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German Pages 451 Year 2005
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 33
Föderalismus und Regionalismus in Deutschland, Spanien und der Europäischen Union Von
Kay G. Bretz
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
KAY G. BRETZ
Föderalismus und Regionalismus in Deutschland, Spanien und der Europäischen Union
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Erlangen-Nürnberg durch Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
Band 33
Föderalismus und Regionalismus in Deutschland, Spanien und der Europäischen Union
Von
Kay G. Bretz
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
n2 Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 3-428-11827-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Arbeit wurde an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Wintersemester 2004 / 05 als Dissertation angenommen und mit dem von der Hermann Gutmann-Stiftung gestifteten „Promotionspreis der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg“ ausgezeichnet. Sie befindet sich auf dem Stand von Dezember 2004. Mein erster Dank gilt Herrn Professor Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider, meinem hochgeschätzten Doktorvater. Ihm verdanke ich nicht nur mein Interesse für die Rechtswissenschaft, sondern auch die Möglichkeit, eines der spannendsten aktuellen Themen im Rahmen einer Dissertation zu erörtern. Für die wissenschaftliche und persönliche Begleitung, die aufschlußreichen Diskussionen, das stets entgegengebrachte Verständnis sowie die Ermöglichung eines einjährigen Forschungsaufenthaltes an der Universidad de Sevilla bin ich ihm zutiefst verbunden. Außerdem möchte ich mich für die Aufnahme der Schrift in diese Reihe bedanken. Bei Herrn Professor Dr. iur. Wolfram Reiß bedanke ich mich für seine freundliche Bereitschaft, das Zweitgutachten zu verfassen. Weiterhin möchte ich allen Mitarbeitern und Doktoranden des Lehrstuhls, insbesondere Frau Dr. Angelika Emmerich-Fritsche und Frau Else Hirschmann, meinen Dank für die wissenschaftlichen Gespräche und einzigartige Hilfsbereitschaft aussprechen. Mein besonderer Dank gilt meiner Großmutter (Inge Hallmen) sowie meiner Patentante und meinem Onkel (Irmgard und Kurt Kotschy) für ihre großzügige Unterstützung. Ebenso bedanke ich mich bei meinen Eltern für alles, was sie für mich getan haben, vor allem für die zeitaufwendigen Korrekturarbeiten. Auch bei meinen Großeltern (Augustine und Walter Bretz) möchte ich mich bedanken. Die vielfältige fachliche und technische Unterstützung von Dominique Eggstein, Christl Gierse, Gregor Hönscheid, Katharina Kotschy, Jakob Maurenbrecher, Anne Meier, Ulli Moog, Ole Mörk, Ralph Oehler, Horst Rampelt, Julia Trabado García und ihrer Familie sowie Michael Wirges vereinfachte die Erstellung dieser Arbeit. Nürnberg, Februar 2005
Kay G. Bretz
Inhaltsübersicht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
2. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
3. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
1. Staatlichkeit in der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
2. Föderalismus und Regionalismus als Strukturprinzipien gesellschaftlicher Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
3. Typisierte Ausprägungen staatlicher Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
1. Staatliche Ebenen Bund, Länder und Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Ungeschriebenes Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder: Bundesaufsicht, Bundeszwang und Bundesintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5. Föderale Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 6. Zusammenfassende Kritik der unechten Bundesstaatlichkeit Deutschlands . . . 133 IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Historischer Abriss der Territorialordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften, Provinzen und Gemeinden . . . . . 142 3. Verteilung von Aufgaben und Befugnissen zwischen Zentralstaat und Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Kooperation und Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5. Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6. Staatsaufsicht, Intervention und Staatszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
8
Inhaltsübersicht 7. Verfassungsgerichtsbarkeit bei Streitigkeiten zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8. Spanischer Regionalismus und bundesstaatlicher Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . 171 V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Konzeption der Europäischen Union als nicht-existentieller Bundesstaat . . . . . . 180 2. Freiheitsdogmatische Begründung europäischer Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . 200 3. Vom vertraglichen zum verfassten Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. „Heillose Komplikation“ eines Bundesstaates im Bundesstaat? . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Garantie deutscher Bundesstaatlichkeit durch begrenzte Zuständigkeitsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Sicherung der nationalen Verfassungsstruktur durch europarechtliche Normen und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 5. Kompensation der Länderentstaatlichung durch Beteiligung an der innerstaatlichen Willensbildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 6. Rechtsschutz gegen Entstaatlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
VII. Rezentralisierung Spaniens im europäischen Integrationsprozess? . . . . . . . . . . . 319 1. Rechte der Autonomen Gemeinschaften bei Setzung von primärem Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Teilhabe der Autonomien am Vollzug von Rechtsakten der Union . . . . . . . . . . . . 326 3. Konferenz über EG-Angelegenheiten als Institution des kooperativen Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 4. Wandel oder Verlust der Autonomiestaatlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 1. Region als Rechtsbegriff in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 2. Direkte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3. Wechselwirkungen zwischen Regionalismus und Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . 372 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
Inhaltsverzeichnis I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
2. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
3. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
1. Staatlichkeit in der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
a) Staat als Gemeinwesen der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
b) Unterscheidung von funktionaler und existentieller Staatlichkeit und Staatsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
c) Prinzip der kleinen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2. Föderalismus und Regionalismus als Strukturprinzipien gesellschaftlicher Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
a) Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
aa) Ursprung und Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
bb) Ausprägungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
cc) Abgrenzung des Föderalismus von verwandten Konzepten . . . . . . . . . . . .
45
dd) Föderalismus als Verwirklichung des allgemeinen Willens . . . . . . . . . . . .
47
ee) Beziehung zum Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
b) Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
aa) Abgrenzung der Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeine Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abgrenzung statistischer territorialer Einheiten (NUTS) . . . . . . . . . . . (3) Legaldefinitionen der Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 52 53 54
bb) Konstitutionsbedingungen des Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
cc) Heterogene Erscheinungsformen des Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
dd) Beziehung zum Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
3. Typisierte Ausprägungen staatlicher Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
a) Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
aa) Inexistenz einer allgemeinen Bundesstaatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
10
Inhaltsverzeichnis bb) Kennzeichnende Elemente echter und unechter Bundesstaatlichkeit . . .
64
(1) Der echte (funktionale oder existentielle) Bundesstaat . . . . . . . . . . . . .
65
(2) Der unechte Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
cc) Konstitution mehrerer Staaten in einem Territorium als Problematik der Souveränitätslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
dd) Bundesstaatliche Ordnungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
ee) Freiheitsverwirklichung als Rechtfertigung von Bundesstaatlichkeit . . .
73
(1) Schutz des politischen Eigenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
(2) Unterstützung der Teilung der Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
b) Staatenbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
c) Einheitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
1. Staatliche Ebenen Bund, Länder und Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
a) Abriss der historischen Entwicklung zum Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
b) Existentielle Länderstaatsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
aa) Verfassungshoheit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
bb) Garantie eines Hausguts eigener Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
cc) Sicherstellung finanzieller Unabhängigkeit durch die Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
c) Bestand von Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
aa) Unabänderlichkeit des Bundesstaatsprinzips durch Art. 79 Abs. 3 GG
98
bb) Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
cc) Sezessionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 d) Stellung und Bedeutung der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Rechtsnatur der Kommune . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Kommunale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Finanzhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Legislative (Abschnitt VII GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (1) Gesetzgebung durch die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Exekutive (Abschnitt VIII GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 cc) Judikative (Abschnitt IX GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Inhaltsverzeichnis
11
b) Bundesrat als föderatives Organ im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Charakteristika des Bundesratsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Zustimmungssystem des parteienstaatlichen Bundesrates . . . . . . . . . . . . . 114 c) Kooperativer und kompetitiver Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Exekutivföderalismus auf der „dritten Ebene“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Gemeinschaftsaufgaben auf der „vierten Ebene“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Unitarisierung oder Zentralismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 dd) Ablösung durch Wettbewerbsföderalismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 d) Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung . . . . . . . . . . 123 3. Ungeschriebenes Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Normative Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Funktion, Wirkung und Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder: Bundesaufsicht, Bundeszwang und Bundesintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5. Föderale Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 6. Zusammenfassende Kritik der unechten Bundesstaatlichkeit Deutschlands . . . 133 a) Zusammenhang zwischen Föderalismus und Bundesstaatsprinzip unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Historischer Abriss der Territorialordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Verfassungsentwurf einer Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Regionalisierung in der Zweiten Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften, Provinzen und Gemeinden . . . . . 142 a) Verfassungsrechtliche Strukturprinzipien des Art. 2 CE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Prinzip der Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Prinzip der Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Wege zur Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Wesen der Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Autonomiestatute als Teil des „Blocks der Verfassungsmäßigkeit“ . . . . 148 bb) Fehlende Verfassungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Fehlende existentielle Staatsqualität der Autonomen Gemeinschaften 150 d) Status der Provinzen und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
12
Inhaltsverzeichnis 3. Verteilung von Aufgaben und Befugnissen zwischen Zentralstaat und Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Grundlegende Aspekte und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Rechtsbegriff der „ausschließlichen Zuständigkeit“ im spanischen Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Verteilung der Staatsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 d) Ungleichheit der Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Erklärungsansätze der „Asymmetrien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Vergleich mit dem deutschen Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4. Kooperation und Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Verfassungsprinzip der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Das System der Sektorkonferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Begrenzte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung des Gesamtstaates durch den Senat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5. Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Reguläres System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Foralregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 6. Staatsaufsicht, Intervention und Staatszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7. Verfassungsgerichtsbarkeit bei Streitigkeiten zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8. Spanischer Regionalismus und bundesstaatlicher Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Ähnlichkeiten mit der deutschen Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Verfassungsrechtliche Möglichkeit und parteipolitische Durchsetzbarkeit einer Föderalisierung Spaniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Konzeption der Europäischen Union als nicht-existentieller Bundesstaat . . . . . . 180 a) Institutionelle und funktionelle Unionsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Staatliche Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Rangverhältnis zwischen Unionsrechts und nationalem Recht . . . . . . . . . 181 (1) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 cc) Klassifizierungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 dd) Legitimation der Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Gemeinschaftliche Ausübung der Staatsgewalt in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Ablehnung dualistischer Europarechtslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Inhaltsverzeichnis
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b) Verfasstheit durch Gemeinschaftsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Grundlegende Aspekte einer republikanischen Verfassungslehre . . . . . . 191 (1) Verfassung und Verfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) Verfassung und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Verfassungseigenschaft der europäischen Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Funktionale Verfassung der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (2) Verfassung eines nicht-existentiellen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Staatsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Freiheitsdogmatische Begründung europäischer Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . 200 a) Föderalismus freier Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Europäische Republik der Republiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Grundelemente einer materiellen europäischen Bundesstaatslehre . . . . . 201 cc) Ständige Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Attribution von Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 aa) Prinzip der begrenzten Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Existentielle Staatlichkeit im funktionalen Unionsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Konstitution eines existentiellen europäischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Handlungsbeschränkung der nationalen Amtswalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (1) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Europäischer pouvoir constituant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 cc) Institutionelle Voraussetzung eines existentiellen Unionsstaates . . . . . . . 214 (1) Sozialunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (2) Echter europäischer Parlamentarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Vom vertraglichen zum verfassten Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Verworfene Verfassungsentwürfe des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . 218 b) Einberufung des Konvents zur Zukunft Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Konventsauftrag im Post-Nizza-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 cc) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Konventsentwurf eines „Vertrages über eine Verfassung für Europa“ . . . . . . 224 aa) Defizitäre Arbeitsweise des Konvents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Geringer Einbezug der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Überschreitung des Mandats von Laeken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Einigung der Regierungskonferenz und Hürden bis zum In-Kraft-Treten des Verfassungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
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Inhaltsverzeichnis e) Vorgesehene Neuerungen durch den Verfassungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Weg zu einer Verfassung der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Aufteilung und Festlegung der Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 cc) Vereinfachung der Handlungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 dd) Demokratie, Transparenz und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 ee) Föderalismus in der „neuen“ Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Integration „von oben“ – Vorbereitung eines existentiellen Bundesstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (2) Vom „Herrn der Verträge“ zum „Interessenten an der Verfassung“ 236
VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. „Heillose Komplikation“ eines Bundesstaates im Bundesstaat? . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Setzen von primärem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Vollzug des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Garantie deutscher Bundesstaatlichkeit durch begrenzte Zuständigkeitsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Staatsqualität der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Sicherung der grundgesetzlichen Substanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (1) Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (2) Maßstab zur Bestimmung des „Hausguts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Quantitativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Qualitativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Funktionaler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251 251 252 253
bb) Struktursicherungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (1) Föderative Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (2) Grundsatz der Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 bb) Wesensgrundsatz des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 cc) Struktursicherungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Sicherung der nationalen Verfassungsstruktur durch europarechtliche Normen und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 aa) Normative Grundlegung einer europäischen Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . 261 (1) Begründung einer auf Art. 10 EGV gestützten Gemeinschaftstreue
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(2) Begründung einer ungeschriebenen Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Inhaltsverzeichnis
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bb) Allgemeine Wirkungsweise der Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 cc) Beitrag der Unionstreue zur Achtung der deutschen Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 aa) Dogmatische Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 bb) Anwendungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (1) Fehlender Zuständigkeitskatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (2) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (3) Effizienzkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 cc) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 dd) Änderungen durch den Verfassungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (1) Einbezug der regionalen und kommunalen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (2) Frühwarnmechanismus und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 d) Zuständigkeitsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Forderung eines Zuständigkeitskataloges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 bb) Systematisierung der Zuständigkeiten im Verfassungsvertrag . . . . . . . . . 275 cc) Bedeutung für Länder- und Kommunalstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 e) Gemeinschaftsrechtliche kommunale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Kulturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 bb) Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Kommunalwahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 c) Regionale Strukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 d) Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 e) Finanzhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 f) Prüfungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 aa) Beeinträchtigung der Länderstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) Beeinträchtigung der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 5. Kompensation der Länderentstaatlichung durch Beteiligung an der innerstaatlichen Willensbildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Zuleitungsverfahren des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen (1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 b) Länderbeteiligungsverfahren (1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
16
Inhaltsverzeichnis c) Bundesratsverfahren des EEAG (1986) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 d) Grundgesetzänderung vom 21. 12. 1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Gestufte Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (1) Verpflichtung der Berücksichtigung (Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG) . . . . . 300 (2) Verpflichtung der maßgeblichen Berücksichtigung (Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 (3) Aufgabenwahrnehmung durch Vertreter der Länder (Art. 23 Abs. 6 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 bb) Europakammer des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 e) Kompensationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 6. Rechtsschutz gegen Entstaatlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 a) Wahrung des Gemeinschaftsrechts durch Europäischen Gerichtshof . . . . . . . 310 aa) Gerichtsverfahren gegen Zuständigkeitsusurpation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Integrationsfreundliche Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 b) Bundesverfassungsgericht als Hüter der deutschen Verfassung . . . . . . . . . . . . 314 aa) Verfassungswidriges Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 bb) Verfassungswidriges Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 cc) Die Zukunft des Bundesstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
VII. Rezentralisierung Spaniens im europäischen Integrationsprozess? . . . . . . . . . . . 319 1. Rechte der Autonomen Gemeinschaften bei Setzung von primärem Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Befugnis und Grenzen der Zuständigkeitsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Übertragbarkeit von Aufgaben und Befugnissen der Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 c) Verfassungsrechtliche Mitwirkungsrechte der Autonomen Gemeinschaften 323 aa) Initiativrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 bb) Rechte im Willensbildungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Teilhabe der Autonomien am Vollzug von Rechtsakten der Union . . . . . . . . . . . . 326 a) Verteilung von Aufgaben und Befugnissen im Autonomiestaat . . . . . . . . . . . . 327 b) Staatliche Kontrollmechanismen zur Vermeidung und Ahndung von Verletzungen des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 3. Konferenz über EG-Angelegenheiten als Institution des kooperativen Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Geschichte und Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
Inhaltsverzeichnis
17
b) Zusammensetzung und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 c) Beschlussfassung und Rechtswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 d) Vereinbarung über die interne Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften über die Sektorkonferenzen vom 30. 11. 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 aa) Abgestuftes System der Mitwirkung bei der Willensbildung (fase ascendente) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 bb) Regelungen über den Vollzug (fase descendente) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 e) Ergänzung des Multilateralismus durch Bilateralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 f) Würdigung des Systems der Konferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 4. Wandel oder Verlust der Autonomiestaatlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 a) Bestandsschutz des Autonomieprinzips in der europäischen Integration . . . 347 b) Rechtsschutz der Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 c) Beitrag des Kooperationsprinzips zur Verhinderung einer Rezentralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 1. Region als Rechtsbegriff in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 a) Bestimmungen des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Regionen in Deutschland und Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 2. Direkte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 a) Zusammensetzung staatlicher Delegationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 aa) Länderbeobachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 bb) Regionalvertreter in Gremien seit Maastricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 b) Individuelle Beteiligung durch Büros in Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 aa) Geschichte und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 bb) Nebenaußenpolitik der Länder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 cc) Urteil des spanischen Verfassungsgerichts zu dem baskischen Büro . . . 363 c) Kollektive Mitwirkung durch den Ausschuss der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . 364 aa) Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 bb) Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 cc) Mäßige Stärkung durch den Verfassungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 d) Kritik und Perspektiven regionaler Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 2 Bretz
18
Inhaltsverzeichnis 3. Wechselwirkungen zwischen Regionalismus und Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Staatliche Strukturen eines sich vereinigenden Europas – eine Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Vereinbarkeit von Föderalismus und Regionalismus – ein Fazit . . . . . . . . . . . . 376 c) Gestaltung der unvollendeten Rechtsstruktur der Europäischen Union – ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
Abkürzungsverzeichnis ABlEG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Abs.
Absatz
ADCP
Anuario de Derecho Constitucional y Parlamentario
AEMR
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
a. F.
alte Fassung
AfP
Archiv für Presserecht
Anh.
Anhang
AO
Abgabenordnung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
ARSP
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
Az.
Aktenzeichen
BayBezO
Bayerische Bezirksordnung
BayGO
Bayerische Gemeindeordnung
BayLKrO
Bayerische Landkreisordnung
BayVBl.
Bayerische Verwaltungsblätter
BayVerf
Bayerische Verfassung
BayVerfGH
Bayerischer Verfassungsgerichtshof
BayVerfGHE
Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (amtliche Sammlung)
BbgVerf
Brandenburgische Verfassung
Bd.
Band
BelgVerf
Belgische Verfassung
BerlVerf
Berliner Verfassung
Beschl.
Beschluss
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BHSK
Beiträge zur historischen Sozialkunde
BLV
Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union in Ausführung von § 9 EUZBLG
BNatSchG
Bundesnaturschutzgesetz
2*
20
Abkürzungsverzeichnis
BNG
Bloque Nacionalista Galego
BOE
Boletín Oficial del Estado (Spanisches Amtsblatt)
BRat
Bundesrat
BReg
Bundesregierung
BremVerf
Bremer Verfassung
BSP
Bruttosozialprodukt
BT
Bundestag
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung)
BVerfGG
Bundesverfassungsgerichtsgesetz
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
BvR
Bundesverfassungsgerichtliche Rechtssache
BVSE
Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft
BWVerf
Verfassung von Baden-Württemberg
bzw.
beziehungsweise
CARCE
Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas (Konferenz für Angelegenheiten im Zusammenhang mit den Europäischen Gemeinschaften)
CCAA
Comunidades Autónomas (Autonome Gemeinschaften)
CDP
Cuadernos de Derecho Público
CE
Constitución Española (Spanische Verfassung)
CIG
Conferencia Internacional Guvernamental (Internationale Regierungskonferenz)
CiU
Convergència i Unió
CMLR
Common Market Law Review
CPE
Constitutional Political Economy
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders.
derselbe
d. h.
das heißt
dies.
dieselbe; dieselben
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
Drs.
Drucksache
DSWR
Datenverarbeitung, Steuer, Wirtschaft, Recht
DTC
Dictamen del Tribunal Constitucional (Erklärung des spanischen Verfassungsgerichts)
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
EA
Europa-Archiv (Zeitschrift)
EEAG
Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte
Abkürzungsverzeichnis EG
Europäische Gemeinschaft
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EinigungsV
Einigungsvertrag
EJLE
European Journal of Law and Economics
EJPR
European Journal of Political Research
EKC
Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung
ELR
European Law Review
EP
Europäisches Parlament
EPL
European Public Law
ERC
Esquerra Republicana de Catalunya
ErwG
Erwägungsgrund
ETA
Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit)
EU
Europäische Union
EuG
Europäisches Gericht erster Instanz
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EuGRZ
Europäische Grundrechte Zeitschrift
EuR
Europarecht (Zeitschrift)
EURATOM
Europäische Atomgemeinschaft
21
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EUZBBG
Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
EUZBLG
Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EVP-CD
Europäischen Volkspartei / Christdemokraten
EVVE
Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV
Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)
f.; ff.
folgende; fortfolgende
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FJ
fundamento jurídico (Erwägungsgrund)
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
GeschO
Geschäftsordnung
22
Abkürzungsverzeichnis
GG
Grundgesetz
ggf.
gegebenenfalls
GLJ
German Law Journal
GS
Gedächtnisschrift
GVK
Gemeinsame Verfassungskommission
HbgVerf
Hamburger Verfassung
Herv. d. Verf.
Hervorhebung des Verfassers
Herv. i. Orig.
Hervorhebung im Original
Herv. teilw. i. Orig.
Hervorhebung teilweise im Original
HessStGH
Hessischer Staatsgerichtshof
hrsg.
herausgegeben
Hrsg.
Herausgeber
Hs.
Halbsatz
HStR
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (Litverz.)
HVerfR
Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (Litverz.)
i. d. F.
in der Fassung
i. d. R.
in der Regel
i. E.
im Erscheinen
i. S. d.
im Sinne des
i. V. m.
in Verbindung mit
JA
Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)
JöR
Jahrbuch des öffentlichen Rechts
JR
Juristische Rundschau
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KGRE
Kongress der Gemeinden und Regionen Europas
KJ
Kritische Justiz
KritV
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft
L
Lernbogen (Litverz.)
Lfg.
Lieferung
lit.
littera
Litverz.
Literaturverzeichnis
LKV
Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift)
LO
Ley Orgánica (Organgesetz)
LOAPA
Ley Orgánica de Armonización del Proceso Autonómico (Organgesetz über die Harmonisierung des Autonomieprozesses)
Abkürzungsverzeichnis
23
LOFCA
Ley Orgánica de Financiación de las Comunidades Autónomas (Organgesetz über die Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften)
LOTC
Ley Orgánica del Tribunal Constitucional (Organgesetz über das Verfassungsgericht)
LT
Landtag
m. a. W.
mit anderen Worten
Mio.
Millionen
MVVerf
Verfassung von Mecklenburg Vorpommern
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
NATO
North Atlantic Treaty Organisation
NdsVerf
Niedersächsische Verfassung
N.E.
Neuva Época (neue Folge)
N.F.
neue Folge
n. F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
NUTS
nomenclatures des unités territoriales statistiques
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NWVBl.
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter
o. S.
ohne Seitenangabe
o. V.
ohne Verfasser
PartIntCCAA
Acuerdo sobre la Participación Interna de las Comunidades Autónomas en los Asuntos Comunitarios Europeos a través de las Conferencias Sectoriales (Vereinbarung über die interne Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften in Gegenständen der Europäischen Gemeinschaften über das der Sektorkonferenzen)
PJSZ
Polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen
PNV
Partido Nacionalista Vasco
PP
Partido Popular
PrEuro
Protokoll betreffend die Euro-Gruppe
PrNatParl
Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union
PrStimmgew
Protokoll über die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger im Europäischen Parlament und die Stimmgewichtung im Europäischen Rat und Ministerrat
PrSubsVerh
Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Anhang zum Verfassungsvertrag)
PSC
Partido Socialista Catalán
PSOE
Partido Socialista Obrero España
PVS
Politische Vierteljahresschrift
24
Abkürzungsverzeichnis
RAndAP
Revista Andaluza de Administración Pública
RAP
Revista de Administración Pública
RAragAP
Revista Aragonesa de Administración Pública
RDCE
Revista de Derecho Comunitario Europeo
RDDP
Revista del Departamento de Derecho Político
RdJB
Recht der Jugend und des Bildungswesens
RDP
Revista de Derecho Político
REA
Revista de Estudios Autonómicos
REDA
Revista Española de Derecho Administrativo
REDC
Revista Española de Derecho Constitucional
REDI
Revista Española de Derecho Internacional
REP
Revista de Estudios Políticos
RER
Revista de Estudios Regionales
RGBl.
Reichsgesetzblatt
RGRE
Rat der Gemeinden und Regionen Europas
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RhPfVerf
Verfassung von Rheinland-Pfalz
RIE
Revista de Instituciones Europeas
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
RJN
Revista Jurídica de Navarra
Rn.
Randnummer
Rs.
Rechtssache
RuP
Recht und Politik
RVAP
Revista Vasca de Administraciones Públicas
S.
Satz; Seite
SachAnhVerf
Verfassung von Sachsen Anhalt
SachVerf
Sächsische Verfassung
sc.
scilicet
SchlHolLS
Schleswig-Holsteiner Landessatzung
Slg.
Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
Sp.
Spalte
SPE
Sozialdemokratische Partei Europas
Spstr.
Spiegelstrich
STC
Sentencia del Tribunal Constitucional (Urteil des spanischen Verfassungsgerichts)
StenBer.
Stenographischer Bericht
SZ
Süddeutsche Zeitung
Abkürzungsverzeichnis teilw.
teilweise
ThüVerf
Thühringer Verfassung
u. a.
und andere; unter anderem
UAbs.
Unterabsatz
übers.
übersetzt
UCD
Unión de Centro Democrático
UN
Vereinte Nationen
unver.
unverändert
usw.
und so weiter
u. U.
unter Umständen
v.
vom, von
VerwArch
Verwaltungsarchiv (Zeitschrift)
vgl.
vergleiche
25
VO
Verordnung
VRE
Versammlung der Regionen Europas
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VVE
Vertrag über eine Verfassung für Europa
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VZSR
Verfassung der Zweiten Spanischen Republik
WRV
Weimarer Reichsverfassung
WVK
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht
z. B.
zum Beispiel
ZEuS
Zeitschrift für Europarechtliche Studien
ZfPar
Zeitschrift für Parlamentsfragen
ZfRV
Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht
ZgStW
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
Ziff.
Ziffer
zit.
zitiert
ZöR
Zeitschrift für öffentliches Recht
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZSE
Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften
I. Einführung 1. Problemstellung Die 25 EU-Mitgliedstaaten sind auf dem Weg, durch eine gemeinsame Verfassung die europäische Integration auf eine neue konstitutionelle Grundlage zu stellen. Der von einem Konvent unter dem Vorsitz von Valéry Giscard d’Estaing entworfene „Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa“ (EVVE)1 wurde am 18. 07. 2003 in seiner vollständigen Fassung dem Europäischen Rat überreicht. Am 29. 10. 2004 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der EU und der Beitrittsanwärter Bulgarien, Rumänien, Kroatien und der Türkei den „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ (VVE)2 auf dem Kapitolhügel in Rom, nachdem die Regierungskonferenz unter irischer Ratspräsidentschaft einen Konsens am 18. 06. 2004 errang3. Auch wenn im Zuge des vor kurzem begonnenen Ratifikationsprozesses noch nicht absehbar ist, ob und wann der Verfassungsvertrag in Kraft tritt, stellen sich bereits aufgrund des gegenwärtigen Standes der Verfassungsgebung eine Reihe grundlegender rechtswissenschaftlicher Fragen. Zusätzlich zu dem eigentlichen Regelungsgehalt gilt es vor allem den rechtlichen Status einer Europa-Verfassung innerhalb des bestehenden europäischen Rechtsgefüges zu bestimmen. Als höchstrangig positiver, unionsweit geltender Gesetzestext fügt sich die EU-Verfassung bei Inkrafttreten in die verfassungsrechtliche Ordnung jedes Mitgliedstaates ein und hat folglich Auswirkungen auf die etablierten Verfassungsstrukturen der Vertragspartner. Nach den als gescheitert betrachteten Bemühungen des Regierungsgipfels von Nizza4 soll die Verfassung nicht nur als nächster weitreichender Integrationsschritt, sondern als Meilenstein eines „nunmehr geeinten Europas“5 gelten. Die europäische Integration schreitet unbeirrt fort, wobei die Finalität, das Wohin weiterhin offen bleibt. Getragen wird die Union durch einen Föderalismus, der die Selbstständigkeit der Nationen in der einheitsstiftenden Verbindung bewahrt. Im Gegensatz zu ihren Mitgliedstaaten beruht sie nicht auf dem Willen eines eigenständigen ABlEG Nr. C 169 v. 18. 07. 2003. ABlEG Nr. C 310 v. 16. 12. 2004. 3 CIG 86 / 04. 4 Zwar trat der Verträge von Nizza zum 01. 02. 2003 in Kraft, jedoch gelten die Änderungen aufgrund der EU-Erweiterung zum 01. 05. 2004 als nicht weitreichend genug; T. Wiedmann, Anmerkungen zum Vertrag von Nizza, JuS 41 (2001), S. 851; E. Pache / F. Schorkopf, Der Vertrag von Nizza, NJW 54 (2001), S. 1377. 5 2. ErwG Präambel VVE. 1 2
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I. Einführung
pouvoir constituant6. Es stellt sich die Frage, inwieweit ein etwaiger durch ein eigenes Unionsvolk im anspruchsvollen Sinne7 begründeter Unionsstaat rechtmäßig und mit geltenden Verfassungsprinzipien wie dem Prinzip der kleinen Einheit vereinbar wäre. Kleine Einheiten sind conditio sine qua non der Freiheit8. Insbesondere ist zu prüfen, ob und auf welche Weise ein derartiger Unionsstaat noch eine effektive Mitwirkung der Menschen an der Willensbildung gewährleisten könnte, d. h. noch rechtsstaatlich, vor allem demokratisch wäre. Als weiteres grundsätzliches Problem der rechtswissenschaftlichen Erörterung stellt sich das Festhalten an dem überkommenen Begriffspaar Bundesstaat und Staatenbund heraus, das durch seine liberalistische Prägung und das Festhalten an dem Jellinekschen Kriterium der Souveränität nicht die Strukturen eines freiheitlich konzipierten Gemeinwesens zu erklären vermag9. Wird die Europäische Union als Gebilde sui generis10 oder Staatenverbund11 charakterisiert, so sind dies Verlegenheitsformeln. Vielmehr ist eine adäquate Terminologie zu entwerfen. Die fortschreitende europäische Integration mit der einhergehenden Erweiterung der Unionszuständigkeiten erweist sich als Gefahr für den deutschen Föderalismus. Deutschland ist gemäß Art. 20 Abs. 1 GG ein Bundesstaat, d. h. ein Staat bestehend aus Ländern mit originärer Staatsqualität12. Lange Zeit war Deutschland der einzige EU-Mitgliedstaat mit einer bundesstaatlichen Verfassung. Durch die Föderalisierung Belgiens 199313 und den Beitritt der Bundesrepublik Österreich im Jahr 1995 sind es mittlerweile drei. An die Staatsqualität der Gliedstaaten sind stets substantielle Selbstentscheidungsrechte geknüpft, so dass neben der so ge6 P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, 1992, § 183, Rdn. 54, 62; J.-P. Jacqué, Der Vertrag über eine Verfassung für Europa: Konstitutionalisierung oder Vertragsrevision?, EuGRZ 31 (2004), S. 554 f. 7 „Der Unions-Vertrag begründet . . . keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat“; BVerfGE 89, 155 (188). So auch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, in: W. Blomeyer / K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 136. 8 K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, in: Mut zur Ethik, 2002, S. 70 ff., 73. 9 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 762 ff., 769 ff. 10 BVerfGE 22, 293 (296): „eine im Prozeß fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft eigener Art“; siehe auch R. Hrbek, Föderalismus sui generis, ZSE 1 (2003), S. 430 ff. 11 BVerfGE 89, 155 (181, 183 ff., 188, 190, 207, 212). Grundlegend siehe P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 68 f. 12 BVerfGE 34, 9 (19). I. d. S. auch Kirchhof, der von einer „originären hoheitlichen Gestaltungsmacht und Gesetzgebungsbefugnis der Länder“ spricht; ders., HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 61. 13 Am 08. 05. 1993 wurden die am 23. 04. 1993 durch das Parlament verabschiedeten Verfassungsänderungen rechtskräftig, durch die der Übergang vom Zentral- zum Bundesstaat vollzogen wurde.
1. Problemstellung
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nannten „Staatswerdung Europas“14 auch eine andauernde, wenn auch schleichende Aufgabenaushöhlung das Ende deutscher Bundesstaatlichkeit bedeuten kann. Zu der Verringerung der Länderaufgaben durch den umfangreichen Rückgriff auf konkurrierende Gesetzgebung durch den Bund tritt der Verlust von Zuständigkeiten an die Union, so dass insgesamt die Erosion von Legislativbefugnissen der Länder an die verfassungsrechtlich gezogene Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG stößt. Dieser erklärt das Bundesstaatsprinzip für unabänderlich und entzieht es dadurch dem Zugriff durch den pouvoir constitué15. Es ist zu prüfen, inwieweit die deutsche Bundesstaatlichkeit mit europäischer Staatlichkeit vereinbar ist und der verfassungsrechtliche verankerte Schutz die notwendige Effektivität entfaltet, um die Länder vor dem befürchteten Bedeutungsverlust zu bewahren. Als Ausgleich der Zuständigkeitsverluste der Länder wird insbesondere die Ausweitung der Befugnisse des Bundesrates dargestellt, dessen Funktionsweise nunmehr selbst in der Kritik steht und neben der bundesstaatlichen Zuständigkeitsverteilung und den Finanzbeziehungen durch die Ende 2003 eingesetzte „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur bundesstaatlichen Ordnung“ überprüft wird. Es gilt zu bestimmen, ob die Gewährung von Beteiligungsrechten als Kompensation der abgegebenen Selbstentscheidungsrechte angesehen werden können oder ob es den Partizipationsrechten an Gleichwertigkeit fehlt. Die Zuständigkeitsaushöhlung im Zuge der europäischen Integration ist auch für regionale Gebietskörperschaften nicht-bundesstaatlich organisierter Nationen ein ungelöstes Problem. Da diese Regionen keine Gliedstaaten sind, droht ihnen, anders als den Ländern, keine Entstaatlichung. Allerdings sehen sie ihre Selbstverwaltungsrechte schwinden, die nicht selten in langwierigen regionalistischen Verhandlungsprozessen dem Zentralstaat abgerungen wurden16. Dieses ist auch in Spanien mit seiner regionalistisch geprägten Verfassungsordnung der Fall. Unter der jahrzehntelangen Diktatur Francos (1939 – 1975) war keine regionale Selbstverwaltung zugelassen, die Katalonien und dem Baskenland in der Zweiten Republik gewährten Autonomierechte wurden wieder entzogen und der begonnene Autonomieprozess Galiciens abrupt gestoppt. Mit der rechtsstaatlichen Verfassung von 1978 wurde durch die Option zur Bildung Autonomer Gemeinschaften eine weitreichende Dezentralisierung ermöglicht. Heute stellt sich die Frage nach der Existenz von Schutzmechanismen vor Entleerung der innerstaatlich gewährleisteten 14 G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas, Staatswissenschaften und Staatspraxis 5 (1994), S. 35 ff. 15 K. Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 663; P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 34 ff. 16 Seit den 70er und 80er Jahren setzen sich regionalistische Bewegungen in einer Vielzahl europäischer Einheitsstaaten für Berücksichtigung ihrer territorialen Besonderheiten ein. Durch zentralistische Staatsführung und die damit einhergehende Unitarisierung der Lebensverhältnisse sehen sich regionale gesellschaftliche Gruppierungen in ihrer Identität bedroht. Die Erfolge regionalistischer Bewegungen sind in der verfassungsrechtlichen Verankerung von Selbstverwaltungsrechten und den damit in Beziehung stehenden innerstaatlichen Dezentralisierungsprozessen abzulesen, so bspw. in Frankreich, England aber auch Spanien.
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I. Einführung
Selbstgesetzgebungsbefugnisse, da durch den europäischen Integrationsprozess die Zuständigkeiten der spanischen regionalen Einheiten ausgehöhlt werden17. Dabei bedarf die Bestimmung des Verhältnisses zwischen spanischem Regionalismus und europäischer Integration einer Analyse der mitgliedstaatlichen Verfassungsstruktur in Verbindung mit europarechtlichen Normen. Auch in Spanien entwickeln sich aus Kompensationsüberlegungen heraus Beteiligungsverfahren der Autonomen Gemeinschaften an der Willensbildung des Zentralstaates in europäischen Angelegenheiten, so dass sich aufgrund der Ähnlichkeit der Problematik ein Vergleich zwischen Deutschland und Spanien anbietet, ohne Regionalismus und Föderalismus gleichzusetzen. Die Ausgleichsforderungen beschränken sich nicht nur auf die Stärkung der Länder und Regionen in den nationalen Verfassungsordnungen , sondern zielen zudem auf die unmittelbare Teilhabe an Aufgaben und Befugnissen der Europäischen Union und folglich die Verankerung von Partizipationsrechten im Europarecht ab. Durch ein so genanntes Europa der Regionen soll der zentralistische Charakter der Europäischen Union überwunden werden. Bisher bleiben regionale Gebietskörperschaften weitestgehend von der Union unberücksichtigt und können ihrerseits kaum unmittelbaren Einfluss auf diese ausüben, wie der von Ipsen geprägte Terminus der „Landesblindheit“18 zum Ausdruck bringt. Stattdessen ist die Einflussnahme auch in denjenigen Bereichen den Nationalstaaten vorbehalten, die die Regionen betreffen oder gemäß der innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung den Gebietskörperschaften vorbehalten sind. Zwar haben sich Forderungen nach direkter regionaler Beteiligung bereits in der Möglichkeit einer Mitwirkung regionaler Vertreter in EU-Gremien oder der Gründung des Ausschusses der Regionen niedergeschlagen, allerdings sind diese Rechte überwiegend beratender Natur und werden als unzureichend angesehen. Es erscheint jedoch kaum möglich, der durch die Heterogenität der europäischen Regionen bedingten unterschiedlichen Interessenlage gerecht zu werden. Die Verbindung deutscher, aber auch österreichischer und belgischer Föderalisten mit Regionalisten anderer Nationalitäten unter dem Dach eines gemeinsamen europäischen Regionalismus ist auf die Erfolgsaussichten zu untersuchen. Die obigen Ausführungen zeigen, dass Föderalismus und Regionalismus auf Unionsebene von denen innerhalb der Mitgliedstaaten zu unterscheiden sind. Bei einer Erörterung am Beispiel Deutschlands und Spaniens lassen sich somit vier Problemkreise differenzieren: 17 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, 1998, S. 261 f.; G. Jáuregui Bereciartu, Estado, Soberanía y Union Europea, in: F. Pau i Vall (Hrsg.), El Futuro del Estado Autonómico, 2001, S. 189 f. 18 H. P. Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, in: E. v. Caemmerer / H.-J. Schlochauer / E. Steindorff (Hrsg.), FS für Walter Hallstein, 1966, S. 256; ders., Die europäische Integration in der deutschen Staatsrechtslehre, in: J. F. Baur (Hrsg.), FS für Bodo Börner, 1992, S. 176; ders., HStR, Bd. VII, § 181, Rdn. 36.
2. Zielsetzung
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1. Europäische Bundesstaatlichkeit (Verhältnis Europäische Union und Deutschland / Spanien als Mitgliedstaaten). Dem europäischen Bundesstaat liegt das föderale Prinzip zugrunde, nach dem die Selbständigkeit der Nationen bewahrt wird. Die zu beobachtende so genannte „Staatswerdung Europas“19 wirft die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Konstituierungsprozesses auf. 2. Deutsche Bundesstaatlichkeit (Verhältnis Bund, Länder und Kommunen in der europäischen Integration). Die deutsche Bundesstaatlichkeit als verfassungsrechtliche Ausprägung des deutschen Föderalismus wird durch die zunehmenden Zuständigkeiten der Europäischen Union bedroht. Die Staatsqualität der Länder als unabdingbares Wesenselement des Föderalismus wird durch umfangreiche Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten an Bund und Union gefährdet. Damit ist die Frage aufgeworfen, inwieweit die Eigenschaft der Länder als Gliedstaaten in der Europäischen Union aufrecht erhalten werden kann, selbst wenn man die Union als dreistufigen (bei Einbezug der Kommunen sogar vierstufigen) Bundesstaat konzipiere. 3. Spanischer Regionalismus (Verhältnis spanischer Nationalstaat und Autonome Gemeinschaften in der europäischen Integration). Die zunehmenden Aufgaben und Befugnisse der EU sind nicht nur für den deutschen Föderalismus, sondern auch für den Regionalismus nicht-bundesstaatlicher Mitgliedstaaten ein Problem. Die gewährten Selbstbestimmungsstatute und Partizipationsrechte der jeweiligen Regionen sind verfassungsrechtlicher Ausdruck des jeweiligen Regionalismus. Am Beispiel Spaniens ist der Einfluss des Europarechts auf die regionalistisch geprägte innere Verfassungsordnung zu diskutieren. 4. Europäischer Regionalismus im Europa der Regionen (unmittelbares Verhältnis Europäische Union und Regionen). Der Terminus Europa der Regionen bezeichnet einen europäischen Regionalismus, in dem Regionen ihre Identität durch direkte Mitbestimmung auf Unionsebene zu bewahren versuchen. Es handelt sich hierbei um eine Ausweitung ursprünglich auf Mitgliedstaaten beschränkte regionalistische Bestrebungen auf europäische Ebene, die jedoch ebenfalls deutsche föderalistische Bemühungen um Wahrung ihrer Staatseigenschaft umfassen. Die heterogene Interessenlage und Vermengung unterschiedlicher Zielsetzungen führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen deutschem Föderalismus und europäischem Regionalismus, wobei eine Gleichsetzung von Regionen und Ländern problembehaftet ist.
2. Zielsetzung Die Überlegungen dieser Arbeit knüpfen an den vier identifizierten Problemkreisen an, zielen auf ihre rechtswissenschaftliche Klärung ab und zeigen die Veränderungstendenzen von Föderalismus und Regionalismus im nationalen, aber 19
G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas, S. 35 ff.
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I. Einführung
auch gemeinschaftsrechtlichen Kontext auf. Dabei ist zu prüfen, inwieweit gemeinschaftliche Rechtsakte, auch ein möglicher Verfassungsvertrag, nach Maßgabe der mitgliedstaatlichen Verfassungen die nationalen Strukturprinzipien achten, wie es der Freiheit willen geboten ist20. Der Verfassungsvergleich zwischen ausgeprägter deutscher Bundesstaatlichkeit und spanischem Regionalismus mit föderativen Tendenzen soll nicht nur die Vielfalt der europäischen Verfassungslandschaft zeigen, sondern vor allem eine umfassende Würdigung aktueller verfassungsrechtlicher Fragen der Integration ermöglichen. Häberle weist darauf hin, dass „Regionalismus heute zu den brennendsten Verfassungsfragen in Europa gehört“21. Die Herausstellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden ist entscheidend, weil lediglich gleichartige Probleme einheitlich gelöst werden können, wohingegen differenzierende Konzepte zur Lösung unterschiedlicher Probleme unentbehrlich sind. Zentral ist die Frage, ob die von den deutschen Ländern beanspruchte Staatsqualität erhalten bleiben kann oder ob zwischen bundesstaatlichem Föderalismus und europäischem Regionalismus ein unlösbares Spannungsverhältnis besteht und daher „Integration auf europäischer Ebene und Eigenstaatlichkeit der Länder . . . unvereinbar“22 sind. Somit wird die Arbeit strittige und kritische Fragen des deutschen und spanischen Rechts im Rahmen des europäischen Verfassungsrechts behandeln.
3. Vorgehensweise In dem folgenden Kapitel werden Föderalismus und Regionalismus begrifflich bestimmt und weiteren Staatsorganisationsprinzipien gegenübergestellt (Kap. II.2). Nach Kant kann es in Republiken keinen Gegensatz von Recht und Politik geben, da letztere „ausübende Rechtslehre“23 ist. Anwendung finden die politischen Prinzipien Föderalismus und Regionalismus, die somit stets Rechtsprinzipien sind, im Rahmen staatlicher Organisation (Kap. II.1). Dabei gilt der Staat als unabdingbare Voraussetzung zur Verwirklichung von Freiheit. Er muss Republik sein, denn nur Republiken sind der Rechtsstaatlichkeit durch die Schaffung von Recht zur Realisierung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit durch allgemeine Gesetzlichkeit verpflichtet24. Eine weitere Voraussetzung der Rechtsstaatlichkeit ist die Verwirklichung der kleinen Einheit. Föderalismus Vgl. Art. 20 Abs. 3 GG; BVerfGE 37, 271 (279); 73, 339 (376). P. Häberle, Verfassungsrechtliche Fragen im Prozeß der europäischen Einigung, EuGRZ 19 (1992), S. 435. 22 Heinz Wagner zitiert in H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, in: D. Heckmann / K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 49. 23 I. Kant, Zum ewigen Frieden, 1795 / 1796, S. 229 und siehe dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 4. Aufl. 2003, S. 227 f. Zum Verhältnis von Recht und Politik auch W. Henke, Die Parteien und der Ämterstaat, NVwZ 4 (1985), S. 618 f. 24 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 567 ff. m. w. N. 20 21
3. Vorgehensweise
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liegt dem Bundesstaat zugrunde [Kap. II.3.a)], kann aber ebenso als Ordnungsprinzip des Staatenbundes zum Ausdruck kommen [Kap. II.3.b)]. Beide Termini werden nicht im Sinne Jellineks, der auf das Kriterium der Souveränität abstellt, sondern in Anlehnung an die Lehre des Bundes von Schmitt definiert. Da im Bundesstaat nicht nur föderalistische, sondern auch unitarische Elemente zum Tragen kommen, ist er auch vom Einheitsstaat abzugrenzen [Kap. II.3.c)]. In den anschließenden Kapiteln III und IV werden die Grundzüge des deutschen Bundesstaates und des spanischen „Staates der Autonomien“ vorgestellt. Es wird nicht der Anspruch einer vollständigen Darstellung erhoben. Vielmehr sollen wesentliche Aspekte hervorgehoben werden. Im Rahmen des dritten Kapitels wird die Verankerung des Föderalismus im deutschen Verfassungsrecht beleuchtet. Zuerst werden Bund, Länder und Kommunen charakterisiert (Kap. III.1). Neben einem Abriss der Geschichte des deutschen Bundesstaates und der Diskussion der Staatsqualität der Länder wird auf die Beziehung der Länder untereinander und zum Bund sowie auf die Kommunen als dritte Ebene im Bundesstaat eingegangen. Ein Kernstück einer jeden bundesstaatlichen Ordnung ist die Zuständigkeitsordnung (Kap. III.2). Allgemeine Zuständigkeitsprinzipien und die vorgenommene Verteilung legislativer, exekutiver sowie judikativer Aufgaben und Befugnisse auf Bund und Länder werden durch die Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen staatlichen Ebenen, dem Prinzip bundesfreundlichen Verhaltens ergänzt (Kap. III.3). Zur Einhaltung der dem Bund und den Ländern zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse stehen einerseits eine Reihe von staatlichen Aufsichtsund Eingriffsrechten (Kap. III.4), andererseits der Rechtsweg vor das Bundesverfassungsgericht zur Beilegung föderaler Streitigkeiten bereit (Kap. III.5). Kap. III.6 schließt mit einer zusammenfassenden Diskussion über den Stand der deutschen Bundesstaatlichkeit. Bei der Charakterisierung des spanischen Regionalismus (Kap. IV) soll ein Vergleich mit den deutschen Normen nicht nur Unterschiede zu der spanischen Verfassungsstruktur aufzeigen, sondern vor allem ein grundlegendes Verständnis des Regelungsgehaltes spanischen Verfassungsrechts hinsichtlich der regionalistisch geprägten Territorialstruktur ermöglichen. Wie für jede Gegenüberstellung gilt, dass Vergleiche nur bei einem Mindestmaß an strukturellen Gemeinsamkeiten möglich sind. Einleitend bettet ein knapper historischer Abriss die geltende spanische Verfassung in ihren geschichtlichen Kontext ein (Kap. IV.1). Grundlegend zum Verständnis der spanischen Verfassungslehre in Bezug auf europäische regionale Mitwirkung ist das Selbstverständnis der Rechtsnatur ihrer territorialen Gebietskörperschaften, der Autonomen Gemeinschaften, Provinzen und Gemeinden (Kap. IV.2). Insbesondere durch einen Vergleich der spanischen Aufgabenund Befugnisverteilung (Kap. IV.3) sowie der kooperativen Lösungen (Kap. IV.4) mit den Regelungen des deutschen Bundesstaates können Unterschiede in beiden Verfassungen verdeutlichet werden. Beträchtliche Abweichungen zu Deutschland bestehen bei den Regelungen der Finanzverfassung (Kap. IV.5). Wie in Deutschland existiert ein Aufsichtssystem (Kap. IV.6) sowie der Rechtsweg vor das Verfas3 Bretz
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I. Einführung
sungsgericht zu der Konfliktbewältigung bei Streitigkeiten zwischen Staat und Autonomen (Kap. IV.7). Den Verfassungsvergleich rundet die Beantwortung der Frage, inwieweit der spanische Regionalismus föderalistische Tendenzen in Richtung eines Bundesstaates aufweist, ab (Kap. IV.8). Werden im dritten Kapitel der bundesstaatliche deutsche Föderalismus und im vierten regionalistisch geprägte spanische Verfassungsstrukturen diskutiert, so widmet sich Kapitel V dem europäischen Föderalismus. Dazu wird der rechtliche Status der EU erörtert, die Frage, inwieweit die Union als Staat mit eigener bundesstaatlicher Verfassung bezeichnet werden kann (Kap. V.1). Die Diskussion über die Rechtlichkeit eines gemeinsamen Staates Europa bedarf der freiheitsdogmatischen Begründung der europäischen Bundesstaatlichkeit (Kap. V.2). Vor dem Hintergrund dieser Erörterung werden die Entstehungsgeschichte und die Staatsstruktur der Union betreffende Änderungen des „Vertrages über eine Verfassung Europas“ kritisch diskutiert (Kap. V.3). In Kapitel VI wird die Erörterung der Finalität der Europäischen Union auf die Perspektiven der deutschen Länder in „einer immer engeren Union“ fokussiert. Eingangs werden die Funktionsmechanismen dargelegt, die sich aus den komplexen rechtlichen Verflechtungen zwischen dem bundesstaatlichen Deutschland und der Union ergeben (Kap. VI.1). Der Bestandsschutz der deutschen Bundesstaatlichkeit darf auch durch die Integration nicht ausgehebelt werden (Kap. VI.2), so dass zu prüfen ist, welche Schutzmechanismen hierfür auf europarechtlicher Ebene bestehen (Kap. VI.3). Dieser dogmatischen Darlegung ist die Analyse der tatsächlichen Eingriffe in die Staatlichkeit von Ländern und Kommunen entgegenzustellen (Kap. VI.4). Die gewährten Mitwirkungsrechte der Länder durch den Bundesrat sind auf ihre Kompensationswirkung (Kap. VI.5) und die Rechtsschutzmöglichkeiten auf ihre Effektivität zu untersuchen (Kap. VI.6), um die Frage nach den Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit umfassend zu beantworten. Auch in Spanien geben die regionalen Gebietskörperschaften, die Autonomen Gemeinschaften, Zuständigkeiten an die EU ab (Kap. VII). Grundlegend für die Beurteilung des Einflusses der Autonomen Gemeinschaften bei der Setzung primären Gemeinschafsrechts ist die Analyse des verfassungsrechtlich vorgesehenen Übertragungsmechanismus von Zuständigkeiten (Kap. VII.1). Ebenso ist ihre Teilnahme am Vollzug von sekundärem Unionsrecht darzulegen (Kap. VII.2). In der Staatspraxis hat sich ein kooperatives System entwickelt, durch das die Autonomen Gemeinschaften bei der Willensbildung des Staates in europäischen Angelegenheiten mitwirken (Kap. VII.3). Angesichts der spärlichen verfassungsrechtlichen Regelungen über die Rolle der Autonomen Gemeinschaften in der europäischen Integration muss analysiert werden, inwiefern die Autonomiestaatlichkeit „europafest“ ist und mit welchen juristischen Mitteln sie verteidigt werden kann (Kap. VII.4). Wird der innerstaatliche Versuch eines Ausgleichs des Zuständigkeitsverlustes als unzureichend eingestuft, stellt sich die Frage, inwieweit durch ein Europa der
3. Vorgehensweise
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Regionen eine zufrieden stellende Kompensation geleistet und die „Landes-“ oder „Regionalblindheit“ überwunden werden kann (Kap. VIII). Nach der kritischen Darlegung, welche Gebietskörperschaften als Regionen definiert werden (Kap. VIII.1), folgt die rechtliche Erörterung der errungenen regionalen Partizipationsrechte (Kap. VIII.2). Zu unterscheiden ist die Mitwirkung regionaler Politiker in EU-Gremien, die individuelle Präsenz in Form von Büros in Brüssel sowie die kollektive Beteiligung durch den Ausschuss der Regionen. Abschließend wird eine gemeinsame Betrachtung von Regionalismus und Föderalismus vorgenommen, ein übergreifendes Fazit dieser Arbeit gezogen und ein Ausblick gegeben (Kap. VIII.3).
3*
II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus 1. Staatlichkeit in der Republik a) Staat als Gemeinwesen der Freiheit „Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen.“1
Nach dem Staatsverständnis Kants2, Aristoteles3, Lockes4, Rousseaus5 und Montesquieus6, ist der Staat kein eigenständiges juristisches Gebilde, das losgelöst von den Menschen Macht über diese ausübt7. Der Staat ist nicht auf den Staat der Ämter, den Staat im engeren Sinn zu reduzieren, sondern ist republikanisch konzipiert als die verfasste Bürgerschaft (Staat im weiteren Sinn oder auch existentieller Staat) zu verstehen8. Dieses republikanische Staatsverständnis hebt den Gegensatz der liberalistischen und monarchischen Lehre zwischen Staat und Gesellschaft auf9. Staatlichkeit ist keine Herrschaft über das Volk, sondern im Gegenteil stets als die vereinigte Willensautonomie der Bürgerschaft zu verstehen10. Dies folgt aus dem Staatszweck: „Der Staat ist nun eine Gemeinschaft von Ebenbürtigen zum Zwecke eines möglichst guten Lebens“11. Ziel ist die VerwirkI. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. Fn. 1. 3 Aristoteles, Politik, S. 49 ff. 4 J. Locke, Über die Regierung, 1690, S. 76. 5 J.-J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 6, S. 41. 6 C. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 210. 7 Dazu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 519 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 57. 8 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 426, der lehrt, dass ein „Volk im Rechtssinne außerhalb des Staates gar nicht denkbar“ sei. I. d. S. auch BVerfGE 83, 37 (50 ff.); 83, 60 (71 f.); 89, 155 (184 ff.); K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 76 f.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 162. 9 K. A. Schachtschneider, Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, in: ders. (Hrsg.), Wirtschaft, Gesellschaft und Staat im Umbruch, 1995, S. 418 ff.; ders., Republikanische Freiheit, in: B. Ziemske (Hrsg.), FS für Martin Kriele, 1997, S. 829 ff. 10 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 519 ff., 545 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, 2003, S. 284 ff., 297 ff. 11 Aristoteles, Politik , 1328a, S. 36 f. 1 2
1. Staatlichkeit in der Republik
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lichung gleicher Freiheit aller Menschen durch Gesetzlichkeit12. „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden und jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“13, so Kant. Der Staat ist die Voraussetzung, in einem demokratischen Willensbildungsprozess Gesetze zu erkennen, die das Recht der Menschen, ihre Freiheit verwirklichen14. Denn allein der Staat ist der Freiheit willen mit Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung des Rechts, seiner Erzwingbarkeit auszustatten15. Dies folgt aus der Menschenwürde16. Allein die Selbstverpflichtung, wie es durch allgemeine Gesetze der Fall ist, ist mit der Freiheit vereinbar17. Die äußere Freiheit, die Unabhängigkeit „von eines anderen nötigender Willkür“18 wird durch allgemeine Gesetze verwirklicht19. In einer Republik ist der allgemeine Wille gesetzgebend20. Es herrscht das Prinzip der Autonomie des Willens21, d. h., neben die äußere Freiheit als Recht zur freien Willkür wird die innere Freiheit als Sittlichkeit gestellt22. Damit das Gesetz als „vereinigter Wille des Volkes“23 ein Gesetz aller ist24, bedarf es freiheitlicher Gesetzgebung: K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 567 ff. m. w. N. I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 292 f. 14 „Recht ist das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf Grundlage der Wahrheit“, K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 6. Siehe auch ders., Res publica res populi, S. 567 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75.; ders. (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 9 ff. 15 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 49 f. „Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden“; I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 f., 527. 16 „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen“; Art. 1 AEMR v. 10. 12. 1948. Dazu K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: W. Nölling / K. A. Schachtschneider / J. Starbatty (Hrsg.), FS für Wilhelm Hankel, 1999, S. 121. 17 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 46. 18 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. 19 K. A. Schachtschneider, Republikanische Freiheit, S. 834. 20 K. A. Schachtschneider, Republikanische Freiheit, S. 839. 21 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 43 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, 1788, S. 142 ff. 22 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff., 325 ff. 23 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432. 24 „Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Denn, da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht tun können. Nun ist es, wenn jemand etwas gegen einen anderen verfügt, immer möglich, daß er ihm dadurch unrecht tue, nie aber in dem, was er über sich selbst beschließt (denn volenti non fit iniura). Also kann nur der übereinstimmende und vereinigte Wille aller, sofern ein jeder über alle und alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein“; I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432. 12 13
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus „Das Rechtsgesetz aber kann nur hervorgebracht werden, wenn alle Bürger guten Willens sind, die richtigen Gesetze zu erkennen und zu beschließen. Richtig sind die Gesetze, welche auf der Grundlage der Wahrheit das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit ermöglichen machen, die Gesetze nach universalisierbaren, verallgemeinerungsfähigen Maximen also. Das verlangt nach Sittlichkeit der Bürgerschaft.“25
Zugrunde gelegt wird der kategorische Imperativ, das Sittengesetz26: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“27. Daher schränkt das Gesetz nicht die Freiheit ein, sondern ermöglicht erst ihre Verwirklichung. Es ist der Ausdruck des allgemeinen Willens, moralisch28 zu handeln, d. h. sein Handeln dem Selbstzwang zu unterwerfen und daraufhin einzuschränken, andere nicht in ihrer Freiheit zu verletzen29.
b) Unterscheidung von funktionaler und existentieller Staatlichkeit und Staatsqualität Nachdem der Staat definitorisch erfasst wurde, sind nun Staatsqualität und Staatlichkeit begrifflich zu unterscheiden. Während sich der Terminus der Staatsqualität auf den Ursprung des den Staat legitimierenden Willen bezieht, d. h. von der Existenz eines pouvoir constituant abhängt, ist Staatlichkeit enger zu verstehen30. Es handelt sich um die Aufgabenwahrnehmung gemäß den Befugnissen, die je nach Qualität der Zuständigkeit funktionell oder existentiell sein kann. Wird das obige kantianische Staatsverständnis zugrunde gelegt, so kann auch der Staat selbst existentiell oder nicht-existentiell aber funktional sein31. Ein existentieller Staat ist eine Rechtsgemeinschaft, in der die Gesamtheit der ihr zugrunde liegenden Menschen ein Volk bilden32. Er ist aufgrund der wahrgenommenen Aufgaben stets auch funktional Staat und wegen der hierfür notwendigen Institutionen und Organe ebenso institutionell Staat. Hiervon zu unterscheiden ist der funktioK. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 120. So auch Art. 2 Abs. 1 GG. 27 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 140. 28 Zu Moralität I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 521; K. A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: B. Becker / H. P. Bull / O. Seewald (Hrsg.), FS für Werner Thieme, 1993, S. 198; ders., Res publica res populi, S. 288 f. 29 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119. 30 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: W. Hankel / K. A. Schachtschneider / J. Starbatty (Hrsg.), FS für Wilhelm Nölling, 2003, S. 286. 31 Dazu grundlegend K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff., 103, 115 f. 32 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 283 f. 25 26
1. Staatlichkeit in der Republik
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nale, nicht-existentielle Staat33. Auch im funktionalen Staat leben Menschen unter Rechtsgesetzen. Da sich der funktionale, nicht-existentielle Staat jedoch nicht auf ein eigenes Staatsvolk begründet34, muss seine Staatlichkeit durch den Willen von Bürgerschaften existentieller Staaten legitimiert werden. Der existentielle Staat entspricht dem im Völkerrecht als Einheit von Gebiet, Volk und Gewalt definierten Staat35. Die Verfassungshoheit als Recht der Bürgerschaft, sich ein Verfassungsgesetz zu geben, ist das „vornehmste Merkmal der existentiellen Staatlichkeit des Volkes“36, folglich maßgebliches Unterscheidungskriterium zwischen existentiellen und rein funktionalen Staaten. Die Verfassungshoheit, auch pouvoir constituant genannt37, ist alleiniges Recht der Bürgerschaft. Funktionale (nicht-existentielle) Staaten werden nicht durch ein eigenes Volk legitimiert; sie haben keine eigene Verfassungshoheit. Das Recht zur Verfassungsgebung, als Recht existentieller Staaten, wird häufig als Souveränität bezeichnet38, so auch im Sprachgebrauch des Bundesverfassungsgerichts39. Der Begriff konnte sich von seiner monarchischen Tradition, einer Lehre der Über- und Unterordnung, nicht lösen40. Eine derartige Hierarchisierung ist mit der Idee der Freiheit nicht vereinbar41. Zudem wird unter Souveränität 33 Auch er ist institutionell Staat; so K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 166 f. 34 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 163. 35 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 174 ff., 394 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 134 f.; H.-J. Blanke, Der Unionsvertrag von Maastricht, DÖV 46 (1993), S. 414 f.; G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas, S. 53. Häberle fordert, Kultur als viertes Staatselement anzuerkennen; P. Häberle, Europa – eine Verfassungsgemeinschaft?, in: F. Ronge (Hrsg.), In welcher Verfassung ist Europa – Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 104; ders., Europäische Verfassungslehre, 2001 / 2002, S. 188 mit Verweis auf G. Dürig, Der deutsche Staat im Jahre 1945 und seither, VVDStRL 13 (1955), S. 37 ff. 36 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 84. 37 Siehe Fn. 105. 38 H. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, VVDStRL 50 (1991), S. 17 ff.; P. Kirchhof, Europäische Einigung und der Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland, in: J. Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, 1993, S. 85, 95. 39 BVerfGE 89, 155 (188 ff.). 40 Siehe K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 22. Nach Häberle handelt es sich um ein „obrigkeitsstaatliches Überbleibsel, einen antiquitierten Begriff, der möglichst zu eliminieren, wenn nicht gar schon tot sei“; P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, AöR 92 (1967), S. 259. 41 So auch Rousseau, der keine Herrschaft im Begriff der Souveränität erkennt: „Ich behaupte deshalb, daß die Souveränität, da sie nichts anderes ist als die Ausübung des Gemeinwillens, niemals veräußert werden kann und daß der Souverän, der nichts anderes ist als ein Gesamtwesen, nur durch sich selbst vertreten werden kann; die Macht kann wohl übertragen werden, nicht aber der Wille. . . In dem Augenblick, in dem es einen Herrn gibt, gibt es keinen Souverän mehr, und von da an ist der politische Körper zerstört“; J.-J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27 f.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
üblicherweise die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit verstanden42. Hierbei ist der Begriff der „Selbstbestimmung des Volkes“43 dem „obrigkeitsstaatlichen Überbleibsel“44 vorzuziehen.
c) Prinzip der kleinen Einheit Die kleine Einheit ist notwendige Voraussetzung von Republiken45. Für die Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit von Gemeinwesen müssen diese territorial richtig begrenzt sein46. Die Idee der Freiheit gebietet die effektive Mitwirkung der Bürger an der Willensbildung des Staates47. Dazu müssen die Lebensverhältnisse überschaubar sein und eine gewisse Sachnähe der Amtswalter an den Anliegen der Menschen gegeben sein. Somit kann nur in Staaten mit einer begrenzten Zahl von Menschen das Demokratieprinzip 48 verwirklicht werden49. Großstaaten dagegen können keine Rechtsstaaten sein, sondern sind unvermeidlich zentralistisch und damit despotisch50. Weiterhin ist ein hinreichendes Maß an kultureller Homogenität erforderlich, zumindest die Möglichkeit hinreichender (sprachlicher) Verständigung51. Sind die Lebensverhältnisse der Menschen nicht mehr überschaubar, so leidet Solidarität und Loyalität im Staat. Insgesamt gilt deshalb: „Wenn ein Staat ein Staat des Rechts sein soll, ein Staat, der die allgemeine, gleiche Freiheit und Brüderlichkeit verwirklicht, dann muß er ein Staat der kleinen Einheit sein und zudem vielfältig in weitere kleine Einheiten gegliedert sein, wie wir das aus Deutschland, aus Österreich und noch viel stärker aus der Schweiz kennen, föderalisiert, kommunalisiert und vielfältig in Kammern, Universitäten und viele andere kleine Einheiten korporiert, die zur gewaltenteiligen Bewältigung des Lebens beitragen.“52 42 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 762 f.; H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 48. 43 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 22. 44 P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, S. 259. 45 Grundlegend dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 36, 51; ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 70 ff., 86 ff. 46 K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 70 f. 47 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 133 f.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 51. 48 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff., 637 ff. 49 J.-J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 4, (S. 77), II, 15 (S. 103); K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 173. 50 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 37; ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 72. 51 Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff. 52 K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 72.
2. Föderalismus und Regionalismus als Organisationsformen
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Die vielfältige Gliederung eines Staates in kleinere Einheiten kann sich an mehreren Strukturprinzipien orientieren: Nicht nur Föderalismus [2.a)], sondern auch Regionalismus [2.b)] basiert auf dem Primat der kleinen Einheit und dient der Verwirklichung des demokratischen Prinzips und damit der Freiheit.
2. Föderalismus und Regionalismus als Strukturprinzipien gesellschaftlicher Organisationsformen a) Föderalismus aa) Ursprung und Begriff Föderalismus hat semantisch seinen Ursprung in dem lateinischen Begriff „foedus“, der mit Staatsvertrag, Bündnis, aber auch Vertrag, Verbindung, Übereinkunft übersetzt werden kann53. Das heutige Föderalismusverständnis wurzelt in der ersten Verfassung der Vereinigten Staaten, den „Articles of Confederation“ von 177754. Wenige Jahre später hielt der „federalism“ in die bundesstaatliche USamerikanische Verfassung von 1787 Einzug. Die 1787 / 88 unter dem Titel „The Federalist“ veröffentlichten Aufsätze von Hamilton, Madison und Jay55 gelten als grundlegende Werke zum Föderalismus und sind noch heute Bestandteil der amerikanischen Verfassungslehre. Die amerikanische Föderalismuslehre beeinflusste auch die deutsche Verfassungsdiskussion im 19. Jahrhundert. So formte der englische Begriff „federalism“ einen Teil der deutschen Rechtsprache und war bis Mitte des Jahrhunderts der deutschen Schreibweise „Föderalismus“ gleichgestellt 56. Das föderale Prinzip hat in verschiedenster Ausprägung seit der Gründung des deutschen Nationalstaates Einzug in die unterschiedlichen deutschen Verfassungen genommen57 und ist bis heute Wesensbestandteil der deutschen Rechtslehre. Unter Föderalismus ist nach Hesse die „freie Einung von differenzierten, grundsätzlich gleichberechtigten, in der Regel regionalen politischen Gesamtheiten, die auf diese Weise zu gemeinschaftlichem Zusammenwirken verbunden werden sollen“58 zu verstehen. Es handelt sich um ein politisches Gestaltungsprinzip von Rechtsgemeinschaften. Föderalismus kommt im Aufbau und in den Funktions53 Langenscheidts Großes Schullexikon Latein, 8. Aufl. 1991, S. 486. Zudem kann er auch in einem dichterischen Kontext die Bedeutungen „Bestimmung“, „Gesetz“, „Anordnung“ oder „Zusage“ annehmen. 54 Zum US-amerikanischen Prozess der Verfassungsgebung siehe D. Waibel, Junges Volk mit alter Verfassung, JuS 41 (2001), S. 1048 ff. m. w. N. 55 A. Hamilton / J. Jay / J. Madison, The Federalist, 1787 / 88; (deutsche Ausgabe) F. H. Ermacora (Hrsg.), Der Föderalist von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, 1958. 56 E. Deuerlein, Föderalismus, 1972, S. 12; H. Maier, Der Föderalismus – Ursprünge und Wandlungen, AöR 115 (1990), S. 213 f. 57 Kap. III.1.a) zum historischen Abriss des deutschen Bundesstaates. 58 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, S. 97.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
mechanismen von gesellschaftlichen Verbindungen zum Tragen, indem er diese Bünde auf einen Interessensausgleich zwischen gemeinsamen und unterschiedlichen Zielen ausrichtet. Die Vielfalt der Interessen ist in der Heterogenität der Vertragspartner begründet und kann beispielsweise historischer, ethnischer, kultureller, sozialer oder ökonomischer Art sein. Eine viel zitierte Formel des Föderalismus ist „Einheit in der Vielfalt“ bei gleichzeitiger „Vielheit in der Einheit“59. Dieser Ausgleich kann wie folgt formuliert werden: „Föderalismus lebt von der Anerkennung und Bejahung der Vielfalt in Einheit, vom Willen zur Anerkennung der je besonderen Eigenarten ebenso wie von der Bejahung der Einheit“60. Es entspricht demnach dem föderalistischen Prinzip, den Bestand der Gemeinschaft durch Hervorhebung der Gemeinsamkeiten zu sichern, bei gleichzeitiger Wahrung der Eigenständigkeit und folglich Heterogenität der einzelnen Glieder. Föderalismus ist die „Verbindung mehrerer Größen zu einer größeren, übergreifenden Organisation bei grundsätzlicher Erhaltung der Teile“61. Wesenselement ist die „freie Einung“62, die Schließung eines Bundes durch Vertrag oder Verfassung63.
bb) Ausprägungsformen Es würde dem Föderalismus als umfassendes Strukturierungsprinzip nicht gerecht, ihn auf die Anwendung einzelner Verbindungsformen, wie z. B. der des Bundesstaates, zu reduzieren64. Allerdings ist er „keine in sich geschlossene Lehre oder gar ein System“65. Ein Wesensmerkmal des Föderalismus ist die Vielfalt66. Die Verwirklichung des Föderalismus ist in unterschiedlichen Rechtsformen möglich. Typischerweise findet Föderalismus in Bundesstaaten oder Staatenbünden Verwirklichung67. Lübbe bestreitet die Anwendbarkeit des Föderalismus in Staa59 C. J. Friedrich zitiert in R.-O. Schultze, Föderalismus als Alternative?, in: D. Nohlen / J. J. González Encinar (Hrsg.), Der Staat der Autonomen Gemeinschaften in Spanien, 1992, S. 201; siehe auch H. Bülck, Föderalismus als internationales Ordnungsprinzip, VVDStRL 21 (1964), S. 2. 60 M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Europäischer Föderalismus im 21. Jahrhundert, 2003, S. 28. 61 R. Herzog, Föderalismus, in: H. Kunst / R. Herzog / S. Grundmann (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl. 1987, Sp. 914. 62 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 97. 63 Zu der Unterscheidung eines echten von einem unechten Bundesstaat siehe Kap. II. 3.a)bb). 64 E. Deuerlein, Föderalismus, S. 306 f. 65 K. Stern, Staatsrecht I, S. 660. So auch O. Kimminich, Der Bundesstaat, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 8 f. 66 K. Lang, Die Philosophie des Föderalismus, 1971, S. 69; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 3. 67 I. d. S. O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 1; siehe auch A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 184, die zudem auch auf die fließenden Übergangsformen hinweist.
2. Föderalismus und Regionalismus als Organisationsformen
43
tenbünden, da er eine bundesstaatliche Ordnung voraussetzt68, wobei Anschütz die vornehmste Realisationsform des Föderalismus im Staatenbund sieht: „Den reinen Föderalismus wollen heißt den Staatenbund wollen, und den Staatenbund wollen, heißt die nationale Einheit nicht wollen“69. Die möglichen Organisationsformen föderalistischer Prägung sind selbst äußerst vielfältig, und jede einzelne ist ein Unikum in Zeit und Raum70. Sowohl in einem Bundesstaat, einer res publica composita71, als auch in einem Staat wird unter Föderalismus die Aufrechterhaltung der (existentiellen) Staatsqualität der die Einheit bildenden Staaten verstanden72. Auch wenn Föderalismus und Bundesstaatlichkeit nicht gleichgesetzt werden können und einer Trennung bedürfen, ist es nicht statthaft, Föderalismus als „politisches Prinzip ohne unmittelbare Verfassungsrelevanz“ einzustufen „wohingegen Bundesstaatlichkeit der juristische Terminus ist“73. Außerhalb eines rechtlichen Rahmens hat Föderalismus keine Existenz. Zudem ist der Begriff in seiner adjektivischen Form Bestandteil des Grundgesetzes. Durch die Nennung der „föderativen Grundsätze“ in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ist die Verfassungsprinzipienhaftigkeit nicht zu negieren. Bereits die Übersetzung des lateinischen Ursprungs, der „foedus“, mit Staatsvertrag indiziert ein eigenständiges juristisches Konzept. Jedes politische Prinzip bedarf in einer Republik der Legalität willen (verfassungs-)rechtliche Verankerung. Nach Kant ist Politik „ausübende Rechtslehre“74. Es zeugt von einem liberalistischen Staatsverständnis, Gesellschaft vom Staat zu trennen75 und somit einen Gegensatz von Politik und Recht erkennen zu wollen76, den es gemäß einem republikanischen Freiheits- und somit Staatsverständnis nicht geben kann77. Es ist an der Politik, den Staatszweck einer jeden Republik zu verfolgen, der das gute 68 H. Lübbe, Föderalismus im 21. Jahrhundert, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Europäischer Föderalismus im 21. Jahrhundert, 2003, S. 15. 69 G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 12; Herv. i. Orig. 70 H. Kilper / R. Lhotta, Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 16; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, 1998, S. 223. 71 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, AöR 115 (1990), S. 269; ders., Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 16. 72 I. d. S. O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 2; V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäischer Föderalismus, 2000, S. 58. Zu der Unterscheidung zwischen Bundesstaat und Staatenbund Kap. II.3.a) und II.3.b). 73 So aber K. Wendland, Spanien auf dem Weg zum Bundesstaat?, 1998, S. 22. 74 I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 229. 75 So auch das Bundesverfassungsgericht: „Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“; BVerfGE 7, 198 (204). Vgl. K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, DÖV 28 (1975), S. 437 ff. 76 Grundlegend statt vieler C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 125 ff. 77 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 157; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 227 m. w. N.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
Leben aller in allgemeiner Freiheit ist78. Herrschaft als Relikt des monarchischen Prinzips ist mit der Idee der Freiheit staatlicher Gemeinordnungen nicht vereinbar, da der Wille der Staatsführung nicht allgemeiner Wille ist. Nur der „vereinigte Wille des Volkes“79 kann allgemeine Gesetze und somit das Gesetz aller hervorbringen, unter dem ein jeder Bürger „unabhängig von eines anderen nötigender Willkür“80 entfalten kann und somit frei ist81. Politisches Handeln sowie jegliches Handeln muss den allgemeinen Gesetzen, den Gesetzen die das Gemeinwesen sich selbst in freier Selbstbestimmung gegeben hat, und somit dem Recht entsprechen, um nicht despotisch und somit freiheitsraubend zu sein82. Ein Prinzip ohne Verfassungsrelevanz ist kein Rechtsprinzip und folglich nicht politisch. Auch ist Föderalismus in bundesstaatlichen (aber auch staatenbündischen) Verfassungen unmittelbar verankert, da diese den Willen zur Aufrechterhaltung der Selbständigkeit in der Einheit, das Ziel des Föderalismus, widerspiegelt. Ohne eine verfassungsrechtliche Verankerung des Föderalismus ist keine föderale Staatsform konstituierbar, auch kein Bundesstaat oder Staatenbund. Die unmittelbare Verfassungsrelevanz wird durch die Charakterisierung des Föderalismus als „staatstheoretischen Begriff“83, die Konstituierung Deutschlands durch das Grundgesetz als „föderale Republik“84, aber auch die Einstufung als „Wesenselement der demokratischen Ordnung“85 und „Gestaltungsprinzip jeglicher Gemeinschaftsordnung“86 unterstrichen. Der Akt des Zusammenschlusses selbstständiger Glieder ist konstitutiv für eine föderale Ordnung. Entweder schließen Staaten einen Bundes- oder aber einen Verfassungsvertrag87. Eine föderale Verbindung kann in engen Grenzen aus der Aus78 So bereits Aristoteles: „Der Staat ist nun eine Gemeinschaft von Ebenbürtigen zum Zwecke eines möglichst guten Lebens.“ Aristoteles, Politik, 1328a, S. 36 f. Dazu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23 ff. In Ansätzen kommt auch Triepel zu diesem Ergebnis, der allerdings in engen Grenzen die Existenz politischer Fragen, die keine Rechtsfragen sind, annimmt; H. Triepel, Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern. Beiträge zur Auslegung des Artikels 19 der Weimarer Reichsverfassung, 1923, S. 15 ff. 79 I. Kant, Metaphysik der Sitten, 1797 / 1798, S. 432. 80 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. Dies ist die äußere Freiheit. Sie bedarf der inneren Freiheit aller Menschen als die Pflicht zur Achtung des kategorischen Imperativs, des Sittengesetzes, nach der die freie Willkür die äußere Freiheit der anderen achtet. Die deontische Formel des kategorischen Imperativs nach Kant lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie allgemeines Gesetz wäre“, ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785 / 1786, S. 140. 81 Zur Freiheitslehre siehe insbesondere K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, i. E., 4. Kap. 82 Art. 20 Abs. 3 GG; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 92 ff. m. w. N. 83 H. Lübbe, Föderalismus im 21. Jahrhundert, S. 15. 84 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 85. 85 R. Sturm, Föderalismus in Deutschland, 2001, S. 147. 86 F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. 2, 1970, S. 623. 87 Dazu siehe Kap. II.3.
2. Föderalismus und Regionalismus als Organisationsformen
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differenzierung besonderer Art eines einheitlichen Gebildes hervorgehen88. Hierzu ist es notwendig, dass die Verfassung des Einheitsstaates ihre Geltung verliert und sich stattdessen auf dem (ehemaligen) Staatsgebiet des Einheitsstaates mehrere Staaten konstituieren. Diesen steht aufgrund ihrer existentiellen Staatseigenschaft zu, einen Bund zu schließen; eine Entscheidung, die die jeweiligen Völker nach dem Prinzip der Freiwilligkeit entscheiden müssen. Folgende Definition soll somit dieser Arbeit zugrunde gelegt werden: Föderalismus ist ein Gestaltungsprinzip einer aus existentiellen Staaten zusammengesetzten Rechtseinheit, einem Bund, das die vielfältige wechselseitige Beeinflussung der Glieder und des Gemeinschaftsverbundes in einem Gleichgewicht hält und durch diese Stabilisierungsfunktion sowohl die Glieder als auch die Einheit in Bestand und ihren charakteristischen Eigenschaften sicherstellt 89.
cc) Abgrenzung des Föderalismus von verwandten Konzepten Der Notwendigkeit einer besonderen Absicherung des Gleichgewichts in Staatsverbindungen liegt die Annahme vorhandener zentrifugaler und zentripetaler Kräfte mit destabilisierender Wirkung zugrunde. Finden zentrifugale Kräfte kein Gegengewicht, kann sich die eingegangene Einheit lösen oder auseinander fallen. Den zentrifugalen Kräften wirken im Gleichgewichtszustand zentripetale entgegen. Somit wird der Föderalismus von Unitarismus und Separatismus unterschieden. Am Beispiel von Bundesstaaten erläutert, stellt Anschütz folgenden Zusammenhang her: „Je weiter das Selbst- und Mitbestimmungsrecht (der Länder) reicht, desto föderalistischer ist die Bundesstaatsverfassung, je schmaler beides bemessen ist, desto unitarischer ist sie.“90
Allgemeiner formuliert Stern, der ebenso auf die Machtbalance zwischen Eigenständigkeit und Uniformität abstellt, nach dessen Verständnis föderalistische Kräfte Stärkung und Aufgaben- und Befugnisanreicherung der Glieder anstreben, während unitarische Kräfte die Rechtseinheit festigen91. Unitaristische Elemente fin88 Für den Bundesstaat lehrt Nawiasky: „Ein Bundesstaat kann nun dem tatsächlichen, politischen Verlauf nach in zweierlei Art ins Leben treten. Entweder schließt sich eine Mehrzahl von Staaten zu einem bundesstaatlichen Gebilde zusammen oder ein Einheitsstaat lockert sein geschlossenes Gefüge und wandelt sich in einen Bundesstaat um“; H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, 1920, S. 137 f. Siehe auch C. J. Friedrich, Nationaler und internationaler Föderalismus in Theorie und Praxis, PVS 5 (1964), S. 166. 89 Vgl. Definitionen bei O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 1; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 97. 90 G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 12; Klammersatz hinzugefügt. 91 K. Stern, Staatsrecht I, S. 661; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 49; siehe aus der spanischen Literatur auch J. Lorés, Federalismo y unitarismo, in: Federalismo y estado de las autonomías, 1988, S. 103 ff.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
den im Föderalismus Verwirklichung, da Föderalismus nicht nur auf den Bestand der Glieder, sondern auch auf den der Rechtseinheit abzielt. Beide Prinzipien können nebeneinander Verwirklichung finden und Bestand haben92. Föderalismus sieht sich erst dann im Gegensatz zum Unitarismus, sobald die zentralistischen Kräfte „Identitätsmerkmale und Funktionsformen der Einzelteile“ 93 in ihrem Bestand gefährden94. Folglich handelt es sich nicht um Antonyme. Sobald die Machtzentrierung des Unitarismus auf die Aufhebung der Selbstständigkeit der einzelnen Glieder abzielt, ist ihm begrifflich der Separatismus entgegenzusetzen. Separatismus, als eine extreme Form des Partikularismus, der Sonderinteressen eines Teilgebietes verfolgt und im Extremfall den Zweck des Bündnis in Frage stellen kann95, ist auf die Aufhebung des Bündnisses und somit die vollständige Lösung aus der bestehenden Gemeinschaft gerichtet. Die Grenzen zwischen Föderalismus und Partikularismus aber auch zum Unitarismus sind fließend und lassen sich nur schwer bestimmen. Grund hierfür ist, dass der Föderalismus ein Unterbegriff des Pluralismus ist96, der vielgliedrige Ordnungen und Anschauungen zulässt97. Im Föderalismus können mehrere, voneinander unterschiedene Standpunkte gleichberechtigt Geltung finden. Die Idee eines Ausgleichs zwischen Einheit und Vielfalt, die dem Föderalismus zugrunde liegt, bedeutet folglich, dass weder partikulär-egoistische noch zentralistische Kräfte Einheit und Selbstständigkeit gefährden98. Diesen Aspekt hebt Schultze heraus, der von der „Vermittlung gegensätzlicher Zielvorstellungen, die man schematisch entlang eines bipolaren Kontinuums darstellen kann“99, spricht.
92 G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 11; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 50 ff. 93 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 183 f. 94 Hesse unterscheidet von Unitarisierung als „Zurücktreten regionaler Besonderheiten“ die Zentralisierung als „den Abbau oder die Schwächung territorial oder funktional differenzierter öffentlicher Gewalten zugunsten einer zentralen öffentlichen Gewalt“; K. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, in: FS für Gebhard Müller, 1970, Fn. 8, S. 143. 95 B. Pfeifer, Probleme des spanischen Föderalismus, 1998, S. 17; siehe auch J. I. del Burgo, Basken und Katalanen, in: R. Glagow (Hrsg.), Spanien und Europa, 2001, S. 21 ff. 96 E. Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, in: ders. (Hrsg.), Deutschland und die westlichen Demokratien, 1991, S. 311; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 184. 97 Abzulehnen ist die Klassifizierung Graf Kinskys, der dem Föderalismus nicht den Partikularismus, sondern die Anarchie entgegenstellt; F. Graf Kinsky, Föderalismus als Gesellschaftsmodell, in: M. Piazolo / J. Weber (Hrsg.), Föderalismus, 2004, S. 291. 98 „1. Die Lebensinteressen des Ganzen dürfen nicht durch partikulare Egoismen gefährdet werden. 2. Was das Land ohne Schädigung des Ganzen tun kann, das soll es auch allein tun, denn es hat den Vorteil der Sachnähe.“ Carlo Schmid zitiert in W. Haegert, Organe der Länder auf Bundesebene?, NJW 14 (1961), S. 1139. 99 R.-O. Schultze, Föderalismus als Alternative?, S. 201.
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dd) Föderalismus als Verwirklichung des allgemeinen Willens Föderalismus ist Ausdruck der Staatseigenschaft von Gemeinwesen. Es ist kein Prinzip, das zur Erlangung seiner Gültigkeit der Bildung eines allgemeinen Willens bedürfte, sondern ist vielmehr als Bestätigung der Deklaration einer verfassten Bürgerschaft, Staat zu sein, zu verstehen: „Föderalismus dient zunächst der Freiheitssicherung“100. Bundesstaatlicher und staatenbündischer Föderalismus bedeutet die Aufrechterhaltung der Staatsqualität der Glieder in der größeren Einheit. Der Vertrag über die Staatenverbindung begründet nicht den Föderalismus, sondern klärt seine Ausprägung. Die Geltung des Föderalismus ist Konsequenz der Existenz staatlicher Verfasstheit, gesichert durch die Verfassungshoheit der Staaten. Es steht nur der einen Staat begründenden Bürgerschaft zu, ihre eigene Staatsqualität aufzuheben. „Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“101, so die Definition nach Kant102. Das Recht auf staatliche Konstituierung ist ein dem Mensch innewohnendes Recht, ein „Rechtsgesetz der Natur“103. Dies folgt aus der menschlichen Verfassung, dem Recht auf Freiheit. „Es gibt keine Freiheit ohne Recht, und es gibt kein Recht ohne Staat“104. Jeder zu einem Staat verfassten Bürgerschaft, dem pouvoir constituant105, ist das Recht der eigenen Verfassungsgebung zu eigen106. Es ist ein nur dem Volk innewohnendes Recht, in dem es nicht vertreten werden kann107. Lediglich das Recht zur Verfassungsänderung ist in begrenztem Umfang einem pouvoir constitué, einem von der Verfassung eingesetzten verfassungsändernden Gesetzgeber, übertragbar. Änderungen, die die existentielle Staatlichkeit selbst betreffen, sind von einer derartigen Übertragung ausgenommen und dem pouvoir constituant vorbehalten108. Föderalismus bestätigt dieses jeder Bürgerschaft innewohnende Recht zur Selbstbestimmung109: hebt der pouvoir constituant, die Bürgerschaft eines Staates, durch einen konstitutionellen Akt nach Maßgabe der selbst gegebenen M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 30. I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. 102 Ausführlich zu dem Staatsverständnis, auf dem diese Arbeit beruht, siehe Kap. II.1. 103 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 374. 104 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 42. 105 Dazu siehe D. Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, HStR, Bd. I, 3. Aufl. 2003, § 1, Rdn. 29; H.-P. Schneider, Die verfassungsgebende Gewalt, HStR, Bd. VII, § 158, Rdn. 10; T. Maunz, Die verfassungsgebende Gewalt im Grundgesetz, DÖV 6 (1953), S. 645 ff. 106 Siehe auch Kap. V.1.b). 107 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 68, 87. 108 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 83 ff., insbesondere S. 84, 87. 109 Siehe Art. 1 Nr. 2 UN-Charta; Art. 1 Abs. 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1966 (BGBl. 1973 II 1553); Art. 1 Abs. 1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 1966 (BGBl. 1973 II 1570); vgl. auch A. Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl. 1964, S. 574 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 114 ff.; K. Ipsen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 363 ff. 100 101
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Verfassung nicht selbst seinen artikulierten Willen zur Konstituierung eines Staates auf, kann der bestehende Staat nicht untergehen110. Ein Vertrag über die gemeinsame Ausübung von Staatlichkeit kann nicht als der Wille der jeweiligen Verfassungsgeber, ihre Staaten aufzulösen, gedeutet werden, fehlt es hierbei doch an dem notwendigen Willensbildungsprozess der Bürgerschaft und formalen Requisiten. Auch rechtfertigt die gemeinsame Ausübung von Staatlichkeit111 nicht, die Verfassungshoheit existentieller Staaten zu missachten. Zusammenfassend ist Föderalismus kein aus dem Bundesvertrag oder der Bundesverfassung erwachsendes Prinzip der Aufrechterhaltung von Staatsqualität, sondern allein die aus dem Recht auf Recht abgeleitete Achtung der Verfassungshoheit einer bestehenden, zu einem Staat verfassten Bürgerschaft. Föderalismus ist somit ein Ausdruck der Freiheit von Gemeinwesen. Als unmittelbare Konsequenz des Selbstbestimmungsrechts der Völker112 bedarf er keiner weiteren Legitimation. Die Frage nach dem Sinn kann man auf einer anderen Ebene stellen, die der Merkmale der staatlichen Organisation als Staatenbund oder Bundesstaat113.
ee) Beziehung zum Subsidiaritätsprinzip Abschließend ist das Verhältnis von Subsidiarität und Föderalismus zu klären. Grimm weist darauf hin, dass vor allem in Staaten ohne föderale Tradition häufig beide Konzepte gleichgesetzt werden114. Es handelt sich weder um Synonyme, noch sind die Prinzipien voneinander abhängig. Um derartige Missverständnisse zu vermeiden, ist eine Klärung vonnöten. In Europa kommt Föderalismus beispielsweise in den bundesstaatlichen Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Österreich und Belgien zum Ausdruck115, wirkt aber auch in Bezug auf den Zusammenhalt der EU selbst116. Wie dargelegt, handelt es sich um ein Prinzip, das eine Verbindung von existentiellen Staaten voraussetzt und die Aufrechterhaltung deren Staatsqualität sichert. Das Subsidiaritätsprinzip dagegen ist eine Maxime, die die Zuweisung von Zuständigkeiten auf verschiedene Organisationsebenen mit Primat der kleinen Ein110 Gefolgert aus dem Recht auf Recht muss gleichzeitig gesichert sein, dass kein Mensch ex constitutione steht, das heißt, seine Eigenschaft als Bürger eines Staates verliert; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 86 f. 111 Siehe Kap. V.1.a)dd). 112 Vgl. Fn. 109. 113 Dazu Kap. II.3. 114 D. Grimm, Effektivität und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, KritV 77 (1994), S. 7. 115 Für Spanien wird noch das Ausmaß der bundesstaatlichen Ausprägung in Kap. IV.8.a) zu prüfen sein. 116 V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, S. 57. In Kap. V.1 wird gezeigt, dass die EU ein Bundesstaat ist.
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heit117 regelt118. Die kleinere Einheit ist aufgrund ihrer Sach- und Bürgernähe der größeren Einheit vorrangig berechtigt, die Lebensbewältigung durch allgemeine Gesetzlichkeit sicherzustellen. Erst wenn die kleinere Einheit eine Regelung nicht in gleichwertiger Weise treffen kann, wird die nächst größere Einheit zuständig. Das Prinzip hat seinen Ursprung in der katholischen Soziallehre und wurde 1931 von Papst Pius XI in der Enzyklika „Quadragesimo Anno“119 zur Stärkung des kirchlichen Einflusses im Verhältnis zu den Nationalstaaten niedergeschrieben, findet jedoch bereits in früheren Schriften Niederschlag120. Anders als der Föderalismus ist seine Anwendung nicht auf Verbindungen zwischen Staaten begrenzt, sondern kann in allen gesellschaftlichen Organisationsformen Ausdruck finden. Heute soll das Subsidiaritätsprinzip freiheitssichernde Effekte entfalten, indem es Tätigkeiten auf bürgernaher Ebene ansiedelt und vor Zentralismus schützt, solange die Aufgaben von der kleinen Einheit geleistet werden können121. Es handelt sich um ein menschenrechtliches Prinzip zur Persönlichkeits- und Freiheitsentfaltung der Menschen. Dieses menschenrechtliche Subsidiaritätsprinzip, das Privatheitsprinzip, konstituiert den Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung122. Das Subsidiaritätsprinzip setzt an einem stufenförmig gegliederten Aufbau und konkurrierenden Zuständigkeiten an123, die naturgemäß in Verbindungen mit föderaler Prägung gegeben, aber auch bei dezentralen Einheiten von unitarisch organisierten Staaten vorzufinden sind. Als Zuständigkeitsverteilungsmaxime mit VorDazu Kap. II.1.c). K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 85 m. w. N. Siehe ausführlich Kap. VI.3.c). 119 Dort heißt es: „Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen. Zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär, sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen und aufsaugen.“; Papst Pius XI, Quadragesimo Anno. Enzyklika über die Gesellschaftliche Ordnung v. 15. 05. 1931, Nr. 79. (Zitat auch in J. Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, 1968, S. 19.) 120 Vgl. T. Bainbridge / A. Teasdale, The Penguin Companion to European Union, 1996, S. 430; W. Hilz, Bedeutung und Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips für den europäischen Integrationsprozess, Aus Politik und Zeitgeschichte v. 21. 05. 1999, S. 28. 121 M. Heidenhain, Subsidiaritätsprinzip, EuZW 4 (1993), S. 73; S. U. Pieper, Subsidiarität, 1994, S. 30 ff.; S. Oeter / R. Lhotta, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, ZfPar 30 (1999), S. 800 f. 122 O. Kimminich, Subsidiarität und Demokratie, in: ders. (Hrsg.), Subsidiarität und Demokratie, 1981, S. 11; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 370 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, 2003, S. 51 ff. 123 K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 121; i. d. S. auch F.-L. Knemeyer, Die Europäische Regionalcharta, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 82. 117 118
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rang der kleinen Einheit ergänzt das Subsidiaritätsprinzip den Föderalismus, der die Selbstständigkeit kleiner Einheiten sichert, und kann als „föderaler Grundsatz“124 bezeichnet werden. Jedoch ist er nach Ansicht einiger Autoren weder ein „grundlegendes Element der Föderalismustheorie“125, ohne das es keinen Föderalismus gibt, noch ein „dem Bundesstaat wohl immanentes Strukturprinzip“126. Diese Ansicht vertritt Lambers, der auf einen Fall hinweist, bei dem „Föderalismus auch sehr gut ohne Subsidiaritätsprinzip konzipiert sein (kann), wenn nämlich die Kompetenzen klar abgegrenzt sind, eine Kompetenzvermutung besteht und auf das Konzept konkurrierender Kompetenzen verzichtet wird“127. Dieser Auffassung zufolge besteht keine zwingende Symbiose zwischen Föderalismus und Subsidiarität, wenn jedoch konstatiert werden muss, dass üblicherweise der Flexibilität halber konkurrierende Zuständigkeiten als unumgänglich angesehen werden. Lerche negiert jeglichen Zusammenhang zwischen beiden Prinzipien und schließt eine Übertragung des gesellschaftsföderalen Gedankenguts in den staatlichen Bereich des Föderalismus aus128. Hier wird der herrschenden Lehre gefolgt, nach der Föderalismus „in enger Beziehung zum Subsidiaritätsprinzip“129 steht, da beide Prinzipien ihren Ursprung im Primat der kleinen Einheit haben. In der EU ist das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 Abs. 2 EGV und im Amsterdamer Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit von 1997 verankert; das Grundgesetz enthält in Art. 72 Abs. 2 den Subsidiaritätsgrundsatz. In der EU handelt es sich um ein hochaktuelles Thema130, aber auch in Deutschland hat vor allem das Altenpfleger-Urteil131 die Diskussion um Art. 72 Abs. 2 GG neu entfacht und eine neue Richtung gegeben132. In der EU wurden die Forderungen nach Verankerung und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips im Gemeinschaftsrecht zur Wahrung der subnationalen Gebietskörperschaften anfangs vor allem von den deutschen Ländern erhoben.
H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, 1997, S. 80. So aber H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 80. 126 A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 48 (1993), S. 328. 127 H.-J. Lambers, Subsidiarität in Europa, EuR 28 (1993), S. 233; Klammersatz hinzugefügt. Vgl. auch H. Heberlein, Subsidiarität und kommunale Selbstverwaltung, NVwZ 14 (1995), S. 1054. 128 P. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, VVDStRL 21 (1964), S. 74 f. 129 K. Stern, Staatsrecht I, S. 660 m. w. N. 130 Siehe Kap. VI.3.c). Das Bundesverfassungsgericht hat im Maastricht-Urteil erklärt, dass das Subsidiaritätsprinzip justiziabel und von ihm selbst zu verantworten ist; BVerGE 89, 155 (189, 193, 198, 201, 210 ff.). 131 BVerfGE 106, 62 ff. 132 Dazu Kap. III.2.a)aa)(2). 124 125
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b) Regionalismus Nicht weniger vielfältig als der Föderalismus ist der Regionalismus. Der Notwendigkeit einer präzisen Definition, die als Grundlage der anschließenden Erörterung dienen soll, stehen unterschiedliche Anwendungsgebiete und Bedeutungen entgegen133. Seinen Ursprung als politische Bewegung gegen zentralistische Staatlichkeit nahm der Regionalismus während der Präsidentschaft M. Mac-Mahons (1873 – 1879) in Frankreich134. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert hatte die gesellschaftliche Mobilisierung auch in Italien und Spanien Fuß gefasst. Ziel war die politische Aufwertung der Provinzen. Der Bezeichnung wurden allerdings auch andere Bedeutungen als der eines „politischen Kampfbegriffs“135 zugeschrieben. Zudem soll Regionalismus auch ein Wort für Zusammenschlüsse aneinander grenzender Staaten sein136. Erst seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wird unter Regionalismus zudem wieder eine gesellschaftspolitische Erscheinung im innerstaatlichen Bereich verstanden137. Im Rahmen rechtswissenschaftlicher Erörterungen dieser Arbeit muss der Begriff verfassungsrechtlich bestimmt werden. Es wird das aktuell dominierende Regionalismusverständnis zugrunde gelegt138: Regionalisierung ist die Bemühung gesellschaftlicher Gruppen, die von einem besonderen Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt sind, nach verstärkter Selbstbestimmung zur Wahrung der sie charakterisierenden Eigenheiten. Regionalismus ist das diesen Anstrengungen zugrunde liegende politische Verständnis, das sich gegen eine zentralistische Form der Staatsführung richtet, durch die die Identität dieser Gruppen bedroht wird. Zielsetzung ist die verfassungsrechtliche Verankerung von Selbstbestimmungsrechten. Aufgrund der begrifflichen Nähe werden Regionalisierung und Regionalismus häufig gleichgesetzt139. 133 F.-L. Knemeyer, Region – Regionalismus, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 25 ff.; M. Keating, Zur Politischen Ökonomie des Regionalismus, in: U. Bullmann (Hrsg.), Regionale Modernisierungspolitik, 1997, S. 77 ff.; G. Stiens, Zur Wiederkunft des Regionalismus in den Wissenschaften, in: Informationen zur Raumentwicklung 5 / 1980, S. 315 ff. 134 Stichwort „Regionalismus“ in: Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Onlineausgabe, 20. Aufl. 2004, o. S. 135 R.-O. Schultze / R. Sturm, Regionalismus, in: D. Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 3, 1994, S. 405. 136 H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 47. 137 In internationalen Bündnissen wie der NATO oder der EG wurde bereits zuvor unter Regionalismus die militärische oder ökonomische Zusammenarbeit regionaler Partner verstanden; R.-O. Schultze / R. Sturm, Regionalismus, S. 404. 138 Vgl. Definition bei D. Gerdes, Regionalismus, in: D. Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, 1991, S. 588. 139 H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 47. Anderer Ansicht ist Theissen, der nach dem Initiator unterscheidet und unter Regionalisierung „seitens des Nationalstaats vorgenommene Dezentralisierungsmaßnahmen“ versteht; R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, 1996, S. 33.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
Ausgehend von dieser Definition soll im Folgenden der Ursprung regionalistischer Initiativen analysiert werden. Stets ist Regionalismus an ein Territorium, eine Region gebunden, auf das er sich bezieht [aa)]. Zudem bestehen typischerweise weitere Voraussetzungen [bb)]. Nach der Analyse der großen Bandbreite möglicher Zielsetzungen [cc)] kann die obige allgemeine Begriffsbestimmung in Bezug auf das Ziel dieser Arbeit präzisiert werden [dd)]. Dabei ist die Abgrenzung des Regionalismus vom Föderalismus als wesensverschiedene Konzepte, die lediglich partielle Gemeinsamkeiten aufweisen, entscheidend für das Verständnis der Diskussion beider verfassungsrechtlichen Prinzipien im Rahmen der europäischen Integration.
aa) Abgrenzung der Region (1) Allgemeine Erwägungen Auch wenn durch die Globalisierung, getragen durch zunehmende internationale Verflechtung von Wirtschaft und Politik, ein Großteil der menschlichen Lebensbewältigung in globale Prozesse eingeflochten ist, ist festzustellen, dass kleine Einheiten, unter anderem Regionen, an Bedeutung gewinnen140. „Region“ ist zum Fachbegriff unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen und somit zu einer Vokabel mit einer Fülle an Bedeutungen geworden. Eine geringe Auswahl an Beispielen, wie die Klimaregion, Tourismusregion, Planungsregion, Wirtschaftsregion, Sprachregion oder die Kulturregion zeigt bereits die Bedeutungsvielfalt, die der Begriff in Naturwissenschaften, Geographie, oder Wirtschafts- und Sozialwissenschaften annehmen kann. Die rechtliche Dimension liegt schon in seinem lateinischen Ursprung begründet. Region leitet sich aus dem lateinischen Wort regio141 ab, das als „Gebiet“, „Gegend“, „Bereich“, aber auch „Richtung“, „Grenze“, oder „Landstrich“ übersetzt werden kann. Er stammt aus der Wortfamilie um das Verb regere (gerade richten, lenken, herrschen), dem die deutschen Begriffe „Regiment“, „Regierung“ und auch „Recht“ entstammen142. Die Region im juristischen Sinn ist eine räumlich zusammenhängende, durch soziale Gemeinsamkeiten verbundene Einheit143. Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts wie Provinzen, Departements, die deutschen Länder als staatliche oder die Beneluxregion als überstaatliche Einheiten können als Region aufgefasst 140 K. Möckl, Der Regionalismus und seine geschichtlichen Grundlagen, in: F. Esterbauer (Hrsg.), Regionalismus, 1978, S. 17 f.; G. Wood / A. Komlosy, Die Wiederkehr der Region und ihre Hintergründe, BHSK 27 (1997), S. 3; C. Breuer, Europäische Integration und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, 2001, S. 79 f. 141 Langenscheidts Großes Schullexikon Latein, S. 1024. 142 So auch nach T. Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen Europas, 1996, S. 23. 143 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 277 f.; M. Wickel, Zur rechtlichen Organisation von Regionen, DÖV 54 (2001), S. 838 f.
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werden144. Somit sind weder Einwohnerzahl noch rechtlicher Status Abgrenzungskriterien einer Region145. Eine Planungsregion bedarf keiner Einwohner, wohingegen Nordrhein-Westfalen oder Bayern Länder mit einer Bevölkerung in zweistelliger Millionenhöhe sind. Neben den verschiedenen Zuständigkeiten kann eine Gebietskörperschaft zudem unterschiedliche Rechtsqualität annehmen. Deutsche Länder sind existentielle Staaten, während in anderen Nationen die Bandbreite von dezentralen administrativen Untereinheiten des Einheitsstaates bis zu Regionen mit ausgeprägter Autonomie reicht. (2) Abgrenzung statistischer territorialer Einheiten (NUTS) Eine Abgrenzung von Regionen in der EU ist durch die „Gemeinsame Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik“146 vorgenommen worden. Sie baut auf die ältere „Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik“ des statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat) auf und ersetzt diese. Es handelt sich um eine unionsweite Klassifikation der Gebietseinheiten für statistische Zwecke, die auch in der Regionalpolitik Bedeutung erlangt147. Dabei handelt es sich um eine hierarchische Einordnung in drei Ebenen, die NUTS (nomenclatures des unités territoriales statistiques) I, II und III, d. h. die zweite und dritte Ebene sind als Untergliederung der ersten respektive zweiten Ebene aufzufassen. Eine Orientierung an bestehenden mitgliedstaatlichen Gebietskörperschaften ist nur bedingt zu erkennen. Entscheidend bei der Festlegung soll einerseits die Einwohnerzahl148 und andererseits die politische und institutionelle Stellung der Regionen sein. Das gebildete Raster gibt jedoch kaum Aufschluss über das Wesen von Regionen. In Deutschland fallen die Länder unter NUTS I, Regierungsbezirke sind auf der Ebene NUTS II eingestuft und unter NUTS III finden sich Landkreise wieder149. Beispielsweise ist Bayern (NUTS I) in Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken und Schwaben gegliedert (NUTS II), Mittelfranken seinerseits in die kreisfreien Städte Ansbach, Erlangen, Fürth, Nürnberg und Schwabach, die Landkreise Ansbach und Fürth, Erlangen144 T. Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen Europas, S. 23; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 224. 145 A. Schink, Die europäische Regionalisierung, DÖV 45 (1992), S. 390; H. Fassmann, Regionalismus, Föderalismus, Supranationalismus, Informationen zur Politischen Bildung Nr. 18, 2001, S. 7 f. 146 ABlEG Nr. C 180 v. 26. 06. 2001. 147 Statistische Daten aus diesen Einheiten, wie z. B. Bevölkerung, Arbeitsplätze und der regionale Anteil des BSP, werden in Deutschland durch das Statistische Bundesamt an Eurostat weitergemeldet. Die Festlegung der Zielgebiete der EU-Regionalförderung orientiert sich an den administrativ festgelegten Regionen. 148 Als Richtschnur gilt NUTS I mit 3 – 7 Mio., NUTS II mit 0,8 – 3 Mio. und NUTS III mit 0,15 – 0,8 Mio. Einwohnern. 149 A. Schink, Die europäische Regionalisierung, S. 389; R. W. Waniek, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 28.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
Höchststadt, das Nürnberger Land, Neustadt an der Aisch-Bad Winsheim, Roth und Weißenburg-Gunzenhausen unterteilt (NUTS III). Bezüglich der Einteilung der Regionen unter Einbezug des rechtlichen Status und der Einwohnerzahl der europäischen Landesteile ergeben sich eine Reihe von Problemen. Die Regionen sind äußerst heterogen. Ein Land wie Nordrhein-Westfalen (NUTS I) überragt den Nationalstaat Luxemburg, der selbst eine einzige Region ist, um ein Vielfaches bezüglich Bevölkerung oder Wirtschaftskraft, ohne dass auf einer NUTS-Ebene eine Untergliederung stattfände: Die Ebenen I bis III stimmen im Falle Luxemburgs stets mit dem Staatsgebiet überein. Bei einem kleinen Nationalstaat ist die intendierte Hierarchisierung nicht durchzuführen. Weiterhin werden Regionen mit Staatscharakter, wie es bei den deutschen Ländern und belgischen régions der Fall ist, Verwaltungsgebieten mit ernannten Amtsträgern gleichgestellt. Regionen, die in ihrer rechtlichen Stellung als gleichwertig bezeichnet werden können, sind nicht immer auf einer Stufe angesiedelt: Die österreichischen Länder, ebenso wie die deutschen Länder Staaten, sind nicht wie zu erwarten auf höchster, sondern lediglich als NUTS II eingestuft. Für statistische und planerische Zwecke mag die Einteilung ihre Berechtigung finden, zur Abgrenzung von Regionen als territoriale Heimat des Regionalismus ist sie jedoch nicht weiterführend. (3) Legaldefinitionen der Region Versteht man Regionalismus als politische Bewegung in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, sind die Regionen auch politisch, d. h. staatsrechtlich, zu bestimmen. Diese Ansicht spiegelt sich auch in der „Erklärung zum Regionalismus in Europa“ vom 04. 12. 1996 der Versammlung der Regionen Europas (VRE), abgehalten in Basel, wieder. Als Region wird ein durch öffentliches Recht begründetes Staatsgebiet mit einem gewissen Maß an Autonomie unterhalb des Nationalstaates definiert: „Die Region ist die unmittelbar unter der Ebene des Staates angeordnete Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts mit politischer Selbstregierung.“ (Art. 1 Abs. 1)
Die Region wird durch Statut oder Verfassung konstituiert, besitzt Rechtspersönlichkeit, das Recht auf Selbstorganisation, eigene Aufgaben und Zuständigkeiten sowie über ein Maß an finanzieller Autonomie. In Deutschland gelten die 16 Länder als Regionen150, in Spanien sind es die 17 Autonomen Gemeinschaften151. Eine weitere Legaldefinition, die die Mehrzahl der angesprochenen Aspekte in sich vereint, findet sich in der am 18. 11. 1988 vom Europäischen Parlament verabschiedete „Gemeinschaftscharta der Regionalisierung“152: 150 151
Hierzu kritisch Kap. VIII.1.b). Versammlung der Regionen Europas (Hrsg.), Tabula Regionum Europae, 4. Aufl. 2002,
o. S. 152
ABlEG Nr. C 326 / 296.
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„Im Sinne dieser Charta versteht man unter Regionen ein Gebiet, das aus geographischer Sicht eine deutliche Einheit bildet, oder aber ein gleichartiger Komplex von Gebieten, die ein in sich geschlossenes Gefüge darstellen und deren Bevölkerung durch bestimmte gemeinsame Elemente gekennzeichnet ist, die die daraus resultierenden Eigenheiten bewahren und weiterentwickeln möchte, um den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben.“ (Art. 1 Abs. 1)
Diese präzise Definition hebt ebenfalls die Notwendigkeit eines räumlichen Zusammenhangs sowie den Zusammenhalt anhand spezifischer, durch die Bevölkerung geteilten Merkmale hervor. Art. 1 Abs. 2 spezifiziert: „Unter ,gemeinsamen Elementen‘ einer bestimmten Bevölkerung versteht man gemeinsame Merkmale hinsichtlich der Sprache, der Kultur, der geschichtlichen Tradition und der Interessen im Bereich der Wirtschaft und des Verkehrswesens. Es ist nicht unbedingt erforderlich, daß alle diese Elemente immer vereint sind.“153
Das aus den beiden Legaldefinitionen resultierende Bild europäischer Regionen ist äußerst heterogen. Zum einen werden Länder, die Staaten sind, aber auch Nationalstaaten als Regionen bezeichnet und stehen reinen Verwaltungsgebieten gegenüber, zum anderen übertreffen manche Regionen andere hinsichtlich Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft um ein Vielfaches.
bb) Konstitutionsbedingungen des Regionalismus Charakteristisch für eine Region sind die „gemeinsamen Elemente“154, die die Bevölkerung einer Region verbinden155. Neben der Bindekraft durch gemeinsame Institutionen, erwachsen die Eigenheiten besonders aufgrund sozialer, ideologischer oder ökonomischer Basis. Als Beispiele seien Sprache, Religion, Kultur, Geschichte oder Wirtschaftsstruktur aufgeführt. Erklärungsansätze für Regionalismus zielen übereinstimmend darauf ab, dass die Entfaltungsmöglichkeiten der identitätsstiftenden Elemente durch staatliche Gewalt beengt werden156. Dabei muss die staatliche Gewalt als funktionale Staatlichkeit verstanden werden, da sowohl in Nationalstaaten als auch in internationalen Organisationen mit umfangreichen Reglungsbefugnissen, wie sie die Europäische Union ist, regionalistische Bewegungen entstehen können. Grundbedingung 153 Vgl. ähnlich auch Art. 259 S. 1 – 2 Verfassung Peru: „Die Regionen werden auf der Grundlage benachbarter, historisch, wirtschaftlich, verwaltungsmäßig und kulturell zusammengehöriger Gebiete errichtet. Sie bilden geo-ökonomische Einheiten.“ 154 Art. 1 Abs. 1 – 2 Gemeinschaftscharta der Regionalisierung. 155 W. Wallace, Regionalism in Europe, in: L. Fawcett / A. Hurrell (Hrsg.), Regionalism in World Politics, 1995, S. 218; C. Breuer, Europäische Integration und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S. 32. 156 P. Häberle, Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten – in Europa, Die Verwaltung 25 (1992), S. 9; H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 43 f.; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 222.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
ist dabei, dass die Ausübung der Staatsgewalt zentralistische Züge trägt, d. h. territoriale Sonderinteressen, die auf die Wahrung regionaler Eigenheiten abzielen, nicht hinlänglich berücksichtigt werden. Eine Institutionalisierung zur Wahrung dieser Interessen ist entweder nicht vorgesehen oder unzureichend ausgestaltet. Die staatsrechtliche Organisationsform ist dabei unerheblich; selbst in Bundesstaaten kann Regionalismus entstehen157. Jedoch ist dies eher die Ausnahme. Ülicherweise tritt das Phänomen in Einheitsstaaten mit zentralistischer Staatsführung auf158. Regionalismus ist eine Bewegung, die sich gegen die Unterdrückung durch eine Zentralmacht und die damit verbundene Gefahr eines Identitätsverlusts wendet. Es ist zu betonen, dass Regionalismus nicht eine Miniaturform des Nationalismus ist. Dieser grenzt sich zu anderen Nationen meist durch eine übersteigerte Selbstwahrnehmung ab und geht mit einer Geringschätzung anderen Völkern gegenüber einher159. Dagegen begründet sich die Verhältnissetzung der eigenen Stellung zu anderen Einheiten im Regionalismus auf ein Zusammengehörigkeitsgefühl durch geteilte Werte und gemeinsam empfundene Unterdrückung. Es wird stets ein klar definierter, legitimer Zweck verfolgt160. Die Unterscheidung zwischen Regionalismus und Nationalismus ist wichtig, weil in Spanien der Begriff des Nationalismus üblicherweise in einer anderen Verwendung zum Tragen kommt. Zwar wird als „Nation“ auch der spanische Nationalstaat bezeichnet, doch werden unter Nationalisten Bürger verstanden, die vom Zentrum wegstreben161. Der Klarheit willen wird das Wort „national“ üblicherweise vermieden und in Bezug auf Staatsverwaltung durch den Begriff „general“ substituiert. Die spezifische Regionalgeschichte wird als entscheidend für die Entstehung von Regionalismus gesehen162. In vielen Fällen kann die Region auf historische Selbstverwaltungsrechte verweisen. Dies ist in Katalonien, dem Baskenland und Galicien der Fall, wo die Regionalisierung abrupt unter der Diktatur Francos ein Ende fand und politische Autonomie aberkannt wurde163. Anderen Regionen, wie Andalusien, fehlt es an einer Tradition eigener Institutionen. Hier kommen „relative Unterentwicklung“164 im wirtschaftlichen Vergleich zum spanischen DurchSiehe Kap. II.2.b)dd) zu dem Verhältnis zwischen Regionalismus und Föderalismus. R. Voigt, Europäischer Regionalismus und föderalistische Staatsstruktur, in: Aus Politik und Zeitgeschichte v. 16. 01. 1989, S. 27; H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 52. 159 Stichwort „Nationalismus“ in: Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Onlineausgabe, 20. Aufl. 2004, o. S.; vgl. auch D. Döring, Regionalismus in der Europäischen Union, 1999, S. 13 ff. 160 Siehe Kap. II.2.b)cc). 161 A. Jiménez Blanco, Zur Situation der autonomen Gemeinschaften in Spanien, in: R. Glagow (Hrsg.), Spanien und Europa, 2001, S. 12. 162 R.-O. Schultze / R. Sturm, Regionalismus, S. 409; siehe auch C. Breuer, Europäische Integration und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S. 32. 163 Zu den historischen Rechten dieser Regionen siehe Kap. IV.1.b). 164 R.-O. Schultze / R. Sturm, Regionalismus, S. 407. 157 158
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schnitt und kulturelle Verbundenheit als Antriebskraft des Regionalismus in Erwägung. cc) Heterogene Erscheinungsformen des Regionalismus Ziel des Regionalismus ist die rechtliche Anerkennung territorialer Besonderheiten. Die Regionen verlangen nach allgemeiner Gesetzlichkeit, nach Rechtssicherheit bezüglich ihrer spezifischen Bedürfnisse. Die staatlichen Reaktionen auf derartige Forderungen fallen unterschiedlich aus. Sie reichen von Ignorieren, über die Gewährung einiger wenig bedeutungsvoller Zugeständnisse, bis hin zur umfangreichen Gewährung autonomer Selbstverwaltungsrechte165. Die eingeräumten juristischen Formen sind wiederum von großen Unterschieden gekennzeichnet; es kommen einzelne Verwaltungs- oder Sonderrechte, regionale Autonomie oder sogar eine Föderalisierung des gesamten Staatsrechts, wie es in Belgien der Fall war, in Betracht166. Mit der Gewährung autonomer Befugnisse ist eine Dezentralisierung, d. h. eine Ausdifferenzierung der institutionellen Staatlichkeit verbunden. Die Selbstverwaltung durch Träger der mittelbaren Staatsverwaltung löst die nationalen Behörden unmittelbarer Staatsverwaltung ab167. Selbstverwaltungskörperschaften nehmen selbständig Verwaltungsaufgaben war, mit dem Vorteil der Sach- und Bürgernähe sowie zusätzlicher demokratischer Legitimation. Autonomie ist das Recht, im eigenen Zuständigkeitsbereich Rechtsnormen zu erlassen168. Kontrolle erfolgt durch die Rechtsaufsicht unmittelbar staatlicher Behörden. Das Konzept der regionalen Selbstverwaltung, als Abgrenzung zu kommunaler Selbstverwaltung, fasst Art. 3 Abs. 1 des Entwurfes einer „Europäischen Charta der regionalen Selbstverwaltung“ vom 05. 06. 1997 zusammen169:
165 R.-O. Schultze / R. Sturm, Regionalismus, S. 411; siehe auch K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 222. 166 Jedoch kann Föderalismus nicht als die höchste, ideale Realisierungsform des Regionalismus angesehen werden. Siehe hierzu Kap. II.2.b)dd). 167 Zu Selbstverwaltung R. Hendler, Das Prinzip der Selbstverwaltung, HStR, Bd. IV, § 106, Rdn. 1 ff. und Kap. III.1.d). 168 Hendler definiert Autonomie wie folgt: „Unter Autonomie im strengen staats- und verwaltungsrechtlichen Sinne ist jedoch (lediglich) die auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende Befugnis von organisatorisch verselbständigten Hoheitsträgern zur eigenverantwortlichen Setzung objektiven Rechts in Form von Satzungen zu verstehen“; R. Hendler, HStR, Bd. IV, § 106, Rdn. 38. 169 Mit der Erklärung 34 schlägt der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas (KGRE), ein beratendes Organ des Europarates, einstimmig die Annahme eines bindenden Rechtsinstruments über die Grundsätze der Selbstverwaltung und Zusammenarbeit auf regionaler Ebene vor. Bisher wurde sie allerdings noch nicht verabschiedet, da kein Konsens über die rechtliche Verbindlichkeit des Textes gefunden werden konnte. Dagegen wurde die Charta der kommunalen Selbstverwaltung bereits am 15. 10. 1985 in Straßburg verabschiedet.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus „Regionale Selbstverwaltung ist das Recht und die tatsächliche Fähigkeit derjenigen Gebietskörperschaften, die die größten Gebietseinheiten innerhalb eines Mitgliedstaates bilden, zwischen dem Mitgliedstaat und den kommunalen Gebietskörperschaften angesiedelt sind, über gewählte Organe verfügen sowie mit Befugnissen entweder der Selbstverwaltung oder staatlicher Art ausgestattet sind, einen wesentlichen Teil der Angelegenheiten von öffentlicher Bedeutung in eigener Verantwortung und im Interesse ihrer Bevölkerungen unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips wahrzunehmen.“
Die Maßnahmen zur Erreichung der politischen Aufwertung von Regionen sind in Republiken nur nach Maßgabe der Verfassung und Gesetze rechtens170. Wird in (meist langwierigen) Verhandlungen den regionalistischen Forderungen nicht entsprochen, reicht das Spektrum der Interessenumsetzung in Extremfällen bis zur Ausübung von Terror. Hierbei muss der Regionalismus vom Separatismus unterschieden werden, der in Einzelfällen zu illegitimen Mitteln greift und meist auch in der Zielsetzung verfassungswidrig ist. Menschlich und juristisch ist der Terrorismus, wie er etwa in Korsika oder dem Baskenland von einer militanten Minderheit gewählt wird, zu verurteilen. Das Ziel des Separatismus ist die Unabhängigkeit in Form eines existentiellen Staates mit Völkerrechtssubjektivität. Er ist keine besondere Form des Regionalismus. Separatismus ist keine Reaktion auf Identitätsverlust unter einer Zentralregierung, sondern eine qualitativ davon zu unterscheidende prinzipielle Ablehnung der nationalen Staatsgewalt und Eigenwahrnehmung als Nation. Separatisten fehlt der Wille, Bürger des konstituierten Staates zu sein. Es findet keine Unterscheidung innerhalb einer gemeinsamen Einheit, sondern Ausgrenzung und Entsolidarisierung statt. Als Alternative wollen Separatisten einen neuen Nationalstaat gründen171.
dd) Beziehung zum Föderalismus Die Legitimationsversuche des Regionalismus ähneln den der materiellen Bundesstaatslehren: Minderheitenschutz, kulturelle Vielfalt, Subsidiarität, Kontrollierbarkeit der Staatsgewalt172. Jedoch ist Regionalismus ein „selbständiges, eigenwüchsiges Strukturelement“173 verfasster Staatlichkeit. Als eigenständiges Prinzip ist es vor allem nicht Unterbegriff des Föderalismus oder als dessen Vorstufe zu betrachten174. Nicht immer werden die Konzepte hinreichend voneinander abgeDazu Kap. II.1. Zu dem Ausnahmecharakter eines Rechts auf Sezession aufgrund des Selbstbestimmungsrecht der Völker bei „schwerer Diskriminierung“ im Sinne eines „Notwehrrechts“ siehe K. Ipsen, Völkerrecht, S. 367 ff. Vgl. auch K. Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum, W. (Hrsg.): Völkerrecht, 1997, S. 215, 227; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 134 f. 172 Ausführlich zu Legitimationsgründen des Regionalismus siehe P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, AöR 118 (1993), S. 27 ff. 173 P. Häberle, Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten – in Europa, S. 9; Herv. i. Orig. 170 171
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grenzt, wobei das folgenreiche Missverständnis entsteht, es handele sich um eine Wortfamilie und Regionalismus sei der „,kleine Bruder‘ des Föderalismus“175. So sieht es aber Wiedmann, der im umfangreichen Konzept des Regionalismus ein weiteres Anwendungsgebiet für föderales Gedankengut erschlossen sieht. Regionalismus demonstriere die „Attraktivität einer föderalistischen Utopie, die sich nicht im historisch überlieferten Bundesstaat erschöpft“176. Größte Gemeinsamkeiten sind im Primat der kleinen Einheit177 und der Ablehnung von Zentralismus gegeben178. Entscheidende Unterschiede bestehen jedoch sowohl in der rechtlichen Ausgangsbasis als auch der Zielsetzung. Regionalismus wehrt sich gegen Staatsgewalt, die die aus den Eigenheiten der Bürger einer Region resultierenden Interessen unzureichend berücksichtigt. Es handelt sich um ein Aufbegehren zur Wahrung der Identität. Ursprung ist Unzufriedenheit mit dem zentralistischen Staat. Föderalismus dagegen ist ein Strukturprinzip, das grundsätzlich nicht auf Veränderungen oder Verankerung von Rechten abzielt, sondern ganz im Gegenteil bereits innehabende Rechte bewahren soll. Die zur Identitätsbewahrung notwendigen Befugnisse sind durch die eigene Staatsqualität begründet und werden in einer bestehenden staats- oder völkerrechtlichen Verbindung mit anderen Staaten vor Unitarismus gesichert. Da es der dem Regionalismus zugrunde liegenden Region an Staatsqualität fehlt, kann diese nicht auf unabgeleitete Selbstverwaltungsrechte verweisen und muss stattdessen erst deren verfassungsrechtliche Verankerung erwirken. Im Föderalismus handelt es sich, durch die Staatseigenschaft der kleinen Einheiten bedingt, um eine hierarchiefreie Einheit, in der zwar in den Regelungen der Aufgaben und Befugnisse ein Rangverhältnis zum Ausdruck kommen kann, jedoch nicht im rechtlichen Status179. Im Regionalismus werden Rechte einer übergeordneten Zentralinstanz abgerungen. Diesen Unterschied fasst Graf Vitzthum prägnant zusammen: „Die Regionen mögen historische Individualitäten und hochpotenzierte Selbstverwaltungskörperschaften sein – Staaten, Gliedstaaten sind sie nicht“180. 174 Häberle bekräftigt, es handele sich weder um ein „,Durchgangsstadium‘ zum Föderalismus“ noch um eine „,unvollendete‘ Form des Föderalismus“; P. Häberle, Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten – in Europa, S. 4 und 9. Siehe auch P. Badura, Die „Kunst der föderalen Form“, in: ders. / R. Scholz (Hrsg.), FS für Peter Lerche, 1993, S. 371 f. 175 (Klarstellend) P. Häberle, Verfassungsrechtliche Fragen im Prozeß der europäischen Einigung, S. 435. Richtigerweise weist er ausdrücklich darauf hin, dass er „eigenwüchsig und eigenständig, nicht notwendig bloße Vorform“ sei; ders., Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 38. 176 T. Wiedmann, Föderalismus als europäische Utopie, AöR 117 (1992), S. 69. Dass Föderalismus ohnehin nicht auf den Bundesstaat beschränkt werden kann, wurde bereits in Kap. II.2.a)bb) dargelegt. 177 Dazu Kap. II.1.c). 178 P. Häberle, Verfassungsrechtliche Fragen im Prozeß der europäischen Einigung, S. 434. 179 Dazu Kap. III.1.b). 180 W. Graf Vitzthum, Der Föderalismus in der europäischen und internationalen Einbindung der Staaten, AöR 115 (1990), S. 285; Herv. i. Orig. So auch BVerfGE 34, 9 (19 f.).
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
Diese Erwägungen schließen nicht aus, dass Regionalismus auch innerhalb föderaler Ordnungen entstehen kann. In dem aus Sicht der Mitgliedstaaten föderalen Bundesstaat EU streben Regionen, aus deren Sicht die EU zentralistisch ist, nach einem „Europa der Regionen“181. Aber auch existentielle Bundesstaaten, wie das Beispiel von Quebec in Kanada veranschaulicht, können trotz ihrer immanenten Dezentralisierung Regionalismus nicht ausschließen182. Jedoch tritt dieser Fall eher selten ein, da Bundesstaaten durch kleine Einheiten spezielle, territoriale Bedürfnisse tendenziell besser berücksichtigen können und folglich die notwendigen Voraussetzungen eines Regionalismus kaum entstehen können. Isensee spricht in diesem Zusammenhang von einer „strukturellen Überlegenheit“183 des Bundesstaates gegenüber dem Einheitsstaat. Zwischen Regionalismus und Föderalismus besteht somit folgender Zusammenhang: „Föderalisierung ist das besonders geeignete Mittel, um verfassungspolitisch die internationalstaatlichen Spannungen aufzufangen, die der ,Aufstand der Provinzen‘, wie man das genannt hat, zwangsläufig mit sich bringt. Sodann: Föderalisierung ist das geeignete Mittel, der Verödung der Provinzen zu begegnen und die Provinzen politisch und kulturell zu revitalisieren.“184
Richtigerweise kann Föderalismus dem Regionalismus folgen. Dies kann besonders zur Gleichgewichtsfindung zwischen regionaler Selbststeuerung und Einheit wesentlich beitragen, eine föderale Ordnung ist aber nicht notwendigerweise seine Zielsetzung185. Wie eingangs festgestellt, handelt es sich beim Regionalismus um ein eigenständiges Verfassungsprinzip, denn es „dürfte immer Verfassungsstaaten geben, die sich regionalistisch strukturieren, aber nicht zum Bundesstaat werden wollen“186. Föderalisierung kann Regionalismus den Nährboden entziehen. Inwieweit jedoch Regionalisierung positive Auswirkung auf Föderalismus haben kann, ist zweifelhaft und soll in dieser Arbeit geklärt werden. In Deutschland sind Maß181 Unter dem Europa der Regionen sind eine „stärkere Rolle und wirkungsvollere Handlungsmöglichkeiten der Regionen“ in der EU zu verstehen, so R. Sturm, Föderalismus in Deutschland, 2003, S. 133. Ausführlich zum Europa der Regionen Kap. VII.4.c). 182 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 278; siehe auch M. Orduña Prada, Problemas del federalismo canadiense: Québec, CDP 2 (1997), S. 259 ff. 183 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 308. 184 H. Lübbe, Die große und die kleine Welt, in: W. Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität Europas, 1985, S. 194. 185 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 42; H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 64; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 222. Zu den Entwicklungstendenzen des spanischen Regionalismus vgl. Kap. IV.8. 186 P. Häberle, Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten – in Europa, S. 4 und ähnlich auch S. 9.
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nahmen, die einem verfassungswidrigen Unitarismus entgegentreten, aufgrund des an die Staatsqualität der Länder geknüpfte Recht der Selbstkonstitution nicht als Regionalismus, sondern als Ausdruck des Föderalismus zu bezeichnen. Ihr Anliegen ist die Verwirklichung des verfassungsrechtlich verankerten bundesstaatlichen Prinzips. Trotz definitorischer Eindeutigkeit verwischen in der Europäischen Union die Konzepte des Regionalismus und Föderalismus. Für das Europa der Regionen sollen regionalistisches und föderales Gedankengut vereint eintreten, mit der Zielsetzung der Anerkennung der Eigenheiten und stärkerer Selbstbestimmung der Regionen innerhalb der EU187. Bei aller Gleichmacherei ist auf die strukturell unterscheidungsbedürftige Ausgangssituationen und heterogene Forderungslage hinzuweisen. Der Anspruch der Länder Deutschlands und Österreichs, sowie der régions Belgiens nach einem „Sein“ muss von den Forderungen anderer Regionen nach einem „Haben“ unterschieden werden. Der freiwilligen Einstufung als Regionen188 folgt häufig die unzulässige Nivellierung von Regionalismus und Föderalismus als „Komplementärphänomene“189. Es ist nicht erklärlich, wie eine Allianz zwischen Regionalismus, der „nicht von vornherein . . . auf bestimmte Organisationstypen, auch nicht auf den Bundesstaat“190 festgelegt ist, und Föderalismus zufrieden stellende Ergebnisse liefern soll.
3. Typisierte Ausprägungen staatlicher Organisation Föderalismus und Regionalismus sind verfassungsrechtliche Prinzipien, die, um Anwendung zu finden, zu Staaten konstituierte Gemeinwesen voraussetzen191. Das föderalistische Prinzip ist sowohl dem Bundesstaat [a)] als auch dem Staatenbund [b)] immanent. Merkmale eines Einheitsstaates [c)] stehen nicht nur im Kontrast zu Bundesstaatlichkeit, sondern bereiten auch die typische Grundlage für Regionalismus. Dezentralisierte Einheitsstaaten sind entweder das Ergebnis einer Regionalisierung von Einheitsstaaten oder der Unitarisierung von Bundesstaaten.
187 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 217; P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 43; U. Kalbfleisch-Kottsieper, Fortentwicklung des Föderalismus in Europa, DÖV 46 (1993), S. 544; A. Evans, Regionalist Challenges to the EU Decision-Making System, EPL 6 (2000), S. 399 f. 188 Hiermit ist weniger die NUTS-Einstufung gemeint, da diese rein statistische und regionalpolitische Ziele verfolgt, sondern vielmehr die gleichberechtigte Stellung der Mitglieder der Regionalversammlungen; siehe Versammlung der Regionen Europas (Hrsg.), Tabula Regionum Europae, o. S. 189 H. Lübbe, Föderalismus im 21. Jahrhundert, S. 16. 190 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 308. 191 Dazu grundlegend Kap. II.1.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
a) Bundesstaat aa) Inexistenz einer allgemeinen Bundesstaatslehre Bundesstaatlichkeit ist untrennbar mit Föderalismus verbunden. „Der Bundesstaatlichkeit liegt als ,Ordnungsprinzip‘, als politische Idee, der Föderalismus zugrunde“192. Der Bundesstaat ist „staatsrechtliches Formprinzips des Föderalismus“193 oder „Ausformung des nationalen Föderalismus“194. Die Herausarbeitung allgemeiner Definitionsmerkmale 195 eines Bundesstaates gestaltet sich jedoch als schwierig196. Dies resultiert aus der Tatsache, dass es bisher nicht gelungen ist, eine zufrieden stellende allgemeine Bundesstaatslehre zu entwickeln197, ein Ziel, das von einigen Rechtswissenschaftlern sogar als unerreichbar deklariert wird198. Die Problematik besteht darin, dass jeder Bundesstaat einzigartig ist: „Es gibt kein universales oder universalisierbares Bundesstaatsmodell. Jeder Bundesstaat ist ein Unikat: jeweils auf seine Weise geprägt, durch das einzelne Staatsvolk in seiner raumzeitlichen Situation und unlösbar mit diesem verwachsen.“199
Bundesstaatlichkeit ist nicht zu verallgemeinern, sondern stets im Zusammenhang mit dem jeweiligen Verfassungsrecht zu analysieren200. Existiert kein „Pro192 K. Stern, Staatsrecht I, S. 660. I. d. S. auch H. P. Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, S. 250. 193 W. Graf Vitzthum, Der Föderalismus in der europäischen und internationalen Einbindung der Staaten, S. 282. 194 K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 223. 195 Die erste Abhandlung über einen Bundesstaat ist die Arbeit Ludoph Hugos (Dissertation des statu regionum Germaniae et regimine principum summae imperii reipublicae aemulo, nec non um et auctoritate inris cirilis privati quam in hacparte publici oblinet, 1661); S. Brie, Der Bundesstaat, 1874, S. 17. Erst seit 1827 wird der Begriff des „Bundesstaates“ im Brockhaus aufgeführt; zitiert in R. Koselleck, Bund, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. I, 1979, S. 651. Die erste moderne Lehre ist die von de Tocqueville (A. de Tocqueville, De la Democratie en Amerique, 1835). 196 Vgl. T. Maunz, Staatlichkeit und Verfassungshoheit der Länder, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 12; K. Stern, Staatsrecht I, S. 668; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 96; S. Oeter, Föderalismus, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 63 ff. 197 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, S. 1; U. Scheuner, Wandlungen im Föderalismus der Bundesrepublik, DÖV 19 (1966), S. 514; W. Rudolf, Bund und Länder im allgemeinen deutschen Verfassungsrecht, 1968, S. 8 ff.; J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 252; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 8 f. 198 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 1. Angesichts des ausführlichen Regelungsgehaltes des deutschen Verfassungsrechtes „erübrigt es sich“ nach der Auffassung Isensees, „apriorische Rechtsgrundsätze außerhalb der Verfassung und unabhängig von ihr zu suchen und Ausschau zu halten nach einem frei schwebenden ,Wesen‘ des Bundesstaates“; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 6. 199 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 252. Auch Graf Vitzthum stellt fest, „daß es ,den‘ Bundesstaat nicht gibt. Der Befund ist vielmehr äußerst heterogen“; W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, VVDStRL 46 (1988), S. 8.
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totyp des Bundesstaates“201, so sollte die individuelle Ausprägung der Bundesstaatlichkeit und nicht die Bundesstaatlichkeit an sich untersucht werden: „Der Bundesstaat ist demnach kein Klassenbegriff, der sich an einem Minimum von Merkmalen festmachen läßt, sondern ein Typusbegriff, der eine nicht abgeschlossene Fülle von Strukturen enthält, die ein Gesamtbild ergeben. Damit ist lediglich eine Beschreibung, aber keine Definition des Bundesstaatsbegriffes möglich.“202
Formulierungsversuche von Bundesstaatslehren203 werden i. d. R. zu allgemein gehalten, sie stehen aufgrund fehlenden Problembewusstseins in der Kritik204. Lehren, die an Begriff und Konstruktion des Bundesstaates ansetzen, werden als formelle Bundesstaatslehren bezeichnet [siehe Ausführungen zu formellen Aspekten in bb) – dd)]205. Weiterhin muss es Ziel bleiben, allgemeingültige, apriorische Kriterien aufzustellen, um zu bestimmen, inwieweit ein Staat ein Bundesstaat ist. Fortschritte in diese Richtung verzeichnet die rechtsvergleichende Föderalismusforschung, die Merkmale zur Unterscheidung von anderen Staatsformen diskutiert206. Hiervon zu differenzieren sind die materiellen Bundesstaatslehren207, die darauf abzielen, Erklärungen zu finden, „wieso der Bundesstaat ein sinnvolles politisches System sein kann“208 [ee)]. Sie setzen die Existenz eines Bundesstaates voraus und knüpfen an die formellen Bundesstaatslehren an.
200 „Schließlich ist jedes bundesstaatliche Gemeinwesen ein konkret-historisches Gebilde“; W. Brohm, Landeshoheit und Bundesverwaltung, 1968, S. 25. Ähnlich auch Ossenbühl: „Der Bundesstaat ist kein konfektioniertes Organisationsmodell von der Stange“; F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, 1990, S. 124. Vgl. aber BVerfGE 4, 115 (141), nach dem es möglich sei, Rechtsgrundsätze aus dem „Wesen des Bundesstaates“ abzuleiten. 201 K. Wendland, Spanien auf dem Weg zum Bundesstaat?, S. 21. 202 C. Kirchner / J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, JZ 48 (1993), S. 768. 203 Siehe insbesondere M. Usteri, Theorie des Bundesstaates, 1954. 204 U. Scheuner, Struktur und Aufgabe des Bundesstaates in der Gegenwart, DÖV 15 (1962), S. 241; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 8 f. Bereits kritisch R. Thoma, Das Reich als Bundesstaat, in: G. Anschütz / R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, 1930, S. 171 ff. 205 H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 220 ff.; siehe auch K. Wendland, Spanien auf dem Weg zum Bundesstaat?, S. 21. 206 A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 326 m. w. N. Dazu auch Kap. II.3.b) und II.3.c) zur Unterscheidung des Bundesstaates vom Staatenbund und Einheitsstaat. 207 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 224; in diesem Sinne auch J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 7. 208 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, in: ders. (Hrsg.), Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 2. Aufl. 1968, S. 225.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
bb) Kennzeichnende Elemente echter und unechter Bundesstaatlichkeit Als gemeinsame Merkmale von Bundesstaaten werden die territoriale Zusammensetzung des Staatsgebietes aus existentiellen Staaten, eigene Gesetzgebungsrechte der Gliedstaaten, deren Beteiligung an der Gesetzgebung des Bundes, Vorhandensein von Kollisionsnormen sowie Konfliktlösungsmechanismen genannt209. Ebenso wie die Abgrenzung von anderen Staatsformen handelt es sich nicht um eine definitorische Erfassung der Bundesstaatlichkeit, sondern um eine Beschreibung oder den Versuch, Wesenselemente zu identifizieren. Hamilton bezeichnet einen Bundesstaat als einen „,Verband von Gemeinwesen‘ oder als eine Vereinigung zweier oder mehrerer Staaten zu einem Staat“210. Entscheidend ist, dass es ein zusammengesetzter Staat aus mehreren Staaten ist211. Dies trifft für die ersten Bundesstaaten der Geschichte zu, die im 18. und 19. Jahrhundert konstituiert und deren Gebiet noch heute bundesstaatlich verfasst ist: 1787 die Vereinigten Staaten von Amerika, 1848 die Schweizer Eidgenossenschaft und 1867 der Norddeutsche Bund212. Der Bundesstaat ist eine Vereinigung von Staaten. Der Begriff Gliedstaaten gilt als Ausdruck für die einzelnen Staaten, die im jeweiligen Verfassungsrecht unterschiedliche Bezeichnungen tragen können. Das Grundgesetz spricht von „Ländern“213, die bayerische und sächsische Landesverfassung synonym von „Freistaaten“214 und Hamburg oder Bremen bezeichnen sich als „Hansestädte“215. Andere Bundesstaaten nennen ihre Gliedstaa209 R.-O. Schultze, Föderalismus, in: D. Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, 1991, S. 140; ähnlich O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 5. 210 F. H. Ermacora (Hrsg.), Der Föderalist von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, 1958, S. 71. 211 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 769; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 2; W. Philipp, Ein dreistufiger Bundesstaat?, ZRP 25 (1992), S. 434. Nach der monarchischen Begrifflichkeit des 17. Jahrhundert handelt es sich um ein „duplex regimen“, einen Staat mit zwei Ebenen; A. Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1648, 1967, S. 78 f. 212 Vgl. H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 4. 213 Auch wenn häufig von „Bundesländern“ die Rede ist, ist dieser Terminus zu vermeiden. Es entspricht nicht dem Konzept des Grundgesetzes. Es handelt sich vielmehr um eine Vermengung des grundgesetzlichen Begriffs der „Länder“ (bspw. Art. 79 Abs. 3 GG) und der im Zweiten Deutschen Reich üblichen Bezeichnung der „Bundesstaaten“ (bspw. Art. 3 der Verfassung des Deutschen Reiches v. 16. 04. 1871). Zu letzterem siehe O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 7, 33. 214 „Bayern ist ein Freistaat“, Art. 1 Abs. 1 BayVerf v. 02. 12. 1946; „Der Freistaat Sachsen ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland“; Art. 1 S. 1 SachVerf v. 27. 05. 1992. Eine Unterscheidung zwischen Freistaat und Land, wie sie Sponer im Fall von Sachsen vornimmt, in dem Land ein Oberbegriff des Freistaates sein soll und somit auch die kommunale Selbstverwaltung mit einschließe, entbehrt jeder Grundlage; siehe W.-U. Sponer, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Wahrnehmung der Rechtsaufsicht durch ein ausschließlich kommunal strukturiertes Landratsamt, LKV 13 (2003), S. 314.
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ten Kantone (Schweiz) oder Regionen (Belgien)216. In den USA wird unter einem „Bundesstaat“ nicht nur der Gesamtstaat (der Bund), sondern auch ein einzelner Gliedstaat verstanden217.
(1) Der echte (funktionale oder existentielle) Bundesstaat Carl Schmitt versteht unter einem Bundesstaat „eine auf freier Vereinigung beruhende, dem gemeinsamen Zweck der politischen Selbsterhaltung aller Bundesmitglieder dienende dauernde Vereinigung, durch welche der Gesamtstatus jedes einzelnen Bundesglieds im Hinblick auf den gemeinsamen Zweck verändert wird“218. Entscheidendes Merkmal dieser echten Bundesstaatlichkeit219 ist die Schließung eines Bundes220 zwischen existentiellen Staaten221. Die Vereinigung selbst kann als funktionaler oder existentieller Staat konstituiert werden. Der Übergang von einem (nicht-existentiellen) funktionalen zu einem existentiellen (echten) Bundesstaat ist dann vollzogen, wenn die abgeleitete funktionale durch originäre existentielle Staatsqualität ersetzt wird. Die gemeinschaftliche Organisationsform wird selbst existentiell Staat222. Dafür ist eine eigene ver215 „Der bremische Staat führt den Namen ,Freie Hansestadt Bremen‘. . .“; Art. 64 BremVerf v. 21. 10. 1947 und „Die Freie und Hansestadt Hamburg ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland“; Art. 1 HbgVerf v. 06. 06. 1952. 216 F. Fleiner, Bundesstaatliche und gliedstaatliche Rechtsordnung, VVDStRL 6 (1929), S. 2; M. Huebner, Regionalisierung und kommunale Zusammenarbeit, 1996, S. 31. 217 H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 17. Kimminich weist darauf hin, dass diese Verwendung des Begriffs „Bundesstaat“ entgegen der Reichsverfassung von 1871 (z. B. Art. 8 Abs. 2 S. 1) nicht mehr dem deutschen Sprachgebrauch entspricht; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 7. Dazu auch R. Koselleck, Bund, S. 662, der von einer „Doppeldeutigkeit“ des Begriffs spricht. 218 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 366. 219 Dazu und dem Folgenden grundsätzlich K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279 ff. 220 Auch in der spanischen Rechtslehre wird die Schließung eines Bundes (un pacto) als entscheidendes Kriterium hervorgerufen, wenn auch festgestellt wird, dass die Verfassungspraxis, insbesondere die deutsche, nicht den „dogmatischen Kategorien“ entspricht, sondern von der „realen politischen Evolution“ geprägt sind; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, 3. Aufl. 2002, S. 632. 221 Kosellek weist auf die Bedeutungsvielfalt des Begriffes „Bund“ hin und folgert daraus die Notwenigkeit einer exakten definitorischen Bestimmung: „Eine Begriffsgeschichte des Bundes muß um so mehr auf eine exakte Eingrenzung achten, als es sich um einen Grundbegriff der menschlichen Verfassungsgeschichte handelt, der sich in leere Allgemeinheiten verflüchtigt, wenn er nicht durch jeweilige Definitionen präzisiert wird“; R. Koselleck, Bund, S. 582. 222 „Die juristische Persönlichkeit des Staates besteht darin, daß der Staat eigene Herrschaftsrechte behufs Durchführung seiner Aufgaben und Pflichten und einen selbständigen Herrscherwillen hat“; P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4. Aufl. 1901, S. 53.
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fassungsgebende Gewalt erforderlich. Die Bürger der einzelnen Staaten müssen willens sein, mit Bürgern der anderen Staaten durch einen verfassungsrechtlichen Akt, einen existentiellen Bundesstaat zu konstituieren. Die gemeinschaftlichen Hoheitsakte sind Ausdruck eines eigenen Willens, dem des pouvoir constituant des Gesamtstaates. Vielfach wird lediglich auf das Kriterium der Kompetenzkompetenz abgestellt223. Die Kompetenzkompetenz allein ist jedoch lediglich ein Aspekt existentieller Staatlichkeit. Hätte sie ein funktionaler Staat inne, ein Staat ohne eigene Bürgerschaft, ist dies demokratiewidrig224. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) und existentielle Staatlichkeit kann nur durch existentielle Staaten ausgeübt werden. (2) Der unechte Bundesstaat Hiervon unterscheidet sich der unechte Bundesstaat225. Er ist per Definition stets existentiell, da er nicht durch Bundesvertrag, sondern durch Verfassung gegründet wird. Das Kriterium der freien Einigung im Sinne Schmitts, der bündischen Grundlage fehlt. Der Sache nach handelt es sich um einen föderalisierten Einheitsstaat. Die Rechtseinheit, streng genommen schwerlich als „Bund“ zu bezeichnen, ist ein Mittel zur Einheitsschaffung und nur bedingt föderativ, da „nach dessen Einführung der Bund selber überflüssig werde“226. In der herrschenden deutschen Staatsrechtslehre werden Bundesstaaten nicht nach ihrer Schließung durch Bundes- oder Verfassungsvertrages unterschieden227, sondern erstere als Staatenbund bezeichnet 228. Dieses Kriterium wird jedoch der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt, um echte von unechten Bundesstaaten zu unterscheiden. Nach Barschel basiert zwar der echte funktionale und existentielle Bundesstaat auf einem „echten Bund“ im Sinne Schmitts229, jedoch definiert er den unechten Bundesstaat nicht bereits durch Fehlen des Kriteriums eines echten Bundes, sondern als Staat, der „in Wirklichkeit zweifelsfrei wie ein Einheitsstaat funktioniert“230. Einem derartiger Staat fehlt jedoch bis auf den Verfassungswortlaut jegliche Bundesstaatlichkeit, so dass er als Einheitsstaat bezeichnet werden 223 K. Doehring, Staat und Verfassung in einem zusammenwachsenden Europa, ZRP 26 (1993), S. 102; H.-J. Papier, Ein Verfassungscheck für die Union, in: Die Zeit Onlineausgabe v. 14. 10. 2002, o. S.; kritisch J.-P. Müller, Föderalismus, Subsidiarität, Demokratie, in: M. Vollkommer (Hrsg.), Föderalismus, 1998, S. 43. 224 Dieses Problem tritt in der europäischen Integration auf. Dazu Kap. V.2.b)bb). 225 Grundlegend K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 286 f. 226 R. Koselleck, Bund, S. 647. 227 Vgl. K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 280 ff. 228 Dazu Kap. II.3.b). 229 I. d. S. U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, 1982, S. 5 f. 230 U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 31.
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muss. Unechte Bundesstaatlichkeit ist somit nicht mit einem „semantischen Föderalismus“231 gleichzusetzen. Unechte Bundesstaaten sind kein „spezifischer Typus der Dezentralisation“ 232. Vielmehr handelt es sich um eine besondere Verteilung und Ausbalancierung der Staatlichkeit233, in der durch die existentielle Staatsqualität der Gliedstaaten ein spezieller Freiheit sichernder Effekt zum Tragen kommt. Dezentralisation setzt hauptsächlich an der institutionellen Staatlichkeit an234.
cc) Konstitution mehrerer Staaten in einem Territorium als Problematik der Souveränitätslehren Die Möglichkeit des Bestandes mehrerer staatlicher Ebenen wird in der deutschen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhundert kontrovers diskutiert235: „Die wichtigste Frage, die der Betrachtung des Bundesstaates also gestellt ist, geht dahin, ob und inwieweit den Gliedern, ob und inwieweit der Einheit Staatscharakter zukommt.“236
Ausgangspunkt der Kontroverse ist ein von der Souveränität237 her konzipiertes Staatsverständnis238. Die Unteilbarkeit von Hoheitsgewalt annehmend, bezweifelt von Seydel im 19. Jahrhundert die Möglichkeit der Existenz eines Bundesstaates239. Zwei souveräne staatliche Ebenen schließen sich aus: „Der Bundesstaatsbegriff ist ein wissenschaftlich unmöglicher, weil er im Widerspruche steht mit dem Wesen des Staates“240.
Diese Feststellung fußt auf der unrichtigen Annahme, dass Souveränität ein notwendiges Merkmal von Staatsqualität und zudem unteilbar sei241. Hiermit wendet J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 3. Hans Kelsen zitiert in J. Lukas, Bundesstaatliche und gliedstaatliche Rechtsordnung, S. 25. Vgl. auch H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 208 über Staatenbund und Bundesstaat: „allgemeine Darlegungen über das Wesen der Dezentralisation“. 233 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 269; P. Badura, Die „Kunst der föderalen Form“, S. 372. 234 Dazu Kap. II.3.c). 235 Überblick bei O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 15 ff. 236 H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 8. 237 Siehe Kritik an diesem monarchisch geprägten Begriff in Kap. II.1.b). 238 Statt vieler: „Die unumschränkte Einheit der gesamten Herrschaftsrechte ist die Souveränität. Souveränität ist das erste und oberste Merkmal des Staates“; P. Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, 2. Aufl. 1894, S. 63. 239 Dazu O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 11 f. 240 M. von Seydel, Commentar zur Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 1873, S. XIV. Ähnlich bereits ein Jahr zuvor, in dem er den Begriff als „rechtlich unhaltbar“ bezeichnete; ders., Der Bundesstaatsbegriff, ZgStW 28 (1872), S. 195. 241 M. von Seydel schreibt: „Dann muß die Bruchstücksouveränität auch für den Einheitsstaat, welcher in keinem Bundesstaatsverhältnis steht, gedacht werden können. Denn ob 231 232
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er sich gegen die Lehre von Waitz, die die Teilbarkeit der Souveränität vertritt242. Anders sehen es Laband243 und Jellinek244, die lehren, dass man zwischen dem souveränen Bund und den nicht souveränen Gliedstaaten unterscheiden müsse245. Nach republikanischem Staatsverständnis ergibt sich dieses Problem nicht, da der (existentielle) Staat nicht von einem allumfassenden Gewaltanspruch, sondern vom pouvoir constituant her definiert wird: „Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen.“246 Sowohl dem Bund als auch den Gliedstaaten wird in echten Bundesstaaten existentielle Staatsqualität zugeschrieben247. Als Maßstab von Staatseigenschaft sind die Kriterien der Drei-Elemente-Lehre Staatsvolk, Staatsgewalt und Staatsgebiet anzulegen248: Das Staatsvolk ist die verfasste Bürgerschaft des konstituierten Staates, der pouvoir constituant249. In einem Bundesstaat „findet eine zwiefache Organisation des Volkes zum Staate statt, teils in Gesamtheit, teils nach selbständigen Teilen“250: Einerseits hat jeder Gliedstaat sein eigenes Staatsvolk, andererseits ist die Gesamtneben dem Souverän mit Teilsouveränität noch ein Supplementsouverän da ist, darauf kann begrifflich nichts ankommen. Es muß also auch Einheitsstaaten geben können, deren Souveränität etwa bloß auf das Heerwesen sich erstreckt, oder denen von allen Hoheitsrechten gerade das Recht über Krieg und Frieden fehlt. Ja mehr noch, es muß logisch denkbar sein, daß ein einzelnes Land mehrere Staaten bildet, deren jeder einen Souverän für bestimmte Hoheitsrechte hat, ein Fall, der etwa dann vorkommen könnte, wenn der Souverän des Bundesstaates, der ja nicht notwendig Souverän eines Gliedstaates sein muß, infolge kriegerischer Verluste auf das Gebiet eines einzigen Gliedstaates beschränkt würde.“; M. von Seydel, Staatsrechtliche und politische Abhandlungen, 1893, S. 21. 242 Um „wirklich Staat“ zu sein, sei es unabkömmlich, das ein derartiges Gemeinwesen „unabhängig von jeder ihm selbst fremden Gewalt“ ist und ein „eignes selbständiges Recht in sich trägt“; G. Waitz, Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, 1862, S. 165. 243 „Die Zentralgewalt steht über den Gliedstaaten, sie ist eine oberste, höchste Rechtsmacht und daher souverän. Die Gliedstaaten dagegen sind, weil der Zentralgewalt untergeordnet, nicht souverän, aber, weil in gewissen Belangen mit eigener Gesetzgebung ausgestattet, autonom“; P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 100. Zur Subordinationslehre siehe Kritik in Kap. II.3.a)dd). 244 „Die Möglichkeit des Bundesstaates hängt innig mit der Lehre zusammen, die Souveränität für kein wesentliches Merkmal des Staates erklärt und demnach souveräne und nichtsouveräne Staaten unterscheidet“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 769. Siehe auch ders., Die Lehre von den Staatenverbindungen, 1882, S. 16. 245 Beider unterscheiden sich in ihren Auffassungen des Bund-Gliedstaaten-Verhältnisses über Hierarchie oder Gleichrangigkeit. Dazu siehe folgendes Kap. II.3.a)dd). 246 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. 247 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 5; K. Stern, Staatsrecht I, S. 644 f., 667 mit Verweis auf BVerfGE 1, 14 (34); 36, 342 (360 f.). Siehe weiterhin BVerfGE 39, 96 (108). In Staaten(ver)bünden ist das Bündnis selbst funktionaler Staat und wird in dieser Arbeit nicht als besonderer echter Bundesstaat bezeichnet. 248 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 20 ff. Zur Drei-Elemente-Lehre siehe Kap. II.1.b). 249 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 84, 209; siehe auch Nachweise in Fn. 105. 250 G. Waitz, Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, S. 43.
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heit der Bürger aller Gliedstaaten Verfassungsgeber des Bundes. Analog ist das Staatsgebiet der Gliedstaaten „teilidentisch“ 251 mit dem des Gesamtstaates; In der Summe ergänzen sie sich zu dem Territorium des Bundes. Republikanisch verstanden stellt Staatsgewalt den allgemeinen Willen der verfassten Bürgerschaft dar. Hierauf verweist auch Nawiasky: „Wenn Bund und Glieder Staaten sein sollen, müssen alle einen ursprünglichen Willen haben“252. Sowohl Bund als auch seine Glieder sind Staaten, weil sie durch eigene Verfassungshoheiten konstituiert werden253. Entscheidend ist nach herrschender deutscher Staatsrechtslehre, dass es sich um einen unabgeleiteten Willen, einen originären Staat handelt254. Nicht die Staatsgewalt als ursprünglicher Wille ist limitiert, sondern die Zuständigkeiten sind auf Bund und Gliedstaaten verteilt, stets jedoch komplementär255. Es entspricht dem übereinstimmenden ursprünglichen Willen der Bürgerschaft auf beiden Seiten, staatliche Aufgaben teils im Gliedstaat, teils in größerer staatlicher Gemeinschaft, im Bund, wahrzunehmen256. Art. 5 WRV vom 11. 08. 1919257 bringt dies zum Ausdruck: „Die Staatsgewalt wird in Reichsangelegenheiten durch die Organe des Reichs auf Grund der Reichsverfassung, in Landesangelegenheiten durch die Organe der Länder auf Grund der Länderverfassungen ausgeübt.“ Nach Nawiasky vereinfacht sich demnach das Verhältnis zwischen Bund und Ländern auf Zuständigkeitsfragen: „Allerdings ist nicht die Souveränität, die eine Eigenschaft der Staatsgewalt darstellt, geteilt, sondern der Gegenstand der Staatsgewalt, ihre Zuständigkeit. Und diese Teilung oder Beschränkung, was gleichbedeutend ist, erfolgt nicht gegen den höchsten Willen, der damit seines Charakters entkleidet würde, sondern durch den höchsten Willen selbst, und zwar für jede der miteinander verbundenen Gewalten durch ihren eigenen höchsten Willen.“258
Als Kriterium unabgeleiteter Staatsgewalt gilt die Kompetenzhoheit259, die Kompetenzkompetenz 260. Es handelt sich um das unabgeleitete Recht der BürgerJ. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 20; siehe auch Rdn. 21 ff. H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 23; Herv. i. Orig. 253 H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 46 f. 254 Neben Nawiasky auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 644, 666 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 4; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 2 f., 14 ff. 255 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 20. 256 So auch Waitz, nach dem „ein bestimmter Teil des staatlichen Lebens gemeinsam, ein anderer ebenso bestimmter den einzelnen Gliedern überlassen ist“ wobei „jeder Teil auch für sich wirklich Staat ist“; G. Waitz, Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen, S. 165. Inwieweit die Bundesrepublik Deutschland jedoch einen echten Bundesstaat darstellt, wird in Kap. III.6 diskutiert. Die Konzeption des Grundgesetzes und die Verfassungswirklichkeit deuten vielmehr auf einen unechten Bundesstaat hin; einen föderalisierten Einheitsstaat, der zwischen echtem Bundesstaat und dezentralisierten Einheitsstaat einzuordnen ist. 257 RGBl. 1919, S. 1383. 258 H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 200. 259 Es sei angemerkt, dass der Begriff der „Kompetenz“ nicht dem Sprachgebrauch des Grundgesetzes entstammt und seine Definition als eigenes Rechtsproblem aufgefasst werden kann; N. Colneric, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften als Kompetenzgericht, 251 252
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schaft, die staatliche Zuständigkeit festzulegen. Ist der Staat (im weiteren Sinne) nichts anderes als der allgemeine Wille des Volkes, so folgt hieraus unmittelbar, dass der Staat im engeren Sinne, der Staat der Ämter, im Rahmen der Aufgaben und Befugnissen besteht, die dem Willen der Bürgerschaft entsprechen. Existentielle Staatlichkeit bedeutet unter anderem, dass dem Gemeinwesen „eine Kompetenzkompetenz über innere Angelegenheiten“261 innewohnt.
dd) Bundesstaatliche Ordnungsmodelle Weitere Aspekte formeller Bundesstaatslehren sind die Diskussion über Subordination oder Koordination im Verhältnis zwischen Bund und Gliedern sowie der zwei- oder dreigliedrige Aufbau des Bundesstaates. Auch wenn heute Koordinations-262 und Zweigliedrigkeitslehre 263 Stand der Wissenschaft sind264, zeigen EuZW 13 (2002), S. 709; F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, ZaöRV 61 (2001), S. 579 f. Eine Begriffsbestimmung der Kompetenz bei M. Nettesheim, Kompetenzen, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 414 ff. Das Grundgesetz lässt eine einheitliche Terminologie vermissen. Es spricht von „Rechten und Pflichten des Bundes und der Länder“ (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG), in Art. 70 und 71 GG synonym von „Recht“, „Zuständigkeit“ und „Befugnis“ und an anderen Stellen von „Aufgaben“ (bspw. Art. 104a Abs. 1 GG), „Angelegenheiten“ (bspw. Art. 83 GG) oder der „Sache der Länder“ (Art. 30 GG) oder des Bundes (Art. 32 Abs. 1 GG). Hierzu siehe R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 211. Stettner fasst zusammen: „Überhaupt beweist die terminologische Konfusion auf diesem Sektor, wie wenig die Staatstheorie in manchen Bereichen bislang über ihre eigenen strukturierenden Begriffe ins Reine gekommen ist“; R. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 43. Er sieht „Kompetenz“ als Synonym für „Zuständigkeit“ während Pieroth es angebracht sieht, ihn „als Oberbegriff von ,Aufgaben‘ und ,Befugnissen‘ zu setzen“; B. Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsnormen, AöR 114 (1989), S. 434. Letzteres Verständnis wird dieser Arbeit zugrunde gelegt und der Begriff der „Kompetenz“ soll weitestgehend vermieden werden: „Vor allem aber der Umstand, daß das Grundgesetz selbst den unklaren Begriff der ,Kompetenz‘ nicht gebraucht, spricht dafür, das Bundesstaatsrecht jedenfalls nicht ausschließlich kompetenzrechtlich zu systematisieren und auf einen Rückgriff auf verwirrende Kompetenzvorstellungen möglichst zu verzichten, solange die bundesstaatliche Ordnung rechtsdogmatisch mit anderweitigen Grundbegriffen und Kategorien erfaßbar ist“; H. Bauer, Die Bundestreue, S. 288. 260 „Die Befugnis der Kompetenzbestimmung bezeichnet man als Kompetenzhoheit, Kompetenzkompetenz. . . . M. a. W. die Kompetenzhoheit gibt die rechtliche Verfügungsmacht über die staatliche Existenz“; H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 39. 261 BVerfGE 75, 223 (242). 262 W. Schmidt, Das Verhältnis von Bund und Ländern im demokratischen Bundesstaat des Grundgesetzes, AöR 87 (1962), S. 280 ff. 263 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 40 ff. m. w. N. 264 Siehe jedoch zu Dreigliedrigkeitslehre Isensee unter Hinweis auf Kelsen: J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 81 ff. Auch spricht Ossenbühl von „Gehorsam“ der Länder gegenüber dem Bund in der Bundesauftragsverwaltung, einem Terminus der seinen Ursprung in Subordinationslehren findet; F. Ossenbühl, Weisungen des Bundes in der Bundesauftragsverwaltung, Der Staat 28 (1989), S. 32, 40.
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die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen die Problematik, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu erfassen. In der Vergangenheit wurde von einigen Autoren die Ansicht vertreten, dass zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten ein hierarchisches Verhältnis besteht265, so beispielsweise Laband266. Das Bundesverfassungsgericht spricht in einem seiner ersten Urteile von einem „Überordnungsverhältnis von Bund und Land“267. Da allerdings sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten Staaten und somit Ausdruck eines allgemeinen Willens der sie konstituierenden Bürgerschaften sind, kann das Verhältnis zwischen Bund und Gliedern nur ein Verhältnis der Gleichordnung sein268. Bereits diese (mittlerweile korrigierte269) Erkenntnis des höchsten deutschen Gerichts deutet darauf hin, dass der deutsche Bundesstaat nicht auf einem Bundesvertrag beruht, der für einen echten Bundesstaat konstitutiv ist. Stern fordert, die „verfehlten . . . Formeln von Gleichordnung, Überordnung und Unterordnung abzulösen“270. Eine dreigliedrige Bundesstaatskonzeption, wie sie Kelsen271 und Nawiasky 272 lehrten273, ist nicht die Konzeption des deutschen Bundesstaates274. Der Bundesstaat solle hiernach aus Gliedstaaten, dem Gesamtstaat und einem beide umfassenden Ober- oder Zentralstaat bestehen275. Stattdessen ist eine Zweigliedrigkeitslehre zu vertreten, in der nicht zwischen Bund und Bundesrepublik unterZusammenfassend dazu siehe H. Bauer, Die Bundestreue, S. 222 f. P. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 55 ff. Dazu O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 17; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 85 ff. 267 BVerfGE 1, 14 (51). Vgl. auch J. A. Frowein, Die selbständige Bundesaufsicht nach dem Grundgesetz, 1961, S. 41. 268 „Nur darf man in der Herrschaft des Bundesstaates keine Ueberordnung über die Gliedstaaten suchen“; H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 36. Vgl. auch W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 27. 269 „In dem föderativ gestalteten Bundesstaat des Grundgesetzes stehen die Verfassungsbereiche des Bundes und der Länder grundsätzlich selbständig nebeneinander“; BVerfGE 4, 178 (189); 6, 376 (381 f.); 22, 267 (270); 41, 88 (118); 60, 175 (209); 96, 231 (242); 96, 345 (368); 98, 145 (157); 102, 224 (232). 270 K. Stern, Die föderative Ordnung im Spannungsfeld der Gegenwart, in: Politikverflechtung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, 1975, S. 22. 271 H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 199 f. 272 H. Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 36; ders., Allgemeine Staatslehre, Zweiter Teil, 1955, S. 203; ders., Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil, 1956, S. 159 ff. 273 Dazu W. Haegert, Organe der Länder auf Bundesebene?, S. 1138; W. Hempel, Der demokratische Bundesstaat, 1969, S. 64 ff.; F. O. Kopp, Zur Geltungsgrundlage der Staatsverträge zwischen den Ländern, JZ 25 (1970), S. 280. 274 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 40 ff. 275 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 15. Schäfer spricht von einem „Zentralstaat“; H. Schäfer, Wie steht es um unsere bundesstaatliche Ordnung?, NJW 14 (1961), S. 1281; vgl. auch J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, 1965, S. 45 ff. 265 266
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schieden wird276. Anders als die Dreigliedrigkeitslehre handelt es sich nicht um „ein Gedankengebilde ohne irgendeine Entsprechung in der wirklichen Welt“277. Für Konfusion sorgte das Bundesverfassungsgericht durch unterschiedliche Ansichten in seinen Urteilen278. Das Südweststaat-Urteil ließ einen zweigliedrigen Bundesstaat mit den Ländern „als Glieder des Bundes“279 erkennen. Dagegen stellte das Gericht im Reichskonkordat-Urteil eine „schwer nachvollziehbare Dreiteilung des Bundesstaates“ fest und „denaturierte den Bundesstaat zu einem schizophrenen Partner völkerrechtlicher Verträge“280. Mehrfache Formulierungen ließen zweifelsfrei eine dreigliedrige Bundesstaatskonzeption erkennen281. Auch im Urteil zur Volksbefragung Hessen wurde Bund und Ländern ein Gesamtstaat gegenübergestellt: „Im Bundesstaat haben Bund und Länder die gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates“282. Eine Lösung von der Dreigliedrigkeitslehre wurde durch das Urteil zur Neugliederung Hessens ausgesprochen: „Das Bundesverfassungsgericht hat zwar im Konkordatsurteil von der Bundesrepublik Deutschland als dem Bundesstaat gesprochen, dessen Glieder der Bund und die Länder sind (vgl. BVerfGE 6, 309 (340, 364)). Damit sollte aber nur zum Ausdruck gebracht werden, daß die Aufteilung der staatlichen Befugnisse im Innern des Bundesstaates zwischen den Organen des Bundes und den Organen der Länder keine Wirkung nach außen hat, daß vielmehr nach außen alle Organe, die im Innern staatliche Befugnisse ausüben, die völkerrechtliche Einheit Bundesrepublik Deutschland darstellen. Nicht aber ist daraus zu folgern, daß zwischen einem Zentralstaat und einem Gesamtstaat als zwei verschiedenen Rechtsträgern und Subjekten gegenseitiger verfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten unterschieden werden kann. Es gibt nicht neben dem Bundesstaat als Gesamtstaat noch einen besonderen Zentralstaat, sondern nur eine zentrale Organisation, die zusammen mit den gliedstaatlichen Organisationen im Geltungsbereich des Grundgesetzes als Bundesstaat alle die staatlichen Aufgaben erfüllt, die im Einheitsstaat einer einheitlichen staatlichen Organisation zufallen. Das Grundgesetz hat die Aufteilung der Kompetenzen nur zwischen K. Stern, Staatsrecht I, S. 650 f.; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 7 f. J. H. Kaiser, Die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge des Bundes durch die Länder, ZaöRV 18 (1958), S. 534 f. Kritisch auch W. Hempel, Der demokratische Bundesstaat, S. 64; H. Schäfer, Wie steht es um unsere bundesstaatliche Ordnung?, S. 1283. 278 Dazu O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 40 ff.; J. Alshut, Der Staat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1999, S. 117 ff. 279 BVerfGE 1, 14 (34). 280 J. H. Kaiser, Die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge des Bundes durch die Länder, S. 535. 281 Dazu folgende Zitate aus dem Urteil: „die Bundesrepublik Deutschland – das sind verfassungsrechtlich der Bund und die Länder als ein Ganzes“ [BVerfGE 6, 309 (340)]; „Die Länder haben ebenso wie der Bund die verfassungsrechtliche Pflicht, dem Wesen des sie verbindenden verfassungsrechtlichen ,Bündnisses‘ entsprechend zusammenzuwirken“ [BVerfGE 6, 305 (361)], Herv. d. Verf.; „Im Geltungsbereich des Grundgesetzes wird die staatliche Einheit durch die Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat verwirklicht, deren Glieder der Bund und die Länder sind“ [BVerfGE 6, 305 (364)]. 282 BVerfGE 8, 122 (138). 276 277
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den Organen des Bundes und denen der Länder vorgenommen, wobei unter Bund der durch Zusammenschluß der Länder entstandene Gesamtstaat verstanden wird.“283
ee) Freiheitsverwirklichung als Rechtfertigung von Bundesstaatlichkeit Ebenso wie es an einer umfassenden Lehre formeller Charakteristika von Bundesstaaten fehlt, besteht auch bei den materiellen Bundesstaatslehren noch erheblicher Forschungsbedarf284. Legitimationslehren knüpfen an formelle Bundesstaatslehren an285 und beantworten Fragen nach dem Sinn von bundesstaatlicher Organisation. Bundesstaatlichkeit erfordert eine komplexe Staatsorganisation, in der die Handlungsfähigkeit des Staates durch vermehrten Diskussionsbedarf und langsame Willensbildungsprozesse beeinträchtigt werden kann286. Aber auch die Kosten mehrfacher staatlicher Organisation sowie Unterschiede in Art und Qualität öffentlicher Leistungen werden bisweilen moniert. Diese negativen Aspekte werden in der öffentlichen Diskussion besonders hervorgehoben, wenn Bundesstaatlichkeit als spezielle Form der Dezentralisierung eines einheitlichen Gebildes missverstanden wird. Demzufolge erfüllen materielle Bundesstaatslehren einerseits die Funktion darzulegen, aus welchem Grund es sich nicht um eine „administrative ,Annehmlichkeit‘“287 handelt (1), andererseits den Beitrag ausdifferenzierter Gewaltenteilung zu erörtern (2).
(1) Schutz des politischen Eigenlebens In föderalen Systemen sind die Bündnispartner selbst mit Staatsqualität ausgestattete Republiken, die nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung ihre politischen Angelegenheiten nach freiheitlichen Grundsätzen in Eigenregie regeln288. Die Konstituierung zu föderalistischen Gemeinwesen manifestiert, dass der Wille zur Einheit dem Willen zur Selbständigkeit ebenbürtig ist289. Anfang des BVerfGE 13, 54 (77). K. Stern, Staatsrecht I, S. 647; i. d. S. auch O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 9. Vgl. auch U. Volkmann, Wozu Bundesstaat?, FAZ v. 04. 12. 2004, S. 7. 285 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 224. 286 Hierzu und dem Folgenden K. Stern, Föderative Besinnungen, in: FS für Hans Huber, 1981, S. 327; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 22 ff. 287 R. Sturm, Die Zukunft des Bundesstaates in der Dynamik europäischer Integration, in: R. Hrbek (Hrsg.), Europapolitik und Bundesstaatsprinzip, 2000, S. 193. 288 Art. 1 Nr. 1 UN-Charta spricht von Nationen. Vgl. auch Nachweise in Fn. 109. 289 Für Spanien wird noch zu prüfen sein, inwieweit es sich um einen Sonderfall handelt und die kleinen Einheiten, die Autonomen Gemeinschaften, die sich innerhalb des Einheitsstaates herausgebildet haben, also zeitlich später als der Gesamtstaat, das notwendige Maß an Selbstständigkeit aufweisen, um von einem spanischen Föderalismus zu sprechen, der auf die Erhaltung ihrer Eigenständigkeit gerichtet ist. 283 284
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19. Jahrhundert wird die Sicherstellung der Existenz kleiner Einheiten, der Gliedstaaten, durch die Eingehung des Bündnisses als bestimmender Vorteil des Bundesstaates erachtet290. Ziel des Bundes ist Recht und Frieden zu sichern, Schutz und gegenseitigen Rat zu gewährleisten291. Bei großen Gemeinwesen ist der Erhalt kleiner Einheiten der Freiheit willen geboten292. Nur durch vielfältige Partizipationsmöglichkeiten, damit höheren Verpflichtungen für das Gemeinwohl und Bürgernähe293, kann demokratische Willensbildung gewährleistet werden. Im zentralisierten, allumfassenden Staat sind die Einflussmöglichkeiten auf eine kleine Gruppe beschränkt, die die Politik prägen und somit despotisch die Mehrheit der Staatsbürger beherrschen. Solche Staaten sind keine Freistaaten, in denen Bürger unter selbst gegebenen Gesetzen, dem „allgemein vereinigten Volkswillen“294, leben. Das monarchische Prinzip der Fremdherrschaft wird in der Republik durch das Prinzip der Repräsentation überwunden. Abgeordnete sind Stellvertreter des gesamten Volkes, nur ihrem eigenen Gewissen und nicht ihren Parteien unterworfen295. Die Sittlichkeit des Gesetzgebers als unabdingbare Voraussetzung zur Gesetzeserkenntnis muss durch das Gesetzgebungsverfahren sichergestellt werden296. Das Recht eigenständiger Politik beruht auf der Verfasstheit der Gliedstaaten als Staaten und somit dem unveräußerlichen Recht jedes Bürgers, sein eigener Gesetzgeber zu sein. Folglich handelt es sich um eine „Vermenschlichung eines Staates . . . der anderenfalls aufgrund seiner Größe und Anonymität zum unpersönlichen, fernen und fremden Herrschaftsträger zu werden droht“297. Der Föderalismus ist ein rechtstaatliches Prinzip, das mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist298. Die Bestimmung des Verhältnisses von Föderalismus und Demokratie findet in der rechtswissenschaftlichen Diskussion viel Beachtung299. 290 „Denn das ist der ungeheure Vorzug, den ein kleiner Staat durch den Eintritt in einen Bundesstaat gewinnt, daß sein bis dahin unsicheres Dasein nun gegen jeden Angriff von außen dauernd garantiert ist“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 786 f. 291 R. Koselleck, Bund, S. 600, 629; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 22 ff. 292 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 174. Bereits Jellinek stellt auf die vielfältigeren Entfaltungsmöglichkeiten in einem föderalen großen Reich ab; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 786 f. 293 P. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, S. 84; C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 8 f. 294 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432. 295 Art. 38 Abs. 1 GG. 296 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 560 ff., 584 ff. m. w. N.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 327 ff. 297 M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 31. 298 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 270, M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 33 ff. 299 M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 27; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 46 ff.
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Isensee hebt hervor, dass der Föderalismus das Demokratieprinzip unterstützt, indem im Gegensatz zum Unitarismus die Entfaltungsmöglichkeiten demokratischen Zusammenlebens beträchtlich erweitert werden300. Das Demokratieprinzip erfordert eine freiheitliche Willensbildung des Gemeinwesens im oben genannten Sinne. In föderalen Gemeinwesen ist die Staatlichkeit in vielfältiger Weise gebietlich begrenzt und es findet auf unterschiedlichen Ebenen die staatliche Willensbildung und Rechenschaft der Staatsorgane statt. Durch größere Bürgernähe und somit persönliche Bekanntheit der Amtswalter und geringeren Haushaltsetats ist die Kontrolle durch Wähler und Staatsorgane wirksamer auszuüben301. In großen zusammengesetzten Gemeinschaftsformen wird erst durch Föderalismus eine substantielle demokratische Legitimation erreicht, wie es Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG für den deutschen Bundesstaat verlangt302. Größere Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen erhöhen zudem deren sachliche Richtigkeit. Ebenso haben Minderheiten in kleinen Republiken verstärkte Durchsetzungschancen ihrer Interessen und Ansichten, da sie im Willensbildungsprozess relativ gesehen einflussreicher sind303. Kulturelle Eigenarten können sich entfalten, gesellschaftliche Vielfalt wird erhalten. Für Delors ist Föderalismus „greifbare Demokratie, da sich die Bürger auf regionaler Ebene voll und ganz am Leben des Gemeinwesens beteiligen und wirkliche Bürger sein können“304.
(2) Unterstützung der Teilung der Staatsgewalt Neben erhöhter demokratischer Legitimation kann der Föderalismus auch die Funktionsfähigkeit der Staatsorganisation verbessern. Eine „vertikale Gewaltenteilung“305 wird erreicht, worunter die Aufgaben- und Befugnisverteilung auf unterschiedliche staatliche Ebenen verstanden wird, die neben die republikanische horizontale Gewaltenteilung tritt; die Trennung der Staatsfunktion in Legislative, Exekutive und Judikative. Hierbei sollte besser von einer funktionalen Teilung der Staatsgewalt gesprochen werden306. Der Begriff vertikal indiziert einen senkrechJ. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 270. P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, 1992, S. 44 f. Zum Amtsprinzip siehe auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 344 ff. 302 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 133 f.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 51 f.; siehe auch A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 185. Anderer Ansicht P. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, S. 80, 83. 303 M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 30; H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 57. 304 J. Delors, Das neue Europa, 1993, S. 216. 305 P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 44 f.; R. Sturm, Die Zukunft des Bundesstaates in der Dynamik europäischer Integration, S. 193. Bspw. § 4 BMinG: „Ein Mitglied der Bundesregierung kann nicht zugleich Mitglied einer Landesregierung sein“. 306 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 17 ff., 169 f., 560 f., 919 ff. 300 301
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ten, hierarchischen Staatsaufbau, sei es herrschaftlich von oben nach unten oder partizipativ von unten nach oben. Föderalismus ist aber gerade die Abkehr von einer derartigen Hierarchie307. Die Gliedstaaten sind weder als Aufbauelemente oder Untergliederungen des Verbundes, noch als dem Bündnis untergeordnete Einheiten anzusehen. Stattdessen kann keine Rangfolge zwischen den Einheiten festgelegt werden; es handelt sich vielmehr um ein hierarchiefreies Nebeneinander308. Die Wechselwirkungen zwischen den Einheiten werden durch Vertrag oder Verfassung geordnet, ohne ein generelles Rangverhältnis zu etablieren. Das Bundesverfassungsgericht spricht hierbei von einer „funktionalen Gewaltenteilung“ durch den Föderalismus, die neben der üblichen Teilung der Staatsgewalt in Legislative, Exekutive und Judikative zusätzlich „politische Macht“ verteilen und begrenzen soll309. Durch Föderalismus entsteht eine Vielzahl von Legislativorganen, Regierungen und vor allem ein stark ausdifferenziertes Gerichtswesen310. Dies resultiert aus der Sicherstellung der Eigenständigkeit der kleineren Einheiten und ist nicht etwa Selbstzweck, wie bereits Waitz lehrt: „Nicht um der doppelten Herrschaft willen, sondern um den Reichtum des Lebens und seiner Entwicklungen völliger entfalten zu können, wird ein Volk die einfache Ordnung des Einheitsstaates gegen die geteilte des Bundesstaates aufgeben. Dieser setzt immer ein regeres Bewusstsein der Nation von ihren Aufgaben, eine lebendigere Teilnahme an ihren Angelegenheiten voraus; es ist auf die Länge nur da durchführbar, wo das Volk einen wirklichen Anteil an dem Leben des Staates nimmt.“311
Auch Lerche betont, dass die Machtbegrenzung im Sinne einer staatlichen Gewaltteilung nicht Zielsetzung des Föderalismus sei, und warnt vor seiner Entleerung durch Instrumentalisierung zur Machtentschärfung312. Beide Konzepte seien grundsätzlich wesensverschieden. Funktionale Teilung der Ausübung der Staatsgewalt ist ein Mittel zur Freiheitssicherung, das als Antwort auf Erfahrung mit Tyrannei, Korruption und Kriminalität im Zentralismus dient313. Föderalismus bewahrt die Eigenständigkeit von politischen Einheiten vor Unitarisierung. Die grundsätzliche Möglichkeit zur Teilhabe an politischer Macht, wie es republikanische Staatlichkeit konzipiert und die Teilung der Staatsgewalt sicherstellt, ist Kap. II.2.a). Kap. II.3.a)dd). 309 BVerfGE 55, 274 (318 f.). Vgl. auch K. Hesse, Bundesstaatsreform und Grenzen der Verfassungsänderung, AöR 98 (1973), S. 12; M. Bothe, Föderalismus und regionale Autonomie, in: A. Randelzhofer (Hrsg.), Deutsch-Spanisches Verfassungsrechts-Kolloquium, 1982, S. 145. 310 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 186; i. d. S. auch P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 44 f. 311 G. Waitz, Das Wesen des Bundesstaates, Allgemeine Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur 1853, S. 507. 312 P. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, S. 80 ff. 313 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 180 ff., insbes. S. 183. 307 308
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nicht Zielsetzung des Föderalismus, sondern vielmehr eine seiner Voraussetzungen. Somit ist seine gewaltenteilige Wirkung höchstens als ein „Nebensinn“314 zu verstehen. Eine klare Abgrenzung von Zielsetzung und Wirkung ist von entscheidender Wichtigkeit, da bedeutende deutsche Parteien in der gewaltenteiligen Wirkung des Föderalismus eine Legitimitätsgrundlage des Parteienstaates sehen. Häufig wird in der Diskussion die Aussage getroffen, Vorteil des Föderalismus sei, dass durch die Vielfältigkeit der Partizipationsebenen die „Opposition in die demokratische Ordnung“ eingebaut wird und zur „Auflockerung der inneren Ordnung der Parteien“315 dient. Richtig ist, dass eine „vertikale Gewaltenteilung“ geschaffen wird, bei der in der kleinen Einheit stärker die kulturelle Identität und regionale Besonderheiten gewahrt werden können, sogar Minderheiten vielfältigere Partizipationsmöglichkeiten haben316. Des Weiteren kann die Çhance des Experiments im kleineren Bereich“317 als Vorteil gesehen werden, soweit und solang es sich um den allgemeinen Willen der jeweiligen Entscheidungsebene handelt, nach politischen Alternativen zu suchen318. Zusätzlich bedeutet eine Vielzahl von Regierungen das Vorfinden von unterschiedlichen politischen Einstellungen in der Regierungsverantwortung. Kritisch zu betrachten ist jedoch die Ansicht im fortgeschrittenen Parteienstaat, dass die „im Bunde in der Opposition stehende Partei in den Ländern Regierungen bilden“ könne und „damit ihr Führungspersonal schule und erprobe“319. Auch dient Föderalismus nicht einem „parteipolitischen Spannungsausgleich“320 oder der Förderung des „Selbstbewusstseins der Landesverbände der Parteien“321. Diese Ausrichtung degradiert die Gliedstaaten zu Testregionen für Entscheidungen auf Bundesebene und zeugt von einem unechten, unitarischen Bundesstaat322. Wahlen in existentiellen Staaten sollen jedoch moralische Abgeordnete ermitteln, deren Aufgabe die Gesetzeserkenntnis sei. Hierfür müssen sie, nur ihrem eigenen Gewissen unterworfen323, sittlich handeln. Es ist nicht im Sinne des Föderalismus, den dem Amtsprinzip innewohnenden LeistungsgrundP. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, S. 83. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 100; H. Abromeit, Mehrheitsprinzip und Föderalismus, 1983, S. 9; P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 44 f. 316 So z. B. P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 44; vgl. auch G. Kisker, Ideologische und theoretische Grundlagen der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, in: I. von Münch (Hrsg.), Probleme des Föderalismus, 1985. 317 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 102. 318 Dieses Argument soll als Legitimation für das Konzept des Wettbewerbsföderalismus dienen; dazu Kap. III.2.c)dd). 319 P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 45. 320 So aber H. Abromeit, Mehrheitsprinzip und Föderalismus, S. 9. 321 So aber U. Münch / K. Meerwaldt, Charakteristika des Föderalismus, in: Föderalismus in Deutschland, 2002, S. 8. 322 Siehe insbesondere Kap. III.2.b)bb). 323 Art. 13 Abs. 2 BayVerf; Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. 314 315
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satz324 außer Kraft zu setzen, indem Ämterpatronage betrieben wird und Parteifunktionäre sich aus Unerfahrenheit anfangs auf kleiner, anscheinend unbedeutender Ebene „schulen und erproben“. Föderalismus bedeutet stattdessen, dass die Selbständigkeit und politische Bedeutung der kleinen Einheit gewahrt wird. Im echten Bundesstaat besteht keine Hierarchie, die Länderpolitik ist ebenso wichtig wie die des Bundes, unterschiedlich sind lediglich die Aufgaben. Der Föderalismus hat die Gliedstaaten nicht als Schulungszentren für spätere Bundespolitiker geschaffen; vielmehr ist der Bund die Kreation der Länder, so zumindest im echten Bundesstaat. Die Abgeordneten kleiner und großer Einheiten sind der Freiheit willen zu Sittlichkeit verpflichtet. Insgesamt ist es weder Aufgabe noch Intention des Föderalismus, den „neuen Dualismus“325 von Regierungs- und Oppositionsparteien zu unterstützen, in deren Interesse politische Macht liegt. Das Gemeinwesen gewährleistet allgemeine Gesetzlichkeit und verlangt als Grundlage der Funktionsfähigkeit die Sittlichkeit und Moralität aller Bürger. Zwischen Ordnung und Sittlichkeit besteht eine wechselseitige Beziehung: Zur Gewährung der Ordnung ist Sittlichkeit unentbehrlich, andererseits muss die Ordnung wiederum die Sittlichkeit bestmöglich fördern326. Diese Unterstützung allgemeiner Sittlichkeit kann der Föderalismus leisten. Der entscheidende Rechtfertigungsgrund des Föderalismus ist seine freiheitssichernde Wirkung327.
b) Staatenbund Neben dem Bundesstaat liegt auch dem Staatenbund das föderale Prinzip zugrunde328. Münch räumt ein, dass der Bundesstaat nicht die einzige föderalistische Organisationsform ist, sieht in ihm jedoch „die förmliche Vollendung des Föderalismus“329. Ähnlicher Ansicht ist Jellinek, der die These aufstellt, dass die „einzige gesunde und normale Form“330 der Staatenverbindung der Bundesstaat sei. Gegensätzlicher Meinung ist Anschütz, der nicht im Bundesstaat, sondern im Staatenbund die Verwirklichung des Föderalismus sieht: „Den reinen Föderalismus wollen heißt 324 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 346 und die dort angegebene Literatur. 325 C. Schmid, Die Opposition als Staatseinrichtung, 1955, in: H.-G. Schumann (Hrsg.), Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 59 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 1022 ff. und siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 175, 802 ff., 1139 f. 326 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 36. 327 Durch die gewaltenteilende Wirkung befindet sich nicht nur das Demokratie-, sondern auch das Sozialprinzip im Einklang mit Föderalismus. Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 101; siehe aber auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 664. 328 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 2; V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, S. 58. 329 F. Münch, Föderalismus, Völkerrecht und Gemeinschaften, DÖV 15 (1962), S. 649. 330 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 785.
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den Staatenbund wollen, und den Staatenbund wollen, heißt die nationale Einheit nicht wollen“331. Heute werden beide Bündnisse als föderale Formen betrachtet. Im Mittelpunkt der gegenwärtigen Diskussion stehen vielmehr die Wesensmerkmale des Staatenbundes, der ebenso wie der Bundesstaat definitionsbedürftig bleibt332, sowie seine Abgrenzung zum Bundesstaat333. Ein Staatenbund ist eine vertragliche Vereinigung existentieller Staaten zum Zwecke gemeinschaftlicher Ausübung von Staatsgewalt. Die Verbindung beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag und ist selbst kein existentieller Staat334. Wie im echten Bundesstaat wird ein Bundesvertrag geschlossen. Zusätzlich zu der fast allgemein vertretenen Ansicht, dem Staatenbund fehle ein eigener pouvoir constituant, wird dieser Arbeit zugrunde gelegt, dass der funktionalen Staatlichkeit des Staatenbundes enge Grenzen gesetzt sind. Ebenso wie im nicht-existentiellen Bundesstaat werden alle Akte des Staatenbundes vom Willen der einzelnen Völker getragen und müssen sich demnach an den jeweiligen nationalen Verfassungen messen lassen335. Im Staatenbund wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker336 gewahrt. Die existentielle Staatlichkeit der Mitgliedstaaten wird weder im Staatenbund noch im funktional-staatlichen Bundesstaat beeinträchtigt337. Dem Unterscheidungskriterium, dass der Bundesstaat ein staatsrechtliches, der Staatenbund dagegen ein völkerrechtliches Konstrukt sei, kann nicht gefolgt werden338. Der Staatenbund binde den Staat, wobei der Bundesstaat sich unmittelbar an die Individuen richte339. Diese dualistische Lehre340, nach der neben den natio331 G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 12; Herv. i. Orig. 332 R. Koselleck, Bund, S. 649. 333 Seit Anfang des 19. Jahrhundert werden beide Organisationsformen kontrastiert; R. Koselleck, Bund, S. 654. Vgl. auch Ausführungen in Kap. II.3. 334 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 762 f.; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 2; W. Philipp, Ein dreistufiger Bundesstaat?, S. 434; K. Stern, Staatsrecht I, S. 654. 335 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 87 ff., 98 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 165, ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 37. 336 Vgl. Fn. 109. 337 „Der Staatenbund mindert rechtlich die Souveränität der verbündeten Staaten nicht, vielmehr verpflichtet diese sich wechselseitig, zum Zwecke der Erhaltung ihrer Souveränität gewisse Funktionen“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 762 f. Es sei erneut darauf hingewiesen, dass der Terminologie Jellineks in dieser Arbeit nicht gefolgt wird, so dass diese Aussage auch für den Bundesstaat gilt, in dem der Bund nicht selbst existentieller Staat ist. 338 So aber Jellinek: „Der Bundesstaat ruht auf verfassungsmäßiger, nicht vertragsmäßiger Ordnung“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 774. Dagegen vermag Kelsen keinen qualitativen Unterschied zwischen Staatenbund und Bundesstaat erkennen; dazu H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 207 ff. 339 „So muß die differentia specifiva in jenem Merkmal gelegen sein, das soeben als maßgeblich für die Erkenntnis der völkerrechtlichen gegenüber der staatsrechtlichen Qualität festgestellt wurde, nämlich in der Adresse der Rechten und Pflichten, dort (sc. im Staaten-
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nalen Rechtsordnungen das Völkerrecht losgelöst Geltung erlangt, verkennt, dass es kein von den Menschen unabhängiges Recht geben kann341. Es wird behauptet, dass bei Zuwiderhandlung gegen völkerrechtliche Pflichten zwar Sanktionen folgen können, jedoch die innerstaatliche Rechtsordnung davon unberührt bleibt342. Der Staat im engeren Sinne hat keine eigenständige, von der Bürgerschaft geschiedene Existenz343. So ist auch das Völkerrecht allgemeiner Wille der Menschen344. In dieser Arbeit wird eine monistische Lehre vertreten, nach der Staats- und Völkerrecht eine Einheit bilden. Völkerrecht ist „äußeres Staatsrecht“345 und legalisiert sich durch den Willen der Völker. Dieser Arbeit wird der umgekehrte Monismus zugrunde gelegt, in dem Staats- und Völkerrecht eine Freiheit verwirklichende Einheit bilden346. Anstatt des Adressaten dient vielmehr die Fülle und Qualität der Staatlichkeit in Verbindung mit der Ursprünglichkeit der Staatsgewalt als Unterscheidungskriterium. Der Staatenbund ist (ebenso wie der nicht-existentielle Bundesstaat) in dem Maße funktional Staat, wie es dem Willen der Völker entspricht. Jeder Mitgliedstaat hat aufgrund des Prinzips der Freiwilligkeit ein Austrittsrecht347. Entspricht es nicht mehr dem Willen eines Volkes in Gemeinschaft mit anderen Staaten Staatsgewalt auszuüben, so kann das Vertragsverhältnis aufgelöst werden. Dieses Recht wird üblicherweise im unechten Bundesstaat nicht anerkannt348. Inwieweit bund) ausschließlich an den Staat, hier (sc. im Bundesstaat) auch noch an das Individuum“; H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 35. Kritisch O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 6. 340 R. Zippelius / T. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, S. 429 f. Zu Monismus und Dualismus C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren; K. Doehring, Völkerrecht, 1999, § 13, Rdn. 696 ff.; A. Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1997, § 11, Rdn. 1045 ff. 341 So aber BVerfGE 22, 293 (295 ff.); 31, 145 (273 f.); 58, 1 (27). 342 BVerfGE 6, 309 (364 ff.). 343 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 57. 344 Somit bedarf es auch keiner Transformation des Völkerrechts. So aber die herrschende Lehre: „Seine Hoheitsakte bedürfen in der Regel einer Transformation durch die Mitgliedsstaaten“; K. Stern, Staatsrecht I, S. 654. 345 K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil I, S. 18 f. 346 C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 261 ff., bes. S. 278 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 110; ders. / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil I, DSWR 28 (1999), S. 19. 347 K. Stern, Staatsrecht I, S. 492. Zu befristeter Bundschließung siehe auch R. Koselleck, Bund, S. 599. 348 U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, Der Staat 32 (1993), S. 201; W. Philipp, Ein dreistufiger Bundesstaat?, S. 434. Dazu Jellinek, der jedoch den Staat nicht als Republik begreift: „Der Austritt aus einem Staatenbund ist Vertragsbruch, nicht Auflehnung gegen eine Herrschaft. Mangel an Vertragstreue kann unter Umständen rechtlich gerechtfer-
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ein Ausscheiden aus dem Bundesstaat in existentiellen Lagen zu befürworten ist349, wird im Rahmen der Erörterung des deutschen Bundesstaatsrechts dargelegt [Kap. III.1.c)cc)]. Als Unterscheidungskriterium des Bundesstaates vom Staatenbund ist ein Sezessionsrecht nicht tragfähig, auch wenn der Bundesstaat den engeren Zusammenschluss darstellt350. Wird eine gewisse funktionale oder institutionelle Staatlichkeit überschritten oder existentielle Aufgaben attribuiert, so ist die Staatenverbindung als Bundesstaat zu bezeichnen. Dies ist der Fall bei der Europäischen Union, die nach herrschender Lehre ein Staatenverbund351 sein soll. Trotz der begrifflichen Nähe zum Staatenbund übt die Union eine Fülle funktionaler Staatlichkeit aus, ihre institutionelle Staatlichkeit ist ausgeprägt, und ihr sind zusätzlich Aufgaben eines existentiellen Staates zugewiesen. Somit ist die Union nicht als Staatenbund, sondern als Bundesstaat zu bezeichnen, der die Schwelle zur existentiellen Staatsqualität (noch) nicht überschritten hat. Mit den Worten Kants handelt es sich sowohl beim Staatenbund als auch beim echten Bundesstaat um „Föderalism freier Staaten“352. „Ist der Staatenbund als gedachter Teil des gemeinschaftlichen Willens einer Anzahl verbundener Staaten zwar ein Rechtssubjekt, aber kein mit Herrschaft begabtes Rechtssubjekt“353, bedeutet dies, dass er weder Kompetenzkompetenz innehält, noch eine Befugnis zu zwingen hat. Nur existentiellen Staaten wohnt dieses Recht zur Sicherstellung der Gesetzlichkeit inne354. Zur Verwirklichung des Rechts als conditio sine qua non müssen die Mitgliedstaaten von Staatenbünden Republiken sein. Es wird eine Republik der Republiken geschaffen355. Die in den einzelnen Staaten lebenden Bürger bleiben nur an selbst gegebene Gesetze gebunden. Nawiaksy hebt diesen entscheidenden Aspekt hervor:
tigt werden, Empörung gegen eine verfassungsmäßig bestehende Gewalt niemals. . . . Zudem ist selbst rechtlich die Auflösung eines jeden Staatenbundes möglich durch einhelligen Beschluß seiner Gliedstaaten. Eine staatsrechtliche Verbindung hingegen kann niemals durch den Willen ihrer Glieder von Rechtswegen gelöst werden. Der politische Selbstmord ist keine juristische Kategorie“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 768. 349 So K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 293 ff. 350 Vgl. A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 184; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 1. 351 Dazu und dem Folgenden Kap. V.1.c). 352 I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 ff. Vgl. auch R. Koselleck, Bund, S. 636 ff.; K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 165 ff.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 284. 353 H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 36. 354 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 37, 48 ff. m. w. N. 355 R. Koselleck, Bund, S. 637 f.; K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 165 ff.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 284. 6 Bretz
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus „Neben den Staatenbund tritt der Völkerbund356, als gedachter Träger des in dem gemeinsamen Ausschnitt aus den Rechtsordnungen aller Staaten erscheinenden, nur auf deren gegenseitige Beziehungen gerichteten Willens. Der Völkerbund ist nach dieser Konstruktion ebenso wie der Staatenbund kein über den Staaten, sondern mitten unter ihnen oder, anders gefaßt, neben ihnen stehendes Subjekt von Rechten und Pflichten. Nur so kann die Herrschereigenschaft der Staaten als eine ursprüngliche, von keiner anderen Macht abgeleitete Macht aufrecht erhalten werden.“357
c) Einheitsstaat Der Bundesstaat wird üblicherweise auch vom Einheitsstaat abgegrenzt358. In seinem Territorium ist im Gegensatz zum Bundesstaat nur eine einzige Staatsgewalt konstituiert359. Werden regionale und kommunale Selbstverwaltungsrechte gewährt, so handelt es sich um von der einzigen Staatsgewalt abgeleitete Rechte. Die dezentralen Verwaltungseinheiten oder autonomen Körperschaften sind Ausdruck ausdifferenzierter Administration und nicht etwa unabgeleitete Staatlichkeit360. Als Beispiele klassischer Einheitsstaaten nannte Stern vor zwei Jahrzehnten Frankreich und Spanien361. Mittlerweile haben einige Einheitsstaaten durch fortschreitende Dezentralisation und Regionalisierung bundesstaatliche Züge angenommen. In Spanien beispielsweise wurden Gebietskörperschaften, den Autonomen Gemeinschaften (Comunidades Autónomas, CC.AA.), weitreichendere Aufgaben und Befugnisse eingeräumt als es bei manchen bundesstaatlichen Gliedstaaten der Fall ist362. Es gilt jedoch nicht Zuständigkeitsfülle, sondern Staatsqualität als Abgrenzungskriterium zwischen Einheitsstaat und Bundesstaat363. Verfügen die Gebietskörperschaften über weitreichende Aufgaben oder verfassungsrechtlichen Bestandsschutz, jedoch keine eigene, unabgeleitete Verfassungshoheit, so spricht man von „regionalisierten Staaten“364. Im Gegensatz zu der kommunalen Ebene sind die autonomen Regionen unmittelbar unter der nationalstaatlichen 356 Der Begriff des Völkerbundes entspricht nicht dem heutigen Sprachgebrauch und ist mit dem Staatenbund gleichzusetzen; R. Koselleck, Bund, S. 671. 357 H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 36 f.; Herv. teilw. i. Orig. 358 G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 11; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 773; K. Stern, Staatsrecht I, S. 653; A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 326. 359 K. Stern, Staatsrecht I, S. 653; W. Philipp, Ein dreistufiger Bundesstaat?, S. 434. 360 K. Stern, Staatsrecht I, S. 653; vgl. auch am Beispiel Spaniens Ausführungen Kap. IV.2. 361 K. Stern, Staatsrecht I, S. 653. 362 W. Rudolf, Bundesstaat und Völkerrecht, AVR 27 (1989), S. 3. Dazu Kap. IV. 363 Graf Vitzthum spricht von „konstitutioneller Selbstbestimmung“; W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 28. 364 H. Laufer / T. Fischer, Föderalismus als Strukturprinzip für die Europäische Union, 1996, S. 113. Als europäische Beispiele werden Spanien und Italien genannt.
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Ebene angeordnet und üblicherweise deutlich größer als Kommunen365. Heckel weist auf die strukturellen Unterschiede zwischen Bundesstaat und dezentralem oder regionalisiertem Einheitsstaat hin: „Soweit der Föderalismus auf nationaler Ebene in den Formen des Bundesstaates zur Realisierung gelangt, handelt es sich, historisch wie politisch und rechtlich gesehen, um eine spezifische, nicht auf andere Verfassungsprinzipien zurückführende Form der Staatsgestaltung; er ist mehr und anders als Dezentralisation oder Regionalismus.“366
Einheitsstaaten können durch Regionalisierung bundesstaatliche Züge annehmen. Aber auch der umgekehrte Fall kann eintreffen und zentralstaatliche Charakteristika im Bundesstaat überhand nehmen. Unitarisierung kann den Bundesstaat in einen Einheitsstaat wandeln367. Für die rechtliche Würdigung eines solchen Vorganges muss der individuelle Ablauf und die jeweilige Verfassungslage erörtert werden. Zusammenfassend lehrt Nawiasky, „daß die Bundes- oder Teilstaatsgewalt für sich allein keine selbständige Existenz besitzt“368. Es handelt sich nicht mehr um eine Verfassungsgesetzänderung, sondern um den Untergang des Bundesstaates369. Dies geht stets mit einer Verfassungsvernichtung einher, da der pouvoir constituant ausgewechselt wird370. Stattdessen sind es die Bürger der Länder und des Bundes, die kraft ihrer verfassungsgebenden Gewalt Bundes- und Landesverfassungen aufheben und eine neue Staatsform konstituieren: „Eine staatsrechtliche Verbindung hingegen kann niemals durch den Willen ihrer Glieder von Rechtswegen gelöst werden. Der politische Selbstmord ist keine juristische Kategorie.“371
In der Staatspraxis ist jedoch häufig ein schleichender Übergang zu beobachten, so auch in Deutschland372. Werden bundesstaatliche Wesenselemente allmählich aufgehoben, kann es schwer fallen, Zeitpunkt des Übergangs zum Einheitsstaat und Verfassungsbruch zu bestimmen. Den Gliedstaaten wird ihre Staatsqualität 365 Vgl. Stichwort „Autonome Region“, in: Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Onlineausgabe, 20. Aufl. 2004, o. S. 366 K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 223; Herv. d. Verf. 367 „In den republikanischen Bundesstaaten bestehen in der Tat Institutionen, die nur fortgebildet werden brauchen, um die Staatenverbindung unmerklich in einen Einheitsstaat umzubilden“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 784. Siehe auch G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 11; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, § 26, Rdn. 2, S. 1114. 368 H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 163. 369 H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 161 ff. 370 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 94, 99. 371 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 768. Ähnlich auch Kirchhof: „Der Verfassungsgesetzgeber entscheidet nicht über die Existenz oder den Untergang eines Staates, sondern über seine Organisation, seine Handlungsweisen und seine zukünftige Entwicklung“; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 18. 372 Siehe Kap. VI.4.
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II. Grundlagen des Föderalismus und Regionalismus
genommen. Rechtens ist dies nicht, da nicht der verfassungsgesetzändernde Gesetzgeber, sondern nur der zuständige pouvoir constituant die Hoheit hat, über die eigene Staatsqualität zu befinden. Ein „semantischer Föderalismus“373 missachtet das Selbstbestimmungsrecht von Staatsvölkern und stellt nicht die Verwirklichung der Verfassung dar. Die Ansicht, „daß Staatenbund, Bundesstaat, Einheitsstaat nur verschiedene Abstufungen von Dezentralisationstypen sind“374, entspricht nicht ihren Konzeptionen. Das Fehlen einer allgemeinen Bundesstaatslehre375 und somit eines Kataloges mit notwendigen Wesensmerkmalen erschwert die Abgrenzung vom Einheitsstaat. Entscheidende Merkmale, die einen Bundesstaat von dezentralisierten und regionalisierten Einheitsstaaten abgrenzen sind376: (1) die Staatsqualität der Gliedstaaten (Verfassungshoheit sowie Finanz- und Haushaltshoheit), (2) eine Kammer zur Willensbildung der Gliedstaaten377, (3) Verfassungsgerichtsbarkeit zur Beilegung föderaler Streitigkeiten. Stets muss man sich jedoch „der heuristischen Funktion dieser Unterscheidungen bewußt sein“378. Zusammenfassend baut die vorliegende Arbeit auf folgende Terminologie auf: In dem durch Bundesvertrag geschlossenen echten Bundesstaat sind die Gliedstaaten existentielle Staaten. Der Bund beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und ist entweder funktional oder existentiell Staat. Unechte Bundesstaaten sind föderalisierte Einheitsstaaten, deren unitarische Konzeption im Fehlen des Bundesvertrages, d. h. der Konstitution durch Verfassungsvertrag begründet liegt. Regionalisierte Staaten sind Ergebnis fortgeschrittener Dezentralisation von Einheitsstaaten, ohne unechte Bundesstaatlichkeit zu erreichen. Der Staatenbund ähnelt dem echten Bundesstaat. Ihm fehlt jedoch ausgeprägte institutionelle und substantielle funktionelle Staatlichkeit. J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 3. G. Ress, Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, EuGRZ 13 (1986), S. 549. 375 Kap. II.3.a)aa). 376 A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 326. 377 Hierzu führt Jellinek aus: „Vom Einheitsstaate unterscheidet er (der Bundesstaat) sich dadurch, daß die in ihm zu völliger staatlicher Einheit zusammengefaßten Glieder in den der Bundeskompetenz nicht unterliegenden Angelegenheiten und vor allem in ihrer Organisation ihren staatlichen Charakter bewahrt haben, ferner dadurch, daß die obersten Organe dieser Staaten . . . entweder selbst Organe der höchsten Bundesgewalt sind oder diese erzeugen“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 773; Klammersatz hinzugefügt. 378 A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 326. 373 374
III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG). Eine allgemeine Bundesstaatslehre1 oder eine „bundesstaatliche Gesamtkonzeption“2 des Grundgesetzes fehlen. Dieses Kapitel gibt einen Einblick in das Wesen des deutschen Bundesstaates3 (1) und die ihn prägenden Normen (2 – 5). Zusammenfassend wird die unechte Bundesstaatlichkeit gewürdigt (6).
1. Staatliche Ebenen Bund, Länder und Kommunen a) Abriss der historischen Entwicklung zum Bundesstaat Ein Überblick der Verfassungshistorie seit Auflösung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation (962 – 1806) bis heute soll die föderalistische Tradition des deutschen Bundesstaates in seiner „konkret-geschichtlichen Individualität“4 zeigen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert wurden eine Reihe völkerrechtlicher Staatenbünde geschlossen5: der Rheinbund unter napoleonischer Vormachtstellung (Rheinbund Akte vom 12. 07. 1806), der Deutsche Bund (Deutsche Bundesakte vom 08. 06. 1815 und Wiener Schlussakte vom 15. 05. 1820) und der Zollverein (Vertrag vom 22. 03. 1833). Nach der Revolution von 1848 wurde durch die Paulskirchenverfassung vom 28. 03. 1849 zum ersten Mal ein existentieller deutscher Nationalstaat vorgesehen. Rechtswirksamkeit entfaltete sie jedoch nicht6, so dass als erste deutsche existentielle Bundesstaaten der Norddeutsche Bund von 1867 und das 1870 / 71 gegründete deutsche Kaiserreich, die beide unter preußischer Hegemonie standen, gelten7. Hierbei handelte es sich nicht nur Dazu Kap. II.3.a)aa). K. Stern, Föderative Besinnungen, S. 326. 3 Den Bundesstaat gibt es nicht, auch wenn in Deutschland der deutsche Bundesstaat als seine normale Form angesehen wird; dazu Kap. II.3.a)aa). 4 K. Stern, Föderative Besinnungen, S. 326. 5 R. Koselleck, Bund, S. 649 ff. 6 R. Koselleck, Bund, S. 662 ff.; H.-J. Vogel, Das Vermächtnis der Paulskirche, NJW 51 (1998), S. 1534 ff. 7 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 31; H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 32. Kritik an dieser Konzeption durch H. Rumpler, Föderalismus als Problem der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, Der Staat 16 (1977), S. 229 ff. 1 2
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
um Bündnisse zwischen Monarchen, sondern um existentielle Staaten mit eigenen Staatsvölkern8. Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. 08. 1919 weist zwar bundesstaatliche Elemente auf9, erkennt die Staatsqualität ihrer Länder jedoch nicht an10. Die Bundesstaatlichkeit oder der „Pseudoföderalismus“11 der Weimarer Republik wird spätestens durch die Entscheidung in Sachen „Preußenschlag“12 des Staatsgerichtshofes in Frage gestellt13. Durch Verordnung14 ermächtigte sich das Reich, die Preußische Regierung ihres Amtes zu entheben15, ein mit existentieller Landesstaatsqualität unvereinbarer Akt. Das Verfassungsgericht entschied zwar zu Gunsten Preußens, bejahte allerdings eine Treuepflicht der Länder im Sinne einer Unterordnung gegenüber dem Reich. Es stimmte zu, dass in besonders schweren Fällen der Nichtbeachtung die Reichsexekution zum Tragen kommen könnte16. Mit der Machtergreifung Hitlers und der anschließenden Gleichschaltung wurden die letzten föderalistischen Elemente abgeschafft17. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die DDR als Einheitsstaat18 und die Bundesrepublik Deutschland als unechter Bundesstaat durch Verfassungsgesetz konstiR. Koselleck, Bund, S. 669. Vgl. Art. 2, 5, 12 WRV. 10 Vgl. G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 16 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 652 m. w. N.; ablehnend insbesondere L. Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, 1922, S. 102 ff.; E. Jacobi, Einheitsstaat oder Bundesstaat?, 1919. 11 H. Laufer, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 35; ähnlich U. Münch / K. Meerwaldt, Geschichtlicher Rückblick, in: Föderalismus in Deutschland, 2002, S. 10. 12 Urteil v. 20. 10. 1932, RGZ 138 Anh. S. 1 ff. 13 I. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 292. 14 Diese stützt sich auf die Reichsexekution des Art. 48 Abs. 1 – 2 WRV. 15 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 93 f., 99. 16 U. Münch / K. Meerwaldt, Geschichtlicher Rückblick, S. 11. Vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 299. Zu den Verfassungsentwicklungen in der Spätphase der Weimarer Republik vgl. K. Kröger, Einführung in die jüngere deutsche Verfassungsgeschichte, 1988, S. 159 ff. Siehe zudem Kap. III.4 zu dem Bundeszwang des Art. 37 GG. 17 Es handelte sich allerdings nicht um eine „verfassungsrechtlich legale Gleichschaltung der Länder“, wie es die Ansicht vieler Autoren entspricht. Statt vieler U. Münch / K. Meerwaldt, Geschichtlicher Rückblick, S. 11. Die Verbrechen des NS-Regime können keine Legalität beanspruchen, da Herrschaftsakte keine Rechtsakte darstellen. Dazu O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1970, S. 567 ff.; F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 120; K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 59 f., 67. 18 Zwar deutet Art. 1 Abs. 1 DDR-Verf. („Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik; sie baut sich auf den deutschen Ländern auf.“) auf einen Bundesstaat hin, jedoch konnten sich unter sowjetischer Vorherrschaft und Diktatur keine föderalistischen Elemente entfalten. 8 9
1. Staatliche Ebenen Bund, Länder und Kommunen
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tuiert19. Der Genehmigung des Grundgesetzes durch die drei westlichen Militärgouverneure am 12. 05. 1949 gingen der Entwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonventes im August 1948 und die Beratungen und Abstimmungen des Parlamentarischen Rates voraus20. Das Grundgesetz ist zwar in seinen einzelnen Regelungen „genuin deutsches Werk“21, jedoch zeigen die Tatsachen, dass die verfassungsgebende Versammlung als Ergebnis der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz im Frühjahr 1948 zu verstehen ist und das Verfassungswerk der Genehmigungspflicht der Besatzungsmächte bedurfte, dass das deutsche Volk nicht souverän war22. Statt sich für eine bündische Staatsform zu entscheiden, wie es der Herrenchiemseer Verfassungskonvent mit der Bezeichnung „Bund deutscher Länder“ vorgeschlagen hatte23, entschloss sich der Parlamentarische Rat mehrheitlich für den unitarisch geprägten Begriff „Bundesrepublik Deutschland“, den er als aussagekräftiger erachtete und auch einem Festhalten am Terminus „Deutsches Reich“ vorzog24. Statt eines Volksentscheides wurde das Grundgesetz gemäß Art. 144 Abs. 1 GG von den Landesparlamenten angenommen25. In der Zustimmung der Länder wird die bündische Grundlage gesehen26, obwohl ein echter Bund existentieller Staaten der Einstimmigkeit und nicht einer Zwei-Drittel-Mehrheit (Art. 144 Abs. 1 GG) bedarf. Das Grundgesetz ist „eine Schöpfung der Länder, nicht umgekehrt“27. Als echter Bundesstaat kann Deutschland jedoch nicht bezeichnet G. A. Zinn, Der Bund und die Länder, AöR 36 (1949), S. 292. Dazu W. Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2000, S. 39 ff.; H. Boldt, Die Wiederaufnahme der deutschen föderativen Tradition im Parlamentarischen Rat 1948 / 49, ZSE 1 (2003), S. 512 ff. 21 K. Kröger, Die Entstehung des Grundgesetzes, NJW 42 (1989), S. 1320. Vgl. R. Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, HStR, Bd. I, § 6, Rdn. 71; F. Ossenbühl, Föderalismus nach 40 Jahren Grundgesetz, DVBl. 104 (1989), S. 1230; (kritisch) J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 237. Zu zurückhaltender amerikanischer Einflussnahme B. Pieroth, Amerikanischer Verfassungsexport nach Deutschland, NJW 42 (1989), S. 1334 ff. 22 „Die Länder sind mit dem territorialen Bestand unter den Geltungsbereich des Grundgesetzes getreten, der sich faktisch aus den Maßnahmen der Besatzungsmächte ergab“; BVerfGE 4, 250 (288). Vgl. auch K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 292, 312; K. Kröger, Die Entstehung des Grundgesetzes, S. 1319, 1324. 23 R. Mußgnug, HStR, Bd. I, § 6, Rdn. 42; H. Peters, Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, 1969, S. 16; W. Weber, Die Gegenwartslage des deutschen Föderalismus, 1966, S. 14. 24 R. Mußgnug, HStR, Bd. I, § 6, Rdn. 54; K. Kröger, Die Entstehung des Grundgesetzes, S. 1320. 25 Obwohl sich der Bayerische Landtag gegen das Grundgesetz aussprach, wurde seine Geltung für den Fall einer Zwei-Drittel-Mehrheit der übrigen Ländern anerkannt; vgl. R. Mußgnug, HStR, Bd. I, § 6, Rdn. 86. 26 H.-J. Schlochauer, Öffentliches Recht, 1957, S. 24; H.-W. Bayer, Die Bundestreue, 1961, S. 22. 27 H. Meier, Aspekte des Föderalismus in Deutschland und Frankreich, JöR N.F. 35 (1986), S. 50; Klammersatz hinzugefügt. Dazu B. Diestelkamp, Die Verfassungsentwicklung 19 20
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
werden28. Deutschland wurde durch Verfassungsgesetz (das Grundgesetz) und nicht durch Bundesvertrag konstituiert. Seitdem fanden folgende gebietliche Änderungen statt29: das Bundesgebiet wurde 1952 durch die Verschmelzung Badens, Württemberg-Badens und Württemberg-Hohenzollern zu Baden-Württemberg neu strukturiert (Art. 118 GG)30, 1956 das Saarland dem Bund rückgegliedert31 und mit der deutschen Wiedervereinigung fünf Länder im Osten Deutschlands aufgenommen sowie das Land Berlin um OstBerlin vergrößert. Durch die Reföderalisierung des Beitrittsgebiets im Zuge der Wiedervereinigung konnte die föderale Idee in Gesamtdeutschland gestärkt werden32. Bis dahin handelte es sich bis auf den Freistaat Bayern und die Hansestädte Bremen und Hamburg bei den deutschen Ländern Deutschlands weitestgehend um künstliche Schöpfungen, die keine Ähnlichkeiten mit den historisch gewachsenen Einzelstaaten im Deutschen Kaiserreich von 1871 hatten und auf keine lange Tradition zurückgreifen konnten33.
b) Existentielle Länderstaatsqualität Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass Deutschland ein unechter Bundesstaat ist. Zudem lässt die Ausprägung der bundesstaatlichen Ordnung Zweifel aufkommen, ob die Länder existentielle Staaten sind34. Bundesstaatlichkeit stützt sich auf die Eigenständigkeit der Länder sowie deren Mitwirkung bei Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und der Europäischen Union (Art. 50 GG)35. Die Länder in den Westzonen bis zum Zusammentreten des Parlamentarischen Rates (1945 – 1948), NJW 42 (1989), S. 1312 ff. Dies kommt auch in Art. 178 BayVerf v. 08. 12. 1946 zum Ausdruck: „Bayern wird einem künftigen deutschen demokratischen Bundesstaat beitreten. Er soll auf einem freiwilligen Zusammenschluss der deutschen Einzelstaaten beruhen, deren staatsrechtliches Eigenleben zu sichern ist.“ 28 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 289 ff. 29 R. Bartlsperger, Das Verfassungsrecht der Länder in der gesamtstaatlichen Verfassungsordnung, HStR, Bd. IV, § 96, Rdn. 7. Über die Gründung eines Bundesstaates lehrt Jellinek: „Die Glieder des Bundesstaates sind entweder bei seiner Gründung vorhanden oder treten später in ihn ein“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 779. 30 Vgl. BVerfGE 1, 14 ff.; P. Sauer, Die Entstehung des Bundeslandes Baden-Württemberg, 1977. 31 Vgl. K. Waltzinger, Ein Land wird Bundesland, in: R. Hrbek (Hrsg.), Miterlebt – Mitgestaltet, 1989, S. 313 ff. 32 A. Dittmann, Föderalismus in Gesamtdeutschland, HStR, Bd. IX, § 205, Rdn. 3. 33 K. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, S. 141; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 98. In der Präambel der BayVerf wird auf die „mehr als tausendjährige Geschichte“ verwiesen. 34 T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 14 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 186; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 289 ff.; vgl. auch Verweise in J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 64, Fn. 158.
1. Staatliche Ebenen Bund, Länder und Kommunen
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haben durch das jeweilige Landesvolk als eigenständiger pouvoir constituant unabgeleitete Staatsgewalt36. Jedoch wird der deutsche Föderalismus häufig auf eine „funktionale Gewaltenteilung“37 reduziert. Das Grundgesetz bekennt sich vor allem mit Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG zu einer bundesstaatlichen Ordnung, die auch das Bundesverfassungsgericht als elementaren Verfassungsgrundsatz herausstellt38. Als Kriterien existentieller Länderstaatsqualität werden neben einer eigenen Verfassungsautonomie39 [aa)] eine Mindestausstattung der Länder mit eigenen Aufgaben und Befugnissen, dem „unentziehbaren Hausgut“40 existentieller Staatlichkeit [bb)], und die Finanzautonomie41 [cc)] herausgestellt42. Mit der existentiellen Staatsqualität der Länder steht und fällt der Bundesstaat, wie Leisner betont: „Gäbe es nach dem GG keine Eigenstaatlichkeit der Länder, so wäre der Föderalismus nicht eine Grundentscheidung des Verfassungsrechts, sondern eine Materie des Verwaltungs(organisations-)rechts. Käme den Ländern nicht mehr zu als weite Autonomie, so wäre Föderalismus nichts anderes als gesteigerte Kommunalisierung und müßte in Art. 28 GG, nicht in Art. 20 behandelt werden. Dieses ,Mehr‘ des Föderalismus aber kann nur ein qualitatives sein – eben das, was man Eigenstaatlichkeit nennt.“43
aa) Verfassungshoheit der Länder Bundesstaaten sind Verbindungen existentieller Staaten, der Länder, die das unveräußerliche Recht der eigenen Verfassungsgebung haben44. So treten im deut35 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 39; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 77; ders., Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 47. 36 BVerfGE 1, 14 (34); 6, 309 ff.; 13, 54 (75); 16, 64 (79); 36, 342 (360 f.); 60, 175 (207); K. Stern, Staatsrecht I, S. 667 ff.; H.-J. Vogel, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HVerfR), 1984, S. 818; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 14; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 3; U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 167 ff.; W. Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 69 ff. Kritisch zur Existenz eines Landesvolkes J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 45 ff.; K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 29. 37 Dazu BVerfGE 55, 274 (318); K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 27 ff. I. d. S. bereits H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 21 f., 28. 38 BVerfGE 1, 14 (18); 11, 77 (85); 34, 9 (19 f.). 39 BVerfGE 34, 9 (29); 36, 342 (360 f.); 60, 175 (207); 64, 301 (317). 40 BVerfGE 34, 9 (19 f.); 87, 181 (191, 196). 41 BVerfGE 34, 9 (20); 72, 330 (383); 101, 158 (198 f.). K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1054; F. Klein, Bund und Länder nach der Finanzverfassung des Grundgesetzes, HVerfR, S. 864. 42 M. Sachs in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 20, Rdn. 65 f.; W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 14 f.; F. Ossenbühl, Föderalismus nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 1231. 43 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, in: H. Domcke (Hrsg.), FS für den BayVerfGH, 1972, S. 187.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
schen Verfassungsrecht die Landesverfassungen neben das Grundgesetz und ergeben im Verbund die bundesstaatliche Ordnung45. Jedoch seien in der Verfassungswirklichkeit die Landesverfassungen selten Konstitutionen existentieller Staaten, sondern sind häufig Repliken des Grundgesetzes46, eine Behauptung, die mit Blick auf die Landesverfassungen in den neuen Ländern nicht bestätigt werden kann47. Es kommt hinzu, dass dem Bund die Kompetenzkompetenz zugesprochen wird und dieser innerhalb der Schranken des Art. 79 Abs. 3 GG48 die Zuständigkeitsverteilung mit verfassungsändernder Mehrheit in den Bundesorganen Bundestag und Bundesrat zu seinen Gunsten verschieben kann49. Das Bundesverfassungsgericht führt zu der Bedeutung der Verfassungshoheit der Länder folgendes an: „Das Eigentümliche des Bundesstaates ist, daß der Gesamtstaat Staatsqualität und daß die Gliedstaaten Staatsqualität besitzen. Das heißt aber, daß sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten je ihre eigene, von ihnen selbst bestimmte Verfassung besitzen. Und das wiederum heißt, daß die Gliedstaaten ebenso wie der Gesamtstaat in je eigener Verantwortung ihre Staatsfundamentalnormen artikulieren. Kein Land muß eine Amputation von Staatsfundamentalnormen durch den Gesamtstaat hinnehmen mit der Folge, daß seine Verfassung in Wahrheit ein Verfassungstorso wird. Die Länder haben im Bundesstaat vielmehr grundsätzlich das Recht, in ihre Verfassung nicht nur Staatsfundamentalnormen aufzunehmen, die das Bundesverfassungsrecht nicht kennt, sondern auch Staatsfundamentalnormen, die mit den entsprechenden Staatsfundamentalnormen der Bundesverfassung nicht übereinstimmen. Nur ein Mindestmaß an Homogenität der Bundesverfassung und der Landesverfassungen ist gefordert.“50
Das angesprochene Homogenitätskriterium ist in Art. 28 Abs. 1 GG verankert und wurde bisher von allen Ländern eingehalten51. Art. 28 Abs. 1 GG schränkt die 44 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 388 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 83 ff., 87 ff., ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279 ff. Zum Landesverfassungsrecht R. Bartlsperger, HStR, Bd. IV, § 96, Rdn. 8 ff. 45 BVerfGE 64, 301 (317); R. Bartlsperger, HStR, Bd. IV, § 96, Rdn. 4; R. Grawert, Die Bedeutung des gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, NJW 40 (1987), S. 2337; H. Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht, 1923, S. 67; R. Wahl, Grundrechte und Staatszielbestimmung im Bundesstaat, AöR 112 (1987), S. 31. Eine Geltung des Völkerrechts zwischen den Ländern wird negiert; BVerfGE 34, 216 (231 f.). Vgl. auch H. Bauer, Die Bundestreue, S. 303; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 31 f. 46 C. Pestalozza, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, NVwZ 6 (1987), S. 748; vgl. auch B.-O. Bryde, Verfassungsreform der Länder unter bundesverfassungsrechtlichem Unitarisierungsdruck, in: H. Eichel / K. P. Möller (Hrsg.), FS Verfassung Hessen, 1997, S. 434 ff. 47 E. Denninger, Menschenrechte und Grundgesetz, 1994, S. 23 ff. 48 Hierzu grundlegend Kap. III.1.c)aa) und weiterführend Kap. VI.2.a)aa). 49 T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 16; W. Haegert, Organe der Länder auf Bundesebene?, S. 1138. Zur Kompetenzkompetenz vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 386 f. 50 BVerfGE 36, 342 (360 f.). 51 BVerfGE 27, 44 ff.; 34, 52 ff.; 47, 253 (272); 60, 175 (208). Vgl. bspw. Art. 10 bis Art. 12 Abs. 1 BayVerf. Allgemein zu Homogenität im Bund vgl. C. Schmitt, Verfassungs-
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existentielle Staatsqualität der Länder ein, indem es den Landesvölkern bei der Setzung von Landesverfassungsrechts Grenzen setzt52. Um nicht im Gegensatz zu der existentiellen Länderstaatsqualität zu stehen, hat jedes Staatsorgan Art. 28 Abs. 1 GG restriktiv auszulegen53. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG kommt diese Aufgabe letztinstanzlich dem Bundesverfassungsgericht zu. Jedoch verbietet die existentielle Staatsqualität der Länder, dass ein Bundesorgan auch in existentiellen Lagen die Befugnis zukommt, verbindlich über den höchsten Willen der Landesvölker, nämlich deren Verfassung zu befinden54. Das letzte Wort über das Schicksal eines Landes obliegt dessen Volk. Art. 28 Abs. 1 GG stellt lediglich republikanische Mindestanforderungen an die Länder55, d. h. die der Rechtstaatlichkeit56, die ohnehin aus der Menschheit des Menschen zu folgern sind. Die in der Homogenitätsklausel geforderte rechtstaatliche Ordnung in den Ländern macht eigene Landesverfassungsgerichtsbarkeit unabkömmlich57. Jeder Verfassungsstaat benötigt zur Erzwingbarkeit des Rechts ein Verfassungsgericht58. Bis auf Schleswig-Holstein, das mit Art. 44 SchlHolLS59 von der Organleihe des Art. 99 GG i. V. m. § 13 Nr. 10 BVerfGG Gebrauch macht60, haben alle Länder Landesverfassungsgerichte. Da die „Verfassungsbereiche des Bundes und der lehre, S. 376. Es sei darauf hingewiesen, dass Art. 31 GG keine Beschränkung der Verfassungsautonomie der Länder darstellt; dazu U. Sacksofsky, Landesverfassungen und Grundgesetz, NVwZ 12 (1993), S. 239. Siehe auch BVerfGE 96, 345 ff.; J. Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht im Bundesstaat, HStR, Bd. I, § 99, Rdn. 24 ff.; E. Klein / A. Haratsch, Die Landesverfassungsbeschwerde, JuS 40 (2000), S. 209 ff. 52 Dazu M. Nierhaus in: M. Sachs, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 28, Rdn. 1 f., 6 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 704. 53 I. d. S. BVerfGE 90, 60 (85); W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 29. 54 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 296 mit Verweis auf Argumentation bei C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 371 f. Vgl. auch Kritik bei C. Pestalozza, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 749. 55 Es wird keine „Konformität oder Uniformität“ gefordert; H.-J. Vogel, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, HVerfR, S. 819. Vgl. zu Art. 28 Abs. 1 GG auch K. Stern, Föderative Besinnungen, S. 329; ders., Staatsrecht I, S. 704 ff.; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 27; ders., Verfassungshomogenität von Bund und Ländern, HStR, Bd. IV, § 95, Rdn. 1 ff.; R. Bartlsperger, HStR, Bd. IV, § 96, Rdn. 22 ff. 56 BVerfGE 2, 380 (403); 84, 90 (121). 57 „Wenn schließlich Verfassungsgerichtsbarkeit für den Bund eine so zentrale Institution ist – warum dann nicht, im Sinne der Herrschaftsanalogie, auch für die Länder?“; W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 189. 58 K. Stern, Staatsrecht I, S. 624, 841 f.; ders., Staatsrecht II, S. 940 ff., 951 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 932 ff. 59 Trotz der Bezeichnung als „Landessatzung“ wird die Verfassungsqualität nicht in Frage gestellt; T. Maunz, Landesverfassungen und Grundgesetz, in: D. Merten / R. Morsey (Hrsg.), 30 Jahre Grundgesetz, 1979, S. 88. 60 M. Ibler, Regiones Autónomas und deutscher Föderalismus, in: R. Glagow (Hrsg.), Spanien und Europa, 2001, S. 32. Vgl. auch §§ 73 ff. BVerfGG.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
Länder grundsätzlich selbständig nebeneinander“61 stehen, ist der Normgehalt der Landesverfassungen „unabhängig“ durch eigene Landesverfassungsgerichte zu erkennen62: „Nur dann findet heute eine Landesverfassungsgerichtsbarkeit festen systematischen Stand im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik, wenn sie aus der Grundentscheidung zum Föderalismus (Art. 20 Abs. 1 GG) verstanden wird – als ein Wesenselement jener Eigenstaatlichkeit der Länder, ohne die es keinen deutschen Föderalismus, sondern nur eine gesteigerte deutsche Form eines Regionalismus geben könnte.“63
Vielfach wird kritisiert, von dem Recht und der Pflicht64 zur unabhängigen Rechtserkenntnis werde kaum Gebrauch gemacht; stattdessen lehnen sich Landesurteile i. d. R. an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes an65. Somit sei die Landesverfassungsgerichtsbarkeit selten eine föderale Bereicherung republikanischer Staatlichkeit66 und werde häufig lediglich unter Gesichtspunkten der Gerichtsverfassungseffizienz oder ihrer technischen Bewährung legitimiert67. War die deutsche Bundesstaatlichkeit zeitweise gefährdet, da die Landesverfassungen „weder im Bewußtsein der Bevölkerung noch in der Staatspraxis einen beachtlichen Platz“68 einnahmen69, so kann heute wieder festgestellt werden, dass nicht nur der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechungspraxis den Anforderungen eines eigenständigen Landesverfassungsgericht gerecht wird. Das erst seit einem Jahrzehnt existierende Brandenburger Verfassungsgericht hat zusammen mit dem Berliner Verfassungsgerichtshof eine „Renaissance der Ver61 BVerfGE 6, 376 (381 f.); 22, 267 (270); 34, 301 (317); 41, 88 (118); 60, 175 (209). Dazu II.3.a)dd). 62 HessStGH, Urteil v. 30. 12. 1981, NJW 1982, S. 1382. I. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Der Verfassungsgerichtshof für Berlin, JR (1975), S. 397 ff. 63 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 186. 64 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 191. 65 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 192 f.; W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 35. Zu Beschränkungen der Gestaltungskraft der Landesverfassungsgerichtsbarkeit, insbesondere durch § 31 BVerfGG, vgl. K. Finkelnburg, Zehn Jahre Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, LKV 14 (2004), S. 17. Vgl. zudem Art. 100 Abs. 3 GG. 66 Zu möglichen Funktionen der Landesverfassung C. Pestalozza, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 744 ff. 67 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 186. 68 F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 127. 69 Vgl. auch Tenor bei W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 7 ff.; B.-C. Funk, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 57 ff.; G. Schmid, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 92 ff.
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fassungsgerichtsbarkeit der Länder“70 angestoßen71. Somit konnten Tendenzen in Richtung eines Einheitsstaates vorerst aufgehalten werden72, denn es gilt: „Am Stellenwert der Landesverfassungen läßt sich ablesen, wie es um den Bundesstaat steht.“73
bb) Garantie eines Hausguts eigener Aufgaben Zur Staatsqualität der Länder gehören neben der Verfassungshoheit eigene Aufgaben und Befugnisse. Ein Staat ohne substantielle Zuständigkeiten ist nicht existentiell Staat74. Auch das Bundesverfassungsgericht hält am Kriterium des „Hausguts“ eigener Aufgaben zur Unterscheidung von Bundesstaat und dezentralisierten Einheitsstaat fest75. Im grundgesetzlichen Bundesstaat haben die Länder jedoch weitreichende Aufgaben und Befugnisse an den Bund und an die Europäische Union abgegeben76. Existentielle Landesstaatlichkeit und damit der bunK. Finkelnburg, Zehn Jahre Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, S. 18. Vgl. auch P. Häberle, Die Verfassungsentwicklung in den fünf neuen Bundesländern, JöR N.F. 41 (1993), S. 69 ff.; ders., Die Verfassungsentwicklung in den fünf neuen Bundesländern 1991 bis 1992, JöR N.F. 42 (1994), S. 149 ff.; ders., Die Schlußphase der Verfassungsentwicklung in den fünf neuen Bundesländern, JöR N.F. 43 (1995), S. 355; U. Sacksofsky, Landesverfassungen und Grundgesetz, S. 235, 239 f. Eine Belebung des Föderalismus durch die neuen Länder erkennt auch A. Dittmann, HStR, Bd. IX, § 205, Rdn. 31. 72 „Die Devise im Bundesstaat lautet: So wenig Bundesverfassung wie möglich, so viel wie nötig. In diesem Sinne mag man die Bundesverfassung als subsidiär bezeichnen. Ihre Subsidiarität ist in der Idee des Bundesstaates angelegt. Wem sie nicht behagt, muß sich für den (vielleicht dezentralisierten) Einheitsstaat entscheiden“; C. Pestalozza, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 751. 73 C. Pestalozza, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 751. 74 „Man hat sich in der Literatur viel Mühe gegeben, ein eigenes Recht der Gliedstaaten auf Existenz nachzuweisen und damit dem Bundesstaat das Recht der Auflösung der Gliedstaaten im Wege der Zuständigkeitsänderung abzustreiten“; H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 40 ff., 82, 93 (Zitat S. 46). 75 „Ob die Länder der Bundesrepublik ,Staaten‘ sind oder von Körperschaften ,am Rande der Staatlichkeit‘ zu ,höchstpotenzierten Gebietskörperschaften‘ in einem dezentralisierten Einheitsstaat herabsinken, läßt sich nicht formal danach bestimmen, daß sie eine eigene Verfassung besitzen und daß sie über irgendein Stück vom Gesamtstaat unabgeleiteter Hoheitsmacht verfügen, also irgendeinen Rest von Gesetzgebungszuständigkeit, Verwaltungszuständigkeit und justizieller Zuständigkeit ihr eigen nennen. In solcher Sicht könnten die Länder in ihrer Qualität als Staaten durch Grundgesetzänderungen nach und nach ausgehöhlt werden, so daß am Ende nur noch eine leere Hülse von Eigenstaatlichkeit übrig bliebe. Die Länder im Bundesstaat sind nur dann Staaten, wenn ihnen ein Kern eigener Aufgaben als ,Hausgut‘ unentziehbar verbleibt. Was immer im einzelnen dazu gehören mag, jedenfalls muß dem Land die freie Bestimmung über seine Organisation einschließlich der in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen sowie die Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat verbleiben.“; BVerfGE 34, 9 (19 f.). 76 Dazu ausführlich Kap. VI.4. 70 71
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
desstaatliche Föderalismus werden durch Unitarisierungsprozesse in Frage gestellt77. Bedeutungsverluste der Länder sind nicht nur das Resultat exzessiven Gebrauchs des Bundes der konkurrierenden Gesetzgebung78, sondern auch Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Art. 72 Abs. 2 GG a. F.79 und der Ausweitung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechtes80. Den Ländern wird eine Mitschuld an den Unitarisierungsvorgängen zugesprochen, da sie kaum versuchen, ihre Staatlichkeit zu verteidigen81. Nicht selten haben sie sich eigene Zuständigkeiten für finanzielle Zuschüsse „abkaufen“82 lassen. Zudem stimmen sie sich durch Etablierung einer „Dritten Ebene“ untereinander in verbliebenen ausschließlichen Länderaufgaben ab, so dass kaum von einer eigenständigen Landespolitik, wie sie existentiellen Staaten immanent ist, zu sprechen ist83. Der schleichenden Erosion werden durch die Unabänderlichkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG84, der so genannten Ewigkeitsklausel, Grenzen gesetzt. Jedoch besteht die Schwierigkeit, ex ante festzustellen, welche Abgabe von Länderaufgaben als verfassungswidriger Einschnitt in die Länderstaatlichkeit i. S. d. Art. 79 Abs. 3 GG einzustufen ist. Nach Lerche wird durch einen Eingriff in das „unentziehbaren Hausguts“ die Länderstaatlichkeit (und damit die Länderstaatsqualität) aufgehoben85. Dieser lässt sich jedoch schwer durch quantitative oder qualitative 77 „Die Länder laufen Gefahr, Dienstleistungskörperschaften des Bundes zu werden“; G. Bovermann, Bundesländer oder Provinzen, DÖV 27 (1974), S. 6. Vgl. auch Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 14 ff. Anderer Ansicht T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 2. 78 Vgl. D. Majer, Ist die verfassungsgerichtliche Prüfung der Voraussetzungen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes sinnvoll und möglich?, 2. Teil, EuGRZ 7 (1980), S. 159; R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, in: D. Heckmann / K. Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 21, 50; H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 73; zu Aufgaben- und Befugnisverteilung ausführlich Kap. III.2. 79 BVerfGE 2, 123 (224 f.); 4, 115 (127); 10, 234 (245); 13, 230 (233 f.); 26, 338 (382 f.); 33, 224 (229); 34, 9 (39); 39, 96 (114 f.); im Ansatz bereits BVerfGE 1, 264 (272 f.). 80 Siehe auch Kap. VI.4. Statt vieler H. Eicher, Der Machtverlust der Landesparlamente, 1988, S. 83; H.-J. Schütz, Bund, Länder und Europäische Gemeinschaften, Der Staat 28 (1989), S. 223. 81 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 251; W. Graf Vitzthum, Der Föderalismus in der europäischen und internationalen Einbindung der Staaten, S. 289; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 185. 82 T. Stein, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, VVDStRL 53 (1994), S. 28; vgl. auch M. Brenner, Der unitarische Bundesstaat in der Europäischen Union, DÖV 45 (1992), S. 906. 83 I. d. S. N. Achterberg, Deutschland nach 30 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 38 (1980), S. 90 f.; K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 19 Zur Kritik am kooperativen Bundesstaat Kap. III.2.c)cc). 84 Dazu Kap. VI.2.a). Vgl. auch BVerfGE 84, 90 (121). 85 P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, 1968, S. 46.
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Ansätze bestimmen86. Murswiek sieht den Grund hierfür in der Prozesshaftigkeit der Entstaatlichung und der „Salamitaktik“87 der bundespolitischen Führung. Der Fortbestand der Länderstaatlichkeit ist im Rahmen der europäischen Integration eine der entscheidenden aktuellen Fragen und wird im VI. Kapitel der vorliegenden Arbeit erörtert.
cc) Sicherstellung finanzieller Unabhängigkeit durch die Finanzverfassung Die Finanzverfassung des Bundesstaates88 bereitet die materielle Grundlage einer selbstständigen Haushaltswirtschaft (Art. 109 Abs. 1 GG) und folglich der Eigenstaatlichkeit der Länder89. Das Bundesverfassungsgericht hebt die „unverzichtbare Ordnungsfunktion der Finanzverfassung“90 hervor und charakterisiert sie als „tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes“91. Kern ist horizontaler und vertikaler Finanzausgleich. Das Finanzausgleichssystem als die finanzielle Grundlage einer unabhängigen Aufgabenerfüllung ist Ausdruck bundesstaatlicher Solidarität92. Auch im dritten Urteil zum Finanzausgleich (BVerfGE 101, 158 ff.) ist das Bundesverfassungsgericht nicht der Lehre eines Wettbewerbsföderalismus93 gefolgt, sondern verpflichtet sich gemäß Art. 20 Abs. 1 GG dem Sozialprinzip94 des „sozialen Bundesstaates“95. 86 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 188; W. A. Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 45 (1990), S. 461. Siehe auch Kap. VI.2.a)aa)(2). 87 D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, Der Staat 32 (1993), S. 173. 88 Dazu H. H. von Arnim, Finanzzuständigkeit, HStR, Bd. IV, § 103, Rdn. 1 ff.; F. Klein, Bund und Länder nach der Finanzverfassung des Grundgesetzes, HVerfR, S. 863 ff.; K. Vogel, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, HStR, Bd. IV, § 87, Rdn. 1 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 209 ff.; F. Kirchhof, Die Finanzen des Föderalismus, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Europäischer Föderalismus im 21. Jahrhundert, 2003, S. 48 ff. 89 K. Stern, Staatsrecht I, S. 699; C. Wagner / D. Rechenbach, Konnexitätsprinzip ins Grundgesetz!, ZRP 36 (2003), S. 310. 90 BVerfGE 101, 158 (237); vgl. auch BVerfGE 72, 330 (388 ff.); 86, 148 (264). 91 BVerfGE 55, 274 (300). 92 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 273; C. Starck, Das Grundgesetz nach fünfzig Jahren, JZ 54 (1999), S. 477; H.-P. Schneider / U. Berlit, Die bundesstaatliche Finanzverteilung zwischen Rationalität, Transparenz und Politik, NVwZ 19 (2000), S. 841 f. 93 Dazu Kap. III.2.c)dd). 94 Dazu K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip. Zu seiner Stellung im Verfassungssystem des Grundgesetzes, 1974; ders., Das Recht am und das Recht auf Eigentum, in: J. Isensee / H. Lecheler (Hrsg.), FS für Walter Leisner, 1999, S. 755; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 289 ff. 95 Zu einer Nivellierung oder Veränderung der Reihenfolge der Finanzkraft darf der Finanzausgleich jedoch nicht führen; BVerfGE 101, 158 (222 ff.).
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
Das Grundgesetz regelt in Titel X das bundesstaatliche Finanzwesen. Vier wesentliche Aspekte der Finanzverfassung sollen skizziert werden: Erstens ist die Frage zu beantworten, wer über Steuern96 entscheidet. Art. 105 GG regelt nur die Steuergesetzgebung, die nach Rückgriff auf konkurrierende Gesetzgebungsmöglichkeiten dem Bund zukommt97. Jedoch haben die Landesregierungen auf die Gesetzgebung der wichtigsten Steuerarten (Einkommenssteuer, Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer) über ihre notwendige Zustimmung im Bundesrat Einfluss (Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 3 GG)98. Zweitens stellt sich die Frage nach der Verteilung des Steueraufkommens. Je nach Steuerart wird es gemäß Art. 106 GG entweder Bund oder Länder zugewiesen (Trennsystem der Abs. 1 – 2) oder bedarf nach Abs. 3 (Verbundsystem) einer Teilung zwischen den Ebenen99. Hieran setzen horizontaler und vertikaler Finanzausgleich an100: Zuerst soll eine bedarfsorientierte Verteilung im Sinne einer Deckung notwendiger Ausgaben und eine Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse erfolgen (Art. 106 Abs. 3 – 4 GG), um dann den Eigenanteil der Länder festzusetzen (Art. 107 Abs. 1 GG). Es folgt ein horizontaler Finanzausgleich als Ausdruck der Solidarität zwischen den Ländern (Art. 107 Abs. 2 S. 1 – 2 GG), so dass der vertikale Ausgleich zwischen Bund und Ländern nur noch ergänzenden Charakter haben soll (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG). Einzelheiten werden durch Maßstäbegesetz101 und Finanzausgleichsgesetz102 geregelt103. Schließlich stellt sich die Frage nach der Verbindung zwiLegaldefinition in § 3 Abs. 1 AO. „Ein bestimmendes Merkmal des deutschen Föderalismus, den ihn etwa von der Schweiz und den USA unterscheidet, ist die extreme Verschiebung der politischen Gestaltung hin zum Bund und die entsprechende Leerung der Länder. Drastisch wird dies bei der Steuergesetzgebung. Hier können sogar die Gemeinden mit ihrem Hebesatzrecht bei den Realsteuern mehr gestalten als die Länder“; H. H. von Arnim, Das föderative System in Deutschland, in: H. H. von Arnim / G. Färber / S. Fisch (Hrsg.), Föderalismus, 2000, S. 21. Vgl. auch (kritisch) K. Kruis, Finanzautonomie und Demokratie im Bundesstaat, DÖV 56 (2003), S. 10. 98 H. Wilms, Überlegungen zur Reform des Föderalismus in Deutschland, ZRP 36 (2003), S. 88.; siehe auch Nachweise in Kap. III.2.b). 99 R. Wendt, Finanzhoheit und Finanzausgleich, HStR, Bd. IV, § 104, Rdn. 52 f.; M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 54. 100 Vgl. BVerfGE 101, 158 (219 ff.) und zuvor 72, 330 (383 ff.); R. Wendt, HStR, Bd. IV, § 104, Rdn. 1 ff.; J. H. Kaiser, Regionalpolitik im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft, in: P. Lerche / H. Zacher / P. Badura (Hrsg.), FS für Theodor Maunz, 1981, S. 172; K.-D. Grüske, Föderalismus und Finanzausgleich, in: M. Vollkommer (Hrsg.), Föderalismus, 1998, S. 17 ff.; J. A. Kämmerer, Maßstäbe für den Bundesfinanzausgleich?, JuS 43 (2003), S. 214. 101 Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich sowie die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen, BGBl. I, S. 2302 vom 09. 09. 2001. Kritik am Maßstäbegesetz üben U. Berlit / I. Kesper, Ein Eingriff in die demokratische Gestaltungsverantwortung, KJ 33 (2000), 613 ff.; H. H. Rupp, Länderfinanzausgleich, JZ 55 (2000), S. 271; J. Wieland, Das Konzept eines Maßstäbegesetzes zum Finanzausgleich, DVBl. 115 (2000), S. 1312 ff. 102 Vom 20. 12. 2001 als Art. 5 des Solidarpaktfortführungsgesetzes, BGBl. I, S. 3955. 96 97
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schen Aufgabenerfüllung und Träger der Kostenlast (Art. 104 a GG). Das Grundgesetz legt das Prinzip der Vollzugskausalität zugrunde, nach der die zu verwaltende Trägerschaft die durch die Verwaltung entstehenden Kosten trägt104. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass nach Art. 83 ff. GG105 die Länder i. d. R. Bundesgesetze in eigener Angelegenheit ausführen. Sie finanzieren Verwaltungstätigkeit, die nicht auf eigener Gesetzgebung, sondern auf der des Bundes beruht106. Moniert wird damit das fehlende Konnexitätsprinzip, nach dem diejenige staatliche Ebene finanziell für die Ausführung von Gesetzen aufkommt, für die sie ursächlich ist, d. h. die Ausgaben der eigenen Gesetze trägt107. Eine Ausnahme ist das Rechtsinstitut der Gemeinschaftsaufgaben108, an deren Kosten sich der Bund beteiligt und diese „die Ausgabenlasten der Länder mindern und ihnen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erleichtern“109.
c) Bestand von Bund und Ländern Das Grundgesetz schützt mit Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG in einer besonderen Weise das Bundesstaatsprinzip. In seinem Wesen kann es nicht durch den verfassungsgesetzändernden Gesetzgeber geändert werden [aa)]. Jedoch ist eine Neugliederung des Bundesgebietes nach Maßgabe des Art. 29 GG möglich. In der ursprünglichen Fassung des genannten Artikels war sie sogar als ausdrücklicher Verfassungsauftrag vorgesehen110. Die existentielle Staatsqualität der Län103 Zu den Änderungen nach dem dritten Finanzausgleichsurteil (BVerfGE 101, 158 ff.) siehe J. A. Kämmerer, Maßstäbe für den Bundesfinanzausgleich?, S. 214 f.; U. Margedant, Die Föderalismusdiskussion in Deutschland, Aus Politik und Zeitgeschichte v. 14. 07. 2003, S. 12. 104 Siehe H. H. von Arnim, HStR, Bd. IV, § 103, Rdn. 8 ff.; C. Starck, Das Grundgesetz nach fünfzig Jahren, S. 476. 105 Dazu Kap. III.2.a)bb). 106 M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 58 f.; H. Wilms, Überlegungen zur Reform des Föderalismus in Deutschland, S. 88. 107 Dazu C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, S. 331 ff.; C. Wagner / D. Rechenbach, Konnexitätsprinzip ins Grundgesetz!, S. 308 ff.; P. Selmer, Empfehlen sich Maßnahmen, um in der Finanzverfassung Aufgaben- und Ausgabenverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden stärker zusammenzuführen?, NJW 49 (1996), S. 2065; G. Trapp, Reform der grundgesetzlichen Lastenverteilung durch das Veranlassungsprinzip, ZRP 29 (1996), S. 341. Als weiteres Problem wird die Haftung ordnungswidriger Verwaltung angesehen, dazu vgl. U. Stelkens, Positiver Kompetenzkonflikt zwischen BVerfG und BVerwG im Bund-Länder-Streit und Verwaltungshaftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, DVBl. 115 (2000), S. 609 ff.; ders., Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG unter besonderer Berücksichtigung der Bundesfernstraßenverwaltung, in: K. Grupp (Hrsg.), Rechtsfragen der Bundesauftragsverwaltung bei Bundesfernstraßen, 2002, S. 35 ff. 108 Dazu Kap. III.2.c)bb). 109 BVerfGE 72, 330 (387 f.); 101, 158 (225 f.). 110 „Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßig-
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der wird demnach zusätzlich durch diese Norm der Bundesverfassung in Frage gestellt [bb)]. Auch wenn ein Sezessionsrecht der Länder nicht ausdrücklich in das Grundgesetz aufgenommen wurde und seine Existenz besonders durch Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG fast allgemein abgelehnt wird, soll in cc) die Möglichkeit einer Lösung der Länder aus dem Bund erörtert werden.
aa) Unabänderlichkeit des Bundesstaatsprinzips durch Art. 79 Abs. 3 GG Unitarisierung des Bundesstaates birgt die Gefahr, den Staatscharakter der Gliedstaaten aufzuheben und einen Einheitsstaat herbeizuführen. Derartige Vorgänge sind nicht nur aufgrund der Missachtung des ursprünglichen Willens der Ländervölker, sondern auch nach Art. 79 Abs. 3 GG verfassungswidrig111. Diese Unabänderlichkeitsklausel, die so genannte Ewigkeitsgarantie, entzieht die Fundamentalprinzipien der Freiheit, Art. 1 und 20 GG, einer Änderung durch den pouvoir constitué112. Nicht nur das Bundesstaatsprinzip, sondern auch das Würde-, Menschenrechts- und Republikprinzip (Rechtsprinzip, Sozialprinzip und Demokratieprinzip) werden in ihrem Grundsatz für unabänderlich erklärt113. Als elementare Bestandteile der Bundesstaatlichkeit werden explizit die Gliederung des Bundes in Länder und die Mitwirkung der Länder bei der Bundesgesetzgebung angesehen114. Diese Verfassungsnorm kann jedoch nicht die Gestaltungsfreiheit des pouvoir constituant bezüglich einer neuen Verfassung (vgl. Art. 146 GG) einschränken115. Dieser muss lediglich die Menschheit des Menschen wahren116. keit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern“; Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG a. F.; Herv. d. Verf. Bis auf den Südweststaat wurde dieser Auftrag nicht verwirklicht. 111 Der Lehre Jellineks kann nicht gefolgt werden: „Da der Bundesstaat souverän ist, so gibt es für die Ausdehnung seiner Zuständigkeit gegenüber den Gliedstaaten keine Grenze: sie kann bis zur Vernichtung ihres staatlichen Charakters gehen und der Bundesstaat sich demgemäß in einen Einheitsstaat verwandeln“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 783. 112 W. Haegert, Organe der Länder auf Bundesebene?, S. 1139; C. Eiselstein, Verlust der Bundesstaatlichkeit?, NVwZ 8 (1989), S. 323; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 47. I. d. S. auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 22, 24, 87. 113 BVerfGE 84, 90 (120 f.). Dazu J. Lücke in: M. Sachs, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 79, Rdn. 30 ff.; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 34 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 663. 114 J. Lücke in: M. Sachs, Art. 79, Rdn. 26 ff. O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 39; P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 77; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 24. 115 So allerdings P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 21. Ablehnend U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 171. Richtig ist, dass auch für den pouvoir constituant Grenzen bestehen (J. Lücke in: M. Sachs, Art. 79, Rdn. 3), die mit den in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Rechtsgrundsätzen weitestgehend übereinstimmen. Weshalb jedoch staatsorganisationsrechtliche Aspekte unabänderlich sein sollten, ist nicht ersichtlich, da der pouvoir constituant lediglich die bestmögliche Staatsform zur Verwirklichung der Freiheit schaffen soll. Dies schließt das Prinzip der kleinen Einheit ein, muss jedoch nicht notwendigerweise durch einen
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Die prinzipielle Wesensgehaltsgarantie 117 führt jedoch bei ihrer Anwendung zu „Auslegungsschwierigkeiten“118. Die deutsche Bundesstaatlichkeit ermöglicht eine dynamische Staatsorganisation119, darf aber nicht zu Zentralismus führen. „Wenn die Zeichen nicht trügen, dürfte der Zeitpunkt nicht mehr fern liegen, in dem der Garantiegehalt des Art. 79 Abs. 3 GG auch für die föderalistische Struktur der Bundesrepublik einem praktischen Härtetest ausgesetzt werden wird“120, warnt Ossenbühl im Zusammenhang mit der innerdeutschen Unitarisierung aber auch dem Zentralismus der europäischen Integration121. Weder der deutsche verfassungsändernde Gesetzgeber, noch der Gemeinschaftsgesetzgeber darf verfassungswidrige Ziele anstreben122. Zuwiderhandlungen sind ultra vires123 und führen zu Nichtigkeit124. bb) Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 GG Art. 79 Abs. 3 GG sichert nur den Bestand des bundesstaatlichen Prinzips, wohingegen der irreversible Bundesstaat125 in seiner gegenwärtigen Gliederung unter Mitwirkung der betroffenen Landesvölker geändert werden kann. Den Ländern wird keine Existenzgarantie gewährt126. Deutschland ist ein „labiler Bundesstaat“127. Immer wieder wird vorgeschlagen, mit einer Neugliederung bundesBundesstaat geschehen, wie nicht-bundesstaatliche republikanische Verfassungen veranschaulichen. 116 Vgl. BVerfGE 3, 225 (232 f.). 117 P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 66, 70 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 262 ff. 118 T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 24. 119 K. Stern, Staatsrecht I, S. 747 f.; vgl. auch F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 152. 120 F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 131. 121 Dazu Kap. VI. 122 Art. 20 Abs. 3 GG; M. Herdegen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und die Bindung deutscher Verfassungsorgane an das Grundgesetz, EuGRZ 16 (1989), S. 312; D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 176. Zur europäischen Integration siehe Ausführungen Kap. V.2.c)aa) und auch VI. 123 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 160 m. w. N. 124 I. d. S. BVerfGE 1, 14 (32 f.); 3, 225 (237 ff.); 30, 1 (16 ff.); 34, 9 (19 ff.). U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 211. 125 U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 35 f. 126 BVerfGE 1, 14 (47 ff.); 5, 34 (38); 13, 54 ff.; 96, 139 (149 ff.); J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 23 ff. Vgl. auch Art. 18 WRV als Vorgänger der grundgesetzlichen Regelung. Kritik an dieser Meinung übt K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 291. 127 BVerfGE 1, 14 (48) mit Verweis auf R. Thoma, Das Reich als Bundesstaat, S. 184. Vgl. auch BVerfGE 5, 34 (38). Thoma spricht jedoch einerseits nicht von einem „labilen Bundesstaat“, sondern von einem „labilen Föderalismus“, anderseits nicht im Sinne einer schwachen Stellung der Gliedstaaten, sondern bezieht sich auf die bundesstaatliche Struktur im allge7*
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staatliche Probleme zu lösen. In der Reduktion der Anzahl der Länder128 wird der „Königsweg“129 gesehen, um Leistungsstärke und Finanzkraft der Länder zu garantieren130. Dagegen merkt Maunz an, dass sich eine größere Anzahl an Ländern geschichtlich bewährt hat131. In jedem Fall ist es mit dem bundesstaatlichen Prinzip nicht vereinbar, die Zahl der Länder auf ein Minimum an Ländern, im Extremfall zwei, zu reduzieren (ex argumentum Art. 79 Abs. 3 GG)132. Leges speciales sind Art. 118 a GG und Art. 5 EinigungsV, nach denen abweichend von Art. 29 GG die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg durch Vereinbarung ermöglicht wird133. Ein Referendum zur Fusion der beiden Länder scheiterte 1996 an der Ablehnung durch die brandenburgische Bevölkerung134. Trotzdem wird eine Verschmelzung im Jahr 2009 weiter zum Ziel gesetzt, das für 2006 geplante Referendum135 allerdings bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU nach der brandenburgischen Landtagswahl im Herbst 2004 erneut verschoben136. Auch für andere Länder werden immer wieder Neumeinen. Kritik am Verweis des Bundesverfassungsgericht üben J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 145 f.; U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 36. Vgl. auch F. Klein, Bundesverfassungsgericht und Altbadenfrage, AöR 82 (1957), S. 343 f.; H. Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949, HStR, Bd. I, § 7, Rdn. 71 f. 128 Art. 29 GG ist jedoch nicht als unitarische Norm zu verstehen, da eine Neugliederung nicht nur eine Zusammenlegung von Ländern, sondern auch eine Unterteilung prinzipiell ermöglicht. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 390 f. Jedoch wird über die Aufteilung Nordrhein-Westfalen oder Bayerns nicht diskutiert; hierauf verweist F. C. Mayer, Der Bundesstaat in der postregionalen Konstellation, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 458. 129 A. Ottnad / E. Linnartz, Föderaler Wettbewerb statt Verteilungsstreit, 1998, S. 175. I. d. S. auch die Forderung G. Seidel, Bundesstaat auf ewig?, RuP 40 (2004), S. 95 ff. 130 P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 46. 131 T. Maunz, Gleichheit der Gliedstaaten im Bundesstaat, in: D. Wilke / H. Weber (Hrsg.), GS für Friedrich Klein, 1977, S. 313. 132 J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 118 ff.; 156 f.; J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 261. 133 P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 47; G. R, Die Neugliederung der Region Berlin-Brandenburg, LKV 5 (1995), S. 337 ff.; W. Gärtner, Die Vereinigung Berlins und Brandenburgs zu einem gemeinsamen Bundesland, JR (1995), S. 319 ff.; ders., Die Bildung des Bundeslandes Berlin-Brandenburg, NJW 49 (1996), S. 88 ff. 134 Dazu U. Keunecke, Die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg, 2001; ders., Neugliederung Berlin-Brandenburg bleibt ohne Alternative, RuP 39 (2003), S. 85 ff.; H. Bauer, Die Verfassungsentwicklung des wiedervereinigten Deutschland, HStR, Bd. I, 3. Aufl. 2003, § 14, Rdn. 111; J. Dietlein, Länderfusion und verfassungsgebende Gewalt „in statu nascendi“, Der Staat 38 (1999), S. 550 f.; R.-W. Bauer / T. Seidel, Zusammenarbeit der Länder Brandenburg und Berlin nach der Volksabstimmung über eine Fusion beider Länder am 5. Mai 1996, LKV 9 (1999), S. 343; R. Binder, Rundfunk Berlin-Brandenburg, LKV 13 (2003), S. 355. 135 Besonders auf brandenburgischer Seite ist die Skepsis groß; A. Ramelsberger, Furcht vor dem Bären, SZ v. 19. 12. 2003, S. 1. Vgl. andere Ansich P. F. Lutz, Wege zur Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Scheitern der Länderfusion Berlin-Brandenburg, Staatswissenschaften und Staatspraxis 7 (1996), S. 137 ff. 136 F. Pergande, Liebenswürdiger Umgang, in: FAZ v. 11. 10. 2004, S. 4.
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gliederungsvorschläge diskutiert137, sei es der Vorschlag eines Landes Frankens138 oder eines Nordstaates139. Isensee erwartet, dass es auch weiterhin bei dem Bestand von 16 Ländern bleibt140. Zu folgen ist der Position Häberles, der selbst die Länder mit kleinem Staatsgebiet wie Hamburg oder Bremen wegen ihrer Eigenart für unentbehrlich erachtet141.
cc) Sezessionsrecht „Wenn der Bund in seinem Wesen nach dauernd sein soll, so muß der Beitritt zum Bund den dauernden Verzicht auf das Sezessionsrecht bedeuten, soll aber der Bund gleichzeitig ein Vertrag sein und sollen die Staaten des Bundes ihre selbständige politische Existenz nicht verlieren, so müssen die Bundesmitglieder in der Lage bleiben, über die etwaige Unmöglichkeit, Anwendbarkeit und Aufhebbarkeit dieses Vertrages selbst zu entscheiden, und das ist eben Sezessionsrecht.“142
Dieses Problemverständnis Carl Schmitts gilt für existentielle Lagen, in der „ein Gliedstaat seine Existenz und Sicherheit gefährdet und bedroht sieht, . . . die Bun137 Vgl. W. Ernst, Gedanken zur Neugliederung des Bundesgebietes als Planungsaufgabe des Bundes, in: W. Erbguth (Hrsg.), FS für Werner Hoppe, 2000, S. 255 ff. 138 Mit dem Beschluss v. 24. 07. 1997 (2 BvP 1 / 94) verwarf der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts die Beschwerde gegen die Nichtzulassung eines Volksbegehrens auf Herstellung eines Landes Franken bestehend aus den Gebieten der Länder Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen. Vgl. dazu auch Entscheidungsbesprechung bei M. Sachs, Nichtzulassung eines Volksbegehrens zur Bildung eines Landes Franken, JuS 38 (1998), S. 754 f. 139 Seit den Vorschlägen der vom Bundesinnenministerium eingesetzten so genannten „Ernst-Kommission“ von 1973 (vgl. W. Ernst, Der Auftrag des GG, in: Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.), Neugliederung des Bundesgebietes, 1973, S. 12 f.) entweder einen Nordstaat (Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) oder eine Kombination aus einem Nordoststaat (Schleswig-Holstein, Hamburg und Teile Niedersachsens) und einem Nordweststaat (Bremen und Teile Niedersachsens) zu bilden werden Vorschläge zu einer Neugliederung des nördlichen Bundesgebietes diskutiert (siehe R. K. Hocˇevar, Neue Initiativen zur Verfassungs- und Parlamentsreform in der Bundesrepublik, ZParl 19 (1988), S. 441 f.; C. Stolorz, Bedrückende Entwicklungsperspektiven des Föderalismus im vereinigten Deutschland, ZParl 28 (1997), S. 327; P. Häberle, Die Zukunft der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen im Kontext Deutschlands und Europas, JZ 53 (1998), S. 61 f.). Aktuell deuten Annäherungen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein am ehesten auf einen aus den Gebieten dieser beiden Länder bestehenden Nordstaat hin, wobei auch möglich ist, dass Mecklenburg-Vorpommern als drittes Land an einer Fusion teilnimmt; F. Pergande, Liebenswürdiger Umgang, S. 4. 140 J. Isensee, Mit blauem Auge davongekommen – das Grundgesetz, NJW 46 (1993), S. 2586. Vlg. auch R. Grawert, Die Bedeutung des gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 2330. 141 P. Häberle, Die Zukunft der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen im Kontext Deutschlands und Europas, S. 62; ders., Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus, Die Verwaltung 24 (1991), S. 201. Er führt weiterhin aus, dass der Finanzausgleich an die vorhandenen Länder ansetzen muss, nicht umgekehrt (S. 202). 142 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 375.
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desbefugnisse mißbraucht werden“143. Besonders im Bundesstaat ohne bündische Grundlage, wie ihn Deutschland darstellt, ist es zu klären, inwieweit den Gliedstaaten ein derartiges einseitiges Austrittsrecht zukommt. In der gegenwärtigen deutschen Verfassungslehre wird das Recht zur Separation nicht behandelt144 oder negiert145. Die „Ewigkeit“ des Bundes wird nicht in Frage gestellt146. Grund hierfür ist, dass die Beständigkeit des Bundesvertrages als Wesensmerkmal von Bundesstaatlichkeit deklariert wird147. Treten jedoch existentielle Konflikte zwischen Bund und Ländern auf, d. h. Streitigkeiten, die durch keine Norm geregelt sind, so kann durch Schlichtungsmechanismen keine Lösung gefunden werden148. Aus der existentiellen Staatsqualität der Länder folgt, dass ihnen in derartigen Fällen ein Austrittsrecht zusteht, denn: „So viele Differenzen, Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten bei gutem Willen durch kluge und gerechte Menschen geschlichtet werden können, ein existenzieller Konflikt ist auf diese Weise nicht zu beseitigen. Jedes politisch existierende Volk entscheidet notwendigerweise die Fragen seiner politischen Existenz selbst und auf eigene Gefahr. Auch die Frage, ob eine existentielle Frage vorliegt, kann es nur selbst entscheiden, solange es politisch existiert.“149
Auch in Deutschland als unechtem Bundesstaat, in dem die Länder existentielle Staaten sind, besteht ein Sezessionsrecht in existentiellen Lagen150. Die clausula rebus sic stantibus ermöglicht bei grundlegenden Änderungen der Umstände ein Rücktrittsrecht von Verträgen151. Die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes für die Länder wurde im Coburg-Urteil durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt152. Entfällt die föderalistische Grundlage des Bundesstaates, d. h. wird die Staatsqualität der Länder nicht gewährleistet, so muss zur Wahrung des Willens des pouvoir C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 374. Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 293, Fn. 75. 145 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 848 f.; U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 201; E. Schumann, Der föderale Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und die Rolle des Freistaates Bayern, BayVBl. 122 (1991), S. 740. 146 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 62. 147 Vgl. Verweise auf historische Bundesverfassungen und die Lehre Pufendorffs in C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 367. Siehe auch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 767, 769 ff. 148 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 371 ff. 149 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 372. 150 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 288 f.; 293 ff. 151 Vgl. Art. 62 WVK. 152 BVerfGE 34, 216 (226, 231 f.). In der Bundestreue „wurzelt systematisch der ungeschriebene Satz von der clausula rebus sic stantibus, der auf staatsvertragliche Beziehungen zwischen den Gliedern der Bundesrepublik Deutschland einwirkt“ (232). Zu der Bundestreue Kap. III.2.d). 143 144
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constituant der Länder ein Austrittsrecht bestehen. Der existentiellen Länderstaatseigenschaft willen „musste eine Verfassungsreform Deutschlands den Ländern . . . das Separationsrecht zugestehen“, fordert Schachtschneider, „also Deutschland in einen wirklichen Bund, einen echten Bundesstaat, zurückverwandeln, bündisch reformieren“153.
d) Stellung und Bedeutung der Kommunen aa) Rechtsnatur der Kommune Der Begriff Kommune umfasst Gemeinden154, Landkreise155, Bezirke156 und kommunale Zusammenschlüsse. Neben der Verwaltung des Bundes und der Länder besteht die öffentliche Verwaltung aus der der Kommunen, als dem untersten aber zugleich wichtigsten und bürgernächsten Verwaltungsträger157. In der Literatur findet sich die verbreitete Auffassung, dass die kommunalen Gebietskörperschaften lediglich abgeleitete Hoheitsbefugnisse ausüben158, durch die Länder mediatisiert werden159 und folglich mittelbare Staatsverwaltung sind160. Zwar spricht das Bundesverfassungsgericht von „gegliederter Demokratie“161, stellt jedoch in anderen Entscheidungen fest, dass Kommunen „in den staatlichen Aufbau integriert“162 oder „ein Stück Staat“163 sind. Auch die Baye153 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 294. 154 Nach Art. 11 Abs. 2 BayVerf sind die Gemeinden „ursprüngliche Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts. Sie haben das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten, insbesondere ihre Bürgermeister und Vertretungskörper zu wählen.“ Art. 1 BayGO bestimmt: „Die Gemeinden sind ursprüngliche Gebietskörperschaften mit dem Recht, die örtlichen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze zu ordnen und zu verwalten. Sie bilden die Grundlagen des Staates und des demokratischen Lebens.“ 155 Art. 1 BayLKrO legt fest, dass die Landkreise Gebietskörperschaften sind, die das Recht haben, überörtliche Angelegenheiten, deren Bedeutung über das Kreisgebiet nicht hinausgeht, im Rahmen der Gesetze zu ordnen und zu verwalten. Dabei umfasst nach Art. 5 – 6 BayLKrO ihr Wirkungskreis eigene und übertragene Aufgaben. 156 In Art. 9 Abs. 1 BayVerf wird der Bezirk noch als Kreis bezeichnet. Seine Aufgaben ergeben sich insbesondere aus Art. 48 BayBezO. 157 F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 10. Aufl. 2000, S. 36 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 252 f. 158 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 30; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 4. Vgl. auch H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 205. 159 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 173. 160 Siehe R. Hendler, HStR, Bd. IV, § 106, Rdn. 41 f.; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 163. 161 BVerfGE 52, 95 (111 f.). 162 BVerfGE 83, 37 (54); BVerwGE 90, 104 (105). 163 BVerfGE 73, 118 (191).
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rische Verfassung manifestiert in Art. 11 Abs. 2 S. 1, dass Kommunen „ursprüngliche Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts“164 und entgegen der Ansicht Isensees, der diese verfassungsrechtliche Norm für „historisch überholt und staatsrechtlich unwirksam“165 erachtet, keine „Zweckschöpfung des modernen Staates“166 sind. Der deutsche Föderalismus findet nicht nur durch Staatlichkeit von Bund und Ländern, sondern auch der Kommunen seine Wirklichkeit167. Die Staatsgewalt dieser ursprünglichen öffentlichen Gebietskörperschaften geht nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG unmittelbar vom Volk aus168. Art. 1 S. 2 BayGO169 bestätigt, dass die Kommunen „die wirklichen Republiken“170 sind, als „Keimzelle der Demokratie und am ehesten diktaturresistent“171.
bb) Kommunale Selbstverwaltung Aus der Rechtsnatur der Kommunen folgt die Fähigkeit und das Recht zur kommunalen Selbstverwaltung172, garantiert durch Art. 28 Abs. 2 GG, nach dem sie „im Rahmen der Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zum Wohl ihrer Einwohner . . . regeln und . . . gestal164 Dazu U. Steiner, Kommunalrecht, in: W. Berg / F.-L. Knemeyer / H.-J. Papier / U. Steiner (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl. 1996, Rdn. 2, S. 113 f. Zwar stellt Bartlsperger die Ursprünglichkeit der kommunalen Staatsgewalt fest, negiert dies jedoch sofort wieder, da diese „nur zugewiesen . . . , also lediglich anerkannt ist“; R. Bartlsperger, HStR, Bd. IV, § 96, Rdn. 29. 165 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 165. 166 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 165. 167 F. Kirchhof, Klare Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen?, DVBl. 119 (2004), S. 977; anderer Ansicht G. Püttner, Kommunale Selbstverwaltung, HStR, Bd. IV, § 107, Rdn. 2; J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, § 1, S. 13 ff. 168 „Die Satzungen sind richtigerweise Willensakte der Gemeindebürger“; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 257. Vgl. auch ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 123; R. Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1996, S. 107 ff. 169 „Die Gemeinden bilden die Grundlage des Staates und des demokratischen Lebens.“ 170 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 254. Der Auffassung, dass Kommunen zwar aus „der staatlichen Behördenhierarchie emanzipiert (sind), ohne sie zu Staaten im Staat zu erheben“, wird widersprochen; F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 129; Klammersatz hinzugefügt. 171 BVerfGE 79, 127 (149). Vgl. dazu auch Kap. II.1.c) zum Prinzip der kleinen Einheit. 172 Dazu F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, S. 61 ff.; ders., Kommunale Selbstverwaltung im Wandel, in: N. Achterberg (Hrsg.), FS für Hans Ulrich Scupin, 1983, S. 797 ff.; ders. / M. Wehr, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, VerwArch 92 (2001), S. 332 ff.; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 95, Rdn. 16 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 165 ff.; G. Püttner, HStR, Bd. IV, § 107, Rdn. 11 ff.; H. Maurer, Verfassungsrechtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, DVBl. 110 (1995), S. 1041 ff.; M. Brenner, Die Landkreise als Träger kommunaler Selbstverwaltung und die Übertragung staatlicher Aufgaben, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 139 f.
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ten“173. Es wird eine weisungsfreie Exekutive174 und ein autonomes Satzungsrecht im Rahmen der Gesetze175 gewährleistet176. In eigener Verantwortung findet in der Regel die Lebensbewältigung in der Gemeinde statt177. Die kommunale Selbstverwaltung als ein Stück vertikaler Gewaltenteilung178 stellt ein hohes Maß an Bürgernähe sicher179. Bei dem Grundsatz der Allzuständigkeit handelt es sich um die verfassungsrechtliche Verankerung des Subsidiaritätsprinzips180 als Vorrang der kleinen Einheit181. Jedoch nehmen die Kommunen in der Verfassungsrealität nicht die rechtlich gewährleistete starke Stellung ein182. Vielmehr werden ihre Befugnisse durch Länder, Bund und vor allem die EU reduziert183. Hinzu kommt die nach herrschender Lehre anerkannte Möglichkeit der Gebietsreform184, nach der Gemeinden keine Bestandsgarantie haben185.
173 Art. 3 Abs. 1 Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung v. 15. 10. 1985, BGBl. II 1987, S. 65. 174 Zur Kommunalaufsicht Art. 108 ff. BayGO. Nur ausnahmsweise sind Eingriffe durch den Staat möglich; BVerfGE 1, 167 (178); 7, 358 ff. 175 Art. 28 Abs. 2 GG; Art. 11 Abs. 2 BayVerf. 176 F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, S. 65 f.; T. Maunz, Gleichheit der Gliedstaaten im Bundesstaat, S. 315. 177 BVerfGE 79, 127 (147 ff.); 83, 363 (382 ff.); H. Heberlein, Subsidiarität und kommunale Selbstverwaltung, S. 1054. Zum Kernbereich der Selbstverwaltung BVerfGE 1, 167 (178); 7, 244 (258); 7, 358 (364); 8 , 332 (359); 11, 266 (274); 17, 172 (182); 21, 117 (130); 22, 180 (219). Die kommunale Autonomie einschränkend BVerfGE 91, 228 (238 ff.). 178 Vgl. BVerfGE 52, 95 (111); 79, 127 (149). 179 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 253; siehe auch F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, S. 34 ff. 180 Art. 11 Abs. 4 BayVerf: „Die Selbstverwaltung der Gemeinden dient dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben.“ Vgl. auch R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 340 ff.; P. Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, AöR 119 (1994), S. 188; H. Heberlein, Subsidiarität und kommunale Selbstverwaltung, S. 1053, 1056; R. Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 62, 90 f. 181 Zu dem Vorrang privater Lebensbewältigung i. S. d. Privatheitsprinzip als menschenrechtlichen Subsidiaritätsprinzip K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 386 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 53 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 6. Kap., Abschnitt IV. 182 W. Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 410. 183 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 254; P. M. Mombaur / H. G. von Lennep, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung und das Europarecht, DÖV 41 (1988), S. 991 ff.; H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, DVBl. 105 (1990), S. 895 f., 900 ff. 184 Zu kommunaler Neugliederung J. Buchheister, Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zur kommunalen Selbstverwaltung, LKV 10 (2000), S. 326. 185 Vgl. BVerfGE 50, 159 (202 f.); 86, 90 (107 ff.). Statt vieler U. Steiner, Kommunalrecht, Rdn. 35. Kritik hieran übt K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 257 f.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
cc) Finanzhoheit Art. 28 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 GG betont, dass das kommunale Selbstverwaltungsrecht auch die kommunale Finanzhoheit einschließt, so dass die erforderlichen finanziellen Mittel möglichst eigenverantwortlich beschafft werden. Als Einnahmequellen zur Deckung des Finanzbedarfs dienen Steuern, Gebühren und Beiträge. Hinzu kommen Erträge aus wirtschaftlicher Betätigung der Kommunen186 und Zuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs187. Die Regelungen zum Finanzausgleich werden der bundesstaatlichen Dreistufigkeit nicht gerecht, da nach Art. 106 Abs. 9 GG kommunale Einnahmen und Ausgaben unter die der Länder subsumiert werden188. Gegen die in der herrschenden Lehre vorgenommene „Mediatisierung der Gemeinden (als) durchgängiges Verfassungsprinzip“189 sprechen nicht nur die in aa) dargelegte Rechtsnatur der Kommunen, sondern auch Art. 106 Abs. 5 und 5 a GG, die den Gemeinden einen eigenen Anteil des Einkommen- und Umsatzsatzsteueraufkommens zuteilen: „Diese gestärkte finanzwirtschaftliche Unabhängigkeit und Verselbständigung der Kommunen modifiziert die bisherige Zweistufigkeit der Finanzverfassung.“190
Die Finanzverfassung belegt, dass die Kommune in der Verfassungspraxis das schwächste Glied im deutschen Bundesstaat ist191. Nach Rückgang des Gewerbesteuer- und Einkommenssteueraufkommens192, bleibt kaum Spielraum für die Wahrnehmung selbstbestimmter Aufgaben nach Finanzierung der bundesgesetzlich vorgegebenen Aufgaben193. Vermehrt wird die verfassungsrechtliche Verankerung des Konnexitätsprinzips gefordert, um auf diese Art dem Autonomieverlust der Kommunen entgegenzutreten194. Abzulehnen ist die Praxis der Erschließung 186 Zur Ablehnung von Staatsunternehmen in privatrechtlicher Form vgl. K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 305 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 264 ff. Unkritisch zu öffentlicher Daseinseinsvorsorge in privatrechtlicher Betriebsform G. Püttner, HStR, Bd. IV, § 107, Rdn. 63. 187 Dazu G. Püttner, HStR, Bd. IV, § 107, Rdn. 58 ff.; H. Heberlein, Subsidiarität und kommunale Selbstverwaltung, S. 1055; F. Erlenkämper, Entwicklungen im Kommunalrecht, NVwZ 18 (1999), S. 1298 f. 188 F. Kirchhof, Das Finanzsystem der Landkreise, DVBl. 110 (1995), S. 1057 f.; P. Kirchhof, Die Reform der kommunalen Finanzausstattung, NJW 55 (2002), S. 1549. Vgl. auch BVerfGE 39, 96 (122); 41, 291 (313 f.). 189 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 173; Klammersatz hinzugefügt. Vgl. auch BVerfGE 86, 148 (218 f.). 190 BVerfGE 101, 158 (230). Dazu M. Nierhaus in: M. Sachs, Art. 28, Rdn. 69, 71. 191 C. Wagner / D. Rechenbach, Konnexitätsprinzip ins Grundgesetz!, S. 309. 192 P. Kirchhof, Die Reform der kommunalen Finanzausstattung, S. 1549. 193 Bspw. hat in Sachsen-Anhalt nur noch jede dritte Gemeinde eine Schule und 70 % eine Kindertageseinrichtung; M. Püchel / K. A. Klang, Kommunalreform in Sachsen-Anhalt, LKV 11 (2001), S. 6. 194 C. Wagner / D. Rechenbach, Konnexitätsprinzip ins Grundgesetz!, S. 309; U. Margedant, Die Föderalismusdiskussion in Deutschland, S. 13. Zur Ablehnung einer Aufnahme des Konnexitätsprinzips in die Bayerische Verfassung LT Bay. Drs. 14 / 8660 S. 34.
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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neuer Finanzierungsquellen kommunaler Unternehmen durch Ausdehnung auf Betätigungsfelder, die Privatunternehmen vorbehalten sind195. Vielmehr müssen entweder übertragene Pflichtaufgaben verringert oder die kommunale Finanzausstattung vergrößert werden, damit, wie das Brandenburger Verfassungsgericht hervorgehoben hat, Kommunen finanziellen Spielraum zur Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben haben196. Nur mit den entsprechenden finanziellen Grundlagen sind die Kommunen fähig, das grundgesetzlich geschützte Selbstverwaltungsrecht mit Leben zu füllen.
2. Kritische Aspekte der Aufgabenund Befugnisabgrenzung Neben die dargelegte Konstitution des deutschen Bundesstaates als unechten Bundesstaat tritt die Unitarisierung197 der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung [a)]. Auch der Wandel des Bundesrats vom föderativen Mitwirkungsorgan der Länder zu einem Organ des verfassungsrechtlich bedenklichen Exekutivföderalismus198 soll in diesem Abschnitt [b)] erörtert werden. Weiterhin ist die Verfassungspraxis des kooperativen Föderalismus vor dem Hintergrund der Unitarisierung des bundesstaatlichen Prinzips zu diskutieren [c)]. Angesichts der Kritik an dem derzeitigen Zustand des deutschen Föderalismus wurde im Oktober 2003 von Bundestag und Bundesrat eine Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung eingesetzt, die bis Ende des Jahres 2004 Reformvorschläge vorlegen soll [d)].
195 J. Kühling, Verfassungs- und kommunalrechtliche Probleme grenzüberschreitender Wirtschaftsbetätigung der Gemeinden, NJW 54 (2001), S. 177. Weitere Nachweise in Fn. 186. 196 LVerfGE 10, 238 (254). Vgl. auch P. Schumacher, Die Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts durch das Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben, LKV 13 (2003), S. 537. 197 Dazu K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 14: „Der deutsche Bundesstaat der Gegenwart ist, wenn auch nicht ohne Einschränkungen so doch im Prinzip, unitarischer Bundesstaat“; Herv. i. Orig. Nach Ansicht anderer Autoren handelt es sich sogar um Zentralisierung; U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 29; G. Lehmbruch, Der unitarische Bundesstaat in Deutschland, PVS Sonderheft 32 (2002), S. 53. Zur Unterscheidung zwischen Unitarisierung und Zentralisierung siehe Fn. 94. 198 Durch den zunehmenden Exekutivföderalismus wird die Gewaltenteilung beeinträchtigt: In der Ausübung der Zuständigkeiten der Länder wird durch Kooperationen der Landesregierungen die Aufgaben der Landesparlamente ausgehöhlt. Dadurch wird die legitimatorische Trennung von Legislative und Exekutive beeinträchtigt.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
a) Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern Zur Verteilung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse199 kennt das Grundgesetz keine materiellen Anforderungen an die zu regelnde Sache, wie es beispielsweise die eines speziellen Regionalbezuges der Aufgabe wäre200. Vielmehr wird mit Art. 30 GG für jegliches staatliche Handeln201, mit Art. 70 Abs. 1 GG im speziellen für legislative Tätigkeit [aa)], Art. 83 GG für die Exekutive [bb)] und Art. 92 GG für das Gerichtswesen [cc)] eine Zuständigkeitsvermutung für die Länder festgelegt. Es handelt sich um ein Regel-Ausnahme-Verhältnis202. aa) Legislative (Abschnitt VII GG) (1) Gesetzgebung durch die Länder Obwohl Art. 70 Abs. 1 GG die Gesetzgebungszuständigkeit nur ausnahmsweise dem Bund zuweist, d. h. für die grundgesetzlich geregelten Fälle, sind den Ländern nach vielfachen Verfassungsänderungen kaum eigene substantielle Gesetzgebungsbefugnisse verblieben203. Mehr oder minder eigenständig können sie noch den Kulturbereich, der als traditionelle Länderangelegenheit gilt204, das Polizei- und Kommunalrecht und die innere Verwaltung durch allgemeine Gesetzlichkeit regeln205. Zu der Bedeutungsabnahme der Länderlegislative haben zum einen der Rückgriff des Bundes auf konkurrierende Gesetzgebung und zum anderen zunehmende Normsetzung durch die Europäische Union geführt. Aufgrund des fehlenden Bestandsschutzes der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung ist es möglich, sie im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG zu Lasten der Länder zu ändern206. Zur Kritik des Terminus „Kompetenz“ siehe Fn. 259. Siehe J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 44; i. d. S. auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 672. 201 Zur Interpretation von Art. 30 GG kritisch P. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, S. 77 f.; siehe auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 672 f. 202 B. Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsnormen, S. 438 f.; siehe auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 104. 203 R. Herzog, Strukturmängel der Verfassung?, 2000, S. 91 f.; H. Wilms, Überlegungen zur Reform des Föderalismus in Deutschland, S 88. Nach der Klassifizierung Nawiaskys handelt es sich um eine bewegliche Verteilung der Zuständigkeiten, die er von der festen unterscheidet; H. Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, S. 38. 204 Dazu siehe P. Häberle, Kulturhoheit im Bundesstaat, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 1999, S. 75 ff.; F. Hufen, Gegenwartsfragen des Kulturföderalismus, BayVBl. 116 (1985), S. 1 ff., 37 ff. 205 Vgl. K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 15. Unterschiedliche Gesetzgebung in den Ländern verletzt nicht den Gleichheitssatz, sondern liegt im Wesen des Föderalismus; dazu BVerfGE 16, 6 (24); 32, 346 (360); 33, 224 (231); 42, 20 (27); 52, 42 (57 f.); 93, 319 (351). 206 U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 172; J. Lücke in: M. Sachs, Art. 79, Rdn. 26 f. Inwieweit das garantierte Hausgut eigener Aufgaben in der europäischen Integration erhalten bleibt, wird in Kapitel VI erörtert. 199 200
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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(2) Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes Dem Bund kommt die Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 70 Abs. 2 GG entweder in den Art. 73 GG aufgezählten Fällen ausschließlicher Gesetzgebung oder im Rahmen konkurrierender Rechtssetzung des Art. 72 Abs. 2 GG zu. Als zwei Grundsätze zur Verteilung der Zuständigkeiten nennt Carlo Schmid: „1. Die Lebensinteressen des Ganzen dürfen nicht durch partikulare Egoismen gefährdet werden. 2. Was das Land ohne Schädigung des Ganzen tun kann, das soll es auch allein tun, denn es hat den Vorteil der Sachnähe. Aufbau nach untern, aber Planung von oben.“207
Dieser Formel wird die derzeitige bundesstaatliche Zuständigkeitsverteilung nicht gerecht. Der Bund hat umfassend das Institut der konkurrierenden Gesetzgebung genutzt208, nach der die Länder nur zuständig sind, „solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat“ (Art. 72 Abs. 1 GG)209. Als Bedingung für ein Tätigwerden des Bundes bestimmt Art. 72 Abs. 2 GG, oft auch als Subsidiaritäts- oder Bedürfnisklausel bezeichnet210, die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ im Bundesgebiet oder das Erfordernis einer einheitlichen Regelung zur „Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit“. Das Bundesverfassungsgericht versagte in ständiger Rechtsprechung die Kontrolle des Bedürfnisses der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“211 (Art. 72 Abs. 2 GG a. F.), so dass kein Bundesgesetz an dieser Voraussetzung scheiterte212. Mit dem Altenpfleger-Urteil213 wendet sich das BunC. Schmid zitiert in W. Haegert, Organe der Länder auf Bundesebene?, S. 1139. R. Leicht, Deutschland, kleinlich Vaterland, Die Zeit v. 02. 10. 2003, S. 7.; U. Margedant, Die Föderalismusdiskussion in Deutschland, S. 6; M. Nettesheim, Demokratie durch Föderalismus?, S. 52 f. 209 Die Rechtsfolge des Art. 72 Abs. 1 GG ist von der des Art. 31 GG zu trennen, nach dem Bundesrecht Landesrecht bricht. Verabschieden Landesparlamente Gesetze, obwohl der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Gesetzgebung in diesem Bereich Gebrauch gemacht hat, so entfaltet das Gesetz aufgrund fehlender Zuständigkeit der Länder keine Rechtwirkung und sind nichtig. Art. 31 GG dagegen kann sich auf einzelne Normen beziehen und muss keine Nichtigkeit zur Folge haben, sondern konstatiert bei Inhaltsgleichheit ein Vorgehen des Bundesrechtes. Dazu BayVerfGHE 23, 155 (164); BVerfGE 36, 342 (360 ff.); H. von Olshausen, Landesverfassungsbeschwerde und Bundesrecht, 1980, S. 124 ff.; U. Sacksofsky, Landesverfassungen und Grundgesetz, S. 238 f.; H. D. Jarass, Regelungsspielräume des Landesgesetzgebers im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und in anderen Bereichen, NVwZ 15 (1996), S. 1042 f. 210 Vgl. J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 256; M. Kenntner, Der Föderalismus ist (doch) justiziabel!, NVwZ 22 (2003), S. 821 f. 211 BVerfGE 2, 123 (224 f.); 4, 115 (127); 10, 234 (245); 13, 230 (233 f.); 26, 338 (382 f.); 33, 224 (229); 34, 9 (39); 39, 96 (114 f.); im Ansatz bereits BVerfGE 1, 264 (272 f.). Kommentierend D. Majer, Ist die verfassungsgerichtliche Prüfung der Voraussetzungen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes sinnvoll und möglich?, 1. Teil, EuGRZ 7 (1980), S. 106. 212 M. Kenntner, Der Föderalismus ist (doch) justiziabel!, S. 822. Kritisch zur Unitarisierung im Rahmen des Sozialprinzips K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 13; J. Isensee, 207 208
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
desverfassungsgericht von dieser Rechtsprechungspraxis ab und verlangt einen Nachweis der Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung i. S. d. Art. 93 Abs. 1 lit. 2 a GG i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG n. F.214 Neben ausschließlicher und konkurrierender Bundesgesetzgebung kann der Bund bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 GG Rahmengesetze verabschieden (Art. 75 GG), die den Ländern „Raum für Willensentscheidungen in der sachlichen Rechtsgestaltung übrig lassen“215. Die Lehre, dass dem Bund zur „Kompetenzabrundung“216 in engen Grenzen ungeschriebene oder „stillschweigende“217 Zuständigkeiten zukommen, die als Zuständigkeiten aus der „Natur der Sache“218 oder kraft Sachzusammenhang oder Annexkompetenzen219 bezeichnet werden, beruht auf der Lehre Triepels im Deutschen Reich220. Mit Art. 30 GG ist dies nicht vereinbar221. HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 251; J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 256; K.-P. Sommermann, Die Stärkung der Mitsprache der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union durch die Grundgesetzänderung von 1992, LKV 4 (1994), S. 383; M. Stehr, Gesetzgebungskompetenzen im Bundesstaat, 2001, S. 63 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 750 f. Zum Spannungsverhältnis zwischen Föderalismus und Unitarismus siehe Kap. II.2.a)cc) und O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 10. 213 BVerfGE 106, 62 ff. 214 Zum Altenpfleger-Urteil M. Kenntner, Der Föderalismus ist (doch) justiziabel!, S. 822 f.; H. Jochum, Richtungsweisende Entscheidung des BVerfG zur legislativen Kompetenzordnung des Grundgesetzes, NJW 56 (2003), S. 28 ff.; M. Rau, Subsidiarity and Judicial Review in German Federalism, GLJ 4 (2003), S. 223 ff.; M. Brenner, Die Neuregelung der Altenpflege, JuS 43 (2003), S. 852 ff. 215 BVerfGE 4, 115 (129 f.); 36, 193 (202). Vgl. auch BVerfGE 43, 291 (343); 66, 270 (285). Durch die Grundgesetzänderungen vom 27. 10. 1994 dürfen nach Art. 75 Abs. 2 GG Rahmenvorschriften des Bundes „nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten“; dazu vgl. auch H. Rybak / H. Hofmann, Verteilung der Gesetzgebungsrechte zwischen Bund und Ländern nach der Reform des Grundgesetzes, NVwZ 14 (1995), S. 234; H.-J. Papier, 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 1999, S. 343, 348. 216 C. Eiselstein, Verlust der Bundesstaatlichkeit?, S. 324. 217 E. Küchenhoff, Ungeschriebene Bundeszuständigkeiten und Verfassungsauslegung, DVBl. 66 (1951), S. 619; N. Achterberg, Zulässigkeit und Schranken stillschweigender Bundeszuständigkeiten im gegenwärtigen deutschen Verfassungsrecht, AöR 86 (1961), S. 63, 65. 218 K. Harms, Kompetenzen des Bundes aus der „Natur der Sache“?, Der Staat 33 (1994), S. 409 ff. 219 „Die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs stützt und ergänzt vielmehr eine zugewiesene Zuständigkeit nur dann, wenn die entsprechende Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also das Übergreifen unerläßliche Voraussetzung für die Regelung der zugewiesenen Materie ist.“; BVerfGE 98. 265 (299). Vgl. auch Anerkennung ihrer Existenz in BVerfGE 3, 407 (421); 11, 192 (199); 12, 205 (237 f.); 15, 1 (20); 26, 246 (256). Jarass stellt fest, dass Annexkompetenzen als weitgehend identisch angesehen werden können; H. D. Jarass, Allgemeine Probleme der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, NVwZ 19 (2000), S. 1090. 220 „Es ist endlich möglich, aus geschriebenen Kompetenzbestimmungen andere Zuständigkeitsnormen auf dem Wege der Konsequenz und der Analogie zu entwickeln. Und zwar in
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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bb) Exekutive (Abschnitt VIII GG) Gemäß des Grundsatzes der landeseigenen Verwaltung (Art. 83 GG) kommt in der Regel die Verwaltung, d. h. der Gesetzesvollzug, den Ländern zu, auch der von Bundesgesetzen222, wobei der Bund durch Einflussnahme auf die Landesverwaltung (Art. 84 GG) und den Ausbau der Bundesauftrags- (Art. 85 GG) und Bundesverwaltung (Art. 87 GG) viele Gesetzesmaterien dieser Grundregel entzieht223. Die Bundesaufsicht224 ermöglicht dem Bund die Rechtsaufsicht (Art. 84 Abs. 3 S. 1 GG) über die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder „als eigene Angelegenheit“. Neben einem Informationsrecht (Art. 84 Abs. 3 S. 2 GG) besteht das Recht zur Rüge mangelhafter Gesetzesausführung (Art. 84 Abs. 4 GG umfasst Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit)225. Werden Bundesgesetze im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung ausgeführt226, besteht, anders als die Begrifflichkeit Nahe legt, kein Auftragsverhältnis zwischen Bund und Land227, sondern umfangreiche Regelungs- und Weisungssehr bedeutendem Umfange“; H. Triepel, Die Kompetenzen des Bundesstaates und die geschriebene Verfassung, in: W. von Calker (Hrsg.), FS für Paul Laband, 1908, S. 287. 221 I. d. S. J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 187 ff. Voigt ist der Meinung, ungeschriebenes Verfassungsrecht kann Bundeszuständigkeiten begründen, da Art. 30 GG folgende Klausel enthält: „. . . soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt“; A. Voigt, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, VVDStRL 10 (1952), S. 41. Anderer Auffassung ist das Bundesverfassungsgericht, das auf dem Gebiet der Exekutive es im Ausnahmefall für möglich erachtet, dass „das Grundgesetz den Bund stillschweigend ermächtigt“ [BVerfGE 11, 6 (17); 22, 108 (116)]. Vgl. auch BVerfGE 98, 218 (249); 98, 265 (299). 222 P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 13; W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 24. Dagegen schließt das GG die Ausführung von Landesgesetzen durch Bundesbehörden aus. 223 Dazu kritisch K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 16 ff. 224 Siehe auch Kapitel III.4. Grundlegend H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 411 ff. Zur Bundesaufsicht K. A. Schachtschneider, Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht in Bund-Länder-Streitigkeiten, 1969, S. 76 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 250 f., 296 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 115; T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 18; H.-H. Trute in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Bonner Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2001, Art. 84, Rdn. 41 ff. 225 Neben der Bundesaufsicht als Rechtsaufsicht des Bundes über die Länder besteht die Kommunalaufsicht (bspw. Art. 108 ff. BayGO) als Aufsicht der Länder über die Kommunen (dazu BVerfGE 8, 122 (137 ff.); F.-L. Knemeyer, Staatsaufsicht über Kommunen, JuS 40 (2000), S. 521 ff.; L. Schrapper, Zweckmäßigkeitskontrolle in der Kommunalaufsicht?, NVwZ 9 (1990), S. 931.) und die Aufsicht von Bund und Länder über die mittelbare Staatsverwaltung (bspw. Art. 117 ff. BayHochschulG) und berufständischen Kammern (bspw. Art. 16, 96 BayHeilberufeKammergesetz); K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 136. 226 Beispiele sind die Verteidigungs-, Atom-, Luftverkehrs- und Straßenverwaltung oder Finanzverwaltung; F. Ossenbühl, Weisungen des Bundes in der Bundesauftragsverwaltung, S. 31. Vgl. auch C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, S. 248 ff. 227 Kritik am irreführenden Begriff H.-J. Vogel, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, HVerfR, S. 843. I. d. S. auch K. Lange, Probleme des Bund-Länder-Verhältnisses im Atomrecht, NVwZ 9 (1990), S. 928; H. Wilms, Überlegungen zur Reform des Föderalis-
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
befugnisse (Art. 85 Abs. 2 – 3 GG). Auch die Aufsichtsrechte gehen über die der Bundesaufsicht des Art. 84 Abs. 3 GG hinaus und umfassen neben der Rechtsaufsicht auch die Fachaufsicht (Art. 85 Abs. 4 GG)228. Umstritten ist die Frage, inwieweit die Länder an rechtswidrige Weisungen gebunden sind229. Nach Lerche kann nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Weisung vor Gericht diese aufheben230. Anders als die Bundesauftragsverwaltung ist die Verwaltung der Art. 86 ff. GG mittelbare oder unmittelbare Bundesverwaltung231. cc) Judikative (Abschnitt IX GG) Aufgrund des Gesetzesvorbehaltes der Gerichtsorganisation sind die Zuständigkeiten der Gerichte eindeutig und werden nicht durch ungeschriebenes Recht ergänzt232. Bis auf die im Grundgesetz vorgesehenen, hauptsächlich letztinstanzlichen Bundesgerichte (Art. 95 – 96 GG) einschließlich des Bundesverfassungsgerichtes (Art. 94 GG), ist die Rechtsprechung den Gerichten der Länder vorbehalten (Art. 92 GG)233. In der Regel sind die fünf obersten Bundesgerichte (Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht und Bundessozialgericht) Rechtsmittelgerichte letzter Instanz, wohingegen die Gerichte der Länder weitestgehend Gerichte der ersten, zweiten und in Ausnahmefällen auch dritten Instanz sind234. Somit kommt den Bundesgerichten weitestgehend die Funktion von Revisionsinstanzen zu. Die Einheitlichkeit der Anwendung des Rechts soll auf diese Weise gewahrt werden. Mit der Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 GG) begründend sieht Ossenbühl „die Organisation und die Zuständigkeiten der Gerichte für die Befindlichkeit des grundgesetzlichen Bundesstaates weniger prägend und aussagekräftig“235. Diese Aussage berücksichtigt jedoch nicht, dass maßgebliche Kräfte, die zur Unitarisierung beitragen, gerade in der Funktionsweise des deutschen Gerichtswesens verankert sind. Die bereits in mus in Deutschland, S. 88. Ossenbühl spricht dagegen von einem „(Länder)-Ungehorsam“; F. Ossenbühl, Weisungen des Bundes in der Bundesauftragsverwaltung, S. 32, 40. 228 Dazu H. Jochum, Die Bundesverwaltung im Umbruch, DÖV 56 (2003), S. 16 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 713 f. 229 Dazu BVerfGE 84, 310 ff. Vgl. auch F. Ossenbühl, Weisungen des Bundes in der Bundesauftragsverwaltung, S. 33 ff.; L.-U. Pera, Bundesweisung bei der Bundesauftragsverwaltung am Beispiel der Atomverwaltung, NVwZ 8 (1989), S. 1122 ff.; K. Lange, Probleme des Bund-Länder-Verhältnisses im Atomrecht, S. 929 ff. 230 P. Lerche, Zur Angreifbarkeit von Weisungen des Bundes im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung, BayVBl. 118 (1987), S. 322. 231 Dazu K. Zeidler, Ausführung von Landesgesetzen durch Bundesbehörden, DVBl. 75 (1960), S. 573 ff.; H.-J. Vogel, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, HVerfR, S. 844 ff. 232 BVerfGE 2, 307 (326); vgl. K. Stern, Staatsrecht II, S. 568 ff. 233 Vgl. BVerfGE 8, 174 (176); 10, 200 (213); 96, 345 (366). 234 K. Stern, Staatsrecht I, S. 687 f. 235 F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 136.
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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der Legislative und Exekutive festgestellten Unitarisierungstendenzen sind auch im Bereich der Rechtsprechung unverkennbar236. Zum einen müssen, bedingt durch die zunehmende Bundesgesetzgebung, auch Landesrichter überwiegend Bundesrecht erkennen237. Zum anderen werden Gerichtsverfassungen und -verfahren durch Bundesrecht geregelt und die Länderhoheit hauptsächlich auf die Justizverwaltungs-, insbesondere die Personalhoheit beschränkt238. Am stärksten wird die Unitarisierung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts239 und der obersten Bundesgerichte vorangetrieben. Durch sie werden die maßgeblichen Grundsätze der Judikatur entwickelt, so dass den Ländern kaum eigene Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben240. b) Bundesrat als föderatives Organ im Gesetzgebungsverfahren aa) Charakteristika des Bundesratsprinzips Der Bundesrat ist ein oberstes Verfassungsorgan des Bundes241, durch das die Länder bei Bundesgesetzgebung und -verwaltung sowie Angelegenheiten der EU mitwirken242. Es setzt sich aus Mitgliedern der Länderegierungen zusammen (Art. 51 Abs. 1 GG) und stellt den „föderativen Teil der Legislative dar“243, ohne jedoch eine echte zweite Kammer zu sein244. Das Bundesratsprinzip wird vom Senatsprinzip unterschieden, bei dem die Gliedstaatenvölker die Vertreter in direkter Wahl bestimmen245. 236 K. Schmalenbach, Föderalismus und Unitarismus in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 23 ff. Zur Kritik der Landesverfassungsgerichtsbarkeit siehe Kap. III.1.b)aa). 237 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 111; K. Stern, Staatsrecht I, S. 689 f. 238 Kritik bei K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 16. 239 Gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts „die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden“. 240 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 16; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 111. Vgl. dazu auch W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 3. Aufl. 1970, S. 101 ff. 241 BVerfGE 1, 299 (311); 8, 104 (120). Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 773; H. H. Klein, Der Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland – die „Zweite Kammer“, AöR 108 (1983), S. 330 ff. Eine ausführliche Übersicht bietet D. Posser, Der Bundesrat und seine Bedeutung, HVerfR, S. 899 ff. 242 Art. 50 GG; vgl. auch BVerfGE 13, 54 (76 f.). Speziell zu Aspekten des Einflusses des Bundesrates in Angelegenheiten der EU siehe Kap. VI.5. 243 BVerfGE 24, 184 (197). Vgl. auch BVerfGE 8, 104 (120); K. Stern, Föderative Besinnungen, S. 330. 244 BVerfGE 37, 363 (380). Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG lautet: „Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen.“ Dem Bundesrat wird durch Art. 50 GG lediglich eine Mitwirkung zugesprochen. Vgl. auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 727; R. Sturm, Zur Reform des Bundesrates, in: Aus Politik und Zeitgeschichte v. 14. 07. 2003, S. 24. 245 U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 46 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 728.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
In der Literatur wird vielfach diskutiert, inwieweit die Unabänderlichkeit des Bundesstaatsprinzips (Art. 79 Abs. 3 GG) das Bundesratsprinzip umfasst246. Wesentlich für den Bundesstaat ist nicht die Institution des Bundesrates, sondern die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung des Bundes247. Nawiasky lehrt somit zutreffend, dass Art. 79 Abs. 3 GG die Institution des Bundesrates nicht für unabänderlich erklärt und dessen Aufgabe prinzipiell durch einen Senat wahrgenommen werden könnte248. Die Stimmenverteilung im Bundesrat ist traditionell trotz der Gleichheit der Länder im Bund disparitätisch. Je nach Landesbevölkerung hat ein Land zwischen drei und sechs Stimmen, die es bei Abstimmungen einheitlich abzugeben hat (Art. 51 Abs. 2 – 3 GG)249. Diese Regelung ist zwar mit dem Bundesstaatsprinzip vereinbar250, zeigt jedoch, dass dem deutschen Bundesstaat die bündische Grundlage fehlt251. Zudem wird nicht das Einstimmigkeitsprinzip zugrunde gelegt, sondern Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit der Stimmen gefasst (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG), mit der Folge, dass Enthaltungen in ihrer Wirkung einer Gegenstimme gleichkommen.
bb) Zustimmungssystem des parteienstaatlichen Bundesrates Im Gesetzgebungsverfahren des Bundes252 wird zwischen Einspruchsgesetzen, die bei Ablehnung durch die Mehrheit der Stimmen im Bundesrat durch eine quali246 Vgl. J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 130 ff.; J. Lücke in: M. Sachs, Art. 79, Rdn. 28 m. w. N. 247 I. d. S. auch Bothe, der ein föderatives Organ als konstitutives Element eines Bundesstaates erachtet; M. Bothe, Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht, 1977, S. 10. 248 H. Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, S. 63. Harbich stuft den Bundesrat nicht nur als ersetzbar ein, sondern sogar als störendes Element im deutschen Bundesstaat; J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 72 f. 249 In der 774. Sitzung des Bundesrates v. 22. 03. 2002 gaben die Vertreter des Landes Brandenburg zunächst ihre Stimmen uneinheitlich ab. Zur Ungültigkeit der uneinheitlich abgegebenen Stimmen vgl. F. Becker, Die uneinheitliche Stimmabgabe im Bundesrat, NVwZ 21 (2002), S. 569 ff.; K. Odendahl, Das Erfordernis der einheitlichen Stimmabgabe im Bundesrat (Art. 51 III 2 GG), JuS 42 (2002), S. 1049 ff.; W.-R. Schenke, Die verfassungswidrige Bundesratsabstimmung, NJW 55 (2002), S. 1320 ff. 250 Dazu K. Behnke, Die Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaatsrecht, 1926, S. 81 ff. 251 „Bei einer vertraglich entstandenen Bundesverfassung wird regelmäßig von den Vertragspartnern auf der Basis der Gleichheit eine paritätische Vertretung im Föderativorgan durchgesetzt“; U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 43. 252 Hier wird von der ersten Zuleitung einer Gesetzesvorlage an den Bundesrat (Art. 76 Abs. 2 GG) abgesehen. Dazu (kritisch) M. Schürmann, Die Umgehung des Bundesrates im sog. „Ersten Durchgang“ einer Gesetzesvorlage, AöR 115 (1990), S. 45 ff.; H. Stegmann, Das Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat, in: R.-D. Postlep (Hrsg.), Aktuelle Fragen zum Föderalismus, 1996, S. 144 ff.
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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fizierte Mehrheit im Bundestag überstimmt werden253, und Zustimmungsgesetzen unterschieden, die ohne ein positives Votum des Bundesrates nicht zu Stande kommen. Sah das Grundgesetz ursprünglich ungefähr 10 % der Gesetze als Zustimmungsgesetze vor, so ist dieser Anteil mittlerweile aufgrund einer weiten Handhabung des Zustimmungserfordernisses254 auf ca. 60 % gestiegen255. Diese Praxis, deren Zweck in der Antizipation von Vollzugsproblemen von Bundesgesetzen durch die Länder256 bereits im Bundesrat bestehen soll257, hat den Bundesrat (zumindest teilweise) zum Organ der Opposition im Parteienstaat258 degenerieren lassen259. Anstelle Länderinteressen zu vertreten kommt es vor, dass sich Landesregierungen ihre Zustimmung gegen finanzielle Zugeständnisse „abkaufen“ lassen260 oder im Bundesrat die Ansicht der Bundespartei unterstützt wird, der die Landesregierung angehört261. 253 Art. 77 Abs. 3 – 4 GG. Besteht im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen den Gesetzesbeschluss, so bedarf es zur Zurückweisung eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag; Art. 77 Abs. 4 S. 2 GG. 254 Zur Auslegung des Art. 84 Abs. 1 GG insbesondere BVerfGE 8, 274 (294 f.); 24, 184 (197 f.); 55, 274 (319) und auch 37, 363 (382); 39, 1 (55); 48, 127 (180); offen dagegen BVerfGE 105, 313 (339) mit Verweis auf Kritik an dieser Rechtsprechungspraxis in der Literatur. Enthält ein Gesetz eine zustimmungspflichtige Norm, so ist das gesamte Gesetz zustimmungspflichtig; H. H. Klein, Parteipolitik im Bundesrat?, DÖV 24 (1971), S. 328; F. Ossenbühl, Verfahren der Gesetzgebung, HStR, Bd. I, § 63, Rdn. 42. 255 H. Wilms, Überlegungen zur Reform des Föderalismus in Deutschland, S 90; B. Zypries, Reform der bundesstaatlichen Ordnung im Bereich der Gesetzgebung, ZRP 36 (2003), S. 766; R. Leicht, Deutschland, kleinlich Vaterland, S. 7. 256 Dazu Kap. III.2.a)bb). 257 P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 15; siehe auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 245. 258 Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer „modernen parteienstaatlichen Demokratie“, einer „Entscheidung des Grundgesetzes zugunsten des modernen Parteienstaates“ [beide Zitate BVerfGE 4, 144 (149)], in dem die Parteien „in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution“ [BVerfGE 2, 1 (73); ähnlich 1, 208 (225); 44, 125 (145)] gehoben werden. Durch die in Art. 21 Abs. 1 GG zugewiesene Aufgabe seien sie „für das Funktionieren einer demokratischen Ordnung des Gemeinwesens schlechthin unerläßlich und entscheidend“ [BVerfGE 20, 56 (114); ähnlich 11, 266 (273); 44, 125 (145); 52, 63 (82)]. 259 „Das breitere Publikum nimmt eigentlich nur wahr, dass es fast gleichgültig ist, zu welchem Ergebnis eine Bundestagswahl führt, solange die Oppositionsparteien im Bundesrat das Wort führen. Das gilt erst recht, seitdem ein Sieg in einer Bundestagswahl fast regelmäßig dazu führt, dass anschließend die Opposition die folgenden Landtagswahlen gewinnt“; R. Leicht, Deutschland, kleinlich Vaterland, S. 7. Vgl. auch W. Knies, Der Bundesrat, DÖV 30 (1977), S. 575 f. Zu der Verbindung des Bundesstaatsprinzips mit dem Parteienstaat bereits in der Weimarer Republik O. Koellreutter, Der deutsche Staat als Bundesstaat und als Parteienstaat, 1927, S. 21 ff. 260 M. Brenner, Der unitarische Bundesstaat in der Europäischen Union, S. 906; T. Stein, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 28; U. Margedant, Die Föderalismusdiskussion in Deutschland, S. 7. 261 H. H. Klein, Parteipolitik im Bundesrat?, S. 326; G. Lehmbruch, „A-Länder“ und „B-Länder“, ZfPar 29 (1998), S. 348 ff.; T. König / T. Bräuniger, A-, B- und C-Länder, ZfPar 29
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
Die „unheilige Allianz von Bundesstaat und Parteienstaat“ 262 führt zu einer Bedeutungsabnahme der Länder, der Informalisierung der Staatsführung, alles in allem nicht nur zu weiterer Unitarisierung, sondern zudem Zentralisierung des Bundesstaates in Richtung eines Einheitsstaates: Zwar hat „das Parteienprinzip das Länderprinzip . . . nicht vernichtet, aber das Übergewicht gewonnen“263, so dass Landtagswahlen vorrangig als Testwahlen für die Bundespolitik gesehen werden, denn als Akt zur Bestimmung sittlicher Landesparlamentarier 264. Die verstärkte Bedeutung der Mitwirkung durch den Bundesrat ist nicht zuletzt Konsequenz der Bedeutungsabnahme der Landesgesetzgebung265. Beim Verfahren von Zustimmungsgesetzen wird der Bundesrat funktional zu einer zweiten Kammer und im dualistischen Parteienbundesstaat die Bundesregierung eine „unechte Minderheitsregierung“266, immer dann, wenn ihr bei Zustimmungsgesetzen eine Oppositionsmehrheit im Bundesrat entgegensteht. In solchen Fällen bedarf es einer „informellen Großen Koalition mit all ihren demokratischen Kosten“267. Der Bundesstaat nähert sich bedenklich dem funktionalen Einheitsstaat an. Zudem hat der Parteienstaat zu einer Informalisierung geführt, in der politische Verantwortung nicht mehr zugerechnet werden kann268.
(1998), S. 350 ff.; M. Morlok, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, VVDStRL 62 (2003), S. 42. 262 H. Rudolph, In schlechter Verfassung, Die Zeit v. 17. 07. 2003, S. 9. Zur Blockadepolitik von Parteien zur Erhöhung der eigenen Wahlchancen C. Starck, Das Grundgesetz nach fünfzig Jahren, S. 478. Vgl. auch E. G. Mahrenholz, Bundesverfassungsgericht und Parteienstaatlichkeit, in: K. Stern (Hrsg.), 40 Jahre Grundgesetz, 1990, S. 103 f. 263 T. Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, 2000, S. 254. 264 Dies belegt die empirische Studie F. Decker / J. von Blumenthal, Die bundespolitische Durchdringung der Landtagswahlen, ZfPar 33 (2002), S. 164. Hauptproblem ist, dass Verantwortung den Amtsträgern nicht zugerechnet wird; vgl. J. von Blumenthal, Amtsträger in der Parteiendemokratie, 2001, S. 20 ff. 265 Vgl. Kap. III.2.a)aa)(1). Zur Praxis, Bundesratszuständigkeit als Kompensation für Einschränkung der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder im Prozess der europäischen Integration siehe Kap. VI.5. 266 H. Meyer, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, VVDStRL 33 (1975), S. 119. 267 D. Grimm, Das Grundgesetz nach vierzig Jahren, NJW 42 (1989), S. 1307. I. d. S. auch Graf Vitzthum: „Die Ausübung von Bundeskompetenzen hängt faktisch von einer absoluten Mehrheit der Landesregierungen ab“; W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 38. 268 H. H. von Arnim, Wer kümmert sich um das Gemeinwohl?, ZRP 35 (2002), S. 226. Siehe auch ders., Fetter Bauch regiert nicht gern, 1997, S. 147 ff. zur „organisierten Verantwortungslosigkeit“. Zu weiterer Kritik am Parteienstaat siehe W. Henke, Die Parteien und der Ämterstaat, S. 616 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 772 ff., 1045 ff.; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 129 f.
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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c) Kooperativer und kompetitiver Föderalismus Der deutsche Bundesstaat hat sich mit dem praktizierten kooperativen Föderalismus269, mit vertraglichen270 und informellen Verflechtungen innerhalb und zwischen den Staatsebenen, einen weiteren Unitarisierungsschub erhalten. Aus der bundesweiten Erstreckung politischer Parteien271 und gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Verbänden folgt in einem auf „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“272 zusteuernden, unitarisierenden Bundesstaat auch die Ansicht, staatliche Aufgaben nur in Gemeinsamkeit lösen zu können273. Inwieweit das proklamierte Erfordernis274 der horizontalen Selbstkoordination der Länder untereinander, der Kooperation auf der „dritten Ebene“ [aa)], und der vertikalen Abstimmung zwischen Bund und Ländern auf der „vierten Ebene“ [bb)] zu einer verfassungswidrigen Zentralisierung führt, muss geprüft werden [cc)]. Als Ansatz einer Abwendung vom kooperativen Föderalismus wird vermehrt die Forderung erhoben, der Harmonie von Kooperationen die Effizienz des Wettbewerbs entgegenzusetzen [dd)]. Die Länder sollen analog zu Unternehmen durch verstärkte Konkurrenz Leistungssteigerungen verzeichnen.
aa) Exekutivföderalismus auf der „dritten Ebene“ Kooperationen der Länder untereinander erweitern den ursprünglich mit Bund und Ländern nach herrschender Lehre zweigliedrig konzipierten Bundesstaat um eine grundgesetzlich nicht vorgesehene dritte Ebene275. Das föderalistische 269 Der Begriff lehnt sich an den Terminus des çooperative federalism“ der USA an (U. Scheuner, Wandlungen im Föderalismus der Bundesrepublik, S. 518 f.; W. A. Kewenig, Kooperativer Föderalismus und bundesstaatliche Ordnung, AöR 93 (1968), S. 433 ff.), ohne dass eine Kongruenz der Konzepte besteht (P. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, S. 70). Ausführlich zum kooperativen Bundesstaat und seiner Entwicklung W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat, HStR, Bd. IV, § 105, Rdn. 1 ff.; S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 1998, S. 259 ff. 270 Es sind Staatsverträge, Verwaltungsabkommen und gemeinsame Verwaltungsbeschlüsse zu unterscheiden; H. Schneider, Verträge zwischen Gliedstaaten im Bundesstaat, VVD-StRL 19 (1961), S. 8 ff. 271 Nach den Organisationsstatuten der Parteien, weisen diese eine föderative Struktur auf (Dazu F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 149; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 252 ff.), jedoch ist in der Staatspraxis bis auf die weitestgehend von der CDU unabhängige bayerische CSU ein „parteienstaatlicher Zentralismus“ (K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 196) zu beanstanden. 272 Siehe im Zusammenhang mit dem kooperativen Bundesstaat Ausführungen bei O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 56. 273 So die These bei W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 38. 274 U. Scheuner, Wandlungen im Föderalismus der Bundesrepublik, S. 518; K. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, S. 144.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
Wesenselement der „Vielheit in der Einheit“276 wird durch Angleichung der Normen und Verwaltungspraxis durch Staatsverträge, Verwaltungsabkommen, Beschlüsse der Fachministerkonferenzen (z. B. der Kultusministerkonferenz) und gemeinsame Einrichtungen in den Ländern außer Kraft gesetzt277. Als eine der Hauptursachen für die von den Ländern forcierte Unitarisierung wird angeführt, dass die Länder durch freiwillige einheitliche Staatsführung den Übergang von Landeszuständigkeiten auf den Bund vermeiden278. Trotz Uniformität handelt es sich immerhin um Landesrecht279. Kooperationen liegt das Prinzip freier Einigung zugrunde280, ein Grundsatz, der den echten Bundesstaat charakterisiert, auf dem der unechte und einem Zentralisationsprozess unterliegende Bundesstaat jedoch nur im Ausnahmefall basiert. Kooperative Entscheidungen sind Minimallösungen, da sie der Einstimmigkeit bedürfen und zudem von den Landesparlamenten ratifiziert werden müssen281. In der Staatspraxis hat sich ein die Gewaltenteilung beeinträchtigender Exekutivföderalismus entwickelt282: Landesregierungen fassen ohne die Mitwirkung der Landesparlamente nicht-rechtsverbindliche Beschlüsse, lassen es aber faktisch nicht zu, dass die ausgehandelten Entwürfe bei ihrer Verabschiedung noch abgelehnt werden283. Die Landtage verkommen zu „staatsnotariellen Ratifikationsämtern“284.
275 Hierbei handelt es sich streng genommen um die vierte Ebene, da der deutsche Bundesstaat in den Kommunen bereits seine dritte staatliche Ebene findet. Die übliche Begrifflichkeit wird jedoch übernommen, um Unklarheiten zu vermeiden. 276 Siehe Fn. 59 in Kap. II.2.a)aa); vgl. auch Kap. II.2.a)dd). 277 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 19; N. Achterberg, Deutschland nach 30 Jahren Grundgesetz, S. 90 f. 278 T. Maunz, Gleichheit der Gliedstaaten im Bundesstaat, S. 317; vgl. auch O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 55. 279 W. Rudolf, HStR, Bd. IV, § 105, Rdn. 73. In der ersten Rundfunkentscheidung heißt es: „Es ist ein für den Bundesstaat entscheidender Unterschied, ob sich die Länder einigen, oder ob der Bund eine Angelegenheit auch gegen den Willen der Länder oder einzelner Länder gesetzgeberisch regeln und verwalten kann“; BVerfGE 12, 205 (252). 280 K. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, S. 145; siehe aber W. Rudolf, HStR, Bd. IV, § 105, Rdn. 24. 281 K. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, S. 146; H. Abromeit, Mehrheitsprinzip und Föderalismus, S. 14 f. 282 Zu dem Begriff siehe auch H. Bauer, HStR, Bd. I, 3. Aufl. 2003, § 14, Rdn. 124. 283 W. Leisner, Schwächung der Landesparlamente durch grundgesetzlichen Föderalismus, DÖV 21 (1968), S. 392 f.; F. Ossenbühl, Föderalismus nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 1234. 284 So des skeptische Titel des Beitrags H. Lenz, Die Landtage als staatsnotarielle Ratifikationsämter?, DÖV 30 (1977), S. 157 ff.
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bb) Gemeinschaftsaufgaben auf der „vierten Ebene“ Neben der Selbstkoordination erweitert sich der kooperative Bundesstaat um eine „vierte Ebene“285, bei der die Zahl der Kooperationspartner um den Bund erweitert wird286. Besonders die 1969 unter der Großen Koalition (1966 – 1969) grundgesetzlich verankerten Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91 a und 91 b GG sehen sich vehementer Kritik ausgesetzt287. Der Bund erhält mittels Finanzzuweisungen Einfluss auf Länderaufgaben, namentlich den Hochschulbau, die regionale Wirtschaftsförderung, Agrarstrukturmaßnahmen und den Küstenschutz, „wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist“288, sowie Bildungsplanung und Forschungseinrichtungen. Das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Rahmen der so genannten Mischverwaltung ist nur in den grundgesetzlich vorgesehenen Fällen verfassungskonform289. Als weiteres wichtiges Rechtsinstitut kommt die Organleihe in Betracht, wie sie beispielsweise Art. 96 Abs. 5 oder Art. 99 GG regeln. cc) Unitarisierung oder Zentralismus? Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des praktizierten kooperativen Föderalismus ist mit Problemen behaftet290. Zu klären ist, inwieweit die Selbstkoordinierung mit dem grundgesetzlichen Prinzip der Bundesstaatlichkeit verträglich ist. Die Möglichkeit von Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform erklärt291. Die Selbstkoordination der Länder untereinander geschieht auf freiwilliger Basis und ist ein aus der Staatseigenschaft der Länder resultierendes Recht. Eine eindeutige Ablehnung des kooperativen Föderalismus scheitert an der Inexistenz einer (materiellen) Bundesstaatslehre292: Die dargelegten Kooperationsformen sind für einen weiteren Unitarisierungsschub verantwortlich293. Gehört die Wahrung regionaler Unterschiede zum Wesen des Föderalismus, so stößt der auf Vereinheitlichung ausZur Kritik an der Nummerierung der Ebenen siehe Fn. 275. H. Klatt, Interföderale Beziehungen im kooperativen Bundesstaat, VerwArch 78 (1987), S. 191; H. Hofmann, HStR, Bd. I, § 7, Rdn. 66. 287 R. Herzog, Strukturmängel der Verfassung?, S. 98; U. Margedant, Die Föderalismusdiskussion in Deutschland, S. 6. 288 Legaldefinition des Art. 91 a Abs. 1 GG. 289 BVerfGE 32, 145 (156); 39, 96 (120) und vgl. auch 11, 105 (124 f.). 290 Skeptisch aber nicht ablehnend K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 20. Von Verfassungskonformität spricht H. Hofmann, HStR, Bd. I, § 7, Rdn. 66. 291 BVerfGE 63, 1 (39 f.). 292 Dazu Kap. II.3.a)aa). 293 K. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, S. 145.; O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 57. 285 286
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
gerichtete kooperative Föderalismus an die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG294. Eindeutig ist der Fall einer Aufhebung der Länderstaatsqualität durch übermäßige Übertragung von Länderzuständigkeiten auf andere Rechtsträger. Eine derartige Aushöhlung der existentiellen Länderstaatlichkeit führt zu einer verfassungswidrigen Situation, in der die existentielle Staatsqualität gefährdet ist295. Es handelt sich um eine existentielle Lage, die ultima ratio ein Sezessionsrecht begründet [vgl. Kap. 1.c)cc)]. Verfassungsrechtlich bedenklich ist auch die faktische Ausschaltung der demokratisch gewählten, zuständigen Parlamente296. Die praktizierte Informalität ist mit dem Rechtstaatsprinzip unvereinbar. Hesse erkennt in den Kooperationen keine zentralistische Wirkung297. Zumindest jedoch die so genannte vierte Ebene nährt den Zentralismus. Die Kooperationen zwischen Bund und Ländern ähneln dem „Allheilmittel der Kompetenzübertragung auf den Bund, mag man sie auch als Kooperation verbrämen“298. Ohne zu differenzieren stellt Blankart fest: „Unter dem Deckmantel des ,kooperativen Föderalismus‘ hat sich faktisch ein Zentralismus durchgesetzt“299. Dieser widerspricht dem Bundesstaatsprinzip und ist nach Art. 79 Abs. 3 GG verfassungswidrig.
dd) Ablösung durch Wettbewerbsföderalismus? Die Zentralisierung von Länderzuständigkeiten sowie anhaltende Unitarisierung durch kooperativen Föderalismus entziehen dem deutschen Bundesstaat, dessen formale Begründung angesichts des fehlenden bündischen Fundaments unklar bleibt, die materielle Legitimationsgrundlage300: die innovationsfördernde Wir294 „Wenn daher als Substanz des Bundesstaates die regionale Besonderheit und Differenziertheit, als seine Aufgabe deren Erhaltung, Sicherung und Indienststellung für das Ganze angesehen wird, dann ist von einer solchen Grundlage aus nur noch der Schluß möglich, daß der Bundesstaat im Sterben liegt“; K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 21. 295 I. d. S. P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 46; G. Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 170 f.; J. Lücke in: M. Sachs, Art. 79, Rdn. 27, 37. 296 W. Leisner, Schwächung der Landesparlamente durch grundgesetzlichen Föderalismus, S. 389 ff.; H. C. F. Liesegang / R. Plöger, Schwächung der Landesparlamente durch den kooperativen Föderalismus, DÖV 24 (1971), S. 228 ff.; M. Morlok, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, S. 42 f. 297 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 21. 298 W. Leisner, Föderalismus als kooperativer Dialog, ZRP 2 (1969), S. 14. 299 C. B. Blankart, Zehn Thesen zur Zentralisierung der Staatstätigkeit, in: K. Morath (Hrsg.), Reform des Föderalismus, 2001, S. 145. Anderer Ansicht ist Maier: „Die vor Jahren prophezeite Stärkung der Zentralgewalt . . . ist nicht eingetreten“; H. Maier, Der Föderalismus – Ursprünge und Wandlungen, S. 225. 300 I. d. S. K. Kruis, Finanzautonomie und Demokratie im Bundesstaat, S. 13. Es wird von einer „Sinnkrise“ des Bundesstaates gesprochen; H.-W. Arndt, Erneuerter Föderalismus, in: U. Männle (Hrsg.), Föderalismus zwischen Konsens und Konkurrenz, 1998, S. 36.
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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kung politischer Vielfalt301. Die Kehrtwende, d. h. das Ziel einer so genannten Reföderalisierung302, proklamiert der Wettbewerbsföderalismus. Hat das kooperative Miteinander zu Unitarisierung und Zentralisierung sowie Exekutivföderalismus und Politikverflechtung303 geführt, so sollen durch ein konkurrierendes Gegeneinander die Probleme des Bundesstaates gelöst werden. Die Globalisierung stellt die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland in Frage. Folglich wird eine Neuausrichtung des Staates durch marktorientierte Interpretation grundlegender Verfassungsprinzipien angestrebt304. Die Logik scheint bestechend: Die Symbiose von Wettbewerb305 und Effizienz, wie sie die Wirtschaftswissenschaften lehrt, soll ein neues306 Anwendungsfeld erlangen, indem sie auf den Staat übertragen wird und dessen Leistungsfähigkeit gesteigert wird307. Bund und Länder sollen wie marktwirtschaftliche Unternehmen geführt werden, die gegenseitig in Konkurrenz zueinander stehen, ohne dass bedacht wird, dass es marktwirtschaftlichen Wettbewerb zwischen staatlichen Körperschaften und Einrichtungen nicht geben kann. Dem Staat fehlt es an dem Recht zur freien Willkür, d. h. der Privatheit und somit der Grundbedingung jedes konkurrierenden Verhaltens, da sein Zweck die Sicherstellung von Freiheit durch allgemeine Gesetze ist308. Das Konzept wird nicht auf den politischen Wettbewerb beschränkt, sondern prägt hauptsächlich die Diskussion um die Finanzverfassung309. Dem Vorteil der Vgl. Kap. II.3.a)ee)(2). H.-J. Papier, 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz, S. 346; R. Höppner, Reformen wagen, Zusammenhalt bewahren, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 1999, S. 9 ff. 303 Grundlegend dazu bereits F. W. Scharpf / B. Reissert / F. Schnabel, Politikverflechtung, 1976; dies., Politikverflechtung II, 1977; J. J. Hesse, Politikverflechtung im föderalen Staat, 1978. Vgl. auch F. W. Scharpf, Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa, 1994, S. 11 ff.; H. H. von Arnim, Wer kümmert sich um das Gemeinwohl?, S. 227 f.; P. Häberle, Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus, S. 185. 304 U. Volkmann, Bundesstaat in der Krise?, DÖV 51 (1998), S. 613; B. Stamm / G. Merkl, Kompetitiver Föderalismus, ZRP 31 (1998), S. 469. Siehe bereits W. Zeh, Spätföderalismus: Vereinigungs- oder Differenzierungsföderalismus?, ZfPar 8 (1977), S. 475 ff. 305 Zu dem Begriff Wettbewerb vgl. H. P. Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat“, DÖV 52 (1999), S. 269 f. 306 Streng genommen handelt es sich nicht um ein neues Konzept, sondern lediglich aufgefachten Elan eines bekannten Vorschlags; dazu K.-D. Henke / G. F. Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern, 1993, S. 35 ff.; B. Stamm / G. Merkl, Kompetitiver Föderalismus, S. 467. 307 Den angenommenen Funktionsmechanismus beschreibt H. Bauer, Entwicklungstendenzen und Perspektiven des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, DÖV 117 (2002), S. 843 f. Siehe auch B. Stamm / G. Merkl, Kompetitiver Föderalismus, S. 469. 308 Vgl. Kap. II.1.a). Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende und rechtsprechende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden. Dazu grundlegend die Kritik an der Fiskuslehre K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 281 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 266 ff. 301 302
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
politischen Entflechtung durch eine klare Verantwortungsverteilung, in der Ergebnisse eindeutig zurechenbar werden und anspornen, steht insbesondere das Argument einer Entsolidarisierung entgegen. Zu der dritten Finanzausgleichsentscheidung hat primär der Streit geführt, inwieweit das (mittlerweile abgelöste) Finanzausgleichssystem, ein Kernelement sozialer Bundesstaatlichkeit, mit innovationsförderndem föderalem Wettbewerb vereinbar ist310. Das Bundesverfassungsgericht hat das Argument des Wettbewerbs nicht aufgegriffen311, sondern vielmehr seine Entscheidung mit der bundesstaatlichen Solidarpflicht, d. h. einer Ausprägung des rechtstaatlichen Solidaritätsprinzips, begründet312. Anstatt der Argumentation des Wettbewerbsföderalismus zu folgen, war der Finanzausgleich verfassungswidrig, da das Solidaritätsprinzip weder zu einer Umkehrung der Finanzreihenfolge313 noch zu einer Nivellierung der Finanzkraft314 führen darf315. Weder dies noch der Wortlaut des Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG, der die Wahrung der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ fordert, führen zu einer Abwendung von dem Konzept des kompetitiven Föderalismus. Stattdessen wird lediglich die Begrifflichkeit angepasst, so dass nun von „solidarischem“ oder „sozialem Wettbewerbsföderalismus“316 gesprochen wird. Dabei handelt es sich um eine „außerordentlich spannungsgeladene Formel . . . , die mancherlei andeutet und vieles zuläßt“317. Der Euphorie, den „Königsweg“318 (diesmal nicht in einer Neugliederung319, sondern im Wettbewerb) gefunden zu haben, ist die Tatsache entgegenzusetzen, dass der deutsche Bundesstaat „ganz offensichtlich . . . in einem bemerkenswert 309 H. P. Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat“, S. 271; H.-P. Schneider / U. Berlit, Die bundesstaatliche Finanzverteilung zwischen Rationalität, Transparenz und Politik, S. 841 f. 310 BVerfGE 101, 158 (198 f.). 311 Kritik an der Übertragung des Wettbewerbsgedankens auf Staatlichkeit, insbesondere den Finanzausgleich bei H. P. Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat“, S. 273 f.; siehe auch sehr kritisch S. Broß, Daseinsvorsorge – Wettbewerb – Gemeinschaftsrecht, JZ 58 (2003), S. 879. 312 BVerfGE 101, 158 (199, 201 f., 232 f.). 313 BVerfGE 101, 158 (222, 224, 231 f., 234); vgl. bereits BVerfGE 72, 330 (418 f.); 86, 148 (250). 314 BVerfGE 101, 158 (222, 232, 234); vgl. bereits BVerfGE 1, 117 (131); 72, 330 (398). 315 Zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts siehe zudem Ausführungen in Kap. III.1.b)cc), insbesondere Verweis in Fn. 95. 316 R. Höppner, Reformen wagen, Zusammenhalt bewahren, S. 16. 317 H. Bauer, Entwicklungstendenzen und Perspektiven des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 844. 318 (Zurückhaltend) H. Bauer, Entwicklungstendenzen und Perspektiven des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 843. Das verbreitete „majestätische“ „aber zugleich auch monarchische“ Vokabular unterstreicht den Enthusiasmus: Schuppert spricht von der „Entthronung des Verbundföderalismus und Inthronisierung des Wettbewerbsföderalismus“; G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 947. 319 Vgl. Fn. 129.
2. Kritische Aspekte der Aufgaben- und Befugnisabgrenzung
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starken Maße reformresistent“320 ist. Maßgebliche Ursache hierfür ist das Parteiensystem, dass in der Staatspraxis, entgegen der föderalistisch ausgeprägten Organisationsstrukturen der Parteien, zentralistische Züge aufweist321. Solange die politische Linie der jeweiligen Bundespartei wesentlich die Handlungen der Parlamentarier und Regierungsmitglieder der Länder beeinflusst, ist die für funktionierenden politischen (nicht fiskalischen) Wettbewerb notwendige Unabhängigkeit nicht gegeben und die intendierte innovative Wirkung kann sich nicht entfalten. Anstatt negative Konsequenzen kooperativer Bundesstaatlichkeit zu lösen, tritt zu den bestehenden Problemen die Möglichkeit hinzu, dass durch Entsolidarisierung der Sozialstaat gefährdet wird322. Eine Reföderalisierung des unitarischen Bundesstaates durch Konkurrenzföderalismus ist aus den angeführten Gründen abzulehnen.
d) Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Obwohl auf allen staatlichen Ebenen parteiübergreifend Konsens über die Reformbedürftigkeit der bundesstaatlichen Zuständigkeits- und Finanzordnung besteht, scheiterte im Dezember 2004 die am 16. bzw. 17. 10. 2003 von Bundestag und Bundesrat eingesetzte „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“323. Die gemeinsame Bundesstaatskommission wurde mit der Aufgabe betraut, Vorschläge zur Modernisierung der deutschen Bundesstaatlichkeit zu erarbeiten und den gesetzgebenden Bundesorganen vorzulegen. Laut den Einsetzungsbeschlüssen war es das Ziel, „die Handlungsund Entscheidungsfähigkeit von Bund und Länder zu verbessern, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zuzuordnen sowie die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung zu steigern“324. Die Arbeit sollte sich dabei insbesonG. Lehmbruch, Der unitarische Bundesstaat in Deutschland, S. 53. „Der parteienstaatliche Föderalismus hat unter den heutigen in Deutschland geltenden realen Bedingungen also einen unverkennbaren Zug zum politischen Zentralismus und Unitarismus“; H.-J. Papier, 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz, S. 352. Vgl. kritische Ausführungen des Kap. III.2.b)bb). 322 Vgl. G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 946. Zu der Bedeutung der Einheitlichkeit und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse aus Gründen des Sozialprinzips siehe auch K. A. Schachtschneider, Flächentarife und die Soziale Frage, in: R. Krause / W. Veelken / K. Vieweg (Hrsg.), GS für Wolfgang Blomeyer, 2004, S. 251 ff. 323 Zu den Einsetzungsbeschlüssen führten die Diskussionen der Ministerpräsidenten auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 27. 03. 2003 und der Länderparlamente auf dem Föderalismuskonvent am 31. 03. 2003, auf dem die „Lübecker Erklärung“ beschlossen wurde; siehe Deutsche Landesparlamente, Lübecker Erklärung der deutschen Landesparlamente, in: Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages (Hrsg.), Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente am 31. März 2003 in der Hansestadt Lübeck, 2003. 324 Dazu kritisch G. Lehmbruch, Strategische Alternativen und Spielräume bei der Reform des Bundesstaates, ZSE 2 (2004), S. 91 ff. Siehe auch bereits H.-P. Schneider, Nehmen ist seliger als Geben, NJW 51 (1998), S. 3759. Zum Gedanken der Entflechtung vgl. bereits 320 321
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
dere auf drei Bereiche konzentrieren: erstens die legislative Zuständigkeitsverteilung auf Bund und Länder, zweitens die Mitwirkung der Länder in der Bundesgesetzgebung und drittens die Finanzbeziehungen, vor allem Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen. Die Kommission setzte sich aus 32 stimmberechtigten Mitgliedern zusammen, die zur Hälfte vom Bundestag auf Vorschlag der Fraktionen bestimmt wurden und zur anderen Hälfte dem Bundesrat entstammten, wobei jede Landesregierung ein Mitglied bestimmte. Weiterhin wurden vier Vertreter der Bundesregierung, sechs Abgeordnete der Landtage und drei Vertreter aus den Präsidien der kommunalen Spitzenverbände benannt, die rede- und antrags-, jedoch nicht stimmberechtigt waren. Jedes Kommissionsmitglied hatte einen Stellvertreter. An den Beratungen nahmen zusätzlich zwölf von der Kommission berufene Sachverständige teil, die lediglich ein Rederecht hatten. Den Vorsitz der Kommission nahmen gemeinsam der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Franz Müntefering und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) wahr. Ende des Jahres 2004 sollte die Kommission ihre Vorschläge intern mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ihrer Mitglieder annehmen und den gesetzgebenden Organen des Bundes vorlegen, damit diese im Verfahren einer Grundgesetzänderung umgesetzt würden. Allerdings scheiterten die Reformbemühungen im Dezember 2004. Bund und Länder konnten sich in der Bildungspolitik nicht auf eine Verteilung der Zuständigkeiten einigen325. Bereits der Verlauf der Verhandlungen ließ keine Systemveränderungen im deutschen Bundesstaat, sondern lediglich eine Ausbesserung der identifizierten Schwachstellen erwarten326. Gemäß des Aufgabenkatalogs der E. Rehbinder / R. Wahl, Kompetenzprobleme bei der Umsetzung von europäischen Richtlinien, NVwZ 21 (2002), S. 23. 325 Zu dem Scheitern siehe P. Grassmann, Das langsame Sterben, Die Zeit v. 18. / 19. 12. 2004, S. 5; H. Prantl, Tiefgefrorene Reformen, Die Zeit v. 18. / 19. 12. 2004, S. 5; M. Wehner, Wird Karlsruhe neue deutsche Hauptstadt?, FAZ am Sonntag v. 19. 12. 2004, S. 3; T. Schmid, Folklore und schwacher Staat, FAZ am Sonntag v. 19. 12. 2004, S. 3; B. Huber, Weg mit dem Schein-Föderalismus, SZ v. 23. 12. 2004, S. 22; M. Greis, Jeder für sich, keiner für alle, Die Zeit v. 23. 12. 2004, S. 4; M. Spiewak, Hauptfach: Eifersucht, Die Zeit v. 23. 12. 2004, S. 5. 326 Dazu vgl. die stenographischen Protokolle der Kommissionssitzungen und die Kommissionsdrucksachen, die auf der Homepage des Bundesrates (www.bundesrat.de) zum Download angeboten werden. Siehe auch W. Renzsch, Was kann und soll die Föderalismuskommission?, ZSE 2 (2004), S. 95 f., 105. I. d. S. und zu dem Folgenden V. Haug, Die Föderalismusreform, DÖV 57 (2004), S. 193 ff.; M. Kloepfer, Bemerkungen zur Föderalismusreform, DÖV 57 (2004), S. 566 ff.; C. Hillgruber, Klare Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Gemeinden?, JZ 59 (2004), S. 840 ff.; H. Spreen, Wachsende Zuständigkeiten von Bund und EU, ZRP 37 (2004), S. 47 ff.; H.-G. Henneke, Föderalismusreform kommt in Fahrt, DVBl. 118 (2003), S. 845 ff.; S. Schnorr / V. Wissing, Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, ZRP 36 (2003), S. 222; B. Zypries, Reform der bundesstaatlichen Ordnung im Bereich der Gesetzgebung, S. 265. Siehe auch H.-W. Arndt / E. Benda / K. von Dohnanyi / H.-P. Schneider / R. Süssmuth / W. Weidenfeld, Zehn Vorschläge zur Reform des deutschen Föderalismus, ZRP 33 (2000), S. 203 ff.
3. Ungeschriebenes Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens
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Einsetzungsbeschlüsse wurde schwerpunktmäßig über die Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse, die ausgeprägte Zustimmungspflicht des Bundesrates in der Bundesgesetzgebung und die Finanzbeziehungen diskutiert327. In den meisten Fragen waren sich die Kommissionmitglieder einig. Die Rahmengesetzgebung des Art. 75 GG sollte abgebaut werden, die Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrates bei vielen Bundesgesetzen entfallen und die Verwaltungsverfahren künftig stärker von den Ländern selbst geregelt werden. In den Diskussionen um den dritten Themenkomplex, den Finanzbeziehungen, bestand Konsens darüber, den bis 2019 vereinbarten Solidarpakt II nicht in Frage zu stellen und somit den Finanzausgleich unverändert zu lassen328. Vielmehr befasst sich die Kommission mit der Reduzierung und Vereinfachung der Mischfinanzierung der Art. 91 a und Art. 91 b (Gemeinschaftsaufgaben), Art. 104 a Abs. 3 (Geldleistungsgesetze) und Art. 104 a Abs. 4 GG (Finanzhilfen). Durch das Unvermögen, sich auf eine Verteilung der Aufgaben und Befugnisse in Bildungsfragen zu einigen, scheiterte das gesamte Reformprojekt. Derzeit ist nicht abzusehen, ob die Verhandlungen erneut aufgenommen werden329.
3. Ungeschriebenes Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens a) Normative Begründung Im deutschen Bundesstaatsrecht wird die Bundestreue330 als ungeschriebener, eigenständiger, justiziabler Rechtsgrundsatz anerkannt331. Das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens ist nicht, wie es im Deutschen Reich von 1871 der Fall war332, auf eine einseitige Vertragserfüllungspflicht (pacta sunt servanda) zu reduW. Renzsch, Was kann und soll die Föderalismuskommission?, S. 97 ff. K. P. Schmid, Gleichgewicht der Macht, Die Zeit v. 09. 12. 2004, S. 28. 329 P. Grassmann, Bundespräsident mahnt zur Eile, SZ v. 20. 12. 2004, S. 1. 330 Um „mystisch-materialer Tiefen“ zu vermeiden und „allen nibelungenhaften Beigeschmack nach der Speisenkarte germanischer Genossenschaften zu entfernen“ (P. Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, S. 88.) bevorzugt Lerche den Begriff „Bundessinn“. Synonym werden folgende Termini gebraucht: „bundesfreundliches Verhalten“, „Bundesstaatstreue“, „Bundesfreundlichkeit“, „gemeinschaftsfreundliches Verhalten“; H. Bauer, Die Bundestreue, S. 2 f. m. w. N. 331 BVerfGE 4, 115 (140); 8, 122 (138); 12, 205 (254); 14, 197 (214 f.); 43, 291 (348); 45, 400 (421). In den Bundesstaaten Belgien („loyauté fédérale“ Art. 143 Abs. 1 BelgVerf) und der Schweiz (Art. 44 BVSE: „Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen. Sie schulden einander Rücksicht und Beistand. Sie leisten einander Amts- und Rechtshilfe.“) sind bündische Treuepflichten verfassungsrechtlich verankert. Siehe auch C. Doerfert, Bundesstaat und Bundestreue, JuS 36 (1996), L 92 f. 332 Zu den Ursprüngen der deutschen Bundestreue H. Bauer, Die Bundestreue, S. 36 ff. 327 328
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
zieren. Das heutige Verständnis geht auf die Lehre Smends zurück333, der aus Gründen der Gleichordnung es als wechselseitig anzuwendendes, ungeschriebenes334 Verfassungsprinzip erkannte335, das „rechtlich maßgebend“336 sei. Anders als in der Weimarer Republik, in der abgesehen von der Lehre Triepels, Bilfingers und Anschütz die Relevanz der Bundestreue gering war337, hat das Bundesverfassungsgericht die Dogmatik des bundesfreundlichen Verhaltens geprägt338. Heute ist das bundesfreundliche Verhalten ein „das gesamte verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen Bund und Ländern beherrschender Grundsatz der wechselseitigen Pflicht des Bundes und der Länder“339. Grundlegende Kritik an der Bundestreue erfolgt durch Hesse, der die Ansicht vertritt, „daß dieser ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der geschriebenen Verfassung und den gesicherten ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen ohne Notwendigkeit hinzugefügt“ werde und unter Hinweis auf BVerfGE 8, 122 (138) „nur eine Verdunkelung der eigentlichen Rechtslage“340 bedeute. Bayer lehrt zutreffend, dass es sich um ein in jedem „echten Bund innewohnendes Prinzip“341 handele. Allein die Herleitung des Prinzips des bundesfreundlichen Verhaltens als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz342 oder aus dem „Wesen des Bundesstaates“343 ist unter dem Grundgesetz unzureichend. Es stellt sich die Frage, wie in einem durch Verfassungsgesetz konstituierten Bundesstaat, d. h. einem ohne bündische 333 BVerfGE 1, 299 (315); 12, 205 (254). Kritisch zu der Bezugnahme des Bundesverfassungsgericht auf Smend vgl. S. Korioth, Integration und Bundesstaat, 1990, S. 248 ff.; H. Bauer, Die Bundestreue, S. 123 f. 334 „Die ,föderativen Grundlagen der Reichsverfassung‘ geben nicht nur den geschriebenen Sätzen der Reichsverfassung eine gewisse politische Farbe und Wirkungskraft, sondern sie bedeuten ihre Bereicherung um wichtige ungeschriebene“; R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, 1916, in: ders. (Hrsg.), Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 2. Aufl. 1968, S. 52. Siehe auch A. Voigt, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, VVDStRL 10 (1952), S. 33. 335 R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, S. 51 f. 336 R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, S. 51; Herv. i. Orig. 337 Vgl. H. Bauer, Die Bundestreue, S. 85 ff.; H.-W. Bayer, Die Bundestreue, S. 12, 19. Das Prinzip der Bundestreue fand Eingang in die beiden bedeutenden Urteile des Weimarer Staatsgerichtshofs in Sachen „Preußenschlag“ [Fn. 12, Kap. III.1.a)] und „Donauversinkung“; dazu H. Bauer, Die Bundestreue, S. 90 ff. 338 Seine Rechtsprechung lässt Stringenz bezüglich des Ursprungs und der normativen Grundlegung des Prinzips vermissen: Nach BVerfGE 34, 216 (232) ist es ein „vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsatz“, dagegen ist in anderen Entscheidungen von einer „dem Grundgesetz immanenten Verfassungsnorm“ [BVerfGE 6, 309 (361)] oder einem „allgemeinen, dem Grundgesetz zu entnehmenden Grundsatz“ [BVerfGE 4, 214 (218)] die Rede. 339 BVerfGE 61, 149 (205). 340 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 7; Herv. i. Orig. 341 H.-W. Bayer, Die Bundestreue, S. 27 ff., 126. 342 R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, S. 52. 343 BVerfGE 8, 122 (138). Dazu H.-W. Bayer, Die Bundestreue, S. 40 ff.
3. Ungeschriebenes Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens
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Grundlage, einem unechten Bundesstaat, sich aus dem „Wesen dieses Bündnisses“344 Rechtssätze ergeben können345. An dieser „Leerformel“346 muss Kritik geübt werden347, da abgesehen von dem Fehlen eines deutschen Bundesvertrages348 zudem keine allgemeine formelle Bundesstaatslehre besteht, durch die konstitutive Merkmale des Bundesstaates herausgestellt werden349. Somit wird der Geltungsgrund für den unitarischen, unechten deutschen Bundesstaat aus der Parallele zum privatrechtlichen Prinzip von Treu und Glauben hergeleitet350, aber auch aus dem Gewohnheitsrecht351 oder aus dem Rechtsstaatsprinzip352 abgeleitet.
b) Funktion, Wirkung und Würdigung Smend begründet den Grundsatz materiell mit dem Bedürfnis, die geschriebenen Verfassungsnormen aufgrund „der technischen Schwierigkeit, die . . . Rechtsbeziehungen in scharf gefaßte Verfassungsartikel einzukleiden“353, zu ergänzen354. Das 344 BVerfGE 1, 299 (315); bereits in Ansätzen BVerfGE 1, 117 (131); vgl. auch BVerfGE 4, 114 (141); 6, 309 (361); 43, 291 (348). 345 Oft verzichtet das Bundesverfassungsgericht gänzlich auf eine normative Ableitung. Vgl. BVerfGE 3, 52 (57); 13, 54 (75); 26, 116 (137); 34, 165 (194); 41, 291 (308); 56, 298 (322); 60, 319 (327); 61, 149 (205); 73, 118 (197); 76, 1 (77); H. Bauer, Die Bundestreue, S. 9. 346 K. Meßerschmidt, Der Grundsatz der Bundestreue und die Gemeinden, Die Verwaltung 23 (1990), S. 431. 347 Statt vieler H. Bauer, Die Bundestreue, S. 230 f. 348 Die herrschende Lehre folgt Jellinek, der anders als Schmitt und des Erachtens des Verfassers den Bundesvertrag nicht als konstitutives Element des Bundesstaates, zumindest des unechten, ansieht [vgl. Kap. II.3.a)bb)]. Dies führt dazu, dass nach herrschender Lehre „für das bündische Gedankengut im Grundgesetz schlechterdings kein Platz mehr ist“ (H. Bauer, Die Bundestreue, S. 231) und die vermeintliche „Inkongruenz zwischen dem eigentlichen Prinzip des Bundes bzw. des Bundesstaates und seiner gegenwärtigen Erscheinungsform . . . eine Übertragung der Lehren C. Schmitts oder R. Smends auf die Gegenwart unmöglich“ (K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 4.) mache. 349 Vgl. Kap. II.3.a)aa). 350 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 243 ff.; bereits Hinweis in R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, S. 51; kritisch P. Unruh, Die Unionstreue, EuR 37 (2002), S. 54. 351 H.-W. Bayer, Die Bundestreue, S. 31 ff. Kritisch C. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 1972, S. 145. 352 Nach Kowalsky gebietet die Bundestreue Bund und Ländern, „sich in ihrem Verhältnis zueinander in Übereinstimmung mit den rechtstaatlichen Geboten zu behandeln. Hierzu zählen der allgemeine Gleichheitssatz, die Grundsätze der Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit“; B. Kowalsky, Die Rechtsgrundlagen der Bundestreue, 1970, S. 245. Kritisch dazu H. Bauer, Die Bundestreue, S. 241 f. 353 R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, S. 55; Herv. i. Orig. 354 Einen „nicht minder wichtigen Grund“ sieht er in der Notwendigkeit „bundesstaatlicher Höflichkeit“; R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, S. 56.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
Bundesverfassungsgericht sieht in dem Verfassungsprinzip eine conditio sine qua non des Bundesstaates: „Ein Bundesstaat kann nur bestehen, wenn Bund und Länder im Verhältnis zueinander beachten, daß das Maß, in dem sie von formal bestehenden Kompetenzen Gebrauch machen können, durch gegenseitige Rücksichtnahme bestimmt ist.“355
Bund und Länder sollen „dem Wesen des sie verbindenden verfassungsrechtlichen ,Bündnisses‘356 entsprechend zusammenwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung der wohlverstandenen Belange des Bundes und der Glieder beitragen“357. Es widerspricht allerdings dem Konzept der Bundestreue, sie für unitaristische Zwecke zu instrumentalisieren, wie es unter Bismarck der Fall war358. Der Zweck „Bund und Länder, stärker unter der gemeinsamen Verfassungsrechtsordnung aneinander zu binden, aber nicht die Aufgabe, das bundesstaatliche Gefüge zu lockern“359, ist nicht im Sinne einer Zentralisierung, sondern einer Bändigung der „Egoismen des Bundes und der Länder“360 zu verstehen361. Auch kann die Bundestreue nicht ein Sezessionsrecht in existentiellen Lagen verhindern. Ganz im Gegenteil ist sie mit dem völkerrechtlichen clausula rebus sic stantibus untrennbar verbunden362, die auch im unechten Bundesstaat Anwendung findet, so dass die Bundestreue in Ausnahmefällen eine Sezession begründen kann363. Im Normalfall ist sie mit der Idee der „politischen Schicksalsgemeinschaft des Bundesstaates“364 oder dem „bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft“365 verknüpft: „Das Prinzip der Bundestreue, auf das Hessen sich beruft, konstituiert oder begrenzt Rechte und Pflichten innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses zwischen Bund und Ländern, begründet aber nicht selbständig ein Rechtsverhältnis zwischen ihnen.“366
Somit ist die Bundestreue ein subsidiärer367 und justiziabler368 Rechtsgrundsatz, der insbesondere als „allgemeiner Maßstab“369 zur Beurteilung von ZuständigBVerfGE 4, 115 (141 f.). Vgl. H.-W. Bayer, Die Bundestreue, S. 41. Zu der Kritik an der fehlenden bündischen Grundlage siehe a). 357 BVerfGE 6, 309 (361); Satzbau angepasst; Herv. d. Verf. So auch BVerfGE 1, 299 (315). 358 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 42 m. w. N. 359 BVerfGE 8, 122 (140). 360 BVerfGE 31, 314 (355); 43, 291 (348). 361 Vgl. BVerfGE 8, 122 (139). 362 M. Sachs in: Sachs, Art. 20, Rdn. 72. Siehe auch Fn. 152. 363 Zu der normativen Begründung des Sezessionsrecht Kap. III.1.c)cc). 364 BVerfGE 72, 330 (419). 365 BVerfGE 101, 158 (221 f.); ähnlich 72, 330 (386 f., 398). 366 BVerfGE 13, 54 (75); Herv. d. Verf. Ähnlich BVerfGE 21, 312 (326); 42, 102 (117). 367 „Scheitert eine Maßnahme des Landes schon am Mangel seiner Zuständigkeit für die Maßnahme oder am Widerspruch zu materiellem Recht, so ist für eine Prüfung am Grundsatz der Bundestreue kein Raum mehr“; BVerfGE 34, 9 (44). 368 P. Unruh, Die Unionstreue, S. 54 f.; C. Doerfert, Bundesstaat und Bundestreue, L 92 f. 369 BVerfGE 43, 291 (349). 355 356
4. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder
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keitsausübung und Verhandlungen herangezogen wird. Zu den bestehenden geschriebenen Rechtspflichten treten durch den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zusätzliche370 Pflichten und „konkrete Beschränkungen in der Ausübung der dem Bund und den Ländern im Grundgesetz eingeräumten Kompetenzen“371. Anders als im Kaiserreich wirkt er wechselseitig zwischen Bund und Ländern, sowie zwischen den Ländern untereinander372. Insgesamt ist das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens „spezifisch deutsch-rechtlichen Auffassungen entsprungen und der deutschen Bundesstaatstradition so eigentümlich und gemäß, daß sie auf fremde Bundesstaaten wohl ebensowenig übertragen werden kann wie ausländische Lehren und Fälle hier nicht viel beitragen“373. Auch wenn die Bundestreue besonders im Bundesstaat ohne bündische Grundlage begrifflich dazu anhält, das Prinzip auf eine einseitige Bindung der Länder an den Bund zu reduzieren, ist sie nicht zuletzt durch die umfassende Rechsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem föderalen Rechtsgrundsatz „fester Bestandteil der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes“374. Wie dargelegt, wird eine Reduzierung auf eine „Verpflichtung der Länder zur Erfüllung völkerrechtlicher Verträge des Bundes“375 Konzept und Bedeutung des Rechtsgrundsatzes nicht gerecht376.
4. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder: Bundesaufsicht, Bundeszwang und Bundesintervention Eng im Zusammenhang mit der Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten werden Bundesaufsicht und Bundeszwang diskutiert377. Es wird zwischen selbständi370 Einen Überblick über die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts gibt H. Bauer, Die Bundestreue, S. 9 ff. Hervorzuheben sind die Entscheidungen in Sachen Reichskonkordat (BVerfGE 6, 309 ff.); Volksbefragung Hessen (BVerfGE 8, 122 ff.) und Zweites Deutsches Fernsehen (BVerfGE 12, 205 ff.). 371 BVerfGE 12, 205 (255). 372 BVerfGE 12, 205 (255); 13, 54 (75). 373 J. H. Kaiser, Die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge des Bundes durch die Länder, S. 543. So auch W. Kössinger, Die Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrecht im Bundesstaat, 1989, S. 89 f. Siehe allerdings die spanische Lehre einer „Regionaltreue“ (Kap. IV.4). 374 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 2 m. w. N. 375 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 10. Zu der scharfen Kritik Hesses bereits Fn. 340. Einen Überblick über Kritik an der Bundestreue gibt H. Bauer, Die Bundestreue, S. 160 ff. 376 Die sich aus der Bundestreue ergebenden wechselseitigen Pflichten in der europäischen Integration werden in Kap. VI erörtert. 377 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 139, 142. Zum Verhältnis zu Bundesaufsicht siehe insbesondere BVerfGE 8, 122 (139); N. Hertl, Die Treuepflicht der Länder gegenüber dem Bund und die Folgen ihrer Verletzung, 1956, S. 99 ff.; P. Lerche, Kommende föderalistische Prob-
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
ger und abhängiger Bundesaufsicht unterschieden378. Das Grundgesetz kennt keine selbständige Bundesaufsicht379, in der jegliche Rechtsakte der Länder überprüft werden können380, sondern lediglich eine abhängige Bundesaufsicht im Falle mangelhafter „verwaltungsmäßiger Ausführung eines Bundesgesetzes“381. Art. 84 Abs. 3 und 4 GG erlauben keine Aufsicht über die Gesetzgebung der Länder382. Derartig weitreichende Eingriffsrechte wären mit der Staatsqualität der Länder nicht vereinbar383. Stattdessen bezieht sich die Bundesaufsicht auf die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder384. Der Bundeszwang des Art. 37 GG ermöglicht der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates gegenüber einem Land, das seine Bundespflichten nicht erfüllt, mit den notwendigen Maßnahmen, die das Weisungsrecht gegenüber Land und Behörden beinhalten, die Pflichterfüllung sicherzustellen385. Auf eine ausführliche Diskussion dieses Rechtsinstituts soll verzichtet werden, da das Instrument des Bundeszwanges bisher in der Verfassungswirklichkeit nicht zum Einsatz gekommen ist386. Das Bundesverfassungsgericht sieht es nicht als ultima-ratio-Maßnahme an, da es der Bundesregierung neben dem Verfassungsgerichtsweg wahlleme, in: K. Carstens / A. Goppel / H. Kissinger / G. Mann (Hrsg.), Franz Joseph Strauß, 1985, S. 340 ff.; P. M. Mombaur, Bundeszwang und Bundestreue, 1964; zu Bundeszwang siehe BVerfGE 3, 52 (57); A. Kössler, Die Bundestreue der Länder und des Bundes, 1960, S. 150 ff.; M. Bullinger, Zum Verhältnis von Bundesaufsicht und Bundestreue, AöR 87 (1962), S. 488 ff. 378 Grundlegend H. Triepel, Die Reichsaufsicht, S. 370 f. Dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 174 ff. 379 BVerfGE 8, 122 (131 f.). W. Kahl, Die Staatsaufsicht, S. 518. Auch in Art. 28 Abs. 3 GG ist keine Rechtsgrundlage für eine selbständige Bundesaufsicht zu sehen; M. Nierhaus in: M. Sachs, Art. 28, Rdn. 83. 380 C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, S. 161 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 614. 381 BVerfGE 6, 309 (329); Herv. i. Orig. 382 BVerfGE 8, 122 (131). Diese Art der Kontrolle ist der Verfassungsgerichtsbarkeit vorbehalten; dazu Kap. III.5. Anderer Ansicht M. Bullinger, Der Anwendungsbereich der Bundesaufsicht, AöR 83 (1958), S. 284 ff. 383 Dieser Ansicht auch von Seydel: Einem „souveränen Staat hat Niemand zu befehlen, er kann nur um die Erfüllung seiner vertragsmäßigen Verbindlichkeiten angegangen werden“; M. von Seydel, Staatsrechtliche und politische Abhandlungen, S. 55. 384 Vgl. bereits Ausführungen Kap. III.2.a)bb). Die Beachtung des Grundgesetzes wird hiervon nicht erfasst, da es sich nicht um eine „Ausführung“ handelt; BVerfGE 8, 122 (131). Zu den Aufsichtsrechten in Verbindung mit mittelbarem Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch die Länder siehe Kap. VI.1.b). 385 Der Bundeszwang stellt die existentielle Staatsqualität der Länder nicht in Frage; i. d. S. H. B. Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl. 1999, Art. 37, Rdn. 1; B. Pieroth in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2002, Art. 37, Rdn. 1. 386 W. Erbguth in: M. Sachs, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 37, Rdn. 3; T. von Danwitz in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Bonner Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2001, Art. 37, Rdn. 4; C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, S. 135.
5. Föderale Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht
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weise zur Verfügung stehe387. Der Schwere des Eingriffs in die Staatseigenschaft der Länder zufolge, muss Hesse gefolgt werden, der es als ein „äußerstes Mittel“388 einstuft389. Den Notstandsregelungen zuzuordnen ist die Bundesintervention390. In engen Grenzen wird der Einsatz von Polizeikräften des Bundes, des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte sowie ein Weisungsrecht der Bundes- gegenüber der Landesregierung ermöglicht. Der Bundesrat hat substantielle Kontroll- und Mitspracherechte.
5. Föderale Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht Über verfassungsrechtliche Streitigkeiten391 zwischen Bund und Ländern oder verschiedenen Ländern entscheidet das Bundesverfassungsgericht392. Wie auch die zahlreichen Verweise zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum bundesstaatlichen Prinzip in den obigen Ausführungen belegen393, handelt es sich um eine genuin bundesstaatliche Institution394. Seine Entscheidungen binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden395. Als „allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes“396 entscheidet es über bundesstaatliche Streitigkeiten, die auf unterschiedlichen Klagewegen geführt werden können397. BVerfGE 7, 367 (372); 8, 42 (44 f.). K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 115; ihm folgend U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 170. 389 I. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 296 f. 390 Art. 87 a Abs. 4 und Art. 91 GG (drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung). Vgl. auch Art. 35 Abs. 2 – 3 GG (Naturkatastrophe oder Unglücksfall). 391 Zum Begriff der Verfassungsstreitigkeiten vgl. BVerfGE 2, 143 (151 f.); 27, 241 (246). Siehe auch K. A. Schachtschneider, Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht im BundLänder-Streitigkeiten, S. 2 ff., 170 ff. Für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen verschiedenen Ländern ist das Bundsverwaltungsgericht zuständig (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). 392 Zu der Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit zur Verwirklichung der Freiheit durch Gesetzlichkeit K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 230 ff., 270 ff. 393 Einen Überblick geben E. Benda, Föderalismus in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht, in: I. von Münch (Hrsg.), Probleme des Föderalismus, 1985, S. 73 ff.; U. Karpen / S. Becker, Das Bundesstaatsprinzip in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der Länder, JZ 56 (2001), S. 966 ff. 394 So auch R. Lhotta, Verfassungsgerichtsbarkeit im Bundesstaat, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 49. 395 § 31 Abs. 1 BVerfGG. 396 § 1 Abs. 1 BVerfGG. 397 Ein abschließender Katalog über die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts besteht nicht; vgl. Art. 93 Abs. 2 GG und § 13 Nr. 15 BVerfGG. 387 388
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
Der Bund-Länder-Streit 398 (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG) umfasst Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, vor allem im Zusammenhang mit der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und der Bundesaufsicht399. Als zweiter bedeutender Klageweg besteht die abstrakte Normenkontrollklage400 (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG) zur Klärung von Verletzung bundesstaatlicher Rechte. Es wird über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht entschieden401. Im föderalen Parteienstaat sind die verfassungsgerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern „bekanntlich in aller Regel nicht mehr echte föderalistische Streitigkeiten, sondern Streitigkeiten zwischen politischen Richtungen innerhalb des Gesamtstaates, die im Gewande der föderalistischen Streitigkeit verfassungsgerichtlich ausgetragen werden“402. Als weitere Verfahrenswege kommen der Organstreit403 (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 f. BVerfGG), die Überprüfung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG 404 (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG, §§ 13 Nr. 6 a, 76 ff. BVerfGG) sowie der subsidiäre Rechtsweg über andere öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG, §§ 13 Nr. 8, 71 f. BVerfGG) in Betracht. Zusätzlich sei die Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, § 91 BVerfGG) genannt, mit der die Kommunen überprüfen lassen können, ob ein Gesetz ihr Recht auf Selbstverwaltung verletzt. Der Behauptung, das Recht aus Art. 28 Abs. 2 GG würde wirkungsvoll abgesichert405, muss entgegengesetzt werden, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die der Selbstverwaltungsgarantie unterliegenden Aufgaben historisch398 Auf diesem Verfahrensweg wurden wesentliche Entscheidungen, wie z. B. in Sachen Reichskonkordat (BVerfGE 6, 309 ff.), Volksbefragung Hessen (BVerfGE 8, 122 ff.) oder Neugliederung Hessen (BVerfGE 13, 54 ff.); R. Wahl, Elemente der Verfassungsstaatlichkeit, JuS 41 (2001), S. 1047. 399 Nach Art. 84 Abs. 4 GG ist im Zusammenhang mit der Bundesaufsicht ein Beschluss des Bundesrates, inwieweit ein Land das Recht verletzt hat Voraussetzung für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts. 400 Als Beispiele seien die Entscheidungen in Sachen Ausländerwahlrecht genannt; BVerfGE 83, 37 ff.; 83, 60 ff. 401 Hiervon unterscheidet sich die konkrete Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11, § 80 ff. BVerfGG). Gerichte müssen, wenn sie ein Gesetz für verfassungswidrig halten, das Bundesverfassungsgericht zur Klärung anrufen. Antragsteller können somit nur Gerichte sein und bloße Bedenken der Verfassungskonformität reichen nicht aus (BVerfGE 1, 184 (195 ff.); ständige Rechtsprechung). 402 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 9. 403 Dadurch, dass der Bundesrat ein Bundesorgan ist (Art. 50 ff. GG), werden Konflikte mit anderen Verfassungsorganen nicht auf dem Weg des Bund-Länder-Streits, sondern des Organstreits ausgetragen. 404 Zum Altenpfleger-Urteil vgl. insbesondere Fn. 214. 405 G. Püttner, HStR, Bd. IV, § 107, Rdn. 11.
6. Zusammenfassende Kritik
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materiell bestimmt406. Dadurch ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine genaue Materialisierung des Kernbereichs nicht zu entnehmen. Die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit für föderale Streitigkeiten „hat den Ländern die Wohltaten und die Sicherheiten des Rechtsstaats gebracht“407. Jedoch führen die Parteienstaatlichkeit und die mit ihr einhergehende Politikverflechtung dazu, dass originäre Bund-Länder-Streitigkeiten zum Ausnahmefall werden: „Echte föderalistische Spannungen setzt aber Bund und Länder als organisierte Einheiten mit politischem Eigengewicht voraus.“408
6. Zusammenfassende Kritik der unechten Bundesstaatlichkeit Deutschlands In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass der deutsche Bundesstaat, wie bereits die Weimarer Republik409, auf Verfassungsvertrag und nicht auf bündischer Grundlage410 beruht und folglich ein unechter Bundesstaat ist. Jedoch ist das heutige Verfassungsrecht im Gegensatz zu dem praktizierten Unitarismus unter der Weimarer Reichsverfassung mit substantiellen föderalistischen Elementen ausgestattet (vgl. Kap. III.1 – 4), die durch eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit (Kap. III.5) und dem Wesen nach durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt werden. Insgesamt kommt Häberle zu folgender Schlussfolgerung: „Ohne Übertreibung läßt sich behaupten, daß der Föderalismus die Staatsform deutscher Freiheit bildet. Der Verfassungsstaat ist in Deutschland nach innen wie nach außen wohl nur als Bundesstaat möglich.“411
Diese Aussage führt zu zwei grundlegenden Fragen: erstens dem Zusammenhang zwischen Föderalismus und Bundesstaatlichkeit unter dem Grundgesetz [a)] und zweitens den Perspektiven des deutschen Bundesstaates [b)].
406 Vgl. BVerfGE 11, 266 (274); 17, 172 (182); 22, 180 (205); 26, 172 (180 f.); 38, 258 (278 f.); 59, 216 (227). 407 So bereits über den Staatsgerichtshof in der Weimarer Republik; H. Triepel, Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern. Beiträge zur Auslegung des Artikels 19 der Weimarer Reichsverfassung, S. 118. 408 J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 120; Herv. i. Orig. 409 „Das Reich ist kein Bund der Länder, sondern, wenn man an der Denkform ,Bund‘ noch festhalten will, der Bund des gesamtdeutschen Volkes“; G. Anschütz, Der deutsche Föderalismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, VVDStRL 1 (1924), S. 17. 410 Vgl. zur Historie Kap. III.1.a). Entscheidend ist, dass nach Art. 144 Abs. 1 GG nicht die Zustimmung aller Länder, sondern bereits durch die Volksvertretungen in zwei Dritteln der Länder zur Annahme des Grundgesetzes ausreichte; vgl. W. Haegert, Organe der Länder auf Bundesebene?, S. 1137; R. Mußgnug, HStR, Bd. I, § 6, Rdn. 96 ff. 411 P. Häberle, Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus, S. 171; Herv. i. Orig.
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
a) Zusammenhang zwischen Föderalismus und Bundesstaatsprinzip unter dem Grundgesetz Föderalismus und Bundesstaatlichkeit sind nicht gleichzusetzen412. Das Bundesverfassungsgericht verwendet die Begriffe in seiner Rechtsprechung nicht einheitlich. Zu befürworten ist, dass Föderalismus ein Gestaltungsprinzip413, Aufbauprinzip414 oder Wesenselement415 des Staates und nicht ein Synonym des Terminus „Bundesstaat“ ist416. Ziel jedes Bundesstaates muss es sein, Föderalismus zu verwirklichen417. Das Prinzip des Föderalismus kann allerdings auch in anderen Rechtsformen als dem Bundesstaat verwirklicht werden. Während Föderalismus der Idee der Wahrung existentieller Staatseigenschaft in einer größeren, auf Bestand ausgelegten Rechtseinheit verhaftet ist418, nimmt Bundesstaatlichkeit durch verfassungsrechtliche Normen stets eine individuelle Ausprägung an419. Es soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der häufig getroffenen Abgrenzung in „politische und staatsrechtliche Kategorie“420 nicht gefolgt werden kann. Häufig heißt es, Föderalismus beziehe sich auf „politische Entscheidungsprozesse“, Bundesstaatlichkeit hingegen auf die „rechtliche Organisation“421. Zum einen kann es wie dargelegt422 in der Republik keine Unterscheidung von Recht und Politik geben. Zum anderen zielt Föderalismus aufgrund seiner Stabilisierungsfunktion definitionsgemäß nicht schwerpunktmäßig auf Abläufe („politische Entscheidungsprozesse“) ab, sondern prägt ebenso die zugrunde liegende Struktur („rechtliche Organisation“). Deutschland ist nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts ein „betont föderativ gestalteter Bundesstaat“423. Problematisch ist, dass es aufgrund der vielfältigen Ausprägungsformen föderalistischen Gedankenguts bisher nicht gelungen 412 I. d. S. bereits differenzierende Ausführungen der Kap. II.2.a) (Föderalismus) und II.3.a) (Bundesstaat). 413 In BVerfGE 4, 157 (189); 6, 376 (382); 6, 376 (382); 22, 267 (270) wird die Bundesrepublik Deutschland als „betont föderativ gestalteter Staat“ bezeichnet. Ähnlich BVerfGE 41, 88 (118). 414 Es handele sich um einen „Bundesstaat mit betont föderalistischem Aufbau“; BVerfGE 3, 58 (158). 415 In BVerfGE 6, 84 (99) wird der „föderative Charakter der Bundesrepublik“ hervorgehoben. 416 So aber BVerfGE 22, 254 (270) im Vergleich mit BVerfGE 4, 178 (189). 417 I. d. S. auch O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 4; K. Stern, Staatsrecht I, S. 660. 418 Vgl. die zugrunde gelegte Definition des Föderalismus in Kap. II.2.a)aa). 419 Vgl. Kap. II.3.a)aa). 420 Statt vieler E. Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, 2000, S. 13; Herv. i. Orig; dazu und dem Folgenden S. 9 ff. m. w. N. 421 E. Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 16. 422 Dazu grundlegend Fn. 23. 423 BVerfGE 60, 175 (209); 64, 301 (317).
6. Zusammenfassende Kritik
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ist, eine universell geltende Bundesstaatslehre aufzustellen, die zudem einen Maßstab zur Beurteilung von Bundesstaatlichkeit bereithielte 424. Der fehlende Bundesvertrag führt jedoch (im Gegensatz zu der Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts) dazu, dass „die Grundlagen heutiger Bundesstaatlichkeit nur noch bedingt in Gedanken des Föderalismus zu suchen sind“425. Hesse hat den Begriff des unitarischen Bundesstaates geprägt426, der bezeichnet, dass der ohnehin unecht konzipierte Bundesstaat, mit den Worten Schachtschneiders der „föderalisierte Einheitsstaat“427, einem Unitarisierungsprozess ausgesetzt ist, der die systemimmanente Vielfalt nivelliert428. Auch der deutsche unechte Bundesstaat ist föderalistisch429 und muss dies auch sein. Anders ist Bundesstaatlichkeit aus den dargelegten allgemeinen Überlegungen heraus, vor allem ex argumentum Art. 79 Abs. 3 GG, nicht denkbar. Der Fortbestand der existentiellen Staatsqualität der Länder muss garantiert werden430. Ebenso entspricht es dem föderalistischen Prinzip, dass ein Sezessionsrecht in existentiellen Lagen, dass dem echten Bundesstaat immanent ist, auch für den unechten Bundesstaat anerkannt wird431. b) Perspektiven Die Bestandsaufnahme des deutschen Verfassungsrechts hat die Probleme unitarischer, aber auch kooperativer und kompetitiver Bundesstaatlichkeit aufgezeigt. Herausgestellt wurde die abnehmende Vielfalt, die eine entscheidende materielle Legitimationsgrundlage von Bundesstaatlichkeit ist, aber auch die begrenzte vertikale Teilung der Staatsgewalt im sich zentralisierenden Parteienstaat. Insbesondere die ausufernden Mitspracherechte sowie die Abstimmungspraxis im Bundesrat führen zu einer Schwächung der Landesparlamente und einer Diffusion von Verantwortung durch institutionelle Verflechtung. Hierzu führen auch die Gemeinschaftsaufgaben, die Mischfinanzierung und informellen Praktiken der vertikalen und horizontalen Koordination. Parteienstaat und Bundesstaat stehen in einem Spannungsverhältnis, das unlösbar erscheint, „weil unklar ist, wie ein parteienstaatliches System ein bundesstaatliches System legitimieren soll“432. Vgl. Kap. II.3.a)aa). K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 33. 426 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 14. 427 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 290. 428 Hierzu insbesondere Kap. III.2. 429 Zu anderem Ergebnis gelangt H. Abromeit, Der verkappte Einheitsstaat, 1992, S. 130 f. Die Autorin stellt Kriterien zur Unterscheidung so genannten „echten“ und „unechten“ Föderalismus auf (S. 14 f.). 430 Vgl. Kap. III.1.b). 431 Kap. III.1.c)cc) und die dort angegebene Literatur. 432 U. Volkmann, Bundesstaat in der Krise?, S. 618. 424 425
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III. Ausprägung des Föderalismus im deutschen Bundesstaat
Art. 79 Abs. 3 GG lässt eine Reduzierung des Bundesstaatsprinzips433 zu einer bloßen Selbstverwaltung nicht zu. Neben der analysierten innerstaatlichen Unitarisierung ist auch eine Erosion von Länderstaatlichkeit durch die europäische Integration zu beobachten, die im sechsten Kapitel thematisiert wird. Hesse sieht eine Parallele zwischen der Schwäche der deutschen Bundesstaatlichkeit und der fehlenden Bundesstaatslehre: „Es könnte sein, daß das Fehlen einer Bundesstaatslehre in der Gegenwart weniger ein Versagen der Theorie als solches des Bundesstaates andeutet, daß sich in der Schwäche heutigen Bundesstaatsdenkens nur die Schwäche des Bundesstaates selbst widerspiegelt und die Theorie ein tragfähiges inhaltliches Prinzip moderner Bundesstaatlichkeit nur deshalb nicht gefunden hat, weil es ein solches Prinzip nicht gibt, der Bundesstaat mit anderen Worten nur noch eine leere Form ist.“434
Die Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis muss sein, Deutschland bündisch zu reformieren, d. h. den Föderalismus grundlegend und nachhaltig durch echte Bundesstaatlichkeit zu stärken435. Vorschnell werden in der Literatur diese Vorschläge, die im Rahmen formeller Bundesstaatslehren436 zu diskutieren sind, mit der Behauptung abgelehnt, bei echter Bundesstaatlichkeit handele es sich um einen „Bundesstaat überkommener Prägung“437. Stattdessen wird eine Lösung in den materiellen Bundesstaatslehren gesucht438. Anstelle eine Unübertragbarkeit der „Verfassungslehre des Bundes“ von Carl Schmitt439 zu proklamieren, da es sich um das Modell des Deutschen Bundes von 1815 handele440, sollte gesehen werden, dass die schlüssige Begrifflichkeit und Erörterungen die Grundlage einer adäquaten formellen Bundesstaatslehre geben kann, die mit einem republikanischen Staatsverständnis verknüpft die deutsche Rechtslehre einen entscheidenden Schritt weiter bringen kann. Die bestehende „Inkongruenz zwischen dem eigentlichen Prinzip 433 Der Schlussfolgerung der Habilitationsschrift Sˇarcˇevic´s kann nicht gefolgt werden: Seines Erachtens kann das Bundesstaatsprinzip, trotz der Verankerung in Art. 20 Abs. 1 GG nur dem ungeschriebenen Verfassungsgerecht zugehörig sein (E. Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 86 ff., 130 f.) und reduziert es auf eine „Sammelbezeichnung für die unterschiedlichen änderungsfähigen bundesstaatlichen Verfassungsbestimmungen bzw. eine Beschreibung des zur Erörterung stehenden Phänomens, die keinen eigenständigen dogmatischen Gehalt konstituiert“ (E. Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 132; ähnlich S. 264.). 434 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 11. 435 So auch K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 294; zu einer „Reföderalisierung“ siehe auch H.-J. Papier, 50 Jahre Bundesstaatlichkeit nach dem Grundgesetz, S. 346. 436 Vgl. Kap. II.3.a)aa) und insbesondere II.3.a)bb). 437 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 32. Zu einem ähnlich Ergebnis gelangt E. Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 23 f. 438 Die vorgebrachten Rechtfertigungsgründe, dass der Bundesstaat nicht „zu einer dem modernen Staat inadäquaten Ordnungsform geworden ist“ (K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 26.) sind in Kap. II.3.a)ee) aufgeführt. 439 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 361 ff. 440 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 4.
6. Zusammenfassende Kritik
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des Bundes bzw. des Bundesstaates und seiner gegenwärtigen Erscheinungsform“441 steht, entgegen der Ansicht Hesses, einer Anlehnung an die Bundesstaatslehre Schmitts nicht entgegen, sondern zeigt ganz im Gegenteil deutlich die eigentliche Schwachstelle des deutschen Bundesstaates, an der eine Föderalismusreform ansetzen muss: die Schließung eines echten Bundes vor der Verfassungsgebung442. Die Aufgabe der Herbst 2003 eingesetzten Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung konzentriert sich dagegen auf die Überprüfung der Zuständigkeitsverteilung, der Mitwirkungsrechte der Länder bei der Bundesgesetzgebung und der Finanzbeziehungen, allesamt reformbedürftige Bereiche, allerdings nicht der eigentliche Ursprung der Kritik.
K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 4. Dazu K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 287. 441 442
IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur Viele Argumente scheinen dafür zu sprechen, dass ein Vergleich des Regionalismus Spaniens mit dem Föderalismus Deutschlands nicht sinnvoll ist. Eine Gegenüberstellung führt nur bei einem Mindestmaß struktureller Gemeinsamkeiten Erkenntnisgewinne mit sich. Auf den ersten Blick sind diese jedoch nicht gegeben. Das Grundgesetz konstituiert Deutschland als Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG) und bekennt sich somit zum Föderalismus; anders Spanien mit seiner zentralistischen Tradition, das Einheitsstaat in Form einer parlamentarischen Monarchie1 ist: „Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier. . .“ (Art. 2 Hs. 1 CE). Jedoch lehnt sich die spanische Staatslehre traditionell an die deutsche an2, so dass in zahlreichen Rechtsinstituten „direkte Anleihen beim Föderalismus (etwa des GG) spürbar“3 sind oder es sich um „föderalismusähnliche Mechanismen in der Verfassung“4 handelt. Zudem lässt einerseits die Annäherung durch die Unitarisierung des föderalistischen Deutschlands seit 1949, andererseits die weitreichende Regionalisierung Spaniens einen Vergleich lohnenswert erscheinen. Eine Gegenüberstellung des spanischen Territorialsystems mit dem deutschen Bundesstaat muss, ohne einer „Exportbegeisterung“5 deutscher Bundesstaatlichkeit zu verfallen, insbesondere klären, inwieweit der spanische Regionalismus föderalistische Wesenszüge annimmt, wie von einigen Autoren behauptet wird. Neben einem Verfassungsvergleich sollen die Ausführungen beispielhaft die Möglichkeiten aufzeigen, wie Regionalismus verfassungsrechtlich verankert wird. Die in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse über das spanische „konstitutionelle Regionalismus-Recht“6 sollen die Grundlage für die Erörterung regionalistiArt. 1 Abs. 3 CE. A. Truyol y Serra, Das Bonner Grundgesetz und die spanische Verfassung von 1978, in: K. Stern (Hrsg.), 40 Jahre Grundgesetz, 1990, S. 235; T. Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen Europas, S. 34. 3 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 8. I. d. S. auch die Einschätzung, in Spanien gelte „una lógica federal de hecho si no de derecho“; R. Agranoff / J. A. Ramos Gallarín, La evolución hacia una democracia federal en España, in: R. Agranoff / R. Bañon i Martínez (Hrsg.), El estado de las autonomías, 1998, S. 55. 4 A. K. Bourne, Föderalismus und das Baskenland, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 233. 5 Hiervor warnend P. Häberle, Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus, S. 207. 6 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 35. 1 2
1. Historischer Abriss der Territorialordnung
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scher Prozesse in der europäischen Integration bilden [Kap. VII.4.c)]. Zumal eine Verfassungslehre des Regionalismus allenfalls in Ansätzen besteht, bietet es sich an, das spanische Verfassungsrecht, das im Hinblick auf Regionalismus am weitesten entwickelt ist7, zu analysieren. Als Basis für Schlussfolgerungen des Verfassungsvergleichs (8) wird auf folgende wesentliche Aspekte eingegangen: Einleitend soll auf die föderalistischen und regionalistischen Erfahrungen in der Ersten und Zweiten Spanischen Republik hingewiesen werden (1). Zweitens wird die Rechtsnatur der regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften, d. h. der Autonomen Gemeinschaften, Provinzen und Gemeinden, mit denen der Länder und Kommunen verglichen (2). Es folgt eine Gegenüberstellung der Zuständigkeitsverteilung des spanischen Verfassungsrechts mit der des Grundgesetzes (3). Im Anschluss werden Rechtsinstitute der Kooperation und Koordination (4), die Finanzverfassung (5), die staatlichen Aufsichtsrechte über und Eingriffmöglichkeiten in die Autonomien (6) sowie die Beilegung von regionalistischen Streitigkeiten durch den Verfassungsrechtsweg (7) dargestellt.
1. Historischer Abriss der Territorialordnung Spanien wird traditionell zentralstaatlich geführt. Auch nach Ende der absoluten Monarchien wurde durch die erste spanische Verfassung von Cádiz (1812) ein zentralistischer Einheitsstaat konstituiert8. Auf die Gliederung Spaniens in 49 Provinzen nahmen keine regionalistischen Kräfte Einfluss, sie wurde ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer effizienten Zentralverwaltung vorgenommen. Einziger Unterschied der heutigen Provinzeinteilung zu dem von Javier de Burgos entworfenen Dekret vom 30. 11. 1833 ist die Aufteilung der Kanarischen Inseln in zwei Provinzen, so dass Spanien heute in 50 Provinzen gegliedert ist9. Allein der Bestand von Foralrechten wertete einige Regionen gegenüber dem Zentralstaat auf. Es handelt sich um historische Rechte, die einigen Städten und Gebieten von der herrschenden Obrigkeit (König, Fürsten, Adel) während der Reconquista (Befreiung Spaniens von maurischer Herrschaft) gewährt wurden. Mit dem Begriff der fueros wird sowohl die Rechtsordnung und zugestandenen Rechte 7 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 34; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, 2. Aufl. 1986, S. 233 ff. 8 O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 637 ff. Aus der deutschen Literatur vgl. A. Timmermann, Die nationale Souveränität der Verfassung von Cádiz (1812), Der Staat 39 (2000), S. 570 ff. 9 P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, in: L. López Guerra / E. Espín / J. García Morillo / P. Pérez Tremps / M. Satrústegui (Hrsg.), Derecho Constitucional, Bd. II, 5. Aufl. 2002, S. 295 f.; R. Schütz, Spanien auf dem Weg zum Autonomiestaat, Der Staat 22 (1983), S. 295 f.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
(vor allem Selbstverwaltungsrechte und Regelung der Gerichtsbarkeit) als auch das Geltungsgebiet bezeichnet. Nach dem Höhepunkt der Geltung der Foralrechte im 12. Jahrhundert verloren sie durch Zentralisierung an Bedeutung, sind allerdings bis heute Bestandteil des spanischen Rechts: „Die Verfassung schützt und achtet die historischen Rechte der Foralgebiete“ (1. Zusatzbestimmung S. 1 CE). Von den Vorrechten einzelner Gebiete ist die steuerrechtliche Sonderstellung der baskischen Provinzen und Navarras hervorzuheben10. Lediglich der Entwurf einer bundesstaatlichen Verfassung von 1873 [a)] und die Regionalisierung in der Zweiten Republik 1931 – 1936 [b)] sind als Versuche in der spanischen Verfassungsgeschichte zu nennen, den Zentralismus, das innerstaatliche Entwicklungsgefälle und die Integration einer heterogenen Gesellschaft durch Föderalismus oder Regionalismus zu überwinden11.
a) Verfassungsentwurf einer Bundesrepublik Am 01. 06. 1873 wurde die Erste Republik ausgerufen12. Die verfassungsgebende Versammlung arbeitete einen bundesstaatlichen Verfassungsentwurf aus, der eineinhalb Monate später dem Parlament vorgestellt wurde. Zu einer Verabschiedung kam es jedoch nicht, da die reaktionären Kräfte aufgrund der Unruhen im Land und der Uneinigkeit der Reformer an Einfluss zurück gewannen. Mit der Auflösung des Parlaments am 03. 02. 1874 fand die Erste Republik ihr Ende, ohne die intendierte Föderalisierung verfassungsrechtlich zu verankern. Das föderalistische Gedankengut in Spanien geht auf das Werk „La reacción y la revolución“ von Francisco Pi y Margall aus dem Jahr 1854 zurück13. Anstatt konsequent einen Aufbau von unten nach oben zu vertreten, setzte er sich für einen zeitlich befristeten von oben nach unten ein. Durch einen Dezentralisationsprozess sollten die Gliedstaaten des vorgesehenen Bundesstaates entstehen. Es ist fraglich, ob der zu entstehende Staat einen Bundesstaat dargestellt hätte, da er sich an dem Kriterium der freien Einigung, dem föderalen Prinzip hätte messen müssen. Pi y Margall trat am Tag nach der Übergabe des Verfassungsentwurfs an das ParZu der Finanzverfassung Kap. IV.4. R.-O. Schultze, Föderalismus als Alternative?, S. 201 f.; D. Nohlen / A. Hildenbrand, Regionalismus und politische Dezentralisierung in Spanien, in: D. Nohlen / J. J. González Encinar (Hrsg.), Der Staat der Autonomen Gemeinschaften in Spanien, 1992, S. 10 f.; K.-J. Nagel, Die „Autonomisierung“ Spaniens – ein abgeschlossener Prozess?, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 232. 12 Dazu und dem Folgenden O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 642 f.; Á. X. López Mira, Veinticinco años de Estado Autonómico, RDP 58 – 59 (2003 / 2004), S. 739 ff. 13 F. Pi y Margall, La reacción y la revolución: estudios políticos y sociales, 1854, 1982. Dazu M. Caminal, El federalismo pluralista, 2002, S. 57; A. Hennessy, The renaissance of federal ideas in contemporary Spain, in: M. Forsyth (Hrsg.), Federalism and nationalism, 1989, S. 14 f. 10 11
1. Historischer Abriss der Territorialordnung
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lament von seinem Amt als Präsident nach nur einmonatiger Amtszeit zurück. „Seit dieser historischen Erfahrung wurde Föderalismus mit Unordnung und Chaos assoziiert.“14 b) Regionalisierung in der Zweiten Republik Die Territorialordnung der Zweiten Republik (1931 – 1936) hat entscheidenden Einfluss auf die derzeit geltende Verfassung genommen. In der Verfassung vom 09. 12. 1931 wurde nach den negativen Erfahrungen mit einer „Föderalisierung von oben“ ein „Regionalismus von unten“ ermöglicht15. Die autonomen Gebiete konnten sich gemäß der Verfassung nach dem dispositiven Prinzip16 bilden17. Geltung erlangte das Autonomieprinzip innerhalb des Einheitsprinzips: „Die Republik begründet einen untrennbaren Staat, vereinbar mit der Autonomie der Gemeinden und der Regionen“ (Art. 1 Abs. 3 VZSR)18. Art. 14 – 21 VZSR regelte die substantiellen Aufgaben, die die autonomen Regionen übernehmen konnten. Die territoriale Organisation wurde als „Integralstaat“19 bezeichnet, der in der spanischen Rechtslehre der von der italienischen Lehre geprägten Kategorie des „Regionalstaates“20 zugeordnet wird. Entscheidender Unterschied zur heutigen Verfassungslage ist, dass Art. 22 VZSR21 eine Rückgabe der Selbstgesetzgebungsrechte 14 J. J. González Encinar, Ein asymmetrischer Bundesstaat, in: D. Nohlen / J. J. González Encinar (Hrsg.), Der Staat der Autonomen Gemeinschaften in Spanien, 1992, S. 229. 15 Dazu und dem Folgenden O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 643 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, 8. Aufl. 2002, S. 1003 ff. 16 Dazu ausführlich Kap. IV.2.b). 17 „Wenn eine oder mehrere aneinandergrenzende Provinzen mit historischen, kulturellen und wirtschaftlichen, gemeinsamen, charakteristischen Merkmalen den Beschluß fassen sollten, sich zu einer autonomen Region zu organisieren, um einen politisch administrativen Kern zu bilden, innerhalb des Spanischen Staates, so sollen sie ihr Statut gemäß der Vorschrift in Artikel 12 vorlegen“ (Art. 11 Abs. 1 VZSR). Art. 12 sieht vor, dass die Mehrheit der Gemeinderäte oder jener Ortsgemeinden, die zwei Drittel der Wahlberechtigten umfassen, das Autonomiestatut vorschlagen, dieses in einem Referendum eine Zwei-Drittel-Mehrheit erlangt und die Zustimmung des nationalen Parlaments erhält. 18 Vgl. hiermit Kap. IV.2.a). 19 Art. 1 Abs. 3 VZSR: „La República constituye un Estado integral, compatible con la autonomía de los municipios y las regiones.“ 20 Der Regionalstaat ist entsprechend dieser Lehre weder Einheits- noch Bundesstaat, sondern ein zwischen diesen beiden Polen stehendes eigenständiges juristisches Gebilde. Dazu grundlegend J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 168 ff.; vgl. auch F. Balaguer Callejón, Die Autonome Gemeinschaft Andalusien im Bildungsprozeß des Autonomischen Spanischen Staates, JöR N.F. 47 (1999), S. 113. 21 „Eine jede der Provinzen, die eine autonome Region oder einen Teil derselben bildet, soll auf ihre Rechtsordnung verzichten und zur Rechtsordnung einer mit der Zentralgewalt unmittelbar verbundenen Provinz zurückkehren dürfen. Um diesen Beschluß zu fassen, soll erforderlich sein, daß die Mehrheit ihrer Gemeinderäte es vorschlägt, und mindestens zwei Drittel der in der Provinzliste eingetragenen Wähler diesen Vorschlag annehmen.“
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
ermöglichte, während die Autonomieprozesse unter der geltenden Verfassung von 1978 irreversibel sind22. Katalonien konstituierte sich im September 1932 und das Baskenland im Oktober 1936 als autonome Region. Die Volksabstimmung über das galicische Autonomiestatut fiel am 28. 06. 1936 positiv aus, jedoch kam es, bedingt durch den Ausbruch des Bürgerkrieges (1936 – 1939), nicht mehr zu der Bestätigung durch das Parlament. Die Autonomien wurden durch Franco abgeschafft und bis auf wenige Ausnahmen keine regionalen Sonderrechte anerkannt23.
2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften, Provinzen und Gemeinden a) Verfassungsrechtliche Strukturprinzipien des Art. 2 CE Die spanische Verfassung vom 29. 12. 1978 entstand nach dem Ende der Diktatur Francos (1939 – 1975) und konstituiert Spanien nicht nur zu einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat (Art. 1 Abs. 1 CE), sondern ermöglicht zudem die Entfaltung von im Franquismus unterdrückten regionalistischen Bewegungen24. Der spanische Regionalismus hat seinen Ursprung in der kulturellen Heterogenität Spaniens und regionalökonomischen Disparitäten25. Art. 2 CE stellt in Anlehnung an die republikanische Verfassung von 1931 (Art. 1 Abs. 3 VZSR) neben das Prinzip der Einheit der Nation [aa)] das Prinzip der Autonomie [bb)]: „Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier; sie anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, aus denen sie sich zusammensetzt, und auf die Solidarität zwischen ihnen.“26 Dazu Kap. IV.2.b). J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 233 ff.; K. Wendland, Spanien auf dem Weg zum Bundesstaat?, S. 65. 24 Einen historischen Überblick über den Transitionsprozess siehe J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 276 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1003 ff.; W. L. Bernecker, Spanien – Vom zentralistischen Einheitsstaat zum Staat der Autonomen Gemeinschaften, in: M. Piazolo / J. Weber (Hrsg.), Föderalismus, 2004, S. 260 ff. 25 O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 644 f.; R. Schütz, Spanien auf dem Weg zum Autonomiestaat, S. 187. 26 Problematisch erweist sich, dass die Verfassung weder „Nationalität“ noch „Region“ definiert; P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 305; Dazu J. Ferrando Badía, Nación, nacionalidad y autodeterminación en la Constitución Española del 20 de diciembre de 1978, in: FS für Juan José Ruiz-Rico, Bd. II, 1997, S. 1191 ff.; J. I. del Burgo, Basken und Katalanen, S. 21. 22 23
2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften
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Diese Norm wird in Spanien als Kompromiss zwischen föderalistischen und zentralistischen Kräften gesehen27. Für Häberle ist es „das wohl schönste Beispiel für die Thematisierung der Regionen in einem verfassungsstaatlichen GrundlagenArtikel“28. Sie geht über eine reine Dezentralisierung hinaus29 und ist somit eine wahre verfassungsrechtliche Verankerung des Regionalismus30, insbesondere durch Ermöglichung regionaler Amtssprachen (Art. 3 Abs. 2 CE) und eigener Flaggen und Embleme (Art. 4 Abs. 2 CE).
aa) Prinzip der Einheit Spanien ist ein Einheitsstaat. Jegliche Ausübung der Staatsgewalt beruht auf dem Willen der spanischen Bürgerschaft31. Dies manifestiert Art. 1 Abs. 2 CE, nach dem es einen einzigen pouvoir constituant gibt: „Das spanische Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, ist Träger der nationalen Souveränität.“
In der spanischen Verfassung wird der Begriff „Staat“ in unterschiedlicher Bedeutung verwendet32: Bezieht er sich auf den Staat im weiteren Sinn, so ist der spanische Nationalstaat gemeint33, handelt es sich um den Staat im engeren Sinn, ist dies nicht der gesamte Staat der Ämter, sondern lediglich die zentrale Staatsgewalt34. 27 Vgl. M. J. Montoro Chiner, Spanien als Staat der Autonomen Gemeinschaften, DÖV 40 (1987), S. 85. Zudem gilt sie als problematischste bei der Erarbeitung der Verfassung; J. Solé Tura, Das politische Modell des Staates Autonomer Gebietskörperschaften, in: A. López Pina (Hrsg.), Spanisches Verfassungsrecht, 1993, S. 249. González Encinar spricht von einem „,faulen Kompromiß‘, denn viele zentrale Fragen der Dezentralisierung wurden nicht im Verfassungstext selbst geregelt“; J. J. González Encinar, Ein asymmetrischer Bundesstaat, S. 219. 28 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 5. Sie ist eine „geglückte Formel ,praktischer Konkordanz‘ zwischen der klassischen nationalen Einheitsidee und dem Pluralismus autonomer Regionen“ (S. 4). 29 G. Trujillo Fernández, Der neue spanische Föderalismus, in: A. Randelzhofer (Hrsg.), Deutsch-Spanisches Verfassungsrechtskolloquium, 1982, S. 116. Vgl. besonders Ausführungen des Kap. IV.4. 30 Häberle spricht von „konstitutionellen Regionalismus-Recht“; P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 35. 31 Vgl. STC 4 / 1981 v. 02.02., FJ 1. 32 Dazu STC 32 / 1981 v. 28.07., FJ 2. 33 Vgl. Art. 1, 56, 137 CE. 34 Vgl. Art. 149 (Zuständigkeit des Staates) im Gegensatz zu Art. 148 CE (Zuständigkeit der Autonomen Gemeinschaften). Weiterhin sei bemerkt, dass in Spanien der Terminus „Nation“ dieselbe Bedeutung wie im Deutschen hat, „Nationalist“ jedoch einen Mensch bezeichnet, der vom Zentrum wegstrebt. Daher wird im Spanischen der Begriff „general“ dem zu vermeidenden „national“ bevorzugt. Dazu A. de Blas Guerrero, Veinticinco años de con-
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
bb) Prinzip der Autonomie Neben das Einheitsprinzip wird das Autonomieprinzip gestellt35, näher bestimmt in Art. 137 CE: „Das Staatsgebiet ist in Gemeinden, Provinzen und die sich konstituierenden Autonomen Gemeinschaften gegliedert. Sie alle genießen Autonomie bei der Verfolgung ihrer jeweiligen Interessen.“
Die Autonomie36 findet in der durch Dezentralisierung geschaffenen Verwaltungsuntergliederung mit weitgehender Selbstverwaltungshoheit ihre Realisation37. Das spanische Verfassungsgericht hat festgestellt, dass das Autonomieniveau der in der Verfassung genannten Gebietskörperschaften unterschiedlich ist38. Während Provinzen und Gemeinden administrative Autonomie im Sinne kommunaler Selbstverwaltungsrechte haben, sind die Autonomen Gemeinschaften „Gebietskörperschaften politischer Natur“39 und haben zudem weitgehende Gesetzgebungsrechte inne40. Sie haben das Recht, ihre innere Organisation festzulegen und sind finanziell autonom41. Die verfassungsrechtlich gesicherte Selbständigkeit der Autonomen Gemeinschaften, ihre Autonomie, spiegelt sich im Eid des spanischen Staatsoberhauptes wider: „Bei seiner Proklamation vor den Cortes Generales schwört der König den Eid, sein Amt getreu auszuüben, die Verfassung und die Gesetze einzuhalten und für ihre Einhaltung Sorge zu tragen und die Rechte der Bürger und der Autonomen Gemeinschaften zu achten.“ 42 Das Autonomieprinzip schafft eine vertikale Teilung der Staatsgewalt43. Entscheidender Unterschied zum deutschen Bundesstaat ist, dass die deutschen Länder eigene Staatsqualität, die Autonomen Gemeinschaften lediglich abgeleitete stitución y nacionalismo, RDP 58 – 59 (2003 / 2004), S. 767 ff.; A. Jiménez Blanco, Zur Situation der autonomen Gemeinschaften in Spanien, S. 12. 35 Dazu I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, 2. Aufl. 1995, § 66, S. 249 ff.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 240 ff. 36 Siehe Definition in Fn. 168. 37 P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 305 f.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 656 ff. 38 STC 4 / 1982 v. 02. 02., FJ 1; 84 / 1982 v. 23. 12. Die Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften, Provinzen und Gemeinden werden in Kap. IV.2.c) – d) diskutiert. 39 STC 25 / 1981 v. 14. 07., FJ 5. 40 Zu der Zuständigkeitsverteilung siehe Kap. IV.3. 41 O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 657 f.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 257 f. 42 Art. 61 Abs. 1 CE; Herv. d. Verf. 43 J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 265 ff.; M. J. Montoro Chiner, Spanien als Staat der Autonomen Gemeinschaften, S. 87.
2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften
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Staatsgewalt besitzen44. Dies folgt aus dem Einheitsprinzip45. Während die Verfassung der Zweiten Republik einen Integral- oder Regionalstaat schuf46, nimmt die geltende Verfassung keine begriffliche Festlegung über die territoriale Ordnung vor47. Von einem Regionalstaat wird nicht mehr gesprochen48.
b) Wege zur Autonomie In Übereinstimmung mit der in Art. 143 Abs. 1 CE49 vorgesehenen Möglichkeit einer Konstituierung Autonomer Gemeinschaften50 spricht die spanische Verfassungslehre von einem „dispositiven Prinzip“ (principio dispositivo)51. Anstatt einer vorgegeben Territorialgliederung durch den Verfassungsgeber wurde es den Regionen überlassen, sich als Autonome Gemeinschaften zu konstituieren oder aber auf dem Stand von Dezentralisierungseinheiten zu verbleiben. Bei Verkündung der Verfassung 1978 war noch keine Autonome Gemeinschaft konstituiert52. Wie bereits in der Verfassung der Zweiten Spanischen Republik wurde auch mit der Verfassung von 1978 keine bestimmte territoriale Ordnung festgelegt53. Die Vgl. STC 4 / 1981 v. 02.02. FJ 3. Ausführlich zur Staatsqualität Kap. IV.2.c)cc). Bezüglich des Verhältnisses mit dem Autonomieprinzip siehe I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 66, S. 254 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 652 f. 46 Vgl. Fn. 19 f. 47 Kritisch dazu Fn. 258. 48 I. d. S. F. Balaguer Callejón, Die Autonome Gemeinschaft Andalusien im Bildungsprozeß des Autonomischen Spanischen Staates, S. 112; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 634 ff. i. V. m. S. 651 ff. Anderer Ansicht aber noch J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 151 ff. 49 „In Ausübung des in Artikel 2 der Verfassung anerkannten Rechts auf Autonomie können aneinandergrenzende Provinzen mit gemeinsamen historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Eigenschaften, die Inselgebiete und die Provinzen, die historisch eine Regionaleinheit bilden, die Selbstregierung erlangen und sich nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Titels sowie den entsprechenden Statuten als Autonome Gemeinschaften konstituieren.“ 50 Vgl. auch Art. 137 S. 1 CE: „sich konstituierenden Autonomen Gemeinschaften“. Zu der Ausprägung des dispositiven Prinzips in der Zuständigkeitsverteilung siehe auch Kap. IV.3.a). 51 I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 66, S. 256 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1009 f. 52 Es bestanden allerdings aufgrund eines königlichen Erlasses Präautonomien (Preautonomías), die in Bestand und ihrer Zuständigkeit vorläufigen Charakter aufwiesen, jedoch richtungweisend für die anschließenden Konstitutionsprozesse waren; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 264 ff.; J. L. Prada / A. Yanes, Los régimes autonómicos provisionales, in: G. Trujillo Fernández (Hrsg.), Federalismo y Regionalismo, 1979, S. 627 ff. 53 P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, JöR N.F. 34 (1985), S. 197; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal 44 45
10 Bretz
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
Dezentralisation des zentralistischen Einheitsstaates wurde lediglich verfassungsrechtlich ermöglicht, ohne einen Verfassungsauftrag zu begründen54. Das dispositive Prinzip wurde besonders wegen seiner Flexibilität favorisiert, stellt jedoch auch die Grundlage für die heute bestehenden Asymmetrien in der Zuständigkeitsordnung55. Die Verfassung sieht mit dem langsamen Weg des Art. 143 Abs. 2 (vía lenta) und dem schnellen Verfahren des Art. 151 CE (vía rápida)56 unterschiedliche Gründungsverfahren der Autonomen Gemeinschaften vor57. Sie unterscheiden sich vor allem in den verfahrensrechtlichen Anforderungen58 und dem Umfang an Zuständigkeiten, die die sich bildenden Autonomen Gemeinschaften von Anfang an übernehmen können59. Übereinstimmung herrscht in der Irreversibilität der Vorgänge. Regionen, die Autonomie erworben haben, können den Prozess nicht mehr rückgängig machen60. Auch wenn in Art. 2 CE Nationalitäten und Regionen als Träger der Autonomie genannt werden, wird die Initiierung des Konstituierungsprozesses der Autonomen Gemeinschaften den Provinzialräten überlassen61. Seit Frühjahr 1983 ist bis auf Ceuta und Melilla62 das gesamte spanische Staatsgebiet in siebzehn Autonome Gemeinschaften gegliedert63. y el Estado autonómico, S. 151 ff.; L. López Guerra, Modelo abierto y modelo cerrado del Estado de las Autonomías, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), Asimetría y cohesión en el Estado Autonómico, 1997, S. 35 ff. 54 P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 197. 55 Dazu Kap. IV.3.d). 56 P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 317; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 658 f. 57 Dazu I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 67, S. 260 ff.; P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 316 ff.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 276 ff. 58 Nach der schnellen Weg müssen sich alle Provinzräte und 75 % der Gemeinden sowie in einem Referendum die absolute Mehrheit jeder Provinz für die Autonomie aussprechen. Durch die zweite Übergangsbestimmung der Verfassung kann hiervon bei den Regionen abgesehen werden, die in der Zweiten Republik bereits Autonomie erlangt hatten oder sich auf dem Weg dazu befanden. Für diese Regionen ist lediglich ein Mehrheitsbeschluss der obersten vorautonomen Organe erforderlich. Nach dem langsamen Weg müssen ebenfalls sämtliche Provinzialräte, allerdings nur zwei Drittel der Gemeinden den Willen zur Autonomie bekunden. Ein Referendum ist nicht erforderlich. 59 Autonome Gemeinschaften, die sich auf dem langsamen Weg konstituieren, können in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens weniger Zuständigkeiten übernehmen; dazu ausführlich Kap. IV.3. 60 STC 89 / 1984 v. 28.09. 61 Art. 143 Abs. 2, Art. 151 Abs. 1 CE; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 656 f.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 276 f. 62 Die fünfte Übergangsbestimmung der Verfassung stellt ein Verfahren für ihre Konstitution zu Autonomen Gemeinschaften bereit. Zu dem Rechtsstatus der „Autonomen Städte“
2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften
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Nach dem schnellen Weg (Art. 151 CE) gründeten sich vier Autonome Gemeinschaften. Katalonien, das Baskenland und Galicien als „historische Gebiete“, die bereits vor Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 Autonomiestatus besaßen oder Referenda über verfassungsrechtliche Verankerung ihrer Autonomie abhielten64, haben sich nach der zweiten Übergangsbestimmung der Verfassung und Art. 151 Abs. 2 CE ohne das Erfordernis eines erneuten Referendums ihre Autonomiestatute gegeben. Zudem wurde das andalusische Statut nach dem Verfahren des Art. 151 CE verabschiedet, obwohl die geforderte absolute Mehrheit bei der Volksabstimmung in der Provinz Almería nicht erzielt wurde65. Die übrigen Autonomen Gemeinschaften bildeten sich gemäß des langsamen Wegs des Art. 143 Abs. 2 CE. Für Valencia und die Kanarischen Inseln wurde auf der Basis einer Autonomievereinbarung vom 31. 07. 1981 zwischen der konservativen Regierungspartei UCD und der sozialistischen PSOE abweichend von der Verfassung eine Ausnahme getroffen. Ihnen wurde die Übernahme derselben Zuständigkeiten ermöglicht, die sonst nur nach dem Sonderverfahren des Art. 151 CE möglich gewesen wäre66. Navarra wurde in Übereinstimmung mit der ersten Zusatzbestimmung der Verfassung als Foralgemeinschaft 67 konstituiert und wahrte seine historischen Rechte68.
siehe die Organgesetze 1 / 1995 und 2 / 1995 v. 13. 03. Dazu Á. X. López Mira, Ceuta y Melilla, RDP 43 (1998), S. 147 ff. 63 Von einer Darlegung der Konstitutionsvorgänge im Detail mit ihrer Vielzahl an parteipolitischen Interventionen (Zu dem heutigen Einfluss der Parteien vgl. Kap. IV.8.b).) und Abkommen soll abgesehen werden. Dazu E. Aja, El Estado autonómico, 1999, S. 196.; (in deutscher Sprache) B. Pfeifer, Probleme des spanischen Föderalismus, S. 66 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1017 ff.; A. Ruiz Robledo, Veinticinco años de Estado Autonómico, RDP 58 – 59 (2003 / 2004), S. 718 ff.; K. Wendland, Spanien auf dem Weg zum Bundesstaat?, S. 76 ff. 64 Siehe Kap. IV.1.b). 65 Das Gesetz über die Regelung von Referenda wurde nachträglich geändert und Voraussetzungen eingefügt, unter denen von einer fehlenden Mehrheit in einer Provinz abgesehen werden kann. Dazu J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1081 f.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 280 f. 66 J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1019 f.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 289 ff. 67 Zu Foralrechten L. López Guerra, La organización de las Comunidades Autónomas, in: ders. / E. Espín / J. García Morillo / P. Pérez Tremps / M. Satrústegui (Hrsg.), Derecho Constitucional, Bd. II, 5. Aufl. 2002, S. 361 f. Obwohl sich Navarra als „Foralgemeinschaft bezeichnet, handelt es sich um eine Autonome Gemeinschaft; STC 15 / 1984 v. 06. 02. 68 P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 318. Grundlegend zu Foralrechten in Kap. IV.1. 10*
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
c) Wesen der Autonomen Gemeinschaften aa) Autonomiestatute als Teil des „Blocks der Verfassungsmäßigkeit“ „Im Rahmen der vorliegenden Verfassung sind die Autonomiestatute die grundlegende institutionelle Norm der jeweiligen Autonomen Gemeinschaft; der Staat erkennt sie an und schützt sie als integralen Bestandteil seiner Rechtsordnung.“ (Art. 147 Abs. 1 CE)
Trotz ihrer Ähnlichkeit mit Landesverfassungen weisen die Autonomiestatute formal keinen Verfassungscharakter auf69. Das Regionalstatut ist in der Verfassung verankert, die Staatlichkeit der Autonomen Gemeinschaften vom Zentralstaat abgeleitet70. Materiell sind die Statute jedoch die Grundordnungen der Autonomen Gemeinschaften und damit ihre Verfassungen: Nach spanischer Rechtslehre formt die spanische Verfassung mit der Gesamtheit der Autonomiestatute und einzelner Gesetze, hauptsächlich Organgesetze, den „Block der Verfassungsmäßigkeit“ (bloque de constitucionalidad)71. Dieser stellt in seinem Umfang den Kontrollmaßstab für das spanische Verfassungsgericht dar72. Die Autonomiestatute sind nicht nur höchste Rechtsnorm der Autonomen Gemeinschaften, sondern stehen in der Normenhierarchie auch über einfachgesetzlichen Regelungen des Zentralstaates73. In Deutschland dagegen ist Landesrecht einschließlich Landesverfassungsrecht dem Bundesrecht untergeordnet: „Bundesrecht bricht Landesrecht“ (Art. 31 GG)74. Ein allgemeines Homogenitätskriterium für die Autonomiestatute, entsprechend Art. 28 Abs. 1 GG für die deutschen Länder, fehlt in der spanischen Verfassung. Jedoch schreibt Art. 152 Abs. 1 CE für die nach Art. 151 CE gegründeten Autonomen Gemeinschaften (schneller Weg: Katalonien, das Baskenland, Galicien, Andalusien) eine gesetzgebende Versammlung, die nach dem Verhältniswahlsystem, das außerdem die Vertretung der verschiedenen Gebietsteile gewährleistet, gewählt wird, einen Regierungsrat mit exekutiven und administrativen Funktionen und einen Präsidenten, den die Versammlung aus ihren Mitgliedern wählt und den der König ernennt, vor. Zudem obliegt dem Präsidenten „die Leitung des Regierungsrates, der höchsten Vertretung der betreffenden Autonomen Gemeinschaft und der ordentlichen Vertretung des Staates in ihr. Der Präsident und die Mitglieder des 69 J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, REP N.E. 110 (2000), S. 16 ff.; H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 49. 70 P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 315 f.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 254 ff. 71 Dazu A. Torres del Moral, Veintitrés años de Tribunal Constitucional, RDP 58 – 59 (2003 / 2004), S. 786 f.; I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 67, S. 257 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1029. 72 Zu den Prinzipien der Zuständigkeitsverteilung siehe Kap. IV.3. 73 I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 67, S. 268 ff.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 250 ff. 74 Vgl. B. Pieroth in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2002, Art. 31, Rdn. 5.
2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften
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Regierungsrates sind der Versammlung politisch verantwortlich.“ Auch wenn die Verfassung für die übrigen Regionen keine derartigen Anforderungen stellt, genügen alle Autonomiestatute dieser Mindestanforderung75.
bb) Fehlende Verfassungshoheit Die deutschen Länder können im Rahmen des Homogenitätskriteriums (Art. 28 Abs. 1 GG) ihre Verfassungen eigenständig nach den vorgesehenen Verfahren abändern. Dagegen haben die Autonomen Gemeinschaften keine Verfassungshoheit. Wie bei der ursprünglichen Statutgebung bedarf es bei jeder Statutrevision der Mitwirkung des Zentralstaates76. Die Änderung der Autonomiestatute erfolgt gemäß den in den Statuten vorgesehen Verfahren77 und bedarf der Bestätigung durch ein staatliches Organgesetz78 (Art. 147 Abs. 3 CE). Neben dieser Abhängigkeit von der Zustimmung der Cortes Generales sieht die Verfassung in Art. 152 Abs. 2 CE zusätzlich für die Regionen, die auf dem schnellen Wege des Art. 151 CE Autonomie erlangt haben, ein Referendum der jeweilig wahlberechtigten Bevölkerung vor. Nicht nur die Autonomen Gemeinschaften, sondern auch der Staat kann die Autonomiestatute nicht einseitig abändern79. Durch Art. 4 des Organgesetzes zur Harmonisierung des Autonomieprozesses LOAPA (Ley Orgánica de Armonización del Proceso Autonómico) sollte eine Vorrangklausel staatlicher vor autonomen Normen begründet werden. Jedoch wurde der Gesetzesentwurf in einem präventiven Normenkontrollantrag durch STC 76 / 1983 vom 05. 08. für verfassungswidrig erklärt. Sowohl formell, als Organ- und Harmonisierungsgesetz, als auch materiell, als Auslegungsnorm, wurde die Verfassungswidrigkeit festgestellt80. Demnach sind selbst indirekte materielle Änderungen der Statute verfassungswidrig81. Nur der Statutgeber, d. h. das gemeinsame Wirken der vorgesehenen Organe (staatJ. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1016 f. I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 67 S. 264 f. Siehe auch J. Ferrando Badía, La Región y el Estado regional, in: G. Trujillo Fernández (Hrsg.), Federalismo y Regionalismo, 1979, S. 361 ff. 77 Je nach Statut wird qualifizierte, absolute, Drei-Fünftel-Mehrheit oder Zwei-DrittelMehrheit im Parlament der Autonomen Gemeinschaft gefordert; B. Pfeifer, Probleme des spanischen Föderalismus, S. 77 f. 78 Legaldefinition in Art. 81 Abs. 1 CE: „Organgesetze sind jene Gesetze, die sich auf die Entwicklung der Grundrechte und der öffentlichen Freiheiten beziehen, jene, die die Autonomiestatute und das allgemeine Wahlgesetz verabschieden sowie die weiteren von der Verfassung vorgesehenen Gesetze.“ 79 P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 318 f. 80 A. López Castillo, Autonome Gemeinschaften statt Föderalismus?, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Europäischer Föderalismus im 21. Jahrhundert, 2003, S. 72. 81 P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 227 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1023 ff. 75 76
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
liches und autonomes Parlament und ggf. das wahlberechtigte Volk), haben ein Änderungsrecht82. Die Statute sind keine Staatenverfassungen83, sondern bilden „eine völlig eigenständige Kategorie, die für die spanische Rechtsordnung ebenso kennzeichnend ist wie die Verfassung oder das Gesetz. Die Autonomiestatute sind also nichts weiter als Autonomiestatute.“84 Durch das besondere Normsetzungsverfahren sind sie Normen sowohl der staatlichen als auch der autonomen Gesetzgebung. Keine Seite kann einseitig den Regelungsgehalt der Statute verändern. Lediglich durch eine Verfassungsänderung (Titel X CE)85 kann der staatliche Gesetzgeber Regelungen zu den Autonomen Gemeinschaften abändern, nicht jedoch die Autonomiestatute selbst. Der hieran beteiligte Senat ist anders als in Deutschland nur begrenzt eine „Kammer der territorialen Repräsentation“86. Vielmehr ist es eine echte zweite Kammer. Die Grenzen einer Verfassungsänderung werden durch das Autonomieprinzip gezogen, so dass sowohl die Abschaffung der Autonomen Gemeinschaften als auch ihrer politische Selbstbestimmung verfassungswidrig wären87. Das Autonomieprinzip unterliegt nicht wie das Bundesratsprinzip einer Unabänderlichkeitsklausel (Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG), jedoch stellt Art. 168 CE höhere Anforderung an eine Verfassungsänderung dieses Prinzips als der Regelfall von Verfassungsänderungen des Art. 167 CE88. Die spanische Verfassung gibt den Autonomen Gemeinschaften eine starke rechtliche Stellung, ohne sie zu existentiellen Staaten zu erheben.
cc) Fehlende existentielle Staatsqualität der Autonomen Gemeinschaften Entgegen der Lehre eines „echten Bundes“89 kann sich nach Jellinek ein Einheitsstaat zu einem Bundesstaat entwickeln, indem sich „die Einzelstaaten erst auf 82 Zu bisherigen Änderungen vgl. V. Garrido Mayol, Evolución del estado autonómico y reforma de los estatutos, RDP 48 – 49 (2000), S. 37 ff. 83 J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1023 f. Art. 146 Abs. 1 S. 2 CE legt fest, dass die Cortes Generales den ursprünglichen Entwurf des Autonomiestatus „wie ein Gesetz behandeln“. 84 P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 231. Einen Zusammenhang zu Verfassungen sieht Häberle: „Im Grunde ähneln die Statute ,kleinen Verfassungen‘ oder doch Vorformen von Verfassungen“; P. Häberle, Die Vorbildlichkeit der Spanischen Verfassung von 1978 aus gemeineuropäischer Sicht, JöR N.F. 51 (2003), S. 595. 85 Dazu Kap. IV.8.b). 86 Art. 69 Abs. 1 CE. Zu dem Senat siehe Kap. IV.4.b). 87 P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 230. 88 Dazu Kap. IV.8.b). 89 Dazu Kap. II.3.a)bb).
2. Rechtsnatur der Autonomen Gemeinschaften
151
Grund bundesverfassungsmäßiger Zulassung . . . organisieren“90. Ausweislich des Einheitsprinzips ist dies in Spanien nicht der Fall. Mehrfach hat das Verfassungsgericht geäußert, dass die Autonomen Gemeinschaften auch „Staat“91 seien. Dies ist jedoch nicht im Sinne existentieller Staaten, sondern im Sinne von „staatlich“ zu verstehen92. Es fehlt an einem eigenständigen Verfassungsgesetzgeber und an der Verfassungshoheit. Stattdessen sind sie funktional und institutionell Staaten. Die Autonomen Gemeinschaften sind „öffentlich-rechtliche Subsysteme“93 (subsistemas jurídico-públicos), d. h. hochdezentralisierte Untergliederungen des Einheitsstaates94. Auch wenn Föderalismus außerhalb des Bundesstaates seine Verwirklichung finden kann, bedarf es sowohl der existentiellen Staatsqualität der Glieder als auch der „freien Einung“95. Beides ist in Spanien nicht gegeben und daher ist es ist nicht statthaft, von einer föderalistischen Staatsform zu sprechen96. Vielmehr ist es der Erfolg regionalistischer Kräfte, dass der Autonomieprozess zu der heutigen dezentralen Territorialordnung geführt hat.
d) Status der Provinzen und Gemeinden Alle Autonomen Gemeinschaften bestehen mindestens aus einer Provinz, in Andalusien sind es acht. Als Provinz wird eine „lokale Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit zur Erfüllung der Staatsgeschäfte“ definiert, die „durch den Zusammenschluss von Gemeinden und die territoriale Gliederung“ gekennzeichnet ist (Art. 141 Abs. 1 CE). Die Aufteilung in 50 Provinzen geht auf eine zentralstaatliche Verwaltungsgliederung von 1833 zurück, die bis auf die Untergliederung der Kanarischen Inseln in zwei Provinzen bis heute unverändert geblieben ist97. Rechtlich sind Gebietsänderungen der Provinzen jedoch mit zentralstaatlicher Zustimmung in Form eines Organgesetzes zulässig (Art. 141 Abs. 1 S. 2 CE), eine Abschaffung, wie sie Katalonien plante, ist dagegen verfassungswidrig98. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 774. STC 25 / 1981 v. 14. 07., FJ 3; 38 / 1982 v. 22. 06., FJ 1; 32 / 1983 v. 28. 04., FJ 1. Kritik hieran bei M. J. Montoro Chiner, Landesbericht Spanien, in: F. Ossenbühl (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, 1990, S. 181. 92 I. d. S. I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 66, S. 247; H. Barrios, Spanien – Politische Dezentralisierung als flexibles Verhandlungssystem, in: Jahrbuch des Föderalismus 2000, S. 311. 93 J. F. López Aguilar, Veinticinco años de las administraciones públicas en el estado constitucional, RDP 58 – 59 (2003 / 2004), S. 752. 94 Der hohe Dezentralisationsgrad lässt sie als „Quasi-Staaten“ erscheinen; vgl. U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 10. I. d. S. auch J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1027 f. 95 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 97. 96 Siehe IV.8. 97 Siehe Kap. IV.1. 90 91
152
IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
Regiert und verwaltet werden die Provinzen von Provinzialräten. Neben der Ausführung von Aufgaben im Auftrag des Zentralstaates und der Autonomen Gemeinschaften99 sind die Aufgaben der Provinzen vornehmlich auf Koordination und Unterstützung der Gemeinden beschränkt100. Ihnen obliegt die Koordination der Gemeindeverwaltungen, Bereitstellung übergemeindlicher Dienstleistungen und Förderung von Provinzialinteressen. Die Provinzen sind nicht nur Selbstverwaltungseinheit, sondern auch dezentrale Vertretungen der Zentralregierung. Der Provinzgouverneur wird als ständiger nationaler Regierungsvertreter in der Provinz berufen (representante permanente del Gobierno de la Nación en la provincia) und ist den Außendelegationen (delegaciones periféricas) der Staatsministerien vorgesetzt. Anstatt auch die Autonomen Gemeinschaften konsequent zu dezentralisieren, kommen in den dargelegten Regelungen Elemente traditioneller Zentralstaatlichkeit zum Ausdruck101. Auch die Gemeinden besitzen Autonomie (Art. 140 CE)102. Nach dem Gesetz 7 / 1985 über die Grundlagen der Lokalverwaltung sind sie für alle kommunalen Angelegenheiten zuständig. Die kommunale Selbstverwaltung findet besonders im kulturellen und sozialen Bereich, aber auch in der Gewährleistung öffentlicher Sicherheit ihre Realisierung. Die Gemeindevertretungen, bestehend aus Bürgermeistern und Gemeinderäten, führen die Regierung und Verwaltung der Kommunen.
3. Verteilung von Aufgaben und Befugnissen zwischen Zentralstaat und Autonomen Gemeinschaften a) Grundlegende Aspekte und Prinzipien Die Verteilung der Staatsaufgaben zwischen dem Zentralstaat und den Autonomen Gemeinschaften wird von hoher Komplexität geprägt. Während die entsprechenden deutschen Regelungen dem Grundgesetz zu entnehmen sind, ergibt sich die Zuständigkeitsverteilung in Spanien aus dem „Block der Verfassungsmäßigkeit“ (bloque de constitucionalidad), d. h. dem Zusammenspiel von Verfassung, 17 Autonomiestatuten sowie einigen Organgesetzen und einfachgesetzlichen Nor98 R. Agranoff, Intergovernmental Relations and the Management of Asymmetry in Federal Spain, in: ders. (Hrsg.), Accommodating Diversity, 1999, S. 103. 99 O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 664; T. Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen Europas, S. 176. 100 M. J. Montoro Chiner, Landesbericht Spanien, S. 188. 101 A. Torres del Moral, Nuevas perspectivas del Estado autonómico, REA 1 (2002), S. 217; M. J. Montoro Chiner, Landesbericht Spanien, S. 187. 102 P. Pérez Tremps, Principios generales de la organización terretorial del Estado, S. 298 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 645 f.
3. Verteilung von Aufgaben und Befugnissen
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men103. Hinzu kommt, dass aufgrund des dispositiven Prinzips die Autonomen Gemeinschaften unterschiedliche Zuständigkeitsniveaus aufweisen. Die Verfassung schreibt den Gemeinschaften keinerlei Zuständigkeiten zu, sondern ermöglicht lediglich deren Übernahme. Durch Verankerung der von den Autonomen Gemeinschaften übernommen Zuständigkeiten ergibt sich die individuell geltende Verteilung der Aufgaben. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der deutschen Zuständigkeitsvermutung für die Länder (Art. 30 GG und speziell Art. 70 Abs. 1, Art. 83, Art. 92 GG) sowie der Gleichheit der Zuständigkeitsfülle, die noch erörtert wird. Die anfänglichen Unterschiede in der Zuständigkeitsfülle der Autonomen Gemeinschaften wurden weitestgehend, jedoch nicht vollständig angeglichen, insbesondere mit den Autonomievereinbarungen von 1992104. Ein Hauptgrund ist Art. 151 Abs. 1 i. V. m. Art. 148 Abs. 2 CE, nach dem die Gemeinschaften, die ihre Autonomie auf dem langsamen Weg des Art. 143 CE erlangt haben, für eine Übergangszeit von fünf Jahren nicht die in Art. 149 CE ermöglichten Zuständigkeiten übernehmen können. Im Gegensatz hierzu konnten die auf dem schnellen Weg entstandenen Gemeinschaften Katalonien, das Baskenland, Galicien und Andalusien sowie die durch Sondervereinbarungen gegründeten Autonomien Valencia und die Kanarischen Inseln die maximal ermöglichten Zuständigkeiten von Beginn an übernehmen. Die verfassungsrechtliche Verankerung des Autonomieprozesses ist ein „einzigartiges . . . genuines Regionalismus-Institut“105. Anstatt einer Zuständigkeitsvermutung und Regelung durch ausschließliche und konkurrierende Aufgaben und Befugnisse ist in Spanien eine doppelte Residualklausel106 grundlegendes Verteilungskriterium. Art. 148 Abs. 1 CE enthält einen Katalog mit Zuständigkeiten, die die Autonomen Gemeinschaften übernehmen können. Diese sind weitestgehend ausgeschöpft, d. h. in den Statuten verankert. Art. 149 Abs. 1 CE listet die Bereiche auf, in denen der Zentralstaat ausschließliche Zuständigkeit besitzt. Der erste Teil der Residualklausel besagt, dass alle nicht-aufgeführten Zuständigkeiten die Gemeinschaften übernehmen können (Art. 149 Abs. 3 S. 1 CE), der zweite Teil, dass, sofern und solange dies nicht geschieht, sie dem Staat zufallen (Art. 149 Abs. 3 S. 2 CE). Übernimmt eine Gemeinschaft nicht die Zuständigkeit, gelten die staatlichen Normen. Diese ergänzen das Recht der Autonomen Gemeinschaften (Art. 149 Abs. 3 S. 3 CE)107. 103 A. Torres del Moral, Veintitrés años de Tribunal Constitucional, S. 786 f.; I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 67, S. 257 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1029; A. López Castillo, Autonome Gemeinschaften statt Föderalismus?, S. 77. 104 Dazu A. Ruiz Robledo, Veinticinco años de Estado Autonómico, S. 718 ff.; T. Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen Europas, S. 191 f. 105 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 9. 106 O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 675 f.; L. López Guerra, La distribución de competencias entre Estado y Comunidades Autónomas, S. 325 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1040 ff.
154
IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
b) Rechtsbegriff der „ausschließlichen Zuständigkeit“ im spanischen Verfassungsrecht Im Vergleich zu der deutschen Terminologie fällt auf, dass der Terminus der „ausschließlichen Zuständigkeit“ (competentia exclusiva)108 in Spanien nur partiell dem deutschen Sprachgebrauch im Sinne einer exklusiven Zuteilung (so Art. 149 Abs. 1 Nr. 2 – 5, 10 – 11, 14, 20 – 21, 32 CE) verstanden wird. Einige Bereiche des Kataloges ausschließlicher Zuständigkeit werden lediglich als „eingeschränkte“ ausschließliche Zuständigkeit verstanden, bei denen dem Staat eine Grundlagengesetzgebungszuständigkeit 109 zukommt. Diese wird durch Entwicklungsgesetzgebung der Autonomen Gemeinschaften näher bestimmt, die diese ausfüllenden Gesetzgebungsrechte in ihren Autonomiestatuten ebenfalls als ausschließliche Zuständigkeiten bezeichnen110. Rechtlich handelt es sich hierbei um Rahmenvorschriften (vgl. Art. 75 GG)111, die eine Aufteilung der Zuständigkeit in derselben Materie auf die beiden genannten staatlichen Ebenen ermöglicht112. Auch „ausschließliche“ Zuständigkeiten der Regionen sind nicht in ihrer Absolutheit zu verstehen. Art. 150 Abs. 3 CE ermöglicht in diesen Materien zentralstaatliche Harmonisierungsgesetze, „wenn es das Interesse der Allgemeinheit erfordert“113. Ähnlich der Rechtsprechung zur Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG a. F.114 hat auch das spanische Verfassungsgericht dem Zentralstaat die Interpretation des Allgemeininteresses überlassen115. 107 I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 70, S. 282 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1049 f. 108 Dazu I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 66, S. 252 ff. 109 Ebenso wie bei der deutschen Rahmengesetzgebung erweist sich die Definition der „Grundlagen“ als schwierig. Sie soll einem Kompromiss zwischen staatlicher Unitarisierung und regionaler Autonomie entsprechen, deren Überprüfung dem Verfassungsgericht unterliegt. Zu der Rechtsprechungspraxis des Verfassungsgerichts M. Carillo, Estado de las Autonomías y Tribunal Constitucional, in: FS für Juan José Ruiz-Rico, Bd. II, 1997, S. 1261 ff.; I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 70, S. 278 ff. 110 M. J. Montoro Chiner, Spanien als Staat der Autonomen Gemeinschaften, S. 89. Vgl. auch O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 670 ff. 111 H.-J. Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, 1991, S. 92. Vgl. auch Kap. III.2.a)aa). 112 L. López Guerra, La distribución de competencias entre Estado y Comunidades Autónomas, S. 331 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 675 ff. 113 I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 68, S. 273 f.; L. López Guerra, Las relaciones entre el ordenamiento estatal y los ordenamientos autonómicos, in: ders. / E. Espín / J. García Morillo / P. Pérez Tremps / M. Satrústegui (Hrsg.), Derecho Constitucional, Bd. II, 5. Aufl. 2002, S. 380 f. 114 Dazu und der Änderungen der ständigen Rechtsprechung nach der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG durch das Altenpfleger-Urteil siehe Kap. III.2.a)aa)(2).
3. Verteilung von Aufgaben und Befugnissen
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c) Verteilung der Staatsfunktionen Ein weiterer Unterschied zu den deutschen Regelungen ist die fehlende Trennung nach legislativen und exekutiven Zuständigkeiten. Überblicksartig sollen vier Konstellationen unterschieden werden116: Eine erste Gruppe stellen die streng ausschließlichen Zuständigkeiten dar, in denen der Zentralstaat sowohl legislativ als auch exekutiv tätig ist. Bei strenger ausschließlicher Zuständigkeit der Autonomen Gemeinschaften sind diese analog zum ersten Fall für Legislative und Exekutive zuständig. Ebenso wie in Deutschland ist es nicht möglich, dass der Zentralstaat Gesetze der regionalen Gebietskörperschaften ausführt. Harmonisierung der Gesetzgebung durch den Staat ist nicht ausgeschlossen. Hiervon zu unterscheiden ist eine dritte Variante, bei der dem Staat die Normsetzung, den Autonomen Gemeinschaften die Exekutive zukommt. Durch weitreichende Unitarisierung ist dies in der deutschen Verfassungspraxis zum Regelfall geworden. Wird ein Bereich durch die Teilung in Grundlagen- und Entwicklungsgesetzgebung geregelt, kann der Staat, sofern und soweit erforderlich117, grundlegende Verwaltungsmaßnahmen vornehmen und die verbleibende Ausführung den Regionen überlassen.
Die vielschichtige Zuständigkeitsverteilung schlägt sich in der hohen Zahl der Kompetenzkonflikte vor dem Verfassungsgericht nieder118. Eindeutigkeit besteht im Justizwesen, das bis auf wenige organisatorische Befugnisse der Autonomen Gemeinschaften, z. B. einem Mitspracherecht bei der Einteilung der Gerichtsbezirke, allein dem Zentralstaat anvertraut ist119. Auch hierin zeigt sich die fehlende existentielle Staatsqualität der Autonomen Gemeinschaften; die Rechtsprechungshoheit ist unverzichtbarer Bestandteil eines Staates120.
115 L. López Guerra, Las relaciones entre el ordenamiento estatal y los ordenamientos autonómicos, S. 380 ff. 116 Dazu J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1039 ff.; L. López Guerra, La distribución de competencias entre Estado y Comunidades Autónomas, S. 336 ff. 117 STC 1 / 1982 v. 28.01. 118 J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, S. 18. Siehe auch Kap. IV.7. 119 J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, S. 13; L. López Guerra, La distribución de competencias entre Estado y Comunidades Autónomas, S. 335 f. 120 (Kritisch) zu der Landesverfassungsgerichtsbarkeit Kap. III.1.b)aa).
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
d) Ungleichheit der Gebietskörperschaften aa) Erklärungsansätze der „Asymmetrien“ Die Ungleichstellung der Autonomen Gemeinschaften bezüglich ihrer Zuständigkeit, d. h. in ihrer funktionalen Staatlichkeit, hat dazu geführt, dass von einem „asymmetrischen Föderalismus“121, „asymmetrischen Bundesstaat“122 oder „asymmetrischen Staat“123 gesprochen wird, wobei Spanien weder ein föderaler Staat noch ein Bundesstaat ist124. Die Asymmetrien125 wurzeln im dispositiven Prinzip, d. h. in einer regionalistischen Verfassungsnorm. Ohne eine Territorialordnung vorzugeben, hat die Verfassung den Regionen ermöglicht, an deren Bildung mitzuwirken126. Die Anpassungsfähigkeit der Zuständigkeitsordnung wurde einer klaren Zuständigkeitssystematik vorgezogen127. Das flexible und offene Modell soll den unterschiedlichen Anforderungen der Regionen gerecht werden. Maíz sieht in der asymmetrischen Lösung eine Alternative zu Unitarismus und Separatismus128. Die Bevorzugung der historischen Gebiete (Katalonien, das Baskenland und Galicien) resultiert aus den traditionellen Sonderrechten und den Autonomieerfahrungen in der Zweiten Republik, die mit der Diktatur Francos abrupt ihr Ende fanden. Aber auch die anderen Regionen haben mittlerweile ihr Selbstbewusstsein ausgebaut; vor allem Andalusien ist hervorzuheben. Eine Nähe zum Föderalismus ist gegeben, da eine „erstarkende Region sich der Position eines schwachen Bundeslandes . . . annähern kann“129. Zum einen bezeugen die Angleichungsprozesse hinsichtlich der Zuständigkeitsniveaus [a)], dass es sich zum Teil um vorübergehende Unterschiede handelt. Zum 121 Vgl. R. Sturm, Föderalismus als demokratisches Prinzip in Deutschland und Europa, in: M. Vollkommer (Hrsg.), Föderalismus, 1998, S. 9. Tarlton definiert asymmetrischen Föderalismus als ein System, „in which the diversities in the larger society find political expression through local governments possessed of varying degrees of autonomy and power“; C. D. Tarlton, Symmetry and Asymmetry as Elements of Federalism, Journal of Politics 27 (1965), S. 869. 122 J. J. González Encinar, Ein asymmetrischer Bundesstaat, S. 217 ff. 123 J. Ramoneda, El Estado asimétrico, Beilage zu El País v. 30. 11. 2003, S. 2. 124 Vgl. Kap. IV.8. 125 Dazu J. García Roca, España asimétrica, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), Asimetría y cohesión en el Estado Autonómico, 1997, S. 49 ff. 126 Vgl. Fn. 53 f. 127 J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 340 f.; P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 241; W. Boucsein, Spanischer Regionalismus und der katalanische Nationalismus, JöR N.F. 27 (1978), S. 72. 128 R. Maíz, Nacionalismo, federalismoy acomodación en estados multinacionales, in: W. Safran / R. Máiz (Hrsg.), Identidad y autogobierno en sociedades multiculturales, 2002, S. 67 ff. 129 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 9; Herv. i. Orig.
3. Verteilung von Aufgaben und Befugnissen
157
anderen ist zu bezweifeln, dass sich die historischen Gebiete mit einer Gleichstellung der anderen Regionen begnügen werden130. Sowohl der ehemalige Präsident Kataloniens J. Pujol 131 als auch der des Baskenlandes J. A. Ardanza132 sehen ihre Gebietskörperschaften nicht als Regionen, sondern als Nationen. Anders als in Katalonien133 sind die Separatismusbestrebungen des Baskenlandes ausgeprägt und von den terroristischen Akten der ETA begleitet134. Für Spanien ist demnach die Frage, inwieweit ein auf Gleichheit verzichtendes System auf Dauer stabil bleiben kann, kaum ex-ante zu beantworten135. Es steht allerdings fest, dass die Asymmetrien einer möglichen Föderalisierung im Weg stehen, denn „if the system is highly asymmetrical in its components, then a harmonious federal system is unlikely to develop“136.
bb) Vergleich mit dem deutschen Bundesstaat Blanke hält fest, dass derartige Ungleichstellungen „in einer föderativen Ordnung undenkbar“137 seien138. Dem muss entgegengehalten werden, dass auch in der Verfassungsgeschichte des deutschen Bundesstaates (Deutsches Reich mit Verfassung vom 16. 04. 1871) Preußen, Bayern, Württemberg und Sachsen besondere Rechte zukamen139. Jellinek vertritt die Ansicht, dass die „Frage, ob ein einzelner Gliedstaat aus dem Bundesstaat . . . ungünstiger als die übrigen Gliedstaaten gestellt werden könne, . . . nach dem Recht eines jeden einzelnen Bundesstaates zu 130 „Ihr Wille ist weniger ein ,Wille zum Haben‘ denn ein ,Wille zum Sein‘, oder, wenn man so will, haben diese Gebiete und diese Nationalitäten, weil sie sind, während die übrigen spanischen Gebiete sind, weil sie haben“; A. Jiménez Blanco, Das Spanische System der autonomen Regionen, in: P. Eisenmann (Hrsg.), Das Europa der Zukunft, 1992, S. 63. Siehe auch Kap. IV.8.b). 131 o. V., Regionalism rampant, The Economist v. 14. 12. 1996, S. 15; siehe auch J. Marcet, Federalismo y pujolismo, in: Federalismo y estado de las autonomías, 1988, S. 111 ff. 132 „Euskadi no es una región: es una nación“, zitiert in A. Aradillas, El reto de las autonomías, 1987, S. 246. 133 o. V., Asking for more. Spain and its regions, The Economist v. 29. 03. 2003, S. 42; o. V., Europe’s rebellious regions, The Economist v. 15. 11. 2003, S. 51; o. V., After Pujol, in: The Economist v. 22. 11. 2003, S. 49. 134 Dazu P. Woodworth, Guerra sucia, manos limpias, 2002, S. 47 ff. Siehe auch A. Ruiz Robledo, Veinticinco años de Estado Autonómico, S. 729 f. 135 Diese Frage für föderale Systeme stellt R. Sturm, Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte in der internationalen Föderalismus- und Regionalismusforschung, in: Jahrbuch des Föderalismus 2000, S. 31. 136 C. D. Tarlton, Symmetry and Asymmetry as Elements of Federalism, S. 873. 137 Ohne nähere Begründung H.-J. Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, S. 368. 138 Schultze weist darauf hin, dass föderalen Systemen ein gewisses Maß an Asymmetrie immanent ist; R.-O. Schultze, Wieviel Asymmetrie verträgt der Föderalismus?, in: D. BergSchlosser / G. Riescher / A. Waschkuhn (Hrsg.), FS für Theo Stammen, 1998, S. 201. 139 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, 1988, S. 807.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
beantworten“140 sei. Anders Nawiasky, nach dessen bündischer Bundesstaatskonzeption die Gliedstaaten „außerhalb der Bundeskompetenz Staaten sind“141. Für diese gilt die völkerrechtlich anerkannte Gleichheit der Staaten142. Entscheidend ist demnach die Tragweite des Gleichheitsgrundsatzes, dessen Anerkennung aus dem „Wesen des Bundesstaates“, dem bündischen Charakter folgt. Bereits in der Weimarer Republik verbot der Gleichheitssatz die Gewährung von Sonderrechten an Gliedstaaten und gewährte den Ländern ein Klagerecht143. Auch nach derzeitiger Verfassungslage besteht ein „föderatives Gleichbehandlungsgebot“144. Aus den Erfahrungen des hegemonialen Föderalismus Preußens im Kaiserreich enthält das Grundgesetz keine Vorrechte einzelner Länder145. Art. 79 Abs. 3 GG gebietet einen gleichgewichtigen Föderalismus, an dem sich die Unterschiede zwischen den Ländern messen lassen müssen146.
4. Kooperation und Koordination a) Verfassungsprinzip der Zusammenarbeit Im Gegensatz zu den spärlichen horizontalen Kooperationen zwischen den Autonomen Gemeinschaften147 haben vertikale Formen der Zusammenarbeit zwischen Staat und Regionen große Bedeutung erlangt148. Art. 145 CE enthält ein Föderationsverbot von Autonomen Gemeinschaften149, durch die vor allem BündG. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Fn. 1, S. 784. H. Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht, S. 66. 142 Dazu K. Behnke, Die Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 27. Vgl. auch Kap. II Fn.109. 143 G. Anschütz, Das System der rechtlichen Beziehungen zwischen Reich und Ländern, in: ders. / R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, 1930, S. 300; K. Behnke, Die Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 105 ff. 144 (Im Zusammenhang mit Bundesergänzungszuweisungen) BVerfGE 72, 330 (404). 145 J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 152 f. Art. 138 und 141 GG fallen nicht ins Gewicht. 146 J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 153; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 496. 147 Dazu E. Aja / M. J. García Morales, Las relaciones entre Comunidades Autónomas, in: Instituto de Derecho Público (Hrsg.), Informe Comunidades Autónomas 2000, 2001, S. 645 ff.; J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, 2000, S. 61 ff. 148 A. Hernández Lafuente, Coordinación, Colaboración y Cooperación, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), El funcionamiento del Estado autonómico, 2. Aufl. 1999, S. 588; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 684 ff.; M. J. Montoro Chiner, Landesbericht Spanien, S. 170. 149 Art. 145 Abs. 1 CE: „Der Zusammenschluss (federación) Autonomer Gemeinschaften ist in keinem Falle zulässig.“ 140 141
4. Kooperation und Koordination
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nisse gegen den Zentralstaat verhindert werden150. Abkommen betreffend der „Ausführung und Gewährung ihrer eigenen Dienstleistungen“151 sind prinzipiell erlaubt und müssen lediglich dem Parlament angezeigt werden. Einzelheiten regeln die Autonomiestatute. Andere Formen horizontaler Übereinkünfte bedürfen der Genehmigung durch das Parlament, so dass in der Staatspraxis horizontale Kooperationen weitestgehend auf informeller Basis ablaufen152. Die vertikale Zusammenarbeit stellt eine verfassungsrechtliche Pflicht dar (principio de colaboración)153, die durch die ausgeprägte Rechtsprechung des obersten Gerichtes bestätigt und näher bestimmt wurde154. Das Verfassungsgericht leitet das ungeschriebene155 Kooperationsprinzip, dem naturgemäß die Freiwilligkeit zugrunde liegt156, aus der Verfassungstreue ab157 und stellt es in engen Zusammenhang mit dem Solidaritätsprinzip 158. Es spricht von einem Verhältnis der Zusammenarbeit und Funktionen der Koordination zwischen den Institutionen der öffentlichen Verwaltung159. In der spanischen Verfassungslehre wird das Prinzip vielfach als Resultat der Verbindung zwischen Einheits-, Autonomie- und Solidaritätsprinzip aufgefasst und somit auf seine zentrale Position in der spanischen Ver150 Dazu J. Tajadura Tejada, El artículo 145 de la Constitución española, RJN 21 (1996), S. 113 ff.; P. Santolaya Machetti, Descentralización y cooperación, 1984, S. 392 f. 151 Art. 145 Abs. 2 S. 1 CE. 152 I. Lasagabaster Herrarte, Relaciones intergubernamentales y federalismo cooperativo, RVAP 41 (1995), S. 211 f.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 685 f. 153 Art. 103 Abs. 1 S. 1 CE: „Die öffentliche Verwaltung . . . arbeitet gemäß den Grundsätzen der . . . Dezentralisierung . . . und Koordination.“ Nach Art. 149 Abs. 1 Nr. 13 ist der Staat ausschließlich für „Grundlagen und Koordinierung der allgemeinen Wirtschaftsplanung“ zuständig (vgl. auch Art. 149 Abs. 1 Nr. 15 f.; dazu STC 32 / 1983 v. 28. 04.). Art. 156 Abs. 1 CE weist auf die „Grundsätze der Koordinierung mit der staatlichen Finanzverwaltung“ hin. Schließlich sei auf die Notwendigkeit der Abstimmung bei Grundlagen- und Entwicklungsgesetzgebung hingewiesen. Dazu siehe E. Albertí Rovira, Las relaciones de colaboración entre el Estado y las Comunidades Autónomas, REDC 5 (1985), S. 135 ff. 154 Hierzu und dem Folgenden A. Hernández Lafuente, Técnicas y fórmulas de cooperación en el Estado autonómico, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), El funcionamiento del Estado autonómico, 2. Aufl. 1999, S. 591 ff.; J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, S. 113 ff. 155 Für eine explizite Aufnahme in die spanische Verfassung E. Álvarez Conde / R. Falyon y Tella / J. A. Alonso de Antonia, El Estado Autonómico, RDP 37 (1992), S. 197. 156 STC 146 / 1992 v. 16. 10.; 68 / 1996 v. 18.04. 157 STC 237 / 1992 v. 15. 12. I. d. S. auch J. J. González Encinar, El desarrollo del título VIII de la Constitución y el sistema de partidos, RDP 7 (1980), S. 122. 158 STC 152 / 1988 v. 20. 07.; 64 / 1990 v. 05. 04. 159 Vgl. STC 18 / 1982 v. 04. 05.; 64 / 1982 v. 04. 11.; 32 / 1983 v. 28. 04.; 80 / 1985 v. 04. 07.; 144 / 1985 v. 25. 10.; 104 / 1988 v. 08. 06.; 103 / 1989 v. 08. 06.; 102 / 1995 v. 26. 06.; 132 / 1998 v. 18.06. Kritisch dazu P. Cruz Villalón, La doctrina constitucional sobre el principio de cooperacion, in: J. Cano Bueso (Hrsg.), Comunidades autónomas e instrumentos de cooperación interterritorial, 1990, S. 122.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
fassung hingewiesen160. Dabei hat es sich von dem Modell des kooperativen Föderalismus161 prägen lassen, so dass von „kooperativem Autonomismus“ (autonomismo cooperativo)162 gesprochen wird. Das Verfassungsgericht hat in Analogie zu dem bundesstaatlichen Prinzip der Bundestreue163 eine „Regionalismustreue“164 entwickelt. Es spricht von der „Pflicht zur Zusammenarbeit, gegenseitiger Hilfe und Guten Glaubens zwischen den staatlichen und autonomen Institutionen“165. Die „Pflicht zu gegenseitiger Unterstützung und wechselseitiger Treue“166 darf jedoch nicht zu Veränderungen der (durch den Block der Verfassungsmäßigkeit geregelten) Zuständigkeitsordnung, insbesondere der Ausweitung staatlicher Aufgaben und Befugnisse, führen167. Die Zusammenarbeit wird durch eine Vielzahl von Gremien und Kommissionen institutionalisiert168, von denen die Sektorenkonferenzen hervorzuheben sind [b)]. Durch den Senat als zweite Gesetzgebungskammer und somit zentralstaatliches Organ können die Regionen nur begrenzt an der staatlichen Willensbildung mitwirken. Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied zum deutschen Bundesrat. Allerdings wurde durch die Reform seiner Geschäftsordnung die „Allgemeine Kommission der Autonomen Gemeinschaften“ eingeführt, durch die Koordination und Kooperation erleichtert werden soll [c)].
160 P. Santolaya Machetti, Descentralización y cooperación, S. 321; J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, RVAP 46 (1996), S. 178 f., 234 ff. 161 Vgl. Kap. III.2.c). 162 J. Corcuera Atienza, Autonomismo cooperativo y autonomismo competitivo, Sistema 118 – 119 (1994), S. 99 ff.; J.-C. Alli Aranguren, El principio de cooperación en la doctrina del Tribunal Constitucional español, REA 2 – 3 (2002 / 2003), S. 163 f. Eine Übertragbarkeit auf Spanien sehen auch A. J. Porras Nadales, Estado social y Estado autonómico, in: FS für Juan José Ruiz-Rico, Bd. II, 1997, S. 1236 f.; M. C. Pérez Villalobos, El desarollo del Estado autonómico, in: FS für Juan José Ruiz-Rico, Bd. II, 1997, S. 1305 ff. 163 Vgl. Kap. III.2.d). 164 So P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 26, 36 f. Zu der Analogie vgl. auch ders., Die Vorbildlichkeit der Spanischen Verfassung von 1978 aus gemeineuropäischer Sicht, S. 601. Obwohl Spanien kein Bundesstaat ist, spricht Unruh von einer spanischen „Bundestreue“; P. Unruh, Die Unionstreue, S. 48. Siehe auch J. M. Baño León, La ejecución autonómica del derecho comunitario ante el tribunal constitucional, REDA 66 (1989), S. 265. 165 STC 18 / 1982 v. 04. 05., FJ 4 B. Vgl. auch STC 104 / 88 v. 08.06., FJ 5, 7. 166 STC 96 / 1986 v. 10. 07, FJ 3; Herv. d. Verf. 167 STC 80 / 1985 v. 04. 07., FJ 2; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 684. 168 Eine Übersicht geben O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 685 f. Zu Kooperationen in internationalen, insbesondere europäischen Aufgaben Kap. VII.3.
4. Kooperation und Koordination
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b) Das System der Sektorkonferenzen Bei den Sektorkonferenzen handelt es sich um eine multilaterale Kooperationsform, die an die deutschen Ressortministerkonferenzen erinnert, jedoch eine vertikale Form der Zusammenarbeit ist169. Sie wird in Art. 4 des Gesetzes 12 / 1983 vom 14. 10. über den Autonomieprozess vorgesehen. An den Konferenzen nehmen hauptsächlich Regierungsvertreter mit Ministerrang teil, mit dem Ziel, Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden170. Anstatt durch festgeschriebene Verfahrensabläufe und Geschäftsordnungen werden die Konferenzen meist auf informeller Basis, den praktischen Bedürfnissen entsprechend, geregelt. Einen rechtlichen Rahmen bietet seit 1992 die allgemeinen Regelungen über Sektorkonferenzen des Art. 5 des Gesetzes 30 / 1992 vom 26. 11.171, das durch das Gesetz 4 / 1999 vom 13. 01. reformiert wurde. Entscheidungen ergehen meist einstimmig, um die verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht auszuhöhlen172. Für die Abkommen der Sektorenkonferenzen wie auch für andere Abkommen über Zusammenarbeit gilt nach Art. 8 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes 30 / 1992 vom 26. 11.173, dass sie vom Zeitpunkt der Unterschrift an rechtsverbindlich sind, außer es wird eine andere Regelung getroffen. Die Abkommen sind dem Senat mitzuteilen (S. 2) und in den entsprechenden Amtsblättern zu publizieren (S. 3).
c) Begrenzte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung des Gesamtstaates durch den Senat Die Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften an der gesamtstaatlichen Willensbildung, entsprechend des durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Wesensprinzips der deutschen Bundesstaatlichkeit174, ist in Spanien nur rudimentär ausgebildet. Der Zentralstaat ist eine „selbständige Einheit“175, an der die Autonomen 169 Dazu und dem Folgenden siehe P. Cruz Villalón, La doctrina constitucional sobre el principio de cooperacion, S. 128 ff.; J. Corcuera Atienza, La participación intergubernamental sectorial en el sistema autonómico español, in: A. Pérez Calvo (Hrsg.), La participación de las Comunidades Autónomas en las decisiones del Estado, 1997, S. 49 ff. 170 Die Rechtmäßigkeit der Zusammenarbeit durch derartige Konferenzen wurden durch STC 76 / 1983 v. 05. 08., FJ 18 bestätigt. 171 Ley del Régimen Jurídico de las Administraciones Públicas y del Procedimiento Administrativo Común. 172 Zu Mechanismen der Kooperation siehe J.-C. Alli Aranguren, El principio de cooperación en la doctrina del Tribunal Constitucional español, S. 187 ff. 173 Ley del Régimen Jurídico de las Administraciones Públicas y del Procedimiento Administrativo Común. 174 Dazu Kap. III.2.b). 175 H. Barrios, Spanien – Politische Dezentralisierung als flexibles Verhandlungssystem, S. 311. Vgl. auch O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 651 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1033 ff.
11 Bretz
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
Gemeinschaften kaum ein Mitspracherecht haben. Dies gilt auch für den Senat, „die Kammer der territorialen Repräsentation“176. Trotz der begrifflichen Analogie zu Art. 50 GG machen ihn seine Zusammensetzung und Befugnisse „zu einem seltsam hybriden Gebilde, das ihn zu den mißlungensten unter den spanischen Verfassungsorganen werden ließ“177. Das spanische Parlament, die Cortes Generales, besteht aus zwei Kammern (Art. 66 Abs. 1 S. 2 CE): dem Abgeordnetenhaus und dem Senat. Die Wahl zum Senat178 wird zum Großteil nach dem Senatsprinzip durchgeführt, d. h. in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl durch die Bürgerschaft der Provinzen und der Inseln, Ceutas und Melillas (Art. 69 Abs. 2 – 4 CE)179. In jeder Provinz werden mit 4 Senatoren gleich viele Vertreter für den Senat gewählt. Auf den Kanarischen Inseln sind es insgesamt elf, den Balearen fünf180 und in Ceuta und Melilla je zwei. Ergänzt werden die 208 direkt gewählten Senatoren durch eine an das Bundesratsprinzip anlehnende Regelung: „Die Autonomen Gemeinschaften benennen außerdem je einen Senator sowie einen weiteren für jede Million Einwohner in ihrem jeweiligen Territorium“181. Auf diese Weise werden (derzeit 51) weitere Senatoren durch die Parlamente der Autonomen Gemeinschaften bestimmt. Ihre Benennung erfolgt im Anschluss an eine Verhältniswahl182 im Parlament der Autonomen Gemeinschaft und wird im einzelnen durch die Autonomiestatute geregelt (Art. 69 Abs. 5 CE). Anders als die Bundesratsvertreter sind die Senatoren nicht notwendigerweise Regierungsmitglieder (Art. 51 Abs. 1 GG) und nur im Regelfall Abgeordnete der Regionalparlamente. Ein imperatives Mandat besteht nicht183. In Anlehnung an Art. 51 Abs. 2 GG wird in geringem Maße eine Anpassung des Stimmenverhältnisses an die Bevölkerungsdichte vorgenommen. Bedingt durch das dispositive Prinzip entspricht die „territoriale Repräsentation“184 des Senates nur bedingt einer Stellvertretung der Autonomen GemeinArt. 69 Abs. 1 CE. P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 232. 178 Zu Zusammensetzung, Aufgaben und Befugnissen des Senats vgl. R. Punset, El Senado y las Comunidades Autónomas, 1987, S. 89 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 350 ff. 179 Es sei angemerkt, dass die Wahlkreise mit denen der Wahl der Abgeordneten zum Kongress übereinstimmen und die Wahl zu beiden Kammern an demselben Tag durchgeführt werden. 180 Ohne die Sonderregelung des Art. 69 Abs. 3 CE kämen den Kanaren, die aus zwei Provinzen bestehen, nur acht, den eine Provinz formenden Balerearen vier direkt-gewählte Senatoren zu. 181 Art. 69 Abs. 5 S. 1 CE. 182 Bestätigt durch STC 40 / 1981 v. 18.12., FJ 2. 183 Art. 67 Abs. 2 CE. 184 Art. 69 Abs. 1 CE. 176 177
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schaften185. Einerseits war zum Zeitpunkt der Verfassungsgebung nur eine Direktwahl zum Senat möglich, da sich die Autonomen Gemeinschaften erst in den Jahren 1979 bis 1983 bildeten, andererseits war es nicht absehbar, dass bis auf Ceuta und Melilla das gesamte Staatsgebiet einer Autonomen Gemeinschaft angehören würde. Heute ist das Senatssystem vor dem Hintergrund der sich entwickelten Territorialordnung vehementer Kritik ausgesetzt186. Im Gesetzgebungsverfahren ist der Senat weitestgehend dem Abgeordnetenhaus untergeordnet187. Bis auf das Recht der Gesetzgebungsinitiative (Art. 87 Abs. 1 CE) reduzieren sich die substantiellen Befugnisse im Legislativverfahren auf ein suspensives Vetorecht188 (Art. 90 Abs. 2 – 3 CE). Stimmt der Senat bei einfachen Gesetzen oder Organgesetzen (beispielsweise zur Änderung von Autonomiestatuten) mit absoluter Mehrheit gegen die Annahme des Kongresses, kann der Kongress mit absoluter Mehrheit das Veto überstimmen. Nach Ablauf von zwei Monaten oder in dringlichen Fällen nach zwanzig Tagen reicht eine einfache Mehrheit im Kongress zur Überstimmung des Senates aus. Ein politisches Alleinentscheidungsrecht hat der Senat lediglich nach Art. 155 CE. Er entscheidet ohne Mitwirkung des Kongresses über die Anwendung des Staatszwanges durch die Regierung189. Seit der Reform der Geschäftsordnung des Senates 1993 besteht eine „Allgemeine Kommission der Autonomen Gemeinschaften“, die das Recht zur Analyse, Information und Vorschlägen in jeglichen Angelegenheiten des Parlamentes hat, die für die Autonomen Gemeinschaften von Bedeutung sind190. Jedoch muss grundlegend bemängelt werden, dass diese Kommission sich nach den parlamentarischen Fraktionen zusammensetzt und nicht etwa unter regionalen Aspekten 185 Derzeit entsenden die gesetzgebenden Versammlungen der Autonomen Gemeinschaften lediglich 51 von 259 Senatoren, d. h. 19,7 %. Die übrigen werden in allgemeiner, freier, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl vom Volk zeitgleich mit den Kongresswahlen gewählt. 186 Dazu E. Albertí Rovira, Perspectivas de la reforma constitucional del Senado, in: Pérez Calvo (Hrsg.), La participación de las Comunidades Autónomas en las decisiones del Estado, 1997, S. 171 ff.; J. Rodríguez-Arana Muñoz, Estudios de Derecho Autonómico, 1997, S. 33 ff.; Á. X. López Mira, Veinticinco años de Estado Autonómico, S. 742 f.; A. Torres del Moral, Veinticinco años de senado, RDP 58 – 59 (2003 / 2004), S. 493 ff.; A. Díez, Senado: 25 años buscando su identidad, Beilage zu El País v. 30. 11. 2003, S. 6. 187 A. Torres del Moral, Veinticinco años de senado, S. 486; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 767 ff. 188 Vgl. J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 810 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 436 ff.; R. Sturm, Zur Reform des Bundesrates, S. 26. 189 Vgl. Kap. IV.6. Dieses entspricht der Regelung des Art. 37 GG, nach der der Bundesrat der Bundesregierung zu dem Rückgriff auf den Bundeszwang zustimmt (hierzu vgl. Kap. III.4). 190 Dazu und dem Folgenden M. R. Ripollés Serrano, La reforma del Reglamento del Senado en lo que atañe a la potenciación de su función territorial, in: A. Pérez Calvo (Hrsg.), La participación de las Comunidades Autónomas en las decisiones del Estado, 1997, S. 148 ff.; A. Torres del Moral, Veinticinco años de senado, S. 490 ff.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
gruppiert. Eine Unabhängigkeit der Senatoren von den überwiegend zentralistisch geprägten Parteien191 zur Berücksichtigung regionaler Interessen (bei Einhaltung des freien Mandates) scheint somit kaum möglich.
5. Finanzverfassung Aus zweierlei Gründen ist die spanische Finanzverfassung eng mit der Zuständigkeitsverteilung verbunden: Zum einen ist finanzielle Autonomie unabdingbar zur Verwirklichung politischer Autonomie192, zum anderen unterliegt die Finanzverfassung den Prinzipien der Zuständigkeitsverteilung, in erster Linie dem Block der Verfassungsmäßigkeit193. Grundlegende Rechtsnormen der Finanzordnung sind die Verfassung (insbesondere Art. 155 – 158 CE), die Autonomiestatute, das in Art. 157 Abs. 3 CE vorgesehene Organgesetz über die Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften (LOFCA194) und das Gesetz 29 / 1990 vom 26. 12. über den Interterritorialen Ausgleichsfonds. Nach Art. 156 Abs. 3 CE genießen die Autonomen Gemeinschaften „gemäß den Grundsätzen der Koordinierung195 mit der staatlichen Finanzverwaltung und der Solidarität196 aller Spanier finanzielle Autonomie für die Entwicklung und AusDazu siehe Kap. IV.8.b). Zu dem Zusammenhang zischen finanzieller Unabhängigkeit und Staatsqualität im deutschen Bundesstaat vgl. Kap. III.1.b)cc). 193 Vgl. Kap. IV.3.a). 194 Ley Orgánica de Financiación de las Comunidades Autónomas (Organgesetz 8 / 1980 v. 22. 09.). 195 Der Staat ist gemäß Art. 149 Abs. 1 Nr. 13 CE für die „Grundlagen und Koordinierung der allgemeinen Wirtschaftsplanung“ zuständig. Das Prinzip der Koordinierung wird durch Art. 2 LOFCA konkretisiert. 196 Das Solidaritätsprinzip als Ausprägung des Sozialprinzips (Art. 1 Abs. 1 CE: „sozialer Rechtsstaat“) wird allgemein im Art. 2 CE verankert und im Zusammenhang mit der Wirtschaftsverfassung in den Art. 40 Abs. 1 CE („Die öffentliche Gewalt fördert im Rahmen einer Politik wirtschaftlicher Stabilität die für den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt und für eine gerechtere Verteilung des regionalen und persönlichen Einkommens günstigen Bedingungen. Ganz besonders betreibt sie eine auf die Vollbeschäftigung ausgerichtete Politik.“), Art. 130 Abs. 1 CE („Die öffentliche Gewalt sorgt für die Modernisierung und Entwicklung aller Wirtschaftsbereiche, insbesondere von Landwirtschaft, Viehzucht, Fischerei und Handwerk, um dadurch den Lebensstandard aller Spanier einander anzugleichen.“), Art. 131 Abs. 1 CE („. . . um das Wachstum von Einkommen und Vermögen sowie deren gerechtere Verteilung zu fördern.“) sowie insbesondere Art. 138 Abs. 1 CE („Der Staat gewährleistet die wirksame Realisierung des in Artikel 2 der Verfassung niedergelegten Grundsatzes der Solidarität, indem er sich für die Herstellung eines angemessenen und gerechten wirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Teilen des Staatsgebietes einsetzt; er berücksichtigt insbesondere die Situation der Inseln.“) konkretisiert. Vgl. auch R. Calvo Ortega, Principios tributarios constitucionales y sistema autonómico, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), El sistema de financiación territorial en los modelos de Estado español y alemán, 2000, S. 75 ff. 191 192
5. Finanzverfassung
165
übung ihrer Zuständigkeiten“197. Die Steuergesetzgebung, -erhebung und -verwaltung wird in den Foralgebieten des Baskenlandes und Navarras [b)] grundsätzlich anders geregelt als im regulären System, das in den übrigen Autonomien gilt [a)].
a) Reguläres System Mit dem Beitritt Spaniens zu den Europäischen Gemeinschaften wurden das viel kritisierte Übergangssystem (sistema transitorio; 1. – 3. Übergangsbestimmung LOFCA)198 durch das reguläre System (régimen común; LOFCA) ersetzt199. Nach Art. 157 Abs. 1 CE und Art. 4 LOFCA setzen sich die Einnahmequellen der autonomen Regionen hauptsächlich aus vom Staat überlassenen Steuern, staatlichen Zuweisungen, eigenen Finanzierungsquellen und Überweisung aus dem Interterritorialen Ausgleichsfonds zusammen. Zusätzlich sind die Fördergelder aus Fonds der Europäischen Union zu nennen, von denen besonders die spanischen Regionen profitieren200. Die Autonomen Gemeinschaften können eigene Steuern, Gebühren und Sonderabgaben, die nicht der Steuergesetzgebung des Staates unterliegen (Art. 157 Abs. 1 197 Ähnlich Art. 1 Abs. 1 LOFCA. Dazu R. Giménez-Reyna / J. Martín Fernández, Análisis de los principios definitorios del sistema de financiación autonómica, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), El funcionamiento del Estado autonómico, 2. Aufl. 1999, S. 285 ff., insbesondere zum Solidaritätsprinzip S. 288 ff. 198 Vor allem die unsichere Kalkulierbarkeit der Steuerverteilung und der resultierende hohe Verschuldungsgrad der Autonomen Gemeinschaften wurde kritisiert; R. GiménezReyna / J. Martín Fernández, Análisis de los principios definitorios del sistema de financiación autonómica, S. 317 ff. 199 Dazu und dem Folgenden grundlegend J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1059 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 690 f.; J. T. Martín-Criado, El sistema de financiación autonómico, RER 66 (2003), S. 57 ff. Siehe auch J. Sánchez Maldonado / J. S. Gómez Sala, Novedades en el sistema de financiación de las Comunidades Autónomas, RER 66 (2003), S. 41 ff.; J. Lasante, El nuevo modelo de financiación autonómica, RER 66 (2003), S. 101 ff. 200 Die wirtschaftlichen und sozialen Ziele der Art. 2 EUV und Art. 2 EGV sollen durch Programme der folgende Fonds der Planungsperiode 2000 – 2006 erreicht werden: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung [VO (EG) Nr. 1783 des EP und des Rates v. 12. 07. 1999 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (ABlEG Nr. L 213 v. 13. 08. 1999, S. 1 ff.)] Europäischer Sozialfonds [VO (EG) Nr. 1784 / 1999 des EP und des Rates v. 12. 07. 1999 über den Europäischen Sozialfonds (ABlEG Nr. L 213 v. 13. 08. 1999, S. 5 ff.)], Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft [VO (EG) Nr. 1257 / 1999 des Rates v. 17. 05. 1999 (ABlEG Nr. L 160 v. 26. 06. 1999, S. 80 ff.)] sowie die Finanzierungsinstrument für die Ausrichtung der Fischerei [VO (EG) Nr. 1263 des Rates v. 21. 06. 1999 (ABlEG Nr. L 161 v. 26. 06. 1999, S. 54 ff.)]. Dazu T. Wobben, Die Reform der europäischen Strukturfonds, LKV 10 (2000), S. 520 ff.; L. Jung / H. Hassold, Die Neuordnung der deutschen und europäischen Regional- / Strukturförderung vor dem Hintergrund der Beihilfenkontrolle und der Agenda 2000, DÖV 53 (2000), S. 190 ff.; A. Kolb, Europäische Fördermittel für Kommunen in den neuen Bundesländern, LKV 11 (2001), S. 196 ff.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
lit. b CE, Art. 9 LOFCA), oder Zuschläge auf staatliche Steuern erheben (Art. 12 LOFCA)201. In der Staatspraxis haben die Autonomen Gemeinschaften auf ihr Steuerfindungsrecht bisher weitestgehend verzichtet, hauptsächlich aus Kalkülen der politischen Verantwortung gegenüber der Wählerschaft auf regionaler Ebene. Weiterhin werden Erträge aus Vermögen, Einkünften aus Kreditgeschäften sowie privatrechtliche Einnahmen vorgesehen (Art. 157 Abs. 1 lit. d – e CE, Art. 5 LOFCA). Ebenso wie in Deutschland hat somit die Fiskusdoktrin Bestand, nach der staatliche Behörden am Markt privatrechtlich als Wettbewerber tätig werden können. Diese Dogmatik ist republikwidrig, da das dem Wettbewerb zugrunde liegende Prinzip der Privatheit, das Recht zur freien Willkür, dem Staat abgesprochen werden muss202. Haupteinnahmequellen sind die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften an den drei ertragreichsten Steuerarten: Einkommen-, Körperschaft- und Mehrwertsteuer. Gemäß der Kriterien des Art. 13 LOFCA (u. a. Bevölkerungsdichte, Einkommensteueraufkommen, Ausmaß übernommener Zuständigkeiten, relative Wirtschaftskraft) wird der Anteil der Regionen am Steueraufkommen des Staates zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften ausgehandelt und gesetzlich festgeschrieben. Zusätzlich kommen den Regionen die Einnahmen aus denjenigen Steuerarten zu, bei denen der Staat die Gesetzgebung wahrnimmt, deren Erhebung und Aufsicht jedoch an die autonomen Gebiete abgetreten hat (Art. 157 Abs. 1 lit. a CE; Art. 11 LOFCA), beispielsweise die Vermögens-, Rechtsverkehrs- oder Erbschaftssteuer203. Im Gegensatz zu den Steuern, die der Staat den Regionen abgetreten hat oder an denen er sie beteiligt, sind die Mittel des Interterritorialen Ausgleichsfonds204 (Fondo de Compensación Interterritorial) zweckgebunden. Obwohl die Fondsmittel nach Art. 16 Abs. 1 UAbs. 3 LOFCA als Investitionsausgaben der relativ geringer entwickelten Gebiete bestimmt sind, profitieren in Übereinstimmung mit Art. 4 Gesetz 29 / 1990 alle Autonomen Gemeinschaften von dem Fonds. Als Verteilungskriterien werden Einwohnerzahl, Emigrationssaldo, Arbeitslosigkeit, Anteil am Staatsgebiet und Bevölkerungsverteilung zugrunde gelegt (Art. 4 Gesetz 29 / 1990, Art. 16 Abs. 1 LOFCA). Die Gewichtung der Verteilungskriterien setzt nur bedingt an den regionalen Unterschieden an, so dass der Fonds nur begrenzt dem Zweck der „Korrektur interterritorialer wirtschaftlicher Ungleichgewichte und der effektiven Verwirklichung des Solidaritätsprinzips“205 entspricht. EntEntsprechende Regelung bestehen im deutschen Bundesstaat nicht; vgl. Kap. II.1.b)cc). Vgl. Kap. III Fn. 308. 203 E. Giménez-Reyna Rodríguez / J. Martín Fernández, El sistema español de financiación autonómica, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), El sistema de financiación territorial en los modelos de Estado español y alemán, 2000, S. 104 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 610 ff. 204 Art. 157 Abs. 1 lit. c CE, Art. 16 LOFCA, Gesetz 29 / 1990 v. 26. 12. über den Interterritorialen Ausgleichsfonds. 205 Art. 158 Abs. 2 CE. 201 202
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gegen dem deutschen System eines zweistufigen (horizontalen und vertikalen) Finanzausgleichs stammen die Mittel des Interterritorialen Ausgleichsfonds allein aus dem Staatshaushalt (Art. 1 Gesetz 29 / 1990). Aufgrund des hohen Transferflusses zwischen Staat und Regionen weist das reguläre System der spanischen Finanzverfassung stärker als in Deutschland Elemente eines Verbundsystems auf206. Anders als es die grundgesetzlichen Regelungen vorsehen, haben die Autonomen Gemeinschaften ein Recht zur Steuerfindung.
b) Foralregime Die Foralgebiete des Baskenlandes207 und Navarra208 haben historische Rechte auf dem Gebiet der Finanzverfassung, so dass das reguläre Finanzsystem auf beide Autonomen Gemeinschaften keine Anwendung findet210. Eine Ausnahme ist der Interterritoriale Ausgleichsfonds. Durch die ersten beiden Zusatzbestimmungen LOFCA werden für beide Gemeinschaften die Geltung der Foralrechte anerkannt211. Im Gegensatz zu der geringen finanziellen Autonomie, die das reguläre System ermöglicht, haben die Foralgebiete höhere finanzielle Autonomie als die deutschen Länder: Bis auf wenige Ausnahmen (Zölle, Alkohol-, Tabak-, Mineralöl- und Telefonsteuer) sind die Foralgebiete für die Steuergesetzgebung zuständig. Die Autonome Gemeinschaft Navarra und die Provinzen des Baskenlandes erheben sämtliche Steuern212 und treten einen vereinbarten Anteil an den Staat ab213. Nur in den Ausnahmefällen der aufgezählten Steuerarten handeln die Foralgebiete 209
206 M. Ibler, Regiones Autónomas und deutscher Föderalismus, S. 40. Allerdings ist auf die Tendenz der deutschen Finanzverfassung von einem Trennsystem hin zu einem Verbundsystem hinzuweisen; vgl. Kap. III.1.b)cc) und siehe auch C.-L. Thiele, Neuordnung des Finanzausgleichs, in: P. Kirchhof / W. Jakob / W. Beermann (Hrsg.): FS für Klaus Offerhaus, 1999, S. 1010 ff. 207 Hierbei handelt es sich nicht um die Autonome Gemeinschaft selbst, sondern um die drei Provinzen Alava, Guipúzcoa und Vizcaya, aus denen sie sich zusammensetzt. 208 Die Navarra besteht nur aus einer Provinz, so dass die Autonome Gemeinschaft die Foralrechte wahrnimmt. 209 Foralrechte werden durch die erste Zusatzbestimmung der spanischen Verfassung geachtet und geschützt. Vgl. Kap. IV.1. 210 Dazu und dem Folgenden grundlegend R. Giménez-Reyna / J. Martín Fernández, Análisis de los principios definitorios del sistema de financiación autonómica, S. 321 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1064. 211 Das régimen foral Navarras wird durch das Gesetz 28 / 1990 v. 26. 12., das sistema foral tradicional de Concierto económica des Baskenlandes durch das Gesetz 12 / 1981 v. 13. 05. anerkannt. 212 Die baskischen Provinzen treten einen bestimmten Anteil an die baskische Autonome Gemeinschaft ab. 213 Dazu R. Giménez-Reyna / J. Martín Fernández, Análisis de los principios definitorios del sistema de financiación autonómica, S. 327 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1064 f.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
„bei der Erhebung und Eintreibung der Steuern des Staates als Delegierte oder Mitarbeiter des Staates“ (Art. 156 Abs. 2 CE). Die Foralrechte führen zu weitreichender finanzieller Autonomie der historischen Gebiete. Im Fall des Baskenlandes handelt es sich um eine der wenigen Ausnahmen, in der Provinzen, als Träger der Sonderrechte, eine starke Stellung im staatlichen Aufbau erhalten. Die historischen Regionen sind Träger existentieller Staatlichkeit, die die steuerrechtlichen Aufgaben und Befugnisse von bundesstaatlichen Gliedstaaten, zumindest der der deutschen Länder, übertreffen. Entgegen des Solidaritätsprinzips trägt das relativ reiche Baskenland in geringem Maß zur Finanzierung staatlicher Aufgaben bei214. Auch für die Kanarischen Inseln bestehen Abweichungen zu den Gesetzen des regulären Systems (dritte Zusatzbestimmung CE)215. Die kanarische Wirtschaftsund Steuerordnung soll den Besonderheiten der Insellage entsprechen. Für die Autonomen Gemeinschaften, in denen das reguläre System Anwendung findet, werden substantielle Steuergesetzgebungsrechte gefordert216. Die Bezeichnung als „Delegierte oder Mitarbeiter des Staates“ (Art. 156 Abs. 2 CE) ist ein zentralstaatliches Relikt und verdeutlicht, dass Spanien ein Einheitsstaat ist. Mit Bundesstaatlichkeit ist das konzipierte Über- / Unterordungsverhältnis nicht vereinbar217.
6. Staatsaufsicht, Intervention und Staatszwang Die Regelungen zur staatlichen Rechtsaufsicht begründen kein Über- / Unterordnungsverhältnis218. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Staates, Opportunitäts- oder Zweckmäßigkeitskontrollen durchzuführen, sind seine Aufsichtsbefugnisse auf die Rechtsmäßigkeitskontrolle beschränkt219. In erster Linie wird die Kontrolle der Legislativakte durch das Verfassungsgericht (Art. 153 lit. a CE) auf dem Wege der im nächsten Kapitel zu diskutierenden Klagearten oder über die Verwaltung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Art. 153 lit. c CE) ausgeübt. Der Rechnungshof (Art. 136 CE) ist zuständig für die Kontrolle über Wirtschaft und Haushalte der Autonomen Gemeinschaften (Art. 153 lit. d CE), die Regierung G. Schick, Doppelter Föderalismus in Europa, 2003, S. 51. Dazu A. M. García-Moncó, Las Comunidades Autónomas en régimen especial, in: Ministerio de Administración Pública (Hrsg.), El sistema de financiación autonómica, 1998, S. 41 ff.; P. Carballo Armas, Asimetría y Constitución, CDP 11 (2000), S. 123 ff. 216 E. Giménez-Reyna Rodríguez / J. Martín Fernández, El sistema español de financiación autonómica, S. 119 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1057 f. 217 Vgl. Kap. II.3.a)dd). 218 Dazu und dem Folgenden O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 686 ff. 219 L. López Guerra, Las relaciones entre el ordenamiento estatal y los ordenamientos autonómicos, S. 387 f.; M. Ibler, Regiones Autónomas und deutscher Föderalismus, S. 39. 214 215
7. Verfassungsgerichtsbarkeit bei Streitigkeiten
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kann nach Einholen eines Gutachtens des Staatsrates220 die Ausübung der nach Art. 150 Abs. 2 CE übertragenen Aufgaben kontrollieren. Mit der Bundesintervention der Art. 87 a Abs. 4 und Art. 91 Abs. 2 GG vergleichbare Regelungen sind die Art. 14 Abs. 1 Autonomiestatut Katalonien und Art. 17 Abs. 6 Autonomiestatut des Baskenlandes. Staatliche Sicherheitskräfte können auf Anforderung der Regionen und notfalls auch ohne Antrag die Aufgaben und Befugnisse der autonomen Polizei wahrnehmen. Der in Art. 155 CE verankerte Staatszwang221 (coerción estatal) weist große Ähnlichkeit mit dem Bundeszwang222 des Art. 37 GG auf. Wie die deutsche Regelung ist auch die spanische eine Ausnahmevorschrift. Die „erforderlichen Maßnahmen“ müssen sich an dem Verhältnismäßigkeitsprinzip messen lassen223; eine Möglichkeit ist die Erteilung von Weisungen durch die Regierung an die Behörden der Autonomen Gemeinschaften (Art. 155 Abs. 2 CE)224. Zwar ähnelt das Zustimmungserfordernis des Senats (Art. 155 Abs. 1 CE) formell der des Bundesrates (Art. 37 Abs. 1 GG), die beabsichtigte Kontrollwirkung entspricht jedoch aufgrund der nur bedingt regionalen Zusammensetzung des Senats225 nicht der des Bundesrates.
7. Verfassungsgerichtsbarkeit bei Streitigkeiten zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften Art. 159 – 165 (Titel IX) CE und das Organgesetz über das Verfassungsgesetz (LOTC226) regeln die spanische Verfassungsgerichtsbarkeit227. Die fehlende autoEs handelt sich um das höchste Beratungsorgan der Regierung (Art. 107 CE). Art. 155 Abs. 1: „Wenn eine Autonome Gemeinschaft die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt oder so handelt, daß ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt, so kann die Regierung nach vorheriger Aufforderung an den Präsidenten der Autonomen Gemeinschaft und, im Falle von deren Nichtbefolgung, mit der Billigung der absoluten Mehrheit des Senats die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Gemeinschaft zur zwangsweisen Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten oder um das erwähnte Interesse der Allgemeinheit zu schützen.“ 222 Vgl. Kap. III.4. 223 Dazu und dem Folgenden V. J. Calafell Ferrá, La compulsión o coerción estatal. Estudio del art. 155 de la Constitución española, RDP 48 – 49 (2000), S. 110 ff.; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 688 ff. 224 Hierin besteht Übereinstimmung mit Art. 37 Abs. 2 GG. 225 Dazu vgl. Kap. IV.4.b). 226 Ley Orgánica del Tribunal Constitucional, LO 2 / 1979 v. 03.10. zuletzt geändert durch LO 1 / 2000 v. 07.01. 227 Grundlegend zu dem Folgenden siehe A. Torres del Moral, Veintitrés años de Tribunal Constitucional, S. 781 ff. 220 221
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
nome Verfassungsgerichtsbarkeit228 führt zu einer Überlastung229 des staatlichen, einzigen Verfassungsgerichts, das über abstrakte und konkrete Normenkontrollklagen (Art. 161 Abs. 1 lit. a, Art. 163 CE), Verfassungsbeschwerden (Art. 161 Abs. 1 lit. b i. V. m. Art. 53 Abs. 2 CE), Organstreitigkeiten von Staat und Autonomen Gemeinschaften oder von nur Autonomen Gemeinschaften (Art. 161 Abs. 1 lit. c, Art. 59 – 75 LOTC), Anfechtungen autonomer Regelungen durch die Staatsregierung (Art. 161 Abs. 2 CE, Art. 76 f. LOTC) sowie die übrigen durch Verfassung oder Organgesetz zugewiesenen Fälle (Art. 161 Abs. 1 lit. d CE) rechtsverbindlich entscheidet230. Die Möglichkeit, Entwürfe von Organgesetzen einer präventiven Normenkontrolle zu unterziehen231, wurde durch das Organgesetz 4 / 1985 vom 07.06. abgeschafft232. Sowohl Zusammensetzung und Organisation (Art. 159 – 160 CE) als auch die Rechtsprechung des obersten spanischen Gerichts wird von der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit beeinflusst233. Zuständigkeitskonflikte der Legislative werden auf dem Weg der abstrakten Normenkontrolle (recurso de inconstitucionalidad), sonstige regionalistische Streitigkeiten vorwiegend auf dem Weg der Kompetenz- und Organstreitigkeiten (conflicto de competencias)234 ausgetragen. Letzterer kann mit dem Bund-Länder-Streit des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 – 4 GG verglichen werden. Weiterhin wird zwischen conflictos positivos235 (positive Kompetenz228 Anders als in der Verfassung der Zweiten Spanischen Republik, in der u. a. ein „Vertreter einer jeden der spanischen Regionen“ (Art. 122 VZSR) vorgesehen war, wird kein territoriales Kriterium für die Richterbesetzung zugrunde gelegt (vgl. Art. 159 CE). 229 Allgemein wird in der Reform des Senats [dazu Kap. IV.4.b)] eine Möglichkeit gesehen, das Konfliktpotential und damit die regionalistischen Streitigkeiten zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften zu verringern; H.-J. Blanke, Föderalismus und Integrationsgewalt, S. 75. Einen Überblick über die Klagewege geben M. J. Terol Becerra, El conflicto positivo de competencia, 1993, S. 179 ff.; L. López Guerra, Las controversias competenciales en la jurisprudencia constitucional, in: Ministro de Administraciones Públicas (Hrsg.), El funcionamiento del Estado autonómico, 2. Aufl. 1999, S. 541 ff. 230 Gegen die Urteile können keine weiteren Rechtsmittel eingelegt werden (Art. 164 Abs. 1 S. 2 CE, Art. 93 Abs. 1 LOTC). Sie binden die staatliche Gewalt und die streitenden Parteien (Art. 87 Abs. 1 LOTC), gegen die Strafgelder verhängt werden können, wenn den aus dem Urteil erwachsenden Pflichten in der festgelegten Frist nicht nachgekommen wird (Art. 95 Abs. 4 LOTC). 231 Durch ein präventives Verfahren wurde der Gesetzesentwurf LOAPA in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt; dazu Kap. IV.2.c)bb). 232 Dazu A. von Brünneck, Verfassungsgerichtsbarkeit in den westlichen Demokratien, 1992, S. 37 f. Vgl. auch STC 66 / 1985 v. 23. 05. 233 P. Cruz Villalón, Landesbericht Spanien, in: C. Starck (Hrsg.), Grundgesetz und deutsche Verfassungsrechtsprechung im Spiegel ausländischer Verfassungsentwicklung, 1990, S. 197; A. Truyol y Serra, Das Bonner Grundgesetz und die spanische Verfassung von 1978, S. 240; A. Torres del Moral, Veintitrés años de Tribunal Constitucional, S. 783 f. 234 M. J. Terol Becerra, Los conflictos de competencia entre el Estado y las Comunidades Autónomas, 1988, S. 119 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 958 ff. 235 J. García Roca, Los conflictos de competencia entre el estado y las comunidades autónomas, 1993, S. 41 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 959.
8. Spanischer Regionalismus und bundesstaatlicher Föderalismus
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konflikte, Art. 62 – 67 LOTC) bei Zuständigkeitsüberschreitungen und conflictos negativos236 (negative Kompetenzkonflikte, Art. 68 – 72 LOTC) bei Untätigkeit unterschieden. Zusätzlich kann die Staatsregierung jeden von den Organen der Autonomen Gemeinschaften verabschiedeten Beschluss oder jede Bestimmung ohne Gesetzeskraft anfechten (impugnación)237. Auf diese Weise wird schwerwiegend in die regionale Autonomie eingegriffen, da die Anfechtung zu einer „vorübergehenden Aufhebung der betreffenden Bestimmung oder des betreffenden Beschlusses“ (Art. 162 Abs. 2 S. 2 CE) führt, die das Verfassungsgericht innerhalb von fünf Monaten bestätigen oder aufheben muss. Wie das Bundesverfassungsgericht den deutschen Bundesstaat prägt238 hat auch das spanische Verfassungsgericht durch seine Rechtsprechung zu dem Autonomieprinzip, insbesondere in zahlreichen Zuständigkeitskonflikten, die Territorialordnung wesentlich geformt239. Durch den Verfassungsrechtsweg zur Klärung von Kompetenz- und Organstreitigkeiten kann eine substantielle Sicherung des Autonomieprinzips und effektive vertikale Gewaltenteilung verwirklicht werden. Kritisch ist der aufhebende Effekt von autonomen Normen im Rahmen des Anfechtungsverfahrens zu sehen. Dem Staat wird ein weitreichendes Eingriffsrecht in die regionale Autonomie gewährt, das zu Störungen der Abläufe autonomer Staatlichkeit führen kann.
8. Spanischer Regionalismus und bundesstaatlicher Föderalismus Der ausgeprägte spanische Regionalismus hat zu einer bezeichnenden Dezentralisation des einstigen zentralistischen Einheitsstaates geführt, so dass dieser in der rechtswissenschaftlichen Literatur häufig mit bundesstaatlichen Strukturen verglichen wird. González Encinar klassifiziert Spanien als „Bundesstaat“240 oder „föderal organisierten Staat“241. Kaum zurückhaltender ist die Einstufung als „Quasi-Föderalismus“242 oder einem „quasiföderalen Spanien“243. Besonders verbreitet ist die Ansicht, in Spanien komme es zu einer Mischung zwischen Födera236 J. García Roca, Los conflictos de competencia entre el estado y las comunidades autónomas, S. 163 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 960. 237 Vgl. STC 16 / 1984 v. 06. 02.; 44 / 1986 v. 17. 04. 238 T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 1 mit Verweis auf BVerfGE 1, 14 (18); 1, 97 (99); 3, 58 ff.; 4, 115 ff.; 4, 178 (189); 11, 77 ff.; 12, 205 ff.; 22, 267 (270); 36, 342 (360); 42, 103 (112); 55, 274 ff. Siehe auch Ausführungen unter Kap. III.2.a)cc). 239 J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, S. 18 f.; A. Torres del Moral, Veintitrés años de Tribunal Constitucional, S. 801 f. 240 Vgl. Titel des Beitrags J. J. González Encinar, Ein asymmetrischer Bundesstaat, S. 217 ff. Siehe dazu grundlegend ders., El Estado unitario-federal, 1985, S. 80 ff. 241 J. J. González Encinar, Ein asymmetrischer Bundesstaat, S. 228. 242 R. Sturm, Föderalismus als demokratisches Prinzip in Deutschland und Europa, S. 8. 243 R. Sturm, Zur Reform des Bundesrates, S. 27.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
lismus und Regionalismus. Der Staat sei „föderativ-regional“244, „halbföderal, halbregional oder halbzentralisiert“245 oder ein „Zwitter aus Föderalismus und Regionalismus“246, insgesamt in der „Mitte zwischen dem ,regionalen Staat‘247 und dem ,föderalen Staat‘“248 anzusiedeln und bewege sich auf eine „materiell föderale Lösung“249 zu. Diese Behauptung widerspricht der Lehre Häberles, nach der trotz aller Graduationen an einem Punkt die Quantität in Qualität umschlägt, so dass „es im Verfassungsstaat von heute entweder zu Regional- oder zu Föderalstrukturen kommt“250. Die deskriptiven Termini „Staat der Autonomien“251, „Autonomiestaat“252, „zusammengesetzter Staat“253 oder „Staat mit komplexer politischer Struktur“254 vermeiden es, auf Regionalismus oder Föderalismus Bezug zu nehmen. Unter a) wird gezeigt, dass Spanien weder Bundesstaat noch ein föderales System sui generis ist, da die Grundbedingungen des Föderalismus nicht vorliegen255. Die vorsichtigere Einschätzung lautet, dass die spanische Territorialordnung eine „,Vorform‘ des Bundesstaates“256 oder ein „Präföderalismus“257 sein könnte. Unter b) wird einerseits dargelegt, welche verfassungsrechtlichen Verfahren eine Föderalisierung herbeiführen können, andererseits erörtert, ob die verfassungsG. Trujillo Fernández, Der neue spanische Föderalismus, S. 120, 122. S. Muñoz Machado, Las potestades legislativas de las Comunidades Autónomas, 2. Aufl. 1981, S. 23. 246 G. Trujillo Fernández, Der neue spanische Föderalismus, S. 116. 247 Zu der Lehre vom Regionalstaat vgl. Fn. 20. 248 G. Trujillo Fernández, Der neue spanische Föderalismus, S. 121. Ähnlich auch Pérez Royo, der als Referenzpunkte Einheitsstaat und Bundesstaat nimmt; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 974. 249 H. Walkenhorst, Die Föderalisierung der Europäischen Union, S. 71 mit Verweis auf L. P. Alfonso, Aufbau, Entwicklung und heutiger Stand des spanischen Staates und seiner Autonomen Gemeinschaften, in: J. J. Hesse / W. Renzsch (Hrsg.), Föderalstaatliche Entwicklung in Europa, 1991, S. 75. I. d. S. auch J. Tornos i Mas, Federalismo de ejecución y reforma administrativa en España, RVAP 40 II (1994), S. 110 f. 250 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 25; Herv. i. Orig. 251 M. Clavero Arévalo, España, desde el centralismo a las autonomías, 1983, S. 13; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1003. 252 L. Sánchez Agesta, Sistema político de la Constitución Española de 1978, 7. Aufl. 1993, S. 397. 253 J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, S. 9. 254 STC 165 / 1994 v. 26. 05., FJ 3. 255 Dieser Meinung sind auch G. Püttner, Neues zu Regionen und Kommunen in Spanien, DVBl. 101 (1986), S. 669; R. Schütz, Spanien auf dem Weg zum Autonomiestaat, S. 197. 256 P. Häberle, Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus, S. 170. Ähnlich K.-P. Sommermann, Rechtsprobleme nach dem Eintritt Spaniens und Portugals in die Europäischen Gemeinschaften, DVBl. 102 (1987), S. 937. 257 P. Häberle, Europa aus kulturverfassungsrechtlicher Perspektive, JöR N.F. 32 (1983), S. 12. 244 245
8. Spanischer Regionalismus und bundesstaatlicher Föderalismus
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rechtliche Verankerung von Bundesstaatlichkeit eine „Vollendung des Regionalismus“ darstelle.
a) Ähnlichkeiten mit der deutschen Bundesstaatlichkeit Cruz Villalón, ehemaliger Präsident des spanischen Verfassungsgerichts, kritisiert, dass die Verfassung keine Aussage über die territoriale Struktur des Staates macht, und fordert, dass „eine Verfassung zumindest in groben Zügen über die politische Machtstruktur Auskunft geben sollte“258. Wird von spanischem Föderalismus gesprochen, so handelt es sich um eine Fehleinschätzung. Grund hierfür kann eine unvollständig zugrunde gelegte Föderalismusdefinition sein, nach der Föderalismus dadurch charakterisiert wird, dass „mehrere politische Gemeinschaften als autonome Einheiten unter einer gemeinsamen Ordnung vereint leben und sich wechselseitig beeinflussen“259. Diese Arbeit basiert auf einer komplexen Definition260: Föderalismus ist die Sicherstellung von Bestand und Charakteristika eines auf Einigung existentieller Staaten basierenden (funktionalen oder existentiellen) Staates und die ihn bildenden Glieder. In Spanien handelt es sich demnach um Regionalismus, d. h. um Bemühungen nach verstärkter Selbstbestimmung zur Wahrung der charakteristischen Eigenheiten in einem Einheitsstaat261. In Anspielung an die fehlende Existenz einer allgemeinen Bundesstaatslehre wird in Spanien die Frage gestellt, inwieweit es sich um einen Bundesstaat sui generis handeln könne262. Ohne Föderalismus, Grundprinzip jeder Bundesstaatlichkeit, ist Spanien nicht als Bundesstaat zu bezeichnen. Eine derartige Begriffsaufweichung ist abzulehnen263. Obwohl Spanien ein dezentralisierter Einheitsstaat ist, ähneln viele Rechtsinstitute denen eines Bundesstaates264. Besonders das durch die Zuständigkeitsverteilung zukommende politische Eigengewicht der Autonomen Gemeinschaften erinnert an bundesstaatliche Ordnungen. Auch in Spanien wird auf eine Abgrenzung durch ausschließliche Zuständigkeiten, wenn auch zum Teil mit abweichender Bedeutung, und Rahmengesetzgebungsrechte zurückgegriffen. Weitere übereinP. Cruz Villalón, Weitere zehn Jahre spanische Verfassung, JöR N.F. 48 (2000), S. 318. C. J. Friedrich, Nationaler und internationaler Föderalismus in Theorie und Praxis, S. 169. 260 Vgl. die in Kap. II.2.a) zugrunde gelegte Definition von Föderalismus. 261 Zu der Begriffsbestimmung des Regionalismus vgl. Kap. II.2.b). 262 So P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 239. 263 Vgl. im Ergebnis H. Barrios, Spanien – Politische Dezentralisierung als flexibles Verhandlungssystem, S. 311. 264 I. d. S. J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1001 f. Häberle stellt fest, dass Spanien „mit nicht wenigen Analogien zu Modellelementen des Föderalismus“ arbeite; P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 8. 258 259
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
stimmende Merkmale sind die (partiell) zugrunde gelegte Homogenitätsklausel sowie die Anleihen des Staatszwanges am deutschen Bundeszwang265. Dagegen sind die Ungleichstellungen der Regionen im Verhältnis zum Gesamtstaat, wie sie auch in den beiden getrennten Systemen der Finanzverfassung zum Tragen kommen, mit einer bundesstaatlichen Ordnung nicht vereinbar266. Auch das Fehlen substantieller judikativer Befugnisse zeigt, dass die Autonomen Gemeinschaften keine existentiellen Staaten sind. Trotz der „klassischen Staatlichkeitsartikel ,Sprache, Flagge, Emblem‘“267 sind die Autonomiestatute nur materiell Verfassungen, ohne die Autonomen Gemeinschaften als existentielle Staaten zu konstituieren268. Anders dagegen die deutschen Länder, deren existentielle Staatsqualität unabänderliches Wesensmerkmal der geltenden deutschen Verfassung ist. Die Landesverfassungsgerichtsbarkeit, wenn auch weitgehend zurückhaltend ausgeübt, stellt ein „Wesenselement jener Eigenstaatlichkeit der Länder (dar), ohne die es keinen deutschen Föderalismus, sondern nur eine gesteigerte deutsche Form eines Regionalismus geben könnte“269. Die Wahrung der auf die Autonomen Gemeinschaften übertragene Staatlichkeit wird durch die Verfassungsgerichtsbarkeit sichergestellt, die weitestgehend der deutschen ähnelt.
b) Verfassungsrechtliche Möglichkeit und parteipolitische Durchsetzbarkeit einer Föderalisierung Spaniens Der Staat der Autonomien wird durch seine „offene Regionalformel, die u. U. auch eine Entwicklung zu einem föderalistischen Modell nicht ganz ausschließt“270 gekennzeichnet. Es wird von einem „föderalisierbaren“ 271 Staat gesprochen, der sich „in der Umlaufbahn oder im Anziehungsfeld des Bundesstaates befindet“272. 265 Bundeszwang ist allerdings kein Wesenselement eines Bundesstaates; i. d. S. auch Kap. II.4. 266 Siehe Kap. IV.3.d)bb). Anderer Ansicht ist Trujillo Fernández, der von der Möglichkeit eines „asymmetrischen Föderalismus“ ausgeht; G. Trujillo Fernández, Homogenidad asimétrica y plurinacionalidad confederal en el Estado autonómico de fin de siglo, in: Ministro de Administraciones Públicas (Hrsg.), El funcionamiento del Estado autonómico, 2. Aufl. 1999, S. 80. 267 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 5. 268 I. d. S. I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 66, S. 256 f. Nach Solozábal Echavarría kommt der Bürgerschaft in den Autonomen Gemeinschaften die Eigenschaft eines quasi poder constituant (potestad cuasiconstituyente); J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, S. 20. 269 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 186; Klammersatz hinzugefügt. 270 W. Boucsein, Spanischer Regionalismus und der katalanische Nationalismus, S. 72. 271 I. de Otto y Pardo, Derecho constitucional, § 66, S. 247. 272 P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 240. Einen umgekehrten Ansatz vertritt Solozábel Echavarría, der die
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Die Beobachtung vielfältiger Ähnlichkeiten zum deutschen Bundesstaat darf jedoch nicht dazu führen, „Verfassungsexport“ zu betreiben und eine Föderalisierung Spaniens anzustreben. Besonders aus deutscher Perspektive, an bundesstaatliche Strukturen gewöhnt, ist die Ansicht, Föderalismus sei die Vollendung des Regionalismus, nahe liegend. Es handelt sich jedoch um einen Trugschluss. Regionalismus ist ein vom Föderalismus unabhängiges Verfassungsprinzip273. Wie bereits in Kap. II.2.b)dd) dargelegt, gilt uneingeschränkt: „Föderalismus und Regionalismus sind die beiden gleichwertigen Alternativen im heutigen Verfassungsstaat“274. Die an dieser Stelle vorgenommene Prüfung der Möglichkeit einer Föderalisierung ist folglich nicht als „Krönung“ des Regionalisierungsprozesses, sondern vielmehr als ein vorstellbares Szenario zu erfassen. Verfahrensrechtlich bedarf es der Verfassungsänderung275, wenn nicht der Gesamtrevision, und der Reform der Autonomiestatute276. Die spanische Verfassung enthält keine Norm vergleichbar mit Art. 79 Abs. 3 GG, die wesentliche Verfassungsprinzipien einer Änderung durch den pouvoir constitué entzieht277. Sollen indes die wesentlichen Verfassungsprinzipien (Art. 1 – 9 CE), bestimmte Grundfreiheiten (Art. 14 – 29 CE), Regelungen zur Krone (Art. 56 – 65 CE) geändert oder eine Gesamtrevision durchgeführt werden, ist nicht das verfassungsändernde Verfahren des Art. 167 CE, sondern das des Art. 168 CE maßgebend278. Es bedarf einer Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern, die Cortes Generales werden aufgelöst, die neu gewählten Kammern müssen den Beschluss bestätigen, erneut beraten und mit zwei Drittel ihrer Stimmen billigen. Zusätzlich wird die Verfassungsänderung oder neue Verfassung einem Referendum unterworfen. Aufgrund der hohen Anforderungen sieht Cruz Villalón einen „gewissen funktionalen Parallelismus zwischen der Unantastbarkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG und dem in Art. 168 CE vorgesehenen Verfahren zur Reform des essentiellen Kerns der Verfassung“279. Annährung des Bundesstaates an den Staat der Autonomien für möglich hält; J. J. Solozábal Echavarría, Las bases constitucionales del Estado Autonómico, 1998, S. 57 ff. 273 Siehe grundlegend Kap. II.2.b)dd). Vgl. auch P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 22, 27, 37. 274 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 42; Herv. i. Orig. 275 Dazu J. Jiménez Campo, Algunos problemas de interpretación en torno al Título X de la Constitución, RDP 7 (1980), S. 81 ff.; P. de Vega García, La reforma constitucional y la problemática del poder constituyente, 1985, S. 128 ff.; J. L. Requejo Pagés, Las normas preconstitucionales y el mito del poder constituyente, 1998, S. 104 ff. 276 Zum Verfahren der Änderung der Autonomiestatute siehe Kap. IV.2.c)bb). Vgl. auch E. Espín, Perspectivas y futuro del modelo territorial español, in: F. Pau i Vall (Hrsg.), El Futuro del Estado Autonómico, 2001, S. 47 ff. 277 P. Pérez Tremps, Constitución Española y Comunidad Europea, 1994, S. 74. 278 Die ist bspw. bei einer Änderung des Einheits- oder Autonomieprinzips des Art. 2 CE der Fall. 279 P. Cruz Villalón, Landesbericht Spanien, S. 216. Ähnlich A. Truyol y Serra, Das Bonner Grundgesetz und die spanische Verfassung von 1978, S. 237.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
Einzelregelungen über die territoriale Gliederung des Staates (Titel VIII CE) oder Normen über den Senat (vgl. Titel III CE über die Cortes Generales) werden nach dem (einfacheren) Verfahren des Art. 167 CE geändert. Es bedarf der DreiFünftel-Mehrheit in Abgeordnetenhaus und Senat. Kommt diese nach Vermittlungsversuchen nicht zu Stande, ist eine Annahme der Verfassungsänderung durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Abgeordnetenhaus möglich, sofern der Senat mit absoluter Mehrheit zustimmt. Zu einer Auflösung der Kammern und Neuwahlen kommt es nicht und eine Volksabstimmung wird nur auf Antrag eines Zehntels der Abgeordneten im Parlament oder der Senatoren durchgeführt. In den 25 Jahren des Bestehens der spanischen Verfassung wurde sie bisher lediglich ein einziges Mal geändert280. Vor Ratifikation des Maastrichter Vertrages wurden zwei Worte eingefügt, so dass auch das passive Kommunalwahlrecht für nicht spanische EUBürger ermöglicht werden konnte281. Als reformbedürftig wird vor allem der Senat bezeichnet, aber auch die bestehenden Ungleichheiten der Autonomen Gemeinschaften und der starke zentralstaatliche Einfluss auf die Ernennung der Verfassungsrichter282 sind weitere wesentliche Kritikpunkte. Eine Föderalisierung ist jedoch weit mehr als die Änderung einzelner Verfassungsinstitute oder die Aufwertung der Regionen. Es bedarf der Abschaffung des Einheitsprinzips, Konstitution der Autonomen Gemeinschaften als existentielle Staaten und Bildung eines echten Bundes. Vor allem erfordert eine Föderalisierung eine kulturelle Grundlegung, d. h. die Verbreitung föderalistischen Gedankenguts in der Bevölkerung283. Bisher ist dies nur in Katalonien der Fall, da sich Katalonien als Nation innerhalb Spaniens begreift284. Das Baskenland sieht sich zwar auch als Nation, allerdings ist die mit Föderalismus unvereinbare Zielsetzung einer Separation in weiten Teilen der baskischen Bevölkerung tief verwurzelt285. Starken Einfluss auf die Willensbildung üben die politischen Parteien aus, deren grundsätzliche Bedeutung und Linien zum Abschluss dieses Kapitels skizziert wer280 Das Grundgesetz wurde dagegen bisher 51 Mal geändert (zuletzt durch Gesetz vom 26. 07. 2002, BGBl. I, S. 2863). 281 Dazu siehe Kap. VII.1.a). 282 Nach Art. 159 Abs. 1 CE werden vier Richter durch den Kongress, vier durch den Senat, zwei durch die Regierung und zwei durch den Richterrat vorgeschlagen und vom König ernannt. 283 P. Häberle, Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus, S. 208. Ähnlich J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 305. Die Überwindung der Diktatur und des langjährigen Zentralismus kann nicht in einem kurzen Zeitraum von statten gehen; M. J. Montoro Chiner, Landesbericht Spanien, S. 195. Siehe (kritische) Bemerkungen zum Bundesstaat im Vergleich zum Autonomiesystem J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, S. 12 ff. 284 Als Plädoyer für den Föderalismus vgl. R. Obiols, El federalismo, una propuesta hacia el futuro, in: Federalismo y estado de las autonomías, 1988, S. 111 ff. 285 A. Ruiz Robledo, Veinticinco años de Estado Autonómico, S. 729 f. Siehe auch Fn. 134.
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den sollen. Ebenso wie Deutschland ist Spanien ein Parteienstaat286. Die verfassungsmäßige Verankerung ähnelt Art. 21 GG, geht jedoch hierüber hinaus und sieht die Parteien als „Hauptinstrument der politischen Beteiligung“287 vor288. Ähnlich wie in Deutschland sind die bedeutenden Parteien289 formal an die Organisationsstruktur des Staates angepasst, faktisch jedoch sind die inneren Abläufe zentralistisch290. Während die konservative Partei PP (Partido Popular) jede Verfassungsdebatte vermeidet, ist die Einstellung der Parlamentarier der sozialistischen PSOE, seit 2004 Regierungspartei, zu einer Föderalisierung heterogen291. Von den regionalen Parteien nehmen insbesondere nationalistische292 Parteien Kataloniens CiU (Convergència i Unió) und des Baskenlandes PNV (Partido Nacionalista Vasco) Einfluss293. Zusammen mit der galicischen BNG (Bloque Nacionalista Galego) kritisierten sie 1998 die bestehende territoriale Organisationsform des Staates und schlugen in der Declaración de Barcelona294 die Selbstbestimmung der Nationalitäten und Ablösung des bestehenden Modells durch eine Konföderation, ein föderalistischer Entwurf, an. Balaguer Callejón weist allerdings darauf hin, dass diese Parteien eine Gleichstellung mit den übrigen Regionen nicht akzeptieren würden295. Die Aufrechterhaltung der Asymmetrien und regionalen 286 „Was also formal als Entscheidung der Staatsorgane erscheinen mag, ist in Wirklichkeit eine Entscheidung der politischen Parteien, die in den einzelnen Organen dominieren“; J. J. González Encinar, Ein asymmetrischer Bundesstaat, S. 226. Einen Überblick über das spanische Parteiensystem bei M. Martínez Sospedra, Introducción a los partidos políticos, 1996, S. 247 ff.; J. Ferrando Badía, El Estado unitario, el federal y el Estado autonómico, S. 226 ff., 363 ff.; kritisch M. A. Presno Linera, Los partidos y las distorsiones jurídicas de la democracia, 2000, S. 235 ff. 287 Art. 6 CE: „Die politischen Parteien sind Ausdruck des politischen Pluralismus; sie wirken bei der Bildung und Äußerung des Volkswillens mit und sind das Hauptinstrument der politischen Beteiligung. Ihre Gründung und die Ausübung ihrer Tätigkeit sind im Rahmen der Achtung der Verfassung und des Gesetzes frei. Ihre innere Struktur und ihre Arbeitsweise müssen demokratisch sein.“ Zu der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts M. A. Aparicio Pérez, Los partidos políticos en la jurisprudencia del Tribunal Constitucional, ADCP 11 (1999), S. 119 ff. 288 Ein knapper Vergleich zwischen Art. 6 CE und Art. 21 GG bei P. Cruz Villalón, Landesbericht Spanien, S. 208 f. 289 Einen Überblick über das spanische Parteiensystem gibt Á. X. López Mira, Veinticinco años de Estado Autonómico, S. 744 ff. 290 J. J. González Encinar, Ein asymmetrischer Bundesstaat, S. 226. Ähnlichkeit zu der Ausnahme der bayerischen CSU (vgl. Kap. III Fn. 271) bestehen bei der katalonischen PSCPSOE (Partido Socialista Catalán). 291 K.-J. Nagel, Die „Autonomisierung“ Spaniens – ein abgeschlossener Prozess?, S. 227 ff. 292 Zu dem spanischen Sprachgebrauch dieses Begriffs vgl. Fn. 34. 293 Zudem ist auch die Kanarische Koalition mit Abgeordneten und Senatoren in beiden parlamentarischen Kammern vertreten. 294 J. J. Solozábal Echavarría, El Estado Autonómico como Estado Compuesto, S. 10 ff. 295 F. Balaguer Callejón, Die Autonome Gemeinschaft Andalusien im Bildungsprozeß des Autonomischen Spanischen Staates, S. 120 ff.
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IV. Regionalistische Prägung der spanischen Verfassungsstruktur
Privilegien ist mit Föderalismus unvereinbar296. Nur vordergründig befürworten der baskische Ministerpräsident Ibarretxe, der in einer Rede im Herbst 2002 einen Plan zur Erlangung der Selbstständigkeit des Baskenlandes vorstellte297, und die Anhänger der radikalen katalonischen Partei ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) Bundesstaatlichkeit. Ist das wahre Ziel Separatismus, so kann nicht von Föderalismus, der sowohl Glieder als auch die Einheit in ihrem Bestand wahrt298, gesprochen werden.
So das Ergebnis in Kap. IV.3.d)bb). Dazu K.-J. Nagel, Die „Autonomisierung“ Spaniens – ein abgeschlossener Prozess?, S. 230 f. Eine von der Zentralregierung eingereiche Verfassungsklage gegen das Programm wurde abgewiesen (siehe Auto 101 / 2004 v. 20. 04.). 298 Vgl. Kap. II.2.a)cc). 296 297
V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union Nachdem die beiden vorangegangenen Kapitel einen Überblick über die Verfassungsstrukturen Deutschlands und Spaniens gegeben haben, werden in diesem Kapitel die konstitutionellen Grundlagen der Europäischen Union analysiert. Seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften bleiben zwei Forschungsgegenstände ungelöst: erstens die Erfassung der Union mit bekannten Modellen und zweitens die Beantwortung der offenen Finalitätsfrage. Bei näherer Betrachtung beider Problemfelder verbunden fällt auf, dass eine freiheitsdogmatische Begründung des europäischen Föderalismus fehlt1. Als Beitrag zur Klärung des ersten Problems werden in Kap. V.1 die Grundbegriffe Staat, Verfassung und Bundesstaat hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf das Unionsrecht geprüft2. Die rechtswissenschaftliche Problemanalyse fasst Oeter zutreffend wie folgt zusammen: „In den Blick gerät bei diesem Versuch einer Rekonstruktion und Überprüfung etablierter Begrifflichkeiten (und der dahinter stehenden Denkmodelle), in welchem Ausmaß unser staatstheoretisches Denken bis heute von Kategorien (und Frontstellungen) des 19. Jahrhunderts geprägt bleibt – ohne dass man sich sicher sein kann, dass diese Begrifflichkeiten und Konzepte noch ausreichen, um den Herausforderungen eines Umbaus von Staatlichkeit im 21. Jahrhundert gerecht zu werden.“3
Objekt jeder Wissenschaft ist die Wahrheit, ohne dass verifiziert werden kann, ob ihr Wissen die Wahrheit ist4. Ist „praktische Wahrheit . . . die bestmögliche Annährung der Theorie an die Wirklichkeit“5, so ist deren Grundvoraussetzung eine bestmögliche Begrifflichkeit. Es ist nicht notwendig, neue Kategorien zu entwerfen und mit einer zutreffenden Begrifflichkeit zu belegen. Stattdessen muss die 1 Vgl. die Forderung von K. A. Schachtschneider, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 53 (1994), S. 108. 2 Oeter weist darauf hin, dass es sich um eine Debatte über Begriffe handele, die „im Kern auf einem begrifflichen Mißverständnis“ beruht und somit sich „als recht unproduktiv“ erweist. Jedoch „sollte man begriffliche Debatten nicht prinzipiell als unsinnig und unproduktiv abtun, sind sie doch aus Gründen der intellektuellen Klarheit immer wieder nötig“; S. Oeter, Europäische Integration als Konstitutionalisierungsprozeß, ZaöRV 59 (1999), S. 902. 3 S. Oeter, Föderalismus, S. 62. 4 K. R. Popper, Objektive Erkenntnis, 4. Aufl. 1984, S. 13 ff., 270 ff.; K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: W. Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 100 ff.; ders., Res publica res populi, S. 567 ff., 598 ff., 1103 f. 5 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 153 f. m. w. N.
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
bestehende Terminologie in ihrer Gesamtheit von überholten, monarchisch geprägten Kategorien entlastet werden. Ein von Souveränitätsüberlegungen her definierter Staatsbegriff ist aufgrund seiner monarchischen Tradition nicht auf aufgeklärte Gesellschaften übertragbar. Legt man stattdessen einen freiheitlich begründeten Staatsbegriff zugrunde (Kap. II.1), mit dem ein Staat als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“6 definiert wird, kann die Europäische Union mit eingängigen Kategorien terminologisch erfasst, d. h. begriffen werden. Der Rückgriff auf definitorisch weit gefasste, aber einer Differenzierung zugängliche Staats-, Verfassungs- und Bundesstaatsbegriffe löst die „kanalisierende und verengende Wirkung“7 der bestehenden Terminologie, ebenso wie die daraus resultierenden, „vielen miteinander konkurrierenden Verlegenheitsformeln“8 um die Staatlichkeit der Union, die Verfassungseigenschaft der Verträge und die föderale Staatsform auf. Die offene Frage nach der Finalität wird durch die Diskussion nach der „Staatswerdung Europas“9, der Erörterung der Qualität europäischer Bundesstaatlichkeit geprägt (Kap. V.2). Die allgemeinen Schlussfolgerungen sollen dazu dienen, den anstehenden Schritt einer weiteren Konstitutionalisierung durch den „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ unter Rechtsgesichtspunkten zu bewerten (Kap. V.3).
1. Konzeption der Europäischen Union als nicht-existentieller Bundesstaat a) Institutionelle und funktionelle Unionsstaatlichkeit aa) Staatliche Elemente Die Europäische Union umfasst die Europäischen Gemeinschaften, die Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie über die Polizeiliche und Justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)10. Es ist eine I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas, S. 54. 8 P. Häberle, Europa – eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 99. 9 Vgl. G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas, S. 35 ff. 10 Im Folgenden wird die Rechtsstruktur der Europäischer Union und ihrer Gemeinschaften „als einheitlicher Integrationsverband“ (U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 874 f.) mit einer einheitlichen Organstruktur (ders., Reflections on the Structure of the European Union, CMLR 29 (1992), S. 1059, 1061) verstanden. Sofern und sobald der Vertrag über eine Verfassung für Europa in Kraft tritt, erhält die Europäische Union ausdrücklich Rechtspersönlichkeit, die bisherige vertragliche Trennung in Union und Gemeinschaften wird überwunden und die „Europäische Union tritt die Rechtsnachfolge der durch den Vertrag über die Europäische Union gegründete Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft an“ [Art. IV-438 Abs. 1 VVE; 6 7
1. Europäische Union als nicht-existentieller Bundesstaat
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internationale Organisation, die auf zwischenstaatlichen Verträgen beruht. Gegenwärtiger Rechtsstand des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ist Nizza. Eine Analyse des Unionsrechts mit nationalstaatlichem Recht deckt viele Ähnlichkeiten auf11: Die Institutionen ähneln nationalen Organen und nehmen staatliche Funktionen der Legislative, Exekutive und Judikative wahr12. Ferner muss die EU sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen messen lassen (Art. 6 Abs. 1 EUV; Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG)13 und hat sich in Nizza eine (vorerst nicht rechtsverbindliche) Grundrechtecharta gegeben14.
bb) Rangverhältnis zwischen Unionsrechts und nationalem Recht (1) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Zudem begründen die Gemeinschaftsverträge im Gegensatz zu üblichen zwischenstaatlichen Verbindungen für die Unionsbürger unmittelbar Rechte und siehe Kap. V.3.d)]. Zu den Beziehungen zwischen EU und EG siehe; G. Ress, Die Europäische Union und die neue juristische Qualität der Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften, JuS 32 (1992), S. 985 ff.; T. C. W. Beyer, Die Ermächtigung der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften, Der Staat 35 (1996), S. 193 f. m. w. N.; W. Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 373 ff. Zu der Rechtspersönlichkeit der EU M. Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 931 m. w. N. und aus der spanischen Literatur N. Fernández Sola, La sujetividad international de la Unión Europea, RDCE 6 (2002), S. 92 ff. 11 Siehe U. Haltern, Internationales Verfassungsrecht?, AöR 128 (2003), S. 545 ff.; W. Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, S. 388 ff. 12 P. Häberle, Verfassungsrechtliche Fragen im Prozeß der europäischen Einigung, S. 435; U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 192, 197; U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 860. Siehe bereits W. Thieme, Das Grundgesetz und die öffentliche Gewalt internationaler Staatengemeinschaften, VVDStRL 18 (1960), S. 52 f. 13 Im Vergleich mit nationalen Prinzipien vgl. U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 880 ff. 14 Kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Jeder Widerspruch gegen die Charta ist angezeigt, Zeit-Fragen v. 09. 10. 2000, S. 9 ff.; ders., Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, Aus Politik und Zeitgeschichte v. 22. / 29. 12. 2000, S. 13 ff.; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 902 f., 927 f.; U. Di Fabio, Eine europäische Charta, JZ 55 (2000), S. 736 ff.; R. Knöll, Die Diskussion um die Grundrechtscharta der Europäischen Union aus dem Blickwinkel der deutschen Länder, NJW 53 (2000), S. 1846 ff.; ders., Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, NVwZ 20 (2001), S. 393 f.; P. J. Tettinger, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, NJW 54 (2001), S. 1010; anderer Ansicht U. Everling, Durch die Grundrechtecharta zurück zu Solange I?, EuZW 14 (2003), S. 225.
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Pflichten (unmittelbar geltend15) und zudem sind sie unmittelbar anwendbar16. Weiterhin ist gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs das Unionsrecht dem nationalen Recht vorrangig, wobei das Bundesverfassungsgericht aus Achtung der deutschen Verfassung nur einen begrenzten Anwendungsvorrang anzuerkennen vermag [dazu unter (2)]. Fundamental für die Begründung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ist die Rechtssache „Flamino Costa / E.N.E.L.“, in der der Europäische Gerichtshof die einheitliche innerstaatliche Geltung gemeinschaftlichen Rechts in den einzelnen Mitgliedstaaten postuliert17. Der Gemeinschaftsvertrag gestatte nur in Ausnahmefällen das Recht zu einseitigem Vorgehen. Generell sind die Bestimmungen verbindlich, unmittelbar und vorrangig vor nationalem Recht, selbst vor nationalem Verfassungsrecht: „Die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts würde beeinträchtigt, wenn bei der Entscheidung über die Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane Normen oder Grundsätze nationalen Rechts herangezogen würden. Die Gültigkeit solcher Handlungen kann nur nach dem Gemeinschaftsrecht beurteilt werden, dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht können wegen seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen, wenn nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll. Daher kann es die Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung oder deren Geltung in einem Mitgliedstaat nicht berühren, wenn geltend gemacht wird, die Grundrechte in der ihnen von der Verfassung dieses Staates gegebenen Gestalt oder die Strukturprinzipien der Verfassung seien verletzt. Es ist jedoch zu prüfen, ob nicht eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche Garantie verkannt worden ist; denn die Beachtung der Grundrechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Die Gewährleistung dieser Rechte muß zwar von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein, sie muss sich aber auch in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfügen.“18
Demzufolge gilt die Unanwendbarkeit des nationalen Rechts, wenn es gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Die mitgliedstaatlichen Gerichte müssen das jewei15 Unterscheidung von unmittelbarer Geltung und Anwendung bei K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil I, S. 17. 16 Grundlegend EuGH v. 05. 02. 1963 – Rs. 26 / 62 (N.V. Algemene Transporten Expeditie Onderneming Van Gend & Loos / Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1 (24 f.); EuGH v. 15. 07. 1964 – Rs. 6 / 64 (Flaminio Costa / E.N.E.L.), Slg. 1964, 1251 (1269); EuGH v. 09. 03. 1978 – Rs. 106 / 77 (Staatliche Finanzverwaltung / Simmenthal), Slg. 1978, 629 (643 f.). 17 EuGH v. 15. 07. 1964 – Rs. 6 / 64 (Flaminio Costa / E.N.E.L.), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); i. d. S. auch EuGH v. 13. 07. 1972 – Rs. 48 / 71 (Kommission / Ialtien), Slg. 1972, 529 (534 f.); EuGH v. 13. 12. 1979 – Rs. 44 / 79 (Liselotte Hauer / Land Rheinland-Pfalz), Slg. 1979, 3727 (3744). 18 EuGH v. 17. 12. 1970 – Rs. 11 / 70 (Internationale Handelsgesellschaft / Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide), Slg. 1970, 1125 (1135).
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lige nationale Recht unangewendet lassen19, obwohl ihnen diese Befugnis nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht zukommt20. Somit handelt es sich um einen Anwendungs-, nicht aber um einen Geltungsvorrang21. Auslegungsschwierigkeiten des Vertrages werden gemäß Art. 234 EGV im Verfahren der Vorabentscheidung verbindlich vom Europäischen Gerichtshof geklärt. (2) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Rechtsprechungspraxis des Europäischen Gerichtshofs nicht uneingeschränkt an. In einer Reihe Aufsehen erregender Urteile und Beschlüsse hat das oberste deutsche Gericht wiederholt manifestiert, dass es keinen uneingeschränkten Vorrang des Unionsrechts anerkenne, sondern die deutsche Verfassung selbst verantworte22. Zum offenen Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof ist es bisher nicht gekommen23, obwohl ersteres sich die Prüfungsbefugnis zur Klärung des sekundären Gemeinschaftsrechts vorbehält und damit die selbsterklärte umfassende Prüfungszuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs nicht vorbehaltlos anerkennt. Während 1967 das Bundesverfassungsgericht anlässlich einer Klage zur EWG-Verordnung24 ausdrücklich die Frage der prinzipiellen Befugnis, Gemeinschaftsrecht zu prüfen, noch offen ließ, bezog es vor allem mit seiner „Solange“-Rechtsprechung, dem Maastricht-Urteil und zuletzt im Beschluss zur Bananenmarktordnung Stellung25. Im Solange I-Beschluss von 1974 hielt sich das Bundesverfassungsgericht die Prüfung von Gemeinschaftsrecht offen. Die Integration darf nicht zu einer Auf19 EuGH v. 09. 03. 1978 – Rs. 106 / 77 (Staatliche Finanzverwaltung / Simmenthal), Slg. 1978, 629 (630); so auch BVerfGE 31, 145 (174 f.). 20 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 903 ff., 1013; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 271 ff. m. w. N. 21 So aber E. Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966, S. 98 ff. Siehe auch Fn. 33. 22 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 106 f. 23 Zur gerichtlichen Zuständigkeitsfrage ausführlich Kap. VI.6. 24 BVerfGE 22, 293 ff. 25 Dazu und dem Folgenden K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil II, DSWR 28 (1999), S. 82 ff.; dies., Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil III, DSWR 28 (1999), S. 118 ff.; M. Hilf, Solange II: Wie lange noch Solange?, EuGRZ 14 (1987), S. 1 ff.; R. Scholz, Wie lange bis „Solange III“?, NJW 43 (1990), S. 942 f.; C.-D. Ehlermann, Zur Diskussion um einen „Solange III“-Beschluß, EuR Beiheft 1 (1991), S. 28 ff.; F. C. Mayer, Grundrechtsschutz gegen europäische Rechtsakte durch das BVerfG, EuZW 11 (2000), S. 685 ff.; J. Limbach, Das Bundesverfassungsgericht und der Grundrechtsschutz in Europa, NJW 54 (2001), S. 2916 ff.; C. Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 286 ff.; H. D. Jarass / S. Beljin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtsetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 23 (2004), S. 1 ff.
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hebung der „Identität der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen“26 führen. Das Gericht bemängelte den Grundrechtsschutz der Gemeinschaft und dogmatisierte, dass eine Gemeinschaftsvorschrift unanwendbar sein könne, „soweit sie mit einer Grundrechtsgarantie des Grundgesetzes kollidiere“27. „Vorläufig“ seien derartige Fälle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, das die Unanwendbarkeit feststellt: „Solange der Integrationsprozeß der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, daß das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist, ist nach Einholung der in Art. 177 des Vertrags geforderten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Vorlage eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland an das Bundesverfassungsgericht im Normenkontrollverfahren zulässig und geboten, wenn das Gericht die für es entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.“28
Im Solange II-Beschluss von 1986 kehrte das Gericht seinen Prüfungsvorbehalt ins Gegenteil um, nachdem es bereits sieben Jahre zuvor im so genannten Vielleicht-Beschluss angedeutet hatte, dass „angesichts mittlerweile eingetretener politischer und rechtlicher Entwicklungen im europäischen Bereich“29 der Prüfungsvorbehalt einer Kontrolle zu unterziehen sei. Das Gericht stellte fest, dass verfassungsrechtliche Grenzen bei der gemeinschaftlichen Ausübung von Staatlichkeit bestünden30, deklarierte jedoch, dass es seine Befugnis zur Prüfung des Gemeinschaftsrechts mit deutschen Grundrechten vorerst nicht mehr ausüben werde: „Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG sind somit unzulässig.“31
Im Maastricht-Urteil revidierte das Bundesverfassungsgericht erneut teilweise seine Dogmatik. Es modifizierte den in der Literatur vorwiegend anerkannten un26 27 28 29 30 31
BVerfGE 37, 271 (279). BVerfGE 37, 271 (284). BVerfGE 37, 271 (285). BVerfGE 52, 187 (202 f.). BVerfGE 73, 339 (375 f., 378). Dazu ausführlich unter Kap. V.1.a)dd). BVerfGE 73, 339 (387). Anders dagegen Minderheitsvotum BVerfGE 37, 271 (291 ff.).
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eingeschränkten Anwendungsvorrang32, indem es aus der existentiellen Staatsqualität des Volkes (für Deutschland) fünf Geltungsgrenzen ableitete und anerkannte33: Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich „auf eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards“34, zudem dürfen die Strukturprinzipien der deutschen Verfassung nicht beeinträchtigt werden35, europäische Rechtsakte müssen auf dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung basieren36, das Subsidiaritätsprinzip muss geachtet werden37 und das gemeinschaftsrechtliche Mehrheitsprinzip findet gemäß der Gemeinschaftstreue „in den Verfassungsprinzipien und elementaren Interessen der Mitgliedstaaten“ 38 seine Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht verantwortet die Vereinbarkeit des Europarechts mit den oben genannten Prinzipien, wobei es sich in einem „Kooperationverhältnis“39 zum Europäischen Gerichtshof sieht: „Dementsprechend prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aus ihnen ausbrechen.“40
Ein Rückschritt des nationalen Grundrechtsschutzes gegenüber Gemeinschaftsrechtsakten, d. h. die Verantwortung des „unabdingbaren Grundrechtsstandard“ durch das Bundesverfassungsgericht ist im Bananenmarktbeschluss zu sehen41. In Anknüpfung an den Solange II-Beschluss und das Maastricht-Urteil erklärte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2000 Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten gegen grundrechtsverletzendes sekundäres Gemeinschaftsrecht als unzulässig, sofern nicht dargelegt wird, dass der europäische Grundrechtsstandard unter den grundgesetzlich verbürgten abgesunken sei:
32 Einen Überblick über die vorherrschenden Ansichten in der Rechtslehre geben K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil III, S. 117 f. 33 Dazu ausführlich K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 104 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 80 ff. 34 BVerfGE 89, 155 (174 f.); auch BVerfGE 73, 339 (347 ff., 383 ff., 387). 35 BVerfGE 89, 155 (187 f.), nicht explizit; 37, 271 (279); 73, 339 (376). 36 BVerfGE 89, 155 (187 ff., 191 ff.). 37 BVerfGE 89, 155 (174 f., 189, 193, 210 ff.). 38 BVerfGE 89, 155 (184). 39 BVerfGE 89, 155 (175, 178). 40 BVerfGE 89, 155 (188). 41 Dazu siehe A. Emmerich-Fritsche, Anmerkungen, BayVBl. 131 (2000), S. 755 ff. H. Lecheler, Zum Bananenmarkt-Beschluss des BVerfG, JuS 41 (2001), S. 120 ff.; U. Elbers / N. Urban, The Order of the German Federal Constitutional Court of 7 June 2000 and the Kompetenz-Kompetenz in the European Judicial System, EPL 7 (2001), S. 21 ff.; (sehr kritisch) C. Schmid, Ein enttäuschender Rückzug, NVwZ 20 (2001), S. 249 ff. Bereits im Vorfeld des Beschlusses siehe M. Zuleeg, Bananen und Grundrechte, NJW 50 (1997), S. 1201 ff.; T. Stein, „Bananen-Split“?, EuZW 9 (1998), S. 261 ff.
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„Sonach sind auch nach der Entscheidung des Senats in BVerfGE 89, 155 Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach Ergehen der Solange II-Entscheidung (BVerfGE 73, 339 (378 bis 381)) unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei. Deshalb muss die Begründung der Vorlage eines nationalen Gerichts oder einer Verfassungsbeschwerde, die eine Verletzung in Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschaftsrecht geltend macht, im Einzelnen darlegen, dass der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet ist. Dies erfordert eine Gegenüberstellung des Grundrechtsschutzes auf nationaler und auf Gemeinschaftsebene in der Art und Weise, wie das Bundesverfassungsgericht sie in BVerfGE 73, 339 (378 bis 381) geleistet hat.“42
cc) Klassifizierungsprobleme Trotz der institutionellen und funktionalen Ähnlichkeit mit (National)-Staaten wird der EU weitgehend die Staatsqualität abgesprochen43. Nur wenige Autoren nehmen – insbesondere durch den Vertrag von Maastricht – eine Staatsqualität der Union an44. Zuleeg ist sogar überzeugt, dass „die Mitgliedstaaten ihre Souveränität verloren“ haben und nun die „Anweisungen der Europäischen Union befolgen“45 müssen46. Dieser Ansicht widerspricht das Bundesverfassungsgericht, nach dessen Ausführungen die EU „keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat“47 darstellt. Den Einschätzungen liegen unterschiedliche Begründungen zugrunde. Eindeutig ist, dass, wie im zitierten Maastricht-Urteil hingewiesen, das europäische Staatsvolk fehlt48. Dies entspricht der Definition des Staates mittels der Drei-Elemente-Lehre, nach der einem Staat neben Staatsgewalt und Gebietshoheit auch ein Staatsvolk zugrunde gelegt wird49. Problematisch sind die ErkläBVerfGE 102, 147 (164). U. Everling, Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, DVBl. 108 (1993), S. 936; ders., Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 871; T. Oppermann / C. D. Classen, Die EG vor der Europäischen Union, NJW 46 (1993), S. 5; T. Stein, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 30; W. Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, S. 383. 44 F. Ossenbühl, Maastricht und das Grundgesetz – eine verfassungsrechtliche Wende?, DVBl. 108 (1993), S. 631; J. Wolf, Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht, JZ 48 (1993), S. 594. 45 M. Zuleeg, Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, NJW 53 (2000), S. 2851. „Damit ist die EU nicht weit entfernt von einem Staat.“; ders., Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, S. 931. 46 Aus der spanischen Rechtslehre soll auf Jáuregui Bereciartu verwiesen werden, der eine Reduktion auf eine „virtuelle Souveräniät“ der Mitgliedstaaten erkennt und eine ähnliche Einschätzung vornimmt; G. Jáuregui Bereciartu, Estado, Soberanía y Union Europea, S. 182. Zu der Kritik an dieser souveränitätsgeprägten Staatsinterpretation im Folgenden. 47 BVerfGE 89, 155 (188). 48 So auch Kap. V.2.c)bb). 42 43
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rungsansätze über eine mangelnde Kompetenzkompetenz50 und eng verbunden damit die fehlende Souveränität51. Analog zu der Unergiebigkeit der Souveränitätslehren in einer deutschen Bundesstaatslehre zur Erklärung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern52, stellt Everling fest, „dass das traditionelle Verständnis der Souveränität keinen Beitrag zur Klärung des Verhältnisses von Union und Mitgliedstaaten leisten kann“53. Mit Blick auf die ausgeprägten funktional- und institutionell-staatlichen Elemente stellt sich die Frage, wie die Europäische Union bezeichnet werden soll, wenn nicht als Staat54. Nicht selten wird die „Union der Völker Europas“55 als Gebilde „sui generis“56 eingestuft, eine Einschätzung, die nicht zufrieden stellen kann. Dass sie keine „,zwischenstaatliche Einrichtung‘ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG“57 darstellt, zeigt die Verfassungsänderung durch Art. 23 GG n. F. Obwohl die Rechtsstaatlichkeit ausweislich Art. 6 Abs. 1 EUV und Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ein Grundprinzip der Gemeinschaft ist, meidet der Europäische Gerichtshof den Terminus des „Rechtsstaates“. Der verwendete Begriff der „Rechtsgemeinschaft“ 58 deutet darauf hin, dass die Union nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs kein Staat, sondern eine „Staatengemeinschaft“ 59 sein soll. 49 Vgl. Kap. II.1.b). Neben der fehlenden Personalhoheit sieht Kirchhof die Gebietshoheit der Union eingeschränkt; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 906. Vgl. auch ders., HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 34. 50 BVerfGE 75, 223 (242); 89, 155 (181, 192 ff.); K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 70; D. Grimm, Bitte keinen europäischen Staat durch die Hintertür, Die Zeit v. 16. 04. 2003, S. 10. 51 Vgl. H. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 16 f.; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 912; W. Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, S. 420; aus der spanischen Literatur G. Jáuregui Bereciartu, Estado, soberanía y constitución, RDP 44 (1998), S. 66 ff. 52 Siehe Kap. II.3.a)cc). 53 U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 879. 54 Unter c) wird auf die Terminologie der Staatsform eingegangen; hier allgemeiner auf die Frage, ob die Union generell als Staat bezeichnet wird. 55 Art. 1 Abs. 2 EUV. 56 BVerfGE 22, 293 (296): „eine im Prozeß fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft eigener Art“; R. Hrbek, Föderalismus sui generis, S. 430 ff.; M. Cienfuegos Mateo, La naturaleza de las Comunidades Europeos y de la Union Europea en el debate actual acerca del modelo futuro de Europa, RVAP 66 (2003), S. 93 ff.; (kritisch) S. Magiera, Kommunale Selbstverwaltung in der Europäischen Union, in: K. Grupp / M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland und Europa, 1995, S. 17. 57 So noch BVerfGE 22, 293 (296). 58 EuGH v. 05. 10. 1993 – Rs. C-13 / 92 (Driessen / Minister van Verkeer), Slg. 1993, I-4751 (4790 ff.). Siehe auch M. Zuleeg, Die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft, NJW 47 (1994), S. 545 ff. 59 So O. Philipp, Mehr Rechtsstaatlichkeit für die Europäische Union!, EuZW 13 (2002), S. 641.
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dd) Legitimation der Staatlichkeit (1) Gemeinschaftliche Ausübung der Staatsgewalt in der Europäischen Union Der Europäische Gerichtshof selbst liefert mit seiner oben zitierten Bezeichnung „Rechtsgemeinschaft“ die Begründung, weshalb die Europäische Union als Staat zu charakterisieren ist. Es handelt sich um ein Synonym der zugrunde gelegten kantianische Definition des Staates, der „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“60. Der Zweck des Staates ist das gute Leben aller und die Verwirklichung von Freiheit61. Jede Rechtsgemeinschaft ist Staat, da der Staat der Garant des Rechts ist, und es ohne den Staat kein Recht geben kann: „Jede verfassungsrechtliche Bindung von Hoheitsgewalt ist auf den Staat angewiesen; ohne Staat kein Recht.“62
Wie in Kap. II.1.b) dargelegt, bedarf die obige Staatsdefinition einer Differenzierung, um bestmöglich, begrifflich prägnant die Wirklichkeit zu erfassen. Die Europäische Union ist aufgrund ihrer ausgeprägten Organstruktur institutionell und wegen der Ausübung staatlicher Aufgaben funktionell Staat. Der souveränitätsgeprägte Staatsbegriff entspricht weitestgehend dem des existentiellen Staates. Wird der Union die Staatsqualität abgesprochen63, so ist dies zutreffend, sofern es sich um einen Staat im existentiellen Sinn handelt64. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt diese Erkenntnis im Maastricht-Urteil und bezeichnet die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“65. Grund hierfür ist die durch die nationalen Verfassungen begrenzte Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Ausübung der Staatlichkeit der Völker. Ausweislich der Präambel des Grundgesetzes und Art. 24 Abs. 1 GG und seit 1992 Art. 23 GG n. F. ist es der Wille der Deutschen mit anderen europäischen Völkern gemeinschaftlich Staatsgewalt auszuüben66. Geltungsgrund des Europarechts kann freiheitsdogmatisch nur der Wille der BürI. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431. Siehe grundlegend Kap. II.1. 62 P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 30. 63 Siehe vor allem Fn. 43. 64 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 64 ff. Dazu Kap. V.2. 65 BVerfGE 89, 155 (190, 198 f.); H.-J. Blanke, Der Unionsvertrag von Maastricht, S. 418 f.; C. O. Lenz, Vertrag von Maastricht, NJW 46 (1993), S. 1963. Anderer Ansicht P. Häberle, Europa – eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 118: „schon längst nicht mehr“. 66 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 87. Zur „offenen Staatlichkeit“ Deutschlands siehe auch C. Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, HStR, Bd. VII, § 172, Rdn. 1 ff.; F. Brosius-Gersdorf, Die doppelte Legitimationsbasis der EU. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der demokratischen Legitimation der Europäischen Union, EuR 34 (1999), S. 139 f.; R. Wahl, Der offene Staat und seine Rechtsgrundlagen, JuS 43 (2003), S. 1145 ff. 60 61
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ger sein67. Zu dem Verhältnis zwischen Europarecht und deutschem Recht lässt sich mit Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, nach dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, nur eine monistische Sichtweise in Einklang bringen: Unionsstaatlichkeit ist Staatlichkeit der nationalen Völker, die durch Organe der Europäischen Organe ausgeübt wird. Freiheitsdogmatisch ist Staatlichkeit auf anderem Wege nicht zu legitimieren68. Die Bürgerschaft begründet den Staat, der wegen des Staatszwecks, der Freiheitsverwirklichung, republikanisch sein muss. Gemeinschaftsrecht ist demnach Teil des deutschen und auch spanischen Rechts, es ist „eben Gemeinschaftsrecht“69: „Das Europarecht ist längst immanenter Bestandteil der deutschen Verfassungs- und Rechtswirklichkeit geworden.“70
Sowohl Art. 23 Abs. 1 GG als auch Art. 93 CE ermöglichen nur in begrenztem Maße die gemeinsame Ausübung von Staatlichkeit71. Die Union kann rechtens nur funktionale Staatlichkeit ausüben72; die Begründung eines existentiellen Staates wird durch die genannten Verfassungsnormen nicht ermöglicht73. Die fehlende existentielle Staatsqualität der EU zeigt sich vornehmlich in der fehlenden Zwangsbefugnis, die den Mitgliedstaaten vorbehalten ist74.
(2) Ablehnung dualistischer Europarechtslehren Wird kein umgekehrter Monismus, sondern eine dualistische Völkerrechtslehre zugrunde gelegt75, so lässt sich die Staatlichkeit der Union nicht freiheitlich legitimieren. Besonders problematisch ist einerseits die (im Maastricht-Urteil nicht 67 K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil I, S. 19. Zur Lehre des umgekehrten Monismus siehe Ausführungen unter Kap. II.3.b). 68 K. A. Schachtschneider, Diskussionsbeitrag, S. 108; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 122; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 74 f. 69 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 74; Herv. i. Orig. 70 W. Hertel, Die Normativität der Staatsverfassung und einer Europäischen Verfassung, JöR N.F. 48 (2000), S. 245. 71 Die Ansicht, es handele sich um ein „System geteilter Herrschaft“ (B. Martenczuk, Die differenzierte Integration und die föderale Struktur der Europäischen Union, EuR 35 (2000), S. 356) entspricht nicht der Idee der Freiheit eines republikanischen Gemeinwesens. 72 Dazu Kap. V.2.b)bb). 73 Dazu Kap. V.2.c)aa). 74 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 94; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 64 ff. Siehe auch J. C. Piris, Hat die Europäische Union eine Verfassung?, EuR 35 (2000), S. 322 f. Ungewöhnlich bildlich bringt dies Mayer zum Ausdruck: „Sie verfügt zwar über Stempelkissen, nicht aber über Schießeisen“; F. C. Mayer, Macht und Gegenmacht in der Europäischen Verfassung, ZaöRV 63 (2003), S. 61. 75 Zu Monismus und Dualismus grundlegend Kap. II.3.b).
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mehr wiederholte76) Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts, durch das Europarecht sei eine neue, von den Mitgliedstaaten geschiedene Rechtsordnung entstanden, andererseits, eng damit verbunden, die Vollzugslehre, nach der die nationalen Zustimmungsgesetze einen Rechtsanwendungsbefehl der Gemeinschaftsverträge darstellen. Die Existenz einer eigenständigen Rechtsordnung dogmatisiert das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur EWG-Verordnung in Anlehnung an die Rechsprechung des Europäischen Gerichtshofs77: „Damit ist eine neue öffentliche Gewalt entstanden, die gegenüber der Staatsgewalt der einzelnen Mitgliedstaaten selbständig und unabhängig ist; ihre Akte brauchen daher von den Mitgliedstaaten weder bestätigt (,ratifiziert‘) zu werden noch können sie von ihnen aufgehoben werden. Der EWG-Vertrag stellt gewissermaßen die Verfassung dieser Gemeinschaft dar. Die von den Gemeinschaftsorganen im Rahmen ihrer vertragsgemäßen Kompetenzen erlassenen Rechtsvorschriften, das ,sekundäre Gemeinschaftsrecht‘, bilden eine eigene Rechtsordnung, deren Normen weder Völkerrecht noch nationales Recht der Mitgliedstaaten sind. Das Gemeinschaftsrecht und das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten sind ,zwei selbständige, voneinander verschiedene Rechtsordnungen‘; das vom EWG-Vertrag geschaffene Recht fließt aus einer ,autonomen Rechtsquelle‘.“78
Eine von den nationalen Völkern unabhängige Staatsgewalt ist nur in einem existentiellen Unionsstaat möglich, der seine demokratische Legitimation unmittelbar von dem Willen eines europäischen pouvoir constituant ableitet79. Jedoch ist die Union, wie schon dargelegt, weder ein existentieller Staat noch kann aufgrund fehlender Grundvoraussetzungen ein existentieller Unionsstaat gewollt sein80. Weiterhin stellen die Nationalstaaten die Rechtlichkeit in Europa teils durch nationale Ausübung der Staatsgewalt, teils in Gemeinschaft sicher. Die Dogmatik einer „autonomen Rechtsquelle“81 findet in der rechtlichen Konzeption der Europäi76 Im Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Dogmatik einer autonomen Rechtsquelle nicht mehr aufgegriffen und stattdessen von „Akten einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedsstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation“ gesprochen; BVerfGE 89, 155 (175). Vgl. bereits H. P. Ipsen, Europäische Verfassung – Nationale Verfassung, EuR 22 (1987), S. 198. 77 Vgl. EuGH v. 05. 02. 1963 – Rs. 26 / 62 (N.V. Algemene Transporten Expeditie Onderneming Van Gend & Loos / Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1 (25); EuGH v. 15. 07. 1964 – Rs. 6 / 64 (Flaminio Costa / E.N.E.L.), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); EuGH v. 09. 03. 1978 – Rs. 106 / 77 (Staatliche Finanzverwaltung / Simmenthal), Slg. 1978, 629 (644). 78 BVerfGE 22, 293 (296). Vgl. auch BVerfGE 29, 198 (210); 31, 145 (173 f.); 37, 271 (277 f.); 58, 1 (27); 73, 339 (367). So auch das spanische Verfassungsgericht, das in ständiger Rechtsprechung in „Verfassungsrecht und Gemeinschaftsrecht zwei unterschiedliche Rechtsordnungen“ sieht; DTC 108 / 1992 v. 01. 07. (deutsche Übersetzung der Erklärung des Verfassungsgerichts), abgedruckt in EuGRZ 20 (1993), S. 286. 79 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 103; P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 34 ff. 80 Dazu Kap. V.2.c). 81 Ebensowenig handelt es sich um ein „tertium zwischen staatlicher und internationaler Rechtsordnung“; so aber D. T. Tsatsos, Die Europäische Unionsgrundordnung, EuGRZ 22 (1995), S. 295.
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schen Union ebenso wenig eine Entsprechung82 wie der strittige Begriff der Supranationalität 83, der eine Durchsetzbarkeit des Unionsrechts unabhängig von dem Willen der Völker vermuten lässt84. In einer „Welt jenseits des Staates“85 kann es keine Freiheit geben, da die alleinige mit Zwangsbefugnis ausgestattete Institution die Rechtlichkeit garantieren kann, der Staat, fehlt. Aussagen wie, der Staat sei „wenn nicht tot, so doch entzaubert und entmythologisiert“86 entbehren ihrer sachlichen Grundlage; Forderungen nach einem „Transnationalstaat“87 sind schwer zu begründen, da die Nationalstaaten bisher die besten Körperschaften zur Verwirklichung der Freiheit sind88. Eng mit der Dogmatik einer autonomen Rechtsquelle ist die Vollzugslehre verbunden. Mit Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG (bis 1992 durch Art. 24 Abs. 1 GG) werde ein innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl des Gemeinschaftsrechts gegeben, ohne dass dieses als deutsches Recht anerkannt wird89. Ein Rechtsanwendungsbefehl setzt jedoch einen eigenständigen europäischen Gesetzgeber und somit eine autonome Rechtsordnung voraus, die ohne existentielle Staatsqualität der Union nicht bestehen kann90. b) Verfasstheit durch Gemeinschaftsverträge aa) Grundlegende Aspekte einer republikanischen Verfassungslehre (1) Verfassung und Verfassungsgesetz Dem Verfassungsbegriff werden vielfältige Bedeutungen zugeschrieben91; aus diesem Grund ist es wichtig, begriffliche Klarheit zu schaffen. Wird von Verfas82 Kritik an der herrschenden Lehre bei K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 70 f. 83 Vgl. Fn. 76. 84 So Kritik bei K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 163 ff. 85 R. Wahl, Der Einzelne in der Welt jenseits des Staates, Der Staat 40 (2001), S. 45 ff. 86 U. Haltern, Internationales Verfassungsrecht?, S. 520. Siehe auch M. Albrow, Abschied vom Nationalstaat, 1998, S. 260 ff.; E. Denninger, Vom Ende nationalstaatlicher Souveränität in Europa, JZ 55 (2000), S. 1121 ff. 87 U. Beck, Was ist Globalisierung?, 6. Aufl. 1999, S. 183 ff. 88 Dazu Kap. V.2.a)bb). 89 BVerfGE 45, 142 (169); 52, 187 (199); 73, 339 (367 f., 375); 75, 223 (244); 82, 159 (193); 85, 191 (204); 89, 155 (190). Vgl. auch R. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 107 ff. 90 Kritik an der Vollzugslehre bei K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 99; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 72 f.; ders. / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil I, S. 18. 91 C. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 1 f.
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sung gesprochen, ist meist das Verfassungsgesetz gemeint92. Die Verfassung wird mit den Menschen geboren und umfasst das Recht auf ein Leben in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit93: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ (Art. 1 AEMR)
Verwirklicht wird die Verfassung durch das Verfassungsgesetz, dem „höchstrangig positiven Gesetz zur Verwirklichung der Freiheit der Bürger“94. Zweck ist demnach die Verwirklichung von Freiheit durch Rechtlichkeit95. Das Verfassungsgesetz setzt die Verfassung voraus96 und wird durch die verfassungsgebende Gewalt des Volkes legitimiert97. Für den Geltungsgrund der Verfassung sind keine Legitimitätserwägungen anzustellen: „Eine Norm wäre gar nicht imstande, hier irgendetwas zu begründen.“98 Das Verfassungsgesetz bestimmt die „rechtliche Grundordnung des Staates, System höchster und letzter Normen“99. Es ordnet die grundlegenden staatlichen Einrichtungen, regelt Verfahren und enthält einen Grundrechtskatalog zur Verwirklichung der Menschenrechte100. Insbesondere bestimmt es, wer Bürger ist101. Wie Art. 16 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. 08. 1789 betont, sind „Verbürgung der Rechte“ und „Gewaltenteilung“ Wesensbestandteile der Verfassung102. Jeder Mensch hat das Recht auf Recht und daher die Befugnis, diesen bürgerlichen, d. h. verfassten Zustand zu erzwingen103. 92 Grundlegend zu der Unterscheidung von Verfassung und Verfassungsgesetz siehe K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 29 ff., 50 ff. 93 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 83 f. 94 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 84 ff. (Zitat auf S. 85). Vgl. auch ders. (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 29 ff. 95 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 429. 96 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 20 ff., insbesondere S. 22. 97 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 88 f. 98 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 87. 99 K. Stern, Staatsrecht I, S. 70 f. Vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 79. Allgemeiner ist nach Scholz die Verfassung die „konstitutionelle Grundordnung eines Gemeinwesens“; R. Scholz, Das Bonner Grundgesetz und seine identitätsstiftende Wirkung im vereinten Deutschland, in: P. Kirchhof / R. Scholz / E. Werthebach (Hrsg.), Die Akzeptanz des Rechtsstaates, 1998, S. 11; Herv. d. Verf. 100 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 85; R. Gavison, What Belongs in a Constitution?, CPE 13 (2002), S. 91 ff. 101 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 79. 102 Kirchhof sieht zudem eine historische Komponente: „Verfassungen sind das Gedächtnis der Demokratie. Sie erinnern an erprobte Rechtswerte, gefestigte Rechtserfahrung, bewährte Organisations- und Entscheidungsstrukturen“; P. Kirchhof, Der Weg Europas ist der Dialog, EuZW 10 (1999), S. 353.
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Abzulehnen ist die weit verbreitete Ansicht, Aufgaben des Verfassungsgesetzes seien Machtbegrenzung104 oder „Legitimierung . . . von Herrschaft“105. Es handelt sich um ein monarchisches Staatsverständnis, nach dem der Staat Herrschaft106 sei, Macht ausübe und einer „diese Macht begrenzende Gegenmacht“107 bedürfe. Das Festhalten dieser in der Rechtsgeschichte „ursprünglichen Funktion der Verfassung“108 widerspricht dem Selbstverständnis der Republik als Staat der Freiheit109.
(2) Verfassung und Staat Das herrschende Staatsverständnis als eine mit Souveränität behaftete Organisation führt zu der Schwierigkeit, zu beobachtende Zusammenhänge zwischen Verfassung und Staat zu erklären: Nicht nur existentielle Staaten nennen ihre Grundordnungen Verfassungen110, sondern auch die Europäische Union hat eine111. Ebenfalls werden die Charta der Vereinten Nationen und die Grundordnung der Weltgesundheitsorganisation als Verfassungen bezeichnet112. Kirchhof charakterisiert diese Begriffsverwendungen113, ebenso wie die Termini der Wirtschaftsoder Kommunalverfassung als „inhaltsarm, damit fast beliebig verwendbar“114. Konsequent befürwortet er einen streng staatsbezogenen Verfassungsbegriff, wobei er nur existentielle Staaten als „Staaten“ anerkennt115. Der Verfassungsbegriff, auf dem diese Arbeit basiert, knüpft hieran an, bezieht sich aber auf den dargelegten, weiter gefassten Staatsbegriff, der neben existen103 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338, 347, 430 f.; ders., Über den Gemeinspruch, 1793, S. 148; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 426, 551 ff., 562 f.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 85. 104 So K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 13 f.; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 78 ff. 105 R. Wahl, Elemente der Verfassungsstaatlichkeit, S. 1041. 106 Bereits G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 505; siehe auch C. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, S. 9 ff. 107 F. C. Mayer, Macht und Gegenmacht in der Europäischen Verfassung, S. 67 f. 108 U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 871. 109 Zu der republikanischen Staatslehre vgl. Kap. II.1. 110 R. Bieber, Das Verfahren zur Entwicklung einer europäischen Verfassung, Die Union 1 (1998), S. 17 f. Obwohl das Land Schleswig-Holstein sein Verfassungsgesetz als Landessatzung bezeichnet, handelt es sich um eine genuine Verfassung eines existentiellen Staates. Siehe allgemein Kap. III.1.b). 111 Dazu ausführlich unter bb). 112 Vgl. F. C. Mayer, Macht und Gegenmacht in der Europäischen Verfassung, S. 66. 113 Siehe Überblick bei A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 46 ff. 114 P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 897. 115 „Wo kein Staat, da keine Verfassung, wo kein Staatsvolk, da kein Staat“; Kirchhof zitiert in H.-J. Papier, Ein Verfassungscheck für die Union, o. S.
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tiellen Staaten auch nicht-existentielle, funktionale Staaten umfasst. Somit ist nicht die Ansicht überwunden, dass nur Staaten Verfassungen haben können116, sondern lediglich auf einen breiteren, jedoch differenzierbaren Staatsbegriff, der die tatsächlichen Verhältnisse präzise wiedergibt, bezogen. Das vom Volk gegebene Verfassungsgesetz begründet den Staat117, so dass es „nur soviel Staat (gibt), wie die Verfassung konstituiert“118. Die Republik ist somit stets Verfassungsstaat119, in dem Recht und Freiheit garantiert werden120.
bb) Verfassungseigenschaft der europäischen Verträge (1) Funktionale Verfassung der Union Die Frage, ob die Europäische Union eine Verfassung hat, wird von der Rechtsprechung bejaht, von einigen Rechtswissenschaftlern dagegen negiert121. Nach Tomuschat handelt es sich „dabei nicht mehr als ein Streit um Worte“122. Das 116 Einen Zusammenhang zwischen Staat und Verfassung ablehnend aber K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 55 f.; F. C. Mayer, Macht und Gegenmacht in der Europäischen Verfassung, S. 63 m. w. N.; C. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, S. 20 f. Anderer Ansicht insbesondere J. Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, § 13, Rdn. 1. 117 K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 30 ff.; J. Isensee, HStR, Bd. I, § 13, Rdn. 1 ff.; ders., Verfassungsrecht als „politisches Recht“, HStR, Bd. VII, § 162, Rdn. 29, 98 ff. So bereits I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 429. 118 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 620; Klammersatz hinzugefügt. 119 Dazu P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 1 ff.; ders., HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 3; ders., Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 36; J. Isensee, HStR, Bd. I, § 13, Rdn. 1 ff. 120 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 1, 85. Siehe auch Ausführungen unter Kap. II.1. 121 Möllers stellt zutreffend fest, dass es sich um einen „binären Begriffsrahmen“ handelt, der keine dritte Möglichkeit zulässt; C. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, S. 29. So auch Isensee, der die Bezeichnung als „Verfassung sui generis“ (M. F. Commichau, Nationales Verfassungsrecht und europäische Gemeinschaftsverfassung, 2. Aufl. 1998, S. 127) als Verzicht auf eine Definition ansieht; J. Isensee, Integrationsziel Europastaat?, in: O. Due / M. Lutter / J. Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, 1995, S. 582. Ebenso ist der Terminus einer „Quasi-Verfassung“ (P. Badura, Der Bundesstaat Deutschland im Prozeß der europäischen Integration, 1993, S. 24) demnach nicht weiterführend. Spezifischer dagegen Häberle, der von „Teilverfassungen“ in Europa (P. Häberle, Europäische Verfassungslehre – ein Projekt, in: ders. (Hrsg.), Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 12 ff.; ders., Europa als werdende Verfassungsgemeinschaft, DVBl. 115 (2000), S. 841) ohne eine gemeinsame „Verfassungsurkunde“ ausgeht (J. Isensee, Integrationsziel Europastaat?, in: O. Due / M. Lutter / J. Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, 1995, S. 378). Von einer „Unionsgrundordnung“ spricht D. T. Tsatsos, Die Europäische Unionsgrundordnung, S. 287 ff. Ablehnend C. Koenig, Anmerkungen zur Grundordnung der Europäischen Union und ihrem fehlenden „Verfassungsbedarf“, NVwZ 15 (1996), S. 551. 122 C. Tomuschat, Das Endziel der europäischen Integration, DVBl. 111 (1996), S. 1074.
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Bundesverfassungsgericht stellte bereits 1967 fest, dass „der EWG-Vertrag . . . gewissermaßen die Verfassung dieser Gemeinschaft“123 sei. Damit knüpfte es an die Worte des Generalanwalts Lagrange von 1964 an, der in seinem Schlussantrag in der Rechtssache Flamino Costa / E.N.E.L. den völkerrechtlich geschlossenen EWG-Vertrag als „Verfassungsurkunde“124 charakterisierte. Der Europäische Gerichtshof selbst griff den Begriff der „Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft“ erst 1986 in dem Urteil Les Verts / Parlament125 und 1991 im 1. EWR-Gutachten126 mit der Betonung auf, dass ihre Schließung durch völkerrechtliche Verträge diesem nicht entgegen stehe127. Die Tatsache, dass es sich um völkerrechtliche Übereinkünfte handelt128, schließt nicht aus, dass es die Verfassung der Gemeinschaft ist129. Nach dem umgekehrten Monismus entspringt auch das Völkerrecht dem Willen der Völker, so dass die Verträge Teil der bestehenden Rechtsordnung sind. Da letztere der Union eine Grundordnung geben, sind sie materiell als deren Verfassung anzusehen130. Monistisch sind sie Teil der mitgliedstaatlichen Verfassungen, d. h., sie sind Verfassungsgesetze im funktionalen Sinn131.
123 BVerfGE 22, 293 (296). So auch J. Limbach, Das Bundesverfassungsgericht und der Grundrechtsschutz in Europa, S. 2914. 124 Schlussantrag GA Lagrange v. 25. 06. 1964 zu EuGH v. 15. 07. 1964 – Rs. 6 / 64 (Flaminio Costa / E.N.E.L.), Slg. 1964, 1279 (1289). 125 EuGH v. 23. 04. 1986 – Rs. 294 / 83 (Les Verts / Parlament), Slg. 1986, 1339 (1365). 126 EuGH v. 14. 12. 1991 – Gutachten 1 / 91 (Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums), Slg. 1991, I-6079 (6102). 127 Allerdings dogmatisierte der EuGH bereits früher das Europarecht als autonome Rechtsordnung; siehe Quellen in Fn. 77. Zudem siehe EuGH v. 26. 04. 1977 – Gutachten 1 / 79 (Errichtung eines Europäischen Stillegunsfonds für die Binnenschiffahrt), Slg. 1977, 741 (759), in dem auf die „innere Verfassung der Gemeinschaft“ verwiesen wird. 128 So auch BVerfGE 45, 142 (169); 52, 187 (199); 73, 339 (367 f., 375); 89, 155 (190). 129 Vgl. auch G. Hirsch, EG: Kein Staat, aber eine Verfassung?, NJW 53 (2000), S. 46; C. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, S. 14; J. C. Wichard, Der Vertrag über eine Verfassung für Europa: Konstitutionalisierung oder Vertragsrevision?, EuGRZ 31 (2004), S. 557 f.; L. M. Díez-Picazo, ¿Qué diferencia hay entre un tratado y una constitución?, CDP 13 (2001), S. 97 f. 130 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 172; J. M. Martínez Sierra, El debate constitucional europeo, REP N.E. 113 (2001), S. 200 ff. Nach Zuleeg umfasst die europäische Verfassung neben dem Vertragsrecht auch das Richterrecht; M. Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, S. 934, 948. I. d. S. auch Peters, die die Verfassung als „weitgehend richterrechtlich geprägt“ charakterisiert; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 619. 131 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 85; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 58. I. d. S. auch U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 142.
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(2) Verfassung eines nicht-existentiellen Staates Die Verträge sind ebenso wenig wie der Vertrag über eine Verfassung für Europa132 ein Verfassungsgesetz im eigentlichen Sinn, d. h., sie konstituieren keinen existentiellen Staat133. Das Recht zur ursprünglichen Verfassungsgesetzgebung ist ein unübertragbares Recht der Bürger der europäischen Völker. Die Verträge entsprechen dem Willen der Völker Europas, dem Frieden willen in Gemeinschaft staatliche Aufgaben wahrzunehmen, der Willen zu einer Gründung eines existentiellen Staates fehlt jedoch134. Dazu bedarf es des Zusammenschlusses der Menschen in der Union zu einem gemeinsamen pouvoir constituant und somit der Schaffung einer europäischen Verfassungshoheit. Ohne einen ursprünglichen, verfassungsgebenden Akt eines Unionsvolkes bleibt es bei einem Staat im funktionalen Sinn135. Es handelt sich nicht um eine „transnationale Verfassung“136. Forderungen nach einem neuen Verfassungsverständnis im Sinne einer „postnationalen Verfassungstheorie“137 lassen unberücksichtigt, dass die europäische Verfassung im funktionalen Sinn weder über den Staaten steht noch unabhängig von dem Willen der nationalen Völker legitimiert werden kann. Eine „komplexe Dreiecksbeziehung zwischen gemeinschaftlicher Herrschaft, mitgliedstaatlicher Herrschaft und der Freiheit der Herrschaftsunterworfenen in Europa“138 gibt es nicht: Zum einen gibt es weder Herrschaft noch Unterworfene, da alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, zum anderen steht die Freiheit in keinem Spannungsverhältnis mit Nationalstaat oder der Union, sondern kann vielmehr erst durch deren Rechtlichkeit garantiert werden. Problematisch an dem Verfassungsbegriff wird insbesondere gesehen, dass ihm häufig ein existentieller Staat zugrunde gelegt wird, ohne dass dieser Zusammenhang zwingend ist. Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Legitimationsfunktion Dazu Kap. V.3. BVerfGE 89, 155 (188). Siehe auch C. Dorau / P. Jacobi, The Debate over a „European Constitution“, EPL 6 (2000), S. 416 ff. 134 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 121 ff. I. d. S. auch U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 205; P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 54, 62; R. Zippelius / T. Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 442 f.; F. C. Mayer, Der Bundesstaat in der postregionalen Konstellation, S. 452; J.-P. Jacqué, Der Vertrag über eine Verfassung für Europa: Konstitutionalisierung oder Vertragsrevision?, S. 554 f. 135 I. d. S. P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 37; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 56. 136 Kritisch dazu P. Häberle, Stellungnahme zum Projekt der Zukunftswerkstätte „Transnationale europäische Verfassung“, Die Union 1 (1998), S. 125 ff. Siehe aber U. Beck, Was ist Globalisierung?, S. 183 ff. 137 I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 154. Siehe dazu auch M. Nettesheim, Die konsoziative Föderation von EU und Mitgliedstaaten, ZEuS 5 (2002), S. 539. 138 C. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, S. 24. 132 133
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der europäischen Verträge, da diese keine existentielle Staatsverfassung darstellen. Auch die Umsetzung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze der Union (Art. 6 Abs. 1 EUV, Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) wird moniert. Die Struktur der EU mit „ihrer nur mittelbar von den Staatsvölkern abgeleiteten Hoheitsgewalt“139 weist substantielle Demokratiedefizite auf, von denen vor allem der fehlende Parlamentarismus hervorgehoben werden soll140. Hierzu schlussfolgert Kirchhof: „Schließlich ist dem Begriff der ,Verfassung‘ ein Legitimations- und Sympathiewert eigen, der dem Organisationsstatut der EU- und der EG-Verträge mehr Glanz demokratischer Legitimation und rechtstaatsähnlicher Geschlossenheit zusprechen soll.“141
c) Staatsform Als Alternative zu den Begriffen einer Verfassung oder eines Verfassungsvertrages ist der Terminus des Bundesvertrages zu befürworten. Bei diesen Verträgen handelt es sich um einen Bund zwischen existentiellen Staaten, deren Staatsqualität nicht alteriert wird, so dass es ein echter Bund ist. Folglich ist untrennbar mit der Diskussion um Staatsqualität und Verfasstheit der Union die Debatte um die Staatsform verbunden. Insbesondere aus Rücksicht auf Frankreich und das Vereinigte Königreich wurde das Thema lange Zeit politisch tabuisiert142. Churchill plädierte für die „Vereinigten Staaten Europas“143, einen existentiellen Unionsstaat, das europäisches Pendant der Vereinigten Staaten von Amerika. Tatsache ist: Die Europäische Union ist ein Bundesstaat, da aufgrund der ausgeprägten institutionellen und funktionalen Staatlichkeit nicht von einem Staatenbund gesprochen werden kann144. Ein Unterschied zu der deutschen Bundesstaatlichkeit ist, dass die Union selbst kein existentieller Staat ist. Entgegen der herrschenden, an Jellinek anknüpfenden Lehre ist es nicht ersichtlich, dass der Bund als existentieller Staat geschlossen werden muss145. Entscheidendes Wesensmerkmal des Bundesstaates P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 896. Ausführlich dazu siehe Kap. V.2.c)cc)(2); K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119 ff., insbesondere S. 132 ff. 141 P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 897. 142 Vor allem die britische Öffentlichkeit setzte „föderativ“ mit „staatlich-zentralistisch“ gleich; R. Hrbek, Der Ertrag der „Verfassungsdebatte“ von Maastricht, in: J. F. Baur (Hrsg.), FS für Bodo Börner, 1992, S. 137. Siehe auch M. Hilf, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, VVDStRL 53 (1994), S. 10; J.-L. Quermonne, Die Europäische Union auf der Suche nach legitimen und effizienten Institutionen, Integration 23 (2000), S. 83; S. Oeter, Föderalismus, S. 60. 143 Erneuert wird die Forderung von J. Leinen, Regionalismus und Subsidiarität, in: F. Ronge (Hrsg.), In welcher Verfassung ist Europa – Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 194. Zu einem historischen Abriss der Föderalismusdiskurse siehe S. Oeter, Föderalismus, S. 63 ff. Vgl. auch K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 168. 144 Siehe grundlegend zu den Wesensmerkmalen eines Staatenbundes Kap. II.3.b). 145 Grundlegend Kap. II.3.a). 139 140
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nach Schmitt ist die Schließung eines echten Bundes, wie er zweifelfrei durch den Unions- und die Gemeinschaftsverträge, aber auch bei Inkrafttreten des Vertrages über eine Verfassung Europas, vorliegt146. Die herrschende Rechtslehre schlussfolgert aufgrund des Festhaltens an der verfehlten souveränitätsgeprägten Staatsdefinition sowie an der Inhaberschaft der Souveränität als Unterscheidungsmerkmal zwischen Staatenbund und Bundesstaat, dass die Europäische Union weder als Bundesstaat noch als Staatenbund im Sinne Jellineks zu bezeichnen ist147. Die Union sei aufgrund der fehlenden Souveränität kein „staatsrechtlicher“ 148 Bundesstaat149, allenfalls ein „unvollendeter Bundesstaat“150 oder ein „Teilbundesstaat“151 und aufgrund der „zahlreichen staatsähnlichen Züge“152 kein „völkerrechtlicher“153 Staatenbund. Als Konsequenz wird das Begriffspaar Staatenbund und Bundesstaat als eine „überkommene Lehre von den Staatenverbindungen“ bezeichnet, die „dem Sondercharakter der Gemeinschaft nicht gerecht“154 werde. Anstatt dessen werden eine Reihe von Begriffsschöpfungen der Europäischen Union angehaftet, insbesondere „Verbund demo146 Bestätigt wird dies in der Forderung „föderativer Grundsätze“ in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG [Kap. VI.2.a)bb)(1)]. „Ein sachlicher Unterschied zu den bundesstaatlichen Zügen ist aber nicht zu erkennen“; so auch M. Zuleeg, Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, S. 2851. 147 „Solange das Prinzip der Souveränität der Gliedstaaten rechtlich anerkannt ist, bleibt eine derartige Verbindung, wie immer sie gestaltet sein mag, ein Staatenbund“; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 765 f. 148 So A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 184. 149 BVerfGE 89, 155 (188); 22, 293 (296); J. H. Kaiser, Regionalpolitik im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft, S. 169. 150 W. Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, 1969. Zu widersprechen ist der Einschätzung Webers, der die Union als „präföderales Gebilde“ bezeichnet, da sie sich allenfalls auf dem „Wege zu einem europäischen Bundesstaat“ befinde; A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 325. Es muss eingewandt werden, dass selbst wenn der EU aufgrund einer anderen Begriffsdefinition die Bundesstaatlichkeit abgesprochen wird, ihre Föderalität nicht negiert werden kann. 151 S. Broß, Überlegungen zum gegenwärtigen Stand des Europäischen Einigungsprozesses, EuGRZ 29 (2002), S. 579. 152 K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 89. So bereits Lagrange, der feststellt, „daß unser Gerichtshof in keiner Weise ein internationaler Gerichtshof ist, sondern, daß ihm die Rechtsprechung einer . . . Gemeinschaft obliegt, die weit eher einer bundesstaatlichen als einer internationalen Einrichtung gleicht“; GA Lagrange zu EuGH v. 29. 11. 56 – Rs. 8 / 55 (Fédération charbonniére de Belgique / Hohe Behörde), Slg. 1956, 197 (267). 153 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 184. Zu der Kritik an diesem Unterscheidungskriterium siehe Kap. II.3.b). 154 U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 885. I. d. S. auch P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 903: „Im Ergebnis bleibt der Rechtsgrundlagenbefund der Europäischen Union zu anspruchsvoll und neuartig, als dass er in herkömmliche Rechtskategorien eingebettet werden könnte.“
1. Europäische Union als nicht-existentieller Bundesstaat
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kratischer Staaten“155, kurz „Staatenverbund“156, aber auch „Verfassungsverbund“157, „föderal verfasstes Verbundsystem“158 oder „Mischsystem“159. Die Begrifflichkeit Schmitts und damit die Folge, dass die EU ein Bundesstaat ist, wird explizit abgelehnt160, da sein „Buch (sc. Verfassungslehre) . . . uns nichts mehr zu sagen“ hat und „wenn man es ernst nimmt, (man sich) auch nicht das herausnehmen (kann), was einem gerade paßt“161. Gegen diese Einschätzung ist einzuwenden, dass in einer nicht-experimentiellen Wissenschaft wie der Rechtswissenschaft Fortschritte an die kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lehren gebunden sind. Der Unterschied zwischen Wissenschaft und einer „Schule“ besteht gerade darin, nicht die Meinung des „Lehrers“ en-bloc zu wiederholen, sondern diese kritisch zu prüfen. Es wird nicht herausgenommen, „was einem gerade paßt“, sondern diejenigen Aspekte, die die Wirklichkeit am getreuesten abbilden oder in einer verbalen Wissenschaft begrifflich erfassen. Nicht nur „in seinem alltäglichen Funktionieren“ ist der Staatenverbund „phänomenologisch von einem Bundesstaat ununterscheidbar“162, sondern auch in seiner rechtlichen Konstruktion als echter Bund zwischen existentiellen Staaten, so dass die EU als Bundesstaat zu bezeichnen ist163.
BVerfGE 89, 155 (184). BVerfGE 89, 155 (181, 183 ff., 188, 190, 207, 212). Grundlegend siehe P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 68 f.; ders., Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 900. 157 I. Pernice, Die dritte Gewalt im europäischen Verfassungsverbund, EuR 31 (1996), S. 29 ff.; ders., Der europäische Verfassungsverbund auf dem Weg der Konsolidierung, JöR N.F. 48 (2000), S. 214 ff. Kritk hieran P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 904. 158 U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 889 f. 159 S. Oeter, Föderalismus, S. 71 ff. 160 I. Pernice, Carl Schmitt, Rudolf Smend und die europäische Integration, AöR 120 (1995), S. 111 f. 161 W. Hennis, Integration durch Verfassung?, JZ 54 (1999), S. 491; Herv. i. Orig; Klammersätze hinzugefügt. 162 S. Oeter, Europäische Integration als Konstitutionalisierungsprozeß, S. 912. 163 Siehe auch die Ausführungen Schönbergers, der die auf Jellinek beruhende Unterscheidung des Begriffspaars Staatenbund und Bundesstaat kritisiert und stattdessen die EU unter den von Schmitt geprägten Bundesbegriff subsumiert. Anders jedoch als in dieser Arbeit definiert es den Bundesstaatsbegriff nicht entsprechend der Lehre des Bundes, sondern bleibt der herrschenden Definition verhangen, so dass er das Vorliegen eines Bundes im Bundesstaat verneint. Nach ihm ist die EU ein Bund, und (seiner Begriffsdarlegung folgend) deswegen kein Bundesstaat. Abgesehen von dieser (auf unterschiedliche Begriffsverständnisse zurückgehende) Unterschiede, stimmen seine Darlegungen in den Grundzügen mit den Ausführungen dieser Arbeit überein; C. Schönberger, Die Europäische Union als Bund, AöR 129 (2004), S. 81 ff., insbesondere S. 98 ff. 155 156
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
2. Freiheitsdogmatische Begründung europäischer Bundesstaatlichkeit Die Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union als „Verbund demokratischer Staaten“164 erinnert an die Idee Kants nach einem „Föderalism freier Staaten“165. Europäischer Föderalismus muss auf die Verwirklichung einer europäischen Republik der Republiken abzielen [a)aa)]. Friedenssicherung als übergeordnetes Ziel der Union ist nur in Zusammenhang mit der Wahrung des Prinzips der kleinen Einheit realisierbar [a)bb)]. Wie bereits für die unechte Bundesstaatlichkeit gezeigt166, ist erst recht in einem echten Bundesstaat das Prinzip der ständigen Freiwilligkeit anzuerkennen [a)cc)]. Die Legimitation aller Unionsakte durch die nationalen Parlamente und letztlich die nationalen Völker stellt zwei Anforderungen an die Übertragung von Zuständigkeit auf die Union. Zum einen ist das Grundprinzip der begrenzten Ermächtigung zu wahren [b)aa)], zum anderen ist die Attribution existentieller Staatlichkeit rechtswidrig [b)bb)]. Hieran anknüpfend zeigt sich, dass ein wesentliches Integrationsproblem die Bestimmung der rechtlichen Grenzen einer „immer engeren Union der Völker Europas“167 ist. Die entscheidende Frage lautet: Ist ein existentieller europäischer Bundesstaat mit der Idee der Freiheit vereinbar? Die Konstitution eines existentiellen Unionsstaates bedarf einer europäischen Bürgerschaft [c)bb)]. Insbesondere müsste das Verfahren einer Verfassungsgebung dem Recht entsprechen [c)aa)]. Gegen einen existentiellen Bundesstaat sprechen allerdings die fehlenden Grundvoraussetzungen [c)cc)]. a) Föderalismus freier Staaten aa) Europäische Republik der Republiken Ein vereintes Europa ist allein als ein (auf Europa begrenzter) Föderalismus freier Staaten im Sinne Kants168 freiheitlich zu konzipieren169. Durch die EUErweiterung verfasst sich nunmehr fast das gesamte Europa als „Republik der BVerfGE 89, 155 (184). I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 208 ff. 166 Siehe Kap. III.1.c)cc). 167 12. ErwG Präambel EUV; Art. 1 Abs. 2 EUV; ähnlich 1. ErwG Präambel EGV. 168 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 168. 169 I. d. S. K. A. Schachtschneider, Diskussionsbeitrag, S. 108. Siehe auch J. Leinen, Regionalismus und Subsidiarität, in: F. Ronge (Hrsg.), In welcher Verfassung ist Europa – Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 188: „Ein zentralistisch regiertes Europa scheidet aus den Überlegungen aus. Ein europäischer Zentralstaat widerspricht der Vielfalt, der Kultur und den Interessen auf unserem Kontinent.“ 164 165
2. Begründung europäischer Bundesstaatlichkeit
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Republiken“170. Hierbei ist der Terminus der Republik nicht zwingend mit einem existentiellen Staat gleichzusetzen, sondern bedeutet „Staat des Rechts“171. Eine (funktional-staatliche) Rechtsgemeinschaft zur Bewältigung staatsübergreifender Aufgaben ist auch die Union172. Sowohl die Präambel des Grundgesetzes als auch Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG fordern ein „vereintes“, nicht ein vereinigtes Europa173, d. h. eine Union, die auf den Grundsätzen des Föderalismus und der Subsidiarität (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG; Art. 6 Abs. 3 EUV; Art. 5 Abs. 2 EGV) beruht. Von föderalem Gedankengut geprägt174, soll die künftige Devise des Vertrages über eine Verfassung Europas „In Vielfalt geeint“ (4. ErwG Präambel VVE; Art. I-8 Abs. 3 VVE) lauten.
bb) Grundelemente einer materiellen europäischen Bundesstaatslehre Eine materielle Bundesstaatslehre Europas kann nur eine Lehre der Freiheit sein, denn Ziel jedes Staates sollte die Freiheitsverwirklichung durch Rechtlichkeit sein. Neben den Gründen für den Zusammenschluss zu einer großen Einheit ist zu erörtern, weshalb die kleinen Einheiten aufrecht zu erhalten sind. Die Änderung der Lebensumstände macht das Zusammenleben in einer großen Einheit erforderlich; als übergreifendes Argument ist das Ziel der Friedenssicherung in Europa und der Welt zu nennen175. Voraussetzung der Friedenssicherung und damit der Freiheit aller ist das Prinzip der kleinen Einheit, wie sie für den Föderalismus konstitutiv ist. Das Demokratieprinzip 176, auf dem sowohl Föderalismus177 als auch Rechtsstaatlichkeit basieren, lässt sich nur nach dem Prinzip der kleinen Einheit verwirk170 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 165 ff., 170 ff., 174 ff.; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 122; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 89 f.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 315, 320. 171 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 156. 172 P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBl. 114 (1999), S. 646 f. Vgl. Fn. 12. 173 Hierauf verweisen K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche / T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 48 (1993), S. 760. 174 Siehe die oben zitierte Formel (Kap. II Fn. 59): „Einheit in der Vielfalt“ bei gleichzeitiger „Vielheit in der Einheit“. 175 Präambel GG; 10. ErwG der Präambel EUV; 8. ErwG der Präambel EGV. Zu dem Friedensargument auch J. Fritz-Vannahme / P. Pinzler, Kerneuropa?, Die Zeit v. 11. 12. 2003, S. 9; kritisch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 61. 176 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff., 637 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. I, § 22, Rdn. 35 ff., 41 ff. Siehe bereits H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1932, S. 3 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 243 f. 177 R. Sturm, Föderalismus als demokratisches Prinzip in Deutschland und Europa, S. 16: Demokratie als „unabdingbaren Existenzbedingung“ des Föderalismus.
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
lichen178. Staatliche Akte können nur substantiell demokratisch legitimiert werden, d. h. im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, wenn eine gewisse Nähe zwischen staatlichen Amtswaltern und Bürgern gegeben ist179. Nur eine gebietliche Begrenzung des Staates, wie sie föderale Systeme gewährleisten, stellt die Mitwirkung der Bürger an der Willensbildung und damit die republikanische Rechtsstaatlichkeit insgesamt, nämlich dass Bürger unter denen von ihnen selbst gegebenen Gesetzen leben, sicher180. Hiermit ist das Phänomen, dass „je mehr sich Europa zusammenschließt, desto mehr . . . es der Gegenbalance durch kleinere Einheiten“181 bedarf, der „Trend zum Kleinstaat“182 erklärbar. Die demokratische Legitimation wird durch die nationalen Parlamente sichergestellt183. Die Nationalstaaten sind „das beste Instrument zur Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte, die beste Garantie für ein demokratisches Zusammenleben und für sozialen Fortschritt“184 und haben aus diesem Grund die letzte Rechtsverantwortung gemeinschaftlichen staatlichen Handelns185 sowie die Zwangsbefugnis zur Durchsetzung des Rechts. Kant wendet sich gegen die Verschmelzung „unabhängiger benachbarter Staaten . . . , weil die Gesetze mit dem vergrößten Umfange der Regierung immer mehr an ihrem Nachdruck einbüßen“186, d. h. nicht der Sicherstellung des Rechts dienen187. Der Verwirklichung der Freiheit wegen bedarf es keines europäischen Großstaates188, sondern handlungsfähiger Mitgliedstaaten189, zusammengeschlossen zu einem nicht-existentiellen Bundesstaat. Vgl. Kap. 44. K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 173; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 51, 89 f. 180 Zu der Bedeutung des Nationalstaates zu der Verwirklichung von Demokratie vgl. auch P. G. Cerny, Globalization and the erosion of democracy, EJPR 36 (1999), S. 7 ff. 181 P. Häberle, Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten – in Europa, S. 5. I. d. S. auch H. Maier, Der Föderalismus – Ursprünge und Wandlungen, S. 226. 182 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 40. 183 Vgl. ausführlich Kap. V.1.a)dd). 184 K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 141. I. d. S. auch P. V. Dastoli, Europa zwischen virtueller Demokratie und partizipativer Bürgerschaft, Die Union 1 (1998), S. 54 f. 185 BVerfGE 89, 155 (124 f., 178). Vgl. auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 89 f. 186 I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 225. 187 Vgl. auch W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 9. 188 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 153; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 133 f.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 315; P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 39. 189 K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, JZ 45 (1990), S. 154; C. O. Lenz, Vertrag von Maastricht, S. 1963. 178 179
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cc) Ständige Freiwilligkeit Unabdingbar für echten Föderalismus ist die Anerkennung eines Sezessionsoder Austrittsrechts190. Allein die Tatsache, dass die Europäische Union und ihre Gemeinschaften auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden (Art. 51 EUV; Art. 312 EGV) ohne ein Austrittsverfahren bereitzustellen, ist nicht als Verbot eines Austritts zu werten. Vielmehr gebietet es die Verfassungshoheit der Völker, dass diese mit einem konträren Akt die Mitgliedschaft in der Union gemäß den allgemeinen völkerrechtlichen Regelungen191 beenden können192. Obwohl das Bundesverfassungsgericht dies im Maastricht-Urteil bestätigte193, wird vereinzelt weiter die Ansicht vertreten, ein Austrittsrecht bestehe nicht, sondern wäre Vertragsbruch194. Die Diskussion beendet Art. I-60 Abs. 1 VVE: „Jeder Mitgliedstaat kann in Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Europäischen Union auszutreten.“
b) Attribution von Staatlichkeit Eine der bundesstaatlichen Kernfragen ist die Zuständigkeitsverteilung, deren Grundprinzipien an dieser Stelle diskutiert werden sollen. Der demokratischen Legitimation willen muss alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen, d. h., jegliche Staatlichkeit muss von den nationalen Parlamenten verantwortet werden. Folglich ist das Prinzip der begrenzten Ermächtigung zu achten [aa)]. Weiterhin ist die Übertragung von Aufgaben existentieller Staatlichkeit nicht zulässig, da die Union nur institutionell und funktional Staat ist [bb)].
So bereits III.1.c)cc). Vgl. Art. 54 ff. WVK, insbesondere Art. 56 (Kündigung eines Vertrags oder Rücktritt von einem Vertrag, der keine Bestimmung über Beendigung, Kündigung oder Rücktritt enthält) und Art. 62 (Grundlegende Änderung der Umstände). 192 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 76 f.; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 163, 167 f., 171 m. w. N.; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 914; W. Bukowski, Europa auf dem Weg in die Diktatur?, Teil I, Zeit-Fragen v. 13. 10. 2000, S. 1. Vgl. insbesondere D. Doering, Friedlicher Austritt, 2002. Broß sieht sogar eine Pflicht zum Austritt, sobald der nationale Grundrechtsschutz nicht mehr gewährleistet werden kann; S. Broß, Überlegungen zum gegenwärtigen Stand des Europäischen Einigungsprozesses, S. 578. 193 BVerfGE 89, 155 (190). 194 M. Zuleeg, Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, S. 2851; (vorsichtig) ders., Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, S. 955 f.; T. Stein, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 33. Das Austrittsrecht einzelner Mitglieder verneinen C. O. Lenz, Der Vertrag von Maastricht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, NJW 46 (1993), S. 3038; R. Scholz, Europäische Union und deutscher Bundesstaat, NVwZ 12 (1993), S. 818. 190 191
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
aa) Prinzip der begrenzten Ermächtigung Die grundsätzliche Regel der Zuständigkeitsverteilung ist das Prinzip der begrenzten Ermächtigung195. Ermächtigung wird häufig tautologisch als „begrenzte Einzelermächtigung“196, „enumerative Einzelermächtigung“197, „begrenzte Einzelzuständigkeiten“ 198 oder „begrenzte Einzelzuweisung“199 bezeichnet. Die Union darf nur gemäß den ihr zugestandenen Befugnissen die ihr zugewiesenen staatlichen Aufgaben ausüben. Dies ergibt sich aus den Art. 5 EUV, Art. 3 – 4, Art. 5 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 1 EGV, die die Tätigkeiten der Gemeinschaft, insbesondere ihrer Organe, an die Bestimmungen des Vertrages binden. Handlungen außerhalb der zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse sind nicht demokratisch legitimiert200 und damit ultra vires201. Die existentielle Staatlichkeit der Völker erfordert, dass jegliche Politik durch die selbstgewählten Vertreter legitimiert wird202, da nur auf diese Weise die geltenden Gesetze die eigenen sind, so das Republikprinzip. Die fehlende Allzuständigkeit der Union wird meist als mangelnde Kompetenzkompetenz bezeichnet203. Die Verträge legen die Aufgaben der Union fest, die ein bestimmtes Organ nach einem vorgesehenen Verfahren zu einem Rechtsakt ermächtigen, wenn eine Befugnis (Kompetenzgrundlage) vorliegt. Jedoch wird das Prinzip der begrenzten Ermächtigung vielfach durchbrochen204. Art. 308 EGV ermöglicht der Gemeinschaft sich auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments durch einstimmigen Ratsbeschluss die erforderlichen Befugnisse anzueignen, die der Vertrag nicht vorsieht, aber für eine Tätigkeit zur Verwirklichung eines Zieles des Gemeinsamen Marktes erforderlich erscheinen. Diese Norm sowie die generelle Ermächtigungsklausel des Art. 6 Abs. 4 EUV widersprechen nach der Auslegung des Bundesverfassungs195 Dazu und dem Folgenden T. C. W. Beyer, Die Ermächtigung der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften, S. 191 f.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 67 ff. 196 BVerfGE 89, 155 (159); A. Bleckmann, Europarecht, S. 69 ff. 197 B. Beutler / R. Bieber / J. Pipkorn / J. Streil, Die Europäische Union – Rechtsordnung und Politik, 5. Aufl. 2001, S. 100. 198 G. Nicolaysen, Europarecht, 2. Aufl. 2002, S. 270 ff. 199 M. ter Steeg, Eine neue Kompetenzordnung für die EU, EuZW 14 (2003), S. 326. 200 BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff.). 201 Dazu grundlegend K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 184, 451 f., 473, 1143. 202 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 96, 113. I. d. S. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 410. 203 BVerfGE 75, 223 (242); W. Möschel, Politische Union für Europa, JZ 47 (1992), S. 882; ders., Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, NJW 46 (1993), S. 3025; F. L. Graf Stauffenberg / C. Langenfeld, Maastricht – ein Fortschritt für Europa?, ZRP 25 (1992), S. 255; M. ter Steeg, Eine neue Kompetenzordnung für die EU, S. 326. 204 Vgl. Kap. VI.4.
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gerichts nicht dem demokratischen Legitimationsprinzip205. Scholz stuft „die sogenannte Evolutivklauseln als prinzipiell oder doch zumindest tendentiell verfassungswidrig“206 ein207. Auch die Möglichkeit der Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Art. 95 EGV ist sehr allgemein gehalten. Weiterhin besteht die Lehre der implied powers, nach der den Gemeinschaften ungeschriebene Befugnisse zu der Vertragserfüllung zukommen208: „Implied powers als Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs sind gegeben, wenn eine ausdrücklich zugewiesene Kompetenz verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß gleichzeitig eine andere, nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mitgeregelt wird.“209
Die Begründung erfolgt analog zu den ungeschriebenen Bundeszuständigkeiten210. Aufgrund der fehlenden Kompetenzkompetenz der Union ist diese Lehre abzulehnen211. Das Bundesverfassungsgericht hat dem zugestimmt, indem es feststellt, „daß der Schluß von der Aufgabe auf die Befugnis nicht zulässig ist“212. Gleiches gilt für die Auslegungsmaxime des effet utile, nach der alle Zuständigkeitsnormen derart ausgelegt werden, dass ihnen größtmögliche Wirksamkeit zukommt. Dieser Grundsatz des Europäischen Gerichtshofs213 ermöglicht ansonsten prinzipiell die grenzenlose Erweiterung der Gemeinschaftszuständigkeit214.
205 BVerfGE 89, 155 (194 ff., 210). Dazu K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 125. 206 R. Scholz in: Maunz / Dürig, Grundgesetz Kommentar, 32. Lfg., 1996, Art. 23, Rdn. 20; siehe auch Rdn. 73, 85. 207 I. d. S. auch Kirchhof, der eine Annäherung an eine Kompetenzkompetenz erkennt; P. Kirchhof, Deutsches Verfassungsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, EuR Beiheft 1 (1991), S. 22. 208 Grundlegend G. Nicolaysen, Zur Theorie von den implied powers in den Europäischen Gemeinschaften, EuR 1 (1966), S. 129 ff. Siehe auch H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, AöR 121 (1996), S. 176 ff. 209 G. Nicolaysen, Zur Theorie von den implied powers in den Europäischen Gemeinschaften, S. 131. 210 Zu den ungeschriebenen Bundeszuständigkeiten Kap. III.2.a)aa)(2). Siehe auch EuGH v. 31. 03. 1971 – Rs. 22 / 70 (Kommission / Rat – AETR), Slg. 1971, 263 (274 ff.); EuGH v. 14. 07. 1996 – verb. Rs. 2, 4 und 6 / 76 (Cornelis Kramer), Slg. 1976, 1279 (1309 ff.); dagegen differenzierend EuGH v. 19. 03. 1993 – Gutachten 2 / 91 (Art. 228 Abs. 1 UAbs. 2 EWGV), Slg. 1993, I-1061 (1076 ff.). 211 Siehe Nachweise in Kap. V.2.b)aa). 212 BVerfGE 89, 155 (192). 213 EuGH v. 08. 04. 1976 – Rs. 48 / 75 (Jean Noeel Royer), Slg. 1976, 497 (517); EuGH v. 05. 04. 1979 – Rs. 148 / 78 (Tullio Ratti), Slg. 1979, 1629 ff. 214 K.-J. Bieback, Marktfreiheit in der EG und nationale Sozialpolitik vor und nach Maastricht, EuR 28 (1993), S. 152; M. ter Steeg, Eine neue Kompetenzordnung für die EU, S. 326.
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bb) Existentielle Staatlichkeit im funktionalen Unionsstaat Neben der Begrenzung der Aufgaben und Befugnisse der Union auf die ausdrücklich vertraglich vorgesehenen, muss geklärt werden, ob jegliche staatliche Aufgaben Gegenstand einer Übertragung sein können oder ob die existentielle Staatsqualität der Völker dieser Grenzen setzt. Allgemein anerkannt werden quantitative Grenzen: „Ein Übergewicht von Aufgaben und Befugnissen in der Verantwortung des europäischen Staatenverbundes würde die Demokratie auf staatlicher Ebene nachhaltig schwächen, so daß die mitgliedstaatlichen Parlamente die Legitimation der von der Union wahrgenommenen Hoheitsgewalt nicht mehr ausreichend vermitteln könnten.“215
Zusätzlich stellt sich die Frage nach der Existenz qualitativer Grenzen, die Frage, „ob die allgemeine Freiheit untrennbar mit der existentiellen Staatlichkeit der Völker verbunden ist“216. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Maastricht-Urteil betont, „daß ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau“217 erreicht werden muss und führt fort, dass im Europarecht die „demokratische Legitimation nicht in gleicher Form hergestellt werden (kann) wie innerhalb einer durch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung“218. In Übereinstimmung mit der Wesentlichkeitsdogmatik219 des Gerichts ist somit die wesentliche Politik eines Staates gleichzusetzen mit seiner existentiellen Staatlichkeit, nur durch die nationalen Parlamente substantiell demokratisch legitimierbar220. Unerlässliche Aufgaben für die Existenz eines Staates sind der allgemeinen Freiheit willen, aus Achtung der existentiellen Staatsqualität der Völker nicht übertragbar221. Hauptargument ist, dass bisher kein europäisches Staatsvolk auszumachen ist, „das wirtschaftlich und politisch eine Handlungs- und Gefahrengemeinschaft bilden will“222. Ist der Willen zu einer „Gefahrengemeinschaft“ nicht gegeben, so ist existentielle Staatlichkeit, insbesondere bestimmte wesentliche
BVerfGE 89, 155 (186). K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 154. 217 BVerfGE 89, 155 (182) mit Verweis auf 83, 60 (72). 218 BVerfGE 89, 155 (182). 219 BVerfGE 49, 89 (126 ff.); 84, 212 (226). 220 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 112; ders., Res publica res populi, S. 637 ff.; ders. / A. Emmerich-Fritsche / T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, S. 755. Vgl. auch BVerfGE 27, 271 (279); 89, 155 (171 f., 182 ff., 185 ff.). 221 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 88 mit Verweis auf BVerfGE 37, 271 (279); 89, 155 (171 f., 182 ff., 185 ff.). 222 P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 901, jedoch zustimmend zu der Einführung des Euro (S. 920). 215 216
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Politiken wie der Wirtschafts- und Währungs- sowie Sozialpolitik223, nicht demokratisch legitimierbar. Dieser Erkenntnis widersprechen die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza, die die existentielle Staatlichkeit der Völker missachten224. Hier handelt es sich nicht mehr um einen „Zweckverband funktionaler Integration“225, der keiner unmittelbaren Legitimation bedürfe: „Aber das sind keine verfassungsrechtlichen Randkorrekturen oder ,systemimmanente Modifikationen‘ des Grundgesetzes und des im Grundgesetz verfaßten Staates mehr, sondern Akte des pouvoir constituant.“226
Ein weiteres Argument ist die Rechtmäßigkeit des Kommunalwahlrechts227 (Art. 19 EGV, Art. 40 EU-Grundrechtecharta; Art. 28 Abs. 1 GG, Art. 13 Abs. 2 CE). Das Bundesverfassungsgericht sieht die Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Ausländer als eine nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässige Verfassungsänderung228. Das spanische Verfassungsgericht begründet die Vereinbarkeit des Kommunalwahlrechts Art. 1 Abs. 2 CE (Volkssouveränität) damit, dass keine Befugnisse gewährt werden, die „im Zusammenhang mit der dem spanischen Volk zustehenden Souveränität stehen“229. Im Umkehrschluss kann gefolgt werden, dass eine Übertragung von „Souveränität“, d. h. existentieller Staatlichkeit in keinem Falle rechtens ist. Von der umfassenden wirtschaftspolitischen Zuständigkeit der Union (vereinbar mit den Zielen des Art. 2 EGV230) ist die Zuständigkeit für die Währungspolitik als Missachtung der existentiellen Staatlichkeit der Nationen herauszuheben231: 223 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 77; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 84. 224 I. d. S. auch W. Möschel, Politische Union für Europa, S. 878. 225 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 1044 f. 226 H. H. Rupp, Muß das Volk über den Vertrag von Maastricht entscheiden?, NJW 46 (1993), S. 40. 227 Dazu S. Magiera, Kommunalwahlrecht in den EG-Mitgliedstaaten, EA (1988), S. 475 ff.; U. Karpen, Kommunalwahlrecht für Ausländer, NJW 42 (1989), S. 1012 ff.; M. Degen, Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag über die Europäische Union unter besonderer Berücksichtigung des Wahlrechts, DÖV 46 (1993), S. 749 ff. 228 BVerfGE 83, 37 (59). Anderer Ansicht J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 272; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 135 f.; D. Thürer, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, VVDStRL 50 (1991), S. 124 f. 229 DTC 108 / 1992 v. 01. 07., abgedruckt in: EuGRZ 20 (1993), S. 288 (FJ 3C). 230 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 174. 231 Weitere Kritik bei K. A. Schachtschneider, Die Euro-Klage, in: H.-U. Jörges (Hrsg.), Der Kampf um den Euro, 1998, S. 312 ff.; W. Hankel / W. Nölling / K. A. Schachtschneider / J. Starbatty, Die Euro-Klage, 1998, S. 25 ff., 247 ff.; dies., Die Euro-Illusion, 2001, S. 25 ff., 271 ff.; W. Hankel, Europas Größenwahn, Aus Politik und Zeitgeschichte v. 22. / 29. 12. 2000, S. 3. Siehe auch P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 217 („die vielleicht spektakulärste Relativierung der ,Souveränität‘“).
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„Die Währungshoheit gehört in den Kernbereich staatlicher Souveränität, da vom Zustand der Währung die gesamte Wirtschaft abhängt. Wird die Währungshoheit aus der Hand gegeben, dann sind damit die ökonomischen Existenzgrundlagen des Volkes berührt.“232
c) Konstitution eines existentiellen europäischen Staates Die fortgeschrittene Integration im funktionalen Unionsstaat ist nicht mehr durch den Willen der nationalen Völker legitimiert. Die rechtmäßige Ausübung existentieller Staatlichkeit bedarf eines Unionsstaates im existentiellen Sinne. Die nationalen Verfassungsgesetze sind durch ihre Regelungen über Verfassungsänderungen entwicklungsoffen233. Der einfache Gesetzgeber kann das Grundgesetz jedoch nicht substantiell ändern234, vor allem nicht aufheben. Aber auch die spanische Verfassung setzt dem Konstitutionsprozess durch die Gemeinschaftsorgane Grenzen. Der Prozess einer europäischen Verfassungsgebung muss dem Willen der nationalen Bürgerschaften entsprechen [aa)], bis sich eine eigenständige europäische Verfassungshoheit, d. h. ein Unionsvolk gebildet hat [bb)]. Allerdings sprechen fehlende Voraussetzungen gegen einen existentiellen Unionsstaat [cc)]. aa) Handlungsbeschränkung der nationalen Amtswalter (1) Deutschland Das deutsche Volk verfasst durch das Grundgesetz „kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt“235 einen existentiellen Staat, in dem alle Gewalt vom Volke ausgeht236. Die Verfassungshoheit dem Volk obliegt237. Mit dem Grundgesetz ist ein existentieller Unionsstaat nicht vereinbar238. Die Gesetzgebung einschließlich des verfassungsändernden Gesetzgebers „ist an die verfassungsmäßige Ordnung . . . gebunden“239, handelt demnach außerhalb ihrer Kompetenz, ultra vires, wenn sie darauf abzielt, diese Ordnung zu beseitigen240: D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 181. P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 31. Eine Pflicht zu der Anpassung der Verfassungsgesetze zu der Verwirklichung der Freiheit erkennt bereits I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 365 f., 430 f. 234 BVerfGE 30, 1 (24); 84, 90 (121 ff.), 94, 12 (34 ff.), 95, 48 (62 f.). 235 Präambel GG. 236 Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. 237 BVerfGE 37, 271 (279); K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 209; D. Grimm, HStR, Bd. I, § 1, Rdn. 29; H.-P. Schneider, HStR, Bd. VII, § 158, Rdn. 10; T. Maunz, Die verfassungsgebende Gewalt im Grundgesetz, S. 645 ff. 238 BVerfGE 89, 155 (182 ff.). Dazu K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 92; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 172. 239 Art. 20 Abs. 3 GG. 240 I. d. S. P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 18. 232 233
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„Das Recht der obersten Gesetzgebung im gemeinen Wesen ist kein veräußerliches, sondern das allerpersönlichste Recht. Wer es hat, kann nur durch den Gesamtwillen des Volkes über das Volk, aber nicht über den Gesamtwillen selbst, der der Urgrund aller öffentlichen Verträge ist, disponieren.“241
Der Lehre Carl Schmitts zufolge ist der Austausch des pouvoir constituant Verfassungsvernichtung242. Dieser Fall tritt bei der Konstitution eines existentiellen Unionsstaates ein, da mit ihr zwingend die Änderung der personalen Grundlage einhergeht. Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG deklarieren, dass die Staatsqualität Deutschlands sowie die demokratische Legitimation unabänderlich und folglich den Integrationszielen des Art. 23 GG vorrangig sind243. Zwar ist die Bildung eines europäischen existentiellen Bundesstaates nicht mit der Entstaatlichung der Bundesrepublik Deutschland gleichzusetzen, da diese lediglich auf den Status eines existentiell-staatlichen 244 (!) Gliedstaat „zurückgestuft“ würde245, jedoch ist (abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit der Wahrung einer dritten existentiell-staatlichen Länderebene) eine Herabstufung Deutschlands auf einen europäischen Gliedstaat mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbar246: „Art. 79 Abs. 1 erlaubt nur Änderungen des Grundgesetzes, setzt also voraus, daß das Grundgesetz als Verfassung bestehen bleibt. Eben dies ist nicht mehr der Fall, wenn das Grundgesetz nicht mehr einen souveränen Staat verfaßt, sondern nur noch einen Gliedstaat. Dann ist es nicht mehr ,dieses Grundgesetz‘ (Art. 79 Abs. 3), sondern ein ganz anderes Grundgesetz, nämlich eine bloße Gliedstaatsverfassung mit vermindertem Status.“247
Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass „dem Deutschen Bundestag Aufgaben und Befugnisse von substantiellen Gewicht verbleiben“248 müssen, so I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 465. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 94, 99. I. d. S. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 59. 243 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 133; H. H. Rupp, Maastricht – eine neue Verfassung?, ZRP 26 (1993), S. 211 f.; U. Penski, Bestand nationaler Staatlichkeit als Bestandteil der Änderungsgrenzen in Art. 79 III GG, ZRP 27 (1994), S. 195 f.; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 136 f. Siehe auch Kap. VI.2.a)aa). Anderer Ansicht M. Hilf, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 23. 244 Siehe Ausführungen Kap. III.1.b), in denen dargelegt wird, dass die Länder im deutschen Bundesstaat existentielle Staatsqualität beanspruchen. 245 I. d. S. auch R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 63. 246 P. Lerche, Europäische Staatlichkeit und die Identität des Grundgesetzes, in: B. Bender (Hrsg.), FS für Konrad Redeker, 1993, S. 136 f.; M. Herdegen, Die Belastbarkeit des Verfassungsgefüges auf dem Weg zur Europäischen Union, EuGRZ 19 (1992), S. 590; P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 60; R. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), NVwZ 13 (1994), S. 423. Siehe auch K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 170; W. Philipp, Ein dreistufiger Bundesstaat?, S. 438; U. Everling, Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, S. 943; U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 206, 214. 247 D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 165. 248 BVerfGE 89, 155 (186). 241 242
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dass der Übertragung, aber auch den gemeinschaftlichen Mehrheitsentscheidungen Grenzen gesetzt sind249. Deutsche Parteien müssen diese Verfassungsgrundsätze anerkennen, da „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, . . . verfassungswidrig“250 sind251. Über die Verfassungswidrigkeit bestimmt das Bundesverfassungsgericht, ultima ratio gibt Art. 20 Abs. 4 GG ein Widerstandsrecht252. Es sei angemerkt, dass im Zusammenhang mit der europäischen Integration nicht von einem „revolutionärem Akt“253 gesprochen werden kann, denn Revolutionen werden als „Befreiung zum Recht“254 definiert. Der Einschätzung, dass „für die Verwirklichung eines europäischen Bundesstaates . . . nur der Weg der Revolution“255 bleibe, kann nicht gefolgt werden. Zwar ist es richtig, dass Revolutionen nicht verboten werden können256, jedoch ist die Ausübung dieses Rechts an das Vorliegen seiner Voraussetzungen gebunden257, Nur wenn die Freiheit der Bürger missachtet wird und keine andere Abhilfe möglich ist, besteht dieses Recht. Den Amtswaltern und Staatsorganen steht das Recht nicht zu; eine „Revolution von oben“ kann es im strengen, im juristischen Sinne des Begriffs nicht geben. Das einzige rechtmäßige Verfahren zu einem existentiellen Unionsstaat ist die Aufhebung des Grundgesetzes und die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung. Der deutsche pouvoir constituant ist in seinem Recht ungebunden, das Ende der Gültigkeit des Grundgesetzes zu beschließen und durch ein neues Verfassungsgesetz zu ersetzen (Art. 146 GG258). Aus der bundesstaatlichen OrdDazu siehe auch Kap. V.3.e)ee)(2). Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG. 251 Dazu P. Kunig, Parteien, HStR, Bd. II, § 33, Rdn. 35 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 332; D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 163. 252 K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 57 ff. 253 So aber S. Oeter, Föderalismus, S. 110, 117. Vgl. auch D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 172; H.-J. Blanke, Der Unionsvertrag von Maastricht, S. 423; M. Herdegen, Die Belastbarkeit des Verfassungsgefüges auf dem Weg zur Europäischen Union, S. 591; P. M. Huber, Die Rolle des Demokratiedefizits im europäischen Integrationsprinzip, Staatswissenschaften und Staatspraxis 3 (1992), S. 362; M. Hilf, Die Europäische Union und die Eigenstaatlichkeit ihrer Mitgliedstaaten, in: P. Hommelhoff / P. Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, 1994, S. 83 f. 254 K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 50 ff. Siehe auch I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 230; ders., Metaphysik der Sitten, S. 479; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, 1987, S. 19 ff., 36 ff., 79 ff., 133 ff. 255 M. Herdegen, Die Belastbarkeit des Verfassungsgefüges auf dem Weg zur Europäischen Union, S. 591. 256 K. A. Schachtschneider (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 57 ff. 257 Vgl. P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 34; ders., HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 62. 258 Dazu J. Isensee, Schlußbestimmungen des Grundgesetzes: Art. 146, HStR, Bd. VII, § 166, Rdn. 1 ff.; H.-P. Schneider, HStR, Bd. VII, § 158, Rdn. 38 f., 47. 249 250
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nung Deutschlands folgt, dass der Beendigung oder Einschränkung der existentiellen Staatsqualität sowohl die gesamtdeutsche Bürgerschaft als auch die der einzelnen Länder zustimmen müsste259. Nur durch einen ursprünglichen Akt des Volkes kann die Geltung des Grundgesetzes beendet werden, da der Verfassungsgeber nicht an die Beschränkungen des Art. 79 Abs. 3 GG gebunden ist260; Seine Pflicht ist lediglich, eine freiheitliche Grundordnung zu schaffen261.
(2) Spanien Die grundsätzlichen Ausführungen über die Begrenzungen des deutschen verfassungsändernden Gesetzgeber gelten entsprechend für den spanischen Staat, da es sich um eine allgemeine Verfassungslehre handelt, die unabhängig von den jeweiligen Verfassungsgesetzen gilt. Unterschiede bestehen jedoch in den einzelnen Verfassungsnormen, insbesondere in dem Fehlen einer Unabänderlichkeitsklausel analog zu Art. 79 Abs. 3 GG262. Die existentielle Staatsqualität Spaniens, deklariert in Art. 1 Abs. 2 CE, ist nicht minder vor einer Aufhebung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geschützt als in Deutschland: „Immer existiert eine unübertragbare Kompetenz, die die Existenz des Staates sicherstellt: der pouvoir constituant.“263
In Spanien ermöglicht Art. 92 Abs. 1 CE264 konsultative Referenda bei „politischen Entscheidungen von besonderer Tragweite“. Direkte Befragungen des Volkes geben staatlichen Handlungen eine erhöhte Legitimation265, sind allerdings ihrerseits Beschränkungen unterworfen266. Zum einen kann ein Referendum keine verfassungswidrigen Handlungen legitimieren; dafür bedarf es der Verfassungs259 Strittig K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 118. Anderer Ansicht P. M. Huber in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 146, Rdn. 15 f., 20 f.; J. Isensee, HStR, Bd. VII, § 166, Rdn. 18 ff., 63. 260 K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche / T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, S. 759; J. Isensee, HStR, Bd. VII, § 166, Rdn. 57, 61, 66 f.; H.-P. Schneider, HStR, Bd. VII, § 158, Rdn. 40. 261 Vgl. Kap. III.1.c)aa), insbesondere Fn. 115 f. 262 Zu dem einfachen und erschwerten Änderungsverfahren des spanischen Verfassungsgesetzes siehe Kap. IV.8.b). 263 P. Pérez Tremps, Constitución Española y Comunidad Europea, S. 92, dazu ausführlich S. 96 ff. 264 Auf Bundesebene sind in Deutschland Volksabstimmungen nicht vorgesehen; anders bspw. in Bayern (vgl. Art. 2 Abs. 2 BayVerf). 265 Dazu C. Pestalozza, Volksbefragung – das demokratische Minimum, NJW 34 (1981), S. 733 ff.; H. H. von Arnim / M. Kriele, Volksbegehren und Volksentscheid, ZRP 35 (2002), S. 492. 266 Vgl. kritische Einschätzung P. Kirchhof, Der demokratische Rechtsstaat – die Staatsform der Zugehörigen, HStR, Bd. IX, § 221, Rdn. 48 ff.
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änderung267. Demnach ist ein „gleitender Übergang“268 zu einem existentiellen Unionsstaat nicht rechtens. Selbst mitgliedstaatliche Referenda können hierfür keine Legitimationsgrundlage geben: „Der Volksentscheid verkäme zur Farce, zum bloßen Nachvollzug von Entscheidungen, die andere längst getroffen hätten.“269
Zum anderen nimmt die Praxis, solange abstimmen zu lassen, bis in einem Referendum das von Regierung und Parlament gewünschte Ergebnis erzielt wird270, ihm jegliche Legitimationsfunktion. Die Begründung Zuleegs veranschaulicht, weshalb kein Mitgliedstaat konsultative Referenda durchführen will: „Die Ablehnung in einem einzigen Mitgliedstaat brächte das ganze Projekt zum Scheitern. Die Meinungsumfragen in etlichen Mitgliedstaaten erbringen schon jetzt kein erfreuliches Bild für die europäische Einigung. Käme dann noch eine europäische Verfassung mit einer wesentlichen Stärkung der europäischen Institutionen hinzu, wäre die Absage zumindest in einem Mitgliedstaat vorauszusehen. Auf Grund dieses Befundes sollte eine neue Verfassung der EU wie bisher vertraglich geschaffen werden.“271
Diese Einstellung ist eine grundsätzliche Missachtung des Volkswillens272. Einerseits ist es unerklärlich, wie die nationalen Regierungen und Parlamente eine Integrationspolitik verfolgen, wohl wissend, dass diese nicht dem Willen der Völker entspricht273. Andererseits ist es der Preis des erhöhten Legitimationsniveaus von Referenda, dass das Ergebnis im Vorhinein nicht bekannt ist. Nicht nur für Spanien, sondern auch für Deutschland ist der Rückgriff auf Referenda zu for267 In Deutschland sind Verfassungsänderungen nur in den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG möglich. „Ob Art. 146 GG eine positive Legitimation dafür bieten kann, Einzelgesetze, die gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen, hilfsweise dem Volk vorzulegen, muß füglich bezweifelt werden. . . . Der Weg, mit einer Volksabstimmung Legitimität zu erzeugen, die innerhalb der Verfassung durch Art. 79 Abs. 3 GG verwehrt ist, läuft deshalb auf eine vollständige Verfassungsneuschöpfung hinaus“; U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 212 f. mit Verweis auf K. A. Schachtschneider, Keine Europäische Union ohne neue Verfassung Deutschlands, SZ v. 25. 11. 1992, S. 15. Das Bundesverfassungsgericht verneint ebenfalls, dass ein Referendum Verstöße gegen Art. 79 Abs. 3 GG legitimieren könnte; BVerfGE 89, 155 (180). 268 H.-J. Blanke, Der Unionsvertrag von Maastricht, S. 418. 269 D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 174. 270 So bspw. in Dänemark und Irland in den Referenda zu den Verträgen von Maastricht und Nizza. Erst „eine dritte (!) Abstimmung zur abermaligen ,Korrektur‘ des irischen Votums wurde im Vorfeld des Referendums für politisch undurchführbar erklärt“; J. A. Kämmerer, Das Déjà-vu von Dublin, NJW 55 (2002), S. 3596; Klammersatz hinzugefügt. Siehe auch G. Ring / L. Olsen-Ring, Souveränitätsübertragung nach dänischem Verfassungsrecht, EuZW 9 (1998), S. 591; B. Kaufmann, Außen vor, mitten drin, Die Union 1 (1998), S. 135 ff. 271 M. Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, S. 952. 272 Vgl. dazu auch A. Peters, Europäische Öffentlichkeit im europäischen Verfassungsprozess, EuR 39 (2004), S. 388 ff. 273 Sarkastisch formuliert Schneider: „Da wäre es . . . dann vielleicht doch besser, nicht das Volk wählte die Abgeordneten, sondern die Abgeordneten wählten sich ein anderes Volk“; H.-P. Schneider, Das Grundgesetz – auf Grund gesetzt?, NJW 47 (1994), S. 560.
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dern274. Auf diese Weise kann der funktionalen Staatlichkeit ein erhöhtes Legitimationsniveau erworben275 und die Akzeptanz verbessert276, keinesfalls jedoch ein existentieller Staat begründet werden.
bb) Europäischer pouvoir constituant Der existentielle Staat unterscheidet sich wesentlich von einem funktionalen, dass er unmittelbar durch ein Staatsvolk, d. h. eine staatlich verfasste Menge von Menschen277, legitimiert wird278; mit anderen Worten: Ohne Volk gibt es keinen existentiellen Staat. Eine derartige ursprüngliche Legitimationsgewalt fehlt der Union279, um die in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza vorgenommenen Schritte280 zu einem existentiellen Bundesstaat zu vervollständigen und gleichzeitig die mitgliedstaatlichen Verfassungshoheiten aufzuheben281. Die Nationen sind derzeit die am meisten geeigneten, mit Zwangsbefugnis ausgestatteten Einheiten zu Herstellung von Gesetzlichkeit282. Oeter warnt: „Der . . . Akt der ,Verfassungsgebung‘ eines europäischen Bundesstaates bleibt bis auf weiteres eine blanke Utopie – ein Utopie, der, sollte sie denn einmal verwirklicht werden, die gefährliche Versuchung konstruktivistischen Überschwangs innewohnt, mit dem Risiko einer Überforderung des Willens zur staatlichen Gemeinsamkeit.“283 274 Siehe auch Kap. V.3.d). Anderer Ansicht F. C. Mayer, Ein Referendum über die Europäische Verfassung?, EuZW 14 (2003), S. 321. 275 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 175; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 315; F. Ossenbühl, Maastricht und das Grundgesetz – eine verfassungsrechtliche Wende?, S. 633; R. Leicht, Wir sind die Wähler!, Die Zeit v. 07. 08. 2003, S. 33. 276 J. Meyer, „Europa wird ein Staatenverbund sein“, ZRP 36 (2003), S. 105. 277 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 429. 278 Vgl. Kap. II.1.b). 279 „Der Unions-Vertrag begründet . . . keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat“; BVerfGE 89, 155 (188). Ebenso C. Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, S. 32. 280 Siehe Kap. V.2.b)bb). Auch die Unionsbürgerschaft der Art. 17 ff. EGV (Dazu S. Kadelbach, Unionsbürgerschaft, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 550 ff.) als ,wesentlicher Schritt zur Staatsqualität der Union‘ (W. Wessels, Maastricht, Integration 15 (1992), S. 5.; i. d. S. auch J. Wolf, Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht, S. 597) begründet streng genommen keine Unionsbürger (so auch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 136). 281 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 113; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 170 ff., 174 ff.; W. Hankel / W. Nölling / K. A. Schachtschneider / J. Starbatty, Die EuroKlage, S. 249 ff.; P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 62; ders., Europäische Einigung und der Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland, S. 97 ff.; U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 205. 282 Vgl. Fn. 184.
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
Es stellt sich ferner die Frage, ob Mindestanforderungen im Sinne einer gewissen Homogenität an ein mögliches Unionsvolk gestellt werden müssen. Zwar besteht in Europa kein „unbewußtes Gefühl der Zusammengehörigkeit“284, dessen ungeachtet bestätigt das Bundesverfassungsgericht ein „bestehendes Maß existentieller Gemeinsamkeit“285. Nach Kant ist der Volksbegriff an keine Homogenität geknüpft286, auch nicht die einer gemeinsamen Sprache, wie das Beispiel der multilingualen Schweiz veranschaulicht. Die Sprachvielfalt erfordert lediglich eine föderale staatliche Ordnung287. Ausschlaggebend ist allein, dass der Bürger an der Willensbildung teilhaben288 und mit staatlichen Ämtern in seiner Sprache kommunizieren kann289. Anderer Ansicht ist Kirchhof, der die Bildung eines Staatsvolkes in der EU als unmöglich erachtet, da „eine Mindesthomogenität in den staatsrechtlichen Grundauffassungen290, eine für jedermann zugängliche Rechtssprache, wirtschaftliche und kulturelle Ähnlichkeiten oder zumindest Annäherungskräfte, die Fähigkeit zum politischen Austausch durch gesamteuropäisch wirkende Medien, ein in Europa bekanntes Führungspersonal und europaweit tätige Parteien“291 fehlen. cc) Institutionelle Voraussetzung eines existentiellen Unionsstaates „Unter Freiheitsgesichtspunkten lassen sich durchgreifende Argumente gegen die Integration Europas zu einem Staat im existentiellen Sinne nicht ausmachen, wenn das Prinzip der kleinen Einheit bestmöglich durch Föderalität und Subsidiarität gewahrt bleibt.“292
Diesen ideellen Schlussfolgerungen, begründbar mit den obigen Ausführungen, muss die gegenwärtige gesellschafts-politische Lage entgegengesetzt werden, die 283 S. Oeter, Föderalismus, S. 110. Anderer Ansicht M. Schäfer, Verfassung, Zivilgesellschaft und Europäische Integration, 2002, S. 43 ff., insbesondere S. 55. 284 W. Graf Vitzthum, Werner von Simsons Fragestellung: Ein friedenstaugliches Ordnungsprinzip in einer Welt unversöhnlicher Grundüberzeugungen?, EuR Beiheft 1 (1993), S. 34. 285 BVerfGE 89, 155 (184). Von anthropologischer Homogenität spricht I. Eibl-Eibesfeldt, Zur Problematik einer multi-ethnischen Immigrationsgesellschaft, Zeitschrift für Ethnologie 115 (1990), S. 264. Dazu K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 168. Everling erkennt „Ansätze zu einer Wertegemeinschaft“; U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 891; siehe auch A. von Bogdandy, Europäische Verfassung und europäische Identität, JZ 59 (2004), S. 58. Auf in allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Werte verweist Art. I-2 VVE. 286 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 175. Häberle fordert als Staatsmerkmal eine gemeinsame Kultur; vgl. Kap. II Fn. 35. 287 I. d. S. W. Leisner, Der europäische Einigungszwang, JZ 57 (2002), S. 739. 288 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 168. 289 BVerfGE 89, 155 (185). 290 Dazu vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff. 291 P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 38; siehe auch ders., Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, S. 643. 292 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 173.
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dazu führt, dass „die Umwandlung der Europäischen Union in einen (existentiellen) Bundesstaat . . . kein erstrebenswertes Nahziel“293 ist294. Wie gesehen, ist eine etwaige Heterogenität der Völker kein tragfähiges Argument gegen die Bildung eines Unionsvolkes. Auf dem Weg der Verfassungsgebung ist die Begründung eines existentiellen Bundesstaates möglich295. Problematisch ist allerdings der geringe soziale Zusammenhalt der Unionsbürger (1) sowie der unterentwickelte europäische Parlamentarismus (2). (1) Sozialunion Eine europäische Republik muss den Maximen der Französischen Revolution, d. h. der Freiheit, Gleichheit, aber auch der Brüderlichkeit gerecht werden. Bisher ist Solidarität auf die Nationalstaaten beschränkt296 und es bestehen Zweifel, ob sich staatsbürgerliche Solidarität außerhalb einer Nation verwirklichen lässt297. Derzeit ist die Union nur unzureichend sozialstaatlich 298: Das Abkommen über die Sozialpolitik gilt nicht für das Vereinigte Königreich299. Die sozialen Sicherheitssysteme sind national und vor allem bestehen erhebliche Wohlstandsunterschiede innerhalb Europas300, die mit der Erweiterung 2004 zunehmen. 293 D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, 1995, S. 47; Klammersatz hinzugefügt. Anderer Ansicht S. Alber, Braucht Europa eine Verfassung?, in: F. Ronge (Hrsg.), In welcher Verfassung ist Europa – Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 126: „Ich meine wir sollen endlich dem Bürger ehrlich sagen, was für ein Europa wir eigentlich wollen. Die Staatsform dieses Europas kann nur in einer bundesstaatsähnlichen Organisationsform bestehen. Es muß ein Bundesstaat minus sein; über die Zahl der ihm zustehenden Kompetenzen kann man ja reden.“ Siehe bereits Grabitz, der die (existentielle) Staatswerdung Europas fordert; E. Grabitz, Der Verfassungsstaat in der Gemeinschaft, DVBl. 92 (1977), S. 786 ff. 294 So auch Schachtschneider selbst; K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 313 ff. 295 D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 165; P. M. Huber, Maastricht – ein Staatsstreich?, 1993, S. 48 ff.; J. Wolf, Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht, S. 600 f. 296 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 314. 297 J. Habermas, Die postnationale Konstellation, 1998, S. 154; siehe auch ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S. 133 f. Siehe auch O. Depenheuer, „Nicht alle Menschen werden Brüder“, in: J. Isensee (Hrsg.), Solidarität in Knappheit, 1998, S. 61. 298 Siehe C. Kuka, Die Europäische Gemeinschaft nach dem Vertrag von Amsterdam. Europäische Sozialunion oder soziale Union Europa?, 2002, S. 43 ff.; H. Kuhn, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, 1995; O. Schulz, Maastricht und die Grundlagen einer Europäischen Sozialpolitik, 1996. 299 Dazu G. Schuster, Rechtsfragen der Maastrichter Vereinbarung zur Sozialpolitik, EuZW 3 (1992), S. 181 f. Siehe auch K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche / T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, S. 752; J. Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 147. 300 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 169; M. Stolleis, Europa nach Nizza, NJW 55 (2002), S. 1023.
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
Es existieren zwar europäische Strukturfonds301, jedoch sind diese ihrem Wesen und Volumen zufolge nicht mit einem auf einheitliche Lebensverhältnisse ausgerichteten Finanzausgleich zu vergleichen302. Ein derartiger Ausgleich bedarf vor allem des Willens der EU-Bürger, füreinander einzustehen303; anders ist ein existentieller Bundesstaat nicht begründbar.
(2) Echter europäischer Parlamentarismus „Das Europäische Parlament besteht aus Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“304, nicht aus Abgeordneten des gesamten Unionsvolkes305. Die geltenden Regelungen entsprechen nicht einem republikanischen Parlamentarismus, dessen Diskurs zu freiheitlicher Rechtserkenntnis befähigt306. Weder das ungleiche Wahlrecht noch die begrenzten Gesetzgebungsbefugnisse ermöglichen einen echten Parlamentarismus307. Stattdessen wird die Legislative weitestgehend von dem Ministerrat auf Vorschlag der Kommission, d. h. exekutivistisch wahrgenommen308. Ein existentieller Unionsstaat muss auf einem echten Parlamentarismus basieren, in dem die Abgeordneten egalitär, d. h. nicht mehr nach nationalen Aspekten Siehe Kap. IV Fn. 200; J. Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 148. D. Biehl, Die EG-Finanzverfassung, in: R. Wildenmann / H. Besters (Hrsg.), Staatswerdung Europas?, 1991, S. 373 f., 380 f.; P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 53; A. Griese, Die Finanzierung der Europäischen Union, EuR 33 (1998), S. 427 f. 303 „Aber positiv koordinierte und umverteilungswirksame Politiken müssen von einer europaweiten demokratischen Willensbildung getragen werden, und diese kann es ohne eine solidarische Grundlage nicht geben. Die bislang auf den Nationalstaat beschränkte staatsbürgerliche Solidarität muß sich auf die Bürger der Union derart ausdehnen, daß beispielsweise Schweden und Portugiesen bereit sind, füreinander einzustehen“; J. Habermas, Die postnationale Konstellation, S. 150. Siehe auch F. L. Graf Stauffenberg / C. Langenfeld, Maastricht – ein Fortschritt für Europa?, S. 253. 304 Art. 189 Abs. 1 EGV. 305 Siehe auch W. Schreiber, Die Wahl zum Europäischen Parlament in der Bundesrepublik Deutschland, NVwZ 23 (2004), S. 21 ff. Zu den Veränderungen des Status des Europäischen Parlaments durch den Verfassungsvertrag, insbesondere durch Art. I-20 Abs. 2 S. 2 VVE, siehe Kap. V.3.e)dd). 306 Siehe Kritik bei K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff., 707 ff., 772 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 112 m. w. N. Zu den Funktionen des Europäischen Parlaments siehe P. Dann, Europäisches Parlament und Exekutivföderalismus, Der Staat 42 (2003), S. 363 ff. 307 „Das Parlament steht im demokratischen Verfassungsstaat an erster Stelle, da es das demokratisch unmittelbar legitimierte ,Hauptorgan‘ ist“; P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 410. 308 Art. 251 – 252 EGV. Dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 211 ff.; H. P. Ipsen, Zur Exekutiv-Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft, in: FS für Peter Lerche, 1993, S. 425 ff., insbesondere S. 437 ff. 301 302
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gewählt werden und das Parlament die Legislativfunktion wahrnimmt309. Eine Beschränkung nach dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung wäre aufgrund des legitimierenden Unionsvolkes nicht mehr nötig310 und als Entscheidungsprinzip müsste eine Mehrheitsregel eingeführt werden311. Derzeit ist dies ausgeschlossen312, da die wesentlichen politischen Entscheidungen durch demokratisch legitimierte Versammlungen, die nationalen Parlamente getroffen werden müssen313. Grundsätzlich ist ein echter Parlamentarismus auf EU-Ebene vorstellbar, jedoch nur durch ein verfasstes Unionsvolk, das derzeit nicht besteht, realisierbar. Sofern und solange die europäischen Bürgerschaften nicht als ein gemeinsames Volk bilden, gilt, dass die Verfassungsvoraussetzung einer europäischen Demokratie nicht gegeben sind314. Der praktizierte Exekutivismus lässt demokratische Legitimität vermissen und führt zudem zu Bürokratie und Zentralstaatlichkeit: „Politik wird der Grauzone bürokratischer Politikverflechtung überlassen, mit den entsprechenden Verlusten an Transparenz wie letztlich auch an Effizienz des Handelns.“315
3. Vom vertraglichen zum verfassten Bundesstaat Die Union basiert auf zwischenstaatlichen Verträgen. Diese sind „gewissermaßen die Verfassung dieser Gemeinschaft“316, ohne dass diese einen existentiellen Staat schaffen. Die Komplexität der bestehenden Verträge führt zu Forderungen nach Vereinfachung in Form einer Verfassung für die EU317. Sofern zwischen funktionalen und „echten“, d. h. existentiellen Verfassungen, unterschieden wird, ist dies unproblematisch, denn eine formale Verfassung müsste aus den dargelegten Gründen weiterhin einen rein institutionell-funktionalen Staat Europa konstituie309 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 114. 310 I. d. S. K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 157. 311 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 119. 312 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 114; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 171 m. w. N. So auch H. Abromeit, Mögliche Antworten auf Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: H. H. von Arnim (Hrsg.), Direkte Demokratie, 2000, S. 192 f. 313 Vgl. insbesondere Fn. 219. 314 Vgl. P. Kirchhof, HStR, Bd. VII, § 183, Rdn. 37.; ders., Die Gewaltbalance zwischen staatlichen und europäischen Organen, in: F. Ronge (Hrsg.), In welcher Verfassung ist Europa – Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 148. 315 S. Oeter, Föderalismus, S. 103. 316 Zu dem Verfassungsbegriff und dem Folgenden siehe Kap. V.1.b), insbesondere Fn. 123. 317 Vgl. Schlussbericht der Arbeitsgruppe IX „Verinfachung CONV 424 / 02 v. 29. 11. Siehe auch J. Schwarze, Auf dem Wege zu einer europäischen Verfassung, DVBl. 114 (1999), S. 1683.
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ren318. Der nach Art. 48 EUV veränderte Vertrag würde lediglich als das bezeichnet, was er ist: als Verfassung. Gegen diese Feststellung werden zwei Einwände vorgebracht. Zum einen werden Verfassungen aufgrund des uneinheitlichen Standes der Rechtswissenschaft in erster Linie mit existentiellen Staaten verbunden319, zum anderen gehen von Verfassungstexten Integrationswirkungen aus, die den „qualitativen Sprung über die Schwelle zu einer Art föderalen Staatlichkeit“320, d. h. existentiellen Bundesstaatlichkeit bewirken können321. Obwohl eine Verfassung nicht per se zu einem existentiellen Staat führt und somit der folgenden Einschätzung Grimms nicht uneingeschränkt gefolgt werden kann, ist ihm aus den beiden genannten Gründen im Ergebnis zuzustimmen und die förmliche Bezeichnung einer Verfassung zu vermeiden: „Die Frage nach der europäischen Verfassung wird auf diese Weise zu der Frage nach einem europäischen Staat. Wer eine Verfassung im vollen Sinne des Begriffs anstrebt, entscheidet sich damit zugleich für eine Umwandlung der Europäischen Union in einen Staat, ob er das will oder nicht. Das ist den wenigsten bewußt, die die Verfassungsforderung erheben.“322
Dieser Erwägungen ungeachtet, gibt sich die Union derzeit ihren ersten als solchen bezeichneten Verfassungsvertrag, einen Vertrag über eine Verfassung. Im Anschluss an den gescheiterten Gipfel von Nizza beauftragte der Europäische Rat von Laeken einen „Konvent zur Zukunft Europas“ [b)], den so genannten Verfassungskonvent, eine Regierungskonferenz vorzubereiten [c)]. Das Ergebnis wurde im Sommer 2003 präsentiert und dem Europäischen Rat übergeben. Erst ein Jahr später am 18. 06. 2004 unter irischer Ratspräsidentschaft erzielte die Regierungskonferenz eine Einigung [d)], so dass nun eine endgültige Fassung feststeht, die seit der Unterzeichnung am 29. 10. 2004 zur Ratifikation ausliegt [e)]. Bemühungen, der Gemeinschaft eine Verfassung zu geben, sind hingegen nicht neu; bisher scheiterten sie jedoch ausnahmslos [a)].
a) Verworfene Verfassungsentwürfe des Europäischen Parlaments Aus einer Vielzahl von Initiativen für eine Europäische Verfassung im Lauf der Geschichte der EU323 sollen zwei vollständige Verfassungsentwürfe von Seiten des 318 K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297 ff. I. d. S. auch J. A. Frowein, Die Verfassung der Europäischen Union aus Sicht der Mitgliedstaaten, EuR 30 (1995), S. 320. 319 I. d. S. U. Di Fabio, Eine europäische Charta, S. 738 f. Vgl. Kap. V.1.b). 320 G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas, S. 66. 321 Siehe auch E. Pache, Europäische und nationale Identität, DVBl. 117 (2002), S. 1162. 322 D. Grimm, Ohne Volk keine Verfassung, Die Zeit v. 18. 03. 1999, S. 4. Siehe auch W. Hertel, Die Normativität der Staatsverfassung und einer Europäischen Verfassung, S. 233. 323 Einen Überblick geben W. Hummer, Die Zukunft der EU, Die Union 5 (2002), S. 38 ff.; W. Loth, Entwürfe einer Europäischen Verfassung, 2002.
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institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments hervorgehoben werden. Beide wurden von den Mitgliedstaaten abgelehnt, haben allerdings die späteren Vertragsänderungen beträchtlich beeinflusst. Als erstes wurde 1984 angesichts des Legitimationsdefizits der Europäischen Gemeinschaften mit einem direkt gewählten, dennoch weitgehend unbedeutenden Europäischen Parlament der Spinelli-Entwurf324 vorgestellt. Obwohl es sich um einen vollständigen Verfassungsentwurf handelte, mit dem die funktional-staatlichen Gemeinschaften zu einer existentiellen Union gewandelt werden sollten, wurde der Terminus einer Verfassung gemieden und das Konzept stattdessen als „Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union“325 bezeichnet. Der Entwurf sah eine wesentliche Stärkung des Parlamentes vor und sollte eine substantielle Zuständigkeitserweiterung der EU ermöglichen. Letztere, der geringe Einbezug der Mitgliedstaaten und die Einschränkung der nationalen Finanzautonomie durch ein europäisches Steuerfindungsrecht sind die entscheidenden Gründe für sein Scheitern. Stärker noch als 1984 zielte ein Jahrzehnt später der Herman-Entwurf326 einer „Verfassung der Europäischen Union“327 auf einen existentiellen Unionsstaat ab. Es handelte sich um eine genuine Verfassung, in der alle Staatsgewalt der Union von den Bürgern ausgehen sollte (Art. 1), ohne die Mitgliedstaaten zu nennen328. Der Entwurf sollte eine Diskussionsgrundlage für den in Art. 2 der „Entschließung zur Verfassung“329 vorgesehenen Verfassungskonvent aus nationalen und europäischen Abgeordneten, Regierungsvertretern und Bürgern sein. Ebenso wie im Spinelli-Entwurf sollte auch nach dem Hermann-Entwurf der EU Finanzhoheit gewährt werden. Zudem wurde die Abschaffung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung sowie der Einstimmigkeitserfordernis in wichtigen Bereichen, wie der Außen- und Sicherheitspolitik, vorgesehen. Die existentielle Staatsqualität der Mitgliedstaaten wäre aufgehoben, zumindest substantiell eingeschränkt worden.
324 Dazu und dem Folgenden W. Wessels, Der Verfassungsentwurf des Europäischen Parlaments, EA 39 (1984), S. 239 ff. Siehe auch M. Gray, Does Europe Need a Constitution?, Die Union 1 (1998), S. 88. 325 ABlEG Nr. C 77 v. 19. 03. 1984, S. 33 ff. 326 Dazu und dem Folgenden M. Hilf, Eine Verfassung für die Europäische Union, Integration 17 (1994), S. 25 ff. Siehe auch M. Gray, Does Europe Need a Constitution?, S. 89. 327 ABlEG Nr. C 61 v. 28. 02. 1994, S. 156 ff. 328 Vgl. auch Art. 2, nach dem die historische, kulturelle und sprachliche, nicht aber nationale Identität geachtet wird. 329 ABlEG Nr. C 61 v. 28. 02. 1994, S. 155 f.
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b) Einberufung des Konvents zur Zukunft Europas aa) Konventsauftrag im Post-Nizza-Prozess So wie der Verfassungsentwurf von 1994 eine Reaktion auf den Maastrichter Vertrag offenbart, ist der derzeitige Verfassungsgebungsprozess in erster Linie mit den Verhandlungen von Nizza im Dezember 2000 in Verbindung zu bringen330. Durch die Verträge von Nizza wurde die EU-Erweiterung ermöglicht und feierlich die Charta der Grundrechte331 proklamiert, ohne dass letztere rechtliche Verbindlichkeit erlangte. Allerdings konnten keine zukunftsfähigen (institutionellen) Rahmenbedingungen für eine erweiterte Union geschaffen werden332. Die kritischen Kommentare im Anschluss an den Gipfel spiegelten das unzufriedene Stimmungsbild betreffs der aufgeschobenen Reformen wider333. Die weitere Vorgehensweise legte der Europäische Rat auf seiner Tagung in Laeken ein Jahr später in der „Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union“334 entsprechend der Forderung der den Vertragsänderungen von Nizza beigefügten „Erklärung zur Zukunft der Union“335, die den so genannten Post-NizzaProzess initiierte336, fest. Es wurde ein Konvent zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2004 unter dem Vorsitz von Valéry Giscard d’Estaing mit Giuliano 330 Auf die zunehmende Fülle von Stellungnahmen aus Politik und Wissenschaft zur Finalität der Union seit der Jahrtausendwende soll hier abgesehen werden. (Dazu F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 627 ff.; R. Hrbek, „Europäische Föderation“ als Leitbild für die EU?, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hrsg.), Europäischer Föderalismus im 21. Jahrhundert, 2003, S. 181 ff.) Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Rede des deutschen Außenministers Fischer in der Berliner Humboldt Universität am 12. 05. 2000 drei Tage vor dem 50. Jahrestag des Schumann-Plans; J. Fischer, Vom Staatenverbund zur Föderation, Integration 23 (2000), S. 149 ff. 331 Vgl. Verweise in Fn. 14; siehe auch J. Pietsch, Die Grundrechtecharta im Verfassungskonvent, ZRP 36 (2003), S. 1 ff. 332 C. Giering, Vom Vertrag zur Verfassung, in: ders. (Hrsg.), Der EU-Reformkonvent, 2003, S. 4; G. Hirsch, Nizza: Ende einer Etappe, Beginn einer Epoche?, NJW 54 (2001), S. 2677. 333 G. Hirsch, Nizza: Ende einer Etappe, Beginn einer Epoche?, S. 2677; E. Pache / F. Schorkopf, Der Vertrag von Nizza, S. 1377; T. Wiedmann, Anmerkungen zum Vertrag von Nizza, S. 851. 334 SN 273 / 01. 335 Schwerpunktmäßig führt Nr. 5 der Erklärung folgende Fragen zur Klärung auf: 1. Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, 2. Status der Grundrechtecharta, 3. Vereinfachung der Verträge und 4. Rolle der nationalen Parlamente. Dazu J. Schwarze, Constitutional Perspectives of the European Union with Regard to the Next Intergovernmental Conference in 2004, EPL 8 (2002), S. 242 ff. 336 C. Dorau, Die Verfassungsfrage der Europäischen Union, 2001; T. Oppermann, Vom Nizza-Vertrag 2001 zum Europäischen Verfassungskonvent 2002 / 2003, DVBl. 118 (2003), S. 1 ff.; R. Hrbek / M. Große Hüttmann, Von Nizza über Laeken zum Reform-Konvent, in: Jahrbuch des Föderalismus 2002, S. 577; siehe auch J. M. Martínez Sierra, El debate constitucional europeo, S. 193 ff.
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Amato und Jean Luc Dehaene als Stellvertretern eingesetzt. Damit wurde auf das erstmals auf der Tagung in Köln im Juni 1999 verständigte Konventsmodell zurückgegriffen, mit dem die Charta der Grundrechte erarbeitet wurde337. Obgleich den Mitgliedstaaten das Letztentscheidungsrecht über den Konventsentwurf verbleibt, ist zu kritisieren, dass die Einsetzung eines Konventes nicht dem Verfahren der in Art. 48 EUV geregelten Vertragsrevision entspricht338 und die Eigenschaft der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ einschränkt339.
bb) Zusammensetzung Entsprechend der Erklärung von Laeken setzte sich der Konvent, der am 28. 02. 2002 seine Arbeit aufnahm und dessen Mandat nach der Überreichung der ersten beiden Teile auf Schlussarbeiten beschränkt bis zur vollständigen Übergabe am 18. 07. 2003 verlängert wurde, wie folgt zusammen: je ein Vertreter der Staatsund Regierungschefs, je zwei Mitglieder der nationalen Parlamente, 16 Mitglieder des Europäischen Parlaments und zwei Vertretern der Kommission. Die nationalen Vertreter entstammten sowohl den Mitgliedstaaten als auch den beitrittswilligen Nationen340, ohne dass letztere einen sich zwischen den Mitgliedstaaten abzeichnenden Konsens hätten verhindern können. Dem zwölfköpfigen Präsidium gehörten neben dem benannten Präsidenten und seinen beiden Stellvertretern, drei Vertreter der Regierungen, die während der regulären Arbeiten des Konvents den Ratsvorsitz innehatten, und je zwei Vertreter der nationalen Parlamente, des Europäischen Parlaments und der Kommission an. Diesen wurde außerplanmäßig ein Vertreter aus den Beitrittsstaaten beigeordnet341. Zusammenfassend setzte sich der Konvent aus 105 Mitgliedern, von denen jeder bis auf die drei in Laeken benannten Präsidiumsmitglieder einen Stellvertreter 337 Dazu J. Meyer / S. Hartleif, Die Konventsidee, ZfPar 33 (2002), S. 368 ff.; G. de Búrca, The Drafting of the European Charter of Fundamental Rights, ELR 26 (2001), S. 126 ff.; ders., The constitutional challenge of new good governance in the European Union, ELR 28 (2003), S. 821 ff. Siehe auch W. Hummer, Vom Grundrechte-Konvent zum Zukunftskonvent, ZfPar 33 (2002), S. 323 ff.; W. Wessels, Der Konvent, Integration 25 (2002), S. 83 ff. 338 Da die Erklärung von Laeken weder als primäres noch als sekundäres Gemeinschaftsrecht anzusehen ist, ist die Einsetzung des Konvents vertragswidrig; i. d. S. J. F. Lindner, Der Konvent zur Zukunft Europas, BayVBl. 133 (2002), S. 514, der dem Konvent „keinen rechtlichen, sondern ,lediglich‘ politischen Charakter“ zumisst. (Zur Ablehnung der Unterscheidung von Recht und Politik siehe Kap. II Fn. 23.) 339 J. Jarlebring, Taking stock of the European Convention, GLJ 4 (2003), S. 786 f.; anderer Ansicht S. Magiera, Die Arbeit des europäischen Verfassungskonvents und der Parlamentarismus, DÖV 56 (2003), S. 578; A. Puttler, Sind die Midgliedstaaten noch „Herren“ der EU?, EuR 39 (2004), S. 688 f. Siehe auch Kap. V.3.e)ee)(2). 340 Neben den Beitrittsländern von 2004 entsandten auch Bulgarien, Rumänien und die Türkei Vertreter. 341 C. Giering, Vom Vertrag zur Verfassung, S. 6 f.; D. Blumenwitz, Was gibt die Verfassung Europas?, Politische Studien Sonderheft 1 (2003), S. 44.
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hatte, aus 28 Ländern zusammen342. Lediglich eine Beobachterrolle wurde den je drei Vertretern des Wirtschafts- und Sozialausschusses und der europäischen Sozialpartner, den sechs Vertretern des Ausschusses der Regionen343 und dem Europäischen Bürgerbeauftragten gewährt. Die Präsidenten des Europäischen Gerichtsund Rechnungshofs hatten auf Einladung des Präsidiums ein Rederecht. Die Zusammensetzung des Konvents ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Rechtsdogmatisch ist die fehlende demokratische Legitimation des Konvents zu beanstanden. Ebenso wie bei der Erarbeitung der Grundrechtecharta wurde keiner der Mitglieder direkt vom Volk gewählt344. Es handelt sich um eine Missachtung des Amtsprinzips, nach dem jeder Amtswalter lediglich für seine Aufgabe demokratisch legitimiert ist345. Nur eine vom Volk gewählte verfassungsgebende Versammlung ist mit diesem Prinzip vereinbar. Damit ist nicht nur der Einsatz des Konvents vertragswidrig, sondern auch seine Zusammensetzung rechtswidrig346. Weiterhin ist speziell die geringe Bedeutung regionaler Akteure zu kritisieren. Dem Ausschuss der Regionen347 wurde lediglich eine Beobachterrolle zugeteilt. Die deutschen Länder wurden indirekt durch ein Mitglied des Bundesrates (Teufel / Senff) vertreten348. Die spanischen Regionalvertreter, ebenso wie die Kommunen als dritte Ebene deutscher Bundesstaatlichkeit blieben ohne direkte Vertreter349 und mussten sich somit mit den Beobachtern des Ausschusses der Regionen350 und dem Einfluss einiger Regionalorganisationen zufrieden geben. 342 Die deutschen Konventsmitglieder (ihre Stellvertreter in Klammern) waren aus dem Bundestag Jürgen Meyer (Peter Altmaier), aus dem Bundesrat Erwin Teufel (Wolfgang Senff / Wolfgang Gerhardts) und aus der Bundesregierung Peter Glotz, im November 2002 abgelöst durch Joschka Fischer (Hans Martin Bury / Gunther Pleuger). Von den deutschen Mitgliedern des Europaparlaments sind Klaus Hansch (als Präsidiumsmitglied), Sylvia-Ivonne Kaufmann und Elmar Brok (Joachim Wuermeling) zu nennen; CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 7 ff. (Anlage I). (Die Dokumente Konvents, mit CONV abgekürzt, sind unter http: // european-convention.eu.int abrufbar.) 343 Kritik hieran siehe M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 468 f. 344 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 87 ff. In Analogie zu der Kritik am Konvent zur Erarbeitung der Grundrechtecharta siehe ders., Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, S. 13. 345 Dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 344 ff. 346 Strittig K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 316 f. Andere Ansicht T. Oppermann, Europäischer Verfassungskonvent und Regierungskonferenz 2002 – 2004, DVBl. 119 (2004), S. 1264 f. 347 Dazu Kap VIII.2.c). 348 Vgl. Art. 23 Abs. 5 – 6 GG, § 6 EUGZBL sowie die Zustimmungsnotwendigkeit des Bundesrates nach Art. 23 Abs. 1 GG. Dazu M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 463 f. 349 M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 467. 350 Zu der Rolle des Ausschusses der Regionen im Konventsprozess ausführlich A. Eppler, Der Ausschuss der Regionen im Jahr 2002, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 485 f.
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Beispielsweise die Vereinigung der Regionen Europas (VRE), der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE)351 und vor allem die Initiative RegLeg352 wurden über das „Forum“353, ein Netz von Organisationen, regelmäßig über die Arbeiten des Konvents unterrichtet. Ihre Beiträge liefen in die Debatte ein und beeinflussten die Konventsarbeit. cc) Aufgaben Dem Konvent wurde mit der Erklärung von Laeken eine Reihe von Fragen zur Beantwortung übertragen, die die vorangegangenen Regierungskonferenzen nicht zu lösen vermochten354. Neben der Zuständigkeitsverteilung355 und der Vereinheitlichung der Handlungsinstrumente soll sich der Konvent mit den Fragen beschäftigen, auf welche Weise die Union demokratischer, transparenter und effizienter gestaltet und die vier (nach Auslaufen des EGKS-Vertrags zum 23. 07. 2002 nur noch drei) Gründungsverträge zu einer gemeinsamen Verfassung der Bürger zusammengefasst werden könnten356. Implizit wurde der Verfassungskonvent beauftragt, eine Grundfrage der Europäischen Union, ihre Staatswerdung357 zu klären358. Der Auftrag von Laeken bestand in der Zusammenstellung der gefundenen Antworten in Form von Optionen oder im Falle eines Konsenses als Empfehlung in einem „Abschlussdokument“.
351 Vgl. M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 468. 352 Dazu M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 468; A. Eppler, Der Ausschuss der Regionen im Jahr 2002, S. 489 f. 353 Erklärung von Laeken; siehe auch R. Knöll, Die Diskussion um die Zukunft der EU aus der Sicht der deutschen Länder, NVwZ 21 (2002), S. 965. 354 N. K. Riedel, Der Konvent zur Zukunft Europas, ZRP 35 (2002), S. 242; R. Wägenbaur, Die Erklärung von Laeken zur Zukunft der EU, EuZW 13 (2002), S. 65; J. Meyer / S. Hölscheidt, Die Europäische Verfassung des Europäischen Konvents, EuZW 14 (2003), S. 613. 355 Dazu T. Fischer: Eine subsidiaritätskonforme Kompetenzordnung für Europa, in: Jahrbuch des Föderalismus 2002, S. 532 ff.; C. Jennert, Die zukünftige Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, NVwZ 22 (2003), S. 937 ff.; siehe auch C. Kirchner / J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, S. 771; T. E. Frosini, Subsidiariedad y Constitución, REP N.E. 116 (2002), S. 7 ff. 356 Dazu siehe auch R. Hrbek / M. Große Hüttmann, Von Nizza über Laeken zum ReformKonvent, S. 5784 ff.; O. Philipp, Mehr Rechtsstaatlichkeit für die Europäische Union!, S. 641; N. K. Riedel, Der Konvent zur Zukunft Europas, S. 242. 357 Vgl. Kap. I Fn. 14. 358 „Es kann keinem Zweifel mehr unterliegen, dass am Ende der Arbeiten des Konvents die Staatswerdung Europas stehen muss und deshalb stehen wird, soll das Integrationsprojekt nicht kläglich scheitern. Europa kann nicht mehr länger das undefinierbare hybride Gebilde zwischen internationaler Organisation und Staat bleiben“; J. Sack, Wieviel Staat braucht Europa – wieviel Europa braucht die Welt?, EuZW 13 (2002), S. 321. Dazu (ablehnend) Kap. V.2.c) und im Folgenden insbesondere Kap. V.3.e)ee).
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c) Konventsentwurf eines „Vertrages über eine Verfassung für Europa“ aa) Defizitäre Arbeitsweise des Konvents Der Konvent strukturierte sich in die Arbeit des Präsidiums, unterstützt durch das vom Generalsekretariat des Rates getragene Konventssekretariat, der elf Arbeitsgruppen und drei Arbeitskreise sowie den Aussprachen in den Plenarsitzungen. Tagungsort waren die Räume des Europäischen Parlaments in Brüssel. Das Präsidium teilte die Arbeit elf Arbeitsgruppen (in Klammern Bezeichnung des Abschlussdokuments), die sich mit den Themen Subsidiarität (CONV 286 / 02 vom 23. 09.), Grundrechte (CONV 354 / 02 vom 22. 10.), Rechtspersönlichkeit (CONV 305 / 02 vom 01. 10.), nationale Parlamente (CONV 353 / 02 vom 22. 10.), ergänzende Zuständigkeiten (CONV 375 / 1 / 02 vom 04. 11.), Ordnungspolitik (CONV 357 / 02 vom 21. 10.), außenpolitisches Handeln (CONV 459 / 02 vom 16. 12.), Verteidigung (CONV 461 / 02 vom 16. 12.), Vereinfachung (CONV 424 / 02 vom 29. 11.), Freiheit, Sicherheit und Recht (CONV 426 / 02 vom 02. 12.) und Soziales Europa (CONV 516 / 1 / 03 vom 04. 02.) befassten sowie den Arbeitskreisen Gerichtshof (CONV 636 / 03 vom 25. 03.), Haushaltsverfahren (CONV 679 / 03 vom 14. 04.) und Eigenmittel (CONV 730 / 03 vom 08. 05.) zu. Die ersten Monate wurden von den Konventsmitgliedern als sehr ermüdend empfunden, da weitestgehend bekannte Fakten und Meinungen ausgetauscht wurden („Phase des Zuhörens“359). Erst ab Herbst sollten Reformvorschläge eingebracht werden („Phase der Studien“), um in einer dritten und letzten Phase die tatsächlichen Textvorschläge zu erörtern („Phase der Texte“). Dieser Arbeitsplan des Präsidiums war Gegenstand scharfer Kritik aus den Reihen des Konvents und führte im Sommer und Herbst 2002 zu einer Vielzahl von selbständig ausgearbeiteten, vollständigen Verfassungsentwürfen und arbeitsgruppenübergreifenden Diskussionsgrundlagen360. Das Präsidium reagierte mit seinem ersten Vorentwurf des Verfassungsvertrages361, den es 359 Phasenbezeichnungen nach T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), DVBl. 118 (2003), S. 1167. 360 Eine kritische Reflexion über die bedeutendsten Entwürfe zwischen September und Dezember 2002 bei P. Häberle, Die Herausforderungen des europäischen Juristen vor den Aufgaben unserer Verfassungs-Zukunft: 16 Entwürfe auf dem Prüfstand, DÖV 56 (2003), S. 430 ff.; siehe auch M. Große Hüttmann, Der Konvent und die Neuordnung der Europäischen Union, in: Jahrbuch des Föderalismus 2003, S. 438 ff. Besondere Aufmerksamkeit erhielten der nach dem deutschen Europaparlamentarier Brok benannten Entwurf der europäischen Konservativen EVP-CD (CONV 325 / 02 v. 08. 10.), dessen Überarbeitung (FrascatiEntwurf v. 10. 11. 2002), das Positionspapier der europäischen Sozialdemokraten SPE v. 03. 10. 2002, der „Freiburger Entwurf“ um Jürgen Schwarze (CONV 495 / 03 v. 20. 01.), der Çambrige-Text“ um Alan Dashwood (CONV 345 / 02 v. 14. 10.), der Entwurf von Elena Ornella Pasciotti (CONV 335 / 02 v. 10. 10.) und vor allem der nur 19 Artikel umfassende Entwurf des britischen Liberalen Andrew Duff (CONV 234 / 02 v. 03. 09). Weitere Verfassungsentwürfe siehe www.bundestag.de / europa / eu_konvent / verf_ent.html. 361 CONV 369 / 02.
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nach acht Monaten Konventsarbeit am 28. 10. 2002 dem Plenum vorstellte und an dessen Struktur sich die anschließende Diskussion orientierte. Ein grundlegendes Problem der sich an den Vorentwurf anschließende Entwicklung des Konventsentwurfs durch Kommentierung und Einreichen von Verbesserungsvorschlägen war, dass die anfangs vom Präsidium eingeteilten Arbeitsgruppen nicht mit der Struktur des Vorentwurfes übereinstimmten und auch nicht nachträglich angepasst wurden. Die ausführliche anfängliche Anhörungsphase führte in der Ausarbeitungsphase zu besonders knappen zeitlichen Vorgaben seitens des Präsidiums, die in Verbindung mit der kaum bewältigbaren Informationsflut362 zu unbefriedigenden Notlösungen führte. Organisationstechnisch konnten die Konventsteilnehmer nicht im notwendigen Umfang Rücksprachen mit Experten und Ministerien nehmen363. Der Rechtserkenntnisprozess wurde durch dürftige Organisation und mangelhaftes Zeitmanagement beeinträchtigt. Allgemein ist die Dominanz des Präsidiums364, insbesondere die des Vorsitzenden zu monieren, die für viele Unstimmigkeiten sorgte: „Mit dieser Methode (sc. Einteilung in drei Phasen) blieb die eigentliche Definitionsmacht bis zum Ende in den Händen des Präsidiums.“365 Anstatt vorläufige Textentwürfe formellen Abstimmungen zu unterziehen, begnügte sich das Präsidium mit einer eigenen Abschätzung der Mehrheitsverhältnisse und stellte sich nicht selten gegen bestehende Mehrheiten366. Ebenso weigerte sich das Präsidium den Forderungen vieler Konventsmitglieder nachzugeben, eine Arbeitsgruppe zu den Institutionen367 einzurichten368. Die „monatelange Kluft zwischen Präsident und Plenum“369 hätte höchstwahrscheinlich durch eine Wahl des Vorsitzenden durch den Konvent selbst, anstatt der Benennung durch den Rat, vermieden werden können370.
362 Es gab über 1800 (auf drei Minuten beschränkte) Redebeiträge in den 26 Plenarsitzungen, 848 Konventsdokumente und 5995 Änderungsanträge; CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 2 f. 363 M. Große Hüttmann, Der Konvent und die Neuordnung der Europäischen Union, S. 443; J. Meyer / S. Hölscheidt, Die Europäische Verfassung des Europäischen Konvents, S. 613; M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 465; F. C. Mayer, Macht und Gegenmacht in der Europäischen Verfassung, S. 65. 364 J. Jarlebring, Taking stock of the European Convention, S. 788. 365 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1167; Herv. i. Orig. 366 C. Giering, Vom Vertrag zur Verfassung, S. 6 f.; J. Meyer / S. Hölscheidt, Wie der Konvent Europa verfasst hat, ZSE 1 (2003), S. 339. Damit ist ausgeschlossen, dass der Verfassungsvertrag zu einer Verfassung eines existentiellen Staates werden kann, da ein demokratisches Verfahren der Verfassungserzeugung unabdingbare Voraussetzung einer demokratischen Republik ist; H.-P. Schneider, HStR, Bd. VII, § 158, Rdn. 33. 367 C. Giering, Vom Vertrag zur Verfassung, S. 9. 368 Auch wurde keine Arbeitsgruppe „Regionen“ eingerichtet. 369 C. Giering, Vom Vertrag zur Verfassung, S. 7. 370 J. Meyer / S. Hölscheidt, Die Europäische Verfassung des Europäischen Konvents, S. 613.
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bb) Geringer Einbezug der Öffentlichkeit „Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft des Rechts, deshalb auf Dialog angelegt. Die Demokratie baut auf die öffentliche Diskussion.“371
Anders jedoch der Konvent: Obwohl sämtliche Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und in den elf Arbeitssprachen der Union gearbeitet wurde372, war die Einbindung der Öffentlichkeit in den Verfassungsgebungsprozess nur unzureichend. Ihren faktischen Ausschluss belegen Umfragewerte des Eurobarometers aus März / April 2003, d. h. drei Monate vor Abschluss der Arbeiten des Konvents373: Lediglich 16 % der Befragten gaben an, viel über den Konvent zu hören. Noch weniger (14 %) wussten, dass er noch im selben Jahr die Arbeit abschließen würde und 62 % der Unionsbürger war nicht bekannt, dass der Konvent an Vorschlägen zur Reform der Europäischen Union arbeitete. Die „Mitwirkung“ der Bürgerschaft beschränkte sich hauptsächlich auf die Internetseite (http: // european-convention.eu.int) und das Beteiligungsforum „Futurum“ (http: // europa.eu.int / futurum / index_de.htm), punktuell374 ergänzt durch ein zweitägiges Zivilforum, das als „Gelegenheit für den Konvent als Ganzes, die Standpunkte der Zivilgesellschaft zu hören“375 gesehen wurde, und einen viertägigen Jugendkonvent376 im Juni bzw. Juli 2002, d. h., noch bevor die Studien- oder Textphase begonnen hatte377. Die europäischen Bürger, die allein die Arbeit des Konventes hätten legitimieren können, wurden, wie bereits beim Grundrechtekonvent378, wirkungsvoll ausgegrenzt. Anstatt die Zivilgesellschaft einzubeziehen, diente das in der Erklärung von Laeken vorgesehene Forum379 hauptsächlich Lobbyisten einer Vielzahl von Organisationen380.
P. Kirchhof, Der Weg Europas ist der Dialog, S. 353. Erklärung von Laeken. 373 European Opinion Research Group EEIG, Standard Eurobarometer 59, 2003, S. 84 f. 374 Huber charakterisiert sie als „einige Alibi-Veranstaltungen für die ,Zivilgesellschaft‘“; P. M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, EuR 38 (2003), S. 574. 375 CONV 167 / 02 v. 04. 07., S. 2. 376 CONV 205 / 02 v. 19. 07. 377 Kritik an der Öffentlichkeitsorientierung des Konvents übt A. Heuser, Der Konvent in der öffentlichen Wahrnehmung und die Rolle der Zivilgesellschaft, in: C. Giering (Hrsg.), Der EU-Reformkonvent, 2003, S. 15 ff. 378 Kritik bei K. A. Schachtschneider, Jeder Widerspruch gegen die Charta ist angezeigt, S. 9; ders., Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, S. 13; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 87 ff. 379 Siehe Fn. 353. 380 A. Heuser, Der Konvent in der öffentlichen Wahrnehmung und die Rolle der Zivilgesellschaft, S. 17 ff. 371 372
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cc) Überschreitung des Mandats von Laeken Der Konventsvorsitzende übergab den Entwurf eines Vertrages über die Verfassung Europas in zwei Etappen dem Präsidenten des Europäischen Rates: die ersten beiden Teile am 20. 06. 2003 in Thessaloniki381 und den vollständigen (vierteiligen) Entwurf am 18. 07. 2003382 dem italienischen Ratspräsidenten. Der Entwurf des Konvents ist mit seinen zwei Präambeln, 465 Artikeln383, fünf Protokollen und drei Erklärungen alles andere als kurz384. Der Bericht des Vorsitzes des Konvents an den Präsidenten des Europäischen Rates385 gibt naturgemäß ein positives Bild über die Arbeit dieses Gremiums. Einen Überblick über die wesentlichen Kritikpunkte der Konventsarbeit gibt der diesem Bericht in Anlage III beigefügte Gegenbericht von vier Konventsmitgliedern und vier Stellvertretern, der unter dem Tenor steht, dass sie „als Konventsmitglieder . . . den Entwurf einer europäischen Verfassung nicht mittragen“386 können. Neben inhaltlichen Aspekten, die weiter unten an den Anforderungen der vier Fragenauflistungen von Laeken geprüft werden, wird das Verfahren der Verfassungsgebung beanstandet, das „zu keinem Zeitpunkt nach normalen demokratischen Verfahren erstellt worden“387 ist. Wesentliche Kritik wendet sich gegen den Konventsvorsitzenden: „Demokratie und Abstimmungsverfahren wurden von Giscard im Konvent nicht zugelassen.“388
Den juristischen Hauptkritikpunkt am Konventsentwurf formuliert der Abgeordnete des Europäischen Parlaments Ribeiro e Castro, Mitglied des Ausschusses für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments. Dem Konvent wurde aufgetragen, ein „Abschlussdokument“ zur Vorbereitung der Regierungskonferenz zu verfassen, das nur bei fehlendem Konsens auf Optionen verzichten könne389. Wie der Gegenbericht zeigt, kann von einem Einvernehmen nicht gesprochen werden. Zudem ist an Stelle eines „Abschlussdokumentes“, das den „Weg zu einer Verfassung für die europäischen Bürger“ ebnet, ein vollständiger Verfassungsentwurf vorgelegt worden. Zum einen wurde die Aufgabe zu prüfen, ob eine Verfassung CONV 820 / 03. ABlEG Nr. C 169 v. 18. 07. 2003. 383 Die endgültige, d. h. unterzeichnete Fassung v. 29. 10. 2004 umfasst 448 Artikel. 384 „It has been argued that the best possible constitution is a short constitution“; J. Klabbers / P. Leino, Death by Constitution?, GLJ 4 (2003), S. 1293. 385 CONV 851 / 03 v. 18. 07. 386 CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 21 (Gegenbericht). 387 CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 22 (Gegenbericht). 388 CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 22 (Gegenbericht). 389 Erklärung von Laeken: „Der Konvent prüft die verschiedenen Fragen. Er erstellt ein Abschlussdokument, das entweder verschiedene Optionen mit der Angabe, inwieweit diese Optionen im Konvent Unterstützung gefunden haben, oder – im Falle eines Konsenses – Empfehlungen enthalten kann.“ 381 382
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möglich ist, welche Alternativen bestehen und welche Konsequenzen von ihr ausgehen nicht erfüllt390. Zum anderen wurde von dem Europäischen Rat in Laeken lediglich die Vorbereitung einer Regierungskonferenz aufgetragen und nicht die Erarbeitung eines Verfassungsentwurfs. Hier handelt es sich eindeutig um eine Überschreitung des aufgetragenen Mandats: „Obwohl ich mir der in diesem Hause vorherrschenden Ansicht bewusst bin, gibt es Aussagen, die mich nach wie vor in Erstaunen versetzen. Dies gilt für die Aussage des Kollegen Carnero Gonzalez, der während der Debatte über diesen Bericht erklärt hat, dass wir den Konvent zu seinem Mut beglückwünschen müssen, weil er über das vorgegebene Mandat hinausgegangen ist und eine Verfassung vorgelegt hat. Die Behauptung ist verwegen und entspricht im übrigen dem wahren Kern der Dinge. Doch glaube ich, dass wir diesen Sachverhalt in dem Augenblick, in dem wir uns seiner bewusst wurden, verurteilen und nicht willkommen heißen mussten. Als Jurist und Mitglied des Ausschusses für konstitutionelle Fragen glaube ich, dass es unsere Pflicht gewesen wäre, dies zu tun, wenn wir wirklich dem Rechtsstaat einen Dienst erweisen wollen.“391
d) Einigung der Regierungskonferenz und Hürden bis zum In-Kraft-Treten des Verfassungsvertrages Das rechtliche Verfahren des Zustandekommens des Verfassungsvertrags richtet sich nach Art. 48 EUV, der vorsieht, das nach Anhörung des Europäischen Parlaments und gegebenenfalls der Kommission der Rat sich für eine Regierungskonferenz ausspricht, die durch den Präsidenten des Rates einberufen wird und zu Änderungen der Verträge befugt ist. Damit diese in Kraft treten, bedarf es der Ratifikation aller Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften. Unter der italienischen Ratspräsidentschaft konnte nicht wie vorgesehen eine Einigung bis Ende des Jahres 2003 erzielt werden. Diese scheiterte im Wesentlichen an der in Art. 2 PrStimmgew normierten Stimmgewichtung bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Europäschen Rat und Ministerrat392. Spanien und Polen weigerten sich, von der in Nizza getroffenen Regelung abzuweichen, gemäß der zusätzlich zu der Mehrheit der gewichteten Stimmen die Mitgliedstaaten, die diese qualifizierte Mehrheit bilden, mindestens 62 % der Gesamtbevölkerung der Union repräsentieren. Durch die Frage um die Stimmgewichtung wurde in der öffentlichen Diskussion das Hauptproblem des Verfassungsvertrages verdrängt. Nur vereinzelt wurde gewarnt, mit einem „imaginären pouvoir constituant“393 einen Staat Europa zu verfassen. CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 22 (Gegenbericht). J. Ribeiro e Castro, Minderheitenansicht v. 09. 09. 2003 zum Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen bzgl. einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Einberufung der Regierungskonferenz, abgedruckt in: EuGRZ 30 (2003), S. 669. 392 Vgl. ursprünglich Art. I-24 EVVE, nunmehr Art. I-25 VVE. Zu Kernstreitpunkten siehe zusammenfassend o. V., Might it all tumble down?, The Economist v. 13. 12. 2003, S. 39; o. V., Who killed the constitution?, The Economist v. 20. 12. 2003, S. 53. 390 391
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Im Anschluss an die gescheiterten Verhandlungen drohten hauptsächlich Deutschland und Frankreich aus Verärgerung mit einem „Kerneuropa“394, von dem jedoch schnell wieder abgesehen wurde395. Eine Einigung konnte unter irischer Ratspräsidentschaft auf dem Regierungsgipfel am 18. 06. 2004 erzielt werden. Der Wahlsieg der sozialistischen PSOE über die konservative PP in Spanien drei Monate zuvor, das Einlenken der polnischen Regierung sowie einige Änderungen gegenüber dem Konventsentwurf ermöglichten den Kompromiss. In institutionellen Fragen ergeben sich gegenüber dem Konventsentwurf Änderungen hinsichtlich der Kommission, dem Zustandekommen qualifizierter Mehrheiten im Europäischen Rat oder Ministerrat und der Sitzverteilung im Europäischen Parlament396. Durch Änderung der Art. I-25 und I-26 EVVE (nunmehr Art. I-26 und I-27 VVE) wird von der Einführung von „Kommissaren“ ohne Stimmrecht im Gegensatz zu stimmberechtigten „Europäischen Kommissaren“ abgesehen. Der Streit über das Stimmrecht bei qualifizierter Mehrheit wird gelöst, indem statt 50 % der Staaten, die 60 % der Bevölkerung repräsentieren, nunmehr mindestens 55 % der Staaten, die 65 % der Bevölkerung repräsentieren, zustimmen müssen, wobei eine Sperrminorität erst bei einem negativen Votum von vier Ratsmitgliedern zustande kommt (Art. I-24 Abs. 1 EVVE im Vergleich mit Art. I-25 Abs. 1 VVE). Für den Fall, dass der Europäische Rat oder Ministerrat nicht auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission oder des Außenministers der Union beschließt, werden die entsprechenden Prozentzahlen von zwei Drittel auf 72 % und von 60 % auf 65 % erhöht (Art. I-24 Abs. 2 EVVE im Vergleich mit Art. I-25 Abs. 2 VVE). Durch Änderung des Art. I-19 Abs. 2 EVVE wird die maximale Anzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments von 736 auf 750 erhöht sowie die Anzahl der Sitze eines Mitgliedstaates auf 96 begrenzt (nunmehr Art. I-20 Abs. 2 VVE). Somit erhält Deutschland, sofern die Verfassung bis dahin in Kraft tritt, ab den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament nicht mehr wie bisher 99, sondern nur noch 96 Sitze. B. Pendás, España tiene razón, ABC v. 20. 10. 2003, S. 3. Statt vieler P. Pinzler / J. Fritz-Vannahme, Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner?, Die Zeit v. 04. 12. 2003, S. 3; J. Fritz-Vannahme, Ein, zwei oder drei Europas?, Die Zeit v. 17. 12. 2003, S. 5. Zu dem Begriff siehe bereits P. Häberle, Europa – eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 111. 395 J. Ross, Mehr Welt, weniger Nabel, Die Zeit v. 04. 03. 2004, S. 6. Siehe bereits ablehnend F. Cromme, Verfassungsvertrag der Europäischen Union, DÖV 55 (2002), S. 600. 396 Der Konventsentwurf wird zusätzlich in folgenden nicht-institutionellen Bereichen geändert oder ergänzt: Art. I-11 Abs. 3 und Art. I-14 Abs. 1 (Koordinierung der Wirtschaftspolitik), Art. III-76 Abs. 6 (Defizitverfahren), Art. I-54 Abs. 4 (Mehrjähriger Finanzrahmen), Präambel der Grundrechtecharta und Art. II-52 Abs. 7 (Erläuterungen zur Charta der Grundrechte), Art. III-88 Abs. 1, Art. III-91 Abs. 2, 4 und Art. III-92 Abs. 2 (Euro-Gruppe), Art. III-174 Abs. 2 (Eurojust), Art. 324 Abs. 1, Art. III-325 Abs. 2, Art. III-326 Abs. 2 und Art. III-328 Abs. 3 (Verstärkte Zusammenarbeit), Art. III-116 und Art. III-56 Abs. 2 lit. a, c (Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt), Art. III-134 Abs. 3 und III-141 (Verkehr), Art. III-157 Abs. 2, 3 (Energie), Art. IV-10 Abs. 2 (Verbindliche Fassungen und Übersetzungen) und in einer Reihe von beigefügten Erklärungen. 393 394
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Damit die Verfassung ratifiziert und in Kraft treten kann397, wurde die Einigung der Regierungskonferenz in die Amtssprachen der Union übersetzt und am 29. 10. 2004 in Rom unterzeichnet 398. Die Regelungen über die noch ausstehende Ratifikation sind nicht in allen Mitgliedstaaten gleich. Neben der Zustimmung des Parlaments fordern nur einige Staatsverfassungen ausdrücklich die Zustimmung des Volkes durch ein Referendum399. In anderen Staaten, z. B. Spanien400, haben die Regierung die Intention geäußert, Volksbefragungen durchzuführen, obwohl diese nicht ausdrücklich verfassungsrechtlich vorgesehen werden; nicht so in Deutschland. Angesichts der weitreichenden Konsequenzen des Verfassungsvertrages hinsichtlich eines existentiellen Unionsstaates sollten vor Ratifikation des Verfassungsvertrages in allen Mitgliedstaaten Referenda abgehalten werden401: „Wenn wir aber eine europäische Verfassung haben müssen, dann brauchen wir auch ein Verfassungsreferendum. Denn Verfassungen werden vom Souverän in Kraft gesetzt, im autoritären Regiment durch Oktroi des Herrschers, in Demokratien aber durch das Volk.“402
Die Konventsmethode ist kein Ersatz für ein Referendum403, erst recht nicht, da die Vertreter nicht demokratisch für ihr Mandat gewählt wurden404. Einziger Grund gegen ein Referendum kann lauten: „Die wollen uns nicht fragen, weil sie etwas wollen, was wir nicht wollen.“405 397 Ziel ist es, dass die Verfassung Anfang 2007 in kraft tritt (o. V., Europäischer Verfassungsvertrag in Rom unterzeichnet, in: FAZ v. 30. 10. 2004, S. 1). Wie bereits bei früheren Ratifikationsprozessen (vgl. J. A. Kämmerer, Das Déjà-vu von Dublin, S. 3596 ff.) sind die zu überwindenden Hindernisse kaum absehbar. Am 19. 11. 2004 entschied der französische Conseil Constitutionnel, dass der Verfassungsvertrag erst nach einer Änderung der französischen Verfassung ratifiziert werden kann (décision nº 2004-505 DC). 398 ABlEG Nr. C 310 v. 16. 12. 2004. 399 So in Dänemark, Irland und Portugal; vgl. Überblick über die Ratifikationsprozeduren in den einzelnen Mitgliedstaaten auf http: // europa.eu.int / constitution / futurum / ratification_en.htm. 400 Das Referendum in Spanien findet am 20. 02. 2005 statt. Auch in Belgien, Frankreich, Luxemburg, der Niederlande, Polen, Tschechien und dem Vereinigten Königreich werden Referenda abgehalten (http: // europa.eu.int / constitution / futurum / ratification_en.htm). Noch im Jahr 2004 ratifizierten mit Litauen (11. 11. 2004) und Ungarn (20. 12. 2004) die ersten beiden Mitgliedstaaten den Verfassungsvertrag durch Parlamentsbeschluss. 401 So auch der Verfassungsrichter Siegfried Broß; A. Graw, Karlsruher Kritik an EU-Verfassung, Die Welt v. 01. 08. 2003, S. 2; E. Pache, Europäische und nationale Identität, S. 1166. 402 R. Leicht, Wir sind die Wähler!, S. 33. 403 So aber J. Jarlebring, Taking stock of the European Convention, S. 792. 404 Für Deutschland wird von einigen Rechtswissenschaftlichern davon ausgegangen, dass Referenda nur nach grundlegenden Grundgesetzänderungen möglich seien; dazu M. Elicker, Verbietet das Grundgesetz ein Referendum über die EU-Verfassung?, ZRP 37 (2004), S. 225 ff.; T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (2. Teil), DVBl. 118 (2003), S. 1245; F. C. Mayer, Ein Referendum über die Europäische Verfassung?, S. 321; J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, EuR 28 (2003), S. 572. 405 R. Leicht, Wir sind die Wähler!, S. 33.
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Dies negiert der Konventsvorsitzende Giscard d’Estaing in seiner Verfassungsrede vor dem Europäischen Parlament, in der er Ergebnisse auf Erhebungen des Eurobarometers im Juni und Juli 2003 gestützt behauptet, 70 % der Unionsbürger sprächen sich für eine Verfassung aus und nur 13 % dagegen406. Dann stünde auch aus Sicht der Befürworter eines existentiellen europäischen Bundesstaates nichts gegen die substantielle Einbindung des Volkes, so dass diesem bewusst werden kann, „daß es in seinem Europa lebt, und nicht in einem ausgedachten System“407: „Wird die Entscheidung weder unmittelbar in einem Akt des Volkes als Ganzem noch mittelbar in einem Akt einer verfassungsgebenden Versammlung getroffen, so kann es zweifelhaft sein, ob sie dem Volk als verfassungsgebende Entscheidung zugerechnet werden kann.“408
e) Vorgesehene Neuerungen durch den Verfassungsvertrag aa) Weg zu einer Verfassung der Bürger Der Vertrag umfasst vier Teile409: erstens organisatorische Regelungen der Union, zweitens die Beantwortung der in Nizza offen gebliebenen Frage nach dem Status der Grundrechtecharta, die als zweiter Teil in die Verfassung eingefügt werden soll410, der dritte Teil regelt die Politikbereiche und Arbeitsweise und Teil vier 406 G. Giscard d’Estaing, Verfassungsrede vor dem Plenum des Europäischen Parlaments am 03. 09. 2003, abgedruckt in: EuGRZ 30 (2003), S. 650. Anders hingegen die allgemeine Einschätzung Zuleegs; siehe Fn. 271. Auch die Ergebnisse der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 2004 lassen auf eine breite Skepsis gegenüber der EU schließen. 407 W. von Simson, Was heißt in einer europäischen Verfassung „Das Volk“?, EuR 26 (1991), S. 18; Herv. i. Orig. 408 T. Maunz, HStR, Bd. IV, § 94, Rdn. 25. Siehe auch Kap. V.3.c)bb). 409 Dieses Kapitel beschränkt sich mit einem Überblick der wesentlichen Änderungen gegenüber Nizza (dazu auch J. Meyer / S. Hölscheidt, Die Europäische Verfassung des Europäischen Konvents, S. 614 ff.; J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 535 ff.; V. Epping, Die Verfassung Europas?, JZ 58 (2003), S. 823 ff.; R. Hrbek, Die Europäische Union in föderaler Perspektive, in: M. Piazolo / J. Weber (Hrsg.), Föderalismus, 2004, S. 329 ff.; W. Wessels, Die institutionelle Architektur der EU nach der Europäischen Verfassung, Integration 27 (2004), S. 162 ff.; P.-C. Müller-Graff, Strukturmerkmale des neuen Verfassungsvertrages für Europa im Entwicklungsgang des Primärrechts, Integration 27 (2004), S. 188 ff.; J. Kokott / A. Rüth, The European Convention and its draft treaty establishing a constitution for Europe, CMLR 40 (2003), S. 1322 ff.; C. Gutiérrez Espada, La reforma de las instituciones en el proyecto de tratado constitucional presentado por la convención, RDCE 7 (2003), S. 901 ff.; P. Birkinshaw, A Constitution for the European Union?, EPL 10 (2004), S. 57 ff.). 410 Siehe S. Alber, Die Aufnahme der Grundrechtecharta in die künftige Europäische Verfassung, ZSE 1 (2003), S. 184 f., 189. Hieraus ergeben sich Überschneidungen mit anderen Bestimmungen der Charta (vgl. bspw. Art. I-10 mit Art. II-99 ff. und mit Art. III-123 ff. oder Art. I-4 Abs. 2 mit Art. II-81 Abs. 2 VVE; siehe aber auch die Überschneidungen zwischen dem ersten und dritten Teil hinsichtlich der Institutionen Art. I-19 ff. und Art. III-330 ff.), sowie die Kuriosität, dass der Entwurf über zwei Präambeln verfügt.
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enthält allgemeine und abschließende Bestimmungen. Eine Vereinfachung der Verträge wird zwar erreicht, indem das Verhältnis zwischen Europäischer Union und Gemeinschaften durch eine einheitliche Rechtspersönlichkeit (Art. I-7 VVE) abgelöst wird411. Es muss allerdings kritisiert werden, dass die Auflösung der Säulenstruktur nur partiell gelungen ist412 und dass die Komplexität der Verträge nicht bestmöglich reduziert wurde, da wichtige Fragen nicht im Verfassungsvertrag selbst, sondern in den angehangenen, jedoch ebenso Rechtswirksamkeit entfaltenden Protokollen beantwortet werden413.
bb) Aufteilung und Festlegung der Zuständigkeiten Grundprinzip der Zuständigkeitsverteilung nach dem Verfassungsvertrag ist weiterhin das Prinzip der begrenzten Ermächtigung414. Aus diesem Prinzip resultiert die Notwendigkeit, in dem umfangreichen dritten Teil (342 der 465 Artikel) Aufgaben und Befugnisse der Union darzulegen415. Neuartig ist die Systematisierung in ausschließliche und geteilte Zuständigkeiten sowie Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen (Art. I-12 ff. VVE), ohne die Zuständigkeiten im Wesentlichen neu zu verteilen416. Das Subsidiaritätsprinzip417 wurde im Wortlaut nur unwesentlich geändert, allerdings versieht man es mit einem die Justiziabilität verbessernden Frühwarnsystem418.
411 Dazu A. Metz, Ein tragfähiges Fundament für die Zukunft?, in: C. Giering (Hrsg.), Der EU-Reformkonvent, 2003, S. 25 f. 412 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1237 ff. 413 Folgende „beigefügten Protokolle sind Bestandteil dieses Vertrags“ (Art. IV-442 VVE): Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union (PrNatParl); Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (PrSubsVerh); Protokoll über die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger im Europäischen Parlament und die Stimmengewichtung im Europäischen Rat und Ministerrat (PrStimmgew); Protokoll betreffend die Euro-Gruppe (PrEuro); Protokoll zur Änderung des EURATOM-Vertrags. 414 Zur Kritik an der Begrifflichkeit in Kap. V.2.b)aa). Kritisch ist zu sehen, dass nunmehr der Begriff der „begrenzten Einzelermächtigung“ in Art. I-11 Abs. 1 – 2 VVE verankert wird. Die Flexibilitätsklausel des Art. 308 EGV besteht in Art. I-18 VVE weiter, ist jedoch an zusätzliche Voraussetzungen gebunden. 415 Oppermann klammert Teil III aus der „eigentlichen EU-Verfassung“ aus; T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1169. Beim dritten Teil handelt es sich „vor allem um die technisch-juristischen Anpassungen des bisherigen Vertragsrecht an die allgemeinen Vorgaben des Verfassungsvertrages in Teil 1“; J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 564. 416 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1171. Vgl. auch Kap. VI.3.d)bb). 417 Art. I-11 Abs. 3 VVE; PrSubsVerh; PrNatParl. 418 Ausführlich zu der Zuständigkeitsverteilung siehe Kap. VI.3.d).
3. Vom vertraglichen zum verfassten Bundesstaat
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cc) Vereinfachung der Handlungsinstrumente Die Vereinfachung der Handlungsinstrumente der Union geschieht durch eine Neubezeichnung der Rechtsakte (Europäisches Gesetz, Europäisches Rahmengesetz, Europäische Verordnung, Europäischer Beschluss und rechtlich unverbindliche Empfehlungen und Stellungnahmen) und der Einführung einer Europäischen Verordnung (Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 4 VVE). Allgemein stärkt der Verfassungsvertrag das Europäische Parlament419, das nach dem „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ (Art. I-34 Abs. 1 i. V. m. III-396 VVE) im Regelfall an der Gesetzgebung beteiligt wird. Weiterhin komplex erweist sich das Rechtsetzungsverfahren durch die besondere Rechtssetzung in den Bereichen der nicht vollständig integrierten zweiten und dritten Säule GASP und PJZS, nun als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (Art. I-42, III-257 ff. VVE) bezeichnet, sowie der Koordinierung der Sozialpolitik (Art. III-209 VVE), dem Gebiet der Forschung und technologischen Entwicklung (Art. III-248 VVE), dem Gesundheitswesen (Art. III-278 VVE) und der Industrie (Art. III-279 VVE)420.
dd) Demokratie, Transparenz und Effizienz Der Verfassungsvertrag mindert nicht das Demokratiedefizit, ein europäischer pouvoir constituant hat sich nicht gebildet. Ebenso wenig kann es durch einen Verfassungstext eines undemokratisch eingesetzten und verfahrenden Konvent „auf dem Reißbrett“ konstruiert werden, auch wenn Art. I-1 Abs. 1 S. 1 VVE der zwischenstaatlichen Vertragsschließung den Willen der „Bürgerinnen und Bürger“ voranstellt und grammatikalisch offen lässt, ob es sich um eine nicht-existente europäische Bürgerschaft oder aber, wie es allein juristisch möglich ist, die nationalen Völker Europas handelt421. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union wird durch den Verfassungsvertrag verschärft422. Bereits durch den Vertrag von Maastricht wird versucht einen 419 J. Schwarze, The convention’s draft treaty establishing a constitution for Europe, CMLR 40 (2003), S. 1039 f.; W. Hummer, „Verfassungs-Konvent“ und neue Konventsmethode, Politische Studien Sonderheft 1 (2003), S. 61 f.; P. M. Huber, Demokratische und rechtsstaatliche Anforderungen an eine europäische Verfassung, Politische Studien Sonderheft 1 (2003), S. 79; J. Wuermeling, Mehr Kraft zum Konflikt, EuGRZ 31 (2004), S. 560 ff. 420 Dazu kritisch T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1239. 421 „The draft is hopelessly unclear as to whom it addresses“; J. Klabbers / P. Leino, Death by Constitution?, S. 1295. 422 „Durch den Verfassungsentwurf wird ein neuer, zentralisierter Europäischer Staat geschaffen, der über mehr Befugnisse verfügt, weniger bürgernah ist, in dem es mehr Politiker und mehr Bürokratie gibt, und in dem der Abstand zwischen den Regierenden und den Regierten größer ist“; CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 22 (Gegenbericht). Anderer Ansicht (differenzierend) A. Peters, European democracy after the 2003 convention, CMLR 41 (2004), S. 70 ff., 80 ff.
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existentiellen europäischen Staat zu schaffen423, ohne dies im Rahmen eines legitimen Verfahrens zu machen, d. h. unter Achtung der nationalen Verfassungen und vor allem durch ein verfassungsgebendes Unionsvolk424. Ebenso wenig wie die Verträge von Amsterdam oder Nizza vermag sich die Verfassung auf eine der beiden grundlegenden Optionen zu entscheiden: Es kann entweder eine funktionalstaatliche Union mit einer Legitimation durch die nationalen Parlamente geben oder aber die Union ist existentiell durch ein eigenes Staatsvolk zu begründen. In Kap. V.2.c) wurde dargelegt, dass die Bildung eines existentiellen Unionsstaats derzeit abzulehnen ist, da die notwendigen Grundvoraussetzungen bisher nicht gegeben sind. Im Unterschied zu dieser Ablehnung temporärer Art ist der Verfassungsvertrag prinzipiell abzulehnen, da er, anstatt sich auf eine der vorgestellten Möglichkeiten festzulegen, eine rechtswidrige Kombination zwischen beiden Optionen ist: Noch ausgeprägter als in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza ist der Unionsstaat in seiner Funktionsweise existentiell, bleibt formal jedoch ein funktionaler Staat ohne Staatsvolk, d. h. ohne unmittelbare Legitimation. Der Spagat zwischen formal-funktionalem und materiell-existentiellem Staat zeigt sich am deutlichsten in der Stärkung des Europäischen Parlaments. Der Verfassungsvertrag sieht vor, dass fortan das Europäische Parlament einen bedeutenden Anteil der Staatlichkeit legitimieren soll, die von den nationalen Parlamenten zu verantworten ist, dass dieses europäische Organ das Demokratiedefizit vermindern könnte, da es sich nicht um ein Parlament im echten Sinne handelt425. Die Verfassung bereitet formal einen echten Parlamentarismus vor, den es allerdings ohne Unionsvolk426 nicht geben kann und damit rechtswidrig ist427: Nach Art. I-20 Abs. 2 S. 2 VVE ist das Europäische Parlament eine degressiv proportionale Vertretung der europäischen Bürgerinnen und Bürger und nicht mehr die Vertretung „der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ (Art. 189 Abs. 1 EGV)428. 423 K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche / T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, S. 751 m. w. N. Siehe auch Nachweise in Fn. 280. 424 Vgl. Kap. V.2.c)bb). 425 Vgl. Kap. V.2.c)cc)(2) zum fehlenden Parlamentarismus. Anderer Ansicht ist Schwarze, der eine eindeutige Stärkung des Demokratieprinzips erkennt; J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 549, 556 f. Siehe auch M. Herdegen, Das „konstitutionelle“ Profil Europas, in: F. Ronge (Hrsg.), In welcher Verfassung ist Europa – Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 258; F. Cromme, Verfassungsvertrag der Europäischen Union, S. 596. 426 Vgl. Kap. I Fn. 7 und Kap. V.2.c)bb). 427 „Der Ministerrat darf im Verlauf der weiteren Vertragsentwicklung nicht wesentlich sein Gewicht einbüßen“; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 98. 428 Mit der Freiheit Europas unvereinbar ist die Schlussfolgerung Rupperts, der das Europäische Parlament als Repräsentant des Europäischen Demos“ sieht, wohingegen die nationalen Parlamente die Legitimation lediglich „ergänzt“; M. Ruffert, Schlüsselfragen der Europäischen Verfassung der Zukunft, EuR 39 (2004), S. 180 f.
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Von der Vielzahl der weiteren Änderungen mit Bezug auf das Ziel eines verstärkten Maßes an Demokratie, Transparenz und Effizienz seien die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament auf Vorschlag des Europäischen Rates (Art. I-27 Abs. 1 VVE), die eines hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates durch denselben (Art. I-22 VVE), die Einsetzung eines Außenministers (Art. I-28 VVE) und der Möglichkeit einer Entlassung eines einzelnen Kommissars auf Aufforderung des Kommissionspräsidenten (Art. I-27 Abs. 3 VVE) hervorgehoben. Das Ziel, „einen knappen und leicht fasslichen Verfassungstext an die Stelle des heutigen Komplexes zu setzen“429, ist dem Konvent nur bedingt gelungen.
ee) Föderalismus in der „neuen“ Europäischen Union Der knappe Überblick über den Verfassungsvertrag zeigt, dass Ansätze zur Gründung eines existentiellen Unionsstaates bestehen. Der Verfassungsvertrag sichert nicht den Integrationsstand430, sondern greift „weit über das ursprüngliche Anliegen hinaus, die ,left-overs‘ der wenig geglückten Regierungskonferenz von Nizza zu bewältigen“431. Eine ausführliche Analyse der Änderungen europäischer Bundesstaatlichkeit untermauert, dass die Verfassung einerseits mit einer Reihe von Normen einen existentiellen Staat vorbereitet (1), andererseits partiell die Schwelle zum existentiellen Staat bereits überschreitet (2). (1) Integration „von oben“ – Vorbereitung eines existentiellen Bundesstaates Die Analyse der Begrifflichkeit eines „Vertrages über eine Verfassung“ führt kaum weiter, da von dem Verfassungs- oder Vertragsbegriff keine Rückschlüsse auf die Staatsqualität (funktional / existentiell) oder Staatsform (z. B. Bundesstaat) geschlossen werden kann432. Die Formeln Vertrag = Staatenbund, Verfassung = Bundesstaat und folglich Verfassungsvertrag = Staatenverbund sind unter einer republikanischen Staatslehre nicht haltbar433. Der Konvent hat sich weiterhin für Forderung von M. Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, S. 950. So die Forderung von A. Randelzhofer, Souveränität und Rechtsstaat, in: H. Noske (Hrsg.), Der Rechtsstaat am Ende?, 1995, S. 133. 431 T. von Danwitz, Grundfragen einer Verfassungsbindung der Europäischen Union, JZ 58 (2003), S. 1127. 432 Huber spricht von einer „Tabuisierung des Staatsbegriffs“ im Verfassungsentwurf; P. M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, S. 599. 433 So aber G. Hirsch, EG: Kein Staat, aber eine Verfassung?, S. 47. Siehe auch Grimm, der feststellt, dass „der Vorentwurf . . . deshalb auch nicht ,Verfassung‘, sondern ,Verfassungsvertrag‘“ heiße; D. Grimm, Bitte keinen europäischen Staat durch die Hintertür, S. 10. I. d. S. auch P. M. Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 234. 429 430
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
die Bezeichnung einer Europäischen Union und gegen die im ersten Vorentwurf vom Präsidium vorgeschlagenen Optionen „Vereinigte Staaten von Europa“ oder „Vereintes Europa“434 entschieden. Es handelt sich um eine „neue“ Europäische Union, die die Rechtsnachfolge der Europäischen Gemeinschaften und Union antreten soll (Art. IV-437 und IV-438 VVE), ohne dass auf die Staatsform eingegangen wird. Anders als noch Art. 1 Abs. 1 des Vorentwurfes vom 06. 03. 2003435 mit der Formulierung, dass die Union „die in föderaler Weise bestimmten gemeinsamen Zuständigkeiten wahrnimmt“, wird in der endgültigen Fassung weder der Föderalismus noch die Bundesstaatlichkeit der Union explizit angesprochen. Auch gibt der Verfassungsvertrag keine Antwort auf die immer noch offene Finalitätsfrage 436. Ebenso wie die geltenden Verträge, bekundet die Präambel den Willen der Völker Europas „immer enger vereint ihr Schicksal gemeinsam zu gestalten“. Diese „Finalität zum Grenzenlosen“437 scheint in einem existentiellen Bundesstaat zu münden, ohne von einem Unionsvolk legitimiert zu sein. Eine Vielzahl neu eingeführter oder systematisierter nationalstaatlicher Elemente bezeugt dies, so die Staatssymbolik des Art. I-8 VVE (Flagge, Hymne, Devise, Währung und Feiertag). Wie nationale Verfassungsstaaten hat die Union mit Inkrafttreten der Verfassung eine verbindliche Grundrechtecharta438, einen nicht mehr mitgliedstaatlichen, sondern hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates (Art. I-22 Abs. 3 VVE) und eine durch das Europaparlament scheinbar demokratisch legitimierte Regierung, angeführt vom Kommissionspräsident und unterstützt durch einen Außenminister: „Durch die Verfassung jedoch erhalten alle bestehenden Organe der Europäischen Union mehr Befugnisse, und es wird ein Europa der Präsidenten geschaffen, das mehr Posten für Politiker bietet und dem Volk weniger Einfluss zugesteht.“439
(2) Vom „Herrn der Verträge“ zum „Interessenten an der Verfassung“ Mit drei Verfassungsnormen wird die existentielle Staatsqualität der Mitgliedstaaten in Frage gestellt: Art. I-6 (Geltungsvorrang), Art. I-25 (qualifizierte Mehrheit) und Art. IV-443 VVE (Verfahren zur Änderung des Vertrags über die Verfassung). Art. I-6 VVE kodifiziert den Geltungsvorrang des primären und sekundären Unionsrechts vor jeglichem mitgliedstaatlichen Recht, d. h. auch vor nationalem Verfassungsrecht. Dies entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des EuroCONV 369 / 02 v. 28.10., S. 8. CONV 528 / 03. 436 Dies kritisiert R. Dehousse, ¿Quimeras constitucionales?, RVAP 65 (2003), S. 21 f. 437 P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 893. 438 Kritik bei K. A. Schachtschneider, Jeder Widerspruch gegen die Charta ist angezeigt, S. 9; ders., Eine Charta der Grundrechte für die Europäische Union, S. 13; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 78 ff. 439 CONV 851 / 03 v. 18. 07., S. 21 (Gegenbericht). 434 435
3. Vom vertraglichen zum verfassten Bundesstaat
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päischen Gerichtshofs, ließe dem Wortlaut dann jedoch nicht mehr die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und anderer nationaler Verfassungsgerichte zu, die von einem begrenzten Vorrang ausgehen440. In seiner derzeitigen Fassung verletzt Art. I-6 VVE die existentielle Staatsqualität der Nationen, so dass Handlungsbedarf besteht: „Da aber weder das Grundgesetz noch die spanische, polnische oder die ungeschriebene britische Verfassung ein höheres Recht über sich selbst anerkennen, sollte, schon um einer bundesstaatlichen Deutung der EU vorzubeugen, Art. I-10 EU-Verf.E (sc. Art. I-6 VVE) entweder gestrichen oder doch so umformuliert werden, dass es hier nur um einen Anwendungsvorrang geht, nicht um die Höherrangigkeit der EU-Verf. vor den ,europafesten‘ Kernbereichen des nationalen Verfassungsrechts. Gegebenenfalls wäre dies durch einen entsprechenden – völkervertraglich wirksamen – Vorbehalt bei der Ratifikation klarzustellen.“441
Der zweite substantielle Eingriff in die Nationalstaatlichkeit sind die Regelungen zu der qualifizierten Mehrheit in Art. I-25 VVE. Der Fortbestand der begrenzten Ermächtigung in Verbindung mit der Stärkung des Subsidiaritätsprinzips soll gleichbedeutend mit der Stellung der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge sein442. Andererseits weist Grimm richtig darauf hin, „dass die Mehrheitsregel hier gleichbedeutend mit dem Übergang zum europäischen Staat ist“443. Zu kritisieren ist die Ausweitung der qualifizierten Mehrheit gegenüber dem Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat444 Auch sind die Anforderungen zum Zustandekommen qualifizierter Mehrheiten sehr niedrig festgelegt: „Die Bestimmung in Art. I-24 Abs. 1 (sc. EVVE; nunmehr leicht abgeändert Art. I-25 Abs. 1 VVE), wonach die qualifizierte Mehrheit im Grundsatz, lediglich die Mehrheit der Mitgliedstaaten und mindestens drei Fünftel der Bevölkerung der Union erforderlich macht, geht fraglos an die Grenzen der in einem Staatenverbund statthaften Orientierung am bloßen Mehrheitsprinzip.“445
Ursprünglich sollte Art. I-24 Abs. 4 EVVE uneingeschränkt einen Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip zu qualifizierter Mehrheit im Ministerrat per einstimmigem Beschluss des Europäischen Rates ermöglichen. Der zur Ratifikation ausSiehe Kap. V.1.a)bb). P. M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, S. 590. I. d. S. auch P. Kirchhof, Europa auf dem Weg zu einer Verfassung?, ZSE 1 (2003), S. 362 ff. 442 So H.-J. Papier im Interview mit D. Hipp / T. Darnstädt, „Das tangiert die Grundfesten“, Der Spiegel v. 22. 09. 2003, S. 29. 443 D. Grimm, Bitte keinen europäischen Staat durch die Hintertür, S. 10. Siehe auch K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 119. 444 Entgegen den Konventsvorschlägen (Art. I-20 Abs. 4 EVVE) sieht der Verfassungsvertrag nicht die qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat als Regelverfahren vor (Art. I-21 Abs. 4 VVE). 445 T. von Danwitz, Grundfragen einer Verfassungsbindung der Europäischen Union, S. 1130. 440 441
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V. Bundesstaatlichkeit der Europäischen Union
liegende Vertrag ermöglicht jedoch durch eine Streichung der besagten Norm (vgl. Art. I-25 VVE) nicht, dass jeder der Mitgliedstaaten von den anderen überstimmt werden kann und für sich genommen kein Herr der Verträge (oder des Verfassungsvertrages) mehr sein wird446. Zwar ist das Mehrheitsprinzip, wie das Zitat von Thukydides in der Präambel verdeutlicht447, ein demokratisches Prinzip, jedoch nicht im Falle des Europäischen Rates und des Ministerrates: Die Vertreter der anderen Mitgliedstaaten sind nur durch die eigenen Bürgerschaften demokratisch legitimiert und deshalb nur diesen verantwortlich448: „Das Grundgesetz erlaubt es jedoch nicht, dass sich die Bundesrepublik einer Union anschließt, in der zumindest die Möglichkeit besteht, dass die vom deutschen Parlament legitimierten und kontrollierten Vertreter auf Dauer und unentrinnbar in einer Minderheitenposition verbleiben.“449
Als dritter Punkt ist Art. IV-443 VVE abzulehnen, der vorsieht, Änderungen des Verfassungsvertrages in der Regel von Konventen vorbereiten zu lassen450. Es handelt sich insbesondere um eine Schwächung der nationalen Parlamente451. Zu begrüßen wäre lediglich der Rückgriff auf Konvente, deren Mitglieder direkt von den nationalen Bürgerschaften gewählt würden, ohne dafür Anerkennung zu erlangen, das ihnen übertragene Mandat überschritten zu haben. Die Abkehr oder zumindest Einschränkung von der intergouvernamentalen Methode der Vertragsänderung hat im Verlauf der Arbeit des Verfassungskonvents zu dem Vorschlag geführt, unabhängig des derzeit gültigen Verfahrens einer Vertragsänderung (Art. 48 EUV)452, 446 „Dagegen ist die Regelung des Art. I-24 Abs. 4 UAbs. 1 EU.Verf.E mit den durch Art. 23 Abs. 1 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen kaum zu vereinbaren. Sollte die Regierungskonferenz hier keine Änderungen vornehmen, erhielte die EU ein Stück Staatlichkeit zuviel, wäre das ,Integrationsprogramm‘ für die nationalen Parlamente in einem zentralen, ggf. die Identität nicht nur des Grundgesetzes berührenden Bereich nicht mehr steuerbar“; P. M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, S. 599. 447 „Die Verfassung, die wir haben . . . heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist.“ 448 Kritik zu den Mehrheitsentscheidungen im Rat bei P. M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, S. 592 ff., 598 f.; ders., Demokratische und rechtsstaatliche Anforderungen an eine europäische Verfassung, S. 80 f. 449 P. M. Huber, Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, S. 591. 450 Nach Art. IV-443 Abs. 2 UAbs. 2 VVE kann an der Einberufung eines Konvents nur bei geringfügigen Änderungen abgesehen werden, wenn der Europäische Rat mit einfacher Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments dies beschließt. Vgl. auch T. Oppermann, Europäischer Verfassungskonvent und Regierungskonferenz 2002 – 2004, S. 1271. 451 P. M. Huber, Demokratische und rechtsstaatliche Anforderungen an eine europäische Verfassung, S. 79; (nicht negativ wertend) W. Hummer, „Verfassungs-Konvent“ und neue Konventsmethode, S. 61 f. 452 Abs. 3 bestimmt, dass Änderungen erst in Kraft treten, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind.
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bereits „für diejenigen Staaten, die ihn ratifiziert hätten, in Kraft tritt, wenn eine im Verfassungsvertrag selbst festzulegende Schwelle erreicht wäre“453. Das Präsidium hat auf die juristische Unmöglichkeit454 hingewiesen und man einigte sich auf Art. IV-443 Abs. 4 VVE für künftige Verfassungsänderungen. Dieser scheint diese Alternative zum Inkrafttreten erst nach der Ratifikation aller Mitgliedstaaten zu ermöglichen, da er vorsieht, dass der Europäische Rat sich mit „der Frage“ bei Schwierigkeiten der Ratifikation in einem oder mehreren Mitgliedstaaten nach Ablauf von zwei Jahren nach der Unterzeichnung des Vertrags zur Änderung des Verfassungsvertrags beschäftigt, sofern vier Fünftel der Mitgliedstaaten den genannten Vertrag ratifiziert haben. In der schriftlichen Fixierung eines Austrittsrechts (Art. I-60 VVE) ist kein Ausgleich zu den beschriebenen Überschreitungen funktionaler Unionsqualität zu sehen, da es sich um ein immer schon bestandenes Recht handelte, dessen Verfahren lediglich kodifiziert wird. Die Einschätzung, der Verfassungsvertrag sei keine qualitativ neue Integrationsstufe, er sei Verfassungsverbesserung und nicht Verfassungsgebung455, kann nicht bestätigt werden456. Nach dem Vertrag von Maastricht, der Einführung des Euro und der Ausarbeitung einer Charta der Grundrechte ist der Verfassungsvertrag, sofern er in der dargelegten Form in Kraft tritt, der nächste „Staatsstreich in juristischer Verpackung“457.
CONV 647 / 03 v. 02. 04., S. 14. CONV 647 / 03 v. 02. 04., S. 14: „Probleme im Hinblick auf die früheren Verträge“. 455 So V. Epping, Die Verfassung Europas?, S. 830. 456 I. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 279. 457 So bereits im Zusammenhang mit der Euro-Einführung R. Baader, Die Euro-Katastrophe, 1993, S. 101. 453 454
VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU Die Analyse der konstitutionellen Grundlagen der Europäischen Union im vorangegangenen Kapitel hat ergeben, dass die EU ein institutional-funktionaler Bundesstaat ohne existentielle Staatsqualität ist, dessen Legitimation auf dem Willen der nationalen Bürgerschaften beruht. Bezüglich der Mitgliedstaaten wurde gezeigt, dass deren existentielle Staatsqualität nicht zur Disposition steht, d. h. weder Deutschland noch Spanien zu Gliedstaaten in einer existentiell-staatlichen EU werden dürfen. Offen geblieben sind die Rückwirkungen der Unionsmitgliedschaft auf die nationalen verfassungsrechtlichen Strukturen. Bedingt durch die Einzigartigkeit nationalen Verfassungsrechts ergeben sich in jedem Mitgliedstaat unterschiedliche Wechselwirkungen zwischen Europarecht und Staatsrecht im engeren Sinne. Während im siebten Kapitel die Frage beantwortet werden soll, inwiefern die Autonomien im regionalistischen Spanien von der Integration betroffen sind, widmet sich dieses Kapitel den Auswirkungen der Integration auf die deutschen Länder und Kommunen. Sowohl die Europäische Union als auch Deutschland sind Bundesstaaten. Da nach der Lehre des umgekehrten Monismus das Gemeinschaftsrecht als Teil des deutschen Staatsrechts anzusehen ist, ergibt sich eine komplizierte Rechtsstruktur. Schon 1927 untersuchte Kelsen die Möglichkeit des Anschlusses des Bundesstaates Österreich an das ebenfalls bundesstaatliche Deutsche Reich1. Die einstige rechtliche Lage ist keinesfalls mit der juristischen Konstellation zwischen EU, Deutschland, den Ländern und Kommunen gleichzusetzen. Damals handelte es sich um eine hypothetische Eingliederung in einen existentiellen Bundesstaat, heute um die Abschätzung der Aussichten einer gefestigten Mitgliedschaft in einem funktionalen Bundesstaat. Außerdem war weder die Staatsrechtslehre der Weimarer Republik im Allgemeinen noch die Lehre Kelsens im Besonderen dem Föderalismus verpflichtet2. Beide Konstellationen weisen allerdings strukturelle Ähnlichkeiten auf: Es handelt sich um einen Bundesstaat im Bundesstaat. Aufgrund der komplexen Gesetzgebung („Reichsgesetze, österreichische Bundesgesetze und österreichische Landesgesetze“), der aufwendigen Administration 1 H. Kelsen, Die staatsrechtliche Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, ZöR 6 (1927), S. 329 ff. 2 Zur Weimarer Republik siehe angegebene Literatur in Kap. III Fn. 10 ff. Kelsen reduzierte die Bundesstaatlichkeit Österreichs auf einen „Mechanismus der Dezentralisation“ (H. Kelsen, Die staatsrechtliche Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, S. 337), der bei einem Anschluss an das Reich zu modifizieren wäre.
VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
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(„deutsche Reichsverwaltung, österreichische Bundesverwaltung und österreichische Landesverwaltung“) sowie dem Bedeutungsverlust des österreichischen Bundesgesetzgebers („auf ein unbeträchtliches Minimum reduziert“) schlussfolgerte Kelsen: „Ein Bundesstaat im Bundesstaat bedeutet organisationstechnisch eine heillose Komplikation.“3
Die Schlussfolgerung, dass ein Bundesstaat in einem Bundesstaat nicht realisierbar sei, kann nicht aufrechterhalten werden. Aus deutscher Sicht ergibt sich eine komplexe Rechtsstruktur des europäischen Bundesstaates. Die Funktionsmechanismen des vierstufigen Aufbaus (EU, Bund, Länder, Kommunen) werden unter (1) dargelegt. Für den Anschluss Österreichs sah Kelsen zwei Möglichkeiten4: zum einen die Umwandelung Österreichs in einen Einheitsstaat, der zu einem Land abgestuft in das Deutsche Reich eingegliedert werden kann, zum andern die Auflösung des österreichischen Bundes und den länderweisen Anschluss, den er jedoch ablehnte. Beide Optionen müssen für Deutschland verworfen werden, da neben der Staatsqualität des Bundes auch die der Länder geschützt ist. Zusätzlich wird die kommunale Ebene durch das innerdeutsche Verfassungsrecht in ihren Wesenszügen bestandsgeschützt (2). Neben den grundgesetzlichen Schutzmechanismen bestehen auf Unionsebene Normen und Prinzipien, die zur Sicherung der nationalen Verfassungsstrukturen, namentlich der Staatsqualität der Länder und der kommunalen Selbstverwaltung, beitragen (3). Den verfassungsrechtlichen Garantien des Bestandes des deutschen Bundesstaates steht die zunehmende materielle Entstaatlichung der Länder und Kommunen entgegen. Es muss geprüft werden, inwieweit der derzeitige Stand der Integration mit dem unveränderlichen Verfassungsprinzip deutscher Bundesstaatlichkeit und der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar ist (4). Seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 versuchen die Länder, die an die Union abgegebenen Aufgaben und Befugnisse innerstaatlich durch Mitwirkungsrechte an der Integration zu kompensieren. Das sich entwickelnde, heute in der Kritik stehende Bundesratssystem ist auf seine Verfassungsmäßigkeit und Ausgleichswirkung zu prüfen (5). Schließlich ist zu untersuchen, inwiefern gerichtlicher Rechtsschutz zur effektiven Wahrung des Bundesstaatsprinzips gewährt wird (6).
3 H. Kelsen, Die staatsrechtliche Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, S. 331. 4 H. Kelsen, Die staatsrechtliche Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, S. 334 ff., 349.
16 Bretz
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
1. „Heillose Komplikation“ eines Bundesstaates im Bundesstaat? Nach Art. 1 EUV und EGV beruhen Europäische Union und ihre Gemeinschaften5 auf völkervertraglicher Grundlage zwischen den Mitgliedstaaten; so auch nach einer Ablösung der Verträge durch den Vertrag über eine Verfassung für Europa. Die Verträge konzipieren den europäischen Bundesstaat weitgehend zweigliedrig: die Union und die Nationalstaaten als ihre Glieder6. Die Nationen halten aus Legitimationserwägungen die „zentrale Rolle“7 inne, sind die „Herren der Verträge“. Das Modell der beschriebenen Zweistufigkeit ist angesichts der Rechtslage (zumindest partiell) zu revidieren. Der Einbezug der Länder und Kommunen resultiert in einer äußerst komplexen Rechtsstruktur, ohne jedoch zu einer durchgängigen Drei- oder sogar Vierstufigkeit zu gelangen8. Die Länder nehmen eine ambivalente Rolle ein: Zwar wirken sie nach Art. 50 und 23 GG durch den Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union mit [a)], jedoch ist das Gemeinschaftsrecht weitestgehend „landesblind“. Ebenso wenig wird die kommunale Ebene berücksichtigt9: „Die Gemeinschaften und ihre Organe aber sind zwangsläufig mit „Landes-Blindheit“ geschlagen, wenn darunter der fehlende Wille und der mangelnde Aussagegehalt der Verträge verstanden wird, von den Ländern der Bundesrepublik als staatlich-hoheitlichen Kompetenzträgern öffentlicher Gewalt Kenntnis zu nehmen. . . . Das Vertragsrecht spricht regelmäßig nur von den ,Mitgliedstaaten‘, von ,Ländern‘ nur im Sinne ,dritter Länder‘, also Drittstaaten, nicht der Länder der Bundesrepublik.“10
Eine substantielle Mitwirkung der Länder und Kommunen an der Willensbildung der Union ist weder in den bisherigen Verträgen noch im Verfassungsvertrag Zu dem Verhältnis zwischen EU und EG siehe Kap. V Fn. 10. M. Schweitzer, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, VVDStRL 53 (1994), S. 57; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 173; V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, S. 58 f. 7 J. Meyer, „Europa wird ein Staatenverbund sein“, S. 106. 8 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Philipp, der neben die Konzeption eines dreistufigen Bundesstaates untersucht und zudem die kommunale Ebene mit ihren stark ausgeprägten Selbstverwaltungsrechten erwähnt (W. Philipp, Ein dreistufiger Bundesstaat?, S. 434 f.). Scholz sieht einen dreigliedrigen Aufbau mit den „Regionen“. Der „tatbestandlich noch weithin ungeklärte Begriff der ,Regionen‘“ umfasst seinen Ausführungen zufolge sowohl Länder als auch Kommunen (R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 29 f.). 9 In Analogie wird vereinzelt von „Kommunalblindheit“ gesprochen; A. Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, DVBl. 106 (1991), S. 1132; H.-J. Blanke, Die kommunale Selbstverwaltung im Zuge fortschreitender Integration, DVBl. 108 (1993), S. 824. 10 H. P. Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, S. 256. Ähnlich ders., HStR, Bd. VII, § 181, Rdn. 36; ders., Die europäische Integration in der deutschen Staatsrechtslehre, S. 176. 5 6
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vorgesehen11. Zudem enthält das Gemeinschaftsrecht keine Regelungen über die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung seiner Ausübung [b)].
a) Setzen von primärem Gemeinschaftsrecht Es wird zwischen primärem Gemeinschaftsrecht, das der Ratifikation durch die Mitgliedstaaten bedarf (Art. 48 Abs. 3 EUV; Art. IV-447 Abs. 1; Art. IV-443 Abs. 3 VVE), und auf primärrechtlichen Ermächtigungen beruhenden sekundärem Gemeinschaftsrecht, das maßgeblich von Unionsinstitutionen und -organen gesetzt wird, unterschieden. Ausweislich der Präambel des Grundgesetzes ist es der Wille des deutschen Volkes, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Diese offene Staatlichkeit wird in Art. 24 GG konkretisiert, durch den bis zum Vertrag von Maastricht „Hoheitsrechte“, d. h. staatliche Aufgaben und Befugnisse, auf die EU übertragen werden konnten. Da der Unionsvertrag die „europäische Integration auf eine neue Stufe“12 gehoben hat, lässt sich die Union nicht mehr als „zwischenstaatliche Einrichtung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG verstehen, so dass die Legitimation der gemeinschaftlichen Ausübung von Staatsgewalt seit 1992 durch den an die Stelle des „Wiedervereinigungsartikel“ (Art. 23 GG a. F.) getretenen „Europaartikel“ (Art. 23 GG n. F.) ermöglicht wird13. Die „Verwirklichung eines vereinten Europas“ wird mit Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zum Staatsziel erklärt14, ohne jedoch einen Verfassungsauftrag zu begründen, so dass Integrationsschritte reversibel sind und selbst ein Austritt verfassungsgemäß ist15. Die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen auf die EU erfolgt durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG). Wie bereits durch Art. 24 Abs. 1 GG können nicht nur Bundeszuständigkeiten, sondern auch solche der Länder und Kommunen übertragen werden, so dass die Integration zu einer Verringerung der Befugnisse von allen staatlichen Ebenen führt16. Obwohl 11 C. Calliess, Innerstaatliche Mitwirkungsrechte der deutschen Bundesländer nach Art. 23 GG und ihre Sicherung auf europäischer Ebene, in: R. Hrbek (Hrsg.), Europapolitik und Bundesstaatsprinzip, 2000, S. 26. Zu den graduellen Änderungen der direkten Mitwirkungsmöglichkeit im Gemeinschaftsrecht, bspw. durch den Ausschuss der Regionen, siehe Kap. VIII.2. 12 1. ErwG Präamel EUV. 13 Zu der Entstehungsgeschichte und dem symbolischen Wert der Einordnung im Grundgesetz R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 1; P. Wilhelm, Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, BayVBl. 123 (1992), S. 706. 14 Adressat ist nicht nur der Bund, sondern der gesamte deutsche Staat, wobei der Bund aufgrund seiner ausschließlichen Kompetenz für Außenpolitik und -vertretung grundsätzlich zuständig ist (vgl. Art. 32, 59, 73 Nr. 1 GG). 15 R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 36 ff., 44, 51; K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil III, S. 118. Siehe auch Kap. V.2.a)cc). 16 W. A. Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 45 (1990), S. 458. Siehe zudem Kap. VI.4.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
jede „Übertragung von Hoheitsrechten“ das Grundgesetz materiell abändert (vor allem die Zuständigkeitsordnung)17, wird nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG von der Erfordernis des Art. 79 Abs. 1 GG, das Grundgesetz explizit abzuändern, abgesehen und lediglich die für eine Verfassungsänderung vorgeschriebene Zwei-DrittelMehrheit in Bundestag und Bundesrat (Art. 79 Abs. 2 GG) sowie die Geltung des Art. 79 Abs. 3 GG deklariert. Nach der Lehre des umgekehrten Monismus werden die Gemeinschaftsverträge „formell (wenn auch nicht textlich) Bestandteil des Grundgesetzes“18. Der Klarheit willen ist eine Durchbrechung des Art. 79 Abs. 1 GG abzulehnen19. Neben der Achtung der unabänderlichen Verfassungsprinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG wird die Übertragung von Staatlichkeit durch Gesetz20 an die Einhaltung der Struktursicherungsklausel, die sich auf die Union bezieht (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG), gebunden21. Die Bildung eines europäischen existentiellen Staates ermöglicht Art. 23 GG nicht22. In Art. 23 Abs. 2 – 7 GG werden die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat festgelegt, wobei die Regelungen über den Bundesrat weitaus detaillierter gefasst sind23.
b) Vollzug des Gemeinschaftsrechts Zur Ausführung der in den Verträgen genannten Aufgaben, die die aufgeführten Ziele materialisieren, können die Unionsorgane und -institutionen auf Grundlage primärrechtlicher Befugnisse sekundäres Gemeinschaftsrecht erlassen24. Die beiden bedeutendsten Rechtsformen sind die Verordnung (Art. 249 Abs. 2 EGV) und die Richtlinie (Art. 249 Abs. 3 EGV)25. Während die Verordnung in den Mit17 E. Grabitz, Die Rechtsetzungsbefugnis von Bund und Ländern bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht, AöR 111 (1986), S. 5; C. Kirchner / J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, S. 770; R. Zippelius / T. Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 458 f. 18 K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche / T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, S. 757. 19 E. Klein / A. Haratsch, Neuere Entwicklungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften, 1. Teil, DÖV 46 (1993), S. 789. I. d. S. auch G. Robbers, Die Änderungen des Grundgesetzes, NJW 42 (1989), S. 1326. 20 Das Gesetzgebungsverfahren richtet sich nach Art. 76 – 78 GG, wobei in Art. 76 Abs. 2 S. 5, Art. 76 Abs. 3 S. 5 GG besondere Fristen genannt werden. 21 Dazu siehe Kap. VI.2. 22 Kap. V.2.c). Siehe auch R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 15; K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Grundgesetzliche Rechtsprobleme der Europäischen Währungsunion, DSWR 26 (1997), S. 177. 23 Dazu Kap. VI.5.d)aa). 24 Dazu siehe R. Streinz, Europarecht, 4. Aufl. 1999, § 5, Rdn. 375 ff.; H.-W. Rengeling, Europäische Normgebung und ihre Umsetzung in nationales Recht, DVBl. 110 (1995), S. 947. 25 Nach der Vereinfachung und Umbenennung durch den Verfassungsvertrag handelt es sich um das Europäische Gesetz und das Europäische Rahmengesetz (Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 2 – 3 VVE). Dazu siehe Kap. V.3.e)cc).
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gliedstaaten unmittelbar gilt und keiner weiteren rechtssetzenden Durchführung bedarf, ist die Richtlinie nur bezüglich ihres Ziels verbindlich. Form und Mittel ihrer innerstaatlichen Umsetzung sind den Mitgliedstaaten vorbehalten, so dass Richtlinien mit innerstaatlichen Rechtsakten durchgeführt werden26. Der Verwaltungsvollzug europäischer Rechtsakte obliegt in der Regel den Mitgliedstaaten, weil die Union nur in den Fällen einer ausdrücklichen Ermächtigung tätig werden darf27. Gründe für den weitestgehenden Verbleib des Vollzugs bei den Mitgliedstaaten sind Bürgernähe28 und Einsparung eines ausgeprägten Verwaltungsaufbaus der Union29. Neben den unmittelbaren (insbesondere Verordnungen) und mittelbaren mitgliedstaatlichen Vollzug (insbesondere Richtlinien) tritt nur in geringem Maße die unmittelbare Gemeinschaftsverwaltung (auch direkter Vollzug genannt30)31. Beim mitgliedstaatlichen Vollzug stellt sich die Frage, wer innerstaatlich zuständig ist. Einerseits richtet sich das Gemeinschaftsrecht vorwiegend an die Vertragspartner, d. h. in Deutschland an den Bund. Andererseits regelt weder das Gemeinschafts- noch das Bundesrecht explizit den Vollzug des Gemeinschaftsrecht32, so dass nach Art. 30, 70 ff., 83 ff. GG grundsätzlich die Länder zuständig sind33. In der Vergangenheit wurde versucht, eine Zuständigkeit des Bundes zur rechtssetzenden Durchführung und auch dem Verwaltungsvollzug (vor allem mit Art. 10 26 Allerdings können auch Richtlinien unmittelbar anwendbar sein; C. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, 1999, S. 34 ff.; M. Kaltenborn, Rahmengesetzgebung im Bundesstaat und im Staatenverbund, AöR 128 (2003), S. 450 ff. 27 Die Gemeinschaft verfügt lediglich im Binnenbereich ihrer Organisation und wenigen Bereichen, wie z. B. dem Kartell-, Monopol- und Beihilfenrecht sowie der Fondsverwaltung, über die Zuständigkeit im Vollzug; siehe M. Schweitzer / W. Hummer, Europarecht, 5. Aufl. 1996, S. 126. 28 12. ErwG Präambel EUV, Art. 1 Abs. 2 EUV. 29 R. Streinz, Der Vollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts durch deutsche Staatsorgane, HStR, Bd. VII, § 182, Rdn. 4; ders., Europarecht, § 7, Rdn. 463 ff. 30 R. von Borries, Verwaltungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft, in: O. Due / M. Lutter / J. Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. I, 1995, S. 129. 31 R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 46 f.; M. Schweitzer, Die Verwaltung der Europäischen Gemeinschaften, Die Verwaltung 17 (1984), S. 139 ff.; ders. / W. Hummer, Europarecht, S. 126; W. Schroeder, Nationale Maßnahmen zur Durchführung von EG-Recht und das Gebot der einheitlichen Wirkung, AöR 128 (2003), S. 10 f. 32 H. P. Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, S. 260; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 250. 33 H. E. Birke, Die deutschen Bundesländer in den Europäischen Gemeinschaften, 1973, S. 125 ff.; H. H. Schwan, Die deutschen Bundesländer im Entscheidungssystem der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 174 ff.; A. Weber, Rechtsfragen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in der Bundesrepublik, 1988, S. 47 ff.; H.-J. Papier, Die Einwirkungen des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verwaltungs- und Verfahrensrecht, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Die Bedeutung der Europäischen Gemeinschafen für das deutsche Recht und die deutsche Gerichtsbarkeit, 1989, S. 51. Allgemein zu der bundesstaatlichen Zuständigkeitsverteilung vgl. Kap. III.2.a).
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
EGV) zu begründen34. Jedoch bemisst sich der Vollzug nach nationalem Recht35, wobei die Modifikation der bundesstaatlichen Zuständigkeitsordnung abzulehnen ist36, so dass weder für den mittelbaren noch für den unmittelbaren Vollzug generell der Bund zuständig ist. Allerdings ist sowohl das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot37 als auch das Effektivitätsgebot38 zu beachten39. Neben die Landesblindheit der EU tritt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Vollzug des Europarechts sicherzustellen (Art. 10 Abs. 1 EGV). Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann ein Mitgliedstaat nicht mit Verweis auf Probleme der innerstaatlichen Umsetzung, beispielsweise der „föderalen Brisanz“40 einer grundsätzlichen Landeszuständigkeit, die Nichtumsetzung einer Gemeinschaftspflicht begründen: „Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten unabhängig davon besteht, welches Staatsorgan durch sein Handeln den Verstoß verursacht hat, und daß sich die Mitgliedstaaten nicht auf Bestimmungen, Übungen und Umstände 34 Eine Übersicht der Argumentationsversuche bei E. Grabitz, Die Rechtsetzungsbefugnis von Bund und Ländern bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht, S. 9 ff., 13 ff. Siehe auch R. Streinz, HStR, Bd. VII, § 182 Rdn. 53 m. w. N. 35 EuGH v. 15. 12. 1971 – Rs. 51 – 54 / 71 (International Fruit Company u. a. / Produktschap voor Groenten en Fruit), Slg. 1971, 1107 ff. „Soweit dessen innerstaatliche Durchführung Grundrechte verletzen würde, ist sie verfassungsrechtlich untersagt“; BVerfGE 89, 155 (178). Insbesondere sind Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG zu wahren; R. Streinz, HStR, Bd. VII, § 182, Rdn. 31 mit Verweis auf BVerfGE 31, 58 (74, 76). Eine weitere Konsequenz des Vollzugs nach nationalen Verfassungsrecht ist, dass dessen Finanzierung nach der grundgesetzlichen Finanzverfassung [vgl. Kap. III.1.b)cc)] bemessen wird (ders., Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 44 f.), wodurch sich Probleme ergeben (S. Magiera, Bundesstaat und EG-Finanzierung, in: J. Delbrück (Hrsg.), FS für Eberhard Menzel, 1975, S. 621 ff.; P. Selmer, Zur bundesstaatlichen Lastenverteilung bei der Anwendung von Geldleistungsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, in: R. Bieber / A. Bleckmann / F. Capotori (Hrsg.), GS für Christoph Sasse, Bd. 1, 1981, S. 229 ff.). 36 I. d. S. EuGH v. 11. 02. 1971 – Rs. 39 / 70 (Norddeutsches Vieh- und Kleischkontor / Hauptzollamt Hamburg-St. Annen), Slg. 1971, 49 ff.; EuGH v. 25. 05. 1982 – Rs. 96 / 81 (Kommission / Niederlande), Slg. 1982, 1791 (1833). Siehe auch E. Grabitz, Die Rechtsetzungsbefugnis von Bund und Ländern bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht, S. 13 ff.; R. Streinz, HStR, Bd. VII, § 182, Rdn. 59; H.-W. Rengeling, Europäische Normgebung und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 950. 37 EuGH v. 29. 06. 1988 – Rs. 240 / 87 (Christian Deville / Administration des Imports), Slg. 1988, 3513 ff. 38 EuGH v. 20. 09. 1990 – Rs. C-5 / 89 (Kommission / Deutschland), Slg. 1990, I-3437 (3458); EuGH v. 15. 09. 1998 – Rs. C-231 / 96 (Edis / Ministero delle Finanze), Slg. 1998, I-4951 (4986 ff.); EuGH v. 15. 09. 1998 – Rs. C-260 / 96 (Ministero delle Finanze / Spac SpA), Slg. 1998, I-4997 (5019); EuGH v. 22. 10. 1998 – verb. Rs. C-10 – 22 / 97 (Ministero delle Finanze / IN.CO.GE.’90 Srl), Slg. 1998, I-6307 (3664). 39 Dazu R. Streinz, HStR, Bd. VII, § 182, Rdn. 24 ff.; ders., Europarecht, § 7, Rdn. 483 f. Siehe auch Kap. VII Fn. 68. 40 H. P. Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, S. 261.
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des innerstaatlichen Rechts berufen können, um damit die Nichtbeachtung von Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die in den Richtlinien der Gemeinschaft festgelegt sind.“41
Diese Pflicht kommt dem Bund zu, der den fristgerechten und ordnungsmäßigen Vollzug sicherstellt, auch wenn aufgrund der bundesstaatlichen Ordnung nicht er selbst, sondern die Länder zuständig sind. Durch die primärrechtlich eingegangene Verpflichtung, die Verträge zu erfüllen und somit das nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG eingegangene Gemeinschaftsrecht innerstaatlich umzusetzen (Art. 10 Abs. 1 EGV), in Verbindung mit der Bundestreue42 kommt den Ländern die Rechtspflicht zu, die Verträge in ihrem Zuständigkeitsbereich zu erfüllen43. Ein Verstoß kann zum Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG gemacht werden44 und ist ultima ratio durch den Bundeszwang durchsetzbar, der an die Voraussetzungen des Art. 37 GG gebunden ist45. Somit begründet selbst die Verweigerung der Länder das Gemeinschaftsrecht umzusetzen, eine ihrer Bundespflichten46, keine Zuständigkeit des Bundes47 oder Änderung der Zuständigkeitsordnung48. Vielmehr kann den europarechtlichen Verpflichtungen mit den bestehenden bundesstaatlichen Rechtsmitteln effektiv nachgekommen werden49. Zusammenfassend kann somit die Rechtsstruktur des deutschen Bundesstaates in dem europäischen Bundesstaat als äußerst komplex, keinesfalls jedoch als „heillose Komplikation“ charakterisiert werden.
41 EuGH v. 26. 02. 1976 – Rs. 52 / 75 (Kommission / Italien), Slg. 1976, 277 (285). Siehe bereits EuGH v. 05. 05. 1970 – Rs. 77 / 69 (Kommission / Belgien), Slg. 1970, 237 ff.; wiederholt in EuGH v. 12. 12. 1996 – Rs. C-298 / 95 (Kommission / Deutschland), Slg. 1996, 6747 ff.; EuGH v. 06. 06. 2000 – Rs. C-236 / 99 (Kommission / Belgien), Slg. 2000, I-5657 ff.; EuGH v. 11. 10. 2001 – Rs. C-110 / 00 (Kommission / Österreich), Slg. 2000, I-7545 ff. 42 Allgemein zur Bundestreue und insbesondere der Tatsache, dass die Bundestreue nicht eigenständig Rechtsverpflichtungen begründen kann [BVerfGE 13, 54 (75)] siehe Kap. III.2.d). Eine eigenständige Verpflichtung der Länder aufgrund der Bundestreue vertritt W. Kössinger, Die Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrecht im Bundesstaat, S. 54. 43 BVerfGE 6, 309 (362, 366); J. H. Kaiser, Die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge des Bundes durch die Länder, S. 548; R. Streinz, HStR, Bd. VII, § 182, Rdn. 45. 44 Vgl. Kap. III.5. 45 Vgl. Kap. III.4. 46 Dazu E. Grabitz, Die Rechtsetzungsbefugnis von Bund und Ländern bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht, S. 30 f.; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 105 ff. 47 Diese Forderung erhebt M. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, 1969, S. 321; ders., Zum Standort des Verfassungsstaats im Geflecht der internationalen Beziehungen, DÖV 30 (1977), S. 466. 48 Vgl. H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 77 f. 49 E. Grabitz, Die Rechtsetzungsbefugnis von Bund und Ländern bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht, S. 31 ff.; K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 157; C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, S. 174 f.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
2. Garantie deutscher Bundesstaatlichkeit durch begrenzte Zuständigkeitsübertragung Die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union darf nicht zu einer Aushöhlung der grundgesetzlichen Verfassungsstrukturen50, insbesondere nicht zu einer Aufhebung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Wesenselemente deutscher Bundesstaatlichkeit führen. Während die „grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung“ von der europäischen Integration nicht beeinträchtigt wird, ist das „in Art. 20 niedergelegte“ Bundesstaatsprinzip, speziell die „Gliederung des Bundes in Länder“, gefährdet. Die deutsche Bundesstaatlichkeit besteht aus den drei Ebenen Bund, Länder und Kommunen. Bereits in den Ausführungen des fünften Kapitels wurde dargelegt, dass die existentielle Staatsqualität des Bundes nicht zur Disposition steht51. Es bleibt somit zu prüfen, welcher grundgesetzliche Schutz der zweiten und dritten Ebene deutscher Bundesstaatlichkeit, den Ländern und Kommunen, zukommt. Kelsen folgerte in seinen Erwägungen über einen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, dass die Verfassungsautonomie der österreichischen Länder „wohl verschwinden“52 müsse. Die Staatsqualität der deutschen Länder steht hingegen auch angesichts fortschreitender Integration nicht zur Disposition, wobei zu prüfen ist, inwieweit die Länder effektiv vor einer Entstaatlichung durch fortschreitende Zuständigkeitsübertragung geschützt werden [a)]. Weiterhin ist zu prüfen, ob der kommunalen Selbstverwaltung ein ähnlicher verfassungsrechtlicher Schutz vor europäischer Aushöhlung zukommt, wie der der Staatsqualität der Länder [b)]. a) Staatsqualität der Länder Sowohl das Bundesstaatsprinzip als auch die Gliederung des Bundes in Länder stehen und fallen mit der existentiellen Staatsqualität der Länder, d. h. mit deren Verfassungshoheit, finanziellen Unabhängigkeit und „Hausgut eigener Aufgaben“53. Letzteres ist in seinem Bestand wegen der durch Art. 23 Abs. 1 GG ermöglichten Zuständigkeitsübertragung auf die Union, von der Aufgaben der LänBVerfGE 73, 339 (375 f.). Kap. V.2.c)aa)(1). Siehe auch U. Everling, Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, S. 943; E. Klein, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, VVDStRL 50 (1991), S. 70, 80; T. Schilling, Die deutsche Verfassung und die europäische Einigung, AöR 116 (1991), S. 54 f.; P. Lerche, Europäische Staatlichkeit und die Identität des Grundgesetzes, S. 134; F. Ossenbühl, Maastricht und das Grundgesetz – eine verfassungsrechtliche Wende?, S. 361 f.; H. H. Rupp, Muß das Volk über den Vertrag von Maastricht entscheiden?, S. 39; M. Hilf, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 23; P. M. Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, S. 225. 52 H. Kelsen, Die staatsrechtliche Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, S. 340. 53 Siehe grundlegend Kap. III.1.b) und III.1.c)aa). 50 51
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der nicht ausgenommen sind, gefährdet54. Es ist zu prüfen, inwieweit neben dem in Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG explizit erwähnten Art. 79 Abs. 3 GG [aa)] auch die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG [bb)] die Zuständigkeitsübertragung zu begrenzen vermag.
aa) Sicherung der grundgesetzlichen Substanz (1) Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG In einer Republik gibt es Staatlichkeit nur nach Maßgabe des in der Verfassung artikulierten Volkswillens55. Für die an der Integration beteiligten Verfassungsorgane bedeutet dies, dass ihnen durch Art. 79 Abs. 3 GG eine absolute Handlungsgrenze gezogen ist. Diese Unabänderlichkeitsklausel wesentlicher Verfassungsprinzipien erlaubt zwar Modifikation der betroffenen Normen, nicht jedoch zu Lasten ihres Wesensgehaltes56. Wie jegliches staatliches Handeln darf auch die Mitwirkung an einem vereinten Europa nicht zu einer Preisgabe der deutschen Verfassungsprinzipien führen. Dies verdeutlicht der Verweis in Art. 23 Abs. 1 S. 3 auf Art. 79 Abs. 3 GG, dem lediglich deklaratorischer Charakter zukommt, da Art. 79 Abs. 3 GG eine Handlungsgrenze jeglicher Ausübung staatlicher Befugnisse ist57. Bereits die durch Art. 24 Abs. 1 GG ermöglichte Integration galt vorbehaltlich Art. 79 Abs. 3 GG, wie das Bundesverfassungsgericht ohne ausdrücklichen Bezug auf die Norm, jedoch auf das durch sie geschützte „Grundgefüge“ klarstellte: „Die Ermächtigung auf Grund des Art. 24 Abs. 1 GG ist indessen nicht ohne verfassungsrechtliche Grenzen. Die Vorschrift ermächtigt nicht dazu, im Wege der Einräumung von Hoheitsrechten für zwischenstaatliche Einrichtungen die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen, aufzugeben.“58
Im Gegensatz zum Bundesstaatsprinzip ist die Mitwirkung Deutschlands an der europäischen Integration im Sinne des Art. 23 GG nicht Schutzgut des Art. 79 Abs. 3 GG59. Somit kann dogmatisch kein Kollisionsfall zwischen IntegrationsVgl. VI.1.a). Vgl. Kap. II.1. 56 Es sei auf die allgemeinen Ausführungen zu Art. 79 Abs. 3 GG in Kap. III.1.c)aa) verwiesen. 57 R. Scholz, Grundgesetz und europäische Einigung, NJW 45 (1992), S. 2599; F. Ossenbühl, Maastricht und das Grundgesetz – eine verfassungsrechtliche Wende?, S. 631; R. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), S. 422. Siehe jedoch (einschränkend) R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 37, 79. 58 BVerfGE 73, 339 (375 f.). Ähnlich bereits BVerfGE 37, 271 (271 f.); siehe auch 58, 1 (30 f.). Dazu P. Kirchhof, HStR, Bd. I, § 19, Rdn. 42. 59 Die von Pernice aufgeworfene Frage, ob Art. 23 und 24 GG nicht nur Teil des Verfassungsgesetzes, sondern auch der Verfassung sind (I. Pernice, Carl Schmitt, Rudolf Smend und die europäische Integration, S. 117), muss verneint werden. Dies wäre sonst gleichbe54 55
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
prinzip und Bundesstaatsprinzip auftreten: Die Integration wird lediglich in dem Maße ermöglicht, wie sie die Bundesstaatlichkeit Deutschlands, die die Achtung der Staatsqualität der Länder umfasst, wahrt60. Die Zuständigkeitsübertragung darf zwar nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG Länderaufgaben umfassen, allerdings steht Art. 79 Abs. 3 GG diesem entgegen, sofern das unantastbare „Hausgut“ der Länder betroffen wird. Ein derartiger Fall hat die Nichtigkeit des deutschen Zustimmungsgesetzes zur Folge61, die das Bundesverfassungsgericht feststellt, so dass europäische Verträge, die im Gegensatz zum Bundesstaatsprinzip stehen, in Deutschland keine Geltung entfalten können62. Die effektive Absicherung der Staatsqualität der Länder wird erreicht, indem nicht nur die beteiligten deutschen Organe an die verfassungsmäßige Grundordnung gebunden sind, wenn sie Primärrecht setzen. Gleiches gilt auch für die deutschen Vertreter im Europäischen Rat und Europaparlament, sofern sie europarechtliche Befugnisse ausüben63. Weder unter Mitwirkung des deutschen primären (Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG i. V. m. Art. 48 EUV) noch des sekundären Gemeinschaftsgesetzgebers (beispielsweise die der Einstimmigkeit unterliegende Befugnis des Art. 308 EGV) dürfen solche Änderungen oder Ergänzungen des Grundgesetzes ermöglicht werden, die den deutschen Organen und Vertretern die Verantwortung über die Wesenselemente des Grundgesetzes nehmen. Art. 79 Abs. 3 GG verbietet somit sowohl Änderungen des Wesensgehaltes der aufgeführten Verfassungsprinzipien als auch die Preisgabe der Letztverantwortung über dieselben, wie es durch Einführung von Mehrheitsentscheidungen in kritischen Fragen geschehen kann64.
deutend mit der Unmöglichkeit eines Austrittes aus der Union und der Notwendigkeit einer Güterabwegung zwischen Bundesstaatsprinzip und Integrationsprinzip im Kollisionsfall. 60 BVerfGE 89, 155 (172, 180). 61 R. Streinz in: M. Sachs, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 23, Rdn. 86; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 87. 62 Siehe Art. 27, 46 WVK. 63 R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 85. Nach Art. 213 Abs. 2 und Art. 223 Abs. 1 EGV sind Mitglieder der Kommission und des Gerichtshofs keine „deutschen Vertreter“, sondern allein den Gemeinschaften verpflichtet (zu gemeinschaftsrechtlichen Pflichten der Beachtung deutscher Bundesstaatlichkeit siehe Kap. VI.3). Nach Art. 190 Abs. 1 EGV handelt es sich bei den Parlamentarien um „Abgeordnete der Völker“, also sind die in Deutschland gewählten Abgeordneten (auch diejenigen ohne deutsche Nationalität) deutsche Vertreter, obwohl eingewandt werden muss, dass diese unabhängig sind. Diese Unabhängigkeit bezieht sich auf fremde Einflussnahme, nicht die Grundgesetzbindung. 64 Somit ist der Reduzierung des Einstimmigkeitsprinzips im Europäischen Rat und Ministerrat nicht nur aufgrund Legitimationserwägungen [Kap. V Fn. 249 und Kap. V.3.e)ee)(2)], sondern auch angesichts Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG Grenzen gesetzt.
2. Bundesstaatlichkeit durch begrenzte Zuständigkeitsübertragung
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(2) Maßstab zur Bestimmung des „Hausguts“ Die „Auslegungsschwierigkeiten“65 des Art. 79 Abs. 3 GG bestehen hauptsächlich in der Feststellung im Einzelfall, ob die Übertragung einer Zuständigkeit der Länder das garantierte „Hausguts“ verringert, d. h. missachtet oder nicht. Jegliche Übertragung von Länderstaatlichkeit an die EU ist verfassungskonform, sofern nicht der Kernbereich ihrer Staatsqualität berührt wird66. Die Rechtslehre hat verschiedene Ansätze zur Materialisierung des vom Bundesverfassungsgericht für unantastbar erklärten „Kerns eigener Aufgaben“ entwickelt, da das Gericht selbst dieses nur in Grundzügen skizziert und nur mit wenigen Beispielen exemplifiziert: „Ob die Länder der Bundesrepublik ,Staaten‘ sind oder von Körperschaften ,am Rande der Staatlichkeit‘ zu ,höchstpotenzierten Gebietskörperschaften‘ in einem dezentralisierten Einheitsstaat herabsinken, läßt sich nicht formal danach bestimmen, daß sie eine eigene Verfassung besitzen und daß sie über irgendein Stück vom Gesamtstaat unabgeleiteter Hoheitsmacht verfügen, also irgendeinen Rest von Gesetzgebungszuständigkeit, Verwaltungszuständigkeit und justizieller Zuständigkeit ihr eigen nennen. In solcher Sicht könnten die Länder in ihrer Qualität als Staaten durch Grundgesetzänderungen nach und nach ausgehöhlt werden, so daß am Ende nur noch eine leere Hülse von Eigenstaatlichkeit übrig bliebe. Die Länder im Bundesstaat sind nur dann Staaten, wenn ihnen ein Kern eigener Aufgaben als ,Hausgut‘ unentziehbar verbleibt. Was immer im einzelnen dazu gehören mag, jedenfalls muß dem Land die freie Bestimmung über seine Organisation einschließlich der in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen sowie die Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat verbleiben.“67
(a) Quantitativer Ansatz Nach dem quantitativen Ansatz entspricht der Kern eigener Länderaufgaben einer Summe nicht näher bestimmten, allerdings nicht unbedeutenden Zuständigkeiten68. Es wird somit an der Prozesshaftigkeit der europäischen Integration angesetzt, in der jede Zuständigkeitsübertragung für sich genommen die Länder nicht in ihrem Bestand gefährdet, jedoch auf lange Sicht diese die Länderstaatsqualität einer „schleichenden Erosion“69 aussetzen70. Jede Übertragung legislativer, exeSiehe bereits Kap. III.1.c)aa), insbesondere Fn. 118. Die Überprüfung, ob eine Reduzierung der Länderstaatlichkeit mit Art. 79 Abs. 3 GG konform ist, ist stets mit den binären Antwortmöglichkeiten „ja“ oder „nein“ abzuschließen: „Insofern ist der absolute Garantiegehalt der „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 III GG wie auch die Verfassungsbestandsklausel des Art. 23 I 3 GG entweder gewahrt oder verletzt; tertium non datur“; R. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), S. 423 f. 67 BVerfGE 34, 9 (19 f.); Herv. d. Verf. 68 Vgl. W. A. Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 45 (1990), S. 461. Siehe auch H.-J. Schütz, Bund, Länder und Europäische Gemeinschaften, S. 209. 69 K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 151; F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 153; siehe auch M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, JöR N.F. 35 (1986), S. 90 f. 65 66
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
kutiver und judikativer Zuständigkeiten jenseits der kritischen Masse ist verfassungswidrig. Einem rein quantitativen Verständnis muss entgegnet werden, dass den Ländern kein Schutz gewährt wird, solange ihnen noch mehr als das verbürgte Minimum verbleibt, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass der Verlust ihrer Staatsqualität erst nachträglich festgestellt wird71. Bereits vor mehr als 30 Jahren lehnte Leisner die Erfassung der Eigenstaatlichkeit „(allein) als quantitative Kompetenzsumme“ ab, da ansonsten „der Skeptische sie heute (sc. 1972!) schon verloren“72 sähe. (b) Qualitativer Ansatz Anstatt die Staatsqualität der Länder lediglich auf eine Anzahl von Aufgaben zu reduzieren, wird bei Rückgriff auf einen qualitativen Ansatz das „Hausgut“ inhaltlich materialisiert. Bereits die vom Bundesverfassungsgericht beispielhaft genannten Elemente des Länderkernbereichs (freie Selbstorganisation einschließlich landesverfassungsrechtlicher organisatorischer Grundentscheidungen, finanzielle Unabhängigkeit) wird deutlich, dass es „nicht um die Quantitäten, die Zahl von Verfassungsänderungen usw., sondern um eine Qualitätsbewahrung der ursprünglichen Verfassung“73 geht. Bestimmte Länderaufgaben sind per se nicht übertragbar, so dass prinzipiell ein Katalog mit unübertragbaren Aufgaben erstellt werden kann. Nach Isensee werden hiervon vor allem die Organisations-, Ämter, Personal- und Finanzhoheit der Länder umfasst74. Als allgemeine Parameter des qualitativen Ansatzes nennt Kewening Kompetenzvielfalt, Tiefe des Eingriffs und Art der Zuständigkeit75. Zielt der quantitative Ansatz auf Zuständigkeitsfülle, so wird bei einem qualitativen Verständnis des „Hausguts“ präzisiert und auf Zuständigkeitsvielfalt abgestellt. Auf diese Weise soll der in Art. 30 GG niedergelegten Allzuständigkeit und damit dem existentiellen Staatscharakter der Länder entsprochen werden. Zweitens ist eine Entstaatlichung differenziert nach der Tiefe des Eingriffs zu beurteilen. Ein Zuständigkeits70 K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 150; R. Streinz, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, DVBl. 105 (1990), S. 962. 71 W. A. Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 45 (1990), S. 461; T. Stein, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 27. 72 W. Leisner, Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Wesenselement des Föderalismus, S. 188. 73 G. Dürig, Zur Bedeutung und Tragweite des Art. 79 Abs. III des Grundgesetzes, in: H. Spanner / P. Lerche / H. Zacher / P. Badura / A. Freiherr von Campenhausen (Hrsg.), FS für Theodor Maunz, 1971, S. 43; Herv. i. Orig. 74 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 276. 75 Dazu und dem Folgenden siehe W. A. Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 45 (1990), S. 462. Das vierte Element „Funktion des Bundesstaates“ wird (insbesondere durch Ausführungen Hesses ergänzt) in dieser Arbeit als eigenständiger funktionaler Ansatz dargestellt.
2. Bundesstaatlichkeit durch begrenzte Zuständigkeitsübertragung
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entzug in einem Aufgabenbereich ist anders zu bewerten als eine Reduktion. Allerdings kann auch ein partieller Eingriff in ausschließliche Länderzuständigkeiten, ohne dass die Regelungsmaterie vollständig entzogen wird, dazu führen, dass den Ländern nur noch ein verfassungswidriger „müder Rest‘ von Rumpfzuständigkeiten“76 verbleibt. Folglich ist drittens zu beachten, dass ein Bestand an ausschließlichen Zuständigkeiten unberührt bleibt. Nur sofern den Ländern substantielle, d. h. existentielle Aufgaben zur eigenständigen Ausführung verbleiben, wird ihre existentielle Staatsqualität gewahrt77. Die Abschaffung der landesausschließlichen Legislative und somit „Reduzierung der Landesgesetzgebung auf eine bloß ausfüllende, Einzelheiten normierende Landesgesetzgebung (liefe) der bundesstaatlichen Konzeption zuwider“78. (c) Funktionaler Ansatz Ein funktionales Verständnis des Art. 79 Abs. 3 GG vertritt Hesse, nach dessen Lehre Art. 79 Abs. 3 GG mit Hinblick auf eine materielle Bundesstaatslehre verstanden werden muss79. Die bundesstaatliche Ordnung ist nicht um ihrer selbst willen unantastbar, sondern aufgrund ihres Beitrags zur Ergänzung und Verstärkung des Demokratieprinzips und der sozialen Rechtsstaatlichkeit. Um den von der Länderebene ausgehenden, gegenüber einem Einheitsstaat zusätzlichen gewaltenteiligen Effekt zu wahren, ist der Kernbereich der Länderaufgaben derart festzulegen, dass die Länder politisch bedeutsam tätig bleiben können. Nach diesem Ansatz müssen keine bestimmten Materien zwingend durch die Länder ausgeführt werden, soweit weiterhin als substantielles politisches Entscheidungszentrum und damit als Gegengewicht zum Bund fortbestehen. Die Berücksichtigung materieller Bundesstaatslehren bei der Bestimmung des Kernbereiches lässt erneut die Frage auftreten, ob tatsächlich bestimmte Materien per se unübertragbar sind80. So wird als materielle Begründung des Bundesstaatsprinzip neben der Gewaltenteilung vor allem die Aufrechterhaltung von Vielfalt als gesellschaftlicher Nutzen herausgestellt. Es wird argumentiert, dass die Kulturhoheit in ihrem Wesen eine originäre, von Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Ländermaterie sein muss81. Das Reichskonkordat-Urteil, in dem „die Kulturhoheit, besonders aber die Hoheit auf dem Gebiete des Schulwesens, (als) 76 W. A. Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 45 (1990), S. 462. 77 I. d. S. P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 23, 46 f. 78 P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 46; Klammersatz hinzugefügt. 79 K. Hesse, Bundesstaatsreform und Grenzen der Verfassungsänderung, S. 5 ff. 80 K. Hesse, Bundesstaatsreform und Grenzen der Verfassungsänderung, S. 9 ff., 14 ff. 81 Bestätigend J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 129; W. A. Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 45 (1990), S. 462; M.-E. Geis, Die „Kulturhoheit der Länder“, DÖV 45 (1992), S. 528.
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das Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“82 deklariert wurde, bestätigt diese Ansicht. Insgesamt scheint eine Kombination aus qualitativem und funktionalem Ansatz am geeignetsten, um den inhaltlich vom Bundesverfassungsgericht kaum materialisierten Terminus des „Hausguts“ zu einem anwendbaren Prüfungsmaßstab der Länderentstaatlichung aufzuwerten. Durch die Annahme, dass die existentielle Staatsqualität der Länder zu der Unübertragbarkeit bestimmter Materien führt, entspricht der qualitative Ansatz am getreuesten den Grundzügen des Bundesverfassungsgerichts. Die Erweiterung der Sichtweise, indem nicht nur auf formelle, sondern auch materielle Bundesstaatslehren Bezug genommen wird, kann den Ansatz wesentlich verbessern.
bb) Struktursicherungsklausel Der deutsche Gesetzgeber ist nicht nur der Achtung des Art. 79 Abs. 3 GG verpflichtet, sondern zudem in seiner Möglichkeit, staatliche Aufgaben und Befugnisse der Union zu übertragen, durch die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG begrenzt83. Diese ermöglicht den deutschen Verfassungsorganen lediglich eine Mitwirkung an einem vereinten Europa, das demokratischen, rechtstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Es handelt sich um eine Grenze der deutschen Mitwirkungsbefugnis an der europäischen Integration in Form einer Bindung an die genannten Grundsätze. Als grundgesetzliche Norm kann sie unmittelbar nur eine Binnenwirkung innerhalb seines Geltungsbereichs entfalten84; insbesondere kann sie sich aus Achtung der existentiellen Staatsqualität anderer Mitgliedstaaten nicht auf deren Verfassungsstruktur beziehen. Die Deklaration, dass die deutschen Verfassungsorgane in ihrer Mitwirkung an die Strukturprinzipien gebunden sind, bleibt jedoch nicht ohne mittelbare Auswirkung auf die Union. Zu Vertragsänderungen, die nach Art. 48 EUV der Einstimmigkeit bedürfen, ist der deutsche Gesetzgeber nur unter Wahrung der genannten Prinzipien ermächtigt. Ansonsten handelt er ultra vires und das Zustimmungsgesetz ist verfassungswidrig85. Es kann weder von „Grundgesetzimperialismus“ 86 noch von einem „Blockadepotential“ 87 gesprochen werden, da es sich um den Willen des deutschen Volkes handelt, seine BVerfGE 6, 309 (346 f.); Klammersatz hinzugefügt. Scholz sieht einen „mittelbaren Zusammenhang mit der Regelung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG“ und folglich Art. 79 Abs. 3 GG; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 55; ähnlich Rdn. 81. 84 R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 17; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 55. 85 Vgl. R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 55. 86 Vgl. R. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), S. 421 m. w. N. 87 J. Schwarze, Das Staatsrecht in Europa, JZ 48 (1993), S. 590. 82 83
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demokratisch legitimierten Vertreter zu einer Mitwirkung an einer diesen Grundsätzen zuwiderlaufenden Union nicht zu ermächtigen oder positiv formuliert, erinnert, grundlegende Konstitutionsprinzipien zu wahren. Im Gegensatz zu den übrigen Prinzipien der Struktursicherungsklausel, bei denen es sich mit Hinblick auf Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG um „mehr klarstellende als konstituierende“88 Regelungen handelt89, sind die föderativen [(1)] und subsidiären Grundsätze [(2)], obwohl eine Nähe zum Bundesstaatsprinzip besteht, nicht Elemente des Art. 79 Abs. 3 GG90. Beide tragen zu einer Wahrung der Länderstaatlichkeit ebenso wie der der kommunalen Selbstverwaltung91 bei. (1) Föderative Grundsätze Angesichts des umfassenden Schutzes der deutschen Bundesstaatlichkeit durch Art. 79 Abs. 3 GG richtet sich die Verpflichtung föderativer Grundsätze vor allem an die Union92. Der Begriff des Föderativen spiegelt die geforderte Prinzipienhaftigkeit wider, die weder den deutschen Organen präzise Handlungsanweisungen gibt, noch die EU auf ein bestimmtes Föderalismusmodell festlegt. Insbesondere das (in dieser Arbeit abgelehnte, jedoch vorherrschende) Jellineksche Bundesstaatsverständnis, bei dem der eingegangene Bund zwingend ein existentieller Staat ist, verbietet den Terminus der bundesstaatlichen Grundsätze: Es wird keine Erlaubnis einer (durch Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG ausgeschlossenen) Mitwirkung an einem existentiellen europäischen Staat gegeben93. Die Anforderung eines dezentralen Aufbaus der Union und somit die Verhinderung europäischer Zentralstaatlichkeit 94 führt zu zweierlei Verpflichtungen der deutschen Verfassungsorgane: zum einen der Förderung föderativer Elemente der Union, zum anderen der Sicherstellung, dass die deutsche föderative, d. h. bundesstaatliche Verfassungsstruktur von der Union und deren Mitgliedstaaten geachtet wird95. Anders ist der Wille des deutschen Verfassungsgebers nicht zu verstehen. R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 55. Dazu R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 24 ff., 41 ff.; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 57 ff. 90 Nunmehr sind neben Bundesstaatlichkeit sowohl Föderalismus als auch Subsidiarität zweifelsohne deutsche Verfassungsprinzipien; vgl. R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 67. Anderer Auffassung über Föderalismus ist E. Šarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 9 ff., 38. 91 Die Wirkung der Strukturklausel hinsichtlich der kommunalen Selbstverwaltung wird in Kap. VI.2.b)cc) geprüft. 92 R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 62. Anders R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 34: „Die föderativen Grundsätze gelten allein für die Europäische Union“; Herv. i. Orig. 93 I. d. S. G. Konow, Maastricht II und die „föderativen Grundsätze“, DÖV 49 (1996), S. 848 ff.; siehe auch R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 87 ff. 94 U. Everling, Überlegungen zur Struktur der Europäischen Union und zum neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, S. 945; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 62 ff. 95 I. d. S. R. Scholz, Grundgesetz und europäische Einigung, S. 2599. 88 89
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Bezöge es sich lediglich auf die Verpflichtung der Ausübung europäischer Zuständigkeiten, nicht jedoch auf deren ursprüngliche Übertragung, so handelte es sich nicht um die Verpflichtung zur Mitwirkung an einer nach föderativen Grundsätzen organisierten und agierenden Union96. Die auf höherer Ebene geltenden föderativen Grundsätze würden durch die Preisgabe der Kommunal- und Länderebene konterkariert. Dass ein vereintes Europa, auf das sich Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG bezieht, nicht lediglich auf das Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten reduziert werden kann, wurde bereits unter VI.1 dargelegt.
(2) Grundsatz der Subsidiarität Ebenso wie die Verpflichtung zu föderativen Grundsätzen ist auch das Subsidiaritätsprinzip 97 sowohl als Schranke der Kompetenzbegründung und -ausübung innerhalb des Gemeinschaftsrechts als auch als Barriere bei der originären Setzung des primären Gemeinschaftsrechts zu verstehen98. Erstere Funktion konkretisiert die Verankerung des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips in Art. 2 Abs. 2 EUV und Art. 5 Abs. 2 EGV, welches im Zusammenhang mit den europarechtlichen Sicherungsmechanismen der innerstaatlichen Verfassungsstrukturen in Kap. VI.3.c) erörtert wird. Die zweite Funktion setzt prozessual gesehen früher an und stellt das Subsidiaritätsprinzip als Bedingung einer Übertragung an Aufgaben und Befugnissen auf die EU, so dass es einer Entstaatlichung entgegen wirkt99. Zwar verhindert das Subsidiaritätsprinzip tendenziell ausufernde Kompetenzabgabe an die größere Einheit, jedoch gibt es keinen absoluten Bestandsschutz. Somit vermag es im Ergebnis den Ländern keinen stärkeren Schutz als Art. 79 Abs. 3 GG zu geben, so dass es bedeutsamer für die Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung als für die Wahrung der Staatsqualität der Länder ist100.
b) Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen Neben den Ländern werden die Kommunen in ihrer Ausübung von Staatlichkeit durch die Europäische Union beeinträchtigt. Dabei ist weniger ein Verlust ihrer Aufgaben, als vielmehr die Limitierung ihrer Befugnisse durch Bindung an euroSo aber M. Zuleeg, Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, S. 2846. Zum Wesen des Subsidiaritätsprinzips siehe Kap. II.2.a)ee). 98 Der Zusammenhang zwischen föderativen und subsidiären Grundsätzen ist wie folgt: „Sowohl das Erfordernis eines dezentralen Aufbaus der Europäischen Union als solcher als auch das Gebot der Achtung innerstaatlicher Bundesstaats- und Verwaltungsstrukturen, zusammengefaßt im Prinzip der ,föderativen Grundsätze‘, korrespondiert dem Subsidiaritätsprinzip als Maßstab der Kompetenzabgrenzung“; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 69. 99 R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 66 ff.; R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 38 m. w. N. 100 Dazu Kap. VI.2.b)cc). 96 97
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parechtliche Prinzipien und Vorgaben festzustellen. Es stellt sich die Frage, ob neben einem unübertragbaren Kern an Länderzuständigkeit auch die kommunale Selbstverwaltung bestandsgeschützt ist und auch in einem sich vereinenden Europa Bestand haben kann. Dies ist der Fall, wenn sie Schutzgut des Art. 79 Abs. 3 ist [aa)], Art. 28 Abs. 2 GG ein grundlegendes Strukturelement des Grundgesetzes ist [bb)] oder die Selbstverwaltung durch die Struktursicherungsklausel umfasst wird [cc)]. aa) Art. 79 Abs. 3 GG Kommunale Selbstverwaltung ist kein explizites Schutzgut des Art. 79 Abs. 3 GG. Da es sich um einen abschließenden Katalog handelt, ist zu prüfen, ob sie unter eine der genannten Prinzipien zu subsumieren ist. Ist Art. 28 Abs. 2 GG ein unverzichtbares Element des Bundesstaats- oder Demokratieprinzips, so ist die Norm in ihrem Wesensgehalt unveränderlich und setzt einer Einschränkung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung Grenzen. In den Ausführungen zu dem deutschen Bundesstaat wurden die Kommunen als dritte Ebene deutscher Bundesstaatlichkeit charakterisiert101, so dass ihr Wesen, welches das Recht auf Selbstverwaltung beinhaltet, durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird. Diese Ansicht wird von der herrschenden Rechtslehre nicht geteilt102. Jedoch wird der Wesensgehalt kommunaler Selbstverwaltung ebenso über das durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Demokratieprinzip gewährleistet. Sowohl Art. 1 S. 2 BayGO als auch das Bundesverfassungsgericht bestätigen, dass die Kommunen die „Keimzelle der Demokratie“103 sind104. Damit ist der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie105 angesichts Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. dem Demokratieprinzip unveränderlich. Als Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung hat das Bundesverfassungsgericht im Rastede-Beschluss „das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“ sowie „die darin liegende Garantie der Einrichtung gemeindlicher Selbstverwaltung“106 deklariert und anerkannt, dass „auch außerhalb des Kernbereichs der Garantie ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip Siehe Kap. III.1.d). H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, S. 897; A. Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, S. 1131 m. w. N.; (wohl auch) H.-J. Blanke, Die kommunale Selbstverwaltung im Zuge fortschreitender Integration, S. 828. 103 BVerfGE 79, 127 (149). 104 So auch M. Zuleeg, Selbstverwaltung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in: A. von Mutius (Hrsg.) FG für Georg Christoph von Unruh, 1983, S. 93. 105 H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, S. 894; A. Gern, Rechtsschutz der Kommunen in der Europäischen Union, NVwZ 15 (1996), S. 543. 106 BVerfGE 79, 127 (143). 101 102
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hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden, das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat“107, enthält. Da in vielen europäischen Staaten den Kommunen bei weitem nicht die Stellung der deutschen Kommunen beigemessen wird, lehnen einige Autoren es ab, die kommunale Selbstverwaltung als Wesenselement des Demokratieprinzips anzuerkennen108. Jedoch muss von der deutschen Demokratietradition und der Identität des Grundgesetzes ausgegangen werden, so dass die kommunale Selbstverwaltung in ihrem Kern durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird109.
bb) Wesensgrundsatz des Grundgesetzes Neben den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG muss die Identität des Grundgesetzes gewahrt bleiben: „Nicht mehr durch Art. 24 Abs. 1 GG (sc. mittlerweile Art. 23 Abs. 1 GG) gedeckt wären solche Souveränitätsverzichte, die die Identität der geltenden Verfassung durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen aufhöben.“110
Ergänzend zu dem Katalog des Art. 79 Abs. 3 GG sind eine Reihe von Normen identitätsgebend für das Grundgesetz und somit im Ergebnis ebenso unabänderlich. Ein Beispiel ist das Wiedervereinigungsgebot des Art. 23 GG a. F., dessen Abschaffung vor der Vereinigung verfassungswidrig gewesen wäre, obwohl die Norm nicht explizit in Art. 79 Abs. 3 GG genannt wurde111. Angesichts der Bedeutung der deutschen Kommunalverwaltung in der grundgesetzlichen Verfassungsstruktur sowie ihrer Tradition in Deutschland ist ein Bestandsschutz anzunehmen112. BVerfGE 79, 127 (150). M. Nierhaus in: M. Sachs, Art. 28, Rdn. 32 b; H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, S. 898; H.-J. Blanke, Die kommunale Selbstverwaltung im Zuge fortschreitender Integration, S. 824 m. w. N.; S. Schmahl, Europäisierung der kommunalen Selbstverwaltung, DÖV 52 (1999), S. 857 f. 109 Siehe auch A. Martini / W. Müller, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der europäischen Integration durch nationales Verfassungsrecht und gemeinschaftsrechtliche allgemeine Rechtsgrundsätze, BayVBl. 124 (1993), S. 162. 110 P. Lerche, Europäische Staatlichkeit und die Identität des Grundgesetzes, S. 138 mit Verweis auf BVerfGE 37, 279 (279 f.); 58, 1 (40); 68, 1 (96). 111 T. Stein, Europäische Integration und nationale Reservate, in: D. Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 1990, S. 103; siehe auch P. Lerche, Europäische Staatlichkeit und die Identität des Grundgesetzes, S. 135 f. 112 So A. Martini / W. Müller, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der europäischen Integration durch nationales Verfassungsrecht und gemeinschaftsrechtliche allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 162 f.; (vorsichtig formulierend) H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, S. 898; anzweifelnd A. Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, S. 1131. Siehe auch den Verweis auf den Goldenstedt-Beschluss des Bundesverfassungsgericht v. 29. 10. 1993 – BvR 2203 / 93, der als 107 108
3. Sicherung der nationalen Verfassungsstruktur
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cc) Struktursicherungsklausel Schließlich kommt die Struktursicherungsklausel (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG), mit der grundlegende Verfassungsprinzipien auch für die EU verbindlich erklärt werden, als Grenze der Übertragung kommunaler Zuständigkeiten in Betracht. Bezüglich des Demokratieprinzips sei auf die obigen Ausführungen zum Art. 79 Abs. 3 GG verwiesen113. Die Bezeichnung „föderative“ und nicht „bundesstaatliche“ Grundsätze ist vor dem Hintergrund des herrschenden Verständnisses des Bundesstaatsbegriffs zu verstehen. Da üblicherweise Bundesstaatlichkeit an existentielle Staatsqualität des Bundes geknüpft wird, könne die Union, die kein existentieller Staat ist und sein darf, nicht bundesstaatlichen Grundsätzen unterworfen werden114. Entsprechend den Begriffsdarlegungen dieser Arbeit wird diese Ansicht abgelehnt, und somit ist die Verpflichtung zu föderativen Grundsätzen im Ergebnis bundesstaatlichen Grundsätzen gleichzusetzen. Der Föderalismusbegriff ist zwar dogmatisch weiter zu fassen, konkretisiert sich jedoch im spezifischen Fall der Europäischen Union als echte Bundesstaatlichkeit. Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips gibt den Kommunen einen zusätzlichen Schutz. Zwischen Subsidiaritätsprinzip und kommunaler Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 GG besteht ein enges Verhältnis, zumal letztere „häufig als Ausdruck oder doch als verwandte Institution des Subsidiaritätsprinzip verstanden und interpretiert“115 wird. Diese Ansicht vertrat auch die Gemeinsame Verfassungskommission bei der Formulierung der Struktursicherungsklausel, so dass der kommunalen Selbstverwaltung implizit eine Bestandsgarantie gewährt wird116.
3. Sicherung der nationalen Verfassungsstruktur durch europarechtliche Normen und Prinzipien Das Grundgesetz geht von einem dreistufigen Staatsaufbau (Bund, Länder, Kommunen) aus, dessen Grundstruktur in der europäischen Integration nicht zur Disposition steht. Nun soll der Frage nachgegangen werden, ob „die föderativen Strukturen . . . nicht nur Schutz vor dem Europarecht . . . , sondern auch Schutz Anerkennung der „Europafestigkeit“ des Art. 28 Abs. 2 GG gewertet wird; A. Gern, Rechtsschutz der Kommunen in der Europäischen Union, S. 534. 113 Nach Nierhaus wird die kommunale Selbstverwaltung von den demokratischen Grundsätzen der Struktursicherungsklausel umfasst, ohne jedoch unter den Schutz des Demokratieprinzips durch Art. 79 Abs. 3 GG zu fallen; M. Nierhaus in: M. Sachs, Art. 28, Rdn. 32 b. 114 Siehe R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 62. Vgl. Ausführungen und Kritik unter Kap. II.3.a). 115 Vgl. Kap. III Fn. 180. Siehe auch R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 67 m. w. N. 116 P. Wilhelm, Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, S. 707 mit Verweis auf die StenBer. der GVK v. 13. 02., 12. 03., 04. 06. und 22. 06. 1992. 17*
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
durch das Europarecht“117 erwarten können. Auch wenn die Union prinzipiell von einem zweistufigen Aufbau (Union, Mitgliedstaaten) ausgeht und weitestgehend landes- und kommunalblind ist, so ist den Verträgen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf nationale Strukturen, im deutschen Fall vor allem auf die Bundesstaatlichkeit, zu entnehmen. Ein Vergleich der Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass die deutsche Bundesstaatlichkeit nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz Berücksichtigung findet118. Erstens sind neben Deutschland nur Österreich und Belgien bundesstaatlich organisiert, zweitens sind die umfangreichen Aufgaben und Befugnisse der deutschen Kommunen mit denen in keinem anderen Mitgliedstaat zu vergleichen. Ebenso wenig kann aus der Verpflichtung der Union zur Förderung der Verwirklichung gemeinschaftlicher Ziele eine umfassende Rechtspflicht zur Beachtung der Binnenstruktur abgeleitet werden119. Neben der Berücksichtigung nationaler Verfassungsstrukturen [a)] und der Unionstreue [b)] kann das Subsidiaritätsprinzip als Grundsatz der Zuständigkeitsverteilung und -ausübung eine Schutzwirkung entfalten [c)]. Hier ist sowohl die bisherige Rolle als auch die Neuformulierung im Verfassungsvertrag zu diskutieren. Weiterhin soll die Systematisierung der Zuständigkeiten eine bessere Zuständigkeitsabgrenzung bewirken [d)]. Im Verfassungsvertrag wird in Art. I-5 Abs. 2 erstmals durch Unionsrecht regionale und kommunale Selbstverwaltung garantiert. Es ist somit zu prüfen, welche Schutzwirkungen für Länder und Kommunen von dieser Norm ausgehen [e)].
a) Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten Gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV achtet die Union „die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten“. Ihrem Wesen nach ist diese einzigartig und durch die spezifischen grundlegenden Verfassungsbestimmungen festgelegt. Es kommt eben nicht darauf an, dass es sich um allgemeine Rechtsgrundsätze in einer Vielzahl oder der Mehrheit der Mitgliedstaaten im Sinne einer Verfassungshomogenität handelt120. Vielmehr ist es den Mitgliedstaaten vorbehalten, ihre nationale Identität zu definieren121, da es sich um den spezifischen Schutz der nationalen Besonderheiten handelt, der zudem auf Erhaltung der Vielfalt in der Gemeinschaft ausgerichtet ist. J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 290; Herv. d. Verf. A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, EuR 29 (1994), S. 307 f.; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 136. 119 A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, S. 308 f. 120 So aber W. Kössinger, Die Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrecht im Bundesstaat, S. 90. 121 Dazu und dem Folgenden A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, S. 307. Zur Begründung siehe auch allgemeine Ausführungen zur existentiellen Staatsqualität unter Kap. II.1.b). 117 118
3. Sicherung der nationalen Verfassungsstruktur
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So sind die Konstitutionsprinzipien der Staatsorganisation und damit die deutsche Bundesstaatlichkeit einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung zweifelsfrei Elemente des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 3 EUV. Die Union hat jegliche Maßnahmen zu unterlassen, die das deutsche Verfassungsgefüge in seiner Grundstruktur gefährden. Insbesondere ergeben sich Pflichten bei Begründung von Zuständigkeiten und deren Ausführung. Im Konfliktfall gibt Art. 6 Abs. 3 EUV für sich allein genommen jedoch Ländern und Kommunen keinen effektiven Schutz, da dessen Justiziabilität durch den Gerichtshof von Art. 46 EUV ausgenommen ist. b) Unionstreue Als weitere Rechtsgrundlage einer Verpflichtung zur Achtung nationaler Verfassungsstrukturen durch die EU kommt die Gemeinschafts- oder Unionstreue in Betracht. Zu erörtern ist erstens die dogmatische Herleitung einer Treuepflicht [aa)], zweitens deren allgemeinen Wirkungsweise [bb)] und schließlich deren spezielle Anwendbarkeit und Wirkung auf die deutsche Bundesstaatlichkeit [cc)].
aa) Normative Grundlegung einer europäischen Treuepflicht Während Art. 6 Abs. 3 EUV die Union zu einer Achtung der Identität der Mitgliedstaaten verpflichtet, Art. 1 Abs. 3 S. 2 EUV „kohärente und solidarische“ Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Völkern als Aufgabe ausweist und Art. 11 Abs. 2 EGV die GASP dem „Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität“ unterstellt, ist eine allgemeingültige, explizite Unionstreue den Verträgen nicht zu entnehmen. Zu unterscheiden sind zwei unterschiedliche Begründungsansätze einer europäischen Treuepflicht: Einerseits wird vorwiegend Art. 10 EGV als Rechtsgrundlage einer Gemeinschaftstreue herangezogen [(1)], andererseits in Analogie zu Treuegrundsätzen bundesstaatlicher Ordnungen ein ungeschriebener allgemeiner Grundsatz einer Unionstreue hergeleitet [(2)]. (1) Begründung einer auf Art. 10 EGV gestützten Gemeinschaftstreue Der Wortlaut des Art. 10 EGV lässt keine wechselseitige Pflicht eines gemeinschaftsfreundlichen Verhaltens erkennen und ist aufgrund seiner systematischen Einordnung in den Gemeinschafts- statt in den Unionsvertrag nicht auf die gesamte Union übertragbar. Eine rein grammatikalische Auslegung der Norm lässt lediglich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnehmen, die Vertragsverwirklichung durch Treffen geeigneter und Unterlassung zielgefährdender Maßnahmen sicher-
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
zustellen. Gegen eine einseitige Verpflichtung der effizienten Vertragserfüllung122 spricht eine systematische und teleologische Auslegung des Gemeinschaftsrechts123 und die umfassende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs124. 1983 folgert das Gericht auf Art. 5 EWGV (nun Art. 10 EGV) gestützt, „dass den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen“125. Zudem hat der Europäische Gerichtshof die Gemeinschaftstreue analog zu der Wirkungsweise der Bundestreue nicht nur im gegenseitigen Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten untereinander anerkannt126, so dass sich die Frage stellt, ob eine über Art. 10 EGV hinausgehende Treuepflicht, eine allgemeine, ungeschriebene Unionstreue anzunehmen ist. (2) Begründung einer ungeschriebenen Unionstreue Das deutsche Prinzip bundesfreundlichen Verhaltens wurde unter dem Grundgesetz in erster Linie von der ausgiebigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts entwickelt und näher bestimmt127. Es stellt sich die Frage, inwieweit angesichts der ausgeprägten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die sich auf Art. 10 EGV stützt und über dessen Normgehalt hinausgeht128, in Analogie zur Bundestreue eine ungeschriebene Unionstreue begründbar ist. Die Ablehnung einer Übertragung dieses Prinzips mit den Argumenten, die Bundestreue sei grundsätzlich nicht übertragbar oder aber aufgrund der besonderen Struktur der EU ausgeschlossen129, greift zu kurz. Sicherlich ist die spezifische Ausprägung und Wirkungsweise der Bundestreue untrennbar mit dem deutschen Bundesstaat verbunden130, jedoch in seinen Grundzügen mit Rechtsinstitutionen anderer Staaten 122 So aber W. Kössinger, Die Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrecht im Bundesstaat, S. 89. 123 A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, S. 310. 124 Überblick bei J. Wuermeling, Die Gemeinschaftstreue und die Rechtsakte der Gesamtheit der Mitgliedstaaten der EG, EuR 22 (1987), S. 237 ff.; A. Bleckmann, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Gemeinschaftstreue, RIW 27 (1981), S. 653 ff. 125 EuGH v. 10. 02. 1983 – Rs. 230 / 81 (Luxemburg / Europäisches Parlament) Slg. 1983, S. 255 (287); Herv. d. Verf.; ähnlich EuGH v. 15. 01. 1986 – Rs. 44 / 84 (Derrick Guy Edmund Hurd / Kenneth Jones), Slg. 1986, 29 (81); EuGH v. 13. 07. 1990 – Rs. C-2 / 88 (Zwartveld u. a.), Slg. 1990, I-3365 (3372). Siehe auch K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 152; A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, S. 310 f. 126 EuGH v. 11. 06. 1991 – Rs. 251 / 89 (Nikolaos Athanasopoulos u. a. / Bundesanstalt für Arbeit), Slg. 1991, I-2797 (2848); H. Bauer, Die Bundestreue, S. 212; P. Unruh, Die Unionstreue, S. 62. 127 Zur Bundestreue vgl. Kap. III.2.d). 128 Bauer spricht von einer „Teilpositivierung wie Art. 5 EWGV (sc. Art. 10 EGV)“; H. Bauer, Die Bundestreue, S. 210. 129 Vgl. Kap. III Fn. 373. 130 Siehe Kap. III.3.b).
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vergleichbar. Dabei kann das Prinzip auch in nicht bundesstaatlich organisierten Staaten zur Anwendung kommen, wie das sich in der Entwicklung befindende Institut der Regionalismustreue in Spanien eindrucksvoll beweist131. Grundsätzlich steht der Begründung einer Unionstreue damit kein einschlägiges Argument entgegen132, zumal es sich bei der EU um einen Bundesstaat handelt. Die Existenz eines wechselseitigen Prinzips unionsfreundlichen Verhaltens, einer „europäischen Bundestreue“133, zeigt sich nicht nur in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs, sondern wird zunehmend von der Rechtslehre anerkannt134. Wie bei der Bundestreue bestehen Differenzen in der normativen Herleitung der Unionstreue135. Bauer befürwortet eine Analogie zur deutschen Bundestreue136. Von Unruh begründet den Bedarf einer Unionstreue mit der komplexen Rechtsstruktur der Union und der Unmöglichkeit jegliche Konflikte zu antizipieren und durch abschließende Normen zu regeln: „Wer die Europäische Union will, der muss jedenfalls ihre Funktionsfähigkeit als gemeinschaftlich-föderales Herrschaftssystem wollen, und damit die Unionstreue in Gestalt konkreter Treueverpflichtungen anerkennen.“137
Die Unterscheidung zwischen einer positivierten, jedoch begrenzten Gemeinschaftstreue, und einer umfassenden ungeschriebenen Unionstreue als allgemeiner Rechtsgrundsatz kann mit Hinblick auf Art. I-5 Abs. 2 VVE vernachlässigt werden. Mit Inkrafttreten des Verfassungsvertrages wird nicht mehr zwischen Gemeinschaft und Union unterschieden und die bisher teilweise abgelehnte, umfassende Unionstreue als gegenseitiger Grundsatz in Art. I-5 Abs. 2 VVE positiviert138. bb) Allgemeine Wirkungsweise der Unionstreue Die Analogie der Begründung der Union ist nicht gleichbedeutend mit einer „quasi ,automatischen‘ Übertragung“139 der Bundestreue. Zwar bestehen Ähnlichkeiten in der normativen Grundlegung, jedoch sind die spezifisch abzuleitenden Siehe Kap. IV.4. I. d. S. auch A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, S. 311. 133 H. Lecheler, Der Fortgang der europäischen Integration im Spiegel der Rechtsprechung des EuGH und der nationalen Gerichte, EA 23 (1968), S. 404, 409 ff. 134 K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 152; P. Unruh, Die Unionstreue, S. 57 ff.; M. Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, S. 942 ff. 135 Siehe Kritik bei H. Bauer, Die Bundestreue, S. 211. 136 H. Bauer, Die Bundestreue, S. 211. 137 P. Unruh, Die Unionstreue, S. 59 mit Verweis auf A. von Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, in: A. Randelzhofer (Hrsg.), GS für Eberhard Grabitz, 1995, S. 22. 138 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1170. 139 A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, S. 312. 131 132
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Pflichten nicht identisch140. Insbesondere das Prinzip der begrenzten Ermächtigung führt dazu, dass die Unionstreue keine eigenständigen Befugnisse der Union begründen kann. Der Europäische Gerichtshof leitet aus dem Prinzip der Unionstreue Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Union141, den Mitgliedstaaten untereinander142, aber auch der Union gegenüber den Mitgliedstaaten ab143. Ebenso wie die Bundestreue begründet die Unionstreue keine eigenständigen Rechtsverhältnisse, sondern wirkt in bereits bestehenden, zu denen es unterstützend hinzutritt144. Die einzelnen aus der Unionstreue ableitbaren Rechtspflichten sind nicht in einem abschließenden Katalog aufgeführt, sondern von der spezifischen Konstellation des Einzelfalles abhängig145. Anhaltspunkte werden vor allem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegeben.
cc) Beitrag der Unionstreue zur Achtung der deutschen Bundesstaatlichkeit Teilweise wird abgelehnt, eine Verpflichtung der Achtung subnationaler Strukturen durch die EU aufgrund der Unionstreue anzunehmen146. Dagegen wird von anderen Autoren eine derartige Pflicht bejaht147 und auf folgenden Wirkungsmechanismus zurückgeführt. Die Unionstreue tritt unterstützend zu Art. 6 Abs. 3 EUV hinzu und begründet bestimmte Handlungs- und Unterlassungspflichten zur Achtung der Identität der Mitgliedstaaten, von der die Gliederung in Länder und Kommunen einschließlich deren Rechtsstatus umfasst wird148: 140 Hiermit wird vor allem der Tatsache Rechnung getragen, dass die Bundestreue auf die Beziehungen in einer existentiellen, die Unionstreue hingegen in einem funktionalen Bundesstaat wirkt. Siehe P. Unruh, Die Unionstreue, S. 60 f. 141 Siehe bspw. EuGH v. 08. 06. 1971 – Rs. 78 / 70 (Deutsche Grammophon / Metro), Slg. 1971, 487 (498); EuGH v. 15. 09. 1981 – Rs. 208 / 80 (Lord Bruce of Donington / Eric Gordon Aspden), Slg. 1987, 2205 ff.; EuGH v. 10. 07. 1990 – Rs. C-217 / 88, Slg. 1990, I-2879 (2907 f.). 142 Siehe Fn. 126. 143 Siehe Fn. 125. 144 EuGH v. 03. 03. 1994 – verb. Rs. C-332, C-333 und C-335 / 92 (Eurico Italia u. a. / Ente Nazionale Risi), Slg. 1994, I-711 (736). 145 P. Unruh, Die Unionstreue, S. 61 ff. 146 R. Geiger, Die Stellung der Bundesländer im Europäischen Gemeinschaftsrecht und ihre Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Akte der Gemeinschaft, in: H. A. Kremer (Hrsg.), Die Landesparlamente im Spannungsfeld zwischen europäischer Integration und europäischem Regionalismus, 1988, S. 61 f.; V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, S. 72; M. Zuleeg, Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, S. 2846 f.; ders., Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, S. 943. 147 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 290; K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 152 f.; P. Unruh, Die Unionstreue, S. 63 f. 148 P. Unruh, Die Unionstreue, S. 63; J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 290; G. Ress, Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, S. 550; W. Kahl, Mög-
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„Wenn dies aber so ist, erscheint es folgerichtig, das Prinzip der Gemeinschaftstreue auch auf die Verpflichtung der Gemeinschaft zur Berücksichtigung der Belange jedes Mitgliedstaates auszudehnen, bildet dies doch ein geeignetes Mittel zur rechtlichen Absicherung der Einbeziehung der Mitgliedstaaten als solcher, d. h. insbesondere auch so wie sie organisiert und aufgebaut sind, durch die Gemeinschaftsorgane und ihre (rechtsverbindlichen) Akte.“149
Im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 3 EUV ist die Unionstreue justiziabel und per Vertragsverletzungsklage nach Art. 227 EGV geltend zu machen150. Neben der direkten Anerkennung der nationalen Verfassungsstruktur wirkt die Unionstreue vor allem als Kompetenzausübungsschranke151: „Direkt aus der Unionstreue abgeleitete Kompetenzausübungsschranken sind z. B. das Rechtsmissbrauchs- oder das Verbot von Regelungen aus sachfremden Motiven.“152
In Verbindung mit dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung soll sichergestellt werden, dass die Ausübung der europarechtlichen Befugnisse weder die primärrechtlich vereinbarte Ermächtigung überschreitet, noch in einen Konflikt mit den nationalen Konstitutionsprinzipien gerät. Dieser Schutz trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht nur Zuständigkeitsübertragung auf die EU Aufgaben und Befugnisse der Länder und Kommunen beeinträchtigen, sondern es zudem entscheidend von der Art der Ausübung der prinzipiell begrenzten Befugnisse abhängt, in welcher Intensität diese betroffen werden. c) Subsidiaritätsprinzip aa) Dogmatische Grundzüge Das Subsidiaritätsprinzip wurde in der EU erstmals in der Präambel und in Art. B Abs. 2 EUV sowie Art. 3 b Abs. 2 EGV in der Fassung von Maastricht verankert. Maßgeblich war das Drängen der deutschen Länder, die mit einer Ablehnung des Ratifikationsgesetzes zu den Verträgen von Maastricht im Bundesrat drohten153. Unter dem Grundgesetz werden sowohl die kommunale Selbstverwaltung154 als auch Art. 72 Abs. 2 GG als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips verlichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3 b EG-Vertrag, AöR 118 (1993), S. 414 ff.; I. Pernice, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, DVBl. 108 (1993), S. 916. 149 A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Föderalismus, S. 317. 150 P. Unruh, Die Unionstreue, S. 61 mit Verweis auf W. Hummer / W. Obwexer, Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze“ der EU, EuZW 11 (2000), S. 491. 151 M. Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, 1992, S. 106, 118. 152 P. Unruh, Die Unionstreue, S. 64. 153 R. von Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 29 (1994), S. 298. 154 Vgl. Kap. III Fn. 180.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
standen155. Mit der Struktursicherungsklausel des Art. 23 GG n. F. erlangt auch die Forderung nach Geltung dieses Zuständigkeitsverteilungs- und Zuständigkeitsausübungsprinzips für die Europäische Union Verfassungsrang. In den geltenden Verträgen von Nizza ist das Subsidiaritätsprinzip in Art. 2 Abs. 2 EUV, Art. 5 Abs. 2 EGV sowie das 1997 ergänzte Subsidiaritätsprotokoll, das nach Art. 311 EGV Bestandteil des Primärrechts ist, normiert. An das Subsidiaritätsprinzip als Entscheidungsgrundsatz für den Geltungsbereich von Gesetzen im Sinne einer Vorrangklausel für die kleine Einheit156 werden weitreichende Erwartungen, vor allem von den deutschen Ländern, geknüpft157. Jedoch wirkt es in der Praxis kaum als effektive Schranke für die Übertragung weiterer Hoheitsrechte auf die EU158 und wird weitestgehend auf einen Grundsatz der Zuständigkeitsausübung reduziert. Zur Erörterung, inwieweit dieses Unionsprinzip als Schutz der Staatsqualität der Länder und des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen fungiert, sollen zunächst die Tatbestandsmerkmale analysiert werden [bb)]. Im Anschluss stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit als Schutz vor Zuständigkeitsaushöhlung der Länder und Kommunen [cc)] und schließlich wird dargelegt, welche Änderungen im Verfassungsvertrag vorgesehen sind [dd)]. bb) Anwendungsbedingungen Nach dem Subsidiaritätsprinzips des Art. 5 Abs. 2 EGV darf die Gemeinschaft in Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden, wenn mit mitgliedstaatlichen Maßnahmen die Ziele nicht ausreichend und aufgrund ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser gemeinschaftlich erreicht werden. Problematisch erweist sich, dass den Verträgen keine Systematisierung der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zu entnehmen ist [(1)]. Weiterhin sind die Tatbestandsmerkmale einer „nicht ausreichenden“ oder „besseren“ Realisierung der Ziele offene Rechtbegriffe, die einer Klärung bedürfen. Die Gemeinschaft wird nur dann tätig, wenn sowohl ihr Handeln erforderlich [(2)] als auch das Effizienzkriterium erfüllt ist [(3)].
Siehe aber auch BVerfGE 10, 59 (83). K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 85; H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip. Strukturprinzip einer europäischen Union, 1993, S. 98 ff., 121 ff.; ders., Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, in: B. Becker / H. P. Bull / O. Seewald (Hrsg.), FS für Werner Thieme, 1993, S. 442 ff. Allgemein zu dem Prinzip der kleinen Einheit siehe Kap. II.1.c), zu dem Subsidiaritätsprinzip siehe Kap. II.2.a)ee). 157 U. Petersen, Zur Rolle der Regionen im künftigen Europa, DÖV 44 (1991), S. 280 f.; T. Goppel, Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, EuZW 4 (1993), S. 367 ff.; A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 328. 158 C. Calliess, Kontrolle zentraler Kompetenzausübung in Deutschland und Europa, EuGRZ 30 (2003), S. 186 f.; R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 38 m. w. N. 155 156
3. Sicherung der nationalen Verfassungsstruktur
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(1) Fehlender Zuständigkeitskatalog Das Subsidiaritätsprinzip ist nicht bei Materien ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit anzuwenden, ohne dass es einen Katalog mit einer Einteilung ähnlich der des Grundgesetzes in ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung gäbe159. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dem Europarecht keine Zuständigkeitsordnung zu entnehmen wäre. Ihr grundlegendes Ordnungsprinzip ist das der begrenzten Ermächtigung. Wesentlicher Unterschied zum Grundgesetz ist, dass die Befugnisse nicht nach Sachbereichen (Legislative, Exekutive und Judikative) und Zuständigkeitsarten (ausschließlich, konkurrierend), sondern nach Zielen und Politiken geordnet sind. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine Unterscheidung in ausschließliche, konkurrierende und parallele Zuständigkeiten zu entnehmen160. Ausschließliche Aufgaben und Befugnisse bestehen, wenn den Mitgliedstaaten praktisch keine Regelungskompetenz in einer Materie verblieben ist161. Da auf keine abschließende Aufzählung zurückgegriffen werden kann, ist deren Identifikation im Einzelfall mit Schwierigkeiten behaftet. Von ausschließlicher Zuständigkeit der Gemeinschaft ist in der Handels-, Geld- und Teilen der Wettbewerbspolitik, dem Zollrecht sowie der Erhaltung der Fischereiressourcen auszugehen162. Die weitreichende Forderung einer derartigen Systematisierung hat zur Aufnahme eines Zuständigkeitskataloges in den Verfassungsvertrag geführt163. (2) Erforderlichkeit Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird ein Tätigwerden der Gemeinschaft durch dessen Erforderlichkeit bedingt. Die Feststellung, inwieweit mitgliedstaatliche Maßnahmen nicht ausreichend zur gemeinschaftlichen Zielerreichung geeignet sind, bereitet Schwierigkeiten. Nr. 5 des dem Amsterdamer Vertrag von 1997 159 H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 185. Dazu analog Kap. III.2.a). 160 Vgl. EuGH, Gutachten v. 11. 11. 1975 (Art. 228 Abs. 1 UAbs. 2), Slg. 1975, 1355 ff.; EuGH v. 14. 07. 1976, verb. Rs. 3, 4 und 6 / 76 (Cornelis Kramer u. a.), Slg. 1976, 1279 ff. Dazu auch R. von Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, S. 273 ff. m. w. N.; H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 186 ff. m. w. N. 161 H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, S. 190. 162 M. Schweitzer, Rechtsetzung durch die Europäischen Gemeinschaften und Kompetenzverlust in den Mitgliedstaaten, in: H. A. Kremer (Hrsg.), Die Landesparlamente im Spannungsfeld zwischen europäischer Integration und europäischem Regionalismus, 1988, S. 31; R. von Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, S. 273 f. 163 Ausschließlicher Unionsbefugnis ist zusätzlich die zum Abschluss internationaler Abkommen, die in Rechtsakten der Union vorgesehen oder zur Ausübung interner Zuständigkeit notwendig sind; siehe auch Kap. VI.3.d).
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
beigefügten Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit spezifiziert, dass erstens ein grenzüberschreitender Sachverhalt und zweitens eine erhebliche Beeinträchtigung von Vertragsanforderungen (wie der des unverzerrten Wettbewerbs, Vermeidung verschleierter Handelsbeschränkungen oder der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts) gegeben sein müssen. Erst wenn die mitgliedstaatlichen Maßnahmen erheblich geringere Wirkung zeigen, als es für das Erreichen der angestrebten Ziele erforderlich ist, sind sie „nicht ausreichend“. (3) Effizienzkriterium Zusätzlich zu der grundsätzlichen Erforderlichkeit gemeinschaftlichen Vorgehens muss eine bessere Zielerreichung möglich sein. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nicht bereits erfüllt, wenn ein minimal höherer Zielerreichungsgrad absehbar ist, sondern erst sofern gemeinschaftliches Handeln „deutliche Vorteile“164 für die Verwirklichung der angestrebten Ziele bewirken, da sie angesichts ihres Umfangs und ihrer Wirkungen die mitgliedstaatlichen Möglichkeiten beträchtlich übersteigen. Der zugrunde gelegte Maßstab „muß auf qualitativen oder – soweit möglich – auf quantitativen Kriterien beruhen“165. Die Erfordernis einer weitaus höheren Effizienz tritt kumulativ zu der Überforderung der Mitgliedstaaten hinzu, da ansonsten mit „dem Begriff ,besser‘ . . . eine (faktische) Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union“166 geschaffen und die kleine Einheit geschwächt würde167. Nur die dargelegte Interpretation der offenen Rechtsbegriffe ist mit dem Ziel des Subsidiaritätsprinzips, der Aufgabenverteilung an die geeignete Ebene unter Verhinderung vermeidbarer Zentralisation, vereinbar. cc) Wirkung Subsidiarität bezieht sich sowohl auf die ursprüngliche Verteilung von Zuständigkeiten als auch auf deren Ausübung. Meist wird in der Literatur lediglich anerkannt, dass es sich um eine Zuständigkeitsausübungsschranke, nicht jedoch um einen Zuständigkeitsverteilungsgrundsatz handelt168. Dieser Ansicht wird nicht 164 Nr. 5 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (1997). 165 Nr. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (1997). 166 R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 74. 167 A. Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, S. 1134 f.; C. Kirchner / J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, S. 770 f. 168 BVerfGE 89, 155 (193); C. Stewing, Das Subsidiaritätsprinzip als Kompetenzverteilungsregel im Europäischen Recht, DVBl. 107 (1992), S. 1518; F. L. Graf Stauffenberg / C. Langenfeld, Maastricht – ein Fortschritt für Europa?, S. 255; D. Grimm, Effektivität und
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gefolgt. Der 12. ErwG der Präambel EGV besagt, dass entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden sollen. Hieraus erschließt sich, dass mittels des Subsidiaritätsgrundsatzes Befugnisse verteilt werden. Zwar enthält der Vertrag Aufgaben und Handlungsformen der Union, jedoch hat die Union in konkurrierenden Bereichen bis zum Vorliegen der Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips keine Befugnis zum Handeln. Der Vertrag regelt ausdrücklich durch das Prinzip der begrenzten Ermächtigung in Verbindung mit dem Subsidiaritätsprinzip, dass die Gemeinschaft nicht zuständig ist, sofern und solange die Mitgliedstaaten grundsätzlich ausreichend und annähernd so gut wie die Gemeinschaft die gesetzten Ziele ereichen. Somit begründet das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EGV freilich keine eigenständige Befugnisse, wirkt dennoch zuständigkeitsverteilend. Die Unionsorgane müssen vor der Wahrnehmung neuer Aufgaben entsprechend dem Subsidiaritätsprotokoll in einem „Subsidiaritätsbogen“169 ihre Zuständigkeit begründen. Aus Sicht der Länder und Kommunen ist zu beklagen, dass das Subsidiaritätsprinzip dem Wortlaut nach sich nur auf das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu der Union bezieht, ohne subnationale Verfassungsstrukturen eigens zu erwähnen. Auch in dem Subsidiaritätsprotokoll des Amsterdamer Vertrages werden die Länder- und Kommunalebene nicht aufgeführt, so dass diese nach herrschender Ansicht keine selbständigen, unmittelbaren Rechte aus dem europarechtlichen Subsidiaritätsprinzip ableiten können170. Dieser Einschätzung widerspricht Hailbronner, der bei gemeinschaftlichen Eingriffen in landes- oder regionalrechtliche Zuständigkeit die Pflicht einer besonders sorgfältigen Prüfung der Tatbestandsmerkmale erkennt171. Zudem haben die drei Bundesstaaten Deutschland, Österreich und Belgien in einer (rechtlich nicht verbindlichen) Erklärung zu dem Amsterdamer Vertrag zur Kenntnis gegeben, dass ihrer Auffassung nach subnationale Gebietskörperschaften von dem europarechtlichen Subsidiaritätsprinzip umfasst werden: „Die Regierungen Deutschlands, Österreichs und Belgiens gehen davon aus, dass die Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nicht nur die Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, S. 11; M. Große Hüttmann, Das Subsidiaritätsprinzip in der EU, 1996, S. 40; C. Calliess, Kontrolle zentraler Kompetenzausübung in Deutschland und Europa, S. 190; U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 870; M. Piazolo / J. Weber, Die Europäische Union als Föderation, in: dies. (Hrsg.), Föderalismus, 2004, S. 311. 169 Einen Überblick über dessen Bestandteile bei P. Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, S. 180; siehe auch R. Bocklet, Die Zukunft des Subsidiaritätsprinzips, Politische Studien Sonderheft 1 (2003), S. 8. 170 Vgl. M. Heintzen, Subsidiaritätsprinzip und Europäische Gemeinschaft, JZ 46 (1991), S. 320 ff.; P. Badura, Die „Kunst der föderalen Form“, S. 383; T. Stein, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 38; H. D. Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität nach der Schaffung der Europäischen Union, EuGRZ 21 (1994), S. 212. 171 K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 153; ähnlich F. L. Graf Stauffenberg / C. Langenfeld, Maastricht – ein Fortschritt für Europa?, S. 256.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Mitgliedstaaten betreffen, sondern auch deren Gebietskörperschaften, soweit diese nach nationalem Verfassungsrecht eigene gesetzgeberische Befugnisse haben.“172
Entscheidend für die tatsächliche Wirksamkeit des Subsidiaritätsgrundsatzes ist die Intensität seiner gerichtlichen Kontrolle. Weit verbreitet ist die Auslegung, dass das Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich nicht justiziabel sei173. Eine gerichtliche Nachprüfung der Anforderungen sei ausgeschlossen, da es aufgrund der offenen Rechtsbegriffe „kaum operationalisierbar“ 174 sei oder „keinen präzisen und unmittelbar anwendbaren Maßstab“175 liefere. Von einer „juristisch wertlosen“176 „Leerformel“177 oder einem „die Einigung über das Vertragswerk von Maastricht zu erleichtern(den) . . . Formelkompromiß“178 ist die Rede. Diesen Einschätzungen muss entgegengesetzt werden, dass in Republiken grundsätzlich die Notwendigkeit besteht, jegliche staatliche Gewalt einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich zu machen179. In Anbetracht der Bestimmungen des Vertrages180 hat sich die Ansicht, dass das Subsidiaritätsprinzip justiziabel ist, durchgesetzt181. Jedoch gehen von der inhaltlichen Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof nur geringe Wirkungen aus182. Seine Judikatur ist vergleichbar mit der des Bundesverfassungsgerichts zu 172 Schlußakte (Amsterdam) vom 02. 10. 1997. Von der Konferenz zur Kenntnis genommene Erklärungen. Erklärung Deutschlands, Österreichs und Belgiens zur Subsidiarität. 173 Siehe H.-J. Lambers, Subsidiarität in Europa, S. 239.; D. Grimm, Effektivität und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, S. 6 ff.; H.-J. Blanke, Normativer Gehalt und Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3b EGV, in: R. Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1995, S. 111 ff. 174 R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 17. 175 J. Weiss, Das Subsidiaritätsprinzip auf dem Prüfstand europäischer und nationaler Politik, in: K. Habsburg (Hrsg.), Europa bürgernah, 1998, S. 18. 176 W. Möschel, Politische Union für Europa, S. 882. 177 M. Hilf, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 13; i. d. S. auch H. H. Rupp, Muß das Volk über den Vertrag von Maastricht entscheiden?, S. 40. 178 D. Grimm, Effektivität und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, S. 8. 179 W. Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3 b EG-Vertrag, S. 440. Dazu, auch mit Verweisen auf andere Ansicht, siehe allgemein K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 134 f. 180 Nr. 13 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (1997) i. V. m. Art. 230 EGV. 181 Siehe BVerfGE 89, 155 (189, 193, 198, 201, 210 ff.); P. Schmidhuber / G. Hitzler, Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EWG-Vertrag, NVwZ 11 (1992), S. 725; W. Kahl, Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3 b EG-Vertrag, S. 440; M. Hilf, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, S. 14; S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 271 ff.; M. Zuleeg, Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips, in: K. W. Nörr / T. Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität, 1997, S. 191 ff., 201 ff.; C. Calliess, Kontrolle zentraler Kompetenzausübung in Deutschland und Europa, S. 185 f. m. w. N.; ders., Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999, S. 351 ff.; M. Simm, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im föderalen Kompetenzkonflikt, 1998, S. 151 ff.
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Art. 72 Abs. 2 GG a. F., das in ständiger Rechtsprechung seine Nachprüfung auf einen evidenten Ermessensmissbrauch reduzierte183. Callies äußert nicht ohne Kritik die Hoffnung, dass das 2002 ergangene Urteil in der Rechtssache British American Tobacco184, in der erstmals eine Prüfung der Tatbestandmerkmale des Art. 5 Abs. 2 EGV vorgenommen wurden, eine ähnliche Trendwende der Rechtsprechungspraxis mit sich führt, wie die des Bundesverfassungsgerichts durch das Altenpfleger-Urteil185: „Positiv zu bewerten ist, dass der Gerichtshof hier erstmals den Willen erkennen lässt, auch die Einhaltung der Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 EGV zu kontrollieren. Gleichwohl vermag die Art und Weise der Prüfung nicht überzeugen: Zu pauschal sind die Argumente und zu unstrukturiert ist der Aufbau der Prüfung, der sich allzu sehr am ,Besserkriterium‘ orientiert und überdies die Grenzen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung verwischt.“186
dd) Änderungen durch den Verfassungsvertrag Dem Verfassungskonvent wurde mit der Erklärung von Laeken aufgetragen zu klären, auf welche Weise das Subsidiaritätsprinzip hinsichtlich einer besseren Aufteilung und Festlegung der Zuständigkeiten angewandt werden könne187. Die Arbeitsgruppe I beschäftigte sich mit dem „Subsidiaritätsprinzip“ und legte in ihrem Schlussdokument (CONV 286 / 02 vom 23.09.) Änderungsvorschläge zur Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips vor188. Der endgültige Verfassungsentwurf enthält ein im Wortlaut präzisiertes Subsidiaritätsprinzip (Art. I-11 Abs. 3 VVE189), in dem nunmehr explizit die regionale und lokale Ebene erwähnt wird [(1)]. Die 182 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 134 f.; H. D. Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität nach der Schaffung der Europäischen Union, S. 218; I. Hochbaum, Kohäsion und Subsidiarität, DÖV 45 (1992), S. 292; S. U. Pieper, Subsidiarität, S. 272 ff.; J. Wuermeling, Warum die EU zentralistisch ist und was man dagegen tun muss, Politische Studien Sonderheft 1 (2003), S. 38. 183 Parallelen zwischen der deutschen und europäischen Rechtsprechung bei C. Calliess, Kontrolle zentraler Kompetenzausübung in Deutschland und Europa, S. 182 ff. 184 EuGH v. 10. 12. 2002 – Rs. C-491 / 01 (The Queen / Secretary of State for Health), Slg. 2002, I-11453 ff. 185 C. Calliess, Kontrolle zentraler Kompetenzausübung in Deutschland und Europa, S. 186 ff. 186 C. Calliess, Kontrolle zentraler Kompetenzausübung in Deutschland und Europa, S. 187. 187 Vgl. Kap. V Fn. 355. 188 Zu den Änderungen des Subsidiaritätsprinzips in Deutschland vgl. Kap. III Fn. 214; K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 67 ff. 189 Siehe T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1171; T. Fischer, Deutscher Föderalismus vor der Herausforderung einer europäischen Verfassung, Aus Politik und Zeitgeschichte v. 14. 07. 2003, S. 4. In der Präambel wird das Subsidiaritätsprinzip dagegen nicht mehr erwähnt; weiterhin allerdings in der „zweiten“ Präambel, der der integrierten Grundrechtecharta.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Anwendung und Einhaltung des Grundsatzes richtet sich nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (PrSubsVerh), das gegenüber dem gleichnamigen Protokoll von 1997 gänzlich neu formuliert wurde [(2)]. Dabei soll geprüft werden, inwieweit die Änderungen ausreichend sind, einen effektiven Schutz vor weiterer Zuständigkeitsaushöhlung der Länder und Kommunen zu geben.
(1) Einbezug der regionalen und kommunalen Ebene Das Subsidiaritätsprinzip des Art. I-11 Abs. 1 VVE wird einerseits explizit auf die Funktion als Grundsatz der Zuständigkeitsausübung limitiert, andererseits wird die „Ebene der Mitgliedstaaten“ (Art. 5 Abs. 2 EGV) in zentrale, regionale und lokale Ebene differenziert (Art. I-11 Abs. 3 UAbs. 1 VVE). Neben präzisierten Anforderungen werden die Regionen neuerdings auch im Rechtsetzungsverfahren durch die Kommission beachtet. Im Vorfeld von Vorschlägen von Rechtsakten ist im Regelfall „gegebenenfalls der regionalen und lokalen Dimension der in Betracht gezogenen Maßnahmen Rechnung zu tragen“ (Nr. 2 PrSubsVerh) und kann nur in begründeten, „außergewöhnlich dringenden Fällen“ unterbleiben. Zusätzlich werden die Regionen in dem von der Kommission zu erstellenden Subsidiaritätsbogen berücksichtigt. Im Fall eines Europäischen Rahmengesetzes müssen die Auswirkungen auf regionale Rechtsvorschriften dargelegt werden (Nr. 4 PrSubsVerh). Damit wird klargestellt, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht nur zwischen Mitgliedstaaten und Union wirkt, sondern auf alle staatlichen Ebenen ausgedehnt wird. Diese Präzisierung ist zu begrüßen, da es dem Wesen dieses Prinzips entspricht, soweit möglich, staatliche Aufgaben der kleinen Einheit zu überlassen. In der Anerkennung eines aus vier Ebenen bestehenden europäischen Bundesstaates besteht das Fundament eines effektiven Subsidiaritätsprinzips mit dem Ziel der Bürgernähe. Die Rechtsbegriffe der „regionalen“ und „lokalen Ebene“ geben keinen Aufschluss über die Rechtsnatur der jeweiligen Körperschaften. Aus deutscher Sicht sind die Länder mit den Regionen und die Kommunen mit den lokalen Einheiten gleichzusetzen. Auch wenn ersichtlich ist, dass es sich um Überbegriffe für die in der EU bestehenden rechtlichen Unterschiede der „subnationalen Gebietskörperschaften“ handelt, ist insbesondere die Gleichsetzung der Länder mit Regionen angesichts der ausgeprägten deutschen Bundesstaatlichkeit nicht unproblematisch190.
(2) Frühwarnmechanismus und Rechtsschutz Durch einen neuartigen Frühwarnmechanismus und erweiterte Klagebefugnisse soll die effektive Anwendung des Subsidiaritätsprinzips verbessert werden. Entsprechend Art. I-11 Abs. 3 UAbs. 2 und Art. IV-442 VVE ist der europäische Ge190
Dazu ausführlich Kap. VIII.
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setzgeber an das Verfahren des Subsidiaritätsprotokolls gebunden. Nach umfangreichen Anhörungen im Vorfeld von Gesetzgebungsvorschlägen (Nr. 2 PrSubsVerh) leitet die Kommission ihre begründeten (Nr. 4) Entwürfe nicht nur den zuständigen Unionsorganen, sondern auch den nationalen Parlamenten zu, die im Weiteren ebenso über Entschließungen und Standpunkte des Europäischen Parlaments oder des Ministerrates umgehend benachrichtigt werden (Nr. 3). In Einkammersystemen kann das nationale Parlament, in Zweikammersystemen jede Kammer unabhängig voneinander binnen sechs Wochen in einer begründeten Stellungnahme an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Ministerrates und der Kommission darlegen, inwiefern der Vorschlag dem Subsidiaritätsprinzip widerspricht (Nr. 5 PrSubsVerh; Nr. 3 PrNatParl). Unglücklich gewählt ist die Unterscheidung in Ein- und Zweikammersysteme. Deutschland wird als Zweikammersystem klassifiziert, obwohl abzulehnen ist, dass der Bundesrat eine zweite Kammer des nationalen Parlaments ist191. Den Landesparlamenten wird zwar kein selbständiges Einspruchsrecht gewährt, allerdings können diese sowohl durch die Zusammensetzung des Bundesrates als auch durch die vorgesehene Möglichkeit, innerstaatlich die „regionalen Parlamente“ zu konsultieren, zumindest mittelbar Einfluss ausüben. Jeder Mitgliedstaat hat zwei Stimmen, die im Falle eines Zweikammersystems auf die beiden Kammern aufgeteilt werden (Nr. 6 PrSubsVerh). Neben der Berücksichtigung der nationalen Stellungnahmen muss die Kommission ihren Vorschlag überprüfen, wenn der Umfang der Einwände mindestens ein Drittel192 der Gesamtzahl der Stimmen repräsentieren. Allerdings besteht kein Anspruch auf eine Änderung oder Rückzug des Vorschlags, da die Kommission durch einen begründeten Beschluss weiterhin an ihrem Vorschlag festhalten kann. Folglich ist das präventive, den Rechtssetzungsprozess begleitende Subsidiaritätsverfahren kein Garant für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Es entspricht der Auffassung der Arbeitsgruppe „Subsidiarität“, dass „es sich um ein im Wesen politisches Prinzip handelt, dessen Umsetzung den Organen einen weiten Ermessensspielraum bietet“193. Im Konfliktfall ist weiterhin die gerichtliche Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof nach dem Verfahren des Art. III-365 VVE entscheidend194. Länder und Kommunen können mit dem Verfassungsvertrag einen Teilerfolg verzeichnen: Ein eigenständiges Klagerecht wird nicht anerkannt, dagegen mittelbar durch den Ausschuss der Regionen in Bezug auf Gesetzgebungsakte, bei denen seine Anhörung zwingend ist, ermöglicht (Nr. 8 PrSubsVerh)195. Vgl. Kap. III Fn. 244. Bei Gesetzesinitiativen im Rahmen des Art. III-265 VVE (Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts) beträgt die kritische Schwelle lediglich ein Viertel. 193 Siehe CONV 286 / 02 v. 23. 09., S. 2 ff. Zu der Kritik einer Unterscheidung zwischen Politik und Recht siehe Kap. II.2.a)bb). 194 So auch Nr. 7 PrSubsVerh. 195 Ebenso besteht weiterhin die mittelbare Klagemöglichkeit über die innerstaatlich vorgesehenen Klagebefugten. 191 192
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Inwieweit die Präzisierung des Subsidiaritätsprinzips, seine Ausstattung mit einem Frühwarnmechanismus und die Ausweitung der Klagebefugnis ausreichend für die Eingrenzung der Tendenz einer übermäßigen Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen auf die Unionsebene sein wird muss bezweifelt werden. Lediglich wenn die Änderung der normativen Grundlagen dazu führt, dass die an der europäischen Rechtsetzung beteiligten Organe in der Praxis ihre Befugnisse entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip wahrnehmen und letztlich der Europäische Gerichtshof seiner Aufgabe nachkommt und den Vertrag auslegt, insbesondere „die Rechtmäßigkeit der Europäischen Gesetze und Rahmengesetze sowie der Handlungen des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank . . . und der Handlungen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates mit Rechtswirkung gegenüber Dritten.“196, d. h. auch die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, überwacht, ist dies der Fall.
d) Zuständigkeitsabgrenzung aa) Forderung eines Zuständigkeitskataloges Das Subsidiaritätsprinzip allein ist angesichts der ungenügenden Tatbestandsprüfung und integrationsfreundlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kaum fähig, der Erosion von Länderzuständigkeiten wirkungsvoll entgegenzutreten. Die Schwäche des Subsidiaritätsprinzips soll durch einen klaren Zuständigkeitskatalog kompensiert werden197. Diese häufig gestellte Forderung198 wurde in den Erklärungen von Nizza und Laeken mit der Frage aufgegriffen199, ob mit einer Systematisierung der Zuständigkeiten die Transparenz erhöht werden könne. Speziell die Länder knüpfen an einen übersichtlichen Katalog die Hoffnung, die fortschreitende Zuständigkeitsübernahme durch die EU und die damit einhergehende Erosion ihrer eigenen Staatlichkeit einzudämmen200. Art. III-365 Abs. 1 S. 1 VVE. Zudem löst eine Systematisierung der Zuständigkeiten die vom Subsidiaritätsprinzip aufgeworfene Frage, welche Unionszuständigkeiten ausschließlicher Art sind. 198 C. Kirchner / J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, S. 771; H. H. Rupp, Muß das Volk über den Vertrag von Maastricht entscheiden?, S. 40; A. Weber, Zur künftigen Verfassung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 328; R. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), S. 424; P. Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, S. 205; C. Jennert, Die zukünftige Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, S. 937 ff. 199 Siehe J. Schwarze, Europäische Verfassungsperspektiven nach Nizza, NJW 55 (2002), S. 994 f.; M. Schröder, Vertikale Kompetenzverteilung und Subsidiarität im Konventsentwurf für eine europäische Verfassung, JZ 59 (2004), S. 8. 200 R. Hrbek / M. Große Hüttmann, Von Nizza über Laeken zum Reform-Konvent, S. 577; M. ter Steeg, Eine neue Kompetenzordnung für die EU, S. 326 f. 196 197
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Gegenteilige Meinungen weisen darauf hin, dass Zuständigkeitsordnungen typischerweise in Bundesstaaten zum Tragen kommen und es verfehlt sei, „Elemente und Funktionen der Staatsverfassung unreflektiert auf Europa zu übertragen“201. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, weswegen von einer Systematisierung der Zuständigkeiten in der EU abzuraten sei. Zum einen ist die Union ein Bundesstaat, wobei ihre fehlende existentielle Staatsqualität nicht einem Zuständigkeitskatalog, sondern vielmehr der Einführung eines Geltungsvorranges widerspricht. Dieser ist jedoch nicht zwangsläufig an einen derartigen Katalog geknüpft. Zum anderen kann, wie die nicht-föderale spanische Verfassung zeigt, nicht davon ausgegangen werden, dass Bundesstaatlichkeit notwendige Bedingung für eine katalogmäßige Beschreibung der Zuständigkeiten ist.
bb) Systematisierung der Zuständigkeiten im Verfassungsvertrag Im Konventsprozess setzte sich vor allem der deutsche Bundesratsvertreter Teufel für die Forderung der deutschen Länder202 nach einer Zuständigkeitssystematisierung ein, so dass er als „Inspirator der Kompetenzordnung“203 gilt. Die Grundsätze der Zuständigkeitsordnung der Union sind in Titel III des ersten Teils, der Umfang und die Modalitäten der Ausübung im dritten Teil der Verfassung geregelt. Gemäß Art. I-12 VVE werden ausschließliche, geteilte und ergänzende Unionsmaßnahmen unterschieden204. 201 W. Hertel, Die Normativität der Staatsverfassung und einer Europäischen Verfassung, S. 251. Gegen einen Zuständigkeitskatalog ebenso F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 636; ders., Der Bundesstaat in der postregionalen Konstellation, S. 444; R. Schwarzer, Subsidiarität, in: M. Piazolo / J. Weber (Hrsg.), Föderalismus, 2004, S. 288. 202 R. Knöll, Die Diskussion um die Zukunft der EU aus der Sicht der deutschen Länder, S. 966 f.; F. C. Mayer, Der Bundesstaat in der postregionalen Konstellation, S. 445; E. Teufel, Europa in neuer Verfassung, ZSE 1 (2003), S. 349 ff. 203 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), Fn. 38, S. 1172. 204 Zur neuen Zuständigkeitsordnung siehe M. Schröder, Vertikale Kompetenzverteilung und Subsidiarität im Konventsentwurf für eine europäische Verfassung, S. 9 ff.; J. M. Beneyto Pérez, Thesen zur Diskussion der Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, in: I. Pernice / J. M. Beneyto Pérez (Hrsg.), The Government of Europe, 2003, S. 71 ff.; T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1172 f.; J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf, S. 542 ff.; M. Nettesheim, Die Kompetenzordnung im Vertrag über eine Verfassung für Europa, EuR 39 (2004), S. 511 ff.; ders., Kompetenzen, S. 445 ff.; J. Wuermeling, Kalamität Kompetenz, EuR 39 (2004), S. 223 ff.; C. Trüe, Das System der EU-Kompetenzen vor und nach dem Entwurf eines europäischen Verfassungsvertrages, ZaöRV 64 (2004), S. 391 ff.; N. Görlitz, Europäischer Verfassungsvertrag und künftige EU-Kompetenzen, DÖV 57 (2004), S. 374 ff.; M. Dougan, The Convention’s Draft Constitutional Treaty, ELR 28 (2003), S. 765 ff.; P. Steinberg, A Tentative Survey of the Innovations of the Constitution for Europe that Might Impact Upon National Constitutional Law, in: J. Ziller (Hrsg.), The Europeanisation of Constitutional Law in the Light of the Constitution for Europe, 2003, S. 142 ff.; J. Martín y Pérez de Nanclares, La delitimación de competencias entre la Unión Europea y los Estados miem-
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Ausschließlichkeit bedeutet, dass grundsätzlich die Union gesetzgeberisch tätig wird, die Mitgliedstaaten die Durchführung übernehmen und letztere ansonsten nur aufgrund einer Ermächtigung durch die Union zuständig werden können (Art. I-12 VVE). Der abschließende Katalog ausschließlicher Unionszuständigkeiten in Art. I-13 VVE ist knapp gehalten205. Die Union legt die für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlichen Wettbewerbsregeln fest und ist für die gemeinsame Handelspolitik, die Zollunion und die Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der Fischereipolitik, die Währungspolitik der EuroGruppe sowie für den Abschluss internationaler Abkommen, die in Rechtsakten der Union vorgesehen oder zur Ausübung interner Zuständigkeit notwendig sind206, zuständig. Der Katalog geteilter Zuständigkeiten (Art. II-14 Abs. 2 VVE) ist nicht abschließend. In diesen Bereichen haben sowohl Union als auch Mitgliedstaaten die Rechtsetzungsbefugnis, wobei die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit wahrnehmen, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht oder nicht mehr ausübt (Art. I-12 Abs. 2 VVE). Eine „unglückliche ,Zwittereinordnung‘“207 haben die Bereiche Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt sowie Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe erfahren, die durch ihre Nennung in Art. I-14 Abs. 3 – 4 VVE der geteilten Zuständigkeit zugehören, jedoch auf koordinierende Tätigkeit der Union reduziert sind und die Mitgliedstaaten nicht hindern, ihre Zuständigkeit auszuüben. Ergänzende Zuständigkeiten bestehen in der Förderung und Gewährleistung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik (Art. I-12 Abs. 3 i. V. m. Art. I-15 VVE), der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Art. I-12 Abs. 4 i. V. m. Art. I-16 VVE) und bei der Koordinierung, Ergänzung und Unterstützung mitgliedstaatlicher Maßnahmen in Bereichen der Industrie, Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, Kultur und Zivilschutz (Art. I-12 Abs. 5 i. V. m. Art. I-17 VVE).
cc) Bedeutung für Länder- und Kommunalstaatlichkeit Die Ermächtigungen der systematisierten Politikbereiche ergeben sich aus den Normen in Teil III des Verfassungsvertrags. Allerdings wurde versäumt, der getroffenen Systematisierung spezifische Handlungsinstrumente zuzuweisen oder die einzelnen Bestimmungen über Politikbereiche und Arbeitsweise analog der bros, RDCE 6 (2002), S. 343 ff.; J. Díez-Hochleitner, El sistema competencial comunitario ante la CIG ’04, Autonomies 29 (2003), S. 109 ff. 205 Aufgrund der fehlenden existentiellen Staatsqualität der Union ist eine zu weite Fassung rechtlich nicht möglich. 206 Dazu bereits EuGH v. 31. 03. 1971 – Rs. 22 / 70 (Kommission / Rat – AETR), Slg. 1971, 263 ff. 207 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1172.
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allgemeinen Bestimmungen des ersten Teils anzuordnen. Somit muss kritisiert werden, dass eine klarere Zuständigkeitsordnung möglich gewesen wäre208. Zu bemängeln ist, dass weiterhin mit Art. I-18 VVE die Ermächtigungsklausel für unvorhergesehene Fälle fortbesteht (bisher Art. 308 EGV), die maßgeblich zu der Entstaatlichung der Länder beiträgt209. Gleichwohl wurde sie präzisiert, indem neuerdings auch das Europäische Parlament zustimmen muss, ihre Anwendung explizit der Subsidiaritätskontrolle unterworfen wird und keine Harmonisierung von mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften ermöglicht, die durch die Verfassung ausgeschlossen ist. Die Wirkung der Präzisierung bleibt abzuwarten und bisweilen kann nur vorsichtig die Hoffnung geäußert werden, „dass die exzessive Inanspruchnahme der Ergänzungsklausel der Vergangenheit angehört“210. Insgesamt wird der Zuständigkeitskatalog, der zuweilen als „das Herzstück des vom Konvent zu verabschiedenden Verfassungsentwurfs“211 bezeichnet wird, Länder und Kommunen kaum euphorisch stimmen. Es handelt sich lediglich um einen ersten zaghaften Schritt zu einer trennscharfen Systematik. Es muss bezweifelt werden, dass bei prinzipiellem Fortbestand der Art. 95 und 308 EGV, des Auslegungsgrundsatzes effet utile und extensiver Ausübung zahlreicher Querschnittskompetenzen der Staatsqualität der Länder durch die Zuständigkeitssystematisierung ein ausreichender Schutz gewährt wird. Mayer ist der Ansicht, dass sich wenig ändern werde, „wenn man nicht das Binnenmarktkonzept insgesamt zur Disposition stellen will“212. Vielfach wird auf die geringe Wirkung der trennscharfen Zuständigkeitskataloge in Bundesstaaten verwiesen213. Auch in Deutschland konnte dieser die Zentralisierung vieler Aufgaben und Befugnisse nicht verhindern. 208 So auch H.-J. Papier im Interview mit D. Hipp / T. Darnstädt, „Das tangiert die Grundfesten“, S. 28; T. Fischer, Kompetenzordnung und Handlungsinstrumente, in: C. Giering (Hrsg.), Der EU-Reformkonvent, 2003, S. 35 ff. 209 Bisher wurden auf ihrer Grundlage mehr als 700 Rechtsakte erlassen; R. Knöll / M. W. Bauer, Der Konvent zur Zukunft der EU, NVwZ (2003), S. 447. Auch Art. 95 EGV wurde nicht gestrichen (nun Art. III-172 VVE). Vereinzelt wird vertreten, dass eine ersatzlose Streichung der (maßgeblich für die Erosion der Länderstaatlichkeit mitverantwortlichen) Art. 95 und 308 EGV nicht mit dem Europaartikel des Grundgesetz vereinbar wäre (so F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 635). Jedoch widerspricht es der existentiellen Staatsqualität der Mitgliedstaaten, einzelne Regelungen des Unionsrecht einen Bestandsschutz zu gewähren oder sogar mittels einer Unabänderlichkeitsklausel zu stellen (so auch M. Nettesheim, Kompetenzen, S. 462). 210 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1173; allgemein siehe auch T. von Danwitz, Grundfragen einer Verfassungsbindung der Europäischen Union, S. 1130. 211 M. ter Steeg, Eine neue Kompetenzordnung für die EU, S. 327. 212 F. C. Mayer, Der Bundesstaat in der postregionalen Konstellation, S. 452. 213 M. ter Steeg, Eine neue Kompetenzordnung für die EU, S. 326 f.; F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 597; skeptisch auch T. von Danwitz, Grundfragen einer Verfassungsbindung der Europäischen Union, S. 1130; hoffnungsvoll dagegen K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 161 f.
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e) Gemeinschaftsrechtliche kommunale Selbstverwaltung In den geltenden Verträgen von Nizza ist keine ausdrückliche Verankerung einer unionsrechtlichen kommunalen Selbstverwaltung ausmachbar. Vor allem die unter a) bis c) dargelegten Unionsprinzipien der Achtung der mitgliedstaatlichen Verfassungsidentität, der Unionstreue und der Subsidiarität kommen als normative Grundlagen einer ungeschriebenen Selbstverwaltungsgarantie in Frage214. Jedoch kann aufgrund der kommunalen Heterogenität in den europäischen Mitgliedstaaten nur von einem geringen Schutzniveau ausgegangen werden215. Somit ist das Wesen der deutschen Selbstverwaltung nur ungenügend durch das geltende Primärrecht abgesichert216. Die am 01. 09. 1988 in Kraft getretene Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (EKC), als völkerrechtliche Konvention des Europarates, vermag die Union nicht an ihre Inhalte binden. Der Gehalt der Charta entspricht weitestgehend mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG217. Jedoch ist die EU nicht Vertragspartner der EKC. Dem Vorschlag, sie solle der Charta beitreten218, steht Art. 15 Abs. 1 S. 1 EKC entgegen, nach dem nur Mitgliedstaaten des Europarats unterzeichnungsberechtigt sind. Auch eine indirekte Wirkung ist abzulehnen, da in zwei der EU-Mitgliedstaaten die Charta nicht gilt219. Somit kann die Kommunalcharta nicht zur Begründung einer unionsrechtlichen kommunalen Selbstverwaltung herangezogen werden220. 214 Dazu H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, S. 898 f.; A. Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, S. 1127 f.; A. Gern, Rechtsschutz der Kommunen in der Europäischen Union, S. 533. 215 Siehe Überblick über Heterogenität der kommunalen Selbstverwaltung in Europa bei P. Blair, Die Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung in den europäischen Staaten, DÖV 41 (1988), S. 1003 ff.; T. Groß, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, DVBl. 117 (2002), S. 1184 ff.; S. Hobe / D. Biehl / N. Schroeter, Der Einfluß des Rechts der Europäischen Gemeinschaften / Europäischen Union auf die Struktur der kommunalen Selbstverwaltung, DÖV 118 (2003), S. 806, 809. 216 T. I. Schmidt, Sind die EG und die EU an die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung gebunden?, EuR 38 (2003), S. 936 ff. Siehe aber auch Kap. VI.3.a). 217 A. Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, S. 1128; siehe auch F.-L. Knemeyer, Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, DÖV 41 (1988), S. 997 ff. 218 So H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, S. 900. 219 Zum Geltungsstand siehe conventions.coe.int. 220 T. I. Schmidt, Sind die EG und die EU an die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung gebunden?, S. 939 ff.; siehe auch H.-J. Blanke, Die kommunale Selbstverwaltung im Zuge fortschreitender Integration, S. 830; S. Hobe / D. Biehl / N. Schroeter, Der Einfluß des Rechts der Europäischen Gemeinschaften / Europäischen Union auf die Struktur der kommunalen Selbstverwaltung, S. 806.
4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes
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Ein bedeutender Schritt der Einarbeitung der Kommunalität in das europäische Primärrecht erfolgt mit in Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VVE: „Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor der Verfassung sowie die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in deren grundlegender politischer und verfassungsrechtlicher Struktur einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt.“
Während von der Achtung der regionalen Selbstverwaltung für Deutschland keine substantielle Schutzwirkung ausgeht, da die Gleichsetzung der Länderstaatlichkeit mit Selbstverwaltung ihrer Staatsqualität nicht gerecht wird221, ist die der kommunalen Selbstverwaltung als Erfolg der deutschen Kommunen zu verzeichnen. Die Anerkennung des Wesensgehaltes der kommunalen Selbstverwaltung im Rahmen der Achtung der mitgliedstaatlichen Verfassungsidentität bedeutet, dass die Union die deutsche, in Art. 28 Abs. 2 GG verankerte Kommunalität respektiert. Das Schutzniveau richtet sich nach der deutschen Verfassung, da es sich nicht um eine allgemeine, europäische kommunale Selbstverwaltungsgarantie handelt, deren Wirkung in einem Verfassungsvergleich mit den anderen Mitgliedstaaten ermittelt werden müsste, sondern um eine europäische Anerkennung der bestehenden nationalstaatlichen Formen der Selbstverwaltung. Dies ergibt die grammatikalische Auslegung des Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VVE222.
4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes Obwohl das Grundgesetz der Staatsqualität der Länder und der kommunalen Selbstverwaltung einen absoluten Bestandsschutz gewährt, werden Länder und Kommunen zunehmend in ihren Zuständigkeiten und Entscheidungsspielräumen durch die fortschreitende Integration eingeschränkt. Sowohl die umfassenden primärrechtlichen Befugnisse als auch die extensive sekundäre Rechtssetzung der Unionsorgane223 führen zu einem Bedeutungsverlust der Landesgesetzgebung, die durch den innerdeutschen Unitarisierungsprozess ohnehin deutlich verringert wurde224. Zu den Schmälerungen der legislativen Aufgaben tritt die Pflicht, einen Großteil des Gemeinschaftsrechts zu vollziehen. Die Länder drohen ihre Staats221 Siehe Kritik bei K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 294 f. 222 „Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor der Verfassung sowie die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in deren grundlegender politischer und verfassungsrechtlicher Struktur einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt.“ 223 M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, S. 95; R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 18; H.-J. Schütz, Bund, Länder und Europäische Gemeinschaften, S. 223. 224 Vgl. Kap. III.2.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
qualität zu verlieren und zu Verwaltungsprovinzen degradiert zu werden. Ähnliches gilt für die kommunale Selbstverwaltung, deren Existenz ebenso vom expansiven Unionsrecht gefährdet ist. Zum einen werden auch die Kommunen durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben gebunden und zum anderen haben mittlerweile 70 bis 80 % der durch sie auszuführenden Gesetze ihren Ursprung im Unionsrecht. Da eine abschließende Aufführung der Beeinträchtigung von Ländern und Kommunen kaum realisierbar ist, sollen stattdessen einige Bereiche exemplarisch hervorgehoben werden, in denen substantielle Eingriffe in die Länder- und Kommunalstaatlichkeit festzustellen sind: die Kulturpolitik [a)], das Kommunalwahlrecht [b)], die regionale Strukturpolitik [c)], die Daseinsvorsorge [d)] und die Finanzhoheit [e)]. Abschließend wird untersucht, ob die Zuständigkeitseinbußen zu einem Verlust der existentiellen Staatsqualität der Länder und dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen führen oder diese erheblich gefährden [f)].
a) Kulturpolitik Von der Vielzahl gemeinschaftsrechtlicher Regelungen sollen diejenigen hervorgehoben werden, die die Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnis der Länder im kulturellen Bereich beeinträchtigen. Im Reichskonkordat-Urteil wurde die Kulturhoheit und speziell die Hoheit auf dem Gebiet des Schulwesens als das Kernstück existentieller Staatsqualität der Länder bezeichnet225. Die Kulturhoheit der Länder wurde bereits vor Inkrafttreten der Verträge von Maastricht durch kulturpolitische Aktivitäten der Gemeinschaft beeinträchtigt, obwohl diese über keine allgemeine Regelungsbefugnis in diesem Bereich verfügte226. Erst mit dem Vertrag von Maastricht ist Kultur in die Tätigkeitsbeschreibung der Gemeinschaft aufgenommen worden (nun Art. 3 lit. q, Art. 151 EGV)227. Die in Art. 151 Abs. 2 EGV aufgeführten Tätigkeiten sind jedoch auf unterstützende und ergänzende Felder begrenzt, so dass die gegebene Ermächtigung nicht einen „Beitrag zur Entfaltung der Kulturen“ (Abs. 1) überschreitet228. Zusätzlich können auf Art. 308 EGV gestützt Vorschriften erlassen werden, der zu Vorhaben ermächtigt, für die weder Art. 128 Abs. 2 EGV befugt noch einer anderweitigen Vertragsbefugnis zugeordnet werden kann229. BVerfGE 6, 309 (346 f.). Siehe H. P. Ipsen, Der „Kulturbereich“ im Zugriff der Europäischen Gemeinschaft, in: W. Fiedler / G. Ress (Hrsg.), GS für Wilhelm Karl Geck, 1989, S. 339 ff.; E. Bremer / M. Esser / M. Hoffmann, Der Rundfunk in der Verfassungs- und Wirtschaftsordnung in Deutschland, 1992, S. 24 f. 227 Dazu G. Ress, Die neue Kulturkompetenz der EG, DÖV 45 (1992), S. 944 ff. 228 Siehe M. Nettesheim, Das Kulturverfassungsrecht der Europäischen Union, JZ 57 (2002), S. 162. 229 M. Niedobitek, Die kulturelle Dimension im Vertrag über die Europäische Union, EuR 30 (1995), S. 362 f. 225 226
4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes
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Neben allgemeinen kulturpolitischen Angelegenheiten werden spezielle Bereiche, wie die Bildung [aa)] oder das Rundfunkwesen [bb)], von Unionsrecht beeinträchtigt. An diesen beiden Aufgaben soll beispielhaft die Regelungsintensität der Union dargelegt und damit verdeutlicht werden, inwiefern in die Kulturhoheit der Länder durch Unionsrecht eingegriffen wird. Zur Bestimmung der Rechtmäßigkeit der Einschnitte muss gemäß dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung in einem ersten Schritt geklärt werden, ob die Union die Befugnis zu einer Regelung auf dem jeweiligen Gebiet hat. In einem zweiten Schritt müssen sich Maßnahmen der EU an den in Kap. VI.2 und VI.3 vorgestellten grundgesetzlichen Normen und Unionsprinzipien messen lassen. aa) Bildung Die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder im Bereich der Bildung wird durch Art. 74 Nr. 13, Art. 75 Nr. 1 a und Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 GG eingeschränkt. Die Union verfügt erst seit Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags über eine primärrechtliche Ermächtigungsgrundlage für Regelungen in Sachen allgemeiner und beruflicher Bildung230. Art. 149 EGV gestattet der Gemeinschaft, einen Beitrag zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung zu leisten, indem sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und in begrenztem Umfang deren Tätigkeiten unterstützt und ergänzt. Auch Art. 150 EGV, der sich auf eine Politik der beruflichen Bildung bezieht, ermöglicht lediglich Unterstützungs- und Ergänzungsmaßnahmen. Jedoch sind bereits vor dem Maastricht Vertrag weitreichende Eingriffe in die Bildungszuständigkeit der Länder festzustellen. Während die Schulbildung nur vereinzelt231 von europäischen Vorgaben geprägt wurde232, hat insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs233 zu substantiellen Eingriffen in 230 I. Berggreen / I. Hochbaum, Bildung, Ausbildung, Kultur, in: F. H. U. Borkenhagen / C. Bruns-Klöss / G. Memminger / O. Stein (Hrsg.), Die deutschen Länder in Europa, 1992, S. 52 ff.; I. Beckedorf / T. Henze, Neuere Entwicklungen in der Bildungspolitik der Europäischen Gemeinschaft, NVwZ 12 (1993), S. 127 f.; D. O. Reich, Zum Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, EuGRZ 28 (2001), S. 3. 231 Siehe bspw. Art. 12 Verordnung (1612 / 68 / EWG) v. 15. 10. 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABlEG 1968 Nr. L 257 / 2, der Kindern von Wanderarbeitern hinsichtlich ihres Zugangsrechts zum allgemeinen Unterreicht Inländern gleichstellt und der in Richtlinie (77 / 486 / EWG) v. 25. 07. 1977 über die schulische Betreuung von Wanderarbeitern, ABlEG 1977 Nr. L 199 / 32 vorgesehener kostenloser Einführungsunterricht, Unterricht in der Muttersprache und heimatlicher Landeskunde; siehe H.-J. Blanke, Europa auf dem Weg zu einer Bildungs- und Kulturgemeinschaft, 1994, S. 20 f. 232 M. Schröder, Europäische Bildungspolitik und bundesstaatliche Ordnung, 1990, S. 68. 233 Dazu C. O. Lenz, Die Rechtsprechung des EuGH im Bereich des Bildungswesens, EA 44 (1989), S. 125 ff.; I. Beckedorf / T. Henze, Neuere Entwicklungen in der Bildungspolitik der Europäischen Gemeinschaft, S. 126.
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die Hochschul- und Berufsbildung geführt234. Von Bedeutung sind die CasagrandeEntscheidung vom 03. 07. 1974235, in der der Europäische Gerichtshof feststellt, dass die Gemeinschaft zwar über keine Befugnis in der Bildungspolitik verfüge, jedoch nicht ausgeschlossen sei, dass die Ausübung anderer Rechte Auswirkung auf diesen Bereich haben, und das Gravier-Urteil vom 13. 02. 1985236, in dem das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWGV (Art. 12 EGV n. F.) für die Berufsausbildung für anwendbar erklärt wird. Dadurch dass nach der Ansicht des Europäischen Gerichtshofs der Hochschulbereich der Berufsausbildung zuzuordnen ist237, müssen die Länder Studenten aus anderen Mitgliedstaaten den Hochschulzugang in gleicher Weise ermöglichen wie deutschen Bewerbern238. Neben der Einengung des Entscheidungsspielraums der Länder im Auswahlverfahren239 wurden, gestützt auf Art. 128 EWGV, eine Vielzahl von gemeinschaftlichen Bildungsprogrammen verabschiedet240. Im Fall des ERASMUS-Programms241, das ein System zur Anerkennung von im Ausland erworbener Studiennachweise vorsieht und somit in die Zuständigkeit der Länder eingreift, wurde dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Art. 128 EWGV, der zur Verabschiedung „allgemeiner Grundsätze“ befugt, als Rechtsgrundlage für Maßnamen wie die des Aktionsprogramms ausreiche. Der Gerichtshof sah in einem auf Art. 128 EWGV gestützten Beschluss des Rates vom 02. 04. 1993242 die Ermächtigung für das ERASMUS-Programm gegeben. Zu kritisieren ist die Auslegungsmethode des Europäischen Gerichtshofs, da „zuerst . . . vom Rat sekundäres Gemeinschaftsrecht erlassen (wird), das über das Primärrecht hinausgeht, und dann . . . das Primärrecht vom EuGH unter Berufung auf das Sekundärrecht weit ausgelegt (wird), um noch weitergehendes Sekundärrecht kompetenzmäßig zu rechtfertigen“243. Weitere erhebliche BeeinträchtiP. Dröll, Die deutschen Bundesländer und die Europäische Gemeinschaft, 1992, S. 45 ff. EuGH v. 03. 07. 1974 – Rs. 9 / 74 (Donato Casagrande / Landeshauptstadt München), Slg. 1974, 733 ff. 236 EuGH v. 13. 02. 1985 – Rs. 293 / 83 (Françoise Gravier / Stadt Lüttich), Slg. 1985, 593 ff. 237 EuGH v. 13. 02. 1985 – Rs. 293 / 83 (Françoise Gravier / Stadt Lüttich), Slg. 1985, 593 (614); EuGH v. 02. 02. 1988 – Rs. 24 / 86 (Vincent Blaizot / Universität Lüttich), Slg. 1988, 379 (403 f.); EuGH v. 30. 05. 1989 – Rs. 242 / 87 (Kommission / Rat), Slg. 1989, 1425 (1456). 238 Siehe auch H. Avenarius, Zugangsrechte von EG-Ausländern im Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland, NVwZ 7 (1988), S. 388 f. 239 Vgl. M. Schröder, Europäische Bildungspolitik und bundesstaatliche Ordnung, S. 69. 240 Zu den Programmen ERASMUS I und II, COMETT I und II, LINGUA und PETRA vgl. C. D. Classen, Bildungspolitische Förderungsprogramme der EG, EuR 26 (1991), S. 12. 241 Entscheidung des Rates (87 / 327 / EWG) v. 15. 06. 1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten (ERASMUS), ABlEG 1987 Nr. L 166 / 20. 242 Beschluss des Rates (63 / 266 / EWG) v. 02. 04. 1963 über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung, ABlEG 1963 1338 / 63. 243 M. Schweitzer / W. Herzog, Bildungspolitik und EWG-Vertrag. Eine Bestandsaufnahme, ZfRV 32 (1991), S. 24 f.; Klammersätze hinzugefügt. 234 235
4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes
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gungen244 fanden durch Anerkennungs- und Koordinierungsrichtlinien statt, die neben dem Hochschulbereich vor allem die Ausbildung einzelner Berufsgruppen betreffen245. Diese Richtlinien sehen sowohl die Anerkennung von Leistungsnachweisen als auch die Festlegung von Mindestanforderungen für die jeweiligen Berufsgruppen vor. Mit dem Erlass einer Richtlinie über die allgemeine Anerkennung von Hochschulzeugnissen, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung (dreijährige Studienzeit) abschließen246, müssen jegliche Studienabschlüsse mit mindestens einer dreijährigen Studienzeit anerkannt werden. Obwohl von einer Vereinheitlichung der Studieninhalte oder Mindesterfordernissen abgesehen wird, wird in die Gestaltungshoheit der Länder indirekt eingegriffen, da diese aus Erwägungen der Konkurrenzfähigkeit deutscher Hochschulabsolventen am europäischen Markt die Studiendauer anpassen müssen247. Seit Streichung des Art. 128 EWGV wurden auf Grundlage der in den Maastricht Vertrag eingefügten Art. 126 und 127 EGV a. F. (Art. 149 und 150 EGV n. F.) beispielsweise die Förderprogramme SOCRATES (als Zusammenfassung der bisherigen Programme), LEONARDO DA VINCI und Jugend für Europa beschlossen248. Seit dem Rat von Lissabon im Jahr 2000 bestehen Bestrebungen, Regelungen für den bisher weitestgehend ausgesparten Bereich der schulischen Grundbildung zu erlassen. Sowohl für Schulen als auch für Hochschulen sollen Qualitätssicherungsverfahren und Bewertungssysteme eingeführt werden. Hierin ist eine wesentliche Intensivierung der gemeinschaftlichen Regelungsanstrengung zu se244 Siehe Kritik bei C. Baumhof, Die deutschen Bundesländer im europäischen Einigungsprozeß unter besonderer Berücksichtigung der Mitwirkung der Länder an EWG-Vorhaben, 1991, S. 5 f. 245 Richtlinie (75 / 362 / EWG) v. 16. 06. 1975 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr, ABlEG 1975 Nr. L 167 / 1; siehe entsprechende Richtlinien für Zahnärzte [(78 / 686 / EWG) v. 25. 07. 1978, ABlEG 1978 Nr. L 233 / 1], Tierärzte [(78 / 1026 / EWG) v. 18. 12. 1978, ABlEG 1985 Nr. L 362 / 1] und Apotheker [(85 / 433 / EWG) v. 16. 09. 1985, ABlEG 1985 Nr. L 253 / 37]. Richtlinie (75 / 363 / EWG) v. 16. 06. 1975 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Arztes, ABlEG 1975 Nr. L 167 / 14; siehe entsprechende Richtlinien für Zahnärzte [(78 / 387 / EWG) v. 25. 07. 1978, ABlEG 1978 Nr. L 233 / 10]; Tierärzte [(78 / 1027 / EWG) v. 18. 12. 1978, ABlEG 1978 Nr. L 362 / 7] und Apotheker [(85 / 432 / EWG) v. 16. 09. 1985, ABlEG 1985 Nr. L 253 / 34]. Zu den Anerkennungs- und Koordinierungsrichtlinien siehe R. Wägenbaur, Neue Wege zur Anerkennung der Hochschuldiplome, EuR 22 (1987), S. 114 ff.; ders., Die Einbeziehung der Hochschulen in den europäischen Integrationsprozeß, EuR 25 (1990), S. 137. 246 Richtlinie (89 / 48 / EWG) v. 21. 12. 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABlEG 1989 Nr. L 19 / 16. 247 E. Klein / M. Beckmann, Neuere Entwicklungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften, DÖV 43 (1990), S. 179. 248 Dazu und dem Folgenden D. O. Reich, Zum Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 4 f.
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hen. Während bisher vorwiegend die Zugangsmodalitäten zu nationalen Bildungseinrichtungen mit den (wettbewerblichen) Gemeinschaftsprinzipien in Einklang gebracht wurden, wird nunmehr auch auf die Bildungsinhalte Einfluss genommen249. Neben den klar umrissenen Befugnissen der Art. 149 und 150 EGV können mittels des Art. 308 EGV weitere Ermächtigungsgrundlagen zur Zielerreichung einer „qualitativ hochstehenden allgemeinen und beruflichen Bildung“ (Art. 3 Abs. 1 lit. q 1. Alt. EGV) geschaffen werden, sofern diese Materie nicht bereits geregelt oder ausgeschlossen ist250.
bb) Rundfunk Während der Rundfunk in Deutschland als Kulturgut eingeordnet wird251 und im Wesentlichen der ausschließlichen Länderzuständigkeit unterliegt, wird der Rundfunk in der Gemeinschaft als Wirtschaftsgut gesehen252 und folglich den Vertragsvorschriften über den Dienstleistungsverkehr unterworfen. Die deutsche Rundfunkverfassung war bisher Gegenstand von acht verfassungsgerichtlichen Entscheidungen253 und zählt zu den „Essentialia“ 254 der bundesstaatlichen Ordnung. Trotz scharfer Proteste der deutschen Länder verabschiedete der Rat am 03. 10. 1989 eine EG-Fernsehrichtlinie255, deren Inhalt gegenüber den Entwürfen256 etwas gemäßigter ausfiel. Neben Harmonisierung von Werberegelungen, enthält die Richtlinie Mindeststandards für den Jugendschutz sowie über das Gegendarstellungsrecht257. Kritisiert wird sowohl die aus der Sicht der Länder fehlende Ermächtigungsgrundlage, da ein kulturelles Gut nicht unter Regelungen des 249 Ohne eine Einflussnahme sind Ziele wie bspw. die „Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen, insbesondere durch Erlernen und Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten“ (Art. 149 Abs. 2 1. Spstr. EGV) oder die „Verbesserung der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung“ (Art. 150 Abs. 2 2. Spstr. EGV) kaum realisierbar. 250 Siehe auch M. Niedobitek, Die kulturelle Dimension im Vertrag über die Europäische Union, S. 362 ff. 251 BVerfGE 12, 205 (225 ff.). 252 DOK.KOM (84) 300 endg., S. 106 f. 253 BVerfGE 12, 205 ff.; 31, 314 ff.; 57, 295 ff.; 73, 118 ff.; 74, 297 ff.; 83, 238 ff.; 87, 181 ff.; 90, 60 ff. 254 R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 43. 255 Richtlinie (89 / 552 / EWG) v. 03. 10. 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABlEG 1989 Nr. L 298 / 13. 256 ABlEG Nr. C 179 v. 17. 07. 1986, geändert durch ABlEG Nr. C 110 v. 27. 04. 1988. Dazu siehe M. Borchmann, Die Europäischen Gemeinschaften im Brennpunkt politischer Aktivitäten der Bundesländer, DÖV 41 (1988), S. 629 ff. 257 Vgl. L. Seidel, „Fernsehen ohne Grenzen“, NVwZ 10 (1991), S. 121. Geändert wurde die Richtlinie durch die Richtlinie (97 / 36 / EG) v. 30. 06. 1997 zur Änderung der Richtlinie 89 / 552 / EWG, ABlEG 1997 Nr. L 202 / 60.
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Binnenmarktes fällt, sowie die fehlende Notwendigkeit eines Gemeinschaftsvorgehens258. Im Fall der Rundfunkrichtlinie wurde somit weder das Prinzip der begrenzten Ermächtigung noch das der Subsidiarität eingehalten. Die in Art. 4 und 5 der Richtlinie getroffene Quotenregelung ist allein deshalb kein verfassungswidriger Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder, da deren Rechtsverbindlichkeit durch die Proteste der Länder abgewendet wurde259.
b) Kommunalwahlrecht Mit Art. 8 b Abs. 1 des Maastrichter Gemeinschaftsvertrags (Art. 19 Abs. 1 EGV n. F.) wird in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder, das kommunale Wahlrecht zu regeln, eingegriffen. Jedem Unionsbürger wird in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, allerdings dort seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen zugestanden260. Auch wenn nicht in die Bildung von Landesverfassungsorganen, in existentielle Staatlichkeit der Länder261, eingegriffen wird, so gleichwohl in die personelle Zusammensetzung von für den Staatsaufbau unerlässliche Träger staatlicher Gewalt. Allein die sozial und politisch motivierte Zielsetzung der Integration von EU-Ausländern in den kommunalen Bereich rechtfertigt nicht die Schwere des Eingriffs262. Es handelt sich um eine Missachtung der Verfassungshoheit der Länder.
c) Regionale Strukturpolitik Neben kulturpolitischen Bereichen wird die regionale Strukturpolitik der Länder durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben in ihren Möglichkeiten eingeengt263. Zwar ist die ehemals ausschließliche Länderzuständigkeit der regionalen Strukturpolitik nunmehr teilweise durch die Einführung der Gemeinschaftsaufgabe „VerKritik bei T. Goppel, Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, S. 370. Siehe BVerfGE 92, 203 (230 ff.). 260 Siehe Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG und die Richtlinie (94 / 80 / EG) v. 19. 12. 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ABlEG 1994 Nr. L 368 / 38; S. Magiera, Kommunalwahlrecht in den EG-Mitgliedstaaten, S. 475 ff.; M. Degen, Die Unionsbürgerschaft nach dem Vertrag über die Europäische Union unter besonderer Berücksichtigung des Wahlrechts, S. 749 ff. 261 BVerfGE 1, 14 (34). 262 So aber D. O. Reich, Zum Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 7. 263 Siehe M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, S. 88; R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 37; K.-H. Rolfes, Regionale Wirtschaftsförderung und EWG-Vertrag, 1991, S. 207 f. 258 259
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besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (Art. 91 a Nr. 2 GG) reduziert worden, jedoch wird es den Ländern weiterhin ermöglicht, zusätzliche Maßnahmen zur Verringerung der Disparitäten bezüglich Wirtschaftskraft, Beschäftigung und Einkommen sowie Stabilisierung und Stärkung der lokalen und regionalen Wirtschaftskräfte264 zu ergreifen. Die bestehenden europäischen Regional- und Strukturfonds (Art. 158 ff. EGV)265 sind weitestgehend unabhängig von den Ländermaßnahmen zu sehen, da die Zielvorstellungen unterschiedlich sind266. Jedoch müssen die Länder in einem mehrstufigen Verfahren die Entscheidungen der Kommission innerstaatlich umsetzen267. Da die Union eine partielle Vollzugsbefugnis bei der Mittelgewährung durch Fonds und Förderprogramme hat, werden die Länder in ihrer Verwaltungshoheit eingeschränkt. Zudem wird der Handlungsspielraum der Länder wesentlich durch die Anwendbarkeit des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbots eingeschränkt. Eine Vielzahl von Maßnahmen der regionalen Strukturpolitik, z. B. die Gewährung von Subventionen, die auf eine Stärkung der Region im Standortwettbewerb ausgerichtet sind, fallen unter den Tatbestand der Beihilfe268. Art. 87 Abs. 1 EGV verbietet Beihilfen und definiert diese als staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Begünstigungen mit wettbewerbsverfälschender und handelsbeeinträchtigender Wirkung269. Weder die Kommission noch der Europäische Gerichtshof berücksichtigen in der Regel die Gründe oder Ziele der Gewährleistung staatlicher Unterstützung, sondern grenzen den Begriff der Beihilfe vorwiegend durch die begünstigende Wirkung einer Maßnahme ab270. Das strikte Beilhilferecht ist wesentlicher Bestandteil des in Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV vorgegebenen Ziels eines „Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt“. Die Ausnahmetatbestände der Abs. 2 und 3 kommen nur in begrenztem Maße für deutsche Regionen in Betracht. Zum einen können Beihilfen für Gebiete mit 264 Vgl. G. Püttner, Regionale Wirtschaftspolitik als zentrales Aufgabenfeld eigenverantwortlicher Landespolitik und das Beihilfen-Kontroll-Regime der EG, in: B. Vogel / G. H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, 1992, S. 67. 265 Dazu siehe Kap. IV Fn. 200. 266 Vgl. D. O. Reich, Zum Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 6 f. 267 Vgl. Kap. VI.1.b). 268 C. Koenig / J. Kühling, Reform des EG-Beihilfenrechts aus der Perspektive des mitgliedstaatlichen Systemwettbewerbs, EuZW 10 (1999), S. 517 f.; F. C. Mayer, Der Bundesstaat in der postregionalen Konstellation, S. 451; P. Zimmermann-Steinhart, Europas erfolgreiche Regionen, 2003, S. 42 ff.; 153 ff. 269 Siehe auch die Verordnung (994 / 98 / EG) v. 07. 05. 1998 über die Anwendung der Art. 92 und 93 (nunmehr Art. 87 und 88 EGV) auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen; ABlEG 1998 Nr. L 142. 270 A. von Friesen, Umgestaltung des öffentlichrechtlichen Bankensektors angesichts des Europäischen Beihilfenrechts, EuZW 10 (1999), S. 581; M. von Welser, Grundzüge des Europäischen Beihilfenkontrollrechts, JA 34 (2002), S. 241.
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rückständiger wirtschaftlicher Entwicklung genehmigt werden (Art. 87 Abs. 3 lit. c EGV), wobei als Maßstab nicht der nationale, sondern der europäische Durchschnitt herangezogen wird271. Zum anderen kann in den ostdeutschen Ländern der Tatbestand des Art. 87 Abs. 3 lit. a EGV erfüllt sein, sofern das Lebenshaltungsniveau äußerst niedrig ist und erhebliche Unterbeschäftigung herrscht272. Da der Gerichtshof jedoch seine Kontrolle lediglich auf evidente Ermessensmissbräuche der Kommission und Verfahrensfehler beschränkt, werden die Ausnahmetatbestände „zu einem Einfallstor zur Verfolgung kaum mehr kontrollierbarer, nicht nur industrie-, sondern sogar allgemeinpolitischer Ziele“273. Im Ergebnis wird der Gestaltungsspielraum der deutschen Länder durch das präventive Verbot mit Genehmigungsvorbehalt und die Kontrollen der Kommission wesentlich eingeschränkt274, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass der Kernbereich der Länderstaatlichkeit betroffen ist.
d) Daseinsvorsorge Ein weiteres Spannungsfeld tritt im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge auf. Eine Vielzahl von Leistungen, „deren der Bürger zur Sicherung seiner menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf“275, werden von Länder und Kommunen geregelt oder angeboten. Der Rechtsbegriff der Daseinsvorsorge wird im deutschen Recht nicht legaldefiniert oder inhaltlich bestimmt; dennoch kommt ihm Verfassungsrang zu276. Die Daseinsvorsorge dient der Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinen Interesse277 und umfasst beispielsweise Aufgaben aus dem Sektor der Energie-, Telekommunikations-, Verkehrs-, Wasser- und Finanzwirtschaft278. Während sie in Deutschland dem Sozialstaatsprinzip zugeordnet wird, unterliegt sie auf Unionsebene den wettbewerbsrechtlichen Normen. 271 EuGH v. 17. 09. 1980 – Rs. 730 / 79 (Philip Morris / Kommission), Slg. 1980, 2671 (2691); EuGH v. 14. 09. 1987 – Rs. 248 / 84 (Deutschland / Kommission), Slg. 1987, 4014 (4042). 272 Für alle Regionen Westdeutschlands lehnt die Kommission das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes ab; Entscheidung der Kommission (92 / 465 / EWG) v. 14. 04. 1992, ABlEG 1992 Nr. L 263 / 24; Entscheidung der Kommission (87 / 15 / EWG) v. 19. 01. 1987, ABlEG 1987 Nr. L 12 / 22. 273 C. Koenig / J. Kühling, Reform des EG-Beihilfenrechts aus der Perspektive des mitgliedstaatlichen Systemwettbewerbs, S. 519. 274 E. Stoiber, Auswirkungen der Entwicklung Europas zur Rechtsgemeinschaft auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland, EA 42 (1987), S. 547. 275 BVerfGE 66, 248 (258). 276 S. Broß, Daseinsvorsorge – Wettbewerb – Gemeinschaftsrecht, S. 874. 277 J. A. Kämmerer, Strategien zur Daseinsvorsorge, NVwZ 23 (2004), S. 29; R. Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), S. 225 f. 278 R. Ruge, Das Grünbuch der EG-Kommission zu den Leistungen der Daseinsvorsorge, ZRP 36 (2003), S. 356 f.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Obwohl die Union keine allgemeine Regelungsbefugnis für den Bereich der Daseinsvorsorge hat279, wirkt sie mittels zahlreicher Querschnittsbefugnisse auf die Erbringung derartiger Dienstleistungen ein. Werden Dritte mit ihrer Erbringung betraut, müssen die Modalitäten der Auftragsvergabe die europäischen Vorgaben beachten280. Zudem bestätigt Art. 86 Abs. 1 EGV, dass die gemeinschaftlichen Normen und insbesondere das Wettbewerbsrecht auch auf öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen besondere oder ausschließliche Rechte gewährt werden, Anwendung finden. Art. 86 Abs. 2 S. 1 EGV bestimmt, dass nur in Ausnahmefällen „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind“ nicht den europarechtlichen Bestimmungen, d. h. einschließlich denen des Wettbewerbs, unterliegen281. Die Daseinsvorsorge fällt weder unter die genannten Ausnahmen noch wird sie durch Art. 16 EGV von der Beihilfekontrolle des Art. 87 EGV befreit282. Hauptsächlich die Anwendbarkeit des Beihilferechts erweist sich als problematisch, da viele Leistungen der Daseinsvorsorge nur mit staatlicher Hilfe sichergestellt werden. Häufig ist ihre Bereitstellung nicht rentabel, so dass ein „Marktversagen“ vorliegt und der Staat korrigierend eingreifen muss283. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass die staatlichen Zuwendungen als Beihilfen i. S. d. Art. 87 Abs. 1 EGV einzuordnen sind und unter dem präventiven Verbot mit Genehmigungsvorbehalt stehen284. Neben der Gefahr, dass die langwierigen Genehmigungsverfahren die Bereitstellung der Leistungen gefährdet, kritisiert Broß richtigerweise die Unterstellung der sozialstaatlich gebotenen Daseinsvorsorge unter die Prinzipien des Wettbewerbs: 279 Art. 16 EGV gibt keine Befugnis zur Regelung der Grundsätze und Bedingungen der „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“, sondern eine Zielformulierung, wie der Verweis auf die „jeweiligen Befugnisse“ verdeutlicht. 280 Siehe bspw. Richtlinie (93 / 36 / EWG) v. 14. 06. 1993 zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABlEG 1993 Nr. L 199 / 1; Richtlinie (93 / 37 / EWG) v. 14. 06. 1993 zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABlEG 1993 Nr. L 199 / 54; Richtlinie (93 / 38 / EG) v. 14. 06. 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABlEG 1993 Nr. L 199 / 84 ff. 281 Siehe dazu exemplarisch für den öffentlich-rechtlichen Bankensektor T. Vollmöller, Öffentlichrechtliche Kreditinstitute und EU-Beihilfenrecht, NJW 51 (1998), S. 718 f. 282 Siehe S. Hobe / D. Biehl / N. Schroeter, Der Einfluß des Rechts der Europäischen Gemeinschaften / Europäischen Union auf die Struktur der kommunalen Selbstverwaltung, S. 806 f.; J. A. Kämmerer, Strategien zur Daseinsvorsorge, S. 28 ff.; C. Heinze, Daseinsvorsorge im Umbruch, BayVBl. 135 (2004), S. 33 ff. 283 C. Watrin, „Marktversagen“ versus „Staatsversagen“, 1986, S. 14 ff.; J. A. Kämmerer, Strategien zur Daseinsvorsorge, S. 31. 284 EuG v. 27. 02. 1997 – Rs. T-106 / 95 (FFSA u. a. / Kommission), Slg. 1997, II-229 ff.; EuG v. 15. 12. 1999 – verb. Rs. T-132 und T-143 / 96 (Freistaat Sachsen / Kommission), Slg. 1999, II-3663 ff.; EuG v. 10. 05. 2000 – Rs. T-46 / 97 (SIC / Kommission), Slg. 2000, II2125 ff.; EuGH v. 19. 09. 2000 – Rs. C-156 / 98 (Deutschland / Kommission), Slg. 2000, I-6857 ff.; EuGH v. 12. 12. 2002 – Rs. C-209 / 00 (Kommission / Deutschland), Slg. 2002,
4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes
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„So gesehen können Daseinsvorsorge und Wettbewerb nicht in Einklang gebracht werden, weil Daseinsvorsorge durch das Gemeinwesen eine Berücksichtigung innerer menschlicher Werte zur Voraussetzung hat. Demgegenüber ist der Wettbewerb hiervon unabhängig und unter diesem Gesichtspunkt wertneutral, vulgo rücksichtslos. . . . Ronellenfitsch hat zutreffend darauf hingewiesen, dass immer dann, wenn ,besondere Gegebenheiten‘285 dem Wettbewerb entgegenstehen, er überhaupt nicht eingeführt werden darf. Dem stimme ich zu, gehe aber noch einen wesentlichen Schritt weiter. In all den Bereichen, in denen Daseinsvorsorge eine Ausprägung des Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes in Verbindung mit der Menschenwürde ist, darf kein Wettbewerb stattfinden.“286
In der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zeichnet sich eine Trendwende ab. Bereits in der Ferring-Entscheidung vom 22. 11. 2001 hat der Gerichtshof staatliche Ausgleichszahlungen an Arzneimittelgroßhändler zur Bereitstellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen nicht als Beihilfe angesehen, da sie keine Begünstigung der Unternehmen im Sinne des Beihilfebegriffs seien287. Gefestigt wurde der angedeutete Wende in der Definition des Beihilfebegriffs in der Altmark-Entscheidung, in der der Gerichtshof vier Voraussetzungen eines Zuschusses ohne Beihilfecharakter aufstellte288. Werden staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge nicht als Beihilfen eingestuft, unterliegen sie weder der Genehmigungspflicht noch der Kontrolle des Beihilferechts289: „Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass eine staatliche Maßnahme nicht unter Artikel 92 Absatz 1 EGV (sc. Art. 87 Abs. 1 EGV n. F.) fällt, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugute kommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstige Wettbewerbsstellung gelangen.“290
Die „Entspannung“ auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge wird mit Blick auf den Verfassungsvertrag voraussichtlich nicht von langer Dauer sein. Zwar wird im I-11695 ff.; Mitteilung der Kommission zu Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, ABlEG 2001 Nr. C 17 / 4 v. 19. 1. 2001. 285 M. Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: W. Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 93. 286 S. Broß, Daseinsvorsorge – Wettbewerb – Gemeinschaftsrecht, S. 875 f. 287 EuGH v. 22. 11. 2001 – Rs. C-53 / 00 (Ferring / ACOSS), Slg. 2002, I-9067. 288 EuGH v. 24. 07. 2003 – Rs. C-280 / 00 (Altmark Trans, Regierungspräsidium Magdeburg / Altmark), Slg. 2003, I-7747 (Rdn. 89 ff.). Dazu siehe auch A. Bartosch, Die Kommissionspraxis nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Altmark, EuZW 15 (2004), S. 296 f.; J. A. Kämmerer, Strategien zur Daseinsvorsorge, S. 32 f.; M. Brenner / P. M. Huber, Europarecht und Europäisierung in den Jahren 2001 – 2003, DVBl. 119 (2004), S. 870 f. 289 Jedoch ist hervorzuheben, dass die Unternehmen das Risiko tragen müssen, die empfangenen Hilfen zurückzuzahlen, sollten sie sich im Nachhinein als unzulässige Beihilfen herausstellen; J. A. Kämmerer, Strategien zur Daseinsvorsorge, S. 33. 290 EuGH v. 24. 07. 2003 – Rs. C-280 / 00 (Altmark Trans, Regierungspräsidium Magdeburg / Altmark), Slg. 2003, I-7747 (Rdn. 87). 19 Bretz
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Grundrechtskatalog durch Art. II-96 VVE die mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge anerkannt und geachtet, jedoch gibt Art. III-122 S. 2 VVE (als Erweiterung des Art. 16 EGV) eine Ermächtigungsgrundlage für die EU zur Regelung der Grundsätze und Bedingungen der Daseinsvorsorge. Es ist nicht absehbar, welche Folgen sich durch die neue Befugnis der Union für Länder und Kommunen ergeben, wenn man bedenkt, dass bisher allein auf Grundlage von Querschnittsbefugnissen weitreichend in die Länder- und Kommunalhoheit eingegriffen wird. Besonders betroffen ist der öffentlich-rechtliche Bankensektor bestehend aus Sparkassen und Landesbanken, deren Struktur und Existenz durch das Beihilfeverbot in Frage gestellt werden könnte291. e) Finanzhoheit Die bundesdeutsche Finanzverfassung muss in Anbetracht der existentiellen Staatsqualität der Länder sicherstellen, dass deren finanzielle Unabhängigkeit gewahrt bleibt292. Durch die Verpflichtung Deutschlands seit Beginn der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden (Art. 104 i. V. m. Art. 116 Abs. 3 EGV), wird in die Finanzhoheit der Länder eingegriffen293. Art. 2 1. Spstr. des Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit294 bestätigt, dass die Haushaltsdisziplin sowohl Bund als auch Länder und Kommunen bindet295. Eine Überschreitung des erlaubten Defizits kann mit unterschiedlichen Handlungsinstrumenten geahndet werden, die von rechtlich unverbindlichen Empfehlungen bis zu Sanktionen in Form von Hinterlegung unverzinslicher Einlagen bei der Gemeinschaft oder der Zahlung von Geldbußen reichen (Art. 104 Abs. 7 – 9, 11). Zwar richten sich etwaige Strafmaßnahmen gegen den Mitgliedstaat, jedoch ist der Bund nach Art. 3 des Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit dazu verpflichtet, sie innerstaatlich umzusetzen. 291 Dazu T. Vollmöller, Öffentlichrechtliche Kreditinstitute und EU-Beihilfenrecht, S. 716 ff.; A. von Friesen, Umgestaltung des öffentlichrechtlichen Bankensektors angesichts des Europäischen Beihilfenrechts, S. 581 ff.; E. Kruse, Kommunale Sparkassen im Blickfeld des europäischen Beihilferechts, NVwZ 19 (2000), S. 721 ff. 292 Siehe Kap. III.1.b)cc). 293 Siehe H.-P. Donoth, Die Bundesländer in der Europäischen Union, 1996, S. 45 ff.; W. Renzsch, Die Subsidiaritätsklausel des Maastrichter Vertrages, ZfPar 24 (1993), S. 112. 294 Siehe weiterhin die Verordnung (1467 / 97 / EG) v. 07. 07. 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABlEG Nr. L 209 / 6. 295 Zur Sicherstellung der Einhaltung siehe V. Mehde, Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Aufteilung der Verschuldungsgrenzen des Vertrags von Maastricht?, DÖV 50 (1997), S. 622 ff.; W. Höfling, Haushaltsdisziplinierung der Länder durch Bundesrecht?, ZRP 30 (1997), S. 231 ff.; K. Stern, Die Konvergenzkriterien des Vertrags von Maastricht und ihre Umsetzung in der bundesstaatlichen Finanzverfassung, in: O. Due / M. Lutter / J. Schwarze (Hrsg.), FS für Ulrich Everling, Bd. II, 1995, S. 1469 ff.; J. Hellermann, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft und der nationale Stabilitätsakt in der bundesstaatlichen Solidargemeinschaft, EuR 35 (2000), S. 30 ff.
4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes
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Ist die Kreditaufnahme der Länder auf eine bestimmte Höhe begrenzt, so steht diese im Widerspruch mit der in Art. 109 Abs. 1 GG garantierten unabhängigen Haushaltwirtschaft296. Zu der ohnehin eingeschränkten Besteuerungshoheit tritt die Begrenzung der Kreditaufnahme, so dass in die wichtigste unabhängige Einnahmeform der Länder eingegriffen wird297. f) Prüfungsergebnis aa) Beeinträchtigung der Länderstaatlichkeit Die Beantwortung der Frage, ob die Länder trotz des europäischen Integrationsprozesses noch existentielle Staaten im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG sind, muss in Zusammenschau mit dem Unitarisierungsprozess im deutschen Bundesstaat erfolgen298. Die innerdeutsche Zentralisierung von Zuständigkeiten beim Bund durch Erweiterungen des Katalogs der konkurrierenden Gesetzgebung sowie zunehmende Wahrnehmung dieser Aufgaben, der Änderung des Umfangs der Rahmengesetzgebung und Einführung der Gemeinschaftsaufgaben hat bereits vor dreißig Jahren zu der Warnung geführt, dass die Länder Gefahr laufen, zu „Dienstleistungskörperschaften des Bundes“299 degradiert zu werden300. Im Vergleich zu den Verlusten von Länderaufgaben an den Bund sind die an die Union weitaus geringer301. Dies liegt jedoch daran, dass der „Hauptaderlaß“302 bereits durch die Umkehrung der nur ausnahmsweisen Ausübung staatlicher Befugnisse und Aufgaben durch den Bund ins Gegenteil stattgefunden hat, und somit die Zuständigkeitsverteilung zu Gunsten des Bundes verschoben wurde303. Die Union ist als weiterer Hoheitsträger neben Bund, Länder und Kommunen getreten und übt in den Bereichen der Gesetzgebung, Vollziehung aber auch Rechtsprechung304 einen Teil der deutschen Staatlichkeit aus. Unionsbefugnisse auf den 296 Siehe U. Hartmann, Europäische Union und die Budgetautonomie der deutschen Länder, 1994, S. 122. 297 W. Renzsch, Die Subsidiaritätsklausel des Maastrichter Vertrages, S. 112. Vgl. auch Kap. III.1.b)cc). 298 Siehe G.-B. Oschatz / H. Risse, Europäische Integration und deutscher Föderalismus, EA 43 (1988), S. 9. 299 G. Bovermann, Bundesländer oder Provinzen, S. 6. 300 Zu den Entwicklungslinien innerhalb der Zuständigkeitsverteilung im deutschen Bundesstaat siehe Kap. III.2. 301 F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 615; M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, S. 91; G. Ress, Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, S. 556. 302 H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 73. 303 Vgl. Kap. III.2. 304 Deutsche Gerichte sind an gemeinschaftsrechtliche Vorgaben, vor allem an das Vorabentscheidungsverfahren des Art. 234 EGV gebunden.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Gebieten der Kultur, Regionalstruktur und der Daseinsvorsorge sind nur Beispiele für Eingriffe in ursprüngliche Länderaufgaben305. Besonders kritisch ist die Beeinträchtigung der Kulturhoheit306 zu werten. Es handelt sich, angesichts des Ziels eines jeden Bundesstaates, die Vielfalt in der Einheit aufrecht zu erhalten, um „das Herzstück des Föderalismus“307. Durch die bisherigen Eingriffe der Union in die allgemeine Kulturpolitik, vor allem in Bildungsangelegenheiten und in die deutsche Rundfunkverfassung, werden die Länder an den Rand ihrer Qualität als Gliedstaaten gedrängt. Weitere substantielle Eingriffe im Kulturbereich sind mit der deutschen Bundesstaatlichkeit unvereinbar308. Ebenso wenig dürfen die den Ländern verbliebenen legislativen Aufgabenbereiche weiter geschmälert werden, da ansonsten ihr Bestand an politisch bedeutsamen Zuständigkeiten nicht mehr gewährleistet wäre. Sollten den Ländern weitestgehend lediglich Verwaltungsaufgaben verbleiben, so ist dies mit einem Verlust ihrer Staatsqualität und folglich mit einem Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG gleichbedeutend309. Die Länder befinden sich an der kritischen Schwelle zu „unselbständigen Verwaltungsprovinzen ohne eigene politische Gestaltungsmöglichkeiten“ 310. In der Literatur wird hervorgehoben, dass nicht allein die auf Unionsebene praktizierte „offene Ermächtigung“311 für die Entstaatlichung der Länder allein verantwortlich ist. Neben der Rechtsangleichungsnorm des Art. 95 EGV, der Vertrags305 Einen Überblick über die Zuständigkeitsverluste durch Gemeinschaftsrecht bei D. O. Reich, Zum Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 2 ff.; siehe auch R. Streinz, Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten unter besonderer Berücksichtigung der Regionen, BayVBl. 132 (2001), S. 485 f. 306 Vgl. Kap. VI.4.a). 307 P. Häberle, Föderalismus, Regionalismus, Kleinstaaten – in Europa, S. 8. 308 Siehe auch C. Eiselstein, Verlust der Bundesstaatlichkeit?, S. 330. 309 Anderer Ansicht R. Riegel, Gliedstaatenkompetenzen im Bundesstaat und Europäisches Gemeinschaftsrecht, DVBl. 94 (1979), S. 251: „Die Hauptbedeutung der Länder liegt aber ohnehin im Verwaltungsvollzug und vor allem auch im Bereich der Planung. Hier liegen künftig sogar zunehmend generell die Hauptaufgaben, so daß auch aus diesem Grunde die – nach Ansicht des Verfassers auch gemeinschaftsrechtlichen Gründen an sich irrelevante – Frage nach einer Verletzung von Art. 79 Abs. 3 GG eindeutig zu verneinen ist.“ 310 P. Wilhelm, Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, S. 705. Warndend auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 665; E. Stoiber, Auswirkungen der Entwicklung Europas zur Rechtsgemeinschaft auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland, S. 549; E. Schneider, Europäische Einigung, in: Hrbek, R. / Thaysen, U. (Hrsg.), Die Deutschen Länder und die Europäischen Gemeinschaften, 1986, S. 62 f.; F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 154; A. von Bogdandy, Konturen des integrierten Europas, EA 48 (1993), S. 58; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 137 m. w. N. 311 K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche / T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, S. 751 ff.; K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 124 f. I. d. S. auch E. Steindorff, Verfassungsänderung durch die EG?, AöR 116 (1991), S. 461; E. Klein, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 61 f.; F. L. Graf Stauffenberg / C. Langenfeld, Maastricht – ein
4. Prüfung des erreichten Integrationsstandes
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öffnungsklausel des Art. 308 EGV312, der integrationsfreundlichen Rechtsprechung313 und Rechtsfortbildung des Europäischen Gerichtshofs und dem vielfach fragwürdigen Rückgriff auf Querschnittsaufgaben zur Eindringung in Bereiche, die nicht in die spezifische Zuständigkeit der Union fallen314, kommt den Ländern eine Mitschuld an ihrer Entstaatlichung zu, da sie sich kaum gegen weitere Zuständigkeitsaushöhlung wehren315.
bb) Beeinträchtigung der kommunalen Selbstverwaltung Die Kommunen werden in vielerlei Hinsicht in ihrem Recht auf Selbstverwaltung durch Unionsrecht eingeschränkt316. Durch die strikte Beihilfenkontrolle wird tief in die kommunale Daseinsvorsorge eingegriffen. Im Fall der Sparkassen ist der Fortbestand ungewiss. Analog zur regionalen Strukturpolitik ist die kommunale Wirtschaftsförderung betroffen. Kommunen können die Standortentscheidungen eines Unternehmens, beispielsweise durch die Verringerung der Abgabenlast, nur noch unter Genehmigungsvorbehalt und Aufsicht der EU-Kommission beeinflussen, da derartige Maßnahmen unter den Tatbestand der Beihilfe fallen317. Obwohl Fortschritt für Europa?, S. 254; D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, S. 180; Kap. V.2.b)aa). 312 Schweitzer spricht von der Eröffnung einer „Art Kompetenzselbstbedienungsladen“; M. Schweitzer, Beteiligung der Bundesländer an der europäischen Gesetzgebung, BayVBl. 123 (1992), S. 609. 313 Siehe H. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 12; M. Nettesheim, Horizontale Kompetenzkonflikte in der EG, EuR 28 (1993), S. 243 f.; J. Wolf, Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht, S. 597. 314 R. Streinz, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, S. 48; K. Hailbronner, Die deutschen Bundesländer in der EG, S. 149; H. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 20; F. L. Graf Stauffenberg / C. Langenfeld, Maastricht – ein Fortschritt für Europa?, S. 257; R. Schwarzer, Subsidiarität, S. 284. 315 W. Graf Vitzthum, Der Föderalismus in der europäischen und internationalen Einbindung der Staaten, S. 289; U. Petersen, Zur Rolle der Regionen im künftigen Europa, S. 279; M. Brenner, Der unitarische Bundesstaat in der Europäischen Union, S. 903; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 138. Siehe auch Kap. III Fn. 81 f. 316 Siehe Überblick über Eingriffe des Unionsrechts in die Kommunalstaatlichkeit bei P. M. Mombaur / H. G. von Lennep, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung und das Europarecht, S. 991 ff.; H.-W. Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, S. 895 f., 900 ff.; R. von Ameln, Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf Kommunalpolitik und Kommunalrecht der EG-Mitgliedstaaten, DVBl. 107 (1992), S. 480 ff.; H. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der Europäischen Union, 1998, S. 26 ff.; S. Schmahl, Europäisierung der kommunalen Selbstverwaltung, S. 582 ff., 900 ff.; T. Groß, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, S. 1186 ff.; S. Hobe / D. Biehl / N. Schroeter, Der Einfluß des Rechts der Europäischen Gemeinschaften / Europäischen Union auf die Struktur der kommunalen Selbstverwaltung, S. 803 ff.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
die Steuer- und Abgabenlast ein maßgeblicher Faktor für die Kommune in ihrer Eigenschaft als Wirtschaftsstandort ist, verbietet Art. 87 ff. EGV ihre individuelle Beeinflussung. Ferner wird in die Abläufe kommunaler Verwaltungsverfahren durch europäische Vorgaben eingegriffen. Beispielsweise ist aufgrund der Richtlinie über die Umweltververträglichkeitsprüfung318, der Vogelschutz-319 und der Fauna-FloraHabitat-Richtlinie 320 das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) geändert worden. Die neuen Vorgaben beeinflussen unter anderem die kommunale Bauleitplanung, eine bedeutende Aufgabe im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts321. Für Projekte in ausgewiesenen Schutzgebieten verursacht die vorgeschriebene Verträglichkeitsprüfung zusätzlichen Verwaltungsaufwand, der sich in höheren Kosten und längerer Verfahrensdauer niederschlägt. Führen die Vorgaben dazu, dass einer Gemeinde jegliche Möglichkeit entzogen ist, Bauvorhaben zu verwirklichen322, so ist der Kernbereich ihres Rechts auf Selbstverwaltung verletzt323. Derartige Eingriffe sind verfassungswidrig. Der Ansicht, dass die Existenzbedrohung der Kommunen ein „praktisch irrelevanter“324 Extremfall sei, steht die Einschätzung gegenüber, dass die kommunale Selbstverwaltung sich langfristig nicht behaupten könne325. Die deutsche Verfassung jedoch verbietet, dass die Kommunen, „Keimzellen der Demokratie“326, durch das europäische Wettbewerbsprinzip ausgehöhlt werden327. Die dargelegten Eingriffe veranschaulichen die Tendenz, dass die Kommunen zu einer lediglich ausführenden untersten Verwaltungsebene verkommen. Mit dem Selbstverwaltungsrecht ist dies nicht vereinbar, da dies dazu befugt, eigenständig kommunale Belange zu bewältigen. 317 Dazu P. M. Mombaur / H. G. von Lennep, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung und das Europarecht, S. 991 ff.; R. Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, S. 239 f. 318 Richtlinie (85 / 337 / EWG) v. 27. 06. 1985, ABlEG Nr. L 175 / 40. 319 Richtlinie (79 / 409 / EWG) v. 02. 04. 1979, ABlEG Nr. L 103 / 1. 320 Richtlinie (92 / 43 / EWG) v. 21. 05. 1992, ABlEG Nr. L 206 / 7. 321 M. Schladebach, Der Einfluß des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, 2000, S. 152 ff. 322 Dies ist der Fall, wenn ein wesentlicher Teil des Gemeindegebiets als Schutzgebiet deklariert wurde und weder aufgrund der Verträglichkeitsprüfung noch aus Basis eines Ausnahmetatbestandes die Verwirklichung von Projekten ermöglicht wird. 323 So auch S. Hobe / D. Biehl / N. Schroeter, Der Einfluß des Rechts der Europäischen Gemeinschaften / Europäischen Union auf die Struktur der kommunalen Selbstverwaltung, S. 809. 324 T. Groß, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, S. 1187. 325 Siehe A. Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, S. 1131. 326 BVerfGE 79, 127 (149). 327 Siehe K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 261 f.
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5. Kompensation der Länderentstaatlichung durch Beteiligung an der innerstaatlichen Willensbildung? Der Schwund an Aufgaben und Befugnissen der Länder im europäischen Integrationsprozess gefährdet ihre Eigenschaft als Gliedstaaten im deutschen Bundesstaat. Art. 79 Abs. 3 GG gibt den Ländern zwar eine Bestandsgarantie, schließt jedoch nicht einzelne Aufgaben von einer Übertragung an die Union aus, sofern und solange nicht der Kern ihrer Staatlichkeit betroffen ist. Bis zur Einfügung des Art. 23 GG n. F. und Änderung des Art. 50 GG durch das 38. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. 12. 1992 enthielt das Grundgesetz keine Regelung zu der Mitwirkung der Länder in europäischen Angelegenheiten. Jedoch versuchen die Länder bereits seit den Verhandlungen über die Montanunion (EGKS) im Jahr 1951, am innerstaatlichen Willensbildungsprozess beteiligt zu werden. Obgleich die Forderung nach Konsultation des Bundesrates328 vorerst nicht berücksichtigt wurde329, konnte der Bundesrat seine Befugnisse seit dem Zustimmungsgesetz zu den Römischen Verträgen sechs Jahre später schrittweise erweitern und schließlich 1992 grundgesetzlich verankern. Die Erweiterungen der Länderbeteiligung am innerstaatlichen Willensbildungsprozess durch den Bundesrat werden meist als Ausgleich der abgegebenen Zuständigkeiten dargestellt. Der Verlust von Entscheidungsbefugnissen soll durch Mitwirkungsrechte kompensiert werden. Eine Rechtspflicht eines Ersatzes wird häufig aus dem Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens abgeleitet. Zwar weisen Art. 24 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 1 GG330 dem Bund die ausschließliche Zuständigkeit in europäischen Angelegenheiten zu, jedoch muss der Bund im Rahmen der Bundestreue Rücksicht auf die Staatsqualität der Länder nehmen331. Hieraus wird häufig eine Kompensationspflicht des Bundes abgeleitet332. Bei Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist eine am Maßstab der Gleichwertigkeit gemessene echte Kompensation kaum möglich. Werden den Ländern Beteiligungsrechte gewährt, wie es durch das Zustimmungsgesetz zu den Römischen Verträgen [a)], das Länderbeteiligungsverfahren von 1979 [b)], das Zustimmungsgesetz zu der Einheitlichen Europäischen Akte [c)] und schließlich durch die grundgesetzliche Verankerung Siehe BRat-Drs. 470 / 51 v. 29. 06. 1951. Dazu H. H. Schwan, Die deutschen Bundesländer im Entscheidungssystem der Europäischen Gemeinschaften, S. 108 f. 330 Zum „Primat der Außenpolitik“ siehe K. Stern, Staatsrecht I, S. 691 ff.; F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 145. 331 Dazu Kap. III.2.d). 332 E. Schneider, Europäische Einigung, S. 64 f.; H. Eyrich, Der Grundsatz der Bundestreue in der politischen Praxis, in: B. Vogel (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung, 1992, S. 36 f.; P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 52; anderer Ansicht K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 187 f. Ein „im föderalistischen Prinzip enthaltener Grundsatz der Kompensation“ ist jedoch nicht ableitbar; so aber W. Haegert, Organe der Länder auf Bundesebene?, S. 1140. 328 329
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[d)] geschehen ist, so ist dies kein äquivalenter Ersatz von Selbstentscheidungsrechten [e)]. a) Zuleitungsverfahren des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen (1957) Im Jahr 1957 wurde mit dem Lindauer Abkommen333 zwischen Bund und Ländern der Streit über die Abschlusszuständigkeit des Bundes bei völkerrechtlichen Verträgen, die die ausschließliche Zuständigkeit der Länder berühren, beigelegt. Es wurde festgestellt, dass der Bund grundsätzlich internationale Verträge über ausschließliche Ländermaterien schließen kann, allerdings dies in Abstimmung mit den Ländern und deren Zustimmung geschehen soll334. Die erste spezifische Vereinbarung für die Europäische Gemeinschaft wurde im selben Jahr mit Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen getroffen: „Die Bundesregierung hat Bundestag und Bundesrat über die Entwicklung im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Soweit durch den Beschluß eines Rates innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird, soll die Unterrichtung vor der Beschlußfassung des Rats erfolgen.“
Mit dieser Norm wurde eine Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat (und Bundestag) begründet. Das Verfahren, jegliche europäische Gesetzgebungsvorschläge, unabhängig von deren Auswirkung auf Bund und Länder, dem Bundesrat zuzuleiten335, ohne eine Konsultations-, geschweige denn eine Berücksichtigungspflicht zu begründen, eröffnete den Ländern vorerst nur in geringem Ausmaß die Möglichkeit, an dem innerstaatlichen Willen mitzuwirken. Bundesratsbeschlüsse zu Vorschlägen von Richtlinien und Verordnungen waren rechtlich unverbindlich, so dass von einer substantiellen Teilhabe an dem Willensbildungsprozess nicht gesprochen werden kann. Bis 1979 wurde zwischen Bund und Ländern keine Vereinbarung getroffen, die analog zum Lindauer Abkommen speziell für EG-Angelegenheiten eine Mitwirkung der Länder vorsah.
b) Länderbeteiligungsverfahren (1979) Durch einen Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz Rau vom 19. und 26. 09. 1979336 verstänAbgedruckt bei K. Stern, Staatsrecht I, S. 696 f. Siehe R. Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, HStR, Bd. VII, § 174, Rdn. 17; R. Sturm, Föderalismus in Deutschland, 2003, S. 112 ff. 335 Das Zuleitungsverfahren beschreibt H. H. Schwan, Die deutschen Bundesländer im Entscheidungssystem der Europäischen Gemeinschaften, S. 110 f.; vgl. auch M. Große Hüttmann / M. Knodt, Die Europäisierung des deutschen Föderalismus, Aus Politik und Zeitgeschichte v. 22. / 29. 12. 2000, S. 35. 333 334
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digten sich Bund und Länder auf eine weitergehende Zusammenarbeit in europäischen Angelegenheiten337. Demzufolge bestand in Materien des ausschließlichen Zuständigkeitsbereichs der Länder die Pflicht zu enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit. Diese Feststellung erinnert an das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens. Erstmals wurde den Ländern das Recht gewährt, in den angesprochenen Angelegenheiten ihren Standpunkt umfassend darzulegen. Von dieser Stellungnahme konnte der Bund nur aus zwingenden Gründen unter Angabe derselben abweichen. Die Kritik an der Vereinbarung von 1979, vor allem an ihrer rechtlichen Form als Briefwechsel und dem seltenen Rückgriff auf das Recht auf Stellungnahme durch die Länder338, ließ die Diskussionen um eine förmliche Verankerung und weitere Ausdehnung der Rechte jedoch nicht verstummen.
c) Bundesratsverfahren des EEAG (1986) Die Länder nutzten im Rahmen der Ratifikation der Einheitlichen Europäischen Akte ihren Einfluss über den Bundesrat und knüpften ihr positives Votum zum Zustimmungsgesetz (EEAG vom 19. 12. 1986339) an die gesetzliche Verankerung von Mitwirkungsrechten. In Art. 2 EEAG340 wird das so genannte Bundesratsverfahren normiert, das neben das fortbestehende Zuleitungsverfahren von 1957 tritt (Abs. 1)341. Die Intensität der Informationspflicht des Bundes über EG-Angelegenheiten wird auf eine „umfassende“ Unterrichtung gesteigert. Zusätzlich wird dem Bundesrat das Recht zur Stellungnahme gegeben (Abs. 2), von der die Bundesregierung, ebenso wie es das informelle Länderbeteiligungsverfahren von 1979 vorsah, in Materien, die in ausschließlicher Landeszuständigkeit sind oder deren wesentliches Interesse berühren, nur in Ausnahmefällen unter Angabe der Gründe abweichen darf (Abs. 3 – 4). Ansonsten sind die Stellungnahmen nicht bindend, sollen aber zu der Willensbildung des Bundes beitragen. Zusätzlich wurden in der 336 Abgedruckt bei R. Morawitz, Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Gemeinschaft, 1981, S. 102 ff. 337 Dazu und dem Folgenden siehe H. H. Schwan, Die deutschen Bundesländer im Entscheidungssystem der Europäischen Gemeinschaften, S. 112 ff.; M. Borchmann, Bundesstaat und europäische Integration, AöR 112 (1987), S. 593 ff. 338 Zu der Kritik siehe I. Hannaleck / W. Schumann, Die Beteiligung der Länder an der EGPolitik des Bundes, ZfPar 14 (1983), S. 362 ff. 339 BGBl. 1986 II S. 1102. 340 Abgedruckt bei E. Grabitz, Die deutschen Länder in der Gemeinschaft, EuR 22 (1987), S. 314. Dazu ausführlich M. Borchmann, Bundesstaat und europäische Integration, S. 605 ff. 341 Siehe dazu H. Bethge, Die Rolle der Länder im deutschen Bundesstaat und ihre rechtlichen Einflußmöglichkeiten auf die nationale Gemeinschaftspolitik, in: H. A. Kremer (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Spanien 1992, 1989, S. 42 ff.; W. Rudolf, Die Bundesländer und die europäische Einigung, in: D. Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 1990, S. 269 ff.; M. Schweitzer, Beteiligung der Bundesländer an der europäischen Gesetzgebung, S. 610 f.
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in Art. 2 Abs. 6 EEAG vorgesehenen zusätzlichen Bund-Länder-Vereinbarung vom 17. 12. 1987342 die Einzelheiten der Teilnahmemöglichkeit von Ländervertretern an Beratungsgremien des Rates und der Kommission geregelt (Abs. 5). In Anpassung an das neue Verfahren wurde 1988 die Geschäftsordnung des Bundesrates (GeschO-BRat) um die §§ 45 a – k ergänzt343 und eine „Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft“ gegründet. Durch sie wird eine flexible und zügige Beteiligung in vertraulichen und eilbedürftigen EG-Vorlagen gewährleistet, da die Bundesratskammer anstelle des Plenums entscheidet344. Ein wesentlicher Kritikpunkt an der Verankerung der Rechte des Bundesrates durch Art. 2 EEAG ist, dass es sich nicht um eine Lösung auf verfassungsrechtlicher Ebene handelt345. d) Grundgesetzänderung vom 21. 12. 1992 Im Rahmen der Verhandlungen zu dem Vertrag von Maastricht wurde mit Art. 23 Abs. 1 GG nicht nur eine neue Ermächtigungsgrundlage für die EU-Mitgliedschaft geschaffen, sondern auch die Mitwirkungsbefugnisse von Bundestag und Bundesrates verfassungsrechtlich verankert und ausgeweitet. Während die Regelungen über den Bundestag in Art. 23 Abs. 2 – 3 GG und dem gemäß Art. 23 Abs. 3 S. 3 GG erlassenen Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) relativ spärlich ausfallen346, werden die Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates detailliert in den Art. 23 Abs. 2 und 4 – 6 sowie dem gemäß Art. 23 Abs. 7 GG erlassenen Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG)347 und der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union in Ausführung von § 9 EUZBLG (BLV) geregelt. Neben der Einfügung des Art. 23 GG n. F. wurde 1992 unter anderem Art. 50 GG geändert, der nunmehr den Grundsatz der Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat auch in Angelegenheiten der Europäischen Union statuiert. Dies wiederholen sowohl Art. 23 Abs. 2 S. 1 GG als auch § 1 EUZBLG. Damit hat der Ver342 Abgedruckt bei S. Magiera / D. Merten, Bundesländer und Europäische Gemeinschaft, 1988, S. 265 f. 343 BGBl. I 1988 S. 857. Dazu H. Risse, Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft im Bundesrat, NJW 41 (1988), S. 2780 f.; H.-J. Schütz, Die EG-Kammer, NJW 42 (1989), S. 2160 ff. 344 Siehe W. Rudolf, HStR, Bd. IV, § 105, Rdn. 77 f. 345 H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 63; sehr kritisch auch G. Jooss / K.-D. Scheurle, Die bundesstaatliche Ordnung im Integrationsprozeß, EuR 24 (1989), S. 235. 346 Dazu sowie zu Art. 45 GG siehe R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 17 f., 92, 94, 112 f.; R. Streinz, HStR, Bd. VII, § 182, Rdn. 47. 347 BGBl. I 1993, S. 313.
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fassungsgesetzgeber das Prinzip, dass nicht jedes Land für sich Mitwirkungsbefugnisse erhält, sondern die Rechte gemeinsam über den Bundesrat, ein Verfassungsorgan des Bundes, ausüben, verankert348. Die Verpflichtung der Bundesregierung, den Bundesrat umfassend und so schnell wie möglich zu unterrichten (Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG), ist die Grundvoraussetzung dafür, dass der Bundesrat seine Mitwirkungsbefugnisse effektiv wahrnehmen kann349. Die Informationspflicht tritt nach § 2 EUZBLG neben die weitergeltenden Verpflichtungen, die durch Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen gegeben wurde. Die Vorschriften des Art. 2 EEAG dagegen werden gemäß § 15 EUZBLG aufgehoben. Die Ausgestaltung der einzelnen Mitwirkungsrechte des Bundesrates wird durch Art. 23 Abs. 5 – 6 GG sowie den Vorschriften des EUZBLG und der BLV vorgenommen [aa)]. Sie folgt dem Grundsatz des Art. 23 Abs. 4 GG, der besagt, dass der Bundesrat in den Fällen an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen ist, in denen „er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder . . . die Länder zuständig wären“350. Dabei ist die Formulierung insoweit missglückt, als sie die Mitwirkung des Bundesrates für den Fall einzuschränken scheint, in dem weder die Länder zuständig sind noch der Bundesrat innerstaatlich beteiligt wird. Bei der Gesetzgebung ist dies doch stets der Fall, da entweder die Länder die Gesetzgebungsbefugnis haben oder der Bundesrat seine Befugnisse bei Zustimmungs- oder Einspruchsgesetzen wahrnimmt. Handelt es sich um europäische Angelegenheiten, bei denen es keine „entsprechenden innerstaatlichen Maßnahmen“ gibt, wie es bei der Begründung der dritten Stufe der Währungsunion der Fall war, steht dem Bundesrat ebenfalls das Recht und die Pflicht zur Mitwirkung zu351. Die bereits 1988 durch Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates gegründete Europakammer352 findet seit 1992 ebenfalls eine Rechtsgrundlage im Grundgesetz. Mit der Einfügung des Art. 52 Abs. 3 a GG wurde der Kritik begegnet, der Schaffung der Europakammer durch die Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates von 1988 fehle die verfassungsrechtliche Verankerung [bb)].
348 G.-B. Oschatz, Die Mitwirkung der Länder an der europäischen Rechtsetzung als Mittel zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips, in: D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1993, S. 49; M. Meißner, Die Bundesländer und die Europäischen Gemeinschaften, 1996, S. 243. 349 W. Fischer, Die Europäische Union im Grundgesetz, ZfPar 24 (1993), S. 41; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 122. 350 Siehe M. Mähring, Die Mitwirkung des Bundesrates und der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat und Europäische Union, 1997, S. 27. 351 K. A. Schachtschneider, Die Verantwortlichkeit des Bundesrates beim Schritt zur dritten Stufe der Währungsunion, 1998 (unveröffentliches Papier), S. 1 f. 352 Siehe Kap. VI.5.c).
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aa) Gestufte Mitwirkungsrechte (1) Verpflichtung der Berücksichtigung (Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG) Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates richten sich in ihrer Intensität nach dem Grad der Betroffenheit der Länder. Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG sieht vor, dass seine Stellungnahmen „berücksichtigt“ werden, wenn entweder dem Bund in dem jeweiligen Bereich die ausschließliche Zuständigkeit zukommt und Länderinteressen berührt werden oder „im übrigen der Bund das Recht zu Gesetzgebung hat“. Die erste Alternative bezieht sich auf die in Art. 73 und Art. 86 ff. GG aufgezählten Materien ausschließlicher Bundeszuständigkeit353. Weder Art. 23 GG noch das EUZBLG bestimmen näher, in welchen Fällen anzunehmen ist, dass die „Interessen der Länder berührt sind“. Aus der Natur der ausschließlichen Bundesgesetzgebung und -verwaltung lässt sich schließen, dass nur in Ausnahmefällen Belange der Länder betroffen sind. Somit wird vertreten, dass Länderinteressen bereits vorliegen, wenn in irgendeiner Art ihre Belange tangiert werden354. Zudem ist davon auszugehen, dass es ausreichend ist, wenn die Interessen eines einzigen Landes betroffen sind355. Der Wortlaut verschafft hierüber keine Klarheit, jedoch könnte anderenfalls der dem Bundesstaat immanenten Vielfalt nicht Rechnung getragen werden. Der zweite Fall bezieht sich auf den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung. Die Stellungnahme des Bundesrates muss nicht berücksichtigt werden, wenn ein Bereich in den Katalogen der Art. 74, 74 a oder 75 GG aufgeführt wird, sondern erst, wenn zudem die Voraussetzung für eine bundesgesetzliche Regelung (Art. 72 Abs. 2 GG) erfüllt ist356. Die Rechtsfolge besteht in beiden Fällen in der Pflicht der Bundesregierung, die Stellungnahme zu „berücksichtigen“, ohne dass dem Bund dadurch sein Letztentscheidungsrecht im Rahmen der Willensbildung in europäischen Angelegenheiten genommen wird357. Vielmehr muss er sich mit den Argumenten des Bundesrates auseinandersetzen und diese in seine Entscheidung einbeziehen, wobei er rechtlich an die Erklärung gebunden ist358. Siehe Kap. III.2.a) zu der Zuständigkeitsverteilung im deutschen Bundesstaat. R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 105; R. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 158. 355 C. Schede, Bundesrat und Europäische Union, 1994, S. 120. 356 R. Morawitz / W. Kaiser, Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Union, 1994, S. 95. Anderer Ansicht M. Meißner, Die Bundesländer und die Europäischen Gemeinschaften, S. 253 f.; R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 105. Zu der Ansicht, der Bund müsse sein Gesetzgebungsrecht in Anspruch genommen haben, siehe unter Kap. VI.5.d)aa)(2). 357 P. Lerche, Zur Position der deutschen Länder nach dem neuen Europa-Artikel des Grundgesetzes, in: J. Hengstschläger / H. F. Köck / K. Korineck / K. Stern / A. Truyol y Serra (Hrsg.), FS für Heribert Schambeck, 1994, S. 763 f. 353 354
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(2) Verpflichtung der maßgeblichen Berücksichtigung (Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG) Eine umfassendere Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates sieht Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG für die Fälle vor, in denen im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind. Durch die Steigerung auf eine „maßgebliche“ Pflicht zur Berücksichtigung kommt dem Bundesrat im Regelfall ein Letztentscheidungsrecht zu359. Umstritten ist der Umfang der Materien, der unter den Begriff „Gesetzgebungsbefugnisse der Länder“ zu subsumieren ist. Eindeutig werden alle Bereiche hierunter gefasst, für die eine ausdrückliche Zuständigkeitszuweisung an den Bund fehlt oder die der konkurrierenden Gesetzgebung und Rahmengesetzgebung unterliegen, ohne dass die Voraussetzung des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt ist360. Macht der Bund trotz Erfüllung der Bedürfnisklausel von seinem Gesetzgebungsrecht nicht Gebrauch, so ist es strittig, ob dieser Fall der einfachen (Art. 23 Abs. 5 S. 1 GG) oder der maßgeblichen Berücksichtigung (Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG) unterliegt. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass diese Fallkonstellation lediglich der einfachen Berücksichtigungspflicht zuzurechnen ist361. Es soll darauf Rücksicht genommen werden, dass der Bundesgesetzgeber bewusst auf eine innerstaatliche Regelung verzichtet. Es widerläuft dem Sinn des Art. 23 Abs. 5 S. 1 – 2 GG, dass der Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und Rahmengesetzgebung bei Erfüllung der Bedingung des Art. 72 Abs. 2 GG innerstaatliche Regelungen ergreift, nur damit die maßgebliche Berücksichtigungspflicht entfällt362. Lang stützt diese Ansicht, indem sie darauf verweist, dass ansonsten ein ausdrücklicher Verweis auf Art. 72 ff. GG angebracht gewesen wäre363. Dieser Auffassung widerspricht der Bundesrat, der sich ebenfalls auf den Wortlaut der Norm beruft. Nach Art. 72 Abs. 1 GG haben „die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung“ bis der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch macht. Der nahezu gleiche Terminus der „Gesetzgebungsbefugnis der Länder“ ist somit im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung solange gegeben bis kumulativ die Bedürfnisklausel erfüllt ist und der Bund von seiner Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht hat364. 358 R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 105; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 126. 359 R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 120. 360 R. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, S. 171. 361 BReg, BT-Drs. 12 / 3338, S. 8. Ebenso P. Badura, Das Staatsziel „Europäische Integration“ im Grundgesetz, in: J. Hengstschläger / H. F. Köck / K. Korineck / K. Stern / A. Truyol y Serra (Hrsg.), FS für Heribert Schambeck, 1994, S. 899; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 126; R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 105. 362 So auch W. Fischer, Die Europäische Union im Grundgesetz, S. 43. 363 R. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, S. 162 f.
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Den Verhandlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zufolge, gibt die Pflicht, die Stellungnahme des Bundesrates „maßgeblich“ zu berücksichtigen, diesem ein Letztentscheidungsrecht 365. Das Verfahren der Entscheidungsfindung wird in § 5 Abs. 2 S. 3 – 5 EUZBLG näher geregelt. Besteht zwischen den Auffassungen der Bundesregierung und des Bundesrates Uneinigkeit, ohne dass eine erneute Beratung ein Einvernehmen herbeiführt, so ist die Auffassung des Bundesrates maßgebend. Zuvor muss er mit zwei Drittel seiner Stimmen seine ursprüngliche Stellungnahme bestätigen, ohne dass geklärt wird, wie zu verfahren sei, wenn dieser Beharrungsbeschluss nicht die vorgesehene Mehrheit vereint366. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Bundesrat sein Letztentscheidungsrecht bei lediglich einfacher Mehrheit verwirkt, da die explizite Forderung einer Zwei-DrittelMehrheit ausschließt, dass eine einfache Mehrheit zu der gleichen Rechtsfolge führt367. Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG sowie § 5 Abs. 2 S. 1 – 2 EUZBLG schränken die Pflicht einer maßgeblichen Berücksichtigung ein. Erstens müssen die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder „im Schwerpunkt“ betroffen sein. Dieser Rechtsbegriff wird sowohl im Grundgesetz selbst als auch im EUZBLG offen gelassen. Auch Ziff. II Nr. 2 S. 3 – 4 BLV368 konkretisiert den Rechtsbegriff nicht. Es handelt sich lediglich um eine Begriffsumschreibung mit weiteren offenen Begriffen369. Hiermit zu vereinbaren ist die Auffassung der Bundesregierung, nach der Länderbereiche in einer umfassenden Abwägung im Mittelpunkt oder überwiegend den Regelungsbestand des Vorhabens bilden müssen370. Zusätzlich folgt aus dem Terminus „insoweit“, dass sich die Bindung an die Stellungnahme lediglich auf jene Bereiche be364 BRat, BT-Drs. 12 / 3338, S. 12. So auch P. Wilhelm, Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, S. 709; H.-P. Donoth, Die Bundesländer in der Europäischen Union, S. 205. 365 F. Möller, GVK 1992 / 93, StenBer. 8. Sitzung am 26. 06. 1992, S. 5; H. Schnoor, GVK 1992 / 93, StenBer. 8. Sitzung am 26. 06. 1992, S. 8. Ebenso U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 208; R. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), S. 427; C. Schede, Bundesrat und Europäische Union, S. 139; K.-P. Sommermann, Die Stärkung der Mitsprache der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union durch die Grundgesetzänderung von 1992, S. 385; H.-G. Kamann, Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedstaaten an der europäischen Gesetzgebung, 1997, S. 89; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 127; anderer Ansicht R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 108 ff. 366 R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 109 unter Hinweis auf die bisherige praktische Irrelevanz dieser Konstellation. 367 G.-B. Oschatz / H. Risse, Die Bundesregierung an der Kette der Länder?, DÖV 48 (1995), S. 443; R. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, S. 180 ff. 368 „Hinsichtlich des Regelungsschwerpunkts des Vorhabens ist darauf abzuzielen, ob eine Materie im Mittelpunkt des Vorhabens steht oder ganz überwiegend Regelungsgegenstand ist. Das ist nicht quantitativ bestimmbar, sondern das Ergebnis einer qualitativen Beurteilung.“ 369 G.-B. Oschatz / H. Risse, Die Bundesregierung an der Kette der Länder?, S. 443 f. 370 BReg, BT-Drs. 12 / 3338, S. 9. Anderer Ansicht P. Wilhelm, Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, S. 709. Kritik hieran bei R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 128.
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zieht, die die Länder schwerpunktmäßig betreffen und nicht etwa auf die gesamte Angelegenheit371. Als zweite Einschränkung der maßgeblichen Berücksichtigung kommt die in Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG erwähnte Pflicht zur Wahrung der „gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes“ in Betracht. Vereinzelt wird hieraus die Befugnis der Bundesregierung abgeleitet, von der Stellungnahme des Bundesrates abzuweichen, wenn ansonsten die gesamtstaatliche Verantwortung nicht gewährleistet werden kann372. Es wird jedoch verkannt, dass der Bundesrat als Verfassungsorgan des Bundes i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG nicht minder als die Bundesregierung Träger der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes ist373. Dieses bestätigt Art. 20 Abs. 3 GG. Somit wird das Letztentscheidungsrecht durch diesen Zusatz nicht zusätzlich eingeschränkt374. Kommt der Bundesrat seiner Verfassungstreue nicht nach, so kann die Bundesregierung im Verfahren des Organstreits (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) das Verfassungsgericht anrufen. Im Unterschied zu der Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung kommt der in Art. 23 Abs. 5 S. 3 GG niedergelegten Haushaltsrelevanz des Bundes eine einschränkende Wirkung des Letztentscheidungsrechts des Bundesrates zu. Führt die Position des Bundesrates zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmenminderungen des Bundes, d. h. zu zusätzlichen Belastungen, die nicht bereits durch die Vorstellungen der Bundesregierung impliziert sind375, so hat die Bundesregierung für diesen Teil des Vorhabens ein Vetorecht376. Gegen die Ansicht, dass anstelle einer fundierten Prognose bereits eine Einschätzung der Haushaltswirkung einen Zustimmungszwang rechtfertige377, spricht die Gefahr einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Mitwirkungsrechts378.
371 Vgl. R. Morawitz / W. Kaiser, Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Union, S. 96. 372 M. Herdegen, Die Belastbarkeit des Verfassungsgefüges auf dem Weg zur Europäischen Union, S. 593; I. Winkelmann, Die Bundesregierung als Sachwalter von Länderrechten, DÖV 49 (1996), S. 9; R. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, S. 188. 373 R. Scholz, Europäische Union und deutscher Bundesstaat, S. 823; K. Stern, Staatsrecht I, S. 745. 374 P. Badura, Der Bundesstaat Deutschland im Prozeß der europäischen Integration, S. 21; G.-B. Oschatz / H. Risse, Die Bundesregierung an der Kette der Länder?, S. 443; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 129. 375 H.-P. Donoth, Die Bundesländer in der Europäischen Union, S. 212 f. 376 C. Schede, Bundesrat und Europäische Union, S. 151 f. 377 So R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 130. 378 Vgl. G.-B. Oschatz / H. Risse, Die Bundesregierung an der Kette der Länder?, S. 443.
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(3) Aufgabenwahrnehmung durch Vertreter der Länder (Art. 23 Abs. 6 GG) Die höchste Stufe der Ländermitwirkung sieht Art. 23 Abs. 6 GG i. V. m. § 6 Abs. 2 – 4 EUZBLG für die Konstellation vor, dass im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. Während für die Fälle des Art. 23 Abs. 5 GG der § 6 Abs. 1 EUZGBL lediglich die Möglichkeit des Hinzuziehens eines weitestgehend beobachtenden Ländervertreters ermöglicht, nimmt in Bereichen ausschließlicher Länderzuständigkeit der Ländervertreter die deutschen Rechte auf Unionsebene wahr379. Die Entsendung eines Ländervertreters wird durch Art. 203 Abs. 1 EGV ermöglicht, sofern dieser Ministerrang hat. Bezüglich der Vorschriften über den Vertreter der Länder stellen sich vornehmlich drei Fragen: erstens nach der Bestimmung des Anwendungsbereichs, zweitens, da es sich um eine „Soll“-Bestimmung handelt, um die Identifizierung der Ausnahmen und letztlich nach der Abgrenzung des Umfangs der Mitwirkungsrechte. Ein Ländervertreter wird durch den Bundesrat ernannt380, wenn ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder schwerpunktmäßig betroffen sind. Zu der Bestimmung des Rechtsbegriffs „im Schwerpunkt“ sei auf die obigen Ausführungen verwiesen, die darlegen, dass nicht ein, sondern der Schwerpunkt angenommen werden muss. Der Terminus der ausschließlichen Ländergesetzgebung ist kein Begriff der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und wird erst durch Art. 23 GG eingeführt381. Nur vereinzelt werden ausschließliche Länderzuständigkeiten als diejenigen Materien bestimmt, für die der Bund keine Regelungsbefugnis hat, d. h. einschließlich konkurrierender Zuständigkeiten, bei denen die Bedürfnisklausel Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllt ist382. Zu folgen ist der herrschenden Lehre, die in Übereinstimmung mit der Gemeinsamen Verfassungskommission hierunter alle Materien fasst, für die der Bund keine Zuständigkeitstitel hat383. Somit handelt es sich um Gebiete, die der ausschließlichen Bundes-, der Rahmengesetzgebung oder der konkurrierenden nicht unterliegen, unabhängig wer diese tatsächlich ausübt. Die Bestimmung des Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG ist eine „Soll“-Bestimmung, die, wie im öffentlichen Recht üblich, keine Willkür eröffnet, sondern als eine Verpflichtung mit begrenzten und begründeten Ausnahmen verstanden werden Dazu V. Neßler, Die „neue Ländermitwirkung“ nach Maastricht, EuR 29 (1994), S. 224. Es handelt sich somit um kein Länderorgan. Wenn auch zweifelnd, so aber explizit anders bei K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 204. 381 Hierauf verweist A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 223. 382 So R. Morawitz / W. Kaiser, Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Union, S. 110. 383 Bericht der GVK, BT-Drs. 12 / 6000, S. 24; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 135; R. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, S. 205. 379 380
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muss384. Keinesfalls ermöglicht sie der Bundesregierung aus Gründen administrativer oder politischer Opportunität die Rechte selbst wahrzunehmen385. Hat Deutschland den Vorsitz im Rat inne und ist bereits eine Einigung im Ausschuss der Ständigen Vertreter (Art. 207 Abs. 1 EGV) erzielt, sieht § 6 Abs. 3 – 4 EUZBLG einen Ausnahmetatbestand vor, indem die Ausübung von Rechten bei der Bundesregierung verbleibt. Auch kann das Mandat des Ländervertreters entzogen werden, wenn er die „gesamtstaatliche Verantwortung“ nicht wahrt386. Die übertragenen Rechte werden „unter Beteiligung und in Abstimmung“ mit der Bundesregierung ausgeübt. Eine Beteiligung kann naturgemäß die Wahrnehmung der Rechte des Bundesrates nicht einschränken. Im Unterschied dazu hat die Pflicht zur Abstimmung einschränkende Wirkung. Allgemein kritisiert wird das Verständnis der Gemeinsamen Verfassungskommission, Abstimmung tendenziell eher als „Benehmen“ denn als „Einvernehmen“ auszulegen. Da jedoch ersteres lediglich der Bundesregierung ein Recht zur Stellungnahme einräumt und dem Bundesrat das Letztentscheidungsrecht belässt, wohingegen letzteres ein Einverständnis voraussetzt, ist nicht ersichtlich, wie eine Interpretationsspanne zwischen diesen zwei grundsätzlich konträren Konzepten gegeben sein soll387. Dagegen erhellt der Hinweis des § 6 Abs. 2 S. 4 EUZBLG, der die Abstimmung im Fall einer sich ändernden Verhandlungsgrundlage unter die Kriterien der internen Willensbildung, d. h. unter die Regeln des Art. 23 Abs. 5 GG stellt. bb) Europakammer des Bundesrates Gleichzeitig mit Art. 23 GG wurde Art. 52 Abs. 3 a GG eingefügt, der die Möglichkeit vorsieht, dass der Bundesrat Beschlüsse in EU-Angelegenheiten statt im Plenum in einer Europakammer fasst. Das Plenum besteht nur aus je einem Mitglied der Landesregierungen, wobei sich die Stimmenabgabe und -gewichtung nach Art. 51 Abs. 2 und 3 S. 2 GG richtet und somit nicht von der des Plenums abweicht. Gegründet wurde die Kammer für eilbedürftige Vorlagen bereits 1988 per Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates388. Grund für die Einfügung der grundgesetzlichen Norm waren verfassungsrechtliche Bedenken des praktizierten Verfahrens. Es stellte sich bereits bei der aus384 A. Kleffner-Riedel, Die Mitwirkung der Länder und Regionen im EU-Ministerrat, BayVBl. 126 (1995), S. 106; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 134. 385 So aber BReg, BT-Drs. 501 / 92, S. 12. Kritik bei P. Wilhelm, Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, S. 710; R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 116. 386 C. Schede, Bundesrat und Europäische Union, S. 173. 387 Kritik bei R. Streinz in: M. Sachs, Art. 23, Rdn. 117; R. Scholz, Europäische Union und deutscher Bundesstaat, S. 824; ders. in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 138. 388 Siehe Kap. VI.5.c). Die GeschO-BR wurde 1993 anlässlich der Einführung des Art. 52 Abs. 3 a GG erneut modifiziert; dazu K.-P. Sommermann, Die Stärkung der Mitsprache der Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union durch die Grundgesetzänderung von 1992, S. 387.
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geprägten Mitwirkung des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten, wie sie Art. 2 EEAG vorsah, die Frage, ob derartige Rechte eine Grundlage im Grundgesetz haben müssten389. Weitaus problematischer wurde die Gründung der Europakammer durch alleinige Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates gesehen390. Durch die Einfügung des Art. 52 Abs. 3 a GG werden die Bedenken gegen ein, materiell betrachtet, Unterorgan des Bundesrates ohne Verfassungsgrundlage ausgeräumt. Durch die Europakammer passt sich der Bundesrat an die Eilbedürftigkeit der EU-Vorlagen an und kann wirkungsvoll seiner Rolle als Träger der Mitwirkungsrechte gerecht werden391.
e) Kompensationswirkung Vielfach wird die Beteiligung der Länder an der innerstaatlichen Willensbildung als Kompensation für den Verlust an Aufgaben und Befugnissen durch Übertragung an die EU dargestellt. Diese Ansicht überzeugt nicht. Erstens muss der Ausgleich zulässig sein und zweitens ist er am Maßstab der Äquivalenz zu beurteilen392. Zu der Ausgleichszulässigkeit lässt sich anführen, dass ein Ersatz der abgegebenen Aufgaben und Befugnisse einen Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG zuvorkommen soll. Die Beteiligungsrechte sollen als Surrogate wirken und somit verhindern, dass die Länder ohne substantielle Aufgaben bleiben und dadurch ihre Qualität als Gliedstaaten verlieren. Prinzipiell ist ein Ausgleich statthaft, weil das mit Art. 79 Abs. 3 GG zu vereinbarende „Hausgut“ keinen abschließenden Katalog darstellt, sondern lediglich unter Wahrung einer Reihe von Grundsätzen im Einzelfall bestimmt werden kann. Jedoch ist die Einräumung von Beteiligungsrechten nur dann ein Ersatz, wenn dieser gleichwertig zu den abgegebenen Länderaufgaben ist393. Die vorausgesetzte Äquivalenz wäre dann gegeben, wenn ein neu gewährtes Recht qualitativ mit dem abgegebenen übereinstimmt und somit einen Einschnitt in die Länderstaatlichkeit abwendet. Aus mehreren Gründen kann nicht von einer Gleichwertigkeit ausgegangen werden: Erstens werden nach Art. 50 i. V. m. 23 GG die Beteiligungsrechte der Länder durch den Bundesrat wahrgenommen. Dieser ist ein oberstes Verfassungsorgan des Bundes und folglich nicht durch die Landesverfassungen gebunden oder den LanR. Streinz, HStR, Bd. VII, § 182, Rdn. 47. Argumente bei H.-J. Schütz, Die EG-Kammer, S. 2160 ff. 391 R. Scholz, Europäische Union und deutscher Bundesstaat, S. 820. 392 Dogmatik bei E. Klein, Die Kompetenz- und Rechtskompensation, DVBl. 96 (1981), S. 661 ff. 393 K. Hesse, Bundesstaatsreform und Grenzen der Verfassungsänderung, S. 21; siehe auch M. Herdegen, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, S. 10. 389 390
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desorganen verantwortlich394. Es widerspricht der Äquivalenz, Landes- durch Bundesbefugnisse zu ersetzen395. Auch wenn der Bundesrat angesichts seiner Zusammensetzung dasjenige Bundesorgan ist, durch das die Länder auf Bundesebene vertreten sind, wird durch die Gewährung der Beteiligungsrechte die Bundesstaatlichkeit, die von einer Trennung der Bundes- von der Länderebene lebt, funktional unterlaufen. Zweitens erfolgt die Entscheidungsfindung des Bundesrates gemäß Art. 52 Abs. 3 S. 1 GG nach dem Mehrheitsprinzip. Dadurch wird der Einfluss des einzelnen Landes begrenzt. Die überstimmten Länder müssen sich dem Votum der Mehrheit beugen. Aus einem Selbstbestimmungsrecht wird ein Mitbestimmungsrecht, wobei die überstimmten Länder „ausschließlicher Fremdbestimmung unterworfen“396 werden. Zudem ist hieran zu kritisieren, dass die dem Bundesstaat immanente Vielfalt nicht gewahrt werden kann397. Als dritter Einwand gegen die Kompensationsthese ist der Verlust des Landesparlamentarismus vorzubringen398. Aufgrund der Zusammensetzung des Bundesrates durch Regierungsvertreter der Länder (Art. 51 Abs. 1 GG) werden die Parlamente der Länder weitgehend ausgeschaltet399. Die Parlamente, Wesenselemente der Länderstaatsqualität, büßen mit jeder Übertragung von Länderaufgaben Gesetzgebungsrechte ein, während die Landesexekutive über ihre Teilhabe an Entscheidungen des Bundesrates Befugnisse gestärkt wird. Der Trend zu diesem Exekutivföderalismus, dessen Effekt durch die Strukturen des Parteienbundesstaates, in dem die Machtausübung die Befugniswahrnehmung überlagert, verstärkt wird400, führt, wie Leisner beklagt, zu einer „Verödung des politischen Lebens in 394 I. d. S. K. Stern, Staatsrecht I, S. 745. Allgemein zu der Rechtsnatur des Bundesrates siehe Kap. III.2.b). 395 Positiv sieht Oschatz eine Milderung des Funktionenverlusts der Länder; G.-B. Oschatz, EG-Rechtsetzung und deutscher Föderalismus, in: D. Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 1990, S. 76 f. 396 K. Hesse, Bundesstaatsreform und Grenzen der Verfassungsänderung, S. 25. Ebenso vgl. ders., Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, S. 151 ff., S. 153. 397 K. Kruis, Variationen zum Thema Kompetenzkompensation, in: H. J. Faller / P. Kirchhof / E. Träger (Hrsg.), FS für Willi Geiger, 1989, S. 168 f.; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 198. 398 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 103 f.; E. Röper, Landesparlamente und Europäische Union, JöR 49 (2001), S. 263 ff. 399 Die meisten Landesverfassungen begründen lediglich Informationspflichten der Landesregierung gegenüber den Landesparlamenten; vgl. Art. 34 a BWVerf, Art. 50 Abs. 1 S. 2 BerlVerf, Art. 94 BbgVerf, Art. 79 BremVerf., Art. 32 a HbgVerf, Art. 39 Abs. 1 MVVerf, Art. 25 Abs. 1 NdsVerf, Art. 89 b Abs. 1 Nr. 6, 7 RhPfVerf, Art. 62 Abs. 1 SachAnhVerf, Art. 22 Abs. 1 SchlHolLS, Art. 67 Abs. 4 ThüVerf, Art. 50 SachVerf. Siehe zudem K. Zwicker, Als Bundesstaat in der Europäischen Union, 2000, S. 219 ff. 400 „Das so geartete Zustimmungssystem in der Gesetzgebung des Bundes stärkt die Tendenz zur pluralen Parteienoligarchie, die sich als offene oder nicht-offene große Koalition der großen Parteien auswirkt. . . . Auch die Ministerpräsidenten der Länder haben dadurch, zumal wegen ihrer Macht in ihren Parteien, Einfluß auf die Politik des Bundes (weitgehend im Bun-
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den Ländern“401. Die Landesinteressen können durch das etablierte Mitwirkungssystem nicht wirkungsvoll abgesichert werden. Entgegen des Demokratieprinzips bestimmen in den an die Union abgegebenen Landesaufgaben nicht mehr die gewählten Vertreter der Landesvölker die Politik des Landes. Ein Mitwirkungsrecht wird den Mitgliedern der Landesregierungen eingeräumt, die in der Aufgabe als Bundesratsvertreter rechtlich ihren Parlamenten nicht verantwortlich sind und somit zum „Bundesstatthalter im Lande“402 verkommen403. Die Parlamente verlieren weitestgehend ihre Funktion bis auf die Wahl einer bundespolitisch bedeutsamen Landesregierung, die wiederum spätestens mit Verlust der Staatsqualität der Länder die eigene Legitimationsgrundlage verliert404. Neben der Verschiebung der Landesgewalt von der Legislative auf die Exekutive werden die Landesbefugnisse verwässert: Zuerst wird das alleinige Gesetzgebungsrecht eines Landesparlaments durch ein Mitbestimmungsrecht im Bundesrat abgelöst405. Sodann ist zu konstatieren, dass dem Bundesrat selbst kaum ein entscheidender Einfluss auf Europapolitik zukommt406. Ohne dass die wesentlichen politischen Entscheidungen von den eigenen Parlamenten vorgenommen werden, ist die Staatsqualität der Länder nicht aufrecht zu erhalten. Insgesamt ist keine Kompensationswirkung zu beobachten407. Wird eine Ausgleichspflicht bejaht408, so ist das geschaffene Bundesratssystem nicht tragbar. Der Bundesrat gerät in die Position einer zweiten Gesetzgebungskammer in europäischen Angelegenheiten409, wobei zwar die Gesamtheit der Landesexekutive gestärkt wird, die einzelnen Länder jedoch in Existenznot geraten. Die einzig mögdesrat institutionalisiert).“; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 245. Siehe auch Kap. III.2.b)bb). 401 W. Leisner, Schwächung der Landesparlamente durch grundgesetzlichen Föderalismus, S. 389. 402 W. Leisner, Schwächung der Landesparlamente durch grundgesetzlichen Föderalismus, S. 392 und siehe auch S. 395. 403 Siehe auch E. Haas, Die Mitwirkung der Länder bei EG-Vorhaben, DÖV 41 (1988), S. 621. 404 Siehe auch W. Leisner, Schwächung der Landesparlamente durch grundgesetzlichen Föderalismus, S. 391. 405 Diesen Exekutivföderalismus charakterisiert Böckenförde als „Übergang zum ,Regierungen-Bundesstaat‘“; E.-W. Böckenförde, Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie, in: J. Jeckewitz (Hrsg.), FS für Friedrich Schäfer, 1980, S. 186. 406 Letzteres ist vor allem der Fall, wenn in der EU nach dem Mehrheitsprinzip entschieden wird und der deutsche Vertreter überstimmt werden kann. 407 P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 40 ff.; H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 75; J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 257; P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 40 f. 408 Siehe M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, S. 99. 409 W. Leisner, Föderalismus als kooperativer Dialog, S. 14. Siehe auch Kritik bei R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 103.
6. Rechtsschutz gegen Entstaatlichung
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liche Kompensation könnte erfolgen, wenn den Ländern, namentlich den Landesparlamenten, die Mitwirkungsrechte zugesprochen werden410. Die Ausgleichswirkung unterliegt stets der Prüfung des Einzelfalls. Eine Ausgleichspflicht ist jedoch nicht anzunehmen411. Zum einen ist anzuzweifeln, woher neue und zugleich gleichwertige Länderaufgaben abgezogen oder geschaffen werden sollen412 und zum anderen kann durch die Einräumung von Mitwirkungsrechten die Toleranz des grundgesetzliche qualitativ-funktional zu bestimmenden Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG nicht ausgeweitet werden413.
6. Rechtsschutz gegen Entstaatlichung „Die Länder unternehmen wenig, um ihre Zuständigkeiten juristisch zu verteidigen.“414
Diese Beobachtung Isensees führt zu der abschließenden Frage, mit welchen gerichtlichen Verfahren Länder, aber auch Kommunen, die ihnen zustehende Staatlichkeit (Aufgaben und Befugnisse) sowie ihren jeweiligen verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstatus effektiv schützen können. Zu unterscheiden sind somit typologisch zwei Fallgruppen: Erstens benötigen Länder und Kommunen hinsichtlich ihrer Staatlichkeit Rechtsschutz vor Kompetenzanmaßung durch die EU. Nach der ultra-vires-Lehre hat jeder Staat nur innerhalb seiner verfassungsrechtlich festgelegten Aufgaben und mittels der zugewiesenen Befugnisse die Legitimation der Bürgerschaft. Für die funktional-staatliche Union bedeutet dies, dass sie jenseits des Willens der Völker der Mitgliedstaaten415, der sich in den enumerierten Ermächtigungen materialisiert, keine Existenz hat. Nimmt die Union Aufgaben wahr, ohne dafür eine vertragliche Ermächtigung aufzuweisen, missachtet sie das Prinzip der begrenzten Ermächtigung und handelt ultra vires. Liegen diese Angelegenheiten in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen, so missachtet sie deren Staatlichkeit. Neben der Ausübung nicht zustehender Staatlichkeit besteht als zweiter Problemkomplex die unrechtmäßige Übertragung von staatlichen Aufgaben und Befugnissen. Diese richtet sich vorwiegend nach innerdeutschem Verfassungsrecht. 410 G. Ress, Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, S. 557; H.-J. Schütz, Bund, Länder und Europäische Gemeinschaften, S. 223. I. d. S. auch H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 74. 411 Gegen Kompensationsanspruch auch J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 291. 412 Insbesondere bei einer optimalen, nach dem Subsidiaritätsprinzip gestalteten Funktionenordnung scheint dies nicht möglich; V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, S. 66. 413 So auch C. Kirchner / J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, S. 770. 414 J. Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, S. 251. 415 Grundlagen dieser monistischen Dogmatik siehe Kap. II Fn. 346.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Die Darlegung der Rechtsschutzmöglichkeiten stellt sich insoweit als komplex heraus, da die gerichtliche Zuständigkeit in der Staatspraxis nicht abschließend geklärt ist. Den Verträgen kann entnommen werden, dass dem Europäischen Gerichtshof als Hüter des Europarechts und oberster zu Vertragsauslegung befugter Instanz die Aufgabe zukommt, den ersten Themenkomplex, den der Zuständigkeitsverteilung rechtsverbindlich zu klären [a)]. Als Unionsorgan steht ihm jedoch nicht zu, innerstaatliches Recht, d. h. auch kein mitgliedstaatliches Verfassungsrecht, auszulegen. Die Wahrung der deutschen bundesstaatlichen Verfassung muss durch das Bundesverfassungsgericht gewährleistet werden. Dadurch entscheidet dies nicht nur über die sich nach Art. 23 Abs. 1 GG richtende Rechtmäßigkeit der Übertragungsakte, sondern trägt zudem auch die Letztverantwortung über das Bundesstaatsprinzip, weswegen es sich die Überprüfung der Vertragsauslegung vorbehält [b)]. Um der Komplexität der gerichtlichen Zuständigkeitsfrage Rechnung zu tragen, wird schwerpunktmäßig das unglücklich als „Kooperationsverhältnis“ bezeichnete Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof dargelegt, während die bedeutsamsten Verfahrensarten lediglich in ihren Grundzügen skizziert werden.
a) Wahrung des Gemeinschaftsrechts durch Europäischen Gerichtshof aa) Gerichtsverfahren gegen Zuständigkeitsusurpation Nach Art. 220 Abs. 1 EGV sichert der Gerichtshof die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge und ist somit das zuständige Gericht für Fragen der Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und der mitgliedstaatlichen Ebene, unter die auch die Länder und Kommunen fallen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG416, auch wenn diese Ansicht wenig überzeugt, da ein dem Art. 19 Abs. 4 GG entsprechender Rechtsschutz nicht gewährt wird417. Im Rahmen der vorgesehenen Verfahren prüft der Gerichtshof Klagen auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht einschließlich Befugnisüberschreitungen. Allerdings steht es ihm nicht zu, nationales Recht zu prüfen. Dieses kann höchstens indirekt zum Prozessgegenstand gemacht werden, wenn zu prüfen ist, ob es gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Als oberstes Gericht eines funktionellen Staates verfügt es über keine Vollstreckungsbefugnis418, jedoch binden seine Entscheidungen, so dass der Europäische Gerichtshof funktional das Verfassungsgericht der Union ist419. BVerfGE 73, 339 (366 ff.); 75, 223 (233 f.). So die Kritik bei R. Scholz, Wie lange bis „Solange III“?, S. 943. 418 Eine Ausnahme ist im Rahmen des Kartellverfahrens gegeben. 419 Siehe auch K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: Brink, S. / Wolff, H. A. (Hrsg.): FS für Hans Herbert von Arnim, 2004, 416 417
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Das Rangverhältnis des Europäischen Gerichtshofs zu nationalen Gerichten kommt in Art. 234 EGV zum Ausdruck, in dem das Vorabentscheidungsverfahren geregelt wird. Es ist das häufigste aller Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Bei Zweifel über Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts innerhalb eines Gerichtsverfahrens vor einem mitgliedstaatlichem Gericht kann oder muss es die Frage dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Zwischenverfahrens vorlegen420. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist für das nationale Gericht bindend und findet somit Eingang in dessen Rechtserkenntnis. Zweifelt ein Gericht an der Gültigkeit des für das anhängige Verfahren relevanten Gemeinschaftsrechts (z. B. weil es die Zuständigkeitsverteilung verletzt sieht), legt es diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor. Rechtsakte der Union werden vom Europäischen Gerichtshof aufgehoben, sofern keine Ermächtigungsgrundlage besteht. Durch das Verfahren der Vorabentscheidung wird die einheitliche Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten sichergestellt421. Neben dem Verfahren der Vorabentscheidung, mit dem mittelbar die Zuständigkeitsordnung zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gemacht wird, kann über die Nichtigkeitsklage der Art. 230, 231 EGV unmittelbar die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung überprüft werden. Mit ihr können jegliche „Handlungen“ des Europäischen Parlaments422, des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank mit Rechtswirkung angefochten werden, sofern die Unrechtmäßigkeit hinreichend dargelegt wird. Als Anfechtungsgründe lässt Art. 230 Abs. 2 EGV Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Vertragsverletzung, Verletzung einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder Ermessensmissbrauch zu. Zur Wahrung der Zuständigkeitsordnung können Länder und Kommunen somit darlegen, inwiefern die Zuständigkeit und somit der Vertrag verletzt wird. Verfahrensrechtlich ist von Bedeutung, ob nach Art. 230 Abs. 2 ein Mitgliedstaat oder nach Art. 230 Abs. 4 EGV eine natürliche oder juristische Person die Klage erhebt. Die klagebefugten Parteien unterscheiden sich in privilegierte und nicht privilegierte. Während die Mitgliedstaaten (ebenso wie Kommission und Rat) weder eigene Betroffenheit noch ein spezifisches Rechtsschutzinteresse darlegen müssen, sind juristische Personen nicht privilegierte Klagebefugte423. Nach Art. 230 Abs. 4 EGV ist bei ihnen eine Klage auf Nichtigkeit nur zulässig, wenn sie ihre unmittelbare und individuelle Betroffenheit darlegen. Unter juristischen S. 783 f.; U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, S. 77; G. Hirsch, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der europäischen Integration, JöR 49 (2001), S. 22 ff. 420 Zu der Vorlagepflicht und deren Ausnahmen siehe P. Kirchhof, Rechtsschutz durch Bundesverfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof, in: D. Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 1990, S. 119 ff. 421 R. Streinz, Europarecht, § 8, Rdn. 556 ff.; P. Kirchhof, Rechtsschutz durch Bundesverfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof, S. 119. 422 Zu Ausnahmen der Passivlegitimation des Parlaments siehe H.-W. Rengeling / A. Middeke / M. Gellermann, Rechtsschutz in der Europäischen Union, 1994, Rdn. 135 f. 423 Siehe M. Schweitzer / W. Hummer, Europarecht, S. 137 f.
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Personen werden auch Personen des öffentlichen Rechts einschließlich subnationaler Gebietskörperschaften und die deutschen Länder und Kommunen verstanden424. Jedoch können die Länder die Bundesregierung dazu auffordern, ihre Rechte im Verfahren mit der privilegierten Klagemöglichkeit geltend zu machen425. Dazu ist der Bund einerseits aufgrund der Bundestreue, andererseits durch § 7 EUZBLG verpflichtet. Im Bund-Länder-Streit des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG können die Länder dieses Recht auf Erhebung der Nichtigkeitsklage durch den Bund verfassungsgerichtlich erzwingen. Dieses Recht auf Klageerhebung besteht auch gegen Handlungen, die beispielsweise im Rahmen des Art. 308 EGV erlassen wurden, obwohl diese der Einstimmigkeit bedürfen. Verfahrensrechtlich ist es unbedeutend, dass der Bund eine Klage erhebt, obwohl er zu der unrechtmäßigen Handlung beigetragen hat426.
bb) Integrationsfreundliche Rechtsprechungspraxis Entgegen der Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs, das Gemeinschaftsrecht zu hüten, und trotz der bestehenden Rechtsverfahren und Klagebefugnisse verweigert er nicht selten den klagenden Parteien rechtlichen Schutz427. Anstatt der Rechtserkenntnis verpflichtet zu sein, nimmt das Gericht die Funktion eines „Motors der Integration“428 war. Dabei verkennt es, dass es rechtens kein „Unionsinteresse“ unabhängig von dem Willen der Völker der Mitgliedstaaten geben kann. Dies folgt aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und den entsprechenden Normen der übrigen mitgliedstaatlichen Verfassungen. Soweit ersichtlich, wurde bisher kein Rechtsakt der Gemeinschaft als grundrechtswidrig deklariert429. Neben dem Grundrechts424 Siehe EuGH v. 11. 07. 1984 Rs. 222 / 83 (Differdange / Kommission), Slg. 1984, 2889 (2894); EuGH v. 08. 03. 1988 – verb. Rs. 62 und 72 / 87 (Exekutif regional Wallon / Kommission), Slg. 1988, 1573 (1590). 425 Vgl. F. Kirchhof, Zur indirekten Klagebefugnis eines deutschen Bundeslandes beim Europäischen Gerichtshof in Subsidiaritätsfragen über einen Antrag des Bundesrats, DÖV 57 (2004), S. 893 ff. 426 Siehe EuGH Rs. 166 / 78 (Italien / Rat), Slg. 1979, 2575 (2596); R. Geiger, Die Stellung der Bundesländer im Europäischen Gemeinschaftsrecht und ihre Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Akte der Gemeinschaft, S. 68. Anzweifelnd J. A. Kämmerer, Föderale Kompetenzkonflikte und Grundrechtsjudikatur in Europa, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäischer Föderalismus, 2000, S. 43. 427 Scharfe Kritik übt K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 139. Zu dem Folgenden siehe auch ders., Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, S. 779 ff. 428 Statt vieler H. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 12; J. Wolf, Die Revision des Grundgesetzes durch Maastricht, S. 597; anderer Ansicht M. Zuleeg, Die Rolle der rechtsprechenden Gewalt in der europäischen Integration, JZ 49 (1994), S. 4; G. Hirsch, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der europäischen Integration, S. 83 f. 429 Vgl. K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 137; ders., Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, S. 781 f.
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schutz wird vor allem die unzureichende Kontrolle der Zuständigkeitsordnung kritisiert430. Nur selten erkennt der Europäische Gerichtshof eine Überschreitung der Aufgaben und Befugnisse der Unionsorgane oder -institutionen, und damit einen Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Ermächtigung an431. Entsprechendes gilt für die Überprüfung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips432. Das Problem scheint folglich weniger die Festlegung von gerichtlichen Verfahren im Europarecht zu sein, sondern vielmehr den Gerichtshof dazu zu bewegen, als unabhängige Instanz das Recht zu erkennen, und sofern der Fall, die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, Länder, Kommunen oder sonstigen Gebietskörperschaften zu wahren433. Zu der unzureichenden Kontrolle kommt hinzu, dass der Gerichtshof unter anderem mittels des Auslegungsgrundsatzes des effet utile434 die Zuständigkeit der Gemeinschaft eigenmächtig erweitert435. Eine von zahlreichen Entscheidung436, mit denen der Zuständigkeitsbereich der Union unter Zuhilfenahme fragwürdiger Argumente ausgeweitet wurde, ist das Gravier-Urteil, das gleichbedeutend mit einem tiefen Einschnitt in die Kulturhoheit der Länder war437. Die Kritik an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Zuständigkeitsfragen hat im Vorfeld des Verfassungskonvents die Forderung nach einem „Kompetenzgericht“ aufgeworfen438. Zusätzlich zu einer verbesserten Zuständigkeitsabgrenzung im Verfassungsvertrag solle nicht der Europäische Gerichtshof, sondern ein neu zu schaffendes, unabhängiges Gericht über Zuständigkeitskonflikte entscheiden. Während das grundlegende Problem der unübersichtlichen Vgl. F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 594 f. Siehe vor allem EuGH v. 09. 07. 1987 – verb. Rs. 281, 283 – 285 und 287 / 85 (Deutschland u. a. / Kommission), Slg. 1987, 3203; EuGH v. 05. 10. 2000 – Rs. C-376 / 98 (Deutschland / Europäisches Parlament – Rat), Slg. 2000, I-8419. Zu letzterer Entscheidung, dem so genannten Tabak-Urteil siehe T. Stein, Keine Europäische „Verbots“-Gemeinschaft, EWS 12 (2001), S. 12 ff. und im Vorfeld bereits R. Wägenbaur, Das Verbot „indirekter“ Tabakwerbung und seine Vereinbarkeit mit Art. 30 EGV, EuZW 9 (1998), S. 709 ff. 432 M. ter Steeg, Eine neue Kompetenzordnung für die EU, S. 325. Siehe auch Kap. VI.3.c). 433 So auch die Schlussfolgerung bei R. Geiger, Die Stellung der Bundesländer im Europäischen Gemeinschaftsrecht und ihre Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Akte der Gemeinschaft, S. 69; T. von Danwitz, Grundfragen einer Verfassungsbindung der Europäischen Union, S. 1132. 434 Dazu Kap. V.2.b)aa). 435 U. Everling, Quis custodiet custodes ipsos?, EuZW 13 (2002), S. 357; H. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 12. 436 Einige Beispiele U. Everling, Quis custodiet custodes ipsos?, S. 361. 437 EuGH v. 13. 02. 1985 – Rs. 293 / 83 (Françoise Gravier / Stadt Lüttich), Slg. 1985, 593 ff. Dazu siehe Kap. VI.4.a). 438 Siehe vor allem U. Goll / M. Kenntner, Brauchen wir ein Europäisches Kompetenzgericht?, EuZW 13 (2002), S. 101 ff. Eine Übersicht verschiedener Vorschläge bei F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 601 ff.; U. Everling, Quis custodiet custodes ipsos?, S. 360 f.; S. Broß, Bundesverfassungsgericht – Europäischer Gerichtshof – Europäischer Gerichtshof für Kompetenzkonflikte, VerwArch 92 (2001), S. 429 f., 440. 430 431
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
Zuständigkeitsverteilung in Ansätzen durch den Verfassungsvertrag verbessert wird439, fand der Vorschlag eines neuen Gerichts keine Mehrheit im Konvent440. Neben Widerstand aus der Politik sehen Kritiker weder die Notwendigkeit noch die dogmatische Begründung des Vorschlags441. Nicht zu verbergen ist das Problem der fehlenden Akzeptanz des Europäischen Gerichtshofs: „Dass die Urteile des EuGH kritisiert werden, ist an sich nicht bedenklich, sondern im Gegenteil notwendig, denn sachliche Fachkritik ist die einzige Kontrollinstanz für oberste Gerichte. Doch anders als beim BVerfG und hohen Gerichten anderer Mitgliedstaaten, deren Urteile teilweise auch heftig kritisiert werden, genießen die Urteile des EuGH noch nicht allseits die selbstverständliche Akzeptanz als Äußerungen einer durch die Rechts- und Verfassungsordnung legitimierten Instanz, die ungeachtet aller Meinungsunterschiede im Einzelfall allgemein respektiert wird und den Rechtsfrieden garantiert.“442
b) Bundesverfassungsgericht als Hüter der deutschen Verfassung Nimmt der Europäische Gerichtshof die Funktion eines Verfassungsgerichts der Union wahr, so ist es die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Einhaltung der deutschen Verfassung sicherzustellen. Die materiell- und verfahrensrechtliche Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den beiden Gerichten ist umstritten. aa) Verfassungswidriges Primärrecht Zweifelsfrei ist es die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, über die Rechtmäßigkeit des europäischen Primärrechts zu befinden443. Prüfungsmaßstab ist, ob die durch Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ermöglichte Aufgaben- und Befugnisübertragung auf die Union den formellen Anforderungen, Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 2 und 3 GG sowie der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG genügt. Aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und der existentiellen Staatsqualität Deutschland ergibt sich, dass der Union deutsche Hoheitsgewalt nur nach Maßgabe des Grundgesetzes übertragen werden kann. Eine unrechtmäßige Übertragung ist eine Verletzung des Rechts durch die öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG, die Siehe Kap. V.3.e)bb). Vgl. F. C. Mayer, Wer soll der Hüter der europäischen Verfassung sein?, AöR 129 (2004), S. 424 ff. 441 Kritik bei F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, S. 607 f.; N. Reich, Brauchen wir eine Diskussion um ein Europäisches Kompetenzgericht?, EuZW 13 (2002), S. 257; U. Everling, Quis custodiet custodes ipsos?, S. 363; U. Everling, Die Europäische Union im Spannungsfeld von gemeinschaftlicher und nationaler Politik und Rechtsordnung, S. 869. Dafür hingegen S. Broß, Überlegungen zum gegenwärtigen Stand des Europäischen Einigungsprozesses, S. 577, 579. 442 U. Everling, Quis custodiet custodes ipsos?, S. 359. 443 R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 24. 439 440
6. Rechtsschutz gegen Entstaatlichung
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den Rechtsweg eröffnet. Das Verfahren kann als Organstreit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), Bund-Länder-Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG), sonstige öffentlich-rechtliche Streitigkeit zwischen Bund und Ländern (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG) oder als Verfassungsbeschwerde ausgetragen werden. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG gibt jedermann das Recht, die grundgesetzliche Ordnung i. S. d. Art. 20 Abs. 4 GG im Verfassungsgerichtsverfahren zu verteidigen, d. h. auch die Einhaltung der Struktursicherungsklausel und der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Prinzipien bei der Setzung von Primärrecht zu überprüfen. Im Maastricht-Prozess lehnte das Gericht jedoch die Überprüfung des Verstoßes des Bundesstaats- und Sozialprinzips ab, ohne die Unzulässigkeit zu begründen444. Für die fortschreitende Integration muss somit befürchtet werden, dass dem Bundesstaatsprinzip der grundgesetzlich zugesicherte gerichtliche Schutz nicht gewährt wird. In einem derartigen Fall bliebe ultima ratio das in Art. 20 Abs. 4 GG erwähnte Widerstandsrecht, um die Existenz der Länder aufrechtzuerhalten und einen deutschen zentralistischen Staat zu verhindern445. Neben der allgemeinen Verfassungsbeschwerde können Gemeinden und Gemeindeverbände, die dritte staatliche Ebene im deutschen Bundesstaat, mit der Kommunalverfassungsbeschwerde des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG Verletzungen des Selbstverwaltungsrechts geltend machen. Wie das Bundesverfassungsgericht im Goldenstedt-Beschluss zum Ausdruck brachte, ist die Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG durch Primärrecht rechtsschutzfähig446. bb) Verfassungswidriges Sekundärrecht Im Gegensatz zu der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung der Verfassungskonformität von Primärrecht, ist seine Überprüfungsbefugnis von Sekundärrecht am Maßstab der deutschen Verfassung umstritten. Zwar ist der Europäische Gerichtshof der Hüter des Gemeinschaftsrechts, jedoch beschränkt sich seine Funktion auf die Auslegung desselbigen, ohne dass ihm die Befugnis zukommt, seine Rechtmäßigkeit am Maßstab von nationalem Verfassungsrecht zu prüfen. Der Kern des Zuständigkeitsproblems liegt in der Tatsache, dass die Grenzen zwischen Vertragsauslegung und Vertragsergänzung oder -erweiterung fließend sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe Aufsehen erregender Entscheidungen betont, dass es zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsakten der Union im Normenkontrollverfahren des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG befugt ist. Bereits in dem Solange I-Beschluss konstatierte das Bundesverfassungsgericht seine ZuBVerfGE 89, 155 (179). K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, S. 297. 446 Beschluss v. 29. 10. 1993 – 2 BvR 2203 / 93. Dazu siehe A. Gern, Rechtsschutz der Kommunen in der Europäischen Union, S. 533 f. 444 445
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
ständigkeit zur Sicherung essentieller Verfassungsprinzipien Deutschlands vor Aushöhlung durch Gemeinschaftsrechtsakte mit der Begründung unausreichender Rechtsschutzmöglichkeiten auf Gemeinschaftsebene 447. Diese Einschätzung hat das Gericht selbst mehrmals geändert448. Mit dem Solange II-Beschluss bekräftigte es zwar seine Überprüfungsbefugnis europäischer Rechtsakte, lehnte aber vorübergehend die Zulässigkeit von derartigen Normenkontrollanträgen ab, zumindest „solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Gemeinschaften, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleich zu achten ist“449. Das oberste deutsche Gericht hält sich somit die letztinstanzliche Missbrauchskontrolle vor, wobei die dogmatische Begründung, die auf einem dualistischen Verständnis der Staatlichkeit beruht, nicht zu überzeugen vermag450. Logisch unvereinbar ist die Anerkennung des Europäischen Gerichtshofs als gesetzlichen Richters im Sinne der deutschen Verfassung, jedoch gleichzeitige Ablehnung seines Wirkens als Teil der deutschen öffentlichen Gewalt451. Auf diese Begründung verzichtete das Gericht im Maastricht-Urteil, ohne sich jedoch explizit zu revidieren452. In Bezug auf die Frage seiner Prüfungszuständigkeit sind nunmehr fünf Fälle anerkannt, bei denen sich das Bundesverfassungsgericht die Prüfung von Gemeinschaftsrechtsakten am Maßstab der deutschen Verfassung vorbehalten hat453: Erstens überprüft es in einem „Kooperationsverhältnis“454 mit dem Europäischen Gerichtshof die Einhaltung des „unabdingbaren Grundrechtsstandard“. Werden 447 BVerfGE 37, 271 (271, 280, 285). Dazu K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil II, S. 82 ff. 448 Siehe auch Kap. V.1.a)bb)(2). 449 BVerfGE 73, 339 (378); siehe auch 89, 155 (174 f.); 102, 147 (164). 450 Zur Kritik an der Dogmatik des Geltungsgrundes europäischer Staatlichkeit aufgrund eines „Rechtsanwendungsbefehls“ und voneinander unabhängiger Rechtsordnungen siehe Kap. V.1.a)dd)(2). 451 So auch Kritik bei K. A. Schachtschneider / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil II, S. 84. 452 Nunmehr charakterisiert das Gericht die Unionsstaatlichkeit als „Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation“; BVerfGE 89, 155 (175). 453 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 104 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 80 ff.; ders. / A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, Teil III, S. 116. 454 BVerfGE 89, 155 (175); siehe bereits 73, 339 (387). Siehe grundlegend auch P. Kirchhof, Rechtsschutz durch Bundesverfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof, S. 109, 115 ff.; ders., Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, S. 916 ff. Kritik hierzu siehe M. Zuleeg, Die Rolle der rechtsprechenden Gewalt in der europäischen Integration, S. 4.
6. Rechtsschutz gegen Entstaatlichung
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zweitens die Strukturprinzipien der deutschen Verfassung, drittens das Subsidiaritätsprinzip oder viertens die „elementaren Interessen der Mitgliedstaaten“ durch das gemeinschaftsrechtliche Mehrheitsprinzip verletzt, so handelt es sich um die Beanspruchung nicht übertragungsfähiger Aufgaben und Befugnisse. Auch hierbei stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass sie innerstaatlich keine Verbindlichkeit erlangen455. Im fünften Fall, der Missachtung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung456, nimmt die Union Aufgaben und Befugnisse wahr, die ihr nicht übertragen sind. Auch ein derartiges ultra-vires-Handeln457, das materiell einer Vertragserweiterung entspricht, entfaltet keine Bindungswirkung458. Zusammenfassend lehnt das Bundesverfassungsgericht ab, sich in den genannten Fällen von etwaigen Entscheidungen des Gerichtshofs binden zu lassen. Der Terminus des Kooperationsverhältnisses beschönigt den schwelenden Konflikt in der Zuständigkeitsfrage zwischen dem obersten deutschen und dem europäischen Gericht, dessen offene Austragung bisher vermieden wurde459. Im Ergebnis verantwortet das Bundesverfassungsgericht abschließend die deutsche Verfassung. Es folgt der Logik der existentiellen Staatsqualität Deutschlands, dass die obersten Rechtssätze Deutschlands nicht der Rechtsprechung eines Organ eines funktionalen Staates, dem Europäischen Gerichtshof, und somit der irrtümlichen Interpretation letztverantwortlich übertragen werden dürfen460. Gleiches gilt für die Überprüfung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung. Zwar kommt dem Gerichtshof die Vertragsauslegung zu, jedoch ist nicht auszuschließen, dass Fehlentscheidungen zu „ausbrechenden Rechtsakten“461 führen. Diese kommt im Ergebnis einer vertragswidrigen Zuständigkeitsänderung auf Kosten der deutschen Staatlichkeit gleich, für deren Überwachung wie für jede Vertragserweiterung das Bundesverfassungsgericht zuständig ist462. 455
I. d. S. P. Kirchhof, Deutsches Verfassungsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht,
S. 18. 456 Siehe auch E. Ost, Europarecht vor dem Bundesverfassungsgericht, NVwZ 20 (2001), S. 401. 457 So E. Klein, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 66. 458 BVerfGE 89, 155 (210). 459 G. Hirsch, Europäischer Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht – Kooperation oder Konfrontation?, NJW 49 (1996), S. 2462; D. C. Umbach, „Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof – der schwierige Weg zur Kooperation“ oder „Wie lange Solange?“, in: R. Lhotta / J. Oebbecke / W. Reh (Hrsg.), Deutsche und europäische Verfassungsgeschichte, 1997, S. 286 f. Im Bananenmarkt-Beschluss (BVerfGE 102, 147 ff.) ist ein partieller Rückschritt des Maastricht-Urteils zu sehen; dazu Kap. V.1.a)bb)(2). 460 I. d. S. auch U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, S. 214, der einen „unbedingten Rechtsgehorsam“ gegenüber dem EuGH ablehnt. 461 I. d. S. die Formulierung BVerfGE 89, 155 (188). Scharfe Kritik hieran bei M. Zuleeg, Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, S. 2848. 462 Siehe auch BVerfGE 37, 271 (279 f.); 58, 1 (30 f.); 73, 339 (375 f.); 75, 223 (242). R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 25; K. M. Meessen, Maastricht nach Karlsruhe, NJW 47 (1994), S. 552.
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VI. Perspektiven der deutschen Bundesstaatlichkeit in der EU
cc) Die Zukunft des Bundesstaatsprinzips Das Grundgesetz lässt die Mitwirkung in einem funktionalen Unionsstaat zu, der nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG als eine monistische Konzeption verstanden werden muss, so dass die Ausübung der europäischen Staatsgewalt an das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Nur insofern sich staatliches Handeln auf die Verfassung stützt, ist sie im Verfassungsstaat legitimiert463. In diesem Kapitel wurde aufgezeigt, welche vielfältigen Schutzmechanismen zur Aufrechterhaltung der deutschen Bundesstaatlichkeit bestehen. Als unabänderliches deutsches Verfassungsprinzip ist eindeutig, dass ihr Fortbestand des Rechts wegen nicht in Frage steht. Mit Blick auf die zu beobachtende voranschreitende Entstaatlichung der Länder in Verbindung mit der verhaltenen oder verweigerten Gewährleistung von Rechtsschutz ist kaum vorauszusagen, ob sich das Bundesstaatsprinzip behaupten wird. Einschätzungen wie „die Verfassung der Länder ist nahezu aussichtslos geworden“464 oder „die Verfassungsgerichtsbarkeit wird gegen die in den Verfassungen der Mitgliedstaaten angelegten integrationsfreundlichen Tendenzen auf Dauer nicht gewinnen können“465, zeichnen ein düsteres Bild. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass derartige Entwicklungen gegen das Recht verstoßen und den deutschen Rechtstaat oder die Freiheit des Volkes in Frage stellen würde. Optimistisch stimmt Kimminich, der zu bedenken gibt, dass „der Bundesstaatsgedanke in Deutschland genügend verfassungshistorische Tradition und im Wertbewußtsein wurzelnde politische Lebenskraft hat, um sich auch in schwieriger Lage zu behaupten“466. Ultra vires besteht das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG, wobei es vorwiegend von der Moralität der Verfassungsrichter abhängt, ob es soweit kommen muss467. Am ehesten vermag eine bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung die Perspektiven des deutschen Föderalismus aufzuhellen, indem es Gemeinschaftsrecht am Maßstab des Bundesstaatsprinzips prüft. Dazu bedarf es eines Antragstellers468. Aufgrund der föderalistischen Tradition Bayerns liegt die Hoffnung vor allem auf einer bayerischen Initiative469. 463 P. Kirchhof, Rechtsschutz durch Bundesverfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof, S. 112. 464 F. Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 147; Syntax angepasst. 465 Siehe J. A. Kämmerer, Föderale Kompetenzkonflikte und Grundrechtsjudikatur in Europa, S. 55. 466 O. Kimminich, HStR, Bd. I, § 26, Rdn. 58; Syntax angepasst. 467 Siehe K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 9. 468 Da der Maastricht-Prozess als Verfassungsbeschwerde geführt wurde, war die Beschwerde insoweit nicht zulässig, als sie einen Verstoß gegen das Bundesstaatsprinzips monierte: „Soweit der Beschwerdeführer in Regelungen des Unionsvertrages einen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip und das Bundesstaatsprinzip sieht, sind diese Rügen nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG nicht zulässig“; BVerfGE 89, 155 (179). 469 Vgl. W. Graf Vitzthum, Der Föderalismus in der europäischen und internationalen Einbindung der Staaten, Fn. 35, S. 293.
VII. Rezentralisierung Spaniens im europäischen Integrationsprozess? Analog zu Deutschland führt die EU-Mitgliedschaft auch für Spanien zu einer Beeinträchtigung von Aufgaben und Befugnissen aller staatlichen Ebenen. Die Verschiedenartigkeit der Territorialstruktur in beiden Nationen bedeutet, dass sich Spanien in einer anderen Ausgangssituation befindet. Der grundlegende Unterschied ist, dass dieses Land nicht föderalistisch aufgebaut ist, sondern von einem starken Regionalismus geprägt wird. Somit weisen die Autonomen Gemeinschaften keine existentielle Staatsqualität auf und sind nicht der gleichen Gefahr wie die deutschen Länder ausgesetzt, die ihre Rechtsqualität als existentielle Staaten durch Abgabe von Zuständigkeiten an die Union zu verlieren drohen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in Spanien nicht ebenfalls verfassungsrechtliche Grenzen einer Entstaatlichung der Autonomen Gemeinschaften bestehen. Zwar kann für die Autonomen Gemeinschaften kein verfassungsrechtlich zugesichertes „Hausgut eigener Aufgaben“ bestimmt werden, trotzdem gilt es darzulegen, inwieweit das Autonomieprinzip „europafest“ ist und somit die Beeinträchtigung autonomer Aufgaben und Befugnisse begrenzt. Der nur wenige Jahre vor dem EG-Beitritt begonnene Regionalisierungsprozess droht von einem europäischen Zentralisierungsprozess konterkariert zu werden oder sogar einer Rezentralisierung zum Opfer zu fallen. Ein über die angestellten Überlegungen hinausgehender Vergleich der regionalistischen mit der föderalistischen Problematik bedarf grundlegend der Analyse der spanischen verfassungsrechtlichen Normen zur Übertragung funktioneller Staatlichkeit auf die Europäische Union, d. h. der Schaffung von Primärrecht (1) sowie der Regelungen des Vollzugs von Sekundärrecht (2). Hauptaugenmerk liegt auf den Mitwirkungsbefugnissen der Autonomen Gemeinschaften. Hierbei fällt auf, dass das Verfassungsgesetz von 1978 kaum Vorkehrungen trifft, obwohl bereits ein Jahr zuvor das Beitrittsverfahren zu den Europäischen Gemeinschaften eröffnet wurde. Ähnliches gilt für die Autonomiestatute. Auch sie enthalten, wenn überhaupt, nur spärliche Regelungen über die Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften in europäischen Angelegenheiten, obgleich die letzten Autonomiestatute 1983 lediglich drei Jahre vor dem EG-Beitritt in Kraft traten. Aus Ermangelung umfassender verfassungsrechtlicher Vorschriften über die Rolle der Autonomen Gemeinschaften im innerstaatlichen Willensbildungsprozess in europäischen Angelegenheiten sowie im Vollzug kristallisiert sich ein kooperatives Mitwirkungssystem heraus. Kernelement ist die Konferenz über EG-Angelegenheiten, ein anfangs informelles Kooperationsgremium zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften, das nunmehr auf einfachgesetzlicher Grundlage beruht (3). Im
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
Anschluss an die Darstellung der verfassungsrechtlichen Mitwirkungsmöglichkeiten und der Staatspraxis sollen die Perspektiven der Autonomiestaatlichkeit erörtert werden (4). Dabei sind die Zuständigkeitsverluste der Autonomen Gemeinschaften an den verfassungsrechtlichen Garantien des Autonomieprinzips zu messen, wobei, ähnlich wie im deutschen Fall, zu klären ist, inwieweit eine Kompensation der Verluste möglich ist.
1. Rechte der Autonomen Gemeinschaften bei Setzung von primärem Unionsrecht a) Befugnis und Grenzen der Zuständigkeitsübertragung Obwohl Spanien bereits 1977, d. h. ein Jahr vor Inkrafttreten der Verfassung, den Antrag auf Beitritt zu der Europäischen Gemeinschaft stellte, enthält die spanische Verfassung keine spezifischen Normen zu der europäischen Integration1. Ein expliziter Europa-Artikel ist der Konstitution nicht zu entnehmen2. Die Übertragung funktionaler Staatlichkeit auf Organe der EU wird im ersten Satz des Art. 93 CE geregelt3: „Durch ein Organgesetz kann der Abschluss von Verträgen autorisiert werden, durch die einer internationalen Organisation oder Institution die Ausübung von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen übertragen wird.“
Sowohl die ausschließliche Zuständigkeit für internationale Beziehungen des Zentralstaates (Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE) als auch die vorgesehene Form der Übertragung „durch ein Organgesetz“ führen dazu, dass allein die Cortes Generales für Zuständigkeitsübertragungen berechtigt sind4. Die Autonomen Gemeinschaften haben hierzu keine Befugnis5. Zur Zustimmung bedarf es der absoluten Mehrheit im Kongress (Art. 81 Abs. 2 CE). Ein Veto des Senates ist nur suspensiver Natur6. 1 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 261 ff.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1096; M. Ballester Cardell, Relación entre derecho comunitario y constitución, RDP 46 (1999), S. 116 f. 2 Diesen fordert P. Häberle, Die Vorbildlichkeit der Spanischen Verfassung von 1978 aus gemeineuropäischer Sicht, S. 603 f. 3 Dazu M. Ballester Cardell, Relación entre derecho comunitario y constitución, S. 116 ff.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 261 f. 4 Bestätigt durch STC 44 / 1982 v. 08. 07. Vgl. zudem P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 179 ff. 5 I. d. S. STC 165 / 1994 v. 26. 05., FJ 5. Dazu J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1107; C. Gutiérrez Espada, Las Oficinas autónomicas y la STC 165 de 26 de mayo de 1994, Noticias de la UE 125 (1995), S. 9 ff. 6 Vgl. Art. 90 Abs. 1 – 2 CE. Dazu Kap. IV.4.b).
1. Rechte der Autonomen Gemeinschaften
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Obwohl Art. 96 Abs. 1 S. 1 CE7 den völkerrechtlichen Monismus verfassungsrechtlich verankert8, bereitet es der spanischen Verfassungslehre Schwierigkeiten, den Charakter des Europarechts zu bestimmen. Pérez Royo lehrt, Europarecht sei „weder Staatsrecht noch Völkerrecht, sondern supranationales Recht, das in einem gewissen Maße ,internes‘ Recht ist“9. Seine Auffassung schließt sich der des Verfassungsgerichtes an. Dieses dogmatisiert, dass in der europäischen Integration eine neue Rechtsordnung entstanden sei, die in bestimmten Effekten quasi intern ist10. Aufgrund der Ähnlichkeit mit der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts sei auf die in Kap. V.1.a)dd)(2) geübte Kritik verwiesen. Vor Abschluss eines internationalen Vertrages mit verfassungswidrigen Normen ist die Verfassung zu ändern (Art. 95 Abs. 1 CE)11. Dies entspricht der republikanischen Lehre, nach der die Gesetzgebung an den Willen des pouvoir constituant, d. h. die Verfassung, gebunden ist (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 97 Abs. 1 S. 2 CE) und zuwiderlaufende Akte ultra vires sind12. Die Verwirklichung des Willens der Bürgerschaft darf nicht durch internationale Beziehungen beeinträchtigt werden. Vor der Ratifikation des Maastricht Vertrages forderte die spanische Regierung gemäß Art. 95 Abs. 2 CE das Verfassungsgericht auf zu klären, ob der Unionsvertrag Art. 13 Abs. 2 CE a. F. (Kommunalwahlrecht) widerspreche13. Das Gericht bejahte dies und verneinte gleichzeitig die Möglichkeit einer indirekten Änderung der spanischen Konstitution durch Europarecht. Zu den Grenzen der Geltung des Europarechts führt es aus: „Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Cortes Generales kraft Art. 93 die Ausübung von ,aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen‘ abtreten oder zuerkennen, nicht aber sie gegen ihre Bestimmung verstoßen oder es zulassen, daß gegen sie verstoßen wird. 7 „Gültig abgeschlossene internationale Verträge werden nach ihrer offiziellen Veröffentlichung in Spanien Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung.“ 8 Allgemein anerkannt ist der Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor einfachgesetzlichen internen Normen; M. Ballester Cardell, Relación entre derecho comunitario y constitución, S. 121 ff.; A. Marín López, Orden jurídico internacional y Constitución Española, RDP 45 (1999), S. 40 ff.; A. López Castillo / J. Polakiewitz, Verfassung und Gemeinschaftsrecht in Spanien, EuGRZ 20 (1993), S. 283. 9 J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1097. 10 „Pues el desarrollo del proceso de integración europea ha venido a crear un orden jurídico, el comunitario, que para el conjunto de los Estados componentes de las Comunidades Europeas puede considerarse a ciertos efectos como ,interno‘“; STC 165 / 1994 v. 26. 05., FJ 4. 11 E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, REDC 11 (1991), S. 7 f.; A. López Pina, Die spanische Verfassung und das Völkerrecht, AVR 32 (1994), S. 179 f. 12 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 160 m. w. N. 13 DTC 108 / 1992 v. 01. 07., abgedruckt in: EuGRZ 20 (1993), S. 285 ff. Im selben Jahr wurde Art. 13 Abs. 2 CE im Verfahren des Art. 167 CE geändert. Zu dem Urteil siehe A. López Castillo / J. Polakiewitz, Verfassung und Gemeinschaftsrecht in Spanien, S. 277 ff.; P. Pérez Tremps, Constitución Española y Comunidad Europea, S. 97 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1097 ff. Kritik an der Erklärung übt A. Mangas Martín, La declaración del TC sobre el artículo 13.2 de la Constitución, REDI 41 (1992), S. 389 ff.
21 Bretz
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
Denn weder ist die verfassungsändernde Gewalt eine ,Kompetenz‘, deren Ausübung abgetreten werden könnte, noch läßt es die Verfassung selbst zu, auf anderem Wege als dem Titels X, das heißt entsprechend der dort vorgesehenen Verfahren und Garantien und mittels einer ausdrücklichen Änderung ihres Textes, abgeändert zu werden.“14
b) Übertragbarkeit von Aufgaben und Befugnissen der Autonomen Gemeinschaften Der die Übertragung von „aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen“ befähigende Art. 93 S. 1 CE erinnert an Art. 24 Abs. 1 GG mit dem Unterschied, dass für die grundgesetzliche Norm die Bezeichnung „Hoheitsrechte“ gewählt wurde15. Im deutschen Bundesstaat wird die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern durch das Verfassungsgesetz geregelt, ohne dass dies bedeutet, die Aufgaben und Befugnisse der Länder seien aus dem Grundgesetz abgeleitetet. Im Gegensatz zu der Staatlichkeit der Autonomen Gemeinschaften sind sie originär, d. h., sie beruhen auf dem Willen eigener Verfassungsgesetzgeber, der Landesvölker. Art. 24 GG, mittlerweile Art. 23 GG, lässt die Ausübung funktioneller Staatlichkeit von Bundes- und Länderaufgaben durch die Europäische Union zu16. In Spanien wird „einstimmig“17 gelehrt, dass Art. 93 CE nicht nur Zuständigkeiten des Zentralstaates, sondern auch der Autonomen Gemeinschaften umfasst18. Selbst einzelne, durch die erste Zusatzbestimmung der spanischen Verfassung geschützten und geachteten Foralrechte können übertragen werden19. Das Verfassungsgericht lehnt jedoch eine „Neuordnung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften“20 ab. Dazu führt es an, dass die ausschließliche Führung von internationalen Beziehungen (Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE) den Staat nicht befuge, sich mit jeglichen Mitteln für alle „entlegenen“ (remoto) Fälle auszustatten. Europarecht gehört nicht zum Block der Verfassungsmäßigkeit21. Damit wird Europarecht nicht herangezogen, um im EinzelDTC 108 / 1992 v. 01. 07., abgedruckt in: EuGRZ 20 (1993), S. 289. E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, S. 9 f.; J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1096. 16 Dazu ausführlich Kap. VI.1. 17 P. Pérez Tremps, Constitución Española y Comunidad Europea, S. 111. 18 Art. 20 Abs. 3 Nr. 2 des Autonomiestatutes des Baskenlandes ist keine Grenze des Art. 93 CE: „Kein Vertrag oder Abkommen kann die Befugnisse und Kompetenzen des Baskenlandes betreffen, sofern es sich nicht um das Verfahren des Art. 152 Abs. 2 CE handelt, ausgenommen die Regelungen des Art. 93 CE.“ Dazu P. Pérez Tremps, Constitución Española y Comunidad Europea, S. 112 f.; ders. / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 207 f. 19 STC 76 / 1988 v. 26. 04., FJ 2 – 5. 20 STC 80 / 1993 v. 08. 03., FJ 3 mit Verweis auf STC 153 / 1989 v. 05. 10., 54 / 1990 v. 28. 03., 76 / 1991 v. 11. 04. und 100 / 1991 v. 13. 05. 21 Ständige Rechtsprechung seit STC 252 / 1988 v. 20.12. 14 15
1. Rechte der Autonomen Gemeinschaften
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fall festzustellen, welcher staatlichen Ebene bestimmte Zuständigkeiten zustehen. Die Zuständigkeitsverteilung kann nur durch die vorgesehenen Verfahren der Verfassungs- oder Statutänderung, nicht aber durch das Gemeinschaftsrecht reformiert werden22. c) Verfassungsrechtliche Mitwirkungsrechte der Autonomen Gemeinschaften Nach Klärung der Rechtsgrundlage und des Umfangs der Befugnis des spanischen Staates, Zuständigkeiten auf die Europäische Union zu übertragen, bleibt zu erläutern, welche Beteiligung für die Autonomen Gemeinschaften verfassungsrechtlich vorgesehen ist. Eingangs wurde erwähnt, dass der Senat an der Verabschiedung des verfahrensrechtlich vorgesehenen Organgesetzes und somit an der Willensbildung des Staates mitwirkt. Allerdings verhindern seine Zusammensetzung und Befugnisse, die sich im Wesentlichen auf ein suspensives Vetorecht beschränken, dass es sich um eine einflussreiche, territoriale Gesetzgebungskammer handelt23. Anders als in Deutschland, in dem die Länder vor allem durch den Bundesrat in europäischen Angelegenheiten mitwirken (vgl. Art. 50 GG), kommt es in Spanien nicht zu einer substantiellen Mitwirkung der Regionen über ein Verfassungsorgan des Zentralstaates, obwohl in Art. 69 Abs. 1 CE der Senat als „Kammer der territorialen Repräsentation“ ausgewiesen wird. Als Alternative auf Ebene des Verfassungsrechts zu der Beteiligung über den Senat besteht die Möglichkeit, die Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaft direkt durch die Zuständigkeitsverteilung zu ermöglichen24. Aufgrund des dispositiven Prinzips und der daraus resultierenden komplexen Verteilung der Befugnisse kann bei dieser Lösung jede Autonome Gemeinschaft unterschiedlich behandelt werden. Um die spezifischen Mitwirkungsrechte der jeweiligen Region zu erkennen, muss der Block der Verfassungsmäßigkeit, d. h. jedes einzelne Autonomiestatut in Verbindung mit der Verfassung, analysiert werden. Vordergründig scheint Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE gegen die Möglichkeit zu sprechen, den Autonomen Gemeinschaften Mitwirkungsbefugnisse zu gewähren. Diese Norm gibt dem Staat die (streng) ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der „internationalen Beziehungen“. Eine weite Auslegung dieser Materie, wie sie 22 Ständige Rechtsprechung seit STC 141 / 1993 v. 22. 04. Dazu J. Pérez Royo, Curso de Derecho Constitucional, S. 1108; O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 683; C. Fernández de Casadevante Romani, La acción exterior de las Comunidades Autónomas, 2001, S. 21 ff.; P. Pérez Tremps, La Constitución española antes y después de Niza, CDP 13 (2001), S. 282 ff. 23 Siehe Kap. IV.4.b). 24 Siehe J. E. Soriano García, La participación de las Comunidades Autónomas en el ejercicio del poder exterior y la ejecución autonómica de la legislación comunitaria, Autonomies 10 (1989), S. 82 ff.; I. Bullaín López, Las Regiones Autónomas de la Comunidad Europea y su Participación en el Proceso de Integración, 1990, S. 196 ff.
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
durch den Staat favorisiert wird, lässt nicht nur diesen als Träger internationaler Aufgaben zu, sondern verhindert zudem jegliches Tätigwerden der Autonomen Gemeinschaften in ihnen zugewiesenen Aufgabenfeldern, sofern sie eine internationale Dimension hat. Dies ist z. B. in dem Bereich des Tourismus der Fall, für den einige Autonomien Regelungsbefugnisse haben, der Staat jedoch auf seine Zuständigkeit in internationalen Beziehungen verweist25. Eine derartige Interpretation des Rechtsbegriffs der internationalen Beziehungen ist weder mit dem Autonomieprinzip noch mit den heutigen Lebensverhältnissen vereinbar26. Eine strikte Trennung der staatlichen Aufgaben in solche mit Innen- und Außenbezug kritisiert Remiro Brotons als „archaisch“27. Folglich ist eine enge Interpretation des Terminus zu befürworten, durch die die Zuständigkeit des Staates auf das Vertragsabschlussrecht (ius ad tractatum)28 sowie das Repräsentationsrecht (ius repraesentationis)29 fokussiert wird30. Ähnlich den spärlichen Regelungen für die Setzung von primärem Gemeinschaftsrecht in der spanischen Verfassung treffen auch die Autonomiestatute kaum Vorkehrungen über Mitwirkungsrechte bei der Integration31. Verwunderlich ist dies, da die letzten Autonomiestatute 1983, d. h. lediglich drei Jahre vor dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft in Kraft traten und die Verankerung der Rolle der Autonomen Gemeinschaften in europäischen Angelegenheiten in den vorangegangenen Debatten als notwendig erachtet wurde32. Ein Anhörungsrecht der baskischen Regierung beim Abschluss internationaler Verträge konnte beispielsweise nicht gegen den Widerstand des Staates durchgesetzt werden und wurde letztlich nicht im Autonomiestatut des Baskenlandes aufgenommen33. 25 P. Cruz Villalón, Die Neugliederung des spanischen Staats durch die „Autonomen Gemeinschaften“, S. 234. 26 A. Mangas Martín, Derecho Comunitario europeo y Derecho español, 2. Aufl. 1987, S. 222 f.; E. L. Murillo de la Cueva, Mecanismos de participación de las Comunidades Autónomas en la formación de la voluntad del Estado ante la Unión Europea, in: C. Carretero Espinosa de los Monteros / E. Hinojosa Martínez (Hrsg.), El Estado Autonómico en la Comunidad Europea, 2002, S. 90; M. J. Montoro Chiner, Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften Spaniens an den Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaften, in: S. Magiera / D. Merten, Bundesländer und Europäische Gemeinschaft, 1988, S. 166 f.; M. Barceló i Serramalera, Europäische Gemeinschaft und Autonome Gemeinschaften, 1993, S. 13. 27 A. Remiro Brotons, La acción exterior del Estado, 1984, S. 355. 28 Art. 63 Abs. 2, Art. 93, Art. 94 und Art. 97 CE. 29 Art. 56 Abs. 1 und Art. 97 CE. 30 Vgl. A. Mangas Martín, Derecho Comunitario europeo y Derecho español, S. 229. 31 Vgl. A. Pérez Calvo, Estado Autonómico y Comunidad Europea, 1993, S. 116. Siehe auch S. 133 ff., auf denen ein Überblick über die unterschiedlichen Normgehalte bezüglich der EU in den Statuten gegeben wird. 32 So auch T. Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen Europas, S. 215. 33 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 205 f.; G. Ress, Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, S. 551.
1. Rechte der Autonomen Gemeinschaften
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Die in den Autonomiestatuten verankerten Rechte lassen sich in Initiativrechte, bei denen die Autonome Gemeinschaft den Staat auffordern kann, international tätig zu werden [aa)], und in Rechte während des Willensbildungsprozesses [bb)] unterscheiden. aa) Initiativrechte Nicht in allen Statuten sind Normen enthalten, die den Autonomen Gemeinschaften das Recht geben, den Staat aufzufordern, internationale Verträge und Vereinbarungen abzuschließen34. Wurden Materien verankert, so sind diese üblicherweise sehr spezifisch und finden im Rahmen der EU kaum Anwendung. Die Abkommen und Verträge sind vor allem kultureller Art, Übereinkünfte über Auswanderer oder sollen die Anerkennung der Herkunft von Bürgern aus der betreffenden Region in anderen Staaten vereinfachen. Das Baskenland, Katalonien und Galicien können den Staat auffordern, Verträge über ihre Sprachen abzuschließen35. Allein die Gemeinschaft Aragonien trifft mit Art. 40 Abs. 1 seines Autonomiestatuts eine weitreichende Regelung allgemeiner Art. Es besteht ein Initiativrecht „in Materien von Interesse für Aragonien“. Unterschiede sind in den Normen zu finden, die das zur Initiative berechtigte Regionalorgan festlegen: In Altkastilien (Castilla y León) ist es der Rat, in den anderen Gemeinschaften entweder die Regierung oder das Parlament36. bb) Rechte im Willensbildungsprozess Im Prozess der Ausarbeitung der internationalen Abkommen sehen die meisten Autonomiestatute ausschließlich Informationsrechte vor37. Eine Beteiligung an der Willensbildung des Staates wird nur im Statut der Kanarischen Inseln verankert. Werden besondere Interessen der Kanaren durch internationale Verträge berührt, so muss vor Abschluss eine Stellungnahme der Regionalregierung angefordert werden (Art. 37 Abs. 1 Autonomiestatut der Kanaren)38. Der Zentralstaat ist allerdings weder an etwaige Empfehlungen gebunden, noch besteht eine Begründungs34 Hierzu und dem Folgenden vgl. A. Pérez Calvo, Estado Autonómico y Comunidad Europea, S. 116 ff.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 202 ff. 35 Art. 3 Abs. 2 CE ermöglicht die Verankerung anderer Sprachen als Kastillanisch (Spanisch) in den Autonomiestatuten als Amtssprache. Katalanisch ist in Katalonien, den Balearen und in Valencia (dort unter dem Namen ,Valencianisch‘), Baskisch im Baskenland und Teilen Navarras und Galicisch in Galicien ço-offizielle“ Sprache. Dazu P. Unzueta, La lengua absuelta, Beilage zu El País v. 30. 11. 2003, S. 13; S. González-Varas, Kritische Anmerkungen über die juristische Ordnung der Sprachsysteme in den Mitgliedsstaaten Europas, NVwZ 21 (2002), S. 947 und vgl. (bestätigend) STC 82 – 84 / 1986 v. 26.06. 36 A. Pérez Calvo, Estado Autonómico y Comunidad Europea, S. 117 f. 37 Kritik an der geringen Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften üben E. Aja / C. Viver Pi-Sunyer, Valoración de 25 años de autonomía, REDC 23 (2003), S. 103 ff. 38 A. Pérez Calvo, Estado Autonómico y Comunidad Europea, S. 120 f.
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
pflicht gegenläufiger Entscheidungen39. Selbst eine Verletzung der Anhörungspflicht hat keine Konsequenzen auf die Gültigkeit des Vertrages, so dass die Wirksamkeit dieser Vorschrift bezweifelt wird40. Den übrigen Autonomien fehlt selbst dieses rudimentäre Mitwirkungsrecht. Meist beschränkt sich das Recht auf eine Informationspflicht des Staates bei Abschluss internationaler Abkommen, die ihr „besonderes Interesse“41 oder im Fall von Murcia „Materien seiner Kompetenz“42 betreffen. Trotz der begrifflichen Abweichung wird in der Staatspraxis keine Unterscheidung getroffen. Weitere Differenzen bestehen bezüglich der Regelungen des Zeitpunktes der Unterrichtung. Nicht aus allen Autonomiestatuten, in denen Informationsrechte verankert sind, geht explizit hervor, dass diese begleitend zum Verhandlungsprozess und nicht erst nachträglich gegeben werden43. Trotz der Unterschiede werden die Autonomen Gemeinschaften üblicherweise gleich behandelt. Selbst diejenigen, die entsprechend ihrem Statut keinen Anspruch auf Information haben, werden über sie betreffende Abkommen informiert44.
2. Teilhabe der Autonomien am Vollzug von Rechtsakten der Union Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht richtet sich weitestgehend, wie bereits in Kap. VI.1.b) am deutschen Fall exemplifiziert, nach innerstaatlichem Recht45. Sowohl Verfassung als auch Autonomiestatute geben keine Auskunft darüber, welche staatliche Ebene für die Umsetzung des Europarechts berechtigt ist. Die unterschiedlichen Ansichten über die Zuständigkeit in der spanischen Rechtswissenschaft werden unter a) dargelegt. Als weiteres Problemfeld eröffnet sich die Verantwortung gegenüber der Union. Zwar können andere staatliche Ebenen als der Zentralstaat vollzugsberechtigt sein, doch entbindet dies die zentralstaatliche 39 I. d. S. E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, S. 18. 40 J. M. Peláez Marón, La participación de las Comunidades Autónomas en la celebración y ejecución de los tratados internacionales, RDP 98 (1985), S. 74 f.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 207. 41 Bspw. Art. 20 Abs. 5 Autonomiestatut des Baskenlandes; Art. 23 Abs. 1 Autonomiestatut Andalusien. 42 Art. 12 Autonomiestatut Murcia. 43 A. Mangas Martín, Derecho Comunitario europeo y Derecho español, S. 242 f.; E. Roig Molés, Las Comunidades Autónomas y la posición española en asuntos europeos, 2002, S. 178 f. 44 Siehe A. Pérez Calvo, Estado Autonómico y Comunidad Europea, S. 152 f.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 206. 45 Vgl. Kap. VI.1.b).
2. Teilhabe der Autonomien am Vollzug von Rechtsakten
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Ebene nicht von ihrer völkervertraglich eingegangen Verpflichtung des vertragsgemäßen Vollzugs. Fallen sekundärrechtliche Vorgaben in den Zuständigkeitsbereich der Autonomen Gemeinschaften und werden nicht oder fehlerhaft umgesetzt, so kann die Kommission nach Art. 226 EGV ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dieses richtet sich nicht direkt gegen die Autonome Gemeinschaft, sondern gegen den Mitgliedstaat Spanien. Somit ist zu klären, welche Kontrollinstrumente diesem gegenüber den Autonomien zukommt, um den ordnungsgemäßen Vollzug von Europarecht sicherzustellen [b)].
a) Verteilung von Aufgaben und Befugnissen im Autonomiestaat Da der Vollzug des Gemeinschaftsrechts der innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung unterliegt, ist der spanische Block der Verfassungsmäßigkeit auszulegen, um festzustellen, welcher staatlichen Ebene Umsetzung und Durchführung des sekundären Europarechts obliegt. Vor allem aufgrund des Fehlens einer expliziten Regelung in Verfassung und Autonomiestatuten wurde nach dem Beitritt Spaniens zu den Europäischen Gemeinschaften 1986 durch den Staat versucht, eine umfassende, ausschließliche Zuständigkeit aus Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE zu begründen46. Wie dargelegt, vermag eine derartig umfassende Auslegung der „internationalen Beziehungen“ nicht zu überzeugen. Ebenso wenig sind Begründungen, wie ein dezentraler und somit nicht uniformer Vollzug gefährde die Einheitlichkeit der spanischen Rechtsordnung oder die Autonomen Gemeinschaften seien überfordert, haltbar47. Fiele dem Zentralstaat der Vollzug jeglicher Materien zu, die durch Rechtsakte der Union geregelt werden, so würde dies die Ablösung der spanischen Regionalisierung durch einen neuen Zentralismus bedeuten oder zumindest das Autonomieprinzip in Frage stellen. Einen derartigen „Rückholeffekt“48 von autonomen Befugnissen ermöglicht Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE jedoch nicht. Dies bestätigt das Verfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung seit 199149: 46 Siehe P. Pérez Tremps, Las competencias en materia internacional y la Unión Europea, Autonomies 22 (1997), S. 82 ff.; ders. / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 185 ff. 47 I. d. S. auch STC 54 / 1990 v. 28.03., FJ 3. Siehe (differenzierend) C. F. Molina de Pozo, Manual de derecho de la Comunidad Europea, 3. Aufl. 1997, S. 915 ff.; M. Pérez González, Autonome Gemeinschaften und EG, in: D. Nohlen / J. J. González Encinar (Hrsg.), Der Staat der Autonomen Gemeinschaften in Spanien, 1992, S. 179 f. 48 M. J. Montoro Chiner, Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften Spaniens an den Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaften, S. 167. 49 Vgl. STC 28, 76, 100, 115, 208, 236 / 1991; 79, 117, 172 / 1992; 80, 141 / 1993; 14, 29, 165, 191, 213, 313, 330 / 1994; 102, 112 / 1995; 67, 147 / 1996; 148 / 1998; 45, 95 / 2001. Dazu J. Balza Aguilera, La jurisprudencia constitucional sobre la acción europea de las Comunidades Autónomas, RAndAP 18 (1994), S. 128 ff.
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
„Auf der anderen Seite kann der Staat sich nicht prinzipiell auf seine exklusive Kompetenz über die internationalen Beziehungen berufen (Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE), um seinen Kompetenzbereich auf alle Aktivitäten zu erweitern, die die Entwicklung, Ausführung oder Anwendung von internationalen Abkommen oder Verträgen und, im Speziellen, das sekundäre Europarecht, darstellen. Wenn dies so wäre, würde, eine fortschreitende Erweiterung der Eingriffe der Europäischen Gemeinschaft vorausgesetzt, sich eine beträchtliche Entleerung der Zuständigkeiten einstellen, die die Verfassung und die Statute den Autonomen Gemeinschaften übertragen.“50
Während das höchste spanische Gericht zuvor den Bereich der internationalen Beziehungen weit auslegte und dem Vollzug durch die Autonomen Gemeinschaften kaum Raum zur Entfaltung einräumte51, erkannte es Anfang der 90er Jahre, dass in Übereinstimmung mit dem Autonomieprinzip des Art. 2 CE die Umsetzung jener Ebene vorbehalten sei, die innerstaatlich für den entsprechenden Bereich zuständig ist52. Ein Vergleich der Autonomiestatute zeigt, dass sieben Gemeinschaften53 zur legislativen und exekutiven Durchführung völkerrechtlicher Verträge befugt sind, sechs weiteren54 lediglich die administrative Zuständigkeit zufällt und vier Statute55 keinerlei diesbezügliche Regelungen enthalten56. In europäischen Angelegenheiten ist es nunmehr jedoch unbedeutend, ob die Statute der Autonomen Gemeinschaften eine explizite Vollzugsbefugnis beinhalten: „(Es) . . . muss darauf hingewiesen werden, dass die Umsetzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht in nationales Recht notwendigerweise den Kriterien der Verfassung und Statute bezüglich der Kompetenzverteilung zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften folgen muss, Kriterien die, sofern nicht nach den entsprechenden Verfahren abgeändert (Art. 95 Abs. 1 CE), sich weder durch den Beitritt Spaniens in die EG noch durch die Verbreitung von Gemeinschaftsrecht ändern; die Abtretung der Ausübung von Kompetenzen zugunsten der Gemeinschaftsorgane impliziert nicht, dass die nationale öffentliche StaatsSTC 79 / 1992 v. 28.05., FJ 1. Siehe STC 44 / 1982 v. 08.07., FJ 4. 52 A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, 3. Aufl. 2002, S. 516 f. Siehe bereits STC 252 / 1988 v. 20.12., in der allerdings in der zu entscheidenden Sache die Zuständigkeit dem Staat zugesprochen wurde; dazu O. Casanovas y La Rosa, Las competencias de las Comunidades Autónomas en la aplicación del Derecho Comunitario europeo, RIE (1989), S. 767 ff.; M. Pérez González, Comunidades Autónomas y protección exterior del Estado, REDI 41 (1989), S. 210 ff.; J. M. Baño León, La ejecución autonómica del derecho comunitario ante el tribunal constitucional, S. 259 ff. 53 Andalusien, Aragonien, Baskenland, Kanarische Inseln, Katalonien, Madrid, Neukastilien. 54 Altkastilien, Asturien, Balearen, Extremadura, Murcia, Navarra. 55 Galicien, Kantabrien, La Rioja, Valencia. 56 Vgl. E. Ruiloba Santana, Repercusiones del ingreso de España en la Comunidad Europea sobre la construcción del Estado de las Autonomías, in: V. Abellán Honrubia (Hrsg.), La integración de España en las Comunidades Europeas y las competencias de las Comunidades Autónomas, 1983, S. 27; F. Santoalalla Gadea, La aplicación del derecho comunitaria en España, in: E. García de Enterría / J. D. González Campos / S. Muñoz Machado (Hrsg.), Tratado de Derecho Comunitario Europeo, Bd. I, 1986, S. 480 ff. 50 51
2. Teilhabe der Autonomien am Vollzug von Rechtsakten
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gewalt aufhört, der Verfassung und der sonstigen rechtlichen Ordnung unterworfen zu sein, wie es Art. 9 Abs. 1 CE festlegt.“57
Dementsprechend kann die Zuständigkeitsfrage für Spanien wie folgt schemenhaft beantwortet werden58. Im Fall des mittelbaren Vollzugs bedürfen europäische Rechtsakte vor ihrer exekutiven Durchführung einer legislativen Umsetzung in innerstaatliches Recht, so beispielsweise die Richtlinie. Die Normsetzung fällt der Autonomen Gemeinschaft zu, insofern sie in der Materie eine ausschließliche Zuständigkeit innehat59. Hat der Staat die Befugnis, Rahmengesetze zu erlassen, so befürwortet ein Teil der spanischen Literatur, dass diese trotz europäischer Richtlinien weiter besteht60. Widersprochen wird dieser Ansicht mit dem Argument, dass eine zusätzliche staatliche Normierung den Autonomen Gemeinschaften keinen Raum zur Entfaltung durch Entwicklungsgesetzgebung gebe, da die Richtlinien bereits häufig detailliert sind61. Somit ist in dem Recht auf staatliche Rahmengesetzgebung meist eine Befugnis zu sehen, die der Union übertragen wurde und nicht mehr ausgeführt werden kann. Allerdings ist dies vom Einzelfall, d. h. von dem Regelungsbereich der entsprechenden Richtlinie sowie der spezifischen Aufteilung der innerstaatlichen Zuständigkeit abhängig62. Gemäß der spanischen Staatspraxis ist die Grundlagengesetzgebung des Staates als ersten Schritt der legislativen Umsetzung von Richtlinien nicht a priori ausgeschlossen63. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts müssen die Autonomien jedoch nicht ein STC 236 / 1991 v. 12. 12, FJ 9; Klammersatz hinzugefügt. Dazu R. Bustos Gisbert, Relaciones internacionales y Comunidades Autónomas, 1996, S. 285 ff.; L. Millán Moro, La aplicación del Derecho Comunitario Europeo en el Estado Autonómico, in: C. Carretero Espinosa de los Monteros / E. Hinojosa Martínez (Hrsg.), El Estado Autonómico en la Comunidad Europea, 2002, S. 9 ff. 59 Dazu und dem Folgenden A. Mangas Martín, Derecho Comunitario europeo y Derecho español, S. 251 ff.; J. M. Baño León, Las Comunidades Autónomas en la Comunidad Europea, 1987, S. 85 ff.; L. Millán Moro, La aplicación del Derecho Comunitario Europeo en el Estado Autonómico, S. 13 f. 60 S. Muñoz Machado, El Estado, el derecho interno y la Comunidad Europea, 1986, S. 102 ff.; J. M. Baño León, Las Comunidades Autónomas en la Comunidad Europea, S. 87 ff. 61 E. Argullol Murgadas, Competencias de la Comunidad Europea y de las Comununidades Autónomas en materia de política agraria, in: V. Abellán Honrubia (Hrsg.), La integración de España en las Comunidades Europeas y las competencias de las Comunidades Autónomas, 1983, S. 230; E. Ruiloba Santana, Repercusiones del ingreso de España en la Comunidad Europea sobre la construcción del Estado de las Autonomías, S. 462; J. Tornos i Mas, Algunos problemas comptenciales en la ejecución interna de directivas comunitarias, Autonomies 13 (1991), S. 40 ff.; R. Jiménez Asensio, La ejecución del derecho comunitario por las Comunidades Autónomas en la jurisprudencia constitucional, RVAP 41 (1995), S. 193 ff. 62 Siehe A. Pérez Calvo, La capacidad del Estado para dictar normas básicas en desarrollo de la normativa comunitaria, in: A. Pérez Calvo (Hrsg.), Normativa básica en el ordenamiento jurídico español, 1990, S. 203 ff. Siehe dazu Kap. IV.3. 63 I. d. S. auch A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 521 f. ; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 261 ff. 57 58
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
Tätigwerden des Staates abwarten64. Auf diese Weise kann die von Unionsseite vorgegebene Frist für die Umsetzung gewahrt bleiben. Die administrative Durchführung erfolgt ebenso durch die innerstaatlich zuständigen Behörden65. Als entscheidender Unterschied zu Deutschland mit der Zuständigkeitsvermutung der Art. 30 und 83 GG zugunsten der Länder haben die Autonomen Gemeinschaften nur insofern die Befugnis zur Exekutive, als ihnen diese für die jeweilige Materie in ihrem Autonomiestatut aufgeführt ist66. Sowohl bei der legislativen als auch bei der exekutiven Durchführung ergibt sich nicht selten die Konstellation, dass einige Autonomien gemäß ihrer Zuständigkeit einen Bereich regeln, wohingegen anderen diese Befugnis fehlt und für ihr Gebiet der Staat tätig wird.
b) Staatliche Kontrollmechanismen zur Vermeidung und Ahndung von Verletzungen des Gemeinschaftsrechts Aus der Möglichkeit des dezentralen Vollzugs ergibt sich in Spanien strukturell die gleiche Problematik wie in Deutschland67: Der Staat in seiner Gesamtheit ist verpflichtet, seinen Gemeinschaftspflichten nachzukommen (Art. 10 EGV) und somit das Unionsrecht nach Maßgabe des Effektivitätsgebotes und des Diskriminierungsverbotes zu vollziehen68. Hierfür ist er der Union verantwortlich und kann Verstöße nicht dadurch rechtfertigen, dass innerstaatlich nicht der Zentralstaat selbst, sondern die Autonomen Gemeinschaften zuständig seien. Um seinen durch Art. 93 S. 1 CE eingegangenen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, hat in Spanien wie in Deutschland auch der Staat die Möglichkeit auf seine Kontrollrechte zurückzugreifen. Art. 93 S. 2 CE weist die Gewährleistungspflicht der rechtmäßigen Erfüllung internationaler und damit auch europarechtlicher Verträge und der Umsetzung sekundärrechtlicher Akte den Cortes Generales oder der Regierung zu69. Diese Befugnis ist nicht mit der eigentlichen Vollzugsbefugnis zu verwechseln, die sich aus der Zuständigkeitsordnung ergibt. Somit ist eine Ableitung einer Vollzugsbefugnis des Staates aus der Gewährleistungspflicht, wie dieser bis Anfang der neunziger STC 32 / 1981 v. 28. 07., FJ 6. Dazu und dem Folgenden J. M. Baño León, Las Comunidades Autónomas en la Comunidad Europea, S. 92 ff.; L. Millán Moro, La aplicación del Derecho Comunitario Europeo en el Estado Autonómico, S. 15 f. 66 Vgl. Kap. IV.3.c). 67 Vgl. Darlegung und Nachweise in Kap. VI.1.b). 68 R. Bustos Gisbert, La ejecución del derecho comunitario por el gobierno central, RVAP 67 (2003), S. 164 ff. Vgl. Kap. VI Fn. 39. 69 Kritisch A. Mangas Martín, Los tratados internacionales (arts. 93 a 96 CE), RDP 36 (1992), S. 422 ff.; ders. / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 486 f. 64 65
2. Teilhabe der Autonomien am Vollzug von Rechtsakten
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Jahre zu begründen versuchte, abzulehnen70. In Spanien kann eine Rechtspflicht der Autonomen Gemeinschaften, in ihrem Zuständigkeitsbereich Unionsrecht ordnungsgemäß zu vollziehen, nicht ohne weiteres aus einer Treuepflicht hergeleitet werden. Eine allgemeine Treueverpflichtung der Autonomen Gemeinschaften gegenüber dem Staat und somit der Verpflichtung, ihre Befugnisse nicht missbräuchlich zu verwenden, ist in der spanischen Rechtslehre noch nicht allgemein anerkannt und erst in Ansätzen zu erkennen. Dabei ist die Analogie zum deutschen Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens unübersehbar71: Mit Verweis auf das durch das verfassungsgerichtlich entwickelte „Prinzip der treuen Kooperation“ (principio de cooperación leal)72 im Sinne einer „Regionalismustreue“73 wird die Verpflichtung der Autonomen Gemeinschaften zum Vollzug begründet74. Das Verfassungsgericht sieht die Umsetzung von internationalen Verträgen durch die Autonomen Gemeinschaften als „logische Konsequenz der Territorialstruktur des Staates“75. Mit der Entscheidung 149 / 1991 vom 04. 07. bestätigt das Verfassungsgericht diese Erfüllungspflicht speziell für das Europarecht76. Wenn die Autonomen Gemeinschaften trotz Vollzugsverpflichtung untätig bleiben, Gemeinschaftsrecht unvollständig oder im Widerspruch mit den Verträgen vollziehen, verstoßen sie gegen Gemeinschaftsrecht77. Als Bereiche, in denen Vertragsverletzungen durch die Autonomen Gemeinschaften besonders häufig auftreten, werden der Umwelt- und Agrarsektor, regionale Beihilfen und das öffentliche Auftragswesen genannt78. Wie im deutschen Fall ist der Staat auf die Instrumente 70 Statt aller G. Garzón Clariana / G. Albiol Biosca / J. L. Piñol i Rull / B. Vilà i Costa, La ejecución del derecho comunitario europeo en España y las competencias de las Comunidades Autónomas, in: Generalitat de Catalunya (Hrsg.), La aplicación del derecho de la Comunidad Europea por los organismos subestatales, 1986, S. 225 ff. Siehe aber Tendenz in STC 153 / 1989 v. 05. 10., FJ 8. Kritik hieran A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 524. Einen Wandel in der Rechtsprechung seit STC 54 / 1990 v. 28. 03., FJ 3. 71 Siehe Kap. VI Fn. 43 und allgemein Kap. III.2.d). 72 A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 529 f. 73 Siehe Kap. IV Fn. 164. 74 Vgl. STC 11 / 1986, FJ 5. Dazu A. López Castillo, El exterior y la Comunidad Europea en el juego competencial interno, REDC 9 (1989), S. 237. 75 STC 44 / 1982 v. 08. 07., FJ 4. Zu der Dogmatik des Verfassungsgerichts siehe auch F. García Gómez de Mercado, La responsibilidad de las Comunidades Autónomas por incumplimiento del Derecho Comunitario, in: C. Carretero Espinosa de los Monteros / E. Hinojosa Martínez (Hrsg.), El Estado Autonómico en la Comunidad Europea, 2002, S. 31 ff. 76 Dazu O. Alzaga Villaamil / I. Gutiérrez Gutiérrez / J. Rodríguez Zapata, Derecho político español según la Constitución de 1978, S. 683. 77 E. Cobreros Mendazona, Incumplimiento del Derecho comunitario y responsabilidad del Estado, 1994, S. 89 ff.; L. Millán Moro, La aplicación del Derecho Comunitario Europeo en el Estado Autonómico, S. 22. 78 A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 530.
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
zur Kontrolle der Konformität des dezentralen Vollzugs mit dem Gemeinschaftsrecht limitiert, die die Verfassung ihm ausdrücklich zuweist79. Im Wesentlichen können vier Instrumente, die nach Ansicht des Verfassungsgerichts „unabkömmlich sind, um die durch Art. 93 CE attribuierte Funktion auszuüben“80, unterschieden werden81: Erstens kommen die in Art. 150 Abs. 3 CE genannten Aufsichtsrechte82 und zweitens (ultima ratio) der Staatszwang des Art. 155 CE in Betracht. Neben diesen in Kap. IV.6 dargelegten Bestimmungen, kann der Staat gemäß Art. 150 Abs. 3 CE Gesetze erlassen, die Grundsätze für eine Angleichung von Normen der Autonomien beinhalten. Diese Maßnahme setzt somit stark divergierende Regelungen der Autonomen Gemeinschaften voraus83, die zudem harmonisierungsbedürftig sind. Kriterium ist ein Allgemeininteresse, das nach Art. 150 Abs. 3 S. 3 CE beide Kammern der Cortes Generales mit absoluter Mehrheit feststellen müssen. Dadurch ist die Harmonisierungsgesetzgebung ein ungeeignetes Kontrollmittel. Ein Allgemeininteresse ist nicht bereits bei fehlerhaftem Vollzug erforderlich, sondern erst bei einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsausübung aufgrund der divergierenden Regelungen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die aus der Wahlfreiheit bei der Umsetzung einer Richtlinie resultierenden regionalen Unterschiede ursächlich für einen etwaigen Verstoß sind84. Vielmehr würde durch staatliche Harmonisierung der Zweck von Richtlinien, ungleichen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, untergraben. Das vierte Instrument unterscheidet sich insoweit wesentlich von den zuvor genannten, als es präventiv eingesetzt werden kann. Nach Art. 149 Abs. 3 S. 3 CE kann der Staat in jedem Fall das durch die Autonomen Gemeinschaften gesetzte Recht ergänzen85. Diese Ergänzungsklausel ist aufgrund des dispositiven Prinzips notwendig. Die Unterschiede der Zuständigkeiten hinsichtlich Materie und Inten79 A. Remiro Brotons, La responsabilidad por incumplimiento de las Comunidades Autónomas, in: A. A. Herrero de la Fuente (Hrsg.), Comunidades Autónomas y Comunidad Europea, 1991, S. 210 ff. Zum deutschen Fall vgl. Kap. VI.1.b). 80 STC 252 / 1988 v. 20. 12., FJ 2; 79 / 1992 v. 28.05., FJ 1; 80 / 1993 v. 08. 03., FJ 3. 81 Dazu J. M. Baño León, Las Comunidades Autónomas en la Comunidad Europea, S. 104 ff.; R. Alonso García, La ejecución normativa del Derecho Comunitario europeo en el ordenamiento español, RAP 121 (1990), S. 235 ff.; D. Ordónez Solís, La ejecución del Derecho Comunitario europeo en España, 1994, S. 453 ff.; L. Millán Moro, La aplicación del Derecho Comunitario Europeo en el Estado Autonómico, S. 22 f. 82 Siehe A. Borrás, España como miembro en la Comunidad Europea y sus efectos sobre las Comunidades Autónomas, Autonomies 13 (1991), S. 45 ff. 83 Damit ist dieses Mittel lediglich ex post einzusetzen; A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 531. Anderer Ansicht S. Muñoz Machado, El Estado, el derecho interno y la Comunidad Europea, S. 110. Beide unter Hinweis auf STC 76 / 1983 v. 07. 08., FJ 3. 84 So auch M. Barceló i Serramalera, Europäische Gemeinschaft und Autonome Gemeinschaften, S. 22 f. 85 Siehe Kap. IV.3, insbesondere Fn. 107.
3. Konferenz über EG-Angelegenheiten
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sität macht es unabkömmlich, dass der Staat zur Schließung von Regelungslücken komplementäres Recht setzt. Es muss hervorgehoben werden, dass die Norm keine Substitution autonomer Regelungen ermöglicht, sondern auf eine Vervollständigung ausgelegt ist86. Gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist die Ergänzungswirkung restriktiv auszulegen87. Unterlässt eine Autonome Gemeinschaft eine normative Umsetzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht in der vorgegebenen Frist oder ist diese lückenhaft, so gilt die staatliche Regelung komplementär. Bei einer fehlerhaften Umsetzung hingegen kann der Staat lediglich auf die Kontrollrechte der Art. 153 und 155 CE zurückgreifen, da die Ergänzungsgesetzgebung, wie dargelegt, keinen Substitutionseffekt entfalten kann88. In jedem Fall ist bei der Auswahl und der Anwendung der dargelegten Instrumente das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren89.
3. Konferenz über EG-Angelegenheiten als Institution des kooperativen Regionalismus a) Geschichte und Rechtsgrundlage Bereits vor dem EG-Beitritt Spaniens wurde angesichts der spärlichen verfassungsrechtlichen Normen über die Rolle der Autonomen Gemeinschaften im Integrationsprozess die Notwendigkeit gesehen, entsprechende Regelungen zu erarbeiten. Rodríguez Iglesias, ehemaliger Präsident des Europäischen Gerichtshofs, empfahl, die Beteiligungsrechte der Autonomen Gemeinschaften in dem durch Art. 93 S. 1 CE vorgeschriebenen Organgesetz, das den Beitritt ermöglicht, zu normieren90. Entgegen seinem Vorschlag wurde weder die Mitwirkung der Autonomien bei der Willensbildung des Staates in europäischen Angelegenheiten noch der Vollzug durch das Organgesetz geregelt. Die Parlamentsmehrheit sah wenige Monate vor dem Beitritt zwar die Notwendigkeit, nicht jedoch die Eilbedürftigkeit der Regelung, wie in der Aussage des Abgeordneten Marín López zum Ausdruck kommt: „. . . dieses Gesetz muss gemacht werden, und unvermeidlich muss es vor dem 1. Januar 1986 gemacht werden, aber jetzt ist nicht der geeignete Moment.“91 Vgl. STC 61 / 1997 v. 20. 03., FJ 19. STC 79 / 1992 v. 28. 05., FJ 3. Dazu siehe auch F. García Gómez de Mercado, La responsibilidad de las Comunidades Autónomas por incumplimiento del Derecho Comunitario, S. 37 f. 88 I. d. S. auch J. M. Baño León, Las Comunidades Autónomas en la Comunidad Europea, S. 108. 89 A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 531; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 273 f. 90 Vgl. G. C. Rodríguez Iglesias, Problemas jurídicos de la adhesión de España a la Comunidad Europea, in: Cursos de Derecho Internacional de Vitoria-Gasteiz, 1984, S. 235 ff. 86 87
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
Von einer gesetzlichen Normierung, wie sie Art. 2 des deutschen Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen von 1957 Vorbild stand, wurde abgesehen und stärker an der (ebenfalls deutschen) Lösung des Briefwechsels von 1979 Orientierung genommen92. Ein Vorschlag der Staatsregierung für ein Abkommen drei Tage (!) vor dem EG-Beitritt entsprach nicht den Ansprüchen der Autonomen Gemeinschaften und scheiterte ebenso wie der Gegenvorschlag des katalonischen Parlaments im Frühjahr 198693. Während die Zentralregierung nicht bereit war, Zugeständnisse bei der Beteiligung der staatlichen Willensbildung zu machen, und im Vollzug sich die Möglichkeit offen halten wollte, jegliche autonome Regelung durch zentralstaatliche zu ersetzen, konnte der katalonische Entwurf nicht überzeugen, da die vorgesehene Mitwirkung dem Staat zu weit ging und die historischen Regionen Katalonien, das Baskenland und Galicien privilegierten. Deswegen fand dieser auch nicht die Unterstützung der übrigen Autonomien. Zwei weitere Versuche einen Kompromiss zu finden scheiterten94, und erst im Dezember 1988 einigten sich Staat und Autonomien auf eine kooperative Lösung. Sie gründeten in Übereinstimmung mit § 4 des Gesetzes 12 / 1983 vom 14. 10. die „Sektorkonferenz für Angelegenheiten im Zusammenhang mit den Europäischen Gemeinschaften“ (Conferencia Sectorial para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas)95. Anlass war die bevorstehende erste Ratspräsidentschaft Spaniens, in der innerstaatlichen Konflikte in europäischen Angelegenheiten vermieden werden sollten96. Von der ersten Einberufung am 16. 03. 1989 bis zu den ersten Ergebnissen vom 29. 11. 1990 in Form von zwei Vereinbarungen über Beihilfen und Verfahrensfragen vor dem Europäischen Gerichtshof vergingen über anderthalb Jahre. Am 29. 10. 1992 wurde per Abkommen die Sektorkonferenz in für Angelegenheiten im Zusammenhang mit den Europäischen Gemeinschaften“ (Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas; CARCE) umbenannt, ohne dass dadurch ihr Rechtsstatus betroffen 91 Diario de Sesiones del Congreso de los Diputados, II Legislatura, Nr. 221, 1985, S. 10201. 92 E. L. Murillo de la Cueva, Mecanismos de participación de las Comunidades Autónomas en la formación de la voluntad del Estado ante la Unión Europea, S. 97. Vgl. auch Kap. VI.5.b). 93 Siehe P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 284 f.; M. J. Montoro Chiner, Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften Spaniens an den Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaften, S. 174 ff. 94 Dazu A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, REA 2 – 3 (2002 / 2003), S. 215 ff., 218 ff.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 284 f. 95 A. Pérez Calvo, Estado Autonómico y Comunidad Europea, S. 179 ff. Allgemein zu Sektorkonferenzen siehe Kap. IV.4.b). 96 B. Speer, Innerstaatliche Beteiligung in europäischen Angelegenheiten, DÖV 53 (2000), S. 900.
3. Konferenz über EG-Angelegenheiten
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wurde97. Jedoch bedeutete dies den Anfang des derzeitigen Systems98. Durch eine Vereinbarung vom 30. 11. 1994 etablierte sich die Konferenz als übergeordnete Ebene der bestehenden Sektorkonferenzen99. Vorläufiger Endpunkt der Entwicklung ist das Gesetz 2 / 1997 vom 13. 03., durch das die Konferenz für Angelegenheiten im Zusammenhang mit den Europäischen Gemeinschaften nicht mehr auf einem Abkommen beruht, sondern durch ein Gesetz reguliert wird100. Die Ausweitung des Aufgabenbereichs fand bereits 1994 statt, so dass weder durch das Gesetz noch durch die Neufassung der Geschäftsordnung (GeschOCARCE) von 1997 grundlegende Änderungen durchgeführt wurden101. In Anbetracht der fehlenden verfassungsrechtlichen Normierung wird die Lösung auf das ungeschriebene Verfassungsprinzip der Kooperation102 zurückgeführt103.
b) Zusammensetzung und Aufgaben Die Konferenz setzt sich aus folgenden Teilnehmern zusammen: dem Minister der Öffentlichen Administration (Ministro de Administraciones Públicas), der den Vorsitz innehält, den Staatssekretären für Europäische Angelegenheiten (Secretario de Estado de Asuntos Europeos) und Territoriale Organisation des Staates (Secretario de Estado de Organización Territorial del Estado) sowie je einem zuständigen Regierungsmitglied (Consejero) der Autonomen Gemeinschaften (Art. 2 Gesetz 2 / 1997) und der Autonomen Städte Ceuta und Melilla (2. Zusatzbestimmung Gesetz 2 / 1997)104. Zusätzlich können Experten und weitere Funktionäre geladen werden. 97 A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, S. 235 ff. 98 I. d. S. J. L. Diego Casals, La participación de las Comunidades Autónomas en el proceso de adopción de decisiones de la Unión Europea, RVAP 40 II (1994), S. 151 ff. 99 Dazu R. Bustos Gisbert, Un paso más hacia la participación autonómica en asuntos europeos, REDC 15 (1995), S. 153 ff.; M. Cienfuegos Mateo, La intervención de las Comunidades Autónomas en cuestiones relativas a las Comunidades Europeas a través de la Comisión General de las Comunidades Autónomas y la Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, Autonomies 22 (1997), S. 192 ff. 100 E. L. Murillo de la Cueva, Mecanismos de participación de las Comunidades Autónomas en la formación de la voluntad del Estado ante la Unión Europea, S. 91. 101 A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, S. 234, 239; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 289. 102 Dazu vgl. Kap. IV.4. 103 Siehe P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 280, 283; M. Pérez González, Die Rolle der Comunidades Autónomas im spanischen Staat und ihre rechtlichen Einflußmöglichkeiten auf die nationale Gemeinschaftspolitik, in: H. A. Kremer (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Spanien 1992, 1989, S. 62. 104 Dazu siehe auch I. Bullain López, Las vías internas de participación autonómica en el Estado para asuntos comunitarios, in: M. Á. García Herrera (Hrsg.), El constitucionalismo en
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
Ziel der Konferenz ist es, „die effektive Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften an der Willensbildung des Staates hinsichtlich der Gemeinschaftsinstitutionen und an der Ausübung des Gemeinschaftsrechts zu garantieren“ (Art. 1 Abs. 2 Gesetz 2 / 1997). Damit handelt es sich nicht um ein Konsultationsorgan oder ein Forum zum Austausch von Informationen. Vielmehr ist es eine Institution, durch die sowohl Rechte und Pflichten von Staat und Autonomen Gemeinschaften im Vollzug von Gemeinschaftsrecht gesichert werden als auch die Teilnahme der Autonomen Gemeinschaften an einer ausschließlichen Zuständigkeit des Staates, an der Willensbildung in europäischen Angelegenheiten, geregelt wird. Hierbei kommen der Konferenz drei Aufgabenfelder zu105: 1. Horizontale Koordination der Sektorenkonferenzen, 2. Zuständigkeit in institutionellen und generellen EU-Fragen, 3. Residualzuständigkeit in Angelegenheiten, die keiner Sektorkonferenz zuzuordnen sind. Seit der Vereinbarung vom 30. 11. 1994 wird die interne Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften in europäischen Angelegenheiten durch die in der jeweiligen Materie zuständige Sektorkonferenz geregelt106. Außer in institutionellen Fragen und generellen Aspekten und Bereichen, die keiner Sektorkonferenz zugeordnet werden können, leitet die Konferenz in EG-Angelegenheiten der zuständigen Sektorkonferenz die jeweiligen Angelegenheiten zu. Jede Sektorkonferenz kann das Verfahren für die ihnen zugeleitete Angelegenheiten bestimmen, wobei die Konferenz für EG-Angelegenheiten lediglich die Koordination übernimmt. Somit fungiert sie als Konferenz der Konferenzen. Als allgemeines Prinzip gilt, dass die Mitwirkung über die Sektorkonferenzen nicht das Führen von Außenbeziehungen des Staates beeinträchtigen darf.
c) Beschlussfassung und Rechtswirkung Mit lediglich vier Artikeln, zwei Zusatz- und einer Schlussbestimmung ist das Gesetz 2 / 1997 vom 13. 03., mit dem die Konferenz über EG-Angelegenheiten geregelt wird, denkbar knapp gehalten. Über die internen Abläufe gibt es lediglich zwei Hinweise. Einerseits wird auf die von der Institution selbst auszuarbeitende Geschäftsordnung, andererseits auf Art. 5 des Gesetzes 30 / 1992 vom 26. 11. verla crisis del Estado social, 1997, S. 520 ff.; E. L. Murillo de la Cueva, Comunidades Autónomas y política europea, 2000, S. 79 ff. 105 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 286 f.; A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, S. 225 f. 106 Dazu und dem Folgenden P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 294 ff.; A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, S. 221 ff.
3. Konferenz über EG-Angelegenheiten
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wiesen107. Das Gesetz 30 / 1992 enthält Grundsätze und Regelungen über die öffentliche Verwaltung. Art. 5 widmet sich den Sektorkonferenzen108, ohne jedoch im Detail die Beschlussfassung zu klären. Aufschluss gibt die Geschäftsordnung der EG-Konferenz109. Art. 9 GeschO-CARCE besagt, dass die Konferenz nur beschlussfähig ist, wenn neben der Repräsentation des Staates mindestens vierzehn Regierungsvertreter der Autonomen Gemeinschaften anwesend sind; gemäß der Zusatzbestimmung zählen die Vertreter Ceutas und Melillas ebenfalls hierunter. Vereinbarungen werden einstimmig geschlossen, wobei hilfsweise die Zustimmung des Staates und die einfache Mehrheit der Autonomen Gemeinschaften ausreicht (Art. 10 Abs. 1 GeschO-CARCE). Allerdings entfalten die Absprachen nur unter denjenigen Parteien Rechtswirkung, die positiv abgestimmt haben. Den übrigen steht es offen, sich im Nachhinein anzuschließen (Art. 10 Abs. 3 GeschO-CARCE). Diese Regelung entspricht der Rechtsnatur eines „Organs der Kooperation zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften“ (Art. 1 Abs. 1 Gesetz 2 / 1997), da keine Partei dem Willen der Mehrheit unterworfen wird. Kritisch hieran zu sehen ist, dass sich durch diese Abstimmungsregel ein „System der zwei Geschwindigkeiten“110 entwickeln kann, dass die bestehenden Asymmetrien verstärkt. Andererseits ist zu bedenken, dass die Notwendigkeit der Vorschrift vor allem mit den Unterschieden zwischen den Regionen begründet wird. Da die Intensität der Betroffenheit der Autonomen Gemeinschaften variiert, ist es von Bedeutung, dass die in der Abstimmung unterlegene Minderheit nicht dem Votum der Mehrheit unterworfen wird. Allein der Zentralstaat verfügt über ein formelles Vetorecht, das von keinem Bereich ausgenommen ist, auch nicht von Materien, die in ausschließlicher Zuständigkeit der Autonomen Gemeinschaften liegen. Mit dem Moment der Beschlussfassung entfalten Vereinbarungen für die Parteien, die ein positives Votum abgegeben haben, Rechtswirkung (Art. 10 Abs. 2 S. 1 GeschO-CARCE), d. h. noch bevor sie in den Gesetzblättern des Staates und der Autonomen Gemeinschaften publiziert (Art. 10 Abs. 4 GeschO-CARCE) oder dem Senat angezeigt werden (Art. 8 Abs. 2 S. 2 Gesetz 30 / 1992 vom 26. 11.). Problematisch ist, dass das nationale und die regionalen Parlamente, als die zuständigen Bürgervertretungen, ausgeschaltet werden111. Am deutschen kooperativen Föderalismus wird hauptsächlich die übermäßige Bedeutung der Exekutive kritisiert112. Siehe auch B. Fernández Pérez, La Ley 2 / 1997, REDI 49 (1997), S. 321 f. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Konferenz weiterhin den Sektorkonferenzen zuzuordnen ist. 109 Siehe auch P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 289; A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, S. 234, 239. 110 Dazu E. Roig Molés, Asimetría y participación autonómica en la formación de la voluntad española en asuntos de la UE, RVAP 55 (1999), S. 222 ff. 111 Vgl. H. Gosálbez Pequeño, Los actos de la Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, RVAP 59 (2001), S. 239 ff. Vgl. Kritik in Kap. VI.5.e). 112 Vgl. Kap. III.2.c). 107 108
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In Analogie zu der bundesdeutschen Terminologie führt die spanische EG-Konferenz, die sich ausschließlich aus Regierungsmitgliedern zusammensetzt, zu der Kritik eines „Exekutivregionalismus“. Dabei ist zu verzeichnen, dass dieser in Spanien weitaus ausgeprägter ist, als sein deutsches Pendant. Während die Landtage zu „staatsnotariellen Ratifikationsämtern“113 verkommen, so steht ihnen immerhin der Zustimmungsvorbehalt zu Beschlüssen kooperativer Gremien zu. In Spanien ist dies nicht der Fall. Das Parlament kann seine Überwachungsfunktion gegenüber der Exekutive lediglich auf dem Rechtsweg ausüben. Wie bei jedem staatlichen Handeln sind auch die Vertreter der EG-Konferenz an Recht und Gesetz gebunden (Art. 9 Abs. 1 CE). Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 30 / 1992 über die öffentliche Verwaltung sieht vor, dass jegliche Vereinbarungen uneingeschränkt der gerichtlichen Kontrolle unterworfen sind. Unter anderem können Parlamente auf diesem Weg geltend machen, dass sie durch eine Vereinbarung in ihren Befugnissen verletzt werden114.
d) Vereinbarung über die interne Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften über die Sektorkonferenzen vom 30. 11. 1994 Das Plenum der Konferenz über EG-Angelegenheiten verabschiedete am 30. 11. 1994 eine Vereinbarung über die interne Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften in Gegenständen der Europäischen Gemeinschaften über die Sektorkonferenzen (Acuerdo sobre la Participación Interna de las Comunidades Autónomas en los Asuntos Comunitarios Europeos a través de las Conferencias Sectoriales; PartIntCCAA)115. Mit dem Abkommen erfährt das System der Sektorkonferenzen die Grundlage, um als kooperative Institution die Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften effektiv sicherstellen zu können. Es handelt sich um eine Rahmenvereinbarung, mit der die Sektorkonferenzen einheitlichen Prinzipien und Verfahrensweisen unterworfen werden. Jede Sektorkonferenz wird aufgerufen, in ihrer Verfahrensordnung die Normen dieses Rahmenabkommens zu entwickeln, d. h. zu spezifizieren und an die gegebenen Bedingungen anzupassen (Art. 2 PartIntCCAA). Die Abmachung enthält zum einen Prinzipien und Regelungen über das Verfahren der Mitwirkung bei der Willensbildung des Staates [aa)], zum anderen solche über den Vollzug von Gemeinschaftsrecht [bb)].
Vgl. Kap. III Fn. 284. Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes 30 / 1992 v. 26. 11. besagt, dass die Möglichkeit der Sektorkonferenzen, Vereinbarungen zu treffen, nicht den Verzicht von bestehenden Befugnissen der öffentlichen Verwaltung bedeutet. I. d. S. auch STC 761983 v. 05.08. 115 BOE v. 22. 03. 1995, S. 9037; BOE v. 01. 04. 1995, S. 10045 (Korrektur der Fehler). 113 114
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aa) Abgestuftes System der Mitwirkung bei der Willensbildung (fase ascendente) Mit der Vereinbarung wird die Intensität der Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften bei der Willensbildung des Staates in europäischen Angelegenheiten an die Art der betroffenen Zuständigkeit geknüpft. Ähnlich wie die Mitwirkung der deutschen Länder über den Bundesrat in Art. 23 Abs. 5 – 7 GG in Funktion der Betroffenheit der Länder abgestuft wird, knüpft das Abkommen den Umfang der Beteiligungsrechte an das „die Natur und das Niveau der Kompetenzen“ 116. Mit Art. 3 PartIntCCAA werden die Mitwirkungsbefugnisse in drei Kategorien eingestuft117. Erstens wird bei Materien, die in ausschließlicher Zuständigkeit des Staates liegen und das Interesse der Autonomen Gemeinschaften berühren, allein die Pflicht normiert, die betreffende Sektorkonferenz zu informieren. Im zweiten Fall, bei Materien geteilter Zuständigkeit, ist vorgesehen, dass die Autonomen Gemeinschaften und der Staat sich auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen, der die anfängliche Haltung des Staates in den europäischen Verhandlungen festlegt. Bei der dritten Kategorie, Materien in ausschließlicher Zuständigkeit der Autonomen Gemeinschaften, sind die Mitwirkungsmöglichkeiten am intensivsten. Die Autonomen Gemeinschaften einigen sich untereinander, d. h. ohne Beteiligung des Staates, auf einen gemeinsamen Standpunkt, der maßgeblich bei der Festlegung der anfänglichen Verhandlungshaltung berücksichtigt wird. Aus diesen prinzipienhaft gehaltenen Regelungen ergibt sich insbesondere Klärungsbedarf hinsichtlich dreier Rechtsbegriffe: dem „gemeinsamen Standpunkt“ (posición común), der „maßgeblichen Berücksichtigung“ (tenido en cuenta de forma determinante) sowie der „anfänglichen Verhandlungshaltung“ (posición negociadora inicial). Das Abkommen enthält keine Bestimmung über das Verfahren, das zum Zustandekommen eines gemeinsamen Standpunktes zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften im Fall geteilter Gesetzgebungsrechte führt, oder desjenigen, das innerhalb der Autonomien im Fall ausschließlicher Zuständigkeit eine Einigung herbeiführt118. Art. 4 PartIntCCAA legt fest, dass ausschließlich diejenigen Autonomen Gemeinschaften an der Festlegung des gemeinsamen Standpunktes mitwirken, deren Zuständigkeiten von der Materie betroffen sind. Auf diese Weise wird den bestehenden Asymmetrien Rechnung getragen und verhindert, dass eine Einigung von Autonomien ohne Zuständigkeit blockiert wird. Aus deren Sicht ist der Art. 3 PartIntCCAA. Dazu siehe auch F. Rubio Llorente, Las Comunidades Autónomas y la Unión Europea, Autonomies 20 (1995), S. 96 f.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 295 ff.; E. L. Murillo de la Cueva, Mecanismos de participación de las Comunidades Autónomas en la formación de la voluntad del Estado ante la Unión Europea, S. 93 f. 118 Dazu P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 297 f. 116 117
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entsprechende Bereich in ausschließlicher Zuständigkeit des Staates und somit geht ihr Recht, falls ihre Interessen berührt werden, über das auf Information nicht hinaus. Können sich die Autonomen Gemeinschaften in Materien ihrer ausschließlichen Zuständigkeit nicht auf eine gemeinsame Position einigen, so nimmt der Staat die aufgeführten Argumente und Meinungen zur Kenntnis (Art. 3 Abs. 4 PartIntCCAA), ohne dass ihr Einfluss auf die Willensbildung geklärt ist. In jedem Fall wird dem Staat ein größerer Handlungsspielraum ermöglicht, da sich die „maßgebliche Berücksichtigung“ explizit nur auf den gemeinsamen Standpunkt bezieht. Zwar hat das Kooperationsprinzip im spanischen Regionalismus Verfassungsrang, jedoch ist zu bedenken, dass vor allem die gering ausgeprägten horizontalen Kooperationsformen im Autonomiestaat119 zu Problemen bei der Einigung auf einen gemeinsamen Standpunkt führen können. Diese Kritik wird durch empirische Befunde bestätigt: Soweit ersichtlich, ist bisher in keinem einzigen Fall eine „gemeinsame Position“ zustande gekommen120. Das Abkommen lässt ebenfalls offen, wie zu verfahren ist, wenn in Bereichen geteilter Zuständigkeit kein Konsens erreicht wird. Das gleiche Problem ergibt sich in Materien in ausschließlicher Zuständigkeit der Autonomien, die zu einer Ausgabenerhöhung oder Einnahmenminderung der öffentlichen Staatsverwaltung führen, da in diesem Fall das Recht auf eine autonome Festlegung des Standpunktes eingeschränkt wird: Der gemeinsame Standpunkt der Autonomen Gemeinschaften muss zusätzlich mit der Haltung des Staates abgestimmt werden (Art. 3 Abs. 3 PartIntCCAA). Die beiden genannten Konstellationen erscheinen weitaus problematischer, da Staat und Autonomien übereinkommen müssen. Einerseits besteht die Pflicht zur Einigung, andererseits unterliegt ein Einvernehmen stets dem Prinzip der Freiwilligkeit. Wird keine gemeinsame Verhandlungsposition erreicht, ist kaum feststellbar, inwieweit der Wille zur Einigung gegeben ist, insbesondere da das Abkommen keinen Aufschluss über die Bindung des Staates an die Auffassung der Autonomen Gemeinschaften gibt. In der Praxis ist anzunehmen, dass der Staat dazu neigt, seinen Standpunkt zu vertreten. Kommt eine gemeinsame Verhandlungsposition zustande121, so beeinflusst diese im Fall ausschließlicher autonomer Zuständigkeit maßgeblich die Festlegung der anfänglichen Verhandlungsposition oder legt diese bei geteilten Zuständigkeiten fest. Die begriffliche Differenzierung zeigt, dass zwar in beiden Fällen üblicherweise die Verhandlungsposition determiniert wird, jedoch eine „maßgebliche Berücksichtigung“ in engen Grenzen Ausnahmen zulässt122. Im Laufe der Verhandlungen auf EU-Ebene ist nicht ausgeschlossen, dass sich die anfängliche Verhandlungsposition des Staates ändert (Art. 3 Abs. 3 PartIntCCAA). Diese Möglichkeit Vgl. Kap. IV.4. E. L. Murillo de la Cueva, Mecanismos de participación de las Comunidades Autónomas en la formación de la voluntad del Estado ante la Unión Europea, S. 95 f. 121 Dazu E. L. Murillo de la Cueva, Comunidades Autónomas y política europea, S. 83 ff.; A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, S. 256 ff. 122 Siehe Kap. VI.5.d)aa). 119 120
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liegt im Wesen eines jeden Einigungsprozesses begründet. Der Staat informiert die Autonomen Gemeinschaften und ersucht einen neuen Verhandlungsstandpunkt. Hiervon kann lediglich abgesehen werden, wenn dies angesichts der knappen zeitlichen Vorgaben nicht möglich erscheint. In diesem Fall besteht eine Begründungspflicht des Staates für das Abweichen. Insgesamt wird aufgrund der Vielzahl der offenen Rechtsbegriffe und geringen Spezifität von Verfahrensweisen den Autonomen Gemeinschaften kaum die Möglichkeit eröffnet, ihre Interessen durchzusetzen, insofern der Staat dies verhindern will. Zu der Zusammenarbeit zwischen den Sektorkonferenzen und der Autonomen Gemeinschaften besagt Art. 10 PartIntCCAA, dass den Regionen stets unverzüglich von den Konferenzen alle Vorschläge der EU-Kommission sowie Zwischendokumente und Tagesordnungen des Rates übermittelt werden. Innerhalb einer Frist werden sie aufgefordert, Stellung zu nehmen, und auf Antrag einer Region wird die Materie in der Tagesordnung der entsprechenden Konferenz aufgenommen und gemäß des Entscheidungsverfahrens, das die Rahmenvereinbarung materialisiert, geklärt. Wiederholt werden die gegenseitigen Informationspflichten entlang der verschiedenen Abschnitte des Entscheidungsprozesses betont (siehe Art. 9, Art. 10 Abs. 4 PartIntCCAA).
bb) Regelungen über den Vollzug (fase descendente) Im Gegensatz zu den Normen über die Mitwirkung an der Willensbildung konnten Staat und Autonome Gemeinschaften bei den Regelungen über den Vollzug 1994 bereits auf ein etabliertes System zurückgreifen. Art. 11 PartIntCCAA wiederholt lediglich das EU-Prinzip der institutionellen Autonomie (principio de autonomía institucional), gemäß dessen der Vollzug innerstaatlich geregelt wird, sowie die Gemeinschaftspflicht, die Verträge zu erfüllen. Zusätzlich enthält er den Hinweis, dass sich gemäß der spanischen Verfassung die Zuständigkeitsordnung auch in Fragen des Vollzugs von Sekundärrecht nach dem Block der Verfassungsmäßigkeit ergibt123. Die in Art. 12 PartIntCCAA normierten umfassenden Informationsund Koordinationspflichten leiten sich aus dem verfassungsrechtlichen Kooperationsprinzip ab124. Hierbei verpflichten sich Staat und Autonomien, die zuständige Sektorkonferenz über den Vollzug von Unionsrecht unabhängig von dem Interesse der anderen staatlichen Ebene zu informieren. Anzuzeigen sind jegliche Maßnahmen der verwaltungsmäßigen Durchführung. Ist wie im Fall von Richtlinien ein normativer Akt nötig, so übermittelt die zuständige Institution den Vorschlag der Konferenz bereits im Entwurfsstadium. Es soll garantiert werden, dass in Konfliktfällen, in denen Zuständigkeiten strittig sind oder sich überschneiden, im Rahmen der Konferenz rechtzeitig Rücksprache genommen und die Spannung gelöst wird. Vgl. Kap. VII.2. Vgl. Kap. IV.4. Siehe auch A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 527. 123 124
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Hinsichtlich von Gemeinschaftsprogrammen hat der Staat die Sektorkonferenzen über alle Programme zu informieren, die er verwaltet, unabhängig von der Partizipationsmöglichkeit der regionalen Ebene. Im Gegenzug teilen die Autonomen Gemeinschaften mit, an welchen Programmen sie teilnehmen, sofern diese nicht ohnehin vom Staat verwaltet werden. Neben den Normen über allgemeine Verfahrensweisen kann die Konferenz über EG-Angelegenheiten weitere Vereinbarungen zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften schließen, die sich auf den Vollzug beziehen und spezifische Angelegenheiten regeln. Als Beispiel sei das Abkommen über öffentliche Beihilfen vom 29. 11. 1990 (Acuerdo en materia de Ayudas Públicas)125 genannt126. In der lediglich vier Artikel umfassenden Verständigung wird das Staatssekretariat für die Europäische Union als Koordinationsorgan in Beihilfeangelegenheiten i. S. d. Art. 87 – 89 EGV bestimmt. Es fungiert als Mittler zwischen Autonomen Gemeinschaften und EU-Kommission. Auf der einen Seite leitet es Genehmigungsanträge der Autonomien an die Kommission weiter, auf der anderen Seite meldet es die Entscheidung der Kommission zurück (Art. 2 – 3). Dieses Verfahren ermöglicht dem Staat, die Ordnungsmäßigkeit des Antragsverfahrens sicherzustellen. Den Autonomen Gemeinschaften gegenüber verpflichtet er sich, sie mit nützlichen Informationen zu versorgen, jegliche Form angeforderter Hilfe zu leisten, sowie, soweit erforderlich, die Kontaktaufnahme zwischen Autonomen Gemeinschaften und EUKommission zu erleichtern (Art. 4).
e) Ergänzung des Multilateralismus durch Bilateralismus Von Beginn an kritisierte das Baskenland die Konferenzen als unzureichende Lösung und bezweifelte die Perspektive einer schrittweisen Verbesserung. Als Konsequenz verweigerte es bis 1995 seine Mitarbeit127. Erst durch Vereinbarung vom 30. 11. 1995 schloss es sich dem System an und erreichte gleichzeitig die Einrichtung einer bilateralen Kooperationskommission (Comisión Bilateral de Cooperación Administración del Estado-Administración de la Comunidad Autónoma del País Vasco para Asuntos relacionados con las Comunidades Europeas). Diese steht nicht in Konkurrenz mit dem allgemeinen System, sondern ist als Ergänzung für Angelegenheiten konzipiert, die ausschließlich das Baskenland betreffen128. BOE v. 08. 09. 1992, S. 30853, BOE v. 23. 09. 1992, S. 32464 (Korrektur der Fehler). Dazu siehe J. E. Soriano García, Comunidades Autónomas y Comunidad Europea, REDA 69 (1991), S. 26 f.; A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 517. 127 Dazu und dem Folgenden siehe L. Ortúzgar Andechaga / E. Gómez Campo / A. Hernández Lafuente, La participación de las Comunidades Autónomas en los asuntos comunitarios europeos, 1995, S. 155 ff.; J. Astola Madariaga, Las Comunidades Autónomas en la elaboración de la posición española ante la Unión Europea, RVAP 44 (1996), S. 108 f.; E. Roig Molés, Asimetría y participación autonómica en la formación de la voluntad española en asuntos de la UE, S. 201 ff. 125 126
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Die Möglichkeit bilateraler Beziehungen neben dem System der Sektorkonferenzen eröffnet in allgemeiner Form Art. 5 Abs. 2 Gesetz 30 / 1992 vom 26. 11.129 Nachträglich wird diese Option auch im Gesetz 2 / 1997 vom 13. 03. spezifisch für die EG-Kammer festgeschrieben. Die erste Zusatzbestimmung erklärt, dass Angelegenheiten, die exklusiv eine Autonome Gemeinschaft betreffen oder für diese besondere Implikationen mit sich führen, auf Initiative des Staates oder der Region bei gegenseitigem Einverständnis mittels bilateraler Koordinationsinstrumente behandelt werden130. Dies ist wegen der bestehenden Asymmetrien des Autonomiestaates notwendig. Als Beispiele seien neben unterschiedlichen Zuständigkeitsniveaus speziell die Besonderheiten der Finanzverfassung im Baskenland, in Navarra, auf den Kanarischen Inseln sowie die Existenz von Regionalsprachen genannt. Bis auf die Autonome Gemeinschaft Katalonien131, die durch Vereinbarung mit dem Zentralstaat vom 09. 06. 1998 mittlerweile ebenfalls eine eigene bilaterale Kommission institutionalisiert hat, haben die übrigen Regionen bisher kein Interesse an einer derartigen Intensivierung der vertikalen Kooperation gezeigt132.
f) Würdigung des Systems der Konferenzen Eine Beurteilung des dargelegten Kooperationsmechanismus zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften muss die Vor- und Nachteile des sich in der Entwicklung befindenden Systems abwägen und dabei stets die Ausgangssituation, d. h. die mangelnden verfassungsrechtlichen Regelungen über die Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften berücksichtigen. Anstatt das Verfassungsgesetz oder die Autonomiestatute an die aus der EG-Mitgliedschaft resultierenden Gegebenheiten oder Anforderungen anzupassen, hat sich ein weitgehend informelles, allerdings äußerst dynamisches Modell im Rahmen des kooperativen Regionalismus entwickelt. Dem anfänglichen „Fliehen vor einem juristischen Modell“133 und wenig überzeugenden Begründung einer Kooperationspflicht steht nunmehr eine 128 Vgl. A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 518; J. E. Soriano García, Comunidades Autónomas y Comunidad Europea, S. 27. 129 Siehe auch G. Jáuregui Bereciartu, La reforma del Senado y la participación de las Comunidades Autónomas en la Unión Europea, RVAP 47 II (1997), S. 28 f. 130 Siehe dazu E. Roig Molés, La Ley 2 / 1997 y la posición de la Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, CDP 2 (1997), S. 296 ff. 131 E. Roig Molés, Asimetría y participación autonómica en la formación de la voluntad española en asuntos de la UE, S. 203 ff. 132 E. Roig Molés, Asimetría y participación autonómica en la formación de la voluntad española en asuntos de la UE, S. 207. 133 E. L. Murillo de la Cueva, Mecanismos de participación de las Comunidades Autónomas en la formación de la voluntad del Estado ante la Unión Europea, S. 100. Kritik auch bei A. Borrás, Die Mitgliedschaft Spaniens in der EG in ihrer Auswirkung auf die Autonomen Gemeinschaften, in: D. Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 1990, S. 60 f.
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Lösung entgegen134, die mit dem Gesetz 2 / 1997 auf (einfach)gesetzlicher Grundlage beruht. Allerdings darf die Überwindung der anfänglichen Misserfolge durch die Konsolidierung des Kooperationsmodells nicht über die Schwachstellen hinwegtäuschen. Die viel gepriesene Flexibilität der Zusammenarbeit zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften135 wird auf Kosten der demokratischen Legitimation ermöglicht. Weder die Zusammensetzung der Konferenzen aus Regierungsmitgliedern noch die von Informalität gekennzeichnete Arbeitsweise entspricht dem jedem Rechtstaat immanenten Demokratieprinzip 136. Hinsichtlich der Stärkung der Exekutive zu Lasten der Parlamente sei auf die bereits im Zusammenhang mit den Mitwirkungsbefugnissen des Bundesrates geäußerte Kritik verwiesen137. Anders als in Deutschland, wo mit Art. 23 GG und seinen konkretisierenden Normen ein formelles, verfassungsrechtlich verankertes Mitwirkungssystem besteht, ist „die Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Spanien eher durch pragmatisches Experimentieren denn im Wege klar definierter Zuständigkeiten“138 gekennzeichnet. Dies wurde weder durch das Rahmenabkommen vom 30. 11. 1994 noch durch das Gesetz 2 / 1997 grundlegend geändert. Ein Großteil der Mitwirkungsmöglichkeiten der Autonomen Gemeinschaften beruht weiterhin auf informellen Übereinkünften, statt, wie vorgesehen, in den Geschäftsordnungen der jeweiligen Konferenzen aufgenommen zu werden139. Aus Sicht der Staatsrechtslehre ist zu bemängeln, dass bisher nur unzureichend Informationen über die Verfahrensweisen der Sektorkonferenzen in EU-Angelegenheiten bereitgestellt werden140. Außerdem ist kaum bekannt, welche Konferenzen „nur auf dem Papier existieren und kaum Ergebnisse entwickeln“141. Entgegen der Erkenntnis, dass demokratische Verantwortung klar definierte Zuständigkeiten voraussetzt, erschwert die Informalität 134 So aber P. Santolaya Machetti, En torno al principio de cooperación, RDP 21 (1984), S. 96 ff.; E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, S. 15 f.; J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, S. 235 ff. 135 J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, S. 192; P. Pérez Tremps, Constitución Española y Comunidad Europea, S. 114 f. 136 Vgl. G. Jáuregui Bereciartu, La reforma del Senado y la participación de las Comunidades Autónomas en la Unión Europea, S. 23; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 290. 137 Vgl. Kap. VI.5.d). 138 T. Wiedmann, Idee und Gestalt der Regionen Europas, S. 216. 139 Bis Ende 2002 haben sich lediglich drei der 25 bestehenden Sektorkonferenzen Geschäftsordnungen gegeben, die die Rahmenvorgaben umsetzen; E. Albertí Rovira, Las regiones en la nueva Unión Europea, Autonomies 29 (2003), Fn. 27, S. 187. 140 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 300 f. 141 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 300. I. d. S. auch M. J. García Morales, La cooperación en los federalismos europeos, REA 1 (2002), S. 120.
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die Kontrollierbarkeit der Amtswalter und fördert die Verwässerung ihrer Verantwortung142. Die spanische Rechtslehre unterscheidet sich von der deutschen dadurch, dass bisher weniger die Intensität der Mitwirkungsrechte im Mittelpunkt der Debatte steht, als vielmehr die Frage, welches grundsätzliche Modell anzustreben ist143. Es besteht Übereinstimmung, dass weder das praktizierte Kooperationsmodell ein Ersatz für eine langfristige verfassungsrechtliche Lösung sein könne, noch eine allgemein favorisierte Senatslösung das System der Sektorkonferenzen ersetzen solle144. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage, auf welche Weise eine Kombination aus dem flexiblen Kooperationsmodell, bestehend aus seiner multilateralen und seiner bilateralen Komponente, und einer formellen Senatslösung den spezifischen Anforderungen des Autonomiestaates am ehesten entsprochen werden kann. Dabei ist zu bedenken, dass die deutsche Bundesratslösung, in der die Minderheit dem Mehrheitsvotum unterworfen wird, vorwiegend mit den bestehenden Asymmetrien unvereinbar ist145. Ein grundlegendes Problem des bestehenden Verfahrens, das der fehlenden Institutionalisierung horizontaler Kooperation146, könnte durch eine Reform des Senats gelöst werden, durch welche ihn die Zusammensetzung und Befugnisse zu einer echten Kammer der territorialen Repräsentation aufwerten. Insgesamt ist zu erwarten, dass sich die Institutionalisierung der Mitwirkung von Autonomen Gemeinschaften in europäischen Angelegenheiten weiterentwickeln wird.
M. J. García Morales, La cooperación en los federalismos europeos, S. 117. A. Calonge Velázquez, Conferencia para Asuntos Relacionados con las Comunidades Europeas, S. 233; G. Jáuregui Bereciartu, La reforma del Senado y la participación de las Comunidades Autónomas en la Unión Europea, S. 18. 144 Vgl. G. Trujillo Fernández, Sobre los fundamentos constitucionales de la participación de las Comunidades Autónomas en las estructuras centrales del Estado, in: A. Pérez Calvo (Hrsg.), La participación de las Comunidades Autónomas en las decisiones del Estado, 1997, S. 39 ff.; J. L. Cascajo Castro, La participación de las Comunidades Autónomas en las decisiones comunitarias del Estado, in: A. Pérez Calvo (Hrsg.), La participación de las Comunidades Autónomas en las decisiones del Estado, 1997, S. 85. 145 G. Jáuregui Bereciartu, La reforma del Senado y la participación de las Comunidades Autónomas en la Unión Europea, S. 24 f., 31.; im Ergebnis ebenso J. L. Cascajo Castro, La participación de las Comunidades Autónomas en las decisiones comunitarias del Estado, S. 85 f. 146 Während bis zum Jahr 2002 lediglich ein Dutzend Abkommen zwischen Autonomen Gemeinschaften geschlossen wurden, liegt die Anzahl derjenigen zwischen Zentralstaat und Autonomien über 5000; M. J. García Morales, La cooperación en los federalismos europeos, S. 120. 142 143
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4. Wandel oder Verlust der Autonomiestaatlichkeit? Die spanischen Autonomen Gemeinschaften haben durch die Zuständigkeitsordnung ein großes politisches Eigengewicht. Wie im Fall der Länder führt eine „schleichende Kompetenzerosion“147 zu einem Bedeutungsverlust der Autonomien148, ohne dass ihnen eine Degradierung zu dezentralen Selbstverwaltungskörperschaften149 drohen könnte, da sie, im Gegensatz zu diesen, keine existentielle Staaten sind. Dagegen besteht in Spanien die Befürchtung, das Autonomiestaatsprinzip des Art. 2 CE könne dem europäischen Zentralisationsschub zum Opfer fallen150. Auf eine detaillierte Analyse der Zuständigkeitseinbußen der Autonomen Gemeinschaften wird angesichts der Komplexität der Verteilung von Aufgaben und Befugnissen in Spanien verzichtet. Das dispositive Prinzip und die damit einhergehenden Asymmetrien führen dazu, dass jede Region in unterschiedlichen Materien durch Unionsrecht beeinträchtigt wird. Die spezifische Zuständigkeitsbeeinträchtigung der Autonomen Gemeinschaft offenbart sich erst in einer Zusammenschau ihrer jeweiligen Statute mit der spanischen Verfassung und der Gesamtheit europäischer Rechtsakte. Ein allgemeiner Überblick zeigt, dass vor allem Agrikultur, Fischerei, Umweltpolitik und das Gesundheitswesen Materien sind, in denen die meisten Autonomen Gemeinschaften Zuständigkeiten in ihren Statuten verankert haben, welche nunmehr von europäischer Rechtssetzung geprägt sind151. Zusätzlich werden in beschränktem Maße weitere Bereiche, wie die Energie- und Industriepolitik, die Berufsausbildung und der Kulturbereich152, beeinträchtigt. Zudem erweisen sich, wie in Deutschland auch, die europäischen Vorgaben für Beihilfe und öffentliches Auftragswesen als konfliktreiche Problemfelder. Im Zusammenhang mit der offensichtlichen Zentralisierungsgefahr sollen zum Abschluss dieses Kapitels drei Aspekte erörtert werden. Erstens ist darzulegen, inwieweit das bestandsgeschützte Autonomieprinzip mit dem Prinzip offener Staatlichkeit kompatibel ist [a)]. Zweitens bedarf es gerichtlicher Verfahren, mittels 147 Siehe P. Lerche, Europäische Staatlichkeit und die Identität des Grundgesetzes, S. 141; E. Klein, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, S. 89. 148 M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, S. 84; M. J. Montoro Chiner, Landesbericht Spanien, S. 172 f. 149 Freistaat-Sachsen / Nordrhein-Westfalen, Grundsätze zur Zukunft des Föderalismus in der Europäischen Union, 1999, S. 3. 150 Statt vieler L. Ortega, El art. 93 de la Constitución como título estatal de competencia concurrente para los supuestos de las obligaciones comunitarias, REDA 55 (1987), S. 353 ff. 151 Dazu und dem Folgenden E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, S. 13; A. López Castillo, Creación y aplicación del Derecho comunitario europeo y Comunidades Autónomas, REDC 12 (1992), S. 112 ff.; S. Muñoz Machado, La ordenación de las relaciones del Estado y las Comunidades Autónomas con la Comunidad Europea, REDC 15 (1995), S. 24 ff. 152 Siehe M. J. Montoro Chiner, Spanische Kompetenzverteilung im Bereich von Kultur, Bildung und Medien im Hinblick auf die EG-Rechtssetzung, in: D. Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, 1990, S. 283 ff.
4. Wandel oder Verlust der Autonomiestaatlichkeit?
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derer die Autonomiestaatlichkeit effektiv gegen verfassungswidrige Eingriffe geschützt werden können [b)]. Abschließend wird erörtert, inwieweit mit dem praktizierten Kooperationsprinzip die drohende Rezentralisierung verhindert wird [c)].
a) Bestandsschutz des Autonomieprinzips in der europäischen Integration In der spanischen Literatur werden auffallend selten die Konfliktfelder zwischen nationalen Verfassungsprinzipien und dem Unionsrecht thematisiert. Viele Autoren sehen die Möglichkeit eines unüberwindbaren Widerspruchs als „bloße Theorie“153 an. Dahingegen weisen andere Autoren auf die Gefahr einer „Selbstauflösung“ (autoruptura)154 der Verfassung durch die umfassende, weiter ansteigende Ausübung von Staatlichkeit durch die Union hin. Obwohl das „durch die spanische Verfassung hergestellte Gleichgewicht der territorialen Verteilung der Staatsgewalt zerstört wird“155, stellt man die Kompatibilität zwischen dem in Art. 2 CE niedergelegten Autonomieprinzip und dem auf Art. 93 CE basierenden Integrationsprinzip meist nicht in Frage156. Anderer Ansicht ist López Pina: „Das Prinzip der institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten ist eigentlich nur eine fromme Lüge, um den tatsächlichen Impakt der europäischen Integration zu vertuschen.“157
Aus der Verfassungshoheit des spanischen Volkes folgt, dass das Autonomieprinzip allein durch das im Verfassungsgesetz vorgesehene Verfahren abgeändert oder aufgehoben werden kann. Anders als das unabänderliche Bundesstaatsprinzip kann das Autonomieprinzip auf dem „erschwerten“ Wege der Verfassungsänderung (Art. 168 CE) revidiert werden158. Sofern und solange der verfassungsändernde Gesetzgeber einen derartigen (unwahrscheinlichen) Schritt nicht für richtig erkennt, ist die öffentliche Gewalt an die Einhaltung dieses Prinzips gebunden. Die Abschaffung der Autonomen Gemeinschaften oder ihres politischen Selbstbestimmungsrechts sind unter der geltenden spanischen Verfassung verfassungswidrig159. 153 Vgl. L. I. Sánchez Rodríguez, El artículo 93 CE y el bloque de la constitucionalidad, in: S. Martín-Retortillo (Hrsg.), FS für Eduardo García de Enterría, Bd. I, 1991, S. 233. 154 So L. I. Sánchez Rodríguez, El artículo 93 CE y el bloque de la constitucionalidad, S. 234 f. 155 Zitat von Muñoz Machado ohne Quellenangabe in L. Ortega, El art. 93 de la Constitución como título estatal de competencia concurrente para los supuestos de las obligaciones comunitarias, S. 353. 156 So auch E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, S. 5. 157 A. López Pina, Zur verfassungsrechtlichen Bestimmung des Europarechts, in: I. Pernice / R. Miccù (Hrsg.), The European Constitution in the Making, 2003, S. 101. 158 Vgl. Kap. IV.8.b). 159 Siehe Kap. IV.2.c).
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Auch die Mitgliedschaft in der EU ändert hieran nichts. Diese Dogmatik bestätigte das Verfassungsgericht in seiner Erklärung zum Vertrag von Maastricht über die Europäische Union160, in der es verfassungsrechtliche Grenzen einer Zuständigkeitsübertragung nach Art. 93 CE anerkannte161. Die spanische Verfassung lässt keine internationalen Verträge zu, die gegen essentielle Grundsätze wie den Sozialoder Rechtsstaat, die nationale Einheit, die spanische Sprache, die Monarchie, die Grundrechte, aber auch das Autonomiesystem verstoßen162. Falls ein neuer oder abgeänderter Vertrag gegen eins der genannten Elemente verstößt, so kann dieser nicht ratifiziert oder muss vorab die spanische Verfassung modifizieren werden163. Zwar ist in der spanischen Rechtslehre weitestgehend unbestritten, dass das Autonomieprinzip der europäischen Integration Schranken setzt164, jedoch ergeben sich Probleme bei der Materialisierung des Umfangs. Ebenso wie in Deutschland hat sich auch in Spanien keine formelle Lehre des Autonomiestaats entwickelt, die definitorische Elemente des territorialen Modells identifiziert165. Anders als in Deutschland können in Spanien aus der Rechtsprechung nur kaum allgemeine Rückschlüsse auf den Kern der Autonomiestaatlichkeit gezogen werden, da das Verfassungsgericht kaum zur Kristallisierung einer formellen Lehre beiträgt, sondern sich größtenteils auf die Lösung von Zuständigkeitskonflikten beschränkt166. Die Problematik liegt hauptsächlich in der verfassungsrechtlichen Offenheit des Autonomieprinzips begründet167. Es ist schwierig, den verfassungsrechtlich geschützten Kern des bestehenden Systems zu identifizieren, da die Verfassung weder ein bestimmtes Modell skizziert, noch mit Blick auf das dispositive Prinzip einen Verfassungsauftrag für eine Regionalisierung begründet. Nichtsdestotrotz sind einige Elemente des sich entwickelten Systems nunmehr substantieller Art168, DTC 108 / 1992 v. 01. 07., abgedruckt in: EuGRZ 20 (1993), S. 285 ff. Dazu Kap. VII.1 und siehe auch Kap. V.2.b)bb). 162 Art. 93 S. 1 CE ermöglicht lediglich die Übertragung der „Ausübung von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen“, jedoch keine „Kompetenzen . . . , die . . . im Zusammenhang mit der dem spanischen Volk stehenden Souveränität stehen“ (DTC 108 / 1992 v. 01. 07., FJ 3C). I. d. S. auch A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 501; E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, S. 7 f.; A. López Pina, Die spanische Verfassung und das Völkerrecht, S. 179 f. 163 Die spanische Verfassung kennt anders als Art. 79 Abs. 3 GG keine unabänderlichen Gehalte, jedoch sind Grundentscheidungen des Verfassungsgebers nur unter kaum überwindbaren Hürden abänderbar; dazu Kap. IV.8.b). 164 N. García Gestoso, Algunas cuestiones sobre la soberanía en el proceso de integración europea, RDP 57 (2003), S. 175 f.; P. Pérez Tremps, Constitución Española y Comunidad Europea, S. 111 ff. 165 L. López Guerra, Modelo abierto y modelo cerrado del Estado de las Autonomías, S. 41; J. Vernet i Llobet, La apertura del sistema autonómico, ADCP 14 (2002), S. 161. 166 J. Vernet i Llobet, La apertura del sistema autonómico, S. 165. 167 J. Vernet i Llobet, La apertura del sistema autonómico, S. 141 ff. 168 I. d. S. L. López Guerra, Modelo abierto y modelo cerrado del Estado de las Autonomías, S. 39. 160 161
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so dass ihre Abschaffung einen verfassungswidrigen Eingriff in das Autonomieprinzip bedeuten. Da der Konfliktfall zwischen Autonomieprinzip und Ausübung von Staatlichkeit durch die Union angesichts der fortschreitenden Integration durchaus relevant werden kann, ist die Erforschung der Wesenselemente der spanischen Territorialstruktur die notwendige Grundlage, um einen rechtswidrigen Eingriff in die Staatlichkeit der Autonomen Gemeinschaften zu verhindern. Soweit ersichtlich, befasst sich die spanische Rechtswissenschaft bisher jedoch nicht mit der Materialisierung dieser Grenzen. b) Rechtsschutz der Autonomen Gemeinschaften In seinen Grundzügen ist das System des Rechtsschutzes bei einer rechtswidrigen Aushöhlung der Staatlichkeit der Autonomen Gemeinschaften in europäischen Angelegenheiten mit dem für Deutschland beschriebenen vergleichbar169. Der verfassungsgerichtlichen Kontrolle können sowohl die Verfassungskonformität des Primärrechts (Art. 95 Abs. 2 CE) als auch innerstaatliche Zuständigkeitskonflikte beim Vollzug von Unionsrecht (Art. 161 Abs. 1 lit. a, c CE) unterzogen werden. Um Konflikte zwischen innerstaatlichen und völkerrechtlichen Grundsätzen zu vermeiden, sieht die spanische Verfassung im Unterschied zum Grundgesetz lediglich eine präventive Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines internationalen Vertrages vor170. Das Verfassungsgericht stellt im Verfahren des Art. 95 Abs. 2 CE fest, inwiefern neues oder abgeändertes Primärrecht der spanischen Verfassung, beispielsweise dem Autonomieprinzip, widerspricht. Im Konfliktfall kann der Vertrag nur in modifizierter Form oder nach einer Verfassungsänderung abgeschlossen werden171. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit von sekundärem Unionsrecht hält sich der Europäische Gerichtshof vor, ohne befugt zu sein, dies an innerstaatlichen Verfassungsmaßstäben zu messen172. Die Autonomen Gemeinschaften können in ihrer Eigenschaft als juristische Personen die Verletzung ihrer Rechte als nicht-privilegierte Klageberechtigte im Verfahren der Art. 230 oder 232 EGV geltend machen. Seit der Vereinbarung im Rahmen der Konferenz für EG-Angelegenheiten zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften vom 11. 12. 1997 über die Teilnahme der Autonomen Gemeinschaft in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ist geklärt, dass der Staat seine privilegierte Klagebefugnis vor dem Europäischen Zu Deutschland siehe Kap. VI.6. E. García de Enterría, La participación de las Comunidades Autónomas en la formación de las decisiones comunitarias, S. 7; J. F. López Aguilar, Maastricht y la problemática de la reforma de la Constitución, REP N.E. 77 (1992), S. 86 ff.; A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 500 f. 171 Eine nachträgliche verfassungsgerichtliche Kontrolle ist nur in eingeschränkter Form möglich; A. Marín López, Orden jurídico internacional y Constitución Española, RDP 45 (1999), S. 56. 172 Vgl. Kap. VI.6.a). 169 170
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
Gerichtshof auf Aufforderung durch die Autonomen Gemeinschaften wahrnimmt, um deren Rechte zu verteidigen173. Die vorangegangene Vereinbarung vom 29. 11. 1990 enthielt lediglich Regelungen über die Passivlegitimation der Autonomen Gemeinschaften bei Vertragsverletzungsverfahren, ohne die Möglichkeit vorzusehen, dass diese als Kläger auftreten174. Im Unterschied zu Deutschland hat das spanische Verfassungsgericht bisher (fast) uneingeschränkt den Vorrang des Gemeinschaftsrechts anerkannt und keinen Anlass für einen Zuständigkeitskonflikt mit dem Europäischen Gerichtshof gesehen175. Bislang hat es sich zu der Frage nicht geäußert, ob es letztinstanzlich die Prüfungsbefugnis von sekundärem Gemeinschaftsrecht am Maßstab der spanischen Verfassung innehat. Allgemein ist die spanische Verfassungsrechtsprechung durch ihre gemeinschaftsfreundliche Grundeinstellung zu charakterisieren176. Allerdings weisen einige Formulierungen aus der Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts auf Grenzen des Vorrangs hin, ohne dass diese näher bestimmt werden177. In der bereits mehrfach angesprochenen Erklärung zum Vertrag von Maastricht führt das Gericht aus, dass die Ausübung von nach Art. 93 CE übertragenen Aufgaben, wenn sie gegen die Verfassung verstößt, nicht rechtens sei178. Stillschweigende Änderungen der spanischen Verfassung werden somit nicht ermöglicht179. Es bleibt folglich abzuwarten, ob sich das Verfassungsgericht in Anlehnung an die deutsche Rechtsprechung die Prüfungszuständigkeit offen hält; verneint hat es dies bisher zumindest nicht180. 173 Dazu ausführlich E. Hinojosa Martínez, Garantías jurisdiccionales internas frente a la irregular conformación de la voluntad de estado en su intervención ante las Instituciones Europeas, in: C. Carretero Espinosa de los Monteros / E. Hinojosa Martínez (Hrsg.), El Estado Autonómico en la Comunidad Europea, 2002, S. 123 f.; L. Millán Moro, La aplicación del Derecho Comunitario Europeo en el Estado Autonómico, S. 16. 174 M. Moreno Vázquez, La relativa evolución del Sistema de participación autonómica en los procedimientos ante el Tribunal de Justicia de las Comunidades Autónomas, RDCE 6 (1999), S. 450 ff. 175 STC 28 / 1991 v. 14. 02., FJ 4, 6; 64 / 1991 v. 22. 03., FJ 4; 130 / 1995 v. 11. 09., FJ 4; 45 / 1996 v. 25. 03., FJ 6. 176 E. García de Enterría / R. Alonso García, Spanish report, in: J. Schwarze (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000, S. 298 ff. 177 G. C. Rodríguez Iglesias / A. Valle Gálvez, El derecho comunitario y las relaciones entre le Tribunal de Justicia de las Comunidades Europeas, el Tribunal Europeo de Derechos Humanos y los Tribunales Constitucionales Nacionales, RDCE 2 (1997), S. 365 mit Verweis auf STC 28 / 1991 v. 14. 02., FJ 5; 64 / 1991 v. 22. 03., FJ 4. Dazu M. Ballester Cardell, Relación entre derecho comunitario y constitución, S. 137 ff., 142 ff. 178 Siehe Kap. VII.4.a). 179 S. Muñoz Machado, La Unión Europea y las mutaciones del Estado, 1994, S. 39 f.; A. Jiménez-Blanco Carrillo de Albornoz, Die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Vertrages über die Europäische Union in Spanien und Frankreich, Die Verwaltung 28 (1995), S. 230; A. Estella de Noriega, A Dissident Voice, EPL 5 (1999), S. 279; A. Ruiz Robledo, Las implicaciones constitucionales de la participación de España en el proceso de integración europeo, Noticias de la UE 183 (2000), S. 10.
4. Wandel oder Verlust der Autonomiestaatlichkeit?
351
c) Beitrag des Kooperationsprinzips zur Verhinderung einer Rezentralisierung Bisher tendiert das spanische Verfassungsgericht dazu, eine mögliche Rezentralisierung durch das Gebot der Kooperation zu verhindern. Die anfängliche Dogmatik einer „ratsamen“181 oder „wünschenswerten“182 Kooperation kritisiert Cruz Villalón, von 1998 bis 2001 selbst Präsident des Gerichts, als „nicht notwendigerweise positiv, da das unsrige (sc. Verfassungsgericht) kein Verfassungsrat ist, sondern ein Gericht, das nicht berufen ist, Ratschläge zu erteilen, sondern das gültige Recht zu deklarieren“183. Mit der Entscheidung STC 95 / 1986 wird die erstrebenswerte Option zu kooperieren zum „immer notwendigen Willen zur Kooperation“184 zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften erklärt185. In der Dogmatik wird weitestgehend die Kooperationspflicht als Ausgleich für die Erosion der Autonomiestaatlichkeit angesehen186. Kooperation sei ein „Element der Selbstkorrektur“187 und bremse zentralistische Tendenzen. Als Vorbild dient vor allem der deutsche kooperative Föderalismus188. Die Grundbedingung für den Kooperationsgedanken als Alternative einer Zentralisierung soll weiterhin Autonomie sein, da diese nicht substituiert werden könne: „Kooperation ist nur möglich, wo eine hinreichend garantierte Autonomie besteht weil das Kooperationsschema punktuell das Separationsschema ergänzen soll und nicht als sein Ersatz fungiert, sofern wir nicht wollen, dass das Dezentralisationsprinzip ohne Inhalt bleibt.“189
Aus dogmatischer Sicht muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass das Kooperationsprinzip seine Wurzeln im Einheitsprinzip des Art. 2 CE hat190. Somit vermag die Ansicht, dass Autonomie und Kooperation keinesfalls entgegengesetzt 180 C. Gutiérrez Espada, De nuevo sobre las relaciones entre la constitución y el derecho comunitario, ADCP 10 (1998), S. 253. 181 STC 64 / 1982 v. 04. 11., FJ 8; 77 / 1984 v. 03. 07., Leitsatz 3. 182 STC 56 / 1986 v. 13. 05., FJ 5; 95 / 1986 v. 10. 07., FJ 5. 183 P. Cruz Villalón, La doctrina constitucional sobre el principio de cooperacion, S. 122. 184 STC 95 / 1986 v. 10. 07., FJ 5; Herv. d. Verf. 185 Zu dem Kooperationsprinzip siehe allgemein Kap. IV.4 und zu den spezifischen Instrumenten in EU-Angelegenheiten Kap. VII.3. 186 P. Santolaya Machetti, Descentralización y cooperación, S. 312; J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, S. 293; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 280. 187 S. Muñoz Machado, Derecho Público de las Comunidades Autónomas I, 1984, S. 224. 188 M. J. García Morales, La cooperación en los federalismos europeos, S. 115; A. Jiménez-Blanco Carrillo de Albornoz, Reflexiones sobre la cooperación, REA 1 (2002), S. 127. Siehe Kritik zu der deutschen Praxis in Kap. III.2.c). 189 J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, S. 196. 190 P. Santolaya Machetti, Descentralización y cooperación, S. 312; J. Tajadura Tejada, El principio de cooperación en el Estado autonómico, S. 189.
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VII. Spanien im europäischen Integrationsprozess
wirken, nicht überzeugen191. Vielmehr stellt sich die Frage, ob sich nicht ein neuer, abgeschwächter Zentralismus im Mantel der Kooperation verbirgt192. Dies kommt bei einigen wenigen kritischen Stimmen zum Ausdruck193, die einen eklatanten Widerspruch der praktizierten Kooperation zu der Autonomiestaatlichkeit sehen194. Die Begründungen hierfür sind vielfältig. Erstens verschleiert die Kooperation die Notwendigkeit von Reformen. Die schwach ausgeprägte regionale Mitwirkung bei Entscheidungen des Zentralstaates kann durch eine Reform des Senats verbessert und dabei das Legitimationsdefizit von kooperativen Lösungen beseitigt werden. Zweitens wird durch die Kooperation eine verfassungsrechtlich nicht vorgesehene Ebene geschaffen, in der die vertikale Teilung der Staatsgewalt aufgehoben oder zumindest durch Informalität überlagert wird. Auf diese Weise ist es den Autonomen Gemeinschaften kaum möglich, die eigene politische Identität aufrecht zu erhalten. Schließlich kann der kooperative Regionalismus angesichts der Strukturen des Parteienstaates kaum die erstrebte Effektivität erzielen. Die innerparteilichen Strukturen (vor allem der beiden bedeutenden Parteien PSOE und PP) sind derart zentralistisch, dass Regierungsvertreter der Autonomen Gemeinschaften sich nur im äußerst seltenen Ausnahmefall gegen die vorgegebene Position der nationalen Parteiführung stellen195. Die Wahrung der regionalen Interessen wird somit beeinträchtigt. Zu warnen sei vor einer Übertragung dieser im System der Sektorkonferenzen zu beobachtenden Phänomene auf einen reformierten Senat, der als echte territoriale Kammer des nationalen Parlaments dient.
So aber S. Muñoz Machado, Derecho Público de las Comunidades Autónomas I, S. 220. Verneinend A. Jiménez-Blanco Carrillo de Albornoz, Reflexiones sobre la cooperación, S. 127. 193 Die herrschende Lehre folgt der Dogmatik des Verfassungsgerichts. 194 Dazu und dem Folgenden I. Lasagabaster Herrarte, Relaciones intergubernamentales y federalismo cooperativo, S. 219 f. 195 E. Roig Molés, Asimetría y participación autonómica en la formación de la voluntad española en asuntos de la UE, S. 211 f., 222. Zu den Strukturen im spanischen Parteienstaat siehe unter Kap. IV.8.b). 191 192
VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen Die Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs der Europäischen Union und die damit verbundene Verringerung der Aufgaben und Befugnisse von Ländern, Kommunen und Autonomen Gemeinschaften in Deutschland und Spanien führt nicht nur zu Forderungen verstärkter innerstaatlicher Mitwirkungsrechte1, sondern resultiert zudem in Bemühungen um eine unmittelbare Beteiligung auf europäischer Ebene. Zielsetzung ist die Überwindung der tendenziellen „Landes-“ oder „Regionenblindheit“2 des Europarechts. Durch die allmähliche Verankerung von direkten Mitbestimmungsrechten im Unionsrecht besteht die Tendenz, die Regionen als eigenständige Ebene neben Union und Mitgliedstaaten anzuerkennen. Da sich die Regionen mit ihren Anstrengungen um eine direkte Beteiligung im europäischen Bundesstaat gegen die zentralistischen Führungstendenzen und der damit einhergehenden Bedrohung ihrer Identität wenden, kann von einem europäischen Regionalismus gesprochen werden3. Es handelt sich um eine Gegenbewegung zu der Entwicklung in Richtung Vereinheitlichung und Zentralismus4, die häufig mit dem Schlagwort eines „Europas der Regionen“ umschrieben wird. Dieser Terminus wurde ursprünglich für eine erstmals 1989 von dem bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl einberufenen Konferenz gewählt, in der sich europäische Regionen mit dem Anliegen eines Aufstiegs zu einem eigenständigen Entscheidungsträger in der bis dato „regionalblinden“ Gemeinschaft auseinandersetzten 5. Ein „Europa der Regionen“ ist nicht als Kontrastentwurf zu der Gliederung Europas in Nationalstaaten misszuverstehen6. Vielmehr ist feststellbar, dass die innerstaatliche Stellung und der Drang, auf europäischer Ebene präsent zu sein, positiv korreliert sind7. Zu Deutschland siehe Kap. VI.5, zu Spanien Kap. VII.3. Siehe Kap. VI Fn. 10. 3 Zu den Definitionsmerkmalen des Regionalismus vgl. Kap. II.2.b). 4 J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 217; A. Evans, Regionalist Challenges to the EU Decision-Making System, S. 399 f. 5 Zu der Geschichte siehe F.-L. Knemeyer, Entwicklungslinien zu einem Europa der Regionen, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 16 ff. Einen guten Überblick geben M. Borchmann, Konferenzen „Europa der Regionen“ in München und Brüssel, DÖV 43 (1990), S. 879 ff.; D. Döring, Regionalismus in der Europäischen Union, S. 84. 6 G.-C. von Unruh, Regionalismus in Europa, BayVBl. 124 (1993), S. 11; R. Sturm, Föderalismus in Deutschland, 2003, S. 133. 7 P. Häberle, Regionalismus als werdendes Strukturprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 40. Zudem sind Rückwirkungen des europäischen Regio1 2
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354
VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
Somit handelt es sich um eine Initiative zur Wahrung des eigenverantwortlichen Gestaltungsspielraums der Regionen, vor allem zur Ausweitung der demokratischen Legitimation und Verteidigung ihrer spezifischen Eigenheiten8. Speziell Deutschland mit seinem traditionsreichen Föderalismus und Spanien mit seinem ausgeprägten Regionalismus treten als Impulsgeber für eine Regionalisierung der Union auf9. Ein grundlegendes Problem des Regionalismus in der EU ist die Definition und die Umsetzung des Begriffes Region (1). Weder Europarecht noch spanisches Staatsrecht geben eindeutig Auskunft über die Abgrenzungsmerkmale einer Region. Dem deutschen Verfassungsrecht ist der Begriff sogar gänzlich fremd, so dass strittig ist, ob die Länder, die Kommunen oder beide als Regionen einzustufen sind. Im Anschluss an die begriffliche Erörterung sollen die errungenen direkten Beteiligungsmöglichkeiten skizziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung und Wirkung im europäischen Regionalismus erörtert werden (2). Die Analyse ermöglicht eine umfassende Darlegung und Bewertung der Interdependenzen zwischen Regionalismus und Föderalismus (3). Es stellt sich die Frage nach den konstitutionellen Perspektiven der Europäischen Union, mit denen untrennbar die der deutschen Bundesstaatlichkeit und spanischen Autonomiestaatlichkeit verbunden sind. Mit der gleichzeitigen Behandlung von Föderalismus und Regionalismus werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und abschließend ausgewertet.
1. Region als Rechtsbegriff in der Europäischen Union a) Bestimmungen des Europarechts Dem Unionsrecht ist keine Definition des Regionsbegriffs zu entnehmen. Zwar besteht die einstige Regionenblindheit nicht mehr in ihrer absoluten Form fort10, jedoch haben die bisherigen Teilschritte zur Anerkennung der Regionen als eigenständige Ebene nicht dazu geführt, dass der Begriff primärrechtlich legaldefiniert wird. Art. 39 Abs. 2 a, Art. 49 lit. d und Art. 80 Abs. 2 EWGV kannten nur den Terminus der „Gebiete“, wohingegen Art. 92 Abs. 3 c EWGV Regionalbeihilfen regelte und mit der Einheitlichen Europäischen Akte durch Art. 130 a – e EWGV nalismus auf die innerstaatlichen Regionalisierungstendenzen in ehemalig zentralistisch organisierten Staaten auszumachen; R. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus in der EG, in: S. Magiera / D. Merten, Bundesländer und Europäische Gemeinschaft, 1988, S. 130; V. Constantinesco, Comunidades Europeas, Estados, regiones, RIE 16 (1989), S. 13 f. 8 M. Borchmann, Konferenzen „Europa der Regionen“ in München und Brüssel, S. 879; R. Sturm, Föderalismus in Deutschland, 2003, S. 133; E. Albertí Rovira, Las regiones en la nueva Unión Europea, S. 181. Aus diesem Grund wird vereinzelt der Begriff eines „Europa mit Regionen“ bevorzugt; so R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, S. 35. 9 G. Jáuregui Bereciartu, La reforma del Senado y la participación de las Comunidades Autónomas en la Unión Europea, S. 20. 10 Dazu vgl. Kap. VIII.2.
1. Region als Rechtsbegriff in der Europäischen Union
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eine Rechtsgrundlage für eine gemeinschaftliche Regionalpolitik geschaffen wurde, ohne den Begriff der Region näher zu definieren. Dieses gilt auch für die geltenden Verträge und den Entwurf des Verfassungsvertrags11, der ebenso wenig grundsätzliche Änderungen diesbezüglich vorsieht. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten einer Begriffsabgrenzung wird auf die in der Gemeinschaftscharta der Regionalisierung vom 18. 11. 1988 gegebene Definition zurückgegriffen12, wobei die Charta, die das Ergebnis einer Initiative des Europäischen Parlaments ist13, keine verbindliche Rechtsnorm ist14. Allerdings wird aufgrund der klaren Begriffsdarlegung insbesondere im europäischen Kontext häufig auf sie zurückgegriffen15. Sie definiert eine Region als ein homogenes, öffentlich-rechtlich konstituiertes Gebiet innerhalb eines Staates, das eine eigene Rechtspersönlichkeit und das Recht auf Selbstorganisation innehat16. Im europäischen Regionalismus sind grenzüberschreitende Zusammenschlüsse von Regionen nicht unbedeutend, werden jedoch im weiteren Verlauf nicht näher betrachtet17, da sie nach der zugrunde gelegten Definition nicht als Regionen gelten18. Die in Art. 1 Abs. 2 spezifizierten „gemeinsamen Elemente“, die die ansässige Bevölkerung verbinden, sind konstitutiv für Regionen.
11 Der Präambel sind keine Hinweise auf die regionale Ebene zu entnehmen. Zu der Anerkennung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung durch Art. I-5 VVE siehe Ausführungen in Kap. VI.3.e). Folgende Normen und Prinzipien weisen einen Regionalbezug auf: Subsidiaritätsprinzip (Art. I-11 Abs. 3 VVE, Art. 2, 5 PrSubsVerh), Ausschuss der Regionen (Art. I-32 Abs. 2, Art. III-386 bis III-388 VVE), Beihilfen (Art. III-167 VVE), Wirtschaftspolitik (Art. III-178 bis III-184 VVE), Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt (Art. III-220 bis III-224 VVE), Verkehr (Art. III-243 VVE), Transeuropäische Netze (Art. III-246 VVE), Kultur (Art. III-280 VVE), Katastrophenschutz (Art. III-284 VVE) und besondere Bestimmungen zu Überseeregionen (Art. III-424 VVE). 12 So bereits grundlegend unter Kap. II.2.b)aa). 13 ABlEG Nr. C 326 / 296. Siehe auch W. Haneklaus, Zur Frage der funktionsgerechten Regionalisierung in einer föderal verfaßten Europäischen Union, DVBl. 106 (1991), S. 298; D. Döring, Regionalismus in der Europäischen Union, S. 95. 14 F.-L. Knemeyer, Die Europäische Regionalcharta, S. 73. 15 Einen Überblick über die Inhalte gibt F.-L. Knemeyer, Die Europäische Regionalcharta, S. 76 ff. 16 Vgl. Art. 1 – 2 und siehe auch Kap. II.2.b)aa)(3). 17 Dazu siehe R. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus in der EG, S. 132 ff.; T. Veiter, Regionalismus und Selbstbestimmung in Europa, AVR 30 (1992), S. 486 ff.; F.-L. Knemeyer, Europa der Regionen – Bestandsaufnahme, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 65 f.; P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 433. Ferrando Badía sieht es als problematisch an, dass Regionen mit Gebietskörperschaften gleichgesetzt werden; J. Ferrando Badía, La Región y el Estado regional, S. 326 f., 330 f. 18 Nach Art. 1 Abs. 3 und Art. 2 der Charta sind Regionen stets Gebiete innerhalb eines Staates.
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VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
b) Regionen in Deutschland und Spanien Die vorgenommene Definition sieht weder Fläche, Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft als Determinanten zur Bestimmung von Regionen vor, so dass sich ein heterogenes Bild ergibt. In Spanien fordern die Autonomen Gemeinschaften aufgrund ihrer Größe, Rechtsstellung und historischen Bedeutung direkt am Aufbau der Europäischen Union mit Aufgaben und Befugnissen beteiligt zu werden19. Die gleiche Forderung erheben die Länder in Deutschland20, die ebenso in der Systematik der regionalen Planungseinheiten NUTS auf höchster Ebene eingestuft sind21. Angesichts der föderalen Tradition und Struktur in Deutschland ist es unabkömmlich, dass die Länder in ihrer Eigenschaft als existentielle (Glied)-Staaten an der europäischen Integration direkt beteiligt werden. Diese Forderung kommt mittlerweile in einigen Landesverfassungen zum Ausdruck, so z. B. seit Februar 1992 in Art. 60 Abs. 2 der Verfassung des Saarlandes22: „Das Saarland fördert die europäische Einigung und tritt für die Beteiligung eigenständiger Regionen an der Willensbildung der Europäischen Gemeinschaften und des vereinten Europa ein. Es arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen und unterstützt grenzüberschreitende Beziehungen zwischen benachbarten Gebietskörperschaften und Einrichtungen.“
Sowohl in Deutschland als auch in Spanien stellt sich die Frage, ob neben den Ländern bzw. Autonomen Gemeinschaften zusätzlich die Kommunen als relevante Einheiten zur Wahrnehmung regionaler Aufgaben und Befugnisse in der EU, als Regionen, gelten sollen. Nicht nur das spanische und europäische Verfassungsrecht, sondern auch das deutsche Staatsorganisationsrecht, dem der Regionsbegriff fremd ist, gibt hierüber keinen Aufschluss23. Ein Überblick über die Regionen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeigt, dass nicht alle über Gesetz19 Siehe J. Astola Madariaga, Las regiones en la Unión Europea, REDC 15 (1995), S. 95 ff.; F. González Laxe, Politische Einflußmöglichkeiten der Länder bzw. Comunidades Autónomas auf die Europäischen Gemeinschaften – Länderbericht Spanien, in: H. A. Kremer (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Spanien 1992, 1989, S. 72. 20 Exemplarische Prüfung und Bejahung der Frage, ob Bayern eine Region ist, bei W. Berg, Bayern im Europa der Regionen, BayVBl. 132 (2001), S. 257 f. Siehe auch H. Maier, Region und Kulturpolitik am Beispiel Bayerns, in: F. Esterbauer (Hrsg.), Regionalismus, 1978, S. 123 f. Allgemein kommt zu diesem Ergebnis für alle Länder V. Constantinesco, Comunidades Europeas, Estados, regiones, S. 12. 21 Siehe Kap. II.2.b)aa)(2). 22 Siehe auch Art. 3 a BayVerf.; Präambel und Art. 2 Abs. 3 BbgVerf; Art. 64 und Art. 65 Abs. 2 BremVerf; Präambeln BWVerf und ThüVerf; Art. 11 MVVerf; Art. 1 Abs. 2 NdsVerf; Art. 74 a RhPfVerf; Art. 12 SachVerf; Art. 1 Abs. 1 SachAnhVerf. 23 W. Haneklaus, Zur Frage der funktionsgerechten Regionalisierung in einer föderal verfaßten Europäischen Union, S. 297; H.-W. Rengeling, Europa der Regionen, in: B. Becker / H. P. Bull / O. Seewald (Hrsg.), FS für Werner Thieme, 1993, S. 449; A. Weber, Die Bedeutung der Regionen für die Verfassungsstruktur der Europäischen Union, in: J. Ipsen / H.-W. Rengeling / J. M. Mössner / A. Weber (Hrsg.), FS für den Carl Heymanns Verlag, 1995, S. 683 ff.
1. Region als Rechtsbegriff in der Europäischen Union
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gebungsbefugnisse verfügen, sondern manche lediglich befugt sind, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten24. Das Konzept der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland geht weit hierüber hinaus; die Kommunen haben umfassende Selbstgesetzgebungsrechte 25. Zwar ist das Vorliegen von Legislativbefugnissen nach der Begrifflichkeit der Regionalisierungscharta nicht konstitutiv für die Bestimmung einer Region, jedoch sehen sich die deutschen Kommunen im Vergleich zu Regionen in anderen Staaten ebenfalls in der Lage, Mitwirkungsrechte in der Union zu übernehmen26. Ihr Ziel ist die Gewährleistung des ausgeprägten, in seinem Umfang in Europa einzigartigen Selbstverwaltungsrechts, das durch die Aufgaben und Befugnisse der Union materiell eingeschränkt wird27. Vor allem die mit ihrem Rechtstatus verbundenen umfangreichen Befugnisse, ihre Funktion als Identitätsträger für die Bevölkerung28 und die gewährleistete Bürgernähe29 erfordern, dass deutsche kommunale Körperschaften in der Europäischen Union als eigenständige Akteure vertreten sind30. Diese Ansicht unterstreicht ein Blick auf die deutsche Einteilung der statistischen Planungsregionen NUTS31, deren dritte Ebene die Kreise sind32. Aber auch die spanischen Gemeinden, deren Rechtsstatus weit hinter dem der deutschen Kommunen zurückbleibt33, beanspruchen direkte Beteiligungsrechte 34.
24 Vgl. Art. 11 – 12 Gemeinschaftscharta der Regionalisierung. Siehe auch F. Esterbauer, Grundzüge der Formen und Funktionen regionaler Gliederung im politischen System, in: ders. (Hrsg.), Regionalismus, 1978, S. 45 ff.; R. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus in der EG, S. 136 f.; F.-L. Knemeyer, Subsidiarität – Föderalismus – Dezentralisation, DVBl. 105 (1990), S. 453. 25 Vgl. ausführlich Kap. III.1.d). 26 H.-W. Rengeling, Europa der Regionen, S. 448; M. Huebner, Regionalisierung und kommunale Zusammenarbeit, S. 30. 27 Dazu siehe Kap. VI.4. 28 J. Leinen, Regionalismus und Subsidiarität, in: F. Ronge (Hrsg.), In welcher Verfassung ist Europa – Welche Verfassung für Europa?, 2001, S. 189. Vgl. auch Kap III.1.d). 29 Zum Dreieck Subsidiarität, Regionalismus und Föderalismus siehe F.-L. Knemeyer, Subsidiarität – Föderalismus – Dezentralisation, S. 454; M. Schweitzer / O. Fixson, Subsidiarität und Regionalismus in der Europäischen Gemeinschaft, Jura 14 (1992), S. 585 f. Siehe auch J. Bengoetxea, La participación de las autonomías en las instituciones comunitarias, RVAP 40 II (1994), S. 143 f. 30 F.-L. Knemeyer, Region – Regionalismus, S. 30; ders., Die Europäische Regionalcharta, S. 84 ff. I. d. S. auch H.-W. Rengeling, Europa der Regionen, S. 457 f. 31 Dazu Kap. II.2.b)aa)(2). 32 Hierauf verweist auch H.-W. Rengeling, Europa der Regionen, S. 451. 33 Siehe Kap. IV.2.d). 34 Vgl. die Zusammensetzung des Ausschusses der Regionen mit kommunalen Vertretern aus Spanien; Kap. VIII.2.c)aa).
358
VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
2. Direkte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung in der Europäischen Union Die bisher erwirkten regionalen Beteiligungsrechte an der Willensbildung der Europäischen Union lassen sich fast ausschließlich auf Initiativen von Regionen aus Staaten mit ausgeprägtem Föderalismus oder starkem Regionalismus, wie Deutschland, Belgien oder Spanien, zurückführen. Dabei können drei Kategorien an Mitwirkungsarten unterschieden werden. Erstens können Regionen Einfluss auf die Willensbildung in der Union durch die Zusammensetzung der staatlichen Delegationen erlangen [a)]. Zweitens bestehen individuelle Beteiligungsformen wie die von Länder- oder Regionalbüros in Brüssel, welchen durch den alleinigen Außenvertretungsanspruch der Nationalstaaten Grenzen gesetzt werden [b)]. Schließlich besteht seit dem Vertrag von Maastricht der Ausschuss der Regionen, der eine gemeinsame Mitwirkungsmöglichkeit eröffnet [c)]. Diese Partizipationsarten werden auf ihre Kompensationswirkung und Zukunftsperspektiven untersucht [d)].
a) Zusammensetzung staatlicher Delegationen aa) Länderbeobachter Bereits zu den Verhandlungen über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die des EURATOM-Vertrags (1957) wurde ein Länderbeobachter zugelassen, dessen Aufgabe es ist, die Länder frühzeitig über die Entwicklungen zu unterrichten35. Die ursprüngliche Verabredung zwischen dem Außenminister Heinrich von Brentano und den Ministerpräsidenten Bayerns und BadenWürttembergs wurde in den Folgejahren von dem Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard bestätigt und der Länderbeobachter somit zur dauerhaften Institution36. Er wird von der Ministerpräsidentenkonferenz gewählt und ist als Teilnehmer der deutschen Ratsdelegation befugt, an Sitzungen des Rates und von EG-Gremien teilzunehmen. Ein Rede- oder Stimmrecht kommt ihm jedoch nicht zu. Von einer echten Mitwirkung kann insbesondere mit Blick auf das passive Tätigkeitsfeld nicht gesprochen werden37. Als weitere Kritikpunkte sind aufzuführen, 35 K. Oberthür, Die Bundesländer im Entscheidungssystem der EG, Integration 1 (1978), S. 62 ff.; M. Borchmann, Bundesstaat und europäische Integration, S. 590 f.; R. Sturm, Föderalismus in Deutschland, 2003, S. 114. 36 R. W. Strohmeier, Möglichkeit der Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften durch die Deutschen Bundesländer nach Einrichtung von Länderbüros in Brüssel, DÖV 41 (1988), S. 635; G. Schick, Doppelter Föderalismus in Europa, S. 63. 37 R. W. Strohmeier, Möglichkeit der Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften durch die Deutschen Bundesländer nach Einrichtung von Länderbüros in Brüssel, S. 635; C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, 2003, S. 6 f.
2. Direkte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung in der EU
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dass ein einziger Beobachter bei häufig gleichzeitig stattfindenden Sitzungen kaum den divergierenden Länderinteressen gerecht werden kann. Um seine auf Informationsbeschaffung ausgerichtete Arbeit zu erleichtern, forderten die Länder 1984 die räumliche Eingliederung des Länderbeobachters in die Ständige Vertretung Deutschlands38. Dieses wurde abgelehnt, so dass der Länderbeobachter weiterhin seinen Dienstsitz in der baden-württembergischen Landesvertretung in Bonn sowie einem Außenbüro in Brüssel hatte. In Spanien konnten die Autonomen Gemeinschaften erst 1996 ihre Forderung nach einem dem Länderbeobachter entsprechenden „Rat für Autonome Angelegenheiten in der Ständigen Vertretung Spaniens in der Europäischen Union“ (Consejero para Asuntos Autonómicos en la Representación Permanente de España ante la Unión Europea) durchsetzen. Durch eine Übereinkunft im Rahmen der Konferenz über EG-Angelegenheiten vom 22. 07. 1996 und der anschließenden Umsetzung durch den Erlass des Königlichen Dekrets 2105 / 96 vom 20. 09. wurde diese zur Informationsbeschaffung befugte, dem Länderbeobachter analoge Institution eingesetzt39.
bb) Regionalvertreter in Gremien seit Maastricht Bis zur Änderung des Art. 146 EWGV durch den Vertrag von Maastricht (nun Art. 203 EGV) war es europarechtlich nicht erlaubt, regionale Vertreter in den Rat zu entsenden. Sah Art. 146 EWGV noch vor, dass die Ratsvertreter Mitglieder der nationalen Regierungen waren, so öffnet Art. 203 EGV Regierungsangehörigen der Länder die aktive Teilnahme an Ratssitzungen, da die Delegierten nicht notwendigerweise Bundesminister, sondern nunmehr lediglich Minister sein müssen40. Die Änderung geht auf eine deutsch-belgische Initiative zurück41 und ermöglicht Ministern aus Regionen mit Legislativbefugnissen die Mitwirkung an Entscheidungen im Rat. Inwieweit von der Möglichkeit des Art. 203 EGV Gebrauch gemacht wird, fällt per Entscheidung auf innerstaatlicher Ebene. 38 M. Borchmann, Bundesstaat und europäische Integration, S. 591; R. W. Strohmeier, Möglichkeit der Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften durch die Deutschen Bundesländer nach Einrichtung von Länderbüros in Brüssel, S. 635; K. Zumschlinge, Die Informationsbüros der Bundesländer in Brüssel, Die Verwaltung 22 (1989), S. 219. 39 A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 535. 40 Dazu und dem Folgenden M. Borchmann / W. Kaiser, Die Mitwirkung der Länder im EG-Ministerrat, in: F. H. U. Borkenhagen / C. Bruns-Klöss / G. Memminger / O. Stein (Hrsg.), Die deutschen Länder in Europa, 1992, S. 36 ff.; C.-P. Clostermeyer, Die Mitwirkung der Länder in EG-Angelegenheiten, in: F. H. U. Borkenhagen / C. Bruns-Klöss / G. Memminger / O. Stein (Hrsg.), Die deutschen Länder in Europa, 1992, S. 178 f.; G. Schick, Doppelter Föderalismus in Europa, S. 63 f. 41 J. Bengoetxea, La participación de las autonomías en las instituciones comunitarias, S. 132.
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VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
In Deutschland regelt Art. 23 Abs. 5 – 6 GG i. V. m. § 6 EUZBLG die Beteiligung von Ländervertretern in Beratungsgremien und an Verhandlungen des Rates. Sind in einem Beratungsgegenstand im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen, so wird die Verhandlungsführung auf einen vom Bundesrat ernannten Vertreter der Länder mit Ministerrang übertragen42. In sonstigen Angelegenheiten, bei denen der Bundesrat innerstaatlich mitzuwirken hätte oder wesentliche Interessen der Länder betroffen sind, ohne dass es sich im Schwerpunkt um ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder handelt, kann auf Verlangen der Länder ein weitestgehend beobachtender Vertreter hinzugezogen werden. Die Verhandlungsführung liegt jedoch beim Bund, der Ländervertreter darf nur mit dessen Zustimmung Erklärungen abgeben43. In Spanien sprach sich die Zentralregierung lange Zeit gegen eine Beteiligung eines Regionalvertreters in der spanischen Ratsdelegation aus. Erst seit einer Übereinkunft zwischen Regierung und den Autonomen Gemeinschaften, die einen entsprechenden Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 10. 03. 1998 umsetzt44, wird die Präsenz eines Regierungsmitglieds einer Autonomen Gemeinschaft in der spanischen Ratsdelegation akzeptiert45. Im Gegensatz zu dem deutschen Ländervertreter, der in ausschließlichen Gesetzgebungsbereichen der Länder die Verhandlungsführung (unter Abstimmung mit der Bundesregierung) übernimmt, ist der von den Autonomen Gemeinschaften bestimmte Vertreter hierzu in keinem Fall befugt. Stets muss er sich mit dem Vertreter der Zentralregierung auf eine gemeinsame Position (posición común46) einigen und hat somit eine schwächere Stellung als sein deutsches Pendant. Zusätzlich ist sein Einsatz in Ministerräten auf die vier Bereiche Agrikultur, Kultur, Industrie und Tourismus sowie in den Arbeitsgruppen auf insgesamt 55 der ca. 300 bestehenden beschränkt47.
Dazu siehe bereits ausführlich Kap. VI.5.d)aa)(3). Vgl. § 6 Abs. 1 EUZBLG. Dazu V. Neßler, Die „neue Ländermitwirkung“ nach Maastricht, S. 224. 44 Diario de Sesiones del Congreso de los Diputados Nr. 140 v. 10. 03. 1998, S. 7382. 45 Dazu und dem Folgenden A. Hernández Lafuente, El proceso de puesta en práctica de la participación de las Comunidades Autónomas en los asuntos comunitarios europeos, in: E. Álvarez Conde (Hrsg.), Administraciones públicas y constitución, 1998, S. 1102 f.; A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 533 f.; E. L. Murillo de la Cueva, Mecanismos de participación de las Comunidades Autónomas en la formación de la voluntad del Estado ante la Unión Europea, S. 105 f.; E. Albertí Rovira, Las regiones en la nueva Unión Europea, S. 183 f. 46 Vgl. die Diskussion dieses Rechtsbegriffs in Kap. VII.3.d)aa). 47 J. F. Carmona Choussat, La incidencia de los intereses regionales en el proceso de toma de decisiones en las instituciones comunitarias, in: C. Carretero Espinosa de los Monteros / E. Hinojosa Martínez (Hrsg.), El Estado Autonómico en la Comunidad Europea, 2002, S. 157; A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 534. 42 43
2. Direkte Mitwirkung der Regionen an der Willensbildung in der EU
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b) Individuelle Beteiligung durch Büros in Brüssel aa) Geschichte und Aufgaben Der anfängliche Widerstand der Bundesregierung Mitte der achtziger Jahre gegen eine räumliche Eingliederung des Länderbeobachters in die Ständige Vertretung Deutschlands bei den Gemeinschaften führte dazu, dass die Länder andere Möglichkeiten einer verstärkten direkten Beteiligung bei der Willensbildung der Gemeinschaft suchten48. Die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen mit dem Bund führten zu dem Entschluss des Landes Hamburg, ein Informationsbüro in Brüssel, das „Hanse-Office“, im Januar 1985 zu eröffnen49. Sukzessiv gründeten die übrigen Länder ebenfalls Büros, bis 1989 alle damals bestehenden und seit 1992 auch die durch die Wiedervereinigung hinzugetretenen Länder in Brüssel vertreten sind. Den deutschen Ländern folgten Regionen und Städte anderer Mitgliedstaaten mit der Eröffnung von Verbindungsbüros. Insgesamt konnten Ende des Jahres 2001 ungefähr 170 derartige Einrichtungen gezählt werden50. Die Zielsetzung aller ist die Ausdehnung des direkten Einflusses auf die Entscheidungen der Unionsorgane und -institutionen. Dazu sind sie mit Informationsbeschaffung, Kontaktaufnahme und vor allem Lobbyarbeit für den eigenen Wirtschaftsstandort beauftragt51. Im Gegensatz zu Beobachtern und Vertretern der Länder und Regionen in den Ministerräten und Ausschüssen handelt es sich bei den Länder- und Regionalbüros um individuelle Beteiligungsformen. Die Regionen müssen sich nicht untereinander abstimmen oder auf eine gemeinsame Position einigen, sondern können ihre spezifischen Interessen verfolgen52. Einzige Grenze setzt der alleinige Außenvertretungsanspruch der Nationalstaaten. In Deutschland dürfen die Büros aus Achtung vor Art. 32 GG, der die Beziehung zu auswärtigen Staaten als ausschließliche Bundesangelegenheit erklärt, nicht als Grundstein für eine „Nebenaußenpolitik“ dienen [bb)]. Auch in Spanien ist die Pflege internationaler Beziehungen nach Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE in ausschließlicher Zuständigkeit des Zentralstaates. Zu den Grenzen der Aufgaben und Befugnisse der Büros der Autonomen Gemeinschaften hat das spanische Verfassungsgericht in einem Urteil zu dem baskischen Verbindungsbüro Stellung bezogen [cc)]. 48 M. Hamberger, Europäische Integration und föderale Eigenständigkeit der deutschen Bundesländer, 1988, S. 98 ff.; C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, S. 3 f. 49 Zu dem Ablauf der Eröffnung der Länderbüros siehe M. Borchmann, Bundesstaat und europäische Integration, S. 596 ff.; C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, S. 10 f. 50 C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, S. 153. 51 U. Fastenrath, Länderbüros in Brüssel, DÖV 43 (1990), S. 127; C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, S. 22 ff.; C. Gutiérrez Espada, Las Oficinas autónomicas y la STC 165 de 26 de mayo de 1994, S. 11. 52 M. Borchmann, Verbindungsbüros der Bundesländer bei der EG, NVwZ 7 (1988), S. 218 f.
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bb) Nebenaußenpolitik der Länder? In der Gründungsphase der Länderbüros war der Bund der Ansicht, dass die Einrichtungen gegen den Primat der Außenpolitik des Art. 32 Abs. 1 GG widersprächen und folglich verfassungswidrig seien53. Die Länder dagegen vertreten die Meinung, dass es sich nicht um diplomatische Landesvertretung, sondern um Interessenbüros handelt54. Da es nicht Botschaften der Länder seien, werde Art. 32 Abs. 1 GG unabhängig von der gewählten Rechtsform55 nicht beeinträchtigt 56. Zudem könne bezweifelt werden, dass es sich bei der Europäischen Union um „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten“ handelt. Zwar ist der Union ihr Staatscharakter nicht abzusprechen, jedoch handelt es sich weder um einen existentiellen Staat noch, und hierauf konzentriert sich die wissenschaftliche Diskussion, um einen auswärtigen Staat57. Vielmehr sei es „europäische Innenpolitik“58. Dieses Argument stützt sich auf die bundesstaatliche Organisation der Europäischen Union, die allerdings bisher nicht uneingeschränkt anerkannt wird und zudem nicht durchgängig dreistufig ist59. Zu einer verfassungsgerichtlichen Klärung im Verfahren des Bund-LänderStreits des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG60 kam es nicht. Mittlerweile wird allgemein anerkannt, dass Art. 32 Abs. 1 GG der Existenz und den Aktivitäten der Länderbüros nicht entgegensteht61. Hierauf deutet auch Art. 24 Abs. 1 ERC hin, der verneint, dass es sich um auswärtige Beziehungen im klassischen Sinn handelt. Mit § 8 EUZBLG besteht nunmehr eine einfachgesetzliche Grundlage für die Länderbüros, durch die deren Befugnisse und Status geklärt werden62. Danach erkennt 53 Siehe K. O. Nass, „Nebenaußenpolitik“ der Bundesländer, EA 41 (1986), S. 619 f.; C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, S. 12 f. 54 W. Rudolf, Bundesstaat und Völkerrecht, S. 28; G. Roller, Die Mitwirkung der deutschen Länder und der belgischen Regionen an EG-Entscheidungen, AöR 123 (1998), S. 38. 55 U. Fastenrath, Länderbüros in Brüssel, S. 136; anderer Ansicht G. Ress, Das deutsche Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte, EuGRZ 14 (1987), S. 366. 56 H. P. Ipsen, HStR, Bd. VII, § 181, Rdn. 38. 57 Dazu R. Streinz in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 32, Rdn. 4; U. Fastenrath, Länderbüros in Brüssel, S. 128 ff. 58 D. Blumenwitz, Europäische Gemeinschaften und Rechte der Länder, in: R. Bieber / A. Bleckmann / F. Capotori (Hrsg.), GS für Christoph Sasse, Bd. 1, 1981, S. 227; M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, S. 92; R. W. Strohmeier, Möglichkeit der Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften durch die Deutschen Bundesländer nach Einrichtung von Länderbüros in Brüssel, S. 636; T. Wiedmann, Föderalismus als europäische Utopie, S. 65; R. Sturm, Föderalismus in Deutschland, 2003, S. 123. 59 Vgl. grundlegend Kap V.1. 60 Siehe Kap. III.5. 61 Vgl. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 1985, S. 146; U. Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 1986, S. 83 ff.; H.-J. Blanke, Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeit und Europäischer Integration, S. 71; C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, S. 58 ff.
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der Bund die Unterhaltung der Verbindungsbüros der Länder an und stellt gleichzeitig klar, dass einerseits diese Einrichtung in Brüssel keinen diplomatischen Status hat, andererseits die Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes seitens der Länder geachtet werden muss63.
cc) Urteil des spanischen Verfassungsgerichts zu dem baskischen Büro Im gleichen Jahr wie das Hanse-Office eröffneten die ersten spanischen Autonomen Gemeinschaften 1985 „Autonomiebüros“ in Brüssel (oficinas autonómicas)64. Die ersten Einrichtungen wurden in privatrechtlicher Form gegründet, um zu verdeutlichen, dass ein Eingriff in den Primat der Außenpolitik des Zentralstaates nicht beabsichtigt wurde65. Zu einem Streit zwischen Zentralstaat und einer Autonomen Gemeinschaft vor dem Verfassungsgericht führte die Unterstellung des baskischen Büros der baskischen Regierung. Die 1986 als Aktiengesellschaft gegründete baskische Einrichtung wurde im Folgejahr institutionell der baskischen Regierung zugeordnet und mit der Aufgabe betraut, die Beziehungen zwischen den baskischen öffentlichen Institutionen und den Organen der Gemeinschaft zu koordinieren. Durch weitere organisatorische Umstellungen wurde das weiterhin privatrechtlich geführte Büro zu 100 % in baskische Hoheit übernommen und vollständig der Regierung unterstellt, so dass die spanische Staatsregierung 1988 ein Verfahren des positiven Kompetenzstreits66 vor dem Verfassungsgericht einleitete. Der Staat sah seine ausschließlichen Befugnisse im Bereich der internationalen Beziehung nach Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE beeinträchtigt und Art. 20 Abs. 6 des baskischen Autonomiestatuts überschritten, der die Aktivitäten der baskischen öffentlichen Gewalt auf das baskische Territorium beschränkt67. Dabei war die 62 Die ursprüngliche Forderung der Länder nach einer verfassungsrechtlichen Verankerung der Büros wurde nicht entsprochen. Siehe K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 215 f.; C. Burgsmüller, Die deutschen Länderbüros in Brüssel, S. 42 ff. 63 Mayer interpretiert den ausdrücklichen Hinweis auf das Fehlen des diplomatischen Status als Aufwertung der Länderbüros; F. C. Mayer, Der Bundesstaat in der postregionalen Konstellation, S. 446. 64 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 315 f.; A. Mangas Martín / D. J. Liñán Nogueras, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, S. 534 f. 65 C. Gutiérrez Espada, Las Oficinas autónomicas y la STC 165 de 26 de mayo de 1994, S. 9 f.; J. F. Carmona Choussat, La incidencia de los intereses regionales en el proceso de toma de decisiones en las instituciones comunitarias, S. 158; C. Engel, Regionen im Netzwerk europäischer Politik, in: U. Bullmann (Hrsg.), Die Politik der dritten Ebene, 1994, S. 101. 66 Vgl. Kap. IV.7. 67 C. Gutiérrez Espada, Las Oficinas autónomicas y la STC 165 de 26 de mayo de 1994, S. 11 f.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 316.
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Eingliederung des Büros in die institutionelle Struktur der Exekutivgewalt ausschlaggebend für die Initiierung des Verfassungsstreits, da die übrigen Autonomiebüros ebenfalls Lobbyarbeit verrichteten, Informationen beschafften und Kontaktaufnahme betrieben68, anders als das baskische Büro aber nicht unmittelbar der öffentlichen Gewalt unterstellt waren. Das Verfassungsgericht widersprach in seinem Urteil 165 / 1994 vom 26. 05. allerdings den Argumenten der Zentralregierung und erklärte das Büro für verfassungsgemäß69. Der Bereich der internationalen Beziehungen ist eng auszulegen, und folglich reserviert Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE lediglich einen „harten Kern“70 für den Staat. Wird er von Aktivitäten Autonomer Gemeinschaften beeinträchtigt, so handeln diese ultra vires. Für den Fall des baskischen Büros verneinte dieses das oberste spanische Gericht. Als Reaktion auf den gewonnenen Rechtsstreit änderte die baskische Regierung die Rechtsform des Büros. Anstatt einer Aktiengesellschaft ist es nun eine „Delegation des Baskenlandes“71 und damit eine Einrichtung öffentlichen Rechts. Mittlerweile beharrt der Zentralstaat nicht mehr auf seiner konfliktären Linie, sondern ersucht ein kooperatives Verhältnis, wie durch Art. 36 Abs. 7 Gesetz 6 / 1997 vom 14.04. über die Organisation und Funktionsweise der öffentlichen Administration des Staates zum Ausdruck kommt: „In Erfüllung der anvertrauten Aufgaben und unter Berücksichtigung der Ziele und Interessen der Außenpolitik Spaniens arbeitet die öffentliche Administration des Staates mit allen spanischen Institutionen und Einrichtungen zusammen, die im Ausland wirken, besonders mit den Büros der Autonomen Gemeinschaften.“
c) Kollektive Mitwirkung durch den Ausschuss der Regionen Die einflussreichste Mitwirkungsform wäre ein eigenes EU-Organ, über das die Regionen ihre Interessen direkt geltend machen. Weder die derzeitigen Verträge 68 C. Gutiérrez Espada, Las Oficinas autónomicas y la STC 165 de 26 de mayo de 1994, S. 11; C. Fernández de Casadevante Romani, Comentario a la STC de 26 de mayo de 1994, REDI 46 (1994), S. 717 f. 69 Zu dem Urteil siehe C. Fernández de Casadevante Romani, La Oficina de la Comunidad Autónoma Vasca en Bruselas, REDI 41 (1994), S. 342 ff.; ders., Comentario a la STC de 26 de mayo de 1994, S. 717 ff.; M. Pérez González, La onda regional en Bruselas y el ámbito del poder exterior, RIE 21 (1994), S. 899 ff.; C. Gutiérrez Espada, Las Oficinas autónomicas y la STC 165 de 26 de mayo de 1994, S. 12 ff.; P. Cervilla Martínez / D. Ordóñez Solís, Die Beteiligung der spanischen Regionalparlamente in Angelegenheiten der europäischen Integration, in: P. Straub / R. Hrbek (Hrsg.), Die europapolitische Rolle der Landes- und Regionalparlamente in der EU, 1998, S. 107. 70 STC 165 / 1994 v. 26. 05., FJ 6. Siehe bereits STC 153 / 1989 v. 05.10., FJ 8 f. 71 C. Gutiérrez Espada, Las Oficinas autónomicas y la STC 165 de 26 de mayo de 1994, S. 15; F. J. Matia Portilla, Algunas consideraciones sobre la presencia institucional de las Comunidades Autónomas en las instancias europeas, in: F. Pau i Vall (Hrsg.), El Futuro del Estado Autonómico, 2001, S. 196 f.
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noch der Verfassungsvertrag sehen ein derartiges Regionalorgan vor. Allerdings wird mit den Art. 263 – 265 EGV (Art. 198 a – c EGV a. F.) der Ausschuss der Regionen72 geregelt, ohne ihm Organcharakter beizumessen (Art. 7 Abs. 2 EGV). Vielmehr soll er Rat und Kommission beratend unterstützen. Zum 01. 08. 1988 wurde auf deutsch-spanische Initiative durch die EG-Kommission der „Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften“ eingesetzt, der im Maastricht Vertrag mit den Art. 198 a – c EGV eine vertragliche Grundlage erhielt und in Ausschuss der Regionen umbenannt wurde73. Durch die Bestellung des Ausschusses wird endgültig die Regionenblindheit der Union überwunden. Allerdings ist aufgrund der Heterogenität der europäischen Regionen die Zusammensetzung nicht unproblematisch [aa)]. Zudem werden die geringen Rechte des Gremiums kritisiert [bb)]. Auch der Verfassungsvertrag sieht nur ansatzweise vor, die monierten Defizite zu beheben [cc)]. aa) Zusammensetzung Entgegen seiner Bezeichnung sind im Ausschuss der Regionen nicht nur Vertreter der regionalen Ebene, sondern auch lokaler Gebietskörperschaften versammelt (Art. 263 Abs. 1 EGV). Als Voraussetzung für die Bestellung für jeden der höchstens 350 Mitglieder gilt ein auf Wahlen beruhendes Mandat in einer regionalen oder kommunalen Gebietskörperschaft oder die politische Verantwortung gegenüber einer gewählten Versammlung. Gemäß Art. 263 Abs. 4 EGV werden die Ausschussmitglieder nicht durch die Regionen selbst bestimmt, sondern auf Vorschlag der Mitgliedstaaten durch den Rat für vier Jahre ernannt. Somit können die Regionen höchstens innerstaatlich ihren Einfluss geltend machen, um den Vorschlag ihres Staates zu beeinflussen. Sowohl in Deutschland als auch in Spanien stellt sich das Problem, aus welcher staatlichen Ebene die 24 bzw. 21 Vertreter entsendet werden sollen. Fraglich ist, ob die Formulierung des Art. 263 Abs. 1 EGV, der festlegt, dass der Ausschuss der Regionen „aus Vertretern der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften zusammensetzt“, festlegt, dass, soweit vorhanden, beide Gruppen aus einem Mitgliedstaat vertreten sein müssen. Der Wortlaut spricht hierfür, da ansonsten anstatt der additiven Verknüpfung ein „oder“ angebracht gewesen wäre74. Anderer An72 Dazu Committee of the Regions (Hrsg.), Committee of the Regions Thesis Competition 1996 – 2003, 2004, S. 1 ff.; H.-J. Blanke in: Grabitz / Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg., 2001, Art. 263 – 265 EGV; R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, 1996; K. Hasselbach, Der Ausschuß der Regionen in der Europäischen Union, 1996; F.-L. Knemeyer / H. Heberlein, Der Ausschuß der Regionen, in: F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 89 ff. 73 J. Wuermeling, Das Ende der „Landesblindheit“, EuR 28 (1993), S. 200; F.-L. Knemeyer, Die Europäische Regionalcharta, S. 72 f.; M. Moreno Vázquez, Comité de las Regiones y Unión Europea, 2001, S. 21 ff.; J. P. Matoso Ambrosiani, La participación en el Comité de las Regiones, in: C. Carretero Espinosa de los Monteros / E. Hinojosa Martínez (Hrsg.), El Estado Autonómico en la Comunidad Europea, 2002, S. 179 f.
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sicht sind einige Vertreter der Länder, die sich dafür aussprechen, kommunale Repräsentanten nur dann als zulässig zu erachten, wenn in dem entsprechenden Mitgliedstaat keine Regionen existieren75. Ein weiterer Teil der Literatur verneint, dass aus der Formulierung des Art. 263 Abs. 1 EGV Vorgaben für die Entsendung lokaler oder regionaler Vertreter entnommen werden können und weist die Entscheidung den Mitgliedstaaten zu76. In Deutschland wird das Problem durch § 14 EUZBLG gelöst, der die Benennung der deutschen Mitglieder den Ländern anvertraut, allerdings eine Mindestanzahl von drei kommunalen Vertretern vorsieht77. Neben den drei Kommunalrepräsentanten stellt jedes Land mindestens einen weiteren, wobei fünf Länder nach einem rotierenden System, beginnend mit den Ländern mit der größten Einwohnerzahl, zwei entsenden. Auch in Spanien mit je einem Vertreter der Autonomen Gemeinschaften entstammt die Mehrzahl der Ausschussmitglieder der regionalen Ebene. Die übrigen vier Mandatsträger werden aus dem kommunalen Bereich bestimmt78. Aus der Zusammensetzung des Ausschusses der Regionen mit teilweise kommunalen Vertretern ergibt sich eine große innere Heterogenität79. Nicht nur das Nebeneinander von kommunalen und regionalen Mitgliedern, sondern auch die Unterschiede in der Rechtsqualität der Gebietskörperschaften in den Mitgliedstaaten erschweren eine gemeinsame Interessenvertretung. Dieser Feststellung ist jedoch entgegenzuhalten, dass gemäß Art. 263 Abs. 5 EGV kein Weisungsrecht besteht und somit jedes Mitglied nicht Repräsentant seiner Region oder Kommune ist, sondern dem Wohl der gesamten Union verpflichtet ist80. 74 H.-J. Blanke in: Grabitz / Hilf, Art. 263, Rdn. 15; R. Streinz, Die Stellung des Ausschusses der Regionen im institutionellen Gefüge der EU, in: C. Tomuschat (Hrsg.), Mitsprache der dritten Ebene in der europäischen Integration, 1995, S. 59. 75 I. d. S. J. Wuermeling, Das Ende der „Landesblindheit“, S. 200; W. Clement, Der Regionalausschuß, Staatswissenschaften und Staatspraxis 4 (1993), S. 165; W. Clement, W. Clement, Der Ausschuss der Regionen, in: C. Tomuschat (Hrsg.), Mitsprache der dritten Ebene in der europäischen Integration, 1995, S. 99. 76 D. Baetge, Grundzüge des Vertrags von Maastricht, BayVBl. 123 (1992), S. 713 f.; A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, S. 188; G. Konow, Überlegungen zum Ausschuss der Regionen, in: C. Tomuschat (Hrsg.), Mitsprache der dritten Ebene in der europäischen Integration, 1995, S. 86; R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, S. 183; wohl auch H. Heberlein, Aktuelle Probleme „kommunaler Außenpolitik“, Die Verwaltung 26 (1993), S. 227. 77 Erörterung und Bejahung der Rechtmäßigkeit bei F.-L. Knemeyer / H. Heberlein, Der Ausschuß der Regionen, S. 94 ff. Zur Wahl der einzelnen Vertreter siehe auch E. Röper, Landesparlamente und Europäische Union, S. 269 ff. 78 P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 331 f.; J. P. Matoso Ambrosiani, La participación en el Comité de las Regiones, S. 182 f. 79 Siehe D. Döring, Regionalismus in der Europäischen Union, S. 100; H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen, 2002, S. 13 f.; A. Eppler, Der Ausschuss der Regionen im Jahr 2002, S. 484.
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bb) Aufgaben und Befugnisse Der Ausschuss der Regionen gibt sich eine Geschäftsordnung, wählt aus seiner eigenen Mitte einen Präsidenten auf zwei Jahre und kann zusätzlich zu einer Einberufung durch den Rat, die Kommission und das Europäische Parlament auch aus eigener Entscheidung zusammentreten (Art. 264 EGV), hat jedoch keine relevanten Entscheidungsbefugnisse mit Außenwirkung. Zur Erfüllung seiner beratenden Funktion gibt er Stellungnahmen ab. Hierbei wird zwischen obligatorischen, fakultativen, akzessorischen und initiativen Erklärungen unterschieden81. Man spricht von obligatorischen Stellungnahmen, wenn der Gemeinschaftsvertrag ausdrücklich eine Anhörung durch Rat oder Kommission vorsieht (Art. 265 Abs. 1 EGV). Dieses ist bei Rechtsakten der Fall, die auf Grundlage von Art. 71 EGV (Verkehrspolitik), Art. 128 – 129 EGV (Beschäftigungspolitik), Art. 137 EGV (Bildungspolitik), Art. 148 – 150 EGV (Sozialfonds), Art. 151 EGV (Kulturpolitik), Art. 152 EGV (Gesundheitspolitik), Art. 156 (Transeuropäische Netze), Art. 159, 161 – 162 EGV (Kohäsions- und Regionalfonds) oder Art. 175 EGV (Umweltpolitik) erlassen werden. Weiterhin können Rat oder Kommission fakultative Stellungnahmen einfordern, wenn sie es für notwendig erachten (Art. 265 Abs. 2 EGV). Gleiches gilt für das Europäische Parlament (Art. 265 Abs. 4 EGV). Akzessorische Stellungnahmen kann der Ausschuss gemäß Art. 265 Abs. 3 EGV in den Fällen abgeben, in denen eine Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses obligatorisch ist (Art. 262 Abs. 1 S. 1 EGV) oder dieser fakultativ dazu aufgerufen wird (Art. 262 Abs. 1 S. 1 EGV). Dabei werden „spezifische regionale Interessen“ vorausgesetzt. Der vierte Fall ist der der Initiativstellungnahme. Erachtet der Ausschuss der Regionen eine Stellungnahme für zweckmäßig, ohne dass einer der genannten Fälle vorliegt, so kann er diese gemäß Art. 265 Abs. 5 EGV von sich aus abgeben. Unterbleibt eine obligatorische Anhörung oder wird bei einer fakultativen Aufforderung zu Abgabe einer Stellungnahme diese nicht abgewartet, liegt ein Verfahrensfehler vor. Reicht eine klagebefugte Partei vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage wegen Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift ein82 und wird diese vom Gericht festgestellt, so führt dies analog zu der Verletzung der Anhörungspflicht des Europäischen Parlaments83 zur Nichtigkeit des entsprechenden 80 G. Konow, Überlegungen zum Ausschuss der Regionen, S. 86 f.; R. Streinz, Die Stellung des Ausschusses der Regionen im institutionellen Gefüge der EU, S. 64 f.; R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, S. 191. 81 Siehe J. Wuermeling, Das Ende der „Landesblindheit“, S. 202 ff.; P. Pérez Tremps / M. Á. Cabellos Espiérrez / E. Roig Molés, La participación europea y la acción exterior de las comunidades autónomas, S. 337 ff.; J. P. Matoso Ambrosiani, La participación en el Comité de las Regiones, S. 186 ff. 82 Zu dem Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof siehe Kap. VI.6.a). 83 EuGH v. 29. 10. 1908 – Rs. 138 / 79 (Roquette Frères / Rat), Slg. 1980, 3333 (3360 f.); EuGH v. 04. 02. 1982 – Rs. 1253 / 79 (Dino Battaglia / Kommission), Slg. 1982, 297 (316).
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Rechtsaktes84. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, insofern dem Ausschuss gemäß Art. 265 Abs. 2 EGV mindestens eine einmonatige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gesetzt wird und dieser sie verstreichen lässt. Da der Ausschuss der Regionen unter den geltenden Verträgen jedoch keine Aktivlegitimation für Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof hat, kann er nicht eigenständig die Verletzung seiner Mitwirkungsrechte geltend machen85.
cc) Mäßige Stärkung durch den Verfassungsvertrag Zwar bestehen umfassende Möglichkeiten des Ausschusses der Regionen, sich zu europarechtlichen Fragestellungen zu äußern, allein haben diese keine rechtliche Bindungskraft. Weichen die anhörenden Organe von der Auffassung der Regionen ab, so müssen sie diesen nicht einmal die hierfür maßgeblichen Gründe mitteilen. Auch im Verfassungsentwurf sind nur in sehr geringem Ausmaß Aspekte des umfangreichen Forderungskatalogs der Regionen hinsichtlich einer Stärkung des Ausschusses der Regionen umgesetzt worden86. Weder der Forderung nach einem Organstatus87 noch der nach substantiellen Selbstentscheidungsrechten wird entsprochen. Dieses lässt sich vor allem durch den Widerstand des Europäischen Parlaments, das vorerst seine Aufgaben und Befugnisse nicht mit einer weiteren Versammlung teilen muss88, sowie durch die Tatsache, dass im Verfassungskonvent keine eigene Arbeitsgruppe zu regionalen Fragestellungen eingerichtet wurde, erklären89. 84 Siehe H.-J. Blanke in: Grabitz / Hilf, Art. 265, Rdn. 4; R. Streinz, Die Stellung des Ausschusses der Regionen im institutionellen Gefüge der EU, S. 70; R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, S. 276 ff. 85 J. Wuermeling, Das Ende der „Landesblindheit“, S. 204; H. G. Fischer, Der Ausschuß der Regionen nach dem neuen EG-Vertrag, NWVBl. 8 (1994), S. 164; H. Heberlein, Maastricht II – Einstieg in das „Europa der Kommunen“?, BayVBl. 127 (1996), S. 7 f.; R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, S. 237 ff.; anderer Ansicht K. Hasselbach, Der Ausschuß der Regionen in der Europäischen Union, S. 198 ff. 86 Vgl. Art. III-386 bis III-388 VVE. Zu den Forderungen siehe M. Dammeyer, Föderalismus und die Rolle der Regionen in Europa, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 1999, S. 149 f.; R. Hrbek / M. Große Hüttmann, Von Nizza über Laeken zum Reform-Konvent, S. 579; H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen, S. 54 ff.; A. Eppler, Der Ausschuss der Regionen im Jahr 2002, S. 487 f.; J. P. Matoso Ambrosiani, La participación en el Comité de las Regiones, S. 181 f. 87 Nach Art. I-32 VVE ist der Ausschuss der Regionen weiterhin eine „beratende Einrichtung“ ohne Organqualität. 88 T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1237. I. d. S. bereits U. Kalbfleisch-Kottsieper, Der Ausschuß der Regionen, in: U. Bullmann (Hrsg.), Die Politik der dritten Ebene, 1994, S. 140. 89 Im Februar 2003 kam es lediglich zu einer halbtägigen Plenardebatte zur Rolle der Regionen. Dazu CONV 548 / 03 v. 13. 02.; M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 470 f.; A. Eppler, Der Ausschuss der Regionen im Jahr 2002, S. 491.
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Lediglich die Einräumung einer Aktivlegitimation vor dem Europäischen Gerichtshof zur Wahrung der eigenen Rechte nach Art. III-365 Abs. 3 VVE bedeutet eine wesentliche Stärkung der Einrichtung. Nr. 7 PrSubsVerh sieht eine Klagebefugnis zur Überwachung des Subsidiaritätsprinzips vor. Der Ausschuss der Regionen kann gleichberechtigt neben den nationalen Parlamenten die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bei Gesetzgebungsakten, für deren Annahme die Anhörung des Ausschusses obligatorisch ist, gerichtlich prüfen lassen. Die Hoffnung der Regionen, dass sich der Ausschuss neben Europäischem Rat und Europäischem Parlament zum dritten an der Gesetzgebung beteiligten Organ entwickelt, wird durch die Verfassung nicht erfüllt. Ein eigenes Regionalorgan ist notwendige Voraussetzung für einen endgültigen Schritt zu einem dreigliedrigen Aufbau der Union90, in dem die Regionen als eigenständige Ebene an der gemeinschaftlichen Willensbildung mitwirken. Ein derartiges „Dreikammersystem“91 ist angesichts der geringen Befugnisse nicht absehbar. Somit ist der Ausschuss der Regionen in seiner heutigen Form ebenso wie nach Inkrafttreten des Verfassungsvertrages höchstens ein „rudimentäres“92 Element eines Europas der Regionen.
d) Kritik und Perspektiven regionaler Beteiligung Die Gewährung direkter Mitwirkungsrechte der Regionen an der Willensbildung der Union kann als Ansatz einer Kompensation der im europäischen Einigungsprozess eingebüßten Aufgaben und Befugnisse gesehen werden. Jedoch gilt ebenso wie für Versuche eines innerstaatlichen Ausgleichs, dass auch Teilhaberechte auf europäischer Ebene nicht äquivalent zu Selbstentscheidungsrechten angesehen werden können93. Zusätzlich ermöglichen die derzeitigen direkten Beteiligungsmöglichkeiten nur in begrenztem Maße Einfluss auf die europäische Entscheidungsfindung94. Der Ausschuss der Regionen ist lediglich beratender Natur, woran auch das in dem Verfassungsvertrag vorgesehene eigenständige Klagerecht nichts ändert. Auch über die Brüsseler Büros können weder Länder noch Autonome Gemeinschaften aus Achtung des Primats der Außenpolitik des Bundes bzw. des Zentralstaates substantiellen Einfluss ausüben. Die Bedeutung von Vertretern der 90 U. Hoppe / G. Schulz, Der Ausschuß der Regionen, in: F. H. U. Borkenhagen / C. BrunsKlöss / G. Memminger / O. Stein (Hrsg.), Die deutschen Länder in Europa, 1992, S. 27 ff.; F.-L. Knemeyer / H. Heberlein, Der Ausschuß der Regionen, S. 89; R. Theissen, Der Ausschuß der Regionen, S. 289. Siehe auch R. Hrbek / S. Weyand, Das Europa der Regionen, 1994, S. 14. 91 Siehe bereits U. Barschel, Die Staatsqualität der Länder, S. 34. I. d. S. auch F.-L. Knemeyer / H. Heberlein, Der Ausschuß der Regionen, S. 92. 92 P. Häberle, Europa – eine Verfassungsgemeinschaft?, S. 114 m. w. N. 93 Siehe Kap. VI.5.e). 94 Vgl. F.-L. Knemeyer / H. Heberlein, Der Ausschuß der Regionen, S. 98. Siehe auch M. Schröder, Bundesstaatliche Erosion im Prozeß der europäischen Integration, S. 97 ff.; W. Graf Vitzthum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, S. 48.
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VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
Länder und Autonomen Gemeinschaften in nationalen Delegationen als dritte Beteiligungsform ist von den jeweiligen nationalen Bestimmungen abhängig. Die deutsche Verhandlungsführung obliegt einem Ländervertreter in Angelegenheiten ausschließlicher Landeszuständigkeit, während bei Hinzuziehen eines Vertreters der Autonomen Gemeinschaften sich dieser mit dem Delegierten des Zentralstaates auf eine gemeinsame Position einigen muss. Somit ist bisher die direkte Regionalbeteiligung nur bedingt mit dem Kompensationsargument zu begründen. Neben dem Versuch eines Zuständigkeitsausgleichs wird zur Erklärung der regionalen Beteiligung die verstärkte demokratische Legitimation der Union hervorgehoben95. Der europäische Regionalismus hat einen konsequenten Aufbau von unten nach oben im Sinne des Subsidiaritätsprinzips zum Ziel. Eine Fortführung des ursprünglichen zweistufigen Aufbaus (Union und Mitgliedstaaten) verkennt die Bedeutung der regionalen Identität und den demokratischen Nutzen von Selbstbestimmung96. Gleiches gilt für die lokale, d. h. kommunale Ebene. Als Erfolg kann somit die Präzisierung des Wortlauts des Subsidiaritätsprinzips im Verfassungsentwurf und die damit einhergehende Ausweitung seiner Anwendung auf die regionale und kommunale Ebene gewertet werden97. Zusätzlich kann der vorgesehene Frühwarnmechanismus zu der effektiven Anwendung des Grundsatzes beitragen98. Ansonsten konnten Länder, Regionen und Kommunen im Verfassungskonvent kaum ihre Forderungen nach verstärkter Berücksichtigung durchsetzen99. Neben der Zusammensetzung und Arbeitsweise des Konvents ist als weiterer Grund die Heterogenität der europäischen Regionen aufzuführen. Die Regionen weisen unterschiedlichste Rechtsqualität auf. Neben Regionen mit Staatsqualität wie den deutschen Ländern oder solchen mit ausgeprägter Autonomie wie den spanischen Autonomen Gemeinschaften bestehen in anderen Mitgliedstaaten Regionen mit dem Status dezentraler Verwaltungseinheiten 100. Hinzu kommt die Tatsche, dass 95 Siehe F. Esterbauer, Grundzüge der Formen und Funktionen regionaler Gliederung im politischen System, S. 44, 48, 53 f.; ders., Der europäische Regionalismus, BayVBl. 110 (1979), S. 328 f.; D.-H. Voß, Regionen und Regionalismus im Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, 1989, S. 46 f., 81 ff.; F.-L. Knemeyer, Die Europäische Regionalcharta, S. 79. 96 Siehe grundlegend Kap. II.2.b)bb). I. d. S. F.-L. Knemeyer, Entwicklungslinien zu einem Europa der Regionen, S. 20; ders., Subsidiarität – Föderalismus – Regionalismus, Dezentralisation, kommunale Selbstverwaltung, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 54. 97 Vgl. Kap. VI.3.c)dd)(1). 98 Vgl. Kap. VI.3.c)dd)(2). 99 Dazu T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union (1. Teil), S. 1237; E. Albertí Rovira, Las regiones en la nueva Unión Europea, S. 195 ff. 100 R. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus in der EG, S. 133 f.; F.-L. Knemeyer, Europa der Regionen – Bestandsaufnahme, S. 57 ff.; P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 431. Durch die Osterweiterung zum 01. 05. 2004 hat die Heterogenität weiter zugenommen; R. Schwarzer, Subsidiarität, S. 285.
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in vielen Mitgliedstaaten die regionalen Findungsprozesse noch nicht abgeschlossen sind101. Außer Rechtsqualität und Selbstverständnis der Regionen bestehen weitere substantielle Unterschiede hinsichtlich Größe und Wirtschaftskraft102. Aus dieser Heterogenität resultiert häufig die Schwierigkeit oder das Desinteresse von Regionen ohne umfangreiche Selbstverwaltungsrechte, die politischen Forderungen von Ländern und Autonomen Gemeinschaften nachzuvollziehen und mitzutragen103. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Vorschläge der Regionen im Konventsentwurf bei einer stärkeren Koalitionsbildung und besseren Koordinierung stärker berücksichtigt worden wären104. Die zu beobachtende internationale Heterogenität der Regionen führt dazu, dass insbesondere in Deutschland auch die Kommunen beanspruchen, in einem Europa der Regionen mitzuwirken105. Mit ihrem ausgeprägten Recht auf Selbstverwaltung übertreffen sie in ihren Aufgaben und Befugnissen eine Vielzahl europäischer Regionen. Durch ihre Beteiligung wollen sie verhindern, dass sich ein Europa der Regionen zu Lasten der kommunalen Selbstverwaltung auswirkt106. Es muss bezweifelt werden, dass die Bildung eines europäischen Rechtsstatus oder eine Art Homogenitätsklausel für die Regionen eine Lösung auf die durch die Heterogenität verursachten Rechtsfragen wäre107. Eine Vereinheitlichung birgt die Gefahr der Verringerung der Aufgaben und Befugnisse der Regionen und Kommunen mit ausgeprägten Selbstverwaltungs- und Selbstgesetzgebungsrechten. Bereits die Achtung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung durch Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VVE erkennt nicht die Sonderstellung der deutschen und österreichischen Länder sowie der belgischen Regionen als Gliedstaaten an108.
So F.-L. Knemeyer, Europa der Regionen – Bestandsaufnahme, S. 56. Siehe Graphiken bei E. Albertí Rovira, Las regiones en la nueva Unión Europea, S. 204 – 206. 103 U. Kalbfleisch-Kottsieper, Fortentwicklung des Föderalismus in Europa, S. 551; M. Dammeyer, Föderalismus und die Rolle der Regionen in Europa, S. 136; M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 472. 104 So auch M.-O. Pahl, Die Rolle der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen im Konventsprozess, S. 479. 105 Vgl. Verweise in Fn. 30; P. Blair, Die Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung in den europäischen Staaten, S. 1003 ff.; W. Haneklaus, Zur Frage der funktionsgerechten Regionalisierung in einer föderal verfaßten Europäischen Union, S. 297. 106 F.-L. Knemeyer, Entwicklungslinien zu einem Europa der Regionen, S. 21; H. Heberlein, Maastricht II – Einstieg in das „Europa der Kommunen“?, S. 2. 107 So aber V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, S. 78. 108 Vgl. Kap. VI Fn. 221. 101 102
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VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
3. Wechselwirkungen zwischen Regionalismus und Föderalismus Die Ausführungen dieser Arbeit haben die Ausprägung von Föderalismus und Regionalismus in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten Deutschland und Spanien unter Rechtsgesichtspunkten aufgezeigt. Nicht nur die Auslegung verfassungsrechtlicher Normen, sondern auch die Terminologie zur Charakterisierung des rechtlichen Gefüges erweist sich als strittig. Abschließend sollen die Ergebnisse dieser Arbeit zu einem detaillierten Bild der Struktur der Europäischen Union zusammengefügt werden [a)]. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Verhältnis zwischen Föderalismus und Regionalismus bestimmen und schlussfolgern, inwieweit die beiden Staatsstrukturprinzipien nebeneinander Bestand finden können [b)]. Mit einem Ausblick schließt die Arbeit [c)].
a) Staatliche Strukturen eines sich vereinigenden Europas – eine Zusammenfassung Ausgangspunkt für den Entwurf einer adäquaten Terminologie zur stimmigen begrifflichen Erfassung der Sachverhalte ist ein republikanisches, d. h. freiheitlich konzipiertes Staatsverständnis, das in Kapitel II dargelegt wurde. Der Staat ist unabdingbar für die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit, da er die Freiheit des einen mit der des anderen durch allgemeine Gesetzlichkeit in Einklang bringt und die einzige mit Zwangsbefugnissen ausgestattete Institution ist. Anstatt eines liberalistischen Freiheitsbegriffs, der auf einer Trennung von Staat und Gesellschaft basiert, oder eines monarchischen, von Souveränitätsüberlegungen geprägten Terminus, wird in einer aufgeklärten Gesellschaft gemäß der Definition Kants der Staat als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“109 verstanden. Angesichts der sehr weit gefassten Konzeption ist eine Differenzierung vorzunehmen, die in der Unterscheidung von funktionaler und existentieller Staatlichkeit und Staatsqualität resultiert. Das Staatsstrukturprinzip Föderalismus wird sowohl im Bundesstaat als auch im Staatenbund verwirklicht, wobei beide Staatsformen die Schließung eines Bundes charakterisiert. In der vorliegenden Arbeit werden sie nicht nach dem Jellinekschen Kriterium der Souveränität unterschieden, sondern durch den Grad an institutioneller und funktionaler Staatlichkeit, so dass festgestellt werden kann, dass der Staatenbund in der europäischen Staatspraxis keine Relevanz erlangt. Weit wichtiger ist die trennscharfe Unterscheidung von Einheitsstaat und Bundesstaat. Mittels dieser Terminologie lässt sich Deutschland als existentieller Bundesstaat (Kap. III), Spanien als regionalistischer Einheitsstaat (Kap. IV) und die Europäische Union als nicht-existentieller funktionaler Bundesstaat (Kap. V) charakterisie109
Vgl. Kap. II Fn. 125.
3. Wechselwirkungen zwischen Regionalismus und Föderalismus
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ren. Der durch Art. 79 Abs. 3 GG bestandsgeschützte deutsche Bundesstaat besteht aus drei Ebenen: Sowohl Bund als auch Länder sind existentielle Staaten und den Kommunen kommt ein weitreichendes Selbstverwaltungsrecht zu. Obwohl viele Rechtsinstitute föderalistisch geprägt sind (Verfassungshoheit der Länder, Zuständigkeitsverteilung, Mitwirkung der Länder bei der Bundesgesetzgebung durch den Bundesrat, Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens, Bundesaufsicht, Bundeszwang, Bundesintervention, Streitbeilegung durch das Bundesverfassungsgericht), fehlt Deutschland das konstitutive Element eines Bundesstaates, namentlich die Schließung eines echten Bundes. Anstatt per Bundesvertrag zwischen den Ländern, wurde der zusammengesetzte Staat durch Verfassungsgesetz geschaffen. Die Inexistenz einer formellen Bundesstaatslehre, die die konstitutiven Wesenselemente des Bundesstaates nennt, erschwert die Prüfung, ob Deutschland ein „unitarisierter Bundesstaat“ oder lediglich ein „föderalisierter Einheitsstaat“ ist. Eindeutig ist, dass es trotz zahlreicher föderalistischer Elemente aufgrund des fehlenden Bundesvertrages ein unechter Bundesstaat ist. Im Gegensatz zu Deutschland ist Spanien ein regionalistischer Einheitsstaat, der in einigen seiner Funktionsmechanismen dem deutschen ähnelt (Zuständigkeitsverteilung mittels ausschließlicher, konkurrierender und Rahmengesetzgebung, Kooperationen zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften, restriktive Staatsaufsicht, ein Art. 37 GG entsprechender Staatszwang, Streitbeilegung durch Verfassungsgerichtsbarkeit) und deswegen insbesondere in der spanischen Rechtsliteratur teilweise als Bundesstaat oder bundesstaatsähnliches Gebilde bezeichnet wird. Derartigen Schlussfolgerungen ist zu widersprechen, da jeder echte oder unechte Bundesstaat auf dem Grundsatz des Föderalismus basiert. Dieser setzt die existentielle Staatlichkeit der Gliedstaaten voraus. Den spanischen Autonomen Gemeinschaften dagegen kommt keine Verfassungshoheit über ihre Statute zu, so dass sie keine existentiell-staatlichen Gliedstaaten sind. Anstatt Föderalismus liegt Regionalismus der Staatsorganisation als Strukturprinzip zugrunde, d. h. regional verankerte Bemühungen um verstärkte Selbstbestimmung zur Wahrung der Identität110. Neben der fehlenden existentiellen Staatsqualität der Glieder ist in dem regionalistischen Autonomiestaat die ausgeprägte Existenz von Asymmetrien in der Zuständigkeitsverteilung und der Finanzverfassung als weiterer struktureller Unterschied zu dem deutschen Bundesstaat zu nennen. Die bestehenden substantiellen Unterschiede der Reichweite von Aufgaben und Befugnissen der Autonomen Gemeinschaften gehen auf die Transformationszeit von der Diktatur unter Franco zur parlamentarischen Monarchie zurück. Sowohl die Asymmetrien als auch die Einflussstrukturen des dichotomisch geprägten Parteienstaates mit regionalistischen Parteien auf der einen und zentralistisch strukturierten auf der anderen Seite sprechen gegen die Einschätzung, dass der spanische Regionalismus eine Art Präföderalismus sei. Derartige Überlegungen sind nicht weiterführend, da Regionalismus eine gleichwertige Alternative zur strukturellen Entscheidung für Föde110
Diese kann beispielsweise kulturell, wirtschaftlich oder sprachlich sein.
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VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
ralismus ist, so dass eine etwaige Föderalisierung Spaniens nicht als Krönung der regionalistischen Bewegung gewertet werden könnte. Der dritte Staat, dessen Staatsform erörtert wurde, ist die Europäische Union. Weder die vorwiegend verwendete, dem 19. Jahrhundert entstammende Terminologie mit ihrer Dichotomie von Bundesstaat und Staatenbund, noch der Verlegenheitsbegriff eines Staatenverbundes ist in der Lage, die Europäische Union adäquat begrifflich zu erfassen und gleichzeitig freiheitsdogmatisch zu begründen. Während nach der in dieser Arbeit abgelehnten Begrifflichkeit der herrschenden Lehre der Union die Staatsqualität abgesprochen wird, ist es angebracht, zwischen Staatlichkeit und Staatsqualität zu unterscheiden: Die Existenz institutioneller und funktionaler staatlicher Elemente, d. h. Staatlichkeit, kann der Union nicht abgesprochen werden. Dagegen ist eine gesamteuropäische Bürgerschaft im anspruchsvollen Sinne eines pouvoir constituant nicht zu erkennen und folglich keine existentielle Staatsqualität gegeben. Die gemeinschaftliche Ausübung von Staatlichkeit geht auf den Willen der die Union tragenden Völker zurück und muss deshalb auf dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung beruhen sowie durch die nationalen Parlamente legitimiert werden. Mit der Union als funktional-staatlichem Bund und den Mitgliedstaaten als seine existentiell-staatlichen Glieder ist die Europäische Union somit ein echter Bundesstaat. Einer Entwicklung der EU von einem lediglich funktionalen zu einem existentiellen Staat, der so genannten Staatswerdung, steht die existentielle Staatsqualität der Nationalstaaten entgegen. Die Amtswalter sind nicht befugt, sich über die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Nationalstaaten hinwegzusetzen und zu einer Herabstufung dieser auf den Status von Gliedstaaten beizutragen. In diese Richtung tendiert jedoch der Vertrag über eine Verfassung für Europa, durch den die Schwelle zu einer existentiell-staatlichen Union noch nicht überschritten wird, der sich jedoch nach Maastricht, Amsterdam und Nizza diesem Schritt zunehmend nähert, wie der Begriff eines Verfassungsvertrages suggeriert. Die Arbeit des rechtswidrig eingesetzten, undemokratisch agierenden Konvents resultiert in einer Integration von oben ohne legitimierenden pouvoir constituant, insofern der Verfassungsvertrag in Kraft tritt. Ihre Eigenschaft als Herren der Verträge verlieren die Nationen durch die uneingeschränkte Anerkennung des Vorrangs des Unionsrechts, die Verringerung der Einstimmigkeit erfordernden Entscheidungen, das neue Vertragsänderungsverfahren sowie durch die Stärkung und qualitative Neuausrichtung des Europäischen Parlaments als echtes Parlament, das allerdings rechtens ohne eine echte Unionsbürgerschaft keinen legitimierenden Parlamentarismus betreiben kann. Nach der Erörterung der Staatlichkeit und Staatsqualität Deutschlands, Spaniens und der Europäischen Union widmet sich Kapitel VI und VII den Rückwirkungen des europäischen Föderalismus auf die nationalen Verfassungsprinzipien Bundesstaatlichkeit bzw. Autonomiestaatlichkeit. Sieht man das Europarecht als Teil des deutschen Staatsrechts im Sinne des umgekehrten Monismus an, so ergibt sich die komplexe Staatsstruktur eines existentiellen dreistufigen Bundesstaates (Bund, Länder, Kommunen) innerhalb eines funktional-staatlichen Bundesstaates (Union).
3. Wechselwirkungen zwischen Regionalismus und Föderalismus
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Da die Verträge die Europäische Union überwiegend landes- und kommunalblind konzipieren und sich statt auf vier Stufen (Union, Bund, Länder, Kommunen) lediglich auf die Union und die nationale Ebene beziehen, besteht bei anhaltender Abgabe von Aufgaben und Befugnissen an Bund und Union für Länder und Kommunen die Gefahr eines Verlustes ihres Status als existentielle Gliedstaaten bzw. ihres Rechts auf Selbstverwaltung. Die anhaltende Entstaatlichung der beiden Ebenen erreicht vor dem Hintergrund der nationalen Verfassungsgarantien der Art. 79 Abs. 3 GG, Art. 23 GG und Art. 28 GG ihre verfassungsrechtlich vertretbaren Grenzen. Das Europarecht enthält weitere Prinzipien, die einer Aushöhlung der deutschen Bundesstaatlichkeit durch Zuständigkeitsaneignung durch die Union entgegenstehen (Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, Unionstreue, Subsidiaritätsprinzip und die im Verfassungsvertrag vorgesehene Achtung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung), auch wenn eingeräumt werden muss, dass sie eine deutlich schwächere Schutzwirkung entfalten. Die Kompensation der Länderentstaatlichung durch Gewährung innerstaatlicher Beteiligungsrechte ist aufgrund der fehlenden Äquivalenz nur begrenzt möglich. Während von der integrationsfreundlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof kaum effektiver Schutz vor Zuständigkeitsusurpation zu erwarten ist, hat das höchste deutsche Gericht im Maastricht-Urteil fünf Fälle genannt, in denen es sich eine Prüfung von „ausbrechenden Rechtsakten“ der Gemeinschaft am Maßstab der deutschen Verfassung vorbehält (allgemeiner Grundrechtsstandard, Strukturprinzipien der deutschen Verfassung, Subsidiaritätsprinzip, elementare nationale Interessen, Prinzip der begrenzten Ermächtigung). Kommt es zu einem derartigen Verfahren, in dem die unabänderliche Grundentscheidung des Verfassungsgebers für die Bundesstaatlichkeit zu verteidigen ist, liegt es an der Moralität der Verfassungsrichter, den Willen der Deutschen nicht zur Disposition zu stellen, sondern das Grundgesetz letztinstanzlich zu verantworten. Die gemeinschaftliche Ausübung von Staatlichkeit durch die Union hat auch auf die spanische Verfassungsstruktur, die nicht föderalistisch, sondern regionalistisch geprägt ist, Rückwirkungen. Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften sowohl an der Willensbildung des Staates in europäischen Angelegenheiten als auch an der Umsetzung von Unionsrecht wird nicht durch die Verfassung und nur ansatzweise durch Regelungen in den Autonomiestatuten geklärt. An Stelle einer verfassungsrechtlichen Lösung bildet sich ein kooperatives System von Konferenzen heraus, das erst seit 1997 auf einfachgesetzlicher Grundlage beruht. Bilaterale Verhandlungen zwischen einzelnen Autonomen Gemeinschaften und dem Staat ergänzen die multilaterale Institution, um den Asymmetrien des Autonomiestaates Rechnung zu tragen. Sowohl das Legitimationsdefizit als auch die entstandene informelle Politikverflechtung könnte durch eine verfassungsrechtliche Lösung überwunden werden, indem der Senat zu einem echten Organ der territorialen Repräsentation aufgewertet, mit den entsprechenden Befugnissen ausgestattet und somit die Mitwirkung der Autonomen Gemeinschaften institutionalisiert wird. Muss sich in Deutschland jede Zuständigkeitsübertragung an Art. 79 Abs. 3 GG
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VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
messen, und damit an dem Fortbestand der existentiellen Staatsqualität der Länder, darf auch in Spanien die in Art. 2 CE verankerte Autonomiestaatlichkeit auf diesem Wege nicht zur Disposition gestellt werden. Trotz einer fehlenden formellen Autonomiestaatslehre, die die Wesenselemente der Autonomiestaatlichkeit herausstellt, befasst sich die spanische Rechtslehre kaum mit einer Präzisierung des Verhältnisses zwischen diesem Strukturprinzip und dem der offenen Staatlichkeit des Art. 93 CE, auf dem die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beruht. Hinsichtlich des Rechtsschutzes sieht die Verfassung in Art. 93 Abs. 2 CE lediglich eine präventive Prüfung internationaler Verträge auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung vor. Da das spanische Verfassungsgericht, anders als das Bundesverfassungsgericht, in seiner Rechtsprechung den Vorrang von Gemeinschaftsrecht bisher uneingeschränkt anerkennt, gibt es keinen Rechtsschutz, insofern nicht primäres, sondern sekundäres Europarecht mit dem Autonomiestaatsprinzip in Widerspruch steht, d. h. verfassungswidrig ist. Allerdings deutet das Gericht neuerdings an, sich umzuorientieren und ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht gegebenenfalls letztinstanzlich die nationale Verfassung zu verantworten. Diese Befugnis folgt aus der existentiellen Staatsqualität der Mitgliedstaaten. Eine umfassende Darstellung der europäischen Rechtsstruktur hat zu berücksichtigen, dass die Union durch ihr Verhältnis zu den Mitgliedstaaten nicht nur föderalistisch aufgebaut ist, sondern auch von den regionalistischen Kräften der bisher nicht anerkannten dritten Ebene geprägt wird. Auf dem Weg zu einer Anerkennung als eigenständige Akteure im Aufbau europäischer Bundesstaatlichkeit haben die Regionen, wie in diesem Kapitel erörtert, mit der Verankerung einer Reihe von direkten Mitwirkungsrechten nur teilweise ihre weitreichenden Forderungen umsetzen können.
b) Vereinbarkeit von Föderalismus und Regionalismus – ein Fazit Die Darlegung der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen föderalistischen und regionalistischen Staatsstrukturen und damit die simultane Behandlung von Föderalismus und Regionalismus ermöglicht Schlussfolgerungen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den beiden untersuchten Prinzipien. Angesichts der bestehenden Vielfalt in Europa ist hierbei folgendes zu differenzieren. Erstens kann der Fall eintreten, dass Regionalismus als staatliches Strukturelement durch Föderalismus „konsumiert“111 wird. Hiervon kann in Deutschland ausgegangen werden, wo die Bundesstaatlichkeit der Vielfalt Raum zur Entfaltung lässt, so dass sich keine ausgeprägten regionalistischen Kräfte herauskristallisiert haben. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Regionalismus weder Föderalismus notwendigerweise zum Ziel hat noch als dessen unvollendete Form anzusehen ist. Dies zeigt der 111 P. Häberle, Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, S. 187.
3. Wechselwirkungen zwischen Regionalismus und Föderalismus
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zweite Fall, der eines Verfassungsvergleichs zwischen Spanien und Deutschland. Da sich die spanische Verfassung am Grundgesetz orientiert, lassen sich viele Ähnlichkeiten aufzeigen. Eine Föderalisierung wird jedoch nicht angestrebt und obläge aufgrund der Verfassungsautonomie existentieller Staaten allein der Entscheidung des spanischen Volkes. Zwei weitere Fälle zeigen, dass zwischen Föderalismus und Regionalismus auch ein Spannungsverhältnis auftreten kann. Zum einen erweist sich die Zweistufigkeit der europäischen Bundesstaatlichkeit als Bedrohung für den spanischen Regionalismus, da die Autonomen Gemeinschaften eine Vielzahl an Aufgaben und Befugnissen, die sie dem spanischen Zentralstaat abgerungenen haben, in einer neuen Zentralisierung an die Union verlieren oder zu verlieren drohen. Jedoch ist hervorzuheben, dass dieses Spannungsverhältnis nicht im Prinzip des Föderalismus begründet liegt, sondern sich vielmehr durch unitarische Kräfte erklären lässt, die beispielsweise der durchgängigen Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips entgegenwirken. Zum anderen besteht ein wahres Spannungsverhältnis zwischen deutschem Föderalismus und europäischem Regionalismus. Regionale Mitwirkungsforderungen am Aufbau der Europäischen Union im Sinne eines Europas der Regionen sind Anzeichen eines europäischen Regionalismus. Dabei kann bezweifelt werden, inwieweit die deutschen Länder ihre föderalen Interessen verteidigen können, indem sie trotz ihrer existentiellen Staatsqualität als Regionen auftreten. Zu heterogen sind die agierenden lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, zu unterschiedlich ist die Interessenlage: Regionen ohne Gesetzgebungsbefugnisse, reine Verwaltungsregionen, erhoffen vom europäischen Regionalismus Impulse für ihren innerstaatlichen „Selbstfindungsprozess“. Andere zielen auf die Sicherung ihres Status im Verfassungsgefüge ab, so die Länder und Autonomen Gemeinschaften. Selbst wenn man nur Regionen mit weitreichenden Gesetzgebungsbefugnissen untereinander vergleicht, zeigen sich qualitative Unterschiede in den Zielsetzungen auf. Während die Zuständigkeiten der Autonomen Gemeinschaften Ausdruck ihres Rechts auf Autonomie sind, ist für die Länder ein Mindestbestand an Aufgaben und Befugnissen konstitutive Voraussetzung für ihre Eigenschaft als existentielle Staaten. Ob die Zielsetzung der Länder, ein „föderatives“ Europa der Regionen, durch eine Allianz mit regionalistischen Kräften erreicht werden kann, bleibt zu bezweifeln. Zwar stellt der europäische Regionalismus die deutsche Bundesstaatlichkeit nicht in Frage112, jedoch genügt er bisher nicht der Wahrung des Status der Länder als Gliedstaaten und damit der deutschen Bundesstaatlichkeit113. Der Hoffnung, dass Föderalismus und Regionalismus sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken114, steht die 112 W. Haneklaus, Zur Frage der funktionsgerechten Regionalisierung in einer föderal verfaßten Europäischen Union, S. 299; R. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 23, Rdn. 64. 113 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 173 f.; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 221 ff.; V. M. Hackel, Subnationale Strukturen im supranationalen Europa, S. 77. 114 So T. Veiter, Regionalismus und Selbstbestimmung in Europa, S. 484; T. Wiedmann, Föderalismus als europäische Utopie, S. 50; P. Häberle, Regionalismus als werdendes Struk-
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VIII. Regionalismus und Föderalismus im Europa der Regionen
ausgeprägte Heterogenität der Ausgangssituation und Absichten der beteiligten Gebietskörperschaften entgegen115.
c) Gestaltung der unvollendeten Rechtsstruktur der Europäischen Union – ein Ausblick Die dargelegten Charakteristika und Zusammenhänge der Strukturprinzipien Föderalismus und Regionalismus in Verbindung mit der vorgestellten Terminologie sollen zur Gestaltung der Staatsstrukturen in Europa beitragen. Eine deutsche Föderalismusreform, die überfällige Änderung der spanischen Verfassung, vor allem die Aufwertung des Senats, und die aktuelle Verfassungsgebung für die Europäische Union müssen das Recht der Menschen, ihre Freiheit verwirklichen. Dazu ist beiden Grundsätzen die konsequente Durchsetzung des Prinzips der kleinen Einheit gemeinsam. Der mit der Größe des Gebiets wachsenden Gefahr eines Zentralismus kann mit durchgängiger Verteilung der Zuständigkeiten nach dem Subsidiaritätsprinzip begegnet werden. Nur ein bürgernaher und demokratisch legitimierter europäischer vierstufiger Bundesstaat mit einem Staatsaufbau von unten nach oben, beginnend mit der Kommunalität, gefolgt von Ländern oder Regionen, den Mitgliedstaaten und schließlich einer lediglich funktional-staatlichen Union, kann verhindern, dass aus dem Konzept einer Friedensordnung eine Machtordnung wird. Europa muss den Weg des Rechts gehen: „Das Recht dem Menschen muß heilig gehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten. Man kann hier nicht halbieren, und das Mittelding eines pragmatisch-bedingten Rechts (zwischen Recht und Nutzen) aussinnen, sondern alle Politik muß ihre Knie vor dem ersteren beugen, kann aber dafür hoffen, ob zwar langsam, zu der Stufe zu gelangen, wo sie beharrlich glänzen wird.“116
turprinzip des Verfassungsstaates und als europarechtspolitische Maxime, S. 43; U. Kalbfleisch-Kottsieper, Fortentwicklung des Föderalismus in Europa, S. 544; vgl. auch J. Isensee, HStR, Bd. IV, § 98, Rdn. 308. 115 Bedenken und Kritik auch bei T. Wiedmann, Föderalismus als europäische Utopie, S. 46 ff.; P. Badura, Die „Kunst der föderalen Form“, S. 383; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, S. 227. 116 I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 243 f.
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Sachwortverzeichnis Achtung der nationalen Identität 260, 375 Amtsprinzip 77, 222 Amtssprachen – der Union 230 – regionale 143 Amtswalter 40, 75, 202, 208, 345, 374 Annexkompetenzen 110 Anwendungsvorrang 182, 237 Asymmetrie 146, 156, 177, 337, 373, 375 Ausschuss der Regionen 222, 364, 369 Außenminister der Union 229, 235 Außenvertretungsanspruch 361 Austrittsrecht 80, 102, 203, 239, 243 auswärtige Beziehungen 362 Autonome Gemeinschaften 320, 326 Autonomiebüros 363 Autonomieprinzip 141, 144, 159, 319, 327, 347 Autonomieprozess 142 Autonomiestaat 172, 345, 373 Autonomiestaatlichkeit 346, 351, 374, 376 Autonomiestatut 142, 148, 175, 319, 323, 343, 375 Autonomismus, kooperativer 160 Bayerische Verfassungsgerichtshof 92 Bedürfnisklausel 301 Beihilfen 286, 293, 331, 342 Beitrittsanwärter 27 Beitrittsstaaten 221 Berliner Verfassungsgerichtshof 92 Bezirk 53, 103 Block der Verfassungsmäßigkeit 148, 152, 160, 164, 322, 323, 327, 341 Botschaften der Länder 362 Brandenburger Verfassungsgericht 92, 107
Bund 65, 70, 97 – deutscher Länder 87 – echter 66, 87, 103, 197, 373 – Schließung 42, 45, 65, 372 – Zuständigkeit 108, 246 Bund-Länder-Streit 132, 170, 315, 362 Bundesaufsicht 111, 112, 129, 373 Bundesauftragsverwaltung 111 Bundesgebiet, gebietliche Änderungen 88 Bundesgerichte 112 Bundesintervention 131, 169, 373 Bundespflicht 130, 247 Bundesrat 113, 160, 169 – Mitwirkung 295, 298, 339 – parteienstaatlicher 114 Bundesratsprinzip 113, 150, 162 Bundesstaat 43, 62, 85, 157, 171, 179, 372 – asymmetrischer 156 – echter 64, 78, 79, 84, 87, 103, 118, 374 – europäischer 231, 353 – existentieller 60, 65, 209, 213, 235, 372 – funktionaler 65, 240, 372 – im Bundesstaat 242 – institutional-funktionaler 240 – Koordinationslehre 70 – labiler 99 – nicht-existentieller 79, 202, 372 – ohne bündische Grundlage 66, 102, 127, 129 – parteienstaatlicher 123 – sozialer 85, 95 – Spanien als 140, 171 – und Staatenbund 28, 42, 374 – unechter 64, 66, 77, 80, 84, 86, 88, 127, 133 – unitarischer 77, 123 – unitarisierender 117 – Zweigliedrigkeitslehre 70
* Die kursiv gesetzten Seitenzahlen weisen auf fortfolgende Seiten hin.
Sachwortverzeichnis Bundesstaatlichkeit 43, 62, 88, 168, 178, 197, 248, 374 – echte 64, 136, 259 – europäische 200, 235 – soziale 122 – unechte 64, 67, 84, 133, 200 Bundesstaatslehre 136, 187 – allgemeine 62, 84, 85, 173 – formelle 63, 70 – materielle 58, 63, 73, 119, 201, 253 Bundesstaatsprinzip 98, 134, 136, 248, 250, 318 – Letztverantwortung 310 – Unabänderlichkeit 29, 97, 114, 347 Bundestreue 125, 160, 247, 295, 312 Bundesverfassung 48, 83 Bundesverfassungsgericht 131, 183, 314, 373 – abstrakte Normenkontrollklage 132 – Altenpfleger-Urteil 50, 109, 271 – Bananenmarktbeschluss 183, 185 – Coburg-Urteil 102 – drittes Urteil zum Finanzausgleich 95, 122 – Ermächtigungsklausel 205 – EWG-Verordnung 183, 190 – Gerichtsorganisation 112 – Goldenstedt-Beschluss 258, 315 – Maastricht-Urteil 183, 203, 206, 316, 375 – Rastede-Beschluss 257 – Reichskonkordat-Urteil 72, 253, 280 – Selbstverwaltungsgarantie 132 – Solange I-Beschluss 183, 315 – Solange II-Beschluss 184, 185, 316 – Solange-Rechtsprechung 183 – Südweststaat-Urteil 72 – Urteil zur Neugliederung Hessens 72 – Urteil zur Volksbefragung Hessen 72 – Vielleicht-Beschluss 184 Bundesvertrag 44, 48, 66, 71, 79, 88, 102, 135, 197 Bundesverwaltung 111 Bundeszwang 129, 169, 174, 247, 373 Bündnis 41 Bürger 40, 58, 189, 196 – europäische 226, 234 Bürgerkrieg 142, 147 Bürgernähe 49, 57, 75, 105, 245, 272, 357
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Bürgerschaft 36, 47, 48, 66, 68, 189, 211, 309 – europäische 233, 374 – spanische 143, 162 Charta der Vereinten Nationen 193 clausula rebus sic stantibus 128 Daseinsvorsorge 287, 293 Declaración de Barcelona 177 Demokratiedefizit 197, 233 Demokratieprinzip 40, 74, 98, 201, 257, 308, 344 Deutsche Bundesakte 85 Deutscher Bund 85 Deutsches Reich 87 Dezentralisationsprozess Spaniens 140 Dezentralisierung 29, 57, 143, 144 Diskriminierungsverbot 246, 282 Drei-Elemente-Lehre 68, 186 Dualismus 79, 189, 316 Effektivitätsgebot 246, 330 effet utile 205, 277, 313 Effizienzkriterium 268 Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse 117, 122 Einheitsprinzip 141, 143, 145, 151, 159, 176, 351 Einheitsstaat 45, 53, 56, 60, 82, 98, 116, 138, 143, 150, 168, 173, 241, 253, 372 – DDR als 86 – dezentralisierter 173 – föderalisierter 66, 135, 373 – regionalistischer 372, 373 Einspruchsgesetz 114, 299 Einstimmigkeit 87, 219, 250, 254, 312, 374 Einstimmigkeitsprinzip 114, 237 Entstaatlichung – der Autonomen Gemeinschaften 29, 319 – der Länder 29, 95, 248, 277, 292, 295, 309, 375 – Deutschlands 209 Erklärung von Laeken 220, 271, 274 – Überschreitung 227 Erklärung von Nizza 220, 274 Erklärung zum Regionalismus in Europa 54 Erzwingbarkeit des Rechts 37, 91 Europa der Regionen 61, 353
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Sachwortverzeichnis
Europaartikel 243 Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung 278 Europäische Charta der regionalen Selbstverwaltung 57 Europäische Gemeinschaft 324 Europäische Gemeinschaften 165, 179, 219, 236, 319, 327 europäische Integration 27, 30, 95, 136, 199, 210, 242, 249, 259, 297, 321, 358, 359, 361 – fortgeschrittene 208 – fortschreitende 28, 315 – Prozesshaftigkeit 251 Europäische Union 55, 180, 236 – Austritt 203 – Rechtsqualität 28, 180, 187, 374 – Verfassung 193 – Zuständigkeit 93, 108, 256, 322 Europäischer Gerichtshof – Nichtigkeitsklage 311 – Akzeptanz 314 – British American Tobacco 271 – Casagrande-Entscheidung 282 – Ferring-Entscheidung 289 – Gravier-Urteil 282, 313 – Gutachten 1 / 1991 195 – integrationsfreundliche Rechtsprechung 274, 312, 375 – Klagebefugnis 311, 350 – Les Verts / Parlament 195 – Verfassungsgericht der Union 310, 314 – Vertragsverletzungsverfahren 327, 350 – Vorabentscheidung 183, 311 – Zuständigkeitsusurpation 310 Europäischer Rat 27, 218, 227, 235, 236, 250, 274 Europäisches Parlament 54, 204, 218, 228, 234, 273, 311, 355, 367, 374 Europakammer 305 Ewigkeitsklausel siehe Unabänderlichkeitsklausel Exekutivföderalismus 117, 307 Exekutivregionalismus 338 existentielle Lage 81, 91, 102, 120, 128, 135 Finalität 27, 179, 180, 236 Finanzausgleich 95, 122, 125, 167, 216 – kommunaler 106
Finanzausgleichsgesetz 96 Finanzhoheit – der Länder 106, 252, 290 – kommunale 106 Finanzverfassung 95, 121, 290, 343 – spanische 164, 174 Fiskusdoktrin 166 Föderalisierung 60, 140 – Belgiens 28, 57 – Spaniens 172, 174, 374, 377 Föderalism freier Staaten 81, 200 Föderalismus 41, 85, 134, 171 – asymmetrischer 156 – echter 203 – Europäische Union 179, 235 – kompetitiver 117 – kooperativer 117, 160, 337, 351 – und Regionalismus 30, 58, 175, 372, 376 – und Separatismus 46 – und Subsdiaritätsprinzip 48 – und Unitarismus 45 Föderationsverbot 158 Foralgebiet 140, 167 Foralgemeinschaft 147 Foralrechte 139, 167 Franquismus 142 Freiheit 28, 32, 36, 47, 67, 73, 98, 121, 188, 191, 210, 318 – allgemeine 38, 44, 206, 372 – äußere 37 – Idee der 39, 44, 200 – innere 37 Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit 40, 192, 215 Frieden 74, 196 Friedensordnung 378 Friedenssicherung 201 Frühwarnmechanismus 272, 370 GASP 180, 233, 261, 276 Gebiete, historisches 147, 156 Gebietshoheit 186 Gebietskörperschaft 50, 52, 144, 251, 269, 312, 366 – kommunale 58, 103, 139, 365, 377 – regionale 29, 82, 139, 155, 156, 377 Gemeinde 103, 151
Sachwortverzeichnis Gemeinschaftsaufgaben 97, 119, 124, 135, 285, 291 Gemeinschaftscharta der Regionalisierung 54, 355 Gemeinschaftsrecht 181, 242, 310, 330 – primäres 94, 243 – sekundäres 94, 244, 322 Gemeinschaftstreue 185, 261 Gerichte der Länder 112 Gesellschaft 36, 43, 140, 180, 372 Gesetzgebung – auschließliche des Bundes 109 – ausschließliche (Spanien) 154 – ausschließliche der Länder 108 – konkurrierende 96, 109, 291, 300 Gleichbehandlungsgebot, föderatives 158 Gleichheit der Staaten 158 Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse 109, 123 Gliedstaat 64, 65, 74, 82, 84, 98, 140, 157, 209, 240, 292, 373 Grundgesetz 44, 64, 87, 126, 152, 184, 210, 244, 258, 279, 298 Grundrechtecharta 181, 220, 231, 236, 239 Grundrechtekonvent 226 Grundrechtsschutz 184, 254, 313, 316 Handlungsinstrumente 233, 276, 290 Hanse-Office 361, 363 Hausgut eigener Aufgaben 93, 94, 248, 250, 306, 319 – funktionaler Ansatz 253 – qualitativer Ansatz 252 – quantitativer Ansatz 251 Herman-Entwurf 219 Herren der Verträge 188, 221, 236, 374 Herrenchiemseer Verfassungskonvent 87 Homogenität 90, 371 – der Autonomiestatute 148 – der Landesverfassungen 149 – Unionsvolk 214 implied powers 205 Informalität 120, 344, 352 Informationsbüro 361 Integralstaat 141, 145 Integrationsprinzip 250, 347 Interterritorialer Ausgleichsfonds 166
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kategorischer Imperativ 38 Kerneuropa 229 Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 29, 123, 137 Kommunalblindheit 260 Kommunalverfassungsbeschwerde 132, 315 Kommunalwahlrecht 176, 207, 285 Kommune 83, 103, 222, 242, 256, 264, 272, 279, 291, 309, 353, 366, 370 Kompetenz 69 Kompetenzgericht 313 Kompetenzhoheit 69 Kompetenzkompetenz 66, 69, 90, 187, 204, 205 Kompetenzkonflikte 155 – negative 171 – positive 171 Konferenz über EG-Angelegenheiten 333, 336, 349 Konföderation 177 Konkurrenzföderalismus 123 Konnexitätsprinzip 97, 106 Konvent zur Zukunft Europas 218 – Aufgaben 223 – defizitäre Arbeitsweise 224 – Einberufung 220 – Einbezug der Öffentlichkeit 226 – Zusammensetzung 221 Konventsmethode 230 Kooperation 118, 158, 343, 351 Kooperationsprinzip 158, 340, 341, 351 Kulturhoheit 253, 280, 292, 313 Kultusministerkonferenz 118 Länder 88, 97, 108, 248 Länderbeobachter 358 Länderbeteiligungsverfahren 296 Länderbüros 361 Ländervertreter 298, 304, 360, 370 Landesblindheit 30, 242, 246, 260 Landesverfassung 83, 90, 148, 306, 356 Landesverfassungsgerichtsbarkeit 91, 174 Landesvolk 89 Landkreis 103 Legitimation, demokratische 190, 206, 209, 222, 238, 344 Legitimationsdefizit 219, 352, 375 Legitimationsfunktion 196, 212
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Sachwortverzeichnis
Lindauer Abkommen 296 LOAPA 149 Lübecker Erklärung 123 Maßstäbegesetz 96 Machtordnung 378 Mehrheitsprinzip 185, 238, 317 Ministerrat 216, 228, 237, 273 Monismus 321 – umgekehrter 189, 195, 240, 244, 374 Motor der Integration 312 Nationalismus 56 Nationalstaat 41, 49, 55, 85, 190, 191, 196, 202, 215, 242, 353, 361, 374 Nebenaußenpolitik der Länder 362 Neugliederung 97, 99, 122 – Berlin und Brandenburg 100 – Franken 101 – Nordstaat 101 Norddeutscher Bund 64, 85 Normenkontrolle – abstrakte 170 – präventive 170 NUTS 53, 356 Organleihe 91, 119 Organstreit 132, 170, 303, 315 Parlamentarischer Rat 87 Parlamentarismus 197, 216, 234, 374 Parteien – deutsche 210 – europaweite 214 – spanische 164, 176 Parteienbundesstaat 116, 307 Parteienstaat 77, 115, 132, 135, 177, 352, 373 Politik 32, 43 Politikverflechtung 121, 133, 217, 375 Polizeiliche und Justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen 180, 233 Post-Nizza-Prozess 220 pouvoir constituant 28, 38, 39, 47, 83, 98, 103, 196, 209, 321, 374 – europäischer 190, 213, 233 pouvoir constitué 29, 47, 98, 175 Präföderalismus 172, 373
Preußenschlag 86 Primat der Außenpolitik 362, 363, 369 Prinzip – bundesstaatliches 61, 99, 131 – der begrenzten Ermächtigung 185, 204, 217, 264, 265, 269, 281, 285, 309, 313, 317, 374 – der Freiwilligkeit 45, 80, 84, 203, 340 – der kleinen Einheit 28, 40, 49, 50, 59, 74, 200, 201, 214, 378 – der Vollzugskausalität 97 – des bundesfreundlichen Verhaltens 125, 262, 295, 331, 373 – dispositives 141, 145, 153, 156, 162, 323, 332, 346, 348 – föderales 31, 41, 61, 78, 140 – freier Einigung 118 – monarchisches 44, 74 – von Treu und Glauben 127 Privatheitsprinzip 49, 166 Provinz 139, 144, 151 Provinzeinteilung Spaniens 139 Rahmengesetzgebung 291, 300, 329, 373 Rat der Gemeinden und Regionen Europas 223 Ratspräsidentschaft 27, 218, 228, 334 Recht zur freien Willkür 121, 166 Rechtsanwendungsbefehl 190 Rechtspersönlichkeit, einheitliche 232 Rechtsstaat 348 Rechtsstaatlichkeit 201 Rechtsstaatsprinzip 127, 318 Referendum – Autonomiestatute 147, 149 – Berlin und Brandenburg 100 – spanische Verfassungsänderung 175 – Verfassungsvertrag 211, 230 Reföderalisierung 88, 121, 123 Region 52, 82, 354, 358 – historische 168, 334 Regionalbüros 361 Regionalisierung 51, 56, 60, 61, 82, 83, 348 – der Europäischen Union 354 – spanische 138, 327 – Zweite Republik 141 Regionalismus 51, 54, 138, 143, 171, 373 – europäischer 353
Sachwortverzeichnis – im Bundesstaat 56 – kooperativer 352 – und Föderalismus 30, 58, 175, 372, 376 – und Nationalismus 56 Regionalismustreue 160, 263, 331 Regionalpolitik 53, 355 Regionalstaat 141, 145 Regionalvertreter 359 Regionenblindheit 353, 354 Reichsexekution 86 Republik 37, 193, 194, 249 Republik der Republiken 200 Republikprinzip 98 Residualklausel 153 Revolution 210 Rheinbund 85 Rundfunkverfassung 292 Sechs-Mächte-Konferenz 87 Sektorkonferenz 161, 334, 352 Selbstbestimmung 51, 73, 150, 173, 177, 370, 373 – freie 44 – Recht zur 47 Selbstbestimmungsrecht – der Autonomen Gemeinschaften 347 – der Länder 307 – der Völker 79, 84 Selbstverwaltung – kommunale 57, 82, 104, 132, 144, 256, 265, 278, 293, 357, 371, 375 – regionale 56, 82, 279, 371, 375 Senat 150, 161, 169, 176, 323, 352, 375 Senatsprinzip 113, 162 Separatismus 46, 58, 156, 178 Sezessionsrecht 81, 101, 120, 128, 135, 203 Sittengesetz 38 Solidarität 40, 95, 142, 164, 215, 261 Solidaritätsprinzip 122, 159, 166 Souveränität 39, 67, 187, 207 Sozialprinzip 95, 98, 315 Sozialstaat 123, 348 Sozialstaatsprinzip 287 Sozialunion 215 Spanisches Verfassungsgericht 168 – Autonomie 144, 151, 171, 327, 329 – Kommunalwahlrecht 207, 321 – Kooperationsprinzip 159, 351
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– Rechtsprechung 154, 331, 333, 348, 350, 363, 376 – Zuständigkeitskonflikte 155, 169, 322 Spinelli-Entwurf 219 Staat 36, 67, 179, 372 – asymmetrischer 156 – auswärtiger 362 – der Ämter 36, 70, 143 – existentieller 36, 38, 176, 194, 196, 208, 362 – funktionaler 39, 66, 151, 194, 217, 234, 317 – im engeren Sinn 36, 143 – im weiteren Sinn 36, 143 – institutioneller 38, 151, 217 – nicht-existentieller 38, 194, 196 – regionalisierter 84 – und Verfassung 193, 218 Staatenbund 43, 78, 84, 235, 372 Staatenverbund 28, 81, 199, 235, 374 Staatlichkeit – abgeleitete 148 – der Autonomen Gemeinschaften 148, 322 – der Europäischen Union 188 – der Länder 276, 291, 295 – existentielle 38, 70, 79, 204, 206, 372 – funktionale 38, 79, 81, 156, 189, 197, 213, 320, 372 – institutionelle 57, 67, 81, 197, 372 Staatsaufsicht 168, 373 Staatsbegriff 193 – freiheitlicher 180 – monarchischer 180, 188 Staatsqualität 197 – der Länder 88, 93, 248, 251, 306 – existentielle 38, 45, 189, 191, 206, 219, 237, 372 – funktionale 38, 372 – originäre 28, 65 Staatsverständnis – liberalistisches 43 – republikanisches 36, 68 Staatsvolk 39, 68, 186, 206, 213, 234 Staatswerdung 29, 180, 223, 374 Staatszwang 169, 332, 373 Statutgeber 149 Steuerfindungsrecht 166, 219 Strukturfonds 216, 286
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Sachwortverzeichnis
Strukturpolitik 285, 293 Strukturprinzipien – der deutschen Verfassung 185, 254, 317, 375 – der spanischen Verfassung 142 Struktursicherungsklausel 244, 254, 314 Subsidiaritätsprinzip 48, 185, 265, 285, 317, 370, 375 Subvention 286 ultra vires 99, 204, 208, 254, 309, 317, 318, 321, 364 Unabänderlichkeitsklausel 94, 98, 150, 211, 249 Unabhängigkeit des Richters 112 Unionsbürger 181, 226, 231, 285 Unionsbürgerschaft 374 Unionsstaat – existentieller 190, 197, 208, 216, 219, 230, 234 – funktionaler 206, 234 Unionstreue 261, 375 Unionsvolk 28, 196, 213, 234 Unitarisierung 61, 83, 98, 107, 112, 116, 119, 138, 155, 279 Unitarismus 45, 59, 61, 75, 133, 156 Vereinigung der Regionen Europas 223 Verfassung 39, 179, 191, 218, 235 Verfassung von Cádiz 139 Verfassungsbeschwerde 170, 185, 315 verfassungsgebende Gewalt 66, 83, 192, 208 Verfassungsgerichtsbarkeit 84, 131, 169, 309, 373 Verfassungsgesetz 39, 86, 126, 191, 210, 322, 373 Verfassungshoheit 39, 69, 82 – der Autonomen Gemeinschaften 149, 151, 373 – der Länder 89, 248, 285, 373 – europäische 196, 213 – existentieller Staaten 47, 48, 203 – Spaniens 347 Verfassungsreform 103 Verfassungstreue 159, 303
Verfassungsvernichtung 83, 209 Verfassungsvertrag 66, 84, 133, 197, 216, 225, 229, 230, 234, 235, 237, 244, 275 Verfassungsvertrag siehe auch Vertrag über eine Verfassung für Europa Verhältnismäßigkeitsprinzip 169, 333 Versammlung der Regionen Europas 54 Vertrag über eine Verfassung für Europa 27, 28, 195, 196, 217, 275, 372, 374 – Ausschuss der Regionen 364 – Subsidiaritätsprinzip 271 – Zuständigkeitsverteilung 275, 314 Völkerbund 82 Vollzugslehre 190 Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse 96 Wesensgehaltsgarantie 99 Wettbewerbsföderalismus 95, 120 Wettbewerbsprinzip 294 Wiedervereinigungsartikel 243 Wiedervereinigungsgebot 258 Wiener Schlussakte 85 Wirtschafts- und Sozialausschuss 222, 367 Wissenschaft 70, 179, 199 Zentralisierung 116, 120, 128, 140, 277, 291, 319, 346, 377 Zentralismus 49, 59, 76, 99, 119, 140, 327, 352, 378 Zollverein 85 Zuleitungsverfahren 296 Zuständigkeit – aus Natur der Sache 110 – ergänzende 276 – kraft Sachzusammenhang 110 – ungeschriebene des Bundes 205 Zuständigkeitskatalog 274 Zuständigkeitskonflikt 171 Zuständigkeitsverteilung 107 – in Spanien 152 – Verfassungsvertrag 223 Zustimmungsgesetz 115, 190, 250, 299 Zwangsbefugnis 37, 189, 191, 213