiteten, transnationalen Identitätskonzeptes im Namen des Pop. Es spricht somit einiges für die These, dass die Popkultur mit den Halbstarken erst richtig begann.«118 Die Abgrenzung zu einer als streng und trostlos wahrgenommenen Wirtschaftswundergesellschaft und das Streben nach einer eigenen Jugendkultur und ihr zugehörigen, eigenen Normen kommen hier zunächst nur marginal über ein Haarsymbol zum Ausdruck. Als solches wird es dann jedoch zu einem der signifikanten Merkmale der Hippie-Bewegung der 1960-er Jahre, die sich von den USA aus nach Europa verbreitet. Das
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Haar wird nicht nur lang, sondern demonstrativ meist auch unfrisiert getragen (männlicherseits dazu der lange Bart). Die für das 20. Jahrhundert maßgebenden Revolutionsfiguren – schneidet man die Hitler’sche Figur mit dem Bartfragment unter der Nase und der schütteren Stirnsträhne einfach aus – verkörpern den Revolutionsgeist durch ausgeprägten Kopfhaar- und Bartwuchs, in Kuba und Südamerika insbes. Fidel Castro und Che Guevara. Diese Personen, Symbole und Images prägen dann, haartragend wie poster-gecovered, ge-t-shirted und zunehmend kulturbe triebsgestützt, die Protestbewegungen der 1960-er Jahre. Langes Haar, oft auch noch unfrisiert, ist wieder einmal Zeichen für Protest gegen bestehende gesellschaftliche Ordnung, für die Abgrenzung von bürgerlichen Zwängen und Tabus, für die Hinwendung zu Gemeinschaft, zu Selbstverwirklichung und sexueller Befreiung. Insbesondere auch zur Hinwendung zur Natur: Schlagwort: ›flower power‹. Literarisch-philosophisch gefasst von Jean Baudrillard: »Das moderne Zeichen träumt von früheren Zeiten und möchte mit seinem Bezug auf das Reale eine Verpflichtung wiederfinden, aber es findet nur eine Vernunft: eben jene selbstreferentielle Vernunft, jenes Reale, jenes ›Natürliche‹, von dem es leben wird.«119 All dies ist nicht zu denken und nachzuvollziehen ohne die massiven Einflüsse aus den gegenkulturell orientierten, alternativen, nach neuen Formen und Ausdrucksweisen suchenden Szenen. Ihnen sendet die Literatur, das Kino, und ganz besonders die Musik nicht nur provozierend neue Töne, sondern auch herausragende Haarsignale. Während die ›Beatles‹ seit ihrer 1962 veröffentlichten ersten Single »Love Me Do« mit ihren eher moderat langhaarigen, immer gepflegten (an Cromwells ›Rundköpfe‹ zumindest erinnernden, auch ›Mop Tops‹ genannten) ›Pilzköpfen‹ antreten, rocken die ›Rolling Stones‹ (ab 1963 mit ›Come On‹) noch wilder, langhaariger und aggressiver. Bei ihnen werden die Haare genutzt als »… a kick in the teeth, as insult and ridicule heaped on every drabness of the system: hair as symbolic of sex, of energy; hair almost [used] as religion. When one grew one’s hair long like the Stones […] it was done as a banner, a battle sign …«.120
Alleine schon der Haarstil der Beatles führt zu solch weltpolitischer Konsequenz, dass US-Präsident Johnson sie dazu aufgerufen haben soll, eine ›vernünftige Frisur‹ zu tragen. Unabhängig davon, oder gerade auch deshalb, wurde der Haarschnitt mit großer Freude und häufig kopiert. Sogar Elvis nutze den ›Pilzkopf‹ in den Mittsechzigern. Wochenendfans der Beatles trugen nicht selten Perücken, da die Frisur am Arbeitsplatz oft nicht geduldet wurde. Demgegenüber wirkt es doch recht nüchtern und
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trocken, wenn die Kulturwissenschaftlerin Nicole Tiedemann, die sich mit den »Langen Männerhaaren als jugendkulturelles Zeichen nach 1945« beschäftigt hat, das Protestsignal der langen Haare schlicht als eine »historische Konstante« bezeichnet.121 Und angesichts der in mehrfacher Hinsicht turbulenter werdenden Zeitläufte liest es sich noch ausgedünnter, wenn der Historiker Norbert Grube von einer »Minderheit protestierender Jugendlicher und Studenten« spricht, die »in ihrer Haartracht bewusst das westdeutsche Ideal gepflegter, ordentlicher Erscheinung unterliefen«.122 Der Übergang zu einer notwendig ›anderen‹, zu einer ›neuen Zeit‹ findet Ausdruck in Musik und Theater, in Rock und Pop. Der Krieg der USA in Vietnam, die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, Pazifismus, Protest und hippie-geträumte Wirklichkeitsflucht, die 1968 in Paris beginnenden und nach Deutschland übergreifenden sog. Studentenunruhen – all das versammelt sich dann in den späten 1960-er Jahren in einem höchst erfolgreichen Musical, justament unter dem Titel »Hair«. Hair »Ich will es lang und liegend, fliegend, Bürstenborstig, rabenhorstig, Ruppig, schuppig, struppig, zopfig, Eisenherzig, bubikopfig, Oder voll konfetti! Kämmungslos verludert,
Hemmungslos geölt, gepudert, Löwenmähnig, strähnig, wie Spaghetti Bald sind Haare wieder Mode, Und ich schöpf’ die wahre Mode: Die Toga nur aus langem, prächtigem Haar. Ging vor rund 2000 Jahren Jesus nicht mit langen Haaren? Und Maria liebte ihren Sohn! Nur meine Mutter hasst mich! HAAAAAAAAAAAAAAR ! Lasst es leben, Denn Gott hat’s mir gegeben, mein Haar.«123
Von »Protest-Symptomen einer unruhigen Übergangszeit überall auf der Welt« spricht der amerikanische Schauspieler und Sänger Ron Williams, und davon, dass das Musical »in künstlerisch verdichteter Form konkre-
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te Ansätze zur Analyse« biete – »Musik, Text und Bewegung verschmelzen, lassen Widersprüche deutlich werden. HAIR gibt eine künstlerische Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Unruhe der Jugend.«124 »Langhaarige«, so erzählt der berühmte Regisseur Piere Paolo Pasolini im Blick auf die 1966/67-er Jahre, »habe ich zum ersten Mal in Prag gesehen …] Sie benutzen eine andere Sprache als die der Worte. Das, was die traditionelle verbale Sprache ersetzte und überflüssig machte – […] war die Sprache ihrer Haare«.125 Langhaarige, Studentenunruhen, Kommunarden, ›die 68-er‹. Aber auch: Die Führungsfiguren des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) wie Rudi Dutschke, Bernd Rabehl u. a. lehnen die »sogenannte Gesinnungskleidung und -frisur als Etikettierung und Uniformierung«, so Nicole Tiedemann, ab.126 Und während noch die Idee der Texter von »Hair«, James Rado und Ge rome Ragni, über die Bühnen der Welt hallt: »Spitzenfinger, Sonnensoße, Silberpapier, ein Bettfedernsturm oder graublaue Uniformen. Zum Teufel, wir wollen nicht so weitermachen. Ich will mein Haar nicht vom Stahlhelm frisieren lassen«127, zeigen die 70-er Jahre bereits verschieden- oder gar gegeneinander gerichtete Haar-ein- und -ausdrücke: Glattgeschoren oder extrem kurzhaarig die ›Skinheads‹. Auch hier ›Anti-Establishment‹, gegen das verweichlicht Feminine der Hippies, unterstützend Bomberjacken, Springerstiefel. Daneben die ›Punks‹, tendenziell kurzhaarig, aber mit aufgestellten ›Irokesen‹, Hahnenkämmen; verstärkter Schock in Form und Farbe, dazu Nadeln in Gesichtspartien, Halsbänder, das Establishment vor den Kopf stoßend. Mit dabei schon die ganze Zeit die ›Dreadlocks‹, jene afroamerikanisch-jamaikanischen Fils- und Furchtlocken der Menschen mit dunklen oder (politisch unkorrekt ausgedrückt) mulattischen Hauttönungen. Sie propagieren anti-kolonialistischen Protest, eigene Identität und Multikulturalität oder, wie wir heute sagen würden: ›Diversity‹. Wiederum trägt die Musikszene nicht nur musikalisch, sondern auch haar-ausdrücklich bei. So vor allem Bob Marley, dessen Rastazöpfe auf die jamaikanische politisch-religiöse Rastafari-Bewegung zurückgehen (›ras‹ bedeutet auf amharisch ›Kopf‹) und das Anliegen transportieren, das Trauma der Versklavung der Vorfahren durch eine positive Identifikation mit der afrikanischen Heimat zu überwinden. Unbedingt in dieses Bild gehört die Menschenrechtsaktivistin Angela Davis, deren voluminöser Haarhelm geradezu ikonografisch für den Kampf der amerikanischen Bürgerrechtler um 1970 steht. Sie bekommt ihre vom damals noch als Gouverneur agierenden Ronald Reagan entzogene Professorenstelle erst wieder zurück, als sie – ausgerechnet – wieder Dreadlocks trägt. Manchmal nur Popkul-
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turgeschichte(n) mit idolhafter Ikonisierung, oft jedoch mehr. Insbesondere aus Frauenperspektive und nachdenklich hält Maria Antas fest: »Ich sehe, wie sich die Muster der Geschichte wiederholen. Sobald Frauen eigene Ausdrucksformen für ihr Haar entwickeln, reagieren die Männer und ihre Institutionen mit Hohn, Warnungen, Gesetzen oder Verboten.«128 Zurück nach Deutschland: Norbert Grube zufolge (und mit Bezug auf das Noelle-Neumann’sche »Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1668 – 1973«) bevorzugen 1971 trotz aller Protestbewegungen noch immer »22 Prozent der Männer den aus dem Gesicht gekämmten Kurzhaarschnitt, 22 Prozent einen leicht welligen Façonschnitt, und 34 Prozent zeigten Sympathien für eine glatthaarige, mittellange Scheitelfrisur, die eher an das Aussehen Rudi Dutschkes erinnerte«.129 Innenpolitisch muss freilich noch der ›Haarerlass‹ Erwähnung finden: Ab März 1971 wird das bis dahin für die Bundeswehr gültige Verbot des Tragens feminin wirkender Haartracht durch den damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt zugunsten der Möglichkeit aufgehoben, ein Haarnetz zu tragen. Dieser Erlass wird allerdings im Juni 1972 zum Leidwesen vieler Wehrdienstleistender, aber sicher zur Freude vieler Friseure, wieder zurückgezogen. In den 1990-er Jahren, so meint Nina Bolt, »geht es dann nicht mehr so sehr darum, durch die Wahl der Frisur eine Ideologie zu demonstrieren als vielmehr darum, anders auszusehen und so Aufmerksamkeit zu erregen. Nur in der deutlichen Unterscheidung zu den anderen ließ sich nun eine eigene Identität greifbar machen.« Frisuren sind nicht nur Ausdruck von Modewellen, sondern »inzwischen auch eine Art Orientierungshilfe. Sie stehen jedoch auch für die Angst, von sich aus nichts zu sein, bedingt offenbar durch die auf uns einwirkende Informationsflut und einen Mangel an Kontinuität und Halt in unserer Kultur«.130 Mit einem für ›die Moderne‹ typischen, eher nur kleinen Zeitsprung verbunden ist in diesem Zusammenhang das Phänomen der sog. ›RetroLooks‹: Immer wieder haben Jugendbewegungen die Stile vergangener Subkulturen aus bestimmten Phasen der Geschichte herausgelöst und neu belebt. Um die Jahrtausendwende wird beispielsweise für die Anhänger der ›Sixties-Szene‹ die Orientierung an den ›Mods‹ der 1960-er Jahre wieder interessant. Letztere, begrifflich angelehnt an den damaligen ›Modern Jazz‹ und den ihm zugedachten, frei-improvisierenden Lebensstil, versuchen, sich vom eher rauhen Männlichkeitsbild der ›Rock’n Roller‹ der 1950-er Jahre abzusetzen. In Sachen Kleidung wie Frisur geht es um die Abkehr vom Wilden, aber auch Geölten der Rocker. Heike Jenß, die sich mit die-
Im Dschungel der Moderne
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sem Retro-Phänomen beschäftigt hat, stellt heraus: »Die Haupt-Haare als krönender Abschluß der Erscheinung, als Rahmung des Gesichts, des prominentesten Symbols des Selbst, haben für die Konstruktion und Repräsentation von Identität enorme Bedeutung. So kommt der Frisur in der Gesamtinszenierung des Retro-Looks auch eine Schlüsselrolle zu.« Die Stylisten der ›Sixties‹, so führt sie weiter aus, hätten sich mit dieser »Idealisierung von Authentizität« an den bereits im 19. Jahrhundert geführten »Diskurs um Originalität« angeschlossen. Jetzt aber, unter den explodierenden »neuen Möglichkeiten des Vervielfältigens, der seriellen Produktion und mechanischen Reproduktion […] wurde Authentizität zum Dogma, das nicht allein auf Dinge, sondern auch auf die Vorstellung eines ›wahren, natürlichen Selbst‹ bezogen wurde«.131 In ihrer Betrachtung der Haare als politisches Symbol kommt die Kulturwissenschaftlerin Charlene Lynch, die die »Haare als politisches Symbol« untersucht, zu dem Schluss: »Fast jeder revolutionäre Haarschnitt schockierte zunächst, wurde jedoch irgendwann vom Mainstream und der Modeindustrie vereinnahmt. David Beckham verhalf dem Irokesenschnitt zu weltweiter Verbreitung. Dreadlocks trug irgendwann jeder Dauerkiffer, Skinheads und Nazis trugen denselben Kahlkopf, lange Haare und ein oftmals üppiger Bart prägen seit Aufkommen der Hipster-Kultur die Werbeindustrie. Auch wenn eine Frisur heute für wenig steht. Die Haare bleiben stets ein Zeichen, dem eine gewisse politische Kraft inhärent ist. Ihr kraftvolles Potential als Symbol der Freiheit gewinnt heutzutage an anderen Körperstellen wieder an Bedeutung.«132 Mit jenen »anderen Körperstellen« bezieht sich Lynch z. B. auf die neuere feministische Zurschaustellung etwa der Achselhaare, die, ebenso wie das Haupthaar verstanden als »Symbol der Freiheit«, als weiterer »körperlicher Befreiungsschlag« benutzt werden. Dass das Haar Freiheit symbolisiert, zeige sich an den Bemühungen antidemokratischer und unfreier Gesellschaften, ihm durch politische Normierung und Unterdrückung zu begegnen: »So findet man etwa in Nordkoreas Friseurgeschäften ›Vorschlagstafeln‹ für Frisuren: Insgesamt gibt es 28 Frisurenmodelle, 18 für Frauen und 10 für Männer […] Lange Haare bei Männern oder ein kurzer Pony bei Frauen sind tabu.«133
78
6.2
Was alles am Haar hängt – ein kulturhistorischer Streifzug
Personalisierung und Artifizialisierung des Haars
Das wahre, natürliche Selbst! Im verwirrenden Dschungel ›der‹ Moderne, die mittlerweile globalere Ausmaße annimmt, wuchern sowohl die Versprechen der Individualisierung und Einzigartigkeit, aber auch die mit ihnen verbundenen Anstrengungen und Konflikte. Das gilt für den Haarträger ebenso wie für den Haarbearbeiter. Gerade auch haarbezogen gilt es, aus der Masse herauszutreten. Bei der Bemühung des Individuums, seine Einzigartigkeit und Selbstvervollkommnung unter Beweis zu stellen, rückt selbst der Körper zu einem vielfältig einsetzbaren, disponiblen Element der gezielten Gestaltung auf. Tilman Allert zufolge löst sich diese »inszenierte Einzigartigkeit personaler Selbstdarstellung« dabei u. a. in einer bunten Vielfalt von Frisuren auf. »Im öffentlichen Erscheinungsbild der Person haben ästhetisch normative Vorgaben ihre Geltungskraft weitgehend eingebüßt. Was in früheren Zeiten eine vergleichsweise eindeutige Formatvorlage war, erscheint heutzutage nicht als milieu- oder gar berufstypisch.« Als Trägern dieser individuellen Versprechen der Einzigartigkeit und als Ermöglicher einer zumindest »vorübergehenden Prominenz« kommen dem Haar, der Frisur und dem Friseur damit eine sogar noch gesteigerte »kommunikative Funktion« und Rolle zu.134 Haare und Frisuren stehen heute daher »in einem viel intimeren, aber auch spannungsreicheren und riskanteren Zusammenhang mit der inneren Realität der Person, mit ihren Empfindungen, Wünschen und Träumen von sich selbst«. Die Rede ist daher von einer ›Personalisierung des Haars‹ – begleitet von seiner zunehmenden ›Artifizialisierung‹. Gemeint ist: Das Haar, schon immer Stück einer zwar widerständigen, aber doch vergänglichen Natur, gerät, wie Allert das weiter zuspitzt, in die Rolle einer »prinzipiell manipulierbare[n] Materialdeponie, auf die die Person zurückgreifen kann wie auf einen Schmuckkasten, um möglichst situationsflexibel gestalten zu können.« Als gesichtsnaher Blickfang habe die Frisur ihr modernes »Versprechen« zusammen mit der sie tragenden und von ihr getragenen Person jedoch immer erst noch einzulösen: Man kann beispielsweise zwar die dynamische Managerin oder den hartgesottenen Typen ›geben‹ – ob ich dieser Mensch aber wirklich bin und damit mein Identitätsversprechen mir selbst gegenüber einlösen kann, steht auf einem anderen (Lebensgestaltungs-)Blatt. Als gestaltetes Haar stellt die Frisur sozusagen die Stimmigkeit mit der Person bzw. Persönlichkeit, die mit ihr auftritt, auf die (Nagel-) Probe. Wissenschaftlich, wiederum von Allert ausgedrückt: »Die Personalität wird artifizielle Konstruktion in dem Maße, in dem die Artifizialität das existentiell Bedeutsame der Person unterstreicht«.135 Soll u. E. hei-
Im Dschungel der Moderne
79
Abb. 4 Cartoon TOUCHÉ by © TOM
ßen: Das Erschaffen oder Gestalten meiner Persönlichkeit oder Identität ist und wird in dem Maße künstlich, als ich künstliche (Hilfs-)Mittel benötige, um das zu gestalten bzw. zu unterstreichen, was für mich existentiell bedeutsam ist. Kurz gesagt: Auch und gerade im Dschungel der Moderne hänge ich, das Individuum, vielleicht sogar mehr noch denn je, an der ›Liane Haar‹. 6.3
Quo vadis Figaro? – Arbeit in der ›Universität des Lebens‹ oder als ›artifizieller Haarverformer‹?
Die ›post-modernen‹ Entwicklungen, so kann man zusammenfassen, haben die Herausforderungen an das berufliche Handeln des Friseurs drastisch verändert. Sie sind in vielfacher Hinsicht komplexer und anforderungsreicher geworden. Sie, die Friseure, müssen sich sowohl im Wildwasser der Marktbedingungen behaupten (dazu mehr in Kap. III.), wie auch in den Strudeln der fortschreitenden Individualisierung, der zunehmenden Körperpflegebedürfnisse, den wachsenden Erfordernissen der Körperinszenierung- und -optimierung, der Suche nach Identität und einer (zumindest vorübergehenden) Prominenz ihrer Kunden – aber auch ihrer selbst. Bedarf es dazu aber auch solch »innigen Allianzen«, von denen im Magazin einer namhaften Tageszeitung unter dem Titel »Waschen, Schneiden, Kicken« berichtet wird? Auch wenn es dort um das gewiss sehr spezielle Verhältnis zwischen Friseuren und Profifußballern geht und auch
80
Was alles am Haar hängt – ein kulturhistorischer Streifzug
darum, dass die einen zwar »riesig«, die anderen hingegen »mickrig« verdienten. Vor allem aber: Beide bräuchten einander »mehr denn je«, ja die Rede ist sogar von einer für beide notwendigen »Pflege einer Schicksalsgemeinschaft«.136 Eines scheint diese vielleicht etwas grell ausgeleuchtete Sonderszene zu verdeutlichen: die offenbar gesteigerte Intensität und Sensibilität, die dieser Beziehung zwischen Friseur und Kunde heute zukommt. Man kann diese Anforderung an die professionelle Rolle und besonders das Handeln des Friseurs daher, früher schon einmal, als »quasi-therapeutische Funktion« betrachten.137 Auf wessen Seite schlägt er sich dann aber? Ist er der oben schon angedeutete Sachwalter der Widerständigkeit wie Vergänglichkeit des ›Materials Haar‹? Oder macht er sich zum Handlanger oder gar Komplizen der Selbstidealisierung, dem ›Einzigartigkeitsversprechen‹ seiner Kunden und flüstert ihnen selbstsuggestiv ein, was sie hören wollen? Bleibt er ambivalent, oder ist und bleibt er nur ein »artifizieller Verformer«?138 – wobei im Begriff ›artifiziell‹ beides verborgen sein kann: das Künstliche, wie auch das Künstlerische. Geht es für diesen gesamten Berufsstand sogar um ganz neue Dimensionen? Etwa die Veränderung vom herkömmlichen Handwerker hin zu einem Künstler und Lebensberater, zum (Quasi-)Therapeuten oder gar zu einem ›Charismatiker‹? Denn »für den vielleicht sinkenden Teil der Bevölkerung, der überhaupt noch bereit ist, einem Experten die ästhetische Verfeinerung eines idealisierten Selbstbildes anzuvertrauen«, so nimmt jedenfalls Allert an, wird der Friseurberuf zunehmend ein »charismatisierter Beruf«.139 Ein Beruf also, dem man viele, vielleicht sogar Heils-Erwartungen entgegenbringt. Oder verhält es sich noch ganz anders? Können oder müssen das gestiegene Selbstbewusstsein, die gewachsene Autonomie der Friseurkundschaft und die erweiterten Selbstgestaltungsmöglichkeiten nicht sogar als richtiggehender Abgesang auf die Zukunft des Berufs verstanden werden? Denn die Frisur, so ebenfalls Allert, rücke »in dem Maße, in dem sie als Bestandteil der Person begriffen wird, […] tendenziell sogar aus dem Zuständigkeitshorizont eines professionell Zuständigen heraus«.140 Was wohl sagen will: Wenn ich überhaupt einen Friseur benötige, dann allerhöchstens noch in Sachen haar- und frisurtechnischer Umsetzungs fragen. Quo vadis, figaro? Die bislang besichtigten Stationen der Modernen zeigen: Eine markante Wende in der Entwicklung dieses Berufsfelds bedeutetet die gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende Verwandlung dieses Handwerks hin zu einem weiblich bestimmten, was, so auch Susanna Stolz, einen »Bruch der tradierten männlichen Dominanz in den Körper-
Im Dschungel der Moderne
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pflege-Handwerken« bedeutet. Zudem habe sich ein »neues abgeschlossenes Berufskonzept« für dieses Handwerk herausgebildet. Der Friseur wird zunehmend zu einem »Fachmann der Haar- und Hautpflege, was in den Kontext einer sich herausbildenden ›Experten‹- und ›Dienstleistungs‹-Gesellschaft einzuordnen ist.«141 Wir werden dies in Teil IV erneut aufgreifen und genauer betrachten, wie sich das Handeln des Friseurs im heutigen Spannungsfeld von Expertise und Dienstleistung genauer darstellt. Um jedoch diesen kulturhistorischen Betrachtungsbogen zu einem zumindest vorläufigen Ende zu führen, sei folgendes Bild angefügt: Aus Gesprächen zwischen Pablo Picasso, einer der Künstler-Ikonen der Moderne, und seinem sehr engen Friseurfreund Eugénio Arias wird von der folgenden Einschätzung seines Friseurs berichtet: »Es gibt drei Arten von Männern, die sich mit Frauen auskennen: Priester, weil sie ihnen die Beichte abnehmen, Frauenärzte und Friseure. […] Mein Onkel, el barbero, sagte immer: Ein Friseur muss zuhören und still sein. Das gilt natürlich für Barbiere ebenso wie für Frauenfriseure.«142 Auch wenn dieser Episode ein wenig der Geschmack eines Herrenwitzes anhaftet, sind hiermit einmal mehr die vielzähligen Rollen und Haltungen angesprochen, die ein Friseur haben und beherrschen könnte oder gar sollte. Sie kennzeichnet jedenfalls einen der Aspekte, wegen derer Picasso den Friseursalon als eine »Universität des Lebens«143 bezeichnete. Anzunehmen ist, dass Picasso damit auf die bunte Vielfalt des Lebens hinweisen wollte, die an einem Ort wie dem Friseursalon möglicherweise noch tiefer und breiter, jedenfalls unmittelbarer und authentischer erlebbar ist als in einem universitären Hörsaal. Ob damit auch ein Hinweis darauf verbunden ist, Lernen enger an reale Lebenssituationen zu koppeln, mag dahingestellt bleiben. Darauf, was ein Friseur lernt, und was sein berufliches Handeln unter den heutigen Bedingungen ausmacht, werfen wir in Teil IV noch einen genauen Blick. Zuvor jedoch der Sprung in eine etwas nüchterne Bestandsaufnahme: Wie stellt sich die neuzeitliche Lage und Entwicklung dieses Handwerks und Berufs soziodemografisch dar, in Zahlen, Daten, Fakten und Einschätzungen?
Michael Runschke, Probe
Copyright: Michael Runschke
III Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
Im Angesicht der Entwicklungen industrieller Produktion im 20. Jahrhundert erschien das Handwerk als ein Auslaufmodell. Für die Zukunft wurde ein Übergang der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft prognostiziert. Mittlerweile ist der Sektor der Dienstleistungen massiv angewachsen. 2016 beschäftigte er 32,4 Millionen Menschen, d. h. fast 70 Prozent aller Erwerbstätigen. Zugleich erwies sich aber auch das Handwerk als bemerkenswert stabil und entwicklungsfähig. Das ist vor allem dort der Fall, wo sich das Handwerk mit einer Dienstleistung verbindet. Das Friseurhandwerk ist hierfür ein besonders gutes Beispiel: Wie kaum eine anderes bietet es noch heute eine Vielzahl unterschiedlichster Betriebstypen. Man findet dort noch immer den (eher kleinen) inhaber- bzw. familiengeführten Salon, der mit Stolz auf seine Tradition, Beständigkeit oder gar Beharrlichkeit etwa im Sinne der Vererbung des Berufs (›seit über 50 Jahren in 3 Generationen‹) hinweist. Es gibt mobile Kleinstunternehmen, die ihre Kunden zu Hause bedienen, wie auch so genannte Stuhlmieter, die als Untermieter in Salons agieren. Es gibt Friseure, die keine oder kaum Kosmetikdienstleistungen anbieten, aber auch den ›Beauty Tempel‹, in dem es weniger um das Haar, umso mehr aber um die Haut, die Schönheit und ›Wellness‹ geht. Zudem gibt es, ganz den üblichen Unternehmensund Wirtschaftsentwicklungen entsprechend, eine erhebliche Anzahl an großen Filialunternehmen und Friseurketten oder im Franchisesystem geführten Unternehmen. Dem Kultstatus von Starköchen stehen Star- und Prominentenfrieseure in keiner Weise nach. Aber ebenso, und zunehmend, findet man den preisaggressiven ›cut-and-go-shop‹, oft durch häufigen Mitarbeiterwechsel gekennzeichnet, für den man aber auch keine Terminvereinbarung benötigt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. G. Bauer und F. Böhle, Haarige Kunst, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0_3
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86
Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
Eine längerfristige datenbezogene Entwicklungsbetrachtung erweist sich als schwierig. Daten, welche die Entwicklungen in diesem Berufsfeld seit dem Zweiten Weltkrieg nachzeichnen, sind kaum auffindbar. Auch der historische Einschnitt der Wiedervereinigung Deutschlands bringt die Datenlage gehörig durcheinander. Das gilt für Zahlen zu den Betriebsgrößen und -arten wie für Daten, die den Wandel vom Männer- zum Frauenberuf nachzeichnen, aber auch für solche, die Auskunft geben könnten etwa über den Migrationshintergrund von Beschäftigten wie von Inhabern.1 Selbst Daten, welche die Anzahl und Entwicklung der Betriebsstätten abbilden, sind sogar unter Fachleuten nicht unumstritten. Der von der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH 2014 herausgegebene GWS Themenreport Friseur- und Kosmetiksalons – nach unseren Recherchen der einzige explizit für diese Branche gefertigte Report2 – stellt zudem fest, dass die Friseur- und Kosmetiksalons nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige von 20083 zur Branche der sonstigen Dienstleistungen des überwiegend persönlichen Bedarfs zählen. In dieser Branche sind verschiedenste Dienstleistungssektoren zusammengefasst, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie überwiegend von Endverbrauchern nachgefragt werden und damit stark vom verfügbaren Einkommen sowie den privaten Konsumgewohnheiten der Verbraucher abhängen.4 Auf der Internetseite »Friseur-Statistiken« findet sich der Hinweis: »Statistiken über die Friseurbranche zu finden ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.«5 Trotz dieser nicht sonderlich ermutigenden Feststellung nachfolgend eine Zusammenstellung von einigen wichtigen Entwicklungstendenzen.
1
Bedeutung und Charakteristika der Branche
Zur allgemeinen Charakterisierung der Branche und ihrer Bedeutung wird vom GWS Report mit Datenlage bis zum Jahr 2014 festgestellt, dass die Friseur- und Kosmetiksalons unter den Dienstleistungen des persönlichen Bedarfs die bedeutendste Branche darstellen. Dies gelte sowohl hinsichtlich der Zahl der Betriebe, der Beschäftigten, der Kunden, wie auch im Blick auf das Umsatzvolumen. Sie repräsentierten 2,2 % aller in Deutschland tätigen Unternehmen; sie erwirtschafteten (Stand 2012) einen Jahresumsatz von rund 7,1 Mrd. Euro und trugen damit knapp 0,3 % zum Bruttoinlandsprodukt bei. Geht man von den steuerpflichtigen Betrieben aus,
Bedeutung und Charakteristika der Branche
87
kommt den Friseursalons ein Anteil von 81 % zu, die verbleibenden 19 % entfallen auf die Kosmetiksalons. Hervorgehoben wird die bedeutsame Rolle der Branche auf dem Arbeitsmarkt mit »rund 175 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten«. Bemerkenswert sei auch der im Vergleich zur Gesamtwirtschaft überdurchschnittliche Anteil von Selbständigen mit rund 30 % in diesem Sektor. Allerdings weist man in diesem Report auch auf die vergleichsweise hohe Anzahl von ›geringfügig Beschäftigten‹ in der Friseurbranche hin: »Etwa jede sechste Angestellte der Branche zählt zu dieser Gruppe.«6 Es gehört sicherlich zu den herausragenden Charakteristika der Friseurund Kosmetikbranche, dass Frauen den Großteil der Beschäftigten der Friseurbranche stellen. 2011 betrug der Frauenanteil 85 %, im Bundesdurchschnitt liegt er bei rund 46 %. Im Kosmetikbereich lag er mit gut 92 % erwartungsgemäß noch höher. Bei den sog. DACH-Ländern (Deutschland, Schweiz, Österreich) lag der Frauenanteil bei Ausbildung und Berufsausübung 2010 Wikipedia zufolge bei 93 %.7 Auf unterschiedliche Betrachtungsweisen trifft man, wenn es um die Feststellung der ›Zahl der Beschäftigten‹ geht. Während der GWS Report von 175 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausgeht, interpretiert die »Friseur-News« die Lage aus der Friseurperspektive anders. Diese Zahl sei, wie andere, nicht falsch, aber ohne weitere Erklärung irreführend. Es handele sich hier nämlich lediglich um die angestellten Friseurinnen und Friseure, denen noch die Inhaber hinzugerechnet werden müssten. Folglich gäbe es über 330 000 Beschäftigte im deutschen Friseurhandwerk. Das seien aber »nur Köpfe«, d. h. Beschäftigte mit völlig unterschiedlichen Arbeitszeiten. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge seien von diesen in 2011 nur 125 000 pflichtversichert angestellt gewesen, von denen wiederum nur 80 % Vollkräfte, also solche mit voller wöchentlicher Arbeitszeit, waren. Der Anteil der Selbständigen liegt bei 30 %, damit sowohl in der Branche im Vergleich zur Gesamtwirtschaft, wie auch bezogen auf den Mittelwert in allen Dienstleistungsbereichen, mit 6 % weit über dem Durchschnitt.8 Ein neueres, die Branche kennzeichnendes Phänomen besteht darin, dass sich die Zahl der Auszubildenden im Friseurhandwerk seit ca. 2010 halbiert hat. Dennoch findet man diesen Beruf im Jahr 2018 auf Platz sieben der 20 meistgewählten Ausbildungen. 1934 erstmals in das Verzeichnis der
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Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
Handwerksgewerbe eingetragen, nahm er in 1950 Rang 5 der nachgefragtesten Berufsausbildungen ein. 1967 rückte er auf Rang 2 vor, 1984 sogar auf den ersten Rang. 2001 fiel er auf Rang 4 zurück, 2018 auf Rang 7. In der Süddeutschen Zeitung folgert die Journalistin Jutta Pilgram daher: »Haare schneiden und Frisuren kreieren sind Tätigkeiten, die über alle Modeströmungen hinweg und unabhängig vom technologischen Wandel nachgefragt werden.«9
2
Betriebstypen
Die Friseur- und Kosmetikbranche ist handwerklich organisiert und von kleinen und Kleinstbetrieben geprägt. Betrachtet man die Betriebsgrößen im Blick auf die Zahl der Beschäftigten, gewinnt man den folgenden Überblick: Tab. 1 Beschäftigte nach Betriebsgröße (2011) Anzahl Beschäftigte
Anteil SV-Beschäftigter
Anteil Unternehmen
0 – 9
65 %
97,3 %
10 – 49
19 %
2,5 %
50 +
16 %
0,2 %
Nach StBa (2013d) Ureg. 2011, eigene Berechnungen. (Anm. d. Verf. StBA = Statistisches Bundesamt; Ureg = Unternehmensregister 2011)
Der größte Anteil der Unternehmen (97,3 %) beschäftigte 2011 demnach weniger als 10 Personen. Dass dort der Anteil von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 65 % beträgt, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim Großteil dieser Betriebe um sog. inhabergeführte Einzelunternehmen mit durchschnittlich sogar nur 1,5 Personen handelt. Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern sind vielfach sog. Filialbetriebe. Nach Branchenschätzungen belief sich der Anteil der einem Filialunternehmen zugehörigen Salons zu diesem Zeitpunkt auf rund 1 200 Filialisten mit etwa 12 000 Salons, also rund 15 % aller Friseurgeschäfte in Deutschland.
Betriebstypen
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Bei einer solchen auf den Typus der Betriebe ausgerichteten Betrachtung erhält man zum Zeitpunkt der vom GWS Report genutzten Quellen folgendes Bild: Tab. 2 Betriebstypen »Umsatzpflichtige Friseursalons, kein Filialist«
65 %
»Mikrobetriebe«
20 %
»Betriebsstätten von Filialisten«
15 %
Nach GWS Report, S. 13. Dort genutzte Quellen: StBa (2013c und 2013d), Ureg. 2011 und Ust., ZdF (2013a – f ), eigene Berechnungen.
Der Anteil der in den kleinen Betrieben ›tätigen‹ Personen übersteigt dabei den der dort insgesamt ›Beschäftigten‹ erheblich, denn in aller Regel arbeiten die selbständigen Inhaber im eigenen Betrieb mit. Dies würde bedeuten, dass die meisten in Friseur und Kosmetikbetrieben tätigen Personen, nämlich 75 %, der kleinsten Betriebsklasse zugehören. Tab. 3 Anzahl der Tätigen und Beschäftigten nach Betriebsgröße (ca. 2010) Anzahl der Beschäftigten
Umsatz (in Mio. €)
Anzahl SVBeschäftigter
Anzahl tätiger Anteil tätiger Personen* Personen in %
0 – 9
5 530
111 000
188 000
75
10 – 49
1 030
33 000
35 000
14
50 +
750
27 000
27 170
11
Ges.
7 310
171 000
250 000
100
Nach StBa (2013d) Ureg. 2011, eigene Berechnungen, GWS Report S. 11. *) Anzahl tätiger Personen = Anz. SV-Beschäftigte plus Anz. Unternehmen. Annahme: Jedes Unternehmen gehört einem Selbständigen, der im eigenen Betrieb tätig ist.
Hinsichtlich all dieser angeführten Daten ist auf ein bedeutsames Datum hinzuweisen: Mit der Liberalisierung der Handwerksordnung im
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Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
Jahr 2004 wurden Friseurbetriebe mit einem jährlichen Umsatz von unter 17 500 € von der Mehrwertsteuer befreit. Sie werden seither auch nicht mehr in der Umsatzsteuerstatistik erfasst. Zudem wurden sie von der Meister- wie auch der Ausbildungspflicht befreit. Diese Unternehmen werden als ›Mikrobetriebe‹ bezeichnet. Dem GWS Report zufolge sind dies in der Regel Ein-Personen-Betriebe, die im eigenen Haus oder als mobiler Friseur tätig sind. Von Verbandsseite her würden sie inzwischen auf rund 16 000 Betriebe geschätzt.10
3
Entwicklung der Betriebsstätten
Bei der Betrachtung der Entwicklung der Betriebsstätten stößt man erneut auf unterschiedliche Daten, Sichtweisen und Interpretationen. Für die Jahre zwischen 2000 und 2009 ist von »verwirrenden Zahlen« die Rede, denn immer wieder gibt es bei der Erhebung und Nennung der Betriebsstätten Unklarheiten, deren Ursache in der unterschiedlichen Art der Datenerhebung läge.11 Immerhin fördert das einige interessante Aspekte zu Tage. So den Hinweis darauf, dass etwa der Zahl der mobilen Friseure oft nicht Rechnung getragen werde, die jedoch keiner genau kennt. Schätzungen gehen von rund 15 000 bis 18 000 mobilen Unternehmern aus. Rechnet man die Zahl der festen und mobilen Betriebsstätten zusammen, kommt man zu einer Gesamtzahl, die über 90 000 liegt.12 Hinzu kommen noch Hinweise auf eine laut GWS Report gerade im Friseursegment weit verbreitete Schattenwirtschaft. Sie wird dem Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks zufolge auf »20 % des Marktvolumens« geschätzt.13 Nicht immer klar erkennbar ist, ob auch die Kosmetiksalons in solchen Statistiken erfasst sind oder nicht. Wie es scheint, fehlen sie auch in den Daten des Deutschen Handwerkskammertags (DHKT), auf den sich auch der Zentralverband in Sachen Betriebsentwicklung im Friseurhandwerk bezieht. Die folgende Darstellung erlaubt u. E. zumindest einen Entwicklungsüberblick über den sog. ›Betriebs(be)stand‹ ab 1990 bis 2015. Demzufolge ist zwischen 1991 und 2015 ein faktischer Zuwachs des Betriebsbestands von 57 133 Betrieben auf 80 697 in 2015 festzuhalten, insgesamt also ein absoluter Zuwachs von rund 23 500 Betrieben. Betrachtet man die jeweiligen Veränderungen gegenüber dem Vorjahr, sind ausgeprägtere Zuwächse bis gegen Ende der 1990-er Jahre erkennbar. Ein augenfälliger Zunahmeschub erfolgte insbesondere in den ersten fünf Jahren nach der Jahrtausendwende.
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Entwicklung der Betriebsstätten
85 000
80 000
80 697
Betriebsbestand jeweils 31. 12.
75 000
3,5 % 3,0 % 2,5 %
70 000 2,0 % 65 000 1,5 % 60 000
57 133
Prozent
Betriebe absolut
4,0 %
Veränderung gg. Vorjahr in Prozent
1,0 %
55 000
0,5 %
50 000
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991*)
0,0 %
Nach Deutscher Handwerkskammertag (DHKT)/Stand 2011. * Bis 1990 liegen nur Daten für die alten Bundesländer und West-Berlin vor.
Abb. 5 Betriebsentwicklung im Friseurhandwerk zwischen 1991 und 2015, Bundesgebiet Diese Entwicklungstendenzen lassen sich unter den Begriffen ›Gründungs boom‹ und ›Scherenentwicklung‹ fassen. Das, was bei der Betrachtung der anwachsenden Zahl der Betriebe vordergründig wie eine kontinuierliche Zunahme aussieht, ist im Hintergrund von sehr diskontinuierlichen Entwicklungen bestimmt. Für den anhaltenden, außergewöhnlichen Gründungsboom der Branche werden vor allem zwei Entwicklungen verantwortlich gemacht: Zum einen das Entstehen eines neuen Discountmarkts, den die Friseur-News so beschreibt: »Der Discountmarkt war zum Ende des Jahrtausends stark gewachsen, Ketten explodierten förmlich und tagtäglich eröffneten neue Billig-Salons. Die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter indes waren nicht rosig. Problem waren die notwendigen Kunden – deren Zahl war nicht gewachsen und so entstand ein unglaublicher Verdrängungswettbewerb und Umsatzdruck der zu schlechten Arbeitsbedingungen führte.«14 Zum anderen sei besagter Gründungsboom durch die vielen neuen, mehrwertsteuerbefreiten Mini- oder Mikrobetriebe hervorgerufen. »Seit Jahren«, so hält
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Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
die FAZ-Wirtschaft fest, »erlebe man eine »drastische Flucht in die Selbständigkeit«.15 Viele dieser neuen Betriebe verdienten gerade genug, um über die Runden zu kommen, oft seien es mobile Salons ohne eigene Geschäftsräume. Gleichzeitig zögen sie Kunden von den größeren Salons ab. Und in den Friseur-News ist in diesem Zusammenhang sogar von einem »Teufelskreis« die Rede: Während ein durchschnittlicher Salon im Jahr 2000 noch 4,7 Mitarbeiter beschäftigte, seien dies in 2010 nur noch 3,0 Mitarbeiter pro Salon. In den schrumpfenden Markt seien zeitgleich 22,5 % neuer Salons vorgedrungen, und zwar zum großen Teil eben die neu gegründete Minibetriebe, die unter Mithilfe der Agentur für Arbeit gegründet wurden.16 Die FAZ-Wirtschaft spricht daher von einer »extremen Polarisierung«17: Die Filialen größerer Ketten einerseits und die Kleinstbetriebe andererseits nehmen zu, und zwar auf Kosten der mittleren. Vor diesem Hintergrund wählt das »handwerk-magazin« 2013 im Internet in bestem Friseurjargon die Überschrift: »Friseure: Die Schere geht auseinander«.18 Das Dramatische dieser Entwicklung besteht dabei vor allem in einer ökonomisch ungleichen Entwicklung. Insbesondere hinsichtlich der zweiten Phase der Betriebsentwicklung nach der Jahrtausendwende weist die FAZ Wirtschaft darauf hin, dass hinter der Fassade der Gründerzeit die Umsätze im Friseurhandwerk seit Jahren sinken, und selbst Branchenkenner keine Umkehr dieser Entwicklung erwarteten. Die Friseure verdienten so wenig wie kaum eine andere Berufsgruppe und lägen in der Einkommensstatistik sogar hinter Wäschern, Glasreinigern und Raumpflegern. Seit 2000 habe die Beschäftigtenzahl sogar um 15 Prozent (auf 210 000 Beschäftigte) abgenommen. Vor allem viele kleinere Betriebe machten Verluste, die großen sind erfolgreicher.19 Auch der GWS Report hebt zunächst auf die Kleinstfriseure ab, deren Zahl von Verbandsseite inzwischen auf rund 16 000 Betriebe geschätzt werde. »Damit ist jeder fünfte Friseur in Deutschland inzwischen ein Mikrobetrieb«.20 Es wird aber auch deutlich gemacht, dass mittlerweile jeder siebte Friseursalon einem Filialbetrieb angehöre. Bei den Unternehmen mit mehr als 10 und besonders bei denen mit mehr als 50 Beschäftigten handele es sich zumeist um Filialunternehmen. Ihre Anzahl beläuft sich nach Branchenschätzungen auf etwa 1 200 Unternehmen mit rund 12 000 Geschäften, was 15 % aller Friseursalons entspricht.21
Entwicklung von Angebot und Nachfrage
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Entwicklung von Angebot und Nachfrage
Der Anteil, den die privaten Haushalte für Körperpflege bzw. Friseurleistungen u. a. aufwendeten, lag laut GWS Report »in den letzten Jahrzehnten relativ konstant bei rund 2 % respektive 0,9 % aller Ausgaben.«22 Allerdings war im Jahr 2012 erstmals seit Beginn der Zeitreihe vor über 20 Jahren ein Rückgang der Konsumausgaben für Körperpflege insgesamt auszumachen. 2013 stabilisierten sich die anteiligen Ausgaben für Körperpflege jedoch wieder. Eine Weiterverfolgung dieses Trends liegt nach unserer Kenntnis (noch) nicht vor. Der Internetseite zu »Konsumausgaben in Deutschland für Körperpflege« ist jedoch zu entnehmen, dass 2016 die privaten Haushalte in Deutschland für Zwecke der Körperpflege insgesamt rund 36,68 Milliarden Euro ausgeben.23 Zum Wandel der Grundbedürfnisse merkt die vorgenannte Internetseite zu den Konsumausgaben in Deutschland an: »Rund 70 % der Bevölkerung (71 % aller Frauen und 68 % aller Männer) gehen in Deutschland regelmäßig zum Friseur. Der Anteil der Friseurbesucher ist in den letzten Jahren ebenso wie die Häufigkeit des Friseurbesuches leicht gestiegen. So gingen laut einer Markforschungsstudie der GfK im Jahr 2012 Frauen durchschnittlich 5,8 Mal und Männer 7,1 Mal zum Friseur. Knapp 30 % der Bevölkerung nehmen aber keine bzw. keine offiziell erfassten externen Friseurdienstleistungen in Anspruch.«24 Einen wichtigen Einflussfaktor auf den Wandel der Nachfrage stellt der demographische Wandel dar, dabei vor allem der wachsende Anteil der älteren Bevölkerung. Nach Einschätzung des GWS Reports sei ein beachtlicher Teil der sogenannten ›Silver Generation‹, also der über 60-Jährigen, den wohlhabenden Bevölkerungsschichten zuzurechnen. Zum anderen wachse mit zunehmendem Alter der Bedarf an Dienstleistungen im Bereich Körperpflege und Kosmetik. Dementsprechend nehmen ältere Menschen mehr und häufiger Services wie etwa eine regelmäßige Haarwäsche und -pflege beim Friseur oder eine professionelle Gesichtspflege und Fußund Nagelpflege im Kosmetiksalon in Anspruch als jüngere Bevölkerungsteile.25 Friseur- und Kosmetikdienstleistungen sind der privaten Nachfrage zuzuordnen. Die Branche ist damit stark abhängig vom verfügbaren Einkommen und der Konsumbereitschaft der privaten Haushalte. Da das Konsumklima auch von der konjunkturellen Entwicklung sowie der Situation auf dem Arbeitsmarkt abhängt, wirken diese Einflussfaktoren eben-
94
Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
falls auf die Branche ein. Allerdings zählten, worauf der GWS Report hinweist, die Ausgaben für den Friseurbesuch »für rund zwei Drittel der in Deutschland lebenden Menschen zu den Grundbedürfnissen bzw. zum unverzichtbaren Lebensstandard.« Deshalb seien die Ausgaben hierfür »häufig fest im Haushaltsbudget eingeplant.« Woraus gefolgert wird, dass sich insbesondere die Friseurbranche als »weniger konjunkturreagibel als viele andere Dienstleistungssektoren« erweist. Das habe sich »zuletzt im Rahmen der Wirtschaftskrise 2009 positiv bemerkbar« gemacht.26 Hinsichtlich der privaten Nachfrage ist auch der folgende Aspekt interessant: Addiert man alle steuerpflichtigen Friseurbetriebe, die Mikrobetriebe, sowie alle einem Filialbetrieb zugehörigen Salons, so erhält man einen Hinweis auf die sog. ›Friseurdichte‹, die man als Gradmesser für die Intensität des Wettbewerbs heranziehen kann. So gesehen entfallen auf »einen Friseursalon in Deutschland nur etwa 1000 Einwohner«.27 Folgt man diesem Zahlenspiel, ist in Betracht zu ziehen, dass sich diese Menschen ja nicht wöchentlich oder ganz regelmäßig zum Friseur aufmachen. Einige weitere Aspekte: Einer Untersuchung in Friseursalons mehrerer europäischer Länder zufolge sind die Kunden im Laufe der Jahre anspruchsvoller geworden. Über 40 % der befragten Salons meinten, dass die Kunden verstärkt Nicht-Standard-Dienstleistungen verlangen. Mehr als 85 % äußerten auch, dass die Kunden leichter den Salon wechseln und damit die Treue schwindet. Als wichtigste Faktoren bei der Salonwahl wurden Preis, Haarschnittqualität und Beziehung zum Haarstylisten, als zweitwichtigste Faktoren Salongestaltung, Dienstleistungsangebot und Verwendung umweltfreundlicher Produkte genannt. Für am wenigsten wichtig wurden von Kunden die Verfügbarkeit moderner Einrichtungen wie IT-Systeme oder Cybercuts angesehen.28 Das Angebotsspektrum der Friseur- und Kosmetiksalons ist heute sehr breit gefächert. Es umspannt den Bogen vom Einfach-Haarschnitt in sogenannten ›cut-and-go-shops‹ bis hin zu einer Rundumpflege von Haar, Gesicht und Nägeln mit entsprechenden Pflege- und Wellness-Dienstleistungen in dementsprechend aufgestellten Salons. Neben den Grunddienstleistungen von Friseursalons, Haarwäsche, Schneiden, Föhnen, Legen, Farben, Rasur und Bartpflege, bieten viele Friseurbetriebe heute Zusatzangebote wie Zweithaar-Einsätze, Elemente der Gesichts- und Handkosmetik, das perfekte Make-up und Nageldesign sowie eben auch Wellness-Anwendungen an. Das Leistungsspektrum eines Friseursalons
Entwicklung von Angebot und Nachfrage
95
überschneidet sich dadurch gelegentlich in Teilbereichen mit den Angeboten von Kosmetik-, Massage- und Nagelstudios. Ebenso variiert auch das Angebot der Kosmetiksalons, wobei deren Leistungsspektrum rund um die Gesichts- und Körperpflege grundsätzlich eher dem gehobenen Bedarf im Bereich der Dienstleistungen rund um Schönheit und Wellness zuzuordnen ist. Dazu zählen auch die Maniküre und Pediküre sowie WellnessMassagen. Die medizinische Fußpflege gehört jedoch einem anderen Wirtschaftszweig an. Zur Ausstattung eines Kosmetiksalons können durchaus so umfangreiche Einrichtungen und Technik gehören wie z. B. Behandlungskabinen, kosmetische Geräte, eine Sauna, ein Schwimmbad u. ä.29 Es lässt sich festhalten: Auf der Ebene der Daten zur Entwicklung der Betriebsstätten ist deren absolute Zahl seit den 1990er Jahren signifikant gestiegen. Dabei wird eine Polarisierung zwischen großen Friseurunternehmen mit Filialketten und Kleinstunternehmen deutlich. Der beobachtbare Trend zur Individualisierung der Friseurdienstleistungen bildet sich dabei so ab, dass dem Angebot des Standard- und Einfachhaarschnitts ein ausgeprägtes, auf individuelle Wünsche hin ausgerichtetes Haarstyling gegenübersteht. Dabei ist es nun keineswegs so, als teilten sich diese Angebotstrends klar auf die unterschiedlichen Betriebstypen (Friseurunternehmen mit Filialketten versus Klein-/Kleinstunternehmen) auf. Vielmehr bieten gerade die Filialbetriebe keineswegs nur Standards, sondern auch ausgesprochen individualisierte Dienstleistungen an – vergleichbar etwa der Entwicklung von Boutiquen in der Modebranche. Diese Trends zur Entwicklung eines qualitativ wie preisbezogen blumig-vielfältigen Angebots schlagen sich nicht zuletzt in den Namensschöpfungen nieder. Dass im Friseursalon oder im Friseurstudio, gar in der ›CutEdreale‹ – wie immer der Ort des Geschehens dieser personennahen Dienstleistung auch benannt sein mag – heute verschiedenste Welten und Weltbezüge, Versprechen (von Friseuren) und Hoffnungen (von Kunden) aufeinandertreffen, spiegelt die folgende Auswahl aus der schier unerschöpflichen Quelle der Namensgebung für diese Orte des ›Schick-Saal‹s: Vier Haareszeiten || Haarbracadabra || Sahaara || Chaarisma || Hair-Reinspaziert || Atmosfhair || Hair Berge || Liebhaarber || Kamm in! || Fönix || HairZstück || Pony & Clyde || Vorhair, Nachhair || Hairport || Hairtie || Hairlich || Kopfsache || Über Kurz oder Lang || Haarmonie || Verlock-end || Schnittstelle || Happy Hairy People || Pasha’s Haare’m || HaarTist || Haarmetzgerei || Sturkopf || Kaiserschnitt || BrainWash || CreHaartion || KopfLoft || Lucifhair || Schnittgefühl || Goldener Finger || Kopfsalat || Haarchitekt || Kopfwerk || Kopfart || ChaaraktHair || Hairvorragend || Volthair || Hairlich || SchickHairRia || headattack || HerzSchnittMacher || Hin und Hair
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Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
Abb. 6 Salon Pony & Clyde, Berlin Foto: Hans G. Bauer
|| GmbHaar || Hairkiller – mit der Lizenz zum Stylen || Schiller-Locke || FrisierBar || Linientreu || Rund Hair Um || baHaarMas || Haar Zwei OOH || Hair Gott …30
Ohne die »Haarklemme« auszulassen, die sich einem bei diesen kreativen Namensgebungen fantasieerweiternd, aber auch etwas einengend ums Herz legen kann: Es wäre eine eigene Studie wert, die vielfältigen Bezüge und Assoziationen genauer zu betrachten, die in solche Namenskreationen einfließen. Immerhin hat sich der »SPIEGEL« mit diesem Phänomen beschäftigt und festgestellt, dass schräge, unkonventionelle, so einfallsreiche wie haarsträubende Wortspiel-Namensgebungen im Friseurhandwerk besonders häufig anzutreffen sind. Bei der Analyse von 22 000 Salonnamen – mit
Entwicklung von Angebot und Nachfrage
97
dem Untertitel: »Verhairendes Haar-a-kiri« – hat man zudem festgestellt, dass hinsichtlich ihrer Nutzung sowohl ein Ost-West wie auch ein NordSüd-Gefälle anzutreffen sind. Den im Bundesdurchschnitt höchsten Anteil an Wort- und Sprachspiel verzeichnet demnach, aus welchen Gründen auch immer, Mecklenburg-Vorpommern. Viele weitere Namenskreationen und Überlegungen dazu finden sich dort wie auch an anderen Stellen.31 Ob es nun um das berufliche Handeln des Friseurs geht, um die Beziehungen zum Kunden oder um das Haar selbst – viele dieser Schöpfungen atmen etwas, das direkt wie indirekt auf Veränderungen in der Berufswelt der Friseure, auf veränderte Beziehungen zu den Kunden, und auch auf veränderte Berufs- und Lebenswelten beider hindeutet. Eine feinsäuberlich in Damen- und Herrensalon geordnete Welt eines familienbenannten Friseursalons »XY« ist weitgehend verschwunden. Der Salon ist zum Studio, zur »FrisierBar« oder zum »Kopf Loft« geworden, der Schnitt zur »Schnittstelle«, vieles geht »Hin und Hair«. Und viele der sonstigen, mehr oder weniger ernsthaften Ambitionen und Versprechungen, die in oder hinter den Namens-kund-gebungen stecken, vermitteln zumindest eine angestrengte Suche, eine Auseinandersetzung, wenn nicht gar einen Kampf um oder gegen etwas nicht so recht Planbares, nur schwer Überschaubares, Unruhiges, Ungeordnetes. Um oder gegen etwas, das man nicht so leicht in den Griff bekommt, aber gern beispielsweise zur »Linientreu(e)« brächte. Ob das nun auf den oder das »Chaarakthair« des Kunden gemünzt sein mag oder auf den bereits so genannten ›Unruhestifter Haar‹, sei dahingestellt. Hinter solchen Namensgebungen verstecken sich verschiedenste Hinweise. Waschen, Schneiden, Legen, Föhnen etc. ist nicht alles, was Leute erwarten, wenn sie zum Friseur gehen. Friseure sollen auch Typberater, Seelentröster, Talkmeister, Therapeuten, Stimmungsaufheller, regelmäßig wichtige, lebensstrukturierende Anlaufpunkte und vieles mehr sein. In ihnen, den Benennungen dieses Orts, verbergen sich Wünsche, Ambitionen, Hoffnungen wie Versprechen. Ihnen sind ebenso Hinweise darauf zu entnehmen, dass hinter den blumigen Angeboten auch sehr konkrete Anforderungen und Belastungen stehen.
98
5
Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches
Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen
Der weitgefächerten Palette von Anforderungen an Friseure und den animierenden Wortschöpfungen und Namensgebungen der Friseursalons stehen allerdings auch einige Schattenseiten der Beschäftigung im Friseurhandwerk gegenüber. Neben dem vergleichsweise geringen Verdienst zählen hierzu vor allem friseurtypische Belastungen. Darauf weist etwa die Internetseite »welt/gesundheit« mit der alarmierenden Überschrift hin: »Krank im Job – Friseur ist ein gefährlicher Beruf«.32 Unter Berufung auf eine 2015 im »Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonometrie« veröffentlichte Studie sind vor allem Hautreizungen und Allergien die Belastungen die Gründe dafür, dass Friseure ihre Arbeit frühzeitig aufgeben. Aber es geht nicht nur um Hautreizungen durch den ständigen Kontakt mit Wasser, nassem Haar und chemischen Präparaten, sondern auch um Beeinträchtigungen der Atemwege durch Stäube, Dämpfe, Pulver und Sprays. Ein weiteres Gesundheitsrisiko stellen die Erkrankungen des Bewegungsapparats dar. Das lange Stehen wie die oft erforderlichen einseitigen Körperhaltungen belasten sowohl die Handgelenke wie auch den Rücken und die Schultern. Friseure und Kosmetiker, so wird festgestellt, »geben mit 47,3 Prozent wesentlich häufiger an, im Laufe der letzten sieben Tage unter Rückenschmerzen gelitten zu haben. Menschen in anderen Berufen, wie Kaufleute, Gebäudereiniger, Techniker oder Manager beklagen sich mit 34,4 Prozent deutlich seltener darüber.« Obwohl im Friseurhandwerk vorwiegend junge Menschen beschäftigt sind, »müssen sie besonders häufig wegen Schmerzen in den Händen, an den Armen und an der Wirbelsäule krankgeschrieben werden.« Dies sind die wesentlichen Gründe für Krankmeldungen, für Berufsunfähigkeit oder auch den – nicht seltenen – Wechsel des Berufs. Die Altersstruktur der in diesem Beruf Tätigen wird durch die genannten Faktoren beeinflusst. Der Statistik ist zu entnehmen, dass diejenigen, die diesen Beruf ausüben, in etwas größerem Umfang der Altersgruppe der 25- bis unter 35-Jährigen zugehören (34,1 Prozent), weitere knapp 30 Prozent entfallen auf diejenigen zwischen 35 bis unter 50 Jahren. Signifikante Unterschiede zu den anderen Altersgruppen gibt es nicht. Nur über 50-Jährige finden sich deutlich weniger (14 Prozent).33 Inwieweit dies auch mit dem hoch interessanten und brisanten Aspekt der ›psychischen Belastungsfaktoren‹ in diesem Beruf zu tun haben mag, sei dahingestellt. Dass Friseure bei dem ständigen direkten Körperkon-
Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen
99
takt auch die Psyche ihrer Kunden berühren – und damit auch ihrer eigene – steht außer Frage. So gesehen ist erstaunlich, dass man selbst in einer Quelle wie dem von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege 2005 über das Friseurhandwerk herausgegebenen Gesundheitsreport im Abschnitt »Psychische Belastungen und Stress« hierzu eher nur kryptische Hinweise findet wie: »Stress, Termindruck und Ärger belasten – und können bestehende Hautprobleme verschlimmern.« Auch Hauterkrankungen können hohe psychische Belastungen nach sich ziehen. »Viele Erkrankte leiden unter Ablehnungsängsten […] Als zusätzlicher Stressfaktor wirkt die Angst um den Arbeitsplatz.«34 Hinweise dieser Art überraschen allerdings nicht allzu sehr. Die Arbeitsmedizin wendet sich meist den körperlichen Aspekten zu, im Focus der Arbeitspsychologie stehen vorwiegend Stresssymptome, Burnout u. ä. Emotionale Aspekte, insbesondere bei der personennahen Arbeit mit Kunden, bleiben noch immer weitgehend unbeachtet. Umso beachtenswerter z. B. ein Hinweis in der Süddeutschen Zeitung, dass den Aspekten einer ›Emotionsarbeit‹ im Dienstleistungsbereich viel mehr Aufmerksamkeit zukommen müsse. Denn dort seien die Gefühle zu einem »Kapital geworden, das man für den beruflichen Erfolg braucht und einsetzen muss.« Wie man das tut, kann dabei allerdings fördernd wie auch abträglich sein. Mit der Devise »Immer schön lächeln«, wie es dort ›so schön‹ heißt, scheint es definitiv nicht getan zu sein.35 Hierzu mehr im folgenden Teil.
Otto Dix, Der Gott der Friseure
Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2020
I V U n s i c h t b a r e s H a n d e l n – d i e ( U n - ) M ö g l i c h k e i t, ein guter Friseur zu sein
In diesem Teil betreten wir die Bühne des Friseursalons, auf der wir als haartragende Kunden, der Friseur und das Haar in den Hauptrollen auftreten. Zur Bühne gehören auch die berühmten Bretter, auf denen all dieses stattfindet und die das Geschehen tragen (sollen). In Fortsetzung der demografischen Betrachtungen aus dem letzten Teil III zunächst einige Informationen, die sich vor allem auf die formalen Qualifikationen und die Vorstellungen und Erwartungen an das Können in diesem Beruf beziehen (Abschnitt IV.1). Dann ein erster Schritt hinein in die wesentlichen Ereignisse im Salon, die wir alle mehr oder minder genau kennen (Abschnitt IV.2). Hinter diesen Geschehnissen steckt jedoch weit mehr als es der erste Blick verrät. Das macht zum einen die Betrachtung der Besonderheiten der Dienstleistungsarbeit deutlich (Abschnitt IV.3). Noch klarer tritt dies dann bei der genaueren Untersuchung des Handelns der Friseure zu Tage, dann nämlich, wenn man das Augen- und Sinnesmerk auf die Kooperation und Verständigung mit den Kunden, den Umgang mit eigenen und den Gefühlen des Anderen, und den Umgang mit den Haaren selbst lenkt. Aus diesem Grunde widmen wir diesen Aspekten jeweils eigene Abschnitte (IV.4, IV.5 und IV.6).
1
Der Friseur als Beruf
Der Friseurberuf ist in Deutschland nach der 1957 erfolgten Anerkennung des Berufsbilds für das Friseur-Handwerk und dem in Kraft-Treten der Ausbildungsordnung nach dem Berufsbildungsgesetz (1973) ein 3-jäh© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. G. Bauer und F. Böhle, Haarige Kunst, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0_4
103
88,7
7,4
Mit abgeschl. Berufsausbildung
Berufl. Ausbildung unbekannt
8,2
87,9
3,8
2000
9,4
86,9
3,6
2001
10,7
85,7
3,5
2002
12,2
84,3
3,4
2003
13,6
82,9
3,5
2004
14,8
81,7
3,4
2005
16,1
80,5
3,2
2006
17,6
79,2
3,1
2007
18,7
78,1
3,0
2008
20,0
76,8
2,9
2009
21,1
75,8
2,9
2010
22,4
74,5
2,8
2011
14,8
81,8*
3,3*
Quelle: Beschäftigten- und Arbeitslosenstatistik der BA, Berufe im Spiegel der Statistik – IAB-Forschungsgruppe ›Berufliche Arbeitsmärkte‹ zum gegenwärtig abrufbaren Zeitrahmen (1999 – 2011) (Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (o. J.), http://bisds.infosys.iab.de/bisds/result?region= 19&beruf=BO901&qualifikation=2.)/ * Durchschnittszahlen: Eigene Berechng. d. Verf.
3,8
Ohne abgeschl. Berufsausbildung
1999
Tab. 4 Qualifikation
104 Unsichtbares Handeln
Der Friseur als Beruf
105
riger anerkannter Ausbildungsberuf im Handwerk. Den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit zufolge besitzen durchschnittlich mehr als 80 % der berufstätigen Friseure eine abgeschlossene Berufsausbildung. Festzustellen ist allerdings, dass seit ca. 2008 die Ausbildungszahlen deutlich zurückgegangen sind und das »Handwerksblatt« dazu veranlasst, von »großen Nachwuchssorgen«1 zu berichten. Die Erklärungen und Interpretationen sind vielfältig. Sie reichen von der allgemeinen demografischen Entwicklung über die sinkenden Zahlen der Ausbildungsverträge im Handwerk allgemein2 und die gestiegenen Abbruchszahlen in der Ausbildung3 bis hin zu Fragen des Status, des Images und der Attraktivität des Friseurberufs. All dem können wir hier nicht im Detail nachgehen. Interessant ist jedoch, dass neuere ausbildungsbezogene Verordnungen und Novellierungen (1997, 2008) erkennen lassen: Mit der traditionellen Tätigkeitsbeschreibung durch Waschen, Schneiden, Föhnen ist es schon seit Längerem nicht mehr getan. Inhalte wie Trend-, Typ- und Beautyberatung sowie eine stärkere Betonung kommunikativer Kompetenzen und neue Anforderungen an handwerklich-praktische Fertigkeiten spielen eine zunehmende Rolle. Der 2008 erlassenen Verordnung ist zu entnehmen, dass das Augenmerk seither verstärkt auf erweiterte »berufsprofilgebende und integrative Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten«4 sowie auf neue Aufgaben in den Bereichen Marketing, Kundenmanagement und Betriebsorganisation gerichtet wird. Dennoch wird an mancher Stelle befürchtet, dass es Friseuren »aufgrund ihrer Regelausbildung nur selten möglich« ist, »die Besonderheiten des Individuums zu erkennen und in die Dienstleistung zu integrieren.«5 Die Internetseite »Friseur News« wiederum stellt dar, welche Leistungen und Fähigkeiten heute von Friseuren erwartet werden, um heute im Markt erfolgreich zu sein und »mehr als nur ›Fast-Leistungen‹« zu verkaufen: ∘∘ ∘∘ ∘∘ ∘∘ ∘∘ ∘∘
»Geschick und Fingerfertigkeit eines Feinmechanikers Einfühlungsvermögen und soziale Kompetenz einer Sozialarbeiterin Freundlichkeit und Dienstleistungsbereitschaft einer Servicekraft Geschmack und Fachwissen einer Schönheitsberaterin Grundwissen und Kenntnisse eines Chemiearbeiters Wissen und Können eines Kaufmanns.«6
Man betrachtet dort den Friseurberuf daher als »äußerst anspruchsvoll«, der ständiger Weiterbildung und Aktualisierung eigenen Wissens«7 bedarf. Dies gilt umso mehr, als auch dieser Beruf die besonderen Anforderungen zu erfüllen habe, die von heutiger Dienstleistungsarbeit erwartet werden.
106
2
Unsichtbares Handeln
Das Geschehen im Friseursalon
Für die meisten Menschen besitzt der Besuch des Friseursalons den Charakter eines mehr oder minder ausgeprägten Rituals – sei der Anlass hierfür nur die flüchtige Haarbearbeitung aus purer Notwendigkeit oder der Wunsch, die Alltagsroutine zu durchbrechen, Zeit für sich selbst zu schaffen, das eigene Wohlbefinden zu pflegen, bis hin zu dem Bedürfnis, das Aussehen, die Rolle, die Persönlichkeit und sogar bestimmte Lebensabschnitte zu verändern. Mit dem Salonbesuch sind freudige, erfolgsge krönte Erlebnisse, aber auch deprimierende Erinnerungen verknüpft. Er beinhaltet Herausforderungen und Chancen für Gestaltung, aber genauso Unsicherheiten, Befürchtungen, gar Ängste – auf beiden Seiten. Viele Geschichten, die über Friseurbesuche erzählt werden, spiegeln deren rituellen Charakter. Denn es handelt sich um Situationen, die immer wiederkehren, typisch, markant und nicht einfach zu handhaben sind. Um solche komplexe Situationen besser bewältigen zu können, werden zu ihrer Vereinfachung häufig rituelle Elemente eingesetzt. Dass wir hierbei überhaupt (noch) von einem ›Salon‹-Besuch sprechen, geht auf das Verständnis des 18. Jahrhunderts zurück, als man solche als Räumlichkeiten
Abb. 7 Friseursalon Marokko
Foto: Hans G. Bauer
Abb. 8 Friseursalon Europa
Copyright: Nadia Gentile
Das Geschehen im Friseursalon
107
für intime Empfänge einrichtete und nutzte. Heute kommen Bezeichnungen wie ›shop‹, ›point‹, ›Laden‹ oder ähnliches hinzu. Das Geschehen im ›Salon‹ ist jedoch – selbst interkulturell betrachtet – vergleichsweise konstant geblieben. Wenden wir uns also dem uns allen bekannten Ablauf des Besuchs im Salon zu. Unsere Beobachtungen und Überlegungen werden hierbei von verschiedenen ›Friseurgeschichten‹ begleitet, die man, aus Kundensicht erzählt, heute in zunehmendem Maße im Internet auffinden kann. Der Eintritt in den Salon Die erste Begegnung zwischen Kunde und Friseur ist nicht nur der technische Beginn eines Arbeitsprozesses, sondern ein ›Eintritts- und Begegnungsritual‹. Dieses beginnt, genau genommen, bereits bei der Terminvereinbarung – falls eine solche möglich und erforderlich ist – und direkt jedenfalls beim Betreten des Salons und dem ›ersten Blick‹. Für Friseure ist das immer wieder eine neue Begegnung, ob Star-Friseur mit VIP-Publikum, ob traditioneller (Familien-)Salon, oder ob ›shop‹, der vor allem auf eine vorbeieilende Laufkundschaft ausgerichtet ist. Kein Tag und kein Kunde ist wie der andere, und selbst ein Stammkunde sorgt ab und an für Überraschungen. Immer wieder bedeutet dies eine neue Begegnung für den Friseur. Aber auch für Kunden bedeutet etwa der Wechsel des Salons oder des Friseurs ein Wagnis – immer wieder begleitet von der Suche nach Vertrauen, Verständnis, nach angemessenen persönlichen Umgangsformen und ausreichendem Einfühlungsvermögen, genauso aber auch nach einer möglichst schnellen, professionellen und kostengünstigen Behandlung bzw. Bearbeitung. Der Eintritt in den Friseursalon ist nicht nur ein Schritt hinein in einen Ort mit handwerklich-technischem Interieur. Man begibt sich hinein in eine Atmosphäre, die Wohlbefinden und Geborgenheit vermittelt – gegebenenfalls aber auch einen Widerwillen, wenn sie an eine Anstalt mehr oder weniger pflichtmäßiger Körperpflege erinnert.
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Unsichtbares Handeln
Abb. 9 Stefan Moses, Ende mit Wende
Copyright: Else Bechteler-Moses
Neugierig betrachtete sie die Auslagen im Schaufenster und warf einen Blick in den Salon. Hier scheint ein wenig die Zeit stehengeblieben zu sein, dachte sie bei sich. Die Auslagen in Form von Shampooflaschen, Rasiercremetuben, Klingen u. ä., waren vom Sonnenlicht schon mächtig verblichen, und auch die Leuchtreklame eines bekannten Haarprodukteherstellers, hatte die beste Zeit schon hinter sich. Im Laden selber war ein Friseur älteren Semesters gerade dabei, seinem Kunden den Nacken auszurasieren. Es dauerte nicht lange, und er bat sie mit einem Handzeichen in den Salon zu kommen. Sie nahm in einem der beiden 50er Jahre Sessel Platz. Der Salon versprühte einen regelrecht nostalgischen Charme, und sie fühlte sich in dem von Birken- und Rasierwasserduft geschwängerten Raum nicht unwohl. Zwei mächtige, sehr gepflegte lederbezogene Friseurstühle mit Nackenstütze, cremefarbene Vorwärtswaschbecken, eine Trockenhaube an der Wand die schon lange Jahre außer Betrieb zu
Das Geschehen im Friseursalon
109
sein schien und eine Haarschneidemaschine, die laut und vernehmlich ratternd ihren Dienst verrichtete, gehörten ebenfalls zur Ausstattung. Nicht zu vergessen der Friseurstuhl für die kleinsten Kunden, in Form eines Schaukelpferdchens aus Holz! Außerdem schien er ein Liebhaber alter Friseurutensilien zu sein, denn überall im Salon waren liebevoll Lockenwickler, Haarklemmen, Reklameschildchen und ähnliche friseurtypische Dinge ausgestellt.8
Ich öffnete die Tür des sehr modern eingerichteten Dorfsalons. Der Räumlichkeiten waren sehr beengt und es herrschte rege Betriebsamkeit. Das Friseurteam war jung, betont modisch frisiert und gekleidet, brachte frischen Wind in dem kleinen Salon. Der Chef, den ich auf Mitte 30 schätze, wirkte ein bisschen wie eine Mischung aus Künstler und Barkeeper. Die Räumlichkeiten verteilten sich auf zwei Bereiche. Die Herren wurden im vorderen Bereich mit Blick zur Straße bedient, während den Damen abgeschirmt von neugierigen Blicken der hintere Bereich inmitten von Trockenhauben und Utensilienrolltischen vorbehalten blieb. Als Geräuschkulisse diente Popmusik.9
Als Carina den Salon betrat, wurde sie von Ariane mit einem Glas Sekt begrüßt und gebeten noch einen Moment Platz zu nehmen, da noch alle Plätze besetzt seien. Dann kam ein Friseur auf Carina zu und stellte sich als Paul vor. Er lächelte sie freundlich an, sagte, dass er neu sei und sie ihm doch bitte folgen sollte. Er lächelte so freundlich, dass Carina sofort Vertrauen zu ihm hatte. Sie war sich sicher, dass dieser Mann ihre Wünsche perfekt umsetzen würde.10
Als ich vor dem Salon stand war ich überwältigt. Es sah eher aus wie eines dieser amerikanischen Warenhäuser, wie ich es mal auf einem Foto gesehen hatte. Etwas unsicher ging ich hinein und staunte noch mehr. Überall Spiegel, Chrom, Glas, und, und, und! Ich stand da mit
110
Unsichtbares Handeln
offenem Mund, als eine wunderschöne Dame in einem schwarzen Friseurgewand auf mich zukam. Sie hatte pechschwarzes kurzes zurückgegeltes Haar und sah einfach umwerfend aus. Sie fragte mich nach einem Termin. Termin? So was hatte ich gar nicht. Egal, ich hätte Glück, es wäre im Moment nicht viel los. Sie führte mich zu einem der vielen Friseurstühle und ich setzte mich hinein. Während sie mir einen schwarzen Frisierumhang umlegte, fragte sie, was ich den für einen Haarschnitt wollte. Nur nicht zu kurz, antwortete ich etwas schüchtern. Mal sehen, sagte sie, und löste zunächst meinen Dutt. Sie pfiff durch die Zähne und sagte Donnerwetter, solche Haare hatten wir ja noch nie. Und die sollen ab, ja? Ja! Okay mal sehen, wie wäre es mit einem Bob?11
Die Kommunikation im Salon Eine immer wiederkehrende Situation ist der Wechsel zwischen den ›handgreiflichen‹ Aktivitäten des Friseurs und den diversen Gesprächen, die dessen Handlungen zum Teil begleiten müssen, aber auch weit darüber hinausgehen können. Dies beginnt mit Erörterungen von Wünschen, Fragen, Vorstellungen und Planungen. Das kann eine Sequenz sehr ausgeprägter, aber auch minimalistischer Art sein. Oft gibt es gar keinen klaren Übergang zu der Situation, in der der Friseur dann wirklich ›zu Werke‹ und ans Haar geht.
Meine Mutter wurde von einer sympathischen Friseurin freundlich begrüßt, ganz herzlich willkommen geheißen – und sofort zu einem der freien Frisiersessel begleitet. Auf die spontane Frage der Friseurin, ob sich meine Mutter denn, anstelle der bewährten ›Elke-KastFönfrisur‹ zu etwas frischerem, kreativerem entschließen könne, erkundigte sich meine Mutter vorsichtig, welcher ›Stil‹ der Friseurin denn vorschwebe, welche Art Frisur sie denn im Auge habe.12
Das Geschehen im Friseursalon
111
»Wenn Sie’s denn ganz mir überließen, ich würde Ihre aktuelle Haarfarbe ziemlich deutlich aufhellen, ein nettes Aschblond vielleicht … und hier, den bauschigen Deckhaarbereich doch recht … nennen wir’s ruhig ’mal couragiert kürzen«, schlug sie vor, während sie meiner Mutter zunächst vorsichtig, dann etwas überzeugter von vorn nach hinten durchs zuhause toupierte Haar strich. Meine Mutter überlegte hin und her, betrachtete recht zögerlich das Foto eben jener Moderatorin, verglich das Illustriertenfoto dann im Spiegel mit ihrer gewohnten Föhnfrisur. »Es fällt mir nicht leicht, aber wenn Sie meinen« – und beide nickten sich plötzlich zu.13 Was im Friseursalon kommunikativ abläuft, wird häufig als ›das Friseurgespräch‹ bezeichnetet. Die Palette der Erfahrungen und Empfindungen hiermit reicht, abhängig von Art, Form, Inhalt, Beziehung usw., von höchst beglückend bis hin zu zutiefst deprimierend. Oft scheint es, dass vor allem diese Sequenz für das Gefühl einer gelungenen Dienstleistung ähnlich entscheidend ist wie ihr physisch-sichtbares Ergebnis und Produkt selbst.
Der emeritierte Professor der Literaturwissenschaften ist wie gewohnt mit seiner Frau, einer ehemaligen Deutschlehrerin, in den Salon gekommen. Der Professor, ein kleines, dünnes Männchen mit schon reichlich schütterem Haar geht am Stock, gestützt auf den Arm seiner Frau, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich dem guten alten Professor nicht mehr lange die Haare schneiden werde. Wie es um den Geisteszustand von Monsieur bestellt ist, weiß ich nicht so genau, denn von Mal zu Mal redet er mehr Französisch als Deutsch mit mir, und Französisch habe ich nie gelernt. Es ist ein bisschen wie zu Zeiten der babylonischen Sprachverwirrung, aber das macht nichts, ich unterhalte mich trotzdem prächtig mit ihm. Und wenn die Sprachverwirrung allzu groß wird, dann mischt sich seine Frau ein, die ich nie auch nur eine Silbe auf Französisch habe reden hören. Nicht einmal das einfachste Fremdwort kommt ihr über die Lippen.14
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Unsichtbares Handeln
Ich liebe meinen Beruf von ganzem Herzen, wirklich. Nur hat auch der Friseurberuf wie jedes andere Handwerk so seine Schattenseiten. In meinem Falle sind das Urlaubsgeschichten. Natürlich ist mir klar, warum ausgerechnet wir Friseure uns diese anhören müssen: weil wir uns, da mit dem Haareschneiden beschäftigt, nicht die Ohren zuhalten können. So z. B. Norbert über seinen Kreta-Urlaub. Aber nach Wetter, Flug, Kultur, Essen etc. hört Norbert plötzlich auf zu reden. Ich erschrecke richtig und will ihn schon fragen, ob ihm nicht gut ist. Da sagt er: »Die Mücken! Die Mücken, Moskitos!« »Was ist mit denen?« hacke ich nach, obwohl ich schon ahne, was dann kommt. Und das kommt dann auch. Es kommen in aller Ausführlichkeit die Kämpfe gegen die Stechmücken, »die mich aussaugen wie eine Horde Vampire, und draußen die jaulenden Katzen, die keine Ruhe geben«.15 In einer neueren ZEIT-online-Ausgabe (2019) macht sich der Autor Niclas Seydack Gedanken über die von ihm so erlebte Veränderung dieser Kommunikation mit seinem Friseur: »Früher unterhielten wir uns über das Wetter, Fußball, sogar über private Probleme. Ich war seltsam offen gegenüber einem Fremden und manchmal hatte der Friseur sogar einen guten Rat. Neuerdings hält er bloß noch die Haare zwischen den Fingern und schlägt auf diese Art vor, wie viel er abschneiden will. Aus Gesprächen ist Zeichensprache geworden und man wird für eine halbe Stunde zur kompletten Passivität verdonnert.« Dies hat ihn sogar zu einer Nachfrage beim Zentralverband des Friseurhandwerks veranlasst. Die Auskunft: »Friseure und Friseurinnen kommunizieren genauso viel und gern wie früher. Es liege immer an den Kunden. Wenn sie freundliche Signale senden, fängt der Friseur ein Gespräch an. Wenn nicht, werden sie vom Friseur in Ruhe gelassen.«16 Ohne Frage ist die Kommunikation ein zentraler Dreh- und Angelpunkt der Handlungsherausforderungen im Salon. Ein weiterer: Die Arbeit am und mit dem Haar Trotz aller begleitenden Gespräche und Umstände bildet die Arbeit an und mit dem Haar den Kern des Geschehens. Sie umfasst all das, was in Kurzformeln wie ›Waschen, Schneiden, Färben, Legen, Föhnen‹ untergebracht
Das Geschehen im Friseursalon
113
wird und von einer Standardbehandlung bis hin zur künstlerischen Kreation reicht.
Sein Lächeln wich der Konzentration eines Bildhauers, während er den Hinterkopf kunstvoll in langen ausladenden Bahnen bis einen Zentimeter unterhalb der Oberkopfkante auf drei Millimeter Länge ausrasierte. Immer wieder schor er mit der Maschine hinauf, bis ein fein geschnittener Rasen auf dem Hinterkopf der Dame entstand. Er trat einen Schritt zurück, betrachtete sein Werk, die nickte kurz, und er setzte sein Werk an den Seiten mit strenger Miene zügig fort.17
Es bot das Bild eines Künstlers, dem die trotz aller Routine der Blick für das Individuum nicht verloren gegangen ist. Seine Kundin schien nicht mehr zu interessieren, was er auf ihrem Kopf hinlegte, sondern wusste, dass sie einen extrem auffälligen Schnitt bekam, der ihre Persönlichkeit betonte. Zum Schluss schnitt er noch einen der Kante angepassten wie mit dem Lineal gezogen einen dichten Pony. Der Meister wusste durch seine Art, seine Gewissenhaftigkeit und Verantwortung ohne jeden Zweifel zu überzeugen. Der Künstler betrachtete sein Werk noch einmal kritisch von allen Seiten, kämmte da Haar in Form, bevor er in gestenreichen Bewegungen den Kopf der Dame besprühte. Dieses Werk hatte Hand und Fuß, und man sah ihm den Stolz an und konnte im Stillen erahnen, wie sehr er dabei in sich ging. Zum Abschluss ließ er sich einen Spiegel reichen, um der jungen Dame sein Kunstwerk zu präsentieren und vernahm erleichtert ihr anerkennendes Nicken. Diese Bescheidenheit machte ihm so sympathisch. Genauso sollte es sein. Der Mann verstand sein Handwerk und hatte obendrein Sinn für Geschmack und Kundennähe.18 Die Rollen sind hier klar definiert und verteilt. Als Kunden haben wir uns einzufügen und stillzuhalten. Wir können das, was geschieht, im Spiegel beobachten, müssen aber darauf vertrauen, dass alles so abläuft wie gewünscht oder bei einer Überraschung dennoch glückt. Ein gewisses Durchhaltevermögen ist gefordert. Denn es ist ja gar nicht erst der letzte Blick in den Spiegel, der eventuell nicht ganz leicht zu ertragen ist. Niclas Sey-
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Das Geschehen im Friseursalon
Abb. 14 Figaro 5
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dack, der sich schon oben Gedanken über die Friseurgespräche gemacht hat, beschreibt und reflektiert sehr anschaulich, wenngleich vielleicht etwas dramatisiert, die Situation, die der plötzliche Dauerblick in den Spiegel hervorrufen kann. Ihn jedenfalls entmutigt und befremdet er intensiv, stürze ihn sogar in eine »Lebenskrise«, dass das Starren in die eigenen Augen sein Selbstgefühl regelrecht »verzwerge«: »Neulich saß ich auf einem Frisierstuhl und bekam zu meinem Haarschnitt eine Lebenskrise. Den Körper eingewickelt in einen schwarzen Umhang, den Hals in einer papiernen Halskrause, starrte ich in den Spiegel: Was mache ich eigentlich aus meinem Leben? Bei wem hatte ich mich viel zu lange nicht gemeldet? Habe ich mir eigentlich heute Morgen die Ohren geputzt? Ekelt sich der Friseur vielleicht vor mir? Und vor allem, wie unförmig sind meine Ohren eigentlich? Nach einigen Minuten war ich sicher: Ich habe wahrscheinlich die seltsamsten Ohren der Welt, angeklebt an einen eingedrückten Eierkopf. Unterbrochen wurde meine Gedanken nur von diesem Geräusch: Raaatz. Raaatz. Raatz. … Aus der Literatur weiß man, dass extreme Selbstbespiegelung meistens böse aussieht und böse endet. Die antike Sagengestalt Narziss verliebte sich in sein Spiegelbild, das er in einem See
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sah. Er ertrank, weil es ihm nicht gelingen wollte, seinen Doppelgänger zu küssen. Weil ihr Spieglein-Spieglein feststellt, dass ein gewisses Schneewittchen wesentlich hübscher sei als sie, begibt sich eine böse Hexe auf Rachefeldzug. Und die Autorin Annette von Droste-Hülshoff dichtete über den eigenen Anblick im Spiegel: ›Mit Zügen, worin wunderlich zwei Seelen wie Spione sich umschleichen / Ja, dann flüstre ich: Phantom, du bist nicht meinesgleichen‹.«19 Abschluss und Abschied Den Abschluss des Geschehens bildet üblicherweise der rituell um das Haupt geschwenkte Spiegel. Vielleicht schon im Blick in den Spiegel, jedenfalls aber danach geht es um die Einschätzung und Beurteilung des Gelingens oder Misslingens des Ergebnisses und all des bisher Erlebten. Dazu gehören auch so wichtige geschäftliche Dinge gehören wie die Bezahlung, die Frage des Trinkgelds, des Verkaufs von Pflegeartikeln, Kosmetika, Accessoires u. ä. Will man ganz genau sein, gibt es auch (beiderseitigen) Aktionen und Reaktionen, die nach dem Schließen der Salontüre stattfinden …
Als er den Clipper ausschaltete, öffnete sie langsam ihre Augen, fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf und lächelte. Der neue Look stand ihr fabelhaft. Große blaue Augen blickten sie unter roten Stoppeln an. Auch Paul war zu mehr als einem Wow nicht fähig. Auch er lächelte und streichelte über ihren Kopf. Gemeinsam gingen sie in Richtung Ausgang. An der Kasse lag eine Frisurenzeitschrift. Es war die, die sie heute Morgen zuerst in der Hand gehabt hatte. Sie schlug die Seite mit den Langhaarfrisuren auf, lächelte und wusste, dass sie die Haare jetzt länger als ein halbes Jahr würde wachsen lassen müssen, wenn sie diese Frisur wollte. Aber man weiß ja nie! Sie lächelte und verließ gemeinsam mit Paul den Laden.20
Er erlöste die Dame von der Beengtheit der Papierkrause, strich mit dem Nackenpinsel großzügig die letzten Härchen beiseite, bevor er ihr das Cape abnahm Sie stand erhobenen Hauptes auf, griff sich ein
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wenig verstohlen, aber genüsslich in den Nacken, während er sich in der Manier eines Gentleman und Künstlers nach einer Aufführung verbeugte.21 All diese Geschehnisse werden beeinflusst durch den jeweiligen Salontyp, die mit ihm verknüpfte Stamm- oder Laufkundschaft, die Räumlichkeiten, ihre Möblierung und Gestaltung, das jeweilige Ambiente also, und, last but not least, durch den angebotenen (Zusatz-) Service in Sachen Lesestoff, Getränke, Musik etc. Doch all dies spielt lediglich und für alle sichtbar auf der Vorderbühne. Weit weniger offensichtlich, aber für das Gelingen oder Misslingen des Geschehens im Salon umso bedeutungsvoller, ist die Art und Weise, wie und mit welcher Intention all das zu Wege gebracht wird. Um die Arbeit im Salon, die hinter der Oberfläche stattfindet, genauer in den Blick zu bekommen, müssen einige Besonderheiten der Dienstleistungsarbeit berücksichtigt werden.
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Das Besondere der Dienstleistungsarbeit
Die Bedeutung der Dienstleistungssektors ist in allen westlichen Gesellschaften seit den 1970-er Jahren enorm angewachsen und hat mit fast 70 % der Beschäftigten den Sektor der industriellen Produktion heute weit hinter sich gelassen. Die Arbeit, die in diesem Sektor heute erforderlich ist, weist Besonderheiten auf, die häufig nicht beachtet werden. Das Verständnis von Arbeit ist noch immer sehr vom Modell der Industriearbeit geprägt. Es bezieht sich auf die Herstellung materieller oder immaterieller Gegenstände und folgt dem Gedanken der ›Naturbeherrschung‹. Auch das Verständnis handwerklicher Berufe ist von der Vorstellung geprägt, dass Arbeit an einem Gegenstand geleistet wird. Dienstleistungen sind jedoch eine soziale Angelegenheit. Sie beinhalten nicht nur die Bearbeitung materieller oder immaterieller Gegenstände, sondern beziehen sich auf die Arbeit mit und am Menschen im Kontakt mit ›Kunden‹, ›Klienten‹ oder ›Patienten‹. Das gilt für die Pflege und die Erziehung genauso wie für den Banken- oder Versicherungsbereich, den Handel oder die Softwareentwicklung. In der Pflege und der Erziehung ist der Kontakt zu den ›Empfängern‹ der Dienstleistung der Kern der Tätigkeit. Der Empfänger der
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Dienstleistung erlebt hier nicht nur eine Dienstleistung (wie etwa bei Versicherungen), sondern er ist auch ihr unmittelbarer ›Gegenstand‹. Die Arbeit erfolgt somit mit und an ihm. Daher spricht man hier von ›personenbezogenen Dienstleistungen‹. Das ist auch beim Friseurhandwerk der Fall. Wenn die Arbeit des Friseurs beschrieben wird, erfolgt dies meist mit dem Hinweis, dass es neben den handwerklichen Fertigkeiten besonders auf die Kommunikation mit dem Kunden ankomme. Alleine das beschreibt und erklärt die tatsächlich stattfindende soziale Interaktion jedoch bei weitem nicht ausreichend. Denn diese ist ein komplexer, vielschichtiger und wechselseitiger Prozess, der weit über sprachliche Kommunikation hinausreicht. Es geht hierbei nicht alleine um kommunikative Fähigkeiten. Der Kunde muss vielmehr in seiner körperlichen wie psychisch-geistigen Ganzheit als Subjekt verstanden und behandelt werden. Er ist keinesfalls lediglich ein ›Objekt‹, das es zu ›bearbeiten‹ gilt. Gerade auch körperbezogene, physisch-praktische Handlungen an Kunden können nicht wie bei sonstiger Arbeit nach einem Muster der (Natur-)Beherrschung stattfinden. Die einschlägige Forschung spricht deshalb von einer ›Interaktionsarbeit‹, die eine Reihe Besonderheiten aufweist, durch die sie sich von sonstiger Arbeit unterscheidet. Das Uno-actu-Prinzip Bei personenbezogenen Dienstleistungen findet die ›Herstellung‹ des Produkts wie auch sein ›Konsum‹ in ein ›und derselben Situation‹ stattfinden. Die Dienstleistung wird also räumlich wie zeitlich in dem Moment, in dem sie erbracht wird, auch konsumiert. Bereits dieses so genannte ›unoactu-Prinzip‹ beinhaltet eine gewisse Dramatik. Denn das, was in dieser Situation hergestellt wird, ist mehr oder minder irreversibel – es muss ›konsumiert‹ werden. Die Ko-Produktion Der Dienstleister und Empfänger der Dienstleistung müssen zusammenarbeiten, damit die Dienstleistung zum Wohle und zur Befriedigung beider erbracht werden kann (Prinzip der ›Ko-Produktion‹). Denn für personenbezogene Dienstleistungen ist typisch, dass weder der Gegenstand noch die Vorgehensweise der Leistung von vornherein festliegen.22 Es tauchen immer wieder Unklarheiten darüber auf, was erwartet werden kann
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und was hierfür zu tun ist. So müssen zunächst das Ziel bzw. Produkt der Dienstleistung bestimmt oder definiert werden, was eine Abstimmung zwischen den Akteuren erfordert. Aber auch der Weg zum Ziel liegt keineswegs von Anfang an fest. Dienstleister und Kunde müssen ihre Handlungen so aufeinander abstimmen, dass das Ergebnis (am besten) erreicht werden kann – was sich allerdings erst zu Ende der vollzogenen Dienstleistung bewerten lässt. Dienstleistungen sind, so gesehen, eigentlich ›nur‹ Versprechen. Psychologen benutzen deshalb gern das Bild eines ›unvollständigen Vertrags‹, um diese ›labile‹ Beziehung abzubilden. Vertrauensbildung ist im Prozess der Dienstleistung daher ein höchst bedeutsames Arbeitsmittel, wobei es zur Stabilisierung dieser zunächst schwankenden, unsicheren Beziehung meist erst einmal des Aufbaus eines Vorschussvertrauens bedarf. Hinzu kommt noch, dass bei Dienstleistungen immer mit unterschiedlichen Interessenlagen von Kunde und Dienstleister gerechnet werden muss. Konflikte sind dabei keineswegs ausgeschlossen. Emotionen und Gefühle Sie spielen bei der personenbezogenen Dienstleistungsarbeit eine beson dere Rolle. So hat beispielsweise eine Untersuchung bei Stewardessen auf die besonderen emotionalen Anforderungen aufmerksam gemacht, die bei der Betreuung von und dem Service für Passagiere aufzubringen sind.23 Genauso wichtig wie das Servieren ist es, bei dieser Tätigkeit, eine gute Stimmung zu erzeugen. Damit wurde der Blick auf die eigenen Gefühle gerichtet, mit denen Flugbegleiter umgehen müssen. Denn nur durch ein ›Management‹ der eigenen Gefühle – wissenschaftlich als ›Emotionsarbeit‹ bezeichnet – ist es den Dienstleistenden möglich, mit den Gefühlen umzugehen, die aufgrund vorgegebener ›Gefühlsregeln‹ von ihnen erwartet werden. Festgestellt wurde, dass es Stewardessen dann leichter fällt, freundlich zu sein, wenn sie diese Arbeitssituation in eine private umdefinieren, d. h. so handeln, als würden sie ihre eigenen Gäste umsorgen. Es geht hier darum, mit der ›emotionalen Dissonanz‹ umzugehen, die man erlebt, wenn die erweckten Gefühle nicht mit den tatsächlich empfundenen Gefühlen übereinstimmen. Dies kann zum einen durch eine äußerliche Darstellung von Gefühlen (z. B. einem aufgesetzten smile-Lächeln) geschehen, die dieser Oberflächlichkeit wegen als ›surface acting‹ bezeichnet wird. Ein ›deep acting‹ meint hingegen die Anpassung der eigenen Gefühle an ein erwartetes emotionales Verhalten, das etwa bei der in manchen Dienstleistungen bestehenden ›Verpflichtung zum Lächeln‹24 gefordert
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wird. Es tritt aber auch beim Umgang mit Ärger über schwierige Kunden, bei aufkommendem Mitleid mit Klienten, Patienten oder dann auf, wenn es um Antipathie oder gar empfundenen Ekel geht. Für den Dienstleister kann das dann zu einer Belastung werden, wenn er hierfür eigene Gefühle manipuliert und sich somit von ihnen entfremdet. Der Umgang mit Gefühlen besitzt allerdings noch eine andere Richtung: den Umgang mit den Gefühlen des ›Anderen‹. Hier geht es darum, beim Kunden, Klienten und Klienten eine emotionale Verfassung herzustellen, die dem Zustandekommen der Dienstleistung förderlich ist und in vielen Fällen die sachliche Arbeit überhaupt erst ermöglicht. Studien im Gesundheitsbereich haben gezeigt, dass die Beruhigung von Patienten durch die Ärzte und das Pflegepersonal eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der medizinischen Behandlung darstellt. Neben der Beruhigung, dem Spenden von Trost und der Linderung von Ängsten sind auch das Herstellen einer angenehmen Atmosphäre oder das Setzen von Anreizen, die beispielsweise die Kaufmotivation von Kunden fördern, Aufgaben von ›sentimental work‹.25 Hier ist diese Gefühlsarbeit allerdings auch mit der Gefahr verbunden, die Gefühle der Patienten oder Kunden zu manipulieren. Lebendigkeit und Unwägbarkeiten ›Lebendigkeit‹ ist in der Dienstleistungsarbeit ein zentrales Merkmal des ›Arbeitsgegenstands Mensch‹. Diese Lebendigkeit sorgt dafür, dass Dienstleistungsarbeit grundsätzlich mit Unwägbarkeiten verknüpft ist. Ein Dienstleister weiß meist nicht, was der Kunde im nächsten Moment tut, und kann somit auch seine Aktionen und Reaktion nur begrenzt vorausplanen. In der einschlägigen Forschung wird hier von einem ›erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handeln‹ gesprochen. Während üblicherweise nach dem Grundsatz ›erst Denken, dann Handeln‹ vorgegangen wird, geht es hier um die Fähigkeit, Lösungswege, Ziele und nächste Schritte dorthin im praktischen Handeln zu entwickeln. Hierfür ist ein besonderes Erfahrungswissen notwendig, das auf differenzierten sinnlichen Wahrnehmungen und Gespür beruht. Zudem beruht bei dieser Art des Handelns der Bezug zum Gegenstand der Arbeit nicht in einer instrumentellen, analytischen Distanz, sondern in der Nähe zu und in Verbundenheit mit ihm.26 Wie sich diese Besonderheiten der Dienstleistungsarbeit im Friseursalon zeigen, verfolgen wir jetzt sehr genau. Wir stützen uns hierbei auf eigene empirische Erhebungen, insbesondere ausführliche Interviews und Be-
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obachtungen zum Arbeitshandeln von Friseurinnen und Friseuren, die hier selbst zu Wort kommen. Der Originalton gibt einen authentischen Einblick in ihre (Selbst-)Wahrnehmung und Beschreibung der Herausforderungen und Schwierigkeiten dieses Berufs.27
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Das Problem der Dienstleistungsarbeit, dass weder der Weg noch das Ziel, noch der dorthin führende Weg, geschweige denn die Qualität des Endergebnisses im Vorhinein klar festgelegt werden können, treten bei Friseuren in besonderer Weise auf.28 Die Brisanz und das Risiko dieses beruflichen Handelns werden überdies dadurch erhöht, als das Ergebnis der Dienstleistung, in diesem Falle also der Schnitt, die Frisur, ja nicht ohne weiteres revidierbar sind. Das ›cut and go‹ als Angebotsform von Friseurbetrieben kann also auch eine ganz schreckliche Nebenbedeutung ge winnen! Der erste Blick Für den Stammkunden gibt es beim Eintritt in den Salon die gewohnt herzliche, fallweise eher joviale oder auch eher wortkarge Begrüßung, da man sich und das gewünschte ›Produkt‹ bzw. ›Ziel der Dienstleistungserbringung‹ meist ja recht gut kennt. Das »Wie immer?« kann bei ihm durchaus angebracht sein – ganz im Gegensatz zum Neukunden, der auf diese Frage normalerweise irritiert bis tief verstört reagieren müsste. Kleine Alltagsgeschichte: Ein Kunde betritt einen Salon zum ersten Mal und wird vom Friseur mit der Frage empfangen: »Wie immer«? Der verwunderte Kunde bemerkt den ausführlich-prüfenden Blick des Friseurs auf sein Haar, fasst daraufhin Vertrauen, und entgegnet: »Ja, wie immer, bitte«! Bereits das ›Lesen‹-Können dieses ersten Eindrucks ist maßgeblich geprägt von einem Spannungsbogen zwischen (geduldiger, zugewandter) Offenheit für eine möglichst ganzheitliche Wahrnehmung und der Versuchung einer (schnellen, engen, vielleicht sogar vorurteilsbehafteten) Festlegung und Typisierung. Geht es vor allem um das Registrieren von erforderlichen
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›fachdienlich‹-sachlichen Informationen, oder auch solchen, die eher dem ›kundendienlichen‹ Erkennen der Persönlichkeit des Kunden zuzuordnen sind? Die berühmte Situation der ersten Begegnung also, getragen vor allem von visuellen Eindrücken und emotionalen Bewertungen. Jeder Kunde, so berichten die von uns befragten Friseurinnen, »hat irgendwie eine andere Gestik oder einen anderen Blick, jeder reagiert irgendwie anders«. Doch woran erkennt man die jeweiligen Eigenarten der Kunden? Nach den Schilderungen der Friseurinnen beginnt dies »in dem Moment, wo die Türe aufgemacht wird und die Kundin einem entgegenkommt. Da kann man bestimmte Sachen schon ein bisschen abklären, wenn sie da reinkommt, da kann ich mir schon ein kleines Bild machen«. Viele sprechen davon, dass als erstes die optische Erscheinung wahrgenommen wird, »Kleidung, Aussehen, Figur, Haare usw.«, aber auch: »ich sehe ihr in die Augen«. So hat man »schon bestimmte Daten empfangen, obwohl die Kunden noch zwei Meter weg sind«. Bei dem ersten Blick richtet sich die Aufmerksamkeit – wie nicht anders zu erwarten – insbesondere auf das Haar. Mit einem fachlich geschulten Blick »erreichen einen gewisse Daten, wenn man eine Kundin anschaut: Gesichtsform, Wirbel, Haaransätze und deren Höhe.« Doch die Wahrnehmung der Haare bleibt nicht nur bei solchen eher technischen Details stehen. Sie richtet sich ebenso auf die »Gesamterscheinung, passt das oder passt das nicht«. Dies geschieht »mit einem Blick«. Es ergeben sich hieraus bereits erste Hinweise: »Man könnte das oder das machen, oder was passt überhaupt nicht?« Für Friseure ist es wichtig, einzuschätzen, ob Kunden brav, ausgeflippt, modisch, sportlich, mutig oder konservativ und elegant sind. Sie versuchen, von der äußeren Erscheinung auf die Persönlichkeit zu schließen. So wird etwa eine Kundin mit gebräunter Hautfarbe eher als ein ›mutiger Typ eingeschätzt. In der Psychologie gibt es zahlreiche Verfahren und Instrumente zur Identifizierung sowie Beurteilung von Persönlichkeitsmerkmalen anhand der äußeren Erscheinung und des Verhaltens. Auch in der Berufsausbildung des Friseurhandwerks werden solche Erkenntnisse genutzt. Eine wichtige Rolle in der Praxis spielt die Farblehre, die Zuordnung etwa zu einem ›warmen‹ oder ›kalten‹ Typ – vor allem, wenn es um die Wahl einer Haarfarbe geht. Ohne Zweifel sind solche – mehr oder weniger – wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse und Instrumente hilfreich wie notwendig. Doch geht es beim Friseur letztlich nicht um eine allgemeingültige Einschätzung der Persönlichkeit von Kunden, sondern um die Wahrnehmung, was Kunden im Friseursalon wollen, welche Haare und Frisuren zu
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ihnen passen, und wie mit ihnen umzugehen ist, damit ihre Wünsche erkannt und erfüllt werden können. Die allgemeine Einschätzung der Persönlichkeit alleine hilft dabei – selbst dann, wenn sie voll zutreffend wäre – nicht weiter. Bekanntlich haben Menschen nicht eine bestimmte, sondern sehr vielfältige Stimmungen, Wünsche, Bedürfnisse, Befindlichkeiten. Friseure müssen ihre Kunden daher in ihrer jeweils aktuellen Situation und Befindlichkeit mit Blick auf das Geschehen im Friseursalon wahrnehmen. Sie betonen daher neben allen Typisierungen ihre eigene Erfahrung sowie ein besonderes Gefühl und Gespür für ihre Kunden. »Da entwickeln sich schon beim ersten Sehen Gefühle« und »wenn die reinkommt, dann hast du positive oder negative Gefühle, die dir sofort entgegen kommen«. Neben der äußeren Erscheinung, spielt dabei auch die »Körpersprache« eine wichtige Rolle. Da »kommt jemand ganz normal rein oder reckt sich selber hoch und macht einen so klein«. Neben allen Typisierungen ist es notwendig, »immer wieder von neuem« zu »erspüren« und »aufzuspüren«, was Kunden »wollen, wie sie sich hier verhalten und wie mit ihnen umzugehen ist«. Wir werden dem im weiteren Verlauf des Geschehens noch vielfach begegnen. Worte und Gespür Gerade bei Neukunden gilt es, die Vorstellungen über die erwünschte Leistung erst einmal genau zu ermitteln. Zumeist sind die Darstellungen des Kunden vage selbst wenn sie wortreich vorgetragen werden. Sie müssen weiter hinterfragt und ›übersetzt‹ werden. Friseurinnen kommentieren das so: »Die können sich halt zum Teil nicht ausdrücken, Das sind wirklich Dinge, die man einfach erfragen muss und deshalb muss man gut zuhören, um den Kunden das dann in friseurspezifischer Weise zu erklären.« Wenn dies gelingt, »dann wird er auch sicherlich sagen, genau so habe ich mir das vorgestellt, bloß kann er das halt nicht in Worte fassen.« In dieser Phase der Ziel- und Wegbestimmung geht es um Angelegenheiten, bei denen es an allen Ecken und Enden knistern kann. Aus Kundensicht und sehr persönlich erzählt das die Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Maria Antas: »Mir war es schon immer schwergefallen, mich Friseuren gegenüber durchzusetzen, ich werde zu einem stammelnden Trottel, wenn ich dort im Frisiermantel sitze, das Haar bereits zu einem unkleidsamen, nassen Pelz zurückgekämmt. Manchmal glaube ich, die Friseure wählen diese Reihenfolge bewusst, damit sich die
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Kundin möglichst hässlich fühlt und schnell zum Opfer von Überredungsversuchen wird.«29 Anderes berichten Friseurinnen. Dass Wahrnehmungs- und Meinungsunterschiede immer wieder auftreten, ist keine Seltenheit. Doch obwohl Friseurinnen bei der Bearbeitung der Haare die Experten sind, bekommen Kunden nichts »aufgeschwätzt«, sondern »ich versuche halt mit den Ohren zu arbeiten, zu hören, was er will. Das kann lange gehen«. Friseure müssen dabei sowohl die Wünsche der Kunden eruieren als auch die eigenen Kenntnisse und Einschätzungen darüber einbringen, was passend und machbar erscheint. Es geht somit im wahrsten Sinne des Wortes um einen Dialog: »Erst Vorschläge anhören und dann eigene Vorschläge einbringen und dann wieder ein Gespräch führen, also immer so, dass von beiden Seiten etwas kommt und am Ende das Optimalste herauskommt«. Dabei sind für Kunden gelegentlich überraschende Nachfragen nötig: »Ich frage nach der beruflichen Tätigkeit, damit ich weiß, arbeitet die eine in der Großküche oder ist sie Pharmareferentin, welche Anforderungen gibt es für ihre Haare? Und wie ist ihr Talent? Hat sie zwei linke Hände? Kann sie jeden Tag eine halbe Stunde in ihre Frisur investieren oder will sie morgens den Kopf einmal feste schütteln und dann liegt alles perfekt?« Und schließlich muss »auch der Preis angesprochen werden, und dann kommt oft, ›oh, neues Auto‹, dann muss man gleich wieder umdenken. D. h. es ist gar nicht leicht, eine Arbeit auszuführen, die man sicherlich gut kann, aber es kommen andere Komponenten dazu wie das Finanzielle.« Doch bei allen Bemühungen des (Nach-)Fragens und Zuhörens reichen Worte allein nicht aus. Man braucht vor allem auch ein »Gespür dafür, was die Kundin will, wenn sie es nicht verbal ausdrücken kann.« So schildern Friseurinnen, dass oft nichts anderes bleibt, als zu ›erahnen‹, was der Kunde will und man »als Friseur ein halber Hellseher« ist. Partnerschaft und Vertrauen Obwohl bei der Dienstleistung die Beziehung zwischen Kunden und Dienstleister eine geschäftliche ist, halten es Friseure für wichtig, eine persönliche Beziehung zu Kunden zu entwickeln. Man muss die Persönlichkeit des Kunden wahrnehmen, denn »der Kunde will sich individuell verstanden fühlen, jeder ist anders, braucht eine andere Behandlung, einer ist eher patzig, der andere eher penibel. Manche Kunden fragen vieles, andere sind ganz locker.« Um Kunden zu verstehen ist es »wichtig, dass man sich
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in sie reinversetzt«. Daraus entwickelt sich dann eine Partnerschaft, die es möglich macht, in den »Intimbereich einzudringen«. Von Anfang an geht es daher um den Aufbau von Vertrauen: »Man [der Kunde] muss das Vertrauen erlangen in den Friseur. Man lässt ja den Friseur an sein Haar, im Prinzip an seinen Körper, an sein Äußeres ran, wo er seine Ausstrahlung besitzt. Und da muss ich auf jeden Fall ein Vertrauen erst mal aufbauen, bevor ich an dem Kunden arbeite.« Nicht selten werden Vergleiche mit der Tätigkeit des Arztes geschildert, denn die Arbeit am Haar bedeutet eine Berührung des Körpers, die als Eingriff in die Intimsphäre des Kunden empfunden werden kann. Während dies jedoch beim Arzt aufgrund seiner Professionalität üblicher Weise akzeptiert wird, ist dies beim Friseur keineswegs eindeutig. Für ihn ist das notwendige Ausbalancieren von Nähe und Distanz fraglos ein höchst subtiler Prozess. Man muss hierzu »halt [auf den Kunden] eingehen, und das ist für mich auch das Individuelle, auf die Persönlichkeit abgestimmte ›Wie fühlen Sie sich wohl, wie möchten Sie es gern‹? Das ist für mich an die Persönlichkeit Denken oder an das Individuum, an den Menschen. Dass er sich in dieser Situation wohl fühlt.« Kunde und Haar In die gemeinsame Zielbestimmung, die Vertrauensbildung und die persönliche Beziehung muss auch das Haar einbezogen werden. Denn der Kunde und sein Haar können durchaus sehr unterschiedliche Anforderungen stellen. Eine Friseurin stellt hierzu pointiert fest: »Man muss ja mit dem Haar und dem Kunden. Manchmal will der Kunde irgendwelche Sachen haben, die es gar nicht zu machen geht.« Nicht nur der Kunde, sondern auch dessen Haare müssen daher »ganz langsam erforscht werden«. Es stellt sich die Frage: »Was kannst du dem Haar jetzt anbieten? Was kann ich mit dem Haar machen?«. Und dann kann es schon sein, dass man zu der Kundin, die Wallelocken haben will, sagt: »Ihr Haar ist zu fein, die Locken kommen nie da raus« und erklären muss, warum das so ist. So gilt grundsätzlich: »Die Haarstruktur, die muss ja auch was mitbringen. Sonst wollen Kunden Frisuren haben, da muss man leider sagen, das passt nicht.« Die Kooperation im Friseursalon ist also vielschichtig, so wie eine Friseurin treffend feststellt: »Also, wir müssen schon zusammenarbeiten, das Haar, der Kunde und der Friseur.«
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Gefühlsmanagement – Eigene Gefühle und die Gefühle Anderer
Ein guter Friseur kann sich nicht einfach auf eine sachlich-distanzierte (Arbeits-)Beziehung zurückziehen, sondern ›bearbeitet‹ immer auch eigene Gefühle und die der Kunden. Die ›Emotionsarbeit‹, die Arbeit an den eigenen Gefühlen, und die ›Gefühlsarbeit‹, die Arbeit an den Gefühlen der Kunden, sind bei der Interaktion im Salon eng miteinander verwoben und nicht so klar auseinanderzuhalten wie in der wissenschaftlich-theoretischen Analyse. An den eigenen Gefühlen wie auch an denen der Kunden arbeitet der Friseur spätestens seit der Kunde den Salon betritt. Möglicherweise beginnt das sogar schon bei der telefonischen Anmeldung (falls überhaupt noch erforderlich), der Terminklärung (stressig-angespannt oder entspannt-entgegenkommend) und anderen Vorab-Erörterungen (angemessen formal, ausreichend persönlich?). Ganz unvermittelt und unmittelbar setzt das Spiel der Gefühle beim Erscheinen des Kunden. Jeder Versuch, in Kontakt zu kommen und eine Beziehung aufzubauen, beinhaltet eine gefühlsmäßige Auseinandersetzung. Betrachtet man Aussagen von Friseurinnen zu einem ›guten Sozialverhalten‹, werden häufig Verhaltensweisen, Haltungen und Werte genannt, die von Gefühlen getragen sind. Es gilt, »ehrlich, freundlich, zuvorkommend sein, weil unser Arbeitsmaterial ist der Mensch und dazu sein Haar. Und dazu muss man eigentlich immer gute Laune haben.« Gedanken, aber auch Gefühle müssen gesteuert werden, was z. B. zu der Gesprächshaltung führt: »Nicht quatschig, aber gesprächig«. Oder zur Ausstrahlung: »Einfach eine offene, positive.« Oder: »Vom Wesen her, über die Wesensart, dass man auch ein bisschen Herz erkennt, so freundlich.« Oder, um es ganz klar zu machen: »Leuchtende Augen und keinen hängenden Mund.« Die Herstellung von Wohlgefühl In Sachen Wohlbefinden steht in den Aussagen der Friseurinnen der Kunde im Vordergrund. Ganz auf den Kunden ausgerichtet ist beispielsweise die Devise: »Ja, hören, ob sie [die Kundin] glücklich oder unglücklich ist mit ihrer Situation. Ob sie einfach nur so vorbeigekommen ist oder ob sie sich gänzlich verändern will«. Mit dem Wohlgefühl zu tun hat auch das geeignete Umfeld: »Es sind ja auch Herausforderungen, den Kunden eigentlich ständig etwas Neues bie-
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ten zu können, interessant als Betrieb zu bleiben. Den Kunden ein Wohlbefinden zu bescheren, jetzt nicht nur haarmäßig, sondern auch durch den Salon, Kleinigkeiten wie Blumen, Dekoration und, und, und. Den Kunden im Grunde genommen zu zeigen, dass man versucht, für den Kunden auch etwas zu tun, z. B. auch Internetmöglichkeiten.« Oder: »Die Atmosphäre des Salons, damit sich die Kunden hier wohl fühlen. Freundlichkeit, Ordentlichkeit und kein Krach, höchstens leise Musik.« Einen Einblick in die mitfühlende, empathische Wahrnehmung der Friseure, gibt die folgende Situation: »Das Selbstwertgefühl der Kundin muss aufgebaut werden. Wenn sie hier hereinkommt und gefragt wird: ›Na Frau M., immer noch arbeitslos?‹ ist sie doch gleich am Boden zerstört, obwohl sie sich gerade heute mal was Gutes tun wollte. Das bläue ich meinen Leuten ein, dass sie die Kunden moralisch aufbauen sollten.« Das scheint aber auch für Kunden mit völlig anderem sozialem Status notwendig, die ihr Befinden anlässlich des Friseurbesuchs sehr anders signalisieren. In einem Interview bekennt der renommierte Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge: »Ich gehe nur in meinem besten Anzug zum Frisör, in dem Aberglauben, dass er sich dann nicht verschneidet.«30 Das Friseurgespräch Eine im Friseursituation geradezu klassische Herausforderung für ein ›Management der Gefühle‹ aller Beteiligten sind die Gespräche, die das Waschen, Schneiden, Färben, Föhnen, Stylen usw. begleiten. Sie reichen von den Belanglosigkeiten eines ›small talks‹ bis hin zu den Vertraulichkeiten eines intimen persönlichen Gesprächs. Die Herausforderung für den Friseur besteht darin, die für die Kunden jeweils passenden Themen und Formen des Gesprächs zu finden. Von nicht wenigen Kunden wird dieses Gespräch, wie schon erwähnt, als genauso wichtig erachtet, wie das Erreichen des endgültigen Ziels, die Frisur. Friseure müssen daher das Gespräch auf ihre Kunden und deren Befindlichkeit abstimmen. Sie brauchen hierzu ein besonderes kommunikatives Geschick, um das jeweils gewünschte Verhältnis zwischen Nähe und Distanz, Privatem und Allgemeinem, Persönlichem und Sachlichem sowie dem Zuhören und dem eigenen Beitrag herauszufinden und zu bedienen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass als ›gesprächig‹ bekannten Kunden ›dieses Mal‹ eher zum Schweigen und Zuhören zu Mute ist. Und auch ein mehr oder minder ausgeprägtes Schweigen kann die Situation dominieren – sei dies herbeigeführt durch beiderseitiges Einverständnis oder auch dadurch, dass man bis auf knappe
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Anweisungen des Friseurs wie etwa den Kopf in eine bestimmte Stellung zu bringen, keinen weiteren persönlichen Kontakt oder Gesprächsfaden finden kann oder will. Dies scheint jedoch die Ausnahme zu sein – und bei Männern mehr verbreitet als bei Frauen. Wenden wir uns daher wieder dem Normalfall zu: Um die passenden Gesprächsinhalte zu finden, müsse man sich nach den Schilderungen von Friseurinnen mit Themen wie »Urlaubs-, Krankenund Familiengeschichten, aber auch TV-Serien etc.« vertraut machen – und all dies »selbstverständlich auch geschlechterspezifisch«. Was auch bedeutet: »Männer sind meist schweigsamer, oder eben Thema Fußball«, bei Frauen demgegenüber »gibt’s Frauenthemen«. Ganz generell: »Ja, man muss die Leute unterhalten« und ist dabei »nicht nur Problemlöser oder was weiß ich, sondern auch so weltoffen, ja für alles.« Für die Kunden ist das Gespräch ein ›Zeitvertreib‹, durch den ihr ›NichtsTun‹ und ›Nichts-Tun-Können‹ während der Bearbeitung ihres Haars überbrückt wird. Also eine willkommene Ablenkung und eine Möglichkeit, über Dinge zu reden, die ansonsten eher belanglos erscheinen. Es kann sich aber auch als eine günstige Gelegenheit erweisen, eines Zuhörers oder Erzählers habhaft zu werden, der – zumindest für einen bestimmten Zeitraum – kaum entkommen kann. So berichten Friseurinnen, dass sie nicht selten »den ganzen Tag« Geschichten hören über »Zipperlein, Darmprobleme und Verdauungsschwierigkeiten«, »lange Krankheiten«, »Todesfälle«, »Ehekonflikte« und »beruflichen Stress« wie auch »tolle Urlaube in der Südsee« und »kostspielige Anschaffungen«. Kunden sind oft auch recht begierig zu erfahren, was sich »hinter den Kulissen« im Friseursalon tut. Friseure müssen dann darauf aufpassen, dass sie nicht unversehens in die Rolle des geduldigen Therapeuten oder Alleinunterhalters gedrängt werden. Sie sind hierfür weder zuständig noch ist es ihr Metier – auch wenn sie durchaus oft therapeutische oder theatralische Fähigkeiten besitzen. Für den Friseur ist im Unterscheid zum Kunden das Gespräch alles andere als ein bloßer Zeitvertreib. Er vollbringt dabei in der Tat eine höchst anspruchsvolle Multi-Tasking-Leistung: Er spricht und hört zu, während er sich simultan sach- und fachgerecht mit Kopf und Haar beschäftigt. Das Gespräch füllt für ihn keine ›leere‹ Zeit. Es geschieht neben dem Fachlichen und hat damit in der Regel auch nichts zu tun. Jüngeren Kollegen, so berichten erfahrene Friseurinnen, wachse diese Multitasking-Aufgabe oft etwas über den Kopf. Auffällig sei, dass sie die Arbeit am Haar immer wieder unterbrechen, um ein Gespräch (fort-)zu führen – was nicht zuletzt ziemlich zeitaufwändig und (noch) unprofessionell sei. Denn wirkliche Kön-
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nerschaft bestehe darin, sich auf das Handwerkliche zu konzentrieren, zugleich aber über etwas ›ganz Anderes‹ reden oder bei ›Anderem‹ zuhören zu können. Aus Sicht der Friseurinnen entsteht hierbei ein paradoxer Effekt: Je länger die ganze Prozedur dauert, umso mehr entsteht beim Kunden der Eindruck, ganz besonders gut behandelt worden zu sein – arbeitstechnisch wie gesprächs- und wohlfühlmäßig. Das wahre Können des Friseurs besteht jedoch gerade darin, zu kommunizieren und sich simultan auf das Haar und seine Bearbeitung zu konzentrieren. Wie sehr die friseurseitigen Bemühungen, beim Kunden Wohlgefühl zu erzeugen, von diesem aber auch ganz anders wahrgenommen werden können als beabsichtigt, zeigt, wie diffizil diese Angelegenheit ist. Eindrücklich schildert die Kundin Alissa Hacker in der jugendorientierten »Jetzt«-Beilage der Süddeutschen Zeitung: »Bis heute gehe ich nicht gern zum Friseur. Ich zögere den Zeitpunkt so lange hinaus, bis es meine Haarspitzen nicht mehr zulassen. Nicht, weil ich Angst vor wilden Frisuren habe. Sondern weil der Besuch für mich ein Maximum an sozialer Kompetenz erfordert.« Vor allem das besagte Friseurgespräch scheint bei ihr andere Wirkungen zu haben als beabsichtigt: »Wie neulich wieder: Es beginnt damit, dass mir eine fremde Person die Haare wäscht – inklusive unfreiwilliger Kopfmassage. Dann will mein Friseur auch noch wissen, ob ich das angenehm finde. Es fühlt sich an, als wäre mein Kopf eine Orange, die gerade jemand mit bloßen Händen auspresst. ›Mhm, ja, sehr angenehm‹, sage ich und versuche dabei, möglichst entspannt auszusehen. Während meine Haare gewaschen werden, schließe ich die Augen und will die Stille genießen. Aber mein Friseur hat andere Pläne: Er stellt mir Fragen über meine Haarwäsche-Routine, über meinen Job und mein Studium. Ich verstehe nur die Hälfte, weil der Wasserstrahl seine Stimme übertönt. Deshalb muss ich jedes Mal nachfragen, was er gesagt hat. ›Ja, ich studiere noch‹, sage ich dann laut, in der Hoffnung, dass das eine passende Antwort auf seine Frage ist. In dem Moment dreht er das Wasser ab. Stille. Alle anderen Kunden im Raum sehen mich an. Das hat jetzt wohl der ganze Salon gehört. […] Die nächste Herausforderung ist das Plaudern, während jemand mit einem spitzen Gegenstand sehr nahe an meinem Kopf herumwerkt. Nachdem Smalltalk generell nicht meine Stärke ist, sind wir nach wenigen Minuten bereits bei ›Und was arbeitet der Bruder von deinem Freund?‹ angekommen. Kurze Stille. In meinem Kopf rattert es: Welche Themen bespricht man mit Menschen, die einem die Haare schneiden? Um das Schweigen zu beenden, fängt mein Friseur an, mir von seinem Privatleben zu erzählen.
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Nach wenigen Einleitungssätzen erzählt er mir pikante Details aus seinem Liebes- und Sexleben. Ich bin überfordert von den persönlichen Geschichten und weiß nicht so recht, wie ich darauf antworten soll. Aber das ist mir immer noch lieber als mein letzter Friseur, der eine zwanzigminütige Diskussion über ›die Ausländer‹ begonnen hat.«31 Kunden können sich im Friseursalon also nicht nur wohl, sondern auch emotional belastet fühlen. Das war ja bereits beim Blick in den Spiegel erfahrbar. Aber auch für die Friseure ergeben sich erhebliche emotionale Beanspruchungen. Die Bemühungen, Wohlgefühl beim Kunden zu erzeugen und die Devise, sich ›ganz auf den Kunden einzustellen‹, sind anstrengend. Und es kommt noch Weiteres hinzu: Schwierige Situationen und schwierige Kunden Aus der Sicht der Friseurinnen gibt es »heute mehr Problemkunden als früher, der Anspruch an den Friseur ist unwahrscheinlich gestiegen.« Es gibt »heute mehr Problemkunden als früher, der Anspruch an den Friseur ist unwahrscheinlich gestiegen.« Die Gründe, weshalb Kunden als schwie-
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riger empfunden werden, sind vielfältig und berühren verschiedenste Gefühlsebenen des Friseurs. Oft sind es scheinbare Kleinigkeiten, die emotional belasten: »Eine Stimme sagt ja auch schon viel aus. Eine schrille Stimme ist bei der Arbeit manchmal schwierig zu verkraften.« Oder: »Wenn man eine schwierige Kundin hat, die setzt sich da hin wo sie will, der Blick ist bestimmend, die Stimme herrisch, ›nun machen Sie mal, ich hab’ wenig Zeit‹.« Solche Verhaltensweisen fordern natürlich das Selbstwertgefühl wie auch die Selbstbeherrschung des Friseurs heraus. Reaktionsformen können in der eher resignativen Einsicht bestehen: »Man kann nicht jeden Wunsch erfüllen«, aber auch darin, sich in den Kunden hineinzuversetzen, indem man z. B. »auch die Angst miterlebt.« Oft sind es auch sinnliche Wahrnehmungen, die zu Empfindungen führen, gegen die man sich nur schwer wehren kann. Dies kann positiv wie negativ sein, wie beispielsweise beim Riechen: »Automatisch riecht man, die verströmen gleich einen so guten Duft, dass man, oooh, dass das Riechen gleich an erster Stelle steht.« Unangenehme Gerüche, die vom Haar transportiert werden, können sogar Ekel auslösen. »Es zieht so leise vorbei, dass man denkt, aha, hier ist so fettige Kopfhaut, das muss gewaschen werden. Oder wenn eine alte Dame sich die Haare vier oder sechs Wochen nicht gewaschen hat, kommt ja auch vor. Wenn die dann kommen, ist es ein ganz unangenehmer Geruch.« Als erfahrene Friseurin, so wird berichtet, weiß man allerdings, dass »sich die Haare Gerüche anziehen« und nichts anderes bleibt als: »Den Geruch muss man hinnehmen. Man gibt sich Mühe, egal wie der Kunde riecht.« Oder man spricht wie oben von ›Düften‹, »und die einen duften dann eben toll. Und ein anderer duftet überhaupt nicht, der hat halt nur den persönlichen Eigenduft.« Bei den Bemühungen, Wohlbefinden bei Kunden zu erzeugen, geraten für die Friseure allerdings die eigene emotionale Beanspruchung und das eigene Befinden leicht außer Blick. Doch auch dies muss beachtet werden, und zwar nicht ›gegen‹, sondern ›für‹ die Arbeit: »Man geht auf den Kunden ein und ist auch höflich und alles, aber man muss auch mal aufgeben können. Zwar gilt die Devise ›alles für den Kunden‹, man muss aber auch, um so arbeiten zu können, selber noch den Spaß haben. Wenn ich jetzt noch 20 Jahre arbeiten muss und es nur so für den Kunden mache, dass ich mich nicht mehr wohlfühle, dann passt das nicht.« Daher ist aus Sicht dieser Friseurin »ebenso wichtig das eigene Empfinden und Bewusstsein des Friseurs«, denn nur: »Wenn man selbst von seiner Arbeit überzeugt ist, kann man Dinge auch besser rüberbringen. Das gilt vom Arbeitsmit-
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tel bis hin zum Produkt.« Und ähnlich auch die Feststellung, dass es besser ist, »seine eigene Persönlichkeit darstellen, seinen Typus finden und diesen durchziehen, als gespielt auf den Kunden eingehen.« ›Das‹ Friseurgespräch wie auch alle anderen Bemühungen des Friseurs, beim Kunden Wohlbefinden zu erzeugen, sind keineswegs nur ein verkaufsstrategisches Erlebnisangebot,32 welches das eigentliche Handwerk des Friseurs in den Hintergrund drängt. Dies mag durchaus so erscheinen. Sicherlich sind die angenehme Atmosphäre und das Gesprächen für viele Kunden Grund dafür, just diese Friseurin oder diesen Friseur zu der ›ihren‹/›seinen‹ zu erheben. Genau besehen steht all das aber im Dienste dessen, worum es im Friseursalon im Kern geht. Denn damit Haare gewaschen, geschnitten, gefärbt oder geföhnt werden können, muss der Kunde bereit sein, all diese Prozeduren über sich ergehen zu lassen. Er muss seine Haare jemandem zur Bearbeitung überlassen, der ihm, wie bekannt auch immer, dennoch ein Fremder ist. Er muss sich zudem einem Vorgang anvertrauen, dessen Ausgang er trotz Beobachtung im Spiegel kaum voraussehen und beurteilen kann. Dass der Blick in den Spiegel nicht zu Erleichterung, sondern auch zu depressiver Gestimmtheit führen kann, wurde schon beschrieben. Hinzu kommt, dass grundsätzlich der Anblick seiner selbst in Umhang, mit Halskrause und gewaschen-geglättetem Haar eher ein Bild der Zerstörung darstellt. So gesehen erweisen sich die angenehme Atmosphäre und die durch Gespräche erfahrene Aufmerksamkeit gewissermaßen als ein Ausgleich für das erzwungene Stillhalten und die Erduldung der Destruktion des eigenen ästhetischen Anblicks vor seiner glorreichen Wieder- oder Neugeburt. Kritisch könnte man das auch so sehen: Kunden werden hierdurch fügsam gemacht, und wo Disziplin und äußere Zwänge nicht mehr greifen, werden andere Mittel und Methoden der Verhaltenssteuerung eingesetzt. Doch bei aller Raffinesse stehen diese jedoch nur im Dienst des eigentlichen Handwerks des Friseurs. Die eingesetzten Mittel und Methoden sind und bleiben in ihrer Wirkung davon abhängig, ob und wie dieses gelingt.
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Die Arbeit mit dem Haar – Eigensinn und Lebendigkeit
So sehr sich Friseure auch darum bemühen, mit dem Kunden zu kooperieren, Vertrauen aufzubauen, eine gute Atmosphäre zu erzeugen, ist all dies jedoch nur die Vorbereitung und Rahmung dessen, was letztlich zählt: die Arbeit am und mit dem Haar. Kaum ein Kunde wird zufrieden sein und wiederkommen, wenn er sich im Salon zwar wohlgefühlt hat, beim Blick in den Spiegel aber große Enttäuschung oder gar pure Verzweiflung aufkommt. Das Produkt, die Frisur, ist das, was der Kunde mitnimmt und als Ergebnis des Waschens, Schneidens, Legens, Föhnens, Kämmens dann zudem noch öffentlich zur Schau stellt. Ein Misslingen führt nicht nur zu subjektiver Unzufriedenheit und persönlichem Unwohlsein, sondern birgt darüber hinaus auch die Gefahr der sozialen Missbilligung, die vom verächtlichen Blick bis hin zur (zumindest zeitweiligen) Ausgrenzung reichen kann. Wie vollbringt es der Friseur, das Meisterwerk des Gelingens herzustellen, nämlich die Verbindung von individuellem Wohlgefallen und öffentlicher Akzeptanz, Wertschätzung und Bewunderung?
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Ohne Zweifel sind hierfür ein fundiertes Fachwissen und besondere handwerkliche Fertigkeiten erforderlich, wie sie in der beruflichen Bildung vermittelt werden.33 Interessant ist, dass für die Regelausbildung trotz neuerer so genannter profilgebender Erweiterungen kritisch angemerkt wird, sie orientiere sich (noch immer) stark an Fachdidaktiken, technisch-instrumentellem, naturwissenschaftlichem Wissen und zu wenig daran, »die Besonderheiten des Individuums zu erkennen und in die Dienstleistung zu integrieren.«34 Unsere Aufmerksamkeit gilt hier jedoch nicht einer berufspädagogischen Diskussion, sondern weiterhin dem Blick auf das nicht so unmittelbar Sichtbare und Bekannte im Handeln des Friseurs. Dabei sollen weiterhin die Friseurinnen selbst zu Wort kommen. Man kann es kaum besser ausdrücken als sie selbst. Das Haar zeigt mir den Weg Wer professionell arbeitet, so sagt man, macht sich einen Plan, bevor er ans Werk geht. Mit dessen Hilfe erreicht man ein Ergebnis, das dem entspricht, was anfangs beabsichtigt wurde. Natürlich gilt dies auch für das Friseurhandwerk. Schließlich schneidet man nicht einfach drauf los, sondern bespricht mit dem Kunden, was gewollt wird. Dabei entsteht ein Plan, der nicht auf Papier festgehalten wird, sondern eher als ein Bild im Kopf: »Man muss die Arbeit vorausschauend und chronologisch im Kopf organisieren. Das Endprodukt steht dabei nicht als Gedanke, sondern als Bild vor mir. Als Gedanken stehen die Arbeitsschritte im Vordergrund, das Resultat als Bild«. Aus dieser Art der Planung entwickelt sich über Zeit eine gewisse Routine, denn »je öfter man das Gleiche macht, desto eher hat man eine Schiene drin« und es entsteht ein »bestimmtes Grundschema, das man sich erarbeitet hat«. Viele Zitate und Beobachtungen belegen dieses professionell-planende Vorgehen. So gesehen entspricht die Haarbearbeitung dem Bild, das für ein technisches Handwerk und dessen professionelle Ausführung als typisch gilt. Genau betrachtet ist dies jedoch nur eine Seite und eine allgemeine Grundlage, die über für das Gelingen der Haarbearbeitung entscheidet. Zwar gibt es einen Plan, aber dieser muss »immer wieder abgeglichen werden, er wird während der Arbeit korrigiert und erweitert«. Denn »die Details fallen erst beim Schneiden auf« und »wegen der Haarqualität muss man den Plan oft abändern.« Auch hat man zwar »ein bestimmtes Grundschema«, dieses wird aber je nach Kunde abgewandelt und »ich variiere Techniken je nach Bedarf, da kommt meine Kreativität rein«.
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Vielfältig sind wir im bisher Beschriebenen auf die besondere, eigenständige Natur des Haares aufmerksam geworden. Ob es der in ihm angelegte ›Eigensinn‹ durch die enge Verbindung von Ordnung und Unordnung ist oder die sich in ihm spiegelnde menschliche Lebensbiographie, seine Eigenart, Belastungen, Erkrankungen oder traumatische Erfahrungen anzuzeigen, selbst zu erkranken, die Kraft und Farbe zu verlieren oder sich aufzustellen – seine Natur und Lebendigkeit sind es, die den Möglichkeiten seiner Gestaltung immer wieder Grenzen setzen. Damit ist der Friseur nicht nur mit dem Fettig-Werden des Haars, sondern auch mit dessen Altern und Absterben konfrontiert. Die Haare entziehen sich, wie es Tilman Allert formuliert »immer und zwangsläufig dem Gestaltungswillen; sie setzen Zeitlichkeit außer Kraft und sind doch zugleich deren unerbittlichster Zeuge«. Oder, wenn man es poetisch haben will: »Glanz und Verfall verleihen den Prozeduren der Haarpflege in atemberaubender Dichte eine melancholische Erregtheit.«35 Etwas einfacher ausgedrückt in den Worten einer Friseurin: »Manchmal macht das Haar nicht so mit, wie man es geplant hat«; man denkt, so könnte es sein »aber dann macht einem plötzlich das Haar einen Strich durch die Rechnung, das will dann gar nicht«. Der Plan, das Theoretische »fällt plötzlich flach, wenn es [das Haar] einfach ganz anders will und ganz anders fällt« und »man muss da schon auf Überraschungen gefasst sein«. Doch wie kann man Nicht-Planbares bewältigen? Reagiert und probiert man jetzt einfach, was möglich ist – mit letztlich offenem Ausgang? Die Antwort hierauf ist diffizil und von außen nicht immer leicht erkennbar. Erfahrene Friseurinnen verweisen darauf: »Da muss man sich herantasten, weil man nicht weiß, wie reagiert jetzt das Haar«. Dies ist kein einfaches Herumprobieren im Sinne eines ›trial and error‹, sondern ein behutsames Erkunden: Es »muss ganz langsam erforscht werden, was kannst du jetzt, was kannst du dem Haar jetzt anbieten. Was kann ich mit dem Haar machen?« Dieses Herantasten ist ein empfindsames Berühren, so als wäre man blind und könnte nur mit den Händen die Umwelt erkennen: »Tastend empfinde ich auch, so ein bisschen zögerlich vielleicht« und »dann musst du selbst auch das Gefühl für das Haar kriegen«. Das Haar erscheint nun nicht mehr als ein bloßer Gegenstand, der bearbeitet wird. Es greift vielmehr selbst aktiv in das Geschehen ein. Es gilt, nicht gegen die Widerspenstigkeit des Haares zu kämpfen, es zu bändigen und beherrschen zu wollen, sondern vielmehr, mit ihm zusammenzuarbeiten. Das Haar, das zunächst einen »Strich durch die Rechnung macht«, entpuppt sich dann nicht als Widerpart, sondern als ein Partner, der »mir genau zeigt, wo er hin will«
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und »wo seine Grenzen sind«. »Es ist wie ein Mitarbeiter. Also es ist ein richtiger Partner, der ja auch mitmachen muss. Wenn der sich sträubt, dann bist du angelämmert«. Dieser Partner macht zum Beispiel deutlich: »Da will ich gar nicht hin. Wenn du das so schneidest, ist das dein Problem. Aber ich fall’ sowieso wieder anders lang. Und sobald du das missachtest, haut das nicht hin.« Im Unterschied zur ›Naturbeherrschung‹ gilt somit: »Ich muss mit dem Haar arbeiten, arbeite ich gegen die Natur, na dann sehe ich alt aus. Da kann ich gar nichts machen«. Das Haar ist also beileibe nicht immer ein leichter Partner, sondern manchmal auch »ein ganz schöner Bestimmer in dem Ganzen«. Am Ende ist er meistens lieb Die Rede vom ›Haar als Partner‹ wird wissenschaftlich als ›Personalisierung‹ und ›Vermenschlichung‹ von Objekten und der Natur bezeichnet. Bereits in vormodernen Religionen wie dem Animismus, aber auch in dem von Psychologen so genannten ›kindlichen Weltbild‹36 finden sich solche Zuordnungen, über die unbelebten Gegenständen menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Den Friseuren ist gewiss keines von beiden zu unterstellen! Wenn Friseure von einer partnerschaftlichen Beziehung zum Haar sprechen, bringen sie etwas zum Ausdruck, das den realen Eigenschaften des Haares entspricht: Dass nämlich Sachen und Dinge einen ›Eigensinn‹ besitzen und – daher auch zu einem bestimmten, einem besonderen Umgang mit ihnen nötigen.37 Dies gilt übrigens auch für andere Berufe und Tätigkeiten im Umgang mit diffizilen Materialien wie technischen Systemen.38 Friseure beschreiben das Haar und die Beziehung zu ihm oft in Form von Metaphern, mit denen sie nicht nur ihre eigene Beziehung zu ihm, sondern auch die Eigenarten des Haares charakterisieren. Gerade auch dann, wenn dieser ›Partner Haar‹ wie ein »Bestimmer« auftritt, kommt es darauf an, zu ihm ein fast intimes und inniges Verhältnis zu entwickeln: »Du fühlst ja das Haar an und das geht ja dann auch irgendwie ins Innere rein« und dementsprechend berührt man nicht nur das Haar, sondern ist auch von ihm berührt.« Oder: »Wenn ich ein Haar vor mir hab, das fünf Mal blondiert ist, dann leide ich körperlich mit. Das tut mir schon weh, wenn ich kaputtes Haar sehe und wenn ich es dann noch anfassen muss.« Empathie, wie wir sie aus zwischenmenschlichen Beziehungen kennen, wird somit auch gegenüber dem Haar entwickelt. »Ich versetze mich in das Haar hinein, das Haar ist ja das A und O«; und »man will dem Haar schon was Gutes
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tun«. Gelingt es, die Eigenarten und den Eigensinn des Haars wahrzunehmen und nicht gegen, sondern mit ihm zu arbeiten, erweist es sich nicht mehr nur als ein »Bestimmer«, sondern ist oft »auch lieb«, ein Gegenüber, das »sich fügt, sehr geschmeidig ist« und sich »ranschmiegt«. So ist er »am Ende meist liebt, der Partner« – das Haar. Das Haar blutet, sauberes Haar quietscht Die Rolle der sinnlichen Wahrnehmung bei der Haarbearbeitung wurde schon mehrfach angesprochen. Dies scheint bei einem handwerklichen Beruf auch nicht sonderlich überraschend. Bei der Arbeit am und mit dem Haar entpuppt sie sich jedoch als höchst vielfältig und differenziert. Sie reicht weit über eine rein technisch-rationale, messbare Wahrnehmung hinaus. Zum einen bezieht sich die visuelle Wahrnehmung, das Sehen, auf klar definierbare Eigenschaften wie die Länge oder Kürze, oder darauf, ob das Haar chemisch behandelt wird, beschädigt ist u. ä. Und auch die Farbe des Haars, sein Glanz oder seine Dichte, lassen sich mit einem technisch geschulten Blick exakt erfassen. Dies ist jedoch nur die Oberfläche dessen, was von Friseuren gesehen wird und gesehen werden muss. Man braucht darüber hinaus »ein gutes Auge«, um beim Schneiden »den Fall des Haares« wahrzunehmen und zu sehen, ob es »gut fällt« oder »nicht so gut«. Um das richtig zu sehen, muss das Haar dazu gebracht werden, etwas über seine Eigenschaften Preis zu geben. »Ich muss die Haare so nehmen [Handbewegung], und wenn ich sie fallen lasse, dann sehe ich eben, ob es schön fällt«. Doch diesen »speziellen Blick«, dieses »gewisse Etwas muss man erst schulen. Zum Beispiel durch Meisterschaften und Seminare«. Vor allem ist das aber eine Fähigkeit, »die man sich langwierig aneignen muss«. Wahrnehmen heißt hier vor allem ›empfinden‹, etwas ›spüren‹, so wie beispielsweise eine Schädigung am Haar. »Wenn das dunkle Auffaserungen sind, dann sehe ich rot. Dann denke ich bah, das ist nicht in Ordnung. Das Haar ist kaputt, das blutet und das ist Gefahr«. Wenn das Haar »kaputt« ist, so heißt es auch, dass es »gestresst ist« und dies »weh tut«. Als erfreulich wird es demgegenüber gesehen, wenn das Haar »eine Ausstrahlung« und »Leuchtkraft« besitzt. Wahrnehmen heißt also: »Ich sehe und fühle gleichzeitig«, oder »man muss man sehen und fühlen«. Die sinnliche Wahrnehmung beschränkt sich somit nicht nur auf ein einfaches Registrieren von Sinnesdaten, so wie es beispielsweise beim Ablesen des Zeigerstandes auf der Uhr oder beim Drücken einer Taste beim
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Computer der Fall ist. Die Wahrnehmung ist aufs Engste verbunden mit einem Empfinden und Gefühl für ›etwas‹ im Sinne eines ›Spürens‹ und ›Gespürs‹. Dies benötigen Friseurinnen, wie sie berichten, »für alle Sachen, für alle Tätigkeiten, für alle Bereiche.« Ob man erkennt, das ist ein »dickes« Haar oder »wie man weiter machen muss«, das »tut man eben im Gefühl«. Auf den Punkt gebracht: »Man muss ein Gefühl und Gespür für die Arbeit haben, sonst kommt sie nicht zustande« und »das Gefühl entscheidet über die Entstehung der Frisur.« Nicht nur bei der visuellen Wahrnehmung, sondern auch beim Tasten mit der Hand oder beim Hören geht es um sinnliches Wahrnehmen und Spüren. Die Haare werden nicht nur mit Werkzeugen wie Schere, Kamm und Föhn bearbeitet, sondern auch ganz unmittelbar in die Hand genommen und berührt. Damit sie mit den Händen erspürt werden können, »nehme ich das Haar zwischen meine Finger und reibe so ein bisschen. Und dann merke ich schon so, ist es stark«. Man muss »einfach auch mal nur so richtig rein greifen«. Dies kann durchaus als ganz handgreiflich erscheinen, denn »man geht in die Haare« und »dann kann man schon sagen, wie das Haar beschaffen ist«, ob es »feines« Haar, »dickes« Haar ist, die »Spitzen porös« sind oder, ob es »fettig« ist. Auch hier wieder die Verbindung von visuel-
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lem Wahrnehmen und körperlich-taktilem Fühlen. Fast paradox klingt da die Beschreibung: »anfassen, so richtig zwischen die Finger nehmen, ich greife mit den Händen, richtig mit der ganzen Hand« und zugleich »ganz zart« und »dann spürst du ja, hast ja dann das Gefühl, ja, das ist gut«. Mit den Händen werden auf diese Weise wichtige Informationen ertastet: »ich fühle die Kopfhautbeschaffenheit, trockene Haut, seborrhoe Borreliose«. Ebenso ertastet und erfühlt man, »ob das Haar fettig ist« und »wie dicht, wie störrisch es ist«. Sehen und Tasten sind also gleichermaßen notwendig, um die Beschaffenheit und die Eigenheiten des Haares zu erkennen: »Ich taste die Stärke des Haares und die Haarstruktur, damit ich weiß, was ich überhaupt machen kann«. Dass Friseure hören, und vor allem zuhören müssen, haben wir ausführlich beim Gespräch mit dem Kunden beschrieben. Doch das Hören bezieht sich nicht nur auf das Gespräch mit ihm – auch das Haar wird gehört! Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Erkundung der Beschaffenheit des Haares. »Wenn man das Haar reibt oder mit den Händen durchfährt, dann hört man schon, ob es trocken ist, ein trockenes Reiben, ein trockenes Rascheln oder das Knistern vom Haar«. Ob das Haar gesund, kaputt, sauber, trocken oder dick ist, all dies wird nicht nur gesehen oder ertastet, sondern auch gehört: Wenn das Haar kaputt ist »dann raschelt das auch«. Hingegen »bei feinem Haar, das hören sie kaum, das ist wie Seide«. Wenn das Haar sauber ist »dann quietscht es«, dann »merkt man eben, dass alles abgespült ist. Alles, was da nicht reingehört, dann quietscht es eben.« Gesundes Haar »knistert dann so« und dickes Haar macht »ein schleifendes Geräusch«. Wenn das Haar »verfitzelt« ist, dann macht es »so klack, klack, wie wenn man ein Pferd antreibt und mit der Zunge schnalzt, oder so, wie ein Tackerchen macht.« Trockenes Haar »raschelt« und wenn etwas »mit der Chemie« daneben ging, dann äußert sich das in »zerfetzten Spitzen« und das »empfindet man als schreiend«. In der westlichen Kultur zählt das Riechen, ähnlich wie das Schmecken, zu den niederen Sinnen. Demnach kann der Mensch mit diesen Sinnen zwar einiges empfinden, aber keine sachdienlichen Informationen aus ihnen gewinnen. Doch schon am Geruch können Friseure durchaus einiges Wichtige für ihr Handeln erkennen. So zum Beispiel, wie lange das Haar nicht gewaschen wurde, denn »dann riecht das etwas schmalzig«. Fettiges Haar sondert Talg ab und das riecht »wie ranziges Schmalz«. Wenig gewaschene Haare nehmen auch den »Dunst von Essen oder Rauch« an und wenn sie mit warmem Wasser in Berührung kommen »fangen sie an zu riechen«. Dass der »Geruch des Kunden« auch über seine Hygiene und so-
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gar über seinen Beruf Auskunft geben kann, haben wir schon bei den ersten Begegnungen zwischen Friseur und Kunden erfahren. Erfahrungswissen – Erfahrung und Gespür Zu jedem Beruf gehört Fachwissen. Im Friseurhandwerk umfasst dieses Fachwissen Kenntnisse über die Eigenschaften der Haare, über Frisuren, Haarpflege, Chemikalien und Schnitttechniken, und reicht bis hin zur Farbenlehre und zur Typisierung von Kunden. Während in der schulischen Bildung die praktische Anwendung von Fachwissen in der Regel erst nach dem Schulabschluss erfolgt, spielt in der beruflichen Bildung die Praxis schon in der Ausbildung eine wichtige Rolle. Bereits dort erleben Friseure, dass neben dem Fachwissen immer auch ein besonderes Erfahrungswissen notwendig ist. Denn in der Praxis ist »vieles anders als in der Theorie«. Erfahrungswissen kann nicht aus Büchern gelernt und gelehrt werden, sondern entsteht durch praktisches Tun. Hierdurch lernen Friseure die ›Lebendigkeit‹ des menschlichen Haars kennen, ebenso wie die ›Ecken und Kanten‹ ihrer Kunden. Das gilt auch für den souveränen Umgang mit Werkzeugen und unterschiedlichen Techniken, so dass »man nicht mehr lange nachdenken muss« und der Eindruck entsteht, es gehe »fast von selbst«. Friseuren gelingt es so, neben dem Gespräch mit dem Kunden fast ›beiläufig‹ ihr eigentliches Werk zu vollbringen. Oft werden Erfahrungen und Erfahrungswissen gleichgesetzt mit Kenntnissen und Routinen, die in der Vergangenheit angesammelt wurden. Mit ihrer Hilfe kann man dann in einer aktuellen Situation auf den reichhaltigen ›Erfahrungsschatz‹ zurückgreifen. Doch dies ist nur ein Teil des Erfahrungswissens. Wie bei einem Eisberg ist der weitaus größere, wesentliche Teil des Erfahrungswissens nicht unmittelbar wahrnehmbar. Die Wissenschaft bezeichnet das Erfahrungswissen daher auch als ein ›implizites Wissen‹.39 Es ist ein Wissen, das, wie etwa beim Spüren und Gespür für die Eigenarten des Haars, nicht exakt definiert, beschrieben und aufgeschrieben werden kann. Und es ist vor allem ein Wissen darüber, dass man in der Praxis nicht alles vorweg planen und wissen kann. Für erfahrene Friseure sind das ›Eigenleben‹ und der ›Eigensinn‹ des Haars eine Realität, auf die sie sich einstellen und mit der umzugehen sie in der Praxis gelernt haben. Hierzu reicht die bloße ›Anwendung‹ von Wissen nicht aus. Es gilt, vor allem durch das praktische Tun herauszubekommen, was zu tun ist, was getan werden kann, und was man besser unterlässt. Das Er-
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fahrungswissen ist vor allem ein immer wieder neues Wissen, das erst im konkreten Umgang mit den Kunden und deren Haar entsteht. Sehr treffend ist hier die Feststellung von Friseurinnen, dass der Umgang mit den Haaren »nicht zur Routine werden« darf, sondern »immer wieder neu erfasst« werden muss. Bedeutsam ist das vor allem dann, wenn es um Dinge geht, die »stimmen müssen«, die man jedoch »nicht messen kann« – so etwa die Bestimmung des Winkels bei einer Dauerwelle oder die Anpassung der Schnittlänge an sie Asymmetrie der individuellen Köpfe. Das Erfahrungswissen geht dabei Hand mit »diesem Gefühl, diesem Fingerspitzengefühl«. Empfinden und Spüren sind wichtige Fähigkeiten des Friseurs, um die Eigenschaften der Haare richtig wahrzunehmen und mit dem Haar zu arbeiten. Sie müssen im praktischen Tun entwickelt werden und sie sind verbunden mit einer besonderen Arbeitsweise. Typisch hierfür sind ein behutsames ›Herantasten‹ und der ›Dialog‹ nicht nur mit Personen, sondern auch mit den ›Gegenständen‹, mit denen gearbeitet wird. Eine Arbeit ohne Plan erweckt zumeist den Eindruck eines unsystematischen ›Durchwurstelns‹, und Entscheidungen ohne langes Nachdenken erscheinen als Routine, die mehr oder weniger mechanisch abgespult wird. Beim Friseur zeigt sich aber, dass auch während des praktischen Tuns geplant und gedacht wird. Die Wissenschaft spricht hier von einer ›reflection in action‹40 und einem ›erfahrungsgeleitet-subjektivierendem Handeln‹.41 Erfahrungsgeleitet, weil es darum geht, neben und unabhängig von einem Plan mit allen Sinnen etwas von dem zu erfahren, woran und womit man arbeitet. Subjektivierend, weil hierbei das subjektive Gefühl, Empfinden und Gespür eine besonders wichtige Rolle spielen. Gefühl, Empfinden und Spüren werden in der westlichen Kultur als Grundlagen ›subjektiven‹ Erlebens gesehen und, wie etwa in der Kunst, auch geschätzt. Ihnen wird jedoch unterstellt, keine Auskunft über ›die Wirklichkeit‹ zu geben. Doch die Arbeit des Friseurs lehrt uns Anderes: Die Professionalität des Friseurs beruht auf Fachwissen und systematisch-methodischem Vorgehen – wie aber auch auf Erfahrungswissen und erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Handeln. Wir haben hier besonders Letzteres betrachtet. Denn es ist diese Qualität des Arbeitshandelns von Friseuren, die zumeist unter der Oberfläche des unmittelbar Wahrnehmbaren verborgen bleibt. Oft gilt sie auch bei den Friseuren selbst als etwas, das man zwar tut, worüber man aber kaum spricht – es sei denn, sie werden von neugierigen Soziologen bedrängt.
Marco Goecke, Das gekämmte Gesicht
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Das Haar ist, naturwissenschaftlich gesehen, kein Organ, sondern lediglich ein ›Hautanhangsgebilde‹. In der Geschichte erfüllt es jedoch erstaunlich vielfältige Aufgaben, die weit über seine natürlich-biologische Schutzfunktion hinausreichen. Viele der Aufgaben und Funktionen des Haars haben sich in unserer Sprache, aber auch in Mythen, Ritualen, Symbolen sowie den Künsten niedergeschlagen. In unserem kulturhistorischen Streifzug haben wir die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Funktionen des Haars betrachtet. Wir haben gesehen, dass schon immer eine enge Beziehung zwischen dem Haar und der personalen Entwicklung des Menschen bestand. Das Haar begleitet und dokumentiert den Prozess des menschlichen Aufwachsens und Absterbens. Im Haar und in der Frisur finden geschichtliche Prozesse der Unter- und Überordnung, der Bestrafung und Belohnung, der Anpassung und Befreiung ihren Ausdruck, und es bildet das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper ab. Die kulturgeschichtliche Betrachtung zeigt auch, wie die Bearbeitung des Haars und die ›Handwerker des Körpers‹ gesellschaftlich und kulturell sowohl wertgeschätzt, genauso aber auch abgewertet wurde. Der im frühen und auch im Hochmittelalter noch als beseelt erachtete ›Leib‹ wird vom 16. Jahrhundert an zunehmend zu einer instrumentell nutzbaren Sache. Diese von Sozial- und Kulturhistorikern als ›Verdrängung des Körpers‹ beschriebene Entwicklung in der westlichen Kultur wirkte sich nachhaltig negativ auf die soziale Stellung der noch im frühen Mittelalter geschätzten Barber und Barbiere aus. Die neueren, als ›Individualisierung‹ beschrieben Entwicklungen, rufen verstärkt nicht nur nach einer ›Entwicklung‹ der Persönlichkeit, sondern ihrer ›Inszenierung‹. Eine ›Wiederkehr des Körpers‹ mag man etwa dem Kult an Wellness- und Fitnessorientierung ablesen. Die Tendenz zur ›Selbstoptimierung‹ schlägt © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. G. Bauer und F. Böhle, Haarige Kunst, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0_5
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Epilog
sich aber auch in einer verstärkten Orientierungs-, vielleicht sogar Seelensuche nieder, wie sie sich z. B. im markant angewachsenen Bedarf nach Therapien, Ratgebern, nicht zuletzt nach ›sozial‹-medial-elektronischen Inszenierungshilfen äußert. Zwischen und mitten in all dem der Friseur. Die sozioökonomischen Daten zeigen, dass im Rahmen des Wandels von der Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft auch die Zahl der Betriebe im Friseurhandwerk seit den 1990er Jahren eine bemerkenswerte Zunahme verzeichnet. Zugleich lassen sie einen Trend zu Ketten- und Discountunternehmen einerseits und einer Vielzahl von Klein- bzw. oftmals Ein-Personen-Unternehmen andererseits erkennen. Trotzdem besteht die Tendenz, bei den Friseurdienstleistungen dem Individualisierungsbedarf Rechnung zu tragen. Einen sichtbaren Ausdruck findet dies in den grenzenlosen Be- und Umschreibungen der Friseursalons, die manchmal richtiggehenden Be- oder Verschwörungsformeln gleichen – von den »Vier Haareszeiten« bis hin zum »Hair Gott‹«. Doch auch Schattenseiten sind nicht zu übersehen: vom noch immer niedrigen gesellschaftlichen Status der Friseure (sogenannte Starfriseure ausgenommen) über die vorhandene, nicht unwesentliche Größe der Schattenwirtschaft, bis hin zur vergleichsweise geringen Bezahlung, zur hohen Fluktuation und den (oft übersehenen) besonderen Belastungen in diesem Beruf. Bei der Betrachtung der Arbeit von Friseuren haben wir uns die Frage gestellt, was einen ›guten‹ Friseur ausmacht. Sie hat uns von Anfang an begleitet und war der eigentliche Anstoß zu diesem Buch. Gezeigt hat sich: Offenbar reicht es heute nicht mehr aus, eine gepflegte äußere Erscheinung zu gewährleisten, sondern es geht auch darum, Kunden bei der Entwicklung und Demonstration ihrer Persönlichkeit zu unterstützen. Vielleicht war dies ja schon immer der Fall. Selbst wenn, dann aber eher verdeckt, als ein geheimer Wunsch, oder eingegrenzt auf besondere soziale Gruppen und Nischen. Betrachtet man die Arbeit der Friseure genauer, wird erkennbar: Es geht nicht nur um das für uns Kunden selbstverständlich erscheinende Waschen, Schneiden, Legen, Kommunizieren usw. Der Schlüssel zum guten Friseur scheint vielmehr in dem nicht so leicht Sichtbaren und Erkennbaren zu liegen, nämlich dem Wie seines Tuns – wie ein erwünschtes Ergebnis gesucht und hergestellt wird, also wie er mit dem Kunden und dessen Haar umgeht: wahrnehmend mit allen Sinnen und mit einem Empfinden und Spürsinn sowohl für den Kunden wie auch für die Eigenschaften des Haars. Bereits von Beginn der Arbeit an ist die Abstim-
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mung mit Kunden schwierig, da sie ihre Wünsche und Vorstellungen häufig nur schwer verbal mitteilen können. Der Friseur muss dabei nicht nur zwischen sich und dem Kunden, sondern auch zwischen dem Kunden und dem Haar ›vermitteln‹. Das Haar lässt sich, wie immer man es auch ›domestizieren‹ und ›pharmazieren‹ mag, nur bedingt nach Belieben formen. Allen Versuchen, Ordnungen und Ordnung zu schaffen, widersetzt es sich durch seinen Eigensinn, indem es »die Grenzen solcher Versuche und den Eigensinn der Unordnung«1 in den Blick rückt. Es ist daher wenig erfolgversprechend, nach einem festen Plan vorzugehen. Der Friseur muss sich offen auf den Kunden und dessen Haar einlassen. Den Weg und das Ziel findet er durch ein tastend-erforschendes Vorgehen und einen verbalen wie non-verbalen ›Dialog‹ mit dem Kunden – genauso aber mit dessen Haar. Technische Fertigkeiten und Fachwissen sind hierbei fraglos von großer Bedeutung. Doch entscheidend für den ›guten‹ Friseur scheint etwas, wodurch sich in früheren Zeiten die besondere ›Kunst‹ des Handwerks auszeichnete: ein ›Gespür‹ und ›Empfinden‹ für den ›Gegenstand‹.2 Solches erscheint angesichts der wissenschaftlichen Entwicklungen und der Technisierung der Arbeitswelt als nicht mehr zeitgemäß, ja sogar überholt. Das ist jedoch ein Irrtum. Auch in anderen, ja sogar in hochtechnisierten Arbeitsbereichen und wissensintensiven Berufen ist es trotz und wegen aller Digitalisierung notwendig, ein ›Gespür‹ für technische Abläufe und komplexe Systeme zu entwickeln.3 Für den Friseur gehört ein Spürsinn für den Kunden und dessen Haar in ganz besonderer Weise zu seiner Professionalität. Denn allzu leicht erscheint das Haar als ein Gegenstand, der, so wie die äußere Kleidung, zwar zu einem gehört, aber wie sie auch ablösbar scheint. Doch das Haar, wie auch immer behandelt, abgeschnitten oder künstlich verlängert, gefärbt oder verdreht, ist und bleibt ein Teil des menschlichen Körpers und seiner Persönlichkeit. Das Haar ist, unbearbeitet wie bearbeitet, kein lebloses Objekt, sondern als ein lebendiges, wirkliches ›Gegenüber‹ zu verstehen und zu behandeln. So ist die Berührung des Haares zugleich immer auch eine unmittelbare Berührung des Körpers wie der Persönlichkeit von Kunden. Friseure sind sich dessen bewusst, wenn sie davon sprechen, dass sie in die Intimsphäre der Kunden eindringen. Ob sich Kunden wohlfühlen und zufrieden sind, hängt daher nicht nur von den sichtbaren Ergebnissen ab, sondern immer auch davon, wie der Empfänger der Dienstleistung durch diese ›berührt‹ wird: technisch-instrumentell, so wie ein lebloser Gegenstand, oder einfühlend, durch ein behutsames Herantasten, bei dem die Haare sanft zwischen den Händen gleiten, fallen, fliegen, rascheln … Denn
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ein behutsames wie respektvolles Berühren entspricht nicht nur den zutiefst menschlichen Bedürfnissen der Kunden, sondern auch den Eigen arten des Haars. Es ist daher kein Zufall oder gar ein Relikt aus vergangenen Zeiten, wenn trotz aller geschäftlichen Beziehung zwischen Friseur und Kunden eine persönliche Beziehung entsteht – eine Beziehung, die Nähe bis hin zur Intimität mit Respekt und Distanz zu verbinden weiß. Man könnte sie als ›professionelle Intimität‹ bezeichnen, oder besser und genauer so: Ein guter Friseur findet, belässt und pflegt das Ich im Haar. Der Friseur und Schriftsteller Martin Buri sieht es dementsprechend als eine Aufgabe von Friseuren an, die Persönlichkeit von Kunden über ihre Haare zu erfassen und zur Geltung zu bringen.4 Wir möchten das hier etwas bescheidener formulieren und es bei der Feststellung belassen, dass Friseurinnen und Friseure nicht nur das Haar, sondern mit ihm immer auch den Kunden als Person ›berühren‹.
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Anhang
Tabellen Tab. 1 Beschäftigte nach Betriebsgröße (2011) Tab. 2 Betriebstypen Tab. 3 Anzahl der Tätigen und Beschäftigten nach Betriebsgröße (ca. 2010) Tab. 4 Qualifikation
88 89 89 104
Abbildungen Abb. 1 Friseur, Terracotta aus Tanagra (Griechenland), ca. 300 – 200 v. Chr. Abb. 2 Chez le Coiffeur Abb. 3 Lust der Täuschung. Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality. Kunsthalle München Abb. 4 Cartoon TOUCHÉ by © TOM Abb. 5 Betriebsentwicklung im Friseurhandwerk zwischen 1991 und 2015, Bundesgebiet Abb. 6 Salon Pony & Clyde, Berlin Abb. 7 Friseursalon Marokko Abb. 8 Friseursalon Europa Abb. 9 Stefan Moses, Ende mit Wende Abb. 10 Figaro 1 Abb. 11 Figaro 2 Abb. 12 Figaro 3 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. G. Bauer und F. Böhle, Haarige Kunst, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0
34 55 69 79 91 96 106 106 108 114 114 114 159
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Anhang
Abb. 13 Figaro 4 Abb. 14 Figaro 5 Abb. 15 Figaro 6 Abb. 16 Figaro 7 Abb. 17 Figaro 8
114 115 130 133 138
Bildnachweise Seite 1: Im Dickicht der Haare. Hg. v. der GRIMMEWELT Kassel und Mira Frye, Annemarie Hürlimann und Nicola Lepp. 2015 Seite 15: Kiki Smith, Untitled C, 1995. brown paper, methyl cellulose and horse hair 53 × 18 × 50'' (134.6 × 45.7 × 127 cm) unique Photograph by Ellen Page Wilson, courtesy Pace Gallery © Kiki Smith, courtesy Pace Gallery Seite 83: Michael Runschke, Probe, 2007. Dispersion auf Kaltnadelradierung, Aufl. 6, 30 × 21 cm © Michael Runschke Seite 101: Otto Dix, Der Gott der Friseure, 1922. Aquarell © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Seite 143: Marco Goecke, Das gekämmte Gesicht, aus einem Beitrag von Dorion Weickmann, SZ 30. Juni 2018. Foto: Hans G. Bauer
Anhang
HAIR (engl. Originaltext)
She asks me why I’m just a hairy guy I’m hairy noon and night Hell that’s a fright I’m hairy high and low Don’t ask me why Don’t know It’s not for lack of bread Like the Grateful Dead Darling Gimme head with hair Long beautiful hair Shining, gleaming, Streaming, flaxen, waxen Give me down to there hair Shoulder length or longer Here baby, there mama Everywhere daddy daddy Hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair Flow it, show it Long as God can grow it My hair Let it fly in the breeze And get caught in the trees Give a home to the fleas in my hair A home for fleas A hive for bees A nest for birds There ain’t no words For the beauty, the splendor, the wonder Of my …
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Anhang
Hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair Flow it, show it Long as God can grow it My hair I want it long, straight, curly, fuzzy Snaggy, shaggy, ratty, matty Oily, greasy, fleecy Shining, gleaming, streaming Flaxen, waxen Knotted, polka-dotted Twisted, beaded, braided Powdered, flowered, and confettied Bangled, tangled, spangled, and spaghettied! Oh say can you see My eyes if you can Then my hair’s too short Down to here Down to there I want hair Down to where It stops by itself They’ll be ga ga at the go go When they see me in my toga My toga made of blond Brilliantined Biblical hair My hair like Jesus wore it Hallelujah I adore it Hallelujah Mary loved her son Why don’t my mother love me? Hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair Flow it, show it Long as God can grow it My hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair
Anhang
Flow it, show it Long as God can grow it My hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair Flow it, show it Long as God can grow it My hair Hair, hair, hair, hair, hair, hair, hair
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A n m e r ku n g e n
I Wer kennt es nicht? – eine Einführung (S. 3 – 1 4) 1
Allert, T. (2004a), S. 23.
2
Antas, M. (2018), S. 39.
3
Allert, T. (2004a), S. 22.
4 Bolt, N. (2001), S. 8. Selbstverständlich drängt sich bei einem solchen Untertitel sofort die Frage auf, warum in der wichtigsten Nebensache der Welt, dem Fußball, die Haarbehandlung zwischenzeitlich tendenziell ähnlich prominente Bedeutung erlangt hat wie die Ballbehandlung. Wir werden darauf noch zurückkommen. 5
Janecke, C. (2004b), S. 18 f.
6
Stephan, I. (2001), S. 28.
7
Vgl. Janecke, C. (2004a).
8
Janecke, C. (2004b), S. 5.
9
Janecke, C. (2004b), S. 17.
10 Hürlimann, A.; Lepp, N. (2015), S. 9. 11 Braun-Falco, O. (1993), S. 9. 12 Dermatologisches Privatinstitut.de (o. J.), http://dermatologisches-privat institut.de/haar-haut-und-koerperpflege/. 13 Antas, M. (2018), S. 47.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. G. Bauer und F. Böhle, Haarige Kunst, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29087-0
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Anmerkungen zu Seite 15 – 80
II Was alles am Haar hängt – ein kulturhistorischer Streifzug (S. 15 – 80) 1
Vgl. Evangelische Akademie Tutzing (2017).
2
Vgl. auch Staguhn, G. (2019).
3
Antas, M. (2018), S. 19.
4
Stolz, S. (1992), S. 8.
5
Frye, M. (2015), S. 12 f.
6
Vgl. Grimm, J.; Grimm, W. (1854 ff.).
7
Vgl. Grimmelshausen, H. J. v. (1669).
8
Stephan, I. (2001), S. 30.
9
Vgl. Benthien, C.; Wulf, C. (2001).
10 Hürlimann, A.; Lepp, N. (2015), S. 8. 11 Gennep, A. v. (1909). Hier zitiert nach einer Sendung des Bayerischen Rundfunks (BR 2) zum Thema. 12 Die Zahl »7« ist natürlich selbst wiederum eine mythische und rituell genutzte »heilige« Zahl (wahrscheinlich bezogen auf die Einteilung der Mondbahn in 4 × 7, d. h. 28 Tage und die sieben Planeten). 13 Man kann es als einen Witz der Geschichte (im doppelten Wortsinn) verstehen, dass die Philister die regenerative Kraft der Haare übersehen hatten, Samson sodann mit nachgewachsenem Haar und neuerlangter Kraft sein Gefängnis, den Tempel des Dagon, zerstörte und sehr viele Philister umbrachte. 14 Bolt, N. (2001), S. 207. 15 Bolt, N. (2001), S. 169. 16 Balabanova, S. (1993), S. 18 f. 17 Bolt, N. (2001), S. 107. 18 Bolt, N. (2001), S. 39. 19 Bolt, N. (2001), S. 106 f. 20 Balabanova, S. (1993), S. 45 f. 21 Balabanova, S. (1993), S. 54. 22 Streethair.wordpress.com (2014), https://streethair.wordpress.com/2014/ 07/09/der-friseurberuf-historisch/zirconium2149. 23 Dunkel, W. (2006), S. 220. 24 Bolt, N. (2001), S. 45.
Anmerkungen zu Seite 15 – 80
25 Stolz, S. (1992), S. 332. 26 Balabanova, S. (1993), S. 61 ff. 27 Bolt, N. (2001), S. 135. 28 Stolz, S. (1992), S. 10. 29 Stolz, S. (1992), S. 10. 30 Stolz, S. (1992), S. 10 f 31 Paul-Kohlhoff, A. (2004), S. 53. 32 Uttenhaler, M. (1921), S. 7. 33 Sander, S. (1989), S. 11. 34 Vgl. Elias, N. (1976). 35 Vgl. Foucault, M. (1978). 36 Vgl. Muchembled, R. (1990). 37 Vgl. Bette, K. H. (1989). 38 Paul-Kohlhoff, A. (2004), S. 52. 39 Paul-Kohlhoff, A. (2004), S. 57. 40 Martin, A. (1906), S. 146. 41 Vgl. Böhle, F.; Porschen, S. (2011). 42 Pape, R. (1986), S. 105. 43 Stolz, S. (1992), S. 104. 44 Paul-Kohlhoff, A. (2004), S. 55. 45 Stolz, S. (1992), S. 11. 46 Stolz, S. (1992), S. 139. 47 Stolz, S. (1992), S. 146. 48 Sennett, R. (1986), S. 98 ff. 49 Stolz, S. (1992), S. 333. 50 Stolz, S. (1992), S. 128. 51 Bolt, N. (2001), S. 112. 52 Bolt, N. (2001), S. 46 f. 53 Bolt, N. (2001), S. 108. 54 Stolz, S. (1992), S. 126. 55 Stolz, S. (1992), S. 198.
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168
Anmerkungen zu Seite 15 – 80
56 Stolz, S. (1992), S. 186. Als Fontange wird die hohe, über einem Gestell aus Draht aufgebaute Haube wie auch der gesamte Aufbau aus Haube und Frisur bezeichnet, wie sie von des spätesten 17. Jahrhunderts getragen wurde. Der Name bezieht sich auf die Herzogin von Fontanges, einer Maitresse von Ludwig XIV . 57 Huizinga, J. (1987), S. 199 f. 58 Jedding-Gesterling, M.; Brutscha, G. (1988), S. 97. 59 Jedding-Gesterling, M.; Brutscha, G. (1988), S. 181. 60 Stolz, S. (1992), S. 186. 61 Reiner, J. V. (1748), S. 76. 62 Goethe, J. W. v. (1963), S. 60. 63 Goethe, J. W. v. (1963), S. 66. 64 Nicolai, F. (1808), S. 122 f. 65 Stolz, S. (1992), S. 11. 66 Stolz, S. (1992), S. 208. 67 Bolt, N. (2001), S. 46 f. 68 Bolt, N. (2001), S. 46. 69 Paul-Kohlhoff, A. (2004), S. 56. 70 Heine, H. (1972), S. 73. 71 Vgl. Hobsbawm, E. (1962). 72 Antoni-Komar, I. (2004), S. 209. 73 Antoni-Komar, I. (2004), S. 211. 74 Antoni-Komar, I. (2004), S. 209 f. 75 Antoni-Komar, I. (2004), S. 218. 76 Stolz, S. (1992), S. 206. 77 Jedding-Gesterling, M.; Brutscher, G. (1988), S. 136. 78 Journal des Luxus und der Moden (1804), S. 579 f. Zitiert nach AntoniKomar, I. (2004), S. 224. 79 Antas, M. (2018), S. 105 f. 80 Antoni-Komar, I. (2004), S. 228. 81 Kornher, S. (2004), S. 76. 82 Stolz, S. (1992), S. 264. 83 Stolz, S. (1992), S. 264.
Anmerkungen zu Seite 15 – 80
84 Müller, F. (1925), S. VI . 85 Stolz, S. (1992), S. 293. 86 Stolz, S. (1992), S. 296. 87 Kornher, S. (2004), S. 62. 88 Kornher, S. (2004), S. 64. 89 Kornher, S. (2004), S. 74. 90 Stolz, S. (1992), S. 287. 91 Eble, B. (1831), S. 5. 92 Stolz, S. (1992), S. 252. 93 Müller, F. (1926), S. 202 ff. 94 Gußmann, P. (1920), S. 378 f. 95 Gußmann, P. (1920), S. 440. 96 Schug, A. (2004), S. 87. 97 Müller, F. (1925), S. 440. 98 Schug, A. (2004), S. 89 f. 99 Schug, A. (2004), S. 83. 100 Schug, A. (2004), S. 83. 101 Müller, F. (1925), S. 471. 102 Kornher, S. (2004), S. 77. 103 Schug, A. (2004), S. 85. 104 Stolz, S. (1992), S. 281. 105 Vgl. Bauman, Z. (2003); Bauman Z. (2005). 106 Vgl. Beck, U. (1986). 107 Beck, U. (1986), S. 8. 108 Bolz, N. (1997), https://www.heise.de/tp/features/Theorie-der-MuedigkeitTheoriemuedigkeit-3445987.html. 109 Grube, N. (2004), S. 235. 110 Noelle, E.; Neumann, E. P. (1956), S. 5. 111 Odoul, M.; Portrait, R. (2000), S. 35. 112 Grube, N. (2004), S. 239. 113 Grube, N. (2004), S. 237 f.
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114 Grube, N. (2004), S. 238 f. 115 Grube, N. (2004), S. 239. 116 Grube, N. (2004), S. 244. 117 Vgl. Schelsky, H. (1957). 118 Mrozek, B. (2008), S. 635. 119 Baudrillard, J. (1982), S. 81. 120 Cohn, N. (1994), S. 2. 121 Tiedemann, N. (2004), S. 267. 122 Grube, N. (2004), S. 245. 123 Golyr.de (o. J.), https://www.golyr.de/hair-musical/songtext-hair-119932.html. Engl. Originaltext im Anhang. 124 So nachzulesen in Rockmusik Freunde der 70er/Admin (2010), http://forum70-iger-rock.forumieren.de/t121-hair-das-musical. X. 125 Pasolini, P. (1978), S. 19. 126 Tiedemann, N. (2004), S. 256. 127 Golz, U. (2008), http://www.deutschlandradiokultur.de/authentische- hippiewelt.932.de.html?dram:article_id=130057. 128 Antas, M. (2018), S. 149. 129 Grube, N. (2004), S. 247. 130 Bolt, N. (2001), S. 97 f. 131 Jenß, H. (2004), S. 285. 132 Lynch, C. (2015), S. 70. 133 Lynch, C. (2015), S. 70 f. 134 Allert, T. (2004a), S. 23. 135 Allert, T. (2004a), S. 26. 136 Bauer, P. (2016), https://sz-magazin.sueddeutsche.de/fussball/ waschen-schneiden-kicken-82132. 137 Allert, T. (2004b), S. 107. 138 Allert, T. (2004a), S. 26. 139 Allert, T. (2004b), S. 107. 140 Allert, T. (2004a), S. 26. 141 Stolz, S. (1992), S. 334 f.
Anmerkungen zu Seite 81 – 96
171
142 Czernin, M.; Müller, M. (2001), S. 75. 143 Czernin, M.; Müller, M. (2001), S. 110 f.
III Zur Lage des Friseurs – Soziodemographisches (S. 81 – 9 6) 1 Vom ZDH erfahren wir auf Nachfrage, dass Daten zum Migrationshintergrund von Beschäftigten oder Inhabern nicht vorlägen und auch die Wandlung vom Männer- zum Frauenhandwerk nicht rückverfolgt werden könne, da keine Hintergrunddaten zu Beschäftigten und Inhabern vorlägen (Korrespondenz im Mai 2016). 2
Im Folgenden kurz GWS Report genannt.
3
Ehemalige Kennzeichnung WZ 93, seither WZ -96.02.
4
GWS Report (2014), S. 3.
5
https://www.menschenimsalon.de/business/friseur_statistiken.
6
GWS Report (2014), S. 1.
7
Wikipedia (2019), https://de.wikipedia.org/wiki/Friseur.
8
GWS Report (2014), S. 11.
9 Pilgram, J. (2019), S, 61 (mit dem Hinweis, dass sich die Zahlen bis 1984 auf Westdeutschland beziehen). 10 GWS Report (2014), S. 12. 11 Friseur-news. Deutschland Österreich Schweiz (2013), https://friseur-news.de/ friseurbranche/zahlen-daten-fakten/betriebsstaetten-und-groessen/ explosion-der-betriebe. 12 Friseur-news. Deutschland Österreich Schweiz (2013), https://friseur-news.de/ friseurbranche/zahlen-daten-fakten/betriebsstaetten-und-groessen/ explosion-der-betriebe. 13 GWS Report (2014), S. 8. 14 Friseur-news. Deutschland Österreich Schweiz (2013), https://friseur-news.de/ friseurbranche/zahlen-daten-fakten/betriebsstaetten-und-groessen/ explosion-der-betriebe 15 Krohn, P. (2008), http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/ gruendungsboom-viele-friseure-fliehen-in-die-selbstaendigkeit-1680582.html. 16 Friseur-news. Deutschland Österreich Schweiz (2013), https://friseur-news.de/ friseurbranche/zahlen-daten-fakten/betriebsstaetten-und-groessen/ explosion-der-betriebe.
172
Anmerkungen zu Seite 81 – 96
17 Krohn, P. (2008), http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/ gruendungsboom-viele-friseure-fliehen-in-die-selbstaendigkeit-1680582.html. 18 handwerk-magazin.de (2013): https://www.handwerk-magazin.de/ friseure-verlust-fuer-kleine-betriebe/150/3/200037/2. 19 Krohn, P. (2008), http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/ gruendungsboom-viele-friseure-fliehen-in-die-selbstaendigkeit-1680582.html. 20 GWS Report (2014), S. 12. 21 GWS Report (2014), S. 1. 22 GWS Report (2014), S. 5. 23 Hohmann, M. (2019), https://de.statista.com/statistik/daten/studie/283630/ umfrage/konsumausgaben-in-deutschland-fuer-koerperpflege/. 24 Hohmann, M. (2019), https://de.statista.com/statistik/daten/studie/283630/ umfrage/konsumausgaben-in-deutschland-fuer-koerperpflege/. 25 GWS Report (2014), S. 5. 26 GWS Report (2014), S. 4. 27 GWS Report (2014), S. 24. 28 Das Portal HairWeb.de, das nach eigenen Angaben 1997 als erstes Haarportal online ging und sich um »Trends, Styling, Fashion, Stars« kümmert, berichtet von einer »Umfrage in Friseursalons aus neun verschiedenen europäischen Ländern, durchgeführt von ECOTEC Research And Consulting Limited und finanziert von der Europäischen Kommission – 2000«. Vgl. hairweb.de (o. J.), http://www. hairweb.de/friseur-geschichte-friseurhandwerk.htm (o. J.). 29 GWS Report (2014), S. 3. 30 Auszüge aus Scholz, N. (2015), https://www.buzzfeed.com/nscholz/ friseurnamen?utm_term=.aywzdz73m#.bkD7A70rG und Kreativefriseurnamen (– 2019), http://kreativefriseurnamen.tumblr.com/. Siehe hierzu auch Hartmann, R., Maurmann, B. (2012); Burgwächter, T. (2016). 31 Dambeck, H.; Stoltz, P. (2019), https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/ friseure-haar-straeubende-wortspiele-mit-hair-kamm-schnitt-cut-a-1243421. html. 32 Schöne, L. (2015), https://www.welt.de/gesundheit/article137548616/Friseurist-ein-gefaehrlicher-Beruf.html). 33 Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (o. J.), http://bisds.infosys.iab. de/bisds/result?region=19&beruf=BO 901&qualifikation=2. 34 Kitzig, D.; Freitag, S; Nienhaus, A. (2015), S. 17. 35 Burfeind, S. (2018).
Anmerkungen zu Seite 97 – 136
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IV Unsichtbares Handeln – die (Un-)Möglichkeit, ein guter Friseur zu sein (S. 97 – 136) 1 handwerksblatt.de (2012), https://www.handwerksblatt.de/aus-weiterbildung/ 34-azubi/17837-friseurhandwerk-hat-grosse-nachwuchssorgen-0.html. 2 2009 lag die Zahl der akademisch Studierenden erstmals über der Zahl derjenigen, die eine Berufsausbildung gewählt haben. 3 Die Gründe reichen von falscher Ausbildungswahl bis zu häufig negativen Ausbildungserfahrungen. 4 Bundesagentur für Arbeit (o. J.), https://berufenet.arbeitsagentur.de/ berufenet/faces/index?path=null/kurzbeschreibung&dkz=9910. 5
Schweig, W. (2006), S. 6.
6 Friseur-news. Deutschland Österreich Schweiz (2013), https://friseur-news.de/ der-friseurberuf/der-friseurberuf-themen/blond-und-schlecht-bezahlt. 7 Friseur-news. Deutschland Österreich Schweiz (2013) https://friseur-news.de/ der-friseurberuf/der-friseurberuf-themen/blond-und-schlecht-bezahlt. 8
Hairhunter (o. J.): Friseur alter Schule. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/.
9
Dogbert (o. J.): Ein Schauspiel. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/.
10 Tom (o. J.): Carinas Friseurbesuch. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/. 11 Luckyandy (o. J.): Mein erster Friseurbesuch. Aus: https://www.haarigeseite.de/ hs/. 12 Alexander (o. J.): Faszinierender Friseur-Besuch in den 1980er Jahren. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/. 13 Alexander (o. J.): Faszinierender Friseur-Besuch in den 1980er Jahren. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/. 14 Klam, O. (2017), S. 113 – 115. 15 Klam, O. (2017), S. 154 – 159. 16 Seydack, N. (2019), https://www.zeit.de/entdecken/2019-08/ spiegelbild-fremd-psychologie-depression-entfremdung-lebenskrise. 17 Dogbert (o. J.): Ein Schauspiel. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/. 18 Dogbert (o. J.): Ein Schauspiel. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/. 19 Seydack, N. (2019), https://www.zeit.de/entdecken/2019-08/ spiegelbild-fremd-psychologie-depression-entfremdung-lebenskrise. 20 Dogbert (o. J.): Ein Schauspiel. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/. 21 Dogbert (o. J.): Ein Schauspiel. Aus: https://www.haarigeseite.de/hs/.
174
Anmerkungen zu Seite 97 – 136
22 Vgl. Dunkel, W.; Weihrich, M. (2012). 23 Vgl. Hochschild, A. R. (1979). 24 Vgl. Rastetter, D. (2008). 25 Vgl. Strauss, A.; Fagheraug, S.; Suezek, B.; Wiener, C. (1980). 26 Vgl. Böhle, F.; Stöger, U.; Weihrich, M. (2015), S. 21. 27 Vgl. Hösl, G.; Reime, Böhle, F. (2001)/Dunkel, W.; Bauer, H. G.; Munz, C. (2005)/Bauer, H. G.; Dunkel, W.; Munz, C.; Stiel, M. (2002)/Bauer, H. G; Dunkel, W.; Munz, C.; Stiel, M. (2004)/Asmus, A.; Bauer, H. G.; Dunkel, W.; Munz, C.; Stiel, M. (2004)/Dunkel, W.; Rieder, K. (2004). 28 Vgl. Dunkel, W.; Weihrich, M. (2010). 29 Antas, M. (2018), S. 35 f. 30 Michaelsen, S. (2018), S. 54. 31 Hacker, A. (2018), https://www.jetzt.de/gutes-leben/sozialphobie- friseurbesuche-sind-schrecklich. Dass dies keinen Einzelfall darstellt, machen zahlreiche Internetbeiträge zu diesem Thema deutlich. 32 Vgl. hierzu grundlegend Schulze, G. (1992). 33 Vgl. Attenberger, A.; Schultz-Paasch, G. (2017). 34 Schweig, W. (2000), S. 6. 35 Allert, T. (2004a), S. 25. 36 Vgl. bspw. Piaget, J. (1978). 37 Vgl. Uzarewicz, C. (2011), S. 311 f. 38 Vgl. Böhle, F. (2017). 39 Vgl. Polanyi, M. (1985); Neuweg, G. H. (2001). 40 Vgl. Schön, D. (1983). 41 Vgl. Böhle, F. (2017).
Anmerkungen zu Seite 137 – 140
175
Epilog (S. 137 – 1 40) 1
Hürlimann, A.; Lepp, N. (2015), S. 9.
2 Dieser Kunst des Handwerks hat der Soziologe R. Sennett (2008) ein eigenes, eindrucksvolles Buch gewidmet. 3 Vgl. Bauer, H. G.; Munz, C. (2004); Bauer, H. G.; Böhle, F.; Munz, C.; Pfeiffer, S.; Woicke, P. (2006)/Böhle, F. (2017). 4
Vgl. Buri, M. (2015).