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German Pages 418 Year 2014
Patricia Gozalbez Canto Fotografische Inszenierungen von Weiblichkeit
Gender Studies
Patricia Gozalbez Canto (Dr. phil.) hat KunstjKunstpädagogik, Erziehungswis-
senschaft und Fotojournalismus in Osnabrück und Barcelona studiert und im Bereich der pädagogischen Frauen- und Geschlechterforschung promoviert.
PATRICIA GozALBEZ CANTO
Fotografische Inszenierungen von Weiblichkeit Massenmediale und künstlerische Frauenbilder der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien
[ transcript]
Drucklegung mit freundlicher Förderung durch die Hans Böckler Stiftung und die Gerda-Weiler-Stiftung für feministische Frauenforschung, D-53894 Mechernich, www.gerda-weiler-stiftung.de. Die Dissertation wurde vom Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück angenommen.
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Inhalt
Danksagung 9 1
1 Einleitung 1.1 1.2 1.3 1.4
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(Geschlechter-)Bilder als Quellen in der Erziehungswissenschaft I 15 Untersuchungsvorhaben und Forschungsfragen I 19 Ausgewähltes Quellenmaterial I 24 Theoretische Verortung I 33 1.4.1 Sozialkonstruktivismus I 33 1.4.2 ,Sex' und ,gender' I 35 1.4.3 Das Konzept des ,doing gender' I 39 1.4.4 Geschlechtsspezifische Körpersprache I 43
2 Überlegungen zur Analyse fotografischer Bilder
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2.1 Das (fotografische) Bild als historische Quelle 152 2.2 Fotografie und Wirklichkeit I 56 2.3 Fotografie und Kunst I 62 2.4 ,Inszenierte Fotografie' und fotografische Pose I 63 2.5 Die ikonographisch-ikonologische Methode der Bildanalyse
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3 Massenmediale Weiblichkeitsbilder der 1920er und 1930er Jahre 1 76 3.1 Weiblichkeit und Modernität: Zum Phänomen der Neuen Frau bzw. Nueva Mujer 176 3.1.1 Urspnmg des Phänomens Neue Frau in Deutschland 177 3 .1.2 Ursprung des Phänomens Nueva Mujer in Spanien I 79 3.1.3 Bedeutungswandel des Phänomens Neue Frau bzw. Nueva Mujer in den 1920er und 1930er Jahren I 81 3 .1.4 Der Zusammenhang zwischen technischen Neuerungen und der Verbreitung des Phänomens Neue Frau bzw. Nueva Mujer 3.1.5 Die Neue Frau bzw. Nueva Mujer und das fotografische Medium I 84 3.1.6 Fotografische Inszenierungen der Neuen Frau bzw. Nueva Mujer als Leitbilder I 86
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3.2 Vorbilder & Ikonen: Weibliche (Hollywood-)Filmstars I 87 3 .2.1 Manipulation der Starbilder durch Retuscheverfahren I 90 3 .2.2 Weibliche Filmstars und die fotografische Pose I 91 3.2.3 Die Filmdiva als besondere Ausprägung des Stars I 94 3.2.4 Zur Funktion der Star- bzw. Divenbilder 196 3 .2.5 Exemplarische Analysen einiger Divenporträts: Marlene Dietrich, Greta Garbo und Conchita Montenegro 1101 3 .2.6 Exkurs: Frauen vor und hinter der Kamera 1109 3.3 Vermännlicht und provokant: Visuelle Repräsentationen der Gan;:onne 1116 3.3.1 Die Garyonne als literarische Figur und als Bild in den Medien I 116 3.3.2 Die Verwischung von Geschlechtergrenzen: Die Gar9onne als androgynes Wesen I 118 3.3.3 Die Gar9onne okkupiert den (Bild-)Raum 1126 3.3.4 Die Gar9onne im Frack 1133 3.3.5 Zur Vermengung von Männlichkeitsund Weiblichkeitsmarkern 1137 3.4 Modisch und sportlich: Das Girl in der illustrierten Presse 1139 3.4.1 Einzelaufnahmen des Girls 1143 3.4.2 Die Revue-Girls als Massenkörper 1150 3.4.3 Les Girls de la Pauleta 1158 3.4.4 Girl-Repräsentationen als Einzelund als Massenphänomen I 163 3.5 Naiv und verführerisch: Zum Typus der Kindfrau 1164 3.5.1 Exkurs: Physiognomische Ansätze 1166 3.5.2 Die Kindfrau als Unschuldsengel I 170 3.5.3 Die Kindfrau zwischen Heiliger und Hure 1173 3.5.4 Die Kindfrau und Selbstberührung 1177 3.5.5 Infantilisierung durch Kleidung 1180 3.5.6 Infantilisierung durch Objekte 1183 3.6 Traditionelle Rollen im neuen Gewand: Mutterschaft, Vaterschaft und Familie 1188 3.6.1 Aristokratische und bürgerliche Mütter 1190
3 .6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6
Mütter auf dem Land 1198 Exotische Mütter 1201 Die Familie 1204 Der Vater 1208 Mutter - Vater - Kind 1211
3.7 Diszipliniert und kämpferisch: Neue Frauen und der Sport 1213 3. 7.1 Befürworter und Gegner des Frauen-(Wettkampf-)Sports I 216 3.7.2 Modeme Frauen und die sportliche Betätigung am Strand 1222 3.7.3 Schwimmen - "der am besten ftir Damen geeignete Sport" 1228 3.7.4 ,Undamenhafte' Sportarten 1233 3.7.5 Freizeitsport für bürgerliche und aristokratische Frauen 1237 3.8 Emotional und expressiv: Tänzerinnen als Körperkünstlerinnen 1243 3 .8.1 Die Entwicklung des Neuen Tanzes/Ausdruckstanzes I 244 3.8.2 Klassisches Ballett versus Neuer Tanz/Ausdruckstanz I 248 3 .8.3 Moderne Tänzerinnen im Ausdruckstanz I 251 3.8.4 Weiblichkeitsentwürfe im klassischen Ballett 1258 3.8.5 Spanische Tänzerinnen 1261 3.8.6 Geschlechterbeziehungen im Tanz 1270 3.9 Typisch deutsch - typisch spanisch? Die ,rassige' Spanierin und die ungeschminkte Deutsche I 277 3.10 Zusammenfassung 1285 4
Künstlerische Selbstinszenierungen 1299
4.1 Fotografie und Fotografinnen in Spanien: Ausgangslage und Einflüsse I 301 4.2 Avantgarde-Künstlerinnen und das Experiment mit dem Selbst 1304 4.3 Marta Astfalck-Vietz I 309 4.3.1 Kurzbiographie I 309 4.3.2 Alles in einer Person: Marta Astfalck-Vietz' multiple ldentitäten I 311
4.4 Gertrud Arndt I 324 4.4.1 Kurzbiographie I 324 4.4.2 Die Auflösung einer ,genuin' weiblichen Ikonographie: Zur expressionistischen Selbstdarstellung Gertrud Amdts 4.5 Remedios Yaro I 338 4.5.1 Kurzbiographie I 338 4.5.2 Collage als Mittel der Geschlechter-Verschmelzung: Die surrealistischen Geschlechterentwürfe von Remedios Varo 1340 4.6 Mamja Mallo I 355 4.6.1 Kurzbiographie I 355 4.6.2 Demonstration einer autarken Künstlerinnen-Identität: Mamja Mallos moderne Weiblichkeit I 357 4.7 Vergleich der Künstlerinnen und ihrer fotografischen Strategien I 369 5 Schlussbetrachtung
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6 Literaturverzeichnis
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Danksagung
lch danke meiner Doktormutter Prof. Dr. Carol Hagemann-White flir ihre kreative Unterstützung und dafür, dass sie stets an mich und an das Projekt geglaubt hat. Zudem danke ich den Teilnehmerinnen des Doktorandenkolloquiums von Carol Hagemann-White, die durch ihre Ideen und Diskussionen zur Entwicklung der Arbeit beigetragen haben. Ganz besonders bin ich der Hans-Böckler-Stiftung flir ihre finanzielle und ideelle Unterstützung zu Dank verpflichtet. Sie ermöglichte mir mehrere Forschungsaufenthalte in Spanien, die für die vorliegende Studie unerlässlich waren. Ein besonderer Dank geht zudem an die Mikro-Ag Kultur- und Medienwissenschaften der Hans-Böckler-Stifung: Dr. Thomas Ernst, Julia Tieke, Dr. Sebastian Richter, Dr. Nadja Sennewald und Dr. Bartholomäus Figatowski, die mir wichtige Impulse für die Forschungsarbeit gegeben und mich intensiv auf meinem Promotionsweg begleitet haben. Zudem möchte ich Prof. Elke Hergert und Prof. Dr. Birgit Richard, meiner Vertrauensdozentin innerhalb der Hans-Böckler-Stiftung, und den Teilnehmerinnen des Doktorandenkolloquiums von Frau Richard in Frankfurt am Main danken. Unvergesslich bleiben die intensiven Bildbesprechungen und -analysen, die äußerst fruchtbar waren und zum Wachsen meines Promotionsprojektes beigetragen haben. Dem Frauenbüro der Universität Osnabrück, das mir aus dem Frauenförderpool eine Abschlussfinanzierung ermöglichte, soll an dieser Stelle ebenfalls mein Dank ausgesprochen sein. Ferner bin ich Dr. Carmen Perez Gonzalez für die Unterstützung in Bezug auf fototheoretische Fragen zu Dank verpflichtet. Ebenso möchte ich mich bei Jose Miguel Gonzalez Soriano aus Madrid bedanken, der mir aus Spanien immer wieder wichtige Informationen aus historischen Quellen zugänglich machte. Auch Janos Frecot danke ich für das ausfuhrliehe Interview zu Marta Astfalck-Vietz. Des Weiteren bin ich auch Dr. Sabine Bohne, Sibel Karakus, Heidrun Sachse, Marion Hilkmann, Susanne Kirk, Antonia Klostermann und Rolf und Ingrid Konen für ihre ideelle Unterstützung zu Dank verpflichtet. Dr. Daniel Eggers und Cordula Greinert möchte ich für die Korrektur der Texte und Markus Keller für die Layoutgestaltung danken. Schließlich gilt mein besonderer Dank Oliver Konen, der mich auf meinem Promotionsweg intensiv begleitete und mich in allen Lebensbereichen unterstützte. Auch meiner Familie, insbesondere meinen Eltern und meiner Schwester Carn1en, möchte ich für ihr Einfühlungsvermögen danken.
1 Einleitung
Bei der Durchsicht deutscher und spanischer illustrierter Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre fällt auf, dass in den Magazinen eine Fülle von Frauenfotografien publiziert wurden, die vor allem den Typus der Neuen Frau (in Spanien: Neuva Mujer) repräsentieren. Dieser war in den Massenmedien jener Zeit und im öffentlichen Bild derart präsent, dass er als ein Emblem der Epoche in die Geschichte einging. Häufig wird die Neue Frau aus heutiger Perspektive als emanzipierter Typus beschrieben, der unabhängig durchs Leben ging und meist einen Beruf ausübte. Diese Vorstellung führt bei oberflächlicher Betrachtung zu einem romantisierten bzw. idealisierten Bild der Neuen Frau, das mit Fortschritt und Modernität gleichgesetzt wird. Vor allem die Befreiung aus engen Rollenmustern und eine gleichberechtigte Stellung der Frauen innerhalb der Gesellschaft wurden eng mit dem Konzept der Neuen Frau in Verbindung gebracht. Der Transfer des Modells in die visuellen Medien führte aber zu einer Reduktion und Fixierung des Typus auf wenige, ikonographisch aussagekräftige Merkmale. Mit den Bildern der Neuen Frau wurde vor allem suggeriert, dass sich eine weibliche Emanzipation in verschiedenen Lebensbereichen bereits vollzogen hatte, obwohl dies nur für einen kleinen Teil der Frauen aus höheren Gesellschaftsschichten zutraf. ln der vorliegenden Untersuchung soll der Fokus auf fotografische Frauenbilder gesetzt werden. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie der Typus der Neuen Frau in den Zeitschriften und Magazinen der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien auf visueller Ebene hergestellt und mit welchen anderen Frauentypen er kontrastiert wurde. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass moderne Frauentypeninden Blättern häufig mit traditionellen Weiblichkeitsentwürfen in Beziehung gesetzt wurden, so dass die Kontrastierung auch wie ein erhobener Zeigefinger interpretiert werden kann. Zwar sollten mittels des Bildes der Neuen Frau alternative weibliche Lebensentwürfe visualisiert werden, gleichzeitig wurde mit klassischen Weiblichkeitsdarstellungen aber davor gewarnt, sich allzu früh von altbekannten Geschlechterbildern zu verabschieden. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass die Neue Frau nicht nur alsRepräsentantindes Modernen
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I FOTOGRAFISCHE
INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
auftrat, sondern auch mit einem liberalen Sexualverhalten in Verbindung gebracht wurde 1 und damit die traditionelle Geschlechterordnung grundlegend ins Wanken brachte. Auf ikonographischer Ebene erschienen unterschiedliche Ausprägungen des Typus Neue Frau, die z.T. mit ambivalenten Merkmalen versehen wurden und die Protagonistinnen als ,Frauen im Übergang' kennzeichneten. Eine Ambivalenz in Bezug auf den Typus Neue Frau lässt sich auch insofern festmachen, als die Bilder in den Printmedien zwar einerseits als Nachweis für ein verändertes weibliches Selbstverständnis vorgeführt wurden, die Protagonistinnen aber andererseits nicht immer in einem positiven Licht erschienen. Dies konnte z.T. an den ironischen Bildunterschriften ausgemacht werden, die deutliche Vorbehalte gegen den neuen Frauentypus erkennen ließen. Es wird zu klären sein, ob die Bilder der Neuen Frau tatsächlich so modern waren, wie sie vorgaben, und welche Funktion sie im darnahgen Gesellschaftskontext einnahmen. Da vornehmlich fotografische Bilder im Zentrum der Studie stehen, sollen diese mittels detaillierter Bildanalysen untersucht werden. Für die Analysen und Bildinterpretationen finden insbesondere körpersprachliche Studien Berücksichtigung, die auch Aufschluss über mögliche Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern geben sollen. Anhand eines Vergleichs deutscher und spanischer illustrierter Magazine der 1920er und 1930er Jahre soll nachvollzogen werden, inwiefern sich die visuellen Ausprägungen der Neuen Frau auch als ,universelle' Bilder erwiesen, die in ähnlichen politischen Zeiten (hier in den Republikphasen in Deutschland und Spanien) in beiden Ländern über die Massenmedien in Umlauf gesetzt wurden. Abgesehen davon werden in der Gegenüberstellung auch kulturspezifische Besonderheiten in Bezug auf die Inszenierung von Weiblichkeit sichtbar gemacht, die auf kulturelle Traditionen verweisen. Da der damalige Medienbetrieb vornehmlich männlich dominiert war, gehe ich in der vorliegenden Studie davon aus, dass die untersuchten fotografischen Frauenbilder aus den Printmedien hauptsächlich einen ,männlichen Blick' auf den weiblichen Körper repräsentieren. Um auch ,weibliche Perspektiven' bzw. alternative Bilder zu den massenmedialen Inszenierungen zu berücksichtigen, werden in einem weiteren Teil der Untersuchung künstlerische Weiblichkeitsbilder damaliger Avantgarde-Künstlerinnen analysiert und mit den massenmedialen Bildern in Beziehung gesetzt. Hier greife ich auf die fotografischen Selbstinszenierungen von Marta Astfalck-Vietz, Gertrud Arndt, Remedios Varo und Maruja Mallo zmück. Als Zeitzeuginnen waren sie der starken visuellen Präsenz massenmedialer Weiblichkeitsbilder ausgesetzt, was sich u.a. deutlich in ihren künstlerischen Produktionen widerspiegelt. Zum Teil wurden Weiblichkeitstypen aus den Medien aufgegriffen und modiVgl. u.a. den Typus der Garyonne, wie er von Victor Margueritte in seinem Erfolgsroman La Garr;onne beschrieben wurde (vgl. Margueritte 1922).
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fiziert. Die künstlerischen Selbstbilder können dabei als Reaktionen auf die massenmedialen Weiblichkeitsinszenierungen interpretiert werden. Interessant ist vor allem, welche Bilder aus den Massenmedien aufgegriffen und von den Künstlerinnen auf formal-ästhetischer Ebene verändert wurden. Auch die fotografischen Techniken und künstlerischen Strategien rücken an dieser Stelle in den Mittelpunkt. Denn zu berücksichtigen ist, dass der Gebrauch bestimmter fotografischer Techniken (u.a. Fotocollage) bereits eine Interpretation der massenmedialen Weiblichkeitsbilder bzw. eine ironische Distanzierung zu den , Vorbildern' aus den Medien bedeuten konnte. Eine Gegenüberstellung von medialen und künstlerisch-avantgardistischen Bildern ist im Kontext der vorliegenden Untersuchung auch insofern aufschlussreich, als sie einen differenzierteren Blick auf Weiblichkeitsinszenierungen der damaligen Zeit erlaubt und unterschiedliche Perspektiven herausstellt. Mit den künstlerischen Bildern werden facettenreichere Weiblichkeitsbilder zur Verfugung gestellt, die auch Gegenpositionen zu den oft stereotypen Geschlechterbildern aus den Medien liefern. In Bezug auf das Fotografieverständnis und die Wirkmacht fotografischer Bilder im Kontext der 1920er und 1930er Jahre muss darauf hingewiesen werden, dass die Fotografie damals zumeist als Medium verstanden wurde, das scheinbar unverfälscht die empirische Realität widerspiegelte. Mit Hilfe diverser technischer Neuerungen im Druckverfahren und einer systematischen Verbreitung bestimmter Frauenbilder in den Printmedien konnten neue visuelle , Wahrheiten' in Bezug auf Weiblichkeitsvorstellungen und weibliche Lebensentwürfe produziert werden. Die Fotografien der Neuen Frau dienten in diesem Zusammenhang auch als Leitbilder, mit denen sich damalige Betrachterinnen vergleichen konnten. Beispielsweise eröffneten die Darstellungen junger Film- und Bühnenstars aus den Magazinen häufig einen Einblick in eine glamouräse Luxuswelt, die für viele junge Frauen erstrebenswert schien. Damit lässt sich auch erklären, weshalb etliche Artikel in deutschen und spanischen Zeitschriften erschienen, in denen junge ,Mauerblümchen' zu Stars modelliert wurden, die ein luxuriöses und sorgenfreies Leben präsentierten.2 Es wurde suggeriert, dass ein sozialer Aufstieg vom persönlichen Engagement und Fleiß eines jeden Einzelnen abhängig war. Somit trugen die fotografischen Bilder dazu bei, ein bestimmtes Begehren zu wecken. Eine optische Anlehnung an den Typus der Neuen Frau schien dabei insofern erstrebenswert, als dieser für einen Aufbruch in ein modernes Zeitalter stand und gesellschaftlichen Erfolg in Aussicht stellte. Gleichzeitig ging aus einigen literarischen Werken der Zeit hervor, dass das moderne Leben für Frauen aber auch ein hohes Risiko barg. Zum Beispiel konnten
2
V gl. auch Kapitel 3.2.
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einige moderne Protagonistinnen aus damaligen Romanen 3 zwar für eine kurze Zeit innovative Ideen realisieren und aus herkömmlichen Rollenmustern ausbrechen, sie stellten dann aber häufig fest, dass sie die erkämpfte Freiheit teuer bezahlen mussten, da sich die gesellschaftlichen Strukturen nicht in der gleichen Geschwindigkeit veränderten wie die medial vermittelten Weiblichkeitsbilder. Hier schien noch eine große Diskrepanz zwischen den medial vermittelten Repräsentationen und den tatsächlichen Lebenssituationen von Frauen zu bestehen. Die Bilder der Künstlerinnen sind im Vergleich zu den massenmedialen Darstellungen insofern aufschlussreich, als sie auf die Stereotypisierungen der medial vermittelten Geschlechterbilder aufmerksam machen und z.T. alternative Weiblichkeits- bzw. Geschlechterkonzepte präsentieren. Im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit wird einleitend ein Überblick über Untersuchungen zu visuellen (Geschlechter-)Bildern in erziehungs-und medienwissenschaftlichen Kontexten gegeben. Ferner rücken die untersuchten Quellen und die Forschungsfragen in den Mittelpunkt des Interesses. Zudem wird eine theoretische Verortung vorgenommen, um u.a. das Konzept des ,doing gender' zu präsentieren. Auch körpersprachliche Studien finden an dieser Stelle Beachtung, da sie für die späteren Bildanalysen eine zentrale Rolle spielen. Da ausschließlich fotografische Quellen untersucht werden, gibt das zweite Kapitel Aufschluss über die besonderen Eigenschaften des Mediums Fotografie und seine spezifischen Begriffe und Diskurse aus historischer und aktueller Perspektive. Hier folgt auch eine ausführliche Präsentation der methodischen Herangehensweise für die Bildanalysen. Die Arbeit mit Bildern als Quellen warf zudem grundlegende Fragen auf, die im Verlauf des ersten und zweiten Kapitels behandelt werden, z.B.: Wie lassen sich Bilder aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive bzw. aus Sicht der pädagogischen Frauen- und Geschlechterforschung interpretieren? Welche Anknüpfungspunkte bieten hier die einschlägigen bildwissenschaftlichen Disziplinen wie die Kunstwissenschaft? Was ist das Spezifische an fotografischen Bildern bzw. wo liegen ihre besonderen Stärken im Unterschied zu Textquellen? In Kapitel 3 werden die eigentlichen Bildanalysen der massenmedialen Weiblichkeitsdarstellungen vorgenommen. Dabei ist der Blick vornehmlich auf solche Bilder gerichtet, die sich in der massenmedialen Landschaft durchsetzten und starke Verbreitung fanden. In diesem Zusammenhang konnten sieben prägnante Kategorien herausgearbeitet werden (der HollywoodFilmstar, die Gan;:onne, das Girl, die Kindfrau, die Mutter, die Sportlerirr und die Tänzerin), zu denen in den jeweiligen Unterkapiteln exemplarische Bildanalysen vorgenommen werden. Im vierten Kapitel rücken die fotografischen Selbstporträts 3
Vgl. u.a. die Protagonistinnen aus Victor Marguerittes Roman La Gan;onne (1922) oder Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen ( 1932).
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der Avantgarde-Künstlerinnen Marta Astfalck-Vietz, Gertrud Arndt, Remedios Varo und Maruja Mallo in den Mittelpunkt. Auch an dieser Stelle werden detaillierte Bildanalysen erstellt. Das fünfte und letzte Kapitel vergleicht schließlich die massenmedialen Weiblichkeits- bzw. Geschlechterbilder und die avantgardistischen Selbstinszenierungen der Künstlerinnen.
1.1 (GESCHLECHTER-)BILDER ALS QUELLEN IN DER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT Massenmediale Bilder bzw. Fotografien nehmen heute einen hohen Stellenwert in unserem Alltagsleben ein und haben den Blick auf unterschiedliche Lebenswelten und auf das eigene Körperverständnis stark geprägt. Unsere kulturellen und gesellschaftlichen Erfahrungen sind immer deutlicher mit Medienbildern verknüpft, weshalb ihnen eine zunehmende Wirkungsmacht eingeräumt wird. Der Medienpädagogin Dagmar Beinzger zufolge sind Medienbilder als "Vermittler einer symbolischen Ordnung an der Herstellung bzw. Fixierung gesellschaftlicher Verhältnisse beteiligt" (Beinzger 1999: 201 ). Auch der Erziehungswissenschaftler Burkhard Fuhs betont: "Fotos sind allgegenwärtig, sie dekorieren die Innen- und Außenräume und transportieren als Botschaften zentrale Werte unserer Gesellschaft." (Fuhs 2003: 47) Medial vern1ittelte Geschlechterbilder können beispielsweise die Selbstwahrnehmung bzw. die eigene Identitätsbildung tiefgreifend beeinflussen. Als Vorbilder haben sie einen orientierenden Charakter tmd spielen eine wichtige Rolle im Sozialisationsprozess. Diesbezüglich expliziert Beinzger: ,,Sie [die Bilder, Anm. der Autorin] verbreiten und verfestigen gesellschaftlich geprägte und akzeptierte Vorstellungen, Bewertungen und Leitbilder und sind damit nicht nur an der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, sondern auch an einer permanenten ,Erziehung' von E1wachsenen beteiligt." (Beinzger 1999: 202) Folglich gewinnen medial vermittelte Geschlechterbilder durch ihre massenhafte Verbreitung eine zentrale Bedeutung, wenn es um die Verinnerlichung und Fixierung konventionalisierter Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit geht. Repräsentationskritische Ansätze in der feministischen Medienforschung befassen sich vornehmlich mit der Darstellung von Frauen in den Massenmedien (Werbung, Mode etc.). Diese Ansätze, so die Medientheoretikerinnen Marie-Ltlise Angerer und Johanna Dorer, gingen vor allem davon aus, dass "Medienrealität [ ... ] als eine männlich konstruierte angenommen" werde, welche Weiblichkeitsdarstellungen verzerre bzw. idealisiert darstelle (Angerer/Dorer 1994: 20). Zudem folge man der Überlegung, dass "den Me-
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dien [... ] entweder eine sozialisierende Funktion, eine Lern- und Nachahmungsfunktion oder eine, die vorherrschende Ordnung stabilisierende Funktion (Rückzug der Frauen aus der Öffentlichkeit in die Familie) zugeschrieben" werde (ebd.). In der vorliegenden Studie könnten die massenhaft verbreiteten Bilder der Neuen Frau in den Printmedien auch als Bewältigungsangebot (hinsichtlich der veränderten Möglichkeiten) für damalige Frauen verstanden werden. Denn die Fotografien zeigten einerseits bereits möglich gewordene weibliche Lebensentwürfe auf, andererseits konnten diese nur von wenigen Frauen tatsächlich realisiert werden, so dass eine Diskrepanz zwischen erblickten Möglichkeiten und der Nicht-Lebbarkeit dieser Lebensmodelle entstand. Ursprünglich nahmen Bilder als Quellen in sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschungszusammenhängen eine marginale Bedeutung ein (vgl. Fuhs 2003: 37) und dienten häufig nur dazu, Texte zu illustrieren. Sie wurden aber nicht als autonome, für sich selbst stehende Quellen gesehen, die eine eigene, textunabhängige Ausdrucksform vorzuweisen hatten. Demgegenüber stehen die Aussagen von Harrno Schmitt, Jörg-W. Link und Frank Tosch, die erklären: "Bildliche Quellen ergänzen keineswegs nur sprachliche Überlieferung, sondern sie eröffnen als originäre Quellengattung einen spezifischen und eigenständigen Zugang zur Erforschung der Vergangenheit." (Schmitt!Link/Tosch 1997: 7) In den letzten Jahren ist innerhalb der Erziehungswissenschaft ein wachsendes Interesse an (fotografischen) Bildern als Quellenmaterial zu verzeichnen. 4 Dies ist nach der logozentrischen Fokussierung qualitativer Methoden bzw. nach der Vorherrschaft textinterpretativer Verfahren ein wichtiger Schritt, der alltäglichen Bilderflut zu begegnen und auch historisches Bildmaterial erziehungswissenschaftlich aufzuarbeiten. Der sich immer schneller vollziehende Übergang in eine Gesellschaft der Bilder lässt die Notwendigkeit einer Bildkritik immer dringlicher erscheinen. Ralf Bahnsack beschreibt die Bedeutung des Bildmediums wie folgt: "Bilder stellen auf einer ganz elementaren Ebene der alltäglichen Verständigung und des Lernens, der Sozialisation und der Bildung- auch außerhalb der Massenmedien- ein zentrales Medium der Verständigung dar." (Bohnsack 2003: 240) Auch Klaus Mollenhauer, der sich als einer der ersten Erziehungswissenschaftler eingehend mit Bildquellen (u.a. Kinderzeichnungen und künstlerischen Selbstporträts) auseinandersetzte, nennt drei zentrale Grün4
Mit dempictorial turn rückte William J.T. Mitchell im Jahre 1992 das Bild in den Forschungsmittelpunkt Mit dieser ikonischen Wendung wurde auch zunehmend der strukturierende Charakter des Bildes registriert und anerkannt. Die Hinwendung zum Bild zog sich seitdem durch verschiedene Fachgebiete und mündet heute in der Forderung eines eigenständigen, interdisziplinären Gebietes: der Bildwissenschaft (vgl. in diesem Zusammenhang Sachs-Hombach, 2004).
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de für den Einsatz von Bildern in erziehungswissenschaftliehen Forschungszusammenhängen: "[E]s gibt keine Kultur, in der die Menschen ihre Weltsicht nicht auch in Bildern zum Ausdruck brachten; in Bildern kann ein anderer Sinn verschlüsselt sein als in den oralen oder schriftlichen Beständen; in unserer Gegenwart scheinen die visuell-artifiziellen Ereignisse derart zuzunehmen, daß sie zu einem immer gewichtigeren Bestandteil unserer kulturellen Erfahrung und Selbstauslegung werden. Es liegt deshalb nahe, solche Materialien auf das hin zu untersuchen, was sie zu unserem erziehungswissenschaftliehen Wissen beizutragen vermögen." (Mollenhauer 1997: 247)
In Bezug auf die Aussagekraft und Bedeutung von Bildern im kulturhistorischen Kontext erklärt Mollenhauer weiter: "Bilder sind zwar einerseits die Hervorbringungen individueller Produzenten (Maler und Malerinnen; Fotografen; Leute, die Installationen oder Perfom1ances arrangieren; Jugendliche, die Graffiti auf Mauem sprühen usw. ), sie stehen aber andererseits auch in den Bedingungsfeldem der jeweiligen Epoche, der Region, der Klasse, der Subkultur; sie sind also, bis ins kleinste Detail hinein, Momente eines historisch-sozialen Habitus." (Mollenhauer 1997: 251)
Obwohl innerhalb der Erziehungswissenschaft ein steigendes Interesse am Bild als Forschungsgegenstand zu verzeichnen ist, wurden in den letzten beiden Jahrzehnten nur wenige Ansätze entwickelt, die sich mit bildinterpretatorischen Methoden beschäftigen (vgl. u.a. Mollenhauer, Bohnsack, Pilarczyk/Mietzner). Dies ist nach Fuhs darauf zurückzuführen, dass bei der Bildinterpretation verschiedene Disziplinen aufeinander treffen. Zahlreiche Erziehungswissenschaftlerinnen gingen und gehen, so Fuhs, immer noch davon aus, "dass zur wissenschaftlichen Interpretation von (fotografischen) Bildern ein ganz besonderes Kunstverständnis nötig" sei, so dass "dieses Interpretations-Wissen um die Bilder in der Regel als fachfremde Kompetenz" (Fuhs 2003 : 38) erscheine. Diese Unsicherheit wird oftmals noch dadurch verstärkt, dass bestimmte Disziplinen (u.a. die Kunstgeschichte) davon ausgehen, die größte ,Bildkompetenz' vorweisen zu können. Doch kann es nicht schwerpunktmäßig um die Frage gehen, welches Fach nun die rahmengebende Leitwissenschaft stellen sollte, sondern um die Überlegung, wie die Bildwissenschaft interdisziplinär verwoben und methodische Ansätze miteinander verlmüpft werden können. Einerseits ist ein Studium der kunstwissenschaftliehen Methoden zwar unabdingbar, wie auch Mollenhauer betont (vgl. Mollenhauer 1997: 253), da die Kunstgeschichte eine lange Tradition vorzuweisen hat, in der das Bild als For-
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schungsgegenstand im Mittelpunkt steht, andererseits muss die Kunstgeschichte aber nicht zwanghaft im Zentrum der Bildwissenschaften stehen. Die erziehungswissenschaftliche Forschung geht mit der Einbeziehung von Bildquellen davon aus, dass Menschen nicht nur über Sprache kommunizieren, sondern auch über Bilder ihre Erlebnisse mitteilen. Visuelle Quellen machen deutlich, "dass die Welt sich in den Dingen, den Räumen und auch in den Körpern als materielle und sensuelle Erfahrung offenbart" (Pilarczyk/Mietzner 2005 : 121). Die Historikerin Susanne Lachenicht erklärt: "Sprache in Wort und Schrift scheint vor der ,Macht der Bilder' manchmal geradezu zu verblassen. Die Emphase der Bilder, die Emotionen und Assoziationsketten und in deren Folge Handlungen evozieren, wird gezielt in Werbung, Politik, Pädagogik und vielen anderen Bereichen eingesetzt." (Lachenicht 2006: 63f.) Bilder werden als Leitbilder betrachtet, die im Prozess von Erziehung und Bildung eine wichtige Rolle spielen. In diesem Zusammenhang betont Mollenhauer: "Bilder fungieren immer schon als Orientierungsmarken in den Kontexten des alltäglichen Handelns." (Mollenhauer 1997: 248) Vor allem massenmediale Bilder können auch als Kontrollmedium und als Instrument der öffentlichen Meinungsbildung betrachtet werden. Aus pädagogischer Perspektive haben sich nicht nur Mollenhauer, sondern auch HorstSchifflerund RolfWinkeler bereits in den 1980er Jahren mit Bildern als Quellen beschäftigt. Die Motivation, sich in der Erziehungswissenschaft mit Bildquellen als Analysegegenstand auseinanderzusetzen, entstand auch aus der Überlegung heraus, dass Bilder als Erinnerungsträger fungieren bzw. Orientierungsfunktionen übernehmen und folglich ästhetische Formen maßgeblich am (Identitäts-)Bildungsprozess von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beteiligt sind. Es ging darw11, ästhetische Dimensionen und kreative Methoden in die Jugend- und Volksbildung zu integrieren. Man war der Auffassung, dass Bilder auf ästhetischer Ebene auch etwas (und meist etwas anderes als Texte) über Erziehung und Bildung aussagten und diese maßgeblich beeinflussen konnten. Mollenhauer führte beispielsweise anhand einer Bildanalyse eines mittelalterlichen Madonnenbildes mit Jesus-Kindern vor, wie auf visueller Ebene ein neuer Kindheitsbegriff eingeführt und behandelt wurde (Mollenhauer 1987). Zudem untersuchte er Beispiele künstlerischer Selbstporträts, die das Selbstverhältnis, die Selbstbefragung und die Identitätsbildung des Künstlers thematisierten (Mollenhauer 1998). Schifflerund Winkeier dagegen beschäftigten sich mit der visuellen Kulturgeschichte des Lernens (Schiffler/Winkeler 1985) und mit der bildliehen Darstellung von Schule im 19. Jahrhundert (Schiffler/Winkeler 1991). In den 1990er Jahren wuchs das Interesse für Bildquellen in der Erziehungswissenschaft weiter an. Dieter Lenzen analysierte Säuglings- bzw. Kinderdarstellungen von Otto Dix (Lenzen 1993) mittels der Einzelbildanalyse. Auch Konrad Wünsche konzentrierte sich
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in seinen Untersuchungen auf Säuglingsdarstellungen (Wünsche 1991) und widmete sich später auf methodologischer Ebene eingehend dem Medium Fotografie (Wünsche 1998). Hanno Schmitt, Jörg W. Link und Frank Tosch behandelten in ihrem Sammelwerk Bilder als Quellen der Erziehungsgeschichte (Schmitt/Link/ Tosch 1997) zum einen methodologische Grundlagen der Bildforschung bzw. Bildinterpretation (u.a. Heike Talkenberger), zum anderen wurden aus verschiedenen Bereichen der Pädagogik Anwendungsbeispiele fiir die Nutzung von Bildquellen gegeben. Hervorzuheben ist aus genderspezifischer Perspektive der Aufsatz von Inge Hansen-Schaberg, der Darstellungen zum Thema Reformpädagogik, Geschlechterverhältnis und Koedukation untersucht. Bruno Schonig dagegen analysierte in oben genanntem Sammelwerk Mädchen- und Jungendarsteilungen sowie die Inszenierung von Lehrerinnen auf Schulfotografien. Ein weiterer Autor, der sich ebenfalls eingehend der Bildquellen als Untersuchungsgegenstand widmete, war Michael Parmentier, der Selbstbildnisse von Rembrandt als Selbstausdruck behandelte und sie im Hinblick auf ihre Aussagekraft als visuelles autobiografisches Zeugnis befragte (Parmentier 1998). Christoph Wulf und Gunter Gebauer entwickelten eine weitere Perspektive und trugen mit ihrem mimetischen Konzept dazu bei, Körper, Gestik und Mimik auf fotografischen Bildern zu dechiffrieren und darüber etwas über Umgangsweisen und Rituale der repräsentierten Personen zu erfahren (Gebauer/Wulf 1998). In jüngster Zeit sind vor allem die bildwissenschaftlichen Untersuchungen von Ralf Bohnsack, Ulrike Pilarczyk und Ulrike Mietzner hervorzuheben. Die genannten Autorinnen legen einen Schwerpunkt darauf, methodologische Grundlagen für die Bildanalyse in der erziehungswissenschaftliehen Forschung zu erstellen und zu perfektionieren. Bohnsack befasst sich dabei mit der dokumentarischen Methode der Bild- und Fotointerpretation, wobei er sich hauptsächlich auf die Analyse von Einzelbildern konzentriert. Pilarczyk und Mietzner dagegen entwickelten ein Modell zur seriell-ikonographischen Fotoanalyse, um große Bildbestände auszuwerten bzw. serielle Verfahren der Analyse von Bildquellen aufzustellen.
1.2 UNTERSUCHUNGSVORHABEN UND FORSCHUNGSFRAGEN ln der vorliegenden Untersuchung wird es hauptsächlich um die Analyse fotografischer Frauenbilder gehen. Dabei stehen zum einen massenmediale Darstellungen aus den Printmedien der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien im
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Mittelpunkt des Interesses. Zum anderen sollen Selbstbildnisse damaliger deutscher und spanischer Künstlerinnen und die Beziehung zwischen populären Weiblichkeitsbildem und künstlerischen Selbstporträts untersucht werden. Der Schwerpunkt wird auf die Erforschung der visuellen Herstellungsmechanismen und Inszenierungsstrategien von Weiblichkeit gelegt. Ich gehe dabei von der Annahme aus, dass die ausgewählten Künstlerinnen in ihren fotografischen Selbstporträts auf unterschiedliche Weise Weiblichkeitstypologien aus den Massenmedien aufgriffen und sich mit diesen in Beziehung setzten. Die intensive Auseinandersetzung mit medialen Frauendarstellungen seitens der Künstlerinnen spiegelt sich z.T. deutlich in den Kunstproduktionen wider, in denen die Fotografinnen ihren eigenen Körper vor der Kamera inszenierten. Im umfangreichen Bildanalyseteil stehen vor allem die massenmedialen Repräsentationen von Weiblichkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kontrastierend werden den Weiblichkeitsrepräsentationen auch einige Männlichkeitsinszenierungen aus den Magazinen gegenüber gestellt, um geschlechtsspezifische Unterschiede herauszuarbeiten. Dabei sollen die Bedeutungen und Funktionen der Darstellungen im jeweiligen gesellschaftspolitischen und kulturellen Kontext reflektiert werden. Den Analysen geht die Überlegung voraus, dass sich patriarchale Macht- bzw. Herrschaftsstrukturen einer Gesellschaft auch in visuelles Bildmaterial einschreiben und hier besonders anschaulich hervortreten. In diesem Zusammenhang soll vor allem die körpersprachliche Ebene berücksichtigt werden, um Machtkonstruktionen (zwischen den Geschlechtern) aufzuspüren. Keinesfalls dürfen die von den Medien entworfenen Frauen- und Männerbilder losgelöst von den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnissen untersucht werden, zun1al der Medienbetrieb in den 1920er und 1930er Jahren ausschließlich männlich dominiert war. Aufgrund dieser männlichen Vorherrschaft liegt auch die Vermutung nahe, dass das damalige Frauenbild in den Medien nicht selten das Bild des Mannes von der Frau war, d.h. männliche Projektionsfläche. Obige Überlegungen führen zu der Annahme, dass die Geschlechterinszenierungen aus den illustrierten Zeitschriften ein strukturelles System implizieren, das geprägt war durch eine androzentristische 5 und hierarchisch gegliederte Ordnung. Gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen werden auf diese Weise auch in der visuellen Repräsentation von Weiblichkeit bzw. Geschlecht sichtbar. Das fotografische Bild, das damals in der Regel als Abbild der Realität galt und einen ,Wahrheitsanspruch' erhob, nahm insofern eine zentrale Rolle ein, als es in der Lage war, 5
Der Androzentrismus setzt die Perspektive bzw. die Weltsicht des (weißen) Mannes als Norm. Andere Individuen (Frauen, Schwarze, Behinderte etc.) gelten in der Folge als von der Norm abweichend.
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soziale Wirklichkeit zu lenken, zu manipulieren und zu konstruieren. 6 Diese ,Macht des Bildes' konnte sich nur vor dem Hintergrund entwickeln, dass mediale Darstellungen auch immer mit dem Original bzw. ihrem Referenten in eine enge Beziehung gesetzt wurden. So schien man genauso an die Abbilder zu glauben wie an die Realität, wobei die Medienbilder als ,Spiegel der Wirklichkeit' begriffen wurden 7 (vgl. Zimmermann 2006: 24). In der vorliegenden Studie wird deshalb davon ausgegangen, dass sich mediale Weiblichkeits- bzw. Geschlechterinszenierungen auf soziale und hierarchische Geschlechterdifferenzen der realen Lebenswirklichkeit beziehen und diese in der visuellen Darstellung aufgreifen und stabilisieren. Auf diese Weise kann ein gesellschaftliches Ordnungssystem etabliert werden, das sich ständig reinszeniert. Hierbei ist von Bedeutung, welche geschlechtsspezifischen Stereotypisierungen innerhalb der Bilder transportiert werden und inwiefern auf ikonographischer Ebene patriarchale Muster sichtbar werden, die geschlechtsspezifisches Rollenverhalten nicht nur anleiten und konstruieren, sondern auch immer wieder bestärken und naturalisieren. Im Künstlerinnen-Kapitel steht dagegen die Frage im Zentrum, inwiefern die damaligen deutschen und spanischen Künstlerinnen Marta Astfalck-Vietz, Gertrud Arndt, Remedios Varo und Maruja Mallo auf die medial vermittelten Frauenbilder reagierten und diese Darstellungen in ihren eigenen Kunstproduktionen reflektierten. Demzufolge geht es um die Verarbeitung bzw. Reflexion medialer Geschlechterbilder aus der Perspektive damaliger Foto-Künstlerinnen. Die Analyse der fotografischen Selbstinszenierungen soll einen künstlerisch-avantgardistischen Blick auf den weiblichen Körper offen legen. Das individuelle Körperempfinden der Künstlerinnen steht hier im Gegensatz zu einer kollektiven Wahrnehmung von Weiblichkeit. Es soll danach gefragt werden, inwiefern die Frauen in ihren künstlerischen Fotografien von medialen Bildern beeinflusst wurden und diese als Vorlage ftir ihre eigenen Weiblichkeitsentwürfe nutzten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, auf welche Weise die Foto-Künstlerinnen auf visueller Ebene alternative Frauenbilder lieferten, die sich vom Mainstream der damaligen Zeit absetzten. Demnach soll beleuchtet werden, ob die Kunstproduzentinnen in ihren Arbeiten le6
Der Kommunikationsphilosoph Viiern Flusser betont in Bezug auf die manipulative Kraft von Fotografien: "Fotografien sind stumme Flugblätter, welche durch Reproduktion distribuiert werden, und zwar durch vermassende Kanäle riesiger programmierter Distributionsapparate." (Flusser 1999: 51)
7
Hier spielt vor allem der Bildjournalismus der 1920er und 1930er Jahre eine tragende Rolle, der davon ausging, die Realität über Fotografien ,authentisch' wiedergeben zu können, bzw. den Anspruch erhob, , Wahrheit' zu reproduzieren (vgl. Jäger 2006). Vergleiche auch Kapitel 2.2 dieser Arbeit.
22
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diglich auf die Konstruktion von Weiblichkeit bzw. Geschlecht aufmerksam machten oder vielmehr gesellschaftliche bzw. mediale Geschlechterbilder dekonstruierten, um diesen eigene Entwürfe gegenüber zu stellen. Das Medium Fotografie schien damals als Ausdrucksmittel besonders geeignet, da es den Foto- Künstlerinnen die Möglichkeit bot, ungestört und in ,intimer' (Studio-)Atmosphäre mit weiblichen ldentitäten zu experimentieren. Zudem galt die Fotografie - im Gegensatz zur Malerei und Bildhauerei- als Medium, das noch in keiner ,männlichen Tradition' stand und deshalb von zahlreichen Künstlerinnen ,unvorbelastet' genutzt werden konnte. 8 Die vorliegende Forschungsarbeit fokussiert demnach zwei unterschiedliche Perspektiven auf die visuelle Darstellung von Weiblichkeit. Zum einen werden massenmediale Bilder analysiert, die meist einen ,männlichen Blick' (male gaze9) auf den weiblichen Körper repräsentieren (der Frauenkörper wird hier in der Regel 8
Vgl. in diesem Zusammenhang die Parallelen zum medialen Gebrauch der Videokunst Auch diese wurde anfangs (Ende der 1960er bzw. Anfang der l970er Jahre) vornehmlich von Frauen genutzt, vor allem um Themenbereiche wie Weiblichkeit, Körper, Identität etc. medienspezifisch zu erforschen (vgl. u.a. die Videoarbeiten von Ulrike Rosenbach und Susan Mogul, die als feministische Videokünstlerinnen der l 970er Jahre bekannt wurden).
9
Das Konzept des male gaze ist im Kontext der feministischen Filmtheorie auf Laura Mulvey zurückzufiihren. Der Begriff wurde erstmals in Mulveys bahnbrechender Analyse Visuelle Lust und narratives Kino von 1975 benutzt. In dieser geht die Autorirr davon aus, dass der Film als visuelles Medium gesellschaftlich etablierte Geschlechterunterschiede ungebrochen widerspiegelt. Sie verdeutlicht, wie bei filmischen Geschlechterdarstellungen anhand von Blickkonstruktionen (u.a. durch Kameraeinstellung, Perspektive etc.) visuelle Hierarchisierungen vorgenommen werden. Im Kontext der feministischen Filmwissenschaften wird der erotisierende Blick auf den weiblichen Körper als male gaze bezeichnet. Dabei geht es um den männlichen Voyeurismus, die fetischistisehe Faszination tmd die Lust am Schauen, die den weiblichen Körper zu einem Objekt der Begierde degradiert. Die Blickrichtung (wer wird wie betrachtet) ist somit durch Kontrolle und Macht gekennzeichnet: " In einer Welt, die von sexueller Ungleichheit bestimmt ist, wird die Lust am Schauen in aktiv/männlich und passiv/weiblich geteilt." (Mulvey 1975: 55) Frauen werden somit zu Objekten gemacht und die Betrachtung ihres Körpers als sexuelle Stimulation benutzt. Auf diese Weise sind sie patriarchal strukturierten und kontrollierenden Blicken ausgesetzt, die einem erotischen Begehren und Machtphantasien entspringen. Der Begriff male gaze wird aktuell nicht nur in filmwissenschaftliehen Zusammenhängen benutzt, sondern auch auf andere visuelle Medien (Fotografie, Werbespot, Videoclip, Computerspiel etc.) angewandt.
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als Objekt betrachtet). Zum anderen werden die populären Darstellungen mit künstlerischen Weiblichkeitsinszenierungen von Frauen in Beziehung gesetzt, um mögliehe Einflüsse zu ermitteln. Die Frage nach den Adressatinnen gewinnt an dieser Stelle insofern an Bedeutung, als die öffentlichen Bilder an ein breites Publikum gerichtet waren und sich gezielt an bestimmte Schichten wandten. Die künstlerisehen Aufnahmen galten dagegen eher als ,private' Experimente, die damals weder in Ausstellungen noch in anderen öffentlichen Zusammenhängen gezeigt wurden. Es muss also berücksichtigt werden, für wen und in welchen Kontexten die Bilder konzipiert wurden, um mögliche Bedeutungen und Funktionen abzuleiten. Dabei soll mit einem Vergleich zwischen deutschen und spanischen Zeitschriften herausgearbeitet werden, ob ähnliche politische Regierungssysteme auch Parallelen in Bezug auf die visuelle Darstellung von Weiblichkeit bzw. Geschlecht hervorbrachten. Gleichzeitig müssen auch die Differenzen, d.h. die kulturspezifischen Besonderheiten berücksichtigt werden, um auf signifikante Traditionen der jeweiligen Kultur aufmerksam zu machen. Im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehen die liberalen Republiken, die Weimarer Republik und die Zweite Republik Spaniens, in denen einschneidende politische und gesellschaftliche Veränderungen stattfanden. 10 Obwohl die Phase der Zweiten Republik Spaniens (1931-1936) deutlich kürzer war als die der Weimarer Republik (1919-1933) und die Republik-Phasen in beiden Ländern zeitlich versetzt erfolgten, können auf spanischer Seite aus gesellschaftspolitischer Perspektive vergleichbar rasante Entwicklungen ausgemacht werden. Insbesondere für Frauen eröffneten die liberalen Republiken in Deutschland und Spanien neue Lebensmöglichkeiten. Die Einftlhrung des Frauenwahlrechts11 und die gesetzliche Gleichstellung von Mann und Frau waren wichtige Veränderungen, die sich maßgeblich auf das Leben und in der Folge auf die visuelle Darstellung von Weiblichkeit auswirkten. Eine weitere Analogie zwischen Deutschland und Spanien ergibt sich aus der Ablösung der liberalen Republiken durch längere Diktaturen in beiden Ländern. Bezeichnend ist, dass sowohl in der NS-Diktatur als auch in der Franco-Diktatur, die auf die Republikzeiten folgten, die fortschrittlichen Frauen- bzw. Geschlechterbilder wieder verschwanden und stattdessen konservative Rollenbilder Verbreitung fanden, die sich an das bürgerliche Modell des 19. Jahrhunderts anlehnten (die Frau als Hausfrau, Gattin und Mutter). Die historischen Übergänge zu den Diktaturen in Deutschland und Spanien sind in10
Zu den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland und Spanien vgl. Kapitel 3.1.
ll
In Deutschland wurde das Wahlrecht für Frauen mit dem Ausrufen der Weimarer Republik im Jahre 1918 eingeführt. Dagegen erlangten die Frauen in Spanien erst 1931, mit dem Beginn der Zweiten Republik, das Recht zu wählen.
24 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
sofern relevant, als sie einschneidende politische Wendepunkte markieren, die wiederum mit ,neuen' Weiblichkeits- bzw. Geschlechterbildern verknüpft waren. Diese verhielten sich divergierend zu den Geschlechterdarstellungen der Republikzeiten. 12
1.3
ÄUSGEWÄHL TES QUELLENMATERIAL
Das Quellenmaterial für die Bildanalysen in Kapitel 3 und Kapitel 4 stammt zum einen aus deutschen und spanischen Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre. Zum anderen greife ich auf fotografische Selbstporträts von Künstlerinnen zurück, die sich damals im künstlerisch-avantgardistischen Milieu der l920er und l930er Jahre bewegten. Diese Einteilung in massenmediale bzw. künstlerische Fotografien13 weist z.T. Schnittmengen auf, da künstlerische Darstellungen auch in den Massenmedien veröffentlicht14 und umgekehrt massenmediale Fotos in Kunstwerken (meist in Form von Fotocollagen) aufgegriffen wurden. 15 In der vorliegenden Unter-
12
Vgl. in diesem Zusammenhang die Untersuchungen von Margit Wogowitsch und Maria del Carmen Mufioz Ruiz, die sich mit Geschlechterbildern in der NS-Diktatur bzw. Franco-Diktatur befassten. Die Arbeiten belegen, dass man in den genannten Diktaturen wieder zu traditionellen Frauenrollen bzw. zu archetypischen Geschlechtermodellen zurückkehrte. Den Ideologien der Diktaturen zufolge war der einzige Platz der Frau der häusliche Bereich und ihre ,wahre Bestimmung' das Muttersein (vgl. Wogowitsch 2004; Mufioz Ruiz 2003).
13
Unter ,künstlerischer Fotografie' verstehe ich im Kontext dieser Arbeit fotografische Bilder, die im Umfeld eines avantgardistischen Kunst-Milieus der 1920er und 1930er Jahre produziert wurden. In diesen Künstlerkreisen experimentierte man parallel mit verschiedenen Medien (Fotografie, Malerei, Collage, Poesie etc.). Das ,Künstlerische' zog sich dabei durch alle Lebensbereiche und wurde nicht nur anband der Kunstproduktionen festgemacht. Vielmehr ging es um eine Einstellung bzw. Lebensauffassung, die bei der modernen Kleidung anfing und bis zu den öffentlichen Treffpunkten (Cafes) reichte, an denen sich die Avantgarde versammelte und Ideen austauschte. Ein wichtiges Anliegen der Avantgarde-Künstlerinnen war es, traditionelle We11- und Normvorstellungen einer bürgerlichen Gesellschaft zu hinterfragen.
14
Die künstlerischen Werke, die im Zusammenhang dieser Arbeit untersucht werden, tauchten jedoch nicht in massenmedialen Kontexten auf. Sie entstanden lediglich für einen ,privaten' Gebrauch und wurden weder in öffentlichen Ausstellungen noch in den Printmedien gezeigt.
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suchung spielt in Kapitel 4 insbesondere der Einfluss massenmedialer Bilder auf künstlerische Arbeiten eine zentrale Rolle. Das massenmediale Bildmaterial wurde zu einem großen Teil aus ,modernen 16 Magazinen' entnommen, die den Zeitgeist der Epoche in einprägsamer Weise widerspiegelten und bedeutende gesellschaftliche Veränderungen dokumentierten. Bei diesen Magazinen handelt es sich um wöchentlich, monatlich oder vierteljährlich erscheinende Zeitschriften, die sich vor allem durch die massenhafte Darbietung von Fotografien auszeichneten. Mit dem Fotojournalismus eroberte die fotografische Darstellung Zeitschriften und Magazine der 1920er und 1930er Jahre und wurde als neues Kommunikationsmedium begriffen. Auch Fotoessays, illustrierte Kultur- und Reiseberichte sowie Porträtaufnahmen von damaligen Stars und Politikern konnten massenhaft in den Printmedien ausgemacht werden. Vor allem erschienen aber zahlreiche Frauenporträts. Die Fotografien der Magazine wurden- anders als in den Zeitungen - in der Regel auf hochwertigem Papier präsentiert. Weitere Charakteristiken des Magazins waren die gute typographische Präsentation, die qualitativ hochwertige Bindung und die z.T. außergewöhnlichen Formate. Die moderne Aufmachung sollte die Lektüre vereinfachen und die äußere Ansicht der Zeitschriften attraktiver erscheinen lassen. Gleichzeitig machte diese prestigereiche Präsentation die Blätter damals bereits zu ,Hochglanz- und Lifestylemagazinen', die sich vor allem durch hohe Einnahmen aus der Werbung finanzierten. Ästhetik und Themenschwerpunkte der Magazine sollten dabei ein ,exklusives' Publikum aus dem Bürgertum und der Aristokratie ansprechen. 17 Auch für die vorliegende Untersuchung sind Zeitschriften und Magazine ausgesucht worden, die vornehmlich an eine bürgerliche Leserschaft adressiert waren. Diese Blätter setzten auf die starke Wir15
Hier sei vor allem auf die Fotocollagen von Hannah Höch verwiesen, di e Zeitungsbilder sammelte und diese z.T. in ihre künstlerischen Werke einarbeitete (vgl. u.a. Burmeister 2007).
16 Bei der Anwendung des Begriffs ,modern' lehne ich mich an die Ausfiihrungen von Whitney Chadwick und Tirza True Latimer an, die im Kontext der 1920er und 1930er Jahre ,Modernität' als Indikator gesellschaftspolitischer, technologischer und intellektueller Veränderungen in den Zwischenkriegsjahren verstehen (vgl. Chadwick/True Latimer 2003: 3-19). 17 Dies machte sich auch besonders an den Preisen der Blätter bemerkbar: Die Monatsmagazine UHU und Der Querschnitt kosteten beispielsweise 1,- Reichsmark, während die wöchentlich erscheinende Berliner Illustrirte Zeitung in den 1920er Jahren nnr 20 Pfennige kostete und selbst fur eine(n) Arbeiterin bezahlbar war. Später wurde der Preis sogar noch auf 10 Pfennige gesenkt, um den Absatz der Zeitung zn erhöhen (vgl. Lachenicht 2006: 84).
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INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
kungsmacht von Fotografien, indem sie ausdrucksstarke Illustrationen sowohl auf den Titelblättern als auch im Innern der Zeitschriften verwendeten. In einigen Magazinen war der Bildteil sogar umfangreicher als der Textteil (vgl. Doria i Alburquerque 2000: 38). 18 Andere dagegen zeichneten sich dadurch aus, dass sie verschiedene geschlechtsspezifische Rubriken führten und besondere Seiten für Frauen und Männer einrichteten. Mit dieser Differenzierungstechnik entwickelten sich auch geschlechtsspezifische Themenbereiche, die in den jeweiligen Sparten ausführlich behandelt wurden. Die Trennung in Frauen- und Männersphären wurde nicht nur im Modeteil vorgenommen (Herren- und Damenbekleidung), sie zog sich auch durch viele andere Bereiche hindurch. So erschien beispielsweise im Magazin D 'Aci i D 'Alla eine Rubrik mit dem Namen Gonverses f emenines (weibliche Konversationen), die Beiträge zu Schönheit, Körperpflege, Stars, Partnersuche etc. lieferte. Zum Text erschien immer die Fotografie eines weiblichen nationalen bzw. internationalen Stars (Filmschauspielerinnen, Aristokratinnen, Tänzerinnen etc.), die eine Vorbildfunktion einnahm. Eine vergleichbare Rubrik, die in ähnlicher Weise den männlichen Körper in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hätte, konnte in den untersuchten Zeitschriften dagegen nicht gefunden werden. Das massenmediale Bildmaterial stammt überwiegend aus folgenden Zeitschriften und Magazinen: UHU (Berlin, 1924-1933) und Die Dame (Berlin, 1912-1943) in Deutschland; Cr6nica (Madrid, 1929-1 938) und D 'Aci i D 'Alla (Barcelona, 1918-1936) in Spanien. Dabei sind schwerpunktmäßig die Jahrgänge 1924-1936 untersucht worden; für die deutschen Zeitschriften vor allem die Blütezeit der Weimarer Republik (1924-1933) und für die spanischen Magazine die Phase der Zweiten Republik Spaniens (1931-1936). Ich gehe dabei von der Annahme aus, dass sich diese politisch ,liberalen' Zeiten auch besonders auf die visuellen Erscheinungsbilder von Frauen und Männern auswirkten. Bei den spanischen Zeitschriften berücksichtige ich z.T. auch Jahrgänge aus den 1920er Jahren, um die visuellen Veränderungen besser zu dokumentieren bzw. einen Vergleich zu Fotografien ziehen zu können, die zeitgleich in deutschen Blättern veröffentlicht wurden. Der UHU kam als Monatsmagazin im liberalen VIIstein Verlag heraus und erreichte in seiner Hochphase im Oktober 1929 eine Auflage von 211.400 Exemplaren (vgl. Ullstein Aktiengesellschaft, 1929-1933, Oktober 1929). Das Blatt zählte mit seinem vielseitigen journalistischen Repertoire in Form von Reportagen, Interviews, Umfragen, Aufsätzen, Erzählungen etc. und seiner innovativen visuellen Aufmachung zu den modernsten Magazinen Europas. Charakteristisch war der hohe
18
Das traf vor allem auf das katalanische Magazin D 'Aci i D 'Alla in den Jahren von 1932 bis 1936 zu.
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I 27
Anteil an lllustrationen 19 , speziell Fotografien, die den Leserinnen meist prominente Persönlichkeiten der damaligen Zeit bildhaft vor Augen führten. Häufig waren dies attraktive weibliche (Film-)Stars, die den ästhetischen Wert des Magazins mit Hilfe formatfüllender Fotografien steigerten. Der Film und das moderne Kino erfreuten sich einer großen Beliebtheit in den europäischen Großstädten der 1920er Jahre und seine Stars avancierten zu Filmidolen, die auch in den Zeitschriften ausfuhrlieh präsentiert wurden. Der UHU zeichnete sich durch sein breites Themen- und Spartenspektrum aus, u.a. in den Bereichen Mode, Stars, Film, Theater, Kosmetik, Reisen, Freizeit, Sport, Tanz, Literatur, Kunst, Gesellschaft, Politik, Wissenschaft. Die Artikel behandelten Zeit- und Streitfragen der Epoche. Dabei wurde die Attraktivität des Heftes gesteigert, indem in beinahe jeder Ausgabe auch erotische Fotografien zu sehen waren. Eine Besonderheit des Berliner Magazins lag darin, dass es immer zwei Titelbilder veröffentlichte: zum einen ein gemaltes Titelbild auf dem äußeren Umschlag der Zeitschrift und zum anderen ein fotografisches Titelbild, das kurz nach dem Umschlagbild im Inneren erschien. Der UHU richtete sich an das mittlere bis hohe Bürgertum, was sich am hohen Heftpreis (eine Reichsmark) und am Anzeigenteil festmachen lässt. Auch Die Dame erschien im Ullstein Verlag, gelangte aber lediglich auf eine Auflage von ca. 53.000 Exemplaren. 20 Sie galt in den 1920er Jahren als eine der renommiertesten Modezeitschriften. Die Dame war ähnlich wie der UHU aufgebaut und adressierte sich ebenfalls an ein bürgerliches bzw. aristokratisches Publikum. Im Gegensatz zum UHU, der inhaltlich ein breites Themenspektrum abdeckte, spezialisierte sich die Die Dame vornehmlich auffrauenspezifische Themen. Vor allem der Mode- und Kosmetikbereich war stark ausgeprägt und wurde mit zahlreichen Bildern illustriert. Ein Schwerpunkt wurde auf die Präsentation internationaler Mode gelegt. Durch die Schönheits- und Modetipps für Damen gelangte das Blatt zu großer Popularität, doch behandelte und diskutierte es ebenso aktuelle Themen aus Kunst, Gesellschaft und Wissenschaft. Einen nicht unerheblichen Raum nahmen zudem die Kurzgeschichten und Novellen ein (u.a. von Vicky Baum und Kurt Tucholsky), die abschnittsweise veröffentlicht wurden. Anhand der Inserate wurde deutlich, dass die angepriesenen Kosmetik-, Mode- und Luxusprodukte an ein exklusives Publikum gerichtet waren. Die Dame erschien im Gegensatz zum UHU in einem großen Heftformat (ca. DIN A3) und kostete zunächst 1 Mark. Ab Juni 1924 betrug der Preis 1,50 Mark. Ähnlich wie der UHU hatte auch Die Dame in jedem 19
Die Illustrationen nahmen eine wichtige Rolle für das Erscheinungsbild des Blattes ein und werden nach Durchsicht der Jahrgänge 1924-1933 auf ca. 40-50% im Verhältnis zum Text geschätzt.
20
Vgl. Ullstein-Bericht 1928, Berlin 1928, 7.
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INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
Heft zwei Titelbilder: Ein gemaltes auf dem Cover und ein fotografiertes Bild im Inneren des Modemagazins (ein paar Seiten nach der Titelseite). Die Wochenzeitschrift Cr6nica. Revista de la Semana, die in Madrid bei Prensa Graji.ca erschien, war eine der wichtigsten Publikationen der Zweiten Republik Spaniens und erreichte ähnlich wie der UHU eine Auflage von bis zu 200.000 Exemplaren (vgl. Saiz/Seoane 1998: 499f). So wie Letzterer gehörte sie dem Genre der modernen Magazine an, deren Layout durch zahlreiche fotografische Illustrationen gekennzeichnet war. Der Werbe- bzw. Anzeigenteil nahm, ähnlich wie bei den beiden oben genannten deutschen Zeitschriften, eine wichtige Rolle ein. Auch Cr6nica führte verschiedene Themensparten im Bereich Kunst, Literatur, Film, Theater, Reisen etc. ein. Zudem wurden Fragen zu Kosmetik, Schönheit, Partnerwahl und Ehemodellen etc. behandelt. Politische Themen fanden dagegen nur bedingt Beachtung. Der große Erfolg von Cr6nica ließ sich zum einen auf die breite Themenauswahl zurückfuhren, zum anderen bot das Magazin eine qualitativ hochwertige und attraktive Aufmachung mit guten fotografischen Reproduktionen zu einem moderaten Preis von 20 Centimos. 21 In Bezug auf die Illustrationen im Inneren des Magazins fällt ab 1934 eine Sparte besonders ins Auge, die zusätzlich für den Erfolg des Blattes verantwortlich gemacht werden kann: Die ganzseitigen Aktfotografien des Wiener Studios Manasse, die unter der Rubrik Fotograflas de Arte (Kunstfotografien) erschienen. Hier wurden wenig bekleidete junge Frauen (meist Tänzerinnen) in kunstvoll arrangierten (Studio-)Darstellungen präsentiert, die vor allem ein männliches Publikum ansprechen sollten. Aus ideologischer Perspektive stand Cr6nica der Zweiten Republik Spaniens nahe, wobei sich ihre Leserinnen unter einem linksrepublikanischen bürgerlichen Publikum vermuten lassen. Schließlich wird als weiterer wichtiger Referenzpunkt die katalanische Zeitschrift D 'Aci i D 'Alla herangezogen. lm Januar 1918 erschien in Barcelona die erste Ausgabe von D 'Aci D'Alla, später D'Aci i D 'Alla, im Verlag Editorial Catalana auf katalanisch. Während ihrer 18-jährigen Publikationsdauer definierte sich die Zeitschrift selbst als Magazin oder illustrierte Zeitschrift. Sie erlebte drei sehr unterschiedliche Epochen: Der erste Zeitraun1 reichte von 1918 bis 1924 (die letzten Jahre der Mancomunitat in Katalonien22 ) . Die zweite Periode dauerte von 1924 bis 1931 (die Zeit der Diktatur von Primo de Rivera) und der dritte Abschnitt umfasste den Zeitraum der Zweiten Republik Spaniens (1932-1936). In diesen drei Phasen 21
Später stieg der Preis auf25 und schließlich auf 30 Centimos an (vgl. Saiz/Seoane 1998: 499f.).
22
Die Mancomunitat war eine Regionalregierung, die sich 1914 in Katalonien konstituierte. Sie war nur von kurzer Dauer und wurde 1925 infolge des Militärstreichs von 1923 aufgelöst.
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wechselten das Erscheinungsbild, das Layout und der Preis des Magazins drastisch.23 Während in der ersten und zweiten Phase ein starker regionalspezifischer Bezug hergestellt wurde, zeichnet sich die dritte Phase durch ihre kosmopolitischen Inhalte aus. Bis 1931 erschien das Blatt monatlich, danach nur noch vierteljährlich. Für die vorliegende Untersuchung spielen vor allem die zweite und dritte Epoche eine wichtige Rolle, in welchen das Design des Magazins sehr modern wurde und zahlreiche Fotografien im Inneren der Zeitschrift erschienen. D 'Aci i D 'Alla wandte sich an ein zahlungskräftiges Publikum aus dem gehobenen Bürgertum bzw. der Aristokratie (vgl. Tresserras 1993) und behandelte aktuelle Themen im Bereich Kunst, Literatur, Mode, Kosmetik, Gesellschaft, Reisen, Kino etc., wobei neue Genres wie das Interview und die (Foto-)Reportage eingeführt wurden. Eine Besonderheit war das Album Barceloni, das Porträts gesellschaftlich wichtiger Frauen aus der Region Barcelona präsentierte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die dargestellten Frauen häufig im heiratsfahigen Alter befanden und auf diese Weise vermutlich einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt werden sollten. D 'Aci i D 'Alla erreichte in der ersten Phase eine Auflage von bis zu 5000 Exemplaren und konnte sie in der zweiten Epoche auf eine Anzahl von 10.000 Exemplaren verdoppeln ( vgl. Tresserras 1995: Vorwort). Die dritte Phase ist in Bezug auf Layout, Typographie und die Relevanz des fotografischen Bildes die bemerkenswerteste und modernste Phase. Das Format vergrößerte sich, das Papier wurde noch edler und die fotografischen Abbildungen nahmen im Inneren der Zeitschrift noch mehr Raum ein. Von ca. 100 Seiten waren 38 bis 40 Seiten mit Fotografien gefüllt. Weitere 30 bis 40 Seiten nahmen Werbeanzeigen ein, die luxuriöse bzw. exklusive Artikel offerierten. Das edle Magazin erschien in der letzten Phase nur noch vierteljährlich, wobei es nach den Jahreszeiten benannt wurde. Dies nahm man auch zum Anlass, einen umfangreichen Modeteil zu integrieren, der auf die jeweilige Jahreszeit abgestimmt war. Das innovative, moderne und edle Magazin D 'Aci i D 'Alla wurde zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs im Jahre 1936 eingestellt. Abgesehen von den oben aufgeführten Zeitschriften sind zudem aus weiteren Illustrierten der damaligen Zeit Bilder als Vergleichsfolie herangezogen worden, z.B. Stichproben aus den Blättern Brisas24 (Palma de Mallorca, 1934-1936), Revista 23
In der ersten Phase betrug der Preis pro Heft 1,25 Peseten. Dieser wurde in der zweiten Phase auf 1,50 Peseten angehoben, um in der dritten Phase schließlich auf 5 Peseten zu steigen (vgl. Doria i Alburquerque 2000: 36f.).
24
Brisas. Revista Mensual llustrada war das modernste Monatsmagazin, das zwischen 1934 bis 1936 auf Palma de Mallorca erschien. Das mit zahlreichen Fotografien illustrierte Blatt wurde von Antoni Vieh herausgegeben und richtete sich an eine bürgerliche bzw. aristokratische Elite. Interessant erschien Brisas fur die vorliegende Untersuchung
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INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
Forcf 5 (Barcelona, 1930-1936), Estampa26 (Madrid, 1928-1938), lmatges 27 (Barcelona, 1930), Berliner Illustrirte Zeitung28 (Berlin, 1892-1945) und Der Querschnitt29 (Berlin, 1924-1933). Von den modernen Zeitschriften wurde immer wieder behauptet, sie hätten nicht nur das Lebensgefühl der 1920er und 1930er Jahre widergespiegelt, sondern dieses auch maßgeblich mitgeprägt Es wurde also davon ausgegangen, dass der Einfluss der Blätter für die Identitätsbildung der Leserinnen
insofern,
als
ländliche
bzw.
lokale
Frauentypen
mit
modernen
weiblichen
(Hollywood-)Stars kontrastiert wurden. Beispielsweise hieß ein Artikel Corno visten las mujeres de nuestros pueblos (Wie sich die Frauen unserer Dörfer kleiden, Brisas, Nr. I 2, März/April 1935). In der gleichen Ausgabe erschien aber ebenso eine Fotografie von Marlene Dietrich und es eifolgte eine Präsentation des Club femeni i d 'esports (der weibliche Frauen- und Sportclub). Unter der Rubrik Sociedad (Gesellschaft) wurden u.a. Modefotografien publiziert. Des Weiteren konnten zahlreiche Reisereportagen ausgemacht werden. Im August 1935 wurde eine Aktfotografie von einer Frau am Strand veröffentlicht und in der gleichen Ausgabe erschien ein Artikel zur Evolution des Feminismus (Evolucion del Femenismo). In der Sektion Fotografia de Arte (Kunstfotografie) bzw. A traw!s del lente (Durch die Linse) wurden Fotografien völlig autonom und z.T. ohne Bildunterschriften präsentiert. Ähnlich wie die bereits vorgestellten Magazine finanzierte sich Brisas durch einen großen AnnoncenteiL Der Preis pro Heft betrug eine Pesete. Wie bei zahlreichen anderen Magazinen wurde das Blatt zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs eingestellt, so dass nur 25 Ausgaben erschienen (vgl. Fernandez 1997: 137). 25
Revista Ford- ebenfalls ein Monatsmagazin - wurde von Juan de Maza in Barcelona publiziert und war in erster Linie eine Werbeplattform für das Haus Ford. Doch wurden nicht nur Autos präsentiert, sondern auch Themenbereiche zu ,Frau und Sport' (es gab eine Rubrik mit dem Namen EI deporte Internacionai!Der internationale Sport, in der häufig Frauen bei sportlichen Betätigungen gezeigt wurden), Kino, Hollywood-Stars etc. behandelt. Ebenso konnte eine Spezialisierung auf kulturspezifische Themen ausgemacht werden, u.a. spanische Tänze (Dezember 1935) oder Regionale Trachtenmoden (April 1933). Der Preis des Magazins betrug eine Pesete.
26
Estampa erschien ab Januar 1928 als Wochenzeitschrift in Madrid und wurde vorn Unternehmer Luis Montiel ins Leben gerufen. Sie trug den Untertitel Revista Grajica y Literaria de Ia Actualidad Espanola (Grafische und Literarische Zeitschrift der spanischen Gegenwart). Wie Cr6nica präsentierte Estampa eine große Anzahl fotografischer Bilder, die durch das damals neue Tiefdruckverfahren in sehr guter Qualität gezeigt werden konnten. Zudem wiesen auch die Themenvielfalt und die moderne graphische Gestaltung
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nicht unerheblich war. Maria del Carmen Muiioz Ruiz betont, allerdings in Bezug auf Frauenzeitschriften :30 "La utilizaci6n de La prensa femenina como fuente prioritaria para La investigaci6n hist6rica proviene de Ia consideraci6n de que las revistas femeninas son un instrumento decisivo en Ia configuraci6n de modelos de comportamiento femeninos, asi como para su difusi6n. Es importante estudiar las revistas femeninas como medios de comunicaci6n que proponen modelos de comportamiento a las mujeres porque las lectoras los asumen e interiorizan en su Parallelen zu Cr6nica auf. Estampa berichtete über berühmte Persönlichkeiten, sportliche Ereignisse und Wettkämpfe, Theater, Kunst, Literatur, Film, Reisen etc. Zudem führte das Blatt eine frauenspezifische Sektion unter dem Namen Eva und später unter Paginas de Mujer (Frauen-Seiten). Der Anzeigenteil der Zeitschrift betrug ca. 30% (vgl.
Doria i Alburquerque 2000: 62). Sowohl Estampa als auch Cr6nica gehörten zu den bedeutendsten und erfolgreichsten illustrie1ten Zeitschriften ihrer Zeit. Estampa erreichte wie ihre ,Konkurrentin' Cr6nica eine Auflage von 200.000 Exemplaren und ihr Preis betrug 30 Centimos. Als wesentlicher Unterschied zu Cr6nica lässt sich aber festhalten, dass Estampa in vielen Punkten dentlich konservativer eingestellt war, auch in Bezug auf das Frauenbild bzw. auf die Präsentation von Geschlechtermodellen (vgl. Saiz/Seoane 1998: 499f. und Doria i Alburquerque 2000: 58). 27
!matges erschien als Wochenzeitschrift in Barcelona und wurde von Josep M. Planes in
der Llibreria Catalonia herausgegeben. Der Untertitel der Zeitschrift lautete: Setmanari Grafie d'Actualitats (Grafische Wochenzeitschrift der Gegenwart). Im Gegensatz zu den
Wochenmagazinen Cr6nica und Estampa existierte Imatges nur wenige Monate (vom 11. Juni 1930 bis zum 25. November 1930). Insgesamt wurden nur 25 Ausgaben publiziert. !matges orientierte sich an den Standards europäischer Magazine (ein Vorbild war das französische Magazin Vu) und behandelte wie diese eine Vielfalt an Themen, u.a. in den Bereichen Mode, Radio, Architektur, Kino, Filmschauspielerinnen etc. Fotoreportagen und Interviews mit berühmten Persönlichkeiten waren ebenfalls beliebt, wobei ein starker regionalspezifischer Bezug zu Barcelona hergestellt wurde. Die Stadt wurde zu einem Zeitpunkt festgehalten, in welchem sowohl traditionelle Einflüsse als auch moderne aktuelle Tendenzen im Stadtbild sichtbar waren. lmatges versuchte eine bürgerliche Mittelschicht anzusprechen und war mit 40 Centimos ähnlich teuer wie Cr6nica und Estampa.
28
Die Berliner Il/ustrirte Zeitung aus dem Hause Ullstein erschien wöchentlich und konnte als wahres Massenblatt bezeichnet werden. In den 1910er Jahren erreichte sie eine Auflage von 800.000 Exemplaren und gegen Ende der Weimarer Republik wurden sogar fast zwei Millionen Exemplare gedruckt (vgl. Lachenicht 2006: 82). Sie wurde zu einem Preis von zunächst 10 Pfennigen (später 20 Pfennigen) verkauft, so dass sie auch für Ar-
32
I FOTOGRAFISCHE
INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
mayor parte, y por otro lado, porque estos modelos propuestos no son inocentes, sino que respanden a lo que un regimen polftico dado y Ia sociedad que lo sustenta consideran adecuado respecto a las mujeres." 31 (Mufioz Ruiz 2003: 332)
Mufioz Ruiz stellt damit die Zeitschrift als Medium heraus, das gesellschaftlich erwünschte Darstellungs- und Verhaltensmodi von Weiblichkeit vorgibt. Auch Margarita Riviere erklärt die Printmedien zu einem wichtigen erzieherischen Instrument in Bezug auf geschlechtstypische Prägungen. Sie verdeutlicht: "La prensa, en general, tiene una importante funci6n en Ia proposici6n demodelos de conducta y de orientaci6n del publico hacia determinados objetivos. Concretamente, Ia prensa diriheiterinnen erschwinglich war. Der Erfolg des Blattes kann zum einen auf die attraktive äußere Aufmachung zurückgefuhrt werden, die viel fotografisches Bildmaterial integrierte. Zum anderen lag er auch an den Fortsetzungsromanen, die im Feuilletonteil der Zeitung veröffentlicht wurden und die Leserinnen banden. Im Jahre 1928 wurde beispielsweise der Roman stud. Chem. Helene WillfUhr von Vicky Baum in der Berliner 11lustrirten Zeitung als Fortsetzungsroman abgedruckt und verschaffte dem Blatt mehr als 100.000 neue Abonnentinnen (vgl. Schneider 2000: 98). 29
Der Querschnitt war ein edles Magazin, das ebenfalls monatlich im Ullstein Verlag er-
schien und an ein bürgerliches bzw. aristokratisches Publikum gerichtet war. Er erreichte eine Auflage von bis zu 20.000 Exemplaren (vgl. Ferber 1981: 9) und erschien von 1924 bis 1933 als Monatszeitschrift. Den Schwerpunkt legte Der Querschnitt auf künstlerische und lyrische Themen. Zudem zeichnete er sich durch sein reichhaltiges Illustratiansmaterial aus. Im Sommer 1924 erklärte der Herausgeber Alfred Flechtheim: "Spezialität des ,Querschnitt' ist sein reiches AbbildungsmateriaL Neben regelmäßigen Illustrationen auf dem Gebiet der alten und neuen Kunst bringen wir ein reiches aktuelles Material, das die Zeit und ihren augenblicklichen Gehalt treffend illustriert." (Der Querschnitt, Sommer 1924) 30
Mufi.oz Ruiz bezieht sich in ihrer Studie ausschließlich auf Frauenzeitschriften der Franco-Diktatur.
31
Übers.: Die Nutzung der Frauenpresse als vorrangige Quelle fur die historische Forschung entsteht aus der Überlegung heraus, dass Frauenzeitschriften ein entscheidendes Instrument bei der Gestaltung weiblicher Verhaltensmodelle und ihrer Verbreitung darstellen. Es ist wichtig Frauenzeitschriften als Kommunikationsmedien, die den Frauen Verhaltensmodelle vorschlagen, zu untersuchen, einerseits weil die Leserinnen diese übernehmen und meistens verinnerlichen, andererseits weil diese vorgeschlagenen Modelle nicht harmlos sind, sondern dem entsprechen, was ein herrschendes politisches System und die Gesellschaft, die dahinter steht, als für Frauen angemessen betrachten.
EINLEIT UNG
I 33
gida a las mujeres- o cuyo publico son mujeres principalmente- cubre Ia importante funci6n de servir de vehiculo educacional de sus lectoras." 32 (Riviere 1977: 176)
Des Weiteren verdeutlicht Gesa Kessemeier in ihrer Studie zu Modebildern aus Zeitschriften der 1920er Jahre: "Die Magazine zeigten durch Aufbau und Themenwahl, welche Rollen und gesellschaftlichen Aufgabenbereiche Frauen zugeschrieben wurden. Sie boten Richtlinien für ein rollenkonformes Verhalten und unterstützten die Internalisierung geschlechtsspezifischer Normen und Werte." (Kessemeier 2000: 8) Sowohl Mufioz Ruiz und Riviere als auch Kessemeier betonen damit die wichtige Bedeutung von Zeitschriften bei der Verinnerlichung gesellschaftlich vorgegebener Darstellungs- und Verhaltensmodelle von Weiblichkeit. Auch in der vorliegenden Studie wird davon ausgegangen, dass die Visualisierungen von Weiblichkeit in den untersuchten Zeitschriften häufig als Orientierungsmodelle fungierten und als Leitbilder eingesetzt wurden.
1.4
THEORETISCHE VERORTUNG
1.4.1 Sozialkonstruktivismus In Anknüpfung an Ansätze der Geschlechterforschung, die sich mit der sozialen Konstruktion bzw. mit der Inszenierung von Geschlecht befassen, liegt dieser Arbeit eine sozialkonstruktivistische Herangehensweise33 zugrunde, die sich von bio32
Übers.: Die Presse nimmt im Allgemeinen eine wichtige Funktion beim Angebot von Verhaltens- und Orientierungsmodellen fur das Publikum ein und verfolgt damit ein bestimmtes Ziel. Konkret übernimmt die Presse, die sich an Frauen richtet - oder deren Publikum hauptsächlich aus Frauen besteht- die wichtige Funktion, als erzieherisches Mittel für die Leserinnen zu fungieren.
33
Als sozialer Konstruktivismus werden hier im Sinne Helga Keiles "die Prozesse und Produkte historisch und lokal situierter Aushandlungen zwischen Menschen" (Kelle 1997: 195) verstanden. Die grundlegenden Fragen dabei lauten, ob es eine objektive ,Wirklichkeit' überhaupt gibt und wie Wissen erzeugt wird. Letzteres passiert dem sozialkonstruktivistischen Ansatz nach nur durch Interaktion und Kommunikation zwischen den Beteiligten. Die Vorstellung von ,Welt' wird durch den Informationsaustausch zwischen Menschen ständig modifiziert. Der soziale Konstruktivismus geht deshalb davon aus, dass die Betrachterinnen ihre Sicht auf ,Welt' und ,Wirklichkeit' ständig im interaktiven Austausch und durch kulturelle Praktiken verändern. So bleibt auch Geschlecht
34 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
logischen Erklärungsmodellen distanziert. Der Sozialkonstruktivismus will auf die soziokulturelle Konstruiertheit geschlechtsspezifischer Körperbilder und Verhaltensweisen aufmerksam machen und die Naturalisierung der Kategorie Geschlecht grundsätzlich in Frage stellen. Geschlecht wird in diesem Zusammenhang nicht als biologische bzw. unveränderbare Tatsache begriffen, sondern als alltägliche Selbstdarstellungsleistung, die in einem lebenslangen interaktiven Prozess immer wieder, bewusst oder unbewusst, hergestellt wird: Ein sich ständig verändernder Prozess der Aneignung von geschlechtsspezifischen Merkmalen durch Selbst- und Fremddefinition. Die Soziologin Hildegard Mogge-Grotjahn betont bezüglich der sozialen Konstruktion von Geschlecht:
"Mit der Annahme, dass Geschlecht eine soziale Konstruktion sei, wird [...] nicht etwa die Existenz des Körpers irrfrage gestellt, wohl aber die Vorstellung, dass unser Körper unveränderlieh und allein biologisch konstituiert sei und ihm die soziale Bedeutung des Geschlechts dann in irgendeiner Weise ,übergestülpt' würde. Vielmehr geht es um das ,Einschreiben' der sozialen Verhältnisse in den Körper und darum, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes unsere Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit ,verkörpern' ." (Mogge Grotjahn 2004: 86)
Folglich wird Geschlecht nach dem Konstruktionsprinzip nicht mehr als ,natürliche' Gegebenheit gedacht, sondern als Resultat mannigfacher soziokultureller Prozesse begriffen. Diese Perspektive soll vor allem Fragen sozialer Hierarchien und Differenzen berücksichtigen und Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern erkennen und reflektieren. In der vorliegenden Untersuchung muss die Frage berücksichtigt werden, welche Bedeutung medial inszenierte Bilder bei der alltäglichen Konstruktion von Geschlecht hatten bzw. welche Rolle sie beim Identitätsbildungsprozess der lndividuen spielten. Es muss demnach die Überlegung angestellt werden, ob die inszenierten Geschlechterbilder aus den Medien eine Ressource darstellten bzw. Vorbilder anboten, die es nahe legten, in gewissen Situationen Geschlecht auf bestimmte Art und Weise zu leisten. Allerdings kann im Rahmen der Arbeit nicht näher darauf eingegangen werden, wie medial inszenierte Geschlechterbilder der 1920er und 1930er Jahre in Alltagssituationen adaptiert wurden (was zudem sehr schwierig wäre, da aufgrund des historischen Themas nicht auf unmittelbare Beobachtungen zurückgegriffen werden kann). Vielmehr soll in Kapitel 4 im Kontext künstlerischer Produktionen geprüft werden, inwiefern die ausgewählten Foto-Künstlerinnen auf kein fest zugeschriebener Begriff, sondern variiert in seinem jeweiligen Kontext. Vgl. dazu auch das Konzept des ,doing gender' in Kapitell.4.3.
EINLEITUNG
I 35
inhaltlicher bzw. thematischer und formal-ästhetischer Ebene Bezug auf mediale Weiblichkeitsbilder der 1920er und 1930er Jahre nahmen.
1.4.2 ,Sex' und ,gender' In der feministischen Diskussion im englischsprachigen Raum wurde die begriffliche Unterscheidung zwischen ,sex' und ,gender' in den 1970er Jahren eingeführt. 34 Dabei bezeichnet ,sex' das biologische Geschlecht, ,gender' dagegen steht für das kulturelle bzw. soziale Geschlecht, das von Menschen im Laufe ihrer Sozialisation erworben wird. Die Motivation dieser Unterscheidung lag zunächst darin, gesellschaftliche Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse sowie menschliches Verhalten nicht mehr als ,natürlich' und unhinterfragbar zu akzeptieren, sondern von den jeweiligen soziokulturellen Verhältnissen abhängig zu machen. Biologistische Argumentationen, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern als Konsequenz der ,natürlichen Bestimmung' legitimierten, sollten mit Hilfe dieser begrifflichen Unterscheidung in Frage gestellt und ausgehebelt werden. Das ,sex-gender-Modell' geht jedoch weiterhin von einem eindeutigen ,biologischen Geschlecht' aus und hält an einer natürlich gegebenen Zweigeschlechtlichkeit fest. 35 In englischsprachigen feministischen Diskursen der späten 1970er Jahre gab es aber auch Autorinnen, die die Unterteilung von ,sex' und ,gender' nicht verwendeten (vgl. Nancy Choderow 1978). Zudem wurde der Begriff ,gender' in der englischsprachigen feministischen Soziologie zunehmend als umfassender Begriff verwendet (vgl. u.a. Kessler/McKenna 1978). Daran anknüpfend führte Carol Hagemann-White für den Begriff ,gender' das Konzept der "Zweigeschlechtlichkeit als kulturelles System" ( 1984) in die deutsche Diskussion ein. Darin stellt sie die Vorstellung einer ,natürlichen' Zweigeschlechtlichkeit, die auf einer biologischen Argumentation fußt, grundsätzlich in Frage. 36 Vielmehr geht sie davon aus, dass eine biologische ,Ein34
Die kategoriale Differenzierung zwischen ,sex' und ,gender' stammt ursprünglich vom Psychoanalytiker Robert Stoller (1968) (vgl. Villa 2004: 148). In der deutschsprachigen feministischen Diskussion der 1970er Jahre spielte diese Unterscheidung jedoch keine Rolle.
35
Zum ,Diktat' des Zweigeschlechtersystems erklärt Regine Gildemeister: "Die Teilung in zwei Geschlechter ist anscheinend eine der stabilsten Grundlagen unserer Wahrnehmung, unseren Verhaltens und Handelns,ja, unserer Selbst-Vergewisserung - sie ist zudem in sozialen Kontexten unhintergehbar." (Gildemeister 2001: 71)
36
Hagemann-White bezog sich auf sozialkonstruktivistische Ansätze, die davon ausgehen, dass eine säuberliche Trennung von ,Natur' und ,Kultur' unmöglich ist.
36 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT deutigkeit' nicht immer vorhanden ist. 37 Hagemann-White begreift ,gender' als "kulturelles Regelsystem für Prozesse, in denen die Individuen die mit Geschlechtlichkeit verquickten gesellschaftlichen Strukturen alltäglich mitherstellen" (Hagemann-White 1988: 227). Deshalb plädiert sie dafür, Geschlecht als situationsbezo gen zu verstehen und die Formung der Geschlechtsidentität 38 als einen aktiven "Prozeß der Aneignung in Auseinandersetzung mit (mehreren!) sozialen Umgehungen" (ebd.: 227) zu betrachten. Sie nimmt Abstand von der ,selbstverständlichen' Alltagstheorie des Zweigeschlechtersystems, die "die Geschlechtszugehörigkeit als eindeutig, naturhaft und unveränderbar" (ebd. : 228) definiert. Stattdessen unterstützt sie die "Null-Hypothese", die keine zwingende Zweigeschlechtlichkeit voraussetzt, "sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht" 37
Hagemann-White spricht von etwa fünf Möglichkeiten der körperlichen Geschlechterbestimmung: 1. Das Chromosomengeschlecht, das nach der genetischen Information im Erbgut bestimmt werde (z.B. XX oder XY). Dabei ergaben sich aber nicht immer eindeutige Zuordnungen in XX fur weiblich und XY fur männlich, sondern auch zusatzliehe Vermengungen und Konstellationen (z.B. XO, XXX, XYY etc.). 2. Das Keimdrüsengeschlecht (Hoden und Eierstöcke), das die Hormonsteuerung übernehme. Hier komme es jedoch vor, "daß die Keimdrüsen sowohl Eierstock- wie auch Hodengewebe entwickeln." (Hagemann-White 1984: 33). 3. Das morphologische Geschlecht, das in innere Geschlechtsorgane, äußere Geschlechtsmerkmale und geschlechtstypischem Körperbau aufgeteilt sei. Das morphologische Geschlecht werde hauptsachlich durch die Hormone bestimmt. Hagemann-White expliziert: "Anders als das Keimdrüsengeschlecht kann das morphologische Geschlecht vollständig ausgebildet und ,normal' , jedoch im Widerspruch zum Chromosomengeschlecht sein." (Ebd.: 34) 4. Das Hormongeschlecht, das mit Hilfe der "Konzentration der Geschlechtshormone" definiert werde. Durch künstliche H01mone im Tierfutter und später in Fleischprodukten, gelange jedoch eine unbestimmte Menge an zusatzliehen Hormonen in unsere Körper. Als funften Punkt nennt Hagemann-White schließlich einige "geschlechtsspezifische Besonderheiten im Gehirn", z.B. die Ausschüttung gonadotroper Hormone, die zyklisch ausgeschüttet würden und sowohl bei Frauen als auch bei Mannern schwankten. Abschließend halt sie fest: "Eine streng biologische und zugleich eindeutige Geschlechtsdefinition existiert nicht." (Ebd.)
38
Geschlechtsidentität wird hier als unbewusster und bewusster Prozess der Aneignung von geschlechtsspezifischen Merlanalen begriffen. Die Geschlechtsidentität muss nicht zwingend mit dem ,biologischen' Geschlecht übereinstimmen. Sie ist stark mit kollektiven bzw. gesellschaftlichen Identimten verknüpft, so spielen Race und soziale Schicht eine wesentliche Rolle bei der Bildung der Geschlechtsidentität (vgl. auch West/Fenstermaker, Doing Difjerence, 1995: 15).
EINLEIT UNG
I 37
(ebd.: 230). Setzt man Hagemann-Whites Überlegungen mit der Tatsache in Verbindung, dass in den USA täglich fünfNeugeborene mit so genannten ,doppeldeutigen Geschlechtsmerkmalen' (biologische Zwitter) auf die Welt kommen, 39 wird die Problematik des starren Zweigeschlechtersystems, das ausschließlich die Kategorien ,männlich' und ,weiblich' kennt, offensichtlich. Zudem haben verschiedene ethnologische Studien auf Gesellschaften aufmerksam gemacht, in denen ein ,drittes Geschlecht' oder Zwischengeschlechter existieren.40 Die Ethnologin Birgit Röttger Rössler verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass in außereuropäischen Kulturen die Grenzen zwischen den Kategorien ,Mann' und ,Frau' häufig sehr viel flexibler verlaufen als in unserer westlichen Kultur: "Das Spektrum reicht von Formen des kulturell etablierten und akzeptierten sozialen Geschlechterrollenwechsels bis hin zur Existenz von alternativen Geschlechterkategorien" (Röttger Rössl er 1998, 103). Die Ethnologin führt einige Beispiele außereuropäischer Kulturen auf, die Zwischengeschlechter akzeptieren und bestimmten Menschen die Möglichkeit geben, das Geschlecht zu wechseln, ohne damit traumatische Erlebnisse zu verknüpfen. Diese Möglichkeit des unproblematischen Geschlechtswechsels bzw. des Springens zwischen den Geschlechtern fUhrt Röttger Rössl er darauf zurück, dass sich bereits im Bewusstsein der jeweiligen Kulturen die Vorstellung von mehr als zwei Geschlechtern durchgesetzt hat (ebd.: 104). Die Ethnologin untersuchte u.a. auf der indonesischen Insel Sulawesi die Gruppe der muslimischen Makassar, die vier soziale Geschlechtskategorien unterscheiden: Männer, Frauen, kawe-kawe und calabai (vgl. ebd.: 107). Kawe-kawe bezeichnet Menschen, deren Körper biologisch männlich ist, die sich aber ihrem subj ektiven Empfinden nach, nicht oder nur bedingt als solche betrachten und in bestimmten Perioden, Lebensphasen oder auch endgültig Eigenschaften des Gegengeschlechts adaptieren. Calabai dagegen sind biologische Frauen, die die weibliche Rolle ganz oder teilweise verweigern. Auch sie entscheiden individuell, welche Eigenschaften des Gegengeschlechts wann bzw. in welchen Situationen und für welchen Zeitraum übernommen werden sollen. Solche alternativen Gender-Modelle ermöglichen den Individuen eine elastische Geschlechtsidentität, die nicht nur temporär oder endgültig eingenommen wird, sondern die Möglichkeit bietet, in Bezug auf das Sexualverhalten variabel zu entscheiden. So kann ein kawe-kawe entweder ein für unsere Begriffe heterosexuelles Leben führen, heiraten und eine Familie gründen oder abstinent leben. Ihm ist es aber genauso gestattet mit anderen biologischen Männern zu39
Nach Anne Fausto-Sterling haben ca. vier Prozent aller Menschen ein Zwischenge schlecht und werden als so genannte Intersexe oder Hermaphroditen bezeichnet (vgl. Fausto-Sterling in Röttger-Rössler 1997: 102).
40
Vgl. Mead 1961, Hagemann-White 1988, Röttger Röss1er 1998.
38 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT sammenzuleben und mit diesen sexuelle Beziehungen einzugehen (vgl. Röttger Rössl er 1998: I 08). Röttger Rössl er erklärt: "Diese flexiblen alternativen genderKategorien ern1öglichen auch Intersexen ein relativ konfliktfreies Leben." (Ebd.) Auch die ethnische Gruppe der nordamerikanischen Navajo unterscheidet drei Geschlechter: Männer, Frauen und Hermaphroditen, die als so genannte nadle bezeichnet werden. Letztere unterteilen sich wiederum in drei Untergruppen, die richtigen nadle (körperliche Zwitter) und simulierte nadle, die körperlich entweder männlich oder weiblich sind (vgl. Röttger Rössler 1998: 105). Die nadle genießen innerhalb der Gesellschaft der Navajo ein großes soziales Ansehen und erhalten besondere Privilegien, die nur ihnen zugestanden werden. Beispielsweise übernehmen sie gesellschaftlich zentrale Aufgaben und arbeiten u.a. als Heiler und Schamanen (vgl. ebd.). Vor dem Hintergrund der aufgeführten Beispiele aus außereuropäischen Kulturen wird die Definition der Kategorie ,sex' als unveränderbares, eindeutiges und natürlich-biologisches Geschlecht äußerst problematisch, zumal das ,Sex-GenderModell' das Zweigeschlechtersystem als Grundlage setzt und lediglich die Kategorien ,Mann' und ,Frau' akzeptiert. Das ,Sex-Gender-Modell' geht davon aus, dass durch Sozialisation und kulturelle Interaktion die Kategorie ,gender' nachträglich in die Kategorie ,sex' eingeschrieben wird. Dies impliziert jedoch, dass es ein eindeutiges biologisches Geschlecht (,sex') geben muss und dass dieses dem ,kulturellen Geschlecht' vorgelagert ist. Doch genau diese Annahme wurde durch sozialkonstruktivistische Ansätze in Frage gestellt: Die Kritikerinnen machten vor allem auf die Problematik der scharfen Trennung zwischen ,Natur' und ,Kultur' aufmerksam und unterstützten die These, dass sowohl die Kategorie ,sex' als auch die Kategorie ,gender' als soziale Konstrukte betrachtet werden müssen. An dieser Stelle könnte man fragen, wie das biologische Geschlecht eine soziokulturelle Konstruktion sein kann, da im alltagsweltlichen Wissen das Zweigeschlechtersystem eine unhinterfragbare und ,objektive' Tatsache zu sein scheint. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass auch die körperlichen Merkmale von Geschlecht, ausgenommen die Geschlechtsorgane, kulturell konstruiert und geformt werden und dass sich soziokulturelle Vorstellungen und Normierungen nicht nur in den Köpfen verankern, sondern sich vor allem in die Körper einschreiben (vgl. Mühlen Achs 1998: 25). Das heißt beispielsweise, dass ein weiblicher Körper - in seinem jeweiligen soziokulturellen Kontext - gelernt hat, sich anders zu bewegen und zu inszenieren als ein männlieher Körper. Dem geht in der Regel ein langer Sozialisationsprozess voraus, in welchem geschlechtsspezifische Posen und Verhaltensweisen verinnerlicht, naturalisiert und schließlich , verkörpert' werden. Auf diese Weise wird das lang und mühselig Erlernte (nämlich die Abgrenzung und Differenzierung zum anderen Ge-
EINLEIT UNG
I 39
schlecht) wieder als ,natürliche' bzw. biologische Tatsache präsentiert. Gitta Mühlen Achs erklärt in diesem Zusammenhang: "Nicht Biologie und biologische Fakten führen zum gegenwärtig existierenden Geschlechtersystem, sondern die kulturelle Praxis der Klassifikation, deren Ziel die bewußte Herstellung einer Ordnung ist." (Mühlen Achs 1998: 26) Auch Regine Gildemeister verdeutlicht in Bezug auf die kulturelle Geschlechterpraxis: "Aus am Körper verorteten Genitalien entstehen[ ... ] noch keine Geschlechter und auch keine Geschlechterordnung- aber aus einer Geschlechterordnung können Genitalien zu Geschlechtszeichen, zu einem zentralen Bedeutungsgehalt werden." (Gildemeister 2001: 69f.) 1.4.3 Das Konzept des ,doing gender' "Wer sich mit ,doing gender' beschäftigt, will beschreiben, wie sich Menschen performativ als männlich oder weiblich zu erkennen geben und mittels welcher Verfahren das so gestaltete kulturelle Geschlecht im Alltag relevant gesetzt wird." (Kotthoff2002: 2)
Das Konzept des ,doing gender' 41 entstammt dem symbolischen lnteraktionismus 42 und meint das aktive Herstellen einer als eindeutig ,weiblich' oder ,männlich' identifizierbaren Geschlechtsidentität in der alltäglichen Interaktion mit anderen Menschen. Der Fokus liegt dabei auf das ,doing' bzw. dem ,machen' von Geschlecht, womit vor allem kulturelle Darstellungsstrategien der Individuen in den Vordergrund gerückt und biologische Erklärungsmodelle ausgeblendet werden. Das Modell des ,doing gender' geht davon aus, dass ,weibliche' bzw. ,männliche' Geschlechtsidentitäten im Laufe eines lebenslangen Lernprozesses angeeignet, stabilisiert und immer wieder hergestellt werden. ,Doing gender' ist demnach eine alltägliche Selbstinszenierungsarbeit, die permanent - bewusst oder unbewusst - geleistet werden muss. Das ,machen' von Geschlecht beeinflusst dabei in erheblicher Weise 41
In den USA wurde der Begriff I 978 von den Ethnomethodologinnen Suzanne J. Kessler und Wendy McKenna eingeführt. In ihrem Werk Gender. An Ethnomethodological Ap-
proach untersuchten sie u.a. die Verfahren der Konstruktion von Geschlecht bei Transsexuellen. 42
Der symbolische Interaktionismus stammt aus der soziologischen Theorie und beschäftigt sich mit der Interaktion zwischen Personen. Die Grundidee ist dabei, dass die Bedeutung der ,Dinge' (unter ,Dinge' werden Situationen, Menschen, Handlungen anderer Personen, Institutionen etc. verstanden) durch soziale Interaktion mit anderen Menschen entsteht bzw. erst hier symbolisch hergestellt wird (vgl. u.a. Blumer 1973 und Mead 1978).
40 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
die alltägliche Interaktion der Individuen. ,Doing gender' basiert auf der Annahme, dass Geschlechter bzw. Geschlechtsidentitäten nicht ,natürlich' gegeben sind, sondern immer wieder symbolisch hergestellt werden. Zwei wichtige Funktionen des ,doing gender' können herausgestellt werden: Einerseits wird durch die fortwährende ,männliche' oder, weibliche' Inszenierung der Individuen das Zweigeschlechtersystem stabilisiert und als einzige , Wahrheit' gesetzt. Andererseits erscheint die permanente Darstellungsleistung von Geschlechtlichkeit durch ihr Eingebundensein in die Alltagspraxis als ,naturalisierte' bzw. urneflektierte Tätigkeit, die jedoch als bedeutendste Ordnungskategorie zwischen Individuen betrachtet werden kann. Regine Gildemeister betont: "In einer Gesellschaft, die auf der Polarisierung der Geschlechter beruht, sich die gesamte Lebensgeschichte Einzelner vom ersten Tag an auf dieser Grundlage errichtet, gibt es keine Möglichkeit des Identitätserwerbs jenseits eines Bezuges auf Geschlechtskategorien. Individuen ohne Geschlecht sind nicht vorstellbar. Zugleich ist dieser Prozess wie der der (allgemeinen) Sozialisation nie abgeschlossen." (Gildemeister 2001: 74)
Die Ursprünge des ,doing-gender-Modells' liegen in ethnomethodologischen Überlegungen und finden in den USA seit den 1960er Jahren Anwendung. 43 In Deutschland wurde diesem Ansatz zunächst wenig Beachtung geschenkt. Lediglich Carol Hagemann-White machte bereits Anfang der 1980er Jahre auf dieses Modell aufmerksam und stellte das in der deutschen Frauenforschung vorhenschende Modell der Sozialisation als Formung der Individuen durch die Gesellschaft in Frage. Das Konzept des ,doing gender' ist insofern zentral fiir meine Ausgangsüberlegungen, als es nicht nur die Konstruktion von Geschlecht als These formuliert, sondern ihre Herstellungsmechanismen mittels der Interaktionsanalyse durchleuchtet. Vor diesem theoretischen Hintergrund wird die vorliegende Forschungsarbeit verortet Allerdings muss eine wichtige Unterscheidung zwischen dem Modell des ,doing gender' sowie seiner Methode der Interaktionsanalyse und der Untersuchung von Bil43
Frühe Studien befassen sich mit Transsexualität als bewusst gewählter Geschlechtsidentität (vgl. Harold Garfinkeis ,Agnes-Studie' in seinem Werk Studie.\' in Ethnomethodolo-
gy, 1967 oder Erving Gaffinan The Arrangements between the Sexes, in: Theorie and Society, Bd.4/1977: 301-331). In Garfinkeis ,Agnes-Studie' wird das Verhalten der Transsexuellen Agnes nach ihrer Operation zur Frau untersucht. Diese musste erst erlernen, was das kulturelle ,Frau-Sein' in der Praxis, d.h. im gesellschaftlichen Kontext der 1960er Jahre in Kalifomien bedeutete. So sollte sie beispielsweise in Gesprächen nicht auf ihrer Meinung beharren und sich nicht argumentativ bzw. dominant durchsetzen, da dies gemeinhin als ,unweiblich' galt.
EINLEIT UNG 141
dem bzw. visuellen Repräsentationen von Geschlecht getroffen werden. Bei der Analyse der Fotografien, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, soll vor allem auf die theatrale Inszenierung von Geschlecht aufmerksam gemacht werden. Diesbezüglich wird danach gefragt, wie Geschlecht auf visuell-repräsentativer Ebene ,gemacht' und in den jeweiligen soziokulturellen Zusammenhängen mit Bedeutung versehen wird. Oder anders ausgedrückt: Wie wird männlichen und weiblichen Körpern in massenmedialen und künstlerischen Kontexten Sinnhaftigkeit zugeschrieben? Dabei ist in Bezug auf die ausgewählten Bildquellen zu berücksichtigen, dass die Darstellungen den Aspekt der Theatralität 44 bzw. Inszenierung45 besonders in den Mittelpunkt rücken. Das fortlaufende Arrangement des visuellen Repertoires ftihrt dabei in der Regel zu starken Geschlechterstilisierungen. Zudem muss reflektiert werden, inwiefern sich (massenmediale) Geschlechterbilder besonders dazu eignen, moralische Vorstellungen und Ideologien der jeweiligen Gesellschaft zu transportieren und zu fixieren. In der Auseinandersetzung mit dem Konzept des ,doing gender' und der gleichzeitigen Sichtung des fotografischen Quellenmaterials wurde die Frage entwickelt, welche Bedeutung die Bereitstellung und die massenhafte Verbreitung medial inszenierter Geschlechterbilder- in Bezug auf die alltägliche Selbstdarstellungsleistung der Rezipientinnen - gehabt haben könnte. In diesem Zusammenhang wurde auch darüber nachgedacht, inwiefern die medialen Bilder eine Ressource darstellten, auf die in bestimmten Situationen, bewusst oder unbewusst, zurückgegriffen wurde. Ferner muss auch reflektiert werden, dass die Fotografie als ,Endprodukt' immer einen "fotografischen Akt" (vgl. Dubois 1998), d.h. eine Handlung impliziert, die eine Interaktion zwischen Modell, Fotografln und den Rezipientinnen beschreibt. Dubois erklärt in Bezug auf den "fotografischen Akt" :
44
,Theatralität' verstehe ich in Kombination mit Korporalität als kulturell bedingte Fonn des Körperausdrucks. Der Körper wird als Inszenierungs- bzw. als Ausstellungsobjekt arrangiert (vgl. DFG-Studie zur Theatralität 1995: 9). In der DFG-Studie Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschajien von 1995 wird ,Theatralität' als "Insze-
nierung von Körpem zum Zweck der Mimesis, der Maskerade, des Rollenspiels und der Zur-Schau-Stellung" begriffen. Die Inszenierung erfolgt einerseits durch eine besondere Art von Kleidung, Schminke, Coiffure, andererseits durch bestimmte Techniken und Praktiken der Körperverwendung." (DFG 1995: 10) 45
Der Begriff ,Inszenierung' wird im Bereich der Fotografie stark mit ,Theatralität' verknüpft. Er beschreibt u.a. die Interaktion zwischen Fotografln und Modell und geht davon aus, dass sich das Modell über den Akt des Fotografierens bewusst ist und gezielt für die Betrachterinnen bzw. für die Kamera posiert. Vgl. auch Kapitel 2.4.
42
I FOTOGRAFISCHE
INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
"Wenn in der Fotografie eine unwiderstehliche, lebendige Kraft steckt, wenn in ihr etwas steckt, was mir absolut schwerwiegend erscheint, [...],dann dies: mit der Fotografie ist es uns nicht mehr möglich, das Bild außerhalb des Aktes zu denken, der es generiert. Das Foto ist nicht nur ein Bild (das Produkt einer Technik und einer Aktion, das Resultat eines Tuns und eines Könnens, eine Gestalt aus Papier, die man einfach als ein in sich geschlossenes, endliches Objekt betrachtet), es ist zunächst einmal auch ein richtiggehender ikonischer Akt, ein Bild, wenn man so will, aber ein arbeitendes Bild, etwas, das man nicht denken kann, ohne seine Umstände zu berücksichtigen, ohne das Spiel, das es belebt, mitzudenken, ohne es buchstäblich nachzuvollziehen: es ist etwas, das zugleich und konsubstantiell ein Bild-Akt, ein Bild und ein Akt (image-act) ist, wobei sich von selbst versteht, daß sich dieser Akt nicht banal auf die bloße Geste der eigentlichen Produktion des Bildes (die Geste des Aufnehmens) beschränkt, sondern auch den Akt der Rezeption und der Betrachtung des Bildes einschließt. Die Fotografie als etwas, was mit seiner ganzen Äußerung untrennbar verbunden ist, als Bilderfahrung, als gänzlich pragmatisches Objekt. Daraus wird ersichtlich, wie sehr dieses mechanische, optisch-chemische und angeblich objektive Medium [...] im Grunde ontologisch die Frage nach dem Subjekt und, genauer, nach dem Subjekt als Prozeß impliziert." (Dubois 1998: 19)
In Bezug auf massenmediale Bilder der 1920er und 1930er Jahre kann davon ausgegangen werden, dass mögliche Adressatinnen bereits im Herstellungsprozess gezielt mitgedacht wurden. Die Interaktionsebenen zwischen Modell, Fotografln und Rezipientinnen können aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur bedingt untersucht werden (sofern sie auf den untersuchten Fotografien sichtbar werden 46), da vornehmlich Bildanalysen und keine Interaktionsanalysen im Vordergrund stehen. Allerdings wird in Kapitel 4 der Frage nachgegangen, wie sich die massenmedialen Weiblichkeitsdarstellungen auf die künstlerischen Arbeiten einiger damaliger Fotografinnen auswirkten bzw. wie diese auf die massenmedialen Bilder reagierten. Ich unterstelle demnach, dass die Medienbilder eine Reaktion evozierten und dies in den künstlerischen Produktionen der Fotografinnen teilweise sichtbar wurde. Das Konzept des ,doing gender' ist auf gesellschaftliche, kulturelle und vor allem auf visuelle Ressourcen angewiesen. Um diese zu erfassen, soll im Folgenden die eigenständige Diskussion um geschlechtsspezifische Körpersprache beleuchtet werden, die bis in die 1970er Jahre zurückgeführt werden kann. Die körpersprach Iichen Studien erscheinen insofern ergiebig, als sie die Produktionsmechanismen von Geschlecht visualisieren und die Stilisierung von Geschlechterarrangements ikonographisch veranschaulichen. 46
Vgl. die Fotografien aus Kapitel 3.2.6, die die Interaktion zwischen Filmstars, Regisseuren, Beleuchtern etc. aufvisueller Ebene veranschaulichen.
EINLEITUNG
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1.4.4 Geschlechtsspezifische Körpersprache
Für die Interpretation des visuellen Materials zum Thema Weiblichkeits- bzw. Geschlechterinszenienmgen sollen auch Ansätze zur geschlechtsspezifischen Körpersprache berücksichtigt werden. Überlegungen zur geschlechtsspezifischen Darstellung des Körpers erlangten gegen Ende der 1970er Jahre mit der Thematisierung des Frauenbildes in feministischen Zusammenhängen eine zentrale Bedeutung. Im Kontext der vorliegenden Arbeit wird auf die Studien von Erving Goffman, Nancy M. Henley, Marianne Wex und Gitta Mühlen Achs Bezug genommen, die die Konstruktionsmechanismen von Geschlecht auf körpersprachlicher Ebene beleuchten und sich mit geschlechtsspezifischer Körpersprache als gesellschaftlichem Herrschafts- bzw. Machtsystem befassen. Die genannten Autorinnen enthüllen in ihren Bildanalysen ,harmlose' Körperposen und Gesten als Ausdrucksmittel einer hierarchischen Geschlechterordnung. Ihren Ergebnissen zur Folge geht es in den visuellen geschlechtsspezifischen Körperarrangements auch immer um Ressourcen, Machtpositionen und gesellschaftliche Einflussnahme. Dabei wird der Körper als symbolisches System begriffen, in welchem sich Zeichen ideologischer und kollektiver Vorstellungen verdichten (vgl. Mühlen Achs 1995: 23). Im Folgenden sollen die einzelnen Studien vorgestellt werden, um ihre Relevanz für die in der Arbeit angewandte Bildinterpretationsmethode aufzuzeigen. Der Soziologe Erving Goffman untersucht in seiner Studie Geschlecht und Werbung (l981t7 visuelle Geschlechterdarstellungen und die Methoden der Geschlechterstilisierung in Werbeannoncen. Die Fotografien, die aus Zeitungen und Massenzeitschriften stammen, werden in thematische Sujets geordnet, die die Geschlechterverhältnisse in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten aufzeigen. Goffman analysiert Themenbereiche wie ,relative Größe', ,weibliche Berührung', ,Rangordnung nach Funktion', ,Familie', ,Rituale der Unterordnung' und ,zulässiges Ausweichen'. Dabei geht er der Frage nach, wie Geschlechterbeziehungen und -stereotypen visuell konstruiert werden und inwiefern diese fotografischen Arrangements mit ,realem' Geschlechtsrollenverhalten in Verbindung stehen. Werbebilder erscheinen ihm zur Analyse der Geschlechterbeziehungen insofern von Bedeutung, als diese "ritualisierte Verhaltensweisen, wie sie in verschiedenen Kontexten des täglichen Lebens vorkommen, besonders gern in ,hyperritualisierter' Form" (Goffman 1981: 113) aufgreifen. In seiner Untersuchung konstatiert Goffman, dass die ,relativen' Größenverhältnisse zwischen männlichen und weiblichen Figuren überwiegend als Mittel genutzt werden, um Systeme von Dominanz und Unterordnung zu repräsentieren. So mache sich die gesellschaftliche Status-Überlegenheit des 47
Die englische Originalausgabe trug den Titel Gender Advertisement und erschien 1976.
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Mannes gegenüber der Frau visuell in überhöhten Körperpositionen und im größeren Körperumfang bemerkbar (vgl. Gaffman 1991: 120). Männer würden in der Regel größer und kräftiger inszeniert als Frauen, wobei die Darstellung physischer Überlegenheit in westlichen Kulturen auch immer die Funktion habe, einen höheren sozialen Rang, Macht und Autorität zu symbolisieren. Des Weiteren verweist Gaffman auf das Phänomen der ,weiblichen Berührung' bzw. ,Selbstberührung' und hält fest, dass weibliche Hände eher leicht und zärtlich berühren, männliche dagegen anpacken, zugreifen und festhalten. Die weibliche Selbstberührung mache vor allem auf den weiblichen Körper als etwas Zartes, Kostbares und Empfindliches aufmerksam (vgl. Gaffman 1991: 125 ff.). Bei der Analyse der Kategorie ,Rangordnung nach Funktion' kommt Gaffman zu dem Schluss, dass Männer und Frauen, die zusammenarbeiten, häufig nach einem bestimmten Muster dargestellt werden: Männer übernähmen vielfach den aktiven, belehrenden Part. Frauen dagegen nähmen eher eine passive Rolle ein, seien Zuhörerinnen bzw. Helferinnen und ließen sich Dinge erklären. Bei der Kategorie ,Familie' bzw. ,Familiendarstellungen' konstatiert Goffman, dass besonders in der Werbung die Kleinfamilie mit Mutter, Vater und Kind(em), d.h. also die Kemfamilie, als Ideal postuliert werde. Interessant erscheint ihm, dass mit darstellerischen Mitteln versucht werde, Mädchen in einer besonderen Beziehung zur Mutter und Jungen in einem besonderen Verhältnis zum Vater zu arrangieren. Die Figur des Vaters stehe zudem häufig in einer etwas abgerückten Position, womit gleichzeitig auf seine Beschützer-Funktion verwiesen werde (vgl. ebd.: 161). Unter ,Rituale der Unterordnung' versteht Goffman u.a. Formen der körperlichen Verneigung. Das Liegen auf dem Sofa oder Fußboden könne z.B. sexuelle Unterordnung bzw. Verfügbarkeit signalisieren (vgl. ebd.: 169). Des Weiteren vermittle eine schräge Kopfhaltung, bei welcher der Kopf einer Person gegenüber anderen gesenkt werde, sowohl einen Eindruck der Unterwürfigkeit als auch der Liebenswürdigkeit (vgl. ebd.: 186). Bei den so genannten "dyadischen Zeichen der Bindung" (ebd.: 213), welche PersonenPaare präsentiert, die ein körperliches Zusammengehörigkeitsgefühl offenbaren, arbeitet Goffman vier verschiedene Inszenierungsformen heraus. Bei dem symmetrischen Arrangement stehen die Paare der Anordnung nach auf gleicher Ebene und nehmen die gleiche soziale Rolle ein. Der untergehakte Arm symbolisiert in der westlichen Kultur dagegen, dass "eine Frau unter dem Schutz und im Gewahrsam des sie begleitenden Mannes" steht (ebd.: 215). Auch der um die Schulter gelegte Arm stellt nach Goffman eine asymmetrische Beziehung zwischen den gezeigten Figuren dar, zumal davon ausgegangen wird, dass derjenige, der in den Arm genommen wird, schwächer ist, als derjenige, der beschützend festhält Ferner verweist die Geste auf ein "sexuelles Besitzverhältnis" (ebd.: 217). Bei der letzten Ka-
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tegorie, dem ,zulässigen Ausweichen', konstatiert Goffman, dass Frauen häufiger als Männer in Situationen dargestellt werden, die sie entrückt und isoliert zeigen. Expressive, emotionale und unkoutrollierte Gesichtsausdrücke würden häufig bei Frauen durch ein Verbergen des Gesichts hinter den Händen kompensiert (vgl. ebd.: 224). Auf diese Weise werde das Gesicht teilweise versteckt, so als entziehe man sich den Blicken der anderen, könne aber selbst noch gerrau beobachten. Dagegen symbolisiere das Abwenden des Blickes bzw. Kopfes in bestimmten Situationen sowohl ein sich Zurückziehen aus der Szene als auch eine Demutshaltung (vgl. ebd.: 246). Abschließend hält Gaffman fest, dass die von ihm untersuchten Geschlechterbilder in der Werbung Idealvorstellungen von Männem und Frauen transportieren und zur "Hyper-Ritualisierung" bzw. zur Übertreibung, Stereotypisierung und Vereinfachung der Figuren neigen. Reklamebilder zeigen männliche und weibliche Figuren insgesamt in stark ritualisierter Form und machen darauf aufmerksam, wie ,ideale' Geschlechterkonstellationen auszusehen haben. Mit seiner Untersuchung deckt Gaffman die Kategorie Geschlecht als naturalisiertes Ordnungsprinzip auf (vgl. Kotthoff 1994: 160) und expliziert die Funktionsweisen eines patriarchal strukturierten Gesellschaftssystems. In seinem Aufsatz Das Arrangement der Geschlechter aus dem Jahre 1977 bezieht sich Gaffman im Gegensatz zu Geschlecht und Werbung auf alltägliche Praktiken bzw. Interaktionen und weniger auf massenmediale Repräsentationen von Geschlecht. Seine Studie offenbart, wie sich Männerund Frauen im Alltag fortwährend als solche kenntlich machen und inszenieren. In diesem Zusammenhang verweist Goffman auf die Kategorie Geschlecht als Gegenstand " institutioneller Reflexivität"48 (Goffman 1994: 139). Darunter versteht er, dass das soziale Geschlecht so institutionalisiert werde, dass gerrau diejenigen Eigenschaften und Charakteristiken des Männlichen und Weiblichen ausgebildet würden, die die unterschiedliche Institutionalisierung begründen. Auf diese Weise könnten Geschlechtsrollenstereotype bzw. -differenzierungen institutionell verankert werden. Demnach werde die Geschlechterdifferenz nicht nur mittels menschlicher Interaktionen produziert, sondern auch durch Institutionen gesteuert und gefestigt. Wichtig dabei sei, dass an Männer und Frauen auf institutioneller Ebene unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen herangetragen würden, die ganz bestimmte Verhaltensweisen nach sich zögen. Diese unterschiedlichen, gesellschaftlich vorgegebenen Vorstellungen bezüglich der Darstellung von Geschlecht produzierten und reproduzierten sich permanent. Helga K.otthoff erklärt in diesem Zusammenhang, dass die Institutionalisie48
Hubert A. Knoblauch erklärt, dass die ,institutionelle Reflexivität' als "Schnittstelle zwischen Interaktionsordnung und Gesellschaftsstruktur" betrachtet werden kann (Knoblauch 1994: 41).
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rung des Zweigeschlechtersystems immer auch normative Platzzuschreibungen impliziere und differente Zugangsmöglichkeiten zu machtvollen gesellschaftlichen Positionen einschließe (vgl. Kotthoff 1994: 162f.). Ähnlich wie Goffman macht auch die Psychologin Nancy M. Henley in ihrem Werk Körperstrategien. Geschlecht, Macht und nonverbale Kommunikation (1989)49 auf die hierarchischen Strukturen körpersprachlicher Prozesse aufmerksam. Dabei analysiert sie vor allem die Aspekte Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Gesten, Berührungen, BlickelAugenkontakt und räumliches Verhalten, wobei sie Berührungen und Blicke als "Schwergewichte nonverbaler Kommunikation" (Henley 1989: 221) bezeichnet. In ihrer Untersuchung 50 hebt sie hervor, dass geschlechtsspezifische Körpersprache eine zentrale Rolle spielt, wenn es darum geht, Dominanzpositionen zwischen den Geschlechtern zu manifestieren (vgl. Henley 1989: 258). Bezüglich hierarchischer Geschlechtercodes betont sie: "Dieselben Verhaltensweisen, die der Überlegene dem Unterlegenen zeigt, sind jene, die auch Männer gegenüber Frauen zeigen; und Frauen zeigen Männem gegenüber die Verhaltensweisen, die charakteristisch für das Verhalten eines Unterlegenen gegenüber einem Überlegenen sind." (Henley 1989: 259) In der Folge behandelt die Autorirr unterschiedlichste Dominanz- und Unterwerfungsgesten, die sie mit den Kategorien Geschlecht, Rasse und soziale Schicht in Beziehung setzt. Als Dominanzgesten führt sie beispielsweise das Zurücklehnen des Oberkörpers in der Sitzhaltung und das gleichzeitige Verschränken der Hände hinter dem Kopf auf. Auch das Auf-dieHüfte-Stemmen der Hände stehe für eine gebieterische Haltung (vgl. Henley 1989: 186). Eine weitere Dominanzgeste sei die bildliehe In-Besitz-Nahme bestimmter Objekte und Personen durch einnehmende Körpergesten, z.B. das Legen des Beins über die Sessellehne oder das Platzieren des Fußes auf dem Schreibtisch etc. Besitzrechte am anderen würden zudem durch Gesten wie das Herumlegen des Arms um die Taille des anderen oder das Halten der Hand symbolisiert. Die Autorirr betont, dass bei Dominanzgesten die Hände meist eine zentrale Rolle spielten, wobei sie auf die Geste des "Spitzdaches" (Begriff von Birdwhistell, zit. n. Henley 1989: 189) verweist, die als Demonstration von Herrschaftsansprüchen gelesen werden kann. Dabei werden die Fingerspitzen der Hände so zusammengelegt, dass sich ein Spitzdach ergibt. Diese Geste stehe für Überheblichkeit, Selbstsicherheit, Stolz und Ego49
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1977 unter dem Titel Body Politics.
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Henley führte verschiedene Forschungsprojekte zu nonverbaler Kommunikation und Macht durch (u.a. während ihres postdoktoralen Jahres an der Harvard Universität) und beobachtete zahlreiche Versuchspersonen. Zudem greift sie u.a. auf die Studien von Erving Goffman, Roger Brown und Ray Birdwhistell zurück, auf deren Werke sie ihre Thesen aufbaut (vgl. Henley 1977: l 0).
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ismus und sei ein Zeichen, das eher in Männlichkeitsinszenierungen benutzt werde. Als Unterwerfungspose führt Henley dagegen die traditionell-weibliche Kopfhaltung an, die aus einer Schräghaltung des Kopfes (Kehlpräsentation) mit gleichzeitig gesenktem oder bewunderndem Blick bestehe. Im Unterschied dazu würden Männer auf Porträts eher mit einer geraden und frontal in die Kamera blickenden Kopfhaltung präsentiert. Als weiteres submissives Körpersymbol gelte zudem das Dauerlächeln bei Frauen, das beschwichtigend und beruhigend auf Betrachterinnen wirke. Henley verweist in ihrer Studie darauf, dass Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsbilder ungleiche Rollenzuschreibungen vornähmen und über die wiederholte Darstellung festigten. Sie betont: "Wenn mit den Signalen des einen Geschlechts typischerweise Submission verlmüpft ist, mit denen des anderen Dominanz, dann handelt es sich hier weniger um Geschlechtsdarstellung, sondern um die Zurschaustellung von Macht." (Henley 1989: 202) Die Autorirr fragt damit immer wieder nach der Beziehung zwischen geschlechtsspezifischer Körpersprache und der Erhaltung des Machtgefälles zwischen Männemund Frauen in westlichen Gesellschaften (vgl. Henley 1989: 232). In diesem Zusammenhang expliziert sie, dass "viele nonverbale Verhaltensweisen, die bedeutungslos zu sein scheinen und vermeintlich nichts mit Macht zu tun haben, in Wirklichkeit Ausdruck von Geschlechtsprivilegien" seien (Henley 1989: 268). Folglich diene das beharrliche Herausarbeiten der Geschlechterdifferenz auf visueller Ebene vornehmlich dazu, Kluften zwischen den Geschlechtern zu schaffen und zu vertiefen (vgl. Henley 1989: 198). Im Hinblick auf die subtile Wirkungsmacht nonverbalen Verhaltens verdeutlicht Henley: "Nonverbales Verhalten ist das Medium, durch das sich Menschen am leichtesten manipulieren lassen - es ist der Punkt, an dem soziale Kontrolle am unauffälligsten, aber doch sehr wirksam angesetzt werden kann, damit die Sozialstruktur intakt bleibt." (Henley 1989: 272) Auf dieser Ebene könne auf fast unbemerkte Art und Weise Einfluss auf gesellschaftliche Ordnungssysteme genommen werden. Bezüglich der Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern sei dies der ideale Ort, um bestehende Rangordnungen aufrechtzuerhalten und zu ,naturalisieren'. Dagegen erstellte Marianne Wex in jahrelangen fotografischen Studien rund 6000 Fotografien, mit deren Hilfe sie ,männliche' und ,weibliche' Körpersprache eingehend studierte. ln , Weibliche' und , männliche ' Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse (1979) richtet sie ihren Blick vor allem auf alltägliche Interaktionen zwischen Frauen und Männem. Sie unterscheidet zwischen zwei Kategorien von Körperhaltungen und Gebärden: solche, die gemeinsam mit Sprache auftauchen, und solche, die ohne Sprache zum Einsatz kommen. Wex interessieren vor allem unbewusste Bewegungen bzw. das unwillkürliche Einnehmen
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von Haltungen innerhalb kommunikativer Prozesse. In ihrer Studie geht sie von der These aus, dass Mädchen und Jungen von Kindheit an erlernen, sich unterschiedlich und in Abgrenzung voneinander zu bewegen und in Pose zu setzen. Beim Zusammentragen des Bildmaterials greift Wex außerdem auf massenmediale Körperbilder aus Zeitschriften, Katalogen etc. zurück. In ihrer Untersuchung stellt sie den medial inszenierten Bildern die ,unbewussten' Körperbilder gegenüber und kommt zu dem Schluss, dass sie sich kaum in Bezug auf Haltungen und Posen unterscheiden. Diese Erkenntnis führt bei Wex jedoch nicht zu der Frage, wie sich diese Parallelen genauer erklären lassen bzw. wie diese Analogien funktionieren. Sie stellt lediglich fest, dass medial präsentierte Weiblichkeits- und Männlichkeitsposen auch bei Frauen und Männern sichtbar werden, die sie im Alltag auf der Straße beobachtet und fotografiert. Der Akt des Fotografierens bleibt dabei stets unbemerkt, was bedeutet, dass sich die Personen auf der Straße nicht für die Fotografin in Szene setzten. Dennoch nahmen sie immer wieder Haltungen ein, die vor allem aus medialen Kontexten bekannt sind. Nach der Auswertung ihres umfangreichen Bildkonvoluts kann Wex festhalten, dass Frauen dazu tendieren, sich mit ihrem Körper eher schmal und klein zu machen, während Männer häufig raumgreifende Gesten und Haltungen einnehmen. Dementsprechend halten Frauen die Arme sehr eng am Körper und die Füße dicht zusammengestellt, wobei die Fußspitzen oft nach innen zeigen. Männer dagegen stehen eher breitbeinig mit dem Gewicht auf beiden Beinen gleichmäßig verteilt. Die Fußspitzen zeigen tendenziell nach außen. Zwar beobachtet Wex wenige Ausnahmen, bei denen Männer eher weiblich und Frauen eher männlich konnotierte Haltungen einnehmen, doch tauche dies vereinzelt bei Kindern, alten oder sozial schwachen Männern und Frauen auf. Wex beobachtet eine ,Unumkehrbarkeit' der geschlechtsspezifischen Körperhaltungen. Typische Männergesten, die ein zentrales Symbol für Herrschaftsansprüche darstellen, werden für Frauen insofern tabuisiert, als Frauen, die in raumgreifenden Dominanzhaltungen posieren, in den Medien meist als Sexobjekte ausgestellt werden. Auf diese Weise erscheinen die männlich kaunotierten Haltungen für Frauen tabuisiert. Wex' Studie kann als Bilderbuch bzw. Enzyklopädie geschlechtsspezifischer Körpersprache betrachtet werden. Im zweiten Teil ihrer Untersuchung analysiert sie körpersprachliche Aspekte im historischen Vergleich, wobei sie Fotografien aus dem eigenen Bildkonvolut mit Darstellungen aus unterschiedlichen historischen Epochen in Beziehung setzt. Dabei geht Wex von der Annahme aus, dass auch die Körpersprache einem historischen und gesellschaftlichen Wandel unterlegen ist. In der Auseinandersetzung und Gegenüberstellung historischer und zeitgenössischer Darstellungen kommt sie schließlich zu dem Ergebnis, dass es zu keiner Zeit so starke Differenzen in der Darstel-
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lung von Geschlechtlichkeit gegeben habe wie in ,aktuellen' 51 Abbildungen (vgl. Wex 1980: 202). Des Weiteren sollen auch die Studien der Psychologin Gitta Mühlen Achs fi.lr die vorliegende Untersuchung fruchtbar gemacht werden. 52 Mühlen Achs bezieht sich wie Henley in ihren körpersprachlichen Studien stark auf Goffmans Ansatz und beschreibt in Geschlecht bewusst gemacht. Körpersprachliche Inszenierungen (1998) und Wer führt ? Körpersprache und die Ordnung der Geschlechter (2003), wie Geschlecht auf visueller Ebene immer wieder bewusst oder unbewusst inszeniert wird. Außerdem macht sie deutlich, wie die Ordnungskategorie Geschlecht in medialen Darstellungen als wichtigster Bezugspunkt gesetzt wird. Anhand von Bildmaterial aus Tageszeitungen, Illustrierten und Katalogen untersucht Mühlen Achs Männlichkeits- und Weiblichkeitsdarstellungen nach Körperhaltungen, Gestik, Mimik, Blick etc. und kritisiert dabei die Konstruktion von weiblichen und männlichen Stereotypen53, die asymmetrische Machtverhältnisse und gesellschaftliche Positionen verfestigen. Sie verdeutlicht ferner, wie normativ und divergierend die gesellschaftlichen Glaubensvorstellungen bezüglich der visuellen Darstellung von Männern und Frauen gesetzt werden tmd zeigt auf, inwiefern soziale Erwartungen und Rollenzuschreibungen durch den Einsatz von Körpersprache zum Ausdruck kommen. Wie Goffman ist Mühlen Achs der Auffassung, dass massenmediale Geschlechterbilder nicht losgelöst von bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnissen behandelt werden können. In ihren Untersuchungen macht sie auch auf die verschiedenen Ebenen der Medienproduktion und -bearbeitung aufmerksam, die sich fest in ,männlicher Hand' befänden. Dabei geht sie davon aus, dass mediale Frauenbilder vornehmlich männliche Phantasievorstellungen spiegeln: "So ist das ,Bild der Frau' [ ... ] gerrau genommen das Bild des Mannes von der Frau." (Ebd.: 15) Und an anderer Stelle unterstreicht sie:
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Wobei ,aktuell ' hier die Abbildungen der 1970er und I 980er Jahre meint. Mühlen Achs bezieht sich u.a. auf massenmediale Fotografien aus den Printmedien (Zeitschriften, Kataloge etc.) sowie auf die Untersuchungen aus ihren Seminaren zu Körpersprache, Macht und Geschlecht an der Universität München, in welchen die Teilnehmerinnen Rollenspiele durchführten, die aufVideo aufgenommen und anschließend analysiert wurden (vgl. Mühlen Achs 1998: 111 f.).
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In Bezug anf die Funktion von Stereotypen erklärt Mühlen Achs: "Selbstverständlich reflektieren Stereotype nicht die Realität. Aber sie eignen sich in ganz besonderer Weise dazu, Ideale zu zementieren und auch über den Ablauf ihres gesellschaftlichen Haltbarkeitslimitshinaus zu konservieren." (Mühlen Achs 1998: 15)
50 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT "Die geschlechtsspezifische Medienforschung deckt auf, daß der mediale Blick auf die Welt und die Frauen ein grundsätzlich männlicher und heterosexueller Blick ist. Als hegemonialer male gaze gibt dieser Blick seine Lesart der Texte als Norm vor, der sich subdominante
Männergrnppen (Schwule, Schwarze, Behinderte etc.) wie natürlich die insgesamt als subdominant betrachtete Gruppe der Frauen zu unterwerfen haben." (Mühlen Achs 1998: 37)
Mühlen Achs verdeutlicht, dass sich vor allem im angloamerikanischen Raum eine feministische Medienwissenschaft herausgebildet habe, die sich vornehmlich auf die (filmwissenschaftlichen) Theorien von Laura Mulvey (1980) und E. Ann Kaplan (1984) bezögen. Innerhalb dieses feministischen Medienzweigs würden Frauen- bzw. Geschlechterbilder in den Medien wie folgt begriffen: "Das Frauenbild wird [ ...] als signifikantes Zeichen eines bestimmten Geschlechterverhältnisses verstanden [... ]. Die Geschlechterstereotypen werden gesellschaftlich als integrale Elemente eines Konzepts aufgefaßt, das beide Geschlechter, und zwar in Abhängigkeit voneinander, definiert und festlegt. Die Medien selbst werden als ein politisches System von Repräsentationen verstanden, das auf der Basis von geschlechtsklassenspezifischen Zeichen funktioniert, d.h. von Zeichen, die jene Aspekte von ,Weiblichkeit' und ,Männlichkeit' signifizieren, durch die die herrschende Ordnung der Geschlechter aufrecht erhalten wird." (Mühlen Achs 1995: 21)
Die Autorirr hält fest, dass Diskriminierung auf visueller Ebene häufig auf subtile Art und Weise passiere, da sich hierarchische Körperposen von Dominanz und Unterordnung bereits von Kindheit an in die Körpersprache der Geschlechter einschreiben und als ,natürlich' empfunden werden (vgl. Mühlen Achs 1998: 64). Die Ungleichheit der Geschlechter werde damit keineswegs nur oberflächlich hergestellt und beruhe auch nicht auf banale Herrschaftsansprüche einzelner Männer. Vielmehr werde sichtbar, wie stark genormtes bzw. genderisiertes Körperverhalten im Zweigeschlechtersystem verankert sei und wie stark sich patriarchal strukturierte Machtverhältnisse über die geschlechtsspezifische Körpersprache äußerten. Auf den meisten Bildern werde immer wieder die allgemeine Vorstellung bestätigt, dass Männerund Frauen von ,Natur' aus verschieden seien: Frauen seien emotional und beziehungsorientiert, Männer dagegen aggressiv und rational. Bei der Darstellung dieser Merkmale funktioniere der Körper als symbolische Ausdrucksform, in die sich gesellschaftliche und kulturelle Vorstellungen einschreiben. Ausschlaggebend erscheint die Tatsache, dass dieser Prozess des Einschreibens mit den Mitteln der ,Verinnerlichung' und ,Naturalisierung', d.h. auf eine unbewusste Art passiere, die
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weder direkt mit Macht noch mit dem Zwang gesellschaftlich vorgegebener Rollenklischees in Verbindung gebracht werde (vgl. Mühlen Achs 1998: 16). In diesem Zusammenhang verweist die Autorirr auch auf das "Kriterium der Unumkehrbarkeit" (ebd.: 42) der Geschlechterdarstellungen, d.h. auf die Tatsache, dass bestimmte Körperposen und Haltungen geschlechtsspezifisch sind und nicht ohne weiteres vom jeweils anderen Geschlecht adaptiert werden können. 54 Erst durch dieses Prinzip der lrreversibilität würden Körperzeichen eine soziale Bedeutung erlangen und auf die Ungleichheit der Geschlechter verweisen. Nachdem in Kapitel I die Forschungsfragen, das Quellenmaterial und die theoretische Verortung bzw. die Perspektive, aus der heraus auf die Bilder geblickt werden soll, veranschaulicht wurden, soll das nun folgende Kapitel die spezifischen Eigenschaften des Mediums Bild bzw. Fotografie beleuchten.
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Mühlen Achs bezieht sich an dieser Stelle auf Goffman, der bereits auf die ,Unumkehrbarkeit' einiger Geschlechtsmarker verwies. Ihr geht es in ihren Analysen jedoch in erster Linie darum, diese ,Unumkehrbarkeit' der Geschlechterbilder in Frage zu stellen und aufzulösen, um Frauen und Männern aufkörpersprachlicher Ebene eine Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten zugänglich zu machen.
2 Überlegungen zur Analyse fotografischer Bilder
Im Folgenden soll auf die besonderen Eigenschaften fotografischer Bilder eingegangen werden, um ihre spezifischen Qualitäten im Unterschied zu anderen Bildquellen zu beleuchten. Zunächst wird auf den speziellen Umgang mit historischen Bildquellen bzw. Fotografien aufmerksam gemacht. Anschließend soll auf den Wirklichkeitsanspruch fotografischer Bilder Bezug genommen werden, um das Verhältnis von Fotografie und Kunst zu fokussieren. Des Weiteren rücken die ,inszenierte Fotografie' und die fotografische Pose in den Mittelpunkt des Interesses, da sie im Kontext der vorliegenden Untersuchung und des ausgewählten Quellenmaterials eine besondere Rolle spielen. Abschließend wird die Bildinterpretationsmethode, die innerhalb der Forschungsarbeit von Relevanz ist, vorgestellt.
2.1 DAS (FOTOGRAFISCHE) BILD ALS HISTORISCHE QUELLE "Bilder sind unverzichtbare historische Quellen, die nicht einfach sprachliche Überlieferung ergänzen, sondern z.B. durch ihre Eigenart, auf sonst u.U. nicht explizierte Erwartungen, Ängste und Wertvorstellungen bzw. auf sonst kaum in Quellen fassbare Bevölkerungsgruppen aufmerksam zu machen, einen eigenständigen Beitrag zur Erforschung historischer Vergangenheit darstellen." (Talkenberger 1997: 2 1f.)
Da in der vorliegenden Untersuchung ausschließlich auf historisches Bildmaterial zurückgegriffen wird, soll im Folgenden kurz auf den Umgang und die Interpretation mit geschichtlichen Bildquellen eingegangen werden. Historische Bilddokumente sollten möglichst im Kontext ihrer Entstehungs-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen (sofern bekannt) beschrieben und ausgewertet werden. Eine sozialge-
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schichtliehe Einbettung der Bilder ist auch insofern zentral, als die visuellen Dokumente auf Wunschvorstellungen und Bestrebungen der jeweiligen Zeit verweisen können. Diesbezüglich sollte für die Auswertung der Ergebnisse aus den Einzelbildanalysen auch vergleichbares Quellenmaterial der jeweiligen Epoche herangezogen werden, um die Verallgemeinerbarkeit der bildliehen Aussagen zu überprüfen. Bilder, also auch historische Bilder, sind nicht nur ,Abbilder' bestimmter Szenen, die sich vor der Kamera abspielten. Gleichzeitig muss der intentionale und manipulative Einsatz von Bildern in bestimmten Zusammenhängen reflektiert werden, zumal in der vorliegenden Forschungsarbeit ein Schwerpunkt auf ,öffentliche Bilder' aus den Printmedien gesetzt wird. Der Aspekt, dass Bilder nicht nur abbilden, sondern ihrerseits realitätsbildend sein können, darf bei der Interpretation historischer Darstellungen nicht außer Acht gelassen werden, da es hierbei vornehmlich um die Funktionen geht, die Bilder im jeweiligen Kontext erfüllen. In diesem Zusammenhang betont Heike Talkenberger:
"Bilder sind nicht nur Reflex der Realität, sondern sie beeinflussen den historischen Prozeß, indem sie Bewußtsein bilden und artikulieren helfen. Sie ,machen' Meinung, schüren Angstvorstellungen oder bieten gezielte Gegenbilder zur herrschenden gesellschaftlichen Wirklichkeit. Stets muß ihr Verhältnis zur Realität genau ausgelotet werden und stets gilt, daß im wissenschaftliehen Umgang mit Bildern eine besondere Sorgfalt angewandt werden muß, wie dies bei Textinterpretation doch schon eher verbreitet ist." (Talkenberger 1997: 22)
An anderer Stelle expliziert die Autorirr den wichtigen Stellenwert von Bildern als Phantasieproduzenten: "Es gilt, in der historischen Forschung den Quellen mehr Gewicht einzuräumen, die sich mit der Phantasieproduktion einer Gesellschaft befassen, mit dem Ringen um Bedeutungen und der Bildung von Bewußtsein." (Talkenberger 1994: 313) Bilder bzw. Fotografien können so über ihren Abbildcharakter hinaus auch als Projektionsfläche gesellschaftlicher Imaginationen und als Mythenproduzenten begriffen werden. In ihnen manifestieren sich Hoffnungen, Ängste und Visionen einer Gesellschaft. Sie können vor bestimmten Lebensentwürfen warnen oder zum Nachahmen derselben auffordern, genauso wie sie als Medium begriffen werden müssen, das gesellschaftliche Veränderungen zu reflektieren und zu verarbeiten vennag. Die soziale Praxis des jeweiligen Bildgebrauchs muss deshalb bei der Interpretation der Darstellungen berücksichtigt werden. Die Fotografie lediglich als , Spiegel der Gesellschaft' zu fassen, wäre demnach zu kurz gedacht (vgl. Kapitel 2.2). Der Historiker Gerhard Paul erklärt, indem er auf den Kunsthistoriker Horst Bredekamp Bezug nimmt, "dass Bilder[ ...] zur Welt der Ereignisse in einem
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gleichermaßen reagierenden wie gestaltenden Verhältnis stehen, Geschichte nicht nur passivisch widerspiegeln, sondern als Bildakte selbst zu prägen vermögen" (Paul 2006: 18). Ferner macht Paul auf die Dialektik von äußeren und inneren Bildern aufmerksam, d.h. auf die Frage, "wie bestimmte äußere Bilder mentale Bilder generieren bzw. wie die existierenden inneren Bilder die Rezeption der äußeren Bilder leiten und diesen einen spezifischen Sinn vermitteln" (ebd.). Nach obigen Überlegungen darf die Interpretation massenmedialer und künstlerischer Bildquellen der 1920er und 1930er Jahre nicht aus den damaligen soziokulturellen Kontexten herausgerissen werden. Auch aufgrund der kulturellen Kontrastierung des Bildmaterials ist es unabdingbar, die jeweilige gesellschaftliche bzw. politische Situation in Deutschland und Spanien zu reflektieren. Talkenherger verdeutlicht, dass bei der "Historisierung der Wahrnehmung" (Talkenberger 1990: 46) sowohl heutige Rezipientlnnen, die einen Zugang zu damaligen Interpretationen finden müssen, als auch damalige Rezipientinnen und ihr Zugang zu Bildquellen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden müssen. Auch der Kunsthistoriker Otto Pächt macht auf die Einbettung des historischen Bildmaterials in seine je spezifischen soziokulturellen Zusammenhänge und Rezeptionsweisen aufmerksam:
"Vor allem ergibt sich ... für die Kunstwissenschaft unweigerlich die Forderung, sich mit dem bildliehen Vorstellungskreis der betreffenden Kulturgemeinschaft oder Epoche, die man studieren will, so gut wie möglich vertraut zu machen, um jenes Wissen m erwerben, das in unseren Sehorganen eingebaut sein muß, soll das Wahrnehmungserlebnis dem gleichen, welches der Schöpfer des Kunstwerkes und sein Publikum bei seiner Entstehung gehabt hat." (Pächt 1977: 369)
Obwohl Pächt sich hier auf die Betrachtung und Interpretation von einzelnen Kunstwerken bezieht, können seine Überlegungen auch auf die Untersuchung massenmedialer Bilder übertragen werden. Hierbei sollten die jeweiligen Produktionsund Distributionsbedingungen der Bildquellen Berücksichtigung finden. Ebenso muss auf damalige bildwissenschaftliche Diskurse Bezug genommen werden, um Interpretationen zu ermöglichen, die aus heutiger Sicht unbeachtet bleiben würden. Gerhard Paul schlägt vor, den Begriff , Visual History' als Sammelbegriff für sämtliche Forschungen in den Bereichen historische Bildkunde, historische Medienforschung und Visualität der Geschichte (vgl. Paul 2006: 25) zu begreifen. Bezüglich der Ziele einer solchen ,Visual History' fUhrt er aus:
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"Letztlich geht es darum, Bilder über ihre zeichenhafte Abbildhaftigkeit hinaus als Medien zu untersuchen, die Sehweisen konditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen, historische Deutungsweisen transportieren und die ästhetische Beziehung historischer Subjekte zu ihrer sozialen und politischen Wirklichkeit organisieren. Visual History ist somit mehr als die Geschichte der visuellen Medien; sie umfasst das ganze Feld der visuellen Praxis der Selbstdarstellung, der Inszenierung und Aneignung der Welt sowie schließlich die visuelle Medialität von Erfahrung und Geschichte." (Paul2006: 25)
Die ,Visual History' gehe damit weit über den Prozess der reinen Bildinterpretation hinaus und sei damit "ein Aufruf zur interdisziplinären Zusammenarbeit" (Jagschitz 1991: 46). Zudem macht der Bildwissenschaftler Gerhard Jagschitz darauf aufmerksam, dass es "vieler Zugänge und Kenntnisse [bedarf], um der Photographie ihre Botschaften und Geheimnisse zu entreißen" (ebd.). Auch die Geschichtswissenschaftlerin Martina Heßler untersucht in ihren Studien nicht nur die Bilder selbst, sondern fragt nach den Funktionen und Bedeutungen der visuellen Quellen in ihren jeweiligen historischen Kontexten. Sie erklärt: "Zu fragen ist nach dem Status von Bildern in einer Kultur, nach den Produzenten und Rezipienten von Bildern, ihrem Gebrauch und schließlich nach den Bildern und ihren Spezifika selbst." (Heßler 2006: 77) Die , Visual History' liefere damit zwar keine abgeschlossene Methode, doch versuche sie einen Rahmen für verschiedene interdisziplinäre Herangehensweisen in Bezug auf die Forschung mit historischem Bildmaterial bereitzustellen (vgl. ebd.). Auch in der vorliegenden Studie wird es darum gehen, einen interdisziplinären Ansatz zu nutzen, um das zu analysierende Bildmaterial aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Damit die Wirkungsmacht historischer Bilder in ihren ursprünglichen Zusammenhängen für heutige Betrachterinnen nachvollziehbar gemacht werden kann, ist es wichtig, auch die damalige Rezeption populärer Darstellungen zu berücksichtigen. Bezogen auf die massenmedialen Bildquellen, die für die vorliegende Studie von Interesse sind, müsste deshalb einbezogen werden, wie diese von Zeitgenossen rezipiert wurden und welche Bilder u.U. zu Diskussionen bzw. Skandalen führten, obwohl sie vielleicht für unser heutiges Bildverständnis nichts Provokatives mehr beinhalten. Demnach müssten auch die Wert- bzw. Normvorstellungen und die Codes der jeweiligen Epoche in Bezug auf die Kategorie Geschlecht reflektiert werden, um zu verstehen, wie Bilder eingesetzt wurden. Wie Ulla Wischermann betont, ist historische Rezeptionsforschung, die zudem noch einen geschlechtsspezifischen Fokus setzt, in aktuellen Untersuchungen eher selten anzutreffen (vgl. Wischermann 1996: 133). Dies liegt u.a. daran, dass sich die geschichtliche Rezeptionsforschung auf mehrdimensionalen Ebenen ihrem Gegenstand nähern muss, da be-
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stimmte Methoden der aktuellen Rezeptionsforschung, wie Befragungen und Beobachtungen, für historische Untersuchungen nicht mehr anwendbar sind. Demnach müssen Hinweise und Informationen gesammelt werden, die eine historische Spurensuche ermöglichen. Ziel der aktuellen und der historischen Rezeptionsforschung sei es, so Wischermann, "über die Erforschung der reinen Mediennutzung hinauszugehen und den Prozeß der Rezeption in seiner Komplexität zu untersuchen, also Fragen nach Umfang, Art, situativen Bedingungen des Medienkonsums zu stellen und gleichzeitig die schwierigen Bereiche der Aneignung und Verarbeitung der Medieninhalte im Spannungsfeld von Selektion, Identifikation und Distanzierung anzugehen" (Wischermann 1996: 134). Dies wird für die vorliegende Arbeit nicht zu leisten sein, zumal der Schwerpunkt auf die Analyse und Interpretation des fotografischen Bildmaterials gesetzt ist. Doch soll eine Rezeption der massenmedialen Bilder insofern berücksichtigt werden, als in Kapitel 4 der Untersuchung die Selbstinszenierungen deutscher und spanischer Künstlerinnen in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit geraten und als künstlerische Reaktionen auf massenmediale Geschlechterbilder interpretiert werden. Hierzu soll eine Beziehung zwischen den massenmedialen Weiblichkeitsbildern aus den damaligen Printmedien und den fotografischen Selbstdarstellungen der Künstlerinnen hergestellt werden. Von besonderem Interesse ist bei der Analyse der künstlerischen Darstellungen, welche Frauenbilder die Fotografinnen als thematisierungswürdig betrachteten und wie sie die massenmedialen Bilder in ihren Kunstwerken aufgriffen. Dabei lassen die Kunstprodukte bereits vielfältige Aussagen darüber zu, inwiefern damalige Weiblichkeitsbitder von den Künstlerinnen akzeptiert bzw. verworfen wurden und wie sie sich insgesamt mit den kollektiven Bildern aus den Printmedien in Beziehung setzten.
2.2
FOTOGRAFIE UND WIRKLICHKEIT
"Es herrscht so etwas wie eine grundsätzliche Übereinstimmung darüber, daß das fotografisehe Dokument die Welt getreu wiedergibt. Eine außerordentliche Glaubwürdigkeit wurde ihm zugesprochen, ein einzigartiges Gew icht der Wirklichkeit. Und diese der Fotografie unterstellte Wirklichkeitsnähe, dieses unantastbare Vermögen, Zeugnis ablegen zu können, beruht hauptsächlich darauf, daß man sich des mechanischen Herstellungsprozesses des fotografischen Bildes und der spezifischen Weise seiner Konstituierung und Existenz bewußt ist, beruht auf dem Wissen vom sogenannten Automatismus seiner technischen Genese ." (Dubois 1998:29)
ÜBERLEGUNGEN ZUR ANALYSE FOTOGRAFISCHER B ILDER
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Mit der Erfindung der Fotografie im Jahre 1839 1 entstanden erste theoretische Diskurse über das neue Medium. Im primären Diskurs des 19. Jahrhunderts wurde das fotografische Lichtbild als "perfekte Imitation der Wirklichkeit" (Dubois 1998: 31) betrachtet. So glaubte man mit Hilfe der Fotografie die Realität ,objektiv' nachbilden zu können, wobei die fotografische Darstellung als uneingeschränkte ,Wahrheit' aufgefasst wurde. Der Medienwissenschaftler Philippe Dubois erklärt, dass aus den ersten fotospezifischen Diskursen hervorgehe, dass die Fotografie "dieses mimetische Vermögen ihrem technischen Wesen, ihrem mechanischen Verfahren, das es gestattet, ein Bild automatisch, objektiv und beinahe auf natürlichem Weg (einzig nach den Gesetzen der Optik und Chemie) entstehen zu lassen" (ebd.), verdanke. Damit standen vor allem der technische Apparat und das Ergebnis, d.h. das fotografische Bild im Fokus des Interesses und weniger der fotografische Akt als solcher. Der Fotograf/die Fotografin und seine/ihre je subjektive Art, die Dinge zu betrachten und fotografisch festzuhalten, fand anfangs kaum Berücksichtigung. Ebenso wenig wurde die Beziehung zwischen Fotograf/Fotografin, Modell und Betrachterinnen reflektiert. "Der Fotograf galt als scharfsinniger Beobachter, der sich niemals selber einmischt - als Kopist, nicht aber als Poet." (Sontag 1996: 87) In diesem Kontext wurde die Fotografie auch nicht als schöpferischer Akt betrachtet, weshalb gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine eigenständige Diskussion darüber entstand, ob bzw. inwiefern die Fotografie im Hinblick aufihre spezifischen Eigenschaften zur Kunst gehören könne (vgl. Kapitel2.3). Im ersten Diskurs wurden Fotografien demnach als ,Abbilder der Realität' gesehen, die die empirische Wirklichkeit scheinbar naturgetreu widerspiegelten. Sie wurden als Beweise begriffen, "um die Welt zu zeigen wie sie ist".2 Dubois fasst es wie folgt zusammen: "Das Foto gilt als eine Art notwendiger und zugleich ausreichender Beweis, der unzweifelhaft die Existenz dessen, was er zu sehen gibt, beAls Erfinder gelten in Frankreich der Maler Louis J. M. Daguerre und in England der Wissenschaftler William Henry Fox Talbot Beide nahmen zur gleichen Zeit Versuche vor, um die flüchtigen Bilder, die in der camera obscura entstanden, dauerhaft zu fixieren (vgl. u.a. von Brauchitsch 2002: 29ff.). 2
Vor allem die Bildjournalistinnen und Dokumentarfotografinnen der 1920er und 1930er Jahre arbeiteten unter dem Motto: "Wir fotografieren die Welt, so wie sie ist." Beispielsweise erklärte der deutsche Fotograf August Sander in seinem Werk Menschen des 20. Jahrhunderts (1927) als Ziel seiner fotografischen Arbeit, "die Dinge so zu sehen, wie sie sind und nicht wie sie sein sollen oder können" (Sander 1927 zit. n. Sander/Keller (Hg.) 1980: 7). Dass der jeweilige Ausschnitt jedoch von den Bildproduzentinnen sehr subjektiv gewählt wurde und nur einen winzigen Teil der Wirklichkeit repräsentierte, blieb dabei unreflektiert.
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zeugt." (Ebd.: 29) Und Susan Sontag erklärt: "Eine Fotografie gilt als unwiderleglieher Beweis daftir, daß ein bestimmtes Ereignis sich tatsächlich so abgespielt hat. Das Bild mag verzerren; immer aber besteht Grund zu der Annahme, dass etwas existiert - oder existiert hat - , das dem gleicht, was auf dem Bild zu sehen ist." (Sontag 1980: 11 f.) Dieser Diskurs zur Wirklichkeitstreue bzw . Mimesis der Fotografie prägt vor allem das 19. Jahrhundert, ist aber im 20. Jahrhundert keineswegs obsolet. Auch in den 1920er und 1930er Jahren, in denen der Zweig des Fotojournalismus bzw. die illustrierte Berichterstattung florierte und fotografische Pressebilder in den Massenmedien eine starke Verbreitung fanden, wurde die Fotografie häufig als Beweis für etwas, was sich vor der Kamera abgespielt hatte, und als objektive , Wahrheit' begriffen. Das Pressebild galt als unbearbeiteter ,Schnappschuss' der Realität. Auch die fotografischen Porträts aus den Massenmedien, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ausgewählt wurden, müssen vor dem Hintergrund der Diskussion um die dokumentarische Wirklichkeitstreue von Fotografien betrachtet werden. Denn obwohl die Fotografien aus den Zeitschriften meist stark inszeniert, retuschiert bzw. manipuliert waren (vgl. Kapitel 3.2.1 ), wurden sie den Betrachterinnen als ,Wahrheiten' verkauft. Beispielsweise gaben die Werbebzw. Filmschönheiten, die verschiedene Schönheitsprodukte bewarben, visuell zu verstehen: "Seht her, ich sehe so gut aus, weil ich dieses Produkt benutze." Und als weitere Botschaft wurde vermittelt: "Auch die Leserirr kann so schön werden, wenn sie unsere Ratschläge befolgt und unsere Produkte konsumiert." Da die Retuscheverfahren nicht öffentlich kenntlich gemacht wurden, gingen die Leserinnen von der unmittelbaren Glaubwürdigkeit und Beweiskraft der fotografischen Bilder aus. Im zweiten Diskurs um die Fotografie, der vornehmlich im 20. Jahrhundert geführt wurde, ging es vor allem um die transformierende Kraft fotografischer Bilder 3 3
In diesem Zusammenhang erklärt Susan Sontag: "Die Nachricht, daß die Kamera lügen könne, sorgte daftir, daß es sehr viel populärer wurde, sich fotografieren zu lassen." (Sontag 1980: 85). Der manipulative Eingriff in das Bild, der es erlaubte, die Fotografien nach eigenen, ,verschönernden' Aspekten zu gestalten, trug demnach ebenfalls zum Erfolg des fotografischen Bildes bei. Zum Einsatz der Fotografie entweder als manipulative Verschönerung der Welt oder als ,wahrhafte' Wiedergabe der empirischen Wirklichkeit expliziert Sontag: "Die Geschichte der Fotografie könnte zusammengefaßt dargestellt werden als die Geschichte des Gegensatzes zwischen zwei Geboten: dem Gebot der Verschönerung, das sich von den schönen Künsten herleitet, und dem der Wahrhaftigkeit, die nicht nur an dem Begriff der wertfreien Wahrheit gemessen wird, wie ihn die Naturwissenschaft geprägt hat, sondern auch an dem moralistischen Ideal der Wahrhaftigkeit, das auf literarische Vorbilder des 19. Jahrhunderts und die (damals) neue Gattung des unabhängigen Journalismus zurückgeht." (Ebd.)
ÜBERLEGUNGEN ZUR ANALYSE FOTOGRAFISCHER B ILDER
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und darum, dass diese keineswegs objektiv die Wirklichkeit widerspiegelten, sondern im Gegenteil nur einen subjektiven Ausschnitt der Realität (ausgewählt von der Fotografin/dem Fotografen) repräsentierten. Dieser Ausschnitt konnte zudem nachträglich manipuliert worden sein (durch Retuscheverfahren, digitale Bildbearbeitung etc.), was die Bildproduzentinnen und -bearbeiter stärker in den Vordergrund rückte4 und zu der Frage führte, welche unterschiedlichen Funktionen fotografische Bilder übernehmen konnten. In diesem Zusammenhang muss reflektiert werden, dass z.T. erst über die medialen Darstellungen ,Wahrheiten' produziert und Meinungen gemacht wurden, die sich wiederum auf die Lebenswirklichkeiten der Betrachterinnen auswirken konnten (vor allem wenn sie als objektive ,Wahrheiten' angenommen wurden). 5 Dubois spricht von der Fotografie als Medium, das seinerseits die Realität transformiere (vgl. Dubois 1998: 30) und hochgradig codiert sei (kulturell, gesellschaftlich, ästhetisch etc.). Er verdeutlicht, dass im 20. Jahrhundert die Vorstellung von der Fotografie als ,Kopie der Wirklichkeit' durch die Idee der Fotografie als ,Transformation des Wirklichen' langsam abgelöst wurde (ebd.: 41). Auch Michael Köhler erklärt in Bezug auf die Fotografie als transformierendes Instrument: "Fotografien sind zwar Wiedergaben eines bestimmten Wirklichkeitsausschnitts, überdies die detail-und formgetreuesten, die sich denken lassen. Aber: die Wirklichkeit ist dreidimensional, farbig und in ständigem Fluß. Das Foto dagegen unveränderlich, zweidimensional, eine rechteckige Fläche ohne Geruch und Geräusch. Streng genommen ist danach kein Foto eine ,objektive' Wiedergabe der Wirklichkeit. Alle Fotos sind vielmehr Transformationen von Wirklichkeit, und zwar Transformationen nach Maßgabe der optischen und chemischen Gesetze des fotografischen Prozesses wie der ästhetischen Präferenzen des Fotografen." (Köhler 1989: 27)
4
Viiern Flusser erklärt in Bezug auf die Beziehung zwischen Bildproduzentinnen und Fotokamera: "Das Spiel mit Symbolen ist Machtspiel geworden- ein hierarchiches Machtspiel: Der Fotograf hat Macht über den Betrachter seiner Fotografien, er programmiert ihr Verhalten; und der Apparat hat Macht über den Fotografen, er programmiert seine Gesten." (Flusser 1999: 29)
5
Gefährlich ist vor allem, wenn (digitale) Veränderungen an Fotografien nicht kenntlich gemacht werden und di e Bilder als uneingeschränkte ,Wahrheiten' gelten. Wenn beispielsweise Frauenkörper (digital) so verändert werden, dass sie nicht mehr überlebensfähig wirken, sie aber trotzdem als Schönheitsideale vorgeführt werden.
60 I FOTOGRAFISCHE
INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
Der Autor verdeutlicht damit, dass die Fotografie nicht mehr als ,neutraler' Spiegel der Wirklichkeit, sondern vielmehr als Medium betrachtet werden müsse, das die empirische Wirklichkeit umgestalte. Dass das fotografische Bild kulturell codiert ist bzw. die Bedeutung von fotografischen Botschaften erlernt werden muss, wird auch daran deutlich, dass einige Naturvölker beispielsweise ihnen bekannte Personen auf Fotografien nicht wieder erkennen (vgl. Dubois 1998: 46). 6 Sie können die Zeichen auf dem Fotopapier nicht deuten, bevor ihnen diese nicht erklärt werden. In der Diskussion um die Fotografie als codierte und transformierte Darstellung geht es nach Dubois darum, "Mißtrauen anzumelden gegen die Objektivität, Neutralität und Natürlichkeit des Mediums Fotografie bei seiner Reproduktion der empirischen Wirklichkeit. Dieses Misstrauen stützt sich auf (oder erzeugt) den Glauben an eine eigentliche und innerliche, verinnerlichte Wahrheit, die sich nicht mit dem äußeren Anschein des Wirklichen deckt." (Dubois 1998: 48) Dubois knüpft daran anschließend an eine dritte fotografische Konzeption an, die seit den 1990er Jahren diskutiert wird: die "Fotografie als Spur eines Wirklichen" (vgl. ebd.: 49), womit er auf den Diskurs des ,Index' und der ,Referenz' Bezug nimmt. Das indexikalische Bild beschreibt dabei die Nähe zwischen dem Zeichen und seinem Referenten. Es hat insofern einen besonderen und einzigartigen Wert, "weil es einzig und allein von seinem Referenten determiniert ist" (ebd.). Denn trotz der Annahme der Codierung, Inszenierung, Konstruktion, Manipulation etc. von Fotografien bleibt ein Abdruck des referentiellen Gegenstandes, der immer wiederkehre. Allerdings gibt Dubois zu bedenken: "Man beachte allerdings auch, daß das Prinzip der Spur, so wesentlich es auch sein mag, nur ein Moment im gesamten fotografischen Ablauf ist. Denn vor und nach diesem Moment der natürlichen Einschreibung der Welt auf die lichtempfindliche Fläche gibt es zutiefst kulturelle, codierte, gänzlich von menschlichen Entscheidungen abhängige Gesten (davor: die Entscheidung für ein Sujet, für einen bestimmten Kameratypus, für den Film, die Belichtungsdauer, den Blickwinkel usw. - all das, was vor dem entscheidenden Moment liegt und schließlich im Druck auf den Auslöser gipfelt; danach: all diese Entscheidungen wiederholen sich beim Entwickeln und beim Abziehen; dann wird das Foto in die immer codierten und kulturellen Vertriebsmechanismen eingespeist- Presse, Kunst, Mode, Porno, Wissenschaft, Justiz, Familie). Nur zwischen diesen zwei Serien von Codes, allein im Augenblick der Belichtung selbst, kann das Foto als reine Spur eines Aktes (als Botschaft ohne Code) angesehen werden. Nur hier, aber wirklich nur hier greift der Mensch nicht ein und kann auch nicht eingreifen, da er andernfalls den grundlegenden Charakter der Fotografie modifizieren würde. Hier ist ein Riß, ein momentanes Aussetzen der Codes, ein nahezu reiner Index." (Ebd.: 54f.) 6
Dubois bezieht sich hier auf die Ausführungen von Allan Sekula (1982).
ÜBERLEGUNGEN ZUR ANALYSE FOTOGRAFISCHER B ILDER
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Der oben beschriebene kurze Moment der Belichtung wird also zum fotografischen Charakteristikum, das die Fotografie von der Malerei, der Zeichnung, der Lithographie etc. unterscheidet und ihn untrennbar mit seinen Referenten verknüpft. Das indexikalische Foto bestätigt demnach, dass sich etwas genauso vor dem Objektiv abgespielt hat, es sagt uns aber noch nichts über seine Bedeutung. ln der vorliegenden Arbeit wird es darum gehen, die visuellen Codes, die in den Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre in Verbindung mit Weiblichkeit gesetzt wurden, zu deuten und in damalige gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen. Durch die massenhafte Verbreitung von Fotografien (insbesondere von Weiblichkeitsdarstellungen) in illustrierten Zeitschriften entstanden neue Wahrnehmungs- bzw. Sehgewohnheiten und ein neuer Umgang mit Bildern. Fotografien entwickelten sich u.a. zu modernen Leitbildern, die auch auf die alltäglichen Handlungen der Rezipientinnen Einfluss nehmen konnten. 7 An der Authentizität bzw. dem Wahrheitsgehalt fotografischer Bilder (vor allem im Bereich der Bildreportage) wurde kaum gezweifelt und mit dem aufblühenden Fotojournalismus kamen Fotografien meist als Beweismittel zum Einsatz. Die Medienbilder gaben vor, die reale Welt ,objektiv' zu dokumentieren, d.h. auch die Situationen von Frauen und Männern jener Zeit wahrheitsgetreu widerzuspiegeln. Auf diese Weise begann man die Welt über fotografische Bilder und Reportagen zu erschließen und gab sich der lllusion hin, nicht auf eine zweidimensionale Fläche zu blicken, sondern auf einen unverfälschten Ausschnitt der Wirklichkeit. Vor allem die Starporträts eröffneten einen Zugang zu einer (Traum-)Welt. Sie boten eine Projektionsfläche an und weckten bei den Betrachterinnen ein Begehren, z.B. über die Präsentation von Luxusmoden und -objekten. So wurde eine Welt sichtbar, die noch unerreichbar schien, der man sich aber mit den Vorbildern und Ratschlägen aus den Zeitschriften schrittweise annähern konnte. Ging man ursprünglich davon aus, dass die Fotografie eine ,Kopie der Wirklichkeit' war und nur die Kamera bzw. die Technik die Entstehung eines Bildes ermöglichte, so rückte gegen Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt die Rolle der Fotograflnnen, die auf den Akt des Fotografierens gezielt Einfluss nahmen, in den Mittelpunkt des Interesses. Es wurde danach gefragt, inwiefern die Fotograflnnen auch Künstlerinnen waren. Mit dieser Überlegung begann eine lange Debatte darüber, ob die Fotografie als Kunst gesehen werden konnte und an welcher Stelle der Bildproduktion ein künstlerischer Prozess einsetzte bzw. die Handschrift der Foto-Künstle7
V gl. in diesem Zusammenhang u.a. die (Werbe-)Fotografi en im Bereich Kosmetik und Schönheitspflege, die die Rezipientinnen zum Kauf der Produkte bewegen sollten, um den dargestellten Modellen möglichst nahe zu kommen (z.B. Jean Harlow in D'Aci i
D'Alla, Herbst 1934 oder Norma Shearer in D'Aci i D'Alla, Februar 1930).
62 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
rinnen sichtbar wurde. Konnte kein künstlerischer Prozess ausgemacht werden, blieb der Fotograf/die Fotogratin lediglich ein "Assistent der Maschine" (vgl. Dubois 1998: 33). Im Folgenden soll näher auf die Frage eingegangen werden, inwiefern die Fotografie in den 1920er und 1930er Jahren als künstlerisches Medium betrachtet wurde.
2.3 FOTOGRAFIE UND KUNST Bereits im 19. Jahrhundert wurde zwischen der Fotografie als ,objektivem' bzw. wissenschaftlichem Medium, bei dem der mechanische Apparat im Vordergrund stand und die Ereignisse vor der Kamera ,wahrheitsgetreu' festhielt, und der Kunst bzw. der künstlerischen Produktion unterschieden. Bei Kunstproduktionen spielten stets die formenden Hände des Künstlers/der Künstlerin und seine/ihre Begabung eine wesentliche Rolle. Aufgrund der frühen Trennung zwischen Fotografie und Kunst wurde gewissermaßen ausgeschlossen, dass fotografische Produktionen auch eine künstlerische Qualität aufweisen konnten. Denn diese erschien schwer erkennbar, da man davon ausging, dass die Kamera das Bild erstellte. So entstand in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts (mit dem zunehmenden Einsatz des Mediums in künstlerischen Kontexten) ein heftiger Disput darüber, inwiefern Fotografien überhaupt zur Kunst gezählt bzw. als Kunstwerke betrachtet werden konnten. Die piktorialistische Fotografie versuchte beispielsweise durch eine formalästhetische Annäherung an die Malerei einen Kunststatus zu erlangen und die Fotografie als künstlerische Ausdrucksform zu legitimieren. Dabei wurden strikte Regeln bezüglich des Aussehens piktorialistischer Fotografien formuliert. Die Fotografie der ersten piktorialistischen Phase (ca. Mitte des 19. Jahrhunderts) musste narrative Qualitäten aufweisen (Walter 2002: 64f.). Außerdem zeichnete sie sich durch aufwendige Arrangements und durch einen starken Einsatz von Requisiten aus. Den Piktorialismus der zweiten Phase (ca. 1890-1919) dagegen kennzeichnete seine ästhetische Nähe zur Malerei, wobei er sich an Stilrichtungen wie dem Impressionismus und dem Symbolismus orientierte. Charakteristisch war hier der Einsatz von Weichzeichnern, die unscharfe und malerische Übergänge ermöglichten. Stilistisch zeichneten sich die piktorialistischen Bilder auch durch ihre ineinander laufenden Konturen und ihre zarten Töne aus (vgl. Walter 2002: 66). Sowohl der Piktorialismus der ersten als auch der der zweiten Phase zielte darauf ab, der Fotografie einen eigenen künstlerischen Wert bzw. einen autonomen
ÜBERLEGUNGEN ZUR ANALYSE FOTOGRAFISCHER B ILDER
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Kunstcharakter zuzusprechen. Die Verfremdungen, die die piktorialistische Fotografie vornahm, um sich stilistisch der Malerei anzunähern und damit einen Kunststatus zu erlangen, wurden aber vehement von Vertreterinnen der ,direkten' Fotografie kritisiert. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich eine sachlichmoderne Stilrichtung, die auch mit Begriffen wie ,reine' Fotografie, ,Neues Sehen', ,Neue Sachlichkeit' und ,Straight Photography' (USA) umschrieben wurde. Mit dem aufkommenden Fotojournalismus knüpfte man an das , Wahrheitsprinzip' der Fotografie an und versuchte die Welt zu zeigen, wie sie war. Stellvertretend für die ,Neue Sachlichkeit' waren in Deutschland u.a. Albert Renger-Patzsch und Kar! Blossfeldt. Als wichtige Vertreter aus den USA (die auch in Europa bekannt waren) galten Anse! Adams und Edward Weston. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie sich besonders auf die dokumentarische Stärke der Fotografie besannen und versuchten, diese vollkommen auszuschöpfen. Dabei verfolgten sie das Ziel, den ausgewählten Ausschnitt der Wirklichkeit so ,authentisch' wie möglich darzustellen. Der Fotografiekritiker Rolf H. Krauss erklärte das Motto der neuen fotografischen Stilrichtung wie folgt: "Ihre Merkmale sind die möglichst ,direkte' Verwendung der photographischen Möglichkeiten, Schärfe, Detailtreue, Tonreichtum, die Vorliebe für Nahsicht und ungewöhnliche Ausschnitte." (Krauss 1979: 97) Da in der vorliegenden Studie jedoch kein Bezug zur ,direkten' Fotografie hergestellt wird, sondern vielmehr die fotografische Inszenierung bzw. das Arrangement von Figuren im Mittelpunkt steht, sollen im Folgenden die Charakteristiken der ,inszenierten Fotografie' behandelt werden, um diese anschließend mit dem Begriff der fotografi schen Pose in Beziehung zu setzen.
2.4
,INSZENIERTE FOTOGRAFIE' UND FOTOGRAFISCHE POSE
"Die Vertreter der inszenierten und konstruierten Fotografie erfinden ihre Motive, verbinden frei Reales und Erfundenes, Fotografie und Malerei, Fotografie und Bühnenkunst, flechten in ihre Bilder geschichtliche und mythologische Anspielungen ein und schrecken vor Manipulationen der Wirklichkeit keineswegs znrück. Sie verfahren dabei jedoch nicht zerstörerisch, vielmehr prüfend und analytisch." (Köhler 1989: 8)
Der Begriff ,inszenierte Fotografie' bezeichnet u.a. solche Bilder, die im Voraus genauestens geplant und für die fotografischen Aufnahmen z.T. akribisch arrangiert werden. Der Kunsthistoriker Michael Köhler erklärt, dass "bei diesem Typus das
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INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
Bildmotiv eigens für die Aufnahme in Szene gesetzt und somit eine fiktive fotografische Bild-Wirklichkeit geschaffen" werde (Köhler 1989: 7). Diese Form des Konstruierens von Bildräumen und Szenen weist dabei eine auffällige Nähe zu theatralen Inszenierungen auf. Bezüglich des Verhältnisses von Fotografie und Theater weist der Kunstwissenschaftler Eis Barents bereits Ende der 1980er Jahre darauf hin, dass ,inszenierte Fotografie' "als eine stark verkürzte und abgeleitete Form des Theatermachens" (Barents 1989: 46) zu verstehen sei. Und auch in jüngeren Studien der Kunsthistorikerinnen Christine Walterund Susanne Holschbach wird die besondere Verbindung von Theatralität und ,inszenierter Fotografie' hervorgehoben. Waltermacht darauf aufmerksam, dass der Begriff ,Inszenierung' ursprünglich aus dem Theatermilieu stammt, in dessen Kontext er u.a. eine Aufflihrung bezeichnet. Sie erklärt jedoch: "Eine endgültige Definition zur Inszenierung hat sich allerdings auch in den Theaterwissenschaften noch nicht durchgesetzt. Unter Inszenierung wird entweder die ,Durchführung aller Maßnahmen, die zur Vorstellung eines Stückes nötig sind' verstanden oder der Tenninus wird als ,zusammenfassender Begriff für das Ergebnis der Regie', das heißt für die Auffuhrung gebraucht." (Waiter 2002: 54) Zur Beziehung von Theater und ,inszenierter Fotografie' verdeutlicht sie ferner: "Eine Fotografie kann natürlich nicht eine Inszenierung mit allen Charakteristika[ ... ] wiedergeben. Sie kann aber einen Teil dieser Inszenierung, nämlich eine Szene (oder besser: Sequenz) abbilden, so daß man sich eine Inszenierte Fotografie als eine auf die Bildfläche übertragene (Theater-)Sequenz vorstellen kann." (Ebd.: 56)
Insgesamt fasst Walter vier wesentliche Merkmale inszenierter Fotografien zusammen. Zunächst stellt sie den visuellen bzw. den ,äußeren Bereich' als besonders bedeutsam heraus. Dieser meint vornehmlich die Ausstattung des Bildes, das heißt Bühnenbild, Darstellerinnen, Kostüme, Licht, Maske, Requisiten etc. Als zweiten Punkt erwähnt sie die narrative Struktur inszenierter Bilder, die meist an eine aktive Handlung von Personen gekoppelt sei. Drittens gehe man bei inszenierten Bildern davon aus, dass sie eine grundlegende Idee implizierten, die schrittweise realisiert werde. Und schließlich sei die Fokussierung auf die Betrachterinnen ein wichtiger Punkt, der bei der ,inszenierten Fotografie' immer mitgedacht werden müsse. Denn die Rezeption bzw. die Reaktion des Publikums sei ein wichtiger Bestandteil der Inszenierung, welcher bereits während des Entstehungsprozesses Berücksichtigung finde (vgl. Walter 2002: 61). Für die Analyse ,inszenierter Fotografien' könne demnach ein formal-ästhetischer und ein inhaltlicher Bereich unterschieden werden. Da filmische Inszenierungen z.T. eine enge Beziehung zu theatralen Arrangements aufweisen, ist es nicht verwunderlich, dass hier die Methoden und Verfahren des Sze-
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nenautbaus ebenfalls Überschneidungen zur ,inszenierten Fotografie' aufweisen. Köhler erläutert: "Zuerst entwickelt er [der Künstler] eine Bildidee- das ,Drehbuch' sozusagen-, läßt dann entsprechende Kulissen, Requisiten, Kostüme und, wo nötig, Masken anfertigen, wählt Darsteller aus und inszeniert mit ihnen schließlich fiktive Begebenheiten aus dem Alltag, aus Geschichte, Sage, Mythos oder Science Fiction." (Köhler 1989: 15) Hier macht der Autor auf die Bildproduzentinnen als Multitasking-Talente aufmerksam, die "in der Regel neben den Aufgaben des Regisseurs und Kameramanns auch die Aufgaben eines Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildners" (ebd.: 16) übernehmen. Obwohl der Begriff ,inszenierte Fotografie' erst Ende der 1970er Jahre (vgl. Walter 2002) und vor allem im Kontext künstlerischer Bilder auftaucht, lassen sich bereits im 19. und im frühen 20. Jahrhundert Vorläufer dieser Richtung ausmachen. Walter erwähnt beispielsweise den Piktorialismus der ersten und zweiten Phase (vgl. ebd.: 64 ff. und Kapitel 2.3). Köhler dagegen führt die Reklamefotografie der l920er Jahre und die surrealistische Fotografie als Pioniere der ,inszenierten Fotografie' auf (vgl. Köhler 1989: 8). Der Großteil der massenmedialen und künstlerischen Bildquellen, die für die vorliegende Untersuchung herangezogen wurden, muss ebenfalls zur ,inszenierten Fotografie' gezählt werden. Dabei versuchen die massenmedialen Bilder in der Regel den Moment der Inszenierung zu verbergen, die künstlerischen Bilder dagegen rücken den Inszenierungscharakter häufig in den Vordergrund und setzen ihn als stilistisches Mittel ein. Die Filmtheoretikerirr Kaja Silvennan geht davon aus, dass das kulturelle Bildrepertoire die Wahrnehmung des Subjekts stark beeinflusst und dass dem Subjekt auf diese Weise bestimmte Sicht- und Verhaltensweisen vorgegeben werden. Darüber hinaus befasst sich Silverman mit der Konstituierung des Subjekts, das sich vor der Kamera bereits als Bild bzw. als Fotografie in einer bestimmten Pose anbietet. In diesem Zusammenhang macht sie auf die Strategie aufmerksam, die vom Subjekt angewandt wird, um sich als unbewegtes Bild zu präsentieren: die Pose. Die Kamera bzw. das "Biickregime" 8 veranlasse eine "antizipatorische Erstarrung des Körpers just in dem Augenblick, wo er mit einer realen oder metaphorischen Kamera konfrontiert wird: er erstarrt zu einer ,vor-fotografischen Fotografie'." 9 8
Unter ,Blickregime' wird nach Silverman eine bestimmte Organisation bzw. Durchsetzung von Blickperspektiven und-positionen verstanden (z.B. machtorientierte Perspektiven). Das ,Blickregime' gebe eine gewisse Strukturierung des Sehens vor, wonach das "Feld des Sichtbaren" in bestimmte Regeln und Machtsysteme aufgeteilt sei (vgl. Silverman 1997).
9
Bereits Roland Barthes beschrieb das Posieren als bewusste Handlung bzw. Haltung, die mit Absicht eingenommen wird. Er erklärt: "Doch sehr oft (zu oft, wie ich finde) wußte
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INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
(Silverman 1997: 46) Die Konstitution des Subjekts geschehe dabei als Annäherung an normative bzw. idealtypische Erscheinungsformen, die in jeder Kultur präsent seien und sich in Darstellungskonventionen äußerten. Silverman geht in Bezug auf den Begriff der Pose auf Craig Owens ein, der vor allem deren fotografisches Wesen herausstellt ( vgl. ebd.: 4 7). Nach Owens imitiere die Pose die Fotografie als solche, somit müsse sie allgemein "als fotografische Prägung des Körpers verstanden werden, derer sich das Subjekt nicht unbedingt bewußt ist: Sie kann das Resultat eines Bildes sein, das so oft auf den Körper projiziert worden ist, daß das Subjekt beginnt, sich sowohl psychisch wie auch körperlich mit ihm zu identifizieren." (Ebd.: 50) Silverman macht darüber hinaus auf die besondere Problematik aufmerksam, die sich ergibt, wenn die Pose lediglich das Verlangen widerspiegelt, einem kulturellen Ideal möglichst nahe zu kommen, und gleichzeitig die Bedeutung des Idealbildes in keiner Weise reflektiert wird. Denn eine unkritische Orientierung an den kulturellen Wunschbildern bestärke und festige eher normative Werte und stereotype Posen, als dass sie sie hinterfrage (ebd.). Die Autorin verdeutlicht, dass eine "aktive Rolle gegenüber der Kamera bzw. dem Blickregime" nur erzielt werden könne, wenn das Subjekt sich der Vereinnahmung durch die Bilder widersetzt und diese transformiert (vgl. ebd.). Die Werke der Foto-Künstlerinnen, die in Kapitel 4 untersucht werden, zeigen solche Transformationen. Sie beziehen sich zum großen Teil zwar auf stereotype Posen und normative Weiblichkeits- bzw. Geschlechterideale der 1920er und 1930er Jahre, doch fugen sie diesen irritierende Details hinzu, die die konventionellen Darstellungen und Posen in Frage stellen und die visuellen Standards entkräften. Den idealisierten und stereotypen Geschlechterbildern aus den Zeitschriften wird in den Kunstproduktionen auf diese Weise mit Humor und Ironie begegnet. Nachdem das Spezifische der Fotografie und bestimmte fototheoretische Ansätze und Diskurse vorgestellt wurden, die mit Blick auf die in Kapitel 3 und Kapitel 4 präsentierten Bildinterpretationen von Bedeutung sind, soll im Folgenden die Bildanalysemethode, die sowohl für die massenmedialen als auch für die künstlerischen Bilder Anwendung findet, detailliert aufgeführt werden.
ich, daß ich photographiert wurde. Sobald ich nun das Objektiv auf mich gerichtet fühle, ist alles anders: ich nehme eine ,posierende' Haltung ein, schaffe mir auf der Stelle einen anderen Körper, verwandle mich bereits im voraus zum Bild. Diese Umformung ist eine aktive ( ... )" (Barthes 1985: l8f.) Barthes macht hier wie Silverman auf die Erstarrung des Körpers als eine vor-fotografische Haltung aufmerksam.
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2.5 DIE IKONOGRAPHISCH-IKONOLOGISCHE METHODE DER BILDANALYSE Für die Analyse und Interpretation der Einzelbilder aus massenmedialen und künstlerischen Kontexten der 1920er und 1930er Jahre lehne ich mich an den ikonographisch-ikonologischen Ansatz des Kunstwissenschaftlers Erwin Panofsky an, der in Teilen erweitert und ergänzt wird. Kritikpunkte an seinem Ansatz und Modifikationsvorschläge werden im Einzelnen aufgeführt und expliziert. Auch Panofskys Korrektivprinzip, das für die Absicherung seiner Interpretationen entwickelt wurde, soll in den jeweiligen Analysephasen präsentiert werden. Es wird jedoch insofern über Panofskys Drei-Stufen-System hinausgegangen, als zusätzlich Ansätze zur geschlechtsspezifischen Körpersprache Berücksichtigung finden (vgl. Kapitel 1.4.4). Da Panofsky sein Analysemodell eher auf die Dekodierung der inhaltlichen Ebene bezieht, soll der Blick ferner auf das Spezifische des Mediums Bild, nämlich die formal-ästhetische Ebene gerichtet werden. Der beabsichtigte Methoden-Mix ist für diese Studie unerlässlich, da unterschiedliche Aspekte bezüglich der visuellen Repräsentation von Weiblichkeit bzw. Geschlecht beleuchtet werden sollen. Obwohl der ikonographisch-ikonologische Ansatz aus der Kunstgeschichte stammt, wurde er von Anfang an nicht ausschließlich auf Kunst bzw. Kunstwerke bezogen. 10 Panofsky analysierte beispielsweise mit Hilfe seines Modells den Kühlergrill eines Rolls-Royce. Zudem erklärte er die Anwendungsweise der Methode mittels eines Beispiels aus der Alltagskultur, nämlich des Hutziehens. Auch der Kunsthistoriker Aby Warburg, der den Begriff Ikonologie einführte, wandte die Untersuchungsmethode nicht nur auf Kunstwerke an, sondern übertrug sie ebenso auf die Analyse von Alltagsgegenständen wie beispielsweise Briefmarken. Beide Forscher interessierten sich demnach ftir visuelle bzw. ästhetische Ausdrucksphänomene einer Gesellschaft. Bezüglich der Übertragungsmöglichkeit der ikonographisch-ikonologischen Methode auf die Analyse von Fotografien erklären die Pädagoginnen und Bildwissenschaftlerinnen Ulrike Pilarczyk und Ulrike Mietzner: "Für die Analyse von Fotografien erscheint die ikonografisch-ikonologische Methode unter anderem deshalb prädestiniert, weil sie schon an ihrem Ursprung nicht nur auf Kunstwerke festgelegt war." (Pilarczyk/Mietzner 2003: 134) Zwar entwickelte Panofsky seinen
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Aby Warburg führte um 1912 als erster den Begriff der ,ikonologischen Analyse' in die Kunstgeschichte ein und wendete bereits vor Erwin Panofsky diese Analysemethode an. Das erscheint nach Peter Schmitdt insofern interessant, als Panofsky, der Warburgs Schriften gekannt haben muss, an keiner Stelle auf diesen Bezug nimmt und auf seine vordenkerische Leistung hinweist (vgl. Schmidt 1989: II f.).
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Ansatz in erster Linie, um einzelne Kunstwerke zu untersuchen, doch lässt sich sein Analysemodell genauso auf andere Bereiche übertragen: Es ist auch auf massenmediale Darstellungen bzw. andere visuelle Phänomene anwendbar, unabhängig von der historischen Entstehungszeit der Bilder. Zu Panofskys Unterscheidung der Begriffe Ikonographie und Ikonologie erläutert der Kunsthistoriker Peter Schmidt: "Ikonographie meint nach Panofsky etwas Deslcriptives, Analytisches; Ikono logie geht dage-
gen synthetisch vor. Ikonographie sammelt und klassifiziert das Material, erforscht aber nicht dessen Entstehung, Wandel und Bedeutung. Dieses zu untersuchen, ebenso wie den Einfluß theologischer, philosophischer und politischer Ideen, die Absichten und Neigungen der Mäzene etc., ist die Aufgabe der Ikonologie." (Schmidt 1989: 15)
Die ikonographische Analyse soll demnach eher beschreibend vorgehen, während die ikonologische Betrachtung auf die symbolischen Prägungen eines Kunstwerkes Bezug nimmt und diese erfassen soll. Folglich geht es zum einen um die Bildbeschreibung und zum anderen um die Bildinterpretation. Jedoch schränkt auch Panofsky ein, dass die jeweiligen Analyseschritte nicht immer scharf voneinander zu trennen seien, sondern z.T. ineinander übergehen (vgl. Kämmerling 1987: 499). Eine formal-ästhetische Bildanalyse kommt beim ikonographisch-ikonologischen Ansatzjedoch zu kurz, da dieser zu wenig nach der Form bzw. den bildspezifischen Elementen fragt. Dieser Kritik implizit ist auch die Frage, was überhaupt das Besondere der Bildquellen bzw. Fotografien ausmacht. Hierauf wurde bereits in den Kapiteln 2.1 - 2.4 ausführlich hingewiesen. Im Folgenden sollen Panofskys Interpretationsschritte detailliert vorgestellt werden. Angelehnt an sein Modell konnten die einzelnen Analysestufen in z.T. modifizierter Form übernommen bzw. erweitert und für meine Untersuchung fruchtbar gemacht werden. Bereits in den 1930er Jahren entwickelte Panofsky ein dreistufiges Interpretationsschema, das er in eine vorikonographische, eine ikonographische und eine ikonologische Stufe einteilte. Auf der vorikonographischen Ebene wird zunächst das Bild beschrieben, d.h. Bildgegenstände, Objekte und Phänomene sollen in einem ersten Schritt identifiziert und benannt werden (Bildbeschreibung). Panofsky unterscheidet auf dieser ersten Stufe bereits eine "Tatsachenbedeutung" und eine "ausdruckshafte Bedeutung" (Panofsky 1978: 36 f.). Unter "Tatsachenbedeutung" versteht er die reine Identifikation bestimmter Formen mit bestimmten Objekten bzw. Gegenständen, Figuren etc. (ebd.). Um diese Zuordnung leisten zu können, müssen "praktische Erfahrungen" bzw. Alltagserfahrungen aus der jeweiligen Kultur in Erinnerung gerufen werden. Die "ausdruckshafte Bedeutung" dagegen resultiert aus dem emotionalen Ausdruck der abgebildeten Figur. Auf dieser Ebene wird
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auf die seelische Stimmung der Abgebildeten, die nach Panofsky nur durch "Einfühlung" erfasst werden kann, aufmerksam gemacht (vgl. ebd.: 37). Das Verstehen des jeweiligen Ausdrucks geschieht durch eine Sensibilisierung der Betrachterlnnen, die wiederum auf ihre "praktischen Erfahrungen" (ebd.) innerhalb der jeweiligen Kultur und Gesellschaft zurückgreifen und die dargestellten Gefühle kennen und identifizieren müssen. Als Korrektivprinzip führt Panofsky auf dieser Ebene das Wissen um die Stilgeschichte ein, d.h. die Einsicht in die "Art und Weise, wie Gegenstände und Ereignisse unter wechselnden historischen Bedingungen durch Formen ausgedrückt werden." (Panofsky 1978: 45) Da es in der vorliegenden Untersuchung vornehmlich um die visuelle Darstellung von Weiblichkeit bzw. Geschlecht geht, werden in diesem ersten Analyseschritt bereits geschlechtsspezifische Körpersprache und emotionale Ausdrucksformen beschrieben. Panofskys Modell soll auf dieser Ebene insofern erweitert werden, als nicht nur die Beschreibung und Dekodierung der Körpersprache, z.B. Körperhaltung, Posen, Gestik, Mimik, Gebärden, Blicke, Blickbeziehungen etc. eine zentrale Rolle spielen, sondern auch der Handlung der Protagonistinnen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Hierbei wird der Fokus auf die Relationen bzw. Interaktionen zwischen Figur und Figur, Figur und Objekt und Figur, Objekt und Raum gesetzt. Mit der Untersuchung von Körperbildern soll zudem die weibliche bzw. männliche Mode einer gerraueren Betrachtung unterzogen werden. Und schließlich soll die Kategorie Raum bzw. Umgebung der inszenierten Figuren (z.B. innen/außen) reflektiert und mit der Kategorie Geschlecht in Zusammenhang gebracht werden. Formale und technische Aspekte wie Darstellungsebene, Licht und Schatten bzw. hell/dunkel-Kontraste, Perspektive, Komposition, Effekte etc. müssen ebenfalls berücksichtigt und auf ihre bedeutungskonstituierende Funktion hin befragt werden. Auf der ersten Ebene werden denmach wichtige Detailinformationen gesammelt, die für die spätere Interpretation von Bedeutung sind, weshalb die Fotografien auch sehr gerrau und gleichzeitig ,naiv' 11 betrachtet werden müssen. 12 Die ,naive' Betrachtungsweise bezieht sich zum einen auf die Ausblendung des Entstehungsund Nutzungskontextes der Fotografien und zum anderen auf einen ,distanzierten' Blick auf den Gegenstand (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005: 138). Der ,naive' Blick 11
Mit ,naiv' ist hier gemeint, dass ähnlich wie bei einem phänomenologischen Ansatz, die Voreinstellungen und Vorurteile bei der Bildbetrachtung ausgeblendet werden sollten (sofern dies möglich ist).
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Diesbezüglich betont Jens Jäger: "Ausgangspunkt muß die aufmerksame Betrachtung des Bildes sein, denn gewohnheitsmäßig werden Bilder nur flüchtig angesehen und die Aufmerksamkeit schwindet, wenn das Sujet identifiziert zu sein scheint." (Jäger 2000: 70)
70 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT der Rezipientinnen erfordert daher die Bereitschaft, Vor- bzw. Kontextwissen bezüglich der untersuchten Bilder bewusst auszublenden und werkimmanent vorzugehen. Diese Forderung erscheint jedoch in der Ausführung kompliziert, da die Betrachterinnen in der Regel an bereits bekannte ,innere Bilder' anknüpfen und diese mit den analysierten Bildern konnotativ in Beziehung setzen. Deshalb wird die vorikonographische Ebene häufig sehr schnell verlassen, was zur Folge hat, dass nicht alle wichtigen Details ,unvoreingenommen' erfasst werden. Eine zu schnelle Anknüpfung an ,innere Bilder' kann die Mehrdeutigkeit bzw. die Multiperspektivität der Darstellungen stark eingrenzen und wichtige Perspektiven unbeachtet lassen. Der beschreibende bzw. identifizierende Analyseschritt ist für fotografische Bilder auch insofern wichtig, als aufgrund der scheinbaren Realitätsnähe häufig angenommen wird, es bedürfe nur eines kurzen Blickes, um Fotografien zu verstehen. Das schnelle ,Konsumieren' von Fotografien, ohne diese jedoch gerrauer zu betrachten, entspricht in der Regel unserem alltäglichen Verhalten gegenüber fotografischen Bildern. Dies trifft in besonderem Maße auf die Rezeption massenmedialer Fotografien zu, die häufig so konzipiert und inszeniert werden, dass sie nur flüchtig und fast beiläufig aufgenommen werden sollen. Demnach übernimmt die erste Analysestufe eine wichtige Funktion, da sie die Forscherinnen zur scharfen bzw. gerrauen Beobachtung anregen. Pilarczyk und Mietzner betonen bezüglich der vermeintlichen Klarheit von Fotografien: "So paradox es scheint, aber gerade wegen dieser ,Klarheit auf den ersten Blick' ist die Phase der vorikonografischen Beschreibung für die Interpretation [von Fotografien, Anm. der Autorin] fast noch bedeutsamer als für die Interpretation von Gemälden. Denn gerade weil die Fotografie zum schnellen Verstehen verleitet, sind Irrtümer und Fehlinterpretationen besonders häufig. Die vorikonografische Beschreibung verlangt daher, sich zum alltäglichen Wahrnehmen - zu dem die ,normale' Rezeption von Fotografi en gehört - gegenläufig zu verhalten." (Pilarczyk/Mietzner 2005: 137)
Folglich kann die Fotografie nach dem ersten Analyseschritt noch nicht als , verstanden' gelten, auch wenn die Objekte und Gegenstände identifiziert wurden. Es gilt vielmehr in den folgenden Analyseschritten, die erkannten Objekte und Figuren thematisch einzuordnen und die Bedeutung bzw. Funktion der Bilder im jeweiligen gesellschaftspolitischen und kulturhistorischen Kontext zu ermitteln. Auf der zweiten Analyseebene, der ikonographischen Stufe, wird bei Panofsky das Wissen, das über die gerraue Betrachtung des Bildes bzw. über die Identifizierung der Objekte und Ausdrücke erlangt wurde, mit zusätzlichem Kontextwissen, vornehmlich aus Textquellen, verwoben. Der Autor betont, dass es auf dieser Ebene
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darum geht, mittels der identifizierten Motive gewisse Themen, Situationen, Geschichten, Allegorien, Metaphern etc. zu erfassen (vgl. Panofsky 1978: 39). Dazu müssen die Betrachterinnen jedoch mit bestimmten Themen und Vorstellungen vertraut sein, die durch literarische Quellen überliefert werden. Panofsky bringt im zweiten Untersuchungsschritt das Beispiel einer Personengruppe an, die, in einer bestimmten Anordnung um einen Tisch sitzend, als Repräsentation des letzten Abendmahls erkannt werden kann, wenn als Kontextwissen auf die Bibel Bezug genommen wird. Nach Panofsky setzt das Erkennen der Motive als Themen, Konzepte, Allegorien etc. den Einblick in literarische Quellen voraus. Als Korrektivprinzip fungiert auf dieser Ebene die Typengeschichte, die auf die jeweiligen Bildtraditionen Bezug nimmt. Diesbezüglich betont Panofsky, dass "wir unsere Kenntnis literarischer Quellen dadurch ergänzen und richtigstellen, daß wir die Art und Weise befragen, wie unter wechselnden historischen Bedingungen bestimmte Themen oder Vorstellungen durch Gegenstände und Ereignisse ausgedrückt wurden" (Panofsky 1978: 46). Die Historikerin Heike Talkenherger weist jedoch darauf hin, dass die Beziehung zwischen Bild und literarischen Quellen bereits eine problematische ist, da die Fokussierung auf literarische Traditionen für die Einordnung des Bildthemas als unerlässlich erscheint und somit eine Akzentverschiebung stattfindet (vgl. Talkenherger 1990: 38). Sie verdeutlicht: "Es ergibt sich die Gefahr, daß das Bild als reine Illustration eines Textes angesehen wird, wobei der schriftliche Text stärker im Mittelpunkt der Forschungsarbeit steht als das Bild." (Ebd.) An anderer Stelle betont sie dagegen: "Die anhand von Bildern gewonnenen Einsichten in Wertvorstellungen und Überzeugungen müssen stets mit anderen historischen Quellen und Fakten konfrontiert werden." (Talkenberger 1994: 31 0) Auch Otto Pächt äußert sich Panofskys zweiter Interpretationsebene gegenüber kritisch, indem er anmerkt, dass ein Bild selbst eine Vorstellung wiedergebe, dies aber mit ihren eigenen Mitteln tue (vgl. Pächt 1977: 375), womit er auf die spezifischen Qualitäten des Bildmediums anspielt und diese stärker hervorgehoben wissen möchte. Die Kritik der genannten Autorinnen bezieht sich auf eine zu starke Textzentrierung bei der Auswertung von Bildquellen. Bleibt das Bild jedoch im Forschungsmittelpunkt und werden die spezifischen Qualitäten und Eigenschaften des Mediums erkannt, kann es hilfreich sein, auch literarische Quellen für die Auswertung von visuellem Material hinzuzuziehen. Auf die in der vorliegenden Studie untersuchten Bilder bezogen, soll deshalb auf der zweiten Ebene gep1üft werden, welche Themen und Konzepte in Verbindung mit Weiblichkeitsinszenierungen sowohl in massenmedialen als auch in künstlerischen Kontexten relevant gesetzt werden und welche gar nicht auftauchen. Diesbezüglich werden auch die Zeitschriftenartikel, die auf die untersuchten Bilder
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Bezug nehmen und diese z.T. zu illustratorischenZwecken einsetzen, in die Analyse einbezogen. Ebenso sollen die Bildunterschriften berücksichtigt werden, die die Fotografien begleiten und dazu dienen, den Betrachterinnen eine bestimmte Lesart des Bildes vorzugeben. Durch die Textkommentare wird die Multiperspektivität bzw. Vieldeutigkeit der Fotografie eingeschränkt und die Darstellung auf eine bestimmte Deutung hin beeinflusst. Zum Teil sollen auch zentrale literarische Texte der jeweiligen Zeit für die Auswertung der Bilder fruchtbar gemacht werden. Und schließlich müssen auf der zweiten Ebene - vor allem bei der Interpretation historischer Bilder - Informationen zum gesellschaftspolitischen Kontext der j eweiligen Kultur und Epoche einfließen. Dies bedeutet u.a. auch, dass ftir geschlechtsspezifische Analysen die rechtliche und soziale Situation von Frauen und Männem in der jeweiligen Gesellschaft bzw. Kultur betrachtet werden muss. So wird die sekundäre Analyseebene "durch Einbeziehen von Wissen außerhalb des Bildes, durch das Aufweisen von Zusammen hängen zu anderen Bildern und durch die erste Analyse der im Foto erkennbaren Symbole, Embleme und Zeichen gehoben. Das bedeutet auch, nun alle bildliehen und sprachlichen Quellen, vor allem Informationen aus dem Verwendungs- und Nutzungskontext, die sich zu dem Foto in eine erhellende Beziehung setzten lassen, zu erfassen." (Pilarczyk/Mietzner 2005: 138)
Im Gegensatz zu Panofsky, der mit Einzelbildern operiert, arbeiten Pilarczyk und Mietzner mit großen Bildkonvoluten von bis zu 10.000 Fotografien und greifen aufgrundder großen Datenmengen auf die Methode der seriell-ikonographischen Fotoanalyse zurück. Die Autorinnen betonen, dass auf der Ebene der ikonographischen Beschreibung das Einzelbild wieder in Bezug zum Referenzbestand gesetzt werden muss (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005: 139). Ihrer Ansicht nach könne das Kontextwissen zur untersuchten Fotografie nicht nur über Textquellen, sondern auch über weitere Bildquellen erschlossen werden. Über die Bezugnahme auf den Referenzbestand müsse geprüft werden, ob bestimmte Motive flir die jeweilige Gruppe als typisch erscheinen oder eher als Einzelphänomene auftauchen bzw. welche Motivvariationen zum Vorschein treten (vgl. ebd.). Außerdem erklären die Autorinnen, dass an dieser Stelle auch die Produktions- und Verwendungszusammenhänge der Fotografie berücksichtigt werden müssen, um die Bildinhalte und die formal-ästhetische Präsentation angemessen zu deuten. Panofsky arbeitete zwar nicht mit derart umfassenden Bildkorpora wie Mietzner und Pilarczyk, verweist aber ebenfalls auf eine Rückführung des Einzelbildes in vergleichbare Gruppen oder Serien. Er bezieht sich hierbei zum einen auf weitere Bildserien desselben Künstlers, die mit dem un-
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tersuchten Einzelbild in Beziehung gesetzt werden können, zum anderen auf den Vergleich mit motivisch ähnlichen Darstellungen. Da im Rahmen dieser Untersuchung ebenfalls mit einem umfangreichen Bildkorpus von ca. 1150 Bildern (massenmediale und künstlerische Bilder) gearbeitet wurde, soll das Verfahren der seriell-ikonographischen Analyse mit der Einzelbildanalyse kombiniert werden. Im dritten Analyseschritt schließlich, der ikonologischen Interpretation, geht es Panofsky darum, den ,Gehalt' bzw. ,Dokumentsinn' oder die ,eigentliche Bedeutung' eines Bildes herauszuarbeiten. Die Deicodierung von Symbolen spielt hierbei eine zentrale Rolle. Auf dieser Ebene sollen Zeichen bzw. Merkmale herausgestellt werden, die eine bestimmte Epoche, Klasse, Nation etc. charakterisieren. Panofsky führt an dieser Stelle den Begriff der "synthetischen Intuition" (Panofsky 1978: 48) ein, der auf eine subjektive Interpretation des Betrachters verweist. Diese subjektive Herangehensweise müsse jedoch insofern korrigiert werden, als zu berücksichtigen sei, "wie unter wechselnden historischen Bedingungen die allgemeinen und wesentlichen Tendenzen des menschlichen Geistes durch bestimmte Themen und Vorstellungen ausgedrückt wurden" (ebd.). Identifizierte Phänomene sollen in diesem Analyseschritt auf eine Metaebene gehoben bzw. in einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang gebracht werden. Demnach dient die ikonologische Analyse bei Panofsky der Erschließung des Sinngehaltes eines Kunstwerkes, der zu einer symbolisehen Form seiner Epoche geworden ist. Panofskys Idee nach können typische Merkmale bzw. Phänomene der jeweiligen Zeit konzentriert in einem einzelnen Werk wieder gefunden und sichtbar gemacht werden. Heike Talkenherger erklärt, dass Panofsky auf der dritten Interpretationsstufe anstrebe "die in Sujets, Motiven und Kompositionen der Kunstwerke ausgedrückten ,Prinzipien"' zu ermitteln (Talkenberger 1990: 29), die "die Grundeinstellung einer Nation, einer Epoche, einer Klasse, einer religiösen oder philosophischen Überzeugung enthüllen, modifiziert durch eine Persönlichkeit oder verdichtet in einem Werk" (Panofsky 1978: 40). Damit könne auch "ein Zugang zu den dem Künstler und den Zeitgenossen unbewußten Sinnschichten eines Werks gesucht" werden (Talkenberger 1990: 43). Auf der dritten Ebene sollte auch nach den diversen Funktionen der Darstellungen im gesellschaftspolitischen und historischen Kontext und nach den Relationen zwischen Bildproduzentinnen bzw. Künstlerinnen, Auftraggeberinnen und damaligen Rezipientinnen gefragt werden. Der Historiker Jens Jäger beschreibt Panofskys dritte Interpretationsebene wie folgt: "Auf dieser Stufe wird das Bild als Ausdruck einer Mentalität, eines grundsätzlichen Verhaltens zur zeitgenössisch erfahrenen Realität sowie als bewußter und unbewußter Kommentar zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gelesen." (Jäger 2000: 76) Auf die Geschlechterbilder der vorliegenden Untersuchung bezogen, soll in diesem Analyseschritt der Versuch unternommen werden,
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vor allem die Bedeutungen der , Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsdarstellungen' im jeweiligen Kontext zu entschlüsseln und sie auf ihre gesellschaftliche Funktion als Ordnungs- bzw. Machtsystem hin zu befragen. Hierzu sollen sozial- und gesellschaftshistorische Erkenntnisse fi.lr die Interpretation fruchtbar gemacht werden. Bei der Modifikation der dritten Stufe des Panofskyschen Interpretationsmodells schließe ich mich an die Überlegungen von Heike Talkenherger an, die den Vorschlag macht, auf dieser Ebene eine Begriffsänderung vorzunehmen: Anstatt die Begriffe "Dokumentsinn" bzw. "Gehalt" zu gebrauchen, plädiert sie dafür, von der "historischen Bedeutung" eines Bildes zu sprechen (vgl. Talkenherger 1990: 44). Panofskys dreistufiges Modell ist, wie oben erwähnt, immer wieder kritisiert worden. Der Kunsthistoriker Max Imdahl beispielsweise bemängelte die reduzierte Bedeutung und Berücksichtigung von Form und Komposition in seinem Ansatz (vgl. lmdahl 1996: 90). Zudem sei die Methode nicht auf abstrakte Kunstwerke und Phänomene anwendbar, könne sich demnach nur auf Figuren und Gegenstände beziehen. Des Weiteren wurde vor allem die dritte interpretatorische Stufe angegriffen, die sehr subjektiv sei bzw. zu stark vom Wissen und Standpunkt der Interpreten gesteuert werde. Auch Ralf Bohnsack verwies auf die Kritikpunkte der ikonographisch-ikonologischen Methode und erweiterte Panofskys Ansatz um eine formalästhetische Ebene, die vor allem bildspezifische Phänomene herausarbeiten soll und nicht ausschließlich inhaltliche Aspekte berücksichtigt. Hierbei bezieht sich Bahnsack vor allem auf den Ansatz der lkonik von Max lmdahl. Das Besondere des Mediums Bild bzw. die ästhetische Dimension werde somit stärker in den Vordergrund gerückt, ohne die inhaltliche Analyse zu vernachlässigen. In der vorliegenden Untersuchung wird der bildinterpretatorische Ansatz ebenfalls um eine formal-ästhetische Dimension erweitert. Dies ist insofern zentral, als es darum gehen soll, die Eigengesetzlichkeiten des Bildes, im Unterschied zum Text, herauszuarbeiten und in die Analyse einzubeziehen. Aus diesem Grund soll - wie bereits weiter oben erwähnt - speziell auf Form (Körpersprache, Kleidung etc.), Komposition und Perspektive eingegangen werden. Bei den ausgewählten massenmedialen Repräsentationen von Weiblichkeit (und z.T. Männlichkeit) muss berücksichtigt werden, dass es sich um Schlüsselbilder 13 handelt, die aus einem größeren Bildkonvolut ausgewählt wurden. Dieses umfang13
Unter Schlüsselbilder verstehe ich die Einzelbilder aus einer Gruppe, die alle relevanten Merkmale der jeweiligen Gruppe auf einem Bild vereinen und somit als repräsentativ für die Gruppe betrachtet werden können. Mit Birgit Richard gehe ich davon aus, dass Schlüsselbilder "mit starker ästhetischer Ausstrahlung ausgestattete Einzelbilder" sind (Richard 2007: 18). Richard macht in Bezug auf das Schlüsselbild auch auf den von Aby Warburg benutzten Begriff des "Schlagbildes" aufmerksam.
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reiche Bildkorpus (ca. l 000 Bilder aus deutschen und spanischen Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre) wurde zunächst- angelehnt an ein seriell-ikonographisches Verfahren- nach Themen und Motiven in verschiedene Gruppen geordnet. Auf diese Weise konnten bestimmte Weiblichkeits- und z.T. Männlichkeitstypologien aufgezeigt werden, die nicht nur inhaltliche, sondern auch formal-ästhetische Ähnlichkeiten aufweisen. Beim Sortieren des Bildmaterials wurde vor allem auf geschlechtsspezifische Körperausdrucksformen, Posen, Haltungen etc. geachtet. Auch (geschlechtsspezifische) Kleidung spielte eine wichtige Rolle. In einem weiteren Schritt wurden Merkmale der jeweiligen Gruppen herausgearbeitet und mit Charakteristiken aus anderen Gruppen in Beziehung gesetzt. Die einzelnen Bilder und Gruppen wurden je nach Merkmalen mit Schlagwörtern versehen. Für die Einzelbildanalysen konnten schließlich Schlüsselbilder ausgewählt und eingehend untersucht werden. Gleichzeitig ist bei dem Verfahren der Einzelbildanalyse mit Vergleichshorizontengearbeitet worden, um die Ergebnisse der Einzelbildinterpretationen zu verifizieren. Das heißt, um zu verallgemeinerbaren Aussagen zu gelangen bzw. um weitergehende Schlussfolgerungen zu ermöglichen, mussten die Schlüsselbilder nach einer detaillierten Analyse wieder in die (Ursprungs-)Gruppe zurückgeführt und noch einmal mit anderen Bildern aus der jeweiligen Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Das Zurückführen des Einzelbildes in die Gruppe war insofern wichtig, als die gewonnenen Erkenntnisse aus der Einzelbildanalyse noch einmal überprüft und das Spezifische der jeweiligen Gruppe beleuchtet werden konnte. Das künstlerische Bildkonvolut war im Gegensatz zum massenmedialen Bildbestand vergleichsweise klein (ca. !50 Bilder), da nur Selbstporträts der Künstlerinnen ausgewählt wurden. Bei den Einzelbildanalysen der künstlerischen Fotografien kam die gleiche Methode wie bei den Analysen der massenmedialen Bilder zur Anwendung: Zunächst wurden thematische und motivische Gruppen zusammengestellt, aus denen Schlüsselbilder ausgewählt wurden. Nach einer detaillierten Einzelbildanalyse konnten diese dann mit weiteren Werken aus der gleichen Serie in Beziehung gesetzt werden. Anschließend wurde nach Parallelen bzw. Unterschieden zu massenmedial inszenierten Geschlechterbildern gesucht. Auf diese Beziehung zwischen massenmedialen und künstlerischen Bildern der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien soll in Kapitel 5 detailliert eingegangen werden. Doch zunächst stehen im nun folgenden Kapitel die Analysen massenmedialer Weiblichkeits- und einiger Männlichkeitsbilder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
3 Massenmediale Weiblichkeitsbilder der 1920er und 1930er Jahre
3.1
WEIBLICHKEIT UND MODERNITÄT: ZUM PHÄNOMEN DER NEUEN FRAU BZW. NUEVA MUJER
"Jede Epoche bildet ikonographisch festgelegte Frauenbilder und Weiblichkeitsentwürfe aus, die als besonders zeitspezifisch wahrgenonunen werden. Diese idealtypischen Bilder dienen als Vorbilder individueller Selbstdarstellung, als visuelle Identifikations- und Verhaltensmodelle, sie sind darüber hinaus Ausdruck des bestehenden Geschlechterverhältnisses und des Verständnisses von Weiblichkeit einer Gesellschaft." (Kessemeier 2000: 37)
Abb. l: Alice Joyce, 1924 Die Dame, Heft XX, Juli 1924
In den Printmedien der 1920er und 1930er Jahre wurde das Phänomen der Neuen Frau bzw. Nueva Mujer sowohl in Deutschland als auch in Spanien systematisch mit Verbildlichungen moderner Weiblichkeit verknüpft. Eine zentrale Rolle nahmen in diesem Zusammenhang fotografische Porträts ein. Auffällig ist bezüglich des neuen Frauentypus vor allem ein formal festgelegtes ikonographisches Konzept (vgl. Abb. 1)\ das - durch die Reduktion und Fixierung auf seine äußerliche Form - immer weniger mit ursprünglichen Inhalten in Verbindung gebracht wurde. Diesbezüglich muss verdeutlicht werden, dass der Begriff Neue
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Frau anfänglich im Kontext der Französischen Revolution von 1789 auftauchte (jemme nouvelle) und mit Forderungen nach einer rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter, nach ökonomischer Unabhängigkeit für Frauen und nach einer freien Partnerwahl verbunden wurde (vgl. Kuhn 1990: 42). 3.1.1 Ursprung des Phänomens Neue Frau in Deutschland
In Deutschland gewann das Prinzip der Neuen Frau im Zuge der ersten feministischen Bewegungen im 19. Jahrhundert an Popularität und wurde mit dem Anspruch auf einen neuen, gleichberechtigten Weiblichkeitsentwurf verbunden. Mit der Gründung des Deutschen Frauenvereins im Jahre 1865 wurden in der bürgerlichen Frauenbewegung um Luise Otto-Peters, Auguste Schmidt und Hedwig Dohm Forderungen nach dem Frauenwahlrecht, einem gleichberechtigten Zugang zur Bildung, weiblicher Selbstbestimmung und dem Recht auf Berufstätigkeit laut (vgl. OttoPeters, 1890 und Nave-Herz 1988: 22). Diese Forderungen wurden später vom radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung um Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg und Minna Cauer weitergeführt. Der radikale Flügel setzte sich auch für eine gleichwertige Sexualmoral ein, was bedeutete, dass außerehelicher Geschlechtsverkehr von Männem gesellschaftlich nicht mehr geduldet werden sollte. Solche Emanzipationsbestrebungen, die ein neues Konzept von Weiblichkeit ansteuerten und einen unabhängigen Lebensentwurf für Frauen beanspruchten, hatten insgesamt zu einem Überdenken traditioneller Bilder und Rollenzuschreibungen geführt und eine Kritik am patriarchalen Gesellschaftssystem bewirkt. Die proletarische Frauenbewegung um Clara Zetlcin und Adelheid Popp dagegen verlmüpfte den Begriff der Neuen Frau eher mit Vorstellungen eines neuen Gesellschaftssystems. Die Vertreterinnen dieser Bewegung waren der Ansicht, dass sich der neue Weiblichkeitsentwurf nur realisieren ließe, wenn die Probleme der bürgerlichen Klassengesellschaft überwunden seien. Denn die Idee einerNeuen Frau ging ihrer Meinung nach Hand in Hand mit der Vorstellung einer veränderten Gesellschaft, in der Frauen die gleichen Rechte und Pflichten erhielten. Gekämpft wurde nicht gegen das Patriarchat, sondern vielmehr gegen eine , verkrustete' Klassengesellschaft (vgl. Popp 1910: 187). Die Entwürfe einerNeuen Frau im 19. Jahrhundert blieben aber lediglich eine Utopie. Bis die theoretischen Forderungen in die Praxis umgesetzt werden konnten und es tatsächlich reale weibliche Vorbilder gab, sollte noch einige Zeit vergehen. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert konnten kleinere Erfolge beispielsweise im bildungspolitischen Sektor erzielt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich die Situation für Frauen jedoch einschneidend. So waren viele Frauen auf sich
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allein gestellt und mussten auf die ökonomische Unterstützung ihrer Männer verzichten, die überwiegend in den Krieg gezogen waren. Ein Großteil bürgerlicher Familien verarmte in der Folge des Ersten Weltkriegs, was viele Frauen dazu zwang, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Gleichzeitig entschieden sich in den Großstädten immer mehr junge Frauen (vornehmlich aus der Mittelschicht) bewusst dazu, einen Beruf zu ergreifen. Die meisten von ihnen gingen in die Dienstleistungsberufe (Büroangestellte, Verkäuferin, Kontoristirr etc.), die sich dadurch als typische Frauenberufe herausbildeten (vgl. DornerNölkner 1995: 84). Erwerbstätige junge Frauen aus der Mittelschicht eroberten nun auch öffentliche Räume und prägten das Bild der Großstädte maßgebend. Die kriegsbedingten gesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüche bewirkten somit, dass das theoretische Konzept der Neuen Frau verstärkt in die Tat umgesetzt wurde nnd sich langsam als sozialer Typus herausbildete. Die Weimarer Republik (1919-1933) brachte schließlich auf rechtlicher Ebene grundlegende Neuerungen für die Frauen, die nicht nur im Jahre 1918 das Stimmrecht erlangten und dem Mann gesetzlich gleichgestellt wurden, sondern auch die juristische Grundlage zur Ausübung eines Berufes erhielten. Mit diesen bedeutenden Errungenschaften glaubte ein Teil der Frauen, der in der Nachkriegszeit herangewachsen war, dass die frauenpolitischen Forderungen der Generation ihrer Mütter bereits erreicht seien. Es wurden auch Stimmen laut, die die Arbeit der Frauenbewegung in der Weimarer Republik als überflüssig betrachteten und flir eine Auflösung der feministischen Vereinigungen plädierten. Gleichzeitig wurde der Begriff Neue Frau im Laufe der 1920er Jahre immer weiter von seinen ursprünglichen emanzipatorischen Zusammenhängen abgekoppelt und langsam in ein ikonographisches Konzept überführt, das sich schließlich als typisierte Verbildlichung im öffentlichen Bewusstsein verankerte. Man reduzierte den Typus auf wenige äußerliche Accessoires und Merkmale. Diese Zeichen hatten einen großen Wiedererkennungswert und einen wichtigen Symbolcharakter, den Kessemeier wie folgt zusammenfasst: "Die phänotypische Festlegung des Bildes der ,Neuen Frau', die in der öffentlichen Wahrnehmung zur Gleichsetzung von emanzipatorischer Utopie und veräußerlichter Erscheinung durch die modische Frau führte, bezog sich vor allem auf Merkmale wie Bubenkopf, den kurzen Rock, sachliche Schneiderkostüme, beinbetonte Seidenstrumpfe, enge Topfhüte, schlichte, die Brustpa1tie überspielende Oberteile, bisweilen auch auf dezidiert männlich besetzte Accessoires wie Krawatten, Zigaretten oder Monokel. Attribute wie Jugendlichkeit, Sportlichkeit, Motorisierung, Berufstätigkeit sowie die Präsenz im öffentlichen Raum wurden in der bildliehen Darstellung der Frauen hervorgehoben und mit emanzipativen Implikationen gleichgesetzt." (Kessemeier 2000: 32)
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interessant ist, dass das Konzept der Neuen Frau einerseits immer stärker mit gesellschaftlichem Fortschritt und weiblicher Selbstbestimmung gleichgesetzt wurde, andererseits aber lediglich auf die modische äußere Hülle und weniger auf inhaltliche Absichten und Vorstellungen Bezug genommen wurde. Die fotografischen Abbildungen der Neuen Frau schienen in diesem Zusammenhang als Beweismaterial zu fungieren, das auf visueller Ebene vorgab, dass die geforderte Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern bereits in großen Teilen erreicht war. 3.1.2 Ursprung des Phänomens Nueva Mujer in Spanien
ln Spanien stand der Begriff Nueva Mujer ebenfalls eng mit der Frauenbewegung bzw. mit dem Aufkommen erster feministischer Frauenverbände Anfang des 20. Jahrhunderts in Verbindung und wurde auch hier mit der Verbesserung der Grundsituation von Frauen assoziiert. Allerdings muss erwähnt werden, dass Spanien in Bezug auf die Entwicklung eines feministischen Bewusstseins sehr viel rückständiger war als Deutschland und die meisten anderen europäischen Länder. Dies lag u.a. daran, dass um die Jahrhundertwende der überwiegende Teil der spanischen Bevölkerung noch auf dem Land lebte und sich schwerpunktmäßig der Agrarwirtschaft widmete (um 1900 arbeiteten ca. 37,4 % der Frauen in der Landwirtschaft, vgl. dazu Ortiz Albear 2003: 264). Das erklärt auch, weshalb die Analphabetenrate unter den spanischen Frauen insgesamt sehr hoch war (ca. 60 Prozent um 1900, vgl. Bussy Genevois 1995: 205). 2 Erste feministische Frauenverbände, die für eine Emanzipation der Frauen eintraten und klare politische Forderungen stellten, waren die Asociaci6n Nacional de Mujeres Espafiolas 3 (ANME), die Liga Internacional de Mujeres Ibericas e Hispanoamericanas und die Cruzada de Mujeres Espanolas. 4 2
Bezüglich der Analphabetenrate in Spanien wurden jedoch widersprüchliche Angaben gefunden. So geht Ortiz Albears Studie von einer deutlich niedrigeren Zahl aus. Ihre Statistiken führen eine weibliche Analphabetenrate von 36% im Jahre 1900 auf (vgl. Ortiz Albear 2003: 223). Allerdings erwähnt sie, dass die Raten regional stark variierten und in einigen Gebieten deutlich höher lagen (vor all em im Süden Spaniens).
3
Die Asociaci6n Nacional de Mujeres Espaiiolas (ANME) wurde 191 8 gegründet. Vorsitzende der Vereinigung war in den ersten Jahren Maria Espinosa de los Monteros. Im Jahre 1924 übernahm Benita Asas Mauterota die Präsidentschaft. Die Vereinigung setzte sich vor allem für die Erlangung des Frauenwahlrechts und für die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau ein (vgl. Ortiz Albear 2003: 298).
4
Die feministischen Vereinigungen Liga lnternacional de Mujeres lbericas e Hispanoamericanas und Cruzada de Mujeres Espaiiolas wurden beide im Jahre 1921 in Madrid
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Diese Verbände, die sich vornehmlich in den Großstädten formierten, setzten sich vor allem für ein Mitspracherecht bzw. Stimmrecht für Frauen, für die Abschaffung der Prostitution und für weitere Rechtsreformen ein. Eine der berühmtesten Vertreterinnen dieser Verbände war die Schriftstellerirr und Publizistirr Carmen de Burgos (Gründerin der Cntzada de Mujeres Espafiolas und Vorsitzende der Liga Internacional de Mujeres lbericas e Hi5panoamericanas), die in verschiedenen Zeitschriften ihre feministischen Ideen und Forderungen ausdrückte und sich vehement für das Frauenwahlrecht einsetzte (vgl. Ortiz Albear 2003: 302). Weitere wichtige Protagonistinnen der ersten feministischen Bewegung waren die radikale Rechtsanwältin Clara Campoamor, die Sozialistirr Margarita Nelken und die sozialistische Rechtsanwältin Victoria Kent. Letztere übernahm als erste Frau vor dem Kriegsgericht die Verteidigung von Republikanern, die sich an der Revolution von 1930 beteiligt hatten. 5 Campoamor dagegen war die erste spanische Repräsentantirr im Völkerbund, und die Frauenrechtlerin Margarita Nelken setzte sich vor allem für eine Verbesserung der Situation erwerbstätiger Frauen ein (vgl. Bussy Genevois 1995: 207f.). Für spanische Frauen hatte die Monarchie der Bourbonen im ausgehenden 19. Jahrhundert nur traditionelle Rollen vorgesehen (insbesondere das Modell der Hausfrau, Gattin und Mutter). Für die Festigung und lnkorporierung dieser klassischen Weiblichkeitsmodelle war vor allem die spanische Verfassung von 1876 verantwortlich, die wieder ein Bündnis zwischen Staat und Religion herstellte und den Katholizismus zur Staatsreligion erklärte. Der Verfassung wurde dabei stets eine wichtigere Rolle zugewiesen als dem spanischen Zivil- und Strafrecht (vgl. Bussy Genevois 1995: 205). Für die spanischen Frauen bedeutete dies konkret, dass die gegrundet. Als Gründenn der Cruzada gilt die Feministin Carmen de Burgos, die auch später Präsidentin der Liga Internacional de Mujeres Ibericas e Hispanoamericanas wurde. Die Cruzada de Mujeres Espaiiolas führte als erste feministische Organisation eine Demonstration in Madrid durch, auf der das Frauenwahlrecht öffentlich eingefordert wurde (vgl. Ortiz Albear 2003: 299ff.). Beide Vereinigungen setzten sich für eine rechtliche Verbesserung der Situation von Frauen ein. 5
Die Revolution von 1930 war in Spanien u.a. durch die Weltwi1tschaftskrise im Jahre 1929 ausgelöst worden, die Spanien in eine tiefe sozio-ökonomische Krise gestürzt hatte. Besonders hart traf es die Landbevölkerung Spaniens, die von der Agrarwirtschaft lebte und deren Löhne zunehmend durch die Agrarkonkurrenz aus Südamerika und Australien gedrückt wurden. Diese sozialen Konflikte führten schließlich auch zum Sturz der Militärdiktatur Primo de Riveras im Jahre 1930 und lösten weitere Großdemonstrationen der Arbeiterklasse bzw. der Republikaner aus (vgl. Hohn 2006: 6 I www.arbeitermacht. de/ni/ni I 09/spanien.htm, letzter Zugriff am 07.05.20 I 0).
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Religion einen sehr großen Stellenwert in ihrem Leben einzunehmen hatte. Abgesehen von der Fokussierung auf die Religiosität gehörte insbesondere die Mutterrolle zur ,wahren' weiblichen Bestimmung. Feministische Frauenverbände distanzierten sich jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend von diesen traditionellen Weiblichkeitsentwürfen und forderten u.a. eine Verbesserung der rechtlichen und ehelichen Stellung der Frauen, eine Kontrolle der hohen Säuglingssterblichkeit (die höchste in Buropa zur damaligen Zeit) durch medizinische und hygienische Reformen, eine Verurteilung des männlichen Ehebruchs und eine Abschaffung der Prostitution. Aus der Arbeiterbewegung kamen zudem Forderungen nach einer Verbesserung der arbeitsrechtlichen Situation von Frauen (z.B. wurde ein Mutterschutzgesetz gefordert, da Entbindungen in der Fabrik keine Seltenheit waren) und der Einführung der Ehescheidung (vgl. ebd.: 207). Mit dem Ausrufen der Zweiten Republik Spaniens im Jahre 1931 veränderte sich die rechtliche Situation der Frauen erheblich. Die neue Verfassung der Republik nahm u.a. auch die Weimarer Verfassung zum Vorbild und proklamierte gleiche Rechte für Frauen und Männer. Zudem wurde die Zivilehe anerkannt und die Ehescheidung eingeführt. Außergewöhnlich fortschrittlich war, dass nichtehelichen Kindern die gleichen Rechte wie ehelichen zugestanden wurden lmd dass die elterliche Autorität der Vorherrschaft des Vaters vorgezogen wurde (vgl. ebd.: 209). Dies war auf rechtlicher Ebene eine Sensation, obwohl wenig darüber bekannt ist, wie die Umsetzung der Gesetze in die Praxis erfolgte. 3.1.3 Bedeutungswandel des Phänomens Neue Frau bzw. Nueva Mujer in den 1920er und 1930er Jahren
In den 1920er und 1930er Jahren wurde der Begriff der Neuen Frau bzw. Nueva Mujer vornehmlich in den deutschen und spanischen Großstädten verwendet und vor allem mit Modernität, Industrialisierung, Fortschritt, Urbanität, Emanzipation, Jugendlichkeit und mit einem neuen weiblichen Schönheitsideal in Zusammenhang gebracht. Gleichzeitig ist eine systematische ikonographische Fixierung und Verbreitung des Phänomens in den Medien zu verzeichnen, die auf die neuen technischen Reproduktionsmöglichkeiten im Bereich der illustrierten Zeitschriften zurückzuführen ist. 6 Der Phänotyp Neue Frau bzw. Nueva Mujer stand für bedeutende gesellschaftliche Umgestaltungen und verwies auf den Aufbruch bzw. Übergang in eine neue Zeit. Dabei richteten sich die modischen Veränderungen, die sich mit 6
Zu den neuen technischen Reproduktionsmöglichkeiten der illustrierten Presse vgl. Kapitel3.1.4.
82 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT dem Erscheinen der modernen Frau zunehmend durchsetzten, deutlich gegen eine traditionelle, körperfeindliche Kleiderordnung, wie sie im 19. Jahrhundert für bürgerliche Frauen üblich gewesen war. Zu jener Zeit wurde der weibliche Körper noch in einschnürende Korsetts und Mieder gezwängt, während die Mode der 1920er Jahre eher locker und bequem geschnitten war und auf einengende Accessoires verzichtete. Doch nicht nur die weibliche Mode veränderte sich erheblich in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen, auch die (Freizeit-)Aktivitäten bzw. Tätigkeitsfelder der Neuen Frau wandelten sich auf bezeichnende Weise. So wurden Frauen häufig bei sportlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeiten gezeigt. Auch neue Berufsgruppen wurden mit dem Bild der modernen Frau in Verbindung gebracht (z.B. die weiblichen Angestellten), um dieses als Symbol des gesellschaftlichen Wandels zu präsentieren. Die Neue Frau schien als realer Typus im öffentlichen Leben der damaligen Großstädte wie Berlin und Madrid stark präsent, was u.a. bedeutete, dass es zahlreiche Frauen gab, die sich diesem Idealtypus ikonographisch annäherten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll jedoch nicht näher auf die verschiedenen Ausprägungen und Lebensentwürfe des realen Typus eingegangen werden. Vielmehr stehen die medialen Repräsentationen und Konstruktionen von Weiblichkeit bzw. die visuellen Frauenimages aus den Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien im Vordergrund. Jedoch wird von der Prämisse ausgegangen, dass es Wechselbeziehungen zwischen dem realen Typus bzw. den Lebenswirklichkeiten Neuer Frauen und ihren medialen Images gegeben haben muss. Oder anders formuliert: Damalige moderne Frauen prägten durch ihre neuen Lebensentwürfe die Verbildlichung des emanzipierten Typus Neue Frau maßgebend. Und umgekehrt dienten die massenmedialen Darstellungen wiederum zahlreichen Frauen als Vorbild bzw. Identifikationsmodell, nach dem sie sich im Alltag richteten. Für die Bildinterpretationen erscheint es aufschlussreich, nicht nur die visuellen Ausformungen und Prägungen der Neuen Frau bzw. Nueva Mujer in Deutschland und Spanien zu beschreiben und ihre Variationen innerhalb des Untersuchungszeitraums festzuhalten, sondern auch die Verschiebungen, Überlagerungen und Brüche zu untersuchen, die innerhalb des Phänotyps auf ikonographischer Ebene sichtbar werden. Denn erst solche Brüche und Widersprüche machen auf den Typus als "Frau im Übergang" (vgl. Sykora 1994: 17) und auf seinen experimentellen Charakter aufmerksam. Schließlich muss auch danach gefragt werden, inwiefern ikonographische Symbole traditioneller Weiblichkeitsmuster immer wieder in die Darstellungen moderner Weiblichkeit Einzug fanden bzw. inwiefern die neuen Bilder mit älteren Weiblichkeitsmodellen kontrastiert wurden. Zwar gab es eindeutige Accessoires und Merkmale, die den Typus Neue Frau charakterisierten, doch enthiel-
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ten die visuellen Zeichen und Symbole z.T. auch Doppeldeutigkeiten. Gerrau diese Mehrdeutigkeiten, die Verwischungen von typologischen Grenzen und die Gleichzeitigkeit von Tradition und Modeme erscheinen im Zusammenhang dieser Studie besonders interessant, da sie auf die Übergänge, Widersprüche und Spannungen innerhalb des Typus verweisen. Es muss folglich geprüft werden, wie sich solche Brüche und Verschiebungen jeweils in Deutschland und Spanien visuell manifestierten und ob nichttrotzder bildliehen Innovationen bestimmte traditionelle Weiblichkeits-Standards erhalten blieben. In Bezug auf das emanzipatorische Potenzial des Konzeptes der Neuen Frau bzw. Nueva Mujer soll zudem erforscht werden, inwiefern die anfangliehen frauenrechtlichen Forderungen, die eng mit dem Begriff verknüpft waren, in den 1920er und 1930er Jahren überhaupt noch in den Visualisierungen thematisiert wurden. In den exemplarischen Bildanalysen muss danach gefragt werden, ob sich in den Darstellungen der Neuen Frau ikonographische Hinweise finden lassen, die noch auf die Inhalte des Ursprungskonzeptes verweisen. Katharina Sykora spricht in diesem Zusammenhang von einer Überführung eines gedanklichen Entwurfs in ein formales System (vgl. Sykora 1994: 11). Sie verdeutlicht, dass zu Beginn der 1920er Jahre durch eine solche Übertragung des theoretischen Entwurfs in andere Medien die Neue Frau zu einem "Mythos des Alltags" bzw. zum Nachweis ftir eine scheinbar sich vollziehende Emanzipation geworden war. Zu klären bleibt jedoch, ob der Transfer der Neuen Frau in das damals moderne Massenmedium Fotografie einen Verlust der ideengeschichtlichen Grundlagen bedeutete oder ob sich nicht gewisse emanzipatorische Ansprüche aufformaler Ebene wieder finden lassen. 3.1.4 Der Zusammenhang zwischen technischen Neuerungen und der Verbreitung des Phänomens Neue Frau bzw. Nueva Mujer
In Bezug auf die massive Visualisierung des Typus Neue Frau bzw. Nueva Mujer in den illustrierten Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre müssen einige technisehe Innovationen hervorgehoben werden, die die massenhafte Verbreitung von Fotografien in den Printmedien erst ermöglichten. Zum einen handelt es sich um die Entwicklung der Heliogravur bzw. der Autotypie und zum anderen um die Erfindung der Rotationsmaschine. Die Heliogravur (auch Fotogravur genannt) wurde bereits 1879 erfunden und bezeichnet ein fotografisches Edeldruckverfahren. Dieses fotomechanische Druckverfahren blieb jedoch zunächst der traditionellen Flachdrucktechnik verhaftet und bekam erst Anfang des 20. Jahrhunderts, mit der Einführung der Illustrationsrotationsmaschinen, eine fundamentale Bedeutung. Auch
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die Autotypie war ein fotomechanisches Reproduktionsverfahren, das 1880 entwiekelt wurde und das Bild mittels eines Rastersystems in Linien und Punkten zergliederte. Als wichtigste Neuerung galt jedoch die Illustrationsrotationsmaschine 7, die eine schnellere und damit aktuellere Informationsübermittlung ermöglichte, zumal nur noch in einem einzigen Druckvorgang gedruckt werden musste. Beim Ro tationsdruckverfahren haben die Druckform und der Druckkörper zylindrische Formen, was durch das Druck- und Gegendruckprinzip eine schnellere Produktion förderte. Vor diesem Druckverfahren waren, wegen der Probleme bei der Reproduktion von Bildern, noch verschiedene Schnellpressen notwendig gewesen. Aufgrund der technischen Neuerungen konnten Fotografien plötzlich in beachtlicher Zahl reproduziert werden. Zudem vergrößerten sich durch die neuen Druckverfahren auch die Auflagen illustrierter Zeitschriften und Magazine nach der Jahrhundertwende erheblich (vgl. Lachenicht 2006: 70). Die illustrierte Presse nahm damit eine immer wichtigere Rolle im Lebensalltag der Leserinnen ein. Susanne Lachenicht verdeutlicht bezüglich der neuen technischen Fortschritte: "Fotografie und Autotypie veränderten jedoch nicht nur in quantitativer Hinsicht die Visualität der Zeitschrift. Qualitativ wandelten sich Layout und Inhalte der Zeitschriften." (Ebd.: 75) Die Autorirr erklärt, dass immer mehr großformatige Bilder in den Zeitschriften abgedruckt wurden und das Verfahren der Textspalten verdrängten. Zudem wurden Bilder häufig über mehrere Doppelseiten präsentiert und meist mit kurzen Bildunterschriften versehen (vgl. ebd.: 76). Lachenicht hält fest, dass sich mit den illustrierten Zeitschriften vor allem auch neue Bild-Präsentationsformen entwickelten. So setzten sich Fotoserien, Fotocollagen und Fotoreportagen zunehmend durch, "die das ,Lesen' von Zeitschriften zu einem visuellen Erlebnis machten." (Ebd.: 81) 3.1.5 Die Neue Frau bzw. Nueva Mujer und das fotografische Medium
Aus gegenwärtiger Perspektive ist das Phänomen der Neuen Frau, wie es in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland und Spanien in Erscheinung trat, ohne visuelle Bilder kaum vorstellbar. Deshalb soll im Folgenden näher auf die damalige Verquickung von fotografischem Medium und dem Typus Neue Frau eingegangen werden. Hierbei müssen die damaligen Gebrauchsweisen der Fotografie als modernes Aufzeichnungsinstrument reflektiert werden. Denn erst der massive Einsatz der Fotografie als Dokumentationsmedium ermöglichte eine derartige Popularisierung 7
Im Jahre 1879 wurde die erste Rotationsmaschine fur den Illustrationsdruck von einer Augsburger Maschinenfabrik gebaut (vgl. Lachenicht 2006: 69).
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des Phänomens Neue Frau. Zu beachten ist, dass die sich etablierende illustrierte Presse und die neuen Felder Fotojournalismus, Dokumentarfotografie, Mode- und Werbefotografie damals ein enges Bündnis eingingen. Die Dokumentation und Darstellung des neuen Frauentypus wurde immer wieder mit den fortschrittlichsten technischen Neuerungen der Zeit in Verbindung gebracht. So standen mit dem Erscheinen der Kleinbildkamera von Leica im Jahre 1924 gänzlich neue Arbeitsmöglichkeiten offen. Denn während um 1900 noch mit schweren fotografischen Apparaturen gearbeitet wurde (die Plattenkameras wogen zwischen 30 kg und 60 kg und konnten kaum allein bewegt werden), entwickelte sich mit der Erfindung der handlichen Kleinbildkamera ein ganz neues Arbeiten und Sehen. Nun war es auch möglich, die Perspektiven zu verändern, und extreme Auf- und Untersichten (Froschund Vogelperspektiven) einzunehmen, um damit neue fotografische Sichtweisen und ästhetische Muster zu produzieren. Die mobile Kamera und ihre technischen Voraussetzungen bzw. der moderne fotografische Einsatz führten auch zu einer Verankerung neuer ästhetischer Paradigmen und zu einem radikalen Bruch mit früheren, klassischen Bildtraditionen. Mit der omnipräsenten Darstellung der Neuen Frau in den Printmedien wurde das Medium Fotografie mit dem Phänomen moderner Weiblichkeit systematisch in Verbindung gebracht. Die Fotografie galt somit als bedeutende Komplizin bzw. Mit-Produzentin des Phänomens Neue Frau und stand wie diese für Zeitgeist und Progressivität. Durch den Einsatz in den Massenmedien erfuhr das fotografische Bild der Neuen Frau eine starke Gewichtung und spielte bezüglich der Präsentation moderner Weiblichkeit eine bedeutende Rolle. Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle die massive Veröffentlichung von Porträt- bzw. Nahaufnahmen, auf denen meist das weibliche Gesicht im Mittelpunkt stand. Einige Zeitschriften der Epoche gewichteten Fotografien (insbesondere Porträtfotografien) sogar so stark, dass diese anteilig mehr Raum einnahmen als Textbeiträge. 8 Dieser neue Gebrauch des Mediums Fotografie und das Erscheinen des neuen Frauentypus konnten zum einen als Reaktion auf eine sich verändemde Epoche betrachtet werden, zum anderen waren beide Phänomene entscheidend an den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen beteiligt. In der vorliegenden Studie gehe ich davon aus, dass sowohl die massenmedialen als auch die künstlerischen Darstellungen moderner Weiblichkeit auf die politischen und sozialen Umgestaltungen und Neuerungen der Zeit reagierten, d.h. dass sie Phänomene aufgriffen, die bereits innerhalb der Gesellschaft existierten bzw. sich zu jener Zeit herausbildeten. Gleichzeitig gestalteten die medialen Bilder der Neuen Frau den sozialen Typus auch aktiv mit, indem sie ikonographi8
V gl. hierzu die katalanische Zeitschrift D 'Aci i D 'Alla, vor allem in ihrer dritten Publikations-Phase von 1932 bis 1936.
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sehe Vorlagen und identifikationsmöglichkeiten anboten. Mit der Verbreitung fotografischer Bilder in den Massenmedien kam es demnach zu neuen Wahrnehmungsformen und zur Produktion neuer Wirklichkeiten. Das Medium Fotografie kreierte stetig neue Bildweiten, die mit der realen Lebenswirklichkeit in Konkurrenz traten. Dies ging z.T. so weit, dass sich die Medienbilder als fundamentale Bezugspunkte für die Orientierung in der realen Welt herausbildeten, so dass sich Realität und Fiktion langsam zu vermengen begannen und in eine wechselseitige Beziehung traten.
3.1.6 Fotografische Inszenierungen der Neuen Frau bzw. Nueva Mujer als Leitbilder Den fotografischen Porträtaufnahmen des Typus Neue Frau bzw. Nueva Mujer wurde eine wichtige Vorbildfunktion bzw. identitätsbildende Funktion zugeschrieben. Vorbilder waren vor allem Filmdiven bzw. Schauspielerinnen, deren Abbildungen besonders häufig in den Zeitschriften zu finden waren. In der Zeitschrift Die Dame heißt es 1929: "Eine Frau von großem Erfolg wird ,vorbildlich' im genauen Sinne des Wortes: Ihr Bild prägt sich ein, und bewußt oderunbewußt ähneln andere Frauen sich ihm an- Bewunderung schlägt in Nachahmung um. So entsteht ein Typus." (Anonym: Typenangleichung. In: Die Dame, Heft 6, Dezember 1929: 60f.) Dass die modernen Frauenporträts aus den Zeitschriften als Vorbilder gedacht waren bzw. einen Orientierungscharakter aufwiesen, ist auch daran zu erkennen, dass die Weiblichkeitsdarstellungen u.a. in Verbindung mit Werbeannoncen oder Modeaufnahmen erschienen, sie demnach an ein kaufkräftiges weibliches Publikum gerichtet waren, das sich die Bilder zum Vorbild nehmen sollte. Dort wurde meist auf subtile Weise vermittelt, dass dieLeserin- so sie das beworbene Produkt benutze bzw. trage- genauso aussehen könne wie das dargestellte Fotomodell. Im katalanischen Magazin D 'Aci i D 'Alla erschien beispielsweise eine Rubrik unter dem Namen Converses femenines (weibliche Konversationen), in der meist ein weiblicher Star mit einem bestimmten Werbeprodukt in Verbindung gebracht wurde. Dabei versprach man den Anwenderinnen des Präparates nicht nur eine Annäherung an das dargestellte Schönheitsideal, sondern auch eine Steigerung des beruflichen Erfolgs bzw. eine Absicherung der eigenen Existenz (ganz nach dem Motto: Wer schön ist, kann es zu etwas bringen.). Auf diese Weise wurde Schönheit mit gesellschaftlichem Erfolg gleichgesetzt. Die damalige Autorin Gabriete Tergit stellte in einer ihrer Berliner Reportagen den Zusammenhang zwischen äußerlicher Attraktivität und beruflichem Erfolg folgendermaßen her: "Überall haben es die Hübschen und Gepflegten leichter. Die Hübsche verkauft mehr, der Hübschen diktiert der
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Chef lieber, von einer Hübschen wird lieber Unterricht genommen und lieber ein Hut bestellt. Das ist grausam, aber es ist so. Hübsch ist man aber heutzutage nicht, man kann's werden." (Tergit zit. n. von Ankum 2000: 179) Vor allem der letzte Satz ist in Bezug auf die 1920er und 1930er Jahre aufschlussreich, da er das neue Schönheitskonzept der Epoche verdeutlicht. Denn Schönheit wurde - im Gegensatz zur Schönheitsideologie des 19. Jahrhunderts - nicht mehr ausschließlich biologisch begründet. Vielmehr propagierte die Kosmetik- und Modeindustrie, dass es nun an den Frauen selbst läge bzw. diese maßgeblich dafür verantwortlich seien, sich ein ansprechendes Äußeres zuzulegen. Katharina von Ankum verweist in diesem Zusammenhang auf die Botschaften der damaligen Werbekampagnen, die vermittelten, "daß ein attraktives Äußeres nicht gottgegeben ist, sondern erarbeitet werden kann, sprich, daß jede Frau eine self-made woman und damit ihres Glückes Schmied ist" (von Ankum 2000: 175). An anderer Stelle hält die Autorin fest: "Das verantwortliche Umgehen mit dem eigenen Äußeren[ ... ] war fester Bestandteil des gesellschaftlichen Engagements der Frau, Ausdruck ihrer Persönlichkeit und nicht zuletzt eine Aufmerksamkeit, die sie sich selbst schuldig ist." (Ebd.: 177) Von Ankum macht zudem auf die Schönheitspflege als "Werkzeug der Demokratisierung" (ebd.: 181) aufmerksam, was meint, dass beruflicher und gesellschaftlicher Erfolg nicht mehr nur Frauen aus höheren Gesellschaftsschichten vorenthalten bleiben musste, sondern durch die entsprechenden äußeren Modifikationen schichtübergreifend erreicht werden konnte. Mit Hilfe der massenhaften Werbeannoncen (vor allem aus der Kosmetikbranche) sollten sich die Leserinnen an die idealtypischen Bilder zeitgenössischer Neuer Frauen (Filmdiven, Theaterschauspielerinnen, Künstlerinnen, Sportlerinnen, Tänzerinnen, Revuegirls, Intellektuelle, Schönheitsmodels etc.) gewöhnen, die als moderne Leitbilder vorgeführt wurden. Gleichzeitig schien immer eine ähnliche Botschaft vermittelt zu werden: Ein ansprechendes, gepflegtes Äußeres verhilft zu einem neuen weiblichen Selbstbewusstsein und ist zudem der einzige Schlüssel zu gesellschaftlicher Anerkennung.
3.2 VORBILDER & IKONEN: WEIBLICHE (HOLLYWOOD-)FILMSTARS Die in den 1920er und 1930er Jahren rasant wachsende Filmindustrie in den USA und Europa trug maßgeblich dazu bei, dass bestimmte Frauenbilder in der Öffentlichkeit vermehrt lanciert wurden. Die technischen Neuerungen in der Filmbranche (verbesserte Filmkameras, die Entstehung riesiger Filmstudios, neue Beleuchtungs-
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möglichkeiten in den Studios etc.) und die entstehenden Kinos machten den Film vor allem in den damaligen Metropolen zu einem Massenunterhaltungsmittel filr alle Gesellschaftsschichten. Der Einfluss des Films auf damalige Zuschauerinnen wird 1931 im Magazin UHU wie folgt beschrieben: "Durch den Film [ ... ] ist in weitem Maße der Typus der heutigen Frau beeinflußt worden. Viele Frauen haben von ihm die Art, sich zu schminken, sich zu kleiden und sich zu benehmen gelernt. Das geht sogar so weit, daß man heute ohne Schwierigkeiten bei den meisten Menschen Filmbewegungen feststellen kann. Die Nachahmung geschieht zum größten Teil unbewußt." (UHU, Mai 1931 )9 Die Beschreibung macht deutlich, wie die Filmbilder im öffentlichen Diskurs gewertet wurden und welchen zentralen Stellenwert sie im Leben ,normaler' Rezipientinnen erlangten. ln zahlreichen Filmen wurden neue Frauentypen vorgestellt (u.a. Gan;onne und Girl), die sich deutlich von traditionellen Rollenbildern distanzierten und alternative Handlungsräume aufzeigten. Häufig versuchten die Schauspielerinnen in ihren Filmrollen aus den eng gesteckten geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen auszubrechen, um neue Lebensentwürfe auszuprobieren, was ihnen z.T. bzw. für einen gewissen Zeitabschnitt ihres Lebens gelang, oft jedoch gesellschaftlich sanktioniert wurde. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass der Ausbruch aus vorgeschriebenen Rollenmustern lediglich in der vorehelichen Phase toleriert wurde, wobei nach wie vor galt, dass die Experimentierphase in den Hafen der Ehe münden sollte, in der wieder eine traditionelle Rollenverteilung vorherrschte (die Frau als Hausfrau, Gattin und Mutter). Durch die Dominanz der amerikanischen Filmindustrie bzw. der Hollywood-Filmstudios rückten auch zahlreiche (Hollywood-)Schauspielerinnen über die Ausstrahlung der Filme in den Kinos und die systematische Distribution ihrer fotografischen Aufnahmen in europäischen und amerikanischen Zeitschriften ins öffentliche Licht. Auf diese Weise entfaltete sich ein Starkult um bestimmte Darstellerinnen, die als ,Leinwandgöttinnen' von ihrem Publikum gefeiert wurden und deren fotografische Abbildungen sich zu Leitbildern fi.lr moderne Europäerinnen und Amerikanerinnen entwickelten. Die Fotografie war somit von Anbeginn an sehr bedeutend ft.ir die Filmindustrie und verhalf zur Entstehung und Etablierung des Starkults. Man könnte auch sagen, dass das Medium Fotografie als modernes Massenmedium erst die Voraussetzung für das entstehende Starwesen schuf. Werner Sudendorf erklärt bezüglich der glamouräsen fotografischen Staraufnahmen in den Zeitschriften der damaligen Zeit: "[l]n den amerikanischen Studios gab es eigene Abteilungen mit Fotografen wie George Hurrell, Ruth Rarriet Louise oder Bugene Robert Richee, die nur damit beschäftigt waren, dem Star ein eigenes Image zu 9
Anonym: So sieht der Film die Frau. Mädchenträume aufder Leinwand, dem Leben ab-
gelauscht (UHU, Heft 8, 7. Jg., März 1931: 32).
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geben."10 (Sudendorf 2008: 69) Eine Imagevermarktung der Filmstars fand demnach auch mit Hilfe des Standbildes bzw. der fotografischen Fixierung statt. Diese Strategie konnte vor allem in Amerika ausgemacht werden, wo in den Studios verschiedene Image-Bilder der Stars entworfen wurden. 11 Die Standbildfotografinnen (Ruth Haniet Louise war eine der wenigen Frauen in dem männerdominierten Berufsfeld) bekamen damit eine zunehmend wichtige Funktion in Bezug auf die Kreation und Verbreitung von Wunschbildern. John Kobal hält in seiner Studie zu Hollywood-Glamourfotografien die Bedeutung dieser Fotografinnen wie folgt fest: "In what was the film capital ofthe world they had nothing to do with making movies, but everything to do with the selling of the dream that movies meant." (Kobal 1976: V) Und an anderer Stelle fügt er hinzu: "They were not minoring life but illusions; their subjects were not humans, but gods - of Iove, of allure, of luxury, perfection incamate from the goldenage of Hollywood glamour." (Ebd.) Demnach ging es vor allem darum, ein höchst artifizielles und idealisiertes Frauenbild zu erschaffen, in das die Betrachterinnen ihrerseits viel hinein projizieren konnten. Die in der vorliegenden Studie untersuchten Standfotografien von (Hollywood-)Schauspielerinnen zeichnen sich allesamt durch die körperliche Perfektion ihrer Protagonistinnen aus, die keine menschlichen Makel (Falten, Warzen, große Poren etc.) zu haben scheinen. Die makellose Haut der Darstellerinnen nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein, auch und gerade in Bezug auf die Wunschvorstellungen der Rezipientirrnen: "Their skin, like marble, like alabaster, has a translucent sheen in which, as in a minor, one can see reflected the fantasies ofthe beholder." (Ebd.) Die Standbildfotograflnnen der Stars waren demnach maßgeblich daran beteiligt, weibliche Iko10
Der Begriff Image bezeichnet die Summe der Bilder, Emotionen und Bewertungen, die einem Gegenstand zugeordnet werden. Dabei geht es eher um stereotype und subjektive Vorstellungen bzw. Erwartungen der Betrachterinnen als um eine ,reale' Wiedergabe der Wirklichkeit. Stephen Lowry macht mit Bezug auf Dyer darauf aufmerksam: "Das Image bildet sich aus allen öffentlichen Aussagen, Bildern und Informationen über den Star als Darsteller, Figur und (,Privat'-)Person" (vgl. Dyer 1986, 2-3, zit. n. Lowry 2003: 441).
II
In den Fotoateliers der Studios wurden die Stars in ihren Drehpausen oder nach Drehende fotografiert. Auf diese Weise fand eine systematische Image-Vermarktung der Stars von Seiten einiger amerikanischer Filmstudios wie der Paramount-Studios statt. Dort wurden wöchentlich hunderte Staraufnahmen angefertigt und weltweit an Zeitschriften verkauft. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die große Masse der Bilder, die beispielsweise in den Paramount-Studios entstanden ist, lediglich von zwei Fotografen, Eugene Robert Richee und William Walling, gemacht wurden. Walling erklärt, dass er im Durchschnitt 65 Staraufnahmen pro Tag erstellte (vgl. Kobal 1976: viii).
90 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT nen auf Papier zu produzieren. Zudem prägten sie mit ihrer jeweiligen fotografischen Ästhetik den Stil einer gesamten Dekade. Welche Bilder der Stars letztlich in die Zeitschriften gelangten, lag jedoch selten in der Hand der Fotografinnen selbst. Denn diese lieferten lediglich ihre Ergebnisse (meist komplette Fotoserien) an die Produzenten und PR-Manager, die schließlich eine endgültige Auswahl trafen. Der damalige MGM-Fotograf Eric Carpenter erklärt: "Another irritation and restriction was that all the stills we took had to be sent to the Hays office, and at Metro, once you took the photos, they were out of your hands. You could give suggestions as to how you wanted them printed, butthat was it. You were very limited by the studio's image of itself." 12 (Carpenter zit. n. Kobal 1976: xi) Die Aussagen des Fotografen verdeutlichen, dass es nicht die Bildproduzenten selbst, sondem vornehmlich die Bildredakteure bzw. die PR-Stellen waren, die für die Sichtung, Auswahl und die Publikation des Materials die Verantwortung trugen. Im Vordergrund stand dabei, dass die veröffentlichten Bilder stets ein bestimmtes Image des jeweiligen Stars/Studios repräsentierten und aufrechterhielten. Stephen Lowry betont diesbezüglich: "Erst ein in sich konsistentes und relativ gleich bleibendes Image läßt sich planmäßig in der Vermarktung des Stars und seiner Produkte einsetzten. So haben sich die Hollywoodstudios nicht nur um die Entstehung des Starimages gekümmert, sondem auch um seine Pflege durch Publicity, Fanclubs und Fanpost, Klatschgeschichten und vor allem durch die Auswahl der Rollen und die gezielte Produktion von Drehbüchern." (Lowry 2003: 442) Auf diese Weise wurden die (Hollywood-)Stars systematisch aufgebaut und vermarktet.
3.2.1 Manipulation der Starbilder durch Retuscheverfahren Anhand der Schilderungen, die damals in Bezug auf Retuscheverfahren gemacht wurden, kann der konstruierte und artifizielle Charakter der Starbilder eindrucksvoll nachvollzogen werden. Denn um die Protagonistinnen in vollendeter Perfektion abzubilden, bedurfte es langwieriger und aufwendiger Retuscheprozesse, die verdeutlichen, dass das fotografische Image der (Film-)Stars vollkonunen künstlich war 12
Im Jahre 1922 wurde die Vereinigung Motion Picture Producers and Distributars of America (MPPDA) gegtiindet, deren Vorsitzender Will Hays wurde. Hays Office war in den USA als Regulativ bekannt, um die Produktion von US-amerikanischen Filmen in Bezug auf damalige moralische Wertvorstellungen (vor allem in Verbindung mit Kriminalität und Sexualität) zu prüfen. Diesbezüglich stellte Hays eine Liste moralischer Prinzipien und Richtlinien zusammen, an welche sich die Filmproduzenten zu halten hatten, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, ein Verbot ihrer Filme zu riskieren.
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und nur wenig mit den realen Schauspielerinnen selbst zu tun hatte. John Kobal expliziert: "The ]arge ,8 x 10' [gemeint sind 8 x 10 inches, das waren umgerechnet ca. 20 x 25 cm ] negatives were sent to be retouched by skilled artisans whose job it was to eliminate excessive waist, hips, throat, shoulders - a process often so extensive that duplicate negatives had to be made, as the first was so scraped, stippled and scored away that no further retouching could be done. Airbrushing was often employed to give the alabaster finish to close-ups, and a delicate tracery of fine working can often be seen on the original negatives, covering the whole facial area." (Kobal 1976: vi f.)
Kobals Beschreibungen der damaligen Retuscheprozesse bei Starfotografien lässt vermuten, dass das Fotografieren weniger Zeit in Anspruch nahm als die anschließende Retusche des Bildes, die auf zweidimensionaler Ebene einen perfekten und hoch artifiziellen Star erschuf. Aufschlussreich ist, dass die Retuscheverfahren keineswegs transparent gemacht wurden. Im Gegenteil ging man in der Öffentlichkeit davon aus, dass die Fotografien der Stars eins zu eins mit den realen Personen übereinstimmten. Dieses Fotografieverständnis, das voraussetzte, dass Fotografien eine objektive ,Wahrheit' widerspiegelten, trug somit dazu bei, dass die fotografischen Abbilder der Stars als Orientierungsmuster galten und zahlreiche Filmstars als Vorbilder bzw. Idole verehrt wurden. Durch die Unerreichbarkeit dieser artifiziellen Idealbilder (auch wenn Frauen sich in puncto Schönheitspflege und Mode an den Tipps und Tricks der weiblichen Stars orientierten) avancierten die Images der Filmstars zu Traumbildern und Projektionsflächen. 3.2.2 Weibliche Filmstars und die fotografische Pose In den analysierten Zeitschriften wurden zahlreiche Starfotografien publiziert, die
die weiblichen Protagonistinnen in stark inszenierten Posen zeigen. Die Dargestellten verstehen es dabei, ihren Körper gekonnt vor der Kamera zu positionieren, um ein bestimmtes Image von sich zu erschaffen und zu festigen. Die Einnahme gezielter Körperposen spielt, auch hinsichtlich der zu erzielenden Wirkung auf die Betrachterlnnen (u.a. in Bezug auf Erotik, Verführung, Autonomie und weibliche Sexualität), eine zentrale Rolle. Auffällig ist, dass der schauspielerische (Körper-)Ausdruck bzw. die bewusst eingenommene Pose die Starbilder grundlegend von den
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gewöhnlichen Porträts der damaligen Zeit unterscheidet. 13 Diese arrangierte Theatralität der Posen wird besonders dann sichtbar, wenn sich die dargestellten Schauspielerinnen in ihren Rollen bzw. Kostümen aus bestimmten Filmen vor der Kamera inszenieren. Die theatralen Gesten der Stars und ihr kontrollierter, mimischer Ausdruck erscheinen somit als wesentliche Bestandteile des Star-Images. Die Preisgabe einer persönlichen bzw. ,natürlichen' Seite der Schauspielerinnen war bei der inszenierten Starfotografie dagegen weniger von Interesse. Vielmehr ging es um die Repräsentation einer artifiziellen und luxuriösen Welt des Glamours, versinnbildlicht durch bestimmte Gesten, Posen, Blicke, Accessoires, Kleidung etc. Die visuellen Wunschbilder in den illustrierten Zeitschriften und die Artikel in Bezug auf die Entdeckung bzw. Ausbildung weiblicher Filmstars 14 führten dem damaligen Publikum vor Augen, dass mit ein bisscheu Glück und eigener initiative jede Leserin und jeder Leser zum (Film-)Star aufsteigen und damit zum Erfolg gelangen konnte. Mit Hilfe von Fotografien wurde somit eine Ikonographie des mimischen und gestischen Ausdrucks zur Verfügung gestellt, die von den Betrachterinnen eingehend studiert und übernommen werden konnte. Die Idee der Star-Imitation knüpfte auch an den amerikanischen Traum an, der davon ausging, dass es jeder/jede schaffen konnte, wenn er/sie sich nur genügend anstrengte. insgesamt trugen die hervorragenden fotografischen Reproduktionen, die durch die technischen Neuerungen und Großbildkameras 15 ermöglicht wurden, dazu bei, dass die Stars dem Publi13
Die Studioporträts der damaligen Zeit waren meist für einen privaten Gebrauch bestimmt und wurden häufig für die Familienalben erstellt. Hier ging es u.a. um die Doku mentation der einzelnen Familienmitglieder und die Demonstration des familiären Zusammenhalts. Zudem übernahm die private Studio-Fotografie auch repräsentative Funktionen, denn sie ermöglichte-aufgrundihres erschwinglichen Preises- einer breiten Masse von Personen, die Mitglieder der Familie fotografisch festzuhalten (so wie der Adel zuvor Gemälde von den einzelnen Familienmitgliedern hatte anfertigen lassen).
14
In diesem Zusammenhang sind vor allem die Artikel in den damaligen Zeitschriften aufschlussreich, die weibliche Karrieren (beim Film) skizzieren oder den Einfluss des Films kommentieren: W. G. Pabst: Ein Filmstar wird entdeckt (UHU, Heft 7, 5. Jg., April 1929), Erich Kästner: Lieschen Neumann will Karriere machen. Das Scheindasein vor der Kamera (UHU, Heft 6, 6. Jg., März 1930), J. Fandor: Escuela de preparaci6n de artistas (Brisas, Heft 14, 2. Jg., Juni 1935), Anonym: So sieht der Film die Frau. Mädchenträume auf der Leinwand, dem Leben abgelauscht. Eine Bilderrevue des UHU (UHU, Heft 8, 7. Jg., Mai 1931), Nesta Terlitz: Ein Zeitgijt: Ich gehe zum Film. Erleb-
nisse in einer staatlichen Filmhochschule (UHU, Heft 7, 6. Jg., April1930) etc. 15
Im Gegensatz zu den analogen Kleinbildkameras, die Rollfilme verwenden (Format 35 mm), ist das Filmformat bei den Großbildkameras wesentlich größer (gängige Formate
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kum ,realer' und näher erschienen (was noch durch die Schärfe der Bilder verstärkt wurde) und dass ihre Posen gerrau studiert werden konnten. Wie bereits erwähnt, entsprachen diese aufwändig retuschierten Bilder jedoch keineswegs den realen Personen. Dennoch wurden die Fotografien als wichtige Vorlagen in Bezug auf Körper-, Ausdrucks- und Modestudien des Star-Phänomens genutzt, ohne dabei die Manipulation der Bilder zu erkennen, geschweige denn zu reflektieren. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Bewunderung und Imitation der Stars (von Seiten des Publikums) flir die Hollywood-Studios notwendig und gewollt war und dass letztere in nicht unerheblichem Maße von der Imagevermarktung ihrer Filmgrößen abhingen. Wenn ein Filmstar über die Vermarktung gut beim Publikum ankam, so war auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Filme, in welchen der Star mitwirkte, (Kassen-)Erfolge wurden. Insofern kam den Standbildfotograflnnen eine relevante Aufgabe zu: "The value of the stills photographers to their employers lay in their ability to make people want to see the star, by creating in a photograph the equivalent of the accumulative impact of the whole movie." (Ebd.: viii) Gelang es den Fotograflnnen, eben diese Essenz des Films in einer einzelnen Starfotografie über Pose, Mimik, Mode etc. sichtbar zu machen, schien auch der Erfolg des Films gesichert. Die Star-Fotografien wurden auf diese Weise als Werbeträger zahlreicher Hollywood-Filme genutzt. Gleichzeitig waren die inszenierten Bilder auch maßgeblich dafür verantwortlich, wie die jeweiligen Karrieren der Darstellerinnen weiterhin verliefen. Denn manchmal bewirkte erst die mediale Verbreitung bestimmter Aufnahmen und die entsprechende Resonanz des Publikums, dass aus einer Schauspielerio ein echter Star wurde, der über Nacht zu Ruhm und Anerkennung gelangte. Das fotografische Image der Stars und die Fähigkeit sich gestisch und mimisch in Pose zu setzen, standen somit unmittelbar mit dem beruflichen Erfolg der Protagonisten in Zusammenhang.
sind heute 9 x 12 cm, 13 x 18 cm und 18 x 24 cm). Die Großbildkameras arbeiten in der Regel mit Planfilmen, die in Kassetten eingelegt werden. Dies hat zur Folge, dass zwar keine schnellen Bildserien geschossen werden können, die Bildmotive jedoch, aufgrund der Negativgt·öße, sehr viel detailgetreuer und schärfer wiedergegeben werden. Die Einstellmöglichkeiten sind bei Großformatkameras sehr umfangreich, so dass in Bezug auf die Tiefenschärfe und die Perspektive von Seiten der Fotografinnen viel Einfluss genommen werden kann. In den (Hollywood-)Filmstudios der 1920er und 1930er Jahre arbeiteten die Standbildfotografinnen hauptsächlich mit solchen Großformatkameras (meist im Format 8 x 10 inch).
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I FOTOGRAFISCHE
INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
3.2.3 Die Filmdiva als besondere Ausprägung des Stars Bei der Charakterisierung weiblicher Filmstars wird der Filmdiva eine besondere Rolle zugeschrieben. Durch ihre charismatische Ausstrahlung bleibt ihr visuelles Bild über viele Jahrzehnte hinweg als kollektives Bild in den Köpfen verankert. Selbst nach ihrem Tod üben die Bilder der Diva weiterhin eine große Faszination auf ihre Betrachterinnen aus. In Bezug auf die Langlebigkeit der Diven-Bilder betonen Hans-Otto Hügel und Johannes v. Moltke, dass die Diva "dank neuer Medien, die ihre Präsenz reproduzierbar machen - [sie] auch dann ein Star bleibt, wenn sie sich zurückgezogen hat (Marlene Dietrich bleibt die Diva auch in den Jahren, in de nen sie verborgen in Paris lebt)" (Hügellv.Moltke 2003: 160). Ihr perfekt konstruierter Kunstkörper verwandelt sie in ein unnahbares Wesen. Gleichzeitig wirkt sie isoliert und einsam, was ihrer prachtvollen Erscheinung eine gewisse Fragilität verleiht. Sie wird mit geheimnisvoller Weiblichkeit und Schönheit assoziiert und erscheint schwer zugänglich und unkontrollierbar. Die Filmdiva unterscheidet sich vom gewöhnlichen Filmstar insofern, als sich ihr Image nicht durch Kurzlebigkeit auszeichnet, sondern ihre Bilder als Ikonen über viele Jahrzehnte im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben. Der Diva wird eine ökonomische wie emotionale Unabhängigkeit gegenüber ihren (männlichen) Bewunderern zugeschrieben. Im Gegensatz zu ,normalen' Filmstars scheint die Diva eine höhere und glanzvollere Position einzunehmen, auch aufgrundder größeren gesellschaftlichen Beachtung, die ihr zuteil wird. Auf den visuellen Darstellungen wirkt die Diva stets erhaben und sie scheint immer über den Dingen zu stehen. Unsicherheit oder Kindlichkeit gehören dagegen weniger zu ihren Charaktermerkmalen. Mit prägnanten Zeichen (ausdrucksstarke Körperhaltungen und Blicke, glamouräse Kleidung und Accessoires etc.) muss sich die Diva selbst erfinden und sich ein unverwechselbares, öffentliches Image geben. Sie erscheint als Kunstfigur, die sich eine Ikonographie von Posen, Gebärden und Gesten angeeignet hat, die wiederum ein kulturelles Bildrepertoire aufgreifen. Von Bedeutung ist dabei, dass sie diese Selbstdarstellung stets kontrolliert anzuwenden weiß, ihre Posen jedoch, trotz des einstudierten Charakters, eine gewisse Natürlichkeit vermitteln. Hügel und v. Moltke beschreiben die Diva als Typus, der das Publikum in seinen Bann zu ziehen vermag, außergewöhnliche Verehrung erfährt und permanent versucht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen (vgl. Hügellv. Moltke 2003 : 159). Zum Entstehungskontext der Diva erklärt die Literatu1w issenschaftlerin Barbara Straumann, dass sich insbesondere im 19. Jahrhundert eine kulturelle Matrix herausgebildet habe, auf deren Grundlage sich das Phänomen entwickeln konnte. Für die Entfaltung des Bildes macht sie eine Verschränkung zwischen theatralen Inszenierungen
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(in Form von Schauspielerlnnenporträts) und dem sich entwickelnden Medium Fotografie "als medialen Nährboden der Diva" verantwortlich (vgl. Straumann 2002: 69 f.). Demnach spielen Theatralität und Fotografie hinsichtlich der Herausbildung des Phänomens eine zentrale Rolle. Die große Anzahl der Divenporträts in den untersuchten Zeitschriften der l920er und l930er Jahre verdeutlicht, dass die Diva als kulturell zentrale Figur betrachtet wurde. Aufgrund ihres öffentlichen Images nimmt sie einen bedeutenden gesellschaftlichen Platz ein, der u.a. mit weiblicher Stärke und erotischer Macht assoziiert wird. Hauptsächlich scheint sich der glamouräse und unnahbare Kunstkörper der Diva jedoch für die Blicke der anderen in Szene zu setzen. Ohne das Publikum erscheint ihre Existenz obsolet. Stephen Lowry stellt die besondere Bedeutung des Publikums in Bezug auf den Star wie folgt heraus (dies trifft gleichermaßen auch auf die Diva zu): "Entscheidend ist letztlich das Publikum; erst die populäre Rezeption macht den Star zum Star. Wenn sie bei einem bestimmten oder breiten Publikum etabliert sind und durch ihre Images mit speziellen Bedeutungen assoziiert werden, können sich allgemein bekannte Stars zu kulturellen Ikonen entwiekeln, die typische Strömungen ihrer Zeit und Gesellschaft ausdrücken." (Lowry 2003: 441) Die massenmedial verbreiteten Darstellungen der Diva bieten sich hier als Projektions- und Identifikationsbilder an. Einerseits erscheint das Profil der Diva als außergewöhnlich, da sie Zugang zu vielen Bereichen hat, die ,normalen' Frauen verschlossen bleiben. Andererseits muss sie auch Merkmale aufweisen, die es erlauben, sich mit ihr zu identifizieren und sie als Vorbild anzunehmen. Die Literaturwissenschaftlerirr Elisabeth Bronfen betont hinsichtlich des Vorbildcharakters und der Imitation von Diven-Verkörperungen: "Indem die Fans sich die Posen aneignen, die Sprechweise imitieren oder die Kleidung übernehmen, setzen der Star wie die Diva über die Körper der Fans ihrerseits neue kulturelle Bildkörper in Umlauf." (Bronfen 2002: 48) Auf diese Weise können über eine symbolische Ordnung unbemerkt auch ideologische Botschaften verbreitet und gefestigt werden. Die Diva erscheint meist als Grenzgängerin, die sich auf der Schwelle zu verschiedenen Welten befindet: der fiktionalen und der realen Welt, der innerlichen wie der äußeren Welt etc. Diese Gratwanderung erläutert Bronfen wie folgt: "Der Starkörper verschränkt in sich das Image - aus den Film- oder Bülmenrollen und inszenierten öffentlichen Auftritten - mit Bildern, die von der kommerziellen Erzeugung dieses Images am Körper einer real en Person erzählen. Mit anderen Worten, die Diva besteht aus zwei Körpern - dem Image (erzeugt durch die einzelnen gespielten Rollen sowie durch die ojjscreen personality, die sich aus der Gesamtheit der diversen Rollen, durch die man sie
96 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT kennt, zusammensetzt) und dem das Bild erstellenden Leib (dem des Schauspielers, der jenseits seiner Rollen ein privates Leben hat)." (Bronfen 2002: 47)
Durch diese Doppelung repräsentiere die Diva sowohl ein kommerziell ausgerichtetes Produktionssystem als auch eine eigene, ,authentische' Persönlichkeit (ebd.). Doch scheint es beim Phänomen der Diva keine exakte Trennung zwischen öffentlichem Bild und privater Person (zwischen Fiktion und Authentizität) zu geben. "Wenn die Diva einerseits das mythische Zeichen mit ihrem Körper füllt, so ist sie andererseits als unbegrenzt verfügbarer Medienkörper, auf den andere uneingeschränkt ihre Phantasien projizieren können, ihrer Individualität entleert [... ]" (Bronfen 2002: 48). So komme es zu einer Vorherrschaft des Images bzw. des symbolischen Körpers über den realen Körper der Diva und zu einer Zerrissenheit zwischen der realen Figur und dem Kunstkörper, der vornehmlich über die einstudierten, perfektionierten Posen sichtbar werde. Von Interesse ist dabei, dass die vermittelte Isolation der abgebildeten Frauen das Bedrohliche der sinnlichen Weiblichkeit wieder relativiert. Allerdings steht die suggerierte Einsamkeit der Dargestellten in Kontrast zu ihrer starken Medienpräsenz und ihrem Hang zur Publicity.
3.2.4 Zur Funktion der Star- bzw. Divenbilder Glamouröse Filmdiven wie Marlene Dietrich und Greta Garbo verkörperten in ihren visuellen Darstellungen Reichtum, Luxus, Schönheit, Selbstbestimmung und beruflichen Erfolg. Ihre fotografischen Abbilder repräsentierten in den 1920er und 1930er Jahren einen progressiven Weiblichkeitsentwurf und wurden als neue Leitund Vorbitder betrachtet, mit denen sich zahlreiche Frauen identifizierten. Die makellose Schönheit ihrer Gesichter bzw. ihre perfekten physiognomischen Züge sowie ihre geheimnisvolle Ausstrahlung machten die Schauspielerinnen zu einem Projektionsbild, in welchem sich die Wunschträume der Rezipientinnen zu bündeln schienen. In die glatten Gesichter der weiblichen Stars konnte vieles hinein interpretiert werden und die kontrollierten Körperhaltungen, die elegante Mode und das perfekte Make-up der Filmdiven trugen dazu bei, die Sehnsüchte des Publikums anzuregen. Die erotische Ausstrahlung der Filmdiven ist zudem als wesentlicher Faktor ihres Erfolges zu betrachten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ihr Körper als sinnliche Versuchung bzw. als ,weibliche Waffe' (und somit als Bedrohung) inszeniert wurde, der die Betrachterinnen gleichzeitig faszinierte und beängstigte. Einige weibliche Verführungsposen, die auch aus kunsthistorischen Zu-
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Abb. 2: Carol Lombard, 1932
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Abb. 3: Jean Harlow, 1933
sammenhängen bekannt sind, tauchten in den Inszenierungen der Stars erneut auf. 16 In der sinnlichen Darstellung der Körper spielte die Lichtsetzung eine tragende Rolle, da sie einzelne Körperteile ins Dunkle tauchte und geheimnisvoll erscheinen ließ, während andere Partien durch das Licht akzentuiert und plastisch hervorgehoben wurden. Das Spiel vom Verstecken und Zeigen einzelner Körperpartien, das über die Lichtsetzung zur Geltung kam, implizierte somit eine erotische Anspielung und war auf ästhetischer Ebene ein wirkungsvoller Effekt, der verstärkt in den Starbildern zur Anwendung kam. Zum Teil war das Licht so gesetzt, dass nur die Silhouette der Dargestellten oder einzelne Körperstellen betont wurden. Beispielsweise wird bei Carol Lombard (Abb. 2) 17 und Jean Harlow (Abb. 3Y 8 zum einen der weibliche Körper als Stele vorgeführt (hier fehlen die Extremitäten wie Füße und Hände) und zum anderen wird eine weiblicheS-Form des Körpers durch Licht und Schatten modelliert. Auffallig ist, dass die abstrahierten Körper an Skulpturen erin16 Diesbezüglich können u.a. liegende Venusdarstellungen genannt werden, die z.T. an Gemälde von Tizian erinnern (vgl. z.B. die Venus und der Lautenspieler, um 1560). In D 'Aci i D 'A lla, Frühling 1933 erscheint beispielsweise die Schauspielerin Myrna Loy in
einer ähnlichen Pose auf einem geblümten Stoff drapiert. 17 D'AciiD'Alla, Winter 1932. 18
D'AciiD'Alla, Winter 1933.
98 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT nem, die auf einem Sockel stehen. Das Ziel der ausgeklügelten Beleuchtungstechnik liegt hier vornehmlich in der erotischen Attraktivitätssteigerung der Protagonistinnen. Auch die modische Inszenierung trägt erheblich zu Letzterem bei, wobei die Kleidung außerdem die Extravaganz der Dargestellten betont. Interessant ist, dass in die modische Aufmachung der Filmdiven auch exotische Elemente fließen, die die Schauspielerinnen noch geheimnisvoller erscheinen lassen. ln diesem Zusammenhang sind Marlene Dietrichs Kopfbedeckungen aus dem Film The Devil is a Wo man von 1935 aufschlussreich, in dem sie eine Spanierin spielt. 19 Dietrich ist hier mit sehr extravaganten Kopfbedeckungen zu sehen (Abb. 4 und Abb. 6), 20 die an spanische Peinetas und Mantillas erinnem. 2 1 Während Dietrichs Kopfschmuck auf der ersten Abbildung stark an spanische Trachtenmoden aus dem Süden Spaniens (Jerez de Ia Frontera) angelehnt ist, was vor allem durch die Materialität der Mantilla unterstrichen wird (vgl. Abb. 5), ähnelt die Kopfbedeckung auf der zweiten Abbildung eher einem gefransten Lampenschirm. Lediglich der Fächer erinnert noch an das stereotype Bild der Spanierin, zumal sich auch das helle Kostüm in der zweiten Darstellung (weiße Kopfbedeckung und weißes Kleid) von der meist dunkel gehaltenen spanischen Trachtenmode unterscheidet. Der von Marlene Dietrich, Carol Lombard und Jean Harlow u.a. repräsentierte rätselhafte und erotisch ansprechende Frauentypus, der gefährlich und anziehend zugleich erscheint, verkörpert jedoch kein neues Weiblichkeitskonzept Die Frau als Mysterium und als sinnliches Wesen ist als Typus bereits aus früheren historischen Epochen bekannt. In diesem Zusammenhang muss auf die Ikonographie der Femme 19
Das Bild der Spanierin war ein beliebtes Motiv in deutschen Zeitschriften der I 920er Jahre und wurde in verschiedenen Medien (u.a. Film und Fotografie) behandelt. Auch in Hollywood griff man gerne auf die klischeehafte Vorstellung der ,rassigen' und temperamentvollen Spanierin zurück, wie auch der Film The Devil is a Woman (1935) mit Marlene Dietrich zeigt. Vgl in diesem Zusammenhang auch Kapitel 3.9.
20
D'Aci i D'Alla, Herbst 1935.
21
Peinetas sind große Zierkämme, die auf den Hinterkopf gesteckt werden und die weit nach oben vom Kopf abstehen. Großer Beliebtheit erfreuten sie sich im Spanien des I 9. Jahrhunderts, als Königin Isabel II. eine besondere Affinität zu diesem Kopfschmuck entwickelte. Ursprünglich wurden die Peinetas aus Schildkrötenpanzern hergestellt, später stieg man jedoch auf synthetische Materialien um. Zudem wurde der ornamentale Kamm häufig mit einem Schleier, einer so genannten Mantilla, kombiniert, die an der Peineta befestigt war. Im 20. Jahrhundert verloren Peinetas und Mantillas als traditionelle Frauenmoden zunehmend an Popularität. Dennoch werden sie bis zum heutigen Zeitpunkt in bestimmten Regionen Spaniens und zu bestimmten Anlässen (z.B. zur Semana Santa oder zu Stierkämpfen) getragen.
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Abb. 4: Mar1ene Dietrich, 1935
Abb. 5: Spanierin um 1922
fatale (der sinnlichen Verftihrerin, die vor allem im 19. Jahrhundert thematisiert wurde) aufmerksam gemacht werden. Die berühmtesten Vertreterinnen dieses Musterbildes waren historische und mythische Figuren wie Judith, Salome und Lulu. 22 Zu den äußeren Attributen der historischen Femme fatale zählten u.a. langes, offe nes Haar, exotische Gewänder und Schmuck, die erneut in den Schaupielerinnenporträts der 1920er und 1930er Jahre optisch aufgegriffen wurden. Zwar erscheinen die Haare kürzer und die Kleidung moderner, doch bleiben bestimmte Muster in Form von (Verführungs-)Posen und Blicken ähnlich. Die Femme fatale sorgte vor allem im ausgehenden 19. Jahrhundert für hitzige Debatten. Denn von ihren oft beschriebenen Verführungskünsten ging scheinbar eine schwer einzuschätzende Gefahr aus (vornehmlich für junge und ,unerfahrene' Männer, die auf der Suche nach einer ,ehetauglichen' Frau waren). Die Femme fatale galt als unberechenbarer Vamp, der seinen Körper und seine erotische Ausstrahlungskraft ganz bewusst einsetzte, um die Männer in ihren Bann zu ziehen. Ihre erotische Macht war eng mit ihrer makellosen Schönheit verbunden, die ihre Verehrer um den Verstand zu brin22
Fotografische Darstellungen dieser Figuren sind auch in den Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre enthalten (vgl. u.a. Cr6nica, Nr. I 70, 5. Jg., 12.02. 1933). Vor allem in der spanischen Zeitschrift Cr6nica wurden in der Rubrik Fotograflas de Arte (künstlerische Fotografien) vom Fotostudio Manasse (Wien) immer wieder mythische Frauenfiguren aufgegriffen, die traditionelle Typen in modernen Inszenierungen präsentierten.
I 00 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
gen drohte. Über ihre Sexualität schien sie frei zu bestimmen, doch für ihre sinnliche Autorität und ihre manipulative Kraft wurde sie häufig gesellschaftlich sanktioniert und musste vereinzelt sogar mit ihrem Leben bezahlen. 23 Auf diese Weise schien der Machtkampf zwischen den Geschlechtern besiegelt und die patriarchale Ordnung wieder hergestellt. Das Bild der Femme fatale kann insgesamt als Metapher für sinnliche Kraft, sexuelle Selbstbestimmung und Erotik sowie für das Böse, Nicht-KontraHierbare und die Abb. 6: Marlene Dietrich, 1935 Überschreitung konventioneller, bürgerlicher Vorstellungen betrachtet werden. Keineswegs zufällig erscheint, dass der Typus der Femme fatale in Form von zahlreichen Star- bzw. Divenporträts in einer historischen Epoche erneut Bedeutung erhielt, in der die Geschlechterbilder zunehmend elastischer wurden. Mit einem modernisierten Bild der Femme fatale wurden gleichzeitig wieder starke Frauentypen dämonisiert, die auf Bildebene emanzipatorische Ansprüche stellten (u.a. das Recht auf Autonomie und ein selbstbestimmtes Sexualleben). Diese Frauen spielten mit ihren ,weiblichen Reizen' und existierten vornehmlich über das Begehrtwerden, wobei die Grenze zum Ausleben des eigenen Begehrens fließend erschien. Im Folgenden soll analysiert werden, welche visuellen Codes konkret mit der Filmdiva in Erscheinung treten bzw. inwiefern auf Bildebene ein modernes Frauenbild konstruiert wird. Gleichzeitig soll danach gefragt werden, ob bei der lnszenie-
23
Man denke an Charaktere wie Carmen aus der gleichnamigen Oper von Georges Bizet, die sich in den 1920er und l930er Jahren, sowohl in Deutschland als auch in Spanien, großer Beliebtheit erfreuten. Die schöne Protagonistin Carmen musste auf der Bühne flir ihre Freiheitsbestrebungen und ihren Drang nach Selbstbestimmung mit dem Leben bezahlen.
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rung der Diva auch von Bedeutungsträgem Gebrauch gemacht wird, die wieder auf traditionelle Weiblichkeitsentwürfe verweisen.
3.2.5 Exemplarische Analysen einiger Divenporträts: Marlene Dietrich, Greta Garbo und Conchita Montenegro In der Zeitschrift D'Aci i D'Alla wurde im Jahr 1934 ein Brustporträt von Marlene Dietrich veröffentlicht, das die gesamte Seite einnahm (Abb. 7). 24 Dietrich ist den Rezipientinnen frontal zugewandt und fixiert diese mit ihrem Blick. Nur ihr linkes Auge ist für die Betrachterinnen sichtbar, während das rechte unter einem breiten, schwarzen Tellerhuf5 verschwindet. Dabei legt sich der dunkle Schatten der Hutkrempe über die Stirn und das verborgene Auge der Protagonistin. Der elegante Damenhut sitzt diagonal auf Dietrichs Kopf und nimmt vom Volumen fast die Hälfte des Bildraumes ein. Er umrahmt das Gesicht der Schauspielerirr und hebt auf diese Weise ihre he11e Haut im Gegensatz zur dunklen Hutfläche hervor. Durch die kontrastreiche Lichtsetzung sind die Kleidungsstücke der Diva nicht eindeutig zu erkennen. Es kann aber ein hoch geschlossenes schwarzes Oberteil ausgemacht werden, das eine auffällige Applikation oder Brosche auf Höhe des Schlüsselbeins vorweist. Zudem wird ein dunkler Schal sichtbar, der den Brustbereich bedeckt. Um die Schultern herum trägt Dietrich einen hellen Mantel, dessen Abb. 7: Marlene Dietrich, 1934 Materialität nicht näher identi24 Vgl. D'Aci i D'Alla, Herbst 1934. 25 Mit einem ähnlichen Hut wurde Dietrich in dem Film Der blaue Engel (1930) bekannt, mit dem sie ihren internationalen Durchbruch schaffte. Die Kopfbedeckung könnte hier als Wiedererkennungsmerkmal und Marker für ihren Erfolg dienen.
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fiziert werden kann. Dieses helle Kleidungsstück geht z.T. fließend in den Hintergrund über, so dass Vorder- und Hintergrund miteinander verschmelzen. Die harte Lichtsetzung hat zur Folge, dass das Bild insgesamt in sehr dunkle und sehr helle Flächen aufgeteilt ist und Grauabstufungen kaum vorkommen. Durch das kontrastreiche Licht sind auf der Stirn bzw. am rechten Auge, an der Nase und am Hals dunkle Schatten zu erkennen. Einige Teile des Gesichts bleiben auf diese Weise im Verborgenen, während andere leuchtend zur Geltung kommen. Die unnahbare Ausstrahlung von Dietrich entsteht vornehmlich durch den geheimnisvollen Blick und den maskenhaften Gesichtsausdruck. Kühl und distanziert fixiert sie die Betrachterinnen und erhält durch die aufrechte Körperhaltung, den gestreckten Hals und den leicht zurückgelehnten Kopf etwas Überlegenes. Gleichzeitig sorgt der in den Nacken geworfene Kopf dafür, dass das sichtbare Auge nur halb geöffnet erscheint und einen verführerischen Ausdruck annimmt. Die Schauspielerin bekommt aber nicht nur über die perfekte Beherrschung ihres körperlichen und mimischen Ausdrucks etwas Erhabenes, auch die mondäne Kleidung und der extravagante Hut tragen zu ihrem makellosen Aussehen bei. Die vornehme Kleidung, die kühle Distanziertheit und die kontrollierte Gesichtsmimik vermitteln eine Abgrenzung zum Publikum, wobei dieses gleichzeitig durch den verführerischen Blick angesprochen wird. Auffällig ist vor allem die Perfektion der Inszenierung, die Dietrich etwas Übermenschliches bzw. Unerreichbares verleiht. Alles scheint bis ins kleinste Detail arrangiert und nichts dem Zufall überlassen. Während die Schauspielerin auf Bildebene sehr kontrolliert und fast emotionslos erscheint, wird die Fotografie in der Bildunterschrift wie folgt kommentiert: "Marlene Dietrich. LLetja? Bonica? Inexpressiva? Com vulguin! Pero una dona que, movent-se en Ia pantalla, no deixa ningu indiferent."26 Auf Textebene wird somit darauf aufmerksam gemacht, dass die Ausstrahlung der Diva immer in irgendeiner Weise Emotionalität und Ergriffenheit bei ihrem Publikum auslöste. Vergleicht man die Fotografie von Marlene Dietrich mit der von Conchita Montenegro (Abb. 8), die 1931 in D 'Aci i D 'ALla erschien, 27 fällt auf, dass die spanische Hollywood-Schauspielerin einen ähnlichen Hut trägt wie Dietrich und sich ebenfalls in einer eleganten Mode präsentiert. Ihr Gesicht ist frontal ausgerichtet und gut zu erkennen. Auch Montenegro sucht einen direkten Blickkontakt zu den Rezipientlnnen. Ihr Gesichtsausdruck wirkt wie bei Dietrich ernst und emotionslos. Im Unterschied zu Dietrichs Porträt sind Montenegros Augen jedoch weit geöffnet und 26
Übers.: Marlene Dietrich. Häßlich? Schön? Intelligent? Ausdruckslos? Alles was Sie wollen! Aber sie ist eine Frau, die, wenn sie sich auf der Leinwand bewegt, niemanden gleichgültig lässt.
27 D 'Aci i D 'Alla, November 1931.
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der Kopf leicht nach unten geneigt. Der sinnliche Ausdruck, der bei Dietrich durch den zurück geneigten Kopf und den schmalen Sehschlitz entsteht, wird bei Montenegro nicht aufgegriffen. Stattdessen strahlt der Blick der spanischen Diva Autorität, Strenge und Selbstbewusstsein aus. Auffällig ist, dass Montenegro einen Schleier trägt, der sich auf Höhe der Nase und der Wangen als Spitzenmuster abzeichnet. Durch den Gesichtsschleier wird die Distanz zwischen Diva und Betrachterlnnen noch verstärkt. Zugleich wirkt der Schleier auch geheimnisvoll, da er einen Teil des Gesichts dekorativ verhüllt und somit an das Bild der
Abb. 8: Conchita Montenegro, 1931
Frau als Mysterium anknüpft. Im Gegensatz zur Darstellung von Dietrich ist Montenegros Körper fast komplett auf dem Bildausschnitt zu sehen. Die spanische (Hollywood-)Schauspielerin sitzt seitlich gedreht auf einem Sofa und überschlägt ihre Beine, die unter einem schwarzen Rock verschwinden. Sie trägt ein langärmeliges, gemustertes Oberteil mit weitem Ausschnitt, wozu sie ein schwarzes Halstuch kombiniert. Ihre rechte Hand umfasst das Knie des überschlagenen Beins, während die linke Hand auf ihrem Oberschenkel abgelegt ist, so dass ihr Ellbogen vom Körper absteht. Die eingenommene Pose wirkt sehr kontrolliert. Selbst die abgespreizten Finger erscheinen bewusst arrangiert. Bezüglich der Lichtsetzung ist festzuhalten, dass mit einem ähnlich harten Licht gearbeitet wurde wie bei Dietrich. Dies hat zur Folge, dass die Haut von Gesicht, Dekollete und Händen extrem hell ausgeleuchtet und keine Zeichnung mehr zu erkennen ist. Über die kontrastreiche Beleuchtung, die Kleidung und die kontrollierte Körperhaltung können visuelle Parallelen zwischen Montenegro und Dietrich ausgemacht werden. Dennoch verkörpern die Schauspielerinnen unterschiedliche Typen, denn Montenegro entspricht als dunkelhaarige und -äugige Schauspielerin
I 04 I FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
eher dem Bild der temperamentvollen Südländerin, während Dietrich als nordischer Typus bezeichnet werden kann. In der Bildunterschrift wird erläutert: "Conchita Montenegro. Entre !es estrangeres que a Hollywood s'han elevat rapidament a Ia categoria estellar, cal comptar aquesta espanyola que, sense desdir de !es exigencies modernes, realitza el tipu o el prejudici ch'tssic: Ulls negres, cos flexible, ,salero'" 28 Damit wird unterstrichen, dass die Protagonistirr in gekonnter Weise verstand, Elemente der modernen Frau mit traditionellen Weiblichkeitsmerkmalen zu verknüpfen. Von besonderem Interesse erscheint, dass Montenegro hier den Prototyp der klassischen Spanierin repräsentiert. 29 Südländischen Frauentypen mit dunklen Augen und Haaren wurden damals Charaktereigenschaften zugeschrieben, die den Eigenschaften blonder Frauen diametral gegenüberstanden. Zur charakterlichen Unterscheidung blonder und brünetter Darstellerinnen erklärt Franz Xaver Kappus in seinem Artikel Blond oder Brünett: "Brünett bedeutet ja Temperament, Überschwang, Leidenschaft, bedeutet heißes Blut, Lebenskraft, Lebensfülle. Und blond sein heißt: Sanftmut, Sentimentalität und Gemütstiefe." (UHU, Oktober 1925, Heft I: 63f.) Brünette Darstellerinnen galten somit als feurig und temperamentvoll, während blonde Frauen als sentimental und sanftmütig beschrieben wurden. Damit bedient sich der Autor stereotyper Vorstellungen, die in Bezug auf nordische Frauen bzw. Südländerinnen damals vorherrschten und zur Zementierung des jeweiligen Typus beitrugen. Auf einer weiteren Abbildung (Abb. 9), die 1931 erschien, wird Dietrich, sowohl auf Bild- als auch auf Textebene als klassische deutsche Film-Schönheit und als ,blonder Engel' vorgeführt. 30 Die Fotografie zeigt nur das Gesicht der Diva in einer Nahaufnahme. Lediglich der Hals, um den eine Federboa gelegt ist, wird in Ansätzen sichtbar. Dietrichs Gesicht ist leicht zur Seite geneigt und ihr Blick weist nach oben. Dadurch wirkt sie nachdenklich, abwesend und in sich gekehrt. Die Augen sind insofern von Bedeutung, als sie sich nicht nur im Bildmittelpunkt befinden, sondern durch ihre Leuchtkraft bzw. durch die reflektierenden Punkte in der Iris eindringlich hervorstechen und der Figur Glanz, Lebendigkeit und Kraft verleihen. Dieser Glanz, der der Protagonistirr anhaftet, wird noch in anderer Weise visueil verstärkt: Die kurzen gewellten und geschmeidig wirkenden blonden Locken 28 Übers.: Conchita Montenegro. Zu den Ausländerinnen, die in Hollywood rasch in die Star-Kategorie aufgestiegen sind, muss diese Spanierin gezählt werden, die, ohne die modernen Anforderungen zu negieren, den klassischen Typus oder die klassischen Vorurteile verkörpert: Dunkle Augen, geschmeidiger, anmutiger Körper. 29 Zur Darstellung spanischer Frauen bzw. des Prolotyps der Spanierin in deutschen und spanischen Zeitschriften der l920er und 1930er Jahre vgl. Kapitel 3.9. 30 D 'Aci i D 'Alla, September 1931.
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sind von oben angestrahlt, so dass der Eindruck entsteht, als würden die Haare eigenständig leuchten bzw. als hätte die Figur einen Lichtkranz (Aureole) um ihren Kopf, der ihr etwas Heiliges verleiht. Die Leuchtkraft des Haars wird dabei durch die K.ontrastierung mit dem schwarzen Hintergrund unterstützt. Der etwas verklärte, ausdrucksstarke Blick, die perfekte Aufmachung der Schauspielerirr und die professionelle Lichtsetzung verleihen Marlene Dietrich das Image eines ,blonden Engels'. Ihr Make-up und die seidig wirkende Haut sind in der Nahaufnahme gut sichtbar. Die Darstellung demonstriert die Art und Weise, wie Augen, Augenbrauen und Lippen der damaligen Mode entsprechend geschminkt wurden, was sicherlich auch als Vorlage für andere Frauen diente. Die Bildunterschrift stellt Dietrich als Prototypen der erfolgreichen deutschen Schauspielerirr vor, die es von der Ufa (mit ihrer Filmrolle im Blauen Engel) bis nach Hollywood geschafft hatte und auf die gleiche Stufe mit Greta Garbo gestellt werden konnte.31 Dieser Vergleich zwischen den beiden bekanntesten Hollywood-Schauspielerinnen der damaligen Zeit scheint nicht zufällig, da ihre optische Aufmachung markante Parallelen aufweist. Auf einem Porträt von Greta Garbo aus dem Jahre 1930 (Abb. 10)32 trägt diese eine ähnliche Frisur und ein ähnliches Make-up wie Marlene Dietrich (vgl. Abb. 9). Die blonden Haare sind wie bei Letzterer kinnlang gewellt und auch die dünnen, nachgezeichneten Augenbrauen und der dicke, schwarze Lidstrich zeigen Analogien zwischen den Schauspielerinnen auf. Des Weiteren finden sich auch in der Mimik Entsprechungen: Beide nehmen einen ernsten Gesichtsausdruck an und ihre geschlossenen Münder wirken emotionslos. Der Blick der Filmdiven schweift von den Betrachterinnen ab und verweist schräg nach oben, auf einen Punkt außerhalb des Bildausschnitts. Interessant ist, dass Garbo im Gegensatz zu Dietrich den Kopfnicht gerade hält, sondern schräg zur Seite neigt. Eine solche Schräglage des Kopfes wird nach Gitta Mühlen Achs mit einer Unterwerfungspose assoziiert (vgl. Mühlen Achs 31
Die Bildunterschrift lautete: "Marlene Dietrich es alemanya. Va comenyar a Berlin pels primers esglaons de l'art dramätico-coreogritfic. La UFA, amb ,L'!coooul>i/UH,
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207 Das Gedicht, das zur Fotografie erschien, lautet wie folgt: "Melodia sensual. Agilidad de corza, de esa mujer que pasa, sobre Ia leve punta de su escarpin, ingravida. Fue un segundo: el deseo, se atrevi6 a desnudarla. Un relampago rojo, apag6 las palabras. Y ella surgi6 magnifica, dura, vibrante y calida, con su fl anco cef\ido, con su piema afilada... jPero no! Yo no quiero, corza sensual y brava; yo no quiero el delirio de tu lumbre satanica. Que me quede el recuerdo, hecho presencia casta, tan solo de tu ritmo, mujer que te me escapas. jBelleza de tu cuerpo parapoder gozarla como una melodia dificil y lejana!" ( Cr6nica, Nr. 266, 16.12. 1934); Übers. : Sinnliche Melodie. Die Frau, die auf ihrer Schuhspitze, schwerelos vorüberzieht, bewegt sich mit der Geschicklichkeit eines Rehgeißes. Es war nur für eine Sekunde: Das Begehren wagte es, sie auszuziehen. Ein roter Blitz schaltete die Worte aus. Und sie erschien prachtvoll, hart, vibrierend und
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nicht, dass der nackte Frauenkörper mit der Gitarre visuell in Verbindung gebracht wird. Interessant ist aber, dass im Text zunächst eine Anbetung der Tänzerin geschieht, bevor diese im nächsten Moment als satanisch bezeichnet wird. Auf diese Weise werden dem dargestellten Frauentypus gleichzeitig verführerische und dämonische Qualitäten zugeschrieben, womit das traditionelle Bild der Femme fatale aufgegriffen wird. insgesamt schien das Bild der ,spanischen Tänzerin' in den Zeitschriften eher als stereotypes Bild vorzuherrschen, was sich auch daran festmachen lässt, dass immer die gleichen Attribute hervorgehoben wurden. So wird die ,spanische Tänzerin' als dunkelhaarige Schönheit mit zurückgebundenem Haar präsentiert. Sie ist in der Regel stark geschminkt und trägt zahlreiche Accessoires wie Peineta, Ohrringe, Armbänder etc. Zudem ist sie auf einigen Darstellungen in langen Volantkleidern und mit der charakteristischen spanischen Mantilla zu sehen. Vor allem in deutschen Magazinen hielt man auf Bildebene an den herrschenden ,Spanienklischees' und an den stereotypen Vorstellungen in Bezug auf spanische Frauen bzw. Tänzerinnen fest (Temperament, Leidenschaft, erotische Macht, Stolz, Selbstbewusstsein, Freude, Emotionalität etc.). Im Folgenden soll nun die Beziehung zwischen Tänzerin und Tänzer auf ikono graphischer Ebene fokussiert werden. Dabei ist von Interesse, ob sich in den modernen Paarkonstellationen im Tanz wieder traditionelle Rollenaufteilungen und hierarchische Strukturen ausmachen lassen, die die Modernität der Bilder relativieren.
3.8.6 Geschlechterbeziehungen im Tanz ln den nun folgenden Bildanalysen steht das Geschlechterverhältnis im Tanz im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei ist von besonderem Interesse, wie die Tänzerinnen zueinander positioniert sind, welche signifikanten Posen sie jeweils einnehmen und wie sie auf Bildebene interagieren. Über die Beziehung der tanzenden Figuren sollen anschließend Rückschlüsse auf die damaligen Geschlechterrollen gezogen werden. Eine Fotografie, die bereits eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses andeutet, eröffnet den Artikel von Artur Michel Der fliegende Mensch (Abb. 94). 20 x Auf dieser sind insgesamt vier Figuren dargestellt (drei Frauen und ein warm mit ihrer schmalen Flanke (Taille) und ihren schlanken Beinen... Aber, nein! Ich möchte nicht dieses sinnliche und ungezähmte Rehgeiß: ich möchte nicht den Wahn deines satanischen Feuers. Es soll mir nur die Erinnerung de ines Geschl echts und deines Rhythmus bleiben, Frau, die du mir entgleitest. Schönheit deines Körpers, um sie zu genießen wie eine schwierige und entfernte Melodie! 208 Vgl. UHU, Heft 5, 2. Jg., Februar 1926.
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Abb. 94: Ausdruckstänzerlnnen, 1926
Mann), die sich in der freien Natur befinden. Im Vorder-, Mittel- und Hintergrund werden eine weitläufige Wiese und ein angrenzendes Waldstück gezeigt. Die vier Gestalten, die sich im Vordergrund befinden, werden in tänzerisch ausdrucksstarken Gesten abgebildet. Dabei nimmt die männliche Figur eine exponierte Position ein, da sie sich im Zentrum der Darstellung befindet und ikonographisch an höchster Stelle platziert ist. Zudem erscheint sie als einzige Figur, die vollkommen in der Luft schwebt. Die drei weiblichen Figuren sind dagegen kreisförmig um den männlichen Protagonisten gruppiert und rahmen diesen auf Bildebene. Die Körper der Tänzerinnen sind in angespannten und kraftvollen Posen zu sehen. Dabei nehmen die drei Frauen sehr ähnliche Körperhaltungen an: Sie heben jeweils ihr rechtes Bein angewinkelt in die Luft, während das linke BeinamBoden steht. Ihre Oberkörper sind z.T. stark geklümmt und die Arme greifen seitlich in den oberen Bildraum hinein. Die Hände kommen dabei in expressiven Gesten zur Geltung. Die Finger sind angespannt und gespreizt, wobei die beiden äußeren Figuren mit ihren Händen auf die männliche Figur zeigen und damit eine direkte Beziehung zu dieser
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aufnehmen. Die Köpfe der Protagonistinnen weisen alle in verschiedene Richtungen. Lediglich die Tänzerin, die sich am äußeren rechten Bildrand befindet, schaut zur männlichen Figur auf. Ihr Blick wird aber nicht vom Tänzer erwidert, da dieser seinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung dreht und zu keiner Figur einen Blickkontakt sucht. Er scheint auf sich selbst bezogen, wohingegen die Hände, die angewinkelten Knie und die Fußspitzen der Tänzerinnen z.T. direkt auf den jungen Mann gerichtet sind und eine Beziehung zu diesem herstellen. Ikonographisch nimmt der Tänzer nicht nur über seine exponierte Position eine Sonderrolle ein, auch seine Körperhaltung weicht stark von denen der weiblichen Protagonistinnen ab. Während sein Oberkörper und Hals gestreckt und senkrecht nach oben weisen, sind die Knie angewinkelt und stark angezogen. Insgesamt wirkt die Haltung des Mannes statischer als die der drei Frauen, obwohl er sich als einziger in einer Sprungbewegung in der Luft befindet. Dies liegt zum einen daran, dass er seine gestreckten Arme dicht am Körper hält und damit die aufrechte Position des Oberkörpers unterstreicht. Zum anderen stehen seine Haare nicht vom Kopf ab und wirken äußerst geordnet. Die Haare der Protagonistinnen dagegen fliegen in der Luft. Hinsichtlich der Körper- bzw. Sprungrichtung fällt auf, dass diese beim männlichen Tänzer lediglich senkrecht nach oben weist. Die weiblichen Figuren dagegen setzen ihren Körper sehr viel raumgreifender ein und oldcupieren mit Beinen, Oberkörpern und Armen den Bildraum. In Bezug auf die kompositorische Zusammenstellung ist festzuhalten, dass die Anordnung der Köpfe der Figuren auf Bildebene eine Dreieckskomposition ergibt. Verbindet man die angewinkelten und gestreckten Knie der Protagonisten imaginär miteinander, formt sich dagegen ein Bogen, der direkt auf die Natur bzw. Landschaft verweist. Auf diese Weise wird auf einen neuen Zugang zur Natur verwiesen, der von beiden Geschlechtern gleichermaßen gesucht wird. Während die Dreiecksanordnung eine Stabilität vorgibt - trotz der wilden und ausdrucksstarken Gesten der Protagonistinnen - ist es vor allem die männliche Figur, die dem Arrangement eine gewisse Ruhe und Ordnung verleiht. Dieser Eindruck wird noch insofern verstärkt, als sich der Kopf des Mannes an der Spitze des Dreiecks befindet. Gleichzeitig wird durch die Komposition und durch die Positionierungen der Figuren eine Hierarchie zwischen diesen markiert. Dabei nimmt der männliche Tänzer zweifelsohne die wichtigste Rolle ein, da sein Körper höher platziert ist und er zentral ins Bild gesetzt wurde. Die Tänzerinnen dagegen erscheinen zwar untereinander auf gleicher Höhe und stellen somit eine gleichberechtigte Gruppe dar, doch sind sie unter dem Mann angeordnet und beziehen sich auf diesen. Bemerkenswert ist auch die Kleidung der Tänzerinnen: Während die Frauen kurze, weite Pumphosen tragen (diese erinnern auch an die Hosen der Wigman-
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Schülerinnen llse Laredo und Gret Palucca), die sie mit einem knappen Bustier kombinieren, ist der Mann lediglich mit einer kurzen Sporthose bekleidet. Dabei fallt das Licht so, dass zum einen der muskulöse und nackte Oberkörper des Mannes plastisch hervorgehoben wird und zum anderen die Beine und Arme der Protagonistinnen kontrastreich akzentuiert werden. Die Gesichter der Dargestellten sind dagegen weniger detailreich über die Lichtsetzung herausgearbeitet, womit ihnen auch weniger Bedeutung beigemessen wird. Einige Gesichter, wie das des Mannes und der Frau rechts außen, bleiben durch die starken Schatten sogar völlig unkenntlich. Über den Körperausdruck, die Sprungbewegung, die Kleidung und die Präsentation der Szenerie in der freien Natur kann die Tänzerinnengruppe zur Ausdruckstanz-Bewegung gezählt werden. Auffallig ist, dass jede Figur für sich steht bzw. tanzt und keine unmittelbare Berührung unter den Figuren stattfindet. Es wird aber deutlich, dass sich die weiblichen Figuren körpersprachlich auf den Mann beziehen. Obwohl die Frauen sehr expressive Körperhaltungen einnehmen, die sie als starke Individuen kennzeichnen, scheint gleichzeitig eine gewisse hierarchische Ordnung zwischen den männlichen und weiblichen Tänzerinnen bestehen zu bleiben. Diese Hierarchie wird mit Hilfe der Körperanordnungen und der ungleichen Körpersprache markiert. Trotz der neuartigen Geschlechterdarstellungen im Kontext des modernen Tanzes bleiben somit gleichzeitig traditionelle Geschlechterrollen-Vorstellungen bestehen. Eine weitere Fotografie, die ein modernes Geschlechterverhältnis vorgibt, wurde 1929 im UHUpubliziert und zeigt zwei Figuren (einen Mann und eine Frau), die sich ebenfalls in der freien Natur befinden (Abb. 95). 209 Sie werden in einer akrobatischen Übung gezeigt, in der der Mann die stehende weibliche Figur auf seinen Oberschenkeln trägt (die Frau hat ihre Füße jeweils auf den linken und rechten Oberschenkel des Mannes platziert). Die Pose demonstriert eine extreme Gleichgewichtsübung, da die beiden Personen mit ihren Körpern eine gemeinsame Achse bilden. Ihre Oberkörper sind dabei schräg nach hinten verlagert, wobei sich die Dargestellten nur an einem Arm festhalten. Der andere wird jeweils nach hinten bzw. zur Seite ausgestreckt. In dieser sportlichen Übung werden die Figuren als ein perfekt aufeinander abgestimmtes Team präsentiert, die das Körpergewicht genauestens austarieren, um die Pose zu halten. Im Gegensatz zum vorangehenden Bild sind die Körper der Dargestellten stark aufeinander bezogen, da die vorgeführte Pose nicht ohne den Partner ausgeführt werden kann. Doch auch hier nimmt der Mann eine zentrale Rolle ein, da er die Frau auf seinen Oberschenkeln trägt. Die gezeigte Fotografie ist im Kontext des Artikels von Vicki Baum Die Mütter von morgen- die Backfische von heute (1929) im UHU erschienen und wurde einer weite209 UHU, Heft 5, 5. Jg., Februar 1929: 49.
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Abb. 95: Paar in akrobatischer Pose, 1929
ren Fotografie gegenüber gestellt (Abb. 96)210 , die ein sehr traditionelles Geschlechterverhältnis veranschaulicht (die Frau lehnt sich an den Körper des Mannes und er umschließt sie mit seinen Armen). Unter dem Bild des ,modernen' Paares finden sich folgende Zeilen: "Gesunde Kameradschaft: Wenn sie diese beiden Bilder miteinander vergleichen, wird Ihnen der Weg klar, den unsere Generation gegangen ist." Auf diese Weise sollte die Veränderung der Geschlechterrollen mit Hilfe der beiden Fotografien visualisiert werden, um Modernität und Tradition im Geschlechterverhältnis zu kennzeichnen. Das ,moderne' Paar wurde da-
bei mit dem Begriff ,Kameradschaft' in Verbindung gebracht, was auf eine gleichberechtigte Rollenverteilung bzw. auf eine freundschaftliche und respektvolle Beziehung der Partner hinweist. Doch obwohl die Geschlechterbeziehung als fortschrittlich herausgestellt wird, muss berücksichtigt werden, dass der Mann die tragende Funktion innerhalb der Zweierkonstellation übernimmt. Während er mit beiden Beinen fest am Boden verankert ist, balanciert die Frau auf seinen Oberschenkeln. Zwar muten die sportliche Kleidung und die akrobatische Übung sehr modern an, doch bleibt die Rollenverteilung bei der Ausführung der Pose eher traditionell. Dennoch funktioniert die gezeigte Pose nur in einer Zweierkonstellation, was einerseits auf eine Abhängigkeit der Personen und andererseits auf eine exakte Balancierung der Kräfte bzw. auf ein perfekt ausgewogenes Zusammenspiel aufmerksam macht. Vergleicht man die Weiblichkeitsdarstellungen im Ausdruckstanz, im Ballett und im ,spanischen Tanz' miteinander, können sowohl moderne als auch traditionelle Entwürfe des weiblichen Körpers im Tanz ausgemacht werden, wobei auf einigen Abbildungen beides vermengt wird. Dabei standen in den jeweiligen Analy210 UHU, Heft 5, 5. Jg. Februar 1929: 48.
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sen immer die Einzelpersönlichkeiten im Vordergrund. Ergänzend dazu ist die Aufmerksamkeit im letzten Teil des Kapitels auf Paarkonstellationen (männlich/weiblich) bzw. Gruppenarrangements gelenkt worden, um die Interaktionen zwischen Männem und Frauen im Tanz näher zu bestimmen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Frauenkörper innerhalb des Ausdruckstanzes immer als bewegter Körper in Erscheinung tritt, der die dynamische Energie bestimmter Figuren (Sprung, Drehung, Torsion etc.) visualisiert. Über die neuen Körperausdmcksformen wird gleichzeitig em neues Abb. 96: Klassische Geschlechterdarstellung, 1929 Weiblichkeitskonzept kommuniziert, was immer ein bestimmtes Körperideal (jung, schlank, knabenhaft, flachbusig etc.) im Neuen Tanz fokussiert. Die ausdrucksstarke Bewegung der Tänzerinnen deutet dabei auf eine Aufbruchstimmung und auf eine neue Lebensphilosophie hin. Sie verweist auf den Wunsch nach einem neuen Gesellschaftssystem, in dem Frauen selbstbestimmt und frei agieren und die gleichen Rechte genießen wie die Männer. Im Gegensatz zu den Balletttänzerinnen geht es den Protagonistinnen des Ausdruckstanzes nicht um die technische Präzision, sondern vielmehr darum, die individuelle und intuitive Ausdrucksstärke der Einzelperson herauszustellen, womit die Darstellungen etwas sehr Persönliches und Eigenwilliges bekommen. Obwohl die Körper der Ausdruckstänzerinneu z.T. nur spärlich bekleidet sind, werden diese nicht sexualisiert dargestellt, da ihre Inszenierungen weniger darauf abzielen, einem männlichen Betrachter gefallen zu wollen. Eher deutet die knappe Kleidung auf uneingeschränkte und freiheitliche Bewegungsmöglichkeiten hin. Zudem wenden sich auch die Blicke der Tänzerinnen von den Betrachterinnen ab, was darauf verweist, dass sie ganz auf die ausgeführte Bewegung konzentriert sind. Während die Bilder der Ausdruckstänzerinneu hauptsächlich neue, nicht-akademische und unkonventionelle Bewe-
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gungsformen zeigen und eine kraftvolle Energie verdeutlichen, wirken die Posen der Balletttänzerin Pawlowa erstarrt. Sie steht zwar als Inbegriff einer perfekten Körperbeherrschung und Disziplin, bewegt sich aber in einem fest vorgegebenen Rahmen, womit sie ein traditionelles und stark ästhetisiertes Weiblichkeitsbild repräsentiert. Zieht man die Bilder der ,spanischen Tänzerinnen' kontrastierend hinzu, fallt auf, dass diese ebenfalls einem vorgegebenen, traditionellen Weiblichkeitsentwurf entsprechen. Die ,spanischen Tänzerinnen' sind hauptsächlich in statischen Posen zu sehen, wobei die tänzerische Bewegung meist nur angedeutet bleibt und als Standbild eingefroren ist. Die dynamische Körperbewegung scheint damit weniger im Vordergrund zu stehen. Dafür werden hauptsächlich die schönen Gesichter der Protagonistinnen, bestimmte Posen und Accessoires fokussiert und mit dem Tanz in Verbindung gebracht. Der ,spanische Tanz' bzw. die ,spanische Tänzerin' wird damit auf wenige aussagekräftige Merkmale reduziert und als stereotypes Bild entworfen. Die Visualisierung der ,spanischen Tänzerin' diente in den deutschen Zeitschriften meist dazu, ein exotisches und erotisch aufgeladenes Bild der Spanierin zu zeigen, das mit Leidenschaft und Temperament assoziiert wurde. In den spanischen Magazinen stehen die Bilder auch für Tradition, Selbstbewusstsein und Lebenserfahrung, da ebenso ältere Tänzerinnen auf eine würdige und stolze Weise gezeigt wurden. Schließlich lässt sich in Bezug auf das Geschlechterverhältnis im Tanz festhalten, dass die analysierten Figurenkonstellationen zwar sehr ausdrucksstarke und neuartige Körperanordnungen und -formen zeigen, dass die Beziehungen zwischen Mann und Frau jedoch nach wie vor klassisch strukturiert waren. So erscheint der Mann entweder auf höchster Bildebene oder er übernimmt eine Schlüsselfunktion, in der er die Situation kontrolliert bzw. als tragende Säule fungiert. Einerseits werden mit den akrobatischen Übungen demnach neue Körperkonzepte und Begegnungsmöglichkeiten im Tanz offenbart, andererseits scheinen aber alte Geschlechtervorstellungen vorzuherrschen, die Frauen zwar in Aktion, aber in einer untergeordneten Rolle zeigen. Dies ist insofern interessant, als man über die modernen Geschlechterbilder auf den gesellschaftlichen Wandel und die vermeintlich gleichberechtigte Rolle der Frau bzw. die Veränderung der traditionellen Geschlechterrollen aufmerksam machen wollte. Die Tanzbilder suggerierten, dass sich eine weibliche Emanzipation bereits vollzogen hatte, was jedoch nur bedingt der tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Situation entsprach.
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TYPISCH DEUTSCH - TYPISCH SPANISCH? DIE ,RASSIGE' SPANIERIN UND DIE UNGESCHMINKTE DEUTSCHE
Sowohl in deutschen als auch in spanischen Zeitschriften wurden - abgesehen von den ,universellen' Typologien, die in ganzEuropaund Amerika in Erscheinung traten (z.B. das Girl oder die Gan;;onne)- auch kulturspezifische Frauentypen gezeigt. Hierbei griff man auf ikonographischer Ebene häufig auf Klischees und Stereotypen zurück, die mit dem jeweiligen Land in Verbindung gebracht wurden. So erschien beispielsweise in der Zeitschrift Cr6nica der illustrierte Artikel Berlin, la ciudad de las mujeres sin maquillaje (Berlin, die Stadt der ungeschminkten Frauen). 211 Dieser wurde 1934 in Spanien publiziert (nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten) und zeigt u.a. die Fotografie eines Mädchens, das offen und ,natürlich' in die Kamera lacht (Abb. 97). Auf dem Querformat sind nur der Kopf und ein Teil der Schulterpartie der jungen Frau zu sehen. Der Hintergrund ist unscharf. Das dargestellte Mädchen beugt sich nach vorne und schließt ein Tier (möglicherweise ein Schaf) in seine Arme. Dabei strahlt es unmittelbar in die Kamera und blickt die Betrachterlnnen an. Ihr Gesichtsausdruck wirkt offen und unverstellt. Auffallig ist, dass die Protagonistirr keinen klassischen Bubikopf trägt, sondern langes, zurückgebundenes Haar. Dieses wird durch ein breites, gestreiftes Stirnband zurückgehalten. Die klassischen Attribute, die sonst für den Typus der Neuen Frau auf visueller
Abb. 97: Deutsches Mädchen, 1934
211 Vgl. Cr6nica, Nr. 288, 19.05.1934.
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Abb. 98: Deutsche Frau, 1932
Abb. 99: Gretchen-Darstellerin, 1926
Ebene zum Einsatz kommen (z.B. kurze Haare, geschminktes Gesicht, Schmuck, kurze Röcke, Seidenstrümpfe etc.) werden hier nicht sichtbar. Stattdessen ist ein ländlicher Typus (das Tier deutet auf einen bäuerlichen Zusammenhang hin) mit einer ,natürlichen' Ausstrahlung zu sehen. In der Bildunterschrift heißt es: "Las mujeres alemanas no se pintan. Sus labios no exponen a los novios al terrible ridfculo de salir de un eine o de un jardfn solitario con Ia cara convertida en una paleta de pintor."212 Mit diesem Bildkommentar wird vor allem auf die Nachteile des Makeups (beim Küssen) ftir männliche Liebhaber aufmerksam gemacht. Dagegen bleibt der Aspekt der Modernität durch den Einsatz von Schminke unerwähnt. Vielmehr heißt es, dass das Fehlen von Make-up keine Nachteile für die Liebe habe. Die ungeschminkte ,Natürlichkeit' wird auf Textebene als charakteristisches Merkmal für die ,deutsche Frau' (in Berlin) hervorgehoben: "Berlfn es Ia ciudad de las caras sin pintar y del pelo platino natural." 213 Damit wird ein stereotypes Bild der ,deutschen 212 Übers.: Die deutschen Frauen schminken sich nicht. Ihre Lippen setzen ihre Partner
nicht der schrecklichen Blamage aus, aus einem Kino oder einem einsamen Garten mit einem verschmierten Gesicht herauszukommen, das einer Farbpalette gleicht. 213 Übers.: Berlin ist die Stadt der ungeschminkten Gesichter und des natürlichen Platin-
blonds.
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Abb. I 00: Frauen in deutschen Trachten, 1935
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Abb. I 0 I: Deutsche Frau, 1934
Frau' gezeichnet und verfestigt. Interessant ist dabei vor allem, dass auf Bildebene kein urbaner Frauentypus gezeigt wird, sondern ein ländliches Mädchen. Zieht man weitere Vergleichsbilder heran, fallt auf, dass deutsche Frauen in den untersuchten spanischen Blättern häufig als ,natürlich' bzw. ,naturnah' präsentiert wurden, gerne auch in traditionellen Rollen- z.B. als Mutter oder Gretchen (vgl. Abb. 98 214 und 99215) oder in regionalen Trachten gekleidet ( vgl. Abb. 100) 216 • Andererseits tauchten aber auch sehr moderne Bilder von deutschen Protagonistinnen in spanischen Blättern auf, die dem damaligen Bild der Neuen Frau entsprachen. Auf Abb. 101 ist beispielsweise eine Frau mit blondem Bubikopf, Jumper und Rock 214 Die Fotografie erschien im Kontext des Artikels Las muchachas alemanas aprenden a ser madres con munecos ... A los que lavan y cuidan como si .fi1eran ninos de verdad. (Estampa, Nr. 221, 02.04.1932) Übers.: Die deutschen Mädchen lernen die Mutterrolle
mit Hilfe von Puppen ... Die sie waschen und um die sie sich kümmern, als ob es richtige Kinder wären. 215 D'Aci i D'Alla, November 1926. 216 Die Fotografie stammt aus dem Artikel Trajes populares de las diversas regiones alemanas. (Revista Ford, April 1935: 102-104) Übers.: Volkstümliche Trachten aus ver-
schiedenen Regionen Deutschlands.
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Abb. I 02: Spanierin mit Mantilla, 1928
Abb. 103: Frau mit Mantilla, 1928
zu sehen, die in einer modernen Pose gezeigt wird. 217 Ihr rechter Arm greift nach oben zum kurzen Haar und hält dieses aus ihrem Gesicht. Dabei schweift ihr Blick in die Feme und wirkt abwesend, während der Mund zu einem Lächeln verzogen ist. Im Gegensatz zum unteren Körper, der sich in einer schrägen Position befindet, sind der Oberkörper und der Kopf gerade aufgerichtet. Bei der extremen StandbeinSpielbein-Position wird das Becken der Protagonistirr stark zur Seite gekippt und setzt diagonale Körperlinien ins Bild, die Bewegung und Dynamik suggerieren. Ein modernes Frauenbild wird hier vor allem über die Mode, die Frisur und die Körperpose angezeigt. Der begleitende Artikel behandelt indessen das Thema der Einwanderung von deutschen Bürgerinnen nach Barcelona. Dabei wurden deutsche und spanische Frauen als äußerst gegensätzlich betrachtet: "Las mujeres del Norte, como la que reproduce esta fotografia, altas, rubias, esbeltas y con unos ojos de color de cielo, rivalizan en belleza con las muchachas de ojos negros, un poco latinas
217 Vgl. den Artikel Mas de cuarenta mil extranjeros residen en Barcelona. Dentro de la ciudad espanola hay otra ciudad, principalmente alemana, cuya poblaci6n es superior a Ia de Granada, Almer[a, Le6n o Burgos. (Cr6nica, Nr. 256, 07.10.1934) Übers.: Mehr
als vierzigtausend Ausländer leben in Barcelona. Innerhalb der spanischen Stadt gibt es noch eine andere Stadt, die hauptsächlich deutsch ist und deren Einwohnerzahl größer als die von Granada, Almeria, Le6n oder Burgos ist.
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y un poco orientales, que florecen en las tierras de Catalufia."218 Während die deutschen Frauen als blond, schlank und hochgewachsen galten, wurden die Spanierinnen als dunkelhaarig und leicht orientalisch beschrieben. Das Bild der ,deutschen Frau' wird im Artikel vor allem dazu genutzt, um einen Kontrast zur Spanierin zu markieren und in gewisser Weise die ,Exotik' bzw. ,Eigenarten' des Typus herauszustellen. So wie sich das Bild der ,deutschen Frau' in spanischen Magazinen nach einem stereotypen Muster orientierte, waren auch die Darstellungen ,der Spanierin' in deutschen Zeitschriften mit zahlreichen, festgelegten Attributen bzw. KlischeevorstellunAbb. 104: Spanische Frauen mit Mantilgen versehen. Auffallig ist, dass fast immer la, 1928 dunkelhaarige und dunkeläugige Protagonistinnen den Typus repräsentierten, der auf Textebene häufig als ,rassige Spanierin' beschrieben wurde. Dabei trugen die ,spanischen Frauen' meist traditionelle, landestypische (andalusische) Trachten mit Spitzenstoffen bzw. Mantillas. Letztere galten als genuin spanisches Phänomen und wurden mit Weiblichkeit und spanischer Tradition in Verbindung gebracht. 219 Den Kopf der Frauen schmückten lange Peinetas (Haarkämme), an denen die Schleier befestigt waren. ikonographisch lehnten sich die Darstellungen z.T. an Madonnenbilder an, womit auch ein religiöser Bezug220 hergestellt wurde (vgl. Abb. 102).221 Die Mantilla galt außerdem als
218 Übers.: Die Frauen aus dem Norden, wie die, die auf dieser Fotografie dargestellt ist, groß, blond, schlank und mit einer Augenfarbe, die der Himmelsfarbe gleicht, treten in Konkurrenz zu den Frauen mit schwarzen Augen, die aus Katalonien stammen - ein wenig Latinas und ein wenig orientalisch. 219 Vor allem im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Mantilla ein wichtiges Kleidungsstück für spanische Frauen. Diese trugen die schwarze Mantilla, um in die Kirche oder spazieren zu gehen, und die weiße Mantilla bei Stierkämpfen. Die Mantilla war auch ein obligatorisches Kleidungsstück bei Hochzeiten und verhüllte den
Körper der Braut, während das Gesicht durch die Verhüllung der Haare hervorgehoben wurde. Die Manti/la war meist sehr groß (ca. I ,80 x 2,00 m) und bedeckte beinahe den gesamten Körper der Frauen.
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Abb. 105: Spanische Frau mit Mantilla, 1934
Abb. 106: Spanische Frau mit Peineta, 1934
Verführungselement 222 , das den weiblichen Körper umhüllte bzw. bedeckte und trotzdem einzelne Körperpartien unter dem transparenten Stoff sinnlich hervorhob. In den untersuchten deutschen Magazinen enthielten die Darstellungen von Spanierinnen auch immer erotisch konnotierte Zeichen, z.B. waren die Protagonistinnen stark geschminkt oder sie warfen den Betrachterinnen sinnliche Blicke zu. Die Frau als Verführerin stand hier deutlich im Vordergrund und wurde auch durch entsprechende Posen in Szene gesetzt (vgl. auch Abb. 103 223 , auf der die Protagonistin ko-
220 In Spanien spielten der strenge Katholizismus und seine impliziten Dogmen in Bezug
auf Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder eine tragende Rolle. Zahlreiche katholische Organisationen machten sich bereits fiüh die illustrierte Presse zunutze, indem sie Zeitschriften herausgaben, die sich explizit an ein katholisches, weibliches Publikum richteten, u.a. Aceion Cat6lica Femenina, Jesus Maestro, La mujer cat6lica, La revista de las hijas de Maria (vgl. Ortiz Albear 2003: 198). 221 UHU, Heft 5, 4. Jg., Februar 1928. 222 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Artikel C6mo se pone, c6mo se I/eva y c6mo se
emplea como arma de seducci6n una mantilla espanola (Wie man eine spanische Manti/la anzieht, trägt und als Verführungswaffe einsetzt), Cr6nica, Nr. 178, 09.04. 1933. 223 UHU, Heft 5, 4. Jg., Februar 1928.
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cronaeaJI
Abb. I 07: Spanische Frau mit Mantilla und Peineta, 1933
Abb. I 08: Spanische Frau im Yolantkleid, 1934
kett in die Kamera lächelt und die nackte Schulter präsentiert oder Abb. 104224 , auf der die Dargestellten den Kopf in den Nacken legen und die Münder sinnlich geöffnet halten.) Dagegen werden auf den Abbildungen von Spanierinnen in spanischen Zeitschriften häufig religiöse Codes auf ikonographischer Ebene eingesetzt. Ein immer wieder auftauchendes Symbol ist die Kette mit dem Kreuz, die sich am Hals der Dargestellten befindet (vgl. Abb. 105 225 und Abb. 106226). Außerdem werden die Frauen u.a. mit einer Bibel oder betend gezeigt. Auf Abb. 107227 ist beispielsweise die spanische Schauspielerirr Carmen Diaz im Halbprofil zu sehen. Der Körper der Schauspielerirr ist beinahe komplett in den Stoff der Mantilla eingehüllt. Lediglich Diaz' Gesicht ist von der Seite zu sehen. Mit melancholischem und etwas abwesendem Blick schaut sie links aus dem Bild heraus. Auf dem Kopf und unter der Manti/la ist eine Peineta befestigt, die das Haupt wie eine Krone schmückt. Die Protagonistirr beugt sich mit ihrem Oberkörper nach vorne, wobei ihre Beine jedoch im Verborgenen bleiben. Dabei fällt eine Kette ins Auge, die eine kleine Figur als An224 Vgl. UHU, Heft I, 5. Jg., Oktober 1928. 225 Cr6nica, Nr. 231 , 15.04.1934. 226 Cr6nica, Nr. 235, 13.05.1934. 227 Cr6nica, Nr. 178, 09.04.1933.
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hänger trägt (wahrscheinlich einen Schutzheiligen). Zudem ist rechts unten neben der Protagonistirr ein Buch - vermutlich eine Bibel - zu sehen, das zur madonnenhaften Aufmachung der Schauspielerirr passen würde. Ein religiöser Bezug ist hier sehr viel offensichtlicher als auf den Darstellungen der ,spanischen Frau' in den deutschen Zeitschriften. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem ein illustrierter Artikel aus der Zeitschrift Cr6nica, der einige Schauspielerinnen mit Heiligen-Figuren und -Bildern zeigt und die abgebildeten Protagonistinnen 1m Interview Abb. I 09: Spanische Frau als Madonna, 1934 fragt, an welche Schutzheiligen sie sich wenden, bevor sie auf die Bühne gehen. 22 x Auf ikonographischer Ebene werden die Schauspielerinnen den Heiligen-Bildern gegenübergestellt. Dabei lehnen sie sich optisch z.T. stark an die Aufmachung der Schutzpatronen an (vgl. Abb. 108229) oder ahmen andere religiöse Figuren nach (vgl. Abb. 109230, auf der sich die Schauspielerirr Ana Maria selbst wie eine Heilige inszeniert). Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Verknüpfung von Religion und Weiblichkeit bei den ,spanischen Frauen' in spanischen Zeitschriften sehr viel deutlicher hervorgehoben wurde, was an dem damals noch geltenden C6digo Civif31 liegen könnte, der die ,spanischen Frauen' stark in religiöse Kontexte einbettete 228 Der Artikel ist wie folgt überschrieben: ,;A que imagen se encomienda usted antes de sa-
lir a escena? - p regunta CRONICA a varias populares artistas de teatro .. . Y he aqui lo querespanden (An welches Bild wenden Sie sich, bevor Sie auf die Bühne gehen? Fragt CRONICA einige bekannte Theaterschauspielerinnen ... Und hier sind ihre Antworten), Cr6nica, Nr. 267,23.12.1934. 229 Cr6nica, Nr. 276,24.04.1934. 230 Ebd. 231 Der C6digo Civil bezeichnet das spanische Zivilgesetzbuch von 1889, das in modifizier-
ter Form bis heute in Kraft ist.
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und Frömmigkeit als eine der wichtigsten weiblichen Tugenden auslegte. Gleichzeitig wurden die Frauen in den öffentlichen Medien aber sehr erotisch, stark geschminkt und mit verklärten, verführerischen Blicken gezeigt, so dass den religiös anmutenden Bildern auch immer etwas Verruchtes anhaftete und die dargestellten Frauen somit eine Doppelrolle erhielten (die Heilige und die Hure). Auf diese Weise wurden auch beim Typus der ,spanischen Frau' unterschiedliche Weiblichkeitscodes miteinander vermengt, womit die frommen Protagonistinnen auch besonders ftir ein männliches Publikum ansprechend erscheinen mussten. Mit der attraktiven Darstellung konnte sowohl das Bild der religiösen Spanierin als auch das Bild der Femme fatale miteinander in Einklang gebracht werden.
3.10 ZUSAMMENFASSUNG Mit der Analyse massenmedialer Weiblichkeits- und einiger Männlichkeitsbilder aus deutschen und spanischen Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre sollte geptüft werden, wie Weiblichkeit bzw. Geschlecht auf visueller Ebene hergestellt wurde und welche Bedeutungen die lancierten Darstellungen im damaligen gesellschaftspolitischen Kontext möglicherweise hatten. Hierfür wurden sieben prägnante Typen untersucht, die in den Zeitschriften eine wichtige Rolle einnahmen und sowohl ein modernes Weiblichkeitskonzept als auch ein traditionelles Bild von Feminität transportierten bzw. Überlagerungen von Modernität und Tradition auf Bildebene vereinten. Als bedeutende Typologien konnten die Hollywood-Schauspielerin, die Gan;onne, das Girl, die Kindfrau und die Mutter festgehalten werden. Zudem traten mit den neuen Berufs- und Freizeitmöglichkeiten insbesondere zwei Weiblichkeitstypen hervor, die mit körperlicher Aktivität und Ausdruckskraft in Verbindung gesetzt wurden: die Sportlerirr und die Tänzerin. Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Bildanalysen zusammengefasst werden, um die Aussagen der Bilder im jeweiligen soziokulturellen Umfeld (Deutschland/Spanien) zu reflektieren. Zu den Images der (Hollywood-)Filmstars lässt sich festhalten, dass die untersuchten Bilder von Greta Garbo, Marlene Dietrich und Conchita Montenegro stark inszeniert waren und idealisierte Schönheitsvorstellungen von Weiblichkeit transportierten. Denn die Darstellungen zeigten die Stars in einer Perfektion, die nur über die nachträglichen Retuschearbeiten am Negativ hergestellt werden konnte. Gleichzeitig wurden auf diese Weise Ideal- bzw. Traumbilder zur Verfügung gestellt, die als Identifikationsmuster für damalige Betrachterinnen fungierten, da in
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den Zeitschriften immer wieder suggeriert wurde, dass jede Frau zum Filmstar werden und damit zum beruflichen wie gesellschaftlichen Erfolg gelangen konnte. Die Abbildungen der Filmdiven waren somit auch Vorbilder, die neue (berufliche) Möglichkeiten für Frauen vor Augen führten, gleichzeitig aber sehr genau vorgaben, wie man sich auf visueller Ebene präsentieren musste, um erfolgreich zu sein. ln diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die Bilder mit ihrer sinnlichen Ästhetik vornehmlich männliche Betrachter ansprachen. Es wurde aber nicht nur vorgegeben, dass über die schauspielerische Karriere ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich war, sondern auch, dass die Diven stark vom Urteil der Betrachterinnen abhängig waren bzw. dass ihr Erfolg maßgeblich mit dem Feedback des Publikums zusammenhing. Zu berücksichtigen ist, dass die Abbildungen der Hollywood-Diven ein klares ökonomisches Interesse verfolgten, da die Stars häufig auf einen neuen Film aufmerksam machten und die Verbreitung ihrer Images in den Zeitschriften wesentlich zum Erfolg des Films beitrugen. Die systematische Distribution der fotografischen Schauspielerinnenporträts und die Entstehung des Starkults waren somit wichtige Voraussetzungen, um die beworbenen Filme in Kassenschlager zu verwandeln. Die Hollywood-Diven wurden auf den untersuchten Bildern als glamouröse und erfolgreiche Schauspielerinnen vorgeführt. Doch hing ihr Erfolg wesentlich von den damaligen Studios ab, die meist männlich dominiert waren und die Filmdiven über lange Verträge in Abhängigkeit hielten. Obwohl die Filmschauspielerinnen einen vermeintlich progressiven Weiblichkeitsentwurf lebten, der für viele damalige Betrachterinnen - auch wegen der Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs erstrebenswert schien, waren sie nicht unabhängig und selbstbestimmt, sondern Teil eines Medienapparats. Innerhalb der fotografischen Inszenierungen hatten sie nur wenig Spielraum bzw. individuelle künstlerische Ausdrucksfreiheit, da die Bilder nach bestimmten Vorgaben konzipiert und vermarktet wurden. ln Bezug auf die visuelle Darstellung von Dietrich, Garbo und Montenegro fallt auf, dass alle drei Schauspielerinnen ihren Körper äußerst kontrolliert vor der Kamera in Szene setzten. Jede Pose und jeder Ausdruck schien genauestens durchdacht und bis ins kleinste Detail arrangiert, womit sie eine perfekte Körperbeherrschung demonstrierten. Das Posieren bzw. die Ausrichtung auf einen imaginierten Betrachter zeigt, wie stark das Publikum schon während der fotografischen Inszenierung gedanklich mit einbezogen wurde. ihr perfektes Äußeres (makellose Haut, modernes Make-up, modische Frisuren und mondäne, elegante Kleidung) wird auf Bildebene zwar als vorbildhaft präsentiert und ihre Images können als Leitbilder der damaligen Epoche betrachtet werden, doch rücken die Divenbilder durch ihre aufwendige Retuschierung für die Rezipientinnen ins Unerreichbare. Auf formalästhetischer Ebene ist von Bedeutung, dass sowohl moderne als auch traditionelle
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Weiblichkeitsmarker miteinander vermengt wurden. Beispielsweise erinnern die sinnliche Präsentation der Körper und die lasziven Blicke von Dietrich an Inszenierungen der Femme fatale aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Andererseits repräsentierten die Filmschauspielerinnen durch ihren beruflichen Erfolg sowie ihre moderne und elegante äußere Aufmachung einen modernen Frauentypus, der öffentliche bzw. gesellschaftliche Anerkennung erhielt. Emanzipatorische Ansprüche in Form eines selbstbestimmten Körperausdrucks können auf Bildebene aber nicht ausgemacht werden. Vielmehr erscheint der Typus der Filmdiva als hochartifizielles Medienprodukt Zum Image der Diva gehörte eine emotionslose, kühle und unnahbare Ausstrahlung, wobei der Blick meist abwesend wirkte. Diese Versunkenheit verweist auf eine gewisse Isolation und Entrücktheit der Protagonistinnen, die ebenfalls mit dem Typus in Verbindung gebracht wurden. Das Konzept der Hollywood-Filmdiven wurde sowohl in Spanien als auch in Deutschland übernommen und verbreitet. ln beinahe jeder Ausgabe der untersuchten illustrierten Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre konnten fotografische Images von Hollywood-Schauspielerinnen ausgemacht werden, um auf bestimmte Filme oder auf Kosmetik- und Modeprodukte mittels der ästhetisch ansprechenden Starbilder aufmerksam zu machen. Bei der Inszenierung kultureller Spezifika werden Marlene Dietrich und Conchita Montenegro nach stereotypen Merkmalen der blonden Deutschen und der brünetten Spanierin unterschieden. Während Dietrichs blonden Haare beispielsweise so beleuchtet werden, als hätte sie eine Aureole um ihren Kopf- wodurch sie wie ein blonder Engel aussieht -, wird Montenegro mit ihrem direkten, herausfordernden Blick und ihrer Körperpose als selbstbewusst und temperamentvoll dargestellt. Auf diese Weise bedienten und zementierten die Hollywood-Bilder damals gängige Klischees, die deutsche und spanische Frauen auf wenige Merkmale reduzierten. Die aus Frankreich stammende Gan;onne zeichnete sich vor allem durch die Übernahme männlich konnotierter Attribute aus. Sie wurde in den visuellen Medien als Prototyp der Neuen Frau präsentiert, der auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen- insbesondere auf die sich wandelnden Geschlechterrollen- aufmerksam machte. Die Mode der Garc,;onne (sie trug Anzüge, Hosen, Hemden, Krawatten etc.) und ihre virilen, raumgreifenden Körperposen (u.a. breitbeiniger Stand, in die Seite gestemmte Arme) veranschaulichten einen neuen Weiblichkeitstypus, der selbstbewusst und unabhängig auftrat. Allerdings wurde die maskuline Darstellung der Garc,;onne insofern relativiert, als auf visueller Ebene gleichzeitig Weiblichkeitsmarker (z.B. starkes Make-up, Schmuck, erotisch-einladende Blicke) gesetzt wurden, die die ,männlichen' Zeichen wieder abschwächten. Lehnte sich die Garc,;onne zu stark an ,maskuline' Codes an, hatte dies zur Folge, dass sie in den
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Zeitschriften meist als ,vermännlicht' beschrieben und als Konkurrentin des Mannes betrachtet wurde. Die ,Verrnännlichung' galt umso mehr, je offensichtlicher sie sich dem ,männlichen Ideal' anglich und je stärker sie auf weiblich konnotierte Merkmale verzichtete. So wurde beispielsweise die androgyne Darstellung von Amelia Earhart mit weiteren Fotos der Pilotin ergänzt, um sie eindeutig als Frau kenntlich zu machen. Auf anderen Darstellungen wurden Elemente der Femme fatale oder Kindfrau in die Garyonne-Darstellungen gemischt, um die modernen Frauen kindlich-naiv und erotisch-ansprechend zu präsentieren. Diese Eindämmungselemente entkräfteten dabei das Bild der unabhängigen und selbstbestimmten Frau erheblich. Die Garyonne, die mit modernen Lebensentwürfen und Emanzipationsbestrebungen in Verbindung gebracht wurde, ist auf Bildebene meist als widersprüchlieber Typus zu sehen, der traditionelle und moderne Weiblichkeitsmarker sowie ausgewählte Männlichkeitsattribute miteinander vereint. Über die männlich konnotierte Mode der Garyonne wurde zwar ein Machtanspruch formuliert, der allerdings durch die gleichzeitige Überbetonung von Weiblichkeitscodes bzw. durch die starke Feminisierung, Sexualisierung und Infantilisierung der Protagonistinnen wieder aufgehoben wurde. Die Übernahme einschlägiger Männlichkeitszeichen in die visuelle Darstellung von Frauen war offenbar nur dann legitim und vertretbar, wenn das Geschlecht der Figuren weiterhin erkennbar blieb. Zwar fand in gewisser Hinsicht ein ,Codeswitching' statt, doch wurde streng darauf geachtet, dass die männlich konnotierten Merkmale nicht vollständig übernommen wurden und genügend ,Feminizer' (Weiblichkeitsmarker) auf Bildebene auftauchten. Die Ambivalenzen und Überlappungen der Männlichkeits- und Weiblichkeitscodes gehörten somit zu den Charakteristiken der Garyonne-Bilder und zeigten einen Frauentypus, der sich im Übergang befand bzw. ein ,Dazwischen' markierte. Durch die massenhafte Verbreitung der Garyonne-Bilder in den visuellen Medien fand eine Reduktion des Typus aufwenige modische Insignien statt. Die Darstellungen fungierten auch als Beleg, um die starken visuellen Veränderungen der Neuen Frauen sichtbar zu machen. Die Garyonne galt aber nicht nur wegen der virilen Kleidung und Accessoires und der männlich codierten Körpersprache als moderner Frauentypus, sondern auch weil sie häufig als berufstätig bzw. finanziell unabhängig präsentiert wurde. Ihre selbstbewussten Inszenierungen vermittelten den Eindruck, dass sie unabhängig war und weder einen Mann noch die Ehe benötigte, um sich ökonomisch abzusichern bzw. einen selbstbestimmten Lebensentwurf zu leben. Die anzugtragende Garyonne wurde in den 1920er und 1930er Jahren zudem mit weiblicher Homosexualität in Verbindung gebracht, da sich in den Großstädten eine eigene Subkultur herausbildete, in der sich Lesben auf virile und sexuell selbstbestimmte Weise präsentierten.
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Im kulturellen Vergleich Deutschland-Spanien fallt auf, dass auf spanischer Seite deutlich weniger Garvonne-Darstellungen in den untersuchten Zeitschriften zu finden waren, wobei sich diese z.T. auch qualitativ von denen aus deutschen Zeitschriften unterschieden. Denn die in den spanischen Magazinen präsentierte Garyonne war häufig in einem kompletten Anzug bzw. Frack mit Chapeau Claque zu sehen und verwies nicht selten auf eine Filmrolle (es waren hauptsächlich Filmschauspielerinnen, die die Kleidung ihrer Filmfiguren trugen). In deutschen Zeitschriften wurde dagegen in Bezug auf die Mode eine deutliche Vermengung von männlich und weiblich konnotierten Kleidungsstücken sichtbar, wobei die dargestellten Protagonistinnen auch auf privat anmutenden Abbildungen zu sehen waren und nicht nur eine fiktive Figur repräsentierten. Ähnlich wie die Garyonne wurde auch das Girl in den 1920er und 1930er Jahren als neuer Frauentypus betrachtet, der in verschiedenen (europäischen) Ländern sowohl als ,realer' Typ als auch als fotografisches Image in Erscheinung trat. Während der Ursprung der Garyonne in Frankreich lag, galt das Girl als amerikanisches Phänomen, dessen äußere Aufmachung (Bubikopf, starke Schminke, schlanker Körper, sportlich-funktionale Mode) einen Durchbruch feierte und schichtübergreifend übernommen wurde. Durch alle Gesellschaftsklassen hindurch hatte sich die Girl-Mode ausgebreitet und war damit auch zu einem demokratisierenden Element geworden. Sowohl das moderne Erscheinungsbild des Girls als auch die Verknüpfung des Typus mit sportlichen Aktivitäten (Gymnastik, Tanz etc.), galten als charakteristisch ftir das Phänomen. Während die Garyonne wegen ihrer Kleidung und Körperposen als , vermännlicht' betrachtet wurde, konnte das Girl nicht als viriler Typus beschrieben werden. Im Gegenteil betonten die Girl-Darstellungen auch immer die , weibliche Anmut' der Porträtierten, die in den Abbildungen der Garyonne z.T. fehlte. Allerdings machen die Bildanalysen deutlich, dass sowohl beim Girl als auch bei der Garyonne eine starke Sexualisierung und/oder lnfantilisierung ihrer Körper vorgenommen wurde. Ähnlich wie bei der Garyonne verschmelzen auch beim Girl traditionelle Weiblichkeitsbilder (die Frau als sinnliche Verführerirr oder naive Kindfrau) mit visuellen Elementen der Neuen Frau (ausgesuchte Insignien, die mit Modernität und Fortschritt verbunden wurden). Interessant ist, dass der Girl-Typus in den untersuchten Zeitschriften zum einen als Einzelphänomen und zum anderen als Massenphänomen ausgemacht werden konnte. Dabei ist von Bedeutung, dass die analysierten Einzelaufuahmen wichtige regionale bzw. nationale Persönlichkeiten der spanischen und deutschen Gesellschaft zeigten, die mit ihrer visuellen Präsentation zu verstehen gaben, dass sie zu den modernsten Frauen ihrer Zeit gehörten. Die jungen Frauen auf den Einzelaufnahmen kamen dabei als Individuen zur Geltung. Bei den Girls als Massenphäno-
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men ist der weibliche Körper dagegen als Teil eines Gesamtgefüges zu sehen, was dazu führte, dass die Mädchen nur noch als Kollektiverscheinung wahrgenommen wurden. Während die untersuchten Einzelaufnahmen die Frauen als moderne Individuen und Repräsentantinnen einer gehobeneren sozialen Schicht zeigten, wurden die (Revue-)Girls in der Masse meist entindividualisiert und stark typisiert bzw. uniformiert gezeigt. Diese Uniformierung in Form von Kleidung, Make-up, Frisur, Körpersprache etc. bewirkte, dass sich die Mädchen z.T. zum Verwechseln ähnlich sahen, weshalb sie sich besonders anstrengen mussten, um wieder aus der Gruppe herauszutreten und als Individuum sichtbar zu werden. Dies war umso wichtiger, als sie als Revue-Girls auch darum bemüht waren, einen höheren sozialen Status zu erlangen. In diesem Zusammenhang wundert es nicht, dass die Revue-Girls auf Bildebene stark sexualisiert dargestellt wurden, denn ihr beruflicher Erfolg war eng mit ihrem äußeren Erscheinungsbild gekoppelt. Die Uniformierung und Reihung der Girl-Körper erinnerten häufig an eine Militärparade, die scheinbar dazu diente, die Mädchenkörper wieder ,kontrollierbar' zu machen. Bei dem Vergleich der Einzelporträtaufnahmen der Girls untereinander fiel zudem auf, dass zahlreiche Parallelen ausgemacht werden konnten (moderne Kleidung, schlanker, sportlicher Körper etc.), so dass auch das Einzelphänomen in gewisser Hinsicht als Massenphänomen beschrieben werden kann. In Bezug auf die Unterscheidung Masse versus Individuum ist festzuhalten, dass diese insofern hierarchisch voneinander zu unterscheiden sind, als die Porträtierten auf den Einzelaufnahmen meist aus gesellschaftlich höheren Schichten kamen und häufig namentlich genannt wurden, während die Mitglieder aus dem Kollektiv hauptsächlich anonym blieben. Festzuhalten bleibt, dass sich sowohl in Deutschland als auch in Spanien ein universeller Girl-Typus durchsetzte, der sich an ein amerikanisches Vorbild anlehnte. Allerdings wurde dieser internationale Frauentypus in der visuellen Darstellung meist auf wenige Attribute reduziert. Interessant ist, dass selbst in den konservativen spanischen ,Album-Bildern' der Girl-Stil als Indikator für Modernität übernommen wurde. Hier machten die besser gestellten Frauen mit ihren modischen Präsentationen in den Zeitschriften deutlich, dass sie sich der wachsenden Modeindustrie anpassten (die zu jeder Jahreszeit neue Kollektionen herausgab) und sich die wechselnde Mode finanziell leisten konnten. Dabei ging es eher um eine narzisstische Selbstinszenierung als um die Darstellung eines selbstbestimmten weiblichen Lebensentwurfs. Bei dem Phänomen der Kindfrau fällt auf, dass in den analysierten Magazinen zahlreiche (Hollywood-)Schauspielerinnen in dieser Rolle zu sehen waren. Doch anders als die Hollywood-Diven Marlene Dietrich, Greta Garbo und Conchita Montenegro, die kühl und unnahbar erscheinen, wirken die untersuchten Kindfrauen verspielt und hilfsbedürftig. Allerdings transportierte die Kindfrau auf ikonographi-
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scher Ebene eine widersprüchliche Botschaft: Zum einen demonstrierte sie, dass sie als Schauspielerin/Tänzerirr etc. und moderne Frau beruflich erfolgreich war und einen öffentlichen Raum erobert hatte, zum anderen wurde sie aber immer wieder in infantilen Körperposen und mit einem erotisch-anziehenden Ausdruck gezeigt. Mit der kindlichen Haltung und den hilfsbedürftigen Blicken sollte ein ,männlicher Beschützerinstinkt' angesprochen werden, der wieder einem traditionellen Rollenverhalten entsprach. Gleichzeitig wurden die Körper der Kindfrauen in sexualisierter Weise hervorgehoben. Diese visuelle Verschmelzung von kindlich-unschuldigen und erotischen Merkmalen kann als Charakteristik des Kindfrau-Typus festgehalten werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch das Girl Merkmale des Kindfrau-Typus adaptierte und kindlich-naive sowie erotisch-anziehende Attribute auf Bildebene vereinte. Die Darstellungen der Kindfrau zeigten eine Tendenz auf, Frauen zu verniedlichen und zu verkleinern. Dabei kamen auf Bildebene verschiedene Strategien zum Einsatz: Zum einen wurden die Kindlichkeit und Naivität der Protagonistinnen hervorgehoben, indem diese niedliche und schutzbedürftige Posen einnahmen und ihre emotionale Ergriffenheit darstellten. Zum anderen wurden sie mit Kleidungsstücken und Objekten versehen, die sie mit Infantilität in Verbindung brachten. Des Weiteren fiel auf, dass entweder sehr junge bzw. adoleszente Mädchen den KindfrauTypus verkörperten (diese hatten meist noch einen sehr kindlichen Körper ohne ausgeprägte weibliche Brustpartie) oder erwachsene Frauen sehr infantile Körperhaltungen einnahmen bzw. mit entsprechenden Accessoires präsentiert wurden. Der kindlich-unschuldige Ausdruck der Protagonistinnen wurde dabei mit Jungfräulichkeit, Reinheit und Tugendhaftigkeit assoziiert. Obwohl die Gesten und Posen zufällig und z.T. unbeholfen wirkten, muss davon ausgegangen werden, dass die Bilder bewusst arrangiert waren, um dem Kindfrau-Schema zu entsprechen. Die Sexualisierung der Mädchenkörper geschah dabei einerseits durch ein übermäßiges Schminken der kindlichen Gesichter und andererseits durch die Betonung verschiedener nackter Körperteile (z.B. Schulterpartie oder Beine) und Verführungsposen. Bemerkenswert ist, dass der Kindfrau-Typus in den analysierten Magazinen sowohl in Deutschland als auch in Spanien dominant vertreten war und in beiden Ländern die Verquickung von kindlicher Unschuld und erotischer Ausstrahlung auf Bildebene sichtbar wurde. Dabei erinnert die Kindfrau, die sich in verführerischen Posen zeigt, auch an traditionelle Entwürfe der Femme fatale aus dem 19. Jahrhundert. Durch die emotionale Gestik und Mimik der Kindfrau und ihre Verhaltensweisen (u.a. das Spiel mit Puppen) kann sie als erwachsene Person nicht ernst genommen werden. Dafür ist sie als erotisch ansprechendes Objekt zu sehen, das ftir einen imaginären (männlichen) Betrachter posiert und dabei vorgibt, die jeweilige Pose ganz
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,natürlich' und zufällig eingenommen zu haben. Vor allem die selbstberührenden Gesten, die den weiblichen Körper als etwas Kostbares hervorheben und die hochgezogenen, entblößten Schultern offenbaren eine sinnliche Dimension. Das Kindfrau-Schema macht insofern wieder auf ein traditionelles Weiblichkeitskonzept aufmerksam, als vor allem die Schutzbedürftigkeit, Fragilität und erotische Ausstrahlung der Protagonistinnen in den Vordergrund gerückt werden. Somit kommt mit dem Bild der Kindfrau auch wieder der Mann als Beschützer ins Spiel und legitimiert die traditionelle Rolle des väterlichen Schutzherren. Ähnlich wie die Fotografien der Kindfrau, die Elemente der Femme fatale und Femme fragile (der zerbrechlichen, schutzbedürftigen Frau) aufgreifen, führen auch die Mutterbilder einen klassischen Weiblichkeitsentwurf vor Augen, der auf einer dichotomen Geschlechterordnung bzw. auf einer Einteilung in eine männliche und eine weibliche Sphäre basiert. In den untersuchten Zeitschriften fanden sich Mutterdarstellungen, die schiebt- und kulturspezifisch unterteilt werden konnten: aristokratische und bürgerliche Mütter, Mütter auf dem Land und ,exotische' Mütter. Zudem wurden auch Familienbilder und einige Vaterbilder analysiert. Bei den aristokratischen und den bürgerlichen Mutter-Inszenierungen aus deutschen und spanischen Magazinen konnte herausgearbeitet werden, dass die Mutter ihr Kind häufig als Statussymbol präsentierte. Dabei lehnte sich die Ikonographie z.T. an klassische Madonnenbilder an und zeigte die Protagonisten in innig-vertrauten Posen als symbiotische Einheit. Diese idealisierenden Bilder führten eine harmonische Beziehung zwischen Mutter und Kind vor Augen, in der aber stets das Kind im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Die Mutter bezog sich meist körpersprachlich auf ihren Nachwuchs und trat als Individuum mit eigenen Bedürfnissen deutlich in den Hintergrund. Sie wurde lediglich in der Verbindung zum Kind sichtbar, wobei alltägliche Versorgungs- und Erziehungsaufgaben auf visueller Ebene weitestgehend ausgeblendet wurden. Lediglich durch eine z.T. gebeugte oder verdrehte Körperhaltung der Abgebildeten (vgl. u.a. die Mütter auf dem Land) wurde auf die Anstrengungen hingewiesen, die mit dem Erziehungsalltag und der Kinderaufzucht verbunden waren. Die Mythisierung und Aufwertung der Mutterrolle durch eine idealisierte Darstellung des Mutterbildes in den Medien flihrte dazu, dass die Frau wieder auf diese Rolle reduziert wurde. Dabei ging die Anerkennung des Modells mit dem Zurückdrängen der Frau aus der öffentlichen Sphäre und mit ihrer Fixierung auf den häuslichen Bereich einher. In Bezug auf die Vermengung von traditionellen und modernen Weiblichkeitscodes kann festgehalten werden, dass sich vor allem die aristokratischen und bürgerlichen Mütter auf der einen Seite optisch bzw. modisch an die Darstellungen der Neuen Frau orientierten, auf der anderen Seite aber lediglich in ihrer Funktion als Mutter präsentiert wurden, obwohl einige von ihnen auch berufs-
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tätig waren und eine Doppelbelastung zu tragen hatten. Die Aufopferungsbereitschaft der Mutter bzw. ihre Selbstaufgabe galten dabei als typisch , weibliche' Tugenden. Auffällig ist, dass bei den Mutterdarstellungen das Kind ikonographisch häufig als wichtigster bzw. höchster Bildpunkt gesetzt wurde. Diese Kindzentrierung weist auf einen neuen Stellenwert des Kindes innerhalb der Familie und auf eine Aufwertung der Mutterrolle bzw. traditioneller Familienmodelle hin. Die fiirsorgliche Mutter war dabei stets um das Wohl des Kindes bemüht, wobei auch der Vater auf einigen Abbildungen als weitere Bezugsperson in den Vordergrund rückte. Auf solchen Vaterdarstellungen demonstrierte der Vater dass er als Partner ebenfalls Erziehungsaufgaben übernahm und damit ein neues Partnerschaftsmodell möglich schien. Das Bild der vollverantwortlichen Mutter konnte somit relativiert und ergänzt werden, da auch der Vater als zärtliche und fürsorgliche Person in Erscheinung trat, der sich auch emotional um das Kind kümmerte. In der NS-Zeit und in der Franco-Diktatur verschwand dieses zärtliche Vaterbild gänzlich und wurde durch einen distanzierten und autoritären Vater ersetzt. Von Bedeutung erscheint schließlich, dass sowohl in Deutschland als auch in Spanien die Mutterrolle verstärkt wieder gegen Ende der Republikzeiten - und mit dem Geburtenrückgang sowie der wachsenden Arbeitslosigkeit in beiden Ländern - in den Vordergrund rückte, um die Frau an ihre ,eigentliche Bestimmung' als Hausfrau, Gattin und Mutter zu erinnern. Damit wurde sie in den häuslichen bzw. familiären Bereich zurückgedrängt und konnte gleichzeitig auf beruflicher Ebene als Konkurrentin ausgeschaltet werden. Die Mutterdarstellungen verweisen bereits auf die vorherrschende Rolle, die den Frauen in den anschließenden Diktaturen in Deutschland und Spanien zugewiesen wurde. Bei den neuen Freizeitaktivitäten, die in den Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre dargestellt wurden und sich u.a. im Zuge der Reform- bzw. Körperkulturbewegung herausgebildet hatten, spielte der ,Damensport' eine zentrale Rolle. Dabei entsprachen die sporttreibenden Frauen optisch meist dem damaligen GirlTypus (schlank, durchtrainiert, Bubikopf etc.). Der Frauensport wurde in den 1920er und 1930er Jahren zunehmend professionalisiert, so dass in den Magazinen auch zahlreiche Bemfs- und Wettkampfsportlerinnen zu sehen waren, die auf neue berufliche Möglichkeiten aufmerksam machten. In den illustrierten Artikeln fanden sich zum einen Positionen, die den Frauensport begrüßten und ihn als Garant für weibliche Schönheit, Gesundheit und Jugendlichkeit betrachteten. Zum anderen kamen auch Gegner des Frauensports zu Wort, die den Sportlerinnen vorwarfen, dass sie durch den Sport , vermännlichten' und ihre weibliche Grazie verloren. Als ikonographische Belege wurden dann Frauen mit verzerrten Gesichtern bei sportlichen
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Kraftübungen gezeigt. Trat die Frau demnach auf beruflicher Ebene mit dem Mann (bzw. mit seinen Wettkampfleistungen) in Konkurrenz, wurde ihre äußere Erscheinung als , vern1ännlicht' beschrieben. Zudem äußerten sich auch namhafte konservative Wissenschaftler und Ärzte, die im weiblichen Wettkampfsport die Ursache für die sinkende Fortpflanzungsbereitschaft der Frauen sahen. Auf diese Weise wurde der berufliche Erfolg der Leistungssportlerinnen relativiert und wieder die ,natürliche' Bestimmung der Frau als Mutter hervorgehoben. ln ,gemäßigter Form' galten sportliche Aktitvitäten für Frauen allerdings als schönheits- und gesundheitsfördernd und wurden auch von prominenten Vertreterinnen der 1920er und 1930er Jahre empfohlen. Den Leserinnen und Betrachterinnen wurde in den Zeitschriften vermittelt, dass sie flir ihre körperliche Fitness, ihre Gesundheit und ihr äußeres Erscheinungsbild selbst verantwortlich waren. Die Botschaft lautete dabei, dass Schönheit mit sportlicher Aktivität erreichbar war und dass ein attraktives Äußeres eng mit gesellschaftlichem Erfolg in Verbindung stand. Einige Sportarten wie Tennis, Golf und Segeln etc. galten zudem als besonders prestigereich und erfüllten vor allem die Funktion, den Status der dargestellten Frauen auf Bildebene hervorzuheben. Diese demonstrierten mit entsprechenden ,Sportgeräten', dass sie sich den jeweiligen Sport finanziell leisten konnten und somit einer höheren sozialen Schicht angehörten. Die sportliche Betätigung wurde auf diese Weise auch zu einem repräsentativen Ereignis. Grundsätzlich konnten bei den untersuchten Sportlerinnenporträts zwei verschiedene Darstellungsformen voneinander unterschieden werden. Zum einen die Bilder, die die Protagonistinnen in sehr statischen Körperposen zeigten und die Sportart über typische Mode, Sportgeräte und Posen repräsentiert wurde. Zum anderen die Abbildungen, die die Körper der Dargestellten in kraftvollen, dynamischen Bewegungen festhielten. Interessant erscheint, dass einige Sportarten als für Frauen besonders geeignet galten. Dazu gehörte beispielsweise das Schwimmen oder die Gymnastik, bei dem der weibliche Körper ästhetisch ansprechend präsentiert wurde. Andere Sportarten wie Boxen, Ringen, Stierkampf, etc. galten dagegen als typisch ,männliche' Sportarten. Zeigten sich Frauen dennoch beim Praktizieren solcher Sportarten, wurden sie nicht selten - sowohl auf Text- als auch auf Bildebene -lächerlich gemacht, womit ihre neu gewonnene Stärke bzw. die Eroberung neuer Räume wieder eingedämmt wurde. ln Bezug auf die kulturellen Unterschiede bei einem Vergleich der Sportlerinnenbilder kann festgehalten werden, dass in spanischen Zeitschriften vermehrt Abbildungen von Siegerinnen bzw. erfolgreichen Frauen ausgemacht werden konnten (z.B. die spanische Tennismeisterin). Diese neue Rolle der Frau, ihr beruflicher Erfolg und ihr z.T. viriles Auftreten wurden dabei nicht negativ kommentiert, sondern als zeittypisches Phänomen hervorgehoben. In deutschen Zeitschriften dagegen
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wurde z.T. auf eine , Vermännlichung' bzw. ,Entweiblichung' der Frau im Sport verwiesen. Dabei wollten die Gegner des ,Damensports' Frauen wieder in der traditionellen Rolle der Ehefrau und Mutter sehen. Insgesamt wurde der Frauensport aber sowohl in den deutschen als auch in den spanischen Blättern als bedeutendes Thema gesetzt und bot Frauen auf visueller Ebene neue Identifikationsmöglichkeiten. Denn die weiblichen Protagonistinnen zeigten sich hier als aktive und z.T. kämpferische Figuren, die über ihre dynamischen Körperbewegungen Freude und ein neues Körper- und Lebenskonzept verdeutlichten. Die Sport- und Gymnastikbewegung, die sich u.a. für einen befreiten, weiblichen Körper einsetzte, wurde später vom NS-Regime instrumentalisiert, um bei sportlichen Massenveranstaltungen vor allem nationalsozialistische Ideologien in den Mittelpunkt zu rücken. Auch in der Frauco-Diktatur war der Frauensport nur auf wenige Sportarten wie die Gymnastik begrenzt, wobei die Frauen beinahe gänzlich aus dem sportlichen Wettkampf verschwanden. lm Gegensatz zum Sport, der traditionellerweise männlich konnotiert war, galt der Tanz in den 1920er und 1930er Jahren als besonders fi.lr Frauen geeignet. In den untersuchten Magazinen fanden sich zahlreiche Tanzbilder, die zum einen neuartige, dynamische und kraftvolle Körperbewegungen der Protagonistinnen ins Zentrum rückten, zum anderen aber auch traditionelle Tanzbilder zeigten, die den weiblichen Körper meist in statischen Posen festhielten (vornehmlich im Ballett). Demnach wurden sowohl starre Porträtaufnahmen als auch bewegte Tanzdarstellungen gezeigt, die ein neues weibliches Körperideal repräsentierten (vor allem im Ausdruckstanz). Die dargestellten jungen Frauen zeigten sich voller Tatendrang, experimentierten mit individuellen Körperausdrucksformen und vermittelten ein Gefühl von Freiheit und Lebensfreude. Es fiel auf, dass nicht nur die neu entwickelten Tänze wie der Ausdruckstanz auf visueller Ebene thematisiert wurden, sondern ebenso traditionelle Tänze wie der Flamenco bzw. Folklore-Tanz in Spanien oder der Balletttanz. Dabei konnte auch eine Kontrastierung zwischen modernen und klassisehen Tanzstilen ausgemacht werden, die die Veränderungen bzw. den Fortschritt auf visueller Ebene veranschaulichten. Vor allem die Tänzerinnen, die typische Bewegungen des Ausdruckstanzes vollführten, demonstrierten eine hemmungslose Lust an der Bewegung, womit sie gleichzeitig auf ein neues Weiblichkeitskonzept und auf eine Aufbruchstimmung verwiesen. Interessant ist, dass, obwohl die Ausdruckstänzerinneu z.T. nur wenig bekleidet waren, ihre Körper nicht in sexualisierter Weise präsentiert wurden. lm Vordergrund stand vielmehr die Bewegung und die Individualität der Tänzerinnen und weniger die sinnliche Präsentation des weiblichen Körpers. Dadurch wirkten die Körper im Ausdruckstanz zwar nicht besonders elegant oder grazil, dafür aber individuell, kraftvoll und dynamisch. Im Ballett
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dagegen standen die Feminität und die Leichtigkeit der Protagonistinnen im Vordergrund. Hier ging es um eine Demonstration der technischen Präzision bei der Ausführung der Figuren und nicht um die Darstellung individueller und freiheitlicher Bewegungsmöglichkeiten. Das Ballett galt als Inbegriff und Höhepunkt einer disziplinierten und strengen Körperkontrolle, die den individuellen Ausdruck der Tänzerinnen zugunsten formaler Vorgaben in den Hintergrund rückte. Die BallettFiguren führten vor allem die Leichtigkeit und Schwerelosigkeit der Protagonistinnen vor Augen, während im Ausdruckstanz neuartige Körperbilder kreiert wurden, die den Körper dynamisch erscheinen ließen. Während die Balletttänzerinnen meist kontrolliert und ästhetisch ansprechend präsentiert wurden, ignorierten die Ausdruckstänzerinneu die damaligen Schönheitsvorstellungen z.T. völlig. Bei den spanischen Tänzerinnen konnte dagegen ein sehr stilisierter Weiblichkeitsentwurf ausgemacht werden, der sich weitestgehend an einem traditionellen Modell orientierte (die temperamentvolle Femme fatale). Im Gegensatz zu den Ausdruckstänzerinnen waren sie oft in statischen Posen zu sehen und vermittelten wenig Dynamik. Dafür wurden immer ähnliche Hand-, Arm- und Kopfhaltungen sichtbar, die das stereotype Bild der stolzen Spanierin bedienten. Die hübschen Gesichter der spanischen Tänzerinnen standen dabei ebenso im Vordergrund wie einzelne sexualisierte Körperpartien. Dabei wurde das Bild ,der Spanierin' in deutschen Zeitschriften meist als exotisches Frauenbild vorgeführt, das mit Leidenschaft, Temperament, Sinnlichkeit, Erotik und Selbstbewusstsein assoziiert wurde. Auffallig ist hier, dass nur junge Tänzerinnen auftauchten, in spanischen Zeitschriften dagegen auch ältere Flamencotänzerinnen zu sehen waren. Zudem ist von Bedeutung, dass in den deutschen Magazinen deutlich mehr Bilder vom Ausdruckstanz publiziert wurden als in den spanischen Blättern. In letzteren fanden sich zwar auch einige Abbildungen vom deutschen Ausdruckstanz, doch waren hierunter keine Spanierinnen auszumachen (umgekehrt schlüpften aber deutsche und amerikanische Schauspielerinnen gerne in die Rolle der ,spanischen Tänzerin' ). Während Flamenco demnach als ty pisch spanisches Phänomen betrachtet wurde, galt der Ausdruckstanz als deutsche Erscheinung. Klassische Ballett-Inszenierungen wurden dagegen vor allem mit Russland in Verbindung gebracht, zumal hauptsächlich russische Balletttänzerinnen bzw. das Russische Ballett als solches in den Zeitschriften E1wähnung fanden. In Bezug auf das Geschlechterverhältnis im Tanz kann festgehalten werden, dass zwar sehr moderne Körperausdrucksformen und auffallend dynamische Bewegungen visualisiert wurden, dass die Beziehung zwischen Frau und Mann auf Bildebene jedoch auffällig traditionell blieb. So nahm der Mann bei der tänzerischen Darstellung meist eine Schlüsselfunktion ein. Häufig kontrollierte er die gemeinsame Pose bzw. sein Körper diente als stützende Säule. Alte Rollenmuster, die auch aus dem
MASSENMEDIALE WEIBLICHKEITSBILDER DER 1920ER UND 1930ER JAHRE
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Ballett bekannt waren (der Mann übernahm die Hebefiguren), kamen auf diese Weise wieder zum Einsatz, obwohl sich die Kleidung und der Tanzstil grundlegend verändert hatten. Bei den Bildern der ,spanischen' bzw. ,deutschen Frau' fiel auf, dass auf visueller Ebene sehr stark mit Stereotypen gearbeitet wurde. Während die ,deutsche Frau' in spanischen Zeitschriften als nordischer Typus mit blonden Haaren und hellen Augen sowie mit ,natürlichen' Attributen inszeniert wurde, erscheint die ,spanische Frau' in deutschen Magazinen als ,rassige' Brünette mit dunklen Augen. Der vermeintlichen ,Natürlichkeit' und Sanftmut der ,deutschen Frau' wird das Temperament und die selbstbewusste sowie stolze Inszenierung der ,spanischen Frau' gegenübergestellt. Zudem enthielten die Darstellungen der,spanischen Frau' auch immer erotisch konnotierte Zeichen. Die Blätter kreierten auf diese Weise Gegensatzpaare, die auf ikonographischer Ebene auf wenige Insignien - mit einem großen Wiedererkennungswert-reduziert wurden. Auffallig war in den spanischen Zeitschriften, dass die Spanierinnen auch häufig mit religiösen Symbolen in Verbirrdung gebracht wurden, um ihre Frömmigkeit zu unterstreichen und Religion und Weiblichkeit auf Bildebene systematisch zu verquicken. In deutschen Zeitschriften war ein religiöser Bezug in den Inszenierungen von Weiblichkeit dagegen nur selten zu sehen. Insgesamt konnten in den untersuchten deutschen und spanischen Zeitschriften sowohl moderne als auch traditionelle Weiblichkeitstypologien ausgemacht werden, wobei es auch fließende Übergänge innerhalb einzelner Kategorien gab. Beispielsweise fanden sich in den modernen Ausprägungen der Garc;:onne und des Girls auch immer Attribute bzw. Codes traditioneller Weiblichkeit (z.B. der Femme fatale oder Femme fragile). Diese Eindämmungselemente relativierten die Stärke und Ausdruckskraft der neuen Frauentypen erheblich, indem sie die Frauen kindlich und/oder sexualisiert darstellten. Auffällig war demnach, dass ikonographisch moderne sowie klassische Weiblichkeitsmarker miteinander vermengt wurden, so dass innerhalb der einzelnen Typen Überlagerungen bzw. Variationen entstanden. Zudem konnten vor allem bei der Garc;:onne und bei den sportlichen Frauen Überlappungen von Männlichkeits- und Weiblichkeitscodes ausgemacht werden, die Brüche und Ambivalenzen aufzeigten. Die Gleichzeitigkeit von traditionellen und modernen Weiblichkeitszeichen sowie von Männlichkeitssymbolen verdeutlicht, dass sich die dargestellten Frauen im Umbruch befanden. Zu beachten ist, dass die Dargestellten mit dem Einsatz von Männlichkeitsmarkern auch einen Machtanspruch bzw. ein Verlangen nach gesellschaftlicher Partizipation formulierten, indem sie ein Eindringen in männlich konnotierte Sphären (u.a. Öffentlichkeit, Berufstätigkeit etc.) demonstrierten.
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FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
Es kann festgehalten werden, dass die untersuchten massenmedialen Bilder in Deutschland und Spanien meist auf einen männlichen Betrachter bzw. male gaze ausgerichtet waren. Dies wird auf den Fotografien insofern deutlich, als in allen untersuchten Typologien erotische und/oder kindliche Komponenten eingesetzt wurden, die den Frauenkörper zum Objekt werden lassen. Die ,modernen' Bilder der Neuen Frau, die u.a. Stärke, Autonomie und Selbstbestimmung repräsentierten, wurden auf diese Weise wieder mit traditionellen Darstellungsmustern von Weiblichkeit versehen und abgeschwächt. Die emanzipatorische Botschaft, die über das neue visuelle Frauenbild kommuniziert wurde, konnte so überlagert und relativiert werden. Einige Darstellungen zeigten aber nicht nur zum Objekt gewordene Frauen, sondern auch autonome Protagonistinnen, die in Kontrast zu den stark inszenierten Weiblichkeitsbildern traten. Diese weibliche Selbstbestimmung konnte vor allem im Ausdruckstanz und in einigen Gan;onne-Abbildungen ausgemacht werden. Dort ist beispielsweise die Pilotin Amelia Earhart zu sehen, die fast gänzlich auf Weiblichkeitsmarker verzichtete oder die Ausdruckstänzerin Gret Palucca, die neue Bewegungsmöglichkeiten für Frauen auf visueller Ebene präsentierte und dabei die Vorstellungen von konventioneller (graziler und sinnlich ansprechender) weiblicher Schönheit über Bord warf. Diese Fotografien machten auf neue Lebenskonzepte und Darstellungsmöglichkeiten von Frauen aufmerksam und zeichneten sich durch einen selbstbestimmten Ausdruck der Protagonistinnen aus, die als starke weibliche Einzelpersönlichkeiten erschienen. Derartige Abbildungen waren zwar selten in den damaligen Massenmedien zu finden, doch lassen sie alternative Formen von Weiblichkeit erkennen, die sich von den gebräuchlichen Mustern und von traditionellen Modellen distanzierten. Unsichtbar blieben in den Massenmedien j edoch experimentelle Bilder, die sowohl auf Weiblichkeits- und Männlichkeitsmarker verzichteten und Geschlecht als relevante Kategorie in Frage stellten. Auf den untersuchten Abbildungen blieben die Kategorien Mann/Frau weitestgehend bestehen. Experimentelle bzw. alternative Geschlechterbilder waren dagegen eher in künstlerischen Kontexten zu finden, weshalb im Folgenden Fotografien von Künstlerinnen der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien im Mittelpunkt stehen sollen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Künstlerinnen als moderne Repräsentantinnen ihrer Zeit auf die einflussreichen Medienbilder reagierten und diese in ihren Arbeiten aufgriffen, modifizierten und neu gestalteten. Welche der in Kapitel 3 dargelegten Typen von den Künstlerinnen Beachtung fanden und wie diese Weiblichkeitsformen künstlerisch interpretiert wurden, soll in Kapitel 4 gezeigt werden. Zudem ist von Interesse, wie das Thema Weiblichkeit bzw. Geschlecht jeweils von den spanischen und deutschen Künstlerinnen bearbeitet wurde und welche Strategien sie entwickelten, um eigene Bilder zu kreieren.
4 Künstlerische Selbstinszenierungen
Nachdem in Kapitel 3 zahlreiche Weiblichkeits- und einige Männlichkeitsbilder aus deutschen und spanischen Zeitschriften der l920er und l930er Jahre eingehend analysiert wurden und vor allem stereotype bzw. standardisierte Weiblichkeitsmodelle1 im Zentrum standen, soll der Blick im Folgenden auf fotografische Selbstinszenierungen von damaligen Avantgarde-Künstlerinnen 2 in Deutschland und Spanien gelenkt werden. Diese Selbstdarstellungen können als fotografische Experimente betrachtet werden, die meist in privater Atmosphäre entstanden und nicht primär für die Öffentlichkeit gedacht waren. lm Unterschied zu den medialen Weiblichkeitsdarstellungen werden die Künstlerinnen als aktiv handelnde Subjekte sichtbar. Sie treten als Kunst-Produzentinnen bzw. Fotografinnen in Erscheinung, die eigene Bildideen verwirklichen und dabei verschiedene Aufgaben übernehmen: als Modelle, Regisseurinnen, Kostüm- und Maskenbildnerinnen etc. Damit sind sie nicht nur fl.ir die Bildidee und deren Umsetzung verantwortlich, sondern sie rücken auch ihren eigenen Körper in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Möglicherweise trug der noch ungeklärte Status des Mediums Fotografie 3 und seine- im Vergleich zur Malerei- relativ kurze Geschichte zum spielerisch-experimentellen Umgang mit dem Medium bei. Auffällig ist zumindest, dass sich in den 1920er Jahren vor allem in Deutschland zahlreiche Frauen mit der Fotografie beWie jedoch in Kapitel 3 herausgearbeitet werden konnte, tauchen in massenmedialen Zusammenhängen ebenfalls einige Bilder auf, die bereits Brüche mit stereotypen Weiblichkeitstopoi aufweisen und Übergänge zu neuen (künstlerischen) Darstellungsformen von Geschlecht markieren. 2
Unter Avantgarde-Künstlerinnen werden diejenigen Künstlerirrneu gefasst, die maßgeblich an der Entfaltung neuer künstlerischer Ideen und Stilrichtungen beteiligt waren und sich von konventionellen Strömungen absetzten. Der Begriff wird vor allem mit den verschiedenen Strömungen der Modernen Kunst (u.a. Expressionismus, Dada, Surrealismus etc.) im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht.
3
Vgl. Kapitel2.
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schäftigten bzw. auch professionell als Fotografinnen arbeiteten und sich damit ihren Lebensunterhalt sicherten. 4 Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit behandelten Künstlerinnen gehörten allerdings weniger zu denjenigen, die sich auf professioneller Ebene mit der Fotografie auseinandersetzten (d.h. sie führten weder eigene Studios, noch konnten sie von der Fotografie ihren Lebensunterhalt sichern). Vielmehr können ihre fotografischen Arbeiten als künstlerisch-avantgardistische Reflexionen zu den Themenbereichen Weiblichkeit bzw. Geschlecht, Schönheit und weibliche Identität gelesen werden. Ihr fotografisches Werk wurde im Zuge der Aufarbeitung und Würdigung vergessener Künstlerinnen erst in den späten 1980er bzw. 1990er Jahren wiederentdeckt und gewürdigt. 5 Im Folgenden sollen fotografische Selbstporträts von vier Künstlerinnen aus Deutschland und Spanien untersucht und mit standardisierten Weiblichkeitsformen aus den Massenmedien (vgl. Kapitel 3) in Beziehung gesetzt werden. Dabei soll danach gefragt werden, ob und wie sich die Avantgarde-Künstlerinnen Marta Astfalck-Vietz, Gertrud Arndt, Maruja Mallo und Remedios Varo in ihren fotografi schen Experimenten auf die massenmedialen Weiblichkeitsbilder bezogen bzw. wie sie auf diese reagierten. In diesem Zusammenhang werden folgende Fragen fokussiert: Welche stereotypen Weiblichkeitstopoi wurden von den Künstlerinnen aufgegriffen und als thematisierungswürdig betrachtet und welche Bilder wurden gänzlich ignoriert? Wie nahmen sie auf formal-ästhetischer Ebene Bezug auf massenmediale Bilder? Grenzten sie sich vom fremdbestimmten weiblichen Schönheitsdiktat, das in den Medien propagiert wurde, ab oder griffen sie es auf und experimentierten 4
Im Berlin der 1920er Jahre gab es zahlreiche Ateliers, die von Frauen geführt wurden. So verzeichnete das Berliner Photo-Adreßbuch von 1931 über hundert Foto-Ateliers, die unter weiblichen Namen erschienen (vgl. Bojunga/Leipold 1995: 155). In Spanien dagegen ließen sich kaum Daten über professionelle Fotografinnen der damaligen Zeit finden, obwohl einige Frauen im Betrieb ihrer Ehemänner mitarbeiteten bzw. diesen später auch übernahmen (vgl. Sougez 1997: 553).
5
Vgl. in diesem Zusammenhang die Pionierleistung von Ute Eskildsen (Leiterin der fotografischen Sammlung des Folkwang Museums in Essen), die zahlreiche Interviews mit ,vergessenen' Künstlerinnen führte und ihr künstlerisches Werk wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte. Eine der bedeutendsten Ausstellungen wurde 1994 im Museum Folkwang Essen unter dem Titel Fotografieren hieß Teilnehmen. Fotografinnen der Weimarer Republik von Eskildsen organisiert. In Spanien führte Juan Naranjo im Jahre 1997 erstmalig Künstlerinnen bzw. Malerinnen der 1920er und 1930er Jahre auf, die sich auch intensiv mit der Fotografi e befasst hatten und dessen Werke in der Ausstellung Les avantguardes fotograjiques a Espanya in Barcelona (Fundaci6 ",a Caixa") präsentiert wurden.
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mit den Vorgaben? Und inwiefern gelang es ihnen, alternative Frauenbilder zu kreieren, die sich von damaligen stereotypen Frauen- bzw. Geschlechterbildern der Massenmedien distanzierten? Wie aus den Fragestellungen hervorgeht, gehe ich davon aus, dass sich die Künstlerinnen - als Repräsentantinnen ihrer Epoche und als Avantgardistinnen, die dem Entwurf der Neuen Frau entsprachen- bewusst oder unbewusst mit damaligen kollektiven Weiblichkeits- bzw. Geschlechterbildern und Schönheitskonventionen auseinandersetzten und diese in ihren Arbeiten reflektierten. Um diesen Gedanken zu explizieren und mögliche Verbindungen zwischen Leben und Werk in die Interpretation der Fotografien einfließen zu lassen, werden den Werkanalysen j eweils Kurzbiographien der Künstlerinnen vorangestellt.
4.1 FOTOGRAFIE UND FOTOGRAFINNEN IN SPANIEN: AUSGANGSLAGE UND EINFLÜSSE Zunächst muss erwähnt werden, dass im Spanien der 1920er und 1930er Jahre bedeutend weniger Künstlerinnen bzw. Fotografinnen, die sich zudem mit der Selbstinszenierung befassten, ausgemacht werden konnten als in Deutschland. Dies mag u.a. an der langsameren Entwicklung Spaniens in Bezug auf die Akzeptanz weiblicher Berufstätigkeit 6 bzw. speziell des Fotografen-Berufes für Frauen liegen. Wie die Kunsthistorikerirr Marie-Loup Sougez unterstreicht, war es im 19. und in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts in Spanien eher üblich, dass die Ehefrauen, Schwestern und Töchter bekannter Studiobetreiber in die Arbeit des Familienbetriebes integriert wurden (meist, indem sie Assistentinnentätigkeiten übernahmen) und z.T. erst nach dem Tod des Gatten, Bruders, Vaters etc. die Studios selbständig weiter führten. Sougez expliziert: "Lo que si ocurre mas a menudo en Espafia, es el caso recurrente de Ia esposa - o hermana, o hija - de un profesional del retrato que colabora en la gesti6n de la empresa, ayudando a las clientas a colocarse para posar ante la camara, eligiendo las prendas que llevarian para retratarse. Al enviudar muchas de estas esposas de fot6grafos pasaban de su papel de azafata de estudio al de empresarias y, a veces, se dio el caso de la mujer que sucedi6 a su marido tras la 6
Renommierte spanische Ärzte wie Rarnon y Cajal, Marafion und Vital Aza beeinflussten in den 1920er Jahren die öffentliche Meinung in Bezug auf die weibliche Berufstätigkeit maßgeblich. Sie gaben vermeintlich wissenschaftliche Publikationen heraus, in denen sie u.a. die Biologie und Konstitution der Frau mit ihrer Bestimmung als Hausfrau, Gattin und Mutter verknüpften (vgl. Nufiez Perez 1993: 25).
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camara y se convirti6 en retratista profesional. [... ] Casi diria que este es un fen6meno eminentemente espaf\ol."7 (Sougez 1997: 553)
Sougez macht damit auf die damalige Abhängigkeit vom Mann bei der Ausübung einer professionellen fotografischen Tätigkeit aufmerksam. Die besonderen Aufgaben, die weibliche Familienmitglieder zunächst als Hilfskräfte übernahmen, und die Entscheidung, den Betrieb nach dem Tod des männlichen Familienoberhauptes weiterzuführen, bezeichnet Sougez als genuin spanisches Phänomen. 8 Allerdings bezieht sich Sougez in ihrer Analyse vornehmlich auf die professionelle Studiofotografie und weniger auf die künstlerische bzw. avantgardistische Lichtbildkunst Als wichtige Organe, die die fotografischen Stilrichtungen in Spanien Anfang des 20. Jahrhunderts und bis weit in die 1920er Jahre hinein prägten, galten die fotografischen Verbände und Vereinigungen in Spanien (u.a. Sociedad Fotografica de Madrid, 1899; Sociedad Fotografica de Zaragoza, 1923; Agrupaci6 Fotografica de Catalunya, 1923), die Frauen eine Mitgliedschaft kategorisch verweigerten. 9 Diese Gesellschaften bestanden meist aus vermögenden und einflussreichen aristokratischen bzw. großbürgerlichen Männem, die die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung hatten, sich amateurhaftder Fotografie zu widmen. Solche Vereinigungen bliebenjedoch relativ lange der piktorialistischen Fotografie (der so genannten Kunstfotografie) verhaftet, die um 1900 modern war und sich an der impressionistisehen bzw. symbolistischen Malerei orientierte. 10 Mit dem politischen bzw. gesellschaftlichen Gewicht der Verbände ist auch zu erklären, weshalb es so lange dauer7
Übers.: Was in Spanien aber häufiger zu beobachten ist, ist der Fall der Ehefrau, Schwester oder Tochter eines professionellen Porträtfotografen, die im Geschäft ihres Gatten mitwirkt und den Klientinnen beim Posieren vor der Kamera oder bei der Auswahl der Kleidung hilft. Nach ihrer Verwitwung veränderten viele dieser FotografenGattinen ihre Rolle und wechselten von der Hilfskraft zur Unternehmerin. Und manchmal kam es auch vor, dass sie ihren Mann hinter der Kamera ersetzten und sich in professionelle Parträt-Fotografinnen verwandelten. [... ] Ich würde fast sagen, dass dies ein besonders spanisches Phänomen ist.
8
Songez nennt namentlich die Fälle von Ludovisi und seiner Frau in Valencia, Herrn und Frau Bois-Guillot in Madrid und die Familie Fernando und Anais ,Napoleon' aus Barcelona. Die Ehefrauen übernahmen den Betrieb ihrer Ehegatten und erschienen namentlich auf den cartes de visite (kleine fotografische Visitenkarten). Zudem erwähnt sie die Fotografinnen Maria Pastora Escudero und Concepci6n Villega aus Sevilla sowie Carolina Juan y Perez aus Madrid und Carmen Prieto aus Albacete (vgl. Sougez 1994: 13f.).
9
Vgl. M6nica Carabias Alvaro: Algo de Historia http://www.terra.es/personal/realsf/ rsfD2.htm (letzter Zugriff am 18.04.20 I 0).
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te, bis neuere fotografische Tendenzen und Stilrichtungen (u.a. das Neue Sehen oder die Straight Photograph/ 1) in Spanien Einzug hielten. Als schließlich neue Stilrichtungen aufgegriffen und entsprechende Werke in spanischen Zeitschriften publiziert wurden, handelte es sich bei den Bildproduzentinnen meist um ausländische Fotograflnnen, die ihre Bilder an die Presse nach Spanien verkauft hatten. Der Einfluss der aristokratischen und patriarchal organisierten Verbände erklärt auch, weshalb Frauen, die sich ftir das Medium Fotografie interessierten, lediglich den Weg über die Familienbetriebe oder den künstlerischen Weg als Autodidaktinnen wählen konnten. Selbst aus der kurzen, liberalen Zeit der Zweiten Republik Spaniens (1931-1936) gingen kaum Protagonistinnen hervor, die sich künstlerisch intensiv dem Medium Fotografie gewidmet hätten, so wie es in Deutschland, den USA oder Frankreich zeitgleich der Fall war. Zum Teil kann dies auch darauf zurückgeführt werden, dass in Spanien kaum institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen zur Verfügung standen. Selbst an der prestigeträchtigen Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid, an der einige Frauen studierten, gab es keine fotografische Abteilung. Die geringe Beschäftigung mit dem fotografischen Medium von Seiten spanischer Frauen bzw. Künstlerinnen mag auch daran liegen, dass die Fotografie in Spanien als antiquiert galt bzw. keine Avantgarde-Bewegung widerspiegelte, wie dies beispielsweise auf das Neue Sehen in Deutschland zutraf. Vielmehr 10
Ziel der piktorialistischen Fotografie war es, die Fotografie wie eine Malerei wirken zu lassen. Dazu wurden verschiedene Verfremdungstechniken angewandt (Weichzeichner, aufwändige Retuschearbeiten etc.), um möglichst eine eigene Handschrift des Künstlers sichtbar werden zu lassen. Denn man war damals der Auffassung, dass erst mit der sichtbaren Leistung des Künstlers die Fotografie zur Kunstform avancieren könne.
II
Die Stilrichtung des Neuen Sehen.1· entwickelte sich in den 1920er Jahren und bot auf formal-ästhetischer Ebene meist ungewöhnliche Perspektiven. So wurden häufig stürzende Linien, Auf- und Untersichten, Makroaufnahmen oder starke Lichtkontraste festgehalten. Das Neue Sehen wurde eng mit der Bauhaus-Fotografie in Verbindung gebracht. Konventionelle Darstellungsmuster sollten mit Hilfe des Neuen Sehens aufgebrochen und überwunden werden, um zu neuen, dynamischen Kompositionen zu gelangen. Auf diese Weise wurde der Versuch unternommen, bereits bekannten Sujets neue Interpretationen entgegenzusetzen. Die Straight Photography dagegen war eine Stilrichtung, die sich um 1900 in den USA entwickelte (wichtige Vertreter waren Alfred Stieglitz und Paul Strand u.a.). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass auf alle Manipulationen (Retuschearbeiten, Nachhesserungen etc.) verzichtet wurde. Den Vertreterinnen der Straihgt Photography ging es darum, die Realität möglichst ,rein' und unmanipuliert darzustellen,
um die spezifischen Eigenschaften der Fotografie zu unterstreichen (vor allem ihre vermeintliche Fähigkeit, die ,Wirklichkeit' detailgetreu wiederzugeben).
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war die Fotografie in Spanien noch in den 1920er und 1930er Jahren stark an den piktorialistischen Stil gebunden, der sich mehr auf die Eigenschaften der Malerei bezog (und versuchte diese nachzuahmen), als sich originär fotografischen Spezifika zuzuwenden.
4.2 AVANTGARDE-KÜNSTLERINNEN UND DAS EXPERIMENT MIT DEM SELBST Die ausgewählten Künstlerinnen Astfalck-Vietz, Amdt, Varo und Mallo stammten allesamt aus dem Bildungsbürgertum. Sie waren aufgrund ihres familiären Hintergrunds finanziell abgesichert und widmeten sich nicht aus ökonomischer Notwendigkeit der Produktion fotografischer Bilder. Die wenigen kommerziellen Aufträge konnten nur bedingt zu ihrem Lebensunterhalt beitragen. 12 Diesbezüglich erklärt Marta Astfalck-Yietz: "Aber leben konnte man als Fotografnicht sehr doll.[ ... ] Die ganzen Bilder, die wir damals machten, das waren keine Aufträge, wir kriegten doch nichts dafür. Das waren alles Versuche. Wir haben viele Serien versucht, nicht bloß Einzelbilder und haben dann versucht, diese Bildfolge als Geschichte in den Zeitungen anzubieten." (Dohrrnann/von Leitner 1992). Es scheint nicht verwunderlich, dass sich die Künstlerinnen in ihren nicht-kommerziellen fotografischen Experimenten hauptsächlich mit künstlerischen Themen, Herangehensweisen und Techniken befassten, zumal sie aus dem avantgardistischen Milieu kamen und mit wichtigen Künstlerinnen ihrer Epoche befreundet waren. 13 Ihre Auseinandersetzung mit dem fotografischen Medium kann z.T. nur als amateurhaftklassifiziert werden (nur Marta Astfalck-Vietz hatte eine Ausbildung zur Fotogratin genossen), doch steht im 12
Diese sporadischen Aufträge für Zeitschriften reichten meist nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern, wie der Fall von Astfalck-Vietz veranschaulicht. Diese verdeutlicht, dass sie meist im Voraus Bilderserien produzierte und ihre Ergebnisse bestimmten Zeitschriften anbot. Von diesen Serien wurden aber nur selten Fotografien veröffentlicht oder sie wurden publiziert, ohne die Künstlerin zu entlohnen. In diesem Zusammenhang erklärt Astfalck-Vietz, als sie von Janos Frecot auf einige Publikationen von ihr in der Zeitschrift Eheglück und Liebesleben aufmerksam gemacht wird: "Sehen Sie, ich hatte doch immer das Gefühl, die haben nie korrekt abgerechnet. Von diesen Abdrucken hatte ich keine Ahnung." (Astfalck-Vietz, zit. n. Frecot 1991: 89)
13
In den Kurzbiographien der einzelnen Künstlerinnen werden die wichtigsten Personen (Freunde, Lebenspartner, Gatten bzw. Liebhaber) genannt, die z.T. entscheidenden Einfluss auf die künstlerische Entwicklung der Protagonistinnen genommen haben.
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Untersuchungszusammenhang nicht die technische Perfektion der Werke im Vordergrund, sondern die thematische Fokussierung, das heißt die Auseinandersetzung mit dem eigenen weiblichen Körper und gesellschaftlichen Geschlechterrollen. Alle behandelten Künstlerinnen bedienten sich des fotografischen Mediums, um sich ex perimentell und aufkünstlerischem Wege mit Weiblichkeit bzw. Geschlecht auseinanderzusetzen. Diese künstlerischen Experimente mit dem eigenen Körper und mit dem Medium Fotografie wurden damals nicht in öffentlichen Ausstellungen präsentiert. Sie können vielmehr als spielerische Erkundungen und als Möglichkeit betrachtet werden, in einer vertrauten Atmosphäre Formen des Selbst zu erforschen. Dabei ist interessant, dass sich einige Künstlerinnen stark auf damals populäre Weiblichkeitstypologien bezogen und sich an diesen ,abarbeiteten' , um sie auf formal-ästhetischer Ebene neu zu definieren. Ihre avantgardistischen Fotoexperimente kennzeichneten sie als aktive Produzentinnen innerhalb einer damals noch weitestgehend männlich dominierten Künstlerlandschaft Obwohl sie meist im Schatten ihrer männlichen Lebensgefährten standen, 14 ist bezeichnend, dass sich die behandelten Künstlerinnen nicht auf die traditionelle Rolle der Muse einließen. Mit der Fotografie fanden sie ein Medium, das es ihnen ermöglichte, in Bezug auf die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Selbst ein noch relativ jungfräuliches Gebiet zu erobern (im Gegensatz zu den männerdominierten und prestigeträchtigen Bereichen der Malerei und Bildhauerei) und als Subjekte in Erscheinung zu treten. Auffällig ist, dass die fotografischen Selbstinszenierungen der genannten Künstlerinnen meist nur auf einen kurzen Experimentier-Zeitraum begrenzt waren. Dies mag zu Spekulationen in Bezug auf ihre damalige gesellschaftliche Rolle als Künstlerinnen anregen, da den meisten Frauen im Kontext der künstlerischen Avantgarde eine professionelle Karriere und ein entsprechender beruflicher Erfolg verwehrt blieben. 15 Des Weiteren fällt auf, dass Astfalck-Vietz, Arndt, Varo und Mallo über viele Jahrzehnte aus dem kollektiven Gedächtnis und aus der Kunstgeschichts14
Vgl. in diesem Zusammenhang die Kurzbiographie von Gertrud Arndt, die verdeutlicht, dass diese über ihren Gatten an seiner künstlerischen Produktion teilhatte und u.a. seine Architekturarbeiten fotografisch dokumentierte. Ihre eigene künstlerische Arbeit rückte jedoch zunehmend in den Hintergrund, bis sie schließlich ganz aufgegeben wurde.
15
Eine Ausnahme bildet Maruja Mallo, deren Malereien in zahlreichen Avantgarde-Ausstellungen der 1920er und 1930er Jahre vertreten waren (vgl. diesbezüglich die Kurzbiographie von Mallo, Kapitel 4.6.1 und Huici/de Diego 1999, 30). Auch Remedios Varo stellte einige ihrer surrealistischen Malereien in damaligen Werkschauen und Galerien aus. Allerdings war dies keine Garantie fur eine angemessene Würdigung ihrer Werke. Im Gegensatz zu den Malereien wurden die fotografischen Selbstinszenierungen der Künstlerinnen nicht öffentlich ausgestellt.
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schreibung verschwanden. Die geringe Wertschätzung weiblicher Kunst mag auch damit zusammenhängen, dass im Bereich der Kunst immer noch das männliche Geniekonzept griff (vgl. Higonnett 1994: 288). Dies diente Anne Higonett zufolge dazu, Kunstproduktionen und deren Qualität besser erklärbar zu machen, denn, so Higonett, "ein großer Künstler galt als geborenes Genie" (ebd.). Auf diese Weise wurde auch eine Hierarchie der verschiedenen Kunstformen erstellt, die für das 19. Jahrhundert noch wie folgt galt: "Alle Kunstformen wurden nach dem Grad der in ihnen enthaltenen Genialität klassifiziert. In den bildenden Künsten rangierten historische, mythologische und religiöse Malerei und Plastik an oberster, das Kunsthandwerk an unterster Stelle, alles andere wurde irgendwo dazwischen angesiedelt." (Ebd.) Wenn Frauen sich nun aber als geniale Künstlerinnen zu erkennen gaben oder ihr Werk als bedeutend eingestuft wurde, dann verloren diese angeblich ihre Weiblichkeit. 16 Higonnet betont: "Die Attribute der Weiblichkeit waren denen des Genies diametral entgegengesetzt; eine Frau, die künstlerische Größe anstrebte, beging, so meinte man, Verrat an ihrer häuslichen Berufung." (Ebd.) Obwohl sich Higonnet auf die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts bezieht, blieb diese Auffassung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verbreitet. Männliche Künstler wurden dazu angehalten, sich über ihre Kunst zu verwirklichen und auszudrücken, während sich ambitionierte Frauen eher über ihren Nachwuchs definieren sollten. Ursprünglich ging das Konzept der Selbstdarstellung (vor allem in kunsthistorischen Kontexten und hier besonders innerhalb traditioneller Genres wie der Malerei) von einem authentischen, ganzheitlichen und souveränen Selbst aus. Innerhalb dieses Entwurfs wurde der männliche Künstler als meisterhaftes Genie und autonomes Individuum betrachtet. Man ging von einem individuellen und freien Selbstausdruck des Künstlers aus, der sich als autarkes Subjekt inszenierte. Diese Auffassung des Selbst bzw. des Individuums berücksichtigte jedoch nicht, dass das Subjekt auch durch gesellschaftliche, politische und kulturelle Einflüsse geprägt ist, die sein Subjekt-Sein maßgeblich beeinflussen (auch und gerade in Bezug auf Geschlechtervorstellungen). Die Künstlerinnen Astfalck-Vietz, Arndt, Varo und Mallo setzten genau an dieser Stelle an und machten auf die äußeren Einwirkungen, die 16
Maruja Mallo wurde beispielsweise vom spanischen Schriftsteller Rarnon G6mez de Ia Sema wie folgt beschrieben: "Reia y daba con Ia mano como tirando de Ia campanilla de Ia amistad, con un zarandeo especial, [.. .]." (G6mez de Ia Sema zit. n. Kirkpatrick 2003: 231; Übers.: Sie lachte und gab einem die Hand, als ob sie an dem Glöckchen der Freundschaft ziehen würde, mit einem speziellen Rütteln, [... ].)G6mez de Ia Sema will mit dieser metaphorischen Beschreibung darauf hinaus, dass Mallo sehr virile Züge an sich hatte, die ftir Frauen ihrer Gesellschaftsschicht ungewöhnlich waren. Auch sonst wurde Mallos Körpersprache und Verhalten eher als männlich beschrieben (vgl. ebd.).
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bei der Konstituierung des Selbst von Bedeutung waren, aufmerksam. Um ihren Ideen Ausdruck zu verleihen, bedienten sie sich des noch relativ jungen Mediums Fotografie. In Anbetracht dessen, dass in den 1920er und 1930er Jahren die Fotografie aber noch keinesfalls selbstverständlich zur Kunst gezählt wurde, waren die Künstlerinnen, die sich dieses Mediums bedienten, in gewisser Hinsicht doppelt marginalisiert. Zum einen, weil die Fotografie noch keinen eindeutigen künstlerischen Status hatte und eher zum Kunsthandwerk als zur Kunst gezählt wurde. Zum anderen, weil sich die Frauen als Künstlerinnen ohnehin auf einem männerdominierten Feld bewegten. Dennoch konnte die Hinwendung zu einem Bereich mit geringem künstlerischen Prestige (wie es auf die Fotografie zutraf) auch als Chance gesehen werden, um ein noch wenig festgelegtes Feld experimentell zu erforschen, ohne mit bereits gefestigten Konventionen konfrontiert zu werden. Diese Offenheit und die spezifischen Eigenschaften der Fotografie (vgl. Kapitel 2) ermöglichten es auch, dass sich einige Künstlerinnen mit großem Interesse dem Medium zuwandten, da im neuen Bereich der experimentellen Fotografie nur mit wenig Hindernissen zu rechnen war. Solange sich die fotografischen Experimente im Feld des Amateurhaften bewegten, galten sie ohnehin nicht als Gefahr, denn erst mit der Professionalisierung und dem Anspruch auf Gleichbehandlung (bzw. mit dem Auftreten als Konkurrentinnen) wurden Künstlerinnen- aus männlicher Perspektive- als Gefahr eingestuft. Interessant ist in Verbindung mit der weiblichen Eroberung des fotografisehen Mediums, dass dieses als technisches und rationales Medium galt und insofern in Kontrast trat zu den eher weiblich konnotierten Arbeiten ( traditionellerweise Stick- und Näharbeiten, die ein hohes Maß an dekorativen Elementen besaßen). Doch mit der Bedienung der Kamera begannen Frauen auch handwerklich zu arbeiten. Viele damalige Fotografinnen waren allerdings Autodidaktinnen, zumal ihnen der Zugang zu bestimmten künstlerischen Ausbildungsstätten erschwert wurde. Am Bauhaus gab es zudem erst sehr spät eine eigene Fotoklasse (1929). Diese wurde von Walter Peterhans geleitet (vgl. Timm 1991: 27) und hatte nur einen sehr geringen FrauenanteiL Klassische Ausbildungsplätze fl.ir Fotografinnen waren daher meist die Fotostudios selbst, die jedoch nur bedingt ausbildeten. Während die Befürworter einer Aufnahme von Frauen in die künstlerischen Institutionen und Ausbildungsmöglichkeiten erklärten, dass die Ausbildung eine Möglichkeit für Frauen böte, sich ökonomisch abzusichern, sahen die Gegner die Weiblichkeit der Frauen gefahrdet und wollten diese eher in ihrer traditionellen Rolle als Hausfrau, Gattin und Mutter sehen.
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Obwohl die Materialfiille (bzw. der jeweilige Bildkorpus) in Bezug auf die erhaltenen künstlerischen Fotografien sehr unterschiedlich war, 17 sollen im Folgenden die jeweils prägnantesten Selbstinszenierungen der Künstlerinnen, die um die Themen Weiblichkeit, weibliche Identität und Geschlechtlichkeit kreisen, exemplarisch analysiert und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Interessant ist, dass den untersuchten Fotografien aus künstlerischer Perspektive keine Bedeutung zugesprochen wurde, was auch erklärt, weshalb sie bis in die 1980er und 1990er Jahre hinein in Vergessenheit blieben. Erst im Zuge der Zweiten Frauenbewegung rückten die untersuchten Werke und ihre Urheberinnen wieder verstärkt in den Vordergrund. Allerdings ist auffällig, dass zunächst diejenigen Frauen ins Blickfeld gerieten, die dem männlichen Künstlerideal und Geniegedanken besonders nahe kamen. 18 Andere, die in Bezug auf ihr künstlerisches Schaffen immer wieder Brüche in ihrer Biographie aufwiesen, wurden hingegen weniger ernst genommen und häufig als Kunsthandwerkerinnen abgetan. Insgesamt unterschieden sich die Lebensentwürfe der behandelten Künstlerinnen grundlegend von denen der vorangehenden Generationen (der Generation ihrer Mütter und Großmütter), da für sie eher das künstlerische Schaffen im Mittelpunkt stand und weniger die ,Selbstverwirklichung' im Rahmen der Ehe. Obwohl drei der vier untersuchten Künstlerinnen verheiratet waren, 19 vertraten fast alle liberale Einstellungen in Bezug auf die Ehe und experimen-
17
Während von Astfalck-Vietz über 200 Fotografien ausgemacht werden konnten, die zu einem großen Teil die Künstlerin selbst abbilden, war die Auswahl an Selbstporträts bei Arndt, Yaro und Mallo wesentlich reduzierter (z.T. fanden sich nur ca. 10-50 Fotografi en pro Künstlerin). Jedoch sind die künstlerischen Werke der genannten Autorinnen in Bezug auf die weibliche Selbstpräsentation derart aufschlussreich, dass ich entschied, die verschiedenen Bildkonvolute miteinander zu vergleichen.
18
Varo und Mallo wurden nach ihrer Wiederentdeckung in Spanien (beide waren ins Exil gegangen) vor allem wegen ihres umfassenden CEuvres in der surrealistischen Malerei ausgezeichnet. Die anderen Disziplinen, mit denen sie sich ebenfalls beschäftigt hatten (Fotografie, Bildhauerei, Bühnenbild etc.), wurden schlicht ignoriert. Beide Künstlerinnen konnten zudem lange Perioden in ihrem Leben vorweisen Ueweils 10-1 5 Jahre), in denen sie nicht künstlerisch tätig waren (vgl. die Kurzbiographien von Varo und Mallo, Kapitel4.5.1 und Kapitel4.6.1). Andere Künstlerinnen wie Astfalck-Vietz, die sich nach dem Krieg eher karitativen Aufgaben widmete, gerieten dagegen gänzlich in Vergessenheit und wurden nur zufällig wiederentdeckt (vgl. die Kurzbiographie von AstfalckVietz, Kapitel4.3.1).
19
Astfalck-Vietz, Varo und Amdt waren verheiratet, während Mallo ledig blieb. Auffällig ist, dass von den vier Künstlerinnen nur Amdt Mutter wurde.
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tierten mit unterschiedlichen Partnerschaftskonzepten (u.a. der Kameradschaftsehe).20 Aufformal-ästhetischer Ebene bezogen sich die Arbeiten der Künstlerinnen z.T. stark auf kanonisierte Frauendarstellungen aus den Massenmedien. Andererseits wurden über künstlerische Techniken und Herangehensweisen neue Visionen von Weiblichkeit und Geschlecht kreiert. Entscheidend ist j edoch, dass der Blick auf den weiblichen Körper kein voyeuristischer war, der einen männlichen Betrachter zu stimulieren versuchte. Vielmehr deuten gerade die private Atmosphäre im Entstehungszusammenhang der Bilder und die Tatsache, dass die Fotografien kaum anderen gezeigt wurden, darauf hin, dass die Künstlerinnen das Fotografieren auch als Rückzugsmöglichkeit verstanden, um sich in vertrauter Umgebung mit dem eigenen Körper bzw. mit dem Thema Weiblichkeit zu befassen. Ebenso können die Bilder als persönliche Statements betrachtet werden, die Stellung bezogen zu damals aktuellen Weiblichkeitstopoi aus medialen Zusammenhängen.
4.3
MARTA ÄSTFALCK-VIETZ
4.3.1 Kurzbiographie Marta Astfalck-Vietz wurde 1901 als Marta Vietz in Neudamm/Neumark im heutigen Polen geboren. Ihr Vater war Buchdrucker bzw. Leiter des Verlages Klassische Kunst, der sich vor allem auf Kunstdrucke spezialisierte. Als junges Mädchen kam sie auf diese Weise schon früh mit Künstlerinnen in Kontakt, die im Elternhaus einund ausgingen. Der Vater interessierte sich für das Medium Fotografie und besaß eine Leica-Kamera, die er später seiner Tochter vermachte. Nach Beendigung der Schule studierte Astfalck-Vietz zwei Jahre (1 918-1 920) an der ,Höheren Fachschule fLir Textil- und Bekleidungsindustrie' in Berlin. Dort entwickelte sie eine besondere Beziehung zu Stoffen, speziell zu Seide. Danach nahm sie ein Studium an der Kunstgewerbeschule in Berlin auf (1920-1924) und belegte Kurse in den Bereichen Mode, Buchillustration, Aktzeichnen und Gebrauchsgraphik. In der Akademie lernte sie auch ihren Kollegen Heinz Hajek-Halke kennen, mit dem sie später gemeinsame Fotoserien produzierte, die so genannten Combi-Phots. Sie arbeitete in dieser Zeit auch mit dem berühmten Seidenhaus Michels in Berlin zusammen, ftir das sie Stoffe bemalte. Nach dem Studium begann sie eine Foto-Fachausbildung im Atelier 20
Die Partnermodelle, die innerhalb und außerhalb der Ehe gelebt wurden, gehen aus den jeweiligen Kurzbiographien hervor.
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Lutz Kloss im Passagehaus Unter den Linden. Für Kloss arbeitete Astfalck-Vietz auch als Porträt- und AktmodelL Ab 1926 startete sie ihre selbständige Arbeit als Fotografirr sowie als Werbe- und Gebrauchsgrafikerin. Von 1927 bis 1928 war sie ein Jahr lang in der Schallplattenfirma Homophon Co. (Carl Lindström AG) eingestellt und fertigte dort vornehmlich Starporträts für die Kataloge an. Sie richtete sich 1927 ein eigenes Atelier ein, mit dem ihre experimentell-künstlerische Arbeit begann. Es entstanden zahlreiche Selbstporträtserien, auch in Zusammenarbeit mit Hajek-Halke. 2 1 1929 heiratete Astfalck-Vietz den Architekten Hellmuth Astfalck. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte sie ihre künstlerische und kommerzielle fotografische Arbeit fort. Mit der NS-Zeit begann jedoch eine Phase der inneren Emigration. Astfalck-Vietz stellte ihre fotografische Arbeit ein und experimentierte auch nach der nationalsozialistischen Herrschaft nicht mehr künstlerisch mit dem Medium Fotografie. Stattdessen widmete sie sich ab 1932 ehrenamtlichen Tätigkeiten, zunächst der kunsthandwerkliehen und therapeutischen Arbeit mit geistig und körperlich behinderten Kindem und Jugendlichen. Zudem gab sie jüdischen Kindern, die nicht mehr an den Staatsschulen unterrichtet wurden, Privatunterricht. Außerdem überließ sie ihre Dunkelkammer nachts den Mitgliedern der Untergrundbewegung, stellte jedoch selbst das Fotografieren ein. Fortan gab sie sich als Malerin aus und begann 1936 mit ihren heute bekannten Pflanzenaquarellen. Ihr Mann wurde dagegen in der NS-Zeit verpflichtet, für die Organisation Todt Unterkünfte für so genannte ,Fremdarbeiter' zu bauen. 1943 wurden durch einen Bombenangriff Astfalck-Vietz' Atelier und ihr Foto-Archiv zerstört. Fast alle kommerziellen und zahlreiche künstlerische Arbeiten gingen dabei unwiederbringlich verloren. Die einzigen Arbeiten aus ihrem künstlerischen CEuvre, die erhalten blieben, waren diejenigen Fotografien, die sie in regelmäßigen Abständen an ihren Vater nach Süddeutschland schickte. Diesem sendete sie vor allem ihre fotografischen Selbst-Experimente, weshalb heute ca. 200 Fotografien der Künstlerin existieren. Nach Kriegsende nahm Astfalck-Vietz ein behindertes Adoptivkind bei sich auf und initiierte eine Behindertenwerkstatt (,Mosaik e.V. '), in der sie regelmäßig unterrichtete. Auch an der Volkshochschule gab sie Malkurse. 1970 zog sie von Berlin nach Nienhagen (Kreis Celle) und widmete sich intensiv der Pflanzenmalerei. In Celle war sie an der Strafvollzugsanstalt als Dozentin (im Bereich Zeichnen und 21 Astfalck-Vietz erklärte in Bezug auf die Arbeit mit Hajek-Halke: "Das war eine produktive Phase. Er hätte es ohne mich nicht geschafft. Und ich habe durch seine Anregung sehr viel auf mich zukommen lassen. Denn ich verdanke ihm sehr viel Ansporn und eine gewisse Sicherheit, neben mir einen Mann zu haben. Als Frau allein hätte ich damals diese Dinge gar nicht schaffen können, wenn ich als Frau alleine hingegangen wäre, glaube ich nicht, dass ich angekommen wäre." (Dohrmann/von Leitner 1992).
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Malerei) tätig. Außerdem richtete sie sich eine Töpferwerkstatt in ihrem Haus ein und gab dort Kurse. 1974 starb Hellmuth Astfalck. Astfalck-Vietz überlebte ihren Mann um 20 Jahre. Für ihr sozialpädagogisches Engagement erhielt sie 1982 das Bundesverdienstkreuz. Erst 1989 wurden ihre Arbeiten zufällig wiederentdeckt. 22 Fünf Jahre später (1994) starb sie im Alter von 93 Jahren in Nienhagen. 4.3.2 Alles in einer Person: Marta Astfalck-Vietz' multiple ldentitäten
Obwohl Marta Astfalck-Vietz auch kommerzielle Porträt-Aufnahmen und Tanzfotografien für Magazine und Zeitschriften erstellte, sollen im Folgenden vor allem ihre künstlerisch motivierten Selbstinszenierungen, die zwischen 1922 und 1934 entstanden, 23 im Fokus des Interesses stehen. Dabei ist bemerkenswert, dass sich die Fotografin mit einer großen Experimentierfreude in den unterschiedlichsten Weiblichkeitsrollen vor der Kamera in Szene setzte. Die Aufnahmen, auf denen Astfalck- Vietz immer selbst als Modell erscheint, belegen die große Bedeutung von Verkleidung und Rollenspiel. Sie offenbaren auch ein Interesse am Schauspiel und am Film, was sich an den verschiedenen Posen und Szenen festmachen lässt. 24 Astfalck-Vietz wäre gerne Schauspielerin oder Tänzerin geworden, doch war dies für eine Tochter aus bürgerlichem Hause damals nicht ohne weiteres möglich. 25 Mit dem Medium Fotografie und der Selbstinszenierung fand sie aber eine Möglichkeit, diesen Wunsch indirekt zu realisieren. Das Spektrum ihrer Weiblichkeitsentwürfe ist breit gefächert. Astfalck-Vietz greift nicht nur Attribute der Neuen Frau auf, um einen mondänen und zeitgemäßen Typus zu veranschaulichen, sondern sie schlüpft ebenso in die Rolle der ,exotischen' Frau (z.B. der Spanierin oder Asiatin) oder 22
Janos Frecot, dem damaligen Leiter der Fotografischen Sammlung der Berlinischen Galerie, ist es zu verdanken, dass Marta Astfalck-Vietz und ihr Werk 1989 wiederentdeckt wurden.
23
Astfalck-Vietz datierte und betitelte ihre Fotografien nur selten, was bei der Durchsicht ihres Werkes in der Berlinischen Galerie auffiel, in welcher sich der Nachlass der Fotografirr befindet. Die dort archivierten Arbeiten können ihrem künstlerischen CEuvre zugeordnet werden.
24
Über die angewandte Ästhetik rucken die Arbeiten von Astfalck-Vietz in die Nähe des expressionistischen Films der 1920er Jahre. Dies verrät auch die dramatische Lichtsetzung bzw. das Spiel mit Licht und Schatten.
25
Vgl. in diesem Zusammenhang das Interview mit Astfalck-Vietz in Dohrmann/von Leitner 1992.
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aber der historischen BiedermeierDame. Das Verkleiden ermöglichte ihr, mit festgelegten (Geschlechter-) Rollen zu experimentieren und sich gleichzeitig von diesen zu distanzieren. Dabei steht vor allem die spielerische Verwandlung im Vordergrund und weniger die Suche nach einem ,wahrhaftigen' oder ,authentischen' Selbst. Bemerkenswert ist, dass sich Astfalek-Vietz scheinbar an damaligen Weiblichkeitstypologien , abarbeitete', die in den Massenmedien stark präsent waren. Beispielsweise trägt sie auf einem Selbstporträt ein Hängekleid, Seidenstrümpfe, schwarze Lederschuhe mit Absatz, einen Topfhut und einen Fransenschal (Abb. 110). Die ausgewählte Kleidung, in der sich die Künstlerin zeigt, ist chaAbb. 110: Marta Astfalck-Vietz, o.J. rakteristisch für die Mode der 1920er Jahre und insbesondere für die Inszenierung der Neuen Frau. Die Protagonistirr präsentiert sich zudem in einer typischen Charleston-Tanzpose: Ihre Beine nehmen eine X-beinige Haltung ein, so dass die Fußspitzen nach innen gedreht sind. Der Oberkörper neigt sich leicht zur Seite und die Arme greifen in die Seiten, wobei die Ellbogen weit in den Raum ragen. Zieht man zum Vergleich eine Abbildung zweier Charleston-Tänzerinnen heran, die 1926 in der Zeitschrift UH U erschien (Abb. 111 )26 , wird deutlich, dass die von Astfalck- Vietz dargestellte Charleston-Pose stark persifliert wurde. Zwar übernimmt die Künstlerin in ihrer Inszenierung die charakteristischen Charleston-Merkmale, doch ist ihre Pose eingefroren, während sich die beiden Figuren aus dem UHU tatsächlich in der Bewegung befinden (dies kann an den gehobenen Beinen und an der Bewegungsunschärfe der Tanzenden ausgemacht werden). Sowohl die typische X-beinige Charleston-Pose als auch die zeitgemäße Mode weisen auf den Abbildungen Parallelen auf. Dennoch parodieren vor allem der Gesichtsausdruck, insbesondere das ironische Lächeln und der nach unten gesenkte Blick sowie der übertrieben gebogene Oberkörper und die Arm- und Bein26
UHU, Heft 9, 2. Jg., Juni 1926.
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Abb. 111: Charleston-Tänzerinnen, 1926
haltung von Astfalck-Vietz die Pose und schaffen eine spöttische Distanz zum repräsentierten Typus. Beim Hinzuziehen einer weiteren Selbstinszenierung von Astfalck-Vietz fallt auf, dass sie auf der Darstellung verschiedenartige Codes bzw. Bedeutungsträger miteinander vermengt. Auf Abb. 112 nimmt die Künstlerin auch eine Charleston-ähnliche Tanzhaltung ein, kombiniert aber ein Kostüm dazu, das eher an afrikanische Kulturen erinnert (Baströckchen aus Naturmaterial und gemustertes Oberteil). Zu diesem Kostüm trägt sie viel Schmuck an Oberarmen, Handund Fußgelenken, sowie an den Fingern und Ohren. Die Charleston-Pose wird hier mit einem exotischen Kostüm in Verbindung gebracht und nicht wie zuvor mit einer zeitgemäß modischen Aufmachung im Stil der 1920er Jahre. Diese zunächst ungewöhnlich erscheinende Yerknüpfung wird jedoch nachvollziehbar, wenn man an Josephine Bakers Auftritte denkt, die damals mit ihrem Bananentanz für Furore sorgte. Als erste schwarze Frau trat sie fast nackt auf die Bühne (nur bekleidet mit einem Bananenschurz) und präsentierte dem Publikum frenetische, ungehemmte und archaisch anmutende Bewegungen und Ausdrucksformen. Ferner tanzte sie auch Charleston, so dass sie sowohl mit modernen als auch mit exotischen Merkmalen in Verbindung gebracht wurde (vgl. auch Abb. 113). Eine ähnliche Yerlmüpfung stellt auch Astfalck-Vietz her, indem sie ein exotisches Kostüm mit einer modernen Körpersprache aus dem Charleston-Tanz kombiniert. Auf beiden Abbildungen demonstriert die Künstlerin über die theatrale und übertriebene Gestik und Mimik einen Abstand zur eingenommenen Rolle.
3141 FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
Abb. 112: Marta Astfalck-Vietz, o.J.
Abb. 113: Josephine Baker, o.J.
Sowohl in damaligen Zeitschriften und Magazinen als auch im Kino waren vermehrt Frauen unterschiedlicher Kulturen zu sehen, die meist als schöne Exotinnen in ihren Nationaltrachten präsentiert wurden. AstfalckVietz greift in diesem Zusammenhang u.a. auf stereotype Bilder der Afrikanerin, der Asiatin und der Spanierin zurück, wobei sie sich kulturspezifischer Kleidung, Gesten und Körperhaltungen bedient. Auf Abb. 114 erscheint sie als Asiatin in einem prächtigen Kimono vor emem dunklen Stoffvorhang. Das Ganzkörperporträt zeigt die Künstlerin in einer Standbein-Spielbein-Position, wie sie den Betrachterinnen leicht seitlich gedreht gegenübersteht und diese mit ihrem Blick fixiert. Ihre rechte Hand ist nach oben geöffnet, so dass eine gebende bzw. empfangende Geste angedeutet wird. In ihrer linken Hand hält sie einen Fächer, der ähnlich wie der Kimono mit asiatischen Mustern versehen ist. Bemerkenswert sind, neben der symbolischen Geste der Hand, vor allem die Kopfhaltung (schräg zur Seite geneigt und leicht nach unten gebeugt) und der eindringliche Blick, der die unterwürfig wirkende Kopfposition relativiert. Die Augen blitzen durch den gesenkten Kopf direkt unter den sehr markanten Augenbrauen hervor. Trotz der Schieflage des Kopfes, die Unterwürfigkeit andeutet (vgl. Mühlen Achs 1998: 64 und Henley 1988:
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Abb. 114: Marta Astfalck-Vietz, o.J.
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Abb. 115: Toshiko Sekiya, 1928
199), wirkt der Blick aber keineswegs demütig, sondern herausfordernd, provokativ und verführerisch, was zudem durch das verschmitzte Lächeln der Protagonistirr verstärkt wird. Vergleicht man Astfalck-Vietz' Inszenierung mit einer Abbildung aus der Zeitschrift D 'Aci i D 'Alla von September 1928, fällt auf, dass die dort dargestellte japanische Sopranistin Toshiko-Sekiya in ähnlicher Kleidung und Körperhaltung vor einem dunklen Hintergrund abgebildet ist (Abb. 115).27 Auch sie steht den Rezipientinnen seitlich gedreht gegenüber und hält den Kopf schräg nach unten gebeugt. Zudem ist auch ihre rechte Hand zur Seite abgespreizt. Doch im Unterschied zu Astfalck-Vietz' Inszenierung zeigt die Handinnenfläche der japanischen Sopranistin nicht nach oben, sondern direkt auf die Betrachterinnen. Des Weiteren ist augenfällig, dass ihre Finger nicht gestreckt, sondern eingeknickt sind, was zur Folge hat, dass die Geste eher kindlich-naiv anmutet. Mit dem herausfordernden und verführerischen Blick greift Astfalck-Vietz auf Codes zurück, die mit der Femme fatale assoziiert werden. Dagegen wirkt der Ausdruck bei der ,echten' Asiatin, durch ihren lieblichen Blick und ihr sanftmütiges Lächeln, mädchenhaft. Anhand dieser Gegenüberstellung kann nachvollzogen werden, dass Astfalck-Vietz sich eingehend mit stereotypen und massenmedial verbreiteten Bildern von Asiatinnen befasst hat. Allerdings legt sie keinen besonderen Wert darauf, die typischen Posen 27
D'Aci i D'Alh't, September 1928.
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detailgetreu zu adaptieren, zumal asiatische Frauen häufig dienend dargestellt wurden. Vielmehr scheint es ihr darum zu gehen, an die Weiblichkeitsbilder der japanischen Kultur zu erinnem und diese mit einem eigenen Körperausdruck zu ergänzen und zu modifizieren. Mit der Vermengung der Zeichen (Kleidung, Körperpose und Accessoires) wird eine seltsame Ambivalenz sichtbar, die emeut auf eine lronisierung des repräsentierten Bildes schließen lässt. Auf einer weiteren Fotografie präsentiert sich die Künstlerin mit traditionellen Zeichen der ,spanischen Frau ' wie Fächer, Spitzenstoff und modelAbb. 116: Marta Astfalck-Vietz, o.J. lierter Locke auf der Stim (Abb. 11 6). Sie trägt ein schwarzes, ärmelloses Kleid und schwarze Handschuhe, die ihr bis zum Ellbogen reichen. Der Fächer ist auf Brusthöhe aufgespannt und verdeckt den gesamten Oberkörper. Lediglich der linke Arm und der Kopf können dahinter ausgemacht werden. Bemerkenswert sind Astfalck-Vietz' selbstbewusste Körperhaltung (der linke Arm ist in die Seite gestemmt und der Kopf aufrecht positioniert) und ihr prüfender Blick, der die Betrachterinnen fixiert. Im Vergleich zu einer Darstellung, die 1928 im UHU erschien und die zwei spanische Frauen mit Mantilla und Fächer zeigt (Abb. 104)2 \ fällt auf, dass Astfalck-Vietz - wie bereits bei der Inszenierung der asiatischen Frau- auf charakteristische Merkmale des Typus zurückgreift. Beispielsweise dient der Spitzenstoff, der üblicherweise für die Mantilla benutzt wurde, als Hintergrundmuster. Dieser ist in der unteren Bildhälfte zu sehen, wohingegen die obere Bildhälfte des Hintergrundes schwarz bleibt. Ebenso taucht der Spitzenstoff im aufgeschlagenen Fächer auf. Zudem sind die dunklen Haare, die Locke auf der Stim, die starke Schminke und die langen Ohrringe typisch für das Bild der 28
UHU, Heft 1, 5. Jg., Oktober 1928.
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Spanierin. Der herausfordernde Blick und der ernste Gesichtsausdruck (der Mund ist leicht gespitzt und wirkt etwas zusammengekniffen) verleihen Astfalck-Vietz etwas Distanziertes und Geheimnisvolles. Dabei wird ihre mystische Aura durch den schwarzen, transparenten Schleier verstärkt, der über Stirn und Augen liegt. Dass die Künstlerin das Stereotyp der Spanierin karikiert, kann daran ausgemacht werden, dass sie sich übertrieben geschminkt präsentiert. Beispielsweise sind ihre Augenbrauen dick nachgezeichnet, um den Typus der dunkelhamigen Spanierin wiederzugeben und zu persiflieren. Auch Augen und Lippen werden überdeutlich betont, so dass das Gesicht wie eine Maske erscheint. Die erotische Seite der ,spanischen Frau' wird insbesondere über den nackten Schulter- und Armbereich betont, der sich vor dem schwarzen Hintergrund absetzt. Mit dem Einsatz bestimmter Accessoires (vgl. vor allem den aufgeschlagenen Fächer, hinter dem ihr Oberkörper verborgen bleibt) und Posen greift sie das Spiel vom Verstecken und Zeigen der einzelnen Körperteile auf. Die ,spanische Frau' wird von Astfalck-Vietz als starke Persönlichkeit mit erotischem Potenzial dargestellt, die als Femme fatale kontrolliert und gleichzeitig sinnlich-einladend wirkt. Zwar übernimmt die Künstlerin zahlreiche stereotype Merkmale des Typus, macht jedoch mit dem übertriebenen Einsatz von Make-up deutlich, dass sie sich gleichzeitig wieder vom Stereotyp distanziert. Abgesehen vom beliebten Motiv der ,exotischen' Frau, das damals in der Öffentlichkeit auf großes Interesse stieß (prominente Vertreterinnen waren u.a. die asiatische Hollywood-Schauspielerin Anna Mae Wong, Manuel de Fallas Carmen und die Tänzerin Josephine Baker), befasst sich Astfalck-Vietz in ihren Fotografien mit Variationen des Typus der Neuen Frau. Auf Abb. 117 greift sie in einer Mehrfachbelichtung drei der damals prägnantesten Topoi auf: Die sportliche Frau, die Diva und die Gan;onne. Interessant ist dabei, dass Astfalck-Vietz auf derselben Fotografie ihren Körper in drei verschiedenen Varianten präsentiert. Damit macht sie nicht nur auf ihre Experimentierfreude aufmerksam, sondern verweist auch auf die Gleichzeitigkeit der lebbaren Entwürfe. Die drei Figuren sind diagonal im Bild angeordnet. Auf höchster Bildebene und an den linken Bildrand gerückt ist der Typus der sportlichen Frau als Ganzkörperporträt zu sehen. Astfalck-Vietz trägt kurze Pumphosen, eine Strumpfhose, Reiterstiefel und ein langärmeliges, aufgelmöpftes Hemd. Die Aufmachung erinnert stark an so genannte ,Hosenrollen', die im 19. Jahrhundert weit verbreitet waren und in denen weibliche Bühnen-Darstellerinnen in männlicher Kleidung auftraten. Obwohl Astfalck-Vietz' Mode männlich konnotiert ist, werden die sanfte, selbstberührende Geste (ihre linke Hand liegt auf dem Dekollete) und die leuchtenden Perlenohrringe mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht. Durch den zur Seite gerichteten Blick wirkt die Dargestellte zudem abwe-
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send und m sich gekehrt. Die zweite Figur der Mehrfachbelichtung ist mittig ins Bild platziert und zeigt die Künstlerin als Diva. Sie ist in einem glänzenden Abendkleid abgebildet, zu welchem sie einen Umhang aus Spitze, eine Haube und auffälligen Schmuck trägt. Besonders auffällig sind die lange Perlenkette und die großen, runden Ohrringe, die die Modernität und die damenhafte Eleganz unterstreichen. Astfalck-Vietz befindet sich in einer Standbein-Spielbein-Pose, in der sie das Becken stark zur Seite kippt. ihr Gesicht ist nur im Profil zu sehen und es Abb. 117: Marta Astfalck-Vietz, o.J. scheint, als würde sie die Augen geschlossen halten, wobei Pose und Aufmachung insgesamt theatralisch wirken. Auf der dritten Darstellung (ein Brustporträt) erscheint die Künstlerin schließlich als Garc,;onne in einem dunklen Jackett mit Halstuch und Schirmmütze. lm Gegensatz zu den anderen beiden Bildern blickt sie die Betrachterinnen direkt an und vermittelt einen selbstbewussten Eindruck. Der Ausdruck der Augen wirkt dabei herausfordernd und melancholisch zugleich. Ihr Kopf ist leicht zur Seite geneigt und die Mütze keck in die Stirn gezogen. Am auffälligsten ist jedoch die im Mundwinkel befindliche Zigarette, die die Inszenierung modern und provokativ anmuten lässt. Die Mehrfachbelichtung, die Astfalck-Vietz gleichzeitig in drei verschiedenen Rollen zeigt, ist insofern aufschlussreich, als sie die Wandelbarkeit weiblicher Lebensentwürfe bzw. die Auflösung einer feststehenden weiblichen Identität unvermittelt vor Augen fuhrt. Dabei wählt die Künstlerin vornehmlich Entwürfe, die einen modernen Frauentypus repräsentieren. Ihr schauspielerisches Talent und ihre Rollenbeherrschung können vor allem an der Körpersprache bzw. den eingenommenen Posen nachvollzogen werden. Bemerkenswert ist dabei, dass sie Gesten und
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Abb. 118: Greta Garbo, 1930
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Abb. 119: Marta Astfalck-Vietz, o.J.
modische Elemente aufgreift, die in damaligen Zeitschriften und Filmen vermehrt in Erscheinung traten. So ist die Robe der mittleren Figur offenbar den Gewändern von Filmdiven der 1920er und 1930er Jahre nachempfunden (vgl. beispielsweise das Kleid von Greta Garbo aus dem Film Mata Hari von 1931 , Abb. 11829). Die Standbein-Spielbein-Position verleiht der Figur verführerische Rundungen (das Becken wird stark gekippt) und die in die Seite gestemmten Arme betonen die schmale Taille. Astfalck-Vietz inszeniert sich hier als verführerische Diva, die durch den zur Seite gedrehten Kopf den Blicken der Betrachterinnen ausweicht. Dennoch ist sie sich der imaginären Rezipientinnen bewusst, da sie eine äußerst kontrollierte und zugleich sinnliche Pose einnimmt, die ohne Zweifel einen männlichen Betrachter ansprechen soll. Auf Abb. 119, in der Astfalck-Vietz in einer ähnlichen Aufmachung und Körperhaltung zu sehen ist (die rechte Figur der Doppelbelichtung), wird die erotische Dimension der Inszenierung noch deutlicher, zumal der Kopf der Protagonistin stark in den Nacken geworfen ist und somit der Hals bzw. die Kehle prä29
D'Aci i D'Alla, Januar 1930.
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sentiert wird. 30 Auch der glänzende Stoff des Kleides wird so beleuchtet, dass vor allem die sexualisierten Körperbereiche wie Busen und Beine in den Vordergrund rücken. Zieht man eine Abbildung von Carol Lombard aus der Zeitschrift D 'Aci i D 'Alla hinzu (Abb. 120)31 , erscheint die Pose der Filmdiva fast identisch und die erotische Konnotation evident. Auch Lombard wirft ihren Kopf in den Nacken, so dass ihre Augen beinahe geschlossen erscheinen und der Blick durch den gelösten Gesichtsausdruck lasziv wirkt. Eine zusätzliche Dramatik wird über die Beleuchtung erreicht, die einige Körperteile im schwarzen HinterAbb. 120: Carlol Lombard, 1932 grund verschwinden lässt, während andere (Busen und Beine) in den Vordergrund gerückt und plastisch herausgearbeitet werden. Der Typus der Neuen Frau wird auf Abb. 121 noch um eine weitere Facette ergänzt, da Astfalck-Vietz als gebildete, lesende Frau in Erscheinung tritt. In dieser Rolle präsentiert sie sich in eleganter Aufmachung: Sie trägt ein langes, schwarzes Abendkleid und Schmuck (Halskette, Armband und Ohrringe). Ihre kurzen Haare sind gewissenhaft zurechtgemacht und das Gesicht ist stark geschminkt. Der äußeren Aufmachung nach, könnte die Dargestellte eine Abendveranstaltung besuchen wollen, obwohl sie keine Anstalten macht, das Zimmer zu verlassen. Stattdessen sitzt sie auf dem Bett und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf ein aufgeschlagenes Buch in ihren Händen. Ein weiteres Buch liegt so auf ihren Knien, dass die Betrachterinnen den Titel entziffern können: Die Kameradschaftsehe. 32 Mit diesem Accessoire 30
Zum Ritual der Kehlkopfpräsentation vgl. Mühlen Achs 1998: 64 f.
31
D 'Aci i D 'Alla, Winter 1932.
32
Das Buch Die Kameradschaftsehe der US-Arnerikaner Ben B. Lindsey und Wainwright Evans (die deutsche Fassung erschien 1928) war in den 1920er Jahren ein kontrovers diskutiertes Werk, in welchem die Autoren im Einführungstext folgende Definition zur Kameradschaftsehe geben: "Unter Kameradschaftsehe verstehe ich eine rechtskräftig geschlossene Ehe mit gesetzlich anerkannter Geburtenkontrolle und dem Recht für kinderlose Paare, sich mit beiderseitiger Einwilligung jederzeit scheiden lassen zu können,
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Abb. 121: Marta Astfalck-Vietz, o.J.
verdeutlicht Astfalck-Vietz, dass sie nicht nur ihrem Aussehen nach dem Bild der modernen Frau entsprach, sondern sich auch in ihrer Lebensweise an neue Konzepte und Vorstellungen orientierte. Zudem können einige ausgebreitete Zeitschriften (u.a. der UH U) auf dem Bett ausgemacht werden, die ebenfalls die Modernität des Typus hervorheben. Die Künstlerin inszeniert sich mit ausgewählten Attributen als Neue Frau, die zeitgenössische Einflüsse aufnahm. Gleichzeitig ist mit der angedeuteten Fortschrittlichkeit des Weiblichkeitsentwurfes auch ein starker Fokus auf die ästhetisch ansprechende Aufmachung gelegt. Insbesondere fallen das schöne Gesicht der Dargestellten und ihre versunkene, hingebungsvolle Haltung auf. Modernität wird hier zum einen mit einem modischen weiblichen Äußeren verbunden, Zllm anderen mit neuen theoretischen Beziehungskonzepten (symbolisiert durch das Buch). Des Weiteren greift Astfalck-Vietz in ihren Arrangements auch auf Modelle und Rollen zurück, die in den 1920er und 1930er Jahren bereits vorangegangenen ohne daß für gewöhnlich Unterhaltsbeiträge zu zahlen sind." (Lindsey/Evans 1928: 9) Von damaligen Kritikern wurde den Autoren vorgeworfen, dass sie die "freie Liebe" propagierten und Verfechter der "Probeehe" seien (die keine dauerhafte Verbindung vorsah). Bedeutend für die Kameradschaftsehe waren vor allem der Aspekt der Empfängnisverhütung und die Möglichkeit einer unkomplizierten Scheidung.
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Generationen angehörten und die traditionelle (bürgerliche) Weiblichkeitsformen demonstrierten. Beispielsweise ist sie als Biedermeier-Dame in einem weiten, bis auf den Boden reichenden Reifrock mit Volants und einer dunklen Stola mit Spitzen zu sehen (Abb. 122). Auf dem Kopf trägt sie eine Haube mit Rüschen W1d einen Hut mit Krempe. Wie es im 19. Jahrhundert üblich war, wird die Figur in einer studiotypischen Inszenierung vor einem einfarbigen Hintergrund festgehalten. Astfalck-Vietz steht seitlich gedreht den Betrachterinnen gegenüber und wendet ihren Kopf nach hinten, als schaue sie auf etwas, das sich hinter ihr befindet. Die linke Hand W1d der Zeigefinger sind dabei - der Blickrichtung entgegen - nach vorne Abb. 122: Marta Astfalck-Vietz, o.J. ausgestreckt. Es fällt auf, dass die Pose keineswegs so unbeweglich und steif wirkt wie jene auf den Studiobildern des 19. Jahrhunderts, die teilweise noch Stützapparaturen einsetzten, um die Personen scharf auf dem Bild wiedergeben zu können. Da Astfalck-Vietz bereits mit einer modernen Kameratechnik arbeitete (d.h. mit schnelleren Verschlusszeiten), musste die Pose nicht mehr so lange gehalten werden W1d so mutet die Körperhaltung deutlich entspannter an. Insgesamt weist die Szene einen theatralischen und narrativen Charakter auf, zumal Astfalck-Vietz in ein historisches Kostüm schlüpft, bedeutungsvoll zurückschaut und gleichzeitig auf etwas deutet, was sich noch vor ihr befindet. Mit Gestik, Mimik und Kostüm wird eine kleine Geschichte erzählt. Zudem sind durch die Beleuchtung dramatische Schatten und Hell-Dunkel-Kontraste gesetzt, die an eine Bühnen- bzw. Theateratmosphäre erinnern. Offenbar beabsichtigte Astfalck-Vietz gleichzeitig einen Bezug zu Vergangenheit W1d ZukW1ft herzustellen, wobei inter-
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essant ist, dass sie sich als traditionelle Biedermeier-Dame (die als Gegenbild zur Neuen Frau betrachtet werden kann) präsentiert. Die Thematisierung einer antiquierten Weiblichkeit diente scheinbar dazu, im Vergleich zu modernen Frauentypen, das Überholte des Biedermeier-Modells offen zu legen. Ferner stellt sie mit dem historischen Weiblichkeitsentwurf auch eine Verbindung zur vorangehenden Generation und zu altmodischen Weiblichkeitsrollen her. Anhand der ikonographischen Gegenüberstellungen von Selbstinszenierungen und Medienbildern zeigt sich, dass Astfalck-Vietz häufig Motive aus massenmedialen Kontexten aufgreift (die Tänzerin, die Exotin, die Diva, die Femme fatale, die Garyonne etc.) und modifiziert. Dabei setzt sie verschiedene Techniken (Mehrfachbelichtung, Doppelbelichtung etc.) und Strategien (Verkleidung, Übertreibung, Persiflage etc.) ein, die es ihr erlauben, sich von den stereotypen, massenmedialen Weiblichkeitsbildern zu distanzieren und eigene Antworten auf die öffentlichen Bilder zu liefern. Sie erfindet dabei keine neuen Weiblichkeits- bzw. Geschlechtermodelle, sondern greift auf Leitbilder zurück, die über die Medien präsentiert wurden. Die medialen Referenten bleiben dabei stets durch den Einsatz bestimmter Attribute (Kostüme, Posen, Gesten, Objekte etc.) für die Betrachterinnen erkennbar, obschon gewisse Modifikationen vorgenommen werden, die wiederum Brüche und Ambivalenzen in der Inszenierung verursachen. In diesen eigenwilligen Umgestaltungen geht die Künstlerin beispielsweise in übertriebene Posen und nimmt eine expressive Mimik an, um eine Distanz zum vorgefiihrten Typus zu markieren. Sowohl bei den Bildern der Neuen Frau als auch bei den Repräsentationen der Exotin oder der Biedermeier-Dame demonstriert Astfalck-Vietz eine besondere Affinität zum Schauspiel, speziell zu Posen und Kostümen. Dabei werden die Kostüme und Maskierungen zwar nicht immer originalgetreu adaptiert, zumal aufBildebene verschiedene Zeichen miteinander vermengt werden (vgl. u.a. das Bild der afrikanischen Tänzerin), doch können die Figuren meist bestimmten Typologien zugeordnet werden. Auffallig ist, dass Astfalck-Vietz nicht nur moderne Weiblichkeitstypen reinszeniert, sondern auch auf antiquierte Modelle zurückgreift, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Auf diese Weise kontrastiert sie tradierte Weiblichkeitstypen mit den Ausprägungen der Neuen Frau. Auf visueller Ebene und in medialen Kontexten stand der Typus der Neuen Frau zum einen als Indikator fiir eine modernisielte Gesellschaft, in der sich die Rolle der Frau scheinbar grundlegend verändert hatte, zum anderen konnte das Bild aber auch als Warnung begriffen werden, das auf einen Traditionsverlust aufmerksam machen wollte. Indem Astfalck-Vietz sowohl moderne als auch traditionelle Weiblichkeitsbilder in ihren Inszenierungen aufgreift, macht sie deutlich, dass letztlich alle Rollen konstruiert waren und sie als Person, Künstlerin und Autorirr auf keiner Abbildung tatsächlich sichtbar werden
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kann. Vielmehr verweisen Blicke, Posen, Kleidung etc. darauf, wie stark die Inszenierungen auf einen malegazeausgerichtet waren. Für Astfalck-Vietz sind das Rollenspiel und die Verkleidung Möglichkeiten, die damals weit verbreiteten Ausprägungen der Neuen Frau, aber auch altmodische Modelle von Weiblichkeit auszuprobieren und sich gleichzeitig mittels Übertreibung und Parodie wieder von ihnen zu distanzieren. Demnach standen für die Künstlerin die Verwandlung und das Experiment mit verschiedenen ldentitäten im Vordergrund, wobei sie auf den Bildern nicht den Eindruck vermittelt, als wolle sie über die Selbstdarstellung Facetten ihrer eigenen Person offenbaren. Vielmehr benutzt die Künstlerin ihren Körper als Projektionsfläche, um die Konstruktion von Weiblichkeit offen zu legen. Durch die theatrale Übertreibung der Gesten und Posen wirken diese aufgesetzt und affektiert, so dass auch die j eweils präsentierten Formen von Weiblichkeit an Glaubwürdigkeit verlieren.
4.4
GERTRUD ÄRNDT
4.4.1 Kurzbiographie Gertrud Arndt (geborene Hantschk) wurde am 20. September 1903 in Ratibor (Oberschlesien) als jüngste von vier Geschwistern geboren. 1916 zog die Familie nach Erfurt, wo Arndt 1917 die katholische Bürgerschule abschloss. Zur gleichen Zeit begann sie sich (im Zuge der Reformbewegung) für alternative Lebenskonzepte zu interessieren und wurde Anhängerirr der vegetarischen Bewegung. 1919 entschied sie sich, Architektirr zu werden, und absolvierte eine dreijährige Ausbildung im Büro des Architekten Kar! Meinhard in Erfurt. In dieser Zeit entstanden auch erste autodidaktische Versuche mit der Fotokamera (Architekturaufnahmen). Zeitgleich besuchte sie die Kunstgewerbeschule, wo sie Fächer wie Zeichnen und Kunstgeschichte belegte und ihr Interesse ftir moderne Kunst entfaltete. 1923 entschloss sie sich, am Bauhaus in Weimar die Ausbildung zur Architektin fortzusetzen, was ihr durch ein Stipendium ermöglicht wurde. Von 1923 bis 1927 studierte sie am Bauhaus sowohl in Weimar als auch in Dessau in unterschiedlichen Klassen und absolvierte u.a. Kurse bei Johannes ltten, Josef Albers, Laszl6 Moholy-Nagy, Paul Klee und Wassily Kandinsky. Bei Adolf Meyer besuchte sie einen Kurs für Bauzeichnen, den sie aber bald wieder aufgab, da sie sich als einzige Frau in der Gruppe unwohl fühlte. 1924 wurde sie von Georg Muche (dem damaligen Formmeister der Weberei-Klasse, ab 1926 wurde Gunta Stölzl die Leiterin) überredet, in
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die Frauenklasse der Weberei zu wechseln, wo sie farbig komponierte Webteppiche entwarf.l 3 Gemeinsam mit anderen Kommilitonen beschwerte sie sich jedoch darüber, dass die Arbeiten der Bauhaus-Studierenden ohne Namensnennung publiziert wurden. 34 1926 erwarb Amdt ihre erste eigene Kamera (eine 6 1/2 x 9 cm Plattenkamera von Welta), mit der sie zu experimentieren begann. Zusammen mit Lucia Moholy und lrene Bayer-Hecht war sie die einzige Frau, die bereits Erfahrungen mit dem Gebrauch einer Foto-Kamera vorweisen konnte. 35 1927 absolvierte Amdt vor der Weber-Innung in Glauchau (Sachsen) ihre Gesellenprüfung und schloss ihre Ausbildung am Bauhaus ab. Im gleichen Jahr heiratete sie den Bauhaus-Absolventen Alfred Arndt, der als freier Architekt in Probstzella (Thüringen) tätig war. Für ihn arbeitete sie in der darauf folgenden Zeit als Architektur-Fotografin. Als Alfred Amdt 1929 einen Ruf ans Bauhaus erhielt (als Leiter der Werkstätten für Metall, Möbel und Wandmalerei), ging Gertrud Amdt mit ihm dorthin zurück, übte vorerst aber keine konkrete berufliche Tätigkeit aus. Sie besuchte zwar am Bauhaus organisierte Veranstaltungen, war jedoch in keine offiziellen Projekte und Aktivitäten eingebunden. Diese Freiheit ermöglichte es ihr, private Experimente im Bereich der Fotografie durchzuflihren. Beispielsweise posierte sie 1930 in einer SelbstporträtSerie mit Stoffen, Spitzen, Hüten etc. und schlüpfte in verschiedene Weiblichkeitsrollen. Trotz ihres fotografischen Interesses suchte sie jedoch keinen Kontakt zur neu gegründeten Fotografie-Klasse am Bauhaus unter der Leitung von Walter Peterhans (die Fotografie wurde erst im Jahre 1929 offiziell als Lehrfach eingeführt). In den folgenden Jahren entstanden zahlreiche private Fotodokumentationen von Freunden und Architekturobjekten. 1931 kam die Tochter Alexandra zur Welt. Mit der Schließung des Bauhauses im August 1932 durch die nationalsozialistische Landesregierung Anhalt erhielt Alfred Amdt seine fristlose Kündigung. Die Familie Arndt verließ das Bauhaus und ließ sich erneut in Probstzella nieder, wo sie von 1933 bis 1948 lebte. Alfred Arndt übernahm in dieser Zeit Reklamearbeiten und 33
In einem Interview mit Gertrud Amdt wurde der zwanghafte Charakter dieser Entscheidung hervorgehoben: "Sie gingen alle in die Weberei. Ob sie wollten oder nicht. Ja, das war einfach der Ausweg. Aber man hat es nicht überlegt. Es war eine Zeit, wo andere auch nicht überlegt haben, was sie machen sollen. Es war doch eine schlechte Zeit- für alle. Ich wollte nie weben. Es war gar nicht mein Ziel. Nein, gar nicht. Diese ganzen Fäden, das mochte ich gar nicht. Nein, das war nicht meine Sache." (Gertrud Arndt in einem Interview mit Sabina Leßmann, in: Arndt 1994: 9) Dennoch beendete sie ihr Studium in der Weberei-Klasse bei Gunta Stölzl, widmete sich danach jedoch nie wieder der Tätigkeit des Webens.
34
Vgl. in diesem Zusammenhang die Biographie von Arndt, in: Arndt 1994: 52.
35
Vgl. ebd.
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Entwürfe ftir Industriebauten und war von 1945 bis 1948 Baurat in Jena. Gertrud Amdt dagegen widmete sich weiterhin der Fotografie und dokumentierte u.a. die Architekturarbeiten ihres Mannes mit einer handlichen Kleinbildkamera von Leica. 1937 wurde der Sohn Hugo geboren. Während Gertrud Amdt sich nach der Geburt des zweiten Kindes mehr und mehr der familiären Sphäre zuwendete, widmete sich Alfred Amdt seiner beruflichen Karriere als Architekt und Maler. Mit der fotografischen Dokumentation seiner Arbeiten nahm Gertrud Amdt Abb. 123: Gertrud Arndt, 1930 aber weiterhin am künstlerischen Leben ihres Mannes teil. 1948 floh die Familie aus der sowjetischen Besatzungszone nach Darmstadt, wo sie sich endgültig niederließ. Dort arbeitete Alfred Arndt als freischaffender Architekt und Maler. Gertrud Amdt war vorwiegend Hausfrau und Mutter. Sie überlebte ihren Mann um 24 Jahre und starb am 10. Juli 2000 im Alter von 97 Jahren in Darmstadt
4.4.2 Die Auflösung einer ,genuin' weiblichen Ikonographie: Zur expressionistischen Selbstdarstellung Gertrud Arndts Im Folgenden sollen einige exemplarische Fotografien aus der Selbstporträt-Serie der ,Maskenbildnisse' von Gertrud Amdt, die 1930 in Dessau entstanden, analysiert werden. 36 Von dieser Serie, die unterschiedliche Weiblichkeitstypen mit expressiver Mimik zeigt, sind heute noch 43 Porträts erhalten. Dabei ist von Bedeutung, dass 36
Die Serie der ,Maskenbi1dnisse' erfährt erst wieder seit ihrer Wiederentdeckung in der Ausstellung Film und Foto der zwanziger Jahre (1979) in der Sonderausstellung Gertrud Arndt- Maskenselbstbilder im Museum Fo1kwang Essen öffentliches Interesse (vgl.
Moortgat 1994: 54).
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die ,Maskenbildnisse' bzw. ,Maskenfotos' in privater Atmosphäre gemacht und von der Künstlerin als fotografische Experimente beschrieben wurden. Lediglich ein kleiner, auserwählter Personenkreis bekam die Fotografien damals zu Gesicht. 37 Interessant ist, dass Amdt - wie Astfalck-Vietz - in ihren Inszenierungen z.T. auch auf eine weibliche Ikonographie zurückgreift, die in den damaligen modernen lllustrierten lanciert wurde. Beispielsweise präsentiert sich die Künstlerin auf einem Brustporträt aus der Serie der ,Maskenfotos' (Abb. 123) in einer liegenden Position, aus der heraus sie die Betrachterinnen
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Abb. 124: Schauspielerin, 1930
mit einem ernsten Gesichtsausdruck fixiert. Ihr Kopf ist leicht zur Seite geneigt und schräg ins Bild gesetzt, während ihre nackte Schulter hochgezogen ist und hell augeleuchtet wird. Zur erotisch konnotierten Pose (vgl. Mühlen Achs 1998: 86) gesellt sich der sinnliche Blick der Protagonistin, der einladend und schüchtern zugleich über die Schulter zielt. Die geheimnisvolle Ausstrahlung der Figur entsteht u.a. dadurch, dass das Gesicht mit einem netzartigen Schleier überzogen ist. Auch lösen sich sowohl der obere Bildraum als auch der Bereich unterhalb der entblößten Schulter in schwarze Flächen auf, so dass Teile des Körpers im Dunkeln verschwinden. Durch diese Kontrastierung von hellen und dunklen Bildebenen werden bestimmte Körperpartien besonders hervorgehoben. Vor allem der nackte Schulterbereich und die glänzenden Augen der Protagonistin treten durch die Beleuchtung plastisch hervor. Die von Arndt eingenommene Pose und ihre Mimik, die mit Verführung, Anmut, Koketterie sowie mit Schüchternheit assoziiert werden, können dabei sowohl den Merkmalen der Femme fatale als auch denen der Kindfrau zugeordnet werden (vgl. Kapitel 3.5). Besonders aufschlussreich ist die in den damaligen Medien immer wieder 37
Namentlich waren dies ihr Ehemann Alfred Arndt und die Freundinnen Otti Bergerund Joost Schmidt (vgl. LeBmann 1994: 273).
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sichtbare Geste der hochgezogenen Schulter, die als schutzsuchende und zugleich erotisch konnotierte Pose gilt (vgl. Mühlen Achs 1998: 86) und die von Arndt adaptiert wird. Allerdings erstaunt die zur Pose kombinierte Kleidung insofern, als diese nicht als modern bzw. zeittypisch betrachtet werden kann, sondern vielmehr an die Frauenmode vergangeuer Epochen anlmüpft. Arndt trägt einen großen schwarzen Hut mit breiter Krempe, an dem zahlreiche Stoffblumen befestigt sind. Ihre pompöse Kopfbedeckung ähnelt einer Haube aus dem 19. Jahrhundert, wie sie damals von Abb. 125: Gertrud Amdt, 1930 bürgerlichen Frauen getragen wurde. Ferner erinnert auch das schwarze, bis auf die Schultern heruntergezogene Kleid, das am Saum mit weißer Spitze gefertigt ist, an eine damals bereits antiquierte Mode. Die von Arndt vorgeführte Kleidung wird in den Zeitschriften nur selten aufgegriffen, um einen Kontrast zwischen Moderne und Tradition zu visualisieren. Dagegen findet sich die Geste der hochgezogenen Schulter vermehrt in den 1920er und 1930er Jahren auf Schauspielerinnenporträts wieder, die den Typus der unschuldigen Verführerirr repräsentieren (vgl. Abb. 124). Arndt greift hier zwar auf altmodische Kleidung und Accessoires zurück, allerdings kombiniert sie ihre Aufmachung mit Attributen, die aus den damaligen Massenmedien bekannt sind und dem Typus der Femme fatale bzw. Kindfrau entsprechen. Eine damals eher ungewöhnliche Pose flir Frauen ist die frontale Ausrichtung der Figur auf die Betrachterlnnen. Diese Körperposition wirkt konfrontativ, statisch und äußerst selbstbewusst und wird eher einem männlich kaunotierten Typus zugeschrieben.38 Arndt greift in ihrer ,Maskenserie' auf diese lnszeniemngsform zurück. Auf Abb. 125 sind ihr ernstes Gesicht und ihr Oberkörper direkt auf die Rezipien38
Vgl. in diesem Zusammenhang Kapitel 3.3., in dem der Gar~onne-Typus analysiert wird (vor allem Abb. 21 von Sefiorita Marichu Amus).
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tlnnen ausgerichtet und wirken, aufgrund der kerzengeraden, symmetrischen Position, starr und unbeweglich. Dabei heftet sich der Blick eindringlich auf die Betrachterlnnen, die mit Bestimmtheit fixiert werden. lm Gegensatz zur nüchternen Unmittelbarkeit des Körperausdrucks und des Blicks wirkt die äußere Aufmachung der Protagonistirr verspielt. Arndt trägt eine eng anliegende Kappe, die mit einem Maschendrahtmuster versehen ist. Die Mütze ist tief in die Stirn gezogen und mit einer hellen Borte umrandet, die sich oberhalb der Augenbrauen um das Gesicht legt. Über Letzteres zieht sich zudem ein transparenter, dunkler Schleier, der Abb. 126: Gertrud Amdt, 1930 im Mundbereich gepunktete und im Hals- und Brustbereich geblümte Muster aufweist. 39 Der transparente Stoff umhüllt dabei den gesamten Oberkörper. Obwohl Arndts Kopfbedeckung an die modischen Kappen der Neuen Frau erinnert, wirkt sie durch das Maschendrahtmuster surreal. Ebenso mutet der Schleier, der den Brustkorb und Teile des Gesichts sanft verhüllt, seltsam an, da er zwar als Weiblichkeitsmarker fungiert, allerdings in Kontrast zum harten, ernsten Gesichtsausdruck steht. Auffällig ist, dass die Protagonistirr unter dem Schleier nackt ist und dieser somit als sexuell konnotiertes Accessoire sichtbar wird. Ebenso fallen die stark nachgezeichneten Lippen und Augenbrauen auf, die die Künstlerin allerdings nicht femininer erscheinen lassen (die angespannten, leicht gespitzten Lippen tragen eher zur Härte des Ausdrucks bei). Die Haare verschwinden gänzlich unter der Mütze und fallen als Weiblichkeitsindikator weg. Durch das Vermengen von männlich und weiblich konnotierten Symbolen entzieht sich die Künstlerin ei39
Der schwarze Schleier, der das Gesicht komplett bedeckt, gilt ab Mitte des 19. Jahrhunderts als Trauerkleidung. Gleichzeitig steht der Schleier auch für das Verborgene und Rätselhafte.
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ner eindeutigen (Geschlechts-)Zuordnung. Einerseits bezieht sie sich mit Accessoires wie der modernen Kopfbedeckung auf damals bekannte Attribute der Neuen Frau, andererseits ergibt die Kombination aus altmodischen Verkleidungsaccessoires und der männlich konnotierten Pose eine seltsame Ambivalenz. Diese Vermengung der Zeichen erzeugt eine eigenwillige Komposition, die auf diese Weise in den damaligen Massenmedien nicht ausgemacht werden konnte. Auf einer weiteren Darstellung präsentiert sich die Künstlerin ebenfalls in einer androgynen Aufmachung (Abb. 126). Sie trägt ein weißes, hochgeschlossenes Hemd mit Spitzenkragen und einen dunklen Hut mit breiter Krempe, der mit einem Band unter dem Kinn befestigt ist. Die Kleidung erinnert an die Kindermode der Biedermeier-Zeit. Auch auf dieser Darstellung verschwinden die Haare komplett unter der Kopfbedeckung und wieder ist die Protagonistirr frontal auf die Rezipientinnen ausgerichtet, wobei ihr Blick, im Unterschied zum vorangehenden Bild, nach oben zielt. Die Augen sind weit aufgerissen, und durch die hochgezogenen Augenbrauen legt sich Arndts Stirn in Falten. Unter ihren Augen sind dunkle Augenringe zu erkennen, die gemeinsam mit der faltigen Stirn auf ein vorangeschrittenes Alter der Figur schließen lassen. Umso grotesker erscheint es, dass sich die Künstlerin in kindlicher Kleidung inszeniert. Ihr schmollender Mund erinnert ebenfalls an einen kindlichen Ausdruck. Ähnlich wie auf Abb. 125 ist es auch hier schwierig, der dargestellten Person ein Geschlecht zuzuordnen. Während das markante Gesicht durch die Stirnfalten und die breiten Augenbrauen eher männlich konnotierte Züge annimmt, werden die geschminkten Lippen eher mit Weiblichkeit assoziiert. Die Mischung aus infantiler Kleidung, breiter Gesichtsfonn, bemalten Lippen und expressivem Blick gibt ein skurriles und verschrobenes Bild ab, das insgesamt die Androgynität der Figur unterstreicht. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt zudem der ehrfürchtige Blick nach oben, der auf die untergeordnete, kindliche Position der Protagonistirr verweist und durch die weit aufgerissenen Augen theatralisch wirkt. 40 Dabei erinnert die übertriebene Mimik auch an Pantomime, wobei Ausdruck und Geste vom Stummfilm bzw. expressionistischen Theater inspiriert zu sein scheinen. Arndt nimmt innerhalb der ,Maskenbildnisse' unterschiedliche ldentitäten an bzw. setzt verschiedene Masken aufund verweist damit auf die Wandelbarkeit der Weiblichkeitsrollen. Damit demonstriert sie einerseits ihre Freude an der Kostümierung 40
Auch auf einigen anderen Fotografien der ,Maskenserie' ist Arndts Interesse an pantomimischen Ausdrücken unverkennbar. In diesen Darstellungen schlüpft sie nicht nur in zahlreiche Kostüme und Rollen, sondern entwickelt ein besonderes Interesse an expressiven Gesichtsausdrücken, die an Stummfilmszenen erinnern. Über die Mimik und die Körpersprache werden verschiedene Stimmungen und Emotionen dargestellt, die u.a. Erstaunen, Schrecken, Angst, Freude, Ausgelassenheit, Koketterie repräsentieren.
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und an einer expressiven Mimik, andererseits macht sie durch die Bezeichnung ,Maskenfotos' auch auf das Artifizielle und Konstruierte der Rollen aufmerksam. Obwohl Arndts Frauenbilder keinen expliziten Bezug zur Typologie der Neuen Frau herstellen, greift die Künstlerin insofern zeitgemäße Bilder und Thematiken auf, als sie sich mit , exotischen' Weiblichkeitsentwürfen auseinandersetzt, die damals vermehrt in den Zeitschriften erschienen. Beispielsweise experimentiert sie, ähnlich wie AstfalckVietz, mit dem Bild der asiatischen Frau (vgl. Abb. 127) und präsentiert sich den BeAbb. 127: Gertrud Amdt, 1930 trachterinnen im Kimono mit vor der Brust verschränkten Armen. Auf ihrem leicht zur Seite gedrehten Kopf befindet sich ein Hut mit breiter Krempe, der ringsum mit Stoffblumen verziert ist. Eine weitere Blume wird von Arndt als besonderes Accessoire zwischen ihren Zähnen gehalten. Sowohl die extravagante äußere Aufmachung als auch der herausfordernde, selbstbewusste Blick in die Kamera passen jedoch nicht zu den stereotypen Vorstellungen der asiatischen Frau. Denn diese wurde eher mit Bescheidenheit, Schüchternheit und Kindlichkeit in Verbindung gebracht und weniger mit einer kessen, verführerischen Attitüde. Zudem wirken die vor die Brust verschränkten Arme abgrenzend und distanziert, wobei die Pose männlich konnotiert ist. Im Gegensatz zu Astfalck-Vietz greift Arndt nur wenige aussagekräftige Symbole wie den Kimono und die schlitzfdrmig geschminkten Augen in ihrer Inszenierung auf, um an das Bild der Asiatin zu erinnern. Demnach ging es der Künstlerin weniger um eine detailgetreue Wiedergabe der asiatischen Tracht bzw. kulturspezifischer Symbole als vielmehr um ein Experimentieren und Mixen verschiedener Codes. Sowohl Amdt als auch Astfalck-Vietz betonen als kostümierte Asiatinnen die erotische Ausstrahlung der Figuren (u.a. durch den einladenden Blick und das stark geschminkte Ge-
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sieht) und machen auf die Verschmelzung von weiblicher Sinnlichkeit und Exotik aufmerksam, die auch vermehrt in damaligen medialen Frauendarstellungen zu finden war. Ein weiteres Brustporträt zeigt Amdt in einem exotischen Kostüm, das an eine traditionelle mexikanische Tracht aus Tehuana erinnert (Abb. 128). Die Künstlerin trägt einen schwarzen Schleier mit Blumenmustem, der ihren Kopfund den gesamten Oberkörper umhüllt. Lediglich das Gesicht bleibt unbedeckt, während Hals und Hände gänzlich unter dem Stoffumhang verschwinden. Als charakteristisch für das traditionelle Kostüm aus Tehuana gilt die um den Kopf drapierte weiße Spitze, die das Gesicht kranzförmig rahmt und die Dargestellte wie eine Madonna aussehen lässt. Amdt trägt ebenfalls einen Spitzenkranz um ihren Kopf und unterstreicht mit dem demütig nach unten gerichteten Blick ihre Versunkenheit und Innerlichkeit. Die Kleidung und ihre andächtige, mystische Ausstrahlung erinnern an eine religiöse Inszenierung. Die ernste Mimik und die dunkle Verschleierung lassen Amdt zudem wie eine trauemde Witwe wirken. Allerdings können auch auf dieser Darstellung Ambivalenzen ausgemacht werden, zumal die assoziierte Frömmigkeit der weiblichen Gestalt in Kontrast zu ihrem stark geschminkten Gesicht tritt. 4 1 Amdt präsentiert sich mit schmal gezupften, nachgezeichneten Augenbrauen und mit sehr dunkel geschminkten Lippen, womit sie sich am weiblichen Idealbild der Neuen Frau orientierte. Religiöse Weiblichkeitsbilder finden sich in den untersuchten deutschen Zeitschriften der 1920er Jahre nur selten. Die fortschrittliche deutsche Frau versuchte eher, sich von den moralischen Vorstellungen und Zwängen, die über die Religion transportiert wurden, zu lösen. In Spanien dagegen blieb durch das Tragen der Mantilla eine stärkere Verbindung der spanischen Frau zur Madonna, zur Religion und zur Tradition bestehen, obwohl sich das moderne Make-up der Spanierinnen auf die Schönheitsvorstellungen der damaligen Zeit bezog. 42 In der Zeitschrift D 'Aci i D 'Alla wird 1928 die spanische Schauspielerin Caterina Barcena ebenfalls in einer tehuanischen Tracht aus Südmexiko dargestellt (Abb. 129).43 Amdts und Barcerras Abbildungen unterscheiden sich aber insofern, als die Spitzenrüschen der 41
Das geschminkte weibliche Gesicht wurde um 1900 noch mit Frauen aus dem Rotlichtmilieu in Verbindung gebracht und war ftir bürgerliche, fromme Frauen aus der Mittelschicht undenkbar. Mit dem Typus der Neuen Frau der 1920er Jahre wandelten sich jedoch die Vorstellungen von Weiblichkeit grundlegend, so dass das Schminken von Augen und Lippen und das Zupfen von Augenbrauen zunehmend zur modernen weiblichen Aufmachung gehörte.
42
Vgl. Kapitel 3.9.
43
Vgl. D'AciiD 'A lla, Mai 1928:150.
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Abb. 128: Gertrud Arndt, 1930
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Abb. 129: Caterina Barcena, 1928
Haube, die Barcenas Kopf umranden, viel pompöser und eindrucksvoller sind als bei Arndt. Ferner ist Barcena nicht frontal, sondern im Profil zu sehen, wobei sie weit an den rechten Bildrand gerückt ist. Durch das Kostüm und den abwesenden Blick wird auch hier ein geheimnisvolles und religiös anmutendes Bild entworfen, das Parallelen zu Arndts Inszenierung aufweist. Auf beiden Porträts stechen vor allem der ernste Gesichtsausdruck und die Versunkenheit der Figuren hervor, die den Protagonistinnen eine mystische Aura verleihen. Hinsichtlich Arndts Bezugnahme auf ,exotische' Frauenbilder kann festgehalten werden, dass die Künstlerin sowohl bei der asiatischen als auch bei der mexikanischen Inszenierung zwar auf traditionelle Kostüme der jeweiligen Kultur zurückgreift, diese jedoch nicht immer detailgetreu adaptiert. Vielmehr scheint die Experimentierfreude in Bezug auf Kleidung, Make-up und Körperausdruck im Vordergmnd zu stehen, was dazu fuhrt, dass die kulturspezifischen Bilder eigenwillig modifiziert und mit neuen Bedeutungsebenen angereichert werden. Ein noch stärkeres Umgestalten von traditionellen Bildern und Ideen geschieht bei Arndt über die Anwendung moderner fotografischer Techniken wie der Doppelbelichtung. Diese wird nicht nur wie bei Astfalck-Vietz dazu genutzt, verschiedene Ansichten der Person auf die gleiche Fotografie zu bannen, sondern auch, um sich als Wesen neu zu erfinden. Auf einem Doppelporträt (Abb. 130) greift Arndt erneut das Maschendrahtmuster auf, das nun ihr gesamtes Gesicht wie eine enge Hülle
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bzw. ein Kokon umgibt. Mittels der Doppelbelichtung kombiniert sie zwei Ansichten ihres Gesichts und lässt diese miteinander verschmelzen. Zum einen wird ihr leicht zur Seite gedrehter Kopf mit gesenktem Blick sichtbar, zum anderen kommt eine Frontalansicht mit direktem Blickkontakt hinzu, die unter der ersten Abbildung transparent hindurch scheint. Aus der Überlagerung der Köpfe entsteht ein neues Wesen mit zwei Mündern und drei Augen. Die Augen sind sowohl offen als auch geschlossen zu sehen, was den surrealen Charakter der Inszenierung unterstreicht und gleichzeitig auf die innere wie die äußere Welt der Figur verweist. Auf diese Weise entwirft sich die Künstlerin mit Hilfe der Mehrfachbelichtung als Phantasiebzw. Hybridwesen, das die weiblichen Schönheitskonventionen der damaligen Zeit ignoriert. Amdt fUhrt stattdessen eine transformierte Weiblichkeit vor Augen, die sich nicht mehr schwerpunktmäßig auf die Demonstration verschiedener Weiblichkeitsmarker konzentriert, sondern vielmehr darauf abzielt, das Skurrile, Surreale und Phantastische hervorzuheben. Wie anhand der exemplarischen Bildanalysen herausgearbeitet werden konnte, lassen sich in der Serie der ,Maskenbildnisse' verschiedene Interessen der Künstlerin festmachen. Zum einen ihre Freude am Verkleiden und an bestimmten Accessoires, zum anderen ihre Vorliebe fllr die theatrale Inszenierung und das Schauspiel. Dabei rücken die expressive Mimik und der Körperausdruck der Protagonistirr stark in den Vordergrund. Mit dem Hineinschlüpfen in verschiedene Charaktere macht Arndt deutlich, dass die Grenzen, auch zu Weiblichkeitsentwürfen aus unterschiedlichen Kulturen und Epochen, fließend erscheinen. Es kann festgehalten werden, dass Amdts ,Maskenfotos' durch den Einsatz von Materialien wie Spitze und Tüll z.T. an traditionelle Weiblichkeitsentwürfe erinnern. Obwohl sich Arndt ikonographisch u.a. auf tradierte Weiblichkeitsmodelle bezieht, werden diese jedoch aus einer künstlerischen Perspektive neu interpretiert. Hierfür nutzt sie (mittels Verkleidung, Make-up und Körperausdruck) Strategien der Übertreibung, Parodie und Persiflage und markiert damit eine Distanz zu konventionellen Weiblichkeitsbildem. Vor allem über die Körpersprache und über die Verkleidung erprobt Amdt in ihrer Selbstporträtserie, wie sich das weibliche Individuum facettenreich verwandeln und verschiedene Identitäten annehmen kann. Dabei steht fllr die Künstlerin immer das Interesse ammenschlichen Gesicht im Vordergrund.44 Mittels der feinen Nuancierung von Mimik und Posen gelangt Arndt zu vielseitigen emotionalen Aus44
Diesbezüglich erklärt Amdt: "Ich hatte immer Interesse am Gesicht... Ja, was man aus einem Gesicht machen kann, das ist doch interessant. Und wenn sie allein sind, da tun sie auch etwas." (Arndt 1993, Interview mit Sabina Leßmann) Aus ihrer Äußerung lässt sich ferner ableiten, dass das Experimentieren mit dem eigenen Körper fur die Künstlerin einen privaten und ungestörten Rahmen voraussetzte.
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Abb. 130: Gertrud Arndt, 1930
drucksmöglichkeiten, die durch ihre starke Expressivität z.T. pantomimisch wirken.45 Dabei verweist das Pantomimische auf das Individuum und seine Erfahrungswelt. Auf diese Weise verdeutlicht die Künstlerin in ihrer Porträtstudie auch den damals wachsenden Wunsch nach Individualität, gegen den Trend der Vermassung und Typisierung der lndividuen. 46 Amdt wirkt dem Trend des Massengeschmacks entgegen, indem sie wieder auf das Individuum und seine vielfältigen Ausdrucksformen aufmerksam macht. Ihre ,Maskenbildnisse' können als subjektive Reflexio45
Aus Amdts Biographie geht hervor, dass sie sich für Stummfilme und vor allem für russische Filme interessierte. Besonders faszinierten sie die Nahaufnahmen, bei denen die überdimensionierten Gesichter eine ganze Leinwand füll ten und eine expressive Mimik annahmen (vgl. Arndt 1994: 52).
46
Stefan Zweig konstati ert im Jahre 1925 das "Aufhören aller Individualität bis ins Äußerliche, [...] ein Absterben des Individuellen zugunsten des Typus" (Zweig 1925: 99), wobei die Entwicklung der typisierten Formen als amerikanischer Einfluss begriffen wurde.
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nen betrachtet werden, die nicht nach einer ,objektiven' Wahrheit suchen, sondern eine individuelle bzw. emotionale Welt eröffnen und den Glauben an eine festgelegte weibliche Identität hinterfragen. Dieser eigenwillige Umgang mit dem Medium Fotografie unterscheidet sich maßgeblich vom Bildverständnis der meisten damaligen Fotograflnnen. In diesem Zusammenhang erklärtUte Eskildsen: "Ihre [Arndts] phantasievollen, humorhaft inszenierten Selbstpräsentationen dokumentieren einen Gebrauch des fotografischen Prozesses, dem die damaligen Berufsfotografen - mit ihren Vorurteilen gegenüber ,outsidern' - skeptisch gegenüberstanden. Denn die Fotografie wurde von Gertrud Amdt als Möglichkeit der Visualisierung einer Idee verstanden und nicht nur als Fixierung einer Beobachtung gesehen. Fotografie bedeutete für die Bauhausabsolventirr zum Zeitpunkt der Entstehung der Selbstporträts ein Bildmittel, das sie unabhängig von Verwendungszusammenhängen für sich als individuelles Ausdrucksmittel entwickelte." (Eskildsen 1996: 4)
Mittels des fotografischen Mediums war es Arndt somit möglich, Ideen und Vorstellungen, aber auch Utopien zu kommunizieren, die mit Weiblichkeit bzw. Geschlechtlichkeit verknüpft waren und die auf künstlerische Weise visualisiert werden konnten. Beispielsweise nutzt sie das Vermengen von Männlichkeits- und Weiblichkeitsmarkern, wobei sie u.a. Attribute von Weiblichkeit auf ein Minimum reduziert und die dargestellten Figuren in männlich konnotierte Posen setzt. Damit betont sie die Androgynität der Charaktere und macht gleichzeitig auf eine Verschiebung der Geschlechtercodes aufmerksam. Des Weiteren führt sie in ihren foto grafischen Experimenten die Darstellung ,exotischer' Frauen vor Augen, die in medialen Zusammenhängen meist auf wenige, kulturspezifische Symbole reduziert wurden. Die stereotypen Weiblichkeitsentwürfe der Exotin werden bei Arndt relativiert, indem die Künstlerin verschiedene Zeichen (starke Schminke, selbstbewusste Blicke und Posen) in Beziehung setzt. Eine weitere Irritation entsteht durch die Technik der Doppelbelichtung, die mit der Überlagerung verschiedener Fotografien neue, phantastische Wesen kreiert. Insgesamt kann festgehalten werden, dass Gertrud Arndt, die am Bauhaus studierte und einen flir Frauen damals modernen Lebensentwurf lebte, in ihrer fotografischen Serie der ,Maskenporträts' keine für das Bauhaus typischen Stile, Perspektiven, Formen oder Themen übernimmt, sondern aufskurrile Accessoires (z.B. Stoffblumen, Schleier, Spitzenstoffe etc.) zurückgreift, die z.T. an Reliquien des 19. Jahrhunderts erinnern. Arndts ,Maskenbildnisse' stehen der sachlich-nüchternen Bauhaus-Fotografie sogar diametral gegenüber, zumal ihre theatralen Inszenierungen verspielt und verschnörkelt wirken. Ihre fotografischen Experimente greifen
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formal-ästhetisch weder auf einen konkreten Bauhausstil noch auf bestimmte Vorbilder zurück, sondern verweisen mit der Anwendung moderner Techniken und traditioneller Bildausschnitte (das Brustporträt) eher auf eine Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne. Ähnlich wie Astfalck-Vietz interessiert sich auch Arndt ftir unterschiedliche Weiblichkeitsentwürfe und experimentiert in ihrer ,Maskenserie' mit Kostümen, Make-up und Posen. Dabei begeistert sie sich insbesondere flir transparente (Spitzen-)Stoffe, die als Schleier, Umhänge, Oberteile etc. zum Einsatz kommen und das erotisch konnotierte Spiel vom Verbergen und Zeigen einzelner Körperpartien vor Augen führen. Im Gegensatz zu Astfalck-Vietz' Arrangements erscheinen Arndts Inszenierungen in Bezug auf Körpersprache, Gestik und Mimik deutlich expressiver, da sie noch stärker auf pantomimische Ausdrucksweisen zurückgreift, die z.T. an den Stummfilm und das expressionistische Theater erinnern. Während AstfalckVietz die verschiedenen Weiblichkeitstypologien sehr gerrau über die Kleidung unterscheidet, steht bei Arndt vor allem die Mimik im Mittelpunkt. Das Gesicht wird zum Hauptgegenstand des Experiments. Zwar spielen Stoffe wie Spitze und Tüll sowie Accessoires wie Hüte, Federn, Schleier und Blumen ebenfalls eine wichtige Rolle, doch werden diese spielerisch arrangiert, ohne einen determinierten Typus als Vorlage zu nutzen. lm Gegensatz zu den vorwiegend medial inspirierten Weiblichkeitsentwürfen von Astfalck-Vietz lassen sich Arndts Figuren nicht immer eindeutig klassifizieren. Amdt nimmt zwar gewisse Gesten und Posen auf, die bestimmten Typen bzw. einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden können, doch kombiniert sie gleichzeitig verschiedene Zeichen, so dass eigenwillige Wesen entstehen, die auch als Antwort auf die stereotypen Bilder der Medien betrachtet werden können. Indem sie sich in unterschiedlichen Rollen präsentieren, verdeutlichen sowohl Amdt als auch Astfalck-Vietz, dass sie sich keineswegs den Konventionen fixierter Weiblichkeitsvorstellungen anpassen. ln Bezug auf Amdts Strategie der Maskierung expliziert Leßmann: "Die Herrschaft über die Maske, die Manipulierbarkeit, das Spiel und die ständige Verwandlung bieten einen Aktionsraum, innerhalb dessen der eigene Körper genutzt werden kann, um jenseits der Festschreibungen möglicherweise neue und eigene Bilder aufzufinden." (Leßmann 1994: 275) Dieser Aktionsraum wird von Amdt innerhalb der Fotografie erprobt, wobei ihre Bilder alternative Ansätze zu den medialen Weiblichkeitsdarstellungen aufzeigen. Während Astfalck-Vietz in ihren künstlerischen Darstellungen die medialen Muster stark ironisiert, entwirft Arndt etwas Neues bzw. stellt neue Zusammenhänge her. So können ihre Entwürfe auch als Weiterentwicklung oder als Überwindung der stereotypen Geschlechterbilder in den Medien betrachtet werden.
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FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNGEN VON WEIBLICHKEIT
REMEDIOS VARO
4.5.1 Kurzbiographie Remedios Varo wurde 1908 in Angles (Gerona/Spanien) geboren. Sie war das zweite von insgesamt drei Kindem von Rodrigo Varo y Cejalbo aus Andalusien und Ignacia Uranga y Bergareehe aus dem Baskenland. Der Beruf des Vaters (er war Hydraulik-Ingenieur) führte die Familie an verschiedene Orte innerhalb und außerhalb Spaniens. So erfuhr Varo bereits in frühester Kindheit zahlreiche Wohnortwechsel. Von 1917 bis 1930 ließ sich die Familie in Madrid nieder, wo Varo 1924 an der Academia de Bellas Artes de San Fernando (Akademie der Schönen Künste von San Fernando) angenommen wurde und bis 1930 studierte. Im Abschlussjahr beteiligte sie sich an einer Ausstellung, die von der Union de Dibujantes de Madrid organisiert wurde. Nach Beendigung ihres Studiums heiratete sie den Maler und ehemaligen Kommilitonen Gerardo Lizarraga und zog mit ihm für ein Jahr nach Paris. 1932 verlagerte das Paar seinen Lebensmittelpunkt nach Barcelona, dem damaligen Zentrum der spanischen Künstler-Avantgarde, wo Varo in einer Werbeagentur arbeitete. Allerdings trennte sich die Künstlerin in Barcelona von Lizarraga und freundete sich mit dem katalanischen Maler Esteban Frances an, mit dem sie sich ein Atelier teilte. Bald entwickelte sich eine intensive Liebesbeziehung zwischen Varo und ihrem Arbeitskollegen Frances. Ebenfalls um 1932 nahm sie Kontakt zu den avantgardistischen bzw. sun·ealistischen Kreisen der katalanischen Hauptstadt auf. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch das ADLAN 47 in Barcelona gegründet. 1935 stellte Varo ihre ersten surrealistischen Bilder in Madrid aus. In Barcelona lernte sie die Avantgarde-Künstler Oscar Dominguez und Marcel Jean kennen, mit denen sie in Gruppenarbeit fotografische Collagen erstellte (u.a. Le pianiste masque, La ler;on d'anatomie, Le message, Lafamilia de cisnes etc.). 1936 nahm Varo an der wichtigen Ausstellung Logicofo bista teil, die von der Galeria Catalonia in Barcelona organisiert wurde. Zu Beginn des Spanischen Bürgerkrieges lernte sie den französischen Surrealisten und Dichter Benjamin Peret kennen, der 1936 nach Barcelona kam, um als Freiwilliger für die Spanische Republik zu kämpfen. Er war einer der engsten Freunde von Andre Breton (dem so genannten Vater des Surrealismus), so 47
ADLAN (Amics del L 'Art Nou) steht als Abkürzung für Freunde der Neuen Kunst. Das ADLANwar eine kleine, aber einflussreiche Organisation, die im ersten Jahr der Zweiten Republik Spaniens gegründet wurde. Ziel der Organisation war es, die literarische und künstlerische Avantgarde zu fördern und ihren kreativen Austausch in Spanien zu er möglichen (vgl. Kaplan 1989: 44).
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dass Varo, als sie 1937 mit ihm nach Paris ging, schnell in die Kreise der Pariser Surrealisten und Künstler aufgenommen wurde. In der Pariser Galerie des Beaux Arts war sie im Jahre 1938 im Rahmen der internationalen Surrealismus-Ausstellung, die von Andre Breton und Paul Eluard organisiert wurde, sogar mit einer Malerei (11 est tard) vertreten. Während ihres Aufenthaltes in Paris lernte die Künstlerin die englische Malerin Leonora Carrington kennen, mit der sie später eine tiefe Freundschaft verbinden sollte. Als Frankreich 1940 von den Deutschen besetzt wurde, beschlossen Varo und Peret, ins Exil zu gehen. Sie reisten nach Marseille, um von dort aus ein Schiff nach Amerika (Mexiko) zu nehmen. In Marseille befanden sich bereits andere Surrealisten wie Andre Breton, Max Ernst und Oscar Dominguez, die ebenfalls auf eine Möglichkeit hofften, das Land zu verlassen. Die dort versammelte Künstlergruppe, unter ihnen auch Varo und Peret, musste jedoch monatelang auf eine Ausreisemöglichkeit warten und vertrieb sich die Zeit u.a. mit verschiedenen künstlerischen Spielen. In dieser Wartezeit schickte Varo eine ihrer Malereien (Recuerdo de Ia Walkiria) nach Mexiko, wo sie in der Ausstellung Exposici6n Internacional del Surrealismo der Galeria de Arte Mexicano gezeigt wurde. Ende 1941 kam das Künstlerpaar Varo und Peret endlich in Mexiko an und schloss sich der Gruppe der Exil-Künstlerinnen um Gerardo Lizarraga, Esteban Frances, Kati Horna, Jose Horna u.a. an. Zudem nahmen die beiden Kontakt zu Leonora Carrington und Eva Sulzer auf. Während der ersten Jahre in Mexiko baute Varo eine innige Freundschaft zu Carrington auf, die sie als ihre "geistige Schwester" bezeichnete. Um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, arbeitete sie für die Firma Bayer, für die sie Werbeannoncen entwarf. Zudem half sie dem Maler und Kunsttheoretiker Wolfgang Paalen bei der Restauration präkolumbischer Objekte, die zum Verkauf bestimmt waren. 194 7 trennten sich Varo und Peret, der zurück nach Paris ging. Sechs Jahre später (1953) heiratete die Künstlerin den Österreicher Walter Gruen, der sich bereits in den 1940er Jahren als politischer Flüchtling in Mexiko niedergelassen hatte. (Varo war insgesamt dreimal verheiratet, hatte jedoch keine Kinder.) Von diesem Zeitpunkt an widmete sie sich ganz der Malerei und nahm an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen teil. 1955 fand ihre erste Einzelausstellung in der Galeria Diana in Mexiko statt, die sowohl vom Publikum als auch von den Kritikern eine äußerst positive Resonanz erhielt. Remedios Varo starb 1963 im Alter von 55 Jahren in Mexiko.
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4.5.2 Collage als Mittel der Geschlechter-Verschmelzung: Die surrealistischen Geschlechterentwürfe von Remedios Varo
Remedios Varo spezialisierte sich während ihrer Ausbildung an der Academia de Bellas Arte de San F ernando in Madrid auf die Bereiche Malerei und Zeichnung. 48 Obwohl sie früh ihre Schwerpunkte festlegte, experimentierte sie auch mit anderen künstlerischen Medien wie der Fotografie. Varo interessierte sich dabei vornehmlich für die fotografische Collage 49 , wie anhand der noch existierenden Werke dokumentiert werden kann. Vor allem die 1935 in Barcelona entstandenen Fotocollagen sind hier zu nennen: Le Message, Le pianiste masque, Lafamilia de cisnes und La le