Griechische Staatstheorien: Platon und Aristoteles [Reprint 2019 ed.] 9783486753059, 9783486753042


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German Pages 90 [96] Year 1926

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung. Die griechischen Anschauungen vom Staate
Die geschichtliche Entwicklung
Das Gespräch der persischen Fürsten über die beste Verfassungsform (Herodot in 80—82)
Platons Staat
Die Gesetze
Aristoteles Politik
Anmerkungen

Griechische Staatstheorien: Platon und Aristoteles [Reprint 2019 ed.]
 9783486753059, 9783486753042

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Der

D r e i t u r m b ü ch e r e i N r. 2 6

Herausgeber: Jakob Brummer, München und Ludwig Hasenclever, Würzburg

Platon

Büste ini Vatikan.

Griechische Staatstheorien Platon und Aristoteles

Zusammengcsiellt von

Zritz Geyer

München und Berlin 19 2 6 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Vorwort. Es ist keine leichte Aufgabe, aus Platons „Staat" und „Ge­ setzen" und der „Politik" des Aristoteles eine einigermaßen be­ friedigende, das Wesentliche umfassende Auswahl auf so engem Raum zu treffen Manche werden Bedeutsames vermissen und Aufgenommenes für unwesentlich halten. Doch das ist das Schicksal jeder Auswahl, und der Zweck des Büchleins ist erfüllt, wenn der Leser eine Anschauung von der Gedankenwelt der großen Philo­ sophen erhält. Leider mußte der kunstvolle Aufbau der platonischen Dialoge dabei geopfert werden. Der Übersetzung habe ich für Platon die Oxforder Ausgabe von Burnet, für Aristoteles die Ausgabe von Susemihl-Jmmisch zugrunde gelegt. Zum Schluß bekenne ich dankbar die mannigfache Förderung durch die vorzüg­ liche Platon-Übersetzung von Otto Apelt und die Übersetzungen des Aristoteles von Stahr und Rolfes. Berlin, Pfingsten 1926.

Fritz Geyer.

Inhalt Seite

Vorwort..........................................................................................................

5

Die griechischen Anschauungen vom Staate...........................................

7

Die geschichtliche Entwicklung......................................................................... 10 Das Gespräch der persischen Fürsten über die beste Verfaffnngsform (Herodot m 80—82)....................................................................... 16

Platons Staat................................................................................................... 19 Die Gesetze....................................................................................................... 41

Aristoteles" Politik.......................................................................................... 60

Einleitung.

Die griechischen Anschauungen vom Staate. Die Grundlagen.

Die Griechen haben wie auf so vielen Gebieten auch auf dem Gebiete der Staatswissenschaft die wissenschaftlichen Grundlagen gelegt. Rein äußerlich erkennt man dies schon an den noch heute üblichen Begriffen Monarchie, Demokratie, Aristokratie, und auch das Wort Politik ist griechischen Ursprungs. Die Griechen sind das erste Volk gewesen, in dessen Staatswesen sich ein reges öffentliches Leben entwickelte, und sie haben sich auch als erste theoretisch mit der Lehre vom Staate beschäftigt und die möglichen Staatsformen einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen. Don ihnen haben die Römer, hauptsächlich durch die Vermittlung des Polybios, die politischen Theorien übernommen. Die Idee der Volkssouveräni­ tät, die die Grundlage für das Wirken der Gracchen bildete, ent­ stammte griechischer Staatsauffassung, und neuerdings ist gezeigt worden, daß auch der Prinzipat des Pompeius und Augustus letzten Endes auf der Übernahme des griechischen Gedankens von -em unbeamteten Vertrauensmann des Volkes beruhte. Im Mittelalter war Aristoteles der unbestrittene Meister auf dem Gebiete der Politik, und der Humanismus hat seine Be­ deutung noch gesteigert. Zugleich begann der Einfluß Platons, den die griechischen Gelehrten nach Italien mitbrachten, sich geltend zu machen; sein Jdealstaat gab die erste Anregung zu den immer wiederholten Versuchen, einen Staat mit möglichst idealen Ein­ richtungen der verworrenen Wirklichkeit gegenüber zu stellen. Auch die Lehre vom Naturrecht und vom Gesellschaftsvertrag als Grund­ lage des staatlichen Lebens, die in der Zeit der Aufklärung eine so tiefgehende Wirkung auf die Kreise des gebildeten Bürgertums aus-

übte, ist auf die Anschauungen der griechischen Sophisten zurückzuführen. Damals, im 5. Jahrhundert v. Chr., wurde das Recht, der Nomos, seines göttlichen Ursprungs entkleidet und als will­ kürliche Menschensatzung aufgefaßt, die zum Zweck der Staats­ gründung von der Mehrheit festgestellt worden war. Der Humanismus hat die Menschen der antiken Welt und ihre Schöpfungen idealisiert, und so begeisterte man sich bis in unsere Zeit für die wie es schien idealen Zustände der attischen Demokratie und die Vorkämpfer der Gleichheit aller Bürger, der Freiheit des Staates, wie etwa einen Demosthenes, den noch so einsichtige Männer wie der Engländer Grote, Barthold Georg Niebuhr und Ernst Curtius für einen idealen Vertreter wahrer Bürgerfreiheit und lautester Vaterlandsliebe hielten. So glaubte man auch in seinem Athen das Idealbild eines Freistaates zu sehen, in dem jedem Bürger volle Gleichheit vor dem Gesetze, volle individuelle Freiheit gewährleistet wurde. Die Losung: Freiheit und Gleichheit! wurde zum Schlachtgeschrei der Revolution, die Rechte, die der athenische Bürger genossen hatte, wurden zu den unveräußerlichen Menschen­ rechten und damit zu einem notwendigen Bestandteil der Ver­ fassungen, von der Verfassung des nordamerikanischen Staates Virginia an bis zu der neuesten Verfassung des Deutschen Reiches. Deshalb ist es noch heute von hohem Interesse und großem Werte, sich mit den Werken der griechischen Denker, besonders eines Platon und Aristoteles, zu beschäftigen. Sagt doch Heinrich von Treitschke in der Einleitung zu seiner „Politik": „Wer wahrhaft politischen Sinn sich erwerben will, der soll sich stählen in dem Stahlbad -es klassischen Altertums, das das größte theoretisch­ politische Meisterwerk hervorgebracht hat, die „Politik" des Aristoteles, vor der wir alle noch als Stümper stehen." Die Anlage der Griechen zur möglichst freien Entwicklung der Persönlichkeit hat auch ihre politischen Geschicke beeinflußt. Jeder Stamm hat eifersüchtig über seiner Eigenart gewacht, und das Gitterwerk des griechischen Gebirgssystems hat dann vollends eine starke Zersplitterung der Nation in politischer Hinsicht zur Folge gehabt. Jeder Gebirgsgau, rings von Felswänden umschlossen, meist nur auf Saumpfaden zu erreichen, wurde eine Welt für sich. Seine Bewohner, bald in Sprache und Sitte von den Nachbarn unterschieden, glaubten sich berechtigt, ein selbständiges politisches Leben zu führen. Die Burg, die vielfach den früheren Bewohnern abgenommen, sonst an geeigneter Stelle angelegt und ummauert

wurde, um bei einem feindlichen Angriff die Bewohner mit ihrer Habe aufjunehmen, wurde bald zum Mittelpunkt eines kleinen Staatswesens. In ihr hatten die Götter ihre Heiligtümer, die Regierung ihren Sitz. Auf einem freien Platze, der Agora, traten die Freien ;ur Beratung zusammen und entschieden über Krieg und Frieden. So wurde die Polis, die Siedlung, zum Staate, die Ausübung der politischen Rechte war an die Zugehörigkeit zu ihr geknüpft. Es entstand der für Griechenland typische Stadt­ staat, dessen Bewohner nur als Angehörige der Polis Bürger­ rechte besaßen, Bürger, Politen waren, mochten auch ihre Wohn­ sitze draußen auf dem Lande liegen. So vollständig ging der Staat in der Stadt auf, daß außer ihr keine selbständige Gemeinde im Staate möglich war, auch wenn der Staat sich durch Eroberung oder Zusammenschluß mehrerer Gemeinden über eine ganze Landschaft ausdehnte. Auch Attika hatte staatsrechtlich nur eine Polis Athen, und die Bewohner der Landschaft waren staatsrechtlich Athener. Diese eigenartige Staatsbildung, die nur räumlich kleine, in einem Mittelpunkt konzentrierte Staaten zuließ, ist ebenso verhängnisvoll für das Schicksal Griechenlands wie maßgebend für die politische Theorie der Griechen geworden. Jeder dieser Zwergstaaten ver­ teidigte hartnäckig seine politische Selbständigkeit (Autonomie) und setzte jedem Versuch nationaler Einigung Widerstand bis zum Äußersten entgegen; selbst vor würdeloser Bettelei um die Hilfe des Erbfeindes schreckte man nicht zurück. Andererseits war diese Form staatlichen Lebens dem Griechen so selbstverständlich geworden, daß ihm die Konzentration des öffentlichen Lebens in einer Stadt als Vorbedingung aller höheren Kultur erschien. Deshalb fällt für die politische Theorie Staat und Stadt zusammen, und weder ein Bundesstaat wie der Delisch-Attische Bund noch ein Staaten­ bund wie der Peloponnesische Bund wird von ihr berücksichtigt. Ebenso selbstverständlich ist es dem griechischen Staatsdenker, daß nur ein Staat, dessen Bürger jederzeit zur Ausübung der politischen Rechte zusammengerufen werden können, auf diesen Namen Anspruch erheben darf. Die großen staatlichen Gebilde der Barbaren, selbst das Perserreich, sind keine Staaten im eigent­ lichen Sinne. So beschäftigt sich die griechische Staatswissenschaft nur mit den Stadtstaaten, in denen das politische Leben der Hellenen seinen bezeichnenden Ausdruck gefunden hatte. Es ist ihr nicht ge­ lungen, darüber hinaus zu einem auch das „Volk" umfassenden Begriff vom Staate vorzudringen.

Die geschichtliche Entwicklung. Platon und Aristoteles.

Die verschiedene Veranlagung der griechischen Stämme, der Einfluß der Stammsitze auf ihre kulturelle Entwicklung, die Ver­ schiedenheit der geschichtlichen Bedingungen brachte eine außer­ ordentliche Mannigfaltigkeit auch in den staatlichen Zuständen hervor. Während die Stämme in Nordwestgriechenland bis zum Ausgang des selbständigen politischen Lebens die Stammes­ verfassung mit dörflichen Siedlungen bewahrten, entstand in den Handelsstädten der Ostküste neben dem Bauernstand eine immer stärker anwachsende Bevölkerungsschicht, die sich aus Kaufleuten, Schiffern, Handwerkern und Tagelöhnern jusammensetzte und ein unruhiges Element bildete. Hier mußte der grundbesitzende Adel, der das patriarchalische Königtum abgelöst hatte, auf ein Vorrecht nach dem andern verzichten, bis schließlich die volle Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetze, die Anteilnahme aller Bürger an der Staatsverwaltung erreicht war Demgegenüber behauptete in anderen Staaten, wie in Sparta und Thessalien, der Adel und damit der Grundbesitz seine führende Stellung. Und auch die Monarchie bestand bis in die klassische Zeit hinein, vor allem in der Form der Tyrannis. Ebenso lenkte das persische Königtum die Aufmerksamkeit der Griechen auf sich. Früh beschäftigte man sich deshalb in Griechenland theoretisch mit der Frage der besten Derfassungsform; das Gespräch, das bei Herodot die persischen Fürsten führen, ist ein Beweis dafür. Wie nun Athen als Muster einer ausgebildeten Demokratie galt, so erschien Sparta als Hochburg aristokratischer Zustände. Je unbefriedigender die politischen Verhältnisse in Athen wurden, um so mehr glaubte man in Sparta das Ideal des wahren, auf wirklicher Gleichheit aufgebauten Staates erblicken zu können. In schroffem Gegensatz zu der Wirklichkeit, die in Sparta einer kleinen, im Besitz des Bodens und damit der politischen Rechte befindlichen Minderheit gegenüber eine zahlreiche besitz- und recht­ lose Masse darbot, wurde die spartanische Verfassung von der IO

Legende mit allen Merkmalen einer den Forderungen der Gerechtig­ keit entsprechenden Verfassung ausgestattet. Platon läßt deutlich durchblicken, daß Sparta seinem Staat der Weisen am meisten entspricht. Der Grund zu dieser Verherrlichung des dorischen Militär­ staates durch die attischen Staatsphilosophen lag, wie schon an­ gedeutet, in den politischen Verhältnissen Athens. Die großen Staatsmänner, die Athen j«r Großmacht erhoben hatten, Themistokles und Perikles, hatten es für nötig gehalten, den besitzlosen Handwerkern und Taglöhnern als Entgelt für den Ruderdienst auf der Kriegsflotte die vollen bürgerlichen Rechte zu geben. Eine weitere Folge dieser Gleichstellung aller Bürger war die Gewährung von Diäten, damit auch die Handarbeiter ihre Rechte ausüben, an Gericht, Rat und Volksversammlung teilnehmen konnten, ohne ihren Verdienst zu verlieren. Dadurch wurden allmählich immer mehr Bürger daran gewöhnt, den Staat als ihren Brotgeber zu betrachten, die Gewährung von Staatsmitteln ju ihrem Unterhalt als ihr gutes Recht zu verlangen. Solange Perikles als Vertrauens­ mann des souveränen Volkes das Staatsruder in der Hand hatte und die Begehrlichkeit der unteren Schichten in Schranken zu halten wußte, traten diese Konsequenzen der vollen Demokratie noch nicht deutlich in Erscheinung. Als aber nach seinem Tode die Leitung des Staates an Demagogen kam, die sich durch Umschmeicheln der Masse im Besitz der Macht zu erhalten suchten, artete die Volks­ herrschaft immer mehr zu einer Massenherrschaft (Ochlokratie) aus. Die Gleichheit aller Bürger bestand nur noch auf dem Papier, in Wirklichkeit nutzte die unterste Klasse ihre zahlenmäßige Überlegen­ heit rücksichtslos zur Entrechtung der besitzenden Schichten aus. Die Demokratie wurde genau so wie die Aristokratie zur Klassen­ herrschaft. Alle, die noch Vermögen ihr Eigentum nannten, lebten in ständiger Angst vor einer Anklage und zahlten vielfach den gewerbsmäßigen Angebern (Sykophanten) regelmäßigen Tribut. Denn eine Anklage war fast immer gleichbedeutend mit Verurteilung. Die uns erhaltenen Gerichtsreden aus dem 4. Jahrhundert reden eine deutliche Sprache. Es kam sogar vor, daß der Ankläger den Volksrichtern die Notwendigkeit der Verurteilung eines reichen Angeklagten durch den Hinweis auf die Ebbe in der Staatskasse klar machte, die zwecks Auszahlung ihres Richtersoldes durch die Verurteilung des Angeklagten erst gefüllt werden müsse. Nur wer den Instinkten der Masse zu schmeicheln wußte, hatte Aussicht auf

Schonung. In der Politik machte sich ebenfalls die Rücksicht auf die unteren Schichten störend bemerkbar. In ten Volksversamm­ lungen herrschten die Schreier; häufig wurden Beschlüsse gefaßt, die den Staatsinteressen abträglich waren, und ebensooft wurden eben gefällte Entscheidungen in der nächsten Versammlung wider­ rufen. Die Folge dieser Verhältnisse war es, daß sich die vornehmen Charaktere angewidert jurückjogen und am öffentlichen Leben nicht mehr beteiligten. Diese Stimmung spricht aus der rhetorischen Wirksamkeit des Jsokrates und vor allem aus den Dialogen Platons. So bot Athen ein Zerrbild einer wahren Demokratie, in der Gleichheit und Freiheit nur dem Namen nach unveräußerliche Rechte aller Bürger waren. Die geschichtliche Entwicklung schien den unwiderleglichen Beweis geliefert zu haben, daß die volle Demokratie von dem Ideal einer auf Gerechtigkeit gegründeten Verfassung weit ablag. Sie diente nur den Interessen der herrschen­ den Klassen, und wahllos kamen geeignete und ungeeignete Männer an die Spitze des Staates. Während man sonst für jede Arbeit Fach­ kenntnisse voraussetzte, glaubte man die Leitung des Gemeinwesens auch dem Unwissenden anvertrauen zu können. Die individuelle Freiheit, die allerdings nur für den Mann aus dem Volke völlig gestchert war, führte zur Zersetzung des Staatslebens und zur rücksichtslosen Durchsetzung der eigenen Persönlichkeit. Die sophistische Lehre von der Relativität aller Wertmaßstäbe, von dem mensch­ lichen Ursprung der Gesetze, von dem Recht des Starken fand nirgends einen so empfänglichen Boden. Wo blieb da der Zweck des Staates, allen Bürgern ein möglichst glückseliges Leben ju gewährleisten, wo die Gerechtigkeit, die doch wie im privaten so auch im öffentlichen Leben allein die Grundlage der Glückselig­ keit sein konnte? Die Ungerechtigkeit, die Ungleichheit triumphierten in einem Staate, in dem keiner seines Lebens sicher war, in dem die nackte Selbstsucht herrschte. Die Gerechten, die Einsichtigen waren von jedem Einfluß ausgeschlossen; nichts galt das Wissen und die Erfahrung. Diese Zustände muß man sich vor Augen halten, um Platons „Staat" und „Gesetze" zu verstehen und zu würdigen. Der „Staat" handelt von der Gerechtigkeit. Damit ist deutlich ausgesprochen, daß der Staat die Gerechtigkeit verkörpern soll. Und nun stellt Platon dem Staat der Wirklichkeit den Jdealstaat gegenüber. In diesem muß von vornherein jeder Möglichkeit der Entartung vor-

gebeugt werden. Deshalb verbannt Platon aus seinem Staat alle die Einrichtungen, in denen er die Ursachen der Derfallserscheinungen sieht. Zn erster Linie waren dies das Privateigentum und die Leitung des Staates durch ungeeignete Kräfte. Der Wahn, daß jeder ohne Vorbildung die schwierige Kunst des Regierens ausjuüben vermöge, erschien Platon besonders gefährlich. Deshalb schied er aus der Gesamtheit der Bürger den Wächterstand aus, der durch eine bis ins einzelne geregelte geistige und eine gründliche körperliche Ausbildung zu seinem schweren Berufe vorbereitet werden sollte. Ohne Privateigentum, in Weiber- und Kinder­ gemeinschaft, nur dürftig ernährt von dem Nährstand, in ständigem Alarmzustand sollten diese Wächter ihr ganzes Leben in den Dienst des Staates stellen. Aber war es nicht unmöglich, diese im Besitz der Macht befindlichen Männer vor jedem Mißbrauch dieser Macht, vor jeder Begehrlichkeit nach dem Eigentum des Nährstandes zu bewahren? In der Antwort auf diese nur zu berechtigte Frage zeigt sich der idealistische Grundzug der platonischen Philosophie besonders deutlich. Der unerschütterliche Glaube an die Güte der menschlichen Natur war ihm mit Sokrates gemeinsam. Und damit verband sich die Überschätzung der philosophischen Erkenntnis. Die Tugend ist lehrbar; es bedarf also nur der richtigen Schulung des Geistes, um den Menschen tugendhaft zu machen. Wer die Erkenntnis der Tugend besitzt, der besitzt auch die Tugend selbst. Nur aus Unkenntnis wird gesündigt. So fallen schließlich das Gute und das Nützliche zusammen, und niemand wird freiwillig das Schlechte tun, da er weiß, daß es ihm schädlich ist. Also besaß die richtige Erziehung einen ungeheuren Wert, auf sie kam letzten Endes alles an, und so nimmt das Erziehungsproblem in den Ideal­ staaten Platons und des Aristoteles einen bevorzugten Platz ein. Für Platon besteht also die Gefahr des Amtsmißbrauchs durch die Wächter gar nicht. Sie sind glücklich, denn im Besitz der Er­ kenntnis tun sie das Gute. Aus ihrer Mitte gehen dann die Leiter des Staates hervor. Durch ständige Beobachtung von Jugend an, durch Prüfung der geistigen und körperlichen Anlagen werden aus der Schar der Wächter die Besten und Weisesten ausgesondert, die dann nach Er­ reichung des vorgeschriebenen Alters mit der Regierung betraut werden. Das sind die Philosophen, die nach Platon Könige werden müssen, damit es dem Staate gut gehe. Die übrigen Stände, die zur Erhaltung des Lebens nötig waren, interessierten den Philo-

sophen so wenig, daß man vergebens nach einer gesetzlichen Ordnung ihrer Verhältnisse sucht. Als sich Platon zu seinem Schmerze überzeugen mußte, daß sein Jdealstaat keine Aussicht habe, in die Wirklichkeit hinüber­ geführt zu werden — denn Platon war Idealist genug, um an die Möglichkeit einer Verwirklichung zu glauben —, da hat er in seinem Alter in den „Gesetzen" einen zweiten Staat entworfen, dessen Einrichtung den nun einmal bestehenden Zuständen starke Zuge­ ständnisse machte. Zwar sind auch in diesem Agrarstaat die eigent­ lichen Bürger von aller Erwerbstätigkeit befreit, aber das Privat­ eigentum ist zugelaffen, und von Frauen- und Kindergemeinschaft hören wir nichts. Größte Sorgfalt wird auch hier auf die Auswahl der Beamten verwandt, um möglichst Tüchtige in die leitenden Stellen zu bringen. Das wichtigste Amt aber ist wieder das des Leiters des Erziehungswesens (des Kultusministers), und einen breiten Raum nehmen die Anordnungen für die Ausbildung der Jugend und für die Fernhaltung alles Schlechten ein. Während in dem „Staat" Gesetze für überflüssig erklärt werben, füllt eine eingehende Strafgesetzgebung die letzten Bücher der „Gesetze". Aristoteles will abweichend von Platon zunächst nicht einen Jdealstaat zeichnen, sondern die geschichtlich wirksam gewordenen Verfassungsformen kritisch betrachten, um daraus Lehren für den Gesetzgeber und leitenden Staatsmann abzuleiten. So ist seine „Politik" eine praktische Einführung in das weite Gebiet der Wissenschaft vom Staate, die uns noch heute viele wertvolle Finger­ zeige geben kann. Erst am Schluß seines Werkes bringt er, gleichsam als Ergebnis seiner Untersuchungen, die ideale Staatsverfassung, die bei ihm viel weniger wirklichkeitsfremd ist als bei Platon. Aus den im ersten Abschnitt angeführten Gründen ist bei beiden Staatstheoretikern der Jdealstaat ein Stadtstaat von einer leicht zu übersehenden Größe, und beide legen großes Gewicht darauf, daß diese Größe möglichst erhalten bleibe, der Staat also nach Aus­ dehnung und Devölkerungszahl nicht zu groß und nicht zu klein werde. Beide stehen auch auf dem Standpunkt, daß der Bürger seine ganze Kraft in den Dienst des Staates stelle, wie ja der griechische Stadtstaat in seltenem, eigentlich nur noch in dem alten Rom er­ reichtem Umfange den Bürger für sich beansprucht und ein Gemein­ bewußtsein in der Bürgerschaft erzeugt hat, das nie wieder erreicht worden ist und den höchsten Ruhmestitel der griechischen Polis darsteüt. Die Handarbeit für den Erwerb des täglichen Unterhalts 14

erschien ihnen eines freien Bürgers nicht würdig. Daher darf derjenige, der, im Besitz der vollen Bürgerrechte, seine Pflicht dem Staate gegenüber erfüllen will, seine Zeit nicht mit erniedrigender Arbeit ausfüllen. In edler Muße soll er sein Leben hinbringen, es nur dem Dienste am Staate und der harmonischen Ausbildung der geistigen und körperlichen Kräfte widmen Die Handarbeiter, Kaufleute, Schiffer u. a. sind wohl für die Existenz des Staates not­ wendig, aber Bürger im eigentlichen Sinne sind sie doch nicht. Zwar werden ihnen nirgends rundweg die politischen Rechte abge­ sprochen, aber es ist überall zwischen den Zeilen die Abneigung gegen die unteren Volksschichten zu lesen, eine Folge der widrigen Zu­ stände in Athen. Die Staatstheorie der Griechen ist aristokratisch. Für eine eingehendere Beschäftigung mit diesen Problemen weise ich auf das klassische Werk von R. v. Poe hl mann hin: Ge­ schichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt. 2 Bände, 3. Aufl., besorgt von Fr. Oertel, München 1925. Sodann sind zu empfehlen die ausgezeichnete kurze Darstellung von M. Pohlenz, Staatsgedanke und Staatslehre der Griechen, Leipzig 192z (Wissenschaft und Bildung), und die Dorträge von H. v. Arnim, Die politischen Theorien des Altertums, Wien 1910. Außerdem möchte ich zur Einführung in die Gedankenwelt Platons und des Aristoteles empfehlen: U. v. Wilamowitz, Platon, 1. Band: Leben und Werke (Berlin 1919), und W. Jaeger, Aristoteles (Berlin 1923).

Das Gespräch der persischen Fürsten über die beste Verfaffungsform (Herodot in 80—82). 80. Nachdem die Aufregung sich gelegt hatte und fünf Tage verflossen waren, beratschlagten die Führer der Erhebung gegen die Mager über die Verfassung, und dabei wurden Reden gehalten, die einigen Hellenen unglaublich erschienen, aber doch gehalten wurden. Otaneö nun trat mit folgender Rede für die Übertragung der Herrschaft an die Gesamtheit der Perser ein: „Mir erscheint es richtig, nicht wieder einen zum Herrn über uns zu machen; denn das ist weder angenehm noch ersprießlich. Ihr wißt ja, wie weit der Übermut des Kambyses ging, und habt auch den Übermut des MagerS über euch ergehen lassen. Wie kann wohl auch eine Allein­ herrschaft eine wohl bestellte Sache sein, die, was sie auch will, ohne Verantwortung durchführen kann? Und wenn man auch den besten Mann an die Spitze stellte, würde er doch bald seine gewohnten Anschauungen aufgeben. Denn der Genuß der Macht wird ihn übermütig machen, und der Neid ist von Geburt an dem Menschen eingepflanzt. Wer aber diese beiden Laster besitzt, der ist ganz und gar schlecht. Denn nun begeht er teils aus Übermut, teils aus Neid viele frevelhafte Taten. Zwar sollte ein Alleinherrscher neidlos sein, da er alles Gute hat. Aber das Gegenteil lassen seine Handlungen gegen die Bürger erkennen. Denn er beneidet die Besten um ihr Dasein und freut sich über die Schlechtesten unter den Bürgern, versteht auch am besten, Verleumdungen entgegen-»nehmen. Er ist von allen am schwersten zu behandeln. Wenn ihn jemand mit Maßen lobt, so ist er ärgerlich, daß er nicht genügend umschmeichelt wird; wenn jemand ihm aber alle Achtung erweist, so ist er auf ihn böse als auf einen Schmeichler. Zu dem Schlimmsten aber komme ich jetzt: er beseitigt die väterlichen Gesetze, tut den Frauen Gewalt an und tötet ohne richterliches Urteil. Wenn aber die Gesamtheit herrscht, so hat dieser Zustand schon den allerschönsten Namen, nämlich Gleichheit vor den Gesetzen, und dann geschieht nichts von dem, was der Alleinherrscher tut. Die Ämter werden durch das Los besetzt und haben Rechenschaft abzulegen, alle Be­

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schlösse legen sie der Gemeinde vor. Ich bin also der Meinung, wir erhöhen die Gesamtheit jur Macht und beseitigen die Allein­ herrschaft. Denn beim Volke ruht die ganze Macht." 81. Diese Ansicht äußerte Otanes; Megabyzos aber trat mit folgenden Worten für die Herrschaft weniger (Oligarchie) ein: „Auch ich trete für die Beseitigung der Alleinherrschaft ein, aber wenn Otanes die Herrschaft der Gesamtheit übertragen will, so hat er nicht den besten Rat gegeben. Denn nichts ist unverständiger und übermütiger als eine unnütze Menge. Und dem Übermut eines Tyrannen entgehen, um dem Übermut einer ungezügelten Volks­ masse anheimzufallen, das ist ganz und gar unerträglich. Denn jener tut, was er tut, mit Verstand; bei dem Volke aber ist kein Verstand. Woher soll ihm auch die Einsicht kommen, da es doch weder etwas Gutes gelernt hat noch es aus eigenem Vermögen kennt? Es stürzt sich wie ein Gießbach ohne Verstand auf die Geschäfte. Die also den Persern BöseS gönnen, die mögen sich mit dem Volke einlassen, wir aber wollen eine Genossenschaft der besten Männer auserwählen und ihnen die Macht übertragen. Denn unter diesen werden auch wir sein, und die besten Männer werden doch wohl die besten Ratschläge fassen." 82. Megabyzos also trug diese Meinung vor, als dritter aber äußerte sich Dareios folgendermaßen: „Mir scheint Megabyzos über die Menge ganz richtig gesprochen zu haben, aber in betreff der Oligarchie hat er eine falsche Ansicht. Denn da drei Regierungs­ formen zur Wahl vorliegen, und in der Voraussetzung, daß alle, die ich nenne, in ihrer Art die besten sind: die beste Dolksherrschaft, die beste Oligarchie und der beste Alleinherrscher, sage ich, daß die letzte Form bei weitem die beste ist. Denn nichts kann wohl besser sein als die Herrschaft eines Mannes, der der Beste ist. Denn von solcher Gesinnung wird er das Volk untadelig leiten, und die Be­ schlüsse gegen feindlich gesinnte Männer bleiben so am besten geheim. I« der Oligarchie dagegen, wo viele nach der Tüchtigkeit zum Besten des Gemeinwesens streben, pflegen heftige private Feindschaften zu entstehen. Denn da jeder der erste sein und seine Ansicht durch­ setzen will, so verfeinden sie sich untereinander sehr, dann kommt es zum Aufruhr, und daraus entsteht Mord. Aus dem Morden aber pflegt die Alleinherrschaft vorzugehen, und daraus kann man schließen, -aß dies das Beste ist. Wenn wiederum das Volk herrscht, so muß Schlechtigkeit platzgrelfen. Hat sich diese aber eingenistet, so entstehen zwar keine Feindschaften zwischen den Schlechten, aber

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feste Freundschaften; denn die gegen das Gemeinwohl sündigen, stecken unter einer Decke. So geht es, bis einer an die Spitze des Volkes tritt und ihnen das Handwerk legt. Infolgedessen wird er vom Volke bewundert, und der also Bewunderte wird sich bald als Alleinherrscher zeigen. Und so geht auch daraus hervor, daß die Alleinherrschaft die beste Staatsform ist. Um alles in einem Satz zusammenzufassen: Woher ist uns die Freiheit gekommen und wer hat sie uns gegeben? Haben wir sie vom Volke, von einer Oligarchie oder von einem Alleinherrscher? Ich bin also der Meinung, da wir durch einen Mann befreit worden sind, so müssen wir diesen Zustand aufrecht erhalten, und außerdem sollen wir die guten väterlichen Gesetze nicht abschaffen. Denn das frommt nicht." (Die Ansicht des Dareios siegte, da die noch übrigen vier Fürsten sich ihm anschloffen.)

Platons Staat. Der Versuch, die Gerechtigkeit j» bestimmen, führt Sokrates auf den Staat.

Zweites Buch.

369a. Entstehung des Staates. Vielleicht wohnt in dem Größeren (der Staat ist gegenüber dem einzelnen Menschen das Größere) die Gerechtigkeit in größerem Maße und ist daher leichter erkennbar. Wenn ihr also wollt, wollen wir zunächst an den Staaten untersuchen, welcher Art sie ist. Sodann werden wir sie auch an dem einzelnen untersuchen, indem wir die Ähnlichkeit mit dem Größeren in der Erscheinung des Kleineren festzustellen suchen. — Wenn wir den Staat in Gedanken vor uns entstehen lassen, so werden wir doch auch die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit mit entstehen sehen. — Der Staat entsteht nun meiner Meinung nach aus der Erkenntnis des einzelnen, daß er sich nicht selbst genug ist, sondern vieler Mitmenschen bedarf. So lockt also einer den andern zu sich, den einen für dieses, den andern für jenes Bedürfnis, und da viele gebraucht werden, so kommen viele Genossen und Helfer auf einem Wohnplatz zusammen. Einer solchen Zusammensiedlung legen wir den Namen „Staat" bei. Es gibt dann einer dem andern von dem Seinen etwas ab, wenn es nötig ist, oder empfängt etwas von ihm, sobald er es für vorteilhaft hält.--------Das erste und größte aller Bedürfnisse ist nun die Beschaffung der Nahrung um der Existenz und des Lebens willen. Das zweite ist die Wohnung, das dritte die Kleidung und dergleichen. Wie wird nun der Staat einer solchen Aufgabe genügen können? Doch nicht anders, als daß der eine ein Bauer, der andere ein Baumeister, der dritte ein Weber ist? Oder wollen wir gleich auch noch den Schuhmacher oder irgendeinen andern Handwerker für persönliche Bedürfnisse hinzu­ fügen? Dann bestände also der auf das Notwendigste beschränkte Staat aus vier oder fünf Männern. Muß nun weiter jeder von ihnen seine Arbeit allen zugute kommen lassen, muß z. B. der Bauer für alle vier Nahrung schaffen und die vierfache Zeit und 2

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Mühe auf die Beschaffung des Getreides verwenden und so für die andern mitsorgen, oder soll er, ohne sich um die andern zu kümmern, nur für sich den vierten Teil des Getreides im vierten Teil ter Zeit beschaffen und von der übrigen Zeit ein Viertel auf den Hausbau und je ein Viertel auf die Herstellung des Gewandes und der Schuhe verwenden und so nicht für andere mitsorgen, sondern nar das selbst herstellen, was er braucht? (Der Mitunterredner Adeinantos erwiderte darauf, daß der erste Weg dem zweiten vorruziehen sei.) Sehr begreiflich, denn deine Antwort bringt mich zu der Einsicht, daß erstens von Natur keiner dem andern ganz gleich, sondern jeder von Natur verschieden veranlagt ist, einer für diesen, der andere für jenen Beruf. Ferner wird der, der nur ein Handwerk betreibt, seine Sache besser machen als der, der viele Künste ausübt. Auch das ist klar, daß nichts aus einer Sache wird, wenn jemand die rechte Zeit für die Arbeit verstreichen läßt. — Daher wird jede Leistung vollgültiger, besser und leichter, wenn einer sie nach seiner Veranlagung zur rechten Zeit vollbringt und von allem andern sich fernhält. Also bedarf der Staat für die Beschaffung der angeführten Bedürfnisse einer größeren Anzahl von Bürgern als vier. Denn der Bauer wird sich allem Anschein nach nicht seinen Pflug selbst anfertigen, wenn er gut werden soll, noch auch die Hacke und die übrigen Werkzeuge für die Landwirtschaft. Und ebenso steht es mit dem Baumeister; er bedarf ebenso vieler Helfer wie der Weber und Schuhmacher. Also werden Zimmerleute, Schmiede und viele andere Handwerker Genossen des kleinen Staatswesens werden und seine Bevölkerungszahl stark vermehren. Aber sehr groß wird sie auch noch nicht werden, wenn wir noch Rindere und Schafhirten und sonstige Hüter hinzufügen, damit die Bauern Ochsen zum Pflügen und sie wie die Baumeister Zugvieh für die nötigen Fuhren haben, die Weber und Schuhmacher aber Häute und Wolle. Den Staat aber in einer Gegend zu begründen, wo keine Einfuhr nötig ist, ist unmöglich. Er bedarf also auch der Kaufleute, die das Notwendige heranführen. Wenn nun aber der Kaufmann leer auszieht, ohne Waren, die jene anderen nötig haben, von denen man die not­ wendigen Dinge beziehen will, so wird er mit leeren Händen wieder abziehen. Man muß daher die heimischen Erzeugnisse nicht nur für den eigenen Bedarf Herstellen, sondern nach Art und Menge sich nach dem Bedürfnis der andern richten. Wir brauchen also eine größere Anzahl von Bauern und Handwerkern für unsern Staat. Und ebenso auch von den Kaufleuten für die Ein- und Ausfuhr.

Und wenn der Handel Seehandel ist, so wird er auch noch anderer bedürfen, die sich auf den Seehandel verstehen. Wie wird man dann weiter im Staate selbst die Erzeugnisse der Arbeit eines jeden den andern zukommev lassen? Denn deswegen haben wir ja die staatliche Gemeinschaft begründet. Offenbar doch durch Kauf und Verkauf. Also werden wir auch einen Markt und eine Münze als gültiges Tauschmittel erhalten. Wird nun der Dauer oder Handwerker, wenn er seine Waren auf den Markt bringt und nicht zu derselben Zeit kommt wie die, die seine Waren eintausche» möchten, seine Arbeitszeit auf dem Markte sitzend untätig ver­ bringen? Keineswegs; sondern es gibt Leute, die in Erkenntnis der Unmöglichkeit dieses Zustandes sich diesem Gewerbe widmen, in den zweckmäßig eingerichteten Staaten meist die körperlich Schwäch­ sten, die zu jeder anderen Arbeit nicht tauglich sind. Sie müssen auf dem Markt sich aufhalten, um denen, die etwas verkaufen wollen, dafür Geld zu geben und wiederum denen, die etwas kaufen wollen, die Ware für Geld abznlassen. Dieses Bedürfnis läßt also in unserer Stadt den Krämerstand entstehen. Oder nennen wir nicht Krämer die, die auf dem Markte kaufen und verkaufen, dagegen Kaufleute, die fremde Staaten besuchen? Weiter gibt es noch andere dienende Geister, die in bezug auf ihren Verstand keine sehr wertvollen Mitglieder der Gemeinschaft sind, aber hin­ reichende Körperkraft für schwere Arbeiten besitzen. Sie bieten ihre Kraft gegen Bezahlung an und nennen diese Bezahlung Lohn, weshalb sie meiner Meinung nach Tagelöhner heißen. So bilden danach auch Tagelöhner eine Ergänzung des Staatswesens.-------Nun laß uns untersuchen, wie bei dieser Einrichtung die Bürger ihr Leben zubringen werden. Werden sie nicht Getreide und Wein anbauen, Gewänder und Schuhe anfertigen, Häuser bauen, wobei sie im Sommer unbekleidet und unbeschuht, im Winter ausreichend bekleidet und beschuht sein werden? Sie werden sich nähren, indem sie aus Gerste Graupen und aus Weizen Mehl herstellen, und teils das Mehl knetend, teils backend, werden sie treffliche Kuchen und Brote aufRohr oder reine Blätter legen und, gelagert aufStreu von Winden und Myrrhen, werden sie mit ihren Kindern schmausen und Wein trinken, bekränzt und Lieder auf die Götter singend; auch werden sie die Freuden der Liebe genießen, ohne mehr Kinder zu erzeugen als für ihren Besitz angemessen ist, aus Furcht vor Armut und Krieg. (Ist schon diese Schilderung der Entstehung des Staates und der Lebensweise der Bürger reichlich ironisch, so steigert sich dies

noch in den folgenden Kapiteln. Die ganze Ausführung dient nur dem Zweck, die Entstehung der Ungerechtigkeit zu erklären. Ich bringe deshalb sogleich die Ausführungen über den Kriegerstand, der für die Verteidigung und Ausdehnung des Staates nötig ist.) 374a. Wir räumten beim Aufbau unseres Staates ein, daß unmöglich ein einzelner viele Künste gut ausüben könne. Scheint Dir nun die Kampfkunst eines Kriegers nicht zu den Künsten zu gehören? Muß man etwa der Kunst des Schuhmachens größere Sorgfalt zuwenden als der Kriegskunst? Nun verwehrten wir es doch dem Schuhmacher, etwa zugleich Bauer oder Weber oder Baumeister zu sein, damit er die Aufgabe eines Schuhmachers gut lösen könne, und ebenso gaben wir jedem von den andern nur einen Beruf, für den er veranlagt war und in dem er, frei von anderen Geschäften, sein Leben lang verharren und unter Aus­ nutzung der richtigen Zeit etwas Tüchtiges leisten sollte. Ist nun nicht die Aufgabe des Kriegers, wenn richtig gelöst, von höchstem Werte? Oder wäre sie so leicht, daß auch ein Dauer oder ein Schuster oder sonst ein Handwerker zugleich ein Krieger sein kann, obwohl schon eine vollkommene Ausübung des Brett- oder Würfelspiels nur dem gelingt, der es von Jugend auf betreibt und nicht nur gelegent­ lich sich ihm widmet? Braucht jemand nur einen Schild oder eine andere Waffe oder irgendein Kriegswerkzeug zu ergreifen, um sofort ein Meister im Kampf als Hoplit") oder in irgendeiner anderen Kampfesart zu sein, während sonst nirgends das bloße Werkzeug genügt, um einen Handwerker oder Athleten zu machen, vielmehr dem, der es ohne genügende Fachkenntnis und ohne hinreichende Übung in die Hand nimmt, gar keinen Nutzen gewährt? Dann wären ja die Werkzeuge sehr wertvoll. Also je größer die Aufgabe der Wächter (Krieger) ist, um so mehr bedürfen sie einer möglichst weitgehenden Befreiung von allen sonstigen Beschäftigungen und einer möglichst eindringenden Kenntnis ihrer Kunst und möglichst großen Übung darin. Bedürfen sie aber nicht außerdem auch einer für diese Aufgabe geeigneten Veranlagung? Es wäre also, so sieht es aus, unsere Pflicht, wenn anders wir ihr gewachsen sind, festzustellen, welche natürliche Ver­ anlagung für den Schutz des Staates geeignet macht. (Nach längerer Diskussion findet Sokrates, daß die Wächter des Staates von Natur philosophisch veranlagt, mutig. ♦) Ein Stern weist auf die Anmerkungen hin.

flink und stark sein müssen. Er geht dann auf ihre Er­ ziehung ein.) 376d. Wie soll also diese Erziehung sein? Es läßt sich wohl schwer eine bessere finden als die schon von der alten Zeit gefundene: für den Leib die Gymnastik, für die Seele die Musik. Nun werden wir wohl die Erziehung in der Musik früher beginnen lassen als die Leibesübungen. Zur musischen Ausbildung rechnest du doch auch die Erzählungen? Der Erzählungen aber gibt es zwei Arten: wahre und unwahre. Beide gehören zur Erziehung, zunächst die unwahren Erzählungen. Denn zuerst erzählen wir den kleinen Kindern Märchen, und die sind im ganzen doch Erfindung, wenn auch etwas Wahres in ihnen liegt. Die Märchen aber bringen wir früher an die Kinder heran als Leibesübungen. — Nun weißt du wohl, daß bei jedem Werk der Anfang am schwierigsten ist, zumal bei einem jungen und weichen Geschöpf. Denn in diesem Zustande läßt sich am leichtesten der Stempel aufprägen und die Form bilden, die man jedem geben möchte. — Deshalb müssen wir als erstes die Mythendichter*) beaufsichtigen und ihre guten Erzählungen an­ nehmen, die schlechten aber ablehnen. Die auserlesenen Geschichten werden dann nach unserem Wunsche die Ammen und Mütter den Kindern erzählen und ihre Seelen durch die Märchen viel mehr formen als ihre Körper durch die Hände; die Mythen, die sie jetzt erzählen, müssen aber größtenteils ausgeschieden werden. (Platon meint hier die Epen des Homer und Hesiod, die den Charakter der Götter und Heroen verzerren und Häßliches von ihnen berichten. Denn Gott ist in Wahrheit gut, und da das Gute nur Ursache des Wohlergehens sein kann, so ist Gott an allem Übel unschuldig. Also haben Homer und die anderen Dichter eine grundverkehrte Anschauung von den Göttern. Auch was sie von Erscheinungen der Götter in verschiedenen Gestalten, von Prophezeiungen und ähnlichen Dingen erzählen, ist der Götter unwürdig und daher Lüge. Die Lüge aber wird von Göttern und Menschen gehaßt. So muß es im Staate verboten sein, die Götter als Urheber des Übels zu bezeichnen und sie als Betrüger hinzustellen.) Drittes Buch.

386. Das also müssen nach unserer Meinung diejenigen über die Götter hören und nicht hören, die schon von klein an die *) Eia Stern weist auf die Anmerkungen hin.

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Götter und Eltern ehren und auf die Freundschaft untereinander keinen geringen Wert legen sollen. Wenn sie aber mannhaft werden sollen, müssen wir ihnen dann nicht Geschichten erzählen, die geeignet sind, ihnen die Furcht vor dem Tode möglichst zu benehmen? Oder glaubst du, jemand könne tapfer werden, der diese Furcht im Herzen trägt? Wer nun an die Erzählungen vom Hades und seine Schrecknisse glaubt, wird der ohne Furcht vor dem Tode sein und in der Schlacht den Tod der Niederlage und der Knechtschaft vorziehen? Wir müssen also, scheint es, auch auf diese Geschichten ein wachsames Auge haben und die, die ihre Darstellung unternehmen, bitten, sie möchten die Zustände im Hades*) nicht schlechthin ver­ lästern, sondern sie vielmehr loben, da sie sonst weder die Wahrheit reden noch denen nutzen, die einmal streitbare Männer werden sollen. (Es folgen eine Reihe von Stellen aus Homers Gedichten, die damit nicht im Einklang stehen; weiter muß auch das Jammern und Wehklagen angesehener Männer und achtbarer Frauen über den Tod abgestellt werden, da der Tod für einen Mann nichts Schreck­ liches sein soll.) 389. Aber auch die Wahrheit muß besonders hoch gehalten werden. Denn wenn wir eben mit Recht die Lüge als für die Götter unnütz, für die Menschen aber nur nützlich als eine Art Arznei be­ zeichnet haben, so darf ein solches Heilmittel offenbar nur in die Hände von Ärzten, nicht aber von Privatleuten gelegt werden. Den Regenten des Staates also, wenn überhaupt jemandem, kommt es zu, der Feinde oder Bürger wegen zum Nutzen des Staates die Unwahrheit zu sagen; allen andern aber ist derartiges verboten. Vielmehr, wenn ein Privatmann derartigen Regenten die Unwahrheit sagt, so wollen wir dies eine ebenso große und noch größere Sünde nennen, als wenn ein Kranker dem Arzt oder ein Jüngling beim Training dem Sportlehrer über seine körperlichen Leiden nicht die Wahrheit sagt, oder als wenn jemand dem Steuermann über das Schiff und die Matrosen falsche Auskunft erteilt.-------Tut aber unsern Jünglingen nicht auch Besonnenheit (Maß­ halten) not? Und besteht diese nicht für die Masse in Gehorsam gegen die Regenten und in Selbstbeherrschung in bezug auf die Freuden des Trinkens, der Liebe und des Mahles? (Auch in dieser Hinsicht bieten die Epen vieles, was für junge Leute nicht geeignet ist.

*) Ein Stern weist auf die Anmerkungen hin.

Daran schließt sich eine eingehende Erörterung über die Wiedergabe der Dichtungen. Auch hier ist darauf zu sehen, daß die Jünglinge nicht hören und sehen, was sich für freie, tapfere, besonnene Männer nicht schickt. Schauspieler, die alle Rollen darzustellen verstehen und darstellen wollen, sind im Staate nicht zu dulden. In demselben Sinne sind die Texte und Weisen der Lieder zu bestimmen.) 403. Erziehung in den Leibesübungen. Nächst der Musik müssen die Jünglinge in der Gymnastik erzogen werden. Auch in ihr müssen sie ihr ganzes Leben lang von klein auf sorgfältig aus­ gebildet werden. Und zwar erscheint mir das Verhältnis nicht so zu sein, daß ein tüchtiger Leib auch durch seine Tüchtigkeit die Seele gut macht, sondern im Gegenteil eine gute Seele durch ihre Tüchtig­ keit dem Leibe die denkbar größte Leistungsfähigkeit verleiht. So handeln wir also richtig, wenn wir nach genügender Ausbildung der Einsicht ihr es überlassen, die Ausbildung des Körpers sorg­ fältig zu überwachen, und selbst nur die Grundzüge angeben, um nicht weitschweifig zu werden. Daher müssen sie die Trunkenheit vermeiden; denn jedem andern steht es besser an als einem Wächter, in der Trunkenheit nicht zu wissen, wo er sich befindet. Es ist lächer­ lich, wenn der Wächter eines Wächters bedarf. Wie steht es nun mit der Ernährung? Denn die Männer find doch Wettkämpfer um den höchsten Preis. Wäre also die Lebensweise der Berufs­ sportleute auch für sie angebracht? Doch diese macht schläfrig und ist für die Gesundheit nicht zuträglich. Du stehst ja, wie sie ihr Leben verschlafen, und wenn sie ein wenig von der vorgeschriebenen Diät abgehen, in schwere und hitzige Krankheiten verfallen. Also müssen die zukünftigen Krieger eine weniger einseitige Lebensweise führen, da sie wachsam sein müssen wie Hunde und möglichst scharf­ äugig und hellhörig sowie auf den Feldzügen bei dem häufigen Wechsel des Wassers und der sonstigen Nahrungsmittel, dem plötz­ lichen Übergang von Hitze zu Kälte eine feste Gesundheit haben müssen. So muß es eine einfache und angemessene Gymnastik, vor allem für künftige Krieger, sein. (Oie folgenden Ausführungen beziehen sich auf die üblen Folgen der Völlerei und Verweichlichung. Die Ärzte sollen nur bei Krank­ heiten sonst gesunder Menschen herangezogen werden; durch und durch verseuchte und kranke Menschen sind ärztlicher Hilfe nicht wert.) 412. AuswahlderLeiterdesStaates. Aus den Wächtern müssen solche Männer ausgewählt werden, die nach genauer Prüfung ihres ganzen Lebenslaufes sich am meisten als die erweisen, die

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das von ihnen als für den Staat nützlich Erkannte mit voller Hin­ gabe ausführen, das Schädliche aber unter keinen Umständen tun werden. Man muß sie also meines Erachtens auf allen Lebensstufen beobachten, ob sie zuverlässige Beobachter dieses Grundsatzes sind und sich weder durch Schmeichelei noch durch Gewalt davon ab­ bringen lassen und es vergessen, daß man nur das für den Staat Beste tun dürfe. — Man muß also suchen, welche Männer die besten Bewahrer ihrer eigenen Überzeugung sind, nach der das zu tun. ist, was sie für das Beste zum Wohle der Stadt halten. Man muß sie schon in der Kindheit beobachten, ob sie bei dafür gestellten Aufgaben am leichtesten etwas Derartiges vergessen oder getäuscht werden, und wer sich als nicht vergeßlich und schwer zu täuschen bewährt, den muß man in Aussicht nehmen, den ander» aber als ungeeignet ausscheiden. Und ferner muß man von den Knaben Anstrengungen, Schmerzen und Wettkämpfe verlangen, bei denen dieselbe Beobachtung zu machen ist. Und drittens müssen sie auch Versuchungen ausgesetzt werden; man muß sie behandeln wie die Füllen, die man zur Prüfung ihrer Schreckhaftigkeit dem Getöse und Lärm aussetzt. So muß man auch die Jünglinge in Schrecken erregende Lagen bringen und sie dann wieder den Freuden des Lebens gegenüberstellen, indem man sie noch viel strenger als das Gold im Feuer prüft, ob sie Versuchungen schwer unterliegen und ihre edle Haltung in allen Lagen bewahren, ob sie strenge Hüter ihrer Persönlichkeit und der erworbenen musischen Bildung sind, sich in allen diesen Wechselfällen stets als maßvolle und harmonische Menschen bewährt haben, wie sie sich selbst und dem Staate am meisten nützen. Und wer stets als Knabe, Jüngling und Mann aus solcher Prüfung unbefleckt hervorgeht, den soll man zum Regenten und Wächter des Staates bestellen und ihm im Leben und Tode Ehren erweisen, indem man ihm das ehrenvollste Begräbnis und andere Gedenkzeichen zuerkennt. Jeden Mann andern Charakters soll man ausscheiden. So muß meiner Ansicht nach die Auswahl und Bestellung der Regenten und Wächter sein, um es in den Grundzügen, ohne auf Einzelheiten einzugehen, anzugeben. 416. Leben der Wächter. Außer dieser Erziehung müssen auch, das wird jeder Vernünftige zugeben, ihre Wohnungen und der sonstige Lebenszuschnitt so beschaffen sein, daß sie weder die Wächter hindern, so vorzüglich wie möglich zu sein, noch sie er­ mutigen, den anderen Bürgern Unrecht zu tun. Sieh also zu,

ob sie auf folgende Weise leben und wohnen müssen, wenn sie Männer der beschriebenen Art werden sollen. Erstens darf keiner irgendwie eigenen Besitz haben außer dem notwendigsten; dann darf keiner eine Wohnung oder Vorratskammer derart haben, daß nicht jeder, der will, Zutritt dazu hätte. Den Lebensunterhalt aber, so viel besonnene und mannhafte Kriegsmänner bedürfen, müssen sie als Lohn für ihr Wächteramt nach Schätzung von den übrigen Bürgern erhalten, und zwar ausreichend für den Bedarf eines Jahres, nicht zu wenig und nicht zu viel; wie auf einem Feldjuge kommen sie zu Tischgemeinfchaften zusammen und leben gemeinsam. In bezug auf Gold und Silber muß man ihnen sagen, daß sie es von den Göttern als göttliche Gabe in der Seele tragen und keines menschlichen Goldes dazu bedürfen; auch sei es sündhaft, den Besitz des göttlichen Goldes durch Vermischung mit dem Besitz irdischen Goldes zu beflecken, weil mit der gewöhnlichen Münze viel Sünde verübt worden, ihr Gold aber lauter sei. Ihnen allein von den Bewohnern der Stadt soll es nicht gestattet sein, Gold und Silber in die Hand zu nehmen und zu berühren, oder unter einem Dache mit ihm zu weilen oder es an sich zu tragen oder aus goldenen und silbernen Gefäßen zu trinken. So dürften sie dauernd vor sittlichem Fall bewahrt bleiben und damit auch dem Staate dauernden Bestand sichern. Wenn sie aber selbst eigenes Land, eigene Wohnung und eigenes Geld besitzen, so werden sie anstatt Wächter Hauswirte und Bauern sein, den anderen Bürgern werden sie statt als Helfer als feindselige Herren gegenübertreten, werden voller Haß und selbst gehaßt, hinterhältig und selbst von Nach­ stellungen bedroht ihr Leben hinbringen, in bei weitem größerer Furcht vor inneren als vor äußeren Feinden, sie selbst und die anderen Bürger am Rande des Verderbens. — (Gegen den Ein­ wurf, daß es mit dem Glück der Wächter schlecht bestellt sei, da sie, im Besitz der ganzen Macht, doch nichts von dem hätten, waS man gewöhnlich als Glück bezeichne, während die andern Bürger im Reichtum schwelgen könnten, antwortet Sokrates:) Zwinge uns nicht, den Wächtern ein Glück zu verschaffen, das sie zu etwas ganz anderem machen würde als zu Wächtern. — Wenn Flickschuster schlecht und unbrauchbar werden und sich trotzdem noch als Flick­ schuster gebärden, so ist das für den Staat nicht gefährlich. Wenn aber die Wächter über die Gesetze und den Staat dies nur scheinbar sind, so stehst du wohl ein, daß der ganze Staat von ihnen gänzlich zugrunde gerichtet wird; andererseits haben sie allerdings die Macht,

gut ju leben und sich im Glücke zu sonnen. Während wir also wirkliche Wächter schaffen, die am wenigsten dem Staate Übles zufügen, setzt der Vertreter des andern Standpunktes eine Art von Landbesitzern und glücklichen Festgenossen wie zu einem Volksfest und nicht wie es sich für einen Staat jiemt, in die Welt; er denkt also an alles andere als an einen Staat. Es muß deshalb untersucht werden, ob wir die Wächter im Hinblick darauf, daß ihnen das meiste Glück zuteil werde, einsetzen oder ob wir im Blick auf den ganzen Staat sehen müssen, daß ihm Glückseligkeit beschieden werde. Wir müssen diese Helfer und Wächter zwingen, diesem Grundsatz zu folgen, und müssen ihnen klar machen, daß sie möglichst tüchtige Vertreter ihres Berufes werden sollen, und ebenso auch alle andern Bürger. Während so der Staat gedeiht und gut eingerichtet ist, können wir ruhig Zusehen, wie die Natur jedem Stande Anteil am Glück zuweist. (Reichtum und Armut verderben nicht allein die Wächter, sondern auch alle Handwerker.) Glaubst du etwa, daß ein reich gewordener Töpfer noch Lust haben wird, sein Handwerk zu treiben? Er wird träger und gleich­ gültiger werden, also ein schlechterer Töpfer. Wenn er andererseits aus Armut nicht imstande ist, sich Werkzeuge und Material zur Ausübung seines Handwerks anzuschaffen, so wird er schlechtere Arbeit liefern und seine Söhne und andere Lehrlinge zu schlechteren Meistern erziehen. Beides also, Reichtum und Armut, macht die Arbeiten der Handwerker und sie selbst schlechter. So haben wir dem Anschein nach noch eine weitere Aufgabe für die Wächter ge­ funden, nämlich auf alle Weise darüber zu wachen, daß Reichtum und Armut nicht von ihnen unbeachtet sich in den Staat einschleichen. Denn der Reichtum macht üppig, faul und neuerungssüchtig, die Armut aber ruft außer der Neuerungssucht unfreies Wesen und schlechte Arbeit hervor. (Auf den Einwurf, daß im Falle eines Krieges gegen einen reichen Staat der Jdealstaat schlecht abschneiden würde, antwortet Sokrates, daß die für den Krieg erzogenen, abgehärteten Wächter leicht mit den weichlichen Feinden fertig werden würden. Auch würbe sein Staat leicht Bundesgenossen finden, da er die ganze Deute an Gold und Silber diesen überlassen könne. Schließlich sei ein reicher Staat eigentlich eine Vielheit von Staaten; wenigstens ständen sich in ihm Reiche und Arme feindlich gegenüber, und so könne stets eine Partei gegen die andere ausgespielt werden.)

Solange der Staat in der angegebenen Weise besonnen ge­ leitet wird, wird er der größte sein, nicht dem Scheine nach, sondern in Wahrheit, und wenn er nur 1000 Verteidiger hat. Denn einen in diesem Sinne großen Staat wirst du nicht leicht unter den Hellenen oder Barbaren finden, dem Äußeren nach aber viele, sogar vielmal größere als diesen. Dies wäre für unsere Regenten zugleich der beste Anhalt, wie volkreich der Staat werden darf und wie groß im Verhältnis zur Volksmenge das Landgebiet abgemessen werden muß unter freiwilligem Verzicht auf weiteren Besitz: solange der Staat trotz seines Wachstums eine Einheit bleibt, darf er ver­ größert werden, darüber hinaus aber nicht. Also werden wir unseren Wächtern noch den Auftrag geben, mit allen Kräften darüber zu wachen, daß der Staat weder zu klein noch dem Anschein nach groß werde, sondern gerade groß genug sei und eine Einheit bleibe. — Eine noch leichtere Aufgabe stellen wir ihnen mit dem Verlangen, wenn den Wächtern ein untauglicher Sohn geboren werde, ihn den andern Ständen zu überweisen, wenn aber den andern ein tüchtiger beschert wird, ihn unter die Wächter aufzu­ nehmen. Dies soll klarstellen, daß auch die andern Bürger zu dem einen bestimmten Berufe hingeführt werden müssen, zu dem sie von Natur bestimmt sind, damit jeder, den ihm zukommenden Beruf allein ausfüllend, eine geschlossene Persönlichkeit und nicht durch Vielgeschäftigkeit zerrissen werde und so der ganze Staat eine natürliche Einheit bilde und nicht eine Vielheit. — Werden die Wächter durch gute Erziehung verständige Männer, so werden sie dies alles leicht regeln und noch anderes, was wir jetzt übergehen. Heiraten, Ehen und Kindererzeugung, nämlich daß dies alles nach dem Sprichwort erfolgen muß: Freunden ist alles gemeinsam. Und wenn ein Staat einmal ordentlich auf den Weg gebracht ist, so geht er von selbst vorwärts in zunehmender Kraft. Denn eine tüchtige, fortgesetzte Erziehung und Ausbildung fördert die Naturen zum Guten, und tüchtige Naturen, von solcher Bildung ganz ergriffen, werden noch besser als die früheren, in anderer Hinsicht sowohl wie auch in bezug auf die Fortpflanzung, wie man dies auch bei den Tieren beobachtet. So müssen also, um es kurz zu sagen, die Leiter des Staates darauf sehen, daß in der gymnastischen und musischen Bildung sich keine Neuerung durchsetze, sondern daß das Bestehende bewahrt bleibe. (In einem solchen Staate sind Gesetze über das Benehmen gegen Ältere, über die Kleidung, über den geschäftlichen Verkehr,

über Beleidigungen, über die äußere Ordnung nicht nötig, ja nicht einmal die Bestellung von Richtern. Mit dieser Art von Gesetzgebung und Verwaltung sollte sich kein wirklicher Etaatsmann befassen. Denn in einem schlecht geordneten Staat sind solche Gesetze nutzlos, in einem gut geordneten überflüssig. Es bleibt nur noch übrig, vom Apollon in Delphi Anordnungen über die Gründung von Heiligtümern, Einrichtung von Opfern und den sonstigen Kultus einzuholen. Der so geordnete Staat ist vollkommen gut. Man findet in ihm die Tugenden der Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit. Als Sokrates dann zu der Bestimmung der Ungerechtigkeit übergehen will, wird er von seinen Mitunterrednern darauf aufmerksam gemacht, daß er ihnen noch die Erörterung der vollen Gemeinschaft an den Frauen und Kindern schuldig sei. Glaukon sagt:) 450. Laß dich die Mühe nicht verdrießen, uns auf unsere Fragen deine Ansicht zu entwickeln, wie es mit der Gemeinschaft unter den Wächtern gehalten werden soll in bezug auf Frauen, Kinder und die Erziehung der Kleinen in der Zeit zwischen Geburt und Unterricht, die doch als besonders mühevoll gilt. (Rach einigen Vorbemerkungen beginnt Sokrates dann mit der Betrachtung der Frage.) 451. Frauen - und Kindergemeinschaft. Für Menschen von der geschilderten Anlage und Erziehung gibt es meiner Ansicht nach keine andere schickliche Art des Besitzes und des Genusses von Weibern und Kindern als die, welche dem Anlauf entspricht, den wir zuerst genommen haben. Wir ver­ suchten nun doch in unserer Untersuchung, die Männer als Wächter einer Herde hinzustellen. Wir wollen ihnen also auch eine dementsprechende Geburt und Aufzucht geben und untersuchen, ob sie uns als angemessen erscheint oder nicht. Sollen nun nach unserer Meinung die weiblichen Schäferhunde zusammen mit den männ­ lichen wachen, auf die Jagd gehen und alle anderen Pflichten er­ füllen oder sollen sie uns drinnen das Haus hüten als unabkömm­ lich wegen des Gebärens und Aufziehens der Jungen, die Männchen dagegen allein die Mühen übernehmen und den Wachdienst bei den Herden? Sie sollen alles gemeinsam verrichten, nur mit dem Unterschied, daß wir bei der Verwendung auf das schwächere und stärkere Geschlecht Rücksicht nehmen. Wenn wir nun die Weiber zu denselben Verrichtungen verwenden wollen wie die Männer, so müssen sie auch denselben Unterricht erhalten. Auch die Weiber

müssen also in Musik und Gymnastik wie im Kriegshandwerk unterwiesen und in der gleichen Weise verwendet werden. Es dürfte nun vieles von dem, was wir jetzt sagen, als wider die Ge­ wohnheit verstoßend lächerlich erscheinen, wenn es in die Wirklich­ keit versetzt wird. Wird dir nicht das als das Lächerlichste er­ scheinen, daß die Frauen nackt zusammen mit den Männern in den Turnanstalten üben, nicht nur die jungen, sondern auch die älteren, wie auch die Greise in den Gymnasien, wenn sie runzlig und nicht mehr angenehm anzuschauen sind, den­ noch die edle Turnkunst lieben? Wir dürfen uns aber, nachdem wir einmal die Erörterung begonnen haben, vor den Witzen der geistreichen Leute nicht fürchten, was sie alles sagen werden gegen eine solche Veränderung in den Gymnasien, in der Ausübung der Musik, nicht am wenigsten aber in bezug auf die Handhabung der Waffen und das Reiten. Aber da wir nun einmal mit der Behandlung dieser Frage begonnen haben, wollen wir sie bitten, über diese Forderung nicht zu witzeln, sondern sich zu erinnern, daß noch vor nicht langer Zeit den Hellenen als schimpflich und lächerlich erschien, was es noch heute den meisten Barbaren ist, nämlich das Auftreten nackter Männer; und als zuerst die Kreter, dann die Spartaner anfingen mit gymnischen Übungen, da haben die damaligen Witzbolde alles dies verspotten dürfen. Aber als ihnen, glaube ich, durch die Erfahrung das Entblößen sich praktischer erwies als das Verhüllen gewisser Körperteile, da schwand das Lächerliche des Anblicks dahin vor der durch Gründe nachgewiesenen Zweckmäßigkeit. Und es stellte sich heraus, daß der ein Tor ist, der etwas anderes für lächerlich hält als das Schlechte, der beim Ver­ such, Lachen zu erregen, seine Augen auf etwas anderes richtet als das Unvernünftige und Schlechte und der dem Schönen ein anderes Ziel setzt und ihm ernstlich zustrebt als das Gute. (Sokrates macht sich selbst den Einwurf, daß die Verschiedenheit der männlichen und weiblichen Natur auch die Notwendigkeit nach sich zieht, Männern und Frauen verschiedene Tätigkeit zuzuweisen. Demgegenüber bestreitet er die verschiedene Natur der Männer und Frauen.) Wenn also das Geschlecht der Männer und das der Frauen für irgendeine Kunst oder eine andere Beschäftigung verschieden veranlagt erschiene, so werden wir erklären, daß jedem die ihm ent­ sprechende Betätigung zuzuweisen sei. Wenn sie sich aber nur darin unterscheiden, daß das weibliche Geschlecht gebiert, daS männliche

erzeugt, dann werden wir behaupten, es sei dadurch in keiner Weise bewiesen, daß im Sinne unserer Erörterung das Weib sich vom Manne unterscheide, sondern wir werden dann weiter überzeugt sein, daß die Wächter und ihre Frauen dieselben Pflichten zu er­ füllen haben. — Es gibt nun keine Beschäftigung in der Verwaltung eines Staates, die einem Weibe als Weib und einem Manne als Mann zukäme; sondern die natürlichen Anlagen sind in ähnlicher Weise auf beide Geschlechter verteilt, und von Natur hat die Frau den gleichen Anspruch auf alle Beschäftigungen wie der Mann; für alle aber ist das Weib schwächer als der Mann. Sollen wir also dem Manne alles zuweisen, dem Weibe nichts? Vielmehr können wir auch meiner Meinung nach sagen, daß die eine Frau von Natur für den Beruf des Arztes veranlagt ist, die andere nicht, die eine für die Musik, die andere nicht. Dann gibt es aber auch Frauen, die für die Gymnastik oder das Kriegshandwerk Anlagen besitzen, während andere unkriegerisch und der Turnkunst abgeneigt sind. Und ebenso Freundinnen und Feindinnen der Wissenschaft (Weisheit), feurige und gleichgültige Charaktere. Und so ist auch eine Frau zum Dienst des Wächters geeignet, die andere nicht, denn die natürliche An­ lage zu diesem Staatsamt besitzen Männer und Weiber, nur die einen stärker, die andern schwächer. Also müssen für Männer solcher Veranlagung auch gleich veranlagte Frauen für gemeinsames Leben und gemeinsamen Dienst ausgewählt werden, da sie ja dafür geeignet und von Natur ihnen verwandt sind. — So sind wir also wieder bei unserem früheren Satze angelangt und stimmen darin überein, daß eine Ausbildung der Frauen der Wächter in Gymnastik und Musik nicht naturwidrig sei. Wir setzten also keine unmöglichen und frommen Wünschen gleichenden Dinge in unserem Gesetze fest, sondern gaben das Gesetz in Übereinstimmung mit der Natur. Vielmehr ist dem Anschein nach das jetzt übliche gegenteilige Ver­ fahren naturwidriger. — Wir müssen nun darüber ins klare kommen, ob das Mögliche auch das Beste ist. Um also eine Frau zum Dienst des Wächters geeignet zu machen, wird es dort keiner anderen Erziehung bedürfen als beim Manne, zumal es sich um dieselbe Naturanlage handelt. (Durch den Unterricht in Musik und Gymnastik werden die Bürger und Bürgerinnen so trefflich werden wie nur möglich, und dies wird dem Staate zum größten Segen gereichen.) Also müssen die Frauen der Wächter sich entkleiden, da sie ja in die Tugend statt eines Gewandes gehüllt sind, und sich am Z2

Kriege und dem ganzen Wachdienst für den Staat beteiligen und dürfen nichts anderes betreiben. Den Frauen ist aber bei allen Diensten die leichtere Arbeit zuzuweisen wegen der Schwäche ihres Geschlechts. Der Mann aber, der über die nackten Frauen lacht, die des allgemeinen Besten wegen sich entkleiden, scheint nicht zu wissen, worüber er lacht und was er tut. Denn es gilt doch und wird stets gelten als der schönste Ausspruch, daß das Nützliche schön und das Schädliche häßlich ist. — Die nächste Welle, die wir zu überwinden haben, wird dir noch größer erscheinen. Alle diese Frauen müssen allen diesen Männern gemeinsam angehören, und keine darf mit irgend jemandem allein zusammen­ wohnen; und auch die Kinder müssen gemeinsam sein, und weder der Vater darf sein Kind kennen noch das Kind seinen Vater. — Ich glaube nun nicht, daß die Nützlichkeit dieser Anordnung bestritten werden wird, als wäre es nicht das Beste, wenn die Frauen und Kinder gemeinsam wären; aber über die Möglichkeit der Durch­ führung wird, glaube ich, der heftigste Streit entbrennen. — Jetzt dagegen möchte ich die Frage nach der Möglichkeit auf­ schieben und erst später untersuchen, also setze ich die Möglichkeit voraus und werde erörtern, wie die Regenten diese Angelegenheit regeln werden und daß ihre Durchführung für den Staat und die Wächter von größtem Nutzen sein wird. Dies will ich zuerst mit dir zu betrachten versuchen und später erst jene andere Frage, wenn du zustimmst. Wenn nun die Regenten dieses Namens würdig sein werden und in gleicher Weise ihre Helfer, so werden diese meiner Meinung nach bereit sein, die Befehle auszuführen, jene aber werden ihre Befehle teils in Befolgung der Gesetze, teils, soweit wir ihrem Ermessen freien Spielraum lassen, im Geiste derselben erlassen. Du wirst also als Gesetzgeber, wie du die Männer ausgewählt hast, auch die Frauen auswählen und ihnen möglichst gleichartige zuweisen. Sie aber werden Wohnung und Mahlzeiten mit­ einander teilen, ohne daß jemand einen eigenen Haushalt führt, und in Gemeinschaft lebe», und da sie in den Gymnasien und sonst während der Erziehung auch eng zusammenleben, so werben sie meiner Meinung nach durch den eingeborenen Trieb zur ehelichen Gemeinschaft geführt werden. Man kann hier nicht von geometrischen Gründen, wohl aber von dem Bedürfnis der geschlechtlichen Liebe sprechen, welches viel stärker als jene die große Menge zu überzeugen und mit sich zu reißen vermag. Aber ohne Ordnung geschlechtliche

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Gemeinschaft zu pflegen oder irgendetwas anderes zu tun, ist weder Gott wohlgefällig im Staate der Glücklichen, noch werden es die Regenten julaffen. Es ist also klar, daß wir demnächst Hochzeiten veranstalten werden, und zwar so geheiligte wie nur möglich, und als geheiligt werden wohl die nützlichsten gelten müssen. Wie werden fie nun wohl am nützlichsten sein? Darüber gib mir Auskunft, Glaukon. Denn ich habe in deinem Hause Jagdhunde und eine große Anzahl von Hähnen edler Rasse gesehen. Da hast du doch gewiß deine Aufmerksamkeit auf ihre Hochzeiten und Zeugungen gelenkt, und zwar sind und werden, wenn auch alle einer edlen Rasse angehören, doch einige die besten. Suchst du nun von allen gleichmäßig Nachkommenschaft zu bekommen oder nach Möglichkeit nur von den besten? (Von den besten.) Und von den jüngsten oder ältesten oder von den im kräftigen Alter stehenden? (Von diesen natürlich.) Wenn die Zeugung nicht so vor sich geht, so wird doch deiner Meinung nach das Geschlecht der Hähne und Hunde zurückgehen? Und steht es nicht ebenso mit den Pferden und den anderen Tieren? — Danach müssen also die besten Männer so häufig wie möglich mit den besten Frauen geschlechtlich verkehren, die schlechtesten aber so selten wie möglich mit den schlechtesten. Jener Kinder sind aufzuziehen, die andern nicht, wenn die Herde so vollkommen wie möglich sein soll. All dies muß allen außer den Regenten verborgen bleiben, wenn wiederum die Herde der Wächter so viel wie möglich ohne Zwietracht leben soll. Es müssen also gesetzlich gewisse Feste und Opfer eingeführt werden, bei denen wir die Bräute und Bräutigame zusammen­ führen, und unsere Dichter müssen zur Feier der Hochzeiten passende Hymnen dichten. Die Zahl der Hochzeiten aber werden wir in das Ermessen der Regenten stellen, damit die Zahl der Bürger unter Rücksicht auf Kriege, Krankheiten und derlei Heimsuchungen möglichst gleich groß bleibt und unser Staat nach Möglichkeit weder zu groß noch zu klein wird. Es muß also meiner Meinung nach eine schlaue Verlosung ver­ anstaltet werden, damit der Schlechte bei jeder Vermählung nicht dem Regenten, sondern dem Zufall die Schuld gebe. Und den im Kriege und sonstwie sich auszeichnenden jungen Männern muß man außer andern Ehrengaben und Kampfpreisen auch häufiger die Erlaubnis ehelicher Gemeinschaft mit den Frauen erteilen, damit zugleich unter diesem Vorwand so viel Kinder wie möglich von ihnen erzeugt werden.

Die geborenen Kinder nehmen dann die damit beauftragten Behörden zu sich, die aus Männern ober aus Frauen oder aus beiden bestehen — denn auch die Behörden sind gleichmäßig den Männern und Frauen zugänglich. Die Kinder der Tüchtigen werden sie in ein Sammelhaus (Stall, Hürde!) bringen zu einigen Wärterinnen, die abgesondert in einem Teil der Stadt wohnen. Die Kinder der Schlechteren aber und verkrüppelten Nachkommen der anderen werden sie, wie es sich geziemt, an einem unzugänglichen und unbekannten Orte verbergen. Die Behörden werden auch für die Aufziehung Sorge tragen, indem sie die Mütter in das Sammelhaus bringen, wenn sie volle Brüste haben. Dabei sollen sie auf alle Weise verhindern, daß eine ihr Kind erkennt. Und wenn die Mütter nicht ausreichen, schaffen sie andere Frauen zur Stelle, die Milch haben; auch sollen sie Sorge tragen, daß die Mütter im Stillen Maß halten, während sie die Nachtwachen und die übrige Arbeit den Ammen und Wärterinnen zuweisen werden. (Das erleichtert den Frauen der Wächter das Kinder-in-die-Welt-Setzen sehr!) Wir sagten weiter, daß die Kinder von den im blühenden Alter Stehenden abstammen müßten. Die Zeit der Blüte ist nun bei den Frauen das zwanzigste, bei den Männern das dreißigste Jahr. So soll die Frau vom 20. bis zum 40. Lebensjahr für den Staat gebären, der Mann aber soll nach der Zeit des Stürmens und Drängens bis zum 55. Lebensjahr für den Staat Kinder zeugen. — Alle Kinder nun, die vom Zeitpunkt der Vermählung jemandes im zehnten oder siebenten Monat geboren worden sind, soll er Söhne und Töchter nennen und jene ihn Vater und die Kindes­ kinder Enkel und sie ihn Großvater und Großmutter. Die in der Zeit, in der ihre Eltern Kinder bekamen, Geborenen werden sie Schwestern und Brüder nennen. Ihnen aber wird das Gesetz die Ver­ mählung gestatten, wenn das Los so fällt und die Pythia sich dazu äußert. Don solcher Art ist also die Gemeinschaft der Frauen und Kinder bei den Wächtern des Staates. Wir müssen uns nun durch den Beweis bekräftigen lassen, daß sie der übrigen Verfassung entspricht und die bei weitem beste Einrichtung derselben ist. Ist nun der Anfang zur Herbeiführung einer Übereinstimmung nicht die Frage danach, was wir bet der Einrichtung eines Staates für das größte Gut erklärt haben, das der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung der Gesetze als Ziel im Auge haben muß, und was als das größte Übel? 3

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Und daß wir dann untersuchen, ob das von uns soeben Erörterte die Merkmale des Guten an sich trägt und dem Schlechten wider­ spricht? Können wir nun ein größeres Übel für einen Staat an­ geben als die Zwietracht, die ihn zerreißt und aus einer Einheit zu einer Vielheit macht? Oder ein größeres Gut als die Eintracht, die ihn zusammenbindet und ihn zu einer Einheit macht? Hält nun nicht dies gemeinsame Erleben von Lust und Leid zusammen, wenn alle Bürger so viel als möglich über das Entstehen und Vergehen derselben Dinge sich freuen und betrübt sind? Dagegen wirkt die Absonderung trennend, wenn bei denselben Vorgängen im Staat und bei den Bürgern die einen sehr erfreut sind, die andern tief betrübt. Und das ist eine Folge davon, wenn im Staate die Bürger über „Mein" und „Nicht mein" und über „Fremd" verschiedene Anschauungen haben. Ist deshalb nicht der Staat am besten ein­ gerichtet, in dem die meisten die Begriffe „mein" und „nicht mein" auf dieselbe Sache anwenden? Und das ist der, welcher einem ein­ zelnen Menschen in seiner Einrichtung am nächsten kommt. (Wie bei Schmerzen in einem Glied der ganze menschliche Organismus mitleidet, so wird in einem solchen Staate jedes gute oder schlimme Erlebnis eines einzelnen Bürgers ein Erlebnis des ganzen Staates sein; er wird sich als Ganzes mitfreuen oder mit­ leiden. Ferner bezeichnen in den anderen Staaten die Bürger ihre Leiter als „Herren" oder „Regenten", in unserem Staate dagegen als „Netter und Helfer" und diese wieder das Volk als „Lohngeber und Ernähret, sonst aber als „Knechte". Dort nennen sich die Regenten untereinander „Mitregenten", hier dagegen „Mitwächter". Während weiter die Regenten in den anderen Staaten die einen von ihren Mitherrschern als Angehörige, die andern als Fremde ansehen, sieht der Wächter in jedem entweder Bruder oder Schwester, Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter, Enkel oder Ahnen; also ist ihm niemand fremd. So werden in diesem Staate die Bürger am meisten das Schicksal jedes Mitbürgers als ihr eigenes empfinden, Lust und Leid als etwas Gemeinsames tragen.) Liegt nun nicht neben der sonstigen Einrichtung des Staates die Ursache hiervon in dem gemeinsamen Besitz der Weiber und Kinder für die Wächter? So haben wir also diese Gemein­ schaft als das größte Gut für den Staat anerkannt, indem wir einen wohlgeordneten Staat mit einem Leibe vergleichen, der Schmerz und Lust jedes Gliedes mitempfindet. — Auch mit unsern früheren Erörterungen stimmt dies überein. Denn wir 36

sagten, daß die Wächter weder eigene Häuser noch Land noch sonstigen Besitz haben dürfen, sondern von den andern als Lohn für den Wachdienst ihren Unterhalt empfangen und ihre Mahlzeiten ge­ meinsam abhalten müssen, wenn sie wirklich Wächter sein wollen. Nun machen die früheren und jetzigen Ausführungen sie offenbar noch mehr zu wirklichen Wächtern und bewirken, daß sie den Staat nicht zerrütten, indem sie alle dasselbe als Eigentum bezeichnen und nicht der eine dies, der andere jenes: da sucht der eine alles für seinen Haushalt zusammenzuscharren, was er nur irgend getrennt von den andern sich aneignen kann, der andere wieder sucht sich Privateigentum zu verschaffen; auch hat jeder besondere Freuden und Leiden, da er Weiber und Kinder nicht als allen angehörig anerkennt. Vielmehr haben alle eine Anschauung über das Eigen­ tum und streben demselben Ziele zu, so weit als möglich Schmerz und Lust miteinander zu teilen. Dann werden Rechtshändel und Klagen gegeneinander bei ihnen sozusagen ganz verschwinden, da niemand außer seinem Körper etwas sein Eigen nennt, sondern alles gemeinsam ist. Auch fallen alle die Streitigkeiten fort, die durch den Besitz von Geld oder Kindern und Verwandten unter den Menschen entstehen. Und ebenso werden Klagen wegen Gewalttaten und Mißhandlung natür­ lich unter ihnen kaum vorkommen. Denn daß sich Altersgenossen gegen Altersgenossen verteidigen, werden wir doch wohl schön und gerecht nennen, da wir die Notwendigkeit leiblicher Ausbildung be­ tonten. — Und die Älteren werden beauftragt, alle Jüngeren zu beaufsichtigen und zu züchtigen. Auch wird kaum ein Jüngerer, wenn er nicht von den Regenten den Befehl erhalten hat, den Ver­ such machen, einen Älteren zu mißhandeln oder zu schlagen. Und überhaupt wird er ihn meiner Meinung nach nicht beleidigen. Denn zwei Wächter sind geeignet, es zu verhindern, Furcht und Schamgefühl. Diese wird sie hindern, sich an ihnen als an ihren Eltern zu vergreifen; Furcht aber werden sie vor den andern empfinden, die dem Leidenden zu Hilfe kommen werden, als Söhne, als Brüder oder als Väter. Also werden die Männer nach den Ge­ setzen in jeder Hinsicht in Frieden miteinander leben. — Ihr Sieg ist herrlicher als ein Sieg in Olympia, denn sie erstreiten die Rettung des ganzen Staates, als Kranz wird ihnen und den Kindern die Nahrung und der sonstige Lebensunterhalt dargereicht, im Leben empfangen sie von ihrem Staate Ehrengaben, und nach ihrem Tode werben sie ehrenvoll bestattet.

(Es folgen Anweisungen über das Verhalten im Kriege sowie die Gewöhnung der Kinder an den Krieg; dann werden die Ehren­ preise für die Tapferen angeführt.) 469. Verhalten gegen die Feinde. Erscheint es nun gerecht, daß hellenische Staaten Hellenen $u Sklaven machen, oder müßte dies nicht nach Möglichkeit jedem Staate verboten sein und es zum Brauche werden, das hellenische Geschlecht zu schonen, aus Scheu vor der Knechtung durch die Barbaren? Auch darf keiner einen Hellenen als Sklaven besitzen noch andere Hellenen dazu bereden. Und ist es weiter schön, nach dem Siege die Toten zu be­ rauben, wenn man von den Waffen absieht? Bietet das den Feig­ lingen nicht einen Vorwand, den Kampf zu vermeiden und sich zum Beweise der Pflichterfüllung nur mit den Toten abzugeben? Scheint es nicht eines Freien unwürdig und habsüchtig, einen Loten zu berauben, Zeichen einer weibischen und niedrigen Ge­ sinnung, den Leib als Feind zu betrachten, während doch der Sitz der feindlichen Gesinnung aus ihm entschwunden und nur noch das Werkzeug des Kampfes (der Leib) vorhanden ist? Oder ist deiner Meinung nach ein Unterschied zwischen solchen Menschen und den Hunden, die die Steine beißen, mit denen sie geworfen werden, und den Werfenden in Ruhe lassen? Also müssen wir die Be­ raubung der Toten verbieten und dürfen die Bestattung nicht verhindern. — Und wie werden sich die Soldaten ihren Feinden gegenüber verhalten, soweit es sich um die Zerstörung hellenischer Pflanzungen und die Niederbrennung der Häuser handelt? Meiner Meinung nach dürfen sie keines von beiden tun, sondern nur die reife Frucht abernten. — Ich behaupte nämlich, daß das hellenische Volk sich selbst befreundet und verwandt ist, den Barbaren aber fremd und fremdartig. Wenn daher Hellenen mit Barbaren und Barbaren mit Hellenen kämpfen, so können wir dies Kriegführen und sie selbst von Natur Feinde nennen; diese Art von Feindschaft muß also als Krieg bezeichnet werden. Bei kriegerischen Handlungen zwischen Hellenen untereinander aber ist zu sagen, daß sie von Natur Freunde sind, in diesem Falle daher Hellas krank und in Zwietracht ist, und diese Art von Feindschaft ist Zwietracht. Wenn nun gar in einem Staate selbst feindliche Parteien sich gegenüber­ stehen, was man schon jetzt allgemein als Zwietracht bezeichnet, und sich gegenseitig die Felder verwüsten und die Häuser niederbrennen, wie sündhaft erscheint dann erst die Uneinigkeit, und wie wenig

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Staatsgestnnung zeigen beide Parteien; denn sonst würden sie es wohl nicht wagen, die Ernährerin und Mutter so zu behandeln. Deshalb sei es genug, wenn die Sieger die Felder der Besiegten abernten und wenn beide Parteien daran denken, daß sie sich wieder versöhnen und nicht ewig im Kriegszustand miteinander liegen. — Da nun die Bewohner unseres Staates Hellenen und Hellenenfrenndlich sind, werden sie Hellas nicht verwüsten und die Häuser nicht niederbrennen, werden auch nicht in jedem Staate alle Ein­ wohner als Feinde betrachten, Männer, Frauen und Kinder, sondern immer nur die Urheber des Streites. Aus diesen Gründen werden sie nur solange im Kampfe ausharren, bis die Schuldigen von den leidenden Unschuldigen gezwungen sind, Genugtuung zu geben. (Auf den Einwurf, nun erst zu zeigen, ob ein solcher Staat überhaupt möglich ist, geht Sokrates auf die Eigenschaften der Regenten ein.) 473b. Zunächst müssen wir nun dem Anschein nach festzu­ stellen versuchen, welche Fehler in der Einrichtung der heutigen Staaten eigentlich an ihrer schlechten Verfassung Schuld sind und durch welche möglichst geringe Veränderung ein Staat zu unserer Art der Verfassung gelangen kann, am besten durch eine einzige Änderung, und wenn dies nicht möglich ist, durch zwei oder mehrere möglichst wenige und der Bedeutung nach möglichst geringfügige Änderungen. Nun könnte meiner Meinung nach durch eine einzige Veränderung diese Wandlung herbeigeführt werden, zwar keine kleine und leichte, aber doch mögliche. Wenn nicht entweder die Philosophen in den Staaten zur Herrschaft ge­ langen oder die jetzt so genannten Könige und Dynasten sich gründlich und ausreichend mit Philosophie be­ schäftigen, so gibt es keine Erlösung von dem Unheil für die Staaten, auch nicht, wie mir scheint, für das Menschen­ geschlecht überhaupt. Und zwar mnß politische Macht und Philo­ sophie zusammenfallen, und die vielen ihrer Natur nach nur dem einen Ziele Zustrebenden müssen ausgeschlossen werden. Und auch die von uns entwickelte Verfassung wird nicht eher, soweit es überhaupt möglich ist, das Licht der Sonne erblicken. — Es er­ scheint mir nun notwendig, wenn wir den Spöttern entfliehen wollen, daß wir ihnen eine genaue Bestimmung des Begriffs „Philosophen" geben, damit sie das Wagnis verstehen, daß wir diesen die Leitung des Staates übertragen zu müssen erklären. Wenn

dann ihr Charakter ganz deutlich geworden ist, kann man sich ver­ teidigen, indem man zeigt, daß den einen von Natur zukommt, sich mit Philosophie zu beschäftigen und im Staate eine führende Rolle zu spielen, den andern aber, sich zurückzuhalten und dem Führer zu folgen. (Nach langen Erörterungen kommt Sokrates zu folgendem Ergebnis: Diejenigen, die jedes Seiende lieben, müssen Philosophen genannt werden.) 484. Da also Philosophen die sind, die das immer sich selbst völlig Gleichbleibende zu erfassen imstande sind, die andern aber, die planlos in der wechselnden Erscheinungswelt umherirren, keine Philosophen sind, welche von beiden sollen da Führer des Staates sein? Offenbar sind doch diejenigen, die fähig erscheinen, die Gesetze und Sitten der Staaten zu überwachen, als Wächter zu bestellen. (Als Wächter darf man nur Menschen mit scharfen Augen anstelle», und denen sind die zu vergleichen, die die Erkenntnis des wahrhaft Seienden an jedem Ding besitzen und ein klares Bild davon in der Seele tragen. Im 6. und 7. Buche werden die Geistesanlagen der Philo­ sophen erörtert, die Gründe für ihre Mißachtung besprochen und ihre Bildung behandelt. Das Ziel der Bildung ist die Erkenntnis der Idee des Guten, die Fächer, in denen sie zu unterrichten sind, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Harmonielehre und Dialektik. Das 8. und 9. Buch handelt in erster Linie von den ungerechten Staatsverfaffungen; sodann werden der Gerechte und Ungerechte einander gegenübergestellt. Im 10. Buch wird der Lohn der Ge­ rechten geschildert.)

Die Gesetze. Viertes Buch. 708d. Errichtung des besten Staates. Tatsächlich ist doch Gesetzgebung und Gründung von Staaten der allersicherste Weg zur Mannhaftigkeit. — Wohlan, so wollen wir zum Gesetz­ geber sagen, von welcher Beschaffenheit muß denn der Staat sein, den wir dir zur Verfügung stellen sollen, damit du ihn nach der Übernahme fernerhin in die richtige Verfassung bringen kannst? Seine Antwort wird lauten: „Ihr müßt mir einen Staat über­ geben, der von einem Tyrannen regiert wird. Der Tyrann muß jung, bedacht, von leichter Fassungskraft, tapfer und hochherzig sein. — Dazu muß er von Natur Mäßigkeit besitzen, wenn der Staat so schnell und vollkommen wie möglich die Verfassung er­ langen soll, deren Besitz ihn zu möglichster Glückseligkeit führen wird. Denn eine schnellere und bessere Einrichtung einer solchen Verfassung gibt es nicht und wird es kaum jemals geben. Aller­ dings muß noch der Glücksfall hinzukommen, daß zu seiner Zeit ein lobenswerter Gesetzgeber lebe und ein glücklicher Zufall beide zusammenführe. Ist dies der Fall, dann hat die Gottheit so ziem­ lich alles zustande gebracht, wenn sie wünscht, daß ein Staat be­ sonders gut gedeihe. — Aus einer Tyrannis also an erster Stelle kann ein bester Staat hervorgehen, wie es scheint, unter einem trefflichen Gesetzgeber und einem ehrenhaften Tyrannen; an zweiter Stelle aber aus einem Königtum, an dritter aus einer Demokratie; erst an vierter Stelle kommt die Oligarchie, da es in ihr zu viele Machthaber gibt. Wir behaupten also, der beste Zustand trete dann ein, wenn ein von Natur dazu berufener Gesetzgeber aufsteht und wenn die Machthaber im Staate ihm Anteil an der Gewalt ein­ räumen. Wo die Zahl der Machthaber am geringsten, ihre Macht am stärksten ist, wie in einer Tyrannis, dort und unter diesen Umständen kann leicht und schnell eine Umwandlung eintreten. — Denn es bedarf für einen Tyrannen keiner Mühen und keiner langen Zeit, wenn er die sittliche Verfassung des Staates ändern will. Er muß zunächst selbst den Weg vorangehen, den er einge-

schlage» wissen will; sei es daß er die Bürger jur Ausübung der Tugend anreijen will oder jum Gegenteil. Er muß in allen Stücken durch seine eigene Handlungsweise das Beispiel geben, indem er das eine lobt und ehrt, das andere wiederum tadelt und den Wider­ setzlichen nach der Art seiner Handlungen mit Schmach überhäuft. So soll uns niemand überzeugen, daß auf einem anderen Wege ein Staat jemals schneller und leichter seine Gesetze ändern kann als durch die Führung seiner Machthaber, weder jetzt noch jemals in Zukunft. Denn nicht liegt die Unmöglichkeit und Schwierigkeit einer solchen Wandlung in der Sache selbst. Vielmehr hat sich nur selten im Verlaufe der langen Zeit das Ereignis zugetragen, das bet seinem Eintreten im Staate tausendfältig das Gute bewirkt: nämlich nur dann, wenn göttliche Liebe zu verständigen und ge­ rechten Einrichtungen in einigen großen Machthabern erwacht, mögen sie nun als Monarchen herrschen oder infolge überragenden Reichtums oder edler Abkunft; oder wenn jemand als ein zweiter Nestor auftritt, der nach der Sage alle Menschen durch die Kraft seiner Rede übertraf, noch mehr aber durch seine Besonnenheit hervorragte. — So gilt dieser Satz von jeder Gewalt: wenn die größte Macht sich mit Einsicht und Besonnenheit in demselben Menschen paart, so wird der beste Staat und dementsprechende Gesetze sich »entwickeln; anders aber nicht. — 739b. Einrichtung des zweitbesten Staates. Der erste Staat, die beste Verfassung und die besten Gesetze sind also da zu finden, wo der alte Ausspruch, daß unter Freunden in Wahrheit alles gemeinsam ist, im ganzen Staate so weit wie möglich Geltung hat. Mag dies nun jetzt irgendwo so sein oder irgendwann sich einmal verwirklichen, daß Frauen, Kinder, alles Eigentum gemeinsam ist, daß der sogenannte Eigenbesitz mit aller Macht ganz und gar aus dem Leben verbannt ist, daß auch unser physischer Besitz gewissermaßen Gemeingut geworden ist, unsere Augen, Ohren und Hände gemeinsam zu sehen, hören und handeln scheinen, daß wir alle so weit wie möglich dasselbe loben und tadeln, da wir über dieselben Dinge Lust und Schmerz empfinden, daß schließ­ lich die Gesetze nach Möglichkeit den Staat zu einer Einheit machen; niemand wird einen richtigeren und besseren Weg zur Tugend weisen können. (Es ist nur ein Staat für Götter oder Göttersöhne.)*) —

*) Ein Stern weist auf die Anmerkungen hin. 42

Daher dürfen wir auch kein anderes Muster für unseren Staat suchen, sondern nach Möglichkeit einen diesem besten ähnlichen Staat ju gründen suchen. Derjenige, den wir jetzt zu schaffen unter­ nommen haben, dürfte wohl nach seiner Verwirklichung der Un­ sterblichkeit am nächsten kommen und an Rang der zweite sein. — Wie steht es nun mit der Beschaffenheit dieses Staates? Zunächst soll man Land und Häuser verteilen und nicht ge­ meinsam den Acker bestellen, da dies über das gegenwärtige Ge­ schlecht, seine Erziehung und Bildung hinausgehen würde. Jeder, der ein Landlos empfangen hat, muß sich bewußt sein, daß es ein Stück des Gemeinbesitzes des ganzen Staates ist. Den väterlichen Boden aber muß er noch mehr pflegen als Kinder ihre Mutter, denn die Erde ist ja als Gottheit Herrin der Sterblichen geworden. Dieselbe Gesinnung soll man auch den einheimischen Göttern und Dämonen gegenüber hegen. Auch muß darauf geachtet werden, damit die Einrichtungen ewigen Bestand haben, daß die Zahl der jetzt von uns verteilten Herdstellen immer dieselbe bleibt, weder zu groß noch zu gering wird. Daher soll jeder Inhaber eines Landloses nur einen seiner Söhne als Erben dieser Wohnstätte einsetzen, nämlich den Lieblingssohn, der dann auch als sein Nachfolger den Göttern Ehrfurcht zu beweisen und dem Geschlecht und dem Staat zu dienen hat, den lebenden und den schon verstorbenen Mitbürgern zum Dienste verpflichtet. Die übrigen Kinder, soweit neben dem Erben welche vorhanden sind, sind, wenn weiblichen Geschlechts, nach dem noch zu erlassenden Gesetze zu verheiraten, die Söhne an die Bürger zu verteilen, denen Nachkommenschaft versagt ist, am besten nach Wunsch. Haben einige keine Wünsche oder sind bei einigen zu viel männliche oder weibliche Nachkommen oder im Gegenteil infolge mangelnden Kindersegens zu wenig vorhanden, so soll die höchste und geachtetste Behörde in Erforschung der besten Regelung jedes dieser Fälle auf Mittel und Wege sinnen, um die Zahl der 5040 Wohnstätten (so viel hatte Platon als Normalzahl angenommen) immer in voller Höhe zu erhalten. — Und sollte schließlich jedes Mittel zur Aufrechterhaltung der Zahl der 5040 Wohnstätten versagen und ein Überschuß an Bürgern wegen der gegenseitigen freundschaftlichen Gefühle der Zusammenwohnenden sich herausstellen, so gibt es noch das einfache, von uns öfter er­ wähnte Mittel, nämlich die Aussendung von Kolonien in genügen­ dem Ausmaß, doch nur in freundschaftlichem Einvernehmen. Wenn aber einmal im Gegenteil Überschwemmung zusammen

mit Seuchen oder ein verderblicher Krieg eintreten und dadurch die Zahl der Bürger infolge des fehlenden Nachwuchses weit unter die vor geschriebene Grenze hinabsinken sollte, so dürfen freiwillig keine Bürger mit falscher Erziehung hineingeschoben werden; auch ein Gott ist nicht imstande, solche Naturereignisse zu überwinden. Folgende Mahnung wird durch diese Ausführung an uns gerichtet: Ihr besten Männer, lasset nie davon ab, die Gleichberechti­ gung, Gleichheit, Übereinstimmung nach Gebühr zu ehren, sowohl in bezug auf die Zahl wie auf alles, was schön und gut ist. So be­ wahret vor allem die genannte Zahl durch euer ganzes Leben, sodann die Größe eures Besitzes auf der mäßigen Höhe der ursprünglichen Verteilung; beschimpft euch nicht durch Kauf und Verkauf, denn weder der göttliche Verteiler der Lose noch der Gesetzgeber würde euch dabei helfen. Denn dies verbietet zuerst das Gesetz dem Un­ gehorsamen, wenn es von vornherein fesisetzte, daß nur unter folgender Bedingung der Willige an der Verlosung teilnehmen dürfe, sonst aber nicht: das Land sei erstens allen Göttern geweiht und zweitens sollen die Priester und Priesterinnen bei drei Opfern die Bitte an die Götter richten, den Käufer oder Verkäufer eines zugeteilten Haus- oder Ackergrundstücks möge die verdiente Strafe treffen. In den Heiligtümern aber sollen Tafeln aus Zypressen­ holz aufgestellt werden mit den nötigen Besitzangaben für die Folgezeit, und außerdem soll noch mit der Überwachung dieser Bestimmungen diejenige Behörde betraut werden, der man den größten Scharfblick zutraut, damit jede Übertretung offenbar werde und der gegen Gottheit und Gesetz Ungehorsame gezüchtigt werbe. — Denn Geldgier hat bei einer derartigen Ordnung keinen Platz, sondern es geht aus ihr hervor, daß es weder nötig noch erlaubt ist, auf eine eines freien Mannes unwürdige Weise sich Geld zu er­ werben, oder überhaupt Bereicherung auf diesem Wege für ange­ messen zu erachten. Unterdrückt doch das für schimpflich geltende Banausentum*) die eines Freien würdige Gesinnung. Dazu folgt nach dem allen das Gesetz, daß keinem Privatmann erlaubt ist, Gold oder Silber zu besitzen, sondern nur eine Münze für den notwendigen täglichen Handelsverkehr mit den Hand­ werkern und allen derartigen Leuten, zur Auszahlung des Lohns an Tagelöhner, Sklaven und Beisassen. Diese Münze soll im Aus­ lande keine Geltung haben. Eine gemeinsame hellenische Münze

♦) Ei« Stern «eist auf die Anmerkungen hin. 44

aber muß der Staat stets jur Verfügung haben, wegen etwaiger Feldzüge und für den Verkehr mit dem Ausland, für Gesandtschaften und sonstige Botschaften. Wenn ein Privatmann verreisen muß, so möge er es mit Genehmigung der Regenten tun; besttzt er aber bei seiner Rückkehr noch fremdes Geld, so soll er es dem Staate gegen Erstattung in heimischer Währung abliefern. Behält er es für stch, so verfalle es dem Staate, und zusammen mit ihm soll auch der Mitwisser, der es nicht angezeigt hat, dem Fluche und der Schande verfallen und mit einer Buße belegt werden, die dem Betrage der mitgebrachten fremden Münze entspricht. Wer heiratet oder eine Tochter verheiratet, darf weder eine Mitgift nehmen noch geben, unter keinen Umständen. Geld zur Aufbewahrung darf man niemandem geben, zu dem man kein Vertrauen hat; auch soll Geld auf Zinsen nicht ausgeliehen werden, da es der Schuldner in der Hand hat, nicht nur die Zinsen, sondern auch das Kapital zurückzubehalten. — Oer Staatsordner soll willens sein, das Mögliche durchzu­ führen; dagegen soll er nicht eitle Wünsche hegen und durchzuführen versuchen. Da Glückseligkeit und Tugend nicht voneinander zu tren­ nen sind, möge er die Tugend erstreben. Sehr reich und zugleich gut zu sein, ist aber unmöglich, wenn man unter Reichtum wie die große Menge den Besitz von Gütern von höchstem Geldes­ werte versteht, die auch ein Schurke besitzen kann. Daher kann ich ihnen niemals einräumen, daß der Reiche in Wahrheit glückselig werde, ohne zugleich gut zu sein. Ein ausgezeichnet guter Mann kann aber nicht zugleich hervorragend reich sein; denn wer Auf­ wand macht für edle Zwecke und nur rechtmäßig Geld erwirbt, der wird schwerlich besonders reich werden, aber auch nicht ganz arm. Also sind die Überreichen nicht gut und daher auch nicht glücklich. Die Hauptaufgabe unserer Gesetze aber ist, die Bürger möglichst glücklich und untereinander zu möglichst guten Freunden zu machen. Sie können aber nicht zu Freunden werden, wenn viele Klagen und Beleidigungen unter ihnen vorkommen; vielmehr müssen solche Fälle möglichst selten eintreten un­ möglichst unerheblich sein. Also darf es kein Gold und Silber im Staate geben noch auch großer Gewinn durch Handwerk oder Wucher möglich sein, sondern man soll sich mit dem Ertrag des Ackerbaues begnügen, und über diesem darf man auch nicht das vernachlässigen, wozu der Besitz da ist. Das ist aber Leib und Seele, welche ohne

Gymnastik und weitere Ausbildung ohne Wert bleiben. Deshalb muß die Sorge um das tägliche Brot erst die letzte Stelle in unserer Schätzung einnehmen. Denn unter den drei Gütern, um die jeder Mensch sich überhaupt bemüht, muß dem Körper in unserer Sorge der zweite, der Seele aber der erste Rang zuerkannt werden, während die Sorge um Hab und Gut an letzter Stelle kommt. — Unter diesen Bedingungen soll jeder den Besitz seines Landloses antreten. Schön wäre es nun, wenn jeder auch sonst mit möglichst gleichem Vermögen in den zu gründenden Staat eiuträte. Da dies aber nicht möglich ist, sondern der eine mit größerem, der andere mit geringerem Vermögen ankommen wird, so müssen aus vielen anderen Gründen, vor allem aber zur Herstellung einer wirklichen Gleichheit der Verhältnisse im Staate mehrere Schatzungsklassen geschaffen werden. So können Ämter, Steuern und Verteilungen nach der Einschätzung des einzelnen, also nicht nur nach dem Verdienst der Vorfahren und der eigenen Tüchtigkeit, nach der kör­ perlichen Schönheit und Stärke, sondern auch nach dem Reichtum und der Armut möglichst gleichmäßig bei aller Ungleichheit verteilt und eine Entzweiung der Bürger vermieden werden. Deswegen müssen vier Schatzungsklassen nach der Größe des Besitzes geschaffen werden, und zwar können die Bürger entweder in derselben Klasse bleiben oder bei Veränderung ihres Dermögensstandes in eine höhere oder niedrigere Klaffe übertreten.*) In einem Staate, der von der größten Krankheit verschont bleiben soll, die richtiger Zwietracht als Aufstand genannt werden dürfte, darf bei einem Teil der Bürger weder drückende Armut noch Reichtum herrschen, da beides jenen Zustand erzeugt. Der Gesetzgeber muß also für beides eine Grenze bestimmen. Die Grenze für die Armut sei also der Wert des Landloses, das erhalten bleiben muß und dessen Verkleinerung kein Regent oder irgendein anderer auf Erhaltung der Tüchtigkeit bedachter Mann je bei irgendeinem geschehen lassen darf. Nach dieser Bestimmung wird -er Gesetzgeber als Grenze für den Reichtum das Doppelte bis Vierfache dieses Besitzes zulasten. Erwirbt jemand mehr, durch einen Fund, Schen­ kung oder Erwerbstätigkeit oder sonst einen Zufall, so soll er bei Überweisung des Überschusses an den Staat und die den Staat schirmenden Götter geehrt und straflos sein. Wenn er aber diesem Gesetz zuwider handelt, so wird der Angeber die Hälfte des Über-

*) Ei» Stern «eist auf die Anmerkungen hin.

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schusses erhalten, bet Schuldige aber wird ebensoviel von seinem Vermögen als Buße entrichten und die andere Hälfte den Göttern zahlen. Von allen aber soll der ganze Besitz außer dem Landlos öffentlich ausgezeichnet werben zur Überwachung bei der Behörde, die dazu vom Gesetz bestimmt wird, damit die Rechtsstreitigkeiten über Geldsachen leicht und ganz klar entschieden werden können. Lage der Stadt, Verteilung der Lose. Die Stadt soll möglichst in der Mitte des Landes gebaut werden und dazu der Ort ausgesucht werden, der auch sonst für die Stadt angemessen erscheint. Dann sollen Stadt und Land in zwölf Teile geteilt werden, die von dem in der Mitte auf der sogenannten Akropolis erbauten Heiligtum der Hestia, des Zeus und der Athena ihren Ausgang nehmen. Diese zwölf Teile sollen möglichst gleichwertig sein; daher müssen sie bei gutem Boden klein, bei schlechtem groß sein. Diese werden dann in 5040 Lose geteilt, von denen jedes noch einmal geteilt wird; diese beiden Abschnitte werden dann zusammen ver­ lost, einer in der Nähe der Stadt und der andere weit von ihr ent­ fernt. Der unmittelbar an der Stadt gelegene Abschnitt soll mit dem an der Grenze ein Los bilden, der nächstfolgende von der Stadt mit dem nächsten von der Grenze und so weiter. Auch bei dieser Einteilung muß auf die geringe oder gute Beschaffenheit des Bodens Rücksicht genommen werden und der Wert der Lose durch größeren oder geringeren Umfang ausgeglichen werden. Auch die Männer sollen in zwölf Abteilungen eingeteilt werden, nachdem der Rest des Besitzes möglichst gleichmäßig auf die zwölf Teile verteilt ist nach dem Verzeichnis des ganzen Vermögens. Dar­ auf sollen zwölf Lose unter die zwölf Götter verlost, der jedem zu­ fallende Teil nach seinem Namen genannt und ihm geweiht werden, und auch die betreffende Phyle*) (Stamm; hier lokal: Bezirk) soll seinen Namen tragen. Auch die Stadt selbst soll wie das ganze Land in zwölf Viertel eingeteilt werden; jeder hat so zwei Wohnstätten, eine nahe dem Mittelpunkt des Staates und eine an den Grenzen. (Platon macht sich hier selbst den Einwurf, daß schwerlich je­ mals in der Wirklichkeit eine so ideale Staatsgründung sich wird durchführen lassen. Darauf läßt er den Gesetzgeber folgendes antworten:) Bei allen für die Zukunft bestimmten Dingen ist meiner Meinung nach das richtigste Verfahren, daß das entworfene Muster für das

*) Ein Stern weist auf die Anmerkungen hin.

beabsichtigte Werk in keinem Punkte hinter dem Ideal der Schönheit und Wahrheit zurückbleibt. Was dann als unausführbar sich herausstellt, darauf soll man ruhig verzichten; was aber sonst dem Muster am nächsten kommt und sich als nächstverwandt dem An­ gemessenen erweist, auf dessen Verwirklichung soll man hinarbeiten. Den Gesetzgeber aber lasse man seine Absicht durchführen und unter­ suche gemeinsam mit ihm, was von dem Vorgeschlagenen brauchbar ist und was der Gesetzgebung stracks zuwiderläuft. Denn der Urheber selbst des geringfügigsten Werkes, wenn er etwas Be­ achtenswertes leisten will, muß es nach allen Richtungen mit sich selbst in Übereinstimmung bringen. Nachdem wir nun die Einteilung in zwölf Abschnitte für richtig befunden haben, müssen wir uns eifrig bemühen, wie man diese Teile, die zahlreiche Unterabteilungen zulassen, weiter und weiter einteilen muß bis zu den 5040 Losen. Daher muß das Gesetz Bruderschaften (Phratrien), Amtsbezirke (Demen) und Dörfer (Körnen)*), ferner die Abteilungen des Heeres, Münzen, Maße für Trockenes und Flüssiges und Gewichte bestimmen, und zwar alles mit Maßen und unter sich übereinstimmend. (Es folgen noch Be­ lehrungen über die Bedeutung der Zahlenverhältnisse und die Wichtigkeit der Rechenkunst).

Sechstes Buch. 75is. Wahl der Beamten. Nach dem bisher Gesagten dürfte wohl die Einsetzung der Beamten für den Staat zu­ nächst an die Reihe kommen. Für die Einrichtung eines Staates ist zweierlei zu be­ achten: erstens die Feststellung der Behörden und derer, die sie verwalten sollen, nach Zahl und Art ihrer Bestellung; zweitens die Entscheidung darüber, welche Gesetze, wie viele und von welcher Art den einzelnen Behörden zugewiesen werden sollen. Dor ihrer Wahl wollen wir aber ein wenig innehalten und einige angemessene Worte über sie vorausschicken. Jedem dürfte klar sein, daß bei der großen Bedeutung der Gesetzgebung die Übertragung der Ämter in einem wohlgeordneten Staate an ungeeignete Beamte den guten Gesetzen Abbruch tut und reichlich Spott herausfordert, ja, den Staaten daraus fast der größte Schaden und Schimpf erwachsen dürfte.

*) Ein Stern «eist auf die Anmerkungen hin.

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Wir wollen also darauf achten, daß uns dies jetzt bet unserer Verfassung und Staatsgründung begegnen kann. Denn du siehst ein, daß zunächst diejenigen, die sich mit Recht für die Bekleidung der Staatsämter vorbereiten, von der Kindheit an bis zur Wahl eine hinreichende Prüfung in bezug auf ihre Person und ihr Ge­ schlecht bestanden und daß sodann wiederum die, die zu Wählern bestimmt sind, eine den Gesehen entsprechende sittliche und wissen­ schaftliche Bildung genossen haben müssen, um bei der Abweisung und Zulassung die richtige Entscheidung treffen zu können. Wie könnten Leute, die zur Wahl einander unbekannt zusammen­ gelaufen sind, die Ämter vorwurfsfrei besetzen? (Zunächst sollen bei der Gründung der Kolonie die ersten Beamten mit aller Sorg­ falt ausgewählt werden. Bei glücklichem Fortbestehen des Staates soll dann folgendermaßen verfahren werden.) An der Wahl der Beamten sollen alle teilnehmen, die als Reiter ober Fußsoldaten dienen und in den betreffenden Altersklassen Kriegsdienste geleistet haben. Abgehalten werden soll die Wahl in dem heiligsten Tempel des Staates: jeder soll auf dem Altar des Gottes eine Tafel niederlegen, auf der er den Namen des Kandidaten mit Vatersnamen, Bezirk (Phyle) und Gemeinde (Demos) verzeichnet hat unter Hinzufügung seines eigenen Namens mit denselben Angaben. Jedem aber soll es auf Wunsch erlaubt sein, die Tafeln, deren Aufschrift ihm unvernünftig erscheint, fortzunehmen und auf dem Markt mindestens 30 Tage aufzustellen. Die Namen der 300 Männer aber, die auf den Tafeln am häufigsten vorkommen, sollen die Regenten zur Einsicht für alle Bürger aus­ stellen; aus diesen soll die Bürgerschaft wieder nach freiem Belieben eine Auswahl treffen, und die so zum zweiten mal ausgewählten Hundert sollen wieder allen bekannt gemacht werden. Beim dritten Wahlgang soll wieder jeder aus den Hundert den von ihm Ge­ wünschten wählen, indem er zwischen den Eingeweiden der Opfer­ tiere hindurchgeht. Die 37 Männer, die am meisten Stimmen auf sich vereinigen, sollen geprüft und zu Regenten erklärt werden. — 754d. Befugnisse der obersten Behörde. Die Mit­ glieder nun dieses Kollegiums von 37 Männern sollen für alle Zeiten folgende Befugnisse erhalten: Zuerst sollen sie über die Ge­ setze wachen, sodann über die Angaben, die jeder der Behörde über die Höhe seines Vermögens zu erstatten hat, wobei für die oberste Schätzungsklasse vier Minen, für die zweite drei Minen, für die

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dritte zwei und für die vierte eine Mine*) außer Ansatz bleiben. Wenn aber jemand überführt wird, mehr Vermögen zu besitzen, als er angegeben hat, so soll der ganze Überschuß dem Staate zufallen, und außerdem erleide er von dem, der ihn gerichtlich belangen will, keine schöne und ehrenvolle, sondern eine schimpfliche Strafe, wenn er überführt wird, aus Gewinnsucht die Gesetze verachtet zu haben. Also kann jeder ihn wegen schimpflicher Geldgier vor den Gesetzes­ wächtern selbst verklagen; wenn er dann verurteilt wird, so soll er an dem Gemeinbesitz keinen Anteil mehr haben, bei Verteilungen von Staatswegen soll er nichts erhalten außer seinem Landlose; solange er lebt, soll sein Name als der eines Verurteilten an einer für jeden erreichbaren Stelle ausgezeichnet werden. Mehr als 20 Jahre soll kein Gesetzeswächter im Amte bleiben, bei Antritt desselben soll er aber nicht jünger als 50 Jahre sein. War er bereits 60 Jahre alt, so bleibe er nur 10 Jahre Regent und so weiter; denn nach Vollendung des 70. Lebensjahres soll er nicht mehr daran denken, dieses wichtige Amt als Regent zu bekleiden. Nun muß die Wahl der Feldherren (Strategen) geregelt werden, dazu der ihnen für den Krieg beigegebenen Reiterobersten (Hipparchen) und Rittmeister der Phylen (Phylarchen--Obersten der nach Phylen eingeteilten Reiterei) und der Befehlshaber der Abteilungen des Fußvolkes, die passender mit dem gewöhnlichen Namen als Taxiarchen (Abteilungsführer) bezeichnet werden. Für die Strategen sollen die Gesetzeswächter aus der Bürgerschaft selbst Leute Vorschlägen; an der Wahl aus den Vorgeschlagenen sollen alle teilnehmen, die in der Vollkraft Kriegs­ dienste geleistet haben und noch leisten. Wenn jemand einen Nicht­ vorgeschlagenen für geeigneter hält als einen der Kandidaten, so soll er den Namen desselben nennen und nach eidlicher Bekräftigung seiner Meinung als Gegenkandidaten vorschlagen. Wer von beiden dann durch Handhochheben bestimmt wird, soll zur Wahl zugelassen werden. Die drei, die die meisten Stimmen erhalten, sollen Strategen und zugleich Kriegsminister sein, nach einer Prüfung in der Art der für die Gesetzeswächter vorgeschriebenen. Die er­ wählten Strategen sollen dann die 12 Taxiarchen, für jede Phyle (Bezirk) einen, selbst Vorschlägen. In bezug auf etwaige Gegen­ vorschläge, die Wahl durch Handhochheben und die Prüfung soll bei den Taxiarchen ebenso verfahren werden wie bei den Strategen.

♦) Ein Stern weist auf die Anmerkungen hin.

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Bevor Prytanen (geschäftsführender Ausschuß)*) und ein Rat be­ stellt sind, sollen die Gesetzeswächter die Wahlversammlung auf einem besonders heiligen und geeigneten Platz abhalten, indem sich die Hopliten, die Reiter und alles sonstige Kriegsvolk dazu ge­ sondert aufstellen. Bei der Wahl der Strategen sollen alle ab­ stimmen, bei den Taxiarchen nur die Schildträger (aktive Fuß­ soldaten); die Phylarchen werden von der ganzen Reiterei gewählt, die Führer der Leichtbewaffneten, Bogenschützen und aller übrigen Heeresteile sollen die Strategen selbst ernennen. Bei der Wahl der Hipparchen soll in bezug auf Vorschläge, Gegenvorschläge, Wahl wie bei den Strategen gehandelt werden. Abstimmen darf aber nur die Reiterei in Gegenwart des Fußvolkes, und die zwei, die die meisten Stimmen erhalten, sollen Anführer der gesamten Reiterei sein. Die Wahl selbst darf nur zweimal angefochten werden; beim drittenmal soll die wahlleitende Behörde durch Täfelchen abstimmen lassen. Bestellung des Rates. Der Rat soll aus 12 X zo Mit­ gliedern bestehen, da die Zahl 360 sich für alle Einteilungen empfiehlt. Die Teilung durch vier ergibt 90, und so sollen aus jeder Schatzungs­ klasse 90 Ratsherren gewählt werden. Zuerst erscheinen alle Bürger zur Wahl der Ratsmänner aus der ersten Klasse; wer nicht erscheint, hat die übliche Strafe zu zahlen. Am zweiten Tage findet die Wahl für die zweite, am dritten für die dritte Klasse statt, und zwar besteht dabei für die ersten drei Klassen Wahl­ zwang, während die Angehörigen der untersten Klasse nicht zu erscheinen brauchen. Am 4. Tage beteiligen sich alle an der Wahl für die vierte Klasse, doch müssen hierbei die Mitglieder der ersten und zweiten Klasse sich beteiligen, sonst verfallen sie in Strafe, und zwar die der zweiten in eine Buße von dreifacher, die der ersten in eine von vierfacher Höhe der am ersten Tage festgesetzten. Am 5. Tage machen die Regenten die Namen der Gewählten allen Bür­ gern bekannt, und aus ihnen findet dann die endgültige Wahl statt, an der sich jeder bei Vermeidung der Strafe des ersten Tages zu beteiligen hat. Aus den 180 Kandidaten für jede Klasse wird nun die Hälfte durch das Los ausgewählt und geprüft, um für ein Jahr Ratsherren zu sein. (Diese Wahlordnung hält nach Platon die Mitte zwischen monarchischer und demokratischer Staatsform ein. Denn eine

*) Eia Stern weift auf die Anmerkungen hin.

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äußerliche Gleichheit nach Maß, Gewicht und Zahl ist keine wirk­ liche Gleichheit, sondern das Ziel einer guten Staatsordnung ist die Gerechtigkeit, und diese verlangt die Durchführung einer wirklichen Gleichheit, die auf die Verschiedenheit der Menschen Rücksicht nimmt.) 758a. Aufrechterhaltung der Ordnung. Wie ein auf Fahrt begriffenes Schiff bei Tag und Nacht einer Wache bedarf, so befindet sich auch ein Staat, der im Wellenschlag der anderen Staaten dahinfährt, stets in Gefahr, den mannigfachen Anschlägen zu erliegen. Daher müssen den Tag über bis zur Nacht und von der Nacht bis zum Tage die leitenden Behörden einander ablösen, und niemals darf eine Pause zwischen Abtritt und Antritt der Wachhabenden eintreten. Da nun der ganze Rat diese Pflichten nicht genau zu erfüllen vermag, muß man die meisten Ratsherren die meiste Zeit in ihrem Familienkreise weilen und sich der Ordnung ihrer privaten Angelegenheiten widmen und immer nur ein Zwölftel des Rates je einen Monat lang sich in Bereitschaft halten lassen. Sie stehen dann zur Verfügung, wenn von irgendwoher oder aus der eigenen Stadt jemand kommt, um eine Meldung zu überbringen oder Auskunft zu erbitten in einer Angelegenheit, in der die Staaten sich gegenseitig Auskunft zu erteilen pflegen. Diese ständige Bereit­ schaft ist aber vor allem wichtig wegen der in jedem Staate jederzeit auftretenden Neuerungsversuche, damit sie entweder gar nicht auf­ kommen oder aber der Staat bei ihrem ersten Auftreten sofort davon geheilt werde. Daher muß die leitende Behörde jederzeit in der Lage sein, Volksversammlungen zu berufen und aufzulösen, sowohl die regelmäßigen wie auch die plötzlich notwendig werdenden. Alle diese Aufgaben hat also immer ein Zwölftel des Rates zu erfüllen, so daß die Ratsherren elf Monate Ruhe haben. Diesen Wächterdienst soll aber der Ausschuß des Rates immer gemeinsam mit den übrigen Behörden wahrnehmen. 759a. Bestellung der anderen Behörden. Weiter müssen die Tempel Aufseher, Priester und Priesterinnen haben. In betreff der Wege, der Gebäude und der für sie nötigen Ordnung müssen drei Arten von Behörden gewählt werden, um Beschädigun­ gen durch Menschen und durch Tiere im Stadtbezirk und in den Vorstädten zu verhindern und eine einem Staate angemessene Ordnung durchzuführen. Für diesen Zweck sollen Stadtaufseher (Astynomen) und für die Ordnung auf dem Markte Marktaufseher (Agoranomen) bestellt werden. Da es in einer neuen Ansiedlung

keine Priester und Priesterinnen, die seit alters heilige Priestertümer verwalten, gibt, muß man Priester und Priesterinnen als Tempel­ aufseher für den Dienst der Götter einsetzen. Alle diese Ämter sollen teils durch Wahl, teils durch das Los besetzt werden, indem man dadurch alle Schichten des Volkes in jedem Teil des Landes und in der Stadt in freundschaftliche Berührung bringt und so möglichst große Eintracht hervorruft. (Es folgen Bestimmungen über die Auswahl der Priester und Verwaltung des Kultus.) 760a. Bewachung des Landes. Unbewacht soll mög­ lichst nichts sein. Für die Stabt sollen die Strategen, Taxiarchen, Hipparchen, Phylarchen und Prytanen und auch die Stadt- und Marktaufseher die Bewachung übernehmen. Das übrige Land soll auf folgende Weise bewacht werden. Jede der 12 Phylen, der ein Teil des Landes zugewiesen ist, soll jährlich fünf Feldaufseher und Wachtmeister aufstellen; jeder von ihnen soll sich aus seiner Phyle 12 junge Leute, zwischen 25 und 30 Jahre alt, auswählen. Diese sollen durch das Los so über die Teile des Landes verteilt werden, daß jeder in jedem Teile einen Monat weilt und so das ganze Land genau kennen lernt. Zwei Jahre sollen die Wächter und Wachtmeister Amt und Wachdienst wahrnehmen. — Nach Ablauf des einen Jahres, das sie der Reihe nach durch alle Teile des Landes führt, sollen im zweiten Jahre die meisten Wächter möglichst zu anderen Jahreszeiten die einzelnen Landesteile kennen lernen als im ersten Jahre, da der Charakter der Landschaft mit jeder Jahreszeit wechselt. Ihre Sorge soll nun auf folgendes gerichtet sein: erstens soll das Land gegen Feinde möglichst geschützt werden, indem zu diesem Zwecke Gräben gezogen, Schanzen aufgeworfen und Bollwerke errichtet werden, damit jedem Versuche, Land und Eigentümer zu schädigen, nach Möglichkeit gewehrt werden kann. Dazu können sie das Zugvieh und die in der Gegend befindlichen Sklaven heran­ ziehen; doch sollen sie möglichst Zeiten der Ruhe in der häuslichen Arbeit aussuchen. Wird so den Feinden der Zugang so weit mög­ lich erschwert, so soll für die Freunde, für die Menschen sowohl wie für ihre Zugtiere und ihr Vieh, alles möglichst leicht zugänglich sein. (Es folgen Anweisungen über Instandhaltung der Wege, Bewässerung des Landes, Einfassung der Quellen. Ferner sollen die Aufseher richterliche Befugnis über Beleidigungen und Sach­ klagen bis zum Werte von drei Minen erhalten. Jede widerrecht­ liche Ausnutzung ihres Richteramtes soll streng bestraft werden.)

Die Wachtmeister und Landaufseher sollen aber in den zwei Jahren folgende Lebensweise einhalten: Zuerst sollen in jedem Bezirk sich Speisehäuser befinden, in denen alle gemeinsam speisen. Wer auch nur einen Tag nicht zur Mahlzeit erschienen ist oder eine Nacht außerhalb geschlafen hat ohne Befehl der Wachtmeister oder ohne die dringendste Not, dessen Namen sollen die Fünf nach der Anzeige öffentlich auf dem Markte anschlagen, weil er seinen Dienst vernachlässigt hat; er soll als ein Verräter am Staate beschimpft sein und von jedem Begegnenden, wenn er will, un­ gestraft durch Schläge gezüchtigt werden können. Wenn aber einer der Wachtmeister etwas derartiges tut, dessen Bestrafung sollen alle 60 Wachtmeister in die Hand nehmen. Wer aber, trotzdem er es weiß oder von anderen erfahren hat, nicht einschreitet, der soll nach denselben Bestimmungen bestraft werden, aber härter als junge Leute: es soll ihm die Befähigung für die Bekleidung von Vorgesetztenstellungen über junge Leute aberkannt werden. Darüber, daß so etwas überhaupt nicht vorkomme oder aber gebührend ge­ ahndet werde, sollen die Gesetzeswächter mit aller Strenge wachen. Jeder soll durchdrungen sein von der für alle Menschen geltenden Wahrheit, daß keiner ein lobenswerter Herrscher werden kann, der nicht gehorchen gelernt hat, und soll seine Ehre mehr dareinsetzen, gut zu gehorchen als gut zu befehlen, zuerst den Gesetzen, denn das ist Dienst gegen die Götter, sodann als Jüngling den Älteren, die bereits ein ehrenvolles Leben hinter sich haben. Weiter soll jeder Landaufseher die zwei Jahre hindurch eine einfache Kost genießen. Sobald die Zwölf ausgesucht sind, sollen sie mit den fünf Wach­ meistern zusammen beschließen, gewissermaßen selbst Diener zu sein und keine Diener und Sklaven zu halten und auch die Diener der Landleute und Dorfbewohner nicht zu ihrem eigenen, sondern nur zum öffentlichen Dienst zu verwenden. — Außerdem sollen sie Winter und Sommer bewaffnet das ganze Land durchziehen, um ihrem Wachdienst nachzukommen und eine genaue Kenntnis aller Hrtlichkeiten zu erwerben. Denn ein­ gehendste Kenntnis des ganzen Vaterlandes ist von außerordent­ lichem Werte. Deshalb soll auch der Jüngling vor allem sich mit jeder Art von Jagd beschäftigen; erst in zweiter Linie kommt das mit der Jagd verbundene Vergnügen und der sonstige Nutzen, den sie gewährt. — (Es folgen Bestimmungen über Tätigkeit und Wahl der drei Stadtaufseher (Astynomen), die der höchsten Vermögensklaffe

entnommen werden sollen, damit sie sich hinreichend ihrem Amte widmen können. Sodann wird die Wahl der fünf Marktaufseher aus der ersten und zweiten Klasse geregelt. Bei dieser Wahl darf niemand fehlen, bei einer Strafe von 50 Drachmen.) Der Besuch der Volksversammlung und der gemeinsamen Versammlungen ist frei; nur die Angehörigen der ersten und zweiten Klasse sind zum Erscheinen verpflichtet, bei Vermeidung einer Strafe von 10 Drachmen, während die Mitglieder der dritten und vierten Klasse nur zu erscheinen brauchen, wenn die Regenten aus irgend­ einem Grunde es anordnen. Die Marktaufseher haben über die von den Gesetzen vorgeschriebene Ordnung des Marktverkehrs zu wachen und für die am Markte liegenden Heiligtümer und Brunnen Sorge zu tragen, damit niemand sie beschädige. Der Über­ treter wird, wenn er ein Fremder oder Sklave ist, mit Schlägen und Gefängnis, ein Einheimischer dagegen von den Marktaufsehern allein mit einer Buße bis zu 100 Drachmen bestraft. Eine höhere Buße bis zum doppelten Betrage kann nur in gemeinsamer Gerichtssitzung mit den Stadtaufsehern über den Übeltäter ver­ hängt werden. Auf die gleichen Strafen und Züchtigungen dürfen auch die Stadtaufseher in ihrem Amtsbereich erkennen: bis zu einer Mine allein, bis zum doppelten Betrage zusammen mit den Marktaufsehern. 764c. Behörden für das Erziehungswesen. Für Musik und Gymnastik sind je zwei Behörden einzusetzen, eine für den Unterricht, die andere für den Wettkampf. Für die Erziehung sieht das Gesetz Aufseher in den Gymnasien und Schulen vor, welche für Ordnung und Zucht und für geregelte häusliche Erziehung der Knaben und Mädchen sorgen sollen. Für den Wett­ kampf sind Kampfordner nötig, die die Wettkämpfer in den gymnischen und musischen Wettbewerben beaufsichtigen, und zwar für jede Art besondere Ordner. Der Wettkampf der Männer und Rosse kann von denselben Ordnern geleitet werden, während bei den musischen Wettspielen einerseits besondere Kampfrichter für den Einzelgesang und das Schauspiel erforderlich sind, nämlich für Rhapsoden*), Zitherspieler, Flötenspieler u. a., andererseits für den Chorgesang. (Sowohl für die Choraufführungen der Knaben und Männer und die Tänze der Mädchen wie für die ganze musische Ord­ nung genügt ein Kampfrichter ebenso wie für den Einzelgesang.

*) Ein Stern weist auf die Anmerkungen hin.

Jener soll nicht unter 40, dieser nicht unter 30 Jahre alt sein. Bei der Wahl müssen alle Musikliebhaber zugegen sein, für die anderen besteht kein Zwang. Auch gewählt werden dürfen nur wirklich Kunstverständige. Die Kampfrichter für die gymnischen Spiele werden aus der ersten und zweiten Klasse genommen; Wahlzwang besteht für die drei ersten Klassen. Zwanzig werden durch Wahl ausgesucht und aus ihnen drei durch das Los bestimmt.) Es bleibt nun noch die Wahl des Leiters des gesamten Erziehungswesens für die männliche und weibliche Jugend übrig. Er muß mindestens 50 Jahre alt und Vater ehelicher Kinder, am besten von Söhnen und Töchtern sein. Der Erwählte sowohl wie der Wähler soll sich darüber klar sein, daß dieses Amt unter den höchsten Ämtern des Staates bei weitem das wichtigste ist. Denn bei jedem Sprößling, bei den Pflanzen sowohl wie bei den Tieren und dem Menschen, ist für die Erreichung des Zieles von entscheidender Bedeutung, daß schon der erste Keim zur vollen Entfaltung der ihm eigentümlichen Natur den richtigen Ansatz nimmt. Wird auch der Mensch gewöhnlich als ein zahmes Wesen bezeichnet, so wird er doch meist nur bann das gottähnlichste und sanftmütigste Geschöpf werden, wenn zu einer glücklichen Anlage noch eine richtige Erziehung hinzukommt; wird er dagegen unzureichend und falsch erzogen, so wird er zu dem wildesten Geschöpf, das die Erde trägt. Daher darf der Gesetzgeber die Erziehung der Kinder nicht zu einer Aufgabe zweiten Ranges oder zu einer Nebensache werden lassen, sondern er muß zunächst Sorge tragen, daß der künftige Leiter des Erziehungswesens gut ausgewählt werde, und so muß er nach Möglichkeit den Trefflichsten in jeder Beziehung unter den Bür­ gern zum Führer der Jugend einsetzen. Es sollen sich deshalb alle Behörden außer dem Rate und den Prytanen in dem Tempel des Apollon versammeln und in geheimer Wahl denjenigen wählen, den ein jeder für am besten geeignet zur Leitung der Erziehung hält. Wer die meisten Stimmen erhält, der soll von den Beamten, die ihn gewählt haben, mit Ausnahme der Gesetzeswächter, geprüft und sodann fünf Jahre mit Führung des Amtes betraut werden. (Weiterhin werden die Ordnung des Gerichtswesens und die Wahl der Richter sowie die Götterverehrung und die Feier der Götterfeste behandelt. Diese sollen den Geschlechtern Gelegenheit zum gegen­ seitigen Dekanntwerden geben.) 772s. Ehegesetze. Wenn nun ein Jüngling von 25 Jahren, auf dem Fest alle betrachtend und von allen gesehen, ein Mädchen 56

nach seinem Geschmack, geeignet für die Erjeugung und gemeinsame Erziehung von Kindern, gefunden ju haben glaubt, so soll er vor Erreichung des 35. Lebensjahres die Ehe mit ihm eingehen. Zuerst aber soll er auf die Lehren für eine richtige und passende Wahl achten. — Wer aber nicht freiwillig stch zu einer Ehe entschließt, wer stch absonbert und ungesellig lebt und unvermählt das fünft unddreißigste Jahr erreicht, der soll jedes Jahr eine Buße erlegen, ein Angehöriges der ersten Klasse 100 Drachmen, der zweiten 70, der dritten 60, der vierten 30 Drachmen. Dieses Geld sei der Hera geweiht. Wer die Buße nicht zahlt, soll jedes Jahr den zehnfachen Betrag abführen. — Außerdem soll er von den Jüngeren keiner Ehre gewürdigt werden, und keiner der Jüngeren soll ihm frei­ willig gehorchen. Wenn er aber jemanden zu züchtigen stch unter­ steht, soll jeder dem Angegriffenen zu Hilfe kommen und beistehen; wer es nicht tut, soll vom Gesetz als feiger und schlechter Mensch erklärt werden. (Bestimmungen über die Mitgift und das Hochzeits­ mahl sowie über den Besitz und die Behandlung der Sklaven schließen sich an.) 778c. Anlage der Stadt. Die Heiligtümer sollen rings um den Markt herum errichtet werden und die Stadt im Kreise herum sich auf die Höhen hinaufziehen, der Sicherheit und Reinlichkeit wegen. In der Nähe der Tempel müssen die Häuser für die Beamten und Gerichtshöfe stehen, in denen wie an besonders heiligen Stätten Recht genommen und gegeben wird, unter ihnen auch das Gerichtsgebäude, in dem über Mord und sonstige todeswürdige Verbrechen abgeurteilt wird. In betreff der Mauern möchte ich mich mit Sparta einverstanden erklären, sie in der Erde schlafen und nicht auferstehen zu lassen, und zwar aus folgenden Gründen. Zunächst wird mit Recht das Dichterwort gelobt, baß Mauern aus Eisen und Erz besser seien als solche aus Erde. Dann aber würden wir in unserem Fall noch reichlichen Spott ernten, und zwar vollständig gerecht, denn wir schicken jedes Jahr die Jünglinge in das Land, durch Gräben, Wälle und Bollwerke die Feinde abzuhalten, in das Land einzudringen, und nun bauen wir noch eine Mauer, die einmal für die Gesundheit der Stadt nicht zuträglich ist und dann einen gewissen verweichlichenden Ein­ fluß auf die Gemüter der Bewohner auszuüben pflegt. Denn sie reizt dazu, sich in den Mauerring zu flüchten, statt die Feinde abzuwehren, und nicht darin die Sicherheit zu suchen, daß man Tag und Nacht

auf Posten zieht, sondern sich einzubilden, am besten sei für die Sicherheit gesorgt, wenn man, hinter Mauern und Toren verwahrt, sich der Ruhe hingibt, als wären wir nicht zur Arbeit geboren. Dabei vergißt man, daß nur aus der Arbeit wahre Behaglichkeit erwächst. — Aber wenn die Menschen durchaus eine Mauer brauchen, so müssen sie ihre Häuser von Anfang so bauen, daß die ganze Stadt eine einzige Mauer bildet, indem alle Häuser, von gleicher Höhe und gleicher Bauart, nach den Straßen zu wie eine geschlossene Mauer aussehen. — Für die Erhaltung der im Anfang gebauten Häuser sollen geziemenderweise die Bewohner selbst sorgen, doch sollen die Stadtaufseher durch Strafen auf die Säumigen einen Zwang ausüben. Diese haben auch für die Reinlichkeit in der Stadt Sorge zu tragen wie dafür, daß kein Privatmann durch Gebäude oder Gräben staatlichen Grundbesitz mit Beschlag belegt. Ebenso müssen sie für glatten Abfluß des Regenwassers sorgen und inner­ halb wie außerhalb der Stadt auf eine angemessene Bauweise hinwirken. — 780a. Lebensweise der Bürger. Wer glaubt, daß die Staaten wohl Gesetze über das öffentliche und staatliche Leben der Bürger brauchen, aber eine Regelung des Privatlebens nicht nötig sei, vielmehr jeder seinen Tag verleben dürfe wie er wolle, der befindet sich im Irrtum. Im Gegenteil müssen auch die Neu­ vermählten genau so an den öffentlichen Mahlzeiten (Syssitien) weiter teilnehmen wie in der Zeit vor der Hochzeit. — In Sparta und Kreta haben zwar die öffentlichen Mahlzeiten für Männer eine vortreffliche und verwunderliche Ordnung ge­ funden aus einer göttlichen Zwangslage heraus, aber für die Frauen ist fälschlicherweise von der Gesetzgebung nichts bestimmt worden und die Einrichtung gemeinsamer Mahlzeiten für sie ist nicht geschaffen worden, sondern das weibliche Geschlecht, das als das schwächere viel verschlagener und schlauer ist, ist unbilligerweise nicht herangezogen worden, da der Gesetzgeber wegen der Schwierig­ keit, die Angelegenheit zu ordnen, sich nicht an sie herangewagt hat. Denn es ist nicht nur, wie man meinen könnte, die Hälfte ver­ absäumt, wenn man die Lebensweise der Frauen ohne gesetzliche Ordnung läßt, sondern um wieviel die weibliche Natur in der An­ lage zur Tugend hinter der männlichen zurücksteht, um so viel kommt es mehr als das Doppelte auf die Regelung an. Also ist es besser für die Wohlfahrt des Staates, alle Einrichtungen gemeinsam für Männer und Frauen zu treffen.

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Siebentes Buch. 7yze. Anweisungen für die Erziehung. (Die BeHandlung der kleinen Kinder ist unter dem Gesichtspunkt besprochen worden, sie möglichst von Geburt an körperlich und seelisch günstig zu beeinflussen.) Für die Entwicklung der seelischen Anlagen bei dem drei- bis sechsjährigen Kinde wird es der Spiele bedürfen, die Verweichlichung muß aufhören und die Strafe in ihr Recht treten; doch darf man weder durch maßlose Züchtigung die Be­ straften zum Zorne reizen noch durch Unterlassung der Strafe sie verwöhnen. Für Kinder dieses Alters gibt es aber naturgemäße Spiele, auf die sie beim Zusammensein beinahe von selbst kommen. So sollen denn alle Kinder vom dritten bis sechsten Jahre bei den Heiligtümern der Landgemeinden zusammenkommen, und zwar nach Gemeinden eingeteilt. Die Wärterinnen sollen die Aufsicht führen, um bei diesen Kindern für Zucht und Ordnung zu sorgen. — Nach zurückgelegtem sechsten Lebensjahr sollen die Geschlechter getrennt werden, Knaben mit Knaben und Mädchen mit Mädchen sich die Zeit vertreiben. Beide müssen sich dem Lernen zuwenden, die Knaben zur Erlernung des Reitens, Bogenschießens, Speerwerfens und Schleuderns, und, wenn es die Sachlage zuläßt, bis zu einer gewissen Fertigkeit auch die Mädchen, besonders in bezug auf den Gebrauch der Waffen. — Die Lehrfächer zerfallen in die Gymnastik für die Ausbildung des Körpers und die Musik für die harmonische Ausbildung der seelischen Anlagen. Die Gymnastik hat wieder zwei besondere Unterrichtsgegenstände, den Tanz und die Kunst des Ringens. (Weiter wird die Bedeutung der öffentlichen Feste für die Dauer der Gesetze hervorgehoben und vor allem eine feste Gewöhnung verlangt, die jede Veränderung ausschließt. Daher werden bestimmte Gesetze für die Ordnung der Feste und Bindung der Dichter an dieselben verkündet. Weitere Gesetze erstrecken sich auf den gesamten Unterricht und die kriegerischen Übungen, und selbst die Tragödien und Komödien werben einer gesetzlichen Rege­ lung unterworfen. Die letzten Bücher der „Gesetze" regeln den Geschäftsbetrieb und bringen eine eingehende Strafgesetzgebung, die auch in guten Staaten notwendig sei.)

Aristoteles" Politik. I 1252b. 1253a. Bestimmung und Zweck des Staates. (Die kleinste Gemeinschaft ist die Familie, dann kommt das Geschlecht, dann die Dorfgemeinde.) Endlich ist die aus mehreren Dorf­ gemeinden bestehende Gemeinschaft der Staat (Stadt); in ihm ist gleichsam das Ziel einer vollkommenen Selbstgenügsamkeit erreicht; um des Lebens willen ist er entstanden, eines wohl ge­ ordneten Lebens wegen besteht er. Darum besteht jeder Staat von Natur, wenn anders es auch für die anderen Gemein­ schaften zutrifft (nämlich Familie, Sippe, Dorf). Denn der Staat verhält sich zu ihnen wie das Ziel, dem ste justreben, d. h. die Natur. Unter der Natur eines jeden Dinges verstehen wir nämlich seine beim Abschluß der Entwicklung erreichte Gestalt, wie beim Menschen, beim Pferd, beim Haus. Mit der Verwirklichung des Zweckes und Erreichung des Zieles ist die höchste Vollkommen­ heit eines Dinges erreicht, für den Staat ist aber Selbstgenüg­ samkeit Ziel und Vollkommenheit. Daraus ergibt sich, daß der Staat ein Naturprodukt ist und der Mensch von Natur ein staatliches Wesen; der Staaten­ lose aber ist, soweit er es von Natur und nicht zufällig ist, ent­ weder weit schlechter oder besser als ein Mensch.-------------So ist der Staat auch von Natur früher als die Familie und jeder einzelne. Denn das Ganje ist notwendig früher als der Teil.-------Wer aber nicht in Gemeinschaft leben kann oder ihrer in seiner Selbstgenügsamkeit nicht bedarf, der ist kein Glied des Staates, also entweder ein Tier oder ein Gott. Darum lebt in allen von Natur der Trieb ju einer solchen Gemeinschaft, und der Stifter der ersten ist der Urheber der größten Güter. Denn wie der Mensch in seiner Vollendung das vollkommenste aller Lebewesen ist, so ist er ohne Gesetz und Recht das schlechteste von allen.--------Die Gerechtig­ keit ist ein Erjeugnis des Staates, denn das Recht ist die in der staatlichen Gemeinschaft herrschende Ordnung. —

III 1278b. Bestimmung der Verfassung und ihrer Arten. Nun ist zu untersuchen, ob nur eine oder mehrere Arten von Staatsverfassungen anzunehmen stnd, und im letzten Falle welche und wie viele und worin ste sich unterscheiden. Man versteht aber unter Verfassung eines Staates die Ordnung der Gewalten überhaupt und vor allem der obersten Gewalt. Denn die souveräne Gewalt bildet überall die Regierung des Staates, und durch diese wird die Verfassung bestimmt. So ist j. B. in den Demokratien das Volk der Souverän, in den Oligarchien dagegen einige Wenige, und daher weichen nach unserer Meinung diese Verfassungen von­ einander ab. Ähnlich werden die anderen Verfassungen von uns beurteilt.--------------Oben haben wir gesagt, daß der Mensch von Natur ein staatliches Wesen ist. Deshalb streben die Menschen, auch wenn sie keiner gegenseitigen Hilfe bedürfen, nach dem Zu­ sammenleben; doch auch der gemeinsame Nutzen führt sie jusammen, insofern jeder auf diese Weise Anteil an einem würdigen Leben erhält. Dieses ist nun der höchste Zweck des Staates, für alle insgesamt wie für jeden einjelnen insbe­ sondere. — 1279 a. So ist es klar, daß diejenigen Verfassungen, die den gemeinsamen Nutzen betwecken, nach dem Maßstabe der Gerechtig­ keit schlechthin normale stnd, die aber, die nur auf den Vorteil der Herrschenden berechnet sind, fehlerhafte und sämtlich Ent­ artungen der normalen Verfassungen sind. Denn sie sind despotischer Art, der Staat aber ist eine Gemeinschaft von Freien. Danach sind also die Verfassungen daraufhin anzusehen, wie viele es gibt und wie beschaffen sie sind, und zwar betrachten wir juerst die normalen. Dann werden auch die Ausartungen klar zu erkennen sein. Da Verfassung und Regierung dasselbe bezeichnet, die Re­ gierung aber die souveräne Gewalt in den Staaten ist, so muß entweder einer oder wenige oder die Masse Souverän sein. Wenn nun dieser eine, die wenigen oder die Masse den allgemeinen Nutzen im Auge haben, so müssen diese Verfassungen notwendig normale sein; wird aber bei der Staatsverwaltung nur auf den Nutzen des einen, der wenigen oder der Masse gesehen, so sind es Ausartungen. Don den Monarchien pflegen wir die, die auf das gemeine Beste steht, Königtum nennen, die Herrschaft weniger, die aber mehr stnd als einer, Aristokratie, sei es, weil die Besten herrschen oder das Beste für Staat und Bürger verfolgt wird.

Wenn aber die Masse die Regierung zum allgemeinen Besten führt, so nennt man diese Staatsform mit dem gemeinsamen Namen für alle Verfassungen Politie (Verfaffungsstaat).-------Die Ausartungen der genannten Verfassungen sind in bezug auf das Königtum die Tyrannis, in bezug auf die Aristokratie die Oligarchie, in bezug auf die Politie die Demokratie. Denn die Tyrannis ist die Form der Monarchie, die nur auf den Vorteil des Alleinherrschers abzielt, die Oligarchie zielt auf den Nutzen der Reichen und die Demokratie auf den der Armen ab, für das Wohl der Gesamtheit sorgt keine von ihnen.-------IV 1289b. Ursache der verschiedenen Verfassungen. Die Ursache davon, daß es mehrere Verfassungen gibt, liegt in der Mehrzahl der jeden Staat bildende» Volksteile. Zunächst nämlich sehen wir alle Staaten aus Familien bestehen, sodann zerfällt diese Masse notwendig wieder in Reiche, Arme und einen Mittelstand, und von den Reichen und Armen führen die einen Waffen, die anderen sind unbewaffnet. Und das niedere Volk (Demos) be­ steht, wie wir sehen, aus Ackerbauern, Handelsleuten und Hand­ arbeitern (Banausen). Auch bei den Angesehenen gibt es Unter­ schiede in bezug auf den Reichtum und die Größe des Besitzes, wie z. B. das Züchten von Pferden Reichtum voraussetzt. Deshalb bestanden in den alten Zeiten in allen Staaten, in denen die Hauptstärke bei der Reiterei lag, Oligarchien.-------- Zu den Unter­ schieden infolge des Reichtums kommen noch die des Geschlechts und der Tüchtigkeit hinzu. — Wir erörterten schon, aus wie vielen Teilen jeder Staat bestehen muß; von diesen Teilen nehmen entweder alle oder die Minderzahl oder die Mehrzahl an der Regierung teil. So ist es klar, daß es mehrere Verfassungen geben muß, die sich der Art nach unterscheiden, da ja auch ihre Bestandteile der Art nach verschieden sind. Denn Verfassung ist die Ordnung der Re­ gierungsgewalten, und diese gliedert sich entweder nach dem Ver­ mögen der Anteilberechtigten oder nach dem, was die Armen oder die Reichen oder beide gemeinsam haben. Daher sind notwendig so viele Verfassungen anzunehmen, als es Ordnungen nach den Vorzügen und Unterschieden der Bestandteile des Staates gibt. 1294a. Die relativ beste Verfassung. Welches ist nun die beste Verfassung und welches das beste Leben für die meisten Staaten und die meisten Menschen? Diese Frage kann nicht ent­ schieden werden nach einer Tugend, die über die Kräfte des Durch­ schnittsmenschen hinausgeht, noch nach einer Bildung, die Mittel

und Naturanlagen erfordert, wie sie das Glück gewährt, noch nach einer idealen Verfassung, sondern sie bedarf zu ihrer Beantwortung als Maßstab eines Lebens, wie es den meisten erreichbar ist, und einer Verfassung, die für die meisten Staaten anwendbar ist. Denn auch die sogenannten Aristokratien, über die wir eben sprachen, fallen teils für die meisten Staaten außerhalb des Bereichs der Anwendbarkeit, teils grenzen sie an die sogenannte Politie. Über beide Verfassungen muß also wie über eine gesprochen werden. Die Entscheidung über alle diese Fragen ist nach denselben Grund­ sätzen zu treffen. Ist nun in der Ethik das glückselige Leben richtig bestimmt als ein Leben in unbehinderter Tugend und die Tugend als die Mitte zwischen den Extremen, so muß ein in dieser Mitte sich abspielendes Leben das beste sein, einer Mitte, die für jeden erreichbar ist. Dieselben Bestimmungen müssen aber auch über Wert und Unwert eines Staates und einer Verfassung entscheiden. Denn die Verfassung ist gewissermaßen das Leben des Staates. In allen Staaten nun findet man drei Klassen von Bürgern: sehr reiche, sehr arme und einen Mittelstand zwischen beiden. An­ genommen, daß die Mitte zwischen den Extremen das beste Ver­ hältnis ist, so ist klar, daß auch in den Vermögensverhältnissen der mittlere Besitz der beste ist; denn ein solcher Dermögensstand gehorcht am leichtesten der Vernunft. Dagegen fällt es dem über­ mäßig Schönen oder Starken oder Edlen oder Reichen wie ebenso ihrem Gegenfüßler, dem übermäßig Armen oder Schwachen oder Verachteten, sehr schwer, der Vernunft zu folgen. Jene werden mehr übermütig und verbrecherisch im großen sein, diese aber tückisch und Bösewichter im kleinen, und aus Übermut auf der einen und Bosheit auf der anderen Seite entspringen ja alle ungerechten Taten. Auch sind solche Leute entweder Verächter der Staats­ pflichten oder Ämterjäger, und beides gereicht den Staaten zum Schaden. Außerdem haben die übermäßig mit Glücksgütern Gesegneten, mit Kraft, Reichtum, Anhang und ähnlichem, weder Lust noch Einsicht sich unterzuordnen, und diese Gesinnung bringen sie schon als Kinder von Hause mit; denn verzogen können sie sich nicht einmal in der Schule an Gehorsam gewöhnen. Dagegen sind die ganz Mittellosen wieder allzu unterwürfig. So können die einen, unfähig zum Herrschen, nur sklavisch gehorchen, und die anderen, ohne jede Fähigkeit zur Unterordnung, nur despotisch regieren. Es entsteht also ein Staat von Knechten und Herren, aber nicht 63

von Freien, von denen die einen mit Neid, die andern mit Verach­ tung auf ihre Mitbürger sehen. Ein solcher Zustand ist das Gegen­ teil von Freundschaft und staatlicher Gemeinschaft; denn Gemein­ schaft ist Freundschaft, mit Feinden will man aber nicht einmal zusammen wandern. Ein Staat will aber, wenn irgend möglich, aus gleichen und ähnlichen Bürgern bestehen, und dies trifft am meisten auf den Mittelstand zu. So muß der Staat die beste Verfassung haben, der in seiner Zusammensetzung der von uns erwähnten Natur des Staates entspricht.-------------Es ist also klar, daß auch die auf dem Mittelstand be­ gründete Gemeinschaft die beste ist und daß solche Staaten eine gute Verfassung haben können, in denen der Mittelstand zahlreich ist und am besten die beiden anderen Stände an Zahl über­ trifft oder doch wenigstens einen von ihnen. Dann gibt er stets den Ausschlag und verhindert das Überwiegen der Extreme. Deshalb ist es das größte Glück für einen Staat, wenn seine Bürger ein mittleres und ausreichendes Vermögen haben, da in Staaten mit sehr Reichen und Besitzlosen entweder die Herrschaft des Pöbels oder eine reine Oligarchie oder eine Tyrannis entsteht infolge des Über­ wiegens der Extreme. Denn eine Tyrannis geht ebenso aus der zügellosesten Demokratie wie aus der Oligarchie hervor, dagegen aus der Vorherrschaft des Mittelstandes und der ihm nahestehenden Kreise viel seltener. 1297b. Über die beratende, ausführende und richterliche Gewalt. Es gibt drei Bestandteile in allen Ver­ fassungen, die vom sorgfältigen Gesetzgeber zum Frommen einer jeden bestellt werden müssen. Bei guter Ordnung dieser drei Stücke muß auch die Verfassung gut bestellt sein, und ihre verschiedene Ordnung bestimmt zugleich den Unterschied der Verfassungen untereinander. Don diesen dreien ist das eine die über die gemein­ samen Angelegenheiten beratende Gewalt, das zweite betrifft die Ämter, das dritte die richterliche Gewalt. Die beratende Gewalt entscheidet über Krieg und Frieden, Abschluß und Aufhebung von Bündnissen, über die Gesetze, über Tod, Verbannung und Gütereinziehung, über die Wahl der Be­ hörden und über die Rechenschaftsablegung. Alle diese Entschei­ dungen sind entweder allen Bürgern übertragen oder einigen alle oder den einen diese, anderen jene oder endlich einige von ihnen allen, einige einigen. Demokratisch ist die Übertragung der Ent-

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scheibung an alle, denn nach einer solchen Gleichheit strebt das Volk. (Es folgen Ausführungen über verschiedene Möglichkeiten der Durchführung dieses demokratischen Prinzips, sowie über die Ordnung in den Oligarchien.) 1299a. Nun folgt die Unterscheidung der Ämter. Denn auch dieser Bestandteil der Verfassung läßt viele verschiedene Arten der Ordnung zu. Es kommt darauf an, wie viele Ämter es geben und wofür sie zuständig sein sollen, wie lang die Amtsdauer für jedes Amt sein soll, ob die Ämter lebenslänglich oder auf lange Zeit vergeben werden oder keins von beiden zulässig sein soll, vielmehr dieselben Männer ein Amt häufig bekleiden können. Weiter: ob dasselbe Amt nur einmal bekleidet werden darf und wie die Be­ setzung der Ämter erfolgen soll, wer gewählt werden, wer wählen und wie gewählt werden soll.------------Es ist auch nicht leicht festzustellen, was man als Amt be­ zeichnen soll; denn der Staat bedarf vieler Vorsteher, weshalb man nicht alle, die gewählt oder durchs Los bestimmt werden, als Be­ amte bezeichnen darf, wie z. B. gleich die Priester, weil das Priester­ amt nicht unter die staatlichen Ämter zu rechnen ist; ebenso auch nicht die Chorführer, die Herolde und Gesandten, die auch ge­ wählt werden. Es haben aber einige Ämter wohl obrigkeitliche Befugnisse und dehnen ihre Autorität entweder über alle Bürger hinsichtlich einer bestimmten Tätigkeit aus, wie der Feldherr über die Soldaten, oder über einen Teil der Bürgerschaft, wie der Frauen- und Knaben­ aufseher, während andere wirtschaftliche Befugnisse haben, wie die Kornmeffer, und wieder anderen gewisse Verrichtungen obliegen^ zu denen die Wohlhabenden Sklaven bestellen. Daher darf man als eigentliche Staatsämter nur die bezeichnen, deren Inhaber mit der Befugnis ausgestattet sind, über gewisse Dinge zu beraten, zu entscheiden und Anordnungen zu treffen. Besonders das Recht, Anordnungen zu erlassen, ist ein wesentliches Kennzeichen der Amts­ gewalt. Freilich sind diese Begriffsbestimmungen für die Praxis ohne Belang, da es wohl noch nie darüber zu Streit und einer Entscheidung gekommen ist; sie haben aber ein Interesse für den Systematiker. Dagegen ist die Frage wichtig, welche und wie viele Ämter für einen Staat durchaus notwendig sind und welche zwar nicht unbedingt nötig, aber doch für einen gut organisierten Staat natürlich sind; diese Frage ist für jeden Staat, besonders xxvi/5

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aber für die kleinen Staaten von Bedeutung. In den großen Staaten kann und muß für jeden Geschäftszweig ein besonderes Amt bestellt werden, denn hier können viele zu den Ämtern gelangen, da die Zahl der Bürger groß ist, so daß ein und dasselbe Amt teils erst nach langer Zeit wieder oder überhaupt nur einmal an denselbe» gelangt, und dann ist es ohnehin besser, wenn jedes Werk einem Beamten anvertraut ist, der nur eine Sache zu bearbeiten, als einem, der vieles zu beaufsichtigen hat. In den kleinen Staaten aber müssen viele Ämter auf wenige gehäuft werden, weil wegen der geringen Devölkerungszahl nicht leicht viele im Amt sein können. Denn woher sollte man ihre Nachfolger nehmen? Nun bedürfen wohl zuweilen die kleinen Staaten derselben Ämter und Gesetze wie die großen, doch brauchen diese dieselben Behörden oft, während bei jenen oft erst nach langer Zeit dieselbe Behörde wieder in An­ spruch genommen wird. Deshalb gibt es kein Hindernis, viele Geschäfte denselben Ämtern zuzuweisen, da ihre Besorgung nicht unter Überlastung der Beamten leiden wird, und man ist wegen der geringen Devölkerungszahl gezwungen, die Ämter wie jene Werkzeuge einzurichten, die man zugleich als Leuchter und Brat­ spieße benutzen kann. Wenn wir also angeben können, wieviel Ämter jeder Staat notwendig braucht und wieviele zwar nicht un­ bedingt notwendig sind, aber doch vorhanden sein sollten, so wird man auf Grund dieser Einsicht leichter angeben können, welche Ämter man passend zu einem Amte zusammenlegen kann.-------1300a. Art der Besetzung. Nun müssen wir versuchen, die Frage der Besetzung der Ämter von Anfang an zu er­ örtern. Es gibt Unterschiede nach drei Gesichtspunkten, aus deren Verknüpfung alle Arten der Bestellung gewonnen werden müssen: 1. Wer wählt die Beamten? 2. Aus welchem Kreise werden die Beamten genommen? 3. Wie geschieht die Wahl? Jeder dieser Punkte ergibt drei Möglichkeiten. Denn entweder wählen alle Bürger oder nur ein bestimmter Kreis; entweder werden die Be­ amten aus der gesamten Bürgerschaft ausgewählt oder aus be­ stimmten Bürgern, und zwar sind diese nach dem Vermögen oder der Abkunft oder der Tüchtigkeit oder einem ähnlichen Gesichtspunkt dazu berufen; und schließlich erfolgt die Bestellung durch Wahl oder durch das Los. Aus der Verknüpfung der bisher aufgezählten beiden Möglichkeiten ergibt sich dann für jeden Gesichtspunkt der dritte Fall: nämlich 1. einen Teil der Ämter besetzen einige, den andern alle; 2. ein Teil der Beamten wird von allen, ein anderer

von einigen; 3. ein Teil wird durch Wahl, ein anderer durch das Los bestellt.-------- Von diesen verschiedenen Arten der Beamten­ bestellung stnd zwei demokratisch: alle Beamten werden von allen Bürgern durch Wahl oder durch das Los bestellt oder teils durch Wahl, teils durch das Los. Den wahren Freistaat (die Politik) kennzeichnet die Beschränkung des aktiven und des passiven Wahl­ rechts entweder für alle oder für einige Ämter und die Anwendung der Wahl und des Loses. Oligarchisch aber ist ... (das Folgende ist in hoffnungslos verderbter Gestalt überliefert). 1300b. Don den Gerichten. Don den drei Staats­ gewalten ist nun noch die richterliche zu besprechen. Auch bei ihr sind auf derselben Grundlage die möglichen Gestaltungen zu be­ stimmen. Oer Unterschied der Gerichte beruht aber auf drei Be­ stimmungen: Wer soll Richter werden, wie weit soll die Kompetenz der Gerichte reichen, wie sollen sie besetzt werden. Es gibt acht Arten von Gerichten: für Rechenschaftsable­ gung, für Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit, für Hochverrat, für Berufungen gegen amtlich zuerkannte Strafen, für Privat­ klagen über größere Beträge, für Anklagen auf Mord, für die Fremden und endlich für Privatklagen über kleine Beträge, von einer Drachme, fünf Drachmen und etwas mehr. Das Gericht für die Blutgerichtsbarkeit zerfällt in verschiedene Abteilungen, seien sie nun mit denselben Richtern besetzt oder mit andern, näm­ lich für Mord oder Totschlag, für Verbrechen, die zwar vom Täter eingestanden, aber von umstrittener Berechtigung sind, und für solche Fälle, wenn ein wegen Totschlags Verbannter bei seiner Rück­ kehr von neuem angeklagt wird.-------- Wir wollen nun noch über die Gerichtshöfe für Hochverrat sprechen, da es bei schlechter Besetzung derselben leicht zu Aufruhr und Erschütterungen der Verfassung kommen kann. Entweder müssen nun alle, durch Wahl oder Los bestellt, über alle Fälle entscheiden, oder alle über alles teils durch Wahl, teils durch das Los berufen, oder es richten über einige Fälle teils durch Wahl, teils durch das Los bestellte Richter. Dies sind also vier verschiedene Zusammensetzungen der Gerichtshöfe; ebensoviel Arten ergeben sich da, wo nur ein Teil der Bürger zum Richteramt zugelassen wird. — 1302a. Gewaltsamer Verfassungswechsel. Da wir nach den Ursachen der Aufstände und Verfassungsänderungen forschen wollen, so müssen wir zuerst ihre Anlässe und Ursachen im allgemeinen aufzuzeigen versuchen. Man könnte drei an der

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Zahl nennen, die wir jede für sich zunächst nach ihrem Wesen um­ grenzen müssen. Denn es gilt festzusiellen, aus welcher Gemüts­ verfassung heraus und zu welchem Zwecke die Menschen sich er­ heben und drittens, welche äußeren Anlässe zu politischen Unruhen und inneren Streitigkeiten führen. Als Grund nun für eine Ge­ neigtheit zum Umsturz muß im allgemeinen am meisten das an­ geführt werden, worüber wir schon gesprochen haben. Denn die einen empören sich aus dem Streben nach Gleichheit, wenn sie glauben, weniger Rechte zu haben als die bevorrechtete Klasse, der sie sich doch ebenbürtig fühlen, die andern aber aus Verlangen nach Ungleichheit und Bevorrechtung, wenn sie annehmen, daß sie, obwohl besser, doch nicht mehr oder sogar weniger Rechte haben als die anderen — dieses Streben kann gerecht, aber auch ungerecht sein —; die einen also erheben sich, um von einer Stellung minderen Rechtes zur Gleichberechtigung, die andern um von der Gleich­ berechtigung zu einer bevorzugten Stellung zu gelangen. Der Zweck des Aufruhrs aber ist Erlangung von Vorteil und Ehre, aber auch aus Scheu vor Unehre und Strafe, mag sie de» Em­ pörern selbst oder ihren Freunden drohen, entstehen Unruhen i« den Staaten. Endlich der äußeren Anlässe zu inneren Bewegungen, aus denen die erwähnte Gemütsverfassung hervorgeht und auf die genannten Ziele hingelenkt werden, sind der Zahl nach sieben; doch kann man auch noch mehr anführen. Zwei von ihnen sind identisch mit den genannten, wirken aber in anderer Richtung. Denn man wird wohl wegen des Gewinnes und der Ehre auf andere erbittert, aber nicht, um sich selbst in den Besitz derselben zu setzen, wie vorher gesagt, sondern weil man die andern verdienter oder unverdienter Weise bevorzugt sieht. Außerdem schreitet man zu Verfassungsänderungen aus frevelhaftem Übermut, aus Furcht, aus Machtbewußtsein, aus Verachtung und wegen unverhältnis­ mäßigen Wachstums gewisser Devölkerungsschichten; außerdem noch wegen Ämtererschleichung, Nachlässigkeit, Geringschätzung kleiner Umstände und ungleicher Zusammensetzung der Bevölkerung. 1307b. Erhaltung der Verfassungen. Bei der Frage nach der Erhaltung der Verfassungen ist es klar, daß man die Mittel kennt, durch die die Verfassungen erhalten werden, wenn man die Ursachen ihres Umsturzes erkannt hat. Denn der Gegensatz be­ wirkt den Gegensatz, und Zusammenbruch und Erhaltung sind Gegensätze. In den gut gemischten Verfassungen muß man be-

sonders darauf achten, daß nichts wider die Gesetze geschehe, und in erster Linie sich vor kleinen Abweichungen hüten. Denn die Gesetzwidrigkeit schleicht stch heimlich ein und untergräbt den Staat, wie die kleine Ausgabe, oft wiederholt, das Vermögen aufzehrt. Die Wirkung aber tritt unbemerkt ein, da die Ausgaben nicht groß find.------------- Man muß also gegen einen solchen Anfang Vor­ kehrung treffen. — Man kann auch die Erfahrung machen, daß fich oft nicht nur Aristokratien, sondern auch Oligarchien lange halten, nicht als ob diese Verfassungen dauerhaft wären, sondern weil die Inhaber der Staatsgewalt die von der Regierung Ausgeschlossenen wie die Vollbürger gut behandeln, indem sie jenen kein Unrecht jufügen, die politisch Begabten unter ihnen in die Bürgerschaft aufnehmen, die Ehrgeijigen nicht in ihrer Ehre kränken und die Masse nicht ungerecht in ihrem Verdienst beeinträchtigen, unter sich selbst aber und mit den Dollbürgern auf dem Fuße demokratischer Gleich­ heit verkehren. Denn die Gleichheit, die die Demokraten für die Masse erstreben, ist unter Gleichberechtigten nicht nur gerecht, sondern auch nützlich. — Die Verfassungen werben aber nicht nur durch Fernhaltung jerstörender Elemente gesichert, sondern manch­ mal auch durch die drohende Nähe von Erschütterungen. Denn dann sorgt man aus Furcht besser für die Verfassung. Deshalb müssen diejenigen, die auf die Verfassung acht geben, für ihren Bestand unter den Bürgern Besorgnisse wachrufen, damit diese auf der Hut sind und die Sorge für die Verfassungsform wie eine nächtliche Sicherheitswache niemals ruhen lassen, und müssen das Entfernte als nah schildern. Auch muß man den übertriebenen Wetteifer und Fehdegeist der Angesehenen auf gesetzlichem Wege ;u verhindern bemüht sein und die außerhalb der Fehden Stehenden vor einer Verwicklung in dieselben bewahren, da nicht ein beliebiger, sondern nur ein politisch geschulter Mann bas Unheil im Entstehen ;u er­ kennen vermag.------------1308a (am Schluß). Die, die die höchsten Ämter bekleiden sollen, müssen drei Eigenschaften besitzen: Liebe jur bestehenden Verfassung, größte Befähigung für die Obliegenheiten des Amtes, Tugend und Gerechtigkeit, wie sie jede Derfassungsform verlangt. Denn wenn das Recht nicht für alle Verfassungen dasselbe ist, muß es auch Unterschiede in der Gerechtigkeit geben. Eine Schwierigkeit entsteht, wenn nicht alle diese Eigenschaften in demselben Mann vereinigt sind. Wie soll dann die Auswahl

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erfolgen? Soll man z. B. einen tüchtigen Feldherrn, der von Charakter schlecht und kein Freund der Verfassung ist, einem ge­ rechten und verfassungstreuen, aber militärisch schlecht befähigten vorziehen oder umgekehrt? Hier muß man auf zweierlei sehen, was sich mehr und was sich weniger bei allen findet, also beim Feldherrnamte mehr auf Erfahrung als auf Tugend, da die Be­ fähigung dazu seltener, die Rechtschaffenheit häufiger vorkommt, dagegen im Sicherheits- und Finanzdienst umgekehrt; denn es erfordert mehr Tugend, als die meisten besitzen, während die Eignung hierzu allen gemeinsam ist. Was bedarf es aber noch der Tugend, wenn jemand Be­ fähigung und Liebe zur Verfassung besitzt? Denn diese beiden Eigen­ schaften werden schon alles -em Staate Zuträgliche bewirken, könnte man einwerfen. Aber ist es nicht möglich, daß die Männer, die beides besitzen, sich nicht selbst in Zucht zu halten verstehen und sie so nichts hindert, gegen die Interessen des Staates zu handeln, wie auch die Haltlosen trotz Erkenntnis und Selbstliebe ihren eigenen Interessen nicht zu dienen verstehen? Ganz allgemein aber schützt alles das die Verfassungen, was nach unseren Worten in den Gesetzen als den Verfassungen zuträglich enthalten ist, und am wichtigsten ist, dafür zu sorgen, daß die Partei, die die Verfassung stützt, stärker ist als die, die sie verneint. Dor allem aber darf nicht übersehen werden, was die entarteten Verfassungen jetzt übersehen, die Einhaltung der goldenen Mittelstraße bei Ausarbeitung der Verfassungen. Denn vieles, was volkstümlich erscheint, löst die Demokratie und vieles, was oligarchisch aussieht, die Oligarchien auf. Es gibt Leute, die das einzige Heil in der Übertreibung erblicken und über­ sehen, daß man das Prinzip einer Verfassung nicht auf die Spitze treiben darf.-------- Eine Demokratie oder Oligarchie kann wohl geordnet sein, auch wenn sie von der besten Verfassung abweicht. Überspannt man aber in dieser oder jener die charakteristischen Züge, so wird sich zunächst die Verfassung verschlechtern und schließlich ihren Charakter als Verfassung verlieren. Deshalb muß ein Ge­ setzgeber und Staatsmann genau wissen, was für Eigenschaften eine Demokratie oder Oligarchie erhalten und zerstören. Denn keine von beiden kann ohne Reiche und ohne die große Masse bestehen, sondern wenn Dermögensgletchheit eintritt, so wird die Verfassung ihren Charakter verändern, so daß eine'.Beseitigung dieser Klassen durch übertriebene Gesetze die Verfassung selbst aufhebt.

In dieser Hinsicht wird in den Demokratien und Oligarchien gesündigt, in den Demokratien von den Demagogen, da dort das Volk Herr über die Gesetze ist; denn durch den Kampf gegen die Reichen spalten sie den Staat, während sie umgekehrt immer für die Reichen eintreten sollten. Ebenso müßten in den Oligarchien die Vertreter der Regierungsgewalt sich für das Volk ver­ wenden, und die Oligarchen müßten den entgegengesetzten Eid wie jetzt schwören. Denn jetzt schwören sie in einigen Staaten: „und ich will dem Volke feindlich gesinnt sein und $u seinem Schaden raten, so viel ich vermag," und doch sollten sie das Gegenteil annehmen und vertreten und schwören: „ich will dem Volke kein Unrecht jufügen". Das Wichtigste von allem aber, um die Verfassungen ;u erhalten, ist die Erziehung im Sinne der Verfassung, was jetzt überall vernachlässigt wird. Denn die heilsamsten Gesetze, von allen Staatsbürgern einmütig beschlossen, nützen nichts, wenn nicht die einzelnen an sie gewöhnt und im Geist der Verfassung erzogen werden, im demokratischen Geist in Demokratien und im oligarchischen in Oligarchien. Denn wenn der einzelne ohne Er­ ziehung der Zügellosigkeit anheimfällt, so verfällt auch der Staat demselben Schicksal. Unter Erziehung für den Staat ist aber nicht Gewöhnung an unbedingte Anpassung an die Wünsche der oli­ garchischen oder demokratischen Machthaber, sondern Befähigung zur Selbstbehauptung in einer Oligarchie oder Demokratie zu ver­ stehen. Jetzt aber leben in den Oligarchien die Söhne der herrschenden Klasse in Schwelgerei, die Söhne der Armen dagegen werden so aus­ genutzt und geplagt, daß sie desto mehr zu Neuerungen aufgelegt und auch in den Stand gesetzt werden. In den am meisten als solche gepriesenen Demokratien aber ist das Gegenteil einer Erziehung zum Nutzen des Staates zu finden, weil man den Begriff der Freiheit falsch bestimmt. Denn zwei Momente scheinen der Demokratie eigentümlich zu sein: die Herrschaft der Mehrheit und die Freiheit. Gerechtigkeit und Gleichheit scheinen nun identisch zu sein und die Gleichheit in der Entscheidung der Mehrheit zum Ausdruck zu kommen; Freiheit aber bedeutet Handeln nach eigenem Gut­ dünken. So lebt in solchen Demokratien jeder nach freiem Ermessen und, wie Euripides sagt, nach Herzenslust. Dies aber ist falsch. Denn man soll es nicht für Sklaverei halten, nach der Verfassung zu leben, sondern als notwendig zur Erhaltung derselben. — 1310b. Königtum und Tyrannis. Gleich die Entstehung der beiden Arten von Alleinherrschaft zeigt ihren Gegensatz zu-

einander. Denn das Königtum ist entstanden, um die tüchtigen Bürger vor der Masse i» schützen, und der König wird aus jenen wegen seiner hervorragenden Tüchtigkeit oder wegen tüchtiger Taten bestellt oder weil er aus einem durch Tüchtigkeit ausgezeichneten Geschlechte stammt; der Tyrann aber wird aus der Masse gegen die Angesehenen eingesetzt, damit das Volk gegen Über­ griffe ihrerseits geschützt ist.-------- 1311a. Der König soll darüber wachen, daß die Vermögenden kein Unrecht leiden und das Volk nicht übermütig behandelt wird. Die Tyrannis dagegen steht, wie schon wiederholt betont, nicht auf das Gemeinwohl, soweit es nicht ihrem eigenen Nutzen dient. Der Tyrann trachtet nach dem Angenehmen, der König nach dem Guten. Daher ist das Streben nach Bereicherung für den Tyrannen, das nach Ehre für den König kennzeichnend. Die Leibwache des Königs besteht aus Bürgern, die deS Tyrannen aus Fremde». Die Tyrannis vereinigt ganz offenbar die Übel der Demokratie und Oligarchie in sich. Von der Oligarchie hat sie das Streben nach Reichtum als Endzweck, da nur so die Leibwache und die Schwelgerei ermöglicht werden kann, und das Mißtrauen gegen die Masse.------------ Von der Demokratie hat sie die Feindschaft gegen den Adel; sie sucht ihn heimlich und öffentlich zu verderben und zu vertreiben, da sie in ihm ihren Neben­ buhler und ein Hindernis für ihre Herrschaft sieht. — 1323a. Dom besten Staat. Die Frage nach der besten Staatsverfassung kann nur dann mit der gebührenden Sorgfalt behandelt werden, wenn die Bestimmung des begehrenswertesten Lebens vorangegangen ist. Solange dies nicht festgestellt ist, kann auch die Frage nach der besten Verfassung nicht gelöst werden. Denn die beste Verfassung muß denen, die ihre Vorteile genießen, auch ein möglichst glückliches Leben gewährleisten, wenn nicht unvorhergesehene Umstände eintreten. Deshalb muß man zuerst darüber sich einig sein, welches sozusagen für alle das begehrens­ werteste Leben ist, und sodann darüber, ob dieses Leben für die Gesamtheit und für den einzelnen dasselbe oder ein anderes ist. -------- Niemand dürfte die Feststellung beanstanden, daß es drei Arten von Gütern gibt, äußere, leibliche und seelische, und daß die Glücklichen alle drei besitzen müssen. Niemand dürfte wohl einen Menschen glücklich nennen, der nicht ein Titelchen von Tapferkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit und Einsicht besitzt, sondern sich vor den vorbeisummenden Fliegen fürchtet, bei aufsteigender Freß- und Sauflust nicht vor der widerwärtigsten Ausschreitung zurückschreckt,

für eine« Pfennig seine besten Freunde verrät und so blöden Ver­ standes und Täuschungen so unterworfen ist wie ein Kind oder ein Verrückter. Aber wie über diese Dinge, sobald sie nur ausgesprochen werden, alle einer Meinung sind, so sehr gehen die Meinungen über das Maß und den Wertunterschied der Güter auseinander. Don der Tugend glaubt jeder einen wie großen Teil auch immer zu be­ sitzen, in bezug auf Reichtum, Geld, Macht, Ansehen und alle der­ artigen Dinge aber erstrebt man Vermehrung bis ins Unendliche. Wir jedoch wollen diesen Leuten sagen, daß sie sich leicht schon durch die Tatsachen vergewissern und feststellen können, daß sie nicht die Tugenden durch die äußeren Güter, sondern diese vielmehr durch jene erwerben und besitzen und daß ein glückliches Leben, mag es nun für die Menschen im Genuß oder in der Tugend oder in beiden bestehen, sich mehr bei denen findet, die sich durch Herzens- und Geistesbildung auszeichnen, dagegen mit äußeren Gütern nur mäßig ausgestattet sind, als bei denen, die an diesen mehr als genug besitzen und dafür jener entbehren. — So sei für uns ausgemacht, daß einem jeden von der Glück­ seligkeit nur soviel zufällt, als ihm nach Tugend, Einsicht und ent­ sprechendem Handeln zukommt. Als Zeugen rufen wir dafür Gott an, der gewiß glücklich und selig ist, aber durch kein äußeres Gut, sondern allein durch sich selbst und durch die Beschaffenheit seines Wesens. Und darin liegt auch der Grund für den notwendigen Unterschied zwischen äußerem Wohlbehagen und Glückseligkeit. Denn von den außerhalb der Seele liegenden Gütern ist das Un­ gefähr und der Zufall die Ursache. Gerechtigkeit und Mäßigung kann niemals vom Zufall oder durch den Zufall gewirkt werden. Hieran aber schließt sich der auf denselben Gründen beruhende Satz, daß auch der Staat, der glückselig ist und dem es gut geht, der beste ist. Unmöglich aber kann es einem gut gehen, der nicht das Gute tut. Ein schönes Werk kann weder ein einzelner noch ein Staat ohne Tugend und Einsicht verrichten. Mannhaftigkeit und Gerechtigkeit und Einsicht nun haben bei einem Staate dieselbe Bedeutung und Form wie bei jedem Menschen, der durch ihren Besitz in den Ruf eines gerechten, verständigen und maßvollen Mannes gelangt. Nach diesem Vorwort zu unserer Untersuchung sei soviel von uns als feststehend betrachtet: Das beste Leben ist sowohl für den einzelnen im besonderen wie für den Staat als

Gemeinschaft das Leben nach der Tugend, wenn diese soweit mit äußeren Gütern ausgestattet ist, daß ste sich an schönen (tugendgemäßen) Handlungen tätig beteiligen kann. — Jetzt ist noch zu erörtern, ob die Glückseligkeit für den einzelnen Menschen identisch ist mit der eines Staates oder nicht. Auch dies ist klar, da alle darin einig sind, daß beides dasselbe ist. Denn alle, die beim einzelnen das glückliche Leben im Reichtum finden, preisen auch den Staat glücklich, wenn er reich ist. So viele das Leben eines Tyrannen am höchsten schätzen, diese werden auch den Staat für den glücklichsten halten, der die meisten Untertanen hat, und wer den einzelnen wegen seiner Tugend gelten läßt, der wird auch den Staat für um so glücklicher bezeichnen, je mehr Tüchtigkeit er besitzt. Aber zwei Punkte erfordern hier Klarstellung. Einmal: Welches Leben ist vorzuziehen, das als Bürger und Staatsange­ höriger oder als Fremder und Staatenloser? Und weiter: Welche Verfassung und welchen staatlichen Zustand sollen wir für den besten erklären, mag nun das Leben im Staatsverbande für alle oder wenigstens für die meisten, mit Ausnahme einzelner, vorzuziehen sein? Da wir uns aber hier mit dem Staate und seiner Theorie beschäftigen, nicht mit dem für den einzelnen wünschenswerten Zustand, so werden wir uns jetzt nur mit der Untersuchung der ersten Frage beschäftigen, die zweite nur nebenbei behandeln. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Verfassung die beste ist, nach deren Ordnung jeder ohne Aus­ nahme sich wohl befindet und glücklich lebt. Aber auch diejenigen, die darin übereinstimmen, daß das tugendhafte Leben das begehrenswerteste ist, streiten sich darüber, ob ein Leben in politischer Tätigkeit vorzuziehen ist oder nicht vielmehr das von jeder äußeren Tätigkeit abgezogene Leben, ein der Beschauung gewidmetes, das von manchen allein als eines Philosophen würdig bezeichnet wird. Denn diese beiden Lebensweisen scheinen beinahe allein die tugendhaftesten Menschen in Vergangenheit und Gegen­ wart gewählt zu haben, nämlich die des Staatsmannes oder die des Philosophen. Es ist aber von nicht geringer Bedeutung, auf welcher Seite die Wahrheit liegt. Denn sowohl der verständige Einzelmensch wie auch der Staat in seiner Gesamtheit muß sich dem besten Ziele zukehren. So glauben die einen, eine despotische Herrschaft über seine Mitmenschen sei eine der größten Ungerechtig­ keiten, dagegen eine durch die Verfassung geregelte sei zwar nicht

ungerecht, aber doch für das eigene Wohlbefinden hinderlich. Demgegenüber halten andere das praktische Leben des Politikers allein für eines Mannes würdig. Denn in bezug auf jede Tugend öffne sich dem an den öffentlichen Angelegenheiten und Staats­ geschäften keilnehmenden Manne ein größeres Feld der Tätigkeit als dem Privatmann.-------Die einen verwerfen also die Staatsämter und halten ein anderes Leben als das des Staatsmannes für eines freien Mannes würdig und für allem anderen vorzuziehen, die andern dagegen treten für das Leben im Staatsdienst ein. Denn wer nichts tue, könne sich unmöglich wohl befinden, und Wohlbefinden und Glück­ seligkeit seien identisch. Beiden müssen wir sagen, daß sie zum Teil Recht, zum Teil Unrecht haben. Die ersten haben darin Recht, daß sie das Leben eines freien Mannes dem eines Despoten vor­ ziehen. — Sie haben jedoch Unrecht, wenn sie jede Herrschaft für Despotie erklären. — Es ist aber auch falsch, die Untätigkeit mehr zu loben als die Tätigkeit. Denn die Glückseligkeit ist Tätigkeit, und außerdem bewirken die Taten gerechter und besonnener Männer vieles Gute.-------- Aber wenn diese Ansicht richtig ist und die Glück­ seligkeit als rechte Tätigkeit zu bestimmen ist, so ist daraus zu schließen, daß für den Staat als Gesamtheit und für den einzelnen Menschen das tätige Leben das beste ist. 1325b. Voraussetzungen des besten Staates. Wir wollen nun die Erörterung der übrigen Fragen damit beginnen fesizustellen, welche Voraussetzungen für einen nach Wunsch eingerichteten Staat angenommen werden müssen. Dena ohne angemessene Mittel kann der beste Staat nicht verwirklicht werden. Wir müssen daher vielerlei voraussetzen, wie Wünschende, doch darf darunter nichts Unmögliches sein. Zum Beispiel meine ich dieMenge derBürger und dieGröße des Landes. Denn wie den Handwerkern, etwa dem Weber und Schiffsbaumeister, das für ihre Arbeit nötige Material zur Verfügung stehen muß, ebenso muß der Staatsmann und Gesetzgeber das für seine Aufgabe notwen­ dige Material in angemessener Beschaffenheit zur Hand haben. Die erste Forderung bei der Einrichtung eines Staates aber betrifft die Menschenmenge: wieviele Bürger und von welcher Beschaffenheit braucht er seiner natürlichen Anlage nach. Und dann folgt in betreff des Landgebietes die Frage nach seiner Größe und Beschaffenheit. Die meisten meinen nun, der glückliche Staat müsse groß sein. Doch dies zugegeben sind sie noch im unklaren, welcher Staat groß

und welcher klein genannt werden soll. Sie beurteilen die Größe des Staates nach der Zahl seiner Bürger, während man weniger auf ihre Menge als auf ihre Bedeutung sehen muß. Auch der Staat hat seine bestimmte Aufgabe, und so muß der als der größte gelten, der seine Aufgabe am besten zu erfüllen vermag, so wie man etwa HtppokrateS*) nicht als Menschen, aber als Arzt für größer halten würde als einen Mann von hervorragender Leibesgröße. Und selbst wenn man bei der Beurteilung der Größe eines Staates auf die Menge der Bürger sehen müßte, so darf nicht die zufällige (rein zahlenmäßige) Menge entscheidend sein (denn es muß viel­ leicht in den Staaten auch eine große Anzahl von Sklaven, Beisassen sMetökenj*) und Fremden geben), sondern die Zahl derjenigen Bürger, die einen Teil des Staates bilden und aus denen als seinen eigentümlichen Bestandteilen sich der Staat zusammen­ setzt. Denn die besonders große Zahl solcher Bürger ist das Kenn­ zeichen eines großen Staates; dagegen kann ein Staat, aus dem zwar zahlreiche Handarbeiter (Banausen), aber wenig Hopliten her­ vorgehen, unmöglich als groß bezeichnet werden. Denn ein großer und ein volkreicher Staat ist nicht dasselbe. Vielmehr ist es auf Grund der Erfahrung erwiesen, daß es schwierig, vielleicht sogar unmöglich ist, einen zu volkreichen Staat gut einzurichten. Wenigstens kennen wir keinen gut verwalteten Staat, der in bezug auf die Menge seiner Bürger keine Beschränkungen übt. Diese Tatsache läßt stch auch logisch beweisen. Das Gesetz ist Ordnung, und gute Gesetze müssen mit guter Ordnung gleichbedeutend sein. Eine zu große Zahl kann aber nicht in Ordnung gehalten werden, denn dies wäre ein Werk göttlicher Kraft, die auch das ganze Welt­ all zusammenhält. Und in der Tat hat auch der Staat eine Grenze seiner Größe, wie alles andere, Tiere, Pflanzen, Werkzeuge. Auch von ihnen behält keins sein ihm eigentümliches Wesen, weder wenn es zu klein noch wenn es zu groß ist, sondern es wird entweder gänzlich seiner Natur beraubt oder doch stark entstellt. — Ähnlich kann sich auch ein Staat mit zu wenig Einwohnern nicht durch sich selbst behaupten, und doch soll ein Staat dazu imstande sein, mit zu vielen aber ist er wohl in den notwendigen Dingen stark genug zur Selbstbehauptung, aber nicht als Staat, sondern nur als Volk. Denn eine Verfassung wäre wohl schwer durchzu-

*) Ein Stern weist auf die Anmerkungen hin.

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führen. Wer sollte als Feldherr die zu große Masse befehligen oder als Herold mit seiner Stimme durchdringen, er habe denn eine Stentorstimme? Ein Staat verdient daher erst diesen Namen, wenn er so viel Bewohner hat, daß er stark genug ist, ein glückliches Leben in politi­ scher Gemeinschaft zu führen. Wohl mag es auch größere Staaten mit einer diese Zahl übersteigenden Volksmenge geben, doch hat die Zahl der Bürger eine Grenze, und diese Grenze läßt sich leicht nach den Aufgaben des Staates bestimmen. Denn die staatlichen Funktionen setzen Herrschende und Beherrschte voraus; Aufgabe des Herrschenden ist die Anordnung und Entscheidung. Um aber ge­ rechte Entscheidungen zu treffen und die Ämter nach Verdienst zu verteilen, müssen die Bürger stch gegenseitig nach ihren Eigen­ schaften kennen, und wo dies nicht der Fall ist, muß es um Ver­ waltung und Recht schlecht bestellt sein. Denn auf beiden Ge­ bieten ist oberflächliche Erledigung der Geschäfte ungerecht, was doch offenbar bei Übervölkerung geschieht. Außerdem können stch Fremde und Beisassen leicht das Bürgerrecht aneignen, weil bei der Menge der Bevölkerung das Verschleiern des Tatbestandes nicht schwierig ist. So ist offenbar die beste Bestimmung für die Größe eines Staates: die Devölkerungsmenge darf möglichst groß sein zum Zweck der Selbstbehauptung, doch müssen die Verhältnisse gut übersehbar bleiben. Ähnliches gilt für das Gebiet des Staates. In bezug auf seine Beschaffenheit wir- jeder ein Land loben, das am meisten stch selbst genügt, und dazu gehört, daß es alle Erzeugnisse hervor­ bringt; es muß eben alles vorhanden sein und nichts fehlen. Und so groß und ausgedehnt muß es sein, daß seine Bewohner in Muße ein freies und zugleich durch Besonnenheit geregeltes Leben führen können.-------Die Gestalt des Landes ist nicht schwer anzugeben. Man muß hier den in der Kriegskunst Erfahrenen einiges glauben; den Feinden sei das Eindringen schwierig, den Bewohnern das Ent­ kommen leicht. Wie die Menge der Menschen leicht übersehbar sein muß, so auch das Land. Das bedeutet aber beim Lande die Möglichkeit schneller Hilfeleistung. Die Lage der Stadt entspricht den Wünschen, wenn sie zum Meere und zum Lande gleich günstig ist. Zum Zwecke der gegen­ seitigen Hilfeleistung muß sie mit allen Orten in Verbindung

stehen. Weiter müssen ihr die geernteten Früchte leicht zugeführt werden können, und das Holzmaterial sowie sonstiger Bedarf für etwaige Betriebe muß leicht herangeschafft werden können. Ob die Verbindung mit dem Meere für gut eingerichtete Staaten nützlich oder schädlich ist, darüber wird viel gestritten. Denn nach einigen soll der Zulauf von Fremden, die in anderen Gewohnheiten erjvgen sind, für die Ordnung unzuträglich sein, ebenso wie die in Seestaaten leicht eintreteade Übervölkerung. Beides sei eine Folge der zahlreichen Kaufleute, die der Seeverkehr entsende und heranziehe, und sei einer guten Verwaltung hinderlich. Wenn dies nicht eintritt, ist ohne Zweifel die Verbindung des Landes und der Stadt mit dem Meere zur Sicherheit und zur bequemen Versorgung mit allen notwendigen Dingen vorzuziehen. Denn um dem feindlichen Angriff leichter begegnen zu können, muß den Bedrängten zu Wasser und zu Lande Hilfe geleistet werden können; auch kann der Angreifer, wenn auch nicht gleichzeitig zu Wasser und zu Lande, doch entweder hier oder dort geschädigt werden, wenn dem Staate beide Wege offen stehen. Auch ist es notwendig, daß ein Staat die bei ihm nicht vorhandenen Erzeugnisse einführen und den Überfluß an eigenen Produkten ausführen kann. Jedoch soll er nur für sich, nicht für andere Handel treiben. Wenn ein Staat bei sich für alle einen Markt eröffnet, so tut er es der Zölle wegen. Da nun der Staat auf solchen Gewinn nicht ausgehen sollte, sollte er auch nicht einen solchen Handelsplatz anlegen. Wenn wir nun weiter sehen, daß viele Länder und Städte Ankerplätze und Häfen haben, die so günstig zur Stadt liegen, daß sie weder zum Stadtgebiet gehören noch zu weit von ihr entfernt liegen, um nicht durch Kastelle und ähnliche Befestigungen beherrscht zu werden, so leuchtet ein, daß auf diese Weise dem Staate jeder etwaige Vorteil aus einer solchen Verbindung zuteil wird, während einem Nachteil leicht durch die Gesetze vorgebeugt werden kann. Dean sie können vorschreiben, welchen Personen gegenseitiger Verkehr gestattet oder verboten werden soll. In Betreff einer Seemacht unterliegt es keinem Zweifel, daß ihr Besitz bis zu einer gewissen Stärke von größtem Nutzen ist. Denn ein Staat muß nicht nur für sich selbst, sondern auch für manche seiner Nachbarn furchtgebietend auftreten können und zur Hilfeleistung fähig sein, wie zu Lande so auch zur See. Die Stärke und Größe der Seemacht muß sich nach den Lebensbedingungen 7»

des Staates richten. Soll er führend in die Politik eingreifen, so muß er eine diesem Wirkungskreis angemessene Seemacht besitzen. Die Volksmenge hingegen, wie sie aus dem Schifferpöbel erwächst, ist für die Staaten nicht notwendig; sie darf keinen Teil der Bürgerschaft bilden. Die Seesoldaten zwar sind freie Männer und gehören zum Fußvolk, und aus ihnen werden die Befehlshaber der Seemacht genommen; an Matrosen wird man aber La keinen Mangel haben, wo eine Menge von Hörigen (Periöken) und Bauern vorhanden ist. — 1327b. Beschaffenheit der Bürger. Es handelt sich nun um die Charaktereigenschaften der Bürger. Man kann sich schon ungefähr eine Vorstellung davon machen, wenn man auf die berühmten Städte der Hellenen und die ganze bewohnte Erde blickt, wie sie unter die Völker verteilt ist. Denn die Völker in den kalten Gegenden und in Europa besitzen zwar Mut, aber nur in geringem Grade Verstand und künstlerische Anlagen und behaupten sich des­ halb wohl leichter in ihrer Freiheit, sind aber zur Bildung eines Staates und zur Beherrschung der Nachbarn untüchtig. Die Asiaten wiederum sind wohl intelligent und künstlerisch befähigt, aber furchtsam, deshalb befinden sie sich ständig in sklavischer Unter­ würfigkeit. Das Geschlecht der Griechen dagegen, wie seine Wohn­ sitze in der Mitte liegen, steht seiner Anlage nach zwischen beiden und ist mutig und intelligent zugleich. Deshalb behauptet es sich in seiner Freiheit dauernd und erfreut sich der besten staatlichen Einrichtungen; es würde alle Völker beherrschen können, wenn es in einem Staate vereinigt wäre. Derselbe Unterschied besteht aber auch zwischen den einzelnen griechischen Stämmen. Die einen sind einseitig veranlagt, die andern hingegen besitzen beide Anlagen in glücklicher Mischung. Offenbar müssen also diejenigen intelligent und mutig sein, die sich leicht vom Gesetzgeber sollen zur Tugend hinleiten lassen. Denn wenn einige (Platon) sagen, die Wächter müßten gegen Bekannte liebevoll, gegen Unbekannte hart sein, so ist es eben der Mut, der zur Milde geneigt macht; denn er ist die Seelenkraft, durch die wir lieben.-------- Dieser Seelenkraft verdanken aber alle auch die Be­ fähigung zum Herrscher und freien Menschen. Denn der Mut will herrschen und duldet keine Unterwerfung. Die Forderung aber, gegen Unbekannte hart zu sein, ist nicht schön, weil man gegen niemand so sein soll. Hochgesinnte Menschen sind nicht von Natur hart, außer gegen solche, die ihnen Unrecht tun. Sie sind es aber

barm noch viel mehr, wen» sie von Freunden Unrecht zu erleiden glaube». — Teile des Staates. Ebenso wie bei den Bildungen der Natur nicht alle Teile als wesentliche Bestandteile des Ganzen gelte» können, ohne die das Ganze nicht bestehe» kann, ebenso darf man nicht als Bestandteil des Staates alles das ansehen, was die Staaten not­ wendig haben müssen.-------- So bedarf wohl der Staat des Besitzes, aber der Besitz ist kein Teü des Staates, ebensowenig wie die vielen beseelten Teile des Besitzes (die Sklaven). Der Staat aber ist eine Gemeinschaft von Gleichen zum Zwecke des mög­ lichst vollkommenen Lebens. Da dieses in der Glückseligkeit und diese wieder in vollendeter Tätigkeit und Anwendung der Tugend besteht und da ferner nach dem natürlichen Lauf der Dinge einige Anlage zur Tugend besitzen, andere hingegen wenig oder gar nicht, so liegt hierin offenbar der Grund, daß der Staat Arten und Unterschiede aufweist und sich verschiedene Verfassungen büdeten. Denn die einen streben dem Ziel auf diesem, die ander« auf jenem Wege zu, und dies führt zu verschiedener Gestaltung der Lebensart und der Verfassung. Wir müssen aber untersuchen, wie viele für einen Staat un­ entbehrliche» Dinge es gibt; zu ihnen werden auch die gehöre» müssen, die wir als seine Bestandteile bezeichnen. Um darüber zur Klarheit zu kommen, müssen wir den Umfang der Bedürfnisse eines Staates feststellen. Unentbehrlich sind aber i. die Nahrung; 2. die Künste (zum Lebe» bedarf man vieler Werkzeuge); 3. die Waffe »(sie sind für die Bürger notwendig, im Innern zur Aufrecht­ erhaltung der staatlichen Ordnung gegen Unbotmäßige, nach außen zur Abwehr ungerechter Angriffe); 4. ausreichende Geldmittel zur Bestreitung der Staatsausgaben und für Kriege; 5. die Besor­ gung des Gottesdienstes, des sogenannten Kultus (ein sehr wesentliches Element des Staates); 6. das allerwichtigste: Ein­ richtungen für die Entscheidungen über die Staats­ interesse« und die Rechtsstreitigkeite« der Bürger. Diese Bedürfnisse sind in jedem Staate zu befriedigen. Denn ei» Staat ist ja nicht eine beliebige Menschenmenge, sondern wie hervorgehoben, eine Gemeinschaft auf dem Boden der Selbstgenügsamkeit. Bleibt also eine der aufgezählten Lebensnotwendigkeite« unerfüllt, so kann eine solche Gemeinschaft sich unmöglich auf sich selbst stellen. Also bedarf der Staat einer großen Anzahl von Bauern zur Beschaffung der Nahrung, der Künstler und Handwerker, einer Kriegsmacht, reicher

Bürger, der Priester, der Richter zur Entscheidung der Prozesse und der Beamten für die Staatsleitung. Bestandteile des Staates. Nach diese« Bestimmungen muß noch untersucht werden, ob alle Bürger zur Befriedigung aller dieser Bedürfnisse herangezoge« werden solle» oder ob für jedes Geschäft andere zu bestellen stnd oder ob endlich einige von allen, andere von bestimmten Klassen wahrgenommen werden solle». Denn es ist doch möglich, daß alle Bürger zugleich Bauern, Handwerker, Beamte und Richter find.-------Da uns nun die Untersuchung über die beste Staatsform be­ schäftigt, die beste Verfassung aber die ist, die dem Staate die höchste Glückseligkeit stchert, diese wiederum ohne Tugend undenkbar ist, so ist klar, daß in einem Staate mit der besten Verfassung und schlechthin, nicht nur unter gewisse» Bedingungen gerechten Bürgern diese nicht das Leben von Handwerkern (Banausen) oder Händlern führen dürfen, da ein solches Leben nicht vornehm und der Tugend zum Teil hinderlich ist. Auch dürfen ste keine Bauer» sei», wenn fie Bürger im wahren Sinne des Wortes sei» sollen. Denn zur Ent­ wicklung der Tugend und zur politischen Tätigkeit bedarf man der Muße. Da nun Waffendienst, Beratnng über die Staatsnotwendig­ keiten, Rechtsprechung auch zu den Bedürfnissen des Staates ge­ hören, ja, als die wichtigsten Bestandteile desselben erscheinen, entsteht die Frage, ob ihre Wahrnehmung verschiedenen oder den­ selben Männern anvertraut werden soll. Es ist aber einleuchtend, daß ste in einer Hinsicht denselben, in anderer Hinsicht verschiedenen Personen zugewiesen werden müssen. Insofern nämlich die Funk­ tionen verschiedene Begabung erfordern, die eine Klugheit, die andere Kraft, so sind sie verschiedenen anzuvertrauen; insofern aber Männer, die Gewalt zu gebrauchen und Widerstand zu leiste» vermöge«, nicht immer zu gehorchen gewillt sei» werden, denselben. Denn die Besitzer der Waffe» haben auch die Entscheidung über Bestand und Nichtbestand der Verfassung in der Hand. Daher bleibt nur übrig, diese staatlichen Funktionen denselben Händen zu übertragen, aber nicht zu gleicher Zeit, sonder« wie naturgemäß die Kraft der Jugend, die Einsicht dem Alter eignet, so ist es richtig, wenn die Ämter demgemäß unter beide Altersklassen verteilt werden. Denn das ist eine gerechte und billige Verteilung. Auch der Grundbesitz muß in ihren Hände» liegen. Denn die Bürger müssen wohlhabend sein, und nur die Wohlhabenden stnd die Bürger. Wer von Handarbeit lebt, gehört nicht zur Bürger-

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schäft, auch sonst keine Bevölkerungsklasse, die nicht die Tugend (geistige Tüchtigkeit) zu ihrem Lebensziel macht. Dies ergib fich aus unserer Voraussetzung, nach welcher der Zustand der Glück­ seligkeit notwendig mit der Tugend zusammenhängt. Kein Staat aber kann glückselig genannt werden nur im Hinblick auf einen Teil der Bürger, sondern aufalle Bürger. Es ist aber auch deshalb klar, daß fie im Besitz der Liegenschaften sein müssen, da sie als Ackerbauer Sklaven oder Barbaren oder Perioike» (Hintersassen) haben müssen. Von den aufgezählten Klassen ist nur noch die der Priester übrig, über deren Stellung kein Zweifel möglich ist. Denn man darf weder einen Bauer noch einen Handwerker zum Priester be­ stellen, da es sich geziemt, daß die Götter von den Bürgern verehrt werden. Da aber die Bürgerschaft in zwei Teile zerfällt, in die bewaffnete Macht und die an der Staatsverwaltung teilnehmende Bevölkerungsklasse, und es sich geziemt, daß die, die sich im Laufe der Zeit für den Staat müde gearbeitet haben, den Göttern dienen und so sich ausruhen können, so möge man ihnen den Gottesdienst übertragen. Hiermit sind die für den Staat unentbehrliche» Berufe wie seine wesent­ lichen Bestandteile angegeben. Denn Landbebauer, Handwerker und Lohnarbeiter verschiedener Art brauchen die Staaten, Bestandtelle -es Staates aber find nur die Krieger und die beratenden Körper, und jede dieser Klaffen ist für sich abgesondert, teils für immer, teils auf Zeit. (Es folgen Bestimmungen über die Lage der Stadt in bezug auf die Gesundheit, auf die Aufgaben des Friedens und Krieges, über die Burg, die Anlage der Privathäuser und die Mauern. Sodann spricht Aristoteles über die Verteilung -er Speiselokale für die gemein­ samen Speisungen, über die Lage -er Heiligtümer und Märkte.) Verfassung des besten Staates. (An der Spitze stehen längere Ausführungen über die Eigenschaften der Bürger und über die Notwendigkeit einer gleichen Erziehung für alle Bürger.) 1334b. Ehegesetzgebung. Da nun der Gesetzgeber von Anfang an darauf sehe» soll, daß die Körper der Heranzuziehenden möglichst vollkommen werden, muß er sich zunächst um die Ehe bekümmern und bestimmen, wann sie vollzogen werde» soll und welchen Personen die eheliche Gemeinschaft zu gestatten ist. Er muß bei seinen Anordnungen auf die Person und auf das Lebensalter Rücksicht nehmen, damit die Eheleute zur selben Zeit alt werden und ihre Kräfte nicht in ein Mißverhältnis geraten, so daß etwa der Mann noch zeugungsfähig ist, die Frau dagegen nicht, oder umgekehrt. Denn das erregt Zwistigkeiten unter ihnen und Miß-

Helligkeiten. Zweitens muß er auch den Zeitpunkt beachten, an dem die Kinder an die Stelle ihrer Eltern treten; denn sie sollen nicht zu sehr an Alter hinter den Vätern zurückstehen, da sonst die Eltern nicht den Dank ihrer Kinder genießen und diese nicht die Unterstützung der Eltern. Auch darf der Altersunterschied nicht zu gering sein; die Kinder betrachten dann die Eltern beinahe als Altersgenossen und haben weniger Ehrfurcht vor ihnen, und bei der Verwaltung des Vermögens kommt es leicht zu Vorwürfen. Schließlich aber, wovon wir ausgingen, müssen die Kinder körperlich nach dem Wunsch des Gesetzgebers geraten. All das läßt sich jiemlich durch eine einzige Vorkehrung erreichen. Denn da bei den Männern meist das Ende der Zeugungsfähigkeit mit dem 70. Jahre eintritt, bei den Frauen mit dem 50., so muß der Anfang der eheliche» Gemeinschaft hinsichtlich des Lebensalters sich nach diesen Zeiten richten. Der Verkehr junger Menschen taugt nicht zur Kinder­ erzeugung. Denn bei allen Lebewesen sind die Abkömmlinge von jungen Eltern schwächlich, meist weiblich und klein von Gestalt, so daß dieses Gesetz notwendig auch für die Menschen Geltung hat. Beweis dafür ist die Tatsache, daß in den Staaten, in denen der Brauch herrscht, die Jünglinge und Jungfrauen früh zu ver­ heiraten, die Menschen schwächlich und klein sind. Auch leiden junge Mütter mehr bei den Niederkünften und gehen in größerer Zahl zugrunde.-------- Deshalb ist es angemessen, die Mädchen mit 18 Jahren, die Männer mit 37 Jahren zu verheiraten oder etwas darüber oder darunter. Denn bei Einhaltung dieses Alters vollzieht sich der eheliche Verkehr in voller Körperkraft, und zugleich fällt in willkommener Weise das Ende der Fruchtbarkeit bei beiden Ehegatten zusammen. Auch die Kinder treten dann beim Beginn der Vollkraft die Nachfolge der Eltern an, wenn, wie anzunehmen, ihre Geburt bald nach der Eheschließung erfolgt; für die Väter be­ ginnt zugleich mit dem 70. Jahre die Zeit der Altersschwäche.-------Über die körperliche Beschaffenheit der Erzeuger mögen hier einige Worte genügen. Der körperliche Zustand des Athleten verbürgt weder bürgerliches Wohlverhalten noch Gesundheit noch Erzeugung gesunder Kinder; ebensowenig ist dies aber bei einer zu zarten und kränklichen Konstitution der Fall. Vielmehr ist eine zwischen beiden Extremen liegende Körperbeschaffenheit am besten. Wohl muß der Körper abgehärtet sein, aber nicht durch gewalt­ same Übungen, auch nicht einseitig, wie bei den Athleten, sondern wie es für die Tätigkeit freier Männer erforderlich ist. Und zwar

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gilt dies in gleicher Weise für Männer und Frauen.--------- In bezug auf die Aussetzung und Aufzucht der Neugeborenen soll es Gesetz sein, kein verkrüppeltes Kind aufjuziehen, hinsichtlich der Zahl der Kinder aber muß das Gesetz eine Anordnung treffen, wenn die Sitte es verhindert, eins der Kinder auszusetzen. — 1336a. Erziehung der Kinder. Für das Alter bis zu fünf Jahren ist es nicht gut, die Kinder schon zum Lernen und zu schweren Arbeiten auzuhalten, damit nicht das Wachstum leidet; doch müssen sie sich so viel bewegen, daß ihr Körper nicht der Träg­ heit verfällt, und diese Bewegung muß ihnen durch das Spiel und andere Tätigkeit verschafft werden. Doch dürfen die Spiele weder für Freie ungeeignet noch anstrengend noch ausgelassen sein. Auch in betreff der Erzählungen und Märchen müssen die Knabenaufseher (Paidonomen) Vorsorge treffen, welche für ein so zartes Alter ge­ eignet sind. Denn alle diese Dinge sollen eine Vorbereitung auf den späteren Lebensberuf sein; deshalb müssen die Spiele ebenfalls zum größten Teil Nachahmungen dessen sein, womit sich später ein Mann im Ernst beschäftigt. — Die Aufseher sollen aber nicht nur diese Beschäftigungen beaufsichtigen, sondern auch dafür sorgen, daß die Kinder möglichst wenig sich unter Sklaven auf­ halten. Denn in diesem Alter, bis zum 7. Jahre, muß die Erziehung im Hause stattfinden. Es ist also vernünftig, von dem Ohr und Auge der Kinder schon im zarten Alter alles fernzuhalten, was eine niedrige Gesinnung verrät. Dor allem sollte der Gesetzgeber alle frechen und unanständigen Reden aus dem Staat verbannen, denn aus der leichtfertigen Rede über häßliche Dinge entspringt leicht auch die schlechte Tat, besonders bet der Jugend, die deshalb derartiges weder sagen noch hören sollte. Wenn aber jemand sich bei einer verbotenen Rede oder Tat betreffen läßt, den treffe, wenn er, obwohl ein Freier, noch nicht zu den gemeinsamen Mahlzeiten zugelassen ist, Ehrenstrafe und körperliche Züchtigung; hat er aber dieses Alter bereits überschritten, so soll er wie ein Unfreier Ehrenstrafe er­ halten, weil er die Gesinnung eines Sklaven bewiesen hat. (Das­ selbe gilt auch für die Ausstellung von unzüchtigen Gemälden und Aufführung solcher Theaterstücke; wo bet Götterfesten das Gesetz auch frivole Scherze gestattet, sind jüngere Leute und Frauenauszuschließen. Dasselbe gilt für die Aussöhnung von Lustspielen.) Denn stets haben wir eine Vorliebe für die ersten Eindrücke. Deshalb muß der Jugend alles Schlechte ferngehalten werden, namentlich was lasterhaft und böswillig macht.

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Nachdem sie die ersten fünfJahre jurückgelegt haben, müssen sie in den beiden folgenden Jahren bis jvm siebenten schon Zuhörer derjenigen Unterrichtsfächer sein, die sie später lernen sollen. Der Unterricht muß aber »ach jwei Altersstufen eingeteilt werden: vom 7. Jahre bis tut Mannbarkeit und von diesem Zeitpunkt bis zum 2i. Lebensjahre. — 1337a. Don der Erziehung der Jugend. Niemand dürfte bezweifeln, daß der Gesetzgeber sich vor allen Dingen um die Erziehung der Jugend bemühen müsse. Wenn es in den Staaten nicht geschieht, schadet es der Verfassung, denn die Erziehung muß im Geiste der Verfassung erfolgen. Der eigen­ tümliche Charakter einer jeden Verfassung pflegt auch die Ver­ fassung zu erhalten, wie er sie hervorgerufen hat, so der demo­ kratische Geist die Demokratie, der oligarchische die Oligarchie. Immer aber ist der bessere sittliche Charakter die Ursache einer bessern Verfassung. Ferner bedürfen alle Berufe und Handfertigkeiten einer Vorbildung und vorbereitenden Gewöhnung für ihre Aus­ übung, also offenbar auch die praktische Betätigung der Tugend. Da der Staat nur einen Zweck hat, so muß offenbar auch die Er­ ziehung einheitlich sein, für alle ein und dieselbe, und die Sorge für fle muß Gegenstand der Gemeinschaft sein und nicht Privat­ angelegenheit, wie heute, wo ein jeder seine Kinder nach eigenem Gutdünken unterrichten läßt. Gemeinsame Aufgaben er­ fordern auch gemeinsame Vorbereitung. Zugleich darf man auch nicht glauben, daß ein Bürger sich selbst angehöre, sondern alle gehören dem Staate an, denn jeder ist ein Teil des Staates. Die Sorge für den Teil hat aber immer die Sorge für das Ganze im Auge zu behalten. In dieser Hinsicht könnte man die Spartaner loben, die von Staats wegen die größte Sorgfalt auf die Erziehung der Jugend verwenden. Es leuchtet also ein, daß die Erziehung ein Gegenstand der Gesetzgebung und daß fle ge­ meinsam sein muß. Es muß aber auch geklärt werden, was Jugend­ erziehung ist und wie sie gehandhabt werden muß. Darüber ist man jetzt verschiedener Meinung. Man weicht darüber voneinander ab, was die Jugend lernen soll, handelt es sich nun um den Er­ werb der Tugend oder um die Vorbereitung für ein möglichst gutes Leben, aber auch darüber ist man sich nicht einig, ob die Erziehung mehr auf Verstandes- oder Herzensbildung hinzuwirken habe. — Es ist nun klar, daß der Unterricht sich auf das Notwendige von den nützlichen Dingen erstrecke« muß, aber nicht auf alles. 85

Denn da man zwischen Verrichtungen Freier und Unfreier unter­ scheiden muß, ist es einleuchtend, daß die Jugend nur mit solchen nützlichen Beschäftigungen befaßt werden darf, die sie nicht zu gemeinen Handwerkern (Banausen) herabwürdigt. Für banausisch aber müssen wir jede Tätigkeit, Hantierung und Kenntnis halten, die den Leib, die Seele oder den Verstand eines freien Mannes zur Anwendung und Ausübung der Tugend untüchtig macht. Deshalb nennen wir diejenigen Künste, die den Körper gesundheit­ lich schädigen, und die Lohnarbeiten banausisch, denn sie erzeugen einen ruhelosen und niedrigen Sinn. Auch einige freie Wissen­ schaften kann man wohl bis zu einem gewissen Punkte betreiben, ohne etwas für einen freien Mann Unwürdiges zu tun; betreibt man sie aber eifrig, um es darin zur Meisterschaft zu bringen, so bringt das die erwähnten Schäden mit sich. Einen großen Unter­ schied macht eS auch, zu welchem Zwecke jemand etwas betreibt oder lernt. Treibt er es um seiner selbst willen oder wegen der Freunde oder wegen der Tugend, so ist es eines Freien nicht unwürdig; tut er dagegen dasselbe für andere, so möchte man es wohl als die Tätigkeit eines Lohnarbeiters oder Sklaven ansehen. — Über die Leibesübungen. Jetzt sind die einen Staaten, die im Rufe stehen, am meisten für die Jugend zu tun, bestrebt, Athleten heranzubilden, und schaden dadurch der Gestalt und dem Wachstum der Körper. Die Spartaner dagegen haben diesen Fehler zwar vermieden, machen aber die jungen Leute durch Stra­ pazen fast zu wilden Tieren, als wenn dies der beste Weg zur Tapfer­ keit wäre. Und doch soll die Erziehung nicht einseitig auf einen einzigen Zweck und auch nicht in erster Linie auf diesen gerichtet sein. Und wenn man ihnen auch dies zugeben wollte, so erreichen sie den Zweck doch nicht. — Dem Schönen, nicht dem tierisch Wilden, muß man den ersten Rang zubilligen. — Diejenigen aber, die bei der Erziehung der Jugend auf die Leibesübungen einen zu großen Wert legen und darüber das Notwendige vernachlässigen, richten sie in Wahrheit zu niedrigen Handwerkern (Banausen) ab. Sie machen sie nur zu einer staatsbürgerlichen Pflicht brauchbar, und selbst in dieser schlechter als andere. Gymnastische Übungen sind also notwendig, aber auf ein gewisses Maß zu beschränken. (Es folgen ausführliche Belehrungen über die Erziehung in der Musik.)

Anmerkungen. Vorbemerkung: Die Werke Platons, so auch der „Staat" und die „Gesetze", sind Dialoge. In ihnen steht die Person seines Lehrers Sokrates im Mittelpunkt (in den „Gesetzen" ist er als „Athener" bezeichnet), während die Mitunterredner meist nur eine recht bescheidene Rolle spielen. Man zer­ stört also den Gedankengang der Dialoge nicht, wenn im allgemeinen nur die Ausführungen des Sokrates berücksichtigt werden. Um einigermaßen den Gang der Untersuchung aufzuzeigen und zugleich die übersetzten Stücke miteinander zu verbinden, wird in runden Klammern kurz der Inhalt der für das Verständnis notwendigen Teile gegeben. Da die Buch- und Kapiteleinteilung der Werke Platons und des Aristoteles in den verschiedenen Ausgaben zum Teil voneinander stark abweicht, sind bei Platon außer den Büchern die Seiten der Stephanusausgabe, bei Aristoteles nur diese angeführt. Zu den Ausführungen S. 7ff. vgl. M. Pohlenz, Staatsgedanke und Staatslehre der Griechen, S. i ff. S. 15: Das griechische Heer der klassischen Zeit zerfiel in Reiterei und Fußvolk; den Kern des Fußvolkes bildeten die Hopliten, die schwerbewaff­ neten Bürger, die sich selbst die Ausrüstung beschaffen mußten. Die un­ bemittelten Bürger wurden als Leichtbewaffnete (Schleuderet, Bogen­ schützen), in Athen vor allem als Ruderer auf der Kriegsflotte verwandt. S. 15: Unter Mythen sind die Götter- und Heroensagen zu verstehen, die von der Masse der Griechen des 5. Jahrhunderts noch gläubig hinge­ nommen wurden. Der Rationalismus der sophistischen Bewegung hat dann dem Glauben an die Mythen ein Ende gemacht. Bereits bei Euri­ pides sind die Götter und Helden der Vorzeit vielfach nur noch Masken für moderne Menschen. Wenn auch Sokrates und Platon die sophistische Welt­ anschauung innerlich überwunden haben, so verleugnen sie doch nicht die Einwirkung der Aufklärung. Die Götterwelt Homers und Heflods, die übrigens schon der Joner Xenokrates verspottet hatte, lehnt Platon als anstößig ab. Mit seinem ethischen Monotheismus lassen sich die vermensch­ lichten Götter Homers nicht vereinigen. Gott ist gut (das Gute = Gott), also ist ihm alles Schlechte, Menschliche fremd. Die Epen sind daher für Platon erst nach gründlicher Reinigung von allen anstößigen Stellen für den Unterricht verwendbar. Dabei muß man bedenken, -aß Homer die Grundlage des griechischen Unterrichts bildete. S. 16: Neben dem Glauben an ein Schattenreich (Hades), in dem die Seelen der Verstorbenen ohne Bewußtsein dahindämmern, finden sich bei Homer Vorstellungen von einem Aufenthalt der Seligen und von Unter-

Weltsstrafen für besonders gottlose Menschen. Doch hat flch das lebens­ freudige griechische Volk in seiner Masse nie viel mit Gedanken an ein Jenseits beschäftigt. Platon nimmt auch auf diesem Gebiete, zum Teil an orphische Gedanken anknüpfend, eine besondere Stellung ein. Ihm ist die Seele unsterblich; sie stammt von Gott und kehrt zu ihm zurück, nachdem sie durch zahlreiche Körper hindurchgegangen ist. Seine Lehre von der Seelen­ wanderung stellt dem nach Erkenntnis Strebenden Erlösung von dem Erden­ dasein, Rückkehr zur Gottheit in Aussicht. Sie ist so in höherem Maße als der Volksglaube geeignet, die Menschen zu einem tugendhaften Leben an­ zuspornen. S. 33: Mit diesen Worten weist Platon auf seinen „Staat" hin; er ist inzwischen zu der Überzeugung gekommen, daß sein Jdealstaat mit Güterund Weibergemeinschaft nicht verwirklicht werden kann. ©. 3$: Wie in der Einleitung bereits hervorgehoben wurde, beansprucht der griechische Stadtstaat die volle Kraft jedes Bürgers. Also kann nur der im vollen Umfange seine Pflicht tun, der über ausreichende Muße verfügt. Als man in Athen den Widerspruch zwischen der Forderung gleichen An­ teils an den Staatsgeschäften für alle und der harten Wirklichkeit, die doch nun einmal von den meisten tägliche Arbeit verlangt, durch Einführung von Diäten zu beseitigen suchte, gewöhnte sich die Masse allmählich daran, vom Staate unterhalten zu werden. Die unteren Schichten nutzten nun ihr Übergewicht aus, und der Staat wurde zu einer Dersorgungsanstalt der Besitzlosen. Daher wollen Platon und Aristoteles in ihren Ausführungen über den Jdealstaat von einer Teilnahme der Ackerbauer, Handwerker und Tagelöhner an der Staatsverwaltung nichts wissen. Als Bürger gelten ihnen nur die Männer, die im Besitz genügender Eristenzmittel ihre Kraft dem Staate widmen können, ohne ihm zur Last zu fallen. Wer sich seinen Lebens­ unterhalt durch seiner Hände Arbeit verdienen muß, ist Banause. Hand­ arbeit verhindert den Menschen an der Ausbildung seiner geistigen und seelischen Kräfte, würdigt ihn herab, gibt ihm einen knechtischen Sinn. Die politische Theorie der Griechen hat aus diesem Grunde einen ausgesprochen aristokratischen Charakter. S. 36: Um in seinem Gesetzesstaat die unteren Schichten möglichst von der Regierung fernzuhalten, teilt Platon das Volk nach solonischem Vorbild nach dem Vermögen (Grundbesitz) in vier Klassen ein. Eine schematische Gleichheit aller Bürger ohne Rücksicht auf Herkunft und Besitz erscheint ihm als höchste Ungerechtigkeit. Auch die folgenden Be­ stimmungen über die Wahlen zeigen deutlich das Bestreben, den Einfluß der Masse nach Kräften auszuschalten. S. 37: Als die Griechen in die griechische Halbinsel einwanderten, war die Phyle, der Stammesverband, die maßgebende politische Einheit. Steuerfrei in Phratrien, Bruderschaften, die ursprünglich?aus Bluts­ verwandten bestanden, allmählich aber auch andere Elemente in sich auf­ nahmen. Phyle und Phratrie sind vor allem durch gemeinsame religiöse

Gebräuche gekennzeichnet. Bei der Seßhastwerdung siedelte sich der Stamm meist geschloffen an. Bei den meisten dorischen und ionischen Staaten lassen sich mehrere Phylen feststellen, und zwar bei den Jonern vier, bei den Doriern drei. Kleisthenes hat dann in Attika nach Aufhebung der alten Phylen zehn neue geschaffen, die lediglich lokale Bezirke darstellten. Die dörf­ lichen Ansiedlungen sind die Demen und Ko men. In Attika hat Kleisthenes die Demen zu selbständigen örtlichen Amtsbezirken gemacht, so daß jeder Athener erst durch die Aufnahme in die Bürgerschaftsliste eines Demos zum Bürger wurde. Deshalb wird auch jedem Namen der Demos hinzu­ gefügt. Unter den Ko men sind dann Gemeinden innerhalb eines Demos zu verstehen, wie unsere Amtsbezirke meist mehrere Gemeinden umfassen. S. 39: Die griechischen Gewichtseinheiten, die den Münzen zugrunde lagen, waren das Talent, die Mine, die Drachme, der Obolos. Das verbreitetste Talent, an das natürlich Platon denkt, war das attische von 26,196 kg; es zerfiel in 60 Minen zu je 436,6 g, die Mine in 100 Drachmen zu je 4,3 g, die Drachme in 6 Obolen zu 0,7 g. Das Münzmetall war das Silber. Der Wert eines attischen Talentes betrug etwa 5440 M., der Mine 90,60 M., der Drachme 0,90 M. S. 42: Prytanen hießen in Athen und auch sonst die amtierenden Rats Mitglieder. Ähnlich wie in Platons Agrarstaat besorgten in Athen die 50 Ratsherren einer Phyle Vio des Jahres hindurch die laufenden Ge­ schäfte und hielten sich während dieser Zeit im Rathaus, Prytaneion, auf. In manchen Staaten führten die leitenden Beamten die Bezeichnung Prytanen. S. 45: Rhapsoden hießen die Verbreiter epischer Dichtungen. Sie traten besonders bei Festen auf und rezitierten kürzere ober längere Stücke aus den Epen Homers und späterer Dichter. Ihr Name bedeutet eigentlich „Zusammenfüger von Gesängen". Sie sind also wohl ursprünglich mit den Epen ziemlich willkürlich umgegangen; später mußten sie sich darauf be­ schränken, die Dichtungen aus dem Gedächtnis vorzutragen. Sie wurden so immer mehr zu fahrenden Sängern, die sich keiner großen Wertschätzung erfreuten. S. 64:Hippokrates von Kos, etwa 460—370 v. Chr., war einer der größten Ärzte des Altertums, der Begründer der lange blühenden Ärzte­ schule von Kos. Seinen Namen trägt eine Sammlung von 72 Schriften verschiedenen Charakters, Lehrbücher, Schriften für Laien, Dorträge, Notizen, von denen jedoch mit Sicherheit die Verfasser nicht festzustellen sind. Schon für Aristoteles war Hippokrates nur ein Sammelname. Doch spricht sein Ruf für seine überragende Bedeutung. Vgl. Gomperz, Griechische Denker 13 (Leipzig 1911), S. 226 ff. S. 64: Metöken waren Fremde griechischer Herkunft, die sich in einem Staate dauernd niederließen: Beisassen, Schutzverwandte. Sie mußtenSteuern bezahlen und Kriegsdienste leisten. Doch besaßen sie nur beschränkte Rechts­ fähigkeit und konnten in den meisten Städten keinen Grundbesitz erwerben.

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Eine Auswahl von

Ludwig Hasenclever.

band 22123 Homers Ilias in Auswahl auö der Übersetzung von Thassilo von Scheffer. band 24125 HomersOdyssee in Auswahl aus der Übersetzung von Thassilo von Scheffer.

band 26

Griechische Staatstheorien.

(Platon und Ari­

stoteles) von Fritz Geyer. Die Sammlung wird fortgesetzt!

R. OLDENBOURG VERLAG/ MÜNCHENU. BERLIN Kürzlich erschien:

Griechische Geschichte im Rahmen der Altertumsgeschichte von

Ulrich Wilcken Zweite revidierte Auflage VIII u. 248 Seiten. Gr.-S". Mit 2 Landkarten. In Leinen gebundenM. 5.50

„Auf etwa 2Va hundert Seiten die beste populär gehaltene griechische Ge­ schichte, die wir bisher besitzen, ein Meisterstück. ... Wird somit von Wilcken nicht einseitig nur politische Geschichte geboten, so steht diese doch ihrer Wich­ tigkeit entsprechend im Vordergründe. Die gewaltige Bedeutung, die dem Staat an sich und vornehmlich dem freien Rechtsstaat, wie ihn die Griechen, vor allem Athen, ausgebildet haben, als höchster Norm des Menschen zu­ kommt, erwächst trotz der Kleinheit der in Betracht kommenden Gebilde vor einem in voller Lebendigkeit, überall erhält man den Eindruck, daß Wilcken die moderne Literatur und die antiken Quellen souverän beherrscht, alles selbst durchgearbeitet hat. Dies tritt uns auch besonders eindringlich in den dem Text am Schluß beigegebenen Anmerkungen entgegen, die in sehr erwünschter Weise einzelnes weiter ausführen und begründen und über die in der Übersicht über Quellen und Literatur angegebenen allgemeinen Werke hinaus einzelne Quellen und Literaturangaben bieten. Sehr dankenswert ist auch die Beigabe der geschickt aufgebauten Zeittafel. (Walter Otto.)"

Deutsche Literaturzeitung. „Wilckens griechische Geschichte ist als Crgänzungsband zu dem Reimannschen Geschichtswerk für höhere Schulen geschrieben worden. Die wachsende Freude, mit der der Verfasser an seinem Buche gearbeitet hat, teilt sich dem Leser unwillkürlich mit, so daß er das meisterhaft durchkomponierte Buch in einem Zuge und mit einem geradezu ästhetisch-philosophischen Hoch­ gefühl liest. Das ausgesprochene Gefühl für das organische Werden und Ver­ gehen dieses einzigartigen Griechenvolkes verlebendigt uns seine Geschichte in vorbildlicher Weise. Schließlich hat an der ergreifenden Wirkung des Buches auch die starke und überzeugende weltanschauliche Einstellung des Verfassers Anteil. Begabt mit dem feinsten Sinn für die Bedeutung der Persönlichkeit in der Geschichte und der nationalen Selbstbewußtheit eines Volkes ist W. ganz besonders befähigt, die alte Geschichte, deren historischen Wert er auf jeder Seite seines Buches erweist, fruchtbar zu machen und zum Erlebnis werden zu lassen." Historische Vierteljahresschrift. „Wir besitzen hier wohl die einzige griechische Geschichte in deutscher Sprache, die auf streng wissenschaftlicher Grundlage und unter Berücksichtigung welthistorischer Gesichtspunkte in gemeinverständlicher Form geschrieben ist."

Frankfurter Zeitung,