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German Pages 319 Year 1859
Altes und Neues aus
den Ländern des Oſtens. Band 1 .
Aegypten und Kleinaſien.
Von
Onomander.
Hamburg. Perth e 8 : Beijer & M a ute . 1859.
Das Redt der Ueberſeßung wird nicht oblle Erlaubniß des Verfaſſers bewilligt.
9. 6. Boigt's Buchdrucerei.
Band II.
Aegypten und Kleinaſien .
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Inhalt.
Seite
Rap.
I. II.
Rairo .
Rairo die Stadt der Khaliphen
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IV.
Ausflug zu den Pyramiden
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Zerwürfniß der Pforte mit dem Paſcha von Aegypten .
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VI. Syrien unter Mohamed 'Aly Paſcha VII. Beendigung des Streites der Pforte mit dem Paſcha von
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Aegypten . VIII. Von Kairo nach Smyrna . >
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III .
V. >
Rairo .
IX. Ausflüge nach Nimphi und Epheſus . X. Don Smyrna nach Konſtantinopel
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Aegypten und Kleintaſien. 1.
Bei unſerer Anfunft in der ägyptiſchen Hauptſtadt waren wir in einem fränkiſchen Wirthshauſe abgeſtiegen, das ſich natürlich durch die unvermeidliche Bezeichnung " Hôtel " hervor
that, obgleich es in Wahrheit faum den Rang einer levan tiniſchen Herberge beanſpruchen konnte. Dieſe Art Wirthshäuſer, nebſt den darin niemals fehlenden Dragomanen oder Ciceroni, ſind für den Reiſenden , dem es ernſtlich darum zu thun iſt, die Gegenden, welche er beſucht, fammt deren Einwohnern und Sitten, ihrem wahren Charakter nach zu beobachten und kennen zu lernen, nicht bloß an ſich eine der größten Plagen, ſondern, was noch viel ſchlimmer iſt, eine nie verſiegende Quelle irrthümlicher Eindrüde und vorgefaßter Meinungen. Denn fte bilden ein höchſt unvortheilhaftes Gemiſch alles Fränkiſchen und Morgenländiſchen, und wer in ihnen die von Europa her eingeführten angeblichen Verbeſſerungen , mit all ihren vorausgeſeßten , günſtigen Erfolgen zu erkennen hofft, Muß ſich auf's Bitterſte getäuſcht fühlen, ſowie derjenige, welcher in ihnen, weil er ſich im Drient befindet , einen Vor:
ſchmack der dieſem angehörigen Eigenthümlichkeiten zu ſehen meint , von einer ſolchen widerſinnigen Miſchung nur anges Diomander , länder des Dſtens II.
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efelt und , wenn er deſſen Unnatur nicht zu durchſchauen im
Stande iſt, in ſeinen Begriffen über das Morgenland irre geleitet werden muß. So unbegreiflich es auch erſcheinen mag, ſo iſt es leider eine nur zu häufig vorkommende Thatſache,
daß viele Reiſende, anſtatt mit eigenen Augen zu ſehen und
ihr Urtheil auf eigene Erfahrung zu gründen, aus dem Treiben in dieſen Locandas und Allem, was daran haftet, auf die
wirklichen Zuſtände und das wahre Leben des Drients zu ſchließen pflegen und dazu, was noch ſchlimmer iſt, den Aus
ſagen der ebenſo unwiſſenden, als unzuverläſſigen Dragomane ihr volles Vertrauen ſchenfen , die doch fein weiteres Intereffe, als lediglich das ihres eigenen Vortheils dabei zu Grunde legen. Davon ließen ſich Beiſpiele in Menge anführen, deren wir eins erwähnen wollen , das fich auf die Ausſage höchſt glaubwürdiger Perſonen ſtüßt, und deſſen Wahrheit alſo nicht beſtritten werden mag. Ein Mitglied ciner aſiatiſchen Geſellſchaft wollte vor
einigen Jahren den Orient bereiſen , um ihn dann zu be: ſchreiben. Dieſer Reiſende begiebt fich nach Konſtantinopel, hatte aber, als er an's land ſtieg, das Unglück, ſich ein Bein zu brechen , und mußte , um es heilen zu laſſen, längere Zeit in einem Hôtel in Pera , dem Franfenquartier, liegen bleiben, worauf er ſeine angetretenen Wanderungen nicht fortſeßt, ſondern ftracks nach England zurücffehrt und ſein Buch ſchreibt, als ſei er ſelbft von Allem , was darin ſteht, Augenzeuge geweſen. Um dem Leſer einen Begriff von den Quellen zu geben ,
aus den folche Schriftſteller den Stoff zu ihren Werken ſchöpfen , mag zunächſt die Sdyilderung unſerer Wohnung folgen , die ein recht gutes Muſter einer ſolchen levantiniſchen Anſtalt darbietet. Die Ausbrüde: Hôtel, Auberge , los
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canda " bedeuten alle Daſſelbe, denn fämmtliche fränkiſchen Wirthshäuſer find faſt in Allem gleich, und die Verſchiedenheit
ihrer Benennung deutet nur die volfliche Abſtammung des Wirthes an, ob er Engländer, Franzoſe oder Italiener iſt. Unſere Vehauſung, erſt ſeit höchſtens 15 Jahren in ein " Hôtel" umgewandelt, verrieth noch, trotz der neuen Eigen
ſchaft, durch die merklichſten Kennzeichen, daß die urſprüngliche Beſtimmung eine ganz andere geweſen , was ſowohl aus der Bauart, als der Einrichtung hervorleuchtete. Es war eins jener Häuſer, wie man ſie zur Zeit , da Cairo noch im Wohlſtand blühte, ehe Napoleon defien Gedeihen durch ſeinen
ägyptiſchen Feldzug ein Ende machte, für die reicheren Bes wohner herzurichten pflegte, und deren es dort noch eine bes trächtliche Anzahl giebt. Zu einer morgenländiſchen Privat wohnung würde es ſich daher vorzüglich geeignet haben, während es als Wirthshaus nach europäiſchem Muſter ſeinen Zweck gänzlich verfehlte. Es war ein großes zweiſtöcfiges, vierediges Haus mit flachem Dache, das einen mit Marmor platten gepflaſterten Hofraum umſchloß, in deſſen Mitte ſich ein verſtegter Springbrunnen befand ; aber an der Stelle des früher in ſeinem Beden ſprudelnden flaren Waſſerslagen gegenwärtig nur Staub, Schutt und Scherben von zerbrochenen Flaſchen und töpfernen Kochgeſchirren . Vormals führten, der Landesfitte gemäß , offene Veranda's von jedem Stocwerk
auf den Hof; ießt aber hatte man , um mehr Raum für das Unterbringen der Fremden zu gewinnen , die Spißbögen der felben zwiſchen den leichten und zierlichen Säulen vermauert
und nur hin und wieder ein vierediges Lody, ſtatt eines Fen fters, offen gelaſſen. Dieſes frånfiſche Machwerf, in Verbin dung mit dem an ſich noch unveränderten, zierlichen, farazeni ſchen Bauſtyl betrachtet, bildete einen eben ſo grellen Gegen I *
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faß, wie wenn man ein feines Kleid mit einem groben, anders , farbigen Lappen verunſtaltet ſieht. Der Reiſegenoffe und ich theilten zwei an einander ftoßende Zimmer im zweiten Stoce, deren Ausſicht zum Glüd nicht dieſen Hofraum , ſondern den Esbefieh, den größten und ſchönſten Platz in Cairo, beherrſchte. Das Innere dieſer ge räumigen, hohen und luftigen Stuben war auf ähnliche Weiſe
verſtümmelt, wie die Veranda's. Die Stelle des ſo zierlich aus Holz geſchnittenen Gitterwerks, womit im Oriente die Fenſter verſehen ſind, und das ſo vortrefflich den Bedürfniſſen des dortigen Klimas entſpricht, da es gleichzeitig dazu dient, Schatten zu gewähren und friſche Luft durchzulaſſen, ohne daß die Blicke der Neugierigen mit eindringen fönnen , man aber recht gut von innen nach außen zu ſehen vermag, vertraten ſchmußiggrüne, mit Blei eingefaßte Glasſcheiben, von denen eine hinlängliche Anzahl geſpalten oder zerbrochen war , um, nebſt ſo vielen Mosquitos, als nur wollten, auch noch vielen andern Unannehmlichkeiten freien Einlaß zu geſtatten. Die Fußböden beſtanden aus abwechſelnd ſchwarzen und weißen Marmorplatten, und das größere der beiden Zimmer enthielt einen ſchönen, aber auch längſt vertrockneten Springbrunnen. Die Deden verzierten , anſcheinend noch aus früheren Zeiten her, recht nette Arabeskenfiguren in reinen Delfarben, wie man dies in Zimmern, die nach rein orientaliſchem Geſchmade ein gerichtet ſind, meiſtentheils findet, deren Wände hingegen nur mit einem ſchlichten , weißen Kalkbewurf übertüncht oder mit einfacher Delfarbe beſtrichen zu ſein pflegen. Hier waren ſte, vermuthlich um den für unzuläflich gehaltenen Mangel der
Tapeten möglichft zu erſegen , mit den abſcheulichſten Freskos
malereien bededt, in deren Zügen man , wenn ſie auch feinen weiteren Werth beſaßen, wenigſtens einen Theil der ägyptiſchen
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Civiliſationsgeſchichte zu leſen vermochte; denn es waren die unverkennbarſten Erzeugniſſe irgend eines der vielen veruns glücten Künſtler, die ſich durch die vielverſprechenden Neue
rungs- und Verbeſſerungspläne Mehemed -Ali- Paſcha's aus Frankreich und Italien nach Aegypten hatten verloden laſſen. Das Hausgeräthe entſprach in ſeinem Plunder allem Uebrigen ; in einem jeden der beiden Gemächer, gegen die
Fenſterwand, ſtand ein Mittelding zwiſchen Divan und Sopha, welches, ſtatt der Vorzüge von beiden , nur deren Nachtheile in fich vereinigte. Dieſe Einrichtung ließe ſich am beſten als vier über einander gehäufte Divane bezeichnen ; denn fie bes ſtand aus vier diden und harten Polſtern , je eins auf dem anderen. Der regelrechte Divan darf nicht über einen Fuß oder 15 Zoll hoch ſein , ſonſt würde er alle Bequemlichkeit, die hauptſächlich mit darin beſteht, daß er ſo niedrig iſt, verlieren, wohingegen dieſes Möbel mindeſtens 4 ' Höhe hatte, ſo daß man, um darauf fißen zu fönnen, genöthigt war , es förmlich zu erſteigen, oder vielmehr zu erflettern. Zudem betrug deſſen Breite, wahrſcheinlich um den durch ſeine Höhe verlorenen
Raum wieder zu gewinnen, nur die Hälfte von dem, was ſite hätte ſein ſollen. Wollte man ſich alſo nach morgenländiſcher Art mit untergeſchlagenen Beinen darauf feßen , ſo gebrach es dazu an Plaß, und wenn man es in europäiſcher Weiſe ver fuchte, ſo hingen die Beine, da ſie faum halb bis an den Fußboden reichten, ohne Stüßpunkt in der Luft. Außer dieſem Divan ,,a la Franca“ , wie ihn unſer arabiſcher Diener ſo treffend bezeichnete, ſtanden neben den engliſchen Betten mit indiſchen
Mosquitoneßen, in jedein Zimmer noch einige Strohſtühle und ein Tiſch. Dagegen mangelte es ſowohl an Teppichen , als auch an Strohmatten, die bei ſteinernen Fußböden ſo unents
behrlich ſind.
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In der Regel pflegen morgenländiſche Wohnungen fich durch die darin herrſchende Stille und Ruhe auszuzeichnen ,
was für die Bewohner eine große Annehmlichkeit iſt. Hier war es das gerade Gegentheil ; fowohl die fränkiſchen Be wohner, als die fremden, polterten mit ſchweren, geräuſchvollen
Tritten die Treppen und Gänge auf und ab, ſprachen mit ſo lauten Stimmen, daß das ganze Haus davon wiederhalte, ſchlugen die Thüren ſo heftig und flappernd zu , daß ein un unterbrochenes lärmen und Getöſe entſtand, woran der ſtille Beobachter, unter obwaltenden Umſtänden, ſich nicht ſonderlich zu erfreuen vermag. Dazu kommt noch, daß ſich ſtets ein
Dußend herrenloſer Dragomane im Thorwege herumtreibt, überall . im Wege ſtehend und einem jeden, der fich bliden läßt, mit der beharrlichſten Zudringlichkeit ihre Dienſte anbie tend, während ein Schwarm Efeltreiber mit ihren Saumthieren
von Morgens bis Abends das Thor von außen belagerten und unter beſtändigem Lärmen und Zanken ihren eigenen Intereſſen ſo gut nachgingen, daß ſie den Eingang in’s Haus förmlich verſperrten, und man oft genöthigt war, fich mit Stodſchlägen Bahn zu brechen . Außer dieſen Vorzügen hatte
unſer Wirthshaus noch den, daß es faſt eben ſo theuer war, als die erſten Hôtels in London. Zum Glück brachten wir jedoch in dicſer Herberge nur den geringſten Theil unſeres Aufenthaltes in Cairo zu, ſonſt würden wir vielleicht mit
ähnlichen, ungünſtigen Anſichten über den Orient heimgefehrt ſein, wie jener Reiſende, der ſein Bein auf dem Landungs plaße in Ronftantinopel gebrochen hatte . Wiù man auf längere Zeit angenehm und billig leben, ſo muß man ſich ein Privathaus nebſt eigener Dienerſchaft miethen. zu thun .
Uns hielten mancherlei Umſtände ab, dies auch
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Der Esbekiéh iſt, ſo zu ſagen, der „ Prado " der frän fiſchen Bevölkerung von Cairo. Seine Lage und Ausdehnung find ſchön und beträchtlich, in der Mitte bilden uralte Syfo moren, ſtattliche Afazien und ſchlanke Dattelpalmen mit dem darunter wachſenden, üppigen Gebüſche einen förmlichen Hain, deſſen ſchattige Gänge ſich zum Aufenthalte während der heißen Tagesſtunden vorzüglich eignen. Am beſuchteſten iſt aber dieſer Erholungsort in den Abendſtunden . Dann ſieht man
eine zahlreiche Menſchenmenge entweder gruppenweiſe herum wandeln, oder vor den in den Alleen befindlichen, fleinen
Kaffeebuden ſich an allerlei feilgebotenen Getränken laben , wobei ſte, nach der Landesjitte, aus Narguillehs, oder Waſſer pfeifen, den milden und erfriſchenden Rauch des Tabacs von Schiraz einſchlürfen.
An dieſem Plaße liegen ein kleiner Palaſt, worin einige weibliche Mitglieder der Familie des Abbas Paſcha wohnen, ſowie das Haus , welches Napoleon während ſeines hieſigen Aufenthaltes inne hatte, und dasjenige, in deffen Hofe, unter einer noch vorhandenen Syfomore, der Marſchall Kleber ermordet worden iſt.
Nachdem wir uns von den Strapazen der Wüſtenreiſe ausgeruht und, ſo gut es gehen wollte , in dem Wirthshauſe eingerichtet hatten, galt es zunächſt einen möglichſt guten Dragoman zu bekommen , zu welchem uns der Zufal mehr, als unſere Umſicht verhalf; denn die raſche Wahl , die wir machten, erwies fich ſpäterhin als die beſte, die wir vielleicht treffen konnten. Halil , oder Khalil, wie ihn auch einige nannten, war einer von den wenigen ſeines Standes, der während einer Reihe von Jahren den vielfachen Verſuchungen feiues Berufes unverdorben zu widerſtehen vermocht hatte.
Er war in Charakter , Ausſehen , Lebensweiſe und Kleidung
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noch ganz der echte Araber ; dabei zeigte er ſich eben ſo tüchtig als dienſtfertig, ſprach fließend italieniſch, recht gut franzöſiſch und radebrechte auch etwas engliſch. Jeden Morgen - und Abend, wenn er fam und fortging, füßte er ſeinen neuen Herren mit Ehrerbietung die Hand, und während der ganzen Zeit, die er in unſerm Dienſte ſtand, erwedte er nie unſer Mißtrauen oder erregte unſere Unzufriedenheit, ſondern be.
mühte ſich mit der größten Unverdroffenheit, die fich immer gleich blieb, unſeren Willen , wie unſere kleinſten Wünſche zu erfüllen. Von allen Dragomanen, mit denen wir auf unſerer
ferneren Reiſe zu thun hatten, war er auch der einzige ehrliche, da alle andern, wenn ſie auch nicht gradezu betrogen, wenigſtens
immer doch darnach ſtrebten, uns in kleinen Dingen zu über vortheilen. Schon in Indien hatten wir erfahren , wie vortheilhaft, ja ſogar nothwendig, es manchmal für den Reiſenden iſt, ſich in die Sitten und Gebräuche der von ihm beſuchten Länder
zu ſchicken ; denn die Morgenländer entdecken auf den erſten Blic, ob der, immer mehr oder minder rathlore Freunde fich
mit ihnen gut zu ſtellen geneigt iſt oder nicht. Giebt er ihnen nur ſeinen guten Willen fund , was fich dadurch am leichteſten bewerkſtelligen läßt , daß er ihre Sitten und Vor:
urtheile nicht zu verlegen ſucht, dann wollen fte ihm ſogleich wohl, und er vermag Alles bei ihnen auszurichten. Wir be ſchloffen daher, zuerſt den Bazar zu beſuchen , um die zu
einer wenigſtens annäherungsweiſe landesüblichen Kleidung erforderlichen Gegenſtände einzukaufen . Da in Cairo nur die armen Leute zu Fuße gehen, ſo mietheten wir uns Eſel, die dort die Stelle von Reitpferden vertreten . Dieſe Thiere ſind aber auch nicht ſo untergeordneter Art, wie ihres Gleichen in manchen Gegenden Europa's ; der
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ägyptiſche Efel iſt vielmehr, im Vergleich mit anderen, was das Vollblutpferd zu den übrigen Pferderacen. Seine Geſtalt, fowie ſein Charakter, wenn dieſer Ausbrud hingeht, find beide edlerer Art; er iſt in der Regel von größerem, ichlanfem
Wuchſe, und befißt, neben großer Ausdauer und Geduld, auch raſchere Bewegung, wodurch er im Stande iſt, ſelbft mit einem verhältnißmäßig ſchweren Reiter, längere Stređen im Trabe oder Galopp zu durchlaufen. Dies deutet darauf hin , daß
der ägyptiſche Efel noch ziemlich viel von der Natur reines wilden , meſopotamiſchen Bruders beibehalten, obgleich er ſchon längſt die Freiheit verloren hat, die jener an Stellen noch bis
auf den heutigen Tag, wie vormals, beſigt. *) 133! Unter Halil's Führung , der ebenfalls auf einem Volls bluteſel ritt, und in Begleitung von vier Saïffen , oder Eſel treibern , welche, wie die indiſchen Pferdefnechte, neben dem Reiter herlaufen , um den Efel entweder anzutreiben oder zu halten, wenn jener abſteigt, machten wir uns auf den Weg,
die beabſichtigten Einkäufe zu beſorgen , und gleichzeitig eine erſte Rundſchau in den Bazars zu halten. Wohl an feinem andern Drte findet man den Geiſt und Charakter des Morgenlandes auf eine ähnliche , unverfälſchte
Weife in allen Dingen noch mit ſeiner ganzen Aechtheit fo ausgeprägt und erhalten, als gerade in Cairo. Die „ Wüſten
ſtadt “ mit ihren zahlreichen, aus den verſchiedenſten Völfern und Stämmen des Morgenlandes beſtehenden Einwohnern, die
dort zuſammengedrängt ſind, bietet eine außerordentliche Menge
*) Vergl . über die wilden Efel Morrier’s Reiſen in Perſien und Cyropaedia lib . 1 . der Türkei, ſowie Xenophontis Anabasis, lib. c. 5.
Morriers erwähnt in feiner zweiten Reiſe nach Perſien des wilden Eſels Gour-khur, wie ihn die Perſer nennen .
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der allerverſchiedenſten Wechſelbilder dar , aus denen man ſos gleich erkennt , daß man ſich im Lande der Märchen und Fabeln befindet. Denn reitet man zum erſten Male durch
ſeine Straßen , wo ein ſo buntes Leben herrſcht, und allein ſchon die Geſichtsfarbe der vielen hin und her wogenden Menſchen vom glänzendſten Schwarz bis zum blendendſten Weiß durch alle dazwiſchen liegenden lebergänge und Schat tirungen wechſelt, und deren Kleidungen an Schnitt und Farbe das ſo verſchiedene Aeußere ihrer Träger noch um Vieles übers treffen ; ſo ſind die Eindrücke, die man beim Anblic jener maleriſchen Gruppen und ſeltſamen Auftritte empfindet, nicht minder fremdartig, als die Urſachen ſelbſt, die ſie hervorrufen. Da gehört nur geringe Einbildungskraft dazu, wenigſtens für Augenblicke zu wähnen, man ſei in die Zeiten Harunalraſchid's und der „ Tauſend und Ginen Nacht
verſeßt, ſo ſehr
wird man an alle jene getreuen Schilderungen der Scenen aus dem arabiſchen Volfsleben erinnert. Die Straßen, zu deren beiden Seiten ſich meiſtens hohe und mit allerhand Bruchſtücken ſarazeniſchen Bauſtyls verzierte Häuſer erheben , ſind ſehr eng, krumm und größtentheils unges pflaſtert, dabei jedoch verhältnißmäßig rein , aber voll Staub, den man beſonders in den breiteren und auf den freien Plägen antrifft, wo die Sonnenſtrahlen den nachten und unbeſchatteten Erdboden ausdörren, den die Hufe der Efel und die Tritte der Fußgänger beſtändig auflodern , ſo daß er in förmlichen Wolfen emporwirbelt. Dieſer Uebelſtand herrſcht namentlich im Frankenquartier und iſt an manchen Stellen ſo arg , daß man die Augen faum offen halten kann. Wir eilten deshalb auf dem Fürzeſten Wege, und ſo ſchnell es in dem Gedränge von all den Fußgängern und Reitern gehen wollte, durch dieſes ſtaubige und heiße Viertel nach den Bazars, die von
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ſehr großer Mannigfaltigkeit und beträchtlicher Ausdehnung ſind. Sie nehmen ein ganzes Stadtviertel , in welchem fich Laden an Laden drängt , ein , und obgleich es auch in vielen andern Theilen der Stadt gange Straßen giebt, wo das
untere Stodwert eines jeden Hauſes deren enthält, ſo iſt hier doch vorzugsweiſe der Mittelpunft alles Handels und Wan: dels. Da das Handelsquartier in Cairo aber nur aus Bazars und nicht auch aus Bezeſthans *) beſteht, ſo unterſcheidet ſich daffelbe, wenigſtens für das ungeübte Auge, nur dadurch, daß ſeine Straßen noch enger, belebter und mit noch mehr Waaren angefüllt find, als diejenigen der übrigen Stadt. Das Erdgeſchoß der mehrſtöcigen Häuſer nehmen aus ſchließlich Läden und Waarenlager ein , während die darüber befindlichen Räumlichkeiten gewöhnlich von den Kaufleuten berpohnt werden. Außerdem daß die Straßen an ſich ſchon
fehr eng find, und die oberen Stedwerfe fammt ihren Erfers Fenſtern immer eins über dem andern weiter rorragen, ſo daß man ſich aus den oberſten Fenſtern der gegenüberſtehenden
Häuſer leicht die Hände reichen könnte , find die flachen Dächer, um die Sonnenſtrahlen möglichſt auszuſchließen, auch noch durch quer über die Straßen gelegte Bretter oder Matten mit einander verbunden .
Im Innern der Bazars befindet
man fich in Folge deſſen, im Gegenſaß zu dem überall anderswo herrſchenden, grellen und heißen Lichte, in einem *) Bazar iſt im Allgemeinen nur Markt oder Handeldquartier, wo gegen man unter Bezeſthan ein großes, einſtöckiges Gebäude verſteht, das gewölbte, mit eiſernen Thoren verſehene Gänge hat , in denen fich, in Vertiefungen und Kammern, die Buden befinden. In den Bezeſthan's wohnt niemand , und ſie werden ſtets bei Sonnenuntergang für die Nacht
geſchloſſen. Ihr Vorzug vor den Bazars beſteht darin , daß ſie Sicherheit gegen Feuersgefahr von außen gewähren, da ſie ganz von Stein erbaut und Nachts ihre eiſerneu Thore geſchloſſen ſind.
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höchft angenehmen fühlen Schatten, der ſtellenweiſe faſt an ein düſteres Halbdunkel grenzt. Mitten in dem ſeltſamen Straßengewirre famen wir an ein fleines Seitengäßchen, welches ſo eng war, daß wir unſere Efel zurüdlaſſen und den Weg zu Fuß fortfeßen mußten.
Halil, dem es nicht entging, daß wir uns in unſeren Erwars tungen getäuſcht zu ſehen glaubten , da er uns an einen fo wenig verſprechenden Ort führte, machte nur die Bemerkung: „Mohammed hat Alles, er iſt ein Türke und mein Freund; „ daher wird er es nicht verſuchen, uns zu übervortheilen,“ worauf er vor einem Fleinen, unanſehnlichen Laden ſtehen blieb und einen alten Mann grüßte, deſſen würdevolle Haltung uns überraſchte. Dies war Mohammed, mit welchem der Leſer alsbald Befanntſchaft machen wird.
Die ägyptiſchen und türkiſchen Bazars unterſcheiden fich von den indiſchen merklich durch das Treiben, ſowie namentlich durch die innere Einrichtung. Die Läden Cairo's beſtehen gewöhnlich in einem etwa 12 ' bis 15 ' in's Geviert mefſenden
Raum ; die der Straße zugekehrte Seite iſt gänzlich offen, und vereinigt in fich den doppelten Zweck von Fenſter und Thür ; die andern find ſo eingerichtet, daß die Waaren entweder
daran hingereiht oder auf den angebrachten Geſimſen aufge ſtellt werden fönnen. Der Fußboden iſt in der Regel etwa eine Elle hoch über der Straße, und pflegt den draußen
ſtehenden Räufern als Ladentiſch zu dienen . Um aber alte Stunden des Kaufinanns, die ihre Beſuche nicht abftatten, ohne mit Pfeifen und Kaffee bewirthet zu werden, oder be ſondere Fremde , einlaſſen zu können , ſind einige hölzerne Stufen in Art einer Treppe angebracht. Dieſe ſteigt man hinan und feßt fich auf die über den Fußboden gebreiteten Teppiche oder Kiffen, um zu rauchen , zu plaudern und Ge
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ſchäfte abzumachen. Im Drient werden die Geſchäfte immer erſt zuleßt an die Reihe fommen, und der Bazar iſt nicht blos der Mittelpunkt des Handelsverkehrs in den Städten, ſondern dient auch allen Neuigkeitskrämern und Müſſiggängern, ſowie vielen andern Leuten , denen es nicht an Zeit mangelt , zum
Aufenthalts- und Erholungsort. Dort iſt daher, wie auf den europäiſchen Märkten und Vörſen , vor Einführung der Zeitun gen, die Hauptquelle aller Neuigkeiten und Gerüchte, und das Geſchwäß in den Kaufläden erſeßt im Morgenlande den Mangel an öffentlichen Blättern . Dies iſt eine der wenigen zwiſchen ihnen vorhandenen Aehnlichkeiten, denn in allem Uebri gen ſind ſie weſentlich verſchieden. Der Morgenländer hält es 3. B. nicht nur für überflüſſig, ſondern ſogar für ungeziemend, ſelbſt wenn ſeine Geſchäfte ihn noch ſo ſehr drängen, wie ge
heßt umherzulaufen, um ſo ſeine Emſigkeit zur Schau zu tragen, wogegen man bei uns nur zu häufig den Irrthum
begeht, Raftloſigkeit für Fleiß und Thätigkeit zu halten. Möge geſchehen, was da wolle, er verliert weder ſeine Faſſung, noch vergißt er feine perſönliche Würde; aus dieſem Grunde wird man auch niemals in den Städten des Morgenlandes , felbſt wenn das Treiben und Gedränge noch ſo groß und lebhaft iſt, von dem unaufhörlichen Lärm geplagt, von dem in Europa
nicht einmal der kleinſte Marktflecken frei iſt. Deffenungeachtet gebricht es aber keineswegs an Regſamkeit, denn ſo lange die Sonne am Himmel ſteht, dauert der Verkehr in den Bazars fort, und erſt mit einbrechender Nacht werden alle Buden und
Waarenlager mit hölzernen Läden geſchloſſen, worauf Käufer und Verkäufer ſich bis zum nächſten Morgen in ihre Woh nungen zurückziehen .
Dieſe Läden haben die Geſtalt von
Flügelthüren , drehen ſich aber wageredyt, ſtatt ſenkrecht, um ihre Angeln. Beim Deffnen der Bude wird der eine davon
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in die Höhe gezogen, ſo daß er eine Art vorſpringender Dachung bildet, während der andere, entweder ganz, oder nur ſo weit
heruntergelaſſen wird , daß er zum Ladentiſch oder zur Bank dienen fann .
Den alten Mohammed, umgeben von Allem , was zu ſeinem Geſchäfte gehört, in ſeinem Laden ſißen zu ſehen, bot einen Anblick, der in mehr als einer Beziehung an die meiſterhaften Gemälde Decamps erinnerte, ſo wahrhaft ſchön und maleriſch
war im Ganzen , wie im Einzelnen , das Bild , auf welchem unſere Blide rühten. An den drei Wänden , die das , nach ter Straße zu offene, Gemach des alten Raufmanns umſchloſſen, hingen rings die verſchiedenſten Kleidungsſtücke, während im Vorgrunde beim Aufgang ein niedriger Glasfaſten ſtand, in
dem allerlei werthvolle Kleinigkeiten, als : bernſteinene Pfeifen mundſtücke, Ringe mit Edelſteinen, Stüdchen Sandelholz, Fläſchchen mit Roſenoel und chineſiſche Kaffeetäßchen mit ihren filbernen Fußgeſtellen zur Schau lagen. Daneben faß, mit untergeſchlagenen Beinen, der alte Mohammed in echt türkiſchern Anzuge, welcher mit dem langen, weißen Barte und den ernſten, edlen Zügen des Trägers in dem volkommenſten Einflange ſtand; braune Pumphoſen , deren weite Falten eine ſeidene Schärpe oben zuſammenhielt, ein brauner , weitärmeliger Rafthan und ein mächtiger, weißer Turban, der ihm das Haupt umhüllte, machten ſeine einfache Kleidung aus. In der Linfen hielt er das Jasminrohr feiner Pfeife, aus welcher er wohlbehaglich die blauen Rauchwolfen blies , den rechten Arm hatte er auf die ihm zur Seite ſtehende Geldfiſte gelehnt. In ſeiner Schärpe ftedte, an der Stelle des Dolches, ein
türkiſches Dintenfaß, und vor ihm lagen einige Papiere, die mit zierlichen Buchſtaben und Zahlen beſchrieben waren . Als wir zu ihm eintraten oder vielmehr auf den hölzernen
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Stufen hinanſtiegen, erhob er ſich, grüßte freundlich und machte uns ein Zeichen , auf dem Fußteppiche niederzuſißen. Darauf brachte uns ſein ſchwarzer Ladendiener, ein abyſſini fcher Negerſflave, brennende Pfeifen und bot ſchnell bereiteten Kaffee in kleinen , chineſiſchen Porzellanſchälchen an. Wäha
rend Mohammed und Halil ſich mit unſeren Einkäufen beſchäf tigten , brachten wir angenehm ein halbes Stündchen beim Genuſſe des duftenden Latakiatabades zu , entweder Betrach tungen unter uns anſtellend, oder, ſo gut es gehen wollte, an den Verhandlungen wegen Tſchibuks, Fezen, Turbanen u . f. W. Theil nehmend , bis endlich ein Jeder fich für die ihm am meiſten zuſagenden Kleidungsſtücke entſchieden hatte , und wir in Adem Handel3 einig geworden waren. Darauf fehrten wir nach der Straßenecke zurück, wo die Saïfſen mit den Eſeln warteten, und ſeşten unſere Entdeckungs reiſe durch das endloſe Gewebe der vielen engen Streuz- und
Quergäßchen fort. Die Läden ſind mit einer unbeſchreiblichen Mannigfaltigkeit morgenländiſcher Waaren aus den verſchie denſten Gegenden, unter denen ſich auch hin und wieder einige europäiſche Handelsgegenſtände blicken laſſen , angefüllt, deren Aufzählung ein langes Regiſter einnehmen würde. Sie erregen aber bei weitem nicht das Intereſſe, welches die davon herbeigelockte Menſchenmenge in dem Fremden hervor ruft. Reiter zu Pferd und zu Eſel, Fußgänger, emſige Men ſchen und Müſſiggänger, Käufer und Verfäufer, Reiche und Arme , alles bunt durch einander , verleiht den verſchiedenen Scenen , ſelbſt der allerunbedeutendſten Art, jenen Reiz fort
währender Neuheit und beſtändigen Wechſels, der die Auf merkſamkeit wach und geſpannt hält, ohne ſie ſehr zu ermüden . Hier begegnet man einem ſtattlichen Türken , der ſich gleich vor allen andern durch das Selbſtgefühl, mit dem er in ſeinem
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röthlichen oder braunen Kafthan ruhig einherſchreitet, erkennen läßt; da drängt ein dienſteifriger Kawaſch die in der engen Straße verſammelte Menge auseinander , um ſeinem Herrn, einem vornehmen Neger zu Pferde, deffen reiche Kleidung eine Zuſammenſeßung der allergrellſten Farben darbietet , Plaß zu machen, während an andern Stellen ein gewinnſüchtiger Jude, ein wohlhabender , blaſſer Armenier oder ein finſterer Kopte, jeder neben ſeiner Waare fißt, oder einige tief verſchleierte Frauen, gleich geſpenſterhaften Schatten , ſchweigſam längs den Läden hinſchleichen. Lenkt man ſeinen Gjel um eine Ede , ſo ſteht man zu nicht geringer Verwunderung plößlich das lange, gutmüthige Geſicht eines Kameels dem reinigen unmittelbar gegenüber. Man hat aber nicht lange Zeit , ſich von ſeiner Ueberraſchung zu erholen, denn dem erſten folgen andere Ra meele auf der Ferſe nach , und man muß eilen , wenn nicht irgend ein gelegenes Seiten gäßchen da iſt, wo man hinein ſchlüpfen kann , fich zur Seite zu drüden , um die großen Thiere mit ihren umfangreichen laſten , die faſt von einer Bude in die gegenüberliegende hineinragen, vorüber zu laſſen ;
denn es würde ziemlich gewagt ſein , zwiſchen ihnen durchzu ſchlüpfen , da manche dieſer Thiere eine große Abneigung ge gen Eſel hegen und bisweilen nach ihnen ausſchlagen oder mit ihren großen Mäulern um ſich ſchnappen. Hält man aber ſo zur Seite gekauert an , um die ſich langſam und mit Mühe durch den engen Raum windende Rarawane vorüber
zu laſſen , dann hat man Gelegenheit , die ſie führenden , wil den Söhne der Wüſte, wie ſie ſo eben, noch ganz ſtaubbedeckt, aus ihrem heimiſchen Elemente, und oftmals nach weiter Reiſe
in die Stadt kommen , mit aller Muße zu betrachten. Dieſe Beduinen ſind rechte Urbilder und ſtechen hier auf das Grelfte von Adem ab , was ſte umgiebt. Ihre Kleidung iſt ſo ein
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fach, wie ſie ſelbſt ſind. Außer dem ſchmuclos gerollten Tur ban verbirgt der davon herabhängende Kufteh faſt ganz das
hagere, bärtige Geſicht, dagegen ſind ihre braunen Arme und Beine nebſt den Füßen nadt. Um den Leib iragen ſie ein
grobes, fameelhärenes Gewand mit einer Schärpe als Gürtel, in welcher gewöhnlich ein Dolch, ein Yataghan oder eine alte Piſtole, ſowie Pfeife und Tabaksbeutel ſteckt. Loſe darüber tragen ſie entweder eine ſchmußige, wollene Decke oder eine Art weiten Filzmantel von weißer Farbe. Ein langer Speer in der Hand und mitunter eine lange Flinte über der Schul ter vollenden ihre Ausrüſtung. * ) Kaum preiſt man fich glücklich, nach einer ſolchen Be
gegnung, ſeinen Ritt fortſeßen zu können, ſo geräth man ſchon wieder in die Enge. Diesmal find es Menſchen, die den Weg verſperren , deren ſich ein Knäuel um den Ausrufer ge fchaart hat , um die von ihm verfündeten neuen Marftpreiſe zu vernehmen. Er trägt auf dem Arme entweder Seiden
ſtoffe, Kleider , Pfeifenröhren oder andere Gegenſtände und macht mit lauter Stimnie ihren augenblidlichen Werth bes
fannt. Da auf den größeren Märften des Orients, wie auf denen von Cairo und Konſtantinopel, die Preiſe außerordent lich häufig wechſeln, ſo iſt ſein Beruf hier für den Geſchäfts gang nichts weniger als unwichtig. Dem Uneingeweihten bleibt der Sinn davon eben ſo räthfelhaft, als die Verfündi
gungen des Courſes an den europäiſchen Börſen demjenigen unverſtändlich find, der, ohne ſelbſt ein Geſchäftsmann zu ſein , *) Dieſe Handel treibenden Beduinen , welche mit ihren Kameelen die Märkte der Städte beſuchen, ſind troß ihres wilden Neußeren doch verhält:
niſmäßig zahm und unkriegeriſch. Man muß ſie nicht mit den Beduinen verwechſeln , die niemals die Wüſte verlaſſen haben und neben ihrer ur: ſprünglichen Lebensweiſe auch noch thren Urcaratter befigen. Dnomander, länder des Ditens. II .
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das wirre Durcheinanderſchreien der Wechſelagenten zu be greifen ſucht.
Im Gegenſaße zu dieſem regen Treiben in den Bajars, fält die Dede und Leere der übrigen Stadttheile auf , von denen die meiſten faſt wie ausgeſtorben erſcheinen. Man fann in denſelben lange herumirren, ohne daß man , mit Ausnahme
des Frankenquartiers und einiger der größeren Hauptſtraßen, mehr , als ein paar vermummten Frauen oder ſchweigenden
Männern begegnet. Die Häuſer ſtehen den engen , frummen und ſtellenweiſe finſteren Straßen , wenigſtens von außen ge ſehen , an unſcheinbarkeit nur um weniges nach ; denn ſo pruntſüchtig der Morgenländer auch in Bezug auf Alles iſt, was ſeiner perſönlichen Erſcheinung angehört , ebenſo gleich gültig iſt er für Alles , was die Außenſeite ſeiner Wohnung angeht. Er zieht in dieſem Falle innere Geräumigkeit und Bequemlichkeit wohlweislich der Schönheit äußerer Geſtalt
vor. Deßhalb bieten die Vorderſeiten der Häuſer, ſelbſt der Reicheren , nur nackte Wände , unverhältnißmäßig wenige, kleine Fenſter, und nur ausnahmsweiſe mehr als einen engen,
niedrigen und dunkeln Eingang, ſowie einen allgemeinen An ſtrich von Unregelmäßigkeit und Vernachläſſigung dar. Das Auge wird nur ſelten durch die Sarazeniſchen Erfer , Spig
bögen oder durch eine dem Koran entlehnte , vergoldete In ſchrift in arabiſcher Sprache angezogen, oder durch die fühnen Formen einer ihre unſcheinbare Umgebung weit überragenden
Moskee mit ihren ſchlanken Minareten erfreut. Einzelne Stadttheile , namentlich nach der Seite von Alt - Cairo hin, ſowie in der Nähe des Thores, das nach Suez hin ausführt, liegen theilweiſe ſelbſt in Trümmern , und man kommt dort öfters an Pläße , wo ſtatt der Häuſerreihen ſich nur Schutt haufen längs den Straßen erſtređen, aus denen ſich vereins
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gelte, elende Hütten erheben , oder wo ießt die Stellen ehes maliger Gebäude mit verwildertem Gebüſch, das üppig unter Den Ueberreſten hervorwächſt, angefüllt find. Ingeachtet dies fer ſo häufig entgegentretenden, äußeren Verfallenheit iſt Cairo doch eine der ſchönſten Städte des Drients , und die vielen
Gegenfäße an Pracht und Verfall, an Reichthum und Ar muth, an Alterthümlichkeit und Neuheit dienen nur dazu, das Intereſſe für die Eigenthümlichkeit des Ganzen zu heben .* )
Obgleich es in ſeiner Lage von der Natur viel weniger be günſtigt iſt, als Konſtantinopel, ſo kann man doch nicht um hin, ihm als Stadt vor legterem den Vorzug zu geben .** ) si Doch giebt es auch in den verödeten Stadttheilen Punkte, woman Menſchen und Regſamfeit antrifft: die Moskeen,
die Kaffeehäuſer und die Karawanſerais. In erſtern ſtrömen zu gewiſſen Stunden , wenn die Stimme des Muezzim zum Gebete auffordert, alle Gläubigen aus der Umgegend zuſam : men . Ein jeder Mann denn Frauen pflegen nicht an den eilt dann öffentlichen Andachtsübungen Theil zu nehmen von ſeinem Geſchäfte oder aus ſeiner Wohnung zur nächſten Mosfee , ſo daß zur Gebetszeit man oftmals jene Straßen ſich mit den Hineilenden oder Zurückkehrenden anfülen fteht.
Es iſt jedoch nur ein vorübergehendes Aufleben, denn bald darauf findet man ſich eben ſo vereinſamt , wie vor der Ver fammlung der Frommen zum Gebete. Aus der regelmäßigen und häufigen Wiederkehr dieſer menſchlichen Fluth und Ebbe
geht ſo viel hervor , daß die Mufelmänner weit pünktlicher und gewiſſenhafter in dem Beſuche ihrer Andachtsörter ſind, . *) Von Þrökejch's Erinnerungen aus Aegypten und Kleinaſien. BD . I. S. 51 f. ** ) A. a. D. S. 48. 2*
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als wir Chriſten uns rühmen fönnen, es in unſerem Kirchens gehen zu ſein. Der Muſelmann begiebt fich , wenn er nicht durch Krankheit abgehalten wird oder auf der Reiſe ift, alle Tage wenigſtens einmal in die Mosfee.
Die Kaffeehäuſer, oder Cafénéhs, find für den Morgen länder eben ſo unentbehrliche, wiewohl minder verdienftvolle
Vereinigungsorte. Sie bilden für ihn den Mittelpunft des geſelligen Verkehrs : dorthin geht er zu ſeiner Erholung und dort macht er ſeinen Kieff D. h. erfreut ſich der Gemüth
lichkeit. Zu allen Tageszeiten finden ftch in oder vor den ſelben eine Anzahl Leute beiſammen , die , bei Rauchen und Kaffeetrinfen , ſich behaglich mit einander unterhalten. In ſo weit haben dieſe Kafénéhs mit den europäiſchen Kaffeehäuſern eine gewiſſe Aehnlichkeit; worin ſie ſich aber weſentlich unter ſcheiden , iſt, daß man in Cairo , und in den meiſten andern Drten des Drients, einen Barbier und einen „ Schaër," oder
Geſchichtenerzähler, für unerläßliches Zubehör zu einem guten Kafénéh hält. Zwar hegt der Drientale eine unbegrenzte Ehrfurcht für ſeinen Bart , den er nicht mit Unrecht als die
ſchönſte Zierde des Mannes betrachtet und ihn daher , wenn er nicht etwa von Civiliſationsgrillen geplagt wird , nie ab. rafirt. Deſſenungeachtet bedarf er mehr des Barbiers, als der Europäer, der fich in der Regel ſelbft feines Bartes zu entledigen weiß ; denn jener kann ſich nicht mit eigener Hand den Kopf ſcheeren , was bei ihm durchgehends Gebrauch ift.
Daraus, daß man nur bärtigen Männern begegnet, darf man alſo nicht ſchließen, daß der Barbier entbehrlich fei. Vor den Kafénéhs ſieht man gewöhnlich, wie eine beträchtliche Anzahl Männer , die einen aufmerkſamen Kreis um den Schaër bil den , beiſammen ſiten und der Gemüthlichkeit pflegen , und während der eine oder andere aus der Geſellſchaft , wie ihn
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die Reihe eben treffen mag , fich in einer Ecke unter dem Meſſer des emſigen Scherers befindet, der ſein Geſchäft mit eben ſo großer Schnelle als Geſchidlichkeit verrichtet, hören die übrigen mit findiſchem Intereſſe die Vorträge oder Lieder des Erzählers an. Bei uns wird die Gabe , erzählen zu können , obwohl in geſelliger Beziehung ein nicht zu verach tender Vorzug, jedenfalls doch nur für eine untergeordnete Fähigkeit gehalten ; im Orient aber , dem Fabellande ", ſteht fte in weit höherer Achtung, und das Geſchichtenerzählen wird
dort als ein förmlicher Beruf angeſehen. Die Schaër find heut' in jenem lande , was ehemals die Rhapſoden in Grie
chenland, und die Minnefänger des Mittelalters waren . Gleich jenen , führen ſie gewöhnlich ein wanderndes Leben, laſſen ſich aber zeitweilig , anſtatt auf der Agora oder in den Ritterſälen , in den Kafénéhs nieder, wo ſie ihren Zuhörern Geſchichten und Fabeln aus fernen Ländern erzählen , oder
auch wohl arabiſche, perſiſche und türkiſche Gedichte herſagen. Da es meiſtens alte , vielgereiſte Leute ſind, ſo genießen ſie großer Achtung , rauchen und trinfen ihren Kaffee unentgelt lich und erhalten von den Zuhörern ein Vafſchiſch. Die Rarawanſerais ſind die dritte Art von Dertlichkeiten, welche dazu beitragen , die menſchenleeren Stadttheile von
Cairo zu beleben , und auch ſie haben ihr eigenthümliches Gepräge.
Während bei den zur Mosfee Eilenden ehrfürch
tige Andacht, und unter den Beſuchern der Kafénéhs ruhige Gemüthlichkeit vorherrſcht, findet man hier übergeſchäftige Emſigkeit und Verwirrung. Mitten aus dem Gewinde enger
Straßen erhebt ſich ein großes , zweiſtödiges Gebäude , das einen geräumigen, vieredigen Hof umſchließt. Gs iſt ein Khan , der den Pilgern und reiſenden Kaufleuten , ſammt ihren Kameelen , Pferden , Gſeli, Waaren und Geräthen zum
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Obdachy für die Zeit ihres vorübergehenden Aufenthaltes dient. Das obere, durch hölzerne Treppen und offene Veranda's mit
dem Hofraum in Verbindung ftehende Stockwerk enthält Zim mer für die Reiſenden , das untere dient ihren Thieren zur Stallung und im Hofe liegen die Waarenballen aufgehäuft. So lange es Tag ift, lebt und regt fich da Alles, und der
Hof bleibt ſtets mit Kameelen angefült, da faft fortwährend
der Zug der ankommenden diejenigen , welche fortgehen , er feßt. Einige ſtehen , andere haben fich niedergelegt , um be packt zu werden , wieder andere richten ſich, unter Stöhnen oder ausgeſtoßenen Klagelauten , mit ihrer Laft empor. Da zwiſchen eilen Araber, Mauren , Beduinen oder Kurden
geſchäftig umher und reden oder zanfen in ihren ver ſchiedenen Sprachen mit einander; die meiſten find mit den
verſchiedenſten Geräthen und Waffen ausgerüſtet, denn im Orient- muß man auf Reifen Alles mit ſich führen , deſſen man im täglichen Leben bedarf.
Daher iſt, bei der Ankunft
von einer Reiſe oder im Augenblicke des Aufbruches, der fonft fo ruhige und gelaſſene Morgenländer ausnahmsweiſe rührig und lebendig , woher auch in den Karawanſerais ein fteter
Taumel herrſcht. Eine ſolche Scene war uns vergönnt, mit aller Ruhe und Erheiterung zu betrachten und in deren Leben
digkeit den angenehmen Gegenſaß zu empfinden zu der tiefen Stille des engen Gäßchens, durch welches unſer Weg uns hierhergeführt hatte. Später lernten wir aus eigener Erfah rung kennen, was es heißt, fich im Orient zum Aufbruch für eine Reiſe „ in's Innere" vorzubereiten. Dbſchon wir einen großen Theil des Tages mit dieſer erſten Rundſchau im Innern der Stadt und in Betrachtung fo vieles Verſchiedenen und Seltſamen zugebracht hatten, fühl 8 ermüdet.
Die ft
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Aufregung und der ununterbrochene Wechſel der umgebenden Gegenſtände verleihen dem Geiſte und damit dem Körper eine
außergewöhnliche Kraft und Ausdauer. Jene Anſtrengungen verhinderten uns daher nicht, nach einer kurzen Raſt einen zweiten Ausflug zu unternehmen .
Was war natürlicher, als daß wir unſern erſten Tag in Cairo nicht beſchließen wollten, ohne den Nil in unmittelbarer Nähe geſehen zu haben ? - Es war einer jener fchönen Abende , die man nur in dieſen Himmelsſtrichen kennt , und die ſelbſt ſchon einen hohen Genuß gewähren ; wir beſtiegen aberinals unſere Eſel und ritten über den Esbefieh aus dem Thore von Boulad nach dem gleichnamigen Orte, wohin eine
breite und gute Heerſtraße von etwa viertelſtündiger Länge
führt. Hatte am Morgen das Gewoge und die abwechſeln den Scenen der Stadt unſere Aufmerkſamkeit gefeſſelt, ſo er quickte uns nun deſto mehr die friedliche Stille, die durch die liebliche Landſchaft hin überall herrſchte , in die man gleich unmittelbar außerhalb des Thores fich verſeßt findet. Den
Weg überſchatteten zwei Reihen herrlicher, großer Akazien bäume und zu beiden Seiten dehnten ſich in üppigem Grün die vom Nilſchlamm befruchteten Mais- und Zucferrohrs Pflanzungen aus. Boulac iſt zwar der Hafen Cairo's für Unterägypten , und der Landungsplas der nach Alterandria fahrenden Dampfboote, aber nichts deſto weniger nur ein ärms
liches Dorf, das , wie die meiſten ägyptiſchen Ortſchaften , in einem Dattelpalmhaine liegt und einige Minarete hat , die ihm von außen ein ganz nettes Anſehen geben. Da es uns nicht darum zu thun war, den Ort genau zu beſchauen, noch
in das Getümmel auf dem Landungsplaße zu gerathen , ſo bogen wir zur Linfen ab und ritten bis unmittelbar an den
Fluß.
Dieſer geheimnißvolle Strom , deſſen Urſprung man
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bis jeßt noch vergeblich zu entdecken geſucht, und der durch alle Zeiten der Geſchichte eine ſo bedeutende Rolle geſpielt hat , machte auf uns, denen der rieſige Ganges noch ſo friſch im Gedächtniffe war , nicht den erwarteten Eindruck, obwohl ſich derſelbe, in ſeiner mittleren Höhe, an Umfang und Waſſer maſſe mit dem Niederrhein oder ſelbſt der unteren Donau ohne Nachtheil meffen fönnte. Wir betrachteten ihn aber mit
tiefem Intereſſe; denn , indem die Augen dem ruhigen Laufe feiner trüben , gelben Waſſermaffe nachblickten , verfolgte der
Geiſt unwidführlich al die geſchichtlichen Ereigniſſe des Lans des, das er regnet, bis in die älteſten Zeiten hinauf.
Könn
ten die ſtummen Ufer mit Menſchenſtimmen reden , wie viel würden ſie von dem zu erzählen haben , was ſich an ihnen alles zugetragen und begeben ! Die Berühmtheit dieſer beiden Flüffe, Nil und Ganges, reicht in die Zeiten faſt gleich entfernten Alterthums zurück, und die „ Segenſpender " Indiens und Aegyptens haben in
mancher Beziehung vieles Aehnliche. Deſſenungeachtet fann aber der heilige Ganges nicht mit dem Vater Nil", weder in Bezug auf die Menge, noch auf die Wechſel der Weltbe gebenheiten , von denen er Zeuge geweſen, verglichen werden. Der Ganges hat ſeinen Lauf durch die vergangenen Jahr tauſende in verhältnißmäßig ungeſtörter Ruhe und Einförmig feit fortgeſeßt. Wie zahlreiche und verſchiedene Völker haben dagegen nicht den Nil gefreuzt oder befahren ! Wie viele, an ſeinen Ufern zerſtreute und ſelbſt in der fernen Wüſte, aus der die Pyramiden gen Himmel ſteigen , errichtete Denkmale find da , von der hohen Bildung der alten Aegypter zu zeugen in einer Zeit , da noch die Völker Europas im Zu ftande wilder Barbarei lebten !
Bereits zur Zeit ihrer Er
bauung war Aegypten ſchon der Schauplaß wichtiger Ereig
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niſſe geweſen. Und im Verlaufe der viertauſend Jahre oder mehr , daß fie dageſtanden , haben , neben den Urbewohnern , Israeliten * ), Perſer , Griechen , Römer , Sarazenen , Türken , Franzoſen und Engländer den Boden dieſes geheimnißvollen Landes betreten und auf demſelben um den Beſiß geſtritten, ſo daß auf alle beide mit gleicher Befugniß die Worte des alten Dichters:
Nec licuit populis parvum te, Nile, videre ihre Anwendung finden. Lange waren wir jedoch nicht im Stande , unſeren Be. trachtungen ungeſtört nachzuhängen, ſo wecfte uns das Brau :
ſen und Sprudeln eines Dampfbootes, das heranſchoß, daraus zur Gegenwart auf. Aus der geräuſchvollen Nähe des Dampfers weiter ftrom aufwärts fliehend, gelangten wir an eine Stelle , wo eine Anzahl getreidebeladener: Nilbarfen am Ufer lagen , mit deren
Ausladen eine Menge , von ihren ſchwarzen Madloſeh's nur halb bedecte Fellahs ſich emſig beſchäftigten. Hier war einer von den Pläßen , an welchen für den Paſcha von Aegypten ein Theil des jährlichen Ernteertrags als Abgabe erhoben, und zugleich die Vorräthe zur Verſorgung Cairo's oder zum Verſchiffen in's Ausland aufgeſtapelt werden. Das Getreide
ward am Ufer in mächtigen Haufen aufgeſchüttet, wo es im Freien liegen bleibt und nur von einigen Wächtern gegen die Vögel und andere Diebe gehütet wird , da es bei dem faſt ewig trockenen Klima nicht, wie an andern Orten , von der Näffe zu leiden Gefahr läuft. *) Die Israeliten werden von den Profanſchriftſtellern Hykſos, Hirten, genannt und zweier Einfälle derſelben in der Geſchichte erwähnt. In Folge des erſten Einfalls blieben ſie etwa drei Jahrhunderte im Beſiß des Lan: des und wählten aus ihrem Volke die Könige , die unter dem Namen der Hirtenkönige in der ägyptiſchen Geſchichte vorkommen.
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Ganz in der Nähe befand ſich ein Waſſerrad, vermittelft deſſen das fruchtbringende Element aus dem Nil emporgewun den und in kleine Kanäle ausgeſchüttet wird, um damit die auffeimenden Saaten der anliegenden Felder zu berieſeln.
Unſtreitig iſt dies eins der älteſten , mechaniſchen Hülfsmittel, die die menſthliche Erfindungskraft hervorgebracht hat, um ſich die Handarbeit zu erleichtern , und ſeine funſtloſe Form macht es mehr als wahrſcheinlich , daß es , feit der Zeit ſeiner Ers findung bis auf die Gegenwart, ziemlich unverändert geblieben ift. Ob es aber urſprünglich aus Aegypten oder dem alten Affyrien herſtammt, iſt zweifelhaft; jedenfalls findet es fich
noch in beiden Ländern. Es beſteht, wie ſein Name andeutet, in einem Rade, an welchem 8 , 10 , 16 oder bis 20 irdene Töpfe* ), folchergeſtalt angebracht ſind, daß fie fich bei einer jedesmaligen Kreisbewegung füllen und ihren Inhalt in eine hölzerne Rinne ſchütten , aus welcher das Waſſer dann in einen Graben fließt. Um das Waſſerſchöpfrad zu treiben,
iſt ein kleines , ebenfalls ſenkrechtes Zapfenrad da , welches in die Are des erſteren eingreift, und wiederum ein größeres wagerechtes, das die beiden vorigen in Bewegung ſeßt. Dies leßtere wird von einem oder mehreren Büffeln mittelſt einer
langen , daran befeſtigten Stange , die fie, im Kreiſe herum gehend, nach ſich ziehen , gedreht und ſo die ganze Maſchine bewegt. Ein Kind genügt, um den ſanftmüthigen, aber faulen Büffel in Thätigkeit zu erhalten , und es fönnen mit einer
ſolchen kunſtloſen Vorkehrung beträchtliche Landſtrecken ohne viel Mühe hinreichend bewäffert werden. Das Ineinander
*) Form, Größe, Thon, ſo wie deſſen Zubereitung, an dieſen Töpfen find ganz ſo. wie an den in verſchiedenen Gräbern gefundenen, welche Mu: mien von Jbiſen, Hunden oder Kaßen zu enthalten pflegen.
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greifen der trodenen Holzräder verurſacht ein fortwährendes , lautes Knarren , das ſich weithin hören läßt, und von dem die Ufer des Nils überal wiederhallen.
Inzwiſchen hatte fich der Tag geneigt. Die feierliche Stimme des Muezzim rief von einem der Minarete Bous lad's die Mufelmänner zum Gebete ; die Fellahs ſtellten ihre
Arbeit ein ; das Waſſerrad ſtand ſtille; die leßten Sonnens
ſtrahlen übergoffen den weſtlichen Himmel noch mit einem blaßgelben Scheine und beleuchteten die Pyramiden von Gi.
zeh, gleich Bergſpißen, während ſich die eintretende Dunfelheit ſchon über die Wüſte zu lagern begonnen hatte. Bald ver loren ſich auch die Umriſſe der Pharaoniſchen Denkmäler in die herrſchende Nacht, bei deren erſten Schatten wir durch tie, vom Schleier duftenden Abendthaues umhüllten Felder in die Stadt zurüdfehrten , die ſchon wie in ruhigen Schlaf vers funken ſchien.
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II .
An jedem Freitag, dem Sabbath der Muſelmänner, hal ten die heulenden Derwiſche Cairo's in der füblich außer halb der Stadt gelegenen Mosfee Kaſr - El -Aineh ihre relia
giöſen Zuſammenfünfte. Wir verfehlten nicht, dieſe Gelegen heit , die zugleich einen angenehmen Spazierritt verſchaffte, zu benußen , um dieſem Schauſpiele beizuwohnen . Mehrere an Dere Reiſende gefelten ſich zu uns , und unſere Geſellſchaft
machte fich, ein jeder zu Eſel und von ſeinem Saïs begleitet, in der heiterſten Laune , unter Führung zweier Dragomane
auf den Weg. Als wir uns Anfangs wieder durch das Ge webe enger und frummer Gaffen hindurch wanden , geriethen wir, auf einem kleinen Plaße , mitten in eine Phantaſia " wie auch dieſe öffentlichen Feſtzüge, für welche die arabiſche Bevölkerung Aegyptens eine große Leidenſchaft hegt, in der „Lingua franca “ genannt werden. *) Die Veranlaſſung dazu
find meiſtens Verlobungen , Hochzeiten , Beſchneidungen oder andere fröhliche Familienereigniſſe. Sie werden gewöhnlich von den Reicheren mit anſehnlichem Gepränge aufgeführt. *) Phantasia iſt ein aus dem Neugriechiſchen in den arabiſchen Volks: dialekt übergegangenes Wort und bezeichnet im Allgemeinen eine jede Be:
ſchäftigung, die nicht als eine nüßliche angeſehen werden kann. Die beſte Ueberſegung möchte wohl Zeitvertreib ſein .
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Obgleich an ſich höchſt albern , tragen auch ſie noch in ihrer heutigen Form das Gepräge flaſfiſchen Urſprungs und erin nern in mancher Hinſicht an die Satyrſpiele und den Hym nos des Alterthums. Voran geht immer eine lärmende Muſik von Flöten , Cymbeln und Tamtam's , hinter welcher die gefeierte Perſon, von Verwandten, Freunden und Neugierigen begleitet, zu Pferde folgt. Da die Araber außerordentlich abergläubiſch find, ſo fehlen bei ſolchen Aufzügen nie Leute, die über alle Theilnehmenden fortwährend Salzkörner und Waſſer ausſprengen, um ſie vor den üblen Zufällen zu ſchüßen, von denen , wie ſie glauben , alle Lobpreiſungen und Beglück wünſchungen der Vorübergehenden und Zuſchauer unvermeid,
lich begleitet ſein müßten. Auf ähnliche Weiſe pflegen ſie auch ihre Pferde, die ſie faſt eben ſo ſehr, wie die Mitglieder ihrer Familie lieben, zu behandeln, um ſie vor vermeintlichem
Unglück zu bewahren. Bei einem Hochzeitszuge beſteht das Gefolge nur aus Frauen , welche, tiefverſchleiert, auf Eſeln, die Braut begleiten , von der man bei einer ſolchen Gelegen heit weiter nichts fieht, als die Füße, da ſie durch einen von zwei Trägern um ſie gehaltenen Schirm vor den Blicen der Neugierigen gänzlich verborgen wird. Sobald der Zug das
elterliche Haus der Neuvermählten verläßt , erheben álle Bes gleiterinnen ein lautes Freudengeſchrei und ſeßen es fort, bis
fie vor der neuen Heimath ihrer Gefährtin angelangt find. Auf den Unbetheiligten macht ein ſolches Schauſpiel den fo miſchſten Eindruck von der Welt.
Die „ Phantaſia " kann aber noch eine andere Art von Aufzug ſein , der einen mehr beluftigenden als feierlichen
Zwed hat. Es finden dann, unter Muſifbegleitung, allerlei mimiſche Tänze und dramatiſche Vorſtellungen und Schein
fämpfe auf öffentlichen Pläßen oder mitten in den Straßen
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Statt, an denen oft, für die Zahlung eines geringen Ein ſabes, Vorübergehende Theil nehmen. Dieſer Einſa fält entweder dem Veranſtalter der Spiele zu , oder demjenigen,
der ſeinen Gegner an Geſchicklichkeit übertrifft. Als wir uns nun unverſehens unter den Zuſchauern
einer ſolchen Phantaſia befanden , ſprang Halil von ſeinem Efel, um ſein Glüc in einem Wettfampfe zu verſuchen und eine Probe ſeiner Geſchidlichkeit vor uns abzulegen. Er er griff einen langen Stoc von einem der Beiſtehenden und be gab ſich in den Kreis, wo er bald einen Gegner fand. Beide traten einander mit herausfordernden Geberden entgegen,
freuzten ihre langen Stöcke, rüdten ſich näher auf den Leib oder wichen vor einander zurück , immer dabei ihre Waffen nach dem Tafte der Muſik in der Luft herumſchwingend. Troß der drohendſten Geberden und leidenſchaftlichſten Stel lungen verloren aber die beiden Rämpfer nie ihre Beſonnen heit und gute Laune, ſo daß fie fich faum berührten , ſelbſt wenn es den Anſchein hatte , als wollten ſie ſich gegenſeitig zerſchmettern. Obwohl eine Scene dargeſtellt ward, die, nach dem fortwährenden Beifall der heimiſchen Zuſchauer zu ur theilen , in ihrer Weiſe intereſſant und ihre Aufführung gut
geweſen ſein muß : ſo vermochten wir deren Werth nicht zu ſchäßen ; denn für uns waren die Geberden der Araber , wie: wohl an ſich unleugbar höchſt ſinnreich und ausdrucksvoll,
doch wegen ihrer großen Eigenthümlichkeit eben ſo räthſelhaft, als die vielen morgenländiſchen Sprachen, die derjenige , der ſite nicht erlernt hat, nach einiger Uebung wohl von einander zu unterſcheiden , aber nicht zu verſtehen im Stande iſt. *) *) every nation have a particular way of exclamation and make noises as different from one another as their speach. Daniel de Foe in Rob . Crusoe.
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Ganz wider ſeine eigene , aber noch viel mehr wider unſere Erwartung wurde Halil beſiegt, und wir hatten natürlich die Unfoſten ſeiner Niederlage zu tragen. Nach dieſem Zwiſchenfallritten wir durch einen der ſchlechteſten Stadttheile, wozu den Unbequemlich feiten des
Staubes , Schmußes und der drückenden Hiße , auch noch die einer unerträglichen Menge frecher Fliegen hinzufam . Wahr ſcheinlich durch die vielen Datteln , die überal in den offenen Läden aufgehäuft lagen, herbeigelodt, hatten ſich dieſe läſtigen Inſeften in weit größeren Schwärmen , als wir fte noch irgend wo anders in der Stadt geſehen , gerade hier einge funden.
Beſonders ſcheinen die Kinder darunter zu leiden,
die , ganz hülflos gegen dieſe Plage , fich nicht einmal mehr die Mühe geben, fie von ihrem Geſichte, das ſie förmlich da
mit bedeckt haben , wegzuſcheuchen.
Man ſchreibt dem Ums
ftande, daß , entweder aus Unachtſamkeit oder Unvermögen, fie von den Augen nicht fern gehalten werden , die vielen
Augenübel und die davon häufig erfolgende Blindheit zu, die in Aegypten ſo allgemein vorfommt. Sobald man dieſes unangenehme Stadtviertel verlaſſen hat, gelangt man wieder in die üppigen Fluren hinaus , die
ſich ober- und unterhalb Cairo's längs dem Nil hinziehen. Wie auf den Wegen von Boulad und Schubrah, reitet man
auch hier im Schatten von Afazien, Platanen und Syfomoren, und die auf beiden Seiten hin und wieder fich erhebenden Gruppen von Dattelpalmen verleihen der Gegend ein halb:
tropiſches Ausſehen . Wen heiterer Himmel und ſchöne land ſchaft froh zu ſtimmen vermögen , der mußte es hier werden . Auch war unſere Geſellſchaft in die heiterfte Laune verſeßt.
Die Engländer, die nur ſelten die ernſte Miene und gemeſſene Haltung ablegen, durch die ſie ſich von allen andern Menſchen
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ſo ſehr unterſcheiden , hatten ſich derſelben mit ſo gutem Ge
lingen entledigt, daß ihre Luſtigkeit keine Grenzen fand, und ein Augenblick findiſcher Ausgelaſſenheit herrſchte. Unbekümmert um die hinterher feuchenden Saïſſen , galoppirten wir, ohne auf die vielen, loſen Steine zu achten , über welche die Efel ftolperten , wie wenn wir ein Wettrennen hielten, von bannen. Bald natürlich war der ganze Zug in Unordnung, und je nach der Leichtigkeit der Reiter und der Schnellfüßigkeit der Renner, einige weit voraus, andere weit zurück, als plößlich ein halbunterdrückter Schrei gehört wurde und eine dicere
Staubwolke aufſtieg , unter welcher der alte, dem Leſer von Indien her noch erinnerliche, Reiſegefährte neben ſeinem ge
duldigen Thiere, wohl etwas unſanft gebettet lag. So hatte ihn das Mißgeſchic für unſern leichtſinn, von dem ſein Eſel
angeſteckt worden, zum Opfer auserkoren. Dieſer ſtaubige Fall hatte übrigens keine weiteren Folgen, als das unverhal tene Gelächter der Gefährten , wobei ſich unſer Freund , aber
mit Unrecht, ein wenig ſchämte; denn das Sprichwort wollte auch in Aegypten, und wird wohl überall , ſeine Geltung behalten.
Das Innere der Mosfee Kasr-El-Ainéh beſteht in einem geräumigen Viereck mit ſchlichten Wänden ohne Fenſter und einer hohen farazeniſchen Kuppel, die das Licht von oben ein: läßt, eine Beleuchtung, die wegen ihrer Milde höchſt ange nehm auf die Augen wirkt. Die Wände ſind mit einer Menge
alter Waffen von den fonderbarſten Formen, womit Helden und Märtyrer früherer Zeiten ſich in ihrem frommen Eifer
felbft Wunden beizubringen pflegten, in geſchmadvoller Grup pirung behangen . Die vier Ecken verzieren Schilde und Fahnen. Den Fußboden bedecken Strohmatten , worüber für die Derwiſche und Zuſchauer Teppiche gebreitet lagen. Das
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Ganze bietet ein eigenthümliches und in feiner anſpruchsloſen Einfachheit wohlthuendes Bild dar. Der gelehrte Alterthumsforſcher, Sir Gardener Wilfinſon ſagt in ſeinem Werke über Theben und das moderne Aegypten :
„ Die Derwiſche ſind ſowohl die Mönche, als auch die Frei maurer des Morgenlandes.
Sie bilden eine Art unbeſtimmter
Secte, die, wiederum in mehrere Orden zerfallend, unter ſich
eine fortwährende, innige Gemeinſchaft erhält und, ihren Re ligionsverwandten gegenüber , die ſtrengite Abgeſchloſſenheit bewahrt. Die Derwiſche ſind die einzigen Muſelmänner , die einen Kultus beſigen , ungeachtet der Koran ausdrücklich ver
bietet, Gott in irgend einer andern Weiſe, als der darin vor geſchriebenen Gebetsform zu verehren. Dies rührt wahrſchein
lich daher, daß fie erſt ſpäter zur Religion Mahomed's über traten und dabei manche ihrer Freimaurergebräuche beibehalten haben ; denn das Freimaurerweſen hat ſchon in alten Zeiten und in großer Ausdehnung im Morgenlande beſtanden. Daß fte jeßt zu den Befennern des 3slam gehören und zu den
eifrigſten ihrer Glaubensgenoſſen gezählt werden, unterliegt feinem Zweifel; nur über die Entſtehung ihres Kultus giebt es feine beſtimmte Auskunft. Sie haben eigene Mosfeen, in
denen ſie ihre Ceremonien ausüben, und es gilt als eine große Vergünſtigung, wenn fie jemanden in ihre Gemeinſchaft aufnehmen, da dieſelbe in der Regel nur erblich iſt. Gewöhns lich zeichnen ſie ſich durch eine beſondere Tracht aus, die aus
einem langen braunen, um die Hüften zugeſchnürten Rocke, gleichfarbigen Hoſen und, ſtatt des Fezes , einer zuckerhutför migen, grauen Filzmüte, mit oder ohne Turban, beſteht. Es giebt aber Derwiſche, die ſich nicht ſtreng an dieſen Anzug halten , wie es ihnen denn überhaupt nicht verboten iſt, ſich
irgend einem Stande zu widmen oder irgend ein Amt zu be Dno mander , länder des Oftens II .
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kleiden. Man findet daher unter ihnen Krieger, Kaufleute u. ſ. w., und ſowohl in Cairo , wie in Konſtantinopel giebt es Derwiſche, welche in der ihnen eigenthümlichen Tracht in den Bazars fißen und über ihrem Seelenheil den Werth
irdiſcher Dinge feineswegs vergeſſen . Außerdem daß die einzelnen Orden in ihren Lehren und
Gefeßen von einander abweichen , herrſcht aud in der Form ihrer religiöſen Gebräuche eine merkliche Verſchiedenheit, und man nennt ſte je nachdem tanzende oder heulende Der
wiſche, zu welchen leßteren diejenigen gehörten , welche in dieſer Mosfee verſammelt waren . Shre Feierlichkeit begann
damit, daß der Welteſte, ihr Scheikh, unter einer großen, grünen Fahne vor dem Mahrab, der Gebetoniſche, auf Polſtern ſeinen Siß einnahın, und die übrigen, etwa 40 an der Zahl, fich
in einem Halbfreiſe, mit untergeſchlagenen Beinen, ihm gegen über ſepten . Es waren faſt ohne Ausnahme lauter ältliche
Männer von ſtattlichem Körperbau, mit den ſchönſten Bärten, die ihnen bis über die Bruſt binabwalten. Anfangs verlieh
ihnen ihre ernſte Haltung, wie ihr andächtiger Ausbruc, etwas ſehr Ehrwürdiges. Nach dem Beiſpiele des Scheifh wieders holten fte gewiſſe Stellen aus dem Koran unter Begleitung von Flöten und Tamtams, erſt mit faum hörbarer Stimme
und ſehr langſam , dann ſteigerten ſich ihre einförmigen Töne, nach dem Tafte der Inſtrumente, zu einer Art fallendem Ge ſang, wobei fie den Oberförper entweder vor- und rückwärte,
oder von einer Seite zur andern hin- und herneigten. Dies dauerte einige Zeit ununterbrochen in derſelben Weiſe fort, dann nahmen ihre Bewegungen, bei raſcherem Tafte der Muſif, immer an Leidenſchaft und Schnelligkeit zu , und ihr Geſang 'artete in ein wildes, abgeſtoßenes, feuchendes Geheul
aus, worauf ebenſo allmälig, als ſie zugenommen, Muſik, Ges
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heul und Bewegung ſich wieder mäßigten, bis die Inſtrumente in eine andere Tonart übergingen, bei der ſich alle, außer dem Scheith, erhoben und im Stehen dieſelben wiederholten. Endlich ſtand dieſer auch auf, nahm ſeine hohe Müße ab, und alle übrigen folgten der Reihe nach ſeinem Beiſpiele, ſo daß ihre darunter verſtedt geweſenen langen Haare fie laſſen ſie gegen die Gewohnheit der Muſelmänner nicht abſcheren ihnen loſe auf Nacen und Schulter herabfielen. Sie ſchienen ießt in eine Art Verzüdung, oder vielmehr tobende Raſerei zu verfallen, fie ſchnaubten , grungten und heulten unter der
heftigſten Bewegungen lauter, denn zuvor. Einer der Wü thendſten unter ihnen war in vollſtändiger Uniform , es war ein Offizier des Nizam Djedib, der regulären Truppen . : Da uns das Ding zu arg ward, ſuchten wir das Freie,
ohne das Ende dieſer unwürdigen Gottesverehrung erſt abzu. warten, welches häufig darin beſteht, daß einige aus ihrer überſchwenglichen Begeiſterung zuleßt vor Ermattung in Dhn . macht fallen oder Krampfanfälle erleiden . Die Vermuthlich halten ſie dieſe widernatürlichen Anſtren
gungen für ebenſo verdienſtlich und heilbringend, als die Ger ſellſchaften anderer Religionen ihre Kafteiungen und peinlichen Andachtsübungen. Wir fonnten nicht umhin , die faſt über menſchliche Kraft und Ausdauer zu bewundern, womit die
Derwiſche, oft mehrere Stunden lang, die ihrige in ſolcher Weife auszuüben vermögen.
Was ſie dazu in Stand left,
iſt jedoch nicht heiße Inbrunſt, ſondern Haſchiſch, deſſen Genuſſe ſte ganz beſonders ergeben ſind. Dieſes verführeriſche Rauſchmittel ste von dem hier Einiges wurde von Vielen zu ſagen nicht ungeeignet ſein dürfte mit dem Opium verwechſelt, weil es que denſelben Ländern
ſtammt und ebenfalls ein Nervenreizmittel iſt, und man von 3*
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beiden einen ähnlichen Gebrauch macht. Nichtsdeſtoweniger unterſcheidet ſich das Haſchiſch auf das Weſentlichfte von dem Opium , wie aus den Nachforſchungen der gelehrten Welt hervorgeht, fowohl ſeinen Beſtandtheilen , als ſeiner Wirkung nach. Das Opium wird vom Safte des Mohns gewonnen und übt einen unmittelbaren Einfluß auf die Nerven aus ; dahingegen das Haſchiſch aus dem Safte des Hanfes bereitet wird und erſt, nachdem es vollfommen in's Blut übergegangen iſt, ſeine ganze Wirkung äußert. Im Morgenlande zieht man dieſes Reizmittel dem Opium vor, weil es, bei weniger un mittelbar ſchädlichen Folgen , einen höheren Genuß verurſacht, welchem der Geiſt nicht minder , als der Körper unterworfen ift. Der europäiſche Hanf ſcheint ſich jedoch nicht zu deſſen Bereitung zu eignen , wozu die Morgenländer ſich der Can nabis indica bedienen , welche Hanfart in allen Theilen des ſüdlichen Aftens, foivie des nördlichen Afrifas einheimiſch ift. Daß man ſchon im hohen Alterthume mit dem Gebrauche dieſes Mittels vertraut war , iſt mehr als wahrſcheinlich und geht aus vielen Stellen der Alten hervor ; denn obwohl die Namen , unter denen davon Erwähnung geſchieht, fehr ver ſchieden find, fo ſcheinen fte doch nur einer und derſelben Sache
gegolten zu haben. Am Indus war dieſes Mittel als „ po tomantes“ bekannt, in Baftrien als „ gelatophylis " ,
in Perſien als ,, achimenses“ , *) bei den Griechen als ול
naepenthes “ , **) unter welcher Bezeichnung es im Homer * ) David Urquhart's Pillars of Hercules, Vol. II. p. 122 f. Du Haschisch et de l'aliénation mentale, par J. Moreau . Paris 1843. ** ) Man darf aber nicht glauben, daß dieſes Wort der Name des
Mittels ſei; es drüct vielmehr nur eine ſeiner Eigenſchaften aus und heißt
wörtlich : gegen den Rummer , von vn (nicht, un-) und névtos, ( Rummer, Betrübniß) gebildet.
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vorfommt *) und von der Helena dem Telemach als ein Trant
gegeben wird, der ihn den Kummer über die Abweſenheit ſeines Vaters vergeſſen laſſe, und deſſen Zubereitung fie von Poly damne, der Gemahlin des Thebaiſchen Königs Thon, auf ihrer Reiſe in Aegypten erlernt hätte. Aus der genauen und tref fenden Beſchreibung Homers geht hervor, daß man ſchon zu feiner Zeit und unter ſeinen Landsleuten mit jenem Summer
und Groll vertilgenden “ Mittel befannt war. Heutzutage nennen die Chineſen das Haſchiſch in ſeiner
Zubereitung , ma - yo " , die indiſchen Völfer ,, bangia " , die Bewohner Maroffos ,,madjoun " und die Araber in
Aegypten, Algier und Syrien ,, Dawamesk " . **) In Europa hat man den Namen der Pflanze auf das Erzeugniß übertragen. In Aegypten gebraucht man auch das Wort Haſchiſch in weiterer Bedeutung, wie die Ausdrücke ,, ha schischli " und „ haschaschin " , toll und Trunkenbold ,
zeigen. In einer ähnlichen Weiſe, wie beſonders die niederen Klaſſen Europas dem Mißbrauche geiſtiger Getränke ergeben find, übertreiben die des Orients den Genuß des Haſchiſch, weshalb auch 72 haschaschin “ dort als eine ebenſo gehäiſtge
*) Odyssee Raps. IV. 229-232. Daß die alten Griechen fich ſolcher Rauſchmittel bedienten, beweiſt auch noch ein anderes Wort ihrer
Sprache, das in Xenophon's orxovouis vorkommt ; er gebraucht das Wort jooxúupāv, deſſen eigentliche Bedeutung iſt: vom Bilienfraut trunken oder toll ſein, und von dem Hauptwort dooxúquos, Bilſenkraut, gebildet iſt.
Dieſe Pflanze dient beſonders in der Homöopathie als Heils
mittel gegen mancherlei Krankheiten , namentlich gegen Convulſionen , epileps tiſche Krämpfe, Delirien, Wahnſinn u. ſ. w. , wie vom Dr. Jahr in ſeinem „Handbuche der Hauptanzeigen für die richtige Wahl der homöopathiſchen Heilmittel" unter „Hyoscyamus niger“ angegeben iſt. ** ) Urquhart a. a. D.
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Bezeichnung gilt , wie bei uns die Ausdrüce , Irunfen : bolbo und . Så ufer " .
Der Geſchichtsſchreiber 3. von Hammer leitet, vielleicht nicht mit Unrecht, das Wort assassin von Haschaschin oder haschischin ab. Die lateiniſchen Schriftſteller aus den Zeiten der Kreuzzüge machten, allem Anſcheine nach, daraus assassini oder assassani, mit welchem Namen ſie die Ismaeliten Syriens
bezeichnen , die fich damit zu berauſchen pflegten und dann mit blanfer Waffe, einzeln oder maſſenweiſe von ihren Bergen herabſtürzten und die Kreuzfahrer mit unwiderſtehlicher Wuth und alles verachtender Tollfühnheit angriffen und ermordeten. Ich habe mich nie entſchließen fönnen , den Einfluß des
Rummer vertilgenden " Mittels an mir ſelbſt zu verſuchen ; über deffen wunderbare Wirkungen haben viele Schriftſteller Mittheilungen gemacht, und vorzüglich die Herren 3. Moreau und Urquhart auch ihre eigenen Erfahrungen in einer höchſt intereſſanten und lehrreichen Weiſe beſdrieben.
Bezüglich des Haſchiſch läuft zu Cairo folgende Geſchichte im Munde des Volkes um.
Vor Zeiten begab fich ein bejahrter Derwiſch aus der Stadt in die Wüſte, dort eine Buß- und Faſtenzeit zuzubrin
gen. In ſeiner Einſamkeit von Trübſinn überfommen, irrte er in feiner andächtigen Zerſtreutheit von einem Drte zum
andern, und gelangte eines Tages bei ſeinem Umherſtreifen zu einer Dafis, wo ſein Blid von einer gelben Blume angezogen ward, die er pflückte und näher betrachtete. Er bemerkte, daß
aus dem zerknicten Stengel ein flebriger Saft auf ſeine Finger floß, von dem er, um ihn genauer zu unterſuchen, koſtete und fand, daß er einen angenehm bitteren Geſchmad habe, der
ſehr geeignet ſein müſſe, den Durft zu löſchen . In der Ab
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ficht, dies ausfindig zu machen , pflüdte er noch mehrere der beiſammenſtehenden Blumen und ſog den Saft aus ihren Stengeln, bis er nicht nur entdeckte, daß er den Durſt ſtille, ſondern mit dem Genuſſe des bitteren Saftes auch ſein Trüb: ſinn ſich allmälig verlor. Er fühlte ſich in eine nie zuvor gekannte, heitere Stimmung verſeßt, die ihn zulegt aller feiner Sorgen vergeſſen ließ, und ihn in einen ſeit langer Zeit entbehrten Schlaf verſenkte. Beim Erwachen ſchien ihm dies nur ein bloßer Traum geweſen zu ſein , bis der Anblid der um ihn
her blühenden , gelben Blumen ihn von der Wirklichkeit über zeugte. Dieſe zufällige Entdedung entzügte ihn ſo ſehr, und die Wiederholung des Verſuches war ſo verführeriſch , daß er
es von nun an zu ſeiner täglichen Beſchäftigung machte, die Pflanzen mit ihren gelben Blumen zu ſammeln und ſich an
dem Genuſſe ihres wohlthätigen Saftes zu erfreuen . Nach ſeiner Rückehr aus der Wüſte theilte er die wun
derbare Entdeckung den andern Derwiſchen mit und gab ihnen von dem geſammelten Pflanzenſafte unter der Bedingung zu koſten, daß der Gebrauch vor allen übrigen Menſchen ein Geheimniß und ein ausſchließliches Beſikthum ihres Ordens bleiben ſollte. - Im Laufe der Zeit wurde das Haſchiſch im
Genuſſe verfeinert. Die Derwiſche ſammelten das ſchäßbare Gewäche mit Sorgfalt, bereiteten daraus allerlei berauſchende Getränke , miſchten den Saft unter verſchiedene Arten Süßig feiten und gewannen aus dem Samen und Blumenſtaub ein graues Pulver, das ſie auf die Speiſen ſtreuten oder mit ihrem Tabac vermengt rauchten. Auf ſolche Art machten ſte Lange in den mannigfaltigſten Formen Gebrauch davon. einmal endlich , bis bewahrt blieb das Geheimniß von ihnen einige Derwiſche (man behauptet, in Konſtantinopel) in ihrer
auzuleutſeligen Heiterkeit auch einigen Uneingeweihten vom
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Haſchiſch zu foſten gaben , in Folge deffen es bald allgemein befannt und verbreitet ward. *)
Von der Mosfee Kaſr - El- Ainéh machten wir einen Ab ftecher über den daneben fließenden Nilarm nach der gegenüber
gelegenen Inſel Roda, um die dort vorhandenen Merkwürdig. keiten der Vergangenheit und Gegenwart zu beſichtigen. Für die Ueberfahrt gab es nur eine morſche, ſchwerfällige Barfe, in die man uns init einer Menge Fellahs zuſammen pacte, wobei es natürlich nicht ohne einiges Lärmen , Schelten und Zanfen abgehen konnte, ehe die verzögerte Fahrt begann. Wir landeten indeß, troß der bedenklichen Ueberfüllung unſeres
Fahrzeugs und der ſtarken Strömung des Fluſſes, nach einigem höchft unerquidlichen Umherſchwanken ohne weiteren Unfall , und ſtiegen an einem Haufen Trümmern bei dem Nilmeſſer aus, von dem noch die Säule mit den Meßſtrichen vorhanden iſt. Sie ſteht aber jeßt, ihres Kuppeldaches beraubt, in einem
von Schutt faſt angefüllten vieredigen Waſſerbehälter unter
freiem Himmel. Dennoch dient der Meffiéas noch heutzutage dazu, das Steigen und Fallen des Fluſſes anzugeben. Nach den beſten Gewährsquellen **) zu ſchließen , iſt dies jedoch der neuere Nilmeſſer, den ein Khalif des neunten Jahrhunderts errichtet haben ſoll, wogegen ſich von dem urſprünglichen, den, wie es heißt, die Pharaonen weiter ſtromaufwärts, in der Nähe von Memphis errichtet haben , keine Spur mehr vor findet. *) Chrestomathie Arabe, par M. Silvestre de Sacy. Traduction,
Vol. I. p. 208 ff., wo man weitläufige Berichte über das Haſchiſch oder die Pflanze der Fatire findet. Nach Ausſage des Schriftſtellers Makrizi foll ein gewiſſer Scheikh Haïder in der Nähe von Khoraſan (608 unſerer Zeitrechnung) deſſen Gebrauch erfunden haben : Haschischat alfocara
( Fakirkraut) ; nach andern ſoll es aus Indien ſtammen. ** Sir Gardener Wilkinson's Thebes and modern Egypt.
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Es iſt noch gegenwärtig, wie vormals, Sitte, den höchſten Standpunkt des Stromes alljährlich zu feiern, bei welcher Gelegenheit durch Land und Stadt ein allgemeiner Jubel herrſcht. Mit Ausnahme dieſes einen Freudenfeſtes iſt aber der vor Alters ſo berühmte Nilmeſſer jeßt beinahe volftändig
in Vergeſſenheit gerathen, nicht ſo aber die Inſel felbft. Sie iſt einer der beſuchteſten Erholungsorte für die heutigen Be wohner Cairo's, die in dem Schatten des dort von Mehemed Ali angelegten Lufthaines während der heißen Jahreszeit Küh lung zu ſuchen pflegen. Dieſe modernen Anlagen bieten, wie faſt alles, was von jenem ſonderbaren Manne herſtammt, ein wunderliches Gemiſch halb orientaliſchen , hald fränfiſchen
Geſchmackes dar, und man ergeht fich Angeſichts der Pyra miden in franzöftſchen Alleen und zwiſchen Muſchelgrotten, was wenigſtens auf uns einen ſeltſamen Eindruck machte. Derſelbe ward noch durch den Umſtand erhöht, daß unſere Dragomane uns am weſtlichen Ufer der Inſel an eine Stelle führten , wo, nach der heutzutage in Cairo herrſchenden Ueber
geugung, Moſes von der Tochter Pharao’e beim Baden ent deckt ward, als ihn ſeine Mutter in dem Schilffäftchen dem
Flufſe preisgegeben hatte. Wir hielten es nicht der Mühe
werth, die Ueberzeugung unſerer Berichtgeber durch Aeußerung irgend welcher Zweifel zu ſtören. Es ſei indeſſen bemerkt, daß dieſe lleberlieferung, was die Ortsbeſtimmung betrifft, durchaus keine Wahrſcheinlichkeit für fich hat. Denn zur Zeit des Moſes dachte noch kein Menſch an Cairo ; der Wohnſitz der Pharaonen war damals, wie bekannt, Memphis, in deſſen Nähe fich alſo die Königstochter wird gebadet und Moſes aus dem Waffer gezogen haben. Wie dem nun auch ſei, ſo
iſt, dieſen Ort zu wiſſen, vielleicht intereſſant, aber von feiner
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weſentlichen Bedeutung, und es würde ein bedauerliches Zeichen von dem Verſtande und Glauben desjenigen ſein, der den Inhalt der heiligen Schrift nur zu derartigen Zweden aus beiftet oder darin fein Heil zu finden meint , die bibliſchen
Wahrheiten durch Ortsbeſtimmungen zu beweiſen. 14 18:19 Von der Inſel Roda fehrten wir zu unſern Saïfſen zurück und befanden uns nach Verlauf einer Viertelſtunde inmitten der ausgedehnten Schutthaufen von Alt-Cairo. Man fann ſich ſchwerlich einen öderen Ort denken, als das heutige Foſtat, wie die landbewohner e8 nennen .
Es bildet einen faſt
ſchauerlichen Gegenſatz zu feiner belebten Schweſterſtadt; es macht den Eindruck, als ſei es die Grabſtätte ganzer Menſchen geſchlechter. Eine ſolche iſt es auch in der That , denn nach dem Wenigen zu urtheilen, was Zeit und Ereigniſſe dort noch von ſo vielem übrig gelaſſen haben , muß auf dieſer Stätte allerdings manches Denkwürdige vorgefallen ſein. Die älteſten Ueberbleibfel, die ſich an dieſem Orte vorfinden, beſtehen in den rieſigen Grundwerfen und Mauertheilen des ägyptiſchen Babylons, das zur Zeit des Kambyſes, Sohn und Nachfolger
des großen Cyrus, von deſſen Landsleuten aus Meſopotamien gegründet ward. Noch lange nachher behielt es den Namen,
und bildete eine Niederlaſſung der, beim Abzuge aus Aegypten, von ſeinem Heere zurückgebliebenen Perſer. Dieſen Trümmern zunächſt an Alter , wie an geſchichtlicher Wichtigkeit, fommen die Reſte eines römiſchen Lagers, in welchem eine der drei Legionen , welche Aegypten beſeßt hielten , ihr Standquartier
hatte. Von dieſer Befeſtigung ſelbſt läßt fich ſchwerlich etwas mehr in dem weiten Trümmerfelde auffinden; wenigſtens ge lang ung ſolches nicht. Aber eine jener herrlichen Waſſer leitungen, deren die Römer in allen Theilen ihres Weltreiches zurückgelaſſen haben, befindet ſich auch hier und iſt in erſtaus
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nenswerth gutem Zuſtand erhalten. Sie verſorgte das Lager vom Nil aus mit Waſſer. Ihre zahlreichen , ſtolzen Bögen
überſpannen, weithin fichtbar, die umliegende Gegend und leiſten noch jeßt , ſo viel ich mich erinnere , der Citadelle den ſelben Dienſt.
Neben dieſen Denkmälern des Alterthums ſteht die Mosfee Amru's, des ſarazeniſchen Eroberers von Aegypten , zu deſſen Zeit Aft-Cairo in Nichtigkeit verſant, um der heutigen Stadt
Kaïr-El-Miſr, *) „ der Siegreichen“, Plaß zu machen. Der Sieger hat ſich in dieſem Gebäude ein ſchönes Denkmal er richtet, deſſen Hallen noch auf 236 Säulen ruhen, von denen etliche auf römiſchen Urſprung deuten . Dieſe Moskee wird aber feit lange, wegen ihrer Verfallenheit, nicht mehr zum
Gottesdienſte benußt. In der Mitte des Hofes befindet ſich ein achteckiger Brunnenkiosk, der noch mehr , als das Haupt gebäude, gelitten zu haben ſcheint. Daneben wächſt eine junge Dattelpalme, deren Krone, wenn ihr der verſtegende Brunnen die Nahrung nicht verſagt, das verwitterte Minaret bald über ragen wird. In ihrer Friſche bildet ſie einen erfreulichen Gegenſaß zu der verfallenden Ilmgebung : die lebendige Gegen wart neben der Vergangenheit, von deren Reſten ſie ſich nährt. So hat alles, bis in's Kleinſte, ſeine beſte Verwendung, die der Lenfer des Weltaus in ſeiner Alweisheit einem jeden
Dinge, für die Zeit des Vlühens, wie des Abſterbens, beſtimmt
hat. Dieſen Gedanken erwedte der Anblic jener jungen Palme bis zur feſten Ueberzeugung in mir, und goß in die, von den Spuren der Verwüſtung um mich her traurig geſtimmte Seele ein unbeſchreibliches Gefühl von feſtem Vertrauen und ruhiger Heiterfeit. *) Miſr, Mizra der alte Name Aegyptens.
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Foſtat gehört beiden Zeitaltern an ; gleich einem abges lebten Greiſe fteht es mit jedein Fuße in einem derſelben. lingeachtet ſeiner Verſunkenheit iſt es noch der Hauptort der Kopten, die , ſowie die Armenier, dort mehrere alte , hochvers ehrte Klöſter beſigen. Dieſelben liegen in einer Art Stadt für ſich, die ſich durch ganz beſonders düſtere und öde Straßen auszeichnet, und wegen der vielen hohen Mauern, ſowie der
-finſteren Thore, mehr den Eindruck einer Feſtung, als eines
der Religion und dem Frieden geweihten Ortes macht. Wir verloren indeß bald den friegeriſchen Eindruck, Häuſerſlumpen (ſo läßt ſich das geſammte Foſtat bezeichnen ) in dem Herannahenden herrorbringt, als mehr denn friedliche, Bewohner zu Geſicht famen.
den dieſer am beſten uns deffen, Ein uns
bedeutendes Bafſchiſch verſchaffte uns überall Zutritt, und eine
geringfügige Gabe gewann uns, von Seiten der verſchiedenen Mönche, deren Aeußeres auf große Dürftigkeit zu deuten
ſchien, die unbegrenzteſte Bereitwilligkeit, Alles, was fte nur an Merkwürdigkeiten aufzuweiſen hatten , zu zeigen und zu erflären .
Dieſe vereinſamten Klöſter verſchließen in ihren
ftaubigen Winkeln unter andern eine Anzahl eigenthümlicher und intereſſanter Gegenſtände aus faſt allen Zeiten und be ſonders aus dem Mittelalter. Wären wir im Stande gewes
fen, die alien Handſchriften, die man uns zeigte, zu entziffern, oder hätte unſer vortrefflicher Halil ſeinen unverkennbaren Widerwillen gegen die Mönche zu überwinden 'vermocht und Geduld gehabt, uns die vielen, langen Legenden, Wunders mähren und Geſchichten , die man uns unermüdlich auftiſchte,
zu überſeßen, ſo würden wir allerdings, mit einem hinläng lichen Vorrath flöfterlicher Geiſtesſchäße bereichert, von dannen
gegangen ſein. Wie ſich aber die Sache verhielt, mußten wir gelehrteren Reiſenden das Geſchäft des Nachforſchens überlaffen ,
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denen die wenig beſuchte Welt von Foſtat vielleicht noch
Manches auf dem Felde handſchriftlicher Entdeckungen darbietet. Wir eilten bei einbrechender Abenddämmerung
aus dem
rtoðten " in das „ lebendigeó Cairo zurüc, um uns am fol genden Tage wieder in deſſen reges Treiben zu miſchen. Unſere nächſte Unternehmung galt einem Beſuche beim Stadi,
den wir in der Ausübung ſeiner amtlichen Geſchäfte antrafen. Der Meffemieh , oder oberſte Gerichtshof, bot zur Zeit unſeres Beſuches ein lebhaftes Schauſpiel des in vollem Gange befindlichen Gerichtsverfahrens dar. Wir ritten durch einen unſcheinbaren , finſteren Eingang in einen geräumigen , vier: edigen Hofraum , den eine Menge, der Gerechtigkeit harrender Menſchen erfüllte. Da verließen wir unſere Efel und ſtiegen eine breite, ſteinerne Treppe hinauf, die unter einer offenen Säulenhalle zu dem oberen Stocwerk führte. An der Ein
gangsthür in die verſchiedenen Gerichtsſäle ſaß hier, von meh reren Gehülfen umgeben, der Effendi , oder oberſte Gerichts
ſchreiber, in einer Seitenniſche. Er war emſig damit beſchäf tigt, ein vorläufiges Verhör über alle vorgebrachten Fälle abzuhalten , die verſchiedenen Aften auszufertigen und zu ordnen, ſowie über die untergeordneteren ein ſummariſches Urtheil zu ſprechen. Alle wichtigen Sachen müſſen aber vom Kadi felbft entſchieden werden.
Die Zeit, die über unſerer Anmeldung verfloß , geſtattete uns, den Geſchäftsgang ein wenig zu beobachten. Es war grade ein kleiner Familienzwiſt an der Reihe. Ein Mann hatte ſeine Frau ausgezanft und zu mißhandeln gedroht, worauf ihre Schweſter, die in demſelben Hauſe wohnte, herbei
geeilt war, um ſie in Schuß zu nehmen. Dies hatte, wie es gewöhnlich bei Einmiſchung in den Hader Anderer geht , den Gemahl ſo ſehr aufgebracht, daß er ſeinen ganzen Zorn gegen
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die Schwägerin richtete und ſie in der Hiße des Zanfes „ Jahoudieh “, „ Jüdin “, ſchalt, was unter den Morgenländern, zumal gegen eine Frau geäußert , eine ſehr gehäſſige Bedeu tung hat und für eine der ärgſten Beleidigungen gilt. Mann und Frau, wie ſie ſo friedlich und demüthig vor dem Effendi neben einander daſtanden, ſchienen ihren Streit vergeſſen zu haben, nicht ſo aber die ſchwer beleidigte Schwägerin, die vor Gericht erſchienen war, Genugthuung zu fordern. Der Effendi
richtete mit gewichtiger Amtsmiene eine Menge Fragen an ſte, und die verſchiedenen Schreiber nahmen , wie uns dünkte,
ein ebenſo weitläufiges, als genaues Verzeichniß von dem Verhöre auf. Den ſchließlichen Verlauf der Sache erfuhren wir indeſſen nichi, da wir mittlerweile in die Gegenwart des oberſten Richters beſchieden wurden .
Der Radi, ein ſtattlicher Ehrenmann von vorgerückten Jahren und gelehrtem Ausſehen, empfing uns, ungeachtet alles Geſchäftsdranges, auf das Zuvorkommendſte und Einnehmendſte in ſeinem Divan Khanée , oder Audienzzinimer. Mit jenem feinen Zartgefühl, das den gebildeten Morgenländer ſo ſehr auszeichnet, entließ er , mit Ausnahme einiger perſönlichen Freunde, die er uns als ſolche bezeichnete, alle andern Anwe
ſenden, damit unſere Unterhaltung ohne allen Zwang fein könnte. Nun feßten wir uns alle dem Range und der Reihe nach . Diener brachten Kaffee und Pfeifen , deren Mundſtüde mit koſtbaren Edelſteinen beſeßt waren , und während des Rauchens entſpann ſich, mit Halil's Hülfe, der mit gefreuzten Armen ehrfurchtsvoll mitten im Zimmer ſtand, eine Art Unter
redung, die er hinüber und herüber beförderte. Dieſelbe war indeſſen höchſt mangelhaft und unbefriedigend, denn der Radi ſprach nur türkiſch, was gerade unſer Dragoman nicht vers ſtand. So bedurften wir zum Austauſche unſerer Gedanken
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zweier Dolmetſcher, von denen der eine das Türfiſiche ing Arabiſche überſeßte, der andere das Arabiſche uns auf italieniſch oder franzöſiſch mittheilte, und umgekehrt. Unter ſolchen Um ftånden hätte fich das Geſpräch nur höchft peinlich fortges
ſchleppt, wenn nicht einer von den Freunden unſers Wirthes der Noth würde abgeholfen haben. Es war ein reicher, ara
biſcher Kaufmann, der viel gereiſt war und viel gelernt hatte. Außerdem, daß er ſich des Türkiſchen und Arabiſchen , bei ſeinen Vermittlungsverſuchen zwiſchen dem Kadi und Halil
vollfommen mächtig erwies, ſprach er auch noch geläufig pere fiſch und hindoſtaniſch, und da er indeſſen ausfindig gemacht
hatte, daß wir von Indien famen, redete er uns in beiden leşteren Sprachen an , worin ihm zwei aus unſerer Geſell ſchaft mit Geläufigfeit antworteten . Dieſe Entdeckung verur ſachte bei allen die angenehmſte Ueberraſchung. Nur der auf ſeine Sprachfenntniſſe ſonſt ein Fichtliches Vertrauen hegende
Halil ſtand verwirrt da und zog ſich in alier Stille in einen ent fernten Winfel zurüd. Seine anerkannte Ehrlichkeit und Treue ließ uns einiges Mitleiden mit ſeiner Beſchäniung empfinden. Der tadi von Gairo ift
Dank den unheilsvollen Ein
miſchungen der europäiſchen Diplomatie, die es dahin gebracht hat, Aegypten aus dem Unterthanenverbande der Pforte faſt gänzlid, loszureißen - der einzige Beamte in jenem Lande, über den der Sultan noch unmittelbar zu verfügen hat. Der
felbe iſt daher ſtets ein Türfe, wird jedes Jahr aufs Neue von dem Großherrn ernannt und, init deſſen Firman verſehen ,
von Konſtantinopel nach Cairo geſchickt, wo er eine von den dortigen Landesbehörden durchaus unabhängige Stellung ein nimmt, die er bis zu der Ankunft ſeines Nachfolgers bekleidet. Auf dieſe Weiſe werden dem oberſten Richter, fo viel man
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ihm auch an Ort und Stelle, namentlich von den Franfen , Böſes nachſagen hört, jedenfalls die Mittel verliehen, die Geſeße unpartheiiſch zu verwalten, zu deren pünktlicher An wendung die weiſe Einfachheit des morgenländiſchen Gerichts verfahrens nicht wenig beiträgt. Die Auslegung der Gefeße, welche noch, ganz in ihrer hergebrachten Urſprünglichkeit, auf den geſunden Grundſäßen der alten Zeiten beruht, iſt natürlich, einfach und nicht zu verdrehen, und die Vollziehung der ihnen gemäß erlaſſenen Urtheile unmittelbar. So nachtheilige Folgen ein ſolcher Zuſtand im Einzelnen auch wohl mitunter nach ſich ziehen kann, ſo heilſam iſt dennoch ſeine Wirkung im Ganzen, was unter andern daraus hervorgeht, daß Prozeſſe im Orient etwas beinahe Unerhörtes ſind. Ueber dem traulichen Geſpräche mit dem Radi, der die äußerſte Anſpruchsloſigkeit des Benehmens mit einer würdes vollen Haltung ſo gut zu vereinigen wußte, daß er unſere aufrichtige Achtung ſchnell gewann , ſowie mit ſeinen liebens würdigen Freunden , verſtrich unbemerkt eine Stunde mit Schnelligkeit , und gerne hätten wir unſeren Beſuch noch ver längert , wenn er nicht genöthigt geweſen wäre , uns zu ent laſſen. Allerdings hätte der Effendi die laufenden Geſchäfte wahr
ſcheinlich noch etwas länger allein verwalten fönnen, aberein erſter Beſuch unſeres nur fürzlich aus der türkiſchen Hauptſtadt an gelangten Wirthes, den der Paſcha von ihm beim Antritt
ſeines neuen Amtes erwartete , war nicht auszuſeßen. Er lud uns ein, zu warten, um ihn, wenn es uns geftele, im feſtlichen Aufzug nach der Citadelle reiten zu ſehen. Wir er
klärten uns dazu bereit und kehrten in den Hof zurüd, dem Schauſpiel beizuwohnen. Kaum ließ fich unſer Freund wiedererkennen, ſo verändert war ſeine Geſtalt und ſein Auftreten, als er im Staatsanzuge
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mit unverhohlenem Selbſtgefallen die Treppe herunterſchritt.
Er trug einen weiten Rafthan von ſcharlachrothem Tuche, einen
in zierlichen Falten ſorgſam ums Haupt geſchlungenen Turban vom feinſten , weißen Neffeltuch und war mit ſeinem foſtbaren Prachtfäbel umgürtet. Eine Anzahl bärtiger , vom Kopf bis zu den Füßen bewaffneter Cawaſſe bildeten, dem unteren Ende
der Treppe gegenüber, wo ein hübſches, arabiſches Pferd, auf das Prachtvollſte gezäumt , bereit ſtand, einen Halbfreis, innerhalb deffen fich das Gefolge zum Abzuge ordnete. Als der Kadi die unteren Stufen erreichte, ſtand er einen Augen blid ſtille und ſah uns wohlgefällig an , während die geſamm ten Tawaſſe und Diener einen tiefen Temenazeh madyten und
dabei „ Heil ſei dir“ auf arabiſch ausriefen. Dann beſtieg er ſein Pferd, wobei ihm der Effendi mit tiefer Ehrerbietung den Steigbügel hielt, und der Zug ſeßte ſich in Bewegung. Alle Begleiter waren zu Fuß ; voran liefen einige, um Plaß zu machen, die wir für eine Art Herolde nahmen, dann folgte der Großwürdenträger, umgeben von Tſchiboufjis mit den langen Jasmin- und Kirſchröhren in ſchwarzen Tuchüberzügen, dann
famen Brieftaſchenträger nebſt andern Dienern, und den Schluß machten die Cawaſſe. Das Volt begrüßte ſeinen neuen Richter
mit der größten Achtung, und überhäufte ihn dafür, daß ſeine Begleiter kleine Münzen unter die Menge warfen, mit Segens : wünſchen.
Duomauder , fänder des Oftens Il .
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III .
Außer den vielen andern Vorzügen und Reizen , deren fich Cairo zu rühmen hat, beſißt es auch einen reichen Schas der ſchönſten und merkwürdigſten Gebäude. An Grabes- und Gebets-Mosfeen giebt es dort allein über 400, während die Zahl der Kuppeln und Minarete weit über 1000 beträgt. Als Stadt iſt es daher einzig in ſeiner Art. „ Cairo,“ ſagt Herr von Profeſch, wift Kaiſerſtadt, Fürſtenſiß, zwiſchen Wüfte - und Wüſte geklemmt , ganz aus ſich herausgewachſen , ohne irgend eine Beimiſchung von Stoff, Zeichnung oder Farbe, welche der Einheit des Bildes ſchade; Cairo ift weder Europa, „noch Aften , noch gelungene oder mißlungene Nachbildung ..griechiſcher, römiſcher oder frånfiſcher Muſter; Cairo iſt Sa wrazenenwerk und nichts als das, wie das Münſter gothiſcher „ Bau in allen ſeinen Theilen iſt. *) Dieſe Schilderung iſt eben ſo wahr bezüglich jedes ein zelnen der dortigen Denkmäler, als treffend, was den allges
meinen Charakter der Khalifenſtadt anbelangt. Denn ob man dieſe Stadt in ihrer Geſammtheit, oder ihre verſchiedenen Theile und Gebäude für ſich betrachtet; fo vermag man bei Allem , was aus den Zeiten vor Mehemed-Ali ſtammt, kaum das Geringſte *) v. Prokeſch's Erinnerungen aus Aegypten und Kleinaſien, BD.I. S.48 .
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von jenem Gemiſch zu entdecen , welches faft an allen Drten
die reine Geſtalt des Schönen verdirbt und ſeinen Genuß verleidet.
Unter den vielen Mosfeen iſt diejenige des Ahmed - eben
Ô - Touloun , nach der des Amru bei Foſtat, eine der ins tereſſanteſten und an Schönheit der Bauart bemerfenswertheſten. Sie warb ums Jahr 879 n. Chr. , alſo 90 Jahre vor der
Entſtehung Neu- Cairo's auf Befehl des damaligen Beherrſchers von Aegypten erbaut. *) Sie fol eine gewiffe Aehnlichkeit mit der Kaaba in Meffha haben, weshalb ſie als vorzugs weife heilig gilt und auch für viele ſpäteren Mosfeen jum Mufter genommen wurde. Gegen den üblichen Gebrauch iſt die Wendeltreppe für den Muezzim um die Außenſeite des Minarets, ſtatt, wie überall ſonſt, in deſſen Junerem angelegt worden, welcher Um ſtand von einer zufälligen Laune des Ahmed-Ô-Touloun her rührt, der auch in andern Stücken ein ſeltſamer Mann geweſen ſein ſoll. Das Mauerwerf beſteht aus wagerecht über ein ander liegenden Schichten von abwechſelnd rothen und gelben
Steinen, wie man es öfters an den Bauten der Sarazenen ſieht, und iſt wahrſcheinlich eine Nachahmung der hel und
dunkel geſtreiften Zeltdecken, worunter ihre wandernden Vor fahren wohnten. Die äußere Geſtalt dieſes Gebäudes iſt ſehr
unregelmäßig , und da die Straßen in ſeiner Nähe alle vors -zugsweiſe eng ſind, und mehrere Häuſer fich theitweiſe daran anlehnen, fo wird man anfänglich über deſſen wahre Größe getäuſcht. Sobald man aber durch die an der Nordoſtſeite
neben dem Minaret befindliche Eingangspforte in das Innere * ) Sir Gardener Wilkinson's Thebes and modern Egypt, Vol. I. p. 230 f . 4*
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gelangt, ſchwinden alle nachtheiligen Eindrüđe, und man fühlt ſich unwillführlich wie in das Zeitalter der erſten Khalifen zurückverſeßt. Ein geräumiger Hof, der ungefähr 300 ' in's Geviert mißt, *) bildet die Mitte ; er iſt mit Quaderſteinen gepflaſtert und mit mehreren Brunnenkiosfen verſehen , aus denen unaufhörlich das friſche Waſſer hervorſprudelt.
Der
ſelbe iſt rings herum von einem Kreuzgang umſchloſſen, deſſen ſtattliches Ausſehen mit den zahlreichen, maſſenhaften Pfeilern
und den leicht darüber gewölbten Spißbögen, im Gegenſatz zu der unanſehnlichen Außenſeite des Gebäudes, eine um ſo
überraſchendere Wirkung hervorruft, die noch erhöht wird, wenn man in das Kaab “, oder eigentliche Heiligthum der Moskeen tritt, das an die der Stadt Mefkha zugekehrte Seite des Hofes grenzt. Dort befindet man ſich , im Vergleich zu dem außen herrſchenden grellen Tageslichte, in einem düſteren
Halbdunkel, das mit dem ftrengen Ernſte, durch den ſich hier Bauart und Verzierungen auszeichnen, im vollfommenſten Einklange ſteht. Das Raab, welches den Körper des Gebäudes
bildet, hat die Geſtalt eines Würfels, **) über den ſich eine hohe Spitfuppel wölbt. Der Fußboden , ſowie die Karnieſie und das Mahrab ſind mit ſchönem Moſaif aus weißen und rothen Steinen geſchmüct, welches nur einfache Arabesken figuren und fufiſche Inſchriften aus dem Koran darſtellt, aber dabei von der zierlichſten Arbeit iſt.
Ungeachtet ſeines hohen Alters und des gänzlichen Man gels an Ausbeſſerungen befinden ſich die meiſten Theile dieſes Gebäudes in einem merkwürdig wohl erhaltenen Zuſtande, * ) S. Fergusson's Illustrated handbook of Architecture, Vol. I. p. 389.
** ) Burckhardt's Travels in Arabia, Vol . I. p. 302. Das Wort „ Kaab “ bedeutet Würfel, wie „ cubus“ .
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und bis zur Stunde ſteht es faft noch unverleßt da , wie es
die Hand feines Erbauers vollendete. Beſonders das Innere des Kaab's verdient die Beachtung des Beſchauers; es ver einigt anſpruchsloſe Einfachheit mit edlen Formen und iſt auch eins der intereſſanteſten und ächteſten Muſterwerke, die der Schöpfungogeiſt der Sarazenen hinterlaſſen hat. TONS Die ſchönſte und größte der Mosfeen in Cairo iſt uns ftreitig die des ägyptiſchen Sultan Haſſan , oder die Jâma t- e-Sultan -Hassaun, wie fie an Ort und Stelle genannt wird. Sie iſt auch der Stolz der Bewohner Cairo's, und nicht mit Unrecht, denn ihre Geſtalt und Größenverhältniſſe ſind in der That Achtung gebietend. Obſchon fte am Fuß des Berges liegt, den die Citadelle frönt, ſo thürmt fich ihr ſchlanker Bau
doch zu einer faſt gleichen Höhe empor. Dabei iſt derſelbe von einer ſolchen Feſtigkeit, daß ſchwere Geſchüße, die man bei einer Empörung in der Stadt auf die Spiße des 280' hohen
Hauptminarets ſchleppte und die Citadelle damit beſchoß, dort in folcher ficheren Cage ſtanden , wie auf dem Erds boden ; denn weder Schwere noch Erſchütterung durch die
Schüfle haben den geringſten Schaden verurſacht.*)
Der
ſonft ſo ruhige Sir Gardener Wilfinſon preiſt mit ungewohns
ter Wärme die edle Schönheit der Haſſanin ** ), und Herr von Profeſch lagt mit der ihm eigenen Begeiſterung: Thr ..Anblic ſpricht einen , wie die Romanze des Cid , wie ein „ Bild aus ſchönſter Ritterzeit an. Ihre mächtigen Maſſen
werfüllen die Seele mit Sicherheit, der hohe Schwung in ihrer Anlage und Zeichnung erregen dichteriſche Wärme und die „ vollendete Ausführung giebt wohlthätige Klarheit. $ *) v. Prokeſch a. a. D. S. 52. ** ) Thebes and modern Egypt. Vol . I. p. 235 .
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Einen ähnlichen Eindruck machte der Anblid dieſer Mosfee auch auf uns, der durch die eigenthümlichen Umſtände, die bei
unſerm erſtmaligen Beſuche hinzukamen , um ſo nachhaltiger wurde, und ſich unvergeßlicher in unſere Gemüther einprägte. Zur Stunde des Nachmittagsgebetes, als auf den Ruf des Muezzim von allen Seiten die gläubigen Moslim zur übli chen Andachtsverrichtung herbeiftrömten , gelangten wir vor dem Portale der Mosfee an und ſtiegen ab , um uns in das Innere zu begeben .
Uns Fremden aus dem Weſten wäre,
gerade zu einer ſolchen Stunde, der Zutritt ſchwerlich geſtattet worden, wenn wir dem Thürhüter nicht durch unſere Kafthans
und Turbane Adytung eingeflößt hätten. Wir mußten uns jedoch bequemen , über unſere fränkiſche Fußbekleidung große Strohpantoffeln, die in Menge vorräthig waren , überzuziehen , um durch unmittelbare Berührung unſerer Stiefel nicht das
Heiligthum der Verunreinigung auszuſeßen . So ſtand unſerm Eintritt nichts weiter im Wege und wir gingen, um niemand
zu ſtören, ganz behutſam in den bereits menſchenvollen Hof, wo wir durch das erhebendſte Schauſpiel, das uns je ver gönnt war zu erleben , überraſcht wurden. Hunderte von Menſchen, an Alter , Kleidung, Hautfarbe verſchieden, ſind in tiefſter Ruhe und Stille in dem großartigen Gebäude ver ſammelt und verrichten lautlos ihre Gebete mit Andacht und ge ziemender Würde. Man iſt von Ehrfurcht ergriffen, möchte hinſin ken und anbeten mit ihnen, ſo heilige Schauer durchzittern die Seele und machen die Kluft vergeſſen , die Chriſten von ihrer Religion trennt. Als die Zeit des Gebetes verfloffen war und die Fluth der Herbeigeſtrömten fich ſtille verlaufen hatte , wurden wir nicht geſtört, die einzelnen Theile des Gebäudes mit Muße zu betrachten. Dieſe Mosfee , die aus einer verhältnißmäßig
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ſpäten Zeit ftammt erbaut
fie wurde im 14ten Jahrhundert
unterſcheidet ſich in mehr als einer Beziehung von
ihren älteren Vorgängerinnen. Zwar find ihre einzelnen Theile in dem ächten und reinſten Style ausgeführt; da fie
aber nach einem ganz eigenthümlichen Plane angelegt wurde, To fehlen ihr der Säulengang und das eigentliche Raab.*) Anſtatt deſſen beſteht ſie aus einem offenen , viereckigen Hofe von 107 Länge auf 105' Breite , der ſo geſchickt mit Moſaik aus ſchönen , buntfarbigen Steinen gepflaſtert iſt, daß es den Anſchein hat , als ob er mit morgenländiſchen Teppichen bes legt ſei. An jeder der vier Seiten befindet fich da , wo ſonſt der Säulengang zu ſein pflegt, ein etwas kleineres , ebenfalls ſchön gepflaſtertes Vieredt, worüber ſich ein prachtvoller Spiß bogen von außerordentlicher Größe und Höhe, nach der Bin nenſeite zugekehrt , erhebt. Dieſe vier Seitenvertiefungen ſind wiederum von den maſſenhaften Außenwänden eingeſchloſſen,
welche die bedeutende Höhe von 108' erreichen.
Drei der
Bierede find von gleicher Größe , und die Bögen , die ſich
Darüber wölben , haben auf eine Höhe von 90' eine Breite von 46' ; das Viered an der Südſeite, in welchem ſich das gierliche Mahrab befindet, iſt aber beträchtlich größer, als die andern , und fein fühner Rieſenbogen umſpannt einen Raum von nicht weniger als 69' 5" Breite.**) Das Innere iſt an den Wänden , Deden , dem Fußboden mit dem reichſten Aras beskenſchmude ausgeſtattet, ohne jedoch im Geringſten überladen zu ſein. Von den Bögen hängen zahlreiche Lampen und Kron *) Das Grabmal des Sultans Haſſan hat allerdings die Geſtalt eines
Kaab und iſt von einer großen ſchönen Spikkuppel überdeckt; aber es bil det, ungeachtet es an der Südoſtſeite der Moskee liegt, ein beſonderes Ge bände jür ſich, das nach einem ganz anderen Plane ausgeführt worden iſt.
**) $. Fergusson a. a . O. p. 390 ff.
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leuchter an langen , metallenen Ketten , als Zierratħen , herab. Zwar geht der Haffanin jener ſtrenge Ernſt ab , den im Ins neren der älteren Mosfeen das düſtere Zwielicht hervorbringt ;
dafür bieten aber ihre außerordentlichen Größenverhältniſſe den reichlichſten Erſaß, die mit der fühnen Höhe und ſchwungvollen Leichtigkeit das Gepräge dauerhafter Feſtigkeit vereinen und ihr den wahren Charakter eines Denkmals geben.
Die
Die Moskee des Sultans Haſſan fteht aber in dieſer Hinſicht nicht allein da ; denn es liegt in den Bauten aus der Zeit der Khalifen eine ſolche Kühnheit des Geiſtes, und die Vollendung, womit fie ausgeführt ſind, beurfundet ein fo mächtiges Selbſtvertrauen , daß man von deren Erbauern bei nahe zu glauben geneigt wäre, fie hätten die Worte Montes
quieu's : „ Der Muth iſt das Bewußtſein der eigenen Kräfte“ , zum Wahlſpruch genommen. *) Es herrſcht überhaupt ein ſo
merkwürdig enger Zuſammenhang zwiſchen den Sarazenen und dem von ihnen hervorgebrachten Bauſtyl, daß man weder die einen, noch den andern, ihrem Weſen und Charakter nach verſtehen fönnte , ohne die eigenthümlichen Zeitverhältniſſe zu berüdſichtigen, aus denen beide hervorgegangen ſind. Denn die Baufunſt gehört nicht weniger den Umſtänden , als den
geiſtigen Anlagen eines Volfes, den Himmelsſtrichen, worun ..ter es lebt , dem Grund und Boden , den es bewohnt, wie , ſeinen Gebräuchen und ſeinem Glauben an. Die Kenntniſſe „ und der Geſchmad , wovon dieſelbe ausgeht , müſſen daher allumfaffend ſein , ſowie auch die Gewohnheiten , die ſte hers *) Dieſe Worte dürften aber keineswegs als eine Begriffsbeſtim mung des Wortes Muth angeſehen werden, ſondern nur ſo viel bedeuten, als : „ wer fich ſtark fühlt, iſt gewöhnlich unternehmender, als der Schwache; was mit der Eigenſchaft Muth in gar keiner nothwendigen Beziehung
ſteht; ſonſt würde ein körperlich Schwacher nie muthig , und ein Rieſen
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Borbringt.* )" Die Geſchichte der ganzen Welt enthält nichts, was der kurzen , aber glänzenden , Epiſode der Sarazenen an
Plößlichkeit der Erſcheinung , an Gewalt der Erſchütterungen , an Ausdehnung der Umwälzungen , und fohin an dramatiſchem Intereſſe gleich fömmt. Das Reich der Khalifen entſtand,
dehnte fich aus, glänzte und verfiel in einer ſo erſtaunlichen Kürze , daß es an die überraſchende Schnelligkeit gemahnt, mit der die Blumen des glüdlichen Arabiens und des Nils thals aufſprießen, blühen und verwelken. Es hatte fich zu raſch entwidelt, um auf die Dauer beſtehen zu können. A18,
nach Verlauf faum eines Jahrhunderts, feine, über die größere
Hälfte der damals bekannten Welt reichenden Provinzen den verſchiedenen Herrſchern von Samarkand, Bagdad, Damascus Cairo , Cordoba anheimfielen, ging mit der inneren Einheit auch ſeine Lebenskraft und ſeine Macht nach Außen verloren.
Nichtsdeſtoweniger hinterließ jene merkwürdige Weltbewegung auf alle davon ergriffen geweſenen Länder und Völfer eine
eben ſo mächtige, als nachhaltige Rückwirkung. Die Urſache dieſer feltfamen Erſcheinung liegt darin , daß die Sarazenen , obgleich fie fein beſtimmtes Volf waren , und dieſer Name
nur dazu dient, die aus allen Gegenden ſich immer zahlreicher um das Banner des Islam und der Khalifen zuſammenſchaaren ſtarker nie feig ſein können. Muthig iſt der Mann, den der ſo vollendet in der Form , als im Inhalte wahre Horaz in ſeiner Ode ( Odar. lib. III, 3.) „Justum ac tenacem propositi virum „Non civium ardor prava jubentium
„ Mente quatit solidâ Si fractus illabatur orbis , ,, Iinpaviduin ferient ruina e.
bezeichnet hat. *) D. Urquhart's Pillars of Hercules, Vol . II. p. 437.
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den Krieger , zum Unterſchied von ihren früheren Nameno: und Glaubensgenoſſen zu bezeichnen ; ſo findet man doch bei denſelben, trok ihrer bunten Zuſammenſepung, wegen der Ein heit ihrer Religion und der Gleichheit ihrer weltlichen Inte reſſen , auch eine ſeltene Einheit des Charakters. Anfangs war freilich das rein arabiſche Element bei den Anhängern des Propheten ausſchließlich vorwaltend, bald indeſſen geſellten ſich noch andere hinzu, und wie man der Reihe nach Syrer, Per fer, Inder, Aegypter, Mauren, Spanier, Byzantiner unterjocht und beſiegt werden ſteht, die alle vorher verſchiedene Sitten und Religionen gehabt , ſo entſtand dadurch nicht nur keine
Zwietracht und Verwirrung, ſondern das weiſe Verfahren der urſprünglich arabiſchen Eroberer , die den Beſiegten und Bes fehrten vollſtändige Gleichheit aller Rechte mit ſich ſelbſt einräumten , brachte jene wunderbare, und ſo wohl überein
ftimmende Verſchmelzung von Völferſchaften hervor , durch deren Einfluß alle Verhältniſſe des Drients umgeſtaltet wor den ſind, wie es unter andern auch die Denkmäler aus jener Zeit bezeugen . Die Baukunſt im Allgemeinen hat ſchon ſo lange beſtan den , als es menſchliche Wohnungen giebt. Anfangs wurde darin der Menſch nur durch die Nothwendigkeit geleitet, wozu ſich dann ſpäter das Streben nach Dauerhaftigkeit, Bequem lichkeit und Schönheit geſellte, wie 3. B. der urſprünglich als Altar auf dem Felde errichtete, rohe Stein zu den nachherigen prächtigen Tempeln den erſten Anlaß gegeben hat , und die einfache Hütte im Laufe der Zeiten zum Palaſte ausgebildet
worden iſt. Die fich folgenden Geſchlechter vervollfommneten die Werke der vorhergegangenen und fügten zu den bereits
Vorhandenen immer Neues hinzu , wobei ein jedes der ng von ihm errichteten Denkmälern wenigſtens immer etwas von feinen
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Eigenthümlichkeiten verlieh. Dieſein Umſtande verbanken die verſchiedenen Bauarten ihre Entſtehung.
Die Entwidelung einer jeden beſonderen Art der Bau funft beruht, wie dieſe ſelbſt, nicht ſo ſehr auf den Erfindung gen einzelner Menſchen , ſondern iſt vielmehr das allmälige
Erzeugniß eines ganzen Zeitalters , durch deſſen allgemeine Bedürfniffe fte hervorgerufen wird , worauf fich dann ihre
Eigenthümlichkeiten zu einer dem Geiſte deſſelben entſprechen den Vollkommenheit ausbilden. Deshalb herrſchte auch zwi ſchen dem Sarazeniſchen Bauſtyle und der Entſtehungsart, wie dem Charakter ſeiner Urheber die innigfte Verbindung, und er ging bis zu feiner ſpäteren Vollendung mit ihrem ge
ſchichtlichen Laufe Hand in Hand. Da die Sarazenen jedoch weder einer beſtimmten Race , noch einem beſonderen Volfe angehörten, ſo unterſchieden ſte ſich anfänglich durch feine ab
geſonderten Eigenthümlichkeiten von andern , und jene Bez geiſterung, die ſie eine Zeitlang ſo ſtark und unwiderſtehlich machte, hatte ihre Urſache lediglich in den geiſtigen Banden
der einmüthigſten Gemeinſchaft in Lehre und Glauben, welche fte wie einen Mann beſeelten. Es bedurfte daher auch eini ger Zeit , bevor die vorzugsweiſe geiſtige Einheit, ſo mächtig ſte fich auch auf andern Gebieten unmittelbar bethätigen mochte,
in den äußerlichen Formen von Gebäuden einen entſprechen den Ausdruck finden und ſich das anfängliche Gemiſch frem
der, widerſprechender Beſtandtheile zu einem übereinſtimmenden Ganzen verſchmelzen fonnte , woraus ſich dann erſt jener edle
charaktervolle Styl bildete, der in ſeiner Volkommenheit gleich ächt und unübertroffen in ſeiner Art geworden iſt. Das Ges präge der Einheit iſt daher der Grundzug dieſer in ihren ver
fchiedenen Theilen zugleich ſo reichen und mannigfaltigen Bauart geworden, und man vermag ihn , ungeachtet aller
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durch örtliche Einflüſſe erzeugten Abweichungen , ſei es in Afien, Afrika oder Europa, ſelbſt dort überall mehr oder mins
der deutlich wiederzuerkennen, wo dieſelbe weder den Höhe punkt ihrer Vollendung erreicht, noch fich von den fremden
Beimiſchungen anderer Bauarten frei erhalten hatte. Es giebt daher keine andern Denkmäler , die zugleich getreuere und lebendigere Abbilder ihres Zeitalters wären , und die ſowohl das Intereſſe des Künſtlers, als des Freundes der Geſchichte in einem höheren Grade verdienten.
Weil die Sarazenen den neueren Zeiten angehören, blieb ihnen verhältnißmäßig wenig zu ſchaffen übrig; aus dieſem Grunde befteht ihr Verdienſt für die Baukunft nicht ſowohl darin, daß fie etwas burdhaus Neues hervorgebracht, als viela mehr in der finnreichen und geſchmadvollen Weiſe, wie fte das Vorgefundene für ſich anzuwenden und zuſammenzuſtellen wußten. Dennoch war der Einfluß, den ſie auf die damalige Baukunft ausübten , nicht minder durchgreifend, ſowie die daraus entſtehenden Veränderungen nicht weniger groß , als die Umwälzungen , die ſie in den übrigen Verhältniſſen der Welt herbeiführten. Bei den Völfern des Alterthums, die meiſtens nach rechs
ten Winfeln bauten , nahmen der Bogen und das Gewölbe nur eine untergeordnete Stellung ein, und ſowohl die Griechen, als auch die Römer bedienten ſich der Säule und des Archis
travs als der vorherrſchenden Hauptbeſtandtheile ihrer Ges bäude. Bei den Sarazenen war das Umgekehrte der Fall ; fte benußten die Säule nur da, wo es eines Stüßpunftes bes
durfte, zum untergeordneten Zweck eines Strebepfeilers ; das Architrav bildeten ſie zum Bogen aus , ben ſie in den man: nigfaltigften Formen und Zuſammenſtellungen verwendeten , und das Gewölbe erlangte durch fte in der Ruppel, die bei ihnen
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immer ganz rund oder etwas zugeſpißt war , ſeine höchſte Volfоmmenheit.*) Dieſe Neuerungen wurden nicht blos in alle Länder Aftens und Afrikas, ſoweit der 38lam vordrang, eingeführt, ſondern verbreiteten ſich auch durch die Norman:
nen über Sicilien bis ins nördliche Europa zu den gothiſchen Völkern , von denen ſie angenommen worden und mit ver ſchiedenen Abänderungen noch bis auf die Gegenwart in Kir: chen und Schlöſſern beibehalten ſind.** )
Die natürliche Beſchaffenheit und das Klima der Länder, die das Reich der Khalifen umfaßte, übte keinen geringen Ein fluß auf die Bauart der Sarazenen aus, und manche Eigen
thümlichkeiten darin, die ſpäter allgemein gebräuchlid, wurden, rührten Anfangs von rein örtlichen Urſachen her. Da die Völker der gemäßigten Himmelsſtriche viel mehr im Freien leben, als die des Südens, fo trachten ſte, auch von Außen ihren Bau werfen Schönheit zu verleihen, legen viel Werth auf die Regel mäßigkeit äußerer Formen und ſuchen denſelben durch gefün ſtelte Verzierungen mehr Ausdruck zu geben. Bei den Bes
wohnern der wärmeren Länder hingegen , welche den größten Theil des Tages in ihren Häuſern zuzubringen pflegen , fommt es beſonders darauf an , Schatten und Kühle zu gewinnen , ſowie Alles im Innern möglichſt bequem und geſchmackvoll ein zurichten , während die Außenſeite häufig von einer Schmud * ) Die Tat-e-Kesrah bei Kteſiphon in Meſopotamien war darin ihr erſtes Vorbild und nicht die Sophien -Kirche in Konſtantinopel, wie ge wöhnlich behauptet wird . Erſteres Gebäude war der Palaſt der Saſſaniden : Röntge von Perfien .
** ) Ce sont les Arabes qui ont inventé le genre d'Architecture que nous appelons gothique; ce nom lui a été donné parceque nos
pères ont appris à le connaître dans la partie de l'Espagne qui était sous la domination des Visigothes. J. de Muller, Histoire universelle, Vol. II. p. 258 ff.
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loſtgkeit iſt, die an Vernachläſſigung ſtreift. In Folge deffen ſind die einzelnen Theile der Gebäude gewöhnlich nach außen höchft unregelmäßig , die Wände meiſtens fahl und die Ein
förmigkeit ihrer großen Flächen wird faum durch eine ſehr geringe Zahl fleiner Fenſter und Thüren unterbrochen. Die äußere Schönheit bei der Sarazeniſchen Bauart beruht nicht, wie z . B. bei der Gothiſchen und Normanniſchen , auf der
ſtrengen Befolgung vorgeſchriebener Regeln und der genauen Beobachtung muſterhafter Verhältniſſe ; denn wo ſie ſich fins det, da iſt fte unberechnet, willführlich, man möchte faft ſagen , zufällig. Um deſto maleriſcher iſt aber ihre Einwirkung, fei es nun , daß fie in der vereinzelten kleinen Moskee eines ab
geſchiedenen Gebirgsdorfes, oder in dem Heere der Kuppeln, Erfer, Zinnen, Minarete einer großen Stadt wie Cairo, ent gegentritt, wo , obgleich die Geſammtheit denſelben Charafter
hat , fein Bau dem andern an Geſtaltung oder Größe gleich, und Alles wie von dem launenhafteſten Zufalle durch einander geworfen zu ſein ſcheint.
f Nach der Eroberung Aegyptens und Mefopotamiens ers lernten die Anhänger Mahomeds dort die mathematiſchen Wiſſenſchaften, die in jenen Ländern zuerſt entſtanden waren, deren Kenntniß für die Baufunſt ſo weſentlich iſt, und mit
deren Hülfe ſie nicht allein in den Stand geſeßt wurden , die Geſtalt und Tragkraft des Bogens zu berechnen, ſowie den Schwerpunkt des Gewölbes und der Kuppeln genau zu be ſtimmen, ſondern deren Kenntniß ihnen auch noch in einer im
Algemeinen gleich ſchwer und gewagt zu ſein pflegt, den Ur
ſprung der verſchiedenen Erfindungen nachzuweiſen ; ſo läßt e $ fich doch mit Bezug auf die Art der Entſtehung und Ents widelung der Arabesken , wie der erhabenen Wandvers
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gierungen , mit verhältnißmäßiger Beſtimmtheit thun. Schon bei den heidniſchen Völfern des hohen Alterthums war es
üblich geweſen, die Einförmigkeit der Wandflächen durch Male reien oder Bildhauerarbeiten, die Götter, Menſchen, oder Thier geſtalten darſtellten , zu unterbrechen und gleichſam zu beleben . Die Sarazenen aber , die das Bedürfniß, ihre Gebäude durch
Wandverzierungen auszuſchmücken , in noch höherem Grade haben empfinden müſſen, da ſonſt, in Folge ihrer Bauart, das Innere zu ſchmucklos und düſter geweſen wäre, find durch die Vorurtheile der Lehre ihres Propleten daran verhindert worden ,
ſich jener Hülfsmittel zu bedienen. Zwar war ihnen das Nachbil
den und Darſtellen lebender Weſen der Schöpfung im Koran nicht ausdrücklich, wie den Juden in den Moſaiſchen Gefeßen, ver: boten. Da Mahomeð es jedoch in ſeinen Traditionen als eine mißbräuchliche Nachahmung der Heiden bezeichnet
hatte, ſo flößte dies den damals eifrigen Muſelmännern eine hinlänglich ſtarke Abneigung ein, dieſelben , wenigſtens während des erſten Jahrhunderts nach der Hegira, nicht zu gebrauchen .*) Mit der Geometrie erlernten fie aber die Flächeneintheilung, ſowie die vielfachſte Zuſammenſtellung der verſchiedenen Linien, wodurch ſie jene finnreichen Figuren zu bilden vermochten , deren Erfindung ihnen ein reichliches Erſaßmittel für die ver
ſchmähten , heidniſchen Verzierungen bot, und die, wegen ihrer beſonderen Eigenthümlichkeit, einen der ſchönſten und charakter voliften Züge ihres Bauſchmuckes ausmachen. Die Arabesken find gleichſam das Feſtkleid der Sarazeniſchen Gebäude und
verhalten ſich zu ihrem Styl, wie die Dichkunſt zur Proja; *) Dieſer Gebrauch iſt erſt bei den Denkmälern ſpäterer Zeiten , wie 2. B. der Alhambra u . a . m . wieder eingeführt worden .
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denn ſie ſind voll der reichſten Erfindungsfraft, wie der an Willkühr grenzenden Freiheit des Gedankens, vereinigen aber
mit dem unerſchöpflichſten Reichthum an Formenwechſel eine genaue und übereinſtimmende Regelmäßigkeit in deren plan mäßiger Anlage. Nicht minder ſchön , als die Arabesfen, zeichnen ſich die tropfſteinartig von den Geſimſen und an den Strebepfeilern herabhängenden Pendentiv - Verzierungen aus, und das Trallenwerk, das mit der fünſtlich verſchlungenen
Zartheit eines Spinnengewebes die Fenſteröffnungen über ſpannt, bildet wahre Muſterſtüde an Geſchmad und Arbeit. Namentlich bei den Gebäuden , die aus der beſten und rein
ſten Zeit erhalten ſind, greift das Verhältniß des Baues und der Verzierungen ſo vollfommen in einander , daß man die
Geſammtwirkung nicht genug zu bewundern vermag , in der fich dauerhafte Feſtigkeit, Kühnheit der Formen und ſorgfäl tige Ausführung bis ins Kleinſte ausſpricht. Kurz , die Sarazenen bauten wie Rieſen und vollendeten ihre Arbeit wie Goldſchmiede,* )" und die von ihrer Meiſterhand zurück gelaſſenen Denkmale liefern den ſchönen Beweis , weſſen der menſchliche Geiſt fähig iſt, wenn ſeine von Begeiſterung an gefeuerte Einbildungsfraft durch Gefeße und Regeln fo ge zügelt wird, daß ſie nicht in urtheilsloſe Leidenſchaft ausartet.
Der Sarazeniſche Bauſtyl iſt ein getreues Abbild ſeiner Ur heber , und wie ſie unter den übrigen Menſchengeſchlechtern
daſtehen , ſo hat auch er ſeinen Plaß auf ſeine Weiſe in der allgemeinen Entwickelung der Baufunft eingenommen. Beide gehören weder der Neuzeit noch dem Alterthum an , ſondern *) Bishop Heber's Journal of a tour through the upper provin ces of India, Vol. II. p . 308.
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find ein Zwiſchenſpiel in der Geſchichte der Menſchheit, das ein ganz für ſich abgeſchloſſenes Drama bildet. Deffen Hel den waren die Ritter des Morgenlandes ; denn, wie der Weſten fich eines Richard Löwenherz, eines Bayard , eines Tancred zu rühmen hat , ſo fann der Dſten einen Khaleb, einen El-Ghori, einen Saladin in ſeinen Reihen aufweiſen , von deren Geiſt die Denkmäler Cairo's das beredteſte Zeugniß ablegen.
Onomander , Länder des Dſtens II.
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IV.
Eines Nachmittago, als unſere kleine Geſellſchaft, von einem Ritte aus der öſtlichen Wüſte heimkehrend, über die nördlichen Vorhöhen des Mofattam zu den Gräbern der
Khalifen hinabſtieg, traten uns ganz beſonders ſchön und er haben, vom jenſeitigen Nilufer herüber, die Pyramiden vor die Augen. Dies veranlaßte uns zu dem Entſchluſſe, dieſelben gleich am folgenden Tage zu beſuchen. Der Abend verſtrich dieſes mal nicht, wie gewöhnlich , in Ruhe und gemüthlichen Plaudereien über die Erlebniſſe des Tages ; fondern Ale waren
in jenem aufgeregten Zuſtande geſpannter Erwartung , der in den meiſten Fällen einer jeden Unternehmung, ob wichtig oder
geringfügig, vorauszugehen pflegt. Da die unſrige eine der unweſentlichſten Art war, ſo mußte ihr, naturgemäß, die möglichſt größte Bedeutung beigemeſſen werden. Es gelang uns auch über alle Erwartung , die ganze Herberge in Auf regung zu verſeßen. Pläne und Vorſchläge wurden gemacht, Rath geholt und ertheilt , Vorbereitungen getroffen , und das Alles mit ſo gefliſſentlichem Ernſt, als hätte es ſich um nichts Geringeres, als eine Pilgerfahrt nach Meffha gehandelt. Zum
Glück ließen ſich aber weder Halil, noch der Wirth , durch unſere heilloſen Beſtrebungen irre machen, und am nächſten
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Morgen bei Sonnenaufgang waren die nöthigen Vorbereis tungen, wider allen Anſchein, bereits ſo weit gediehen, daß der baldige Aufbruch zu erwarten ſtand. Die Rarawane , - als ſolche ließ fich unſer Zug aller dings bezeichnen war mit allen erdenklichen Dingen vers
ſehen, deren man nur zu einem zweitägigen Wüſtenleben möglicher Weiſe bedürfen konnte. Sie beſtand aus fünf Reifenden, einem europäiſchen Bedienten, zwei Dragomanen und einigen Saïſſen. Wir ritten alleſammt auf Eſeln ; nur einer hatte , Krankheits halber und aus Bequemlichkeit, vors gezogen , ſich in einem zwiſchen zwei Eſeln hängenden Trag feffel fortſchaffen zu laſſen , der von dem erfinderiſchen Halil eigens zu dieſem Zwede hergerichtet worden war. Dieſer Reiſelehnſtuhl erregte überall Aufſehen und gab unterwegs zu vieler Heiterkeit Anlaß. Das nomadiſche Element war durch ein Kameel vertreten, welches ein Zelt, ſowie Rochgeſchirre und Mundvorräthe trug.
Als um etwa 5 Uhr Morgens fich dieſer Zug über den Esbeliéh langſam in Bewegung reßte, glaubten wir ſchon, neben den hoffnungsvollen Ausſichten, die ſich mit Bezug auf den günſtigen Ausgang des Unternehmens vor uns aufthaten, einen nicht üblen Vorſchmad von den Reizen des ebenſo
dichteriſchen , als unabhängigen Nomadenlebens im Morgen lande zu verſpüren . Wir waren jedoch etwas zu voreilig in unſeren Vorausſegungen. Denn ſoll dieſe vielfach geprieſene Art des Daſeins wirklichen Genuß gewähren, ſo iſt es nöthig, fte
vorerſt förmlich zu erlernen , da derjenige, welcher nicht wenigſtens einigermaßen durch Erfahrung mit dem Wanders leben in der Wüſte vertraut iſt, deſſen wahrhaft gute Seiten
niemals zu ſchäßen vermag, da er, in Folge ſeiner Unerfahren heit, bei jedem Schritte, anſtatt den erwarteten Annehmlich 5*
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feiten zu begegnen , ſich nur in die allerunangenehmſte Hülf loſigkeit verſeßt ſehen wird.
Der Morgen war ſo günſtig, wie nur immer möglich. Außer der angenehmen Friſche befeuchtete auch ein leichter Regenſchauer, deren in Cairo während des ganzen Jahres nur höchſtens drei bis vier vorfommen ſollen, den Boden
hinlänglich, um den leidigen Staub augenbliclich, wenigſtens auf der Straße nach Foſtat, zu legen, wo es unſere Abſicht
war, über den Fluß zu ſegen . Das iſt in Aegypten weder leicht noch angenehm , und läßt ſich nur ausnahmsweiſe ohne Zanf und Verwirrung bewerfſtelligen. Die Fähren zu Foſtat ſind klein und unbequem , und werden noch dazu mit merf
würdiger Ungeſchidlichkeit gelenft. Da wir gerade am Schluſſe des Frühmarftes eintrafen , ſo war der Andrang der Felahs,
die ſich einfanden, um, nach Verkauf ihrer Früchte und Gemüſe, auch über den Fluß zu ſeßen, auf dem Einſchiffungsplaße ſo ſtarf, daß man ſich um die Wette ſchob und herumſtieß, wer
zuerſt in ein Boot gelangen könnte, ſo daß Menſchen, Eſel, Kameel und ſelbſt Schafe in wilder Unordnung durch einander liefen. Während ein Jeder nur darnach ſtrebte, ſich einen Plaß zu verſchaffen, wurden wir getrennt und mußten in zwei verſchiedenen Fahrzeugen überſeßen , wovon das eine noch obendrein auf einer ſchlammigen Untiefe fißen blieb , von wo
man freilich ohne große Schwierigkeit, indeſſen nicht „ trođenen Fußes«, das Land erreichen fonnte. Dies war das erſte der kleinen Abentheuer , die uns auf Dem Wege nach der Wüſte bevorſtanden. Wenn ſie aber ein
ſo gutes Ende nehmen, wie unſere Ueberfahrt, fo tragen fie
nicht wenig dazu bei, die Freuden eines ſolchen Ausfluges zu erhöhen.
Die Pyramidengruppe von Gizeh , welche aus denen
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Des Cheops, des Chephren und des Mykerinos beſteht, erhebt fich am Rande der weſtlichen Wüſte auf einer zwiſchen 30 und 40 Fuß hohen Felſenfläche, die ſich, nach Art einer
Halbinſel, gegen Südoſten vorſchiebt. Iſt der Nil am höchften, dann überfließt er fein ganzes Thal, wodurch die üppigen Fluren Wochen lang das Ausſehen eines ſumpfigen Sees er halten, aus welchem nur hin und wieder Dörfer oder Palmen: haine gleich eben ſo vielen Inſeln hervorragen. *) Gegen
wärtig war der Strom bereits größtentheils wieder in ſein eigentliches Bett zurückgetreten, aber alles fruchtbare Land, welches zwiſchen demſelben und dem Wüſtenrande liegt , war in Folge des darüber geſtandenen Waſſers noch vollkommen unwegſam. Wir mußten deshalb, anſtatt des geraden Weges, den man in der trockenen Jahreszeit einſchlagen kann, den unſrigen länge den ſchmalen und krummen Dämmen , die die
Felder trennen , mit nicht geringer Mühe und beträchtlichem Zeitaufwande ſuchen . Als die ,,Karawane" auf einem ſolchen Damme, der aus ſchlüpfrigem Lehm beſtand und einen breiten Waſſergraben an jeder Seite hatte, in einer langen Reihe dahinzog,
wurde die ziemlich gute Ordnung, in der wir uns fortbewegten, auf eine, wenigſtens für uns, komiſche Weiſe geſtört. Der Eſel des alten Reiſegefährten“ gerieth durch irgend ein Un geſchick in's Stolpern. Nach einigen Verſuchen, die Reiter
und Thier machten, ihr Gleichgewicht wieder herzuſtellen, über ſchlugen ſich beide und purzelten zuſammen in den Graben . Von dem verurſachten Geräuſche erſchreckt, wurden die beiden Efel, welche die Sänfte des fränkelnden Genoſſen trugen, ſcheu, warfen ihre Bürde um und zwar mit ſolcher, ob zufäl *) Herodot vergleicht deßhalb den Anblic des Nilthals während der
Ueberſchwemmungszeit mit dem Aegäiſchen Meere (Lib. II. 97 ).
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liger oder abſichtlicher, Geſchicklichkeit, daß der Kranke neben den Gefunden in den Schlamm zu liegen fam . Wir famen übrigens bei der Verwirrung, die aus dieſem Dreifalle ent ſtand, ohne weiteren Schaden weg, außer einiger Verzögerung ; denn wir fonnten den Kranken doch nicht fo in dem Graben
ohne Beiſtand liegen laſſen . Nachdem wir ihn heraus gezogen und nach beſten Kräften getrocknet hatten , wobei der lieben
Sonne ein gut Stüc Arbeit übrig blieb , fepten wir ihn in ſeinen wieder eingerichteten Tragſeſſel, den er nicht ohne einige Beſorgniß vor ähnlichen Ereigniſſen abermals einnahm. Da unterdeſſen der alte Freund und fein Efel, die an ſolche Vors kommenheiten ſchon gewöhnt zu ſein fchienen, fich ohne Hülfe wieder auf die Beine und bewegungsfertig gemacht hatten , fo ging es abermals von dannen. Nach einigen Stunden gelangten wir an einen fahrbaren Kanal und mietheten, um den Beſchwerden der bisherigen Art unſeres Fortfommens ein Ende zu machen , einen Kahn mit vier Fellahs , die uns bis an den Fuß der Pyramidenhöhe bringen ſollten . Während die „ Karawane" den Weg zu lande unter der Führung der Dragomane fortſeßte, beendigten wir dieſe binnenländiſche Schifffahrt und erreichten einige Stunden nach Mittag den Saum der lybiſchen Wüſte.
Es ſcheint fich faſt gar nichts von allem dem, was an dieſer Stelle des weſtlichen Nilufers dem Beſchauer entgegen
tritt, ungeachtet der verſtrichenen Jahrtauſende, geändert zu haben ; denn der Ort hat ſeine Eigenthümlichkeiten ſo wohl bewahrt, daß beinahe ſämmtliche, aus den verſchiedenſten Zeiten davon vorhandenen Beſchreibungen denſelben in der Weiſe ſchildern, wie, im Augemeinen, er noch heutzutage iſt. Diefen ſelben Eindruc machte auch auf uns der Anblidt der Lands ſchaft, ſowie alles deffen , was ſich darin regte, als wir neben
cas
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der großen Pyramide ftanden und zu den elenden Lehmhütten
von Gizeh mit dem dahinter gelegenen Schlachtfelde der Fran zoſen und Mameluken hinüber ſchauten, oder in's Nilthal hinabblickten, wo die Fellahs rings herum ihre Alecker und Pflanzungen noch in derſelben Weiſe und mit denſelben Ges råthſchaften bearbeiteten, wie ſie in den Wandgemälden der Tempel von Luror und starnak dargeſtellt ſind. *) Vergan genheit und Gegenwart ſind hier auf das Merkwürdigſte mit einander verſchmolzen; fie gleichen ſich ſo ſehr, daß man keinen Unterſchied und keine Grenze zwiſchen ihnen findet und es einem dünft , als ob man an dieſer Stelle alle Gedanfen an Zeit verlöre. Denn bei dem Betreten dieſer großen Grabes ſtätten wird einem , namentlich wenn man aus dem regen
Leben am jenſeitigen Flußufer herüberkommt, unwilführlich zu Muthe, als habe man , anſtatt des wirklichen Niles, den Acheron der alten Dichter im Nachen des Charon überſchifft und ſtände im Reiche der Schatten , durch das Bad in den Fluthen des
Lethe aller früheren Erinnerungen entledigt. Selbſt wenn es nicht ſchon befannt und nachgewieſen wäre, **) daß bei den Griechen die Sage über die Unterwelt und die Seelen der Verſtorbenen aus der Gegend von Memphis herſtammte, würde es einem jeden , der dieſe Stätte beſucht, einleuchtend werden müſſen, daß dort dieſelbe ihren Urſprung gehabt habe, ſo vollfommen iſt, bis in ihre Einzelheiten, wenn man ſie des
*) Wie wunderbar fich nicht blos dieſe allein noch von den ſieben Weltwundern übrig gebliebenen, ſondern auch ſo manche anderen, damit verknüpft geweſenen Dinge bisher erhalten haben, fiel uns auch daran auf, daß wir in einer ganz ähnlichen Weiſe von den aus den benachbarten Dörfern herbeigeeilten Fellahs um Bakſchiſch angebettelt wurden , wie einſt Strabo, der ſich ſchon ( Bch . 17 ) über dieſe Beläſtigung beſchwert. **) Savary's Lettres sur l'Egypte. Lettre XXI.
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dichteriſchen Gewandes entfleidet, deren Uebereinſtimmung mit den betreffenden Dertlichkeiten und ihrer vormaligen Beſtim mung. Was noch mehr zur Anregung ſolcher Gedanken beis trägt, iſt der Umſtand, daß der wunderbarſte Einklang, ia die größte Einheit des Charakters in den pharaoniſchen Dent mälern und ihrer ganzen Umgebung herrſcht, was ihnen das Ausſehen giebt, als befänden ſie ſich wirklich außer dem Bes reiche der Zeit. Dies übt einen ſo mächtigen Einfluß aus, daß, ungeachtet alles Irdiſche immer an die unſichere und kurze Dauer des Daſeins erinnert, das Wort Vergänglichkeit,
Angeſichts der Pyramiden ausgeſprochen, einen ganz fremden, ſeltſamen Klang hat. Es ſoll indeſſen nicht damit geſagt ſein, daß dieſe von Menſchenhand errichteten Steinhaufen zum Vors bilde der Ewigkeit dienen fönnten. Sie ſind im Laufe der Zeit entſtanden und werden mit der Zeit vergehen. Nur was vom Geiſte iſt, hat das Vorrecht, der Vergänglichkeit, über alle menſchliche Berechnung hinaus , zu widerſtehen und fort: zuwirken in ſeinen Folgen, unabſehbar, von Geſchlecht zu Ge ſchlecht, ſo lange es Menſchen geben wird. *) Als wir, nach kurzer Raſt, zur Beſichtigung der einzelnen Denkmäler ſchritten, trat uns auch hier, wie bei mancher ähn lichen Gelegenheit, auf eine höchſt peinliche Weiſe entgegen, daß die von eifrigen Alterthumsforſchern und leichtgläubigen
Schaßgräbern angerichteten Verwüſtungen alle Zerſtörungen *) In Gegenwart der Pyramiden drängte fich mir die Erinnerung an orazend ganz perſönliches : „Exegi monumentum aere perennius, Regalique situ pyramidum altius.“ Odar. III., 30.
ſo gewaltig in ſeiner allgemeinen Wahrheit auf, daß ich nur dieſer Erin : nerung den oben ausgeſprochenen Gedanken ſchuldig bin.
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der Zeit um Vieles übertreffen .
Die Gräber in der Nähe
der Pyramiden ſind von ihnen bis zu einem ſolchen Grab durchwühlt und geplündert worden, daß man fich, bei ihrer gegenwärtigen Entſtelltheit, nur einen höchſt unklaren Begriff von ihrer vormaligen Geſtaltung zu machen im Stande ift. Sie beſtehen jeßt in einer verworrenen Anzahl Schutthaufen, und die dazwiſchen liegenden, geöffneten Gräber ſind, in ihrem halb verſchütteten Zuſtande , Fallgruben nicht unähnlich, in welche man bei Unachtſamfeit gar leicht hineinſtürzen fann, wie das einigen von uns faſt geſchehen wäre. Dieſe nur in unmittelbarer Nähe bemerkbaren Spuren des Verfalles verliert
man aber bei dem Geſammtüberblid der ganzen Stätte aus den Augen. Denn die daneben ſtehenden Pyramiden ſind von .nah und fern gleich groß, und üben durch ihre rieſigen Ver hältniffe einen fo täuſchenden Einfluß aus, daß fie von jenſeit des Niles faſt ebenſo überwältigend vorkommen, als wenn
man an ihrem Fuße ſteht und zu ihnen empor ſchaut. Zum beften Beweiſe ihrer Maſſenhaftigkeit gereicht der Umſtand, daß ſich die Erbauer von Neu-Cairo ihrer häufig als Steins brüche bedienten , fowie daß aus den Quadern, namentlich der
Pyramide des Cheops, ein beträchtlicher Theil der großen Mosfee des .Sultan Haſſan erbaut worden iſt, ohne daß man an ihren Geſtalten dieſen Raub anders, als aus unmittel barfter Nähe zu erkennen vermag ; ſowie daß man von dem Gipfel dieſer leßteren eine ſo weite Ausſicht über das Nilthal,
das Delta und die anliegende Wüſte hat, daß einer der Freunde, der nichts weniger als ſchwärmeriſch iſt, allen Ernſtes behauptete, er fönne dieſe Fernficht nur mit derjenigen von den Vorbergen des Himalayah auf die Ebene Hinduſtan's vergleichen .
Nachdem wir dem Beiſpiele der meiſten andern Reiſenden
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gefolgt und Alles , was in unſerm Bereiche lag , durchſtöbert und erforſcht hatten , zog , nach noch einmaliger, furzer Raft, unſere nun wieder verſammelte
Karawane bei eintretender
Abenddämmerung nach Abouſſir ab, wo beſchloſſen worden war , die Nacht zuzubringen. Wir folgten einer Niederung, die fich in beinahe ſüdlicher Richtung von den Pyramiden von Gizeh zu denen des erwähnten Ortes hinzieht. Zur Rechten hat man den erhöhten Felſenrand, der die Wüſte vom Fluß thale fcheidet, zur Linken dehnten ſich die noch an mehreren Stellen überſchwemmten Getreide- und Zuckerrohrfelder hin.
So lange die Dämmerung anhielt, fonnten wir die Þy ramiden von Abouſſir in einer Entfernung von 7 ſtarfen engl. Meilen deutlich vor uns liegen ſehen ; als fie aber in der zunehmenden Dunkelheit aus dem Geſichte verſchwanden, verloren wir bald alle Merkmale der zu verfolgenden Richtung und befanden uns, obgleich nur am Saum der Wüſte, doch faft in einer eben ſolchen Rathloftgfeit, wie auf offenem Meere der Schiffer ohne Kompaß. Unſere augenblickliche Lage zwang dem Geiſte Betrachtungen auf über den wahrſcheinlichen Zu ſtand der Unglüdlichen, die ſich in den ſpurloſen Sandſtrecken
verloren haben . Ueberall, wohin der Blick fält, nichts als Kies oder Steinblöcke, die bei der Nacht alle die nämliche graue Farbe und denſelben todten Ausdruck haben. Die Wellen des Oceans bewegen fich doch noch und rauſchen, wenn auch eintönig ; die ſtarre, lebloſe Dede der Wüſte aber bleibt ſich immer gleich. Die ununterbrochene Stille wird auf die Länge ganz grauenhaft, und es läßt ſich wohl denken, daß die von Beſorgniſſen überſpannte Einbildungskraft des in einer ſo troſtloſen Gegend Verirrten ihn in jedem Steine ein Ge
ſpenſt erblicken, in jedem Windhauche die tonloſe Stimme
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eines böſen Geiftes hören läßt, bis endlich, vor Angſt und
Verzweiflung, ihn Wahnſinn überſchleicht. Wir befanden uns indeſſen nichts weniger als in Gefahr, denn wir brauchten nur mit einiger Behutſamkeit zu Werke zu gehen und es mußte uns gelingen , unſer Ziel früher oder ſpäter zu erreichen. Vorſichtshalber blieben wir dicht beiſam men und hielten uns in der Richtung der Ueberſchwemmung, bis wir in der Nähe des ärmlichen Dorfes Abouffir an langten . *)
Als wir , die Wüfte zur Rechten laffend, etwas mehr links in die fruchtbare Ebene des Nilthales hineinbogen, ſtieg der Mond über dem Mofattam auf und erleichterte uns die
Wahl und Einrichtung der Lagerſtätte, wobei Halils Geſchid lichkeit und Umſicht ſich auf das Glüdlichſte bewährten. Die Nacht war lieblich und der Ort reizend. Das Zelt wurde in einem kleinen Dattelhaine , nahe bei einer alten, ſchloßartigen Ruine , aufgeſchlagen, welche unmittelbar an einer weitausge dehnten Waſſerfläche lag, die ganz das Ausſehen eines See's hatte. Bald flacerte ein luſtiges Feuer, an dem unſere Mahl zeit zubereitet wurde , indeſſen wir uns auf die ausgebreiteten Seppiche und Polſter, mit denen unſer Kameel auch beladen geweſen, forglos hinſtreckten und von der Ermüdung des Tages gemüthlich ausruhten. Der Werth folcher Mußeſtunden wird nur erkannt und geſchäßt, wenn man ſie durch eigene An
ſtrengung ehrlich verdient hat. *) Dieſen Ort darf man nicht mit der früheren Stadt gleiches Nas mens verwechſeln , wo ſich der berühmte Tempel der Iſis, oder Ceres , be:
fand, und die weiter ſtromabwärts an dem Nilarm von Damiette, zwei
Stunden oberhalb des ießigen Dorfes Semennend lag. Plinius natur. hist. lib. 36. – Strabo lib. 17. - Herodot. lib. II, 59. 61. 165. — Savary , lettres sur l’Egypte, lettre XXII.
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Hier bedurfte es feiner Einbildungskraft, um die Reize des morgenländiſchen Wüſtenlebens zu erhöhen ; wir foſteten fie jeßt in ilirer ganzen Unmittelbarkeit und Friſche; dies war im wahren Sinne des Wortes „ Kieff “, jener unbeſchreiblich wonnige Zuſtand der Behaglichkeit, wo, nach einer nicht über : mäßigen Ermüdung , der Körper der Ruhe pflegt, und der Geift, aller Sorgen baar, in der ächten Stimmung iſt, mit
ſtiller Heiterkeit alles aufzufaffen und zu genießen , was von nah und fern, von geſtern wie heut , ihm entgegentritt oder an ihm vorüberſchwebt. Das Herz iſt leicht, die Gedanken frei und
dag Gemüth , in Bewunderung der Weisheit und Gnade des Schöpfers , erhebt ſich in aufrichtigem Danfgebete zu ihm empor , wenn auch unmächtig , ſeine Werfe , wie David und Hiob es fonnten, zu lobpreifen . Wir würden den zur Ruhe beſtimmten Theil der Nacht beſſer geſchlafen haben, wenn uns nicht die Schafale mit ihrem
unaufhörlichen Geheule ſo oft geſtört hätten. Mit Tages anbruch herrſchte deffenungeachtet ſchon wieder Regſamkeit im Lager. Alle Bewohner des naheliegenden Dorfes famen heran , einige vielleicht aus Neugierde , die meiſten aber wohl aus Gewinnſucht. Sie boten uns angebliche Alterthümer zum Verkaufe, denen man es jedoch auf den erſten Blic an ſah, daß fie nicht aus den Grabſtätten von Saffara, ſondern aus den Werfftätten der Bazars von Cairo herſtammten.
Einige Zeit ertrugen wir den Lärm und die Zudringlichkeit dieſer Menſchen, allmälig ward uns aber ihre Gegenwart zu ſtörend, und wir ſahen uns , zu einem Ausfalle genöthigt, um ſie aus unſerer Nähe zu vertreiben.
Von Abouſſir ging es zu den Katakomben von Saffara, welche die ausgedehnteften in Unterägypten find. Hier fan: den wir noch mehr Veranlaſſung, als bisher , die wahrhaft
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freventlichen Thaten zu bebauern , in denen gelehrte und un
wiffende Alterthumsforſcher mit einander zu wetteifern ſcheinen. Rein Volf der Erde hat ſeinen Todten ſo viel Ehre erwieſen und ſte mit folcher Umſorge beſtattet, als die alten Aegypter.
Um deſto ſchmählicher iſt es, zu ſehen, mit welcher Rüdſichts loſigkeit dieſe vormals ſo hochgeachteten Ueberreſte dahinge fchiedener Geſchlechter jeßt gemißhandelt werden.
Kaum hatten wir die ſandige Ebene, welche zidiſchen den Pyramiden von Abouſſir und denen von Daſchour gelegen iſt, erreicht, als uns ſchon wieder eine Schaar Fellahs be ſtürmte. Dieſe Hyänen in Menſchengeſtalt trugen , der eine einen Schädel, der andere eine einbalſamirte Hand, ein dritter das noch nicht lange einer Mumie abgeriſſene Bein mit einer Miene herum , als ſeien es nur Bruchſtüce von ſteinernen Bildfäulen geweſen. Ihre abgeſtumpfte Gleichgültigkeit ers höhte noch unſern Widerwillen bei dem Anblick dieſer fäuf lichen Probeſtücke menſchlicher Leichen. T4 Den Grabesfammern , die am Rande der Wüſte in die Felfen gehauen ſind, iſt es um nichts beſſer, als ihren ent weihten Inhabern ergangen. Ueberal fteht man an ihnen , nicht die Zerſtörungen der Zeit , ſondern des Meißels wiſſens ſchaftlicher Reiſender, welche, um des Verdienſtes willen, ihre Sammlungen durch eine oder die andere der an den Wänden
dieſer Todtenkammern befindlichen Figuren aus der Pharaonen zeit zu bereichern , in den meiſten Fällen ganze Wandgemälde und Sculpturen zu Grunde gerichtet haben.*) Unter den uns hier zum Verkaufe angebotenen , fterblichen Ueberreſten befan * ) Man erinnere fich nur , welches Schidfal dem l. g . Grabe des
Belzoni aus der Nähe von Theben zu Theil geworden iſt, deſſen Bruchſtücke
fich gegenwärtig, Dant dem Erhaltungseifer der Preuß. Expedition , im Berliner Muſeum befinden.
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den ſich nicht allein die von Menſchen, ſondern auch einbal famirte Hunde, Kaßen , Ibis und Ichneuinone, deren auch Herodot ſchon erwähnt.*)
Nachdem die Mehrzahl der zugänglichen Gruben und Kammern des großen Todtenfeldes von Saffara durchfrochen
waren , wobei uns mitunter vor Staub und Fadeldunſt der Athem auszugehen drohte , ſchickten wir uns an , der Stätte des alten Memphis , wenigſtens im Vorübergehen , ebenfalls unſern Beſuch abzuſtatten. Ehe wir aber dahin gelangten, brach der höchft nothdürftig ausgebefferte Lehnfefſel des fran fen Gefährten vollſtändig zuſammen, in Folge deſſen fich ders felbe, zu unſerm Leidweſen , von uns trennen mußte, da er es nach dieſem neuen Ungemach für rathſamer hielt, auf dem nächſten Wege nach Cairo zurückzukehren. Wir andern ritten hierauf unſers Weges weiter, nachdem wir zuvor noch ge ſehen , mit welch' gefliffentlicher Sorgfalt einige unſerer Spur gefolgte Wüſtenbewohner die Trümmer der Sänfte aufge leſen hatten. Entweder hielten fte dieſelben für von uns ver
lorene Alterthümer, oder auch erfannten fte ihren einzig wah ren Werth und nahmen fte zur Feuerung mit. Nach einiger Zeit erreichten wir den in einem hübſchen Palmenwalde gelegenen Ort Memph. Es iſt, wie Gizeh und Abouſfir , ein elendes Fellahdorf und errinnert bloß noch durch ſeinen Namen an das alte Memphis, deſſen Stelle es jeßt einnimmt. Obgleich die Lage der „ weißummauerten Königsſtadt“ durch das Zeugniß der zuverläſſigſten , geſchicht: lichen Nachrichten außer allem Zweifel nachgewieſen iſt, ſo hält es doch ſchwer, fich bei dem Anblid der ärmlichen Hüts ten davon zu überzeugen , daß fich hier vormals jene heiligen *) Serodot II, 67 .
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und berühmten Tempel der Göttin Paſcht, oder Bubaftis und
des Hepheistos erhoben , von denen Herodot nur mit from mer Scheu und ehrfurchtsvoller Bewunderung ſpricht. Aller dings iſt die foloſſale Bildſäule Rameſes des Zweiten, welche am Eingange des Tempels der Bubaftis geſtanden haben ſoll, noch iegt vorhanden. Sie ſteht aber nicht mehr aufrecht, ſon dern liegt umgeſtürzt in einer Vertiefung, die von der nur erft ſtattgehabten Ueberſchwemmung in eine ſchlammige Pfüße veriyandeit war, was uns daran hinderte, ſie zu ſehen. Dies ſcheint jedoch nicht allein mit der erwähnten Bildjäule der Fall zu ſein , da ſowohl die Beſchaffenheit des Ortes , wo Memphis lag, als auch die in den alten Schriftſtellern darüber vorhandenen Nachrichten es mehr, denn wahrſcheinlich machen, daß der Nil , bei ſeinem jährlichen Austreten , zu deſſen Ver
ſchwinden in ähnlicher Weiſe, wie der Flugſand der Wüſte, mit beigetragen hat , ſonſt müßten ſich von den großen und feften Gebäuden jener ausgedehnten Stadt weit mehr und andere Ueberreſte vorfinden , als man deren bisher nachzu
weiſen im Stande geweſen. Was ſollte aus den rieſigen
Felsblöcken geworden ſein, von denen wir nach Herodots Zeugniß* ) mit Beſtimmtheit wiſſen , daß fte zu den dortigen Bauten verwendet wurden, wenn ſie nicht durch die Einwir kung des Waſſers und des Windes im Schlamm und Sande ver
ſchüttet lägen ? Es iſt nur zu verwundern, daß trop der zahl reichen Gelehrten , die Aegypten bereift und durchforſcht haben,
bisher ſo wenig für die Zutageförderung der hier verborgenen Merkwürdigkeiten aus dem Alterthume geſchehen iſt, zumal
*) a . a . D.
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da Nachgrabungen an dieſer Stelle wegen der Weichheit des Bodens ohne Zweifel verhältniſmäßig leicht ſich würden be werfftelligen laſſen. Da bei der gänzlichen Abweſenheit aller Denkmäler, an denen es in Aegypten an berühmten Orten nur ausnahms
weiſe mangelt , die Beſichtigung ron Memphis , oder des Plaßes, wo es gelegen, bald beendigt war, und wir nach den Strapazen des Morgens einiger Erholung bedurften, ſo über ließen wir uns deſto bereitwilliger der Ruhe, die uns hin
reichende Muße gab , dieſe Stätte vergangener Größe mindes ſtens mit ſolchen Erinnerungen, als die Geſchichte darüber aufbewahrt hat, im Geifte zu beleben. Wie wenig werden es fich die Pharaonen vor Alters haben träumen laſſen , als fte, von aller Pracht umgeben, in
dieſer Hauptſtadt ihr glänzendes Hoflager hielten, daß Zeiten kommen würden , wo Reiſende, aus fernen Ländern angelangt,
vielleicht gerade an der Stelle, wo fte einſt in Paläften ges thront, neben erbärmlichen Lehmhütten auf nactem Boden im
Schatten von Palmbäumen fißend, ein beſcheidenes Mahl von
Brot und trockenen Datteln genöffen, ohne auch nur eine Spur der einſt vorhandenen Herrlichkeiten entdecken zu föns nen.* ). Welch ein Gegenſaß zwiſchen Gizeh und Memphis ! Dort , an der Ruheſtatt der Todten , ſtehen noch, wie zuvor, die himmelanſtrebenden Pyramiden ; hier, an dem Wohnorte der Lebenden, findet ſich alles todt und ſpurlos verſchwunden. Und doch liegen beide Orte ſo nahe beiſammen und waren , im
*) Seitdem hat Herr Marriat aus Paris die große Sphing- Allee, deren Strabo (lib. 17) erwähnt , unter dem Flugſande wieder aufgefunden und die jeßt im Louvre befindlichen Reſte des Serapeums ausgegraben.
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Laufe langer Zeiten, durch ſo manche Verhältniffe und Er. eigniffe auf das Vielfachſte mit einander verknüpft. In Memph verſchwanden, wegen jenes gänzlichen Man
gels an Anknüpfungspunkten, alle Vorſpiegelungen von den Sagen der Unterwelt, denen man auf den Mumienfeldern von Sakkara nachzuhängen nicht umhin fann. Es kam uns da her auch vor , wie wenn wir auf der Stätte von Memphis
hätten , ſo auffal-: die Vergangenheit hinter uns zurückgelaſſen That Unterſchied, lend war der als wir , nach unſerem Halte bei
Memph), in nordöſtlicher Richtung durch das Nitthal fort ritten , um eine weiter ſtromabwärts gelegene Ueberfahrtsſtelle
zu erreichen. Hier ſteht man nichts mehr von der Wüſte. Der Weg führt abwechſelnd zwiſchen Getreidefeldern und auß
gedehnten Baumgruppen gegen das linke Flußufer hin; überatt tritt die regſame Gegenwart in den angenehmſten Bildern ländlicher Saaten wieder entgegen. In dem üppigen Schlamme der noch zum Theil mit Waſſer bedeckten Felder wälzten große
Büffel ihre plumpen Körper mit augenſcheinlichem Behagen hernm , während an andern Stellen, wo der Boden bereits
zu trođnen anfing, das Landvolt, ſeine Aecker beſtellend, Saaten , die in Mais , Weizen und Gerſte beſtanden , aus : ſtreute oder Zuckerrohr ſchnitt. Der Acerbau in Aegypten ift
eben ſo einfach und leicht, als einträglich , denn , anſtatt, wie andersivo , zu pflügen und zu eggen, fået man blos, wie vor Alters , und treibt dann die Schweine darüber weg , um das Saatforn einzutreten . *)
Das Einzige , was Arbeit und Mühe erheiſcht, iſt die Bewäſſerung der Felder in der trockenen Jahreszeit, die mit Sorgfalt und Fleiß betrieben werden muß , um eine gute *) Herodot. lib . II, 14. Onomander , Länder des Dſtens I.
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Erndte zu erhalten. Im Gegenſaße zu der geringen Mühe, welche die Aegypter auf den Anbau ihrer Felder verwenden , fiel uns die Umſorge, mit welcher ſie die Zucht der Dattel palme betreiben , ganz beſonders auf. Dieſer Baum iſt für ſte allerdings, was das Kameel für den Wüſtenbewohner, indeſſen liegt die Haupturſache dieſer Pflege darin , daß ſeit der Regierung Mehemed Aly's von jeder einzelnen Dattel palme in Aegypten eine ſehr beträchtliche Steuer erhoben wird, wie es die Compagnie in Indien für die Kokuspalme thut. Wir ſahen die Fellahs einen jeden dieſer Bäume ſorgfältig reinigen , die trockene Rinde abſtreifen , ſowie die verkümmer ten Datteln und dürren Blätter abpflüden , damit alle Säfte
des Stammes den befſeren Früchten zuflöffen und dieſe eine um ſo vorzüglichere Güte erhielten. Troß dem, daß die Zucht der Dattelpalme durch die auf ihr laſtende Abgabe wahr
fcheinlich wird gewonnen haben, ſo hat dieſelbe doch nicht am
Wenigſten zu der großen Verarmung der heutigen Landesbe völkerung mit beigetragen, und man kann ſie wohl mit Recht als eine der drückendſten anſehen , welche die Beſteuerungs wuth des von ſeinen ehrgeizigen Plänen verblendeten Paſchas nur zu erfinden vermochte.
Außer dieſen Beſchäftigungen gaben ſich andere Leute, und darunter mehrere Frauen , dem Einernten und der Zubes reitung der Indigopflanze hin. Der hieſige Farbeſtoff ſteht aber dem indiſchen an Beſchaffenheit, wie an Zubereitung um
Vieles nach, wie einer der Gefährten behauptete, der ſelbſt große Indigopflanzungen in Bengalen beſaß und ſich durch deren Betrieb ein Vermögen erworben hatte.
Nach einem mehrſtündigen Ritte durch dieſe fruchtbaren Gefilde, am barkenbelebten Nile hin , gelangten wir an die
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Ueberfahrtsſtelle. An dieſem Tage waren wir glüdlicher, als an den vorhergehenden, da wir ſchnell und ohne Unfal das
jenſeitige, rechte Flußufer erreichten, von wo wir unſere Schritte wieder auf Cairo zulenkten und noch vor Abend, auf dem Wege, der durch das Bab -el- Nusr, oder Siegesthor führt,
nach glücklicher Beendigung unſeres, wenn auch kurzen ſo doch höchſt belohnenden Ausfluges, wohlerhalten anlangten.
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V.
Mit Napoleons Feldzug in Aegypten und den Gegen. unternehmungen der Engländer, die den bedrohlich werdenden
Einfluß ihrer Feinde überall und um jeden Preis , aber
beſonders im Morgenlande zu bekämpfen hatten , beginnt ein neuer Abſchnitt in der jüngſten Geſchichte dieſes Landes. Nachdem ſie es beide geräumt , erneuerten ſich mit der Rück
kehr der Mamelucen und der türkiſchen Paſchas die früheren Streitigkeiten um die oberſte Macht unter ihnen. Die nächſten Jahre verſtrichen in den Verſuchen der verſchiedenen Partheien, durch Lift und Gewaltthaten ihre Zwecke zu erreichen , ohne daß die wechſelnden Erfolge eine dauernde Entſcheidung herbei führten. Dieſer Zuſtand trauriger Gefeßloſigkeit würde noch
lange haben fortbeſtehen können, wenn ſich nicht eine Perſön lichkeit gezeigt hätte, deren Charakter und Befähigungen fie in den Stand ſeşte, fich, bei der allgemein herrſchenden Zwie tracht, zu einer einflußreichen Stellung emporzuarbeiten und dem Verlaufe der Ereigniſſe eine ganz neue Wendung zu geben.
Als Napoleon durch ſeine landung in Legypten der türkiſchen Oberherrſchaft über dieſes land ein Ende zu machen drohte , ſchickte die Pforte zu deſſen Vertheidigung die ihr damals zur Verfügung ſtehenden Truppen aus Albanien dahin.
Unter denſelben befanden ſich 300 Arnauten aus Macedonien,
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deren Anführer, ein junger Mann , der Sohn eines Schenks wirthes aus der kleinen Stadt Cavala, fich durch feine ges wandte Tapferkeit in der Landſchlacht von Aboufir vor Allen ausgezeichnet hatte. Dieſer junge Mann war Mehemed Aly. Er wußte ſich die Gunſt der türfiſchen Behörden zu erwerben,
die ihn, nach Abzug der Franzoſen und Engländer, mit ſeinen friegsgewohnten, muthigen Gefährten im Solde behielten, um
ſich ſeiner gegen die wieder auffommenden Mamelucken zu bedienen . Er fah nur zu gut ein, daß dies ein Weg fei, auf welchem er weiter vorwärts gelangen fönnte , und ver, ſäumte auch nicht, ihn mit orientaliſcher Geſchicklichkeit und behutſamer Ausdauer zu benußen , um nach einem Ziele zu
ſtreben, von welchem er in ſeiner Heimath fich wohl noch nichts hatte träumen laſſen.
Der Ehrgeizige hat das mit
dem Diebe gemein , daß beide die Gelegenheit, ohne alle weitere Rückſicht auf Göttliches und Menſchliches, ergreifen,
um zu dem zu gelangen, was ihre gierigen Blicke verſchlingen; aber die Handlungen des Ehrgeizes haben eine viel größere Tragweite und ſind mithin in ihren Folgen weit gefährlicher und für die menſchliche Geſellſchaft verderblicher. Mehemed Aly
hielt es bald mit den Paſcha's, bald mit den Bey's der Ma melucken , bis er beide Partheien ſo weit geſchwächt hatte,
daß fie ſich ſeiner Erhebung zur oberſten Gewalt des Landes, die er im Jahre 1805 bewerkſtelligte, auf feine Weiſe wider ſeßen fonnten . Damit die Thatſache den Anſchein des Rechtes habe, mußten ihn die Behörden von Cairo zum Paſcha von Aegypten ernennen. So hatte fein Chrgeiz in kurzer Zeit das Ziel erreicht, nach welchem feine fühnen Pläne hinge ſtrebt hatten. Aber im Orient iſt es leichter , eine hohe Staffel der Macht zu erklimmen , als ſich darauf zu erhalten
und zu befeſtigen. Es galt alſo für ihn darum , fich gegen
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innere und äußere Feinde zu ſchüßen. Die Mamelucen waren noch eine höchſt bedrohliche Macht, und der Pforte fonnte es einfallen, ſich unmittelbar in die inneren Angelegenheiten ihrer
Provinz zu miſchen , zwei Gefahren , die für den Empor. fömmling gleich groß waren , weil jede für ſich ihn um die Frucht ſeiner Mühen bringen fonnte.
Wie man die Pforte
zufrieden ſtellt, wußte er nur zu gut : er ſchickte die auferlegten
Abgaben mit höchſter Bereitwilligkeit nach Konſtantinopel ein und wußte ſich den Anſchein zu geben , als leiſte er allen , ihm von dorten zufommenden Befehlen den pünftlichften Ges
horſam . Der Mamelucen entledigte er ſich durch den ſo bes rüchtigten Verrath und die darauf erfolgende Niedermeßelung ihrer zu einem Feſte in die Citadelle von Cairo eingeladenen Bey'8 .* )
Von innen ohne Widerſacher, von der Pforte als ihr unterwürfiger Diener für den Augenblic nichts fürchtend, verwendete er alle feine unermüdliche Thätigkeit auf Aegypten, Nubien und Arabien, und ließ feine Gelegenheit unbenußt, ſeine Abſichten , ſich zum unumſchränften, von der Pforte uns abhängigen Herrn eines Theils ihrer Länder zu machen, beſtmöglichſt zu fördern. Der Krieg im Hedſchaz gab ihm den beſten Anlaß, fich der noch übrigen, ihm unbequem werden den albaneſiſchen Söldlinge zu entledigen und an ihrer Statt aus den fügſameren Fellahs ein regelmäßiges Heer nach europäiſchem Muſter zu bilden. Um ſich hierzu, ſowie zur Erbauung einer Kriegsflotte, die nöthigen Geldmittel zu vers ſchaffen, führte er, auch nach europäiſchem Schnitt, ein neues Handels- und Verwaltungsweſen ein, durch das er fich allers
dinge für die nächſte Zeit beträchtliche Hülfsmittel ſchuf, *) Den 11. März 1811 .
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welches aber in furzer Zeit das Land vollkommen ausſog und verarmte .
Obwohl die Pforte von Anfang an die ehrgeizigen Pläne Mehemed Aly's durchſchaut zu haben und ihre Förderung mit lebhafter Beſorgniß zu betrachten ſchien, ſo daß ſie nichts ſehnlicher wünſchen mochte , als ihn auf die eine oder andere Weiſe aus Aegypten zu entfernen ; ſo ſcheute ſie ſich doch bei ſeiner wachſenden Macht vor eirem offenen Bruche, wagte nicht ernſtlich durchzugreifen und ließ ihn ungeſtraft gewähren. Da brach im Jahre 1822 der Aufſtand der Griechen aus. Nachdem zwei Jahre lang verſchiedene Heere des Sultans gegen die Bewohner von Hellas und der Morea fruchtlos gefämpft, entſchloß fich die Pforte, den Paſcha von Aegypten
mit in den Krieg zu ziehen. Sie hoffte wohl, dadurch mehrere Abſichten zu erreichen , die Vermehrung ihrer unzureichenden Streitfräfte und in Folge deſſen Schwächung des wegen ſeiner
zweifelhaften Treue gefürchteten Unterthans , ſowie Störung oder wenigſtens Stilſtand in der ruhigen Verfolgung ſeines gefährlichen Vorhabens. Ibrahim Paſcha verließ Alerandrien
mit 60 Kriegs- und Laftſchiffen und einem regelmäßigen Heere von 17,000 Mann , um dem an ſeinen Vater ergangenen
Aufgebote Folge zu leiſten. Ein Theil der ägyptiſchen See macht ward in der Schlacht von Navarino vernichtet, und die Mehrzahl der Truppen fam durch Krankheiten um. Aber zum Lohne für ſeine Ergebenheit gegen den Sultan und als Erſaß für die ihm bei einer früheren Gelegenheit ab geſchlagene Bitte um eine Gebietsvergrößerung nach der Seite von Syrien hin , verlieh die Pforte Mehemed Aly'n
die Statthalterſchaft der Inſel Candia , deren Verwaltung 7,000,000 Piafter mehr an jährlichen Ausgaben foſtete, als fte
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einbrachte. * )
Der Paſcha von Aegypten beſaß aber eine zu
flare Einſicht in den wahren Stand der Verhältniſſe zwiſchen Alerandrien und Konſtantinopel, um ſich durch dieſen angeb lichen Beweis des großherrlichen Wohlwollens täuſchen zu laſſen .
Er nahm dieſe Auszeichnung als das an , wofür fte
beſtimmt war, und feßte die Vorbereitung der Mittel zur Ausführung ſeiner Pläne mit unermüdlichem Eifer fort , ſo daß bald wieder die geſchwächten Truppen und verbrannten Schiffe durch eine zahlreichere und beſſere Streitmacht zu lande und zur See ergänzt waren . Er ging dabei mit ſolcher Umſicht und Klugheit zu Werfe , daß es den Anſchein hatte,
als ſtrebe er nur nach Verbeſſerung der von ihm verwalteten Länder, wodurch es ihm gelang, die mißtrauiſche Pforte, deren Aufmerffamkeit und Beſorgniſje zit jener Zeit von vielen an deren Begebenheiten in Anſpruch genommen und abgelenft
wurden, über ſein wirkliches Vorhaben hinter's Licht zu führen, ſowie fich die wahre oder verſtellte Theilnahme und Bewun
derung vieler Männer in Europa zu erwerben. Unter dem Vorwande, daß er im Kampfe gegen die Griechen zu große Verlufte erlitten habe , enthielt er ſich in den Jahren 1828
und 1829 aller Hülfsleiſtung an den Sultan während des türkiſch - ruſſiſchen Krieges. Als dagegen bald nach dem Friedensſchluſſe von Adrianopel der Aufruhr in Albanien und Bosnien ausbrach, ſchickte er mit ſeinen Schiffen Geld an die
aufſtändiſchen Häuptlinge, um ihre Anhänger zu bewaffnen
*) Histoire de la guerre de Mehemed - Aly contre la Porte Otto
mane ( 1831 -- 1833) par M. M. Cadalvère et Barrault , p. 35. Ein guteg , wegen ſeiner Ausführlichkeit ſchäßbares und in mancher Beziehung juverläſſiges Buch, voll intereſſanter (Einzelheiten .
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und zu befolden .* ) In dem Verhältniſſe, wie fich die Kräfte der Türfei durch jene lange Reihe von Unglücksfällen , die während der zwanziger Jahre ununterbrochen auf einander folgten, erſchöpften , war die Macht des Baſchas von Aegypten
gewachſen. Seine großartigen Vorbereitungen rüdten der Vollendung entgegen. Es fehlte ihm jeßt nur noch die Ge legenheit , um allen Ernſtes feine lang gehegten Pläne in Ausführung zu bringen. Eine ſolche bot ſich ihm dann auch ſehr bald in Syrien dar , wo nach dem Beiſpiele anderer Theile des türkiſchen Reiches Unruhen ausbrachen, die, aller Wahrſcheinlichfeit nach,
ohne ernſtliche Folgen geblieben wären , wenn Mehemed Aly ſich nicht darein gemiſcht und die daraus erwachſenden Umſtände zu ſeinem Vortheil ausgebeutet hätte. So lange Syrien unter türkiſcher Oberherrſchaft geſtan den, iſt es zu allen Zeiten, wegen der außerordentlichen Ver: ſchiedenheit ſeiner Bevölferung, ein Heerd ſtürmiſcher Bewe gungen geweſen. Indeſſen hatten dieſe Unruhen und Kämpfe der verſchiedenen Partheien nie zu ernftlicheren Erſchütterungen geführt, da die Pforte den flugen Grundſaß befolgte, fich nicht unmittelbar darein zu miſchen , ſondern die Ereigniſſe ihrem freien Verlaufe zu überlaſſen.
Dieſes Benehmen fonnte die
Pforte, mit ihrer eigenthümlichen Verfaſſung, um ſo eher ohne weitere Gefährde innehalten , als in dieſen Streitigkeiten der verſchiedenen Häuptlinge und Stämme das Oberhoheitsrecht des Sultans nicht in Frage geſtellt wurde.
Auch begaben
ſtch, nach ausgefochtenen Händeln oder des Haders müde; die ſtreitenden Partheien bald wieder zur Ruhe. * ) Beſonders an Muſtapha Paſcha von Sfodra . D. Urquhart's Spirit of the East. Vol. II, Chap. XX.
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Nun war in Damaskus in Folge Gewaltmißbrauchs Des Paſchas eine Empörung ausgebrochen , und die reizbaren und freiheitliebenden Bewohner der heiligen Stadt hatten ihn entſeßt und ums Leben gebracht. Um dieſelbe Zeit erneuerte Abdallah , der Pafcha von
Acre, ein ſchlechter Mann ohne Charakter, feine mehrfach vers ſuchten Gewaltftreiche zum Zwede einer Gebietsvergrößerung
auf Unfoften ſeiner Nachbarn. Dieſe Ungerechtigkeiten brachten den ganzen Libanon in Aufregung. Die Pforte, ſo gerne fte diesmal von ihrem Grundſaße, oder vielmehr ihrer Gewohn
heit der Nichteinmiſchung abgegangen wäre , hatte nicht die nöthigen Mittel, der bedrücten Bevölkerung gegen die freche Anmaßung Abdallahs Schuß zu gewähren. Der Divan tröſtete ſich damit, daß in dieſen Unruhen, wie in allen früheren, die Zeit mehr thun werde für die Wiederherſtellung der Ruhe, als das Aufgebot ſämmtlicher benachbarter Paſchas mit ihren vereinten Streitkräften .
Als Abdallah durch die Eroberung der Feſte Sanour, in der Nähe von Naplouſe, feinen Anmaßungen die Krone aufgefeßt hatte, hielt der Paſcha von Aegypten den Zeitpunkt
zu entſchiedenem Auftreten endlich gefommen. Er erflärte fich, unter den jeßigen Umſtänden , gegen den Pafcha von Acre, für den er fich früher in Konſtantinopel verwendet und ſeine
Begnadigung vermittelft bedeutender Geldſummen erwirkt hatte, und ſtellte fich auf die Seite des Emir - Beſchir der Drufen, des vorzüglichſten Widerſachers Abdallahs. Durch dieſes fluge Benehmen wußte er fich den Anſchein zu geben, als ſei er der Beſchüßer der Unterdrüdten und der Vertreter der
arabiſchen Bevölferung, eine Rolle, die dem Sultan Machmud zugekommen wäre, die aber zu übernehmen die Pforte damals außer Stand war.
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Mehemed Aly ließ den Paſcha von Acre um die Auss lieferung mehrerer Fellahs angehen , die vor den gewaltſamen Aushebungen zum Kriegsdienſte nach Syrien entflohen waren ,
und forderte die Zurüderſtattung der für ſeine Begnadigung gezahlten Geldſummen . Abdallah fümmerten aber weder Vor ſtellungen noch Drohungen. Mehemed Aly, der dies erwartet
und gewünſcht haben mochte, wendete fich nun , um den Schein des Rechts auf ſeiner Seite zu haben , an die Pforte und ſuchte um die Erlaubniß an, ſeinen anmaßenden Nachbar mit den Waffen zu züchtigen. Seine Bitte fand aber in Konſtantinopel fein Gehör , und die abſchlägige Antwort enthielt unter andern den treffenden Grund, in Bezug auf die
flüchtigen Fellahs: „ Die arabiſchen Bauern ſind die Unter thanen des Reichs und nicht die Sklaven eines Veziers ; es ift ihnen erlaubt, fich hinzubegeben, wo es ihnen gut dünft. *)
2013; Die Weigerung der Pforte konnte den Entſchluß Mehes meds nicht erſchüttern ; er ließ unter der Anführung Ibrahim
und Soliman Paſchas **) ein regelmäßiges Heer nach Syrien abgehen. Ende Dftober 1831 überſchritt daſſelbe die Grenze Aegyptens , und ſchon einen Monat ſpäter war Abdalah in Acre eingeſchloſſen, wo er fich 6 Monate lang vertheidigte. .
Der Einfall des ägyptiſchen Heeres in Syrien gegen die
ausdrüdlichen Befehle der Pforte, und die darauf folgenden Ereigniſſe, ſo viel man auch daran flügeln und deuteln möge, fönnen vor der Vernunft und den in der Welt noch bis jeßt geltenden Rechtsgrundſäßen für nichts anderes gehalten werden, als eben ſo viele Handlungen und Beweiſe des offenen Auf ruhrs von Seiten Mehemed Aly’s gegen die landesherrlichen * ) Histoire de la guerre etc. p. 48.
**) Der vormalige franzöſiſche Obriſt Sêves.
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Dberhoheitsrechte des Sultans. Obwohl die ausgedehnten Rüftungen des Paſchas der tůrfiſchen Regierung nicht unbe fannt geblieben und ſchon ſeit Jahren die Pforte bei der wachſenden Macht ihres ſchlauen ; ehrgeizigen, raſtlos thätigen Lehnsträgers nicht ohne gegründete Beſorgniſſe war und fitch,
wenn ich ſo ſagen kann, auf einen Staatsſtreich gefaßt hielt ; ſo erregte doch jener entſcheidende Schritt, den er mit großem
Wagniß unternommen und mit vollkommenem Erfolge aus. zuführen drohte , eine eben ſo unerwartete Ueberraſchung, als
große Beſtürzung in Konſtantinopel. Wie man gewöhnlich an das Eintreffen eines lange vorausgeſehenen Unglüds ges rade dann am wenigſten zu denken pflegt, wann es eintritt; ſo hatte man ſich in der türfiſchen Hauptſtadt deſſen nichts weniger verſehen, daß der gefürchtete Paſcha die ſo lang und
geſchict getragene Maske gerade jeßt abwerfen würde. Er verdankte es ſeiner vieljährigen Erfahrung, daß er auch hier den richtigen Zeitpunkt zum Handeln gewählt, wo die Pforte für einen ſolchen Fall ganz unvorbereitet war. Ihre beſten Streitkräfte waren mit der Unterdrückung des Aufſtandes in Rumelien beſchäftigt, und die Bevölkerung der aftatiſchen Paſchaliks hatte ſich noch feineswegs von den verheerenden Wirkungen der blutigen Kämpfe des leßten Jahrzehends gegen
die griechiſche Empörung und im Kriege mit Rußland erholt. In einer ähnlichen Lage würde mancher andere Staat an feiner ferneren Fortdauer verzweifelt haben. So häufig man ſich aber auch in Europa der Verzweiflung hingeben mag, etwas ſo Ungewöhnliches iſt dieſes Gefühl im Charakter des
Morgenländers und ganz beſonders der Türfen. Denn ſie fennen nur Ergebung in das unvermeidliche Schidſal und beſigen damit eine unglaubliche Kraft und Ausbauer im Unglüc. Daher eilte die Pforte, ale fich die erſte Be
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ftürzung verloren hatte, mit jener ihr eigenthümlichen , uns Europäern unbegreiflichen, zähen Lebenskraft, fich aus ihrer Erſchöpfung aufjuraffen und die nöthigen Maßregeln gegen die drohende Gefahr zu ergreifen . Mit erſtaunlicher Schnellig
feit ward ein zahlreiches Heer aus den aftatiſchen Landſchaften verſammelt und nach der nördlichen Grenze Syriens geſendet. Anſtatt des damaligen Großveziers , der noch durch den Auf ſtand in Albanien beſchäftigt war, erhielt Huſſein Paſcha, der frühere Agas Paſcha und Vernichter der Sanitſcharen, darüber den Dberbefehl und warb zum Lohne ſeiner erprobten Treue
gegen den Sultan zum Sadrazem von Anatolien ernannt.* ) Dies geſchah den 14. März 1832 und ſchon den 17. April brach er mit einer Heeresabtheilung nach Koniéh, dem allge meinen Sammelplaße , auf. Zur ſelben Zeit erließ der Sultan
einen Firman und Fetweh **), der die Frevel Mehemed Alys
und deren baldige Beſtrafung bekannt machte.tiffi bisa Dies war der Schluß des Vorſpiele von Seiten der
Pforte, dem die Eröffnung des Feldzugs bald nachfolgte *** ). Man entſchloß fich in Konſtantinopel aber nicht eher zu dieſer äußerſten Maßregel , als bis alle andern Mittel, die Löſung der damaligen Verwickelungen auf eine weniger gewaltſame Art zu erreichen , verſucht und erſchöpft worden waren . Als Mehemed Aly den Krieg gegen Abdallah begonnen und
Ibrahim Paſcha bie Feſtung Acre fchon längere Zeit belagert hatte, ſchidte die türkiſche Regierung Nafif- Effendi in einer außerordentlichen Geſandtſchaft nach Alerandrien , um den Paſcha durch ernſtliche, aber doch gütige Vorſtellungen an die * ) Oberbefehlshaber , wird auch Serdari-edgem genannt. ***) Fetméh : Achtserklärung. *** ) Histoire de la graerre etc. chap. 2.
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Rüdfehr zu feiner Pflicht zu ermahnen. Es ward ihm ge boten , alle Feindſeligkeiten gegen Abdallah einzuſtellen, feinen Sohn Ibrahim mit dem Heere fofort zurückzurufen und ſich ferner nicht in die inneren Angelegenheiten Syriens einzu miſchen.1.
Bei ſeiner Ankunft in Alerandrien mußte Nafif
Effendi fich erſt einer Quarantaine von 30 Tagen unterziehen, ehe der Paſcha ihn vorlaſſen wollte. Dann wurden zwar die
Unterhandlungen angeknüpft, aber von ägyptiſcher Seite mit einer ſolchen Lauheit betrieben , daß nur Zeit darüber vers loren ging , bis der türkiſche Unterhändler , von der Frucht
loftgfeit ſeiner Beſtrebungen, bei der Hartnäckigkeit des Paſchas, überzeugt, unverrichteter Sache nach Konſtantinopel zurück
fehrte. Dieſer Verſuch einer gütlichen Ausgleichung hatte wenigſtens für die Pforte den einen Nußen, daß fie dadurch
über die wahre Sachlage enttäuſcht ward und, weil ſie ihre Gefahr beffer erfennen gelernt , mit Ergreifung geeigneter Gegenmaßregeln entſchloſſen auftreten konnte. Sie wußte nun
mit Gewißheit, daß es ſich um nichts Geringeres handle, als die Erhaltung Syriens, um deſſen Erwerbung willen Abdallah dem Paſcha von Aegypten einen Vorwand abgeben mußte. Deffenungeachtet zögerte ſie noch , den Krieg offen zu erflären und begnügte fich, während ſie ihre Streitkräfte fammelte, vorläufig damit , daß ſie den Osman Paſcha zum Statthalter von Tripoli ernannte. Dieſe Maßregel hatte eine gewiſſe Bedeutung , inſofern ſte, nach türkiſchem Gebrauche, dem Er nannten nicht blos das Recht einräumte, ſondern geradezu als
die am erſten zu erfüllende Pflicht auferlegte, ftch nöthigenfalls mit gewaffneter Hand in den Beſitz ſeiner neuen Würde zu feßen , jener Ort aber , deſſen Verwaltung früher Abdallah'n anvertraut geweſen , fich bereits in der Gewalt Ibrahim
Paſchas befand. Es war eine Art Einſprache gegen Alles,
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was ſich neuerdings in Syrien zugetragen , und ſollte als ein vorläufiger, warnender Beweis der tiefen Mißbilligung des Streites zwiſchen ihren beiden abtrünnigen Lehnsmännern gelten.
Mehr war für den Augenblid nicht zu thun ; denn
wie die Umſtände damals lagen, wäre es aus Staatsgründen weder räthlich, noch flug geweſen, in irgend einer Weiſe auf die weitergehenden Pläne Mehemed Aly’s ausdrückliche Rüd ficht zu nehmen und ihrer irgend wie amtlich zu erwähnen. Als aber auch dieſer drohende Wint ſeine Wirkung verfehlte, und der Paſcha noch unverholener in ſeinen aufrühreriſchen Unternehmungen fortfuhr, da erſt ging die Pforte in ihrer Langmuth einen Schritt weiter. In dem bei Gelegenheit des Bayramfeſtes nach türkiſchem Gebrauche erlaſſenen Teveds
jihat *) wurden im Namen des Sultans Mehemed Aly und Ibrahim Paſcha auf ſo lange ihrer Aemter und Würden ver luftig erklärt, bis fte den leßten an ſte ergangenen Befehlen Folge geleiſtet hätten. In dieſer erſten amtlichen Verfündi gung des großherrlichen Mißfallens hatte man ſich noch aller Beſchuldigungen enthalten, um nicht den Weg zu einer fried lichen Löſung gänzlich zu verſperren. Man erklärte vielmehr, „daß dieſe zeitweilige Amtsenthebung nur ſo lange dauern folle, bis Mehemed Aly Paſcha auf die zuleßt an ihn erlaf
-ſenen Sendſchreiben des Sultans geantwortet hätte ." ** ) Man forderte ihn alſo noch einmal zum Unterhandeln auf. Inzwiſchen aber machte der raſche Gang der Ereigniſſe der geduldigen Langmuth der Pforte ein Ende und hinderte allen weiteren Verſuch, den Krieg zu vermeiden. 1997 6 * ) Iſt die jährliche Liſte der Ernennungen und Beſtätigungen der hohen Würdenträger, die immer zur Zeit des Bayram erlaſſen wird. Alle er: nennungen pflegen nämlich nur auf Ein Jahr zu ſein. **) Histoire de la guerre etc., p. 93 .
Ot T17 Sais
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Bis dahin hatte ſich behaupten laſſen, daß die ägyptiſchen
Truppen nur gegen den Paſcha von Acre fämpften , der fich gegen den Befehl der Pforte auf dieſen Kampf eingelaſſen, und, gleich Mehemed Aly), für ungehorſam erklärt worden war.
Dies konnte noch als ein perſönlicher Zwiſt zwiſchen zwei, durch gegenſeitigen Haß bis zur Widerſpenſtigkeit verblendeten Beamten des Sultans ausgelegt werden , wodurch die Ober hoheitsrechte deſſelben noch keine unmittelbare Kränkung er litten. Als aber gegen Ende des Monates März Osman Paſcha in der Nähe von Tripoli eintraf, um , den erhaltenen Befehlen gemäß , von dieſem Plage Befiß zu nehmen , fand
zwiſchen den von ihm angeführten Truppen des Sultans und
einer Heeresabtheilung Ibrahim Paſchas ein ernſtes Gefecht Statt. Dieſe Thatſache bewies nun unwiderleglich die Empö
rung des ägyptiſchen Paſchas gegen ſeinen rechtmäßigen Ober herrn . Nach der erhaltenen Nadricht von dieſem Vorfalle warb erſt von Konſtantinopel aus der Befehl des Großherren
an Huſſein Paſcha erlafſen , von Koniéh in Syrien einzuz rüden, um die Ordnung wieder herzuſtellen .* ) v Am 28. Mai ward Acre nach einem ſehr hartnäckigen Widerſtande von den Aegyptern erſtürmt und am 30. ſandte Ibrahim den Abdallah Paſdja kriegsgefangen mit demſelben * ) Obgleich dieſe Mittheilungen über den Urſprung und Anfang des Krieges zwiſchen der Pforte und ihrem abtrünnigen Lehnsträger nicht neu find, war es Pflicht, dieſelben möglichſt getreu und unpartheiiſch in den
Hauptpunkten wiederzugeben ; denn es iſt ſo vieles darüber von verſchiedenen Seiten hin und hergeſchrieben werden , daß die flare Einſicht in den wirk: lichen Sachverhalt dadurch eher erſchwert, als erleichtert wird ; ſelbſt die hauptſächlichſten Gewährsmänner, die Verfaſſer der Histoire de la guerre etc.,
find , wenn auch verhältnißmäßig treu in den Thatſachen , nicht immer ſo unparthetiſch , als es zu wünſchen geweſen , ſondern begen als Franzoſen eine zu große Vorliebe für Mehemed Aly und die Wiederaufrichtung eines arabiſchen Reiches, wie zur Zeit der Khalifen.
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Schiffe nach Alerandrien , welches feinem Vater die Nachricht von dieſem erſten großen Erfolg überbrachte. Der Fall von Acre entſchied das Schidfal Syriens.
Nach dem Verluſt dieſer Feſte vermochten ſich die Bewohner
der Ebene nicht länger zu vertheidigen, und die Gebirgsvölker des Libanon, dem Beiſpiele ihres Häuptlings, des Emir Beſchir, folgend, erklärten ſich für Ibrahim Paſcha. Die zu allen Zeiten wanfelmüthige Bevölkerung von Damaskus war mehr als geneigt, fich dem Zorn der Pforte über die Ermordung des legten Pafchas durch ſchleunige Ergebung an den Feind zu entziehen , und die Beduinen der Wüſte ſchloſſen fich , wie Aasgeier einer Karavane, dem ſiegreichen Zuge des ägyptiſchen Heeres an , um die Landesbevölkerung zu brandſchaßen oder zu plündern.
Syrien war nun alſo für die Türkei fchon verloren und der hochſtrebende Paſcha nale daran , ſeine fühnen Pläne der Unabhängigkeit auf Unkoſten der Pforte zu verwirklichen ; denn im Beſiß jenes Landes, hatte er es ſich nur auf die Dauer
ju erhalten , um ſeine Macht und Perſon derjenigen des Sultans gleichzuſtellen und ſich aus einem Diener zu einem unabhängigen Herrn und Nebenbuhler ſeines vorherigen Ge bieters zu machen. Um die formelle Anerkennung der Mächte, die dieſe Händel aus einem oder andern Grunde mehr oder weniger intereſſirten, war ihm nicht ſehr bange ; es ſcheint, er
fannte Mittel und Wege , wie man bei ihnen feinen Zwed erreicht. *)
*) Er mochte wohl durch Soliman Paſcha (den Obriſten Sêves) ge nauer mit den Verhältniſſen der europäiſchen Politik und hauptſächlich mit den fich, anſcheinend, widerſtrebenden Intereſſen Frankreichs und Eng: lands, oder vielmehr nur ihrer Regierungen, bekannt gemacht worden ſein. Dnomauder , Länder des Oftens II.
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Dieſer Erfolg rührte indeſſen nicht minder aus geogra phifchen, als politiſchen Urſachen her. Acre hat ſich mehrfach als der Schlüſſel Syriens erwieſen , ſowie es , als Tyrus, ehemals das Bollwerk Aegyptens geweſen. Alle Eroberer be mächtigten ſich deſſelben , ehe fte von der Nordoſtſeite über Peluſium in das Nilthal eindrangen , wofern ſie nicht, wie Cäfar und Napoleon , zur See ankamen.
Mehemed Aly
brauchte ſich aber feineswegs vor der türkiſchen Flotte zu fürchten , denn die ſeinige war von faſt gleicher Stärke und dazu beſſer eingeübt. Deſto mehr lag ihm daran, ſeine Lands grenzen zu fichern.
Wenn ihm auch die älteren Beiſpiele
des Stambyfes, Alerander und der Römer nicht bekannt ſein mochten ; ſo wußte er boch ſicherlich, daß Amru und Selim ber Erſte die Einnahme von Aegypten nur dem vorausgegangenen Befiße des Bar - el - Cham *) verdankten. Darum hatte, vor
bereits mehr denn zehn Jahren , der Pafcha die Statthalter ſchaft wenigſtens über einen Theil jener Gegenden auf dem Wege der Bitten von der Pforte zu erhalten geſucht; denn er mußte für ſeine hochverrätheriſchen Abſichten dieſes land um jeden Preis in ſeine Gewalt befommen.
Es könnte auf den erſten Blick erſcheinen , als hätte er fich, anſtatt Ibrahim weiter nach Norden vorrücken zu laſſen , mit den bis zur Mitte des Jahres 1832 erlangten Vortheilen begnügen und nur darnach ſtreben ſollen , das zu erhalten, was ihm das Glück bis dahin alles beſchieden. Dieſer An: ſicht ſind ſelbſt viele ſeiner wärınſten Anhänger in Europa geweſen, von denen mehr als einer ihm den Vorwurf gemacht, daß er nicht verſtanden habe, ſeinen Ehrgeiz zu zügeln. Als ob ein Strom fein fließendes Waſſer ſelbſt einhalten könnte *) So nennen die Morgenländer Syrien.
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Der Ehrgeiz, der politiſche, hat das beſondere Merkmal , daß, nach dem Gelingen der erſten Unternehmungen, die Tragweite ſeiner Kühnheit feiner menſchlichen Berechnung unterſtellt werden kann. Zu dieſem pſychologiſchen Saße gegen die An
ſicht Jener, deſſen Richtigkeit durch die geſchichtliche Erfahrung aller Zeiten und bei allen Völfern unwiderleglich beſtätigt iſt, kommen noch die eigenthümlichen Verhältniſſe der morgen ländiſchen Welt im Allgemeinen, ſowie die damalige Lage der Türkei, ihrem Lehnsmanne gegenüber, im Beſonderen, die man
näher beſichtigen muß, um zu einer richtigen Meinung über die Vorgänge in jenen Ländern zu gelangen. Die Länderbeſtand theile, welche den Staat bilden , den wir unter dem Namen Türkei kennen , hängen durch ihre geographiſche Lage auch
politiſch ſo locker mit der Hauptſtadt zujammen , daß die Statthalter des Sultans , die Paſchas der verſchiedenen Pro vinzen, meiſt zu ſehr außer dem Bereiche der Einwirkung des
großherrlichen Willens ſtehen, um ſich in ihrer Verwaltungs weije viel darum zu fümmern , wenn es nicht grundehrliche Männer ſind, eine überall eben fu ſeltene Waare, wie lauteres
Gold in der Natur.
Florida ,DIE
Wenn nun unter dieſen Paſchas der eine oder andere,
von ehrgeizigem Charafter , eine Zeit lang nach eigenem Willen verwaltet hat , ohne einen wirkſamen Einfluß von
Konſtantinopel aus zu verſpüren, gewöhnt er ſich leicht an
Selbſtherrſcherei und vergißt gar ſchnell, taß er nur der Stell vertreter ſeines Herrn iſt und troß der höheren Stellung, dennoch deſſen Unterthan bleibt. Da liegt die Verſuchung.
Die von der Pforte an einen ſolchen eigenmächtigen Diener gerichteten Ermahnungen bleiben oft unbeachtet und ihren ausdrücklichen Befehlen wird nicht ſelten zuwider gehandelt. Vor dem Erlaſſe des großherrlichen Firmans und Fetwéhe 7*
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wodurch Mehemed Aly mit ſeiner Familie in den Bann er
flärt worden waren, konnten die Mißhelligkeiten zwiſchen ihm und dem Sultan als eine der ſo häufigen , örtlichen Auf lehnungen eines ihrer unzufriedenen Statthalter angeſehen werden . Seitdem aber der Großherr fich gegen ihn zu fo ausnahmsweiſe feierlichen Schritten veranlaßt geſehen und ſo
bedeutende Kriegsrüſtungen veranſtaltet hatte, nahm die Sache für den Paſcha einen weit ernſteren Charakter an. Es handelte ſich um Sein oder Nichtſein. Nachdem er den Sultan zum Aeußerſten getrieben, glaubt er ſich ſelbſt zum Aeußerſten berechtigt. Er hat dabei unverkennbaren Vortheit über feinen Gegner Mahmud , der in reizbarer Leidenſchaftlichkeit und
in lange genährtem , perſönlichen Haß gegen ſeinen anmaßen den ungehorſamen Diener die Ereigniſſe beſchleunigt, während der aufrühreriſche Paſcha, der ſeine Mittel zum Kriege von langer Hand vorbereitet , ſeinen Ausführungsplan flug bes rechnet und die paſſendſte Gelegenheit geduldig abgewartet hatte , keinen Augenblick feine Selbſtbeherrſchung verlor und alle Welt, wie es faſt den Anſchein hat, für ſeine Perſon und Sache einzunehmen wußte , obwohl ſie dadurch um feinen Deut gerechter wurde.
Als er fah, daß man in Konſtantinopel feſt entſchloſſen war , ihm den Beſiß von Syrien auf alle mögliche Weiſe ſtreitig zu machen, ließ er die geſchlagenen Heere des Sultans bis weit über die Grenzen Syriens hinaus verfolgen und vernichtete ein leßtes bei Roniéh, wodurch er ſich den Weg zu den Thoren des Serais eröffnete.
Hätte der Paſcha furzſichtig die bis zum Mai 1832
errungenen Vortheile für genügend gehalten , ſo verſäumte er den günſtigen Augenblick zur vouſtändigen Erreichung ſeiner Zwecke nicht nur, ſondern feßte ſein ganzes Daſein der größten
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Gefahr aus. Er befaß damals Syriën nur erft zur Hälfte; Acre war in einen Schutthaufen verwandelt, und Zbrahim hatte weder Zeit noch Mittel , die Befeſtigungswerke gleich wieder aufzurichten; es gab aber in der ganzen Gegend weder einen günſtigen Ort, um ein Treffen vortheilhaft aufzuſtellen, noch einen feſten Plaß , auf den er ſich im Nothfalle zurücks ziehen konnte ; indeſſen ſtrömten die an Zahl weit ſtärkeren Heeresabtheilungen des Großherrn unter Huſſein Paſcha aus allen Richtungen Kleinaſiens über den ſüdlichen Taurus in der Nähe von Aleppo zuſammen. Da galt es Entſchloſſenheit und raſches Handeln. Hätte Ibrahim den Feind in ſeiner damaligen Stellung erwartet und ſeine Truppen einem zweifel
haften Schickſale ausgeſeßt, ſo führte eine einzige Niederlage den Verluft ſeines Heeres und das Verderben ſeiner Familie herbei. Ein freiwilliges Umkehren und Aufgeben der errun genen Vortheile hat die nämliche Wirkung; alſo bleibt nichts
übrig, als vorwärts gehen , immer vorwärts , je raſcher, deſto beffer, um dem Gegner nicht Zeit zu laſſen, ſich zu ver ftärfen , und nach Belieben das Schlachtfeld zu wählen. In dieſem Entſchluſſe ward er durch die ihm aus Alerandrien zu
kommenden Befehle ſeines Vaters beſtärkt. Der Erfolg ihn in die Reihe der unabhängigen Fürſten , wonach ganzes Streben geht ; das Mißlingen ſtempelt ihn zum meinen Verbrecher, den die Strafe baldigſt ereilt. Da dem einmal betretenen Wege entweder das Eine , oder
feßt ſein ge auf
das
Andere das Ende ſein wird , ſo muß Alles aufgeboten und
eingeſeßt werden , um das Eine zu erreichen und ſo dem An deren zu entgehen . Dies iſt das ewige Zweierlei in der Ge ſchichte ſolcher Unternehmungen bei allen Völkern , welche übrigens allein , als mehr oder minder betheiligte Zuſchauer, die Koſten der Aufführung bezahlen .
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Ibrahim Paſcha feßte ſeinien bei Acre begonnenen Siegess
lauf in einer ſo überraſchenden Weiſe bis nach Kutayah fort, daß die ganze Welt darüber erſtaunt war, und ſeine Thaten als Feldherr erſchienen in einiger Entfernung glänzender, als fte es in Wirklichkeit waren. Die Haupturſachen ſeiner Ers folge beruhten auf den beſonderen Umſtänden, die er zu be nußen wußte. Sein Heer , deſſen Zahl, ſo viel darüber hat erfahren werden können , allerdings in jenem Feldzuge bei keiner Gelegenheit 25,000 Mann überſtieg und ftch gewöhns lich auf nicht ganz 20,000 belief, beſtand aus faſt lauter
regelmäßig ausgebildeten, ſchon friegsgewohnten Truppen, die Soliman Paſcha, der ehemalige franzöſiſche Oberft Sêves, während mehrerer Jahre mit aller Ausdauer eines gründlichen
Sachkenners zu recht tüchtigen Kriegern geſchult hatte und die jeßt mit großem , durch die erſten Siege noch erhöhtem Vers
trauen , unter der Leitung ihres alten Lehrers und dem uns mittelbaren Oberbefehle des anerfannt tapferen Ibrahim fochten.
Bei den Aegyptern herrſchte ſtrenge Mannszucht und Ordnung, nebſt Einheit in Befehl und Ausführung, worauf ſich ihre Stärke begründete. Auf türkiſcher Seite fehlte dies Ades. Die Türken hatten zwar ſo viel gethan , als damals nur immer in ihren Kräften ftand, wenigſtens war Mangel an
Muth nicht daran ſchuld, daß die Aegypter bei Homs und Ihre in großer Eile zuſammengerafften Streitkräfte waren allerdings dreimal ſo zahlreich, als die der Feinde, aber die Menge konnte nicht die Vortheile der Uebung und Geſchidlichkeit erſeßen , die lekteren den Sieg verlieh. Die unverhältnißmäßig geringe Anzahl des Nizam war im
Baylen ſtegten .
Jahre 1832 noch in ihrer erſten Kindheit, und deſſen mangels
hafte Ausbildung diente nur dazu , die perſönliche Tapferkeit des einzelnen Kriegerø zu lähmen. Die übrigen Heeres
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abtheilungen des Sadrazem beſtanden aus einer bunten Zu: ſammenfeßung der verſchiedenen Aufgebote aus allen Theilen der aſiatiſchen Türkei. Es waren unregelmäßige Truppen nach der guten, alten Art, deren feuriger Geiſt aber und wilde
Tapferkeit feit der Vernichtung der Janitſcharen und dem Ers löſchen der Delhis *) fich auch verloren hatte. Huſſein Paſcha war vielleicht einer der geeignetſten Männer, den der Sultau in der Abweſenheit Reſchid - Mehemeds zum Sabrazem hatte
ernennen können, und doch war derſelbe ſeiner Stellung nicht gewachſen und ward daher auch von den andern Pafchas, die unter ſeinem Befehle ſtanden, weder geachtet, noch gefürchtet. Dies brachte die beiden, für die Sache des Sultans verderbs lichen llebel hervor. Uneinigkeit im Heerlager und Ungehor fam auf dem Schlachtfelde, ohne welche Ibrahim ſeine beiden erſten Siege wohl nicht ſo leicht würde errungen haben. Die Schlacht von Homs ging durch den Leichtſinn Mehemed Paſchas verloren , und die Niederlage von Baylen war die Folge der ſchlechten Anführung des türkiſchen Heeres , was daſſelbe ſo ſehr alles Selbſtvertrauens beraubte , daß es, an der Vertheidigung jener ſonſt für uneinnehmbar geltenden Engpäſſe verzweifelnd , nach einem geringen Widerſtande ſeine vortheilhafte Stellung dem Feinde Preis gab. Als der frühere Aga Paſcha der Janitſcharen ſich mit den Trümmern ſeines Heeres vor den fiegreich nachdringenden Aegyptern in nördlicher Richtung zurüdzog, hatte der Groß *) Die Delhis waren die unregelmäßige Reiterei der Dere - Beys , die Mahmud bei ſeinen Neuerungen auch abgeſchafft hatte. Es waren die geſchickteſten und fühnſten Reiter der Welt. Ihre legte glänzende Waffen : that übten ſie in der Schlacht von Kulaftſcha aus , wo ſie bei einem ihrer
tollfühnen Angriffe zwei ganze ruſſiſche Regimenter vernichteten und dadurch den Rüdzug der türkiſchen Geſchüße decten.
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vezier ſeine ſchwierige Aufgabe in Rumelien grade glüdlich vollendet. Der gefährliche Aufſtand in Albanien war be ſchwichtigt, und der tapfere Reſchid -Mehemed Paſcha eilte mit den türkiſchen Kerntruppen nach Konſtantinopel zurüd, bee gierig, feine Feldherrngaben mit denen des verwegenen Ibrahim zu meſſen. Er hatte bereits die Thaten des heldenmüthigen Amurat in Bosnien übertroffen , und brannte daher vor Be gierde, jeßt ebenfalls dem glänzenden Beiſpiele Sultan Selim's am Nile zu folgen ; er hatte den berüchtigten Aly -Paſcha von Janina überwunden , man kann es ihm daher nicht ver: denten , daß er auch Mehemed Aly zu beſtegen hoffte. Eine Erſcheinung, wie die jenes ritterlichen Mannes, hat, ſo ver
einzelt ſte auch daſteht, etwas ungemein Tröftliches und kann in Zeiten , wie die damaligen , wo die Türkei in Folge des vielen über ſie gekommenen Unglüds den traurigſten Anblid darbot, den geſunfenen Muth und das verlorene Selbſtver trauen eines Volkes wieder erwecken und beleben. Auf ihn ruhten die leßten Hoffnungen . Er hatte während einer langen und glänzenden Dienſtzeit durch ſeine ausgezeichneten Bes fähigungen und untadelhaften Charakter den Sultan und das Reich ſchon zu wiederholten Malen aus den ſchwierigſten Lagen gerettet. Der Sultan ernannte ihn zum Sadrazem an
der Stelle des abgeſeßten Huſſein Paſcha, und ſchickte ihn mit den lebten und beſten Streitfräften des Reiches dem Feinde
entgegen. Reſchid - Mehemed Paſcha war der Abgott feiner Krieger wie des Volkes ; ſeine kurze Gegenwart in der Haupt ftadt erfüllte alle Gemüther mit neuem Muth , und wohl
niemals iſt ein Großvezier mit aufrichtigerem Jubel begrüßt worden, denn der „ Baba Paſcha " , wie man ihn nannte , als er in vollem Pomp , nachdem er zum Abſchiede den Saum des großherrlichen Gemandes gefüßt hatte, mit dem ſchwarzen
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Ehrenmantel angethan, und den , als Abzeichen feiner Würde, vor ihm hergetragenen tartariſchen Roßſchweifen , aus der „ Pforte der Glückſeligkeit“ ritt, um gegen den drohenden Feind in's Feld zu ziehen. *)
Yu Troß der günſtigen Ausſichten , unter denen der neue Oberbefehlshaber den Feldzug eröffnete, und des großen Ver trauens, das man zu ſeiner Tüchtigkeit hegte, war die Schlacht von Koniéh doch nur eine Wiederholung der beiden früheren Niederlagen , und Reſchid -Mehemed befand ſich vor dem Ende jenes verhängnißvollen Tages als Kriegøgefangener im ägyp tiſchen Lager. Man würde aber einen großen Irrthum be gehen , wenn man ihm oder feinem Heere die Schuld des Unglücks zuſchreiben wollte. Er wurde von ſeinem Neider und perſönlichen Feinde, dem Seraskier Roſchreff Paſcha, ge opfert. **)
Während in Europa die Völfer durch Stimmung, Willen
und Bewegungen gewöhnlich den Ausſchlag geben , und die Mehrzahl durch ihr Gewicht den Einfluß Einzelner auf den Gang der Begebenheiten hemmt, hindert oder ſchwächt; ſo dreht fich im Morgenlande Alles um den einzelnen Mann , deſſen
Perſönlichkeit, d. h. Charakter und Fähigkeiten, oft nur allein der Entſcheidung der wichtigſten Angelegenheiten den Ausſchlag geben. Eine ſolche Einwirkung fand bei den mit der Schlacht von Koniéh verknüpften Ereigniſſen Statt. Koſchreff
Paſoa hegte aus mehr als einem Grunde die größte Eifers * ) Reſchid - Mebemed war der leşte türkiſche Großvezier, der in Ge mäßheit der alten Sitte mit ſolchem Aufwande eingekleidet wurde , und ſeinen feierlichen Auszug hielt. **) D. Urquhart's Spirit of the East, Vol. II, Chapt. 23, das eine vortreffliche Schilderung von der Perſönlichkeit des gen. Großveziers enthält. Histoire de la guerre etc. unter Koniéh.
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ſucht und den tiefſten Haß gegen Reſchid - Mehemed Paſcha. Er wollte um jeden Preis der erſte Mann des Reiches ſein, und da er nur der zweite war , ſo trug er fein Bedenken, ſelbſt auf Unfoften der Türkei und des Sultans , nach dem
Untergange ſeines Nebenbuhlers zu trachten. Es lag in der Abſicht des Großveziers, fich erſt gehörig für den Kampf vor. zubereiten und dann den Feldzug ſo zu unternehmen , daß
nicht die legten Vertheidigungskräfte der Gefahr einer Nieder lage auf einmal und ohne Vertrauen und Hoffnung auf einen
zu erringenden Sieg ausgefeßt würden. Der Diwan hatte ſich bereits für ſeine Anſichten erklärt, als der Seraskier den
Sultan des Gegentheils überredete und ihn dahin brachte, dem Sadrazem den Befehl nachzuſenden , ,, er folle ſofort den
Feind angreifen und unter allen Umſtänden eine Schlacht liefern .“ Reſchid wußte , daß bei Befolgung dieſes Befehls Alles unwiederbringlich verloren ſei; er fügte ſich dennoch mit blinder Ergebung in den Willen ſeines bethörten Herrn, und trug fich mit ſeinen Kriegern dem Verderben muthig entgegen. Es iſt bemerkenswerth , daß er vor dem Befehle zum Angriff das Siegel des Reiches nebſt den andern Abzeichen ſeiner Würden an ſeinen Kiahyah -Bey) übergab , um ſie nach Ron :
ſtantinopel zu überbringen; denn es liegt darin eine ſtuinme Einrede und die Ueberzeugung, daß die Volftredung des groß herrlichen Befehls zum gewiſſen Verderben führen werde. Als
am 21. Dezember 1832 das Treffen begonnen hatte, und die Truppen des Großherrn in die Enge geriethen , eilte Reſchid
bald hierhin, bald dorthin, um die Ordnung herzuſtellen, Ver trauen einzuflößen und gab , ſelbft tapfer fechtend, ſeinen Kriegern das Beiſpiel des Muthes und kalter Todesver
achtung , bis er , von den Seinen getrennt, die flohen , wäh rend er allein noch fämpfte, von den Aegyptern umringt,
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troß der tapferſten Gegenwehr , zum Gefangenen gemacht wurde.
Hiermit ſchließt der erſte türkiſch -ägyptiſche Feldzug. Am
2. Februar 1833 hielt Zbrahim Paſcha feinen Einzug in sus tayah , wo er fein Heer bis zum Abſchluß der fich nun an ſpinnenden Unterhandlungen ſtehen ließ. 10 results Die Nachricht von der Niederlage bei Koniéh brachte in Konſtantinopel den tiefſten Eindruď hervor.
Der Sultan
war außer fich , der Diwan in der größten Beſtürzung, und die Vertreter der verſchiedenen Großmachte fingen an, um das
Schidſal der Türkei , wegen Aufrechthaltung des europäiſchen Gleichgewichts , ernſtlich beſorgt zu werden.
Der Einzige
vielleicht, der die damals am Bosporus allgemein herrſchende Stimmung nicht theilte , war Roſchreff Paſcha. Die Größe und das Anſehen Reſchid’s war ihm viel ſchrecklicher geweſen, als ihm die Siege der Aegypter waren ; auch vermochte er faum ſeine Freude über die Gefangennahme des Großveziers und die Auflöſung ſeines Heeres zu mäßigen. Die Pforte dagegen war vor Schrecken wie gelähmt; ſie hatte ihre legten Kräfte erſchöpft, ihre legten Vertheidigungsmittel aufgeboten, wußte ſich keines Raths und ſchien fich einer unthätigen Ers
gebung überlaſſen zu wollen . Jndeſſen war Ibrahim Paſcha ſchon wieder aufgebrochen und rücte immer weiter nach Norden vor. Bei ſo bedenklicher Lage hielten es die euros päiſchen Geſandten nicht nur für Recht, ſondern für ihre Pflicht, ſich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einzu miſchen , um ſo mehr, als durch deren Gang die Ruhe Europa's gefährdet werden konnte. Wenigſtens ermangelten ſie nicht,
die günſtige Gelegenheit zur Förderung ihrer eigenen Intereſſen zu benußen und beeilten fich, unter dem mehr oder minder
aufrichtigen Vorwande der Theilnahme und Freundſchaft, dem
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Sultan ihren Beiſtand anzubieten. Schon im Anfange des Dezembers war der General Mourawieff in Konſtantinopel
eingetroffen , um im Vereine mit Herrn von Boutenieff, da mals ruſſiſcher Geſandter bei der Pforte, den Verlauf der Greigniſſe etwas näher zu überwachen ; denn Rußland fennt
Werth und Wichtigkeit von Zeit und Umſtänden, und iſt ſtets bereit, feine Rolle auf dem Felde ber Diplomatie mit Umſicht um und Geſchidlichfeit zu ſpielen. H. Seitdem Ibrahim Paſcha in Syrien eingedrungen war, hatte ſich die türkiſche Regierung aufs Dringendſte, aber uns
begreiflicher Weiſe ohne Erfolg, um Hülfe an England ge wendet, deſſen eigene Wohlfahrt es damals vor Adem erheiſcht hätte , den Türfen beizuſtehen.
Von dem Lande , auf deſſen
Beiſtand fie feft gezählt hatte , im Stiche gelafſen , nahm die Pforte in der äußerſten Noth die Vermittelung der franzö:
fiſchen Macht, die ſich freiwillig und zu wiederholten Malen dazu erboten hatte , wiewohl mit Widerſtreben an , da man in Konſtantinopel nur zu gut wußte , welch große Vorliebe Franfreich für Mehemed Aly hegte. *)
17 ! magagna
JE Deſtreich und Preußen enthielten ſich, wie England, noch vorläufig jeder Einmiſchung in die damalige Geſtaltung der „ Drientaliſchen Frage.“ Deſto gefliffentlicher ſtrebten aber Frankreich und Rußland danach, ihren Einfluß zur Beilegung des türkiſch - ágyptiſchen Streites mit wechſelſeitigem Aus ſchluſſe geltend zu machen . Franfreich fann zum Ruhme nachgeſagt werden, daß, wenn es ſich zur Vermittelung erbot,
es ohne alle eigennüßigen Abſichten geſchah und nur aus dem höheren politiſchen Geſichtspunkte dazu veranlaßt wurde, das ?;
nin
*) Um dieſelbe Zeit hatten die Franzoſen Algier erobert, das bekannts lich eine türkiſche Provinz war.
109
f. g. Gleichgewicht der europäiſchen Staaten und ſomit die allgemeine Ruhe und den Frieden Europa’s zu erhalten ; denn
der etwaige Untergang der Türkei mußte in den Staaten verhältniſſen dieſes Welttheils eine ſo erſchütternde Umwälzung herbeiführen, daß der Nachhall über die ganze, bewohnte Erde
gegangen wäre. Rußland befolgte nur, bei dem freundſchaft: lichen Angebot der Hülfeleiſtung, ſeine bekannte Politik, die
ſtets dieſelbe bleibt, ob ſie durch Hinderniſſe aufgehalten, oder freiwillig geändert ſcheint; die ſtets das , ſeit mehr als einem Jahrhundert vorgeſteckte Ziel im Auge behält und auf Um wegen danach losgehen wird, da es, auf den kürzeren zu raſch
anlaufend, noch grade für dieſes Mal zeitig genug zurückge drängt ward. Zwiſchen der franzöſiſch - europäiſchen Gleich
gewichts- und der rein ruſſiſchen Vortheilspolitif entſpann ſich in den Vertretern dieſer beiden Mächte ein Wettſtreit darum,
wer dem andern in Konſtantinopel den Vorſprung abgewänne, da in dem Siege des einen oder andern das Schickſal des Reichs ſchon ſo gut wie entſchieden war. Der Baron von
Varenne, von Seiten Frankreichs, rieth der Pforte, mit Ibrahim Paſcha unmittelbare Unterhandlungen anzufnüpfen,
damit er nicht weiter vorrücke; General Mourawieff ſchlug dagegen vor , die Hauptſtadt und das Reich mit einem ruſe ſiſchen Hülfsheer zu decken , das auf den in Sevaſtopol bereit liegenden Kriegsſchiffen in wenig Tagen aus der Krim an die Ufer des Bosporus geſchafft werden konnte.
So wäre
Rußland ganz freundſchaftlich in den Befiß der Türkei ge fommen , ehe noch die andern Mächte die erſte Vorbereitung
getroffen , dieſes, weil ſo folgenreiche, auch mit Recht ſo ge fürchtete Ereigniß zu verhindern. In ſeinen Aengſten Ber geſſend, daß die Ruſſen ſeine natürlichen Feinde waren , wollte der Sultan ſchon dieſen Vorſchlag annehmen, als der Seraskier,
110
aus wirklicher oder vorgegebener Furcht, die Aegypter könnten
wohl noch vor den Ruſſen in Ronftantinopel eintreffen, ihn davon abbrachte, den allzuunverfennbaren Einflüſterungen der
Herren Boutenieff und Mourawieff nachzugeben. Der Rath des Herrn von Varenne wurde aber eben ſo wenig befolgt, ſondern der Diwan bediente fich eines Mittels , das in ähn
lichen Umſtänden immer angewendet wird: er hieß gut, was nicht zu ändern war, und beſchloß, einen Unterhändler gerades : wegs nach Alerandrien zu ſenden mit einem großherrlichen Itlac, oder Begnadigungsſchreiben , wodurch die frühere Achts erklärung wieder aufgehoben wurde , ſowie einem Hatti Scheriff, der Mehemed Aly mit ſeiner Familie in ihre früheren Vorrechte wieder einſeßte und die Statthalterſchaft von Acre hinzufügte. Halil Paſcha ward mit dieſer Botſchaft betraut und reiſte am 4. Januar 1833 von Konſtantinopel ab.
Dieſer, ſeine Beſtrebungen durchkreuzende Beſchluß der Pforte, bewog den General Mourawieff, dem türkiſchen Abgeſandten auf den Ferſen nachzueilen , um deſſen Vorhaben, wo möglich
noch vor ſeiner Ankunft in Aegypten, freundſchaftlichſt zu vers eiteln. Rußlands Freundſchaftsgeſinnungen zu den Nachbar ſtaaten und ſeine bereitwillige Hülfeleiſtung zur Förderung feiner eigenen Intereſſen, iſt eine bekannte, durch die Geſchichte ſeiner Beſißerwerbungen hinlänglich beſtätigte Thatfache. Der ruſſiſche General vermochte indeſſen die günſtige Auf nahme des türkiſchen Botſchafters in Aegypten nicht zu hinter treiben und vor ſeiner Rückkehr nach Konſtantinopel hatte der
franzöſiſche Einfluß ſo weit geſtegt, daß, auf ſeine dringenden Vorſtellungen an den Diwan, Herr von Varenne vom Sultan
dazu ermächtigt worden war , fich unmittelbar an den ägyp tiſchen Feldherrn in Kleinaſien wenden zu dürfen, um ihn zu bewegen, ſich aller weiteren Feindſeligkeiten zu enthalten. Er
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ſchrieb eigenhändig an Ibrahim Paſcha *) , worauf dieſer er: widerte, daß er fich nicht ohne Wiffen und Willen ſeines Vaters und Herrn darauf einlaſſen fönnte , von der weiteren Verfolgung ſeines Zieles abzuſtehen, und daher bis auf zuges
fommene Befehle aus Alerandrien feinen Marſch auf Bruſſa fortſeßen müßte.
Nichtsdeſtoweniger brachten die Mitthei:
lungen des franzöſiſchen Geſchäftsträgers den gewünſchten Eindruck auf ihn hervor und er beſchloß, in Erwartung der
vortheilhaften Ergebniſſe, welche die in Alerandrien ange knüpften Unterhandlungen für ihn und ſeinen Vater liefern fönnten, vorderhand mit ſeinem Heere bei Kutayah ſtehen zu bleiben, wovon er dem Herrn von Varenne in ſeinem Antwort ) ſchreiben vom 4. Februar Kenntniß gab. ** Seit Obwohl nun , durch die Beſtrebungen des franzöſiſchen Geſandten , die Ausſicht zu einer befriedigenden Schlichtung des Ramipfes eröffnet und die Türkei durch dieſe Wendung vor unmittelbarer Auflöſung gerettet war, hatten die Ereigniſſe doch einen ſolchen Eindruck auf den Geiſt des Sultans ge macht, daß er ſich noch immer in der größten Gefahr wähnte. Es mag dahingeſtellt bleiben, ob die Ruſſen große Pſychologen ſind oder nach ihrer Erziehung und ſtaatlichen Verhältniſſen fein fönnen, aber ſo viel iſt gewiß, daß ſie die Erſcheinungen der Furcht genau kennen und diefelbe bei andern zu ihrem
Vortheile vortrefflich auszubeuten wiſſen. Es gelang ihnen daher um ſo leichter bei dem Sultan , ihren lange gehegten Zweck zu erreichen , trotz der ungünſtigen Geſtaltung, welche der Gang der Ereigniſſe gegen ſie angenommen hatte. Wäh rend der Zeit, die zwiſchen der Schlacht bei Kroniéh und dem *) Histoire etc. , p . 343 f. ** ) U. a. D. p. 352.
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Halte der Aegypter zu Kutayah verfloß, wußten fte den alten Seraskier für ſich zu gewinnen und die Angſt des Sultans
ſo ſehr zu ſteigern, daß er ſich dazu bewegen ließ , die ane gebotenen Hülfsleiſtungen anzunehmen. Die verſchiedenen Zwiſchenſpiele endigten alſo damit , daß in den leßten Tagen des Februars und im Laufe der folgenden Monate mehrere Abtheilungen der ruffiſchen Flotte unter dem Befehle des ^ Admirals Lazareff, mit 13,000 Mann Landtruppen im Bos porus ankerten, unter dem Vorwande, den Sultan und Kons ftantinopel gegen eine ſchon nicht mehr vorhandene Gefahr ſchüßen zu follen. Den wirklichen Grund einer ſcheinbar fo
großmüthigen und uneigennüßigen Freundſchaftsbezeugung unter Erbfeinden , erfuhr die Welt erſt am Tage, da der für die Türkei und ganz Europa ſo gefährliche Vertrag von Unfiar Sfeleift bekannt wurde.
Außerdem hatte es noch den moras
liſchen Vortheil , daß alle Welt glaubte , Ibrahim Paſcha fet ſchon allein vor dieſer ruſſiſchen Demonſtration abgeſchredt worden, weiter vorzugehen. Wenn aber Rußland
ſo könnte die redliche Einfalt
die Abſicht hatte , Konſtantinopel und die Türfei durch alle Mittel zu erwerben ; warum hat es denn ſeine fragen
Truppen wieder zurückgezogen , ſtatt fte zu verſtärfen und fich
auf immer dort feſtzuſeßen ? Die Antwort iſt einfach dieſe: es war noch nicht gehörig zu der Beſibergreifung vorbereitet ; es fehlte ihm an den nöthigen Truppenmaſſen, die ergriffene Veute nöthigen Fals wirkſam zu vertheidigen ; ſein Furcht
erwedungs- und Einſchüchterungs -Syſtem auf die Regierungen der mitteleuropäiſchen Staaten war noch nicht ſo weit ge diehen , daß es eine baldige Frucht davon erwarten konnte ; das mehr oder minder flare Bewußtſein ſeiner eigenen Schwäche, dem vorgerückten , in jeder Beziehung viel höher ſtehenden
113
Weſteuropa gegenüber , ließ es ſorgfältig den Kampf der Waffen vermeiden ; außerdem hatte es darauf zu achten, ſich durch einen ſolchen Gewaltſtreich , ohne allen Schimmer der Berechtigung , die germaniſchen Völker nicht zu entfremden, deren eingebornes Gerechtigkeitsgefühl , trok aller Ereigniſſe, die es hätten ausrotten können, noch einigermaßen fortwurzelt.
Dazu wollte es den Sdyein des Edelmuths, der Uneigen nüßigfeit und der Gerechtigkeitsliebe, den es mit ſo viel Mühe
und Koſten über Europa latte auspoſaunen laſſen , und der ihm für die Ungarnung der Bevölferung dieſes Welttheils ſo weſentlich nöthig war , nicht durch eine Thathandlung zer ſtören, die ihm nichts weiter einbringen fonnte, als den etwas früheren Beſiß eines Landes , das ihm , in ſeiner Ueber zeugung , wenig ſpäter von ſelbſt in die Arme fallen mußte. Darum, und blos darum, ließ der ruſſiſche Doppeladler ſeine Beute wieder aus den freundſchaftlichen Forallen .* ) pa Am 17. Februar, dem Tage, wo Herr von Varenne die Nachricht bekam , daß ſich der Sultan hatte überreden laſſen, die ruſitiche Hülfe anzunehmen, traf der Admiral, Baron von Rouſſin, als franzöſiſcher Geſandter in Konſtantinopel ein. Seine verſpätete Ankunft fonnte indeſſen auf den allgemeinen
Gang der Ereigniſſe feine bedeutende Einwirfung hervor bringen ; alles , was er zu thun vermochte, beſchränkte ſich darauf, dem Einfluſſe Frankreichs durch ſeine hohe Stellung, ſeinen achtbaren Charafter und beſonders durch ſein entſchloſs fenes Auftreten einen größeren Nachdrud zu verleihen. Er machte es ſich zum Hauptziele, den ägyptiſch -türfiſchen Streit
*) Obiges war längſt geſchrieben , als der ſ. g. Orientaliſche Krieg ausbrach , der wohl in Urſprung und Verlauf die Richtigkeit der ausge:
ſprochenen Behauptung unwiderleglich begründet. Onomander, Länder des Ditens. II.
8
114
möglichſt bald zu ſchlichten und den immer höher ſteigenden Einfluß Rußlands auf die Türfei zu bekämpfen, wozu er den
von ſeinem Vorgänger angebahnten Weg der Ausgleichung zu behalten fortfuhr. Er hieß die Sendung Halil Paſchas nach Aegypten und die von ihm dorthin überbrachten Auss gleichungsvorſchläge gut und verſprach , deren Annahme zu erwirfen. Am 21. Februar unterzeichnete er demgemäß eine Uebereinfunft und ſchickte den korvetten - Rapitän Dlivier mit
den nachdrüdlichſten Anweiſungen nach Alerandrien , während der Kapitän Folß fich nach Rutayah begab , um Ibrahim
Paſcha ähnliche Vorſtellungen zu machen. Die Erſcheinung der erſten ruſftſchen Flottenabtheilung , die Tage vorher im Bosporus Anfer geworfen , übte auf den Geift des französ fiſchen Geſandten einen ſtarfen Einfluß aus ; je bedenklicher fich die Verhältniſſe geſtalteten , deſto mehr lag ihm daran ,
um jeden Preis Ruhe und Frieden in der Türkei wieder hers zuſtellen. Daher war auch der Brief, den er durch den Kapitän Olivier dem Paſcha von Aegypten überſandte, und
der die Grundlage der ſpäter in Rutayah abgeſchloſſenen Uebereinkunft bildete , im allerſtrengſten Tone gehalten*). Er
ermahnte ihn aufs Dringendſte, nicht allein zum Beften des allgemeinen Wohles , ſondern auch zu ſeinem eigenen Heile und zu ſeiner eigenen Sicherheit auf die folgenden Vorſchläge einzugehen , zu deren Beachtung und Erfüllung er ihm die Gewährleiſtung Franfreichs verſprach: „ die Pforte ſei daju bereit, ihn und ſeinen Sohn in die früheren Aemter und Würden wieder einzuſeßen , ihnen noch dazu die Verwaltung
und Nußnießung der Paſchaliks von Acre und Saïde, Jerus falem , Tripolis in Syrien und Naplouſe zu verleihen. Zur *) Histoire etc. , p . 372 ff.
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Erwerbung dieſer Vortheile müßten aber die ägyptiſchen Truppen ſofort vom türkiſchen Gebiete zurücgezogen werden , ſonſt
würde er, als oberſter Vertreter Frankreichs im Morgenlande, im Falle der Nichtannahme dieſer Vorſchläge, dazu genöthigt
ſein , dem franzöſiſchen Generalconſul in Alerandrien den Bes fehl zur Einziehung der Flagge zu geben , und ſich, wenn es zum Aeußerſten fäme, bereit zu halten , mit allen Franzoſen Aegypten auf den erſten Wink zu verlaſſen .“ ist : Der gebieteriſche Ton dieſes Schreibens und die münd: lichen Zuſäße des Ueberbringers ſchienen Mehemed Aly mehr zu erbittern, als einzuſchüchtern, er enividerte darauf in einem
Schreiben vom 3. März mit ſchlecht verhehlter Kränkung : „es ſei ihm unmöglich, auf die Bedingungen einer ſolchen Vers mittelung einzugeben . Gleichzeitig erließ er ein Rundſchreiben an ſämmtliche europäiſche Conſuln in Aegypten, worin er ſich über die Abweiſung ſolcher Zumuthungen zu rechtfertigen ſuchte. Er verlangte ganz Syrien mit Einſchluß der Bezirfe von Drfa , Adana und Rhafa , welche legtere nördlich vom
Taurus liegen und , wenn auch an ſich von feiner großen Wichtigkeit, vom friegeriſchen Geſichtspunkte beurtheilt, gleich ſam den Brüdenfopf von Syrien nach Kleinaſien bilden . Mit
der abſchlägigen Antwort an den Admiral Rouſſin ward zus gleich der Pforte von Halil Paſcha, der noch immer in Alerandrien verweilte , durch einen Boten die förmliche An
zeige überbracht, daß die Unterhandlungen ägyptiſcher Seits abgebrochen würden und Ibrahim Pardha Befehl erhalten ſollte,
auf Konſtantinopel vorzurüden , wenn binnen einer Friſt von 5 Tagen ſeine Gegenbedingungen nicht angenommen würden. Dieſe äußerſte Verwegenheit Mehemed Aly’s erneute, trok der Gegenwart der ruſſiſchen Schußmacht, das Entſeßen des
Diwans, der ſchon bereit war, in alle Forderungen des Paſchas 8*
116
zu willigen , um ſich vor dem vermeintlichen Untergang zu retten. Aber der Admiral Rouffin , init der ruhigen Kalts blütigkeit eines fturmerprobten Seemanns , widerrieth und flößte dadurch ter türkiſchen Regierung neuen Muth ein, welcher er darthat , wie gefährliche Folgen aus ihrem Nach geben erwachſen müßten, und daß eine derartige Drohung des Paſchas nur eine Kriegsliſt ſei, durch die ſie ſich nicht dürfe einſchüchtern laſſen , um jene kleinaſiatiſchen Ortſchaften mit Umgegend ohne Weiteres abzuſtehen, ſondern daß ſie ſich aufs Entſchiedenſte dagegen erflären ſolle. Da Mehemed Aly nicht bereit war, ſeine Worte durch die That ſo ſchnell zu verwirf lichen, als er es angefündigt hatte ; ſo blieb Friſt genug, einen Ausweg zu ſuchen , der ſich darin fand, daß der franzöſiſche Geſandte, auf den Wunſch der Pforte, den Baron von Varenne
nach Kutayah ſchickte * ), um mit Ibrahim Paſcha ein un mittelbares Uebereinfommen zu treffen. Die Unterhandlungen
entſpannen ſich eifrig und verſprachen eine um ſo günſtigere Wendung anzunehmen , als 3brahim Paſda, dem es außer ordentlich zu ſchmeicheln ſchien , daß er unmittelbar mit den Franzoſen zu verkehren hatte , fich unerwartet bereitwillig er klärte , auf die Vorſchläge des Herrn von Varenne einzu gehen. **) Der einzige Gegenſtand , über den man ſich nicht einigen konnte , war Adana , das Herr von Varenne den ge meſienſten Befehl hatte , den Aegyptern um feinen Preis zu überlaſſen und deſſen Abſtehung an ihn und ſeinen Vater, Ibrahim hartnädig verlangte. Troß der Unerledigung dieſes *) Deu 29. März .
**) Ein noch gewichtigerer Grnnd war die immer mehr zunehmende Unzufriedenheit der türkiſchen Bevölkerung Kleinafiens, die bei dem ges ringſten Anlaß einen allgemeinen Aufſtand gegen die arabiſchen Eroberer befürchten ließ.
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Punftes ward der ſo lang in der Schwebe gehaltene Frieden
endlich durch die Unterſchrift beider Partheien am 8. April zum Abſchluß gebracht und am 13. D. M. Mehemed Ally und 3brahim Paſcha in dem neuen Temedjehåt vom Sultan in ihre früheren Würden wieder eingeſeßt, denen noch die von ihnen neu erlangten Vortheile : der Vefiß ganz Syriens,
ſammt der Ueberwachung der jährlichen Pilgerfaravanen nach
Meffha, unter dem Titel Emir Hadſdyi, für Mehemed Aly, hinzugefügt waren. *) Alles hatte den Anſchein , daß die langen und gefahr drohenden
Verwidelungen der morgenländiſchen Zuſtände * ) Firman d'Amnistie. (6. Mai 1833).
Ordre adressé aux vizirs , mirimirans , mollahs , mutsellims, vaivodes , ayans , notables et autres fonctionnaires publics des diverses parties de l'Anatolie. Les assurances de fidélité et de devoûment que m'ont données en
dernier lieu le gouverneur d'Egypte Méhémet - Aly Pascha et son fils Ibrahim ayant été agréées , je leur ai accordé ma bienveillance in périale. Les Gouvernements de Crète et d'Egypte ont été confirmés à Méhémet - Aly. Par égard pour sa demande spéciale , je lui ai accordé les departements de Damas , Tripoli de Syrie , Saïde , Safad, Alep, les districts de Jérusalem et de Naplouse, avec la conduite des
pélerins et le commandement de Tcherdé. Son fils Ibrahim Pascha a eu de nouveau le titre de Cheikh - al- haram de la Mecque , et le
district de Djidda ; j'ai en outre acquiescé à la demande qu'il m'a faite du département d’Adana, régi par le trésor des fermes, à titre de Mobassil .
D'après l'équité, l'humanité et la clémence dont Dieu m'a
doué, j'ordonne à qui de droit, dans les diverses parties de l'Anatolie, de ne jamais rechercher pour le passé les habitans et les notables , et d'oublier les événemens antérieurs . Vous, de votre coté, vous annon
cerez mes généreuses dispositions envers tous ceux qui se trouvent placés sous votre autorité ; vous tâcherez de rassurer les esprits à ce sujet et vous travaillerez à obtenir des prières pour mon auguste personne , de la part du peuple qui est un dépôt de Dieu entre mes mains .
C'est afin de vous en informer qu'a paru le présent firman , con formément à mon Khatti schérif. Vous ferez donc connaître à qui de droit ma volonté souveraine , vous tranquilliserez les habitans et
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beiderſeits befriedigend gelöſt ſeien , denn man feierte beiders feits die Wiederherſtellung der Ruhe, und die ägyptiſchen Truppen waren bereits im vollen Rückzug nach Syrien be griffen , als fich abermals die Frage über Adana erhob. Ibrahim weigerte ſich auf das Beſtimmteſte, vor deren ſchließ .
licher Entſcheidung Kleinaſien zu räumen , und machte noch einmal nördlich vom Taurus halt. Da zur ſelben Zeit der
am Ende Aprils in Alerandrien eingetroffene, franzöſiſche Ges ſchäftsträger, Graf Bois-le-Comte, überzeugt zu ſein glaubte, daß es unendlich ſchwer, iro nicht unmöglich ſein würde, den durch ſo viele Erfolge übermüthig gewordenen Paſcha von Aegypten dahin zu bringen , daß er von der Erfüllung dieſes legten Wunſches abſtehe; foward, nach mehrfachen Bes
mühungen , auch dieſes legte Hinderniß glüdlich dadurch bes ſeitigt, daß die Pforte, deren Aufmerkſamkeit durch die gerade in Serbien ausgebrochenen Unrithen in Anſpruch genommen
wurde, auf den Rath der europäiſchen Geſandten, aus Furcht vor neuen Mißhelligkeiten, auch noch Adana zum Opfer gab. Ibrahim ward zu deſſen Mohaſfilic, oder Statthalter und Verwalter ernannt, und die Aegypter räumten zögernd Klein aften.
So war die unmittelbare und größte Gefahr, von der
die Pforte durch den Ehrgeiz ihres abtrünnigen Lehnsmannes bedroht geweſen, wenigſtens vorläufig beſeitiget. vous obtiendrez d'eux des prières pour moi.
Ayez soin de vous y
conformer, sans permettre que personne soit molesté, contrairement à mes intentions supremes . Le Moniteur Universel . Lundi 27 et Mardi 28 Mai 1833. No. 147 et 148. P. 1489 ,
Der Tewedjihât enthält im Weſentlichen daſſelbe.
119
VI .
In Folge des Friedensſchluſſes nach zwei bewegten Kriegsjahren , ſah der Pafcha von Aegypten feine Pläne in
einer Weiſe verwirklicht, wie er es wohl im Stillen hatte wünſchen mögen, aber faum vom günſtigſten Glüge erwarten dürfen. Zwar dem Namen nach , noch immer , wie zuvor, Lehnsträger und Statthalter des Sultans , beſaß er aber in Wirklichkeit die Macht eines unumſchränften Herrſchers nicht nur über Aegypten , ſondern auch über alle jene ſchönen und wichtigen Länderſtreden, welche die Pforte ihm hatte ab: ſtehen müſſen. In ſeiner nunmehrigen lage handelte es ſich alſo lediglich darum , in den neuerworbenen Ländern ſeine Macht zu befeſtigen und nach beſten Kräften die Vortheile
auszubeuten , die ihm aus deren Beſit erwuchſen . Mehemed Aly befand ſich jeßt auf dem höchſten Glanzpunkte feiner abenteuerlichen Laufbahn : das Glück hatte ihn auf uner
wartete Weiſe in allen ſeinen Unternehmungen begünſtigt. Dieſe Erfolge wirkten auf feinen Charakter nur nach einer Richtung hin ; ſte ſteigerten ſeine Selbſtſucht, ftatt fie zu mäßigen. Es wächſt ein großer Geiſt in großem Gelingen ; er war der engherzige , frechverwegene Glücsritter geblieben, als der er , zu Anfang feines öffentlichen Lebenslaufes, mit ſeinen albaneſiſchen Landsleuten den Boden Aegyptens betrat.
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Andere find auch durch Verbrechen zur höchſten Macht empor
geſtiegen ; aber ſie haben durch die edelmüthige Benußung der errungenen Macht zum Beſten des Volfes , dieſes ihren Urs
ſprung vergeſſen machen und ſich deſſen Anhänglich feit und
die Achtung und Bewunderung der Nachwelt erworben : Kyros, der ägyptiſche Amaſis, Saladin u. A. werden in der Geſchichte als ſolche genannt , die durch weiſe und gerechte Maßregeln ihre Völker glüdlich zu machen geſucht. Der Paſcha von Aegypten fann von der Geſchichte nicht in ſo hohe Geſellſchaft eingeführt werden ; er iſt, wie ein Meteor, das im Dunſte der Erdatmosphäre fich entflammt, flackert und zerplaßend erliſcht, während die Sterne hellen Scheines ewig leuchten und das menſchliche Auge und Herz erfreuen. Er konnte in feiner jeßigen Stellung Glück und Wohlfahrt der ihm untergebenen Völfer fördern und begründen , aber die kleine Seele dachte nur an den eigenen Vortheil. Er benußte Alles , was fich
im Bereiche feines Willens befand, mit der frecheften Rüd Fichtsloſigkeit, blos zu Erreichung ſelbſtiſcher Zwede, ohne ſich auch nur im Geringſten um das Heil irgend Jemandes zu kümmern. Statt ſich durch eine gerechte Verwaltung und milde Regierung das Vertrauen und die Anhänglichfeit ſeiner Untergebenen zu erwerben , trachtete er nur danach , einer jeden Möglichkeit des Widerſtandes gegen ſeinen Willen vor zubeugen, ſowie alle Ausſichten auf Linderung ihres Zuſtandes bei den Bedrängten und Unterdrüdten ſchon im Reime zu vernichten.
Dieſen Regierungsgrundfäßen gemäß beſtand eine der erſten Verordnungen , die er in Syrien erließ , darin , daß die Bewohner ihre Waffen zu überliefern hatten. Nachdem die Entwaffnung, die an manchen Drten nicht ohne Zuziehung der öffentlichen Gewalt geſchehen konnte , vollzogen worden ,
121
folgten andere Maßregeln auf der Ferſe nach, unter denen die allgemeine Aushebung zum Kriegsdienſt und die Auferlegung des Ferdé- el -Raz nicht übergangen werden dürfen. Die Aus hebung wurde von den nach allen Richtungen hin ausge ſandten , ägyptiſchen Truppenabtheilungen mit den beiſpiels loſeſten Gewaltthaten und Robheiten durchgeſeßt. Da man dieſelbe niemals in Syrien gefannt hatte und daher einen um jo tieferen Widerwillen gegen dieſe Neuerung hegte , lo ſaben ſich die ägyptiſchen Behörden genöthigt , förmliche Hepiagden auf den dienſtfähigen Theil der Bevölkerung in den verſchie denen Ortſchaften und Bezirken anzuſtellen. Man trieb alle Männer, die, ihrer Waffen beraubt, fich nur durch die Flucht
an faſt unzugängliche Derter vor ihren Verfolgern konnten zu retten ſuchen , gleich Viehheerden zuſammen, wählte die nöthige Anzahl der Ergänzungsmannſchaft unter ihnen aus und ſchleppte dieſelbe, bei dem herzzerreißenden Jammer und Weh flagen der Verwandten und Freunde , wie wären es Kriegos gefangene, in entfernte Gegenden , fogar nach Oberägypten,
wo ſie in die Reihen dee regelmäßigen Heeres vertheilt und bewacht wurden , damit es feinem in den Sinn fommen
möchte, Reißaus zu nehmen. *)
nya Das Verfahren der türfiſchen Regierung in den verſchie denen Paſchaliks von Syrien hatte allerdings Vieles zu wünſchen übrig gelaſſen, und die gewaltſamen Ungerechtig
feiten einzelner Paſchas und namentlich der Steuereinnehmer öfters zu Ausbrüchen des öffentlichen Unwillens und mehr
fachem Blutvergießen Anlaß gegeben : dennoch waren es Zus ſtände des goldenen Zeitalters im Vergleich mit den uners *
Voyage en Asie miveure etc. par Bapt. Poujoulat. Vol . II,
Chap. XXXI.
122
hörten Bedrüdungen , zu denen das unnatürliche Verwaltungs weſen Mehemed Aly's führte. Die Türfen hatten ſich damit
begnügt, in Syrien, wie in allen übrigen Theilen ihres Reichs, an unmittelbaren Abgaben nur den Charadích, die den Rajahs
auferlegte Kopfſteuer, zu erheben. Der Paſcha von Aegypten behielt dieſelbe bei und fügte noch den Ferdé -el- Raz hinzu, eine viel beträchtlichere Kopfſteuer, die er ſämmtlichen männ
lichen Einwohnern Syriens , Muhamebanern ſowohl, als Rajahe , vom vollendeten vierzehnten Lebensjahre an , auf.
erlegte, und mit unbarmherziger Schonungsloſigkeit eintreiben ließ.
Zu diefen ſchweren laſten , die jeden Einzelnen trafen,
famen auch noch die Nachtheile der Monopole, unter denen Aegypten ſeit lange ſeufzete und die nun auf ganz Syrien ausgedehnt wurden , ſo daß dieſes reiche Land und ſein er
giebiger Handel in dem Maße verarmte und abnahm, als die Raſſe Mehemed Aly's , trop feiner übermäßigen Ausgaben, immer mehr anſchwoll.
Dieſe vielen mittel- und unmittel
baren Beſteuerungen lieferten, nach dem Zeugniſſe eines aufs merkſamen und glaubwürdigen Reiſenden * ), das Ergebniß, daß unter der ägyptiſchen Verwaltung ein jeder Mann in Syrien vierzehnmal mehr Abgaben bezahlte , als es zur Zeit der türkiſchen Regierung, ungeachtet aller unterlaufenden Mißbräuche , der Fall geweſen war. Es iſt eine geſchichtlich
beſtätigte Thatſache, daß Abenteurer, die irgendwie zur Herr fchaft eines Landes gelangt ſind, das arme Volf mit neuen Abgaben belegen, wahrſcheinlich um es dadurch die Wohl thaten der jungen Regierung fühlen zu laſſen: aber ſo weit, wie dieſer albaneſiſche Mehemed, hat es in dieſem Verwal.
tungszweig, wenigſtens bis in die neueſte Zeit, feiner getrieben, *) A. a . D. p . 338 ,
123
So umſichtig Mehemed Aly auch immer in ſeinen Hand lungen zu ſein pflegte und ſo erfolgreich alle Unternehmungen geweſen, deren Gelingen auf ſeinem ſtaatsklugen Benehmen beruht hatte ; ſo fand doch bei dieſer ſyriſchen Beſteuerung von ſeiner Seite ein großer Irrthum ſtatt: er hatte den Charakter der Bevölkerung nicht mit in Berechnung gebracht. Gewöhnt,
über die ſanften und geduldigen Fellahs zu gebieten , die ſich ohne den leifeften Widerſpruch in ſeine härteſten Maßregeln fügten, mochte er gemeint haben , daß die Syrer fich auf gleiche Weiſe ſeiner Gewaltherrſchaft unterwürfen und deren
Mißbräuche ertrügen. Die friſche, kräftigende Gebirgsluft des Libanon hat aber deſfen Bewohner zu allen Zeiten vor jener ſchwächlichen Entartung geſchüßt, in welche die armſeligen Bewohner des flachen , ſumpfigen Nilthales längſt verfallen find. Die Fellahs hatten nie die Gewohnheit , Waffen zu tragen ; durch die Grauſamkeit der Mameluden war lange vor Mehemed Aly ihr Sinn gebrochen ; unfähig zu ernſtlichem
Widerſtande, hatten ſie, um nur den Reft ihrer Habe oder gar nur das nackte Leben zu retten, ſich mit Ergebung in den gezwungenen Verlauf und Wiederankauf ihrer eigenen Erzeug
niffe, und in die gewaltſamen Aushebungen zum Kriegsdienſte gefügt. Nicht ſo die Bewohner Syriens , deren Muth und Freiheitsſinn ihren neuen Bedrücker bald durch den tapferſten und beharrlichſten Widerſtand über ſeine irrige Beurtheilung ihres Charafters aufflärte. en Maßregeln, die für ſich allein hinreichten, die Zu obigen
Geduld der ergebenſten Unterthanen zu erſchöpfen, famen noch
andere Umſtände, die dazu beitrugen, den Ausbruch des öffent
lichen Unwillens zu beſchleunigen. Kurz vor Anfang des Kriegs zwiſchen dem Sultan und Mehemed Aly hatten die Vertreter der türkiſchen Regierung in Syrien ihre amtliche
124
Gewalt auf arge Weiſe mißbraucht und dadurch dem Anfehen derſelben ungemein geſchadet. Die Grauſamkeiten des leßten Paſchas von Damaofus , ſowie die Frevelthaten Abdallahs hatten vorzugsweiſe dazu beigetragen , die türkiſche Herrſchaft mißliebig zu machen und Mehemed Ally'n die Ausführung
ſeiner Pläne zu erleichtern.
Jbrahim Paſcha wurde daher,
als er mit ſeinem Heere die ſyriſche Grenze überſchritt * ), von den meiſten Unzufriedenen wie ein Erretter angeſehen und empfangen . Das Volf pflegt meiſtens, namentlich wenn es mehr oder weniger Grund hat , über die beſtehenden Verhält niffe ſich zu beſchweren , zu politiſchen Veränderungen geneigt zu ſein , weil es bei jeder Neuerung auch Beſſerung ſeiner lage hofft. Während der Kriegsjahre war die den Aegyptern günſtige Stimmung dadurch, daß die inneren Angelegenheiten der eroberten Länder den Bewohnern überlaffen blieben , noch erhöht worden. Als aber mit dem Eintritte des Friedens die hergebrachte Ordnung der Verhältniſſe auf eine ſo gewaltſame Art verändert und gegen Syrien , wie ein feindlich erobertes Land verfahren wurde , empfanden die Bewohner, die ihre,
allerdings voreiligen, Hoffnungen ſo zu Schanden werden ſahen, ihre Enttäuſchung nur um ſo bitterer, was ihnen die an ſich ſchon gehäſſigen Neuerungen noch unerträglicher machte. Daher vergaßen auch jeßt über dem gemeinſchaftlichen Unglück die vielen verſchiedenen Stämme, die vordem immer mit einander gehadert und gekämpft hatten , ihre aus alter Eiferſucht hers rührenden Erbfehden , um fich in den Gefühlen des Haſſes und den Ausdrüden der Unzufriedenheit gegen die grauſamen Groberer zu vereinen. Von dieſer Stimmung zu offenem Aufruhr iſt der Weg nicht weit. Die ägyptiſche Herrſchaft *) Im Herbſte 1831 .
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hatte faum ein Jahr gedauert , ſo that fich dieſer gänzliche Umſchwung gegen Mehemeð Aly auf das Unverkennbarſte fund. Ungeachtet der allgemeinen Entwaffnung zogen die Bedrückten es vor, wider alle Wahrſcheinlichkeit des Erfolges, lieber das Aeußerſte zu wagen, als die willführlichen Erpref ſungen der neuen Landesverwaltung länger zu ertragen. Im Frühling 1834 brach der erſte Aufſtand, der nur das Vorſpiel jener langen Reihe verzweifelter und blutiger Kämpfe um die Erhaltung ihrer Rechte war, unter den Völfern des libanon aus, deren Wuth ſich zunächſt gegen Jbrahim Paſcha richtete,
der mit fliegenden Heeresabtheilungen das Land durchzog, um mit gewaffneter Hand den neuen Verordnungen ſeines Vaters Eingang und Gehorſam zu verſchaffen . Er befand ſich gerade
in Jeruſalem , wo er von 40,000 zuſammengeſtrömten Auf ftändiſchen achtzehn Tage lang mit der größten Hartnäckigfeit belagert wurde. Die an ſich nicht ſehr zahlreiche Beſaßung ward ſowohl durch den fortivährenden Kampf, als auch durch
eine peſtartige Krankheit, die in der Stadt ausbrach, bis zum Aeußerſten geſchwächt, und es wäre gewiß fein einziger Aegypter mit dem Leben aus Jeruſalem davon gefommen, wenn nicht die Belagerer im entſcheidenden Augenblicke durch die Nachricht, Mehemed Aly rücke mit einem Hülfsheer in Perſon heran, un feinen bedrängten Sohn zu retten, ſich auf Unter
handlungen eingelaſſen hätten . Die Syrer bedangen fich gegen den freien Abzug , den ſie Ibrahim verſprachen , alge meine Strafloſigkeit aller am Aufſtande betheiligt Geweſenen, worauf Zbrahim einging und mit dem Reſte der Beſaßung
von Jeruſalem ungefährdet abzog und den Weg nach Jaffa
einſchlug, um ſich dort mit dem Hülfsheer *) zu vereinigen, *) Es war 15,000 Mann ſtark.
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das ihm ſein Vater übers Meer zugeführt hatte. Mehemed Aly , der ſeinen Sohn gerettet ſah, wollte nichts von der Gültigfeit eines Vertrages hören , der unter ſo drängenden Umſtänden eingegangen worden ſei; denn es lag ihm viel zu ſehr daran , den widerſpenſtigen Geiſt der Bergbewohner zu zähmen und deshalb gleich bei dieſer erſten Gelegenheit ein
unvergeßliches Beiſpiel ſeiner Gewalt zu geben. Fals Ibrahim Paſcha gegen eine ſo ſchreiende Wortbrüchigkeit Einſprache erhoben hatte , ließ er ſich wenigſtens bald zu den väterlichen
Anſichten befehren. Denn ſchon wenige Tage , nachdem er unbeläſtigt hatte von Jeruſalem abziehen dürfen , das ſonſt fein Grab geworden wäre , rückte er mit der neuen Heeres macht gegen eben die Leute ins Feld , denen er in der Noth, wie alle kleinen Geiſter, unter den heiligſten Betheuerungen Schuß und Fürſprache bei ſeinem Vater verſprochen hatte. Er überzog die Ortſchaften Hebron und Naplouſe ſammt ihrer
Umgegend mit Feuer und Schwert; Alles ward, ohne Unter ſchied des Geſchlechts und Alters, der Schuld oder Nichtſchuld,
den Gräuelthaten eines Vertilgungsfrieges preisgegeben. Das
Volf des Gebirges wehrte ſich mit dem Muthe der Verzweif lung ; es machte dem Feinde jeden Fuß breit des Bodens
ſtreitig, ſo daß Ibrahim erſt nach einem ſchwierigen Feldzug voller Gefahren , nach Belagerung und Beſchießung obiger Städte und mörderiſcher Erſtürmung mehrerer Engpäfie ſich
zum Meiſter des Landes machen und gegen Ende Juli an ſeinen Vater in diplomatiſcher Sprache berichten konnte , daß ..jeßt Friede und Ordnung im Lande wieder hergeſtellt ſeien . *) *) Ob er die berühmte Depeſche : „ L'ordre règne à Varsovie “ ge: fannt und ſeinen Bericit darnach gemodelt?
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Troß einer ſo ſchrecklichen Beſtrafung ließen ſich die Syrer
nicht lange abhalten , ihre Befreiungsverſuche zu erneuern. Das ägyptiſche Foch drüdte zu ſchwer, um es lange geduldig ertragen zu fönnen, und nach wenig Monaten *) wiederholten fich die Vorfälle des erſten Aufſtandes in Beyrut und Aleppo, und bald darauf**) brachen unter der türfiſchen Bevölkerung von Rilis und Adana Ilnruhen aus , die jedoch alle , nach
furzer Zeit unterdrückt, nur dazu dienten, die Lage des Landes zu verſchlimmern : blutige Gemeßel und Hinrichtungen, bes ſondere Brandſchabung der widerſpenſtigen Ortſchaften , oder gar Ausplünderung durch die Truppen Mehemed Aly's, waren das jedesmalige Ende , und der Druck wurde noch ärger, denn zuvor ; ſo daß ſelbſt die ſtolzeſten Gebirger ſich unter der
Laſt des Unglüds beugten und das Land einige Zeit ruhig blieb. ***) Wo aber eine Regierung durch bedrüdende Maß regeln ſich verhaßt macht und ihr Anſehen nur durch Waffen gewalt aufrecht erhalten fann, wird die Ruhe nie von langer
Dauer ſein. Dieſesmal waren es die Druſen des Haouran , die zu ihrer Selbſtvertheidigung in einer ſo heldenmüthigen Weiſe
ſchritten, daß ſie einer beſonderen Erwähnung werth erſcheint. Im Gegenſaße zu den übrigen Theilen Syriens, die
zumeiſt den wechſelnden Charakter und die mannigfaltigen Eigenſchaften von Gebirgsgegenden darbieten , beſteht der Haouran , den die Alten unter den Namen Aoranitis und
Trachonitis fannten , vorzugsweiſe aus fruchtbaren , weiten Ebenen, die ſich zwiſchen dem 32 0 und 340 nördlicher Breite
* ) Im Herbſte 1834. ** ) Im Januar 1835 . ***) Bis gegen Ende des Jahres 1837.
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von jenſeits der das linke Jordanthal begrenzenden Höhen züge bis an die im Oſten und Süden befindliche arabiſche Sandwüſte erſtreden. Ihre Ausdehnung und Einförmigkeit
wird blos von einigen tiefen, ſchluchtenartigen Einſchnitten und vereinzelten Berggruppen unterbrochen. Die Einen durch furchen die Gegend gleich rieſigen Gräben , während die bläu lichen Gipfel der Andern um ſo maleriſcher über ihre flache
Umgebung emporragen ; die vorzüglichſten darunter ſind der
Dſchebel Ezzemleh und der Díchebel Haouran. Die erſtere beſteht nur in einer ſchmalen Bergfette , die ſich in gleich : laufender Richtung mit den öftlichen Abdachungen des Dichebel
Adſchloun, in feiner großen Entfernung von der Grenze Paläſtina's hinzieht ; die leştere dagegen iſt weit beträchtlicher
an Höhe und Ausdehnung , fie bildet eine förmliche Alpen landſchaft von mehreren Tagreiſen im Umfange, mit vielen wilden Thälern und Schluchten, und liegt, gleich einer Grenzs feſte, gegen die öftliche Wüſte hin.
Der Haouran iſt einer der beträchtlichſten und reichſten Theile des Paſchalifs von Damaskus.
Der ergiebige , von
feinen arbeitſamen Bewohnern ſorgfältig bebaute Boden der Ebene erzeugt Roggen , Gerſte, Doura , Seſam und Baum wolle *), ſo daß jene Gegend in gewöhnlichen Zeiten als eine der wohlhabendſten von ganz Syrien betrachtet werden darf. Dieſer Zuſtand des Gedeihens 5at ſeiner Bevölkerung , die aus einem Gemiſche von Druſen , arabiſchen Chriſten und aus
Angehörigen des Stammes der Anezen - Beduinen beſteht, die ſich von ihren wandernden Brüdern der Wüſte getrennt und dort niedergelaſſen haben, eine Unabhängigkeit der Geſinnung und eine Freiheitsliebe eingeflößt, wie man ſie nicht bei allen *) Volney, Voyage en Egypte etc. Vol. II, Chap. XXV.
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anſäßigen, Aderbau treibenden Völferſchaften findet. Die Chriſten des Haouran behandeln daher auch die Muſelmänner als ihres Gleichen , ſtatt, ihnen gegenüber, jene , wie anderes wo übliche, Unterwürfigkeit zu bezeigen, und haben, ungeachtet ihrer friedlichen Lebensweiſe, von Alters her die Gewohnheit beibehalten, ſtets bewaffnet einherzugehen . Der Bauer verräth auch in Haltung und Auftreten jene Ritterlichkeit, die er von ſeinen Vorfahren ererbt , und weiß ſo geſchickt die Flinte und den Krummſäbel, wie den Pflug und das Grabſcheit zu hand haben. -
Unter der türfiſchen Regierung waren die Vorrechte der Bewohner des Haouran immer berückſichtiget worden , und ihre Beziehungen zu den Behörden von Damaskus ſehr loſer und mittelbarer Art geweſen. Dieſe hatten ſich ſogar nie The
in den Sinn fommen laſſen, den dortigen Chriſten, wie es an andern Stellen zu geſchehen pflegte, das Tragen der Waffen
zu verbieten , ſondern ſich wohlweislich blog damit begnügt, deren Geſammtheit wenige Abgaben aufzuerlegen und ſie zl!
verpflichten, die jährliche Pilgerfarawane von Damaskus nach Meffha, auf dem Wege durch ihr Gebiet, zu beſchüßen. In allen übrigen Angelegenheiten waren ſie gewohnt , ſich ſelbſt überlaſſen zu bleiben . Man fann ſich leicht vorſtellen , welch' tiefen Eindruck die
mit der Herrſchaft Mehemed Aly's neu eingeführte Regies rungsweiſe , die alles Beſtehende rückſichtslos umſtürzte , auf jene Bewohner geſunden Sinnes und ungebeugten Charafters machen mußte , als ſie ſich ihrer durch Ueberlieferung fortges pflanzten und die Länge der Zeit geheiligten Rechte, an denen ſie mit Leib und Leben hingen , durch willführliches Gewalt beginnen beraubt ſahen . Die erſten Bedrückungen erbuldeten ſie zwar, wenn auch mit einzelner Widerſpenſtigkeit, doch ohne Dnvin ander, länder des Dftens II.
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offenen Geſammtwiderſtand ; als ſie aber immer größer und unerträglicher wurden , that ſich erſt unter den Bewohnern
des Vezirkes von Ledích a eine Gährung fund, die bald leb hafter wurde und ſich, wie eine Flamme, die reichliche Nah rung findet, ſchnell über das ganze Land verbreitete. Ibrahim Paſcha , der im Norden Syriens mit Bergwerksbetrieb und Anpflanzung von Oliven- und Maulbeer - Bäumen fich bes
ſchäftigte, ſchickte ein ägyptiſches Regiment zur Aufrechthaltung der „ Ordnung “ dahin ab. Die Erſcheinung dieſer Truppen ſteigerte nur die Erbitterung und beſchleunigte den Gang der Ereigniſſe. · Man ging aber diesmal mit Umſicht und Vor bedacht zu Werfe; da die Erfahrung gelehrt hatte , daß alle
unvorbereiteten, vereinzelten Aufſtände gegen eine Macht, wie die ägyptiſche, nur zu nurloſem Blutvergießen und ſchließ lichem Verderben führen müßten : ſo hatte man fich in aller Stille und mit ruhiger Entſchloffenheit auf die fonimenden
Begebenheiten vorbereitet. Die vor den Häſcherbliden ver: ſtedten Waffen wurden ans Tageslicht hervorgeholt, mit froher Kampfesluſt von Roſt und Schmuß gereinigt, um damit dem Feinde feine Bedrücung blant und glänzend zahlen zu fönnen.
Wie nun das ägyptiſche Regiment , das ungehindert das Jordanthal durchzogen hatte und , ohne auf irgend welchen Widerſtand zu ſtoßen oder auch nur Anzeichen davon zu merken , in der öftlichen Ebene angelangt war, in einer Januar
nacht in der Gegend von Ledſcha unter feinen Zelten lagerte, überfielen plößlich die dortigen Druſen die Aegypter mit Un geſtüm , drangen in die Zelte und megelten ſchonungslos Gemeine und Anführer nieder, ſo daß der anbrechende Morgen
feine andere Spur mehr von ihnen zeigte , als ihre ausge plünderte, mit verſtümmelten leichen überſäete Lagerſtätte. Auf die Runde von dieſem Fühnen und glüdlich ausgeführten
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Handſtreich erhebt ſich der ganze Haouran, die Bewohner der Ebene verlaſſen ihre Dörfer und eilen in die Berge , wo ſte
fich auf jede Art befeſtigen , um den Befreiungøfampf gegen den geſchidten Feind wirkſam und mit der Hoffnung des beſten Erfolgs zu beſtehen ; ja aus der Wüſte, wohin der Ruf ge drungen , fommen die wandernden Anezen - Beduinen heran, ihren anſäßigen Stammgenoſſen zu helfen und ihren Theil an der gebofften Beute zu haben. Die Einwohnerzahl des ganzen Haouran Toll ſich damals auf etwa eine halbe Million Seelen belaufen haben , worunter fich , trop der wiederholten Aushebungen , immer noch ſtreitbare Männer genug fanden, um den Kampf mit den geregelten Truppen ihres Bedrüders
eingehen zu fönnen. Auch fehlte es ihnen für den Nothfalu nicht an Waffen , die wie durch Zauber von allen Seiten
herbeiftrömten und für den Gebirgsfrieg vorderhand aus reichten; denn obwohl der Befehl zur allgemeinen Entwaff nung fich auf ganz Syrien erſtreckt hatte , ſo war er doch in dieſer Gegend, wegen ihrer entfernteren Lage ſowohl, als auch
der unabhängigen Geſinnung ihrer Bewohner , nicht zu fo vollſtändiger Ausführung gefommen , wie in den übrigen Theilen des Landes. Diejenigen aber , die unter ihnen nicht
friegsfähig , d. 1. mit Flinte und Säbel gerüſtet waren , er hielten den ehrenden Troſt, fich zu gedulden, bis die Gelegens heit erſchiene, dem erſchlagenen Feinde die Waffen auszuziehen. As Ibrahim die Nachricht von der Vernichtung ſeines Regiinents erhielt, ſchrieb er um Verſtärfung an ſeinen Vater, der ihm , unter dem Befehle ſeines Kriegsminiſters Afmets Paſcha, 3000 Mann aus Aegypten zuſandte , wodurch die Geſammtſtreitfräfte der Aegypter in Syrien auf 9000 Mann
ſtiegen , die gegen die Aufſtändiſchen ins Feld rüdten . Der Haouran war auf ihre Ankunft vorbereitet ; als die Aegypter 9*
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den Jordan überſchritten , fam es in den Thälern von Ledſcha zu einem mörderiſchen Treffen. Von 16,000 Beduinen und einer ſtarken Zahl Druſen angegriffen , wurden ſie ſo voll ſtändig geſchlagen, daß ſte, bei dem Verluſte von 3000 Mann, zwei Geſchüße, 40,000 Patronen und ihr ſämmtliches Gepäck einbüßten . * ) .
An der Spiße dieſer Volfserhebung ſtand ein einfacher Bauer, Chebil-el-Arian mit Namen , eine jener fräftigen Ge birgsnaturen mit geſundem Sinn und feſtem Muthe, wie die Geſchichte hie und da uns einzelne kennen lehrt , die , wenn's die Noth erheiſcht, den friedlichen Beruf mit dem Gewerbe
des Kriegs vertauſchend, nicht ſelten erprobten Feldherrn mit Erfolg die Stirne boten . Chebil war es , der den Plan zur Vernichtung jenes Regiments , das in die Nähe feines Heis mathsortes gelangt war , erſonnen , vorbereitet und zur Aus :
führung gebracht hatte. Auf ſeinen Ruf erhob ſich das ganze Land und eilten die Beduinen aus der Wüſte herbei ; auf ſeinen Rath wurde die Ebene verlaffen und der Dſchebel
Haouran in eine ungeheure Bergfeſte verwandelt. Wo es an Mitteln gebrach, der Entſcheidung bedurfte, wo die dringendſte Noth war , da wußte er zu helfen , eine Ausfunft zu finden, zu leiten und zu ermuthigen. Daher ward auch der kleine, unanſehnliche, von Blatternarben entſtellte, faum 40 Jahr alte Bauer durch die einhelligen Stimmen der Druſen , Araber, Beduinen , Moslim oder Chriſten zum Haupte der ganzen
Bewegung erwählt und rechtfertigte das in ihn geſeßte Ver traŭen durch den Sieg jenes blutigen Treffens, in welchem er den Geiſt und die Fähigkeiten eines Heerführers ſehen ließ, er, der ſchlichte Gebirger, von dem , begreiflicherweiſe, höchſtens *) Den 11. Februar 1838 .
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erwartet werden fonnte, daß er, von Natur und durch Erfah rung, einen regelmäßigen Gebirgs- und Partheigånger - Krieg mit Erfolg zu führen verſtehe. Durch ihren Sieg ließen ſich die Verbündeten fortreißen , von der Vertheidigung zum Angriff überzugehen ; anſtatt ſich darauf zu beſchränfen , die natürliche Beſchaffenheit ihres heis miſchen Bodens vortheilhaft zu benußen , rücften ſie dem ge ſchlagenen Feinde bis in die Gegend von Damaskus nach und brachten ihn auch in der Verfolgung nicht unbedeutende Ver lufte bei ; aber deſſenungeachtet lehrte ſie die Erfahrung bald ihre unbedachte Verwegenheit bereuen . Ibrahim Paſcha, bis
dahin frank in Antiochien zurücgehalten , übernahm wieder ſelbſt die Leitung des Heeres und brachte ihnen am 11. Juli gleich eine empfindliche Niederlage bei. Troßdem erfannte er flar, daß zur Unterdrückung des Aufſtandes und zu einem auf die Dauer günſtigen Erfolge ſeine regelmäßigen Truppen nicht ausreichten , ſondern es noch anderer Mittel und Streitfräfte
bedürfte. Da Maroniten und Druſen von jeher in wechſels ſeitiger Eiferſucht und Feindſchaft gelebt , ſo benußte Ibrahim dieſen Umſtand und brachte den Emir Beſchir des Libanon durch Verſprechungen dahin , ſich gegen den Aufſtand des Haouran zu erklären. Er ließ ihm 16,000 Gewehre mit dem nöthigen Schießbedarf zur Vertheilung unter die Bes wohner des Libanon zuſtellen, und binnen Kurzem hatten ſich
die damit Beſchenften , unter ihrem alten Emir Beſchir, um die ägyptiſchen Fahnen geſchaart. Die Aufſtändiſchen waren inzwiſchen nördlich von Das masfus bis in das Thal von Baalbeck vorgedrungen , wohin Zbrahim Paſcha mit 10,000 regelmäßigen Truppen , den Ars nauten und den 16,000 Maroniten von Nordoſten über den Anti
Libanon nachrüdte und auf den Höhen, ihnen gegenüber, eine feſte
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Stellung einnahm . Obfchon fich alle Vortheile hinſichtlich des Bodens und der Streitfräfte auf Seiten der Aegypter befanden,
ſo zögerte doch Chebil mit ſeinen Genoſſen feinen Augenblic, die verhaßten Gegner anzugreifen. Mit einer Tapferkeit, der nichts zu widerſtehen vermochte, ſtürmten Druſen und Beduinen
die Höhen, warfen Aegypter, Arnauten und Maroniten hinab, die nach mehrſtündigem Kampfe ſich in die Ebene von Damas: kus zurückziehen mußten. Als aber, von der Hiße des Kampfes fortgeriſſen , die Haouraniten fich, dem Feinde nach , in die Ebene ſtürzten , richtete das Feuer der ägyptiſchen Geſchüße
eine ſo mörderiſche Verwüſtung unter ihnen an , daß nach dem hartnädigſten Widerſtande die Aufſtändiſchen, troß der er habenſten Tapferkeit, das Schlachtfeld dem Feinde überlaſſen mußten, und mit dem Verluſte von nahe an 8000 der Jhrigen, deren Leichname das Gefilde deckten, eilten die Uebrigen in die heimathlichen Berge zurück, um hier den Vertheidigungsfampf bis zum Aeußerſten fortzuſeßen. Die Aegypter verbanften den Sieg ihren Geſchüßen und dem Beiſtand der Maroniten ; aber fie hatten ihn nicht ohne beträchtliche Verluſte erkauft, und Ibrahim Paſcha erfärte ſelbſt, daß er auf dieſen ſo ſchwer und theuer erkauften Tag ſtolzer ſei, als auf ſeine Lorbeeren von Konieh."
Die Kraft des Aufſtandes war durch dieſe blutige Nieder lage gebrochen. Muthloſigkeit bemächtigte fich der Gemüther, und viele ſtrecten die Waffen . Aber Chebil , der Bauer und Feldherr , blieb ſich gleich; er gab die Sache des Vaterlandes nichi auf; ſein Muth war größer, ſeine Freiheitsliebe glühender, fein Haß gegen die Unterdrüder tiefer , als bei den meiſten ſeiner landsleute.
An der Spiße einer auserleſenen Schaar
Druſen, welche fühlten und dachten, wie ihr Haupt, feßte der kleine, heldenhafte Bauer in den feſten Stellungen des Dichebel
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Haouran den Kampf für Unabhängigkeit fort. Als er aber die umliegenden Ebenen von den Aegyptern mit Feuer und Schwert verheeren und ſeine wehrloſen Landsleute von den
Arnauten umbringen oder auf das ſchändlichſte mißhandeln
ſah, da ergriff ihn tiefes Mitleid und Erbarmen , und er be: ſchloß, dem ſchrecklichen Elend ſeiner Brüder durch Einſtellung aller Feindſeligkeiten ein Ende zu machen. Er ſchickte daher einen Boten ins ägyptiſche Lager mit dem Auftrage, ſeine
Unterwerfung anzubieten unter der einzigen Bedingung, daß Ibrahim verſpreche, ſeine Landsleute mit Schonung zu bes handeln .
Der Bote bekam von dem ägyptiſchen Feldherrn , die Antwort, daß Chebil, um ſeine Begnadigung zu erhalten, ſich in Perſon binnen 9 Stunden im Lager ſtellen müßte. Als der Druſe mit dieſer Nachricht eilends an den Ort zurückfehrte, von wo er ausgeſandt worden , war Chebil anderswohin ge zogen, ſo daß er erſt nach 14 Stunden Zeitverlauf 3brahimo
Beſcheid erfuhr. „Deſto ſchlimmer“ , ſagte er gefaßt, wes iſt „ ein unvermeidliches Mißgeſchid ; aber mein Land leidet von ..Ibrahims ſchrecklicher Rache; ich habe an weiter nichts zu udenken , ich muß hin zu ihm !" Ibrahim Paſcha , der ſelbſt perſönlich tapfer war und daher dieſe Eigenſchaft an Andern
vor allen ſchäfte, hatte früher demjenigen Todesſtrafe ange droht, der ſeinen waderen Gegner irgend wie des Lebens be
raube ; aber wer ihn lebendig einbringe, ſolle eine Belohnung von 10,000 Beuteln *) erhalten .
Als nun Chebil im feind.
lichen Lager viel ſpäter anfam , als ihm die Friſt geſetzt worden, bewies man ihm dennoch eine wohlwollende Achtung und führte ihn ſogleich nach dem Zelte Des Feldherrn . Vor dem *) Gerade 125,000 Franken
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Eintritt legte er, zum Zeichen der Unterwerfung, ſeine Waffen
ab und erſchien vor Jbrahim , auf zwei ſeiner Begleiter ge ftüßt, da ihn ſeine Wunden hinderten , ſich allein aufrecht zu halten . Anſtatt ihm , nach morgenländiſcher Sitte , den Kopf abzuſchlagen, machte ihin dieſer den ſchmeichelhaften Vorwurf, warum er fich entwaffnet habe, da er ja nicht beſtegt worden
ſei ? und gebot ihm , ſeinen Säbel wieder umzugürten. Mit
feinem Gefühl nahm ihn der Bauer des Haouran und legte ihn ſeinem Feinde . zu Füßen , der jedoch großmüthig die Waffe aufhob und fie mit eigenen Händen „ Trage den Säbel", ſprach er , uden und der deinen Feinden wehe gethan ; refind die Waffen. Stünden mir zwei
ihm wieder umhing. du tapfer geſchwungen nur für die Tapferfeit Männer , wie du , zu
„ Gebote, dann wäre fein Feind in der Welt , vor dem ich
,,mich fürchtete .“ *) Am nächſten Tage fehrte der Druſenhäuptling in ſeine Berge zurück, um , wie er zbrahim verſprochen , das leßte
Glimmen jenes denfwürdigen Aufſtandes zu löſchen, der den Aegyptern über 10,000 Mann ihrer beſten , regelmäßigen Truppen gefoſtet hatte, vieler andern und großen Opfer nicht zu gedenken. Aber dieſe ſchadenreiche Erfahrung änderte in nichts den Starrſinn und das räuberiſche Verfahren des alten Paſcha von Aegypten , und fein Sohn war zu ſehr Haudegen,
um ſich mit Regierungsgrundfäßen zu beſchäftigen und durch beſſere Mittel , als Waffengewalt, ein Land zu verwalten ; ſo daß , nach Wiederherſtellung der Ruhe , die üblichen Er
preſſungen und Bedrüdungen erneuert wurden. Während Mehemed -Aly), feit dem Ende des erſten Krieges mit dem Sultan, das eroberte Syrien nach gewiſſen von ihm *) Voyage en Asie Mineure, par B. Poujoulat. Vol. II, p. 567 ss.
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allgemein vorgeſchriebenen Maßregeln feinem Sohne zu vers walten d. 1. auszupreſſen überließ , war er ſelbſt ruhig in Aegypten geblieben , um von dort aus die Vollendung ſeiner ſchon ſo weit gediehenen Pläne deſto ungeſtörter zu erſtreben, und er hatte feine Gelegenheit entſchlüpfen laſſen , die im Kriege errungenen Vortheile auf dem Wege der Unterhands
lungen zu vermehren. Nachdem er die ſo lang erſehnte und begehrte Gebietsausdehnung erlangt und ſeine Macht, der Pforte gegenüber , bedeutend verſtärkt hatte, war es ihm vor allen Dingen darum zu thun , deren Beſitz für ſich und feine Nachkommen auf die Dauer zu ſichern.
Dies war auf keine
ſicherere Weiſe zu bewerkſtelligen , als wenn er die europäiſchen Mächte , die bei ihren Vermittelungsverſuchen, aus denen die Friedensſtiftung von Kutayah hervorging , durch gewiſſe Ge währleiſtungen fich verpfliditet hatten , ihn in ſeiner neuen
Stellung zu ſchüßen, und an die er zunächſt ſich wiederum zu wenden berechtigt glaubte, für ſeine Abfichten gewinnen und dazu bewegen könnte, ihn als erbliche, unabhängige Macht anzuerfennen.
Aber die Befannt werdung des Vertrags von
Unfiar - Sfeleſfi hatte den Völfern Europas und ſogar ihren Regierungen die Augen geöffnet und endlich mehr oder minder deutlich die Gefahr ſehen laſſen , welcher die ganze Welt , bei erneuertem Kampfe aus den morgenländiſchen Verwickelungen, dem Moskowitiſchen Streben gegenüber, ausgeſeßt ſei. Dieſe Furcht hatte die bis dahin für die fühnen Unternehmungen,
ſo verbrecheriſch ſie auch waren , bei einzelnen Höfen gehegte und von der damals freien Preſſe, die ägyptiſches Weizenbrod
ſchmachaft fand, unter dem Volfe erregte und zeitweiſe auf: gefriſchte Theilnahme bedeutend erkaltet , ſo daß fie nun auf einmal ſeines unerſättlichen Ehrgeizes gewahr wurden und, bei verändertem Winde, den vorher auspoſaunten Wiederher:
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ſteller des Morgenlandes ſo unbequein und läſtig fanden, als er früher groß und intereſſant gehalten worden. Sein An ſuchen fand daher auch weder bei Franfreich , noch England oder Deſtreich den erwarteten Anflang. Er ward unter dem
Vorwande abgewieſen, daß die drei europäiſchen Regierungen res als ihre Pflicht betrachteten , die Verhältniſſe des Morgen status quo ſo vielfach angerufenen antero „ Alles beim Alten " beſtehen zu laſſen.“ Das landes in dem
Mißlingen ſeines Geſuches ſchreckte ihn jedoch nicht ab, einen andern Weg einzuſchlagen, der ſich ihm bald darauf durch ein an ſich unſcheinbares Ereigniß aufthat. Zu Anfang des Jahres 1836 begab ſich die Wittwe feines dritten Sohns, 38mael Paſchas, von Kairo, zum Bes
ſuche ihres Vaters , Arif Bey , des vormnaligen Kadi Asfer,*) nach Konſtantinopel. Zehra, oder Giulin Khanoum , genoß hier wie dort ein gleich großes Anſehen , das ihr in Folge ihrer hohen Verbindungen ſowohl, als auch ihrer vorzüglichen perſönlichen Eigenſchaften überal gezollt wurde. Sie war eine jener feltenen Frauen, die durch ihre Schönheit und Ver : ftandesfülle auch im Morgenlande einen großen Einfluß haben , der ſich unſichtbar oft weit über ihre Umgebung hinaus er ſtredt. Wenn auch aus dem verdächtigen Aegypten fommend, ſtanden ihr doch die Thore des Seraglios in Stambul ſo
gleich offen. Es läßt ſich mit Gewißheit annehmen , daß fie als Geſandter Mehemed Aly's geſchickt worden, den Boden zu
nnterſuchen und die Mittel ausfindig zu machen, durch welche *) Dberſter Richter der aſiatiſchen Türkei . Arif Bey ſtand wegen ſeines ehrbaren Charakters und ſeiner großen Gelehrſamkeit in ſo hohem Anſeben , daß er zum Scheikh -ul- Jslam ernannt worden wäre , wenn fich die Pforte nicht vor ſeiner Verwandtſchaft mit dem Feindſeligen Paſcha ges fürchtet hätte.
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er zu ſeinem Zweck gelangen fönnte , falls es ihr nicht gleich möglich ſei, mit ihrer Schönheit, Anmuth , Ueberredungsgabe und Ausſtellung aller weiblichen Tugenden den gefühlvollen Sultan zur Einwilligung in das ägyptiſche Begehren zu be wegen. Leider ſind alle Angelegenleiten des Harems mit ſo geheimnißvollem Dunfel umgeben , daß über den Verlauf der Unterredungen , die darin angewendete Schlauheit, Geiſtess ſchärfe, Erfindungskraft, gepaart mit dem bezauberndſten Ge berdenſpiel und allen Mitteln , die Verſtand und Sinne zu: gleich berauſchen und den Erfolg fichern , niemals etwas Genaueres in der Außenwelt verlautbaren wird. Eine Aus.
gleichung im Sinne Mehemeds, welche, nach der Stellung Zehra's zu beiden Partheien zu ſchließen, die Aufgabe dieſer weiblichen Geſandtſchaft geweſen ſein mußte, fam indeſſen nicht zu Stande, obwohl, gerade zu derſelben Zeit, auch der Admiral Rouſſin und der franzöſiſche Generalconſul in Alerandrien ,
H. Mimant, die beide an Ort und Stelle durch den angeblich ſo befriedigenden „ status quos über die wahre Sachlage nicht getäuſcht wurden , ihr Streben dahin richteten, ein beſſeres Ein
vernehmen zwiſchen Konſtantinopel und Aegypten anzubahnen . Alles was von dem Sultan erreicht werden fonnte, war weiter nichts , als daß er eine ſelbſt verfaßte Note erließ, worin er erflärte , daß „Mehemed Aly Paſcha fich durch ſein
„ Benehmen unwürdig bewieſen habe, über Syrien zu herrſchen ; daß ihm jedoch, in Berücſichtigung ſeiner vieljährigen Dienſte
die erbliche Herrſchaft von Aegypten und von Hedſchaz „vielleicht ertheilt werden würde.« *) Wenn auch dieſe Kundmachung der großherrlichen Ab fichten nur eine jener halben Maßregeln war , die , weil ſie * ) Deux années d'histoire d'Orient etc. Vol . I, p. 31 .
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mit der feindlichen Geſinnung die ſchwankende Entſchloſſenheit und Rathloſigkeit dem Gegner verrathen, in den meiſten Fällen zu gewiſſem Nachtheile gereichen ; ſo war durch dieſelbe doch wenigſtens der Weg zu ferneren , friedlichen Ausgleichunges verſuchen offen gehalten. Auch wurde bald darauf der Bey
Liftſchi, oder Vicekanzlér der auswärtigen Angelegenheiten, Zarim Effendi, mit Geſchenken des Sultans an den Paſcha von Aegypten nach Alerandrien geſchickt und dort mit nichts ſagenden Förmlichfeiten, die mehrere Tage dauerten, empfangen, worauf Unterhandlungen eröffnet wurden , die um fo weniger zu einem Abſchluß führen fonnten , als es dabei an gegens
ſeitigem Vertrauen und, wenigſtens ägyptiſcherſeits, an gutem Willen fehlte. Zarim Effendi hatte in ſeiner ihm vom Sultan ertheilten Vollmacht den gemeſſenſten Befehl erhalten, wenigſtens die Erblichfeit Syriens , die der Paſcha , bis an den Taurus als Grenze , neben der Aegyptens und Arabiens aud ver langte , in feinem Falle zuzugeſtehen. Nachdem ſich die Bes ſprechungen unter dem Scheine großmüthiger Aufopferung wichtiger Intereffen zum Behufe einer Ausgleichung , einige Zeit lang hingezogen hatten, kehrte der türfiſche Unterhändler , der wohl einfah, daß nichts auszurichten war, eben ſo unver richteter Sache, wie feine Vorgänger, nach Konſtantinopel zurück. Wenn nun auch die fehlgeſchlagenen Unterhandlungen nicht ſogleich zu einem offenen Bruche führten , ſo mußten ſie doch die tiefe Entrüſtung vermehren , die Mahmud gegen ſeinen aufrühreriſchen Diener gerechter Weiſe empfand, und die der albaneſiſche Emporkömmling zurückgab, nicht anders , als ob er auf angeftammtem Recht fuße und darin wunder wie ſehr beeinträchtigt werde. Der Sultan fonnte den Verluſt Syriens um ſo weniger verſchmerzen , als er ſah, mit welch himmel ſchreiender Gewalt der Paſcha die Einwohner mißhandelte. Die
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Klagen über die Bedrückungen und Grauſamfeiten der Aegypter
hatten ſein Dhr erreicht und fein Mitleid mit dem harten Looſe jener Völkerſchaften erregt. Denn Mahmud war edler Gefühle vol , und ſein Charafter , neben den vieler Andern
gehalten , verdient die aufrichtigſte Anerkennung; nur hat ihn eine zu große Leidenſchaftlichfeit mitunter in bedeutende Frrs thümer verfallen laſſen, die ihm Nachtheil brachten. Aber wer unter den Menſchen iſt fehlerfrei?
Gibt es unter den chriſt
lichen Fürſten nicht viele , die als Menſchen dieſem Befenner des Islam weit nad ,ſtehen ? *) *) Der Sultan fühlte ſich nicht blos in ſeinen Rechte gefränkt , ſon : dern auch an ſeine Pflichten gemabut, denen gemäß er nicht nur der Serr, ſondern audy der Beſchüber jenes Landes und ſeiner unglücklichen Bewohner war. Dies Gefühl äußerte Mahmud auf eine würdige Art in der Ver: öffentlichung, die der Sendung Zarim Effendi's vorausging. „ Die Fürſten “, heißt es darin, „find von der Vorſehung eingeſeßt, das Heil der ihrer Ge: „ walt anvertrauten Völker zu befördern. Nun iſt Allen kund, daß Mehemed „ Aly jene von Gott gebotene Pflicht inſonderheit gegen die Völker Syriens
„ derkannt hat , was durch die häufigen Aufſtände, deren Schauplaz jenes „ Land geworden, ſowie durch die vielen ans dem Cham (Syrien) kommen :
iden Bitten , wieder unter die rechtmäßige Herrſchaft zurückzukehren, Aller „ Augen einleuchten muß." Ungeachtet.ſo edler Geſinnung haben europäiſche Schriftſteller behauptet, der Sultan habe in ſeinem Baſſe gegen den Paſcha die ſyriſchen Völfer mehrfach zum Aufſtande anregen laſſen und ſei da : durch an den vielen dabei verübten Grauſamkeiten ſelbſt Schuld. Wenn
auch die Anſchuldigung wahr wäre, ſo iſt doch der darauf gegründete Schluß, ob mit Abſicht oder aus Jrrthum ? grundfalſch und gegen alle Regeln der Denklehre .
Aber die Beſchuldigung ſelbſt entbehrt aller
Wahrheit und ſteht im graden Widerſpruche mit der Geſinnung, die Mahmud geäußert, als ihm bei dem Aufitande von 1834 wiederholt gerathen wurde,
den Bewohnern von Jeruſalem und Gebron Hülfe und Beiſtand zur Ver: jagung der Aegypter durch einen Firman zu verſprechen. „Ich will nichts thun“ , erwiderte er auf dieſe Vorſchläge, „ den unwürdigen Paſcha zu ver: nichten ; Mehemed Aly arbeitet ſeinem Untergange ſelbſt entgegen dadurch, daß er jene idyönen und fruchtbaren Länder meines Reiches mit Gewalt
innehaben will ." Voyage en Asie Mineure etc. Vol. II, p. 349. Und der Großherr hatte Recht. Bei jeder Gelegenheit lernten die Syrer immer mehr einſehen , wie eitel ihre Hoffnungen auf Mehemed Aly
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Dieſe leidenſchaftliche Hiße hinderte den Sultan, die Nuß lofigfeit ſeiner Maßregeln einzuſehen, und ihre Wirkungsloſig feit an den verſchinißten Ränfen und unbegrenzten Anmaßungen feines Lehnsmannes ſteigerten ſeinen Haß gegen Mehemed auf den höchſten Grad, während dieſer weniger durch die Vereite
lung ſeines fehnlichſten Wunſches, den er immer noch erfüllt fehen fonnte, als durch die hartnädige Weigerung ſeines von ihm geſchwächten und gedemüthigten Oberherrn in ſeinem ges waltigen Ehrgeize tief gefränft fühlte. Dieſe gegenſeitige Ge müthsſtimmung der beiden Männer ,, von deren Willen faſt allein der Friede abhing, war die einzige Gewährleiſtung für den Fortbeſtand des nachgerade ſprichwörtlich gewordenen status quo, bei dem ſich die europäiſchen Höfe bisher beruhigt hatten, in der Hoffnung, daß, da er ſo lange gedauert habe, er auch ferner wohl noch fortbeſtehen werde , ohne zu bedenken , daß das nur gedämpfte Feuer unter der Aſche fortglimme und bei dem leiſeſten Windhauche wieder in lichterlohe Flammen aus ſchlagen konnte. Auch zeigte es ſich bald , daß die ſo weiſe Streitſchlichtung, die durch die Bemühungen der europäiſchen Diplomatie zu Stande gebracht worden , eine unvermeidliche Wiederholung der früheren Kriegsereigniſſe um ſo mehr er warten ließ, als beide Gegner, dadurch gleich wenig befriedigt, nur eine Art Waffenſtilſtand geſchloſſen hatten, den die in den morgenländiſchen Angelegenheiten beſonders betheiligten Groß mächte zu einer dauernden Ausgleichung auf fejten Grund lagen unbenußt verſtreichen ließen .
Mehemed Aly, deſſen glühender Ehrgeiz mit ſeinem vor rückenden Alter um nichts abgefühlt wurde, ſondern vielmehr
geweſen und ſehnten ſich lebhaft unter die verhältniſmäßig milde Herrſchaft der Türken zurück.
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noch zunahm, fühlte, jemehr er ſich ſeinem Lebensende näherte, deſto heftiger den Drang, was er erworben , ſicher auf ſeine Nachfommenſchaft zu übertragen. Von den Großmächten ab gewieſen , hatte er , troß der mißlungenen Ausgleichungsver: ſuche mit der Pforte , feineswegs die Hoffnung verloren , zu erlangen , was er begehrte ; er fannte Schauplaß, Perſonen ,
Rollenvertheilung und die Fähigkeiten derer , die ſte zu ſpielen hatten , zu genau , um nicht durch geſchickte Benußung aller Umſtände feines endlichen Erfolges gewiß zu ſein. Er wandte fich aufs Neue nach Konſtantinopel, aber diesmal nicht bittend um eine Gunſt, ſondern fordernd, was ihm , nach ſeiner Mein
nung, von Rechtswegen gebühre, und mit der Drohung, daß, wenn ſein Anliegen fein geneigtes Gehör finde, er es mit Gewalt burdreben werde. Den europäiſchen Conſuln in Alerandrien verfündete er , daß , auf den Fall einer ab
ſchlägigen Antwort der Pforte , er geſonnen fei, ſeine Unab , hängigkeit zu erklären , und vorziehe , lieber alle Folgen eines ſolchen Schrittes entſchloſſen auf fieh zu nehmen , als den status quo noch länger zu ertragen .* )
Nachdem er feine
Abſichten in einem , an die verſchiedenen Conſulate gerichteten,
förmlichen Rundſtreiben , mit noch unzweideutigeren Aus. drüden wiederholt hatte, beifügend, daß er von nun an feinen Tribut mehr nach Konſtantinopel fenden werde, entfernte er fich plößlich für einige Zeit von Alerandrien , wo froß ſeiner Abweſenheit, und recht zur Schau , die begonnenen Kriegos rüftungen mit ununterbrochenem Eifer fortgeſeßt wurden . Von Kairo begab er ſich Mitte Oftobers für den Winter nach Fazodlo in Nubien , um angeblich Goldminen aufzuſuchen , *) Dies geſchah gegen die Mitte des Jahres 1838 , bald nach Inter: drückung des großen Aufſtandes im Saouran.
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und blieb dort bis zur Mitte des Märzmonats 1839 , um,
wie behauptet wurde, läftigen Vermittelungsverſuchen zu ent gehen und den Anſchein zu bewahren , als ſei er an den be
vorſtehenden Ereigniſſen (zu denen ſein unverſchämtes Begehren die Haupturſache abgab) vollfommen unſchuldig. Dieſe Meis nung ſcheint aber um ſo weniger richtig, als es den Geſandten und Conſuln befannt ſein mußte , welche Kriegsrüſtungen der Paſcha gemacht und troß ſeiner Abweſenheit, zu machen fort fuhr, und ſie ſich daher , wo die Handlungen ſo deutlich von den geheimen Geſinnungen Mehemeds Zeugniß gaben, von feinem vorgeſchüßten Reiſezweck nicht über ſein wahres Vors
haben fonnten beirren laſſen. Auch mußte er befürchten, daß die Rückſichtsloſigkeit gegen die Vertreter der Großmächte, die unter folchen Verhältniſſen in ſeiner Entfernung lag , dieſe mittlerweile vereinigen fonnte, die obwaltenden Mißhelligfeiten zu Gunſten der Pforte zu beſeitigen und ihn bei ſeiner Rück :
fehr blos aufzufordern, ſich der Beſchlußnahme zu fügen, widrigenfalls er durch Gewalt dazu gezwungen werde. Mehr Wahrſcheinlichkeit verdient die Vermuthung die übrigens nur als ſolche hier geäußert wird -- daß der Paſcha mit Zuſtimmung oder gar auf Anrathen einer' der Großmächte ſich von Alerandrien wegbegeben, um der Diplomatie Zeit zu laffen,
ſeine Angelegenheit befriedigend bei der Pforte zu betreiben. Die europäiſchen Geſandten, ſowie die verſchiedenen Partheien des Mabaîn
Staatsraths — in Konſtantinopel benußten
auch wirklich dieſe ruhige Zwiſchenzeit, um -- ihrer Intereſſen, jeder auf ſeine Weiſe , ſo gut es gehen wollte, zu pflegen. Die Einen wollten den Frieden auf dieſe, die Andern auf andere Art, und ſo ward im Weſentlichen nichts ausgerichtet; denn der Sultan wollte von einer weiteren Rechtsentäußerung
nichts hören und wünſchte im Stillen eben ſo ſehr den Krieg,
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wie Mehemed Aly , um aus dem hohlen status quo , jener
Muſterſchöpfung europäiſcher Diplomatie , um jeden Preis herauszufommen.
Bald thaten fich auch ſichere Vorzeichen des herannahen den Ungewitters auf beiden Seiten fund. Ibrahim Paſcha durcheilte Syrien von einen Ende zum andern, erhielt Waffen und Schießvorräthe in Menge aus Aegypten , ließ die Ge birgspäſſe des Taurus befeſtigen und mit Schwergeſchüß ver ſehen , kurz , er traf alle nöthigen Vorkehrungen , um , nach Umſtänden, den Krieg zu beginnen oder auch ſich gegen etwaige Angriffe der Türken wirkſam vertheidigen zu können. Die Pforte blieb indeſſen auch nicht unthätig. An die Stelle Reſchid -Mehemeds, der in Folge feines Rummers über den unglüdlichen Feldzug von 1832 an einer Gehirnentzüne
dung geſtorben war , hatte der Sultan Hafiz -Paſcha zum Serdari-Eckzem des Heeres erwählt, das im ſüdöſtlichen Kleins aſten verſammelt war , und ließ ihm fortwährend zahlreiche
Verſtärkungen zuſenden, die ſich jeßt --- im Frühling 1839 gegen die nordöſtliche Grenze von Syrien , namentlich in der
Umgegend von Malatia zuſammengezogen. Dorthin begab fich im Anfang Aprils, von Konſtantinopel aus, Tayer Paſcha, um angeblich über den Zuſtand der verſchiedenen Truppen abtheilungen an den Divan zu berichten, in Wirklichkeit aber, um die geheimen Befehle des Sultans an Hafiz - Paſcha zu überbringen , „ daß er die Kriegsrüſtungen mit dem größten Eifer betreibe und den Feldzug baldmöglichſt eröffne. Man
ließ es im türkiſchen Heere an keinen Anſtrengungen fehlen, um die großherrliche Kriegsluft ſchnell zu befriedigen . Bereits am 21. April überſchritt Ismail Paſcha mit dem Vortrab
bei Bir, oder Biled chick, den Euphrat und befand ſich auf dem rechten Ufer dicht an der ſyriſchen Grenze, wo er ſofort Dnomander , länder des Oftens II.
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eine verſchanzte Stellung einnahm , um dem Heere den Ueber gang über den Grenzfluß zu fichern.
Es waren außerdem
die großartigſten Pläne gefaßt und Vorbereitungen getroffen worden, nach welchen zahlreiche Heeresabtheilungen Syrien zugleich von Norden und Oſten angreifen foûten ; faſt ſämmts liche Statthalter des aſiatiſchen Reiches hatten den Befehl er halten , mit all ihren Streitkräften ins Feld zu rücken, und Viele hatten fich ſchon in Bewegung geſeßt, um baldigſt zu dem Hauptleer zu ſtoßen ; aber dieſes eilte unter Hafiz Paſcha zu ſchnell voran , als daß es Jenen möglich geweſen wäre, den Schauplatz der entſcheidenden Begebenheiten noch zu rechter Zeit zu erreichen, um auf deren Wendung einwirken zu können. Ibrahim Paſcha befand ſich in der Nähe von Aleppo,
als er am 28. April Abends, zu ſeiner nicht geringen Freude, die Kunde von dem entſcheidenden Schritte ſeines Gegners erhielt. Er hatte lange einen Angriff von jener Seite her erwartet und war darauf vorbereitet : ſeine durch die ſyriſchen
Unruhen in ſteter Kriegsgewohnheit gebliebenen Truppen, die neu verſtärkt und ausgerüſtet worden , ftanden ſchon in der Nähe jener Stadt, fo daß er in aller Gelaſſenheit die kommen : den Ereigniſſe abwarten konnte. Auch verhielt er ſich noch ganz ruhig und erließ nur den Befehl zur dichteren Zuſam menziehung ſeiner Truppen , durch welches Benehmen er flug
den Vorwurf, den Krieg angefangen zu haben , von ſich ab und auf den Gegner lenkte.
Als Mehemed Aly vom Uebergang der Türken über den Euphrat Nachricht erhielt, richtete er zwei höchſt friedfertige Rundſchreiben an die europäiſchen Conſuln , worin er fich erbot, ſeine Truppen aus dem nördlichen Syrien zurüczuziehen und ſogar Ibrahim Paſcha nach Aegypten abzuberufen, wenn
die Großmächte bewirfen wollten, daß Hafiz- Paſcha ſeinerſeits
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über die Grenze bis jenſeits Malatia zurüdgehe, nur allzu .
wohl wiſſend, daß dies nicht mehr friedlich geſchehen fonnte. Durch dieſen diplomatiſchen Schritt erlangte er zwei wichtige Vortheile : er gewann Zeit, die öfters gedrohte, wirkſame Gins fchreitung der europäiſchen Großmächte fo lange aufzuhalten, bis er über den Gegner wenigſtens im Felde einen vollſtän digen Sieg davongetragen , der den Austrag mit Mahmud zu ſeinen eignen Gunſten bedeutend erleichtern mußte ; und er hatte ſeine friedlichen Geſinnungen vor dem ausbrechenden
Kampfe dargethan, ſo daß ſie ihm, bei einem etwaigen Unglück Ibrahims , wie das im Kriege oft unerwartet und gegen alle Vorausſicht eintrifft, bei den ſpäteren Beilegungsverhandlungen
in Anrechnung gebracht und ſo von großer Wichtigkeit werden fonnten .
Der Sultan ſtand jedoch ſeinem ſchlauen Lehns
manne in Verheimlichung der wahren Geſinnungen und Vers bergung der daraus fließenden Handlungen feineswegs nach. Die in Konſtantinopel befindlichen Geſandten der Großmächte, mit Ausnahme Pord Ponſonby's, der perſönlich für den Krieg
war, wurden über den eigentlichen Zweck der feindſeligen Be wegungen des Heeres am Euphrat eben ſo falſch unterrichtet
und theilweiſe hintergangen , als die Conſuln in Alerandrien über die hinterliſtigen Beſtrebungen Mehemed Aly's. Erſt als der geheime Botſchafter des Sultans , Tayer - Paſcha, am
19. Mai über Trapezunt wieder in der Hauptſtadt eintraf, erhielten ſie und die Friedenspartei im Mabaïn aus deſſen Munde Aufſchluß über die wahre lage der Verhältniffe, indem er ihnen ohne Umſtände erklärte, daß dem Pezemeng * ) damit meinte er Mehemed eine für allemal ein Ende ge
macht werden müſſe. *) Das ärgſte Schimpfwort, das die Türken beſigen 10 *
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Am 17. hatte bereits der Haupttheil des Heeres unter Leitung des Serdari -Edzem den ſchwierigen Flußübergang bei Bir bewerkſtelligt, worauf die entſcheidenden Begebenheiten raſch auf einander folgten. Am 22. Mai befegte der türfiſche Vortrab das Dorf Nizib , drei Stunden weſtlich von Bir, von wo 1000 Mann Reiterei bis zu dem noch zwei Stunden weiter gelegenen Drte Mazar vorgeſchoben wurden. Als Folge dieſer Vorwärts
bewegung hatte Hafiz - Paſcha einen allgemeinen Aufſtand der ſyriſchen Völferſchaften gehofft.
Da ſich aber feine derſelben
regte, und die Bewohner der Umgegend der von ihm befekten Ortſchaften geneigt ſchienen, eine entſcheidendere Wendung der Ereigniſſe abzuwarten, bevor ſie ſich offen für den Sultan zu erklären wagten , fo ließ er auch die am ſüdöſtlichen Ende des Taurus bereitſtehenden Truppen vorrücken und vierzehn Ort ſchaften in der Gegend von Aïntab befeßen , einer kleinen Stadt, in welcher ſich eine von den Aegyptern befeſtigte Burg befand , deren Beſagung fich bald und faſt ohne Widerſtand den Türken ergab.
Während dieſe unternehmenden Bes
wegungen des Hafiz -Paſcha von Ende Mai bis zu Anfang Juni ausgeführt wurden , ohne daß ſich die Aegypter im Weſentlichen darum zu fümmern ſchienen ; ja fogar ihre leichten
Truppen , die bis in jene Gegend vorgegangen , ſich überall vor den herannahenden Türfen zurückgezogen und auf das Geffiffentlichſte jedes Zuſammentreffen mit dem Feinde zu vers meiden ſuchten , hatte ſich Ibrahim Paſcha bis dahin blos begnügt, die Bewegungen des türkiſchen Heeres aufmerkſam zu beobachten und ſeine eigenen Streitkräfte in wartender Bereitſchaft zu halten.
Am 3. Juni trafen die unregelmäßigen Vorläufer beider
Heere auf einander und es fand ein Scharmüßel Statt,
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welchen Vorfal Ibrahim Paſcha dazu benußte, ſich vom tür fiſchen Feldherrn eine Erklärung darüber auszubitten , indem er alle Schuld von fich abwälzte und feine (angeblich) fried
fertigen Geſinnungen auf ähnliche Weiſe betheuerte, wie ſein Vater es gegen die europäiſchen Conſuln gethan hatte. Dieſes verfängliche Schreiben (vom 8. Juni) beantwortete · Hafiz Paſcha den folgenden Tag auf die vorſichtigſte Art, indem er
gegen die ihm gemachten Beſchuldigungen Einſprache that und dem ägyptiſchen Heerführer rieth , fich zurückzuziehen, und ſchloß damit , daß er die Beherzigung und Ausführung des Inhalts dieſes Schreibens der hohen Vorſicht Ibrahims an heimſtelle. *)
Man hat es den Türfen vielfach zum Vorwurf gemacht, daß ſie einzig und allein am Wiederausbruche des Krieges ſchuld geweſen und daher das erfolgte Unheil felbft herbeis geführt hätten. Dieſe Meinung, die ſogar der engliſche Ad miral Charles Napier ausſpricht **) , zeugt von einer eng herzigen Kurzſichtigkeit und iſt jedenfalls ganz irrig ; denn
geht man von der oberflächlichen Anſchauung auf den Grund der ägyptiſch-türkiſchen Verhältniſſe und beurtheilt ſie nach den bekannt gewordenen , in Bezug auf dieſen Krieg jedenfalls ſpruchreifen Aften, ſo muß man dem alten Ränfeſchmied Me hemed Aly bei weitem den größten Theil der Schuld -bei meſſen, wenn man, aus Gefälligkeit oder Furcht, die Verants
wortung der Großmächte, deren die Aften erwähnen ***), mit Stillſchweigen übergehen will. +) *) Deux années etc.
Der status quo , womit
Vol. I , p . 184 s .
**) The war in Syria, by Sir Charles Napier. 2 Vol. 8 °. Lon don 1842.
S. Preface.
***) Quidquid inest actis, dejudicetur Pandect.
+) Wenn die ſich freuzenden Einzelintereſſen der europäiſchen Mächte erlaubt hätten , vom oberſten Standpunkte urtheilend, das gute Recht des
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die Weisheit der europäiſchen Diplomatie niedergekommen war,
fing an , beiden Gegnern gleich unerträglich zu werden ; beide brannten vor Begier , im Felde ihren Streit auszu fämpfen und hatten ſich dazu gerüſtet; beide verbargen vor der Welt bis zum lezten Augenblick ihren wechſelſeitigen Haß und bethenerten ihre Friedensgeſinnungen. Aber der auf rühreriſche Diener war in Ränfen erfahrener, als der in
feinem guten Rechte beeinträchtigte Herr , der feines tief ge fränften Gefühls über die in ihm beleidigte Herrſcherwürde nicht Meiſter werden konnte, während jener mit der vollendetſten Verſtellung alle Triebfedern in Bewegung feßte, auf dem Wege der freiwilligen Gewährung oder mit Gewalt zu erlangen, 'was er zu fordern ſich berechtigt glaubte und der Sultan zu verweigern das wirkliche, unbeſtreitbare Recht hatte. Wo liegt
denn da die größere, und alles genau genommen, die alleinige Schuld ? Es ſoll nicht in Abrede geſtellt werden , daß der
Großherr politiſch unklug gehandelt habe , fich von ſeinen Gefühlen fortreißen zu laſſen, ohne mit muthmaßlicher Sicher heit und kalten Verſtandes die Folgen ſeines Unternehmens zu überlegen und zu berechnen. Nicht die Berechnung des Vor theils oder Nachtheils , ſondern nur das empörte Gefühl be leidigter Herrſcherwürde trieb ihn zum Kriege, und das „ Welt gericht“ der Geſchichte wird , in Erwägung dieſes Gefühles, gerechter ſein, als Herr Napier.
An demſelben Tage , als Jbrahim Pafcha die Antwort Sultans ſeinem treubrüchigen Lehnsmanne gegenüber , von vornherein an zuerkennen , ſo würde die ſ. g. „ Orientaliſche Frage" bald entſchieden ge weſen ſein. Aber die ganze Schwierigkeit der Löſung ſcheint in dem berühmt gewordenen , Entente cordiale“ gelegen zu haben, auf welches ſchon Martial vor bald zwei tauſend Jahren anſpielte in dem vermuthlich von Abſchreibern verderbten Verſe :
„ Victrix causa Gallo placuit, sed victa Leoni.
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des türkiſchen Befehlshabers erhielt , ſchrieb ihm ſein Vater, der damals vom Vorrücken des türfiſchen Heeres die erſte Kunde befommen hatte , daß er Hafiz - Paſcha angreifen ſollte.
Nach Empfang dieſes Befehles , mit dem die Nachricht von der Einnahme der Burg von Aïntab zuſammentraf, ließ Ibrahim
Paſcha ſeine geſammte Hauptmacht gegen Norden vorrücken .* ) Nach ſeinen erſten übereilten Schritten verrieth ießt Hafiz Paſcha, der noch immer, aber vergeblich, auf einen allgemeinen Aufſtand Syriens hoffte, eine gewiſſe unſchlüſſige Langſamfeit.
Er ging nicht weiter vor, ſondern nahm bei Nizib und Mazar eine Stellung, in der er ſich hinter weitläufigen Feldwerfen in der Richtung nach Aleppo hin verſchanzte , in der Abſicht, den Angriff der Aegypter dort zu erwarten. Dieſe Zögerung im entſcheidenden Augenblick machte die Folgen doppelt ver derblich, welche ſeine anfängliche, unbeſonnene Voreiligkeit nach fich ziehen mußte. Anſtatt die Verſtärfungen der verſchiedenen aſtatiſchen Paſchas mit ihren Aufgeboten zu erwarten , um
dann erſt, ohne ſich blindlings auf den ſo ſicher gehofften Auf ſtand der Syrer zu verlaſſen, wohl vorbereitet den Angriff zu unternehmen , oder , nachdem er einmal Den Feldzug eröffnet hatte , ihn auch mit raſcher Entſchloſſenheit auf gut Glück fortzuführen, war er auf den dringenden Wunſch des Sultans und zufolge der ihm von Tayer Paſcha überbrachten Vefehle eilends über die Grenze geſchritten, worauf er unentſchloſſen Halt machte. Dadurch opferte er alle Vortheile an Zeit und Dert
lichfeit, die bisher auf ſeiner Seite geweſen , nicht nur für ſich nußlos auf , ſondern geſtattete dem Feinde die ungehinderte Ausbeutung derſelben . *) Deux années etc. Vol. I, p. 214 ( Appendice : Alexandrie le 5 Juin).
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Ibrahim Paſcha benußte deſto beſſer die Umſtände, die
fich Barboten , zu ſeinen Zwecken. Am 18. Juni hatte das ägyptiſche Heer ſeinen Marſch nach Nordoſten angetreten, am 20. befand es ſich Angeſichts der Türfen. Da Ibrahim Paſcha aber die Schanzen des Feindes nicht gerade von vorne
zu beſtürmen wagte , ſo verſtrichen zwei Tage mit Hin- und Hermärſchen und leichten Vorpoſtengefechten, worauf er (am 23.) die befeſtigte Stellung der Gegner von der Oſtſeite angriff und dadurch die Rückzugslinie auf Bir abſchnitt. Bis zum Nachmittage des 24. Juni dauerte mit einzelnen Unter brechungen der auf beiden Seiten hartnädige Kampf. Dann
fam es zu einer dreiſtündigen Entſcheidungsſchlacht, in welcher die Türfen unterlagen und das Feld dem fiegenden Feinde
überlaſſend, ſich in eiliger Flucht und größter Unordnung nach Maradſch zurückzogen.
So lange der Kampf währte, hatten die einzelnen Truppens abtheilungen des türfiſchen Heeres mit Tapferkeit gefochten ; es herrſchte aber fein Zuſammenhang in ihren Bewegungen, denn der an fich nicht untüchtige Hafiz fchien durch das Bes wußtſein der begangenen Fehler wie gelähmt, ſo daß er den Oberbefehl nicht mit der nöthigen Umſicht leitete und doch auch den Rathſchlägen und Anweiſungen der im Lager bes findlichen europäiſchen Offiziere fein Gehör geben wollte. Zu wiederholten Malen ſtürzte er ſich ſelbſt verzweifelten Muthes in das heftigſte Feuer, um durch ſein Beiſpiel die weichenden Truppen zum Stehen zu bringen. Aber das konnte die bes gangenen Fehler nicht mehr gut machen, und am Abend des 24. mußte er ſich verbiffenen Ingrimmes mit den Trümmern feines Heeres vor dem ſiegreichen Ibrahim in ſchleuniger Eile zurüdziehen.
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Dies war die entſcheidende Schlacht bei Nizils, die dem Feldzuge türfiſcherſeits ein Ende machte. Das Heer des Ser dari-Eczem war ſo gut wie aufgelöſt, und die Hülfstruppen, die an den Unternehmungen gegen Syrien hätten Theil nehmen ſollen, waren entweder noch zu weit entfernt , oder fehrten, auf die Kunde von dieſer Niederlage , ſogleich wieder um. Denn der Eindruck, den das verlorene Treffen bei Nizib her vorbrachte, überſtieg bei Weitem die durch die Schlacht von Koniéh verurſachte Muthloftgfeit, mit welcher es übrigens in den meiſten Beziehungen große Aehnlichkeit hat. 033: Der Weg nach Stambul ſtand alſo dem gefürchteten Ibrahim wieder offen. Wenigſtens verſäumte er nicht, nach einem durchaus nothwendigen Raſttage, vom Schlachtfelde auf zubrechen und den fliehenden Feind ſo raſch, als thunlich , zu verfolgen.
Die unerwartete Nachricht dieſes großen Unglüds , das alle ſeine Hoffnungen, die legten, mit einem Schlage vernichten mußte, wäre für Mahmud die größte Trübſal geweſen, die er in ſeinem ganzen Leben empfunden hatte. Das Schickſal hatte es indeſſen anders beſchloſſen . Der unheilsvolle Ausgang des Tages bei Nizib ward der Pforte erſt am 5. Juli befannt,
fünf Tage ſpäter, als der Sultan den gerſtörenden Wirkungen
ſeiner reizbaren leidenſchaftlichkeit erlegen war. Gleich einem Pferde von edler Race , das ſich mit dem vergeblichen Ver ſuche, ſeinem Reiter Widerſtand zu leiſten, lieber ſelbſt zu Tode arbeitet, als ſich gutwillig bändigen zu laſſen, hatte Mahmud
fein ganzes, ereignißvolles Leben hindurch mit wuthverwandter Leidenſchaftlichkeit nur ſeinen eigenen Willen durchzuſeßen ges ſucht. Sein Eigenſinn 30g ihm viel Unglück und manche Demüthigung zu ; doch weder Erfahrung noch Alter beſſerten ihn , vielmehr ward fein Charakter mit den Jahren und den
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größeren Hinderniſſen , die ſich ihm in den Weg ſtellten, nur erbitterter und halsſtarriger, bis ihn die tobendſten Aufregungen ſo zerrütteten, daß er im 54. Lebensjahre, nach einer dreißig
jährigen Regierung , an Entkräftung ſtarb. Die Vorſehung behandelte ihn gnädiger, als manche andere ſeines Gleichen ; ſte hatte ihm den legten , herben Schmerz erſpart: er ſchied vou Siegeshoffnungen , die ſeine lebten Augenblicke erheitern mußten und ihn auf dem Wege zum Paradieſe ſeines Propheten begleiteten.
Die Schlacht bei Nizib und der Tod des Sultans waren aber nicht die einzigen Ereigniſſe, welche das türkiſche Reich zu erſchüttern drohten.
Die Pforte war eben ſo ſehr bem
Verrathe im Innern , als dem äußeren Feinde preisgegeben. Im vorigen Kriege hatte die Eiferſucht des Seraskiers gegen
den Großvezier*) die Niederlage des türkiſchen Heeres bei Koniéh zur Folge gehabt ; die perſönliche Feindſchaft deſſelben Hoſch: reff gegen den Kapudan Paſcha bewog legteren zum Verrath, in Folge deſſen die ganze türkiſche Seemacht zum Feinde über ging. Eine nälere Veleuchtung der Umſtände, welche zu dieſem Begebniſſe beitrugen, das ſeiner Zeit ein ſo großes Auf ſehen in Europa erregte und Vielen unbegreiflich erſchien, wird den wahren Charafter deſſelben herausſtellen und ſo zu einer richtigen Beurtheilung führen . Vor den Wiederausbruch des Krieges war der Mabažn in Konſtantinopel in zwei einander ſchroff entgegengeſepte Partheien geſpalten , zu deren einer oder andern fich, je nach ihren, eigenen Intereſſen und Anſichten, die verſchiedenen eins flußreichen Perſönlichkeiten hielten . Die eine Parthei verlangte *) Reſchid -Mehemed Paſcha; Gojchreif Paſcha war der damalige Seraskier.
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die Züchtigung des ägyptiſchen Aufrührers um jeden Preis, die andere dagegen war für die Erhaltung des Friedens. Hoſchreff Paſcha, der während ſeiner langen und wechſelvollen Laufbahn die verſchiedenſten hohen Aemter bekleidet hatte, beſaß eine zu große Geſchicklichkeit, ſeine Anſichten darin nach ben jedesmaligen Umſtänden einzuridten.
Er , der älteſte
Widerſacher Mehemed Alys *), der vordem mit Leib und Seele für den Krieg geweſen und in Folge des unglüdlichen Aus gangs, den der erſte Feldzug genommen, in Ungnade gefallen war , ſtellte ſich diesmal an die Spiße der Friedensparthei, um ſo ſeinen verlorenen Einfluß wiederzugewinnen. Achmet Fevzi, der Kapudan Paſcha, ein verhältnißmäßig neuer Günſt ling des Sultans, der als ſolcher deſſen Haß gegen Mehemed und den heißen Wunſch, ihn zu beſtrafen, nur zu wohl fannte, hatte ſich zum Haupt der Kriegsparthei gemacht, weil er,
dem Wunſche ſeines Herrſchers dienend, ſich in ſeiner Stellung und Macht zu befeſtigen hoffte. Dieſe beiden Nebenbuhler, zwei Muſter jener nicht geringen Gattung hochgeſtellter Mor
genländer, deren Beweggründe die niedrigſten Leidenſchaften 3
und ihre Mittel die allergewiffenloſeſten Handlungen ſind, verſäumten natürlich keine Gelegenheit , ſich auf wechſelſeitige Unfoſten zu bevortheilen , woraus die bitterſte Feindſchaft zwiſchen ihnen entſtand.
Als bei der Rückkehr des geheimen Botſchafters aus dem Hauptlager, wo Tayer Paſcha die Kriegsluſt des Sultans dem *) Hoſchreff war der türkiſche Paſcha, der aus Kairo entfommen war, als Mehemed Aly fich zum Statthalter von Aegypten ausrufen ließ. Bei dieſer Gelegenheit rettete ſich der ſpätere Seraskier und Großvezier nur durch einen Sprung zum Fenſter hinaus, der einem ſeiner Beine auf Lebenszeit eine Verkrüppelung zuzog, in Folge deren er mit dem Spottnamen ,, Topal" der Lahme, Hinkende
beſchenkt worden .
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Serdari- Eczem einzuflößen beauftragt geweſen, es um den Eins fluß der Friedensparthei geſchehen war, machte Hoſchreff, der zu allen Zeiten beim Großherrn Zutritt hatte, einen leßten Verſuch,
denſelben von ſeinem leidenſchaftlichen Vorhaben abzubringen. Mahmud hörte der Rede einige Zeit geduldig zu , endlich aber brachten die friedlichen Anſichten und vorſichtigen Wendungen des alten Rathgebers ihn ſo ſehr auf, daß er denſelben im Zorne
entließ. Dem bejahrten Vezier folgte der Kapudan Paſcha, ob zufällig oder abſichtlich, auf den Ferſen nach und unterließ, wie man ſich denken fann, nichts, um den Unmuth des Großs
herrn gegen den frechen Diener, der ſeinen Unwillen zu ers regen gewagt“, auf deffen Koſten auszubeuten. Er hatte ſogar darauf angeſpielt, „ daß es nur eines Wortes von den groß herrlichen Lippen bedürfe, daß er , der treue Sklave Adhmet, dem alten läſtigen Topal den Garaus mache .“ Der edle
Mahmud ſchenkte dieſem hinterliſtigen Vorſchlag nicht nur kein Gehör , ſondern machte auch kein Geheimniß daraus , ſo daß
Hoſchreff davon Kunde erhielt. Adhmet wußte , daß er von dieſem Augenblid an der unverſöhnlichen Rache feines mächtigen Gegners ausgeſeßt war, gegen die ihn nur das augenblidliche
Uebergewicht der Kriegsparthei und die Gunſt des Sultans ſchüßte. Am 7. Juni war in einer allgemeinen Verſammlung des Diwans, welcher der Sultan beiwohnte, der Krieg förm lich beſchloſſen und zugleich erklärt worden, daß aus Rückſicht gegen die europäiſchen Mächte, bei ihrer Vorliebe für die Aufrechthaltung des status quo , diesmal der Fetwéh des Scheikh -ul- Islam der Welt nicht eher, als mit dem Ausbruch der Feindſeligkeiten fund gemacht werden ſollte. In Ueber einſtimmung mit dieſem Beſchluſſe, ſegelte am 8. und 9. Juni die türkiſche Flotte , die aus 32 Schiffen verſchiedener Eröße
beſtand, unter dem Befehle des Kapudan Paſcha nach den
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Dardanellen , ſich dort für die bevorſtehende Kreuzfahrt im
Mittelmeere bereit zu halten.
Die Abfahrt der Flotte von
Konſtantinopel war ein ſtattliches Schauſpiel für die Bes
wohner , war der Triumph der Kriegsparthei und ihres Hauptes Adhmet Ferzi ; es war aber auch die legte Befrie digung, die dem ſtolzen Geiſte des Sultans zu Theil geworden. Obwohl am 22. der türkiſche Großadmiral den Befehl zum Auslaufen erhielt, ließ er doch , troß ſeiner Kriegsluft, das
Geſchwader ruhig vor Anker liegen , denn bei dem Bewußts fein, daß während ſeiner Abweſenheit von der Hauptſtadt ſeine Feinde alles aufbieten würden , ihn zu ſtürzen , fürchtete er noch , ſich zu baldig und zu weit zu entfernen. Er richtete daher , ſtatt dem Befehle zu gehorchen , ein langes Schreiben an den Sultan , worin er , mit Betheuerung ſeiner ergebenen Treue , ſeine Feinde angeblicher geheimer Umtriebe anklagte. Dieſer verleumderiſche Bericht fiel in die Hände Hoſchreff Paſchas. Mahmud war am 1. Juli geſtorben und jener hatte ſogleich ſeine Wiederernennung zum Großvezier von dem jungen Sultan Abd - Ul - Medjid erwirft. Er überſandte ſtrads dem Kapudan Paſcha den Befehl, augenblidlich mit der Flotte nach dem Bosporus zurüdjukehren, um , wie Hoſchreff hinzu
gefügt hatte, die Ruhe der Hauptſtadt zu ſichern. Mit Em pfang dieſes Befehls wußte Acthmet Alles , den Tod ſeines Gönners und Beſchübers, die Erhebung ſeines Todfeindes zum Großvezier, und erfannte die Gefahr feiner Lage. Dem Befehl gehorchen hieß dem gewiſſen Untergang entgegeneilen ; da ſah er nur ein Mittel, fich zu retten , den Verrath. Er verhehlte deshalb die ihm aus Konſtantinopel zugekommenen Nachrichten vor ſeinen Dffizieren, weihte nur den Reale Bey Osman Paſcha, ſowie ſeinen Dragoman , einen verſchmißten Armenier , in das Geheimniß ein , und beſchloß, im Einver
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ſtändniß mit ihnen , zu den Aegyptern überzugehen , um ſich vor der Rache der neuen Machthaber, zu denen auch der Schwager des jungen Sultans, Halil Paſcha, den er fich früher ebenfalls verfeindet, gehörte, ficher zu ſtellen. Am 4. Juli
ließ er die Anker lichten und regelte in das Mittelmeer. - Alle glaubten, den erſten Befehlen gemäß, nach der ſyriſchen Küſte zu ſteuern ; wie groß war aber das Erſtaunen, als, mit Aus. nahme einiger Fahrzeuge , die bei Rhodus zurückblieben , die türkiſche Flotte (am 14.) in den Hafen Alerandriens einlief, wo der Kapudan Paſcha, noch vor wenigen Tagen das Haupt der Kriegsparthei, mit Mehemed Aly für ſich und feine Bez gleiter einen unbedingten Frieden ſchloß , um ſich, unter dem Schuße des öffentlichen Feindes, der Rache perſönlicher Gegner zu entziehen. Die Geſchichte bietet Verrath und Felonie in Menge dar ; aber bemerkenswerth iſt, daß das Gelingen nur in Ländern unter ganz unabhängigen Selbſtherrſchern möglich war und ſich mit ſolcher Leichtigkeit ausführen ließ.
Die raſche Aufeinanderfolge dieſer folgenſchwangeren Ereig niſje würde unzweifelhaft entſcheidendere Wirkungen nach ftch gezogen haben, wenn nicht die europäiſchen Großmächte durch ihre ſchließliche Dazwiſchenkunft und Vermittelung deren wei terem Verlqufe eine andere Richtung gegeben hätten. Franfreich
hatte zuerſt die Unhaltbarkeit des status quo eingeſehen und entſchied ſich daher auch zuerſt, den Wiederausbruch des
Krieges zwiſchen dem Sultan und ſeinem Paſcha zu ver hindern. Zu dem Ende ſchickte der Marſchau Soult, damals an der Spiße des Miniſteriums , zwei mit den Verhältniſſen
des Morgenlandes bekannte Offiziere , Caillé und Folß,
am 28. Mai 1839 mit außerordentlichen Botſchaften von Paris , den erſteren nach Alerandrien , den andern nach Kons ſtantinopel ab. Es herrſchten nämlich an den europäiſchen
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Höfen die beunruhigendſten Gerüchte über erneuerte Kriegs rüſtungen der beiden Feinde , und ungeachtet der friedlichen Berichte , die auf amtlichen Wegen fortwährend aus der Türfei und Aegypten einliefen, befürchtete man, namentlich am franzöſiſchen Hofe mehr , als irgendwo anders , die Verwide lungen, die bei einem etwaigen Wiederausbruche des Kampfes zu gewärtigen waren. Die plößlich eingetroffene Nachricht,
daß das türkiſche Heer den Euphrat überſchritten, veranlaßte die Abſendung jener beiden außerordentlichen Botſchafter , die
beauftragt waren , Alles zur Verhinderung der gefürchteten Feindſeligfeiten aufzubieten , und im Falle fie bei ihrer An funft ſchon ausgebrochen wären , denſelben unter jeder Be dingung Einhalt zu thun . Der Hauptmann Folt traf den 14. Juni in Konſtan
tinopel ein und beeilte ſidy, den Admiral Rouſſin , der damals ſeinen Landfiß am Bosporus bewohnte , vom Zwed ſeiner Sendung zu unterrichten. Er war indeſſen um einige Stunden zu ſpät angekommen ; die Kriegsparthei hatte ſo eben die volle Oberhand gewonnen , und während er fich in einem Kart
nach Therapia rudern ließ, entfernte ſich ein Dampfſchiff ins Schwarze Meer , das einen außerordentlichen Botſchafter des Sultans nach Samſoun führte, der mit 13 Millionen Piaſter
rücftändiger Löhnung für das Heer bei Bir, auch die Krieges erklärung und den öffentlichen Befehl an Hafiz Pafcha , den Feind anzugreifen , überbringen ſollte. Troß dem verſuchte die franzöſiſche Gefandtſchaft noch alles Mögliche, die Pforte friedlich zu ſtimmen, ohne daß ihre Vorſtellungen Gehör fanden. So blieb die außerordentliche Botſchaft nach Ronſtantinopel ohne Erfolg. Die Sendung des Hauptmanns Caillé nach Alerandrien
war glücklicher. Mehemed Alv, der ſtets eine große Vorliebe
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für Frankreich gezeigt, nahm auch dieſes Mal ſeinen Bot ſchafter mit wohlwollendem Zutrauen auf. *) Nach einigen
Tagen Hin- und Herredens war der Gegenſtand dieſer Sen dung ſoweit erledigt, daß ſich der Paſcha dazu heranließ, dem Hauptmann Caillé ein Geleitsſchreiben an ſeinen Sohn Ibrahim zu geben , in welchem er dieſem befahl, von allen
- Feindſeligkeiten abzuſtehen , nach beſten Kräften ein Einver eſtändniß mit dem türkiſchen Feldherrn für friedliche Zwede zu unterſtüßen , und ſelbſt wenn ſchon ein Treffen geliefert
fei, da, wo ihn dieſer Befehl erreiche, ftehen zu bleiben, unter
„ keiner Bedingung aber die ſyriſche Grenze zu überſchreiten.“ Am 17. Juni hätte Caillé mit dieſein, Tags vorher aus
gefertigten Schreiben ins Hauptlager des ägyptiſchen Heeres abgehen ſollen ; aber aus Mangel eines Dampfſchiffes und auch weil es, troß ſeiner ſcheinbaren Bekehrung zum Frieden, dem Paſcha nicht ſonderlich um Beſchleunigung zu thun war, verzögerte fich die Abreiſe um mehrere Tage. Als der fran zöſiſche Offizier endlich am 27. Juni Zbrahim Paſcha erreichte, war die Schlacht bei Nizib gewonnen und der ſiegreiche Feld herr ſtand im Begriff, den fliehenden Feind zu verfolgen. Die unerwarteten Befehle ſeines Vaters berührten ihn daher um
ſo unangenehmer, als ſie ſeine friegsluſtigen Pläne mit einem Male vernichteten . Nachdem er in leidenſchaftlichen Aus
drüđen ſeinem Unwillen, im ſchönſten Siegeslaufe aufgehalten zu werden , Luft gemacht hatte , kam ihm die ruhige Ueber legung zurüd und er fügte ſich, bei der Kunde der franzöſiſchen Vermittelung, die er jeßt erfuhr, in die überbrachten Vorſchriften. Er ließ demnach ſeine geſammten Heeresabtheilungen Halt machen, womit auch ägyptiſcher Seits der Feldzug beendigt war. *) Aus leicht begreiflichen Gründen !
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Mit dem Tode Mahmuds war auch die Kriegøparthei zu Grabe getragen. Der wieder zum Großvezier erhobene Huſchreff beeilte fich, Aliff- Effendi, ein Mitglied des Mabaïn , mit einem eigenhändigen Schreiben an Mehemed Aly nach Alerandrien zu ſenden , ihm die Thronbeſteigung Abd -Ul
Medjids anzuzeigen und zugleich die Friedensunterhandlungen wieder anzufnüpfen. Da die Anerbietungen , die der Groß vezier in ſeinem Schreiben zur friedlichen Uebereinfunft zwiſchen der Pforte und dem Paſcha machte , feine andern waren , als die ihm von Seiten Mahmuds durch Sarim - Effendi früher ( 1837) überbracht worden und die er ſchon damals ausges
geſchlagen ; ſo führten fie feinen Schritt weiter zur Löſung
und dienten nur den beiden Würdenträgern zu einem diplo matiſchen Briefwechſel, in welchem ſie unter fortwährenden
Betheuerungen ihrer , alten Freundſchaft» *) ihre gegen ſeitigen Spöttereien an einander ausließen. **) Durch dieſe Verfahrungsweiſe ward indeſſen die Pforte feineswegs beruhigt , die noch immer ein Vorrüden der
Aegypter auf Koniéh und Konſtantinopel fürchtete und daher einen großen Diwan (für den 27. Juli ) berief, um in Gegens wart der Großwürdenträger zu berathen , welche Maßregeln, Aegypten gegenüber, zu ergreifen feien , damit der Friede des
Reiches wiederhergeſtellt werde. Die mißliche Lage, worin ſich * ) Die dem Moſchreff um ſo unvergeßlicher ſein mußte , als er daber den Namen „ Topal" trug.
**) So ertheilte Mehemed Aly dem Großvezier wiederholt den Rath, ,, er möge doch wegen ſeiner Bejahrtheit abdanken und verſicherte, daß er
„ ſelbſt wegen ſeines eigenen hohen Alters blos für die Zukunft ſeiner „ Erben zu ſorgen ſtrebe .“ Hoſchreff Paſcha beeilte ſich , die freund lichen Abſichten eines ſolchen Vorſchlags anzuerkennen und verſprach, „ dem :
,,ſelben augenblickliche Folge zu leiſten , ſobald ilm nur Mehemed Aly mit „ dem guten Beiſpiel vorangehe und allem weltlichen Ehrgeiz entſage." Duomander , länder des Oftens II.
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die Türkei jeßt mehr, als je zuvor, nach der nesten Niederlage bei Nizib , befand, zwang die türkiſche Regierung, dem Paſcha von Aegypten große Zugeſtändniſſe zu machen , zu denen ſie ſich bis jeßt durchaus nicht hatte heranlaſſen wollen. Es ward daher beſchloſſen, ihm außer Aegypten, Kandia und dem Hed: fchaz, auch den erblichen Beſiß von ganz Syrien , mit alleiniger Ausnalyme der Bezirke von Adana und Drfa, ſowie die Ver
waltung der vier heiligen Städte Meffha , Medina, Da maskus und Jeruſalem , gegen die jährliche Entrichtung der Summe von dreißig Millionen Piaſter an die Pforte, einzuräumen.
Wahrſcheinlich würde dieſer Beſchluß des Di.
wans ſchon damals die türkiſch - ägyptiſche Streitfrage erledigt haben , wenn nicht grade an dem nämlichen Tage von Wien aus den europäiſchen Geſandten die Weiſung zugegangen wäre, ,-fte ſollten der hohen Pforte unverzüglich anzeigen , daß die
„Großmächte es für nöthig erachteten , ſich in die Verhältniſſe „ des Morgenlandes unmittelbar einzumiſchen .“ Dieſer Um ſtand verhinderte die Ausführung des vom Diwan gefaßten Beſchluſſes und gab der ferneren Entwidelung der Ereigniſſe eine ganz andere Wendung.
Der Wiederausbruch des Krieges, die Schlacht bei Nizib, des Sultans , der Uebergang der türkiſchen Flotte Tod der zum Feinde , dieſe Nachrichten , die wie Gewitterſchläge auf einander folgten, erfüllten die Regierungen Europas mit Be ſtürzung und überzeugten ſelbſt die hartnädigſten Anhänger des status quo ihres groben Irrthums, der für die Ruhe der Welt ſo verderblich werden fonnte. Eine Gefahr, die Allen droht, vereinigt leicht zu gemeinſchaftlicher Vertheidigung. War bisher alle unmittelbare Einmiſchung in die morgenländiſchen Angelegenheiten , ſowohl aus Beachtung der völkerrechtlichen Grundfäße, als beſonders aus Furcht vor einer Spaltung in
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den Anſichten, die gar weit führen konnte, von den chriſtlichert Mächten vermieden worden ; ſo trachteten dieſelben jeßt um ſo
eifriger, und in diplomatiſcher Eintracht, der Türkei ihre freundſchaftliche Dazwiſchenfunft anzubieten oder aufzuerlegen, wie die am 28. Juli der Pforte von den fünf Vertretern der
Großmächte in der türkiſchen Hauptſtadt gemeinſchaftlich übers reichte Mittheilung zeigt , die folgendermaßen lautete : „ Die ,,fünf unterzeichneten Geſandten beglückwünſchen ſich, daß ſie, gemäß den geſtern von ihren reſp. Höfen erhaltenen Vor „ ſchriften, den Miniſtern der hohen Pforte anzuzeigen haben , „ daß die Uebereinſtimmung der fünf Mächte in der morgens „ ländiſchen Frage ficher iſt, und bitten die hohe Pforte, in „Erwartung der Früchte ihrer wohlwollenden Gewogenheit, Durchaus nichts Beſtimites über beſagte Frage in unabänderlicher Weije ohne ihre Einſtimmung entſcheiden zu wwollen."
Auf dieſe Kollektivnote“ erwiderte die Pforte mit einem unter Eingebung der Geſandten abgefaßten Schreiben vom 22. Auguſt, in welchem ſie ihre Bereitwilligkeit erklärte , die Vermittelung der Mächte anzunehmen , und fich deren freund
ſchaftliche Hülfe erbat, den Paſcha von Aegypten zu feiner Pflicht zurückzubringen. Dieſe Geſinnungen und Gefühle wiederholte und bekräftigte die türkiſche Regierung in einem Schreiben vom 28. September , worin ſie ihr Schickſal der
wohlmeinenden Gewogenheit“ ihrer zufünftigen Beſchüber noch mehr anempfahl. Durch den ſchnellen Verlauf der Begeben heiten überrannt , ſuchten die chriſtlichen Mächte vor Alem
Zeit zu gewinnen, was ihnen auf obigem Wege vollſtändiger gelang, als fie es wohl hätten wünſchen fönnen. Aber die
türfiſch -ägyptiſchen Verwicelungen wurden, nachdem ſte durch 11 *
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dieſe gefliffentliche Einmiſchung um ein Beträchtliches hinges zogen worden, was die Erwartung einer befriedigenden Löſung unter den Zuſchauern erwedt hatte, darum doch nur auf eine
höchſt mangelhafte Art beigelegt, weldher übrigens der blinde Zufall« ſchon nachzuhelfen wußte.
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VII .
Während die europäiſchen Höfe über das Wohl der Türkei beriethen , um über die Art , wie ihr zu Hülfe zu fommen ſei, einig zu werden, nahmen die Begebenheiten im Morgenlande fürs erſte noch ungeſtört ihren Verlauf. In Folge der „ Koleftivnote “ unternahm die Pforte nichts Ents ſcheidendes , ſondern wartete ruhig den Beſchluß ihrer Rath geber ab. Mehemed Aly dagegen zeigte ſich um ſo raſtloſer. Nach den veränderten Umſtänden änderte er auch ſein Be.
nehmen. Die zu erwartende, ihm ungünſtige Einmiſchung der fremden Mächte in ſeinen Streit mit dem Sultan ließ ihn
vor allem darnach trachten , ſich mit der Pforte unmittelbar zu verſtändigen. Die früher an Bewunderung grenzende Theils nahme, die ſich hie und da in Europa für ihn fund gegeben, war in den leşteren Jahren nicht nur bedeutend abgefühlt, ſondern die Regierungen hatten auch bereits angefangen, feinen unerſättlichen Ehrgeiz zu tadeln, dem er Alles rüdſichts los opferte. Das alleinige Franfreich ſtand ihm zwar noch zur Seite ; aber dieſe Macht hatte viele ältere Freundſchafts beziehungen mit der Türkei , als mit ihm , und er ſah wohl ein , daß er , bei einer ernſteren Geſtaltung der Dinge , nicht gar ſehr auf dieſen Beiſtand bauen fönnte, beſonders wenn
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das übrige Europa , wie es um jene Zeit zu erwarten ſtand, fich gegen ihn erflärte. Es lag alſo in ſeinem Intereffe, fich ſo bald als möglich mit ſeinem Dberherrn zu verſtändigen,
ehe er Gefahr liefe, durch eine unpartheiiſche Vermittelung, oder gar durch eine wirkſame Dazwiſchenkunft Europas, viele
ſeiner erlangten Vortheile wieder einzubüßen. Wenn nun auch in der türkiſchen Hauptſtadt ſein alter Gegner Hoſchreff Paſcha, deſſen unverſöhnliche Feindſchaft er durch ſeine Schreiben neuerdings noch mehr gereizt, und der ihm an Schlauheit und Ränkemacherei ebenbürtig war, alle Gewalt in Händen hatte und gerade der Mann war , der die Dazwiſchenfunft der europäiſchen Großmächte in jeder Weiſe begünſtigte und herbei
zuführen ſtrebte und zwar aus denſelben Gründen, wegen deren Mehemed ihr ſo gefliſſentlich zuvorzukommen ſuchte; ſo war doch der Weg zu neuen Ausgleichungsverſuchen durch den Tod Mahmuds erleichtert und durch den Umſtand ange bahnt, daß der neue Sultan ihm unter gewiſſen Bedingungen Verzeihung angeboten hatte.
Mehemed ſandte daher Zehra
Khanouin , die früher als ſeine Vermittlerin aufgetreten war, wieder nach Konſtantinopel, um dem perſönlichen Einfluß des Großveziers im Seraglio, beſonders bei der Sultanin Valida, die ihren Sohn, bei ſeiner Jugend und Unerfahrenheit, voll:
fommen beherrſchte, auf das Nachdrüdlichſte entgegenzuwirfen.*) Dem Gelingen dieſer Aufgabe legte Mehemed ſelbſt ein Hin derniß in den Weg dadurch, daß er , troß ſeiner ſonſt ſo fein berechnenden und leidenſchaftsloſen Weltflugheit, nicht der Ver: ſuchung widerſtehen fonnte , ſeinem , alten Freund" forts
während mit einem boshaften Briefwechſel heimzuſuchen, deſſen *) Dies war gegen Ende des Jahres 1839 ( in den legten Tagen Novembers ).
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Ton und Inhalt mit den Bemühungen ſeines weiblichen Ges
ſandten in zu grellem Widerſpruche ſtand, was der Großvezier geſchidt zu benußen wußte, die Zwede der Zehra Khanoum zu vereiteln.
Bald darauf trug fich in Alerandrien ſelbſt eine Ver änderung zu , die den Paſcha von Aegypten das Mißlingen ſeiner Geſandtſchaft noch bitterer mußte empfinden laſſen. Die engliſche Regierung , die' für Mehemed Aly nie geſchwärmt hatte, war durch ſeine ehrgeizigen Beſtrebungen, ſich von der Türfei unabhängig zu machen, ſtets beunruhigt worden. Auf ihre Vorſtellungen hatten fich die europäiſchen Großmächte, mit Ausnahme Frankreichs, dahin geeinigt, daß wenn Mehemed Aly mit derſelben Hartnäckigkeit auf ſeinen Anmaßungen , die das Morgenland ſchon ſo lange des Friedens beraubt, zu be ſtehen fortführe, Zwangsmaßregeln in Anwendung zu bringen feien , um ihn zum ſchuldigen Gehorſam gegen den Sultan, ſeinen rechtmäßigen Oberherrn , zurüczuführen. Um dieſen Anſichten mehr Nachdruck zu verleihen , rief die engliſche Regierung ihren bisherigen Generalconſulin Alerandrien, H. Campbell, dem Mangel an Entſchloſſenheit zum Vorwurf gemacht wurde, zurück und erſeßte *) ihn durch den Oberſten
Hodges, einen Mann, der durch ſein an Barſchheit grenzendes, derbes Auftreten eine Art Ruf erlangt hatte. Derſelbe ent ſprach vollkommen den gehegten Erwartungen ; er erflärte dem Paſcha gleich bei einer der erſten Zuſammenfünfte, daß wenn er ſich nicht bald entſchlöſſe nachzugeben, man ihn eines Beſſeren belehren würde.
Franfreich konnte ſich aber nicht dazu entſchließen, ſeinen * ) 3m Monat Dezember.
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vorherigen Günſtling mit ähnlicher Strenge zu behandeln und zog ſich , troß der Mitunterzeichnung der Rolleftivnote. * )
durch ſeinen Geſandten in Konſtantinopel, almählig ganz von der türfiſch - ägyptiſchen Streitfrage zurüc, die es den andern Mächten zum Abſchluß zu bringen überließ. Das Erfalten dieſer Macht und die drohende Haltung der übrigen reizten Mehemed Aly nur noch mehr , anſtatt ihm über ſeine vereinzelte Lage und die Fruchtloſigkeit ſeines etwaigen Widers
ftandes die Augen zu öffnen. Er beharrte dabei , den euro päiſchen Conſuln in Alerandrien zu erflären , daß er nicht nur geſonnen ſei, ſeine Anſprüche nicht aufzugeben , ſondern
daß er auch, wenn man ihn mit Gewalt zwingen wolle, davon abzuſtehen , ſeine Unabhängigkeit von der Pforte er klären und fich dann bis aufs Neußerſte vertheidigen werde.
Ob ſeine Abſichten wirklich ſo ernſt gemeint waren , ſteht bei dem ſchlauen, umſichtigen Mehemed zu bezweifeln ; jedenfalls
ließ er die umfaſſendſten Kriegsrüſtungen, ungeachtet der großen Erſchöpfung aller ihm unterworfenen Länder , mit erneuertem Eifer betreiben , neue Steuern ausſchreiben und alle waffen
fähigen Männer, ſelbſt die Krämer und Handwerfer der Städte aufbieten und einüben , um die leßten regelmäßigen Truppen , die ins Feld rüden ſollten, zu erſeben.
Die fortwährende Erneuerung dieſer friegeriſchen Rüſtungen konnte nur auf Unfoſteri der Bevölkerungen Aegyptens und
Syriens geſchehen ; ſie führten zu immer neuen und durch die Wiederholung empfindlicheren Bedrüdungen, welche die Unzu friedenheit über die Herrſchaft Mehemeds in den ihm unter gebenen Pafchalife mit dem wachſenden Elend ſo allgemein * ) Obwohl dieſes Aktenſtück vom 27. datirt war , iſt es doch erſt am
folgenden Morgen der Pforte überreicht worden.
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vermehrte, daß fie fich wieder in einem offenen Aufſtande Luft
machte, der am 29. Mai 1840 im Libanon ausbrach. Im November 1838 hatte Mehemed Aly einen Firman erlaſſen , worin er den Maroniten zum Lohne für ihren Bei ſtand gegen die Druſen des Haouran eine Schenkung von 24,000 Flinten für ſie und ihre Kinder und deren Kinder",
wie es hieß, ſowie auch Verminderung der Abgaben verſprach, ſo daß der Libanon hinfort nicht ſchwerer beſteuert werden follte, als er es zu Zeiten der türfiſchen Herrſchaft geweſen. Bei dieſen Verſprechungen lag ihm eben ſo wenig , als ſonſt, am Herzen, Wort zu halten ; die verheißenen Waffen blieben aus und die Steuern wurden erhöht.
Dieſes undanfbare und ſo
gemein treuloſe Verfahren , neben dem immer mehr ſteigenden Elend ſeit ſeiner Regierung, machte, daß die Maroniten ihren alten Haß gegen die Druſen vergaßen, und alle fyriſchen Chriſten fich, welcher Glaubensunterſchied fte auch ſonſt von einander
getrennt hielt, zu einem gemeinſchaftlichen Aufſtande gegen den gemeinſchaftlichen Bedrücer verſchworen . Die Geiſtlichkeit der verſchiedenen Seften , jeßt zu gemeinſchaftlichem Zwede vereinigt , ſtellte fich an die Spiße der Bewegung , Prieſter durchzogen insgeheim das Land , die Kirchen und Klöſter in den Bergen wurden in politiſche Verſammlungspläße und Rüſtfammern verwandelt , wo man Rath hielt und Waffen zuſammenbrachte, bei welcher Gelegenheit den Maroniten die 16,000 Gewehre , die ihnen Ibrahim Paſcha , Behufe der
Mitwirkung gegen die Druſenempörung, 1838 zugeſtellt hatte, und in deren Beſiß fie geblieben waren , ganz vortrefflich zu Statten famen. Um den Zweck der Erhebung anzuzeigen und ihr einen geſeßlichen und einigen Charakter zu verleihen , er ließen die Aufſtändiſchen folgende Befanntmachung an alle Bewohner des Landes :
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„Allen unſern , ohne Unterſchied des Glaubens für ,,ſelbe Sache bewaffneten Brüdern ſei hiermit fund , daß die Waffen ergriffen haben, um uns der Entartung und „waltherrſchaft zu entziehen. Gott, der gerecht iſt, wird
dies wir Ge uns
„ Erfolg gewähren ! Laſſet uns ſeines göttlichen Schußes würdig ſein und weder plündern noch morden !"
„ Und da wir
„kämpfen wollen, um wieder unter die Herrſchaft unſeres recht , mäßigen Oberherrn, des Sultans Abd-Ul-Medjid Khan, der min Stambul regiert , zurückzufchren , und damit Jedermann
wwohl wiſſe, daß wir nur, was gerecht' iſt, wollen, ſo ſei der jenige hiermit für Feig und des Feuertodes würdig erklärt, der ſich durch Furcht wird einſchlichtern laſſen. Gott fann geſtatten , daß wir ſterben , aber er wird nicht zulaſſen , daß wwir geknechtet werden gleich dem Vieh. Gott iſt gerecht.“ *) Aus dieſer öffentlichen Rechtfertigung haucht der Geiſt, der Syrien beſeelte. Die größte Einheit und Ordnung herrſchte unter den Verbündeten , und ihr ganzes Streben lief nur darauf hinaus, die Aegypter aus dem Lande zu vertreiben. Am 29. Mai erhob ſich der Libanon , dann der Antis libanon , ſowie der noch von ſeinem leßten Aufſtande her er
ſchöpfte Haouran, und in wenigen Tagen folgten faſt alle übrigen Theile Syriens dem Beiſpiele der Maroniten und Druſen. Die ägyptiſchen Befaßungen, die in den einzelnen Ortſchaften zerſtreut lagen , wurden entweder vertrieben oder zogen fich nach der Küſte zurück, wo fte am eheſten mit den aus Aegypten
zu erwartenden Verſtärkungen ſich vereinigen konnten. Aber die vereinten Gebirger drangen ihnen ohne Verzug nach und brachten dem Soliman Paſcha (dem Franzoſen Sèves) vor Sidon eine Niederlage bei, die ihn zwang, ſich mit den Reſten *) Voyage en Asie Mineure etc. Vol. II, p. 571 s.
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ſeiner Mannſchaft hinter die Mauern jener Stadt zu flüchten.
Den 6. Juni erließ Ibrahim Paſcha einen drohenden Firman, und bald darauf landeten vor Beyrut 15,000 regelmäßige
Truppen aus Aegypten. Die Aufſtändiſchen ließen ſich jedoch nicht einſchüchtern, ſondern zogen ſich nur aus der Küſtenebene in ihre Berge zurücf , im Vorübergehen der Beſaßung jenes Ortes ein Treffen liefernd, aus dem fie fiegreich hervorgingen , und verſchanzten ſich wohlbedächtig in den Schluchten des Libanon , woher fte häufige Ausfälle machten , die für die
ägyptiſchen Beſaßungen in den Städten des Innern beſtimmten Zufuhren abſchnitten und den farawanenartig beförderten Schießs bedarf und Mundvorrath wegnahmen oder zerſtörten, während
ſie die engliſch - oſtindiſche Poſt, die damals über Damaskus und längs der Karawanenſtraße bis nach dem Buſen von Affaba befördert wurde, auf ihrem Gebiete beſchüßten, und zwar mit
folcher gewiſſenhaften Strenge, daß , als einmal bei der Ers beutung einer ägyptiſchen Karawane einige Säde mit Meht fich fanden , die engliſchen Kaufleuten gehörten , ſie dieſelben unverſehrt ihren Eigenthümern zuſtellten , wiewohl ſie ſelbſt den bitterſten Mangel litten. Wenn ſich die Aegypter nicht wieder der Lift und des
Verrathes bedient hätten , um ihre Gegner zu entzweien und dann im Einzelnen zu überwältigen ; fo würden die Syrer, ohne daß es erſt der Hülfe der europäiſchen Mächte bedurft
hätte, Ibrahim Paſcha ſchon damals gezwungen haben , das Land zu räumen . Aber in der Perſon des alten Emir Beſchir fand derſelbe ein ſehr bereitwilliges Werfzeug zu ſeinem Zweck, unter den Aufſtändiſchen Zwietracht zu fäen , und zwar aus zwei Beweggründen, die hier erwähnt werden müſſen und die der Admiral Napier in ſeinem Werk über den Krieg in Syrien nicht erfannt zu haben ſcheint und deshalb in Bezug auf den
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Geiſt, der damals in jenem Lande herrſchte, in einen großen Irrthum verfallen iſt. *)
Die Abſchaffung der Dehreh-Bey's (fleine Lebensfürſten ) war nicht eine der unbedeutendſten Neuerungsmaßregeln des verſtorbenen Sultans geweſen. Sie erfolgte bald nach Vere nichtung der Janitſcharen, aber auf eine minder gewaltſame Art und langſamer. Da nun die Emire von Syrien , ihrer Stellung zur Pforte nach , ſowie in ihren Vorrechten , etwas ganz Aehnliches waren, als die Dehreh-Bey's von Kleinaften ; ſo lebten ſie in der Beſorgniß, daß gleichermaßen auch gegen fie über lang oder furz werde verfahren werden. Als daher 1831 die Aegypter Syrien überzogen, traten ſie in der Mehrs zahi zu denſelben über, da ſie ſo vor den Neuerungen der tür fiſchen Herrſchaft geſchüßt zu ſein dachten. - Unter denſelben war der alte Emir Beſchir der vornehmſte und einflußreichſte, der dabei ain Meiſten zu verlieren hatte und ſich daher mit
eiliger Bereitwilligkeit für Mehemed Aly erklärte. Da er ſo entſchieden Parthei für ihn genommen, daß er ſelbſt gegen die Türfen mitgefochten hatte, ſo durfte er nicht auf die Nachſicht und Verzeihung derſelben zählen , falls das Land wieder unter ihre Botmäßigkeit zurüdfiele.
Er that daher alles, um die
Macht ſeiner perſönlichen Beſchüßer und Freunde aufrecht- zu erhalten. Zwei Jahre zuvor hatten ſich die Maroniten durch *) The war in Syria etc. In Kap . 2 , B. I , behauptet der Ver: fafjer , daß der ſyriſche Aufſtand unbedeutend geweſen wäre , was daber rührt , daß er die Verhältniſſe nicht genau kannte und was er darüber wußte , elen nur von den Emiren und ihrer Parthei erfahren hatte . Nichts übertriebenen " " Berichte an deſtoweniger räumt er ein , „ daß die die Geſandten in Konſtantinopel bezüglich des Aufſtandes ohne Zweifel viel
dazu geholfen , den Julivertrag hervorzurufen .“ - Der Aufitand war nichts weniger als unbedeutend ; Napier wäre aber faſt zu ſpät gekommen
Jbrahim Paſcha an der Ausübung ſeiner Rache zu hindern .
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ſeinen Einfluß verleiten laſſen , mit den Aegyptern gemeins
ſchaftliche Sache gegen ihre eigenen Intereſſen und Landsleute zu machen, wodurch jener furchtbare Aufſtand im Haouran unter : drüdt wurde, und die Aegypter Herren des Landes blieben. Jeßt, bei der allgemeinen Erhebung , ſpielte er wieder dieſelbe ver rätheriſche Rolle, die um ſo ſchändlicher daſteht, als ſeine eigenen Stammgenoſſen das auserwählte Dpfer waren, weil ſie dies mal nicht ſeine Mitſchuldigen werden wollten . Gleich beim erſten Ausbruche der Erhebung fandte er
einen ſeiner Söhne , den Emir Emin , in die Gebirge , die Gemüther zu beſchwichtigen und zur Unterwerfung aufzufordern.
Statt bereitwiligen Gehorſams gaben die Bergbewohner höhniſche Antwort, ſo ſehr war fein Anſehen bei ihnen ge ſunfen, ſeit ſie ſeinen eigennüßigen Charafter erfannt, den das allgemeine Glend nicht berührte, und der ſtets nur ſeine eigenen Intereſſen pflog, indem er mit ſchönen Worten vol hinter liſtigen Doppelſinns oder gar unverſchämten Lügen die Unter, drüdten zu Geduld und Ruhe ermahnte. Sie richteten ein Schreiben an ihn , worin ſie ihre traurige lage und die Un gerechtigfeiten der Aegypter ſchilderten und damit ſchloſſen , daß, da ſie nun einmal Alles verloren , ſie es vorzögen , lieber im Kampfe zu ſiegen oder zu ſterben , als Elend und Unterdrüdung noch länger geduldig zu ertragen. Da er wohl fah, daß er bei den Maroniten nichts auszurichten vermochte, galt es,
dic Druſen zu bewegen, ſich nicht weiter am Aufſtande zu bes theiligen und die Maroniten preiszugeben. Er ließ es daher an feinerlei Verſuchen fehlen, den Geiſt der Einigfeit, der für die gemeinſame Sache unter den verſchiedenen Stämmen herrſchte, zu untergraben und die alte Zwietracht wieder an zufachen . Wenn er auch Anfangs darin geſcheitert war, gelang es ihm endlich doch durch die gemeinſte Hinterliſt, den Arg
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wohn der Druſen gegen die Maroniten zu erwecken. Sr brachte ihnen nämlich friſch ins Gedächtniß zurück , daß , erſt vor zwei Jahren noch, die Maroniten mit den Aegyptern gegen fie gefämpft hätten und wie von denſelben leicht in Kurzem ein ähnlicher Abfall zu befürchten ſtehe, da fie, wie er in Er fahrung gebracht habe , mit den europäiſchen Mächten im geheimen Einverſtändniß wären , Syrien an dieſelben zu ver rathen, wo ſie dann, ſtatt eines einzigen, eine ganze Menge Herren erhalten würden. So überredete er die Druſen, ohne Vorwiſſen ihrer Kampfgenoſſen , mit ihm zu verhandeln , wie fte am beſten den Zorn Ibrahim Paſchas beſchwichtigen und der im Firman vom 6. Juni angedrohten Rache entgehen fönnten. Sie ließen ſich durch dieſe verrätheriſchen Einflüſte rungen bethören und ſtanden größtentheils vom Kampfe ab, ſo daß die Maroniten allein mit nur einigen Mutualis zu ſchwach waren , dem Feinde Stand zu halten . Als bald darauf die Druſen den geſpielten Betrug einſahen und ſich wieder mit ihren Waffengenoſſen vereinigen wollten , war es zu ſpät; Soliman und Abbas Paſcha waren ſchon mit 16,000 Mann , bei denen ſich fünf Enfel des alten Emir
Beſchir befanden , in die Bergpäſſe des Libanon eingedrungen und wiederholten jene ſchauderhaften Gräuelthaten , die von
den wilden Arnautenföldlingen im ägyptiſchen Heere beim jedesmaligen „ Drdnungs- und Friedensſtiften “ feit ſieben Jahren verübt worden .
Die Verwüſtung der fruchtbaren Thäler und Abhänge des Libanon , welche die Aegypter in öde Brandſtätten ver wandelten, hatte wenigſtens das Gute zur Folge, Europa über das Treiben und den wahren Charakter Mehemed Aly's voll fländig. die Augen zu öffnen und den Entſchluß der Groß
mächte zur Einſchreitung ſchleuniger zu reifen.
Unter dem
175 Aushängeſchild der „ Humanität , um deren Nichtachtung willen das geſammte Europa, wo Rechtsgefühl herrſchte, gegen den Paſcha empört war, benußten die Großmächte dieſe ägyp
tiſchen Gräuel , um gemäß den in der Kollektivnote“ ange fündigten Abſichten zu handeln. Der wahre Beweggrund zu dieſem Entſchluſſe beruhte jedoch auf etwas ganz anderem, als bloßer Menſchenliebe, wie denn überhaupt ſelten die wahren Triebfedern politiſcher Handlungen dem Volfe aufgedeckt wer: den , das am Ende doch nur billigt, was gerecht und ſeinem angebornen, moraliſchen Gefühle entſprechend iſt.
Schon im Sommer 1836, als Mehemed Aly die Abſicht fund gegeben, ſeine Unabhängigkeit zu erflären, hatten ſich die Großmächte, jede in ihrer Weiſe, ganz unzweideutig dagegen ausgeſprochen. Unter den deßwegen an den Paſcha von Aegypten ergangenen Schreiben verdient dasjenige Rußlands darum einer beſonderen Beachtung, weil jene Macht darin die tiefe Einſicht in die Verhältniſſe des Morgenlandes verrieth und die zukünftigen Begebenheiten zum Theil mit wunder barer Beſtimmtheit vorausſagte. Der ruſſiſche Generalconſul in Alerandrien fündigte dem Paſcha von Aegypten nämlich an, „ daß, fals er ſeine Unabhängigkeit erflärte und die eng liſche und franzöſiſche Flotte durch die Küſtenblokirung Sy vriens und Aegyptens die Widerrufung derſelben erwirfen wwürden, Rußland fich nicht rühren werde, der Pforte beizu oftehen ; daß aber im entgegengeſeßten Falle, wenn die eng liſche und franzöſtiche Flotte neutral blieben , Rußland auf Verlangen der Türkei, in Uebereinſtimmung mit dem Vertrage „ von Unfiar-Sfeleſii zu handeln geſonnen ſei... Dieſe, neben den Ausdrücken der übrigen Generalconſuln
ſo ruhigen und leidenſchaftsloſen Worte des Grafen Medem
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waren aber nicht blos eine bedeutſame Verfündigung deffen, was auf die eine oder andere Art geſchehen mußte , ſondern
enthielten auch eine Beſchwörung der übrigen Mächte, inſofern dieſe Drohung nicht ſowohl gegen Mehemed Aly , als gegen jene gerichtet war , und fohin dem geſammten Europa galt. Es handelte ſich demnach nun nicht ſo ſehr darum, den Paſcha
von Aegypten in die Schranken des Gehorſams zurückzuweiſen,
als vielmehr und ganz beſonders darum , den gefährlichen Folgen des Vertrags von Unfiar - Sfeleffi vorzubeugen. llnd da jeßt der von Rußland im Jahre 1836 vorausgeſagte Fal eingetreten war, ſo zogen England und Defterreich , ſelbſt auf
die Gefahr hin , fich mit Franfreich zu überwerfen, es vor, lieber zu Gunſten der Pforte in Syrien einzuſchreiten, als Rußland Gelegenheit zu geben , noch einmal , wie im Jahre 1833, Konſtantinopel zu beſeßen*), wodurch die höchſten und wichtigſten Intereſſen jener beiden Mächte, ja ſogar ihr fünf tiges Fortbeſtehen, gefährdet erſchien. Auf dem Felde der Diplomatie iſt Rußland faſt immer ſiegreich geweſen , weil es fich der einfachſten und leichteſten Mittel bedient , ſeine Zwecke zu erreichen , und weil es , nach
dem Geſtändniß ſeiner eigenen Geſchichtſchreiber** ), immer nur das eine Ziel vor Augen hat , fich auf Unfoften aller andern Staaten zu vergrößern. Es war ihm noch erſt fürzs lich gelungen, ſeinen moraliſchen Einfluß " in Mittelaſten zum *) S. Vertrag von Untiar-Skeleſi, beſonders den geheimen Artikel. **) Rien ne changea dans le caractère et les vues de notre poli tique extérieure. Nous cherchions à avoir partout la paix et à faire
des acquisitions sans guerre. Nous n'ajoutions pas fois à l'amitié de ceux dont les intérêts ne s'accordaient pas avec les nôtres et nous ne perdions aucune occassion de leur nuire sans manquer ostensiblement aux traités.
Hist. de la Russie p. Karamzin. L. III, p . 31 .
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Nachtheile Englande zu behaupten * ) , und vermöge der Kraft, die ihm jener Sieg verliehen, ward es ihm nicht ſchwer, die europäiſchen Mächte, mit Ausnahme Franfreiche, dahin zu bringen , ſich auch hier wiederum zu ſeinem Vortheile zu fügen. Die engliſche Regierung war noch in der größten Beſtürzung über die Vorgänge in Afghaniſtan, und es bedurfte daher nur der leiſeſten Anſpielung auf die etwaigen Folgen des Vertrags von Infiar - Sfeleſſi, den der Graf Medem ſo
geſchiet in die oben angeführte Erklärung einzuflechten ges wußt hatte , um den Engländern und Deſterreich die Noth wendigkeit ihrer Dazwiſchenfunft in die türkiſch - ägyptiſche
Frage einleuchtend zu machen. Am 15. Juli 1840 fanden die Niederlagen, welche die Engländer in Kaboul und den Eng päffen des Khyber erlitten hatten , ihren Nachklang in dem Tone der von England, Deſterreich , Preußen , Rußland und
der Türkei in London abgeſchloſſenen llebereinkunft, wodurch bie Wiederherſtellung des Friedens in der Levante bewirft werden ſollte. **)
Schon ſeit dem vorigen Jahre hatten engliſche Kriegs ſchiffe, die zu dem Geſchwader im Mittelmeer gehörten, in den
levantiniſchen Gewäſſern gefreuzt, um den Vorgängen im Morgenlande etwas näher zu ſein, als am 10. Auguſt 1840 dem Commodor Napier , der damals in der Umgegend von Rhodus war , der Abſchluß der Londoner Uebereinkunft vom 15. Juli angezeigt und zugleich die Weiſung ertheilt ward, *) A. a. D. L. I Chap. VI, wo über die politiſche Wichtigkeit Indiens und Mittelafiens gehandelt wird.
**) Dieſe, größtentheils außer dem Bereiche des Gegenſtandes liegenden Umſtände konnten nur in gedrängter Kürze hier angeführt werden ; fie würden aber für das Studium der omatiſchen Geſchichte Europas ein reiches Feld darbieten . Dnomander, länder des Ditens. II.
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mit den Schiffen unter ſeinem Befehle nach der fyriſchen Küfte zu ſteuern , um vorkommenden Falls dem Vertrage gemäß zu handeln . *)
Den 12. Auguſt anferte die engliſche Flottenabtheilung por Beyrut , welches Soliman Paſcha damals mit angeblich 15,000 Mann ägyptiſcher Truppen beſeßt hielt. Da indeſſen die von den verbündeten Mächten in der Londoner Uebereins
funft dem Paſcha von Aegypten gefeßte Bedenfzeit von 10 oder 20 Tagen ** ), innerhalb deren er fich erklären ſollte, die ihm
geſtellten Bedingungen anzunehmen oder zu verwerfen , noch nicht abgelaufen war ; fo durften die Feindſeligkeiten auch noch nicht eröffnet werden. Um aber Mehemed an der Fortſeßung ſeiner friegeriſchen Vorbereitungen während dieſer Frift zu hindern , war zugleich verabredet worden **) , folgende Maß:
regeln zu ergreifen. Die Küſten Syriens ſollten ſofort blofirt und alle Verſtärkung an Mannſchaft und Zufuhr von Kriego bedarf aus Aegypten aufgefangen werden . Dann befanden ſich unter den während der vorhergehenden Monate zur Unters drückung des Aufſtandes in Libanon von Alerandrien an Ibrahim Pafcha abgeſchidten Truppen 4000 Türfen *** ), die
aber wegen ihrer Unzufriedenheit in einem Lager außerhalb Beyruts unter der Bewachung Soliman Paſchas gelaſſen worden. Dieſe der Gewalt der Beſaßung von Beyrut ju entziehen und wieder für die Sache des Sultans zu gewinnen, machte ſich der Commodor Napier zur nächſten Aufgabe. Um *) The war in Syria etc. Vol. I, Chapt. 3. **) Separatartikel S i des Vertrags. ***) Artikel II des Vertrags.
t ) Dieſe wahrſcheinlich zur Beſaßung der türtiſchen Flotte gehörige
Manuſchaft war wider ihren Wilen gezwungen worden , für Aegypten zu tämpfen .
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zu verhindern , daß man ſie Nachts ins Innere des Landes
ſchicke und ſo aus dem Bereich ſeiner Macht bringe , legte er feine Schiffe dicht ans Ufer und drohte , die Stadt zu be ſchießen, falls man die Türken durch Gewalt oder Lift per : hindern würde, zu ihm überzugehen. Als dies geſchehen war, erließ er am 14. Auguſt im Namen der vereinigten Mächte
folgenden Aufruf an die Bewohner Syriens , von welchem eine Menge Abſchriften mit Geleitsſchreiben an die verſchie denen einheimiſchen und fremden Behörden vertheilt wurden : „ Syrer ,"
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Großbritannien , Deſterreich, Rußland und Breußen haben
vim Verein mit dem Sultan beſchloſſen , daß die Herrſchaft Mehemeds Aly's in Syrien aufhören ſoll, und ich bin mit einem „ Geſchwader hieher vorausgeſchickt worden ,, um euch beizu: oftehen, das Joch des Paſcha's von Aegypten abzuſchütteln.
sie Ihr wißt, daß ein Hatti -Humaioun *), vom Sultan er: laſſen worden , der das Leben und Eigenthum ſeiner Unter thanen fichert und auf türfiſchem Gebiete ſchon in voller Straft iſt. Außerdem haben die verbündeten Mächte es auf
ufich genommen, dem Sultan vorzuſchlagen , daß er eine An ordnung der Verhältniſſe treffe, die eueren Zuſtand glüdlich und angenehm machen wird. Bewohner des Libanon , die „ ihr mehr unmittelbar unter meinen Augen feid, ich fordere Euch auf, Euch zu erheben und das Joch, unter dem Ihr
ſeufzet , abzuſchütteln. Es werden täglich Truppen , Waffen - mund Schießbedarf aus Konſtantinopel erwartet, und die Ae gypter ſollen inzwiſchen Eure Küften nicht länger beläſtigen... „Soldaten des Sultans , die Ihr hinterliſtig aus Euerer Heimath nach den brennenden Sandwüſten Aegyptens weg *) Der Satti-Humaivun don Gül-Khaneb vom 3. Nov. 1839. 12 *
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geführt und dann nach Syrien übergeſchifft worden ſeid, ich ..forbere Euch auf im Namen der Großmächte, zu Euerer
„ Unterthanenpflicht zurückzufehren. Ade vergangenen Ereigniſſe ſollen vergeſſen ſein und Euer rücſtändiger Sold ſoll Euch „ vom Sultan ausbezahlt werden .“ Charles Napier« *). Dieſe drohenden Maßregeln ſchüchterten aber den Paſcha
von Aegypten nicht ein , der gleich bei der erſten Kenntniß nahme der Uebereinfunft vom 15. Juli allen Konſuln erklärte,
daß er die ihm angebotenen Bedingungen von vorn herein verwerfen müßte. Am 5. September , dem leßten Tage der ihm gelaffenen Bedenfzeit, wiederholte er dieſelben Anſichten
in noch ſtärkeren Ausdrücken und fügte hinzu , daß er fich lieber zwingen laſſen, als aus freien Stüden in den Beſchluß der gegen ihn vereinigten Mächte fügen wolle. Am 27. Auguſt erhielt der Commodor Napier mit einer Verſtärkung von mehreren Kriegsſchiffen, die ihm der vor Alerandrien freuzende Admiral Sir R. Stopford zuſchigte, die Nachricht von der abſchlägigen Antwort Mehemed Aly's, und da dieſelbe nicht widerrufen wurde, ſo begannen die Feindſelig feiten am 9. September mit der Landung von 5300 Türfen und einigen Abtheilungen der verbündeten Flottenmannſchaften bei Dſchounieh an der Mündung des Nahr - el - Relb , etwas nördlich ron Beyrut , wo ſie unter dem Schuße der Kriegs ſchiffe eine befeftigte Stellung einnahmen , um von - da den Aufſtand der Syrer zu unterſtüßen . Die Streitfräfte **) der Verbündeten zu Waſſer und zu
Land ftanden unter dem Oberbefehl des Admirals Sir R. Stops
*) The war in Syria etc. B. I. p . 36. f.
**) Die engl. Flotte im Mittelmeer , einige öſterreichiſche Kriegsſchiffe und der Ueberreſt der türtiſchen Flotte, ſowie 6000 M. türkiſcher Landtruppen .
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ford, während der Commador Napier die Landmacht anführte. Die damalige Stärke der Aegypter belief fich im Ganzen auf etwa 73,000 Mann, die im Lande vertheilt waren.*) 132 Dbgleich Druſen und Maroniten durch ihren langen Widerftand gegen die ägyptiſchen Truppen und durch die Ver råtherei des Emir Beſchir und ſeiner Anhänger bis auf's Aeußerſte erſchöpft und faſt entmuthigt waren ; ſo fam die lang
erſehnte Hülfe der Großmächte doch noch zeitig genug , um durch die entſchiedenen Maßregeln den abſterbenden Aufſtand
ncu- zu beleben, und in der ſyriſchen Bevölkerung friſche Hoff nungen auf endliche Erlöſung vom ägyptiſchen Joche zu er: weden . Trop der geheimen Umtriebe der Anhänger Mehemed
Aly's eilten die Bewohner der nahen Gebirge herbei und wurden mit Waffen verſehen . Dies brachte eine beſſere Wirs
fung hervor, als alle Aufrufe und Verſprechungen, mit denen man ſie bishere zum Kampfe zu ermuthigen geſucht; denn es war eine unzweifelhafte Widerlegung jener falſchen Gerüchte, womit die Aegypter fie hatten einſchüchtern wollen. Von dem
Augenblide an, wo die Syrer einſahen , daß dieſe Maßregeln der Großmächte nicht dazu beſtimint waren , ſie von neuem unter's Joch zu beugen , ſondern den Zwed hatten , die von
ihnen ſelbſt gewünſchte Herrſchaft des Sultans wiederherzus ſtellen, legten ſie ihr Mißtrauen gegen die Fremden ab und unterließen nichts, fich des dargebotenen Beiſtandes nach beſten Kräften zu bedienen . Auch die unter ſie gefäete Zwietracht
verſchwand, Druſen , Maroniten und Mutualis wetteiferten ießt noch mehr, denn zu Anfang des Aufſtandes, in dem Be
ſtreben, den gemeinſchaftlichen Feind zu verjagen . Inzwiſchen thaten auch die Streitkräfte der Großmächte The war in Syria B. I. p. 48.
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alles Mögliche, die Aufrichtigkeit ihrer Abſichten den Syrern zu beweiſen. Während die vereinigten Landungstruppen in der Mehrzahl ihre Stellung am Nahr-el-Kelb behaupteten und den Aegyptern in der Nähe mehrere Gefechte lieferten, ſegelten die Kriegsſchiffe längs der Küſte hin, vertheilten Waffen oder griffen die vom Feinde befekt gehaltenen , feſten Pläße an. Am 26. September erſtürmte der unermüdliche Napier , der abwechſelnd zu Lande und zur See befehligte, mit einer Flottens abtheilung Sidon. Von einem anderen Geſchwader waren ſchon den 18. und 24. deffelben Monats Caiffá und Tyrus beſchoſſen und erobert worden; welche raſchen Erfolge durch's ganze Land den tiefſten Eindruc machten. Ibrahim Paſcha, der ſich im Innern befand, gerieth außer fich und eilte nach dem Libanon und nach Beyrut , um durch ſeine Gegenwart die Truppen wieder zu ermuthigen und ſich der Anhänglichkeit der Emire zu vergewiſſern. Dieſe hatten es jedoch aus per fönlichem Intereſſe für rathſamer gehalten , von Aegypten ab zufallen, und waren bereits mit Sir Charles Napier in Un
terhandlung getreten , um fich wieder der Sache des Sultans anzuſchließen. Der alte Emir Beſchir war aber zu tief in die Angelegenheiten der Aegypter verwidelt, als daß er es hätte
wagen dürfen, auf Vergebung ſeiner Treuloftgkeit zu hoffen. Er hielt fich deshalb von allen weiteren Betheiligungen fern und endete, aller ſeiner Würden entfept, feine übrigen Tage auf der Inſel Malta. *) Der Emir Emin ging ohne längeres Zögern ins lager von Dichouniah über und ſchloß fich den Verbündeten öffentlich an. Er ſtellte ſich an die Spiße der Druſen und brachte Osman Paſcha, der eine beträchtliche Anzahl ägyptiſcher Truppen im Thale von Baalbeck befehligte, * ) The war in Syria. B. I. p. 72.
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Anfangs Oftober in der Nähe von Meruba eine empfindliche Niederlage bei.*) Unterdeſſen hielt fich, troß der drohenden Stellung, welche die Verbündeten am Nahr-el- Balb behaupten, Soliman Paſcha noch immer in Beyrut. trbs Aus dem Innern mit Verſtärkungen angefommen , war
es Ibrahim Paſcha vor allem darum zu thun , im Befiße diefes Plages zu bleiben, weil dadurch die Verbindung ſeiner Gegner mit den Bewohnern des Inlandes ſehr erſchwert wurde. Aus demſelben Grunde erheiſchte es die Sache des Sultans, die Aegypter daraus zu vertreiben. Zu dem Ende verließen die Verbündeten ihre Stellung, rückten vor, griffen den Feind
am 10. Oktober an und ſchlugen auf den Höhen von Boharſof Ibrahim Paſcha, der in Perſon anführte, auf's Haupt. Da fte aber ihren Sieg nicht weiter benußten, fo gelang es So liman Paſcha, fich ohne weiteren Verluſt, als die auf dem
Schlachtfelde gelaſſenen Todten, den folgenden Tag aus Bey rut nach Zedlah zurückzuziehen. Deſſen ungeachtet hatte dieſes Treffen das Gute zur Folge, daß von jenem Tage an, Ibra
him Paſcha an der Unwandelbarkeit feines Kriegsglückes zu zweifeln begann und einſehen lernte, daß er den Beſitz von Syrien nicht lange mehr würde behaupten fönnen. Weffen Vertrauen erſchüttert iſt, deſſen Sache iſt ſchon halbwegs verloren . Innerhalb vier Wochen erlitt er eine Reihe empfinde
Itcher Verlüfte, die ihn zwangen , ſeine Streitfräfte aus der Gegend von Adana , Tripoli und Latakia zurückzuziehen , die Orte nicht gerechnet, aus denen fte gewaltſam waren verjagt worden. Er beſchloß daher , die Vertheidigung der Küſtens länder aufzugeben und zog feine noch übrigen Truppen in der Gegend von Zedlah und Malafa zuſammen , um ſich , je * ) A. a . D. p . 113.
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nach den Umſtänden dort entweder zu halten oder auch auf
Umwegen durch das Innere nach Süden hin ferneren Ver folgungen zu entweichen. Acre war der einzige Ort, den er noch an der Küſte beſaß. Da derſelbe wohl befeſtiget und bemannt war , ſo hoffte er, daß die Feinde ihn nicht ſo leicht erobern würden. Da jedoch nach dem Falle Beyruts die ganze vereinigte Flotte der Engländer, Türken und Defterreicher dem Admiral Stopford jeßt zur Verfügung ſtand, indem auch die Landmacht ihrer ferneren Unterſtüßung nicht mehr bedurfte; To wurde nach verlängertem Zögern beſchloſſen, jene Feſtung
zur See anzugreifen. Am 3. November, von 17 engliſchen, 2 öſterreichiſchen und Einem türkiſchen Schiffe beſchoſſen , mußte
es fich nach tapferem Widerſtande der zu großen Uebermacht ergeben. *) Dies war das bedeutendſte Ereigniß der Kriegs unternehmungen an der ſyriſchen Küſte und beſchloß die Feind ſeligkeiten nach einer faft zweimonatlichen Dauer. Obgleich die erfolgreichen Bemühungen der Verbündeten, inſonderheit das fräftige Einſchreiten der Engländer, dem Kriege ein verhältnißmäßig ſchnelles Ende gemacht hatte, ſo war die türfiſch: ägyptiſche Streitfrage damit jedoch nichts weniger, als erledigt. Mehemed Aly vermochte feine Macht in Sys rien, nach den ſchweren Verlüften, die ſie erlitten, allerdings nicht länger zu hehaupten ; aber er war noch feineswegs hins
reichend von der Nußloſigkeit ferneren Widerſtandes überzeugt, um ſich durch ein zeitiges Nachgeben aus der Verlegenheit zu ziehen. Es wurde alſo nach den Erfolgen an der ſyriſchen Küfte, womit ſchon ein Theil des Londoner Vertrags erfüllt worden, ferner beſchloſſen, gegen den widerſpenſtigen Paſcha *) The war in Syria. B. I. Chap. XVI, wo der Verfaſſer eine intes
reſſante Schilderung dieſes Unternehmens macht.
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mit noch viel größerem Nachdrud aufzutreten, um ihn zur Annahme der vorgeſchriebenen Bedingungen ohne alle Einrede zu zwingen. Zu dem Ende erhielt der Commodor Napier die Weiſung, mit 6 Linienſchiffen vor dem Hafen von Alerandrien zu freuzen, um mittels dieſer drohenden Bewegung dem frans zöſiſchen Einfluſſe entgegen zu wirken und dem Pafcha jede
Hoffnung auf Beiſtand von dort her zu benehmen, zugleich aber auch ſich für den äußerſten Fall in Bereitſchaft zu halten zum Angriff des Hafens und der Stadt, um die Herausgabe Der türfiſchen Flotte, die vollſtändige Räumung Syriens, kurz, die unbedingte Unterwerfung Mehemed Aly's zu erzwingen. Am 15. November legelte Napier auf ſeinem Schiffe *) von Beyrut ab, wo der Admiral Stopford mit ſeinem Geſchwader
zurückblieb, traf am 21. vor Alerandrien ein und übernahm den unmittelbaren Befehl der dort verſammelten engliſchen Kriegsſchiffe. Obwohl Napier, ungeachtet des abgeſonderten Kommandos, fortfuhr, unter dem Oberbefehle des Admirals zu ſtehen ; ſo erwartete man doch ießt, wo er ſich nicht mehr in deſſen unmittelbarem Bereiche befand und daher bis zu einer
gewiſſen Grenze unabhängig handeln konnte, große Dinge von ihm und war des allgemeinen Glaubens, daß Alerandrien binnen Kurzem das Schickſal Aere's theilen würde. Die Mann
ſchaften der freuzenden Schiffe begrüßten feine Ankunft mit Jubel, denn ſte hofften auf baldigen Kampf, auf Priſengelder und Auszeichnungen. Beim Anblick jener ſtattlichen Fahrzeuge, die ihm die leßte Hoffnung auf Frankreichs Hülfe abzuſchneiden ſchienen, ward es ſelbſt Mehemed Aly hinter ſeinen ſtarfen Schanzen unheimlich zu Muthe, und als ſich der „ Powerful auf Schußweite dem Pharus näherte, zitterten die Bewohner *) Dem Powerful von 84 Kanonen .
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der Stadt für Leben und Eigenthum . Wider alle Erwartung fand aber nicht nur fein Angriff ftatt, fondern das Kriegs dampfſchiff Médéa verließ am nächſten Abend das Geſchwader
und lief gerade in den Hafen ein, wo es erſt 24 Stunden liegen blieb und dann die folgenden Tage mehrfältig zwiſchen der Stadt und den engliſchen Kreuzern hin und her fuhr, bis
am 28. November bekannt wurde, daß der Commodor Napier
und der Paſcha von Aegypten eine Uebereinkunft getroffen hatten, in Folge deren die Feindſeligkeiten eingeſtellt und der Streitgegenſtand auf friedlichem Wege abgemacht werden ſollte. Mit dieſem plößlichen Wechſel der Verfahrungsweiſe halte es, ſo weit fich aus den vorhandenen Zeugniſſen abnehmen läßt, folgende Bewandniß. SE Die nie aufhörenden Gewaltthaten und Bedrückungen ,
die fich, wie überall, wo er Macht dazu hatte, auch in Aegypten, der Paſcha zu Schulden kommen ließ, hatte unter vielen Bes wohnern und beſonders unter den Beduinen der angrenzenden Wüſte die tiefſte Unzufriedenheit mit der beſtehenden Verwals
tung erregt. Der unglückliche Ausgang des ſyriſchen Feldzugs ſteigerte dieſe ſchon lange vorhandene Mißftimmung noch mehr. Und als es nun gar im Lande befannt wurde, daß die Groß mächte ſo entſchieden für den Sultan Parthei genommen , und .
die engliſchen Kriegsſchiffe ſich an der Küſte zeigten, fo dachten manche daran, dem Beiſpiele der Syrer zu folgen und ſich zu befreien . Es fehlte auch unter den Mißvergnügten nicht am Einverſtändniß, einen Aufſtand zu erregen, wohl aber an Köpfen für die Anordnung eines ſolchen Unternehmens und an dem Wege, fich auswärtigen Beiſtand zu verſchaffen. Doch
wo die Noth an den Mann geht, findet fich auch ein Mann gegen die Noth. Dieſer Mann war ein Franke von großem Einfluß, der damals in Aegypten wohnte, und den fich der
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Paſcha in Veranlaffung eines Zerwürfniffes über eine Dampf: maſchine verfeindet hatte. Dieſer machte es fich zur Aufgabe,
jenen beiden Mängeln abzuhelfen , um fich dadurch für ſeine
erlittene Kränkung zu rächen und gleichzeitig feine Vorliebe für die Engländer an den Tag zu legen. Die Gelegenheit zu einem Aufſtande war ſo günſtig, als möglich ; der fyriſche Krieg hatte nur wenige Truppen in Aegypten gelaſſen, unter denen, als gewaltſam ausgehobenen und wider Willen dienen
den , ſchon von vorn herein fein guter Geift herrſchte, wozu die
Kunde von der Niederlage ihrer Waffenbrüder, die vom Kriegs ſchauplaße einlief, auch noch gar nicht wenig beitrug. Die Beſaßung von Alerandrien genügte faum, die Mannſchaften der türkiſchen Flotte zu überwachen und die Feftungswerke zu vertheidigen, Angeſichts welcher der Kapitän Fiſher mit 4 eng liſchen Kriegsſchiffen kreuzte. Alle dieſe Umftände bewogen den Franken zu handeln. Nachdem er fein Haus in Kairo befeſtiget, ſo daß er fich auf den Nothfall darin, felbft gegen Truppen, vertheidigen konnte, ſeßte er fich mit den Beduinen
der Umgegend in Verbindung, lieferte ihnen Schießbedarf und ertheilte Rathſchläge, wie ſie beim Ausbruch des bevorſtehenden Aufſtandes fich zu benehmen hätten. Als er ſo eines Tages mit dem Scheikh Haſſan , vom Stamme Waled oder Bens Ali , in der Nähe des Natronſeees, in die Wüſte ritt, um fich da ungeſtörter mit ihm zu beſprechen, bat ihn dieſer um Pulver und Blei, was er auch erhielt, machte ihm dann aber zum Scheine den Vorwurf der Unvorſichtigkeit, woran er jedoch die Frage knüpfte: Wann wirſt du bereit ſein ?" und hinzufügte, Die Engländer brauchen nur zu landen, ſo ſollſt du ſehen , „wie die Beduinen alle und die Schiffer des Nils und auf dem See Menzald, die beſonders unzufrieden ſind, insgeſammt , fich gegen den Pafda erklären werden .
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Außerdem gaben viele im Dienft ſtehende Dffiziere, denen die beabſichtigte Schilderhebung kein Geheimniß war, den Verſchworenen wiederholt zu verſtehen, daß fie beim Aus :
bruche, um des Scheineswillen, allerdings zuerſt für den Paſcha in's Feld rüden müßten, jedoch bei der erſten paſſenden Ge
legenheit mit ihren Truppen zu den Aufſtändiſchen überzugehen geſonnen ſeien, um ſich gemeinſchaftlich mit Hülfe der Engländer des Bedrüders zu entledigen. Da die Beduinen und Schiffer
des Nils und der Seeen die einzigen noch thatfräftigen Leute in Aegypten ſind, ſo war mit ihrer Bereitwilligkeit für den Aufſtand, ſo zu ſagen, das ganze Land dazu geneigt ; denn die Fellahs *), denen es an Verſtand und Muth gebricht, ſich an derlei Wagniffen zu betheiligen, ſind auch dabei von keinerlei politiſchem Gewicht. Daß aber auch die Bevölkerung Aegyp tens, die ſeit Jahrhunderten an Bedrückungen und Härte der verſchiedenen Herrſcher, die auf einander gefolgt, gewöhnt war, ju murren wagte und ſich empören wollte, dieſe Thatſache ift ein ſprechender Beweis, wie verhaßt auch in dieſem Eldorado
für Tyrannen die väterliche **) Verwaltung Mehemed Aly's geworden war, und wie geringer Anſtrengung es bedurft hätte, fich feiner damals zu entledigen, wenn man dazu nur ernſtlich entſchloſſen geweſen wäre.
Es fehlte bloß noch an der äußeren Veranlaſſung, daß pieſe weitverzweigte Verſchwörung mit einem Male durch ganz Aegypten losbrach, deren allgemeiner Plan in nachſtehender Weiſe entworfen war. Der Rapitän Fiſher ſollte die Böte und Schaluppen der 4 Kriegsſchiffe, mit denen er felbft Alers * ) Die arabiſchen, anſäßigen Bewohner des Nilthals und Delta's die
das Land bebauen und gleichſam die Leibeigenen in Aegypten find. **) Im Sinne des altrömiſchen Rechts, wo, was ein Familienglied erwarb, de jure dem Vater (paterfamilias) gehörte.
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andrien bedrohte, mit Mannſchaft und Waffen den Nilarm von Damiette hinaufſchicken, um erſt mit den Schiffern des Menzalſeees Verbindungen anzuknüpfen. Das dortige Er ſcheinen der Engländer ſollte, wie verabredet worden , zum Zeichen des allgemeinen Ausbruches dienen. Die Nilſchiffer und Beduinen hatten dann zur Aufgabe, alle Verbindung zwiſchen Alerandrien und Kairo ſowohl mit dem ſyriſchen Heere, als auch mit Ober- und Mittelägypten abzuſchneiden , ſo daß Mehemed Aly allein auf den Befit jener beiden Städte be ſchränkt geweſen und wahrſcheinlich in der erſteren eingeſchloſſen worben wäre. Der Kapitän Fiſher ſcheint nicht ungeneigt geweſen zu ſein, die Verantwortlichkeit der Theilnahme an
dieſem Plane, deſſen Ausführung weder ſchwierig noch gefahr voll ſein konnte, auf ſich zu nehmen ; aber von dem Augenblick an , wo der Commodor Napier, faſt unmittelbar nach Ueber nahme der Leitung des Geſchwaders vor Alerandrien, ſich mit
dem Paſcha in Unterhandlungen einließ, wurde das ganze Vorhaben vereitelt ; denn alle Betheiligten ſahen wohl ein, daß
ſte fich Mehemed Alys hinfort nicht mehr entledigen würden, beſonders da die am 27. November abgeſchloſſene Uebereinkunft dahin lautete, daß er und ſeine Nachkommen im erblichen Be fitße der Verwaltung Aegyptens bleiben follten.
sid Um ſeinen Zwec ganz vollſtändig zu erreichen , begnügte ſich jedoch der unternelymende Franfe nicht bloß damit , die Verſchwörung und den Aufſtand bis zum Ausbruche eingerichtet und vorbereitet zu haben, ſondern er wendete ſich ſogar auch
nach außen um Beiſtand und Hülfe. Er richtete an Lord Ponſonby in Konſtantinopel, deſſen unverſteckter Haß gegen Mehemed Aly albefannt war, ein Schreiben, worin er obigen
Plan mittheilte und zu deffen ſchnellerem Gelingen im Intereſſe Englants folgende Vorſchläge machte. Die Engländer ſollten
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einige Hülfstruppen aus Indien auf Dampfſchiffen nach Coſſeïr am Rothen Meere und nach Suez fenden , um Mehemed Aly
von Mittel- und Ober-Aegypten abgeſchnitten zu halten und zugleich Ibrahim und Soliman Paſcha mit ihren, zuſammen etwa 25,000 Mann, die entmuthigt und erſchöpft durch die Wüſte zurücwichen, den Weg zu verſperren, indeſſen die Türken, deren Stärfe fich damals in Syrien auf 12,000 Mann regel
mäßiger Truppen belief, 'die weichenden Aegypter unabläßig verfolgen müßten, bis dieſelben, von allen Seiten gedrängt, fich zu ergeben gezwungen würden. Damit die Poſtverbindung zwiſchen England und Oſtindien nicht gefährdet erſcheine, fönnte
für einige Zeit die indiſche Poſt in -Affaba gelandet und von dort auf Umwegen nach Gaza am Mittelmeer befördert werden, um auch der Handelswelt feinen Grund zu Unzufriedenheit zu geben. Der Plan war in jeder Beziehung ausführbar , nur daß fich dagegen einwenden läßt , daß die Ankunft der Hülfs macht aus Indien, unter den damaligen Verhältniſſen, zu viel Zeit erfordert hätte, welches Hinderniß übrigens von anderer Seite wegzuräumen geweſen wäre. Der einzige Grund , der die Engländer von der Ausführung eines ſolchen Unternehmens abe halten mochte, war die unausbleibliche Folge : ein Krieg mit
Frankreich; denn die Regierung dieſes Landes würde unter keiner Bedingung eine Beſignahme Aegyptens durch die Engländer, die wenigſtens einſtweilen hätte Stattfinden müſſen, geduldet haben.
Man darf ſich nicht darüber wundern , daß Mehemed Aly, troß feiner befannten Halsſtarrigkeit, ſo raſch den Entſchluß faßte, die ihm gemachten Vorſchläge des Sir Charles Napier anzunehmen. Er ſah, daß er ernſtlicher, als je, angegriffen wurde, während ſeine Hülfsmittel und Streitkräfte zu erſchöpft
waren , um auch nur mit der geringſten Hoffnung auf einiger maßen erfolgreichen Widerſtand, den Krieg fortſeßen zu fönnen,
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und fannte wohl die allgemeine Unzufriedenheit im Lande hinlänglich, daß er nicht bei der geringſten Fortdauer der Feind. feligkeiten den Aufruhr im eigenen Lande befürchtete, wenn er auch von der vorbereiteten Verſchwörung nichts Sicheres wiſſen mochte; er erfannte, daß bei den ſo geſtalteten Verhältniſſen
ſeine einzige Rettung davon abhinge, die Engländer zu befänfs tigen, und zeigte ſich um fo bereitwilliger, auf die von daher ihm ſo unerwartet zufommenden Anerbietungen einzugehen. Abgeſehen davon, daß ein weitläufiges Eingehen auf die das Morgenland nicht unmittelbar betreffenden Gegenſtände
das Verſtändniß der hier berührten Verhältniſſe nur erſchweren würde, konnte es nur in der Abſicht liegen, dem Leſer eine möglichſt furze Darſtellung der Ereigniſſe und ihrer unmittel: baren . Veranlaſſungen zu liefern. Wenn aber, ungeachtet der ſehr umfangreichen, urkundlichen Berichte *) und mehrerer nicht amtlicher Mittheilungen, worunter das Werk des Sir Charles Napier ſelbſt zu erwähnen**) , über manchen Theilen der jeßt folgenden Verhandlungen eine ſchwer zu erhellende Unklarheit ſchwebt; ſo muß ſie auf Rechnung der dem Uneingeweihten zu Gebote ſtehenden Beſchaffenheit der Quellen geſeßt werden , die an vielen Stellen lüdenhaft erſcheinen .
Was die Uebereinfunft zwiſchen Mehemed Aly und tem
Commodor Napier betrifft, ſo erſcheint deren ſo plößlicher Abs ſchluß freilich ſo überraſchend, daß die verſchiedendſten Urtheile darüber gefällt worden ſind. Die Ginen halten Napier für einen munbeſonnenen ,“ die Andern für einen dienfteifrigen , und wentſchloſſenen . Offizier, woraus weder von der einen, noch von der andern Seite, etwas für die Erklärung und Recht: *) Parliamentary Papers about the Pacification of the Levant. Part. III .
** ) The war in Syria etc. Vol. I. i. f. und Vol. II.
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fertigung ſeiner Handlungsweiſe gewonnen wird. Nach der Art, wie er dieſe felbft darſtellt, muß man zu dem Schluſſe gelangen, daß er geheime Vorſchriften von höchſten Orts befolgte; ſonſt würde es in der That ſchwer ſein, ein ſolches Verfahren von dem Vorwurfe dienſtwidriger Eigenmächtigkeit freizuſprechen. Dieſe Anſicht wird auch durch folgende llmſtände und Angaben,
die ſeinem Werfe entnommen find, beſtätiget. Unter den zahlreichen Urfunden, die Napier in ſeiner „ Geſchichte des ſyriſchen Kriegeg " mittheilt, ſind mehrere Privat briefe an die engliſchen Miniſter in Bezug auf dieſes Ereigniß von großer Wichtigkeit, indem ſie zu Schlußfolgerungen führen, die jene an und für fich nicht leicht verſtändlichen Vorgänge aufzuklären nicht wenig geeignet ſind: Am 14. November 1840, dem Tage vor ſeiner Abfahrt
nach der Höhe von Alerandrien, dem Befehle des Admirals Stopford gemäß, ſchrieb er von Beyrut unter anderem auch in einem Briefe an Lord Palmerſton : „ Wir hören, daß die franzöfiſche Flotte nach Toulon regelt; ich fürchte, fte haben
metwas Schlimmes im Sinne. Wenn dies wahr iſt, ſo müßten wir in Malta ſein ; aber wir werden mit unſerer gegenwärtigen ,,Stärke nimmermehr im Stande ſein, die Franzoſen und Aes igypter beide zu bewachen. Ich fürchte indeſſen nicht, daß die „ leşteren in See ſtechen werden ; wenn dem ſo wäre, ſo würde „ich zuſehen, was ich mit ihnen machen könnte. Ich glaube, die beſte Art, dieſe Angelegenheit mit einem Male zu ord „ nen, würde die ſein, Mehemed Aly'n ſofort zu ſagen: „Ziehe dich aus Syrien zurück und gib die türkiſche Flotte heraus, und du fouft Aegypten behalten . Wenn Ew . Erlaucht und die Verbündeten irgend eine Abſicht der Art haben , ſo ver rſuchen Sie es mit mir als Unterhändler mit 6 Linienſchiffen, „die ich erhalten ſoll, und ich wage zu ſagen , daß es mir ges
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„ lingen wird.
Ich glaube, Aegypten wird eben ſo gut von
ihm , als von einem der türkiſchen Paſcha's verwaltet werden ; wer iſt ein alter Mann und es iſt faum der Mühe werth, fich ſeinetwegen einem europäiſchen Kriege auszuſeßen * )." 19 In ganz ähnlicher Weiſe ſprach er ſich gegen Lord Minto aus, welchem er , ſowie dem Lord Ponſonby, an dem näm. lichen Tage ſchrieb, ohne jedoch gegen Leßtgenannten ſeiner Pläne bezüglich der Beilegung der ägyptiſchen Frage auch nur mit einer Sylbe zu erwähnen. Vielleicht mag die lei denſchaftliche Partheilichkeit, die der engliſche Geſandte in Ron: ftantinopel gegen Mehemed Aly hegte , die nächſte Veranlaſs - ſung dazu geweſen ſein ; nichtsdeſtoweniger iſt dieſer Umſtand ſehr auffallend und bringt auf den Gedanken , daß nur die beiden Sabinetsminiſter und ihr vertrauter Brieffreund in den
Unterhandlungsanſchlag mit dem Paſcha von Aegypten einges weiht waren.
Dieſe Annahme wird auch noch dadurch be
ftärkt, daß nicht nur die Pforte, ſondern alle engliſchen Bes hörden in der Levante , und unter ihnen der Geſandte in Ronſtantinopel , der Admiral Stopford als Oberbefehlshaber
ter engliſchen Seemacht im Mittelmeer , ſowie der Befehls haber der Landmacht in Syrien , Sir Charles Smith , über dieſen Abſchluß zwiſchen Napier und Mehemed Aly vor Er ſtaunen außer ſich waren und ſogar von Amts wegen, zufolge ihrer Betheiligung an der aus einem ſolchen Schritt erwach ſenden Verantwortlichfeit , auf das förmlichſte Einſprache er hoben und die Uebereinfunft für durchaus ungültig erklärten,
bis ihnen Weiſung aus England zugekommen ſei *) Der Admiral Stopford ging ſelbſt ſo weit , eine Befanntmachung *) The war in Syria. Vol. I, p . 243 f. **) A. a. D.
Vol. II, Chapt. 1 .
Duro mander , Länder des Oftens II.
13
194
an den Paſcha von Aegypten zu erlaſſen , und den Kapitán Fenshaw damit nach Alerandrien zu fchiđen , worin er die Gültigfeit der Uebereinfunft widerrief, und hinzufügte , daß er ſich auf jede Weiſe der Vollziehung widerſeßen würde, ſo lange er höheren Drts her nicht entgegengeſeßte Befehle er halten hätte *). Aber für die anſcheinend eigenmächtige und
dienſtpflichtwidrige Handlungsweiſe, die im Land- uud Sees dienſte gleich ftrenge beſtraft wird, erhielt der Commodor Napier nicht nur feinen Tadel , ſondern wegen ſeiner Ver dienſte mehrfache Auszeichnungen. Der engliſche Staatsdienſt iſt gleichwohl zu achtbar und wohlgeordnet, als daß irgend derartige llebergriffe und Unregelmäßigkeiten, wenn ſie vors fommen , nicht die ſtrengſte Züchtigung hervorriefen. Bei ſeiner Anfunft vor Alerandrien wurde Napier die Abſchrift einer Depeſche des auswärtigen Miniſters an den engliſchen Geſandten in Konſtantinopel, die vom 15. Dktober aus lons
don erlaſſen war, mitgetheilt , in der es unter andern hieß ;
„ Wenn der Sultan einwilligen ſollte, dieſem Rathe **), wel chen die vier Verbündeten ihm barboten , gemäß zu handeln,
ſo würde es geeignet fein, daß Er unmittelber Schritte thue, Seine gnädigen Abſichten in dieſer Beziehung Mehemed Aly mitzutheilen , und Ew. Ercellenz und Sir Robert Stopford werden jeden Beiſtand leiſten, der die Erreichung eines ſolchen Zwedes erleichtern wird., *** ). * ) A. a. D.
** ) In dieſer Depeſche war auf den 7. Artikel der Separatnote des
Vertrags vom 15. Juli hingewieſen , in welchem Mehemeb Aly die erb liche Verwaltung Aegyptens verſprochen war, falls er fich bei Zeiten in die damit verknüpften Bedingungen fügen würde. Da ihn aber der Sul tan inzwiſchen abseſept hatte , ſo riethen ihm die Mächte beffen Wieder
einſeßung an . Dieſe Milde der engliſchen Miniſter verråth die Liebe zum Frieden , oder die Furcht vor einem Kriege init Frankreich . *** ) A. a. D. p . 251 f. Loro Palmerſton an Lord Ponſonby deu 15. Ofthr. 1840.
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195
Sollte Napier dieſes als eine hinreichende Vollmacht an
geſehen haben , obgleich nur darin geſagt war , der Pforte zu einer Verſtändigung mit dem Paſcha von Aegypten behülflich zu ſein, ohne daß er perſönlich darin genannt oder mit einem beſonderen Auftrage betraut worden , wie es doch unter folchen
Umſtänden immer zu geſchehen pflegt ? Wie ließe ſich, bei dieſer Annahme, die gänzliche Nichtbeachtung der Pforte , die doch billiger Weiſe erſt von dem Vorhaben hätte unterrichtet und ihre Zuſtimmung dazu eingeholt werden ſollen , wie es die Depeſche ausdrücklich erwähnt, auf eine vernünftigeWeiſe erflären ? Napier hätte dieſe Depeſche als eine Vollmacht
angeſehen, und doch nach deren Vorſchrift ſich nicht im ges
ringſten gerichtet ? Daß er auf dieſes Papier hin , das an ſeinen Vorgeſeßten, Admiral Stopford, gerichtet war, von die ſem ganz unabhängig und ohne ſein Vorwiſſen, nach eigenem Willen und Gutdünfen mit Mehemed Aly verhandelt habe,
iſt ſo wenig anzunehmen , als ſich glauben läßt, daß die Mits glieder des engliſchen Kabinets eine Verlegung ihrer hohen Würden auf Unfoſten ihrer eigenen Verantwortlichkeit würden gut geheißen haben. Von welchem Geſichtspunfte aus man alſo dieſes ſelts
ſame Ereigniß betrachten möge , ſo ergiebt ſich feine andere
Schlußfolgerung, als daß der Abſchluß dieſer Uebereinkunft, ſtatt eine eigenmächtige Unbeſonnenheit zu ſein, das Ergebniß eines raſch erſonnenen Planes war *) , mit deſſen vollſtän
*) The Warin Syria. Vol. I, p. 49. YOU CAVES Freilich ſchrieb Lord Palmerſton an Lord Ponſonby unterm 15. Dez. 1840 : „I have to request your Lordship to convey to Commodore Napier the approval of Her Majesty's Gouvernment of the steps
taken by him on this occasion, though without any instructions to that effect and upon his own responsibility to carry into execu tion the arrangements, contemplated by the Treaty of the 15. July 13 *
196
digem *) Gelingen die türkiſch -ägyptiſche Streitfrage zu einem möglichſt ſchnellen Abſchluß gebracht wurde , freilich ohne Rückſicht für das Heil der Türfen ſelbſt, wozu ſich doch die europäiſchen Mächte ſowohl in der Rollectivnote vom 27.
Juli 1839 , als auch in Londoner Vertrage vom 15. Juli 1840 anheiſchig gemacht hatten. Ungeachtet alles Lärmes, den dieſer diplomatiſche Handſtreich hervorrief , einigten fich die vier Großınächte bald dahin, die „ Konvention vom 27. November" anzuerkennen, und bewogen die Pforte, ein Glei: ches zu thun .
Wenn es nun nicht blos für die betheiligten Partheien, ſondern für das geſammte Europa ein Glück war , daß dieſe langwierige Streitfrage ſich endlich einmal erledigt und der Friede im Morgenlande wieder hergeſtellt fand, ſo iſt doch ſehr zu bedauern , daß Mehemed Aly'n die erbliche Verwaltung Aegyptens für ſich und ſeine männlichen Nachfommen einges räumt worden iſt. Der Sultan war weder durch irgend ein Verſprechen ſeinerſeits, noch durch den Wortlaut des Vertrags vom 15. Juli**) zu einem ſolchen Zugeſtändniſſe verpflichtet, Der Leſer mag and to put an end to the contest in the Levant. dies , without any instructions , nehmen , wofür es gilt, wo alles demſelben
widerſpricht : für eine diplomatiſche Formel. Wenn der ſelige Talleyrand , deſſen Leichenzug durch die Barrière d'Enfer ging , die Regel ſeşte : „La langue est donnée à l'homme pour cacher ses pensées “ , ſo hat ſie ſeitdem eine kleine Aenderung erlitten , indem man die Sprache neuerdings anwendet , um das Gegentheil von dem zu ſagen , was man gethan bat, oder noch thun will. Wenn Cicero , der doch auch ein wenig Diplomat
war, von dieſer Anwendung ſeiner Sprache gehört hätte, würde er vielleicht ausgerufen haben : 0 tempora, o mores !
*) Nämlich inſofern die anderen betheiligten Mächte überredet werden fönnten , ihn gutzuheißen ; was denn auch geſchehen iſt. Es waren da.
mals beſonders die , faits accomplis“ bei dem diplomatiſqjen Publikum auf dem Tapet. ** ) Separatartifel S. 2 dieſes Vertrags.
197
und nur in Folge des Umftandes , daß im erſten Abſchnitte
der Napier'ſchen Uebereinfunft davon die Nede war , daß die Verbündeten dem Sultan rathen würten , Mehemed Aly'n
dieſe Gunft zu erzeigen , glaubte ſich die Pforte, nach länge rem Zögern , durch die Annahme jener Uebereinfunft, den vier Großmächten gegenüber gewiffermaßen dazu gehalten, in die: fem Punkte nachzugeben. Dies war , neben den obigen Ur ſachen , der Beweggrund, der den Pafcha mit ſo ungewohnter Bereitwilligfeit auf die Vorſchläge des Commodor eingehen ließ ; denn er erfannte zu wohl den ihm daraus erwachſenden Vortheil , wie aus ſeinem Schreiben * ), an den Grußvezir,
worin er ihm ſeine verlangte Unterwerfung anzeigt, genugſam erhelt **).
Obgleich den Oberherrlichkeitsrechten des Sultans durch dieſeEinrichtung wenigſtens in der Form feine Kränkung wider fuhr, ſo war diefelbe dennoch ein höchſt gefährlicher Eingriff in die innere Ordnung des türkiſchen Reiches. Bis daher hatte deſſen innere Stärfe hauptſächlich darauf beruht , daß nur ein einziges, unbeſtrittenes Herrſchergeſchlecht, die männs lichen Nachfommen Dsman's , in der Perſon des Sultans vorhanden geweſen war, während es ießt in der Türkei 3 we i
Herrſcherfamilien giebt , deren Recht auf Erblichkeit fußt. Dieſes neue Verhältniß , das aller hergebrachten Gewohnheit ſo durchaus zuwider iſt, genügt ſchon , abgeſehen von allen etwaigen Anmaßungen der er blichen Statthalter Aegyptens, einen fortwährenden Keim der Gefahr und des Unheils für die Demanen und ihr Reich in fich zu tragen , wovon die
Gegenwirkung auf Europa nicht ausbleiben kann. *) vom 11. Dezember 1840.
**) The War in Syria. Vol. II, p. 24 ff.
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Wer fich damit tröſten wollte, wie es deren gibt, daß
das Geſchlecht des Mehemed Aly bald ausſterben und dann Aegypten wieder der Pforte als ein gewöhnliches Paſchalik zufallen werde , ift in einem großen Srrthume , der aus der Unfenntniß der morgenländiſchen Verhältniſſe entſpringt. Denn ungeachtet der Vertrag vom 15. Juli und alle ſpäterhin nach
deſſen Wortlaut entworfenen Urkunden der europäiſchen Di plomatie nur von der Erblichkeit in gerader und unmits
telbarer Linie reden ; ſo find die Gefeße der erblichen Reis henfolge in der Türkei ganz anderer Art, indem die Erbſchaft in gerader Linie nicht, wie in Europa, vom Vater immer auf den älteſten Sohn und vom älteſten Sohne wieder auf deſſen älteſten Sohn übergeht, ſondern der an Jahren älteſte männs
liche Nachkomme jedesmal der nächſte Erbe iſt, wie aus der Stammtafel des Hauſes Mehemed Aly's fann erſehen werden * ). *)
Généalogie des Gouverneurs d'Egypte. S. A. Mehemed Ali Pacha, a eu cinq fils : 1. Ibrahim Pacha,
2. Tossony Pacha, 3. Saïd Pacha, 4. Ibrahim Pacha, 5. Mehemed Ali Pacba .
Avant sa mort et à cause de sa santé le pouvoir a echu à son pre mier fils Ibrahim Pacha , à sa mort Tossoun Pacha étant décedé, l'ainé de la famille Abbas fils de Tossoun est arrivé au pouvoir.
A la mort d'Abbas , Saïd 3. fils de Mehemed Ali , est venu au Ses successeurs par droit d'age se trouvent placés dans
pouvoir.
l'ordre suivant :
*) 1 . Ahmed Pacha 2. Ismaïl Pacha
Fils d'Ibrahim .
3. Moustapha Bey 4. Halim Pacha Fils de Mehemed Ali.
5. Mehemed Ali Pacha ) 6. El Hami Pacha,
Fil d'Abbas.
*) Ahmed Paſcha iſt vor einigen Monaten im Nil ertrunken .
1
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Es find demnach noch ſteben männliche Nachkommen befſelben am Leben , von denen einige noch fehr jung find, und andere fchon wieder Kinder haben. Folglich iſt die Ausſicht für den
Sultan , fein altes Oberhoheitsrecht über Aegypten bezüglich der Ernennung eines Paſcha's in althergebrachter Weife aus
zuüben, wie jeder Unbefangene zugeſtehen wird, ſehr gering.
18. Nach dem Abſchluße der beſagten Uebereinkunft blieb die türkiſch -ägyptiſche Frage noch mehrere Monate lang in der Schwebe, ehe fte zu einem ſo weit möglichen Ende gebracht
werden konnte. Inzwiſchen verließ Ibrahim Paſcha mit dem Reft ſeiner Truppen den Boden Syriens und ſchiffte fich am 11. Februar 1841 von Gaza aus nach Damietta ein , wähs rend Soliman Paſcha mit einem anderen Theile des ägypti fchen Heeres zu land , durch die Wüfte, nach Rairo zurüc. kehrte. Am 11. Januar war die türkiſche Flotte bereits dein Kapitän Walfer (Javer Paſcha) überliefert worden , unter beffen Befehl fie am 20. O. M. von Alerandrien abſegelte.
Nach vielen Verzögerungen erließ die Pforte endlich den Fir man *) , der den Baſcha von Aegypten wieder in ſeine Wür den einſekte, und worin ihm der Sultan die erbliche Verwal tung dieſes Paſchalife innerhalb ſeiner alten Grenzen ver lieh. Dieſer Firman ward am 10. Juni 1841 öffentlich in den Mosfeen von Alerandrien verlefen , und damit hatte
jener denkwürdige Streit von ſo langwieriger Dauer und fo wechſelvollen Ereigniſſen , der nicht nur das Morgenland, ſondern auch ganz Europa in Unruhe und Aufregung wäh rend einer Reihe von Jahren gehalten, fein Ende.
* ) Hinſichtlich dieſes Firman vergleiche man : Correspondence and Papers relating to the pacification of the Levant. Part. III , nach Seite 400 : Laid before Parliament etc.
200
Wiewohl ſich der Leſer aus den angeführten Thatfachen ein Urtheilüber den Charakter, die geiſtigen Eigenſchaften ,dasStreben, mit einem Wort über den perſönlichen Werth dieſes Ruhes ſtörers Mehemed Aly bilden kann, ſollen hier doch zum Schlufſe die Anſichten eines Schriftſtellers Plaß finden, der wegen ſeiner tiefen Kenntniß alles deſſen, was die eigenthümlichen Charakterzüge des Morgenlandes betrifft, einer der wenigen, ja vielleicht der einzige Europäer iſt, deſſen Urtheil über die
Stellung und die Beſtrebungen Mehemed Aly's, fich von der Pforte unabhängig zu machen , die größte Beachtung vers dient *).
Die Jahrbücher des Osmaniſchen Reiches" , ſagt der felbe, find ſeit einer langen Reihe von Jahren mit Empös rungen von Paſcha's angefüllt, die ſich, mit mehr oder weni ger Mitteln , während mehr oder weniger langer Zeit, der Herrſchaft der Pforte entzogen , mit der Fremde verbündet andere Theile des Reiches überfallen haben , und auswärts (in Europa, und beſonders in Franfreich von der Preſſe) als die Gründer neuer Herrſchergeſchlechter betrachtet, aber am Ende alle ohne Ausnahme beſiegt worden ſind. Die Urſache ihres Unterliegens iſt den übereinſtimmenden Intereſſen der Völker, die ſie verwalteten, mit den Intereſſen der Pforte zuzuſchreiben. Solchen Paſcha's ſtand nur zu ihren Zweđen die Kriegsmacht ju Gebote, die ſie ſich um den Preis ihrer zuſammengerafften Schäße anſchaffen konnten. Die zur Erlangung ſolcher Schäße nothwendigen Steuern und daraus für das geſammte Volt erwachſenden Erpreſſungen untergruben ihr Anſehen. Meh. rere dieſer Aufrührer beſaßen große Fähigkeiten und außers
*) Sultan Mahmoud and Mehemed Aly Pascha , by D. Urqu bart Esq.
1834 .
201
ordentliche Tugenden ; aber ſie erlitten alle ein gleiches Schicks fal, und ihr Sturz wurde immer von den Völfern , über die 11
fie geboten, als eine Erlöſung betrachtet. „ Griechenland und Serbien bilden in dieſer Beziehung die einzigen Ausnahmen. Aber da war es, fein Paſcha , der fich empörte, ſondern ein Volf, das fich erhob ... „ Was Aegypten betrifft, ſo finden wir da im Gegentheil alle Umſtände, die der' Empörung eines Paſcha's unwandel
bar eigenthümlich geweſen ſind : das Volf ganz unbetheiligt am Kampfe, und der Paſcha fich nur durch Waffengewalt erhaltend. Nun ſind zwar die Streitkräfre Mehemed Aly's weit beträchtlicher, als irgend eines andern Häuptlinge, dem, wie ihm , nach Unabhängigkeit gelüftet; feine Hülføquellen
find bedeutender ; er hat regelmäßige Truppen , befißt eine Seemacht, iſt von einer fremden Macht unterſtüßt und gelei:
tet worden , hat Glück gehabt und hat bisher (1834) durch die Uebermacht ſeiner Flotte alle Angriffe verhindert : aber bei alle feiner Ueberlegenheit iſt doch die innere Grundlage ſeiner Macht genau dieſelbe, wie die ſo vieler Vorgänger ; er wird ſeine Provinzen, durch die Bedürfniſſe, die feine Stel lung erheiſcht, erſchöpfen und ſich die Bewohner abgeneigt machen .“
„Obgleich im Beſige Aegyptens, jenes unerſchöpflich frucht baren Landes , fand er ſich dennoch in der Nothwendigkeit, ſeine Herrſchaft auszudehnen, und nach Hinzufügung Syriens,
Damaskus' und des alten Königreichs Cilicien zu ſeinen Bes fißthümern , nach Beſiegung ſeines Dberherrn und der Befig nahme Kleinaftens war er nicht nur nicht im Stande , auch nur einen einzigen Soldaten zu verabſchieden, ſondern es wurden neue Aushebungen zum Kriegsdienſte gemacht und
neue Ausſchreibungen vorgenommen ; er mußte neue Steuern
202
auferlegen , und troß alledem war er jeßt in ſeinen erweiters ten Beſißungen gerade ſo übel daran , als er es vordem in Aegypten geweſen. Andere Paſcha's , die fich empört , haben größere Erfolge gehabt, haben Konſtantinopel erreicht, find in
die Pforte der Glüdſeligkeit eingedrungen, habenSultane vom Throne geſtoßen oder darauf gefeßt *). Wenn die Siege bei Homs und Koniéh neue Ereigniſſe in der Geſchichte dieſes Reiches wären ; wenn in der Türfei der Widerſtand gegen die höchſte Gewalt Aufruhr bedeutete , ja dann , aber auch nur dann , fönnte Mehemed Paſcha als ein Beanſprucher der Krone angeſehen werden .
„Die Stellung Mehemeds iſt alſo genau dieſelbe, wie
jener andern Häuptlinge , die fich eine Zeit lang gegen die Pſorte gehalten, und nach ihren Kräften und Beziehungen zu europäiſchen Staaten den Glauben an große Erfolge crwed: ten. Das gegenwärtige Herrſchergeſchlecht hat den Thron ſeit ſechshundert Jahren inne , und nicht nur fein Aufruhr iſt gegen daſſelbe gelungen , ſondern auch fein Aufrührer hat jes mals die Hand erhoben , um es zu vernichten . Und doch hat es fein ftehendes Heer und iſt von feinem hohen und mächtigen Adel unterſtüßt worden. Seine Regierung beſaß weder die üblichen Mittel des Anſehens' , noch die bei den andern europäiſchen Regierungen gebräuchliche Gewalt. Un geachtet daß der dømaniſche Herrſcherſtamm ſo viele Ge ſchlechter hindurch die Fähigkeit, ein ſo ausgedehntes, von ſo verſchiedenen Völferſchaften bewohntes Reich zu regieren, und zwar ohne inneren Kampf zu regieren, bewieſen hat ; ſo ift
*) Dhne daß es je einem unter ihnen eingefallen wäre, an ſich ſelbſt zu denten ; ſo tief eingewurzelt iſt der Glaube , daß nur ein Nachkomme Dimans den Thron innehaben dürfe.
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doch nichtsdeſtoweniger die Meinung Europa's in Betreff feiner dieſelbe geblieben , wie ehemals. Wir begriffen nie, wie die Türkei beſtehen konnte , und behaupteten , daß es ſo
nicht fortdauern könnte. Wir haben bisweilen neun Zehntel des osmaniſchen Reiches im Zuſtand des Aufruhrs geſehen und dennoch hat das nicht dazu geführt, ſeinem "Daſein ein Ende zu machen. Der Grund davon liegt darin , daß , wo
die Bande der Regieruug am wenigſten ins Auge fallen , ihr wahrer und ſtiller Einfluß darum nur ſo zuverläſſiger ift. Die Regierung in der Türkei behält die Stelle eines Rich tersund miſcht fich nie als Verwaltungsbehörde ein ; folg lich ſind es weder die Grundfäße , nach denen ſie handelt, noch die Gefeße , die ſie erläßt , welche Widerſtand gegen ihr Anſehen hervorbringen, und die Unruhen, welche durch Miß bräuche, Gewaltthätigkeiten oder Ehrgeiz der Statthalter ver urſacht werden (denn der Aufruhr geht dort nie unmittelbar
vom Volfe aus) , und welche in den Augen Europa's wie Eingriffe in die Vorrechte des Sultans und als eine Er ſchütterung der Grundfeſten des Reichs erſcheinen : dieſe Unruhen bringen in Wirklichkeit nicht einmal eine Schwä chung hervor. Solche hie und da vorkommenden Gewalt thätigfeiten machen nur vielmehr , daß die Blicke und Neis gungen der Völfer fich feſter nach dem Staatsoberhaupt hins richten , in welchem ſich alle Elemente der Regierungsgewalt, der richterlichen Einfalt und der religiöſen Weihe vereinigen , Mehemed Aly (denn es handelt ſich hier nicht um den
Araber, noch um die Bevölkerung Aegyptens), Mehemed Aly
unterſcheidet ſich alſo in keiner Beziehung von den andern aufrühreriſchen Paſcha's, außer daß es den Fortſchritten der eus ropäiſchen und ruſſiſchen Diplomatie gelungen iſt, durch Hers abfeßung der Gewalt des Sultans ihn gefährlicher zu machen,
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2
und daß er im Stande iſt, aus den Irrthümern , die in den
Anſichten Europa’s über dieſen Gegenſtand herrſchen, Vortheil zu ziehen .“ Daß Aegypten gegenwärtig der Thatſache nach aus dem Unterthanenverbande des das türkiſche Reich bildenden Läns derförpers geriſſen worden , iſt alſo nicht das Werk Mehemed Aly's , ſondern das Verdienſt der europäiſchen Diplomatie, wie diefelbe es bereits in ihrer Rollectivnote vom 29. Juli
freundſchaftlichft angekündet hatte.
Der türkiſche Halbmond
ward dadurch, dem lange vorher gehegten und ausgeſprochenen Wunſche der fernſichtigen Czarin Katharine II, gemäß, ſeiner andern Spiße beraubt , wie der Aufſtand und die Unabhäne gigfeit Griechenlands ihm die erſte gefoſtet hatten. Der armen
Türkei iſt es bei mehr als einer Gelegenheit , wie dem im Staube zertretenen Wurm ergangen : man hat fte theilweiſe jerſtückeln, aber noch nicht tödten können , denn gleich dem zitternden Rohre in der Fabel Lafontaine’s ift fie nachgiebig zähe ; daher beugte ſie ſich vor dem jedesmaligen Sturme, anſtatt, wie die ftolze Eiche, durch den unzeitigen gefährlichen Widerſtand im Ungewitter zu zerbrechen. Die Zeit hat bereits das ihrige gethan , die Zeit , von der man ſagt , daß fie Rummer und Wunden heile ; Mehes
med Aly iſt dahin , ſo auch Ibrahim und Abbas, ſeine nächs ſten Nachfolger, und gegenwärtig , nach Verlauf von faum zwei Jahrzehnten , iſt Saïd Paſcha an die Stelle ſeiner drei Vorgänger getreten. Abgeſehen davon , daß deffen Neffe und nächſter Nachfolger Ahmed auch ſchon todt ift, und nach dies fem Maßſtabe die lange Reihe noch vorhandener Erben der ägyptiſchen Statthalterſchaft vielleicht nicht ſo lange vorhalten wird , wie man es zu Anfang erwarten inußte , ſcheinen fich
im gegenwärtigen Augenblick in Alerandrien und Kairo, wenn
-
205
auch im Stillen, gewiſſe Ereigniſſe vorzubereiten, von denen es ſich möglicher Weiſe erwarten ließe", daß fie das ihrige dazu beitragen fönnten , troß Menſchenweisheit und wohlges meinter Dazwiſchenfünfte, den , obgleich vielfach im über tragenen Sinne gemißbrauchten , in ſeiner unverfälſchten Ur. ſprünglichkeit deßhalb aber nicht minder richtigen und gerech ten status quo ante, d. h. hier : die unmittelbare Wiederein
verleibung des Paſchalifs Aegypten in den vormaligen Ver band des türfiſchen Reicho, ſowie unter die unmittelbare Herr ſchaft des Sultans, zu bewerkſtelligen.
206
VIII .
Da die Zeit unſeres Aufenthaltes in der ägyptiſchen Hauptſtadt raſch, wie ein angenehmer Traum, verfloſſen war, jo verurſachte es uns ein wahres Herzeleid , als die Stunde des Abſchieds ſchlug, und wir uns von dem herrlichen Kairo entfernen mußten, wo wir nur ſchöne und an Belehrung reiche Tage verbracht hatten. Um die zur Abreiſe beſtimmte Zeit begaben wir uns Abends , vom ehrlichen Halil zum lepten Male begleitet, nach Bouladt, wo wir ihn verabſchiedeten und ein kleines Dampfboot beſtiegen, um nilabwärts zu ſchiffen . Die Dunkelheit der Nacht , und dann ein ſchwer über dem Flufſe hängender Morgennebel verzögerten die Fahrt , ſo daß
es Nachmittag des folgenden Tages ward, ehe wir Atfeh er reichten, von wo die Reiſe bis Alerandrien in einem fielloſen Fahrzeuge, das ein ganz kleiner Schrauber im Schlepptau hatte, auf dem reichten Mahmudiehkanale, durch die flache und einförmige Landſchaft des Nildeltas , fortgeſeßt wurde. Spät am Abend vor lekterer Stadt anlangend , mußten wir eine ganze Weile außerhalb der Befeſtigungen warten , denn das Thor öffnete ſich erſt, nachdem wir längere Zeit daran ges flopft und gelärmt hatten ; und als man uns endlich einließ,
verlangten die gähnenden Wächter, anſtatt zu fragen , wer wir ſeien, einen Badſchiſch dafür, daß wir ſie im Schlafe ge
207
ſtört hätten . Da aber eine Wache nicht den Namen davon
hat, daß fie ſchläft, und dieſe noch gar den Feind unbebingt eingelaſſen, ſo erhielt ſte natürlich nichts, und wir eilten ſchnell weiter, ein Obdach zu finden, wo wir für die Weiterreiſe ein wenig ausruhen fönnten . Den nächſten Morgen blieb uns faum ſo viel Zeit, die hauptſächlichſten Straßen der Stadt zu beſehen und der ſ. g. „ Säule des Pompejus• *) , ſowie den zwei am Meere befindlichen Obelisfen , die unter dem Namen der „ Nadeln der Kleopatra “ befannt ſind, einen flüch tigen Beſuch abzuſtatten ; denn ſchon mahnte der aus den Kaminen auffräuſelnde Rauch der Dampfſchiffe, die im Eu
noſtushafen bereit dagen , an die baldige Trennung und Ab. fahrt. Der alte Reiſegefährte “ ſchiffte ſich nämlich von hier nach Malta und England ein, weil er, nach dem Genuſſe des herrlichſten Tropenhimmels , die feuchte Nebelluft des freien
Inſelandes nicht länger zu entbehren vermochte **) ; uns andere Genoſſen aber , die wir mit ihm aus Indien gefom men, trieb die Wanderluſt, die Richtung nach Smyrna hin zu nehmen. Unſere Trauer , den Boden Aegyptens zu ver laſſen, machte indeſſen bald dem ungeduldigen Gefühle Plaß, mit dem wir den Augenblid erwarteten, wo uns die flafiſche
Erde des ioniſchen Kleinaftens zu betreten vergönnt ſein würde. Zwei Tage verſtrichen in einförmiger, wohlthätiger Ruhe auf offener See , am dritten befanden wir uns im Bes reiche der Sporaden, und ſowie wir zwiſchen dieſe Inſeln ge *) Lettres sur l’Egypte par Savary. Vol. I, p. 36 sq. Eriunerungen aus Egypten, 8. Profeſch. Bd. I, S. 9–12. Abulfeddah’s Beſchreibung Aegyptens . Nach ihnen war dieſe Säule ein Denkmal des Kaiſers Severus, ode. (nach Savary ) vielleicht des Diocletianus.
**) „ Uns alle zieht das Herz zum Daterlande" .
208
riethen , veränderte ſich das bisher ungetrübte Wetter: die
Luft dünfte uns faft rauh, graue Wolfen bedeckten den Him
mel und ſcharfe Windſtöße wehten uns aus den Meerengen zwiſchen den Inſeln entgegen. Die trübe Witterung ließ auch die vielen Felſengruppen, die ſich rings umher in undeutlichen wechſelnden Formen , bald in der Nähe , balb weiter entfernt, aus dem Waſſer erhoben , und deren Gipfel fich jeßt in den
Wolfen verloren , viel größer und wilder erſcheinen, als ſie es in Wirklichkeit ſind ; ſo daß man ſich eher in einem ge birgigen Hochlande, als auf dem Meere zwiſdhen Inſeln hätte wähnen können , ſo täuſchend glich dieſe Ausſicht denen der
Alpenſeeen. In der Frühe vor Sonnenaufgang waren wir an der Inſel Scarponto vorübergeſegelt, deren nördliches Vor
gebirge, als es tagte, weit hinter uns gen Südoſten noch auf einen Augenblic undeutlich hervortrat, ehe es im Dunſte der Ferne verſchwand. Dann ſteuerten wir zwiſchen Stümpalia und Stancho hin , deren rauhe Zacken und ſteile Wände den Eindrud machen, als feien es die Trümmer aus einer andern Schöpfung, die zu Felſen erſtarrten Reſte des urſprünglichen Chaos. Ein Künſtler würde in ihren fühnen Umriſſen die wirren Geſtalten vorübereilender Giganten zu erkennen glau
ben ; in ſeinen Augen könnten ſich die felſigen Vorgebirge zu Bildniſſen der Heroen umwandeln, und er würde Gefallen daran finden , aus den , wie von der Hand eines Titanen oder Herafles im Zorn durcheinander geſchleuderten Fels
blöden, deren Geſtaltungen der Einbildung Helme und Pans zer vorführen, nach dem Beiſpiele eines Dinofrates, im Geiſte ein geſchichtliches Denkmal zu ſchaffen *) Nachdem wir *) Voyage d'Horace Vernet en Orient.
Texte et Dessins par
M. Guipel Fresquet. R. 8. P. 9 l'Archipele grec.
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Calamo unblero hatten zur Rechten liegen laſſen , erhoben fich
vor dem linken Schiffsbug hehr und düſter die ſchwarzen , verworrenen Felszaden des fahlen Patmos in maleriſcher
Wildheit aus dem Meere. Wie wohl muß der Charakter einer ſolchen Umgebung mit der Seelenſtimmung des Vers faſſers der Apofalypſe im Einklang geſtanden haben ! -- Wir fuhren ſo nahe an dieſer rauhen Verbannungsſtätte des Apo ſtels vorüber , daß wir , troß des Lärmens der Schiffsråder, das Rauſchen der Brandung deutlich zu hören und auch einige flüchtige Blicke in die tiefen Felsſchluchten des Ufers zn wers fen vermochten, wenn mitunter der Wind die trüben Wolfen maſſen gegen die Bergesgipfel gleichſain hinaufrollte *). Das ſchlechte Wetter ſchien ſich nur auf die zunächſt ges legene Inſelgruppe zu beſchränken , denn als wir die Höhe von Fourni erreichten und wieder ins freie Meer hinausfamen, blieben mit den Inſeln auch die trüben Wolfen zurück ; die Sonne leuchtete wohlthätig mild vom heiteren Himmel Jo niens herab, und wir ſahen im Dſten mit Freude und Ueber : raſchung die blauen Berge von Samos" aus nicht beträchts licher Ferne , in flarer Pracht und Schärfe, in dem jeßt uns getrübten Geſichtsfreiſe ſich erheben. Nördlich von der ſchönen Heimath Anafreons, Pythagoras und des Polyfrates, deſſen Name durch Herodots Erzählung **) und Schillers Balade * ) Homer erwähnt dieſer Naturerſcheinung öfter, 8. B. Jliad. XVI., 0. 298 ff. :
ως δ'ότ' αφ' υψηλής κορυφής όρεος μεγάλοιο κινηση
πυκινήν νεφέλην στεροπηγερέτα Ζεύς, έκ τ'έφανεν πάσαι σκο
πιαι και πρώηνες άκροι και νάπαι· ουρανόθεν δ'αρ υπερ δάγη άσπετος αιθήρ.. wo freilich der Nebel (bei ſchönem Wetter und Windſtille) herabfintt. ** ) Herodot III., Kap . 39ff. Strabo XIV ., Rap . 1 . Dnomander , länder det ofteas II.
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unſterblich geworden iſt, erweiterte ſich die Ausſicht, und wir blidten tief in die Bucht von Scala - Nova hinein nach der
Stelle hin , wo vormals das berühmte Epheſus lag, und wo fich uns jeßt im mächtigen Halbkreiſe die Gebirge des flein aſiatiſchen Feſtlandes zum erſtenmale zeigten. Rap Myfalé
blieb hinter Samos verborgen , aber im Norden ragte der Korykus ſtolz gegen uns hervor. Nachmittags gelangten wir in den Boghaz, oder die Meerenge von Chios, die, auf meh , rere Meilen von dieſer Inſel und dem bier weit vorſpringen
den Feſtlande eingeſchloſſen , eine reizende Durchfahrt bildet. Das Ausſehen des Feſtlandes , obgleich auch intereſſant, wie jeder andere Ort dieſer ruhmreichen Gegend , iſt dennoch we
niger anziehend . Von den Spißen des dunkeln Koryfus und des noch höheren Mimas fällt die Küſte ſteil ab gegen das Meer, ſo daß die faſt ſenfrechten Abhänge, beſonders um Kap Bianco Mauern gleichen , auf deren äußerſtem Rande mehrere griechiſche Klöſter, nach Art der Schwalbenneſter, wie anges flebt, haften , in deren Zellen , ſagt man , noch manche der
früher aus den umliegenden Inſeln vertriebenen Griechen das traurige Schidſal, das ſie durch ihren Aufſtand der zwanziger Jahre über fich gebracht, in ſtiller Abgeſchiedenheit beweinen. Der Anblic von Chios iſt unendlich ſchön , und trok aller ſeiner Leiden und Schickſalswechſel iſt es noch jeßt, wie vor Alters, das Paradies von 3onien ". Von Süden fom
mend , ſteht man zuerſt bewaldete Höhen , dann am Ufer die Maſtirdörfer in den freundlichen Thälern oder auf den ſanf ten Vorſtufen der dahinterliegenden Berge, die von Süden gen Norden die Inſel durchziehen .
Sobald man um das
Kap Poſtdium gefahren, öffnet ſich zur Linken die ſchöne Bay von Caftro mit der gleichnamigen Hauptſtadt an dem ſicheren und bequemen Hafen , die fich wieder aus ihren Trümmern
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erhoben und auf's Neue zu gedeihen angefangen. Ihre Lage, von der Mitte des Boghaz geſehen , ift überaus maleriſch .
Die hellglänzenden , fich vom Meeresrande übereinander bis
zur Höhe der verfallenen Zitadelle erhebenden Häuſerreihen, die überall vom friſchen Aufwuchs junger Haine umgeben
ſind, aus Del-, Mandel., Platanen- und Terebinthenbäumen beſtehend, mit einzelnen düſteren Cypreſſen oder halbwilden Maſtir- und Dleandergeſträuchen untermiſcht, zeigte ein Bild, wie nur ſelten zu ſehen vergönnt iſt, und deſſen Lieblichkeit uns hier die Schnelle der Fahrt beflagen ließ. Steigen dazu in der Seele des Betrachters die vielen Erinnerungen aus
der Geſchichte auf, die, gleich den langen Schatten der gerade eben vom Eliasberge aufgefangenen Strahlen des allmählich ſchwindenden Abendlichtes , dieſem heiteren Gemälde einen tiefen, aber milden Ernſt verleihen ; dann läßt es ſich wohl begreifen, daß alle Schriftſteller, Dichter, wie auch Geſchichtſchreiber des
Alterthums uud der Neuzeit , von Homer , Herodot , Virgil bis auf Lord Byron, die Herren von Hammer und von Pros feſch uicht haben ſatt werden fönnen , das Lob dieſer Inſel
und ihrer Frauen und ihres Weines zu preiſen und zu bes ſingen. Chios iſt daher auch zu allen Zeiten der werthvolfte
Kampfpreis geweſen für die in jenen Gegenden mit einander ringenden Völker Europas und Aftens. Aber ſo reich es die Natur beſchenft hat , fu wenig ward es vom Glüde begins ftigt. Und ſeine Bewohner haben faſt immer das Mißgeſchic oder die Unflugheit gehabt, die Parthei des ſchwächeren Geg ners in Streite zu ergreifen. Nachdem fte mit hundert Schifs fen einen wirkſamen Antheil am ioniſchen Aufſtande unter Ariftagoras gegen die Perſer genommen , wurden ſie dafür 14 *
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ron Hiftiäus mißhandelt und vom Tyrannen *) Stratfis bedrüdt. Während des peloponneſiſchen Krieges fochten fie meiſt auf Seiten der Athener. Außerdem aber, daß fie fich
Den Feindſeligkeiten der Spartaner , wie den Ränken der hes nachbarten Perſer ausſeßten, wurden ſte auch von der Mutter ſtadt mit Schmach und Undant belohnt. Später, weil ſite die Bundesgenoſſen der Römer gegen Mithridates gewes ren, wurden ſie, als dieſer geſtegt hatte, das Opfer der Rache
des gemeinſchaftlichen Feindes, und Verres , als habe er die frühere Undankbarkeit der Athener als Mufter nachahmen
wollen , nahm feinen Unftand, auch dieſe treuen Verbündeten ſeines Vaterlandes auszuplündern.
Der leßte Auftritt ihrer
langen Leidensgeſchichte iſt indeſſen bei weitem der ſchrecklichfte. Die Türken hatten Chios immer mit Milde behandelt, und ſogar als der griechiſche Aufſtand ausbrach , würde wohl die griechiſche Bevölkerung nichts zu fürchten gehabt haben, wenn fte ſich nicht durch ihren eigenen Leichſinn ins Verderben ges
ſtürzt hätte. Doch die Verſuchung war zu groß : die Chios ten fonnten fich , in Folge ihrer alten Neigung, der Seeräu: berei nicht enthalten ; dadurch unwiderſtehlich in die Bewe: gung von Samos und der andern Inſeln verwidelt, mußten ſte gegen die Türfen mitfämpfen, die, über dieſe Treuloſigkeit entrüſtet, im Jahre 1822 jenes fürchterliche Blutbad auf der Inſel anrichteten , das 119000 Menſchen Leben oder Freiheit koſtete , - und dem nur 900 Bettler und Strüppel entgingen. Das gefnechtete Chios hat ſich aber troß dem unter türliſcher Herrſchaft ſchneller erholt, als das befreite Griechenland, und *) In der alten Bedentung des Wortes : Herr , Herrſcher ; iſt wohl
aus dem viel älteren xoipuvos hervorgegangen, das rich in Homer findet, 8. B. Els Budiheds els xoiquvos šorw .
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jeßt fteht man nur noch verhältnißmäßig wenige Spuren jener entfeßlichen Vorgänge. In der nördlichen Einfahrt der Meerenge liegen die Spalmaboren , an denen wir in der Abenddämmerung noch glüdlich vorüberfuhren ; denn mit der einbrechenden Nacht er neuerte ſich das ungeſtüme Wetter, es windete ftarf und regnete noch heftiger, ſo daß man nicht über Bord hinausſehen konnte, und das Senfblei öfters gebraucht werden mußte. Noch einige Stunden braufte das Schiff durch die aufgeregten Wellen,
dann ließ ſeine heftige Bewegung allmählig nach, und gegen
Mitternacht anferten wir in der ruhigen , wider alle Stürme geſicherten Bay ron Smyrna. Unter allen Drten , die ich während meiner Reiſen bes
ſuchte, hat feiner auf mich einen ſo tiefen Eindruck gemacht und ein ſo bleibendes Andenken hinterlaſſen, als „dieſe ſchönſte von allen Städten , wie ſchon Strabo *) fie nennt, mit ihrer
über alles reizenden Umgegend. Lage und Klima find gleich vorzüglich, und der Reiſende, der fich beim erſten Anblic ders felben hingeriſſen fühlt , wird durch die nähere Bekanntſchaft mit ihren Vorzügen nicht in ſeinen Erwartungen getäuſcht. Als die erſten Strahlen der neuen Sonne ihr röthliches
licht über die fahlen Höhen des ſchroffen Sipylos ausgoſſen und die leßten Schatten der Nacht, wie wenn zaudernd, noch auf den unteren Thälern ruhten, ſtanden wir bereits auf dem Ver
deď und genoſſen des herrlichen Anblics. Das Schiff lag auf der Außenrhede , neben einer türkiſchen Kriegsbrigg , un gefähr eine Seemeile ron der Stadt, was uns einen vortreff lichen Geſammtüberblic der ſchönen Bay mit ihren reizenden Ulferlandſchaften barbot .
Man fönnte fte, ihrem Ausſehen
*) Strabo XIV . cap. 1 bei Aufzählung der ioniſchen Ortſchaften.
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nach, für einen Binnenſee halten , *) wenn nicht der eigen. thümliche Meeresgeruch und die zahlreichen , großen Schiffe, die man vor den Augen hat, vom Gegentheil zeugten ; ſo voll ftändig ift fie nach allen Seiten von Gebirgen und Vorlanden
umringt und geſchüßt. Kann die Natur irgendwo verſchwen . deriſch genannt werden, ſo iſt es hier : hier , in einem ver hältnißmäßig geringen Raume, finden fich Meer , Gebirge,
ebene, ſchön bepflanzte und angebaute Landſtrecken, üppige Garten nebſt heiteren Ortſchaften und
damit es an nichts
fogar Ruinen in einer ſo maleriſchen Vertheilung zuſammengedrängt, als ſei das Ganze von der Hand eines
fehle
vollendeten Künſtlers zum Zwede idealer Schönheit angeordnet
worden. Mitten in dieſer entzüdenden Landſchaft thront das liebliche Smyrna , die Königin der levantiniſchen Städte. **)
In Geſtalt eines mächtigen Halbmondes , deſſen Hörner die Rhede umgrenzen , dehnt ſie fich auf ungefähr eine Wegsſtunde von Norden nach Süden aus. Nordwärts liegt das griechis ſche Stadtviertel, am flachen Ufer, das dort in eine weit hers portretende, fandige Spiße ausläuft, hinter welcher der Golf
noch eine Stređe, bis an die Sümpfe von Bournabat, nach Often in's Land hineingreift.
An dieſes Viertel reiht ſich,
nach Süden hin, das armeniſche an , dem das Quartier der
Juden folgt. Zwiſchen dieſen Stadttheilen und dem Hafen ftredt fich, in einem ſchmalen Streifen , das Franfenquartier
långs bem Ufer, oder der „ Marinas , hin, mit den anſehn.
lichen Konſulatgebäuden , die ſich durch hohe , maftenartige
Flaggenſtangen, mit vergoldeten Kronen an der Spiße, auss zeichnen. Die Südſpiße des Halbmondes iſt der Stadttheil *) Vergl. v. Profeſch's Schilderung in : „ Dentwürdigkeiten und Gr: innerungen aus dem Driente " . Bd. I. S. 95 ff. **) Strabo (a. a . D. ) nennt fie die „ Schönſte von allen ,“
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der Türfen, der fich am Fuße des Pagusberges hinaufzieht und mit ſeinen Kuppeln und Minareten der Stadt ein recht
morgenländiſches Gepräge aufdrüdt. Der Eindrud , den Smyrna beim erſten Anblic ſchon hervorbringt, iſt ein überaus angenehmer , was aber, bei näherer Unterſuchung, dem Geſammtcharakter ſeiner Umgebung einen ſo hohen Reiz verleiht , iſt der außerordentliche Reich
thum an Gegenfäßen der mannigfaltigſten Art , die ſich da neben einander finden . 3ft das Auge vom Gewirr auf der Rhede ermüdet oder geblendet von den weißen Mauern der Stadt , ſo fann es auf dem reichen Grün der Platanen-,
Feigen-, Drangen Bäume in den Gärten ausruhen, oder am dunfeln Schatten der Cypreſſenhaine auf den Friedhöfen der
Moslim fich erholen, oder in maleriſche Fernen hinausſchweifen, wo ringsum fich Gebirge erheben, deren fable, fühne Zaden an Höhe mit einander zu wetteifern ſcheinen , deren vielfach verſchiedene Abhänge, Schluchten und Thäler einen unerſchöpf lichen Reichthum von immer wechſelndem Lichte und Schatten darbieten .
Da wir aus Aegypten , der urſprünglichen Heimath der Peft * ), famen, mußten wir, wenn auch dieſelbe jeßt im Morgen lande nicht mehr vorhanden iſt, uns doch , der Form halber, einer kurzen Quarantaine unterziehen, ehe und erlaubt ward, die Stadt zu betreten.
Deshalb fuhr das Dampfſchiff mit
uns nach der Südſeite des Golfes, wo, an einer vereinſamten Stelle des Ufers, ungefähr eine halbe deutſche Meile von der Stadt, das Lazaretto , ein dumpfes, fteinernes Gebäude mit
zwei Höfen, von einer Steinmauer umſchloſſen , gelegen iſt. Als wir mit unſerem Gepäd dort angelangt, ſchloß ſich das * ) Gibbon's Geſchichte vom Verfalle und IIntergange des Römiſchen Reichs. Bd . 7. Kap . 43 a . S.
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eiſerne Gitterthor hinter uns wieder zu , und wir waren auf vier Tage, die fürzeſte Quarantainezeit, die es hier giebt, von aller übrigen Welt durch die ſtrengſte Haft abgeſperrt. In dem größeren der beiden Höfe befindet fich das einſame Grab
mal eines muſelmänniſchen Hadſchi, der hier vor 15 Jahren, auf der Rüdfehr von Mektha, an der Peft geſtorben iſt. Ein Stein von anſpruchsloſer Einfachheit mit einer Inſchrift aus dem Koran bezeichnet die Ruheftätte, wie den heiligen Charakter des dort beſtatteten Wanderers , der dem Schidſal, das uns früher oder ſpäter alle trifft, * ) fern von der Heimath und den Seinen, dort hat erliegen müſſen. Was die Zwedmäßigkeit unſerer Gefangenſchaft oder deren etwaigen Nußen anbelangte, fo wollten fie uns gar nicht ein leuchten ; denn von der Peft war damals nichts mehr zu
fürchten. Dagegen ſtand zu erwarten, daß uns ein längerer Auf enthalt in dieſem ungeſunden und unreinen Gebäude irgend ein Fieber zuziehen konnte, worauf wir uns auch im Voraus gefaßt hielten ; auf Reifen lehrt aber die Nothwendigkeit vieles ertragen. Als troß den langweiligen und lächerlichen Vors fehrungen gegen die Peſt feiner von uns erkrankte, und, am fünften Tage unſerer Gefangenſchaft, die Stunde der Erlöſung ſchlug , beftiegen wir in ungefährdeter Geſundheit und beſter Laune ein Boot , um nach der Stadt zu eilen , zu der wir mit ſo ſehnfüchtiger Ungeduld durch die Gitterfenfter des Lazas rettos hinübergeblidt hatten.
Von friſchem Südweſtwinde getrieben , glitt unſer Raït längs der füdlichen Hafenſeite ſchnell und geräuſchlos zwiſchen *) Omnes eodem cogimur: omnium Versatur urna serius ocius Sors exitura et nos in aeternum
Exiliumimpositura cymbae. Hor. Od. II. 3.
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den vielen tort vor' Anfer liegenden Schiffen an dem engliſchen Konſulate vorüber, bis wo, etwas biefſeits der Wohnung des franzöſiſchen Konſuls , das türkiſche Zollhäuschen in Geſtalt einer unſcheinbaren Bretterbude am gewöhnlichen Landungs plaße der Fremden ſteht.
Ganz nahe , an einer der fleinen
Duergaſſen , welche vom Hafen in die mit der Marina parallel laufende Hauptſtraße des Frankenquartiers führen , liegt ein Wirthshaus, das wir zu unſerer Wohnung wählten. Die „ locanda Miller iſt ein altes, zweiftödiges Gebäude von mittel mäßiger Eröße, deſſen innere Einrichtung den gemiſchten Cha rakter orientaliſchen und franzöſiſch - italieniſchen Geſchmades hat. Troß ſeiner äußeren Unanſehnlichkeit iſt es höchft ge müthlich darin, und die gute Pflege, neben dem biederen, ju vorkommenden Weſen des Wirthes, eines ausgewanderten Fran
zoſen, der ſich nach vielen Schickſalswechſeln hier niedergelaſſen, trugen nicht wenig dazu bei, uns in dieſem Hauſe ſofort wie heimiſch zu fühlen. Mein Stübchen lag im zweiten Stod, nach hinten, mit
dem Fenſter auf den fleinen inneren Hofraum , den ein nied licher Springbrunnen zierte, von Blumenbeeten umgeben, deren Zwiſchenräume Fußſteige bildeten, die, zierlich gepflaſtert, dem Ganzen einen ſtets ſauberen , netten Anſtrich verliehen. Einen Neugierigen würde die nächſte Ausſicht von hier viel beſchäf tigt haben ; denn man konnte , unbemerkt , alles wahrnehmen, was fich auf den flachen Dächern der Umgegend oder in den
verſchiedenen Höfen zutrug. Aber anziehender war es , den Blick hinaus auf die fernen Berge ſchweifen zu laſſen und zu ſchauen, wie ſie von den Strahlen der Morgen- und Abends ſonne im buntfarbigſten Glanze prangten. Das Innere der Stadt iſt, ohne maleriſch oder auch nur ſchön zu ſein , ungemein heiter und freundlich. Da Smyrna
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noch ießt , wie vormals , der Mittelpunkt des fleinaftatiſchen Handels iſt, ſo herrſcht ein reger Verkehr in ſeinen verſchiede nen Theilen , der fich dort von allen Seiten her zuſammen drängt und beſonders die großen Karawanferais in der Nähe Des türkiſchen Quartiers, fowie das fübliche Ende der langen Frankenſtraße, wo die Waarenlager und Wohnungen der europäiſchen Kaufleute ſind, mit einem beſtändig wechſelnden Treiben erfüllen . Man vermißt hier aber jenes rein morgens
ländiſche Gepräge, welches Kairo in den Augen des Fremden einen ſo hohen Reiz verleiht. Denn da Smyrna die Eigen ſchaften einer europäiſchen Seeſtadt auf aſiatiſchem Boden mit denen des Hauptortes eines türkiſchen Paſchaliks in fich vers einigt ; ſo mangelt es ihm an vielen jener anziehenden Eigen thümlichkeiten , die fich dort noch ſo wohl erhalten haben. Dieſer Uebelſtand findet ſich übrigens heutzutage in den meiſten Küſtenſtädten der Levante, indem fich faſt alle durch die ſonders barfte Miſchung aſiatiſcher und europäiſcher Dinge , die ſich, oftmals auf das ungereimtefte, durch alle Verhältniſſe hindurch zieht , mehr oder minder auszeichnen , was ſehr zu bedauern
iſt, da die Morgenländer, was fie Gutes und Althergebrachtes an fich haben, dadurch verlieren, ohne daß die Europäer etwas
dabei gewonnen . In Kairo iſt die Zahl der europäiſch gefleideten Leute außerordentlich gering in den Straßen, hier dagegen trifft man nur verhältniſmäßig wenige Menſchen in acht morgenländis ſcher Tracht an, denn faſt überall ſteht man neber, dem kleinen
runden Fer von Konſtantinopel den frånfifofje'n Hut , neben dem Rafthan den tuchenen Ueberrod, Hartschuhe neben den weiten Aermeln, das fnapp anliegende geinfleid des Weftens neben den weiten, vielfaltigen Hoſen ' oes Drients. Zwiſchen dieſen grellen Gegenfäßen giebt es aber noch eine Menge Ab
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ftufungen, deren jede dazu dient, die verſchiedene Herfunft der Völfer anzubeuten. So erkennt man den levantiniſchen Griechen an ſeinen weiten , bis über das Knie reichenden Hoſen von blauer leinwand, die mit einer rothen Schärpe um die Hüften zuſammengehalten werden , an ſeinem furzen Jädchen und feinem großen Fez, in dem ſich noch die Form der altphrygis ſchen Müße erhalten hat, und deſſen lange blaue Troddel bis auf die Schulter herabbaumelt. Die Geſtalten der dichtvers fchleierten Türkinnen und Armenierinnen , wie fte geräuſchlos und fchweigend in ihrer Vermummung , gleich Geſpenſtern,
einherſchleichen, ſtechen auffallend gegen die vielen frånfiſchen Frauen ab , die offenen Geſichtes, wie in Europa , durch die Straßen gehen. Jene ſind nicht, wie in Aegypten, in dunkle Gewänder gehüllt, ſondern tragen lauter hellfarbige Stoffe. Das Geſicht verbergen ſie unter einer Art Maske aus Eiſens draht, die mit ſchwarzer Seide überzogen iſt und nach Art eines Viſires über Stirn und Naſe bis an den Mund herabs
reicht, was ihnen nur geſtattet, gerade vor fich auf den Boden zu ſehen , wohin fie den Fuß feßen ſollen. Anſtatt der weiten
Ueberwürfe der arabiſchen Frauen Aegyptens tragen fie ents weder hellgrüne, gelbliche oder blaßrothe Mäntel mit ſchwarz ſammetnen Säumen und einem großen Fragen, der über die weiten furzen Aermel bis an die Hüften herabreicht. Ein weißer Neſſeltuchſchleier, der das Haupt umhüllt und bis an die Ferſen herniederwallt, rothe Pantoffeln oder gelbe Stiefelchen an den Füßen, vollenden dieſen ſonderbaren Anzug.
Unter den alten türfiſchen Kaufleuten in den Vazars findet man die edelſten Geſichtsformen , wohingegen fich die
Hamale, oder Laſtträger, durch ihren rieſigen Körperbau und die vollendetſte Entwidelung aller Muskeln auszeichnen , ſo daß man , ftatt ſie über ihr mühſames Gewerbe zu bemitleis
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den , nicht umhin fann , wenn fte unter fchwerer Caft durch die Straßen feuchen , ftilzuſtehen , und ihre nervigen Glieder zu bewundern .
Da nur die Muſelmänner das Vorrecht befißen , in der
Stadt Waffen zu tragen , ſo ſteht man hier bei weitem nicht ſo viel Dolche, Gataghans und Piſtolen , wie in Aegypten ; auch herrſcht viel geringere Abwechſelung in der Geſichtsfarbe der hieſigen Bevölkerung , und es gehört zu den Seltenheiten, unter derſelben einem ſchwarzen Abyſſinier oder einem oliven braunen Araber zu begegnen . Deffenungeachtet gibt es , mit Ausnahme Ronftantinopels, wohl faum einen anderen Ort, der eine ſolche Menge Vertreter der verſchieden Bölfer aufzu :
weiſen vermag , wie Smyrna , und wer es nicht felbft mit angehört hat, der fann fich keinen Begriff von dem Sprachen gerirre machen , das dort herrſcht. Indem es in der Türkei Gebrauch iſt, blos von den
Rajahe, den nicht muſelmänniſchen Unterthanen des Sultans, die Kopfſteiter zu erheben , und die übrige Bevölkerung nur nach der Häuſerzahl veranſchlagt wird, ſo laßt fich die Zahl der hiefigen Einwohner , weil fie außerdem , wie überall an derwärts im Morgenlande , beftändigem Wechſel unterworfen iſt, nur annäherungsweiſe angeben. So viel man alſo bei dem großen Mangel zuverläffiger Auskunftsmittel darüber zu beſtimmen wagen darf, belief ſich dieſelbe im Ganzen , zur Zeit dieſer Berechnung * ), auf etwa 140,000 Seelen , und
befteht volfes- oder religionsweiſe aus 50,000 Muſelmännern ,
*) Im Frühling 1851. Das Verhältniß der Verſchiedenheit hat ſeit: dem ohne Zweifel fich wieder geändert, da die griechiſche Bevölkerung in ſtätiger Weiſe während der leßten Jahre zugenommen haben ſoll. die tür: tiſche dagegen ſich aus mehreren Urſachen vermindert hat.
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60,000 Griechen , 10,000 Armeniern , 15,000 Franken und 5000 Juden.
Dieſe leßteren bewohnen , im Gegenſaße zu
den übrigen , deren Quartiere eine geſunde und geräumige lage haben, zwei fleine Winkel zwiſchen dem armeniſchen und türkiſchen Stadttheile , wo ſie in einige feuchte und ſchmußige Gäßchen zuſammengedräng: leben. In ihrem Elende ſind
aber die Juden in Smyrna ein ganz merkwürdiges Volf. Obgleich dieſe armen Menſchen nirgend in der Welt einer ſolchen Verachtung preisgegeben ſind, und ſo viele Nedereien erdulden müſſen , als in der Levante , ſo haben ſie doch in
keiner andern Gegend ihre Eigenthümlichkeiten in auffallen derer Weiſe bewahrt. Die heutigen Juden Kleinaſiens ſtam men, wie es auch die unter ihnen noch gebräuchliche Sprache andeutet, von denen ab , die bei der großen Verfolgung von Seiten der Chriſten während des 7. Jahrhunderts, aus Spa nien geflohen waren. Sie leben in der ſtrengſten Abgeſchieden heit für fich , und in der größten Eintracht unter einander.
Da die türkiſche Regierung fich nicht anders, als durch Ver mittelung der Rabbiner und Aelteſten in ihre weltlichen und geiſtlichen Angelegenheiten miſcht, ſo genießen fie in mancher Beziehung einer verhältnißmäßig ungeſtörten Freiheit. Viele unter ihnen gehen in ihrer alten Volfstracht einher, und mehr
als Einer rief mir das berühmte Gemälde Rembrands ins Gedächtniß zurüd.
Am auffallendſten iſt aber bei ihnen ,
namentlich im Gegenſaße zur dunkelen Färbung ihrer nordi
ſchen Stammgenoſſen , das feine Weiß ihrer Geſichtsfarbe, ſowie das blonde Roth der Barts und Haupthaare , was, unter jenem ſüdlichen Himmel, ihrem Ausſehen etwas eben ſo Fremdes verleiht, wie ihre Kleidung, Sitten und Sprache *). * ) Hamilton's Asia Minor, Vol . I, p. 58 .
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Gegen die übrigen Einwohner ſind ſie ſehr ſchüchtern und friechend, gegen den Fremden aber , dem ſie ſich immer als Dolmetſcher oder Zwiſchenhändler aufzubringen ſuchen , bez nehmen ſie ſich mit deſto frecherer Zudringlichkeit, und verfol. gen ihn überall , wie ein Rudel hungriger Wölfe, bis er ſich ihrer durch entſchiedene Maßregeln entledigt. Was uns mit am meiſten unter den Verſchiedenheiten des vieſigen Straßenlebens intereſſirte, waren die zahlreichen Kameele, welche in dieſer Gegendweit ſchöner ſind, als im unteren
Indien und in Afrika. Es ſind nicht jene hageren und wie ver trođnet ausſehenden Thiere von ſchmußig grauer Farbe, deren
grobe Knochen überal unverhältniſmäßig hervorſtehen , wie man fte in genannten Ländern ſieht, ſondern ſie tragen die Merkmale einer edleren Race an fich. Die Stamcele Klein aſtens ſind von der Natur gegen die rauhe Luft ihrer gebir gigten Heimath mit einem viel wärmeren Kleide verſorgt ; ein dichter, buſchigter Haarwuchs von abwechſelnd brauner, gelber oder weißgrauer Farbe bedeckt ihre Fräftige, wohlges nährte Geſtalt und kräuſelt ſich oft in langen Loden am Halſe und an der Bruſt herab zu einer Art Mähne. Dabei iſt ihr Ausſehen weniger dumm , ihre Haltung aufrechter und ihr Gang minder ſchleppend, als bei denen der jüdlicheren lån der. Sie beſigen auch mehr Ausdauer und können größere Laſten tragen . Am ſchönſten ſind diejenigen aus Sturdiſtan und der Umgegend von Angora, die jährlich, entweder im Herbſte oder Frühlinge nach Smyrna fommen , um die Erzeugniſſe ihrer fernen Heimath gegen europäiſche Waaren zu vertaus
fchen . Da dieſe Stadt der Hauptſtapelplaß des beträchtlichen Tauſchhandels iſt, der zwiſchen Kleinaſten und den Küſten ländern des Mittelmeeres beſteht, und der ganze Handelsver fehr des Innern durch Rameele bewerkſtelligt wird , ſo mans
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gelt es dort zu feiner Zeit an denfelben , und man ſteht in der Stadt, wie fortwährend lange Rarawanen auss oder eins
ziehen. Es fäli nicht ſelten vor, daß ſich zwei Züge ſchwer: beladener Kameele in den engen und frummen Gaffen der
oberen Viertel begegnen , was gewöhnlich zu einer langen Stocung des Verfehr$ Anlaß giebt , ehe ſie glücklich an ein ander vorüber kommen , oder vor einander in irgend einem Seitengäßchen ausweichen können. Iſt aber von zwei Zügen die aufeinander ſtoßen , nur der eine beladen , der andere aber leer , ſo legen ſich die Kameele des leßteren auf Geheiß ihrer Führer nieder und laſſen die andern ruhig über ſich hinweg fchreiten , was die bedächtigen Thiere mit einer ſo geſchickten Behutſamkeit zu thun wiffen , daß man dabei nie von einem
Unglüdsfalle hören ſoll . Dies beweiſt denn doch , daß die Kameele nicht ſo plump und dumm ſind, wie ſie meiſtens ausſehen *).
Die hieſigen Bazars , welche am ſüdlichen Ende der Frankenſtraße zwiſchen dem armeniſchen und türkiſchen Stadts theile liegen , gleichen denen Kairo's in vieler Beziehung, ſind aber weniger ausgedehnt und nicht völlig ſo finſter, wie
jene. Man findet darin alle Eigenthümlichkeiten des mor genländiſchen Lebens wieder , nur daß hier noch ein größerer Lärm herrſcht, da die Zahl der geſchwäßigen , lebendigen Griechen hiervorwiegend iſt. Die Gegenſtände des hieftgen Han dels beſtehen hauptſächlich in Teppichen, die im inneren Klein aften verfertigt werden , in Schwämmen und Früchten , von denen die ſchönen Smyrnaer Feigen und Roſinen unter den Erzeugniſſen der Levante eine ſprichwörtliche Berühmtheit er *) Dieſe Erſcheinung iſt auch Herrn 0. Schubert aufgefallen. S. Reiſen im Morgenlande", Bd. I, S. 274.
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langt haben. Der Handel mit Dpium und Baumwolle, ſos wie die Getreideausfuhr find faſt ausſchließlich in den Hän den europäiſcher Raufleute, weßhalb man auch in den Ba
zars faſt feine Spur davon fteht. Dagegen giebt es ganze Reihen von Buden , in denen europäiſche Fabrifwaaren , bes ſonders engliſcher Arbeit, wie Eiſengeräthe, Zeugitoffe u. f. w. in ſolcher Menge feilgeboten werden , als es nicht einnal in den großen Bazars zu Konſtantinopel der Fall iſt. Die
Mehrzahl dieſer Waare findet jedoch keinen unmittelbaren Abſag in der Stadt , ſondern wird maſſenweiſe mit den jährs lichen Karawanen in das Innere Aftens , ſelbſt bis nach Perſien hin, verſendet. Es fällt den Fremden ſehr auf, daß man in vielen Theilen der Bazars gar keine einheimiſchen, fondern nur fremde Erzeugniſſe antrifft, und daß dieſelben vorzugsweiſe von den Landesbewohnern verkauft werden ; das iſt aber eine natürliche Folge des hieſigen Geſchäftsverkehrs, der faſt ausſchließlich in Tauſchhandel beſteht, und bei dem,
tros ſeiner großen Ausdehnung, nur eine unglaublich geringe Menge baaren Geldes in Umlauf ift. Das bunte Treiben in den Bazars und Straßen vers
liert indeſſen für einen , der ſchon längere Zeit im Morgens lande geweſen , bald den Reiz der Neuheit ; und da es in dem „ neuen Smyrna " weber vorzüglich ſchöne noch merfwürs dige Gebäude gibt, ſo fühlt man bald das Bedürfniß , vor dem Geräuſche der Stadt in die liebliche Umgegend zu ents fliehen . Eine Anzahl der ſchönſten und intereſſanteſten Punkte
liegen im Bereiche kurzer Spaziergänge, welche, beſonders in der fühlen Jahreszeit, ſehr angenehm ſind, und auf denen man faft bei jedem Schritte die Reſte alter Denkmåler , die herr: lichſten Ausſichten oder auch ein zum Ausruhen beſonders
geeignetes Pläßchen findet, wo man ſich in ungeſtörter Zu.
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rüdgezogenheit über alles , was man geſehen und betrachtet, recht zu erfreuen vermag. Der Pagusberg bietet dem rüftis gen Fußgänger ein nahes Feld und belohnendes Ziel zu fol chen Ausflügen. Der Weg hinauf führt ihn über eine der Stätten , wo noch mancherlei Spuren des älteren Smyrna vorhanden ſind. Ift man einmal oben auf der Höhe, dann erweitert ſich der Geſichtskreis mit jedem Schritte, bis man vom Gipfel die ganze Landſchaft mit den Augen beherrſcht. Nachdem man die äußerſten , ſteilen und frummen Gäßchen des türfiſchen Stadtviertels, die ſich bis an die Vorhöhen des Berges hinauf erſtrecken, durchwandert hat , gelangt man an eine der vielen Grabftätten , von denen die Stadt umgeben ift. Dort , etwa ein Drittheil an der nördlichen Bergwand hinauf, einige hundert Schritte von den legten Häuſern ent
fernt, ſtehen noch, gerade unterhalb des Hauptthores der Afropolis, in der Mitte von Gräbern und Cypreffen , fünf Säulen , oder vielmehr vieredige Pfeiler, aufrecht, und eine Menge von Trümmern liegen ringsherum zerſtreut. Wahr ſcheinlich gehörten dieſelben dem Tempel des Jupiter Acraeus an, der ſich auf dieſem Bergesabhange befand *). Geht man eine kurze Strecke weiter ſchräg aufwärts nach Südweſten, *) 0. Schubert a. a. D. Bd. I, S. 276 ſagt bei Erwähnung dieſes Tempels , daß fich die Spuren noch innerhalb der Akropolis erkennen ließen. Da ſie jedoch nicht innerhalb der noch vorhandenen Ummaues rung der Burg , ſondern , wie noch manche andere Ueberreſte, ziemlich weit außerhalb derſelben liegen ; fo ſcheint jener Reiſende den Ausdruck Afropolis in der etimologiſchen Bedeutung von Bergſtadt angewandt zu haben, in welcher das Wort hier nicht, oder nur ausnahmsweiſe einmal · gebraucht wird. Jede Tochterſtadt Athens wollte auch gleich dieſer, wo möglich ihre Afropolis (Burg) haben , die durch Mauern von der Stadt getrennt war.
Troß ihrer großen Genauigkeit in Ortsbeſchreibungen, findet ſich weder bei Profeſch, noch bei Hamilton eine Erwähnung jener fünf Säulen. Dnomander , Länder des Ditens II.
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10 kommt man an die vormalige Stelle des Stadiums und des großen Theaters , die beide in die Bergwand eingehöhlt ſind. Von erſterem läßt fich nur noch der Grundriß und Umfang erkennen , von legterem gibt es noch einige Unter bogen von den zahlreichen Sifreihen , die fich an die Berg
wand anlehnten , ſodaß die herrliche Ausſidit auf die Stadt, den Golf und die jenſeitigen Ufer den Zuſchauern als Hin tergrund erſchienen, wenn ſie über das Proscenium hinweg
blickten . Dies bezeugt , welch' ausgebildeten Sinn die Alten für Naturſchönleit beſaßen , und wie fehr ſie, bei der Anlage ſolcher Bauten , darauf Rückſicht zu nehmen pflegten. Nach ſeiner Lage und Ausdehnung muß dieſes Theater eines der größten und ſchönſten des aſiatiſchen Griechenlandes geweſen ſein, und es würde gewiß noch viel mehr davon erhalten ſein , wenn es nur allein den Einwirkungen der Zeit und Witte rung zu widerſtehen gehabt hätte. Aber man hat es, ſowie alle andern Reſte der alten Stadt, als Steinbruch zum Auf bau der neuen benußt , was die vielen verſtümmelten Kapitäler, Geſimsſtücke, Säulenſchäfte und polirten Marmor platten zur Genüge beweiſen, die beſonders in den zunächſt gele genen Straßen des Türfenquartiers vielfach in die Wände der Häuſer eingemauert, als Pflaſterſteine verwendet oder auf den umliegenden Friedhöfen der neueren Geſchlechter als Grabs
zeichen errichtet, angetroffen werden. Außer dieſen Gebäuden muß es aber dort noch zahlreiche andere gegeben haben, denn man braucht nur den oberen, loſen Schuit, der dieſe ganze Seite des Berges bedeckt, ein wenig hinwegzuräumen, um an
manchen Stellen Brudyſtüde fchönen Moſaïfs aus dem feinſten weißen Marmor zu finden, von welchem vermuthlich die Fuß
böden früherer Wohnungen geweſen ſind und die, wenn auch nichts weiter mehr davon vorhanden iſt, hinlänglich auf die
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ehemalige reiche Pracht und Einrichtung derſelben (chließen laſſen . Alle dieſe Ueberreſte, die den nördlichen Abhang des
Berges bedecken, tragen das unverfennbare Gepräge klaſſiſchen Urſprungs und müſſen alſo derjenigen Stadt angehört haben, die , nach Ausſage des Pauſanias , *) auf Befehl Aleranders
des Großen von Antigonus und Lyſimachus erbaut wurde, und welche Strabo beſucht und beſchrieben hat. **) Den ebenen
Gipfel des Berges front das weitläuftige, graue Gemäuer eines befeſtigten Schloſſes, das, vom Hafen geſehen, fich ſehr maleriſch ausnimmt, aber bei näherer Betrachtung nur von geringem Intereſſe iſt, denn es ſtammt, nach Geſtalt und Bes ſtandtheilen , aus einem viel ſpäteren , barbariſchen Zeitalter,
als die Trümmer, die man auf dein Wege dahin antrifft. Es laſſen ſich zwar an einzelnen Stellen der äußeren Befeſtigungs mauer, wie ſchon andere Reiſende bemerkt haben, *** ) einzelne
Bruchſtüde von Helleniſcher Arbeit erfennen , wahrſcheinlich haben dieſelben aber zu etwas ganz anderem als Grundlage gedient, und find von den ſpäteren Erbauern der Feſte benußt worden, nur weil ſie an Drt und Stelle dieſelben vorfanden . Denn die noch vorhandenen Zinnen und Thürme ſtammen unverfennbar von den Byzantinern oder Genueſen her. Das
Innere der Burg enthält, außer einer kleinen, verlaſſenen Moskee,
die ehedem, erzählte unſer griechiſcher Führer, eine Kirche ges weſen, in welcher der Jünger Johannes gepredigt habe, mehrere unterirdiſche Gänge und Gewölbe, die größtentheils eingeſtürzt und verſchüttet ſind, unter welchen ſich, ungefähr in der Mitte, *) Achaj. c. 3. Ogl . Hamilton's „ Asia Minor“. Vol . I. , p. 53. Leßterer änßert ſich jedoch über dieſen Punkt nicht mit Beſtimmtheit. **) Strabo (lib. XIV. , c. 1. ) ſagt : „ ein Theil derſelben liegt an einem Şügel ( dem Pagus ), der größere Theil aber in der Ebene am Hafeu .“ *** ) Hamilton , Schubert, V. Profeſch . 15 #
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des Raumes, eines von merkwürdiger Form , ziemlicher Tiefe und Ausdehnung befindet , " vermuthlich eine Ziſterne, deren Dede auf 25 viereckigen Pfeilern von Quaderſteinen ruht. Belohnender, als die Reſte dieſer verfallenen Burg aus den ſpäteren Zeiten des Mittelalters zu betrachten , iſt die unvers gleichliche Ausſicht, die man auf dem Pagus frei nach allen Richtungen hin genießt, da er ſich abgeſondert von den übrigen Bergen erhebt.
Nach Weſten und Norden hat man das Meer
und die Stadt vor den Bliden, von Nordoſten nach Südoſten hin überſieht man die fruchtbare Ebene , die ſich bis an den Fuß des Sipylos , den Kawadlydêre - Paß und den Tar
talü - dagh hinzieht , und in welcher die Dörfer Bournabat,
Hadſchilar, Bunarbaſchi und Küflydſcha liegen , von Oliven-, Platanen- und Zypreſſengruppen anmuthig umgeben. Nach Süden und Südweſten hin iſt die Ausſicht beſchränfter und
die Gegend verliert jenes liebliche, denn ſie nimmt in dieſer Richtung die Geſtalt und den Charafter einer öden und ſchroffen Gebirgslandſchaft an.
Zwiſchen der Höhe des Pagus und dem ſich dahinter
erhebenden Riſiil-dagh erſtredt ſich ein wildes Thal , durch welches der Weg nach Epheſus, weſtlich von Budſcha vor über, auf die Hochebene von Sedifiöi zu führt. In der Tiefe dieſes Thales fließt ein Gießbächlein nach der Karawanenbrüde hin , das Einige, weil eet die öſtliche Grenze des jebigen Smyrna bildet, für den Meles gehalten haben. Dieſe Mei
nung iſt jedoch hinlänglich von Hamilton *) als unrichtig nachgewieſen, der ſich auf das Zeugniß Strabo’s beruft, nach deſſen Ausſage unverfennbar der wirkliche Meles ſeinen Lauf *) Hamilton's „ Asia Minor“ , Vol. I. , p. 51 f. (wo Strabo XIV., 1 angeführt iſt).
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weiter öftlich durch die Ebene nimmt und fich in die Bucht
von Burnabat ergießt. Ueber dieſes ſchluchtartige Ihal wurden die Quellen des jenſeitigen Berges durch mehrere Waſſerleitungen in's Schloß geführt, deren Refte man auf der Süd- und Südweſtſeite an trifft, und von denen eine mit drei Bögen, wahrſcheinlich römis ſchen Urſprunges, ſammt einem Theile der Waſſerröhren noch ziemlich wohl erhalten iſt. In Bezug auf dieſe leßtere wird erzählt, daß ein Räuber, der verfolgt wurde und ſich zu Pferde auf den Gipfel des Pagus geflüchtet hatte, als er, von allen Seiten umſtellt, feinen Ausweg zur Flucht mehr fah, den vers
zweifelten Entſchluß gefaßt, die ſehr ſchmale Kante der Waſſer leitung zur Brüde zu benußen, um ſeinen Verfolgern zu ents fommen ; denn es ging um's Leben. Der Räuber , der das wohl wußte , ſprengte, ohne ſich zu bedenfen , vollen Laufes mit ſeinem Pferde über die ſchmale Mauer und erreichte glüd
lich die jenſeitigen Höhen. Da Niemand an das Wagniß eines ſolchen Unternehmens und noch viel weniger an die Möglichfeit der Ausführung gedacht hatte ; ſo war dieſer lebte Ausweg unbewacht geblieben , ſo daß dem Flüchtigen , nach dem fühnſten Ritt , fein weiteres Hinderniß gegen ſein Fort fommen entgegenſtand, das er denn auch
nicht ohne Vers
höhnung ſeiner jenſeitigen, erſtaunten Verfolger, die ihm auf dieſer Vrüde nachzueilen feine Luſt hatten , nun mit weniger
Haft und größerer Sicherheit betreiben konnte. Die Bes ſichtigung der Dertlichfeit überzeugt , daß zu Fuß fich mög licher Weiſe ein ſolches Wageſtüd ausführen laſſe, obwohl die
tiefe Steinſchlucht zu beiden Seiten der ſchmalen, faum zwei Fuß breiten Mauer dazu nichts weniger als einladend ift; daß es aber zu Pferde volbracht werden fönnte , hält denn doch einigermaßen ſchwer zu glauben,
230
.
Steigt man an der ſüdöſtlichen Seite des Berges hinab, ſo gelangt man erſt an einige römiſche Ueberbleibfel und von da weiter in einen Cypreſſenhain auf die ausgedehnten Grab ftätten , bis man unten im Thale den fleinen Bach erreicht,
der dort in gewundenem Laufe den Fuß des Pagus in nord licher Richtung nach der Stadt hin umfließt und auf deſſen jenſeitigem Ufer ſich die Straße nach Budſcha ſtromaufwärts zieht. In entgegengeſeßter Richtung wird das Thal bald weiter und man befindet ſich zwiſchen dem türfiſchen Quartiere und der fruchtbaren Ebene, zur Linfen, in Reihenfolge, türkiſche Khan's und Kaffeehäuſer, zur Rechten zahlreiche Del- und Platanen - Bäume, die in der Ebene reihenweiſe zwiſchen den angebauten Feldern ſtehen und der Landſchaft ein parkähnliches Ausſehen geben. Wie man aber etwas weiter geht, wechſelt
der Charafter der Umgebung auf's neue : an der Stelle, wo nach Norden hin das türfiſche Viertel an das armeniſche ſtößt, gerade im Oſten der Stadt, am rechten Ufer des Baches, liegt der ausgedehntefte von allen Friedhöfen, von einem ganzen Walde alter Cypreſſen - bededt , deren dunkle Schatten einen
auffallenden Gegenſaß zu der ringsum herrſchenden Heiterfeit bilden. Dieſe Cypreffen find wohl die ſchönſten und größten, die es in der Levante giebt ; denn obwohl ſie feinen ſo hohen Ruf erlangt haben , ſo übertreffen fie doch ſowohl an Höhe, als Umfang ſelbſt diejenigen des Todtenfeldes von Skutari. Troß dieſer ernften Nachbarſchaft iſt hier bei der „ Stara
wanenbrücke“ einer der Hauptverſammlungspunkte und Er holungsorte für die muſelmänniſche, ſowie die fräntiſche Be
völkerung, die ſich in den Nachmittagsſtunden auf dem freien Plaße vor den Raffeebuden am Ufer des Baches friedlich neben einander verſammelt , um auf mitgebrachten Polſtern und Stühlen ihren Kieff zu halten oder ſich unter den großen
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Platanen zu ergehen.
Ihren Namen verbanft dieſe Stelle
einer fleinen , höchſt unanſehnlichen Brüde, *) die den Bady
in einem flachen Bogen überſpannt, und an welther die meiſten Karawanen vorüberziehen . Obgleich es hier feine der Bes quemlich feiten und Einrichtungen gibt, wie Siße, Spazierwege und ſonſtige Anlagen, die man in vielen Theilen Europa's nicht entbehren zu fönnen glaubt ; ſo find die Smyrnaer doch ſehr ſtolz auf die Vorzüge ihres öffentlichen Erholungsortes, und man fann feinen Tay unter ihnen geweſen ſein, ohne daß ſie dem Fremdeu nicht dieſes oder jenes von der Karawanen
brüde zu erzählen hätten. Für dieſen beſißt aber dieſe Brüde noch beſondere Reize. Denn abgeſehen davon , daß es in der
ganzen Umgebung der Stadt ſchwerlich einen angenehmeren Ort gibt, um nach der Landesſitte bei einem Schälchen türfis
ſchen Kaffee ſeinen Nargileh oder Tſchibud zu rauchen , hat man hier gleichzeitig Gelegenheit, mancherlei intereſſante Scenen aus dem aſiatiſchen Nomadenleben in ihrer ganzen Reinheit zu betrachten . Da die meiſten Hauptſtraßen , welche von der Stadt in die verſchiedenen Theile des Inlandes führen , jenſeits der Brüde aus einander laufen , ſo sieht auch beinahe der ganze Karawanenverkehr an dieſer Stelle vorüber, und man
hört fortwährend das Geläute der Glödchen und Schellen, welche an den Hälſen und Köpfen der Kameele hangen, was unwillführlich an die Alpen erinnert, wenn die Heerden Abends von den Bergweiden in die Thäler hinabgetrieben werden .
Die Kameele ſchreiten langſamen, bedächtigen Trittes, in lan gen Reihen zu zehn oder zwanzig, daher, immer eins hinter dem andern , mit Striden oder Ketten angebunden , unter Aufſicht eines Führers, der 311 Eſel voranreitet. Am Bache, wo eine *) Die feineswege alterthümlich iſt, wie Einige gemeint haben .
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Tränfſtelle iſt, halten ſie gewöhnlich an und ſtillen ihren Durſt. Während hierauf die von der langen Reiſe ermüdeten Thiere ſich ringsumhër lagern , ſchlägt der Turfomane ſein ſchwarz wollenes Zelt auf, um ausjuruhen , ehe er fich in die Stadt
begibt, oder um, nach Abmachung ſeiner Geſchäfte in ders felben, neue Kräfte für die beſchwerliche Heimkehr zu ſams meln.
Das Gedränge und Getöfe der Stadt find feinein
Charakter und ſeiner Lebensweiſe gleich fremd und zuwider ; er bedarf der Bequemlichkeiten nicht, die es dort gibt , er hat ſte nie gekannt ; er fühlt ſich nur in der Mitte ſeiner lieben
Thiere, die ſein ganzes Vermögen ausmachen, und von ſeinem einfachen Hausrath umgeben , glüflich. Wenn man ihn da an der Karawanenbrüde in all ſeiner Gemüthlichkeit ſteht, ſo möchte man ihn faſt um ſeine Genügſamkeit beneiden, die ihn mit Wenigem ſo zufrieden und von allen Umſtänden ſo unabhängig macht. In ſeinen ſcharfen, braunen Geſichtszügen , die tro des großen Turbans und langen Bartes vielfache Spuren der Sonnenſtrahlen und des Gebirgswindes tragen , ſpricht ſich eine unbeſchreibliche Behaglichkeit aus, wenn er ſo vor ſeinem Zelte auf der großen wollenen Umſchlagdede fißt, die ihm, je nach Umſtänden , zum Sattel, zum Mantel im Schnee der
Gebirgspäſſe, zum Bette, wenn er im Freien lagert oder, wie jeßt, zum Teppiche dient, und in aller Gelaſſenheit ſeine kurze Pfeife raucht oder zärtlich mit ſeinen Kameelen ſpricht, die, ruhig um ihn her gekauert , fich an dem Nachgenuſſe ihrer
verzehrten Mahlzeit erfreuen. Bei der großen Einfachheit feiner Sitten iſt er jedoch weder roh, noch abſtoßend, ſondern grüßt freundlich, wenn man ſich zu ihm geſellt und unterhält fich gern über alles , was im Bereiche ſeines Geiftes liegt, wobei er nie verſäumt, eine Pfeife und einen Plaß nebenſich
anzubieten. Der große Unterſchied, der zwiſchen den Turfus
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manen Kleinaftens und den Arabern herrſcht, wiewohl beide daſſelbe wandernde Leben führen , war uns hier , wie manch mal ſpäter, fehr auffallend. Db aber derſelbe von der Ver : ſchiedenheit ihrer Abſtammung oder der Himmelsſtriche, unter denen ſie leben , berrührt , mag gelehrteren Leuten zur Ents ſcheidung überlaſſen bleiben. Der nächſte und zugleich hübſchefte Weg von der Kara wanenbrüde nach der Frankenſtraße führt durch das armes
niſche Quartier , längs dem Bache, der von dort aus ſeinen Lauf in nordweſtlicher Richtung durch die Stadt nach denne
Hafen nimmt. DieſerTheil von Smyrna hat feit dem großen Brandunglüc, welches ihn vor mehreren Jahren faſt gänzlich jerflörte, viel von ſeiner früheren Eigenthümlichfeit verloren
aber auch wiederum in anderer Beziehung gewonnen. Die alten Häuſer beſtanven nämlich, gleich denen Konſtantinopels, größtentheils aus Holz und waren , nach morgenländiſcher Sitte , mit vielen Kiosken und Erfern , nahe an einander ge baut, was ſowohl die Regelmäßigkeit, als auch die Bequems lichkeit der Straßen ſehr beeinträchtigte. Die neuerbauten ſind aber fteinern und liegen faſt alle durch ein Gärtchen von eins ander getrennt, ſo daß man beim Durchwandern der ſauberen, breiten und geraden Straßen des armeniſchen Quartiers glauben könnte, in einer europäiſchen Stadt zu ſein , wenn nicht die vielen Springbrunnen ſammt den fremden Gewächſen und Bäumen in den Gärten, ſowie dieBewohner ſelbſt, daran
erinnerten, daß man ſich auf aſiatiſchem Boden befindet. Als noch ein anderes Kennzeichen hievon dient die gänzliche Ab weſenheit von Fuhrwerfen, da Ades entweder geht oder reitet, denn mit Ausnahme einer dem franzöſiſchen Konſul gehörigen Sutſche, die alle Damen der fränkiſchen Geſellſchaft in der Karnevalszeit der Reihe nach leihen, um auf die Maskenbälle
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zu fahren , gibt es in Smyrna feinen einzigen Wagen weis ter *), ein Mangel, der bei der ſchönen Witterung jener Ges gend nicht ſehr zu beflagen iſt. Was aber die höchſte Zierde des heutigen Smyrna auss macht, und auch bald einem jeden Neuankommenden ſtarf auffällt, iſt die unvergleichliche Schönheit ſeiner Frauen , die To allgemein vorherrſcht, daß , ganz im Gegentheil zu den meiſten übrigen Orten der Welt, Häßlichkeit hier zu den Aus nahmeit gehört. Wer ſich davon überzeugen will , braucht nur gegen die Abenddämmerung die Franfenſtraße zu durch : wandern , wo ſich alle Bewohner des fränkiſchen und griechi ſchen Quartiers um jene Zeit , nach Beendigung der Tages
arbeit, zu ergehen pflegen , oder den Weg nach der Karawa nenbrüde einzuſchlagen , wo er die mehr zurückgezogenen Ars menierinnen unverſchleiert in den Gärten fann ſigen ſehen. Das dortige Klima , welches, den größten Theil des Jahres ſich gleichbleibend , faſt immer von ſo außerordentlicher Milde iſt, daß es alle Schilderung überſteigt, ſcheint ganz beſonders geeignet , weibliche Schönheit zu fördern und zu erhalten ; und es iſt häufig bemerkt worden, daß ſelbſt unter den Euros päern, die dort ſeit mehreren Generationen angeſiedelt waren, ſich Frauen und Töchter, im Vergleich zu ihren Vorfahren, mehr und mehr verſchönerten. Beſonders aber unter den levantis
ſchen Griechinnen gibt es bildſchöne Érſcheinungen, an denen man alle Vorzüge des Nordens und des Südens vereinigt ſieht ; ihr Körperbau iſt ſchlank , fräftig und edel geformt, wie der Wuchs der geraden , hochſtrebenden Cypreſie, ihre
Haut vom zarteſten Weiß und ihr üppiges Haar windet fich in rabenſchwarzen , vollen Flechten um des Hauptes *) Db in dieſen legten Jahren darin eine Aenderung eingetreten, iſt mir nicht bekannt.
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„liebliches Eirund “ ; die feinen regelmäßigen Züge des Ges. fichts , deſſen untadelhafte Verhältniſſe an die idealen Köpfe antifer Statuen erinnern, erhalten noch höheren Reiz durch die großen dunkeln Augen, in deren Ausdruc Milde und Leis denſchaft mit einander verſchmelzen.
Man fönnte auf die klaſ
fiſche Schönheit der Smyrnaerinnen mit Recht die Worte des alten Dichters anwenden , die er den Aelteften von Troja in den Mund legt , als fte, am Sfäiſchen Thore fißend, Helena heranfommen ſehen , um vom Thurme über das Schlachtfeld in die Ebene hinzubliden : « Ου νέμεσις , Τρώας και εύκνήμιδας Αχαιούς κτοιήδ' άμφί γυναικί πολύν χρόνον αλγεα πάσχειν : « Αινώς αθανάτισι θεής εις ώπα έoικεν * ) . *) Iliad. III, 156 sq.
236
IX.
Während der erſten Tage unſeres Aufenthaltes in Smyrna hatte die Stadt und deren nächſte Umgebung uns hinreichens
den Stoff zu Beobachtungen und Nachforſchungen der be lohnendſten Art gegeben.
Nachdem wir uns aber mit allem,
was in jenem beſchränkten Bereiche lag , glaubten hinlänglich befannt gemacht zu haben , verlangte uns bald darnach , auch etwas von dem weniger beſuchten Innern Kleinafiens zu fehen. Da indeſſen das Reifen in jenen Gegenden , nament
lich für Neulinge , wie wir, mit vielfachen Schwierigkeiten, und ſelbſt einigen Gefahren verbunden iſt, ſo beſchloſſen wir, vorläufig nur kurze Ausflüge zu unternehmen , um uns, vor
Einlaſſung auf weitere Unternehmungen , erſt an die dortige Art des Reiſens zu gewöhnen. Wir entſchieden uns deßhalb, verſuchsweiſe blos nach Nimphi , einem Orte im Gebirge, zu reiten, wo ſich ein merkwürdiges Denkmal an einer Fels: wand befindet.
Gerade zu jener Zeit waren eine Menge der abenteuer
lichſten Gerüchte über Raubs und Mordanfälle, die fich in
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der nächſten Umgegend zugetragen haben ſollten, in Smyrna im Umlauf, und unſere dortigen Bekannten, von denen einige fich dadurch ſo ſehr hatten in Furcht feßen laſſen, daß fie fich faum
auf ihre Landhäuſer nach Bournabat oder Budſcha hinaus wagten , riethen uns auf das dringendſte, von unſerem Vors haben abzuſtehen, in dem feſten Glauben, daß wir unterwegs wenigſtens würden ausgeplündert, wo nicht gar ermordet
werden. Wir ließen uns aber nicht einſchüchtern , ſondern gingen zu dem engliſchen Konſul, um einen Teſchfireh, oder Reiſepaß, zu erhalten , der den Fremden auch die Erlaubniß
ertheilt , Waffen zu tragen. Wie der alte Herr hörte , daß wir Nimphi zu beſuchen gedächten , ward er ſehr bedenklich, und beſtätigte nicht nur die meiſten Gerüchte, von denen wir
gehört , ſondern fügte noch als Warnung hinzu , daß gerade bei jenem Drte vor faum zwei Monaten drei Engländer von Räubern überfallen, in die Gebirge geſchleppt und nur gegen
ein Löſegeld von 10,000 Piaſter, das er ſelbſt innerhalb 24
Stunden hatte vorſchießen müſſen , wieder in Freiheit gefeßt, widrigenfalls aber unfehlbar ermordet worden wären. Troß dieſer nicht ſehr ermuthigenden Thatſachen beharrten wir aber bei unſerem einmal gefaßten Entſchluſſe, mietheten einen Dragos man ſammt den nöthigen Pferden, und machten uns am nächs ften Morgen , gegen allen ſonſtigen Brauch unbewaffnet, auf
den Weg. Wären wir etwas mehr mit den Landesverhälts
niffen befannt geweſen , ſo würden wir allerdings ſchwerlich mit ſo viel Leichtſinn zu Werfe gegangen ſein; aber Unfennt
niß der Gefahr erhöht den Unternehmungsgeiſt ; außerdem dünfte es uns zu unwahrſcheinlich, daß wir nach ſo manchen
glüdlich überſtandenen Erlebniſſen bei dieſer Gelegenheit nicht auch wieder gut davon fommen ſollten , beſonders da dies das legte gemeinſame Unternehmen der noch von Indien
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und Aegypten her zuſammengebliebenen Reiſegenoſſen fein würde.
Bald hatten wir die Rarawanenbrüde hinter uns. Nach dem wir der Straße vom Budſcha eine furze Strecke gefolgt waren , bogen wir links ab , und ritten gerade nach Dſten durch die Ebene. Anfangs war der Boden ſorgfältig bebaut ; Getreidefelder , Weingärten und Baumpflanzungen wechſelten mit einander ab , und dazwiſchen zog ſich die zu beiden Seis ten von Heden und Wälen eingeſchloſſene, ſehr vernachläffigte Landſtraße hin. In einiger Entfernung von der Stadt hörten dieſe Spuren des Anbaues auf, die Gegend befam ein wilde
res Anſehen , und was bisher wenigſtens an eine Art von Straße erinnert hatte , verwandelte ſich von da an in einen
unwegſamen Karawanenpfad, der von feinem weiteren Nußen war , als die Richtung anzudeuten , in der man ſich fortbes wegen mußte. Mit dem Anbau hörte jedoch die reiche Frucht: barkeit des Bodens feinesiveges auf , ſondern Gras vom fri ſcheften Grün wuchs üppig rings umher, und zahlreiche dic
ftämmige Delbäume ſtanden vereinzelt oder gruppenweiſe nach allen Richtungen hin. Die Erſcheinung dieſes Baumes, mit deſſen Zweigen der Sieger in den Kampfſpielen der Alten gefrönt wurde, ent
ſpricht durchaus nicht den Erwartungen, die man ſich darauf hin von ihm zu machen geneigt iſt ; denn ſein Stamm ift meiſtens frumm und niedrig, und ſeine kleinen, länglich ſpißen Blätter ſind von blaßgrüner, beinahe grauer Farbe, was ihm aus einiger Entfernung eine auffallende Aehnlichkeit mit unſes
ren gemeinen nordiſchen Weiden gibt. Deffenungeachtet ers flärt ſich die ſinnbildliche Bedeutung , die er zu allen Zeiten gehabt hat, ſehr wohl aus den vielfachen Vortheilen, die ſeine Erzeugniſſe dem Menſchen gewähren ; und wenn auch in uns
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feren Tagen Sieger mit ſeinen Zweigen nicht mehr getrönt werden , ſo betrachtet man ihn doch als ein Abzeichen der Fülle und des Friedens, weil dieſer zum Gedeihen jener noths wendig iſt. Die Taube, welche Noah zuerſt nach den Raben aus der Arche auf Kundſchaft ausſandte, fehrte mit einem
Delblatte, als dem beredeſten Zeichen des Wiederauflebens der Natur , zu ihm zurücf ; und noch heutzutage wird in der Türfei die Erndte eines Jahres nach dem Verhältniſſe des
Ertrages der Delbäume berechnet. Derſelbe vertritt in dieſen Gegenden die Stelle, welche der Palmbaum in Indien und an den Ufern des Niles einnimmt. Getrodnete Oliven bil. den ein Hauptnahrungsmittel der ärmeren Bevölferung Klein- . aſiens , ſowie der griechiſchen Inſeln , und das Del dient im ganzen Morgenlande zu denjenigen Zwecken , wozu insgemein in Europa die Butter verwendet wirb *). Daher ſchäßt man
dort auch den Wohlſtand eines Grundeigenthümers nach der Zahl der Delbäume , die auf ſeinem Boden wachſen. Der
Bettler, der um ein Batſchiſch bittet , ſagt, wer habe keine Dliven mehr in ſeinem Sace ", zum Zeichen, daß er Hunger leidet, wogegen, wer im Ueberfluſſe lebt, ſich mit Del zu fal ben pflegt.
Auf unſerem Ritte ließen wir das anmuthig am nörds lichen Abhange des Tartalu-Dagh gelegene Dorf Bunarbaſchi
* ) Auch im ganzen ſüdlichen Frankreich bedient man ſich des Dels. ſtatt der Butter, wober ein Bewohner von Perpignan, Toulouſe over Mars ſeille 1. 1. f. die Pariſer Küche abſcheulich findet, obwohl dafür die feinſte und friſcheſte Butter zu 2 Franken und böher das Pfund angeirendet irird .
Dieſer Gebrauch des Dels fann ebenſowohl von den dort angeſiedelten
Griechen eingeführt worden ſein, als ihn die heißere Tempe atur, die der Erhaltung guter Butter unzuträglich iſt, nothwendig und unerläßlich macht.
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zur Rechten und famen ungefähr mitten in der Ebene an ein vereinzeltes Kavé neh *), wo wir unſere Pferde ein wenig uhen ließen , und indeſſen eine große türkiſche Grabſtätte beſuchten , die ſich in der Nähe befand. Dieſelbe war aber oline alles Intereſſe und ſchien , nach dem verfallenen Zuſtand der Grabſteine, ſowie dem verwitterten Ausſehen einiger halbs vertrocneten Cypreſſen zu urtheilen , ſchon ſeit vielen Jahren außer Gebrauch.
Wo ſollten jeßt auch die zu beftattenden
Todten herkommen , da ſich auf Meilenweite keine Ortſchaft mehr findet. Das Innere ganz Kleinaſiens gleicht mehr oder minder einem großen Friedhofe, denn man wandert faft über all zwiſchen ſolchen Begräbnißpläßen, die an Zahl und Aus
dehnung für die gegenwärtige, ſpärliche Bevölferung des Landes viel zu groß ſind. Dieſer Umſtand iſt um ſo auf fallender , als die Natur jenes Land mit ihren ſchönſten und reichſten Gaben geſchmüct hat. Jenſeits des Ravéneh verlor die Ebene , je mehr wir uns dem öſtlichen Gebirge näherten ,
ihr fruchtbares Ausſehen. Der Boden ward ſteinigt, und an die Stelle der Dlivenbäume traten Zwergeichen und Dorn gebüſch.
Die fahlen Abhänge des Sipylos erhoben fich im
Nordoſten immer ſchroffer und fühner , je näher mir famen .
Dagegen ſind die ſanfteren Abhänge des ſich im Süden hins ziehenden Tartalu - Dagh mit dichtem Geftrüppe, und ſeine
Schluchten mit Waldbäumen bewachſen. Dieſe beiden Gebirge, welche die Ebene von Smyrna an
ihrer Dítſeite gleich Mauern umſchließen , ſind durch den Paß Ravafly -Deré getrennt, durch welchen die nächſte Straße zu den größeren Städten des mittleren Kleinaſiens führt. Der
* ) Kave-neh : türkiſches Kaffeehaus.
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Engpaß, obwohl von feiner beträchtlichen Höhe, iſt dennoch ſehr unbequem . In ſeiner Mitte ſteht ein einzelner , hoher Felſen, um deffen ſüdliche Seite fich das tiefe Bett eines aus.
getrocneten Gießbaches windet , an dem ein ſehr zerſchliffener Saumpfad zum Theil über ſcharfes Gerölle hinaufführt.
Schon dicht an dieſe ſchwierige Stelle gelangt , ſahen wir noch zeitig genug eine lange Reihe beladener Kameele aus der entgegengeſeßten Richtung herfommen , die wir hier noch fonnten vorbeiziehen laſſen. Wären wir ihnen etwas weiter
oben begegnet, ſo würden entweder wir oder die Andern genöthigt geweſen ſein, wieder umzukehren, denn an Ausweichen war da nicht wohl zu denfen, falls wir nicht zu dem früher erirähn
ten Auskunftsmittel uns hergeben wollten , wozu denn doch unſere Pferde ſo wenig als wir, große Luft gehabt hätten.
Der Paß iſt, da die Hauptſteigung fich ſchon vorher zu beiden Seiten befindet, zum Glüc weder ſehr ſteil, noch ſehr lang, aber ſo eng , daß wir nur nach einander zu reiten ver mochten. Hier war die Gegend furchtbar wild , und wir fonnten uns nicht erwehren , an die Räuber zu denken , für die es feinen gelegeneren Hinterhalt hätte geben können. Aber ſie famen nicht, und wir gelangten ungefährdet, nach etwa zehn
Minuten, aus dieſer Einöde in ein kleines freundliches Thal, wo neben einer alten Grabſtätte mit einigen Cypreſſen meh : rere Häuſer ſtanden , deren Bewohner uns höflich grüßten. Hierauf folgte wieder eine enge , unheimliche Schlucht, an deren öſtlichem Ende die Berge nach beiden Seiten hin plöß lich zurüdwichen und eine herrliche Ausſicht auf die ſich nies
derwärts ausdehnende Landſchaft geſtatteten. Vor uns lag , gen Nordoſten , eine noch ſchönere und
größere Ebene, als die wir ſo eben verlaſſen hatten, und wir vermochten meilenweit den Lauf des Nimphi- Tſchaï durch dies Dnvmander , Länder des Dſtens II.
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felbe nach der Richtung von Rafſaba hin zu verfolgen, während von allen übrigen Seiten den Geſichtsfreis dichtbewaldete Bergeshöhen ſchloſſen, hinter denen die beſchneiten Gipfel der Tmolus in der Ferne hervorragten. 3ft man in dieſe Ebene
hinabgeſtiegen , ſo befindet man fich wieder auf dem frucht barſten Boden, der aber nur wenig und ſchlecht angebaut ift. Die große Karawanenſtraße zieht ſich immer in öſtlicher Richs tung durch deren Mitte fort. Um aber nach Nimphi zu ge langen , mußten wir dieſelbe bald verlaſſen und zur Rechten ablenfend, einen andern Weg einſchlagen, der fich am ſüblichen
Saum der Ebene längs dem Fuße des Gebirges hinzog. Wie die Mehrzahl jener nur wenig beſuchten Wege , beſtand er einzig aus Kameelſpuren , die ſich bald verworren durchfreuzten, bald nach allen Seiten hin verloren, wodurch wir öfters irres
geleitet wurden. Wir mußten abwechſelnd dem trodenen, ſteinigs ten Bette eines Gießbaches folgen oder uns, ſo gut es gehen wollte, durch dichtes Geſtrüppe mühſam Bahn brechen. So beſchwerlich dieſer Theil unſeres Rittes auch war, ſo entſchädigte uns doch die ſchöne und wechſelnde Ausſicht auf die Gebirge reichlich dafür. Allmählig verließen wir die Ebene und ritten
mehr bergan, bis wir an ein Hochthal gelangten , in welchem , nahe bei einer vereinſamten Grabſtätte mit Cypreſſen , einige Juruckenfamilien *) ihre dunkeln Zelte aufgeſchlagen hatten. Gleich jenſeits dieſer Thalſchlucht, auf einem in die Ebene
hinaus ragenden Höhenvorſprunge liegt Nimphi, **) von reizen * ) Die Juruden gleichen in vieler Beziehung den Zigeunern. Sie gehören einem von den Turfomanen ganz verſchiedenen Stamme wandern : der Tartaren an , leben in geringer Unzahl in den Gebirgen Kleinafiens beiſammen und ernähren fich mit Schafezucht oder als Köhler. Vergl. Schubert a. a. D. Bd. 1. S. 286 ff. und Hamilton a. a. D. Vol. II. p . 220 .
**) Nymphaeum der Alten .
243 den Gärten und Dlivenpflanzungen umgeben. Obwohl defien
Entfernung von Smyrna nur auf fünf türkiſche Wegesſtunden, etwa vier deutſche Meilen, veranſchlagt wird , erreichten wir
es doch erſt nach einem ſiebenſtündigen Ritte. Gleich ſo vielen andern Gebirgsdörfern , zeichnet es ſich durch ſeine maleriſche und vortheilhafte Lage aus. Von den Gebirgen geſchüßt, die ihm Kühlung und reine Luft gewähren, hat es die reiche Ebene in ſeiner unmittelbaren Nähe, woher fich die Bewohner einer kräftigen Geſundheit und reichlichen Wohlhabens erfreuen. Die
Straßen ſind eng und unbequem ; aber die Häuſer, wenn auch von außen unſcheinbar, machen einen gemüthlichen Eindrud, ſobald man das Innere betritt. Nach unſerer flüchtigen Schäßung mochte die Zahl der Einwohner, die aus Türfen und Oriechen
beſteht, wohl an 1000 Seelen betragen . Unſer erſtes Trachten war, einen Ravenéh zu ermitteln, um erſt von unſerm langen Ritte ein wenig auszuruhen , ehe wir daran gingen, das Denkmal in den Bergen aufzuſuchen. Wir fanden denn auch bald eine Bude, *) die nur Ein vier ediges Zimmer enthielt, von welchem aus eine große, offene Thür auf die Straße führte. Rund herum an den oberen Wänden liefen bretterne Geſtelle, auf denen einige Dußend
ſauber gepußte und theilweiſe zu fofortigem Gebrauche ſchon mit Waſſer gefüllte Nargilehe in zierlicher Ordnung ſtanden ; in paralleler Richtung damit, aber nur etwa anderthalb Schuh über dem Fußboden aus Lehm waren, ſtatt eines mehr üppigen Diwanes, einfache Holzbänke angebracht, außer denen noch einige niedrige Strohfefſel ohne Lehne ſich vorfanden für ten Fall, daß mehr Gäfte erſchienen , als es Pläße auf den Wand
bänken gab , oder wenn dieſelben vor der Thüre im Freien * ) Alle Kavéneh's find nichts weiter als bretterne Buden. 16 *
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zu fißen geneigt ſeien. Einer der Winkel enthielt den Heerd und Ofen des Savedſchi, wo er ſein wohlichmecendes Getränke
bereitete und über glühende Kohlen Brod bacte, das die Ge ſtalt flacher Kuchen hatte. Dieſes Brod , das man überall im Morgenlande antrifft, wird aus einem Gemiſche von grobem Waizen und Gerſtenmehl, ohne Salz und Sauerteig bereitet und gewöhnlich, während es noch warm ift, gegeſſen.
Die
Europäer finden es ſehr ſchwer, ſowohl Magen als Zunge an deſſen Genuß zu gewöhnen ; denn es hat in der Regel einen eigenthümlichen , fleienartigen Geſchmad und iſt ſchwer verdaulich. Aus reinen Stoffen und ſorgfältig zubereitet, iſt es jedoch weder ungeſund noch dem Geſchmacke zuwider. Indeß Janifo, unfer Dragoman , ſich an die Vorſteher der Ortsgemeinde wendete , um für die Dauer unſeres Auf
enthaltes in dem berüchtigten Nimphi eine Sicherheitswache zu unſerm Schuße zu erhalten, verbrachten wir unſere Muße damit , der Thätigfeit des emſigen Ravedſchi aufmerkſam zus
zuſehen, um ihm ſein Handwerf für den Nothfall abzulernen. Die Stunſt des Kaffeekochens fennt man nur im Morgenlande, oder vielmehr man wendet nur dort jenes einfache Verfahren
an, welches dieſem Tranf vor allen andern Zubereitungen ſo unvergleichliche Vorzüge gibt, daß ſelbſt nicht einmal die Frans zoſen , wohl die leidenſchaftlichſten Kaffeetrinfer des chriſtlichen Europa's, ein ähnliches Aroma , wie es der türkiſche Kaffee immer hat, hervorzubringen im Stande find. Es fann hierbei nicht der Einwurf gemacht werden , daß wohl das Gewächs, deffen wan ſich dazu bediene, nicht daſſelbe ſei; denn ſowohl Franfreich, als die Türkei beziehen ihren Bedarf an Bohnen aus Amerifa, und aller Wahrſcheinlichfeit nach wird die beſte Waare auf den europäiſchen Hauptmärften abgefeßt. Alſo
fann das Geheimniß der vorzüglicheren Güte blos in der
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Zubereitung liegen. In Europa, beſonders in Frankreich, wird
gewöhnlich, um weitläufigere Umſtände und Mühe zu erſparen , eine Menge Bohnen für den Bedarf längerer Zeit auf einmal geröſtet, wobei man ſie zu lange dem Feuer ausſcßt, ſo daß die Außenſeite oft halb verfohlt iſt, oder die gebrannten Bohnen
zum Abfühlen an freier Luft ftehen läßt. Durch beides ver flüchtiget fich ihr feinſter Duft. Auch ſcheint bei der Zube reitung fein richtiges Verhältniß zwiſchen der Maſſe Kaffee und dem darübergegoſſenen Waſſer zu beſtehen. In den län dern des Oftens verfährt man auf andere Weiſe. Der Kavedſchi
nimmt eine Handvoll roher Bohnen, belieft fie forgfältig, legt ſie dann auf eine ſchaufelähnliche Pfanne und röſtet fie vorſichtig an einem ſchwachen Feuer , bis ſie eben nur eine gelbbraune Farbe befominen ; darauf mahlt er fie in einer
fleinen Handmühle von länglich runder Form, einer Botaniſirs büchſe in verkleinertem Maßſtabe nicht unähnlich , die er auf Reiſen neben ſeinem Dolche im Gürtel zu tragen pflegt. Auf das angeſchürte Feuer ſtellt er nun einen fleinen , metallenen Topf ohne Dedel, der zur Hälfte mit faltem Waſſer angefüllt iſt und ſchüttet den gemahlenen Kaffee ſogleich hinein. Sobald das Waſſer den Siedepunkt erreicht, feßt der Kaffee einen
röthlichen Schaum ab. Dies iſt das Zeichen , daß die Zu bereitung vollendet iſt, und der Kaffee wird ſofort ſammt ſeinem Bodenſaße in kleine Schalen, welche ungefähr die Größe
und Form eines halben Gies haben , ausgegoſſen und ohne
weitere Zugabe herumgereicht. Während der Trank ein wenig abfühlt , ſondert ſich das Dicke von dem Flüſſigen, welches man behaglich abſchlürft und davon, beſonders nach Ermüdung, erqui&t und geſtärft wird. Dies iſt die türkiſche Zubereitung des Tranfes, der ſo viele Anhänger und Verehrerinnen zählt, und ich habe nicht unterlaſſen wollen, unſere lieben deutſchen
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Hausfrauen damit bekannt zu machen, wenn auch gewiffe Leute über dieſe Einzelheit an dieſem Drte, die Naſe rümpfen mögen.
Als wir einige Zeit in den Genüſſen des Nargileh und türkiſchen Kaffees geſchwelgt hatten , fam Janifo mit einigen der vornehmſten Bewohner des Ortes zurück , um die bereits
eingeleiteten Unterhandlungen in unſerem Beiſein abzuſchließen . Da es, wie ſchon an einer andern Stelle bemerft worden, in der Türfei Sitte iſt, bei geſchäftlichen Zuſammenfünften den fraglichen Gegenſtand Anfangs nicht, oder doch nur ſo wenig,
als möglich, zu berühren und gewiſſermaßen wie eine Neben
ſache, nur im Vorbeigehen, abzumachen ; ſo ließen wir landess bräuchlich unſere neuen Bekannten mit Pfeife und Kaffee bes wirthen und fnüpften blos eine allgemeine Unterrebung an. Dieſe Beobachtung der Landesſitte im Benehmen , und das Tragen des Fezes ſchien ſte ſehr vortheilhaft zu ſtimmen, und ehe wir es uns verſahen, war die Sache abgemacht.
Troß der Vermittelung Janifo's war uns manches un, verſtändlich geblieben ; wir hatten indeſſen öfter das Wort Xebec *) mit beſonderem Nachdrude wiederholen gehört. Da
uns daffelbe jedoch nur als Gebirgsbewohner“ verbolmetſchet wurde, ſo erregte es nur eine vorübergehende Neugierde. Es war uns vorbehalten , erſt ſpäter den Charakter dieſer Leute aus eigener Erfahrung kennen zu lernen. Der Erfolg der Unterhandlung beſtand darin , daß wir
gegen Zahlung eines verhältnißmäßig geringen Badſchiſch den Schuß von drei bewaffneten Leuten erhielten, die uns überal *) Die Xebecken oder Sebecken ſind ein wildes Gebirgsvolt, deſſen $auptwohuſiße ſich in der Gegend des Mäanders und auf dem Tmolus befinden. Daher bedeutet dieſes Wort auch Räuber und wird ſo am häufig ften von den Eingebornen als ſolches gebraucht.
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begleiten ſollten , ſo lange wir uns im Bereiche des Ortes befänden .
Da es noch nicht ſpät war , fo machten wir uns unter
Führung unſerer drei Beſchüßer, die nach ihrem wilden Auss ſehen und der Bewaffnung mit langen Flinten und Yatag, hans eher für etwas ganz Anderes hätten gelien können , ſo
fort wieder auf den Weg, um das Endziel unſeres Ausfluges zu erreichen. Der Pfad dahin iſt ſehr beſchwerlich ; er geht durch eine lange , fteile Schlucht, die von vielen tiefen Waſ jerläufen durchfurcht ift Anfangs ritten wir auf dem Saum pfade, aber bald verlor ſich derſelbe in der dichten Waldung
von Kiefern , Eichen und Kaſtanienbäumen , ſo daß wir ab ſteigen und unſere Pferde am Zügel führen mußten. In nicht ſehr langer Zeit erreichten wir eine Stelle, wo unſere Führer anhielten. Hier war an einem Felſen das Denfmal ſichtbar, das, obgleich verſtümmelt, ein hohes Intereſſe erregt. Es iſt unzweifelhaft eines der beiden Bildniſſe, die Herodot mit ſeiner eigenthümlichen Anſpruchsloſigfeit und einfachen Treue
beſchrieben hat *). Ob aber dieſes Werf gerade ägyptiſchen
*) Herodoti libr. II , cap. 106 : „ Es find auch in Jonien zwei Bildniſſe dieſes Königs in Felſen gehauen , das eine auf dem Wege von Epheſus nach Phocäa , das andere auf dem von Sardes nach Smyrna . Un beiden Stellen iſt ein Mann ausgehauen , vier und eine halbe Ellen : bogenlänge hoch , der hält einen Speer in der rechten Hand und einen Bogen in der linken, und das Uebrige ſeiner Rüſtung ſteht damit im Ein:
tlang , denn ſie iſt zum Theil ägyptiſch , zum Theil äthiopiſch . Von der einen Schulter zur andern zieht fich in heiligen ägyptiſchen Schriftzügen gemeißelte Inſchrift, die hat folgende Bedeutung : „Ich habe dieſe Gegend durch meine eigenen Schultern unterworfen .“ Wer oder woher er ſei, zeigt er hier nicht, aber er hat es anderswo bekannt gemacht. Einige, die dieſe Denkmäler geſehen , haben , wie dem auch ſein möge , gemuthmaßet, es feien Bildniſſe des Memnon , worin fie jedoch ſehr weit von der Wahrheit entfernt ſind ." Aus dieſer Stelle fönnte man freilich muthmaßen , daß
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Urſprunges iſt, und, wie er ſagt, den Sefoftris vorſtellen ſoll, geht nicht flar aus ſeiner Schilderung hervor, und wird deßs halb auch von einigen Gelehrten , die es mit eigenen Augen
geſehen, fehr in Zweifel gezogen. Profeſſor Lepſius in Bers lin , der Nimphi auf ſeiner Rüdfehr aus Aegypten beſucht hat , meint , daß es feinenfalls ägyptiſche Arbeit fei, worin Herr De Saulcy in Paris ihm'nicht nur beiſtimmt, ſondern auch bes hauptet , es folle nicht den Sefoftris , ſondern irgend einen aftatiſchen Helden darſtellen. Herr le Normand glaubt das
gegen noch Spuren der von Herodot erwähnten hieroglys phiſchen Inſchrift erkannt zu haben. Aeltere Gelehrte und Reiſende erwähnen deſſelben gar nicht, da es , bei der Ents legenheit und ſchwierigen Erreichung des Ortes, erſt in neues rer Zeit zufällig wieder entdeckt und unter dem Namen des ,,Seſoſtris von Nimphis befannt geworden iſt. Abgeſehen
von den durch Zeit und Muthwillen angerichteten Beſchädi gungen gibt aber der gemiſchte Charafter, den die Geſtalt und Ausrüſtung dieſes Vildniffes, wider die Behauptung Hero dots, verräth, allerdings genügenden Grund zu Zweifeln über deſſen Urſprung und Beſtimmung. Denn obwohl der Speer und furze Waffenrod den altägyptiſchen älnlich ſein mögen, fo erinnern doch der kleine, runde Schild, die Form des Haups tes , der Müße und vor allem die ſchnabelförmig aufwärts gebogenen Spißen der Sandalen weit mehr an die bei den
altaſſyriſchen Denkmälern und im Allgemeinen in Afien ges bräuchliche Art der Ausführung.
ebedem eine Straße von Sardes nach Smyrna da vorüber geführt habe,
was aus dem griechiſchen Wort odòs : gangbarer Weg, Straße, angenoms men werden dürfte.
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Dieſe unleugbaren Widerſprüche laſſen fidh nur durch
die Annahme erklären , daß dieſe Figur zu einem Siegeszei chen des ägyptiſchen Eroberers · hat dienen ſollen, das von
aſiatiſchen Arbeitern ausgeführt worden iſt. Dies iſt nicht allein ſehr möglich, wie denn die Geſchichte eine Menge ähn licher Beiſpiele liefert, ſondern gewinnt durch den Inhalt einer, auf oben angeführte Stelle folgende Mittheilung Hero
dots viel Wahrſcheinlichkeit. Er ſagt nämlich, daß Seſoſtris die Kriegsgefangenen aus den unterworfenen Ländern zu öffentlichen Arbeiten verwendete. Durch dieſe Annahme würde dem wohlverdienten Rufe des alten Forſchers fein. Abbruch
gethan und die Meinungsverſchiedenheit der neueren am beſten erklärt.
Wenn ſich in deru Zeitraum von ungefähr zweitauſen
Jahren , der verfloſſen iſt, ſeitdem Herodot dieſes Bildniß ſah und beſchrieb , vieles dieſer Gegend verändert haben mag , ſo bleibt die Wahl des Ortes für ein derartiges Denkmal den: noch ein nicht leicht zu löſendes Räthſel ; denn es befindet fich an einer ſo entlegenen und unzugänglichen Stelle, daß der Grund zur Wahl derſelben einem Beſchauer nicht einleuchs
tet. Keine alte Stadt hat in der Nähe gelegen, feine Straße da vorübergeführt *) ; keine Grenze fann dort geweſen , feine Schlacht in der Nähe geliefert worden ſein . Von erſterer
gibt es weder Spuren noch Nachrichten , für leştere mangelt der Plaß, und wenn Seſoſtris wirklich ſeine Eroberungen bis hieher ausgedehnt hatte, ſo iſt nicht einzuſehen , warum
er ſeinem Siegeslaufe gerade hier eine Grenze geſeßt haben
*) Vgl. obige Stelle Herodot: a. E.
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ſollte, ftatt fich erſt in demſelben durch das gar nicht mehr weit entfernte Meer hemmen zu laſſen *).
Das in den lebendigen Stein gehauene Bildniß halber habener Arbeit befindet fich an der weſtlichen Seite eines
ziemlich hohen Felſens, der quer vor einer engen Schlucht ſteht und fie faſt verſchließt, ſo daß man es erſt dann gewahr wird, wenn man denſelben auf einem ſteilen Pfade umgangen hat, und ſich in unmittelbarer Nähe befindet. Rings um die Figur iſt die Felswand mit dem Meißel gecbnet. Die linfe
Schulter des Kriegers iſt nach außen gefehrt und ſein Blic nach Norden gerichtet. Seine Haltung iſt drohend und ſcheint, fo viel wir zu erkennen im Stande waren, einen lebendigeren Ausdruck zu beſigen , als bei den ſteifen und ſtarren Darſtel lungen der Aegypter der Fall zu ſein pflegt. Wir würden noch lange in die Betrachtung dieſes merks würdigen Denkmals, wohl eines der älteſten von ganz Klein aſten , verſenkt geblieben ſein , wenn uns nicht die Ungeduld unſerer Begleiter und die vorgerügte Stunde an die Umfehr gemahnt hätten. Wir verließen alſo die enge Schlucht und gingen nach der entgegengeſekten Seite des Felſens zurüd, die nach Often auf das Thal zu blidt , durch das wir ges fommen waren , zu unſeren Pferden , die da warteten , und
erreichten Nimphi mit einbrechender Dunkelheit. Die Nacht brachten wir in dem Hauſe eines Griechen zu , der ein Bes fannter Janito's zu ſein ſchien. Auf die Ermüdung des Tages ſchliefen wir vortrefflich, nicht in Betten , ſondern auf
*) Herodot, libr. II, cap. 106 erwähnt, daß das andere Denkmal, von dem er dort ſpricht, ſich auf dem Wege von Epheſus nach Phocäa be
funden habe , welche Stelle obige Vermuthung zu beſtätigen ſcheint. Die : jes zweite iſt, meines Wiſſens, nod nicht wieder aufgefunden .
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Teppichen, die vordem Feuerheerde ausgebreitet wurden, und fühl ten uns durch die friſche reine Bergluft, die im Gegenſaße zu der dumpfen Hiße Unterindiens und dem erſtickenden Staube Aegyptens fo erquidend iſt und einen geſunden Schlaf beför dert , am Morgen wunderbar geſtärkt. Nachdem wir von unſeren Beſchüßern und dem Wirthe Abſchied genommen , fehrten wir auf demſelben Wege nach Smyrna zurück, wo wir in der Locanda Mile durch die freundſchaftliche Fürſorge des umſichtigen Wirthes für unſere Anfunft alles vorbereitet fanden .
Kurz nach dieſem Ausfluge gingen die leßten Gefährten unſerer bisherigen Reiſegeſellſchaft auseinander. Die andern litten an Heimweh und fehrten nach Europa zurüd ; mir je
doch war der Drient ſo lieb geworden , daß ich beſchloß, vors läufig noch in Kleinaften zu bleiben, und mein Reiſeglüd von nun an allein zu verſuchen. Das Gefühl der ungewohnten
Verlaffenheit, das auf die Trennung erfolgte, trieb zu neuer Thätigkeit an , und da der günftige Erfolg des Ausflüges nach Nimphi zu ähnlichen Unternehmungen ermuthigte , lo
dauerte es auch nicht lange , bis ich mich wieder auf den Weg machte, diesmal , um die Stätte des alten Epheſus zu
beſuchen. Dieſer Name belebt viele Erinnerungen aus der Geſchichte, und erweckt mancherlei Träume, die feit den Schuls jahren beinahe in Vergeſſenheit geſchlummert hatten. An jenem Morgen , wo ich aus meiner Wohnung aufbrach, er füllten mich eine Menge ſolcher Gedanken und Gefühle, die bereits von andern Reiſenden bei gleicher Gelegenheit empfun den und ausgeſprochen worden ſind. *) Ich hatte beabſichtigt, *) Schuberts Reiſen im Morgenlande, Bd. I, S. 285. teſch a. a D. , Bd. II, S. 88.
0. Pros
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die Reiſe in aller Frühe anzutreten ; aber die Saumſeligkeit Janifo’s nnd des Suridſchi* ) verzögerten durch allerlei lang ſame und ſchlecht getroffene Vorkehrungen , die erſt umgeän dert werden mußten , unſer Fortfommen bis um 8 Uhr , wo
endlich, nach Beſeitigung aller Schwierigkeiten , fich unſer kleiner Zug , zu dem noch ein europäiſcher - Diener gehörte, in Bewegung repte. Unſer diesmaliger Ausmarſch war weit weniger anſpruchslos, als der Zug nach Nimphi , denn wir hatten uns, ſo gut es gehen wollte, alleſammt bewaffnet und
außerdem auf die , nach unſerem Dafürhalten , zwedmäßigſte
Art gekleidet , was, abgeſehen von den ſehr fraglichen Vor theilen, uns ein durch ſeine Abenteuerlichfeit an's Lächerliche ftreifendes Ausſehen gab. Janifo allein wäre der Feder eines Cervantes würdig geweſen, wie er auf einem fteifen, mageren Miethgaul , mit einer alten , verroſteten Jagdflinte über der Schulter und einem grellfarbigen feidenen Tuche als Turban um ſeinen langen griechiſchen Fez gewunden , in feiner Hal tung das fomiſche Selbſtgefallen eines Sancho verrathend, dem Zuge voranritt , in welchem fich übrigens fein Don Quirote befand.
Von der Karawanenbrüde aus bogen wir rechts in das Thal hinter dem Pagus, Budſcha zur Linken laſſend, und er reichten in ungefähr einer Stunde , nicht ohne Mühe , die Hochebene von Sedifiöi. Von dort aus ſchlugen wir den
öftlichen der beiden Wege ein , die nach Epheſus führen, theils weil derſelbe für fürzer und weniger beſchwerlich gehalten wird, theils aber auch, weil die Umgegend von Zidi, wo der andere vorüberführt, wegen der Nähe von Samos mit ſeinem
*) Pferdeknecht; gleichbedeutend mit dem indiſchen Ausdruce Saïs.
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berüchtigten Raubgeſindel für ſehr unſicher gehalten wird, und Janito, troß ſeiner prahleriſchen Miene und muſterhaften Bes waffnung, ernſtlich dagegen rieth. Um die verlorene Zeit wieder einzuholen , ritten wir , ſoweit es die Gegend zuließ , querfeldein , in ungefähr ſüdöſtlicher Richtung, ſo daß wir Sedifiöi rechts und dann Trianda zur Linfen liegen ließen .
Erſteres hat ein freundliches Ausſehen , beſonders wenn die Bleidächer ſeiner Kuppeln uud Minarete von der Sonne beſchienen werden ; das andere vermochten wir vor einigen Hügeln , die es verdeckten , nicht zu ſehen. Die Ebene ift einförmig und ohne beſonderes Intereſſe. Ungeachtet der großen Fruchtbarfeit des Vodens gewahrt man faſt gar feine Spuren
des Anbaues; überall wächſt üppiges Haidekraut, mit Gebüſch untermiſcht und Steineichen und Pinien , die beſonders auf den wellenförmigen Erhöhungen zu finden ſind. Mitten in der Ebene, etwa fünf Stunden weit von Sedifiöi und in uns gefähr gerader Linie mit dieſem und Jenifői, fommt man, wie es auch der Name andeutet, zu den Reſten der alten Metropolis, von denen aber faum mehr , als einige Grundmauern und
eine ſtark verfallene Waſſerleitung vorhanden ſind. 31 Folge des verſpäteten Aufbruches und der Verzöges
rungen , die unterwegs durch die Widerſpenſtigfeit des vom Suridſchi am Zügel geführten Padpferdes entſtanden , das feine Ladung von Mundvorräthen und einem Feldbette mehr mals abſchüttelte, hatten wir geraume Zeit eingebüßt, ſo daß
der Tag ſchon weit vorgerückt war , und wir eilen mußten, vor Sonnenuntergang den nächſten Raveneh zu erreichen, um die Nacht da zuzubringen. Derſelbe lag nicht weit jenſeits
Metropolis zwiſchen einem niedrigen Höhenzuge, am nordweſt lichen Rande eines ziemlich beträchtlichen Sumpfes, des vors
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maligen Pegaſäiſchen See's. *) Dichtes Schilf und Gebüſch bededt deſſen ganze Oberfläche, worin zahlreiche Sumpfvögel ſchwärmen. Als bei einbrechender Dämmerung einige ganz dicht über unſern Röpfen hinflogen , widerſtanden wir nicht der Verſuchung, ſie für unſere Abendmahlzeit herabzuſchießen . In der Nähe des Ravéneh gießt ein Bach , aus dem nahen
Felſengrunde fommend, fein klares , reiches Waſſer in den Sumpf. Vielleicht iſt es der lIrſprung des altent Phyrites,
der aus dieſem Moraſte in den Cayſtris fließt und heutzutage Aiditſcheck genannt wird. **)
Die Lage unſeres Nachtquartiers , war ſehr einſam ; aber es befand ſich außer dem Ravédſchi dort noch ein Wachtpoſten von mehreren Mann, die alle von Kopf bis zu Fuß beivaffnet
waren, ſo daß wir uns einer forgloſen ungeſtörten Ruhe hin zugeben vermochten und hoffen durften. Während Janifo, außer den mitgebrachten Mundvorräthen , einen recht guten Pilaff für meine Mahlzeit bereitete und mein Bedienter ein
kleines , an das Hauptgebäude anſtoßendes Kämmerchen , das in der Regel den Hühnern und Ziegen zur Behauſung diente, für die Nacht zum Schlagfemach herrichtete, wanderte ich nach dem Hügel- jenſeits des Baches hinüber, wo ich die noch ziem lich kenntlichen Spuren einer alten Waſſerleitung antraf, die, wie ich glaube, dieſelbe iſt, deren Herr von Profeſch er wähnt. ***) Ihre Ueberreſte ziehen fich von hier aus beträcht
lich weit ſüdwärts am öſtlichen Abhange der Höhen hin, die fich, zwiſchen der Ebene und dem Sumpfe, bis in die Gegend von Jeniföi ausdehnen. Die eintretende Dunkelheit nöthigte
mich indeſſen bald, alle weiteren Forſchungen einzuſtellen, um *) Schubert a. a . D. Bd . I. , S. 393.
**) H. 0. Prokeſch erwähnt deſſelben a. a. O. Bd. II., S. 84. **) A. a . D. Bd. II. , S. 83.
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den Rückweg nicht zu verfehlen . Bei meiner Ankunft fand ich das Mahl bereit, das mir unter den damaligen Umſtänden vortrefflich mundete, ſo höchſt mittelmäßig es auch war. Bes ſonders ſchmecten mir einige halbverbrannte und halbrohe Beccaſinen, die ich ſelbſt erlegt, gerupft und an einem eiſernen Ladſtod als Bratſpieß, über dem Feuer gehalten hatte.
Die übrige Abendzeit verbrachte ich mit den Hausbe
wohnern im Hauptzimmer des „ Chang", wie die Wächter ihre elende Behauſung nannten , wo wir zu zehn bis zwölf an der Zahl um den Feuerheerd ſaßen und mit einander
plauderten . Die Geſellſchaft war allerdings ſehr gemiſcht“ ; aber auf Reiſen beſteht eine gewiſſe Gleichheit unter Alen . Außer mir und meinen Begleitern, waren der „Chandſchi“, wie er fich gerne nennen ließ, ein Grieche, vier albaneſiſche und
ein nubiſcher Straßenwächter, einige turfomaniſche Kameel treiber und mehrere Hirten zugegen. Troß ihrer niedrigen Herkunft und ihrem niedrigen Stande ließ ſich doch mit allen reden und ſogar ſcherzen, ohne daß auch nur irgend einer die Grenzen der Höflichkeit und des Anſtandes überſchritten hätte.
Im Orient iſt gute lebensart den Leuten angeboren ; ein jeder verſteht es , fich auf die rechte Weiſe zu betragen. Warum iſt es nicht ſo in dem „ civiliſirten
Europa ?
Für die Nacht zog ich mich mit meinem Bedienten in den für uns zum Schlafzimmer umgewandelten Hühner Ziegenſtall zurück; Janito und der Suridſchi blieben mit den
Anderen im Hauptgemache. Da an der Thür das Schloß fehlte, ſo rollten wir einen großen Stein von innen gegen dieſelbe, verſtopften einige Löcher in den baufälligen Wänden, die blos aus über einander gelegten Steinen ohne Mörtel
beſtanden , und nachdem wir alles, fo gut es gehen wollte, verwahrt hatten, legten wir uns mit den Waffen an der Seite
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zur Ruhe. In den erſten Stunden der Nacht war alles ſtille, und wir ſchliefen vortrefflich. Plößlich aber, etwa um 3 Uhr Morgens , wurden wir durch mehrere , raſch auf einander folgende Schüſſe und das Rufen der Wächter aufgeſchredt. Unſer erſter Gedanke war, daß Räuber den Chan “ überfallen hätten, und wir hielten uns eine Weile in Kampfbereitſchaft. Der Lärm ließ indefſen bald nach, und wir ſchliefen furz dats auf wieder ein und wurden erſt am hellen Morgen vom Glodens geflingel vorüberziehender Karawanen geweckt. Da löfte ſich das Räthſel. Janifo trat uns mit den Wächtern lachend ent. gegen und rief uns im Scherze zu : „ Xebec , Xebed . Die Schüſſe hatten freilich einem Räuber , aber anderer Art , ges golten, einem Wolfe, der ſich herangeſchlichen und einige Füllen auf der Weide beunruhigt hatte. Für dieſes Mal blieb es noch bei einem bloßen Scherze, der ſich freilich auf Unfoſten meines Beutels zutrug; denn unſere Beſchüßer verſäumten
nicht, ſich für ihre Wachſamkeit ein außerordentliches Badſchiſch zu erbitten , das ich ihnen um ſo weniger abſchlagen konnte, als ich ſelbſt über den Vorfal herzlich mitlachte. Da wir am vorigen Tage eine gute Bad- und Marſch übung gehabt hatten, ging beim abermaligen Aufbruche weniger Zeit verloren. Der Morgen war friſch , und weil wir des vielen Reitens fatt geworden , wanderten wir zu Fuß neben den Pferden her. Eine Stunde lang ging der Weg gerade nach Süden, zwiſchen dem Sumpfe und den Höhen , auf welchen ich den Abend vorher die Waſſerleitung verfolgte; dann erhob fich gerade vor uns der Galleſus, mit dein ſich die Hügel, ein
wenig rechts hin , vereinigen . Dort liegt in einer Einbucht des Gebirges Jeniföe , wir hielten uns aber immer dicht an dem Schilfrohr des Moraftes, ſcharf nach Oſten biegend. Nach wieder einer und einer halben Stunde gelangten wir an den
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Phyrites oder Aiditſcheck. „ Dort, “ ſagt Herr von Profeſch ..fommt man an den Eingang eines nicht über tauſend Schritte „ breiten Thales, links durch eine Hügelreihe von der großen „Ebene geſchieden , rechts durch den Galleſus begrenzt , der ſich hier ſchroff zu heben beginnt und rein von Norden nach „ Süden einbeugt . Das Flüßchen Aiditſcheck .... tritt in „dieſes Thal und an deſſen Eingange bemerkt man die Trüms „mer zweier Vogenbrüden , die eine von der andern nur ein paar hundert Schritte getrennt. *) Von da an wird der Pfad ſehr unwegſam und führt über nactes, zerſchliſſenes Ge ſtein längs den rechten Ufer des Flüßchens, bis man bei einem Kavéneh und einer alten Cypreffe, die auf einer, Grabs
ftätte ſteht, an das ſüdliche Ende des Thales gelangt, wo die ſteile, hohe Wand des Gallejus, ſcharf nach Weſten, zurüds tritt. Hier ſtößt das Thal des Phyrites in einem rechten Winfel auf das des Cayſtris, welches von Often nad Weſten davorliegt und ſich nach lekterer Richtung hin zu einer ſumpfigen Ebene erweitert. Auf der zwiſchen dieſe beiden - Thäler ſcharf hervortretenden Spiße des Galeſus liegt das in ſeiner äußeren Geſtalt noch ziemlich wohl erhaltene Stetſchi-Kaleſſi oder Ziegen ſchloß, **) welches, obwohl dem Anſchein nach aus dem Mittels alter ſtammend , doch vielleicht eine nähere Beſichtigung vers diente .
Blickt man aber an der jadigen Felswand empor,
To wird man ſchon unten faſt 'von Schwindel ergriffen und verliert die Luft zum Hinanflettern.
*) v . Profeſch a . a . O.
Bd . II . , S. 86 f. Es wäre icwer , dieje
Stelle beſſer, als mit den Worten jenes Schriftſtellers zu ſchildern. Schubert a. a . D. Bd. I. **) Derſelbe a. a. D. Bd. II . , S. 87. Chandler, Voyage dans l'Asie Mineure et la Grèce. Vol. I. Chap. 32. S. 293 .
Dnomander, Länder des Diteng . II .
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Sobald man die bene verläßt und das Thal des Phyrites betritt, verliert die Gegend ſchon ihre Einförmigkeit; an dieſem Punkte aber wird ſie unvergleichlich ſchön, und die Ausſicht, die ſich nach mehreren Seiten hin vor uns eröffnete, als wir um den ſüdöſtlichen Vorſprung des Gallefus bogen, überraſchte mich mehr noch, als der Anblick der Ebene zwiſchen Caſſaba und Nimphi, den man von der Höhe des Engpaſſes Kavadlys Dere hat. Der Charafter dieſes Landſchaftsgemäldes iſt ſo hehr ! Die Seele fühlt fich durch den Ernſt des ringsuin
herrſchenden Schweigens, das mit den Erhabenheiten der Schöpfung und den verfallenen Denkmälern in ſo angemeſſenem Einklange ſteht, im Tiefften ergriffen. Zur Linken , in Dſten und Südoſten liegen die theils bewaldeten, theils ſchneebedeckten Höhenzüge des Tmolus und Meflogis , zwiſchen denen das obere Thal des Cayſtris und noch ein anderes in der Ferne
fich verlieren. Gerade vorwärts, im Süden, wird die Ausſicht durch ſtarre, načte Felſen aufgehalten , deſto weiter fann ſie zur Rechten nach Weſten hin vorbringen ; denn unterhalb des
Zuſammenfluſſes des Phyrites und Cayſtris nimmt das Thal an Ausdehnung zu und wird zu einer flachen Ebene, die bis an das Meer reicht, aus dem fich in blauer Ferne Samos maleriſch erhebt. Dieſe Ebene wird im Süden durch die
Berge Pryon und Corifſus, hinter denen, nach Scala Nova zu, der Paftyas und der Thorar hervorragen, und im Norden durch den Galeſus begrenzt.
Ihr Boden beſteht aus der
fruchtbarſten Erde, die im Laufe der Zeiten von den Bergen herabgeſdiwemmt worden iſt und ſich noch immer anzuhäufen
fortfährt. Wenn man ihn entwäfferte, würde er ganz vor züglich zum Anbau geeignet ſein . In ihrem jeßigen Zuſtande bildet dieſe Ebene jedoch nur einen feuchten Sumpf, deſſen ungeſunde Ausdünſtungen die verderblichften Fieber erzeugen,
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wovor fich die Thiere eben ſo ſehr, wie die Menſchen zu fürchten ſcheinen. Der Cayftris fließt zwar noch jeßt, wie früher, zwiſchen
ſeinen mit Schilf und Binſen bewachſenen Ufern , aber wir ſaben weder die zahlreichen Schaaren von Kranichen , noch
hörten wir den Geſang der Schwäne, wovon die alten Dichter mehrfach Erwähnung thun.
Das Thal des Phyrites verlaſſend, reitet man eine Zeit lang zwiſchen dem Cayſtris und den Abhängen des Galleſus hin, deſſen Felswände von maleriſcher Steile und auf ganze Streden ſo abgeglättet ſind, als hätte ſie irgend ein Dinofrates zu Denktafeln für die Geſchichte Allerander's vorbereitet. *)
Von hier aus laſſen ſich ſchon die Trümmer des alten Epheſus und der ſpäteren Stadt Aliaſalud erfennen . Der Weg entfernt fich nun vom Gebirge und durchſchneidet die Ebene in ſchräger Richtung nach Südweſten, bis man an eine Brüde aus alten Trümmern fömmt, mit einer Wachthütte daneben. Nicht weit
jenſeits des Fluſſes erhebt ſich ein einzelner Hügel, auf welchem ehemals ein Schloß geſtanden . Wir ritten um deffen füdliche
Seite und erreichten in einer Fleinen Viertelſtunde das heutige Aiaſalud, ein trübſeliges Dorf, das um ro ärmlicher ausſieht, als es von den prächtigſten Trümmern umgeben iſt. Hier, im Süden vom Cayſtris , von deſſen linfem Ufer bis gegen die Höhen des Paftyas , die Berge Pryon und Coriſlus mit in ihre Mauern einſchließend, und von dem öſtlichen Schloß, hügel bis an das damalige Meeresufer hinabreichend, ſo daß
fte über einen Flächenraum von etwa zwei deutſchen Quadrat meilen ſich ausdehnte, lag einſt die prächtige „ Städtefürftin “. Heute aber erkennt man die Stätte und einftige Größe von *) v. Proteſc , a. a. D. Bd . II., S. 88 . 17 *
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Epheſus nur noch aus den zahlreichen Schutthaufen und ueber bleibſeln von Steinen und Mauern. Gleich nach unſerer Anfunft machte ich mich in Be
gleitung meines Dieners und mit einem griechiſchen Hirten als Führer, auf, in den legten noch übrigen Tagesftunden die verſchiedenen Dertlichkeiten zu beſichtigen. Wenn es für manche andere geſchichtlich berühmte Stellen und Städte an den nöthigen Spuren und Kennzeichen gebricht, um zu einer klaren Vorſtellung zu gelangen ; ſo möchte man hier an der Möglich keit verzweifeln , eine unverwirrte Einſicht zu gewinnen , ſo außerordentlich groß iſt die Maſſe der noch vorhandenen Uebers reſte. Die ganze Umgegend iſt mit Bruchſtücken aus den vers ſchiedenen Zeiten des wechſelvollen Daſeins dieſer denkwürdigen Stadt und ihrer ſpäteren Nachfolgerinnen in buntem Gewirre überſäet. Zunächſt begaben wir uns, vom Dorfe aus ſüdweſt
wärts, über einige Maid- und Tabadsfelder nach der Sonnen ſeite des Berges Pryon bis an die von Lyſimachus aufgeführte
Feſtungsmauer, welche aus rieſigen Quadern beſteht und von beträchtlicher Dicke ift. Sie zieht ſich in einem Halbfreiſe um und über den ſüdlichen Fuß des Berges und war an
vielen Stellen mit vieredigen, ungleich von einander entfernten Thürmen verſehen, deren ſtarfe Grundlagen zum Theil noch wohl erhalten find.
Folgt man dieſer Mauer in weſtlicher
Richtung , ſo kommt man erſt zu den Reſten einiger maſſen haften Gebäude, wovon noch eine der Edmauern über 30 emporragt und nach ihrer Anlage auf mehrere Stocwerke
Das Alter, ſowie die eigentliche Beſtimmung derſelben iſt ungewiß. Doch waren es weder Privatwohnungen , noch deutet.
Tempel, wie aus ihrer Form zu ſchließen iſt; ſondern müſſen ,
nach Feſtigkeit und Dauer zu urtheilen , Paläſte oder ſonſtige Öffentliche Bauten geweſen ſein. Von da aus einige hundert
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Schritte nordwärts fich abwendend und einer tiefen Einſatte lung des Berges folgend, erreicht man die Stätte , wo vors mals der Tempel des Dlympiſchen Jupiter ſtand , der unter
den Römern, entweder zur Zeit des Caeſar oder des Claudian erbaut worden iſt. *) Dieſe antifen Ueberreſte ſind mit die
edelſten auf dem ganzen Felde von Epheſus. Vom Tempel ſelbſt iſt zwar nichts mehr übrig, als die umherliegenden Blöde der Cella ; aber man findet die herrlichſten Säulenſchäfte, Kapitäler , Friesſtücke und Architrave zwiſchen dem dichten Dorngeſtrüppe ringsum zerſtreut. **) Er ſoll dem berühmten Dianatempel an Schönheit und Größe nur um Weniges nach geſtanden haben. Er gehörte der Korinthiſchen Ordnung an, wie die Säulen und deren Knäufe beweiſen ; erſtere waren hohlgeſtreift und aus einem Stüde, an den leßteren ſieht man noch die mit Trauben untermiſchten Weinblätter von bes
wundernswerther Arbeit, gut erhalten. *** ) Sämmtliche Bruch ſtüde ſind von weißem Marmor.
Etwas öftlich von dieſem Tempel lag das große Theater, in welchem wahrſcheinlich der Goldſchmied Demetrius den Aufruhr gegen den Apoſtel Paulus anſtiftete. +) An der Stelle
des Proſceniums befinden ſich jeßt Schutthaufen und Dorns gebüſch; man vermag aber noch einige Sißreihen zu erkennen. Am nördlichen Ende der Einſattelung öffnet ſich wieder die Cayſtris - Ebene, und wir erhielten von dieſem Punkte einen * ) Vgl. über dieſen Tempel : v. Profeſch a. a. D. Bd. II., S. 123 f. Hamilton a. a. D. Vol. II., p. 26.- Dr. Chandler a. a. D. Chap. 35. **) Die Säulenſchäfte meſſen 40' Länge auf 4 ' 6 " Durchmeſſer, ohne
die Grundgeſtelle und Knäufe. — Bgl. die oben angeführten Schriftſteller. ***) In Angabe der Größenverhältniſſe ſtimmen die beiden zuerſt ange führten Reiſenden vollkommen überein . +) Apoftelgeſchichte 19 , B. 23 f.
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deutlichen Ueberblid über den nordweftlichen Theil des Trümmer: feldes bis an's Meer und den im Südweſten vereinzelt das ftehenden Corifſus. Ade in jener Richtung gelegenen Uebers refte find von den mehrfach erwähnten Reiſenden ſo anſchau lich und genau geſchildert worden, daß hier nichts weiter dar über zu bemerken bleibt, als daß gewiß ein jeder, der dieſelben geſehen, mit ihren Anſichten, namentlich was die mehrfach be ftrittene Lage des Dianatempels anbelangt , übereinſtimmen wird. Lange und wiederholt wandelte ich dort zwiſchen den gebrochenen Denkmälern umher und hing den geſchichtlichen
Erinnerungen nach, woran jene Stätte, ießt öde und verlaffen, To reich iſt, Erinnerungen, die, an Drt und Stelle, einen ers höhten Reiz gewähren, und in deren unmittelbarem Genuffie man durch nichts in jener Einfamfeit geſtört wird. Wendet man fich von jenem Punfte oftwärts, ſo gelangt man in einer ftarfen Viertelſtunde, jenſeits der vorerwähnten Maiss und Tabacofelder, in denen zahlreiche Bruchſtüde von
Bildfäulen und andern Kunſtwerken aus Marmor zerſtreut liegen, an die Ueberreſte der türkiſchen Stadt Aiaſaluc, welche
den Hügel, auf deſſen Südſeite das heutige gleichnamige Dorf Itegt, im Umfange einer guten halben Stunde bedecen . Db : gleich der Freund des Alterthums und ſeiner Kunftſchäße den Umſtand bedauern muß , daß eine ſolche Menge edler Werke jum 3wede der Erbauung berſtümmelt und auf die rüdfichtes loſeſte Weiſe dabei verwendet worden find; fo mangelt es demſelben doch weder an Schönheit noch Intereſſe. Beſonders die an dem Nordabhange des fich von Dften nach Weſten
långlich hinziehenden Burghügels gebaute Mosfee verdient alle Beachtung, als ein wahres Meiſterſtück in ihrer Art. Ihr ſchlanfes Minaret und ihre beiden noch vorhandenen Ruppeln
bilden, wenn man aus dem Thale des Phyrites fommt, neben
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den Mauern des halb byzantiniſchen , halb türfiſchen Schloſſes und den fühnen Pfeilern der dem Herodes Atticus *) zuges ſchriebenen Waſſerleitung die augenfälligſten Punfte in der ſonſt wie ausgeſtorbenen Landſchaft. Sie ward von Sultan Selim I. , wahrſcheinlich nach ſeiner Rüdfehr aus dem ers
oberten Aegypten , gebaut ; denn fte hat in vielen Beziehungen
eine auffallende Aehnlichkeit mit den älteren Mosfeen zu Kairo, denen ſie in Reinheit des Geſchmade und Vollendung der
Zierrathen um nichts nachſteht. Herr von Profeſch iſt der einzige , der dieſes Gebäude mit der ihm eigenen Kunſt der Anſchaulichfeit beſchrieben hat , und deſſen Vorzügen die ver diente Anerfennung sollt. **) Dieſe Mobfee iſt indeſſen nies male vollendet worden , wie die Abweſenheit der mittleren
Hauptfuppel bezeugt, von welcher, wenn fie eingeſtürzt wäre, jedenfalls Spuren und Reſte vorhanden ſein müßten. Was dieſe Vermuthung noch mehr zu beſtätigen ſcheint, iſt die That fache, daß nur der weſtliche Theil des Gebäudes zum Gottes dienſte eingerichtet war , wo man noch die Gebeteniche und zwei Leſepulte erblidt. Von außen hat die Mosfee , obwohl ſchon ſeit lange nicht mehr benußt, noch ein ftattliches, wohl. erhaltenes Anſehen ; in ihrem Innern ift es aber um defto wüſter. -
Wildes Geſträuch und Bäume wachſen in den
Mauerſpalten und haben mit ihren Stämmen und Wurzeln
den ſchönen marmornen Fußboden an vielen Stellen geſprengt und zerſtört. - Es verurſacht einen unbeſchreiblich erhebenden Eindrud um die Stunde der Dämmerung , auf den oberen Stufen der hohen Treppe ftehend, die zu dem nordipeftlichen *) v. Profeſch. Bd. II., S. 128.
Dr. Chandler, Chap. 33.
** ) A. a. D. S. 99 ff.
Arundell, Vol. II., p 257 ff., erwähnt derſelben, aber ohne ſie zu beſchreiben .
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Hauptthore führt, und gegen den Galleſus blidt, die Sonne in's abendliche Meer hinabſinfen , und die Nacht von ferne
her nahen zu ſehen , wie ſie Anfangs die Cayſtrisebene mit dem weiten Trümmerfelde, darauf auch die ſteilen Bergwände allmählich umhüllt. Alsdann fühlt man erſt recht den ges heimnißvol wunderbaren Einflang, welcher zwiſchen der fried lichen Stille der Natur und der Ausgeſtorbenheit dieſer vers
ödeten Stätte herrſcht, die vormals von den durch menſchliche Leidenſchaft erregten Stürmen ſo häufig wiederhallte, über das aber jeßt , im grellen Gegenſaße zur vielbewegten Vers
gangenheit, tiefes Schweigen gleich dem Schlafe des Todes lagert.
„Die Gefchichte von Epheſus", ſagt Herr » . Profeſch *), wift durch ihre großen Wechſelfälle ein anziehendes Bild des Lebens.. Aber wem werden nicht die Schickſale dieſer merfs würdigen Stadt belannt ſein ? Was ſo viele darüber ges lehrt und geſchrieben ; die Schutthaufen , welche feit beinahe breitauſend Jahren das Cayſtristhal im Süden bededen, geus
gen mehr, denn alles , von jener ereignißvollen Vergangenheit, „ in deren Verlaufe jede Welle der Zeit ihre Anſchwemmung abgeſeßt, jede neue Race ihre Schichte auf die vorhererſchaf fenen Denkmäler gehäuft, und jeder Menſch ſeinen Stein hin: zugetragen “ ** ) Der Geſammtanblid aller jener bunt durcheinander ges
worfenen Ueberreſte bildet zwar nur eine wirre Maſſe, aber weil ein jedes der nacheinander verſtrichenen Zeitalter die uns derkennbarſten Merkmale der ihm eigenthümlichen Charakter:
Bd. II . S. 131.
** ) Victor Hugo ; Notre-Dame de Paris, Vol . I, p. 163.
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züge auf den einzelnen Trümmern zurüdgelaſſen hat , ſo braucht man nur deren Spuren zu folgen , um eine flare Anſchauung der Dertlichkeit, ſowie einen richtigen Begriff der wichtigen Begebenheiten zu erhalten , die ſich auf demſelben ereignet haben.
Epheſus mard vor der Zeit Homers von den Cariern und Lelegern gegründet, die ſpäter von Attiſchen Zoniern unter Führung des Androflus, eines Sohnes des Codrus, verdrängt wurden. Ihre ſpätere Bedeutung verbanfte die Stadt der günſtigen Lage am Meeresufer, immitten des aftatiſchen Grie chenlandes , ſowie dem Unternehmungsgeiſt ihrer neuen Bes wohner. Dieſe, die ſich durch ihren Handel raſch bereichers ten , erweiterten fie bald ſo, daß fie den von dem Rreter Cher 1
ſiphron *) ſchon früher begonnenen , aber erft 220 Jahre ſpäter **) von Demetrius und Pronius vollendeten Tempel der Diana umringte. Zur Zeit der perfiſchen Kriege unter
Xerres, ward Epheſus eingeäſchert ; der Tempel aber blieb unverſehrt ſtehen und wurde erſt 350 v. Ch. von einem ges
wiffen Heroſtratus, einem Menſchen niederer Herkunft, aber voll eitler Ruhmſucht ***) angezündet und brannte ab. Die Prieſter glaubten darin das Vorzeichen einer mächtigen Welt erſchütterung zu erfennen, und der Zufall fügte eg, daß gerade in derſelben Nac;t, da ſich dieſes Unglüd jutrug , Alerander Der Große zu Bella in Macedonien geboren wurde. Anftatt aber in ihm einen Feind zu erhalten , fand Epheſus in dem
*) v . Proteſch a . a . D. , S. 111 nennt ihn Atefiphon .
** ) Die Alten bauten nicht ſo raſch, wie wir , wenn es die Nothwen : digkeit nicht erheiſchte.
***) Er hat ſich dadurch freilich unſterblich gemacht, wie er wollte, und wurde für ſeine Brandſtiftung ſelbſt lebendig verbrannt.
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1
Großkönige einen Freund und Gönner , deffen Andenken es ſpäterhin theuer bewahrte. Die vorherverkündete Welterſchüts terung dehnte fich erſt nach ſeinem Tode auch über die Stadt aus, als Lyftmachus, nach mehrjährigem Wechſel des Krieg8 glüdes, ſeinen Gegner Antigonus daraus vertrieb. Dies war jedoch nur ein vorübergehendes Ungemach ; denn Lyfimachus, feinen Herrn nachahmend, ward ebenfalls ihr Wohlthäter ; er erweiterte , verſchönerte und befeſtigte die Stadt während des Jahrzehnde von 295 bis 285 v. Chr.
Unter andern
beförderte er den Wiederaufbau des Dianatempels , der unter Leitung des Baumeiſters Dinokrates * ), an ſeiner alten Stelle zu neuem Glanze erſtand. Außerdem , daß die Ephefer alle möglichen Opfer brachten , um dieſes Werk zu gutem Ende zu fördern , leiſteten ſämmtliche Fürſten und Städte Kleins aftens Beiträge in reichen Gaben zu dem heiligen Unters nehmen.
So fames , daß der neue Tempel den alten an
Größe und Pracht noch um vieleg übertroffen hat, und er wird gewiß ſeinen Ruf als eines der fieben Weltwunder verdient haben , wenn man bedenkt, daß Scopas die erſte Säule als
Muſter zu den übrigen lieferte, Þrariteles den Hauptaltar meißelte , Apelles ihn mit dem Bilde Aleranders ſchmücte,
mit dem Donnerfeil in der Hand als Sohn des Jupiters Ammon, und daß noch außer vielen andern berühmten Künſt lern , Parrhaftus und Thraſon ju deſſen Verzierung beitrugen. Wie ungeheuer der Koſtenaufwand war, und wie erſtaun :
lich die Reichthümer jener Zeit geweſen ſein müſſen , geht daraus hervor, daß Plinius ** ) das Gemälde von Apelles
*) Ein macedoniſcher Baumeiſter, Erbauer Alerandriens. ** ) Plin. lib. 34, cap. 14. a . D. Kap. 39 .
Strabon, lib. 14
Vgl. Chandler a.
267
allein auf einen Werth von zwanzig Talenten *) Goldes angiebt. Dies war die Zeit , wo Epheſus, das wiedererftanbene,
zweite, fich auf dem Höhepunkt feiner Blüthe befand ; es bes ſaß aber nicht nur Reichthum , ſondern auch Macht, und ver mochte daher die räuberiſchen Angriffe der Galater und ans
derer Barbaren erfolgreich zurückzuſchlagen. Aus dieſer Zeit ftammen wahrſcheinlich die edelſten helleniſchen Ueberreſte, wie außer den Trümmern des Dianatempels und der Befeſtigung des Lyſimachus, diejenigen mehrerer anderer Tempel, der griechiſchen Theater , mehrerer Säulenhallen und der Agora. Bis gegen den Anfang unſerer Zeitrechnung geht alſo der erſte große Abſchnitt in ſeiner Geſchichte, der fich , wie angedeutet warb, noch aus den Bruchſtücken der verſchiedenen Denkmäler nachs weiſen läßt.
Mit der Eroberung Kleinaſtens durch die Römer fängt
der zweite Abſchnitt an. Denn nach den Kriegen gegen Mi thridates und gegen die Parther begannen, unter dem Einfluſſe
der fremden Herrſchaft, auch rồmiſche Elemente fich in die bisher rein griechiſch -aftatiſchen Verhältniſſe zu miſchen. Ephe, fus ward damals der Schauplaß und Mittelpunkt wichtiger
Unternehmungen ; es erhielt eine römiſche Befaßung und wurde von Syla, Lucullus, Pompejus, Caeſar und Antonius der
Reihe nach beſucht. Aus jenen Zeiten rühren das Stadium, das Odeon, das Amphitheater, das Gymnaſium , fowie der Jupiter's
tempel her. Außerdem bauten die Römer Heerftraßen, Brüden und Waſſerleitungen. Von derjenigen , die das Waſſer vom Paftyas nach dem Burghügel von Aiaſalud führte, ſtehen noch *) Tóðavtov : Waage ; dann Gewicht von 125 Pfund ; dann Alles , was man wägt , und daher Geldſumme, die man für Silber auf
705 Franken (oder 1000 für ein Atheniſches Talent) anſchlägt.
268
51 Pfeiler *). Es läßt fich daraus annehmen, daß bereits zu den Zeiten der Römer jene Afropolis dort vorhanden war,
wenn auch deren jeßige Ueberreſte eher auf byzantiniſch - türs fiſchen Urſprung ſchließen laſſen. Es haben aber um dieſelbe viele Kämpfe Statt gefunden, ſo daß fie wahrſcheinlich mehrs mals zerſtört, und dann wieder aufgebaut worden iſt. Während der Römerherrſchaft brachte der Apoſtel Paulus
zuerſt das Chriſtenthum nach Epheſus , wogegen der Golds ſchmied Demetrius das Geſchrei des Aufruhrs erhob. Der
Jünger Johannes begründete dort etwas ſpäter eine feiner ſieben Gemeinden .
Ihre Anhänger ſollen die Bafilifa, deren
Stätte man noch auf dem Hügel bei Aiaſalud , etwas ſüdlich von der Mosfee Selims , zu erkennen vermag , erbaut haben. Sie zierten ihre Wohnungen mit dem Zeichen des Kreuzes , ſowie ihre Grabſteine, auf denen man noch griechis ſche Sprüche aus der heiligen Schrift, mit dem Meißel eins gegraben, gefunden hat **).
Die Stadt hatte nun den Höhepunft ihres Glanzes überlebt. In Folge der Verbreitung des Chriſtenthums ver ſanfen mit der heidniſchen Götterlehre auch die durch den
Geiſt des griechiſchen Alterthums geſchaffenen Kunſtwerke. Man ließ die Tempel verfallen , vermied die Theater , und, nachdem die Schäße des Dianatempels erſt von Nero , dann ron den Gothen bei ihrem dritten und verheerendſten Raub. juge durch die Küſtenländer Kleinaſtens, ums Jahr 262 n. Chr., geplündert worden waren, vollendete wenige Jahre nachs
*) v. Profeſch a . a. D. , Bd. II. , S. 127 f. ſchreibt fie dem Hero des Atticus zu.
**) Troß allem Suchen habe ich ſelbſt keinen entdeckt , einige meiner Bekannten in Smyrna behaupten aber, deren geſehen zu haben.
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her , unter der Regierung des Kaiſers Gallienus , ein Erd beben die Zerſtörung des mit ſo ungeheueren Koſten erbauten und von ſo vielen geprieſenen Weltwunders *). Später theilte Epheſus das Schidſal der übrigen Städte des byzan: tiſchen Reiches. Eine Zeitlang beſtand es in äußerem Wohls
ſtande fort, und erhielt als eine der erſten Biſchofsfiße Klein aſtens, ſowie durch die dort wiederholt gehaltenen Kirchentage
eine große Bedeutung, bis endlich die Anhänger des Islam
die vom Jünger gedrohte göttliche Strafe über die leichtfin nige Stadt brachten. Im dreizehnten Regierungsjahre des jüngeren Andronifus , im Jahre 1312, ward es fagmt dem ganzen übrigen Theile des ſüdweſtlichen Kleinaſtens, nach wiederholten Einfällen der Türfen, von den zwei.Häuptlingen Surathan und Aïdin erobert **). Was noch von der Stadt verſchont blieb , zerſtörte Tamerlan i. J. 1403. Die Türken hatten den Drt Aliaſalud, d. 1. Halbmond, benannt, und er:
bauten gegen Anfang des 16. Jahrhunderts die gleichnamige Stadt aus den Trümmern des älteren und jüngeren Epheſus.
Sie ward beſonders von Sultan Selim I. begünſtigt, wie unter andern ſeine ſchöne Moskee noch beweiſt, und muß eine ziemliche Bedeutung erlangt haben ; denn man trifft noch in der Nähe des heutigen Dorfes auf Spuren vieler Sarazenis ſcher Bäder und Grabmosfee'n , an denen man den dritten und legten Abſchnitt des langen und wechſelvollen Dafuins von Epheſus erfennt.
Aber auch dieſe Nachfolgerin der alten „ Städtefürſtin iſt ſchon längſt wieder in Schutt verſunken , und nun iſt die einſt ſo belebte Cavſtris - Ebene zu einer mit Schilf und Dornen *) Gibbon, Vol. II. , cap. 356. Baſel. Ausgabe . **) Gibbon, Vol. XI. , Chap. 64, p. 220 et 230.
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bewachſenen Einöde geworden, wo bei Tag an einzelnen Stellen der Turfomane ſeinen Pflug mühſam über den ſteinigten Boden hinſchleppt, um ein wenig Getreide oder Tabac zu bauen, und wo bei Nacht der nach Beute für Nahrung umherirrende Schafal ſein Flägliches Geheul ertönen läßt. Der Anblid jener edlen Bruchſtücke von Werfen der beſten Zeit des flaſfiſchen
Alterthums , die von der Hand des Schicfals ſo bunt durch einander geſtreut find, erfüllt den Beſchauer mit ſchmerzlicher
Wehmuth. Das hehre Trümmerfeld von Epheſus brachte auf mich einen Eindruc hervor, der demjenigen , den die ägyptis ſchen Pyramiden gemacht hatten , gerade entgegengeſekt war. Dort ſchien es mir, ale ſtünde die Zeit ſtille; hier glaubte ich fie mit Vogelſchnelle an mir vorübereilen zu ſehen, ſo ganz verſchieden ſind ihre Spuren , die ſie an den Ufern des Nils
zurüdgelaſſen, von denen in der Ebene des Cayſtris, wo ihre zerſtörenden Einflüſſe vielmehr in's Auge fallen . Da, vor den elenden Hütten Aiafalucs, auf den Runftüberreſten von Paläſten und Tempeln, die man fidy im Geiſte vorſtellen fann, deren
Großartigkeit und Kunſtvollendung die Bewunderung des ge ſammten Alterthums erregte ; da wird man , beim Anblid der Vergangenheit , gezwungen , an die Vergänglichkeit zu denken, die ſich yon jener ja durch weiter nichts unterſcheidet, als eine Spanne Zeit , und wähnt fich von dem alles ver ſchlingenden Strome auch ſchon fortgeriffen in die ewige Nacht. * )
Der Geiſt fand in den Trümmern von Epheſus allers
dings die reichlichſte Nahrung ; aber der Leib fing an, darum beſorgt zu werden.
Wir hatten bereits die mitgebrachten
* ) Omnes una manet nox.
Ovid .
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Mundvorräthe aufgezehrt und mußten , um nicht zu darben,
mit einigen ſehr mageren und zähen Hühnern, die Janito's Kochkunft faum genießbar zu machen verſtand, nebſt ſehr mittelmäßigem Pilaff uns begnügen. In ſo bewandten Um ſtänden leiſtet der türfiſche Tabac ganz wunderbare Dienſte. Seine Wirfung, die ſich übrigens je darnach verſchieden äußert, iſt jedoch immer heilſam . Bald übt er einen ſtärkenden Ein
fluß aus, bald ſchläfert er ein ; dann vertreibt er auch wieder den Schlaf, ſtillt Hunger und Durſt und gibt dem Erſchöpften Muth und neue Kräfte ; und kommt ein Fall vor, wo er nicht
unmittelbar wirft , ſo hilft er doch; denn er iſt ein unver gleichliches Geduldømittel. Daher ſagt auch der Morgen länder: Der Tabac zum Raffee iſt wie das Salz zum Brobe.
Die Hütte , die mir zur Wohnung diente , war aus Marmorſtüden erbaut und es vertraten zwei Säulenſchäfte,
wie zum Spotte, die Thürpfoſten. Die armen Leute, bei denen ich in Herberge war, thaten jedoch alles Mögliche, um ihren guten Willen an den Tag zu legen und ſchienen nicht einmal ein Badſchiſch für ihre Mühe zu erwarten . Ich war von ihrer einfachen Biederfeit
gerührt , und hält man fie neben das hoffärtige Benehmen und den verſtocten Leichtſinn der, zur Zeit des Apoſtels Paulus, in Ueppigfeit ſchwelgenden Ephefer, ſo ſcheinen dieſe durch beſſere Menſchen in jener Gegend erſeßt worden zu ſein, wenn es auch noch keine Chriſten ſind. *)
* ) Mein Wirth und ſeine Familie wareu Mohamedaner.
Dr. Arun
dell (Discoveries in Asia Minor. Vol. II., Chap. X.) erwähnt auch die Uneigennüßigkeit eines dortigen Türken.
272
Gerne wäre ich auf dem andern Wege , am alten Teos und Claros vorüber , längs der Küſte bis gegen Zilli hin, nach Smyrna zurüdgekehrt. Da mir aber Niemand , aus Furcht vor den Räubern, zum Führer dienen wollte, mußte ich die Abſicht aufgeben und wieder den alten Weg nehmen, der in zwei Tagemärſchen zurüdgelegt ward.
273
X.
Nach den Ermüdungen von der ephefiſchen Reiſe fühlte ich mich doppelt heimiſch in dem lieblichen, heiteren Sinyrna, wo noch eine furze Zeit der füßeſten Nichtsthuerei gewidmet
wurde, ehe ich den Weg nach Konſtantinopel einſchlug. Auf Reiſen iſt es indeſſen für denjenigen ſelbſt nicht nothwendig, unthätig zu ſein, der feinen beſonderen Geſchäften oder feinem beſtimmten Ziele nachjagt; denn da gibt es ſo Vielerlei, welches ſtille Beobachtungen erregt und ernſtliches Nachſinnen erheiſcht, daß die Gedanfen niemals unbeſchäftigt bleiben , wenn man ſich auch feiner äußerlichen Thätigkeit hingibt. Ungeachtet der winterlichen Jahreszeit war das Wetter außerordentlich milde und die Spaziergänge , die ich in den Morgen- und Abend ſtunden, von der Locanda Mille aus, an die nahgelegene Marina machte , gehörten zu den angenehmſten Erholungen meines
mußevollen Lebens ; mit den Reizen des ,purpurnen Meereg " und des Landes , „ das den ſchönſten Himmel hat auf der ganzen Erde ſammt dem anmuthigſten Wechſel der Jahreszeiten “ *) einigten fich in dem Hafen die intereſſanteſten Vorfälle des levantiniſchen Handels- und Fiſcherlebens. *) Herodot Clio 142. Dnomander , Länder des Dſtens II.
18
274
Die Marina dehnt ſich in der Länge von einer kleinen Viertelſtunde von unterhalb des Konad des Paſcha's im Süd weſten bis an die Spiße der gegen Nordoſten vorſpringenden Landzunge aus, welche die Rhede von Smyrna und die Bucht von Bournabat ſcheidet. Von dort aus beherrſcht der Blid das
ſchöne Rundgemälde des inneren Golfes mit ſeinen 'maleriſchen Ufern und allem was fich auf deſſen Fläche in wechſelnder Regſam feit bewegt. Schaut man über die bläuliche Fluth, ſo gewahrt
man zuerſt die beiden zadigen Gipfel des alten Korar , oder der beiden Brüder , *) wie ſie auch heißen , die ftolz über
ihren Vorhöhen hinter dem entlegeneren Quarantainegebäude emporragen, als wollten fte die Einfahrt in den Hafen ſchüßend überwachen. Unter ihnen , nur mehr gen Weſten, dehnen fich die weitläufigen Piscarien **) und fumpfigen Salzteiche bis
an die flache Landzunge hin , die , weit gegen Norden in die Einfahrt des inneren Golfes vorgreifend, das ſtattliche, aber jeßt harmloſe Sanjad -Kaleffi ***) mit ſeinen bethürmten Zinnen
auf ihrem äußerſten Ende trägt, an deffen Wällen alle Schiffé wegen der Untiefen des jenſeitigen nördlichen Ufers dicht vor
überfahren müſſen. In die Einſegelung ſchießt das durch die
Anſchwemmungen des nach der alten Sage „auro turpidus Hermus" erzeugte Uferland weit vor. Auf demſelben , aber fern vom gegenwärtigen Strande , find noch die Trümmer * ) ,Delphi ", Stamm von dem griechiſchen Worte á depos, Bruder ; war alſo eine ganz paſſende Bezeichnung für die beiden Zwillingsgipfel (des merkwürdigen Berges bei Delphi) , die wahrſcheinlich im entfernten
Alterthume , als die Weihung zuerſt Statt hatte , gemeinſchaftlich dem
Zwillingepaare, Apollo und Dianen , gleich den Zwillingsinſeln Delos und Rhenaea im Aegäiſchen Meere geheiligt waren . Mure of Caldwell's Classical Tour in Greece. Vol. I. , p. 190. ** ) Fiſchbehälter.
***) Flaggenſchloß.
275
eines genuefiſchen Wachtthurms fenntlich, von wo, hinter der Stätte , Alt-Smyrna’s “ und jenſeits der Bucht von Bournabat
die fahlen Abhänge des Jamanlar-Dagh nordwärto den Geſichts freis ſchließen. In der Frühe iſt weder die Beleuchtung nach der Seeſeite ſo günſtig, noch der Charakter des dortigen Treibens ſo anziehend ; denn das Getöſe und lärmen der überregſamen Geſchäftsthätigkeit auf der Rhede wirft alsdann ſtörend auf den Geiſt, und auf die Einheit des Bildes. Um das Leben auf der Marina mit rechtem Genuß aufzufaſſen, muß man ſich in den friedlichen Abendſtunden dorthin begeben, wenn die
Sonne ſich hinter das alte Hafenſchloß neigt und das Plåt. ſchern der Wellen nicht vom Matroſengeſchrei übertönt wird. Dann iſt der Genuß ſo vollfommen, daß man ſich unwilführ
lich aus unſerem Jahrhundert in die Zeiten Homer's zurück,
verſeßt glaubt. Oftmals, gegen Eintreten der Dunfelheit, fehren Nachen und Schiffchen in Menge vom Fiſchfang zurüd; und wenn ſie reiche Beute gemacht, tönt der ſanfte, wohl lautende Geſang der griechiſchen Bootsleute in angenehmen Chören, bisweilen von einem Seiteninſtrumente begleitet, ſchon
aus der Ferne den am Ufer Harrenden zum fröhlichen Vor zeichen entgegen. Denn wie zu Neapel , ſo ſind auch die hieſigen Fiſcher mit der Kraft des Geſanges begabt. Ihre Raïfs und Myſtifos zeichnen ſich noch heute durch die näm
lichen Eigenthümlichkeiten in Bau und Geſtalt aus , wie fte vor mehr als drittehalb tauſend Jahren der blinde Sänger
von Chiog " geſchildert. Man könnte glauben , daß es noch dieſelben ſchwärzlichen, hohlen, ſpit ſchnäblichen " Schiffe feien, in welchen die Vorväter der heutigen Griechen nach den trojis fchen Geftade fuhren; ſo bis in die kleinſte Einzelheit paßt Homer's Beſchreibung auf dieſelben, ſowie auf die jeßt in den levantiniſchen Gewäſſern üblichen Gebräuche der Schiffer: 18 *
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„A18 fie nunmehr in des Ports tiefgründige Räume gefommen , » Zogen die Segel ſie ein, und legten in's ſchwärzliche Schiff ſie, „ Lehnten darauf zum Behälter den Maſt, an den Tauen ihn ſenfend,
„ Eilig hinab, und ſchoben das Schiff mit Rudern zur Anfuhrt; „ Aus dann warfen ſie Anker und fnüpfeten Seile dem Strand ' an . * ) Ober :
" Zogen das ſchwärzliche Schiff fie empor an die Veſte des Landes,
„Hoch auf den fieſigen Sand , und breiteten drunter Gebälf hin . **)
Der Gedanke, daß der unſterbliche Dichter vielleicht gerade
an jener Stelle des Ufers geſeſſen , wo ſich der Meles ins Meer ergießt , von dem ja das alte Smyrna nicht ferne lag, und dem Treiben der Seefahrer zugeſehen, das er mit ſo uns verkennbarer Treue ſchildert, erhöhte mir den Reiz , den die Betrachtung jener acht homeriſchen Scenen für mich darbot.
Die ſeltſame Beimiſchung des Alten in dem , was für uns neu iſt, läßt , in Gegenwart dieſer ſeit grauer Vorzeit uns
verändert fortbeſtehenden Ueberlieferungen, neben dem unmits telbaren Intereſſe, die ſchönſten Erinnerungen der Vergangen heit wieder in uns aufleben. Je länger ich in Smyrna ver
weilte, und je mehr ich mit dieſem örtlichen Gepräge vertraut wurde , deſto flarer wurden mir auch viele bis dahin kaum verſtändliche Einzelheiten in den Geſängen Homers, und deſto
lebendiger fühlte ich mich von ſeinem Geiſte durchdrungen, ſowie von der Ueberzeugung, daß er hier wenigſtens eine *) Jliad. I. , 432 ff. **) Daſelbſt 484 f.
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Zeitlang gelebt haben muß , und wahrſcheinlich auch das er ſtere feiner beiden großen Gedichte entwarf. Jedoch nur durch
die Eindrüde unmittelbarer Anſchauung, wenn man an Drt und Stelle jenes unübertreffliche Epos von neuem geleſen und,
mit ihm in der Hand, die Heimath des Dichters, ſowie den Schauplaß ſeiner Schilderungen betreten, gelangt man dahin, ſich von den leßten Irrthümern und Vorurtheilen , die uns
während der Schuljahre als untrügliche Weisheit erſchienen, ganz und gar lo@zureißen. Was uns bis daher unverſtänds lich geweſen, tritt uns dann aber auch mit um ſo erhabenerer
Einfachheit vor die Seele. Hätten doch die Wolffianer und jene anderen Philologen das Glück gehabt , dieſe Gegenden # zu beſuchen, da würden ſie wahrſcheinlich ſich nicht ſo viel
Mühe, das Leben eines Homer durch gelehrte Wortflaubereien in Abrede zu ſtellen, gegeben, noch uns die unbelohnende Ar beit auferlegt haben , ihre zahlreichen Werke zu leſen . Db, gleich ich ſeitdem manchmal bedauert , die Schriften eines ſo unbefangenen, genauen Beobachters zur Zeit meiner Reiſen noch nicht gefannt 'zu haben , ſo iſt es mir doch jeßt um deſto lieber, da ich mich auf deſſen Worte zu Gunſten meiner Meinung hier berufen fann , der unter ähnlichen Umſtänden zu der nämlichen Anſicht gelangt iſt. „ Wenn ich Herodot und Thucydides“ , ſagt Herr von Profeſch bei Betrachtung des Feldes von Troja, „wenn ich Diodor und Strabo, Pau fanias und Ariſtoteles , Hefiod und Pindar und allen Tragi fern der Griechen nicht glauben wollte, wenn ich alle römis ſchen Schriftſteller als ohne Gewicht über die geographiſche Streitfrage verwürfe ; wenn ich die Völfer des Alterthums
felbſt alle zuſammen , mit ihren Königen und Weiſen des Irrthums zeihen und behaupten wollte, Xerres, Alerander und
Gäſar hätten einer Baſtarderde geopfert : ſo würde mich doch
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die Wanderung nach dem heutigen Menderes und Simoże,
die Jlias in der Hand , hinlänglich über die Richtigkeit, daß dieſes der beſungene Schauplaß ſei, beruhigen. Daß man in unſeren Tagen daran zweifeln fonnte, fann ich mir nur aus dem Umſtande erklären , daß die Zweifler bloß der Karten eine, aber nicht den Schauplat vor Augen hatten * ). Dieſe Bes
merkung iſt eben ſo wahr für ganz Jonien und was Homer, fein Leben und ſeine Werke im Allgemeinen betrifft, als hin= ſichtlich des beſonderen Schauplaßes der Ilias, die den nächs ften Anlaß dazu gegeben . Und wenn man demgemäß in ſeinen Unterſuchungen verfährt, ſo verbinden ſich alle jene zers ſtreuten Einzelheiten , die an ſich wirre und widerſprechend ſcheinen , bald zu einem mehr als wahrſcheinlichen Ganzen, woraus deutlich hervorgeht, daß Homer weder eine fabelhafte Perſönlichkeit war, noch daß ſeine beiden Epen das allmälige oder gar zufällige Erzeugniß vieler einzelner kleiner Geſänge ſind, die erſt im Laufe der Zeit von verſchiedenen Dichtern geſchaffen und zuleßt **), wer weiß von wem, zuſammengeſtellt worden.
Unter den ſo mangelhaften und dunkeln Nachrichten , die über das Leben dieſes älteſten und größten epiſchen Dich ters bis zur Gegenwart ſich erhalten haben, ſcheinen die Ans gaben des Ariftoteles und Ariftarchus am glaubwürdigſten, da fte am beſten auf Zeit und Dertlichkeit paſſen , und zu ſolchen Widerſprüchen nicht Anlaß geben , wie die Behaups tungen mancher Anderen. Danach ſoll Homer ein aus Ephes
*) 0. Profeſch, a. a. D. , Bd. I., S. 137 f. **) Vgl. Gervinus , Geſchichte der poet. Nationalliteratur I., 60 f. 367 f. , wo er Homer und die Nibelungen vergleicht ; Seite 370 f. gang beſonders,
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ſus gebürtiger Jonier geweſen ſein * ), der etwas mehr als hundert Jahre nach dem Trojaniſchen Kriege mit ſeinen Landsleuten nach Smyrna zog, wo er ſich, nach Vertreibung der Leleger, an den Ufern des Meles niederließ.
Von da
beſuchte er wahrſcheinlich das nahegelegene Feld von Troja und befang die im Munde des Volkes fortlebenden Helden thaten der Hellenen uud Trojaner in der Ilias , deren Ton und ganze innere Anlage darauf hindeutet, daß fie im fräf tigen -rüſtigen Mannesalter des Dichters geſchaffen worden **). Als die Jonier wiederum nach einiger Zeit von den Aeoliern aus Smyrna verdrängt wurden, verließ auch Homer dieſe Gegend , und wanderte wahrſcheinlich eine Reihe von Jahren als Rhapſode durch die meiſten der damals befannten Küſtenländer des Mittelmeeres, bis er ſich endlich auf Chios feftfeßte, wohin ſich inzwiſchen ſein Geſchlecht, die Homeriden, fcheint es, begeben hatten. Auf ſeinen Wanderungen wird er die meiſten Theile Griechenlands, die entlegeneren griechi. ſchen Inſeln und Niederlaſſungen , und wer weiß , ob nicht auch Sicilien und Großgriechenland und vielleicht auch Aegypten beſucht haben, alles Schaupläße der Odyffee, die er nur, wie die Gegend von Troja , durch eigene Anſchauung mit ſo bes ſtimmter und meiſterhafter Genauigkeit hat beſchreiben fönnen. Dhne dieſe Annahme läßt fich die umfaſſende und bis ins * ) Dg . das Bild der Schwäne im Thale des Cayſtris , Iliad. II., 459 ff. :
ώστ ' ορνίθων πετεηνών έθνεα πολλά,
Χηνών ή γεράνων ή κύκνων δουλιχοδείρων, ' Ασίω εν λειμώνι , Καύστρίου αμφί ρέεθρα , ένθα και ένθα ποτώνται αγαλλόμεναι πτερύγεσσιν,,
κλαγγηδόν προκαθεζόντων, σμαραγεϊ δέ τε λειμών. **) K. D. Müller, Griech . Literaturgeſchichte, Bd. I., Kap. 5.
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geringſte Einzelne gehende Drtskunde nicht erklären. Wie viele Jahre er umhergewandert , läßt ſich zwar nicht beſtim men , und fommt auch gar nichts darauf an ; daß er aber
weit und lange gereiſt ſein muß, geht aus ſeinen Kenntniſſen, wie auch daraus hervor, daß die Odyſſee, das thjeilweiſe Ers gebniß dieſer Reiſen , außer der darauf hindeutenden lebers
lieferung, den Charakter hat, der deutlich zeigt , daß ſie vom Schöpfer der Elias, aber erſt ſpäter, in ſeinem reiferen, ruhi
gen , heiteren Greiſenalter, wahrſcheinlich auf dem herrlichen Chios, in der Nähe feines Geburtslandes , und unter ſeinen dort inzwiſchen angefefſenen Stamm- und Geſchlechtsgenoſſen gedichtet worden iſt * ) Dies ſcheint die einfachſte und na türlichſte Art , die ſo vielfach bezweifelte , beſtrittene und mit ſo vielen Mährchen bereicherte Lebensgeſchichte jenes großen Mannes zu betrachten, den man als den Vater der Dicht
funft“ bezeichnen darf **) mit eben ſo viel Recht, als man Herodot den „ Vater der Geſchichte “ genannt hat. Denn Homer beſaß vor allen Andern diejenige Kraft des Menſchen, welche, wie Göthe ſagt, „durch Handeln und Thun Gefeße und Regeln gibt"***). Daher durchweht ſein Geiſt nicht allein das ganze klaſſiſche Alterthum nach allen Richtungen menſch lichen Strebens hin to), ſondern die Wirfuug dieſes Geiſtes
*) Ob er nicht mit dem urna nohútporos (weit umhergeſchleuderten Mann) auf ſich ſelbſt anſpielt ? ** ) High on the first the mighty Homer shone ; Eternal Adamant compos'd his throne ; Father of Verse ! in holy fillets drest etc. Pope's Temple of Fame, v. 182 ff. Vgl . deſſen Proface to the translation of the Iliad . *** ) Vgl. Gervinns a . a . O. , Bd. I. , S. 371.
†) Mure of Caldwell , A critical History of the language and literature of ancient Grece, Vol. I, B. I, Chapt. I, §. 4.
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geht von ſeinem Jahrhundert an fort auf Jahrtauſende der Zufunft und ſtrömt, wie cleftriſches Feuer, in alle bildungs
fähigen Völfer der Erde und führt ſie, die in Kunſt und Geſchmack falſchen Göttern geopfert , zurück zur wahren Nas tur , durch welche allein der Weg zur wahren Bildung zu finden geweſen. Ohne Homer und griechiſches Alterthum lägen wir noch in arger Finſterniß für das Schöne und Edle in der Kunſt , und ſein Einfluß ſcheint auch heute noch nicht das Ende erreicht zu haben , wo im gemeinſchaftlichen Wettlauf Europa's Bewohner nach dem beneideten Ziele höchſter Vollendung eilen. Woher kommt dieſe ungeheuere Wirkung, die nach ihm fein Anderer gehabt ? deren Tragweite unendlich iſt ?
„ Dem Griechen war “ , ſagt Gervinus *) , „ war Homer ſeine Bibel " ; und er war ihm mehr , als uns die Bibel : auf heimiſchem Boden entſproſſen, aus heimiſchen Sagen ge fügt , enthalten dieſe beiden Epen ſowohl die religiöſe, als geſchichtliche Grundlage des geſammten helleniſchen Volfes,
deſſen Stämme , wenn auch oft geographiſch weit getrennt, durch Sprache und Sagen und Religion verbunden blieben .
Was Wunder, daß Homer, der alles dies enthielt, dem Grie chen über alles hoch ſtand ? Aber warum wird er von anderen , viel ſpäteren Völfern , die jenes Intereſſe an ihm nicht haben fonnten, faſt eben ſo hoch geſchäßt ? Iſt es etwa bloße Nachbeterei ? Die beiden Heldengedichte ſind nicht blos die erhabenſten Denkmäler des heroiſchen Zeitalters , deſſen Geſamimt- und Einzelzuſtände ſie in flarem und ſchönem
Bilde darſtellen , ſondern zugleich die edelſten Erzeugniſſe
* ) A. a . D.
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des menſchlichen Geiftes, worin mit unübertrefflicher Kunſt und Geſchidlichkeit derſelbe Gegenſtand (3. B. die Einzelkämpfe in der Jlias) auf die mannigfaltigſte, überraſchendſte Weiſe
behandelt iſt, ohne daß die Einfachheit und Natur darunter nur das Geringſte einbüße. Dazu ſind alle Tugenden und alle Schwächen ſammt den geringfügigſten Umſtänden und Verhältniſſen des alltäglichen Lebens neben den ſchredlichſten Leidenſchaften und erſchütterndſten Begebenheiten in einer Weiſe dargeſtellt, die , obgleich ſo einfach), daß fie faſt ein Jeder verſtehen kann, doch von einer ſolchen inneren Tiefe und Wahrheit ſind , daß deren unerſchöpflich reiche, verborgene Vorzüge erſt dann in ihrer vollfommenen Klarheit entgegen treten , wenn man Schwächen , Mängel oder Fehler an den felben zu entdecken ſucht. Dieſe Vollſtändigkeit des Bildes iſt namentlich in der Ilias um ſo mehr zu bewundern , als jenes Gedicht den ges ringen Zeitraum von faum ſechs Wochen umfaßt. Und den noch, wie vieles und Verſchiedenes läßt uns der Dichter in
der kurzen Zeit nicht fühlen und gleichſam mit ſeinen Helden gemeinſchaftlich erleben ? Nicht minder , als in der Behandlung , zeigt ſich aber auch die Größe und Fähigkeit des Dichters in der geſchickten Ordnung und Wahl ſeines Gegenſtandes , in den er uns gleich mit dem erſten Verſe : „ Singe den Grol des Peliden , O Muſe ...." mitten hinein führt, und dann dieſes Grolles
Urſache, die das Zerwürfniß mit Agamemnon veranlaßte , in der Erzählung folgen läßt. Wenn Homer fich begnügt hätte, nur den leidenſchaftlichen, finſteren Groll ſeines Haupthelden darzuſtellen, ſo könnte man darin allerdings ein beſtätigendes Zeugniß jener Behauptungen zu finden meinen , wonach bas heroiſche Zeitalter ein grobſinnliches, rohes und barbariſches "
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hat ſein ſollen . Das iſt aber gerade nicht der Fall; im Ge. gentheil , die Meiſterhaftigkeit, womit das Bild des jürnens den Helden entworfen iſt, wird durch den edleren Ton und die rührende Zartheit, an der die allmälig herbeigeführte, voll:
fommene Verſöhnung der beiden Kampfgenoſſen ſo reich iſt, nicht nur würdig beſchloſſen , ſondern ſogar noch übertroffen . Dbgleich dieſer, wenn man will, vereinzelte Zug des großen Drama's , das um Jlion ſpielt, der eigentliche Hauptgegen ſtand des Gedichtes iſt, und ſich deſſen ganzer Verlauf um denſelben , wie uw einen Mittelpunkt dreht und bewegt * ) ; ſo erhalten wir darum doch kein weniger vollſtändiges Bild des Trojaniſchen Krieges , woher er entſtanden war , wie der allgemeineren Urſachen jenes denkwürdigen Unternehmens, durch das zum erſtenmal in der Geſchichte Europa und Aften feindlich fich gegen einander überſtanden. „ Die Weltgeſchichte dreht ſich um die Geſchichte von Troja ", wie Herr von Profeſch ſo finnreich bemerkt **). Herodot, der treuen Um: gang mit Sagen und Volfsmeinung, den Geiſtern des Ges
ſchehenen , hielt, führt den Trojaniſchen Krieg bis auf die älteſte Zeit hinauf, und weiſt in einfacher Gewaltthat den fichtbaren Anfang der Kette von Kämpfen und Verheerungen nach , die Jahrhunderte lang über die damals bekannte Erde fich ſchleppten. Phönizier raubten ein Mädchen in Hellas ; Griechen gaben die That in Tyrus und Rolchis zurüd. Zwei Menſchenalter ſpäter lockt dies des Priamus Sohn zum Raub
in dem Königspalaſt von Lacedämon. So entſteht der Krieg
gegen Troja , d. h. ein Krieg Europa's gegen das bekannte Aſien. Die Griechen werfen Troja in den Staub ; die Perſer *) v. Prokeſch, Mure und viele ältere Kritiker find derſelben Mei: uung.
**) 4. a. D. , Bd. I, S. 321 ff.
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kommen als Rächer und holen fich den Untergang ihres eige nen Reiches ; Rom , „rächend den Trojiſchen Stamm und entweihte Tempel der Pallas" *), tritt, ein glüdlicherer Gegs ner Griechenlands auf. Die Enfel derer, die vor Troja fochs
ten , erliegen römiſchen Schwertern. Das iſt die Geſchichte von fünfzehn Jahrhunderten .“ Wenn auch die Weltanſchauung Homers weder ſo um
faſſend, noch , was die damalige Zukunft betraf, ſo fernſichtig fein fonnte, ſo hat dieſelbe für ſeinen Standpunft doch eine
hinlängliche Großartigkeit , um uns noch ießt , nach Verlauf von drei Jahrtauſenden , mit wohlverdienter Bewunderung zu erfüllen **). Denn ſeine Darſtellungen ſind noch immer gleich friſch und lebendig , ſeine Naturſchilderungen ſo wahr , als einfach und erhaben, ſeine Vergleiche ſo ungefünſtelt als tref fend, ſowie die planmäßige Anlage und Einheit der ganzen Slias gleich unleugbar, obwohl der von Anfang bis zu Ende ſo geſchickt geſponnene Faden ſeiner Erzählung durch die man
nigfaltigſten Zwiſchenfälle geringfügiger, aber darum nicht minder bezeichnender und charaktervoller Begebenheiten des damaligen Alltagslebens mit den rührendſten Auftritten, durch jene feinen Anſpielungen zugleich vor dem Gepräge der Ein förmigkeit bewahrt, aber auch mit einer ausgebildeten Kunſt verwoben iſt, wie nur er unter allen Epifernfte befißt. *) Ultus avos Trojae templa et temerata Minervae. Aeneid . VI., 841.
** ) Und dennoch findet ſich eine ſeltſame Vorahnung der Zukunft, die v . Prokeſch als „ Weiſſagung auf Rom “ bezeichnet :
νύν δε δή Αινείαο βίη Τρώεσσιν ανάξει,, και παίδωνπαίδες , τοι κεν μετόπισθε γένωνται . Iliad. XX, 307 f.
Dieſe Stelle hat wahrſcheinlich Virgil den erſten Gedanken zur Aeneis eingegeben .
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Daher iſt auch ſein Bild des Trojaniſchen Krieges ſo flar
und vollſtändig , wiewohl er uns gewiſſermaßen ohne Vorbes reitung mit einem Male in die Mitte des wirren Kampfges tümmels verſeßt, das bereits neun lange Jahre die Dardani: ſche Feſte umtobt hatte. Indem durch dieſe Anordnung der Reiz der Neuheit in der Seele des Hörers (oder Leſers) un endlich gewinnt, weiß er der Unflarheit, die möglicher Weiſe
daraus für die allgemeine Sachlage entſtehen könnte, vermit telſt hin und wieder zerſtreuter Andeutungen auf die Vers
gangenheit *) mit einem Geſchic vorzubeugen , das eben ſo ungezwungen iſt, als es großer Aufmerfſamfeit bedarf, dar felbe zu fühlen . Der Hauptgegenſtand des Gedichtes iſt befanntlich die Feier des Zorns und der Verſöhnung des göttergleichen Achilles ; faſt überall iſt davon mittel- oder uns mittelbar die Rede, und alles Andere iſt dieſem großen Grund
zwede angepaßt. Deſſenungeachtet erhält man aber eine vollſtändig genügende Einſicht in jenen erſten Zweifampf Europas mit Aften , der ſich bis ins Unendliche fortzuziehen
beſtimmt ſcheint. Paris , der auserforene Günſtling der Lies besgöttin , fommt auf ſeinen Reiſen als wandernder Olüds: ritter nach Griechenland, wo noch Sittlichkeit und ſtrenge Zucht herrſchen. Dort macht er ſich des ruchloſen Verbre: chens ſchuldig, die Heiligkeit des Gaſtrechtes zu verlegen und die Gemahlin ſeines Wirthes zu entführen .
Damals war
aber der Rechtlichkeitsſinn und die Tugend bei den Hellenen noch ſo groß und allgemein , daß ſich ſämmtliche Völker und Für ften wie ein Mann erhoben, freiwillig Heimath und Familie verließen und über's Meer zogen , in Gemeinſchaft Genug
*) 3. B. die Reden des Neſtor , Phönix u. ſ. w. , die Erwähnung von Proteſilaos' Tod a.u.
m.
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thuung zu fordern für die an Einem unter ihnen verübte Frevelthat. Homer fonnte in der That den Hellenen fein größeres Lob zollen , als durch die Beſchreibung des aus dieſer Urſache entſtandenen Kampfes.
Wenn der von ftolzer
Vaterlandsliebe erfüllte und begeiſterte Sänger es dabei auch nicht an edlen Zügen und ruhmwürdigen Heldenthaten fehlen ließ, die er den griechiſchen Streitern ſogar inmitten des Un glüds und der Entmuthigung beilegt , ſo muß man darum auf der anderen Seite deſto mehr feine Unpartheilichkeit bei der Schilderung der Feinde bewundern. Von griechiſcher Ab ſtammung, aber auf aftatiſchem Boden geboren und erzogen ,
ſcheinen ihm die Charaktere der Hellenen , wie der Dardaner und ihrer fern hergefommenen Bundesgenoſſen mit ihren
weſentlichſten lInterſchieden gleich genau bekannt geweſen zu fein , daher ſchildert er einen Jeden ſo unpartheiiſch, getreu und ſcharf, wie es aus der Zuſammenſtellung und dem Vers gleiche der vielen bezüglichen Stellen der Slias ſo flar her vorgeht , und wie ſie noch auf ſo Manches der dortigen Gegenwart paſſen. Allerdings wirft er den Trgfanern, außer dem urſprünglichen Vergehen des Paris, einen verrätheriſchen Treubruch vor , nachdem ſte ſelber, in Veranlaſſung von deſ ſen Zweifampf mit Menelaus , unter dem perſönlichen Vorſiße des Priamus und der Aelteſten von Troja , ein feierliches
Uebereinkommen geſchloſſen hatten, wonach die für beide Pars theien ſo wichtige Entſcheidung ungeſtört ausgefochten werden follte * ). Auch ſtellt er ſie im Allgemeinen als finnlich und von ſchlaffen Grundſägen dar, wie er z. B. bei der Beſchreibung des Iliſchen Hoflagers bemerkt, daß Þriamus allein 50 Söhne und 12 Töchter hatte, und daß, mit Ausnahme Hektorø, bem * ) Iliad. III.
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Paris ſeine Landsleute nicht nur nicht zürnten ob des großen Unglücs, das er durch ſeinen frevelhaften leichtfinn über fie und ihr Land gebracht, ſondern auch darauf hindeutet , daß
ihre ſchwachen Grundfäße ſo weit gingen , jenes Verbrechen eher zu überſehen oder gar in Schuß zu nehmen, als es mit
einer der Gerechtigkeit entſprechenden Strenge zu beurtheilen. Wohl legt er ihnen aber auch manche edeln Eigenſchaften und großartige Charafterzüge, ſowie glänzende Heldenthaten bei ;
und dadurch, daß er einige der rührendſten Auftritte ſeines ganzen Werfes in dem bereits vom Schidſal zum Untergange beſtimmten Ilion ſpielen läßt, hat er es ſehr wohl verſtanden, neben der ſtrengſten Unpartheilichkeit in dem gerechten Lob
ihrer Feinde, den wahren Ruhin ſeiner Hellenen in der edel ften und erhabenſten Weiſe zu verewigen. Dieſes gilt eben ſowohl von den meiſten Einzelheiten und Theilen , als vom geſammten Werke ; denn faſt überall findet ſich jener Ton gefühlvoller Zartheit , wenn auch öfters mit antifer Derbheit veriniſcht, und jene hohe Sittlichfeit des Gedankens, welche felbft die entſchiedenſten Widerſacher und Verächter des Flaſſi ſchen Alterthums nicht wegleugnen fönnen. Der Dichter hat natürlich die größte Sorgfalt auf die Charakterzeichnung ſeines Haupthelden verwendet ; und da derſelbe vor allen andern hervorragenden Perſönlichkeiten der Slias am beſonnenſten entworfen und anı erhebenften ausges führt iſt, ſo gewährt eine nähere Betrachtung der Rolle des Achilles nicht allein die beſte Einſicht in den inneren Gang und Zuſammenhang des Gedichtes felber, ſondern liefert auch das vollftändigfte Muſterbild des Hersenzeitalters, das in
ſeiner Perſon idealiſch dargeſtellt wird. Hier zeigt fich in der Urtheilsfraft Homers , neben al ſeiner dichteriſchen Begeiſte rung , eine ſo tiefe Menſchenfenntniß, Beſonnenheit und ein
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ſo großes Feinheitsgefühl, daß die feltene Verbindung dieſer entgegengeſeßten Eigenſchaften in ihrer übereinſtimmenden Wech ſelwirkung einen ähnlichen Eindruck auf den Geiſt hervorbringt, wie die Gefühle ſind, von denen Ohr und Gemüth durch den bald majeſtätiſch erhabenen, bald lieblid milden Ton des wohlflingens
den*) Wortlautes der erzählenden Dichtung ergriffen werden. Denn wie das Versmaß und die Wahl der Ausdrücke ſtets einfach und natürlich bleiben, und dem Gedanfen ,den ſie ausdrücken, angemeſſen ſind , ob ſtürmiſche Leidenſchaften und Thaten , oder rührende
Auftritte des häuslichen Lebens geſchildert werden ; ſo enthält auch , ungeachtet aller ihrer Idealität , die Charakterzeichnung des göttergleichen Achilles " doch nichts Ungereimtes, und weder ſeine Vorzüge, noch ſeine Mängel , woran es wohl weislich der Dichter nicht hat fehlen laſſen, ſind übertrieben und naturwidrig.
Der Pelide beſigt alle Eigenſchaften des
Löwen , mit dem er auch verglichen wird **) : er iſt helden müthig , tapfer, ſtolz, reizbar , rein Zorn iſt ſchrecklich ; aber er beſißt auch Großmuth , findliche Liebe , edle Freundſchafts
gefühle, ſowie mitunter bis an Weichheit grenzendes Mitlei den . Durch fein ganzes Leben zieht ſich dabei eine wehmü
thige , aber ergebene Schwermutl in Folge der Vorahnungen eines frühzeitigen Todes , die ihn öfters beim Gedanfen an die Heimath und das kinderloſe Greiſenalter des entfernten Vaters , den er niemals wiederſehen ſoll, bis zu Thränen
*) Denn obwohl wir Neueren nicht die reine Ausſprache des Ait: griechiſchen wiſſen können , ſo dermag man doch aus der Reihenfolge der Mit- und Selbſtlaute eines Wortes auf deſſen mehr oder minderen Wohl klang zu ſchließen.
**) Nach dem Beſuche des Priamus in deſſen Zelte, Jliad. XXVI., 570 :
Πηλείδης δ'οίκοιο, λέων ως, άλλο θύραζε, ουκ οίος.....
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erweichen *). Dagegen iſt er bis zum Jähzorn leidenſchaft lich, und wird vom Kummer žu rachſüchtigem Blutdurſte aufgereizt, was feinem Charafter eine gewiſſle launenhafte Sdwäche aufdrüdt , die man heutigen Tages nicht einmal einem Kinde , geſchweige einem Helden, zu verzeihen ſich ges
neigt fühlt. Und doch iſt dieſer Zug aus der menſchlichen Natur gegriffen , und ſo tief in ihr enthalten , daß er ſelbſt noch in unſeren Tagen , troß Muſtererziehung und Religion, faſt bei allen , nur etwas verſtedter, fich findet ** ). Sein Zorn, fürchterlich , ſo lange die aufgeregte Leidenſchaft dauert , zeigt nichts Niedriges oder Tüdiſches, und wenn auch der tiefges nährte Groll, zu dem er in dem ſchwergefränften Gemüthe
wird, erſt allmählich vergeht , ſo liegt darin – vom antiken Standpunkte aus -- nicht nur nichts Gehäſſiges , ſondern die reinſte Wahrheit der menſchlichen Natur.
Achilles hat
die ſchwerſte Ehrenfränkung, die ihm wiederfahren fonnte, die empfindlichſte Verleßung feiner zarteren Gefühle vom „Völfers fürſten " Agamemnon in öffentlicher Verſammlung erlitten, und zwar aus der ungerechteſten Veranlaſſung. Dabei darf man nicht überſehen , daß der Beleidigte in der augenblicklichen
Aufregung einen feierlichen Eid geſchworen , wodurch er ſich bindet , nicht ehe wieder am Kampfe gegen den Feind , der nur durch ſeine Mithülfe überwunden werden fann, Theil zu nehmen , als bis die Danaer auf's äußerſte bedrängt
*) Wie es ſo ſchön der Eurydice in den Mund gelegt wird : Adspi cit et moriens dulces reminiscitur Argos. Aeneid .
** ) Die Begebenheiten der jüngſten Jahre haben wieder zur Genüge bewieſen , daß wahr bleibt , was Ovid ſagt : Naturam expellas furcâ tamen usque recurret. Onomander , Länder des Oftens II.
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find *) , und daß dieſer Eid und die empfangene Kränfung
als Urſache hinreichen , die Nachwirkungen ſeines Zornes bis zum neunten Geſang gehen zu laſſen , ohne daß Achilles bas
durch als ein verſtocter Nachträger erſchiene. Obwohl die Verſöhnung mit Agamemnon, in Folge dieſer Umſtände und ſeiner Gemüthsſtimmung, nur durch ein Ereigniß , wie der Tod des Patroklus, der ſeine Gefühle im Tiefften erſchütterte, erſt vollfommen herbeigeführt werden konnte, ſo hatte er doch ſchon unterlaſſen , am Meeresſtrande zu fißen , wie Anfangs, im düſteren Grolle, und finnend über die dunkeln Fluthen hinauszubliden , deren Bild feiner Seelenſtimmung fu trefflich entſprach. Denn als auf Anrathen des alten Neſtor Ddyſſeus, Phönir und Ajar , der Telamonier, als Verſöhnungsboten vom Agamemnon in das Zelt des Peliden fommen , finden ſie ihn in einer ganz anderen Lage und Stimmung : „ Als ſie die Zelt und Schiffe der Myrmidonen erreichten, Fanden ſie ihn , wie er labte fein Herz mit der flingenden Leier, .
Und : Hiemit labt er den Muth und fang Siegsthaten der Männer.
Gegen ihn faß Patroklus allein, und harrete ſchweigend Dort auf Aeafos' Enkel, bis ſeinen Geſang er geendet." **)
*) Iliad . I , 233 f. :
αλλ' έκ τοι ερέω, και επι μέγαν όρκον ομούμαι: ναι μα τόδε σκήπτρον, το μεν ούποτε φύλλα και όσους.. φύσει, επειδή πρώτα τομήν εν όρεσσι λελοίπεν, ουδ' ανα θηλήσει" etc. **) Iliad. IX ., 185 ff. und 644 ff.
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Dieſes rührend zarte Bild fammt dem, was folgt, würde wahrlich nicht auf ein vergrämtes , bitteres Gemüth paſſen.
Aber ſobald der Gegenſtand des ſchlummernden Zornes von den Boten berührt wird , wacht der Groll des löwenherzigen Helden wieder auf, und dennoch hätte ihn , ohne jenes vor eilige Gelübde *), die einfache biedere Derbheit des Telamo niers am Schluß der Verathung, nachdem des Odyſſeus' fluge Gewandheit und die väterlichen Ermahnungen des Phönir fruchtlos geblieben , doch faſt bewogen, ſich mit dem gedemü thigten Atriden zu verſöhnen, wie er ſelbſt ſagt : „ Ajar, göttlicher Sohn des Telamon, Völfergebieter, Alles haſt Du beinahe mir ſelbſt aus der Seele geredet." Dieſe Neigung zur Verſöhnung iſt um ſo ſchöner und von höherem moraliſchen Werthe, da ſie jenen zornigen Aus brüchen unmittelbar folgt, womit er im gehobenen Gefühle empörten Stolzes fich, dem gebeugten Atriden gegenüber, mit
einer zurückhaltenden Kälte, deren herablaſſender Ton vernich tend wirkt , und ſelbſt den ruhig beſonnenen Odyſſeus über wältigt, ausgeſprochen hatte. Der Inhalt des neunten Gefanges bildet daher auch den Wendepunft der ganzen Handlung. Hier tritt wiederum die edle Denkungsart des Dichters hervor , der , nachdem er das
*) Der Bid war den Alten viel heiliger , als er bei uns gehalten wird. Freilich war noch das Auskunftsmittel der Entbindung davon von
keiner Religion erfunden . Daher begreift ſich , wie somer deſſelben hier gar nicht erwähnt. Es iſt zu verwundern , daß Herr Mure ihn mit Still ' ſchweigen übergeht , der ſonſt doch die feinſten Seiten und Schattirungen dieſes Gedichtes aufzufinden und in einer dem Gegenſtande würdig ents ſprechenden Weiſe und wiſſenſchaftlichen Behandlung zu deuten verſtanden bat ; wie er denn wohl einer der fähigſten Beurtheiler nnd Ausleger Ho mers iſt, die es je gegeben hat. Vgl. A critical History of the language etc. Vol. I, B. II, Chapt. VIII, SS. 2. 3. 19 *
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Zerwürfniß und die Feindſchaft der beiden Hauptperſonen in dem griechiſchen Lager, ſammt den daraus entſprungenen ver derblichen Folgen, mit der ihm eigenen Kraft und Lebendigkeit geſchildert, nun den bei weitem größeren Theil ſeines Werfes
der Wiederausgleichung und, ſchließlichen Verſöhnung widmet. Bald nach ſeinem halb muthwilligen Geſtändniſſe an den älteren Ajar , als bei Erneuerung des Kampfes die Noth der Griechen mehr und mehr wächſt, und Machaon der Arzt, Menelaus und Odyffeus verwundet in's Schiffslager zurüdges führt werden , beleben ſich ſeine beſſeren Gefühle noch mehr. Er iſt vol Bekümmerniß über die Leiden ſeiner Freunde , in
dem er wohl gefühlt haben muß , daß ſeine hartnäckige Uns
thätigkeit, die ihn bei ſeinem Eide verhinderte , mitzukämpfen und den muthigen Heftor wieder in die Mauern Ilions zurüdzutreiben, wenigſtens die mittelbare Schuld daran trug.
Daher entſendet er ſeinen treuten Patroflus , Erkundigungen über das Befinden der Freunde und den Stand der Verhälts niſſe einzuziehen. Wie dieſer zurüdfommt und die Bedräng niß ſchildert, erlaubt ihm Achilles nicht nur, an der Schlacht Theil zu nehmen , ſondern gibt ihm den Befehl über ſeine Myrmidonen , und ermuntert den Sohn des Mönotius , bei den fürſorglidiften Ermahnungen für ſeine eigene Sicherheit und Erhaltung , nur ja zu eilen , damit die Hülfe nicht zu Er ſelber indeſſen bleibt unthätig bei ſeinen Schiffen zurück, bis Antilochus die ſchreckliche Botſchaft bringt,
ſpät komme.
daß Patroklus ſeiner unbeſonnen Kampfesluſt erlegen , und nachdem er ſich trotz der erhaltenen Befehle zu weit hinaus- ,
gewagt , dort auf dem Blachfelde von der Hand Hektors ge fallen ſei. Da muß der leßte Reſt des lange gehegten Grol les vor dem neuen unendlichen Schmerze weichen , der wie
ein Bliſſtrahl auf ihn fält. Der Pelide , vorhin noch ſo
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hart und ſtolz, wälzt ſich jeßt zerknirſcht im Staube , und jammert laut auf, daß ihn ſeine göttliche Mutter Thetis im Meeresgrunde hört ; denn es umhüllt ihn der Schwermuth finſtere Wolfe... *)
Die Umwandlung iſt eben ſo vollſtändig als raſch, aber
ganz naturgemäß. Er will nur hinaus und fämpfen, Hektor ſuchen und tödten , und an allen Feinden den gefallenen Ge noffen auf's Glänzendſte rächen. Nichts fann ihn beſchwich
tigen , nicht die Thränen und Troſtworte feiner aus fühlem Merresgrunde herbeigeeilten Mutter , nicht die Ahnung , daß fein eigenes Leben nach dem Tode des feindlichen Führers bald auch enden ſoll. In dieſem Geiſteszuſtande ereilt ihn ein zweiter Bote (Iris , vom Olymp zur Warnung geſandt) ; des Patroklus Leichnam , um den bereits lange blutig geſtrit ten worden, iſt nun in Gefahr, den grauſamen Feinden zur Beute zu werden. Da fann ſich Achilles nicht mehr halten. Ungewappnet, blos mit Aſche, Staub und zerriſſenem Ge
wande ſpärlich bedect , ſtürzt er hinaus an die Lagerbefeſtis gung der Verbündeten , wo die Schlacht furchtbar tobt ; da,
auf dem Walle ſtehend, zerſtreut er von ferne durch ſeine bloße Stimme die Feinde : „ Aber Achilles erhub ſich, der Göttliche ; ſelber Athene,
Hängt um die mächtige Schulter die quaſtumbordete Aegis, Auch umfränzte ſein Haupt mit Gewölf die heilige Göttin,
Goldenem, und ihn umſtrahlt ein ringsum leuchtendes Feuer. Wie hochwallender Rauch von der Stadt aufſteiget zum Aether, Fern aus dem Meereiland, das feindliche Männer beſtürmen ,
*) Jliad. XVIII. am Anfange,
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Jene den ganzen Tag anringend in graulicher Mordluſt, Kämpfend aus eigener Stadt ; doch fobald die Sonne fich fenfet,
Brennen empor Reisbunde mit häufiger Gluth und es leuchtet
Hoch der ſteigende Glanz, daß Ringsumwohnende ſchauen, Db vielleicht in Schiffen des Streits Abwehrer herannah'n :
So von Achilles Haupt erhub ſich der Glanz in den Aether. Schnell nun trat er zum Graben , den Wal durch, nur den Adajern
Nahet er nicht, denn er ſcheute der Mutter ſorgſame War nung ;
Dort geſtellt, auf ſchrie er ; auch ſeitwärts Pallas Athene Hub den laut, und die Troer durchbebt unermeßlicher Aufs ruhr.
Wie wenn hell auftönet der Kriegsausruf der Trommete, Wann um die Stadt her wühlt wehdrohender Feinde Ges tümmel :
Alſo hell auftönte der Kriegsausruf des Peliden ! Aber ſobald ſie vernommen den ehernen Laut des Peliden, Regte ſich allen das Herz, und die ſchön gemähneten Roſſe Wandten zurück ihr Geſchirr, denn ſie ahneten Jammer im Herzen.
Starrend fah'n auch die Lenker der Glut raftloſe Gewalt dort
Graunvoll über dem Haupt des erhabenen Peleïonen
Brennen, entflammt von Zeus' blauäugiger Tochter Athene. Dreimal ſchrie vom Graben mit Macht der edle Achilles, Dreimal zerftob der Troer Eewirr und der rühmlichen Hel fer.. *) *) Jliad. XVIII, 203 ff.
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Dies iſt der Triumph , die Vergötterung feines Helden, und der Dichter hat das fühnfte und größte aller feiner Bils der zu deſſen Feier aufbewahrt. Hier iſt auch der Zorn bes göttergleichen Achilles, aber welch ein ganz anders erhabener
Zorn, als der anfängliche gegen Agamemnon ! – Der Ver gleich mit der Feuerſäule enthält wahrſcheinlich auch eine Anſpies lung auf den Untergang Troja's, den Agamemnon ſeiner Ge. mahlin, wie Aeſchylus erwähnt *), durch Feuerzeichen auf dem Feſtlande und den Inſeln ſoll mitgetheilt haben. — Am Ende des Gedichtes vollendet Homer die Charakterzeichnung ſeines Helden, indem er ſeine milderen und edleren Eigenſchaften in dem Auftritte mit Priamus hervortreten läßt , wodurch der Schluß des einfach erhabenen Schauſpiels eine ſanfte Rühs rung in uns hervorbringt , und ſo , nach all den aufregenden Leidenſchaften des Zorns, der Kämpfe und des Kummers den unendlich wohlthätigen Eindruc der Zufriedenheit und Ruhe hinterläßt, das ſicherſte Kennzeichen der Vortrefflichkeit eines Dichtwerfes. Mit dieſer meiſterhaften Anordnung gewann
der Dichter noch obendrein den nicht geringen Vortheil, die ſchrofferen Seiten des Heroenthums auf das glüdlichſte in den Hintergrund 31 ſchieben. Dies iſt der einfache, in allen
Theilen feſtverknüpfte Verlauf der Handlung. Die Eröffnung des Gedichtes enthält die Vorausſagung der Begebenheiten, die während des größeren Theils ſeines Fortganges folgen follen, und ehe wir weit vorgerückt ſind, werden wir mit den übrigen Theilen in ähnlicher Weiſe vertraut. Die wenigen unvorhergeſehenen Begebenheiten ſchmüden , ohne ihn zu ſtö ren , den fanften Verlauf der Haupthandlung, der , wie über
*) Aeschyl, Agamemnon. I, 2.
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fie hingleitend , mit ſicherer Ruhe zu ſeinem beſtimmten Aus gange fortſchreitet» * ). Deshalb fann man ſich über den Cha rafter der Slias auch wohl nicht treffender ausdrüden , als
Ariſtoteles, der von ihr ſagte, ſie ſei einfach und erſchütternd **). Und dies Gedicht ſollte, nur weil der ſpiffindige Verſtand einzelner Männer, die fich furzſichtig in Nebendinge verloren,
den eigentlichen Geiſt und die allgemeine Anlage des ſo feſt in feinen Theilen verflochtenen und zuſammenhängenden
Grundgebäudes überſehen oder verfarint hat , nichts weiter ſein, als ein zuſammengeleſenes Machwerk verſchiedener Stücke ? Dies iſt ebenſo unglaublich, als es unmöglich iſt. Denn die Einheit iſt ſowohl durch die unverkennbarſten inneren Beweiſe dargelegt , als auch durch das Zeugniß der angeſehenſten Ges währsquellen des Alterthums außer Frage geſtellt. Wenn die in der obigen Zergliederung mitgetheilten Thatſachen rich tig find“ , ſagt Mure am Schluſſe ſeiner langen und gründ lichen Unterſuchung , und die angeführten Beweisſtellen die Probe halten können , dann ſcheint es allerdings ſchwer, zu
begreifen , wie irgend ein unbefangener Leſer, der dieſe That fachen und Belege ſorgſam geprüft hat, es für möglich halten kann , daß eine Reihenfolge folcher wunderbar feiner Bild niſſe, die durch eine ſo fünſtliche Einheit des Baues verper ſönlicht find, und zwar nicht blos in den hervorragenden Zügen ihrer Eigenthümlichkeit, ſondern auch in den zarteſten Wendungen der Gefühle und der Ausdrudsweiſe, das Er zeugniß jenes Gemenges von Künſtlern ſein könne, denen die Wolf'ſche Schule fte zuſchreibt. Eben ſo wahrſcheinlich iſt es, daß zehn oder zwanzig Bildhauer im Zeitalter des Peris *) Mure, a. a. D. , Vol . I, B. II , Chapt. VII, §. 2. ** ] Aristote
De Poetica XXV.
1
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fles, deren jeder einen verſchiedenen Theil oder ein beſonderes
Glied zur Statue des Jupiter anzufertigen übernommen , den Olympiſchen Zeus des Phidias hervorgebracht hätten , als daß eine Anzahl Balladenfänger der vorolympiſchen Zeitrech nung fich vereinbart haben ſollten, vermittelſt eines ähnlichen flidwerferiſchen Verfahrens gemeinſchaftlich den Achilles oder Agamemnon, den Priamus oder den Heftor und die Helena Homers hervorzubringen . * ) Ein ſolches Gedicht fonnte aber auch nur das Erzeugniß des heroiſchen Zeitalters ſein , wie es in Geiſt und Ton deſſen getreueſtes Abbild enthält ; und wenn die Dichtkunſt ſeitdem
nichts in der Art hervorgebracht hat, was an Homer hinauf reichte; ſo erheiſcht die Gerechtigkeit gegen ſpätere Epifer (3. B. Taſſo, Arioſt, der Nibelungen , Gudrun und des Hermanns liedes nicht zu gedenken ), daß man das Zeitalter , in dem Homer lebte, und die darin enthaltenen günſtigen Umſtände, die er höchſt glüdlich benußte , bei der Beurtheilung in An ſchlag bringen muß, wozu noch die vorzüglichen Eigenſchaften und der unerſchöpfliche Neichthum der griechiſchen Sprache kommen, ein nicht geringer Vortheil, den alle neueren Dichter entbehren und ſelbſt die Nachfolger Homer's nicht mehr in gleichem Grade hatten, wenn ſie auch nicht die großen Eiger ſchaften und Befähigungen befaßen , die jener auserwählte
Liebling der Muſen in ſich vereinigte. **) „ Dort wird man ," ſagt ein orientaliſcher Reiſender, da er die bei ſeinem Auf enthalte im Thal Tempe in ihm erregten Gedanfen beſchreibt,
auf das lebhafteſte von der Einwirkung der Mythologie auf *) Mure : A critical History etc.
Vol . I, B. II, Chapt. VIII,
$ . 20 .
**) Grais ingenium , Grais dedit ore rotundo Musaloqui, praeter laudem nullius avaris. Horat. De Aate poëtica 323f
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die Entwicelung des menſchlichen Verſtandes durchbrungen,
vſowie von ihrer Neigung (inwohnenden Kraft), eine höhere ..Art des Strebens zu erregen , als blos durch äußerliche
„ Nothwendigkeit, den Aberglauben zu Kenntniſſen und die „ Unwiſſenheit zur Andacht zweddienlich zu machen ; denn wie ftarfe Gefühle der Ehrfurcht werden nicht der Einbildungss
„kraft bei dieſem Hange, das Vollfommene herzuſtellen , eins geprägt, welche Intereſſen werden nicht dadurch erweckt! „ Dryaden in den Wäldern, Najaden in den Flüffen, Genien „ an jedem Flecke, Geiſter in Jedermann , Vorzeichen eines jeden Ereigniſſes, die Kinder dunkler Myſterien, die in heiligen
Hainen hauſten, Götter auf den Bergen , und in den Ges ..ſtirnen die Deutung des menſchlichen Schickſals. Die noch „ nicht von feinen Werken unterſchiedene Gewalt des Schöpfers wwurde damals in ſolcher Weiſe in deren Geſtalten verehrt und in ihrer Vortrefflichfeit angebetet. Wir dagegen haben
ſchon als Kinder angefangen , die beſtändigen Folgerungen, die man in der materiellen Welt gewahrt, fennen zu lernen , „ehe wir noch die Wichtigkeit der Werfe des Schöpfers er rifahren oder deren Reize empfinden fonnten. Für uns iſt es „Daher unmöglich, jenes zugleid) einbildungskräftige und ans
„ dachtvolle Leben zu begreifen, das fühlte und bewunderte, ohne zu verſtehen. Den Alten war ein Kriſtall oder eine „ Blume in ihrer Schönheit unerflärlich ; ein jedes mußte daher
nzu einem lebenden Weſen gemacht werden , damit ſie ihre „ Bewunderung auszudrücken vermöchten, wodurch es entweder die Behauſung eines Genius oder die Verförperung eines
„Geiſtes wurde. Wir dagegen machen ein wiſſenſchaftliches „ Regiſter von ſolchen Gegenſtänden, nach Klaſſen und Familien, oder meſſen fte nach Winfeln und Graden.
Die im ftilen,
geheimnißvollen Dunkel der Nacht ſchimmernden Sterne konn.
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„ ten in ihrem Buſen nur dazu beſtimmt ſein, das Geſchick „ des einzelnen Menſchen, wie der Völfer zu überwachen. Als
„ aber die geheimnißvollen Kreisbewegungen von der Hand „ der Wiſſenſchaft gezeichnet wurden, da ſant die Aſtrologie zu meinem Wahn oder Betrug herab. Ein Weiſer des Alterthums konnte Nachts verwirrt durch den Anblic des geſtirnten " Himmels uniherwandern , und weil es ihm unmöglich war,
„ ihn zu verſtehen, ſo fühlte er den Eindruck davon um ſo .mehr ; das Stilſtehen des Verſtandes bewirfte das Ueber fließen des Gemüthes , und ohne in der Wifenſchaft der
Aſtronomie fortzuſchreiten, fonnte er von deſſen Betrachtung rin fröhlicherer Stimmung und mit edleren Gefühlen heim ,,kehren . Jeßt wiffen die Kinder ſogar den Lauf der Planeten, fammt den Entfernungen der Sphären init Geläufigkeit her: ozuſagen ! Blumen, Flüſſe, Berge und Sterne ſind zu Thatſachen zuſammengeſchrumpft und erfordern daher nicht länger Dichter rzu ihren Prieſtern. Die Einbildungskraft iſt mit gefenfter Fackel in die Erde verſunken , und dasjenige Weltall, das von „ ihrem Feuer lebte, iſt verblichen. Aber aus der Mythologie,
mjener Vereinigung von Forſchung und Verehrung, entſprang „ die Literatur , welche zu allen Zeiten das edelſte Erzeugniß des Menſchengeſchlechts geweſen. Wer an den llfern des Peneus gewandelt, der vermag fich noch gegenwärtig durch das Eins , athmen jener Luft zu laben , worin fie ihre erſten Züge „hauchte, und wird gerne an den Schaupläßen, die ſie gefeiert, » Zögern, über denen die Sonne des Nachruhms emporgeſtiegen viſt , nachdem der Stern ihrer Madyt bereits untergegangen wwar. “ *)
*) Urquhart's Spirit of the East. Vol. II., Chap. III., p. 25 sg.
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So war die Naturanſchauung des Alterthums , aus
welcher die damalige Religion und die olympiſchen Götter fich bald in der findlichen Einbildungskraft der Menſchen ents widelten , deren Geiſt immer nach etwas Höherem ſtrebte, aber weil der Schöpfer und ſeine Werfe nicht von einander getrennt wurden , nur jene finnlichen Göttergeſtalten mit au
ihren menſchlichen Gebrechen und Unvollfommenheiten zu Stande bringen fonnte, wie ſie uns in den Gedichten des Alter
thums überliefert worden ſind. Wenn jene Geſtalten auch dem Chriſten in der Seele zuwider ſind, und die vielen Verirrungen,
wozu ſte in den ſpäteren Zeiten des Verfalles Anlaß geben , einen ebenſo widerlichen als verächtlichen Eindruck auf den
Denker machen können ; ſo muß man den alten Griechen doch die Anerkennung widerfahren laſſen, daß ſie die ihnen in ihrer Räthſelhaftigkeit doppelt hehren Erſcheinungen der Natur, wie die erhabeneren Tugenden und Leidenſchaften des Menſchen in einer unvergleichlich dichteriſchen Weiſe aufgefaßt und auf eine höchſt volfsthümliche Art darzuſtellen gewußt haben. * ) *) Bouleau , De l'art poëtique, ſchildert den Charakter des Helden:
epos (grand épopée) in folgender Weiſe: D'un air plus grand encor la poésie épique, Dans le vaste récit d'une longue action, Se soutient par la fable et vit de fiction .
Là pour nous enchanter tout est mis en usage ; Tout prend un corps, une âme, un esprit, un visage. Chaque vertu devient une divinité : Minerve est la prudence et Venus la beauté,
Ce n'est plus la vapeur qui produit le tonnerre , C'est Jupiter armé pour effrayer la terre ;
Un orage terrible, aux yeux des matelots, C'est Neptune en courroux qui gourmande les filots ; Echo n'est plus un son qui dans l'air retentisse,
C'est une nymphe en pleurs qui se plaint de Narcisse Ainsi, dans cet amas de nobles fictions,
Le poète s'égaye en mille inventions, -
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In demſelben Maße aber, wie in ſpäteren Jahrhunderten das Vermögen, den Schöpfer von ſeinen Werfen zu unterſcheiden, fich ſchon bei den Heiden immer flarer ausbildete , trat der Unterſchied zwiſchen Göttern und Menſchen in gleicher Schärfe hervor. 3m heroiſchen Zeitalter gab es aber nur göttliche Menſchen und menſchliche Götter , wie fie die erſten Dichter beſangen. Der Himmel hatte ebenſowohl ſeine Höfe, Paläſte, „Handwerfe und Gewerbe, Heirathen, argliſtige Verwidelungen „uud Scheidungen, wie die Erde. Die Gemeinſchaft beider Stämme führte zu Liebesbändeln unter ihnen , woraus eine andere „ Quelle des Mißbrauchs und der Partheilichkeit bei Vers
waltung der irdiſchen Angelegenheiten entſprang. Denn, in „ dem Verhältniſſe wie die Beimiſchung göttlichen Blutes in „ den menſchlichen Adern dem Geſchlecht der Helden mehr Glanz verlieh, ſo verringerte die Beförderung Sterblicher zu
„den Ehren des Dlympos die Würde der himmliſchen Schaar." *) Orne, élève, embellit, agrandit toutes choses Et trouve sous sa main des fleurs toujours écloses.
Qu'Enée et ses vaisseaux, par le vent écartés, Soient aux bords africains d'un orage emportés; Ce n'est qu'une aventure ordinaire et commune,
Qu'un coup peu surprenant des traits de la fortune; Mais que Junon, constante en son aversion, Poursuive sur les flots les restes d'Ilion , Qu'Eole, en sa faveur, les chassant d'Italie Ouvre aux vents mutinés les prisons d'Eolie, Que Neptune en courroux, s'élevant sur la mer,
D'un mot calme les flots, mette la paix dans l'air, Délivre les vaisseaux, des syrtes les arrache,
C'est là ce qui surprend, frappe, saisit, attache ; Sans tous ces ornements le vers tombe en langueur,
La poésie est morte, ou rampe sans vigueur ; Le poète n'est plus qu'un orateur timide, Qu'un froid historien d'une fable insipide. * ) W. Mure a. a. D. Vol . I., B. II., Chap. 12. , $ 2.
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" Hierin, wie in andern Beziehungen ,“ fährt derſelbe Kritifer fort, gibt der Geiſt Homer's den ſeines Volkes wieder. Der „Charakter und die Vermittelung der Götter , wie er ſie an „ Deutet, vereinigen in fich die verſchiedenen Vorzüge und Mängel des volfsthümlichen Lelyrgebäudes.
Seine Bildniſſe
„ Der Himmliſchen , meiſtens vol des Großartigen und Schönen, ,,ſind zu ſehr geneigt, in's Plumpe und Unſtätige auszuarten, ,, und ſein übernatürlicher Mechanismus, der oftmals anges meſſen und wirfſam iſt, wird mitunter abgeſchmackt, verfehlt,
rund der friſchen Kraft der Handlung nachtheilig.“
Zu
ſolchen fchwachen Stellen gehört namentlich der Auftritt unter den Göttern am Ende des erſten Geſanges Der Slias : die
gelegentliche Sinnlichkeit des Zeus, die niedrigen Leidenſchaften
der Hera und die wenig angemeſſene Haltung des Häphäſtos. Aber dennoch wie viel ehrliche Derbheit findet fich nicht ſelbſt in allen dieſen Punften , durch deren Gegenſäße die würdes vollen und fittlich ernſten Theile noch mehr hervorgehoben werden. Dabei darf man aber nicht vergeſſen, daß es beinahe drei tauſend Jahre ſind, feit die Jlias gedichtet worden , und daß Homer nicht aus dem Geiſte ſeiner Zeit und ſeines Volfes heraustreten konnte. *) Wenn auch die aufgeflärten Köpfe der neueren Zeit manches nicht gerade ſehr Weſentliche an
ihm zu bezweifeln und zu tadeln gefunden ; ſo erfüllten ſeine Werke deſſenungeachtet ihre Beſtimmung ; denn nicht blos haben
fie den Ruhm der darin gefeierten Helden und ihrer Thaten verewigt , ſondern den Grund zur flaſftſchen Literatur und Kunſt des Alterthums gelegt, an welchen die neuere Bildung Europa's, ja der geſammten Welt ſich genährt hat, und welche * ) Er dichtete ja auch weder für ſpißfindige Kritifer und gelehrte Philologen - difficile est proprie communia dicere -- ſondern für die heroiſchen Hellenen .
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noch bis auf den heutigen Tag ein unübertroffenes Vorbild geblieben iſt; außerdem haben die größten Männer der Ges ſchichte den Einfluß der Homeriſchen Gedichte in den vers ſchiedenſten Hinſichten erfahren und anerfannt. Der große
und edle Sofrateš ſtarb mit den Worten Homer’s auf den Lippen *) ; Phidias , der größte Bildhauer , ward durch ſie zu
ſeinem vollendetſten Werke , der Bildſäule des olympiſchen Zeus, begeiſtert **) ; ihnen verdanken wir eine der anziehendſten Schriften des Ariſtoteles ***) und von deſſen Züglinge wiſſen wir, daß er an dem Grabhügel des Achilles darüber geweint, daß das Geſchic ihm feinen Homer beſchieden . +) Gleichwie die den zarteren Saiten der Leier entlocten Töne am helften und längſten nachhallen, ſo bleiben auch die
erſten Erinnerungen aus früher Kindheit mit der friſcheſten Lebennigfeit im Gedächtniſſe zurück. Smyrna war, zur Zeit,
da die Hellenen ihre ſchönſten Jugendjahre in dem alten Jonien verlebten, die " Zierde Aſiens " ; weshalb es auch eine faſt uns beſchreibliche Freude gewährt , dort im Rückblick auf die ſo reiche Vergangenheit zu weilen. Aber auch die Gegenwart
macht ihre gebieteriſchen Anſprüche, ſelbſt wo man am wenigs ften geneigt iſt, deren Stimme zu gehorchen , immer wieder geltend , und namentlich der Wanderer , deſſen Daſein ja in
*) Iliad. XVII . , 98, αυτίκα τεθναίην
.... wie Plato be:
richtet apud Socratem p. 28 D.
**) Mit Bezug auf Phidias ſ. Iliad. I. , 528. ' H , xui xvuvéyolv επ οφρύσι νευσε Κρονίων αμβρόσιαι δ'άρα χαϊται επεόδωσαντο άνακτος κρατός απ' αθανάτοεο " μέγαν δελελιξεν Ολυμπον . ***) Aistotel .
De Poëtica.
†) Bedürfte es der Beiſpiele mehr, ſo findet man deren in Longinus, De Subleme , cap : XIII.; wie auch das Geſtändniß des Ueſchylus und vieler Anderen aus alter und neuer Zeit, Gervinus, Pope, Boileau u. P. F.
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einer an einander gefetteten Reihenfolge von Uebergängen aus dem Heute in das Morgen beſteht, darf und kann nicht gegen ihre Mahnungen taub ſein, faum hat er ein Ziel erreicht, ſo muß er ſich ſchon nach dem nächſten auf den Weg machen. Meine leßten Reiſegenoſſen waren bereits nach allen Richtungen aus einander gegangen , und ſo mußte ich jest ganz vereinſamt nach Konſtantinopel aufbrechen , wo ich den Wiedereintritt des Frühlings abzuwarten gedachte, bis die
günſtigere Witterung es mir erlauben würde, das Innere Kleinaftens zu durchwandern .
In der zur Abfahrt feſtgeſeßten Stunde, die gegen Abend Statt finden ſollte, ging ich zur Marina, wo vor ſeiner fleinen Mauthbude der alte, bärtige ZoU -Kawaſch bereit ſtand, die Vorübergehenden zu überwachen . Da wir jedoch , in Folge
meiner täglichen Spaziergänge am Strande , einander nicht fremd -waren, ſo ließ er ungehindert mein Gepäck in das am Landungsplaße harrende Saït tragen und wünſchte mir, nachdem ich ihm ein Badſchiſch in die Hand gedrüdt, mit dem Ausruf: „Ew Allah Effendim “ eine glückliche Reiſe, worauf mich das ſpißſchnäbelige Boot eilends hinaustrug an Bord des vor dem Hafen bereit liegenden Dampfers. Bald ward der Anfer ge lichtet und das Schiff, dem man nicht mit Unrecht den Namen :
Vorwärts gegeben, trug uns raſch hinweg aus der ſchönen Bay , auf deren Uferlandſchaften wir noch von jenſeits des
Flaggenſchloſſes zurückblicten, bis ſie fich von den Schatten der Abenddämmerung umhüüt, in der Ferne verloren. Beiin
Eintritt der Nacht galt es natürlich , ein paſſendes Lager zu finden, was unter den obwaltenden Umſtänden nichts Leichtes war , und da ich der Legte geweſen , der ſich auf dem ſchon
fehr überfüllten Schiffe eingefunden , ſo wäre bei dieſer Ge legenheit die Wahrheit des alten Sprichwortes: wwer zuerſt
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kommt , mahlt zuerft“, beinahe in umgekehrtem Sinne an mir in Erfüllung gegangen , wenn nicht ein Bimbaſchi, *) der zwei Schlafftellen für ſich und ſein Gepäd in Beft, genom
men , durch die freundliche Vermittelung des Kapitäns ver anlaßt worden wäre, mir die eir e abzutreten . Der osmaniſche Krieger gerieth augenſcheinlich über dieſe Einrichtung auf ſeine Koſten in die verdrießlichſte Laune, daß er , der über hundert Mann unter ſeinem Befehle an Bord hatte , die genügend
geweſen wären, und alleſammt auf ſeinen Wint in's Meer zu fdfeudern, dem erſten beſten Mitreiſenden Blaß machen mußte, und während geraumer Zeit hörte ich noch aus der Neben
fammer, wie er durch ein zorniges Selbſtgeſpräch ſeinem Miß muthe luft machte. Da er jedoch nur auf die Giaours' im allgemeinen ſchimpfte, fo fonnte ich feine feiner ſchmeichel:
haften Ausdrücke auf mich perſönlich beziehen . Am folgendent Tage erfundigte er ſich ſehr höflich nach meinem Befinden und
ſchien nicht blos verſöhnt, ſondern wir wurden ſchließlich ſo gute Freunde, daß er mich einlud, nach unſerer Ankunft ihn in Sfutari zu beſuchen, was ich verſprach und gelegentlich that. Während der Nacht waren wir ziviſchen dem anatoliſchen Feftlaide und dem alten Lesbos, der heutigen Inſel Mitilene, hingefahren in dem tief nach Dſten einſchneidenden Buſen von Edremid, und hatten in der Nähe des alten Adramythium ' um Mitternacht angehalten, dann mit weſtlichem Laufe das alte Vorgebirge Lecton umſegelt und näherten uns , wieder gen Norden ſteuernd, Tenedos mit der gegenüberliegenden Stätte von Alerandria Troas. Zwiſchen dieſer Infet und dem Feft: lande hingefahren, gelangten wir bald auf die Höhe der troji
*) Dberſt der regelmäßigen Truppen. Dromander , länder des Oftens II.
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ſchen Ebene , die ſich gerade gen Often vor uns ausbreitete. Das Wetter begünſtigte feineswege die Fernſicht; denn es war faſt eben ſo rauh und ſtürmiſch , als da wir zwiſchen den Sporaden hinfuhren ; der Anblic des durch den großen Sänger verewigten Blachfeldes - von 3lion mit ſeiner Umgebung ift jedoch zu weit über alle äußerlichen Einwirkungen erhaben, als daß es den geringſten Unterſchied auf die Stimmung des Beſchauers ausüben fönnte, ob man es bei Sonnenſchein oder
bededtem Himmel fteht. Es war noch früh , der flüchtige Dampfer eilte längs dem geheiligten Geſtade hin , ganz wie einſt das Schiff der Phäafen, das den Odyſſeus nach Ithafa trug :
„Alſo erhob fich das Steuer des Schiffes und es route von hinten
„Groß die purpurne Wogé des lautaufrauſchenden Meeres.
„ Schnell und ſicheren Laufs enteilten ſie, nicht auch ein Habicht „ Flöge ſo hurtigen Flug, der geſchwindeſte aller der Vögel, „Alſo ſchnitt eilfertig der Kiel durch die Wogen des Meeres." *) Die Mehrzahl der Reiſenden ſchlief oder war ſeefrank in der Rajüte, nichts ftörte alſo die Empfindungen derer , die vom leeren Verbed das ruhmvolle Schlachtfeld betrachte en, wie es einjam und ſchweigend dalag , wo aber jeder Name an die Thaten gefeierter Helden erinnert, jeder Fled das Andenken einer Geſchichte bewahrt. An der ſandigen Küſte, wo iegt, wie damals ,
Bog' an Woge fich ſtürzt, vom Zephyros aufgewühlet
„ Weit auf der Höhe zuerſt erhebt fie fich, aber anjeßo „ Gegen die Veſte zerſchellt , laut donnert ſie und um den Vorſtrand * ) Odyss. XIII., 84 ff.
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Hångt fie frumm aufbrandend, und fernhin fpeit ſie den Salzſchaum “ *) zieht fich nördlich von der Beſchifa Bay bis an das Rap
Sigeion eine niedrige Hügelreihe an der ſchaumumgärteten Küſte hin, durch deren Zwiſchenthäler man in die ſich dahinter ausbreitende, ſumpfige und mit Schilf überwachſene Ebene des Skamander fieht, wo „ die Danaer zogen, Hauf an Hauf raft los gedrängt, in die Schlacht," **) die aber jeßt öde und zur Wildniß geworden iſt. Am Strande, wie in der Ebene, ers heben fich mehrere vereinzelte Grabhügel , und im Oſten ben grenzen dunfelbewaldete Höhen die Landſchaft, worüber aus dem fernen Südoſten die Kuppen des Jda und Gargarus emporragen , deren Geſtalten aber vom Schatten grauer Regens
wolfen, wie von einem düſteren Schleier umhült waren , als ob Kronion noch zur Stunde tort fäße, fern und abſeits von den andern Göttern , 34 überwachen.
den Rampf der Völker ungeftört
Jenſeits des Vorſprunges Sigeion liegt das heutige Dorf Jeniſcheher, von wo aus man die Grabhügel des Achilles und Patrofluß zur Rechten gewahrt, während ſich gerade rorwärts im Norden der Ihrafiſche Cherſones mit feinen rauhen Felſen erhebt. 3mbros und die Samothrafen blieben im dicen Gewölf
verborgen, ſo daß wir ſte nicht, wie man ſonſt zu thun pflegt, zu
Gefichte bekamen, ehe wir ſcharf um die Spiße von Rum Kaleffi, mit dem gleichnamigen Feſtungsſchloffe darauf, nach Nordoſt regelnd, in die Dardanellen einliefen , die nicht mit Unrecht von den Türken Bahr Sefid Boghazi, Schlüſſel der Meere, genannt werben, denn ihre Ufer find zu beiden Seiten mit den ſchwers' *) Iliad. IV. , 475 ff.
** ) Daſelbſt 427 f. 20 * 1
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bewaffnetſten Batterien von der Welt auf Meilenweite bes
feſtigt. Die bedrohliche Nähe derſelben fümmerte jedoch uns friedliche Reiſende nur wenig, als wir auf der flußähnlichen
Meerenge zwiſchen zwei Welttheilen ruhig hinglitten, bis wir Sultanieh Kale erreichten, bei welchem Orte auf einige Stun den angelegt wurde.
Zwiſchen Seſtos und Abydog iſt die engſte Stelle deg Hellespontes; dort reichen fich Europa und Aſien gleichſam nachbarlich die Hände, und man beherrſcht mit einem Blige
zwei beiſammen gelegene Welten, deren fonft in ihrer bunten
Mannigfaltigkeit ſo fremdartige und verſchiedene Geſchichten auf dieſem gemeinſchaftlichen Schauplaße Jahrtauſende hin durch in einer ununterbrochenen Reihenfolge gleicher Schidſalo wechſel verfettet und verwoben ſind. Daher der unerſchöpf
liche Reichthum dieſer Ufer an geſchichtlichen Erinnerungen, wo mehr denkwürdige Begebenheiten fich zugetragen und die mehr berühmte Männer aufzuweiſen vermögen , denn viele andere Orte zuſammengenommen. Hier haben Helden ges
fochten und andere Helden an den Gräbern der Gefallenen geweint, liebende ſehnſüchtig über die trennende Fluth hin übergeſeufzt, Dichter geſungen, Könige geopfert, Herrſcher in ftolzer Pracht gethront ; hier ſind die Völkerſchaaren Aftens und Europa's wechſelsweiſe hinüber und herüber geſtrömt, hier die Flotten faſt aller Länder ſeit den fabelhaften Zeiten der Argonauten bis auf die Gegenwart aus- und eingefahren. Was der Rubicon für Gäſar und den römiſchen Senat war, Das war der Hellespont für die ganze alte Welt und werden die Dardanellen noch für die Zufunft Europa's und Aftens fein. Der Ort ſpricht für ſich ſelbſt genug , ein Namenss verzeichniß der Männer und Thaten würde deſſen Ruhm nur
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entweihen, und man fühlt auf dieſem Boden zu viel, um es auf entſprechende Weiſe ausdrücin zu fönnen. Als nach mehrſtündigem Aufenthalte in der Hafenbucht von Sultanieh Raleffi der Dampfer Nachmittags weiterrauſchte und wir an der Stelle vorbeigefahren, wo die Schiffbrüde des Xerres geweſen ſein ſoll, hatten wir- bas jebige Dorf lamp ſafi , das anmuthig an einem Bergabhange in Lor:
beer- und Terebinthenhainen liegt, zur Rechten am afiatiſchen, und bald darauf Gallipoli am europäiſchen Ufer zur Linken ror Augen , welches leştere dem aſiatiſchen Gegner nur um Weniges an Reiz der lage nachſteht. Es iſt ein anſehnlicher
Drt mit 80,000 Einwohnern, der ſich aus dunkeln Cypreffen gruppen hart am Ufer erhebt. In deſſen Mitte fteht ein Hügel, den eine alte zerfallene Ringmauer mit einem runden Thurme aus den Genueſer- oder Venetianerzeiten frönt. Db wohl ſchon im Alterthume unter dem Namen Kallipolis,
Schönſtadt, befannt , foment es an Ruhm dem vormaligen Lampfafus doch nicht gleich ; denn dieſes war nicht allein der Zufluchts- und Gebursort berühmter Männer , ſondern auch
die einzige helleniſche Stadt jener Gegend , die es wagte, mit den Perſern gegen Alerander zu halten , und nur der großs müthigen Laune des Macedoniers und der ſchlauen Vermit telung des Sophiſten Anarimenes ſeine Rettung vor dem uns mittelbaren Untergang verbanfte. Was aber den Namen der Stadt, abgeſehen von allem anderen , beſonders verewigt hat, iſt der Umſtand , daß Thulydides in ſeiner meiſterhaften Schilderung des Themiſtokles ſie als eine der ſeinem großen landsmanne von Artarerres angewieſenen Ortſchafteners wähnt, *) unter denen lampſafus die beſondere Verpflichtung *) Thukydides I , 138.
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oblag, den griechiſchen Flüchtling und Gaft des Perſerfönigs mit Wein zu verſorgen , während Magneſia ihm , außer 50 Talenten, Brod , und Myos ſonſtige Lebensmittel lieferte. Dicht bei Lampſalus ergießt fich hinter einer flachen land zunge das Bächlein Kara Owaſu in die Meerenge , welches der alte Aegos Potamos war , wo der Lacedämoniſche Bes
fehlshaber Lyſander die leßte Seemacht der Athener vernichtete, und ſo die Entſcheidung und das Ende des Peloponeſt fchen Krieges herbeiführte, deren Schilderung aber leider der große Geſchichtſchreiber der Nachwelt nicht hinterlaſſen hat. Deftlich von Gallipoli hört die Meerenge auf ; denn von dort erweitert fte fich raſch , und man befindet ſich bald in
der Propontis, bie , nach wie vor , in den rauheren Jahres zeiten von Sturmwinden heimgeſucht, gefahrvol iſt, und als dann nur von Dampfſchiffen mit einiger Sicherheit befahren werden kann. Im Verlaufe der ſtürmiſchen Nacht, die auf die ruhigere Fahrt durch die Dardanellen erfolgte, hatte der „ Vorwärts " noch einmal Gelegenheit , ſich als ein tüchtiges Seeſchiff zu bewähren , indem es raſch und ungehemmt über die aufgeregten Fluthen des Marmora -Meeres hintanzte und fich bis zum nächſten Morgen , troß Wind und Wellen , der füdweſtlichen Einfahrt des Bosporus ſo weit genähert hatte, daß wir die türfiſche Hauptſtadt in ihrer vollen Pracht deuts lich vor Augen hatten, „ die, wie Seadeddin ſchreiht, van dem Zuſammenfluffe zweier Meere und zweier Erdtheile , als ein Diamant zwiſchen zwei Saphiren und zwei Smaragden ge faßt, den Edelftein des Ringes erdumfaffender Herrſchaft bildet". *) Das lođende Traumbild des zufünftigen Herrs *) 7. v. Hammer , Geſchichte des Domaniſchen Reiches.
S. 67. Nach dem Berichte des Geſchichtſchreibers Seadeddin .
Bd. I.
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ſcherſißes ſeiner Nachkommen , das Dsman I. vor der Seele ſchwebte, hat ſich wenigſtens in ſo weit verwirklicht, daß Konſtantinopel, wie Herr von Proteſch ſagt, „ die ſchönſte Stadt auf Erden iſt, ſo lange man ſie nicht betritt" . *) Möge dem Leſer vorläufig dieſe angenehme Täuſchung bleiben , ohne deren vortheilhaften Eindrud durch die nähere
Betrachtung der Schattenſeiten des Bildes zu verlieren , die ihm beim Landen in Galata nicht entgehen würden. *) v. Profeſch a . a. D. , Bd . I , S. 389.
Ende des zweiten Bandes .
„ Captatio benevolentiae ?
Hier ſei den geneigten Leſern und der müden Feder einſtweilen einige Ruhe vergönnt. Sollten dieſelben aber von den ferneren Wanderungen unterhalten zu werden wünſchen , ſo wird auch die Feder bald wieder reiſefertig ſein.
!
Druckfehler. Band II .
Seite
2 , Zeile 12 von unten lies fidein.c . für ein 26 . ave denen für den . 1
M
9 , Aum . lies Morier's für Porrier's , u. Morier für Norriers . 14, 3eile 16 von oben lies Rojen öl für Roſenvel .
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37 , ηmm.Tice οικονομία των οικονομίς ; υορκυαμάυ άτυοσκύαμάυ . 1
51 , Zeile 2 von oben lies verderbt füt verdirbt. ſtreide: ,, ſo findet man too bei denſelben " und 58 ,
14
11
lies : ,, offenbaren " nað : *
Karafters " .
88, Aum . ltes laetalvėre für ladalvine .
198, Anm . lies Toussoun für Vossony. 201. Zeile 14 von unten lies bei all u . für bei alle. 13 oben Scarpa nto für Scarponto. 208, !!
208,
Stampalia für S tüm palia .
16 !!
212 , Zeile 1 17 21% , 17
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T!
249 .
6 1
14
11
Strattis für Stratfis . Seidljinu für leidſinn . Yatagban für Gatag bans. jweitauſend.
allmählig . unten 5 278 , lies Preface ftatt Proface . 280 , Anm . 得**** Greece flatt Grèce . 281 , Zeile 15 von unten lies dem Grieden , ſagt G. , war
280, Aum.
.
14
284, Anm .
**
lies παίδων παίδες τίτ παίδωυπαίδες .
285, Anm . lies u . a . m . für a . u . in . 288. Anm . ** lies xxiv für XXVI ; 572
für 570. ühto für úrão.
!
και 290, Μπm. • όζους fur όσους ; αυαθηλώσει fit αυαθηλώσει . !
292, Zeile 6 von unten lies in bejonnen en . lies Grajis für Grais , Musa loqui für Musaloqui . 297 , Anm . **
303. Anm .
**
mehrere gr . Wörter ermangeln des Afzentes und Spiritus ;
lics aud iturátoto für útavároso . 303 lies Sublime für Subleme .