Ägyptische heilige Orte III: Der Manzala-See bei Port Said und der Heilige der Fischer. Konstruktionen, Inszenierungen und Landschaften der Heiligen im Nildelta: Abû al-Wafâ`: Fotografische Begleitung von Axel Krause [1. Aufl.] 9783839412008

In dieser dreiteiligen Reihe zu heiligen Orten in Ägypten beschäftigt sich der dritte Band mit einem Heiligen der Fische

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German Pages 162 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
2. Ein See-Roman: Der rätselhafte Fischer im Manzala-See, ein fiktives Konstruktionsmodell des »Seeheiligen«?
3. Lebenswelt im Wasser
4. Abû al-Wafâ‘
5. Der »zweite Blick«: Die moderne Unmöglichkeit des Lebens am See
6. Epilog
Anhang
Karten
Der See – die alten und die jungen Orte
Liste der Abbildungen
Bibliographie
Glossar arabischer Termini
Gesamtindex
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Ägyptische heilige Orte III: Der Manzala-See bei Port Said und der Heilige der Fischer. Konstruktionen, Inszenierungen und Landschaften der Heiligen im Nildelta: Abû al-Wafâ`: Fotografische Begleitung von Axel Krause [1. Aufl.]
 9783839412008

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Ägyptische heilige Orte III

Georg Stauth lehrte Soziologie an der Universität Bielefeld und leitete eine Forschergruppe zu »Heiligen Orten« im Sonderforschungsbereich »Kulturelle und sprachliche Kontakte« an der Universität Mainz sowie eine internationale Studiengruppe zu »Islam und Moderne« am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Axel Krause lebt als Fotograf in Kairo.

Georg Stauth

Ägyptische heilige Orte III Der Manzala-See bei Port Said und der Heilige der Fischer Konstruktionen, Inszenierungen und Landschaften der Heiligen im Nildelta: Abû al-Wafâ‘

Fotografische Begleitung von Axel Krause

Die Drucklegung dieser Publikation wurde unterstützt aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.ddb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Axel Krause Korrektorat: Sarah Neumann, Mainz; Sigrid Nökel, München Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-1200-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Ein See-Roman: Der rätselhafte Fischer im Manzala-See, ein fiktives Konstruktionsmodell des »Seeheiligen«? . . . . . . . . . .

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3. Lebenswelt im Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Abû al-Wafâ‘

..............................................

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5. Der »zweite Blick«: Die moderne Unmöglichkeit des Lebens am See . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Epilog

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Anhang Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Der See – die alten und die jungen Orte Liste der Abbildungen Bibliographie

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

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Glossar arabischer Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Gesamtindex

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

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»Doch je mehr er sich in das Leben hineinlebte, ward er ruhiger. […] und wie Gott so ganz bei ihm eingekehrt, daß er kindlich seine Lose aus der Tasche holte, um zu wissen, was er tun sollte: dieser Glaube, dieser ewige Himmel im Leben, dieses Sein in Gott – jetzt erst ging ihm die Heilige Schrift auf. Wie den Leuten die Natur so nah trat, alles in himmlischen Mysterien; aber nicht gewaltsam majestätisch, sondern noch vertraut.« »Ein Gefühl unendlichen Wohls beschlich ihn. Er sprach einfach mit den Leuten; sie litten alle mit ihm, und es war ihm ein Trost, wenn er über einige müdgeweinte Augen Schlaf und gequälten Herzen Ruhe bringen, wenn er über dieses von materiellen Bedürfnissen gequälte Sein, diese dumpfe Leiden gen Himmel leiten konnte.« Georg Büchner, Lenz (zit.n. Büchners Werke. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1980, S. 166 und 167f.)

Vorwort Mit dieser Studie, meiner letzten über heilige Orte im Nildelta, trete ich aus dem bisher gezogenen Rahmen der musealen Gegenüberstellung von Islam und Pharaonismus heraus. Der in den Steinen und Spolien an den meisten bisher gezeigten Orten anwesende »Pharao« steht nicht mehr unmittelbar im Interesse dieser Studie. Dennoch rege ich an, den Blick auf die Geschichte nicht zu vergessen und suche nach einer stillen, gewissermaßen ins »Innere« gewendeten Präsenz pharaonischer Kulturmomente. Der äußere »Pharao« ist nicht mehr präsent. Geschichte wird so – man verzeihe mir diese Überpointierung – zum ›formalen Gewissen‹, zum ›geschenkten Gedächtnis‹ oder gar zum ›Gedärm‹ des modernen Lebens einfacher Leute und der Naturwelt am Manzala-See, wo sie leben. Mein Beispiel – soviel sei hier nur kurz angemerkt – weist insofern über sich hinaus, als Leben und Überleben der verarmten Massenbevölkerungen in den Flussdeltas, die meist die alten großen Zivilisationen beherbergten, wie auch die Vergleichsbezüge, die sich moderne Ordnungstheorien immer schaffen (neben Ägypten unter anderem auch Mesopotamien, Indien und China), in die Begriffe besonderer Kulturwelten einbezogen sind, welche eine aktuelle und nicht nur historisch-symbolische Bedeutung haben. Die Armut der hier lebenden Menschen wird oft genug gewissermaßen im Stillen mit diesen Zivilisationen geographisch und historisch in Verbindung gebracht, und die sie überwindenden Ordnungsbegriffe stellen offen den im Stillen fortlebenden Glauben und ihre Traditionen in Zweifel. Die Subalternität, mit der wir es hier zu tun haben, wird oft zu einfach mit aus der Geschichte reichender kultureller Differenz erklärt. Doch lässt sich leicht erkennen, dass es meist politisch-strategische Ziele sind, die die Inthronisierung »kultureller Differenz« als Mittel der Durchsetzung politischer Macht vollziehen. Es ist deshalb schon im Voraus daran zu erinnern, dass ich mich mit dem Fall eines Heiligen in solchermaßen historisch vorbelasteter Seelandschaft beschäftige. Es wird hier mit kühlstem Interesse reiner Lebensunterhalt erarbeitet. Doch bleibt der See darin eine Naturwelt, wie er auch als eine wilde, eine ›freie Natur Gottes‹ vorgestellt wird. Das wilde, freie Leben, das hier gepflegt wird, ist durchaus auch ein historisches. Diese Ambivalenz zwischen Subalternität und ›Geschichte‹ ist es, die mich an diesem Fall interessiert. Darin steht er in einer Reihe mit den anderen, in meinen bisherigen Studien behandelten Phänomenen der ägyptischen Heiligenverehrung. In Band I dieser dreiteiligen Reihe über Ägyptische heilige Orte im Nildelta1 thematisierte ich die Logik, die der Vorstellung von einem zum islamischen Heiligen gewordenen jüdischen Gelehrten folgt, dem ersten Konvertiten zum Islam, ´Abdallah b. Salam, durch den Muhammad einst seine

1 | Stauth, ´Abdallah.

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Bestätigung als Prophet erfuhr. Es ging um die Verbreitung seiner Schreine, vornehmlich an Stätten des Altertums, und um die Konfliktstrukturen seiner Verehrung in der Region südlich von Mansura bis in den Manzala-See hinein. Band II galt dem Vergleich von Konvergenz- und Konfliktlinien zwischen Relikten pharaonischer Kultur und islamischen Heiligen in der kulturell und historisch verdichteten Region des oberen westlichen Nilarms (Sais, von historisch überdimensionaler Bedeutung, und das von Moscheebauten der Mameluckenzeit geprägte Fuwa).2 Das Errichten der ScheichQubbas als Schreine an antiken Stätten, den Kûms, und das Verbauen von meist pharaonischen, antiken Spolien in den Mamelucken-Moscheen und -Sanktuarien wurden hier als Komponenten der islamischen Authentizitätssuche untersucht. Unter modernen, musealen Bedingungen gerieten diese, wie andere weiterlebende Praktiken des lokalen, identitären und usurpatorischen Umgangs mit Plätzen und Gegenständen der Antike, zunächst in den Blick von europäischen Reisenden und Archäologen, dann in die Kritik der militanten Fundamentalisten, die beide diese Formen der lokalen Authentizität als Auswüchse eines im Islam fortlebenden Heidentums verunglimpften. Dieser dritte Band widmet sich einem Heiligen in der Marginalität einer Seeinsel. Dabei geht es weniger um Komponenten des äußeren Zusammentreffens mit europäischen Reisenden, Archäologen, religiösen Gelehrten, Spezialisten und Islamisten, vielmehr drängen sich innere Momente der islamischen Authentizität in der Abgeschiedenheit des Sees, in Marginalität und Armut auf. Dies bedeutet eine Umkehrung der Perspektive, weg von den äußeren Tatsachen an historischen Plätzen, hin zu den Reproduktionen seelisch-sinnlicher Tatbestände in einer von Wasser und Schilf geprägten Landschaft. Aber auch hier bleibt das »Museale« wichtig. Es ist nicht nur auf äußere Faktoren beschränkt, sondern wird vor dem Hintergrund des Willens zum nackten Überleben wichtig. Damit drängt es sich auch als Wille zu einem modernen, humanen Leben auf. In der Heiligenverehrung, der islamischen insbesondere, wird das Museale vielleicht stärker noch als in Europa, zum inneren Leben der sich erinnernden geschichtlichen Seele. Mit all den Widersprüchen im praktischen Leben, im Verhältnis zur Natur ebenso wie zu den bewegenden Faktoren der großen Welt draußen, ist auch hier die Heiligenverehrung Teil der modernen musealen Lebensform. Natur- und Naturbild sind deshalb die wesentlichen Momente des Zugangs zum »Ort« in dieser dritten und letzten Studie,3 wenn auch Befunde ihrer schwindenden Kraft benannt werden müssen.

2 | Stauth, Zwischen den Steinen des Pharao. 3 | Voraussichtlich wird dem aber bald eine Theorie-Studie folgen. Darin sollen die grundsätzlichen Probleme moderner Ordnung im Hinblick auf den Fall Ägypten betrachtet und diskutiert werden. Vgl. Stauth, Herausforderung.

Etzen-Gesäß im Odenwald, Februar 2010

9 Vorwort

Dieser Zusammenhang erlaubte es mir, ein Werk der modernen ägyptischen Literatur, einen Roman von Muhammad al-Bisâtî, dessen englische Fassung mir zufällig während der Untersuchungsphase am Manzala-See in die Hände fiel, in die ethnologische und soziologische Beobachtung mit einzubeziehen. Indirekt bezieht sich der Roman auch auf die Kriegs- und Nachkriegswirren des Sechstagekrieges von 1967 und den daraus hervorgegangenen Lebenswelten des Wandels und des Bruchs in der Region des Manzala-Sees nahe am Suezkanal südlich von Port Said. Den symbolischen Gehalt der aus der Geschichte überkommenen (und zugleich musealisierten) Lebens- und Überlebensinstinkte der Menschen, die Armutskultur des Sees, brach sich hier einen literarischen Ausdruck. Die lokalen orthodoxen Vorstellungen von Dingwelt und Leben schienen mir auch eine Welt des »Heiligen« zu offenbaren. Eingeschlossen in der Landschaft des Sees erscheinen die hier lebenden Menschen als Symbolfiguren einer geschichtlichen Realität Ägyptens, und doch bleiben sie auch Teil der Gesamtheit der Welt draußen. Ich beschloss schon nach der ersten Lektüre, den Roman in der Form einer literarischen Ausgangslage in die Darstellung des Lebens auf dem See mit einzubeziehen. Zugleich musste ich den Autor, der seine Kindheit selbst in den Dörfern an der Südseite des Sees verbracht hatte, finden und ihn treffen. Erst in der letzten Phase kurz vor Abschluss meiner Arbeit gelang es mir, ein Gespräch mit ihm zu vereinbaren. Ich möchte Muhammad al-Bisâtî an dieser Stelle nochmals dafür danken! Zu danken ist auch den vielen Gastgebern, Helfern und Ratgebern im Feld und an den ägyptischen Universitäten. Es bedarf hier keiner ausdrücklichen Nennungen mehr, denn schon in den vorangegangen Bänden ist über die Zusammenarbeit mit ägyptischen und deutschen Institutionen und Kollegen berichtet worden, daran hat sich nichts geändert. Die Bedingungen im See, die Fahrten auf den »Launches« (lânsh, lânshât), den Booten (markib, marâkib) und Feluken auf den offenen Seeflächen und -kanälen, die Inseln und Anlegestellen, stellten uns, den fast immer begleitenden Axel Krause und mich, vor Herausforderungen eigner Art. Immer und überall fanden wir unter Fährmännern, Fischern, Bauern und Beamten hilfreiche und freundliche Menschen, die uns halfen, das Äußere unserer Fremdheit in ihrer Welt, die mit dem »Wasserreich« an Ferne zunahm, zu überbrücken: Immer waren sie offen für die Demonstration und Duldung ganz persönlicher Haltungen und Interventionen. Ich kann hier nur so viel sagen, dass das Gefühl der Dankbarkeit diesen Menschen gegenüber ein dauerndes, kaum auszuschöpfendes bleiben wird. Mein besonderer Dank gilt Silvia Prell und Sarah Neumann für Hinweise und Korrekturen. Dankenswerterweise hat sich Sarah Neumann der Karten und des Index und Sigrid Nökel des letzten Lektorats des Textes angenommen.

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»Die tiefste, alles übrige fundierende Schicht unseres Lebensgefühls ist vielleicht diejenige, in der wir die wechselnden Spannungen der Atmosphäre wahrnehmen; die uns mit untrüglicher Sicherheit morgens beim Erwachen im verdunkelten Zimmer meldet, oft hinter den geschlossenen Fensterläden die Sonne scheint; die eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen Allgemeingefühl und Wetterlage bedingt und die wir nicht mehr beschreiben, sondern nur durch einen unzureichenden Hinweis bezeichnen können, wenn wir ausrufen: ›Was für ein schönes Wetter! Wie schön scheint die Sonne!‹ – Worte, denen vielleicht unsere Umgebung nur eine meteorologische Feststellung entnimmt, während wir einen berauschenden Hochtag des Lebensgefühls damit ausdrücken wollen.« Ernst Robert Curtius, Proust, S. 75f.

Über den vielleicht gar kulturprägenden, berauschenden Dauer-Hochtag am Nil, mit der radierenden Sonne, dem täglich blauen Himmel, dem abstechenden Grün in der von den Wassern geprägten Landschaft, ist viel geschrieben worden; weniger über die beißende Winterkälte, die peitschenden Regenfälle und die überschwappenden Meeresgichten an den Seen und Landschaften des nördlichen Deltas. Auch sie gehören zur Realität des Alltags, wenn sie ihn auch nur für eine kürzere Zeit des Jahres prägen: »The gale always comes on time – sometimes later or earlier perhaps, but it always comes. The winter gale frightens us. That sudden stillness as if everything has stopped expectantly. Dense, somber clouds gather. Cold winds about to break out.«4 Al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (engl.), S. 52.

4 | »Die gischtige Flut kommt – manchmal später oder vielleicht auch früher – aber sie kommt immer. Die Winterfluten lehren uns das Fürchten. Diese plötzliche Stille so als ob alles wie erwartet stoppt. Dichte dunkle Wolken sammeln sich. Kalte Winde beginnen auszubrechen.« (Vgl. al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra [engl.], S. 52 unten) Es muss der Versuchung widerstanden werden, eine eigene Übersetzung dieser Stelle vom Arabischen ins Deutsche zu wagen. Das hieße hinter die treffenden Freiheiten der englischen Übersetzung zurückzufallen, oder neue eigene zu wagen. So halte ich mich ans Wort der vorliegenden englischen Fassung.

1. Einleitung Mit dieser Studie setze ich die Reihe über ägyptische Heilige Orte fort. Allerdings greife ich jetzt ein Thema auf, das bisher in Studien zur Heiligenverehrung und heiligen Orten kaum Beachtung gefunden hat, jedenfalls nicht an vorderster Stelle. Ignaz Goldziher, der Begründer der modernen Islamwissenschaft, sprach einmal im Zusammenhang mit der Heiligenverehrung von einem Akt »in den Nöthen des Lebens«.5 Am Manzala-See war der Zusammenhang von Armut, Naturkraftvorstellungen und Konstitutionsformen des Heiligen zu offensichtlich, als dass er unbeachtet hätte bleiben können. Ich beschäftige mich mit einem Heiligen unter Fischern in dem südlich der Mittelmeer-Nährung zwischen Damietta (Dumyât) und Port Said liegenden See. Er umschließt ein großes Gebiet Mischwasser und Marschland, in dem viele alte Städte und Stätten untergegangen sind, die heute bisweilen noch als rote Kûms aus dem Wasser ragen. Es war – wie gesagt – nicht der See-Roman des ägyptischen Schriftstellers Muhammad al-Bisâtî, der mich zu dieser letzten Fallstudie anregte. Eine Fährte zum Manzala-See hatte ich schon zu Anfang meiner Studien gelegt. Doch hatte ich ursprünglich geplant, die dritte und letzte Fallstudie einem »Fellachenheiligen«, dem Sîdî Shibl in Shuhadâ‘, Minûfiyya, zu widmen.6 Verlauf und Potentiale einer Feldforschung sind aber nicht nur vom Plan her bestimmt, sondern auch von den Zugangsbedingungen. Da diese sich in Minûfiyya als relativ schwierig herausstellten, war es kaum der weiteren Überlegung wert, dort anzusetzen, wo die besseren Voraussetzungen waren, und den Fall des Abû al-Wafâ‘ an Stelle des Sîdî Shibl aufzugreifen. Im Verlauf der Arbeiten am Schrein des ´Abdallah b. Salam am Tell von Tûna im Manzala-See7 zeigte sich bei Fahrten im See ab und an die Kuppel des Abû al-Wafâ‘, wenn auch weit ab von den Hauptkanälen mitten im See und nur schwer sichtbar. Sie weckte meine Aufmerksamkeit und beim ersten Kontakt wurde schon das Besondere dieses Falles deutlich: Es handelt sich um einen Heiligen, der aus der Lebens- und Vorstellungskraft einer dort in zweiter Generation siedelnden Fellachen- und Siedlerfamilie heraus seine lokale Gestalt gewonnen hat. Der See-Roman al-Bisâtîs lieferte eine Erfahrungswelt literarischer Art, und der ägyptologische Diskurs über Leben und Geschichte der Seewelt des nördlichen Nildeltas8 setzte Anhaltspunkte für die Sichtung der historischen Komponenten des Ortes und für Fragen über die spezifische Form der Einbindung der antiken Kultur und der erhaltenen inneren Lebensvorstellungen.

5 | Goldziher, Muh. Stud. II., S. 334 (Nachdruck). 6 | Vgl. Stauth, ´Abdallah, S. 7. 7 | Vgl. ibid., S. 51-60 und 145-160. 8 | Vgl. hierzu auch Stauth, Zwischen den Steinen des Pharao, S. 53-65 und die Arbeit von Silvia Prell ebenda, s. Prell, Der Nil.

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Der Schrein, der den Namen des alten Sufi-Heiligen Abû al-Wafâ‘ trägt, steht auf einer Insel mitten im See und ist Teil der Siedlung von einer etwa 50 Köpfe zählenden Großfamilie.9 Wichtige Aspekte der Konstruktion dieses Heiligen sind die Kontinuitäten und Brüche in den Lebensinstinkten von Bauern und Fischern und ihr Verhältnis zur natürlichen Umwelt. Die traumatischen Konstruktionen dieses Heiligen unterlagen dem Wechsel zwischen Naturschönheit und Naturbedrohung im Seegebiet. Auch hier stellt sich die Frage, wie das »Museum der Moderne« mit überkommener Kultpraxis umgeht. Die islamische Musealisierung des Lebens im See, die hier gewissermaßen ›von unten‹ einsetzt, steht in einem zwiespältigen Widerstreit mit den inneren und äußeren Kräften, die solche Konstruktionen des Heiligen, ja auch die dabei sich findenden Lebensformen, bekämpfen. Orthodoxer Purismus und wissenschaftlich begründetes Weltbild stehen sich darin durchaus nahe. 1.1 Das Museum des Lebens: Die Blicke, die ich mit den Studien dieser Reihe über ägyptische heilige Orte auf das Wesen der lokalen Heiligen werfe, sind anderer Art als die herkömmlichen, insofern sie weder der Hagiographie eines einzelnen Heiligen dienen noch der komplexen Ethnographie des Einzelphänomens Heiligenverehrung selbst. Das gilt auch für den Fall des Abû al-Wafâ‘. Mein Blick richtet sich hier auf Momente und Auswirkungen einer bestimmten Form des Kulturkontakts: Das Museum des Lebens. Die Heiligen und die Heiligenverehrung schließen einen musealen Umgang mit der Geschichte ein, Namen aus der Geschichte werden gefunden, Orte gesucht. Doch kann es keine eindimensionale Betrachtung des Phänomens vom Zusammenspiel von Kulturkontakt und Authentizität geben. Man muss den modernen musealen Umgang mit Geschichte und Überlieferung einbeziehen, auch und gerade weil sie dem gegenwärtigen Leben eingeprägt sind. Das Zusammentreffen von europäischen Reisenden, Archäologen, religiösen Gelehrten und Spezialisten und lokalen Anwohnern an Plätzen des Altertums, im Vordergrund der beiden ersten Bände, erwies sich noch als die historische Form des Kulturkontakts, in dem sich einfache Zurückweisungen, Übernahmen und Mischungen von lokal aktivem Kulturwissen durchsetzen. Dann aber in der Gegenwart, in der gehandelt und gelebt wird, bleibt der Umgang mit kulturellen Artefakten an ägyptischen Plätzen des Altertums ein sehr komplexes Phänomen.10 Einerseits, das habe ich gezeigt,

9 | Es wurden immer wieder in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Aussagen gemacht. Dies ist die höchste genannte Zahl, die konservativere Schätzung dürfte bei insgesamt 30-40 Mitgliedern der sich Sihrî oder auch Sihr nennenden Familie liegen. Der Leser störe sich nicht daran, wenn weiter unten aus dem Kontext heraus andere Zahlen genannt werden. Zählen, was auch bei der periodischen Abwesenheit der Frauen und Kinder, der Marktfahrer und draußen arbeitenden Fischer keine genauere Ziffern ergeben hätte, konnte ich sie nicht. 10 | Vgl. hierzu Kap. 3 in Stauth, Zwischen den Steinen des Pharao, S. 43-52.

11 | Jaspers Frage nach dem, was nach dem »Untergang« von 1945 als dem Deutschen »authentisch« bleiben kann, ist Thema vieler seiner Nachkriegsbeiträge in der von ihm mitbegründeten Zeitschrift Die Wandlung. Zur Bedeutung dieser Zeitschrift und Jaspers Beitrag für den »Neuanfang« organisierte Antonia Grunenberg zusammen mit Martin Bormuth und Martin Vialon am 28. Mai 2008 einen Workshop während der Jasperstage in Oldenburg. Die hier en passant eingefügten Überlegungen gehen auf meinen unveröffentlichten Beitrag, »›Welt‹, ›Geschichte‹, ›Einzelmensch‹ – Überlegungen zum Neuanfang 1945: Jaspers und die beiden Webers«, hierzu zurück. 12 | Vgl. Jaspers, Die Achsenzeit.

13 Einleitung

gewinnen mit den modernen Intensivierungen des Kulturkontakts auch neue Formen der sozialen Anerkennung und die Suche nach menschlicher Gerechtigkeit eine quasi totalistische Macht über alles kulturelle Handeln, und es treten jetzt die neuen reflexiven Formen und gesteigerte Grade des Zwangs zur kulturellen Authentifizierung auf. Andererseits, und das soll diese Fallstudie zeigen, sind die Kontinuitäten und Brüche in den Lebensinstinkten von Fellachen und Fischern im Umgang mit den Heiligen noch viel komplexer, insofern ein in Praxis und Not geschaffener Heiliger alle äußeren Bedingungen und Komponenten der Konstruktion, wie zum Beispiel die Geschichte des Ortes selbst oder die Zuweisungen durch die Beachtung der Fremden, auszuschließen oder doch zurückzudrängen scheint. Die Konstruktion hier scheint sich ganz auf das gegenwärtige Ereignis zu konzentrieren, nur auf den Moment selbst, der den Ort und die Naturbedingungen einbezieht, während vorgegebene Kontaktträger, Symbole und Ideen in den Hintergrund des traumatischen Ereignisses, ja des Wunders seiner Kreation gedrängt werden. So ist es mit dem Abû al-Wafâ‘ im Manzala-See in der Nähe von Port Said und der Geschichte seiner Entstehung und der Fortdauer seiner Existenz. Um diese Umkehrung der Perspektive weg von den äußeren Tatsachen an historischen Plätzen und dem Umgang mit ihnen, hin zu den Reproduktionen seelisch-sinnlicher Tatbestände in einer See-Landschaft erklärlich zu machen, möchte ich kurz an die lebensphilosophische Deutung der modernen Authentizitätssuche von Karl Jaspers erinnern.11 Für Jaspers ist das »Museale« eben nicht nur auf äußere Faktoren oder die Wechselspiele des Kulturkontakts beschränkt. Für ihn war, das sei hier eingebracht, das ›Museale‹ vor allem auch Ausdruck des modernen Willens zur Verwirklichung eines humanistischen Lebens. Doch spricht Jaspers – dem es nicht so sehr um den Zivilisationsvergleich, sondern um kulturübergreifende Kommunikation geht12 – einen Kern des Phänomens der Heiligenverehrung an, der islamischen allemal, wenn er sieht, dass das Museale zum inneren Leben der sich erinnernden »geschichtlichen Seele« gehört. Man könnte also durchaus die islamische Heiligenverehrung als Teil einer musealen Lebensform begreifen, als modernen Versuch, sich in dem In-der-Welt-Sein zurecht zu finden. Jaspers spricht aber auch davon, welche Spannungen und Wider-

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sprüche das hervorruft. Für ihn wird ja gerade auch durch den »Zorn gegen den musealen Charakter« der Grund für Wandel und neue Entwicklungen gelegt: sie sind »ein Antrieb zu tieferen Möglichkeiten.« Wenn uns heute der neugewählte Präsident der USA, Barack Obama, als der ›Kaiser Hadrian‹ unserer Zeit angekündigt wird, der das Zeug dazu habe, eine neue Zivilisation in der globalen Krise aus der Taufe zu heben,13 dann könnten uns die Worte von Karl Jaspers aus der ersten Nachkriegszeit sehr einleuchten. Doch jenseits aller neuen politischen Perspektiven und Vorstellungen globaler Lösungen gehören die Menschen selbst zur Tatsache des »musealen« Inder-Welt-Seins. Mir scheint, dass für Ethnologen/Soziologen, Islamwissenschaftler und Archäologen in der Mittelmeer-Region ein wichtiges Feld für Forschungen neuer Art liegt. Denn im von Karl Jaspers gezeigten Widerstreit

13 | So etwa spricht der italienische Wirtschaftsminister Giulio Tremonti (Vgl. Tremonti, Interview, S. 9) in einem Interview mit Mario Sensini im Corriere della Sera vom 9. November 2008. Besonders interessant ist, wenn Tremonti die »Musealität« des modernen amerikanischen Selbstverständnisses in Bezug auf das Römische Reich aufgreift. Die folgende Stelle ist da bezeichnend: »Il dilemma dell’America è tra due modelli: Eliogabalo e Adriano. All’impero di Eliogabalo l’America sarebbe arrivata proseguendo con Clinton sulla sue Terza Via. Ciò che è bene per Wallstreet è bene per l’America, cuore a sinistra e portafoglio a destra. Non esistono valori assoluti, ma solo valori relativi, se possibile da quotare in Borsa. Gli scandali fanno parte del paesagio e cosi via. Al secondo modello, ad Adriano, può corrispondere Obama, che si riporta alla tradizione dei democratici Anni 30, ai valori roosveltiani, e che ha la sorte di concorrere a disegniare un nuovo modello di civiltà. La crisi è globale e la soluzione deve essere solo globale, non solo economia, ma politica, basata su un New Deal globale.« Dt.: »Das Dilemma Amerikas ist zwischen zwei Modellen: Elagabalus [deutsche Ohren mögen hier gespitzt sein: Alagabal. Richtig, der George’sche ›Algabal‹ ist so nicht gemeint, aber der historische, G.S.] und Hadrian. Nach dem Imperium des Elagabalus wäre Amerika, mit Clinton weiterführend, auf seinem Dritten Weg angekommen. Das heißt, was für die Wall Street gut ist, ist für Amerika gut, das Herz auf der Linken und die Finanzen auf der Rechten. Es gibt keine absoluten Werte, nur relative Werte, die man an der Börse ablesen kann. Die Skandale sind Teil einer Landschaft, und damit hat es sich. Das zweite Modell, nach Hadrian, könnte mit Obama korrespondieren, es könnte sich auf die Traditionen der Demokraten in den Dreißiger Jahren beziehen, auf die Werte von Roosevelt, es hat die Art, das Modell einer neuen Zivilisation zu verfolgen und vorzuzeichnen. Die Krise ist global, und die Lösung kann nur global sein, nicht nur Wirtschaft, sondern auch Politik, die auf einem globalen New Deal gegründet ist.« Man mag zu diesen Vergleichen stehen wie man will, doch wünschte man sich in einem sonst so musealen Land, wie dem unserem, durchaus einmal eine politische Szene, einen Wirtschaftsminister etwa, der aus dem historischen Rekurs heraus so locker und anregend die ›Musealität‹ des gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Diskurses veranschaulichen könnte. Wenn es auch hier nicht so ganz ins Bild passt, fühlt man sich ja doch daran erinnert, dass der rosensüchtige römische Soldatenkaiser Eliogabalus, oder auch Elagabalus, (204222), in der modernen deutschen Literatur als zweifelhafte Symbolfigur kein Unbekannter ist.

14 | Siehe oben, Anm. 11. 15 | Vgl. Jaspers, Vom europäischen Geist, S. 258f. 16 | Clifford Geertz waren solche Prozesse der doppelten Bindung im ökologischen wie im kulturellen Sinn durchaus bereits bewusst. Vgl. seine Ausführungen zu »Cultural Ecology«, in Geertz, Involution, S. 8-11. 17 | Vgl. Stauth, Authentizität.

15 Einleitung

zwischen dem »Musealen« als Teil der »geschichtlichen Seele« und dem »Zorn gegen den musealen Charakter«14 spielt sich in der Tat der moderne Kulturkontakt ab, ohne den zu verstehen auch die sogenannten globalen Lösungen kaum denkbar sind. Die folgenden Untersuchungen und Betrachtungen bewegen sich dagegen erst einmal ganz auf der Ebene der »kleinen Dinge«; nicht aus Bequemlichkeit, sondern, weil sie so wichtig sind, wenn man die ›großen‹ verstehen will. Die Alltagsnöte der kleinen Leute reflektieren auch ein kulturelles Bewusstsein von Millionen von Menschen, die in einer Umwelt leben, die man auch heute noch als quasi naturgebunden verstehen könnte. Während in den ersten beiden Bänden dieser Untersuchungen noch ›monumentale‹ Dimensionen der Musealisierung angesprochen waren, will ich hier die »kleinen Dinge« in der Kultur subalterner Lebenslagen einbeziehen. Die vergleichende Zivilisationsanalyse, die sich auf Jaspers beruft, hat immer auch das Monumentale der Kultur vor Augen, wenn sie auf Hintergründe und globale Dimensionen des Kulturaustauschs zu sprechen kommt. Wenn Jaspers 1946 etwa am Beginn eines Neuanfangs noch vor einer fremden Musealisierung Europas durch Russland und Amerika warnte15, so merkt der Ägypten-Forscher auf. Ist Ägypten nicht das Paradebeispiel der Musealisierung, gehört es nicht schon seit mehreren Jahrtausenden zum Bestand der »geschichtlichen Seele«, der äußeren musealisierenden wie der inneren, sich »authentisch«, gewissermaßen ökologisch eingegraben, einwickelnden?16 Worauf Jaspers am Beispiel der vermeintlichen kulturellen Bedrohung Europas hingewiesen hat, ist also von genereller Bedeutung. Das Beispiel Ägyptens scheint die Frage nach den modernen Ergebnissen der Musealisierung zu aktualisieren. Der musealisierte Charakter, der nicht nur in philosophischer Hinsicht auf die schönen Geschichts- und Naturbestände in seiner unmittelbaren Umwelt zurück verfällt oder gerade auf sie zurück verwiesen wird, scheint hier besonders gefordert. Man mag darüber streiten, ob die beständige, im Kontakt nach außen geschärfte, innere Musealisierung des Menschen, Land und Leuten Schaden zufügt. Doch stehen die Lebensformen, die die Musealisierung produziert und reproduziert, ja der »museale Charakter« der Menschen überhaupt, weiterhin in einem dauernden Widerstreit gerade mit den inneren und äußeren Kräften, die »Zorn« darüber entwickeln, wie das einmal musealisierte Leben in seiner gegenwärtigen Gestalt verläuft. Man könnte gerade diesen Widerspruch als das eigentliche Paradox der ›kulturellen Globalisierung‹ bezeichnen.17

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Mit der hier beschriebenen ›kleinen‹ Dimension der Praxis islamischer Heiligenverehrung ist zu zeigen, was das Museum der Moderne mit Momenten herkömmlicher Kulturpraxis macht und wie die Lebenden vor Ort an diesem Museum selbst mitbauen. Hier werden nicht Orte und Relikte allein als Teil der Musealisierung untersucht, sondern das praktische Leben der Menschen selbst. 1.2 Natur, Wasser, Himmel: Der überragende Eindruck von der Naturwelt des Nildeltas hat sich schon bei den europäischen Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts durch das tiefe Schilfgrün und das Blau des im Wasser sich spiegelnden Himmels an den großen der Mittelmeerküste nachgelagerten Seen und Wasserarmen geprägt, wenn sie es auch in Farben noch nicht zeichnen konnten.18 Andererseits flattern die Segel nicht nur hell durch diese Wasserwelt. Daran erinnert das Bild von Bernhard Fiedler (vgl. Abb. 2).19 In Bezug auf die Heiligen bedürfte es der großen beständigen Anstrengung vieler Forscher, einmal die »See-Heiligen«, wie ich sie nennen möchte, die entlang der Küstenstreifen vor den vier großen Brackwasser-Seen von Alexandria bis Port Said in ihren Verbindungen in die Seen und in das anschließende Hinterland des Nildelta hinein angesiedelt sind, einer umfassenden Untersuchung zu unterziehen. Dies würde nicht nur Islam-Forschern, sondern auch Kulturhistorikern und Geographen, aber auch modernen Umwelt- und Klima-Forschern großen Gewinn bringen, denn die Heiligen stehen auch in unmittelbarem Zusammenhang zur Naturgeschichte dieser außerordentlichen und faszinierenden Seelandschaften der Nilmündung. Hier sind Natur- und Geisteswissenschaften gleichermaßen vom »Ort« her zur Zusammenarbeit gefordert. Von Sîdî Abdarrahmân im Westen über Abû ´Abbâs al-Mursî in Alexandria, die Heiligen von Rashid, unter denen Abû Mandûr wegen seiner Lage hervorsticht, über Bûrg al-Burullus mit vielen kleinen und »modernen« Heiligengräbern, etwa auch des Muhammad Mâdî Abû al-´Asâ‘im (von einer modernistischen Sufi-Gruppe unterhalten) und vielen Moscheen bis hin zum Abû al-Ma´âtî in Damietta und danach den Heiligen auf der Nährung vor Port Said und im Manzala-See, die mit dem Namen des Abû al-Wafâ‘ verbunden sind, bilden sie eine Kette von z.T. im Wasser, z.T. am Wasser beheimateten Heiligen. Für einzelne von ihnen wäre für einen deutschen Betrachter die Metapher »Wacht am Nil« (oder gar am Mittelmeer) nicht zu weit hergeholt.

18 | Vgl. etwa Sonninis Kupferstich in Studie II, Stauth, Zwischen den Steinen des Pharaos, S. 57. 19 | Georg Ebers, Egypt. Descriptive, Historical, and Picturesque. Volume 1. Cassel & Company, Limited: New York, 1878, S. 109. Ich danke hier Frau Sine Mayer-Bode, Köln, für den Hinweis auf dieses Bild.

20 | Über die Probleme der Bedeutung von Ort und Raum für die Authentizitätssuche siehe die Ausführungen in Schielke/Stauth, Introduction. 21 | Vgl. Auerbach, Romantik und Realismus, S. 430. Curtius’ berühmte Studie über Marcel Proust ist vielleicht das beste Beispiel für die Bewußtwerdung dessen, was Nostalgie als Prozess »echter Konkretion« sein kann. Vgl. hierzu etwa das Kapitel »Kontemplation« in Curtius, Proust, S. 76-88.

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Der Islamwissenschaftler und Soziologe, der hier als Einzelforscher sich herangewagt hat, musste sich auf einen Fall konzentrieren und kann nur skizzenhaft Momente der Verwobenheit der Natur dieser Seewelt mit Ausdrucksformen kultureller Kontinuität und islamischer gegenwärtiger Praxis erfassen. Im Prozess der vorliegenden Studie waren daher von Anfang an Einschränkungen zu machen. In der Begrenzung der Perspektive wurde die Bedeutung von »Raum« und dem, was »geschichtliche Seele« sei, neu bestimmt.20 Die Heiligenverehrung und die Prüfungen, denen sie im Prozess ihrer gesellschaftlichen Hinterfragung unterliegt, wurden nun nicht mehr in den Kontext des äußeren Kulturkontakts gestellt. »Raum« war jetzt vornehmlich das Konkrete, der See, und »Geschichte« nicht Symbol am Ort, sondern verinnerlichter Handlungsbezug. Der gelegentliche Rückgriff auf Vergleichsmomente aus der europäischen Literatur war insofern naheliegend als romantische und realistische Welterfahrung auf musealer Weltsicht basieren. Die großen Literaturtheoretiker des 20. Jahrhunderts, Auerbach und Curtius, haben uns gezeigt, dass es die Nostalgie in der romantischen Naturbetrachtung ist, die zur realistischen Welterfahrung führt und den Tatsachen die »Einzelheiten ihrer Form den leiblichen Geist einer vergangenen Epoche« einhaucht. »Echte Konkretion« als Ziel.21 Eindrücke und Stimmungen, wie sie die eingangs vorangestellten Zeilen aus Georg Büchners Lenz vermitteln, die »Verleiblichung« des Geistes, die Hereinnahme der äußeren Natur in den Kopf des Theologen Lenz und seine Existenzerfahrungen in den Schweizer Bergen weisen auf den traumatischen und dramatisierenden Gehalt konkreter, körperlicher Natur hin. Meine Beobachtungen ließen sich davon leiten, dass dies ein thematischer Leitfaden zum Verständnis der Formen der Naturund Geschichtsbewältigung in der Heiligenverehrung ist, insbesondere an Orten der Armutslage wie der des ägyptischen Heiligen Abû al-Wafâ‘ im Manzala-See. Wer die Büchner-Novelle noch einmal zur Hand nimmt, wird sehen, wie stark sie von diesem in die Natur Verpflanzen des ›Heiligen‹ getragen ist. Drei Dimensionen sind vorherrschend: Naturerfahrung, Transzendenzvorstellung und Stabilisierung (oder auch Verlorensein) des Selbst im Außerordentlichen. Im Versuch des Herausbrechens aus dem Notwendigen erst scheint das Selbst in seinen Ansprüchen wieder einzuholen zu sein. Darin kann der Mensch sich befrieden und eventuell auch neu akzentuieren. Es sind solche vom Lenz herkommenden Überlegungen, die mich zu dem ungewöhnlichen Mittel bewogen haben den Roman al-Bisâtîs, einem moder-

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nen ägyptischen Realisten der Zeit nach Nasser, als Folie der Untersuchung mit einzubeziehen und darüber die Geschichte des Abû al-Wafâ‘ im ManzalaSee zu vergegenwärtigen. Das Heilige ist somit aus dem bloßen Inszenierungs- und Konstruktionseffekt des äußeren übergreifenden Kulturkontakts herausgelöst. Allerdings, daran sei erinnert, müsste unter Berücksichtigung der ägyptischen Bedingung zumindest der zweite Teil des hier vorangestellten Büchner-Zitats neu geschrieben werden, denn die unmittelbare »Qual« des Lebens findet – zumindest in Reden und Predigten meiner Freunde vor Ort – kaum statt. Wie in den Stimmungen und Handlungen der Menschen auf dem Manzala-See untereinander, so ist auch in den islamischen Predigten und Gottesdiensten von Leiden vielleicht nur zu hören, wenn es um Pflichten und die Androhung der Hölle geht, sonst aber meist nur vom Lohn des Paradieses.22 Die materiellen Notwendigkeiten und Alltagsbedürfnisse liegen unter Muslimen nicht auf der Seite der Qual, und wenn man als Europäer, als Deutscher gar, so nah sich im Leben unter Muslimen bewegt, so hätte man sich doch manchmal gewünscht, dass das überall hier zu walten scheinende »dumpfe« Frohsein durchaus auf einen stärker am – wie man heute zu sagen pflegt – »nachhaltig« Diesseitigen ausgerichteten Weg weise und anders als bloß »gen Himmel« ausfiele. Der Blickwinkel ist in Lagen der Not, den Leidtragenden wie den Frohen weniger durch Formeln, Riten oder Dogmen vorgegeben. Da richten sich ungehindert auch die Muslime zuerst zum unmittelbaren Angriff auf die Dinge selbst. Ungehindert affirmiert der Handelnde sich hier in der Praxis. Alles scheint von schnellem Instinkt und – oder bei den Weiseren – von offen ruhender Gewohnheit geleitet. Und die Metaphern und Gesten, die ›Geschichte‹ vermitteln, stecken sowohl schon in den äußeren Sachen, als auch in den Personenkörpern selbst. Im Leben wie im Roman, ist die Pflege der Instinkte ganz in das lokale, staatsferne, wenn nicht gar staatsfreie Erscheinungsbild des Alltagsgeschehens eingebaut. Lenz und der im 20. Jahrhundert erst voll begriffene romantische Realismus zeigen durchaus reversibel und vergleichbar, wie sehr die europäische Moderne in der Ding- und Naturerfahrung den Geist des »Heiligen« sucht.23 Und es scheint unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigt und naheliegend, den Blick auf die kleinen, banalen Zusammenhänge zu richten und

22 | Ich erinnere mich hier an viele Predigten, khutbas, auch an die während eines Freitagsgebets noch 2004 in der Moschee des ´Abdallah b. Salam im Manzala See gehaltene, des Imams, dessen Sohn uns ein dauernder Begleiter bei den sich anschließenden Erkundungen des Sees und der Schreine, auch des Abû al-Wafâ’, blieb. Vgl. Stauth, ´Abdallah, S. 57f., S. 151-153. 23 | Hierfür stehen natürlich nicht nur die Altväter der Romanischen Literaturwissenschaft und Philologie der ersten Hälfte, wie Auerbach und Curtius ein, sondern auch die »Theoretiker« Benjamin und Adorno, die die zweite Hälfte mitprägten. »Immanenz« war das von Simmel ausgegebene große Wort.

24 | Vgl. Radkau, Max Weber, S. 809ff. Radkau zitiert hier auch jene berühmte ›Forderung des Tages‹, der jeder gerecht werden müsse, im Schlusssatz von Wissenschaft als Beruf; sie sei: »schlicht und einfach, wenn jeder den Dämon findet und ihm gehorche, der seines Lebens Fäden hält«. Vgl. Radkau, op.cit., S. 810. In diese Sinne sind die Schicksale, die hier am »Heiligen« im See bauen, durchaus – wie wir sehen werden – ihrem Dämon treu. Ähnliche Metaphern finden sich in der Ich-Welt eines Karl Jaspers. Vgl. Stauth, Jaspers’ Neuanfang.

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zu fragen, wie in der Welt der sinnhaften Natur erst Selbst-Vergeistigung und Gotterfahrung mit einander verschmelzen. Muslime aber, die auf diese Art der Erfahrung bauen, und ihren Islam in der Wahrheit der Welt suchen, stehen der Tendenz nach immer unter dem Verdacht der Ketzerei, wenn auch Wahrheit durchaus sowohl Dunyâ (Diesseits) als auch als Akhira (Jenseits) umschließt. Heute mehr und radikaler als in Zeiten, in denen paradoxerweise die hegemonialen Durchbrüche der Moderne noch nicht erlebt waren, gelten solche Einsichten der islamischen Philosophie wenig. Es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, wie gerade Denkväter der Moderne und des Rationalismus – gläubige Christen wie Max Weber etwa – zumindest für sich selbst durchaus am Dämon der Natur festhalten mochten. Webers persönlicher Protestantismus suchte durchaus seinen »Heiligen Geist« in der Natur und wollte und konnte dabei seinen ›Dämon‹ nicht bannen. Es sind uns einige Stichworte zu seiner persönlichen ›Religion‹ überliefert, die den Charakter des modernen Rationalisten im Schicksalshaften und in wankenden Vorstellungen von der platten Naturgebundenheit auch moderner Existenzfragen verwickelt erscheinen lassen.24 In diesem Sinne mag es den Leser nicht verblüffen, wenn unser erster Blick auf den See und die Menschen dort geradezu in ihren Gestalten die ›Physis‹ des »Heiligen« hervorhebt und zugleich als körperliche Verschmelzung von »Historie« und Natur wahrnimmt. Darin folgen diese Betrachtungen dem Deutungsmuster des »Ersten Blicks«. Der »Zorn« über das Museale dieses ersten Blicks, und wie dieser »Zorn« sich in der Lebenspraxis auch wieder aufhebt, dem gilt der »Zweite Blick« dieser Studien. Hier erst wird die Qual des rohen Lebens sichtbar. Die Menschen auf dem See sind diesen rohen Lebensbedingungen ausgesetzt; sie selbst aber geraten offenbar darin nicht in »Zorn« über die Welt, sondern sie handeln, wenn auch die Welt da draußen als Ganzes eine Bedrohung bleibt und als solche durchaus erfahren wird.

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1 »Abû Waffa« bei der Ankunft im Jahr 2005

2 Ein »schwarzer Segler«

2. Ein See-Roman: Der rätselhafte Fischer im Manzala-See, ein fiktives Konstruktionsmodell des »Seeheiligen«? 2.1 Ein »See-Roman«: Mir liegt der Roman Muhammad al-Bisâtîs unter dem Titel Clamor of the Lake vor. Er ist in einer einerseits sehr packenden, andererseits in vielen Details sehr ägyptisierenden, manchmal auch lästig unstimmigen englischen Übersetzung erschienen.25 Den Originaltext, Sakhab al-Buhayra, konnte ich erst am Ende meiner Untersuchungen, nachdem ich den Autor getroffen hatte, einsehen.26 Es bedarf eigentlich keiner besonderen Rechtfertigung eine so intrinsisch in die Welt des Manzala-Sees eingreifende Beschreibung hier heranzuziehen. Die außerordentlich ›subalternen‹ sozialen und kulturellen Geflechte des Fischer- und Fellachenlebens, wie Muhammad al-Bisâtî sie in diesem Werk liefert, stellen in der Tat einen ganz eigenartigen Eindruck von der Welt des Sees her. Von »Seeheiligen« allerdings handelt der Roman nicht, es sei denn, man unterstellt den Figuren des Romans selbst eine gewisse, ganz dinglich im Diesseits gewissermaßen vorweggenommene Heiligkeit. Das mag es im Volksglauben geben, im offiziellen Islam aber nicht. Al-Bisâtîs Roman ist somit nicht als eine quasi fertige Vorarbeit für eine ethnologische und soziologische Studie zu bezeichnen. Er liefert einen sehr tiefen Eindruck, und das hier zusammengetragene Material folgt in manchem der im Roman präsenten Vision des Lebens im See. Wie gesagt, der Autor verneint die Absicht, kann aber die Aura von Transzendenz, die der Roman vermittelt, nicht in Abrede stellen. Unbezweifelbar, auf alten »Launches« (Passagierbooten, arab. lânsh, pl. lânshât), Motorschnellbooten, Segel- und Ruderbooten, durch den See gleitend haftet der über Seelandschaft, Himmel und Wasser, rote Erde und grünen Schilf, Vögel und Fische, mit den ruhig dahinfahrenden Menschen vereint, streifende Blick durchaus im Außerweltlichen. Dauernd begegnet man Menschen, die einzeln oder in großen Gruppen auf ihren Booten dahingleiten. Wenn sie ganze Tage im Wasser stehen und arbeiten, Kälte, Regen und Stürme aufkommen, kann man aber sehen, dass auch hier das Leben nicht nur paradiesisch ist. Das zeigt auch al-Bisâtî. Nach der ersten Lektüre gewann ich den Eindruck, dass die hier miteinander verwobenen Geschichten viel historisches Wissen und lokale Erfahrungen verbinden. Die Bildwelt des Romans erscheint als eine erlebte, und doch sind auch Topoi der pharaonischen Geschichte, wie etwa Seekämpfe im Norden, und Kultursymbole, wie das immer wieder in besonderer Form erscheinende Boot, angesprochen. Es wird eine Erfahrungsebene von Ort und

25 | Al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (engl.) (Dt. etwa »Der Schrei des Sees«. Ich bleibe bei meiner Umschrift, die sich dem gesprochenen Namen angleicht: Muhammad al-Bisâtî (unter kleinen Leuten in der Umganssprache manchmal aber auch al-Busâtî). 26 | Al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (arab.). Al-Bisâtî spricht auch von einer Ausgabe in Tunis, die ich nicht finden konnte.

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Ding vermittelt, die eine Einheit von Natur-, Gesellschafts- und Geschichtswelt einfängt und zugleich jede wissenschaftliche Betrachtung übersteigt. Doch legen die Beschreibungen nahe, dass historische Komponenten aus der wissenschaftlichen Literatur in die Erfahrungswelt al-Bisâtîs Eingang gefunden haben, ägyptologische Befunde etwa zu Meer und Seenlandschaft und zur Geschichte des Norddeltas. Ich war überzeugt, dass die Figuren und Orte des Romans nicht nur Vorformen des heutigen Zusammenlebens von Fellachen und Fischern am See widerspiegeln, sondern auch, dass der visionäre Blick al-Bisâtîs auf den See und einzelne Orte dort von alten Quellen des pharaonischen Ägypten geprägt ist. Als ich dann den Autor kennen lernte und Gamaliyya, seine Geburtsstadt am See, besucht hatte, war klar, dass al-Bisâtî den Roman ohne Rückgriff auf Quellen und historisch-ägyptologische Materialen geschrieben hat. Der Roman, der wie aus aneinander gereihten Erzählungen zusammengesponnen scheint, haftet an Bildern aus der Kindheit des Autors. Al-Bisâtî erweist sich als ein Meister der Schilderung verschiedener internalisierter Bildmomente seiner Kindheit. Die äußerst aktive Dingwelt, die da aufscheint, Charakter-Figuren und Orte am See, Ereignisse und Lebensgeschichten, hinterlassen eine Aura schimärenhaften Lebens in dieser fremden Einzigartigkeit der Welt des Sees. Die Bedrohungen, die Meer und See den Menschen liefern, stammen zwar nicht aus den Büchern der Geschichte, auch rührt die Bedeutung des Wassers an diesem Endstück des Nils, der Boote, der Schiffe, ja auch der Tiere und Menschen, nicht aus uralten Reliefs, und die geschilderten Szenen des Einfalls von Männern, von draußen, vom Meer her kommend, spiegelt nicht konkret die geschichtliche Situation an diesen Ufern wider, die immer wieder von Eroberern aus Ost und West bedroht waren. Und doch, alles hier Erlebte ist auch Geschichte. Al-Bisâtî will nicht »Geschichte« gedacht oder geschrieben haben, er verneint aber nicht schlechthin, dass darin ein umgekehrter Prozess liegt, dass in den brennenden Bildern und Handlungen seiner Menschen auf dem See, am Meer und in den anliegenden Dörfern »Geschichte« durchaus, wenn auch ganz im Stillen, präsent, gewissermaßen aus den Lehmböden und dem Wasser aufsteigend, in der Natur erhalten sei. 2.2 Treffen mit dem Autor: Es war nicht einfach ein Treffen mit diesem wichtigen Schriftsteller der Post-Mahfuz-Generation in Ägypten zu vereinbaren. Das Zögern al-Bisâtîs beim ersten Telefongespräch, meiner Bitte zu einem Gespräch nachzukommen, bezog sich auf den Manzala-See selbst. Er wollte offenbar den Roman nicht so eindeutig auf die Region des Sees fixiert sehen, ihn nicht in einem unmittelbaren biographischen Zusammenhang gesehen wissen. Auch wies er zurück – wie ich andeutete –, dass die Leute vom See am Maqam des Abû al-Wafâ‘ auf der Insel Simiriyât ursprünglich aus der Gegend um Gamaliyya, seiner Geburtsstadt, kommen. Offenbar verwechselte er das mit dem Maqam des ´Abdallah b. Salam bei Matariyya

27 | Ich notierte am 29.10: Telefongespräch mit al-Bisâtî. Sehr freundlich, will aber ausweichen, als er hört, der Soziologe macht Forschung am Manzala-See und über Abû al-Wafa‘. Er sagt zwei Dinge: Erstens seien die Leute vom Abû al-Wafa‘ (ich bin sicher, er meinte ‘Abdallah b. Salam) von Matariyya (was für den letzteren zutrifft, nicht aber für den ersteren) und nicht von Gamaliyya, seinen Geburtsort. Von allem, was er über Abû al-Wafa‘ von mir hörte und seine Reaktionen darauf zeigten, dass er eigentlich nichts von diesem Schrein wusste und dass ihn das Thema nicht interessiert. Zweitens behauptet er, der Roman handele eigentlich vom Mittelmeer und nicht vom Manzala-See selbst, der sei nur eine Metapher für die Anreicherung der Roman-Situation, die sich auf das Bild der großen Verhältnisse am Mittelmeer beziehe. So abstrakt das in meinen Ohren klang (und zu neuen Überlegungen bezüglich des Verhältnisses von Ägypten zum Mittelmeer führte), so sehr wurde später deutlich, dass er eigentlich nur die »gale«, die große eindringende Gischt das Meeres meinte. Er wollte damit sagen, dass er mir nichts zu meiner Forschung sagen könne.

23 Ein See-Roman: Der rätselhafte Fischer im Manzala-See

und meinte, sie würden ja doch alle aus Matariyya kommen, er habe nichts mit ihnen zu tun. Des weiteren sei der »See« im Roman ja nicht wirklich auf den Manzala-See bezogen, sondern stehe nur symbolisch-figurativ für die größere Welt des Mittelmeers. Diese beiden Fragen waren es, die uns weiter beschäftigten, als das Treffen dann doch stattfand. Es war ihm wichtig, dass sich das Gespräch nicht nur um meine Forschungen drehte. Er zeigte sich überrascht darüber, dass ein Ausländer von der dargestellten Unmittelbarkeit im Handeln der Figuren, vom Bild des Meers und den darüber sprühenden und daraus hervortretenden Kräften, das der Roman vermittelt, überhaupt so fasziniert sein konnte. Was bewegt einen Autor, der so etwas schreibt? Das war meine Frage. Meine Untersuchung sollte die Versinnbildlichung des Eingriffs der abstrakten Lebens- und Naturkräfte in die praktische Alltagswelt der Leute am See einschließen, das aber leistet der Roman für eine andere Zeit, ja eher jeglichen Zeitbegriff aufhebend, hervorragend. Es ging also nicht so sehr um eine Art der Übereinstimmung der von mir gesuchten Fakten und konkreten Zusammenhänge vor Ort mit dem Inhalt des Romans. Das war, wie es schien, al-Bisâtî wichtig. Wir waren beide der Meinung, dass wir uns nur verständigen könnten, wenn wir den Roman aus dem realen praktischen Hintergrund vor Ort herauslösten. Die Zustimmung zum Gespräch, aber auch der Verlauf des Gesprächs, waren von diesem Willen bestimmt, es zeigte sich jedoch als schwer, diese Linie vollständig durchzuhalten. Der Drang zum realen Heute war dann doch oft durchbrechend.27 Das Gespräch fand am 1.11.2008 im »Grillion« statt, dem Restaurant der alten Linken, das, wenn man so will, neben dem alten Café »Riche« (seit Zeiten des »Fundamentalismus« geschlossen) der einzige noch verbliebene, gewissermaßen eingeschränkt öffentliche Rückzugsplatz der Kairoer Intellektuellen und Schriftsteller ist. Wie die Vereinbarung zum Treffen, so begann auch das Gespräch nur zögernd. Es trafen da zwei völlig unterschiedliche ägyptische Seinslagen und

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Mentalitäten aufeinander. Der Autor wollte und konnte die Distanz zu der von ihm beschriebenen Lebenswelt am See nicht aufgeben, das Erkenntnisinteresse des Forschers bricht aber immer wieder durch, das going native wird ihm nicht abgenommen. Es wurden dann über den Kairoer und Alexandriner Fundus der »1968er«28 im Verlauf des Gesprächs sehr viele Punkte angesprochen, die allein schon den »Zeitgeist« des Romans, und damit auch die äußeren Bedingungen der Entstehungsphase des Maqams im See umschreiben. Es gab Gesprächs-Phasen, in denen die realen und praktischen Dinge und Personen vor allem am Südufer des Sees zwischen Matariyya und Gamaliyya sehr intensiv besprochen wurden. Das natürliche Recht des Autors, die Bedingungen seiner literarischen Kreation, gerade auch vor dem Fremden aus Europa nicht offen zu legen, musste gewahrt bleiben. Aber als al-Bisâtî gefragt wurde, wie die nuzûr, die Devotionalien im Maqam des ´Abdallah b. Salam bei Matariyya, die dort angebrachten vielen Modellschiffe und Modell-Leuchttürme29, zu deuten seien, kam das Gespräch wieder ins Stocken. Wie könnte man das deuten, metaphysisch, pharaonisch oder sufitisch, oder aus der Lebenserfahrung der Fischer und des Sees heraus, war meine Frage. Er war verschreckt, keine Antwort, das Pharaonische eher negierend, wie er überhaupt für seinen Roman reklamiert, er habe nie pharaonische Topoi im Sinn gehabt. Es sei ihm immer nur um die Dinge gegangen, die er gesehen und erlebt habe. Aber er lehne – das betont er immer wieder – alles Biographisch-Konkrete als Bezugspunkt des Romans ab. Die sufitischen Netzwerke und Bezüge am See waren ihm, dem völlig säkular denkenden Menschen fremd. Fast könnte man aus heutiger Sicht von einer bestimmten Kulturfremdheit sprechen. So sehr die intellektuellen, literarischen und künstlerischen Diskurse der Nasser- und frühen Nach-Nasserzeit Volksnähe und Volksseele suchten, gegenüber der Volkspraxis, die man sich selbst wundernd beschrieb, herrschte das Vorurteil des mutakhallif, der Rückständigkeit vor. Es ging ihnen um ihre Überwindung und Abschaffung, sosehr sie anderseits beschreibend aus der Distanz heraus den perplexen, realistischen Blick suchten. Zum Sufismus fiel al-Bisâtî die wichtige Tatsache ein, dass Nasser die Tarîqas (Bruderschaften, Orden) besonders schätzte, weil er über sie die Massen mobilisierte und sich so deren Beifall auf der Straße sicherte. Da war nur zuzustimmen und man konnte sich gegenseitig zur Bestätigung über die Landvermessungskarten der Nasser-Zeit unterhal-

28 | Man habe unter diesem Titel im »Riche«, in der zweiten Generation nach der des Meisters Naguib Mahfuz, eine literarische Zeitschrift herausgegeben. Literatursoziologische, bzw. literaturwissenschaftliche Studie zu dieser Generation liegen auf deutsch in Abul-Enein, Neue Generation (allerdings wenig auf die Literatur selbst bezogen als auf die soziale Lage der Autoren) und Guth, Zeugen einer Endzeit (mit ausführlichen Textstudien von fünf Autoren), vor. Vgl. auch die Studie von Elad, Village Novel, die sich aber vor allem mit Romanen der älteren Generation der Nasser-Zeit beschäftigt. 29 | Vgl Stauth, ´Abdallah, S. 154; ders. Zwischen den Steinen Pharaos, S. 103.

30 | Beide waren zur Nasser-Zeit Schriftsteller der älteren Genration. 31 | Vgl. unten im Anhang, S. 140.

25 Ein See-Roman: Der rätselhafte Fischer im Manzala-See

ten, die ja jede, auch noch so kleine Scheich-Qubba vermerken. Und auch der »Abû al-Wafâ‘« ist ja nicht zuletzt eine Erfindung aus dieser Zeit, ein Überbleibsel vielleicht, das möglicherweise zunehmend lästig wird, weil man es jetzt noch ohne großen Gewinn erhalten muss. Er weist auf den von al-Aqqâd und Louis Awad30 damals vorgetragenen Standpunkt hin, wonach Ägypten heute ein europäisches Land wäre, wenn ›diese Beduinen‹ nicht ihre rückständige Religion hierher gebracht hätten. Aber al-Bisâtî selbst ist kein Kulturtheoretiker. Er bleibt bei den kleinen Dingen des Lebens, die ja für die Entwicklungen in der großen Welt nicht zählen. In Bezug auf Port Said wird seine anti-englische, anti-koloniale Haltung deutlich. Zwar sagt er, was es für eine wunderschöne Stadt gewesen sei, vor den Kriegen, er unterschlägt aber dabei völlig die Tatsache, dass es sich ja eigentlich um eine »englische Stadt« handelte. Er verknüpft seine Kindheitserinnerungen an die pro-deutsche Bewegung in Ägypten mit seiner anti-kolonialen Einstellung. Das geht mit Klagen darüber einher, wie wenig heute ideologische Orientierungen noch zählen. Auch von der westlich liberalistischen hält al-Bisâtî wenig, denn diese scheint – wie er bemerkt – für diese schrecklichen Fundamentalisierungen ja mitverantwortlich zu sein. In solchen Standpunkten wird deutlich, wie sehr al-Bisâtî auch ein Repräsentant jener alten Mittelklasse der Nasserzeit ist, die heute eine Säule des Anti-Islamismus ist. Es ist die Schicht der kleinen, in die neue Zeit hinein lebenden intellektuellen Mittelschicht, die mit Anstand in Kairo ein Überleben organisiert und die im Staats-Beamtentum verankert ist. Andererseits scheint ihm das »Mittelmeer« als geopolitischer und kultureller Angelpunkt völlig fremd zu sein. Alexandria wird von Fundamentalisten beherrscht. Die Fundamentalisten hatten die Heiligenstürmerei in den 1990er Jahren betrieben. Er nennt sie wahabitische Muslime, die Bewertung »salafî« umgeht er ebenso wie die des militanten Fundamentalismus, aber er kann sich konkret an die Zerstörung der Maqame, wie die Qubba des ´Abdarrâziq in Rawada, eines der Dörfer in der Gegend um Gamaliyya, erinnern.31 Muhammad al-Bisâtî stammt aus dem in den 1950er Jahren noch am Manzala-See anliegenden Dorf, al-Gamaliyya. Heute ist es eine Kleinstadt mit einem mehrere Kilometer vorliegenden kleinen Hafen am See. Auf dem, dem See abgerungenen, trockengelegten Agrarland, das ihn heute so weit auf Distanz hält, wurden Ezbas (Landsitze und Siedlungen) gegründet, die unter dem Druck des beständigen Bevölkerungswachstums zu ganzen Dörfern ausuferten. In einer dieser Ezbas, so wird vor Ort berichtet, hat Muhammad al-Bisâtî seine Kindheit verbracht; noch heute leben, so wird geschätzt, in der Gegend etwa dreihundert Mitglieder der Großfamilie. Der Roman ist ein aus

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den Kindheitserfahrungen gewonnenes Werk, das Erinnerungen an das Leben am und im See spiegelt. So ähnlich ist der in meinem Gedächtnisprotokoll vom Gespräch festgehaltene Eindruck. Al-Bisâtî hat die Handlung des Romans an die Orte seines früheren Lebens getragen und sich dabei von den eigenen instinktiven Erfahrungen leiten lassen. Mehr nicht. Das Erstaunliche an diesem Autor ist aber, dass er die Personen, die Volksgenossen (muwâtinîn, so sagt man im Populär-Ägyptischen – ein aus der nationalistischen Bewegung hervorgegangener und verbreiteter Begriff der Nasser-Zeit) seiner alten Heimat am See, sich in Kairo neu vorstellte, ja, dass er die ungeheurere sprachliche Intensität, mit der er ihnen im Roman begegnet, offenbar erst aus der Distanz des Städters heraus gewinnen konnte. In Kairo schon lange lebend, hatte er sich vom rückständigen, realen Leben der Menschen am See verabschiedet. Im Kairo des Schriftstellerzirkels um Naguib Mahfuz wuchs die Distanz zur Kindheit auf dem Land, mehr noch, im säkularen Modernismus dieser Gruppe konnte nur aus der Distanz heraus das Perplexe des Volkslebens – so modern wie jedes andere – und unter den harten, schnellen, aber völlig hybriden Wandlungsbedingungen der ägyptischen Gesellschaft der Nach-Nasser-Zeit, des Infitah, beschrieben werden.32 Das war im Falle al-Bisâtîs auch eine ganz persönliche Distanz, wie sie sonst bei bewusst zurückfragenden Intellektuellen seiner Generation kaum zu finden ist. Und auch bei diesem Gespräch, das ich in Kairo im November 2008 mit al-Bisâtî führte, war diese Distanz durchaus spürbar, auch mir gegenüber, wie konnte der Ausländer auch nur auf intrinsischer Sicht des Lebens am See bestehen? Zu schwer wog für ihn das nackte Leben im Wasser, die absoluter Marginalität der Armut, als dass der Fremde sich hier in diesen Schmutz hineinfühlen sollte. Das waren auch Fragen, die ihn während unseres Gesprächs bewegten, aber nur kurz und wie beiläufig angesprochen wurden. Der Roman, so sagt er, folgt in der Entwicklung der Erzählung der freien Phantasie. Doch liegt die Idee zu Grunde, Momente der jetzt fernen, fremd gewordenen Lebenszusammenhänge erzählend wieder zusammen zu fügen. So gelang es ihm, im Roman einst erlebte Figuren und Dingbilder gerade in einer lockeren Reihung von Erzählungen zu neuem Leben zu erwecken. Der Roman besteht weitgehend aus Bildgeschichten vom Leben im See, dem nördlich sich anschließenden Meer und der sie beide voneinander trennenden Nährung. Im Süden, wo der Autor aufwuchs, in den an den See angrenzenden dörflichen Siedlungen mit ihren Märkten und Fischmärkten, lässt er die Komödien und Tragödien des ländlichen Alltags sich entfalten. Al-Bisâtî, geb. 1938, ist ein Autor der »zweiten« Generation moderner ägyptischer Schriftsteller und, wie fast alle Autoren dieser Generation,

32 | Zu den besonderen Bedingungen.an der Basis der ägyptischen Gesellschaft ist auch der Aufsatz von Prof A. Zayed, Kairo, sehr aufschlussreich. Vgl. Zayed, Saints (awliyâ‘).

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»Schüler« des Naguib Mahfuz. Er war in der Nasser-Zeit und danach Mitglied einer Gruppe von jungen Schriftstellern, deren Herz links schlug und die gewissermaßen aus den Treffen mit Mahfuz im Café »Riche« ihre Ideen entwickelten und eine kleine Zeitschrift, 1968, herausgaben. Für die »Jungen« war Mahfuz zu sehr Traditionalist. Wenn auch dem Volksleben nahe, so blieb er doch von traditionalen religiös-historischen Topoi gebannt und dem fusha, dem Hocharabischen, treu. An diesem Punkt setzt al-Bisâtîs Kritik an, Mahfuz sei aus dem Widerspruch zwischen seinem Gegenstand, dem ägyptischen Volksleben und der darin verwobenen Kultur und Politik des Landes, und der sprachlichen Darstellung in der Hochsprache nie wirklich herausgesprungen. Wir haben, so meint al-Bisâtî, das zu ändern versucht, wollten auch in der Sprache Realisten sein und die Volkssprache, das sha´abî, in jedem arabischen Satz irgendwie mit bewältigen. Hier haben die Übersetzer und Literaturwissenschaftler das letzte Wort. Mir scheint, dass zwar die Dialoge sehr vom sha´abî getragen, die Beschreibungen der Seelandschaft, des Meers, der Boote aber von einem gestochenen und in der Wortwahl ausgesuchten Hocharabisch sind. Darin aber liegt auch, wie schon im ersten Kapitel des Romans in der Beschreibung des Sees, das mythisch-poetische Moment der Bildsprache dieses Romans. Diesen Eindruck können nur die Spezialisten abschließend überprüfen, ich kann hier nur Impressionen wiedergeben. Die mir vorliegende Übersetzung – lange Zeit musste ich nach dem Original suchen – kann die sprachlichen Spannungen nur ungenügend zum Ausdruck bringen. Doch al-Bisâtî selbst stimmt darin überein, dass die ägyptisch-amerikanische Übersetzerin Großes geleistet habe, und den Ausdrucksreichtum, den das sha´abî bietet, mitgedacht habe. Es handelt sich auch im Englischen um einen überaus packenden Text, wenn auch natürlich die unterschiedlichen Sprachebenen dabei nur schwer zum Ausdruck kommen können. Dem Autor wohnt, so wie ich ihn bei unserem Gespräch in Kairo angetroffen habe, eine große innere Ruhe und Selbstkonzentration inne. Er lebt das einfache Leben eines pensionierten ägyptischen Staatsbeamten, der sich von all den heftigen Bewegungen des ägyptischen Lebens unberührt zeigt, und in einem Stadtteil lebt, der nicht gerade für Glamor steht: Medinat Nasr, der Stadtteil der Kairoer kleinen Leute und Beamten der 1960er Generation. Er sei Erzähler und seine Romane seien Erzählungen, gewissermaßen »an sich«. Er macht keinen Anspruch auf historische und politische Intellektualität oder Spiritualität geltend. Als Geschichtenerzähler könne er nur zufällig zum Roman gekommen sein. Der »See«, auch das »Meer«, seien für ihn nur abstrakte Orte, gewiss aus der Erinnerung und mit Vorstellungskraft beschrieben. Über seine literarische Bildung gefragt, spricht er von Böll und Grass, er kenne sie aus arabischen Übersetzungen, habe auch viel Kontakt zur französischen Szene gehabt, aber nie eigentlich eine Fremdsprache gelernt. Ein marokkanischer Literaturwissenschaftler hat sich seines Werkes angenommen. Man spürt, wie für ihn die Nasser-Zeit und die unmittelbare

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Zeit danach – kulturell der Neo-Realismus der 1960er und 1970er Jahre – lebendig ist; was später kommt, der Islamismus, ist ihm ägyptische Dekadenz. Mit 15 verließ er schon al-Gamaliyya, die Kleinstadt, die damals noch näher am See lag und alles entbehrte, was eine Stadt eigentlich ausmacht. Er ging dann von Verwandten33 vermittelt nach Kairo zur Schule und dann zur Universität. Das Kinogehen war damals ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens, man ging überhaupt ganz oft ins Kino. Über Studium und seine Arbeit danach sprechen wir nicht, auch nicht über seine Zeit in Saudi-Arabien. Ich höre über al-Bisâtîs Berufstätigkeit später von Kollegen: Er war bis zu seiner Pensionierung leitender Beamter in der Majlis al-´Alâ al-Muhasabât (so etwa das ägyptische Pendant zum Bundesrechnungshof), von wo er vor 5 bis 6 Jahren, die Altersgrenze erreichend, ausschied. In den 1980er Jahren verbrachte er 3 bis 4 Jahre in Riad, Saudi-Arabien, von der ägyptischen Regierung in gleicher Stellung und Funktion entsandt, um beim Aufbau einer ähnlichen Institution dort behilflich zu sein. In Ägypten hatte er so etwas wie Fahndungshoheit und konnte in jede öffentliche Verwaltung zur unangemeldeten Offenlegung der Bücher erscheinen. Es wird eine Geschichte kolportiert, dass er bei einer solchen Prüfung im Innenministerium, das eine große Masse von Schlagstöcken gekauft hatte, dafür gesorgt haben soll, dass solche Ausgaben – zumindest zunächst – stark reduziert wurden. Der Autor ist ein Rechner, der ohne Partei zu ergreifen, kühl das »Richtige« tut, so scheint es. So reihen sich auch Bilder und Begriffe in seinen Texten; nie ergreifen sie Partei und führen doch den Leser tief in eine ihm fremde, wilde Welt des unmittelbaren Handelns hinein. Er spricht nicht gern über die Rolle der Religion heute. Die von Louis Awad, einem christlichen linken Intellektuellen und Schriftsteller der Nasser-Zeit, und von anderen Intellektuellen damals diskutierte These von europäischen Urgeist Ägyptens greift er auf und, wie bereits gesagt, lässt er mich spüren, dass das auf Religion und Volksreligion bezogene Thema meiner Studien ihm nicht gefällt. Es ist dies das alte – ja in vielem so gerechtfertigte – Misstrauen gegenüber westlichen Wissenschaftlern, sie könnten sich in ganz ureigene innere Angelegenheiten einmischen. Aber wenn er über Religion spricht, spürt man auch das Misstrauen gegenüber der heutigen Rolle des Islam als Volksverdummung. Anklänge an den zur Nasser-Zeit gängigen Vulgärmarxismus werden deutlich. Er meint durchaus, wenn die Armut der Massen erst einmal überwunden sei, gebe es diese Überbetonung des Islam nicht mehr. Religion bleibe etwas für die Armen und Ungebildeten, Unaufgeklärten. Das alte, »säkulare« Ägypten steht hier als eine Bezugswelt für moderne Aufklärung; aber der Islam für eine Religion der Wüstenaraber, der

33 | Die al-Bisâtîs sind in al-Gamaliyya sehr bekannt, eine Großfamilie (´â‘ila, ägypt. ´eyla) mit ca. 300 Angehörigen, und, wie das meist der Fall ist, gehören dazu wohlhabende Grundbesitzer mit Landgütern (´ezba) ebenso wie Klein- und Kleinstbesitzer.

34 | Dass er einmal ein hoher Beamter war, konnte ich mir, der ich nur die englische Ausgabe von Sakhab al Buhayra, Clamor of the Lake, kannte, nicht vorstellen. Ich glaubte einen Amtsmenschen vor mir zu spüren, hatte aber mit so offenen Charakteren dieser Art in ägyptischen Amtsstuben selten zu tun. Nur, nach einigem Überlegen, erinnerte er mich an einen Funktionär der damals verbotenen Kommunistischen Partei, der ein hoher Beamter des Zollhafens in Alexandria war, als ich 1969 dort mit dem Zoll zu tun hatte. In der Tat eine Klasse für sich: Ganz anders waren meine Erinnerungen an den Zirkel und ich glaubte, ihn dort einmal gesehen zu haben, glaubte dies von den alten Photos auf den Buchklappen. Weder er, noch ich, konnten uns so identifizieren. 35 | Vgl. Stauth, ´Abdallah, S. 51ff.

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sich die Ägypter zu unterwerfen hatten. Er bezieht sich lächelnd auf diese These aus der Nasser-Zeit, ohne anzuzeigen, ob er sie teilt oder nicht. Er lässt mich wissen, dass er selbst sich nie mit der pharaonischen Kultur beschäftigt habe und auch nicht mit dem Islam. Für ihn zählt, das betont er, die Erfahrung des Stadtlebens in Kairo, die Metropole. Seine ersten Geschichten entstanden einzig als Reflex auf das damals sehr lebendige intellektuelle Leben in Kairo; bestimmend war Naguib Mahfuz und der ihn umgebende Kreis junger Schriftsteller. Es ist erstaunlich wie sehr ihn heute mit Siebzig, seit langem in Pension, und nun doch langsam als Schriftsteller zunehmend durch Übersetzungen seiner Bücher bekannt werdend, die Familie das wichtigste ist. Er spricht von einem jüngst geborenen Enkel und den Sorgen um die Wohnung seiner Tochter. Das Gespräch war nicht leicht. Auf seinen Wunsch trafen wir uns eben in jenem »Grillon«, einer ›Kneipe‹ der linken Szene in einer Hintergasse des Zentrums, die mit einer alten Ausschanklizenz die »trockenen« Zeiten des Islamismus überdauert hat. In Vorbereitung auf unser Treffen hatte ich mir einen »1968er« vorgestellt, der er ja offenbar war. Aber entgegen allen Erwartungen erschien er mir als Asket hohen Ranges, der mit Vorsicht über sich und seine Zeit spricht, der den Zynismus der intellektuellen Linken abgelegt hat. Er sprach nur wenig und ich glaubte zuerst ein starkes untergründiges Mistrauen gegen den ›Ausländer‹ zu spüren.34 Er hatte zu dem Treffen nur eingewilligt, weil ich ihn mit meiner Begeisterung für seine Beschreibungen des Sees und seiner Figuren dazu überreden konnte. Im Gespräch betont er das Besondere seiner Texte, seine Art zu schreiben. Es freut ihn offensichtlich, wenn ich sage, wie sehr ich von den Beschreibungen der »Dinge«, der »Figuren« überzeugt bin, wie sehr ich meine eigenen auf dem See gewonnenen Betrachtungen in seinem Roman wiederfand. Die Tells und Maqams im See kennt er allerdings nicht, jedenfalls nicht aus eigener bewusster Ansicht. Die Schreine, die sich noch bei Rawada in der Nähe von Gamaliyya befinden, hat er nie besucht. Nur die Qubba des ´Abdallah b. Salam und den Kûm von Tinnîs35, die bekanntesten Orte im See, kennt er vom Hörensagen oder gar von Fahrten über den See nach Port Said. Vom Schrein des Abû al-Wafâ‘ – als ich erläuterte worum es

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sich handelte – hatte er noch nichts gehört. Irgendwie scheint er die Existenz dieser Orte im Leben seiner Figuren zu negieren. Sie spielten auch in seinem eignen Leben dort keine Rolle. Hier könnte man leicht denken, seine Figuren brauchen keine Heilige, sie sind selbst Heilige. Aber auch die heiligen Orte, die Qubbas und Tells sind keine Orientierungspunkte in der literarischen See-Landschaft des Muhammad al-Bisâtî und seiner Figuren. Die in den Qubbas zum Ausdruck kommende Religion der Leute gilt ihm nicht als »Wert«. Er weiß, dass bei Rawada einige alte Qubbas zerstört wurden, er billigt das indirekt, nicht aus islamistischer Sicht natürlich, sondern als aufgeklärter Modernist, damit sollte jetzt Schluss sein. Der bloße Realismus der Kultur der Leute, die er beschreibt, bleibt darin von einer klaren, »säkularen« Modernität. Es verblüfft ihn, vielleicht sogar ärgert es ihn, dass der Ausländer nach der Bedeutung dieser Orte im Leben der Menschen fragt. Diese Brennpunkte des ländlichen Lebens gelten für ihn nicht, er blendet sie aus. Das Treffen wäre schwieriger verlaufen, wenn wir nicht diesen gemeinsamen Bekannten hätten, der es arrangiert hat: der Schriftsteller, Journalist und Ecolodge-Besitzer im Fayyum ´Abduh Gubair36, ein Säkularist, wie er. Gubair ist weltoffen und frei von den Ressentiments der alten Linken, die in ihrer anti-kolonialen und anti-westlichen Haltung ja oft nur einen gleichgelagerten Gegenpol zum Islamismus bilden. Al-Bisâtî weiß das, aber dass es ein Ausländer ist, der über das Religiöse in der Kultur des Volkes forscht, stört ihn. Seine Lebendigkeit, das Funkeln seiner Augen und die Offenheit seiner Rede sind bestechend. Er greift durchaus direkt auf seine Erinnerungen an Leute und Dinge des Lebens am See zurück. Da bleibt wenig von einem banalen Postkolonialismus, den die Zweifel an der Präsenz der Religion im Leben der Leute am See, vermuten ließen. Dieser Funke vom See-Lebendigen, der auch im Gespräch aufglühte, überzeugte. Es gab Momente, in denen ich hoffen konnte, der Asket sei nicht nur aus Vorsicht gegenüber falschen Instinkten und Vorstellungen vom Volksleben geboren und eine Maske des gealterten Mannes gegenüber dem wirklichen Leben der Massen. Sicher, al-Bisâtî ist auch für Distanzierung und Stil. Hierin kann er zurecht sein Lebenswerk verteidigen. Am Ende des Gesprächs schließlich wagte ich es, ihm meinen Eindruck vom quasi wie natürlich aufsteigenden »Pharaonismus« in seinen Figuren und Geschichten darzulegen. Ich behauptete, dass seine Bildbeschreibungen von der Lektüre ägyptologischer und historischer Arbeiten gespeist seinen. Wenn er auch nirgendwo explizit pharaonische Themen und historische Symbolik aufzugreifen schien, so seien diese doch implizit in die Naturbeschreibungen und Ereignis-Erzählungen eingeflossen. Er verneint das sofort. Er habe es nicht darauf angelegt, ein Werk der historischen Erinnerung zu schreiben; auch kenne er die Literatur nicht. Natürlich entbehren seine

36 | Auf den Port Said-Roman Abduh Gubairs komme ich unten noch zu sprechen. Vgl. Gubair, Radwân, s. unten S. 87f.

2.3 Al-Bisâtî und der See: Wie sehr der Roman al-Bisâtîs in Metaphorik und sprachlichem Ausdruck ein sonst auch in der Volkssprache unzugängliches Wiedererleben der Gefühls- und instinktiven Handlungsbezüge unter Fischern und Bauern ermöglicht, wird im Roman deutlich. Es ist nicht der Sprachrealismus des Volkes, auf den hier abgestellt wird, es ist eine stilistisch hochgezogene Sprachebene des Ägyptischen. Die platte Volkssprache wird in den Sprachbildern zur, der bloßen Dingwelt (oder dem Ereignis) aufgesetzten Aura, als lebte und bewegte man sich unter kleinen Leuten. Nur wenn sie sprechen, ist auch die gesprochene Sprache vorherrschend. Diese Verdichtung des realen Lebens hinterlässt auch den Eindruck von historischer Tiefe. Bei den ganz dinglich dargestellten Vorgängen der im See oder auch im Meer verschwindenden Körper und Menschen, zum Beispiel, die dann als Leichen wieder zurückkommen, angeschwemmt werden, fiel mir eine nicht ohne einen gewissen Zynismus in einem anderen Gespräch erzählte Geschichte über die Entstehung eines Heiligen ein. Scheich al-Thâbit al-Wazîr37, der für die Sufi-Orden der Region Port Said und Matariyya zuständige und verantwortliche Scheich, der Shaykh al-Mashâ‘ikh, erzählte sie eines Morgens in seinem Büro. Ich hatte ihn nach der Bedeutung des Namens al-Maghrabî für den Heiligen gefragt, dessen Maqam das erste freistehende Heiligengrab am offenen Strand der Mittelmeerküste auf dem Weg nach Damietta ist, und für das er in einem früheren Gespräch eine besondere Zuständigkeit einschließlich der Abhaltung der Mawlid reklamierte.38 AlMaghrabî habe eigentlich keine Bedeutung, sagte er, es handele sich um die spontane, seine eigene Erfindung eines Namens, on the spot: Eines Tages sei eine Gruppe von Fischern zu ihm gekommen, die eine Leiche auf der anderen Seite der Bughâz, am Meerzugang, nicht weit von seinem Haus (eine Villa am Meer, die al-Wazîr gehört) gefunden hatten. Er sei mit den Fischern zum Fundort der Leiche mitgekommen, habe sich die Leiche betrachtet, und den Fischern den Auftrag gegeben, sie nicht am Strand zu beerdigen, sondern sie über die Autostraße hinweg zu tragen und auf der dem See zugewandten Seite zu begraben. Das wurde so auch gemacht. Am nächsten Tag aber kamen die Fischer wieder und behaupteten, die Leiche sei wieder an der alten Stelle. Auch das habe er wieder überprüft, und es war so. Irgendwie

37 | Vgl. unten S. 73ff. 38 | Es steht nicht weit von der ersten alten Bughâz, an deren westlicher Seite sich auch schon die Strandvilla des al-Wazîr befindet, s.u. S. 85.

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Wirklichkeits-Beschreibungen jeden Anflug von Romantik, ich behauptete aber, dass seine Art von unkorrumpierter Nähe zum Stofflichen, den Menschen und den flutenden Wassermassen eine Aura des Geschichtlichen und der Transzendenz als immanente spirituelle Präsenz ausstrahlten. Das verblüfft ihn. Er nimmt dies schließlich – wenn auch zögernd und vorsichtig lächelnd – ohne Widerspruch zur Kenntnis.

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erinnerten die Gesichtszüge der Leiche an einen Maghrebiner. Er gab den Auftrag, sie an der Stelle, an der sie gefunden worden war, zu begraben, und ließ für den nun al-Maghrabî Genannten wegen der offensichtlich geschehenen Wunder, den karamât, ein kleines Maqam errichten, an dem bis heute alljährlich im Sommer eine Mawlid unter seiner Anleitung stattfindet. Verschwindende und wieder auftauchende Leichen an der Küste und im See spielen vor allem im zweiten Teil des Romans von Muhammad alBisâtî eine wichtige Rolle. Die Meer- und Seeleichen symbolisieren hier die wechselhaften Verbindungen zwischen dem Mittelmeer und dem ManzalaSee. Bis in die Pharaonenzeit zurück reichen die Nachrichten über die hier einfallenden Fremden.39 Es ist in diesem Zusammenhang wichtig nachzutragen, dass al-Wazîr, der Sufi-Scheich und Großhändler von Schiffsmotoren von Port Said, auf den ich unten noch weiter zu sprechen komme, von al-Bisâtî und seinem Roman keine Kenntnis hatte, ebenso wenig, wie al-Bisâtî von al-Wazîr und al-Maghrabî etwas wusste. In der Geschichte al-Wazîrs wird auf kalte Art beschrieben, wie ein Heiliger konstruiert wird. Dagegen haben wir es in der Erzählung al-Bisâtîs mit den nackten, unbeschnittenen männlichen Körpern, den vom Meer angeschwemmten Leichen der Fremden zu tun, die eine Weile am Strand liegen, wieder verschwinden und an anderer Stelle wieder auftauchen, ein gewissermaßen das Mysterium des Fremden, des »Westlichen«, repräsentierender Topos. Al-Bisâtîs Roman ist ein Beispiel aus der zeitgenössischen ägyptischen Literatur, das uns auf zweierlei aufmerksam macht: Erstens erzählt er die besonderen sozialen und ökologischen Bedingungen des Lebens im Manzala-See. So zeitlos die Schilderung ist, man möchte anhand einzelner Requisiten meinen, dass in etwa der Beginn der 1970er Jahre, zu dem der Roman geschrieben wurde, einen Zeitpunkt fixiert, von dem ausgehend gewissermaßen zurückgeblickt wird. Zweitens, und zurückführend auf Beispiele zum »Fellachenheiligen« aus den beiden vorhergehenden Bänden, beinhaltet der Roman – ich halte an meiner These fest – gewissermaßen in der Form des geschenkten Andenkens ein Konstruktionsmodell des Heiligen, das in die Praxis der Menschen selbst eingelagert wird. Dieses Modell steht jenseits des gepredigten Islams. Es sind Menschen, quasi die Einzelfiguren des Romans, die zu Heiligen werden. Aber so ist es auch im Fall des »Abû Waffa«, erst von der Praxis her wird wieder Religion aufgenommen, Qubba, Maqam und Moschee gebaut. Al-Bisâtî beschreibt die Menschen aber in einem Stadium bevor diese Religion aufkommt, obwohl spürbar wird, wie sehr der Islam

39 | Man lese aber auch al-Bisâtîs Roman Häuser hinter den Bäumen, in dem er Geschichten von aus Port Said an die Südseite des Sees Geflüchteten zusammenfügt. Vergleichend hier der im See verschwundene und später als Leiche aufgefischte, ehemalige unehrenhafte Liebhaber der Protagonistin, al-Bisâtî, Häuser, S. 79ff.

40 | Al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (engl), S. 1-45. Die englische Fassung gruppiert die Episoden, die im arabischen Original nur einfach nummeriert sind, neu und gibt jeder Gruppe Überschriften, die im arabischen Original nicht gegeben sind.

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sich des äußeren Lebens vor allem im Differenz-Denken der Männer auch damals schon bemächtigt hat. Der Roman fügt dieses Praxis-Modell des See-Lebens in mehreren aufeinanderbezogenen Kurzgeschichten zusammen. Ich bleibe beim Beispiel eines eigenartigen alten Fischers, dessen Geschichte der Ausgangspunkt des Romans ist, dabei beziehe ich mich im wesentlichen auf die Erzählung im ersten Teil: An Old Fisherman.40 In der Welt des Sees, mit der anliegenden Marktstadt, den kleinen, auf Inseln im Ried-Schilf liegenden Siedlungen der Fischer und den zum Meer hin sich öffnenden Teilen des Sees wird eines Tages ein alter Mann mit einem eigenartig, zu rund und zu groß geformten Boot gesichtet. Niemand weiß, woher er kommt. Er befährt den See in allen Richtungen. Die Eigenart des Mannes erweist sich auch darin, dass er große und gute Fische fängt, fremdes und brauchbares Strandgut aus den Überflutungen vom Mittelmeer her und aus den bughâz (Meerzugängen) im nördlichen See findet, alles herausholt und auf dem Fischmarkt gegen Lebensnotwendiges eintauscht. Er erscheint und verschwindet wieder. Wegen seiner sich so sehr von den anderen Fischern unterscheidenden Lebensart bleibt er aber im Gedächtnis der Leute, wird von ihnen beobachtet, wo immer er auftaucht. Ein absoluter, selbstzufriedener Einzelgänger ist er, der nicht viel redet und selbst beim Fischverkauf auf dem Markt schweigend den Preis nimmt, der ihm geboten wird. Irgendwann lässt er sich an den Markttagen in der Stadt neben einer Frau nieder, die ihm schließlich hilft, seine Ware frisch zu halten und sich auch sonst als freundlich erweist. Über die Zeit stellt der Mann auf einer Landzunge am Einbruch des See-Kanals in das Mittelmeer eine Hütte auf, aus alten Palmstämmen, gestrandeten Planken und Wellblech zusammengebunden, nicht ohne allerdings zuvor über lange Zeit die Beschaffenheit der Einbruchstelle des Meerwassers geprüft zu haben. Als die Hütte fertig ist, spricht er die Frau unvermittelt an, sie solle mit ihm ziehen. Sie folgt ihm mit ihren Zwillingssöhnen am gleichen Tag. Bei der Ankunft an der Hütte gesellt sich ein Hund zu den Kindern. Es ergibt sich ein ruhiges, fast erfolgreich und glücklich scheinendes Fischerleben, wobei der Mann, trotz des großen Vertrauens, das die Frau ihm zunehmend entgegenbringt, immer in seinem Boot schläft und seine unberechenbaren, aber an Ausbeute reichen Fahrten über den See fortsetzt, während die Frau und die Kinder in der Hütte leben. Über die Zeit schwindet die Körperkraft des alten Mannes, er bleibt öfters bei der Hütte und länger in seinem Boot liegen. Die Frau beginnt, ihm am Feuer vor dem Haus und auch, wenn er im Boot lag, über die Bootswand hinweg ihre Geschichte zu erzählen: wie sie als junges Mädchen, als Tage-

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löhnerin im Bauerndorf in der Nähe des Sees, von einem Arbeiter anheuernden Mann (muqâwil) verführt wurde, von ihm in anderen Dörfern bei Verwandten zur Hausarbeit und schließlich in einem von ihm angemieteten Haus untergebracht wurde. Der Mann, obwohl oft abwesend, sorgte sich um sie, brachte zunehmend auch Kleidungstücke und Schmuck als Liebesbeweis mit. Bei ihrer Arbeit war es aber zum Sex mit anderen Männern gekommen, und als sie schwanger wurde, erfuhr er davon, denn er selbst war sich seiner Unfruchtbarkeit sicher. Er schlug blind auf sie ein und sie konnte nur knapp entkommen. Schließlich gebar sie die Zwillingssöhne bei Verwandten in ihrem Dorf. Sie erzählte dies eines Abends, während der Mann im Boot langsam einschlief und schließlich nicht mehr aufwachte. Sie ließ von ihren Söhnen ein Grab ausheben, wusch den Körper des Alten sorgsam. Bevor sie ihn beerdigte, untersuchte sie mit ihren Söhnen die Brusttasche des Alten und sie fanden ein paar Habseligkeiten darin, darunter ein altes Schriftstück, eine tonlose Uhr, einen Ring mit schwarzem Stein. Fast hatte sie den Eindruck, in dem Alten sei jener Mann zurückgekehrt, der sie damals auf so erbärmliche Weise verlassen hatte. Sie befahl den Kindern, die Sachen ins Grab neben die Leiche zu legen. Als das Meer im Sturm wieder einmal anschwoll und in den See überzuschwappen drohte, wurde die Frau mit den beiden Zwillingssöhnen von Männern in einem Boot von hier weggeholt. Die folgenden Geschichten schließen thematisch an. Das Meer bringt an diesem Ort, wo es sich mit dem See verbindet, eigenartige, fremde Dinge ans Ufer und in den See, spült Leichen an, und auch eine Brusttasche mit seltsamen Dingen. Nie wird in diesem Erzählwerk von Religion gesprochen, die Gebetsrufe sind auf Anzeige der Tageszeit reduziert, mehr nicht. Einmal in Seitenpfaden der dritten Erzählung wird von der Ehrfurcht zweier einsam den See erkundender (und an der Meerbrandung ertrinkender) junger Männer gesprochen. Unter den an der Stelle und in der Umgebung immer wieder gefunden Männerleichen taucht oft ein ›Unbeschnittener‹ (in der ersten Geschichte wird auch ein solcher im in der Nähe des Sees liegenden Dorf verfolgt, er entkommt auf dem See) auf, aber insgesamt keine Anzeichen von islamischer Religionsausübung. Warum hier also vom Konstruktionsmodell eines islamischen Heiligen sprechen? Kann man sich an jenes Modell erinnert fühlen, das ›Götterbild und Selbstleib‹ in eins bringt41 und »Gott und Mensch im gleichen Boot«42 sitzend verortet, jene Nussschale des Seins, die die Hornung’sche Perspektive auf die alten Götter mit der unseren auf die Menschen und ihre Heiligen im See verbinden könnte? An dem Ort, der so schwer beladen ist mit dem Grab des Alten und seinen Utensilien darin, der verlassenen Hütte, den angespülten Leichen,

41 | Hornung, Der Eine und die Vielen, S. 192. 42 | Ibid., S. 191.

2.4 Szenen aus historischer Literatur, Quellen des Andenkens: Es seien nun in Ergänzung zu diesen stillen Erinnerungen, dem »Andenken« der ägyptischen Bedeutung des Sees hinter dem Meer in der Erzählung al-Bisâtîs, in einer kurzen Skizze, ein paar pharaonische Momente hinzugefügt, die in der Ägyptologie offenbar noch sehr unbestimmt sind und durchaus kontrovers diskutiert werden, aber dennoch verblüffende Parallelitäten zum heutigen Leben am See aufweisen; wie überhaupt auch im gegenwärtigen Ausblick der Leute im See heute sich ein Satz zu bewahrheiten scheint, mit dem die Ägyptologin Alessandra Nibbi, das Verhältnis der alten Ägypter zum Meer mit demjenigen der heutigen auf einen Nenner bringt: »[…] the coastline was used more by foreigners arriving rather than by any Egyptians departing to go abroad.«43

43 | Nibbi, Ancient Egyptian Anchors, S. 85. Die Thesen Nibbis sind in der Ägyptologie und Altertumswissenschaft durchaus umstritten. An Stelle der Rezeptionsgeschichte ihres Buches hier der Hinweis auf die gängige These von der frühen Mittelmeer-Schifffahrt der alten Ägypter: Vgl. etwa die Arbeiten von Müller-Karpe in dem von ihm herausgegebenen Werk »Zur geschichtlichen Bedeutung der frühen Seefahrt«, vgl. Müller-Karpe, Frühe Seefahrt. Hier liefert Wolf, Das alte Ägypten, S. 148, Anm. 166 u. S. 151, Anm. 181, eine interessante Zusammenstellung weiterführender Literatur.

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entsteht kein Heiligengrab, keine Qubba, und überhaupt wird kein äußeres Zeichen der Andacht, des Gedenkens, sichtbar. Das herausragende Moment der »Ethnologie« dieses Erzählwerks von Muhammad al-Bisâtî, die uns heute fast selbst religiös anmutet, ist die alle Grenzen und Bestimmungen auflösende Kraft des mit Ried-Schilf und Seerosen überzogenen Sees mit seinen Gefahren umwitterten Öffnungen zum Meer. In der Natürlichkeit des Armutslebens im und am Wasser und im Schilf existieren die Menschen, als wären sie selbst Heilige oder zwischen Diesseits und Jenseits schwebende Wesen: Nichts Drohendes, nichts Abgrenzendes, nur vom Geheimnis des Sees und des Meers geleitetes Suchen, und wo Streit, Konflikt und Tod einbricht, erscheint es als nichts, jedenfalls nicht mehr als das Rütteln heftigerer Wellen am Schilf und den Booten. Die Nähe, in der die Ferne draußen vor dem See im Meer erscheint, hat aber etwas durchaus Bedrückendes, ja Feindliches, ein Nichtsein, das doch ständig anwesend ist, und eine zugleich fortlaufend herausfordernde Realität darstellt. Doch lernen wir auch von fixen Orten, von der Brandung an der ins Meer reichenden Landzunge. Die Hütte im Norden, das Dorf, die Stadt mit dem Fischmarkt am südlichen See werden beschrieben. Immer wieder tauchen diese Orte auf, ziehen sich durch das ganze Werk hindurch. Das Meer draußen bleibt aber immer eher eine Bedrohung oder eine Ferne, aus der Bedrohung hereinbricht oder Fremdes hereingeschwemmt wird.

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Wie oben angezeigt, hat al-Bisâtî die fließenden, die fixen, wie die auflösenden oder auch die feindlichen Ereignisse und Einbrüche von außen, die schon in der ägyptologischen Literatur in die Seelandschaft am Meer gelegt werden, nicht gekannt oder jedenfalls nicht bewusst auf sie rekurriert. Seine Vision des Sees und des Lebens am See beherbergt auch kein intentionales Aufleben altägyptischer Philosophie. Doch scheint der Roman in den See und seine Welt etwas hineinzulegen, das die bloße Beschreibung übersteigt, und gerade wenn es sich um erlebte, als solche symbolisierte, ›wirkliche‹ Wahrheiten handelt, scheinen seine Beschreibungen intuitiv historische Topoi anzusprechen. Überragend ist das den ganzen Roman bestimmende Moment (nicht nur im ersten Teil, dem ich mich oben intensiver gewidmet habe) der Negativität allen Lebens auf dem See: dauerndes Sich-bewegen, dauernd neue rätselhafte Erscheinungen, aus dem Wasser hervorkommend, über das Wasser heraufziehend etc. Irgendwie scheint der See die negative Seite zu sein, ein Extrem-Pol, der im Gegensatz zur (alten ägyptischen) Zivilisation, zum sesshaften Leben zu stehen scheint. Zugleich aber könnte man meinen, hier sei – wie anderswo in der Wüste – auch im See ein religiös philosophischer Kern getroffen, der zugleich ins Leben hineinwirkt, mit ihm in Rede steht. Die Ägyptologie hat sich mit den durch Schilf und Wasser dauerhaft belegten nördlichen Teilen des Nildeltas immer wieder beschäftigt.44 Der Schutz der Nordgrenze des ägyptischen Reiches entlang den Ufern des Mittelmeers war offenbar seit ältesten Zeiten schwer zu gewährleisten, oft konnte man nur die Nilmündungen von Feinden frei halten.45 Die Nilmündungen und die zwischen ihnen liegenden Gewässer- und Schilfgebiete waren also Einfallzonen feindlicher, barbarischer Stämme und Volksgemeinschaften.46 Das »Große Grün«, nach Nibbi die Marschen des Norddeltas, war immer ein Hort des Rückzugs Ausgestoßener und der Unruhe zugleich. Die Brackwasserseen lieferten Platz für unermessliche Fischgründe, und schon Herodot vermutete, dass die Umwelt aus flachen Wassern, Wasserpflanzen, Fischen und Vögeln in der Anschauungswelt der Ägypter eine wichtige Rolle spielen musste.47 Der von Ägyptologen und Altertumsforschern bis heute weitergeführte Streit über die in diesem Gebiet, offenbar aber im östlichen Delta

44 | Am ausführlichsten: Sandars, Seapeoples; Nibbi, Ancient Egyptian Anchors; idem: Sea People. 45 | Vgl. Kimmig, Seevölkerbewegung, S. 221. 46 | Dem muss nicht widersprechen, dass die Nilmündungen gerade wegen der Schlammablagerungen und der geringen Wassertiefe, ja der dadurch oft gefährlich hochschlagenden Gicht für Hochsee-gängige Schiffe eigentlich unbefahrbar waren. Vgl. Nibbi, Ancient Egyptian Anchors, S. 59f. Sie müssen Ansteuerungspunkte gewesen sein, auch wenn man sich noch in Küstenwassern absetzen musste. Die Gicht an den Mündungen ist ein ständig wiederkehrender Topos in al-Bisâtîs Roman. 47 | Nibbi, Sea People, S. 7-34.

48 | Kimmig, Seevölkerbewegung; Sandars, Seapeoples. 49 | Vgl. etwa ´Ammar, People of Sharqiya, und die ägyptische Anthropologie der 1940er und 1950er Jahre. 50 | Es geht vor allem um die (beschnittenen) Philister (Pestelet). 51 | Vgl. den von Nibbi, Sea People, S. 13, zitierten Text aus der Übergangszeit vom alten zum Mittleren Königtum. Das muss nicht bedeuten, dass es sich um prinzipiell regierungsfernes oder unregierbares Gebiet gehandelt hat. 52 | Kimming, Seevölkerbewegung, S. 221.

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insgesamt ausgefochtenen Schlachten, und ob sie von nur lokaler ägyptischer Bedeutung oder einer allgemeinen Seevölkerbewegung geschuldet und gar den Mittelmeerraum und Europa einbeziehend von Weltbedeutung waren,48 ist für unsere Untersuchung von geringerer Wichtigkeit. Dass das Ost-Delta in einer spezifischen Lage der Land- und Wasserverbindung und damit auch der Ort feindlicher Einfälle war, ist unbestritten.49 Wenn Alessandra Nibbi hervorhebt, dass sich einzelne dieser Gruppen50 in den schlecht zu überwachenden Zonen des Great Green sesshaft gemacht haben, ja in späterer Zeit, nachdem sie besiegt waren, gar als Hilfstruppen der Ägypter auftraten, ist für uns insofern interessant, als die Aura der Wildheit und Fremdheit, mit der hier Siedler und Siedlerzonen im Osten belegt werden, die Schwierigkeit, sie der Regierungs- und Steuerkontrolle zu unterstellen,51 eine bis heute fortlebende Daseinsform der Zone ist. Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass sich damals wie heute Regierungstätigkeit schwer tut hierher vorzudringen. Auch dass immer größere Teile der Marschen und der Brackwasserseen trocken gelegt werden, ist nicht nur eine Problemlage am heutigen Manzala-See. Für diese Untersuchung sind darüber hinaus aber vor allem die sich auf verschiedenen Ebenen wiederholenden sozialen und kulturellen Topoi wichtig. Von den geschichtlichen Zeugnissen aus der Antike bis hin zur literarischen Ethnographie des al-Bisâtî lässt sich der Blick auf die Gegenwart schärfen, aber auch die Frage verfolgen, inwieweit solche Topoi für die im See lebenden Menschen, ihre Heiligen und das sie umgebende soziale Leben mit all seinen regionalen Verflechtungen noch heute wirksam sind. Erstens lassen sich eine Reihe solcher Topoi unter dem Gesichtspunkt der ›inneren‹, d.h. dauerhaft eingreifenden und wiederkehrenden Gegenwart des Fremden benennen. Da sind einmal die Nilmündungen als Einfallstore für fremde Eindringlinge, wie sie im Zusammenhang mit den Schlachten-Inschriften von Medinet Habu in Theben erwähnt wurden.52 Im Roman sind es die Kanalöffnungen des Sees zum Meer (bughâz): ein Weg, über den die Fremden kommen, Orte der besonderen Beobachtung, aber auch Öffnungen, die Meerwasserüberschwemmungen erleichtern und das Anschwemmen fremder Dinge im See ermöglichen. Heute spielen die Bughâz in dieser Funktion keine Rolle mehr, wenn sie auch, wie wir noch unten genauer beschreiben werden, durchaus Orte der besonderen Bedeutung sind.

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Dann sind es die besonderen Bootsformen der bekämpften Fremden, wie sie in den Tempelreliefs dargestellt sind. Insbesondere finden die hochstehenden, mit Vogelköpfen verzierten Vorder- und Achtersteven an den Seglern der Eindringlinge Beachtung.53 Al-Bisâtî verfremdet gewissermaßen die Figur des einsamen »alten Fischers« als Eindringling mit dem besonders fremdartigen hochstehenden schwarzen Vordersteven. Heute spielen diese Unterschiede der Schiffsformen keine Rolle mehr, andere Merkmale praktischer Art haben heute, wie wir noch sehen werden, eine umso größere. Doch unterscheiden sich, soviel ist hier schon zu sagen, die heute noch gängigen Fischerboote und die Segler auf dem See nur in Nuancen von den auf dem Nil und den Binnen-Seen schiffenden Booten der Alten. Eine wichtige Rolle in der Bestimmung des Fremden ist die Beschneidung. Sind in den alten Inschriften die Eindringlinge beschnitten54 und dadurch von ganz eigenartiger körperlicher Fremdheit, so ist es in al-Bisâtîs Roman der nichtbeschnittene Fremde oder gar die nicht-beschnittene Leiche, die Schockerlebnisse verursacht wie die an einem Nichtbeschnittenen verübte Gewalttat im ›Dorf‹ am See, an die sich eine Verfolgungsjagd über den See anschließt. Schließlich nach einiger Zeit – fast als wäre es aus einem anderen Kontext – folgt das schockierende Ereignis, Frauen entdecken bei der Suche nach den aus dem Mittelmeer angeschwemmten »Schätzen« an einer bughâz die nackte Leiche eines Unbeschnittenen. Die Liste der Topoi, die ägyptische Sichten und Verstehensweisen prägen und im Fall der Welt des Manzala-Sees auf besondere Weise »greifen« können, wäre unvollständig, wenn wir nicht anmerkten, dass im Roman alBisâtîs allenthalben das Wasser, der See als Gewässer nicht als eine geradezu übernatürliche Kraft aufträte. Wasser ist nicht nur das stehende Thema des Romans, auch sind die Romanhelden in oft überwältigender Form Objekte der Wassermacht und der unerklärlichen Einwirkungen des geheimnisumwitterten Sees auf ihr Leben. Solchen Ungewissheiten, im Glück und Segen bringenden Fall, wie im Unglücksfall, wird im ägyptischen Denken – auf Verständnis der unerklärlichen Willensbildung, ja des Schicksals ausgerichtet – dadurch Ausdruck verliehen, dass man sich personifizierte Hilfsgötter schuf. Dabei hat man solche Gottespersonen offenbar breiter angelegt, und wie im Gott Schu etwa auch den »leeren« Luftraum als Teil einer in der Natur wirkenden Gottheit bezeichnet. Anders für Wasser und Gewässer, hier findet man den ›kleinen‹, den Hilfsgott Hapi,55 der aber nur für die jährlich auftretende Nilflut steht. Mit ihm treten aber eine Reihe fruchtbarer Genien als »Nilgötter« auf.

53 | Kimming, Seevölkerbewegung, S. 223. 54 | Ibid., S. 223. 55 | Vgl. Prell, Der Nil, S. 183-184; Hornung, Der Eine und die Vielen, S. 69-70.

56 | Hornung, Der Eine und die Vielen, S. 71. 57 | Ibid. 58 | Ein von E. R. Curtius übernommener Ausdruck von Max Scheler (Wesen und Formen der Sympathie), vgl. Curtius, Proust, S. 81. 59 | Curtius, ibid.

39 Ein See-Roman: Der rätselhafte Fischer im Manzala-See

Die Wasserwelt selbst wird von dem krokodilköpfigen Sobek, der zugleich als Herr der Fische gilt, beherrscht. So wie es auch noch weitere zahllose Fischgötter und Götter in Vogelgestalt gibt.56 Personifizierung erfolgt nur in Bezug auf Einzelphänomene. Die Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser sind als je ganze nie personifiziert worden. Auch hier ergibt sich eine Vielfalt, die am je Konkreten haften bleibt.57 Dieser Hang zum perplexen Konkreten ist natürlich – so auch in der Seewelt des alten Fischers – immer Gegenstand der Ergötzung, aber auch fortlaufender Verunsicherung und begrifflicher Ambivalenz. Es gab einmal eine Zeit in der deutschen Philosophie- und Literaturgeschichte, in der man »Kosmovitale Einfühlung«58 als den Eckpfeiler einer neuen Kulturwissenschaft einzuführen wünschte. Gemeint war damit eine Methode der Betrachtung, die in einer Art »Aufsaugen der Erscheinungen«, »eine Kontemplation, welche an der Schwelle zur Mystik wie jeder anderen Form der höheren Spiritualität steht«, mündet.59 Der ägyptische Dichter Muhammad al-Bisâtî, würde wohl solche Termini für sich nicht reklamieren, für die Säkularität und komplexe Dingnähe seiner Sprache kann Transzendenz im Sinne der Nähe zur Mystik nicht reklamiert werden. Doch ist das erstaunliche an diesem Dichter, der sich in eine erinnerte Welt seiner Kindheit versetzt, dass er sich sprachlich und instinktiv in dieser Welt bewegt, die aller Historie entkleidet zu sein scheint, und doch Topoi der Geschichte dieser Landschaft trifft, so dass der Roman selbst zum Teil des Mysteriums zu werden scheint, das er negiert, es selbst aber als nackteste Wirklichkeit und Natürlichkeit hervorbringt.

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3 Einsame Hütte

4 Hunde mit Pelikan

5 Alter Fischer aus Matariyya

6 Fischer alleine im Boot

Ein See-Roman: Der rätselhafte Fischer im Manzala-See

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3. Lebenswelt im Wasser Der See bestimmt über das Leben und zeichnet die Trennungslinien im Verhältnis von innerer, immanenter und äußerer, übersteigender, transzendenter Welt der Menschen. Zunächst könnte man ja von der Seelandschaft auch von einer durch die Geschichte gezeichneten großen Geometrie sprechen. Aber im Alltag zeichnen die Menschen nur kleine Kreise in der Landschaft; in der gelebten Realität werden Formen geschaffen und Vorstellungen gelebt, in den Taten Punkte gesetzt. Vergleicht man das mit dem vorgestellten Gott, so schaffen die Menschen auch Geraden und Ebenen in der Natur, bestimmen das Gesetz der Regelmäßigkeit in der Natur und in ihrer Umgebung. So gesehen gibt es also keine »natürliche Religion«, sondern eine Naturpraxis, die sich auf vorgegebene Formen und ihre Bildsprache bezieht. Tiefstes Eingetaucht-Sein in den Alltag ist also durchaus auch religiösem Verhalten ähnlich, auch noch oder gerade da, wo in plattester Not überhaupt in die Welt hinausgegriffen wird. Wo Außerweltlichkeit dann vorgestellt ist, beginnen die Dinge, die Menschen und Tiere zu fliegen, da ist also irgendwie eine Auflösung des Menschen im Kosmos, und im Tun und im Werken mit den Dingen gedacht, die Auflösung der Grenzen zwischen Mensch und Kosmos. Man könnte also behaupten, dass alle Vorstellungen des Heiligen im Hier und Jetzt auch schon in iesem Auflösen begriffen sind. Dies, so wollte ich zeigen, ist also auch die transzendente Intensität von Weltlichkeit, die uns am See begegnet, und al-Bisâtîs Roman ist nicht nur ein Schlüssel zur heute weitergelebten »Geschichte«, sondern liefert auch eine symbolische Beschreibung der Auflösung von Geschichte im Heute. 3.1 Zur Geographie des Sees: Zur alten Geschichte in Anblick des Sees hier noch ein Beispiel: In einem ägyptischen Text, der nun schon fast 4.000 Jahre alt sein dürfte, erfahren wir folgendes: »Grabe einen Deich gegen die eine Hälfte (das Nordland) und überflute die andere Hälfte bis zum Bitter-See. Merke, es handelt sich um die Nabelschnur der Ausländer. Ihre Wälle sind kriegsgerüstet und ihrer Soldaten sind viele […] Die Region des Djet-sut […] viele Nordländer befluten es bis zum Nordland, frei von KornSteuern […] Sie haben einen Deich bis nach Herakleopolis gebaut […] bewahre Dich vor Umzingelung durch die Unterstützer des Feindes […] Wenn die Grenze in Gefahr ist am (südlichen) Ende der Region, dann bedeutet dies, dass die (nördlichen) Bogenmänner den Gürtel schließen werden. Schaffe Strukturen im Nordland […]«60

60 | »Dig a dyke against (half) of it (the North Land) and flood half of it as far as the Bitter Lakes. Behold, it is the very navelcord of foreigners. Its walls are warlike and its soldiers many … The region of Djed-sut … many northerners water it as far as the Northland, tax-free in grain …

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Wenn Nibbi urteilt, dass dieser Text, obwohl er in einzelnen Details eher nebulös bleibt, für uns eine allgemeine Situation im Ostdelta widerspiegelt, dann meint sie natürlich grosso modo die historische Situation im pharaonischen Ägypten. Der Manzala-See uferte damals noch im Süden fast bis nach Tanis.61 Schon zur Zeit von Tutmosis III. gab es die Festung von Sile, die den »Horusweg« sicherte, die Siegerstraße, die von hier über den Nord-Sinai nach Palästina, zum Libanon und nach Syrien verlief. Der Manzala-See reichte zur Pharaonenzeit noch tief nach Süden und Osten bis in das Gebiet nördlich von Qantara, durch das heute der Suez-Kanal verläuft.62 Die Lage des Sees ist heute nicht mehr die der Grenze, von der Gefahr droht. Der See selbst ist in Gefahr. Die Menschenmassen, die sich täglich im riesigen Seegebiet bewegen, ja fast verlieren, wollen dort ihr eigenes Überleben sichern, und doch bringen sie dabei auch sich und den See in Gefahr. Im Norden liegen zwei große Städte. Die eine ist Damietta, die alte Hafenstadt, die in der Zeit der Kreuzzüge mehrmals belagert wurde.63 Sie ist heute eine kleine Großstadt. Die andere ist Port Said, die einst junge koloniale, quasi europäische Hafen und Verwaltungsstadt, die in den dreißig Jahren seit Beendigung des Kriegs zu einer Stadt mit vier Millionen Einwohnern angewachsen ist. Aus Kairo, Alexandria, aus dem Delta, ja von überall aus Ägypten strömten die Menschen nach Port Said, um am Boom des Freihandelshafens teilzuhaben. Die meisten leben heute in slumartigen Massenwohngebieten und sind häufig ohne Arbeit. An der Nährung zwischen Suez-Kanal und Mittelmeer nach Damietta wurden Ölraffinerien angesiedelt und Fischzuchtfarmen angelegt. Von Port Said nach Westen über die Öffnungen des Sees zum Meer hinaus wie auch auf dem Weg nach Süden prägen große vierspurige Landstraßen und Brücken das Bild. Fast könnte man von einer zunehmenden Zerstörung des Sees sprechen, die vor allem durch die entlang der Straßen hin sich ausweitenden Areale der Trockenlegung, Industrie-Parks, Fischfarmen und landwirtschaftlichen Nutzung verursacht wird. Schon zu Zeiten des 1981 ermordeten Präsidenten Sadat wurde der sich am Südufer des Sees hinziehende Salam-Kanal als großer Bewässerungskanal für den Sinai geplant und schließlich in den 1980er Jahren mit Rohren und Pumpen unter den Suez-Kanal hindurch zum touristisch boomenden Sinai gelegt. So verengen sich zunehmend die Dinge in der Welt des Sees, wo man Überlebensquellen im Abseits sucht, aber kaum noch davon leben kann. Der Ein-

They have made a dyke as far as Herakleopolis … guard against encirclement by the retainers of an enemy … When thy frontier is endangered towards the (southern) region it means that the (northern) bowmen will take on the girdle. Build structures in the Northland …«. Nibbi, Sea People, S. 13. Es handelt sich, wie Nibbi uns wissen lässt, um eine Instruktion das Meri-Ka-Re aus der Übergangsperiode von der Alten zur Mittleren Königszeit. 61 | Siehe Stauth, ´Abdallah, S. 54f., s. auch Montet, Tanis. 62 | Vgl. Nibbi, Sea People, op. cit. S. 14-19. 63 | Vgl. Lane-Poole, Middle Ages, S. 192, 219-224, 232-239.

druck der Abgeschiedenheit bleibt oft nur noch eine Frage der Vorstellung und der Selbstdarstellung in der Schilfwelt des Seewassers. 45 Lebenswelt im Wasser

3.2 Wasser: Der See ist eine Dingwelt, in der Wasser und Wasserpflanzen und Tiere eine überwältigende Bedeutung haben. Die hier lebenden und arbeitenden Menschen nutzen diese Welt gewissermaßen freibeuterisch wie eine wilde Natur. Am Manzala-See leben, das heißt, in einem ständigen Zustand der Bewegung zwischen Luft, Wasser, Gras, Seerosen, Lehmerde und Schlamm zu sein. Beflügelt von Luft und Meereslicht der sich spiegelnden Sonne stehen, sitzen oder liegen die Männer, meist Fischfänger oder Händler, auf den dahingleitenden Segelbooten und blicken über den See. So stolz stehen auch die Gras und Schilf sammelnden Viehbauern auf ihren Booten. Selten rudern sie, meist haben sie nur den Bambus-Stock, mit dem sie, manchmal auf dem Seitensteg laufend, das Boot treiben und führen. Doch wenn sie von den Hauptkanälen oder großen offenen Seeflächen abkommen und in die engen Bahnen des hochwachsenden dunkelgrünen Schilfs geraten, gelangen sie in eine finstere höhlenartige Führung. Dort haben die Siedelnden meist ihre Häuser, die nur selten noch aus Schilf und Lehm oder Holz sind, denn überall wird heute mit Ziegelsteinen gebaut. Diese haben immer wenige, selten mehr als zwei Zimmer und je mehr man von »modernem« Baumaterial abhängig wird, je mehr sucht man die Nähe des großen Kanals, die Wasserstraße zwischen Port Said und Matariyya. Der in diese Welt einbrechende Fremde mag bei all der lebendigen Nähe zu Himmel und Wasser sich der Pracht des sich wölbenden Äthers und der Zier der sich im Wind tummelnden Vögel kaum entziehen können. Und so sehr die Menschen in den einfachsten Dingen das Notwendige suchen, so sehr bleibt der Fremde eher von der Schönheit der Natur gefangen. Denn es ist in der Tat so, dass die Menschen und Tiere in ihrer bloßen, notwendigsten Erscheinung Teil dieser prächtigen Welt sind, und auch sie alle in die natürlichen Schönheiten getaucht erscheinen. Es ist gerade in diesem Fall naheliegend, die Natur-Ästhetik aus der Sicht der Menschen als Teil des inneren »religiösen« Gehalts der Welt zu betrachten, und auch der Fremde kann sich diesem Eindruck nicht entziehen. Wenn sich der von außen Betrachtende von diesem Zauber vereinnahmen lässt, werden auch die unbekümmert darin Handelnden Teil dieses »religiösen« Ausdrucks. Die Grenzen und Trennungen zwischen menschlichen Körpern und Welt, zwischen Wasserwelt und Himmel, zwischen Pflanzen- und Tierwelt verschwimmen. Daran ändert im Prinzip auch die Tatsache nichts, dass es heute immer weniger Segelboote gibt, oder diese sich über weite Strecken von großen Dieselschleppern durch die Kanäle ziehen lassen und erst dann in seichte Wasser abdriften, wenn sie ihre Fischgründe erreicht haben. Selbst die schnellen, halb gegen den Himmel stehenden Motorboote, von japanischen Außenbordmotoren getrieben, ändern an diesem Eindruck nichts, denn auch hier sind Körper, Wasser, Schilf und Himmel insgesamt nur neuen Bedingungen

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unterworfen; die Menschen passen sich instinktiv an das fast fliegende Gerät an. Die Trennungs- und Verbindungslinien nimmt der im und über dem See Gleitende als fließend wahr. Das Verschwimmen der Grenzlinien am Horizont hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass die Begriffe von Dingen auch im sprachlichen Ausdruck, so etwa auch in der Unterscheidung von Farben, seinen Niederschlag findet. Im Ägyptisch-Arabischen sind Meer und Fluss mit dem gleichen Wort, bahr, belegt, der See hebt sich – wie auch bei al-Bisâtî – in der gängigen Verkleinerungsform buhayra vom »Meer« (aber auch vom Fluss) ab. Aber schon im Altägyptischen sind solche Unterscheidungsprobleme gegeben und heute Gegenstand von gegensätzlichen Interpretationen. Im Anschluss an Herrmann Kees hebt Alessandra Nibbi hervor, wie gering die sprachlichen und begrifflichen Nuancen bei der Unterscheidung der Farben Blau und Grün bei den alten Ägyptern waren.64 Die Ägyptologen haben große Schwierigkeiten, das »Große Grün«, den Nil, die Binnenseen und das Meer begrifflich zu unterscheiden.65 3.3 See-Kultur: Gibt es eine eigene See-Kultur? Nein, eindeutig nicht! Doch bedingen die Lebensverhältnisse am und mit dem Wasser und die sozialen Beziehungen in den anliegenden Städten durchaus starke kulturelle Ambivalenzen auch gegenüber der ägyptischen Dorfkultur. Wenn es in dieser armen, abgeschossenen Welt kaum eigene symbolische Produktionen gibt, so gibt es auch keinen eigenen »Staat«, keine zugrunde liegende religiöse Idee, keine Führer oder zu Höherem Geborenen, ja auch eben keine lebendigen Heiligen. Flucht und Vorsicht, ja – stille oder offene – Zurückweisung gegenüber allem, was das Draußen repräsentiert, herrscht ebenso vor wie eine sich selbst abschließende, letztlich auch allem Abweichenden gegenüber geduldig hinnehmende Haltung der Toleranz. Wie überall im ländlichen Ägypten werden Besucher und Eindringlinge zuerst nach ihren Intentionen befragt und beurteilt. Bestimmt von der Suche nach dem einfachen bloßen Überleben gilt, solange dieses nicht bedroht ist, alles als zulässig. Man könnte fast von einer Ordnung des Umgangs und der Kommunikation sprechen. Sprechen ist die alles Soziale bewegende Devise. Innere Motive der Leute manifestieren sich erst im Bruch. Obwohl Kraft und Erfolg eben auf inneren Verbindungen zwischen den Menschen basieren, treten diese erst im Bruch an den Tag. Wie überall sind es auch hier die zum eigenen Nutzen ergriffenen Dinge, die zum Gegenstand von Zweifel und Bruch werden. In der Form der unmittelbaren Regeneration des Lebens ist das nicht selten. Wie bei den Beduinen, ist das verwandtschaftliche und freundschaftliche Solidaritätsgefühl, ´asabiyya, unter der gleichen Abstammungsgruppe zuvorderst das

64 | Verblüffend: im Arabischen sind es grün und rot auch: ahdar – ahmar. Während blau heraussticht: azraq. 65 | Vgl. Nibbi, Sea People, S. 36-37.

66 | Gascoigne, Archeological Survey; dies., Medieval City.

47 Lebenswelt im Wasser

Mittel der sozialen Regulierung nach außen. Doch fehlen hier die traditionalen Institutionen. Wenn es nicht gerade um die Sicherung der Fischgründe, der Viehherde, des Hauses und des besetzt gehaltenen Grund und Bodens überhaupt, oder um Arbeitshierarchie beim kollektiven Fischfang etc. geht, fehlen die traditionalen Kräftezentren der Stammes- oder der Dorfgesellschaft. Alles schwebt im Wirrwarr eines nur sehr lockeren sozialen Zusammenhangs in einem fast staats- und verwaltungslosen Gemeinschaftswesen. Die Heiligen und auch »Abû Waffa«, wie sie ihn nennen, hatten darin ihre Funktion. Es reicht hier noch ein Funken von Vorstellungen von Familientradition und -ehre im heute weitgehend ökonomisch bestimmte Leben der Menschen, während die soziale Stimmung insgesamt dadurch bestimmt wird, dass das Wasser und seine Landschaften zur wilden Ausbeute genutzt werden. Und doch auf den »ersten Blick« scheint das Wasser eine allgemeine Ruhe auszustrahlen, die sich auch im Verhalten der Menschen niederschlägt. Eine weichere, stillere, ruhigere, sanftere Lage vermittelt der See, und sicher weniger roh und feindlich ist das Tätigsein hier als in der Wüste. Der Einbruch von Sturm und Regen im Winter hebt – wie al-Bisâtî beschreibt – diese Ruhe schreckhaft auf, ist ein natürliches Moment der Gefahr, bleibt aber nur auf den Moment selbst beschränkt. Aber auch unter einem ganz anderen Aspekt ist das Wasser des Sees nicht einfach nur freundlich: Es handelt sich um Brackwasser (mehrfach verseucht), das salzig ist. Trinkwasser muss also besorgt werden. Während in den alten Zeiten die Städte ihr Wasserproblem mit einem ausgefeilten Zisternensystem wie z.B. dem von Tinnîs66 lösten, wird heute das Wasser in großen Zinkfässern angeliefert, die von den Wasserstellen in Matariyya hergebracht werden müssen. Mit von Schleppern gezogenen, eigens hierzu gebauten Lieferschiffen wird heute die Wasserversorgung am See sichergestellt. Das ist auch eine Komponente dieser Kommunikationsordnung. Al-Bisâtî machte aus diesem Wasser-Problem eigens eine Kontaktgeschichte. Wilde Männer vom See dringen regelmäßig in ein (südliches) Seeküsten-Dorf ein, um ihre auf Booten mitgebrachten Fässer mit Wasser zu füllen. Als sie einmal kein Wasser finden, bringen sie Unglück, Konflikt und Zerstörung ins Dorf. So hart die Arbeit sein mag, die Stimmung auf den gleitenden Booten ist von einer eigenen stillen Gestik getragen, als täte der ruhige Blick in den See hinaus den Menschen gut. In Momenten der Ruhe unter den Segeln oder im Schlepptau über die Kanäle an den spärlichen Siedlungen lassen sich die Fischer vorbeitreiben, grüßen sich, gehen hilfsbereit aufeinander ein. Es hat das religiöse Moment einer Andacht, wenn vorbeifahrende im Schlepptau hängende Schlangen von Segelboote mit vielen Männern, die Tage lang auf dem See arbeiteten, zurückkommen und im Sonnenuntergang auf den Decken ihr kollektives Gebet zum Sonnenuntergang vollziehen. Die Hände ruhig vor sich haltend, sieht man sie über dem See mit dem Rücken gegen

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die untergehende Sonne stehen. Vielleicht intensivere Formen des praktischen und des symbolischen Austausches unter ihnen verbergend, verraten aber auch die vielen fast lautlosen Elemente der Zeichensprache ein eigenes GehaltenSein in dieser Welt, in der man aufeinander angewiesen ist. Für den Fremden wird dies am deutlichsten daran, wie die auf den Hauptkanälen kreuzenden Schiffe, die »Launches« (Barkassen, lânsh-ât) von den z.T. weit drinnen im Schilf Wohnenden wahrgenommen werden. Wer etwa zu einer bestimmten Zeit von einem bestimmten Schiffer mitgenommen werden will, kommt zum Anlegen aus dem Schilf heraus, gerade rechtzeitig, dass er mitgenommen werden kann. Das Schiff verlangsamt die Fahrt, das Boot wird herangerudert, das Seil herübergeworfen, dann geht es weiter, man kann an Deck kommen oder in seinem Boot bleiben. So offen und lautlos geht auch das Kassieren vor sich. Kann er nicht mitgenommen werden, oder will man ihn nicht mitnehmen, so verlangsamt das »Launch« einfach seine Fahrt nicht, das Ruderboot dreht wieder in den Schilf ab. Die Lautlosigkeit verrät die Bestimmtheit und die Normalität des jeweiligen Verhaltens. Besonderes Wollen, besonderes Zeichen, besondere Aufmerksamkeit bedarf immer der Erklärung, sonst steht der Konflikt, der überlaute Fluch, ja das Verdammtwerden schnell als Sanktionsmechanismus an. Solcher Art ist die Abgeschlossenheit der Welt des Einzelnen im See, und wie sehr auch manche Verhaltensmuster derjenigen der ägyptischen Dörfler und Städter draußen gleichen, die relative Einsamkeit, der Mangel an »Nachbarn« (girân),die Überwindung von Wasser, Schilf und dem überall wuchernden Seerosengeflecht sind Bedingungen, die das Leben auf dem See so sehr von dem der ›Fellachen‹ in den Dörfern und Massenvierteln der Städte, und gar völlig von dem der Beduinen unterscheidet. In diesem Schwebezustand zwischen Himmel und Wasser werden die Notwendigkeiten zum Leben erobert. Kühe und Wasserbüffel, die im Schilf herumwildern, Boote, um sich im Wasser zu bewegen und zum Fischen und über das Schilf hinaus befestigte Hütten. Wer »reich« geworden ist, hat ein Motorschnellboot, die andern rudern und segeln oder lassen sich von den Fährschiffen schleppen. In den Häfen lauern Zoll und Polizei, deren Stationen noch aus der Zeit der Freihandelszone und des Krieges davor stammen. Und als der Fremde einmal dem Zolldirektor sagen musste wohin er will, glaubte ihm der Beamte, der einen Vollbart trug, erst gar nicht: Es gibt keine Heiligen im Islam und auch nicht im See, meinte er, worauf er eine ungebührliche Antwort bekam, die etwa so lautete: »Nur weil du einen ›Bart‹ trägst (den Bart der fundamentalistischen sunniyyîn, der Salafiten) verschwinden die Heiligen nicht.« Natürlich blitzten seine Augen auf, aber der Fremde trug selbst einen Bart, und die Frage der islamischen Heiligen ist natürlich keine Angelegenheit des Zolls.

– Reisende zwischen den beiden Städten. Dabei auch erstaunlich oft allein reisende Frauen der neuen ›islamischen‹ Mittelklasse. Manchmal, aber eher selten, finden sich darunter auch Frauen, die nach ›Saudi-Manier‹ tief verschleiert sind und dabei einen neuen Distinktionscode vertreten. Das sind öffentliche Auftritte soweit das geht, denn die Frauen sammeln sich meist in der Kabine. Die Kinder werden dem Mann überlassen, wenn er dabei ist. Sie werden mit Ruderbooten oder kleinen langsamen Motorbooten an das Schiff gebracht. Ist das Boot sehr voll, ist es eine unausgesprochene Regel, dass alle Frauen und Kleinkinder in die Kabine, ein Schiffsraum mit Bänken und Fenstern, gehen. – Reisende, die von irgendwo auf dem See mit dem Schnellboot angebracht werden, legen kurz an und die Leute werden dann an Bord gezogen. So füllt sich das Schiff oft erst langsam während der Fahrt. – Am Kanal anwohnende Fischer und Fellachen, die irgendeinen Verwandten, oft auch Frauen mit Kindern, zum Mitnehmen bringen, meist mit kleinen Ruderbooten. Das Schiff verlangsamt dann die Fahrt bis die Leute ein- oder ausgestiegen sind, anlegende Fischer lassen sich so vom See aus mitschleppen.

67 | Eine immer wieder genannte Zahl, es dürften heute aber mehr sein. Beamte in Matariyya sprechen von 40.000, eine Zahl, die sich unter Einbeziehung der Tagesfischer – wie gesagt wird – auf 85.000 erhöhen kann.

49 Lebenswelt im Wasser

3.4 Fische und Schiffe: Die Zahl der Fischer im Manzala-See wurde in den 1990er Jahren auf ca. 35.000 geschätzt67. Heute sprechen die Leute hier von 80.000, eine Zahl, die dann doch die Tausende mit einschließt, die täglich aus den Städten Matariyya, Damietta, Port Said herauskommen, sich zur Lohnarbeit auf den Schiffen verdingen oder zum Zwecke des Broterwerbs einfach sich als Einzelgänger zum Fischen auf den See begeben. Hier müssen wir ansetzen, weil es das Erste ist, was dem von außen Eindringenden begegnet: Die quasi industrielle Art, in der Tausende von jungen Männern täglich zum Fischfang im See antreten, hinausfahren oder gefahren werden und abends wieder, doch manchmal auch erst nach drei oder vier Tagen zurückkommen. ›Boots-Karawanen‹, lange Schlangen von manchmal mehr als 30 Fischerbooten hinter einem Schlepper, ziehen nachmittags zwischen den Gebetszeiten, ´Asr und Maghreb, den kanâ al-manzala, die Hauptverkehrsader zwischen Matariyya und Port Said, hinauf und hinunter. Es vollzieht sich auch eine Art Schichtwechsel. Die morgens früh rausgefahren waren, kommen abends zurück, die andern fahren in Richtung Port Said hinaus, wo der See noch große offene Flächen einnimmt. Auch sie lassen sich von den großen Dieselbooten schleppen, die nach einem mehr oder minder festen Fahrplan zwischen Port Said und Matariyya kreuzen. Die »Launches« stellen ein System eigener Ordnung dar:

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– Segelschiffe und Ruderboote der Fischer in unterschiedlicher Größe und entsprechend unterschiedlich großer Mannschaft, die sich abschleppen lassen von oder zum Fangplatz, wie oben beschrieben. – Manchmal legt ein Anwohner im See an das »Launch« an, nur um Zigaretten oder Tee zu kaufen oder Nachrichten zu hinterbringen. – Einzelfischer, die sich mit ihren Wasserkleidern, ihrer ärmlichen Ausrüstung und ein paar gefangenen Fischen, an Bord ziehen lassen. Es ist ein unvergessliches Bild, wenn in der Zeit des schleichenden Sonnenuntergangs etwa 20 Segelschiffe mit eingezogenem Segel hinter dem »Launch« hergezogen werden. Die Männer sitzen auf dem Deck um den Mast herum, in Runden zum Essen um die Töpfe herum oder einzeln beim Netzordnen oder Flicken, Teetrinken. Das Wasser hierzu holen sie vom »Launch«, das sie von einem Boot zum andern springend erreichen. Eine bunte viel gemischte Kleiderordnung, je nachdem ob sie zum Fischen ausfahren oder von dort zurückkommen, dann haben sie noch ihre Gummianzüge an oder entledigen sich gerade derselben oder überhaupt nasser Kleidung und benutzen die Taue als Wäscheleinen. Die Schiffe sehen dann wie fahrende Zelte aus. Auf der Hinfahrt sind sie alle noch in ihrer Alltagskleidung, was ein nicht weniger buntes Bild hergibt. Manche sehen wie schwarzbärtige Wikinger aus mit runden gestrickten Kopfmützen und schweren Jacken und Flanellhosen mit Bund, langen Haaren und Bärten. Andere laufen mit leichtem Foucault-Look über die Boote: schwarze Hose, leichter schwarzer Rollkragenpulli, kurze Haare, Moustache. Manche wiederum tragen gefütterte doch modische und wetterfeste Sportanzüge, als wären sie hier beim Training eines wichtigen Fußballclubs. Zum Gebet rücken sie auf dem Deck zusammen, manchmal gar in Viererreihen und -gruppen bis zu 12, 16, ja manchmal mehr als 20 Leuten auf einem Boot. Hier ist die Religion des ägyptischen Industriezeitalters und der Eindringlinge auf dem See anwesend. Die Seefischer machen das anders, zu Hause meist auch, hier sind ihre Boote zu klein und zu schwankend. Die Schicksale auf dem See sind unter dem Gesichtspunkt gerade der sozialen Herkunft und Lage außerordentlich vielfältig. Es gibt die im See ihr Glück und ihre Freiheit Suchenden. Es gibt die aus der Arbeit im See Fliehenden. Hier die Geschichte eines jungen Mannes, eines ehemaligen Fischers: Sie eröffnet sich an der "islamischen" Kleidung seiner Frau, einer tief verschleierten, aber doch sichtbar um sich blickenden, gerade auch vor den Augen des Fremden ungestraft körperlich bewusst auftretenden Frau,ihr Kleinkind und wie sie sich nach einem Einkauf in der Stadt auf der Barkasse verhalten. Nach mehreren Jahren als Fischer, hat er noch vor der Hochzeit eine kleine »Wirtschaft« für Fûl und Ta´amiyya68, wie sie überall zu finden sind, eröffnet. Er betont, dass sein resturan sauber sei und lädt mich ein zu

68 | Billigste Volksnahrung auf dicken Bohnen basierend.

69 | Oft aus Marmeladengläsern, mit einem aufgesetzten Kopf und Bambusröhre bestehend.

51 Lebenswelt im Wasser

kommen. Hat das Zukunft? Er hofft, nicht mehr zurück ins harte Leben im Wasser zu müssen und wirkt ganz zuversichtlich in Habitus und Kleidung, seiner Frau immer freundlich zugeneigt, ja sie solange wie möglich, bis also Gruppen junger Männer hinzutreten, auf offenem Deck belassend. Ein Lehrer an einem Technischen Institut in Kairo lässt sich in seinem relativ großen Boot nach Port Said schleppen, wo er mehr als 20 große Plastikbehälter im Hafen mit Wasser füllt. Es geht dann aber auch in die Stadt um Lebensmittel und das Nötige einzukaufen. Was soll ich in Kairo mit meinen 800 L.E. (ca. 100 Euro) Monatsgehalt machen, sagt er. Nein ich behalte irgendwie den Job, bin aber den ganzen Sommer hier, wir verkaufen und reparieren Generatoren auf dem See für die Leute, sagt er weiter, ja, ich wohne diese Zeit über hier, bin nur im Winter in Kairo. Wir haben ein paar Kühe und fischen auch. Es lässt sich leben und verdienen. Ich bin über einen Freund hier hergekommen. Nein, »Land« gibt es hier nicht mehr, alles ist verteilt unter den Großen (kubâr). Was sollen wir machen, wir müssen auch leben […] So geht es ganz schnell hin und her, von seinem angelegten Boot zum »Launch« auf dem Weg nach Port Said. Unter den Männern, die sich nachmittags auf den offenen See mit ihren Booten von Port Said nach Süden ziehen lassen, lassen sich auf je einem Boot aber meist Männer aus einer Familie ausmachen oder sie sind entfernt untereinander verwandt. Meist handelt es sich um Analphabeten: In einer Gruppe von fünf Männern zum Beispiel gibt es nur einen, der ein kleines Diplom mekaniki hat. Alle wollen nur eines, hier weg und sich Arbeit in den Golfstaaten, in Libyen oder in Europa suchen. Es ist nun ja nicht zu verschweigen, dass es auf diesen Schiffen eine regelrechte Haschisch-Kultur gibt, die gosa oder shîsha69 kreist zum Tee und Kaffee, so geht es dann auch in der Nacht auf dem Boot weiter. Nach dem Fischfang geht es am nächsten Morgen wieder zurück nach Matariyya. Es gibt Segelschiffe, die nur an einem Tag hinausfahren, die großen Schiffe mit den Gruppen angeheuerter Männer aber liegen meist 5 Tage auf dem See, von Samstags bis Donnerstags, andere fahren nur in Schichten von Samstags bis Dienstags, haben von Mittwochs bis Freitags frei, sind dann wieder drei Tage auf dem See. Abends werden die Schiffe an geschützten Stellen im Schilf vertaut und verankert, die Männer liegen längs neben einander auf dem Deck zum Schlafen.

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7 und 8 Auf dem Kanal

Lebenswelt im Wasser

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9 »Launches«: Begegnung auf dem Kanal

10 »Lebenswelt im Wasser«

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11 Einsames Ezabî: Qubba des Scheich Nûr vor dem Dorf draußen im See

12 Schilfernte im westlichen Teil des Sees

4. Abû al-Wafâ‘ 4.1 Ort und Sufismus: Der Schrein des Abû al-Wafâ‘ liegt an einer sehr abgelegenen Stelle der Insel Simiriyât mitten im Manzala-See. Auf der Fahrt mit dem Passagierboot (lânsh, nach dem englischen launch) zwischen Port Said und Matariyya kann man drinnen im See über weitem grünem Schilf eigentlich nur wenn man bewusst danach Ausschau hält, die Qubba des »Abû Waffa« – wie sie sagen – entdecken. Klein, aber dann doch sichtbar ragt sie in klar umrissener Form einer Zwiebel, hell-beige schimmernd, ins Blau des Himmels. Wenn man dann den flachen Seitenkanälen folgt – und es ist nicht einfach aus dem Gewirr der Öffnungen befahrbare Zugänge zu finden – kann man dann doch in dem flachen Wasser mit einem Schiff von der normalen Größe des »Launch« nicht ganz bis zum Schrein vordringen. Das Wasser ist bis auf den von der Verwaltung 1-2 Mal im Jahr ausgebaggerten großen Kanal der Route Port Said-Matariyya im Schnitt nicht tiefer als 1,5 m. Man muss also umsteigen und das letzte Stück mit dem Fischerboot, das mit der Bamboo-Stange geführt und getrieben wird, zurücklegen. Wenn man unangekündigt sich dem kleinen Maqam mit vorgebauter Moschee nähert, sieht man weiter drinnen im Schilf einzelne Fischer arbeiten, aber nichts regt sich. Kein Zeichen einer Siedlung von Menschen in der Nähe, sie liegt im Schilf versteckt, nur das Bellen der Hunde ist vernehmbar. Es bedurfte lauten Rufens und Hupens, bis schließlich, als wir 2005 zum ersten Mal dort ankamen, aus der Enge eines vom Schilf verdeckten Seitenkanals ein Fischerboot kam. Es war Muhammad, der uns auch später, über die insgesamt acht Tage, die wir hierher anlagerten, als der immer freundliche Helfer und Berater begleitete. Er hieß uns willkommen, hieß den Anlass unseres Kommens gut, wir stiegen auf sein Boot um, er schloss das Maqam auf, gab einem jungen Begleiter Anweisungen zum Kehren, öffnete die Fenster und verschwand. Nacheinander traten andere junge Männer in die Moschee, begrüßten uns, blieben ein wenig und verschwanden wieder. Nach einiger Zeit kam Muhammad, mit einem weiteren Jungen einen älteren Mann stützend, wieder herein. Er wurde uns als al-Sâdât as-Sihrî vorgestellt, der das alles gebaut habe. So ähnlich liefen auch zunächst die weiteren Begegnungen am Maqam ab, Sitzungen und Gespräche bei Tee. Beim zweiten Mal kam der Bruder ´Abd al-Galîl as-Sihrî dazu: Erzählung, Grußesformeln, Intensivierung des Kontakts. Beim dritten Mal führte uns ´Abd a-Galîl zu den Maqams am Südufer. Beim vierten Mal kam mir ins Bewusstsein, dass ich bei der Anfahrt weiter rechts im Schilf einen Baum gesehen hatte und dass das Thema Baum ja auch zum Thema des Heiligen gehörte. Sâdât stimmte schließlich zu, dass wir über verzwickte Geh- und Bootswege hinüber durften, den Baum zu fotografieren. Erst über diesen Umweg wurden wir in der Siedlung aufgenommen. Jetzt gerieten auch die Lebensbedingungen der an dieser Stelle im Schilf hausenden Mitglieder der Sihrîs in den Blick. Die späteren Male – nachdem wir die inzwischen am Maqam vorge-

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nommenen Renovierungen in Augenschein genommen hatten – fuhren wir gleich ins Schilf hinein. Die Hunde waren kaum zu beruhigen, aber sie waren es, die Muhammad schnell auf den Plan brachten. Er brachte uns zu seiner Schilfhütte, dann zum Haus des Sâdât, wo wir immer wieder altes Wissen auffrischten, Neues erfuhren, wo uns ein Sinn für dieses Leben an diesem Ort demonstriert wurde. Nach der am Darîh angebrachten Schildtafel wurde das Maqam im Jahr 1966 errichtet. Sie lautet: Bismi-lallâh al-rahmân al-rahîm Illâ ‘in ‘awliyâ‘ allâh lâ khawf ´alayhim wa lâ hum yahzibûn al-‘anwâr al-muhammadiyya masjid al-´ârif bi-llâh al-shaykh Abû al-Wafâ‘ bunâ sanna mawâfiq 1376 H., 1966 M. fî ´umad al-sayyid al-ra‘îs Gamâl ´Abd al-Nâsir wa sijil bil-mashaykha al-´âma lil-turuq al-sûfiyya fî 3 Jamâdî al-awwal sanna 1407 mawâfiq 3/1/1987 M. bi-jalsa ruqm 11/76/6/20 wa-llah wa-lî al-tawfîq salamât al-Sâdât70 Mögen andere über die semantischen und sprachlichen Widersprüche bei der Benutzung von Koranzitaten und Anspielungen an die weltliche Macht sowie den Hinweisen auf die christliche Zeitrechnung rätseln. Mir scheint an dieser Stelle das Folgende evident: Erstens wird auf ein berühmtes, uns heute fast an allen Maqams begegnendes Koranzitat angespielt, ohne es wirklich im »Text« wiederzugeben. Es gilt hier Zweifel über die Tradition der Heiligenverehrung abzuwehren. Man solle sich nicht vor den awliyâ‘, den ›Heiligen‹ fürchten, im Gegenteil: sie beförderten die muhammadanischen Erleuchtungen (al-anwâr al-muhammadiyya). Zweitens bleibt die Schrift grammatikalisch auf der Ebene des nicht immer gelungenen Versuchs, »Volksarabisch« zu überwinden. Drittens gibt es Unklarheiten hinsichtlich der in den Erzählungen der beiden Protagonisten Sâdât und ´Abd al-Galîl gelieferten Zeitangaben. Die zeitliche Fixierung des Baus selbst gerät hier manchmal in die 1960er, manchmal in die 1970er Jahre, je nachdem in

70 | »Bismallah-Formel. Es kann gegenüber den Awliyâ‘ (den Vertretern Gottes/den Heiligen) keine Furcht geben, denn sie verurteilen nicht (mindern nicht) die muhammadanische Offenbarung (Erleuchtungen) – Dies ist die Moschee des Gotteskenners Scheich Abû al-Wafâ‘ gebaut im Jahr 1376 H. entsprechend 1966 n. Chr. in der Regierungszeit des Herrn Präsidenten Gamal Abdel Nasser und (eingetragen) im Register der Generalverwaltung der Sufi-Orden am 3. Jamâd I des Jahres 1407 H. entsprechend 3.1.1987 n. Chr. in der Spalte der Nummer 11/76//6/20. (Und bei Gott darauf [auf mich] ist Verlass. Grüsse von al-Sâdât).« Letzterer also unser Sâdât al-Sihrî.

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welchem Kontext die Aussage stand. Angesprochen wurden: der Sechstagekrieg (1967), die Infitah-Zeit nach dem Oktoberkrieg und dem anschließenden Frieden von 1977, die Boom-Zeit der Freihandelszone von Port Said in den frühen 1980er Jahren. Es wird der Bau des Maqams auf 1966 festgesetzt und die offizielle Registrierung in Kairo auf das Jahr 1987. Symbolisch wird auf einer zweiten Tafel über den ›Särgen‹ angedeutet, dass hier auch noch der al-Gharîb und der Abû Manadîl liegen, das ist natürlich von der offiziellen Seite nicht registriert. Immer blieb auch unklar, wie sich dieses Maqam zu einem anderen verhält, das wie sie berichteten, unter dem Namen des gleichen Heiligen am nördlichen Ufer des Sees bei Manasra liegt und das wir später auch mehrere Male besuchten. Da es sich um einen in den Kairoer Büchern registrierten offiziellen Schrein handelt, ist hier auch der Versuch unternommen worden, die Geschichte des Heiligen Abû al-Wafâ‘ wenigstens ansatzweise in der Sufi-Literatur zu verfolgen. Es lassen sich einige hagiographische Hinweise finden, sie stehen aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu Ort und Region. Wie schon in den ersten beiden Bänden dargelegt, ist die Entstehungsgeschichte des einzelnen Heiligen ein sehr komplexes Gebiet, nicht nur weil es offenbar eine konstante und eine ständig – bis ins Unsichtbarwerden – wechselnde Rangfolge unter den islamischen Heiligen gibt, sondern auch, weil die Formen der Zuordnung des Heiligen zur Person selbst und ihrer geschichtlichen Erscheinung eine große Vielfalt historischer, psychologischer, physischer und theologischer aber auch politischer Komponenten mit einschließt. Wie wir gesehen haben, kommt unter dem Gesichtspunkt des Kulturkontakts noch eine weitere Komponente hinzu, die des »zweiten Blicks«. Er leitet die Reaktion der Lokalen auf die Beobachtung durch den kulturell Anderen ein: Man beginnt mit der Renovierung des Maqams, nachdem ihm von Außen Bedeutung beigemessen wurde. Um aus dieser Komplexität der mir so oft – auch unter Besuchern im Feld – gestellten Frage »Wie entsteht ein islamischer Heiliger?« herauszuspringen, erlaube ich mir, sie auf die konkreten Momente der Erzählungen vor Ort zu reduzieren. Es lassen sich aus diesen Erzählungen eigentlich nur zwei manifeste Formungsmomente eines Lokalheiligen unterscheiden. Erstens, ein aus den verschiedensten charismatischen Gründen – durchaus nicht nur religiöser, sondern physisch-psychischer oder einfach auch nur genealogischer Art – verehrter Mann (seltener auch eine Frau), wird an einem beliebigen Ort begraben, häufig ein am Tell angesiedelter dörflicher Friedhof, oft aber auch auf einem Stück Familiengrund im Feld oder am Dorfrand. Seinem rechteckig oder quadratisch gemauerten Grab wird eine Qubba aufgesetzt, der sein Name verliehen wird, wie z.B. Scheich ´Abdallah etc. Im Verlauf der Pflege und Verehrung dieser Qubba, zunächst vielleicht nur von Familienmitgliedern und näheren Verwandten durch

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Andachts-Riten und Feste,71 gewinnt der Schrein im Glauben der Leute eine besondere Kraft. Die am Grab ausgesprochenen Wünsche gingen in Erfüllung, und der gegebene Schwur (nizr, pl. nuzûr) ist mit Devotionalien einzulösen. Die Vielzahl der Devotionalien am Schrein zeigt die Wunderkräfte des Scheichs an (karamât). Im Verlaufe von Generationen verliert sich das Wissen um die persönlichen und familiären Hintergründe des Scheichs. Wenn sich auch einige Volkslegenden und -geschichten erhalten, so verschwindet die Person jedoch immer mehr hinter der Qubba, und diese kann so sehr an Kraft gewinnen, dass sie mit den großen Grabmalen der religiös anerkannten Heiligen (historische religiöse Virtuosi der Sufi-Bewegung, Gelehrte, Helden oder Märtyrer der islamischen Eroberung) in Konkurrenz zu treten drohen. Um diesem, gewissermaßen nur aus der Kraft der Volksverehrung vollzogenen Aufstieg eines Volksheiligen – sei es, dass er überhaupt einer gewissen orthodoxen Lizenz bedarf, sei es dass damit der niedere Hintergrund zu verwischen ist – Grenzen zu setzen, wird dem Heiligen in einer bestimmten Phase seiner Entwicklung, ein ehrbarer, religiös und orthodox abgesegneter Name verliehen. Im Falle des ´Abdallah b. Salam, wie wir gesehen haben,72 scheint dieser Name mit Bedacht gewählt. Er nimmt einen Prophetengenossen auf, der nie in Ägypten war, dessen Prophetengeschichten und Legenden aber schon seit der Frühzeit des Islam, durch ihre symbolischen und figurativen Bezüge zur pharaonischen Magie im ägyptischen Volksglauben eine große Rolle spielten. Zweitens spielt bei fast allen Entstehungsgeschichten der Traum eines lokalen Siedlers vor Ort eine Rolle, dem darin verhießen wurde, ein bekannter, etablierter Heiliger sei ihm im Traum erschienen, der selbst an den Ort kommen werde und dass der Mann ihm eine Qubba bauen solle. Das ist im Falle ´Abdallah b. Salam nach den Erzählungen des Mudîr Sayyid ´Agami ´Arafa auch eine Entstehungsgeschichte, die unter den Lokalen entsprechend kolportiert wird.

71 | Gängigste Formen sind die ziyâra und die mawlid. 72 | Vgl. Stauth, ´Abdallah, S. 27-33, 81-82. Man nehme ergänzend den Bericht von Sayyid ´Agami ´Arafa, Direktor der islamischen Denkmälerverwaltung in Matariyya (v. 9.11.2008) zur Kenntnis, der von der Legende eines Sufi-Scheichs ´Abdallah al-Tinnîsî berichtet, der sich am Tell Tuna (auch Tell ´Abdallah b. Salam genannt) niedergelassen habe, hier gestorben sei, und dem dann zunächst eine kleine Qubba gebaut worden sei. Später unter den Ottomanen, die sich ja dem Reinigen der Volkspraktiken verschrieben hatten (nasharû ´ala khurafât), sei dann der jetzige wunderbare Kuppelbau, nach ´Abdallah b. Salam benannt, entstanden. Dies scheint mir eine durchaus realistische Geschichte, obwohl Tinnîs in der islamischen Zeit eigentlich kaum noch eine Existenz hatte. Man müsste von der späten Mameluckenzeit ausgehen. Immerhin scheint es noch im 15. und 16. Jahrhundert islamische Niederlassungen in Tinnîs gegeben zu haben. Vgl. Gascoigne, Medieval City, S. 27. Aber auch Mudîr Sayyed ´Agamî kennt die zweite Version über die Entstehungsgeschichte: den Traum (al-ru´ya).

73 | Vgl. Mittermaier, Dreams, S. 53-56. 74 | Diese Form der beschreibenden Erklärung widerspricht der von Mittermaier sehr überzeugend dargelegten These von der Realität des Traums, der unmittelbaren Verbindung von Traum und Realität, der inneren Bewegungen des Traumes, die er bei seinen Empfängern hervorruft. Dies ernst nehmend, ist es für sie der Traum, der in vielen Fällen zum eigentlich Bau der Grabstätten der Heiligen führt, ja Teil der Heiligenverehrung selbst ist, ein Mittel der räumlich wirksamen Realitätsbewältigung: Teil der modernen ägyptischen Raumwelten. Dieser anti-funktionalistischen Analyse wäre im Prinzip nichts hinzuzufügen, würde nicht Mittermaier selbst schon die Topologisierung des Traums in der islamischen Heiligenverehrung typisierend beschreiben. Wenn also die »Topoi« gesetzt sind, warum soll man sich nicht ihrer bedienen. Von Mittermaiers eigener Typisierung der Bedeutung des Traums, in der, wie sie meint, »modernen« Realität der Heiligenverehrung und seiner imaginären Welt des offenen Raums, wäre also doch ein Schritt weiter zu gehen und zu sehen, wie topologische Akzeptanz des Traums als Bewältigung der realen Welt funktionieren. Der zitierte Sheikh des Higher Council of Sufi Affairs widerspricht dem ja doch ganz offensichtlich (Mittermaier, op.cit., S. 56), weil für ihn der Funktionalismus zur Lüge wird, die selbst zum Moment einer instrumentellen Aneignung eines Schreins führen kann. Dass die innere Bewegtheit der sich ereignenden Welt zu RaumTräumen führt, ist dabei eine unbenommene Tatsache, und dass der Empfänger des Traums für sich selbst die innere Bewegung zu einem Absolutum der zu verwirklichenden Tat (also etwa Bau eines Schreins) macht ebenso. Ist die Tat getan, dann steht der Traum als der eigentliche Grund ihrer Verwirklichung im Vordergrund der ganzen Bewegungsgeschichte, der Akteur verschwindet. Und der Bau, in seiner Faktizität angenommen und mit allen Topoi des Heiligen belegt, reißt auch diejenigen mit, die die Traumgeschichte – zum wiederholten Male und unter Umständen in variierenden Darstellungen – zu hören bekommen. In Wirklichkeit ist aber der Bau auch für sie nicht weniger funktional, wenn er einmal seinen Platz in der Alltagswelt gefunden hat. So also schließt der Traum, und auch der innere Glaube an ihn, gerade wenn die »Topoi« gesetzt sind, Funktionalität keineswegs aus. Dies ist Realtät im »modernen« Ägypten und auch im Falle des Abû al-Wafâ‘ keineswegs auszuschließen. Eine interessante Auflistung der »Topoi« im funktionalen Kontext des Dorflebens zwischen Tradition und Moderne liefert Ahmad Zayed, Saints (awliyâ‘).

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Der Traum, al-ru‘ya,73 ist im Falle des zentralen Ortes, von dem aus diese Studie ihren Anfang nahm, das Maqam des Abû al-Wafâ‘ in der Mitte des Manzala-Sees, die manifest überlieferte Form seiner Entstehung.74 Der Traum gibt meist eine dramatische Wendung im Leben des Erzählers wieder, an deren Wahrhaftigkeit als Lebenserfahrung kaum Zweifel berechtigt sind. Andererseits gibt es keine Gebildeten, auch nicht im lokalen sufitischen Kontext, die die Faktizität der Traumgeschichte offen bestätigen, ohne nicht indirekt Zweifel anzumelden, entweder durch Berichtigungen der Fakten unter Hinweis auf Widersprüche gegenüber früheren Erzählungen oder durch Kolportagen über die Unglaubwürdigkeit der Person. Bei der Erzählung selbst werden nie Einwände gemacht. Grundsätzlich bezweifelt auch niemand die Möglichkeit der karamât, der Wunder eines Heiligen, aber im

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konkreten Fall werden immer wieder Zweifel wach, und Dispute darüber sind häufig. Ist man nicht vor Ort, können solche Dispute ganz heftig werden, insbesondere, wenn Militante oder Orthodoxe mit solchen Erzählungen konfrontiert werden. Ich habe das oft genug bei Gesprächen in Matariyya, in Cafés, Büros und auch bei Einladungen zu Hause immer wieder erlebt. Es gibt also auch hier einen ersten Blick, die Präsenz des Erzählers und das Ereignis seiner Erzählung, und einen zweiten Blick, der Blick über die Schulter, in die Welt, in der der Erzähler lebt, und die lange Zeit der Beobachtung. So bleibt uns die Frage, wer war Abû al-Wafâ‘ nach der ägyptischen Sufi-Tradition? Wie schon in den bereits vorgelegten Studien dient Hagiographie hier nicht einem »islamologischen« oder historischen Selbstzweck. Es geht hier eher um ein Abtasten der Literaturlage in der Hoffnung, Hinweise auf Konstruktionsmotive des Heiligen am Ort zu finden. In diesem Fall, mehr noch als in jenen Hintergründen, die wir im Falle des ´Abdallah b. Salam zu durchforsten hatten, stellt sich der hagiographische Konstruktionszusammenhang als noch viel schwieriger dar. Es gibt kaum einen direkten Bezug zu Ort oder Landschaft, wenn auch der Name in der jüngeren Geschichte der Ahmadiyya-Shadhiliyya Tariqas in und um Port Said eine Rolle spielt.75 Die berühmteste historische Figur unter dem Namen Abû al-Wafâ‘ ist der Mathematiker und Astronom des Mittelalters Muhammad Abû al-Wafâ‘ al-Buzjani, also aus Busjan in der persischen Provinz Khorasan, geboren 940, gestorben 998 in Bagdad. Zu dieser Zeit existierten die großen Sufi-Orden des Islam noch nicht. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass er in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ägyptischen Heiligen dieses Namens zu stellen ist.76 Wir können uns der Frage aber auch von einer Linie des ägyptischen Sufismus her nähern, indem wir versuchen aus dem zunächst nicht eindeutig zu klärenden Zusammenhang von Abû’l-Hasan al-Shâdhilî (st. 686/1287) und Abû al-Wafâ‘ weiterzusuchen, ein Zusammenhang, den auch die Reihung der Schreine im Westen von Port Said nahe legt.77 Es handelt sich historisch um Männer, die in der Gründungsgeschichte des in Ägypten so wichtigen Shâdhiliyya-Ordens eine Rolle spielen. Der ägyptische Zweig des

75 | Vgl. al-Wazîr, unten S. 73-77. 76 | Dies schließt aber nicht aus, dass die unter dem Namen des Abû al-Wafâ‘ figurierenden Heiligen nicht doch in irgendeiner Weise sich auf diesen berühmten Mann bezogen haben, der auf die Künste und Wissenschaften aber auch auf des Handwerk in der arabischen Welt nach dem 10. Jahrhundert einen beispielhaften Einfluß genommen hatte. Vgl: http://www-histo ry.mes.st-andrews.ac.uk/history/Biographies/Abû’l-Wafâ.html. 77 | Auf diese Fährte wurden wir auf dem Weg von Port Said nach Damietta auf der Nährung am Manzala-Seeufer entlang gesetzt. Dabei wurde uns gesagt, dass der erste »Abû Waffa« auf dem Weg nach Westen auf dem großen Friedhof von Port Said liege, hier aber noch den Namen Abû’l-Hasan trage. Vgl. a. unten S. 73-77.

78 | Vgl. Trimingham, Sufi Orders, S. 45-50. 79 | Vgl. Trimingham, ibid., S. 49f. Fn 6. 80 | Trimingham, ibid., S. 70. 81 | Ibid., S. 49. 82 | Ibid., S. 281. 83 | Schimmel, Sufismus, S. 285. Vgl. a. GAL II, S. 285.

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Ordens entwickelte sich aus den alexandrinischen Zirkeln um die Sufi-Heiligen Abû’l-Fath al-Wâsitî (st. 1234 in Alexandria) und Abû’l-´Abbâs Ahmad al-Mursî (st. 1287), beide waren die ersten Schüler des Abû l´Hasan. Der Zweig entwickelte sich über Muhammad Wafâ‘ (st. 1358) und dessen Sohn ´Ali b. Muh. Wafâ‘ (st. 1404) zu dem noch heute in Ägypten lebendigen Wafâ‘iyya-Orden.78 Ohne Zweifel aber unterscheidet sich der Name Abû al-Wafâ‘ von dem des Muhammad Wafâ‘. Es gibt lange davor in der Heiligengeschichte aus der Gründerzeit der Sufi-Orden durchaus einen Abû alWafâ‘, auf den sich auch der Alexandriner al-Wâsitî bezieht: Es ist dies jener Abû al Wafâ‘, der ursprünglich Kâkish genannt wurde und von 417/1026 bis 501/1107 lebte. Er ging in die Heiligengeschichte wegen seiner hohen Kunst der Ekstase als Tâj al-´Ârifîn ein, der unter den Gründerfiguren wie al-Wâsitî and al-Jilânî, berühmt war. Auch in der Mameluckenzeit war er durch den Eintrag in Shar´ânîs weitverbreitete Heiligengeschichte bekannt.79 Für den ägyptischen Zusammenhang ist die Berufung auf Begründer der Shâdhiliyya natürlich wichtig. Es handelt sich hier um einen der Fälle, die in der Geschichte des Sufismus so häufig auftreten und die ganz auf die durch Schrifthinweise aufgeladene gelebte Praxis des Volks-Sufismus hinweist: Namen der hohen offiziellen Linien mit Namen von »Volkshelden« und Heiligen werden miteinander vermischt, wie hier im Fall dieser für seine Bekehrung vom Wegelagerer zum Sufi bekannten Figur. Wie jener Abû al-Wafâ‘, ein Kurde und außerhalb der Heiligengeschichte ohne Bezug zu Ägypten80, hat auch ´Abû’l-Hasan nie direkt Sufis als Gefolgsleute gewonnen oder einen eigenen Orden begründet, er galt als shaykh sâ‘ikh, als vagabundierender Asket.81 Erst in der Begründung durch ´Abdallah Talha ash-Shunbukî, der 933/1526 eine zawiya in Kairo gründete (Shunbukiyya-Wafâ‘iyya), stellt sich der Zusammenhang zu Ägypten her.82 Näher kommen wir der Shâdhiliyya-Tradition – wenn auch von einer anderen Seite – durch einen älteren Abû as-Sayyidat Abû al-Wafâ‘ (St. 857/ 1453), von dem die Heiligengeschichte der Mameluckenzeit erzählt, dass er durch wundervolle Litaneien berühmt war.83 Goldziher führt den Gründungszusammenhang der Shâdhiliyya auf eine in der »muhammedanischen Hierarchie Ägyptens hochstehende Familie« zurück, die den Namen Sâdât wafâ‘iyya trug. Der Name Wafâ‘ also, des berühmtesten Heiligen dieser Familie Sayyidî Muhammad Wafâ‘ (8.Jh) komme daher, »weil der Nil, als er einmal zur Überschwemmungszeit die gewünschte Höhe nicht erreichen wollte, und

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dadurch die Bewohner Ägyptens in Bangen und Schrecken versetzte, auf sein Geheiß auf einmal 17 Fuß stieg (wafâ‘ -steigen).«84 Von Abû’l-Fath al-Wâsitî (st. 1234 in Alexandria.) wissen wir, dass der Rifâ´iyya-Orden durch seine Vermittlung in Ägypten Fuß gefasst haben soll.85 Abû’l-Fath war der khalîfa (also Stellvertreter und als Nachfolger ausgewählter Schüler) von Ahmad ar-Rifâ´î. Danach war er auch murshid (Schüler) von ash-Shâdhilî und von 620 H. an der Repräsentant des Rifâ´î-Ordens in Ägypten. Nach dem Tod von Abû’l Fath nahm Ahmad Sayyid al-Badawî (st. 675/1276, Tanta) seinen Platz ein.86 Dieser war zugleich auch von 618 H. an der Scheich von Abû’l-Hasan ash-Shâdhilî (st. 1258).87 Abû’l-Hasan war besessen von der Suche nach dem Qutb (Pivot)88 des Universums. Er war auch ein Meister der Inspiration und verfügte über ein für seine Schüler überzeugendes intellektuelles System. Davor war er aber ein vagabundierender Asket (shaykh sâ‘ih). Geboren in einem Dorf in Marokko (593/1196), zog er nach Osten und setzte sich in Ifrîqiyya (Tunesien) in einem Dorf Shâdhila zurück, daher seine nisba, der die Herkunft bezeichnende Nachname. Der Shâdhiliyya-Orden wurde aber erst von einem seinem Schüler, Abû’l-´Abbâs Ahmad al-Mursî (616/1219-686/1287), mit seinem Zirkel in Alexandria gegründet.89

84 | Goldziher, Neue Materialien, S. 72. 85 | Triminham, op.cit., S. 39. 86 | Trimingham, ibid., S. 45. 87 | Trimingham, ibid., S. 48. 88 | Wir wissen noch nicht genau, woher Jaspers den Begriff der »Achse« und der »Achsenzeit« übernommen hat. Arnason, The Axial Age, stellt einige Überlegungen in dieser Hinsicht an. Dass dieser Begriff im islamischen Sufismus schon seit dem ausgehenden Mittelalter eine so überragende Rolle spielt, konnte dabei nicht bemerkt werden und er war auch sicher nicht eine der Quellen von Jaspers. Qutb hat natürlich auch eine weit umfassende Bedeutung, wie Trimingham bemerkt, und eben nicht nur akademischer Art. Dieser Begriff ist nicht nur auf die Stellung des Sufi-Heiligen (auf dem die Folgenden lasten) in der Linie der ›Leute der Achse‹ (des Universums) bezogen, sondern spielt auch eine Rolle in der Gnosis, der ägyptischen allzumal. Er beschreibt die Verbindung einzelner Menschen mit dem Logos. So ist natürlich auch schon ein einfacher Scheich für den dem Sufismus sich nähernden Schüler ein Symbol des Qutb, der Axis überhaupt. Vgl. Trimingham, Sufi Orders, S. 163-165. Nur in diesem Kontext sind natürlich auch die verschiedenen Formen zu erklären, unter denen bei den kleinsten Leuten »Heilige« im symbolischen Feld des Qutb aufgebaut werden. Unzweifelhaft zeigt sich auch hierin die überaus große Weltverbundenheit der Konstitution des Heiligen, unter Bedingungen der Armut und des »nackten Lebens« vielleicht mehr als in den gelehrten Sufi-Zirkeln der zawiyas und khanaqas, wo jede Form des sich Abhebens schon zum Gegenstand der Qutb-Suche und der Verhandlung der Rangstellung in der Ordensgruppe (tâ´ifa) gemacht wird. 89 | Trimingham, S. 48-49.

Ahmad ar-Rifâ´î (st. 1182) Abû’l-Fath al-Wâsitî (st. 1234) Abû’l-Hasan al-Shâdhilî (st. 1258) Abû’l-´Abbâs Ahmad al-Mursî (st. 1287) Muhammad Wafâ‘ (st. 1358) ´Ali b. Muh. Wafâ‘ (st. 1404) Hier also, in dieser Kette (silsila), gibt es einen eigentlichen Abû al-Wafâ‘ nicht. Es gibt ihn nur, wenn wir eine zweite, eine moderne Silsila unterstellen, die gewissermaßen in unterschiedlicher Gewichtung die beiden dem Muhammad Wafâ‘ vorangehenden Autoritäten als willkürlich einzusetzende »Väter« (abû) verorten. Nur so könnten sowohl Abû’l-´Abbâs, als auch Abû’l-Hasan, als für Abû al-Wafâ‘ einzusetzende ›Größen‹ gedacht werden. Dies scheint, wie ich weiter unten anzeigen werde, naheliegend, weil offenbar im »modernen« Kontext der Realisierung dieses Heiligen »Abû’l-Hasan« auch für Abû al-Wafâ‘ einzustehen scheint, so wie eben auch im umgekehrten Fall letzterer für ersteren einstehen kann. Weder aber will der GroßScheich von Port Said, al-Wazîr, in aller Klarheit sagen, was diese Fährte, auf die er mich gesetzt hat, bedeutet, noch ist demjenigen, der ganz praktisch in die Konstruktion dieses Heiligen am Ort verwickelt ist, Sâdât al-Sihrî, überhaupt ein Begriff geläufig, der seinen »Abû Waffa« in einen historischen Kontext der Sufi-Tradition eingliedern könnte.

90 | Ibid. S. 89. 91 | Vgl. Hierzu McPerson, Moulids. S. auch Schielke, Snacks.

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Man muss bei aller späterer Entwicklung von einem großen Einfluss der Regierung bei der Unterweisung und Akzeptanz zumindest der großen anerkannten Orden ausgehen,90 und das gilt, wie weiter unten noch im Fall des al-Wazîr beschrieben wird, auch noch heute auf einer viel direkteren Ebene. Die einfachen Ordensmeister waren immer auch kleine Machzentren und gehörten zu den kleinen strategischen Eliten der ländlichen Gesellschaft und der Vermittlung der staatlichen »Volks-Verwaltung«, die auch in den Städten Fuß fassten. Nicht nur, dass sie die formale Anerkennung und Registrierung der Maqame unter der »Majlis al-´alâ al-turuq al-sûfiyya« in Kairo betreiben oder auch unterlassen können, sondern auch weil sie in die Gouverneurs-Verwaltungen, in die Polizei und in die Armee (obwohl bei letzterer mit weit geringerer Wirksamkeit) hineingewachsen sind.91 Wie oben bereits deutlich geworden ist, sind die Verbindungen zwischen den Orden der Shâdhiliyya und der Rifâ´iyya sehr eng, kulminieren sie doch in einer der großen Säulen des ganzen ägyptischen Sufismus: Sayyid Ahmad al-Badawî von Tanta. Abu’l-Hasan ist ihm in dieser Verknüpfung vorangegangen. Es ergibt sich die folgende Linie in der Rifâ´iyya-Shâdhiliyya Verbindung:

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4.2 Ort und Traum: Kehren wir zurück an den Ort im See. Dort ist Abû al-Wafâ‘, so hören wir von dem, der den Kuppelbau, die Qubba, errichtet hat, Sâdât as-Sihrî, der Heilige im See, durch einen Traum hierher gekommen. »Abû Waffa« habe ihm im Traum befohlen, das Maqam zu errichten. Der die Geschichte erzählt, spricht nur von sich und »Abû Waffa«, von seinem Traum, von der Kuppel und vom Platz, auf dem sie steht. Aber wer ist »Abû Waffa«? Davon weiß er nichts, oder er will, was er weiß, nicht einbringen. Und so bleibt für mich zunächst natürlich immer diese große Frage: Muss Sâdât nicht irgendwie von dem Namen gewusst haben und eine Vorstellung von dem gehabt haben, was er bedeutet, bevor er im Traum zu ihm kommen konnte? Was ein Fisch, samak, ein Pelikan, baga´a, ein Hund, kalb, eine Ente, batt, im Leben dieser Menschen ist, die nur scheinbar völlig vereinsamt auf einem schmalen Landflecken in diesem riesengroßen See in lehmverkrusteten Schilfhütten unter Plastikplanendächern leben, können wir nur schwer erschließen. Schon Herodot hat das seltsame Zusammenleben von Tier und Mensch unter den »Ägyptern« beklagt. Nur scheinbar also sind die Menschen einsam, sie halten aber immer auch intensiven Kontakt in die Welt nach draußen. Um das Bild der Einheit von Welt und Mensch auch in diesem konkreten Zusammenhang aufzugreifen, wäre das Leben im See nicht so hart, könnte man durchaus geneigt sein, sie alle, die dort leben, als Heilige zu betrachten, die so nah an der Natur, am Wasser sind und täglich, wie ein Stück Kunst, Leben aus dem schöpfen, was sie haben und was sie nutzen können. Entsprechend »offen« erschaffen und gestalten sie auch die Dinge in der sie umgebenden Natur. Sie müssen mit Fischen und Vögeln, mit Schilf und Wassern reden, mit Wellen und bleichen Wolken, wenn sie sich im weiten Blau des ägyptischen Himmels zeigen. Sie müssen sich Trinkwasser, Öl, Zucker und vieles Andere des alltäglichen Gebrauchs aus Matariyya oder aus Rawada beschaffen, oder gar aus Port Said. Am Ort selbst aber erinnert an das Heilige nur die Kuppel des »Abû Waffa«, wie sie ihn nennen, von dem sie nicht einmal wissen, ob es ihn je gab und wer er gewesen sein könnte. Aber seine Kuppel ist da, zunächst, im Oktober 2005, über einen verlassenen und verstaubten Grabesraum gestülpt, neben einer völlig heruntergekommenen Moschee, die in ihrem Innern wohl selten oder doch schon lange kaum einen Menschen gesehen haben kann. Als wir ihn zum ersten Mal besuchen, strahlte alles, die Einsamkeit und Abgeschlossenheit dieses Baus in einer uns undurchdringlich scheinenden Wildnis, die Aura einer eigenartigen Fremdheit aus. Das Leben hier draußen – so könnte man diesen Eindruck fassen – birgt schon in sich eine gewisse herausgehobene Gottesnähe. Und während die von überall sichtbare Qubba, die diese Gottesnähe noch einmal mehr und klar vermitteln soll, so sind die Häuser, ob aus Stein oder aus Schilf, für die von außen kommenden Seefahrer nicht zu sehen, sie überragen den Schilf nicht, der überall an den kleinen, engen Kanälen wächst, die zu ihnen führen. Wenn man aus dem Blickwinkel der naiven Naturver-

92 | Man muss vermerken, dass die alten Karten aus der Zeit der ersten wirklichen modernen geographischen Vermessung ganz Ägyptens, den ersten Jahren nach der Revolution Abdel Nassers, der sogenannten Misâha, noch jedes kleine Heiligengrab einen Eintrag fand. 93 | Sein Heiligengrab steht am Seeufer zum Mittelmeer, nicht weit von dem des »Abû Waffa« entfernt, der noch heute in Fischteichen, zwischen Gabara und Manasra, ca. 15 km vor Port Said liegt.

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söhnung, die ersten Sätze Sâdâts, des Familienoberhaupts, hört, merkt man, dass ihm dieser Eindruck der Fremden durchaus geläufig ist. Er bemüht sich, das Leben hier im Gegensatz zu der Welt draußen, auf die Rolle des Heiligen zurückzuführen, und so scheint sich in der Tat im Verborgenen dieser Seewelt eine Einheit herzustellen, die Himmel und Erde versöhnt, beide Seiten, die Tages- und die Nachtschönheit einschließt, und die Nähe der Großstadt Port Said, die man nur mit Mühe erspüren kann, vergessen lässt. Am Rande dieser Großstadt war Abû al-Wafâ‘ einst von Ort zu Ort und schließlich hierher geflogen. So könnte man aus den vagen Geschichten schließen, die hier von ihm erzählt werden. Als der Krieg um den Suez-Kanal tobte, und von Religion und Islam, oder gar seinen Heiligen, damals im Zeitalter des Sozialismus und der gesteigerten Not, niemand etwas wissen wollte,92 da gesellte sich Abû al-Wafâ‘ unter die Ärmsten der Armen, unter die Seefischer. Wir können ihn nicht preisen als einen großen Heiligen, der es vermocht hätte, die Sprache dieses Paradieses, das nur Armut verheißt, in große religiöse Rede zu kleiden und über den kleinen Ort, an dem er sich als Traumfigur um seine Mitmenschen sorgsam kümmerte, ein neues Gottverlangen zu legen. Dazu ist Sâdât, der ›Hirte‹ an seinem Grab, in allem, was er sagt, letztendlich zu nüchtern. Er kennt die nahe Stadt, die Fischmärkte am See, Matariyya, Nusaima zum Beispiel und Rawada, das Manzala vorliegt, und Gamaliyya, er kennt das hier vorherrschende »nackte« Leben. Wie am Ort selbst weiß man auch dort draußen wenig, nichts meist, von »Abû Waffa« oder gerade den Namen und den Ort, denn man sieht seine Kuppel weit über den See hinaus, wenn man mit den Fähren von und nach Port Said fährt, ja sie erscheint dann aus der Ferne über dem See viel größer als sie in Wirklichkeit ist, wenn man davor steht. Die Geschichte dieses »Abû Waffa« vor Ort erzählt uns der 67 Jahre alte Scheich, welcher der hier lebenden Großfamilie von etwa 30 Köpfen vorsteht, Sâdât as-Sahr (so nennt er sich selbst), oder as-Sihrî (so nennt ihn al-Wazîr): In den ersten Tagen des Oktoberkrieges, hatte Sâdât (und eventuell auch in Beteiligung/Streit/Wiederversöhnung mit seinem Bruder ´Abd al-Galîl) gerade die Hütte an dem Ort fertiggestellt, an dem jetzt der MoscheeVorraum zum Maqam steht, und seine Frau, die gerade in den ersten Monaten schwanger war, hatte große Angst, es könnte ihnen in der Einsamkeit etwas zustoßen. Eines Nachts kam ihm ein Traum: Er sah Kamele, viele Autos und viele Leute. Ein Wali namens Abû Gharîb al-Gharbânî93 kam zu ihm und sagte, verlasse dein Haus und setze dich in deine Feluke und lenke

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sie nicht, lasse sie treiben bis sie an einem andern Ort fest liegt. Dort baue ein anderes Haus.94 Seine Frau bestätigte einen ähnlichen Traum gehabt zu haben. Sie taten, wie ihnen befohlen, dann kauften sie Baumaterial und bauten an dem andern Ort ein neues Haus. Aus dem alten Haus machten sie eine Kammer (´uda) für Abû Gharîb. Eines nachts, das neue Haus hatte noch kein Dach, es regnete furchtbar und sie lagen unter Matten zwischen den vier Wänden, da kam ihm im Traum »Abû Waffa« und sagte, ich schlafe neben Abû Gharîb, bau mir eine Qubba. Da bauten sie die Qubba für »Abû Waffa« und legten Abû Gharîb neben ihn. Nach einem Jahr etwa kam ihm im Traum ein anderer Wali, Abû Manadîl, der befahl ihm, wie zuvor schon Abû Gharib, das Haus zu verlassen und es in ein Maqam für ihn umzuwandeln. Da weigerte sich Sâdât, und sagte Nein. Es kam zu einem großen Streit mit Abû Manadîl. Während des Streits erschien »Abû Waffa«. Er hatte schon zwanzig Scheichs bei sich und sagte, er sammele viele Scheichs um im Krieg zu helfen, und befahl, dass Abû Manadîl seine Ruhestätte neben ihm finden solle. So gibt es jetzt unter der Qubba des »Abû Waffa« drei Scheichs. Und Sâdât blieb mit Frau und Kindern nicht weit vom Maqam entfernt in dem damals gebauten Haus. Viele Häuser kamen hinzu und nur schwer kann man die Ortsverschiebungen nachvollziehen, die im Traum vorgegeben waren. Dies ist die eine Seite, gewissermaßen die »offizielle« Geschichte am Ort darüber, wie »Abû Waffa« mit seiner Kuppel in den See kam. Ergänzend fügt der Bruder Sâdâts, ´Abd al-Galîl as-Sihrî, beim zweiten Treffen im April 2006 seine Version hinzu, wie der Scheich Selîm Abû Manadîl mit seinem Sarg zwischen die beiden Gräber des Abû al-Wafâ‘ und des Abû al-Gharîb gekommen ist. Das sagt er so, als wäre das mit dem Traum des Sâdât nicht so ernst zu nehmen: Abû Manadîl sei auch ihm im Traum erschienen, und habe gesagt, dass ihm sein Platz am anderen, dem südlichen Ende des Sees (Lokalisierung auf einer Inselspitze zwischen Nusaima und Ezabî)95 nicht mehr passe, und dass er nicht mehr zur Ruhe komme. Daraufhin habe er mit Sâdât und mit Hilfe einer Scheicha in Port Said und eines Scheichs es geschafft, den Abû Manadîl hierher zubringen und ihm eine Ruhestätte zu geben. Da staunt man. Diese kontextbezogenen Ergänzungen, Berichtigungen, erläuternden ›Realgeschichten‹ treten natürlich immer auf, wenn es um Wunder und Traum geht.96 Je mehr ich nachfrage, desto langatmiger, mit vielen Unterbrechungen und Wiederholungen, werden anschaulich auch die äußeren Bedingungen

94 | In Fakt liegt das heutige Haus nicht einmal 50m vom Maqam des A. W. entfernt. 95 | Nach der Karte B läge es nord-westlich von Matariyya, vgl. S. 135. 96 | Hier stimmt die ganze Sache aber nicht. Wer immer das Maqam des Abû Manadîl zerstört hat – wir haben später an seinem ausgemachten Ort nur wenige Reste aufgefunden. Hier handelt es sich offensichtlich um die Vorstellung der Rettung des Heiligen, nach der Zerstörung seines Maqams.

97 | In Fakt handelt es sich um das Maqam eines Ibrahîm Abû’l-Hasan aus dem frühen 20. Jahrhundert. Vgl. unten S. 71. 98 | Trimingham, S. 75. 99 | Hier handelt es sich um die Maqame in der Nähe von Manasra. S. unten S. 72. 100 | Vgl. Stauth, ´Abdallah, S. 51-59, 145-159.

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beschrieben, der lange Suez-Krieg nach 1967 und der Oktober-Krieg von 1973. Erzählt wird in verwechselnden oder verwischenden, im Detail sich oft verlierenden oder gar widersprechenden Angaben. Auf eine Zwischenfrage nach dem Zusammenhang von dem sehr nahen Kriegsgeschehen und den Heiligen, wird bestätigend gesagt: Die Heiligen, alle nehmen sie am Krieg teil, und sie bringen Segen im Krieg (al-awliyâ kullû nhârib wa rahma filharb). Manchmal wird der Traum in ein Haus mit offenem Dach und bei starkem Regen auftretend verlegt, manchmal wieder wird von einem fertigen Haus erzählt. Vieles bleibt auch an der realen Geschichte der Verlegung des Hauses und des Baues des Moscheeraums und der Kuppel im Ungewissen. Bei späteren Gesprächen fragte ich wieder. Insbesondere interessierte mich der Bezug zu dem »Abû Waffa« am Nordende des Sees. Sâdât gesteht ein, dass er das Maqam des »Abû Waffa« im Friedhof (garâba),97 schon vor seinem Traum einmal besucht hatte. In den Büchern des Sufismus gibt es einen »Abû Waffa«, der wohl ein Maqam in Mansura hat, man weiß nur jetzt nicht, ob dieser hier gemeint sein kann.98 Aber Sâdât erzählt, dass sie, er mit seiner Frau und dem kranken Kind, dorthin gewallfahrtet (zûrtû) sind und dass das Kind danach wieder gesund geworden sei. Er gesteht auch, dass er mit einem Rifâ´iyya-Scheich aus Port Said in Kontakt war, der ihn mit zu vielen Mawâlid (sing. mawlid) in Disuq und Tanta nahm wie auch mit zu Abû al-Wafâ‘ und dem al-Maghrabî am Meer: »Wir haben da Sommertage verbracht« (kunnâ bisayyif).99 Aufbau und Zerstörung der Maqame ist ein Thema von eigener Bedeutung aber niemand will bestätigen, dass so etwas wie die bewusste Zerstörung des Abû Manadîl-Maqams im Süden des Seegebiets stattgefunden habe, ja dass möglicherweise eine solche Zerstörung mit dem Auftauchen des »Körpers« im Traum zusammentraf. Zehn Jahre Kampf mit den Salafiten um die Sufi-Traditionen und um Maqame, die zerstört werden sollten, werden verdrängt. Nachdem die Geschichte zu Ende ist und wir uns zur Abwechslung darüber unterhalten, dass ja der Bau des »Abû Waffa«-Maqam großen Fortschritt gemacht habe, erzählt Sâdât stolz, wie schwierig das alles sei, und so stimmt auch unser Begleiter vom Maqam des ´Abdallah b. Salam100 zu, dass sie selbst jetzt noch am Maqam dort weiter arbeiten und nach so langer Instandsetzung jetzt noch immer einzelne Teile streichen müssen. Aber das ist nur Rhetorik, denn jeder weiß wie grundverschieden die Situation dort im Vergleich zu hier ist.

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So ist hier nachzutragen, dass Sâdât von einem »Abû Waffa« in Port Said spricht. Ihn soll es in einem Armenviertel geben. Aber alle Versuche, hier nachzuhaken und ein nach ihm benanntes Maqam in Port Said zu lokalisieren, schlugen fehl.101 Wir finden aber am nördlichen Küstenstreifen – soviel hier vorweg – zwischen See und Meer eine sehr alte Qubba mit spät nachgebautem Vorraum, ein altes, verlassenes Maqam des »Abû Waffa« bei Manasra vor dem nördlichen Küstenstreifen etwa 15 km vor Port Said auf der Straße nach Damietta. Es liegt mitten in dem Manzala-See abgerungenen Fischzuchtteichen vor einer großen Fabrikanlage der neuen Ölraffinerie. Das Maqam macht einen wilden, fast verlassenen Eindruck, die Tür ist nicht verschlossen, nur mit einem Draht angehängt. Im Vorraum hängen eine Reihe von karina’s oder arûsa’s, Puppen mit uralter ägyptischer Bedeutung,102 hier eigenartig moderne, in einer Fabrik hergestellte Puppen aus Plastik mit Silber und Purpurgewändern. Ein schauerlicher Gegensatz zum modrigen Lehmbau, noch schauriger dadurch, dass die wohl als nuzûr hierher gebrachten Puppen zerstört und zerrissen wurden und einen wirklich erbärmlichen Eindruck hinterlassen. Die Zerstörung weist auf intolerante Störenfriede hin, die diese Art der Devotionalien-Verehrung nicht mehr dulden wollen. Der bärtige Imam der im davor liegenden Dorf neu gebauten Moschee, der uns sehr hilfreich durch ein Geflecht von Fischteichen hinüberschifft, verhält sich hier sehr neutral, sowohl den Karinen gegenüber als auch der Tatsache von deren Zerstörung. Der Raum unter der Kuppel, der uralte Bau des Maqams ist mit einem Vorhang der bekannten Art abgetrennt. Der Sarg selbst – fast fürsorglich noch in glänzend grüner Stoffhülle gehalten – ist unter der Kuppel intakt geblieben. Wir vermissen die Boote. Der Scheich sagt, es gab hier früher viele, sie wurden alle zerstört. Von dem Vorplatz lässt es sich leicht hinüberblicken zur Qubba des Abû Gharîb, die noch einsamer dort und verlassen – ohne Anbau – im Wasser der Teiche steht. Abû Gharîb ist also hier schon der Nachbar des »Abû Waffa«, nicht erst in der Grabstätte im Heiligenmal im See auf der Insel Simiriyât, der Siedlung des as-Sihrî-Clans. Eine unterliegende, gewissermaßen geheime Geschichte ist offensichtlich, doch ist sie im Konkreten schwer zu rekonstruieren. Man wird zuerst fragen müssen, woher kennt Sâdât die Namen der Heiligen, die ihm im Traum erscheinen. Kennt er sie noch aus der Zeit in seinem Dorf in der Nähe von Manzala und ist von dort zur ziyara hier hergekommen? Die Antwort ist ein deutliches »Nein«. Gibt es neben dem Dorf noch Bezugspunkte zu Heiligen? Sâdât weist in seinen Erzählungen auf den Norden hin, auf die Maqame im Friedhof und bei Manasra. »Abû Waffa«, sei von dort herübergekommen, sagt er. Bleiben die Namen der beiden anderen, über die wir noch mehr in

101 | Vgl. u. al-Wazîrs »Großvater«, S. 75. 102 | Vgl. Blackman, The Fellaheen, S. 310-311.

4.3 Die Kette der Schreine im Norden: Meine Kenntnisse über die Maqame an der Nordseite des Sees beruhen auf Mitteilungen des Scheichs al-Thâbit al-Wazîr aus Port Said. Es scheint mir aber wichtig, gewissermaßen vom »Abû Waffa« im See her kommend, den Sinn für die geographische Situation an der Nordseite des Sees zu schärfen, bevor ich über meine Gespräche mit ihm berichte. Denn in den Gesprächen mit al-Wazir ist der Bezug zum nördlichen Ende des Sees westlich vor Port Said immer gegeben, und eine wichtige Voraussetzung der Orientierung. Wie oben aber schon geschildert, spielt auch die Nordseite des Sees in Clamor of the Lake eine wichtige Rolle, und ich möchte deshalb nochmals zum Roman des Muhammad al-Bisâtî zurückkommen. Der Roman beginnt mit einer kurzen Beschreibung der nördlichen Öffnung des Sees zum Meer: al-bughâz (Meeresöffnung, -zugang). Die Bughâz spielen im Alltag der SeeFischer heute keine so überragende Rolle mehr wie der Roman nahe legt. Die 1997 fertiggestellte vierspurige Autostraße von Damietta nach Ismâ‘îliyya

103 | S.u. S. 73f.

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Erfahrung bringen:103 Abû Gharîb und Abû Manadîl (»Vater des Fremden« und »Vater der Traditions-Tücher«, die Fellachen-Frauen auch als traditionelle Kopf-Tücher benutzen [mandîl, pl. manadîl]). Vom Namen her eher »Fellachen«-Heilige erscheinen beide im Kontext einer fast nun untergegangenen sufitischen Heiligengeschichte an den Ufern des Sees, alle ma´arif allah »Gotteserfahrene« genannt. Für eine kurze Zeit war ich der Meinung es wäre möglich, dieses Fadenknäuel der jüngeren Sufi-Geschichte am See entwirren zu können. Aber es ist in diesem Gebiet zu viel zu schnell geschehen. Es ergeben sich mehrere Hinweise auf einen Sufi-Scheich in Port Said mit dem Sâdât über lange Zeit, wenn auch heute kaum noch, in Kontakt war, und der bei der Entstehung und Registrierung des Maqams im See eine große Rolle gespielt haben muss: Scheich ´Abdarrahmân Thâbit al-Wazîr. Auf al-Wazîr werden wir nicht in Zusammenhang mit den Träumen, sondern in Zusammenhang mit den ersten Mawlid-Besuchen des Sâdât in Tanta und Disuq aufmerksam gemacht. Al-Wazîr war der Leiter der Gruppe in der Sâdât schon in den 1960er Jahren zu den Mawâlid des Sayyid al-Badawî und des Ibrâhîm al-Disûqî fuhr. Al-Wazîr (Rifâ´iyya-Ahmadiyya-Scheich), soviel erfahren wir jetzt, war auch beim Organisieren der ersten Mawlid, ja auch der darauf folgenden, des »Abû Waffa« im See beteiligt. Man darf also annehmen, dass al-Wazîr irgendwie schon im Vorfeld an der Traumgeschichte des »Abû Waffa« beteiligt ist. Dem ist weiter nachzugehen. Wir tun dies und es gelingt uns al-Wazîr in Port Said zu treffen. Zunächst aber, das Gespräch mit al-Wazîr gewissermaßen vorwegnehmend, widmen wir unsere Aufmerksamkeit den Heiligen am Nordende des Sees.

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quer durch den See und Port Said umgehend wurde auf einer traditionalen Orientierungslinie der Fischer, der Ost-West verlaufenden Furche im nördlichen Teil des Sees gebaut: al-Âs (Myrte). Die Straße schneidet also im Norden ein großes Stück vom See ab und bildet eine starke Trennungslinie gegenüber dem vor dem Meer liegenden der Küste zugewandten Teil des Sees. Zwei große Brücken durchbrechen den Damm hier und lassen Wasserwege nach Norden und Nordosten offen. Al-Bughâz ist aber weiterhin als Orientierungspunkt im Norden des Sees für alle ein Begriff. Im Roman handelt es sich um einen Schlüsselbegriff des Meer-Bezugs der lokalen See-Kultur. Der Autor, selbst aus einem Dorf an der Südseite des Sees stammend, beschreibt mit den Bughâz einen endlosen Naturzustand des Zusammenspiels zwischen See und Meer an der Nordseite. Salz- und Süßwasser, diverse Fischsorten, Algen, Seegras, Schilf, Wellen und Himmelslicht, und dazwischen bis an die Brandung vordringend und wieder zurückweichend die kleinen Boote der Fischer, alles mischt sich in dem kleinen zum Meer sich öffnenden Kanal. Heute ist kaum noch vorzustellen, dass noch zu Kindheitszeiten des Dichters al-Bisâtî, die al-Bughâz in einem – wie er sie beschreibt – so gewaltigen, ja die Gewalt des Meeres präsent machenden Naturzustand gewesen sind.104 Es ist die unterstellte Zeitlosigkeit des Ortes, die wirkliche Konzentration auf das, was hier im Zusammentreffen zweier »Wasser-Landschaften«, Meer und See, erscheint, das Herausgehobensein aus jedem konkret Geschichtlichen, das eine Art »immanente Transzendenz« unterstellt, ein Anwesendsein von etwas worüber hier nicht gesprochen wird, das diesen Ort zum Ort des »alten Fischers« macht. Die einsame Villa – einsam nicht nur, weil es der einzige Bau ist, der hier unmittelbar an Meer und Bughâz hingestellt wurde – erinnert im architektonischen Stil eher an Villen, wie sie in den 1950er Jahren an den Außenstränden von Alexandria, wie etwa in al-Agamî gebaut wurden.105 Die Besonderheit des Hauses wird auch mit der Reihung von menschengroßen Amphoren zur Straßenseite des Hauses hin betont. In dieser Massierung der Amphoren und in der Verbindung mit dem hier einzigartigen, blühenden Garten hinterlässt das Anwesen einen heute für diese Gegend seltsam anmutenden, mediterranen Eindruck. Dieses Haus verkörpert, nicht nur eine architektonische, sondern auch eine spirituelle Botschaft in einem höchst modernen Umfeld. Es dürfte sich um ein Glanzstück in den Strategien des al-Wazîr handeln, denn die Villa liegt an einem »Ort«, der die Mündung des Sees in das Mittelmeer mit aller Deutlichkeit verkörpert. Es wäre nun in der Tat zu weit gegriffen, wenn man die Bughâz (Einmündung) für die wichtigste und einzigste Konstitutionsbedingung der heiligen Orte am Küstenstreifen zwischen See und Meer, westlich von Port Said

104 | Al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (engl.), S. 1-2. 105 | Al-Agamî war der West-Strand der neuen Jugend von Alexandria in den 1950er bis in die 1970er Jahre als er gewissermaßen von Islamisten auch bautechnisch besetzt wurde.

nach Damietta hin, hielte. Doch haben wir in näherer Entfernung zur Bughâz etwa die 5 wichtigsten Maqame ausfindig machen können:

Alle fünf Orte sind in irgendeiner Weise mit der Linie des Rifâ´iyya-Scheichs al-Wazîr verknüpft, dem nun selbst die oben bezeichnete Villa (groß, aber auffällig und zugleich abgeschottet klein gehalten) gehört, die in unmittelbarer Nähe, nicht mehr als 300 m von den Bughâz entfernt, weiter in Richtung Damietta liegt. Ist nun Abû’l-Hasan im Friedhof der gadd, der Großvater, des Abû al-Wafâ‘ im See, oder ist der Großvater wirklich ein »Abû Waffa« in einem Armenviertel von Port Said? Wir wissen es nicht. Wie die Villa von Scheich al-Wazîr, das ist zu vermerken, entspricht aber auch das Grabmal des Abû’l-Hasan im großen Friedhof westlich von Port Said einem eigenartigen urban-mediterranen Stil, der sich gänzlich von allem, was traditionale Fellachen-Sufi-Kultur bedeutet, von den Fellachen-Qubbas abhebt. Am Eingang ist eine Gedenktafel (sehr wahrscheinlich von der Majlis al-Alâ in Kairo über al-Wazîr) angebracht: »Darîh al-´ârif bi’l-lâh al-shaiykh ´Abdarrahmân Abû’l-Hasan […]« So lautet die auf einer Marmortafel eingravierte Inschrift. Es muss sich hier um einen großen Sufi-Scheich des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gehandelt haben, ein Lehrer des Lehrers von al-Wazîr. Dann al-Maghrabî, er wurde von al-Wazîr gepflegt, modernisiert, mit einer amtlichen Marmorplatte versehen.106 Auch hier fällt der völlige Stilbruch mit der Qubba-Kultur auf; entsprechend unbehelligt ist dieses Maqam geblieben, obwohl es ja von seiner Entstehung her völlig aus dem Sufi-Rahmen fällt.107 Den Bann aber, der irgendwann in den 1990er Jahren auf die Qubba-Kultur (von den Salafiten immer wieder als Ausdruck des Aberglaubens unter Fellachen bekämpft) fiel, bekam der »Abû Waffa« im Fischteich bei Manasra, der »Sohn« des Abû’l-Hasan, zu spüren. Und auch der Nachbar des alten »Abû Waffa« im Fischteich, wie im Maqam auf der Insel Simiriyât bei den Leuten der Sihrîs, al-Gharîb liegt heute verlassen im Wasser, wenn auch seine Qubba noch steht.

106 | Vgl. o. S. 31f. 107 | Wie eben auch das offizielle Maqam des Abû’l-Hasan auf dem großen Friedhof.

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– Abû’l-Hasan, im westlichen Friedhof (gabâra) Port Said. – Al-Maghrabî, in den Strand hineingestellt, etwa 10 km von Port Said nicht sehr weit entfernt vor dem ersten Bughâz. – »Abû Waffa«, in den Fischerteichen nicht weit hinter dem ersten Bughâz. – Al-Gharîb, als Nachbar gewissermaßen von »Abû Waffa«. – Abû al-Ma´âtî in Dumyât, ca. 50 km westlich von Port Said der Mündung des Damietta-Arms des Nil vorgelagert.

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Abû al-Ma´âtî, in Damietta, der aber anders als alle bisher genannten für Dumyât (Damietta) wie für die ländliche Kultur des nördlichen ZentralDelta berühmt und wichtig ist, bleibt für diese Studie von sekundärer Bedeutung; in den Erzählungen am »Abû Waffa« in Simiriyât gibt es keine Hinweise auf ihn. Wir nennen ihn hier, weil al-Wazîr der Sufi-Scheich von Port Said gerade dort die Khalifa bei der zaffa der Mawlid innehat. Drei Maqame dieser Gruppe stehen in unmittelbarer Nähe der Bughâz (und der modernen Villa des al-Wazîr): – Al-Maghrabî – Al-Gharîb – Abû al-Wafâ‘. Die heutige Lage am Bughâz ist jedoch die: Auf der Seite in den See hinein wurde eine Polizei-Station gebaut und auf einem angegliederten Areal werden die im Kanal und im nördlichen See-Teil konfiszierten Fischerboote gestapelt. Mit der Verfolgung der Kleinfischer soll der gesetzlich eingeschränkte Fischfang von Kleinstfischen unterbunden werden, die an die großen Fischfarmen vor Damietta geliefert werden. Seefischer mit kleinen Booten versuchen im Kanal kleine Fische zu fangen, diese werden dann in den Fischteichen zur Zucht ausgesetzt. Die Polizei jagt – was zunächst zum Schutz der Fischbestände richtig erscheint – die kleinen Fischer, weil das Fischen von Jungfischen verboten ist. Ihre Boote werden dann konfisziert. Gegen ein Entgeld, das die meisten aber nicht aufbringen wollen oder können, werden die Boote wieder ausgehändigt. Wir hören davon, dass bei den Jagden auf die Kleinfischer schon Schusswaffen in Gebrauch waren. Wie ihre Heiligen von der neuen religiösen Ideologie und den wirtschafts-geographischen Interessen der Ölindustrie bekämpft werden, so werden die Kleinfischer selbst von der weltlichen Ordnung verfolgt. Die endlosen Fisch-Farmen am Meer entlang der Straße nach Dumyât, ebenfalls den Interessen der Großen geschuldet, bleiben unbehelligt, und so auch glücklicherweise die schönen Kreationen und ›Installationen‹ des Scheich al-Wazîr am Meer. Andererseits hindert es die Menschen kaum, weiter nach Unterhalt zu suchen. Auf der Meerseite der Brücke zwischen den im Meer zur Sicherung gegen die Brandung eingeworfenen Felsbrocken wird ebenso weitergefischt, wie auch verhaltener im Kanal selbst. Die Natur des Sees ist hier weitgehend zurückgedrängt, eigentlich kann man vom See dann erst wieder hinter der in ihn neu gebauten Straße sprechen. Mit den neuen Straßen entstanden auch die Raffinerien der ägyptischen ›Petronil‹ bei Manasra, eine neue »Ölrealität«, die alles zu dominieren scheint, und gemächlich verschwindet auch jene Welt des al-Wazîr zwischen den Fabriken und neuen Feriensiedlungen. Ein ›Patchwork‹ von Dörfern, wie die Neubauten in Manasra und Dîbî, Tankstellen und Autoreparaturwerkstätten, die Strände und Ferien-Kondominiums, die Landnahme am See, Fischteiche, dazwischen die neuen Moscheen und

4.4 Gespräche mit al-Wazîr – Vor und zurück zwischen Port Said und Simiriyât: Ich habe jetzt schon mehrfach auf al-Wazîr hingewiesen. Er spielt eine wichtige Rolle bei der Konstruktion, dem Erhalt und der Pflege der Maqame im nördlichen Teil des Seegebiets und an den Bughâz. Aus den zwei längeren in seinem Büro in Port Said geführten Gesprächen ergibt sich ein nur skizzenhaft zu erfassendes Bild seiner Person. Er ist der große Shaykh al-Mashâ‘ikh, eine ägyptische Sufi-Figur aus dem urbanen Kontext, im Netzwerk lokaler Großfamilien verankert und mit guten Beziehungen zu den Apparaten der staatlichen Verwaltung. Dieser soziale Hintergrund erschließt sich allerdings nur schwer aus der äußeren Erscheinung der Person und der Gestaltung seines Büros. Letzteres liegt im ersten Stock eines ›modernen‹ ägyptischen Massen-Apartmenthauses in einem schon recht heruntergekommenen Neubau-Viertel eines Vororts. Die al-Wazîrs sind aber eine alteingesessene Familie von Port Said und durchaus auch – wie ich erfahren konnte – in Kairo bekannt. Es stellt sich heraus, dass das Gebäude ihm selbst gehört und dass er seine eigene Privatwohnung im obersten Stockwerk unterhält. Wir erwarten ihn in seinem Büro, er lässt uns nicht lange warten, vom Aufzug her kommend betritt er den Raum als weltlicher und nicht eben als religiöser Herr, ein älterer, in einfacher grauer Galabiyya gekleideter kleiner Mann. Lediglich – er hat Probleme an seiner Hüfte – der distinguierte, mit Elfenbein verzierte Knopfstock zeigt Reichtum und Herkunft an. Er gibt sich als Besitzer einer Import/Export-Firma für Schiffsmotoren aus. In kleinen Exponaten verteilen sich auch Schiffsmodelle im Raum. Erst später fällt ein großes prachtvoll geschreinertes Boot aus Holz im Vorraum zum Büro auf. Das Gespräch beginnt ohne große Umstände, er kennt den Anlass und legt dann sogleich Wert darauf, sich auch als Wakîl Turuq as-Sufiyya (Vorsteher der Sufi-Tariqas) auszuweisen, zuständig für Port Said und den Manzala-See. Alle Fragen über die konkreten Zusammenhänge des Baus von Maqam und Moschee des »Abu Waffa« auf dem See – wir bleiben beim volkstümlichen Terminus – blockt er ab. Die Traumgeschichte des Sâdât will er nicht hören, er scheint sie zu kennen. Doch über die Lage der Maqame an der Nordseite ist er gut unterrichtet. Sie scheinen, wie oben bereits dargestellt, für ihn von besonderer Bedeutung zu sein. In einer belehrenden Bildsprache will er die Zusammenhänge erklären: es handele sich um drei »Abû Waffa«-Orte, den Großvater in Port Said, den Vater im gabâra, dem Friedhof, und dem Sohn in Simiriyât im See, dort bei as-Sihrî, wie er Sâdât, den Familien-Ältesten dort nennt. Er, al-Wazîr, habe ihn, den Sihrî (Sâdât) davon überzeugt, dass er die Qubba für den Sohn, »Abû Waffa«, dort bauen solle, alles andere sei falsch. Über die Mawlid angesprochen erzählt er, dass es da nie Probleme gegeben habe und nie geben wird, denn alles sei offiziell und

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alten Heiligengräber, und alles überragend die neue Öl-Raffinerie, ist entstanden, eine brüchige Morphologie, die in den schnellen Umwälzungen der Verhältnisse seit den 1990er Jahren gewachsen ist.

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über ihn von der Regierung gebilligt. Sâdât habe ihn jetzt schon lange nicht mehr besucht, wenn er käme und eine Mawlid dort machen wolle, dann müsse er das beantragen. Al-Wazir sagt, er würde dann die Genehmigungen einholen und die Registrierung in Kairo beim Büro der Majlis108 betreiben. Dann folgt eine große Eloge auf die Regierung und dass er dafür sorge, dass es da keine Probleme gebe, im übrigen wäre ja auch die Sicherheit (al-amn) gleich vor Ort. Wie das geregelt wird, könne man am Maqam des ´Abdallah b. Salam bei Matariyya (er weist auf unseren Begleiter) sehen. Beide bestätigen, dass dort die Mawlid im August immer ohne Probleme stattfinde. Viel ist al-Wazîr am al-Maghrabî109 gelegen, er führt geschickt das Gespräch auf dieses Heiligengrab am Strand im Westen vor Port Said. Auch dort fände alljährlich im Juni die Mawlid statt, die von ihm persönlich arrangiert und geleitet werde. Auch habe er die offizielle Tafel am – zugestandener Weise sehr modern wirkenden Grabmal – anbringen lassen. Er zeigt uns mehrere Bilder, die den »Großvater« zeigen: ein im 19. Jahrhundert in Oberägypten gefeierter Wâlî aus Bahnasa bei Minya.110 Stolz weist er uns dann auf die vielen Bilder hin, die die Wände seines Büros schmücken. Am wichtigsten ist ihm das Bild, das ihn als Khalîfa, den auf dem Schimmel reitenden Vorreiter der Prozession (zaffa) bei der Mawlid Abû al-Ma´âti in Dumyât (Damietta) zeigen. Auch hier ergibt sich eine silsila hin zum großen Ibrâhîm al-Disûqî, dem Pfeiler (qutb) des ägyptischen Sufismus. Schließlich, auch hier folge ich der Gesprächsregie des Gastgebers, stehen die wirtschaftlichen Interessen der Firma und die internationalen Aktivitäten des Sohnes, der inzwischen hinzu gekommen war, im Zentrum der Unterhaltung. Der Sohn wird demnächst wieder nach Holland und von dort nach Deutschland reisen: Import von Motoren, nicht nur von Schiffen, auch von Autos. Beim Verlassen des Büros fallen mir im Flur noch drei weitere, größere Modellboote auf, die aus der sonst sehr ärmlichen Umgebung herausstechen. Es kommen Leute mit einem Polizei-Unteroffizier an, eine neue Verhandlung wird mit unserer Verabschiedung eingeleitet. Al-Wazîr aber lässt mich nicht los. Das Gespräch wirft Widersprüche auf. Zunächst ist die Figur des al-Wazîr selbst durchaus schillernd, und man merkt, dass ihn die Geschichte des »Abu Waffa«-Maqam in Simiriyât irgendwie bedrängt. Ihn interessiert, und das will er herausstellen, die glorreiche

108 | Die Hauptverwaltung der ägyptischen Sufi-Orden, die ihren Sitz am Midân Husain, gegenüber der Al-Azhar hat. 109 | Vgl. o. S. 31f. S. a. S. 24. 110 | Über Bahnasa, das alte Oxyrhynchos, wäre im Zusammenhang mit dem ägytischen Sufismus viel zu ergänzen. Es gibt dort mehre Heiligengräber und es ist ein großes islamischen Wallfahrtszentrum in Mittelägypten. Freilich war es auch schon ein Wallfahrtsort in griechisch-römischer Zeit. Vgl. Prell, Der Nil, S. 177. S. auch Zayed, Saints (awliyâ‘), S. 119. Al-Wazîr betrachtet diese Verbindungskette (silsila) als ein inneres Wissen der Turuq in der Region, weitere Hinweise über die Geschichte dieser silsila gibt er aber nicht.

111 | Vgl. o. S. 67.

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Nordzone auf der Nährung nach Dumyât. Abû al-Ma´âtî war mir als eine große Heiligenfigur in Dumyât bekannt. Neu ist der Bezug zu Ibrâhîm al-Disûqi, den al-Wazîr herstellt, aber es geht immer auch um den Glanz der Großen, der auf die kleineren Heiligen herabfällt. Ein zweiter Hinweis verblüfft mich, denn niemand schien bisher von einem »Ur-Abû Waffâ« in Port Said (»Großvater« – al-gadd) zu wissen, niemand hat davon gesprochen, niemand wusste auf die Nachfrage eine Antwort. Wie auch immer, ich verpasste die Gelegenheit, al-Wazîr nach einer genaueren Ortsangabe zu fragen. Weitere Nachforschungen in Matariyya ergaben, dass es dort sehr wohl einen »Abû Waffa« im Sinne von al-Wazîr gegeben habe, der heiße aber eigentlich Abû’l-Hasan, der Ort liege im See bei Matariyya, und das Maqam gebe es nicht mehr. Wazîr hatte aber von einem Maqam in Port Said gesprochen, doch das konnte uns niemand zeigen, wenn es denn überhaupt je existierte. Das Maqam des »Vaters« im Friedhof im Westen von Port Said haben wir gefunden, und der Besuch bestätigte, dass es sich in der Tat um ein richtiges offiziell registriertes Maqam handelt.111 In Dumyât am Maqâm des Abû al-Ma´âtî kannte man al-Wazîr, es wurde bestätigt, dass er in jedem Jahr bei der Mawlid im Monat Sha´bân; kurz vor dem Ramadân (die Mawlid richtet sich hier nach dem islamischen Kalender), die zaffa, auf der farasa, der weißen Stute, anführt. Am ersten Bughâz, dem Durchbruch zwischen Manzala-See und dem Mittelmeer, unweit des von al-Wazîr gepflegten Maqams des al-Maghrabî, befindet sich die große, mit gutem modernen Architektur-Geschmack, Blumen- und Palmengarten, mit vielen Vasen auf der Straßenseite und verdecktem Eingang errichtete Villa direkt am Meer. Ein Zeugnis moderner ägyptischer Ästhetik und Spiritualität? Wer die Verhältnisse und ihre verwaltungstechnische und politische Seite kennt, kann sich vorstellen, welche Mühe es bedeutet, die Genehmigung für einen solchen Bau hier zu erhalten, mehr noch, ein solches Haus hier in dieser relativen Einsamkeit am Meer zu unterhalten. Al-Wazîr, der Sufi-Scheich und Unternehmer kann das, und das sagt viel über die inneren Vernetzungen zwischen lokalem Sufismus und staatlicher Verwaltung. Man kann an einem solchen Ort auch in Ägypten nur mit den besten Regierungsbeziehungen solche Häuser bauen und unterhalten. Im Zusammenhang mit der Mawlid-Frage, die al-Wazîr so unangenehm war, wird von Sâdât aber doch erzählt, dass es Probleme gab, die er am Maqam in Simiriyât nicht mehr haben wollte. Es muss salafitische Angriffe auf eine Mawlid gegeben haben. Dabei war das Haschisch-Rauchen und die offene Anwesenheit von Frauen Gegenstand der Auseinandersetzungen. Die Ordnungsfragen standen im Vordergrund und al-Wazîr scheint dies leichter genommen zu haben als Sâdât, so ließe sich jedenfalls aus dessen dunklen Andeutungen schließen: er habe an der ´âda (Sitzung mit Hashîsh) nicht

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teilgenommen und sich geweigert; ma be´u´utsh ma´a-l-sitât (ich setze mich nicht zu Frauen). Danach habe er die Mawlid abgesagt. Das war etwa vor 10 Jahren, seitdem gibt es sie nicht mehr. Aber auch schon in den Jahren davor gab es keine festen Zeiten für die Mawlid: ´aw´ât, lamma kunna fîh, masaknâh (zu Zeiten, wenn wir da waren, haben wir sie gehalten). Eine weitere, vielleicht einfach mit den anderen verschränkte Lesart wäre es, die Sache als eine indirekt ausgetragene Rivalität auszumachen. Dies hat auch etwas mit der räumlichen Situation der »Abû Waffa« Maqame zu tun. In Simiriyât wird das Maqam von den as-Sihrîs gebaut und gepflegt. Al-Wazîr war hier aus nicht sehr offenensichtlichen Gründen unterstützend beteiligt. Die Sihrîs sind aber eine Familie, die – wie wir bei der Rückkehr nach Simiriyât von Sâdâts etwas jüngerem Bruder, ´Abd al-Galîl al-Sihrî, erfahren – schon in der vierten Generation in Simiriyât ist, wenn auch immer die Beziehung zum Dorf Rawada bestanden habe. Der Ururgroßvater habe hier eigentlich nur mit einer kleinen Hütte seinen Fischgrund gehabt. Er sei von Rawada immer hierher gekommen, habe hier gefischt und dann seine Fische im kleinen Hafen von al-Nusaima (Sîdî Dawûd) verkauft, bevor er nach Rawada (Sîdî ´Abdarrâziq)112 zurückkehrte. Das Netzwerk der Familie reicht über Nusaima nach Rawada, dort gibt es noch direkte Verwandte und Häuser. Die Frauen werden mit schulpflichtigen Kindern dorthin zurückgeschickt. Sâdât und sein Bruder entzogen sich also dem Werben des al-Wazîr und seiner Patronage und wechselten den Sufi-Orden. Von der Rifâ´iyya wechselten sie zur Ahmadiyya al-Shinâwiyya und unterstellten sich der Patronage des durch diesen Orden von Matariyya nach Manzala und in die umliegenden Dörfer und in den See wirkenden Wakîls Muhammad al-Gayâr. Damit schließt sich der Kreis des Spannungsgeflechts um den »Abû Waffa« am See. Nicht ganz. Denn endlich wird auch die überragende Schutzrolle alWazîrs zugestanden: ´Abd al-Galîl, der Bruder von Sâdât lässt schließlich andeuten, dass es damals durchaus noch Probleme mit den »Sunniyyin« (wie er die Salafis nennt) gab, dass sie gekommen seien und ihn dazu drängen wollten, die Qubba abzureißen und den Ort zu verlassen. Die Kuppel hat er verteidigt, und hierbei spielte die Hilfe von al-Wazîr und der Polizeischutz, den er vermittelte, eine Rolle. Im April 2008 führte ich ein weiteres Gespräch mit al-Wazir, die äußeren Bedingungen sind dieselben. Wir werden sehr freundlich empfangen, er scheint viel Zeit zu haben, ist weniger angespannt als beim ersten Gespräch. Ich leite diesmal unverbindlich auf das Thema der Geschichte der Sufi-Orden in Ägypten hin. Er kennt die historischen Bezüge im einzelnen sehr schlecht, will sich also auch nicht festlegen lassen, wie die lokalen Silsilas (Nachfolge-

112 | Beide Heiligengräber sind bei Umbauten in den letzten 10 Jahren zerstört worden. Wir hatten dort nachgefragt. Schon die Frage macht uns zu Gegnern einer vom Dorflehrer angeführten Fraktion von Salafis.

113 | Vgl. o. S. 31f.

77 Abû al-Wafâ‘

ketten in den Sufi-Orden, die oft wie Stammbäume – shagara – geführt werden) ausgerichtet sind, und wie sie im weiteren Kontext der Netzwerke im Delta einzuordnen wären. Danach hatte ich ihn gefragt. Er spricht allgemein von der engen Beziehung der drei großen ägyptischen Tariqas: Shadhiliyya – Ahmadiyya – Rifa‘iyya. Er bleibt hier ganz im Rahmen einer kurzen Aufzählung, eine Art orthodoxe offizielle überägyptische Sufi-Geschichte; der Frage nach der Verortung der lokalen Silsilas (silsila, Kette), der inneren ägyptischen Verzweigungen, wie derjenigen in der Region Port Said, will er sich nicht stellen. Er hebt hervor, dass es bei den Hadras (hadra, Übungen, Unterrichtung) der Ahmadiyya-Shâdhiliyya im Maqam des ´Abdallah b. Salam schon immer den Bezug zu Abû al-Wafâ‘ gegeben habe, das sei ja eine alte Geschichte. Dadurch sei auch die Tatsache, dass es eine Qubba seines Namens auf dem See gibt, mehr als erklärlich. Diese Ausführung konnte ich wiederum nur verstehen als ein Manöver, der konkreten Frage nach dem historischen Bezug der Tariqas zu Abû al-Wafâ‘ auszuweichen. Zugleich versuchte al-Wazîr jetzt, nachdem er wusste, dass wir im Feld nachforschen, von der Nordseite und der im ersten Gespräch konstruierten Silsila wegzukommen; aber auch über die Beziehung und den historischen Kontext der möglichen Verbindungen der Orte des ´Abdallâh b. Salam und Abû al-Wafâ‘ teilt er sich nicht mit. Als ich ihm davon berichte, verneint er es, die Geschichte von den Särgen des Abu Manadîl und al-Gharîb am Maqam des »Abu Waffa« in Simiriyât zu kennen. Auch von der Auslöschung des Maqams des Abû Manadîl im Südteil des Sees weiß er nichts. Als wolle er uns eine Lektion über die Eigentümlichkeiten der Konstruktion der Heiligen erteilen, erzählt er die Geschichte des al-Maghrabî als die normale Sache. Ich habe sie oben in Zusammenhang mit den Erzählungen des Romans von Muhammad al-Bisâtî zusammengefasst.113 Um den See herum gibt es 36 registrierte Tariqas, das sagt er, um die Lebendigkeit des Sufi-Lebens und der Orden in der Region um Port Said hervorzuheben: In Port Said heiße der Ahmadiyya-Orden: Awlâd al-Wazîr (Kinder des al-Wazîr). Über das Mawlid-Problem lässt er mich wissen, dass es keine Unterdrückungen von Mawlids gebe, sicher auch nicht der in Simiriyât; es bedürfe nur eines Briefes von dort an ihn, sagte er, und sonst nichts. So gibt es ja auch immer noch die große Mawlid am Ibn Salam und alle Fischer kommen dahin, und wenn die dort irgendwie Angst hätten, würde er ihnen schon Kräfte schicken (law bikhâfû ´an Mawlid ´ab´athum kuwa). Der Fall des al-Wazîr verdeutlicht, wie stark die Verbindungen zwischen der öffentlichen Organisation der Sufi-Orden und der Verwaltung wie den Machtorganen des Staates sind. Zum Teil gehen diese engen Verbindun-

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gen auf die moderne Geschichte zurück. Während in der Kolonialzeit noch die Orden als Widerstandsnester der Muslimbrüder galten,114 machte Nasser sie sich schrittweise zu nutze, um sie am Ende völlig als Rückgrat für seine Masseninszenierungen zu halten. Es kann hier nur vermutet werden, dass die engen Beziehungen zwischen al-Wazîr aus Port Said und Sâdât as-Sihrî aus Simiriyât auf dem Manzala-See in diesem sozialen und politischen Spannungsfeld Festigungen und Krisen gesehen haben. Der »Abû Waffa« auf dem See steht auch in seinen Beziehungen zu den Schreinen auf der Nährung westlich von Port Said hin nach Dumyât (Damietta) schon seit seiner Konstruktion in diesem Spannungsfeld.

114 | Vgl. hier wiederum McPherson, Moulids; Schielke, Snacks.

Abû al-Wafâ‘

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13 »Abû Waffa«: Renovierungsarbeiten im Jahr 2008

14 ´Abd al-Galîl und al-Sâdât as-Sihrî (von links)

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15 Darîh mit den drei Heiligen: Abû al-Wafâ‘, Salım Abû Manâdîl und al-Gharîb

16 Mitglieder der Familie Sihrî

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17 Leben unter den Sihrîs

18 Muhammad mit Frau im Jahr 2008

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19 Muhammad mit dem Symbol für den Namen des ungeborenen Kindes

20 Muhammad als junger Vater

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21 Die Bughâz

22 al-Wazîr

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23 Scheich al-Wazîr und seine Welt

24 al-Maghrabî/Bughâz

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25 und 26 Villa am Meer

5. Der »zweite Blick«: Die moderne Unmöglichkeit des Lebens am See Wer die materiellen und ideellen Bedingungen der Lebensentfaltung vom religiösen oder kulturellen Kontext, von Bildform und Kraftschöpfung her erschließen will, wird schwerlich sich mit den schlechten Nachrichten der Ökonomie und Ökologie und dem gebrochenen gesellschaftlichen Wandel beschäftigen. Der »zweite Blick« reicht aber über die äußere Naturschönheit hinaus. Die rohe Ökonomie kommt zum Vorschein. Im Dienst des kürzesten Wegs zum Geld ist die Vernutzung der Natur im direktesten Zugriff überall sichtbar und so ist auch über Müll und Abwässer im See nicht hinweg zu sehen. Der »zweite Blick« ist eine Herausforderung an alles, was der mittelständische Europäer als normale Ordnungsvorstellung mitbringt. Das äußere Bild der Naturversöhnung, das der Fremde so gern erfährt, ist zu hinterfragen, denn das Leben in der Natur ist eine Lebensform moderner Armut und muss auch als solche beschrieben werden. 5.1 Episode von ´Abduh Gubair115: ´Abduh Gubair ist ein Schriftsteller der gleichen Generation wie Muhammad al-Bisâtî. Sein Realismus ist jedoch ganz anderer Art. Es geht ihm um die rohe Totalität des offenen Marktes in der Zeit als Port Said noch eine zollfreie Zone war, ein Zündfunke für die neue Wirtschaftsentwicklung unter Sadat nach dem Krieg von 1973, dem sogenannten Infitah, der wirtschaftlichen Öffnung. Mir scheint es angebracht, auch hier ganz im Sinne der symbolischen Ausdeutung der diesen Prozess begleitenden sozialen Wirkungen auf einen Roman von Gubair hinzuweisen. Gubairs Roman ´Utla Radwan, Urlaub des Radwan, beschäftigt sich intensiv mit Port Said in der Zeit der Freihandelszone und des Infitah. Er zeigt aber auch welche verheerenden Initialwirkungen von hier in die Kairoer Gesellschaft, wie überhaupt auf ganz Ägypten ausgingen. Ich kann hier nur auf die äußeren Umstände der Entstehung dieses Romans hinweisen. Auf das Thema war Gubair bei einem Besuch in Port Said Ende der 1970er Jahre gestoßen. Nach drei langen Jahren der Recherche war er so ausgepumpt, dass er den Roman eigentlich nicht mehr schreiben konnte, bis er eines morgens das Projekt wie ein Band zusammenwickelte, das es ihm erlaubte, den Roman dann doch ganz schnell in etwa 2-3 Monaten niederzuschreiben. Er entwickelte die Geschichte von ihrem Ausgangspunkt her: Nach seiner eigenen Erzählung hatte alles mit einem Erlebnis am Meer, an einem Ort auf der Nehrung westlich von Port Said begonnen. Es ereignete sich bei seinem ersten Besuch in Port Said. Sein Gastgeber lud ihn eines Abends ein, Port Said einmal von seiner wirklichen Seite, der anderen Seite

115 | Gespräch mit Gubair im November 2008. Zu ´Abduh Gubair vgl. Guth, Zeugen einer Endzeit, S. 82-113. Vgl. auch Abul-Enein, Neue Generation, passim.; neuer s.a. Rayan, Daraga Harara.

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der Wirtschaft und des Aufschwungs, zu betrachten, und fuhr mit ihm hinaus in Richtung Dumyât (Damietta). Nach Dîbî ging es, unweit draußen, ein paar Kilometer hinter Manasra und den Bughâz al-Gamîl. Er wurde zu einer ´ursa, einer Haschisch-Hütte, gebracht, in der sich schon viele Männer und Freunde seines Gastgebers versammelt hatten. Die Schischas (Wasserpfeifen) kreisten, und die Hagar (die mit Tabak und Haschisch präparierten Tonköpfe) wurden ständig neu aufbereitet. Gubair erzählte, wie er sich dort niedergelassen und an der Runde beteiligt hatte. Plötzlich wurde er von einem noch jungen Mann angestarrt, der Mann schob ihm, ihn fest anblickend, zehn Hagar hin. Er sollte sie rauchen, brauchte sie aber nicht zu bezahlen. Gubair bedankte sich, immer wieder blickte der Mann zu ihm herüber. Als die Sprache aber auf die Schriftstellerei kam, brach Sa´ad, so hieß der junge Mann, plötzlich los und sagte: Eure Schreiberei klebt nur an Büchern, aber ihr schreibt nicht über das Wirkliche, die Realität (antu tektibu fi kutub, bas mesch fil ha´i´a). Sa´ad wollte ihm den Beweis liefern und lud ihn dann ein, die Wirklichkeit kennen zu lernen. Er brachte Gubair zu einer Nachbarhütte, bei der Sa´ad sein Auto mit Schmuggelware schon vollgeladen hatte. Im Detail erzählte er, wie er unter Beteiligung der Zollbeamten bei offener Deklaration aber minderer Bewertung der Ware über Jahre hinweg diese nach Kairo lieferte, und dass, nun ja, er sei nur ein kleiner Fisch, vor allem auch große Unternehmer und Firmen aus Kairo diese Möglichkeit zu größerem Gewinn genauso nutzten wie er. Nach diesem Erlebnis zwischen dem Nordufer des Sees und dem Meer begann Gubair sich in diesem Milieu zu bewegen. Er war sich aber nicht im Klaren darüber, wie er dieses in einem Roman darstellen und ob er es wirklich aufnehmen und bewältigen könnte. Er zögerte sehr lange, bis ihm Sa´ads Intervention wieder einfiel, die Sache mit der »Wirklichkeit«. Sa´ad hatte recht, an seinem Vorwurf konnte Gubair sich bestärken, und er war jetzt bereit, diese ganze Sache selbst zum Gegenstand eines Romans zu machen. »Port Said« und »Radwan«, das war nun für ihn das neue Kairo, das neue Ägypten.116 5.2 Infitah-Folgen: Interessant für den »zweiten Blick« auf die Heiligen im See ist dabei, dass die ganze Zone in der Nehrung vor dem Mittelmeer offenbar in den Schmuggelbetrieb mit verwickelt war. Möglicherweise spielten sogar die Heiligen dort, al-Maghrabî, al-Gharîb, und die verschiedenen »Abû Waffa« (hier und im See) eine Rolle, als Orte, sowohl im Haschisch- als auch im sonstigen Waren-Schmuggel. Es ist dies eine Vermutung, die nahe liegt, aber nicht unbedingt zutreffen muss. Der Niedergang der Heiligen wäre dann mit dem Niedergang der Schmuggel-Ökonomie (bedingt durch die Aufhebung der Freihandelszone etwa 2001) zu erklären und während die

116 | Vgl. hierzu die sehr intensiven Darstellungen von Guth zur Infitah-Zeit, Guth, Zeugen einer Endzeit, S. 201-295.

»The Pollution problem is very severe and is caused by many factors. Municipal waste water is, perhaps, the most serious source of pollution, as much of the raw and treated sewage from Cairo, Port Said and Damiatta ends up in Manzala. Industrial waste water is also discharched into the lake from various sources, including industrial areas north of Cairo. In addition agricultural drainage water, which makes up most of the fresh water entering the lake, has high concentrations of fertilisers and pesticides. Solid waste from adjacent urban centres is regularly dumped into the lake and used for landfill.«117

117 | Baha El Din, Directory, S. 49.

89 Der »zweite Blick«: die moderne Unmöglichkeit

neuen Ölraffinerien gebaut wurden, und eine neue wirtschaftliche Anbindung für die Stadt gesucht wurde, verfielen die Maqame und Qubbas der Heiligen, weil die unterstützenden Verbindungen nach Port Said ausblieben. Bis auf al-Maghrabî, dem Heiligen, der dem ortsbezogenen Spezial-Interesse des al-Wazîr an den Bughaz unterstand. Diese weltliche, vielleicht zu zynische, zu funktionale Sicht der Dinge ist möglich, und sie wäre so nicht auch nur aufgenommen worden, wenn nicht ein ehemaliger hoher Polizei-Offizier von Port Said selbst sie mir gegenüber ins Spiel gebracht hätte. Aber selbst, wenn sie stimmte, könnte sie nur als die eine Seite der Geschichte verstanden werden. Die andere ist die, dass die Maqame und Qubbas noch heute von den Leuten angenommen, betrachtet werden, ja dass dort Relikte von Riten und Devotionalien jüngeren Datums sichtbar sind, auch wenn sie wieder zerstört wurden. Die Qubba des »Abû Waffa« im See wurde aber, mehr noch, gewissermaßen als Familienschrein am Ort unterhalten und gepflegt, mit viel Aufwand, wie wir gesehen haben, renoviert. Von der Welt draußen vergessen, wurde sie zunächst völlig ignoriert. Für die dort Lebenden aber war sie mehr als nur ein zu verteidigendes religiöses Symbol, die Qubba und das daran hängende Netz dienten auch der Sicherung des Landzugriffs und waren so ein Teil ihrer Existenz. Erst als die Familie glaubte, mit unserem Erscheinen wäre ein neues Interesse von Außen wiedererstanden, begannen sie mit der Renovierung des Schreins, eine vergleichsweise teuere Investition. Eine große Menge Drainage-Wasser aus dem Agrarland im Süden des Sees fließt in den See. 1992 sprach man von 3,7 qkm Wasser jährlich, das sind die mit Resten der in der Landbewirtschaftung benutzten chemischen Düngemittel gespeisten unbehandelten Abwässerungskanäle. Um wie viel mehr Abwässer muß es sich heute handeln? Darüber hinaus gilt unter den Menschen selbst als Skandal, dass seit 1985 ein Abwasserkanal, der Bahr al-Baqar, eine Mischung aus behandelten und unbehandelten Abwassern aus Kairo aufnehmen muss, wodurch sich überall im See spürbar die Wasserqualität in starkem Maße gemindert hat. Hierzu berichtet 1992 der ägyptische Geograph Baha El Din:

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Es sind diese Gewässer des Sees, in denen täglich mehr als 10.000 Fischer auf Fang gehen, ihren Lebensunterhalt mit Fischen verdienen, die auf das Äußerste verseucht sind. So auch sicherlich die Fische, die unbesehen auf die lokalen Märkte kommen, ja die die Fischer selbst als Leckerbissen zu besonderen Anlässen auch ihren Familien gönnen. Um den ersten Bughâz herum, der Bughâz al-qadîm oder Bughâz algamîl genannt wird, gibt es ein kleines Naturschutzgebiet, das Ashtûm al-Gamîl, das den Fischbrutstellen und den Fischwanderwegen zwischen dem See und dem offenen Meer gewidmet ist, aber kaum über nennenswerte Seepflanzen verfügt. Wie in so vielen Fällen in Ägypten ist das Schutzgebiet mehr Gegenstand von Polizei- und Sicherheitsmaßnahmen als von geordneten Verwaltungs- und Pflegemaßnahmen, die ein sinnvoller Naturschutz gebieten würde. Die Polizei verfolgt unerbittlich jeden Fischer, der auf kleine Fische aus ist, lässt aber die großen Besitzer der Fischzuchtareale zwischen See und Meer unbehelligt, an die diese kleinen Fischer ihre Fänge verkaufen wollen. Die heutige Lage am Bughâz habe ich oben schon geschildert, ebenso die Polizei-Station und das Lager von kleinen konfiszierten Fischerbooten. Der immer wieder von Regierungsseite ausgehobene Kanal, die Brücke, die Felssteine vor der Brücke zum Meer zur Sicherung gegen die Brandung bestimmen die Landschaft mit. Die Naturwelt des Sees ist weitgehend zurückgedrängt, eigentlich fängt sie erst ein paar Kilometer südlich hinter der großen neu gebauten Autostraße nach Ismâ‘îliyya an. Petronil – etwa in den letzen 10 Jahren neu errichtete Öl-Raffinerien – diese Ölrealität scheint alles zu dominieren und Natur gemächlich verschwinden zu lassen: Die Ferien-Siedlungen, die Dörfer (Dîbî, Manasra), die Strände, den See, und die Fischteiche, sie alle spielen selbst eine Rolle bei dieser Umwälzung der Verhältnisse und der gleichzeitigen Vermüllung ganzer Areale um den See herum bei ständigem Anstieg der Wasserverschmutzung. Seefischer mit kleinen Booten versuchen im Kanal kleine Fische zu fangen, diese werden dann in den Fischteichen zur Zucht ausgesetzt. Die Polizei jagt die kleinen Fischer, weil das Fischen von Jungfischen verboten ist. Sie konfisziert die Boote, zuweilen werden bei der Jagd auch Schusswaffen eingesetzt. Sind die Fische aber im Teich, dann ist alles in Ordnung. Vor der Brücke über den Bughâz und an den Stränden, aber auch im Kanal am Ufer entlang und in der Brandung, angeln Netzfischer kleine Fische zu Zeiten, an denen vermutlich die Polizei Dienstpausen einlegt. Obwohl der Manzala-See, für jeden sichtbar, eine schier unerschöpfliche Vogelwelt beherbergt und für die überwinternden Wasservögel und deren Regeneration von großer Bedeutung ist, gibt es am See keinen Vogelschutz. Die Tiere werden rücksichtslos gejagt und auf den Märkten in den Dörfern, von Port Said und Dumyât, zum Verkauf angeboten, wenn sie nicht als willkommene Ergänzung der Nahrungsmittelpalette auf den Tisch der

5.3 Eine Kleinfamilienentwicklung am See: Ein Einblick in die Rohheit und Unmittelbarkeit dieser Abhängigkeit im Leben der Leute am See liefert vielleicht die hier in aller Kürze zusammengefasste Geschichte eines Paares, das versucht auf einem exponierten und markanten Flecken im See sein Glück zu machen. Der Blick führt hierbei zurück auf den Tell von Tinnîs. Als ich ihn 2004 zum erstenmal besuchte, half mir ein freundlicher Mann, nennen wir ihn Ali, den Weg über den riesigen Tell zu finden, eigentlich nur, weil seine Frau Dina ihn dazu überredete, er selbst hatte Angst vor einem Nachbarn, der als Wächter angestellt, jetzt eben aber nicht aufzutreiben war. Sie hatten damals eine kleine Holzhütte hier, und als das Passagierschiff, das lânsh, dort anlegte, waren sie gerade dabei vor der Hütte aus dem Wasser geborgenes Zeug oder von Nachbarn und anderen Leuten gesammelte Stücke von Alteisen zusammenzutragen. Sie wollten es dann auf einem kleinen Ruderboot zum Markt nach Rawada bringen. In Rawada – so erfahre ich – haben sie noch eine Bleibe und auch ihre Kinder gehen da in die Schule.

118 | Baha El Din, ibid.

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Fischer und Jäger selbst kommen. Trotz dieser ungehinderten Ausbeute der Vogelgründe durch Jäger wird von Naturschützern argumentiert, dass die Vogeljagd gegenüber dem durch Wasserverschmutzung verursachten Niedergang der Pflanzenwelt im See eher die geringere Bedrohung für die Vögel darstellt.118 Der erste Eindruck, dass das Leben der Fischer (sayâdîn) und Bauern (fallahîn) auf dem See sich gemäß einer uralten Dialektik aus Tier- und Pflanzenwelt bezogener Lebenskraftgewinnung und den Lebensmysterien vollzieht, und dass die »Heiligen« des Sees das Heraustreten des Menschen in dieser Welt der harmonischen Naturschönheit markieren, ja symbolisch diese Harmonie wieder aufnehmen, war im Verlauf der Studie so nicht zu halten. Der »erste Blick« täuschte. Denn wenn schon im herangezogenen See-Roman des al-Bisâtî großartige Naturbilder und die darin handelnden Menschen gezeigt werden, so lag dem Autor keineswegs daran eine harmonische Seewelt darzustellen. Allerdings war es auch im Rekurs auf den historischen Instinkt wichtig, diese Komponente der Ordnungsvorstellung der Harmonie, der Abgeschlossenheit der Natur auch im Menschen, im religiösen und sozialen Denken der im See Lebenden, insbesondere derjenigen, die den »Ort« pflegen, zu verfolgen. Dabei musste dieses harmonische Bild schrittweise zerbröckeln, ohne dass die operativen Momente der Wirklichkeit deutlich wurden, mit der diese Vorstellungen und das Leben mit ihnen konfrontiert sind, sich zeigen ließen. Der »erste Blick« täuscht ebenso noch über den hohen Grad der Organisation, die eingreifenden Rechts- und Besitzregelungen unter den Menschen und die dabei gegebenen Abhängigkeit von staatlicher und gesellschaftlicher Realität im Ganzen der Gesellschaft hinweg.

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Schon im Gespräch zeigt sich, wie stark die kleine Frau und wie vergleichsweise schwach der sonst große und starke Mann ist. Die vielen Details darüber, wie es möglich war, sich hier auf dem unter dem Regime der Altertumsverwaltung stehenden Land mit dem kleinen Haus einen Platz zu schaffen, zwei Stück Vieh zu halten und zugleich noch alles zu vermarkten, was zu vermarkten ist, können wir – wenn so auch nur zum Teil uns mitgeteilt – nicht erzählen. Die Frau meint nur, sie seien arme Fellachen und in Rawada, von wo sie kommen – alle Leute hier kommen aus Rawada – könne man ohne Land nicht überleben. Land hätten sie dort keins. Über die Jahre von 2004 bis 2008, wann immer ich auf dem Kanal nach Simiriyât, Südwesten, oder nach Matariyya fuhr, traf man sich entweder auf dem Lânsh oder man winkte sich vorbeifahrend zu, oder ich stieg zum Besuch am Tell Tinnîs bei ihnen aus. Neben dem Holzhaus entstand schließlich ein kleines Ziegelsteinhaus, aus den zwei Kühen wurde eine kleine Viehherde, auf der Landbrache hinter dem Haus zum Tell hin war plötzlich ein großes Areal zum Bassin für die Fischzucht geworden, aus dem Ruderboot wurde ein großes Motorboot. Der älteste Sohn verließ die Schule und auch die kleine Tochter kam jetzt länger hierher, oft die Schule schwänzend. Im Frühjahr 2008 fühlte Ali sich schon sehr reich, er zeigte die Aale, die er zum Markt nach Matariyya bringt, er wollte zeigen, dass er es geschafft hat. Allerdings merkte man am Verhalten, der Frau und der Tochter, dass alles nicht mehr so ist, wie es früher war, dass sie nicht mehr zufrieden mit ihm sind. Vorsichtig ließ sie wissen, dass der Mann zuviel Geld für andere Dinge ausgibt, dass er die Schule für die Tochter nicht mehr bezahlen will. Vielleicht hat er gar eine andere Frau? Im Herbst 2008 traf ich Dina auf dem »Launch« zufällig in der Kabine, in der sich meist die Frauen aufhalten. Sie war alleine, ein alter Mann saß schlafend in einer Ecke. Wir unterhielten uns. Sie war bei Gericht, um mehr Unterhalt zu erhalten und das Geld für die Schule der Kinder, wie sie sagte. Dann sprach sie offen, Ali habe eine zweite Frau, gebe viel Geld für Haschisch aus, jetzt wo es ihnen gut gehen könnte, vergibt er die Chance durch das Verprassen. Er sei faul geworden und er nehme sie und die Kinder aus. Sie war gut gekleidet und schien sehr zufrieden darüber, dass sie sich entschieden hat sich zu wehren. Zwei Tage später – wir fuhren von einem Besuch in Matariyya nach Port Said zurück – wurde das »Launch« bei Tinnîs angehalten. Ali wurde in Begleitung zweier Männer aus dem Motorboot gezogen, das sein Sohn an das ›Launch‹ herangebracht hatte. Die Männer bestiegen mit Ali das Schiff, das nun seinen Weg nach Port Said wieder aufnahm. Er erkannte mich sofort, umarmte mich, fast weinte er. Über seine Stirn zog sich ein weißer Verband, so war auch seine linke Hand verbunden, er sagte etwas übertrieben, man habe ihm die Hand gespalten. Es stellte sich heraus, dass die Begleiter ein Rechtsanwalt und ein Freund aus Port Said waren, die von einem Gespräch mit seiner Frau zurückkehren. Wir setzten uns zusammen und schlürften auf dem »Launch« einen Tee, es wurde schon dunkel. Was war geschehen? Ali erzählte, er sei von

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einer Bande überfallen worden. Sie hatten ihn niedergeschlagen und eine Bootsladung Aale, die er an sie verkaufen wollte, einfach mitgenommen ohne zu zahlen. Dann erst erzählte er, dass da auch der Bruder von Dina aus Rawada mit dabei gewesen sei. Er sagte es nicht direkt. Aber er wollte es mich wissen lassen. Er sagte, der Bruder wohne jetzt mit im Haus und erhebe Anspruch auf Grund und Boden. Er beanspruche das Land, das Bassin und alles, was sie besitzen, für sich. Man könnte sagen, dass solche erschütternden familiären Konflikte, die große Schäden für alle Beteiligten bewirken, allgemein menschlich sind und überall ihre Opfer fordern. In Ägypten, das vermutet der fremde Betrachter oft nicht, gibt es eine relativ hohe Präsenz staatlicher Institutionen und einen hohen Grad der Verrechtlichung: Bürgerliches Recht, Religiöses Recht, Traditionsrecht (´urfî) sind praktizierte, sich oft überschneidende Rechtsformen. Soziale und medizinische Hilfe kann zunächst ohne übergroßen bürokratischen Aufwand in Anspruch genommen werden, der Zugang zu den nach aus der Nasser-Zeit stammenden Zentren ist offen. Im Fall von Ali war es möglich schnell nach Port Said zum Krankenhaus zu fahren, dort konnte er sich verbinden lassen. Dann erst ging er zu seinem Anwalt, der ihn zurück zum Haus am Tell Tinnîs begleitete. Dina, seine Frau, war zuvor mit einem Anwalt beim Gericht in Matariyya und hatte Anzeige oder Beschwerde (mahdar) erstattet. In der Nachbarschaft gab es niemanden, keinen Scheich, keine ältere Vertrauenspersonen, an die man sich hätte wenden können. Die Verwandten leben in Rawada. Ob diese hätten helfen können sei dahingestellt. Denn oft genug und für jeden offen sichtbar kommt es überall im Land gerade unter den kleinen Leuten des Volkes (al-sha´ab), unter Fellachen und Fischern, zu offenem, meist gewalttätig ausgetragenem Streit. Das Verhängnis nimmt dann einen mitleidlosen Verlauf: Erstaunlich wie moralisch unangefochten derjenige ist, der seine Zähne zeigt, seine Muskeln spielen lässt, seine Stimme am lautesten erhebt, wie der physisch Stärkere (wenn auch zunächst nur scheinbar) den Gewinn davonträgt. Erstaunlich ist aber auch, mit welcher Zähigkeit, Unnachgiebigkeit, und physischer Gewalt der zunächst schwach Erscheinende auf moralische Verfehlungen des anderen hinweist, Widerstand leistet, und auch selbst zuschlägt. Vermittler mischen sich sofort ein, nur selten sind es aber Höherstehende, Unbeteiligte, die wirklich schlichten können. Offene Streitfälle gehören zum Drama des Alltags. Hier am See aber ist das Potential informeller Gewalt- und Machtmechanismen ungeheuerlich. Wie sonst im Alltag sind auch hier Besitzansprüche, Zugriffsmöglichkeiten, moralische Schwächen und Verfehlungen etc. der Anlass. Dass es das dem formalen Recht vorgeschaltete traditionelle Recht (´urfi) gibt, könnte man geradezu als Aufforderung lesen, Faustrecht in Anpsruch zu nehmen. Denn der Eingriff staatlicher Gewalt vor Ort ist erst das letzte Mittel. Der Staat akzeptiert mit dem ´urfî-Recht eben auch die informellen Rechtslagen und -empfindungen traditioneller Art, wobei es immer darum geht, wie man einen Schlichter am besten auf seine Seite

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bringen kann. Beim Leben im See handelt es sich noch um eine zu regelnde Alltäglichkeit besonderer Art. Abstrakt könnte man sagen, man lebt in der Wasserlandschaft, wie die Beduinen in der Wüste, auf Gottes weiter Flur, nur gibt es hier keine wirklichen Stämme und deshalb auch keine wirklich gepflegte Tradition des Stammesrechts. Alles spielt sich im Kontext krimineller oder halbkrimineller Landnahme ab, wo Besitz nur noch zum geringen Teil durch Tradition (wad´a yadd) gesichert ist, sonst aber durch die Stärke von Männergruppen. Die Durchsetzung moralischer und rechtlicher Ansprüche geht so schnell in offenen physischen Machtkampf über, die instinktive Antizipation des Verhaltens trägt leicht zur Erhöhung der Aggressivität bei. In den vom Wasser umgebenen aber kaum klar abgegrenzten Inselgebieten ist Streit über Land vorprogrammiert. Bei den sich im Wasser frei bewegenden grünen ›Fischerinseln‹, den an die Kanäle anrainenden Fischgründen, den Tells und dem unter Recht der Altertumsverwaltung stehenden oder sich in ihrem Besitz befindlichen Land (wozu Tell Tinnîs zählt), handelt es sich immer um Staatsland, auf das »Eigentum« im privatrechtlichen Sinne nur im Ausnahmefall schriftlich, nie aber letztendlich als Titel angemeldet werden kann. Es bleibt eben immer nur Staatseigentum. So ist denn auch immer der moralische Anspruch der Familien auf den von ihnen besetztem Grund (wad´a al-yadd, wörtl.: in die Hand genommen) das einzige Mittel, das durchaus auch rechtlich in Anspruch genommen wird. Von der Regierung werden solche Ansprüche zeitweilig – und meist nur solange es konfliktfrei bleibt – geduldet. Bei Grenzstreitigkeiten, z.B. über die immer wieder zum Teil willkürlich gesetzten oder zu eigenen Gunsten verrückten Pfähle um die Fischgründe, oder auch bei familieninternem Besitzstreit kann kaum etwas friedlich gelöst werden. Man hat Waffen und setzt auf das Recht des Stärkeren. 5.4 »Abû Waffa« verteidigen: Vor diesem Hintergrund hat das Maqam des »Abû Waffa« natürlich seine besondere Funktion. Der Bau verstärkt den Anspruch der Familie auf das Inselland. Schutz vor Viehdieben oder Räubern im Fischgrund bietet es nicht. Übergriffe, wie Sâdât erzählt, passieren laufend, und um sich vor solchen Angriffen zu schützen, braucht man selbst viele Männer und Gewehre. Er ist von vier, fünf solcher Männern immer umgeben, sie kommen und gehen. Als wir, von Scharen von Fliegen umwirbelt, einmal im Flur seiner Hütte auf dem Boden lagen, bemühten sich die Männer, die den Tee reichen, nur manchmal darum die Fliegen wegzujagen. Die Fliegen ernähren die Schwalben, die im Raum unter dem Dach nisten. Aber der Zucker im abgestandenen Teeglas lockt zu viele Fliegen an und die Schwalben kommen nicht so tief herunter, wenn unten die Leute sitzen. Die Männer hier leben meist nur unter sich. Nicht nur weil die Kinder die Schule in Rawada besuchen, wohnen die Frauen im Dorf, sondern auch, weil es hier gefährlich werden kann. Alles was hier kulturelle Gestaltung ist,

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ja das Maqam des »Abû Waffa« selbst, die Ausrichtung der verschlungenen Kanäle, die zwei mühsam gepflegten und nur langsam wachsenden Bäume, die Hunde und Gänse, die Aufrichtungen von Schilfgrals um die Siedlung für das Vieh etc., alles dient direkt oder indirekt dem Schutz oder der Markierung von »Eigentum« im belebten Raum. »Abû Waffa«, das war einmal ein lebendiger Ort, ein »sauberer« Ort, wie uns gesagt wird, aber seit Jahren kommen hier schon die Frauen nicht mehr hin (kân makân nazîfa – min sinnîn mâ fîsh sittât biyegû). Als wir am Nachmittag zur Zeit des ´Asr-Gebets davonfuhren, aktivierten sie zum erstenmal seit langem das Mikrophon zum Gebetsruf, nicht eine Reaktion auf uns, sondern die Antwort auf eine im Gespräch gestellte Frage. So sind – man kann das mit einiger Sicherheit so sagen – auch die umfangreichen und durchaus kostspieligen Renovierungen am Maqam selbst eine Antwort auf unser beharrliches Fragen über die Bedeutung des Maqams im Alltag, auf die nie so recht geantwortet wurde: Jetzt erfolgte eine deutliche, bekennende Antwort, die nicht nur von den beiden alten Brüdern kam, sondern auch von Muhammad und der Gruppe der Jungen. Gehört dazu auch die Tatsache, dass Muhammad trotz aller Widrigkeiten für die Zeit der Schwangerschaft seine Frau – die vor mehr als einem Jahr ihr erstes Kind verloren hatte – jetzt an das neu eingerichtete Schilfhaus ganz in der Nähe des Maqams bindet? Nicht alles ist Reflex auf die »Beobachtung«, die wir auf diesen Ort richteten, und es ist nicht zu bestimmen, was in einiger Zeit hier sein wird, doch die wenigen hier vollzogenen Eingriffe sind ein deutlicher Beweis dafür, wie bewegt und lebhaft man auf den Kontakt mit den Fremden reagierte. Unter dem Gesichtspunkt der sich abzeichnenden Verwicklungen des Ortes nach Außen und zur Situation am See als Ganzes ist es hilfreich, wenn ich das Blickfeld noch etwas erweitere und kurz einige Momente der lokalen Ordnung beschreibe. Es gibt die Heiligen-Ordnung, die Polizei-Ordnung, die Schul-Ordnung, die Wirtschafts-Ordnung, alles stark miteinander verbunden, ineinander wirkend. Da es keine Schulen im Seegebiet gibt, macht die allgemeine Schulpflicht den Aufenthalt zumindest eines Familienmitglieds im Heimatdorf zwingend. Port Said ist offen erreichbar, die Polizei- und Zollstation am Anlegeplatz der »Launchs« müssen passiert werden, das muss nicht, kann aber als Bedrohung gesehen werden. Kontrollen sind nicht häufig, aber unter Umständen willkürlich. Was die Sicherheit anbelangt, so ist es erstaunlich, wie gering der Zugriff der Ordnungsmacht letztendlich ist, und wie vehement er sein kann, wenn er wirklich einmal eintritt. In Matariyya schließt der Tagesmarkt unmittelbar an Anlegestelle und den Fischereihafen an. Das macht die Verbindung leichter, der Warentransport wird hier nicht kontrolliert. Es ist vielleicht noch wichtig etwas zur Ökonomie des Ortes um »Abû Waffa« nachzutragen: In der Siedlung der Sihrîs gibt es etwa 20-30 Kühe – man ist also vergleichsweise nicht »arm« im ökonomischen Sinne. Sie haben im Jahr 2006 etwa 7.000 L.E. für den Moschee-Bau ausgegeben, das ist sehr

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viel Geld. Wird es sich auszahlen? Das kann nicht gefragt werden. Jede Woche bringt ein Boot 20 baramîl (Zinkfässer) mit Trinkwasser für die Menschen und das Vieh, Geflügel etc., bei 2.50 bis 3.00 L.E. kostet das 50 L.E. »Wir sind Fischer, aber wir halten auch Vieh und Geflügel« (Ihna sayadîn wa madrabna bardu mawashi, tuyur wa batt), sagen sie stolz. Was die Anzahl der Menschen betrifft, die im See leben oder hier arbeiten, so kann man heute kaum gesicherte Zahlen nennen. Die Zahlen, die gegeben werden, sind fließend: vielleicht sind es 30.000 Menschen, die im Seegebiet wohnen, eine realistische Zahl, vielleicht weitere 30.000, die täglich hinausfahren oder über mehrtägige Arbeitsperioden hinweg dort operieren. Die Fischerei-Arbeiter, nennen wir sie so, kommen nicht nur aus Matariyya, Gamaliyya oder Manzala, viele kommen aus fast allen Bezirken des nördlichen Deltas. Wie Ali am Tell Tinnîs siedelt – es ist vielleicht ein Zufall aber Ali kommt aus Thumais al-Amdîd bei Sinbalawîn – so fanden wir am Tell Lagan eine Gruppe bestehend aus Vater und zwei Söhnen aus Mitubis zwischen Fuwa und Rashid. Es sind auch solche Zufälle, die darauf aufmerksam machen, wie eng die Orte im Norddelta mit einander vernetzt sind. Sie kommen gewissermaßen im Schichtwechsel hierher, wohnen in einer Hütte und halten Vieh und fischen: Sie wechseln sich ab, zwei sind immer da, während einer die Runde verlässt und nach Hause fährt. 5.5 Tierhaltung, Arbeitsorganisation und Ordnungsprobleme: Die sozialen Bedingungen, die diese ›Ordnung‹ hervorruft, lassen sich bei einem kurzen Blick in die Fischerviertel von Matariyya erhellen. Am berüchtigtesten ist das Stadtviertel, das ursprünglich von einem Beduinen-Stamm, den Bani ´Uqba besiedelt und in Besitz genommen war. Es heißt heute al-´Uqbiyya und ist seit Jahren in der Mehrheit von jungen Leuten besiedelt, die sich schon als Halbjugendliche und meist ohne Schulabschluss als Fischerei-Arbeiter verdingen. Ich hatte das Glück bei einer frühen Fahrt mit dem »Launch« (lânsh) von Port Said nach Matariyya ein junges Paar mit einem etwa zwei Jahre alten Kind auf dem Deck zu sprechen. Sie machten einen sehr aufgeschlossenen Eindruck, obwohl die junge Frau, gänzlich schwarz gekleidet, mit einem Gilbâb, man möchte sagen mit einer Vollverschleierung eigentlich völlig »harâm« war, und jeder Kommunikation unzugänglich hätte sein müssen. Ich unterhielt mich allerdings vor allem mit dem Ehemann und Vater und schäkerte mit dem Kind, und als wir die Geschichte der Familie ein bisschen besprachen, trug auch die Frau einige Bemerkungen bei. Das ist in Ägypten durchaus nicht unüblich, nur in diesem Fall überraschte es mich wegen der Vollverschleierung. Sie erweckten den Eindruck eines »wohlhabenden« Paares. Aber auch darin hatte ich mich getäuscht. Sie stammten aus dem ´Uqbiyya-Viertel. Er hatte 10 Jahre als Arbeiter beim Fischfang gearbeitet, Geld gespart, und davon ein kleines Fûl-und Ta´amiyya Restaurant mit Wohnung erworben. Die Frau musste dann doch, als sich das Schiff langsam

a) al-bashnîn, meint hier eine abgesteckte Seerosenfläche, die als Eigentum gehandelt wird. Man fängt dann die darunter brütenden Fische mit einer Gruppe von Männern. Das kann auf verschiedene Arten geschehen (s.u.); b) at-tahawîd, man steckt innerhalb des bashnîn oder auch in offenem Wasser eine Art Reusenfeld ab, aber auch dazu braucht man ein »Feld« als Eigentum; c) al-laffa, Fang in offenem Wasser, meist mit verschiedenen Netzarten, Netzfang in offenem Wasser mit breitem Netz, dabei wird das Netz hinter der Feluke hergezogen. Ein Mann sitzt in der Feluke und schlägt mit

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füllte, in den Saal »unterdeck«. Ein ganz anderes Bild ergab sich beim Besuch in dem Viertel selbst. Vier krächzende Mikrophone mit schlechtesten Stimmen und ungeschultem Gesang riefen zum Gebet. Als ich mich lächelnd beschwerte, dass das wohl nicht sehr angemessen sei, erfuhr ich keine Bestätigung. Man wollte darauf weiter nicht eingehen. Die bald eintreffenden Sicherheitsleute in Zivil aber baten mich zum Verhör beim Offizier. Ich folgte ihnen nicht und nach ein wenig Auftrumpfen und Androhung mit der Intervention höherer Stellen ließen sie mich in Ruhe. Später kam der Offizier persönlich, entschuldigte sich und begleitete mich zum Schiff zurück. Aber das sind die Viertel, die bei uns über Fernsehbilder von anderen Orten der muslimischen Welt, wie etwa dem Gaza, vorstellig werden; Orte, in denen religiöser Code und Habitus in einer Weise durchgesetzt werden wie dort gezeigt. Es ist diese Vermischung von Notwendigkeiten des Lebenszyklus, Verslumung und Vermüllung, Tierhaltung auf Straßen und in Wohnungen, absoluter Verarmung und Drop-outs, radikalen Gruppen, strenger Orthodoxie, lokaler Politik bis hinein in die Sicherheit und Verwaltung, die solche Viertel kaum noch regierbar machen. Bei dieser Durchflechtung der Kräfte hängt alles davon ab, dass man sich arrangieren kann. Wenden wir uns nun den Arten des Fischens zu. Die Rhythmik und Bewegungsarten im Arbeitsprozess des Fischfangs, immer wieder das Untertauchen, Stoffmasken über den Gesichtern gegen Kälte und Sonne, Wasseranzüge aus Kunststoff, das alles spricht von sehr anstrengender Arbeit, bei der ältere Männer kaum bestehen können. Aber manch älterer Mann, der sich wohl nicht mehr verdingen kann, bleibt dann allein im See und versucht sein Glück auf eigene Faust. Die frei sich auf dem See bewegenden »grünen Inseln«, die nichts anderes sind als zum Fischfang mit modernsten Mitteln der »chemisch-biologischen« Züchtung gerüsteter »wilder« Besitz derjenigen, die sie anlegen lassen, können so aber auch nicht anders von »fremdem« Zugriff verteidigt werden als von den jungen Männern. All das verschärft natürlich nur das allgemeine Chaos und die Ordnungslosigkeit der Zustände. Dass aber doch alles auch eine Art Arbeitsordnung hat, kann ich kurz am Beispiel der Begriffe sagen, die für das Fischfangen gewissermaßen feste Topoi der Verständigung darstellen, so auch »Organisation« repräsentieren:

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einem Stück Holz auf den Boden des Boots, so dass er die Fische ins Netz treibt: bi-yirmî al-shabaka fi’l-mâya, bi-khabat ´ala’l-filûka; d) al-taraha, shabaka mudwarra wird ausgeworfen, an dem Netz hängen nach unten beschwerende Blei-Patronen, rusâs, sie werden dann im offenem Wasser über den Seeboden gezogen; e) al-gargara, ein breites rusâs-beschwertes Netz wird in der Form eines Halbkreises etwa auf einer Breite von 20 m über dem Meerboden durch das Wasser gezogen. Hinter dem Netz laufen etwa 15 bis 20 Männer und suchen den Boden nach den in den Seeschlamm geflüchteten Fischen ab (nimsikû ´ala ´ard). Hinzu kommen die Einzelfangarten von Fischern, die alleine im Wasser sind, d.h. sich oft auf eigene Faust wild den ganzen Tag im Gewässer herum treiben. Nicht selten werden sie dabei von den Besitzern der Fischgründe gestellt und vertrieben, wenn diese meinen, ihr Revier sei betroffen: a) sayâda al-ghats, man treibt den Fisch durch lautes Schlagen auf eine mitgeführte im Wasser schwimmde Plastiktonne ins Schlammwasser und fängt ihn dort unten beim Untertauchen mit der Hand ohne Netz; b) al-laffa, mit Netz, wie oben, eben nur auf die Möglichkeiten eines Einzelnen abgestellt; c) al-gargara, mit Netz. »Fisch« und »Wasser« waren nicht mein Thema. Aber die Härte der allgemeinen sozialen Bedingungen, unter denen die Menschen leben, musste zumindest angedeutet werden, damit man überhaupt verstehen kann, was es mit dieser systematischen und körperlich so durchorganisierenden Religiosität auf sich hat. Sie regelt und integriert Körper und Individuen im Kollektiv, vielleicht vermittelt sie eine Vorstellung von allgemeiner Ordnung, die es dem Einzelnen erlaubt, über das Chaos, den schwer erträglichen Schmutz im Wohnviertel wie im Wasser hinwegzusehen. Letztendlich ist es die Ordnung des »nackten Körpers«, der sich durch die (religiös vorgeschriebene) Reinigung, die innere wie die äußere, über den Unrat der Welt erhebt und so kann sich auch Bewegung, wie auch Kleidung, in etwas auflösen, was kaum wahrgenommen sondern nur gelebt wird, Naturgegebenheit, ja auch Naturschönheit ausstrahlen. Die Arbeit selbst erfordert ständiges Reinhalten des Körpers, denn das Wasser ist nicht sauber. Auf den Booten werden zuerst die Wasseranzüge abgelegt, Körperwäsche, Gebet, Essen, in dieser Reihenfolge sind Individuum und Kollektiv auf den Booten organisiert, dann die Netze, Schlafen. Es sind die Erniedrigungen bei der Arbeit zu überwinden: das quasi animalische Tauchen im Wasser, tagelang, dann auf engstem Raum im Kollektiv zu sein (in fast quasi-militärischer Organisation), all das ist erst im Gebet, der moralischen Forderung des Tages, zu überwinden. Dem widerspricht es nicht, dass schon viele junge Leute dem Haschisch verfallen sind.

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Das Teetrinken und die Wasserpfeife sind in den Pausen und am Abend die einzigen »Extras«, die sie sich leisten können. Ungebrochen ist aber immer der Drang ein unmittelbares Leben zu führen, das auch ein religiöses ist. Der westliche und süd-westliche Teil des Sees ist mit ausgedehnten Schilfflächen überzogen. Auch diese werden bewirtschaftet, und das Schneiden, Sammeln, Bündeln und Abtransportieren des geschnittenen Schilfs stellt ein ›Handwerk‹ ganz eigener Art dar. Am Südufer des Sees in Matariyya und in allen ansiedelnden Dörfern bis nach al-Gamaliyya, werden dann auf vielfältige Art verwendete und vermarktete Schilfmatten (hasîra) hergestellt: als Bodenbeläge, Baumaterial für Decken, ja selbst in den Hafen von Port Said und nach Port Fuad werden die Schilfmatten an Verpackungsfirmen geliefert, wo sie zur Verpackung und inneren Abdeckung der Kisten genutzt werden. Wie lange noch? Während in den mehr landwirtschaftlich genutzten Teilen der Inselwelt des Sees im Osten der Schilf kaum die Größe erreicht, die zur Marktnutzung erforderlich ist, und hier nur meist an Kanalufern und bei Teichbegrenzungen gezogen wird, ist die Seelandschaft im Westen in großen Flächen ganz von diesen weiten, hochragenden Schilffeldern geprägt. Von dort kommen denn auch die schwer belasteten Segelschiffe, die mit großen Schilfbündeln unter den Segeln nach Matariyya zurückkehren – ein wunderbarer Anblick wie aus längst vergangener Zeit. Das Schilf ist eben auch billiges Baumaterial in den Dörfern und findet überall noch vielfältige Verwendung. Ein Teil wird über Lastwagen im ganzen Delta verteilt, wo man in jedem Dorf die hierfür spezialisierten Kleinhändler findet. Das Grün des Ostteils des Sees ist von Seerosen (bashnîn) beherrscht, die sich wie Unkraut frei wuchernd im Wasser ausweiten. Bashnîn steht nicht nur für den Namen der Seerose als Pflanze sondern für das ganze Areal, auf dem sie sich im See verbreiten. Dabei ist die Verbreitung selbst eine sehr zweideutige Angelegenheit. Die Pflanze wächst sehr schnell und wandert auf natürlichem Weg und durch intensives Wachstum in den See hinaus. Sie verbreitet sich auch durch Windtrieb und Strömung auf dem Wasser. Hinzu kommt, dass die Fischer sich der Pflanze bedienen um Fischgründe anzulegen. Ein schönes, wichtiges Tier ist der auf dem Märkten von Matariyya und Nusaima gehandelte Pelikan (al-baga´a, Schwan; Schwäne sind aber auf dem See nicht zu finden), der oft, wo man es sich leisten kann den relativ teueren Vogel zu halten, als Schmucktier am Wasser vor dem Haus gehalten wird, ein Zeichen des Wohlstands. Mir wurde einmal gesagt, er werde zum Fischfangen für die im See lebenden Menschen heran gezüchtet, wobei ihm die Flügel gestutzt werden, damit er nicht wegfliegen kann. Frauen, die zu Hause bleiben, könnten ihn in den Gewässern vor dem Haus zum Fischen einsetzen. Aber diese Auskunft erwies sich als durchaus bezweifelbar. Weiter nachgefragt, wurde der konkrete Nutzen des Tieres eher gering eingeschätzt. Es wurde auch gesagt: Nein, der fängt keine Fische, der frisst sie.

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Man sieht ihn freundlich unter den Hunden, Gänsen und Enten in der Umgebung der Häuser und am Wasser streunen, ein Tier das sehr genau auf persönliche Zuordnungen und Neigungen reagiert. Offenbar aber – so achtsam scheinen dann die Fellachen, die sie halten, nicht immer zu sein – gelingt es ihnen gelegentlich davonzufliegen. Eine Frau berichtete, ihr sei ein entflohener Pelikan, nachdem sie ihn überall in der Gegend gesucht hatte, schließlich dann doch wieder zugeflogen. Der Pelikan scheint aber auch als Leckerbissen durchaus nicht verachtet zu werden. Wie gesagt werden in jedem Haus im See Enten und Hühner gehalten. Halbwilde Hunde streunen um jeden Siedlungsplatz, werden nie im Haus gehalten. Nur selten freundet man sich mit ihnen an, meist sind es Kinder. Eine Vorstellung, die jedem Kairoer119 und den meisten Dorfbewohnern in Ägypten ein Graus ist, nämlich auf engem Raum sei es auch außerhalb des Hauses, mit einem oder mehreren Hunden (kalb, pl. kilâb) zusammenleben zu müssen, ist hier im See realer Alltag. Wie die Gänse dienen sie der Frühwarnung vor Fremden oder unvorhergesehenen Besuchern, die sich unbegleitet dem Haus nähern. So nah habe ich Mensch und Hund nirgendwo in Ägypten beieinander gesehen wie hier in den einsamen Siedlungen im See. Al-Bisâtî, der den Einzug der Frau mit ihren Halbwaisen-Zwillingen in die von dem alten Fischer vorbereitete Wellblechhütte beschreibt, trägt dieser Dauerexistenz des Hundes auf einfühlende Art Rechnung: »From his place in the boat where he is fixing the fishing net, he sees the smoke rising from the stove behind the hut in successive waves, that the wind disperses. The woman comes and goes, and his eyes follow her until she is out of sight. His fingers run with the thread between the wholes of the net. The three chickens, which she brought with their feet tied, peck at the ground. The rummage through the odds and ends he brought from his caches. A scrawny dog, which turned up suddenly after they settled in, follows the boys wherever they go, wagging his tail and barking mildly.«120

Wenn man die Ägypter im See im alltäglichen Umgang mit Tieren beobachtet, spürt man durchaus jene kulturellen Spuren, die das Tier keineswegs unter hierarchischen Gesichtspunkten in das Leben einordnen. Am deutlichsten sind diese Spuren, wenn man sieht, wie wenig sich die Ägypter um Domestizierung und ordnende Beherrschung der Tiere um sie herum kümmern. Während die Alten die Tiere noch wie gleichberechtigte Individuen, oder eine Spezies der anderen »Nation« behandeln,121 ja, wie Präsentationen des 119 | Mit Ausnahme jener erlesenen Schicht, die mit viel Geld und großem Aufwand sich auch in Kairo das Halten edler Hundearten leisten, ja diese etwa durch die Straßen Zamaleks führen lassen, oder sie selbst in den großen Clubs an ausgewählten Orten spazieren führen, wobei die Hunde meist selbst Gegenstand des leichten Kontakts und der Unterhaltung werden. 120 | al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (engl.), S. 10-11. 121 | Janssen, Egyptian Household Animals, S. 62.

122 | Handoussa, Le Chien. 123 | Für die Alten vgl. Brunner-Traut, Altägyptische Tiergeschichten.

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eigenen persönlichen Erfolgs,122 ist dies heute darin leicht wieder zu erkennen, dass sie – in wechselnden Rollen als Freund wie als Feind – völlig in ihrer eigenen (Seelen-)Welt belassen werden. Man nähert sich ihnen nicht, um sie durch Verstehen zu beherrschen, man versteht sie oder man beherrscht sie. Aus beidem zieht man, wie die Alten auch, Strahl- und Lebenskraft.123 Sie bewundern die Tiere wegen des Ausdrucks ihrer Schönheit und ihrer Instinkte, doch können sie diese auch schlecht behandeln, wenn sie unmittelbar nicht »ins Bild« passen oder sie sich von ihnen gestört fühlen. Fast überall sieht man Wasserbüffel und Kühe (mawâshî), die sich von jungem Schilf und den Seerosen ernähren, ebenso Schafe und Ziegen. Ein letztes zum Thema Ordnung: Es gibt die Heiligen-Ordnung, die Polizei-Ordnung, die Schul-Ordnung, die Wirtschafts-Ordnung alles natürlich stark miteinander verbunden. Die inneren Momente der Verbindung werden dann offen aktualisiert, wenn es wirkliche Ordnungskonflikte gibt. Bei diesem holistischen Ordnungsverständnis ist es kaum verwunderlich, dass, was die Sicherheit anlangt, der Zugriff der Ordnungsmacht im allgemeinen nur sehr gering sein kann. Staat und Religion sind, wie schon mehrmals betont, im Seeleben äußerlich vernachlässigte Kategorien und doch greifen sie immer wieder ins Leben der Menschen ein. Während die Seefischer, die in kleinen Booten um ihre Siedlungspunkte herum zu den Fischgründen fahren, im Haus, am Ufer, und im Boot das Einzelgebet, in ungebundener Zeitfolge – wenn überhaupt – verrichten und nur zum Freitag sich in den wenigen Moscheen sammeln, ziehen die Fischerei-Fischer, die in Gruppen bis zu 9 Leuten und mehr auf einem Boot oft mehrere Tage verbringen, das Kollektiv-Gebet vor. Besonders wenn sie nach der Arbeit auf den Decks ihrer Schiffe oder auf einem Kajüten-Dach sich in Gebetsreihen zum Maghreb-Gebet formieren, macht dies vor dem Sonnenuntergang auf den Beobachter einen tief ergreifenden überwältigenden Eindruck. Sonst aber, es sei denn Streit zu regeln oder das Ranggefüge in den Gruppen zu ordnen, spielt die »Religion« eine sehr geringe Rolle. Selbst die, die wie etwa Sadât as-Sihrî mit dem Maqam des Abû al-Wafâ‘ einen Ort der Heiligenverehrung und einen Maqam- und Moscheebau begründen, sind in religiösen Dingen unwissend und des Lesens kaum mächtig. Das ändert sich inzwischen in der Jugend, aber auch hier reduziert sich »Islam« weitgehend auf Gebet, begrenzte Zurücksetzung der Frau und formale Gestaltung der Festtage etc. Fast jeder Junge unter den Fischern ist Analphabet. Bedeutsamer, weil bedrohlicher, ist der Staat, wo er mit seinen Repräsentanten eingreift, wo Regeln gesetzt werden, die nicht oder nur schwer einzuhalten sind. Aber auch die großen Projekte in gutem Sinne des Allgemeinen haben Wirkungen, die die Menschen gewissermaßen von hin-

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terrücks treffen, und man weiß ja nicht immer, welchen Interessen sie folgen. Eine Anekdote aus Kairo, die das Leben auf dem See einmal sehr betreffen könnte: Da erreicht mich und auch die englisch sprechende und damit begrenzt einflussreiche Öffentlichkeit Ägyptens eine in der Leitartikelspalte vorgetragene Nachricht der Egyptian Gazette vom 21. April 2008 auf Seite 4 unter dem Titel »Delta under threat«. Unter Bezug auf die Auswirkungen der Klimakrise und des global warming erfahren wir, dass in den kommenden 25 Jahren etwa 1,5 Millionen Feddân fruchtbarsten Agrarlandes durch die erwartete Überflutung durch das Mittelmeer verloren gehen könnten.124 Der Wissenschaftler Farouq al-Baz wird mit der Meinung zitiert, man könne sich nur auf andere Teile des Landes (sprich die Wüste) zurückziehen. Dagegen weiß der »internationally famed Egyptian architect Mamdouch Hamza involved in the construction of Alexandria Library«, wie man das Land retten könnte. Er hält zwei Möglichkeiten parat: Man könne eine große Schleuse in der Straße von Gibraltar bauen und damit den Wassereinbruch des Atlantik ins Mittelmeer stoppen. Da dies aber das Seeleben bedrohe und die Kooperation aller Anrainer-Staaten erfordere, schlägt er eine zweite Lösung vor. Man solle einen Betongürtel (»a big wall with its base in the sea bed«) entlang der Küste bauen, der nicht teuerer wäre als das Abwasserprojekt für Groß-Kairo und immerhin 15 % des fruchtbaren Landes im Delta retten würde. Eile sei angesagt, denn Salzwasser wurde schon bis hinunter nach Tanta gefunden. Natürlich kann in einem Leitartikel das ökologische Ausmaß eines solchen Projektes nicht abgewogen werden, auch nicht die Folgewirkungen für die mehrere Zehntausende umfassende Bevölkerung der Brackwasserseen hinter der Küste. Aber da die gesamte Küste von Marsa Matrouh bis nach Port Said längstens mit Ferienkondominiums der ägyptischen Mittelschicht zubetoniert ist, kann ein Betonwall davor sicher auch noch einige Zeit auf sich warten lassen. Besagter Architekt allerdings ist in Kairo vor allem als renommierter Brückenbau-Spezialist und Statiker bekannt, als solcher war er auch am Bau der Alexandrina beteiligt. Die Regulierung durch Staat, Interessengruppen und Ökonomie greift natürlich auch in das Denken der Menschen ein. Da stellt sich die Frage, welchen Raum die heiligen Orte hier überhaupt noch beanspruchen können. Zunächst noch einmal die Komponenten der Regulierungen: Wir haben das Verbot des Fischfangs zu bestimmten Zeiten, das Verbot der Verwendung kleiner Netze, Lizenzbeschränkungen bei Schiffsmotoren. Diese Verbote werden polizeilich durchgesetzt und zugleich auf vielfältige Weise unterlaufen. Motorboote, Boote ohne Lizenz, oder verbotswidrig Fi-

124 | Wer sich ein Bild von der Angst machen will, die jeden Landbesitzer dort bei solcher Nachricht befällt, möge an den gegenwärtig im Delta an guten Orten gehandelten Preis pro Feddân (ca. 4200 qm) erinnert sein: ca 500.000 ägypt. Pfund das entspricht etwa 60.000 Euro.

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schende werden aufgebracht, die Kleinfischer u.U. mit Schnellbooten und Gewehren verfolgt. Zwei Lesearten gibt es hierüber: Erstens, das Katz- und Mausspiel mit der Polizei, weil man z.T. schnellere Boote und bessere Wegkenntnis im Schilf besitzt. Zweitens, man unterliegt, weil die Polizei immer auch schnelle Boote aktivieren kann und durch spezielle, unter den Fischern rekrutierte Späher auch noch den letzten Ort aufspüren kann, man hat ja schließlich auch ein Spezialtraining. Beide Lesarten sind Realität und ergänzen sich gegenseitig. Man führt etwa Razzien durch um unlizenzierte Motorboote, vor allem Schnellboote, einzukassieren. Bei einem solchen Boot kostet allein der 115 HP starke Außenbordmotor etwa 45.000 L.E. Die Polizei verfügt nur im Ausnahmefall über Boote mit dieser Stärke, sie kennt sich aber auch nicht in den Schilfwegen aus. Es finden – wie bereits erwähnt – fast regelmäßig Jagden statt, die die Fischer meist gewinnen, durch horse power und Ortskenntnis. An den Polizei-Plätzen, insbesondere an den Kanalöffnungen zum Meer, al-bughâz, sammeln sie die konfiszierten Boote und Bootsmotoren, die dann wieder zurückgekauft werden können. Die Bewachung der Tells durch die Altertumsveraltung wird im Allgemeinen sehr ernst genommen. Dennoch gelingt es einzelnen Siedlern an den Rändern der Tells auf brachliegendem Land Hütten anzubauen, Vieh zu halten, ja, wie wir gesehen haben, eventuell auch Fischteiche anzulegen. Das erste, worüber der Staat angenommen und anerkannt wird, ist der Schulzwang: Die Kinder sollen in die Schule, dafür opfert man Vieles. Hier bleibt folgende Frage unbeantwortet: Bleibt noch Raum für die Heiligen in dieser Situation des »zweiten Blicks«, des Blicks hinter die Kulissen der schönen Natur, einer »wilden« Massenökonomie des Fischfangs und der Viehzucht auf unmittelbarster und für die meisten auf ärmster Basis des Austauschs mit der Natur einer Massenökonomie, die aber letztendlich durch Mechanismen des Geldes und der Verwaltung von außen, gewissermaßen aus der Distanz heraus, reguliert wird? Bleibt in dieser Situation noch Raum für die Heiligen? Wir haben gesehen wie die schutzlosen, nicht registrierten Heiligen und ihre Qubbas im See entweder zerstört oder verrottet stehen gelassen werden: Wir haben auch gesehen wie die zwei »offiziellen« Heiligen, ´Abdallah b. Salam und »Abû Waffa«, in unterschiedlichen Weisen und Funktionen gepflegt und erhalten werden. Aber dennoch stellt sich die Frage. Wird es in dieser gesamten Situation über die reinen Orte hinaus noch Vorstellungen geben, die die Pflege und Praxis der Verehrung, damit eventuell auch die Neukonstruktion alter Heiliger ermöglichen? Die Massen der Männer, junge wie alte, sind in die Maschine der wirtschaftlichen und staatlichen Zwänge eingebunden. Sie vertreten gewissermaßen einen mechanischen Bezug zum Heiligen als innere Ordnung der offiziellen Religion. Das kann, aber das muss sich nicht in »Fundamentalismus« äußern. Von der Sicht des »zweiten Blicks« her wird es weiterhin eine große Massenreligiosität geben, die gewissermaßen in funktionalem Zusammenhang zur ökonomi-

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schen und staatlichen Maschinerie steht. Aber diese Religiosität will »Heilige« nicht anerkennen, geschweige denn ein Neuerstehen der Qubba-Kultur dulden. Doch während ich dies festhalte, muss an Muhammad, den jungen Sihrî gedacht werden, der zusammen mit seinem Vater und seinem Onkel für die große Anstrengung der Renovierung des »Abû Waffa« steht. Zu erinnern ist daran, dass er seine junge Frau zur Zeit der Schwangerschaft aus Rawada hierher in eine – in der Tat sehr sauber hergerichtete – Schilfhütte holte. Es ist zu erinnern, dass sie bei der ersten Schwangerschaft das Kind verlor. Bei der zweiten Schwangerschaft sollte »Abû Waffa« zugegen sein. Man renovierte ihn, eben nicht nur, weil die Fremden ihm Interesse entgegenbrachten, sondern auch weil die Ehefrau und das ungeborene Kind Segen brauchten. Das Kind wurde geboren, und man rate, wie er genannt wurde, nicht »Abû Waffa« natürlich, sondern Muhammad. Aber, hier kann man vielleicht etwas beobachten, was wir in dieses Syndrom des Mysteriums des Lebens einbauen können: Über das Bedürfnis einer Frau in der Zeit der Schwangerschaft hinaus werden die beiden Muhammads den »Abû Waffa« auch in der Zeit der Massenmaschinerie verehren, verteidigen und pflegen. Auch das wird also moderne islamische Kulturpraxis bleiben!

Der »zweite Blick«: die moderne Unmöglichkeit

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27 Ali und Dina mit Kindern

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28 Dina mit jüngster Tochter

29 Vorbereitungen zur Fahrt mit den Aalen zum Markt

30 Kanalschlepper vor Matariyya

31 Fischer bei der Arbeit in Bashnın

Der »zweite Blick«: die moderne Unmöglichkeit

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32 Fischer bei der Arbeit in Bashnın

33 Wasserversorgung

34 Arbeiten auf dem Boot

Der »zweite Blick«: die moderne Unmöglichkeit

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35 Transport der Aale zum Markt

6. Epilog 6.1 Ägypten und das »méditerranée«: Ich möchte diesen Bericht über die Leute am See und den »Abû Waffa« mit Betrachtungen beenden, welche die eingangs gestellten Fragen nach dem hier vorliegenden besonderen, inneren Zusammenhang der Konstruktion des Heiligen mit Natur, Geschichte und Mensch wieder aufgreifen. Das »Besondere« an der sozialen und kulturellen Situation der Menschen auf dem See ist ihr »Draußen-Sein«, das »Auswärtige«, »Draußen-Liegende« nicht nur im bloßen sozialen und kulturellen Bezug zur Gesellschaft, sondern ihr gewissermaßen dingliches Draußen-Sein im Wasser, das selbst – im Gegensatz zur Wüste – ein unmittelbares und offenes Kommunikationsmittel, ja schnelles Verbindungsmittel ist, andererseits aber auch im Grün der Pflanzenwelt die Bedingung eines weitgehend verborgenen Lebens setzt. Mir scheint dies, und ich habe das schon in den Eingangskapiteln angezeigt, eine Bedingung zu sein, die historisch mit den Seekriegen eng verwandt ist, nicht nur, weil die Region selbst immer wieder das Schlachtfeld für solche Kriege abgab, sondern auch weil es eine historisch-geographische Komponente mit einschließt, die von grundsätzlicher Bedeutung für Kulturkontakt und Kulturentwicklung ist. Die Seevölkerbewegung zum Beispiel und ihr Einfluss auf das frühe Europa ist ein Thema, dem für den Prozess der Konstruktion von »Europa« grundlegende Bedeutung beigemessen wurde. Mit ihr verbindet sich die Vision des »Anderen«, des Barbarischen, das Bewegung in die eingewickelten sicheren Pfade der Kultur der Sesshaften bringt. Es handelt sich um die Vorstellung jener vom Meer her eindringenden, wilden Völker, die das Gefüge der gewachsenen oder der neu wachsenden Zivilisation im Mittelmeerraum durcheinander gebracht haben. Damit gerät natürlich auch die Vorstellung von einer aus dem Innern heraus sich Bahn brechenden Entwicklung lokaler Kulturen – wie bescheiden auch immer – in Zweifel. In der kleinen Welt des Entstehungsprozesses des »Abû Waffa« im Manzala-See sind solche Momente durchaus sichtbar: Der von der Meerseite herankommende Heilige, der in schweren Kriegszeiten und bei harten natürlichen Bedingungen das Ausharren am Ort ermöglichte, repräsentiert im Kleinen gewissermaßen eine von Außen eindringende Macht. In Muhammad al-Bisâtîs Roman, der im Mythos der Leute vom See die Wildheit der periodisch vom Meer her Eindringenden oder von in verborgenen Orten des Sees Siedelnden aufgreift, ja sie zur ständigen Chaotisierung des normalen »modernen« Lebens an den Ufern des Sees macht, wird dieser Faden aufgegriffen. Hier ist ein Szenario, das, wenn es nicht bewusst auf Geschichte zurückgreift, instinktiv eine lokale historisch-geographische Situation widerspiegelt. Der Topos »des auf dem/in dem Wasser Lebens« oder des »vom Wasser her Kommens« ist natürlich über den Fall der Arrangements des Alltags »im Kleinen« hinaus interessant. Der Seevölkereinfluss – (sind es nun die vom Meer her eindringenden »Seevölker«, im nordöstlichen Teil des Nildeltas als

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Teil einer mediterranen Völkerbewegung, oder handelt es sich um schon lange im »Großen Grün« siedelnde Völker?) – ist historisch und kulturell nicht von der Hand zu weisen. Aber um wen handelt es sich wirklich? Wir wissen es nicht. Es gibt aber offenbar schon in pharaonischer Zeit und über viele Dynastien hinweg immer wieder die hier einfallenden trouble-makers. In der Tat spricht das unter Ramses III entstandene Relief, das hier oft herangezogen wird, eine deutliche Sprache. Der Angriff aus flachen, kleinen Booten heraus,125 der sich gegen die gut organisierten Besatzungen der größeren Boote der Ägypter des Pharaos richtet, legt die Verortung der Schlacht in den Fluss oder gar in das ewige Sumpfland im Norden und Osten des Deltas nahe. Das Entscheidende aber ist, dass die materielle Kultur der Fischer und Seen bewohnenden ›Völker‹ – ähnlich wie die Beduinen – für das Verständnis von Kultur und Gesellschaft Ägyptens von Bedeutung ist, dass die hier gelebten Bilder von Wildnis und Freiheit auch in die Symbolsprache der Kultur Eingang gefunden haben. Noch heute gelten – wie al-Bisâtî vermittelt – die Bewohner des Sees, und besonders diejenigen des nördlichen ans Meer grenzenden Teils des Sees als trouble-makers unter den Leuten der angrenzenden südlichen Dörfer der See-Region. Wenn es sich heute vielfach um aus halbkriminellen Milieus der Metropolen aber auch aus den Dörfern des Deltas Geflohene handelt, so kann das durchaus auch ein historisch überkommenes Siedlungsmuster sein. Auch damals kann es sich um »ausgewanderte«, der Macht des Pharaos entronnene Bevölkerungsgruppen gehandelt haben, die nun nicht in der Wüste, sondern im See und den Sümpfen ein freies Überleben suchten. Gerne nehmen wir natürlich Nibbis These ernst, dass es sich bei dem See wirklich um einen festen Topos der Pharaonenzeit, das »Große Grün« (w3d-w3) als Teil des Deltas handelt.126 Ich kann mir auch den in diesem Zusammenhang interessanten Hinweis auf eine Urform »hybrider« Kunst nicht verkneifen: Unter dem Aspekt der breiteren mediterranen Kultur-Bedeutung der »Seevölker« sind eben eine Reihe von Motiven interessant, die immer auch Anlass zu Spekulationen über Herkunft und Verbreitung im Mittelmeer waren. So etwa der »Schwanzverschlinger«, »Schwanz im Maul« als Bild der gekrümmten Zurückwendung des Seins zum Nichts als ägyptisches System der Ringelschlange,127 die mit dem Motiv einer Etruskerfigur im Florentiner Museum kollidiert, eine Figur des Löwen mit der Schwanzschlange, die einem aus seinem Rücken wachsenden Widder ins Horn beißt, die sogenannte ›Chimäre von Arezzo‹.128

125 | Sie unterscheiden sich kaum von den heute noch gängigen kleinen Fischerbooten. Vgl. Nibbi, Problems, S. 61, Fig. 3. 126 | Nibbi, Sea People, S. 36. 127 | Hornung, Der Eine und die Vielen, S. 173. 128 | Vgl. Lawrence, Etruskische Orte, S. 112.

129 | Vgl. Pallattino, In Search. 130 | So der große Einfluß von George Dennis auf Lawrence’ Bild der Etrusker, vgl. Pallattino, In Search.

113 Epilog

Auch hier ist die Wissenschaft heute weiter und weiß fundiert etwa den Spekulationen eines D. H. Lawrence entgegenzutreten, dass die Etrusker nicht aus Ägypten stammen konnten.129 Doch was spricht dagegen, dass es starke Einflüsse von vom Meer her eindringenden Gruppen schon in aller Frühe gegeben hat? Wenn noch bis ins 17. und 18. Jahrhundert die Küsten Italiens etwa auf der Seite der Adria immer wieder von »Sarazenen-Einfällen« aus der Levante bedroht waren, konnten dann nicht auch schon »Seevölker« in viel früherer Zeit hier bei den Picenern und auf der anderen Seite in Ligurien und in Latien eingefallen sein? In der literarischen Moderne haftet die Idee des erotischen Anarchismus auch an Vorstellungen eines Seevölkerdaseins, eine Form kultureller Existenz, die dem statischen Kulturbewusstsein der Sesshaften erst den Hauch zur Offenheit und Vision eingegeben hat. (Natürlich ist das auch eine Vision, die sich gegen die vermeintliche »Dummheit« und das »quadratische« Denken der Beduinen richtet.) Was immer man von Lawrence’ Vermutungen unter dem Gesichtspunkt ihrer »Richtigkeit« hält, ein Gran historischer Wahrheit kann man ihr nicht absprechen. Denn so daneben scheinen die im Instinktiven und visionären Spüren angesiedelten Vermutungen (durchaus schon Andeutungen der ersten wissenschaftlichen Geschichte der Etrusker aufnehmend)130 des D. H. Lawrence nicht. Er hat das Fließende, das Uferlose, das Tanzende und die im menschlichen Ausdruck gegebene Anwesenheit der äußeren Natur in den etruskischen Gräberbildern wie überhaupt die Philosophie dieser Bilder auf seiner Seite. Auf die große Bedeutung der Wasser-, Fisch- und Vogel-Welten im symbolischen Haushalt der Konstruktion des Heiligen kann nicht genug hingewiesen werden. Von hier ausgehend könnte man – durchaus weiter philosophierend – sich über die grenzenlose Leichtigkeit der Kultur der Etrusker auslassen, ja sie in Verbindung mit den im Mittelmeerraum insgesamt etwa im ersten Jahrtausend vor Christus auftretenden Umwälzungen bringen. Es dient mir durchaus als Anreiz solche Verbindungen anzudeuten. Sie scheinen sich auch aus ägyptologischer und altertumswissenschaftlicher Sicht zu rechtfertigen, wenn auch die notwendige komparative Arbeit bis heute nicht geleistet ist. Nicht weil es das Material nicht gäbe, es fehlt oft der Mut, weil man eben immer wieder von den »Sesshaften« zurückgepfiffen wird. Ich selbst bin natürlich weit davon entfernt, konkretes Wissen über den weit verzeigten Einfluss der »Seevölker« im Mittelmeer zu reklamieren. Was ich hier an Vermutungen anzeige, ist anregend und müsste eigentlich stärker in den altertumswissenschaftlichen Untersuchungen zu Kontakt und Kultur Beachtung gefunden haben. Denn das anregende Bild einer gewissen Gegenseitig-

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keit der Vorstellungen, einerseits des unbegrenzten Einflusses der Ägypter auf die Spätantike und »Europa«, und andererseits der Unbegrenztheit des Mittelmeerraums, des »méditerranée«, gewissermaßen als Medium für Kulturaustausch, vermittelt durchaus eine große Welt der »realen Poesie«, wie sie leider nur in den Visionen eines D. H. Lawrence wieder auflebte. Das Spiel der Kulturoffenheit Ägyptens lässt sich weiter spielen. Ich versuche das wieder zurückzubinden in die »kleine« Welt des Manzala-Sees. Wenn es um Kurven und Grenzenlosigkeit der Gott-Welt Vorstellungen etwa der alten Ägypter geht, so bringt die im Weltbild der »Ontologie« verhaftete deutsche Ägyptologie eines Erik Hornung gerne zum Vergleich die »sphärische Modellvorstellung der modernen Physik« ins Spiel.131 Wie ein Ideenfunken, der auch unsere ›Lebensreligion‹ am Manzala-See durchdringt, liest sich etwa Hornungs Vorstellung: »In seiner räumlichen wie in seiner zeitlichen Erstreckung ist das Seiende für den Ägypter allseitig in die Uferlosigkeit des Nichtseienden eingebettet; dieses aber macht an den Grenzen des Seins nicht halt, sondern durchdringt die ganze Schöpfung.«132

Hornungs sphärische Beschreibungen des Seienden für die alten Ägypter erinnert an den Menschen im See, der zwar keine Delphine kennt, dafür aber Vögel in großer Zahl und in vielen Sorten. Dabei ist man leicht auch an das erinnert, was D. H. Lawrence über die etruskischen Meeresbilder, die aufsteigenden und fallenden Bilder von Menschen und Fischen, zu sagen hat. Es gewinnt auch dem Manzala-See durchaus eine Seite ab, die vielleicht schon in der Gedankenwelt über das »Große Grün« gegenwärtig war, Vorstellungen über den Tod und die Unterwelt: »Das Meer ist jenes unermessliche Urgeschöpf, das ebenfalls eine Seele besitzt; sein Inneres ist der Schoß aller Dinge, aus dem alle Dinge auftauchten und von dem sie wieder verschlungen werden.«133

So aktualisiert sich hierin auch al-Bisâtîs Sakhab al-Buhayra, wo das Verschwinden der Männer in ihren Booten und ihr Wiederauftauchen als Leichen auf jenes Mysterium der Reise vom Leben in den Tod anspielt: »Und das Meer wird seine Toten freigeben wie Delphine, die herausspringen und den Regenbogen mit sich führen.«134

131 | Hornung, Der Eine und die Vielen, S. 173 und passim. 132 | Ibid., S. 174. 133 | Lawrence, Etruskische Orte, S. 93. 134 | Ibid., S. 93.

6.2 Natur und das Heilige als Problem: Wir bemühen uns heute als moderne Menschen des Westens mit wissenschaftlichem Weltverständnis ein Leben zu organisieren. Dabei ist unser Leben auf Gedeih und Verderb mit jenen von den Metropolen abgeschotteten Armutsmilieus verwoben. Unser Wissen, so glauben wir, sichert unser Leben. Die Abschottung bedeutet auch eine Verneinung nicht einfach nur anderer Wissensformen, sondern auch anderer Lebensformen. Sie interessieren uns nicht, solange sie nicht in einen musealen Wissenscode eingespielt sind. Die Menschen von außerhalb sehen uns als exklusiv im Überkonsum schwelgende, an der Natur Raubbau treibende, in einer übergeordneten ›zweiten Welt‹ Lebende. Gegenseitiges Verständnis und kulturelle Kontakte sind durch viele Ressentiments erschwert, nicht nur das Ressentiment der Depravierten spielt eine Rolle, sondern auch das allgemeine Ressentiment, mit dem wissenschaftliche und bürokratische Interventionen in den Armutsregionen eingreifen, herrscht und wirkt sich aus: Das Ressentiment der vergeblichen »Hilfe«, der nachhaltigen Unerbittlichkeit regelnder Intervention, das die »Lokalen« den »Westlern« so gerne ins Gesicht schreiben. Wir wollen andererseits nicht verstehen, dass der sogenannte »Rest der Welt« in unterdrückten Milieus, in naturgebundenen, wenn auch modern angereicherten Lebensstilen lebt, die mit dem Erbe der Hochkulturen des Orients in instinktivem, intrinsischen Austausch stehen, für uns aber oft so erscheinen, als hätten sie mit dem, was »Kultur« ist und war, wenig zu tun. Paradoxerweise unterstellen wir gerade diesen Lebensstilen, sie seien an retardierende »Kultur«, ja an Vorgaben von über den Islam aus der Geschichte überkommenen Kulturmodellen gebunden. Wissenschaft betont – wenn auch mit dem Aufkommen der Biowissenschaften scheinbar immer weniger – das Trennende im Denken und im Leben gegenüber der Natur. Die wissenschaftlich aufgeladenen, in die Welt projizierten Fremdkulturmodelle tun dies auch. Werden die Menschen dort deshalb so verächtlich als wissenschaftsfeindlich betrachtet, weil sie einerseits das retardierende Fremdbild so gern bestätigen, andererseits auf »Wildnis« als Regenerationswelt zurückgeworfen sind? Die Menschen dort leben im unmittelbaren Ding- und Naturaustausch und versuchen so ein Überleben zu sichern. Das Mysterium Leben gehört zum Alltag. Die verwissenschaftlichten religiös übertünchten Ideologien werden ebenso als fremdes Einwirken erfahren wie Wissenschaft selbst. In Wellen sind in solchen Milieus Bewegungen und Denkrichtungen propagiert worden, die ein neues Bewusstsein gegenüber den unterdrückten, uralt bekannten und doch weiterhin und allgegenwärtigen Mysterien des Lebens fordern. Und doch während die Menschen ihren Glauben praktizieren, gelten sie oft als ›Heiden‹, denen der moderne Mensch im freundlichsten

115 Epilog

Den Leuten im See aber sind weder etruskische, noch pharaonische Symbole geläufig, Fische und Vögel sind die Tiere, mit denen sie zusammen leben, die sie jagen, von denen sie leben.

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Fall mit einem Kopfschütteln begegnet. Während wir zugleich bewundernd auf die Zeugnisse ihrer alten Kulturen neidisch hinblicken, wenden wir uns gegen das, was praktisch weiterlebt. Die pharaonische Kultur hat sich über Jahrtausende hinweg durch stetige Erneuerung der Bindung an das Mysterium der Lebenskraft Gestaltungsformen erhalten, und bis heute wird ihr »Stil« bewundert und nachgeahmt. Was machen wir, wenn wir dann auf die instinktiv erhaltenen Mysterien treffen, die nicht mehr spektakuläre Form und Stil zeigen, sondern ein Festhalten aus der Not heraus, und in solchen allein aus der Not heraus instinktiv erhaltenen Mysterien leben noch immer Millionen. Die in Volksgruppen, an einfachen Naturaustausch gebunden und in örtlich fixierten Verhältnissen lebenden Menschen sind eine Realität. Bei aller Verschiedenheit der Überlieferungen, in denen sie sich ausdrücken, bleiben die Mysterien, die einfach nicht nur Überbleibsel überrannter Kultur sind, sondern auch neu erfunden und gepflegt werden, bestehen. Sie bleiben für die Massen von Menschen auch weiterhin unmittelbar kulturprägend. Mit steigender medientechnischer Intensivierung der sozialen Kommunikation wächst – oft unter gegensätzlichen Vorzeichen hier wie dort, Orient und Okzident neu zeichnend – der Drang nach formender und zugleich steigernder Verantwortung gegenüber dem Leben. Den in der Welt des Überflusses Schwelgenden wird zunehmend bewusst, dass mit den herkömmlichen Spaltungen der Menschheit – hier Kultur dort Natur – nichts gewonnen ist. Ob es sich nun um die im modernen Individualismus verlorengegangene ›Sorge um das Selbst‹ oder um die Pflege des uns anvertrauten Lebens mit der Natur handelt, immer werden alte Modelle der Antike oder fremder Völker herangezogen, um uns Beispiele gerade auch der Lebensmysterien zu zeigen, mit denen die Einen in Not überleben, und wir, die Anderen, neue Kulturkraft schöpfen wollen, weil wir – im Vergleich mit ihnen zurecht – glauben, Leben gesichert zu haben, aber es nicht mehr so recht leben können. 6.3 Pharaonismus und Moderne: Insofern sie als kulturproduktiv erfahrbar scheint, wäre also die offenkundige Nähe der Heiligen zur schönen Gestalt der Natur, der ägyptischen Heiligen allemal, ein Kulturwerk, aus dem wir lernen könnten. Die Frage nach den »Heiligen Orten« wäre, insofern sie als ein Element des Aufsteigens aus der Geschichte erfahrbar wäre, auch mit der Frage zu verbinden, was die altägyptische Religion uns heute denn noch bedeuten kann. Der Ägyptologe Erik Hornung, und in indirekter Verbindung mit ihm der Engländer Terence DuQuesne, haben sich diese Frage immer wieder gestellt, ohne sie, wie etwa in jüngeren Arbeiten Assmanns, sogleich in die engen Bahnen der Genealogie des Monotheismus und der Moderne gezwängt, zu beantworten versucht. Hornung vor allem hat uns gezeigt, wie wenig quasi evolutionstheoretisch vorgeprägte Herangehensweisen an die altägyptischen – man muss sich das immer wieder vergegenwärtigen – mehrere Jahrtausende bestimmende Welt- und Gottesvorstellungen ange-

»Luft, Nahrungsfülle, Gleichheit der Chancen und ständige Verbindung mit den Verstorbenen und Göttern – das sind die vier vornehmsten Schöpfertaten und zugleich materielle wie ideelle Grundlage der menschlichen Existenz.«138

Für Hornung ist dies beinahe ein ägyptisches Programm der »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«139, das er nun selbst in ein Programm der Spiegelung des modernen Weltbildes der Wissenschaften ausmalt. Doch bleibt auch hier ein Moment der Heidelberger kulturkritischen Behauptung Grundlage des Modernisierungsprogramms der Alten Ägypter: 135 | Hornung, Der Eine und die Vielen, S. 187. 136 | Morenz, Heraufkunft. 137 | Hornung, Der Eine und die Vielen, S. 190, hier a. S. 189f.: »Wir erkennen, bei den verschiedensten Gottheiten, Tendenzen von der Immanenz zur Transzendenz und umgekehrt. Aber den transzendenten Gott hat es in Ägypten zu keinem Zeitpunkt gegeben.« S. 190: »Von der einen Ausnahme Echnatons abgesehen, steht dem in Laufe der Geschichte ›abnehmenden‹ König Ägyptens kein einzelner ›wachsender‹ und immer transzendenter werdender Gott gegenüber ’sondern eine Vielzahl von Göttern als Stütze.« 138 | Hornung, ibid., S. 194. 139 | Ibid.; s.a. die wunderbaren Zitatstellen aus den Sargtexten mit dem berühmten »Monolog des Allherrn« (um 2000 v. Chr.) eine Aufzählung der vier Schöpfungstaten beinhaltend, S. 193f.

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bracht sind. Ein »›Herausrücken‹ der Gottheit aus vorheriger Immanenz«135 kann nach Hornung für die altägyptische Gottesidee eben über Jahrtausende hinweg insgesamt nicht bezeugt werden. Wenn für den einflussreichen Ägyptologen Siegfried Morenz die ›Heraufkunft des transzendenten Gottes«136 noch das bestimmende Moment der altägyptischen Gottesgeschichte war, so gibt es für Hornung eben keine Kronzeugen unter den ägyptischen Göttern für immer transzendenter werdende Entwicklungen und monotheistische Tendenzen.137 Für den Blickwinkel dieser Studie am Manzala-See waren Erklärungen der ägyptischen Götter, wie der Mensch dem Sein, der inneren Ordnung der Schöpfungswelt zugeteilt ist, von besonderer Bedeutung. Denn die heutigen Heiligen sind gleichermaßen über den Islam hereingeholte Momente der Gotterfahrung, und die Welt draußen ist immer schon ›götterlos‹ und den feindlichen Mächten zugeordnet. Das aber macht das Hornung’sche Modell gewissermaßen auch sozialphilosophisch interessant, und dass die Ägyptologie sich auch als Teil der modernen Moralphilosophie verstehen will, hat Jan Assmann – wenn auch nicht in der quasi naturphilosophischen Wendung, die Hornung dem ganzen verliehen hat – durchaus programmatisch weiterentwickelt. Hornung sucht, ganz im Sinne des Nachkriegs-Heidelberg, nach Verbindungen zwischen Lebensphilosophie und Naturwissenschaft. Ansätze dafür sieht er im Kern auch in der Religion der Alten Ägypter, wenn sie über materielle und transzendente Voraussetzungen nachdachten:

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»Die Tiefe und zeitlose Bedeutsamkeit dieser Szene [das Bild des dem König an die Nase gehaltenen Lebenszeichens, GS] sollten wir, als Kinder einer kurzatmigen Zeit, nachempfinden können. Ist nicht der schöpferische Atem, der die Seele weit und frei macht, das kostbarste Gut eines menschenwürdigen Daseins? Sehen wir uns nicht der Gefahr gegenüber, dass der Mensch unserer Zeit entweder im Zwang unmenschlicher Systeme oder in den Abgasen seiner technischen Errungenschaften erstickt? Setzen nicht viele ihr Leben aufs Spiel, um wieder frei atmen zu können? Der Ägypter konnte darauf vertrauen, dass ihm seine Götter immer wieder ›ein neues Atemfeld‹ schenken, wie es Rilke von den wiederkehrenden Göttern erhofft. In diesem ›Atemfeld‹, in diesem Raum der Freiheit, konnte sich eine große und schöpferische Kultur entfalten.«140

Nostalgische Rückgriffe in die Welt der Alten – und der Armen gleichhin – sind schon allzu oft getan worden und man kann nicht umhin, sie heute einer eher abgeschmackten Kulturkritik zu verdächtigen. Den von Teilnahme an praktischer moderner Kultur fern gehaltenen Menschen, aus Armut immer schon auf Natur geworfen, kann Kulturkritik nichts bedeuten. Im Gegenteil, nirgendwo anders kann man den Willen nach moderner Lebenskultur, im heute gängigsten und rohesten Sinne der materiellen wie symbolischen Selbstbehauptung so offen zu Tage tretend, studieren wie unter den Massen der Armen und Unterprivilegierten. Unter Stichworten wie »Islam«, »Islamisten« und »Terroristen« sollten sich diese als unsere Gegner ins Gedächtnis der Geschichte einschreiben. Der natursoziale Holismus, der als »fremde Religion« uns hier moralisch entgegengesetzt wird, droht die Errungenschaften der aufsteigenden systemischen Differenzierungen der modernen Gesellschaft zunichte zu machen. Wirklich? Grundsätzlich aber ist festzuhalten, dass es sich keineswegs um eine an Fremdkultur gebundene conditio humanae handelt, als die hier Holismus bekämpft wird. Er ist als Folge ausgelagerte Armut eine Bedingung unserer Zeit. Wir sollten uns deshalb davor hüten im Willen dieser Massen, die sich ›Historie‹ nur in plattester, gesteigerter Form des Symbols und der Vereinfachung zu eigen machen können, den Aufstand der uns überwunden scheinenden Geschichte zu sehen. Es wäre gleichfalls fehl gegriffen, wenn wir selbst mit kulturkritisch geschönten Rückgriffen neue, ja erneuernde Formen der Verehrung des Mysteriums Leben glauben entdecken zu können, nur diese als neues Bild ästhetischer Moral aufgreifend. Zu neuen »Mythenjägern« wollen wir nicht werden, deshalb war mir der »zweite Blick« so wichtig. Darüber hinaus aber sollte uns bewusst geworden sein, dass nostalgische, die Hinweise auf das Ganze von Mensch und Natur aufgreifende Momente immer schon zum Bestand der modernen Kulturproduktion gehörten. Sie werden uns paradoxerweise immer auch als Ausgangspunkte, als Topoi des Ursprungs, für das neue Selbstverständnis des Menschen angewiesen. Hier, in unserem Beispiel, figurieren sie als Rückversicherungen für tatkräf140 | Hornung, ibid. S. 194f.

141 | Dass er dies mit dem vergleichenden Hinweis auf die »Welt der Elementarteilchen« ausdrückt, ist bei Hornung nicht nur modern aktualisierende Wissenschafts-Metaphorik. Vgl. Der Eine und die Vielen, S. 252ff. 142 | Hornung, Der Eine und die Vielen, op.cit, passim. Insbes. etwa S. 181, wo er das islamische Allâhu akbar, »Gott ist der Größte« sinngemäß schon im alten Ägypten verortet. 143 | So erstaunlich anregend Hornungs Deutungen, wie das Weltbild der Ägypter als Vorform oder Parallele zur modernen Zellkörperphysik begreifend, auch sind, es drückt sich hier noch der absolute Wissenschaftswille der deutschen Nachkriegszeit aus, die sich ihre Identität scheinbar neu und gegen den Nazismus erretten wollte, als neues Modernitätsverständnis mit affirmativer Wissenschafts- und Religions-Verschlungenheit. Sie bleibt aber in einer quasi orientalistischen Fremdheit gegenüber der Kontinuität menschlicher Praxis befangen. Dagegen sind die nostalgischen Imaginationen der Lebensgeschichte der etruskischen Lukumones eines D. H. Lawrence im Erspüren des kulturellen Kerns im Innern der lokalen Noblen auch auf moderne Lebenspraxis gerichtet. Vgl. Lawrence, Etruskische Orte, S. 90-99. Wie fehlerhaft er im einzelnen auch sein mag, Lawrence’ emphatischer Versuch über die Etrusker, kurz vor seinem Tod geschrieben, weicht dem denigrierenden Orientalismus aus, ja überwindet ihn, indem er das Bewusstsein über die unmittelbare Nähe des kulturellen Ausdrucks im menschlichen Dasein – jenseits des Monumentalismus von Staat und Kirche –, also auch Humanität als Ganzes, zu zeigen in der Lage ist. 144 | Z.B. die in der Bibliographie angegebenen Arbeiten von DuQuesne, Hornung, Morenz, Assmann.

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tiges Leben ganz ›eigner‹ Art, ja als neue Formen der politischen Mythisierung. Hornungs Passagen durch die offenen, ständiger Verwandlung unterliegenden Kulträume der alten Ägypter entbehren der Probleme der wissenschaftlichen Suche nach der »Authentie« nicht, aber sie machen auf erfrischende Art auf die unendlich sich erweiternden und erneuernden inneren Verbindungen zwischen »Leben« und »Götterwelt« im Denken der Alten aufmerksam, das auch für die Heutigen – wie mir scheint als inneres, geschenktes Gedächtnis gewissermaßen – möglich und für die Muslime vor Ort charakteristisch ist: Die »Formelhaftigkeit« einerseits und die »Mischgestalt« andererseits der Welt und Gott verbindenden Vorstellungen.141 So sind natürlich Erik Hornungs Deutungen des alten ägyptischen Verständnisses von Mensch und Welt nicht nur ein Ereignis der modernen Ägyptologie und eine Verpflichtung für die modernen Kulturwissenschaften, sie sind auch, wie er oft genug anzuzeigen geneigt ist, Zeichen für das innere Weltverständnis der heutigen Muslime.142 Wir Soziologen und Ethnologen können darüber auch in der Welt der Alten Elemente von praktizierten gegenwärtigen Daseinsformen ausmachen, und nicht immer sind es nur Instinkte und geschenktes Gedächtnis, sondern auch moderne Musealität, die hier wirken.143 Das tut, von Hornung nicht unbeeinflusst, auch die moderne Ägyptologie, wo sie sich fast soziologisch gibt.144 Andererseits leben an der Basis der gegenwärtigen ägyptischen Ge-

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sellschaft Vorstellungen und Elemente der rituellen und habituellen Praxis der Alten weiter. Wenn diese auch so ganz banal überlebens-instrumentell daherkommen und der philosophischen und ideologischen ›Revolution‹ entbehren, so wirken sie doch noch in die Lebensgewohnheiten von Millionen von Menschen hinein. Man kann nicht sagen, man wisse nichts von dieser Welt der stillen Traditionen, die das soziale Leben weiterhin beeinflussen. In Momenten ihrer Aktualisierung kristallisieren sie sich zu »reinen«, vereinfachten Mustern und zu Mitteln bewusstseinsloser Auflehnung. Dieser »Fundamentalismus« ist schlecht erklärt, wenn er nur als aus heterodoxen religiösen Ideen gespeist verstanden wird, ja unter Bedingungen globaler Macht einfach als Wesensmerkmal einer insgesamt im Maßstab der Offenbarungsreligionen als zur Devianz überhaupt, zur grundsätzlichen Heterodoxie erklärt wird.145 Und doch, obwohl wir diese Probleme sehen, bewegen wir uns mit unseren ägyptischen heiligen Orten weit weg von dem strategischen Feld der gegenwärtigen Islamologen. Am Manzala-See, das ist unser Beispiel, ist die kulturelle ›Revolution‹, die in der Gegenwart der alten Daseinsvorstellungen liegt – und in deren Zentrum stehen die Heiligen – alltäglicher Kampf. Es muss wieder ein Bewusstsein davon entstehen, dass Armut und das Mysterium des Lebens, dass ›nackte Körper‹ mehr als ideologische Strategie den eigentlichen Hintergrund für die Wiedererweckung totgeglaubter Traditionen abgeben. In dieser Studie soll die innere Kultur der Wiedererkennung von Tradition in »den Nöthen des Lebens« (Goldziher) erhellt werden, wenn dies auch nur in Skizzen möglich ist. 6.4 Die Welt der Heiligen, Heilige Welt: Wenn wir uns die innere Weltbezogenheit des Heiligen vergegenwärtigen wollen, so sind eine Reihe von Komponenten zu beachten, die nicht nur als Islam spezifisch abgetan werden können. So ist auch daran zu erinnern, dass Heilige schon mit modernen Künstlern darin übereinstimmen, dass ihr Schauen der Natur oft über die bloße Erfahrung des Wirklichen hinaus will. Wie die Heiligen in Geschichten und Wundertaten an Steinen und Bäumen, an Quellen, Flüssen und Seen, an Tieren und Pflanzen, den dem Göttlichen eigenen Willen belegen wollen, so

145 | Anders noch als in den »Weltphilologien« der frühen Nachkriegszeit, wie etwa eines Massignon (cf. Hallaj), eines Ritter (Meer der Seele), um zwei Konsevative, und eines Rodinson (cf. Mohammed), um einen ›Linken‹ zu nennen, haben viele Islamwissenschaftler der nachfolgenden Generation stückweise am Bild des im Spektrum der Weltreligionen »heterodoxen« Islam gearbeitet. Bleibt man in diesem Bild der überragenden Bedeutung der Heterodoxie in der Begründung orthodoxer Macht, das uns Eisenstadt (am deutlichsten noch in Antinomies und Culture and Power) vermittelt, so haben natürlich schon die modernen muslimischen Ideologen von Iqbal bis Shariatti, von Benabbi bis al-Attas von der heterodoxen Selbstkennzeichnung leben wollen. Hierzu auch in Stauth, Zwischen den Steinen des Pharao, S. 33ff.

146 | Wagner, Neues zur arabischen Stilistik. 147 | Vgl. o. S. 33.

121 Epilog

nehmen auch die Künstler dem Schönen in der Natur das platt Weltliche, ja werten wie Hölderlin das Naturschöne als ›göttlich‹, wie Stifter Brennpunkt der Schicksalsfügung oder unterstellen ihm mysteriös – wie Stefan George etwa – ein eigenes, und doch erst zu ersinnendes Gesetz des Ästhetischen. Wenn es denn ein besonderes modernes Unterfangen hierbei gibt, so scheint die technologisch und medientechnisch gesteigerte Zivilisation es auf das Problem der ausbleibenden und wieder zu gewinnenden Versöhnung von Gesellschaft und Natur und insbesondere auf die Rettung des Naturschönen angelegt zu haben. Sie zu fordern, war nicht nur ein kulturkritisches, sondern – wie etwa in Adornos Ästhetik – ein höchst modernes Unterfangen. Die arabische Stilistik in diesen, den modernen Kontext der ästhetischen Utopie zu stellen, ist auch heute noch, nach mehr als 50 Jahren der »Weltphilologie« ein äußerst mühseliges Unterfangen, weil ja die arabischen Philologen und die Arabistik kaum an solchen Vorstellungen mitgearbeitet, oder sie einfach nicht verstanden haben. Am ehesten aber noch, wenn sie in Stilfragen sich sublimen Themen zuwenden, wie Ewald Wagner kürzlich in einem Aufsatz zur arabischen Stilistik. Plötzlich wird, wie etwa in Jagdgedichten von Abu Nuwas, deutlich, dass auch das sonst unter Arabern und Muslimen sehr geschmähte Tier Segnung erfahren kann: der gesegnete Hund.146 Wenn ich so eine Sentenz lese, wie: »Gesegnet seien der Hund und die Jünglinge«, so bin ich unmittelbar auf diese Erfahrungen am Manzala-See vor Port Said hingewiesen, hier leben die Kinder, die Jünglinge allemal, unmittelbar unter den Hunden, ebenso wie der von Wagner hervorgeholte Vers dies auszudrücken scheint. Der zeitgenössische ägyptische Autor Muhammad al-Bisâtî in Sakhab al-Buhayra – auch daran sei erinnert – lässt den Hund immer hinter Zwillingen am See her laufen.147 Kurz, auch hier ist der »gesegnete Hund« und bleibt in der Gestalt eines ganz Profanen und Natürlichen. In diesem dritten Band zu den ägyptischen Heiligen will ich etwas über das ›Naturheilige‹ unter in Armut lebenden See-Fischern anzeigen: ein ›kleiner‹ Heiliger mit dem Namen Abû al-Wafâ‘ mit der Qubba mitten im See und Schilf. Das Leben im Wasser, Naturschönes und ›Heiliges‹ kommt der Bedeutung, die die Jagd im hohen Gedicht etwa des Abu Nuwas hat, kaum nahe. Aber der See, die Fischer und die Tiere, die mit ihnen leben, bieten eine Ausdruckswelt ganz eigener Art. Und gerade bei al-Bisâtîs Roman, der instinktiv die Weltwirklichkeit am See mit geradezu pharaonisch scheinenden Themen auflädt, fragt man sich, ob diese heutige Welt nicht doch noch etwas mit dem pharaonischen »Großen Grün« zu tun hat, das fast nur noch mythischer Natur ist. Den Heiligen wird aber ein besonderes Verhältnis zur Natur nachgesagt, nicht nur weil sie selbst heilende und verjüngende Naturkräfte wun-

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dersam bewegen können, sondern weil sie immer auch in einen ideellen Zusammenhang zu den Quellen des Lebens als Ganzem gestellt werden. Über die Ermunterungen der Lebensgeister, die ein christlicher Heiliger wie der Heilige Franziskus verbreitete, indem er das Gespräch mit der Tier- und Pflanzenwelt pflegte, hat Hermann Hesse, ein bleibendes Zeugnis abgelegt.148 Wenn der Frankfurter Philosoph Theodor W. Adorno, in seiner Jugend noch beflügelt vom Geist Stefan Georges, in seinem Alterswerk nicht mehr nur nostalgisch, sondern ganz vernunftbetont die Aufhebung der Verdrängung des Naturschönen forderte und für einen »Revisionsprozess ums Naturschöne« plädierte, dann steht auch hier mit dem »Gesetz«, das Natur dem Menschen vermittelt, mit dem Vergänglichen fast auch das ›Göttliche‹ wieder im ›modernen‹ Bewusstsein.149 Die Vorstellung des »Göttlichen« konvergiert nicht notwendig mit dem religiösen »Heiligen«, der eben immer auch Ausdruck der symbolischen und ideellen Repertoires »konkreter« religiöser Tradition ist. So ist über die Erfahrung der äußeren Natur hinaus das religiöse »Heilige« Ausdruck innerer Bedürfnisse in der Welt des Einzelnen, und die soziale »Not«, die zur inneren des modernen Subjekts wird, ist ein noch vor der Wende zum 21. Jahrhundert eingeleitetes, folgenschweres Ereignis. Der »Heilige« hat offenbar durchaus etwas mit dem modernen »Einzelnen« zu tun, so sehr, dass – wie Kierkegaard schon Mitte des 19. Jahrhunderts vorausgeahnt hatte – die Wiederherstellung des vormodernen Religionsbegriffs mit den Mitteln der modernen Ideologie gar das »Blut des Einzelnen« fordern werde.150 Kein anderer als der moderne katholische »Fundamentalist« Louis Massignon hat sein Lebenswerk der Vorstellung eines solchen »Einzelnen« als Märtyrer

148 | Hesse, Italien, S. 442ff. 149 | Auf die Verbindung von Adornos Abitursaufsatz mit seinem Spätwerk hat letztlich Lorenz Jäger eindringlich aufmerksam gemacht, sich des Hinweises auf George aber enthalten. George ist, wenn es um Natur, Ästhetik und Moderne geht, auch im Spätwerk Adornos nicht zu umgehen. Es führte hier aber zu weit auf George einzugehen. Vielleicht dazu mehr in der folgenden »Theorie-Studie«, Stauth, Herausforderung. Für die Ausführungen zu Adornos ›Natur‹, s. Jäger, Adorno, S. 293-296. 150 | Es ist das Verdienst Karl Löwiths, im Werk Kierkegaards nachzuweisen, wie sehr der Sprung in den modernen Individualismus notwendig den Rückgriff auf das Antlitz der Ewigkeit impliziert. Löwiths Zitate aus Kierkegaards Tagebücher belegen dies: »Und es ist unleugbar: wenn man keine ethische und religiöse Begeisterung hat, so muss man darüber, dass man ein einzelner Mensch ist, verzweifeln – sonst nicht« (S. 55). Aber auch dieses: »Es wird, um die Ewigkeit wiederzubekommen, Blut gefordert werden, aber Blut von einer anderen Art, nicht jenes der tausendweis totgeschlagenen Schlachtopfer, nein, das kostbare Blut der Einzelnen – der Märtyrer, dieser mächtigen Verstorbenen, die vermögen, was kein Lebender vermag, was diese mächtigen Verstorbenen selbst nicht vermochten als Lebende, sondern nur vermögen als verstorbene: eine rasende Menge in Gehorsam zu zwingen, just weil diese rasende Menge in Ungehorsam die Märtyrer totschlagen durfte«, Löwith, Wissen, S. 64.

»aus dem warmen Leben eines wirklichen Menschen der Gott emporstieg. Es ist der größte Sieg, den je der Gedanke der Persönlichkeit in aller Geschichte davongetragen hat.«156

151 | Vgl. Massignon, Hallâj, bes. Preface, S. LIV-LXIX. 152 | Vgl. Löwith, Wissen, S. 64. 153 | Vgl. Stauth, Muslim Saints and Modernity. 154 | Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus, S. 176. 155 | Breysig, Die Entstehung des Gottesgedankens und der Heilbringer. Berlin 1905, zitiert nach Breuer, op. cit., S. 122f. 156 | Breuer ibid., S. 122.

123 Epilog

gewidmet und seinem Hauptwerk eine Theorie des Märtyrers und des Heiligen im Sufismus vorangestellt, die derjenigen Kierkegaards über den modernen »Einzelnen« sehr nahe kommt.151 Im heute praktizierten Sufismus aber und insbesondere in seiner die Armut und Natur aufgreifenden Seite der Heiligenverehrung deutet sich ein anderes »Medium« an als das bloße und immer neuerliche Insistieren des »Einzelnen« auf Ewigkeitserlösung. Es zeigt sich schon hier – dies will diese Studie belegen – ein einfacheres Medium als der Sprung in die Ewigkeit als mindestens gleichbedeutend an, nämlich das »Medium der Welt« selbst.152 Heiligenverehrung – so sehr sie habituell und rituell »außerweltlich« orientiert scheint – ist zutiefst auf ein weltliches Erleben, ein In-der-Welt-Sein gerichtet. Die moderne Bedeutung der Religion hat darin eine seltsame Parallele, dass auch die Moderne auf eine enge Verbindung von Welterfahrung und Ich, »innere Religiosität«, ausgelegt ist. Es ist dies eine Parallele, auf die ich schon mehrfach hingewiesen habe.153 Auch das von Simmel kalt beschriebene Unterfangen, dass dem Modernen unmittelbar, über die Eigengesetzlichkeit der »Philosophie des Geldes« hinweg, ja gegen sie, der Drang zur quasi religiösen Steigerung der Kultur des Individuums anhaftet, dreht sich um und löst sich in einem grenzenlosen Drang zur selbst-maximierenden Welterfahrung auf. Kann man auf Simmels Vorstellungen von der »transzendenten Immanenz« zurückgreifen, wenn man die Welterfahrungen des praktischen Sufismus und der Heiligenverehrung unter Armen beschreiben will?154 Mir scheint dieser Aspekt zum Verständnis von Beiden heute wichtig. Nimmt man Simmel und Breysig zusammen, so ist hier mit der sozialen Generalisierung der Figur des »Heilbringers«155 auch der neue Gedanke des modernen Individuums erwachsen, des in der Masse stehenden Einzelnen. Es gelte in der Moderne ein Menschenbild regieren zu lassen, das weder aus dem Inneren der Seelen- noch aus dem Äußeren der Naturwelt, wenn gar mit Geistern beseelt, eine besondere Inspiration hervorginge, sondern dass einzig und allein

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Und dann kann man nicht umhin, sich auch jener Zeilen eines ›großen‹, dem deutschen ›Geist‹ nicht fern stehenden angelsächsischen Dichters zu erinnern, die er wohl 1926 schrieb und in einem Buch über »Etruskische Orte« 1932 veröffentlichte: »Das natürliche Blühen des Lebens! Für menschliche Wesen ist das nicht so einfach, wie es klingt. Hinter aller etruskischen Lebendigkeit steht eine Lebensreligion, für die die führenden Männer tiefe Verantwortung trugen. Hinter all dem Tanz stand eine Schau und eine Wissenschaft vom Leben, eine Auffassung vom Kosmos, die bewirkte, dass Menschen ihre Fähigkeiten ausschöpften.«157

Und zwei Seiten weiter dann: »Das ist der Leitgedanke, der hinter all den großen alten Kulturen stand. Es war sogar – halb verwandelt – ein Hintergedanke Davids und fand seinen Ausdruck in den Psalmen. Doch von David an wurde der lebende Kosmos lediglich zu einem persönlichen Gott. Bei den Ägyptern, Babyloniern und Etruskern gab es strenggenommen keine persönlichen Götter. Es gab nur Idole oder Symbole. Es gab den lebenden Kosmos selber in seiner verwirrenden und beklemmenden Vielfalt, der göttlich war und nur von der stärksten Seele und nur in besonderen Augenblicken betrachtet werden konnte. Und nur die einzigartige Seele vermochte es, eine letzte Flamme des Lebensfeuers sich einzuverleiben. Dann gab es wahrhaftig einen GottKönig.«158

Wie sehr die antiken Vorstellungen des Kosmos, des Lebens, der Welt als Ganzes das Denken des 20. Jahrhunderts bestimmten, ja in vorfaschistischen Lebensphilosophien gar als säkulare Ideologie eines modernen individualistischen Kunst- und Gesellschaftsverständnisses wieder gepflegt wurden, daran ist heute zu erinnern, wo sich das »nackte« Lebensbedürfnis in neue religiöse Massenideologien hineindrängt. Auch daran ist zu erinnern, dass mit dem modernen Versuch der ästhetischen Abschottung des Menschenbildes in seinem spezifischen Dasein als verkörperlichte Einheit des Lebens die Frage der Gestaltung, der ästhetischen Gesetzlichkeit des Lebens erst neu gedacht werden, und dann auch in einem Wahn enden konnte, der mit allen grausamen Folgen für die wirkliche Natur auftrat. Nach zwei Weltkriegen sollte man verstanden haben, wie wenig »Sieg« dieses einseitige Menschenbild war. Und es bleibt doch die Frage, wenn der ›Einzelne‹, der charismatische Mensch als Einzelner, soviel Unheil bringen konnte, was erst passiert, wenn der charismatisierte Massenmensch – in großem Überfluss lebend, ja selbst im Antlitz menschlichster Befreiung sich spiegelnd – zur politischen Aktion schreitet und jene befreien

157 | Lawrence, Etruskische Orte, S. 87. 158 | Lawrence, Etruskische Orte, S. 89f.

159 | Hornung, Die Vieldeutigkeit.

125 Epilog

will, die er am Gängelband der Tradition gehalten glaubt (und die er so zu seinem eigenen Überleben braucht). So sehr wir im Abstrakten wichtige – im kulturübergreifenden Verständnis unerlässliche – Parallelen zwischen Heiligenverehrung und ›Religion des modernen Einzelnen‹ erkennen können, so relevant ist es, sich auch die praktischen Unterschiede zu vergegenwärtigen. Beim ersten Blick, den man auf die Lebensbereiche der Menschen am Manzala-See wirft, wird deutlich, wie wenig sie mit der Vorstellung von diesem im Menschen aufsteigenden Gott zu tun haben und das Narrative einer Art der literarischen Ethnologie, auf die wir zurückgreifen, nennt den »Gott« an keiner Stelle. In al-Bisâtîs Roman sind die Menschen bloß handelnde und wandelnde, und ein Begriff von Religion ist nicht zu erkennen. Wenn auch manche körperlichen Erscheinungen, habituelle Gewohnheiten und symbolische Ordnungsmuster, wie daraus hervorgehende Konflikte, mit »Religion« zu tun haben, die gepredigte Religion scheint irgendwie an den Ufern des Sees zu enden, scheint im See-Leben abwesend. Weder die Menschen, die in dieser Studie vorgestellt werden, noch die sie umgebenden Milieus, sind in irgendeiner Form mit Breysigs »Heilbringer« in Verbindung zu bringen. Und doch sind es »moderne« Menschen. Denn beim zweiten Hinsehen werden Momente von modernem Religionsund Staatsbewusstsein sichtbar, die von außen hineingetragen zu sein scheinen und doch zugleich auch Bedürfnisse der im See lebenden Menschen decken. Es dürfte vom bisher Gesagten deutlich geworden sein, dass an diesem Widerspruch meine Überlegungen zu dieser Studie ansetzten. Ich rekurriere auf Vorstellungen der ästhetischen Utopie einzig nur, weil sie für die Darlegung einiger trennender und verbindender Motive zwischen uns und den »Ägyptern« einen wichtigen Hintergrund abgeben. So sehr sich der Mensch im alten Ägypten in seine seelischen und körperliche Möglichkeiten vertieft, utopisch sich in Fisch und Vogel verwandelt darstellt und sich zu den Göttern in Tierform bezieht, so sehr heben sich die Darstellungen und das darin erfahrene Selbst gewissermaßen auf symbolische Formen reduziert von der Naturwelt ab. Es ist durchaus verblüffend zu hören, dass es im alten Ägypten eine Seelen-Lehre der Tier- und Menschenwelt nicht gegeben habe, Tiere eher als Vorbilder, ja als Spender für menschliche »Lebenskraft« galten, der »Gott« selbst aber als Mischgestalt zwischen Tier und Mensch auftrat.159 Andererseits kennen wir aus der Sprach- und Schriftformung, aus der Ding- und Bildgestaltung eine radikale Beachtung der hermetischen Trennung von Erfahrungs- und Dingwelt, von schöner Gestaltung und Ding. Dieses hermetische Abschließen der Sprache und des Wissens, der ästhetisch gestalteten Form, ja selbst des menschlichen Habitus insgesamt, gegenüber der Welt ist es, was die Modernen so sehr auf »Ägyp-

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tens Dichter« geworfen hat.160 Kann man hier von einem Zusammentreffen von Lebenskraftsteigerung und Begriffshermetik sprechen? Was hat dies für uns heute zu bedeuten? Die Gegenwart am Manzala-See, die »Gestalt« in der gleichen Natur verortet, erinnert an die alte Symbolwelt und ist gewissermaßen selbst ästhetische Realität. Denn in vielem zeigen die auf die einfachsten Lebensbedingungen zurückgeworfenen Menschen, die heute im See leben, selbst, wie ambivalent die Generalisierungen des modernen Ichs – ästhetische wie religiöse – sind, und wie wenig die Figur des »Heilbringers« oder die charismatische Ästhetik auf das hier konkret waltende Ich beziehbar ist: Es hat eigene Bedürfnisse, die weder mit Hermetik noch mit Seelen-Lehre zu tun haben, sondern sich auf das im »nackten Leben« Leben beziehen. Paradoxerweise gilt aber auch für die gegenwärtig im bzw. auf dem See Siedelnden, dass auch sie in der Verbindung von ästhetischen und religiösen Gestaltungen utopische Erlösungsmomente suchen. Eindeutig ist, dass nicht mehr und nicht weniger als unter den Modernen auch im praktischen Armutsleben am Ort nach Heil und spirituellem Überleben gesucht wird, wofür in der an die Sufi-Orden sich anlehnenden Heiligenverehrung, hier des Abû al-Wafâ‘, eine Stütze gefunden wurde. Selbstkritisch fragt sich derjenige, der sich mit Abstand zu Leben und Arbeit auf dem »Launch« zwischen ihnen bewegte, immer auch den Blick hinaus ins Grün und Blau des Sees hatte, ob die Leute im See, im ausschöpfenden Leben selbst zwischen Himmel und Erde, nicht dem Modernen selbst als »Heilbringer« zu erscheinen hätten. Natürlich war dieser hier und da aufflackernde Gedanke zu verneinen. Doch darf ich nicht verschweigen, dass gerade in der Denkfigur der an- und abwesenden Religion auf dem See das »warme Leben« der wirklichen Menschen so deutlich wird, dass gerade darin das Bild des im Modernen Menschen, den wir hier frech als Breysigs »Heilbringer« sehen, in dem ja der Gott im »wirklichen Menschen emporsteigt« vielleicht am ehesten eingeholt sehen. Solche Deutungsmomente, die sich von verschiedenen Seiten her anbieten, sind zugleich auch zu dekonstruieren. Denn die Leute auf dem Manzala-See und ihre »Heiligen« leben unter Bedingungen, die sie einerseits ganz in die »Natur« und das Überwältigende des »Naturschönen« einbezieht, sie sind andererseits aber auch so abstrakt moderne – und darin gleichermaßen ›hässliche‹ Menschen, wie wir selbst. Daraus sind keine voreiligen Schlüsse in Richtung auf Lösung oder Erlösung zu ziehen; weder im Naturwesen noch im Monotheismus lassen Heil oder Elend sich bestimmen. Die Vermittlungen, die sich anbieten, die von den Menschen hier aufgegriffen werden, sind für uns auf schockierende Weise interessant. Dabei werden wir angeregt, die vielen kulturellen Sprünge zu beachten, die zwischen den Alten und »uns«, den Heutigen liegen: Die Nilkultur der Alten, der Heilige

160 | Vgl. Hornung, Geist der Pharaonenzeit, op.cit. Kap., X, XI, XII.

127 Epilog

mit seiner »islamischen« Zwiebelkuppel über Wasser und Schilf, fern und doch nah, abstrakt einen Ort bezeichnend, der ägyptische Künstler und Dichter, der im Narrativen ein Bild der Natur schafft, das sich scheinbar – vor Mensch und Religion fliehend – aus dem Kontext der Zeit hebt. Wenn wir uns Abû al-Wafâ‘, dem islamischen Heiligen auf dem Manzala-See nähern, fällt es uns zunächst schwer, aus dem Kontext der modernen Kunst- und Kulturtheorie die Welterfahrung zu spiegeln, die hier in einem fremden Land der Urkultur, ja – wenn man es sagen kann – unserer eignen Urkultur, möglich ist. Es geht mir um ein Einbeziehen dieser Daseinsformen, nicht um eine ausgliedernde nostalgische Theoriebildung. In den ersten beiden Bänden habe ich im Sinne einer langsamen und gewissermaßen schleichenden Annäherung an die Wirkungen des sinnlichen und bildlichen Universums der alten ägyptischen Kultur im Islam auf Orte rekurriert, an denen die pharaonische Kultur unmittelbar präsent war, nicht nur in einer rein topographischen und morphologischen, sondern auch in einer bedingt kultischen Bedeutung. Die Vermutung, dass das alte Ägypten eine versunkene, ausgelöschte, abgeschlossene Kulturwelt darstelle, einem durch das Heraufkommen der Erlösungsreligionen besiegelter Untergang unterlag, eine Kultur, der man sich nur über abstrakte Regeln der Pflege des kulturellen Gedächtnisses noch nähern könne, wäre von hier aus nicht zu bestätigen. Das alte Ägypten bleibt im modernen – im islamischen, wie in unserem eigenen – Leben in roher unmittelbarer wie in sublimer konstitutiver Form präsent. Die nachholende Moderne, pedantisch, religiös und fundamentalistisch wie in Ägypten, kämpft mit diesem Kulturerbe, das im praktischen Leben überwältigend fortlebt. Aber nicht nur in der islamischen Kultur und im Alltag der heutigen Ägypter lebt das alte Ägypten weiter. In Europa und in der westlichen Welt insgesamt ist es nicht nur eine Frage des kulturellen Gedächtnisses, des Verständnisses von Geschichte in ihrer Abgeschlossenheit und einer so eingegrenzten Lebendigkeit, Ägypten war und wird dem modernen Denken offenbar immer wieder auch eine Frage des »Stils«. An zwei Grundproblemen der heutigen Moderne nagt das alte Ägypten: Erstens, gegen den weltverneinenden Nihilismus der Erlösungsreligionen und die unruhige, das Diesseits entwertende und entsagende Sehnsucht nach außerweltlicher Erlösung richten sich die ehrsamen und frommen Tätigkeiten der alten Ägypter ganz auf das formende und achtsam gestaltende In-der-Welt-Sein. Das im Mysterium des natürlichen Lebens verkörperte Göttliche galt ihnen als eine Quelle, Welt und Geschichte als Ganzes aufzufassen und in der Kohärenz des Hier-Seins zu ergreifen. Zweitens galten ihnen Natur und Kunst als sich gegenseitig vermittelnde Ebenen der Gestaltung, nicht als Gegensätze. So sehr und allumfassend sie stilisierten, also im Stil die Welt in ihrer Göttlichkeit erfassten, so wenig entfernten sie sich von der Welt. Es gelang ihnen Welterfahrung als ästhetisches und als Gotteserlebnis zugleich zu gestalten, ja im überall gegenwärtigen Ritus überhaupt

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Welt und Gesellschaft miteinander zu versöhnen. So sehr also in all den hoch stilisierten Steinarbeiten und Reliefs Kunst sich Ausdruck zu verschaffen scheint, sosehr ist hier wahres Leben in ritualisierter und traditionalisierter Form gegenwärtig.161 In dieser kontinuierlichen, über Jahrtausende hinweg balancierenden Bewältigung der Stil-Ganzheit in Praxis und Anschauung galt und gilt das alte Ägypten vielen Geistes- und Kulturwissenschaftlern unserer Zeit als – ich erlaube mir das auszusprechen – die eigentliche Moderne oder als das große Vorbild moderner ästhetischer Utopie. Auch das ist natürlich einer dieser Sprünge, die zur Zurückhaltung ermahnen, wenn man das Lernen von den Alten predigt, denn im praktischen Leben der heutigen Ägypter und besonders, wenn sie in Armut leben, wird man schwerlich diese Stilganzheit, wenn überhaupt den alten Glanz, finden können. Mit dem Islam – als letzte der Erlösungsreligionen – ist Erlösung quasi zum eigentlichen, d.h. praktischen Thema des Religiösen überhaupt gemacht worden. Sicher ist damit der Präsenz des Alten eine andere, eine neue Form der ›Stil-Ganzheit‹ hinzugefügt worden, und doch bricht sie mit dem Alten grundsätzlich. Und dem islamischen Sprung folgte noch ein weiterer mit den Bildern und Werkzeugen und den sich darin verbergenden Lebensvorstellungen, die aus den Metropolen hier hineinwirken. In diesem Band ging es um praktisches Leben und die eng darin eingeschlossene Welterfahrung, die den Gott immer mitdenkt, mystisch-spirituell, holistisch und funktional. In einer Landschaft, die selbst immer schon ein großes Lebensreservoir der pharaonischen Zivilisation war, in der zu uralten Zeiten riesige Herden halbwilder Tiere zu Jagd und Gebrauch gehalten und Fische im Übermaß gefangen wurden, ist praktisches Leben von besonderer Bedeutung. Was hier und unter diesen Bedingungen mit dem Gott und den besonderen Menschen, die mit ihm sprechen, gemacht wird, das interessiert, und kann auch ein Licht in jenes Dunkel werfen, aus dem heute wieder das Altertum als moderne Utopie herauszuziehen man sich bemüht. Das Beispiel, das ich mit diesem Band liefere, zeigt denn auch, dass »Religion«, der offenen Wege des schlauen Priesters sich entziehend, durchaus schon im praktischen Leben liegen kann: quasi als Züchtung zur Demut vor der »Natur«. Die Moderne hat in ihren besten Momenten versucht, die Demut vor der Natur in der Kunst zu finden. Aber auch die kleinen Leute, die unmittelbar von Naturzyklen abhängend wirtschaften und am Mysterium des Lebens alltäglich hängen, sind im Leben von solcher Demut geprägt. Landschaften, Mensch- und Naturwelten in Ägypten sind allerdings historisch aufgeladen. Und wenn wir heute Naturforscher der frühen Aufklärung heranziehen, um uns in ihren Beschreibungen ein Bild von der älteren ägyptischen Natur zu gewinnen, wird vielleicht schon ein Element deutlich, das

161 | Vgl. etwa Assmann, Ägypen eine Sinngeschichte, S. 242 ff; Assmann, Voegelin; Voegelin, Ordnung und Geschichte, S. 55-88, 95-164.

162 | Vgl. hierzu Stauth, Zwischen den Steinen des Pharao, S. 57, 67-69.

129 Epilog

uns selbst verloren gegangen ist. Das bildliche sich Hineinfühlen in Naturlandschaften war damals noch Bestandteil streng wissenschaftlichen Erforschens der Naturwelt überhaupt (Sonnini)162. Auch das Naturverständnis der alten Ägypter muss uns beschäftigen, denn hier scheint es eine Urform der Einheitsvorstellung von Gott und Welt gegeben zu haben, die parallel zu der Vorstellung existierte, dass Gesellschaft und Natur einer integrierenden Macht des Schönen unterlägen und dass eine unauflösbare Kohärenz beider gegeben sei. Das Bild von der Kohärenz menschlichen und natürlichen Lebens bei den Alten hat in vielem schon vorweggenommen, was im mystischen Denken der Muslime wieder aufgegriffen wurde und was, etwa selbst noch beim Heiligen Franziskus, im Besingen der Natur als die Vereinigung mit der Welt Gottes durchaus auch im Abendland Frucht getragen hat. Mir ist dies wichtig, weil ein abschließender Band meiner Arbeiten über Heiligenverehrung und Heilige Orte in Ägypten mir nicht anders, als auf diese Frage des Naturheiligen und Naturschönen abzustellen, denkbar erschien.

Anhang

Die Karten 132

A Die Nordseite zum Mittelmeer westlich vor Port Said

Die Karten

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Die Karten

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B Die Südseite um Matariyya

Die Karten

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Der See – die alten und die jungen Orte Meine Untersuchungen bezogen sich auch auf die Maqame im See, die in näherer oder loser Verbindung mit dem Fallbeispiel »Abû Waffa« stehen. Je länger wir aber dort waren, je mehr erfuhren wir über andere Qubbas und auch über die alten, im See versunkenen Orte. Es konnte bei der Ausdehnung des Sees, der relativen Marginalität einzelner Orte ja auch der dunklen Geschichte vieler im See versunkener oder gerade noch hervorblickender Tells und Kûms weder eine lokale Heiligen-Geschichte noch eine Sozialgeschichte dieses Sees als Ganzes angestrebt werden. Die lokale Situation im See und um ihn herum zeichnet sich durch neue Verbindungen aus, zunehmend spielen Auto- und Lastwagenverbindungen um den See herum eine größere Rolle. Wenn die Heiligen im See einmal in den 1960er Jahren lebendige Kommunikations- und Verkehrsorte waren, dann sind sie es heute nicht mehr. So ist es offensichtlich, dass die Menschen hier im See gerade in diesem modernen Kontext und der überwiegend durch säkulare Interessen geprägten Situation nicht mehr von der Ordnung der heiligen Orte her denken, wenn auch die Orte selbst durchaus bei der Identifizierung der Naturwelt behilflich sind. Hier möchte ich stichwortartig einzelne Punkte herausgreifen, sie könnten Nachfolgenden Arbeit ersparen. Es gibt neben Abû al-Wafâ‘ von der Mitte zur Südhälfte hin noch andere Heilige im See, wir können sie auf der Karte lokalisieren.163 Gibt es eine Rangstufe unter ihnen? Nein, denn sie sind kaum noch in die Geschichte der ägyptischen Sufi-Orden einzubringen: ´Abdallah b. Salam: Sein Maqam ist im ersten Band dieser Studien ausführlich beschrieben164 – Er ist Teil einer für die Orthodoxie wichtigen Frühgeschichte des Islams. Scheich Salîm, auch Abû Manadîl: Er wird oft genannt, aber man findet ihn nicht in der Geschichte. Es handelt sich bei dem Ort um den des Abû Manadîl im Westen des Sees von Matariyya aus gesehen (fil-gharb, fil-Dasharî, makân gharb min Matariyya, ba´d al-Dashr), auch wird er manchmal (als der zweite) al-Gharîb genannt. Es muss sich vor etwa 15 Jahren noch um einen lebendigen Ort mit Qubba gehandelt haben. Er ist heute zerstört, die Reste des Maqams sind im Meer versunken. Im Darîkh des »Abû Waffa« wird ihm ein Andenken bewahrt.

163 | Dabei ist es natürlich interessant, dass es offenbar eine Spezialität der unter modernsten geographischen Regeln damals gezeichneten Karten des nationalen staatlichen Katasteramts (im Umgangs-Ägyptisch al-Misakha genannt) ist, selbst die kleinsten, heute meist vergessenen und nicht mehr gepflegten Schreine als Orientierungspunkte eingezeichnet zu haben. 164 | Vgl. Stauth, ´Abdallah.

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Scheich Abû’l-Hasan: Mehrere Orte dieses Namens gibt es im See, sowohl im Norden (Garâba von Port Said) wie im Süden (Dasharî). Hier handelt es sich ganz offensichtlich um innere Referenzen der jüngeren Silsila der Ahmadiyya, auf die sich auch al-Wazîr in Port Said beruft. Scheich Sa´îd: Liegt westlich von Matariyya auf genutztem Agrarland, das einem Tell abgewonnen wurde. Dieser ist heute kaum mehr an der Oberfläche zu identifizieren. Es handelte sich um einen Schrein an einem kleinen Tell westlich von Matariyya. Schrein und Tell sind der Logik der extensiven landwirtschaftlichen Nutzung, der Nachlässigkeit der Verwaltung, und – was den Schrein anlangt – der Anti-Sufi-Bewegung zum Opfer gefallen. Es sind immer nur einzelne, sich damit nicht beliebt machende Personen, die Hinweise geben und sagen, nein, hier stand der Schrein, hier war vor 10 Jahren noch ein Wächter der Altertumsverwaltung, als der starb, ja da wurde hier alles dem Boden gleich gemacht. Heute völlig verschwunden ist die Qubba des Sa´îd, die noch vor fünf Jahren hier gestanden haben soll. Der Tell ist nur durch die erhöhte Lage eines etwa 4-5 Feddân umfassenden Feldes zu erkennen. Der schnell ankommende Besitzer des Grundstücks verneint die frühere Existenz von Qubba und Tell, will auch nichts davon wissen, dass es hier einmal einen Wächter der Regierung gegeben haben soll. So ist der Tell Sa´îd mit seiner Qubba verschwunden und wird es wohl auch für immer bleiben. Dass es ihn gab, kann man immerhin noch auf der offiziellen Karte der Misaha, aus der Nasser-Zeit sehen. Ezabî: Den in Gesprächen aufgefangenen Angelpunkten zu den Tells oder Heiligen im westlichen Teil des Sees (Dumyât-Seite) folgten wir. Märkte für angeschwemmte Stücke aus dem Meer mit Leuten und Händlern, die spezifisch das sammeln, fanden wir nicht. Dafür aber den kleinen völlig abseits im See abgeschlossen liegenden Meiler, Ezabî. Hier laufen so viele blonde Kinder herum, dass man meinen kann, nicht in Ägypten zu sein. Geschichten, dass die Seeleute aus Damietta oft hierher kommen und zweite Frauen unterhalten, könnte man so leicht Glauben schenken. Die kleine Qubba des Heiligen Nûr wird aber hier so wunderbar gepflegt, dass sich zum Beispiel die Kerzen unerwartet geordnet auf einem Tisch im sauber gehaltenen Grabmal finden. Es gibt also durchaus noch eine aktuelle Welt der Heiligen in der Seewelt, wenn auch immer nur in der äußersten Peripherie und dann eben meist nur für die Leute selbst, die in der Abgeschiedenheit eingeschlossen sind. Kaum lassen sich hier – anders als bei »Abû Waffa« – Kontenpunkte, Vernetzungen, erkennen, und eben auch keine lebendige, in ziyârât und mawâlid sich manifestierende Heiligenkultur. Und auch »Abû Waffa« ist noch nicht einmal ein gemeinsamer Gebetsplatz für die in der Mitte des Sees Lebenden, (vgl. Abb. 11).

Tell al-Ma´âbid (al-ma´aibid) liegt man im Ostteil des Sees (Bahr al-Bâr) oder eher im Süd-Osten in Richtung Tanis. Bei dem Namen soll es sich um einen alten Königsnamen handeln, so erzählen die Vertreter der lokalen Altertumsverwaltung. Er ist etwas größer als der Tell al-Ghussain, umfasst schätzungsweise etwa 15-20 Feddan roter Erde umfasst, bildet gegen den See einen Hügel von etwa 3-4 Meter Höhe. Von Nord-Westen über den See her kommt man an eine Uferstraße. Zur Straße hin liegt eine kleine Siedlung von mehreren Häusern, dann auf der anderen Seite gegen den Sarf al-Barr ein ganzes Dorf. Wir wurden zunächst freundlich empfangen, bis aus dem Dorf zwei sich als Wächter aufspielende Gestalten kamen, die offenbar, Streit suchten, ihre Ausweise aber nicht vorzeigen wollten. Fast kommt man auf die Idee, dass der »Besitz« über den Tell, den sie reklamierten, tiefere Gründe hat und eine Art geheimer Handel über dem Tell ruht.

165 | Alison L. Gascoigne, The Medieval City.

139 Der See – die alten und die jungen Orte

Tinnîs, so sprechen es die Leute am See aus, liegt am nächsten zu Port Said hin, hat einen riesengroßen Tell, der taucht aber völlig verlassen am Kanal nach Matariyya aus dem See auf. Zwar sind etwa Teile, nicht größer als ein Fußballfeld, ausgegraben, aber da es sich um koptisch/islamische Ruinenstätten handelt, scheint das Interesse nicht groß zu sein. Die Ausgrabungen waren in der Zeit unserer Studie, 2005-2008, still gelegt. Sie wurde von ägyptischen, französischen und englischen Archäologen in Zusammenarbeit mit dem IFAO und der Universität und dem Museum in Port Said durchgeführt.165 Tinnîs liegt im Nord-Osten des Sees und ist bisher nur vom See her zu erreichen. In mehreren Wellen haben Ägypter, Franzosen und Engländer hier archäologische Arbeit geleistet, die zu Ausgrabungen eines kleinen Feldes führten. Tinnîs gilt als eine der reichsten Industrie-Städte des mittelalterlichen Nahen Ostens, insbesondere der Textilindustrie. Ursprünglich eine koptische Bischofsstadt, wurde Tinnîs nach der Eroberungsschlacht (642) schrittweise für seine Textilien in der islamischen Welt berühmt. Mit zunehmendem Niedergang der Textilindustrie im 12. Jh. und allgemeiner Unsicherheit wurde die Stadt nach mehreren Angriffen von außen und entsprechenden Verwüstungen im 11. und 12. Jahrhundert schließlich unter dem Ayyubidischen Sultan al-Malik al-Kamil 1227 evakuiert, doch wurde die Insel noch bis ins 15. Jh. als Außenhandelsbasis weiter benutzt. Aus dem weiteren Gebiet um Tinnîs/Simiriyât sind im See Siedelnde weitgehend mit dem Seehafen in Nusaima verbunden, schicken dort ihre Kinder in die Schule etc. (´Ali, ´Abd al-Galîl): al-nas kullina fi Rawada (wir sind alle in Rawada). Warum zogen sie nach draußen in den See? Um Geld zu verdienen und weil da keine Regierung ist: al-hukûma sibilnâ huriatna/ ma fish mashakil baina-l-nas.

Tell al-Awlâd al-Ismâ‘îl: Liegt im Nord-Westen. 140

Tell al-Lagân (fil-gharb, im Western von Matariyya): Liegt im Gebiet Mahgar, ist völlig verwahrlost und den hier anlagernden Viehhirten überlassen. Tell Zaîn al-Nebalâwî: Ein kleiner Tell an der Südseite des Sees, zwischen Nusaima und Rawada, mit einer uralten Qubba und angebautem kleinem Moscheeraum. Alles sieht verwahrlost aus und wird heute nicht mehr genutzt. Es handelt sich um eine Ruine, die nur noch steht, weil sie auf dem an den Tell grenzenden und zum Teil darauf liegenden Dorffriedhof von Shibûl steht. Der Friedhof hat viele eigenartige Gräber, die am Kopfende eine Art unbeschriftete Holzsteele aufweisen und am Fußende oder auch am Kopfende immer ein paar eingepflanzte Tîn Shawka, Feigenkakteen. Während Zaîn langsam verfällt, befindet sich am anderen Rand des Friedhofs eine weitere, offenbar erst kürzlich renovierte Quabba, die den Namen des »Ibrâhîm al-Disûqî« trägt. Der uns führende ´Abd al-Galîl kennt die Kuppel aber nur unter dem Namen von Sulaiman. Hier haben ganz offenbar rege lokale Geister eine alte Fellachen-Kuppel mit dem Namen »Sulaiman« durch Umtaufen gerettet, indem sie sie mit dem Namen eines offiziell geschützten Heiligen verbanden, renovierten und so lebendig halten, während der oben auf dem »Gabal« stehende Zain keine lokale Unterstützung findet, weil er als Denkmal nur unter Regierungsschutz steht und so dem Verfall anheim gegeben ist. Nusaima, die Moschee des al-Dawûdî: Das dort einst stehende Maqam wurde bei der Grundrenovierung der Moschee einfach entfernt. Bei der Frage nach dem Maqam erweckten wir Verdacht bei dem Lehrer, der uns als »Spione« ansah. Der Mudîr al-Maglis begrüßte uns freundlich, aber der Auflauf an Leuten mit einem Lehrer als Wortführer war so groß, so dass wir schnell weiterfuhren. Rawada, die Moschee des ´Abdarrâziq: Hier bietet sich das gleiche Bild. Auch hier hat man sich von jedem Verdacht, dass es sich einstmal um einen verehrten Dorf-Heiligen handelte, befreit. Es soll sich hier um eine historische Qubba aus der Zeit der Mamalîk, der Mamelucken, gehandelt haben, auch seien hier Urkunden und Bücher des Maqams einfach weggenommen oder vernichtet worden. Die Heiligen leben eben ganz unterschiedliche Schicksale und es steht weitgehend dem Einfluss unterschiedlich gezeichneter lokaler Kräfte offen, ob Qubbas vernichtet oder erhalten werden. Tell al-Ghussain: Das liegt etwa unterhalb von Manasra südlich vom zweiten Bughâz, ein relativ großer Tell im See, ich überblicke ca. 10 Feddân, leere

rote Erde wie man sie auch sonst im Delta kennt. Es liegt in einer westlichen Randzone des al-Gamil, des nördlichen offenen Teils des Sees. 141 Der See – die alten und die jungen Orte

Hall al-Lânsh; Abu-l-´Aish sind vorgelagerte Ortsnamen im See; hier gibt es einen Wächter, (ghafîr). Dagegen ist der etwa 1-1,5 km weiter südlich liegende Gebel al Barr Sharashira nur graue sehr verschwemmte Erde, wie man das in Randzonen etwa auch am Tell Tinnîs hat. Hier allerdings kann man nur knapp einen halben Feddan überblicken; und einen ghafîr, Wächter, gibt es nicht.

Liste der Abbildungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

»Abu Waffa« bei der Ankunft im Jahr 2005 | 20 Ein »schwarzer Segler« | 20 Einsame Hütte | 40 Hunde mit Pelikan | 40 Alter Fischer aus Matariyya | 41 Fischer alleine im Boot | 41 Auf dem Kanal | 52 Auf dem Kanal | 52 »Launches«: Begegnung auf dem Kanal | 53 »Lebenswelt im Wasser« | 53 Einsames Ezabî: einsames Dorf mit Scheich Nûr | 54 Schilfernte im westlichen Teil des Sees | 54 »Abû Waffa«: Renovierungsarbeiten im Jahr 2008 | 79 ´Abd al-Galîl und al-Sâdât as-Sihrî (von links) | 79 Darîh mit den drei Heiligen: Abû al-Wafâ‘, Salîm Abû Manâdîl und al-Gharîb | 80 Mitglieder der Familie Sihrî | 80 Leben unter der Sihrîs | 81 Muhammad mit Frau im Jahr 2008 | 81 Muhammad mit dem Symbol für den Namen des ungeborenen Kindes | 82 Muhammad als junger Vater | 82 Die Bughâz | 83 al-Wazîr | 83 Scheich al-Wazîr und seine Welt | 84 al-Maghrabî/Bughâz | 84 Villa am Meer | 85 Villa am Meer | 85 Ali und Dina mit Kindern | 105 Dina mit jüngster Tochter | 106 Vorbereitungen zur Fahrt mit den Aalen zum Markt | 106 Kanalschlepper vor Matariyya | 107 Fischer bei der Arbeit in Bashnîn | 107 Fischer bei der Arbeit in Bashnîn | 108 Wasserversorgung | 109 Arbeiten auf dem Boot | 109 Transport der Aale zum Markt | 110

Liste der Karten A Die Nordseite zum Mittelmeer von Port Said | 132 B Die Südseite um Matariyya | 134

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Bibliographie Abul-Enein, Neue Generation = Fathi Abul-Enein, Gesellschaftliche Stellung junger Schriftsteller im heutigen Ägypten. Eine literatursoziologische Untersuchung. Bielefeld: Kleine Verlag, 1984. ´Ammar, People of Sharqiya = ´Abbas ´Ammar, The People of Sharqiya. Their Racial History, Sereology, Physical Characters, Demography and Conditions of Live. Kairo: [k.A.], 1944. Arnason, Axial Age = Johann Arnason, »The Axial Age and Its Interpreters: Reopening a Debate«, in: Johann P. Arnason, Shmuel N. Eisenstadt und Björn Wittrock (Hg.), Axial Civilisations and World History. Leiden und Boston: Brill, 2005, S. 19-50. Assmann, Ägypen eine Sinngeschichte = Jan Assmann, Ägypten eine Sinngeschichte. München: Hanser, 1996. Assmann, Voegelin = Jan Assmann, »Zur Einführung«, Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte, Bd. I. Die kosmologischen Reiche des alten Orients. Mesopotamien und Ägypten. München: Wilhelm Fink Verlag, 2002, S. 17-24. Auerbach, Romantik und Realismus = Erich Auerbach, »Romantik und Realismus« (Neuabdruck), in: Karlheinz Barck und Martin Treml (Hg.), Erich Auerbach. Geschichte und Aktualität eines europäischen Philologen. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2007, S. 426-438. Baha El Din, Directory = Sharif M. Baha El Din, Directory of Important Bird Areas in Egypt. Cairo: The Palm Press, 1999. Blackman, The Fellaheen = Winnifred S. Blackman, The Fellaheen of Upper Egypt. Kairo: The American University Press, 2000. al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (arab.) = Muhammad al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra. Kairo: Dâr al-Sharqiyât lil-Nashr wa’l-Tawsî´, 1994. al-Bisâtî, Sakhab al-Buhayra (engl.) = Mohamed al-Bisatie, Clamor of the Lake. Cairo und New York: The American University in Cairo Press, 2004. al-Bisâtî, Häuser = Muhammad Bissati, Häuser hinter den Bäumen. Zürich: Lenos Verlag. (Arab. Ausgabe: Buyût warâ‘ al- ashgâr. Kairo: Dâr al-Hilâl, 1993). Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus = Stefan Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus. Darmstadt: Primus Verlag, 1996. Brunner-Traut, Altägyptische Tiergeschichte = Emma Brunner-Traut, Altägyptische Tiergeschichte und Fabel. Gestalt und Strahlkraft. 2. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1968. Brunner-Traut, Alte Ägypter = Emma Brunner-Traut, Die Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen. Stuttgart: Steiner, 1974. Bush/Sabri, Mining for Fish = Ray Bush und Amal Sabri, »Mining for Fish. Privatization of the ›Commons‹ Along Egypt’s Northern Coastline«, Middle East Report, 30(216), 2000, S. 20-23.

145

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Glossar arabischer Termini ´âda – Sitzung, Haschisch-Gruppe ´â‘ila (ägypt. ´eyla) – Großfamilie ´asabiyya – beduinische Stammessolidarität ´Asr – Nachmitagsgebet ´urfî – nach beduinischem Gewohnheitsrecht ´ursa – Haschisch-Hütte ´Utla – Urlaub, Ferien, Freizeit ahdar – grün ahmar – rot Akhira – Jenseits al-amn – Staatssicherheit al-anwâr al-muhammadiyya – muhammadanische Erleuchtungen al-ru‘ya – Traum arûsa – Braut, Puppe Awlâd – wörtl. Kinder, metphorisch für Stamm des Soundso awliyâ‘ – Gotteshüter, die Heiligen baga´a – Pelikan bahr – Meer barâmil, pl. baramîl – Fass Bashnîn – Seerosen(gebiet), Wassergewächse, Seegrün batt – Ente Bughâz – Meereszugang Buhayra – kleines Meer, See Darîh – das Innere der Grabstätte Dunyâ – Welt, Dieseits Ezba – Landgut oder kleine ländl. Siedlung Fallahîn – ägypt. Bauern(volk) farasa – Stute fûl – aus dicken, schwarz gerösteten Bohnen bereiteter Brei, ägypt. Tagesspeise Fusha – das Hocharabische gabâra – Friedhof gadd – Großvater Gilbâb – Verschleierung girân, sing. gâr – Nachbarn gosa – vulg.arab. für shîsha hadra – Sufi-Übung, -Unterrichtung Infitah – Phase der Öffnungspolotik unter Sadat kalb, pl kilab – Hund, kanâ al-manzala – Hauptkanal auf dem Manzala-See zwischen Port Said und Matariyya karamât – Wunder

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karîna – Begleitengel, Puppe khalîfa – den auf dem Schimmel reitenden Vorreiter der Prozession, Vertreter kubâr – die Älteren, die Reichen, die Oberen lânsh, pl lanshât – engl. launch, Barkassen, Passagierboote Maghrab – 1. Abendgebet Majlis al-´alâ al-turuq al-sûfiyya – offizieller Name der staatlichen Ordensverwaltung in Kairo mandîl, pl. manadîl – Kopftuch, auch großes schwarzes über den Kopf gezogenes Tuch als Überkleid markib, pl. marâkib – Boot, Ruderboot mawâshî – Vieh mawlid, pl. mawâlid – Patronatsfest, Heiligenfest mekaniki – Mechaniker mudîr – Direktor muqâwil – Kontrakteur, Vorarbeiter mutakhallif – Rückständigkeit muwâtinîn – Staatsbürger, Volksgenossen nisba – Herkunftsbezeichnung; z.B. Ibrâhîm al-Disûqî, der aus Disuq stammende I. nizr, pl. nuzûr – Devotionalien qutb – Achse, Säule sakhab – Schrei salafî – sich auch die gründungsväter beziehend, »reformistische« islamische Bewegung samak – Fisch sayâdîn – Fischer Sha´abî – die gesprochene Volkssprache shaykh sâ‘ikh – vagabundierender Scheich, Asket Shaykh al-Mashâ‘ikh – Oberscheich, zuständig für die Sufiorden in einem Distrikt shîsha – Wasserpfeife Sîdî – Ehrbezeichnung für einen Walî silsila – Kette sunniyyîn – ortsüblicher Gebrauch für Fundamentalisten oder Salafiten ta´amiyya – in Öl gebackene Bohnenbällchen, Falafil tûf – herumziehen um das Scheichgrab, auch syn. für ziyâra gebraucht tarîqa – Sufi-Bruderschaft, Orden ´uda – Kammer, Zimmer wad´a yadd – besetzes Land, Besitznahme wafâ‘ – aufsteigen wakîl – Sekretär, oder auch Vorsitzender zaffa – Umzug am letzten Tag der Mawlid zawiya – wörtl. Gebetsecke, Übungsraum und Moschee eines Sufi-Scheichs

ziyâra – eine Art kurze Wallfahrt, Besuch des Heiligengrabs zûr – im Gebrauch ähnlich wie tûf

Glossar arabischer Termini

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Gesamtindex (Bde I-III) Äyptologie I 92, 96; II 9, 48, 122; III 11, 22, 30, 35f., 113f., 117, 119 Ästhetik I 25; III 45, 75, 121, 122, 126 Ahmadiyya I 40, 43, 50; III 60, 69, 76f. Altertumsverwaltung I 43, 50, 56, 63, 86, 109, 111; II 21, 80, 98, 108, 126, 145, 241; III 94, 103, 138f. Archäologie I 13, 39, 55, 61, 92, 96; II 43-53, III 139 – islamische II 8, 13, 17, 122, 148 Assuan-Granit II 76, 97, 115, 126f., 145 Assuan-Staudamm II 62, 162, 191 Authentizität I 18, 20, 78f., 82, 83, 90, 94f.; II 7-10, 17, 22-26, 34, 47, 77; III 8, 12f., 15, 17 Awqâf s. Altertumsverwaltung Baraka s. Charisma, religiöses Baumkult II 103-5, 109, Charisma – religiöses I 9, 13-17, 21f., 34f., 49, 61, 64, 83, 19; II 99, 114, 164f.; III 57, 124 Devotionalien I 42, 249, 56, 89, 110, 140, 155; II 19, 63, 108, 150; III 24, 58, 68, 89, 152; s.a. Nuzûr Dhikr I 50, 109; II 108, 124, 126, 241 »Erster Blick« III 19, 47, 60, 91, 125 Ethnologie I 19, 62; II 21, 44, 159f.; III 9, 21, 35 Fellachen I 9, 13f., 38-41, 46, 49f., 62, 87, 97, 112; II 14f., 23, 62, 73, 115, 117, 134, 145; III 11, 13, 21f., 32, 48f., 69, 71, 92f., 100, 140 Frauen – Helferinnen des Heiligen I 43; II 15, 60, 96-98, 100, 134f., 143,

150f., 164, 179, 187, 190, – kinderlose II 15, 56, 135, 156 Fremdkultur III 115, 118 Fruchtbarkeit I 43, 85; II 15, 62, 77, 87, 156, 162, 174f., 179, 187, 197, 201-204 Geographie I 86; II 44, 160 »Großes Grün« III 36, 46, 112, 114, 121 Hadra I 51; II 108, 114, 126f., 242; III 77 Hagiographie I 30, 43, 82, 96; III 57, 60 Iranische Revolution I 8; II 35 Juden, Judentum I 7-9, 13-16, 21f., 27-29, 35, 37-40, 62, 64-80, 82, 87, 95, 97f., 106, 109; II 14, 22, 15, 27, 37-42, 60, 160 Khalifa I 86; III 72 Mamelucken I 9, 28; II 9, 43-47, 61, 71, 75f., 79, 83f., 125, 143, 148; III 8, 58, 61, 140 Marginalität I 20, 97; II 8, 17, 69f., 157, 159; III 8, 26, 137 Metapher I 63, 69, 70, 78; II 22, 25, 63, 159, 160; III 16, 19, 23 Mittelmeer I 51f., 54, 57, 162; II 25, 33, 34, 55, 62, 72, 73, 158, 165, 171; III 11, 14, 16, 23, 25, 3133, 35, 37f., 44, 65, 70, 75, 88, 102, 111-114, 133, 144 Moderne I 7-9, 13-20, 22-27, 30, 36, 38, 41, 43, 45, 51, 61, 65, 69, 74, 77f., 80, 83, 89-93, 96-98; III 7-9, 11-19, 26, 45, 59, 63, 65, 70, 73, 75, 78, 87, 89, 111, 113-128, 137 Moderne ägyptische Literatur III; s.a. al-Bisâtî, Gubair und Mahfuz Monotheismus I 8, 15, 20, 22, 24, 36f., 91, 93-95, 98; II 20, 26, 33, 41, 42, 49, 166; III 116, 126

155

156

Nil – Ankunft des Nil II 25, 60, 63, 162 – feste I 37; II 59, 61, 117, 158, 162, 171-193, – heilige I 21 s.a. Al-Disûqî, Abû Dabâb, Abû Magâ und Abû Mandûr – götter II 77, 162, 184f., 197, 199; III 38f., 125 – wallfahrten I 7, 18; II 162; s.a. Wallfahrt – wasser II 63, 85, 163, 176, 180, 185, 191 Nuzûr II 63, 130; III 24, 58, 68 Ordnung I 18, 50, 89, 97; II 13, 16f., 21, 23, 33-38, 63, 74, 85, 92, 100, 136, 144-147, 158; III 7f., 46f., 49f., 72, 76, 87, 90f., 95-98, 100-103, 117, 125, 128,137 Ordnungsbewußtsein – holistisches II 35 – islamisches II 16, 74, 92, 100, 144-147 – modernes II 16, 33f. Pharaonismus, pharaonisch I 9, 13-17, 21f., 34f., 49, 61, 64, 83, 91; II 9, 27, 45, 84, 97f., 110f., 114, 117, 135, 144-148, 157, 161, 166, 172, 177, 185-187, 193f., 205, 210, 213, 215; III 7f., 11, 21f., 24, 29-32, 25, 44, 58, 112, 115f., 121, 127f. Prozession I 40, 42, 48, 86, 92, 109, 111; II 20, 53, 62, 77, 97, 177, 179, 184-187, 189, 190, 195, 197, 199, 200-203, 244; III 72, 74f., 152 Ramadân II 63, 87f., 96, 99, 109, 243; III 75 Realismus III 28, 30, 87 Rifâ’iyya I 48, 50; II 18, 135, 210; III 62f., 67, 69, 71, 76f.

Ritus I 43; II 15, 20, 23, 25, 59, 61, 63, 95, 97, 149, 151, 159, 162,f., 180, 185-189; III 18, 57, 89, 127 Salafiten, salafitisch II 17, 48, 126; III 67, 71, 75, Shadhiliyya-Tradition III 60, 77 Soziologie I 19, 93, 96; II 9f., 17, 33-36; III 9, 119 Spolien II 43-47, 69, 76, 142, 193211; III 7f. Sufi s. Sufismus Sufismus I 13-15, 19, 24, 42f., 4751, 61, 71, 81f., 84, 89, 97, 99, 110f.; II 8, 13, 21, 24, 35, 37, 55, 58, 62, 63, 84, 96, 108-114, 118, 124, 126f., 135, 137, 144, 148f.; III 12, 16, 24, 31f., 55-63, 67, 69, 71-78, 123, 126, 137f. Tarîqa I 40, 42f., 46-48, 50f., 82, 84, 89; II 110, 126; III 60, 73, 77 Tiere II 18, 135, 210; III 22, 33, 40, 43, 45, 55f., 64, 90f., 95-97, 99101, 115, 120-122, 125, 128 Tierkult I 34, 36f. Topographie I 16; II 160f., 214 Torso II 118, 149-151, 153, 155 Traum I 65; III 58f., 63-69, 73 Unfruchtbarkeit II 56; III 34 Usurpation II 47; III 8 Utopien – weltliche II 33 Wallfahrt I 7, 13, 18f., 21, 24f., 4042, 48-50, 54, 57, 82, 84, 86, 89f.; II 7, 20, 27, 55, 62, 69, 127, 158-163, 244; III 31f., 57, 67, 69, 71, 74-78, 152 – altägyptische Praxis I 21 – muslimische Praxis, s.a. Prozession Widder I 34-36; II 175; III 112 Zaffa s. Prozession

Namen islamischer Heiliger (Namen einzelner lokaler Scheichs und Qubbas sind nicht aufgenommen) ’Abbâs II 118, 127, 129f., 130, 134, 144, 220 ’Abdallah b. Salam I 7-10, 13-16, 21-24, 27-35, 37-53, 55, 57-59, 60-77, 79-87, 91, 93, 96-98, 116-125, 127, 129, 132-134, 146, 148f., 155; II 55, 144; III 7, 11, 18, 23f., 29, 44, 57f., 60, 67, 74, 77, 103, 137 Abû al-Haggâg II 15 Abû al-Ma’âtî III 16, 71f., 74f. Abû al-Makârim II 62, 77, 80, 87, 90f., 158, 219 Ab al-Wafâ’ III 11-13, 16-18, 22f., 25, 29, 55-57, 59-61, 63, 65-69, 71f., 77, 80, 101, 121, 126f., 137, 143 Abû Dabâb II 80, 86, 88; 111, 219, 241 Abû Gharîb III 57, 65f., 68f., 71, 77, 80, 88, 137, 143 Abû Hummus II 15, 71, 165 Abû ’Isâ II 80, 98, 118, 126, 128, 145, 220 Abû Manadîl III 57, 66-69, 78, 137 Abû Mandûr I 54,58, 162f.; II 55-58, 67, 158, 219; III 16 Abû Nagâ II 77, 80, 98, 101-104, 108f., 113, 219

Abû Waffa III 20, 32, 47, 55, 60, 63-69, 71-73, 75-79, 88f., 94-f., 103f., 111, 137f., 143 Abû Yûsuf II 28 al-Amîr Hasan b. Nasrallah II 75-78, 80-86, 98f., 108; 111, 194-196, 219, 221 al-Ansârî, Sîdî ’Isâ II 126 al-’Azab II 124, 144f. al-Badawî, Sayyid Ahmad I 42f., 52, 54, 81, 87, 90; II 58, 60, 62, 74, 103, 144; III 62f., 69 al-Dawûdî III 140 al-Disûqî, Sîdî Ibrâhîm I 42, 81; II 56, 58, 60, 62, 64, 74, 87, 108, 113, 144, 158, 219; III 69, 74, 140, 152 al-Ghuzzî II 118, 120, 124, 144-147, 220 al-Kûrânî, Muhammad II 96 al-Maghrabî III 31f., 67, 71f., 74f., 77, 84, 88f., 143 Muhammad Mâdî Abû al-’Asâ’im III 16 al-Mursî, Abû’l-’Abbâs III 16, 60, 62f. Saba’a Banât II 100, 146f., 243 Sadât as-Sâqa II 100, 124, 146, 243 Sadîqa as-Sab’a II 100, 124, 146 Sayyidnâ Ahmad Dâ’î ad-Dûr II 106, 110, 220 Scheich Sa’îd III 138 Scheich Selîm III 137 Shâdâd II 118, 124, 153f., 220 al-Shâdilî, Abû’l-Hasan III 60-63, 67, 71, 75, 138 Sîdî Abdarrahmân III 16 Sîdî ’Abderrâziq III 25, 76, 140 Sîdî Mûsâ II 98, 101, 219 Sîdî Shibl I 7; II 74; III 11 al-Wâsitî, Abû’l-Fath III 60-63

157 Gesamtindex

Zivilisation, -sgeschichte, -skritik I 8, 35, 93; III 7, 13-15, 36, 111, 121, 128 Zivilisationstheorie (auch vergleichende) II 8f., 24, 27, 33, 37, 39f., 114, 157 »Zweiter Blick« III 19, 57, 60, 87, 88, 103, 118

158

Personennamen/Autoren (Hinweise schließen Fußnoten, aber nicht die Literaturverzeichnisse ein) Abû Nuwas III 121 Adorno, Theodor III 18, 121f. al-Aqqâd II 25 Assmann, Jan I 36f.; II 22, 42 137, 215; III 116f., 119, 128 Auerbach, Erich III 17f. Awad, Louis III 25, 28 al-’Azab, Khalid M. II 71, 73f., 77, 79, 83, 86, 92, 96, 98, 100 Becker, C. H. I 17; II 39 al-Bisâtî, Muhammad III 9-11, 17, 21-33, 35-39, 43, 46f., 69f., 77, 87, 91, 100, 112, 114, 121, 125 Büchner, Georg III 6, 17f. Chelhod, Joseph II 18 Curtius, Robert III 10, 17f., 39 al-Daly, Okashi II 46-50 DuQuesne, Terrence II 27; III 116, 119 Eisenstadt, Shmuel Noah II 26, 3335, 48; III 120 von Ess, Josef I 28, 63-67, 77, 79, 93, 95-97; II 14, 38 George, Stefan III 14, 121f. Goldziher, Ignaz I 17, 53, 61f., 65, 73-78, 81f., 84f., 87, 89; II 15, 39, 60f.; III 11, 61 Gubair, Abduh III 30, 87, 88 Haarmann, Ulrich I 25, 46; II 22, 46, 49-51, 76, 79, 127 Habachi, Labib II 74-76, 78, 87, 97, 115, 125, 138, 193-195, 205f., 216 Hesse, Hermann III 122 Hermann, Alfred II 25, 59, 159, 162, 180, 186, 188f., 191 Hornung, Erik II 27, 46-47; III 34, 38, 112, 114, 116-119, 125 Jaspers, Karl II 37; III 13-15, 19, 62

Kierkegaard, Sören III 122f. Lane, Edward William I 70, 76; II 56, 58f., 62, 69, 70, 74, 83, 92, 137, 148, 163, 178, 197, 191, 215 Massignon, Louis III 120, 122f. Mayer, Luigi II 56f., 68, 70, 81, 193, 219 Morenz, Siegfried II 27, 189; III 117, 119 Nibbi, Alessandra II 53; III 35-37, 44, 46, 112 Rilke, Rainer Maria II 59, 159, 162, 164; III 118 Ritter, Hellmut II 35, 137; III 120 Said, Edward II 34 Schaeder, Hans Heinrich II 39 Schiller, Friedrich II 137, 215 Schmitt, Carl II 13, 157 Schwarz, Benjamin II 36, 39 Sezgin, Ursula I 16f., 28f., 68, 70; II 46, 48, 50 Sonnini, C. S. II 56-57, 67, 69, 164, 215, 219; III 16, 129 Turner, Victor II 21, 159, 161 Wagner, Ewald III 121 Weber, Max I 94; II 34f.; III 19 Wellhausen, Jacob I 61, 79; II 18 Wilson, Penelope II 19, 122, 136138, 144-148, 150, 213-216

Ortsnamen Alexandria I 34f., 38; II 15, 40, 55f., 62, 67, 71-73, 77, 110, 134, 156, 158, 163, 165, 177, 188f., 193, 214, 215; III 16, 25, 29, 60, 62, 70, 102 Bahaiyra II 77 Bughâz III 31, 33, 37f., 69, 70-73, 75, 83f., 88, 90, 103, 140, 143, 151 Bûrg al-Burullus I 51, 53; III 16

Mendes I 21f., 34-42, 46, 51, 54f., 68, 83-87, 97, 119, 127f.; II 9, 98, 175, 180, 182, 184f. Metelis II 7, 53f., 69, 71, 74f.; 111, 205 Minûfiyya I 7; II 54; III 11 Mitubis II 55, 58f., 62, 69f., 72f., 98, 115, 158; III 96 Port Said I 53f.; III 9, 11, 13, 16, 25, 30-32, 44f., 49, 51, 55, 57, 60, 63-78, 87-96, 99, 102, 121, 138f., 151 Rashid s. Rosetta Rawada III 25, 29f., 64f., 76, 91-94, 104, 139f. Rosetta I 7, 59, 103; II 53-56, 58, 62, 67, 69f., 72-74, 118, 158, 163, 165f., 193, 195, 205f., 215f.; III 16, 96 Sa al-Hagar s. Sais Sais II 7-10, 15f., 19, 47, 53, 59, 69f., 75f., 97, 115, 117f., 120124, 127, 135-138, 141, 143, 146-148, 157f., 165-167, 181, 193f., 195, 206, 211-216, 220f.; III 8 San al-Hagar I 35, 54f.; s.a. Tanis Shuhadâ I 7, 90; II 74, 165; III 11 Simiriyât III 22, 55, 68, 71-73, 75f., 78, 92, 139 Tanis I 34f., 54, 56, 84; II 27-30177, 181, 215, 219; III 49, 139 Tanta I 25, 38, 43, 81, 90; II 58, 62, 70, 74, 110, 113, 136, 143, 151, 163; III 62f., 67, 69, 102 Tell al-Tuna I 51-55, 87, 146; III 58 Tennis s. Tinnîs Tinnîs I 53, 56; III 29, 47, 58, 91-94, 96, 139, 141

159 Gesamtindex

Dairut II 28, 31, 62, 75, 77f., 84, 86, 193, 206-210, 219, 221 Damanhur I 38; II 55, 67, 70, 113, 165, 205 Damietta II 62; III 11, 16, 31, 44, 49, 60, 68, 70-72., 74f., 78, 82, 90, 138, 152 Disuq I 7, 38, 42, 81, 90; II 55, 58f., 62, 69, 70, 74, 110, 113, 117, 119, 158, 163, 165f., 220; III 67, 69 Dumyât s. Damietta Fayyum III 30 Fuwa II 7-10, 15f., 43, 47, 53-55, 58f. 62, 67-79, 83, 86f., 92, 9698, 100-104, 107-111, 114f., 125, 127, 135, 138, 151, 157f., 163, 165, 166, 193-195, 199, 205f., 210f., 219-221; III 8, 96 Gamaliyya (bei Mazala) II 73; III 22-25, 28f., 96, 99 Kairo I 9f., 28, 38, 42, 50, 58, 62, 64, 70, 73, 77, 81, 86, 91, 93, 97, 110; II 10, 14f., 45, 53, 55, 59-63, 67, 69-73, 77, 83, 86, 98, 113, 122, 136, 143, 165, 178, 191, 193, 215; III 23-29, 44, 51, 61, 63, 71, 73f., 87-89, 100, 102 Mahmudiyya II 55f., 62, 75 Mansura I 13f., 30, 42, 46, 50, 55, 61, 62, 73, 87, 91; II 8, 67; III 166 Manzala-See I 9, 51-54, 58f., 73, 87, 97, 146, 154; II 108, 166; III 79, 11, 13, 16-18, 21-15, 32, 27f., 44f., 48f., 55, 59f., 65, 68, 73, 75f., 78, 90, 96, 111, 114, 117, 120, 125f. Matariyya I 51-58, 87; III 23f., 31, 41, 45, 47, 49-51, 55, 58, 60, 64, 74f., 92f., 95f., 99, 107, 135, 137-140, 143f., 151

Globaler lokaler Islam Schirin Amir-Moazami Politisierte Religion Der Kopftuchstreit in Deutschland und Frankreich 2007, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-410-2

Sabine Berghahn, Petra Rostock (Hg.) Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2009, 526 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-959-6

Nilüfer Göle, Ludwig Ammann (Hg.) Islam in Sicht Der Auftritt von Muslimen im öffentlichen Raum 2004, 384 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-237-5

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Abbas Poya, Maurus Reinkowski (Hg.) Das Unbehagen in der Islamwissenschaft Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien 2008, 336 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-715-8

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Mechthild Rumpf, Ute Gerhard, Mechtild M. Jansen (Hg.) Facetten islamischer Welten Geschlechterordnungen, Frauen- und Menschenrechte in der Diskussion 2003, 319 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-153-8

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