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German Pages 283 [284] Year 2022
Michael Farrenkopf, Regina Göschl (Hrsg.) Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich
Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum
Band 251
Michael Farrenkopf, Regina Göschl (Hrsg.)
Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich
Begleitband zur Sonderausstellung des Deutschen Bergbau-Museums Bochum im Jahr 2022
Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 251 = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 44
Redaktion: Michael Farrenkopf, Regina Göschl, Moritz Morsch
ISBN 978-3-11-077986-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-078015-4 ISSN 1616-9212 Library of Congress Control Number: 2022930637 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Installation Totems von Agustín Ibarrola auf der Halde Haniel in Bottrop; Copyright: Jessica Hornung, Deutsches Bergbau-Museum Bochum/ Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) Satz/Datenkonvertierung: Satzstudio Borngräber, Dessau-Roßlau Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Grußworte
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I Einleitung Michael Farrenkopf, Regina Göschl Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich: Hintergründe, Inhalte und Ziele der Ausstellung 3
II Externe Blickwinkel auf Ausstellung und Thema Thorsten Diercks Bergbau und Umwelt in Deutschland – Aktuelle Standortbestimmung 19 Anna-Katharina Wöbse Landschaften der Macht: Frauen, Männer und die Deutungshoheit über Natur 27 Helmuth Trischler Planetare Gesundheit: Die COVID-19-Pandemie als Technikwende und als kommunikative Herausforderung für die Museen 35 Nina Möllers Hippe Eintagsfliege oder nachhaltiger Paradigmenwechsel? – Wie das Anthropozän Museen und Ausstellungen verändert 43 Thomas Pyhel, Cornelia Soetbeer „Zurück in die Zukunft“ – Nachhaltigkeitskommunikation in (historischen) Ausstellungen
III Gestaltungskonzept der Ausstellung Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf Blicke unter die Oberfläche – Zur Gestaltung der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“
IV Inhalte der Ausstellung IV.1 Hier und jetzt Regina Göschl Drei Landschaften der Gegenwart
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IV.2 Glückauf ohne Grenzen – Umwelteinflüsse und Alltag im Bergbau Michael Ganzelewski Bergbauentwicklung und Umwelteinflüsse Stefan Przigoda Alltag im Bergbau
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Inhalt
IV.3 Kein Zurück zur Natur – Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften Torsten Meyer Begriffe und Gesetze
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Martin Baumert Forschung und Rekultivierung Michael Ganzelewski Industrie und Rekultivierung
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IV.4 Auf (dem Weg) zur Umweltunion – Umweltpolitik und Umweltbewusstsein in Deutschland nach 1945 Torsten Meyer, Michael Farrenkopf Industrielle Umweltprobleme 153 Torsten Meyer, Michael Farrenkopf Naturschutz vor 1945 167 Regina Göschl Staatliche Umweltpolitik nach 1945 Regina Göschl Umweltbewegung, 1945 bis 1990
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Regina Göschl Umweltbewusstsein, 1945 bis 1990
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IV.5 Und nun? Umweltpolitik, Proteste und Bergbau in Gegenwart und Zukunft Regina Göschl Umweltpolitische Entwicklungen nach 1990
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Martin Baumert Umweltproteste und soziale Konflikte, 1990 bis 2020 Torsten Meyer, Michael Farrenkopf Zukünfte von Bergbaurevieren 235
Anhang Leihgebende
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Wissenschaftlicher Beirat Literaturverzeichnis Online-Ressourcen Autor:innen
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Abbildungsverzeichnis
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Beteiligte an der Ausstellung Register
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Grußwort Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum und LeibnizForschungsmuseum für Georessourcen ist das weltweit größte Bergbaumuseum. Es ist dem Auftrag verpflichtet, das materielle Erbe des Bergbaus zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen, auszustellen und zu vermitteln. Als Kuratoriumsvorsitzende ist es für mich von großer Bedeutung und mir ein persönliches Anliegen, die Weiterentwicklung des Deutschen BergbauMuseums Bochum aktiv mitzugestalten und zu begleiten. Mit dem Ende des Steinkohlenbergbaus in Deutschland 2018 ist auch das Museum in eine neue Zeit aufgebrochen. Drei Jahre lang wurde es umgebaut und seine Dauerausstellung neugestaltet. Ein Mammutprojekt, das die RAG-Stiftung im Rahmen von „Glückauf Zukunft!“, der Initiative zum Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus, mit 15 Millionen Euro maßgeblich unterstützte. Im November 2018 wurden die beiden Rundgänge „Steinkohle“ und „Bergbau“ wiedereröffnet, seit Juli 2019 komplettieren die Rundgänge „Bodenschätze“ und „Kunst“ das Besuchserlebnis, deren Neugestaltung im Rahmen der Bund-LänderFörderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW gefördert wurde. Mehr als 3000 Exponate, multimediale Medienstationen und Videoinstallationen rücken nun neben der Geschichte des Bergbaus verstärkt Themen der Zukunftsgestaltung und des Nachbergbaus in den Fokus. Durch die neue didaktische Ausrichtung gelingt es dem Museum zudem, dieses Wissen nachhaltig an alle Altersgruppen zu vermitteln. Die Neugestaltung hat das Haus also zur Erfüllung seiner Aufgaben hervorragend aufgestellt. Die neue, durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ leistet einen weiteren wertvollen Beitrag zum Thema Nachbergbau. Erstmals in der Geschichte des Museums widmet sich eine Ausstellung Fragen der Umweltpolitik und der Renaturierung. Beide Belange beschäftigen die Menschen im Ruhrgebiet, aber auch in anderen vom Bergbau geprägten Regionen wie dem Aachener Revier, der Lausitz oder dem Gebiet um die Wismut seit vielen Jahren. Mit der erfolgreich abge-
schlossenen Renaturierung der Emscher sehen wir im Ruhrgebiet aktuell das beste Beispiel, seit 170 Jahren ist der Fluss – damals spöttisch „Köttelbecke“ genannt – heute komplett abwasserfrei. Was sich hierin einmal mehr zeigt ist, wie sehr Umbruch und Wandel vom menschlichen Handeln geprägt sind. Um einen demokratischen Prozess sowie wirtschaftlichen, ökologischen, kulturellen und mentalen Wandel in Gang zu bringen, sind Dialog und Teilhabe unbedingt notwendig. Dass dies keine neuen Phänomene sind, sondern in der deutsch-deutschen Geschichte vor allem in Bezug auf Bergbau eine lange Tradition haben, vermittelt diese Sonderausstellung eindrücklich. Den Ausstellungsmachenden ist es gelungen, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft zu bauen und zu zeigen, dass es seit jeher tiefgehende regionale Kenntnisse, großes Engagement und mutige Köpfe braucht, um Bergbaureviere zu gestalten und diese in eine zukunftsgewandte Nachbergbauzeit zu überführen. Museen sollen im 21. Jahrhundert Orte des Austauschs sein, sie dürfen auch unbequeme Fragen stellen und können wichtige gesellschaftliche Impulse geben. Mit der aktuellen Sonderausstellung leistet das Deutsche Bergbau-Museum Bochum einen wertvollen Beitrag zu all dem. Es gibt uns die Möglichkeit, den bergbaulichen Transformationsprozess genau zu betrachten und dabei im wahrsten Sinne des Wortes auch unter die Oberfläche zu schauen. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Erleben der Ausstellung und Lesen dieses Bandes und hoffe, dass er vielleicht auch Ihre ganz persönlichen Erinnerungen an den Steinkohlenbergbau wachhält und in die Zukunft trägt. Ein herzliches Glückauf
Bärbel Bergerhoff-Wodopia Mitglied des Vorstandes der RAG-Stiftung und Kuratoriumsvorsitzende des Deutschen Bergbau-Museums Bochum
Grußwort Die acht Forschungsmuseen stellen unter den insgesamt 97 Instituten der Leibniz-Gemeinschaft ein ganz besonderes Alleinstellungsmerkmal unserer Forschungsorganisation dar. Wenn ich gelegentlich davon spreche, dass sie die Zukunft ausstellen, ernte ich mitunter aufgrund dieses scheinbaren Paradoxons ungläubige Blicke. Es sind aber tatsächlich gerade Forschungs- und Ausstellungsprojekte wie dieses – „Gras drüber ... Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ – die ganz plastisch zeigen, dass es mitnichten paradox ist. In der aktuellen Debatte um den Klimawandel herrscht ein weitgehender Konsens, dass ein Ausstieg aus der Kohle als fossilem Energieträger unumgänglich ist, wollen wir durch eine Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes die Klimaerwärmung begrenzen. Wenn es darum geht, ob ein Ausstieg erst 2038 oder doch schon 2030 umsetzbar ist, dreht sich die Debatte um Bergbaufolgen, Strukturwandel und die Anpassung der Gesellschaft daran – eine Aufgabe, die in den aktiven Kohlerevieren in West- und Ostdeutschland noch bewältigt werden muss. Eine Aufgabe aber auch, die viele ehemalige Reviere in Ost und West bereits bewältigt haben. Das dieser Ausstellung zugrundeliegende und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen, gemeinsam mit der Bergischen Universität Wuppertal und der TU Bergakademie Freiberg hat in der vergleichenden deutsch-deutschen Umweltgeschichte nicht nur Neuland betreten, sondern auch wichtige Lehren für vergleichbare Szenarien in Gegenwart und Zukunft hervorgebracht. Forschende sind dafür in einer interdisziplinären Herangehensweise der Frage
nachgegangen, ob Bergbau, Umweltpolitik und Rekultivierung im geteilten Deutschland Ähnlichkeiten oder Unterschiede aufwiesen, ob Geschichte abgeschlossen ist oder wir im Hier und Jetzt sowie für die Zukunft aus ihr lernen können. Die gewonnenen Erkenntnisse haben nicht nur Eingang in fachwissenschaftliche Publikationen, Promotionen und Lehrveranstaltungen gefunden, sondern wurden ganz explizit auch in einer Sonderausstellung umgesetzt, die sich an uns alle richtet. Schließlich sind es die Menschen, in deren Lebenswirklichkeit sich der Bergbau, seine Folgen und die Folgen des Ausstiegs unmittelbar niederschlagen. Es ist die Besonderheit von Leibniz-Forschungsmuseen, genau das zu ermöglichen: die Bevölkerung an aktueller Forschung teilhaben zu lassen und Diskussionen über die Zukunft anzuregen – nicht nur beim Klimawandel, sondern etwa auch beim Verlust der biologischen Vielfalt oder bei gesellschaftlichen Phänomenen wie der Migration und vielen anderen Fragestellungen, die uns alle umtreiben. So hoffe ich, dass die Ausstellung und ihr Begleitband dazu beitragen, aus dem Wissen über die Vergangenheit und ihrer Analyse, Erkenntnisse und Lehren für Gegenwart und Zukunft zu erzeugen, von denen wir als Gesellschaft profitieren können. Allen Lesenden, allen Besuchenden ein herzliches Glückauf!
Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
I Einleitung
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Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich: Hintergründe, Inhalte und Ziele der Ausstellung Auftakt Der Mensch ist seiner Umwelt einerseits ausgesetzt, andererseits passte er sie in seiner Geschichte immer wieder den eigenen Bedürfnissen an. Dies gilt nicht zuletzt in Bezug auf den Bergbau als eine Form der menschlichen Urproduktion. Die Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutschdeutschen Vergleich“ im Deutschen Bergbau-Museum Bochum beleuchtet dieses Wechselverhältnis aus historischer Perspektive mit einem Schwerpunkt auf den Bergbaufolgelandschaften. Sie will so zu einem reflektierten Umgang mit Umweltfragen in Gegenwart und Zukunft beitragen. Stellvertretend für dieses Thema stehen zwei zentrale Exponate am Beginn der Ausstellung: Das monu-
mentale Kunstwerk „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geliehen“ (1988/89) von Willi Sitte (1921– 2013, Abb. 1) und die kleinen Grünen Kreuze (1983) von Eberhard Göschel (geb. 1943, Abb. 2). Das Gemälde Sittes ist inhaltlich sehr detailreich. Eine kurze Interpretation durch die Brille der Ausstellungsmachenden stellt den Bezug zu „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ her: Links unten ist ein Bergmann bei der Suche nach Rohstoffen dargestellt. Das Ergebnis dieser Suche hält er darüber staunend in den Händen. Dahinter ist als Schatten eine mythologisch anmutende Figur abgebildet. Womöglich handelt es sich um den Göttervater Zeus. Er ist der wichtigste und mächtigste Gott der griechischen Mythologie und könnte somit für die Macht stehen, die dem Menschen aus der Gewinnung von
Abb. 1: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geliehen“ des Künstlers Willi Sitte (1921–2013), Öl auf Leinwand, 1988/89 (DBM/montan.dok 030005947001 / Willi Sitte)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-001
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Abb. 2: Die kleinen grünen Kreuze wurden durch den staatskritischen Künstler Eberhard Göschel als Symbol der Umweltbewegung beim evangelischen Kirchentag im Jahr 1983 verteilt, 1983 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2018/08/0451 / Eberhard Göschel)
Rohstoffen obliegt. Verbunden mit Macht ist jedoch immer auch Verantwortung. Eine weitere mythologische Figur, der von links oben aus dem Himmel stürzende Prometheus, wie anzunehmen ist, könnte den Sturz des Menschen symbolisieren, wenn er nicht verantwortungsvoll mit dieser Macht (und den Ressourcen) umgeht. In der Bildmitte werden sowohl die Verarbeitung der Rohstoffe als auch die möglichen zerstörerischen Auswirkungen gezeigt. Eine Ritterrüstung, die in Flammen steht, der Drachenkopf, der Panzer, tote Menschen und die verdunkelte Sonne symbolisieren Krieg und Verderben. Der gekreuzigte Mensch rechts wird als Gefangener der Gesamtentwicklung der Menschheit und auf der Erde dargestellt. Doch das Bild ist nicht so düster, wie es bis hierhin erscheint. Die Hände mit Buch rechts unten können als Symbol des Fortschritts durch die Wissenschaft gedeutet werden, die letztlich eine positive Gestaltung der Zukunft ermöglichen könnte. So fliehen die nackten und schutzlosen Menschen vor der sich in Fetzen auflösenden Erde zum hoffnungsfroh aufsteigenden Regenbogen. Rechts unten erkennt man gar eine grüne Landschaft. Das Kunstwerk Sittes kann im Zusammenhang mit seinem Titel so als eine eindeutige Warnung verstanden werden, wofür die Abbildung der Harpyie rechts oben steht. Sie kündigt bei Sitte eine unheilvolle Entwicklung an, wenn der Mensch sich und sein Handeln nicht ändert. Bereits der Inhalt des Bildes macht also den Bezug zur Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt
im deutsch-deutschen Vergleich“ deutlich: Es geht um Umweltgeschichte, also um das Wechselverhältnis zwischen Mensch und Natur in Bezug auf den Bergbau. Es geht aber auch um eine deutsch-deutsche Zeitgeschichte, nämlich darum, wie in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) nach 1945 mit den Folgen des Bergbaus auf die Umwelt umgegangen wurde. Auch hier gibt es Anknüpfungspunkte zum Künstler Sitte: Er war ein hoher Funktionär in der DDR-Kulturpolitik, hat das Bild aber im Auftrag der westdeutschen Frankfurter Metallgesellschaft 1988/89 angefertigt. Die Hintergründe der Entstehung sind nicht vollständig bekannt. Willi Sitte ist aufgrund seiner politischen Funktion in der DDR bis heute umstritten. Er konnte über Sein oder NichtSein von Künstler:innen in der DDR mitentscheiden. Heute befindet sich das Bild in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) und leitet nun die Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ als ein zentrales Exponat ein. Gegenübergestellt sind dem etwa drei mal fünf Meter großen Kunstwerk zwei etwa zwei mal zwei Zentimeter kleine grüne Kreuze. Sie wurden von dem staatskritischen DDR-Künstler Eberhard Göschel gefertigt und stammen aus der Sammlung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beim Evangelischen Kirchentag 1983 wurden sie als Symbol der unabhängigen Umweltbewegung der DDR verteilt. Sie sollten „Erste Hilfe für die Umwelt“ symbolisieren und waren eine Variante des „Grünen Kreuzes“ in der Dresdener Kreuzkirche, dem Wahrzeichen des Kirchentags, das aus Salatköpfen zusammengesetzt war. Göschel stammt ursprünglich aus dem mittelfränkischen Bubenreuth. Seine Mutter zog noch im Jahr seiner Geburt 1943 mit ihren Kindern in die sächsische Schweiz nach Königstein. Ab 1964 studierte Göschel Malerei an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden, seit 1968 wurde er intensiv vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der DDR observiert. Außerdem wurde ihm ein Ausfuhrverbot seiner Arbeiten und ein Verbot der Annahme von Aufträgen aus der BRD auferlegt. Auch Studienaufenthalte im Ausland wurden Göschel durch den Staat der DDR verweigert. Die Betrachtung der Biografie Göschels macht deutlich, dass er eine Antithese zu Sitte darstellt. Die plakative museale Gegenüberstellung der beiden Kunstwerke soll dies verdeutlichen. Besonders brisant ist diese Konfrontation, da Willi Sitte und Eberhard Göschel sich durchaus kannten und auch in der Realität einen fundamentalen Antagonismus verkörperten. So veröffentlichte die taz am 6. November 1990 einen Leserbrief von Eberhard Göschel mit dem Titel „Machtmißbrauch“, in dem er sich konkret auf die Beeinflussung seiner künstlerischen Arbeit durch Willi Sitte bezog.
Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich: Hintergründe, Inhalte und Ziele der Ausstellung
„Lieber Willi Sitte, Beschützer von Bärbel Bohley, Freund Wolf Biermanns! Ich liebe Euch alle! Und mein ehrliches Herz — auch die Kunststrategen im Dritten Reich haben das „Völkische“ oft ehrlichen Herzens vertreten. Schlimm nur, wenn sich die eigene Beschränktheit mit Macht paart. Ein Maler muß sich natürlich von bestimmten künstlerischen Strömungen abgrenzen und seine Sache verfolgen, aber das Ausgrenzen durch Sie war Machtmißbrauch. Und gerade das, mein lieber Willi Sitte, haben Sie flächendeckend betrieben. Sie haben Ihren DDR-Kollegen Ausstellungsprojekte versaut (mir in Wien) und existenzerhaltende Aufträge hinterlistig abgewürgt. Als ich 1984 einen Auftrag für die Wandgestaltung in einer Filiale der Dresdner Bank bekam und sich die Auftraggeber an Sie und den Staatlichen Kunsthandel wandten, schrieben Sie in heimtückischer Weise hinter meinem Rücken an den Auftraggeber: ‚Es will mir nur schwer verständlich werden, warum Sie den geplanten Auftrag gerade Eberhard Göschel übertragen wollen. Er lebt in der Deutschen Demokratischen Republik, gehört unserem Verband Bildender Künstler an, aber er hat sich selbst bewußt an die Peripherie unseres künstlerischen Geschehens begeben. Seine künstlerischen Auffassungen orientieren sich auf bestimmte stilistische Richtungen auf dem kapitalistischen Kunstmarkt ... Ich kenne eine größere Anzahl junger Leute in dieser Situation, die ich für viel talentierter, künstlerisch qualifizierter und förderungswürdiger halte als zum Beispiel Eberhard Göschel.‘ ‚Ich habe die Freiräume, die wir hatten, für andere genutzt‘ — bei dieser ‚Altersweisheit‘ im NBI-Interview kommt mir die Galle hoch. Daß Sie sich an nichts mehr erinnern können, zeigt nur, daß Sie sich mit Ihrer Gewissenlosigkeit nahtlos in die Reihe der verdorbenen Greise der ehemaligen Staatsführung einreihen. In bleibender Erinnerung habe ich auch Ihr Angebot, mir bei einem Ausreiseantrag behilflich zu sein — obwohl ich doch gar keine derartige Absicht geäußert habe. Eberhard Göschel, Dresden“.
Angesichts der Tatsache, dass Willi Sitte von BRD-Aufträgen durchaus wirtschaftlich profitierte, wie nicht zuletzt das Gemälde „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geliehen“ zeigt, erscheint die Beeinträchtigung von Künstler:innen-Biografien wie Eberhard Göschels sicherlich als blanker Hohn. Die kleinen Kreuze stehen damit in der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutschdeutschen Vergleich“ für den kritischen Umgang der Menschen mit Umweltproblemen sowohl in der DDR als auch in der BRD. So entstanden in den 1970er- und 1980er-Jahren in beiden deutschen Staaten jeweils Umweltbewegungen, die an verschiedenen Stellen miteinander vernetzt waren. Diese Kontextualisierung zweier zentraler Eingangsobjekte der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ macht auch den Bezug zum institutionellen Förderer des Projekts deutlich. Das Ausstellungsprojekt ist Teil eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbunds.
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Einbettung in Forschungsverbund des BMBF Als einer von 14 Forschungsverbünden, die im Rahmen des kompetitiven Förderprogramms zur Stärkung der DDR-Forschung vom BMBF bewilligt wurden, hat das Vorhaben „Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlenrevier, die Wismut und das Ruhrgebiet (1949–1989|2000)“ am 01. März 2019 seine Arbeit aufgenommen. Zunächst auf vier Jahre genehmigt und mit gut 2,5 Mio. Euro ausgestattet, erforscht es verknappt formuliert Strategien und Praktiken der Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften. Beteiligt sind Wissenschaftler:innen der Bergischen Universität Wuppertal, des Deutschen Bergbau-Museums Bochum sowie der TU Bergakademie Freiberg. Aus Sicht des BMBF zählt zu den zentralen Zielen der Gesamtförderung aller 14 Verbünde, die in einem wettbewerblichen Verfahren ausgewählt worden sind, eine stärkere Verankerung der DDR-Forschung in der deutschen Hochschul- und Forschungslandschaft. Zu den Forschungsfragen innerhalb des Gesamtprogramms gehören begangenes Unrecht, etwa in Haftanstalten, Erziehungsheimen, im Gesundheitswesen sowie gegen Ausreisewillige, aber auch Modernisierungsblockaden in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein weiterer Fokus liegt auf den Nachwirkungen der DDR und des Transformationsprozesses nach 1989/90 auf aktuelle Entwicklungen. Insgesamt richtet sich die Förderung des BMBF dabei auf 32 Hochschulen, von denen wiederum viele eng mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Gedenkstätten, Archiven, Aufarbeitungsvereinen, Einrichtungen der politischen Bildung und anderen relevanten Handelnden zusammenarbeiten. So sollen Brücken zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gebaut und die Forschungsergebnisse breit in die Bevölkerung vermittelt werden. Übergreifendes Ziel des Forschungsverbunds „Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutschdeutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlenrevier, die Wismut und das Ruhrgebiet (1949–1989|2000)“ ist die Untersuchung der Umweltpolitiken der DDR im deutsch-deutschen Systemvergleich am Beispiel dreier Bergbaureviere. Verglichen werden das Lausitzer Braunkohlenrevier, der Uranerzbergbau der Wismut und das vom Steinkohlenbergbau geprägte Ruhrgebiet. Die gewählten Untersuchungsfelder schließen – so unsere Überzeugung – ein umwelthistorisches Desiderat der DDR-Forschung. Insgesamt gliedert sich der Forschungsverbund in fünf Einzelprojekte, die inhaltlich eng miteinander verbunden sind und hier sehr knapp umrissen sein sollen. Das erste Teilprojekt widmet sich dem Lausitzer Braunkohlenrevier und wird im montan.dok beim DBM durchgeführt. Im Zentrum stehen die umweltpolitischen Akteur:innen und Institutionen, die die Wieder-
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nutzbarmachung der vom Braunkohlenbergbau devastierten Flächen beeinflussten. Der Untersuchungsraum beschränkt sich auf das Land Brandenburg bzw. ab 1952 auf den Bezirk Cottbus. Dabei stehen zunächst die theoretischen Beiträge und praktischen Arbeiten der wissenschaftlichen Akteure, darunter Wilhelm Knabe (1923–2021), Albrecht Krummsdorf (1926–2014), Reinhold Lingner (1902–1968) und andere, im Vordergrund. Sie bildeten nicht nur die Basis für die Nutzung und Gestaltung der Bergbaufolgelandschaft im Lausitzer Revier, sondern sie setzten auch im internationalen Vergleich neue Akzente. Zentrales Augenmerk wird sodann dem Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie an den verschiedenen Wendepunkten der DDR-Umweltgeschichte geschenkt. Ziel ist es, anhand der Überlieferungen der wissenschaftlichen Institute und staatlichen Institutionen ein differenziertes Bild von Anspruch und Wirklichkeit der Umweltpolitik der DDR zu zeichnen. Dieses muss wiederum notwendigerweise in die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz eingeordnet werden. Das zweite Teilprojekt wird in Form einer Dissertation an der Bergischen Universität Wuppertal durchgeführt und behandelt die Haldenproblematik anhand des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet. Anfang der 1950erJahre begann der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk mit den ersten wissenschaftlichen Arbeiten zur Möglichkeit der Rekultivierung von Bergehalden. In den folgenden Jahrzehnten intensivierten sich diese Bemühungen: Bergehalden sollten nicht nur rekultiviert, sondern auch in das Landschaftsbild des Ruhrgebiets integriert werden. Vor allem ab den 1970er-Jahren veränderten sich unter neuen umweltpolitischen Voraussetzungen sowohl die Akteurs- als auch die Triebkraftkonstellationen. In den Betrachtungsfokus rücken daher neben der Verbandsebene sowohl die Landespolitik in NordrheinWestfalen als auch die 1968 gegründete Ruhrkohle AG und die regionalen Hochschulen. Zentrales Anliegen dieser Arbeit ist es, die sich verändernden Akteurskonstellationen der interdisziplinären und institutionsübergreifenden Rekultivierungspraxis zu rekonstruieren, um damit sowohl die Geschichte ihrer Verwissenschaftlichung zu beschreiben als auch sie in den Kontext der Ruhrgebietsgeschichte zu integrieren. Der Uranerzbergbau der Wismut steht im Zentrum des dritten Teilprojekts, das am Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte an der TU Bergakademie Freiberg als Postdoc-Vorhaben angesiedelt ist. Als sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft entzog sich der Uranerzbergbau der Wismut häufig den staatlich-umweltpolitischen Zugriffen. Die mit der Uranerzgewinnung einhergehenden Umweltproblematiken stellten sich zudem anders dar als jene des Kohlenbergbaus. Im Zentrum der Analyse dieses Vorhabens steht das Spannungsverhältnis institutioneller Verankerung der Umweltpolitik der DDR und der umweltpolitischen Praktiken der verschiedenen Handelnden. Es gilt, den Wissenstransfer der Umwelt-
daten, die Reaktionen auf die Umweltbelastungen und die möglichen Sanierungsmaßnahmen und Rekultivierungskonzepte zu rekonstruieren und zu kontextualisieren. Hierzu erfolgt eine Einordnung der Ergebnisse in den internationalen Kontext des Ost-West-Konflikts und des Rüstungswettlaufs. Dieses multi-perspektivisch angelegte Forschungsprojekt verbindet die internationale Geschichte des Uranerzbergbaus mit der nationalen und regionalen Ebene der Umweltpolitik der DDR. Während die ersten drei genannten Projekte dezidiert die einzelnen Regionen und spezifischen Bergbauzweige adressieren, ist das vierte Teilprojekt auf dem Gebiet der historischen Biografik angesiedelt und fokussiert als solches die biografische Erforschung der Lebensgeschichten aller innerhalb des Forschungsverbunds identifizierten historischen Akteur:innen. Es geht darum, die individuellen Brüche und Kontinuitäten in den Biografien der umweltpolitisch und -wissenschaftlich Beteiligten mit den auf der Makroebene stattfindenden, strukturellen Veränderungen zu kontrastieren. Da durch die historische Biografik nicht zuletzt der historische Wissenstransfer deutlich gemacht und genauer erforscht werden kann, ist das Teilvorhaben zu „Biografik/Biografisches Lexikon“ als Querschnittsprojekt des Forschungsverbunds konzipiert und steht während der gesamten Projektdauer in enger Verbindung mit den anderen Teilvorhaben. Dies gilt nicht minder für das fünfte Teilprojekt, nämlich die wissenschaftliche Konzeption, gestalterische Umsetzung sowie zeitgemäße Präsentation und Vermittlung der Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ innerhalb des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen. Während die Teilprojekte 1 bis 4 die umweltpolitischen Maßnahmen und Akteure des Umgangs mit den Bergbaufolgelandschaften im Ruhrgebiet, in der Lausitz und im Erzgebirge wissenschaftlich erforschen, beabsichtigt die Ausstellung, die Ergebnisse des Forschungsverbunds an eine breite Öffentlichkeit zu vermitteln. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse können damit zeitnah allgemein zugänglich gemacht werden.
Strategische Relevanz für das Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen Sowohl der Forschungsverbund insgesamt als auch die Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ im Speziellen haben aktuell eine besondere strategische Relevanz für das DBM als Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen. Das vormalige Bergbau-Museum in Bochum wurde im Jahr 1930 von der Westfälischen Berggewerkschafts-
Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich: Hintergründe, Inhalte und Ziele der Ausstellung
kasse (WBK), einem Gemeinschaftsunternehmen des Steinkohlenbergbaus, und der Stadt Bochum gegründet. Aufgrund seiner umfangreichen Forschung konnte das Haus 1977 dann als Deutsches Bergbau-Museum Bochum in die Bund-Länder-Förderung aufgenommen werden. Mit Gründung der Leibniz-Gemeinschaft trat es dieser bei und erweiterte im Jahr 2016 seinen Namen um den Zusatz Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen. Das DBM ist bis heute eine Abteilung der DMTGesellschaft für Lehre und Bildung mbH, der Nachfolgeorganisation der WBK. Durch die in den letzten Jahren getroffenen vertraglichen Regelungen hat es jedoch den Status einer im Sinne der AV WGL rechtlich eigenständigen Einrichtung. Aufgrund dieser Historie und seiner Verortung im Ruhrgebiet hat das DBM selbstverständlich auch weiterhin eine enge Bindung an den Ende 2018 auf gesetzlicher Grundlage in Deutschland ausgelaufenen aktiven Steinkohlenbergbau. Für diesen fungiert es weiterhin als ein zentraler Erinnerungsort, was sich nicht zuletzt mit zahlreichen Vorhaben der letzten Jahre verbindet: Durch verschiedenste Projekte und gemeinsame Sammlungsanstrengungen ist besonders die letzte Phase des aktiven deutschen Steinkohlenbergbaus nach dem Zweiten Weltkrieg umfassend dokumentiert worden. Die Zukunft der im montan.dok konzentrierten sammlungsbezogenen Forschungsinfrastruktur ist durch einen in Planung befindlichen Neubau inzwischen gesichert. Diese Themen wurden darüber hinaus intensiv beforscht und Desiderate beseitigt. Sowohl mit der in den letzten Jahren vollständig reformierten Dauerausstellung des DBM als auch mit der 2018 auf dem Welterbe Zollverein gemeinsam mit Franz-Josef Brüggemeier und dem Ruhr Museum erarbeiteten Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“ wurde und wird die Bedeutung des Industriezweigs in die Gesellschaft vermittelt. Zukünftig will das DBM seinen Fokus jedoch mit Blick auf die Rolle der mineralischen Georessourcen deutlich erweitern. Ein gewisser Nukleus ist dabei der im letzten Jahr bewilligte Leibniz-Wissenschaftscampus „Resources in Transformation“. Hier bestehen innerhalb des DBM vielfältige Bezüge zu anderen laufenden Projekten und Großvorhaben, insbesondere auch zum hier relevanten BMBF-Forschungsverbund, um das Ressourcenthema und speziell den Ansatz der Transformationen, des Wandels im Ressourceneinsatz, innerhalb von Gesellschaften zu beleuchten. Dies deckt sich zudem mit der in so genannten Programmbereichen organisierten wissenschaftlichen Ausrichtung des DBM. So ist der erste Programmbereich aktuell mit „Landschaften – Von der Rohstoffaneignung bis zur Folgelandschaft: Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaften“ überschrieben. Grundsätzlich wird dabei davon ausgegangen, dass Landschaften mit ihren spezifischen Eigenarten den Hintergrund für jede (montan-)wirtschaftliche Produktion des Menschen bilden. In der Regel ist es der minerali-
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sche Ressourcenreichtum, der zur Ausbildung intensiver Produktionszyklen und damit aber auch zu teils dramatischen Umweltveränderungen führte. Deren Ausprägungen reichen von sporadischen und saisonalen Strategien der Aneignung von Rohstoffen über die Entwicklung intensiver Produktionsprozesse in Blütephasen montanwirtschaftlicher Produktion bis hin zu Krisen, die unter Umständen zu einer Reorganisation oder auch zur Transformation in Folgelandschaften führen konnten. Diese Prozesse können diachron beschrieben und Landschaften so im Hinblick auf die verschiedenen Faktoren ihrer Wirkung auf die bergbaulich relevanten wirtschaftlichen und sozialen Prozesse, auf die technische Spezialisierung und Adaption technischer Innovationen untersucht werden. Mitunter entfalteten Montanlandschaften selbst entsprechende Vorbildwirkung und lösten damit weitere Prozesse in anderen Landschaften aus. Solche Multiplikationen, die häufig von Migration und Mobilität von Spezialisten begleitet wurden, konnten beträchtliche transformierende Wirkungen entfalten und so den kulturellen und wirtschaftlichen Rahmen vergangener Gesellschaften verändern. Die Forschungen des DBM setzen in der Regel an der Untersuchung der landschaftlichen Grundlagen, der Rohstoffqualität sowie den bereits bestehenden Kulturlandschaften an. Handel und Austausch wie auch Mobilität, Migration und Wissenstransfer bilden wesentliche Klammern für das Verständnis der Transformationsprozesse, die von den Anfängen gezielter Rohstoffnutzung in den jüngeren Steinzeiten am Ende des Pleistozäns bis zu den gegenwärtigen industriellen und nachindustriellen Produktionsformen reichen. Dazu wird Grundlagenforschung in zahlreichen Landschafts-, Zeit- und Rohstoffkontexten weltweit betrieben. Die Ergebnisse münden in eine breite methodologische und theoretische Diskussion, die zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen am DBM und im weiteren nationalen und internationalen Rahmen geführt wird. Hierin lassen sich zudem enge Bezüge zu Forschungen und aktuellen gesellschaftlichen Diskursen über das Anthropozän verorten, denen sich das DBM aktuell stärker als in der Vergangenheit öffnet. Im Dezember 2021 konnte in thematischer Anlehnung an den skizzierten Programmbereich die Sonderausstellung „Black Gold and China. Fotografien von Lu Guang“ eröffnet werden. Lu Guang dokumentiert seit fast 40 Jahren beharrlich ökologische und soziale Themen in China durch das Objektiv seiner Kamera und wurde dafür mit vielen wichtigen, internationalen Fotopreisen gewürdigt. Dies stellte den Auftakt zu einer Sonderausstellungsreihe zum „Anthropozän in der zeitgenössischen Kunst“ dar, mit der die künstlerische Auseinandersetzung mit den hochaktuellen Themen der Umweltbeeinflussung durch menschliche Eingriffe auch in Zukunft beleuchtet werden soll. Gemeinsam mit einem umfassenden Vermittlungsprogramm soll so eine Diskussionsplattform formiert werden, um den Dialog über
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dieses Thema mit den Besuchenden zu stärken. Hierin ordnet sich auch die historische Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ ein, die sich gleichfalls als ein grundlegender Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs über Konzepte wie das Anthropozän und die Planetare Gesundheit versteht, wie besonders in den Beiträgen von Nina Möllers und Helmuth Trischler in diesem Begleitband deutlich wird. Insofern versteht sich der vorliegende Band nicht als klassischer Ausstellungskatalog. Vor der Erläuterung der zentralen Inhalte und einer Auswahl der wichtigsten Exponate der Ausstellung steht eine Reihe von Beiträgen, die bewusst teils konträre, externe wissenschaftliche Perspektiven auf das Thema versammeln, es damit aus verschiedenen Blickwinkeln weiten und zugleich den Raum für Diskurse öffnen. Den Autor:innen, die mehrheitlich aus dem Kreis des wissenschaftlichen Beirats für die Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ stammen, gilt dafür an dieser Stelle ein herzlicher Dank. Die Bereitschaft, an diesem Begleitband entsprechend mitzuwirken, versteht sich aus Sicht der Herausgebenden als Beleg und Ausweis der Forderung nach Öffnung und Teilhabe an Forschung, wie sie in dem von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz im Oktober 2021 veröffentlichten Bund-Länder-Eckpunktepapier zu den Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft beschrieben ist (dort Agenda 2030, S. 5): „Durch die aktive Einbindung von Akteur:innen aus Zivilgesellschaft und Herkunftsländern, Wirtschaft und Politik in die Forschung und die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe an Prozessen der Wissensgenerierung stärken die Leibniz-Forschungsmuseen den Ausbau einer wissensbasierten Gesellschaft. Durch diesen Wissensaustausch schaffen sie grundlegende Erkenntnisse, Orientierungs- und Handlungswissen zu gesellschaftlich umstrittenen und relevanten Themen. Sie stellen dieses Wissen der Gesellschaft leicht zugänglich, allgemein verständlich und nachhaltig zur Verfügung und entwickeln Konzepte, um Forschungsprozesse und wissenschaftliches Denken nachvollziehbar und anschaulich zu vermitteln. Damit fördern Forschungsmuseen ein grundlegendes Verständnis für wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisgewinn innerhalb der Gesellschaft.“
Struktur, Narrative und Inhalte der Ausstellung Die Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ präsentiert aus umweltgeschichtlicher Sicht einen deutsch-deutschen Vergleich mit einer regionalgeschichtlichen Fokussierung. Dabei werden die wechselseitigen Verflechtungen auf
politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene berücksichtigt. Erstmals widmet sich damit eine Ausstellung der Umweltgeschichte der DDR und BRD in vergleichender Perspektive. Ein wesentliches Ziel ist die Sensibilisierung für die gemeinsamen umweltpolitischen Problemlagen in der deutsch-deutschen Geschichte, wobei die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systeme auch andere Herangehensweisen an diese begründeten. Jenseits dieser an bestimmte Regionen gebundenen Geschichte liegt der Ausstellung darüber hinaus die allgemeine Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur sowie zwischen Fortschritt und Umweltzerstörung zugrunde. So soll deutlich werden, dass das politische und gesellschaftliche Interesse an dieser Thematik nicht nur ein Gegenwartsphänomen ist, wie mit Blick etwa auf die „Fridays for Future“-Bewegung und auf die Diskussionen um den vollständigen Kohleausstieg in Deutschland bis spätestens 2038 vermutet werden könnte. Der in der Ausstellung auf den Umgang mit der Umwelt in der Vergangenheit gerichtete Blick kann und soll dabei helfen, Perspektiven und Szenarien für die Zukunft zu entwickeln.
Konzept und Leitfragen Das Konzept der Ausstellung stellt sich folgendermaßen dar: Nach der Einführung über die Kunstwerke Sittes und Göschels beginnt die Ausstellung in der Gegenwart der drei Regionen Lausitz, Ruhrgebiet und der Wismut-Gebiete in Thüringen und Sachsen. Hier werden bewusst „schöne“ rekultivierte Landschaften präsentiert, die jedoch auch Fragen aufwerfen sollen: Was war da vorher? Warum sieht es heute so aus? Im Anschluss daran wird in die Geschichte der Regionen zurückgeblickt. Welche Umwelteinflüsse hatte der Bergbau? Und wie sind die Menschen, die vor Ort lebten und arbeiteten, damit umgegangen? Nachfolgend werden die Forschungen und die Ergebnisse der Rekultivierungsbemühungen im deutsch-deutschen Kontext gezeigt, bevor im anschließenden Bereich dann noch einmal weiter in die Umweltgeschichte im Kontext der Industrialisierung zurückgegangen wird. So zeigt sich, dass Phänomene wie Umweltpolitik, Umweltbewusstsein und Umweltbewegung eine lange Geschichte haben. Abschließend wird auch ein Ausblick auf die Zukünfte der Reviere gegeben. Dabei stellt sich insbesondere die Frage: Was bleibt? Für die Konzeption der Ausstellung war von Anfang an entscheidend, das Narrativ einer Verfallsgeschichte der DDR und einer Erfolgsgeschichte der BRD hinsichtlich Umweltthemen zu vermeiden. Vielmehr sollen die Herausforderungen, Fort- und Rückschritte in Bezug auf die Umweltpolitik und Rekultivierung in beiden deutschen Staaten analytisch beleuchtet und in den historischen Kontext eingeordnet werden. Dieses grundlegende Konzept und die zentralen Leitfragen der
Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich: Hintergründe, Inhalte und Ziele der Ausstellung
Ausstellung lassen sich an den einzelnen Kapiteln der Ausstellung genauer umreißen.
Hier und jetzt – Drei Landschaften der Gegenwart Im Kapitel „Hier und jetzt – Drei Landschaften der Gegenwart“ erhalten die Besuchenden Einblicke in den gegenwärtigen Zustand rekultivierter Bergbauflächen in den drei Regionen Lausitz, Ruhrgebiet und das thüringisch-sächsische Wismutgebiet. Dabei geht es unter anderem um visuelle Eindrücke in Form von Fotografien und Filmen von rekultivierten Flächen. Diese Verortung in der Gegenwart wird bewusst mit Blicken in die Vergangenheit der drei Regionen kontrastiert, um das Geworden-Sein dieser Gegenwart nicht nur zu thematisieren, sondern auch zu problematisieren und zu kontextualisieren.
Glückauf ohne Grenzen – Umwelteinflüsse und Alltag im Bergbau Dem schließt sich das Kapitel „Glückauf ohne Grenzen – Umwelteinflüsse und Alltag im Bergbau“ an, das aus zwei unterschiedlichen Perspektiven die Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt sowie die Aus- oder vielleicht besser Rückwirkungen der bergbaubedingten Umweltfolgen auf die Menschen in den Fokus rückt. Der Bereich „Umwelteinflüsse des Bergbaus“ setzt bei der groben Beschreibung der Lagerstätten ein und soll einen Überblick über die Bergbauentwicklung bzw. die Methoden geben, mit denen enorme Rohstoff- und Bergemassen der Erde entnommen bzw. verlagert wurden. In allen Bergbauregionen ist es eben nicht nur der eigentliche Rohstoff – in der Lausitz die Braunkohle, im Ruhrgebiet die Steinkohle und im Wismutgebiet das Uranpecherz –, der der Erde entnommen wurde bzw. weiterhin wird. Überlagernde Gesteine oder Nebenbestandteile waren und sind in Größenordnungen zu bewältigen, die die Menge der geförderten Rohstoffe um ein Vielfaches übertreffen. Zudem waren nicht minder große Mengen unterschiedlich belasteter Wässer zu heben, um die Gruben frei zu halten. In der Niederlausitzer Lagerstätte richtete sich der Bergbau vornehmlich auf das 1. und das 2. Lausitzer Flöz. Die ab dem frühen 20. Jahrhundert eingesetzte und bis heute weiterentwickelte Großtechnik in Form von Eimerketten- und Schaufelradbaggern, Förderbrücken sowie Absetzern machte die Gewinnung von Braunkohle in immer größeren Tagebauen möglich. Der Höhepunkt wurde 1989 mit einer geförderten Jahresmenge von 190 Mio. Tonnen erreicht. Damit stieg nicht nur die Menge der Abraumbewegung auf 900 Mio. Tonnen, was etwa 225 Mal dem umbauten Raum des Kölner Doms entspricht; es verschlechterte sich auch das Abraum zu Kohle-Verhältnis erheblich.
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Zur Mitte des Jahres 1994 wurden über 68 000 Hektar Bergbaufläche benannt, wobei 56 % bereits als wiedernutzbar galten. Zudem führte die bergbaubedingte Wasserhebung von 1,2 Mrd. m3 pro Jahr zu einem rund 2100 km2 großen Senkungstrichter, wodurch die Vorfluter ihren natürlichen Einzugsbereich verloren. Wegen der erheblichen Faltung der Schichten und einer komplexen Bruchtektonik galt die Lagerstätte an der Ruhr bis zuletzt als große Herausforderung für den Bergbau. Dennoch sind etwa 4000 km2 des Ruhrgebiets, dem größten Ballungsraum Deutschlands, unter Tage durch den Steinkohlenbergbau durchwandert. Etwa 80 als abbauwürdig bewertete Steinkohlenflöze wurden unter einer nach Norden mächtiger werdenden Deckgebirgsschicht in Teufen von über 1400 m vornehmlich im so genannten Bruchbau abgebaut. Der Einsatz von Walzenschrämladern und Kohlehobeln machte dies seit den 1950er-Jahren möglich, ließ aber den Anteil an störenden Bergen, die nach über Tage gefördert wurden, steigen. Von 1804 bis 2018 wurden nicht weniger als 10 Mrd. Tonnen Steinkohle gefördert, was etwa 19 100 Mal dem umbauten Raum des Kölner Doms entspricht. Innerhalb der Bergbauzone der Wismut wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst im Westerzgebirge die Gangerze im Tiefbau abgebaut. In den 1960er-Jahren konzentrierte man sich auf reichere Lagerstättentypen. Ein Schwerpunkt lag im Gebiet von Ronneburg mit der größten Lagerstätte der Wismut. 3700 Hektar kontaminierte Halden, Absetzanlagen und Betriebsflächen gehören ebenso wie 160 Mio. m3 uranhaltiger Schlämme zu den Hinterlassenschaften. Dem stehen 231 000 Tonnen gewonnenes Uran gegenüber. Dies sind gleichsam die bergbaulichen Grundlagen in Wechselwirkung zu Umweltbelangen, die selbstverständlich Einfluss auf das Leben und den Alltag der Menschen in diesen Regionen nahmen. Insofern beabsichtigt der Abschnitt „Alltag im Bergbau“, die komplexen und umfassenden Auswirkungen der bergbaubedingten Umweltfolgen auf die Bergleute und Bergbaubeschäftigten an ihrem Arbeitsplatz einerseits sowie auf die Bevölkerung in den drei Industrierevieren andererseits zu illustrieren. Zunächst werden grundlegende Informationen über Umwelteinflüsse und deren Auswirkungen gegeben, die dann anhand zentraler Umweltfolgen illustriert und damit für die Besuchenden greifbar und verständlich werden sollen. Bei teilweise ähnlich gelagerten Problemen in den drei Revieren zeigen sich zumindest partiell gleiche Betroffenheitsund Reaktionsmuster. Verdeutlicht wird, wie sehr die Wahrnehmung der Umweltfolgen sowie der Umgang mit ihnen im Zeitverlauf von zahlreichen Ambivalenzen geprägt war und wie sie von den Menschen lange Zeit als mehr oder minder selbstverständlich gegeben oder vielleicht auch nur als „ortübliche Belastung“ hingenommen worden sind.
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Kein Zurück zur Natur – Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften Von hier aus leitet die Ausstellung über in das nächste große Themenfeld, das sich unter dem Motto „Kein ‚Zurück zur Natur‘“ spezifisch mit der Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften beschäftigt. Dabei handelt es sich um einen komplexen Prozess, der in den drei Regionen unterschiedliche Grundlagen und Voraussetzungen hatte. Zunächst werden die Besuchenden mit vier zentralen Begrifflichkeiten vertraut gemacht: Renaturierung, Rekultivierung, Wiederurbarmachung und Wiedernutzbarmachung. Zu verdeutlichen sind die zentralen inhaltlichen Unterschiede, um so ein Verständnis für die Ziele und Maßnahmen zu erzeugen. Während Renaturierung vor allem auf die Wiederherstellung eines definierten, naturnahen Zustands zielt und so ökologisch orientierte Ziele anspricht, meint Wiederurbarmachung – zumindest mit Blick auf die DDR – den technischen Akt der Sicherung und Gestaltung von Kippen und Halden, um sie ihrer späteren wirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Dies geschieht mittels der Rekultivierung. Mit diesem Begriff sind alle agro-technisch-biologischen Mittel und Maßnahmen gemeint, die zuvorderst eine agrarische und forstliche Nachnutzung der Kippen und Halden sichern, gleichwohl auch das Ziel einer „landschaftlich ansprechenden Herrichtung“ verfolgt werden soll. Der vierte Begriff Wiedernutzbarmachung verklammerte in der DDR die Wiederurbarmachung und die Rekultivierung als einen komplexen Prozess, wohingegen er in der BRD die technischen Aspekte mit jenen der landesplanerischen Anliegen verband. Hieran anschließend erhalten die Besuchenden einen Einblick in die Entstehung zentraler staatlicher Normative, die mit Blick auf die Wiedernutzbarmachung von Bergbaufolgelandschaften niedergelegt wurden. Angesprochen werden hier auch die Versuche, vor allem die Hinterlassenschaften des Braunkohlenbergbaus juristisch in den Blick zu nehmen; diese gingen zurück bis in die 1930er-Jahre. Von zentraler Bedeutung sollten sich aber die 1950er-Jahre erweisen, insofern in der DDR 1951 die erste „Verordnung zur Wiedernutzbarmachung“ formuliert wurde. In der BRD war bereits ein Jahr vorher das „Gesetz über die Gesamtplanung im Rheinischen Braunkohlengebiet“ erlassen worden, allerdings erfolgte die Verrechtlichung des Umgangs mit den Halden des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet erst 1967. Gerade die beiden hier exemplarisch genannten juristischen Normative bieten die Möglichkeit, die Unterschiede der beiden Staaten mit Blick auf Zentralismus und Föderalismus zu adressieren, die sich auf die Gesetzgebungsprozesse auswirkten. Wissenschaftliche Untersuchungen bilden eine wichtige Vorrausetzung auch für die Rekultivierung. Sie benötigen sowohl theoretische Vorbetrachtungen als auch die praktische Erprobung von Erkenntnissen. Die
Erforschung der Bergbausanierung in den drei Revieren bzw. anhand der Rohstoffe Braunkohle, Steinkohle und Uranerz war wesentliche Vorrausetzung für die Entstehung von Bergbaufolgelandschaften. Die Geschichte zeigt dabei eine gegenseitige Wechselwirkung beider deutscher Staaten in Bezug auf die Forschung zur Bergbausanierung. Die BRD und die DDR konnten auf zahlreiche Vorarbeiten im Feld der Bergbausanierung zurückgreifen. Bereits seit dem Kaiserreich gab es hierzu Überlegungen. Im Bereich der Lausitzer Braunkohlentagebaue wirkte der Forstmeister Rudolf Heuson (1884–1955) ab den 1920er-Jahren als Pionier einer forstlich-experimentellen Rekultivierung. Die gesellschaftlichen Umwälzungen in SBZ und DDR führten bei einem Teil der Wissenschaftler:innen zu einem Umdenken in Umweltfragen. „Mondlandschaften“ galten nun als Folge der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Besonders der Landschaftsplaner Reinhold Lingner betrat mit der „Landschaftsdiagnose der DDR“, dem ersten nationalen Umweltmonitoring weltweit, wissenschaftliches Neuland. Sie bildete den Auftakt zu einem Forschungsverbund der Bergbausanierung. Einer ihrer wichtigsten Exponenten war Wilhelm Knabe, dessen Forschungsergebnisse prägende Bedeutung gewinnen sollten. Er integrierte bestehendes Wissen und ergänzte es um neue Forschungsergebnisse, die er beispielsweise durch Gefäßversuche und die Untersuchung des Deckgebirges erzielte. Das von ihm entwickelte „Domsdorfer-Verfahren“ war eine essenziell wichtige Methode zur Wiedernutzbarmachung des bergbaubedingten Ödlands. Durch Tagungen und Symposien, aber auch eine Fluchtbewegung in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre gelangte dieses Wissen auch in die BRD. Knabe selbst wandte sich nach seiner Flucht 1959 auch dem Steinkohlenbergbau zu. So publizierte er 1968 zusammen mit anderen Autoren einen Sammelband zur Haldenbegrünung im Ruhrgebiet. In der DDR war indessen ein regelrechter Forschungsverbund entstanden aus Universitäten und Hochschulen sowie zweier Außenstellen – eigentlich praktische Versuchsanstalten – für Wiedernutzbarmachung. So wurde Knabes „Domsdorfer“- bis zum Kleinleipischer Verfahren weiterentwickelt, das vor allem eine industrielle Umsetzung im Blick hatte. Nach dem Fokus auf die Wissenschaft richtet sich der Blick in der Ausstellung auf die industriell-praktische Seite der Rekultivierung und Wiederurbarmachung. Es geht darum zu veranschaulichen, welche Kräfte notwendig sind, um Bergbaufolgelandschaften zu gestalten. Effektiv und nachhaltig kann das eigentlich nur im Einklang von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft erfolgen. Die (ehemaligen) Bergbauunternehmen sind dabei in der Pflicht, aber auch in der Lage, organisatorische und operative Aufgaben zu übernehmen. Für die Sicherungen, Rekultivierungen, Sanierungen von Flächen für unterschiedliche Nachnutzungen und den Schutz der Umwelt bedarf es großer Anstren-
Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich: Hintergründe, Inhalte und Ziele der Ausstellung
gungen und mitunter erheblicher Finanzmittel für die Regionen, die nach Beendigung des aktiven Bergbaus einen massiven Strukturwandel durchlaufen. Wichtige Schritte waren dabei die organisatorischen Neuordnungen, die in den drei Regionen unterschiedlich verliefen. Nicht zuletzt ist die Bevölkerung durch den Wegfall von Arbeitsplätzen im klassischen Bergbau betroffen. Es entstehen jedoch neue Arbeitsfelder und Arbeitsplätze bei der nachbergbaulichen Behandlung der Regionen, wenn auch sicher nicht in dem gleichen Ausmaß wie sie die Beendigung oder die Reduzierung des Bergbaus nach sich gezogen hat. Die ersten drei Etappen der Wiedernutzbarmachung in der Lausitz waren durch die Maßnahmen der DDR-Betriebe geprägt, die im Rahmen einer Mangelwirtschaft agieren mussten. Mit der Wiedervereinigung 1990 änderte sich die Situation drastisch. Zahlreiche Tagebaue wurden stillgelegt. Für den bestehenden Braunkohlenbergbau und die Wiedernutzbarmachung alter Bergbauflächen erfolgte die organisatorische Trennung, was zur Gründung der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) führte. Die Finanzierung der Wiedernutzbarmachung erfolgte auf der Basis des „Verwaltungsabkommens über die Finanzierung ökologischer Altlasten“ zwischen Bund und den Braunkohlenländern und umfasste bis Ende 2017 ein Finanzvolumen von insgesamt 10,6 Mrd. Euro. Im Ruhrgebiet sind die organisatorischen Aufgaben im Wesentlichen auf Verbände und den Bergbau selbst verteilt. Die Emschergenossenschaft, der Lippeverband, der Regionalverband Ruhr und die RAG Aktiengesellschaft sind wesentlich für die planerischen Maßnahmen und die Umsetzungen zuständig. Innerhalb der Aufgabenteilung ist das Bergbauunternehmen verpflichtet, für Schäden und Folgen des Bergbaus aufzukommen oder diese auszugleichen. Die Mittel für die so genannten Ewigkeitsaufgaben stellt die RAG-Stiftung. Eine systematische Sanierung und Rekultivierung von Bergbauhinterlassenschaften wurde auf dem Gebiet der Wismut erst nach der politischen Wende ab 1990 mit der Gründung der bundeseigenen Wismut GmbH möglich. Die Sanierung entwickelte sich auch hier zum Wirtschaftsfaktor, wovon die ortsansässigen beauftragten Unternehmen und die Bevölkerung profitieren sollten. Allein bis Ende 2014 wurden in Thüringen und Sachsen circa 6 Mrd. Euro ausgegeben. Zum Verständnis wichtig ist die historisch bedingte Trennung von Wismut-Standorten und den so genannten Wismut-Altstandorten. Die Mittel für deren Sanierung werden durch den Bund und den Freistaat Sachsen getragen und sind im Rahmen von Verwaltungsabkommen bis 2035 gesichert. Ziel der Ausstellungseinheit „Kein ‚Zurück zur Natur‘ – Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften“ ist es also, Rekultivierung als sehr komplexen Prozess im Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis sowie hinsichtlich zentraler Begrifflichkeiten und Normativa
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nahezubringen. All dies war nun zugleich eingebunden in die Geschichte beider deutscher Staaten und deren – im weitesten Sinne – Umwelthistorie. Diese bildet den Fokus für das anschließende Kapitel, das den Titel „Auf (dem Weg) zur Umweltunion – Umweltpolitik und Umweltbewusstsein in Deutschland“ trägt.
Auf (dem Weg) zur Umweltunion – Umweltpolitik und Umweltbewusstsein in Deutschland Diese Ausstellungseinheit ordnet das Thema „Kein ‚Zurück zur Natur‘ – Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften“ in den allgemeinen Umweltdiskurs bzw. die Umweltgeschichte des 20. Jahrhunderts ein. Im Zentrum steht der Vergleich von „Umweltpolitik“, „Umweltbewegung“ und „Umweltbewusstsein“ in den beiden deutschen (Teil-)Staaten von 1949 bis 1990, wobei internationale Entwicklungen berücksichtigt werden. Den Auftakt markiert jedoch der Rückblick auf den Beginn des Industriezeitalters, den damit verbundenen industriellen Umweltbelastungen und den sich ausformenden Naturschutz in Deutschland. Im Bereich „Industrielle Umweltbelastungen“ wird zunächst ein kaleidoskopischer Blick auf die deutsche Industrialisierung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs entfaltet. Vier Branchen stehen dabei im Fokus, die den industriellen Spätstarter zu einer der führenden Industrienationen machten – die optische und chemische Industrie, die Elektrotechnik und der Werkzeugmaschinenbau. Ergänzend werden Prozesse der räumlichen Verdichtung und zeitlichen Beschleunigung im Zeitalter der „Großen Industrie“ kenntlich gemacht. Dieser Auftakt bildet die Folie für die anschließende Darstellung spezifisch industrieller Umweltbelastungen. Mit Blick auf die industriellen Rauchschäden soll vor allem die industriekapitalistische Strategie der „end of pipe technologies“ vor Augen geführt werden. Anhand der technischen Entwicklung der Abgasreinigung sowie der „Hochschornsteinpolitik“ geht es darum, aufzuzeigen, welche technischen Lösungsmuster sich im Industriezeitalter etablierten und dass deren Umsetzung oftmals an wirtschaftlichen Interessen scheiterte. Demgegenüber zielt „die vollkommene Ausbildung der Schwarzen Elster“ auf die Biographie des zentralen Flusses im Lausitzer Braunkohlenrevier, dessen erste Regulierungen zum Hochwasserschutz bereits vor dem Braunkohlenbergbau geplant worden waren. Die Flussbiographie eignet sich daher besonders, um an ihr „unsichtbare“ Verbindungen zwischen der vorindustriellen, industriellen und post-industriellen Zeit herzustellen, begannen doch seit 2008 Planungen zur Revitalisierung und Renaturierung des Flusses. Auch erlaubt dieser Zugang, die industriellen Wasserverschmutzungen durch den Bergbau und der nachgelagerten Industrien in einem größeren Kontext anzusprechen. Die städtische Abwasserproblematik wird
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am Beispiel der Cholera-Epidemie in Hamburg 1892 thematisiert. Da die Stadt nach dem Großen Brand von 1842 durch den englischen Ingenieur William Lindley (1808–1900) eines der modernsten Wasserver- und -entsorgungssysteme bauen ließ, kann verdeutlicht werden, wie relevant die kontinuierliche Instandhaltung der städtischen Infrastruktur ist, stellte doch ihre Vernachlässigung einen nicht unwesentlichen Grund für den großen Choleraausbruch dar. Mit dem Freiberger Hüttenrauch der 1840er-Jahre und dem Agrarchemiker Julius Adolph Stöckhardt (1809–1886) sowie dem „Institut für Wasser-, Bodenund Lufthygiene“, 1901 als „Königliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung“ gegründet, nimmt die Ausstellung abermals Verwissenschaftlichungsprozesse in den Blick. Dabei ist von Bedeutung, dass Stöckhardt das Phänomen „Saurer Regen“ erkannte, Expertengutachten umweltrechtliche Bedeutung gewannen, die die neuzeitlichen nachbarschaftlichen Regelungen ersetzten, aber auch „Grenzwerte“ Einzug in die Debatten hielten und die Forschenden oft mehr Einzelprobleme als Gesamtzusammenhänge interessierten. Industrialisierung und Urbanisierung zeitigten zahlreiche Folgewirkungen, sie beeinflussten auch die Herausbildung des Naturschutzgedankens und der Naturschutzbewegung. Gleichwohl gehen Motive wie die der Bipolarität von Nutzen und Schaden sowie Natur und Kultur, die den Naturschutz prägten, bereits in das 18. Jahrhundert zurück. Mit einem kurzen Rückblick besteht die Möglichkeit, die Besuchenden darauf aufmerksam machen, dass es ist nicht vorrangig die industriellen Umweltschäden waren, die der Entfaltung der Naturschutzbewegung im 19. und frühen 20. Jahrhundert Vorschub leisteten, sondern vielmehr Zivilisationskritik, Nationalismus und Antikapitalismus. Getragen von einer bürgerlichen Elite mündeten Naturschutzbestrebungen um 1900 unter anderem in der Gründung des „Bund Heimatschutz“ (1904) und der „Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preussen“ (1906). Beide Institutionen strebten danach, Naturschutz in breitere Kreise zu tragen, gleichwohl sie gegenüber der Arbeiterschaft kritische Vorbehalte hatten. Zudem bestand kein Konsens darüber, was schützenswert sein sollte – das „Einzeldenkmal“, wie es Hugo Conwentz (1855–1922), erster Direktor der „Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preussen“, propagierte, oder der hierüber hinausgehende „Naturpark“. Indem derartige Konfliktlinien thematisiert werden, geht es darum, den deutschen Naturschutz nicht nur in größeren Kontexten zu verorten, sondern auch auf die staatlich vorgegebenen Zwänge und Grenzen des Naturschutzes aufmerksam zu machen. Wenngleich es zahlreiche Differenzen innerhalb dieser bürgerlichen Bewegung gab, einte sie das Bestreben nach einem reichsweiten Naturschutzgesetz, das sich insbesondere in der Weimarer Republik, in deren Verfassung Naturschutzbelange angesprochen worden
waren, verstärkte. Und gerade in der Zeit der ersten deutschen Demokratie radikalisierte sich die Naturschutzbewegung zunehmend, scheiterten doch immer wieder Bemühungen, ein Reichsnaturschutzgesetz zu erlassen. Mochten zwar zwischen dem bürgerlichen Naturschutz und dem Nationalsozialismus strukturelle Differenzen herrschen, so sahen sich die Naturschützer im „Dritten Reich“ doch am Ziel angekommen, als 1935 das Reichsnaturschutzgesetz erlassen wurde. Dieses zentrale Naturschutzgesetz stellt die Ausstellung in einen mehrfachen Kontext – zum einen in jenen der zahlreichen naturschutznahen Gesetze um 1935, zum anderen in die Traditionslinie der 1920er-Jahre. Mit Blick auf das „Dritte Reich“ rückt ein neues Moment des Naturschutzes in den Fokus. War dieser traditionell auf die Bewahrung des Überlieferten ausgerichtet, so änderte sich dies durch die informelle Institution der „Landschaftsanwälte“ unter Alwin Seifert (1892–1970). Vorausschauende Landschaftsplanung gewann an Gewicht, was an den Planungen der Reichsautobahn sichtbar wird. Dabei wird deutlich, dass die „Versöhnung von Natur und Technik“ nur dann gelang, wenn sie ökonomische Vorteile mit sich brachte. Dies verweist zugleich auf einen wichtigen Punkt moderner naturschutzfachlicher Praxis nach 1945. Die Bemühungen um die Rekultivierung von Bergbaufolgeflächen fanden nicht im luftleeren Raum statt. Sie waren unter anderem Ausdruck eines gesellschaftlich stärker werdenden Umweltbewusstseins seit Ende der 1960er-Jahre und der damit aufkommenden Umweltpolitik in beiden deutschen Staaten. Die umweltpolitische Entwicklung in Ost und West wird daher im nächsten Ausstellungsbereich aufgegriffen. Dabei gilt es, die Geschichte der beiden Staaten nicht als Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichte darzustellen, sondern beiderseitige Fort- und Rückschritte zu beleuchten und in den historischen Kontext einzuordnen. Ein frühes Beispiel für eine umweltpolitische Programmatik zeigte sich im Bundestagswahlkampf von 1961, als Willy Brandt (1913–1992) forderte: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“. Damit scheiterte er zu diesem Zeitpunkt jedoch. Einen Aufschwung erhielt die Umweltpolitik schließlich in beiden deutschen Staaten Anfang der 1970er-Jahre, was vor allem durch internationale Entwicklungen angestoßen wurde. Beispielhaft für die DDR sind hier sicherlich das Landeskulturgesetz und die Einrichtung des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, beides im Jahr 1972. Die DDR verfügte daher zwar relativ früh über Institutionen und Normative zum Umweltschutz, die jedoch unter der Regierung Erich Honeckers (1912–1994) an Bedeutung verloren. Mit dem so genannten Geheimhaltungsbeschluss vom November 1982 unterlagen Emissionsdaten schließlich verschiedenen Geheimhaltungsstufen. Sie sollten nicht von internationalen Organisationen überprüft werden können. Die Umweltbewegungen in der DDR und der BRD agierten unter fundamental unterschiedlichen Bedin-
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gungen, was in der folgenden Ausstellungseinheit deutlich gemacht wird. Aber auch Verbindungen der west- und der ostdeutschen Umweltbewegung werden beleuchtet, ebenso wie Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Protestformen und -medien. Drei Entwicklungen stellten in den 1980er-Jahren Kulminationspunkte der Umweltbewegung in der BRD dar. Erstens erhielt die Anti-Atomkraft-Bewegung durch die verheerenden Folgen der Explosion eines Reaktors im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl Auftrieb. Zweitens führte der Wahlerfolg der Partei „Die Grünen“ auf Bundesebene 1983 rasch dazu, den Umweltschutz im Parteiensystem der Bundesrepublik zu verankern. Drittens wurde das so genannte Waldsterben zu einem Fanal der Umweltbewegung in der BRD. Diese Botschaft traf einen Nerv in einem Land, in dem sich tiefes Unbehagen über die rasant fortschreitende Industrialisierung breitgemacht hatte. Ölpreiskrise und Club of Rome hatten den Fortschrittsglauben der Wirtschaftswunderjahre untergraben. Nicht mehr allein Wohlstand, sondern die Schattenseiten des Wachstums nahmen immer breiteren Raum in den gesellschaftlichen Debatten ein. Das große Waldsterben zum Beispiel ist jedoch faktisch ausgeblieben. Seit dem ersten Waldzustandsbericht im Jahr 1984 fluktuiert der Anteil der Bäume der Schadensstufen eins bis vier auf und ab, ohne dass ein klarer Trend erkennbar wäre. Auch in der DDR entwickelte sich seit Ende der 1970er-Jahre eine Umweltbewegung. Sie wurde von der SED jedoch als staatsfeindlich angesehen. Umweltaktivist:innen konnten vor allem unter dem Dach der Evangelischen Kirche in der DDR tätig werden. Innerhalb der DDR-Umweltbewegung gab es jedoch auch personelle und organisatorische Brüche. Eine staatliche Institution, in der sich Menschen für den Umwelt- und Naturschutz legal engagieren konnten, war die Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR. Die Klagen der lokalen Bevölkerung über die Umweltsituation besonders in Industriegebieten sind außerdem in den so genannten Eingaben an staatliche Institutionen dokumentiert. Da Informationen über den Uranerzbergbau in der DDR von der Bevölkerung abgeschottet wurden, war die Arbeit von Umweltgruppen auf diesem Gebiet jedoch schwierig. Es gab aber beispielsweise den Kirchlichen Umweltkreis Ronneburg, der sich mit den Umweltfolgen in Bezug auf die SDAG Wismut beschäftigte. Der Pfarrer Wolfram Hädicke (geb. 1953) rief diesen im Jahr 1988 ins Leben. Das MfS ermittelte im Rahmen eines operativen Vorgangs gegen ihn, wodurch die Repression der Umweltbewegung in der DDR gezeigt werden kann. Als weiteres Beispiel für die Unterdrückung der Umweltbewegung kann die Razzia gegen die Umweltbibliothek Berlin 1987 angesehen werden. Umweltthemen waren nicht nur im Rahmen der Umweltbewegungen in beiden deutschen Staaten relevant. Sie drangen in Ost und West nach und nach in sämtliche gesellschaftliche Bereiche ein. Die Aus-
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stellung zeigt hierfür Beispiele aus Literatur, Film und Musik sowie auch Alltagsgegenstände mit Umweltbezug. In der BRD entstand beispielsweise in den 1970erund 1980er-Jahren eine ganze Reihe von Gesellschaftsspielen mit einem ökologischen Impetus. Vereinzelt gibt es dazu auch Beispiele aus der DDR. In der DDR-Literatur manifestierte sich von Beginn an ein Diskurs über das Verhältnis von Mensch und Natur, der sich zwischen Fortschrittsgläubigkeit und -kritik bewegte. Ein Vergleich der literarischen Auseinandersetzung mit Umweltthemen in der BRD und der DDR soll Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Wahrnehmung deutlich machen. In Bezug auf die drei Bergbaureviere, die in der Ausstellung thematisiert werden, kann Joachim Nowotny (geb. 1933) als ein wichtiger DDR-Autor angesehen werden, der sich mit dem Braunkohlenabbau in der Lausitz in verschiedenen Werken auseinandersetzte. Sein Jugendbuch „Abschiedsdisco“ wurde von der DEFA als einer der letzten DDR-Filme 1989 verfilmt. In der BRD erschien relativ zeitgleich 1987 der Jugendroman „Die Wolke“, den die Autorin Gudrun Pausewang (1928–2020) im Anschluss an die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl verfasste. Mediale Aufmerksamkeit erreichte der Roman auch, weil sich die damalige Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Rita Süssmuth (geb. 1937), als zuständige Stifterin für den Jugendliteraturpreis gegen den Widerstand ihrer eigenen Partei CDU durchsetzte und Pausewang 1988 den Preis verlieh. Einige internationale Filmdystopien setzten sich darüber hinaus in den 1980er-Jahren mit dem Thema Umweltzerstörung auseinander. Viele Beispiele lassen sich auch für die Pop- und Rockmusik in den 1980er-Jahren finden. In der DDR konnte Kritik an der Umweltsituation vor allem in der Untergrundmusikszene geübt werden. Legal veröffentlichte Platten thematisierten derartige Probleme dagegen sehr verschleiert bzw. codiert, wie z. B. in Werken der Bands Karat oder Silly.
Und nun? Umweltpolitik, Proteste und Bergbau in Gegenwart und Zukunft Das letzte Kapitel der Ausstellung ist bewusst unter die programmatische Frage gestellt worden: „Und nun? Umweltpolitik, Proteste und Bergbau in Gegenwart und Zukunft“. Im logischen Anschluss werden dabei zunächst die umweltpolitischen Fort- und Rückschritte in Deutschland nach 1990 und im internationalen Kontext beleuchtet. Spätestens mit der Regierungsneubildung nach der Bundestagswahl von 1994 war eine deutliche Rückwärtsentwicklung der deutschen Umweltpolitik zu verzeichnen. Die Rückschritte waren vor allem der Tatsache zuzuschreiben, dass sich die gesellschaftlichen und politischen Prioritäten nach der deutschen Einigung zu Lasten des Umweltschutzes verschoben. Die im Herbst 1998 ins Amt gekommene rot-grüne Bundesregierung
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versuchte, unter den genannten eher restriktiven Rahmenbedingungen umweltpolitisch neue Zeichen zu setzen. Der Einstieg in eine ökologische Steuerreform wurde ebenso wie das Gesetz zum Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) bereits 1998 beschlossen, beide als Teil eines anspruchsvollen Klimaschutzprogramms. Das angekündigte Umweltgesetzbuch verhinderte dagegen der Widerstand der Bundesländer und besonders der Wirtschaft. Bei der ökologischen Steuerreform und beim Emissionshandel konnte die kohlebasierte Stromwirtschaft deutliche Vorteile durchsetzen. Von der großen Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel seit 2005 wurden wichtige zuvor umkämpfte Maßnahmen beibehalten. Der Super-GAU in einem Atomkraftwerk im japanischen Fukushima 2011 beschleunigte darüber hinaus den Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland. Besonders der Kampf gegen die Klimaerwärmung bestimmte jedoch seit den 2010er-Jahren die deutsche und globale Umweltpolitik. Auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris haben sich 197 Staaten dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter 2° Celsius und möglichst auf 1,5° Celsius zu begrenzen sowie spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität zu erreichen. Innerhalb dieser generellen umweltpolitischen Entwicklungen hatte das bereits vollzogene bzw. angekündigte Ende des aktiven Bergbaus in Deutschland jeweils tiefgreifende Veränderungen zur Folge – insbesondere für die Bevölkerung in den betroffenen Regionen. Der öffentliche Diskurs um den Bergbau in Deutschland seit 1990 ist maßgeblich von zwei Themenkomplexen geprägt: Dem Umweltprotest gegen den Bergbau und dem sozialen Protest für den Erhalt der Industriearbeitsplätze in den Revieren. Diese sind ineinander verflochten und bedingen einander. Während die Umweltproteste Arbeitsplätze und die ökomische Struktur ganzer Regionen bedrohen, provozieren wiederum die bergbaubedingten Umweltzerstörungen den Widerstand ökologisch motivierter Bevölkerungsteile. Die deutsche Wiedervereinigung 1990 bedeutete vor allem für den ostdeutschen Bergbau einschneidende Veränderungen. Nur knapp 40 % der Bergleute konnten in ihrem Beruf verbleiben. Einst privilegiertes Industrieklientel wurden sie nun für die ökologische Situation der DDR verantwortlich gemacht. Teilweise war ihre Abwicklung aber auch politisch motiviert, wie das bis heute nachwirkende Fanal der Schließung der Kalibergwerks Bischofferode in den frühen 1990er-Jahren zeigt. Aber auch im Ruhrgebiet wurden die Auswirkungen des seit den 1970er-Jahren wirkenden Strukturwandels spürbar. Bergbaubeschäftigte und Bevölkerung des Ruhrgebiets demonstrierten daher gemeinsam für den Erhalt der Arbeitsplätze. Die Menschenkette von Neukirchen-Vluyn nach Lünen am 14. Februar 1997 mit 220 000 Teilnehmenden stellte sowohl Höhe- als auch Wendepunkt dieser Entwicklungen dar. Ganz anders die Entwicklungen im Erzgebirge. Auch hier gab es
1990/91 Proteste gegen Arbeitsplatzverlust und soziale Härte, allerdings hatte der Uranerzbergbau von Anfang an keine Zukunft. Nur der Sanierungsbergbau bot einen vorerst sicheren Arbeitsplatz. Nirgends war der Umweltprotest mit dem sozialen Konflikt räumlich so eng verbunden wie im Braunkohlenbergbau. Der Tagebau verschlang unweigerlich die Heimat, auch jene der Bergleute. Besonders der kleine Ort Heuersdorf südlich von Leipzig wurde zum Symbol des Konflikts für beide Seiten: Während die Anwohner:innen um ihr mehr als 600 Jahre altes Dorf bangten, fürchteten die Arbeitskräfte von Tagebau und Kraftwerk die Arbeitslosigkeit. Letztlich konnte keine einvernehmliche Lösung gefunden und die Umsiedlung musste per Gesetz durchgesetzt werden. Auch auf die Lausitz wirkte dieser Konflikt, hier waren es vor allem die sorbisch geprägten Dörfer Mühlrose/Miłoraz und Proschim/Prožym, die zur Disposition standen. Seit dem Beschluss des endgültigen Atomausstieges 2011 rückten der Braunkohlenbergbau und die damit verbundene Verstromung in den Fokus der Kritik. Dabei wurde der Protest vor allem durch überregionale Vereine und Bewegungen wie den BUND, Greenpeace oder Ende Gelände! getragen. Auf der anderen Seite waren es insbesondere lokale Gruppen, die für eine Fortführung des Bergbaus eintraten. Das prominenteste Beispiel ist wohl Pro Lausitzer Braunkohle e. V. mit Sitz in Cottbus. Am Ende der Ausstellung richtet sich der Blick somit zwangsläufig auf eine aus heutiger Sicht in gewisser Weise offene Zukunft. Dies soll systematisch in drei wesentlichen Aspekten geschehen: „Zukünfte der Regionen“ gibt erstens keine Antworten, will vielmehr die Besuchenden anregen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Zweitens wird bewusst mit dem Begriff Zukunft gespielt, um ganz unterschiedliche Aspekte und Szenarien anzusprechen. Und „Zukünfte der Regionen“ erweitert und fokussiert drittens Themen, die bereits in der Ausstellung angesprochen wurden. Dem Umstand Rechnung tragend, dass Bergbau per se nur landschaftliche Zwischennutzung sein kann, setzt „Zukünfte der Regionen“ drei Schwerpunkte. „Unzeitgemäße Zukünfte – altindustrielle Kerne und decarbonisierte Wirtschaft“ verdeutlicht, dass Technologien des Industriezeitalters wie hocheffiziente Braun- und Steinkohlekraftwerke für den Transformationsprozess in eine öko-soziale Wirtschaft weiterhin relevant sind, zumindest als Übergangserscheinungen. Zudem gibt es weiterhin traditionsreiche, regionale Bergbauzulieferer, die nicht selten auch deshalb auf dem Weltmarkt führend sind, weil etwa mit China und Russland zwei Länder existieren, die als wichtige Kunden noch jahrzehntelang diese Hochtechnologie nachfragen werden. „Rite de passage – kulturlandschaftliche Neuerfindung“ adressiert die kulturlandschaftliche Neuerfindung der drei Regionen in zweifacher Hinsicht. Zum einen rücken hinsichtlich der sozio-ökonomischen
Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich: Hintergründe, Inhalte und Ziele der Ausstellung
(Zukunfts-)Profile spezifische Ausprägungen und Selbstverständnisse der „Wissens-“ und „Kulturökonomie“ in den Blick, gleichzeitig aber auch ökonomische Szenarien, die in so genannten Zukunftsstudien niedergelegt wurden. In landschaftsmaßstäblicher Perspektive interessieren die Wissensbestände, die der fortschreitenden Transformation der Bergbaufolgelandschaft zugrunde liegen. Gerade derartige Wissensbestände erweisen sich im globalen Maßstab als essenziell, generierten sie doch häufig Modelllösungen für den Umgang mit Bergbaufolgelandschaften. „Zukünfte der Vergangenheit – Erben und Verwalten“ greift schließlich die allen Revieren gemeinsame Wertschätzung und Inszenierung ihres industriekulturellen Erbes auf. Ihren Fluchtpunkt bildet die Nobilitierung dieses Erbes als UNESCO-Weltkulturerbe, eine quasi institutionelle Anerkennung, dass Bergbau nur landschaftliche Zwischennutzung ist. Die Ausstellung skizziert hier den schwierigen Weg hin zum Welterbe und fragt nach Problemen und Chancen dieser Inwertsetzung, wobei besonderes Augenmerk dem Widerspruch zwischen Kommodifizierung und Reflexionspotential der Objekte geschenkt wird.
Schlussakkord und Dank In diesem Begleitband werden schließlich 158 ausgewählte Objekte der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ in hochwertigen Fotografien abgebildet. Dabei handelt es sich um zentrale Exponate, die das Narrativ des jeweiligen Ausstellungsbereichs deutlich machen. Wir bedanken uns ausdrücklich bei allen leihgebenden Institutionen und Personen, die dafür Fotografien ihrer Objekte angefertigt und zur Verfügung gestellt haben. Die Herausgebenden sind der Überzeugung, dass die Objekte den Band nicht nur bereichern, sondern durch ihre Präsentation auch in ihrer historischen Bedeutung herausgestellt werden. Dem renommierten Wissenschaftsverlag De Gruyter | Oldenbourg sind die Herausgebenden für die stets kooperative und sehr gelungene gestalterische Umsetzung des Bandes sowie die verlegerische Betreuung sehr verbunden. Für die Unterstützung bei der Arbeit an diesem Ausstellungsbegleitband möchten sich die Herausgebenden neben allen Autor:innen – als wissenschaftliches Kurator:innen-Team insbesondere auch Martin Baumert, Michael Ganzelewski, Torsten Meyer und Stefan Przigoda – außerdem ausdrücklich bedanken bei: Jonas Bein, Birgit Borchert, Chris Buchholz, Estella May Green, Rodion Lischnewski und Moritz Morsch. Als Mitarbeitende des montan.dok haben sie auf verschiedenen Ebenen zum Gelingen der Publikation ebenso wesentlich beigetragen wie die Leiterin der Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit des DBM, Wiebke Büsch, mit ihrem Team.
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Dass schließlich zum Gelingen der gesamten Ausstellung eine wesentlich größere Anzahl an Personen, Organisationen und Institutionen beigetragen hat, steht außer Frage. Hierzu sei auf die teils sehr umfangreichen Verzeichnisse im Anhang dieses Bandes vor allem unter Leihgebende, Wissenschaftlicher Beirat, Autor:innen und nicht zuletzt Beteiligte an der Ausstellung wie ein Gestaltungsteam und viele zupackende Hände hinter den Kulissen verwiesen. Allen dort Genannten sei hier ein sehr herzlicher Dank ausgesprochen.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Andersen, Arne/Ott, Rene/Schramm, Engelbert: Der Freiberger Hüttenrauch 1849–1865. Umweltauswirkungen, ihre Wahrnehmung und Verarbeitung, in: Technikgeschichte 53, 1986, S. 169–200. – Arndt, Melanie: Tschernobyl. Auswirkungen des Reaktorunfalls auf die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, Erfurt 2011. – Baumert, Martin/Große-Wilde, Simon/Heinen, Ron-David/Maier, Helmut: Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlenrevier und das Ruhrgebiet (1949–1989/2000), in: Seibring, Anne (Hrsg.): Abschied von der Kohle. Struktur- und Kulturwandel im Ruhrgebiet und in der Lausitz, Bonn 2021 (= Bundeszentrale für politische Bildung: Schriftenreihe, Nr. 10751), S. 74–87. – Beleites, Michael: Altlast Wismut. Ausnahmezustand, Umweltkatastrophe und das Sanierungsproblem im deutschen Uranbergbau, Frankfurt a. M. 1992. – Bonneuil, Christophe/Fressoz, Jean-Baptiste: The Shock of the Anthropocene. The Earth, History, and Us, London 2016. – Brüggemeier, Franz-Josef: Sonne, Wasser, Wind: Die Entwicklung der Energiewende in Deutschland, Bonn 2015. – Brüggemeier, Franz-Josef/Rommelspacher, Thomas: Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, 2. Aufl., München 1989. – Carson, Rachel: Der Stumme Frühling, 6. Aufl., München 2021. – Deutscher Braunkohlen-Industrie-Verein e. V. (DEBRIV) (Hrsg.): Braunkohle in Deutschland – Profil eines Industriezweigs, Köln 2011. – Drebenstedt, Carsten: Planungsgrundlagen der Wiedernutzbarmachung, in: Pflug, Wolfram (Hrsg.): Braunkohlentagebau und Rekultivierung. Landschaftsökologie, Folgenutzung, Naturschutz, Berlin/Heidelberg/New York 1998, S. 487–512. – Engels, Jens Ivo: Umweltgeschichte als Zeitgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 13/2006, S. 32–38.
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Michael Farrenkopf, Regina Göschl
– Farrenkopf, Michael/Göschl, Regina: Umweltgeschichte am Deutschen Bergbau-Museum Bochum und aus geschichtsdidaktischer Perspektive, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 72, 2020, S. 99–120. – Frohn, Hans-Werner/Schmoll, Friedemann (Hrsg.): Natur und Staat. Die Geschichte des staatlichen Naturschutzes in Deutschland 1906–2006, Bonn 2006. – Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK): Bund-Länder-Eckpunktepapier zu den Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft, Oktober 2021, o. O. 2021. – Gorman, Michael John: Idea Colliders. The Future of Science Museums. Cambridge, MA: MIT Press, 2020. – Harnischmacher, Stefan: Bergsenkungen und ihre dauerhaften Folgen, in: Farrenkopf, Michael/Goch, Stefan/Rasch, Manfred/Wehling, Hans-Werner (Hrsg.): Die Stadt der Städte. Das Ruhrgebiet und seine Umbrüche, Essen 2019, S. 47–51. – Haumann, Sebastian: Zwischen „Nachhaltigkeit“ und „Anthropozän“. Neue Tendenzen in der Umweltgeschichte, in: Neue politische Literatur 64, 2019, S. 295–326. – Hermand, Jost: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1991 (= Fischer Geschichte, Nr. 10395). – Huff, Tobias: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR, Göttingen 2015 (= Umwelt und Gesellschaft, Nr. 13). – Knabe, Wilhelm: Erinnerungen. Ein deutsch-deutsches Leben, Mülheim an der Ruhr 2019. – Knabe, Wilhelm: Zur Wiederurbarmachung im Braunkohlenbergbau. Allgemeine Darstellung des Problems der Wiederurbarmachung und spezielle Untersuchungen im Lausitzer Braunkohlenbergbau, Berlin 1959. – König, Wolfgang/Weber, Wolfhard: Netzwerke. Stahl und Strom. 1840–1914, Frankfurt a. M./Berlin 1990 (= Propyläen Technikgeschichte, Bd. 4). – Löwe-Hannatzsch, Sabine: Umweltpolitik im Uranerzbergbau der SAG/SDAG Wismut der DDR, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 72, 2020, S. 92–98. – Meyer, Torsten: Natur, Technik und Wirtschaftswachstum im 18. Jahrhundert. Risikoperzeption und Sicherheitsversprechen, Münster u. a. 1999 (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 12). – Möller, Christian: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen 2020 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Nr. 234). – Möllers, Nina: Umwelt(geschichte) im Museum, in: Düselder, Heike/Schmitt, Annika/Westphal, Siegrid: Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule, Köln 2014, S. 55–75.
– Nonn, Christoph: Umweltgeschichte von Nordrhein-Westfalen, Köln 2018. – Pflug, Wolfram (Hrsg.): Braunkohlentagebaue und Rekultivierung. Landschaftsökologie, Folgenutzung, Naturschutz, Berlin u. a. 1998. – Plumpe, Werner/Steiner, André (Hrsg.): Der Mythos von der postindustriellen Welt. Wirtschaftlicher Strukturwandel in Deutschland 1960 bis 1990, Göttingen 2016. – Radkau, Joachim: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011. – Renn, Jürgen: The Evolution of Knowledge: Rethinking Science for the Anthropocene, Princeton 2020. – Rösler, Jörg/Semmelmann, Dagmar: Vom Kombinat zur Aktiengesellschaft. Ostdeutsche Energiewirtschaft im Umbruch in den 1980er und 1990er Jahren, Bonn 2005 (= Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 66). – Ruhrkohle AG: Fragen zu Bergewirtschaft, Essen 1981. – Schmoll, Friedemann: Erinnerung an die Natur. Die Geschichte des Naturschutzes im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a. M./New York 2004. – Schröter, Harm G.: Die Wismut, der Umweltschutz und ein zentrales Dokument, in: Karlsch, Rainer/ Schröter, Harm G. (Hrsg.): Strahlende Vergangenheit. Studien zur Geschichte des Uranbergbaus der Wismut, St. Katharinen 1996, S. 343–372. – Staemmler, Johannes (Hrsg.): Wir machen das schon. Lausitz im Wandel, Berlin 2021. – Stoll, Rolf Dieter/Niemann-Delius, Christian/Drebenstedt, Carsten/Müllensiefen, Klaus (Hrsg.): Der Braunkohlentagebau. Bedeutung, Planung, Betrieb, Technik, Umwelt, Berlin/Heidelberg 2009. – Tenfelde, Klaus/Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Motor der Industrialisierung. Deutsche Bergbaugeschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Münster 2016 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 3). – Trischler, Helmuth: The Anthropocene – A Challenge for the History of Science, Technology, and the Environment, in: NTM 24, 2016, S. 309–335. – Uekötter, Frank: Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 81). – Wiggering, Hubert/Kerth, Michael (Hrsg.): Bergehalden des Steinkohlenbergbaus. Beanspruchung und Veränderung eines industriellen Ballungsraumes, Braunschweig/Wiesbaden 1991. – Wismut GmbH (Hrsg.): Der Uranerztagebau Lichtenberg und dessen Umgebung, Chemnitz 2016. – Wöbse, Anna-Katharina: Weltnaturschutz. Umweltdiplomatie in Völkerbund und den Vereinten Nationen, Frankfurt a. M./New York 2012. – Ziegler, Dieter (Hrsg.): Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert, Münster 2013 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 4).
II Externe Blickwinkel auf Ausstellung und Thema
Thorsten Diercks
Bergbau und Umwelt in Deutschland – Aktuelle Standortbestimmung Einleitung: Sichere Versorgung mit Bodenschätzen, auch mit heimischen Rohstoffen Die Versorgung mit Rohstoffen ist für unser Leben eine Selbstverständlichkeit. Schon bevor wir morgens das Badezimmer verlassen haben, haben wir eine breite Palette an Produkten aus verschiedensten Rohstoffen – auch heimischen Bodenschätzen – in Anspruch genommen: Unsere Häuser bestehen aus Primärrohstoffen wie Steinen und Erden, Kies, Sand und Ton. Die Zahnbürste und sogar die Zahnpasta werden aus Erdölprodukten gemacht, unser Spiegel unter Verwendung von Steinsalz. Braunkohle, Steinkohle und Erdgas liefern nicht nur Wärme für die Zimmer, sondern auch Strom für das Licht. Im Tagesverlauf nutzen wir dann weitere rohstoffintensive Produkte wie Kommunikationsmittel und Verkehrsmittel. Rohstoffe stehen für alle Produkte an erster Stelle der Wertschöpfungsketten. Sie sind Ausgangsprodukt jeder industriellen Tätigkeit. Gerade die deutsche Industrie benötigt nicht nur für die Versorgung der heimischen Märkte, sondern auch wegen ihrer Exportorientierung viele Rohstoffe. Die Bundesregierung hat deshalb in ihrer aktuellen Rohstoffstrategie aus dem Jahr 2020 ihr Ziel bekräftigt, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken und die Arbeitsplätze in der deutschen Industrie zu erhalten. „Als einer der weltweit führenden Technologiestandorte und als Exportnation ist Deutschland in hohem Maße auf eine sichere Rohstoffversorgung angewiesen“, heißt es in der Einleitung zur Rohstoffstrategie.1 Zur heimischen Rohstoffwirtschaft stellt die Bundesregierung fest, dass diese ein wichtiger Teil ihres „rohstoffpolitischen Kompasses“ bleibt.2 Letzteres bezieht sich auf eine breite Palette heimisch verfügbarer Bodenschätze. Die positiven Effekte der Rohstoffgewinnung in Deutschland, etwa
1 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (Hrsg.): Rohstoffstrategie der Bundesregierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nichtenergetischen mineralischen Rohstoffen, Berlin/München 2019, S. 2; online unter: Rohstoffstrategie der Bundesregierung (bmwi.de) (Eingesehen: 14.11.2021). 2 Zit. ebd., S. 3.
https://doi.org/10.1515/9783110780154-002
– die deutlich erhöhte Versorgungssicherheit bei energetischen und nichtenergetischen Rohstoffen für die Volkswirtschaft, – die Vorteile heimischer Wertschöpfung für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen und für die Entwicklung der Bergbauregionen, – die ortsnahe Versorgung mit Baumaterialien für den öffentlichen und privaten Bau, – die häufig festzustellende Verbesserung der Biodiversität auf im Rahmen der Wiedernutzbarmachung geschaffenen Flächen und – das deutlich höhere Umweltschutzniveau bei heimischer Gewinnung im Vergleich zur Gewinnung importierter Rohstoffe sind sicher wichtige Gründe für eine heimische Rohstoffgewinnung als ein Eckpfeiler der Rohstoffversorgung.
Rohstoffgewinnung: Die Nutzung von Umweltgütern ist notwendig Diese rohstoffpolitischen Grundüberlegungen und der gesamtgesellschaftliche Nutzen der Rohstoffversorgung für Bürger:innen und Industrie sind der Grund dafür, dass der Bergbau in Deutschland – wie auch andere Industriezweige und andere Aktivitäten wie Verkehr, Landwirtschaft, Freizeit – grundsätzlich im gesetzlich geregelten Umfang die Umwelt und Umweltgüter nutzen darf. Die Eingriffe in Umweltgüter sind dabei in aller Regel unvermeidbar. Die Gewinnung von Bodenschätzen ist ohne Inanspruchnahme der Oberfläche und Auswirkungen auf die Umwelt nicht möglich – unabhängig davon, ob die Gewinnung übertägig, untertägig oder mittels Bohrungen erfolgt. Die Tagesanlagen von Untertagebetrieben sind – wie andere Gebäude oder Industrieanlagen auch – mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden. Erst recht gilt dies für Tagebaue, vor allem wenn sie größere Tiefen erreichen oder größere Flächen in Anspruch nehmen. Der Bergbau trifft dann des Öfteren auf Nutzungskonflikte mit dem naturschutzrechtlichen Gebietsschutz. Der besondere artenbezogene Naturschutz ist zu beachten. Die bergbauliche Tätigkeit greift außerdem in den Gewässerhaushalt ein. Häufig müssen Stoffe oder gereinigte Abwässer – wie allerdings auch sonst häufig
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bei gewerblichen Tätigkeiten – unter Beachtung aller Umweltvorschriften in Oberflächengewässer abgeleitet werden. Bei Tagebauen muss – um einen sicheren Betrieb der Geräte und einen sicheren Aufenthalt der Menschen im Tagebau zu gewährleisten – vielfach auch der Grundwasserspiegel abgesenkt werden. Dies kann ein erheblicher Eingriff in den Grundwasserhaushalt der Umgebung sein. Im engen Zusammenhang mit dem Gewässerschutz wird häufig der Bodenschutz gesehen. Boden muss in Tagebaubetrieben – falls er sich oberhalb des Bodenschatzes befindet – aufgenommen und zwischengelagert bzw. sofort zur Wiedernutzbarmachung eingesetzt werden. Dabei können chemische Prozesse die Bodenqualität beeinflussen. Dies ist ebenso zu vermeiden bzw. zu vermindern wie bodenbeeinträchtigende Prozesse, die nach einem Wiederanstieg des Grundwassers einsetzen. Der im Bergbau anfallende Abfall ist zu vermeiden, hilfsweise zu verwerten und wiederum hilfsweise ordnungsgemäß zu entsorgen. Bei den allermeisten Abfallarten ergeben sich gegenüber der übrigen Industrie keine Besonderheiten. Falls mineralische Abfälle aus Untertagebetrieben aufgehaldet werden müssen, wird angestrebt, die Abfälle zu reduzieren oder zu verwerten und damit die Umwelt zu schonen. Daneben kommen Beeinträchtigungen der Nachbarschaft durch Emissionen wie Staub und Lärm in Betracht, die allerdings durch maschinenbezogene Maßnahmen sowie durch die Beregnung von Tagebaubereichen in Deutschland in aller Regel minimiert oder vermieden werden. Eingriffe in alle genannten Rechtsgüter werden während des Nachbergbaus in aller Regel schrittweise verringert. Im deutschen Steinkohlenbergbau beispielsweise geht es darum, in einer mehrjährigen Stillsetzungsphase die über- und untertägigen Anlagen zurückzubauen und die Bergwerksgelände zu sanieren. Danach folgt die nachhaltige Nutzung ehemaliger Bergbauimmobilien für Gewerbeparks, Gründerzentren, Logistikstandorte, aber auch Erholungsgebiete, Kreativquartiere und Zusatzflächen für die Wohnbebauung und Stadtentwicklung. Dauerhafte Kernaufgaben des Steinkohlen-Nachbergbaus werden allerdings die aus heutiger Sicht zeitlich unbegrenzte Grubenwasserhaltung zum Schutz der Trinkwasserhorizonte sowie Poldermaßnahmen in gewässernahen Senkungsgebieten sein. Die Konzepte dazu sehen unter anderem vor, die Zahl der aktiven Wasserhaltungsstandorte zu reduzieren und die untertägige Durchleitung zu verbessern, um Oberflächengewässer wie z. B. Emscher und Lippe zu entlasten. Die Aufsuchung, Gewinnung oder Aufbereitung von Kohle, Erdgas oder Erdöl in Deutschland führt in Bezug auf den Klimaschutz nicht zu besonderen Umweltbeeinträchtigungen. Dieses Thema wird umfassend im Rahmen der energetischen Nutzung von Rohstoffen berücksichtigt, dazu siehe unten.
Die einzelnen Umweltgüter – Kurzbeschreibungen Nachfolgend werden aktuelle Fragen angesprochen, die in Bezug auf ausgewählte Umweltmedien zwischen Politik, Behörden, Bergbau, Betroffenen und Umweltverbänden im Zusammenhang mit dem Bergbau intensiv diskutiert werden.
Wasser Die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) aus dem Jahr 2000 bezweckt, alle Gewässer – also Flüsse, Seen, Grundwasser und Küstengewässer – in einen „guten Zustand“ zu versetzen. Dazu sieht die Richtlinie insbesondere ein Verbesserungsgebot und ein Verschlechterungsverbot für Gewässer vor. Das Verschlechterungsverbot wird vom EuGH durchaus weit ausgelegt. Die WRRL bündelt zudem viele Einzelrichtlinien des Wasserrechts der EU. Sie ist über das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) sowie in der Verordnung zum Schutz der Oberflächengewässer (OGewV) und in der Grundwasserverordnung (GrwV) in nationales Recht umgesetzt. Hinzu kommen weitere begleitende Bestimmungen z. B. hinsichtlich des Abwassers. Das Ziel eines guten Zustands wird zudem durch Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne unterlegt, dies bisher in drei jeweils sechsjährigen Bewirtschaftungszyklen. Ist ein guter Zustand eines Gewässers wegen menschlicher Aktivitäten nicht erreichbar oder stehen Genehmigungen für Vorhaben dem gegebenenfalls entgegen, so können unter engen Voraussetzungen Ausnahmen gewährt werden. Bis 2027 kommt auch ein zeitlicher Aufschub in Betracht. Alle diese Bestimmungen sind grundsätzlich auch für den Bergbau anwendbar. Viele bergbauliche Tätigkeiten stellen eine Benutzung von Gewässern dar, die nach dem WHG grundsätzlich erlaubnispflichtig sind. In den Betriebsplänen ist in der Regel vorgesehen, dass die Bergbauunternehmen die Umweltauswirkungen für Oberflächengewässer und Grundwasser in ihrem räumlichen Tätigkeitsbereich auf das notwendige Maß zu beschränken haben. Auch wird die Einhaltung des Verschlechterungsprinzips geprüft, und es gelten alle Bestimmungen der OGewV sowie der GrwV. Aufgrund der grundsätzlich äußerst strengen wasserrechtlichen Vorschriften, die wenige industrielle Tätigkeiten ermöglichen würden, ist der Bergbau – wie andere Industriezweige auch – dabei häufig auf Ausnahmegenehmigungen angewiesen. Dabei kommen – je nach Intensität der Gewässernutzung – Maßnahmen und Auflagen aller Art zur Anwendung, etwa – die Reduzierung der Menge des im Betrieb anfallenden Wassers,
Bergbau und Umwelt in Deutschland – Aktuelle Standortbestimmung
– die Wiederverwendung von Betriebswässern, – im Braunkohlenbergbau zusätzlich die Nutzung von Sümpfungswasser aus den Tagebauen zur öffentlichen Wasserversorgung, – in der Kali- und Salzindustrie die Abdeckung von Rückstandshalden, – die Reduzierung der Wassereinleitung in Oberflächengewässer und – der Bau und Betrieb von Grubenwasserreinigungsanlagen. Die WRRL enthält eine Überprüfungspflicht nach 19 Jahren ihrer Gültigkeit. Von einer Änderung der WRRL wird von der Europäischen Kommission derzeit jedoch abgesehen. Eher kommt eine Überarbeitung von unverbindlichen Leitlinien zur Auslegung der WRRL in Betracht. Der deutsche Bergbau hat im Rahmen dieser Überprüfungen die Herausforderungen bei der Umsetzung zur Zielerreichung des guten Zustands der Gewässer bis 2027 dargestellt. Er befürwortet, die WRRL fortzuentwickeln und die Möglichkeit für Ausnahmen vom sehr strengen Gewässerschutz nicht nur in unverbindlichen europäischen Leitliniendokumenten festzuhalten. Ohne eine Änderung der Richtlinie selbst besteht ein erhöhtes Risiko, trotz eines bereits sehr anspruchsvollen Gewässerschutzes im heimischen Bergbau zukünftig erforderliche wasserrechtliche Erlaubnisse nicht oder nur zu erschwerten Bedingungen zu erhalten. In einem industriell geprägten Land wie Deutschland, in dem Gewässer auch wirtschaftlich genutzt werden, kann die Erreichung des Ziels „guter Zustand“, der einem idealtypischen Naturzustand entspricht, vielfach problematisch sein. Es ist erkennbar, dass zahlreiche Wasserkörper – darunter auch vom Bergbau beeinflusste Wasserkörper – das Ziel „guter Zustand“ aus hydrogeologischen Gründen bis 2027 mit verhältnismäßigen Mitteln nicht erreichen können. Deshalb kommt es darauf an, dass in den Bewirtschaftungsplänen für 2022 bis 2027 die jetzt und später erforderlichen Fristverlängerungen, abweichenden Ziele und Ausnahmen für die Wasserkörper angesprochen und festgesetzt werden. Das ist zumindest hilfreich, soweit ein guter Zustand eines Gewässers bis 2027 aufgrund der Beeinflussung durch den Bergbau mit verhältnismäßigem Aufwand nicht erreichbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch bei Festsetzung dieser Instrumente alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen sind, die die negativen Auswirkungen auf das Wasser verringern, so dass ein hohes Gewässerschutzniveau gewahrt bleibt.
Natur und Landschaft Die bergbauliche Tätigkeit führt in der Regel zu Eingriffen in Natur und Landschaft, dies vor allem im Tagebaubetrieb. Der Bergbau trifft daher in vielfältiger Weise auf
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Fragen des Naturschutzes und des Naturschutzrechts. Soweit größere Flächen erforderlich sind, ergeben sich außerdem häufig Nutzungskonflikte mit Schutzgebieten, etwa Fauna-Flora-Habitat (FFH-)-Gebieten. Auch der besondere Artenschutz, unter anderem mit seinen Schutzgeboten und Tötungsverboten, ist zu beachten. In den Genehmigungsverfahren für bergbauliche Tätigkeiten prüfen die Bergbehörden daher die gesamte Palette natur- und artenschutzrechtlicher Fragen. Jeglicher Eingriff in Natur und Landschaft ist auch vom Bergbau möglichst zu vermeiden, ansonsten auszugleichen bzw. es ist – wiederum hilfsweise – Ersatzgeld zu zahlen. Die Prüfungen konzentrieren sich zumeist auf Fragen des naturschutzrechtlichen Ausgleichs, wobei Ausgleichsflächen zur Verfügung gestellt und/oder Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden müssen. Der Zeitaufwand für die Prüfung, welche Maßnahmen in Betracht kommen und ob sie ausreichen, ist häufig erheblich. Er kann für bergbauliche Vorhaben mehrere Jahre in Anspruch nehmen und daher die Vorhaben stark verzögern oder sogar ganz unmöglich machen. Relevant sind zudem die im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) umgesetzten EU-rechtlichen Bestimmungen zu Schutzgebieten, etwa die so genannte Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) mit dem damit verbundenen europäischen Netz von Naturschutzgebieten sowie die so genannte Vogelschutz-Richtlinie. Kommt eine erhebliche Beeinträchtigung eines FFH-Gebiets durch ein neues Vorhaben in Betracht, so ist in einer Verträglichkeitsprüfung zu klären, ob dies tatsächlich der Fall ist. Wie alle anderen Vorhaben der Industrie oder z. B. des Straßen- und Infrastrukturbaus können auch bergbauliche Vorhaben im Falle einer erheblichen Beeinträchtigung nach § 34 Absatz 3 BNatSchG „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ zugelassen werden. Auch die diesbezüglichen Prüfungen können sehr zeitraubend sein, insbesondere, wenn räumlich entfernte Vorhaben aus anderen menschlichen Aktivitäten mit zu prüfen sind, die für den Bergbauunternehmer vorher nicht oder nur schwer erkennbar waren. Größere Bergbauunternehmen verfügen zum Teil über eine Biodiversitätspolitik, die beschreibt, wie das Unternehmen den Schutz und die Förderung von biologischer Vielfalt im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit gestalten will. Ziel ist zumeist, neben der rechtlich gebotenen Minderung der Folgen der bergbaulichen Betriebe auch Chancen zur freiwilligen Verbesserung von Biodiversität zu identifizieren und zu nutzen. Bei RWE beispielsweise orientieren sich die Ziele der Biodiversitätsstrategie an ökologisch anspruchsvollen Leitarten, die repräsentativ für ganzheitliche Ökosysteme stehen. Anhand dieser Leitarten werden Maßnahmen zur Optimierung der Lebensraumbedingungen in der Rekultivierung entwickelt und umgesetzt. Der ökologische Zustand der Leitarten wird durch Kartierungen in fachlich angemessenen Zyklen und auf repräsentativen
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Thorsten Diercks
Teilflächen der Rekultivierung im Rahmen eines Monitorings kontrolliert. Die Ergebnisse werden zielartspezifisch durch Fachleute ausgewertet. Bei Bedarf werden die Maßnahmen nachgebessert. Im bergbaulichen Naturschutz geht es außerdem darum, Lebensräume wiederherzustellen. Die Landinanspruchnahmen durch die bergbaulichen Betriebe sind schon gesetzlich durch eine Wiedernutzbarmachung der Oberfläche auszugleichen. Die wieder nutzbar gemachten Flächen werden je nach Planung an die Landwirtschaft oder an andere Nutzer zurückgegeben. Damit nicht genug: Im Zuge der oben genannten Ausgleichsmaßnahmen schaffen die Bergbauunternehmen vielfach Räume für den Naturschutz, in denen sie gezielt die biologische Vielfalt fördern und eine aus naturschutzfachlicher Sicht besonders wertvolle Rekultivierung durchführen, die Entwicklungspotenziale der Landschaft verbessert. In Betracht kommen je nach Situation Sonderbiotope, die aufgrund ihrer extremen und seltenen Standortbedingungen bewusst angelegt werden und als „Hot-spots“ der Artenvielfalt angesehen werden können. Bei RWE beispielsweise konnten im Zuge der langjährigen Rekultivierungsforschungen in der gesamten Rekultivierung rund 3100 Tierarten sowie rund 1500 Pflanzen- und Pilzarten nachgewiesen werden. Viele dieser erfassten Arten sind sehr selten und gemäß der so genannten Roten Liste NordrheinWestfalens als „gefährdet“ oder als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft. Die Novellierung des BNatSchG bot dem Naturschutz und dem Bergbau eine Gelegenheit, ein gemeinsames Anliegen voranzubringen: Für den Naturschutz geht es um die Neuansiedlung national und europaweit geschützter Tier- und Pflanzenarten, die sich ansonsten in unserer „geordneten“ Kulturlandschaft meist nicht entwickeln können. Für den Bergbau geht es um die Möglichkeit, Flächen nicht nur kurzfristig ruhen lassen zu können und trotzdem nicht anschließend wieder naturschutzrechtliche Zulassungsverfahren durchlaufen zu müssen. Die Gesetzeslage hatte bisher dazu genötigt, die Flächen zwischenzeitlich zu bearbeiten und so geschützte Arten zu gefährden. Hintergrund ist, dass Rohstoffabbaustätten mit zeitweise brachliegenden Flächen Lebensraum für diese meist nährstoffarme Habitatstrukturen liebenden Arten bieten, die sich von dort aus dann wieder weiträumiger ansiedeln sollen. Nutznießer wie z. B. der Flussregenpfeifer sind dabei zugleich so genannte Pionierarten, die in der Lage sind, derartige Flächen rasch zu besiedeln. Die Vorteile für Insekten wie auch für die Natur werden von der Fachöffentlichkeit nicht mehr in Frage gestellt. Die Bundesregierung hat – auf Initiative der bergbaulichen Verbände und des BDI – das als „Natur auf Zeit“ bekannte Konzept in ihrer Rohstoffstrategie unterstützt und zugleich um Unterstützung bei den zuständigen Landesbehörden geworben. Im Ergebnis wurde eine Ermächtigungsgrundlage für eine Rechts-
verordnung speziell für „Natur auf Zeit“ bei der Rohstoffgewinnung in § 54 Abs. 10a BNatSchG aufgenommen. Über die Ermächtigungsgrundlage wird der Weg für fachliche Standard- und Schutzmaßnahmen für eine europäisch zulässige Beendigung einer „Natur auf Zeit“-Fläche innerhalb von Rohstoffgewinnungsflächen bereitet. Das Bundesumweltministerium kann im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium nähere Anforderungen für „Natur auf Zeit“-Flächen im Rahmen einer gesonderten Rechtsverordnung entwickeln. Ob die Rechtsverordnung in der 2021 beginnenden Legislaturperiode erlassen wird, bleibt abzuwarten; der Bergbau würde dies grundsätzlich begrüßen, um so einen sinnvollen Beitrag zur Biodiversität und damit zum Umweltschutz zu leisten.
Klima Das in der EU im Rahmen des europäischen Green Deal beschlossene Ziel einer Treibhausgasneutralität 2050 (und in Deutschland laut Klimaschutzgesetz 2045) ist nur erreichbar, wenn alle Bürger:innen und alle Wirtschaftsbereiche ihre Treibhausgasemissionen (nicht nur CO2-Emissionen) deutlich reduzieren. Viele Unternehmen – auch Bergbauunternehmen – haben sich das Ziel gesetzt, zunächst zügig ihre meist bereits gute Energieeffizienz nochmals zu verbessern, um Energie zu sparen, auch wenn dies häufig mit überproportional hohen Kosten verbunden ist und zunehmend physikalisch an Grenzen stößt. Um für die Industrie eine sichere, bezahlbare und klimagerechte Energieversorgung zu jeder Zeit – also heute, 2030 und auch 2050 und nachfolgend – erreichen zu können, sind Investitionen in zumindest mehrstelliger Milliardenhöhe erforderlich. Dazu ist ein konsistentes Energiekonzept Deutschlands unverzichtbar, das den Wirtschaftsstandort Deutschland stärkt. Der bloße Ausstieg aus der Kernenergie und aus der Kohleverstromung genügt nicht, denn damit wird in einer Zeit steigender Nachfrage nach gesicherter Leistung gerade diese gesicherte Leistung erheblich verringert. Der Bund muss vielmehr rechtzeitig für Netzausbau, Speichertechnologien, Erneuerbaren-Erzeugungskapazitäten sowie für die Nutzung von Wasserstoff vorbereitete Gaskraftwerke sorgen. Die Industrie und der Bergbau sehen sich mit zahlreichen energie- und klimapolitischen Instrumenten konfrontiert, etwa dem Emissionshandel, der EEGUmlage, der KWK-Umlage, der Stromsteuer und der Energiesteuer. Diese Abgaben führen zu sehr hohen Energiekosten und münden in signifikante bürokratische Belastungen. Der EU-Emissionshandel sorgt seit seinem Inkrafttreten 2005 dafür, dass die erfassten Industriesektoren (und damit auch die Kraftwerke) insgesamt den europäischen CO2-Reduktionspfad und damit die Vorgaben der EU-Klimapolitik einhalten. Der Preis für die Emissionszertifikate hat sich von 2018 bis
Bergbau und Umwelt in Deutschland – Aktuelle Standortbestimmung
2021 etwa verzehnfacht und von Herbst 2020 bis Herbst 2021 auf über 60 €/t verdoppelt. Ein solcher Preis stellt nicht nur bergbauliche Betriebe, sondern auch andere Industrien, wie z. B. die Stahlindustrie, vor enorme Probleme. Besonders herausfordernd ist in Deutschland die Energiepolitik der Bundesregierung für die Braunkohleindustrie. Aus klimapolitischer Sicht hat der Bergbauzweig Braunkohle bereits geliefert: Die Braunkohleindustrie lag im Jahr 2019 und damit bereits vor der Pandemie mit bis zu minus 60 % Emissionsminderung an der Spitze aller Industriesektoren. Für das Jahr 2023 werden minus 70 % gegenüber 1990 erwartet. Bis 2030 werden die Emissionen der deutschen Braunkohle etwa um 80 % gegenüber 1990 zurückgehen. Die Braunkohle ist damit kompatibel zu allen international verbindlichen Klimaschutzzielen, sowohl für 2030 als auch für 2040 oder 2050. Der Bundesverband Braunkohle DEBRIV hat die Ergebnisse der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB), die Kohleverstromung in Deutschland bis Ende 2038 zu beenden, mitgetragen und hat dementsprechend auch das Gesetz zur Verminderung und Beendigung der Kohleverstromung (KVBG) unterstützt. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es sich bei der „Ende 2038-Entscheidung“ um eine gesamtgesellschaftliche Verständigung handelt. Sie wurde nach langer, intensiver und sachlicher Diskussion formuliert. Wohl zu kaum einem anderen politischen Thema hat in den vergangenen Jahrzehnten ein ähnlich umfassender Dialog verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen stattgefunden. Das Risiko eines Strukturbruchs, der die Menschen in den betroffenen Regionen vermeidbaren ökonomischen und sozialen Belastungen aussetzen würde, ist unabhängig vom konkreten Zeitpunkt eines Kohleausstiegs angemessen zu begrenzen. Der mit der Gewinnung der Braunkohle verbundene künftige Eingriff in die Umwelt ist zudem dadurch begrenzt, dass jedenfalls kein neuer Tagebau aufgeschlossen werden muss. Der Zeitraum bis zum Ende der Braunkohlegewinnung muss lang genug sein, um die stufenweise und komplexe Zulassung der Braunkohletagebaue anzupassen. Die Landesplanung und die Genehmigungsbehörden können nicht immer wieder – mit immer wieder geänderten Ausgangsvorgaben – die Zulassungsverfahren neu beginnen und trotzdem zu rechtssicheren und gerichtsfesten Zulassungen gelangen. Wichtig ist zudem für die Beurteilung des Spannungsfeldes Bergbau auf Braunkohle und Umwelt, dass auch unter Berücksichtigung der bekannten klimapolitischen Anforderungen eine (reduzierte) Braunkohlegewinnung derzeit energiepolitisch notwendig erscheint. Das Strom-System ist ab 2023 „auf Kante genäht“. Eine Spitzenlast von heute 81 GW – und später mit erheblicher Sektorkopplung von etwa 100 GW – braucht entsprechende gesicherte Leistung.
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In den ersten Monaten des Jahres 2021 gab es erneut so genannte Dunkelflauten über bis zu 14 Tage, die eine Absicherung mit konventionellen Kraftwerken benötigen. Mit dem bei Redaktionsschluss dieses Beitrags geltenden Abschaltplan 2038 nach dem KVBG kann die Braunkohleindustrie lange und erheblich zur gesicherten Leistung beitragen. Etwa 2040 könnte die Stromversorgung auf Basis erneuerbarer Energieträger – nach einem deutlichen Netz- und Stromspeicher-Ausbau – so weit sein, dass sie die Stromversorgungssicherheit garantieren kann.
Das Spannungsfeld Bergbau und Umwelt in Genehmigungsverfahren Sachgesetzlichkeiten der Gewinnung von Bodenschätzen Die Gewinnung von Bodenschätzen unterscheidet sich von anderen industriellen Tätigkeiten in wichtigen Punkten: Sie kann zunächst nur dort erfolgen, wo sich eine Lagerstätte des entsprechenden Bodenschatzes befindet. Die Rohstoffgewinnung ist somit standortgebunden. Wegen der mit dem Abbau verbundenen Entnahme des Bodenschatzes muss der Bergbaubetrieb der Lagerstätte folgen und sich den naturbedingten Verhältnissen der Lagerstätte anpassen. Bei der Gewinnung ist darauf zu achten, dass im Interesse des Lagerstättenschutzes eine möglichst vollständige Gewinnung aus der Gesamtlagerstätte erfolgt, d. h. dass einzelne Teile der Lagerstätte nicht so „stehen bleiben“ dürfen, dass sie einer späteren Hereingewinnung dauerhaft entzogen sind. Andernfalls wäre die Gewinnung in der Regel nicht nachhaltig. Ein übertägiger Bergbaubetrieb ist zudem durch seine dynamische und mobile Betriebsweise gekennzeichnet. Dies bedeutet auch, dass bei Gewinnung in Tagebauen vielfach neue Flächen in Anspruch genommen werden müssen. Dennoch wächst dadurch nicht laufend der Anteil bergbaulich genutzter Flächen an der Gesamtfläche, denn der Bergbauunternehmer muss bereits während und nach der Gewinnung die in Anspruch genommene Fläche ordnungsgemäß wiederherstellen. Diese Wiedernutzbarmachung erfolgt in der Regel sukzessive und parallel mit dem Abbaufortschritt, indem die auf der Abbauseite gewonnenen Abraummassen zeitgleich und selektiv im bereits abgebauten Tagebaubereich wieder eingebracht werden. Die Wiedernutzbarmachung trägt vielfach zu Naturschutzflächen, Biotopen, Flächen für die Land- und Forstwirtschaft, Gewässern, Verkehrswegen und Naherholungsgebieten bei, die von der Bevölkerung als wertvolle Landschaften zur Naherholung angenommen und
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Thorsten Diercks
geschätzt werden. Die Wiedernutzbarmachung eröffnet dabei auf einzigartige Weise auch die Chance, größere zusammenhängende Flächen unter Bereinigung früherer Fehlentwicklungen neu und unter Zugrundelegung neuester Anforderungen an Landschaftsgestaltung, Erholung, Natur- und Artenschutz und in Abstimmung mit dem Zukunftsnutzungskonzept der örtlichen und überörtlichen Planung zu gestalten.
Rechtsrahmen für die Gewinnung heimischer Rohstoffe unter Beachtung des Umweltschutzes Die heimische Rohstoffgewinnung bedarf eines Rechtsrahmens, der sowohl den Sachgesetzlichkeiten der Rohstoffversorgung als auch dem Umweltschutz angemessen Rechnung trägt. Im Interesse der sicheren Rohstoffversorgung der Bürger:innen, der Industrie und des Gemeinwesens insgesamt sind – wegen teilweise Jahrzehnte dauernder Planungs- und Realisierungszeiträume – Rechts- und Investitionssicherheit vermittelnde Rahmenbedingungen (vor allem Genehmigungsverfahren) notwendig. Des Weiteren müssen angemessene Duldungspflichten bestehen; Eingriffe in Rechte Einzelner müssen – nach Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens und gegen angemessene Entschädigung – de facto und de jure möglich sein. Das Bundesberggesetz (BBergG) genügt diesen Ansprüchen. Es bezweckt nicht nur die Sicherung der Rohstoffversorgung durch heimische Bodenschätze bei schonendem Umgang mit Grund und Boden, sondern auch die Vorsorge gegenüber Gefahren für die Rechte Dritter und die Umwelt. Es wurde vielfach an zwischenzeitliche Entwicklungen angepasst, so z. B. zur Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung und hierzu gehörender Verordnungen. Seit 1990 gilt das BBergG auch in den so genannten neuen Bundesländern. Es hat wesentlich dazu beigetragen, dass der aktive Bergbau unter Anpassung an westdeutsche Standards mit weitgehender Akzeptanz in den betroffenen Regionen – wenn auch in wesentlich geringerem Umfang – weitergeführt werden konnte, und dass die Sanierung stillgelegter Bergwerke und Gruben erfolgreich durchgeführt werden konnte und noch durchgeführt wird. Durch die Umsetzung von EU-Recht, Anpassungen an nationales Recht und höchstrichterliche Rechtsfortbildung sind die Belange der Menschen, Tiere und Pflanzen sowie der Schutzgüter Wasser, Boden, Luft, Lärm inzwischen ebenso im Bergrecht integriert wie das allgemeine Umweltrecht, z. B. die strategische Umweltprüfung, die Projekt-Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die Umwelthaftung und das Umweltinformationsrecht. Im Bergrecht gelten mit kleinen Ausnahmen, die aus den oben dargestellten bergbaulichen Sachgesetzlichkeiten resultieren, die gleichen Standards und Anforderungen wie für andere industrielle Großprojekte. So ist seit 1990 für größere Vorhaben,
insbesondere die größeren Gewinnungsvorhaben, die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben. Im Braunkohlenbergbau kommt noch das raumordnerische Braunkohlenplanverfahren hinzu, das sich über mehrere Jahre erstreckt und unter Durchführung von Umweltprüfungen, Sozialverträglichkeitsprüfung, Öffentlichkeitbeteiligung und auf Basis von zahlreichen Gutachten die gesamtheitliche Abwägung der Braunkohlengewinnung im Tagebau mit allen anderen berührten Belangen vollzieht. Die Wiedernutzbarmachung der Oberfläche nach dem BBergG gilt als weltweit führend. In den bergrechtlichen Betriebsplänen wird unter anderem auch der Ausgleich von Eingriffen in naturschutzrechtlich besonders geschützte Gebiete – sie gibt es in Deutschland gut verteilt und daher fast überall in der Nachbarschaft industrieller, auch bergbaulicher Anlagen – behandelt. Im Wesentlichen werden im Rahmen der Wiedernutzbarmachung Eingriffe vollständig ausgeglichen. Aufgrund der in der Regel zeitgleich mit dem Abbau erfolgenden Wiedernutzbarmachung beträgt der für die Rohstoffgewinnung in Anspruch genommene Flächenanteil in Deutschland seit Jahren gleichbleibend 0,2 % der Landesfläche.
Ausblick Umwelt-Schreckensszenarien, wie sie einige Umweltverbände auf ihren Websites zeigen, gibt es in Deutschland jedenfalls nicht. Dort wird behauptet, der Bergbau verursache massive Wasserknappheit in ganzen Regionen, verseuche das Grundwasser mit Schwermetallen, lagere kontaminiertes Wasser und Schlamm in Absetzbecken und auf Halden ab und lasse hochgiftige, saure Grubenwässer entstehen, die „für tausende Jahre Boden und Grundwasser vergiften“.3 Für den heimischen Bergbau in Deutschland und wohl auch in der gesamten EU treffen diese Beschreibungen sicher nicht zu. Vielmehr gibt es in Deutschland sehr hohe Anforderungen an Abfallmanagement, Gewässer- und Naturschutz sowie an die Sanierung früherer Bergbaustandorte. Das Bergrecht und das Umweltrecht sowie deren Vollzug zielen darauf ab, dass sowohl die Bevölkerung als auch die Umwelt möglichst wenig durch den Bergbau beeinträchtigt werden. Das gesamte materielle Umweltrecht gilt weitestgehend entweder unmittelbar oder über bergrechtliche Vorschriften mittelbar. Der deutsche Bergbau genügt unter ökologischen Aspekten hohen Standards. Umweltaspekte aller Art werden in den Planungen von vornherein einbezogen und in den Genehmigungsverfahren geprüft. 3 Zit. WWF Deutschland: Mining: Die Folgen des weltweiten Rohstoffabbaus, online unter: https://www.wwf.de/themen-projekte/ waelder/mining (Eingesehen: 19.11.2021).
Bergbau und Umwelt in Deutschland – Aktuelle Standortbestimmung
Zudem setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die hier geltenden Standards im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung global bekannt zu machen und möglichst international weiter zu etablieren. Der Bergbau – auch der Nachbergbau – unterstützt die Bundesregierung dabei tatkräftig, dies nicht zuletzt im Rahmen der internationalen Transparenzinitiative EITI (Extractive
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Industries Transparency Initiative). Auch Aktivitäten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt der Bergbau, häufig durch eine Mitwirkung der Fachvereinigung Auslandsbergbau und internationale Rohstoffaktivitäten (FAB).
Anna-Katharina Wöbse
Landschaften der Macht: Frauen, Männer und die Deutungshoheit über Natur Einleitung Wenn wir heute auf ehemalige Halden steigen oder an gefluteten Braunkohlegruben entlanglaufen, befinden wir uns in Umgebungen, in die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts grundlegende Umdeutungen von Natur eingeschrieben haben. Es sind Orte der wiederholten radikalen Umgestaltung und der ebenso radikalen Neuinterpretation. Aus Landschaften, die lange ausschließlich der Prämisse der Ausbeutung von fossilen Brenn- und anderen Rohstoffen unterworfen waren, sollen nun Erholungs- und sogar Wildnisräume entstehen. Der Gestaltungshoheit der Expert:innen des Bergbaus stellt sich die der Expert:innen für Biodiversität und Klimaneutralität zur Seite oder löst sie gar gänzlich ab. Die Lesart der Natur wird umgeschichtet: Die fossile Ära geht zu Ende, eine neue Epoche der Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit verspricht, sich hier Raum zu greifen. Die Gestaltung von Natur und Raum wurde seit dem 19. Jahrhundert institutionalisiert und technisiert. Frauen waren aufgrund der patriarchalen Verhältnisse von diesen Gestaltungsprozessen ausgeschlossen.1 Doch einige suchten beständig die Lücken im System oder verschafften sich Platz, um ihre Vorstellungen der Mensch-Natur-Verhältnisse zur Geltung zu bringen. In diesem Beitrag sollen einige Schichten in der historischen Entwicklung des Natur- und Umweltschutzes freigelegt werden, die von Frauen bestimmt wurden, und die die heutigen sichtbaren Umdeutungen der Mensch-Natur-Beziehungen im Laufe des 20. Jahrhunderts beeinflussten.
1 Merchant, Carolyn: The Death of Nature Women, Ecology and the Scientific Revolution, San Francisco 1980; Unger, Nancy: Women and Gender: Useful Categories of Analysis in Environmental History, in: Isenberg, Andrew (Hrsg.): Oxford Handbook of Environmental History, Oxford 2014, S. 600–643; Leach, Melissa/ Green, Cathy: Gender and Environmental History: From Representation of Women and Nature to Gender Analysis of Ecology and Politics, in: Environment and History 3, 1997, Heft 3, S. 343–370; Ahr, Beate: ‚Naturschutz ist Pflicht – eine strenge, männliche…‘ – Was taten Frauen im Naturschutz?, in: Frohn, Hans-Werner/Rosebrock, Jürgen (Hrsg.): Ehrenamtliche Kartierungen für den Naturschutz. Historische Analysen, aktuelle Situation und Zukunftspotenziale, Bonn 2012, S. 173–202.
https://doi.org/10.1515/9783110780154-003
Die Entstehung des Naturschutzes als männliche Domäne Als der Naturschutz sich am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland zu formieren begann, war er eine Reaktion auf die weitreichenden und durchdringenden Veränderungen, die die Industrialisierung mit sich gebracht hatte. Der sich beschleunigende Übergang zu einer mit fossilen Energien angetriebenen Wirtschaftsform veränderte ganze Lebenswelten – bisweilen innerhalb nur einer Generation. Das vielleicht prägnanteste Signet dieser Veränderungen war die Gerade. All die neuen Errungenschaften der industriellen Moderne gingen einher mit schnurgeraden Linien: Eisenbahntrassen, Kanäle und Telegraphenleitungen suchten die kürzesten Wege und unterwarfen die ursprünglichen Topographien ihren Anforderungen. Selbst in der Landund Forstwirtschaft war die Gerade auf dem Vormarsch: Entwässerungsgräben und die so genannte Verkoppelung folgten den Logiken der Vermessungstechnik. In den Wäldern waren die „Stangenwälder“ auf dem Vormarsch – ein anderer Ausdruck für die schnellwachsenden Monokulturen aus Fichten und Kiefern, die aus den Wäldern Plantagen machten. Gerade Bäume lieferten auch das Holz, das für Baugerüste, Leitungsmasten und den Ausbau der Gruben gebraucht wurde. Effizienz verlangte Ordnung – auch im Umgang mit der Natur. Die neuen Ansprüche an die Natur veränderten auch die unmittelbaren Erfahrungswelten der Menschen. Die Arbeitssituation verschob sich für Abertausende aus der Landwirtschaft in die industrielle Produktion, durch die neue Mobilität beschleunigten sich Wege und Erfahrungen. Der Wandel war allenthalben spür- und sichtbar. Die Arbeiterschaft reagierte darauf 1895 mit der Gründung des Vereins ‚Die Naturfreunde‘, die nicht nur das ‚soziale Wandern‘ als Chance, sich gemeinsam in intakter Landschaft zu bewegen, praktizierten, sondern sich auch dem Heimat- und Naturschutz zuwandten.2 Das hier eingeforderte Recht auf Naturerfahrungen für alle Schichten sollte sich allerdings in der entstehenden Naturschutzbewegung kaum 2 Hasenöhrl, Ute: Nature Conservation and the German Labour Movement. The Touristenverein Die Naturfreunde as a Bridge between Social and Environmental History, in: Massard-Guilbaud, Geneviève/Mosley, Stephen: Common Ground. Integrating the Social and Environmental in History, Newcastle 2011, S. 125–148; Günther, Dagmar: Wandern und Sozialismus. Zur Geschichte des Touristenvereins ‚Die Naturfreunde‘ im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Hamburg 2003.
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widerspiegeln. Sie wurde vielmehr vom Bildungsbürgertum vereinnahmt, aus deren Reihen sich ebenfalls Stimmen der Missbilligung der Natur- und LandschaftSeingriffe mehrten. Diese Klientel begann, nicht zuletzt dank der Impulse eines neuen Interesses an den Naturwissenschaften, die Verluste in Flora und Fauna zu verzeichnen und darüber zu schreiben. Das traf sich mit einem Boom der Vereinsgründungen. Menschen mit Freizeit organisierten sich in Gesellschaften oder Verbänden, um gemeinsam ihre spezifischen Interessen zu verfolgen.3 Diese naturwissenschaftlichen Vereine waren in aller Regel von ihren männlichen Mitgliedern bestimmt, die zwar das Rationale ihres Interesses betonten, aber dennoch nicht an Pathos sparten. Deren Haltung zeichnete sich vor allem durch eine Prämisse aus: Alles sollte so bleiben, wie es war. Das galt sowohl für die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, als auch für Natur- und Kulturlandschaften wie die romantisierte Lüneburger Heide, die erhebenden Höhen der Alpen oder die waldreichen Mittelgebirge. Sie sollten zumindest in Restbeständen, in Relikten erhalten werden, wo weiterhin eine ‚ursprüngliche‘ Natur und ihre Mannigfaltigkeit an Arten verzeichnet, gezählt und markiert werden konnte. Dabei handelte es sich um einen musealen Ansatz, der eine bildungsbürgerliche Handschrift trug und vor allem von gesellschaftlich etablierten Männern wie Ärzten, Lehrern, höheren Angestellten und konservativen Kulturschaffenden vertreten wurde. Mit deren Duktus ging auch meist eine recht klare chauvinistische und rückwärtsgewandte Grundierung des Naturschutzes einher.4 Natur war das Gegenüber der Zivilisation, und sie war irgendwo draußen – also weit jenseits der privaten Sphären der Häuser, Gärten und Familien, die Frauen zugeordnet waren. Weibliche Beteiligung an der Erforschung und Kategorisierung von Natur war limitiert – schon aufgrund der Tatsache, dass Frauen sich kaum frei und allein weiter draußen bewegen konnten, sie in den Bildungschancen massiv behindert wurden und zudem ihre Teilhabe aufgrund mangelnder Freizeit – in aller Regel durch die Pflichten häuslicher Arbeit und Zuständigkeiten ohne Feierabend bedingt – begrenzt und ohnehin nicht vorgesehen war. Die männliche Naturvorstellung drückte sich nicht zuletzt in einer Kategorisierung der Natur in geschlechterstereotype Zuschreibungen aus. In den Publikationen wimmelt es von entsprechenden sprachlichen Bildern. Was es zu schützen galt, war eine ‚unberührte‘, eine ‚jungfräuliche‘ und zudem passive Natur. Auch diese musste nun aber vermessen und kontrolliert werden. 3 Bargheer, Stefan: Moral Entanglements. Conserving Birds in Britain and Germany, Chicago 2018; Frohn, Hans-Werner/Rosebrock, Jürgen (Hrsg.): Ehrenamtliche Kartierungen für den Naturschutz. Historische Analysen, aktuelle Situation und Zukunftspotenziale, Bonn 2012. 4 Schmoll, Friedemann: Erinnerung an die Natur. Die Geschichte des Naturschutzes im Deutschen Kaiserreich, Frankfurt a. M./New York 2004.
Hier zeichnete sich ab, wie Natur in einer männlichen Gesellschaft konstituiert wurde: Sie galt „als frei verfügbares passives Erkenntnisobjekt in einem herrschaftsförmigen Verhältnis zum Menschen, als einem vernunftgeleiteten erkennenden, handelnden und analysierenden Subjekt, das durch die Abwertung von und die Herrschaft über das Andere gekennzeichnet“ war.5 Wo konnten sich Frauen in dieser konservativen und konservierenden Gemengelage dennoch beteiligen?
Frauen als treibende Kraft der frühen Naturschutzbewegung Sie begannen zunächst, das Natur-Mensch-Verhältnis dort kritisch zu hinterfragen, wo sie den Rollenmustern gemäß zuständig waren: im privaten und karitativen Raum. Nicht zufällig war die Frauenbeteiligung in einem dem Naturschutz benachbarten Themenfeld besonders hoch: dem Tierschutz.6 Hier entwickelte sich ein expliziter Anspruch, die moralischen und physischen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren in Frage zu stellen. Mussten Hunde und Frösche eigentlich uneingeschränkt zu medizinischen Zwecken gequält werden, Pelztieren das Fell abgezogen und Reihern die Federn zu Modezwecken entrissen werden, durfte Schlachtvieh ohne jegliche Berücksichtigung der tierlichen Bedürfnisse transportiert und die Kreatur malträtiert werden? Hier korrelierten verschiedene Zweige der Reformbewegungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts – der Frauen-, Friedens-, Bildungs- und Tierschutzbewegung, die Frauen zu aktiven Protagonistinnen einer Zivilgesellschaft machten und auf deren Feldern sie Aktions- und Beteiligungsformen wie Kampagnen und Petitionen testen konnten.7 Diese neuen Einflussmöglichkeiten, in denen sowohl Anpassungen gemäß der männlichen Erwartungshorizonte an die weibliche Sphäre, als auch unkonventionelle und emanzipatorische Handlungen erprobt wurden, sollten auch in den Naturschutz ausstrahlen. Erst mit dem Eintritt dieser Akteurinnen konnte aus elitären Netzwerken überhaupt eine Bewegung werden, die dem Thema in der politischen Wahrnehmung zu einer größeren Dynamik verhalf.
5 Katz, Christine/Mölders, Tanja: Natur zwischen Schutz, Nutzung und nachhaltiger Gestaltung – feministische Ansichten, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 64, 2013, S. 66–73, hier S. 66 f. 6 Roscher, Mieke: Geschichte des Tierschutzes, in: Borgards, Roland (Hrsg.): Tiere. Ein kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart 2016, S. 173–182. 7 Roscher, Mieke: Engagement und Emanzipation: Frauen in der englischen Tierschutzbewegung, in: Brantz, Dorothee/Mauch, Christof (Hrsg.): Tierische Geschichte: Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne, Paderborn 2010, S. 286–303; Peluchon, Corine: Manifest für Tiere, München 2020.
Landschaften der Macht: Frauen, Männer und die Deutungshoheit über Natur
Dieses Bewegungsmoment wurde zunächst vor allem durch ein spezifisches Motiv genährt, nämlich den Kampf gegen die Federmode, die durch den globalen Handel ganze Vogelpopulationen an den Rand der Existenz brachte. Auf den Federbörsen in London und Paris wurden Flügel, Schmuckfedern oder ganze Vogelbälge gleich kilo- und tonnenweise gehandelt. Der Naturschutz hatte damit ein eigenes Frauenthema.8 Denn Frauen waren die Endabnehmerinnen, die verantwortlichen Konsumentinnen, wenngleich Jagd und Handel in männlicher Hand waren. Die Macht des Konsums wurde für Frauen zum Einfallstor in den Diskurs, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert von den nun überall in Europa und den USA entstehenden und oft weiblich initiierten Vogelschutzverbänden vorangetrieben und in Kampagnenform gegossen wurde. Dabei ging es im Kern darum, die Käuferinnen vom Kauf abzubringen, was zugleich mit einer Stereotypisierung von Eitelkeit und Ignoranz als weiblichen Charaktereigenschaften einherging. In den Kampagnen zeigte sich dank der Elemente der Teilhabe und der eigenmächtigen Veränderungsmöglichkeit einerseits die Abkehr von Rollenmustern durch die Akteurinnen selbst. Andererseits bestätigten sie eine Tradierung von Vorurteilen durch eine Haltung der Belehrung, Bevormundung und Stigmatisierung von weiblichem Verhalten, die anschlussfähig an bürgerliche Rollenmodelle und Geschlechterzuschreibungen war. Die ausgeprägte Kampagnenfähigkeit der Aktivistinnen, die sich in starken visuellen Übersetzungen, medialen Angeboten und politischen Beteiligungsformen wie Petitionen ausdrückte, machte den Naturschutz trotz dieser inneren Widersprüche auf eine neue Art bewegungsfähig und politikrelevant.
Eine Frau mit Geld: Lina Hähnle Auch im Deutschen Reich setzte sich eine Frau an die Spitze der Vogelschutzbewegung: Lina Hähnle (1851– 1941). 1899 gründete die 48jährige sechsfache Mutter und Frau des erfolgreichen Filzfabrikanten Hans Hähnle den Bund für Vogelschutz. Zwar rechtfertigte sie ihr Engagement damit, dass sich niemand sonst für die Position des Vorsitzes gefunden habe, aber gleichzeitig übernahm sie diese Funktion auch ohne weiteres Zögern – und behielt sie bis 1938. Denn hier offenbarte sich wie bereits beschrieben ein neues und legitimes Betätigungsfeld für die bürgerliche Frau. Allerdings beließ Lina Hähnle es nicht dabei. Bei genauerer Betrachtung zeigt ihr Handeln, wie weibliche Akteurinnen Raum und politische Macht verbinden konnten, zumal sich bei Hähnle Naturschutzengagement mit 8 Boase, Tessa: Mrs Pankhurst’s Purple Feather: Fashion, Fury and Feminism – Women’s Fight for Change, London 2018.
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einer Ressource verknüpfte, die im Naturschutz oft ein äußerst knappes Gut war: Geld. Sie verfügte aufgrund des familiären Wohlstands über große finanzielle Mittel. Daher musste Lina Hähnle sich nicht auf die winterliche Vogelfütterung und das Aufhängen von Nistkästen und Bruthöhlen beschränken. Sie konnte auch Raumpolitik betreiben, indem sie Flächen kaufte, pachtete und gestaltete. Immer wieder ließ sie Eisenbahntrassen oder Brachland bepflanzen, um dort auch neue Natur entstehen zu lassen. Für sie galt nicht das Primat einer ‚unberührten‘ Landschaft – Natur konnte durchaus wiederhergestellt werden. Dank ihres großen Privatvermögens konnte sie mit ihrem Verein auch Vogelwärter, Forschung und Infrastrukturen wie Stege oder Zäune und Schilder finanzieren, die notwendig waren, um Gebiete zu schützen. An der Elbe wurde dank des Hähnleschen Geldflusses ein Biber- und Vogelschutzgebiet aufgebaut. Als der kleine und männlich dominierte Verein Jordsand auf Sylt vor dem Ersten Weltkrieg ein Gelände pachtete, um die dort brütenden Möwen und Seeschwalben vor schießwütigen Tourist:innen und Eiersammler:innen zu bewahren, war sie es, die in einer Verbandskooperation einen Teil der Pachtbeträge übernahm. Diese Unterstützung nutzte sie gleichzeitig, um ihre Organisation zu profilieren, denn der Seevogelschutz mit seiner Aura des Exotischen und Freiheitserlebens gehörte zu den glänzenden Aushängeschildern der Vogelschutzbewegung. Zudem pflegte sie beste Kontakte zur Politik. Dank ihres Mannes, der neben seinem Fabrikantendasein auch linksliberaler Reichstagsabgeordneter war, hatte sie Kontakt zu Entscheidungsträgern hinsichtlich Veränderungen der Naturschutzgesetzgebung. Aber obwohl Hähnle raumgestalterisch und politikorientiert ins Geschehen eingriff, schien sie die hier festgeschriebenen Geschlechterhierarchien nie in Frage zu stellen. Dabei berührte dieses Themenfeld durchaus auch grundlegende Fragen wie die nach Gemeinwohl und Teilhabe oder die, wer eigentlich über die (Aus-) Nutzung von Natur bestimmte. Hähnle mag in der Szene eine zentrale Figur der Ermöglichung gewesen sein, der auch Tribut und Respekt gezollt wurde, aber sie selbst blieb eingehegt in die traditionellen Geschlechterstereotypien. In der Zeit des Nationalsozialismus übernahm sie regimekonform die Leitung des einzig noch zugelassenen „Reichsbundes für Vogelschutz“. In den Nachrufen nach ihrem Tod 1941 reduzierte man sie auf eine „Vogelmutter“: Ihr Tun wurde damit ausschließlich der Sphäre des „Mütterlichen“ zugerechnet.9
9 Zu Lina Hähnles Biografie und Forschungsdesideraten auch hinsichtlich ihrer Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus siehe Wöbse, Anna-Katharina: Lina Hähnle (1851–1941): Vogelschutz in drei Systemen, in: Frohn, Hans-Werner/Rosebrock, Jürgen (Hrsg.): Spurensuche. Lina Hähnle und die demokratischen Wurzeln des Naturschutzes, Essen 2017, S. 35–56.
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Anna-Katharina Wöbse
Mobilisierung und Stillstand Schließlich war der so von den Frauen in eine Bewegung übersetzte Naturschutz noch keine emanzipatorische Erscheinung. Eher dockte er an bestehende Machtverhältnisse und räumliche Konzepte des Naturschutzes an, die auf Exklusion und auf der Annahme getrennter Sphären von Natur und Kultur basierten. Gleichwohl beteiligte er sich an Fragen über Naturräume – und das konnte sogar globale Ausmaße annehmen. Lina Hähnle war eine von vielen Aktivistinnen, die eine internationale Kampagne gegen die Verseuchung der Küsten und Meere durch Erdöl unterstützten. Ölverschmutzung erschien nach dem Ersten Weltkrieg als manifestes Problem als die Handelsflotten begannen, ihre Motoren von Kohle- auf Ölfeuerung umzustellen. Bald darauf fanden sich an den Stränden sieche und tote Vögel. Sie wurden zu Ikonen menschenverursachten Leids. Genau an dieser Leidensfigur entzündete sich die Initiative der einflussreichen und von Frauen initiierten britischen Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), die nicht nur eine medienstarke und transnational angelegte Kampagne anschob, sondern das Thema direkt ins Herz der Demokratie trug. Durch den Druck auf das britische Parlament sorgte die RSPB in den 1920er-Jahren dafür, dass die Frage als internationales Problem einer Exterritorialisierung von Umweltverbrauch schließlich im Völkerbund verhandelt wurde.10 Dies stieß einen Prozess an, auf dem die heutigen Konventionen gegen Meeresverschmutzung basieren. Hier entstand eine besonders spannende Gemengelage, die den traditionellen, auf Reservate konzentrierten Naturschutz weit überstieg und Fragen des Gemeinwohls und der globalen Allmende – und damit eine der größten Deutungsdiskussionen von Raum – antizipierte. Die Frauen des RSPB nutzten die Figur des Tierleids, um eine ganz andere Welle der Empörung auszulösen, die unter anderem in die grundsätzliche Frage mündet, wer eigentlich berechtigt war, das Gemeingut Meer zu vereinnahmen. In den frühen Kampagnen und Aktionsfeldern der Zwischenkriegszeit bildete sich also wieder die weibliche Beteiligung und Gestaltung von Naturschutz und raumrelevanten Fragen in Kopplung mit Kampagnen, Mobilisierung neuer Klientele und dem Zugang zu politischen Entscheidungsträgern deutlich ab. Dieses Zusammenspiel verhalf dem Naturschutz zur Wahrnehmung eines gesellschaftlich bedeutsamen Gegenstands und zu einer Beschleunigung der Institutionalisierung und Verrechtlichung von Naturschutzfragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg brach dieser Zweig der Mobilisierung ab. Die Diskurse der Nachkriegszeit sollten wieder von männlichen Netzwerken bestimmt
10 Wöbse, Anna-Katharina: Weltnaturschutz. Umweltdiplomatie in Völkerbund und den Vereinten Nationen, Frankfurt a. M./New York 2012.
werden.11 Frauen hatten zu den Berufsfeldern, die sich wie die Landschaftsplanung nach dem Zweiten Weltkrieg den Fragen eines zukünftigen Mensch-Natur-Verhältnisses zuwandten, kaum Zugang. Auch wenn diese (männliche) Professionalisierung und Institutionalisierung mit einem neuen Deutungsanspruch über natürliche Räume einherging, blieb der Naturschutz doch zunächst in seinem traditionellen Habitus des Bewahrenden gefangen. Wie schon so oft schien der Naturschutz gegen ökonomische Argumente zu schwach aufgestellt.
Systemkritik: Rachel Carson Die Zeit bis zum Beginn der 1970er-Jahre könnte also als Stillstand hinsichtlich der Einflussnahme von Frauen auf die Naturschutzbewegung begriffen werden. Doch die weibliche Mitsprache bei der Neuvermessung der Fragilität von Natur-Mensch-Verhältnissen kündigte sich bereits im Verlauf der 1960er-Jahre wieder an. Die heute wohl bekannteste Figur dieser Einflussnahme war die amerikanische Biologin Rachel Carson.12 Die Naturwissenschaftlerin und Publizistin veröffentlichte nach einer Reihe populärwissenschaftlicher Bücher zur Küstenökologie 1962 ein Werk, das eine höchst politische Wirkung entfalten sollte. Ihr Buch „Der stumme Frühling“ entwickelte sich sofort nach Erscheinen zu einem unerwarteten Bestseller auf dem internationalen Markt. Carson schuf darin eine eingängige Erzählung über die Folgen des unregulierten Einsatzes des Pestizids DDT. Sie knüpfte an konkrete Verlusterfahrung an, denn die Folgen zeigten sich nicht zuletzt an den steigenden Zahlen toter Vögel. Das Insektizid war nur für ‚Schädlinge‘ gedacht, reicherte sich aber in der Nahrungskette an – und traf so schließlich auch die Menschen. Die Erfolge des DDT-Einsatzes in der Land- und Forstwirtschaft, so Carson, seien höchstens kurzfristig. Langfristig würde die Anreicherung des Giftes Konsequenzen haben, die die menschliche Gesellschaft teuer zu stehen komme. Carson rückte die Frage ökologischer Folgewirkungen der profitorientierten Anwendung moderner Pestizide zudem an die Vor- und Gemüsegärten heran, die gemeinhin als weibliche Sphäre verstanden wurden. Wieder wurden Vögel, die schon in der ersten Phase weiblicher Beteiligung so stilbildend gewesen waren, zu einer wichtigen Figur der Erzählung.
11 Chaney, Sandra: Nature of the Miracle Years: Conservation in West Germany 1945–1975, Oxford 2008; Engels, Jens Ivo: Naturpolitik in der Bundesrepublik: Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950–1980, Paderborn 2006; Möller, Christian: Umwelt und Herrschaft in der DDR: Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen 2020. 12 Lear, Linda: Rachel Carson. Witness for Nature, New York 1997; Quaratiello, Arlene R.: Rachel Carson. A Biography, Westport CT u. a. 2004.
Landschaften der Macht: Frauen, Männer und die Deutungshoheit über Natur
Mit dem Verbinden von ökologischer Analyse und dem Bezug zum alltäglichen Erleben schaffte Carson nicht nur Zugangsangebote für ein breites Publikum, sondern befreite den Naturschutz aus seiner Exklusivität des Expertentums. Carson selbst wurde einerseits zu einer Galionsfigur stilisiert, die von Medien und Öffentlichkeit als Heldin der ökologischen Aufklärung gefeiert wurde, andererseits gerade von den Vertretern (!) der chemischen und agroindustriellen Lobbys als irrationale Hysterikerin dargestellt. Carson formulierte mit ihrer naturwissenschaftlichen Analyse eine Systemkritik und hinterfragte die uneingeschränkte Unterwerfung von Natur durch die modernen menschlichen Gesellschaften. Die Naturschutznetzwerke nutzten den produktiven Schub, den Carsons Buch in der sich entfaltenden Umweltdebatte auslöste, um ihre eigene Relevanz zu betonen. Carson spielt bis heute in der Umweltgeschichtsschreibung auch deshalb eine so bedeutsame Rolle, weil sie eine Brücke von der traditionellen Naturschutzbewegung, die sich vor allem auf den Schutz von Arten und Flächen konzentriert hatte, zur entstehenden Umweltbewegung baute, die sich mit dem Schutz von Wasser, Boden und Luft auch umfassenden Fragen nach menschlicher Gesundheit und Zukunft stellte.13
Alter Naturschutz und neue Bewegungen – das Beispiel Klara Enss Das Aufeinandertreffen alter Naturschutznetzwerke und junger sozialer Bewegungen am Ende der 1960erund im Laufe der 1970er-Jahre sollte Fragen nach der Zukunft der Mensch-Natur-Beziehungen auf neue Füße stellen. Der emanzipatorische Anspruch vieler Graswurzelinitiativen, die aus der grundlegenden Infragestellung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse resultierten, strahlte auch in die Debatte über das Verhältnis zur Umwelt aus. Nach Jahrzehnten des wirtschaftlichen Wachstums und einer schier unbegrenzt erscheinenden Modernisierung westlicher Gesellschaften zeichnete sich im Laufe der 1960er-Jahre ab, dass die herrschenden Entwicklungs- und Ausbeutungsschemata in absehbarer Zeit an ihr Ende kommen würden. Der traditionelle Naturschutz sollte von diesen neuen Entwicklungen und Beschleunigungen enorm profitieren. Denn die emanzipatorischen Bewegungen rückten Machtverhältnisse und damit auch die Ursachen von und die Verantwortlichkeiten für Umweltzerstörungen in den Vordergrund. Diese Politisierung der
13 Culver, Lawrence/Mauch, Christof/Ritson, Katie (Hrsg.): Rachel Carson’s Silent Spring: Encounters and Legacies, RCC Perspectives 7, 2012.
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Natur- und Umweltfragen drückte sich nicht zuletzt auch in lokalem Engagement aus. Beispiele für dieses Sampling aus verschiedenen kritischen Neubetrachtungen der Mensch-Natur-Beziehungen unter politischen Vorzeichen gibt es viele. Von einer recht unbekannten aber nichtsdestotrotz prototypischen Aktivistin, die diese beiden Stränge miteinander zu verbinden begann, sei kurz berichtet. Klara Enss, geboren 1922, hatte in den 1950er-Jahren auf Sylt eine Pension eröffnet.14 Die selbstständige Geschäftsfrau nahm 1969 den Aufruf des neu gewählten Bundeskanzlers Willy Brandt „Mehr Demokratie wagen!“ beim Wort. Zu Beginn der 1970er-Jahre begann sie sich politisch zu engagieren, als auf Sylt ein gigantomanisches 32stöckiges Bauvorhaben unter höchst fragwürdigen Umständen realisiert werden sollte. Ihre Haltung ging von Empörung über zu Aktivismus. Enss gründete eine der ersten Bürgerinitiativen der BRD und kämpfte gegen das Investorenprojekt. Dafür nutzte sie alle emanzipatorischen Politiken und Praktiken, die sich ihr boten. Ausgehend von dem Sylter Bauprojekt folgte sie den Fäden von Korruption, sezierte männliche Seilschaften und diagnostizierte mangelnde Bürgerbeteiligung bei Planungsprozessen. Sie machte deutlich, wer (keine) Mitsprache bei der Deutungshoheit über die Nutzung der Flächen hatte. Daraus ergab sich für sie ein expandierendes Interesse an Fragen zu politischer Transparenz, staatlicher Daseinsfürsorge, zu Steuerpolitik, Gerechtigkeitsdebatten – und schließlich auch zur ökologischen Krise. Denn die offenbarte sich zu Beginn der 1970erJahre in Katastrophenereignissen und chronischer Verschmutzung der eigenen Lebenswelten. Enss verbündete sich mit den Anti-AKW-Aktivist:innen des umkämpften Bauprojekts in Brokdorf an der Unterelbe und kooperierte mit solidarischen Atomphysiker:innen. Sie ließ sich zur stellvertretenden Bürgermeisterin ihrer Heimatgemeinde wählen und wurde Vizepräsidentin des Bundes der Steuerzahler in Schleswig-Holstein, um auch unangenehme Fragen zur Verwendung öffentlicher Gelder vernehmbar artikulieren zu können. Und schließlich fusionierte sie eine altehrwürdige Sylter Naturschutzgesellschaft mit ihrer jungen Bürgerinitiative. Das war der lokale Höhepunkt einer cross culture, die inspiriert worden war von den breiten Angeboten des Engagements der Neuen Sozialen Bewegungen. Klara Enss erkannte durchaus die Potentiale in der Traditionalität dieses klassischen Naturschutzvereins, der sich vor allem auf die Sicherstellung einzelner Schutzgebiete konzentriert hatte. Nun sollte er sich an grundlegenderen Fragen der Zukunftsgestaltung beteiligen. Sie nahm zudem an, dass der Verein nach einer Modernisierung als Operationsbasis verlässlicher und dauerhafter sein würde als die fluktuierenden Initiati-
14 Wöbse, Anna-Katharina: Klara Enss: Kritisch denken, politisch handeln – gut leben. Eine Sylter Biographie. Husum 2017.
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Anna-Katharina Wöbse
ven. Damit verwirklichte Enss eine Übernahme der verknöcherten Naturschutzbewegung durch emanzipatorische Kräfte der Neuen Sozialen Bewegungen.
Weltpolitik Die historischen Sondengänge skizzieren, wie der Naturschutz immer wieder durch die Aktivität von Frauen in Bewegung gesetzt werden konnte und welche Beschleunigung diese Einflussnahme im Laufe des 20. Jahrhunderts erfuhr. In der Debatte über die Endlichkeit des planetaren Reichtums und die Verfehlungen industrialisierter Ausbeutungsstrategien spielten nun auch Wissenschaftlerinnen eine wesentliche Rolle, wie die britische Ökonomin Barbara Ward, die bereits 1966 ein Buch über die Verletzlichkeit des Planeten veröffentlicht hatte und 1972 das bahnbrechende Buch „Only One Earth: The Care and Maintenance of a Small Planet“ anlässlich der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen verfasste.15 Im selben Jahr erschien die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ der internationalen Denkfabrik Club of Rome – eine der Autorinnen war die US-Amerikanerin Donella Meadows.16 Viele überkommene Herrschaftsverhältnisse und Deutungshoheiten standen nun zur Debatte. Die 1970er- und 1980er-Jahre erlebten eine neue Diversität an alternativen Lebensstilen. Umgang mit Natur wurde eine politische Frage und zunehmend mit der Kritik an bestehenden Herrschaftsformen gekoppelt. Nun wurden auch die Stimmen von Expertinnen und Aktivistinnen des globalen Südens hörbar, die nicht zuletzt die von den Ausbeutungsstrategien des Nordens ausgelösten Umweltkonflikte thematisierten und das Thema mit Fragen weiblicher Selbstbestimmung verbanden.17 Sie betonten die Bedeutung von Frauen in der Gestaltung und nachhaltigen Nutzung menschlicher Umwelt. Die Umweltfrage war aus Sicht dieser Protagonist:innen nicht mehr zu trennen von Benachteiligungen und Machtgefällen nicht nur zwischen Mann und Frau, sondern auch zwischen Nord und Süd, Arm und Reich, Mächtigen und Ohnmächtigen. In Deutschland erlebte die Parteienpolitik eine neue Dynamisierung durch die Grünen, die besonders mit Petra Kelly auch die Geschlechterfrage in den Vordergrund stellte.18 Gerade die Auseinandersetzungen um und der Widerstand gegen die Atomkraft als besonders risikobehafte15 Ward, Barbara: Spaceship Earth, New York 1966; Ward, Barbara/Dubos, René: Only One Earth. The Care and Maintenance of a Small Planet, New York 1972. 16 Meadows, Donella H. u. a.: The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, New York 1972. 17 Shiva, Vandana: Das Geschlecht des Lebens, Berlin 1989. 18 Richter, Saskia: Die Aktivistin: Das Leben der Petra Kelly, München 2010.
ter und zerstörerischer Technik wurde stark von Frauen bestimmt.19 Auch in der DDR trugen Frauen wie Physikerinnen, die in der oppositionellen Berliner Umweltbibliothek organisiert waren, oder Aktivistinnen wie die Stendaler Ärztin Erika Drees den Protest gegen die Kernkraft auf entscheidende Weise mit.20 Dass die Frage von globaler sozialer Gerechtigkeit untrennbar mit der ökologischen Frage verbunden war, bildete sich 1987 in einem Bericht der Vereinten Nationen ab: Der Brundtland-Report (benannt nach der Leiterin der berichterstattenden Kommission und ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland21), machte das Konzept der Nachhaltigkeit zu einem neuen politischen Leitbegriff. Hier wurden die Prinzipien einer zukunftsfähigen globalen Entwicklung konkret benannt und die Bedeutung der Generationengerechtigkeit formuliert. Der Klimawandel und auch die Biodiversitätskrise rücken nun die globalen Ungerechtigkeiten noch einmal stärker in den Fokus.22 Beide werden besonders Frauen hart treffen – vor allem die des globalen Südens, obwohl es die Länder des globalen Nordens sind, die vom fossilen Zeitalter am massivsten profitiert haben. Nicht umsonst ist für die Aktivist:innen hierzulande der Braunkohlenbergbau zum Zweck der Energiegewinnung zum Synonym für eine verfehlte Erdpolitik geworden. Die zeigt sich sowohl in Gestalt von steigenden Bedrohungen der Küsten als auch in den Gruben vor Ort. Dieser global-lokale Protest wird auch von Frauen wie der sorbischen Umweltaktivistin Edith Penk getragen, die sich seit Jahren in der Lausitz gegen Abbaggerungen von Kohle, Natur und Dörfern wehrt.23 Am Ende kann keine Ausgleichmaßnahme, keine Renaturierung diese Zerstörung wieder ‚gutmachen‘. Die Fridays for Future-Proteste, die in den letzten Jahren für eine immense Beschleunigung der Umwelt- und Klimadebatte gesorgt haben, zeigen ein auffällig weibliches Profil und sorgen für eine neue Dynamik der Debatten. Es sind vor allem junge Frauen, allen voran die Schwedin Greta Thunberg, die die Klimaschutzbewegung
19 Kirchhof, Astrid Mignon: Frauen in der Antiatomkraftbewegung. Am Beispiel der Mütter gegen Atomkraft, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 62, 2013, S. 48–57; Arndt, Melanie: Tschernobyl. Auswirkungen des Reaktorunfalls auf die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, Erfurt 2011. 20 Ahrberg, Edda: Erika Drees, geborene von Winterfeld. Ein politischer Lebensweg, 1935–2009, Halle 2011. 21 Borowy, Iris: Defining Sustainable Development for Our Common Future. A History of the World Commission on Environment and Development (Brundtland Commission), London 2012; Hofmeister, Sabine/Katz, Christine/Mölders, Tanja: Geschlechterverhältnis und Nachhaltigkeit. Die Kategorie Geschlecht in den Nachhaltigkeitswissenschaften, Opladen 2013. 22 Castañeda Camey, Itzá u. a. (Hrsg.): Gender-based Environment linkages: the violence of inequality, Gland 2020. 23 Toetzke, Paul: Protest in Tracht, in: taz. Die Tageszeitung v. 24.01.2017.
Landschaften der Macht: Frauen, Männer und die Deutungshoheit über Natur
und deren Appell repräsentieren, dass es einen radikal anderen Umgang mit Raum und Natur geben muss. Ihre Forderungen nach einer Transformation der MenschNatur-Beziehungen sind untrennbar mit dem Rütteln
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an vorherrschenden Deutungshoheiten und damit eng an Fragen von Geschlechterhierarchien und an globale Gerechtigkeitsfragen gekoppelt.
Helmuth Trischler
Planetare Gesundheit: Die COVID-19-Pandemie als Technikwende und als kommunikative Herausforderung für die Museen Einleitung Für die Kardinalfrage moderner Gesellschaften, inwieweit Krisen im Allgemeinen und technische Krisen im Besonderen gesellschaftlichen Wandel beschleunigen, bietet der Bergbau reichlich Anschauungsmaterial. Nicht von ungefähr ist diese Frage auch schon vor der COVID-19-Pandemie im Deutschen Bergbau-Museum Bochum intensiv diskutiert worden. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Grubenkatastrophe von Courrières im Jahr 1906 zu nennen, in deren Gefolge sich nicht nur in Frankreich, sondern auch auf transnationaler Ebene ein neuer Sicherheitsdiskurs entfaltete und vielerorts tiefgreifende Reformen im bergbaulichen Sicherheitsmanagement in Angriff genommen wurden.1 Die dynamisierende Wirkung von Krisen gilt für viele Bereiche gesellschaftlichen Handelns, und sie gilt in besonderem Maße für das Feld der Technik. Krisen zeigen sich dabei häufig in Gestalt des technischen Scheiterns. Technisch geprägte Unglücke und Katastrophen sind gleichsam in die Handlungsmodi (hoch)moderner Gesellschaften als „Risikogesellschaften“ (Ulrich Beck) eingeschrieben und vielfach ursächlich für sozio-technischen Wandel. Sie erweitern die Handlungsspielräume der Akteure und eröffnen die Suche nach neuen technischen Lösungen. Dies führt häufig nicht nur zu schrittweisen Neuerungen, sondern bisweilen auch zu Basisinnovationen, die neue Pfade der Technikentwicklung eröffnen – kurzum: eine Technikwende einläuten.
Krisen und Expert:innen-Wissen Hier drängt sich die brennende Frage auf, inwieweit sich die aktuelle Krise der COVID-19-Pandemie als eine Technikwende fassen lässt. Zur Beantwortung dieser Frage hilft es, die Rolle von wissenschaftlich-technischen Expert:innen im aktuellen Krisengeschehen in den Blick zu nehmen. Während kritische Zeitdiagnostiker:innen wie der US-amerikanische Politologe Tom Nichols den 1 Farrenkopf, Michael/Friedemann, Peter (Hrsg.): Die Grubenkatastrophe von Courrières 1906. Aspekte transnationaler Geschichte, Bochum 2008; darin bes. Trischler, Helmuth: Gesellschaftlicher Wandel als Folge technischen Scheiterns? Massenunglücke und Katastrophen im Technotop der Moderne, S. 55–68.
https://doi.org/10.1515/9783110780154-004
„Tod der Expertise“ befürchten und damit die Dystopie einer Entdemokratisierung als Folge einer fatalen Kombination von Populismus und Technokratie verbinden, verweisen andere auf den rasanten Bedeutungsgewinn von wissenschaftlich-technischem Wissen als evidenzbasiertes Handlungswissen für politische Entscheidungen.2 Und in der Tat bietet die Pandemie denjenigen, die über die Interaktionsdynamik von Wissenschaft und Technik, Politik und Öffentlichkeit nachdenken, geradezu ein Reallabor des Wandels. Die Gesellschaft nimmt unmittelbar am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess teil. Hypothesen werden im öffentlichen Raum aufgestellt, getestet, verifiziert oder verworfen. Was üblicherweise im Peer-Review-Verfahren der Forschung hinter den Kulissen stattfindet, vollzieht sich nun unter den Augen der (medial vermittelten) Öffentlichkeit. Im aktuellen Prozess einer permanenten Selbstvergewisserung von Wissenschaft und Politik auf die Angemessenheit der eigenen Handlungen im sich geradezu mit tagesaktueller Geschwindigkeit verändernden Pandemiegeschehen ist insbesondere auch die Geschichtswissenschaft gefragt, im Auge des Sturms den Blick zu weiten und Orientierungswissen aus einer zeitlichen Perspektive zu bieten, die über die aktuelle Pandemieerfahrung hinausreicht. Es verwundert nicht, dass dabei die Medizingeschichte in einer Weise Konjunktur hat, wie sie es sich selbst wohl kaum hätte erträumen können. Über viele Jahre hinweg gebeutelt von fachlicher Schrumpfung sieht sie sich unvermittelt einem wahren Ansturm der Medien ausgesetzt.3 Dabei stellt sich die Frage, was so neu ist an dem, was wir weltweit erleben? Welche Lehren können wir aus gesellschaftlichen Reaktionen auf Pandemien in früheren 2 Nichols, Tom: The Death of Expertise: The Campaign Against Established Knowledge and Why it Matters, New York 2017; Leßmöllmann, Annette: Wissenschaftsjournalismus und die CoronaPandemie, in: Deutschlandradio (Hrsg.): Das Magazin, Nr. 3, 2021, S. 14. 3 Siehe u. a. Leven, Karl-Heinz: Die Welt mit und nach Corona: medizinhistorische Perspektiven, in: Schulze, Günther G. (Hrsg.): Jenseits von Corona. Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft, Bielefeld 2020, S. 91–98, und die bereits in der Anfangsphase der Pandemie publizierte Special Issues: Forum COVID-19: Geistes- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, in: NTM 28/2, 2020, S. 193–233, sowie Green, Monica H.: Emerging diseases, re-emerging histories, in: Centaurus 62, 2, 2020, S. 234–247: Spotlight Issue: Histories of epidemics in the time of COVID–19.
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Helmuth Trischler
Zeiten im Allgemeinen und auf die Spanische Grippe im Besonderen ziehen, als 1918/19 innerhalb von nur wenigen Monaten neueren Schätzungen zufolge rund 50 Millionen Menschen den Tod fanden?4 Wie können wir durch die Mobilisierung historischer Erfahrungen die Resilienz gegenüber künftigen Pandemien steigern? Solche und ähnlich zugespitzte Fragen werden in medialen Fast-Food-Formaten wie Talkshows gestellt, in denen nicht differenzierte Begründungen, sondern ebenso kurze wie eindeutige Antworten angesagt sind. Historisches Orientierungswissen wird im buchstäblichen Sinne überlebensnotwenig, um gesellschaftliche Fragen von existenzieller Bedeutung zu beantworten. Historisches Expert:innen-Wissen ist in der Pandemie nicht nur in medizin- und wissenshistorischer Perspektive fachöffentlich wie auch allgemein-öffentlich gefragt, sondern vor allem auch mit Blick auf die Frage, ob und in welchem Maße die COVID-19-Pandemie eine Epochenwende darstellt, die unsere Welt in ein Vorher und ein Nachher trennt. Mit anderen Worten: Wie tief ist der Einschnitt, den wir aktuell erleben, und wie groß werden seine absehbaren Folgen sein, wenn man ihn mit vergangenen Krisenerfahrungen von der Qualität einer Pandemie vergleicht? Es verwundert nicht, dass zu dieser Frage bislang wenige auf fundierter vergleichender Forschung basierende Analysen und Einschätzungen vorliegen, stecken wir doch noch mitten drin in der Krise, deren Folgen uns in globaler Perspektive allem Anschein nach noch einige Zeit beschäftigen werden. Wenn sich Historiker:innen bislang dazu geäußert haben, dann weniger in ihrer Rolle als Fachwissenschaftler:innen denn als öffentliche Intellektuelle, die mehr oder minder gut begründete Spekulationen entwickeln. Caspar Hirschi etwa, der in seinem 2018 erschienenen Buch „Skandalexperten, Expertenskandale“ den Aufstieg von wissenschaftlichen Fachleuten seit dem 18. Jahrhundert nachgezeichnet hat, gilt dann als medial vielgefragter Experte für Expert:innen.5 Der Medizinhistoriker Malte Thießen hat bereits 2021 eine „Gesellschaftsgeschichte der Coronapandemie“ vorgelegt, in der er die Frage nach einer Zeitenwende verfolgt. Auch er ist ein vielgefragter Experte 4 Johnson, Niall P.A.S./Müller, Jürgen: Updating the Accounts: Global Mortality of the 1918–1920 „Spanish“ Influenza Pandemic, in: Bulletin of the History of Medicine 76, 2002, S. 105–115; Worobey, Michael/Cox, Jim/Gill, Douglas: The origins of the great pandemic, in: Evolution, Medicine, and Public Health 2019/1, S. 18–25. – Zum Stand der Forschung siehe vor allem Crosby, Alfred W.: America’s forgotten pandemic. The influenza of 1918, Cambridge/New York 2003; Barry, John M.: The great influenza. The epic story of the deadliest plague in history, New York 2004; Witte, Wilfried: Tollkirschen und Quarantäne. Die Geschichte der Spanischen Grippe, Berlin 2008; Killingray, David/Phillips, Howard (Hrsg.): The Spanish influenza pandemic of 1918–1919. New perspectives, London 2013; Spinney, Laura: 1918 – Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte, München 2018. 5 Hirschi, Caspar: Skandalexperten, Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems, Berlin 2018.
für die Geschichte von Seuchen in den Informationsmedien.6 Die Stunde der Historie als Expertin für Dynamiken des temporalen Wandels werde „erst wieder schlagen, wenn die Pandemie nicht länger ein moving target“ sei, relativiert Jürgen Osterhammel selbstkritisch seine bereits in der Anfangsphase der Pandemie geäußerten, „in die Zukunft gerichtete[n] Schlussfolgerungen aus der seuchengeschichtlichen Forschung“.7 Der sich aufdrängenden Frage, ob die aktuelle Gesundheitskrise zu einer neuen Weltordnung führen werde, stellt er den Befund entgegen, dass die normativen Grundlagen einer auf einem starken Internationalismus ausgerichteten Weltordnung bereits vor der Pandemie dramatisch erodiert waren. Als Gegengewicht zum Wiedererstarken der Nationalstaaten käme Initiativen aus der Zivilgesellschaft künftig eine wachsende Bedeutung zu. Und auch Martin Sabrow schränkt zunächst ein, die Pandemie sei „nicht die Stunde der Historiker“, um anschließend über ihren Ort als „neuen Fluchtpunkt eines zeithistorischen Denkens“ zu räsonieren, das den Platz des Endes des Kommunismus in Europa 1989/90 einnehmen könne.8 Er sieht die größte Zäsur in der Rückkehr der Ungewissheit und „im gesellschaftlichen Ausnahmezustand“. Das Empfinden, dass Zukunft etwas Unverfügbares sei, bedeute einen Bruch der Zeitordnung und stelle das Grundprinzip moderner Gesellschaften auf den Kopf.9 Demgegenüber relativiert, ähnlich wie Osterhammel, auch Jürgen Kocka die Rolle der Pandemie als globalhistorische Fundamentalzäsur; und ebenso wie dieser sieht er ihre Bedeutung in einer Langfristperspektive vor allem darin, als Motor der Beschleunigung von Prozessen „long on the way“ zu wirken. Zu diesen zählt er die technikgestützte Digitalisierung und den Umgang mit der die Zukunft bedrohenden Umwelt- und Klimakatastrophe.10 Diese beiden Prozesse wollen wir im Folgenden mit Blick auf ihren Zäsurcharakter näher betrachten.
6 Thießen, Malte: Auf Abstand. Eine Gesellschaftsgeschichte der Coronapandemie, Frankfurt a. M./New York 2021. 7 Osterhammel, Jürgen: (Post-)Corona im Weltmaßstab, in: Schulze, Jenseits von Corona, S. 255–262, hier S. 255; siehe auch Leven, Karl-Heinz: Die Welt mit und nach Corona: medizinhistorische Perspektiven, in: ebd., S. 91–98, und Leonhard, Jörn: Post-Corona: Über historische Zäsurbildung unter den Bedingungen der Unsicherheit, in: ebd., S. 197–204. 8 Sabrow, Martin: Geschichte im Ausnahmezustand, in: Deutschland Archiv, 01.05.2020, https://www.bpb.de/308316 (Eingesehen: 14.11.2021). 9 Corona als historisches Ereignis. „Politik verliert an Steuerungskraft“. Martin Sabrow im Gespräch mit Anja Reinhardt, Deutschlandfunk, 05.04.2021, https://www.deutschlandfunk.de/ corona-als-historisches-ereignis-politik-verliert-an.911.de.html? dram:article_id=495049 (Eingesehen: 14.11.2021). 10 Kocka, Jürgen: How Does the Corona Crisis Affect the Future of Work and Our View of It?, in: TRAFO – Blog for Transregional Research, 28.05.2020, https://trafo.hypotheses.org/24035 (Eingesehen: 14.11.2021).
Planetare Gesundheit: Die COVID-19-Pandemie als Technikwende und als kommunikative Herausforderung für die Museen
Krisen und Digitalisierung Wenn es ein Feld gibt, über das sich so gut wie alle aktuellen Diagnosen und Prognosen zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Technikentwicklung einig sind, dann ist es die Digitalisierung. Die COVID-19-Krise habe, so der konsensuale Befund, zu einem erheblichen, wenn auch nicht geplanten Digitalisierungsschub geführt, vor allem auch in Deutschland, das im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte sowohl beim Ausbau der digitalen Infrastruktur als auch beim Einsatz digitaler Technologien und Dienstleistungen hinter andere führende Wirtschaftsnationen zurückgefallen sei. Wie das besonders augenfällige Beispiel der Ausweitung des Homeoffice zeige, sei es gelungen, unter hohem Zeitund Handlungsdruck auf digitale Kommunikation und die Nutzung digitaler Prozesse umzustellen. In anderen Bereichen wie vor allem dem Schulsektor und dem Gesundheitswesen sei dies nur mühsam bis gar nicht erfolgt. Die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beratenden Expert:innen, darunter auch der Historiker Albrecht Rietschl, machen hinter signifikanten technischen Problemen wie bei der Umsetzung der Corona-Warn-App und der Einführung der elektronischen Patientenakte letztlich „Organisationsversagen“ verantwortlich.11 Verwaltungen, Unternehmen, Schulen, Universitäten und Gerichte seien ihren längst erkannten Aufgaben zur Digitalisierung ihrer internen Prozesse nicht nachgekommen. Neben Investitionen in die digitale Infrastruktur müsse der Staat mit einer Reform von Organisationen und Prozessen im öffentlichen Bereich vorangehen, um die digitale Transformation nicht nur zu beschleunigen, sondern auch über die Krise hinaus zu verstetigen. Digitalisierung im Sinne der Entwicklung und Anwendung digitaler Techniken sei „der Corona-Impfstoff für die Wirtschaft“, der in der Pandemiekrise stabilisierend gewirkt habe und mittel- bis langfristig Wirtschaft und Gesellschaft resilienter gegenüber künftigen Krisen ähnlicher Dimension machen würde.12 Ohne eine nachhaltige digitale Transformation aller Bereiche von Wissenschaft und Technik, Politik und Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft aber könne, so der die Bundesregierung beratende Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem jüngsten, kurz vor Ausbruch der Pandemie veröffentlichten Hauptgutachten, die angestrebte „Große Transformation zur Nachhaltigkeit“ nicht gelingen. Die „digitale Revolution“ eröffne als 11 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.): Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Stand 12.03.2021, Berlin 2021, S. 3, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachtendigitalisierung-in-deutschland.pdf?_blob=publicationFile&v=4 (Eingesehen: 14.11.2021). 12 Bertschek, Irene: Digitalisierung – der Corona-Impfstoff für die Wirtschaft, in: Wirtschaftsdienst 100, Nr. 9, 2020, S. 654–656.
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„zivilisatorische Revolution“ völlig neue Handlungsoptionen. Vor allem bei dem Methodenarsenal der Künstlichen Intelligenz handele es sich dabei „möglicherweise um die mächtigsten Werkzeuge, die jemals von unserer Zivilisation angefertigt wurden“.13 Auch hier begegnet uns das Spannungsfeld der Wahrnehmung einer kriseninduzierten Beschleunigung von Technisierungsprozessen „long on the way“ einerseits und eines neuartigen Prozesses, einer technischen Revolution, andererseits. Was viele zeitgenössische Beobachter als disruptive Technikwende sehen, zeigt sich in technikhistorischer Perspektive als ein säkularer Prozess, der durch die Krise nur präziser umrissen und katalytisch beschleunigt erscheint. Die im letzten Vierteljahrhundert wie kein zweites Feld der Technikgeschichte florierende Historiographie zur Dynamik des digitalen Zeitalters hat in einer Vielzahl von Studien herausgearbeitet, wie nicht-linear und kontingent der Prozess der Digitalisierung seit der Mitte des letzten Jahrhunderts verlaufen ist und wie sehr die Welt erst neu formatiert werden musste, um digital behandelt werden zu können.14 Und gewiss: Digitale Prozesse haben die Entwicklung von Impfstoffen massiv erleichtert, und die digitale Erhebung von Daten und Kennziffern hat einen maßgeblichen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie geleistet. Experimente mit digitalen Sprechstunden und elektronische Rezepte gewinnen an Verbreitung. Parallel dazu läuft eine ebenso intensiv wie kontrovers geführte Debatte über Chancen und Risiken, Herausforderungen und Grenzen von E-Health und digitalisierter Medizin. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die Digitalisierung unsere Gesellschaft im Allgemeinen und unsere Gesundheitsversorgung im Besonderen resilienter werden lässt, exklusiv für den Globalen Norden. Die Pandemie hat die Leistungsfähigkeit der Gesundheitssysteme im Globalen Süden massiv geschwächt. Da die Vorteile der technikgestützten Digitalisierung fast ausschließlich dem Globalen Norden zukommen, hat sich die globale Gerechtigkeitsschere im Verlauf der Pandemie weiter geöffnet. Wenig spricht dafür, dass dieser Prozess auf absehbare Zeit seine Entwicklungsrichtung verändern wird.15
13 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Unsere gemeinsame digitale Zukunft, Berlin 2019, S. 1, 2 u. 3. 14 Siehe dazu statt vieler Hinweise die instruktive Studie von Gugerli, David: „Wie die Welt in den Computer kam“. Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 2018. 15 Ähnlich lautet Jürgen Kockas Fazit zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Erwerbsarbeit: „increasing inequality“ und neue Formen von „informal labor“ im Globalen Süden; Kocka, How Does the Corona Crisis Affect.
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Helmuth Trischler
Krisen und das Konzept der Planetaren Gesundheit: Technikwende? Als Beleg für eine Pandemie-induzierte Technikwende, eine disruptive Wende gar, taugt die Digitalisierung mithin nicht, wohl aber als neuerliches Indiz für die vielfach beschleunigende und teils auch retardierende Wirkung von Krisen für Prozesse des technischen Wandels. Ähnliche Kausalitäten gelten auch für unser zweites, abschließendes Beispiel: die Große Transformation der Nachhaltigkeit. Auch hier war der WBGU der Impulsgeber, als er im Vorfeld der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung 2012 (Rio+20) nicht weniger als einen neuen „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ forderte.16 Vor dem Hintergrund der Klimakrise und der durch Fukushima intensivierten Debatte um die Notwendigkeit einer Energiewende ging es dem WBGU darum, eine weltweite Transformation zu einer klimaverträglichen Gesellschaft ohne die Nutzung von Kernenergie und fossilen Brennstoffen in Gang zu setzen bzw. zu beschleunigen. Anknüpfend an Karl Polanyis Konzept der „Großen Transformation“ aus dem Jahr 1944 formulierten die Expert:innen des WBGU die Herausforderung, einen fundamentalen gesellschaftlichen Umbruch auf den Weg zu bringen, wie ihn die menschliche Zivilisationsgeschichte mit der Neolithischen Revolution und der Industriellen Revolution bislang erst zweimal erlebt hatte.17 In Verbindung mit den zeitgleich mit hoher Dynamik geführten Wissenschaftsdebatten um den Menschen als erdsystemischen und biologischen Faktor im Anthropozän und die Planetarischen Grenzen gewannen Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsfragen erheblich an öffentlicher Resonanz, und sie wurden aus einer neuen, erdumspannenden Perspektive geführt. Die Erfahrung der globalen Pandemie hat die Wahrnehmung der planetarischen Dimensionen virulenter Umweltprobleme beschleunigt und mit einer weiteren Erfahrung verknüpft, die in der Wissenschaft seit einigen Jahren unter den Begriffen „One Health“ und „Planetary Health“ diskutiert wird. Die auffällige Häufung von Zoonosen um die Jahrtausendwende, bei denen Viruserkrankungen zwischen Tieren und Menschen zirkulieren, führte zum gesundheitspolitischen Projekt von One Health. Die American Veterinary Medical Association rief 2006 eine „One Health Initiative Task Force“ ins Leben, und die American Medical Association schloss sich im Jahr darauf mit einer Resolution an, in der sie die enge Verflechtung der Gesundheit von Menschen und Tieren hervorhob und zu einer engen Kooperation von Human- und Veterinärmedizin
16 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin 2011. 17 Polanyi, Karl: The Great Transformation: The Political and Economic Origins of our Time, Boston 1944.
einlud. Internationale Initiativen unter anderem von UNICEF, FAO, WHO und der World Bank folgten. Interdisziplinäre Forschungsprogramme wurden aufgelegt, darunter auch ein vom Wellcome-Trust finanziertes Projekt zur langen Vorgeschichte von One Health, und 2016 wurde der „International One Health Day“ ausgerufen, der jeweils auf den 3. November fällt.18 Nicht nur Tier und Mensch, sondern Umwelt und Mensch als Ganzes verbindet das Konzept der Planetaren Gesundheit. In einem 2015 von der Rockefeller Foundation und der Lancet Commission on Planetary Health publizierten Bericht wurde auf die unauflösliche Verknüpfung von Umweltgesundheit und menschlicher Gesundheit hingewiesen, und die Folgerung lautete: Die Wechselwirkungen zwischen menschlichem Handeln und planetarischer Umwelt erfordern ein Gesundheitskonzept, das veränderte globale Verhältnisse und deren Bedeutung für Prävention, Krankheit, Therapie und Epidemiologie durch inter- und transdisziplinäre Ansätze berücksichtigt.19 Die Pandemie hat der One-Health- und der Planetary-Health-These, also der Verflechtung von Tiergesundheit, Umweltgesundheit und menschlicher Gesundheit, Evidenz in einem nie zuvor gekannten Maße verliehen. Hunderte von Millionen Menschen haben die Folgen dieser Verknüpfung mit vielfach drastischen Konsequenzen am eigenen Leib erlebt und Millionen sind daran gestorben. Es verwundert daher nicht, dass die Debatten um eine „Große Transformation“ von Wissenschaft und Technik, Politik und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit erheblich an Intensität gewonnen haben. Über Reformen des marktbezogenen Systems von Produktion und Konsum im Kapitalozän wird ebenso bereits seit Jahrzehnten diskutiert,20 genauso wie über die Dringlichkeit des nachhaltigen Umbaus der Energie- und Verkehrssysteme, die Umsteuerung in Richtung zirkulärer Ökonomien und die Steigerung globaler Umweltgerechtigkeit, um nur einige Beispiele der bereits seit den 1970er-Jahren laufenden Debatten zu nennen. In deren Fokus steht immer auch die Frage, welche Technologieentwicklungen mit welchem Zweck verstärkt gefördert, welche verschütteten Technikpfade neu entdeckt und welche Innovationspfade verstärkt
18 Woods, Abigail u. a.: Animals and the Shaping of Modern Medicine. One Health and its Histories, Cham 2018; siehe dazu auch Diener, Lender: COVID-19 und seine Umwelt: Von einer Geschichte der Humanmedizin zu einer ökologischen Medizingeschichte?, in: NTM 29, 2021, S. 203–211. 19 Whitmee, Sarah u. a.: Safeguarding human health in the Anthropocene epoch: report of The Rockefeller Foundation–Lancet Commission on planetary health, in: The Lancet 386, 2015, S. 1973–2028. 20 Zum Begriff und Konzept des Kapitalozäns, die im Kontext der Debatten um das Anthropozän zu sehen sind, siehe bes. Moore, Jason W. (Hrsg.): Anthropocene or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism, Oakland 2016.
Planetare Gesundheit: Die COVID-19-Pandemie als Technikwende und als kommunikative Herausforderung für die Museen
werden sollen – jenseits der bloßen Einführung von „smarten“ Technologien für ein „gutes Anthropozän“.21 So gut wie nichts an diesen Debatten ist wirklich neu. Vielmehr begegnet uns abermals die beschleunigende Kraft der Krise. Zu konstatieren ist: Die COVID19-Pandemie hat dabei Auseinandersetzungen um Technikzukünfte mit dem Ziel, eine „Große Transformation“ für Nachhaltigkeit zu befördern, vermehrt in den öffentlichen Raum verschoben. Lange Zeit wurden diese Diskussionen vornehmlich in Expert:innen-Kreisen geführt. Einstweilen muss offenbleiben, ob diese Wirkungsdimension der Krise zu einer wirklichen Technikwende führen wird; und vielleicht zeigen sich unter der Oberfläche des vermeintlich Vertrauten doch Elemente des wirklich Neuen in der Technikentwicklung, die dem Blick der professionell deformierten Historiker:innen und deren Neigung, Narrative der Kontinuität zu erzählen, zu entgehen drohen. Anders dagegen die Umweltgeschichte, die sich die Aufgabe stellt, Geschichten von „slow hope“ zu erzählen – jene Hoffnung, die aus den bislang meist übersehenen Geschichten eines geglückten Umweltwandels erwächst und uns hilft, selbst in Zeiten der Konvergenz von ökologischer, sozialer, ökonomischer und pandemischer Krisen kreativ zu denken und mutig zu handeln.22 Für den langjährigen Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Wilhelm Krull, jedenfalls sind in seinem Ausblick auf die Post-Corona-Zeit „erste Hoffnungszeichen“ erkennbar, „substanzielle Veränderungen bislang fraglos akzeptierter Praktiken herbeizuführen“, um über die bloße Reparatur technischer, gesellschaftlicher und ökologischer Missstände hinauszugehen. Und er schließt: „Dann besteht durchaus die Chance, die durch das Virus erzwungenen Einschnitte und Verhaltensänderungen positiv zu wenden und nachhaltig tragfähige Reformen auf den Weg zu bringen, damit eine Welt entsteht, die sich unter anderem auszeichnet durch weniger Überfluss, mehr soziale Gerechtigkeit, größeres Wohlbefinden aller und nicht zuletzt durch sozial-ökologisch erneuertes, CO2neutrales Wirtschaften.“23
21 Zu den von Andreas Malm, Jason W. Moore und Dona Haraway angestoßenen Debatten um das „Capitalocene“ und der auf das Ecomodernist Manifesto von 2015 zurückgehenden Kontroverse um ein „Good Anthropocene“ siehe mit weiterführender Literatur Trischler, Helmuth: The Anthropocene – A Challenge for the History of Science, Technology, and the Environment, in: NTM 24, 2016, S. 309–335, und ders./Will, Fabienne: Die Provokation des Anthropozäns, in: Heßler, Martina/Weber, Heike (Hrsg.): Provokationen der Technikgeschichte. Zum Reflexionszwang historischer Forschung, Paderborn 2019, S. 69–106. 22 Mauch, Christof: Slow Hope: Rethinking Ecologies of Crisis and Fear, München 2019; siehe auch Alagona, Peter u. a.: Reflections: Environmental History in the Era of COVID-19, in: Environmental History 25, 4, 2020, S. 595–684. 23 Krull, Wilhelm: Zurück zum Glück? Wege und Irrwege aus der geschlossenen Gesellschaft, in: Schulze, Jenseits von Corona, S. 127–133, hier S. 133.
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Planetare Gesundheit in der öffentlichen Vermittlung Covid-19-Pandemie, Klimawandel, Artenmassensterben und Planetare Gesundheit gelten in der Wissenschaft als „wicked problems“, als vertrackte bzw. verzwickte Probleme, in denen sich natürliche, politische und soziale Dimensionen unauflöslich miteinander verbinden. Wie Horst Rittel und Melvin Webber, die Begründer des Konzepts, bereits in den frühen 1970erJahren argumentierten, lassen sich vertrackte Probleme nicht allein dadurch bewältigen, dass wir unsere Forschungsanstrengungen auf der Ebene einzelner Disziplinen verstärken. Aufgrund ihrer inhärenten sozialen Dimension sind vertrackte Probleme letztlich nicht zu lösen: „At best they are only re-solved – over and over again.“24 Und in der Tat sind die von Ritter und Webber benannten vertrackten Probleme wie Hunger oder soziale Ungerechtigkeit auch heute, fünf Jahrzehnte später, noch nicht gelöst. Vielmehr sind zahlreiche weitere aufgetreten, deren Komplexität und Dringlichkeit es mehr denn je erfordern, die Wissensbestände vieler Disziplinen zusammenzuführen und systemisch zu denken. Und doch reichen Multi- und Interdisziplinarität allein nicht aus, um vertrackte Probleme besser verstehen und im besten Fall gar bewältigen zu können. Welche Rolle die Öffentlichkeit spielt, in welchem Maße sie in den Prozess der Wissensproduktion einzubinden ist, wie partizipative Wissenschaft funktionieren kann und welche Formate sich hierfür bewährt haben bzw. neu entwickelt werden müssen, darüber wird in Wissenschaft und Öffentlichkeit ebenso intensiv wie kontrovers diskutiert. Nicht jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler wird etwa Jürgen Renn zustimmen, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte: Er plädiert aus einer historischevolutionären Perspektive für einen neuen Modus der Wissenschaft, der a priori interdisziplinär ist und die Öffentlichkeit partizipativ integriert. Gerade vor dem Hintergrund der großen Herausforderung des Anthropozäns sind, so Renn, eine globale Ko-Produktion von Wissen und radikal neue Formen der Organisation, Integration, lokalen Adaption und gesellschaftlichen Implementation von unabdingbarer Bedeutung. Ein künftiges „Web of Knowledge“ würde dazu beitragen, „to balance asymmetries in the ownership and control of knowledge and allow users to become ‘prosumers’“.25 Mittlerweile besteht jedoch ein hohes Maß an Konsens, dass Interdisziplinarität allein nicht ausreicht, sondern um Transdisziplinarität ergänzt werden muss. 24 Rittel, Horst W./Webber, Melvin M.: Dilemmas in a general theory of planning, in: Policy Sciences 4, 1973, S. 155–169, hier S. 160. 25 Renn, Jürgen: The Evolution of Knowledge: Rethinking Science in the Anthropocene, in: HoST – Journal of History of Science and Technology 12, 2018, S. 1–22, hier S. 15; siehe auch ders.: The Evolution of Knowledge: Rethinking Science for the Anthropocene, Princeton 2020.
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Helmuth Trischler
Umso drängender wird die Frage nach den Mittler:innen und Mediator:innen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, mit anderen Worten die Frage nach jenen intermediären Institutionen, die den Prozess der partizipativ orientierten Wissenschaftskommunikation und der öffentlichen Ko-Konstruktion von Wissenschaft auszugestalten in der Lage sind, gerade wenn es um vertrackte Probleme geht. Zu diesen Institutionen zählen sowohl im Selbstverständnis als auch in der Wahrnehmung von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit die acht in der Leibniz-Gemeinschaft zusammengeschlossenen Forschungsmuseen in Deutschland, darunter das Deutsche Bergbau-Museum Bochum, das mit der in diesem Band vorgestellten Ausstellung „Gras drüber ... Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ zentrale Fragen deutsch-deutscher Umweltgeschichte adressiert. Es vermittelt somit historisches Orientierungswissen zu Themen des globalen Klimawandels an eine breite Öffentlichkeit. Ein zweites und letztes Beispiel für die kommunikativen Chancen und Herausforderungen, die sich für die Museen eröffnen, führt uns zum oben genannten, im Entstehen begriffenen Feld der Planetaren Gesundheit zurück, das durch die Covid-19-Pandemie so sehr an Sichtbarkeit und Dringlichkeit gewonnen hat. In Reaktion auf die Ausschreibung des Förderprogramms „Wissenschaftskommunikation hoch drei“ der VolkswagenStiftung hat sich ein Forschungsverbund zusammengefunden, der den Aufbau und Betrieb eines „Munich Science Communication Lab on Planetary Health“ (MSCL) zum Ziel hat. Der wohlgewählten Vorgabe der Stiftung entsprechend führt er Vertreter:innen der jeweiligen Fachwissenschaft, der Wissenschaftskommunikationsforschung und der Praxis der Wissenschaftskommunikation zu einem integrierten Forschungsverbund zusammen. Das Vorhaben, das offiziell zum 1. Dezember 2021 starten und für zunächst fünf Jahre von der VolkswagenStiftung gefördert werden wird, stellt sich der Frage, wie neue Formen der Wissenschaftskommunikation aussehen können, die gesellschaftliches Vertrauen in die Forschung schaffen. Diese Herausforderung stellt sich gerade dann, wenn wissenschaftliches Wissen noch nicht ausreichend gesichert ist und es keine einfachen Lösungen gibt – noch dazu, wenn Emotionen und Meinungen die öffentlichen Diskurse stärker prägen als wissenschaftliche Fakten. Nicht zufällig sind an diesem innovativen Vorhaben auch zwei Museen zentral beteiligt. Das Deutsche Museum und BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern übernehmen gemeinsam mit der Mediaschool Bayern den Praxispart der Wissenschaftskommunikation. Sie sehen sich dabei mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert. Erstens: Wie kann Wissenschaftsvermittlung auch skeptische Menschen erreichen? Museen besitzen, das zeigen Umfragen und Besucherevaluationen seit vielen Jahrzehnten in unverändertem Maße, ein hohes gesellschaftliches Vertrauenskapital. Sie
gelten als besonders glaubwürdige Institutionen kultureller Bildung. Ihre Besuchszahlen sind hoch und steigen weiter an. Und doch erreichen sie einen Gutteil der Gesellschaft nicht, insbesondere Personen aus bildungsfernen Schichten und diejenigen, die Wissenschaft und Technik kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die zweite Herausforderung schließt daran an und lässt sich in die Frage kleiden: Wie können museale Vermittlungsformate aussehen, die a priori partizipativ ausgerichtet sind? Wissenschafts- und Technikmuseen verfügen über eine lange Erfahrung besucher:innenorientierter Bildung. Demonstrationen und Mitmachexperimente gehen bis auf die Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts zurück und verbinden sich heute mit Besucher:innenlaboren und „Open Science“, in denen Besucher:innen Wissenschaftler:innen gleichsam live und diskursiv begegnen können. Doch erreichen auch diese Angebote, und seien sie auch noch so aufwändig und betreuungsintensiv organisiert, letztlich nur den Teil der Gesellschaft, der zu einem Museumsbesuch grundsätzlich bereit ist. Partizipation reicht gleichsam über die Mauern des Museums hinaus und erstreckt sich auch auf jene Mitglieder der Gesellschaft, die aus welchen Gründen auch immer keine Museen besuchen. Die während der Pandemie von vielen Museen kraftvoll ausgebauten digitalen Angebote sind eine Antwort auf die Herausforderung partizipativer Wissensvermittlung.26 Interessierte können sie von jedem Ort der Erde aus wahrnehmen und individuell nutzen bzw. verarbeiten. Eine zweite Antwort heißt Kooperationen. Die Zusammenarbeit mit Institutionen und Organisationen, Medien und Netzwerken in experimentellen Formaten wie Hackathons oder Game Jams öffnen die Museen gegenüber der Gesellschaft und sind besonders geeignet, Wissensvermittlung konsequent partizipativ auszurichten.
Ausblick Wir dürfen gespannt darauf sein, wie die Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutschdeutschen Vergleich“ mit kommunikativen Herausforderungen dieser Art umgehen wird. Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum hat in anderen Kontexten der Vermittlung von Wissenschaft und Technik jedenfalls bereits vielfach bewiesen, dass es den musealen Imperativ der konsequenten gesellschaftlichen Par-
26 Siehe dazu aus der Fülle der Literatur Geipel, Andrea/Sauter, Johannes/Hohmann, Georg (Hrsg.): Das digitale Objekt – Zwischen Depot und Internet, München 2020.
Planetare Gesundheit: Die COVID-19-Pandemie als Technikwende und als kommunikative Herausforderung für die Museen
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tizipation sehr ernst nimmt.27 Die Fragen, die in der Ausstellung verhandelt werden, sind dabei jenseits der Fokussierung auf die doppelte Vergangenheit deutscher Bergbauentwicklung und Umweltbewegung von hoher Aktualität und Relevanz für die Problemlagen Planetarer Gesundheit. Wie lässt sich die Rekultivierungspraxis von Bergehalden zwischen Heilung von Umweltkrankheiten und Management ökologischer Nischen verorten? Wie kann eine Kartierung von bergbaulichen Restlöchern und Kippen, Bergsenken und Bergschäden, Wasser- und Luftbeeinträchtigungen zu einem vertieften öffentlichen Verständnis der Probleme von Bergbaufolgelandschaften beitragen? Welche anthropozänen Zeitdimensionen werden sichtbar, wenn die
so genannten Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus im Ruhrgebiet – die Hebung und Reinigung von nicht weniger als 70 Mio. m3 Wasser vor der Ableitung in Vorfluter – oder das radioaktiv strahlende Erbe des Uranerz-Bergbaus der SDAG Wismut, das von der DDR-Vergangenheit in die unvorstellbar fernen Zukünfte atomarer Halbwertzeiten reicht, in den Blick genommen werden?28 Und wie lassen sie sich mit den menschlichen Zeithorizonten politisch-gesellschaftlicher Planung und Problembewältigung in Einklang bringen? Die Grundkonstellation des Konzepts von Planetarer Gesundheit springt bei diesen und weiteren Fragen jedenfalls überdeutlich ins Auge: Umweltgesundheit und menschliche Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden.
27 Zu nennen sind hier insbesondere die Projekte und Programme im Rahmen des Aktionsplans Forschungsmuseen „Eine Welt in Bewegung“, der von den acht Forschungsmuseen der LeibnizGemeinschaft gemeinsam und kooperativ durchgeführt wird; https://www.leibniz-forschungsmuseen.de/aktionsplan/einewelt-in-bewegung-aktionsplan-ii (Eingesehen: 17.11.2021).
28 Deutlich wird diese Problematik etwa im deutschen Standortauswahlgesetz (StandAG) für ein Endlager für radioaktiven Abfall, das vorschreibt, für eine Million Jahre Sicherheit für Atommüll zu schaffen. Dieser verzweifelte, an Hybris grenzende Versuch einer planerischen Einhegung des Risikos nuklearer Endlagerung lässt erahnen, dass es sich bei hochradioaktivem Abfall um eine Substanz handelt, die nicht wir beherrschen, „sondern die uns Menschen – solange es uns in den kommenden eine Million Jahren noch gibt – beherrschen wird“, kommentiert der Jurist Jens Kersten; Kersten, Jens: Eine Million Jahre? Über die juristische Metaphysik der atomaren Endlagerung, in: ders. (Hrsg.): Inwastement. Abfall in Umwelt und Gesellschaft, Bielefeld 2016, S. 269–287, hier S. 285.
Nina Möllers
Hippe Eintagsfliege oder nachhaltiger Paradigmenwechsel? – Wie das Anthropozän Museen und Ausstellungen verändert Einleitung „Cur(at)ing the planet“ – so lautete im Jahr 2013 der Titel meines Artikels in der Perspectives-Reihe des Rachel Carson Centers for Environment and Society zum Potenzial des Anthropozän-Konzepts für Ausstellungen.1 Der Text entstand im Vorfeld der Planungen zur großen Ausstellung „Willkommen im Anthropozän – Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde“, die von Dezember 2014 bis August 2016 im Deutschen Museum, München, zu sehen war, und die das Konzept des Anthropozäns zum ersten Mal weltweit in einer großen Ausstellung thematisierte.2 Seitdem ist viel passiert. Unzählige Artikel und Bücher tragen heute das Anthropozän im Titel, Ausstellungshäuser und Museen rund um den Globus und über Sparten und Disziplinen hinweg beschäftigen sich mit dem Begriff und Konzept,3 das durchaus auch kritischer Reflexion unterworfen wird. Doch auch wenn das Anth1 Möllers, Nina: Cur(at)ing the Planet: How to Exhibit the Anthropocene and Why, in: Trischler, Helmuth (Hrsg.): Envisioning the Future of the Age of Humans, Rachel Carson Center Perspectives 3, 2013, S. 57–66. 2 Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde, Deutsches Museum, Dezember 2014-August 2016. Teile des vorliegenden Artikels beruhen auf meinem Beitrag „Raum-Zeit-Mensch-Maschine. Die anthropozäne Erde in der musealen Welt“, in: Möllers, Nina/Schwägerl, Christian/Trischler, Helmuth (Hrsg.): Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde, München 2015, S. 108–112. 3 Siehe beispielsweise „Mild Apocalypse. Feral Landscapes in Denmark“ im Moesgaard Museum bei Aarhus, Dänemark (2016); „We Are Nature: Living in the Anthropocene“ im Carnegie Museum of Natural History, Pittsburgh (2017–2018); „Anthropocene“ in National Gallery of Anada, Ottawa (2018–2019); „We Are Nature: The Anthropocene Challenge“ im Natural Science Museum of Barcelona (2019); das übergeordnete Projekt des Museums „Anthropocene Studies“, „Anthropocene“, Natural History Museum London, https://www.nhm.ac.uk/discover/anthropocene.html (Eingesehen: 15.11.2021); „Anthropocene Australia“, National Museum Australia, https://www.nma.gov.au/explore/research/ anthropocene-australia (Eingesehen: 15.11.2021); zur Ausstellung im Deutschen Museum siehe Möllers/Schwägerl/Trischler, Willkommen im Anthropozän, sowie als Besprechung Bergsveinn, Torsson: Walking through the Anthropocene. Encountering materialisations of the geological epoch in an exhibition space, in: Nordic Museology 1, 2020, S. 103–119; für eine Besprechung von zwei Anthropozän-Ausstellungen in naturkundlichen Museen siehe Oliveira, Gil/Dorfman, Eric/Kramar, Nicolas u. a.: The Anthropocene in Natural History Museums: A Productive Lens of Engagement, in: Curator. The Museum Journal 63, 2020, Nr. 3, S. 333–351.
https://doi.org/10.1515/9783110780154-005
ropozän inzwischen seinen Weg in breitere Diskussionen gefunden hat, Anlass zu wissenschaftlichen Debatten bietet es noch immer zu Genüge. Allem voran die Frage nach der Geologie des Anthropozäns: Seit 2009 arbeitet die so genannte Anthropocene Working Group (AWG), die derzeitig aus 37 Expert:innen der Geologie, aber auch anderen Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften besteht, daran, menschengemachte geologische Veränderungen zu identifizieren und zu beschreiben. Ihr Ziel ist es, das Anthropozän als neue, auf das derzeitige Holozän folgende geologische Zeitspanne offiziell durch die geologische Weltgemeinschaft bestätigen zu lassen und mit den notwendigen geologischen Markern (den „golden spikes“) zu versehen.4 Als starke empirische Belege für ein menschengemachtes geologisches Zeitalter sehen viele Wissenschaftler:innen unter anderem die Masse an menschengemachten Materialien wie Kunststoffe, das in Gestein nachweislich plötzliche Verschwinden bestimmter Fossilien aufgrund von Artensterben oder die Anhäufung von Radionukliden aus den Atombomben-Tests der Nachkriegszeit.5 Ungeachtet der relativ langwierigen und formalisierten Diskussion um die geologische Realität des Anthropozäns hat sich parallel ein konzeptioneller Anthropozän-Begriff etabliert, der sich der fundamentalen Frage widmet, ob die Menschen zu einer Kraft biologischen und geologischen Ausmaßes geworden sind und was dies bedeutet. Die bisweilen auch aufgeregt geführte Diskussion über diesen vermeintlich so neuen und komplexen Begriff verdeckt häufig, dass es durchaus Vorläufer zum heutigen AnthropozänGedanken gibt. Schon in den 1880er-Jahren sprach der italienische Geologe Antonio Stoppani von der „anthropozooischen Zeit“ und beschrieb die Menschheit als eine Kraft, „die in Gewalt und Umfänglichkeit mit den größeren Kräften der Erde verglichen werden kann“.6 4 Working Group Anthropocene, http://quaternary.stratigraphy. org/working-groups/anthropocene/ (Eingesehen: 07.11.2021). 5 Waters, Colin N. u. a.: The Anthropocene is Functionally and Stratigraphically Distinct from the Holocene, in: Science 351/6269, 2016, DOI: 10.1126/science.aad2622 (Eingesehen: 23.11.2021); Waters, Colin N. u. a.: Global Boundary Stratotype Section and Point (GSSP) for the Anthropocene Series: Where and How to Look for Potential Candidates, in: Earth Science Reviews 178, 2018, S. 379–429. 6 Stoppani, Antonio: Corso di Geologia, Milano 1871, zitiert nach Schwägerl, Christian: Ein Konzept mit Geschichte, in: Möllers/ Schwägerl/Trischler, Willkommen im Anthropozän, S. 128.
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Und Stoppani war nicht der Einzige: Schon einige Jahre zuvor hatte George Perkins Marsh in „Man and Nature“ aufgelistet, in welchen Bereichen die Menschen ihre Umwelt stark beeinflussten und veränderten. Verschiedene Geologen und Philosophen nahmen diesen Gedanken fortan auf und beschrieben die Menschheit immer häufiger als „geologischen Faktor“ oder „geologischen Akteur“.7 Im 20. Jahrhundert war es vor allem der Mineraloge und Geochemiker Vladimir Vernadsky, der die enge Verbindung menschlichen Lebens zur Biound Geosphäre betonte und dabei insbesondere unsere kognitiven Fähigkeiten hervorhob. Die enge Kausalität zwischen dem, was Menschen taten und was sie zu denken imstande waren, veranlasste ihn dazu, von der „Noosphäre“ des menschlichen Geistes zu sprechen, die er der Bio- und Geosphäre an die Seite stellte.8
Hype um das Anthropozän Wenn die Idee, dass die Menschen die Erde maßgeblich verändern also nichts Neues ist, warum dieser Hype um das Anthropozän? Nun, zum einen ist es vermutlich das Timing: Wie so oft gibt es bessere und schlechtere Momente, um mit einer Idee zu reüssieren. Angesichts eines nicht abreißenden Stroms an schlechten Nachrichten zum Zustand von Natur und Umwelt scheint es nicht verwunderlich, dass die Frage der Verantwortung – sowohl für die Schäden, die der Erde zugefügt werden, als auch für die notwendige Heilung – immer größere Brisanz erhält. Das Anthropozän statuiert in zuvor nicht dagewesener Deutlichkeit, dass der Mensch eben nicht das kulturelle Gegenstück einer übermächtigen Natur ist, der er einfach nur hilflos ausgeliefert ist. Vielmehr beinhaltet die Idee des Anthropozäns, dass der Mensch untrennbarer Teil dieser Natur ist und dass er als solcher ein äußerst wirkmächtiger bio- und geologischer Akteur ist. Imstande, die Erdgeschichte unwiderruflich zu verändern, steigt er auf in die Riege derjenigen geologischen Kräfte, die bislang den Fortgang der Erde bestimmten, wie etwa der Vulkanismus oder die Plattentektonik. Was zunächst sonderbar anmutet, erscheint offensichtlich, wenn man sich den Bergbau anschaut. Seit Jahrhunderten wird hier weltweit gebohrt, abgetragen und aufgetürmt. Während die Erde an manchen Stellen einem löchrigen Schweizer Käse ähnelt, sammeln sich woanders Berge von umwelt7 Marsh, George P.: Man and Nature, New York 1864; Fischer, Ernst: Der Mensch als geologischer Faktor, in: Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft 67, 1915, S. 106–149; Sherwood, R. L.: Man as a Geological Agent: An Account of His Action on Inanimate Nature, London 1922; Fels, Edwin: Der Mensch als Gestalter der Erde, Leipzig 1935; für eine gute zusammenfassende Darstellung der Vorläufer der aktuellen Anthropozän-Idee siehe Schwägerl, Ein Konzept mit Geschichte, S. 128–129. 8 Vernadsky, Vladimir: Geochemistry and the Biosphere, Santa Fe 2007; Vernadsky, Vladimir: La Biosphere, Paris 1929.
schädlichen Nebenprodukten, und ganze Landstriche werden zu einer unbewohnbaren Mondlandschaft. Obwohl nur ein Beispiel unter vielen offenbart der Bergbau einen wichtigen Unterschied zwischen uns Menschen und früheren geologischen Akteuren: Anders als die Cyanobakterien etwa, die durch ihre Fähigkeit, Sauerstoff zu erzeugen, die Basis für wichtige evolutionäre Schritte des Lebens schufen, verfügen wir über ein Bewusstsein über unser Handeln. Dies ist es wohl auch, was das Anthropozän nicht nur als eine Litanei schrecklicher Umweltsünden erscheinen lassen sollte oder eine Anklage an die Menschheit, sondern als einen Auftrag, das Steuer umzureißen und unsere Wirkungsmacht sinnvoll einzusetzen. Wenn wir akzeptieren, dass wir Menschen am Steuerknüppel des Raumschiffs Erde sitzen, dann hat dies Auswirkungen auf nahezu alles, was wir tun – oder auch nicht tun. Nehmen wir den Blickwinkel des Anthropozäns ein, betrachten wir die Welt aus einer bestimmten Perspektive und nicht selten mit einer bestimmten Attitüde und das verändert alles – auch die Museen, die Sammlungen, das Kuratieren und das Besuchserlebnis einer Ausstellung.
Anthropozäner Blick auf Sammlungsobjekte Werfen wir zunächst einen Blick auf die Museumsobjekte. Was sind anthropozäne Objekte oder was ist die anthropozäne Perspektive auf Sammlungsobjekte? Diese Frage hat uns Kurator:innen der Ausstellung im Deutschen Museum umgetrieben. Lange haben wir nach „den“ Objekten des Anthropozäns gesucht und sind an der Suche nicht selten verzweifelt, bis uns klar wurde: jedes Objekt ist ein anthropozänes Objekt. Es ist nicht allein seine Beschaffenheit, seine Herkunft oder der Kontext, in dem es zum Einsatz kam, sondern vielmehr unser Blick auf das Objekt. Natürlich gibt es Dinge, die direkter und deutlicher auf Themen des Anthropozäns hindeuten wie z. B. der Bohrkopf der Kontinentalen Tiefbohrung in Windischeschenbach, der auf sehr plakative Weise die Macht der Menschen in der Erdformung materialisiert. Aber es ist eben auch das kleine Plastikspielzeug oder das Flugticket in den Urlaub oder die blaugefärbte Jeans aus Bangladesch oder die Packung Hühnerfilet, dessen Restteile des Tiers für uns nicht sichtbar nach Afrika importiert worden sind, weil sie in Deutschland kaum jemand essen mag. Oder eben auch die andere Seite der Medaille wie ein Papier zum CO2-Emissionshandel oder die Quittung des Car-Sharing oder das mit Liebe gepimpte Lastenfahrrad. Wie alle Museumsobjekte werden auch die des Anthropozäns durch ihre Musealisierung oder Darbietung in einer Ausstellung ihrem Ursprungskontext entzogen. Doch es ist gerade diese „Spannung zwischen Aktualisierung und Latenz, Zeigen und Verbergen, Prä-
Hippe Eintagsfliege oder nachhaltiger Paradigmenwechsel? – Wie das Anthropozän Museen und Ausstellungen verändert
sentieren und Verstauen“,9 die dem Museum und dem Medium der Ausstellung in der Entschlüsselung des Anthropozäns eine besonders wichtige Rolle zukommen lässt. Als produzierte, konsumierte, benutzte, entsorgte und gesammelte materielle Dinge verkörpern Objekte eine Brücke zwischen der geologischen Sedimentierung des Anthropozäns und seiner Relevanz als Denk- und Handlungsrahmen für die menschliche Wirkmächtigkeit in die Bio-, Geo- und Soziosphären hinein. Der Akt der Zusammenschau von diesen, ihren ursprünglichen Produktions-, Konsum- und Aneignungskontexten entnommenen Objekten und die interpretierende Rekontextualisierung hilft uns, den vielfältigen, sich oftmals überlappenden Zeitdimensionen, die das Anthropozän kennzeichnen, habhaft zu werden. Als Kristallisationsund Kreuzungspunkte von Beziehungen, Anwendungen, Erfahrungen, Erwartungen und Meinungen sind dreidimensionale Objekte zugleich in der Vergangenheit und der Gegenwart verankert, sind nah und fern, sind sowohl in einem globalen Netzwerk der Dinge verortet als auch mit lokalen und persönlichen Bedeutungen beladen und ermöglichen so, das Anthropozän vorstellbar und greifbar zu machen. So z. B. der Wardsche Kasten, den wir in unserer Ausstellung auf der Themeninsel zur Mobilität ausgestellt hatten. Hier wurde auf unterschiedliche Weise die Fragestellung problematisiert, wie wir Menschen als Konsumierende, als Reisende, oder auch als Flüchtende die Welt um uns herum in Bewegung bringen. Wenn wir und unsere Güter reisen, dann reisen andere Lebewesen mit – bewusst oder unbewusst. Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde menschengemachter Mobilität noch häufig durch die Natur Grenzen gesetzt. Starke Sonneneinstrahlung, extremes Wetter, Salzwasser und Temperaturschwankungen machten es nahezu unmöglich, Pflanzen über Ozeane hinweg zu verschiffen. Dies änderte sich schlagartig, als 1829 der englische Arzt und Naturalist Nathanial Bagshaw Ward (1791–1868) eher zufällig den Wardschen Kasten entwickelte.10 Er pflanzte die Gewächse in mit Glasdeckeln versehene Holzboxen, die an Deck gelagert wurden. Durch das tägliche Sonnenlicht kondensierte Wasser, das einen ausgeglichenen Wasserhaushalt und zuverlässiges Klima für die Pflanzen sicherte und somit einen wochenlangen Transport ermöglichte. Auf diese Weise wurden im
9 Vedder, Ulrike: Museum / Ausstellung, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 7, Stuttgart 2005, S. 183. 10 Zum Wardschen Kasten siehe das lesenswerte Buch von Keogh, Luke: The Wardian Case. How a Simple Box Movel Plants and Changed the World, Chicago 2020, das durch seine Arbeit als Kurator an der Anthropozän-Ausstellung am Deutschen Museum inspiriert wurde; van der Weijden, Wouter/Lewis, R. J./Bol, Pieter: Biological Globalisation: Bio-Invasions and Their Impacts on Nature, the Economy and Public Health, Amsterdam 2007, S. 31–32.
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19. Jahrhundert ökonomisch und ökologisch wichtige Pflanzen wie Bananen, Kautschuk oder Tee aus ihren heimischen Habitaten über europäische Botanische Gärten in andere Teile der Welt, insbesondere in Kolonien in Asien und Afrika, transferiert. Zwischen 1891 und 1907 transportierte allein der Botanische Garten in Berlin ungefähr 16 000 Pflanzen nach Kamerun, Tansania, Togo und Papua-Neuguinea. Heutige Monokulturen und Anbau-Monopole in verschiedenen Gebieten der Welt wären nicht möglich gewesen ohne den Wardschen Kasten. Natürlich offenbaren sich diese Geschichten den Betrachtenden nicht automatisch. Egal wie gekonnt in Szene gesetzt, Museumsobjekte „sprechen“ nicht einfach zu uns. Es ist erst die Kontextualisierung und Aneignung durch einen kuratierenden Blick, der die enge, nicht willkürliche Verknüpfung zwischen Materialität des Objekts und seiner Bedeutung offenbart und dem Objekt somit einen Sinn für das Anthropozän entlockt.11 Der verhältnismäßig unspektakulär wirkende grüne Kasten mit all seinen Kratzern und Splittern materialisierte in unserer Ausstellung über hundert Jahre globaler Geschichte, in der sich Wissen und Wissenschaft, Ökonomie, Kolonialismus und Umwelt miteinander verbinden. Als ein aktiver Teil eines Akteursnetzwerks, bestehend aus Menschen, Pflanzen, politischen Einheiten, technologischen Objekten und Materialien, überwindet der Wardsche Kasten zeitliche Grenzen und verweist auf eine potenziell tiefe Zukunft geologischer Einwirkungen des Menschen auf die Erde. Das Anthropozän verändert jedoch nicht nur die Interpretation einzelner Objekte, es schreibt ihnen auch eine neue Funktion zu. Aus den Archiven materieller Dinge werden im Anthropozän Akteure in Raum und Zeit. Museen und Sammlungen lagern und konservieren Gegenstände, die als Bausteine des Anthropozäns gelten können, aber sie setzen sie mittels unterschiedlicher An- und Zuordnung auch immer wieder neu zusammen. Das neue Verständnis von Zeit, das sowohl in die geologische Vergangenheit blickt als auch eine hoffentlich lange Zukunft avisiert, fordert vor allem jene wissenschaftlichen Disziplinen heraus, die sich traditionell der musealen Darstellungsweise bedienen. Naturkundliche, archäologische und historische Museen können sich im Anthropozän nicht länger auf eine Betrachtung des Vergangenen beschränken, sondern sind mit der Frage konfrontiert, in welchem Zusammenhang ihre Sujets mit der gegenwärtigen und zukünftigen Gestaltung der Erde stehen.
11 Daston, Lorraine: Introduction, in: Daston, Lorraine (Hrsg.): Things That Talk. Object Lessons from Art and Science, New York 2004, S. 20.
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Die Rolle von Ausstellungen im und für das Anthropozän Neben der temporalen Fluidität verschwimmen im Anthropozän auch die Grenzen zwischen den Disziplinen. Wir sind gefordert, unsere eigene Komfortzone zu verlassen und in unbekannten und teilweise unbequemen Verbindungen zu denken. Eine gemeinsame Sprache zu finden über Kulturen und Disziplinen hinweg, ist jedoch seit jeher eine große Herausforderung. Ausstellungen können uns hier helfen, notwendige Fähigkeiten zu entwickeln, indem sie den dreidimensionalen Raum nutzen, um geistige Hürden abzubauen oder zu umschiffen. Sie offerieren uns Möglichkeiten für Abkürzungen und Umwege, ohne aber in Sackgassen zu enden. Mehr als in jedem anderen Raum ist es im Museum möglich, zwischen Erdzeitaltern und geografischen Räumen hin- und herzugleiten und Materialität und Bedeutung des Anthropozäns zusammen zu sehen. Indem der (Ausstellungs-)Raum als „leibliche Anwesenheit“ (Gernot Böhme)12 erfahrbar und zum dramaturgischen Element wird, das die körperliche Bewegung der Besucher:innen verlangt, ermöglicht er eine neue, umfassende Wahrnehmung der systemischen Abhängigkeiten im Anthropozän. Das Anthropozän fordert uns aber nicht nur, naturwissenschaftliche, soziale, kulturelle und ökonomische Perspektiven zusammenzudenken, sondern verbindet auch stärker als je zuvor das Lokale mit dem Globalen und umgekehrt. Jede museale Annäherung an das Anthropozän bedeutet Zentralisierung, Zusammenschau, Aus- und Weglassen. Das Anthropozän selbst nimmt zwar den größtmöglichen Blickwinkel ein, indem es die gesamte Erde zum Sujet macht, aber in der Raum-ZeitMensch-Maschine Museum wird dieser ganzheitliche Blick notgedrungen fokussiert und reduziert. So startet jede museale Auseinandersetzung mit der anthropozänen Welt – der Erde – mit der größtmöglichen Perspektive und endet doch stets nur mit einer Auswahl von Einzelperspektiven. Das mag zunächst enttäuschend klingen. Und doch offenbart es das größte Potenzial, das Museen und Ausstellungen im Anthropozän zu bieten haben. Denn innerhalb dieser epischen Breite und der globalisierenden und globalisierten Vernetztheit bietet die museale Ausstellung einen räumlichen und zeitlichen Ankerpunkt, von dem aus das Anthropozän in seiner Unüberschaubarkeit erforscht, interpretiert, kritisiert und diskutiert werden kann. So war der Bergbau im Ruhrgebiet zwar schon immer als lokale Ausprägung eines globalen Phänomens zu sehen, vernetzt in internationale Abhängigkeiten, doch das Anthropozän schafft offenbar nochmal neue Relevanzen von lokaler, regionaler, nationaler und globaler Tragweite.
12 Zit. Paul, Stefan: Kommunizierende Räume. Das Museum, in: Geppert, Alexander C. T. (Hrsg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation, Bielefeld 2005, S. 356–357.
Neben die systemischen Abhängigkeiten der anthropozänen Phänomene tritt ein Wechselspiel der Mikro- und Makroebene: das globale Kollektiv und das lokale Individuum sind gleichermaßen bedeutsam für die Gestaltung des neuen Erdzeitalters. Diese mannigfaltigen Wechsel zwischen Temporalität, Lokalitäten und sozialen Ebenen können im dreidimensionalen Raum einer Ausstellung geleistet werden, weil er einige der wichtigen Charakteristika erfüllt, die im „Slow Media Manifest“13 als Reaktion auf die technologischen Veränderungen des frühen 21. Jahrhunderts, insbesondere im Bereich der Social Media, genannt werden. Laut Manifest fördern „langsame Medien“ – oder vielleicht eher bedächtige Medien? – das Monotasking. Auch wenn viele (Museums-)Ausstellungen heute mit crossmedialen Elementen arbeiten und das Analoge mit dem Digitalen verbinden, so bleiben Ausstellungen ein Medium, das eben nicht nebenbei und schnell konsumiert werden kann. „Konsumierende“ von Ausstellungen sind vielmehr stets „Prosument:innen“, das heißt sie gestalten die Erfahrung der Ausstellungswahrnehmung aktiv mit. Sie suchen ihren eigenen Weg durch die Inhalte, wählen aus und selektieren, fokussieren und lassen weg. Natürlich werden auch sie durch kuratorische Eingriffe geleitet, doch im Kern bleiben sie „rebellische Individualist:innen“ auf der Suche nach Sinn. Zudem sind Ausstellungen ein diskursives, dialogisches soziales Medium. Neben explizit interaktiven Elementen ergeben sich im Ausstellungsraum dialogische Prozesse auf unterschiedlichsten Ebenen: zwischen Sektionen und Themen der Ausstellung, zwischen Menschen – ob innerhalb einer Besuchendengruppe, zwischen bislang unbekannten Personen oder zwischen Besucher:innen und Vermittler:innen der Ausstellung – und zwischen Objekten und Betrachtenden. Was aber macht das Anthropozän mit denjenigen, die Ausstellungen kuratieren? Welche Rolle nehmen sie ein? Kann es die von „Expert:innen“ kuratierte Ausstellung im Anthropozän noch geben? Museumswissenschaftlich ist schon lange klar, dass es die objektive Ausstellung nie gegeben hat und doch suchen und finden die Menschen im Museum auch heute noch – vielleicht mehr denn je – eine Instanz, der sie eine hohe Glaubwürdigkeit zuzuschreiben bereit sind.14 Wo, wenn nicht hier, werden Inhalte auf der Basis von gesichertem Wissen und Fakten frei von Polemik und politischer 13 Köhler, Benedikt/David, Sabria/Blumtritt, Jörg: Slow Media Manifest, 2010, http://www.slow-media.net/manifest (Eingesehen: 18.11.2021). 14 Zum hohen Vertrauen, das Menschen in Museen haben, siehe Dilenschneider, Colleen: People Trust Museums More Than Newspapers. Here Is Why That Matters Right Now (DATA), https://www.colleendilen.com/2017/04/26/people-trust-museums-more-than-newspapers-here-is-why-that-matters-right-nowdata/ und dies.: People Trust Museums… Even If They Don’t Visit Them (DATA), https://www.colleendilen.com/2019/07/10/peopletrust-museums-even-if-they-dont-visit-them-data/ (Eingesehen: 15.11.2021).
Hippe Eintagsfliege oder nachhaltiger Paradigmenwechsel? – Wie das Anthropozän Museen und Ausstellungen verändert
Agenda aufbereitet? Und ja, natürlich stehen Museen für einen hohen Wissenschaftsstandard und ausgewogene Darstellungsweise. Aber dürfen sie deshalb nicht politisch sein? Und überhaupt, wäre das so schlimm, wenn sie es wären? In jedem Fall sind Kuratierende Akteure und Kollaborateure – im guten Sinn des Wortes – des Anthropozäns. Sie stehen nicht außerhalb des Anthropozäns, sind nicht nur Beobachter:in und Erklärer:in, sondern Teil jener „entanglements“ und systemischen Abhängigkeiten, von denen das Anthropozän erzählt. Und natürlich nehmen sie auch eine Position zu den Dingen, Themen und Aussagen ein, die ihre Ausstellung vermittelt. Anstatt sich unter einer vermeintlichen, aber nie einzuhaltenden Objektivität zu verstecken, sollten sich Kurator:innen im Anthropozän aktiv als Vermittler:innen in der Diskussion offenbaren und Besucher:innen nicht als zu belehrendes Gegenüber einer einseitigen Kommunikation sehen, sondern in den Aufbau vielfältiger multidirektionaler Kommunikationswege mithilfe von Ausstellungen investieren. Die Unsicherheit, die das Anthropozän umgibt, fordert die traditionelle Wahrnehmung des Museums als Agentur und Mediator von Wissen kontinuierlich heraus. Museen können nicht länger (nur) die Orte sein, wo Menschen lernen „wie die Dinge wirklich sind“ oder „wie sie funktionieren“. Wenn es im Anthropozän keine Eindeutigkeit, keine Sicherheit, kein absolutes Wissen gibt (was es nie gab), warum sollten Museen so tun als ob? Sie sollten vielmehr das sein und werden, was schon häufig von ihnen verlangt, aber – insbesondere im deutschsprachigen Raum – bislang nur unzulänglich umgesetzt wurde: Orte der Reflektion, der Diskussion, der Aus- und Verhandlung und ja, auch der Kontroverse. Insbesondere Wissenschaftsmuseen dürfen nicht länger vorgeben, die oder alle Antworten zu kennen – und Besucher:innen dürfen nicht länger erwarten, ebensolche auf dem Silbertablett präsentiert zu bekommen. Das Anthropozän stellt nicht notwendigerweise einfache Antworten auf seine Fragen bereit. Vielmehr liegt sein größter Wert vielleicht darin, dass es uns zwingt, neue Fragen zu stellen. Eine dieser Fragen ist eine selbstreflektorische und bezieht sich nicht so sehr darauf, was das Anthropozän ist, sondern vielmehr ‚wer‘ es ist. Wer definiert und gestaltet das Anthropozän? Wer übt in der Ausgestaltung des Anthropozäns welche Deutungs- und Handlungsmacht über wen aus? Für einen Begriff, der die generische Bezeichnung für „Mensch“ in sich trägt, ist es nicht überraschend, dass es kritische Stimmen gibt, die das Konzept des Anthropozäns als eurozentristisch, kolonialistisch und kapitalistisch bezeichnen.15 15 Haraway, Donna: Anthropocene, Capitalocene, Plantationocene, Chthulucene: Making Kin, in: Environmental Humanities 6, 2015, S. 159–165; Haraway, Donna: Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene, Durham 2016; Bonneuil, Christophe/Fressoz, Jean-Baptiste: The Shock of the Anthropocene. The
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Die Frage der Repräsentation – wer ist der Anthropos im Anthropozän? – ist eine sehr legitime, insbesondere für den Ausstellungskontext, wenn auch keine gänzlich neue. Sie rekurriert auf die Frage, welche Deutungsmacht Kurator:innen inne haben (sollten) und wie sie gegebenenfalls zu durchbrechen ist. Ist es nur das Expert:innen-Wissen, auf das wir uns traditionellerweise beim Kuratieren von Ausstellungen stützen oder ist es – gerade im Anthropozän – auch das Laienwissen und die Bürgerwissenschaft? Beides zusammengebracht erfordert eine neue Art des Kuratierens und der Partizipation, die sich nicht auf die fertige, begehbare Ausstellung beschränken darf, sondern weit zuvor in der Konzeption beginnen muss. Ähnlich verhält es sich bei der Frage, wie wir nichtwestliche Perspektiven inkludieren können. Ist es für eine:n in Deutschland sozialisierten Kurator:in überhaupt möglich, eine nicht eurozentristische Perspektive einzunehmen? Ich wage es zu bezweifeln. Auch hier ist es notwendig, neue Wege der Konzipierung von Ausstellungen zu finden, die es ermöglichen, unsere eigenen „blinden Flecken“ durch andere Perspektiven zu kompensieren. Hilfreich könnte hier das Konzept des „ablativen Denkens“ sein, das der nordirische Designer Sean McDougall geprägt hat und das jüngst der Gründungsdirektor von BIOTOPIA, Michael John Gorman, in seinem Buch „Idea Colliders“ für die zukünftige Entwicklung von Wissenschaftsmuseen postuliert hat.16 Anstatt unsere Museen und damit auch die Ausstellungen als Dativ-Institutionen zu sehen, die etwas an ihre Besucher:innen liefern – Wissen, Ausstellungen, Programme usw. – werden ablative Institutionen in enger Zusammenarbeit mit ihren jeweiligen Communities entwickelt und Tag für Tag gelebt. Eine solche Art, Museum und Ausstellung zu machen, ist – wenn sie ernst gemeint ist – radikal anders als das, was wir bisher kennen. Es geht weit über das hinaus, was wir hier und da schon seit längerem unter dem Stichwort „Partizipation“ praktizieren. Bislang eher additiv umgesetzt, verlangt eine wahrhaft ablative Struktur ein gänzlich neues Rollenverständnis von Expert:in, Kurator:in und Besucher:in und eine Macht- und Kompetenzverschiebung weg von allein den Expert:innen hin zu den Personen, die in das Museum und die Ausstellung kommen – als Partner: innen oder Besuchende. In den Museumswissenschaften wird die Aufklärung häufig als formative Periode für die Entwicklung des Museumswesens gedeutet. Im aufwühlenden Geist von Wandel und sozialer Transformation entwickelten sich aus aristokratischen Schatz- und Wunderkammern moderne Museumsstätten, die neue soziale Ordnungen Earth, History, and Us, London 2016; Davis, Heather/Todd, Zoey: On the importance of a date, or, decolonizing the Anthropocene, in: ACME: An International Journal for Critical Geographies 16:4, 2017, S. 761–780. 16 Gorman, Michael John: Idea Colliders. The Future of Science Museums, Cambridge, MA: MIT Press, 2020, S. 108.
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und Weltdeutungen stabilisieren halfen. In ähnlicher Weise sind Museen als Kompensationsräume für verlorengegangene Traditionen und daraus resultierende Desorientierung während der Entwicklung moderner industrieller Nationalstaaten gedeutet worden.17 Auch unsere heutige Zeit ist von Wandel und der Notwendigkeit einer weitreichenden Transformation gekennzeichnet. In einer solchen Welt sind und können Ausstellungen und Museen nicht länger Agenturen der Erinnerung oder der Musealisierung sein, sondern müssen aktive wissenschaftliche, soziale und öffentliche Räume werden, in denen das Anthropozän nicht präsentiert oder kommuniziert, sondern verhandelt wird. Mit Sammlungen anthropozäner Objekte in den Depots bietet der Ausstellungsraum einen einzigartigen Ort, sich mit den systemischen Wechselwirkungen des Anthropozäns auseinanderzusetzen. Indem Verbindungen, Gegensätze und Abhängigkeiten visualisiert werden, eröffnet die Dreidimensionalität die Möglichkeit einer multiperspektiven Sicht auf das Anthropozän und ermuntert zu Partizipation und Diskussion in multimedialer und multidirektionaler Art. Die Komplexität des Anthropozäns anzunehmen, bedeutet auch nicht automatisch den Verlust der Daseinsberechtigung oder der Glaubwürdigkeit als Ort des Wissens. Vielmehr erweitert es seine Funktion durch die selbstreflexive Wahrnehmung, dass Museen als Wissensagenturen stets Ko-Produzenten von Wissen sind und dieses auch fragil, lückenhaft und kontrovers sein kann. An diesem Akt des Visionierens, Diskutierens und Aushandelns sollen die Besucher:innen teilhaben, damit Museen zu Orten werden, wo die Diskussion ‚geschieht‘, nicht wohin sie wandert, wenn die Themen scheinbar ‚ausdiskutiert‘ sind.
17 Lübbe, Hermann: Zeit-Verhältnisse. Über die veränderte Gegenwart von Zukunft und Vergangenheit, in: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Zeitphänomen Musealisierung, Essen 1990, S. 40–45.
Museen als Abbilder und Erschaffer des Anthropozäns Die museale Sicht auf das Anthropozän wirft neue Blicke auf festgefahrene und verbrauchte Nachhaltigkeitsdebatten und eröffnet Optionen jenseits etablierter Postulate, an deren extremen Enden oft gleichermaßen unrealistische Szenarien des Verzichts, der totalen Technisierung oder der Apokalypse stehen. Analog zur Moderne, die im Museum nicht nur erzählt, sondern entstanden ist, ist das Museum nicht allein Abbild des Anthropozäns, sondern erschafft es erst. Hierin liegt sein größter Nutzen für Museen: In all seiner Komplexität bestärkt das Anthropozän das Museum und die Ausstellung als Orte der Aktivität und des Handelns. Der multimediale Raum ermöglicht Kontaktzonen und arbeitet gegen die Statik und einengende Linearität. Ausstellungen holen mit dem Anthropozän die Erde und die Welt zugleich in das Museum und tragen so zu einem besseren Verständnis des menschlichen Wirkens auf die Erde bei, weil Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges nicht getrennt, sondern gemeinsam und als System betrachtet wird. Nur so kann das neue Erdzeitalter zu einem langen werden. Das Museum und das Museale werden in diesem Zusammenhang umgedeutet zu einem „Musentempel“ in seinem ursprünglichen Sinne, in dem wir inspiriert werden zum freien Denken und Handeln und das Museums- und Ausstellungsmachen öffnen für die Gesellschaft. So wird das Museum nicht zu einem Archiv oder Trauerort, sondern zum Akteur des Anthropozäns.
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„Zurück in die Zukunft“ – Nachhaltigkeitskommunikation in (historischen) Ausstellungen Einleitung Wenn es um die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft geht, spielen Kultur und Medien eine wichtige Rolle. Im Nachhaltigkeitsbericht 2020 gibt die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien zum ersten Mal einen Überblick über das breite Spektrum ihrer Aktivitäten, mit denen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN) erreicht werden sollen. Im Einleitungstext des Berichts heißt es: „Kultur ist das, was bleibt. Die kulturellen Leistungen längst vergangener Jahrhunderte ziehen auch heute noch ein breites Publikum in ihren Bann und besitzen unvermindert gesellschaftliche Relevanz. Dies zeigt: Kultur ist ihrem Wesen nach auf Dauerhaftigkeit angelegt.“1
Kultur und Medien werden dabei als „Träger und Vermittler von Werten“2 und als „kritischer Begleiter gesellschaftlicher Prozesse“3 bezeichnet, die einen eigenständigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Folgt man dieser Definition, liegt es auf der Hand, dass Museen generell, insbesondere aber historische Museen, eine besondere Rolle in Transformationsprozessen einnehmen können. Mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung stehen dabei die großen Nachhaltigkeitstransformationen (Energiewende, Landnutzungs- bzw. Ernährungswende, Mobilitätswende, gesellschaftliche Transformation etc.) im Vordergrund.4 Dabei leisten Museen einen wichtigen Beitrag zur Entstehung eines „sozial robusten“ Wissens für die „Große Transformation“. Betrachtet man z. B. den „Transitions-Zirkel“ des Wuppertal Instituts,5 können sie zu allen Stufen der Generierung von Wissen beitragen: Sie können helfen, Probleme zu erkennen und zu analysieren (Systemwissen), sie können durch partizipative Elemente und Experimente zur Entwicklung von Zukunftsperspektiven beitragen (Zielwissen), und schließlich sind sie wichtige Orte 1 Nachhaltigkeitsbericht der Beauftragten für Kultur und Medien 2020, S. 4. 2 Ebd., S. 7. 3 Ebd., S. 7. 4 Vgl. hierzu den Bericht des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin 2011. 5 Vgl. hierzu https://wupperinst.org/forschung/transformativeforschung/ (Eingesehen: 02.08.2021).
https://doi.org/10.1515/9783110780154-006
der Erprobung sowie der Diffusion dieses Wissens und des Lernens (Transformationswissen). Zudem können Museen eine wichtige Scharnierfunktion einnehmen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft – insbesondere vor dem Hintergrund einer stetig steigenden Verantwortung der Wissenschaft in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Herausforderungen angesichts des Klimawandels und des dramatischen Rückgangs von Biodiversität.6 Diese Aufgabe können Museen sowohl durch die Vermittlung und Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse als auch durch deren Produktion wahrnehmen, z. B. in der Durchführung und Unterstützung kritischer Bürgerwissenschaft (Citizen Science) oder von Reallaboren.7 Durch das Sammeln und die Bewahrung von Zeugnissen der Vergangenheit tragen historische Museen damit in besonderer Weise dazu bei, verfügbares Wissen dauerhaft zu erhalten und gleichzeitig auf sachgerechte und anschauliche Weise Kenntnisse und Zusammenhänge der Politik-, Wirtschafts-, Wissenschafts-, Kulturund Gesellschaftsgeschichte zu vermitteln und diese auf die Gestaltung von Zukunft anzuwenden. Damit legen sie nicht nur einen wichtigen Grundstein für die Bewertung und Einordnung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse, sondern eröffnen auch neue individuelle und gesellschaftliche Sichtweisen auf Ursachen, Folgen und notwendige Entwicklungsschritte, die eine nachhaltige Gestaltung unseres Lebens ermöglichen. Diese Kenntnisse und Kompetenzen können bei der für Historiker:innen zwar zuweilen problematischen, für die Transformationsgestaltung jedoch absolut notwendigen Zukunftsprojektion helfen.8 So zieht der Umwelthistoriker Franz-Josef Brüggemeier z. B. zum 6 Vgl. hierzu auch Schneidewind, Uwe/von Wissel, Carsten: Transformative Wissenschaft. Warum Wissenschaft neue Formen der Demokratisierung braucht, in: Forum Wissenschaft 4/2015, S. 4–8. 7 Vgl. hierzu z. B. die Aktivitäten des Museums für Naturkunde Berlin bei Citizen Science-Projekten. 8 Engels, Jens Ivo: Umweltgeschichte als Zeitgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 13/2006, S. 32–38, hier S. 33. Engels bedauert hier auch „die geringe Bedeutung umwelthistorischer Fragestellungen in den Leitdebatten der zeitgeschichtlichen Forschung“ und spricht sich für deren Aufnahme in den „Kanon“ zeithistorischer Forschung aus. Ebd., S. 32. Vgl. hierzu auch Brüggemeier, Franz-Josef/Engels, Jens Ivo: Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen, Frankfurt a. M./ New York 2005, S. 11.
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besseren Verständnis der Probleme und Möglichkeiten der aktuellen Energiewende den Blick auf frühere Energiewenden heran. Ihm zufolge bedeutete die Energiewende vor 200 Jahren „(…) das Ende einer Wirtschaftsweise, die durch ihre Nutzung von Ressourcen nachhaltig war und damit eines der Ziele erfüllte, die wir heute mit der Energiewende anstreben. Doch zugleich hingen die damaligen Gesellschaften fundamental von Schwankungen des Wetters, der Jahreszeiten und der Natur generell ab und waren durch große Unsicherheiten geprägt. Unserem erweiterten Verständnis von Nachhaltigkeit entsprachen sie nicht. Denn dabei geht es nicht nur um Rohstoffe, sondern auch um Politik und Gesellschaft. In einer nachhaltigen Gesellschaft müssen politische Rechte, Mitsprache und andere Merkmale gegeben sein, die es erstrebenswert machen, dort zu leben. Das war um 1800 nicht der Fall.“9
Die darauffolgende Wende, mit der die massive Nutzung von Kohle die Entstehung der modernen Industriegesellschaften ermöglichte, dauerte Jahrzehnte und bedingte Veränderungen in Technik, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik – ein Prozess, den auch die aktuelle Energiewende erfordert. Brüggemeier kommt zu dem Schluss, dass „der Verweis auf frühere Energiewenden und deren Probleme (…) erforderlich [sei], um unser Energiesystem verstehen und dessen Wandlungsfähigkeit einschätzen zu können.“10 Hierzu können historische Ausstellungen und Museen einen wichtigen Beitrag leisten.
Nachhaltigkeit kommunizieren Gesellschaftliche Veränderungen sind nur dann erfolgreich, wenn sie von einer breiten Bevölkerung mitgetragen und aktiv gestaltet werden. Dies setzt eine umfassende, zielgruppenadäquate Kommunikation voraus, die durch sachliche Information und einen offenen Dialog, durch Transparenz und Glaubwürdigkeit gekennzeichnet ist. Dies gilt insbesondere für das Konzept der nachhaltigen Entwicklung, das trotz aller politischen Bemühungen und der gesellschaftlichen Bewegungen im letzten Jahrzehnt nach wie vor als schwer zu kommunizieren gilt.11 Die Gründe hierfür sind vielfältig: Nicht nur die schier unübersehbare Fülle an Informationen, Meinungen und Haltungen zu Nachhaltigkeitsfragen, sondern auch die komplexen natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Zusammenhänge erschweren für viele Menschen den Zugang zum Thema. Gerade im Bereich der Nachhaltigkeit stoßen wir auf ein Maß an Komplexität, das uns bei der Suche nach Lösungen oder der „richtigen“ Verhaltens9 Brüggemeier, Franz-Josef: Sonne, Wasser, Wind: Die Entwicklung der Energiewende in Deutschland, Bonn 2015, S. 7. 10 Ebd., S. 5. 11 Fischer, Daniel u. a. (Hrsg.): Nachhaltigkeit erzählen. Durch Storytelling besser kommunizieren, München 2021, S. 12.
weise häufig überfordert.12 Je komplexer unsere Welt wird, umso größer erscheint aber unser Bedürfnis nach Orientierung, nach Sicherheit und Verlässlichkeit für unser aktuelles und zukünftiges Handeln.13 Der Einsatz verschiedener Medien und die Erprobung neuer Zugänge, die Nachhaltigkeitsthemen in unterschiedlicher Weise, Intensität und Komplexität vermitteln, bilden eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitskommunikation. Entsprechende Kommunikationsmaßnahmen finden daher heute nicht nur im Rahmen formaler Bildungsangebote, sondern zunehmend auch im Kontext informeller Lernumgebungen statt. Während formale Bildungsangebote unter anderem in Schulen, Berufsschulen oder Hochschulen (z. B. durch fachlichen Unterricht, durch Tagungen, Workshops, Seminare oder Exkursionen) zumeist auf kleine Zielgruppen beschränkt bleiben und in der Regel diejenigen erreichen, die bereits ein gewisses Nachhaltigkeitsinteresse mitbringen, ergeben sich mit informellen Kommunikations- und Bildungsangeboten vielfältige Zugänge und Anknüpfungspunkte, neue und breitere Zielgruppen für Nachhaltigkeitsthemen zu interessieren. Dies erfolgt vorrangig an Orten, an denen sich die Rezipient:innen ohnehin – und zumeist in großer Zahl – aufhalten. Hierzu zählen beispielsweise neben botanischen und zoologischen Gärten, Freizeitparks, Kultureinrichtungen, Planetarien, Großschutzgebieten oder Großveranstaltungen wie Landes-, Bundes- oder Internationale Gartenschauen nicht zuletzt auch die Museen.14
Informelle Nachhaltigkeitsbildung Informelle Nachhaltigkeitsbildung ist als „selbstgesteuertes Lernen“ zu verstehen, das nicht in Konkurrenz, sondern in enger Verbindung mit Freizeit, Urlaub und Erholung zu sehen ist.15 Nur selten steht dabei ein explizites Bildungsinteresse bei Besucher:innen entsprechender Einrichtungen im Vordergrund. Eine große Herausforderung informeller Bildungsangebote besteht deshalb darin, auf das Bedürfnis der Zielgruppe nach Erholung und Freizeiterlebnis zu reagieren und sie behutsam an die zu vermittelnden Themen heranzuführen. Gerade bei der Vermittlung komplexer Nachhaltigkeitsthemen kommt es zudem darauf an, geeignete Kommunikationsmethoden und -instrumente zum 12 Pyhel, Thomas (Hrsg.): Zwischen Ohnmacht und Zuversicht? Vom Umgang mit Komplexität in der Nachhaltigkeitskommunikation, München 2018, S. 7. 13 Pyhel, Thomas u. a. (Hrsg.): Umweltethik für Kinder. Impulse für die Nachhaltigkeitsbildung, München 2017, S. 7. 14 Eich, Susanne u. a. (Hrsg.): Umweltkommunikation auf Großveranstaltungen. Von der IGA bis zum Weltjugendtag, München 2007. 15 Simon, Lisa/Pyhel, Thomas (Hrsg.): UMWELTBILDUNG – TIERISCH GUT! Ein Praxisleitfaden für Schule, Zoo & Co., München 2010.
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Einsatz zu bringen, die Zusammenhänge aufzeigen, Alltagsbezüge herstellen, Unsichtbares visualisieren und einen breiten Zugang zum Thema eröffnen. „Im Vordergrund steht dabei weniger die Information, als vielmehr das Erlebnis. Selbst entdecken, forschen, ausprobieren und experimentieren vermitteln wichtige Anreize, sich einem neuen Thema zu widmen und Zusammenhänge aufzudecken“.16 Nachhaltigkeitsbildung umfasst damit weit mehr als die bloße Vermittlung von Umweltinformationen. Als eine inhaltliche und institutionelle Querschnittsaufgabe ist sie eingebettet in formale und informelle Bildungsprozesse, die es ermöglichen sollen, sich aktiv an der Analyse, Bewertung und Veränderung von nicht nachhaltigen Entwicklungsprozessen zu beteiligen. Die erfolgreiche Vermittlung nachhaltigkeitsbezogener Themen ist selbst ein komplexer Vorgang, der nicht nur durch eine möglichst differenzierte inhaltliche Aufbereitung, sondern auch durch den gezielten Einsatz geeigneter Kommunikationsinstrumente und Medien gekennzeichnet ist. Um die Zukunft im Sinne der Nachhaltigkeit selbstbestimmt gestalten zu können, werden unterschiedliche Fähigkeiten benötigt, die de Haan unter dem Begriff der „Gestaltungskompetenz“17 subsummiert. Vorausschauendes Denken, interdisziplinäres Wissen, autonomes Handeln und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen stellen dabei neben weiteren Teilkompetenzen wichtige Eckpfeiler entsprechender Bildungsmaßnahmen dar.18
Bildung für Nachhaltige Entwicklung Die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung sind mit der Suche nach einer „besseren Welt“, nach einer Gesellschaft, die die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation sichert und zugleich zukünftigen Generationen die Chance auf die Verwirklichung eines „guten Lebens“ eröffnet, grob umrissen. Zu den großen Herausforderungen unserer Zeit gehören neben der Bewältigung des Klimawandels insbesondere die Herbeiführung einer Energie-, Mobilitäts- und Landnutzungs- bzw. Ernährungswende. Insgesamt zielt eine nachhaltige Entwicklung auf die Erprobung und Etablierung neuer Lebensstile, die ökologische, wirtschaftliche, soziale 16 Ebd., S. 12. 17 de Haan, Gerhard: Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung, in: Bormann, Inka/ de Haan, Gerhard (Hrsg.): Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung, Wiesbaden 2008, S. 23–43. 18 Borner, Joachim: Das Medium ist die Botschaft. Nachhaltigkeitskommunikation als Gestaltungsaufgabe, in: Gräßer, Lars/ Hagedorn, Friedrich (Hrsg.): Medien nachhaltig nutzen. Beiträge zur Medienökologie und Medienbildung, München/Düsseldorf 2012 (= Schriftenreihe Medienkompetenz des Landes NordrheinWestfalen, Bd. 11), S. 71–84.
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und kulturelle Aspekte gleichermaßen berücksichtigen. Dies setzt eine demokratische und „weltoffene“ Herangehensweise voraus, bei der alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt und in kollektive Entscheidungsprozesse eingebunden sind, Konflikte, Gefahren und Unsicherheiten aufgezeigt werden und eine gemeinsame Vorstellung von einer gerechteren, besseren Zukunft entwickelt wird. So einfach sich dieses Leitbild einer „besseren Welt“ auch formulieren lässt, so schwierig ist doch der Weg dahin. Die Vermittlung von umwelt- und entwicklungsbezogenen Zusammenhängen sowie der gesellschaftliche Austausch über einen verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit seiner natürlichen und sozialen Umwelt setzt, wie oben dargelegt, eine umfassende und zugleich nach Zielgruppen differenzierte Nachhaltigkeitskommunikation voraus, die nicht nur allgemein für die Akzeptanz eines neuen Lebenskonzepts wirbt, sondern auch konkrete Handlungsoptionen im Lebensalltag aufzeigt. Dabei kommt Bildungsprozessen, die zu einer aktiven Gestaltung eines nachhaltigen, zukunftsfähigen Lebens und Wirtschaftens sowie zur Partizipation und zum tatsächlichen Handeln führen, eine besondere Bedeutung zu. Ziel einer entsprechenden Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist es, die kreativen Potenziale des Einzelnen, seine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie seine Problemlösungskompetenz und Handlungsfähigkeit zu entwickeln und zu fördern.19 Als theoretisches Konzept bietet Bildung für nachhaltige Entwicklung eine Struktur aus aufeinander bezogenen Elementen, die einen normativen Werterahmen, ein Naturverständnis, das Bekanntes und Neues verbindet, und Bildungsziele umfasst, die der Herausforderung der Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung gerecht werden.20 Die Vielfalt der Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung geht dabei über eine klassische Umweltbildung weit hinaus. Dies betrifft ein erweitertes und interdisziplinärer bearbeitetes Aufgaben- und Themenspektrum, das über technische und naturwissenschaftliche Fragestellungen hinaus auch Querschnittsaufgaben, wie zum Beispiel die Überwindung von Armut in Entwicklungsländern, gerechte Handelsbeziehungen, sozial-, umwelt- und gesundheitsverträgliche Produktions- und Konsummuster, die Etablierung einer „Circular Society“, Mobilitätsfragen oder neue Formen der Bürgerbeteiligung, in den Blick nimmt. Die klassischen drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung, die ökologische, ökonomische und 19 Michelsen, Gerd/Godemann, Jasmin: Nachhaltigkeit kommunizieren: eine konzeptionelle Rahmung, in: Österreichische Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft (ÖGK) (Hrsg.): Medien Journal 1, Salzburg 2011, S. 4–15. 20 Stoltenberg, Ute: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung für pädagogische Fachkräfte in Kitas, in: Stoltenberg, Ute/ThielebeinPohl, Ralf (Hrsg.): KITA 21 – Die Zukunftsgestalter. Mit Bildung für eine nachhaltige Entwicklung Gegenwart und Zukunft gestalten, München 2011, S. 27–56, hier S. 28 f.
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soziale Dimension, sind entsprechend um eine vierte Kategorie, die kulturelle Dimension, zu erweitern. Die Kommunikation nachhaltiger Entwicklung im Kontext eines kulturell-ästhetischen Gestaltungsprozesses eröffnet dabei die Chance eines Perspektivwechsels, in dem kulturelle Werthaltungen, Orientierungsmuster und Praktiken hinterfragt und als veränderbar dargestellt werden können.21 Eine Verankerung des Konzepts einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen des Bildungssystems, die damit den Eingang in alle gesellschaftlichen Lebensbereiche sicherstellt, wird nur gelingen, wenn informelle Lernangebote stärker als bisher in den Vordergrund rücken. „Diesem informellen, alltäglichen und manchmal beiläufigen Lernen – beispielsweise am Arbeitsplatz, in Bürgerinitiativen oder im Urlaub –, das lange Zeit von der Bildungspolitik und Bildungsforschung vernachlässigt wurde, kommt als Element des lebenslangen Lernens und bei der Umsetzung der BNE eine sehr große Rolle zu.“22 Während die formale Bildung nach de Haan vor dem Hintergrund einer retrospektiven Strategie vorrangig auf den Erwerb epistemischen Wissens ausgerichtet ist,23 tragen informelle Bildungsangebote im Zuge einer prospektiven Strategie vor allem zum Erwerb heuristischen Wissens bei, was die Lernenden dazu befähigt, allgemeine Regeln des Entscheidens und Handelns zu entwerfen und auf neue Situationen anzuwenden.
Ausstellungen als Instrumente der Nachhaltigkeitskommunikation und -bildung Akteur:innen der Nachhaltigkeitskommunikation steht heute ein breites Spektrum an Methoden und Instrumenten zur Verfügung, mit dem der Prozess der Kommunikation über Nachhaltigkeit in die Wege geleitet, organisiert und gestaltet werden kann. Nicht nur große Museen, Forschungseinrichtungen und Bildungszentren, sondern auch kleinere Umweltvereine und -verbände, Kommunen, Unternehmen, Kirchen, Stiftungen oder Schulen nutzen die Chance, über eine attraktive Ausstellung ihr Zielpublikum anzusprechen und für verschiedenste Nachhaltigkeitsthemen zu begeistern.
21 Holz, Verena/Stoltenberg, Ute: Mit dem kulturellen Blick auf den Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung, in: Sorgo, Gabriele (Hrsg.): Die unsichtbare Dimension. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung im kulturellen Prozess. FORUM Umweltbildung im Umweltdachverband, Wien 2011, S. 15–34, hier S. 31. 22 Kölsch, Oskar/Lucker, Thomas: Bildung für nachhaltige Entwicklung in der informellen Natur- und Umweltbildung, in: Natur und Landschaft. Zeitschrift für Natur und Landschaftspflege 84, Stuttgart 2009, Heft 3, S. 113–117, hier S. 113. 23 de Haan, Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Durch die Verknüpfung moderner Museumsarbeit mit aktuellen Themen des Umweltschutzes bringen naturwissenschaftliche und naturkundliche Museen, aber auch historische, kulturgeschichtliche, technische und heimatkundliche Einrichtungen grundsätzlich gute Voraussetzungen dafür mit, vermehrt auch Aufgaben der Nachhaltigkeitskommunikation zu übernehmen. Dabei werden themenbezogene Ausstellungen heute vielfach methodisch abwechslungsreicher präsentiert und sprechen vermehrt Neugier, Spieltrieb oder das Bedürfnis nach Unterhaltung an. Ausstellungen stellen damit zeitgemäße, inszenierte Erlebnisund Erfahrungswelten dar, die durch eine gelungene Verknüpfung von Information und Unterhaltung, die Einbindung interaktiver Elemente, eine multimediale Ansprache und durch eine spielerische Vermittlung komplexer Sachverhalte gekennzeichnet sind.
Chancen und Herausforderungen Wie dargelegt, bildet der Erwerb von Gestaltungskompetenz das grundlegende Ziel einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Ausstellungen, die über die bloße Informationsvermittlung hinausgehen und nicht nur den spezifischen Anforderungen einer sachlich ausgewogenen Aufbereitung umweltrelevanter Themen genügen, sondern in besonderer Weise auch unterschiedliche Erwartungshaltungen und Ansprüche des Zielpublikums bezüglich Information, Unterhaltung oder Aktion berücksichtigen, können einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung von Gestaltungskompetenzen leisten. Das gilt auch für historische Ausstellungen. Gerade im Vergleich zu vielen anderen Medien verfügen Ausstellungen über hervorragende Eigenschaften, mehrdimensionale und vielfältige Zugänge zu einem aktuellen oder historischen Thema zu eröffnen. Mit Texten, Bildern, Spielen, Experimenten, Computerprogrammen, Filmen, Modellen, Führungen und weiteren Vermittlungsformen können in Ausstellungen Themen so frei präsentiert werden wie in keinem anderen Medium. Komplexe Umweltzusammenhänge und historische Bezüge können hergestellt und begreifbar gemacht, Unsichtbares visualisiert und bereits Bekanntes aus anderen Perspektiven dargestellt werden.24 Informationen können dabei plakativ oder differenziert in unterschiedlicher Dichte angeboten werden, aus der der Ausstellungsgast frei wählen kann. Durch das Ansprechen aller Sinne können Ausstellungen schließlich das abstrakte und bildhaft-symbolische Denken sowie Emotionen anregen. Wahrnehmungspsychologisch betrachtet, werden dabei beide Gehirnhälften 24 Zur Bedeutung von Visualisierung für die Natur- und Umweltschutzgeschichte selbst siehe Brüggemeier/Engels, Natur- und Umweltschutz nach 1945, S. 15 u. S. 17 sowie Wöbse, Anna-Katharina: Zur visuellen Geschichte der Naturschutz- und Umweltbewegung, in: ebd., S. 222–246.
„Zurück in die Zukunft“ – Nachhaltigkeitskommunikation in (historischen) Ausstellungen
aktiviert, was zu einer höheren Leistungs- und damit Merkfähigkeit führt.25 Erlebnisorientierte Ausstellungen ermöglichen es ihren Gästen, für eine gewisse Zeit vollständig in ein Thema einzutauchen. Peters (2003) formuliert dies folgendermaßen: „Mit Ausstellungen lässt sich Nicht-Wahrnehmbares wahrnehmbar machen, spannende Erlebniswelten können geschaffen und anregende Interaktionen angeboten werden. Eingebettet in ein durchkomponiertes Kommunikationskonzept bilden Ausstellungen das Basismedium, um das herum sich andere Medien und Instrumente arrangieren lassen. So geben sie Anlass für Eröffnungs- und Informationsveranstaltungen zum Thema, für das Angebot vertiefender Medien wie Broschüren, Filme und Internet oder für ein umfangreiches pädagogisches Begleitprogramm.“26
Wirkung und Einsatzmöglichkeiten Ausstellungen, die Identifikationsräume schaffen, die bereits bekanntes Wissen mit neuen Erkenntnissen und Wahrnehmungen verknüpfen und dabei unmittelbar an die Erfahrungswelt des Zielpublikums anschließen, bieten gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitskommunikation. Umweltausstellungen, die zum Beispiel Ängste erzeugen oder Verunsicherungen hervorrufen, die nur wenig Spielräume für die Entwicklung von Konfliktlösungen bieten oder die keinerlei Bezüge zum Alltagsgeschehen der Ausstellungsgäste herstellen, sind kaum geeignet, umweltbezogenes Verhalten nachhaltig zu verbessern. Dies gilt insbesondere auch für historische Ausstellungen: Haumann sieht den Mehrwert der geschichtswissenschaftlichen Perspektive auf das Thema Umwelt darin, dass sie die großen Linien gesellschaftlichen Wandels systematisch zur Beantwortung der Frage heranziehen kann, „wie menschliche Handlungsmöglichkeiten angesichts des epochalen Umweltwandels einzuschätzen“ sind.27 Es gelte, Narrative zu entwickeln, „die die Verflechtungen zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und Umweltveränderungen sichtbar machen [und die] dazu beitragen, mögliche Lösungswege vorzuzeichnen.“28 Über eine sorgfältige inhaltliche Aufbereitung der Umweltthemen hinaus sind mögliche Wahrnehmungs-, Bewertungs-, Verhaltens- und Gefühlsbarrieren der Ziel25 Braun, Marie-L./Peters, Ulrike/Pyhel, Thomas (Hrsg.): Faszination Ausstellung. Praxisbuch für Umweltthemen, Leipzig 2003, S. 19. 26 Peters, Ulrike: Eintauchen in eine Themenwelt. Ausstellungen als Medium erfolgreicher Nachhaltigkeitskommunikation, in: pö forum „Nachhaltigkeitskommunikation“. Sonderveröffentlichung der Politischen Ökologie, 86, München 2003, S. 10. 27 Haumann, Sebastian: Zwischen „Nachhaltigkeit“ und „Anthropozän“. Neue Tendenzen in der Umweltgeschichte, in: Neue politische Literatur 64, 2019, S. 295–326, hier S. 296. 28 Ebd., S. 300.
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gruppe so früh wie möglich zu berücksichtigen. Neben Vorwissen, Handlungskompetenz und -bereitschaft spielen Lebensstil, Konsummuster und -verhalten der anvisierten Zielgruppe dabei eine ebenso große Rolle wie mögliche Ängste, Sorgen, Wünsche, Meinungen, Vorlieben oder Abneigungen. Zielsetzung jeder guten Nachhaltigkeitsausstellung sollte es demnach sein, den Ausstellungsgast zu motivieren, sich aktiv mit Umweltfragen auseinanderzusetzen und umweltrelevante Aspekte im eigenen Alltagsverhalten zu berücksichtigen. Die Einsatzmöglichkeiten gut durchkonzipierter, zielgruppenspezifischer Ausstellungen sind dann nahezu unbegrenzt. Neben klassischen Präsentationen in Museen und Ausstellungshäusern bieten sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten z. B. in Umweltbildungszentren, auf Umweltmessen und -fachtagungen, im Schulunterricht oder im Rahmen von Umweltberatungen in Unternehmen, Kommunen und Verbraucherzentralen.
Ausstellungen als Bildungstool Auch wenn empirische Studien – insbesondere aus den 1990er-Jahren an den Museen der Smithsonian Institution in Washington DC29 – zeigen, dass Besucher:innen im Museum eigentlich nicht lernen wollen, bieten Ausstellungen nach heutiger Erkenntnis doch ein erhebliches Potenzial, Lernprozesse zu initiieren und erfolgreich zu steuern. Dabei ist Lernen während eines Ausstellungsbesuchs zunächst „informelles Lernen“, d. h. selbstbestimmt, durch eigenen Antrieb und eigene Motivation gelenkt. Unabhängig davon, ob ein Museumsgast über Fachwissen verfügt oder nicht, verknüpft er nach Silverman das Gesehene mit sich, dem eigenen Leben und seinen eigenen Beziehungen.30 Die Ausstellungsinhalte bilden quasi eine „Projektions- und Reflexionsfläche“ für persönliche Assoziationen, Erinnerungen und Erfahrungen und erhalten damit eine ganz persönliche Bedeutung, die den Schlüssel zu einem individuellen Ausstellungserlebnis bildet. Eine Ausstellung mit unterschiedlichen Formen, d. h. inhaltlicher und gestalterischer Ansprache, erhöht die Chance, jedem Ausstellungsgast eine persönliche Konstruktion von Wissen und Bedeutung zu ermöglichen. Aus konstruktivistischer Sicht bietet eine Ausstellung damit einen Erfahrungsraum, in dem die Rezipient:innen dem Gesehenen vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen Sinn geben 29 Vgl. u. a. Doering, Zahava D. u. a.: Visitor Research at the Smithsonian Institution. Curator – The Museum Journal 42, 1999, Heft 2, S. 152–173; Kirchberg, Volker: Besucherforschung in Museen: Evaluation von Ausstellungen, in: Michelsen, Gerd/ Godemann, Jasmin (Hrsg.): Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation. Grundlagen und Praxis, München 2005, S. 363–373. 30 Silverman, Lois H.: Meaning Making Matters: Communication, Consequences and Exhibit Design, in: Exhibitionist 18, 1999, Heft 2, S. 9–14.
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und „Wirklichkeit konstruieren“. Im Gegensatz zu lernineffizienten „systematischen Museen“, die auf behavioristischen Vorstellungen fußen, bieten „konstruktivistische Museen“ Ansätze, „entdeckendes Lernen“ zu provozieren.31 Als Erlebniswelt gestaltet, ermöglichen Ausstellungen vielfältige Verknüpfungen zur inneren und äußeren Lebenswelt des Ausstellungsgastes. Nach Janssen führt insbesondere die Interaktion zwischen Exponat und Ausstellungsgast zu „inneren Räumen des Fühlens, Denkens und Handelns“.32 Ausstellungsräume werden damit zu Bildungs- und Lernräumen, Ausstellungen zu Bildungstools, ohne dass sie zwingend als solche wahrgenommen werden.
Informieren, emotionalisieren, motivieren Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass Ausstellungen weit mehr sind als „visualisierte Datenbanken“, in denen bloße Informationen, ansprechend verpackt, abgerufen werden können. Gut gemachte Ausstellungen bieten einen inhaltlichen und formalen Kontext, der es ermöglicht, (eine) Geschichte zu erzählen, die den Ausstellungsgast mitreißt und fesselt. Dabei scheint das Konzept des „Storytelling“, das Fischer unter anderem im Nachhaltigkeitskontext als „SusTelling“33 bezeichnet, sowohl in der Nachhaltigkeitskommunikation generell als auch speziell im Ausstellungsbereich noch wenig erprobt zu sein. Der Einsatz neuer Medientechnik und Vermittlungsformate bietet in diesem Zusammenhang nicht nur vielversprechende Möglichkeiten zur Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen innerhalb einer Ausstellung, sondern eröffnet auch die Chance, weit zurückliegende Umweltereignisse und -verläufe in die Gegenwart zu bringen und mögliche zukünftige Entwicklungen für den Ausstellungsgast (be)greifbar zu machen. VirtualReality-Szenarien oder die Verwendung von Augmented Reality-Technik können als immersive Formen des Storytellings genutzt werden, um die Rezipierenden aktiv in die Geschichte einzubinden.34 Gerade für den Bereich der Historischen Museen, die nicht selten mit größeren Zeitsprüngen, Rückblenden oder Episoden arbeiten müssen, ergibt sich hieraus ein großes Potenzial, nachhaltigkeitsbezogene Entwicklungen, Verläufe und Schlüsselereignisse spannend und lehrreich aufzubereiten. Viele durch die Deutsche Bundesstiftung 31 Vgl. Kirchberg, Besucherforschung in Museen, S. 367. 32 Janssen, Willfried: Interaktion zwischen Exponat und Besucher – Ausstellungen als Medium der Umweltbildung, in: Brickwedde, Fritz/Bittner, Alexander (Hrsg.): Kindheit und Jugend im Wandel! Umweltbildung im Wandel?, Berlin 2009, S. 144–153, hier S. 151. 33 Fischer, Daniel u. a. (Hrsg.): Nachhaltigkeit erzählen. Durch Storytelling besser kommunizieren?, München 2021, S. 27. 34 Ebd., S. 24.
Umwelt geförderte Projekte greifen diese neuen technischen Möglichkeiten auf und entwickeln sie weiter. So zielt z. B. das Vorhaben „Kulturerbe 4D“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena darauf ab, bauliches Kulturerbe und dessen Veränderung durch Umwelt- und Kultureinflüsse im Stadtraum mittels browserbasierten Virtual-Reality-Visualisierungen für Besucher:innen und Bewohner:innen interaktiv erlebbar zu machen und dabei Wissen zur Kulturgeschichte und zu baugeschichtlichen Zusammenhängen zu vermitteln.35 Durch solch immersive Elemente (also das Eintauchen in virtuelle Welten, die dann als real empfunden werden) und die hohe Interaktivität der Anwendungen entsteht ein neuer „Lernerlebnisraum“, der Nachhaltigkeitsbewusstsein steigern und Verhaltensänderungen bewirken kann.36 Eine wesentliche Aufgabe ist es, vorhandene Barrieren der Zielgruppen, sich zunächst überhaupt für ein Nachhaltigkeitsthema zu interessieren, aufzubrechen und einen Einstieg in die komplexe Welt der Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Die Schaffung emotionaler Zugänge, z. B. durch die Nutzung ästhetischer Stilmittel oder die dramaturgische Aufbereitung eines Sachthemas, kann helfen, Berührungsängste abzubauen, neue Perspektiven zuzulassen und Veränderungen im Handeln anzustoßen. Informieren, emotionalisieren und motivieren bilden damit eine Einheit, die den Besuch einer Ausstellung zu einem nachhaltigen Ausstellungserlebnis werden lassen kann.
Nachhaltig ausstellen Jede Ausstellung bildet ein spezifisches Setting, in das die Themen, Inhalte und Botschaften, die Art der Vermittlung, die Erzählweise, der soziale Kontext und vieles mehr eingebettet sind. Eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz einer Ausstellung ist dabei nicht zuletzt die Übereinstimmung zwischen Form und Inhalt. Gerade im Nachhaltigkeitsbereich kommt es darauf an, ein authentisches und glaubwürdiges Erfahrungsumfeld zu schaffen, um die Botschaften überzeugend zu transportieren. Eine Dauerexposition, die das Thema „Energiesparen“ oder „Energiewende“ zum Gegenstand hat, selbst aber energieaufwendig betrieben wird, wirkt ebenso wenig überzeugend wie die Wanderausstellung, die sich mit nachhaltigem Konsum 35 Die Ergebnisse des Vorhabens fließen ein in das EU-Flaggschiff-Projekt „Time Machine“, das auf die Gewinnung und Nutzung der Big Data der Vergangenheit abzielt und helfen soll, das kulturelle Erbe Europas zu erschließen und einen fairen und freien Zugang zu Informationen zu ermöglichen. 36 Vgl. Weibel, David/Wissmath, Bartholomäus: Immersion in Computer Games: The Role of Spatial Presence and Flow, in: International Journal of Computer Games Technology, Volume 2011, online unter: https://www.hindawi.com/journals/ ijcgt/2011/282345; ID 282345 | https://doi.org/10.1155/2011/282345 (Eingesehen: 14.11.2021).
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befasst, für den Transport aber mit nicht wiederverwertbaren Verpackungsmaterialien auf den Weg geschickt wird. Bei der Konzeption, Planung und Umsetzung von (Nachhaltigkeits-)Ausstellungen sollten daher möglichst alle Bereiche, die Einfluss auf die Umwelt nehmen, in den Blick genommen werden. Beispielhaft für die Materialwahl wären unter anderem folgende Kriterien zu berücksichtigen:37 – „ressourcenschonende und emissionsarme Herstellung, – Langlebigkeit, – reduzierte Materialvielfalt, – umweltschonender Transport, – Verwendung regionaler (zertifizierter) Baustoffe/ Materialien, – weitgehende Emissionsfreiheit bei der Nutzung, – Reparaturfähigkeit, – leichte Auswechselbarkeit, – energiearmer Betrieb, – Recyclingfähigkeit, – Nachnutzungsmöglichkeiten sowie – umweltschonende Entsorgung.“
Nominierung von UNESCO-Welterbestätten, die oft aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt und zu einem Anstieg der potenziell das Kulturgut schädigenden Besucher:innenzahlen führt. Unabhängig davon, welche Alternative gewählt wird, ist das Ergebnis nicht perfekt: Die gewählte Alternative trägt zur Erreichung des einen Ziels auf Kosten des anderen bei.39 Wichtig ist es jedoch, ein Bewusstsein über mögliche Zielkonflikte oder Dilemmata herzustellen, um die Abwägungsprozesse und die Gründe für die getroffene Entscheidung transparent darstellen zu können. Die Gestaltung einer nachhaltigen Ausstellung ist komplex und zweifellos von Kompromissen geprägt. Wenn aber Inhalte und Botschaften in großen Teilen mit einer umweltfreundlichen, glaubwürdigen Gestaltung einhergehen, kann die Umsetzung – offensiv oder subtil – selbst zu einem Teil der Präsentation werden.
Zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsbilanz stehen nicht nur für das Museum insgesamt (Gebäudemanagement), sondern auch für die Konzeption und Herstellung von Ausstellungen und Verleihmanagement verschiedene digitale Tools zur Verfügung, die helfen, Abfall zu vermeiden oder Energie einzusparen. So werden bei so genannten Exhibition-Management-Systemen (EMS) z. B. Texte, Bilder und grafische Inhalte zentral über eine Plattform verwaltet und können an beliebigen digitalen Standorten präsentiert werden. „Die Ausspielung kann digitale Displays auf den Ausstellungsflächen, Kiosk-Module, digitale Leitsysteme, mobile Endgeräte wie Smartphones, Tablets oder Smartwatches sowie Museums-Websites und -Apps umfassen. Auf diese Weise lässt sich nicht nur Material einsparen, es lassen sich auch ohne zusätzlichen Materialverbrauch unterschiedliche, auf verschiedene Themenschwerpunkte oder Besucher:innen-Interessen zugeschnittene Ausstellungsangebote machen.“38 Gerade in Ausstellungen mit historischen, besonders schützenswerten Exponaten kann es zuweilen zu Zielkonflikten oder Dilemmata kommen, die einen Kompromiss zwischen zwei Zielen erfordern: z. B. zwischen einer gegebenenfalls energieintensiven, das Objekt erhaltenden Präsentation und dem Gebot nachhaltigen, energieeffizienten Ausstellens. Oder zwischen dem Erhalt eines Kulturguts und seiner Zugänglichmachung und Vermarktung – z. B. im Rahmen der
„Umwelt hat Geschichte“ – unter diesem Titel führte die Körber-Stiftung bereits 1986 einen Schulwettbewerb durch, in dem Umweltveränderungen im unmittelbaren Lebensumfeld der angesprochenen Schüler:innen untersucht und dokumentiert werden sollten. Nur wenige Monate zuvor, am 26. April 1986, war es im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl zu einer weitreichenden Katastrophe gekommen, bei der große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt wurden, die weite Teile der damaligen Sowjetunion und Europas belasteten. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Tschernobyl rückte das Umweltthema deutlich in das Bewusstsein der breiten Bevölkerung. Und auch die Jugendlichen untersuchten im Rahmen des Wettbewerbs Flüsse und Bäche in ihrer Region, die im Zuge der Industrialisierung begradigt oder zugeschüttet worden waren, beleuchteten die Geschichte der industriellen Luftverschmutzung, rekonstruierten Standorte wilder Müllkippen oder zeichneten lokale Auseinandersetzungen um die Beseitigung von Grünanlagen nach.40 Die Ergebnisse der besten Wettbewerbsbeiträge wurden damals in einer informativen und ansprechend gestalteten Wanderausstellung aufbereitet und bundesweit präsentiert. Die Ausstellung, die insbesondere durch Schulen tourte, spornte seinerzeit zahlreiche Schüler:innen an, sich aktiv für den Umweltschutz einzusetzen und sich umweltpolitisch zu engagieren.
37 Hehnke, Karin u. a. (Hrsg.): Umweltfreundliche Ausstellungen. Der Ratgeber zur Konzeption und Umsetzung, Expo-Etage, Osnabrück 2016, S. 5. 38 Fuhrmann, Constanze: Digitales Nachhaltigkeitsmanagement im Museum, in: Museumskunde, Bd. 1/2021 (= Die Soziale Dimension der Nachhaltigkeit/Umwelt- und Klimaschutz), Berlin 2021, S. 14–21, hier: S. 17.
Aus der Geschichte für die Zukunft lernen
39 Fuhrmann, Constanze: Sustainability – A guiding principle of the World Heritage Convention – What has been achieved – What is missing – What is the future perspective, in: Albert, MarieTheres u. a. (Hrsg.): 50 Years World Heritage Convention: Shared Responsibility – Conflict & Reconciliation, Cham: Springer (im Druck). 40 https://www.koerber-stiftung.de/geschichtswettbewerb/portraet/198687 (Eingesehen: 14.11.2021).
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Doch nicht erst seit Tschernobyl sind natürliche und anthropogen verursachte Umweltbelastungen und -gefahren spürbar. Der Umgang mit natürlichen Ressourcen hat schon in der Antike zu erheblichen Umweltbelastungen geführt, die zum Teil von ungeahntem Ausmaß waren. So nutzten etwa die Römer Schwermetall im großen Stil als Material für Wasserrohre und sogar zum Süßen von Wein.41 „Menge und Einfluss dieser Schadstoffbelastung sind insgesamt gut belegt. Ihre globale atmosphärische Wirkung lässt sich anhand von arktischen Eisbohrkernen nachverfolgen, sie wurde auch in europäischen Mooren beobachtet. Archäologen und Geologen der Universitäten Münster, Aarhus, St. Andrews und Stirling haben nun entdeckt, dass sich im Umfeld mittelgroßer antiker Städte über Jahrhunderte hinweg bereits viele kleine Mengen des Schadstoffs im Boden angesammelt haben.“42 Weitere Belastungen ergaben sich unter anderem durch einen zentralisierten Blei-Silber-Bergbau, durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zum Bauen, für die Landwirtschaft, die Produktion von Lebensmitteln oder die Rodung von Wäldern.43
41 Heeke, Brigitte: Umweltbelastung schon in der Antike. Funde aus der antiken Stadt Gerasa belegen Schwermetall-Belastung im Boden, in: wissen | leben. Die Zeitung der WWU Münster 15, 2021, Nr. 4, S. 7. 42 Ebd. 43 Ebd.
Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie der Mensch im Laufe der Geschichte auf den Naturhaushalt einwirkte. Vergleichbare Situationen ergaben sich in fast allen geschichtlichen Epochen. Ein Blick in die Vergangenheit kann dabei nicht nur generell über das Verhältnis und die Zusammenhänge von Mensch, Natur und Umwelt sowie über die Verflechtung von sozialen und ökologischen Dynamiken reflektieren. Er kann darüber hinaus dazu beitragen, bei der Entwicklung aktueller und zukünftiger Lösungen zum Beispiel das Verständnis von Ressourcennutzung und daraus resultierenden historischen Schadstoffverteilungen auf der globalen Ebene einzubeziehen.44 Eine Aufbereitung in Form einer erlebnisstarken Ausstellung bietet sich besonders an, da aktuelle Umweltfragen und Modelle zirkulären Wirtschaftens auf eine attraktive Weise mit historischen Exponaten und Objekten in Verbindung gebracht und damit geschichtliche und umweltbezogenen Prozesse sichtbar gemacht werden können.
44 Auch Haumann schließt seinen summierenden Parcours durch wichtige umwelthistorische Publikationen der letzten Jahre mit einem Ausblick auf die „Anpassungsfähigkeit der menschlichen Ressourcennutzung“. Verbrauch und Mobilisierung von Rohstoffen sei zentraler Untersuchungsgegenstand vieler der referierten Veröffentlichungen. Hier zeige sich das „Potenzial gesellschaftlicher Reflexion, aber auch die Flexibilität, mit der Gesellschaften ihren Stoffgebrauch gestaltet haben. Hier zeigt sich [zudem], wie soziale und materielle Anpassungsprozesse in der Geschichte ineinandergriffen und regelmäßig den vollständigen Zusammenbruch von Gesellschaften verhinderten. Möglicherweise bietet die systematische Auseinandersetzung mit der Geschichte von Rohstoffen einen geeigneten Zugriff auf die Frage, wie mit den Herausforderungen der rasanten Umweltveränderungen der Gegenwart umgegangen werden kann.“ Zit. Haumann, Zwischen „Nachhaltigkeit“ und „Anthropozän“, S. 326.
III Gestaltungskonzept der Ausstellung
Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf – GfG / Gruppe für Gestaltung, Bremen
Blicke unter die Oberfläche – Zur Gestaltung der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutschdeutschen Vergleich“ Einleitung Der Ausstellungstitel „Gras drüber …“ hat uns sofort abgeholt. Was alles ist dieses Gras und was finden wir darunter? Bedeutet „Gras drüber“ nur, dass etwas unwiederbringlich vorbei ist, oder lässt sich auch eine Perspektive für die Zukunft erahnen? Die heute sichtbare Oberfläche, sie überdeckt nur die darunterliegenden Hinterlassenschaften des Bergbaus – dieses Bild wurde immer klarer, je weiter wir in das Ausstellungsthema und seine Umsetzung eintauchen durften. Das Gras erzählt nicht nur von der Natur-, sondern auch von der Kulturlandschaft, die sich über den Bergbau legt. Blicken wir darunter, finden wir Geschichten, Verletzungen, aber auch Chancen (Abb. 1).
Zugang zum Thema Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften – das klingt erstmal abstrakt und technisch, wie ein Nischenthema. Und doch ist das Gegenteil der Fall: Die Frage, was mit den Landschaften in den ehemaligen Bergbauregionen passieren soll, betrifft uns als Gesellschaft. Wir alle haben viele Jahre von der Erfolgsgeschichte Bergbau profitiert. Und deswegen tragen auch wir alle die Verantwortung dafür, dass diese Gebiete in Zukunft wieder eine sinnvolle Funktion für Mensch und Natur übernehmen können.
Lernen aus unserer Geschichte – mit beteiligenden Formaten „Wer seine Vergangenheit kennt, kann Zukunft gestalten.“ – Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek brachte treffend auf den Punkt, warum der Forschungsverbund „Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlenrevier, die Wismut und das Ruhrgebiet (1949–1989/2000)“ mit seinem Fokus auf die Vergangenheit des Bergbaus in Ost- und Westdeutschland gleichzeitig die Zukunft hier in den Blick nimmt. Wenn wir die Strategien zur Rekultivierung in der Geschichte dieser Reviere näher betrachten und vergleichen, können wir daraus wertvolle Schlüsse für unseren künftigen Gestaltungsauftrag ziehen. Das bedeutet aber auch, dass wir das Wissen und die gewonnenen Erkenntnisse in die Gesellschaft tragen müssen. Durch Rekultivierung werden riesige Landschaften komplett neu erschaffen; eine Gestaltungsaufgabe, so groß und so facettenreich, dass es eine breite Auseinandersetzung darüber und Beteiligungsmöglichkeiten braucht.
Besucher:innen bei der Gestaltung von Zukunft mitnehmen Zur Rekultivierung gehört, dass es kein Zurück zur Natur gibt. Die Spuren, die der Bergbau hinterlassen hat, sie lassen sich nicht einfach auslöschen, wir müssen also mit ihnen umgehen. Darin liegt eine große Herausforderung. Vor allem aber liegt darin ein großer Gestaltungsauftrag für die Zukunft. Genau das machte für uns einen besonderen Reiz aus: der Ausblick, dass wir etwas bewegen können und Menschen dazu anregen, Zukunft mitzugestalten.
https://doi.org/10.1515/9783110780154-007
Abb. 1: Was liegt hinter der schönen Oberfläche? 3D-Skizze zum Intro der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
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Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf
Eine interaktive Ausstellung als Brücke und Beteiligungsplattform Die Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ vermag genau das zu leisten: Sie baut eine Brücke zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Und sie befähigt die Besucher:innen, sich zu positionieren und sich an der Debatte um die zukünftige Gestaltung der Bergbauregionen zu beteiligen. Es ist klar, dass eine Ausstellung mit diesem Anspruch nicht einfach nur Wissen vermitteln kann. Es braucht sicher erstmal ein Verständnis von Rekultivierung, um sich an der Debatte darüber beteiligen zu können. Aber Lernen, wie wir es verstehen, nämlich mit allen Sinnen und über das eigene Erleben, braucht noch mehr: ein starkes Narrativ, verschiedene Blickwinkel und vor allem die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden.
Die Ausstellungsreise Die Ausstellung beginnt in der Gegenwart, begleitet die Besucher:innen in die Vergangenheit – in die Boomzeit des Bergbaus – und schließlich wieder zurück, Richtung Zukunft (Abb. 2).
Wie sieht der Status quo aus? Unser Ausstellungserlebnis startet mit einer Einführung in das Thema Rekultivierung aus aktueller Perspektive: Wie sieht es heute in den ehemaligen Bergbaurevieren in der Lausitz, in den Wismut-Gebieten oder im Ruhrgebiet aus? Was sind die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede dieser Regionen? Wie präsentiert sich die Landschaft? Wie leben und wie arbeiten die Menschen dort? Ist der Tagebau noch fest im Selbstverständnis der Bewohner:innen verankert? Was hat sich durch den Wegfall der vielen Arbeitsplätze und das Ende des mehrere Generationen dominierenden Bergbaulebens verändert? Wie nehmen Tourist:innen diese Regionen wahr und warum sind diese als Reiseziele reizvoll? Die vielen Facetten in der Diskussion um die Rekultivierung, sie werden hier bereits sichtbar (Abb. 3).
Was hat die Bergbauvergangenheit mit uns zu tun? Die Einführung hinterlässt viele Fragen, mit denen die Besucher:innen ins nächste Kapitel eintauchen. Dort lenken wir den Blick auf den Bergbau: auf das, was gefördert wurde, und auf die Auswirkungen auf die Natur und die Menschen. Es wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der Bergbauvergangenheit
und unserem Leben heute. Die Besucher:innen erfahren, dass der Bergbau und das Versprechen neuer und vermeintlich einfach herzustellender Energieträger schlicht der Wirtschaftsmotor der Nachkriegszeit waren, der bis in die heutige Zeit wirkt. Gleichzeitig sehen sie, dass dieser Boom Wunden hinterlassen hat: in der Natur, bei den Menschen und auch in der politischen und kulturellen Gesellschaft. Wunden, die zu groß sind, um sie unversorgt zu lassen (Abb. 4–6).
Wie geht Rekultivierung? Zum Verständnis der Rekultivierung gehört auch die Einsicht, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann: Es gibt kein Zurück zur Natur. Vielmehr braucht es eine Neugestaltung von Natur, Kultur und Gesellschaft. Wer aber bestimmt die Regeln der Rekultivierung und entscheidet, wie die Neugestaltung aussehen soll? Neben wirtschaftlichen, politischen und regionalen Rahmenbedingungen spielt das Thema Umwelt eine zunehmend wichtige Rolle. Woher stammt dieses wachsende Umweltbewusstsein und wie konnte es sich so schnell verbreiten, dass es heute die Agenda zur Rekultivierung maßgeblich mitbestimmt? (Abb. 7–8).
Und was kommt jetzt? Ein Einblick in die jüngeren Dynamiken bei der Entwicklung des Klimas verleiht den Argumenten für die Priorisierung der Umweltperspektive zusätzliches Gewicht. Außerdem öffnet sich darüber am Ende der Ausstellungsreise nochmal der Blick in die Welt. Es gibt vielerorts eine große Debatte um das Ende des Bergbaus und zahlreiche Konflikte. Die Besucher:innen tauchen ein, wechseln die Positionen: Mit wem sympathisiere ich, wo finde ich mich wieder? Und schließlich die Frage, wie bisherige Erfahrungen mit Rekultivierung fruchtbar gemacht werden können: Welche Ansätze sind vielversprechend? Was sind aktuell die größten Innovationen und Herausforderungen? Welche Schlüsse können wir daraus ziehen – und wie wollen wir die Zukunft der Bergbauregionen konkret gestalten?
Die Szenografie der Ausstellung: Blick unter die Oberfläche Unser szenografisches Konzept ist durch den Titel der Ausstellung inspiriert. „Gras“ ist das, was die Besucher:innen heute in den ehemaligen Bergbaurevieren vielfach sehen können. Schöne, vermeintlich natürliche Landschaften, Relikte vergangener und erfolgreicher Zeiten und Erinnerungen an Menschen und deren Erlebnisse. Das „drüber“ wirft die Frage auf, was unter dem „Gras“ zu finden ist. Ein Blick unter bzw. hinter die
Blicke unter die Oberfläche – Zur Gestaltung der Ausstellung
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Abb. 2: Die Storyline der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
Abb. 3: Schwarz-Weiß-Skizze zur Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
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Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf
Abb. 4: Schwarz-Weiß-Skizze zur Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
Abb. 5: Schwarz-Weiß-Skizze zur Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
Blicke unter die Oberfläche – Zur Gestaltung der Ausstellung
Abb. 6: Farbskizze zur Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
Abb. 7: Schwarz-Weiß-Skizze zur Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
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Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf
Abb. 8: Schwarz-Weiß-Skizze zur Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“, 2021 (GfG / Gruppe für Gestaltung)
gegenwärtigen Oberflächen, die helfen zu verstehen, dass man hinter Kulissen blickt. Kulissen, die sowohl die Geschichte als auch die tiefgreifenden und bleibenden Eingriffe in die Natur und die Kultur überdecken. Dieses Spannungsverhältnis ist unser verbindendes Gestaltungsprinzip.
Anlehnung an den Kulissenbau Daraus haben wir ein Raumerlebnis geformt, das einem Kulissenbau gleicht. Die vermeintlich schöne Oberfläche haben wir in großformatige, leuchtende Bilder übersetzt. Blickt man hinter diese Bilder, sieht man die hölzerne Konstruktion, die die Kulisse trägt und stützt. Die Besucher:innen sehen also auf den ersten Blick schöne Bilder der Natur, des Lebens und der Arbeit in Bergbaugebieten – Bilder, die sie mit einem Blick dahinter direkt wieder hinterfragen.
Unterschiedliche Zugänge Hinter den Kulissen illustrieren wir über eine Auswahl an Objekten, Bildern und medialen Darstellungen, was
unter der Oberfläche schlummert. Es gibt dort nicht die eine Erzählung, sondern eine Perspektivenvielfalt, die spiegelt, wie divers die Themen zu betrachten sind. Die Multiperspektivität erstreckt sich bis auf die Ausstellungsobjekte, die häufig mehr als nur eine Erzählung zulassen. Ausgewählte Leitobjekte bieten den Besucher:innen Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit. Sie erhalten mediale und bauliche Zugänge zu verschiedenen wissenschaftlichen oder auch gesellschaftlichen Perspektiven auf das Objekt.
Werkstattcharakter Behind the scenes: In einer werkstatt-ähnlichen Ausstellungssituation sind unter bzw. hinter der schönen Oberfläche konstruktive Elemente offen sichtbar, große Bildflächen offensichtlich nur vorgespannt, Vitrinen und Objekte lebendig und dicht angeordnet. Die Grundkonstruktion aus Holz, weißen und lichtgrauen Möbelflächen und bedruckten, textilen Oberflächen schafft eine nahbare und einladende Atmosphäre. Die Konstruktion der Ausstellungselemente ist darüber hinaus so angelegt, dass sie leicht wiederverwertbar sind. Das verwendete Holz ist unbehandelt. Damit soll
Blicke unter die Oberfläche – Zur Gestaltung der Ausstellung
dem Gedanken der Nachhaltigkeit in der Ausstellungsgestaltung Rechnung getragen werden. Wir präsentieren nicht, sondern laden die Besucher:innen ein, selbst aktiv zu werden und die Objekte zu untersuchen. In der Anordnung der Raumzonen spielen wir mit offenen und verdichteten Situationen. Klare Führung wechselt sich ab mit der Öffnung im Raum in eine marktplatzähnliche Situation. Immer wieder streuen sich ruhigere Aufenthaltsbereiche ein, bevor der Grad an Interaktionen zum Ende und zum Ausblick der Ausstellung zunimmt.
Unsere Arbeitsweise: Beteiligung als Gestaltungsprinzip Ausstellungen sind für uns erstmal ein Ort der Begegnung – ein Ort, an dem Menschen, Inhalte und Räume zusammentreffen. Diese Idee durchzieht schon den gesamten Entstehungsprozess, angefangen bei der Zusammensetzung unseres Teams: Expert:innen aus der Kuration, Ausstellungsplanung und Öffentlichkeitsarbeit arbeiten mit Drehbuchautor:innen, Spezialist:innen für Vermittlung und mit Grafik- und Interactiondesigner:innen Hand in Hand. Gemeinsam haben wir das Narrativ für die Ausstellung überprüft und zusammen mit dem wissenschaftlichen Team weiterentwickelt. Dabei haben wir uns die Frage gestellt: Welche Botschaft wollen wir den Besucher:innen eröffnen? Diese Vorgehensweise haben wir auf jeden Inhalt und jedes Objekt angewendet und so die gemeinsame Basis für eine strukturierte Zusammenarbeit auf Augenhöhe geschaffen. Es ist uns gelungen, eine interdisziplinäre und konstruktive Teamkultur zu etablieren, die genug Raum eröffnete, dass jede:r Einzelne die eigene Fachexpertise einbringen konnte. Der Übergang zur Entwicklung von beteiligenden Formaten war dann fließend.
Komplexe Themen werden spielerisch vermittelt Interaktion und Spiel sind nützliche Werkzeuge, mit denen wir Besucher:innen den Zugang zu vielschichtigen Themen ermöglichen. Wir stellen einen Bezug her zu den persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen der Besucher:innen und entwickeln daraus den Plot für unsere Spiele und Interaktionen. Die Frage lautet nie „Kannst du?“, sondern immer „Wie kannst du?“ – so eröffnen wir einen Raum, in dem jede:r Einzelne eine persönliche Antwort auf die komplexen Fragen im Zentrum der Ausstellung finden kann. Gleichzeitig ist Interaktion der Schlüssel zu vertiefendem Wissen. Haben wir das Tor erstmal geöffnet, finden die Besucher:innen Möglichkeiten, weiter einzutauchen und zu verstehen.
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Die Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ ist eine abwechslungsreiche und lebendige Interaktionslandschaft, die Körper und Geist anspricht. Wie die Interaktion konkret aussieht – ob wir ein Hands-on-Exponat anbieten, zu einem digitalen Game einladen oder den Blick aktiv hinter ein Objekt lenken –, ist immer durch unser konkretes Thema bestimmt.
Wen wollen wir beteiligen und aktivieren? Unsere Ausstellungen entwickeln wir mit dem Ziel, dass wir die Besucher:innen direkt erreichen. Ein genaues Bild von den Menschen, die wir ansprechen, ist deshalb für unsere Arbeit elementar. Es ist die Voraussetzung dafür, dass wir die richtigen Mittel wählen können. Denn so wie am Ende nur noch grau zu sehen ist, wenn man zu viele Farben mischt, büßen auch die Ausstellung und ihre Botschaft an Klarheit ein, wenn wir versuchen, alles für alle aufzubereiten. Hier lohnt es sich, genau hinzusehen und nachzuforschen, welche Menschen mit welchen Eigenschaften am Ende unsere Besucher:innen sind. Für die Sonderausstellung im Deutschen Bergbau-Museum Bochum war die bereits vorhandene Typisierung der Zielgruppen eine große Hilfe. Sie lieferte Antworten auf so wichtige Fragen wie: Wer sind die Stammbesucher:innen? Wie verhalten sie sich im Museum? Welche Menschen sollen in Zukunft stärker angesprochen werden? Dieses Wissen konnten wir von Anfang an mit in unsere Planung aufnehmen.
Unterschiedliche Betrachtungsperspektiven Die Erzählung der Ausstellung beginnt mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, nämlich der Antwort auf die Frage: Worum geht es hier eigentlich? Eine zentrale Frage, die alle Besucher:innen mitbringen – und die wir räumlich und kommunikativ auf den ersten Blick beantworten. Ist das Interesse geweckt, eröffnen wir den Einstieg in die Tiefe. Wir folgen nicht nur einem einzelnen Pfad, sondern nehmen die Besucher:innen mit in die Deutungsvielfalt und Multiperspektivität von Objekten und Inhalten. Nicht, weil wir die Dichotomie von Gut und Böse aufmachen wollen, sondern um unterschiedliche Betrachtungsperspektiven verständlich zu machen. Wir bringen die Besucher:innen in eine Position, in der sie sich selbst ein Bild machen und eine Haltung entwickeln können.
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Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf
Diversität zieht sich als roter Faden durch die Ausstellung Die Entwicklung des Bergbaus beruht nicht auf der Idee eines Einzelnen, sondern wir alle in dieser Gesellschaft haben durch unser Konsumverhalten, unser Streben nach wirtschaftlichem Erfolg, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Fortschritt und durch unser Umweltbewusstsein Einfluss auf diese Entwicklung. Die Diversität der Meinungen, Positionen und Motivationen archetypischer Protagonist:innen zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Die Besucher:innen lernen die Protagonist:innen am Anfang der Ausstellung kennen und finden sich im Laufe der Ausstellung in deren Diskussionen und Streitgesprächen wieder. Objekte werden nicht nur aus einer Perspektive betrachtet, sie geben unterschiedliche Erzählungen preis.
Neben Unternehmer:innen, Umweltaktivist:innen oder Anwohner:innen nehmen Forscher:innen eine tragende Rolle ein. Damit die Welt unter dem „Gras“ richtig gedeutet wird und daraus Schlüsse und Ideen für die Zukunft entstehen können, braucht es weit mehr als den schnellen Blick. Vor allem wie deutschdeutsche Erfahrungen und Erkenntnisse für gegenwärtige und zukünftige globale Aufgaben fruchtbar gemacht werden können, wird über die Perspektive der Forscher:innen erfahrbar. Am Ende der Ausstellungsreise können die Besucher:innen sich entscheiden, ob sie einer Perspektive folgen möchten und welche eigenen Schlüsse sie aus der Reise ziehen. Voller Spannung blicken wir nun den Antworten entgegen, die sie auf die Zukunftsfragen der Bergbaugebiete entwickeln werden.
IV Inhalte der Ausstellung
IV.1 Hier und jetzt
Abb. 1: Rekultivierte Landwirtschaftsflächen am Tagebau Welzow-Süd, 01.07.2012 (LEAG / Andreas Franke)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-008
Regina Göschl
Drei Landschaften der Gegenwart Einleitung Die Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ nimmt drei Regionen in den Blick, die in besonderer Weise durch den Bergbau geprägt waren und sind: Das Ruhrgebiet in NordrheinWestfalen, die Lausitz in Brandenburg und Sachsen und das Gebiet der Wismut in Thüringen und Sachsen. Auch wenn Rohstoffe, Abbauarten und politische Rahmenbedingungen sich unterschieden, zeigen sich Ähnlichkeiten in den Auswirkungen auf Landschaft, Umwelt und den Menschen. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Geschichte des Bergbaus in diesen Regionen gegeben und der Frage nachgegangen, was davon im Jahr 2022 noch übrig ist. In allen drei Regionen wurden und werden die ehemaligen Bergbaugebiete erneut durch menschliche Eingriffe verändert. Daher stellt sich auch die Frage: Gab es ein „Zurück zur Natur“ durch die Umgestaltung von Bergbaufolgeflächen?
auch an der Behebung der landschaftlichen Schäden geforscht. Sie war sogar weltweitend führend auf dem Gebiet der so genannten Rekultivierungsforschung in den 1950er- und 1960er-Jahren. Rekultivierung meint vereinfacht gesagt die Wiedernutzbarmachung ehemaliger Bergbauflächen, also gewissermaßen eine neue „Inwertsetzung“ der Landschaft nach dem Bergbau. Im Jahr 2022 betreibt die Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) weiterhin Braunkohlentagebau in den vier Tagebauen Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde (Abb. 2). Zu DDR-Zeiten bestanden jedoch etwa 30 Tagebaue in der Region. Blickt man heute auf die Lausitz, so scheint von den riesigen, durch den Bergbau in Anspruch genommenen Flächen nicht mehr viel übrig zu sein. Sie sind jedoch in veränderter Form noch immer präsent. Durch Rekultivierungsmaßnahmen wurden große Flächen, auf denen Braunkohle über Tage abgebaut wurde, in Seen umgewandelt, weshalb man heute vom Lausitzer Seenland spricht
„Seenlandschaft“ Lausitz Die Landschaft der heutigen Lausitz ist durch Jahrhunderte andauernde Tätigkeiten des Menschen verändert worden. Besonders der Abbau der Braunkohle war prägend für die Region in vielfacher Hinsicht. Erste Braunkohlefunde sind bereits seit 1734 um Zittau nachgewiesen. Da die Menschen den Rohstoff noch nicht kannten, nannten sie ihn zunächst „unterirdisches Holz“. Erst 1816 führten die preußischen Bergbehörden den Begriff „Braunkohle“ ein. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bauten Unternehmer Braunkohle in der Lausitz ab, zunächst unterhalb der Erde (untertägiger Bergbau), anschließend nahe an der Oberfläche (Tagebau). Es kam verstärkt zur Gründung von Gruben. Diese Entwicklung nutzte besonders der heimischen Tuch- und Glasindustrie. Bis ungefähr 1885 erfolgte der Abbau der Kohle im reinen Handbetrieb. Durch technologische Entwicklungen konnte anschließend zunehmend auf maschinellen Abbau umgestellt werden. Von 1949 bis 1990 war die Lausitz Teil der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Aufgrund des dort herrschenden Rohstoffmangels musste Braunkohle in großen Mengen abgebaut werden. Dies hatte massive Auswirkungen auf die Landschaft und die Umwelt. Vor allem der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2) und Schwefeldioxid (SO2) belastete die Luft und das Klima. Riesige Flächen wurden für den Abbau der Kohle aufgerissen und ganze Dörfer und ihre Menschen durch Umsiedlungen entwurzelt. Seit den 1950er-Jahren wurde in der DDR aber
Abb. 2: Rekultivierung am Tagebau Welzow-Süd, 2019 (LEAG / Andreas Franke)
Abb. 3: Sanierungsschiff „Klara“ auf dem Partwitzer See, 2017 (LMBV / Peter Radke)
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Abb. 4: Leuchtturm am Bärwalder See, 2018 (LEAG / Andreas Franke)
Abb. 6: Rekultivierung im Tagebau Nochten, 2015 (LEAG / Andreas Franke)
Abb. 5: Lausitzer Seenland, 2018 (LEAG / Hartmut Rauhut)
Abb. 7: Ein Rothirsch am ehemaligen Braunkohlentagebau Seese-West in der Lausitz, undatiert (LMBV)
(Abb. 3–5). Dieses wird insbesondere touristisch vermarktet, was die Region auch wirtschaftlich stark veränderte. Dies war in diesem Umfang in der Lausitz zu DDR-Zeiten nicht denkbar, wobei mit dem Senftenberger See bereits Ende der 1960er-Jahre zum ersten Mal planmäßig ein Naherholungsgebiet aus dem ehemaligen Tagebau Niemtsch geschaffen wurde. Aber auch für die Land- und Forstwirtschaft werden ehemalige Bergbauflächen in der Lausitz heute genutzt (Abb. 6–8). Dass die Umwandlung der Landschaft durch den Menschen jedoch auch mit neuen Gefahren verbunden ist, zeigen immer wieder Vorfälle wie der Erdrutsch einer Insel im Senftenberger See im September 2018.
Laut dem Klimapaket der Bundesregierung von 2019 soll in Deutschland spätestens ab 2038 vollständig auf Energiegewinnung aus Kohle verzichtet werden. Dies zieht massive Konsequenzen vor allem für die Wirtschaft in der Region nach sich. Die Braunkohle bedeutete in der Lausitz auch Arbeitsplatzsicherheit für die Menschen vor Ort. Teile der Bevölkerung protestieren daher heute gegen die Stilllegung von Tagebauen. Umweltschützer:innen hingegen fordern einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohle, da ihre Verbrennung eine der Hauptquellen des Klimawandels darstellt. Hier entstehen somit Konflikte zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen. Diese Gegensätze gibt es jedoch schon, seit es Bergbau gibt.
Drei Landschaften der Gegenwart
Abb. 8: Rekultivierung im Tagebau Jänschwalde, 2016 (LEAG / Andreas Franke)
„Haldenlandschaft“ Ruhrgebiet Die im Ruhrgebiet abgebaute Steinkohle ist älter und liegt deutlich tiefer als die Braunkohle, weshalb sie im untertägigen Bergbau (unterhalb der Oberfläche) abgebaut werden musste. Die ersten schriftlichen Quellen, in denen Steinkohle aus dem heutigen Ruhrgebiet erwähnt wird, stammen aus dem Mittelalter. Das Wirtschaftswachstum seit dem 16. Jahrhundert machte Steinkohle als günstige Alternative zu Holz zu einem wichtigen Rohstoff. Wichtigster Motor der Steinkohlenförderung im heutigen Ruhrgebiet war zu dieser Zeit das Salinenwesen (Salzproduktion). Der Ruhrbergbau hatte schließlich im 19. Jahrhundert maßgeblichen Anteil an der Industrialisierung in Deutschland. Steinkohle wurde besonders für die Eisen- und Stahlproduktion benötigt. In den beiden Weltkriegen von 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 spielte der Steinkohlenabbau im Ruhrgebiet eine wichtige Rolle in der Kriegswirtschaft. Nach 1945 nahm er schließlich erneut eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau der BRD ein. Im Jahr 1958 kam es jedoch zur Kohlenkrise, vor allem aufgrund des verstärkt genutzten Erdöls und preiswerter importierter Steinkohle. Durch staatliche Subventionen konnte der Ruhrbergbau aber noch bis zur Schließung der
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letzten Zeche Prosper-Haniel in Bottrop 2018 fortgesetzt werden. Dies sollte einen langfristigen und sozialverträglichen Auslaufprozess sicherstellen. Ebenso wie der Braunkohleabbau in der Lausitz hatte auch der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet starke und zum Teil zerstörerische Auswirkungen auf die Umwelt und die Landschaft. So verursacht der Abbau und die Verbrennung der Steinkohle zur Energiegewinnung einen hohen Anteil an klimaschädlichem CO2. Die Veränderung der Landschaft scheint dagegen im Vergleich zum Braunkohlentagebau weniger drastisch zu sein. Durch den untertägigen Bergbau mussten zumindest keine Dörfer oder Städte umgesiedelt werden. Doch der menschliche Eingriff im Ruhrgebiet wurde auf andere Weise an vielen Stellen sichtbar. Durch die Entnahme von Material aus der Erde entstanden Hohlräume: Gebäude bekamen in der Folge nach und nach Risse, gerieten in Schieflage oder sanken gleichmäßig zur Umgebung ab (Bergschäden). Bei Fließgewässern wurde die Vorflut (Abfluss zum nächstgrößeren Bach) gestört. Das Wasser konnte nicht mehr abfließen und musste aus den Bereichen, unter denen Kohle abgebaut wurde, hochgepumpt werden. Dies muss auch nach dem Ende des Ruhrbergbaus weitergeführt werden und gehört zu den so genannten Ewigkeitsaufgaben, die von der RAG Aktiengesellschaft betreut und durchgeführt werden. Seit 1968 betrieb die Ruhrkohle AG den Bergbau im Ruhrgebiet und ist nun durch die RAG Aktiengesellschaft als Nachfolgeunternehmen für die Wiedernutzbarmachung der Folgeflächen und die Behebung von Bergschäden an Gebäuden verantwortlich. Eine weitere erhebliche Landschaftsveränderung entstand durch die Ablagerung von nicht nutzbarem Gestein (Berge) aus der Steinkohlenförderung auf so genannten Halden. Dass dies auch große Gefahren bedeuten konnte, zeigte beispielsweise das Abrutschen einer solchen Halde im walisischen Aberfan im Jahr 1966. Sie begrub unter anderem eine Grundschule unter sich. Etwa 140 Menschen, vor allem Kinder, starben bei dieser Bergbaukatastrophe. Halden konnten aber auch gesundheitliche Probleme auslösen. So brannten manche Halden im Ruhrgebiet jahrelang durch die vorhandene Restkohle, was die Atemluft in ihrer Umgebung belastete. Gegenwärtig werden Halden im Ruhrgebiet jedoch sogar als Bereicherung der Landschaft angesehen. Der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR, heute Regionalverband Ruhr, RVR) übernahm ihre Begrünung, womit sie, ähnlich den Seen in der Lausitz, touristische Anziehungspunkte wurden und der Naherholung der Bevölkerung dienen (Abb. 9–14, 16). Zudem wurden viele Halden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park (1989 bis 1999) durch verschiedene Künstler:innen gestaltet. Sie schufen damit öffentlich zugängliche Kunstwerke, die die Halden zu Landmarken des Ruhrgebiets werden ließen, wovon hier nur beispielhaft zwei genannt werden sollen: Der in Recklinghausen geborene Land
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Abb. 9: Halde Hoheward in Herten, 2020 (Jessica Hornung) Abb. 13: Rekultivierte Halde Prosper mit „Tetraeder“ in Bottrop nach einem Entwurf von Wolfgang Christ, erbaut 1993, 2006 (LWL-Medienzentrum für Westfalen, 10_8822 / Anna Feldmeyer)
Abb. 10: Aussichtsplattform bei der Halde Hoheward, 2020 (Jessica Hornung)
Art-Künstler Herman Prigann (1942–2008) installierte beispielsweise auf der Halde Rheinelbe bei Gelsenkirchen das Kunstwerk „Himmelstreppe“, und der Maler und Bildhauer Agustín Ibarrola (geb. 1930) verwirklichte auf der Halde Haniel die Installation „Totems“. Auch andere industriekulturelle Hinterlassenschaften im Ruhrgebiet dienen heute der Freizeitgestaltung der Menschen, wie der Landschaftspark Duisburg-Nord. Dabei handelt es sich um ein etwa 180 Hektar großes Areal rund um ein stillgelegtes Hüttenwerk in DuisburgMeiderich, das ebenfalls im Kontext der IBA Emscher
Abb. 11: Freizeitsport auf der Halde Beckstraße in Bottrop, 2020 (Jessica Hornung)
Abb. 12: Sonnenuhr aus 24 Stahlsäulen – Installation von Jan Bormann auf der rekultivierten Bergehalde der 1967 stillgelegten Zeche Graf Schwerin in Castrop-Rauxel, 2013 (LWL-Medienzentrum für Westfalen, 10_12005 / Christoph Steinweg)
Abb. 14: Die „Himmelstreppe“ des Künstlers Herman Prigann auf der Halde Rheinelbe bei Gelsenkirchen, 2020 (Jessica Hornung)
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Abb. 15: Landschaftspark Duisburg-Nord rund um ein stillgelegtes Hüttenwerk in Duisburg-Meiderich, undatiert (RVR, Ludger Staudinger)
Park gestaltet wurde (Abb. 15). Diese Image-Veränderung stellt aus heutiger Perspektive eine Erfolgsgeschichte dar, wobei ihre problematische Vergangenheit zumeist in den Hintergrund rückt.
Abb. 16: Kunstwerk „Totems“ des Künstlers Agustín Ibarrola auf der Halde Haniel in Bottrop, 2020 (Jessica Hornung)
„Welterbelandschaft“ Erzgebirge In der Zeit des Kalten Krieges von 1945 bis 1990 kam dem Uranerzbergbau in der DDR eine zentrale Rolle für die atomare Aufrüstung der Sowjetunion zu. Durch die Atombombenabwürfe der USA in Japan 1945 wurde der sowjetischen Führung ihr Mangel an Uran bewusst. Daher suchte sie im eigenen Land und in ihrem Machtbereich nach Uranerzlagerstätten – auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der späteren DDR (Gründung 1949). Bereits 1946 fanden sowjetische Geologen Uranerz in Johanngeorgenstadt (Sachsen). Kurze Zeit später gründete die Sowjetunion die „Zweigstelle der Staatlichen Sowjetischen Aktiengesellschaft der Buntmetallindustrie, Wismut“ (SAG Wismut). Hinter dem Namen Wismut verbarg sich zwischen 1947 und 1990 der weltweit drittgrößte Bergbaubetrieb zur Förderung von Uranerzen. Sein Hauptsitz war Moskau. Der Sitz der Zweigstelle war zunächst in Aue, ab 1949 in Chemnitz/Karl-Marx-Stadt. Das Gebiet der SAG Wismut erstreckte sich über Teile Thüringens und Sachsens im Erzgebirge. 1953 wurde der Betrieb in eine „SowjetischDeutsche Aktiengesellschaft Wismut“ (SDAG Wismut) umgewandelt. Der Name Wismut sollte verschleiern, dass in der DDR hochradioaktives Uranerz für die Atomwaffenproduktion der Sowjetunion abgebaut wurde. Wismut ist ein im Vergleich zu Uran harmloses chemisches Element, da es nur eine geringe radioaktive Strahlung aufweist. Uranerz wurde zumeist auch unter Tage abgebaut, weshalb in den Wismut-Gebieten
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Abb. 17: „Wir sind Welterbe“, 2019 (Welterbe Montanregion Erzgebirge e. V. / 360 Grad Team)
auch Halden mit unbrauchbarem Gestein aufgeschüttet wurden. Dort kam es – wie im Ruhrgebiet – zu so genannten Bergschäden. So war der Ort Schlema durch die Entnahme von Material aus der Erde um mehr als sechs Meter abgesunken, und in den Häusern zeigten sich große Risse. Die Halden veränderten außerdem nicht nur die Landschaft, sondern sie strahlten auch noch radioaktiv. Nach dem Ende des Uranerzbergbaus 1990 musste die Nachfolgeinstitution Wismut GmbH daher eine umweltverträgliche Sanierung der Gebiete verantworten. Trotz der großen Umweltprobleme waren viele Menschen von der Arbeit in dem Betrieb wirtschaftlich abhängig. Besonders einschneidend waren daher die Arbeitsplatzverluste nach der Vereinigung der DDR mit der BRD 1990. Seit Mitte der 1960er-Jahre waren bis zum Ende der DDR um die 45 000 Arbeitskräfte bei der SDAG Wismut beschäftigt. 1991 waren es noch 28 000, wiederum ein Jahr später allerdings nur noch 6700. Daher kam es auch zu Protesten in der Bevölkerung. Die Wismut-Gebiete sind seit Juli 2019 Teil des UNESCO-Welterbes Montanregion Erzgebirge/ Krušnohoří (Abb. 17). Dazu zählen 17 Teilgebiete in Sachsen und fünf Teilgebiete im benachbarten Tschechien. Das Erzgebirge ist nämlich eine der traditionsreichsten Bergbauregionen der Welt. Dort wurde nicht nur zu DDR-Zeiten Uran abgebaut, sondern bereits seit
dem Spätmittelalter wurden viele andere Rohstoffe gewonnen. Die Region war insbesondere von 1460 bis 1560 die wichtigste Quelle für Silber in Europa, das im Erzgebirge auch noch bis 1968 gefördert wurde. Neben Silber wurden auch Zinn, Blei, Eisen, Kobalt, Nickel, Kalk, Kaolin, Ton und Steinkohle in der Region abgebaut. In Freiberg befindet sich daher die älteste montanwissenschaftliche Hochschule der Welt, die Technische Universität Bergakademie Freiberg (TUBAF). Sie wurde bereits 1765 gegründet, und bis heute werden hier Bergbau- und Spezialtiefbauingenieure ausgebildet. Der Abbau von Uran ist dabei jedoch ein besonderes Kapitel im Kontext der atomaren Aufrüstung der beiden Supermächte USA und Sowjetunion zu Zeiten des Kalten Krieges von 1945 bis 1990. Dies zeigt, dass Bergbau auch eine politische Dimension hat. Heute stellt das Erzgebirge, wie die Seenlandschaft der Lausitz und die Haldenlandschaft des Ruhrgebiets, auch einen touristischen Anziehungspunkt dar. Dazu gehören teilweise die Halden der ehemaligen Wismut-Standorte. Während der aktiven Bergbauzeit der Wismut wurden an den zahlreichen Standorten insgesamt 48 Halden aus Nebengestein und Abraum angelegt. Diese wurden zum Teil komplett abgetragen und an einen Ersatzstandort oder in den ehemaligen Tagebau Lichtenberg umgelagert. Wenn eine Umlagerung nicht möglich war, wurde die Halde an Ort und Stelle erhal-
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Abb. 18: Haldenkomplex der Wismut GmbH 38neu, 382 mit dem sanierten Absetzbecken Borbachtal (rechts) in Bad Schlema, 2015 (Wismut GmbH / Thomas Schlegel)
Abb. 19: Sanierte Halde Schacht 366 in Alberoda, 2015 (Wismut GmbH / Thomas Schlegel)
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Abb. 20: Böschung der Halde Schüsselgrund am Standort Königsstein, 2015 (Wismut GmbH / Thomas Ackermann)
ten und – ähnlich den Halden im Ruhrgebiet – begrünt (Abb. 18–20). Vor allem die radioaktive Strahlung des Urans galt es dabei, in den Griff zu bekommen.
Zusammenfassung Betrachtet man die drei dargestellten Regionen nur aus der Sicht der Gegenwart, scheint in der Tat Gras über ihre Geschichte gewachsen zu sein. Die Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutschdeutschen Vergleich“ will dagegen aus historischer Perspektive ihren kontinuierlichen und menschengemachten Wandel aufzeigen. Dabei wird auch deutlich, dass es bei der Rekultivierung ehemaliger Bergbauflächen nicht um ein „Zurück zur Natur“ gehen kann. Die Eingriffe des Menschen durch den Bergbau sind nicht wieder rückgängig zu machen. Die Landschaften mussten und müssen wieder neugestaltet werden und neue Funktionen erhalten. Häufig sind es touristische oder auch land- und forstwirtschaftliche Zwecke, für die die Flächen anschließend genutzt werden. Dabei geht es nicht nur um landschaftliche Veränderungen, denn auch der damit einhergehende soziale, wirtschaftliche und mentale Wandel der jeweiligen Region muss politisch gesteuert und kompensiert werden. Hier treten jedoch Konflikte zu Tage, die über die Regionen hinausgehen und mit denen die Gesellschaft als Ganze umgehen muss. Ein Blick in die Geschichte des Ruhrgebiets kann dabei auch Orientierung für zukünftige Entwicklungen beispielsweise in der Lausitz liefern. Einfache Lehren aus der Geschichte können so sicherlich nicht gezogen werden. Dennoch gibt es zeitversetzt vergleichbare Entwicklungen in allen drei ehemaligen Bergbau-Regionen, die Auskunft über die (Denk-)Möglichkeiten ihres strukturellen Wandels geben.
Eine gemeinsame Klammer der drei Regionen stellt neben der Bergbau-Geschichte in gewisser Hinsicht das Konzept der „Industriekultur“ dar. Dabei geht es nicht nur um die Geschichte der industriellen Technik, sondern auch um die der Menschen, die mit dieser Technik arbeiteten (Arbeiter:innen) und mit ihren Vorteilen, aber auch ihren Nachteilen lebten (Bevölkerung). Aus dieser Perspektive ist eine Verknüpfung industriekultureller Theorie und Praxis mit der Umweltgeschichte auch in Zukunft unerlässlich. Denn die Industrialisierung brachte nicht nur mehr Komfort und Wohlstand für die Menschen, sondern auch Umweltverschmutzung und gesundheitliche Auswirkungen mit sich. Diesen Zwiespalt müssen Institutionen der Industriekultur anerkennen und thematisieren, um zukunftsfähig zu bleiben. Die Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ stellt sich dieser Herausforderung.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Bartels, Christoph/Slotta, Rainer (Hrsg.): Der alteuropäische Bergbau. Von den Anfängen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Münster 2012 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 1). – Tenfelde, Klaus/Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Motor der Industrialisierung. Deutsche Bergbaugeschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Münster 2016 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 3). – Weber, Wolfhard (Hrsg.): Salze, Erze und Kohlen. Der Aufbruch in die Moderne im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Münster 2015 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 2). – Ziegler, Dieter (Hrsg.): Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert, Münster 2013 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 4).
Online (Auswahl) – https://www.erzgebirge-gedachtgemacht.de/erzgebirge/geschichte (Eingesehen: 20.10.2021). – https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/montanregion-erzgebirgekrusnohori (Eingesehen: 20.10.2021). – https://tu-freiberg.de/fakultaet3/bbstb (Eingesehen: 20.10.2021). – https://www.rvr.ruhr/themen/tourismus-freizeit/ halden-landmarken/ (Eingesehen: 22.11.21). – https://www.lausitzerseenland.de/ (Eingesehen: 22.11.21).
IV.2 Glückauf ohne Grenzen – Umwelteinflüsse und Alltag im Bergbau
Abb. 1: Sowjetisches Feldlabor aus dem Einsatz 1947 im Objekt 1 = Johanngeorgenstadt, 1947 (montan.dok 030012865001)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-009
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Bergbauentwicklung und Umwelteinflüsse Einleitung Im Ruhrgebiet wurde der aktive Bergbau auf Steinkohle Ende 2018 eingestellt, im Gebiet der Wismut endete er mit der politischen Wende 1990 und in der Lausitz ist er seitdem drastisch heruntergefahren worden. Die Gewinnung von Braunkohle in der Lausitz, der Steinkohle im Ruhrgebiet und des Urans in den Vorkommen Sachsens und Thüringens fand unter Anwendung unterschiedlicher Bergbautechniken statt, in der Lausitz vor allem im Tagebau, im Ruhrgebiet weitgehend im Tiefbau und in den Wismut-Lagerstätten sowohl im Tief- als auch im Tagebau. Bestimmend waren die jeweilige Lagerstättensituation und Rohstoffinhalte. Spezifische Techniken zur Gewinnung wurden angewandt oder haben sich erst entwickelt. Die Hinterlassenschaften in der Umwelt sind auf den ersten Blick ebenso spezifisch für die Regionen, bei näherer Betrachtung erkennt man aber auch Ähnlichkeiten. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die historischen und geologischen Grundlagen des Bergbaus in den drei Gebieten gegeben.
Braunkohle in der Lausitz Der rund 3500 km2 große Lagerstättenbezirk befindet sich zum größten Teil auf der Fläche Brandenburgs sowie auf wesentlich geringerer Fläche auch in Sachsen. Er lässt sich durch die Verbreitung des so genannten 2. Lausitzer Flözes eingrenzen, wenngleich sich die Flözführung noch über die genannten Grenzen fortsetzt. Ein Flöz ist eine durch Ablagerung entstandene, ausgedehnte Lagerstätte eines Rohstoffs, die sich parallel zur Gesteinsschichtung ausprägt. Die Nordgrenze des 2. Lausitzer Flözes erstreckt sich etwa über die Städte Lübben, Cottbus und Guben. Die Westgrenze verläuft ungefähr entlang der Linie Elsterwerda-Doberlug-Kirchhain-Luckau bis zum Spreewald und Lübben im Norden. Die östliche Begrenzung des Niederlausitzer Lagerstättenbezirks bildet die Lausitzer Neiße entlang der Landesgrenze zu Polen. Die Südgrenze erstreckt sich entlang einer Verbindung zwischen den Städten Lauchhammer-Hoyerswerda-Niesky bis zur Neiße im Osten. Südlich davon liegen in der sächsischen Oberlausitz kleinere, isolierte Braunkohlevorkommen zwischen den Städten Kamenz, Bautzen und Niesky. Die traditionelle Bezeichnung „Niederlausitzer Lagerstättenbezirk“ beschränkt sich streng genommen nicht ausschließlich auf das Gebiet der Niederlausitz. Nach Osten und Süden bezieht er auch Gebiete der sächsischen Oberlausitz mit ein. Bisweilen werden auch die
Bezeichnungen „Lausitzer Lagerstättenbezirk“ oder „Lausitzer Braunkohlenrevier“ verwendet, die auch die noch etwas weiter südlich an der Grenze zu Polen liegenden Braunkohlenlagerstätten von Berzdorf und Zittau einbeziehen. Diese nehmen wegen ihrer geologischen Verhältnisse eine Sonderstellung ein. Die Braunkohlenlagerstätten des Niederlausitzer Reviers haben ihren Ursprung im Wesentlichen in der Zeit des Miozäns, dem Zeitabschnitt des Jungtertiärs vor rund 23 bis 5 Mio. Jahren. Im Unteren Miozän kommt es zu Schollenhebungen infolge von tektonischen Bewegungen. Damit verbunden ist eine intensive Abtragung des Oberlausitzer Gebietes. Der Abtragungsschutt, helle Tone und Sande, bildet einen Schuttfächer, der bis in das Gebiet der nördlichen Niederlausitz vorgeschüttet wird und das Meer zurückdrängt, das bis dahin das Lagerstättengebiet bedeckt hat. Vor dem Küstenfächer entwickeln sich im Küstensaum Moore, deren Pflanzen die Kohlenstoffbasis des 4. Lausitzer Braunkohlenflözes bilden. Dieses ist 3 bis 5 m, mancherorts bis 10 m mächtig. Da es in einer Teufe, bergmännisch für Tiefe, von 130 bis 170 m lagert, ist es wirtschaftlich uninteressant. Es folgen Wechsel von Meeresvorstößen und Verlandungen, aus denen zunächst der lokal maximal 5 m mächtige und als nicht abbauwürdig eingestufte 3. Lausitzer Flözhorizont hervorgeht. Nach erneutem Meeresvorstoß zieht sich das Meer zum Ende des unteren Miozäns zurück und gibt eine weite Küstenebene frei, auf der sich großflächig ein Küstenmoor entwickelt, das zur Bildung des 2. Lausitzer Flözes, dem bedeutendsten Flözhorizont, führt. Im südlichen Teil des Lagerstättenbezirks ist das Flöz ungespalten ausgebildet und erreicht Mächtigkeiten von 12 bis 14 m. Hier gruppieren sich die Kohlenfelder mit den höchsten Anteilen an Veredelungskohlen. In diesen Brikettier- und Kokskohlenfeldern stehen die asche- und schwefelärmsten Kohlen an, die viele Jahre lang die Rohstoffbasis für eine hochentwickelte Braunkohlenveredelung in der Lausitz waren. Im Norden des Reviers wird das 2. Flöz durch schluffig-sandige Zwischenmittel aufgespalten, die Asche- und Schwefelgehalte steigen mit zunehmender Flözspaltung an. Das Flöz führt in den nördlichen Bereichen überwiegend Kesselkohlen. Ein erneuter Übergriff des Meeres auf das Küstenmoor zu Beginn des mittleren Miozäns leitet einen erneuten marinen Sedimentationszyklus ein. Kohlige Schluff- und feinsandige Lagen sowie Fein- bis mittelkörnige Sande, in einigen Bereichen auch gröbere Sande, bilden Grundwasserleiter innerhalb einer mehrere Zehner Meter mächtigen Überdeckung des 2. Flözes. Im oberen mittleren Miozän führt erneut
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Abb. 2: Schaukasten „Braunkohle und ihre chemische Verarbeitung“, 20. Jahrhundert (montan.dok 037000108001)
eine regressive Entwicklung zur Vermoorung und zur Bildung des 1. Lausitzer Flözes. Das 10 bis 17 m mächtige Flöz ist nur auf einigen Hochflächen (Klettwitzer Hauptfläche, Raunoer Hochfläche, Welzower Hochfläche, Trebendorfer Hochfläche) von der quartären Erosion bewahrt geblieben sowie in tektonischen Gräben und glazialen Stauchungszonen erhalten. Ebenso wie das 1. Lausitzer Flöz ist auch die obermiozäne und pliozäne Überdeckung, ebenfalls nur in den genannten Bereichen, mit Mächtigkeiten von 10 bis 40 m vorhanden. Das vermeintliche Fehlen des 1. Flözes in weiten Teilen der Lagerstätte ist wesentlich auf die Entwicklung im Quartär zurückzuführen. Das Lausitzer Gebiet wurde im Pleistozän von insgesamt fünf Eisvorstößen der drei großen Eiszeiten (Elster-, Saale-, Weichsel-Eiszeit) erreicht. Die eiszeitlichen Vorgänge haben die heutige geologisch-naturräumliche Gliederung geschaffen und damit die Abbaufelder vorgeprägt. Vor allem die zweite Elster-Vereisung hat prägend gewirkt und in den Kohlenfeldern im südlichen Teil des Lagerstättenbezirks bedeutende Deformationen und Stauchungen hinterlassen. Diese Vereisung hat auch die meisten tiefreichenden Schmelzwasser-Rinnensysteme geschaffen, die das einst zusammenhängende Flözverbreitungsgebiet in die heutigen Kohlenfelder zerlegen.
Wie auch im Ruhrgebiet setzte der Bergbau in der Lausitz dort ein, wo die Kohle leicht zu gewinnen war, d. h. an der Oberfläche gefunden oder unter geringer Überdeckung erreicht werden konnte. In der Lausitz sind das um 1800 die eiszeitlichen Stauchungszonen. An zahlreichen Stellen fand ein Abbau im Handbetrieb an der Oberfläche und in Kleinsttagebauen auf eigene Faust ohne bergamtliche Anmeldung statt. Später ging man zum Tiefbau über. 1855 existierten sechs bergamtlich angemeldete Gruben, die auf dem 1. und teilweise auf dem 2. Flöz bauten. Diese vorindustrielle Phase reicht etwa bis zum Jahr 1885. Bei steigendem Kohlenbedarf setzte in den 1850er- bis 1860er-Jahren verstärkt der Abbau des 1. Flözes auf den Hochflächen ein. Zahlreiche Tief- und Tagebaue entstanden in der Folgezeit. Viele wurden nur kurze Zeit betrieben. 1900 bauten auf den Hochflächen mehr als 35 Gruben auf das 1. Flöz. Die meisten Abbaufelder waren zum Ende der 1920er-Jahre bereits ausgekohlt, d. h. es war dort keine Kohle mehr zu gewinnen. Die Klettwitzer Hochfläche bei Lauchhammer, die Raunoer Hochfläche zwischen Senftenberg und Großräschen sowie die Welzower Hochfläche zwischen Welzow und Spremberg waren die Abbaugebiete des 1. Flözes bis in die 1950er-Jahre. Die ehemaligen Abbaufelder des 1. Flözes wurden zum
Bergbauentwicklung und Umwelteinflüsse
Teil bei der späteren Gewinnung des 2. Flözes überbaggert. Der Abbau des 2. Flözes setzte im Prinzip zeitgleich mit dem des 1. Flözes in den Bereichen des Lagerstättenbezirks mit glazialen Stauchungsstrukturen ein. Am intensivsten fand der Abbau im Muskauer Faltenbogen statt. Zwischen 1843 und 1968 waren auf dem heute deutschen Gebiet des Muskauer Faltenbogens 44 Gruben im Tief- und/oder Tagebau und auf polnischem Gebiet zwischen 1843 und 1970 insgesamt 80 Gruben in Betrieb. Weitere Abbaugebiete des 2. Flözes lagen in den glazialen Stauchungszonen des zentralen Niederlausitzer Lagerstättenbezirks (Drebkauer Faltenzone), in den westlich gelegenen Zonen z. B. südlich von Luckau, bei Tröbitz-Domsdorf und Plessa-Elsterwerda, den östlich anschließenden Kohlefeldern zwischen DoberlugKirchhain und Finsterwalde, weiter östlich im Raum Lauchhammer-Schwarzheide sowie auf der südlich des Lausitzer Urstromtals liegenden Stauchmoräne bei Zeißholz. Man begann im Tief- und Tagebau zumeist in kleineren Grubenbetrieben. Weiterhin entstanden zahlreiche Grubenaufschlüsse an der südlichen Peripherie des Lagerstättenbezirks zwischen Kamenz, Bautzen und Niesky. Im Jahr 1900 erreichte die Braunkohlenförderung in der Lausitz 10,3 Mio. Tonnen pro Jahr. Der weiterhin steigende Bedarf an Braunkohle und die absehbare Erschöpfung der Kohlenfelder des 1. Lausitzer Flözes führten zu einer zunehmenden Orientierung auf die Kohlenfelder des 2. Lausitzer Flözes im Lausitzer Urstromtal. 1906 setzte mit dem Aufschluss des Tagebaus Meuro (Grube Marga) bei Senftenberg die Inanspruchnahme der großflächig ausgebildeten Lagerstätten des 2. Lausitzer Flözes im Lausitzer Urstromtal ein. Zahlreiche neue Tagebauaufschlüsse folgten in den nächsten Jahren. Die jährlichen Fördermengen stiegen stetig, der Anteil der im Tiefbau gewonnenen Braunkohle sank zu Beginn der 1920er-Jahre auf circa 6 %. Unterbrochen durch die Jahre der Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik stieg die Braunkohlenförderung in der Zeit des Nationalsozialismus wieder rasant an. Vor dem Zweiten Weltkrieg förderten 24 Tagebaue 46,7 Mio. Tonnen pro Jahr (1939), die leistungsfähigsten, Erika bei Laubusch und Ilse-Ost bei Sedlitz, allein 5,4 bzw. 6,3 Mio. Tonnen pro Jahr. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs von 1939 bis 1944 stieg die Jahresförderung der Niederlausitz auf fast 60 Mio. Tonnen, um dann in den ersten Nachkriegsjahren bis auf 25 Mio. Tonnen pro Jahr einzubrechen. Die heimische Braunkohle war der fossile Energierohstoff mit der größten Bedeutung für die DDR ab ihrer Gründung im Jahr 1949 (Abb. 2). Nach einem rapiden Absinken der Jahresförderung nach Kriegsende, auch bedingt durch die massive Demontage von Großtechnik als Reparationsleistungen für die Sowjetunion, erreichte man das Niveau der Vorkriegsförderung erst wieder 1954. Die Gewinnung und Nutzung der Lausitzer Braunkohlen waren Teil einer Schlüsselindus-
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Abb. 3: Abzeichen „Erbauer Schwarze Pumpe 1960“ mit Urkunde, 1960 (montan.dok 037000756001)
trie der DDR. Es wurden neue Industrieverfahren entwickelt oder existierende weiterbetrieben (z. B. Synthesegas auf Basis des Fischer-Tropsch-Verfahrens) und neue Industriekomplexe entstanden. Mit dem Bau der ersten Braunkohlen-Großkokerei in den 1950er-Jahren in Lauchhammer war die DDR in der Lage, den ersten hüttenfähigen Braunkohlen-Hochtemperatur-Koks (BHTKoks) herzustellen. Bis zu den frühen 1990er-Jahren produzierten die Braunkohlenkokereien weit über 62 Mio. Tonnen Braunkohlenkoks. Das Braunkohlenveredelungskombinat errichtete in unmittelbarer Nähe der Ortschaft Schwarze Pumpe bei Spremberg Brikettfabriken, Kraftwerke, ein Druckgaswerk und eine Kokerei (Abb. 3). Die Großanlagen entwickelten den Ruf als größte Dreckschleudern der DDR. Hinterlassenschaften sind z. B. die Abfallproduktenhalde Terpe und die Teerdeponie Zerre („Teersee“). Schon Ende der 1950er-Jahre war eine Reihe von Tagebauen in den traditionellen Förderräumen um
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Abb. 4: Tagebau Reichwalde mit F60, 2011 (Lausitz Energie Bergbau AG / Rainer Weisflog)
Lauchhammer, Senftenberg und Hoyerswerda ausgekohlt, so dass man mit der Förderung in die nordwestlichen, nordöstlichen und östlichen Lagerstättenbereiche vordringen musste. Die Kesselkohlenfelder Seese und Schlabendorf wurden ab 1958 zur Versorgung der im Aufbau begriffenen Kraftwerke Lübbenau und Vetschau aufgeschlossen. Die Tagebaufelder Nochten (1959) und Bärwalde (1972) im Osten sowie der Tagebau Welzow-Süd (1967) versorgten das Kombinat Schwarze Pumpe mit Koks- und Brikettierkohlen und lieferten die Kesselkohlen für das Kraftwewrk Boxberg. Kraftwerkskohlen wurden ab 1987 aus der KesselkohlenLagerstätte Reichwalde gefördert. Im Nordosten des Reviers waren es die Lagerstätten Jänschwalde ab 1976 und Cottbus-Nord seit 1981, die zur Versorgung des Kraftwerkes Jänschwalde aufgeschlossen wurden, da das 2. Lausitzer Flöz hier vornehmlich Kesselkohlen enthält. Bis 1988 stieg die Jahresförderung auf über 200 Mio. Tonnen pro Jahr. Mit dem Ende der DDR im Jahr 1990 kam es zu tiefgreifenden Veränderungen in Folge massiver Anpassungen. Tagebaue, Brikettfabriken und Kraftwerke wurden stillgelegt, viele Anlagen auch technisch angepasst. Ein Ziel lag darin, den Schwefeldioxidausstoß, der an die Verbrennung der schwefelhaltigen Braun-
kohle gekoppelt war, drastisch zu senken. In der DDR lag zwischen 1985 und 1989 die Pro-Kopf-Emission an Schwefeldioxid (SO2) mit 320 bis 330 kg pro Jahr weltweit am höchsten. Zwischen 1990 und 2002 wurde in Deutschland eine Gesamtabnahme der SO2-Emissionen um 90 % erreicht. Bergbauverfahren unterlagen stets notwendigen Anpassungen und technischen Entwicklungen. Das trifft angesichts der Dimensionen für den Braunkohlenbergbau in der Lausitz in besonderer Weise zu. Die zunehmende Technisierung und Maschinisierung des Braunkohlenbergbaus ab dem späten 19. Jahrhundert leitete diese Entwicklung ein. Die markantesten Entwicklungen waren wohl der Einsatz des ersten elektrisch angetriebenen Eimerkettenbaggers im Tagebau Annahütte und Heye bei Särchen 1903. Im Jahr 1914 folgte der erste Eimerkettenbagger zur Rohkohlenförderung mit 150-Liter-Eimern auf der Grube Ilse bei Rauno nördlich von Senftenberg, 1924 dann der weltweit erste Schaufelradbagger aus dem Lauchhammerwerk für die Grube Louisa bei Domsdorf. Die markanteste und für den Einsatz in den Großtagebauen der Lausitz am meisten typische Entwicklung war die 1924 weltweit erste Abraumförderbrücke im Tagebau Agnes bei Plessa. Die Rationalisierung der Abraumförderung
Bergbauentwicklung und Umwelteinflüsse
und der Abraumbewegung veränderte in der Folge die eingesetzte Technik in den Tagebauen zunehmend. Die Zugbetriebe wurden zugunsten der Band- und Förderbrückenbetriebe zurückgedrängt. Für die Abraumbewegung war der Einsatz von Abraumförderbrücken die ökonomisch günstigste Technologie. Als Abraum werden im Tagebau die das Nutzmineral überdeckenden Gesteinsschichten bezeichnet. Hier sind vor allem die (Einheits-)Abraumförderbrücken F32, F34, F45 und F60 zu nennen. Die Abraumförderbrücke F60, erstmalig 1972 im Tagebau Welzow-Süd in Betrieb genommen, ist bis heute eine Schlüsseltechnik zur Abraumförderung bei der Freilegung der Braunkohle in den noch vier in Förderung stehenden Tagebauen der Lausitz (Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde, Abb. 4). Mit der steigenden Jahresförderung auf über 200 Mio. Tonnen im Jahr 1988 erhöhte sich zwangsläufig auch das Maß der erforderlichen Abraumbewegung auf etwa 950 Mio. m3 pro Jahr. Entsprechend verschlechterte sich wegen der ungünstigeren geologischen Gegebenheiten in den Kohlenfeldern das Abraum : Kohle-Verhältnis (gemessen in m3 Abraum pro Tonne Kohle) von 2,7 : 1 im Jahr 1945 auf fast 8 : 1 im Jahr 2008. Im Tagebaubetrieb werden zunächst die Deckgebirgsschichten über der Braunkohle abgetragen. Es bietet sich an, die entstandenen Hohlformen nach der Auskohlung wieder mit dem Abraum zu verfüllen. Der Betrieb der Tagebaue mit Abraumförderbrücken liefert die technischen Voraussetzungen. Der Abraum, der auf der Gewinnungsseite entnommen wird, wird auf der Verkippungsseite kontrolliert abgekippt. Dabei entstehen zunächst die weiträumigen Kippenflächen und die so genannten Tagebaurestlöcher. Wenngleich die Bestrebungen dahingehen, die Tagebaurestlöcher nach der Auskohlung so klein wie möglich zu halten, entsteht durch die Rohstoffentnahme ein Massendefizit. Um eine ausreichende Überdeckung zum künftigen Grundwasserstand zu erreichen und damit auch die Standsicherheit zu gewährleisten, sind Kippen entsprechend über dem ursprünglichen Gelände anzulegen. Eine so angelegte Kippe vergrößert den Tagebaurestraum zusätzlich. Zwar können durch eine gezielte Abraumverlagerung manche Tagebaue ganz verfüllt werden, andere bleiben jedoch vollständig oder teilweise offen. So entstehen in der Lausitz über 100 kleinere und größere Tagebauseen. Als Beispiele seien hier der Senftenberger See, der ab 1967 durch die mehrjährige Flutung des ehemaligen Tagebaus Niemtsch mit Wasser aus der Schwarzen Elster hervorgegangen ist, und der Knappensee bei Hoyerswerda genannt, der 1945 durch eine unkontrollierte Flutung des Tagebaus Werminghoff I entstanden ist. Der Braunkohlentagebau in der Lausitz sowie der Umgang mit seinen Folgen zogen jedoch auch problematische Entwicklungen nach sich. Mit zunehmender Abbautiefe nimmt der Böschungsanteil an Tagebaurändern stark zu. Diese einfache geometrische Faustregel trägt eben auch zur Vergrößerung sensibler Bereiche an
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den Tagebaurändern bei. Hangabbrüche und Setzungsfließen (d. h. Erdrutschungen) an Tagebaurändern und Böschungsrutschungen an Seen, die aus Tagebaurestlöchern hervorgegangen sind, sind mögliche Folgen, die den Bergbaubetrieb jäh unterbrechen und in der Nachbergbauzeit zum Problem werden. Seit den 1960erJahren ist der Knappensee zum beliebten Badesee geworden. Seit 2014 ist er jedoch wegen bergtechnischer Sicherungsarbeiten gesperrt. Im März 2021 kam es am Ufer auf einer Länge von 500 m zu einer großen Rutschung, ausgelöst durch Vorbereitungsarbeiten im Rahmen der laufenden Ufersanierung. Die dabei entstandene Flutwelle erreichte das gegenüberliegende Ufer und überschwemmte eine Ferienhaussiedlung. Auch die Grundwassersituation in der Lausitz war durch den Bergbau gestört (Abb. 5). Die prätertiäre Festgesteinsoberfläche taucht nach Norden ab und wird in der zentralen Lausitz von einer etwa 200 m mächtigen Schichtenfolge aus tertiären und quartären Lockersedimenten bedeckt. Vor dem Bergbau war dieser Horizont nahezu bis an die Oberfläche mit Wasser gefüllt, allerdings mit lokalen Unterschieden. Die Höhenlagen des Niederlausitzer Höhenrückens waren überwiegend grundwasserfern. Wiederkehrender Wassermangel in längeren Trockenperioden war die Folge in einem Gebiet, das zu den niederschlagsärmsten Deutschlands gehört. Wasser war in der Region immer kostbares Gut. Außerhalb der Urstromtäler verzögerte man den Abfluss durch eine Vielzahl von Stauen, wirkte so dem Mangel entgegen und erreichte sogar eine Anhebung des Grundwasserstands. Ein sicherer Abbau von Braunkohle setzt aber stets eine umfangreiche Sümpfung (Entwässerung) voraus. Seit der Inanspruchnahme der statischen Grundwasservorräte im Jahr 1906 ist bis 1990 ein Wasserdefizit von 7 Mrd. m3 in der Lausitz entstanden. Die Grundwasserabsenkung betrifft eine Fläche von rund 2100 km2 und erreicht stellenweise eine Tiefe von bis zu 100 m mit enormen ökologischen Folgen. In der Lausitz hat der Braunkohlenbergbau bis Ende 2020 circa 89 600 Hektar Land in Anspruch genommen. In der Zeit von 1930 bis 2020 wurden über 7,74 Mrd. Tonnen Braunkohlen gefördert, was zu einem Massendefizit geführt hat, das vor allem durch die Tagebaurestlöcher sichtbar wird. Dem steht eine auf lückenhafter Zahlenbasis beruhende bewegte Abraummenge von 27,39 Mrd. m3 gegenüber, die um Milliarden Tonnen größer sein dürfte.
Steinkohle im Ruhrgebiet Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen ist heute der größte Ballungsraum Deutschlands. 5,1 Mio. Einwohner verteilen sich auf eine Gesamtfläche von 4435 km2. Die Steinkohlenlagerstätten Nordrhein-Westfalens gehören zu einem sich von England über Nordfrankreich, Belgien, die südlichen Niederlande bis in die Lausitz und Oberschlesien erstreckenden Gürtel mit flözfüh-
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Abb. 5: Höhenschichtlinien des Grundwasserspiegels vom Januar 1932 bei Senftenberg, 1934 (montan.dok 040016501000)
renden Schichten des Oberkarbons. Die bergbaulich erschlossene Fläche des als „Ruhrgebiet“ bezeichneten Teils dieses Lagerstättengürtels setzt sich linksrheinisch von Kamp-Lintfort und Moers, rechtsrheinisch über Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund bis in die Gegend von Hamm fort. Die geologischen Voraussetzungen für die Bildung der Steinkohlen des Ruhrgebiets im Oberkarbon (vor 320 bis 296 Mio. Jahren) wurden durch die Entstehung eines Gebirges, der Varisziden, innerhalb einer äqua-
tornahen Kollisionszone kontinentaler Platten gelegt. Es entstand ein Ablagerungsraum mit einem differenzierten Landschaftsbild (Abb. 6). Im Norden des Gebirges schloss sich eine weite Ebene (Vortiefe) mit einem breiten Küstenstreifen und dem Übergang zu einem weiter nördlich vorgelagerten Meeresbecken an. Aus dem varistischen Gebirge transportierten Wasserläufe Geröll, Sand und Schlamm in nördlicher Richtung in das Becken. In der Ebene bildeten sich breite Flusssysteme, die auf ihrem Weg nach Norden zum Meer mäch-
Bergbauentwicklung und Umwelteinflüsse
tige Sandkörper aufschütteten. Dazwischen existierten ausgedehnte Sumpfwälder, in denen Pflanzen üppig wuchsen, woraus mächtige Torfhorizonte hervorgingen. Viele Male wurde die Landschaft bei stärkerer Landsenkung überflutet und von Sedimenten aus dem Gebirge im Süden überdeckt. Neue Wälder wuchsen auf, und der Vorgang wiederholte sich. Zwischenzeitlich schalteten sich auch Meeresvorstöße ein, was neben den meist limnisch-brackigen auch zu charakteristischen marinen Ablagerungen führte. Über fluviatilen Sanden folgt in der Regel ein Wurzelboden, der von dem eigentlichen Steinkohlenflöz überdeckt wird. Darüber schließen sich brackische oder auch marine Tonsteine an. Nachdem die Absenkung wieder abgeklungen war, konnte ein neuer Zyklus mit fluviatilen Ablagerungen beginnen. Mit dem Absterben der Pflanzen setzte der Prozess der Inkohlung ein. Inkohlung bezeichnet die Umwandlung pflanzlicher Substanz über Torf, Braunkohle und Steinkohle bis zum Anthrazit. Etwa 450 solcher Zyklen mit typischen Sedimentabfolgen werden für das Ruhrkarbon angegeben. Es entstand ein etwa 3000 m mächtiges flözführendes Schichtpaket. Der Anteil der Kohlenflöze beträgt an der Schichtenfolge etwa 1,5–2 % der Mächtigkeit, wobei insgesamt rund 80 Flöze als abbauwürdig oder bedingt abbauwürdig eingestuft wurden. Flözmächtigkeiten von über 4 m wurden nur selten beobachtet. In der Regel liegt die Mächtigkeit deutlich darunter und schwankt lokal. Der flächenmäßig größte Teil des Gebietes weist eine diskordante Überdeckung des Steinkohlengebirges durch Sedimente der Oberkreide auf. Die Überdeckung resultiert aus einer Transgression des Meeres von Norden in der oberen Kreidezeit vor rund 100 Mio. Jahren. Nach Norden taucht das Steinkohlengebirge heute mit 3–7 Grad flach unter das Münstersche Kreidebecken ab. Im nördlichen Anschluss an das Ruhrgebiet erreicht das Deckgebirge eine Mächtigkeit von mehr als 2000 m über dem Oberkarbon. Nur der südliche Teil der ehemaligen Vortiefe tritt heute in einem schmalen Streifen an der Tagesoberfläche auf. Dort liegt z. B. in Witten und Bochum die
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„Wiege“ des Ruhrkohlenbergbaus, weil die Kohle direkt an der Oberfläche durch Graben oder durch das Verfolgen von Flözen horizontal in das Gebirge hinein gewonnen werden konnte. Über Stollenbaue und Schächte mit Erbstollen zur Abfuhr des zulaufenden Wassers wurde die Steinkohle in den „gebirgigeren“, südlichen Teilen der Lagerstätte gefördert. In den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstanden viele neue Zechen in einer Zone nördlich der Ruhr, die sich knapp südlich der Kreide-(Mergel)überdeckung, also südlich der Linie zwischen Mülheim-Essen-Bochum-Dortmund-Unna, auf den Abbau konzentrierten. Mit diesem ersten Schritt nach Norden erreichte der Bergbau auch die Grenze, bis zu der die Steinkohlenvorkommen überhaupt sicher bekannt waren. Der weitere Verlauf unter der Mergelschicht als überdeckendem und stark Wasser führendem Sedimentgestein nach Norden war ungewiss. Als die Produktion, verursacht durch den steigenden Bedarf an Steinkohle, 1839 erstmals 1 Mio. Tonnen pro Jahr überschritt, kam der Schwerpunkt der Förderung noch aus Stollenzechen und weniger aus Tiefbauzechen mit meist tonnlägigen, d. h. schrägen Schächten aus den südlichen Revieren. Das Abteufen der ersten reinen Mergelzeche zu Beginn der 1840er-Jahre löste den Durchbruch der Mergelzechen aus, und der Bergbau rückte in der „Mergelzone“ in einer Breite von 70 km auf die Emscher zu. Diese, die Mergelschicht durchdringenden, Tiefbauzechen ersetzten allmählich die Stollenzechen. Von 1850 bis 1857 stieg die Zahl der Zechen von 198 auf 299. Die Wasserzuläufe aus den Mergelschichten und insbesondere die Beherrschung der so genannten Schwimmsande brachten beim Abteufen erhebliche Probleme. Dem begegnete man durch den Einsatz neuer Techniken. Der Bergbau, der auch den Rhein in Richtung Westen überschritten hatte, dehnte sich in den 1860er-Jahren weiter aus und überquerte die Emscher nach Norden. Als 1892 auf der Zeche Monopol in Kamen der Schacht Grillo 2 mit 775 m die bislang größte Teufe erreichte, hatte der Bergbau die volle Erschließung des
Abb. 6: Modell „Geologische Störung“, vermutlich 1. Hälfte 20. Jahrhundert (montan.dok 030007977001 / Westfälische Berggewerkschaftskasse, Bochum)
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Abb. 7: Kokerei Zeche Sachsen, Öl auf Sperrholz, 1973 (montan.dok 030013786001 / Fuchs)
Gebietes zwischen Emscher und Lippe begonnen, wo das produktive Steinkohlengebirge erst in einer Teufe zwischen 300 und 400 m angetroffen wurde. Die bereits eingesetzte Konzentration der Betriebe und Unternehmen hielt nun intensiv an und führte zur Vormachtstellung großer Konzerne. Die inzwischen erschöpften Magerkohlenfelder im Süden wurden nun aufgegeben und die Baugrenze über
Abb. 8: Bergematerial aus dem Grubenfeld der ehemaligen Zeche Carl Friedrich Erbstollen/Prinz Regent aus dem Bereich Weitmar-Mark/Stiepel, gesammelt 2021 (montan.dok 060003742001)
die Lippe hinaus nach Norden verschoben, um auch in Teufen über 1000 m hochwertige Kohlen abzubauen. Dieser Vorgang sollte sich in den kommenden Jahrzehnten noch verstärken. Wenngleich es insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer massiven Steigerung der Steinkohlenförderung kam und im Süden der Lagerstätte zwischenzeitlich auch wieder Kleinstbergbau umging, erfolgte doch vor allem eine Konzentration auf nördliche Lagerstättenteile mit hochwertigen Koks- und Industriekohlen, die im Idealfall horizontal lagen oder nur flach geneigt waren. Technische Entwicklungen hatten dabei schon in den 1940er-Jahren die Mechanisierung und Rationalisierung im Abbau eingeleitet. Dazu boten die relativ gleichmäßigen Lagerungsverhältnisse in den weiten, nördlichen Muldenzonen gute Voraussetzungen. Mit Einsetzen der Kohlenkrise in den späten 1950er-Jahren begann man, ertragsschwache Zechen zu schließen, die hauptsächlich Hausbrandkohlen in steiler Lagerung förderten. Davon waren insbesondere Zechen etwa südlich einer Linie Essen-Bochum-Dortmund betroffen. Während der anhaltenden Absatzkrise wurden sowohl unrentable und rentable Zechen als auch große Teile der Lagerstätte aufgegeben. 1967 hatte die Stilllegungswelle die Zone zwischen Ruhr und Emscher erreicht, und es waren nur noch 65 Zechen in Betrieb. Mit Gründung der Ruhrkohle AG als Einheitsgesellschaft des Ruhrbergbaus 1968/69 setzte sich die Optimierung der Baufelder ebenso weiter fort
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Abb. 9: Löbbe-Hobel für die schälende Steinkohlengewinnung, 1950 (montan.dok 030002674001 / Gewerkschaft Eisenhütte Westfalia Lünen GmbH)
wie die Aufgabe abgebauter Baufelder und die Stilllegung weiterer Zechen. Dies führte vor allem im Norden des Reviers in Richtung Münsterland, wo noch unverritzte, d. h. vom Bergbau nicht genutzte Grubenfelder verstärkt erschlossen und Tiefen von über 1600 m erreicht wurden, zur Errichtung von kostengünstigeren Verbundanlagen. Der produktive Steinkohlenbergbau an der Ruhr wurde schließlich auf gesetzlicher Grundlage Ende 2018 mit Schließung der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop endgültig eingestellt. Damit war zugleich der Steinkohlenbergbau in ganz Deutschland beendet. Von 1804 bis 2018 wurden im Ruhrgebiet etwa 9,93 Mrd. Tonnen Steinkohlen abgebaut, d. h. als Masse der Erde entnommen und letztlich weitgehend zur Energiegewinnung verbrannt sowie für die Stahlproduktion über den Verkokungsprozess verbraucht (Abb. 7). Wenngleich die Spitzenmengen jährlicher Förderung von fast 130 Mio. Tonnen während der 1930er- und 1940er-Jahre nochmal annähernd in den 1950er- und 1960er-Jahren erreicht wurden, vergrößerte sich das Massendefizit durch die Entnahme unter Tage auch weiterhin. Hinzu kam die Materialentnahme zur Auffahrung der notwendigen Grubenbaue (Schächte, Strecken etc.), um die Lagerstätte zu erschließen und auf mehreren Sohlen auf den Bergwerken abzubauen. Mit der Kohle wurde auch Bergematerial gefördert, d. h. Gesteinsmaterial, das neben der Kohle beim Gewinnungsprozess anfiel und zu Tage gefördert werden musste (Abb. 8). Der Bergeanteil stieg mit den Veränderungen der Gewinnungsverfahren erheblich. Bis in die 1960er-Jahre wurde der größte Teil der Förderung mit dem Abbauhammer gewonnen. Diese Gewinnung war vergleichsweise selektiv, störende Berge verblieben zum großen Teil unter Tage. Durch die nachfolgende Konzentration der Gewinnungsbetriebe auf die schälende Gewinnung
mit dem Kohlenhobel und die schneidende Gewinnung mit dem Walzenlader stieg der Anteil an Bergen erheblich an (Abb. 9). 1980 lag der Anteil bei 47 %, was eine absolute Menge an Bergematerial von 57 Mio. Tonnen bedeutete. Die Menge an geförderter Kohle erbrachte fast die gleiche Menge an Bergemassen (hauptsächlich Schieferton und Sandstein), die in den Kohlenaufbereitungsanlagen (Kohlenwäschen) von der Steinkohle getrennt und zum größten Teil aufgehaldet werden mussten. Zudem erforderte die Gebirgsbeherrschung für die in immer größeren Teufen liegenden Gewinnungsbetriebe auch größere Streckenquerschnitte, was den Anteil an zu förderndem Gestein zusätzlich steigerte. Mehr oder weniger parallel mit dem Übergang zur Vollmechanisierung in den Gewinnungsbetrieben vollzog sich auch der Rückgang der Gewinnung mit Vollversatz im Ruhrbergbau. Vollversatz wurde überwiegend in den südlichen Teilen des Reviers in Bereichen mit steiler Lagerung im Sturzversatz ausgeführt. Aus diesen Regionen zog sich der Bergbau aber seit den 1960er-Jahen zugunsten flacherer Lagerungen in nördlichen Lagerstättenbereichen zurück. Dieser Rückzug war in den 1970er-Jahren weitgehend vollzogen, und man hatte das Einbringen von Bergematerial im so genannten Blasversatz auch für den mechanisierten Strebbau weiterentwickelt. Der Anteil von 4 Mio. Tonnen an jährlich versetzter Menge war gemessen an der jährlichen Gesamtbergemenge und dem entstandenen Massendefizit jedoch eher gering. Der Rücktransport der Bergemassen aus den Aufbereitungsanlagen zu den Zechen und nach unter Tage erforderte einen erheblichen technischen und wirtschaftlichen Aufwand. Er war nur bei großen Flözmächtigkeiten durchführbar und damit in vielen Zechen gar nicht anwendbar.
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Abb. 10: Magazin détective vom 3. November 1966 (montan.dok / détective)
Abb. 11: Bergschäden in der Arbeiterkolonie der Zeche Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort, 1927 (Fördergemeinschaft für Bergmannstradition – Linker Niederrhein – e. V., K5 16a-12)
Ein nicht unerheblicher Teil des Bergematerials konnte zwar stets als Fremdabsatz für den Straßenbau und Wasserbaue, zur Rekultivierung von Kiesgruben und Verfüllungen von sonstigen Abgrabungen, zur Baugrundvorbereitung sowie zur Auffüllung von Senkungsgebieten eingesetzt werden. Von 6 Mio. Tonnen im Jahr 1968 stieg diese Menge bis 1975 auf 18 Mio. Tonnen, sank dann aber 1980 wieder auf 15 Mio. Tonnen ab. Etwa 38 Mio. Tonnen Berge mussten im gleichen Jahr aufgehaldet werden. Die vielen Schachtanlagen hatten jeweils ihre eigene Bergehalde, meist in Schachtnähe und unweit zu den benachbarten Siedlungen gelegen. In den 1970er-Jahren setzte in Verbindung mit der zunehmenden Konzentration des Bergbaus ein konzeptioneller Umgang mit den bestehenden Halden und dem prognostizierten Bergeanfall ein. Dabei spielte neben landschaftlichen und umweltrelevanten Kriterien auch die Sicherheit für die Bevölkerung eine große Rolle. Durch die Ereignisse im walisischen Aberfan musste man dafür sensibilisiert sein. 1966 war dort an der nur 34 m hohen Halde 7 nach mehrwöchigen intensiven Regenfällen ein Teil der Halde in den Ort gerutscht und hatte unter anderem eine voll besetzte Schule verschüttet (Abb. 10). Es wurden bei dem Unglück 144 Menschen in dem Ort getötet, 116 davon waren Kinder. Von einem ähnlichen Schicksalsschlag blieb man im Ruhrgebiet allerdings verschont. Der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet hat jedoch weit über 300 Bergehalden hinterlassen. Manche sind verschwunden, weil abgetragen oder eingeebnet. Andere sind heute Landmarken. Die größte Halde Hoheward ist deutlich über 100 m hoch und belegt eine Fläche von 170 Hektar. Im deutschen Steinkohlenbergbau gab es aber auch Probleme. Die in der Landschaft sichtbaren Zeichen der Verlagerung des Bergematerials und des entstandenen Massendefizits unter Tage sind neben den zahlreichen Bergehalden die Folgen der Geländeabsenkungen. Beim praktizierten Bruchbau ohne Versatz ließ man das überlagernde Gebirge in die entstandenen Hohlräume (Alter Mann) einbrechen. Der Effekt pauste sich gleichsam bis zur Geländeoberfläche durch. Bereits in den 1880er-Jahren wurden im Emscherraum zwischen Herne und Gelsenkirchen Bergsenkungen von bis zu 5 m festgestellt. Der Effekt verstärkte sich in der Fläche zusätzlich durch den Langfrontbau und zwangsläufig weiter durch den großflächigen Abbau der Flöze mit Kohlenhobeln und Walzenschrämladern auf mehreren Sohlen innerhalb eines Abbaufeldes und besonders deutlich in den geologischen Hauptmulden des Reviers. Der Vertikalbetrag einer Bergsenkung beträgt im Ruhrgebiet etwa 90–95 % der ursprünglichen Flözmächtigkeit, so dass Senkungsbeträge von bis zu 20 m und darüber möglich sind. Die Fläche der Bergsenkung über Tage setzt sich infolge der Bildung eines Senkungstrogs über die eigentlichen Abbauflächen fort und ist somit zumeist größer als diese. Besonders stark betroffen ist der zentrale Teil des Ruhrgebiets mit der Emscherniede-
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rung. Berechnungen der Volumendifferenzen zwischen der ehemaligen und der heutigen Geländeoberfläche kommen für die Stadt Gelsenkirchen zu einer Nettoabsenkung von 5,2 m. Im Ruhrgebiet liegt die Nettoabsenkung seit 1892 durchschnittlich bei 1,6 m bezogen auf eine Untersuchungsfläche von etwa 2700 km2. Besonders gravierend wirkt sich die Bergsenkung auf die Vorfluterverhältnisse aus, wenn große Flächen absinken, über die Bäche und Flüsse fließen. Zu sehr deutlichen Veränderungen hat dies am Emscherverlauf und z. B. am Rhein bei Duisburg geführt, wo enorme technische Eingriffe erforderlich wurden. Die Folgen für die Landschaft, aber auch für die Gebäude-, Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur sind oft erheblich. Besonders an den Rändern von Senkungsmulden sind sie als Bergschäden sichtbar (Abb. 11). Während sich durch Senkungen verursachte Bergschäden eher schleichend einstellen, kommt es immer wieder zu plötzlich eintretenden Schäden durch Tagesbrüche, wenn nahe unter der Oberfläche vorhandene Hohlräume einbrechen und alles, was darüber liegt, nachrutscht. Die Anzahl der bekannten Hohlräume an der Ruhr dürfte bei etwa 5000 liegen. Dazu zählen die gut bekannten, wie die Schächte der zuletzt geschlossenen Bergwerke, aber auch die des so genannten Altbergbaus, der teilweise nur schlecht dokumentiert ist. Der wohl spektakulärste Tagesbruch im Ruhrgebiet ereignete sich Anfang Januar 2000, als der 1905 stillgelegte und unvollständig verfüllte Schacht 4 der Zeche Vereinigte Maria Anna Steinbank in BochumHöntrop verstürzt ist. Mitten in einem Wohngebiet fielen Gebäudeteile und Autos in den plötzlich entstandenen Krater. Im so gennannten Schilderwald in BochumWeitmar, einem Altbergbaugebiet im Süden Bochums, in dem mehr als 200 oberflächennahe Schächte durch Beschilderung ausgewiesen sind, ist während der langanhaltenden und intensiven Regenfälle im Juli 2021 ein mehrere Meter tiefer Tagesbruch auf einer Fläche von ungefähr fünf mal fünf Metern niedergegangen. Eine weitere Schwierigkeit für den Bergbau im Ruhrgebiet war und ist der Umgang mit dem Grubenwasser. Grubenwasser ist Regenwasser, das im Boden versickert und auf dem Weg nach unten durch die Gesteinsschichten Mineralien (z. B. Salze) löst. In den Grubenbauen angekommen, muss es technisch gehoben werden. Im 19. Jahrhundert gelang das Heben der Grubenwässer durch den zunehmenden Einsatz von Dampfmaschinen aus immer größeren Teufen. Die Abführung der Wässer erfolgt heute über Bäche und Kanäle in die Vorfluter Ruhr, Emscher und Lippe. Der Salzgehalt des eingeleiteten Wassers führt zwangsläufig zu einer Veränderung in den Fließgewässern und hat Folgen für die Lebewelt darin. Der aktive Steinkohlenbergbau ist zwar beendet, der Zulauf von Wasser findet aber über die durch den Bergbau geschaffenen Wege weiterhin und unaufhörlich in der gesamten ehemaligen Bergbauzone statt. Ohne technische Maßnahmen drohen nicht nur tieferliegende, abgesunkene Landschaftsteile
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in Feuchtgebiete verwandelt zu werden. Ein unkontrollierter Wasseranstieg würde höher liegende Grundwasserhorizonte durch seine Salzfracht verunreinigen und damit das Trinkwasser der Region negativ beeinflussen. Als problematisch für das Grundwasser sind auch Hinterlassenschaften aus den Veredelungsbetrieben, insbesondere der Kokereien mit ihren Kohlenwertstoffbetrieben, einzuordnen. Bei der Kokserzeugung fielen Gas, Rohteer, Rohbenzol und Stickstoff als Nebenprodukte an, die als Rohmaterial durch die chemische Industrie weiterverarbeitet wurden. 1957 existierten 64 Zechenkokereien bei den Schachtanlagen. Zum 1. Juni 2011 erfolgte der Wechsel der letzten Zechenkokerei Prosper in Bottrop in den Hüttenbereich. Gemeinsam mit den Kokereien Schwelgern und der Kokerei HKM Hüttenwerke Krupp Mannesmann, beide in Duisburg gelegen, sind zurzeit noch drei Anlagen an der Ruhr aktiv, die importierte Kokskohlen verarbeiten. Die Kokereien waren es, die durch ihre Luftemissionen in der Vergangenheit das Bild des grauen Ruhrgebiets entscheidend mitgeprägt haben. Vor allem von der zweiten Hälfte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sind Stoffe in den Boden geraten, die gesundheitsschädlich sind. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Benzol, Toluol, Xylol, polychlorierte Biphenyle (PCB) und Mineral-Teerölschlammgemische gehören zu diesem Spektrum.
Uranerz in den Wismut-Gebieten Die Wismut-Bergbauzone misst in der West-Ost-Erstreckung von Süd-Thüringen bis zur sächsischen Schweiz über 220 km und durchquert das sächsische Erzgebirge. Die Nord-Süd-Erstreckung (Ronneburg-Johanngeorgenstadt) beträgt ungefähr 60 km. Während der Rohstoff Kohle in den betrachteten Kohlenlagerstätten in großen zusammenhängenden Massen als Flöze anzutreffen ist, sieht man von den durch tektonische Störungen, gebirgs- und eiszeitlich bedingten Deformierungen sowie durch fluviatile Erosion entstandenen Effekten einmal ab, kommt der Rohstoff „Uran“ in den Lagerstätten Sachsens und Thüringens vollkommen anders vor. Die Gründe dafür sind unterschiedliche Mechanismen der Lagerstättenbildung. Das Element Uran reichert sich gern in silikatreichen Gesteinen an. Seine unterschiedliche Mobilität in wässrigen Lösungen unter oxidierenden und reduzierenden Bedingungen bestimmt sein konzentriertes Auftreten. Zunächst war Uran in verschiedenen Gesteinen im Untergrund mehr oder weniger stark angereichert. Unter oxidierenden Bedingungen wurde es durch wässrige Lösungen aus kristallinen Gesteinen oder kohlenstoffreichen Schiefern gelöst und transportiert. An anderer Stelle wurde es unter reduzierenden Bedingungen wieder ausgeschieden, und es kam zur
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Uranmineralisation, zum Teil zusammen mit anderen Erzmineralien. Dieser Prozess der Reduktion im Bereich geochemischer und hydraulischer Barrieren wird als „Supergenese“ bezeichnet und als der wesentliche lagerstättenbildende Prozess angesehen. In der Bergbauzone wurden fünf Lagerstättentypen abgebaut: 1. Linsen- und stockwerkartige Lagerstätten (Typ „Ronneburg“) sind aus der Umgebung von Ronneburg, Greiz, Rudolstadt und Schwarzenburg bekannt. Die Uranvererzung wurde auf einer Fläche von 164 km2 nachgewiesen. Etwas weniger als ein Drittel sind bergmännisch erschlossen. Die Lagerstätte in Ronneburg weist einen komplizierten Faltenbau und unterschiedliche Störungszonen auf. Wirtsgestein der Uranvererzung sind der ordovizische Lederschiefer, die Unteren Graptholithenschiefer des Silurs und intrudierte Diabase. Der Urangehalt liegt durchschnittlich unter 0,1 % im Fördererz. Mit erkundeten Vorräten von etwa 200 000 Tonnen Uran liegt bei Ronneburg die bedeutendste Uranlagerstätte Europas. 2. Räumlich sind hydrothermale Gangerzlagerstätten an Granitoide des Erzgebirges und des Vogtlands gebunden. Die Vererzung ist im Wesentlichen an Nordwest-Südost ausgerichtete und nach Südwesten einfallende Gänge gebunden. Die Mächtigkeit der Erzgänge reicht von wenigen Zentimetern bis zu mehreren Zehner Metern. Die Lagerstätte Niederschlema-Alberoda befindet sich wie die meisten Uranlagerstätten der Region auf der GeraJachymov-Störungszone. Im Kern von zwei Muldenstrukturen liegt ein ungefähr 400 m mächtiges Ge steinspaket aus kohlenstoffführenden Glimmerschiefern, Lyditen sowie Bänderschiefern und Amphiboliten. In den Gängen dieser „produktiven“ Gesteine befindet sich die Hauptanreicherung des Urans in einer Größenordnung von 95 %. Die Uranmineralisation ist in den Gängen in Linsen von 10 bis 100 m2 Fläche verteilt. Der Gehalt im Fördererz liegt bei 0,4 %. Die Vererzung ist bis in eine Teufe von 2000 m nachgewiesen, allerdings lagen die größten Uranvorkommen zwischen 500 und 1500 m Teufe. 3. Die wichtigste Lagerstätte in oberkretazischen Sandsteinen ist die Lagerstätte Königstein im Elbsandsteingebirge. Kleinere Vorkommen sind Pirna, Thürmsdorf und Rosenthal. Die Lagerstätte Königstein bildet eine in Nordnordost-Richtung gestreckte erzführende Zone, 6 km lang und 1,5 bis 2 km breit. Die Vererzung ist an ein circa 50 m mächtiges Schichtpaket aus Sandsteinen, Schluffund Tonsteinbänken gebunden. Die Hauptmenge des Urans innerhalb der unregelmäßig angeordneten Lager ist feindispers an die organische Substanz gebunden. Die Mächtigkeit der Erzkörper schwankt zwischen 0,5 und 2 m. Der durchschnittliche Urangehalt des Fördererzes beträgt 0,11 %. 4. Die Flözartigen Lagerstätten in fluviatil-lagunären Ablagerungen des Zechsteins sind an eine Senke im
Bergaer Sattel (Zone zwischen Ronneburg im Nordosten und Bad Steben im Südwesten) gebunden, die mit Gesteinen des Zechsteins und des unteren Buntsandsteins aufgefüllt ist. Der durchschnittliche Urangehalt im Fördererz beträgt 0,066 %. Innerhalb einer 6 bis 20 m mächtigen Wechsellagerung aus roten Schiefertonen, Siltsteinen, Sandsteinen und Dolomiten liegen zwei bis vier flözartige Erzlager mit 0,2 bis 2,5 m Mächtigkeit. Das Uran ist feindispers verteilt. Die Erzkörper erreichen Ausmaße von 100 bis 1500 m Länge und 50 bis 850 m Breite. Der Abbau erfolgte von 1951 bis 1960 in mehreren Tagebauen. Der Tiefbau wurde 1966 aufgegeben. Offene Tagebaue wurden zum Teil als industrielle Absetzanlagen durch den Aufbereitungsbetrieb Seeligenstädt benutzt. 5. Uranhaltige Steinkohlen in unterpermischen Molassen kommen hauptsächlich in der Gegend von Dresden-Gittersee bei Freital vor. Geologisch liegt die Freitaler Lagerstätte im Döhlener Becken des Elblineamentes. Innerhalb einer 700 bis 800 m mächtigen Serie mit Effusiva und Tuffen, Schiefertonen, Sandsteinen und Konglomeraten sind sieben Steinkohlen- und Brandschieferflöze eingeschaltet. Die Uranvererzung ist hauptsächlich auf den Nordost-Rand des Beckens innerhalb von drei Flözen konzentriert. Uran kommt als Pechblende fein dispers verteilt vor. Die Erzkörper sind flöz- bis linsenartig ausgebildet mit einer Erstreckung von mehreren hundert Metern und einer Mächtigkeit bis zu 3 m. Der durchschnittliche Urangehalt im Fördererz liegt bei 0,086 %. Uran wurde erstmals 1789 durch den deutschen Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743–1817) aus Pechblende von Johanngeorgenstadt isoliert. Die Darstellung von reinem Uran gelang 1841 dem französischen Chemiker Eugène-Melchior Péligot (1811–1890). Klaproth hatte bei seinen Experimenten zunächst Uranoxid gewonnen, das vorerst zum Färben von Glas und Keramik eingesetzt wurde, nachdem man 1826 in St. Joachimsthal diese Eigenschaft erkannt hatte. Mit Beginn der Forschungen von Marie (1867–1934) und Pierre Curie (1859–1906), die 1897 auf die von Uranverbindungen ausgehende Strahlung stießen und ein Jahr später auch die Elemente Radium und Polonium entdeckten, setzten neue Entwicklungen ein. Der Strahlung von Radium wurden nun medizinische Wunder bei der Behandlung von Geschwülsten zugesprochen. 1900 entdeckte Friedrich Ernst Dorn (1848–1916) das ebenfalls radioaktive Gas Radon, ein Zerfallsprodukt des Radiums. Auch Radon wurden positive Wirkungen bei verschiedenen Krankheiten zugesprochen. Als 1906 in St. Joachimsthal eine Radiumquelle entdeckt wurde, war dies die Geburtsstunde des dortigen Radiumbades. Weitere folgten in Oberschlema und in Brambach im sächsischen Vogtland.
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Die weiteren Forschungen zur Radioaktivität führten 1938 zur Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn (1879–1968), Lise Meitner (1878–1968) und Friedrich Wilhelm Straßmann (1902–1980) auf der Basis der Spaltung des Uranisotops 235. Die mutmaßlich angenommene freiwerdende Energie bei der Kernspaltung von einem Kilogramm Uran 235 sollte einem Heizwert von 2500 Tonnen Steinkohle entsprechen. Mit der militärischen Anwendung durch die USA am Ende des Zweiten Weltkriegs offenbarten die Zündungen der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki das zerstörerische Potential der durch Kernspaltung möglichen Energiefreisetzung. Aufgrund militärischer Interessen im Zuge des Kalten Krieges stieg aber auch das Interesse der Sowjetunion an der Erschließung von Uranlagerstätten, die innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), also der späteren DDR, lagen. Getrieben durch den Beginn des atomaren Wettrüstens der USA und der Sowjetunion begannen die Schürf- und Aufschlussarbeiten auf Uran im Frühjahr 1946 durch die sowjetische Besatzungsmacht in den Lagerstätten mit Gangerzen bei Johanngeorgenstadt. 1947 wurde eine sowjetische Aktiengesellschaft, die Staatliche Aktiengesellschaft der Buntmetallindustrie (SABM Wismut), gegründet. Innerhalb kürzester Zeit nach Beginn der Erschließungen entstanden Bergwerke, Aufbereitungs- und Hilfsbetriebe, die notwendige Infrastruktur sowie Wohnsiedlungen für die Bergleute. Auf Natur und Menschen wurde keine Rücksicht genommen. So fiel z. B. fast die gesamte Altstadt von Johanngeorgenstadt dem Bergbau zum Opfer und wurde abgerissen. Tagesnahe Bereiche wurden über Tagesschächte mit Holzkonstruktionen erschlossen. Es kam zum Masseneinsatz von Arbeitskräften. Das Leben in der Region veränderte sich für die Bevölkerung drastisch. 1954 wurde die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut gegründet. Von nun an waren die Sowjetunion und die DDR mit jeweils 50 % der Anteile daran beteiligt. Die oberflächennahen reichen Erzvorkommen waren aber bald aufgebraucht, was zum Ende der 1950er-Jahre den Aufschluss größerer Teufen über neue Hauptschächte (bis 990 m) bedurfte sowie den Abwurf ausgebeuteter Standorte und die Verlagerung auf die großen Lagerstätten bedeutete. Die letztgenannten konzentrierten sich um die Orte Ronneburg, Pöhla, Aue/Schlema, Königstein und Dresden-Gittersee, die späteren Sanierungsschwerpunkte. Als dominierendes Verfahren in untertägigen Betrieben in Gangerzlagerstätten hatte sich der Firstenstoßbau mit Versatz durchgesetzt, um die Gefahr von Bergschäden durch Tagesbrüche und Senkungen, wie sie z. B. im Bereich der Lagerstätte Schlema-Alberoda vorkommen, zu verringern. In diesem Lagerstättenteil verlagerte sich der Bergbau am Ende der 1950er-Jahre in das untere Schlematal als eine der weltweit größten hydrothermalen Uranerzlagerstätten.
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Von der Erkundung der Erzvorkommen über deren Gewinnung bis zur Aufbereitung waren zumeist radiometrische Messungen und Verfahren notwendig, da Uran im Gestein meist feindispers verteilt vorkommt. Vorkommen und Qualitäten wurden unter und über Tage so bewertet. Entsprechend der hohen Anforderungen hat die SDAG Wismut ein großes Know-how erworben, um das Gebirge und den Bergbau technisch zu beherrschen. Bergbautechnik wurde in eigenen Betrieben der SDAG entwickelt und verbessert. Der wohl eindrucksvollste Beleg dafür ist der Schacht 371 bei Hartenstein, einer der wichtigsten Hauptschächte des ehemaligen Bergbaubetriebs Aue. Die Schachtröhre war circa 1000 m tief und hatte einen Durchmesser von 7 m. Der Bergbau in der weltweit größten Uranganglagerstätte erreichte eine Abbautiefe von mehr als 1800 m. Die Schachtanlage, die bis zu 3000 Personen beschäftigte, gehörte damit zeitweise zu den tiefsten Bergwerken Europas und lieferte bis zur Einstellung 1990 mehr als 73 000 Tonnen Uran. Im März 2011 wurde der letzte große Wismut-Schacht schließlich verschlossen. Die Betriebsfläche 371 ist bis heute der Sitz des Sanierungsbereichs Aue der Wismut GmbH. Die Verarbeitung der Erze erfolgte anfangs in kleineren regionalen Aufbereitungsbetrieben und wurde bereits ab 1950 schrittweise nach Crossen bei Zwickau und zuletzt nach Seelingstädt verlegt. In den Lagerstätten des Ronneburg-Typs begannen 1951 die untertägigen Arbeiten mit der Herstellung eines Schurfes bis zur 30-m-Sohle und dem Abteufen eines Förderschachts bis zur 120-m-Sohle inmitten des Dorfes Schmirchau. Infolge erfolgreicher Erkundung entstanden die Bergwerke Schmirchau, Lichtenberg und Reust. Oberflächennahe Vererzungen wurden im Tagebau abgebaut. Mit der Auffahrung des Tagebaus Lichtenberg nahm 1958 die Umweltzerstörung auch über Tage gewaltige Ausmaße an. Aus dem Tagebau Lichtenberg wurden von 1962 bis 1976 bis zu einer Tiefe von etwa 230 m rund 170 Mio. m3 Erz und Berge abgefördert. Bis zur Einstellung 1990 bestanden vier Bergbaubetriebe im Ronneburger Erzfeld: Schmirchau, Paitzdorf, Beerwalde und Drosen. Der Anteil der Uranproduktion der Wismut aus den vier Betrieben lag 1990 bei 75 %. Es kamen unterschiedliche Bergbauverfahren zur Anwendung. Das anfänglich betriebene Bruchbauverfahren führte zur Selbstentzündung der pyrit- und kohlenstoffhaltigen Schiefer. Grubenbrände erheblichen Ausmaßes waren die Folge. Zudem wirkte sich der Bruchbau auch an der Tagesoberfläche in der dicht besiedelten Gegend aus. Erst ein abwärtsgeführter Teilsohlenabbau mit erhärtendem Versatz, mehr als 20 Jahre vor der Produktionseinstellung eingeführt, hat Abhilfe geschaffen und einen nahezu vollständigen Abbau der Erzkörper ermöglicht. In der Lagerstätte von Königstein stellte sich der Kammer-Pfleiler-Bruchbau mit erhärtendem Versatz als geeignetes Verfahren für die Gewinnung in einer Tiefe von 160 m im Süden und 270 m im Norden heraus. 1970
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Abb. 12–13: Gebinde mit Yellowcake (Imitation), 1990 (montan.dok 060003733001 / SDAG Wismut)
Abb. 14: Teil des Überwachungssystems PHOENIX des Uranerzaufbereitungsbetriebs Seelingstädt (AB 102), 1979 (montan.dok 030011727001)
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wurde die chemische Gewinnung experimentell eingeführt und dominierte seit 1984. Angewendet wurden die untertägige Laugung gesprengter Magazine, die insituLaugung (vor Ort-Laugung), die Haufenlaugung von Vortriebserzen und die Schachtwasser-Reinigung. Die metallhaltigen Lösungen wurden im Bergbaubetrieb angereichert und mit Kesselwagen zum 200 km entfernten Aufbereitungsbetrieb Seelingstädt befördert. Aus den Steinkohlenlagerstätten von Freital wurde Uranerz von 1947 bis 1988 gewonnen. Es erfolgte der Abbau im traditionellen Strebbruchbau. Zur zweckmäßigen Aufbereitung des Uranerzes wurden großtechnische Versuche unternommen, zeitweise wurden sie auch unter freiem Himmel für eine Urananreicherung verbrannt. In den letzten Jahren vor der Einstellung erfolgte die Aufbereitung der radiometrisch vorsortierten Erze in Crossen sowie auch in Seelingstädt. Die geförderten Erze mussten in den Aufbereitungsbetrieben physikalische (gravitative bzw. radiometrische) oder chemische Aufbereitungsprozesse durchlaufen, um einen Urananteil zu extrahieren. Auch Erze auf Halden wurden chemisch gelaugt. Die Verfahren der Agitations- und Perkolationslaugung basieren auf Laugungs- und Fällungsreaktionen unter Einsatz von Schwefelsäure oder Soda. Chemische Verfahren wurden schon 1947 angewendet. Beim sauren Verfahren entsteht ein mit Eisen und Schwermetallen verunreinigtes (Yellow Cake), beim sodaalkalischen Verfahren dagegen ein relativ reines Urankonzentrat (Abb. 12–13). Die Weiterentwicklung der Verfahren führte 1960 zu einer Konzentration der Produktion auf die beiden zentralen Aufbereitungsbetriebe Crossen und Seelingstädt (Abb. 14). Die kleineren Betriebe mit veralteter Technologie wurden geschlossen. In industrielle Absetzanlagen (IAA), die durch einen Damm für Rückstände aus dem basischen und sauren Verfahren in zwei Ansetzbecken geteilt waren, wurden die Rückstände (Berge) aus den Aufbereitungsbetrieben eingeleitet. In diesen Schlammteichen setzte sich die Trübe ab, und es bildeten sich die so genannten Tailings, hochgradig mit Uran und Schwermetallen belastete Schlämme. Die größten Absetzanlagen Helmsdorf/Dänkritz wurden beim Aufbereitungsbetrieb Crossen und die Absetzanlagen Culmitzsch und Trünzig bei Seelingstädt angelegt. Zum Ende der Uranerzgewinnung bedeckten die Tailings eine Fläche von circa 576 Hektar. In die Absetzanlagen der SDAG Wismut wurden insgesamt 173 Mio. Tonnen Aufbereitungsrückstände eingeleitet. Havarien (Dammbrüche) an den Becken in Oberschlema führten 1948 zu einer Ausbreitung von Schlämmen bis zum Bahnhof des Ortes. 1962 kam es in der IAA Trünzig zum Abfließen von Trübe aus dem Becken in die Culmitzschaue. Die großflächige Anlage von Industriellen Absetzanlagen hatte auch die Umsiedlung ganzer Dörfer zur Folge, das betraf z. B. die Bewohner des Ortes Culmitzsch, die nach Seelingstädt umziehen mussten. Ende 1970 wurde bei Ronneburg die Gessenhalde als Laugungshalde zur Uranerzgewinnung aus Armer-
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zen in einem ehemaligen Lehmtagebau angelegt. Aus dem geförderten Gestein wurde das Uran mit sauren Grubenwässern oder verdünnter Schwefelsäure herausgelöst. In einer so genannten Laugungsanlage sammelte man diese Lösung und trennte das Uran ab. Dieser Prozess wurde 1989 eingestellt – zurück blieb eine Halde (7,6 Mio. m³, Aufstandsfläche 28,7 Hektar), die aufgrund ihres Säurebildungspotentials den höchsten Gefährdungsgrad aller Halden im Ronneburger Raum besaß. Die landschaftsprägenden Halden, oft als Doppelkegel ausgeführt, gehören zu den sichtbarsten Hinterlassenschaften bergbaulicher Aktivitäten, so auch an vielen Standorten der Wismut (Abb. 15). Die aufgehaldeten Abraum- und Nebengesteinsmassen aus der Erschließung der Lagerstätten enthalten Radionukleide. Die Halden bergen dadurch außer der Gefahr von Rutschungen an den Hängen und der Tatsache, dass leicht mobilisierbare Schwermetalle freigesetzt werden, ein weiteres Gefahrenpotential durch radioaktive Strahlung. Außer kaum mehr feststellbaren Entweichungen von gelösten Schwermetallen und Radionukleiden in die Atmosphäre und die Hydrosphäre werden die Hinterlassenschaften des Uranbergbaus der SDAG Wismut, der bis 1990 etwa 231 000 Tonnen Uran hervorgebracht hat, wie folgt beziffert: – 3700 Hektar radioaktiv kontaminierte Halden, Absetzanlagen und Betriebsflächen, – über 311 Mio. m3 Bergematerial auf 58 Halden mit 365 Hektar zu sanierender Fläche, – über 160 Mio. m3 Schlämme mit Uran und anderen Schadstoffen, die aus der Aufbereitung des Erzes zu Yellow Cake angefallen sind, – 624 Hektar zu sanierende Fläche der industriellen Absetzanlagen. Mit dem Tagebau Lichtenberg wurde zudem ein Tagebaurestloch mit einer Fläche von weit über 1 km2, einer Tiefe von 150 m und einem Volumen von rd. 82 Mio. m3 zurückgelassen. Hinzu kommen die Hinterlassenschaften an den so genannten Wismut-Altstandorten. Als kurz nach dem Einsetzen des Uranbergbaus die Vorräte an zahlreichen Standorten im sächsischen Erzgebirge bereits abgebaut waren, wurden viele dieser Anlagen wieder stillgelegt. Gruben und Tagesöffnungen überließ man dabei sich selbst. Kontaminierte Lagerflächen, Halden und Absetzanlagen wurden mehr oder weniger ungesichert und ohne Abdeckung zurückgelassen. Anfang der 1960er-Jahre trennte sich die SDAG Wismut von diesen Standorten und verlagerte die Urangewinnung auf die großen Lagerstätten. Die Grundstücke wurden an Kommunen und Privatleute zurückübertragen und werden heute als Wismut-Altstandorte bezeichnet. Sanierungen und Sicherungen erfolgten im Rahmen des Möglichen oder blieben aus. Die Bevölkerung wurde mit den Problemen häufig allein gelassen. Verseuchte Flächen
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Abb. 15: Erzbergbau Auerbach V (Vogtland), Öl auf Hartfaser, 1959 (montan.dok 037000681001 / Manfred Riedl)
nutzte man zum Teil ungesichert nach oder überbaute sie. Kontaminierte Halden wurden nicht selten nur mit einer dünnen Abdeckung versehen. Die Standorte wuchsen schlicht zu und gerieten immer mehr in Vergessenheit. Die Gefahren für Mensch und Umwelt verblieben dabei im Untergrund.
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– Drebenstedt, Carsten/Möckel, Reinhard: Gewässer in der Bergbaufolgelandschaft, in: Pflug, Wolfram (Hrsg.): Braunkohlentagebau und Rekultivierung. Landschaftsökologie, Folgenutzung, Naturschutz, Berlin/Heidelberg/New York 1998, S. 610–624. – Eckart, Karl/Neuhoff, Oliver/Neuhoff, Erhard (Hrsg.): Das Ruhrgebiet. Geographische Exkursionen, Duisburg 2000. – Farrenkopf, Michael/Goch, Stefan/Rasch, Manfred/ Wehling, Hans-Werner: Die Stadt der Städte. Das Ruhrgebiet und seine Umbrüche, Essen 2019. – Grabert, Helmut: Abriß der Geologie von Nordrhein-Westfalen, Stuttgart 1998. – Großer, Karl Heinz: Der Naturraum und seine Umgestaltung, in: Pflug, Wolfram (Hrsg.): Braunkohlentagebau und Rekultivierung. Landschaftsökologie, Folgenutzung, Naturschutz, Berlin/ Heidelberg/New York 1998, S. 461–474. – Harnischmacher, Stefan: Bergsenkungen im Ruhrgebiet. Ausmaß und Bilanzierung anthropogeomorphologischer Reliefveränderungen, in: Forschungen zur deutschen Landeskunde, Bd. 261, Leipzig 2012. – Harnischmacher, Stefan: Geografische, geologische und geomorphologische Grundlagen, in: Farrenkopf, Michael/Goch, Stefan/Rasch, Manfred/ Wehling, Hans-Werner (Hrsg.): Die Stadt der Städte.
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Abb. 1: Röntgenzug der Bergbau-Berufsgenossenschaft. Solche mobilen Röntgenstationen wurden im Ruhrbergbau und bei der Wismut zur Untersuchung der Bergleute eingesetzt, um 1950 (montan.dok 030006231001)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-010
Stefan Przigoda
Alltag im Bergbau Einleitung Dass der Bergbau auch über das Ende des aktiven Abbaus hinaus seine Umwelt und die ihn umgebenden Landschaften umfassend und nachhaltig geprägt hat, ist in dieser Allgemeinheit fast banal. Im Folgenden werden deshalb die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Bergbau, Umwelt und Menschen im Zeitverlauf beleuchtet. Der Bergbau veränderte das physische Erscheinungsbild der ihn umgebenden Landschaften. Das tat er zunächst durch seine baulichen Anlagen, durch Fördergerüste, Grubenbaue und Tagebaue, Halden, Absetzteiche oder weiterverarbeitende Betriebe wie Brikettfabriken oder Kraftwerke, die das Bild der Landschaften prägten. Verkehrsinfrastrukturen oder Siedlungsstrukturen veränderten sich, auch weil sich im Sog des Bergbaus weitere Betriebe und vor allem zahlreiche Menschen in seinem räumlichen Umfeld ansiedelten. Es entstanden regional mehr oder minder montanindustriell dominierte Wirtschafts-, Raum- und Sozialstrukturen mit spezifischen Sozialmilieus, das heißt mit je eigenen Kulturen, Festen, Bräuchen etc. Dabei wirkte der Bergbau nicht nur in physischer Hinsicht raumprägend, er formte ebenso Wahrnehmungen und Deutungen der Bergbaulandschaften außerhalb der Regionen und nicht zuletzt in den Regionen selbst. Und schließlich zeitigten Abbau, Weiterverarbeitung und Nutzung bergbaulich gewonnener Rohstoffe ganz direkte Folgen für die Umwelt in einem engeren Sinn: Staub und Ruß, Schadstoffbelastungen von Luft, Wasser und Böden sowie der Lärm in den Bergbaubetrieben oder durch ungezählte LKW auf den Straßen waren nur einige der offensichtlichen Folgeerscheinungen, mit denen die Menschen in den Montanregionen im Alltag konfrontiert waren. Diese letztgenannten Folgen sollen hier im Fokus stehen. Eine im oben skizzierten Sinn umfassende Darstellung der Auswirkungen des Bergbaus auf seine Umwelt in den drei Bergrevieren ist in der hier gebotenen Kürze schwerlich möglich. Insofern handelt dieser Beitrag von den Auswirkungen, oder genauer, den konkreten Rückwirkungen dieser Umweltfolgen auf Bergleute und Bevölkerung und vor allem auf deren Gesundheit als einem historisch evidenten Zusammenhang. Auch diese lassen sich an dieser Stelle in ihren komplexen Interdependenzen kaum umfassend und differenziert darstellen. Deshalb können und sollen nur einige zentrale Problemlagen schlaglichtartig herausgegriffen werden, die den jeweiligen Arbeitsalltag der Bergbaubeschäftigten und das Leben der Bevölkerung in den drei Bergbaurevieren der Ausstellung „Gras
drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ (Lausitz, Ruhrgebiet, Wismut-Gebiete) in vergleichbarer Weise prägten oder aber für einen der drei Bergbauzweige besonders charakteristisch waren. Denn trotz aller Ähnlichkeiten wiesen die drei Reviere und der jeweilige Bergbau sowie damit dessen Umweltfolgen doch auch sehr spezifische Ausprägungen und Entwicklungsverläufe auf. So lassen sich die Produktions- und Arbeitsbedingungen im Tiefbau im Ruhrgebiet und in der Wismut nur bedingt mit dem Tagebau in der Lausitz vergleichen. Gleiches gilt für das Alltagsleben der Bevölkerung in den drei Revieren mit ihren je spezifischen (natur-)räumlichen Voraussetzungen und politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systembedingungen. Innerhalb der Reviere waren Bergleute, Beschäftigte in Aufbereitungsbetrieben, Kokereien oder Brikettfabriken und schließlich verschiedene Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Maß und in unterschiedlicher Art und Weise von den Umweltfolgen betroffen. Während in den ländlichen Teilen des Lausitzer Reviers die Bauern vornehmlich die Grundwasserabsenkung gespürt haben werden, mögen für die Stadtbewohner die zum Teil eklatante Staubbelastung und die Luftschadstoffe relevanter gewesen sein. Dabei waren allen voran die Bergleute und Bergbaubeschäftigten gleichsam doppelt exponiert. Zum einen an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen, zum anderen in ihrem Alltagsleben außerhalb des Betriebs, wobei hier die Umweltfolgen tendenziell umfassender oder zumindest vielgestaltiger spürbar waren. Welchen Umweltfolgen waren die Menschen bei der Bergarbeit und im Alltagsleben ausgesetzt und wie wirkten sich diese in den drei Revieren aus? Wie wurden sie von Bergbaubeschäftigten und Bevölkerung im Zeitverlauf wahr- und vielleicht auch nur als „ortübliche Belastung“ hingenommen? Schließlich bot der Bergbau lange Zeit sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze und damit eine soziale Sicherheit, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass die negativen Begleiterscheinungen lange Zeit mehrheitlich mehr oder minder akzeptiert worden sind. Das gilt gerade für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Ruhrgebiet bis etwa Ende der 1950er-Jahre und für die beiden Bergbaureviere in der DDR wohl noch darüber hinaus, als viele Menschen, nicht zuletzt angelockt durch soziale Vergünstigungen, im Bergbau Arbeit und in den Bergbaurevieren eine neue Heimat fanden. Hinzu kommt, dass viele und vor allem gesundheitliche Folgen erst nach einer gewissen Expositionsdauer bzw. Latenzzeit spürbar wurden. Individuelle und gesellschaftliche Wahrnehmungen
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und Bewertungen bergbaulicher Umweltfolgen änderten sich im Zeitverlauf und sind insofern in sich ambivalent und widersprüchlich.
Bergarbeit und Gesundheit Arbeit im Bergbau – in den Vorstellungen eines großen Teils der Bevölkerung dürfte sich damit noch zuerst die Arbeitswelt der Bergleute unter Tage in den Tiefbauen des Steinkohlen- und Erzbergbaus verbinden. Sie ist durch Staub, Dunkelheit, Enge, Hitze, Feuchtigkeit, Lärm, harte körperliche Arbeit und die ständige Gefährdung durch die Urgewalten des Berges gekennzeichnet und elementar von den Bedingungen der Lagerstätte und den Besonderheiten des untertägigen Bergwerksbetriebs bestimmt. Damit geht ein bestimmtes Bild von den Bergleuten einher. Zentral ist sicherlich die ausgeprägte Kameradschaft und Solidarität untereinander, die als Resultat der gemeinsamen Arbeitserfahrungen unter Tage aufgefasst wird. Pragmatisch, zupackend, rau aber herzlich – solche Attribute wurden ihnen nicht nur in den Vorstellungen vom idealen Bergmann durch die Funktionseliten und von einer breiten Öffentlichkeit beigemessen, sondern sie entsprachen auch der Selbstwahrnehmung vieler Bergleute und entbehren durchaus nicht eines Realitätsbezugs. So ist die besondere körperliche Härte der Bergarbeit durch die technische Entwicklung im Lauf der Zeit zwar deutlich gemildert, aber keineswegs aufgehoben worden. In der öffentlichen Wahrnehmung weniger präsent scheint die Arbeit in den Braunkohlentagebauen oder in den nachgelagerten Verarbeitungsbetrieben, den
Kokereien, Schwelereien, Brikettfabriken und Kraftwerken. Gleichwohl waren die Beschäftigten auch hier erheblichen Belastungen ausgesetzt, und die obige Auflistung ließe sich je nach Arbeitsplatz erweitern. Darauf verweist die wattierte Arbeitskleidung eines Braunkohlenbergmanns aus dem Lausitzer Revier, die gegen die oft beißende Winterkälte in den Tagebauen schützen sollte (Abb. 2–4). Bergleute und Bergbaubeschäftigte in allen drei Revieren waren nicht nur in ihrem Wohnumfeld, sondern in besonderem Maße an ihren Arbeitsplätzen spezifischen Umweltbelastungen und daraus resultierenden berufsbedingten Risiken ausgesetzt, die zum Teil massive gesundheitliche Folgen für sie hatten. Silikosen und Siliko-Tuberkulosen, Meniskusschäden, so genannte Drucklufterkrankungen – pathologische Erkrankungen an Gelenken und Knochen durch das Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen und vorrangig dem Abbauhammer – und Lärmschwerhörigkeiten, dies waren die häufigsten Berufskrankheiten im westdeutschen Bergbau. Das gilt insbesondere für die beiden ersten Nachkriegsjahrzehnte, bevor diese Belastungen und Gesundheitsrisiken durch Verbesserungen im Arbeitsschutz und im vor- und nachsorgenden betrieblichen Gesundheitswesen im Zeitverlauf signifikant verringert werden konnten. Gleichwohl prägten sie zusammen mit den besonderen Arbeitsbedingungen unter Tage und den zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Grubenunglücken die allgemeine Wahrnehmung von der Bergarbeit als einem besonders gefährlichen Beruf nachhaltig. Und auch bei vielen Bergleuten haben sie im Rückblick zu einer differenzierten Erinnerung an ihr Berufsleben geführt, in der sich oftmals persönlicher sozialer Aufstieg, Kameradschaft und andere positive
Abb. 2–4: Wattierte Arbeitskleidung eines Braunkohlenbergmanns aus dem Lausitzer Revier. Arbeiteten die Bergleute unter Tage oft bei hohen Temperaturen, mussten sie sich im Tagebau gegen die Winterkälte schützen, undatiert (Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna)
Alltag im Bergbau
Erinnerungen mit der Schwere der Arbeit, negativen gesundheitlichen Folgen und Umweltschäden verbinden. Beispielhaft für diese Ambivalenz ist das Resümee des ehemaligen Wismut-Bergmanns Willi Tromsdorf aus dem Jahr 1994, drei Jahre nachdem er erwerbsunfähig geworden war: „Ich würde, wenn ich gesund und jung wäre und noch einmal vor der Frage stünde: Bergbau ja oder nein, immer mit ja antworten, aber unter korrekten Arbeitsbedingungen“ (Kaden, Uranprovinz, S. 112). Eine der wichtigsten Risikoquellen war der Staub, denn das Einatmen feinster Staubpartikel kann gesundheitsschädlich sein. Berühmt-berüchtigt ist vor allem die Silikose, die so genannte Staublunge der Bergleute, als typische und im Ruhrbergbau und bei der Wismut weit verbreitete und häufigste Berufskrankheit. Im Braunkohlen- und im Salzbergbau spielte sie hingegen keine Rolle. Schon im 16. Jahrhundert haben Georg Agricola (1494–1555) oder Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493 oder 1494–1541), genannt Paracelsus, bei Bergleuten Atemnot und die so genannte Lungensucht beschrieben. Aber erst mit der Entwicklung der Röntgentechnik seit Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich das Phänomen erforschen, und als Ursache konnten feinste mineralische Staubpartikel und insbesondere quarzhaltige Gesteinsstäube ausgemacht werden. Deren Einatmen kann nach einer gewissen Latenzzeit, oft erst nach mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten, zur Bildung knotenartiger Bindegewebe und zu Vernarbungen in der Lunge und schließlich zum Tod durch Ersticken führen. Im Uranerzbergbau war die Inhalation radioaktiv belasteter Stäube die wichtigste Ursache der Strahlenbelastung. Entscheidend sind dabei die Konzentration der Stäube in der Luft und die Expositionsdauer, die Zeitspanne, in der ein Bergmann diesen Stäuben ausgesetzt war und sie eingeatmet hat. Staub fällt bei fast allen Arbeitsvorgängen und an fast allen bergbaulichen Arbeitsplätzen an, z. B. beim Bohren oder Sprengen im Streckenvortrieb, in der Gewinnung oder bei Transport, Verladung, Zerkleinerung oder Verkippung von Rohstoffen und Bergen. Staub lässt sich also nicht vermeiden. Umso wichtiger wurde seine Bekämpfung, etwa durch bestimmte Absaugvorrichtungen oder das Niederschlagen mit speziellen Bindemitteln oder Wasser, und der individuelle Schutz der Beschäftigten, etwa durch – wo dies möglich war – die staubdichte Kapselung der Arbeitsplätze, vor allem aber durch spezielle Schutzmasken. Letztere wurden allerdings von den Bergleuten bei der Arbeit unter Tage als störend empfunden und konnten sich deshalb seit Anfang der 1950er-Jahre nur allmählich in der betrieblichen Praxis durchsetzen (Abb. 5). Ähnliches galt für das so genannte Trockenbohren, wobei immense Staubmengen anfielen und das zumindest bei der Wismut bis in die erste Hälfte der 1950er-Jahre noch weit verbreitet war, bevor das weniger effektive und deshalb bei den Bergleuten unbeliebte Nassbohren verbindlich vorgeschrieben worden ist. Staubbekämpfung und Staubschutz gingen dabei in beiden deutschen
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Abb. 5: „Kampf gegen Staubgefahr! Rehmann Staubschutzmaske ‚Lungenrein‘“, Werbeblatt für eine Staubschutzmaske für Bergarbeiter, 1950er-Jahre (montan.dok/BBA FP 994/1)
Revieren mit einer fortschreitenden Ausweitung, Systematisierung und Verbesserung der Staubmessungen und der entsprechenden Verfahren und Geräte einher. Bereits 1929 hatte die Bergbau-Berufsgenossenschaft, die unter anderem für die medizinische Betreuung sowie für Unfallverhütung und Gesundheitsschutz der Bergleute zuständig war, die Silikose als Berufskrankheit anerkannt. Im gleichen Jahr richtete sie die Hauptstelle für den Bohrstaubschutz ein, aus der sieben Jahre später mit erweiterten Aufgaben die Hauptstelle für Staubbekämpfung hervorging. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstand in Bochum 1948 das Silikose-Forschungsinstitut, und seit Anfang der 1950erJahre folgten im Ruhrbergbau breit angelegte Aufklärungskampagnen und Reihenuntersuchungen, für die ein eigens entwickelter „Röntgenzug“ als mobile Untersuchungsstation eingesetzt wurde (Abb. 1, 6). Bei der Wismut wurde nur kurz darauf, im Juli 1952, die „Silikosekommission Erzbergbau“ als Gremium zur Begut-
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Abb. 6: Lungenuntersuchung eines Bergmanns an einer Röntgenstation auf einer Ruhrgebietszeche, 1952 (montan.dok / Kürschner)
achtung von Berufskrankheiten eingerichtet, bevor im September 1952 mit der „Silikoseaktion“ umfassende Reihenuntersuchungen starteten, bei denen ebenfalls ein mobiler „Röntgenzug Erzbergbau“ zum Einsatz kam. Dies zeigt, welch große Bedeutung man der Erforschung und Bekämpfung der Silikose beiderseits der deutsch-deutsch Grenze beimaß – nicht ohne Grund, wurde doch mit zunehmendem Kenntnisstand nach und nach die ganze Dimension offenbar. Der Anstieg der anerkannten und damit entschädigungspflichtigen Silikosen seit Mitte der 1930er-Jahre und dann in den Nachkriegsjahren war dramatisch und belastete zunehmend Produktivität sowie Sozialkassen. Hatte die Bergbau-Berufsgenossenschaft 1929 noch 1015 Silikosefälle aus dem gesamten Bergbau in der späteren Bundesrepublik Deutschland (ohne Saarland) erstmals entschädigt, so waren es zwischen 1948 und 1954 weit über 4000 Fälle jährlich, wobei in der Bundesrepublik seit 1953 auch weniger schwere Fälle mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von weniger als 50 % anerkannt wurden. Danach zeigten die oben skizzierten Maßnahmen zur Staubbekämpfung und zum Staubschutz Wirkung. Bis Mitte der 1960er-Jahre halbierten sich die Zahlen ungefähr und lagen Mitte der 1980er-Jahre nur mehr bei etwa 500. Bei der Wismut zeigt sich ein ähnliches, im Entwicklungsverlauf allerdings zeitversetztes Bild. Hier
stieg die Zahl der Fälle, die die „Silikosekommission Erzbergbau“ seit 1952 – Zahlen für die vorhergehenden Jahre liegen nicht vor – alljährlich als berufsbedingte Erkrankung anerkannte, bis Mitte der 1960er-Jahre tendenziell an, erreichte 1964 mit 921 Fällen einen Höchststand und ging erst dann allmählich zurück. Aber noch in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre wurden Jahr für Jahr durchschnittlich etwa 187 Fälle anerkannt. Demnach sind in den Jahren von 1952 bis 1989 mehr als 14 300 der etwa 500 000 Bergleute, die von 1946 bis 1990 insgesamt bei der Wismut beschäftigt waren, an Silikose erkrankt. Mit weitem Abstand am meisten betroffen waren die Bergleute, die zwischen 1946 bis 1952, mithin in den „wilden Jahren“ der Anfangszeit der Wismut, angelegt worden sind, als der Arbeits- und Gesundheitsschutz faktisch keine Bedeutung hatte. Und auch noch nach dem Ende des Uranerzbergbaus haben die Bergbau-Berufsgenossenschaft bzw. seit 2010 die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie zwischen 1991 und 2021 rund 3000 neue Silikosen als beruflich bedingte Erkrankungen anerkannt. Heute verbindet man mit dem Uranerzbergbau der Wismut aber wohl weniger die Silikose, sondern vorrangig die zahlreichen Krebserkrankungen und vor allem Bronchialkarzinome als Folge der radioaktiven Strahlenbelastung. Nicht zuletzt in den Jahren der politischen Wende und der „Wiedervereinigung“ 1989/90 rückten sie mit der Diskussion um das radioaktive
Alltag im Bergbau
Erbe der Wismut in den Fokus einer breiteren öffentlichen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Wichtigster Träger der Strahlenbelastung ist das Radon, ein Edelgas, das sich über die Luft und in Gewässern leicht verbreitet. Infolgedessen waren Bergleute und in einem geringeren Maße auch die Bevölkerung im Wismut-Revier vorrangig über die Inhalation der Luft und weniger durch direkte Bestrahlung oder über die Nahrungsaufnahme der Radioaktivität ausgesetzt. Risikoverschärfend, im Sinn einer Multiplikation der Risikofaktoren, trug wohl der überdurchschnittlich hohe Anteil der Raucher vor allem unter den Hauern zu diesen hohen Fallzahlen bei. Ähnlich wie die „Bergsucht“ ist auch die „Schneeberger Krankheit“ schon 1770 beschrieben, aber erst 1924 die radioaktive Strahlung als Ursache festgestellt worden. Seit 1925 ist sie als Berufskrankheit anerkannt. Zwischen 1952 und 1989 ist bei rund 5100 Wismut-Bergleuten ein Lungenkrebs als Berufskrankheit anerkannt worden, und seit 1990 sind noch knapp 3800 Fälle hinzugekommen. Dabei sind die Fallzahlen im Unterschied zur Entwicklung der Silikose im Zeitverlauf ungleich weniger zurückgegangen. Seit Anfang der 1970er-Jahre verharrten sie auf einem gleichbleibend hohen Niveau von zum Teil weit mehr als 200 Fällen pro Jahr. Dies liegt auch an der ungleich höheren Latenzzeit. Zwischen Exposition und Erkrankung liegen im Schnitt etwa 30 Jahre. Insbesondere in den „wilden Jahren“ wurde die Strahlengefahr sowohl von den verantwortlichen Funktionseliten als auch von den Bergleuten missachtet. Messungen oder Arbeitsschutzmaßnahmen gab es bis Mitte der 1950er-Jahre ebenso wenig wie eine Aufklärung der Bergleute, die damals Strahlendosen von schätzungsweise 300 bis zu 3000 Millisievert ausgesetzt waren (Abb. 7). Seit etwa Mitte der 1960er-Jahre betrug die Strahlenbelastung immerhin noch durchschnittlich etwa 30 bis 250 Millisievert. Zum Vergleich: Heute legt das Strahlenschutzgesetz für beruflich strahlenexponierte Personen einen Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr fest. Somit können die Lungenkrebsfälle bis heute als Teil des radioaktiven Erbes der Wismut angesehen werden.
Abb. 7: Dosimeter eines sowjetischen Mitarbeiters der SDAG Wismut zur Messung der Strahlenbelastung, undatiert (montan.dok 037000500001 / Ecotest)
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Alltagsleben im Industrierevier Die Auswirkungen der (nicht nur) bergbaubedingten Umweltfolgen auf die Bevölkerung in den Bergbaurevieren waren vielleicht in der Schwere weniger gravierend als bei Bergleuten und Bergbaubeschäftigten, aber sie waren insgesamt vielfältiger und beeinflussten in ihrer Gesamtheit das Leben der Menschen in den Industrierevieren umfassender: Bergwerke, Halden, Kokereien, Brikettfabriken und andere Betriebe lagen oft in unmittelbarer Nähe von Wohnquartieren und Freizeiteinrichtungen und waren so integrale Bestandteile des alltäglichen Lebensumfelds (Abb. 8). Die vom Bergbau und anderen Industriebetrieben verursachten Staub- und Schadstoffemissionen belasteten Luft- und Wasserqualität, was in der Folge auch die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigte. Wohnhäuser und Eigenheime, Verkehrsinfrastruktur und Äcker wurden durch Bergschäden in Mitleidenschaft gezogen oder gar zerstört, und zuweilen mussten ganze Dörfer oder Wohnquartiere dem Bergbau weichen. Andererseits garantierten gerade der Bergbau und die in seinem Umfeld entstehenden Betriebe den Menschen ein hohes Maß an sozialer Sicherheit. Vor allem nach 1945 zog er zahlreiche Menschen in die Reviere, für die zur Behebung der Wohnungsnot neue, vergleichsweise moderne Siedlungen und Wohnungen entstanden. Die Geschichte der Beziehungen zwischen Bergbau, Umwelt und Bevölkerung ist somit auch eine Geschichte der Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft der Menschen, des Heimischwerdens und des Heimischseins in den Industrierevieren und -städten, der Verhaftung mit dem Bergmannsberuf und in den Bergarbeitermilieus sowie oft auch des individuellen sozialen Aufstiegs. Gleichwohl war das Leben der Bevölkerung in den drei Bergrevieren durch erhebliche Schadstoffbelastungen von Luft und Wasser und, im Uranerzbergbau der Wismut, durch radioaktive Strahlung geprägt. Die bergbaulichen Emittenten – Kokereien, Brikettfabriken, Kraftwerke, Halden oder Absetzteiche – waren ebenso vielfältig, wie die Emissionen selbst: Staub, Flugasche, Schwefeldioxid, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoffe, aromatische Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle oder Radioaktivität – die Liste ließe sich durchaus verlängern. Sie wirkten auf unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlichen Maßen auf Gesundheit und Wohlergehen der Menschen ein. Die Folgen waren nicht zuletzt auch sichtbar, wie die nahezu klassischen Erzählungen vom schwarz gefärbten Schnee nahe der Brikettfabrik oder vom Grauschleier auf der frisch gewaschenen Weißwäsche zeigen. Dabei war das Ausmaß der Belastungen auch in den jeweiligen Bergbaurevieren lokal sehr unterschiedlich und in unmittelbarer Nähe etwa von Kokereien, Brikettfabriken oder auch Halden besonders hoch. Vor allem die Belastung der Luft durch Staub und Schwefeldioxid war in den Bergbaurevieren signifi-
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Abb. 8: Kleingarten an der Kokerei der Zeche Shamrock 3/4 in Wanne-Eickel, undatiert (montan.dok 025300039001 / Josef Stoffels)
kant höher als in den meisten anderen Landesteilen von Bundesrepublik und DDR. Dabei galten rauchende Schornsteine bis etwa Ende der 1950er-Jahre gemeinhin noch als Ausweis wirtschaftlicher Prosperität und Dynamik. Die von ihnen verursachten Umweltfolgen wurden von einer breiteren Öffentlichkeit erst seit den 1960er-Jahre zunehmend kritisch wahrgenommen. Obwohl just seit diesem Jahrzehnt Staubbelastung und Schadstoffemissionen im Ruhrgebiet rückläufig waren – im rheinischen Braunkohlenrevier war die zuvor immense Staubbelastung bereits in den 1950er-Jahren massiv zurückgegangen –, mehrten sich die Klagen aus der Bevölkerung. Das allmähliche Entstehen eines neuen Umweltbewusstseins in der Bundesrepublik ist dabei auch auf einen Wandel der Werte und Prioritäten nach Überwindung der materiellen Notlage der Nachkriegsjahre zurückgeführt worden. Mit diesem Wandel begannen Anfang der 1960erJahre zumindest in den Ballungsgebieten an Rhein und Ruhr auch regelmäßige Messungen der Luftverschmutzung. Demnach sank z. B. die Schwefeldioxidimmission von 206 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (mcg/m³) im Jahr 1964, dem Jahr, in dem die erste Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft am 28. September in Kraft trat, nahezu kontinuierlich auf 93 mcg/m³ im Jahr 1980 und liegt seit 1998 stabil unter 10 mcg/m³. Es sei hier einmal dahingestellt, inwieweit dieser regionale Rückgang der „Politik der hohen Schornsteine“, also der bloßen Verteilung der Schadstoffe über eine größere Fläche, oder aber der tatsächlichen Reduzierung der Schadstoffmengen bei den Emittenten geschuldet war.
Für die beiden Bergbaureviere in der DDR liegen nur sehr wenige Daten vor. Dies mag auch daran liegen, dass derartige Informationen in der DDR unter Verschluss gehalten wurden. Soweit ersichtlich kam es hier erst seit etwa Mitte der 1970er-Jahre in weit geringerem Maß und auch nur partiell für einige Schadstoffe zu einem Rückgang. So sank z. B. die Staubemission im Bezirk Cottbus im Laufe der 1980er-Jahre um etwa ein Viertel, lag damit aber noch knapp fünfmal so hoch wie im Bezirk Frankfurt (Oder). Aufgrund der wachsenden Relevanz der Braunkohle für die Energiewirtschaft der DDR stieg allerdings die Schwefeldioxidemission um 44 % und damit im Vergleich zur gesamten DDR überdurchschnittlich stark an. Die Menschen im Bezirk Cottbus mussten damit im Jahr 1988 mit einer mehr als zehnmal so hohen Belastung leben wie diejenigen im Bezirk Frankfurt (Oder). 1989/90 belegte die DDR bei den Staub- und Schwefeldioxidemissionen, die zu 58 % auf Kohle und Energie zurückgeführt wurden, den Spitzenplatz in ganz Europa. Die oft weit über den geltenden Grenzwerten liegenden Konzentrationen komplexer Schadstoffgemische beeinträchtigten nicht nur die Lebensqualität, sie wirkten sich vor allem massiv auf die Gesundheit der Menschen und insbesondere die der Kinder aus. Lungen- und Atemwegserkrankungen wie Pseudokrupp und chronische Bronchitis, Herz- und Kreislauferkrankungen, chronische Hautekzeme, Übelkeit oder Schlafstörungen traten in den Bergbaurevieren deutlich häufiger auf, und teilweise lagen die Fallzahlen gar um ein Mehrfaches über dem Landesdurchschnitt. „Einmal
Alltag im Bergbau
geschnäuzt – Brikett in der Hand“, unter diesem prägnanten Titel schilderte eine Reportage des Westdeutschen Rundfunks schon 1961 die gravierenden Folgen der Luftverschmutzung im Ruhrgebiet. Und knapp 30 Jahre später zeichnete die Spiegel TV-Reportage über „Die Kinder von Espenhain“ im Lausitzer Revier ein durchaus ähnliches Bild. Zur Belastung der Luft und der Gewässer durch Staub und Schadstoffe trugen auch die zahlreichen Halden im Ruhrgebiet und im Revier der Wismut, weniger im Lausitzer Braunkohlenrevier, wo der Abraum temporär aufgehaldet und dann in den Tagebau-Restlöchern verkippt wurde, bei. Hinzu kamen der Lärm durch LKW-Transporte, das Risiko von Haldenbränden oder, im Fall der Wismut, die radioaktive Strahlung. Die Halden prägten nicht nur das Erscheinungsbild der beiden Bergbaureviere, sie lagen – wie auch viele andere Bergbauanlagen – oft im unmittelbaren Wohnumfeld der Menschen (Abb. 9). Die von ihnen ausgehenden Belastungen der Umwelt und ansässiger Bevölkerung erregten häufig Unmut. Darüber hinaus wurden sie zumindest im Ruhrgebiet in den 1950erJahren vorrangig von gebildeten Bevölkerungsgruppen als gleichsam un-natürliche, landschaftszerstörende Fremdkörper kritisiert. Allerdings waren die Halden, lange bevor sie als Landschaftsbauwerke angelegt oder mit dem Ziel, Naherholungsgebiete für die Bevölkerung zu schaffen, begrünt wurden, und lange bevor sie zu Landmarken im Kontext der Industriekultur erhoben wurden, für weite Teile der Bevölkerung hingenommener und integraler Bestandteil ihres Lebensumfeldes. Dies zeigt sich beispielhaft in den Erinnerungen des Dortmunder Vermessungsfahrsteigers Wolfgang Rühl an seine Kindheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er und seine Freunde verbrachten ihre Freizeit oft in einem natürlichen Feuchtgebiet, das schließlich einer Bergehalde wich. Rühl erinnerte das weniger als Verlusterfahrung, für ihn wurde damals die Halde scheinbar nahtlos ein selbstverständlicher Ort neuer und spannender Entdeckungen (Lebensgeschichtliches Interview mit Wolfgang Rühl vom 10.10.2016, Projekt „Menschen im Bergbau“, Archiv im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets, Bochum: LINT 63). Halden, Bergwerksanlagen oder Tagebaue stellten immer auch eine Form bergbaulichen Landschaftsverbrauchs dar. Die damit einhergehenden Devastierungen und Umsiedlungen von Wohnquartieren und ganzen Ortschaften waren für jene, die dem Bergbau weichen mussten, eine im besonderen Maß ganz unmittelbar spürbare und einschneidende Folge. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren dabei heute jüngere Beispiele aus den deutschen Braunkohlenrevieren mit den letztendlich meist vergeblichen Protesten der Betroffenen gegen ein scheinbar übermächtiges Schicksal und schließlich mit den schmerzlichen Verlusterfahrungen der Menschen, die ihr seit Jahren oder gar Jahrzehnten angestammtes Wohn- und Sozialumfeld verlassen mussten bzw. müssen. Oft stehen dabei diejenigen
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Abb. 9: „Terrakotten bei Ronneburg“. Das Gemälde von Viktor Makejew zeigt die für Ronneburg und die Industrielandschaft prägenden Halden, 1985 (Wismut GmbH / Viktor Makejew)
im Hintergrund, die im mitunter Jahre andauernden Prozess der Umsiedlung und Devastierung eines Ortes schon früh und freiwillig gingen, sich mehr oder minder pragmatisch in die Gegebenheiten und in die neue Situation fügten, sich mit ihr arrangierten und ihr vielleicht auch positive Seiten abgewinnen konnten. Devastierungen und Umsiedlungen betrafen allerdings keineswegs nur die Menschen in den Braunkohlenrevieren. Im Ruhrgebiet mussten z. B. in den 1980erJahren 180 Einwohner:innen der Hohewardsiedlung in Herten, die aus einer vormaligen Schrebergartensiedlung nach Kriegsende ohne Genehmigung aber mit mehr oder minder stillschweigender Duldung der Behörden entstanden war, der neuen Halde Hoheward weichen. Dies rief zunächst Widerstände und Proteste der Bewohner:innen hervor, aber seit 1986 zogen die meisten von ihnen in die auf Kosten des Bergbaus neu erbaute Reitkampsiedlung um. Die Schirmherrschaft über die Umsiedlungsaktion hatte dabei der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau (1931–2006), übernommen. In Sachsen fiel 1951 die Entscheidung, große Teile der Altstadt der traditionsreichen Bergstadt Johanngeorgenstadt mit mehreren hundert Häusern zu räumen und abzureißen, da man durch den oberflächennahen Uranerzabbau im Objekt 01 der Wismut erhebliche Bergschäden und damit Risiken für die Bevölkerung befürchtete. Zwischen 1953 und 1957 mussten deshalb etwa 4000 Johanngeorgen-
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städter in die Neustadt umsiedeln, die seit 1952 entstand. Ob diese Maßnahme notwendig war, das wurde weit über die Zeit der DDR hinaus kontrovers und teils emotional diskutiert. Weitaus größere Dimensionen erreichten Devastierungen und Umsiedlungen allerdings im Lausitzer Braunkohlenrevier. Erste Umsiedlungen erfolgten hier seit Mitte der 1920er-Jahre, gleichwohl blieb ihre Zahl bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs doch eher begrenzt, um dann in der Zeit der SBZ und der DDR drastisch zuzunehmen. Bis 1990 kam es zu 71 Umsiedlungen, von denen 13 453 Menschen betroffen waren. Ein Großteil (69 %) erfolgte allein in den Jahren 1974 bis 1989 aufgrund der Ausweitung des Braunkohlenbergbaus. Entschädigungszahlungen wurden bis 1986 nicht an die Betroffenen ausgezahlt. Diese wurden vielmehr staatlich verwaltet und für die Errichtung von „Kohleersatzwohnungen“ eingesetzt, die als industrielle Wohnbauten und -siedlungen in den größeren Städten der Umgebung entstanden. Insofern verband sich mit den Umsiedlungen in der Lausitz meist auch ein Wechsel aus der ländlichen Dorfgemeinschaft in ein neues, kleinstädtisches Lebensumfeld, wobei das Nebeneinander und die Verflechtung ländlicher und städtischer bzw. agrarischer und industrieller Sozial- und Siedlungsstrukturen charakteristisch für das Lausitzer Braunkohlenrevier ist. Viele Braunkohlenbergleute wohnten bzw. wohnen in einem der Dörfer. Die Folgen der Umsiedlungen vor allem auch für Leben und Kultur der ethnischen Minderheit der Sorben, die seit der Völkerwanderung in der Lausitz siedelten, wäre sicherlich einer eingehenderen Betrachtung wert, die hier allerdings nicht zu leisten ist. Der Umzug in eine neue, modernere „Kohleersatzwohnung“ bedeutete oft auch eine Verbesserung der Wohnqualität und des Wohnkomforts, waren doch bis in die 1960er-Jahre hinein viele Ortschaften noch nicht an das Wasserversorgungs- und Abwassernetz angeschlossen. Gerade auf dem Land befand sich das WC oft außerhalb der Wohnung, und das Trinkwasser musste aus dem Brunnen geholt werden. Die individuelle Erfahrung einer Umsiedlung konnte also in sich durchaus widersprüchlich sein und empfunden werden. Auf diese Ambivalenz von Verlusterfahrungen einerseits und materieller Besserstellung und sozialer Sicherheit andererseits deuten Zeitzeug:inneninterviews sowie der Umstand hin, dass in der SBZ/DDR 95 % der von Umsiedlungen betroffenen Menschen in der Industrieregion blieben und viele weiterhin im Bergbau arbeiteten. Ein fast beliebig ausgewähltes, aber in vielem wohl typisches Beispiel ist das Schicksal des kleinen sorbischen Kirchdorfs Tzschelln (Čelno) südwestlich von Weißwasser im Bezirk Cottbus. Der Ort wurde 1453 erstmals erwähnt. Mit der 1960 beginnenden Errichtung des Tagebaus Nochten geriet er in den Einflussbereich des Braunkohlenbergbaus und wurde zwischen 1976 bis 1979 mitsamt seiner historischen, um 1500 erbau-
ten Fachwerkkirche vollständig abgebrochen (Abb. 10). 195 Menschen, so die damals amtlich festgestellte Zahl, mussten vorrangig in die Kreisstadt Weißwasser sowie in die Landgemeinden Boxberg, Uhyst, heute ein Ortsteil der Gemeinde Boxberg, und Schleife umziehen. Noch kurz zuvor, im Jahr 1971, hatten 293 Menschen in Tzschelln gelebt, wobei der weit überwiegende Teil der Erwerbstätigen in den benachbarten Industriebetrieben gearbeitet hatte. Ein ehemaliger Bewohner des Ortes erinnerte sich im Jahr 1996 an die Umsiedlung seiner Großmutter Anfang November 1974: „Wir haben die Oma gebeten, sie solle doch mal per Auto mit an unseren neuen Wohnort kommen, um sich anzusehen, wie schön
Abb. 10: Der sorbische Ort Tzschelln (obersorbisch Čelno) wurde in den 1970er-Jahren wegen des Braunkohlentagebaus Nochten umgesiedelt. Die Fachwerkkirche wurde daher 1978 gesprengt, 1955 (Sorbisches Kulturarchiv des Sorbischen Instituts e. V. Bautzen, XLIII/7, Neg.: 7A / Ernst Tschernik)
auch sie später mal wohnen würde. Nach langem Hin und Her ließ sie sich endlich dazu überreden. Es wurde noch einiger Hausrat verladen, und schließlich musste auch unser Dackel Bobby mit in das Auto steigen. Als der Hund mit einstieg, dämmerte es der Oma, dass es wohl ein Abschied für immer sein würde. Wir haben die
Alltag im Bergbau
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Abb. 11: Erholung am Knappensee, 1969 (Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0170310 / Manfred Thonig)
Autotür zugeknallt und sind vom Hof gerollt. Die Oma fing an, herzzerreißend zu klagen und zu wimmern, wusste sie doch nun, dass es für sie keine Wiederkehr in ihre vertraute Umgebung mehr geben würde. […] Die Oma erreichte in tiefer Niedergeschlagenheit ihre neue Wohnstätte, hat sich dann aber erstaunlich bald gefasst und mit ihrer neuen, bequemen Wohnung abgefunden“ (Lorenz, Was bleibt, S. 23). Wie tiefgehend allerdings auch die Erfahrung des Heimatverlusts war und wie nachhaltig die Erinnerung an die Devastierung lebendig blieb, zeigt der Umstand, dass sich ehemalige Bewohner:innen von Tzschelln seit 1992 regelmäßig trafen und im Sommer 2000 einen Erinnerungsort mit Gedenktafel und Gedenkstein eingeweiht worden ist. Auch der 1996 gegründete Landfrauenverein Boxberg/ O.L. e. V. widmete sich der Aufarbeitung der Ortsgeschichte. So entstanden in mühevoller Kleinarbeit naturgetreue Modelle des Dorfes im Maßstab 1 : 750 sowie der ehemaligen Dorfkirche im Maßstab 1 : 50. Vorbild für letzteres war möglicherweise ein ähnliches Modell, das der damals 16jährige Pfarrerssohn Andreas Neumann 1976 zu Beginn der Devastierung gebastelt hatte, dessen Verbleib allerdings nicht mehr nachvollzogen werden konnte. Ein letztes Schlaglicht auf die komplexen und ambivalenten Wechselbeziehungen zwischen Bergbau, Umwelt und Menschen im Zeitverlauf gilt der touristischen Nachnutzung ehemaliger Bergbauanlagen und -flächen vor allem als Naherholungsgebieten für die
ansässige Bevölkerung. Prominente Beispiele finden sich nicht zuletzt im Lausitzer Braunkohlenrevier, wo durch die Flutung ehemaliger Tagebaue solche Naherholungsgebiete entstanden. Bis Ende der 2020er-Jahre soll hier mit dem Lausitzer Seenland Europas größte künstliche Wasserlandschaft geschaffen werden. Ein frühes Beispiel ist der knapp 300 Hektar große Knappensee. Er entstand seit Juni 1945 durch die zunächst unkontrollierte Flutung des ehemaligen Tagebaus Werminghoff und wurde dann unter maßgeblicher Beteiligung von Otto Rindt (1906–1994) zur Wassersport- und Erholungslandschaft gestaltet. Bereits 1954 zählte man an Sonntagen bis zu 3000 Besucher, 1959 waren es bis zu 8000, und in den 1960er-Jahren erfreute sich der See bei Badegästen, Wassersportlern und Dauercampern großer Beliebtheit (Abb. 11). Aber auch in diesem scheinbaren Badeidyll blieb die Braunkohlenindustrie durch die in nicht allzu weiter Ferne sichtbare Brikettfabrik Knappenrode mit ihren rauchenden Schornsteinen präsent. Und das Beispiel des Knappensees darf auch nicht über die massiven wasserwirtschaftlichen Probleme, die der Braunkohlenbergbau verursachte, hinwegtäuschen. Die erheblichen Grundwasserabsenkungen ließen Brunnen trockenfallen und landwirtschaftlich genutzte Flächen ausdörren. Hinzu kam die Schadstoffbelastung. Das Institut für Wasserwirtschaft der DDR kam 1981 zu dem Schluss, dass etwa 80 % der insgesamt 279 Restseen des Bergbaus im Bezirk Cottbus aufgrund der Nutzung
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als Schlamm-, Aschespül- und Müllgruben, der chemischen Belastungen oder zu steiler Böschungen nicht für touristische Zwecke genutzt werden könnten. Der Knappensee ist aufgrund bergtechnischer Sicherungsund Sanierungsmaßnahmen seit 2014 gesperrt. Es wird abzuwarten sein, ob er nach den jüngsten Rutschungen im März 2021 wie geplant im Jahr 2022 wieder für die touristische Nutzung freigegeben werden kann. Insofern verweist auch der Knappensee auf die langfristigen Folgen des Bergbaus auf Umwelt und Menschen und auf die Ambivalenzen in diesem komplexen Beziehungsgefüge.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Brüggemeier, Franz-Josef/Rommelspacher, Thomas: Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet 1840–1990, Essen 1992. – Förster, Frank: Verschwundene Dörfer. Die Ortsabbrüche des Lausitzer Braunkohlenreviers bis 1993, Bautzen 1995 (= Schriften des Sorbischen Instituts, Bd. 8). – Geschichtskreis „Zeche Ewald“: Nördlich des Emscherbruches. Beiträge zur Geschichte Zeche Ewald und Stadtteil Herten Süd, Teil XIV: 1978 bis 1986, Herten 1999. – Kaden, Mario: Uranprovinz. Zeitzeugen der Wismut erinnern sich, Marienberg 2000. – Kirchner, Annerose: Spurlos verschwunden. Dörfer in Thüringen – Opfer des Uranabbaus, Berlin 2017. – Knoth, Nikola: Landschaft auf Kohle. Sozialhistorische Perspektiven des Umweltproblems am Beispiel des Kreises Spremberg, in: Hübner, Peter (Hrsg.): Niederlausitzer Bergarbeiter 1935 bis 1970. Studien zur Sozialgeschichte, Berlin 1995 (= Zeithistorische Studien, Bd. 7), S. 61–93. – Lorenz, Robert: Was bleibt. 90 Jahre Ortsumsiedlungen im Lausitzer Braunkohlenrevier, o. O. o. J. – Nonn, Christoph: Vom Naturschutz zum Umweltschutz. Luftreinhaltung in Nordrhein-Westfalen zwischen fünfziger und frühen siebziger Jahren, in: Geschichte im Westen 19, 2004, S. 230–243. – Petschow, Ulrich/Meyerhoff, Jürgen/Thomasberger, Claus: Umweltreport DDR. Bilanz der Zerstörung. Kosten der Sanierung. Strategien für den ökologischen Umbau, Frankfurt a. M. 1990. – Przigoda, Stefan: Luft, in: Brüggemeier, FranzJosef/Farrenkopf, Michael/Grütter, Heinrich Theodor (Hrsg.): Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte, Essen 2018, S. 67–75. – Rindt, Otto: Der Knappensee als Erholungsgebiet, in: Braunkohle und Umwelt. Eine Ausstellung im Lausitzer Bergbaumuseum Knappenrode, Berlin 1999, S. 76–78 (zuerst in: Zeitschrift Deutsche Gartenarchitektur 1, 1960, H. 4).
– Rösler, Jörg/Semmelmann, Dagmar: Vom Kombinat zur Aktiengesellschaft. Ostdeutsche Energiewirtschaft im Umbruch in den 1980er und 1990er Jahren, Bonn 2005 (= Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 66). – Schröter, Harm G.: Die Wismut, der Umweltschutz und ein zentrales Dokument, in: Karlsch, Rainer/ Schröter, Harm G. (Hrsg.): Strahlende Vergangenheit. Studien zur Geschichte des Uranbergbaus der Wismut, St. Katharinen 1996, S. 343–372. – Selig, Rolf: Gesundheitliche Folgen des Uranbergbaus, in: Karlsch, Rainer/Schröter, Harm G. (Hrsg.): Strahlende Vergangenheit. Studien zur Geschichte des Uranbergbaus der Wismut, St. Katharinen 1996, S. 373–407. – Statistisches über die Silikose im Bergbau der Bundesrepublik Deutschland, in: Kompass 1960, S. 188–198. – Teller, Frank: Umbruch, Aufbruch, Abbruch. Johanngeorgenstadt 1945–1961, 2. Aufl., Johanngeorgenstadt 2010. – Wohlberedt, Friedrich: Unfälle und Berufskrankheiten im Bergbau, in: Kompass 100, 1990, S. 232–238.
Online (Auswahl) – Archiv verschwundener Orte. https://www.archivverschwundene-orte.de/de/startseite/70224 (Eingesehen: 07.10.2021). – Einmal geschnäuzt – Brikett in der Hand, WDR, 1961 https://www.ardmediathek.de/ard/video/wdrretro-spezial/einmal-geschnaeuzt-brikett-inder-hand/wdr-fernsehen/Y3JpZDovL3dkci5kZS 9CZWl0cmFnLTUxOTdlYjNlLWJlYzMtNDFmY i04NDViLTgxZWE1MDE2ZmVhNw/ (Eingesehen: 07.10.2021). – „Die Kinder von Espenhain“, Spiegel TV, circa 1989/1990. https://www.spiegel.de/video/vor-20jahren-die-kinder-von-espenhain-video-1036864. html (Eingesehen: 07.10.2021). – Kühne, Marco: Bergbau – Heimat – Widerstand. Auswirkungen des Braunkohlenbergbaus im Lausitzer Revier auf Zusammenleben und dörfliche Strukturen, unveröffentlichte Magisterarbeit, Leuphana Universität Lüneburg 2012. http://docplayer. org/26248694-Bergbau-heimat-widerstand.html (Eingesehen: 07.10.2021). – Schütterle, Juliane: Gesundheit im Dienst der Produktion?, o. O. 2011. Unter: https://www.bpb. de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/53421/gesundheit-im-dienste-der-produktion (Eingesehen: 07.10.2021). – Wismut GmbH (Hrsg.): Chronik der Wismut. Mit erweitertem Sanierungsteil (1998–2010), [Chemnitz] 2010. Unter: https://www.wismut.de/www/ redaktoer/upload/chronik/Chronik_der_Wismut. zip (Eingesehen: 07.10.2021).
IV.3 Kein Zurück zur Natur – Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften
Abb. 1: Zu den so genannten Little Five der faunistischen Pioniere und Überlebenskünstler, die sich in der Bergbaufolgelandschaft um Wanninchen ansiedelten, zählt der Ameisenlöwe, 2019 (Heinz Sielmann Stiftung / Ralf Donat)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-011
Torsten Meyer
Begriffe und Gesetze Einleitung
Von Begriffen
Vor rund 12 000 Jahren begann die Sesshaftwerdung des Menschen und die Herausbildung der Agrar- und Viehwirtschaft. Dieser, als Neolithische Revolution bezeichnete Prozess hatte zur Folge, dass die Menschen immer stärker in vorgefundene Naturräume eingriffen und sie nutzungsorientiert umgestalteten. Die Erscheinung der Erde nahm über Jahrtausende hinweg ein menschliches Antlitz an, die Menschheit stieg zum heute maßgeblichen geologischen Akteur auf. Sehr offensichtlich zeigen sich die menschengemachten landschaftlichen Veränderungen im Bereich der bergbaulichen Gewinnung von Rohstoffen, einer Aktivität, die bereits seit der Antike immer wieder von kritischen zeitgenössischen Stimmen begleitet wurde. Die uns heute ins Auge fallenden, unzähligen bergbaulichen Hinterlassenschaften sind vorrangig industriellen Ursprungs. Sie künden sichtbar davon, dass mit der zweiten universalhistorischen Umwälzung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, der so genannten Industriellen Revolution bzw. Industrialisierung, auch die durch den Bergbau verursachten Landschaftsveränderungen eine neue Qualität gewannen. Zugleich rückten die Halden, Kippen und Restlöcher der Bergbau(folge)landschaften seit dem 20. Jahrhundert immer stärker in das Blickfeld von Politik, Natur- und Umweltschutz sowie verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wie beispielsweise der Landschaftsarchitektur und -planung, der Wasser- und Forstwirtschaft oder der Bodenkunde. Die Frage, wie mit diesen landschaftlichen Hinterlassenschaften umzugehen sei, rief zahlreiche Begrifflichkeiten hervor, die zu einem kaum noch überschaubaren Dickicht von Konzepten führte. Nicht alle sind für die Thematik der Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ von gleicher Bedeutung, daher werden im Folgenden nur jene Begriffe vorgestellt, die die Überlegungen der Ausstellungsmacher:innen maßgeblich prägten. Ihnen ist oft gemeinsam, dass sie die Gesetzgebung vor allem in den beiden deutschen Staaten nach 1945 beeinflussten. Diese Zusammenhänge sollen an exemplarischen Gesetzestexten, die die Nachnutzung bergbaulicher Halden, Kippen und Restlöcher behandeln, verdeutlicht werden, wobei hier auch ein historischer Blick auf die Zeit vor 1945 erfolgt.
Sanierung, Landschaftsreparatur, Kultivierung, Nutzbarmachung, Wiederurbarmachung, Rekultivierung, Urbarmachung, Renaturierung – dies sind einige, aktuelle und historische Begriffe, mit denen der (geplante und planvolle) Umgang mit den landschaftlichen Relikten des Bergbaus umschrieben wird. Gleichwohl sie unterschiedliche, geschichtliche und wandelbare Konzepte und Vorstellungen ansprechen, ist ihnen das Ziel gemeinsam, die offenen Wunden der Bergbaufolgelandschaften zu vernarben. Als wichtigste, auch aktuell noch verwendete Begriffe können die nachstehenden ausgemacht werden: Renaturierung sowie die inhaltlich und prozessual eng miteinander verbundene Wiedernutzbarmachung, Wiederurbarmachung und Rekultivierung. Renaturierung, der historisch jüngste Ausdruck, ist in aller Munde. Werfen wir einen ersten Blick in das Steinkohlenrevier an der Ruhr und das Lausitzer Braunkohlenrevier. Gegenwärtig werden Maßnahmen ergriffen und umgesetzt, die zentralen Flüsse, die Emscher im Ruhrgebiet und die Schwarze Elster im Lausitzer Revier, aus ihrem industriellen Korsett zu befreien. Die beiden, im Bergbauinteresse kanalisierten und verlegten Flüssen sollen wieder ihrem natürlichen Verlauf angepasst werden, und es sollen wieder funktionsfähige Ökosysteme entstehen. Bereits hier wird deutlich, dass technische Eingriffe des Menschen Ziele des Naturschutzes bzw. der Ökologie verfolgen. Noch deutlicher tritt uns dies in zwei Beispielen aus dem Lausitzer Braunkohlenrevier entgegen. Die Brandenburgische Technische Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg nutzt seit 2005 das künstliche Wassereinzugsgebiet Hühnerwasser, das im Bereich des noch aktiven Tagebaus Welzow-Süd liegt und von dem Bergbauunternehmen Vattenfall Europe Mining AG, das zu diesem Zeitpunkt den Tagebau betrieb, geschaffen worden war. Forschende der BTU Cottbus-Senftenberg beobachten hier die Entwicklungen von Pflanzen, Tieren und Gewässer in der sich selbst überlassenen neuen Natur, also die Entstehung eines neuartigen Ökosystems. Im Rahmen der Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ war Hühnerwasser 2009 einer von insgesamt 365 ausgezeichneten Orten. Ist der Standort Hühnerwasser vor allem in der „scientific community“ bekannt, so besitzt das zweite Beispiel einen höheren, öffentlichkeitswirksamen Bekanntheitsgrad, handelt es sich doch um Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen. Der berühmte Tierfilmer Heinz Sielmann (1917–2006) und seine Ehefrau, Inge
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Abb. 2: Im Bereich des ehemaligen Tagebaus Schlabendorf-Süd entwickelt sich seit dem Jahr 2000 „Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen“. Großflächig wird hier der Renaturierung Raum geschenkt, wie auf der Sukzessionsfläche Bergen, 2020 (Heinz Sielmann Stiftung / Ralf Donat)
Sielmann (1930–2019), gründeten 1994 die gemeinnützige Heinz Sielmann Stiftung, die sich dem Motto „Vielfalt ist unsere Natur“ verpflichtet fühlt. Im Jahr 2000 erwarb die Stiftung zunächst 722 Hektar rund um die Ortschaft Wanninchen (in der Nähe der Stadt Luckau im Landkreis Dahme-Spreewald gelegen), die 1986 zugunsten des Tagebaus Schlabendorf-Süd, bis auf ein Gebäude, devastiert worden war. In den kommenden 20 Jahren kaufte die Sielmann Stiftung weitere 2578 Hektar hinzu, so dass Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen aktuell 3300 Hektar umfasst. Teil dieser Naturlandschaft ist der Stiebsdorfer See, ein Restloch des ausgekohlten Tagebaus Schlabendorf-Süd, der nach dem abgebaggerten Ort gleichen Namens benannt wurde. Die 51 Hektar große Seefläche wurde zwischen 1999 und 2011 mit dem Wasser der Spree geflutet. Charakteristisch für Wanninchen ist jedoch eine, auf circa 2500 Hektar Fläche sich selbst überlassene neue Natur, auf Sukzessionsflächen siedeln sich Pflanzen an, Zugvögel, wie Graugänse und Kraniche, machen hier Rast, der Wolf durchstreift den Raum und auch der Goldschakal findet sich (Abb. 2). Doch es sind „die Kleinen“, die unscheinbaren Tiere, allen voran Insekten, denen aus ökologischer Sicht besonderes Augenmerk gilt, so unter anderem dem Wiener Sandlaufkäfer, dem Ameisenlöwen, oder auch der Kreiselwespe. „Eine zweite Chance für die Natur“ will Wanninchen sein, wobei ein Bildungsangebot zu Naturschutz und Ökologie die Renaturierung der Bergbaufolgelandschaft begleitet.
Während Renaturierung gleichsam auf einen neuen Naturzustand in der Bergbaufolgelandschaft zielt, spielen menschliche Nutzungsinteressen dagegen bei diesem Konzept keine dominante Rolle. Ganz anders verhält es sich mit Blick auf die drei historisch älteren Begriffe Wiedernutzbarmachung, Wiederurbarmachung und Rekultivierung. Die in ihnen festgelegten Handlungen und Prozesse verfolgen das Ziel, eine Bergbaufolgelandschaft zu formen, die menschlichen Interessen entspricht, wobei ökonomische und touristische Aspekte dominieren. Sie wurden in der DDR und der BRD zwar nicht deckungsgleich genutzt, dennoch lassen sich gemeinsame Inhalte erkennen, dies insbesondere bei der Rekultivierung. Zu Beginn blicken wir auf den Begriff Wiedernutzbarmachung, wie er insbesondere in der DDR genutzt wurde (Abb. 3). Dieser verklammert die Wiederurbarmachung und Rekultivierung zu einem gemeinsamen Prozess. In der BRD diente er dazu, die Wiederurbarmachung mit der Raumplanung zu verbinden. Letztgenanntes sprach der DDR-Begriff zwar nicht ausdrücklich an, doch wie sich allerdings beispielsweise am Renommierprojekt Senftenberger See zeigt, spielten auch hier raumplanerische Aspekte eine bedeutende Rolle. Was meinen nun Wiederurbarmachung und Rekultivierung? Vereinfacht ausgedrückt, fasst der Begriff Wiederurbarmachung technische Operationen, die Kippen und Halden in einen geologisch möglichst stabilen Zustand versetzen. Hierzu zählt beispielsweise die
Begriffe und Gesetze
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Abb. 3: Mit dem im Bergrecht der DDR festgeschriebenen Begriff Wiedernutzbarmachung wurden die beiden Schritte der Wiederurbarmachung, die vom Bergbau auszuführen war, und Rekultivierung, für die die Nachnutzer verantwortlich zeichneten, zu einem miteinander verbundenen und abzustimmenden Gesamtprozess verbunden, der im Braunkohlenbergbau auf der Verkippungsseite stattfand, 1981 (Krummsdorf, Albrecht/Grümmer, Gerhard: Landschaft vom Reißbrett, Leipzig/Jena/Berlin 1981, S. 100–103)
Planierung, eine gegebenenfalls notwendige Grundmelioration, aber auch das Aufbringen des so genannten Mutterbodens als oberste Bodenschicht, das nicht nur im Braunkohlenbergbau angestrebt wurde, sondern zudem auch seit den 1980er-Jahren bei den Steinkohlenhalden des Ruhrgebiets erfolgte. Die Wiederurbarmachung bildet so die Basis für die anschließende Rekultivierung. Das ist ein komplexer Prozess, da die auf den Kippen und Halden anstehenden Böden bzw. Berge in der Regel, selbst bei der so genannten Mutterbodenwirtschaft, pflanzenfeindlich sind. Ihre gezielte Nutzung setzt daher weitere menschliche Eingriffe voraus, die unter dem Begriff Rekultivierung subsumiert werden können. Hierzu zählen beispielsweise die Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit durch Meliorationsmaßnahmen (Verbesserungsmaßnahmen), das
Einbringen von Dünger, aber auch die Bepflanzung mit Agrar- und Forstpflanzen, wobei insbesondere verschulte Bäume zum Einsatz kommen, oder der Verbissschutz neuangepflanzter Bäume (Abb. 4). Mit Blick auf die Restlöcher ausgelaufener Tagebaue wird der Begriff des Öfteren ebenfalls verwendet. Er meint hier dann die Flutung durch Grund- und Oberflächenwasser sowie beispielsweise das Einbringen von Kalk, um die sauren Wässer zu neutralisieren und einen neutralen pH-Wert zu erreichen. Die hier skizzierten Inhalte zentraler Begrifflichkeiten haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ausgeprägt und fanden ihren Niederschlag in gesetzlichen Regelungen, auf die im Folgenden ausschnitthaft eingegangen wird.
Von Gesetzen
Abb. 4: Im Zuge der Rekultivierung der Halde Hoppenbruch, die 1984/85 mit Mischwald aufgeforstet wurde, setzte man zum Schutz der Setzlige gegen Verbiss Kunststoffhüllen ein, 2021 (montan.dok)
Am 24. Juni 1865 trat das „Allgemeine Berggesetz für die Preußischen Staaten“ (ABG) in Kraft, das seit 1868 auch im Ruhrgebiet galt. Dieses Gesetz reformierte die bisherigen juristischen Regelungen bezüglich des Bergbaus, die angesichts der sich entfaltenden modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft überholt waren (Abb. 5–7). Ab und an liest man, dass dieses Bergrecht die juristischen Grundlagen für Aspekte der Wiederurbarmachung und Rekultivierung legte. Dies erscheint allerdings eine Überinterpretation der Festlegungen zu sein, die im § 196 zu finden sind. Er definiert den staatlichen Regelungsbedarf bei der Bergaufsicht. Wir finden hier zwei Formulierungen, die augenscheinlich in jene Regelungsbereiche weisen, die hier von Interesse sind.
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Abb. 5: Mit dem „Allgemeinen Berggesetz für die Preußischen Staaten“ (1865) wurden die bestehenden bergrechtlichen Regelungen dem sich entfaltenden modernen Industriestaat angepasst und liberalisiert. Es wurde mehrfach novelliert und blieb bis zum Bundesberggesetz von 1980 in der jeweils aktuellen Fassung gültig, 1866 (montan.dok 040002723001 / Rudolf Klostermann)
Abb. 6–7: Der Verfasser des „Allgemeinen Berggesetzes für die Preußischen Staaten“ von 1865, der Jurist und Berghauptmann Hermann Brassert (1820–1901), erhielt den silbernen Tafelaufsatz als Geschenk für diese wegweisenden Leistungen, 19. Jahrhundert (montan.dok 037000506001)
Begriffe und Gesetze
So erstreckt sich die Bergaufsicht auf „den Schutz der Oberfläche im Interesse der persönlichen Sicherheit und des öffentlichen Verkehrs“ sowie „den Schutz gegen gemeinschädliche Einwirkungen des Bergbaues“ (ABG, S. 164). Hiermit jedoch ist mitnichten darauf zu schließen, dass im ABG Grundsätze festgehalten wurden, die die Nachnutzung ausgekohlter Tagebaue betreffen, noch solche, die Bedeutung für die Nutzung der Bergehalden in den Steinkohlenrevieren hätten. Ausschließlich Sicherheitsinteresse und Einwirkungen, die durch Rutschungen und vor allem Staubbelästigungen entstehen, werden staatlicherseits berücksichtigt. Hieran sollte sich bis 1932 nichts ändern. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass es jenseits staatlicher Regelung auch privatrechtliche gab, die gerade für den Braunkohlenbergbau bedeutsam waren; derartige Regelungen finden sich spätestens seit dem 18. Jahrhundert, wie Beispiele aus dem Rheinischen Revier belegen. Die Bedeutung solcher privatrechtlicher Regelungen wird offensichtlich in einem Vergleich zwischen dem Mitteldeutschen und dem Lausitzer Revier. Beide Reviere hatten um 1900 bereits industrielle, großflächige Ausmaße angenommen, die landschaftsgestaltende Kraft des Braunkohlenbergbaus wurde immer unübersehbarer. Doch gab es einen fundamentalen Unterschied hinsichtlich der Bergbaufolgelandschaft, der in den privatrechtlichen Regelungen lag. Im Mitteldeutschen Revier hatten die Grundeigentümer den Bergbaubetreibenden zumeist nur die Abbaurechte, nicht jedoch das Land, verkauft. Dies bot den Verkäufern die Gelegenheit, in den Verträgen Regelungen zur Rückgabe des Landes festzulegen, die dazu führten, dass in diesem Revier die so genannte Mutterbodenwirtschaft betrieben wurde. Das heißt, dass die Bergbaubetreiber die oberste, nährstoffreiche Bodenschicht separat verwahren und diese vor Rückgabe auf die Kippen schütten mussten. Mit fortschreitendem Einsatz der industriellen Großtechnologie und vor allem der forcierten Autarkie- und Kriegswirtschaft im Nationalsozialismus stießen derartige Festlegungen dann an ihre Grenzen. Im Gegensatz hierzu erwarben die Bergbaubetriebe im Lausitzer Revier das Land als Eigentum, dies führte um die Wende zum 20. Jahrhundert nicht nur zu einer wild-west-artigen Bodenspekulation, sondern vielmehr dazu, dass die Bergbauunternehmen keinerlei Verpflichtungen hatten, die Tagebaukippen in einen agrar- oder forstwirtschaftlich nutzbaren Zustand zu überführen. Ausnahmen bestanden allerdings dennoch, so vor allem bei Verträgen mit Staatsforsten, in denen ähnliche Regelungen wie im Mitteldeutschen Revier getroffen wurden. Es war vor allem der „landschaftsfressende“ Braunkohlentagebau, der in den 1920er-Jahren Impulse für den Erlass staatlicher Rechtsnormen setzte. Diese Impulse gingen weniger vom Naturschutz aus, da sich deren Vertreter:innen nicht sicher waren, wie sie zum einen diese neuen Landschaften bewerten sollten, und zum anderen in den Bergbaufolgelandschaften Mög-
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lichkeiten für das junge Feld der Landschaftsplanung erkannten. Vielmehr löste die problematische Ernährungssituation im Deutschen Reich nach dem Ersten Weltkrieg Diskussionen über verbindliche, rechtliche Regelungen von Seiten des Staates aus. Die erste Initiative hierzu ging vom Reichslandbund aus, der sich 1922 beim Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft darüber beklagte, dass „gesetzlich jeder Zwang für den Bergbau [fehle], das in Anspruch genommene Land so zu verwenden, dass es der landwirtschaftlichen Kultur nicht, wenigstens nicht dauernd entzogen bleibt. Bei entsprechender Behandlung liessen sich 1.000e–10.000e von Hektar, ohne die bergbaulichen Interessen einzuschränken, der Landwirtschaft erhalten oder zurückgewinnen“ (BArch R 8073/69, fol. 45 f.). Nach Meinung des Reichslandbunds verschärfe die Landnutzungskonkurrenz zwischen Landwirtschaft und Braunkohlentagebau die prekäre agrarwirtschaftliche Nachkriegssituation derart, dass er dem Reichsminister ihre juristische Verregelung nahelegte, um die Ernährungssituation im Deutschen Reich zu verbessern. Ob diese Eingabe und die unentschiedene Haltung des Naturschutzes unmittelbare Folgen zeitigten, bleibt unklar. Dennoch fällt auf, dass die Bergämter zunehmend dazu angehalten wurden, sich dem Problem der Nachnutzung von Bergbaufolgelandschaften anzunehmen. Allerdings mangelte es ihnen bis 1932 an einer Rechtsgrundlage, zumindest für Preußen sollte sich dies mit der im genannten Jahr verabschiedeten „Richtlinie für die Einebnung und Urbarmachung im Braunkohlentagebau“ formal ändern. Diese Richtlinie hielt zwar fest, dass „wertvolle[r] Kulturboden … wieder als Kulturschicht zu verwenden“ sei, sofern er mit dem obersten Baggerschnitt anfiel. Abstand genommen wurde aber davon, die Bergbaubetreibenden dazu zu zwingen, „die Humusdecke getrennt wieder aufzubringen“. Grundsätzlich stellte die Richtlinie alle Maßnahmen unter den Vorbehalt der wirtschaftlichen Vertretbarkeit: „Erscheint die Durchführung der Einebnung und Urbarmachung durch die bevorstehende Stillegung des Betriebes oder aus anderen Gründen gefährdet, so hat die Bergbehörde dem Bergwerksbesitzer die Leistung einer ausreichenden Sicherheit aufzugeben“ (Richtlinie 1932). Die preußische Richtlinie wurde 1939 und 1940 auf das gesamte Deutsche Reich ausgedehnt, entfaltete aber angesichts der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und des Zweiten Weltkriegs keine Wirkung. Mochte das Thema mithin auf das Kriegsende vertagt werden, so sollte aber vor allem die nationalsozialistische Raumplanung über die politikhistorische Zäsur von 1945 nachwirken. Ganz offenkundig spiegelt das 1950 in Kraft getretene „Gesetz über die Gesamtplanung im Rheinischen Braunkohlenrevier“ die Kontinuität von Planungen wider, konnte es doch auf Vorarbeiten, die vornehmlich von der Reichsstelle für Raumordnung während des Nationalsozialismus koordiniert wurden, zurück-
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greifen. Diese Rechtsnorm ging formal über die in den 1930er- und 1940er-Jahren erlassenen Richtlinien hinaus, da diese rechtlich nur den Charakter von verbindlichen Empfehlungen besaßen. Das Gesetz regelte vornehmlich die „geordnete[..] Raumgestaltung des Rheinischen Braunkohlengebietes“ mittels eines, das Gebiet umfassenden „Gesamtplan[s]“. Integraler Bestandteil dieses Plans sollte von Anfang an auch die „land- und forstwirtschaftliche und allgemeine Landschaftsgestaltung unter Berücksichtigung der Denkmal-, Natur- und Landschaftspflege“ sein, verbindliche Auflagen für die Gestaltung der Bergbaufolgelandschaft finden sich hingegen nicht (Gesetz, S. 72; Abb. 8). Von zentraler und wegweisender Bedeutung sollte der im Gesetz verankerte „Planungsausschuß für das Rheinische Braunkohlenrevier“ (auch „Braunkohlenausschuß“ genannt) sein, der sich zunächst aus Ver-
Abb. 8: Die 1953 vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz herausgegebene Denkschrift „Das Rheinische Braunkohlenrevier – eine Landschaft in Not“ veranschaulicht eindrücklich die vielfältigen Herausforderungen, die der umgehende Braunkohlenbergbau mit sich brachte. Der ehemalige Reichslandschaftsanwalt Alwin Seifert ist mit einem abschließenden Gutachten vertreten, 1953 (montan.dok)
tretern von Politik und Wirtschaft zusammensetzte. In dieser Konzeption verbanden sich Fach- und Regionalplanung, sie wurde mit dem Landesplanungsgesetz von 1979 zu Gunsten der Regionalplanung neu ausgerichtet. Zugleich kam es so auch zu einer Demokratisierung des Ausschusses, in dem nun die Bergbaubetreiber nicht mehr vertreten waren, sondern nur noch die Kammern und Wirtschaftsverbände. Auch die Normensetzung in der DDR stand in einer, wenn auch indirekten historischen Kontinuitätslinie zur „Landschaftsdiagnose der DDR“ (Abb. 9). Dieses großräumige Landschaftsmonitoring wiederum knüpfte an Vorgängervorhaben aus den 1920er- bis 1940er-Jahren an, wie beispielsweise dem „Atlantropa“ Projekt, ein Staudammprojekt an der Straße von Gibraltar, das der Neuland- und Elektrizitätsgewinnung dienen sollte, dem nationalsozialistischen „Generalplan Ost“ oder dem „Dawydow Plan“, bekannt auch als „Der Große Stalinsche Plan zur Umgestaltung der Natur“, unterschied sich allerdings konzeptionell erheblich. Die nachgelagerten Forschungsvorhaben zur Rekultivierung waren insofern bedeutsam, als sie dazu führten, dass zentrale Begrifflichkeiten rechtlich rückgebunden und bestätigt worden sind. Dies zeigte sich allerdings noch nicht in der 1951 erlassenen „Verordnung über die Wiedernutzbarmachung der für Abbau und Kippenzwecke des Bergbaues in Anspruch genommenen Grundstücksflächen“. Hier wurde unter anderem festgelegt, dass bei „Tagebaubetrieben […] die kulturfähigen Abraumschichten in einem Umfange auszuhalten [sind], der ein ausreichendes Überziehen der für Abbau und Kippenzwecke benutzten Grundstücke mit Kulturboden ermöglicht.“ Darüber hinaus wurden die Betriebe verpflichtet, die Kippen so zu bearbeiten, dass eine land- oder forstwirtschaftliche Nutzung möglich ist. Für den Tiefbau sollte gelten, dass „die Aufhaldung auf eine möglichst kleine und geringwertige Fläche zu beschränken und eine spätere Aufforstung zu berücksichtigen“ sei (Verordnung 1951). Diese Verordnung galt formal für alle bergbaulichen Aktivitäten in der DDR, mithin auch für den Uranerzbergbau der SDAG Wismut. Als „Staat im Staate“ spielte die Wismut eine wichtige politische Rolle in der DDR, so dass die Verordnungen wenig griffen und die Wiedernutzbarmachung der radioaktiv kontaminierten Halden nur mangelhaft erfolgte. Zudem zeigt sich, dass vor allem die „Wiederurbarmachung“ des Wassers eine entscheidende Rolle für die SDAG Wismut spielte. Während die ersten beiden Durchführungsverordnungen, erlassen 1952 und 1958, Mitspracherechte der Räte der Kreise (Kreisräte) und die Hinzuziehung der Staatlichen Geologischen Kommission festlegten, so offenbarte sich die erwähnte Relevanz der Forschungen in der „Dritten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Wiedernutzbarmachung der für Abbauund Kippenzwecke des Bergbaues in Anspruch genommenen Grundstücksflächen. – Wiederurbarmachung –“ aus dem Jahre 1964. Hier hieß es in Paragraph 1 dem-
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Abb. 9: Die „Landschaftsdiagnose der DDR“ erfasste flächendeckend Landschaftsveränderungen. In den Blick gerieten vor allem auch Bergbaufolgelandschaften, wie hier um Hohenmölsen (heute Sachsen-Anhalt). Die Veränderungen der Bodengüte wurden ebenso dokumentiert wie die Rekultivierungen, 1950–1952 (Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, Erkner, C_12_02_02-18)
entsprechend: „Die Wiedernutzbarmachung der vom Bergbau in Anspruch genommenen Grundstücksflächen gliedert sich in die zeitlich aufeinanderfolgende[n] Hauptabschnitte a) Wiederurbarmachung und b) Rekultivierung“ (3. Durchführungsbestimmung, S. 121). Festgelegt wurden zudem die Verantwortlichkeiten: der Bergbau übernahm die Wiederurbarmachung, die Rekultivierung oblag den Nachnutzern. Die normativ geronnenen Begrifflichkeiten verweisen auf die frühen Forschungen in der DDR. Der Rekultivierungsforscher
Wilhelm Knabe (1923–2021) hatte sie in seiner Dissertation entwickelt, um die unterschiedlichen Prozesse zu markieren. Ihren juristischen Höhepunkt sollte die Thematik im „Berggesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Mai 1969“ finden. Besonderes Augenmerk ist dem Paragraphen 17 zu schenken, in dem festgehalten wurde: „Um die Herstellung der vollwertigen Bodenfruchtbarkeit zu fördern, sind den Folgenutzern in den Volkswirtschaftsplänen besondere staatliche Mittel aus dem zentralen Fonds der Bodennutzungs-
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Abb. 10: Der damalige Umweltminister der DDR Hans Reichelt (r.) informierte sich im Mai 1972 über Rekultivierungsarbeiten im Tagebau Spreetal, 1972 (BArch, Bild 183-L0515-033 / Werner Großmann)
gebühr zur Verfügung zu stellen“ (Berggesetz, S. 31). Damit war ein politökonomisches Steuerungsinstrument, die Bodennutzungsgebühr, angesprochen, das auf eine optimale Nutzung des Bodens zielte und zum 01. Januar 1968 eingeführt worden war. Das Berggesetz kann in einem umfassenderen Zusammenhang gesehen werden, hatte doch die Natur in der neuen Verfassung der DDR vom 06. April 1968 Verfassungsrang erhalten. In Artikel 15 finden wir hierzu folgende Ausführungen: „(1) Der Boden der Deutschen Demokratischen Republik gehört zu ihren kostbarsten Naturreichtümern. Er muß geschützt und rationell genutzt werden. Land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden darf nur mit Zustimmung der verantwortlichen Organe seiner Zweckbestimmung entzogen werden. (2) Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheit der Heimat sind durch die zuständi-
gen Organe zu gewährleisten und darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers“ (Verfassung, S. 19). Zeigte sich die DDR auf der Ebene des Rechts fortschrittlich, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der ostdeutsche Staat spätestens seit den 1980er-Jahren auf einen sozialistischen Ökozid, also auf eine massive Naturzerstörung, zusteuerte (Abb. 10). Den gesetzlichen Regelungen des politischen Zentralismus der DDR standen in der BRD föderalistische entgegen, wie sich mit Blick auf die Bergehalden im Ruhrrevier zeigen lässt (Abb. 11). Erste, systematische Begrünungsaktionen der Bergehalden setzten 1951 ein, sie wurden von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald getragen und vom Land Nordrhein-Westfalen finanziell unterstützt. Sechs Jahre später, 1957, übernahm der 1920 gegründete Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (1979–2004 umbenannt in Kommunalverband Ruhrgebiet, seit Oktober 2004 dann in Regionalverband Ruhr) die Koordination dieser Maßnahmen. Gleichwohl mangelte es noch an gesetz-
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lichen Regelungen. Sie wurden erst 1967 vom Land mit dem Runderlass „Zulassung von Bergehalden im Bereich der Bergaufsicht vom 10. Oktober 1967“ formuliert. Ursächlich für diese Verrechtlichung scheint der Problemkomplex der durch Haldenbrände verursachten Luftverschmutzung und die landschaftlich ungegliederte Einbettung der Halden gewesen zu sein. Die Richtlinien legten zudem die Gestalt der Halde fest, Spitzkegelhalden wurden als endgültige Form verboten, an ihre Stelle traten die Tafelhalden. Darüber hinaus hieß es in den Richtlinien, dass vor „der Überschüttung des in Anspruch zu nehmenden Geländes […] der Mutterboden und erforderlichenfalls sonst kulturfähige Erdschichten gesondert abzutragen und in dem notwendigen Umfange für die Nutzbarmachung endgültiger Haldenoberflächen […] zu verwenden“ sind (Runderlass 1967, S. 1691). Allerdings wurde diese Auflage gleich eingeschränkt, da sie nicht auszuführen war, wenn dadurch der Grundwasserschutz bedroht würde. Die gewonnenen Kulturschichten sollten auf die endgültige Haldenoberfläche aufgebracht werden und so die Begrünung ermöglichen.
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Ähnlich wie in der DDR zeigt sich in diesen Richtlinien eine veränderte politische Sichtweise auf nachbergbauliche Phänomene. Stärker als in der DDR drücken sich in der 1984 erlassenen Neufassung der Richtlinien und den 1991 vom Landesoberbergamt überarbeiteten „Grundsätze[n] für die Anlegung und Wiedernutzbarmachung von Bergehalden des Steinkohlenbergbaus“ allerdings auch Wandlungen in der Wahrnehmung und Bewertung bergbaulicher Hinterlassenschaft aus. In der Neufassung der Richtlinien 1984 spielten nicht nur zunehmend ökologische Aspekte eine Rolle, sondern vor allem auch landschaftsgestalterische. Überdeutlich spiegelt sich dies in den Festlegungen, mit denen die Halden quasi naturalisiert werden sollten: „In der offenen Landschaft sollen Halden vorhandene bewegte Formen aufnehmen, d. h. Halden sollten an Böschungsund Terrassenkanten angelehnt werden oder natürliche Oberflächenstrukturen ergänzen. […] Halden sollen großflächig in möglichst natürlichen Formen angelegt werden, um bei gleichzeitiger optimaler Bergeunterbringung eine Eingliederung in die Landschaft zu ermöglichen (Landschaftsbauwerk)“ (Richtlinien 1984, S. 934).
Abb. 11: Der Blick von der Zeche Hugo 2/5 in Gelsenkirchen zeigt eine typische Bergbaulandschaft des Ruhrgebiets in den 1950er-Jahren, die von Tagesanlagen, Feldern und Halden geprägt ist, 1950er-Jahre (montan.dok 024900550000 / Josef Stoffels)
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Mit dem Charakter der Halde als „Landschaftsbauwerk“ verbanden sich in den Richtlinien zwar auch Maßnahmen zu deren Begrünung, die in den Betriebsplänen niederzulegen waren, jedoch wurde dieses Thema ausführlicher in den „Grundsätzen für die Anlegung und Wiedernutzbarmachung von Bergehalden des Steinkohlenbergbaus“ angesprochen. In der Fassung aus dem Jahr 1991 sind diese sehr deutlich niedergelegt. So heißt es: „Die umgehende Bekrautung bzw. Begrünung der Haldenoberfläche vor der Bestockung mit Bäumen und Sträuchern ist zur schnellen Integration des Haldenkörpers in die umgebende Landschaft und aus Erosionsgründen unverzichtbar. Außerdem wird durch diese Maßnahme die Humusbildung in der obersten Bodenschicht gefördert“ (Grundsätze, S. 4). Die Förderung der Humusbildung sollte dabei durch „die Aussaat ausgewählter Gräser und Kräuter in Kombination mit einer Startdüngung“ erfolgen (Grundsätze, S. 5). Beide Maßnahmen zielten darauf, eine bodennahe Begrünung herzustellen. Auf die Anpflanzung von Bäumen sollte zunächst verzichtet werden. Sie sollte erst dann erfolgen, wenn die Ergebnisse bodengeologischer Gutachten dies nahelegten. Rekultivierung war somit ein entscheidender, unverzichtbarer Zwischenschritt auf dem Weg der Halde zum „Landschaftsbauwerk“.
Zusammenfassung Gerade die skizzierte Entwicklung der Gesetze, die sich der Thematik von Bergbaufolgelandschaften widmeten, offenbart, dass sich der Staat bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs relativ inaktiv verhielt. Erst in der BRD und der DDR gewann das Thema auch auf Ebene der Rechtsgebung die Bedeutung, die ihm gesamtgesellschaftlich zufällt. Ein fundamentaler Unterschied scheint in den beiden deutschen Staaten darin bestanden zu haben, dass in der DDR, nicht zuletzt aufgrund einer stark autarkistischen Wirtschaftspolitik, vornehmlich ökonomische Motive wirkten. Wiedernutzbarmachung als Prozess zielte im ostdeutschen Staat vornehmlich auf die Nachnutzung der Bergbaufolgelandschaft für agrar- und forstwirtschaftliche Zwecke. Der durch den Braunkohlenbergbau entzogene Boden erweist sich als Impuls für die rechtliche Verregelung. Mit Blick auf das Ruhrgebiet gilt demgegenüber, dass zunächst Bergsicherheit und Gemeinschädlichkeit Impulse gaben. In den 1980er-Jahren trat ihnen dann die Entdeckung der Halde als „Landschaftsbauwerk“, und damit als Landmarke, zur Seite.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Hater, Katrin: Gesellschaftliches Lernen im politischen Diskurs. Eine Fallstudie zum Diskurs über das Braunkohlentagebauvorhaben Garzweiler II, Wiesbaden 2000. – Heim, Susanne: Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933–1945, Göttingen 2003 (= Geschichte der Kaiser-WilhelmGesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 5). – Heinen, Ron-David: Vom „Kummer der Hausfrauen“ zur Landmarke. Die Bergehalden des Ruhrgebiets und der Wandel des Mensch-Umwelt-Verhältnisses nach 1945, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 72, 2020, S. 84–91. – Kerth, Michael/Wiggering, Hubert (Hrsg.): Bergehalden des Steinkohlenbergbaus. Beanspruchung und Veränderung eines industriellen Ballungsraumes, Braunschweig 1991. – Knabe, Wilhelm: Untersuchungen über die Voraussetzungen der Rekultivierung im Braunkohlenbergbau. Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin, 1957. – Krummsdorf, Albrecht (Hrsg.): Ökologie in Landschaftsgestaltung, Tagebau-Rekultivierung und Landeskultur/Umweltschutz, Beucha 2007. – Loewe-Hannatzsch, Sabine: Aspekte der Umweltprobleme und Umweltpolitik der Wismut am Beispiel des Aufbereitungsbetriebs 101, Crossen und der Industriellen Absetzanlage Helmsdorf. Unveröffentlichtes Manuskript, 2021. – Meyer, Hans-Karl: Der Landschaftswandel in den Braunkohlegebieten von Borken und Frielendorf unter besonderer Berücksichtigung der Rekultivierung, Marburg 1957 (= Marburger Geographische Schriften, Bd. 5). – Mücke, Manfred: Umweltschutz durch Bergrecht, in: Behrens, Hermann/Hoffmann, Jens (Hrsg.): Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte, Bd. 2: Mediale und sektorale Aspekte, München 2007, S. 371–394. – Pflug, Wolfram (Hrsg.): Braunkohlentagebaue und Rekultivierung. Landschaftsökologie, Folgenutzung, Naturschutz, Berlin u. a. 1998.
Online (Auswahl) – https://www.b-tu.de/news/artikel/13849-btu-undleag-kooperieren-zum-huehnerwasser-quellgebiet (Eingesehen: 02.09.2021). – https://www.sielmann-stiftung.de/wanninchen/ (Eingesehen: 01.09.2021).
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Gesetze BRD
– Allgemeines Berggesetz für die Preußischen Staaten vom 24. Juni 1865 unter Berücksichtigung seiner durch die Gesetzgebung bis zum 1. Juli 1913 herbeigeführten Abänderungen und Ergänzungen nebst Anhang, [...]. Textausgabe mit Anmerkungen und Sachregister von Fritz Bennhold, Essen 1914.
– Gesetz über die Gesamtplanung im Rheinischen Braunkohlengebiet vom 25.04.1950, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Ausgabe A, 4. Jg., 1950, S. 71–73. – Runderlass. Zulassung von Bergehalden im Bereich der Bergaufsicht vom 04.09.1967, in: Ministerialblatt NRW, S. 1689–1692. – Richtlinien für die Zulassung von Bergehalden im Bereich der Bergaufsicht vom 16. August 1984, in: Ministerialblatt NRW, S. 931–936. – Grundsätze für die Anlegung und Wiedernutzbarmachung von Bergehalden des Steinkohlenbergbaus vom 22.07.1991. Online unter: http://esb.bezreg-arnsberg.nrw.de/druck/druck.php?site=../ a_2/a_2_019/a_2_019_005 (Eingesehen: 04.12.2021).
Gesetze DDR – Verordnung über die Wiedernutzbarmachung der für Abbau- und Kippenzwecke des Bergbaues in Anspruch genommenen Grundstücksflächen, in: Gesetzblatt der DDR I vom 06.12.1951, S. 1135–1136. – Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Wiedernutzbarmachung der für Abbau- und Kippenzwecke des Bergbaus in Anspruch genommenen Grundstücksflächen, in: Gesetzblatt der DDR II vom 10.05.1952, S. 369–370. – Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Wiedernutzbarmachung der für Abbau- und Kippenzwecke des Bergbaus in Anspruch genommenen Grundstücksflächen, in: Gesetzblatt der DDR II vom 08.02.1958, S. 205–207. – Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Wiedernutzbarmachung der für Abbauund Kippenzwecke des Bergbaus in Anspruch genommenen Grundstücksflächen – Wiederurbarmachung –, in: Gesetzblatt der DDR II vom 24.01.1964, S. 121–125. – Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 06.04.1968.
Archivalien – BArch R 8073, R 8073 Deutscher Landwirtschaftsrat, Nr. 69. – Abschrift. Der Preussische Minister für Handel und Gewerbe. I a. 615 Hm. Berlin, 23.7.1932. Richtlinien für die Einebnung und Urbarmachung im Braunkohlentagebau, erlassen im Einvernehmen mit LW-Min. und Min. f. Volkswohlfahrt, in: BLHA Rep. 14 C Bergrevier Senftenberg Nr. 351, unfol.
Abb. 1–2: Ein „Mitscherlich-Gefäß“ diente Laborversuchen zur Pflanzenanzucht; ein wesentlicher Fortschritt zur Verwissenschaftlichung der Bodendüngung, um 1970 (montan.dok)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-012
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Forschung und Rekultivierung Einleitung Eine Wiederinwertsetzung der Landschaft im Nachbergbau erforderte und erfordert Wissenschaft. Probleme müssen erkannt, Lösungsstrategien entwickelt und erprobt, Maschinen und Gerätschaften auf die Bedürfnisse von Halden und Kippen angepasst werden. Dabei gab es zwar schon immer kritische Stimmen, die einen besseren Umgang mit den Hinterlassenschaften des Bergbaus forderten. Allerdings stellten letztere bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durch die geringen räumlichen Dimensionen der Abbauorte keine relevanten Probleme dar. Ansätze zur Rekultivierung, besonders bei den durch Tiefbau verursachten Bergsenkungen, blieben gering. Mit der Durchsetzung des Tagebaus im Braunkohlenbergbau ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde das Problem aber deutlich größer, da nun für eine Grube allein der Boden auf hunderten Hektar devastiert wurde.
Rekultivierung im Braunkohlentagebau in der Lausitz Den Anfang in der systematischen Erforschung der Rekultivierung von bergbaubedingtem Ödland machte der Förster Rudolf Heuson (1884–1955) – vor 1937 auch Heusohn –, der in den 1920er-Jahren bei den Niederlausitzer Kohlenwerken für die Wiederaufforstung des bergbaubedingten Ödlandes angestellt worden war. Er war der erste, der systematische Anpflanzversuche startete und wesentliche Grundlagen für spätere Forschungen schuf. Hierzu unterteilte er die verschiedenen Kippenstandorte und bepflanzte und düngte sie unterschiedlich. Dabei erkannte er, dass das Problem in erster Linie eine Frage des Bodens ist. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er 1929 in dem Buch „Praktische Kulturvorschläge für Kippen, Bruchfelder, Dünen und Ödländereien“. Das war der erste Leitfaden für die Begrünung der bis dahin steril daliegenden „Mondlandschaften“ in der Geschichte (Abb. 3). Heusons Verdienste werden auch darin deutlich, dass allein sein erstes Buch bis 1947 in drei jeweils erweiterten Auflagen veröffentlicht wurde. Auch seine weiteren Bücher, „Bodenkultur der Zukunft“ (1938) oder „Biologischer Wasserbau und Wasserschutz“ (1947), beschäftigten sich mit Fragen der Rekultivierung in Braunkohlenrevieren. Selbst bei der Frage der Pflanzenwahl – er setzte auf einen Laubmischwald – war Heuson aus heutiger Sicht wegweisend. Allerdings
Abb. 3: Der Revierförster Rudolf Heuson veröffentlichte 1929 „Praktische Kulturvorschläge für Kippen, Bruchfelder, Dünen und Ödländereien“ – das erste Handbuch zur Rekultivierung von bergbaubedingten Ödland, 1929/1994 (montan.dok 040039445001 / Rudolf Heuson)
trafen seine Versuche und die daraus resultierenden Erkenntnisse nicht auf ungeteilte Zustimmung. Nach dem Unfalltod seines Protegés August Hugo Gabelmann (1867–1930) schwand sein Einfluss, so dass er schließlich aus dem Unternehmen ausschied. Seinen Ideen für eine naturnahe Baumartenwahl bei der Aufforstung standen forstwirtschaftliche Interessen entgegen, die besonders sein Konkurrent Joachim-Hans Copien (Lebensdaten unbekannt) propagierte, der schnell und geradewachsende Nadelbäume, besonders Kiefern, bevorzugte, die bis heute die Landschaft der Niederlau-
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sitz prägen und beispielsweise zum Wassermangel und zur erhöhten Waldbrandgefahr beitragen. Heuson, der auch NSDAP-Mitglied war, blieb der Lausitz bis mindestens 1948 treu. Seine Ideen bildeten die Grundlage für die weitere Forschung zur Bergbaufolgelandschaft, auf die weitere Wissenschaftlergenerationen aufbauten. Angesichts der Versorgungsmängel der Nachkriegszeit in Deutschland, besonders dem Fehlen von Nahrungsmitteln und Holz, geriet das Ödland der Kippen und Halden verstärkt in den Fokus. Vor allem in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) war die Versorgungslage schlecht, während gleichzeitig Braunkohlentagebaue im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier jährlich mindestens 1000 Hektar Land der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Insofern führten die gesellschaftlichen Veränderungen im Osten Deutschlands auch zu einer veränderten Wahrnehmung der Umweltschäden. Sie galten in dem neuen System als ein Überrest der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die es zu überwinden galt. Die beiden überzeugten Sozialisten Reinhold Lingner (1902–1968) und Frank Erich Carl (1904–1994) hatten 1949 die Idee zu einem nationalen Umwelt-Monitoring, das als Forschungsprojekt bis dahin weltweit noch nicht erfolgt war. Hierbei sollten in einem ersten Schritt Bodenerosionen, Rauchgasschäden und besonders die bergbaubedingten Ödlandflächen systematisch erfasst und auf speziellen Karten, den Messtischblättern, vermerkt werden. In einen zweiten Schritt folgten dann, so die Idee, Vorschläge und Maßnahmen zur Behebung der Umweltschäden. Bereits im selben Jahr startete im Senftenberger Revier in der Niederlausitz ein Vorprojekt unter Ruth Günther (Lebensdaten unbekannt), der einzigen Frau im Leitungskreis des Projekts. Anhand des „Messtischblattes 4449 Klettwitz“ sollten alle Landschaftsveränderungen seit 1850 verzeichnet und bewertet werden (Abb. 4). Hierzu wurden jeweils drei Karten angefertigt, die erstens den Eingriff des Bergbaus, zweitens die getätigten Begrünungen und drittens die vorherrschenden Windrichtungen zeigen. 1950 startete die „Landschaftsdiagnose der DDR“ in allen fünf Ländern. Lingner und Carl wussten, dass sie auf bestehende Expertise aufbauen mussten und integrierten hierzu das Wissen der „Landschaftsanwälte“ aus dem Nationalsozialismus, die beispielsweise in der Planung des Reichsautobahnbaus involviert gewesen waren. Alle Teilprojektleiter in den Ländern – Werner Bauch (1902–1983) in Sachsen, Martin Ehlers (Lebensdaten unbekannt) in Mecklenburg-Vorpommern, Hermann Göritz (1902–1998) in Brandenburg, Otto Rindt (1906–1994) in Sachsen-Anhalt und Rudolph Ungewitter (1909–1988) in Thüringen – waren ehemalige NSDAP-Mitglieder oder -Anwärter. Sie stehen somit symbolhaft für die Integration alter nationalsozialistischer Eliten in das Feld der Umweltpolitik, womit sich dieses in den allgemeinen Wissensstand zur Kontinuität des Nationalsozialismus in der ehemaligen DDR einreiht. Nur Rudolph Ungewitter wurde schließlich
entlassen, allerdings nicht aufgrund seines früheren Bekenntnisses zum Nationalsozialismus, sondern wegen eines Auslandsaufenthalts in Philadelphia (USA) in den Jahren 1932/33. Ruth Günther übernahm seinen Posten. Nachdem die „Landschaftsdiagnose“ bereits im Herbst 1950 zu 75 % fertiggestellt war, erfolgte ihre Einstellung und der Einzug aller Materialien durch das gerade erst gegründete Ministerium für Staatssicherheit. Teilen der DDR-Führung war das Projekt suspekt, weil es diesen als potentiell spionageanfällig erschien. Lingner protestierte scharf bei Walter Ulbricht (1893–1973) und Otto Grotewohl (1894–1964), die in seiner unmittelbaren Nachbarschaft in Berlin-Pankow wohnten und mit denen er bekannt war. Zwar erreichte er nicht, dass die „Landschaftsdiagnose“ wie geplant fortgeführt werden konnte, allerdings durfte er zumindest die begonnenen Erfassungen im Jahr 1952 abschließen. Erst 1957 wurden die Ergebnisse in einem Text und Kartenband veröffentlicht. Die Originalmaterialien konnten nur in der Bauakademie der DDR in Erkner bei Berlin eingesehen werden. Das Projekt war ein wichtiger Ausgangspunkt zur Bergbaurekultivierung in der DDR, denn auf diesen Grundlagen baute die weitere Forschung auf. Letztlich war es der akademische Gegenspieler Lingners, Bela Georg Pniower (1896–1960), der trotz seiner Kritik an der „Landschaftsdiagnose“ die Ergebnisse nutzte und sie weiter vorantrieb. Er beauftragte 1951 seinen Doktoranden, den studierten Forstwissenschaftler Wilhelm Knabe (1923–2021), ein Verfahren zur Wiederurbarmachung der sterilen Kippen der Niederlausitz zu entwickeln. Knabes Arbeiten bedeuteten den Durchbruch im Prozess der Verwissenschaftlichung der Rekultivierung von Kippen und Halden. Bereits ein Jahr später veröffentlichte Knabe in Band VI der Reihe „Braunkohlentagebau. Anleitungen für Planung und Betrieb“ von Ernst Kirst (geb. 1893) einen Sonderabschnitt zur „Wiedernutzbarmachung des Kippengeländes“. Hierzu fasste er ältere Erkenntnisse seit Heuson zusammen, wertete dessen und andere Anpflanzungen auf Kippenstandorten der Niederlausitz sowie die bisher erschienene Literatur zu diesem Thema aus. In einem nächsten Schritt begab er sich mit seinen Forschungen in eine bisherige terra incognita. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Experimente ausschließlich in Form von Feldversuchen erfolgt, die besonders von den Landwirtschaftswissenschaften propagiert wurden. Allerdings waren die hierbei gewonnenen Erkenntnisse fehleranfällig, da der Boden – auch auf Kippen – im räumlichen Maßstab sehr unterschiedlich ist und daher die Aussagekraft der Versuche gering blieb. Knabe begann daher, von seinen Experimentierflächen im Niederlausitzer Braunkohlenrevier Bodenproben zu gewinnen, die er in Laboruntersuchungen analysierte und diese im Anschluss für Anpflanzversuche nutzte. Hierzu verwendete er Mitscherlich-Gefäße (Abb. 1–2). Diese waren von dem Agrarwissenschaft-
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Abb. 4: Messtischblatt der ersten Voruntersuchungen im Senftenberger Revier, undatiert (Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung [IRS], Erkner, DP32)
ler Eilhard Alfred Mitscherlich (1874–1956) entwickelt worden und dienten dazu, unter Laborbedingungen Anpflanz- und Düngungsexperimente durchzuführen. Hierzu besteht das Gefäß aus einem Ober- und Unterteil, die durch eine Einlegscheibe getrennt sind. Während das Oberteil bis zu sechs Kilogramm Boden fasst, dient das Unterteil zum Sammeln des Sickerwassers, wodurch eine Staunässe verhindert wird. Knabe nutzte die Mitscherlich-Gefäße für seine eigenen Versuche. Bereits Heuson hatte erkannt, dass die Begrünung aufgrund das niedrigen pH-Wertes des Ödlands ohne Erfolg blieb. Hierfür waren der in den tieferen Boden-
schichten des Tertiärs enthaltene Pyrit, auch „Katzengold“ genannt, verantwortlich. Allerdings fehlten ihm die Möglichkeiten, den Gesamtsäuregehalt des Bodens zu bestimmen. Knabe gewann daher zuerst Bodenproben des Deckgebirges der Kippen, analysierte sie dann mit Hilfe der Gefäße und ermittelte anschließend den pH-Wert im Labor. Der Säuregehalt ließ sich nun mit Kalk neutralisieren. Allerdings war Kalk teuer und wurde auch von der Landwirtschaft benötigt, weshalb auf die basische Kraftwerksasche der nahen Braunkohlenkraftwerke zurückgegriffen wurde. Diese senkte nicht nur den Säuregehalt, sondern erhöhte auch die
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Wasseraufnahmekapazität des Bodens: Ein genialer Gedanke unter den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Nachkriegszeit und des Versorgungsmangels in der DDR. Zudem untersuchte Knabe den Düngemittelbedarf sowie die notwendigen Fruchtfolgen zur möglichen Bodenverbesserung. Letztlich führten seine Erkenntnisse zum weltweit ersten Verfahren zur Begrünung tertiärer Kippen, die bisher als unkultivierbares Ödland brachlagen, dem „Schwarzkollmer Meliorationsverfahren“, das er noch im Rahmen seiner Dissertation zum „kombinierten Domsdorfer Meliorationsverfahren“ erweiterte. Hierzu wurden Kalk bzw. Asche sowie Dünger ausgebracht und danach mit Hilfe landwirtschaftlicher Geräte in den Boden eingearbeitet. Damit gelangte zumindest die forstliche Nutzung der Kippen in den Bereich des Möglichen, wie das Versuchsgelände im Tagebau Louise III bei Domsdorf bis heute zeigt. 1959 publizierte Knabe seine Dissertation, die bis zum Ende der DDR ein Standardwerk für die Rekultivierung von Kippenflächen blieb, auch wenn die Forschungen von anderen Spezialisten wie Egon Brünning (1923–2019), Kurt Illner (1917–1990), Joachim Katzur (1937–2014), Albrecht Krummsdorf (1926–2014) und Konrad Werner (1929–1992) weiter ausdifferenziert und verfeinert wurden. Knabe selbst floh noch im gleichen Jahr mit seiner Familie in die Bundesrepublik und setzte dort seine Arbeit fort.
Wissenschaftlicher Austausch zur Rekultivierung Wissenschaft benötigt sowohl Austausch als auch Kritik. Ein Effekt davon ist, dass sich Erkenntnisse zwangsläufig über den Ort ihrer Entstehung hinaus verbreiten. Dies lässt sich auch für die Rekultivierung von Braunkohlentagebauen belegen. Der universitäre Austausch erfolgt in den meisten Fällen über traditionelle Formate der Tagung, des Symposiums oder des Kolloquiums. Diese Mittel funktionierten im Fall der Bergbaurekultivierung ebenso. Es ist erstaunlich, wie eng der Kontakt zwischen den Wissenschaftler:innen in der DDR und der BRD noch in den 1950er-Jahren war. So nahmen die maßgeblichen Forscher:innen um die Teilprojektleiter:innen der „Landschaftsdiagnose“ beispielsweise an einer Ausstellung in Köln im Jahr 1957 mit dem Titel „Hilfe durch Grün“ teil und gestalteten sogar einen eigenen Ausstellungsraum. Besonders Werner Bauch, der Professor an der Technischen Hochschule Dresden war, pflegte als einziges korrespondierendes Mitglied des Arbeitskreises der Landschaftsanwälte e. V. in der DDR intensive Kontakte zu seinen bundesdeutschen Kollegen. Dabei tauschten sie neben Ideen auch die neueste Forschungsliteratur untereinander aus, da diese im jeweils anderen Staat nicht zu beschaffen war. Selbst ideologische Schranken spielten
dabei nur eine untergeordnete Rolle. Auch Pniower, der als Verfolgter des Nationalsozialismus den „Landschaftsanwälten“ skeptisch bis ablehnend gegenüberstand, pflegte mit eben diesen, darunter beispielsweise Gerhard Olschowy (1915–2002) – Landschaftsplaner und vormaliges SS-Mitglied –, einen wissenschaftlichen Austausch. Selbst über die Zäsur des Baus der Berliner Mauer, der bisher häufig als Endpunkt dieser deutsch-deutschen Forschungsbeziehungen gedeutet wurde, bestanden die Kontakte fort. 1962 lud der Lehrstuhl für Garten- und Landschaftsgestaltung unter Albrecht Krummsdorf zu einem Kolloquium „Landeskulturelle Planung und meliorative Landschaftsgestaltung“ (Abb. 5–6) ein, an dem mit Wilhelm Hübotter (1895–1976) und Gustav Max Lüttge (1909–1968) auch zwei bekannte Landschaftsplaner aus Westdeutschland teilnahmen. Auch international war die Erforschung der Bergbaufolgelandschaft der DDR von großem Interesse. Zwischen 1963 und 1970 fanden drei internationale Symposien mit Vertreter:innen sowohl aus den Staaten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) als auch westlichen Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland, Dänemark und Schweden statt, die maßgeblich von der DDR organisiert wurden. Die Dominanz der DDR zeigte sich beispielsweise beim dritten Symposium 1970 in Leipzig, bei dem von 219 Teilnehmenden 120 im Osten Deutschlands beheimatet waren. Drei Jahre zuvor hatte die DDR mit 32 Personen die zweitgrößte Delegation nach dem Gastgeberland gestellt. Auf diesen Veranstaltungen wurde das erlangte Wissen präsentiert, diskutiert und somit in die unterschiedlichen Herkunftsländer distribuiert. Das Thema der Wiedernutzbarmachung von Tagebauen des Braunkohlenbergbaus, sowohl in der DDR als auch in der BRD, war von wissenschaftlicher Kooperation und Austausch über den „Eisernen Vorhang“ hinweg geprägt. Die Techniken und Möglichkeiten der Rekultivierung unterschieden sich nur anhand der unterschiedlichen geologischen Voraussetzungen sowie teilweise abweichenden Gewinnungsverfahren. Sowohl in der Lausitz, in Mitteldeutschland als auch im Rheinland versuchten die Bergbauunternehmen zuvorderst den guten Boden zu erhalten und am Ende wieder als oberste Schicht aufzutragen. Ein wesentlicher Unterschied bestand und besteht allerdings in der Abraumbewegung mit Abraumförderbrücken in der Lausitz (und bis 2000 im Mitteldeutschen Revier), die eine selektive Gewinnung guter Böden verkomplizierte. Gleichwohl zeigt die Schulwandkarte „Braunkohle“ des Wenschow-Lehrtafel Verlags mit dem Zyklus eines Braunkohlenbergbaus von der Vorfeldfreimachung bis zur Rekultivierung (Abb. 7), dass dieser nur in Details in den Revieren bzw. in Ost und West voneinander abwich. Dies war ein Verdienst des intensiven Austauschs von Wissenschaftler:innen beider deutscher Staaten. Wissenstransfer ist nicht nur eine Folge des Austauschs von Personen, sondern erfolgt auch durch
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Abb. 5–6: Forschungskolloquium „Landeskulturelle Planung und meliorative Landschaftsgestaltung“. Der Braunkohlenbergbau in der DDR war der Motor der Rekultivierung, sowohl im Westen als auch in anderen Staaten des sowjetischen Machtbereichs, 04. Juni 1962 (Universitätsarchiv Leipzig, LaWiFak 024)
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Abb. 7: Devastierung und Rekultivierung von Braunkohlentagebauen erfolgten nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland. Die Schulrollkarte zeigt den Zyklus von Ab- und Wiederaufbau im Rheinischen Revier, undatiert (Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna / H. Kötter und Barbara Kollosche)
deren räumliche Bewegung. Insbesondere im Falle der Erforschung von Rekultivierungsmaßnahmen spielte das Thema Migration eine große Rolle. Die BRD profitierte sowohl in ökonomischer als auch in wissenschaftlicher Hinsicht von den „Republikfluchten“ vor dem Bau der Berliner Mauer, d. h. von Fachkräften, für deren Ausbildung im Westen keinerlei Kosten anfielen. In Bezug auf die Wiedernutzbarmachungsforschung waren es besonders zwei Personen, die maßgeblich einen Wissenstransfer bewirkten. Gerhard Darmer (1902–1992), Lehrstuhlinhaber für Landschaftsgestaltung an der Karl-Marx-Universität Leipzig und zentrale Figur der Rekultivierungsforschung dieses Lehrstuhls, kehrte am 07. November 1958 nach einem Besuch einer Tagung an der Bergischen Universität Wuppertal nicht in die DDR zurück. Sein Weg führte ihn vielmehr von 1961 bis 1975 auf den Lehrstuhl für Landschaftspflege an der Universität Hannover. Hier beschäftigte er sich auch weiterhin mit Fragen der Bergbaurekultivierung, wie sein dreibändiges Werk „Landschaft und Tagebau. Ökologische Leitbilder für die Rekultivierung“ zeigt.
Die zweite, für den Transfer von Wiedernutzbarmachungsideen wichtige Person war Wilhelm Knabe. Knabe wartete die Veröffentlichung seiner Dissertation 1959 noch ab und floh danach über Hannover nach Unna. Er nahm dabei zahlreiche Dokumente, Bücher und andere Unterlagen mit in den Westen, die er zusammen mit seiner Frau in mühsamer Kleinarbeit Stück für Stück über die offenen Sektorengrenzen in Berlin brachte. Diese Unterlagen erlaubten ihm eine nahezu ununterbrochene Fortsetzung seiner Forschungstätigkeiten. Nach einer Phase des Ankommens, die Knabe selbst als „schwere Zeit“ beschrieb, und der Neuorientierung, die ihn vom Deutschen Pappelverein 1961 zum Institut für Weltforstwirtschaft nach Reinbek bei Hamburg führte, knüpfte er an seine wissenschaftlichen Arbeiten aus der DDR-Zeit an. Knabe entwickelte sich zum internationalen Experten für die Rekultivierung von Tagebauen, wie Forschungsaufenthalte in Ohio in den USA im Jahr 1962 sowie in England, Schottland, Wales und Frankreich im Jahr 1964 zeigen. Dabei entstanden auch Artikel in englischer und französischer Sprache.
Forschung und Rekultivierung
Rekultivierung im Steinkohlenbergbau des Ruhrgebiets Bezogen auf die Geschichte der Rekultivierungsforschung kam Knabe eine entscheidende Rolle beim Transfer von Wissen, nicht nur über den „Eisernen Vorhang“, sondern vor allem von einem Rohstoff zum nächsten zu. 1966 erhielt er von Oberforstmeister Klaus Mellinghoff (1904–1999), Leiter der Planungsabteilung des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, den Auftrag, eine Methode zur Begrünung der Halden des Steinkohlenbergbaus zu entwickeln. Die „Haldenproblematik“ entwickelte sich erst in der frühen Bundesrepublik zu einem wirklichen Umweltthema, da durch die zunehmende Mechanisierung deutlich mehr Bergematerial mit der Kohle an die Oberfläche gelangte. In den 1980er-Jahren waren zwischen 47 und 48 % der Gesamtfördermenge der Bergwerke Abraum, also unnützes Material, das nur zu etwa einem Viertel als Baumaterial genutzt werden konnte. So wuchs allein in der letzten Phase des Ruhrbergbaus bei gleichzeitig sinkender Fördermenge die Fläche, die von Halden belegt wurde, zwischen 1979 und 2020 von 2544,5 auf 4900 Hektar an. Schon seit 1950 hatte es Bestrebungen gegeben, diese öde in der Landschaft liegenden „Schandflecken“ zu begrünen. Mit dem Ziel, Beeinträchtigungen durch Haldenbrände sowie Wind- und Wassererosion zu vermindern, sollte die Lebensqualität im Ruhrgebiet gehoben werden. Allerdings blieben die Erfolge bei der Haldenbegrünung an der Ruhr aufgrund unzureichender Forschungen vorerst gering. Knabe brachte seine Erfahrung als internationaler Experte für die Rekultivierung von Tagebauen ein, wobei er sich bereits konkret mit der Begrünung von Halden in der Lausitz beschäftigt hatte. Zwar unterschieden sich die dortigen Halden in Material und Form, viele Methoden ließen sich aber dennoch übernehmen. Heute wird eine Leistung wie die von Knabe in der Pädagogik als „Transferwissen“ bezeichnet, da er erlerntes Wissen auf einem anderen Arbeitsfeld anwandte. Schon 1968 konnte ein Band mit dem Titel „Haldenbegrünung im Ruhrgebiet“ herausgegeben werden (Abb. 8). Auch hier kombinierte Knabe älteres Wissen mit neuen Versuchsmethoden. Dabei war ihm die entscheidende Grundlage bereits bekannt: die Analyse des Bodens als Vorrausetzung der Bepflanzung der Böschungen. Knabe war während seiner Zeit in Essen bei der Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen angestellt, wodurch er sich auch mit dem Problem der Emission von Rauchgas durch die Industrie beschäftigte. Dadurch wurde er zunehmend mit den seinerzeit gravierenden Auswirkungen der Kohleverbrennung konfrontiert, die über das freigesetzte Schwefeldioxid „Sauren Regen“ erzeugten, der wiederum zum Waldsterben führte – ein Problem, das besonders in den späten 1970er- und
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1980er-Jahren in beiden deutschen Staaten auftrat und diskutiert wurde. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Auswirkungen auf die Umwelt bewirkte bei dem konservativen Pazifisten Wilhelm Knabe – er war bereits in der DDR Mitglied der (Ost-)CDU gewesen und seit seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg Kriegsgegner – eine Politisierung in Bezug auf den Umweltschutz. Da er innerhalb der CDU zunehmend weniger Gehör fand, orientierte er sich politisch neu und gehörte deshalb zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Deutschland. Später wirkte er als Bundestagsmitglied dieser Partei, das diplomatische Immunität besaß, sogar auf die Formierung der Umweltopposition in der DDR ein. Wissenschaftliche Forschung richtete sich auch auf die Form der Halden. Anfangs aus technischen Gründen als Spitzkegelhalden geschüttet, merkte man schnell, dass diese sich durch Wind- und Wassererosion auf die angrenzenden Gebiete auswirkten. Zusätzlich führten die lockere Schüttung und der hohe Kohlenanteil häufig zu Haldenbränden. Deshalb wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts mit Rückenhalden eine Form gewählt, die wie ein Damm Industrieanlagen und Siedlungen voneinander trennen sollte. Erst ab den 1960erJahren beschäftigte man sich aber eingehender mit der Haldengestaltung. Resultat war die Tafelberghalde, die ein zentrales Plateau, terrassierte Böschungen und zur Stabilisierung umgebende Bermen aufwies. Als letzte Form der Entwicklung gelten die Halden als Landschaftsbauwerk, das sich anspruchsvoll in die Landschaft einfügen soll. Besonders aus der Architek-
Abb. 8: Das spätere Standardwerk „Haldenbegrünung im Ruhrgebiet“ von Wilhelm Knabe – Experte der Rekultivierung von Braunkohlentagebauen, 1968 (montan.dok 040025803000 / Wilhelm Knabe)
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tur kamen hier wichtige Impulse, wie beispielsweise im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park von 1989 bis 1999. Die Haldengestaltung war aber nur eine von vielen Umweltbelangen, die durch den Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet hervorgerufen wurden. Ein anderes Thema stellten Bergsenkungen dar, die nicht nur aus ökologischer Sicht problematisch sind, sondern konkret eine Gefahr für Leib und Leben der Anwohner:innen darstellen konnten bzw. können. Auch hier war wissenschaftliche Forschung notwendig. Im Gegensatz zur Braunkohle waren die grundsätzlichen Ursachen von Bergsenkungen allerdings schon seit längerem bekannt. Infolge der bergbaulichen Gewinnung der untertägigen Rohstoffe kam es zu Setzungsprozessen des Gebirgskörpers, die sich schließlich durch Bergsenkungen an der Tagesoberfläche auswirkten. Besonders im südlichen Ruhrrevier, wo die Steinkohlenflöze nahe an der Oberfläche liegen, kann ein Zusammenbruch untertägiger Hohlräume zur Entstehung eines Kraters an der Oberfläche führen. Im Emschergebiet nördlich des Westfälischen Hellwegs liegt die Kohle jedoch bereits so tief, dass der Zusammenbruch der Hohlräume zu einem Absinken der gesamten Landmasse ohne Brucherscheinungen führt. Dabei sinkt die Landschaft teilweise unter den Grundwasserspiegel oder unter die Fließgewässer ab. Um diesen Gefahren zu begegnen, gab es von Beginn des Tiefbaus an Versuche, die unterirdischen Hohlräume wieder zu verfüllen. Hierzu verwendete man das taube Gestein, das bereits unter Tage von den Kohlen getrennt wurde, zum Verschließen dieser Hohlräume. In seiner Frühform erfolgte der Einsatz im Handbetrieb, der entsprechend Handversatz genannt wurde. Da gerade im hochindustrialisierten Ruhrbergbau weniger Berge anfielen als zur Verfüllung des gesamten Hohlraumvolumens notwendig war, gewann man zusätzliches Versatzmaterial in Steinbrüchen außerhalb des Ruhrgebiets. Durch einfaches Einschaufeln konnte mit dieser Technik ein Verfüllungsgrad von 40 bis 50 % erreicht werden. Wenn der zu füllende Bereich noch mit einer Mauer verschlossen wurde, waren sogar bis zu 70 % möglich. Nachteil war dabei die manuelle Arbeit mit geringer Effizienz. Die nächste Stufe war der Blindortversatz, der in teilmechanisierten Betrieben wirtschaftliche Vorteile bot. Hierbei wurde im so genannten Blindort Versatzmaterial gewonnen, so dass kein bergfremdes Gestein mit hohen Kosten herangeführt werden musste. Ein wesentlicher Nachteil war allerdings, dass er auf Flözmächtigkeiten von zwei Metern beschränkt war. Eine maschinelle Technik stellte der Blasversatz dar, der 1924 im Zwickau-Oelsnitzer Revier in Sachsen erstmals eingesetzt wurde. Wie der Name des Verfahrens nahelegt, wurde das Versatzmaterial mit Hilfe von Druckluft in die durch den Bergbau geschaffenen Hohlräume geblasen und diese damit verfüllt. Allerdings hatte auch diese Technologie ihre Nachteile. Der
Luftstrom konnte nur verhältnismäßig kleine Gesteine transportieren. Hierzu mussten die Berge entweder zermahlen oder ein geeignetes Material von außen zugeführt werden. Die Maschine diente zur Vermischung des Abraums mit dem Luftstrom. Dabei bestanden prinzipiell zwei unterschiedliche Bauarten: Einerseits die Kammerbauart, bei der der Versatz in einem luftdichten Bunker lagerte, der nach seiner Entleerung erst wieder gefüllt werden musste. Solange stand die Maschine still. Andererseits ermöglichte das Zellenrad als zweiter Typ eine kontinuierliche Arbeit. Das Zellenrad hatte verschiedene Kammern, die nacheinander mit dem Luftstrom vermengt und somit entleert wurden. Der Füllungsgrad dieser Methode lag zwischen 60 und 70 %. Das Modell der Firma Beien wurde 1937 in Herne hergestellt und diente zu Erklärungszwecken (Abb. 9). Es ist ein Modell mit Zellenrad und wurde in dieser Art im Ruhrbergbau eingesetzt. Ein wesentlicher Nachteil war und blieb die teure Druckluft, die aufwendig hergestellt werden musste. Der Ruhrbergbau ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zuge der anhaltenden Strukturkrise sowohl aus wirtschaftlichen als auch technischen Gründen vom Blasversatz abgerückt und hat im Wesentlichen wieder Bruchbau betrieben. Der Spülversatz stellte eine weitere im Ruhrbergbau angewandte Technik dar, die vom Prinzip her auch früher in Braunkohlentagebauen zum Verspülen von Material eingesetzt worden war. Das Verfüllungsmaterial wurde dabei mit Wasser vermischt und unterirdisch in den Hohlraum eingespült. Hierfür wurden in erster Linie Sande verwendet. Gleichzeitig musste der Hohlraum wasserdicht von den anderen Grubenabschnitten getrennt werden. Dieses Verfahren, bei dem heute auch Beton oder andere selbsthärtende Materialien verwendet werden, ermöglicht einen Füllungsgrad von 80 bis 90 %. Die letzte entwickelte Technologie war der Schleuderversatz. Hierbei wurde das Bergematerial mechanisch in den Hohlraum geschleudert. Ein Verschlag verhinderte dabei, dass es wieder hinaus floss. Dadurch wurde allerdings der Verfüllungsgrad auf 60 bis 70 % beschränkt. Ein wesentlicher Vorteil war die Leistung von bis zu 180 m3 pro Stunde und, dass nahezu alle Arten des Bergematerials wiederverwendet werden konnten. Der Versatzbergbau kam im Ruhrgebiet aus beschriebenen Gründen in den letzten gut 50 Jahren kaum mehr zum Einsatz, so dass ein Absinken von Teilen des Ruhrgebietes sich nicht mehr verhindern ließ. Ein solcher Prozess muss allerdings sowohl wissenschaftlich als auch bautechnisch begleitet werden, um Gefahren für Menschen und Umwelt zu minimieren. Besonders in Bezug auf die Gewässer an der Tagesoberfläche ist dies problematisch. Ohne eine wissenschaftliche Exploration und daran anschließende Baumaßnahmen würde heute beispielsweise nicht mehr die Emscher in den Rhein, sondern der Rhein in die Emscher fließen. Selbst bei Wasserwegen, die zur
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Abb. 9: Das Blasversatzverfahren wurde ab den 1920er-Jahren eingesetzt, um die durch den Steinkohlentiefbau entstehenden Hohlräume, welche gefährliche Brüche an der Oberfläche verursachen können, aufzufüllen, 1937 (montan.dok 030001307000 / Beien)
existentiellen Infrastruktur des Ruhrgebiets gehören, besteht diese Gefahr. Bergsenkungen wie 1962 am Dortmund-Ems-Kanal bedrohten die Schifffahrtswege und somit Industrie und Wirtschaft im Ruhrgebiet. Bis heute ist das für den Bergbau typische „Risswerk“, so heißen die Karten, auf denen die unterirdischen Stollenanlagen eingezeichnet sind, wichtig, um eventuelle Bergsenkungen oder gar das Absinken ganzer Landstriche vorhersagen können. Beispielsweise kommen bis heute Forscher:innen in das Montanhistorische Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen BergbauMuseums Bochum, um mit Hilfe der hier vorhandenen historischen Risse Hohlräumen nachzuspüren.
Rekultivierung im Uranerzbergbau der Wismut Die Forschung zur Rekultivierung im Uranerzbergbau der Wismut hat im Vergleich zu den anderen beiden hier vorgestellten Ressourcen einige Gemeinsamkeiten aber auch Besonderheiten. So förderte die Wismut Uranerz sowohl im Tage- als auch im Tiefbau, so dass hier ähnliche Techniken genutzt wurden. Gleichzeitig gab es aber ein singuläres Problem, das ausschließlich im Uranerzbergbau vorkam: die radioaktive Strahlung. Als deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft konnte die Wismut bei ihren eigenen Forschungen auch auf Know-how aus der Sowjetunion zurückgreifen, die natürlich über einen deutlich höheren Forschungsetat verfügte. Symbolhaft steht hierfür das deutsch-russische Wörterbuch der SDAG Wismut (Abb. 10–12). Zusätzlich gab es aber auch Kooperationen mit den Forscher:innen, die zur Rekultivierung der Braun-
kohle gearbeitet hatten. So nahmen Vertreter:innen der Wismut oder der für die Landschaftswiederherstellung zuständigen Büros für Territorialplanungen an den Symposien in den 1960er- und 1970er-Jahren teil. Sogar eine Exkursion in das Wismut-Gebiet rund um Johanngeorgenstadt, das von unbegrünten Spitzkegelhalden geprägt war, fand im Rahmen des dritten Symposiums 1970 statt. Die wichtigste Forschungseinrichtung der Wismut in Bezug auf die Rekultivierung war die Bergsicherung Schneeberg, die seit 1957 bestand. Zu ihren Aufgaben gehörten die Sicherung und Verwahrung aufgegebener Stollen und Tagesbrüche sowie die Rekultivierung der Halden. Hinzu kamen die strahlenden Reste der Veredelungsanlagen und der Schlamm- und Absetzbecken. Bei all diesen Tätigkeiten beschritt sie für den Uranerzbergbau weltweit Neuland. Entsprechend musste viel erprobt werden. Ein erster Forschungsauftrag ist für 1967 belegt. Hierbei wurden auch Entscheidungen getroffen, die nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr angemessen wären, so dass auch nach 1990 eine zweite Sanierung an vielen Altstandorten notwendig wurde. Allerdings waren es die gleichen, nun privatisierten Auftragnehmer, die auch nach der deutschen Wiedervereinigung vielfach aktiv blieben. Besonders die Halden und Tagebaue sowie die trockengefallenen Absetz- und Schlammbecken stellten eine Bedrohung für die Bevölkerung dar. Der radioaktive Staub wurde durch Wind- und Wassererosion verbreitet. Da diese Gefahr möglichst schnell durch Begrünung beseitigt werden musste, griff man auf die aus der Braunkohle bekannten Maßnahmen zurück. So wurden Verfahren zur Böschungsabflachung und zur Böschungsbegrünung von der Braunkohle übernommen. Aus dem Tiefbau entlehnte man die Verfüllung
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Abb. 10–12: In der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut spielte sowjetische Fachliteratur sowohl für den Bergbauprozess als auch für die Rekultivierung eine wesentliche Rolle, 1957 (montan.dok 040038696001 / W. Kowlowzew)
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der Stollen und deren Sicherung. Allerdings mussten diese Verfahren den Bedingungen des Uranerzbergbaus angepasst werden, was wiederum aufwendige Untersuchungen nach sich zog. Für die Aufbereitungsanlagen mussten hingegen neue Konzepte entworfen werden. Zum einen musste die weitere Verschmutzung der Flüsse verhindert werden, zum anderen galt es, Lösungen für die Sanierung und Endlagerung zu finden. Nach dem Dammbruch einer Absetzanlage im Jahr 1961 ließ die Wismut von ihren Wissenschaftler:innen erstmals die Umweltsituation in ihren Abbaugebieten untersuchen. Es folgte 1962 ein Abkommen zwischen der DDR und der Sowjetunion darüber, die Kosten für die Rekultivierung von Altstandorten gemeinsam zu tragen. Dennoch wurden zahlreiche Sanierungsarbeiten nur unzureichend durchgeführt. Auch war die Endlagerung radioaktiver Stoffe problematisch. Insgesamt lässt sich feststellen, dass bis zum Zeitpunkt der deutschen „Wiedervereinigung“ zahlreiche Wismut-Standorte nur unzureichend wiedernutzbar gemacht worden waren. Es fehlte sowohl an den finanziellen und materiellen Vorrausetzungen als auch an dem politischen Willen der SED-Führung, sich diesen Problemen zu stellen. Insofern wurde die Rekultivierung der Standorte der Wismut zu einem der wichtigsten ökologischen Ziele im wiedervereinigten Deutschland. Dabei griff man auf die Expertise der früheren SDAG Wismut durchaus zurück, die in eine bundeseigene Wismut GmbH überführt wurde und den Auftrag zur Sanierung bekam. Dabei griff sie in manchen Bereichen, wie bei den Aufbereitungsanlagen Crossen und DresdenGittersee, auf Konzepte zurück, die bereits in der DDR ausgearbeitet worden waren, nun allerdings um neuere Erkenntnisse ergänzt wurden. Die wahrscheinlich komplexeste Sanierung erfolgte im Bereich Gera-Ronneburg (Abb. 13), in dem sowohl Tief- und Tagebauflächen als auch Halden saniert werden mussten. Zusätzlich kamen landschaftsgestalterische Konzepte zum Einsatz, die auf der Forschung zur komplexen Landschaftsgestaltung der DDR aufruhten, wie sie beispielsweise von Otto Rindt für den Senftenberger See 1973 in der Lausitz umgesetzt worden waren. Ebenso griff die Wismut auf Resultate der IBA Emscher Park zurück. Resultat war die Bundesgartenschau Gera-Ronneburg, die eine neue Landschaft und somit gesamtdeutsche Forschungsergebnisse präsentierte.
Ausblick Ähnlich wie bei der Braunkohle in der Lausitz und der Steinkohle im Ruhrgebiet ist auch für die Wismut noch lange kein Ende der Rekultivierung absehbar. Ewigkeitskosten und bisher ungelöste Probleme wie der Umgang mit Atommüll machen die weitere wissenschaftliche Suche nach Lösungen notwendig. Sowohl die RAG Aktiengesellschaft als auch die Lausitzer und
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Abb. 13: Im Bergbaugebiet Ronneburg in Thüringen bestanden Tage- und Tiefbau nebeneinander. Hier mussten verschiedene Rekultivierungsmethoden miteinander kombiniert werden, 05. März 1991 (Robert-Havemann-Gesellschaft e. V., RHG_Fo_RSt_0306 / Rainer Steußloff)
Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) sowie die Wismut GmbH benötigen bis heute neuere Forschungsergebnisse, unterhalten eigene wissenschaftliche Einrichtungen wie Labore und vergeben gleichzeitig Forschungsaufträge an Universitäten, Hochschulen und private Institute. Eine endgültige Lösung bestehender Probleme ist dabei noch nicht absehbar.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Baumert, Martin/Große-Wilde, Simon/Heinen, Ron-David/Maier, Helmut: Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlenrevier und das Ruhrgebiet (1949–1989/2000), in: Seibring, Anne (Hrsg.): Abschied von der Kohle. Struktur- und Kulturwandel im Ruhrgebiet und in der Lausitz, Bonn 2021 (= Bundeszentrale für politische Bildung: Schriftenreihe, Nr. 10751), S. 74–87. – Heuson, Rudolf: Praktische Kulturvorschläge für Kippen, Bruchfelder, Dünen und Ödländereien, Neudamm 1929.
– Hiller, Olaf (Hrsg.): Die Landschaftsdiagnose der DDR. Zeitgeschichte und Wirkung eines Forschungsprojektes aus der Gründungsphase der DDR, Berlin 2002 (= Materialien zur Geschichte der Gartenkunst, Nr. 6). – Knabe, Wilhelm: Erinnerungen. Ein deutsch-deutsches Leben, Mülheim an der Ruhr 2019. – Knabe, Wilhelm: Zur Wiederurbarmachung im Braunkohlenbergbau. Allgemeine Darstellung des Problems der Wiederurbarmachung und spezielle Untersuchungen im Lausitzer Braunkohlenbergbau, Berlin 1959. – Knabe, Wilhelm/Mellinghoff, Klaus/Meyer, Franz Hermann/Schmidt-Lorenz, Rudolf (Hrsg.): Haldenbegrünung im Ruhrgebiet, Essen 1968 (= Schriftenreihe Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, Nr. 22). – Löwe-Hannatzsch, Sabine: Umweltpolitik im Uranerzbergbau der SAG/SDAG Wismut der DDR, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 72, 2020, S. 92–98.
Abb. 1: Eintrittsbutton für Helfer der Wismut GmbH zur Bundesgartenschau 2007 in Ronneburg und Gera, 2007 (montan.dok 037000722001)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-013
Michael Ganzelewski
Industrie und Rekultivierung Einleitung Die drei Lagerstättenregionen der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ (Lausitz, Ruhrgebiet, Wismut-Gebiete) haben vieles gemeinsam, aber sie unterscheiden sich auch in wesentlichen Punkten. Es handelt sich um unterschiedliche Rohstoffe, die unter spezifischen bergtechnischen Anforderungen und unter den jeweils herrschenden politisch-gesellschaftlich Rahmenbedingungen gewonnen wurden. Gemeinsam ist ihnen die große Herausforderung, Landschaften nach oder noch während des Bergbaus in nutzbare und attraktive Lebensräume umzuwandeln. Der Umgang mit den Folgen der aus der Rohstoffgewinnung entstandenen Materialdefizite und -verlagerungen, die Beherrschung der Konzentrationen schädlicher Stoffe aus Aufbereitung und Veredelung, die Bewältigung der Veränderungen durch Eingriffe in den natürlichen Wasserhaushalt und vieles mehr erfordern einerseits die gesellschaftlich-politische Bereitschaft, enorme Ressourcen bereitzustellen. Andererseits werden sie für die Kohlenreviere auch durch die energiepolitischen Perspektiven bestimmt. Dies bringt wiederum große Strukturveränderungen mit sich, wenn die jeweilige Bergbauregion zur Nachbergbaulandschaft wird.
Die Etappe von 1945 bis 1968 war nach dem Wiederaufbau der Braunkohlenindustrie einerseits durch eine Zunahme der Landinanspruchnahme auf jährlich 1300 Hektar geprägt. Die Braunkohle war der relevanteste Rohstoff der DDR für die Energie- und Chemiewirtschaft. Andererseits wurde in dieser Etappe intensiv zur Rekultivierung geforscht. So wurden die wissenschaftlichen Grundlagen insbesondere zur Melioration und Bearbeitung tertiärer Kippen geschaffen. Die wiedernutzbargemachte Fläche vergrößerte sich auf 12 000 Hektar. Die Begrünung von Kippen und Halden stand im Vordergrund. Es wurde das Konzept verfolgt, Altbergbaugebiete mit dem Abraum aus den aktiven Tagebauen zu sanieren. Erfolgreiche Rekultivierungsflächen waren die ehemaligen Tagebaufelder Domsdorf-Tröbitz, Schlabendorf-Nord, Greifenhain (alt) und Laubusch. Reizvolle Bergbaufolgelandschaften zum Teil mit Schutzstatus entstanden, wie z. B. das Naturschutzgebiet „Insel im Senftenberger See“ (ehem. Tagebau Niemtsch) oder die Landschaftsschutzgebiete Knappen- und Silbersee (ehem. Tagebaue Werminghoff I und II, Abb. 2).
Rekultivierung in der Lausitz Umgang mit den Braunkohletagebauen Die historische Aufarbeitung der bergbaulichen Rekultivierung der Lausitz identifiziert seit Beginn des Bergbaus auf Braunkohle in den 1780er-Jahren sechs Etappen. Die ersten drei Etappen reichen bis 1944, die Etappen vier und fünf umfassen den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der DDR 1989/90. Die Etappe sechs umgreift den Zeitraum 1990 bis 2030. Erst in der etwa von den 1900er-Jahren bis 1944 dauernden dritten Etappe, in der nun auch Braunkohlen großflächig in Tagebauen gewonnen wurden, gewann die Rekultivierung zunehmend an Bedeutung. Erste gezielte Aufforstungen sind um 1904 nachgewiesen. Die Verödung nicht wiedernutzbar gemachter Flächen nahm bis 1920 ein Ausmaß von 10 000 Hektar an und zwang zum politischen Handeln. In die zukünftigen Richtlinien flossen die Forschungsergebnisse von Rudolf Heuson und Privatforstmeister J. H. Copien ein. Bis 1944 blieb das Maß der nicht wiedernutzbar gemachten Fläche auf hohem Niveau.
Abb. 2: Rekultivierter Braunkohlentagebau Senftenberger See, 28. März 1973 (BArch, Bild 183-M0823-023 / Werner Großmann)
Die Etappe von 1969 bis 1989/90 war wegen der intensiven Braunkohlennutzung die mit dem größten Flächenverbrauch und wird noch in die Abschnitte bis und nach 1980 differenziert. Zunächst blieb die Wiedernutzbarmachung bis 1980 auf dem Niveau des Flächenverbrauchs bei rund 1500 Hektar jährlich. Danach stieg der Verbrauch auf 2000 Hektar pro Jahr, und die Fläche
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der Wiedernutzbarmachung sank auf 1000 Hektar pro Jahr. Die gesetzlichen Auflagen wurden nicht mehr vollständig erfüllt, stattdessen die Arbeiten zugunsten der Erfüllung der Energiebereitstellung und wegen mangelnder Investitionen auf die Zukunft verschoben. Aufforstungen und Bepflanzungen auch zum Schutz der Bevölkerung fanden nur unzureichend statt. Private Pflanzinitiativen der Bürger:innen der DDR fasste das SED-Regime als Bürgerproteste auf. Das bedeutete auch, dass die entstandenen Restlöcher erst später mit dem Abraum aus noch aufzuschließenden Tagebauen gestaltet werden sollten, was aber bis zum Ende der DDR eher Wunschdenken blieb. Die Etappe ab 1990 bedeutete ein drastisches Herunterfahren der bergbaulichen Produktion. Während im Jahr 1988 noch in 18 Tagebauen Braunkohle gefördert wurde, existierten unmittelbar nach 1990 nur noch acht fördernde Tagebaue in der Lausitz, im Jahr 2021 sogar nur noch vier. Die Wiederurbarmachung ist seit 1990 gesetzlich verpflichtend. Die Landinanspruchnahme und Wiedernutzbarmachung waren seither ausgeglichen. 1996 war die Flächenbilanz in der Lausitz sogar erstmals positiv. Grundlagen dafür waren energiepolitische Entscheidungen, was zur Konzentration der bergbaulichen Produktion auf wenige Tagebaue führte. Für die weitere Wiedernutzbarmachung waren ferner bergrechtliche Aspekte, der gesetzlich geregelte Naturschutz, landesplanerische Ziele und bergtechnische Grundlagen sowie auch die Anforderungen an eine Bergbaufolgelandschaft zu berücksichtigen. Die Braunkohlengewinnung wurde abgetrennt und erfolgte durch die aus der Privatisierung des Braunkohlenkombinats (BKK) Senftenberg entstandene Lausitzer Braunkohle AG (LAUBAG, heute LEAG) in fünf Tagebauen. Die Rekultivierung der restlichen und ehemaligen Bergbauflächen ging in die Zuständigkeit der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) als Trägergesellschaft über. Diese war als Nachfolgegesellschaft der Treuhandanstalt des Bundes 1995 aus der Zusammenlegung der Lausitzer Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LBV) und der Mitteldeutsche BergbauVerwaltungsgesellschaft (MBV) entstanden. Die LMBV übernahm die gezielte Beendigung des nicht privatisierbaren auslaufenden Braunkohlenbergbaus, die Bewältigung der Bergbaualtlasten in der Lausitz und in Mitteldeutschland sowie die Verwertung der sanierten Liegenschaften. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben werden drei Ziele verfolgt: 1. Gefahrenabwehr zur Herstellung der öffentlichen Sicherheit, 2. Wiederherstellung und Normalisierung des Wasserhaushaltes, 3. Wiedernutzbarmachung der vom Bergbau beanspruchten Flächen. Die Braunkohlensanierung wird in einem dreistufigen System umgesetzt. Die erste Ebene bildet der Steue-
rungsausschuss für die Braunkohlesanierung mit Mitgliedern des Bundes und der Braunkohlenländer Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Auf der zweiten Ebene agiert die LMBV als Unternehmen des Bundes. Auf der dritten Ebene erfolgt die Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen durch Unternehmen der privaten Wirtschaft. Die Finanzierung erfolgt auf der Basis des „Verwaltungsabkommen[s] über die Finanzierung ökologischer Altlasten“ zwischen Bund und den Braunkohlenländern und umfasste bis Ende 2017 insgesamt 10,6 Mrd. Euro. Die LMBV als Unternehmen für den Sanierungsbergbau benennt ihre Aufgabenfelder mit „Bergbausanierung“, „Wassermanagement“ und „Flächenmanagement“. Sie ist als Bergbauunternehmen und Projektträgerin insbesondere verantwortlich für die Erreichung der in den Regionalplanungen der Länder definierten Sanierungsziele, die Herstellung der öffentlichen Sicherheit und die Vorbereitung der geplanten Nachnutzungen. Die rechtlichen und finanziellen Grundlagen sind festgelegt und als „Fünftes ergänzendes Verwaltungsabkommen zum Verwaltungsabkommen über die Regelung der Finanzierung der ökologischen Altlasten (VA Altlastenfinanzierung) in der Fassung vom 10. Januar 1995 über die Finanzierung der Braunkohlesanierung in den Jahren 2018 bis 2022 (VA VI Braunkohlesanierung) vom 2. Juni 2017“ zusammengefasst. Mitentscheidend aus Sicht der Wiedernutzbarmachung sind die angewandte Technik und Technologie. In den Großtagebauen ist hinsichtlich der Rekultivierung Schaufelradbaggern gegenüber Eimerkettenbaggern Vorrang einzuräumen, da diese im Vorschnitt eher eine selektive Bodenentnahme zur Unterstützung notwendiger Melioration (Bodenverbesserung) ermöglichen (Abb. 3). Der selektiv gewonnene Abraum (die Kohle überlagerndes Material) muss ohne Qualitätsverlust zur Kippe, also zur gegenüberliegenden Seite des Tagebaus, transportiert werden. In der Lausitz hat sich für den Abraumtransport über den Tagebau hinweg die kostengünstige Methode mit Abraumförderbrücken etabliert. Für die selektive Abraumförderung sind diese aber in der Regel nicht geeignet, da sie von Baggern an mehreren Stellen im Tagebau zeitgleich beschickt werden und so ein Qualitätsverlust durch Bodenmischung entsteht. Daher schickt man den selektiv gewonnenen Boden über kilometerlange Bandanlagen um den Tagebau herum zum Absetzer, der ihn zuoberst auf das Kippenrelief aufträgt. Das oft als „Mondlandschaft“ bezeichnete Kippenrelief mit den markanten Schüttrippen entsteht beim Direktversturz mit Förderbrücken. Das Relief wird durch den Auftrag ausgeglichen und anschließend mit Raupenfahrzeugen planiert (eingeebnet) und für die landwirtschaftliche Nutzung oder Aufforstung vorbereitet (Abb. 4). Bei den problematischen Kippenböden aus tertiären, schwefelhaltigen Deckgebirgsschichten ist eine Weiterbehandlung notwendig. Diese kann durch den Auftrag einer mindestens 100 cm
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Abb. 3: Modell eines Schaufelradbaggers, ausgegeben von der Treuhandanstalt, 1994 (montan.dok 037000718001 / Goldman Sachs International)
dicken kulturfähigen Bodenschicht erfolgen oder durch die Grundmelioration. Ziel ist es dabei, die Aciditätsverhältnisse (Säureverhältnisse) dauerhaft zu verbessern und die Nährstoffverhältnisse positiv zu beeinflussen. Für die Volkswirtschaft der DDR hatte die Bodenmelioration eine große Bedeutung, da der Anteil der Rückgabefläche mit schwefelhaltigen Böden rund 60 % betrug. Durch Zutritt von Sauerstoff setzen chemische Prozesse ein, die zu einer starken Säurebildung führen, wodurch unter anderem Schwermetalle mobilisiert werden. Schwefelbakterien beschleunigen die Prozesse. Entgegenwirken kann die Grundmelioration durch den Eintrag von Kalk oder kalkhaltiger Braunkohlenfilterasche in Kombination mit geeigneten technischen Hilfsmitteln wie kleineren Schaufelradbaggern, Bodenfräsen, Pflügen, Spezialgrubbern, Zweiwegemaschinen etc. Erst wenn die Böden eine ausreichende Kulturqualität erreichen, sind sie für eine land- oder forstwirtschaftliche Folgenutzung geeignet. Seit einigen Jahren wird in der Tagebaufolgelandschaft Welzow-Süd erfolgreich Wein angebaut. Das Weinbaugebiet „Wolkenberg“ wurde dort angelegt, wo der gleichnamige Ort dem Tagebau weichen musste (Abb. 5). Aktuell wird auf den Rekultivierungsflächen im Tagebau Jänschwalde Nutzhanf angebaut, woraus verschiedene Produkte gefertigt und vermarktet werden.
Abb. 4: Modell einer Planierraupe Liebherr PR 776, 2021 (montan.dok 037000731001 / WSI Models B.V.)
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Die Aufforstung, die den größten Teil der wiedergenutzten Flächen betrifft, erfordert ein gewisses Maß an Zeit und Geduld. Eine extreme Freilage, Wassermangel, fehlendes Bodenleben und die Gefahr der Bodenverdichtung machen Kippenstandorte zu forstlichen Extremstandorten, was den waldbaulichen Spielraum stark einschränkt. Die frühesten nachgewiesenen Aufforstungen stammen aus den Jahren 1906 bis 1908, was in die Zeit des Beginns der Erschließung des 2. Lausitzer Flözes fällt. Die Aufforstung von Kippen bekam von da an mit der Einführung leistungsfähiger Tagebaugeräte eine immer größere Bedeutung. Die rasche Entwicklung der Technik führte zu größeren Rückgabeflächen, die unter Anleitung von Forstangestellten und Gärtnern aufgeforstet wurden. Später machten sich Forstleute wie Heuson und Copien um die Kippenrekultivierung verdient. Anhand der Baumartenverteilung lassen sich bestimmte Phasen der forstlichen Rekultivierung durch das Vorherrschen bestimmter Pionierbaumarten ausmachen: Die Birkenzeit bis 1960, die Roteichenzeit bis 1975 und die Kiefernzeit bis 1990, in der der Kiefernanteil bei 81 % liegt. Ab 1990 ist der Kiefernanteil erheblich niedriger und das Spektrum der Pioniere wesentlich ausgeglichener. Die Aufforstung mit Kiefern und Eichen erfordert zudem wesentlich höhere Mindestpflanzen-
Abb. 5: Cuvée Barbara 2019 aus der Tagebaufolgelandschaft Welzow-Süd, 2019 (private Leihgabe / Wolkenberg GmbH)
zahlen (10 000 bis 12 000 Stück pro Hektar) als z. B. die mit Lärchen und Pappeln (5000 Stück pro Hektar). Forstwirtschaft kann in der Lausitz nur unter strengster Beachtung des Waldbrandschutzes betrieben werden. Niedrige jährliche Niederschlagsmengen, geringes Wasserhaltevermögen nährstoffarmer Böden und auch ein hoher Kiefernanteil begünstigen die Waldbrandgefahr. Letztlich trägt auch der bergbaulich bedingte Grundwasserentzug dazu bei. Es gilt unter anderem, den Kiefernanteil bei der Aufforstung auf unter 50 % zu senken und Löschwasservorräte anzulegen. Grundsätzlich ließe sich bei der Braunkohlegewinnung im Tagebau das Konzept einer ausgeglichenen Wiedernutzbarmachungsbilanz verfolgen. Danach haben die Flächen der Landinanspruchnahme für die Kohleförderung und die Flächen der Wiedernutzbarmachung die gleiche Größenordnung. Die Planung und der Einsatz von Technik für die Gewinnung und selektive Verteilung des gewonnenen Abraums kann dazu beitragen, später zu verfüllende Restlöcher oder noch einmal abzutragende Kippen zu vermeiden. Das bedeutet, dass ab einem gewissen Punkt lediglich bei Zukunftstagebauen von einer planmäßigen Wiedernutzbarmachung ausgegangen werden konnte. Lausitztypisch ist die forstwirtschaftliche Rekultivierung in einem Maß, das land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, erholungssuchenden Menschen und verdrängten Pflanzen- und Tierarten Möglichkeiten eröffnet. Während 1989 noch aus 17 Tagebauen gefördert wurde, sind inzwischen 13 davon stillgelegt worden. Die Stilllegung von Tagebauen und nicht mehr notwendige Neuaufschlüsse führten in den Förderräumen der Lausitz teilweise zu einer schlagartigen Unterbrechung der technologischen Kette Gewinnung-VerkippungWiedernutzbarmachung. Alte Rekultivierungskonzepte gehen nicht mehr auf. Es fehlt der Abraum zum Verfüllen von ausgekohlten Abbauräumen über das Niveau des künftigen Grundwasserspiegels, zum Verfüllen von Restlöchern zur Schaffung geotechnischer Sicherheit und zum Abdecken mit kulturfreundlichem Bodenmaterial. Stillgelegt wurden die Tagebaue Dreiweibern 1989, Spreetal Nordost 1991, Klettwitz 1991, Olbersdorf 1991, Schlabendorf-Süd 1991, Bärwalde 1992, Gräbendorf 1992, Klettwitz-Nord 1992, Greifenhain 1994, SeeseOst 1996, Scheibe 1996, Berzdorf 1997 und Cottbus 2015. Das Materialdefizit hat Restlöcher zur Folge, die zumeist geflutet wurden/werden und künstliche Seenlandschaften mit Potentialen für eine touristische Entwicklung bilden. Bereits 1967 entstand der Senftenberger See durch die Flutung des ehemaligen Braunkohlentagebaus Niemtsch bis 1972 von der Schwarzen Elster aus. Er wurde bereits kurz darauf zum Naherholungsgebiet mit Badestrand. Mit dem Naturschutzgebiet „Insel im Senftenberger See“ entwickelte sich ein neuer Lebensraum für Pflanzen und Tiere in und um den See. Neben diesen positiven Entwicklungen entstanden aber auch neue Gefahren, die sich bis in die Gegenwart auswir-
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Abb. 6: Rüttelverdichtung am Klinger See, 2014 (LMBV / Peter Radke)
ken. Am Morgen des 13. Septembers 2018 kam es zu einer lokalen Rutschung im westlichen Ufer der Insel im Senftenberger See, worauf die Sicherung notwendig wurde und der gesamte Uferbereich bis zum April 2019 gesperrt werden musste. Eindrucksvoll machte der See auf die Problematik der Sicherung von Tagebauböschungen bei der Rekultivierung aufmerksam. Bereits 1930 traten in der Niederlausitz in wassergesättigten Kippen gewaltige Rutschungen auf. Diese häuften sich mit dem Wasserspiegelanstieg in ausgekohlten Tagebauen. Erst in den 1980er-Jahren kam es zum Aufbau einer Applikationsforschungsgruppe des BKK Senftenberg und der Bergakademie Freiberg. Die ersten umfangreichen Ergebnisse zum Schutz von Kippen gegen Setzungsfließen (Rutschungen) lagen 1989 vor. Die Standsicherheit in Uferzonen gefluteter Restlöcher erzeugt man nun durch den Bau versteckter Dämme im Untergrund des Hinterlands sowie durch Spreng- oder Rütteldruckverdichtungen in den Böschungsbereichen (Abb. 6). Inzwischen stellt sich die Lausitz als Seenland dar. Die Erhöhung des Wasserstands in bestehenden Seen und die Flutung weiterer Restlöcher ist vorgesehen. Bis zur Mitte der 2020erJahre soll z. B. das Restloch Cottbus-Nord gefüllt sein. Die Flutung wurde durch das Bergbauunternehmen
LEAG 2019 begonnen, nachdem die Förderung aus dem Tagebau im Dezember 2015 eingestellt worden war. Wo kommt das Wasser für die Flutungen her? Die Frage ist durchaus berechtigt und wird kritisch diskutiert. Das durch den Braunkohlenbergbau verursachte und auszugleichende Wasserdefizit von 7 Mrd. m3 wirkt sich auf den Verlauf der Füllung der Restseen, aber auch auf die Fließgewässer im Umland aus. Seit 1990 war es unter Einbeziehung des Sümpfungswassers aus den aktiven Tagebauen weitgehend gelungen, den Nutzenden und Nutzungen im Einzugsgebiet der Spree gerecht zu werden. Für die Schwarze Elster ist dies nicht mehr gegeben. Vor allem die drei aufeinanderfolgenden Trockenjahre 2018, 2019 und 2020 haben dies unter anderem durch Muschel- und Fischsterben deutlich gemacht. Beiden Flüssen war durch den Braunkohlenbergbau die natürliche Speisung entzogen worden. Der Spreeabfluss ist seit den 1960er-Jahren in Trockenzeiten bergbaudominiert. Insbesondere die Region BerlinBrandenburg hat sich an das übernatürliche Wasserangebot angepasst und wird sich voraussichtlich wieder verändern, wenn sich die Spree in Bezug auf ihr natürliches Abflussverhalten wieder ihr natürliches Kleid anzieht.
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Bereits mit den Schließungen der Tagebaue ab 1990 gab es einen massiven Strukturbruch, und die Anpassung der Bewirtschaftung hatte hohe Priorität. Mit dem vorzeitigen und vollständigen Kohleausstieg ist Gleiches zu erwarten. Die Wasserführung der Spree hat unter anderem große Bedeutung für das Biosphärengebiet „Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft“ in Sachsen und das Modellgebiet UNESCO-Biosphärenreservat „Spreewald“ in Brandenburg. Die LMBV hat zwar unter anderem durch den Aufbau der Flutungszentrale Lausitz (FZL), die Herstellung von Speichern (Bergbaufolgeseen) und Überleitern (Kanälen) unter den Bedingungen eines noch aktiven Braunkohlenbergbaus und den Anforderungen des Sanierungsbergbaus Grundlagen für die Bewirtschaftung des Lausitzer Wasserhaushalts geschaffen. Der erfolgreiche Strukturwandel bedarf aber weiterer gemeinsamer Anstrengungen der Braunkohlenländer und des Bundes zur wasserhaushaltlichen Regulierung der Region Lausitz. Die bergbaubedingte großräumige Absenkung des Grundwassers verursacht den Zutritt von Luftsauerstoff in tiefere Schichten. Es kommt zur Säurebildung und der Mobilisation von Eisen infolge der Oxidation von Schwefelkies (Pyrit). Zwar beugt der aktive Braunkohlenbergbau heute in angrenzenden Flächen der Grundwasserabsenkung partiell durch die Einbringung von unterirdischen Dichtwänden vor. Die gehobenen Grubenwässer bedürfen trotzdem der Bearbeitung in Behandlungsanlagen, um den pH-Wert in den neutralen Bereich zu bringen und vor allem Eisen zu entfernen. Gegenwärtig befinden sich die meisten Bergbaufolgeseen noch in der Herstellung und werden aktiv durch die Zuführung von Fremdwasser aus der Vorflut sowie passiv durch den Eigenaufgang durch Grundwasseranstieg geflutet. Durch Maßnahmen wie der InlakeNeutralisation, die auf dem Einbringen von mehreren Tausend Tonnen Kalksteinmehl pro See beruht, wird ein pH-Wert von über 6 vor der Ausleitung von Überschusswasser hergestellt. Die Statistik der Kohlenwirtschaft weist bis zum Ende des Jahres 2020 eine Landinanspruchnahme durch den Braunkohlenbergbau in der Lausitz von 89 680,3 Hektar aus. Davon wurden 58 923,9 Hektar wieder nutzbar gemacht, 10 659,7 Hektar für die Landwirtschaft, 31 775,3 Hektar sind forstwirtschaftliche Flächen, 8977,2 Hektar nehmen Wasserflächen und vorgesehene Wasserflächen in rekultiviertem Gelände ein. 7511,7 Hektar sind durch Wohnsiedlungen, Müllflächen, fremde Betriebe, Verkehrswege etc. genutzt. 30 756,4 Hektar sind Betriebsflächen (Abraum, Kohle, Kippen) des aktuellen Bergbaus sowie Rekultivierungsrückstände und Problemflächen. Die Zahlen der rekultivierten Fläche machen deutlich, dass der Flächenschwerpunkt der Rekultivierung auf der Wiederherstellung forst- und landwirtschaftlicher Flächen lag und liegt. Und wenngleich ein großer Teil der Flächen aus dem Eigentum des Sanierungsbergbaus inzwischen entlassen wurde, werden wasserwirtschaftliche Maß-
nahmen, angefangen von einem engen Monitoring über die Aufbereitung bis zur Herstellung eines ausgeglichenen Wasserhaushalts, in der Lausitz noch lange Zeit andauern.
Umgang mit den Veredelungsbetrieben Die großen Braunkohlenkombinate der DDR haben den Ruf erlangt, die „größten Dreckschleudern“ des Landes gewesen zu sein. Kohleverschwelungs- und Entgasungsanlagen, Kokereien, Kraftwerke, Brikettfabriken etc. wurden bis zur Verschleißgrenze gefahren. Einige waren bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg in Betrieb gegangen. Umweltbelange und die Gesundheit der in den Betrieben Beschäftigten sowie der Bevölkerung in der Umgebung lagen nicht im Fokus der Betrachtung bei der Erfüllung von Produktionsvorgaben. Die unmittelbar sichtbaren, fühlbaren und riechbaren Folgen entstammten aus den Emissionen der Anlagen. Davon wurden die meisten bereits kurz nach dem Ende der DDR geschlossen, andere umfassend modernisiert oder neu aufgebaut für einen umweltgerechten Betrieb. Die Kraftwerke, von denen heute vier in Betrieb sind, wurden mit moderner Umwelttechnik ausgestattet. Seitdem wird aus dem Schwefeldioxid der Abgase, das bei der Verbrennung der Braunkohle entsteht, Gips produziert. Nach 1990 war es das Kraftwerk Schwarze Pumpe, das als erstes Lausitzer Braunkohlenkraftwerk auf der Grundlage neuer, umweltschonender Technologien geplant und errichtet wurde. Dieses waren die stickoxidarme Verbrennung, die Rauchgasentschwefelung und die Staubabscheidung mit Elektrofiltern. Aus der thermischen Veredelung von Braunkohle zu Koks und Gas in den Anlagen des VEB Gaskombinats Schwarze Pumpe, ab 1986 VEB Gaskombinat „Fritz Selbmann“ Schwarze Pumpe, blieben Teerschlämme, Teerund Kohle- sowie Teer-Asche-Mischungen in der Abfallproduktenhalde Terpe im Landkreis Spree-Neiße und der Teerdeponie Zerre im Landkreis Kamenz zurück. Letztere ist unter der Bezeichnung „Teersee“ durch die Presse gegangen. Auf dem Standort Terpe waren auf einer Fläche von 16 Hektar rund 330 000 Tonnen dieser Produkte mit einer Mächtigkeit von 3,5 bis 3,7 m deponiert. In Zerre lagerten auf 6 Hektar in zwei Becken rund 420 000 Tonnen mit einer Mächtigkeit von 3,2 bis 3,5 m. Beide Standorte gehörten zu den 196 Objekten auf der Priorisierungsliste der Sanierungsfälle in den fünf neuen Bundesländern. 750 000 Tonnen Teerrückstände (Teerölfeststoffe [TÖF] und Kohlentrübe [KTR]) waren zunächst zu sichern. Dazu wurde 1990 die Lausitzer Umwelt Gesellschaft mbH (LUG) gegründet, an der die Energiewerke Schwarze Pumpe Aktiengesellschaft (ESPAG) und die Ruhrkohle Umwelt GmbH, Essen, jeweils zu 50 % beteiligt waren. Die hohe kalorische Wertigkeit der Reststoffe eröffnete die Möglichkeit, sie mit Braunkohlenabrieb aus Brikettfabriken gemischt zur energetischen
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Nutzung vorzusehen und der thermischen Verwertung zuzuführen. Die dafür notwendigen Anlagen wurden von 1991 bis 1994 errichtet und seitens der LUG dort bis 1999 rund 200 000 Tonnen Teerölfeststoffe und Kohlentrübe verwertet. Durch die Stilllegung der Altkraftwerke Trattendorf (1996) und Schwarze Pumpe (1998) sowie wegen hoher Benzenwerte der Rückbauprodukte war ein Einsatz als Mischbrennstoff dann zunächst beendet. Nach öffentlicher Ausschreibung konnte jedoch die Fortführung durch eine Arbeitsgemeinschaft erreicht werden, die unter anderem eine Anlage errichtete, um Pellets zur Vergasung aus entbenzenierten Teerölfeststoffen und anderen Stoffen herzustellen.
Rekultivierung im Ruhrgebiet Zu den frühesten organisatorischen Maßnahmen, um Umweltschäden durch den Steinkohlenbergbau abzuwenden bzw. den Folgen entgegenzuwirken, gehörte 1899 die Gründung der Emschergenossenschaft in einer gemeinsamen Initiative von Anrainerstädten, Bergbau und Industrie als erstem deutschen Wasserwirtschaftsverband. Die Sicherstellung des bestmöglichen Zustands der Flussregion für Mensch und Natur unabhängig von politischen Grenzen ist heute das erklärte Ziel. Als selbstverwaltete Körperschaft des öffentlichen Rechts wird die Emschergenossenschaft durch ihre Mitglieder – Städte, Wirtschaft und Bergbau – getragen und finanziert. Verschiedene Maßnahmen werden auch über Projektförderungen realisiert (z. B. Internationale Bauausstellung Emscher Park). Über das gesamte Ruhrgebiet operiert heute der Regionalverband Ruhr (RVR). Mit der Kohlenkrise und den zunehmenden Veränderungen durch Zechenschließungen kam der planerischen Arbeit des 1920 als Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) gegründeten Verbands besondere Bedeutung zu. Bereits 1951 rief die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zur Durchführung von Haldenbegrünungen auf. Ein Jahr später regte der SVR dann die Begrünungsaktion Ruhrkohlenbezirk an, wenngleich die Begrünung von Bergehalden im Ruhrgebiet nichts Neues war und bereits um die Jahrhundertwende stattgefunden hatte. Beispiele alter Haldenbegrünung sind die Halden Zollverein in Essen und die Halde Möller in Gladbeck. Bis 1966 war die Bevölkerung im Bereich des Siedlungsverbands auf 5,7 Mio. Einwohner angewachsen, und die allgemeinen Lebensbedingungen wurden zunehmend kritisch beurteilt. Um das Wohlergehen der Menschen in dem dicht besiedelten Lebensraum zu verbessern, wurde die Begrünung der Halden befördert, prägten diese doch, grau und vegetationsarm, lange Zeit das Bild des „grauen Ruhrgebiets“ mit. Die Vorteile, die sich durch eine Erhöhung der biologischen Substanz ergeben würden, lagen auf der Hand. Die Luftqualität ließ sich verbessern, Reste freilebender
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Tiere erhielten eine Heimat, Winde wurden gebremst, und den Halden wurde der Charakter des Fremdkörpers in der Landschaft genommen. Grundlage für die erfolgreiche Durchführung von Begrünungskonzepten waren umfangreiche Forschungen, denn es waren spezifische Kenntnisse erforderlich: über die Gliederung und Zusammensetzung der Halden, über die Art und den Umfang einer Bodenauflage, über geeignete Aufforstungspflanzen und Pflanzenverbände, über die geeignete Pflanzungsmethode etc. (Abb. 7). Eine Bergehalde konnte aus der Schüttung verschiedener Bestandteile entstanden sein. Neben Oberboden, Deckgebirgsgesteinen, Nebengesteinen der Kohle aus dem Oberkarbon sowie der Kohle selbst waren das auch Aschen aus Werksanlagen sowie Müll, Bauschutt und sonstige Abfälle. Das Gros des Bergematerials (Nebengestein der Steinkohle) war steril, zunächst basisch, durch die Verwitterung des enthaltenen Pyrits aber bald sauer und enthielt oft auch noch in den älteren Halden nicht geringe Anteile von Steinkohle aus Lesebergen. Die später als Waschberge aus der Kohlenaufbereitung hervorgegangenen Halden waren deutlich ärmer an Kohle. Es kam zur Selbstentzündung der Steinkohle durch die Hitzeentwicklung bei der Oxidation des Pyrits und so zu Haldenbränden mit entsprechender Qualmund Geruchsbelästigung im Umfeld der Halden. Bis in die heutige Zeit gibt es Halden, die kontrolliert oder an denen sogar Brandschutzmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Die Bergbehörde sah sich 1967 veranlasst, im Rahmen einer Richtlinie für die Genehmigung von Bergehalden Maßnahmen zur Begrünung von Halden und zum Schutz gegen Erosion zu fordern. Seitdem wurden Halden nicht weiter als Kegelhalden, sondern terrassenförmig in Form von Tafelbergen gestaltet. Das Bergematerial musste nach dem Aufschütten verdichtet werden, um den für eine Entzündung förderlichen Luft-
Abb. 7: Berglehrlinge bei Wiederaufforstungsarbeiten auf einer Bergehalde des Ruhrgebiets, 1950er-Jahre (montan.dok 025000080001)
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Abb. 8: Grubenwassereinleitung in die Harpener Teiche in Bochum, 2021 (montan.dok / Michael Ganzelewski)
eintrag zu verhindern. Ebenso wurde die Begrünung der Halden eingefordert. 1974 legte die Ruhrkohle AG dem SVR und der Bergbehörde zunächst ein später angepasstes Haldenkonzept vor, zu Beginn der 1980er-Jahre wurde das Unternehmen aufgefordert, das Konzept der Bergewirtschaft zu erläutern. Gesetzlich war die Ruhrkohle AG dazu verpflichtet, für die Schäden des Bergbaus aufzukommen oder diese auszugleichen. Dies betraf auch die Folgen, die sich aus der Bergewirtschaft ergeben würden. Fortan folgte die Zusammenarbeit einem Ablaufschema, das sowohl die Aufgaben des Bergbaus als auch die des inzwischen zum Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) umbenannten Partners definierte. Grundlegend war, dass sich neu geplante Halden nach Möglichkeit an bestehende Halden anschließen und so Großhalden entstehen sollten, die als Landschaftsbauwerke für nachfolgende Nutzungen deutlich mehr Möglichkeiten bieten würden. In den 1980er-Jahren änderten die Halden so erneut ihre Gestalt nach den neuen Bergehaldenrichtlinien. Es entstanden die Halden der dritten Generation als Landschaftsbauwerke. Aufschüttung in Schichten und anschließendes Verdichten verhinderten von vorherein eine Selbstentzündung. Nach Abschluss der Schüttungen mussten durch den Bergbau sämtliche auf Basis eines Abschlussbetriebsplans festgelegten Rekultivierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Düngungs- und Bekrautungsmaßnahmen an der Oberfläche bildeten den Anfang eines mehrphasigen und mehrjährigen Begrünungsprozesses. Nach dem Auftrag einer geeigneten Mutterbodenschicht, dem Einbringen von Bodenverbesserern und dem Setzen schnellwachsender Gehölze nach dem Muster der natürlichen
Sukzession, was schnell zu einer geschlossenen Pflanzendecke führte, wurde sukzessive eine dauerhafte Bepflanzung ergänzt. Seit 1990 unterlagen neue Bergehalden nach der Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales Recht einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). So wurde die Halde Schöttelheide in Bottrop, deren Aufschüttung für die Berge der Zeche Prosper-Haniel erst 2001 begann, einer solch umfangreichen Prüfung unterzogen. Die vierte Haldengeneration entstand aus der Zusammenlegung zweier benachbarter Halden wegen des akuten Platzbedarfs für immer größer werdende Bergemassen zu einer Großhalde. Schon Ende der 1970er-Jahre hatte man sich zu diesem Konzept für die Hertener Halden Ewald I/II/VII im Westen und die Halde Emscherbruch im Osten entschieden. 1985 begann man in Herten mit der Schüttung im Hohewardtal zwischen den beiden unzusammenhängenden Einzelhalden. Eine dort befindliche Siedlung musste dazu verlegt werden. Es entstand der größte Haldenkomplex mit 170 Hektar Fläche im Ruhrgebiet, der sich mit einer Höhe von 111 m über das Gelände erhebt. Die Nachnutzungskonzepte, die sich auch an der Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustands orientieren mussten, sahen die landwirtschaftliche Nutzung, die kleingärtnerische Nutzung, Anlagen für Sport, Erholung und Freizeit, die Bebauung von Halden durch ein- oder mehrgeschossige Wohngebäude und gewerbliche Bauten sowie die industrielle Nutzung vor. Vor allem die Landschaftsbauwerke und Großhalden stehen heute einer Freizeitnutzung innerhalb einer ökologisch wertvollen, naturnahen Umgebung zur Verfügung. Seit 1986 ist der größte Teil der Bergehalden
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in das Eigentum des RVR übergegangen. Stand Januar 2021 weist die Aufstellung 45 Bergehalden als Eigentum des RVR aus. Die Planungen zur Übernahme weiterer Halden laufen derzeit über ein Rahmen-Nutzungskonzept. Damit sind dann 60 Berghalden mit einer Fläche von fast 2300 Hektar im Eigentum des RVR für die nachbergbauliche Nutzung vorgesehen. Viele sind als Landmarken und durch Nutzungen im Zuge der politisch angestrebten Energiewende heute die weit sichtbaren Zeichen der Bergbaufolgelandschaft Ruhrgebiet. Der Zweck der 2007 gegründeten RAG-Stiftung umfasst unter anderem auch die Unterstützung bei der Beseitigung und Vermeidung von Folgelasten des Steinkohlenbergbaus der RAG Aktiengesellschaft für Umwelt und Natur im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtungen. Dazu hat die RAG-Stiftung die RAG Aktiengesellschaft als ehemaligen Bergbaubetreiber im Innenverhältnis auf Basis des Ewigkeitslastenvertrags in Verbindung mit dem Side Letter vom 16./21. Dezember 2010 von allen Gläubigeransprüchen aus den Ewigkeitslasten ab der Einstellung des subventionierten Steinkohlenbergbaus freigestellt. Ewigkeitslasten im Sinne des Vertrags sind Maßnahmen zur Verwaltung, Abwicklung oder Beseitigung von Dauerbergschäden/ Poldermaßnahmen, Maßnahmen der Grundwasserreinigung, des Grundwassermonitorings und der Nachsorgeverpflichtungen an kontaminierten Standorten sowie Maßnahmen zur Durchführung der Grubenwasserhaltung (Abb. 8). Im Jahr 2020 wurden aus den Rückstellungen der RAG-Stiftung 291 Mio. Euro für die laufen-
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den Ewigkeitslasten aufgewendet. Die Regulierung von Bergschäden, die zu den endlichen Aufgaben zählt, verbleibt bei der RAG Aktiengesellschaft. Diese ist durch das Bundesberggesetz (BbergG) in den §§ 114 ff geregelt. Für die Beseitigung bzw. den Ausgleich ist der Verursacher, der Bergbaubetreiber, in der Pflicht. Dies ist heute in vielen Fällen die RAG Aktiengesellschaft, die sowohl Schäden aus dem Tiefenbergbau reguliert als auch für die Folgen oberflächennahen Bergbaus aufkommt, sofern sie die Rechtsnachfolge des ehemaligen Betreibers übernommen hat. In der Regel ist eine intensive Einzelfallbetrachtung erforderlich, zumal im Ruhrgebiet auch andere Rechtsnachfolger verantwortlich sein können. Probleme bestehen dann, wenn Verursacher von Bergschäden oberflächennahen Bergbaus nicht ermittelt werden können oder der Tiefenbergbau und der oberflächennahe Bergbau durch verschiedene Betreiber stattfand. Die „Schlichtungsstelle Bergschaden NRW“ mit der Geschäftsstelle beim RVR ist Anlaufstelle für Betroffene. Die Rückstellungen der RAG Aktiengesellschaft für die Regulierung von Bergschäden betrugen zum Auslauf des subventionierten Steinkohlenbergbaus am 31. Dezember 2018 rund 2,01 Mrd. Euro. In den letzten Jahren verausgabte die RAG Aktiengesellschaft rund 110 Mio. Euro pro Jahr für die Regulierung von Bergschäden im Produktions- und Stilllegungsbereich im Saar- und Ruhrgebiet. Weitere Rechtsnachfolger sind die E.ON AG, die ThyssenKrupp Real Estate GmbH, die Hartmann AG, die Firma Littlefuse und andere (Abb. 9).
Abb. 9: Projekttafel „Schachtverwahrung Centrum 3“, 2021 (montan.dok 037000757001 / Heitkamp Umwelttechnik)
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Die RAG Aktiengesellschaft stellt die Standsicherheit der Schächte der bis 2018 geschlossenen Bergwerke durch die Verfüllung her und sichert weiter alte Schächte wie z. B. Schacht I/II der ehemaligen Zeche Constantin an der Herner Straße in Bochum. Ähnlich hat dies die ThyssenKrupp Real Estate GmbH im Frühjahr 2021 beim Schacht 3 der Zeche Centrum in Wattenscheid getan. Am Anfang von Bauvorhaben, besonders in verdächtigen Bereichen des Reviers, müssen heute oberflächennahe Hohlräume des Bergbaus von Spezialfirmen durch Sondierungsbohrungen aufgespürt und mit Beton verfüllt werden. Im dicht besiedelten Ruhrgebiet sind oft bereits bebaute oder genutzte Flächen wie Autobahnen und Bahnstrecken, Siedlungen und Straßen, Gewerbegebiete, Freizeit und Sportanlagen etc. betroffen. Gefährdete Gebäude und Anlagen werden aufwändig gesichert und ertüchtigt, von Senkungen betroffene Gebäude werden hydraulisch angehoben. Mitunter zeigen sich nicht ausreichend verfüllte Bergbauhohlräume plötzlich. Als Beispiel steht der „Wattenscheider Krater“ („Höntroper Tagesbruch“) zu Beginn des Jahres 2000. Diese Stellen müssen aufwändig innerhalb der dicht besiedelten Flächen gesichert werden. Zuweilen sind die unmittelbar betroffenen Personen traumatisiert und die Nachbarschaft nachträglich sensibilisiert. An weniger dicht besiedelten Stellen begegnet man dem Altbergbau durch Hinweisschilder wie im Weitmarer Holz in Bochum, wo jüngst ein „Schilderwald im Wald“ entstand, der über 200 Altbergbauschächte ausweist. Wesentlich aufwändiger sind technische Maßnahmen verursacht durch Bergsenkungen im Bereich von Vorflutern, wenn Fließgewässer vertieft oder über Senkungsgebiete angehoben werden müssen. Die Emscher ist mittlerweile auf einer Länge von 75 km durch bis zu 10 m hohe Deiche eingefasst. Der Wasserspiegel liegt häufig höher als die umgebende Landschaft, wozu auch Siedlungen direkt am Deich gehören. Vorfluterpumpwerke müssen die Höhendifferenz zwischen künstlich angehobenen Vorflutern und ihren natürlichen Zuflüssen ausgleichen. In landwirtschaftlich genutzten Bereichen entstehen in Senken (Polderflächen) Vernässungen durch die Verringerung des Grundwasserflurabstands als Folge der Bergsenkung. Der ständige Einsatz von Grundwasserpumpwerken wird so notwendig. Das Pumpwerk Alte Emscher in Duisburg ging 1914 als erste Polderanlage der Emschergenossenschaft in Betrieb. Weitere Anlagen folgten in Bottrop, Gelsenkirchen und Dortmund. Bis 1930 betrieb die Emschergenossenschaft schon 13 Anlagen. Heute pumpen im gesamten Revier etwa 600 kleinere und größere Anlagen jährlich etwa 1 Mrd. m3 Wasser organisiert durch die Wasserwirtschaftsverbände. Die Aufgabe, ein rund 4600 km2 großes Einzugsgebiet zu entwässern, teilen sich vor allem die Emschergenossenschaft und der Lippeverband sowie die Linksrheinische Entwässerungs-Genossenschaft. Ohne diese technische Leistung, die als
Ewigkeitsaufgabe dauerhaft erfolgen muss, würde ein Teil des Ruhrgebiets unter Wasser stehen. Die Poldermaßnahmen sind ein Feld des Grubenwasserkonzepts der RAG Aktiengesellschaft und Teil der Ewigkeitsaufgaben. Bereits zur Zeit des aktiven Bergbaus im Ruhrgebiet waren die Maßnahmen zur Wasserhebung nach der Stilllegung von Bergwerken nicht eingestellt worden. Aktive und stillgelegte Bergwerke waren durch Strecken miteinander verbunden, und es galt es zu verhindern, dass Wasser aus den stillgelegten Bereichen in die benachbarten aktiven Bergwerke floss. Pumpstandorte stillgelegter Bergwerke wurden zu Wasserprovinzen zusammengefasst, deren Grubenwasser an zentralen Pumpstandorten gehoben und in die Vorfluter eingeleitet wurde. Bei der Sicherung stillgelegter Schächte werden heute in speziellen Röhren Tauchpumpen eingesetzt und auf die Brunnenwasserhaltung umgestellt, die so von über Tage aus stattfindet. Auf diesem Prinzip beruht das Grubenwasserkonzept der RAG Aktiengesellschaft für den Trinkwasserschutz in der Nachbergbauzeit. Eine untertägige Grubenwasserhaltung ist nicht mehr notwendig, um Bergwerke bis in eine Teufe von 1400 m vom Wasser freizuhalten. Man lässt die durchschnittliche Pumphöhe von 900 auf 600 m so weit ansteigen, dass ein Abstand von mindestens 150 m zum höher liegenden Grundwasserhorizont verbleibt, um das als Trinkwasser genutzte Grundwasser vor Verunreinigungen durch Grubenwasser zu schützen. Leithorizont sind die Halterner Sande im Norden, das wichtige Trinkwasservorkommen. Sollten durch den Grundwasseranstieg verursachte Hebungen des Geländes zu Schäden führen, so werden diese als Bergschäden reguliert. Zurzeit existieren noch elf Wasserhaltungsstandorte, langfristig ist jedoch die Hebung des Grubenwassers an nur noch wenigen zentralen Standorten vorgesehen. Kein Grubenwasser soll mehr in die Emscher oder deren Nebenflüsse eingeleitet werden. Lediglich für die großen Flüsse Rhein, Ruhr und Lippe ist das weiter vorgesehen. Allein durch die drei Wasserhaltungsstandorte entlang der Ruhr sind dies 25 Mio. m3 jährlich. Die Zuleitung erfolgt über unterirdische Leitungen. Damit besteht auch die Möglichkeit zur Renaturierung vieler Bäche, Flüsse und Teiche im Ruhrgebiet. Die Qualität des Wassers steigt und die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere verbessern sich. Bis spätestens 2027 sollen die Gewässer einer EU-Richtlinie folgend ein gutes ökologisches Potential erreicht haben. Ein sehr großes Vorhaben ist die Umsetzung des 2006 veröffentlichten Masterplans Emscher-Zukunft. Der Plan sieht die Renaturierung der Emscher vor, was bereits in großen Teilen entlang des 83 km langen Flusslaufs umgesetzt ist und eine aufwändige Trennung von Abwässern und Flusswasser vorsieht. Ähnlich wie im Braunkohlentagebau hat der Steinkohlenbergbau durch Materialentnahmen auch im Ruhrgebiet großflächige Hohlformen an der Ober-
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fläche verursacht, die jedoch hier erst nach den Gewinnungsarbeiten allmählich als Senkungsgebiete entstanden sind. Über weite Teile des Ruhrgebiets sind daher nicht nur die ständigen Wasserhebungen, sondern auch Deichbauten zum Hochwasserschutz in Flussgebieten notwendig. So wurden am Rhein bei Duisburg zwischen 1933 und 1938 bereits Deiche vor der Förderaufnahme der Zeche Walsum aufgeschüttet. Wegen der erwarteten und eingetretenen Senkungen mehrfach erhöht, führte die Berücksichtigung ökologischer Aspekte aufgrund des sensibilisierten gesellschaftlichen Umweltbewusstseins zu einer Rückverlegung der Deiche. Im Bereich der Zeche Walsum entstand zu Beginn der 2000er-Jahre das „OrsoyLand“. Damit wurde ein neuer Lebensraum für Tiere und Pflanzen geschaffen. Beispielsweise Weißstörche, Seeadler und Eistaucher haben den Lebensraum angenommen. Der mit einer Fläche von fast 300 Hektar große Emscherbruch ist der gelungene Modellversuch zur Landschaftsveränderung im industriellen Verdichtungsraum. Das weitläufige Naherholungsgebiet in Nachbarschaft zur Halde Hoheward in Herten ist zum Naturschutzgebiet geworden und gilt mit dem Ewaldsee als eines der schönsten Gebiete im Ruhrgebiet. Weitere Biotope in Bergsenkungsgebieten befinden sich rund um den Beversee in Bergkamen und beim Grabensystem „Im Loh“ in Marl. Ein weiteres Problem, mit dem nach dem aktiven Bergbau umzugehen ist, stellen gesundheitsschädliche Stoffe insbesondere auf ehemaligen Kokereistandorten dar, da diese eine Gefahr für das Grundwasser bedeuten. Teil der Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus ist das Grundwassermanagement, das neben der Überwachung der Grundwasserqualität Bodensanierungen vorsieht. Nicht sanierfähiges Material wird in Umlagerungsbauwerke eingebracht, das kontaminierte Böden durch Verwendung von speziellen Kunststoffdichtbahnen einschließt. Umlagerungsbauwerke befinden sich z. B. auf der ehemaligen Kokerei Emil Emscher in Essen, der Zeche Fürst Leopold in Dorsten oder auf dem Areal Mark 51/7, dem früheren Opel-Werk in Bochum, das auf dem Gelände nach dem Abriss der Zeche und Kokerei Dannenbaum seit Ende der 1950er-Jahre errichtet worden war. Im Gelände zeigen sich die Umlagerungsbauwerke als abgedeckte flache Erhebungen, zuweilen als Park oder Freizeiteinrichtung gestaltet. So kann die Fläche durch die Bezirksregierung als zuständige Ordnungsbehörde aus der Bergaufsicht entlassen und das Gelände der Öffentlichkeit als Naherholungsgebiet zugänglich gemacht werden. Parallel zu den Umlagerungsbauwerken wurden Grundwasserreinigungsanlagen errichtet, die aus abgepumptem und verunreinigtem Grundwasser Teeröltropfen abscheiden und mit Aktivkohlefiltern das Wasser bis zu einer behördlich vorgeschriebenen Einleitqualität reinigen.
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Rekultivierung in den Wismut-Gebieten Als die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut bereits in den 1950er-Jahren in weiten Teilen des Erzgebirges die bergbaulichen Aktivitäten eingestellt hatte, waren die Folgen des Bergbaus verheerend. Es galt nun, offene Grubenräume zu sichern, Tagesbrüche zu verwahren, Halden wiederurbar zu machen und zu rekultivieren, Schlammteiche abzudecken, Aufbereitungsanlagen zurückzubauen und Bergschäden an Gebäuden zu beseitigen. Unter anderem zu diesem Zweck wurden so genannte Bergsicherungen gegründet, so 1957 beispielsweise die Bergsicherung Schneeberg als Abteilung beim Rat der Stadt Schneeberg mit 21 Beschäftigten. Wenige Jahre später wurde sie auf 155 Mitarbeiter aufgestockt und mit Betriebsmitteln wie Kettentraktoren, Raupen, Seilbaggern und LKW ausgestattet. Halden wurden abgetragen und abgeflacht (z. B. die Halde Ritterschacht bei Schneeberg) und 1956/66 der Schlammteich Dänkritz bei Zwickau saniert. Das Aufgabenfeld hatte sich über das Schneeberger Gebiet hinaus auf alle auflässigen Gruben der SDAG Wismut im Westerzgebirge erweitert. Von 1967 bis 1969 war die Sanierung der Haldenmassen am Schneckenstein im Vogtland eines der Großprojekte, die im Dreischichtbetrieb durch die Abteilung Wiederurbarmachung bearbeitet wurden. Schrittweise wurde in dieser Zeit der Betrieb auf 350 Beschäftigte erweitert. Als 1988 die Erweiterung der Bergsicherung Schneeberg zum Leitbetrieb für die Bergsicherungseinrichtungen der DDR durch Ministerratsbeschluss vollzogen, ein eigenes Ingenieurbüro gegründet und die Belegschaft auf 450 Beschäftigte aufgestockt wurde, ahnte vermutlich niemand etwas von den Veränderungen der nächsten Jahre. Die „Wiedervereinigung“ 1990 erforderte eine wirtschaftliche Neuausrichtung und Modernisierung der überalterten Technik. Dem Zugriff durch die Treuhand Gesellschaft Berlin entkam die Bergsicherung durch Streichung aus dem Register der Volkseigenen Wirtschaft. Die Verwaltung ging auf das Referat staatliche Betriebe und Beteiligungen des sächsischen Finanzministeriums über. 1993 wurde der Privatisierungsprozess erfolgreich abgeschlossen durch Integration der Bergsicherung in die Schneeberg Gebhardt & König Gesteinsund Tiefbau GmbH, Recklinghausen, als Zweigniederlassung Schneeberg. 2001 firmierte die Bergsicherung als eigenständige GmbH. Als erstes Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Freistaat Sachsen und der Wismut GmbH sanierte die Bergsicherung Schneeberg den Schurfschacht 60 in Dresden. Zahlreiche weitere Projekte folgten im Umfeld der Hinterlassenschaften der Wismut. 2011 musste die Muttergesellschaft der Bergsicherung Schneeberg GmbH, die Heitkamp Bau Holding GmbH, Insolvenz anmelden. 2012 übernahm die Unternehmensgruppe Feldhaus Schmallenberg im Sauer-
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land den Betrieb als Bergsicherung Schneeberg GmbH & Co. KG, die heute als sächsisches Unternehmen mit 100 Mitarbeiter:innen ihren Firmensitz auf der historischen Kobalterzgrube Fundgrube Weißer Hirsch hat. Dabei handelt es sich um ein Objekt aus dem Ensemble denkmalgeschützter Objekte des UNESCO-Welterbes Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří. Viele der Wismut Altstandorte waren bis zum Ende der DDR nicht einmal annähernd ausreichend behandelt worden, so dass vieles im wahrsten Sinne des Wortes liegen geblieben ist. Für die Sanierung der Altstandorte bestand keine gesetzliche Verpflichtung. Weder der Bund noch der Freistaat Sachsen fühlten sich dafür zuständig, was zu Beginn der 1990er-Jahre auf großes Unverständnis bei der betroffenen Bevölkerung stieß. Selbst hochkontaminierte und strahlenbelastete Standorte blieben zunächst unberücksichtigt, obwohl man davon ausging, dass die Belastungen ähnlich groß sein würden, wie an den bis 1990 betriebenen Standorten. Um einen Überblick über die radioaktive Belastung auf dem Gebiet der Wismut Altstandorte zu bekommen, wurde das Projekt „Radiologische Erfassung, Untersuchung und Bewertung bergbaulicher Altlasten“ (Radiologisches Altlastenkataster – A.LAS.KA) auf den Weg gebracht. Unter der Leitung des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) und der von ihm beauftragten Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mbH (GRS) wurde es im Jahr 2000 abgeschlossen. Mehr als 8000 bergbauliche Hinterlassenschaften in den Bergbaugebieten Sachsens, Thüringens und SachsenAnhalts, die nicht in die Verantwortung der umfangreichen Sanierungsprogramme der Wismut GmbH fielen, wurden untersucht. Es sollten die bergbaulichen Objekte und bergbaulich beeinflussten Flächen identifiziert werden, für die aus Gründen des vorsorgenden Strahlenschutzes Sanierungsmaßnahmen oder Nutzungsbeschränkungen zu erwägen waren. Am Ende der 1990er-Jahre wurden in der Region Breitenbrunn und Johanngeorgenstadt sieben besonders gefährdete Standorte als prioritäre Objekte zusammengefasst. Die Sanierung dieser Standorte begann 2002, drei Jahre später wurde der „Abschlussbericht der Projektsteuerung zur Sanierung der Prioritären Objekte des ehemaligen Uranerzbergbaus in Johanngeorgenstadt und Breitenbrunn“ vorgelegt. Im Zuge der Sanierung der sächsischen Altstandorte wurden bis Ende 2019 von 330 gestellten Anträgen 266 innerhalb von insgesamt 47 Städten und Gemeinden abgeschlossen. Die untertägigen Arbeiten umfassten die Verwahrung von Tagesbrüchen, die Verschließung offenstehender Schächte und Stollen, die Sicherung tagesnaher Grubenbaue sowie die Ertüchtigung der Wasserableitung ehemaliger Uranerzgruben. Die übertägigen Aktivitäten beinhalteten im Wesentlichen die Sanierung radiologischer Altlasten, die Stabilisierung von Halden und die Abdichtung von deren Oberflächen sowie die Beseitigung von Bauwerksresten des Uranerzbergbaus.
Die Kosten für die Sanierung der Altstandorte wurden anteilig durch den Freistaat Sachsen und den Bund getragen. Im Jahr 2003 regelte dann ein Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Freistaat den finanziellen Rahmen für die Sanierung der Altstandorte. Bis 2012 stellte man 78 Mio. Euro für die Sanierung der Altstandorte bereit. Ein ergänzendes Verwaltungsabkommen folgte 2013, und bis 2022 wurden nochmals 138 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Projektiert wurden die Sanierungen durch die Wismut GmbH. Mindestens 50 % der Mittel sollten über öffentliche Aufträge an Fremdfirmen vergeben werden. Das bedeutete Wirtschaftsförderung und Arbeitsplätze für die Region. 2019 folgte ein zweites ergänzendes Verwaltungsabkommen, das die vollständige Sanierung der sächsischen Altstandorte von 2021 bis 2035 durch die Bereitstellung von weiteren 229 Mio. Euro regelt. Besonders problematisch gestalten sich viele Planungsverfahren, weil die betroffenen Liegenschaften sehr verschiedenen Eigentümern gehören und teilweise durch mehrfache Nachnutzungen und Bebauungen überprägt sind. Nach dem Ende der DDR waren die BRD und die UdSSR übereingekommen, die Geschäftstätigkeit und damit den Uranerzbergbau zum 1. Januar 1991 einzustellen. Die UdSSR übertrug ihre Anteile an die Bundesrepublik. Durch Inkrafttreten des Wismut Gesetzes vom 12. Dezember 1991 wurde die SDAG Wismut in eine Gesellschaft deutschen Rechts umgewandelt. Die Wismut GmbH entstand mit der Aufgabe, die Stilllegungs- und Sanierungsarbeiten bei den Hinterlassenschaften durchzuführen. Die Aufgaben der Wismut GmbH umfassten: – Stilllegung der Bergwerke – Flutung der Gruben – Wasserreinigung – Demontage und Abbruch kontaminierter Anlagen und Gebäude – Sanierung von Halden und Schlammteichen – Umweltüberwachung Den Bergbau- und Betriebsschwerpunkten der SDAG Wismut bis 1990 entsprechend verteilen sich auch die Sanierungsschwerpunkte auf die Gegend von Ronneburg, die Aufbereitungsstandorte von Seelingstädt und Crossen/Helmsdorf, die Gegenden von Königstein, Dresden-Gittersee, Bad Schlema und Pöhla. Das umfangreichste Projekt mit hoher Priorität galt nach 1990 dem Tagebaurestloch Lichtenberg mit einem offenen Volumen von 84 Mio. m3. Zudem befanden sich rund um Ronneburg 38 Tagesschächte, drei Stollen und Grubenbaue mit einer Länge von 1043 km. Auf 16 Halden lagerten etwa 188 Mio. m3 radioaktiv kontaminiertes Bergematerial. Die Bergbautätigkeit hatte zudem einen 50 km2 großen Grundwasser-Absenkungstrichter hinterlassen. Als Landschaft stand das Tagebau-Gebiet nicht mehr zur Verfügung. Zudem gingen von dem 150 m tiefen, 1600 m langen und fast 1 km breiten Loch, in das lediglich aus umliegenden Schäch-
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ten Material eingebracht wurde, in Verbindung mit den umliegenden Halden auch zahlreiche Gefahren aus. An den Böschungen hatten sich schon beachtliche Rutschungen ergeben, die Standfestigkeit der Böschungssysteme war langfristig nicht gesichert und die in den Tagebau zurückgekippten Gesteine enthielten radioaktive Bestandteile, die Luft und Wasser beeinflussen konnten. Es wurde beschlossen, den Tagebau mit dem Material der umliegenden fünf Haldenkomplexe (Gessenhalde, Nordhalde, Absetzerhalde, Kegelhalden Reust und Kegelhalden Paitzdorf) systematisch zu verfüllen. In das Tagebautiefste wurde zur Säurebildung neigendes Material eingebacht, da sich diese Zone A nach einem Grundwasseranstieg unterhalb des Grundwasserspiegels befinden würde, wodurch Oxidationsprozesse weitgehend ausgeschlossen werden konnten. Nicht säurebildendes Material mit großen Anteilen an Kalkgestein war für die oberflächennahe Zone C vorgesehen. Das übrige Material mit nicht klaren Eigenschaften kam zur Einlagerung in die sauerstoffarme mittlere Zone B, die oberhalb des künftigen Grundwasserspiegels lag. Mehr als 18 Jahre lang rollte eine Flotte von Muldenkippern über eine eigens dafür hergestellte Transporttrasse, um die Halden in den Tagebau umzulagern (Abb. 10). Bis zu 40 000 m³ Material wurden täglich bewegt. Zudem wurde radioaktiv kontaminiertes (Bau-)Material aus den Sanierungsmaßnahmen am Standort Ronneburg in den Tagebau umgelagert. Die Gessenhalde (Umlagerungsvolumen 7,6 Mio. m3), als Erzlaugungshalde hochproblematisch belastet und dadurch mit allerhöchster Priorität zu behandeln, wurde bis 1995 in das Tagebautiefste (Zone A) umgelagert. Die Absetzerhalde (Umlagerungsvolumen 70,1 Mio. m3) war mit einer Aufstandsfläche von 225 Hektar die größte Halde des Ostthüringer Bergbaugebiets. Die Umlagerung erfolgte im Zeitraum von 1993 bis 2006. Problematisch waren endogene Brände, was eine Wasserkühlung und damit den ständigen Einsatz von Wasserfahrzeugen auf den Abtrags- und Auftragsflächen notwendig machte. Erst 1998 wurde damit begonnen, die Nordhalde (Umlagerungsvolumen 31,3 Mio. m3) abzutragen. Über 50 % des Materials waren stark säurebildend, so dass ein anfängliches Konzept zur Haldenabdeckung verworfen werden musste. Das Material wurde bis 2003 systematisch in den Tagebau umgelagert. Die Kegelhalden Reust (Abtragungsvolumen 6,4 Mio. m3) überragten mit über 100 m Höhe die Region. Mögliche Staubabwehungen, Radonaustritte, mangelnde Standsicherheit und ausgehende Gefahren über den Wasserpfad waren sämtlich Argumente, mit dem Material der aufgrund ihrer Form so genannten Pyramiden von Ronneburg von 2004 bis 2007 das Tagebaurestloch zu füllen. Innerhalb von zwei Jahren wurde von 2005 bis 2006 mit den Kegelhalden Paitzdorf (Umlagerungsvolumen 8 Mio. m3) auch das letzte von Weitem sichtbare Zeugnis des Ostthüringer Uranabbaus abgetragen. Die Abtragungen der Doppelspitzkegelhalden Reust und Paitzdorf, die markante Landmarken bilde-
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ten, wurden von der Bevölkerung durchaus auch als Einschnitte empfunden. Insgesamt wurde das Material von 12 Halden mit einem Gesamtvolumen von über 126 Mio. m3 in das Tagebaurestloch umgelagert. Die anschließende Abdeckung des Aufschüttkörpers musste die Reduzierung der durch Niederschlagwasser bedingten Infiltration und des Sauerstoffzutritts sowie den Erosionsschutz und die Standsicherheit gewährleisten, daneben aber auch für eine Nutzung mit einem langfristigen Bewuchs geeignet sein. Radonaustritte und ein Direktzugriff auf kontaminiertes Material mussten minimiert bzw. verhindert werden. Es entstand eine neue Landschaft mit Lebensräumen für Flora und Fauna, die bereits 2007 einer der Austragungsorte der Bundesgartenschau (BUGA) war. Zur neuen Landmarke wurde die Schmirchauer Höhe mit einem 20 m hohen Grubengeleucht auch als Erinnerungsort an das dem Tagebau zum Opfer gefallene Dorf Schmirchau. 2018 wurde die Endabdeckung des Aufschüttkörpers fertiggestellt. Während man bei den Halden um Ronneburg die Strategie der Abtragung verfolgte, wurde für andere Halden das Konzept der insitu-Verwahrung (vor Ort-Verwahrung) umgesetzt. Dazu sind prinzipiell dieselben Kriterien zu erfüllen, wie für den genannten Aufschüttkörper. In verschiedene Halden wurden auch kontaminierte Materialien aus dem Rückbau von Gebäuden und Anlagen, Rückstände aus Wasserbehandlungsanlagen etc. deponiert. Die Wiedernutzbarmachung sieht als Ziel den Waldbewuchs und Grünflächen vor. Handlungsbedarf bestand auch für die hochproblematischen industriellen Absetzanlagen (IAA) schon kurze Zeit nach der Betriebseinstellung. In die Schlammteiche der Anlagen Culmitzsch, Trünzig und Helmsdorf/Dänkritz I wurden jahrzehntelang die Aufbereitungsrückstände über Rohrleitungen eingespült
Abb. 10: Modell eines Muldenkippers Caterpillar 777 D, 2005 (montan.dok 037000758001 / Norscot Group Inc.)
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Abb. 11: Drainagebohrung IAA Culmitzsch. Zwischenabdeckung mit Geotextil und Geogitter sowie Einbringen der letzten Flachdrains, 2016 (Wismut GmbH / Thomas Ackermann)
und bildeten freiliegende Spülstrände aus Tailings. In den ersten Jahren mussten Sofortmaßnahmen zur Gefahrenabwehr erfolgen. Die Spülstrände wurden mit mineralischen Böden bedeckt, um ein Abwehen radioaktiver Stäube zu reduzieren. Oberflächengewässer und Grundwasserleiter mussten durch erweiterte und neue Sickerwasserfassungen geschützt werden. In dieser Zeit wurden die Konzepte zur Verwahrung dieser Anlagen erst entwickelt. Das auf ökologischen und wirtschaftlichen Abwägungen basierende und letztlich umgesetzte Konzept beruht auf einer trockenen Verwahrung der Absetzanlagen (Abb. 11). Die Sanierungsarbeiten waren Ende 2020 bereits weit vorangeschritten. Allein für die Zwischenabdeckungen wurden für die Absetzanlagen Trünzig 1,1 Mio. m3, Culmitsch 3,7 Mio. m3 und Helmsdorf/Dänkritz I 2,9 Mio. m3 Haldenmaterial, Kies und Sand aufgebracht. Die Zwischenabdeckungen konnten für die IAA Culmitzsch 2006 (Becken A) und 2017 (Becken B) fertiggestellt werden. Nach dem Aufbringen von rund 6,5 Mio. m3 Haldenmaterial für Konturierung und Endabdeckung bis 2013 ist die Sanierung der IAA Trünzig weitgehend abgeschlossen. Ebenso sind die IAA Helmsdorf und Dänkritz I fast vollständig saniert. Die Arbeiten an der größten IAA Culmitzsch sind bis 2028 geplant. Gegenwärtig werden die Becken A und B konturiert, wobei dies für das Becken B bis auf eine
Restfläche abgeschlossen ist. Bis zum Ende der Maßnahme sollen dafür rund 32 Mio. m3 Material aufgetragen werden. Final ist die Aufforstung eines Mischwaldes vorgesehen. Die Oberflächengestaltung sieht für die IAA eine Entwässerung in zum Teil renaturierte Bäche in der Umgebung vor. Wegen einer potentiellen Belastung mit Schadstoffen oder radioaktiver Kontamination steht der umweltgerechte Umgang mit Wasser bei sämtlichen Sanierungsmaßnahmen im Mittelpunkt der Maßnahmen. So sieht das Konzept der Verwahrung der Gruben in Ronneburg, Schlema-Alberoda, Pöhla, Königstein und Dresden-Gittersee die kontrollierte Flutung durch Abschalten der Pumpen vor. Durch den unterirdischen Einbau von Dämmen, die Verfüllung von Strecken und das Auffahren von Stollen wird das Grubenwasser kontrolliert geleitet. Aufsteigende Grubenwasser werden gefasst und vor der Einleitung in Vorfluter in Wasserbehandlungsanlagen gereinigt. Gleiches gilt für die aus den abgedeckten IAA austretenden Sickerwässer. Schwermetalle, Uran, Radium und Arsen werden so isoliert und immobilisiert. Fasst man die Ergebnisse der Sanierungen auf wenige wesentliche Fakten zusammen, so wurden bis Ende 2020 allein am Standort Schlema-Alberoda 55 Schächte standsicher und 247 000 m3 oberflächennahe Grubenräume verfüllt. Aus der Grube Königstein,
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in der die in situ-Erzlaugung ab 1984 als Gewinnungsmethode durchgeführt worden war, wurden seit der Inbetriebnahme einer Wasserbehandlungsanlage im Jahr 2001 rund 69 Mio. m3 Flutungswasser behandelt. Am 01. Juni 2021 hat unter großem Medieninteresse der letzte deutsche Uran-Transport das Gelände der Wismut am Standort Königstein verlassen. 19,5 Tonnen eines Gemisches aus Wasser und Uran(oxid), das bei der Wasserreinigung am Standort Königstein abgetrennt worden war, wurde unter behördlicher Aufsicht verkauft und abtransportiert. Von den 58 zu sanierenden Halden an den Standorten Ronneburg, Schlema, Seelingstädt, Pöhla, Königstein, Dresden-Gittersee und Crossen mit einer Fläche von 365 Hektar wurden 350 Hektar bis Ende 2020 in unterschiedlichen Verfahren saniert. Das größte Haldenvolumen wurde in den Tagebau Lichtenberg umgelagert. Die Arbeiten sind mit der Renaturierung zum großen Teil beendet. Der fortgeschrittene Sanierungsstand spiegelt sich durch deutlich gesunkene Radonkonzentrationen in der Luft wieder. Dennoch bleiben vielfältige Aufgaben, die als Langzeitaufgaben bezeichnet werden. Dazu zählen neben der Sicherung und Instandhaltung offener Grubenbaue die Kontrolle und Pflege von Flächen, Objekten und Anlagen sowie ein komplexes Informations- und Wissensmanagement. Vor allem die umweltrelevante Wasserfassung und -behandlung sowie die Langzeitüberwachung der Sanierungsauswirkungen bestehen als wichtige Aufgaben fort.
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Michael Ganzelewski
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IV.4 Auf (dem Weg) zur Umweltunion – Umweltpolitik und Umweltbewusstsein in Deutschland nach 1945
Abb. 1: Bei der Bessemerbirne handelt es sich um einen Konverter, an dessen Unterseite sich Luftöffnungen befinden. Sie erlaubte erstmals eine dem Industriezeitalter angemessene Herstellung von Stahl (Kustodie der TU Bergakademie Freiberg)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-014
Torsten Meyer, Michael Farrenkopf
Industrielle Umweltprobleme Einleitung Um 1800: In England nehmen die Konturen der modernen Industriegesellschaft immer sichtbarere Züge an. In dem aus zahlreichen Klein- und Kleinststaaten bestehenden Deutschen Reich ist hiervon noch nichts zu spüren, neidvoll schauen die Zeitgenossen auf die großbritannische Technik. Um 1913: Das seit 1871 geeinte Deutsche Reich hat das viel bewunderte Mutterland der Industrie, Großbritannien, in richtungsweisenden Industriezweigen, so dem Maschinenbau, der Elektrotechnik oder der optischen und chemischen Industrie, überholt. Der industrielle Spätstarter ist zu einem Industrialisierungsgewinner geworden.
Da es im Folgenden nicht darum gehen kann, diese Erfolgsgeschichte und ihre Gründe en détail zu erörtern, seien hier nur einleitend einige genannt. Mit der Reichseinigung 1871 entfielen die zahlreichen, den Handel behinderten Binnenzölle. Eine wirtschaftsliberale Politik unterstützte die sich entfaltende Industrie, Industriespionage und Anwerbung von Fachkräften taten ihr Übriges. Und auch der Auf- und Ausbau technischer Bildungsinstitutionen, wie den Polytechnika, den Vorläufern heutiger Technischer Universitäten, oder den Gewerbeschulen, wirkte auf diese Entwicklung positiv ein, ja, sollte ein Bild prägen, jenes der typisch-deutschen verwissenschaftlichten Technik. Seinen ausdrucksstarken Niederschlag fand dies beispielsweise in der optischen Industrie (Abb. 2). Nicht vergessen werden darf auch der vergleichsweise rasche Ausbau des modernen Infrastrukturnetzes, der Eisenbahn, das zu einer Verdichtung des Raums und zur Durchsetzung des modernen Zeitregimes beitrug. Und da wir uns im Nachstehenden hauptsächlich auf industrielle Umweltprobleme konzentrieren, finden auch die sozialen Verwerfungen, die bekanntermaßen von Karl Marx und Friedrich Engels, aber auch von christlich denkenden Bürgerlichen, gebrandmarkt wurden, nicht ihren gebührenden Ort. So muss an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass die Industrialisierung mit dem althergebrachten Prinzip der vormodernen Ständegesellschaft radikal brach und die moderne Klassengesellschaft hervorbrachte. Um die Bedeutung des Industrialisierungsprozesses knapp zu verdeutlichen, erörtern wir in gebotener Kürze zunächst seine umwelt- und technikhistorischen Dimensionen, wobei bewusst nur eine knappe Auswahl relevanter Innovationen angesprochen wird. Hieran anschließend blicken wir auf die Strukturen des Umgangs mit industriellen Umweltproblemen. Das Hauptaugenmerk gilt dabei den Umweltmedien Luft und Wasser, nimmt doch der Boden aufgrund der
Abb. 2: Die Herstellung im Bereich der Mikroskop-Optik beruhte bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auf handwerklichem Erfahrungswissen, was zu einer hohen Schwankung der Qualität führte. Carl Zeiss (1816–1888) beschritt hier neue Wege, indem er mit dem Physiker Ernst Abbe (1840–1905) zusammenarbeitete. Im Ergebnis führte dies zu einer gleichbleibenden, seriellen Qualität der hergestellten Produkte, undatiert (Deutsches Museum, München, 62028 / Konrad Rainer)
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Torsten Meyer, Michael Farrenkopf
inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Ausstellung und des Begleitbands bereits hinreichend Raum ein. Hinsichtlich der industriellen Luftverschmutzungen konzentrieren sich die Ausführungen auf charakteristische, wirkmächtige technische Lösungsversuche, so den Bau immer höherer Essen (Schornsteine), der so genannten Hochschornsteinpolitik, und der Rauchgasentschwefelung, die eine typische „end of pipe technology“ darstellt. Damit sind technologisch additive Umweltschutzmaßnahmen gemeint, die nicht den Produktionsprozess selbst verändern, sondern die Umweltbelastung durch nachgeschaltete Maßnahmen verringern. Am Beispiel des Wassers kann verdeutlicht werden, dass Umweltprobleme des Industriezeitalters eng verknüpft sind mit dem Feld der Hygiene, als Beispiel hierfür dient die Cholera-Epidemie in Hamburg im Jahr 1892. Massive Eingriffe erfuhren die Flüsse, die nicht nur zu Vorflutern degradiert, sondern kanalisiert und verlegt wurden, was wir an Hand der Flussbiographie der Schwarzen Elster, dem zentralen Fluss im Lausitzer Braunkohlenrevier, darstellen. Den Abschluss unserer Skizze bildet der Prozess der Verwissenschaftlichung, die Herausbildung von umweltrelevanter Expertise. Den Auftakt setzt der in der Umweltgeschichte oft thematisierte „Freiberger Hüttenrauch“, hieran anschließend blicken wir auf die „Königliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung“, die allgemeiner bekannt ist unter ihrem späteren Namen „Preußische Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene“.
Industrialisierung In der Forschung werden die Begriffe „Industrielle Revolution“ und „Industrialisierung“ oft synonym genutzt, gleichwohl setzten sie andere Akzente – Industrielle Revolution betont die Zäsur, die sich in Europa und Amerika seit der Mitte des 18. Jahrhunderts abzeichnete, Industrialisierung hingegen eher den Prozess, der einerseits auf vorangegangenen, technischen Entwicklungen beruhte, andererseits sich über mehrere Jahrzehnte, gar ein Jahrhundert hinzog. Es scheint eine gewisse Plausibilität zu haben, den Begriff „Industrielle Revolution“ nur mit Blick auf die englische Entwicklung zwischen circa 1760 und 1850 zu nutzen, der nur eine räumlich und zeitlich klar abgrenzbare Teilepoche der Industrialisierung darstellt. Für unsere Belange reicht es aber hin, nur von Industrialisierung zu sprechen, da wir vor allem auf Deutschland abzielen. Der Begriff selbst lässt sich nicht auf technische Innovationen reduzieren, gleichwohl sie hier prominenter aufgegriffen werden. Er meint vielmehr unterschiedliche Aspekte, die die moderne Lebenswelt prägen. Aus dieser Vielzahl seien hier nur drei prominente Beispiele genannt: Erstens markiert die Industrialisierung den Übergang des solaren in das fossile Energiezeitalter,
nicht umsonst geht aktuell die Rede über einen fossilen Kapitalismus umher. An die Stelle der Energieträger Sonne, Wasser und Wind traten Kohlen, Erdöl und -gas. In ökonomischer Hinsicht veränderte sie zweitens die volkswirtschaftliche Struktur markant, gemeint ist, dass die Wertschöpfung nicht mehr vom primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft), sondern vom sekundären Sektor (Industrie und Bergbau) dominiert wurde, wobei wir im 20. und 21. Jahrhundert einen neuen Wandel verzeichnen, der sich in der steigenden Wertschöpfung des tertiären Sektors (Handel und Dienstleistungen) widerspiegelt. Zum Dritten bedeutete Industrialisierung auch Urbanisierung. Bestehende Städte wuchsen immer stärker, was im 19. Jahrhunderts dazu führte, dass noch bestehende mittelalterliche und frühneuzeitliche Stadtbefestigungen geschliffen werden mussten, um Raum für die Expansion zu schaffen. Es entstanden außerdem viele neue Städte. Die Stadt wurde zum dominanten Lebens- und Wohnort der Industriegesellschaft, wenngleich auch das Land von diesem Prozess nicht unberührt blieb. Einen Startpunkt des Zeitalters von „Kohle und Stahl“ bildet das Jahr 1709, in dem es dem englischen Hüttenbesitzer Abraham Darby (1676–1717) in Coalbrookdale gelang, Steinkohlenkoks an Stelle der seit Jahrhunderten gebräuchlichen Holzkohle für die Verhüttung von Eisenerz einzusetzen. Allerdings sollte sich das Kokshochofenverfahren erst seit den 1780erJahren in England durchsetzen. Geschuldet war dies den hohen Produktionskosten des Steinkohlenkokses, die erst seit den 1760er-Jahren sanken. In die 1780erJahre fiel eine weitere Erfindung, die gut einhundert Jahre die Eisenindustrie dominierte: das 1784 von dem englischen Marineausstatter Henry Cort (1740–1800) patentierte Puddeln. Dieses auch als Flammenofenfrischen bezeichnete Verfahren hatte längerfristig zur Folge, dass das Walzen das Schmieden verdrängte. Mochte das Puddeln zwar die Erzeugung von Schmiedeeisen in England „vom Gängelband der Holzkohle“ (Paulinyi, S. 128) befreit haben, so wurde es im Verlauf des 19. Jahrhunderts angesichts technischer Verbesserungen des Hochofenprozesses zum technischen Nadelöhr. Es sollte Henry Bessemer (1813–1898), ein englischer Erfinder und Ingenieur, sein, dessen 1856 patentierte so genannte Bessemerbirne es erlaubte, gussfähigen Stahl als Massenprodukt günstig herzustellen. Besonders geeignet war das Verfahren für phosphorarme Eisenerze, diese waren in Deutschland selten. Und so legte dann das 1864 erfundene SiemensMartin-Verfahren, benannt nach den Brüdern Friedrich und Wilhelm Siemens sowie dem französischen Hüttenfachmann Pierre-Émile Martin (1824–1915), das die Stahlproduktion bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte, die Basis für die deutsche Stahlproduktion. Als die Schlüsselinnovation des beginnenden Industriezeitalters wird immer noch des Öfteren die Dampfmaschine genannt, die zunächst vor allem für
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Abb. 3: Leitspindeldrehmaschinen waren eine Schlüsselinnovation, da das Werkstück nicht mehr vom Dreher bearbeitet werden musste, sondern er nur noch für dessen Vorschub verantwortlich war. Die von der Chemnitzer Firma Hermann & Alfred Escher AG hergestellte Flachbett-Leitspindeldrehmaschine steht in dieser Tradition, um 1920 (Industriemuseum Chemnitz, W1/075 / Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik Johann Zimmermann Werke / Dirk Hanus)
die Wasserhaltung im Steinkohlenbergbau eingesetzt wurde. Seit 1712 lässt sich die atmosphärische Dampfmaschine von Thomas Necomen (1663–1729) in den nordöstlichen Kohlenrevieren und in Schottland nachweisen, ihr immenser Kohlenbedarf machte ihren Einsatz dabei standortgebunden. Erst mit der doppeltwirkenden Dampfmaschine von James Watt (1736–1819), die aus zahlreichen Optimierungen der Necomen-Maschine in den 1780er-Jahren hervorging, war ein Grundstein gelegt, diesen Universalmotor der Großen Industrie standortunabhängiger in die Praxis einzuführen. Das um 1800 in größeren Mengen verfügbare Eisen veränderte den Maschinenbau als Konstruktionsmaterial nachhaltig, es ersetzte das bisher genutzte Holz und erlaubte den Bau langlebiger und präziserer Maschinenteile: eine wichtige Voraussetzung für die maschinelle Ausführung bislang nicht mechanisierter Arbeitsschritte. Besonders bedeutsam für den frühen Werkzeugmaschinenbau war der britische Autodidakt Henry Maudslay (1771–1831), der um 1800 eine Reihe revolutionärer Maschinen in die Praxis einführte, so die Schraubenschneidemaschine (Abb. 3), die bereits mit einer Leitspindel arbeitete (1797). Maudslays Werkstatt bzw. Fabrik beeinflusste nicht nur nachhaltig die Entfaltung des englischen Maschinenbaus im frühen
19. Jahrhundert, sondern fungierte auch als Ort des Wissenstransfers. Diese Entwicklung begünstigte auch die fortschreitende Maschinisierung in der Textilindustrie, dem frühindustriellen Leitsektor, so beispielsweise mit immer leistungsfähigeren Maschinenwebstühlen, einer Erfindung des Geistlichen Dr. Edmund Cartwright (1743–1823) aus dem Jahr 1786, oder der so genannten Mule, einer Universalspinnmaschine, die 1779 von dem Weber Samuel Crompton (1753–1827) in die Praxis eingeführt worden war. Für die Entstehung des Maschinenbaus in den deutschen Staaten waren hochspezialisierte Handwerker:innen zunächst von Bedeutung, sie stellten das Gros der frühen Unternehmer:innen in diesem Sektor. Wichtig waren auch die angeworbenen Spezialisten:innen aus England. Vom industriellen Aufschwung seit den 1850er-Jahren profitierte die Branche erheblich. Die Unternehmen wuchsen zu Großbetrieben, so beschäftigte die bekannte sächsische Maschinenfabrik J. Zimmermann, die ihren Standort in Chemnitz hatte, bereits vor 1871 gut 1300 Arbeiter:innen. Die Branche spielte in Deutschland nach der Reichseinigung von 1871 eine herausragende Rolle, avancierte zum industriellen Führungssektor. Nunmehr wirkte sich auch die Kooperation zwischen Wissenschaft und
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Abb. 4: Den Durchbruch für die elektrische Beleuchtung sollte die Tantal-Glühbirne der Firma Siemens & Halske bringen, die 1903 erstmals in Serie gefertigt wurde. Mit dem Ersatz des bislang genutzten Kohlenfadens in den Glühbirnen durch einen aus dem Metall Tantal verlängerte sich unter anderem die Lebensdauer erheblich, undatiert (Siemens Historical Institute)
Technik immer positiver aus. Prägend wurden zwei unterschiedliche Entwicklungstrends, die durch Spezialisierung und Marktnähe bestimmt waren. Sachsen, ein wichtiges Zentrum des Maschinenbaus, zeichnete sich vor allem durch fortschreitende Spezialisierung aus. Konzentrationstendenzen, wie sie in der Schwerindustrie stattfanden, fanden im Maschinenbau nicht statt, so wies 1913 beispielsweise allein das sächsische Chemnitz 156 Maschinenfabriken auf. Die wirtschaftliche und technische Dynamik, die Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erfasste und die nach 1871 in einen ungebremsten Fortschrittsoptimismus mündete, dem auch die Konsolidierungsphase nach der Wirtschaftskrise (Gründerkrise) von 1873 wenig anhaben konnte, offenbart sich auch in anderen Branchen, so in der chemischen und elektrotechnischen Industrie. Nahm die moderne Chemieindustrie ihren Ausgangspunkt in der Produktion von Schwefelsäure und Soda, so löste die Teerfarbenchemie, deren Charakteristikum die Gewinnung von Farbstoffen aus dem Restprodukt Kohlenteer ist, einen Wachstumskurs in der deutschen chemischen Industrie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aus, der sich auch auf die Herstellung von Düngemitteln stützte. Kennzeichnend für die deutsche Chemieindustrie wurde die enge
Kooperation von Theorie und Praxis, die Unternehmen richteten eigene Forschungslaboratorien ein. Die Fabriken siedelten sich zunehmend an Flüssen an, war hier doch zum einen die Versorgung leichter, zum anderen benötigte man Wasser für die Kühlung und nicht zuletzt konnten die anfallenden Schadstoffe abgeleitet werden, mit erheblichen Folgen für die Umwelt. Darüber hinaus fanden regionale Konzentrationsprozesse in der Branche statt, so beispielsweise im RheinMain-Gebiet oder im nördlichen Rheinland und um die Reichshauptstadt Berlin. Spielten Entdeckungen deutscher Chemiker für die Teerfarbenchemie bereits eine wichtige Rolle, hier sei nur an Grundlagenforschungen von Friedlieb Ferdinand Runge (1794–1867) und August Wilhelm Hofmann (1818–1892; seit 1888 ‚von‘) erinnert, so verbindet sich die elektrotechnische Industrie auch heute noch mit dem Namen Werner Siemens (1816–1892, seit 1888 ‚von‘). Siemens hatte 1847 mit dem Mechaniker Georg Halske (1814–1890) die gemeinsame Firma Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske in Berlin gegründet. Elektrische Telegrafie wurde zu diesem Zeitpunkt immer wichtiger für die Nachrichtenübermittlung aber auch im Bereich des sich etablierten Eisenbahnwesens. 1856/57 stellte Siemens eine magnetelektrische Maschine vor, die eine bessere Ausnutzung des Magnetismus erlaubte und sich rasch verbreitete; 1866 folgte die elektrodynamische Maschine, die eine kostengünstige Erzeugung großer Ströme erlaubte. Diese setzte sich aber erst zeitverzögert am Markt durch, da sie zum einen in der Anschaffung und im Unterhalt teuer war, zum anderen gewisse technische Probleme barg, so „die unerwünschte Umwandlung von Arbeit in Wärme“ (Lindner, S. 125). Dennoch darf sie als die Basiserfindung der elektrotechnischen Industrie bezeichnet werden. Und eine weitere Entwicklung der Firma muss hier noch genannt werden, die 1903 erstmals seriell gefertigte Tantal-Glühbirne, die den Siegeszug der elektrischen Beleuchtung einleitete (Abb. 4).
Wasser – Cholera und Schwarze Elster Hamburg, 24. August 1892: Der bekannte Arzt, Bakteriologe und spätere Nobelpreisträger Robert Koch (1843–1910), seit 1891 Leiter des „Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten“ in Berlin, stellt konsterniert fest: „Meine Herren, ich vergesse, daß ich in Europa bin …“, als er inmitten der in der Hansestadt wüteten Choleraepidemie das Hamburger Gängeviertel, ein baulich hochverdichtetes, in der Alt- und Neustadt gelegenes und von Menschen mit mittleren und geringen Einkommen bewohntes Quartier, in Augenschein nimmt.
Im 19. Jahrhundert brachen in Europa Choleraepidemien immer wieder aus, doch jene, die Hamburg 1892 heimsuchte, sorgte in ganz Europa für Aufsehen
Industrielle Umweltprobleme
(Abb. 5). Um Kochs Ausspruch besser einordnen zu können, lohnt sich zunächst ein Blick zurück in das Jahr 1842 – das Jahr, in dem die mittelalterliche Stadt durch den „Großen Brand“ (05.–08. Mai 1842) fast gänzlich zerstört worden war. Mit den Plänen zum Wiederaufbau beauftragte der Senat den Hamburger Architekten Alexis de Chateauneuf (1799–1853), den Dresdner Architekten Gottfried Semper (1803–1879), einen gebürtigen Hamburger, dessen Entwurf allerdings nicht umgesetzt wurde, und den englischen Ingenieur William Lindley (1808–1900). Lindley hatte sich bereits 1833 in Hamburg aufgehalten, dies war seit 1838 erneut der Fall, war er doch als Ingenieur an den Bauplanungen der Eisenbahnstrecke zwischen Hamburg und Bergedorf beteiligt. Bereits vor dem „Großen Brand“ hatte die Stadtregierung Lindley mit den Planungen für eine neue „Stadtwasserkunst“, also einem städtischen Wasserversorgungs- und -entsorgungssystem, beauftragt. Für diese Planungen erwies sich der „Große Brand“ als Chance zur Umsetzung einer ‚revolutionären‘ Erneuerung der städtischen Wasserinfrastruktur. Dieses Attribut ist insofern angemessen, als Lindley die ersten unterirdisch verlaufenden Abwasserkanäle auf dem europäischen Festland projektierte und realisierte. Sein Sielsystem bestand aus Ziegelmauerwerk und war begehbar. Die Abwässer wurden in die Elbe eingeleitet, ging Lindley doch davon aus, dass die Fließgeschwindigkeit des Flusses sie zügig verteilen würde; er setzte also auf die so genannte Selbstreinigungskraft des Flusses. Die Elbe diente auch zur städtischen Wasserversorgung, ihr Wasser wurde in einem Wasserturm, in Rothenburgsort gelegen, in Ablagerungsbecken geklärt. Sowohl die Ortswahl als auch die eingesetzte Trinkwasseraufbereitungstechnologie waren problematisch. Zum einen nahm die Aufbereitungsanlage bei Flut stark verschmutztes Wasser auf. Zum anderen
Abb. 5: Im 19. Jahrhundert flammten Choleraepidemien in europäischen Städten aufgrund hygienischer Umstände immer wieder auf. So wurde die Stadt Hamburg 1831/32 von einer solchen getroffen. Eine geprägte Gedenkmedaille erinnerte an das überstandene Ereignis, 1832 (Stiftung Historische Museen Hamburg, Museum für Hamburgische Geschichte, MK 1959, 75-749a / Loos)
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entsprach sie nicht mehr dem zeitgenössischen Stand der Wasseraufbereitungstechnologie, die von Lindley auch empfohlen wurde. Wie nachteilig vor allem die umgesetzte technische Lösung war, offenbarte sich bereits in den 1850er-Jahren: Der Wasserverbrauch der wachsenden Stadt stieg kontinuierlich an, die Verweildauer des Wassers in den Ablagerungsbecken musste dementsprechend verkürzt werden, die Qualität des Wassers wurde schlechter. Wiederum versuchte Lindley die Stadt davon zu überzeugen, eine Sandfiltration zu bauen, und er scheiterte damit erneut aus Kostengründen. Selbst als die prekäre Situation der städtischen Wasserversorgung in den folgenden Jahrzehnten unübersehbar wurde, verschob der Senat noch 1872 den Bau einer solchen Anlage aus Kostengründen. Erst ein Jahr bevor die Cholera in der Stadt ausbrach, wurde mit der Erneuerung des Wasserversorgungssystems begonnen – zu spät, wie der Sommer 1892 zeigen sollte. Der Sommer 1892 war ein heißer, die Pegelstände der Elbe waren niedrig, die Wassertemperatur lag bei geschätzten 22 Grad Celsius. Dies waren günstige Rahmenbedingungen für die Cholerabakterien, sich zu vermehren und zu verbreiten. Eingeschleppt wurde die Cholera scheinbar von russischen Auswanderern, die im Hamburger Hafen Zwischenstation auf dem Weg in die USA einlegten. Dass allerdings zwischen dem 16. August und 19. September 1892 rund 8600 Menschen an der Krankheit starben, dies entspricht gut 50 % der knapp 17 000 Infizierten, ist auf mehrere Faktoren rückführbar (Abb. 6). Die skizzierten natürlichen Bedingungen spielten sicherlich eine Rolle, hinzukam, dass die Mediziner der Stadt nicht mit den von Robert Koch entwickelten Methoden zum Nachweis des Bakteriums vertraut waren und zögerten, die Diagnose Cholera zu stellen. Der Senat wiederum drückte sich davor, den Ausbruch zeitnah zu verkünden, fürchtete er doch erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die Stadt. Als er sich am 23. August, eine Woche nach dem ersten Choleratoten, zu diesem Schritt entschloss, war es bereits zu spät, denn die Bakterien strömten bereits durch die Wasserversorgung. Wie wichtig dieser Faktor für die rasante Verbreitung des Bakteriums war, zeigt ein Vergleich mit der preußischen Nachbarstadt Altona, die über moderne Wasseraufbereitungsanlagen verfügte und nur von wenigen Fällen betroffen war. Kurzum: Die Choleraepidemie in Hamburg 1892 spiegelt nicht nur wider, wie relevant die Instandhaltungen und Erneuerungen städtischer Infrastrukturen sind, sondern auch, dass Wasserhygiene eine stetig wichtiger werdende kommunale Aufgabe der sich entfaltenden Industriegesellschaft war. Die Schwarze Elster ist der wichtigste Fluss im Lausitzer Braunkohlenrevier. Sie steht hier stellvertretend für das industrielle ‚Leben‘ von Flüssen. Die Schwarze Elster ist 178 km lang, 67,5 km liegen in Brandenburg. Ihr Quellgebiet befindet sich im sächsischen Lausitzer Hügelland, und sie mündet in Sachsen-Anhalt in die
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Abb. 6: Der Künstler Alfred Mohrbutter (1867–1916) malte während der Choleraepidemie in Hamburg unter anderem dieses gespensterhafte, visionäre Bildnis einer Cholerakranken, 1892 (Stiftung Historische Museen Hamburg, Museum für Hamburgische Geschichte, 1980,4 / Alfred Mohrbutter)
Elbe. Hochwasserereignisse bildeten den Auslöser für die Regulierung des Flusses in der Frühen Neuzeit, dies führte unter anderem zum Bau des „Neuen Grabens“ im Jahre 1584, um so die Hochwasser schneller abführen zu können. Bereits im 18. Jahrhundert erwog die sächsische Regierung weitreichende Regulierungsmaßnahmen, die nicht umgesetzt wurden, 1812 legte sie einen Regulierungsplan für die Schwarze Elster vor. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts intensivierte die preußische Regierung, mit dem Wiener Kongress 1815 waren große Teile des Flusseinzugsgebiets an Preußen gefallen, die Meliorations- und Regulierungsmaßnahmen. 1852 wurde dann das „Gesetz, betreffend der Melioration der Niederungen der Schwarzen Elster“ erlassen und der Verband zur Regulierung der Schwarzen Elster gegründet, wichtige Voraussetzungen für die nachfolgenden Regulierungsarbeiten. Diese Maßnahmen betrafen vor allem den Mittellauf des Flusses, dessen Länge rund 90 km betrug, Anfang und Ende markierten Tätschwitz und Arnsnesta. Um die Wende zum 19. Jahrhundert geriet der Unterlauf in den Fokus, führten doch die Regulierungen des Mittellaufs zu schnellem Abfluss des Hochwassers, was sich im Unterlauf ebenso negativ bemerkbar machte
wie der expandierende Braunkohlenbergbau in diesem Raum. Die von ihm verursachten Grundwasserabsenkungen verbanden sich mit der Einleitung steigender Sümpfungswässer, erhöhten so die Abflussmenge und brachten Prozesse der Sedimentierung mit sich, und führten zu oft beklagtem Fischsterben. Ein dramatisches Hochwasser 1897 und ein schwerer Eisgang 1900 unterstrichen für die Zeitgenossen die Relevanz, regulierend tätig zu werden. Nicht zuletzt galt es auch, dem Problem der bergbaulichen Wasserverschmutzung Herr zu werden. Es begann ein langwieriger Prozess, der 1928 mit dem „Gesetz betreffend die Schwarze Elster“ endete, das die Gründung der Elstergenossenschaft festschrieb. Diese setzte sich aus den Anliegern und Einleitern, und das heißt nicht nur dem Bergbau, zusammen und sollte auch dafür Sorge tragen, die Trinkwasserversorgung und die Reinhaltung des Wassers zu sichern. Letzteres erfuhr bereits eine Einschränkung, da die technische Aufbereitung der Abwässer vor der Einleitung in den Fluss nur als Option angesprochen wurde. In den folgenden Jahrzehnten änderte sich wenig an dieser Geschichte, die Schwarze Elster wurde durch den Reichsarbeitsdienst in Zeiten des Nationalsozialismus weiter reguliert, in der DDR nahm die Verschmutzung des Flusses zu. Und da die „kleinen Flüsse“ seit den 2010er-Jahren verstärkt auf die wasserpolitische Agenda gesetzt werden, steht auch die Renaturierung der Schwarzen Elster, wie jene bereits seit 1992 laufende der Emscher, auf der Tagesordnung. Auch aktuelle Gutachten zum Zustand des Flusses wurden erstellt, gar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags schenkte ihm Aufmerksamkeit. Zugleich, dies zeigte sich in den Sommern 2018 bis 2020, kann auch ein ehemals wasserreicher Fluss streckenweise austrocknen.
Luft – Hochschornsteinpolitik und Abgasreinigung Immer höher wuchsen die Schornsteine des Industriezeitalters in den Himmel hinein. Die Halsbrücker Esse, auch als „Hohe Esse“ bezeichnet, wies bereits bauzeitlich 1888/89 eine Höhe von 140 m auf, und sie galt lange Zeit als höchster Schornstein der Welt (Abb. 7). Errichtet wurde die „Hohe Esse“ für die ansässige Schmelzhütte, deren Rauchgase sie in höhere Luftschichten ableitete. Dies brachte einerseits eine Verdünnung der Schadstoffe, unter anderem Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Kohlenmonoxid und -dioxid oder Salpetersäure, mit sich, andererseits eine über das Lokale hinausgehende Luftverschmutzung. Die Halsbrücker Esse steht stellvertretend für die Hochschornsteinpolitik, sie war technisches Ergebnis eines jahrelangen Streits der um die Schmelzhütte lebenden Menschen mit dem Betreiber, die Ernteeinbußen, Viehsterben und Gesundheitsbeeinträchtigungen beklagt hatten. Die Politik der hohen Schornsteine baute darauf, dass sich im „unendlichen
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Abb. 7: Die „Hohe Esse“ in Halsbrücke konnte gar ikonischen Charakter gewinnen, wie diese Postkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigt, nach 1900 (Archiv www.schlot.at, Sammlung Markus Mraz)
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Meer der Lüfte“ die Schadstoffe breiter verteilten, sie wurde zu einem Kennzeichen der industriellen Produktion des 19. und 20. Jahrhunderts. Zugleich drückt sich in ihr die industriefreundliche Haltung der Politik um 1900 aus, waren doch bereits am Ausgang des 19. Jahrhunderts die schädlichen Auswirkungen industrieller Rauchgase bekannt. Diese Haltung hatte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ausgeprägt, und so ursächlich sie auch gewesen sein mochte, ist die Hochschornsteinpolitik zugleich Ausdruck eines vielschichtigen zeitgenössischen Diskurses. Zeitschriften wie beispielsweise das „Archiv für Hygiene“, der „GesundheitsIngenieur“ oder die seit 1910 erscheinende „Rauch und Staub. Zeitschrift für ihre Bekämpfung, für Feuerungstechnik, Luftreinigung und Fabrikhygiene“, aber auch die „Zeitschrift für Bauwesen“, griffen die Rauchschadensthematik immer wieder auf. Sie stand mithin um 1900 auf der „umweltpolitischen“ Agenda.
Abb. 8: Die Kohlekeramikplakette der Gewerkschaft Vereinigte Constantin der Große, Bochum, zeigt die Alltäglichkeit der hohen Schornsteine und der Rauchproblematik. In Industrierevieren kündeten Schornstein und Rauch auch von wirtschaftlichem Wohlstand, 1949 (montan.dok 033304267004)
Dabei zeigen die Diskussionen zunächst zwei Problemkreise. Zum einen wurde die Problematik häufig auf die „Heizerfrage“ reduziert. Gemeint ist hiermit, dass die des Öfteren konstatierte geringe Qualifikation der Heizer es nicht erlauben würde, komplizierte technische Verfahren einzuführen, die eine so genannte rauchlose Verbrennung erlaubten, in der sich die ökonomisch effektivste Nutzung der Kohlen zeige. Entpuppt sich die „Heizerfrage“ als Stellvertreterdebatte,
so ist der zweite Problemkreis wesentlich. Er drehte sich um die Frage, welche Form der Wahrnehmung für die Bewertung des Rauchschadens entscheidend sein sollte – die sinnliche oder die messbare. Zwar stand mit dem 1879 vom britischen Physiker und Meteorologen John Aitken (1939–1919) erfundenen Kondensationskernzähler ein Apparat zur Verfügung, mit dem die Rauchschäden messbar schienen, doch verfälschten mitgezählte Pollen das Messergebnis. Ähnlich problematisch zeigte sich die Entwicklung von so genannten Rauchgasskalen, die die Baupolizei und Gewerbeaufsicht für die Schornsteinkontrollen nutzten. Antworten auf die offene Frage wurden seit den 1850er-Jahren dringlicher, änderte sich doch die Rechtsprechung zu Ungunsten Geschädigter, nachbarschaftsrechtliche Regelungen verloren an Bedeutung. Indem die Gerichte die Duldungsgrenzen des Rauchschadens erhöhten, trugen sie der Industrialisierung Rechnung. Problematisch blieb die Grenze der Duldung, wohingegen betont wurde, dass Beeinträchtigungen erheblich und regelmäßig wiederkehrend sein mussten. Dies verlagerte nur die Diskussionen, denn nunmehr musste vor allem entschieden werden, was „erheblich“ war. Es schlug die Stunde des Begriffs „Ortsüblichkeit“. Konzeptionell erblickte er in Urteilen des Reichsgerichts 1882 und 1896 das Licht der Welt, urteilte dieses doch, dass die Duldungsgrenzen je nach Ort variieren. Was in einer Industriesiedlung normal war, war in einer Villensiedlung „erheblich“. Das hieß nicht, dass in einer Villensiedlung gelegentliche Beeinträchtigungen Schadensansprüche hervorrufen konnten, da die Regelmäßigkeit nicht gegeben war. Ihren normativen Niederschlag fanden solche Urteile im Paragraphen 906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896, das seit 1900 reichsweit galt. Doch nicht alles war zu erdulden, Gesundheitsschädigungen durften durch Rauchgase nicht verursacht werden. So wurden um 1900 Grenzwerte für die Belastung am Arbeitsplatz definiert, denen Ergebnisse experimentalhygienischer Tierversuche zugrunde lagen. Für den privaten Bereich machten sich Wissenschaftler:innen auf die Suche nach Verfahren, die Gesundheitsschädlichkeit von Rauchgasen nachzuweisen. Einer der prominentesten Vertreter war der Arzt Ludwig (Louis) Ascher (1865–1942), der 1942 von den Nationalsozialisten ins Ghetto Lodz deportiert wurde, wo er vermutlich an Typhus und Unterernährung starb. Ascher versuchte, diesen Beweis auf pathologisch-anatomischem und statistischem Wege zu erbringen. Anerkennung fanden solche Bemühungen 1910, als die Preußische Deputation für Medizinalwesen bekundete, dass übermäßige Rauchbelästigung gesundheitsschädlich sei, allerdings weitere Forschungen anmahnte. All dies änderte nichts an der grundsätzlichen Problemlage: Je mehr Schornsteine in den Himmel ragten, umso schwieriger wurde es, die Rauchschäden nach dem geltenden Verursacherprinzip auf ‚einen‘ bestimmten Emittenten zurückzuführen (Abb. 8).
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Entstaubungsanlagen sorgten dafür, dass die Rauchgase nicht ungereinigt in die Luft gelangten. Solche Anlagen stammten zunächst aus dem Apparatebau, der sich vornehmlich aus dem vorindustriellen Mühlenbau entwickelt hatte. 1877 wurde in Deutschland das erste Patent für eine Entstaubungsanlage erteilt, bis 1910 überstieg ihre Zahl die dreihunderter Marke. Präsentiert wurde diese Technologie unter anderem auch auf der Berliner Hygiene-Ausstellung 1883, und die „Zeitschrift des VDI“ unterrichtete ihr Lesepublikum kontinuierlich über neue Entwicklungen. Auf die Weiterentwicklung bestehender Technologie wirkten unterschiedliche Faktoren ein, ökonomisch spielte die Wertstoffrückgewinnung eine Rolle, verfahrenstechnisch jene der Vermeidung von Staubexplosionen und der kommunalen Lufthygiene. Für industrielle Abgase sollte sich dann die Entwicklung der elektrischen Gasreinigung als scheinbar wegweisende Problemlösung entpuppen, sie stieg zu einer bedeutenden „end of pipe technology“ des Industriezeitalters auf. Bereits 1824 hatte der deutsche Mathematiker J. Hohfeld (Lebensdaten und Vorname unbekannt) entdeckt, dass durch elektrische Entladung flüssige und feste Teile aus Gasen abscheidbar sind, die praktische Umsetzung ließ allerdings bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf sich warten, gleichwohl seit den 1880erJahren erste Patente erteilt wurden. Erst mit den von Frederick Gardner Cottrell (1877–1948) in Kalifornien und Erwin Möller in Brackwede um 1910 entwickelten funktionsfähigen Elektrofiltern hielt die elektrische Gasreinigung Einzug. Eine wichtige verfahrenstechnische Innovation (Abb. 9). Jedoch verbreitete sie sich erst seit den 1950er-Jahren flächendeckender. Ein wesentlicher Grund für diese langsame Diffusion lag im Argument des „Standes der Technik“. Auflagen für den Einbau von umweltschonender Technologie konnten zwar gemacht werden, allerdings bestimmte der „Stand der Technik“, welche genutzt wurde. Und dies meint gerade nicht, dass es um technologisch bessere Lösungen ging, sondern um etablierte, erprobte und ökonomisch tragbare Verfahren. Verfahrenstechnische, umweltschonende Fortschritte wurden mit diesem etablierten Argument geradezu entschleunigt.
Expert:innen – Wissen wird wichtig Die Stunde der neuen, wissenschaftlichen Experten:innen schlug in Deutschland mit dem in der Forschung gut untersuchten „Freiberger Hüttenrauch“. An dessen Ende, wie bereits erwähnt, stand die „Hohe Esse“. Am Standort Halsbrücke wurde seit dem Mittelalter Erz verhüttet, mit dem Bau neuer Öfen, in denen Steinkohlen zum Einsatz kamen, änderte sich seit 1844 die Umweltsituation dramatisch. Steigende Produktionsmengen, die durch die neue Technologie möglich
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Abb. 9: Der amerikanische Elektrochemiker Frederick Gardner Cottrell (1877–1948) trug nicht nur wesentlich zur Entwicklung der Elektrogasabscheidung bei, sondern gründete 1912 auch die „Research Corporation“, die die wissenschaftliche Forschung in den USA förderte, um 1920 (National Photo Company Collection, Library of Congress Prints and Photographs Division, 2016852039)
wurden, schädigten Pflanzen und Tiere der Umgebung in einem bis dahin nicht bekannten Ausmaß. Nur ein Jahr später, 1845, setzten Forderungen der Gemeinde Halsbrücke ein, von den Hüttenbetreibern Entschädigungszahlungen zu erhalten. Seitens des zuständigen Oberhüttenamtes wurden sie abgewiesen. Da die Klagen nicht abrissen und sich weitere Gemeinden anschlossen, beauftragte das sächsische Finanzministerium auf Druck der Klagenden 1849 den Agrikulturchemiker Julius Adolph Stöckhardt (1809–1886) damit, ein Gutachten zu erstellen. Stöckhardt hatte Pharmazie und Naturwissenschaften in Berlin studiert und war 1837 an der Universität Leipzig promoviert worden. Nach einer Stelle als Lehrer an der Gewerbeschule in Chemnitz folgte er 1847 dem Ruf an die Land- und Forstwirtschaftliche Akademie in Tharandt (Abb. 10). Stöckhardts Inaugenscheinnahme und Analyse der Schäden brachte hervor, dass das
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Abb. 10: Der deutsche Agrikulturchemiker Julius Adolph Stöckhardt (1809–1886) wies nicht nur erstmals die pflanzenschädigende Wirkung von Schwefeldioxid nach, er propagierte auch erfolgreich die Gründung von landwirtschaftlichen Versuchsanstalten in den deutschen Staaten, 1853 (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, A 1995-10505 / Georg Weinhold)
Schwefeldioxid als Hauptschadensverursacher erstmals in Deutschland benannt wurde – das Phänomen des „sauren Regens“ war geboren. Als eine Folge dieses Ergebnisses wurde 1860 eine circa 60 m hohe Esse gebaut, dies hatte allerdings nur zur Folge, dass sich die Rauchschäden in der Umgebung verbreiteten. Wiederum beauftragte das Finanzministerium Stöckhardt, nun aber, um herauszufinden, ob die Hütte für die im weiteren Umkreis auftretenden Schäden verantwortlich wäre. Durch Experimente in einem so genannten Rauchhaus konnte Stöckhardt 1864 diesen Nachweis hierfür erbringen. Mit Stöckhardt trat nicht nur der/die wissenschaftliche Expert:in auf die Bühne der Umweltschadensforschung, sondern auch der/die gerichtliche Gutachter:in, eine Figur, die in Umweltschadensprozessen wesentlichen Einfluss gewann. Gutachter:innen und Experten:innen wurden jedoch nicht nur vom Staat temporär beauftragt, sondern, gerade bei Gerichtsprozessen, von Priva-
ten. Hinzu trat, dass Expertise nicht immer an staatliche Institutionen gekoppelt war, auch freiberufliche Experten:innen traten in Erscheinung. Sie kamen zu oft gegensätzlichen Ergebnissen, und so wurden auf kommunaler Ebene zum Ende des 19. Jahrhunderts Stimmen laut, die den Aufbau einer staatlichen Stelle forderten, die sich den umwelthygienischen Fragen der Zeit annahm. Unterstützung erhielten die Kommunen bei diesem Vorstoß seitens der Industrie. Dieses Ansinnen resultierte auch aus dem Verständnis, dass eine Behörde gemeinwohlorientiert agiert, also unparteiisch sei. Der Anspruch nach wissenschaftlicher und ‚politischer‘ Objektivität verwirklichte formal die am 01. April 1901 ins Leben gerufene „Königliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung“ in Berlin; sie ist die älteste europäische Forschungseinrichtung im Bereich der Umwelthygiene, die zunächst gutachterlich beratend tätig war. Unterstützung erfuhr sie durch den 1902 gegründeten „Verein für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung“, der von kommunalen Vertreter:innen und Industrieverbänden getragen wurde. Der Verein adressierte an die Behörde ‚umweltpolitische‘ Fragen, die praktisch zu lösen waren und sicherte finanziell die Forschungen hierzu ab. Bereits 1913 zog die „Anstalt“ in ein eigenes, größeres Dienstgebäude um, da die genutzten, angemieteten Räume aufgrund stetig steigender Aufträge zu klein wurden. Den neuen Sitz bezog die Behörde am heutigen Corrensplatz in Berlin-Dahlem. In unmittelbarer Nähe befanden sich unter anderem das Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie und weitere wissenschaftliche Institute, die im Rahmen der Erschließung der königlichen Domäne Dahlem dort angesiedelt worden waren. Dieser Ausbau wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen verlieh Dahlem den Charakter eines „deutschen Oxfords“. Überdeutlich spiegelt sich hier auch die Bedeutung der Ressource Wissen für die moderne Industriegesellschaft wider. Noch im gleichen Jahr erfolgte die erste Umbenennung in „Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene“, seit 1918 dann „Preußische Landesanstalt für Wasserhygiene“ (Abb. 11). Gemäß ihrem Namen konzentrierte sich die Landesanstalt zuvorderst auf das für ihre Gründung wesentliche kommunalpolitische Feld der Wasserversorgung und -entsorgung, doch sollte sich ihr Arbeitsbereich in den kommenden Jahren auch auf die Umweltmedien Luft und Boden ausdehnen (Abb. 12). Die weiter oben skizzierte Debatte um die Luftverschmutzung erwies sich als entscheidend für die im Jahr 1923 erfolgte Umbenennung in „Preußische Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene“ (WaBoLu). Mit der Kompetenzerweiterung verbanden sich sowohl wirtschaftliche als auch politische Interessen, meinten doch die Behördenvertreter, mit ihren Arbeiten auf diesem Feld volkswirtschaftliche Impulse setzen zu können. Die Politik schielte auf Wählerstimmen, durfte doch gehofft werden, dass die Wahlbevölkerung Erfolge bei der Bekämpfung der Rauchplage honorierte. Zunächst
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Abb. 11: Im Jahr 1913 bezog die „Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene“ ihren repräsentativen Neubau in der Ehrenbergstraße 38–42 (heute Corrensplatz 1) in Berlin-Dahlem. Der bauzeitliche Grundriss des Obergeschosses des neuen Dienstgebäudes zeigt die vielfältige räumliche Funktionalität, neben Labors finden sich so unter anderem die Bibliothek, ein Lesezimmer und ein Vortragssaal, 1913 (Umweltbundesamt Berlin, Archiv des Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene / Anno Dittmer, faceland.com)
auf Preußen beschränkt, weitete sich 1934 der räumliche Zuständigkeitsbereich der WaBoLu aus, da die Nationalsozialisten Preußische und Reichs-Ministerien zusammenlegten. Zugleich wurde sie in das Reichsgesundheitsministerium eingegliedert. Mit der 1942 erfolgten Umbenennung in „Reichsanstalt für Wasserund Luftgüte“ entfiel diese ministerielle Oberaufsicht. Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1952 in der BRD das Bundesgesundheitsamt (BGA) errichtet wurde, bedeutete dies das Ende der WaBoLu als eigenständige Einrichtung, wurde sie doch 1953 als „Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene“ in das BGA intergiert. Nach Auflösung des BGA 1993/94 und Gründung des Umweltbundesamtes (UBA) in dieses als eigenständiger Fachbereich eingegliedert, verlor sich dieser eigenständige Charakter in den folgenden Jahren allerdings. Die WaBoLu verfügte an ihrem 1913 bezogenen Standort über Labore, eine Bibliothek und Vortragsräume. Zudem besaß sie ein Freigelände, auf dem sich Ställe für Versuchstiere befanden, ferner „eine Versuchskläranlage, Freiaquarien sowie Gemüse- und
Ziergärten“ (Fuchsloch, S. 10). Als wissenschaftliche Einrichtung versuchte die WaBoLu qualifiziertes, junges Personal an sich zu binden, bildete selbst Laborant:innen aus. Ihren historischen Entstehungsbedingungen geschuldet, fungierte sie darüber hinaus als Ort für Schulungen kommunaler Beamt:innen. Zudem versuchte sie, durch Ausstellungen eine breitere Öffentlichkeit für umweltrelevante Themen zu sensibilisieren. Mit Blick auf ihre Tätigkeiten im Feld der Lufthygiene konnte Norman Fuchsloch zeigen, dass die Erstellung von Gutachten zwischen wissenschaftlicher Objektivität und subjektiver Wahrnehmung mäanderte, ein bereits angesprochenes Phänomen. Allerdings kam im Falle der WaBoLu noch zweierlei hinzu: Zum einen verfügte sie weder über ein Handlungskonzept, noch über institutionell etablierte Expertise. Zum anderen verband sich hiermit, dass die WaBoLu das Themenfeld nicht systematisch bearbeitete, sondern ihr Augenmerk von der Auftragserteilung abhing. Wurden die Aufträge nicht verlängert, so verlor sich das Interesse.
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Abb. 12: Abstriche von Krankheitserregern setzte die Preußische Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene im Rahmen ihrer Schulungs- und Fortbildungsveranstaltungen ein. Im Zuge der Ausbildung wurden sie auch von den angehenden Laborant:innen angefertigt, 1910er- bis 1920er-Jahre (Umweltbundesamt Berlin, Archiv des Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene / Anno Dittmer, faceland.com)
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Andersen, Arne/Ott, Rene/Schramm, Engelbert: Der Freiberger Hüttenrauch 1849–1865. Umweltauswirkungen, ihre Wahrnehmung und Verarbeitung, in: Technikgeschichte 53, 1986, S. 169–200. – Armenat, Manuela: Die „vollkommene Ausbildung“ der Schwarzen Elster. Eine multidimensionale Studie zur Wasserwirtschaft und zum Kulturlandschaftswandel 1800–1945, Münster u. a. 2012 (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 39). – Brauer, Heinz (Hrsg.): Handbuch des Umweltschutzes und der Umweltschutztechnik, Bd. 3: Additiver Umweltschutz: Behandlung von Abluft und Abgasen, Heidelberg 1996.
– Brüggemeier, Franz-Josef: Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, Essen 1996. – Brüggemeier, Franz-Josef/Rommelspacher, Thomas: Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, 2. Aufl., München 1989. – Evans, Richard J.: Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830–1910, Reinbek bei Hamburg 1990. – Freytag, Nils: Frühe Umweltkonflikte. Der Freiberger Hüttenrauch – eine Fallanalyse, in: Praxis Geschichte 3, 2006, S. 25–28. – Fuchsloch, Norman: Sehen, riechen, schmecken und messen als Bestandteile der gutachterlichen Tätigkeit der Preußischen Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene im Bereich der Luftreinhaltung zwischen 1920 und 1960, Frei-
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berg 1999 (= Freiberger Forschungshefte, D 203 Geschichte). Kiesewetter, Hubert: Industrielle Revolution in Deutschland 1815–1914, Frankfurt a. M. 1989. König, Wolfgang/Weber, Wolfhard: Netzwerke. Stahl und Strom. 1840–1914, Frankfurt a. M./Berlin 1990 (= Propyläen Technikgeschichte, Bd. 4). Lindner, Helmut: Strom. Erzeugung, Verteilung und Anwendung der Elektrizität, Reinbek bei Hamburg 1985. Maas, Kathrin: Seuche aus der Elbe, in: SPIEGEL GESCHICHTE 3, 2013, S. 94–95. Paulinyi, Akos: Industrielle Revolution. Vom Ursprung der modernen Technik, Reinbek bei Hamburg 1989. Reiche, Lutz: Luftverschmutzung in deutschen Städten zwischen 1880 und 1910 anhand ausgesuchter Zeitschriften und Monographien. M. A.Arbeit, Universität Hamburg 1995. Uekötter, Frank: Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880– 1970, Essen 2003.
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– Wischermann, Clemens: Wohnen in Hamburg vor dem Ersten Weltkrieg, Münster 1983 (= Studien zur Geschichte des Alltags, Bd. 2).
Online (Auswahl) – https://www2.vde.com/wiki/chronik_2016/WikiSeiten/Elektrostatik.aspx (Eingesehen: 01.10.2021). – http://www.umweltunderinnerung.de/index. php/kapitelseiten/verschmutzte-natur/44-derfreiberger-huettenrauch (Eingesehen: 27.09.2021). – https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-underleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolper steine/stolpersteine-im-westend/familien/ascherludwig (Eingesehen: 06.10.2021). – https://rescorp.org/rcsa/history/about-frederickcottrell (Eingesehen: 29.09.2021). – https://web.archive.org/web/20160317022118/ http://www.lfu.brandenburg.de/cms/detail.php/ bb1.c.328377.de (Eingesehen: 30.09.2021).
Abb. 1: Der Weltreisende und Naturforscher Alexander von Humboldt (1769–1859) formulierte erstmals den Begriff „Naturdenkmal“, der für den frühen deutschen Natur- und Heimatschutz ein Leitbegriff werden sollte. Das Gemälde der italienischen Malerin Emma Gaggiotti-Richards (1825–1912) zeigt ihn im hohen Alter von 86 Jahren, 1855 (Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, BBAW, Abt. Sammlungen, Gelehrtengemälde, AH-BLE-0001 / Anno Dittmer, faceland.com)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-015
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Naturschutz vor 1945 Einleitung 2006 blickte das Bundesamt für Naturschutz voller Stolz auf eine 100jährige Geschichte des staatlichen Naturschutzes in Deutschland zurück, deren Beginn die 1906 gegründete, europaweit vielbeachtete Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen markiere, in dessen Tradition sich das Bundesamt stellte. Dieser institutionelle Rückbezug verweist zum einen darauf, dass der moderne Naturschutz Resultat der europäischen Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts ist. Zum anderen deutet er exemplarisch an, dass das Deutsche Kaiserreich (1871–1918) zu Recht als umwelthistorische „Sattelzeit“ gilt (Uekötter 2007, S. 14). Die Herausbildung der modernen Industriegesellschaft mit all ihren neuen Begleiterscheinungen, wie der hektischen, lauten Großstadt, den sich verschärfenden Klassengegensätzen und der fortschreitenden Naturzerstörung, scheint somit notwendige Bedingung für die Ausprägung umweltpolitischer Maßnahmen des Staates zu sein. Mit Bezug auf die Geschichte des deutschen Naturschutzes muss allerdings ein Blick in das ausgehende 18. Jahrhundert und frühe 19. Jahrhundert geworfen werden, einer Zeit, in der sich zwei wesentliche Motive der frühen Naturschutzbestrebungen entfalteten oder sich die Grundzüge der „modernen Naturreligion“ ausprägten (Radkau 2000, S. 254). Mit dem Blick zurück in das Zeitalter der europäischen Aufklärung beginnt der nachfolgende Text. In diesem ersten Schritt wird das charakteristische Oszillieren der „modernen Naturreligion“ zwischen Vernunft und Gefühl nachgezeichnet, wobei dem sich immer stärker entfaltenden Gegensatz von Natur und Gesellschaft Beachtung zu schenken ist. Das Hauptaugenmerk gilt allerdings der deutschen Naturschutzbewegung und den staatlichen Naturschutz-Institutionen im 19. und 20. Jahrhundert. Dass diese keine singulären Phänomene waren, ist ebenso anzusprechen, wie ihr gesellschaftlicher Hintergrund und ihre Motive, die sich auch in der Vielfältigkeit des ehrenamtlichen Naturschutzes zeigten. Dem zur Seite steht die Darlegung der Organisation des staatlichen Naturschutzes zwischen 1906 und 1945, wobei die weiter oben genannte Staatliche Stelle für Naturschutz in Preußen und deren Nachfolgeeinrichtungen im Zentrum stehen. Seit der Jahrhundertwende war der Erlass eines Naturschutzgesetzes das zentrale Bestreben des Naturschutzes im Deutschen Reich, es verstärkte sich in den Zeiten der Weimarer Republik (1919–1933). Das Ziel der reichsweiten, juristischen Vereinheitlichungen wurde allerdings erst zu Zeiten der nationalsozialistischen
Diktatur 1935 Realität. Zumindest hinsichtlich der rechtlichen Regelung von Naturschutzbelangen, weniger der Naturschutzpraxis, fällt dem nationalsozialistischen Deutschland (1933–1945) mithin eine prominente Rolle zu. Dass die rassistische, menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus keineswegs ausschließlich als rückwärtsgewandt anzusprechen ist, verdeutlicht sich in dem zwischen 1933 und 1945 stattfindenden Professionalisierungsprozess der neuen Disziplin der Landschaftsplanung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wirkte sich diese modernisierend auf den etablierten Naturschutz und die naturschutzfachliche Praxis aus.
Arkadien und Naturdenkmale Naturverklärung folgt keinem puren Selbstzweck. Bereits die römischen Dichter Horaz (65 v. Chr. – 8 n. Chr.) und Virgil (70 v. Chr. – 19 v. Chr.) lobten das Landleben, das ihnen moralisch vollkommener schien als das Stadtleben, ein Topos, der sich durch die europäische Ideengeschichte ziehen sollte. Allerdings verbanden sie dieses Lob mit keinem konkreten Ort, dies geschah breitenwirksamer erst seit 1729, dem vermutlichen Entstehungszeitpunkt des Gedichtes „Die Alpen“ des Schweizer Gelehrten Albrecht von Haller (1708–1777). Haller verband hierbei das Lob auf die Eidgenossenschaft, geprägt durch politische Freiheitsrechte und moralische Reinheit, mit dem konkreten Ort – den Alpen. Diese Lobpreisung schrieb der 1761 veröffentlichte Roman „Julie ou la Nouvelle Héloise“ des französischen Radikalaufklärers Jean-Jaques Rousseau (1712–1778) fort. Mit seinem Roman verband sich die Transformation der Alpen vom gesellschaftlichen Arkadien zum romantisch verklärten Sehnsuchtsort – und zu einer europäischen, touristischen Attraktion. Naturschutzbelange spielten in diesem Beispiel keine Rolle, es steht hier aber am Anfang, da es mindestens dreierlei zu verdeutlichen mag: Erstens kann Natur als gesellschaftliches Gegenmodell dienen, die vermeintlichen schweizerischen Attribute, die von Haller betonte, sind auch eine Kritik an dem in Europa herrschenden Absolutismus. Das heißt im Kern, dass Naturschutz auch politisch aufgeladen ist, es keinen ‚guten‘ Naturschutz an sich geben kann. Zweitens wurde die Verherrlichung der Natur problematisch, wie die touristische Übernutzung der Alpen im 20. Jahrhundert andeutet. Und drittens tritt uns mit „Julie“ eine Stimme entgegen, die aus dem dominanten Diskurs der euro-
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päischen Aufklärung fiel. Diese gesamteuropäische Bewegung hatte sich in den 1760er-Jahren dem Hochrationalismus verschrieben, Vernunft, nicht Gefühl, so stand es verkürzt auf der aufklärerischen Agenda. Erst in einer so genannten zweiten Phase der Aufklärung zum Ausgang des 18. Jahrhunderts äußerte sich hieran Kritik, eine Kritik, die die Epoche der Romantik einleitete, die bis in die 1830er-Jahre währte. In diese Zeit fällt auch ein frühes Beispiel des Naturschutzes, gleichwohl die formale Unterschutzstellung erst im 20. Jahrhundert erfolgte – der Drachenfels mit seiner Burgruine, gelegen am Rhein bei Königswinter. Jahrhundertelang wurde hier bereits Stein, der Trachyt, gebrochen, den man unter anderem beim Bau des Kölner Doms verwendet hatte. Allerdings gingen diese wirtschaftlichen Aktivitäten seit dem 16. Jahrhundert deutlich zurück, wurde doch der Weiterbau des Doms gestoppt. Erst seit den 1840er-Jahren erfolgte seine Vollendung, er galt im 19. Jahrhundert als Nationaldenkmal, wofür vornehmlich die Schriften und Aktivitäten des deutschen Kunsthistorikers Sulpiz Boisserée (1783–1854) verantwortlich zeichneten. Der Drachenfels wurde europaweit nach dem Ende der Napoleonischen Herrschaft bekannt. Der englische Dichter und Romantiker George Gordon Byron (1788– 1842), besser bekannt als Lord Byron, besuchte 1816 den Ort und verewigte ihn im selben Jahr in seinem Gedicht „The castled crag of Drachenfels“. In der Folge entwickelten sich rasch touristische Aktivitäten, der Fels wurde zu einem europäischen „must see“-Ort. Dies mag auf die Entscheidung der preußischen Regierung eingewirkt haben, als sie 1836 das Gelände erwarb, um so den weiteren Steinbruch zu verhindern. Die ökonomischen Interessen des Steinbruchs wurden somit zugunsten des Erhalts eines romantisch aufgeladenen Naturdenkmals, bestehend aus Drachenfels und Burgruine, zurückgedrängt. Offensichtlich ging es mithin nicht um Naturschutz in unserem heutigen, ökologischen Verständnis. Naturdenkmale, ein Begriff, den Alexander von Humboldt (1769–1859) geprägt hatte, hielten in den folgenden Jahrzehnten, wenn auch zunächst in begrenzten Umfang, Einzug in die Landschaft.
Was ist schützenswert? Die Anfänge des Vogelschutzes Das Mensch-Tier-Verhältnis erfreute sich in den letzten Jahren vermehrten Interesses in der historischen Forschung. Wie schwierig diese Beziehung ist, ist ganz offensichtlich. Wir lieben ‚unsere‘ Tiere, wir essen sie, wir fürchten sie, wir rotten sie aus. Und: Wir vermenschlichen sie, sie vertierischen uns. Wer kennt nicht den Ausdruck „listiger Fuchs“, um menschliche Verhaltensweisen zu beschreiben. Derartige Redeweisen waren Tieren seit der Antike eingeschrieben worden. Das tierisch Fabelhafte war bis in das 18. Jahrhundert
hinein auch Bestandteil der Textsorte Naturgeschichte. Dies änderte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts, als die Naturhistoriker sich ganz dem Sehen als Erkenntnis- und Beschreibungsmodus verschrieben. Es begann das Zeitalter der so genannten klassischen Naturgeschichte, für die das Klassifizieren und damit einhergehend die Taxonomie kennzeichnend ist. Entscheidende Impulse setzte Carl von Linné (1707–1778), der mit seiner „Systema Naturae“, zuerst erschienen 1735, die binäre Nomenklatur als methodische Grundlage der modernen Taxonomie schuf. Wenn nur noch das niedergelegt werden sollte, was die Naturhistoriker:innen sahen, dann mussten aus Gründen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses sowohl Schaden und Nutzen, den die beschriebene Flora und Fauna hatte, aus solchen Texten verschwinden. Ebenso wurde das vor allem den Tieren zugeschriebene Fabelhafte aus den Texten verdrängt. Neutral sollte die Sprache sein, so das wissenschaftliche Credo der Zeit. In den deutschen Staaten stand der wissenschaftlichen Naturgeschichte eine Textsorte zur Seite, die sich selbst als praktische Naturgeschichte sah. Sie verknüpfte Wissenschaft mit gewerblicher Praxis. Indem sie dies tat, zollte sie dem Nutzen und Schaden von Pflanzen und Tieren Rechnung, bilanzierte die Dinge aus wirtschaftlicher Sichtweise. Um 1800 war somit den Tieren ein je spezifischer Schaden und/oder Nutzen eingeschrieben worden. Sehr deutlich tritt dies auch in der sich in Deutschland formierenden modernen Forstwissenschaft zutage, die beispielsweise Vögel danach beurteilte, welchen Nutzen sie für die Holzschädlingsbekämpfung besaßen. Kurzum: Tiere waren nicht von sich aus schützenswert, ihr Schutzstatus richtete sich bis in das 19. Jahrhundert hinein nach ihrem zugeschriebenen Nutzen, Artenschutz orientierte sich noch nicht an ökologischen Parametern. Deutlich tritt dies beispielsweise in der 1868 verabschiedeten Resolution der deutschen Forst- und Landwirte zum Schutz nützlicher Vögel hervor. Mit Blick auf den Vogelschutz schien sich in den 1870er-Jahren eine neue Sichtweise anzudeuten. Der Zoologe Alfred Edmund Brehm (1829–1884), heute noch durch „Brehms Tierleben“ bekannt, betonte beispielsweise in seinem am 19. September 1873 auf dem internationalen Kongress der Land- und Forstwirte zu Wien gehaltenen Vortrag: „Beklagenswerth bleibt es freilich immer, dass viele Bewirthschafter unserer Felder, manche Hüter unserer Waldungen die überwiegend nützlichen wie die überwiegend schädlichen Thiere so wenig kennen, insbesondere nicht im Stande zu sein scheinen, ihr Wirken vorurtheilsfrei zu beurtheilen, den Nutzen, welchen ein Thier bringt, gegen den Schaden, welchen es verursacht, abzuwägen und daraus entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen“ (Brehm, S. 30). Allerdings zählte Brehm viele Greifvögel, wie den Fischund Seeadler oder den Uhu, dennoch zu den „allein überwiegend schädliche[n] Vögel[n]“, die entsprechend zu bejagen wären (Brehm, S. 37), wohingegen er
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Abb. 2: Der Zoologe Alfred Brehm (1829–1884), bekannt durch das populärwissenschaftliche, mehrbändige Werk „Brehms Tierleben“, äußerte sich nicht nur zu Aspekten des Artenschutzes, sondern war auch Direktor des Zoologischen Gartens in Hamburg (1863–1866) und Initiator sowie Direktor des Berliner Aquariums, 1859 (Brehms Welt, 188 / Otto Maerker)
Bussard und Turmfalke als Mäusejäger als schützenswert ansah (Abb. 2). Brehm schränkte mithin sein abstraktes Plädoyer umgehend wieder ein. Sein im Vortrag geäußertes Anliegen, tierquälende Jagdmethoden zu verbieten, bestimmte auch das 1888 erlassene deutsche Vogelschutzgesetz. Derartige Verbote lassen sich auch als kulturelle Abgrenzungen gegenüber anderen Staaten verstehen, in denen solche Praktiken weiterhin ver-
breitet blieben. Auch das Vogelschutzgesetz folgte der Dichotomie Schaden-Nutzen. Jagdverbote galten beispielsweise nicht für Raubvögel, mit Ausnahme des Turmfalken, Uhus, Wildtauben oder auch Sperlinge. Zwar wurde im Gesetz eine Schonzeit zwischen dem 01. März und 15. September des Jahres festgelegt, allerdings umgehend gelockert, denn es wurde den Landesregierungen ausdrücklich ermöglicht, von dieser Regelung abzuweichen. Sollten Vögel in der Schonzeit
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Abb. 3: 1989 wurde die Lina-Hähnle-Gedenkmedaille gestiftet, mit deren Verleihung Natur- und Umweltschutz-Engagement in Deutschland ausgezeichnet wird, nach 1989 (Stiftung Naturschutzgeschichte / Jürgen Rosebrock)
Schaden anrichten, durften sie den Nutzer:innen die Jagd erlauben. Dass Raubvögel erst im 20. Jahrhundert zu Naturdenkmalen werden konnten, wundert mithin wenig. Der Vogelschutz erfuhr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Aufschwung. Auf lokaler Ebene bildeten sich Vereine, und 1875 erfolgte die Gründung des Deutsches Vereins zum Schutz der Vogelwelt, der vornehmlich wissenschaftlich tätig wurde. Auffällig ist, dass Frauen in diesem Themenfeld eine prominente Rolle spielen konnten. Die 1889 gegründete englische Royal Society for the Protection of Birds entsprang der Initiative von Frauen der Oberschicht. Der 1899 gegründete Bund für Vogelschutz ist seinerseits eng mit dem Namen einer Frau verbunden, jenem von Lina Hähnle (1851–1941), die den Bund bis 1938 präsidierte (Abb. 3). Ihr gelang es durch soziale Kompetenz und strategisches Geschick, den Bund rasch auszubauen – bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte er circa 40 000 Mitglieder – und die Vereinsarbeit zu professionalisieren. Vogelschutz verankerte sie als öffentliches Thema. Möglich war ihr dies zum einen, da sie aus der wohlhabenden bürgerlichen Schicht kam und somit selbst Geld für die Kampagnen des Bundes aufbringen konnte. Aus den niedrigen Mitgliedsbeiträgen ließen sich diese nur unzureichend finanzieren. Zum anderen wurde ihre Arbeit durch ihren Sohn Hermann Hähnle (1879–1965) unterstützt, der als Pionier des deutschen Tierfilms angesehen werden kann und dessen Filme und Fotos für Vortragsveranstaltungen Verwendung fanden. Eine der vielleicht prominentesten Kampagnen des Bundes war der Kampf gegen den Federschmuck der Hüte, einer Mode, die sich um 1900 europaweit verbreitete
(Abb. 4). Federn wurden global gehandelt, die Nachfrage bedrohte zunehmend exotische Vögel, vornehmlich den Paradiesvogel. Der Protest gegen exotische Federn entwickelte sich vor dem Ersten Weltkrieg zu einer europäischen Bewegung, die von Frauen getragen wurde. Frei von nationalen Stereotypen war er nicht, da immer auch das Bild der deutschen Frau mitklang. In nationaler Perspektive ging es vornehmlich um die Abgrenzung zu Frankreich. Erfolgreich war der Protest allerdings, wurden doch für die deutschen Kolonien 1914 Jagdverbote ausgesprochen. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten verblieb Lina Hähnle Vorsitzende des Bundes, der 1935 in Reichsbund für Vogelschutz umbenannt wurde. Dies ist insofern bemerkenswert, als Hähnle nicht Mitglied der NSDAP, eine Frau und bereits 82 Jahre alt war. Erst 1938 folgte ihr mit Reinhard Wendehorst ein überzeugter Nationalsozialist nach, der die Gleichschaltung des Bundes vorantrieb. Hähnles Verhältnis zum Nationalsozialismus lässt sich immer noch nicht eindeutig bestimmen.
Natur- und Heimatschutz Der sich formierende ehrenamtliche und staatliche Naturschutz am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine facettenreiche soziale Bewegung. Im weitesten Sinne zählen auch Phänomene wie der aufkommende Vegetarismus, die Freikörperkultur oder die anthroposophische Lehre von Rudolf Steiner (1861–1925) und die Wanderbewegung hierzu. Allen Unterschieden zum Trotz können einige gemeinsame Grundzüge benannt werden. Getragen wurde die Bewegung zumeist von bürgerlichen Kreisen. Sie sahen zwar die Bedrohung von Heimat und Natur durch die moderne Industriegesellschaft, doch lässt sich die Haltung nicht als dezidiert fortschrittsfeindlich begreifen, vielmehr zielte sie auf einen Dialog zwischen Moderne sowie Natur- und Heimatschutz. Dennoch blieb sie im Kern zumindest konservativ verhaftet. Zudem fällt auf, dass die Bewegung im Vergleich mit anderen europäischen Bewegungen ausgeprägter nationalistisch argumentierte. Gerade mit Blick auf den Heimatschutz, dem es auch um die Bewahrung immaterieller Werte ging, offenbart sich das grundlegende Argumentationsmuster der Bewegung – die Betonung romantisch-ästhetischer Aspekte. Angesichts des weit verbreiteten Fortschrittsglaubens, der insbesondere von der Arbeiterbewegung getragen wurde, verband sich hiermit durchaus eine gesellschaftliche Perspektive, jene nämlich, Nützlichkeitsgedanken, wie wir sie am Beginn des Vogelschutzes kennenlernten, kritisch zu hinterfragen. Denn eines darf nicht vergessen werden – am Beginn des 20. Jahrhunderts standen noch keine ökologischen Argumente zur Verfügung, Natur und Heimat zu schützen. Mit
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Abb. 4: Der frühe Naturschutz wurde von Männern dominiert, allerdings spielten Frauen eine wichtige Rolle im Artenschutz, vor allem im Vogelschutz. Um 1900 flammte in Europa der weiblich geprägte Protest gegen die Verwendung exotischer Federn für Hüte auf, für die, wie hier, beispielsweise Marabufedern verwendet wurden, um 1900 (LVR Industriemuseum, RA 02/361 & RA 06/248 / Jürgen Hoffmann)
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Abb. 5: Paul Schultze-Naumburg (1869–1949) war der erste Vorsitzende des Bundes Heimatschutz, der 1904 gegründet wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm seine Gedankenwelt immer stärker rassistische und antisemitische Züge an, undatiert (Wikimedia Commons)
ästhetischen Argumentationsmustern ließ sich zudem das Problem des Verursacherprinzips umgehen, überhaupt: Industrielle Umweltverschmutzung stand nicht als Kernthema des Natur- und Heimatschutzes auf der Agenda. Die hier nur knapp skizzierten Grundzüge weisen darauf hin, dass die Rede über einen völkischen Naturund Heimatschutz nicht in Gänze trifft, gleichwohl es mindestens zwei namentlich zu nennende, prominente Ausnahmen gab, die eine hohe Affinität zur nationalsozialistischen Ideologie aufwiesen. Hierzu zählt zum einen der Architekt Paul Schultze-Naumburg (1869– 1949, Abb. 5). Als erster Vorsitzender des Bundes Heimatschutz, gegründet 1904, seit 1914 Deutscher Bund Heimatschutz, vertrat er zunächst eine aufgeschlossene Haltung, erst in der Weimarer Republik wandelte sich sein Weltbild hin zu Rassismus und Antisemitismus. Ursächlich scheinen hierfür die Niederlage Deutschlands von 1918 und die von ihm als kultureller Niedergang betrachteten Entwicklungen in der Weimarer Republik. Schulze-Naumburg trat 1930 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bei, 1932 zog er für sie als Abgeordneter in den Reichstag ein. Zum anderen ist der „Bund Artam“ zu nennen, der Mitte der 1920er-Jahre gegründet wurde. Er wies von Beginn an zahlreiche rasseideologische Komponenten der NSIdeologie auf, zu seinen prominentesten Mitgliedern zählten der spätere „Reichsbauernführer“ und Reichs-
minister für Ernährung und Landwirtschaft Richard Walther Darré (1895–1953), der Kommandant des KZ Auschwitz Rudolf Höß (1901–1947) und der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler (1900–1945). Aus anderer Perspektive dürfen nicht unerwähnt bleiben die 1895 gegründeten „Naturfreunde“, eine von Arbeitern getragene, kleine Bewegung. Sie prägte zwei Strömungen, eine, die das romantisch-ästhetische Naturideal hochhielt, und eine zweite, die dezidiert antikapitalistisch argumentierte. Woran vor allem der bürgerliche Natur- und Heimatschutz scheiterte, war die Massenmobilisierung, wie das gescheiterte Beispiel des 1922 ins Leben gerufenen „Volksbund Naturschutz“ zeigt. Dies mochte teilweise auch daran liegen, dass die bürgerlichen Natur- und Heimatschützer kritisch auf die Arbeiterschaft blickten, die aufgrund sozialer Reformen Natur mehr als Ort der Erholung und Freizeit, denn des Schutzes sah. Zwei Personen verdienen für den Beginn des Naturund Heimatschutzes besondere Beachtung – der Botaniker Hugo Conwentz (1855–1922) und der Musiker Ernst Rudorff (1840–1916). Sie stehen für unterschiedliche Blickweisen und Institutionalisierungsprozesse. Hugo Conwentz spielte für die 1906 eingerichtete Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen eine wichtige Rolle, Ernst Rudorff für den 1904 gegründeten (Deutschen) Bund Heimatschutz (Abb. 6). Am Anfang der Staatlichen Stelle stand die 1898 von Wilhelm Wetekamp (1859–1945), einem Abgeordneten der liberalen Freisinnigen Volkspartei, im Preußischen Landtag erhobene Forderung nach Schutz der Naturdenkmale und Einrichtung so genannter Staatsparks, den amerikanischen Nationalparks ähnlichen Gebieten. Das zuständige Kultusministerium griff diesen Vorschlag auf und beauftragte Conwentz zu Beginn des Jahres 1900 mit der Abfassung einer Denkschrift. Conwentz hatte sich als Leiter des Westpreußischen Provinzial-Museums in Danzig einen Namen gemacht, vor allem aber stand seine Naturschutzauffassung jener des Ministeriums nahe. 1904 legte er die beauftragte Denkschrift mit dem Titel „Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung“ vor. Conwentz vertrat in ihr einen, seiner Profession und Ausbildung geschuldeten naturwissenschaftlich-musealen Standpunkt, dem es vor allem um die Inventarisierung der Naturdenkmale ging, dem Denkmalschutz ähnlich. Hierfür wurden Frage- und Erfassungsbögen konzipiert. Indem er für den Erhalt einzelner Naturdenkmale auf kleinen Flächen plädierte, zollte Conwentz den Interessen der Industrie Rechnung, erst um 1912 dehnte er den Begriff auf größere Schutzgebiete aus. Dieser politisch-pragmatische Naturschutzblick geriet rasch in die Kritik. Der Schriftsteller Hermann Löns (1866–1914) bezeichnete ihn beispielsweise als „Pritzelkram“ und setzte sich für das Gegenmodell des großflächigen Schutzes ein, prominent seit 1911 für die Lüneburger Heide (Abb. 7). 1906 beauftragte das zuständige Ministerium Conwentz mit der Errichtung der Staatlichen Stelle, die er
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zunächst ehrenamtlich in Danzig aufbaute. Seit 1909 standen Haushaltsmittel bereit, und 1911 zog sie nach Berlin. Zweierlei wirkte sich auf ihre Arbeit von Anfang an negativ aus – es mangelte sowohl an gesetzlichen Grundlagen und an finanzieller, damit auch personeller Ausstattung. Daher bemühte sich Conwentz um den ehrenamtlichen Aufbau auf regionaler Ebene, seit 1907 bestand durch einen Ministererlass die Möglichkeit, so genannte Provinzialkomitees in allen preußischen Provinzen einzurichten. Deren Mitglieder setzten sich vor allem aus Behördenvertreter:innen, Wissenschaftler:innen und Vereinen zusammen. Finanziert wurden sie von den Provinzialverbänden und Gemeinden. Conwentz selbst sah die Hauptaufgabe darin, die Idee des Naturdenkmals zu verbreiten, adressierte dies aber vornehmlich an das Bürgertum. Die Verbreitung dieser Gedanken fand über eigene Zeitschriften und Vorträge statt (Abb. 8). Conwentz und seine hauptamtlichen Mitarbeiter:innen führten Jahrestagungen durch und nahmen an internationalen Tagungen teil. So unter anderem am Ersten Kongress für Heimatschutz in Paris 1909, auf dem Conwentz und sein Mitarbeiter Carl Fuchs nicht nur respektvoll behandelt wurden, sondern auch die Staatliche Stelle ausdrücklich Lob erfuhr. Dies ist insofern bemerkenswert, als zwischen den beiden Staaten seit 1904 zahlreiche Kolonialkonflikte in Afrika herrschten. Nach dem Tod von Conwentz 1922 übernahm, nach einer kurzen Interimszeit, der Biologe und bekannte Naturschützer Walter Schoenichen (1876–1956) die Leitung der Einrichtung. Schoenichen vertrat einerseits schon während der Weimarer Republik Standpunkte der NS-Ideologie und diente nach 1933 den staatlichen Naturschutz dem nationalsozialistischen Regime an. Andererseits fanden unter ihm wichtige Veränderungen statt. Schoenichen versuchte nicht nur, den Naturund Heimatschutz stärker in die Arbeit der Staatlichen Stelle zu integrieren, sondern verfolgte eine bewusster auf die Öffentlichkeit ausgerichtete Kommunikationsstrategie. Hierzu zählte beispielweise der seit 1925 jährlich durchgeführte Deutsche Naturschutztag. 1935 wurde die Staatliche Stelle in Reichsstelle für Naturschutz umbenannt und die von ihr geprägte Struktur staatlicher Naturschutzarbeit auf das Reichsgebiet übertragen. Ernst Rudorff, stark geprägt durch romantisches Gedankengut, zählte ausgangs des 19. Jahrhunderts zu den prominenteren Stimmen, die sich für einen umfassenderen Natur- und Heimatschutz stark machten. In seinem Artikel „Über das Verhältnis des modernen Menschen zur Natur“ aus dem Jahr 1880 formulierte er das diffuse Unbehagen bürgerlicher Kreise an den landschaftlichen Folgen der Industrialisierung und der modernen Agrarwirtschaft. Im Unterschied zu Conwentz ging es Rudorff um den Schutz der Kulturlandschaft, der bei ihm auf der Überzeugung „der sittlichen Kraft der Schönheit“ beruhte (Fron/Rosebrock, S. 26). 1897 prägte er in zwei Artikeln dann den Begriff Hei-
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Abb. 6: Der Musiker Ernst Rudorff (1840–1916) war eine treibende Kraft für die 1904 erfolgte Gründung des „Bundes Heimatschutz“, seine Gedankenwelt war stark geprägt durch antimodernistische Haltungen, undatiert (Stiftung Naturschutzgeschichte)
Abb. 7: Wenngleich die frühen, staatlichen Naturschutzbemühungen sich auf „Einzeldenkmale“ konzentrierten, fanden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland Stimmen, die das Konzept des Naturschutzparks favorisierten. Ein Vertreter dieser Richtung war der Journalist und Schriftsteller Hermann Löns (1866–1914), um 1943 (Universitäts- und Landesbibliothek Münster / S. Löns 7,035)
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Abb. 8: Die Popularisierung des Natur- und Heimatschutzes beruhte nicht zuletzt auf den neuen Medien der Fotografie und des Films. Stellvertretend hierfür steht die Plattenkamera eines Pioniers der Naturfotografie in Deutschland, Hermann Reichling (LWL-Museum für Naturkunde, Sammlung Reichling / Stephan Sagurna)
matschutz mit, sie bildeten einen zentralen Ausgangspunkt zur Gründung des Bundes Heimatschutz 1904 in Dresden, Paul Schulze-Naumburg wurde sein erster Vorsitzender. Rudorff hatte sich energisch dagegen ausgesprochen, dass Frauen und Jüd:innen den Gründungsaufruf mitunterzeichneten. Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus, aber auch Antisozialismus, waren die negativen Bestandteile seiner „sittlichen Kraft der Schönheit“. Die erste Großveranstaltung führte der Bund 1905 in Goslar durch, die Mitgliederzahl stiegt von 636 (1904) auf 27 000 (1916). Allerdings blieb der Bund bis zum Ersten Weltkrieg relativ wirkungslos, gleichwohl erste Erfolge seines Tuns zu verzeichnen waren, so das 1902 erlassene preußische „Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden“, das 1907 auf Ortschaften übertragen wurde. Wenngleich der Natur- und Heimatschutz sich deutlich von der staatlichen Naturdenkmalpflege unterschied, gab es auch Berührungspunkte. Hugo Conwentz war beispielsweise in führender Stelle im Bund aktiv. Gemeinsam trieb man auch die Gründung des Vereins Naturschutzpark im Jahre 1909 voran. Wenn es aber um
Deutungshoheiten und Einfluss ging, wurde intrigiert. Am Anfang des deutschen Natur- und Heimatschutzes standen zwei grundsätzlich unterschiedliche, nicht kompatible Herangehensweisen. Auffällig ist zudem, dass industrielle Umweltprobleme keine besondere Bedeutung hatten und die finanzielle Ausstattung des frühen staatlichen Naturschutzes sein Handeln stark begrenzte.
Nationalsozialismus In den 1920er-Jahren gab es immer wieder den Ruf nach eigenständigen Naturschutzgesetzen. Dies wundert nicht, hatte doch die Verfassung in Paragraph 150 den Schutz der Natur betont. Erfolge blieben allerdings rar, so die 1920 erfolgte Novelle des Preußischen Feldund Forstpolizeigesetzes. Es erlaubte den Schutz von Tieren, Pflanzen und Gebieten, wurde gar als „Kleines Naturschutzgesetz“ bezeichnet. Und 1923 verabschiedeten die Länder Anhalt und Mecklenburg-Schwerin
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Abb. 9: Hermann Göring (1893–1946), einer der mächtigsten Männer im „Dritten Reich“, spielte eine wichtige Rolle für das vom deutschen Natur- und Heimatschutz seit Jahrzehnten ersehnte, einheitliche Reichnaturschutzgesetz. Auf Vorarbeiten der 1920er-Jahre beruhend, wurde es erst 1935 erlassen, 1934 (Library of Congress Prints and Photographs Division Washington / 2004668436 / LC-USZ62-68394)
erste Naturschutzgesetze. Von daher spricht vieles dafür, dass der Naturschutz Ende der 1920er-Jahren der deutschen Demokratie gleichgültig gegenüberstand. Das Verhältnis zu den nationalsozialistischen Machthaber blieb anfänglich reserviert; das Gros der Naturschützer:innen konnte mit ideologischen Kernen wie Antisemitismus und Sozialdarwinismus wenig anfangen. Scheinbar stieß auch der Versuch der Gleichschaltung des Naturschutzes im Reichsbund Volkstum und Heimat, gegründet 1933, auf wenig Resonanz, da die Verbandsautonomie als hohes Gut galt. Bereits 1935 wurde der Reichsbund wieder aufgelöst. Ändern sollte sich dieses ambivalent-distanzierte Verhältnis im gleichen Jahr. Als am 26. Juni 1935 das Reichsnaturschutzgesetz (RNG) in Kraft trat, wähnten sich große Teile des Naturschutzes am Ziel ihrer Wünsche. Das RNG ist Bestandteil einer umfassenderen NSNaturschutzgesetzgebung, zu nennen sind das Tierschutzgesetz vom 24. November 1933, das Gesetz gegen Waldverwüstung vom 18. Januar 1934 und das Reichsjagdgesetz vom 03. Juli 1934. Alle Gesetze sind Ergebnis des Reichsforstamtes, das am 03. Juli 1934 einge-
richtet wurde. Hermann Göring (1893–1946) übernahm als Reichsforstmeister im Ministerrang die Leitung des Hauses und reklamierte bald seine Kompetenz für Belange des Naturschutzes (Abb. 9). Innerhalb kürzestes Zeit setzte der einflussreiche Göring gegenüber den anderen Ministerien die Verabschiedung des RNG durch. Das RNG konnte dabei auf zahlreiche Vorarbeiten zurückgreifen, als Autor gilt gemeinhin der Studienrat Hans Klose (1880–1963), Vorsitzender des Naturschutzrings Berlin-Brandenburg und brandenburgischer Provinzialbeauftragter für Naturdenkmalpflege, bevor er 1935 auf eine Referentenstelle im Reichsforstamt wechselte. Ebenso bedeutsam sind allerdings die Vorarbeiten des Juristen Benno Wolf (1871–1943), seit 1912 Richter in Berlin, seit 1915 auch hauptamtlicher Justitiar der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen. Als Jude kam Wolf seiner Entlassung aus dem Staatsdienst durch eine wohl erzwungene Kündigung 1933 zuvor, die Nationalsozialisten deportierten ihn 1942 in das Ghetto Theresienstadt, wo er Anfang 1943 verstarb. Das RNG stellte erstmals den Naturschutz auf eine reichsweit geltende Grundlage. Ferner eröffnete es „dem
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Abb. 10: Die Reliefkarte zeigt gebaute und geplante Trassen der Reichsautobahn, hier konkret im Berliner Raum. Das Projekt der Reichsautobahn im „Dritten Reich“ konnte einerseits auf Planungen der 1920er-Jahre zurückgreifen, andererseits war es ein ideologisch aufgeladenes Vorhaben, das Natur und Technik aussöhnen sollte, 1936 (Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, 1/1945/109 / Anno Dittmer, faceland.com
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staatlichen Naturschutz in konzeptioneller, rechtlicher und in organisatorischer Hinsicht weitgehende Handlungsmöglichkeiten“ (Wettengel, S. 384). Aus Sicht der Naturschützer waren aber auch die Erweiterung des Naturschutzes (um die „Pflege des Landschaftsbildes“ und den „Schutz von Landschaftsteilen“) sowie das Instrument der Enteignung aus Naturschutzgründen bedeutsam, beides entsprach ihren Erwartungshaltungen. Institutionell wurde das Modell der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen auf das Reichsgebiet übertragen. Das RNG söhnte die Naturschützer:innen mit den Nationalsozialist:innen aus. Rückblickend feierte Hans Klose in den 1950erJahren die Zeit zwischen 1935 und 1945 als hohe Zeit des Naturschutzes. Er verwies auf 800 eingetragene Naturschutzgebiete und etwa 50 000 Naturdenkmale, die bis 1940 im Reichsnaturschutzbuch eingetragen worden wären, machte aber nicht darauf aufmerksam, dass oftmals nur bereits ausgewiesene Gebiete und Denkmale registriert wurden. Und wenn auch noch Forschungen zur Umsetzungspraxis des RNG fehlen, steht andererseits fest, dass die Öko-Bilanz des nationalsozialistischen Deutschlands katastrophal war. Nicht übersehen werden darf auch, dass im Paragraph 6 des Gesetzes folgendes festgeschrieben worden war: „Durch den Naturschutz dürfen Flächen, die ausschließlich oder vorwiegend Zwecken der Wehrmacht, der wichtigen öffentlichen Verkehrsstraßen, der See- und Binnenschiffahrt oder lebenswichtiger Wirtschaftsbetriebe dienen, in ihrer Benutzung nicht beeinträchtigt werden“ (RNG, S. 12). Naturschutz blieb somit stets den genannten Interessen des Krieges und der Wirtschaft nachgeordnet. 1909 fiel der deutsche Startschuss in das Zeitalter der „Nur-Autostraßen“, der Autobahn. In diesem Jahr gründete sich in Berlin die Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH, besser unter ihrem Kürzel AVUS bekannt, die zwischen Berlin und dem Wannsee eine 10 km lange autogerechte Straße plante – keine Kreuzungen, keine Querungen und der uns heute vertraute Mittelstreifen zwischen den Fahrbahnen. Kriegsbedingt wurde das Projekt erst 1921 fertiggestellt und vornehmlich als Rennstrecke genutzt. In den 1920er-Jahren griff dieser Gedanke global um sich, erwiesen sich die vorhandenen Straßen eher dem Pferdewagen, denn dem Automobil angemessen. Obgleich in Deutschland eine Vielzahl von Initiativen entstand, verhinderten Finanzierungsprobleme die Realisierung solcher Bauvorhaben. Einzig eine Umgehungsstraße auf der Strecke zwischen Köln und Bonn und die „Kraftwagenbahn Bonn-Köln“ konnten in Betrieb genommen werden. Für den Bau der Reichsautobahnen ab September 1933 ist die Zeit der Weimarer Republik dennoch von entscheidender Bedeutung, da 1926 der Verein zur Vorbereitung der Autostraße Hansestädte – Frankfurt – Basel gegründet wurde, kurz auch HAFRBA. Die Vorarbeiten des Vereins bildeten die Grundlage, auf die die Nationalsozialisten 1933 zurückgreifen konnten.
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Die propagandistische Rede über die „Straßen des Führers“ entpuppt sich insofern bekanntermaßen als Mythos. Wenig plausibel ist zudem die Betonung ihres strategischen Charakters für die Kriegsplanungen des nationalsozialistischen Deutschlands. Die Trassen- und Streckenführung der Reichsautobahn, bis Ende 1938 waren ungefähr 3000 km befahrbar, steht dem entgegen (Abb. 10). Was also zunächst bleibt, scheint eine riesige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die sich mit dem Bau der Autobahnen verband. Allerdings waren selbst im Jahr 1936, in dem die Zahl der direkt am Bau Beteiligten ihren Höhepunkt erreichen sollte, maximal 250 000 Menschen direkt oder indirekt in das Bauvorhaben involviert. Die von der Propaganda behaupteten arbeitsmarktpolitischen Effekte erweisen sich mithin als überzogen. Aber was war die Reichsautobahn dann, konkreter: Welche Bedeutung vermag sie für den Naturschutz zu reklamieren? Es ist der vom nationalsozialistischen Ingenieur Fritz Todt (1891–1942), 1933 zum Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen ernannt und damit zuständig für den Bau der Reichsautobahn, betonte ästhetisch-technische Charakter des Vorhabens. Das Technische sollte sich in das Landschaftliche einfügen, Autobahn und Landschaft sollten quasi zu einer harmonischen Einheit verschmelzen. Es schlug die Stunde der Landschaftsanwälte, eines informellen Kreises um den Architekten und Naturschützer Alwin Seifert (1892–1970, Abb. 11). Seifert, der in den 1920er-Jahren für einige Jahre Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei gewesen war, gehörte seit 1933 dem Stab von Todt an, 1934 erfolgte seine Ernennung zum Berater für Fragen der landschaftlichen Eingliederung beim Autobahnbau. Er verfügte über gute Kontakte zu führenden Nationalsozialisten, seine antisemitische und völkische Grundhaltung konnte er zudem in Einklang mit der nationalsozialistischen Ideologie bringen. 1942 erfolgte die Ernennung zum „Reichslandschaftsanwalt“, sein Entnazifizierungsverfahren endete mit dem Urteil „unbelastet“, und 1954 erhielt er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Landschaftspflege, Landschaftsgestaltung sowie Straßen- und Wasserbau an der TH München. Seifert prägte in der jungen Bundesrepublik maßgeblich das akademische Feld der Landschaftsarchitektur mit. Der „Seifert-Kreis“ bestand aus Naturschützern, Pflanzensoziologen und Landschaftsarchitekten, damals Diplom-Gärtner genannt, einer jungen, kaum institutionell etablierten Disziplin. Otto Rindt, der „Vater des Senftenberger Sees“, zählte zu diesem Kreis, Rudolf Heuson stand ihm zumindest nahe. Innerhalb der Behörde Todts wurden den Landschaftsanwälten bestimmte Streckenabschnitte zugeteilt, und sie waren an der Festlegung der Linienführung beteiligt. Welchen Einfluss sie hier nehmen konnten, bleibt offen, schwierig wurde es immer dann, wenn ökonomische Interessen den landschaftlichen entgegenstanden. Verantwortlich zeichneten sie für die Landschaftsgestaltung links und rechts der Autobahn, mit einer ihnen ange-
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warf die Frage auf, wie aus den Bergbaufolgelandschaften wieder „Heimat“ werden könne. Die Bedeutung der Landschaftsanwälte liegt darin, dass sie Landschaftsplanung nicht mehr nur ökonomisch, sondern auch ästhetisch und ökologisch auffassten, also durchaus modernisierend auf den Naturschutz wirkten. Nicht außer Acht gelassen werden darf allerdings, dass sie zugleich ihren Gegenstand rassistisch-biologistisch aufluden, wie es sich im so genannten Generalplan Ost niederschlug.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl)
Abb. 11: Alwin Seifert (1890–1972), seit 1940 „Reichslandschaftsanwalt“, und sein persönlicher Kreis der „Landschaftsanwälte“ nahmen sich beim Bau der Reichsautobahn der Landschaftsgestaltung an. Solche Aktivitäten führten dazu, dass seit den 1950er-Jahren Landschaftsplanung für die naturschutzfachliche Praxis eine stetig wachsende Bedeutung spielte, undatiert (BBN-Mitteilungen 3/2000, S. 17 / Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege)
messen scheinenden Bepflanzung. Zugleich versuchten sie, immer größere Flächen für ihre Gestaltungsambitionen zu gewinnen, um so den Blick der Autofahrer:in auf die Landschaft zu lenken. Ihr Beitrag bestand zum einen in der „Komposition der Autobahnkulisse“ (Zutz, S. 116). Zum anderen betteten sie die Bauten der Reichsautobahn, wie Brücken, Tankstellen oder Raststätten, landschaftlich ein. Seit 1940 erweiterte sich das Aufgabenfeld der Landschaftsanwälte, da sie nun auch beratend in der Energie- und Wasserwirtschaft tätig wurden. In diesem Feld plädierten sie vor allem für die Anwendung ingenieurbiologischer Methoden. Das Themenfeld Bergbaufolgelandschaft geriet zumindest einmal prominent in den Fokus. 1941 veröffentlichte Seifert in der technopolitischen Zeitschrift „Deutsche Technik“ seine „Mahnung an die Bergherren“, die als Sonderdruck weitere Verbreitung fand. Basierend auf Informationen von Rudolf Heuson zeichnete er ein landschaftliches Bild der „Versteppung“ in den Kohlenrevieren, kritisierte die geltenden Richtlinien zur Wiederurbarmachung als unzureichend und
– Brehm, A(lfred) E(dmund): Unsere Bodenwirthschaft und die Vögel. Vortrag, gehalten am 19. September 1873 im internationalen Congresse der Land- und Forstwirthe zu Wien, in: Journal für Ornithologie 22, 1874, S. 26–39. – Brüggemeier, Franz-Josef: Schranken der Natur. Umwelt, Gesellschaft, Experimente 1750 bis heute, Essen 2014. – Conwentz, Hugo: Die Gefährdung der Naturdenkmäler und die Vorschläge zu ihrer Erhaltung, Berlin 1904. – Emmerich, Wolfgang/Wege, Carl (Hrsg.): Der Technikdiskurs in der Hitler-Stalin-Ära, Stuttgart/ Weimar 1995. – Frohn, Hans-Werner/Rosebrock, Jürgen: Museum zur Geschichte des Naturschutzes in Deutschland in Königswinter, Berlin/München 2012. – Frohn, Hans-Werner/Schmoll, Friedemann (Hrsg.): Natur und Staat. Die Geschichte des staatlichen Naturschutzes in Deutschland 1906–2006, Bonn 2006. – Knaut, Andreas: Zurück zur Natur! Die Wurzeln der Ökologiebewegung, Greven 1993 (= Supplement 1, 1993, zum Jahrbuch für Naturschutz und Landschaftspflege). – Meyer, Torsten: Natur, Technik und Wirtschaftswachstum im 18. Jahrhundert. Risikoperzeption und Sicherheitsversprechen, Münster u. a. 1999 (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 12). – Prinz, Michael/Zitelmann, Rainer (Hrsg.): Nationalsozialismus und Modernisierung, 2. Aufl., Darmstadt 1994. – Radkau, Joachim: Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt, München 2000. – Radkau, Joachim/Uekötter, Frank (Hrsg.): Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2003 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Bd. 1). – Reichsgesetz, betr. den Schutz von Vögeln, vom 22. März 1888, in: Monatsschrift des Deutschen Vereins zum Schutze der Vogelwelt 13, 1888, Nr. 6, S. 137–140.
Naturschutz vor 1945
– Rudorff, Ernst: Über das Verhältnis des modernen Menschen zur Natur, in: Preußische Jahrbücher XLV, 1880, Nr. 3, S. 260–276. – Schmoll, Friedemann: Erinnerung an die Natur. Die Geschichte des Naturschutzes im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a. M. 2004. – Schwenkel, Hans: Das Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1935 (RGBl, I, S, 821) und die Verordnung zur Durchführung des Reichsnaturschutzgesetzes vom 31. Oktober 1935, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 91, 1935, S. 5–56 (unter: https://www.zobodat. at/pdf/Jh-Ver--vaterl-Naturkunde-Wuerttemberg_91_0005-0056.pdf; eingesehen: 01.06.2021). – Stommer, Rainer (Hrsg.): Reichsautobahn. Pyramiden des Dritten Reichs. Analysen zur Ästhetik eines unbewältigten Mythos, Marburg 1982. – Uekötter, Frank: Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 81). – Wettengel, Michael: Staat und Naturschutz 1906– 1945. Zur Geschichte der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen und der Reichsstelle für Naturschutz, in: Historische Zeitschrift 257, 1993, S. 355–399. – Wöbse, Anna(-Katharina): Die weiblichen Wurzeln des Naturschutzes, o. O. 2000 (unter: https://
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schleswig-holstein.nabu.de/imperia/md/nabu/ images/regional/schleswig-holstein/einrichtungen/katingerwatt/lina_haehnle.pdf; eingesehen: 30.04.2021). – Zeller, Thomas: Driving Germany. The Landscape of the German Autobahn, 1930–1970, New York 2007. – Zittelmann, Rainer: Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Hamburg 1987. – Zutz, Axel: Wege grüner Moderne: Praxis und Erfahrung der Landschaftsanwälte des NS-Staates zwischen 1930 und 1960, in: Mäding, Heinrich/ Strubelt, Wendelin (Hrsg.): Vom Dritten Reich zur Bundesrepublik. Beiträge einer Tagung zur Geschichte von Raumforschung und Raumplanung, Hannover 2009 (= Arbeitsmaterial der ARL 346), S. 107–148.
Online (Auswahl) – https://www.livinghistory.ch/german/themageschichte/die-pr-agenten-der-schweizer-alpen/ (Eingesehen: 30.06.2021). – http://www.umweltunderinnerung.de/index.php/ kapitelseiten/geschuetzte-natur/54-das-naturdenkmal (Eingesehen: 31.05.2021).
Abb. 1: Diese Holzkiste wurde von dem Niederländer Gerard Esser vermutlich anlässlich des ersten internationalen Umweltkongresses in Stockholm 1972 angefertigt. Sie enthält Kinderzeichnungen zum Thema Umweltschutz. Esser engagierte sich für den Umweltschutz, besuchte Schulen und sammelte Kinderbilder zu diesem Thema, vermutlich für eine Ausstellung in Stockholm, 1972 (International Institute for Social History Amsterdam, BG X1/12 / Gerard Esser)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-016
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Staatliche Umweltpolitik nach 1945 Einleitung: Naturschutz in der BRD und der DDR Der Naturschutz spielte nach 1945 in beiden deutschen Staaten weiterhin eine Rolle. Dieser entwickelte sich bereits seit dem 19. Jahrhundert im Kontext der Industrialisierung und hatte daher insbesondere zivilisationskritische Ursprünge. In der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus erfuhr der Naturschutz in der Folge eine deutlich rassistische und antisemitische Schlagseite, die sich auch über das Jahr 1945 hinaus, bis hin zu aktuellen rechten Gruppierungen wie der Identitären Bewegung, fortsetzte. Naturschutz meint in der Regel direkte Schutzmaßnahmen für Pflanzen und Tiere sowie deren Lebensräume. Oberstes Ziel des Naturschutzes ist die Erhaltung der Artenvielfalt und gesunder Ökosysteme. Bereits unmittelbar nach Kriegsende wurde 1945 in der BRD die Zentralstelle für Naturschutz in Egestorf eingerichtet. Diese war die Vorgängerin des seit 1993 bestehenden Bundesamtes für Naturschutz, eine wissenschaftliche Behörde für den nationalen und internationalen Naturschutz. Die Zentralstelle wurde bis 1990 mehrfach institutionell verändert und umbenannt, 1976 in Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 wurden außerdem Teile des Instituts für Landesforschung und Naturschutz (ILN) der DDR integriert. Ein entscheidendes Ereignis für den Naturschutz in der BRD war darüber hinaus das Europäische Naturschutzjahr 1970. Diese Öffentlichkeitskampagne des Europarates sensibilisierte und mobilisierte die Öffentlichkeit durch Vorträge, Ausstellungen, Konferenzen etc. für die Sicherung der Naturgüter und der Umwelt. 1976 wurde schließlich auch auf juristisch-formaler Ebene der Naturschutz in der BRD mit dem Bundesnaturschutzgesetz verankert. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden darüber hinaus die ersten Nationalparks eingerichtet, so der Bayerische Wald (1970), Berchtesgaden (1978), das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer (1985) und das Niedersächsische Wattenmeer (1986). Auch in der DDR kam dem Naturschutz von Beginn an eine wichtige Rolle zu. 1947 wurden in den fünf Ländern ehrenamtliche Landesbeauftragte für Naturschutz eingesetzt. 1949 wurde in diesem Zuge Kurt Kretschmann (1914–2007) Naturschutz-Kreisbeauftragter im Kreis Oberbarnim und erfand in dieser Funktion das Naturschutzsymbol der DDR, eine schwarze Waldohreule. Diese wurde 1992 für ganz Deutschland als Symbol übernommen. Kurt Kretschmann und seine Frau Erna Kretschmann (1912–2001) stellten herausra-
Abb. 2: Briefmarke „Klimaregler Wald. Schützt ihn“ aus der DDR, 1970 (montan.dok / H. Naumann)
gende Persönlichkeiten des Naturschutzes in der DDR dar. Auf juristischer Ebene eilte der Naturschutz in der DDR der BRD voraus, da bereits 1968 der Natur- und Umweltschutz als Staatsaufgabe in der Verfassung der DDR verankert wurde (Abb. 2). Das bereits erwähnte ILN gründete sich 1953 in Halle und hatte die Aufgabe, landschaftsbezogene Forschungen durchzuführen. Auch die Bergbaufolgelandschaften gehörten dazu. Das ILN gab außerdem seit 1972 das fünfbändige Werk „Handbuch der Naturschutzgebiete der Deutschen Demokratischen Republik“ heraus. Noch während des Zusammenbruchs der DDR wurden unter der letzten Regierung Modrow darüber hinaus zahlreiche Nationalparks ausgerufen. Zum demokratischen Wandel gehörte nämlich auch die Aufhebung der Grenzsicherungsgebiete und der Staatsjagden. Indem gerade in diesen Gebieten Nationalparks oder Biosphärenreservate geschaffen wurden, sollten symbolisch auch die Privilegien der
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Herrschenden gebrochen werden. Das „Nationalparkprogramm der DDR als Baustein für ein europäisches Haus“ entstand 1989/90 in mehreren Stufen. Es enthielt zunächst fünf Nationalparks (Vorpommersche Boddenlandschaft, Jasmund auf Rügen, Müritz, Hochharz und Sächsische Schweiz), sechs Biosphärenreservate (Südost-Rügen, Schorfheide-Chorin, Spreewald, Mittlere Elbe, Rhön und Vessertal) sowie 16 Naturparks. Von den Naturparks wurden vorerst aber nur drei beschlossen, nämlich Schaalsee, Drömling und Märkische Schweiz. Fast alle übrigen einstweilig gesicherten Naturparks wurden in den Folgejahren noch ausgewiesen. Vom Naturschutz abzugrenzen ist der Umweltschutz. Dieser umfasst auch den Schutz des Klimas und die Gesunderhaltung der Böden, der Gewässer und der Luft. Daher beschäftigt sich Umweltschutz vor allem mit der Frage, wie der schädliche Einfluss des Menschen auf die natürlichen Ökosysteme so gering wie möglich gehalten werden kann. Genau diese Frage stellte sich auch die Politik verstärkt seit den 1960er-Jahren auf internationaler und nationaler Ebene.
Anfänge der Umweltpolitik in der BRD und der DDR Der Beginn der Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland wird häufig auf Anfang der 1970er-Jahre datiert. Obwohl sich diese tatsächlich erst in diesem Zeitraum institutionalisierte, gab es bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren wichtige umweltpolitische Entwicklungen in beiden deutschen Staaten, die allerdings noch nicht so benannt wurden. Für die BRD sei dabei auf die „Grüne Charta von der Mainau“ von 1961 verwiesen (Abb. 3–4). Sie war das Resultat der „Mainauer Rundgespräche“, die ab 1957 stattfanden. Dazu trafen sich jährlich Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft auf der Insel Mainau. Einberufen wurden die Treffen von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft (DGG) bzw. deren Präsidenten Graf Lennart Bernadotte (1909–2004). Dass die politische Relevanz des Themas Umwelt hier bereits früh erkannt wurde, zeigte sich beispielsweise daran, dass 1960 der damals amtierende Bundespräsident Heinrich Lübke (1894–1972, CDU) in diesem Rahmen eine Rede zum Thema „Gesunde Luft – gesundes Wasser – gesunder Boden“ hielt. Die „Grüne Charta von der Mainau“ gilt als das wesentliche Gründungsdokument des Natur- und Umweltschutzes in der BRD, denn sie war das erste gesellschaftliche und ökologische Bekenntnis zu einem nachhaltigen und zukunftsorientierten Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen. Ihre zentrale Bedeutung erschließt sich daraus, dass sie nicht rückwärtsgewandt die Natur verklärte, wie im Natur- und Heimatschutz vor 1945. Die moderne Industriegesellschaft mit ihren technischen
Entwicklungen wurde also nicht abgelehnt, sondern als Lebensgrundlage in der Gegenwart anerkannt. Daher sollte in einem planerischen Handeln auf dem Gebiet der Umwelt ein Ausgleich zwischen Technik, Wirtschaft und Natur hergestellt werden. Dabei beziehen sich die Autor:innen der Charta dezidiert auf die Artikel 1 (Würde des Menschen), 2 (Persönliche Entfaltung und Unversehrtheit) und 14 (Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit) des zu dieser Zeit noch relativ jungen Grundgesetzes. Bereits in den 1950er-Jahren waren derartige Überlegungen auch in der DDR Thema und Gegenstand von Politik und Wissenschaft. So wurde von 1950 bis 1952 unter der Leitung des Gartenarchitekten und Landschaftsplaners Reinhold Lingner das Projekt „Landschaftsdiagnose der DDR“ durchgeführt. Sie soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, da die Landschaftsdiagnose zu diesem Zeitpunkt eine äußerst fortschrittliche Form eines Umwelt-Monitorings darstellte. Dabei handelte es sich um eine Bestandsaufnahme der Landschaftsschäden in der gesamten DDR, was ihrer zukünftigen Behebung dienen sollte. Das Ministerium für Planung (MfP, ab 1951 Staatliche Plankommission SPK) bewilligte 300 000 Mark für das Forschungsprojekt, in dem über 90 Mitarbeitende, aufgeteilt in fünf Landesgruppen, mit den Erfassungsarbeiten im Gelände begannen. Bemerkenswerterweise wies die etwa zehn Jahre später verabschiedete „Grüne Charta von der Mainau“ laut dem Historiker Tobias Huff eine große Nähe zu Lingners Schriften auf. Neben Lingner war Erich Zieger (1902–1960) ein früher Protagonist des technischen Umweltschutzes im Bereich der Rauchschadensforschung in der DDR. Die 1811 gegründete Forstakademie in Tharandt spielte dabei eine wichtige Rolle. Bereits 1849 begann dort die Rauchschadensforschung, da erkannt wurde, dass durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe die umgebende Vegetation in Mitleidenschaft gezogen wurde. Im Jahr 1951 nahm Zieger die Professur für Forstnutzung an der Forstakademie wahr. 1952 bekam er zusätzlich die Professur für Forstschutz übertragen. Sein Schwerpunkt war die Rauchschadensforschung in Bezug auf den Wald. Er arbeitete außerdem intensiv mit Karl Friedrich Wentzel (1918–2011) zusammen, einem westdeutschen Experten für Waldrauchschäden. So nahm Zieger 1959 an der von Wentzel organisierten zweiten Tagung forstlicher Rauchschadensachverständiger in Bochum teil. Eine Behinderung der deutsch-deutschen Zusammenarbeit gab es also zu dieser Zeit noch nicht. Zieger leitete bis zu seinem plötzlichen Tod 1960 das Projekt „Großraumdiagnose“, das an die „Landschaftsdiagnose“ Lingners anschloss. Sie erfasste als ersten Schritt die Rauchquellen kartographisch und berechnete die Emissionen. Als zweiter Schritt wurde der Gesundheitszustand des Waldes erfasst. Der Zusammenhang zwischen Emissionen und Waldschäden sollte im dritten Schritt
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Abb. 3: Die Grüne Charta von der Mainau: Ein frühes Dokument des BRD-Umweltschutzes, 1961 (montan.dok / Deutsche Gartenbau-Gesellschaft)
Abb. 4: Die Grüne Charta von der Mainau: Ein frühes Dokument des BRD-Umweltschutzes, 1961 (montan.dok / Deutsche Gartenbau-Gesellschaft)
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mit der Luftanalyse erbracht werden. Die Luftmessungen umfassten ein Areal von 600 bis 700 km². Ein vergleichbares Projekt gab es in der BRD zu diesem Zeitpunkt nicht. Auf einer Fachtagung in Tharandt im Mai 1961 berieten jedoch Rauchschadensforscher aus Ostund Westdeutschland zusammen über die Ergebnisse der Großraumdiagnose.
Die Institutionalisierung der Umweltpolitik in der BRD Trotz vereinzelter fortschrittlicher Elemente im Naturschutz spielte der Umweltschutz in der Politik der BRD in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine untergeordnete Rolle. Im Zeichen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser sogar als Hindernis angesehen. Die rauchenden Schornsteine besonders im Ruhrgebiet deutete man stattdessen als Symbol, dass es nun wirtschaftlich „wieder aufwärts“ ging. Unter dem Eindruck des Mauerbaus 1961 machte allerdings Willy
Abb. 5: Ausgabe der BRD-Zeitschrift DER SPIEGEL „Vergiftete Umwelt“, 1970 (DER SPIEGEL, 41/1970)
Brandt (1913–1992, SPD) mit dem Satz „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“ erstmals Bundestagswahlkampf mit umweltpolitischen Themen. Zwar zeigte dies die gestiegene Bedeutung derartiger Fragen in der Gesellschaft der BRD, Brandt unterlag jedoch bei der Wahl Konrad Adenauer (1876– 1967, CDU). Im Jahr 1969 beförderte eine Initiative der North Atlantic Treaty Organization (NATO), die die „gesellschaftlichen Probleme der Zeit“ angehen sollte, die Beteiligung der BRD an der Konzeptionierung einer Umweltpolitik. Da Umweltprobleme auch damals nicht an nationalen Grenzen Halt machten, waren vor allem derartige internationale Entwicklungen ausschlaggebend für die nationale Verankerung der Umweltpolitik in der BRD. Ein Auslöser dieser Entwicklung war die Versauerung schwedischer Seen, die auf die Luftverschmutzung in anderen Staaten (vor allem Großbritannien, Ost- und Mitteleuropa) zurückging. Am Beginn der westeuropäischen Umweltpolitik stand zwar vor allem die Sorge, dass sich Regulierungen und Umweltstandards negativ auf den europäischen Handel auswirken könnten. Die Zeichen der Zeit waren jedoch andere. So veröffentlichte eine Reihe von Expert:innen im Jahr 1972 den Bericht des Club of Rome mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Dieser löste global ein anhaltendes Echo in Politik und Gesellschaft aus, obwohl die um Dennis (geb. 1942) und Donella Meadows (1941– 2001) erstellte Studie aus wissenschaftlicher Sicht kritisiert wurde. Sie schaffte dennoch ein Bewusstsein für die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und für die Notwendigkeit einer internationalen Umweltpolitik. So fand ebenfalls 1972 die erste internationale Umweltkonferenz in Stockholm statt (Abb. 5). In der BRD wurden zunächst dem Bundesministerium des Inneren unter Hans-Dietrich Genscher (1927– 2016, FDP) wesentliche Abteilungen aus dem Gesundheitsministerium übertragen (Reinhaltung von Wasser, Luft und Lärmbeseitigung). Es kam zur Gründung der Gruppe „Grundsatzangelegenheiten des Umweltschutzes“ am Bundesinnenministerium, zur Einsetzung eines Kabinettausschusses für Umweltfragen im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt (SPD) sowie zur Verabschiedung eines „Sofortprogramms“ zum Umweltschutz durch die Bundesregierung. 1971 wurde außerdem durch die Regierung der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) gegründet und ein „Umweltprogramm“ verabschiedet: Umweltpolitik sollte von nun an vom Vorsorgeprinzip (Ziel der Schadensvermeidung), Verursacherprinzip (Übernahme der Kosten durch den Verursacher des Schadens) und Kooperationsprinzip (Mitwirkung der Betroffenen) geleitet werden. 1974 wurde dann im Bundesinnenministerium das Umweltbundesamt (UBA) gegründet und ein Bundesimmissionsschutzgesetz auf den Weg gebracht. Dieses umfasste den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen oder ähnliche Vorgänge (Abb. 6).
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Abb. 6: Ersttagsbrief der BRD-Briefmarkenserie „Umweltschutz“, 1973 (montan.dok / Deutsche Bundespost)
Sechs Jahre nach einem entsprechenden Gesetz in der DDR wurde 1976 schließlich auch ein Bundesnaturschutzgesetz im Bundestag der BRD beschlossen. Die Grenzen der bundesdeutschen Umweltpolitik zeigten sich jedoch bereits nach den beiden Erdölpreiskrisen 1973/74 und 1979. Auslöser der ersten Krise war, dass die Staaten der Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC) ihre Ölförderung um 25 % ab dem 5. November 1973 drosselten, was zu einem starken Anstieg der Erdölpreise führte. Am 9. November 1973 führte die Regierung Brandt daraufhin befristete Energiesparmaßnahmen in Form des Energiesicherungsgesetzes ein. Angewandt wurde das Gesetz an den vier Sonntagen vom 25. November bis zum 16. Dezember 1973. Diese wurden durch das Gesetz zu autofreien Sonntagen erklärt. Außerdem sollte ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen Benzineinsparungen bewirken. Aus historischer Perspektive macht dies deutlich, dass gesetzliche und zeitlich begrenzte freiheitseinschränkende Maßnahmen im Rahmen von Krisen kein Novum darstellen. Dies ist also gängige politische Praxis – nicht erst seit den Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Corona-Pandemie ab 2020. Proteste der BRD-Bürger:innen gegen das Energiesicherungsgesetz von 1973 gab es kaum. Auch führten diese vereinzelten Regelungen nicht zu einer erneuten Etablierung einer Diktatur in der alten BRD, wie von
manchen Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen heute befürchtet wird. Auch wenn sich die beiden Maßnahmen sicherlich hinsichtlich ihrer temporär begrenzten Auswirkungen unterscheiden, lässt sich geschichtlich betrachtet diese Befürchtung somit zumindest relativieren. Dass die Einsparmaßnahmen der Regierung jedoch ökonomisch und nicht ökologisch begründet waren, zeigt die Abschaffung des Energiesicherungsgesetzes nach dem Ende der ersten Ölpreiskrise. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl (1930– 2017, CDU) startete allerdings nach ihrem Wahlerfolg 1983 mit einer massiven Luftreinhaltepolitik. Unter Innenminister Friedrich Walter Zimmermann (1925–2012, CSU) wurden die Großfeuerungsanlagenverordnung (1983) und Abgasregelungen für Fahrzeuge beschlossen. Dieser umweltpolitische Innovationsschub hing laut Martin Jänicke mit zwei Faktoren wesentlich zusammen: Erstens führte der Wahlerfolg der Partei „Die Grünen“ auf Bundesebene (1983) schnell dazu, den Umweltschutz im Parteiensystem der BRD zu verankern. Zweitens hatte das medial verbreitete Waldsterben in der Bevölkerung insgesamt das Thema Luftreinhaltung begünstigt. Insbesondere der Super-GAU in einem Kernkraftwerk in Tschernobyl von 1986 mobilisierte außerdem die Gesellschaft und die Politik für Umweltfragen in der BRD. Aufgrund dieses Ereignisses kam es 1986 schließlich zur Gründung des Bundesmi-
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Abb. 7: Automodell „Dienstwagen des Staatssekretärs des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit“ zur Erinnerung an die Gründungszeit des Ministeriums, 1990er-Jahre (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2018/07/0162 / Paul’s Model Art GmbH / Marlitt Schulz und Axel Tünker)
nisteriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU, Abb. 7). Im Jahr 1989 wurde außerdem die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) auf Vorschlag des damaligen Finanzministers Theo Waigel (geb. 1939, CSU) ins Leben gerufen. Sie fördert bis heute innovative Projekte, die auf Umweltschutz abzielen.
Die Institutionalisierung der Umweltpolitik in der DDR In der DDR gab es in den 1960er-Jahren vereinzelte staatliche Versuche, die Luftreinhaltung zu regeln. Auch die Zerstörung der Landschaft durch den Braunkohlenbergbau wurde zunehmend als Problem erkannt. Die bereits erwähnten Projekte „Landschaftsdiagnose“ und „Großraumdiagnose“ in den 1950er- und 1960erJahren zeigten dabei das Innovationspotential der DDR auf diesem Gebiet. 1952 wurde in der DDR außerdem die Hygieneinspektion als neue Gesundheitsbehörde gegründet, innerhalb derer sich laut Christian Möller in den 1950er-Jahren eine Reformdebatte über den Umgang mit den Gesundheitsfolgen der Luftverschmutzung formierte. Die schlechte Ausstattung der Akteure der Umweltkontrolle in der DDR behinderte aber ihre Arbeit. Luftreinhaltung beschränkte sich zumeist auf den Bau hoher Schornsteine, um die Schadstoffkonzentrationen im unmittelbaren Umfeld der Industriebetriebe zu reduzieren. Es wurden aber laut Möller in
den 1960er-Jahren bereits Grenzwerte festgelegt und vereinzelt Filteranlagen eingesetzt. Der Widerspruch gegen Umweltschutzmaßnahmen war auf Seiten der Wirtschaft groß, wenn es um Eingriffe in die laufende Produktion ging. Nach dem Mauerbau 1961 wurde unter der Regierung von Walter Ulbricht (1893–1973, SED) eine Phase ökonomischer Reformen eingeleitet, die auch dem Umweltschutz Raum bot. Zudem wurde die wissenschaftlich-technische Expertise aufgewertet. Die Zusammenarbeit im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ermöglichte darüber hinaus neue Spielräume. 1962 fand in diesem Zusammenhang ein „Internationales Symposium zu Fragen des hygienischen Schutzes der atmosphärischen Luft“ in Halle statt. Möller sieht insbesondere den Forschungsrat der DDR als wichtigen Impulsgeber für Reformen im Umweltschutz. Dieser war eine Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Im Forschungsrat wurde 1964 die Kommission „Reinhaltung der Luft“ gebildet. Die gesetzliche Regelung von Immissionsgrenzwerten gestaltete sich jedoch, ebenso wie in der BRD, noch zäh. Der „Beschluss über Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft“ von 1966 stellte dabei eine Übergangslösung dar. Darin wurden zwar Schadensersatzansprüche geregelt, sie spielten aber aus Sicht der Industrie nur eine geringe Rolle. Das Gesundheitsministerium verabschiedete 1968 eine weitere Anordnung zur Reinhaltung der Luft. Die darin verankerten Grenzwerte wurden jedoch nicht strikt angewendet. Außerdem gab es kaum Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Betrieben. Der For-
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Abb. 8: Zeitungsartikel aus der DDR-Tageszeitung „Neue Zeit“ zum Landeskulturgesetz, 22. November 1969 (Staatsbibliothek Berlin / Neue Zeit)
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Abb. 9: Arbeitsanzug des VVB Erdöl Erdgas Gommern. Dabei handelte es sich um einen Erdölerkundungsbetrieb in der DDR, der zeitweise bis zu 2100 Mitarbeiter hatte, 1960erJahre (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2018/08/0071 / PUNCTUM Bertram Kober)
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schungsrat interessierte sich neben der Reinhaltung der Luft auch für die Nutzbarmachung industrieller Abprodukte, also Abfälle aus der Produktion. Aufgrund der Rohstoffknappheit in der DDR waren sie wichtige Sekundärrohstoffe. Altstoffverwertung spielte in der DDR aus wirtschaftlichen Gründen generell eine wichtige Rolle. Die Volkskammer der DDR verabschiedete darüber hinaus mit dem „Landeskulturgesetz“ von 1970 das europaweit zweite Umweltschutzgesetz nach Schweden (Abb. 8). In der fünften Durchführungsverordnung zur Reinhaltung der Luft 1973 wurden auch Immissionsgrenzwerte festgelegt. Wenn diese von Industriebetrieben übertreten wurden, mussten sie Staub- und Abgasgelder bezahlen. Diese investierte die Regierung z. B. in die Sanierung von Erholungsanlagen oder Kururlaube für Familien aus belasteten Gebieten. Zur Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltfragen wurden außerdem die „Wochen der sozialistischen Landeskultur“ eingeführt. Mit dem Amtsantritt von Erich Honecker (1912–1994, SED) im Jahr 1971 endete jedoch die fortschrittliche Phase der DDR-Umweltpolitik weitgehend. Zwar wurde 1972 das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (MUW) gegründet. Der langjährige Umweltminister Hans Reichelt (geb. 1925, DBD), der von 1971 bis 1990 amtierte, konnte oder wollte jedoch kaum Einfluss auf die Politik ausüben. Seine Rolle wird in der historischen Forschung unterschiedlich bewertet: Möller sieht in ihm einen linientreuen Funktionär, der die Politik der SED-Führung häufig in vorauseilendem Gehorsam erfüllte. Laut Huff wurde Reichelt dagegen in seinen Handlungsmöglichkeiten durch den Wirtschaftssekretär Günter Mittag (1926–1994, SED) zu stark blockiert. Obwohl schon früh Umweltschutzgesetze und -organe in der DDR existierten, war die Transparenz in diesen Fragen der Bevölkerung gegenüber sehr gering. Umweltdaten galten als Staatsgeheimnisse. Die Ölpreiskrisen von 1973/74 und 1979 wirkten sich insofern auf die Umweltpolitik der DDR aus, als die Förderung der heimischen Braunkohle weiter ausgebaut werden musste, was die Verunreinigung der Luft mit Schwefeldioxid und den Raubbau an der Landschaft verschlimmerte (Abb. 9). In den 1980er-Jahren wurden die Umweltprobleme der DDR zunehmend einer breiten Bevölkerung auch außerhalb der betroffenen Regionen bewusst. Das „Waldsterben“ wurde, wie in der BRD, als sichtbares Zeichen dieser Entwicklung angesehen. Mit dem „Beschluss zur Anordnung und Gewinnung oder Bearbeitung und zum Schutz von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt“ durch das Präsidium des Ministerrats im November 1982 unterlagen Emissionsdaten schließlich verschiedenen Geheimhaltungsstufen. Sie sollten nicht von internationalen Organisationen überprüft werden können. Stattdessen behalf sich die DDR mit gefälschten Daten zur internationalen Luftreinhaltung, womit sie die desaströse ökologische Lage verschleierte.
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Die Umweltunion Durch den Einigungsvertrag von 1990 trat die DDR der BRD bei und hörte damit staatsrechtlich auf zu existieren. Für viele Menschen bedeutete dies einen großen Zugewinn an politischer und wirtschaftlicher Freiheit, während gleichzeitig persönliche Biografien teilweise zutiefst verunsichert wurden. Die Anpassungsleistungen, die hier von ehemaligen DDR-Bürger:innen erbracht werden mussten, wurden von vielen Menschen aus dem Westen jedoch kaum wahrgenommen. Dies förderte gegenseitige Vorurteile, die das Zusammenwachsen behinderten. Auch für die Umweltpolitik hatte die Vereinigung von BRD und DDR weitreichende Konsequenzen. Ein erstes gesamtdeutsches Naturschutzprojekt stellte das bereits unmittelbar nach dem Mauerfall durch den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) initiierte „Grüne Band“ dar. Dabei handelte es sich um das ehemalige Grenzgebiet zwischen der BRD und der DDR. Mit rund 1400 Kilometern quer durch neun Bundesländer ist es heute Deutschlands längster Biotopverbund (Abb. 10). Nach dem Fall der Mauer im November 1989 wurde durch die Regierung unter Hans Modrow (geb. 1928) außerdem die Bildung einer deutsch-deutschen Umweltkommission beschlossen. Die erste Tagung fand am 23. Februar 1990 im Bundesumweltministerium in Bonn statt. Neben einer umfassenden Analyse der Umweltbedingungen in der DDR wurden geeignete Maßnahmen zum Umweltschutz erörtert und umfangreiche Finanzhilfen vereinbart. Die Gelder wurden beispielsweise für den Ankauf von Messinstrumenten und Filteranlagen, die Durchführung von Studien, die Errichtung umweltfreundlicher Heizkraftwerke oder verschiedene Umweltschutzprojekte verwendet. Die schnelle Verwirklichung einer Umweltunion vereinbarten die Verantwortlichen der BRD und der DDR im Mai 1990 im ersten Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (Artikel 16). Zur konkreten Ausgestaltung dieser Festlegungen brachte die bundesdeutsche Seite im Juni 1990 ein Umweltrahmengesetz (URaG) ins Gespräch. Dieses sollte zur Harmonisierung des Umweltrechts zwischen der DDR und der BRD beitragen. Es wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet, die einen von beiden Seiten getragenen Gesetzesentwurf ausarbeitete. Das Umweltrahmengesetz trat gemeinsam mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 in Kraft, womit die Umweltunion vollzogen wurde.
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Abb. 10: Das Luftbild zeigt Ackerflächen in der Nähe von Bischhausen und Freienhagen, zwei Ortschaften in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen innerdeutschen Grenze: Links ist Niedersachsen, rechts Thüringen zu sehen. Der Grenzverlauf der ehemaligen innerdeutschen Grenze beschreibt ein hellgrünes Band, gesäumt von Bäumen und Büschen mitten in der landwirtschaftlich genutzten Fläche, 2008 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2020/01/0115 / Klaus Leidorf)
Zusammenfassung
Abb. 11: Ausgabe des Globus (BUND) zu Fragen des Umweltschutzes in der DDR, 1990 (montan.dok / Bund für Umwelt und Naturschutz e. V.)
Nach dem Zweiten Weltkrieg war in beiden deutschen Staaten das Interesse an Umweltpolitik kaum ausgeprägt, wenngleich der Naturschutz ausgebaut wurde. Erst durch internationale Entwicklungen wurden umweltpolitische Maßnahmen in der BRD und der DDR institutionalisiert. Auf juristisch-formaler Ebene hatte die DDR dabei einen Vorsprung. Auch was die Forschung auf dem Feld des Umweltschutzes angeht, war die DDR in den 1950er- und 1960er-Jahren innovativ. Unter der Regierung Honecker verlor Umweltpolitik ab den 1970er-Jahren jedoch zunehmend an Bedeutung. Wirtschaft hatte Vorrang vor der Umwelt, was schließlich zur desaströsen Umweltsituation am Ende der DDR in den 1980er-Jahren führte (Abb. 11). In der BRD erlebte die Umweltpolitik vor allem durch den Einzug der „Grünen“ in den Bundestag 1983 dagegen in derselben Zeit einen Aufschwung. Die Vereinigung beider Staaten im Jahr 1990 stellte schließlich auch auf umweltpolitischer Ebene eine Herausforderung dar, wobei seitens der letzten DDR-Regierung noch bedeutende Maßnahmen im Bereich des Naturschutzes eingeleitet wurden.
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Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Deutsche Gartenbau-Gesellschaft: Grüne Charta von der Mainau, Konstanz 1961. – Forster, Thomas u. a.: 1974–2014. 40 Jahre Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau 2015. – Frohn, Hans-Werner: 50 Jahre „Grüne Charta von der Mainau“. Ein wegweisendes Naturschutz- und Umweltdokument öffnete in der Bundesrepublik ein Fenster zur Moderne – Zur Entstehungsgeschichte der „Grünen Charta von der Mainau“, in: Studienarchiv Umweltgeschichte 16, 2011, S. 55–64. – Huff, Tobias: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR, Göttingen 2015 (= Umwelt und Gesellschaft, Nr. 13). – Möller, Christian: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen 2020 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Nr. 234). – Nonn, Christoph: Umweltgeschichte von Nordrhein-Westfalen, Köln 2018. – 60 Jahre Grüne Charta von der Mainau. Wie Natur, Grün- und Gartenkultur Grundlage einer gesunden
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Gesellschafts- und Stadtentwicklung sein kann, in: Gartenbau NRW. Die Informationszeitschrift des Landesverbandes Gartenbau Nordrhein-Westfalen e. V. 1, 2021, S. 4–6.
Online (Auswahl) – Jänicke, Martin: Geschichte der deutschen Umweltpolitik, in: Umwelt. Online-Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung, 2009. https://www.bpb. de/gesellschaft/umwelt/dossier-umwelt/61136/ geschichte (Eingesehen: 20.10.2021). – Kretschmann, Kurt: DDR-Naturschutz. Auferstanden aus Ruinen. https://www.nabu.de/wir-ueberuns/organisation/geschichte/00344.html (Eingesehen: 20.10.2021). – https://buna-nrw.de/warum/naturschutz/ (Eingesehen: 20.10.2021). – https://deutsche-einheit-1990.de/ministerien/ muner/umweltkommission/ (Eingesehen: 20.10.2021).
Abb. 1: Protest-Banner aus der DDR von Christiane Weishaupt, 1989 (Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna)
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Umweltbewegung, 1945 bis 1990 Einleitung Mit den Protesten von Fridays for Future (FFF), die von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg (geb. 2003) initiiert wurden, erlebte die Umweltbewegung weltweit seit 2018 einen Aufschwung. Sie kann jedoch auf eine Geschichte zurückblicken, die mit der Naturschutzbewegung im 19. Jahrhundert ihren Ursprung hat. Als Geburtsstunde der modernen europäischen Umweltbewegung gilt aber das „Europäische Naturschutzjahr“ 1970. Dabei handelte es sich um die erste europaweite Umweltkampagne mit über 200 000 Aktionen, die auch ein Initiationsmoment der internationalen europäischen Umweltpolitik darstellte. Während „Umweltpolitik“ politisch eingeleitete Maßnahmen zur Verbesserung der natürlichen Ökosysteme meint, geht der Begriff der „Umweltbewegung“ von den Betroffenen bzw. Kritiker:innen dieser Politik aus, also denjenigen, die die Belastung der Umwelt durch den Menschen anprangern und politische Maßnahmen fordern. Teilweise synonym zum Begriff „Umweltbewegung“ wird heute auch der Begriff „Umweltaktivismus“ verwendet, der den aktiven Einsatz von Teilen der Bevölkerung für den Natur- und Umweltschutz beschreibt. Sichtbar wurde und wird die Umweltbewegung vor allem durch öffentliche Demonstrationen.
Entstehung der Umweltbewegung in West und Ost Global betrachtet hatte die Umweltbewegung laut dem Umwelthistoriker Peter Radkau folgende acht Ursprünge, die in das 19. Jahrhundert zurückreichen: 1. Waldschutz im Sinne einer nachhaltigen Waldwirtschaft 2. Wasserschutz, das heißt die Sorge um die Verfügbarkeit von Trink- und Brauchwasser und um die Reinhaltung der Brunnen und Gewässer 3. Luftreinhaltung, insbesondere der Kampf gegen den Rauch 4. Tierschutz, ausgehend vom Vogelschutz in England 5. Naturschutz im Sinne von Landschaftsschutz, der in Preußen seit 1906 institutionell etabliert wurde 6. Arbeitsschutz, da viele Umweltgifte am frühesten von der Arbeitsmedizin nachgewiesen wurden 7. Verbraucherschutz, der die Sicherheit von Nahrungsmitteln und anderen Konsumgütern überprüfte
8. Naturheillehre, also der Glaube an die Heilkraft von Licht, Luft, Wasser und einer „naturgemäßen“ Lebensweise Bereits diese Aufzählung macht deutlich, dass Umweltschutz keine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist. Die Entstehung der westlichen Umweltbewegung wird in der wissenschaftlichen Literatur räumlich in den USA verortet. Vor allem neue Forschungserkenntnisse spielten dabei eine Rolle. Bereits im 19. Jahrhundert machte die US-amerikanische Forscherin Eunice Newton Foote (1819–1888) auf den Zusammenhang zwischen der Kohlenstoffdioxid-Konzentration (CO2) in der Atmosphäre und der Erwärmung des Klimas aufmerksam. Ihre Forschungsergebnisse wurden bei einer Tagung im Jahr 1856 allerdings von Männern vorgetragen, da es nicht üblich war, dass Frauen sich bei wissenschaftlichen Tagungen zu Wort meldeten. 1872 wurde mit dem Yellowstone National Park der weltweit erste Nationalpark in den Bundesstaaten Wyoming, Montana und Idaho gegründet. Ziele der aus den USA stammenden Nationalpark-Idee waren der Schutz und die dauerhafte Erhaltung einer einzigartigen Landschaft in ihrer Ursprünglichkeit sowie die Vermittlung dieser Werte an die Bevölkerung. Eine weitere Vordenkerin der Umweltbewegung in den USA war die Biologin Rachel Carson (1907–1964). Mit ihrem 1962 erschienenen Werk „Silent Spring“ („Der stumme Frühling“), löste sie laut Christof Mauch metaphorisch gesprochen einen Tsunami aus, der frühere Sichtweisen auf die Natur erschüttert, enorme Zerstörungen sichtbar gemacht und den Ausblick auf eine gefährdete Welt zurückgelassen habe. Carson selbst ging es dagegen laut Mauch schlicht darum, die Gesellschaft darüber aufzuklären, wie zerstörerisch Pestizide, allen voran DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), auf Mensch und Natur wirkten. Sie entwarf dabei ein Szenario, in dem nach einem Winter im Frühjahr keine Vogelstimmen mehr erklingen. Seitens Interessensvertreter:innen der Industrie wurde Carson für ihre Veröffentlichungen hart angegriffen, wobei ihre Einstellung auch auf vermeintlich „weibliche“ Eigenschaften wie zu große Emotionalität zurückgeführt wurde. Ebenso wie in den USA entwickelte sich in Russland im 19. Jahrhundert ein Bewusstsein für die Notwendigkeit des Naturschutzes in Teilen der Bevölkerung. Es handelte sich dabei um eine intellektuelle Elite, die laut dem Historiker Klaus Gestwa von Seiten der Politik jedoch verspottet wurde. Dennoch erreichte sie die Einrichtung von ersten Naturschutzgebieten. In den 1960er-
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Abb. 2: BRD-Broschüre „Umweltsch(m)utz. Berichte aus dem Arbeitskreis Umwelt Wuppertal“, 1979 (Archiv für alternatives Schrifttum, 54.III.10 / Arbeitskreis Umwelt Wuppertal)
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Jahren bildeten sich ausgehend von Studierenden und Forschenden der Naturwissenschaften an den Universitäten außerdem so genannte Umweltmilizen (družiny), die die Ursachen und Verursachenden der Umweltzerstörung in der Sowjetunion aufzuspüren beabsichtigten. So entstanden soziale Netzwerke und Öffentlichkeitsforen, die breitenwirksame Aktionen initiierten, wie z.B. die Gründung des Walddorfes Kedrograd in Sibirien zur Rettung von Zedernwäldern oder das Projekt „Ekopolis“, das darauf zielte, in der Nähe von Moskau eine ökologische Musterstadt zu gründen. Ähnlich wie in den USA kam es zu einer immer größeren Sensibilisierung der sowjetischen Bevölkerung für Umweltfragen. Insbesondere eine Kontroverse um den Baikalsee in Ostsibirien zeigte diese Entwicklung. Ab 1959 sollten an diesem und seinem Hauptzufluss, der Selenga, fünf große Papier- und Zellulose-Fabriken errichtet werden. Eine spontane Koalition, die von Wissenschafler:innen ausging, machte auf die drohende Umweltzerstörung vor allem durch Zeitungsartikel aufmerksam und stellte so die herrschende Politik infrage.
Die Umweltbewegung in der BRD In der BRD spielte die Umweltbewegung ab den 1970erJahren eine wichtige Rolle bei der öffentlichen Thematisierung von Umweltproblemen. Es gründeten sich zunächst zahlreiche Umweltschutzgruppen und -initiativen. Diese schlossen sich 1972 zum Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) zusammen. 1975 gründete sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der zusammen mit anderen Umwelt- und Naturschutzverbänden in der Folgezeit für die Umweltpolitik maßgeblich wurde. Laut Radkau erhielt die Umweltbewegung in der BRD zwar ihre ersten Impulse durch die sich etablierende Umweltpolitik „von oben“, gerade die Bürgerinitiativen seien jedoch ein wesentlicher Motor „von unten“ gewesen. Das nachträglich am stärksten wahrgenommene Thema der westdeutschen Umweltbewegung war in den 1970er- und 1980er-Jahren die Atomkraft. Die Bewegung war daher eng verknüpft mit der bundesdeutschen Friedensbewegung, die sich für die atomare Abrüstung der BRD einsetzte. Die Breitenwirkung und auch die Brisanz, die die Anti-Atomkraft-Bewegung erfuhr und auslöste, zeigte sich bereits anlässlich des Protests gegen den geplanten Bau eines Atomkraftwerks im badisch-elsässischen Whyl von 1972 bis 1975. Hier schlossen sich Studierende mit bürgerlichen Vertreter:innen und Bäuer:innen zusammen. Es kam dabei zu Bauplatzbesetzungen und teilweise harten Konfrontationen mit der Staatsgewalt. Ähnlich öffentlichkeitswirksame Proteste in diesem Kontext gab es 1974 gegen den Schnellen Brüter in Kalkar, 1975/76 gegen das Atomkraftwerk (AKW) bei Brokdorf und 1977 bis 1979 gegen die Lagerstatte für Atommüll in Gorleben
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(Abb. 2). Massive Bürger:innen-Proteste entwickelten sich in den 1980er-Jahren auch im Kontext der geplanten Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Die Breitenwirkung der Umwelt- und Friedensbewegung zu dieser Zeit zeigte sich am Ostermontag des Jahres 1986, als ungefähr 100 000 Menschen in Wackersdorf protestierten. Ein entscheidendes Ereignis für die Anti-AtomkraftBewegung war die Explosion eines Reaktors im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl 1986. Seine stärksten Auswirkungen hatte der Unfall in den drei benachbarten ehemaligen Sowjetrepubliken, den heutigen Staaten Ukraine, Weißrussland und Russland. Die Angst vor radioaktiver Verseuchung war aber in ganz Europa in der Folge enorm. Wechselnde Winde verteilten die Strahlung in den Tagen nach der Katastrophe über Osteuropa, Skandinavien und Westeuropa, teilweise bis zu tausende Kilometer weit. Durch radioaktiv belasteten Regen wurden Böden kontaminiert. Insbesondere die drohende gesundheitsgefährdende Vergiftung von Lebensmitteln ließ daher unter der Bevölkerung der BRD große Zweifel an der friedlichen Nutzung der Atomenergie aufkommen. So blieb Atomkraft das als beherrschend wahrgenommene Thema der Umweltbewegung der BRD in den 1980er-Jahren. Die Verbrennung fossiler Rohstoffe spielte zu diesem Zeitpunkt für die Bewegung eine geringere Rolle, wobei insbesondere das in den 1980er-Jahren diagnostizierte „Waldsterben“ wesentlich auf industrielle Luftverschmutzung zurückgeführt wurde. Auch dieses medial stark aufgegriffene Thema mobilisierte die Menschen in der BRD für den Umweltschutz und ließ die Umweltbewegung wachsen (Abb. 3).
Abb. 3: BRD-Flugblatt mit Kritik an der Umweltpolitik: „Kraftwerke schwefeln[,] Politiker schwafeln und der Wald stirbt“, 1980–1985 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2018/06/0224 / Hubert Hoffmann)
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Abb. 4: Kleid aus dem Kontext der Friedens- und Umweltbewegung der BRD, undatiert (Archiv für alternatives Schrifttum, T0082)
Ein besonders hartes Aufeinandertreffen von Polizei und Demonstrierenden ereignete sich aber in einem anderen Kontext, nämlich anlässlich der geplanten Startbahn West am Frankfurter Flughafen 1980/81. Hunderte Menschen wurden bei Protesten verhaftet und ebenso viele verletzt. Die Startbahn West war so Anfang der 1980er-Jahre das Symbol für den Widerstand gegen Umweltzerstörung. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen setzten sich auch nach ihrem Bau weiter fort, und zwar in einer Dimension, die man in der BRD zu diesem Zeitpunkt im Zusammenhang mit Umweltprotesten noch nicht kannte: Im Jahr 1987 wurden bei einer Demonstration zwei Polizisten durch Autonome erschossen. Der überwiegende Teil der Umweltaktivist:innen in den 1970er- und 1980er-Jahren protestierte jedoch friedlich (Abb. 4). Da ihre Aktionen politisch allerdings zumeist folgenlos blieben, setzte sich bei vielen bereits sehr früh der Gedanke durch, die Bewegung müsse sich organisieren. Einige dieser Gruppen traten zunächst als „Die Bunten“ oder „Alternative Listen“ auf, die mit ihrem anarchischen Auftreten vor allem bei den jungen Wähler:innen punkten konnten. Relativ schnell setzten sich innerhalb der „Bunten“ oder „Alternativen“ aber die „Grünen“ durch, die den Schwerpunkt auf Umweltthemen legten. Offiziell gegründet wurde die Partei „Die Grünen“ im Jahr 1980 in Karlsruhe. Sie wurde laut dem Historiker Jost Hermand als eine alternative Anti-Partei wahrgenommen, die nicht nur aus Umweltschützer:innen bestand, sondern auch vielen Anarchist:innen, Spontis (Nachfolge der 68er-Bewegung), Feminist:innen und Friedensbewegten ein politi-
sches Auffangbecken bot. Sie wurden zunächst in viele Stadträte und Landtage gewählt und 1983 schließlich in den Deutschen Bundestag. Die Partei war jedoch von Anfang an gespalten in die so genannten Realos und Fundis. Während sich die „Realos“ für realistische und vertretbare politische Ziele innerhalb des bestehenden Systems einsetzten, wollten die „Fundis“ („Fundamentalisten“) das bestehende Wirtschaftssystem abschaffen. Bemerkenswert für die Umweltbewegung der BRD ist die Tatsache, dass ihre Forderungen über den Erfolg der „Grünen“ auch Eingang in die Programme etablierter Parteien fanden. Dass „grüne“ Themen nicht nur für Aktivist:innen in linker Tradition bedeutsam waren, lässt sich bereits aus dem konservativen Ursprung des Naturschutzes vor 1945 herleiten. Naturschutz als Heimatschutz wurde daher schon immer auch von rechten bis rechtsextremen Parteien und Gruppierungen vertreten.
Die Umweltbewegung in der DDR Ähnlich der Entwicklung in der BRD bildeten sich auch in der DDR in den 1970er-Jahren erste Umweltinitiativen, wobei die zentralen Thematiken etwas anders gelagert waren: Besonders die Luft- und Wasserverschmutzung, die Chemikalienbelastung, das Waldsterben und wilde Mülldeponien waren die größten Umweltprobleme. Die DDR hatte einen überdurchschnittlich hohen Primärenergieverbrauch (Energiegehalt aller im Inland eingesetzten Energieträger), und die intensive Braunkoh-
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Abb. 5: Mail Art-Karte: „Schönen GRUS aus Knappenrode“, 1980er-Jahre (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 1996/03/0062 / Steffen Jacob)
lenförderung trug maßgeblich zu den Belastungen bei. Hinzu kamen eine hohe Bodenkontamination durch den Uranerzabbau sowie eine starke Wasserverschmutzung durch die Chemieindustrie, den Kalibergbau und die schlechte Klärung von Abwässern. Obwohl auch die Landwirtschaft in der DDR einen großen Anteil an der Umweltbelastung hatte, entstand die DDR-Umweltbewegung hauptsächlich in den großen Industriezentren, wo die Bevölkerung direkt durch Umweltverschmutzungen betroffen war. Insbesondere gesundheitliche Auswirkungen machten die Umweltverschmutzung in der DDR für die Menschen konkret spürbar: Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen und Krebsleiden häuften sich in den Industriegebieten (Abb. 5). In der historischen Forschung wurde bisher vor allem die so genannte unabhängige Umweltbewegung unter dem Dach der Evangelischen Kirche in den Vordergrund gestellt, die von der Staatsgewalt massiv unterdrückt wurde. Der Historiker Christian Möller machte jedoch in einer umfassenden Studie darauf aufmerksam, dass es auch in der DDR Möglichkeiten gab, legal gegen die Umweltzerstörung zu protestieren. Als entscheidendes Instrument sieht er dabei das Eingabewesen an. Dies war rechtlich durch das „Gesetz über die Bearbeitung der Eingaben der Bürger“ geregelt und sollte der informellen Konfliktbewältigung dienen. Als besonders relevant sieht Möller Kollektiveingaben an,
für die sich Bürger:innen in Interessensgemeinschaften zusammenschlossen. Eingaben stellen in der Tat eine relevante Quellengattung der DDR-Umweltgeschichte dar, da sie die Wahrnehmung der Umweltsituation durch die Bevölkerung widerspiegeln. Eine weitere Option des von der SED tolerierten und sogar unterstützten Umweltengagements bot in den 1980er-Jahren die Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) im Kulturbund der DDR. Der Kulturbund war eine staatliche Massenorganisation, weshalb das Engagement im GNU in der Forschung häufig als staatlich gelenkt betrachtet wurde. In der Beurteilung Möllers ist die GNU dennoch auch in Teilen der Umweltbewegung in der DDR zuzurechnen. Sie gliederte sich in verschiedene Fachausschüsse. Die Mitglieder legten in ihrer Freizeit Naturlehrpfade an, markierten Wanderwege und betrieben Arten-, Natur- sowie Landschaftsschutz. Die oppositionelle, also vom Staat nicht tolerierte Umweltbewegung konnte sich besonders unter dem Dach der Evangelischen Kirche in der DDR entwickeln, denn sie bot immer wieder Freiraum für staatlich unerwünschte Auseinandersetzungen. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass auch die Kirche mit Inoffiziellen Mitarbeiter:innen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) durchsetzt war. Verhindern konnte das die oppositionellen Aktivitäten innerhalb der Kirche jedoch nicht. Das Kirchliche Forschungs-
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Abb. 6: Demonstration in der DDR gegen Umweltverschmutzung von Bitterfeld nach Wolfen, 19. Mai 1984 (Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. – Archiv der DDR-Opposition, RHG_Fo_RDA_01217 / Michael Beleites)
heim Wittenberg gewann ab Ende der 1970er-Jahre im Kontext der Umweltbewegung an Bedeutung. Dieses informierte mit Ausstellungen, Seminaren, Informationsveranstaltungen und Publikationen zu Themen des Umweltschutzes. Das Forschungsheim begleitete fachlich außerdem die Baumpflanzbewegung, die Ende der 1970er-Jahre aus einzelnen Baumpflanzaktionen entstand. Über die Kirchen, das Forschungsheim Wittenberg und die Baumpflanzaktionen bildeten sich in den 1980er-Jahren viele Umweltortsgruppen und Seminare, die sich regelmäßig auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene trafen (Abb. 6). Ende der 1980er-Jahre erlangten die Umweltbibliothek und das Grün-Ökologische Netzwerk Arche als neue Akteur:innen der Umweltbewegung an Bedeutung. Die Umweltbibliothek gründete sich 1986 in der Berliner Zionskirchgemeinde nach dem Vorbild der oppositionellen Bibliotheken in Osteuropa. Auch in einigen anderen DDR-Städten wurden Umweltbibliotheken ins Leben gerufen. Mitglieder der Partei „Die Grünen“ in der BRD beschafften beispielsweise Fachliteratur für die Umweltbibliotheken, wodurch die Vernetzung der beiden Umweltbewegungen in der BRD und der DDR exemplarisch deutlich wird. Von Anfang
an wurde die Umweltbibliothek Berlin vom MfS überwacht. Das Arche-Netzwerk wurde 1988 in der Wohnung des Aktivisten Carlo Jordan (geb. 1951) mit dem Ziel der besseren Koordination der einzelnen Umweltgruppen gegründet (Abb. 7).
Die staatliche Kriminalisierung der Umweltbewegung in Ost und West Die oppositionelle Umweltbewegung in der DDR wurde seitens der SED und ihrer Machthaber als staatsfeindlich angesehen und daher systematisch unterdrückt. Besonders ein Ereignis gilt nachträglich als Symbol dieser Repression: Die Razzia im Jahr 1987 in den Kellerräumen des Gemeindehauses der Zionskirche Berlin, wo die Umweltbibliothek untergebracht war. Als Teil ihrer Arbeit fertigte diese dort auch so genannte Samisdatschriften an. Dabei handelte es sich um Untergrundzeitschriften, die von den Umweltaktivist:innen ohne staatliche Erlaubnis gedruckt und verbreitet wurden.
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Abb. 7: Gründungstreffen des Grün-Ökologischen Netzwerks Arche in Ost-Berlin, 1988 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2018/04/0248)
Darin klärten sie unter anderem über Umweltverschmutzungen in der DDR auf. Zumeist enthielten sie den Vermerk „Nur zum innerkirchlichen Dienstgebrauch“, was einer gewissen Absicherung dienen sollte. In der Nacht vom 24. auf den 25. November 1987 kam es zu einer überfallartigen Durchsuchung, bei der mehrere Personen festgenommen wurden. Die Beamten des MfS beschlagnahmten außerdem die Druckmaschinen, auf denen die Samisdatschriften „Umweltblätter“ und „Grenzfall“ vervielfältigt wurden. Bereits am 25. November 1987 informierte der Umweltaktivist Carlo Jordan die Öffentlichkeit in der Ostberliner Zionskirche bei einer Mahnwache über den nächtlichen Überfall (Abb. 8). Er forderte die sofortige Freilassung der verhafteten Mitarbeiter und die Rückgabe der Druckmaschinen. Auch diese Veranstaltung wurde durch das MfS überwacht. Sie führte aber zu einer Solidarisierungswelle mit den oppositionellen Gruppen sowohl innerhalb als auch außerhalb der DDR. Die Ereignisse vom November 1987 zeigen deutlich, dass den Umweltgruppen von politischer Seite eine große Bedeutung zugeschrieben wurde. Sie bewirkten aber vor allem eins: die öffentliche Sichtbarmachung ihrer staatlichen Repression. Trotz dieser Einschränkun-
gen und auch struktureller Differenzen innerhalb der Umweltbewegung in der DDR bleibt festzustellen, dass diese 1989 die Forderungen der Friedlichen Revolution nach Reformen in der DDR wesentlich mitgetragen hat. Die Erwartungen vieler Aktivist:innen nach der Vereinigung beider deutscher Staaten im Jahr 1990 wurden aber oftmals enttäuscht. Doch auch die Umweltbewegung in der alten und neuen BRD wurde kriminalisiert, indem sie beispielsweise mit linken Terrorgruppen wie der Roten Armee Fraktion (RAF) in Verbindung gebracht wurde. Ein ähnliches Beispiel wie die Umweltbibliothek in Berlin stellt das Umweltzentrum im westfälischen Münster dar, das im Jahr 1980 gegründet wurde. Es stellte, ebenso wie die Umweltbibliothek in der DDR, Informationen zu Umweltthemen zur Verfügung und gab auch eigene Zeitschriften heraus. Bereits in den 1980er-Jahren kam es immer wieder zu polizeilichen Durchsuchungen in den Räumen des Umweltzentrums (Abb. 9). Am 07. Januar 1992 fand eine siebenstündige Razzia statt, die laut den Angaben von Mitgliedern des Umweltzentrums damit begründet wurde, dass in einer ihrer Zeitschriften, der UNFASSBA Nr. 7/8, für die RAF geworben worden sei (afas 36.II.1992:2), wovon sie sich aber distanzierten.
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Abb. 8: Mahnwache in der Berliner Zionskirche anlässlich der Verhaftung von Mitgliedern der Umweltbibliothek Berlin, 25. November 1987 (Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. – Archiv der DDR-Opposition, RHG_Fo_SiSch_01_051-01 / Siegbert Schefke)
Zusammenfassung und Ausblick
Abb. 9: Polizeihelm, 1980er-Jahre (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2000/08/0305 / Marlitt Schultz und Axel Tünker)
Die Umweltbewegung in Deutschland kann auf eine lange Tradition und internationale Vorläuferinnen zurückblicken. Während in der BRD nach 1945 vor allem der Protest gegen Atomkraft sichtbar wurde, waren es in der DDR insbesondere alltägliche Belastungen durch die Umweltverschmutzung, die die Menschen mobilisierten. Das Beispiel des Umweltzentrums in Münster macht deutlich, dass Einsatz für den Umweltschutz auch in der BRD von staatlicher Seite Repressionen erfuhr. Die „neue“ Umweltbewegung wird in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem mit FFF verbunden. Obwohl sie in der Tradition der historischen Umweltbewegung steht, unterscheidet sie sich jedoch von ihr in einigen Punkten. Ein Hauptunterschied liegt im Charakter ihrer Forderungen. So verlangt Fridays for Future (FFF) etwas, wozu sich fast alle Staaten der Welt selbst verpflichtet haben, nämlich die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens von 2015 und damit die Begrenzung der Klimaerwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius. Während andere neue Umweltinitiativen wie Extinction Rebellion mit teilweise radikalen Aktionen auf ihre Ziele aufmerksam machen wollen, tritt FFF jedoch gemäßigter auf und fordert einen ökologisch verträgli-
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chen Lebensstil der Gesamtgesellschaft. Das verbindet die FFF-Aktivist:innen laut der Politikwissenschaftlerin Henrike Knappe mit den früheren Umweltbewegungen aus der BRD und der DDR. Sie würden jedoch über ihre Vorgänger:innen hinausgehen, weil sie eine größere Dringlichkeit und einen umfassenderen Ansatz artikulieren. Ein weiteres spezifisches Merkmal von FFF besteht laut Knappe in der starken Betonung des Konzepts von Klimagerechtigkeit. Dieses kritisiert die Tatsache, dass die Industrieländer des Globalen Nordens die größten Verursacher:innen des menschengemachten Klimawandels darstellen, während die so genannten Entwicklungs- und Schwellenländer des Globalen Südens am stärksten von den Auswirkungen betroffen sind. Ein weiterer Unterschied von FFF zur historischen Umweltbewegung liegt in der personellen Struktur. In der DDR und der alten BRD waren es vor allem Studierende und die bürgerliche Mitte, die sich in der Umweltbewegung engagierten. Bei FFF sind es deutlich jüngere Bevölkerungsgruppen zwischen 14 und 19 Jahren. Vor allem das Bewusstsein über die eigene Betroffenheit durch den Klimawandel mobilisiert die Jugendlichen heute. Zudem setzen sich laut Knappe bei FFF mehr Frauen als früher für den Umweltschutz ein. Weiterhin entstammt die Bewegung jedoch stark der weißen Mittelschicht. Die Geschichte der internationalen Umweltbewegung dürfte also noch nicht an ihr Ende gelangt sein.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Gestwa, Klaus: Ökologischer Notstand und sozialer Protest. Ein umwelthistorischer Blick auf die
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Reformunfähigkeit und den Zerfall der Sowjetunion, in: Archiv für Sozialgeschichte 43, 2003, S. 349–389. Hermand, Jost: Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1991 (= Fischer Geschichte, Nr. 10395). Knappe, Henrike: Klimaschutz als soziale Bewegung, in: Klima. Informationen zur politischen Bildung 347, 2021, S. 49–50. Langsdorf, Susanne/Hofmann, Elena: Die Umweltbewegung in der DDR und die Umweltpolitikberatung in den neuen Bundesländern, o. O. 2014. Mauch, Christof: Blick durchs Ökoskop. Rachel Carsons Klassiker und die Anfänge des modernen Umweltbewusstseins, in: Zeithistorische Forschungen 1, 2012, S. 156–160. Radkau, Joachim: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011.
Online (Auswahl) – Löhle, Nora: Die ökologische Transformation wächst. Initiative der USA, in: Böll Thema v. 17.07.2020. https://www.boell.de/de/2020/07/17/dieoekologische-transformation-waechst-initiativenden-usa (Eingesehen: 20.10.2021). – https://nationale-naturlandschaften.de/wissensbeitraege/geschichte-der-nationalparks (Eingesehen: 20.10.2021). – Rink, Dieter: Umwelt, in: Lange Wege der deutschen Einheit. Online-Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung, 2020. https://www.bpb. de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-derdeutschen-einheit/47350/umwelt (Eingesehen: 20.10.2021).
Abb. 1–2: DDR-Spiel „Umwelt und wir“, 1984 (montan.dok / Verlag für Lehrmittel Pößneck)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-018
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Umweltbewusstsein, 1945 bis 1990 Einleitung Die Umwelt und die damit verbundenen Probleme waren ab den 1970er-Jahren nicht nur verstärkt ein Thema der Politik und engagierter Umweltschützer:innen. Während von industriellen Umweltproblemen im 19. Jahrhundert vor allem die Menschen wussten und betroffen waren, die in der Nähe von Industrieanlagen wohnten, stieg das allgemeine Umweltbewusstsein in der gesamten Gesellschaft sowohl in der BRD als auch in der DDR stark an. Die aufkommende Umweltpolitik und die Umweltgruppen in beiden Staaten hatten diese Entwicklung sicherlich mit beeinflusst. Auch Umweltkatastrophen, wie die Explosion eines Atomreaktors in Tschernobyl 1986 oder das Anfang der 1980er-Jahre angedrohte Waldsterben, alarmierten die Menschen (Abb. 3). Dies spiegelte sich in verschiedenen Bereichen der Kultur, des Alltags sowie der schulischen Erziehung und der Wissenschaft wider. So beschäftigten sich Literat:innen, bildende Kunstschaffende, Musiker:innen und Filmschaffende in der BRD und der DDR mit dieser Thematik, wobei in der DDR die Gefahr der Zensur missliebiger Themen von Seiten des Staates immer bestand. Auch im Alltag der Menschen spielten Umweltthemen eine zunehmende Rolle. Innerhalb der Schulen wurden umweltgeschichtliche Themen aufgegriffen, und an den Universitäten spezialisierten sich einige Historiker:innen auf die Umweltgeschichte. Insbesondere historische Museen in Deutschland blieben jedoch bis weit in die 1990er-Jahre beinahe umweltfreie Räume. Dennoch gibt es eine Fülle von Beispielen für das verstärkte Umweltbewusstsein in der Gesellschaft, die hier exemplarisch an Entwicklungen in der BRD und der DDR aufgezeigt werden.
(Fehlendes) Umweltbewusstsein im Museum Erste Ausstellungen zu Umweltthemen finden sich wenig überraschend in den USA wieder, denn dort werden auch die Ursprünge der westlichen Umweltpolitik sowie Umweltbewegung verortet. Als bedeutend für die Musealisierung der Umwelt einzuschätzen sind die frühen Ausstellungen wie „Can Man Survive?“ (1969) am American Museum of Natural History und „Man In His Environment“ (1974) am Field Museum of Natural History. Die Ausstellungsgestaltung von „Can Man Survive?“ war dabei aus heutiger Sicht betrachtet sehr
Abb. 3: BRD-Werbeblatt „1988[,] Das Jahr des Baumes – Hilfsaktion für unsere Wälder: Bäume aus der Dose. Das aktuelle Geschenk“, 1988 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2014/08/0039.01 / Firma Horst Urbanek Jr.)
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modern. Es handelte sich um eine innovative und experimentelle Verbindung von Ton, Fotografie und Film als multimediales Crossover. Sie gilt daher als Meilenstein der modernen Ausstellungskonzeption. Auch die „Man In His Environment“-Ausstellung beruhte auf einer modernen Vorstellung, die den Menschen als Teil der Umwelt betrachtete. An deutschen Institutionen führten dagegen Umweltthemen sowohl in der BRD als auch in der DDR ein Schattendasein. Die Verantwortlichen des Deutschen Museums in München beschlossen erst 1992 die Schaffung einer entsprechenden Ausstellungs- und einer daran gekoppelten Sammlungseinheit, die sich jedoch auf Umwelttechnik beschränken sollten. Damit blieben politik-, gesellschafts- und kulturgeschichtliche Aspekte des Themas außen vor. In der DDR war die Thematisierung von Umweltproblemen in der Öffentlichkeit sogar von staatlicher Seite tabuisiert, da diese ideo-
logisch bedingt als Symptom des Kapitalismus galten. Die desaströse Lage versuchte man daher besonders in den 1980er-Jahren zu verschleiern. Inoffizielle Ausstellungen wurden dagegen von oppositionellen Gruppen angefertigt. Eine Ausstellung mit dem Titel „Mensch und natürliche Umwelt“ erarbeitete beispielsweise das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg 1979. Das Forschungsheim war eine der wichtigsten Institutionen der unabhängigen Umweltbewegung in der DDR, und die Ausstellung wurde zehn Jahre lang in 40 Kirchen gezeigt. Erst 1989, wenige Monate vor dem Mauerfall, wurde die staatliche Ausstellung „Gestaltung und Schutz der Umwelt“ präsentiert, die einen repräsentativen Überblick über die zu diesem Thema in DDR-Verlagen erschienenen Publikationen bieten sollte. Umweltzerstörung war in beiden deutschen Staaten allerdings ein Thema der Literatur und des Films, wobei im Folgenden auf ausgewählte Beispiele eingegangen wird.
Umweltbewusstsein in Literatur, Film und Kunst
Abb. 4: Filmplakat zum DEFA-Film „Abschiedsdisco“, der sich auch mit dem Braunkohlentagebau in der Lausitz beschäftigt, 1990 (Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna)
Ein wichtiger Schriftsteller, der sich bereits zu DDRZeiten insbesondere mit dem Braunkohlentagebau und seinen Konsequenzen auseinandersetze, war Joachim Nowotny (geb. 1933). Er stammte aus einer Arbeiterfamilie in der Lausitz und absolvierte zunächst eine Lehre als Zimmermann. Von 1954 bis 1958 studierte er Germanistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nowotny verfasste vor allem Kinder- und Jugendbücher. Als Mitglied der SED war er von 1978 bis 1989 Vizepräsident des Schriftstellerverbandes der DDR. Von Mitte der 1970er-Jahre bis 1981 wurde er als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS geführt, was die Ambivalenz des Schriftstellers deutlich macht. In seinen frühen Werken drückte sich noch ein gewisser Technik- und Fortschrittsoptimismus aus, der später jedoch der Kritik am Braunkohlentagebau und der damit verbundenen Landschaftszerstörung wich. Exemplarisch für diese Entwicklung steht der Roman „Abschiedsdisco“ (1981). Dieser wurde 1989 von der Deutschen Film AG (DEFA) der DDR auch verfilmt. Nowotny verbindet dabei die Themen Umweltzerstörung und Entwurzelung. Der Roman und der Film handeln von dem 15jährigen Henning, der seinen Großvater in dem Dorf Wussina in der Lausitz besucht. Dieses soll in Kürze für den Braunkohlentagebau umgesiedelt werden. Henning trifft dabei auf verschiedene Menschen, die unterschiedlich mit diesem Verlust umgehen (Abb. 4). Ein weiterer Film, der sich mit der Zerstörung von Heimat und Landschaft durch den Braunkohlentagebau in der DDR auseinandersetze, war die Dokumentation „Erinnerung an eine Landschaft – Für Manuela“ (1983). Regisseur Kurt Tetzlaff (geb. 1933) verfolgte für diesen Film über mehrere Jahre die Schicksale einiger Dorfbewohner:innen südlich von Leipzig. Er zeigte den
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schmerzlichen Abschied der Menschen von vertrauten Orten, die dem Tagebau weichen mussten. Der Film handelt aber auch von der Rekultivierung zerstörter Kulturlandschaften. In den 1970er- und 1980er-Jahren erschienen darüber hinaus besonders in den USA einige filmische Dystopien in Bezug auf Umweltzerstörung (Ökodystopien), so z. B. der Film „Soylent Green“ (1973) unter der Regie von Richard Fleischer (1916–2006). Er behandelt die möglichen Folgen exzessiver Nutzung endlicher Ressourcen. Umweltverschmutzung und Überbevölkerung werden in einem düsteren Zukunftsszenario thematisiert. Die Veränderung der Landschaft im Ruhrgebiet in den 1980er-Jahren zeigte indirekt die Fernsehserie „Tour de Ruhr“ (1981) des WDR nach einem Drehbuch von Elke Heidenreich (geb. 1943). Sie wird heute ausdrücklich auch so beworben. So heißt es auf der Rückseite der DVD: „Ruhrgebietstourismus lange vor der Route der Industriekultur […] Abgesehen von diversen Familien- und Freundschaftskonflikten sieht man tolle Eindrücke aus dem Ruhrgebiet der frühen 80er, das auch damals schon ziemlich grün war. Aber auch Zechensterben und Wohnsanierung prägen das Bild […]“ (Abb. 5). Den Uranerzbergbau in der DDR behandelte bereits sehr früh der Schriftsteller Werner Bräunig (1934–1976). Er stammte wie Nowotny aus einer Arbeiterfamilie und arbeitete 1953 kurzzeitig als Fördermann bei der SAG Wismut, die den Uranerberzbergbau in der DDR für das sowjetische Atomwaffenprogramm betrieb. Der Roman „Rummelplatz“ (2007), den Bräunig im Jahr 1959 begann, schilderte ungeschönt das Leben und Arbeiten der Bergleute bei der Wismut, weshalb er in der DDR nie veröffentlicht wurde und unvollständig blieb. Erst 2007 erschien Rummelplatz, allerdings bereits Jahrzehnte nach dem Tod des Schriftstellers. Einer der bekanntesten Jugendromane zum Thema Umweltzerstörung in der BRD war „Die Wolke“ (1987) von Gudrun Pausewang (geb. 1928). Sie wuchs als Tochter eines Landwirts in Ostböhmen auf und floh nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 mit ihrer Familie nach Westdeutschland. Der Roman erschien nur ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und war damit eine direkte literarische Reaktion auf dieses Ereignis. Er handelt von der 14jährigen Janna-Berta, die aufgrund eines ähnlich beschriebenen Unfalls in einem Atomkraftwerk in der BRD schwer erkrankt. Pausewang entwarf in „Die Wolke“ ein beängstigendes Szenario, das die Gefühlslage vieler Menschen in Bezug auf die Atomenergie in den 1980er-Jahren widerspiegelte. Weniger bekannt war und ist beispielsweise der Roman „Die Abholzung“ (1985) des Liedermachers und Schriftstellers Franz Josef Degenhardt (geb. 1931). Er wuchs am südöstlichen Rand des Ruhrgebiets in Schwelm als Sohn katholischer Eltern auf. Degenhardt galt als Stimme der 68er-Bewegung und engagierte sich für die westdeutsche Friedensbewegung. Von 1983 bis 1990 war er auch korrespondierendes Mitglied der
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Abb. 5: Fernsehserie „Tour de Ruhr“ nach einem Drehbuch von Elke Heidenreich, 1981 (montan.dok / WDR, Elke Heidenreich und Reinhard Schwabenitzky)
Akademie der Künste der DDR und trat mehrmals beim Festival des politischen Liedes in der DDR auf. „Die Abholzung“ handelt von dem fiktiven Konflikt um den Bau einer Autobahn, für die ein Waldgebiet abgeholzt werden soll. Angesichts aktueller Proteste um den Hambacher Forst, der für den Braunkohlentagebau gerodet werden sollte, gewinnt dieser Roman wieder an Aktualität. Nicht nur Literat:innen, sondern auch bildende Künstler:innen verarbeiteten das Thema Umweltzerstörung und Landschaftsveränderung in ihren Werken in beiden deutschen Staaten (Abb. 6). Ein Kunstwerk, das sich in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museums Bochum befindet, ist der Zyklus „Umwelt“ des Bochumer Künstlers Artur Cremer (Acre, 1932–2011) von 1984, in dem er darauf aufmerksam macht, dass der Mensch sich „Ins eigene Fleisch“ schneidet, wenn er ohne Rücksicht auf die Umwelt weiterhin immer mehr Ressourcen verbraucht
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(Abb. 7). Eines der Leitobjekte der Ausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“ stammt ebenfalls aus den Musealen Sammlungen des montan.dok beim Deutschen BergbauMuseum Bochum. Es handelt sich um ein Gemälde des DDR-Künstlers Willi Sitte (1921–2013) und trägt den Titel „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geliehen“ (1988/89). Er thematisiert darin die positiven und negativen Auswirkungen der industriellen Rohstoffnutzung, denn er zeigt in dem Werk sowohl Krieg und Zerstörung als auch technischen Fortschritt.
Umweltbewusstsein in der Popmusik
Abb. 6: Gemälde „Auftakt (Kapelle)“ des Künstlers Günter Dworak. Im Hintergrund ist eine terrassenförmige Abraumhalde zu erkennen. Auf diese Art und Weise wurden Halden bis in die 1980er-Jahre im Ruhrgebiet gestaltet, 1984 (montan.dok 030005201001 / Günter Dworak)
Dass Umweltzerstörung ein Thema war, das die gesamte Gesellschaft in den 1970er- und 1980er-Jahren berührte, wird auch mit Blick auf die Pop- und Rockmusik in dieser Zeit deutlich. Die BRD-Sängerin Nicole (geb. 1964) wurde mit ihrem Schlager „Ein bisschen Frieden“ (1982) nachträglich als populärer Ausdruck der Friedensbewegung eingeordnet. Im Kontext der Umweltbewegung ähnlich einzuschätzen ist beispielsweise das Lied „Diese Welt“ von Katja Ebstein (geb. 1945), das 1971 erschien. Darin heißt es: Rauch aus tausend Schloten Senkt sich über Stadt und Land Wo noch gestern Kinder war’n Bedeckt heut’ Öl den Strand In den Düsenriesen Fliegen wir dem Morgen zu Wie wird dieses Morgen sein Sinnlos oder voller Sonnenschein
Bereits 1968 machte das Stück „Mein Freund der Baum“ der Sängerin Alexandra (1942–1969) auf die Zerstörung der Wälder aufmerksam (Abb. 8): Bald wächst ein Haus aus Glas und Stein Dort wo man ihn hat abgeschlagen Bald werden graue Mauern ragen Dort wo er liegt im Sonnenschein […] Mein Freund der Baum ist tot Er fiel im frühen Morgenrot
Abb. 7: Gemälde von Artur Cremer-Acre „Ins eigene Fleisch“, 1984 (montan.dok 030001656003 / Artur Cremer-Acre)
In der DDR konnten Umweltthemen jedoch häufig nur indirekt in der staatlich tolerierten Popmusik thematisiert werden. In diesem Kontext wurde rückblickend das Album „Der blaue Planet“ (1982) von Karat eingeordnet. Insbesondere das Cover der Platte kann in dieser Hinsicht interpretiert werden. Es bildet den Planten Erde ab, durch den ein tiefer Riss geht. Zusammen mit der Liedzeile „Uns hilft kein Gott, diese Welt zu erhalten“ im Lied „Der blaue Planet“ wird die Sorge um die Zerstörung der Welt insgesamt deutlich. Sehr direkt
Umweltbewusstsein, 1945 bis 1990
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wurde auch der bekannte Liedermacher Wolf Biermann (geb. 1936) mit der Anti-Atomkraft-Hymne „Gorleben soll leben“ (1978), allerdings nach seiner Ausbürgerung aus der DDR 1976 (Abb. 9): Du komm Wir pflanzen g’rade eine grüne Barrikade Gegen diesen atomaren Wahnsinn hier Gorleben soll leben Ja ja es soll leben Der Rest der Welt soll’s auch Ja du pflanzt die Birke und ich den Strauch
Dabei bezog Biermann sich auf die Debatte um das Atommüllendlager Gorleben. Mehrere tausend Atomkraftgegner aus der ganzen BRD demonstrierten 1977 zum ersten Mal in Gorleben gegen den geplanten Bau. Erst im September 2021 wurde nun die Stilllegung des Endlagers durch das Umweltministerium beschlossen. Kritische Themen wurden in der DDR vor allem in der musikalischen Untergrundszene verhandelt, so in dem Lied „Der Mensch ist kein Tier“ (veröffentlicht 1992) der Punkband Schleim Keim. Darin heißt es:
Abb. 8: Schallplatte „Mein Freund der Baum“, 1968 (montan.dok / Alexandra)
Der Mensch ist kein Tier, doch er weiß nicht was er tut Macht alles kaputt aus Zerstörungswut Nicht nur die Städte, die er einst gebaut Auch die Atmosphäre wird von ihm versaut Es sieht so aus, als will er sich selbst vernichten Es braucht kein jüngstes Gericht, um ihn zu richten
Die Thematisierung von Umweltzerstörung in der Popmusik war in den 1980er-Jahren jedoch ein internationales Phänomen. So veröffentlichte die englische Band Depeche Mode im Jahr 1983 das Album „Construction time again“. Auch in der DDR hatte die Band Kult-Status und viele Fans. 1988 gab sie ein Konzert für die offizielle Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) in Ost-Berlin, was eine Sensation für die zahlreichen NewWave-Anhänger in der DDR und darüber hinaus darstellte. Speziell ein Lied auf „Construction time again“ wäre jedoch bei genauem Hören von Seiten der Politik womöglich einer Zensur nicht entgangen. In dem Song „The landscape is changing“ wird die industrielle Umweltverschmutzung angeprangert und die „schreiende“ oder „weinende“ Landschaft beklagt: The landscape is changing The landscape is crying Thousands of acres of forest are dying Carbon copies from the hills above the forest line Acid streams are flowing ill across the countryside
Die Liste der Lieder gegen Umweltverschmutzung ließe sich lange fortsetzen – vom angepassten Schlager bis zum staatsfeindlichen Punk. Sie reflektierten einerseits das breite gesellschaftliche Interesse an dieser Thematik besonders in den 1980er-Jahren und verstärkten es andererseits auch.
Abb. 9: Schallplatte „Trotz alledem!“, 1978 (montan.dok / Wolf Biermann)
Umweltbewusstsein im Alltag Umweltbewusstsein zog auch über Gegenstände des Alltags in die Haushalte in Ost und West ein. So wurden in den 1970er- und besonders in den 1980er-Jahren in der BRD zahlreiche Ökologie-Gesellschaftsspiele entwickelt und von großen Spielemarken vertrieben. Das Spiel „Ökolopoly“ ersann 1980 der Kybernetiker und Umweltforscher Frederic Vester (1925–2003). 1984 legte es Ravensburger für den allgemeinen Markt auf. Die Kybernetik ist eine wissenschaftliche Forschungsrichtung, die Systeme verschiedenster Art auf selbsttätige Regelungs- und Steuerungsmechanismen hin untersucht. „Ökolopoly“ basiert daher auf der Idee des vernetzten Denkens und setzt verschiedene Umweltfaktoren und ihre gegenseitigen Auswirkungen ins Verhältnis. 1989 erschien es auch als Computerspiel auf Diskette und existiert bis heute in einer modernisierten Computerversion als „Ecopolicy“.
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Abb. 10: BRD-Spiel „Sauerbaum“ zum Thema Waldsterben, 1988 (montan.dok / Herder Spiele)
Ein weiteres BRD-Umweltspiel war „Sauerbaum“ aus dem Jahr 1987, das sich mit den Auswirkungen des sauren Regens beschäftigte. Dabei handelte es sich um ein kooperatives Brettspiel, das heißt, die Spielenden mussten zusammenarbeiten, um den sauren Regen und damit das Sterben der Bäume zu verhindern. Es erlangte aufgrund seines pädagogischen Anspruchs Bedeutung im Kontext der Umweltbildung (Abb. 10). Der Spielplan zeigt einen großen Baum, der vom sauren Regen bedroht ist. Jede:r würfelt mit vier Würfeln. Ein blauer Regenwürfel zeigt an, wie viele Tropfen es aus dem blauen Himmel in den Baum hineinregnet, mit drei grünen Würfeln wird ermittelt, wie weit die Spielenden mit ihren Figuren auf dem Spielbrett ziehen dürfen, um sie einzufangen. Beim Ziehen der Figur wird jede Zahl einzeln und in der vom Spieler bestimmten Reihenfolge bewegt. Es gilt, bei jedem Zug die optimale Zahl an Tropfen einzufangen, sonst haben die Spielenden keine Chance, gegen den immer stärker werdenden sauren Regen zu gewinnen. „Sauerbaum“ wird als wegweisendes kooperatives Spiel in der Geschichte der Brettspiele angesehen. Auch in der DDR gab es vereinzelt Spiele, die sich in pädagogischer Absicht mit Umweltthemen befassten, so das Lehrquartett „Umwelt und wir“, das vom Verlag für Lehrmittel Pößneck herausgegeben wurde. Die 36 Spielkarten teilten sich in neun Quartette auf, die thematisch in folgende Themen gegliedert und detailreich gestaltet waren: Wasser, Boden, Luft, Lärm, Abprodukte, Wald, Erholungsgebiete, Schutzobjekte und Naturschutzgebiete. Das Quartett zum Thema „Boden“ enthielt auch eine Karte zur „Rekultivierung“ von Bergbaufolgeland-
schaften. Neben der erzieherischen Funktion des Kartenspiels sollte es vermutlich auch die Umweltpolitik der DDR positiv darstellen, indem besonders die Lösung von Umweltproblemen gezeigt wurde. So wird auf der ersten Karte des Quartetts „Abprodukte“ zunächst eine „Ungeordnete Ablagerung“, also eine wilde Mülldeponie abgebildet. Die drei anderen Karten stellen dann die „Planmäßige Müllabfuhr“, die „Geordnete Deponie“ und „Müllverbrennungsanlagen“ dar. Aber auch eine Sensibilisierung für umweltrelevante Themen sollte damit sicherlich erreicht werden.
Umweltbewusstsein und Geschichtsbewusstsein Das Aufkommen des modernen Umweltbewusstseins in der Gesellschaft der BRD seit den 1970er-Jahren schlug sich mit Verzögerung auch auf deren Geschichtsbewusstsein nieder. Zunächst entstand das allgemeine Konzept der Umwelterziehung, das weniger auf historische, sondern auf gegenwärtige Umweltprobleme und ihre Lösung fokussiert war. Auf nationaler Ebene wurde in einer Kultusministerkonferenz vom 17. Oktober 1980 allgemein für die Schule die Umwelterziehung als Ziel in der BRD verankert. Dabei stand ebenso vor allem das gegenwärtige Handeln der Gesellschaft im Mittelpunkt. In der DDR spielte die Umweltgeschichte im Geschichtsunterricht kaum eine Rolle, zumal es mit dem Gesetz zur Geheimhaltung von Umweltdaten seit 1982 sogar verboten war, Informationen zu Naturzerstö-
Umweltbewusstsein, 1945 bis 1990
rungen und Umweltproblemen in der DDR zu verbreiten. Noch unter der Regierung Walter Ulbrichts wurde dagegen offiziell auch von staatlicher Seite die Notwendigkeit einer Bewusstseinsbildung bei der Bevölkerung als Ziel erkannt. Dies bezog sich jedoch nicht auf den Geschichtsunterricht. Umwelterziehung beschränkte sich vor allem auf die Fächer Biologie, Geographie und Chemie. Darüber hinaus war Umwelterziehung auch eine Aufgabe außerschulischer staatlicher Institutionen wie der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) im Kulturbund der DDR. Ein wesentliches Element ihrer Jugendarbeit waren die in der Regel einwöchigen Jugend- und Spezialist:innenlager. Die Jugendlichen erhielten dabei beispielsweise Einführungen in die Ornithologie, den Vogelschutz und die Geologie. Auch die Aktion „Sauberer Wald“ wurde im Rahmen der Jugendarbeit der GNU organisiert. Ein wichtiger Impuls für die Implementierung der Umwelt im Geschichtsunterricht der BRD ging ebenfalls von einer außerschulischen Institution aus. „Umwelt hat Geschichte“: So lautete der Titel des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte der KörberStiftung in den Jahren 1986/87 (heute: Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten). Das Interesse der Schüler:innen galt besonders den menschengemachten Umweltveränderungen vor der eigenen Haustür. So untersuchten die Wettbewerbsbeiträge z. B. Flüsse und Bäche, die im Zuge der Industrialisierung begradigt oder zugeschüttet wurden, und die Geschichte der industriellen Luftverschmutzung an regionalen Beispielen. Mindestens eine Arbeit beschäftigte sich mit dem Problem brennender Bergehalden im Ruhrgebiet. Auch an den Universitäten der BRD hielt die Umweltgeschichte in den 1980er-Jahren langsam Einzug, wobei sie noch bis heute eher ein Schattendasein in der Geschichtswissenschaft führt. Lehrstühle speziell und ausschließlich zur Umweltgeschichte gibt es in Deutschland beispielsweise nicht. Sie wird zumeist den Professuren für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte oder für Technikgeschichte zugeordnet. Laut Melanie Arndt untersucht die Umweltgeschichte das sich wandelnde Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Der Umwelthistoriker Joachim Radkau (geb. 1943) habilitierte sich bereits 1980 mit einer Untersuchung zu „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“. Er forschte darüber hinaus zur Geschichte des deutschen Walds und zur Naturschutzbewegung. 1982 erschien die Studie „Der unterirdische Wald“ von Rolf Peter Sieferle (1949–2016), die den Übergang vom Energieträger Holz auf Steinkohle erforschte. Eine regionale Studie zur Umweltgeschichte des Ruhrgebiets veröffentlichten Franz-Josef Brüggemeier (geb. 1951) und Thomas Rommelspacher (geb. 1947) im Jahr 1990: „Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet 1840–1990“. Bereits 1987 hatten die beiden Autoren zusammen den Band „Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert“ herausgegeben. Auf dem Buchumschlag wurde das Anliegen der Pub-
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Abb. 11: BRD-Studie „Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert“ von Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelsbacher, 1987 (montan.dok 040013683000 / Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher)
likation beschrieben: „Das Buch verfolgt die Entwicklung von Wasser, Luft, Boden, Energie, Verkehr und Arbeitsplätzen bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Es macht deutlich, daß es schon früh heftige kontroverse Diskussionen, Warnungen und Alternativvorschläge gab. Es fällt nicht schwer, darin Parallelen zu gegenwärtigen Entscheidungsprozessen zu sehen“ (Abb. 11).
Zusammenfassung Umweltbewusstsein war insbesondere in den 1970erund 1980er-Jahren ein gesellschaftsübergreifendes Phänomen, das sich in zahlreichen kulturellen, medialen und wissenschaftlichen Kontexten zeigte. Obwohl die Kritikmöglichkeiten seitens der Kulturschaffenden
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in der DDR sicherlich staatlich eingeschränkt waren, lassen sich dennoch auch zahlreiche Beispiele für die Relevanz des Umweltbewusstseins innerhalb der ostdeutschen Gesellschaft finden. Das Bewusstsein für die drohende Zerstörung der Umwelt war in diesem Umfang ein Spezifikum der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dass die internationale Politik erst nach 1990 umfassende Maßnahmen zur Reduzierung der Erderwärmung ergriff, überrascht vor diesem Hintergrund. Der systematische internationale Klimaschutz beginnt erst mit dem Kyoto-Protokoll von 1997. Gegenwärtig lenken insbesondere Gruppen wie Fridays for Future (FFF) das Bewusstsein der Menschen wieder auf diese Thematik.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Brüggemeier, Franz-Josef/Rommelspacher, Thomas: Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, München 1987. – Brüggemeier, Franz-Josef/Rommelspacher, Thomas: Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet 1840–1990, Essen 1992. – Farrenkopf, Michael/Göschl, Regina: Umweltgeschichte am Deutschen Bergbau-Museum Bochum und aus geschichtsdidaktischer Perspektive, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 72, 2020, S. 99–120. – Möllers, Nina: Umwelt(geschichte) im Museum, in: Düselder, Heike/Schmitt, Annika/Westphal, Siegrid: Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule, Köln 2014, S. 55–75. – Radkau, Joachim: Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945–1975. Verdrängte Alternativen in der Kerntechnik und der Ursprung der nuklea-
ren Kontroverse, Reinbek 1983 (= rororo-Sachbuch, Nr. 7756). – Sieferle, Rolf Peter: Der unterirdische Wald. Energiekrise und industrielle Revolution, Lüdinghausen/Neuruppin 2021 (= Sieferle, Rolf Peter: Werkausgabe, Nr. 8).
Online (Auswahl) – Arndt, Melanie: Umweltgeschichte, in: Docupedia-Zeitgeschichte v. 10.11.2015. Arndt umweltgeschichte v3 de 2015 – Umweltgeschichte (docupedia.de) (Eingesehen: 29.10.2021). – Krause, Christian: Nowotny, Joachim, in: MüllerEnbergs, Helmut u. a. (Hrsg.): Wer war wer in der DDR?, Berlin 2010. https://www.bundesstiftungaufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/joachimnowotny (Eingesehen: 20.10.2021). – Kölling, Andreas/Krenzlin, Leonore: Art. Bräunig, Werner, in: Müller-Enbergs, Helmut u. a. (Hrsg.): Wer war wer in der DDR?, Berlin 2010. https://www. bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/ kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/werner-braeunig (Eingesehen: 20.10.2021). – http://www.frederic-vester.de/deu/ecopolicy/ (Eingesehen: 20.10.2021). – https://www.spiel-des-jahres.de/spiele/sauerbaum/ (Eingesehen: 20.10.2021). – Schmidt, Sascha: Der Sound der Anderen. Depeche Mode in der DDR, in: Spiegel Online v. 06.03.2008. https://www.spiegel.de/geschichte/ depeche-mode-in-der-ddr-a-946720.html (Eingesehen: 20.10.2021). – https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/ erinnerung-an-eine-landschaft-fuer-manuela/ (Eingesehen: 20.10.2021).
IV.5 Und nun? Umweltpolitik, Proteste und Bergbau in Gegenwart und Zukunft
Abb. 1: Papierschiff „Nachhaltige und bezahlbare Energie für alle Menschen“, überreicht von der Organisation MISEREOR an Kardinal Woelki anlässlich der 23. UN-Klimakonferenz in Bonn, 2017 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2017/11/0116 / MISEREOR / Marlitt Schultz und Axel Tünker)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-019
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Umweltpolitische Entwicklungen nach 1990 Einleitung Wie die vorhergehenden Kapitel gezeigt haben, beschäftigte sich einerseits die internationale und deutsche Politik, andererseits die gesamte Gesellschaft bereits seit Jahrzehnten mit den Folgen der Umwelteinflüsse durch den Menschen. Die globale Bedeutung des Themas ist offensichtlich: Umweltverschmutzung macht nicht an nationalen Grenzen Halt. Der Klimawandel gewann daher zwar schon seit den 1970er-Jahren an Bedeutung, kam als Thema von größerer Tragweite jedoch erst in den späten 1980er- und 1990er-Jahren in der Politik an. Von Anfang an war die deutsche Umweltund Klimapolitik stark mit internationalen Entwicklungen verknüpft, wobei die Spaltung der Welt im Kalten Krieg eine wirkliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg oft erschwerte oder unmöglich machte. Ein wichtiger Player der internationalen Klimapolitik ist gegenwärtig die Europäische Union (EU), denn sie hat hier die Gesetzgebungsinitiative. Schwierigkeiten entstehen häufig aber auf nationaler und innenpolitischer Ebene. So kann es in Deutschland zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Ministerien für Umwelt, Wirtschaft und Landwirtschaft kommen oder auch zum Widerstand gegen Klimaschutzmaßnahmen von Interessensgruppen aus der Industrie. Dennoch wurde der Ausstieg aus der Atomenergie und auch aus der Braunkohle in den 2010er-Jahren beschlossen, was wiederum soziale und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich zog. Im Folgenden wird die Entwicklung der internationalen und nationalen Umwelt- und Klimapolitik nach 1990 in Grundzügen nachgezeichnet.
Entstehung und Entwicklung der internationalen Klimapolitik Insbesondere die Klimaforschung und ihre Erkenntnisse gaben seit Ende der 1980er-Jahre wichtige Impulse für die internationale Umweltpolitik. Im Jahr 1988 wurde bereits das International Panel on Climate Change (IPCC) als Institution der Vereinten Nationen (UN) gegründet. Dieses fasst laufend den aktuellen Stand der Klimawissenschaft zusammen, um damit eine Grundlage für Entscheidungen in der Klimapolitik zu liefern. Durch die Einbindung von Regierungsdelegationen in die Projekte des IPCC erhält es eine besondere politische Legitimität. Im Jahr 2007 wurde dem IPCC zusammen mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Al Gore (geb. 1948) der Friedensnobelpreis verliehen.
Auch für die seit Mitte der 1990er-Jahre durchgeführten UN-Klimakonferenzen (United Nations Framework Conventions on Climate Change, COP) spielen die Berichte des IPCC eine bedeutende Rolle. Nach den ersten internationalen Klimakonferenzen in den 1970er- und 1980er-Jahren war der so genannte Erdgipfel in Rio de Janeiro von großer Bedeutung für die Entwicklung der internationalen Klimapolitik, denn hier wurde die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) beschlossen (Abb. 2). Die Industriestaaten verpflichteten sich dabei zur Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen – allerdings auf freiwilliger Basis. In Rio wurde außerdem das Konzept der nachhaltigen Entwicklung als internationales Leitbild anerkannt. Die erste so betitelte UN-Klimakonferenz fand 1995 in der neuen deutschen Hauptstadt Berlin statt (COP1, Abb. 3). Hier wurde unter anderem überprüft, ob die freiwillige Verpflichtung zur Reduzierung von Treibhausgasen ausreicht. Das Ergebnis fiel negativ aus: Man brauche stattdessen ein rechtlich verbindliches Protokoll mit neuen, nationalen Emissionsreduktionszielen und einem klaren Zeitrahmen. Dies wurde 1997 mit der Verabschiedung des KyotoProtokolls umgesetzt, es trat allerdings erst 2005 in Kraft, da erst zu diesem Zeitpunkt genug Länder das Abkommen ratifizierten. Darin wurde eine Reduzierung der Treibhausgase um mindestens fünf Prozent unter das Niveau von 1990 bis 2012 vereinbart. Das Kyoto-Protokoll legte außerdem konkrete Werkzeuge zur Emissionsreduktion fest. Dazu gehört beispielsweise der internationale Emissionshandel: Reduziert ein Land mehr als im Kyoto-Protokoll festgelegt, kann es überschüssige Emissionsrechte in Form von Lizenzen an ein anderes Land verkaufen. Ein Land, das es nicht schafft, seine Emissionen gemäß der Kyoto-Ziele zu reduzieren, kann diese Lizenzen kaufen und als eigene Emissionsreduktion gutschreiben. Die angesetzte Treibhausgasverminderung durch das Kyoto-Protokoll bis 2012 wurde zwar sogar übertroffen, allerdings hatten große Treibhausgasverursacher wie Indien und China keine Minderungsziele. Die USA ratifizierte das Protokoll gar nicht erst und Kanada trat 2011 aus (Abb. 4). Ihre Emissionen wurden also nicht dazugezählt. Ein großer Teil der Emissionsreduzierung resultierte außerdem nicht aus den Instrumenten des Kyoto-Protokolls, sondern aus der Stilllegung von Industrien nach dem Ende der DDR und der Auflösung der Sowjetunion. Dies war also kein Erfolg des Kyoto-Protokolls. In den 2000er- und 2010er-Jahren wuchs jedoch allgemein das Bewusstsein für den Klimaschutz in Gesellschaft und Politik. Einen vorläufigen Höhepunkt der
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Abb. 2: Joschka Fischer, damaliger hessischer Staatsminister für Umwelt und Energie sowie für Bundesangelegenheiten, beteiligt sich bei einer Bundestagssitzung an einer Debatte über die Regierungserklärung zum UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro, 1992 (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, B 145 Bild-00119179 / Bernd Kühler)
Abb. 3: Dieser Ausweis zur 1. UNKlimakonferenz in Berlin im März 1995 ist auf den Namen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl ausgestellt, 1995 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1996/12/0173)
internationalen Klimapolitik stellte die UN-Klimakonferenz von Paris 2015 (COP21) dar, denn dort verpflichteten sich 197 Staaten dazu, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen sowie spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität zu erreichen. Auch diese Zahlen beruhen auf Empfehlungen des IPCC. Treibhausgasneutralität bedeutet, dass nicht mehr klimaschädliche Gase ausgestoßen werden als von der Natur wiederaufgenommen werden können. Dennoch erfuhr das Pariser Klimaabkommen
auch Kritik. So sind bereits die Grundlagen des Abkommens umstritten, denn es enthält eine Mischung aus verbindlichen und unverbindlichen Elementen, die durchaus Widersprüche enthalten. So ist das 2 °C-Ziel zwar verbindlich, aber der Weg dorthin beispielsweise offengelassen. Jedes Land entscheidet somit allein über seinen Beitrag. Eine Vergleichbarkeit der Maßnahmen der unterschiedlichen Nationen ist dabei kaum möglich. Auch die Einhaltung des Vertrags ist schwer zu überprüfen. Sie beruht laut Charlotte Unger und Daniel Oppold auf einer Art „Schmach-Schande“-Idee. Durch die Offenlegung von Berichten soll allen Ländern vor Augen geführt werden, wo sie stehen in Sachen Klimaschutz, was zu Imageverlusten führen könnte. Dieses Druckmittel kann nach Unger und Oppold zu Recht als sehr schwach bezeichnet werden. Der größte Kritikpunkt besteht jedoch darin, dass nicht einmal das 2 °C-Ziel mit den Versprechungen der einzelnen Nationen zu erreichen ist. Trotz dieser Probleme hatte das Klimaabkommen von Paris auch bedeutende Auswirkungen auf die deutsche Umweltpolitik.
Entstehung und Entwicklung der nationalen Klimapolitik in Deutschland Als eines der hochentwickeltsten Industrieländer hat Deutschland eine besondere Verantwortung für die
Umweltpolitische Entwicklungen nach 1990
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Abb. 4: „Neues von der Klimakonferenz in Kyoto“. Die Karikatur kritisiert den Beitrag der USA (vertreten durch Al Gore) auf der Klimakonferenz von Kyoto, 1997 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2003/01/0400.00309 / Klaus Pielert)
Reduktion von klimaschädlichen Emissionen. Unter den Regierungen Helmut Kohls (CDU), Gerhard Schröders (geb. 1944, SPD) und Angela Merkels (geb. 1954, CDU) wurde auf den internationalen Klimakonferenzen immer wieder die Vorreiterrolle Deutschlands in Sachen Klimaschutz hervorgehoben. 1987 wurde die EnqueteKommission zur „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ einberufen und 1990 die interministerielle Arbeitsgruppe „CO2-Reduktion“ (IMA) gegründet. Die Berichte der Enquete-Kommission hatten laut Susanne Böhler-Baedeker und Florian Mersmann einen maßgeblichen Einfluss auf die frühe Phase deutscher Klimapolitik: So wurden dort politische Minderungsziele auf der Grundlage technisch machbarer Minderungspotenziale empfohlen. Laut Martin Jänicke war jedoch spätestens mit der Regierungsneubildung nach der Bundestagswahl von 1994 eine deutliche Rückwärtsentwicklung der deutschen Umweltpolitik zu verzeichnen. So gehörte die BRD zu den letzten Industrieländern, die eine formelle Strategie nachhaltiger Entwicklung im Sinne der Beschlüsse der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) vorlegten. Der Entwurf dieses umweltpolitischen Schwerpunktprogramms wurde vom Kabinett auch nicht verabschiedet. Des Weiteren gab es politische und wirtschaftliche Widerstände gegen eine CO2-Energiesteuer. Immer häufiger drohten der Bundesregierung Sanktionsmaßnahmen der EU, weil sie Umweltschutzregelungen nicht umsetzte. Diese Rückschritte in der deutschen Umweltpolitik lassen sich laut Jänicke darauf zurückführen, dass sich die gesellschaft-
lichen und politischen Prioritäten nach der deutschen Einigung zu Lasten des Umweltschutzes verschoben. Die Regierung Kohl (CDU) war Ende 1982 im Zeichen einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem so genannten Waldsterben angetreten. Außerdem schufen die Diskussion um die Nutzung der Kernenergie (Tschernobyl 1986) und die einsetzende Klimadebatte in den 1980er-Jahren insgesamt gute Voraussetzungen für eine fortschrittliche Umweltpolitik. Diese begünstigenden Rahmenbedingungen bestanden nach der deutschen Vereinigung 1990 nicht fort, obwohl die Friedliche Revolution, die zur Auflösung der DDR führte, ganz wesentlich auch von Umweltgruppen mitgetragen worden war. Im Jahr 1998 wechselte die Regierung zum ersten Mal in der Geschichte der BRD auf eine rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder (SPD). Diese versuchte unter den genannten eher einschränkenden Rahmenbedingungen, umweltpolitisch neue Zeichen zu setzen. Klimaschutz sollte zusammen mit dem Atomausstieg Baustein einer „ökologischen Erneuerung“ werden. Zur sechsten UN-Klimakonferenz in Bonn 2000 (COP6) wurde ein nationales Klimaschutzprogramm angekündigt, das im selben Jahr im Bundestag verabschiedet wurde. Als sich 2001 die USA aus dem Kyoto-Protokoll zurückzogen, wurden jedoch kritische Stimmen aus Politik und Wirtschaft zu den deutschen Verpflichtungen laut. Das angekündigte Umweltgesetzbuch wurde durch den Widerstand der Bundesländer und besonders der Wirtschaft verhindert. Bei der ökologischen Steuerreform und beim Emissionshandel konnte die kohlebasierte Stromwirtschaft deutliche Vorteile
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durchsetzen. Außerdem verfehlte Deutschland sein Minderungsziel der CO2-Emissionen, das auf der COP6 verkündet wurde. Im Jahr 2005 kam es zur Regierungsübernahme durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Im selben Jahr führte auch Deutschland das europäische Emissionshandelssystem ein, an dem deutsche Unternehmen energieintensiver Branchen teilnehmen. 2007 beschloss die Bundesregierung einen 8-Punkte-Plan, der zu einem integrierten Energie- und Klimaschutzprogramm (IEKP) konkretisiert wurde. Darin wurde das Ziel gesetzt, die Treibhausgase bis 2020 um 40 % zu reduzieren. Deutschland konnte dieses Ziel zwar knapp erreichen, was jedoch vor allem dem Corona-Pandemiebedingten Rückgang der Emissionen zuzuschreiben ist. Im Jahr 2019 verabschiedete die BRD zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Klimaschutzgesetz. Es verankerte Treibhausgasneutralität bis 2050 und ein Emissionsminderungsziel von 55 %, was jedoch bereits im Jahr 2021 auf 65 % erhöht wurde. Das Klimaschutzgesetz wurde 2021 in Teilen für verfassungswidrig erklärt, da lediglich bis zum Jahr 2030 Maßnahmen für eine Emissionsverringerung vorgesehen sind. Die Gefahren des Klimawandels würden dadurch auf Zeiträume danach und damit zu Lasten der jüngeren Generation verschoben, so das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Gesetzgeber musste hier nun nachbessern.
Kohle- und Atomausstieg in Deutschland Zu den wesentlichen Faktoren der Klimaerwärmung weltweit gehört insbesondere die Energiegewinnung aus fossilen Rohstoffen (Steinkohle und Braunkohle). Bereits seit den 1960er-Jahren zeichnete sich jedoch das Aus des Steinkohlenbergbaus in Deutschland ab. Dies hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch keine umweltpolitischen, sondern in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Der Abbau der Steinkohle in Deutschland lohnte sich nicht mehr und wurde noch bis 2018 staatlich subventioniert. Die letzte Zeche Prosper-Haniel in Bottrop musste im Dezember 2018 schließen. Während soziale Verwerfungen durch die Politik auszugleichen waren, war der Ausstieg aus der Steinkohle umweltpolitisch gesehen vorteilhaft. Der Ausstieg aus dem Braunkohlenbergbau in Deutschland hatte im Gegensatz zum Ende des Steinkohlenbergbaus vor allem umweltpolitische Gründe. So wurde im Jahr 2020 das so genannte Kohleausstiegsgesetz erlassen, nach dem auch der Braunkohlenbergbau in der BRD im Jahr 2038 beendet sein sollte, was in den betroffenen Regionen wirtschaftliche und soziale Konsequenzen nach sich ziehen wird. Nach der Bundestagswahl im Jahr 2021 und der Bildung einer Ampel-Koalition durch die SPD mit den „Grünen“ und der FDP wird der Ausstieg aus der Braunkohle womöglich bereits im Jahr 2030 erfolgen. Während im Ruhrge-
biet die Phase des Strukturwandels bereits seit langem anhält, kommt dies beispielsweise auf die Lausitz im Osten Deutschlands noch zu. Dort wurde zu DDR-Zeiten großflächig Braunkohle im Tagebau abgebaut, was auf der einen Seite die Umwelt und Landschaft stark beeinträchtigte, auf der anderen Seite aber auch für eine gewisse soziale und wirtschaftliche Stabilität der Region sorgte. In den kommenden zwei Jahrzehnten sollen daher etwa 17 Mrd. Euro Strukturwandelförderungen in die Lausitz investiert werden. Aus umweltpolitischer Sicht ist dieser Schritt wichtig für Deutschland, denn zu den zehn emissionsstärksten Industrieanlagen in ganz Europa zählen alle drei 2021 noch bestehenden Lausitzer Braunkohlekraftwerke. Ein weiterer Ausstieg wurde in der Amtszeit Angela Merkels (CDU) beschlossen, nämlich aus der Atomenergie. Bereits 1986 mobilisierte die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl viele Menschen, sich gegen Atomkraft in Deutschland zu positionieren. Lange Zeit wurde Atomenergie dagegen sogar als saubere Alternative zur Energiegewinnung aus fossilen Rohstoffen betrachtet. Erst eine erneute Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 bewog schließlich die deutsche Politik, den Atomausstieg einzuläuten. So verkündete Kanzlerin Merkel: „Die Ereignisse in Japan lehrten uns, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich sind“ (Angela Merkel zitiert nach: SWR2 Archivradio). Interessant erscheint dabei, dass die Katastrophe von Tschernobyl 25 Jahre zuvor in Europa eigentlich sehr viel konkretere Auswirkungen hatte, aber die Atomenergie politisch nicht grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Dagegen protestierte die Umweltbewegung in den 1980er-Jahren massiv. Mitte der 1990er-Jahre flammte die Debatte wieder auf und die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder beschloss 1998 den stufenweisen Ausstieg aus der Kernenergie. Entsprechend dieser Regelung sollten die letzten Atomkraftwerke im Jahr 2020 aus dem Netz genommen werden. 2010 widerrief die neue schwarz-gelbe Koalition unter Angela Merkel diese Entscheidung und setzte ohne die Mitsprache der Bundesländer eine Laufzeitverlängerung von durchschnittlich zwölf Jahren durch. Fünf Bundesländer reichten daraufhin Verfassungsklage ein. Die Diskussionen um die Laufzeitverlängerungen führten zu einer erneuten Massenmobilisierung. Hundertausende Menschen beteiligten sich an Demonstrationen. Genau während dieser Auseinandersetzungen schafften die Unfälle in Fukushima Tatsachen. Konkrete politische Auswirkungen hatte dieses Ereignis auf die Landtagswahl in Baden-Württemberg wenige Monate nach der Katastrophe. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen konnte ihr Wahlergebnis gegenüber der Wahl von 2006 mehr als verdoppeln (2006: 11,7 %; 2011: 24,2 %), und sie bildete zusammen mit der SPD eine Koalition unter Führung des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen). Dieser Erfolg wurde nachträglich vor allem den Ereignissen in Fuku-
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Abb. 5: Mit dem übergroßen Modell eines Elektrosteckers weihte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Offshore-Windpark Nordsee Ost ein, 2015 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2018/01/0031 / TenneT TSO GmbH / PUNCTUM Bertram Kober)
shima zugeschrieben. Er hielt jedoch weiter an. 2016 wurden Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg sogar zum ersten Mal in ihrer Geschichte stärkste Kraft bei einer Landtagswahl (30,3 %). Auch 2021 verbesserte sich die Partei erneut (32,6 %), womit sie ihre Macht auf Landesebene festigte. Im Wahlkampfauftakt zur Bundestagswahl 2021 sah es sogar kurzzeitig so aus, dass es mit Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) zum ersten Mal eine grüne Bundeskanzlerin hätte geben können. Vor diesem Hintergrund war das Endergebnis als drittstärkste Partei jedoch aus grüner Sicht eher enttäuschend (14,8 %). Der Ausstieg aus der Atomenergie und aus der Braunkohle scheint 2021 aber besiegelt. Da für die industrialisierte Gesellschaft jedoch eine ausreichende Versorgung mit Energie notwendig ist, stellt sich im Anschluss die Frage, woher diese kommen soll. Um Alternativen zu schaffen, wurde in Deutschland im Jahr 2000 das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) beschlossen, das immer wieder novelliert wurde. Ziel des EEG ist es, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2050 auf mindestens 80 % zu steigern. Die zwei wichtigsten erneuerbaren Energiequellen sind Windkraft an Land (onshore) und auf dem Meer (offshore, Abb. 5) sowie die Sonnenenergie (Photovoltaik). Obwohl Wind und Sonne von den Tages- und Jahreszeiten abhängen, halten Expert:innen eine zuverlässige Stromversorgung auch in einem von Wind- und Solaranlagen dominierten System grundsätzlich für möglich. Voraussetzung dafür ist der weitere Aus- und Umbau des Stromnetzes und eine aus-
reichende Kapazität an Gaskraftwerken. Die so genannten Power-to-Gas-Kraftwerke sollen in der Zukunft in Zeiten geringer Wind- und Sonnenstromerzeugung genutzt werden, wobei kein fossiles Erdgas, sondern insbesondere Wasserstoff zum Einsatz kommt. Auch eine Mobilitätswende hin zu elektrisch betriebenen Fahrzeugen könnte dadurch mit erneuerbaren Energien möglich sein (Abb. 6). Die deutsche Politik, genauer gesagt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrförderung, fördert diesen Umstieg mit dem so genannten Umweltbonus bei Anschaffung eines Elektroautos.
Abb. 6: Modellauto „RWE Elektro-Kabinenroller“, 2012–2015 (LVR-Industriemuseum, rz 17/114 / Herpa Miniaturmodelle GmbH)
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Akzeptanz für Klimapolitik in der Gesellschaft? Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird jedoch in der Gesellschaft unterschiedlich bewertet. So gibt es immer wieder Proteste und zahlreiche Klagen gegen Windkraftanlagen. Insbesondere die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes wird von den Kritiker:innen beklagt. Ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz von klimapolitischen Maßnahmen ist laut Ingo Wolf die Bürgerbeteiligung. Das Gefühl, an politischen Entscheidungen vor Ort nicht beteiligt zu sein, kann zur Ablehnung derartiger Projekte führen. Vor allem, wenn die Klimapolitik persönliche Freiheiten einzuschränken droht, sinkt die Akzeptanzbereitschaft. In einigen Teilen der Bevölkerung existieren aber auch Zweifel an der menschengemachten Klimaerwärmung, obwohl sich die Wissenschaft einig ist, dass sich in den vergangenen 2000 Jahren die Temperaturen auf der Erde durch menschliche Aktivitäten so schnell und stark verändert haben wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Laut Charlotte Unger, Clara Mewes und Kathleen A. Maar stehen viele Klimawandelleugner:innen, die ihre Positionen auch öffentlichkeitswirksam vertreten, zwar den Naturwissenschaften nahe, sie seien jedoch zumeist keine anerkannten Klimaforscher:innen.
Vornehmlich aus dem politisch rechten Spektrum wird außerdem eine so genannte Klima-Hysterie beschworen. Aus dieser Richtung wird häufig und fälschlicherweise behauptet, dass es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür gebe, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Über soziale Netzwerke lassen sich solche Falschinformationen heute schnell verbreiten. Einer der weltweit bekanntesten Klimawandelleugner ist der ehemalige, von 2017 bis 2021 amtierende US-Präsident Donald Trump (Republikanische Partei). In seiner Regierungszeit wurden viele Vorschriften im Bereich des Umweltschutzes aufgeweicht und die Förderung von Kohle und Öl bevorzugt. Auch Naturschutzgebiete in den USA wurden auf seine Initiative hin deutlich verkleinert. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Naturschutzes ist dies aus der Perspektive von US-Umweltschützer:innen besonders bedauerlich, da die USA als Ursprungsland des modernen Naturschutzes gelten. Trumps Nachfolger als US-Präsident Joe Biden (ab 2021, Demokratische Partei) machte die Entscheidungen seines Vorgängers zur Verkleinerung dreier Naturschutzgebiete wieder rückgängig. Die Beispiele zeigen jedoch, dass die Umwelt- und Klimapolitik in der Gesellschaft noch immer umstritten ist. Gleichzeitig tauchte seit 2018 aber ein starke junge Generation an Klimaaktivist:innen auf der Bildfläche auf, die sich entschieden für eine gerechte Klimapolitik einsetzt und auch den Austausch mit der Politik sucht (Abb. 7).
Abb. 7: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit den Klimaaktivist:innen Luisa Neubauer (hinten l.) und Greta Thunberg (mit Mund-Nasenschutz; hinten r.) im Internationalen Konferenzsaal des Bundeskanzleramts, 2020 (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, B 145 Bild-00460053 / Steffen Kugler)
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Zusammenfassung
Online (Auswahl)
Umweltpolitik als Klimapolitik begann zwar schon in den 1970er-Jahren auf internationaler Ebene, entfaltete sich aber erst seit Ende der 1980er-Jahre. Die Auflösung der Sowjetunion führte einerseits zur Schließung zahlreicher klimaschädlicher Industrieanlagen und andererseits zur Möglichkeit einer verbesserten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Wirtschaftliche und soziale Interessen scheinen auf den ersten Blick zumeist gegen den Ausbau des Umwelt- und Klimaschutzes zu sprechen. Besonders der Verlust des Arbeitsplatzes durch die Schließung von Industriebetrieben wird oft als Folge der Umweltpolitik angesehen. Im Sinne der planetaren Gesundheit (vgl. den Beitrag von Helmuth Trischler in diesem Band) muss es jedoch darum gehen, einen Ausgleich zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten zu schaffen. Dies wird somit weiterhin eine zentrale Aufgabe der Politik bleiben.
– Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Art. UN-Konferenz für Wirtschaft und Entwicklung (Rio-Konferenz 1992). https://www.bmz.de/de/service/lexikon/unkonferenz-fuer-umwelt-und-entwicklung-rio-konferenz-1992-22238 (Eingesehen: 20.10.2021). – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Ergebnisse der UN-Klimakonferenzen. Etappen des Klimaverhandlungsprozesses. https://www.bmu.de/themen/ klimaschutz-anpassung/klimaschutz/internationale-klimapolitik/un-klimakonferenzen/ergebnisse-der-un-klimakonferenzen (Eingesehen: 20.10.2021). – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Kyoto-Mechanismen. https:// www.bmu.de/themen/klimaschutz-anpassung/klimaschutz/internationale-klimapolitik/kyoto-protokoll/kyoto-mechanismen (Eingesehen: 20.10.2021). – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Art. Erneuerbare Energien. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Dossier/erneuerbare-energien.html (Eingesehen: 20.10.2021). – Biden will von Trump verkleinerte Naturschutzgebiete wiederherstellen, in: Spiegel Online v. 08.10.2021. https://www.spiegel.de/ausland/ usa-joe-biden-will-von-donald-trump-verkleinertenaturschutzgebiete-wiederherstellen-a-c4230352e783-4181-9ae1-21254469c369 (Eingesehen: 20.10.2021). – SWR2 Archivradio, Nach Fukushima: Angela Merkel läutet Atomausstieg ein. https://www.swr. de/swr2/wissen/archivradio/nach-fukushima-merkel-laeutet-atomausstieg-ein-2011-100.html (Eingesehen: 07.10.2021).
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.): Erneuerbare Energien in Zahlen. Nationale und internationale Entwicklung im Jahr 2019, Berlin 2020. – Gürtler, Konrad/Luh, Victoria/Staemmler, Johannes: Strukturwandel als Gelegenheit für die Lausitz, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 6–7, 2020, S. 32–39. – Unger, Charlotte/Oppold, Daniel: Klimaschutz als Aufgabe für Politik und Gesellschaft, in: Informationen zur politischen Bildung 347, 2021, S. 60–78. – Wolf, Ingo: Akzeptanz für Klimapolitik, in: Informationen zur politischen Bildung 347, 2021, S. 54–57.
Abb. 1–2: Demonstrationsschild „Our House is on Fire“. Zwei junge Aktivistinnen demonstrierten 2019 in Dresden und zitierten Greta Thunberg, 24. August 2019 (Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna / Fridays for Future)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-020
Martin Baumert
Umweltproteste und soziale Konflikte, 1990 bis 2020 Einleitung Bei kaum einem anderen Thema der wiedervereinigten Bundesrepublik stehen sich die Befürworter:innen und Gegner:innen so antagonistisch gegenüber wie aktuell bei der Frage des Kohleausstiegs. Allerdings sind die Anhänger:innen des Bergbaus mittlerweile deutlich in der Unterzahl und meist auf wenige Regionen beschränkt. Gleichzeitig hat dieser Konflikt bereits eine längere Vorgeschichte, die mit dem zunehmenden Verlust der Konkurrenzfähigkeit der Steinkohle im Ruhrgebiet seit Ende der 1950er-Jahre begann. Am Anfang dieser Transformation, die heute unter dem Schlagwort „Strukturwandel“ firmiert, standen zunächst soziale Konflikte. Allerdings waren und sind diese niemals von der ökologischen Frage losgelöst. Mit der deutschen „Wiedervereinigung“ 1990 trat die Bundesrepublik in eine neue Phase ein. Schützte bisher der „Eiserne Vorhang“ die Arbeiter:innen im Westen vor einem deregulierten Arbeitsmarkt, so war es im Osten die drohende globale Konkurrenz im Kapitalismus. Vor allem die Menschen in der DDR wurden ab 1990 von einer Welle der Arbeitslosigkeit getroffen, die auch nicht vor dem Bergbau Halt machte. Besonders betroffen war der Uranerzbergbau in Sachsen und Thüringen, der vollständig eingestellt wurde. Von den über 40 000 Arbeitskräften der SDAG Wismut Ende der 1980er-Jahre konnten nur circa 1100 in die neue, 1991 gegründete staatseigene Wismut GmbH wechseln, die ihnen wiederum einen gut bezahlten Arbeitsplatz in der schwierigen „Wendezeit“ bot. Zwar gab es durchaus Proteste für den Arbeitsplatzerhalt. Die Erschöpfung der Lagerstätten, die gravierenden Umweltschäden und die allgemein ablehnende Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Thema Atomenergie verhinderten aber einen Weiterbetrieb der Uranerzbergwerke. Deutlich umstrittener – und bis heute eine offen Wunde für viele Ostdeutsche – war die Schließung des Kalibergwerks Bischofferode in Thüringen. Das lokal geförderte Kali hatte einen sehr hohen Reinheitsgehalt und war auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Allerdings verhinderte die Treuhandanstalt eine Übernahme durch ausländische Investoren und entschied sich für die Fusion der DDR-Kalindustrie mit dem westdeutschen Monopolisten Kali und Salz AG aus Kassel – einem Tochterunternehmen der BASF. Teil dieses Vertrags war es, dass sowohl im Westen als auch im Osten Kaliwerke geschlossen werden sollten, darunter jenes in Bischofferode. Als diese Nachricht im Jahr 1992 in
Bischofferode bekannt gegeben wurde, führte dies zum „härtesten Arbeitskampf, den das Land je erlebt hat“, wie die Wochenzeitung Der Freitag noch Jahre später titelte (Im Keller spielt die Musik, in: Der Freitag v. 18. Juli 2003). Anfangs versuchten die Bergleute den Weg der parlamentarischen Demokratie zu gehen und entsandten im Januar 1993 eine Delegation in den Erfurter Landtag, die allerdings ohne Erfolg zurückkehrte. Daraufhin traten 700 Beschäftigte in einen Streik, der sich innerhalb kürzester Zeit radikalisierte. 40 Personen, darunter auch Sympathisanten, die gar nicht im Werk arbeiteten, traten in einen Hungerstreik, teils unter Tage. Während die Besuche von Politiker:innen sowie die Verhandlungen der Gewerkschaften keine Lösung brachten, solidarisierten sich weite Teile der Thüringer und ostdeutschen Gesellschaft mit den Bergleuten. Sie wurden zum Symbol des Widerstands gegen die Treuhandanstalt. So nahmen bis zu 15 000 Menschen an Demonstrationen zum Erhalt des Werkes Teil. Am Ausgang des Konflikts änderte sich hingegen nichts: Planmäßig schloss das Werk zum 31. Dezember 1993 für immer seine Tore. Die Verbitterung hingegen blieb. Schon damals beschrieb der Karikaturist Walter Hanel (geb. 1930) die Auswirkungen in seiner Zeichnung „Der Albtraum“ (Abb. 3). Er sah die Angst des damaligen Kanzlers Helmut Kohl, dass bei einem Erhalt des Bergwerks viele Ostdeutsche, deren Betriebe abgewickelt wurden, ebenfalls deren Fortführung fordern könnten. Die Nachwirkungen des Arbeitskampfs von Bischofferode sind indes bis heute spürbar, wie die Landtagswahl 2019 in Thüringen zeigte: Alle im Parlament vertretenen Parteien thematisierten im Wahlkampf den Konflikt in der Thüringer Kleinstadt. So verteidigte die CDU ihre damalige Entscheidung als alternativlos. Demgegenüber kritisierten die LINKE und die SPD die Schließung und den Umgang mit den Betroffenen in einer ansonsten strukturschwachen Gegend scharf. Aber auch im Fall von Bischofferode gibt es eine andere, ökologische Sichtweise auf den Kalibergbau. Die weitere Ausdehnung der zum Bergwerk gehörenden Halde hätte irgendwann das Tal der Bode abgeriegelt – mit unabsehbaren Folgen für die Umwelt. Deshalb regte sich schon zu DDR-Zeiten Protest, dem eine Bürgerinitiative aus den betroffenen Dörfern nach der Vereinigung von BRD und DDR folgte. Wie häufig in den post-sozialistischen Gesellschaften dominierte jedoch der Arbeitsplatzerhalt die Interessen der Menschen im „Strukturwandel“.
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Abb. 3: Karikatur „Der Albtraum“. Der Karikaturist Walter Hanel sah in dem Streik der Bergarbeiter von Bischofferode ein aufziehendes Fanal für den Bundeskanzler Helmut Kohl, 1993 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2011/09/0086.0509 / Walter Hanel)
Konflikte im Umgang mit der Steinkohle Aber auch im Westen waren soziale Einschnitte im Bereich des Bergbaus, besonders in den Steinkohlenrevieren, zu verzeichnen. Nicht zuletzt aufgrund europäischer Rahmenrichtlinien – vor allem nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags am 1. November 1993 – war besonders die Bundesregierung immer weniger bereit und fähig, die Kosten für die Subventionierung des Steinkohlenbergbaus aufzubringen. Insofern regte sich weiterhin Widerstand gegen Zechenschließungen, wie die Lore der Gelsenkirchener Bergleute zeigt, die sie für ihren Protest 1991 in die damalige Bundeshauptstadt Bonn transportierten (Abb. 4). Ende 1991 kam eine Kohlerunde zum Beschluss eines neuen Kohleanpassungskonzepts. Dieses „Kohlekonzept 2005“ ging davon aus, dass die deutsche
Steinkohle auch im vereinten Deutschland zu einer sicheren Energieversorgung beitragen müsse und dazu ein langfristig leistungsfähiger und kostenoptimierter Steinkohlenbergbau erforderlich war. Der bisherigen Struktur und Kohlepolitik entsprechend sollte sich der künftige Steinkohlenabsatz weiterhin im Wesentlichen auf die Stromerzeugung und die Stahlindustrie beschränken, allerdings unter nochmals reduzierten Mengen. Für beide Bereiche wurde nun ein energiepolitisch flankierter Gesamtabsatz von 50 Mio. Tonnen Steinkohle als Ziel formuliert. Für die Branche ergaben sich daraus verschärfte Einschnitte gegenüber dem Ende März 1991 vorgelegten Optimierungsmodell. Die vorhandene Förderkapazität musste im vorgesehenen Zeitraum um rund 20 Mio. Tonnen zurückgenommen werden, was bedeutete, die Zahl der aktiven Steinkohlenzechen durch Verbünde und Stilllegungen bis 2005 von 26 auf 17 zu verringern.
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Abb. 4: Dieser als Kipplore ausgeführte Förderwagen wurde von Gelsenkirchener Bergleuten 1991 für ihren Protest in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn gegen Arbeitsplatzabbau genutzt, 1991 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1991/11/209 / Marlitt Schultz und Axel Tünker)
Anfang 1996 schien es, als sei endlich eine Grundlage geschaffen, die Vereinbarungen des Kohlekonzepts 2005 in geregeltem Rahmen umzusetzen. Die schwierigen Verhandlungen zur Erzielung des Kompromisses auf Bundesebene hatten allerdings gezeigt, dass man innerhalb der christlich-liberalen Koalition immer weniger bereit war, die jetzt viel stärker als zuvor auf den Bundeshaushalt verlagerten Subventionslasten zur Sicherung des heimischen Steinkohlenbergbaus zu tragen. Die finanziellen Folgen der deutschen Einigung und eine hohe Arbeitslosigkeit beanspruchten diesen enorm, und es taten sich alsbald neue Finanzierungslücken auf. Die Bundesregierung begann deshalb schon im Herbst 1996, die zuvor getroffenen Vereinbarungen zu den Kohlesubventionen erneut zu hinterfragen. Ende Oktober wurden wieder Gespräche zwischen Vertretern des Bundeskanzleramts, des Vorstands der Ruhrkohle AG und der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) zur künftigen Finanzierung des deutschen Steinkohlenbergbaus aufgenommen. Da Ergebnisse zunächst ausblieben, setzten wenig später Protestaktionen der Bergleute in den Revieren ein, die beispielsweise in Form von Mahnwachen langfristig angelegt waren und gemäß der branchenspezifischen Konfliktregelungsstruktur von der Gewerkschaft koordiniert und austariert wurden. Der Vorsitzende
der IGBE, Hans Berger (geb. 1938), erklärte bereits im November 1996, es dürfe sich „niemand wundern, wenn die Unruhe in den Revieren jetzt noch größer wird“ (Der Kampf um die Kohle geht weiter, in: IGBEextra v. 12. November 1996). In der Wahrnehmung der Bergleute, aber auch der Menschen im Ruhrgebiet bedrohte eine weitere Reduktion der heimischen Förderung das gesellschaftliche Zusammenleben. Viele Menschen aus dem Ruhrgebiet sahen neben ihrem Arbeitsplatz auch ihre Identität bedroht. Zahlreiche Familien waren von den guten Löhnen des Bergbaus abhängig, da äquivalente Arbeitsplätze fehlten. Besonders betroffen waren die „Gastarbeiter:innen“, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich niedriger waren. Aber auch Menschen, die nicht direkt etwas mit den Bergwerken zu tun hatten, fürchteten deren Ende. Ein Verlust der Kaufkraft der gut bezahlten Bergbaubeschäftigten – so die Angst – führe zu einer Verödung der Innenstädte und zu einer Transformation des Ruhrgebiets zum „Armenhaus Deutschlands“. Daher führten diese Pläne zu Protesten unterschiedlichster Art, die unter der Bezeichnung „Großer Bergarbeiterstreik“ in Erinnerung blieben. Nachdem bereits Ende 1996 die Pläne der Bundesregierung zu einem neuerlichen „Kohlekompromiss“ Gestalt ange-
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nommen hatten, begann der Arbeitskampf nach einer kurzen Mobilisierungswelle am 29. Januar 1997 mit einer Menschenkette unter dem Motto „Solidarität mit dem Bergbau“, die sich mit 15 000 Teilnehmenden über 6,5 Kilometer vom Rathaus Recklinghausen zum Rathaus Oer-Erkenschwick erstreckte. Zwei Wochen später, am 12. Februar 1997, besetzten Bergleute der Zeche Hugo die Apostelkirche in Gelsenkirchen mit einer Mahnwache. Nur zwei Tage darauf organisierte die IGBE eine Aktion mit dem Namen „Band der Solidarität“. Hierbei bildeten rund 220 000 Menschen eine 93 km lange Kette von Neukirchen-Vluyn am Niederrhein bis zum Westfälischen Lünen. Unter den Beteiligten waren sowohl die vier großen RuhrgebietsFußballvereine (VfL Bochum, Borussia Dortmund, MSV Duisburg und der FC Schalke 04), der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau (1931–2006, SPD), der Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (1935–2020, CDU), der Ruhrbischof als auch der Landesbischof und zahlreiche Repräsentant:innen der Gewerkschaften. Auch das Deutsche Bergbau-Museum Bochum beteiligte sich an der Aktion. Insgesamt war es eine der größten Demonstrationen dieser Art in der Bundesrepublik, die friedlich blieb, nur in Bochum kam es zu einer Straßenblockade als Akt des zivilen Ungehorsams. Vorerst einziger Erfolg des Protests blieb ein Gesprächsangebot der Bundesregierung an den Vorstand der IGBE, Hans Berger, für den 06. März 1997. Am Abend vor diesem Treffen demonstrierten deshalb nochmals 300 Bergleute aus dem Ruhrgebiet und dem Lausitzer Braunkohlenrevier gemeinsam vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Die Gesprächsrunde verlief indes ernüchternd aus Sicht der Gewerkschaft, da die Regierung zu keinen substantiellen Kompromissen bereit war. Die Stimmung kippte und die empörten Bergarbeiter radikalisierten sich. Am Morgen des 07. März trat die Frühschicht der Zeche Hugo in Gelsenkirchen in den Ausstand, dem sich innerhalb kürzester Zeit die Mehrzahl der Bergarbeiter der anderen Bergwerke anschloss, so dass ab Mittag die Kohlenförderung im gesamten Revier stillstand. Es kam zu Straßenblockaden, und nur mit Mühe konnte eine Besetzung des Autobahnkreuzes Recklinghausen verhindert werden. Bis zu einem erneuten Gespräch zwischen Politik und Gewerkschaft blieben die Zechen besetzt. In Bottrop kippten die ‚Kumpel‘ der Zeche Prosper-Haniel 10 Tonnen Kohle vor die CDU-Parteizentrale. Um weiteren Druck auszuüben, startete am 10. März ein „Marsch auf Bonn“. Hier blockierten wütende Bergarbeiter die Zentralen von CDU und FDP. Ungefähr 15 000 Menschen demonstrierten in Bonn, einige drangen sogar in die Bannmeile um den Bundestag ein. Der schließlich am 13. März 1997 zwischen der Bundesregierung, den Kohleländern, den Bergbauunternehmen und der IGBE ausgehandelte Kompromiss basierte abermals darauf, die weiteren Anpassungsmaßnahmen sozialverträglich zu gestalten. Hierin bestand
der wesentliche Erfolg der Branchenvertreter:innen. Um dies zu gewährleisten, sollten die Subventionen bis 2005 auf 5,5 Mrd. DM insgesamt sinken, woran der Bundeshaushalt dann nur noch mit 3,8 Mrd. DM beteiligt war. Die SPD-geführte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident Johannes Rau hatte sich während der Bergarbeiterproteste demonstrativ auf die Seite der IGBE gestellt und erklärt, keine Lösung zu akzeptieren, die Massenentlassungen nach sich zöge. Um den Kompromiss zu ermöglichen, hatte sie zugestimmt, die Beihilfen des Landes von 860 Mio. DM sukzessive auf 1,15 Mrd. DM ab dem Jahr 2001 zu erhöhen. Die RAG Aktiengesellschaft hatte ab 2001 einen Eigenanteil aus dem Umsatzerlös der Beteiligungsgesellschaften in Höhe von bis zu 200 Mio. DM pro Jahr beizusteuern. Für die Bergbauunternehmen bedeuteten die Vereinbarungen vom 13. März 1997, dass sie die Gesamtförderung bis 2005 auf 30 Mio. Tonnen reduzieren mussten, wozu lediglich zehn bis elf Zechen ausreichten. Um den Anpassungsprozess optimal gestalten zu können, war schon in Bonn in Aussicht genommen worden, eine weitere Unternehmenskonzentration im deutschen Steinkohlenbergbau herbeizuführen. Die bis dahin verbliebenen Unternehmen Ruhrkohle Bergbau AG, Saarbergwerke AG und Preussag Anthrazit GmbH sollten in einer Gesellschaft – Deutsche Steinkohle AG – unter dem Dach der RAG Aktiengesellschaft vereinigt werden. Der Streik und seine Beilegung bildeten sowohl einen nochmaligen Höhepunkt als auch das Ende des eigentlichen Arbeitskampfs von Bergleuten in der Bundesrepublik, auch wenn es im Zuge fortgesetzter Zechenschließungen auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch zu Protesten kam. Das über einen Zeitraum von 60 Jahren sozialverträglich abgewickelte und zugleich doch schleichende Ende der Steinkohlenförderung im Ruhrgebiet, die dieses Gebiet in den letzten rund 250 Jahren nachhaltig prägte, ließ sich nicht aufhalten. Allerdings trug die Politisierung der Bergleute Mitte der 1990er-Jahre wesentlich zur Abwahl der Regierung Kohl im Jahr 1998 bei.
Konflikte im Umgang mit der Braunkohle Die Situation im Lausitzer Revier unterschied sich von den anderen Revieren. Hier wurde die Deindustrialisierung Realität. Mit dem Ende der DDR 1990 und dem weitgehenden Zusammenbruch der Industrieproduktion brach der Bedarf an Braunkohle und der daraus erzeugten Energie schlagartig ein. Von den 15 aktiven Tagebauen im Jahr 1990 waren 1996 nur noch sechs in Betrieb. Von den 75 000 Bergleuten – im Osten übrigens auch viele Frauen – blieben bis 1995 nur 19 000 übrig. Hoyerswerda – einst ein Musterbeispiel einer sozialis-
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tischen Planstadt – schrumpfte von 69 000 Menschen in 1988 auf 32 000 im Jahr 2019. Die Erfahrung der ökonomischen Transformation, häufig unter dem Begriff „Strukturwandel“ subsummiert, führte in weiten Teilen der Lausitz zu Wut und Verbitterung. Wer auf das brachliegende Ödland der ehemaligen Tagebaue schaute, dem mussten Helmut Kohls Worte von den „Blühenden Landschaften“ wie Hohn vorkommen. Der Konflikt entlud sich auch in rassistischen Ausschreitungen, wie im September 1991 in Hoyerswerda, bei denen ein wütender Mob aus Anwohner:innen und organisierten Neonazis über mehrere Tage eine Unterkunft ehemaliger „Vertragsarbeiter“ – so der Terminus für ausländische Arbeiter:innen in der DDR – belagerte und schließlich deren Abreise erzwingen konnte. Der Rechtsstaat hatte kapituliert, der ökonomische Niedergang des einstigen „Energiezentrums der DDR“ konnte hingegen nicht aufgehalten werden. Es gab und gibt aber auch Menschen, die das Ende der Tagebaue sehnlich erwarteten. So existierte neue Hoffnung für vom Abriss bedrohte Dörfer, sowohl im Lausitzer als auch im Mitteldeutschen Revier. Anstrengungen zur Revitalisierung von teilweise schon entsiedelten Dörfern ließen neue Dorfgemeinschaften entstehen. Symbolhaft hierfür stehen die Dörfer Dreiskau-Muckern südlich von Leipzig und Pritzen südwestlich von Cottbus. Im Rahmen der Expo 2000 in Mitteldeutschland bzw. der Internationalen Bauausstellung (IBA) „Fürst-Pückler-Land“ in der Niederlausitz wurden neue Konzepte für diese Dörfer entwickelt, die auch einen nachhaltigen Erfolg zeitigten. Demgegenüber steht der vergebliche Kampf von Horno und Heuersdorf, wo die Bevölkerung aktiv Widerstand leistete und letztlich doch umgesiedelt wurde. Trotz der Bemühungen, diese Umsiedlungen kultur- und sozialverträglich zu gestalten – so errichtete der Bergbaubetreiber einen neuen Ortsteil Horno in der Stadt Forst, und in Heuersdorf zog sogar die 700 Jahre alte Emmauskirche in das benachbarte Borna um – blieb viel Frust. Besonders in der Lausitz bedrohten – und im Fall der Siedlung Mühlrose bedrohen – die Umsiedlung die Minderheit der Sorben, deren kulturelle und sprachliche Existenz zusammen mit den devastierten Dörfern verschwindet. Kaum jemand sprach mit seinen Liedern den Menschen im Lausitzer Revier, aber auch insgesamt vielen Ostdeutschen, in dieser Zeit so aus dem Herzen wie der eigenwillige Liedermacher Gerhard Gundermann (1955–1998). Pointiert verlieh er als „singender Baggerfahrer aus der Lausitz“ diesen unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Job- und Heimatverlust eine Stimme in der Zeit des Umbruchs. Seine Schallplatte „einsame spitze“ (Abb. 5) von 1992 thematisiert sowohl Arbeitsplatzverlust, wenn er von der Pleite der Grube Brigitta und seinem in der Heide sterbenden Bagger singt, als auch Umweltprobleme des Braunkohlenbergbaus, wenn es im Song „Soll seien“ heißt: „die Bäume, die soll’n wieder meine Brüder sein. Wir lassen uns’re Wunden heil’n“. Im Osten auch wegen
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Abb. 5: Der „singende Baggerfahrer“ aus der Lausitz, Gerhard Gundermann, ist bis heute eine nicht unumstrittene Ikone des Ostens, 1992 (montan.dok / Gerhard Gundermann)
seiner Stasi-Vergangenheit eine umstrittene öffentliche Persönlichkeit, blieb Gundermann im Westen nahezu unbekannt – viele Ostdeutsche sahen darin ein Symbol für das mangelnde Interesse der alteingesessenen Bundesbürger:innen an der ehemaligen DDR und ihren neuen Nachbar:innen. 2018 setzte ihm der Regisseur Andreas Dresen (geb. 1963) mit dem Film „Gundermann“ ein cineastisches Denkmal, das versuchte, die ganze Ambivalenz dieser Person einzufangen. Der Erfolg des Films – er gewann allein sechs Lolas beim Deutschen Filmpreis 2019 – machte „Gundi“ auch im Westen der Republik bekannter.
Uran und die Konflikte um die Atomenergie Wurden die Umweltfolgen des Bergbaus in Bezug auf die Braun- und Steinkohlenförderung kaum wahrgenommen – mit der Rauchgasentschwefelung galt das Waldsterben als gebannt –, war die Wahrnehmung des Uranerzes als Georessource deutlich problembehafteter. Besonders die Frage des Atomstroms polarisierte in Deutschland. Zum Symbol des Konflikts wurde in den 1990er-Jahren das geplante Endlager in Gorleben im Wendland, unweit der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Die Anti-Atomkraft-Bewegung war seit den 1980er-Jahren eine der bedeutendsten Umweltgruppen und, wie der Konflikt um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf zeigte, in der Lage, tausende Menschen zu mobilisieren. Entsprechend wurde jeder Atommülltransport – nach den Behältern bald nur noch „Castor-Transport“ genannt – von Großdemonstrationen und versuchten Blockaden begleitet. Derweil hatten die Anwohner:innen und Protestierenden durchaus die Argumente auf ihrer Seite: Der
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Abb. 6–7: Overall eines Demonstranten. Kaum ein Thema polarisierte in den 1990er-Jahren so stark wie das Thema Atomenergie, 1996 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1999/01/0519.2 / Marlitt Schultz und Axel Tünker)
Stollen – ein altes Salzbergwerk – wurde aus politischen Gründen 1977 ausgewählt und war für die Endlagerung ungeeignet. Dennoch hielt die Regierungskoalition aus CDU und FDP auch im wiedervereinigten Deutschland am Standort fest. Entsprechend wurde der erste Transport in das Endlager 1995 von über 4000 Demonstrierenden begleitet, die sich vor allem auf das Mittel des zivilen Ungehorsams konzentrierten. Gleichzeitig räumten 7600 Polizist:innen den Weg durch zahlreiche Blockaden frei. Die Berichte und Bilder in den Medien ließen den Konflikt schnell anschwellen. Proteste gab es in vielen Städten, unter anderem in der dama-
ligen Bundeshauptstadt Bonn, wie der Overall einer Teilnehmer:in zeigt, der sich kritisch mit der Gewalt von Seiten des Staates auseinandersetzte (Abb. 6–7). Beim dritten „Castor-Transport“ zwischen dem 28. Februar und dem 05. März 1997 kam es zum Einsatz von bis zu 30 000 Uniformierten, denen ungefähr dieselbe Zahl an Atommüllgegner:innen gegenüberstand, allerdings lokal häufig in der Unterzahl gegenüber den Polizist:innen. Die Wirkung in der Öffentlichkeit unterminierte die Zustimmung zur Verstromung von Atomenergie weiter und beeinflusste den Wahlerfolg von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Bundesebene im Jahr 1998. Die rot-grüne Koalition einigte sich am
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14. Juni 2000 auf den „Atomkonsens“, der ein Ende der Atomenergie bereits im Zeitraum zwischen 2015 und 2020 bedeutet hätte. Daraufhin ließen die Proteste gegen die Atommülltransporte spürbar nach, auch wenn das Endlager Gorleben politisch umstritten und umkämpft blieb. Der erneute Konflikt um die Atomkraft ab 2010 leitete auch eine neue Epoche im Konflikt um den Bergbau in Deutschland ein. Die Bundesregierung aus CDU und FDP beschloss 2010 eine Laufzeitverlängerung der noch aktiven Atomreaktoren. Dies sorgte bei Umweltverbänden und Aktivist:innen für Unmut und führte wieder zu Protestzügen der Anti-Atomkraft-Bewegung. Mit der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 bekam das Thema eine neue Dynamik. Nur wenige Tage später verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Moratorium für die ältesten Atomreaktorblöcke – die betroffenen Kraftwerke sollten nie mehr ans Netz zurückkehren. Am 27. März 2011 gewannen Bündnis 90/Die Grünen, die von den Ereignissen in Fukushima geprägte Landtagswahl in Baden-Württemberg. Um ein weiteres politisches Erdbeben zu stoppen, beschloss der Bundestag am 30. Juni 2011 den Ausstieg aus der geplanten Laufzeitverlängerung. Damit war zwar das Ende der Atomenergie in Deutschland besiegelt, der Streit um die Verwahrung seiner strahlenden Überreste ging aber in die nächste Runde. „Schottern“ – so nennen die AntiAtomkraft-Aktivist:innen das Entfernen der Steine aus dem Gleisbett, wodurch die Bahnschienen destabilisiert werden – wurde zu einer Form des Widerstands, wie ein Plakat von 2012 für den Protest im Wendland zeigt (Abb. 8). Seit dem Beschluss zum endgültigen Atomausstieg dominiert die Frage der Endlagersuche den Diskurs. Gorleben, so waren sich die Expert:innen einig, war als Standort ungeeignet. Das galt im Übrigen auch für den Salzschacht Asse, der seit 1978 ebenfalls für die Verwahrung radioaktiver Abfälle genutzt worden war. Als 2008 bekannt wurde, dass dieser Stollen unsicher ist und strahlenbelastete Salzlauge austritt, begann die Diskussion – auch um Gorleben – von neuem. Im Fall der Asse entschied man, den Standort nicht weiter zu betreiben und den Atommüll wieder herauszuholen. Im Zuge dieses Prozesses besuchte der damalige Bundesumweltminister Peter Altmeier (geb. 1958) die Schachtanlage. Auch für Gorleben kam 2020 das Aus, und die Suche nach einem sicheren Endlager begann abermals von neuem, wobei faire wissenschaftliche Kriterien vereinbart wurden. Allerdings lassen Äußerungen, wie beispielsweise vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (geb. 1967), der sein Bundesland entgegen der wissenschaftlichen Expertise als ungeeignet bezeichnete, darauf schließen, dass auch politische Einflussnahmen bei der Endlagersuche zu erwarten sind.
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Konflikte im letzten Jahrzehnt Die Lausitz und der Braunkohlenbergbau erlebten im letzten Jahrzehnt ein Auf und Ab. Zuerst begünstigte der Atomausstieg ein Fortbestehen der Tagebaue und Kraftwerke. Hierzu trug auch die Hoffnung auf die großindustrielle Umsetzung der CO2-Abscheidung und -Speicherung bei, womit der Bergbau deutlich weniger klimaschädlich geworden wäre. Gleichzeitig nahmen sowohl der Widerstand gegen die Zerstörung der Landschaft und die Umsiedlung von Dörfern, als auch der Protest gegen die Abwendung der Klimakatastrophe und die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands zur Reduktion seiner Treibhausgasemissionen zu. Besonders die schlechte Klimabilanz der Braunkohle, deren Verbrennung deutlich mehr CO2 freisetzt als andere fossile Energieträger, polarisierte in den letzten Jahren. Mit der Gruppe „Ende Gelände!“ trat 2014 eine junge und radikale Gruppe auf, die verschiedene Formen des zivilen Ungehorsams nutzte, um auf die Umweltsituation aufmerksam zu machen. Hierzu gehören Klimacamps, die in der Nähe der Tagebaue und Kraftwerke stattfinden, Blockaden und immer wieder auch Besetzungen von Baggern und anderen Großgeräten im Tagebau. Die radikale Kritik, die „Ende Gelände!“ inne liegt, provoziert die Gegenseite der Braunkohlenbefürworter:innen. Besonders in der Lausitz und weit mehr noch als im Rheinischen Braunkohlenrevier stehen sich hier beide Seiten unversöhnlich gegenüber. Initiativen wie der Pro-Lausitzer-Braunkohle e. V. betreiben eine klassische Form der Öffentlichkeitsarbeit und lobbyieren mit Landes- und Kommunalpolitikern, um ihre Interessen zu verteidigen. Ein Bild des Vereins mit ihrem über drei Meter großen Styropor-Braunkohlenbrikett und dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (geb. 1961) zeigt dies symbolhaft (Abb. 9). Dabei sind die Forderungen aus sozialen wie ökonomischen Gründen nachvollziehbar: Die nach 1990 weitgehend deindustrialisierte Lausitz benötigt den Braunkohlenbergbau als wichtigsten Ausgangspunkt der Wertschöpfungskette. Somit sind viele Gewerbe und Läden auf die hohen Löhne angewiesen, die bei den Betreibern der Tagebaue und Kraftwerke gezahlt werden. Tourismus als Versprechen einer Nachbergbauzeit schafft hingegen häufig nur Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor. Andere Gruppen sehen in der Auseinandersetzung mit „Ende Gelände!“ vor allem einen politischen Konflikt. So erregte ein Graffiti der rechtsextremen Gruppe „Defend Cottbus“ überregional Aufmerksamkeit, da mehrere Polizisten vor diesem posierten und sich so mit der Gruppe gemein machten. Deutlich präsenter im öffentlichen Diskurs und durchaus symbolträchtig für den Kampf um die Braunkohle ist in den letzten Jahren der Hambacher Forst im Rheinischen Revier geworden. Der Wald ist aufgrund seines Alters und seines naturnahen Zustands von überregionaler Bedeutung. Gleichzeitig liegt er auf einem
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Abb. 8: Das Plakat fordert zum „Schottern“, dem Entfernen der Steine aus dem Gleisbett auf, eine Form des zivilen Ungehorsams, 2012 (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2016/03/0196)
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Abb. 9: Der Pro-Lausitzer-Braunkohle e. V. aus Cottbus setzt sich in öffentlichkeitswirksamen Aktionen für den Erhalt der Braunkohlenförderung ein, 07. März 2019 (Pro-Lausitzer-Braunkohle e. V.)
der größten Braunkohlenflöze der Welt, das durch eine geologische Störung hier eine Mächtigkeit von bis zu 100 m erreicht. Von dem ursprünglich 4000 Hektar großen Waldgebiet besteht heute nur noch ein Achtel, der Rest musste bereits dem Tagebau weichen. Um die verbliebene Fläche entwickelte sich allerdings im Sommer/Herbst 2018 eine Auseinandersetzung, die ganz Deutschland polarisierte. Seit 2012 hatte es immer wieder Besetzungen des Waldes durch Umweltschutzgruppen gegeben, die sich in Baumhäusern verbarrikadierten. Konflikte zwischen RWE-Mitarbeiter:innen und den Aktivist:innen hatten mehrfach zu Polizeieinsätzen geführt. 2018 beschloss dann die NRW-Landesregierung aus CDU und FDP, auf Wunsch des Bergbauunternehmens RWE Power den Wald zu räumen. Als Grund wurde mangelnder Brandschutz in den Baumhäusern angeführt. Der umstrittene Polizeieinsatz, bei dem ein junger Dokumentarfilmer ums Leben kam, führte zur überregionalen Popularität des Forstes und zu hunderten Solidaritätsveranstaltungen. Eine geplante Rodung kam hingegen nicht zustande, da das Oberverwaltungsgericht Münster am 05. Oktober 2018 einem Eilantrag zum Verbot der Baumfällarbeiten stattgab. Am Folgetag fand eine Demonstration für den Erhalt des Waldes statt, an der bis zu 50 000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet partizipierten. Die Leipzigerin Antonia Weishaupt (geb. 1985) nahm als BUND-Mitglied an der Demonstration teil, wovon ihr Armband zeugt (Abb. 10). Ihr Umweltengagement hörte aber nicht mit der Demonstration auf.
Abb. 10: Armband zum Protest im Hambacher Forst gegen eine weitere Rodung, 06. Oktober 2018 (Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna)
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So war sie bereits 2015 als Beobachterin für die libanesische Delegation Teilnehmerin an der Weltklimakonferenz in Paris gewesen, bei der sie vor allem die Interessen des Globalen Südens in die Klimaverhandlungen einbringen wollte. Selbst in ihrer akademischen Karriere beschäftigte sie sich mit dem Umweltschutz und forschte zum Thema der nachhaltigen Landwirtschaft. Der Streit um den Tagebau Hambach und den gleichnamigen Forst ist noch nicht abgeschlossen. 2019 hatte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (geb. 1961, CDU) im Anschluss an eine Parteiveranstaltung in Düren im rheinischen Braunkohlenrevier öffentlich formuliert, dass er den
Wald räumen lassen wollte und dafür mit dem Argument des Brandschutzes einen Vorwand brauchte. Klimaaktivist:innen hatten dies filmisch dokumentiert. Im September 2021 entschied das Verwaltungsgericht Köln, dass die Räumung mit der Begründung „Brandschutz“ rechtswidrig war. Das letzte Wort in der gerichtlichen Auseinandersetzung ist noch nicht gesprochen, so dass der Konflikt um den Erhalt das Waldes weitergeht. Die Fronten zwischen den Aktivist:innen und dem Betreiber RWE Power mit seinen Angestellten bleiben dabei verhärtet. Im selben Jahr, als im rheinischen Braunkohlenrevier erbittert um die Zukunft des Braunkohlenberg-
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Abb. 11–12: Sondertrikot „Kohle und Stahl“ des Fußballvereins Borussia Dortmund. Der BVB setzte damit dem Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet ein Denkmal, 2019 (Lars Philipp)
baus gerungen wurde, endete das Zeitalter des Steinkohlenbergbaus an der Ruhr und in ganz Deutschland. Nachdem die RAG Aktiengesellschaft bereits im September den Regelbetrieb auf dem Bergwerk ProsperHaniel in Bottrop eingestellt hatte, wurde in einer offiziellen Zeremonie am 21. Dezember 2018 die letzte geförderte Steinkohle an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (geb. 1956) übergeben. Dabei unterschied sich die Situation im Vergleich zu 1997 fundamental. Der Abschied von der Kohle erfolgte nun emotional, aber ohne Arbeitskampf oder offen ausgetragene soziale Konflikte. Nicht zuletzt die Fußball-Clubs im Ruhrgebiet sahen und sehen sich in der Bergbautradi-
tion. So schmetterte der Knappenchor anlässlich des Bundesliga-Heimspiels des FC Schalke 04 gegen Bayer Leverkusen am 20. Dezember 2018 in einer rührseligen Choreografie das Steigerlied in die verdunkelte Arena. Selbst die Tagesschau berichtete über die Inszenierung. Aber auch die anderen Vereine im Ruhrgebiet fühlen sich mit der Bergbautradition verbunden und begingen das Ende der Steinkohlenförderung auf ihre Weise. Borussia Dortmund, als anderer großer Verein der Region, brachte ein Sondertrikot „Kohle & Stahl“ heraus, das innerhalb kürzester Zeit ausverkauft war (Abb. 11–12).
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Abb. 13–14: Protest gegen das Kohle-Kraftwerk Datteln IV, das parallel zur Vereinbarung über den Kohleausstieg neu ans Netz ging, 30. Mai 2020 (Jörg Farys)
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Das Ende der heimischen Förderung bedeutete aber nicht das Ende der Nutzung von Steinkohle in Deutschland. Prominentes wie umstrittenes Beispiel ist das Kraftwerk Datteln IV. Dabei steht neben den CO2-Emissionen vor allem die Herkunft der Kohle in der Kritik. So problematisieren Menschenrechtsaktivist:innen zusammen mit Umweltschützer:innen beispielsweise die aus Kolumbien stammende Importkohle als „Blutkohle“, da es immer wieder zu Gewalttaten gegen Indigene im kolumbianischen Steinkohlenbergbau kommt (Abb. 13–14). Zusätzlich besteht in Bezug auf den Bau des Kraftwerks eine schon länger andauernde gerichtliche Auseinandersetzung. Mittlerweile hat das Oberverwaltungsgericht Münster in letzter Instanz den gesamten Bebauungsplan für rechtswidrig erklärt. Interessanterweise waren es nicht nur Umweltverbände, die sich gegen das Kraftwerk stellten, sondern auch die angrenzende Stadt Waltrop. Hierin zeigt sich ein Wandel in der Wahrnehmung der Steinkohle im Ruhrgebiet von einer ökonomischen Notwendigkeit zu einer ökologischen Gefahr. Mit dem Jahr 2038 steht seit Januar 2019 nunmehr auch ein Termin für den Ausstieg aus der Braunkohle fest – nach der Bundestagswahl 2021 vermutlich sogar schon früher. Zwar erzürnte diese Entscheidung die Gemüter in den Revieren, darüber hinaus hat die Kohle aber ihre Unterstützung in der Bevölkerung weitgehend verloren. Dazu trug die sich zuspitzende Klimakrise wesentlich bei. Als an einem Freitag im August 2018 eine 15jährige schwedische Schülerin einsam einen „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik für das Klima) startete, erwartete niemand, dass daraus innerhalb eines halben Jahres eine weltweite Bewegung entstehen sollte. Schon bei der ersten internationalen Veranstaltung von „Fridays for Future“ am 15. März 2019 nahmen allein in Deutschland 300 000 vor allem junge Menschen an 220 unterschiedlichen Orten teil und thematisierten, dass die Klimakrise vor allem ihre Zukunft bedroht, während die Masse des Wahlvolkes maximal die Anfänge der Veränderungen erleben werde. Hiermit stehen sie am Anfang einer neuen sozialen Bewegung, die ihre partikularen Interessen in der Gesellschaft zu verankern sucht. Der Forderung nach Generationengerechtigkeit begegnete ein Teil der Parteien mit Unverständnis und Vorwürfen an die Jugendlichen. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen entschieden, dass die Maßnahmen der letzten Bundesregierung aus CDU und SPD zur Reduzierung der Treibhausgasemission nicht ausreichend sind und kommende Generationen über Gebühr belasten würden. Die Forderungen der einzelnen Gruppen und Aktivist:innen unterscheiden sich regional stark. So trugen beispielsweise zwei junge Dresdnerinnen auf einer „#Unteilbar“-Demonstration am 24. August 2019
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im Vorfeld der Landtagswahl in Sachsen ein Schild, das auf der Vorderseite den Spruch „Our House is on Fire“ von Greta Thunberg zitierte, während auf der Rückseite ein Aufkleber prangte mit dem Aufdruck „Sind die Dörfer platt wie Teller, war der Bagger wieder schneller“ (Abb. 1–2). Damit adressierten sie neben der globalen Klimakrise den regionalen sächsischen Verursacher, den Lausitzer Braunkohlenbergbau. Sie verdeutlichten damit, dass im 21. Jahrhundert die regionalen Umweltprobleme global sind und gleichzeitig ein lokales Handeln erfordern.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Farrenkopf, Michael: Wiederaufstieg und Niedergang des Bergbaus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ziegler, Dieter (Hrsg.): Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert, Münster 2013 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 4), S. 183–302. – Friedrich, Marcel: Das Erbe der Wismut. Nur eine Belastung für das Westerzgebirge?, Meißen 2020. – Jacobs, Fabian/Jacobs, Theresa/Tschernokoshewa, Elka: Sorbische Identität und Kultur in der Ortslage Proschim (Prožym) mit Karlsfeld, Bautzen 2011. – Moitra, Stefan: 14. Februar 1997. „Band der Solidarität“, in: Langebach, Martin (Hrsg.): Protest. Deutschland 1949–2020, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2021, S. 334–335. – Seibring, Anne (Hrsg.): Abschied von der Kohle. Struktur- und Kulturwandel im Ruhrgebiet und in der Lausitz, Bonn 2021 (= Bundeszentrale für politische Bildung: Schriftenreihe, Nr. 10751). – Staemmler, Johannes (Hrsg.): Wir machen das schon. Lausitz im Wandel, Berlin 2021.
Selbstdarstellungen/aktivistische Literatur (Auswahl) – Engel, Stefan/Link, Christian/Vöhringer, Anna (Hrsg.): Der große Bergarbeiterstreik 1997. Dokumentation der Veranstaltung am 06.10.2018 in Gelsenkirchen, Essen 2018. – Hambacher Forst Buchprojekt (Hrsg.): Mit Baumhäusern gegen Bagger. Geschichten vom Widerstand im Rheinischen Braunkohlenrevier, Osnabrück 2015. – KURVE Wustrow (Hrsg.): Handbuch und Dokumentation Gorleben 365. 14.08.2011–13.08.2012, Lüchow 2014.
Abb. 1: Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz vergibt seit 1979 die Silberne Halbkugel für das Engagement zum Erhalt von Denkmalen. 2019 erhielt diese Ehrung auch der Besucherbergwerk Förderverein F60 e. V. für seinen Einsatz zum Erhalt der Abraumförderbrücke F60 als Besucherbergwerk, 2019 (F60 Concept GmbH – Besucherbergwerk F60 / Jürgen Vetter)
https://doi.org/10.1515/9783110780154-021
Torsten Meyer, Michael Farrenkopf
Zukünfte von Bergbaurevieren Einleitung Bergbau ist grundsätzlich eine zeitlich begrenzte wirtschaftliche Tätigkeit. Spätestens wenn die ausgebeuteten Lagerstättenvorkommen erschöpft sind, heißt es unwiederbringlich „Schicht im Schacht“. Allerdings können auch andere Einflüsse zur Einstellung des Bergbaus führen, zuvorderst ist hier auf dessen wirtschaftliche Rentabilität hinzuweisen. So galt beispielsweise bereits in der DDR der Abbau des 3.–5. Flözes im Lausitzer Revier unter den gegebenen technischen Möglichkeiten als unrentabel. Auch politische Entscheidungen, und dies eint das Ruhrgebiet, das Lausitzer Braunkohlenrevier und die Bergbaugebiete der SDAG Wismut, schaffen Vorgaben, die zum Auslaufen des Bergbaus führen. Zeichnete sich nach den Kohlenkrisen der späten 1950er-Jahre im Ruhrgebiet bereits ab, dass der Steinkohlenabbau ökonomisch unrentabel war, auch die Bildung der Ruhrkohle AG als konsolidierendes Gemeinschaftsunternehmen der Branche 1968/69 änderte hieran wenig, so wurde er doch unter den Rahmenbedingungen einer national sicheren Energieversorgung politisch gestützt, wie der 1974 eingeführte so genannte Kohlepfennig zeigt. Dies sollte sich angesichts einer immer globaleren Weltwirtschaft und der wachsenden Bedeutung des Felds der Umweltpolitik in den folgenden Jahrzehnten allerdings ändern. So beschloss der Deutsche Bundestag im Jahr 2007 den finalen Ausstieg aus der deutschen Steinkohlenförderung für das Jahr 2018, in dem die beiden letzten zum damaligen Zeitpunkt noch aktiven Bergwerke schlossen, die RAG Anthrazit Ibbenbüren GmbH im Tecklenburger Land und das Bergwerk Prosper-Haniel in der Gemeinde Bottrop. Wie stark gegenwärtig klimapolitische Ziele den Abbau fossiler Brennstoffe in Deutschland bestimmen, offenbart auch der 2020 von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Ausstieg aus der Braunkohlenförderung spätestens im Jahr 2038, was nicht nur das Lausitzer, sondern zudem das Mitteldeutsche und Rheinische Revier betrifft. Anders gelagert war die Einstellung des Uranerzbergbaus der SDAG Wismut, deren Ende mit der deutschen Vereinigung am 03. Oktober 1990 begann. Zwar rangierte sie zu Zeiten der DDR an weltweit vierter Stelle der Urangewinnung, doch war sie nie in der Lage, Uran zu Weltmarktkosten zu produzieren. Ihre Gründung und Abwicklung markieren insofern vornehmlich die politikhistorischen Zäsuren des Beginns und Endes des Kalten Kriegs. Was aber bleibt und, vor allem, was soll kommen, wenn der Bergbau endet? Vor dieser Frage stehen alle,
nicht nur die drei im Folgenden betrachteten Bergbaureviere. Dass Traditionen nicht einfach abreißen, scheint bereits mit Blick auf die vereinsmäßig getragene Pflege des bergmännischen Erbes offensichtlich. Eher wenig in den Blick geraten allerdings solche Traditionen, die auf den ersten Blick problematisch scheinen, auf den zweiten Blick aber für einen begrenzten Zeitraum anders gesehen werden können. Hierauf aufmerksam zu machen, ist Anliegen des ersten Abschnittes des Textes, der bewusst provokativ „Unzeitgemäße Zukünfte“ titelt und versucht, die Region im Globalem zu verorten. Über Zukünfte der drei Bergbaugebiete zu sprechen, mutet seltsam an, denn sie scheinen einerseits teilweise abgeschlossen, insofern sie bereits begonnen haben, andererseits bilden sie potentielle Möglichkeitsräume ab. Unter dem Titel „rite de passage“ sprechen wir dieses Spannungsverhältnis im zweiten Abschnitt an. Aufgezeigt wird, wie sich die Reviere quasi neu erfanden, also eher eine Binnenperspektive eingenommen wird, und wie sie neu erfunden wurden, mithin eine Außensicht angesprochen ist. Vergessen werden darf hierbei nicht, dass solche Neuerfindungen auch in Traditionen wurzeln. Am Ende betonen die „Zukünfte der Vergangenheit“ den Fluchtpunkt, der die drei Bergbaureviere augenscheinlich eint, die Wertschätzung ihres Erbes. Ein Erbe, das nicht nur entdeckt, vielmehr auch „erkämpft“ werden musste, ein Erbe, dass die drei Regionen in globale Dimensionen überführt bzw. transferieren soll.
„Unzeitgemäße Zukünfte“ Bergbauregionen einzig auf den Bergbau zu reduzieren, läuft ins Leere, da sich mit der Gewinnung von Georessourcen nachgelagerte Industrien herausbildeten, wie bereits an anderer Stelle skizziert. Von daher heißt der Abschied von der Kohle, den wir hier exemplarisch ansprechen, dass etwas bleibt, das wir als „Unzeitgemäße Zukünfte“ bezeichnen wollen. Der Begriff mag zunächst irritieren, kann aber inhaltlich konturiert werden. Gemeint sind beispielsweise Bergbauzulieferer, wie die traditionsreichen Firmen Eickhoff in Bochum oder TAKRAF mit Hauptsitz in Leipzig. Die hier über Jahrzehnte entstandene Expertise für den Bau von Bergbau(groß)geräten ist nicht verschwunden, vielmehr spielen die Unternehmen global immer noch eine bedeutende Rolle, verlagerten ihre Geschäfte in boomende Kohleproduktionszentren, wie beispiels-
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weise China oder die Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Zugleich begannen sie, ihr Portfolio zu diversifizieren. Ähnliches gilt für den Kraftwerksbau. Beschrieben wurden die Konflikte um das Steinkohlenkraftwerk Datteln IV und das Braunkohlenkraftwerk Schwarze Pumpe (Abb. 2). Doch stehen diese Technologien nicht nur für den vermeintlichen Widerspruch von Ökologie und Ökonomie. Aufgrund ihrer technischen Effizienz verkörpern sie einerseits den industriellen Wunschtraum nach „restloser“ Verbrennung der Stein- und Braunkohlen, lassen sich als technologischer Endpunkt der klassischen Industrie deuten. Zum anderen begründet diese technische Effizienz ihre Bedeutung für die Zukunft, da die globale Energiewende hin zu regenerierbaren Energieträgern ein Prozess ist, der noch Jahrzehnte währt. Die genannten Kraftwerke können hierfür ein wichtiger Baustein sein. „Unzeitgemäß“ sind diese „Zukünfte“, da sie quer zum ökologischen Denken im spätmodernen Westen liegen. „Zukünfte“ sind sie, da in der Region (hoch)spezialisierte Facharbeitsplätze erhalten bleiben, die aus bergbaulichen Traditionen und Verflechtungen entstanden. „Zukünfte“ sind sie auch, da, zumindest mit Blick auf die genannten Kraftwerke, hocheffiziente Übergangstechnologien für den Weg in eine globale, ökologisch orientierte Wirtschaftsweise derzeit unverzichtbar scheinen.
„rite de passage“ Die Neuerfindungen der drei Bergbaureviere weisen zum einen markante Unterschiede auf, zum anderen viele Gemeinsamkeiten (Abb. 3). Unterschiedlich waren vor allem die Prozesse: Für das Ruhrgebiet wird dieser geprägt durch einen langwährenden, politisch moderierten Strukturwandel, wohingegen das Lausitzer Braunkohlenrevier und die Wismut von einem Strukturbruch infolge der deutschen Vereinigung getroffen wurden. Die Ausmaße werden bereits daran deutlich, dass in der Lausitz 1990 etwa 65 000 Menschen im Braunkohlenbergbau arbeiteten, bereits fünf Jahre später betrug die Beschäftigtenzahl nur noch 19 000. Dramatische Züge weist diese Entwicklung auch für die Wismut auf – beschäftigte die SDAG Wismut 1991 noch 27 800 Menschen, lag ihre Zahl nur ein Jahr später bereits bei 6700. Die Lebenswirklichkeit der vom Strukturbruch betroffenen Menschen ist insofern eine andere denn jene, der vom Strukturwandel betroffenen. Eines jedoch, wenngleich dies in unterschiedlichen Zeithorizonten stattfindet, eint die drei Reviere – ihre Suche nach dem „Nachbergbau“ bei gleichzeitigen Versuchen der Wahrung überlieferter Identitäten. Worauf setzten und setzen die Reviere, wenn es um ihre Zukünfte geht? Dies sei anschließend skizziert.
Abb. 2: Seit 2007 wurde das Kohlenkraftwerk Datteln IV als Ersatz für das aus drei Blöcken bestehende Kraftwerk Datteln und die Kraftwerke in Herne und Dortmund gebaut. Es nahm am 30. Mai 2020 den kommerziellen Betrieb auf. Datteln IV besteht nur aus einem Kraftwerksblock mit einer elektrischen Nettoleistung von 1052 MW, womit es das effektivste europäische Kraftwerk dieses Typus ist, 2008 (Uniper SE / Modellbau Römer)
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Abb. 3: „Ruhrtropolis – Das Spiel des Ruhrgebiets“ zollt dem Revier spielerisch Referenz, 1992 (montan.dok 030006216001)
Zukunft – Ein Zauberwort? So viel Zukunft war nie. „Zukunftsstudien“, „Zukunftswerkstätten“, „Zukunftsagenturen“, sie alle eint, dass die Zukunft in den Bergbaurevieren, aber nicht nur dort, planbar scheint. Im Vergleich mit den 1970er-Jahren tritt gegenwärtig damit ein neues Zauberwort, jenes der Regionalpolitik bzw. der Regionalentwicklung auf die Tagesordnung. Es verdrängte die Rede über Strukturpolitik, die die Zeit seit den 1960er-Jahren in Westdeutschland prägte. Milliardenschwere Programme, von Bund und Ländern finanziert, sollen dazu beitragen, in den Revieren zukunftsfähige Strukturen aufzubauen. Auch die Europäische Union (EU) bietet Programme an, auf die zurückgegriffen werden kann. Gleichwohl zwischen dem Ruhrgebiet, der Lausitz und dem Erzgebirge strukturelle Unterschiede bestehen – so betont das Erzgebirge beispielsweise seine mittelständische Struktur, die in der Lausitz wenig ausgeprägt ist –, zeichnen sich doch starke Gemeinsamkeiten für als zukunftsfähig erachtete Wirtschaftsstrukturen ab. Nachdem bis in die 1990er-Jahre die industrielle Produktion öfter zugunsten der Finanzwirtschaft in den Hintergrund trat, lässt sich seit der Bankenkrise der Jahre 2007/08 grundsätzlich ihr Wiederaufstieg in der Regionalpolitik erkennen. Industrie 4.0 erweist
sich somit als eines der Fluchtziele, aber auch die Stärkung von Wissenschaft und Forschung unter anderem durch gezielte Ansiedlungen außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, wie Institute der Helmholtzoder Frauenhofer-Gesellschaft. Forschungsbasierte Innovationen spielen somit eine zentrale Rolle für die ökonomische Neuerfindung der drei Regionen. Gezielte Infrastrukturmaßnahmen, wie der Ausbau bestehender Straßen- und Bahnnetze, bilden einen weiteren Eckpfeiler. Unverändert sind die an die Region herangetragenen Zukünfte sozio-ökonomisch bestimmt, Kultur gewinnt zwar auf dem Papier, wie beispielsweise das für die Lausitz wichtige „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ vom 08. August 2020 andeutet, einen eigenen Stellenwert, allerdings erweisen sich die hierfür geplanten Finanzmittel als vergleichsweise niedrig. Grund genug, im Folgenden diesen weichen Faktor stärker zu betonen. Eines darf bei der ausufernden Rede über die Zukunft der Reviere nie übersehen werden – auch heutige Szenarien gehen stillschweigend davon aus, dass Zukunft planbar ist, sie ignorieren damit nicht zuletzt globale Marktdynamiken. Trotz institutionell abgesicherter Zukunftspläne für die Reviere bleibt Zukunft stets behaftet mit Unsicherheit, ist offen und damit mehr Versprechen als Realität.
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Wissenschaft Der moderierte Strukturwandel im Ruhrgebiet setzte viel Hoffnung auf den umfassenden Ausbau von Bildungsinstitutionen wie Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Seinen sichtbaren Startpunkt bildete die 1962 gegründete Ruhr-Universität Bochum, die zugleich die erste Neugründung in der Bundesrepublik war. In den folgenden Jahrzehnten verdichtete sich der „Pott“ zu einer selbstbewusst verkündeten „Wissenschaftslandschaft“. Teil hiervon ist die Technische Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum, deren historische Wurzeln in der 1816 etablierten „Märkischen Bergschule“ liegen. Ein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt bei der THGA seit einigen Jahren auf den Belangen des so genannten Nachbergbaus, worunter in Bochum eine vorrangig geowissenschaftlich-ingenieurtechnische Auseinandersetzung mit den Folgen des Bergbaus verstanden wird, um diese technisch, ökonomisch und umweltverträglich zu gestalten. Im Jahr 2015 wurde dazu das „Forschungszentrum Nachbergbau“ (FZN) gemeinsam von der THGA und der RAG-Stiftung initiiert und gegründet. Bewusst integrativ verstanden, gliedert sich die Arbeit des FZN seither in vier Forschungsbereiche: Im Schwerpunkt Ewigkeitsaufgaben und Grubenwassermanagement wird an einem ganzheitlichen Verständnis des hydrologischen Systems ehemaliger Bergbauregionen geforscht. So sollen Kenntnisse für einen nachhaltigen Umgang mit Grubenwasser, Grundwasser und Oberflächengewässern verstetigt und verbessert werden. Im Bereich Geomonitoring im Alt- und Nachbergbau werden technische Systeme für das ganzheitliche Monitoring von Bergbaufolgen entwickelt, indem Verfahren der Fernerkundung mit spezieller Sensortechnik und Robotik auf der Tagesoberfläche kombiniert werden. Am Beispiel und in direktem Bezug auf materielle Hinterlassenschaften der Montanindustrie widmet sich das dritte Segment des FZN den Materialwissenschaften zum Erhalt und zur Neunutzung von Industriekultur, vorrangig durch die konkrete Untersuchung von Werkstoff-Alterungsprozessen. Schließlich geht es im vierten und letzten Bereich um die Analyse der politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen, die für eine Reaktivierung von einstigen Industriestandorten nötig sind. Regionale Ziele sollen dabei ebenso berücksichtigt werden wie der Einbezug der Öffentlichkeit. Dabei will sich das FZN zu einem „Deutschen Forschungszentrum Nachbergbau“ weiterentwickeln und seinen Sitz von Bochum nach Herne verlegen. Ermöglichen soll dies ein umfangreicher Förderantrag, über den Mittel aus einem Programm akquiriert werden, das die Bundesregierung aufgelegt hat, um den in NordrheinWestfalen befindlichen fünf Standorten von Steinkohlekraftwerken Perspektiven im Strukturwandel zu eröffnen. Neben Gelsenkirchen, Duisburg, Hamm und dem Kreis Unna zählt dazu auch die Stadt Herne, die neben
den vier anderen Standorten bis 2038 mit maximal 662 Mio. Euro unterstützt werden soll. Die Umsetzung des Programms und die Fördermittelzusagen erfolgen durch das Land NRW, ein strategischer Beirat und ein Strukturstärkungsrat bewerten entsprechende Vorschläge. Sollte die Initiative erfolgreich sein, könnten ab 2025 an einem zentralen Ort in Herne, der mit der THGA verbunden bleibt, 60 bis 80 Wissenschaftler:innen die Fragen des Nachbergbaus noch wesentlich umfassender wissenschaftlich bearbeiten und damit einen Beitrag zur Stadt- und Regionalentwicklung sowie zum Transfer in die Gesellschaft leisten. Bereits vor der „Wiedervereinigung“ existierte in Cottbus eine Hochschule, die 1954 dort errichtete Hochschule für Bauwesen, die in den kommenden Jahrzehnten öfters umbenannt wurde. Ihre Bauten sollten den baulichen Kern der 1991 ins Leben gerufenen Technischen Universität Cottbus bilden, der einzigen TU im Bundesland Brandenburg, die zum Wintersemester 1991/92 den Lehrbetrieb aufnahm; seit 1994 firmierte sie unter dem Namen Brandenburgische Technische Universität Cottbus (Abb. 4). Die TU Cottbus sollte vornehmlich auch als ein strukturstärkendes Element in dem hart vom Strukturbruch betroffenen Lausitzer Braunkohlenrevier wirken. Dies galt auch für die zeitgleich gegründete Fachhochschule Lausitz, die aus der Bergingenieurschule Senftenberg hervorging und Standorte in Senftenberg und Cottbus besaß. Beide Hochschulen wurden im Rahmen der Neuausrichtung der brandenburgischen Wissenschaftspolitik zum 01. Juli 2013 zur Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg zusammengelegt. Gleichwohl die BTU Cottbus-Senftenberg seit einigen Jahren unter rückläufigen Studierendenzahlen leidet, hat sie ein starkes wissenschaftlich-institutionelles Netzwerk aufgebaut, und ihr fällt mit Blick auf den Kohleausstieg spätestens 2038 eine strategische Bedeutung für den so genannten Lausitz Science Park zu, worin sich auch ihr Selbstverständnis als Innovationsmotor in und für die Region und Brandenburg widerspiegelt, dem mit Blick auf den weiteren Strukturwandel hohe Bedeutung zukommt. Doch blicken wir an dieser Stelle nicht in die Zukunft des Standorts, sondern wenden unseren Blick zurück in die Zeit der ersten Profilbildung der späten 1990er-Jahre. Ein Feld, dass die junge Hochschule für sich reklamierte, war das Thema Umwelt, auch heute noch zählt es zum Kern des universitären Forschungsprofils. Das wundert wenig angesichts ihres vom Braunkohlenbergbau geprägten Umlandes. Das sichtbarste, in die Wissenschaften ausstrahlende Zeichen setzte in diesem Zusammenhang der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwischen 2001 und 2004 geförderte Sonderforschungsbereich (SFB) 565 „Entwicklung und Bewertung gestörter Kulturlandschaften. Fallbeispiel Niederlausitzer Bergbaufolgelandschaft“, zum damaligen Zeitpunkt der erste SFB in Brandenburg. Doch weniger deshalb ist dieses Großforschungsvorha-
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Abb. 4: Ende des Jahres 2004 nahm das Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ) der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus, heute BTU Cottbus-Senftenberg, seinen Betrieb auf. Entworfen wurde es von dem bekannten Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron, 2021 (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg / Ralf Schuster)
ben, in dem über 60 Wissenschaftler:innen forschten, von Interesse, sondern aufgrund seiner einzigartigen Struktur. Wie bereits an anderer Stelle gezeigt, bildeten sich seit den 1950er-Jahren Forschungsstrukturen heraus, die der komplexen Thematik der Rekultivierung angemessen waren, indem geo- und naturwissenschaftliche sowie bodenkundliche und wasserwirtschaftliche Expert:innen als hybride Forschungsteams kooperierten. Der SFB ging hier noch einen entscheidenden Schritt weiter, da er darüber hinaus auch wirtschaftswissenschaftliche, soziologische und umwelthistorische Expertise in sein Forschungsportfolio integrierte. Dieser interdisziplinäre Charakter des SFB zollte zweierlei Gesichtspunkten Rechnung: zum einen den sozioökonomischen Herausforderungen, vor denen das Lausitzer Revier stand, zum anderen, dass der Landschaftswandel, der vom Bergbau ausging, nur dann verständlich wird, wenn er in einen umwelthistorischen Kontext eingeordnet wird. Seine Ergebnisse präsentierte der SFB sowohl in Themenheften einschlägiger wissenschaftlicher Zeitschriften, in Promotionen und auf zahlreichen Vortragsveranstaltungen sowie einer internationalen Tagung, die das Forschungsthema im globalen Maßstab verortete.
Weitaus traditionsreicher erweist sich das Themenfeld Forschung im Erzgebirge, das mit der Technischen Universität Bergakademie Freiberg eine Institution beheimatet, deren Wurzeln im Jahr 1765 liegen. In diesem Jahr wurde die „Kurfürstlich-Sächsische Bergakademie zu Freiberg“ gegründet, die zu den frühesten Gründungen weltweit zählt. In Zeiten der DDR dominierten an dieser Institution Forschungen und Entwicklungen zum Bergbau, eines der bekanntesten Ergebnisse ist sicherlich der BHT-Koks, der von Erich Rammler (1901–1986) und Georg Bilkenroth (1898– 1982) seit 1949 an der Bergakademie entwickelt und 1952 patentiert wurde. Nach der deutschen Vereinigung änderte sich nicht nur der Name der Einrichtung, auch die Forschungsfelder unterlagen einer Neuausrichtung. Geowissenschaften blieben zwar ein Markenkern, hinzutraten aber der Ausbau im Bereich der Halbleiterforschung und der Umweltwissenschaften. So versteht sich die TU Bergakademie Freiberg heute zum einen als moderne „Ressourcenuniversität“, zum anderen ist sie Mitglied im so genannten Silicon Saxony, einem Verein, der zu den größten Netzwerken der Mikroelektronik in Deutschland zählt. Wie die BTU Cottbus-Senftenberg steht die TU Bergakademie Freiberg daher für eine for-
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schungsbasierte industrielle Zukunft der ehemaligen Bergbauregion. Die knapp vorgestellten Hochschulen haben, bei allen Unterschieden, eines gemeinsam: sie zeigen, dass Bergbau ein Wissensgenerator ist. Während das Forschungszentrum Nachbergbau an den so genannten Ewigkeitslasten ansetzt, fokussiert sich die BTU Cottbus-Senftenberg zunächst auf die ökologischen Hinterlassenschaften des Braunkohlenbergbaus. Die TU Bergakademie Freiberg greift zwar die Themen Umwelt und Ökologie ebenfalls auf, doch bilden die Geowissenschaften einen zentralen Eckpfeiler ihres Selbstverständnisses.
Kultur Das Schauspielhaus Bochum kann auf eine über hundert Jahre währende Geschichte zurückblicken, ist mithin nicht Produkt des regionalen Strukturwandels. Lokalisiert im seit Beginn des 20. Jahrhunderts neu entstandenen, bürgerlichen Wohnviertel Ehrenfeld beginnt seine Geschichte mit dem Bau des „Apollo“ Theaters, das dem Varieté verpflichtet war. Entworfen vom Architekten Paul Engler (geb. 1875, Sterbejahr unbekannt) errichtete der Bauunternehmer Clemens Erlemann (1865–1937), dem für den Bau des neuen Stadtviertels herausragende Bedeutung zufällt, dieses Theater, das 1908 seinen Betrieb aufnahm und seit 1910 von der Stadt finanziell unterstützt wurde. Nur vier Jahre später übernahm die Stadt das Theater, war Erlemann doch bankrottgegangen, und baute es um, da sich vor allem die Akustik als unzureichend erwiesen hatte. Ende des Jahres 1915, genauer am 30. Dezember 1915, eröffnete das Stadttheater mit einer Aufführung des „Don Carlos“ von Friedrich (von) Schiller (1759–1805). Allerdings besaß das Theater noch kein eigenes Ensemble, so dass dieses Drama als Gastspiel des Düsseldorfer Schauspielhauses aufgeführt wurde. Den regulären Spielbetrieb nahm das Haus nach Ende des Ersten Weltkriegs auf. Dem ersten Intendanten des Theaters, Saladin Schmitt (1883–1951), war es gelungen, bis zum November 1918 ein Ensemble zu engagieren, und so markiert das am 15. April 1919 aufgeführte Stück „Des Meeres und der Liebe Wellen“, ein 1831 geschriebenes Drama des österreichischen Dramatikers Franz Grillparzer (1791–1872), die eigentliche Geburtsstunde des Schauspielhauses Bochum. Während der Intendanz Schmitts arbeitete das Haus nicht nur eng mit der Duisburger Oper, die er ebenfalls leitete, zusammen, sondern erarbeitete sich einen Ruf als Shakespeare-Bühne. Durch die alliierten Bombenangriffe auf die Stadt Bochum am 04. November 1944 wurde der ursprüngliche Theaterbau nahezu vollständig zerstört. Bis zur Wiedereröffnung des Hauses 1953 fand ein provisorischer Spielbetrieb in einem Restaurant statt, das im Bochumer Stadtpark lag. Entworfen wurde der Neubau von Gerhard Graubner (1899–1970), einem
Schüler Paul Bonatz‘ (1877–1956) und seit 1940 Professor an der Technischen Hochschule Hannover. Graubners Entwurf zum Ausbau Düsseldorfs zur Gauhauptstadt von 1938 deutet an, dass er in das nationalsozialistische Regime verstrickt war. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte sich Graubner einen Namen als Theaterarchitekt machen, neben dem Bochumer Bau sei auf Bauten in Krefeld, Bremerhaven, Lünen, Trier und Wuppertal verwiesen. Baubeginn war der 01. Juni 1951 und nach gut zweijähriger Bauzeit datierte das Bauende auf den 15. August 1953, am 23. September des Jahres konnte der reguläre Spielbetrieb wiederaufgenommen werden. Dieser Neustart fiel in die Zeit der zweiten Intendanz des Hauses unter Hans Schalla (1904–1983), der bereits 1949 die Nachfolge Schmitts angetreten hatte und bis 1972 amtierte. Setzte das Schauspielhaus anfänglich auf seinen erworbenen Ruf, so später auf moderne Klassiker beispielsweise von Samuel Beckett (1906–1989) oder Jean-Paul Sartre (1905–1980). Dies führte zur Herausbildung des so genannten Bochumer Stils, der dem Haus auch internationale Beachtung einbrachte. Mochte sich damit bereits eine Reaktion auf den ökonomischen Strukturwandel andeuten, so trat dies in den beiden folgenden Intendanzen deutlicher zu Tage – Theaterkultur wurde zum neuen Wahrzeichen der Stadt, ja gar der Region. Mit der Intendanz Peter Zadeks (1926–2009), der als Regisseur in Bremen für Aufsehen gesorgt hatte, setzte sich seit 1972 in Bochum das Regietheater durch. Zwar schien Zadek mit den verwaltungstechnischen Aufgaben seines Jobs überfordert, doch sollten viele der bis 1979 aufgeführten Stücke Maßstäbe setzen. Wie stark das Schauspielhaus Bochum strahlte, offenbarte sich in der nachfolgenden Intendanz Claus Peymanns (geb. 1937) von 1979 bis 1986. Gelang es doch der Stadt, den am Stuttgarter Schauspielhaus beschäftigten, ebenso umstrittenen wie euphorisch gefeierten Peymann in Konkurrenz mit prominenten anderen Bühnen in den „Pott“ zu locken. Dass sich die Stadtoberen damit vielfältige Probleme schufen, änderte nichts daran, dass die spektakulären und skandalumwitterten Aufführungen das Schauspielhaus Bochum zu ‚dem‘ Theaterreferenzpunkt Deutschlands machten. Darüber hinaus, ein hochpolitisches Anliegen Peymanns, wandelte sich das Publikum – an die Stelle der Anzug- traten die Jeansträger. Ein wenig unter geht, dass in dieser Zeit eines der am häufigsten gespielten, wenig skandalumwitterten Stücke durch das Schauspielhaus zur Aufführung gebracht wurde – „Schule mit Clowns“ von Friedrich Karl Waechter (1937–2005), das am 17. September 1980 seine Premiere hatte. Heute gilt es als Kindertheaterklassiker, und auch im Ruhrgebiet war der Zuspruch und die Begeisterung der Kinder für dieses Stück überwältigend, nicht immer hingegen jene der Lehrer:innen (Abb. 5). Um die Wende zum 20. Jahrhundert war Cottbus, später die Bezirkshauptstadt des „Kohle- und Energiezentrums der DDR“, eine prosperierende, aufstrebende
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Abb. 5: Das Kinderstück „Schule mit Clowns“ ist bis heute eines der meistgespielten Stücke des Schauspielhauses Bochum. Es erfreute sich vor allem bei Schulkindern großer Beliebtheit, Lehrer:innen standen der Inszenierung kritischer gegenüber, 1980 (Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte, TS 4 / Achim Römer)
Stadt. Ihren Reichtum verdankte sie der örtlichen Textilindustrie. Und mit diesem ökonomischen Wohlstand verband sich nicht nur die Stadterweiterung, deren Architektur noch heute das Stadtbild mitprägt, sondern auch das Bedürfnis nach städtischer Kultur, das sich in dem 1908 eröffneten Theaterneubau, dem heutigen Staatstheater Cottbus, ausdrucksstark widerspiegelt. Entworfen von dem bekannten Architekten Bernhard Sehring (1855–1941), der unter anderem auch für das Berliner „Theater des Westens“ und das Düsseldorfer Schauspielhaus verantwortlich zeichnete, zeigt sich der Bau heute noch als ein prominentes Beispiel des so genannten sezessionistischen Jugendstils. Es ist jedoch weniger die Tradition des Theaters, die hier interessiert, sondern das neue, nach der „Wiedervereinigung“ entstandene „FilmFestival Cottbus – Festival des osteuropäischen Films“, dem ein kurzer Blick gilt, darf es doch neben der deutlich bekannteren „Berlinale“ als eines der wichtigsten Festivals in Deutschland bezeichnet werden (Abb. 6). Mehr noch, seine Bedeutung fand auch international Anerkennung. So schrieb das amerikanische Branchenfachblatt „Variety” im Jahr 2007: das FilmFestival Cottbus „provides a unique window on modern Eastern European
and Central Asian film while maintaining a cinematic tradition that characterized the Soviet era, which left a discernible mark on East German filmmakers and moviegoers alike“ (Variety 2007). „Variety“ adelte die Veranstaltung, indem es sie zu einem der „50 unmissable film festivals“ weltweit zählte. Die Initiative zur Gründung des Festivals entsprang der „Nachwendezeit“, in der befürchtet wurde, dass mittel- und osteuropäische Filme von den gesamtdeutschen Leinwänden verschwinden würden. Zwischen der ersten Veranstaltung im Jahr 1991 und dem Jahr 2001 trug die Stadt Cottbus das Festival, seitdem die FilmFestival Cottbus GmbH bzw. die pool production GmbH. Den inhaltlichen Kern der Veranstaltung bilden die drei Wettbewerbe „Spielfilm“, „Kurzfilm“ und „U18 Jugendfilm“, um den sich zahlreiche weitere Formate gruppieren, von denen „Heimat | Domownja | Domizna“ auf die regional verankerte sorbische Minderheit hinweist. International besetzte Jurys fällen die Preisentscheidungen. Seit 2003 wird die von der regionalen Künstlerin Beate Bolender (geb. 1946) gestaltete Glasskulptur LUBINA (sorbisch: Liebreizende) verliehen, Schirmherr der Veranstaltung ist der regierende Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Während das Festival in der
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Abb. 6: Seit 1991 findet in Cottbus das „FilmFestival Cottbus – Festival des osteuropäischen Films“ statt, 1991 (FilmFestival Cottbus)
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Abb. 7: Im Sommer 2021 traf der Weltklassiker „Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare auf das UNESCO-Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří, wurde es doch auf der Zeche „Alte Elisabeth“ aufgeführt, die Teil des Welterbes ist. Eine besondere Rolle fällt dem Diener Puck und seiner Zauberblume zu, 2021 (Mittelsächsische Theater und Philharmonie gGmbH / Jörg Metzner)
Stadt immer präsenter wurde, wuchs nicht zuletzt die Zahl der Spielstätten kontinuierlich an, so erheischte es 2020 deutschlandweite Aufmerksamkeit, da es in der Corona-Pandemie als erste Veranstaltung dieser Art eine komplett digitale Durchführung umsetzte. Vergleichsweise wenig Ausstrahlung scheint das Mittelsächsische Theater, korrekter die Mittelsächsische Theater und Philharmonie gemeinnützige GmbH, zu haben. Doch gilt diese Aussage nur dann, wenn wir den nationalen und internationalen Standpunkt einnehmen, und selbst dann nur eingeschränkt. Blicken wir aus einer kulturpolitischen Richtung auf diese Institution, zeigt sich, dass sie auf das Sächsische Kulturraumgesetz, in seiner ersten Fassung am 01. August 1994 in Kraft getreten, zurückgeht. Dieses Gesetz gilt insofern als kulturpolitisch wegweisend, da es zum einen die Kosten neu und gerechter regelte, zum anderen die Kulturpflege als Pflichtaufgabe der Gemeinden in Gesetzesrang hob. Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes gründete sich 1993 die oben genannte, auf diesen Grundsätzen beruhende GmbH. Sie vereint dabei vier Spielstätten – das seit 1791 existierende Stadttheater Freiberg, das 1872 gebaute Theater Döbeln, die 2007 eröffnete Seebühne an der Talsperre Kriebstein und als
open air-Bühne das Gelände der ehemaligen Schachtanlage „Alte Elisabeth“ in Freiberg. Da die „Alte Elisabeth“ seit 2019 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří ist, zeigt sich hier die Bedeutung des Theaters sinnfällig – kulturelle Angebote werden in einer nobilitierten Stätte dargeboten, gemeinsam können sie den Strukturbruch moderieren. Besonders deutlich zeigte sich dies im Sommer 2021, in dem unter dem Motto ein Weltklassiker trifft das Welterbe William Shakespeares „Sommernachtstraum“ auf der „Alten Elisabeth“ aufgeführt wurde (Abb. 7). Es ist offenkundig, dass Kultur in den drei Revieren eine besondere Rolle spielt, um sich neu zu erfinden. Neben den erwähnten Einrichtungen zeigt sich dies unter anderem in der „ruhrtriennale“ oder dem studentischen Satireformat „EI(N)FÄLLE“ an der BTU Cottbus-Senftenberg. Gleichwohl offenbaren sich auch Unterschiede. Während im Erzgebirge kulturpolitische Weichenstellungen umgesetzt wurden, so entstand das FilmFestival Cottbus durch private Initiative. Das Bochumer Schauspielhaus verkörperte in Zeichen des Strukturwandels die Suche nach einem neuen städtischen Selbstverständnis.
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Zukünfte der Vergangenheit Es ist selbstverständlich, dass die Bewahrung des materiellen Erbes des Industriezeitalters ein durchaus umkämpfter Prozess war, verwiesen doch außer Funktion gefallene Bauten schmerzhaft auf eine „goldene Vergangenheit“, der eine ungewisse Zukunft entgegenstand. Demgegenüber hatte die Bewahrung des immateriellen Erbes durch so genannte Traditionsvereine einen leichteren Stand, so ließe sich zumindest überspitzt und nachdenklich zugleich schreiben. Aktuell darf für alle drei Reviere gelten, dass Industriekultur einen festen Platz in den Regionen erobert hat, dies vielleicht sogar weniger aus Gründen einer sich selbstvergewissernden Identität, sondern aus ökonomischen Gründen, sind Orte der Industriekultur doch zum touristischen Destinationsort geworden. Industriekultur und Ruhrgebiet – das passt in Zeiten des Strukturwandels zusammen. Kaum eine andere Region Deutschlands weist mit mehr als 3500 eingetragenen technischen Denkmalen eine höhere Dichte an materiellen Relikten des Industriezeitalters aus. Grundlage hierfür bildete das 1970 verabschiedete „NordrheinWestfalen Programm 1975“, in dessen Folge 1973/74 beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und
Abb. 8: Seit 2001 ist die Zeche Zollverein UNESCO-Welterbe. Der Doppelbock des Schachts XII steht nachgerade ikonisch für die Anlage und kann auf jeder Modellbahnanlage seinen Platz finden, wie der Modellbausatz zeigt, 2011 (montan.dok 030006764001)
Landschaftsverband Rheinland (LVR) die ersten beiden Fachreferate für technische Kulturdenkmale eingerichtet wurden. Breitenwirksamer verankerten die in den 1970er-Jahren entstehenden Industriemuseen das Thema. So wurden 1979 das (dezentrale) Westfälische Industriemuseum, umbenannt 2007 in LWL-Industriemuseum – Westfälischen Landesmuseum für Industriekultur, und 1984 das Rheinische Industriemuseum, seit 2008 LVR-Industriemuseum, gegründet. Einen wichtigen Baustein stellt zudem die 1995 geschaffene Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur dar, die das Land Nordrhein-Westfalen und die RAG Aktiengesellschaft gründeten. Katalysierende Funktion besaß die zwischen 1989 und 1999 durchgeführte Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park, die nicht zuletzt Industriekultur zum regionalen Markenzeichen werden ließ. Ihre Fortführung fand sie unter anderem in der vom Regionalverband Ruhr getragenen Route der Industriekultur oder dem musealen Format der ExtraSchicht. 2001 war im Ruhrgebiet ein besonderes Jahr, erhob die UNSECO doch die Zeche Zollverein zum Weltkulturerbe. Auch der 2010 verliehene Titel Kulturhauptstadt Europas, den die Stadt Essen stellvertretend für das Ruhrgebiet erhielt, beruhte nicht unwesentlich auf dem Themenfeld Industriekultur (Abb. 8). Doch ist die Erfolgsgeschichte ins Stocken geraten. Bereits 2014 scheiterte der Versuch, das Ruhrgebiet als Ganzes auf die deutsche Tentativliste für das UNESCO-Weltkulturerbe setzen zu lassen, der zweite Anlauf 2021 erlitt ein ähnliches Schicksal. Akteure des Lausitzer Braunkohlenreviers spielen ebenfalls auf der industriekulturellen Klaviatur. Ein prominentes Beispiel ist die Brikettfabrik Louise in Domsdorf, die 1992, nachdem der Betrieb 1991 eingestellt worden war, unter Denkmalschutz gestellt wurde und seit 1994 vom Freundeskreis Technisches Denkmal Brikettfabrik „Louise“ e. V. betrieben wird. Für den sächsischen Teil des Reviers mag nur auf das Lausitzer Bergbaumuseum Knappenrode, heute als Energiefabrik Knappenrode Teil des dezentralen Sächsischen Industriemuseums, verwiesen werden. Es eröffnete 1994 in einer ehemaligen Brikettfabrik, die 1993 ihren Betrieb einstellte. Dem Ruhrgebiet ähnlich, verfestigte sich das Thema Industriekultur durch die IBA FürstPückler-Land, die zwischen 2000 und 2010 der vom Strukturbruch getroffenen Region neue Wege aufzeigen sollte. Industriekultur nahm in diesem Rahmen einen wichtigen Platz ein, gleichwohl sich die IBA mit dem Slogan, die Lausitz sei die größte Landschaftsbaustelle Europas, vornehmlich landschaftlichen Themen annahm. In Kooperation mit zahlreichen regionalen Partner:innen trug die IBA nicht unwesentlich dazu bei, dass heute zwei Highlights der materiellen Industriekultur erhalten sind. Zuerst sei auf die Biotürme Lauchhammer hingewiesen, in denen die phenolhaltigen Abwässer der Kokerei Lauchhammer biologisch behandelt wurden. Sie waren zwar seit 1996 denkmalgelistet, dennoch vom
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Abb. 9: Das Schmuckbrikett für das Besucherbergwerk F60 wurde wahrscheinlich zu dessen Eröffnung hergestellt, nach 2002 (Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna, BRI 8)
Abriss bedroht. Als Castel del Monte bezeichnet, sind sie heute Landmarke und Event-Ort zugleich. Eben dieses lässt sich auch mit Blick auf die Abraumförderbrücke F60 in Lichterfeld-Schacksdorf sagen, die nur kurze Zeit im Tagebau Klettwitz-Nord zum Einsatz gekommen war. Die Entsorgung dieses technischen, für den regionalen Braunkohlenbergbau wichtigen Großgeräts schien gegen Ende der 1990er-Jahre sicher. Zu ihrer Rettung trug der vom Geschäftsführer der IBA, Rolf Kuhn (geb. 1946), schon vor dem eigentlichen Start der Bauausstellung geprägte Satz vom „liegenden Eifelturm“ sicherlich bei. Dieser hätte wohl ohne die zahlreichen lokalen und regionalen Akteure nicht seine Wirkung entfalten können (Abb. 9). Als Besucherbergwerk F60 im Jahre 2002 eröffnet, und ganz wesentlich zunächst vom Förderverein F60 e. V. getragen, entwickelte sich das Artefakt zu einem Publikumsmagneten und markiert ausdrucksstark die Brückenmetapher, mit der die Industriekultur Vergangenheit und Zukunft verbinden will. Seit 2009 steht die F60 unter Denkmalschutz, 2019 zeichnete das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz den Besucherbergwerk Förderverein F60 e. V. mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz aus. An solche Erfolgsgeschichten knüpft das Vorhaben „Lausitzer Tagebaufolgelandschaften als UNESCO Welterbe (‚LIL-Welterbe‘)“ an. Seit 2020 erarbeitete ein interdisziplinäres Team eine erste Machbarkeitsstudie, die 2021 dem zuständigen Landesministerium übergeben wurde. Erfolgreich hinsichtlich des Welterbe-Antrags war bereits die Bergbau-Region Erzgebirge, zu der auch ehemalige Wismut-Standorte zählen. Der amtierende, im Berghabit gekleidete sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (geb. 1975) strahlte, als auf der 43. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees, die vom 30. Juni bis 10. Juli 2019 in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku stattfand, das Komitee verkündete, dass der transnationale, serielle deutsch-tschechische
Antrag „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ angenommen wäre (Abb. 10). Mehr als zwei Jahrzehnte Arbeit hatten ein erfolgreiches Ende genommen. Dem Erzgebirge war gelungen, wonach das Ruhrgebiet und die Lausitz strebten bzw. streben. Aus einer ersten, dünnen Machbarkeitsstudie, vorgelegt im Jahr 2001, wurde in den folgenden Jahren ein vierbändiger Antrag. Dass ein erster, 2014 eingereichter Welterbeantrag von dem die UNESCO beratenden Bewertungsgremium ICOMOS zur Überarbeitung empfohlen worden war, die besonders auf die Schlüssigkeit des wichtigen Kulturlandschaftsbegriffs zielte, brachte zwar vielfältige Probleme, dennoch blieb das bürgerschaftliche Enga-
Abb. 10: Nach jahrelanger Vorarbeit herrschte überwältigende Freude bei der Sächsischen Delegation, nachdem das Welterbekomitee auf seiner Sitzung in Baku (Aserbaidschan) 2019 die Aufnahme der „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ in die Welterbeliste verkündete. Im Bild zu sehen, v. l. n. r., Birgitta Ringbeck, UNESCO-Koordinatorin, Auswärtiges Amt, Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, Stefan Krawielicki, Deutscher Botschafter bei der UNESCO, Helmuth Albrecht, Leiter Welterbe-Projektgruppe, TU Bergakademie Freiberg, 2019 (Welterbe Montanregion Erzgebirge e. V. / Pawel Sosnowski)
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Torsten Meyer, Michael Farrenkopf
gement hoch. Bereits 2003 hatte sich der Förderverein „Montanregion Erzgebirge e. V.“ gegründet, der das Vorhaben wesentlich vorantrieb. 2015 erfolgte die Gründung des „Welterbe Montanregion Erzgebirge e. V.“, der seit 2016 als sächsischer Trägerverein fungierte. In diesem Verein sind die beteiligten Landkreise und Städte, mithin die Kommunalpolitik vertreten. Dies mag genügen, um darauf hinzuweisen, wie wichtig bürgerschaftliches und kommunales Engagement für die Welterbe-Werdung ist. Dass eine solche Initiative im Erzgebirge auf breiten Zuspruch bauen konnte, steht dabei in einer gewissen, verschlungenen Tradition, die bis in die 1930er-Jahre zurückreicht. Zu diesem frühen Zeitpunkt lässt sich in Sachsen ein vermehrtes Interesse an so genannten technischen Kulturdenkmalen nachweisen, 1952 folgte eine erste thematische Ausstellung in Görlitz. Im selben Jahr erließ die DDR eine Denkmalschutzverordnung, die ausdrücklich auch technische Kulturdenkmale ansprach. Die 1961 verabschiedete „Verordnung über die Pflege und den Schutz der nationalen Denkmale“ schrieb dies fort, dem öffentlichen Interesse am Erhalt trat allerdings der sozialistische Staat zur Seite. Deutlich früher als in der BRD verfügte die DDR mithin über normative Instrumente, industriekulturelle Relikte zu erhalten – aufgrund der sozialistischen Ideologie, die der Arbeiterklasse und damit der Industriearbeit einen besonderen Stellenwert beimaß, wundert dies wenig. Indirekte Wirkungen zeitigte die Entwicklung juristischer Normativa im Erzgebirge, konkreter an der Bergakademie Freiberg. An sie wurde 1962 der promovierte Politikökonom Eberhard Wächtler (1929–2010) als Professor für Geschichte des Bergbaus und Hüttenwesens berufen. Aufgrund seiner Systemtreue und Loyalität gegenüber der SED avancierte er in den kommenden Jahren zu einem der einflussreichsten Akteure im Feld der technischen Denkmalpflege. International fanden seine Bemühungen zum Erhalt technischer Denkmale ihren Niederschlag in der 1974 erfolgten Berufung in das Exekutivkomitee des International Committee for the History of Technology (ICOHTEC), 1986 wurde er in das ICOM International Committee for Museums and Collections of Science and Technology (CIMUSET) aufgenommen. Gemeinsam mit Otfried Wagenbreth (1927– 2017) leitete Wächtler das Autor:innenkollektiv der Publikation „Technische Denkmale in der Deutschen Demokratischen Republik“, die zuerst 1973 erschien. Der Kunsthistoriker Roland Günter (geb. 1936), der für die Rettung der Arbeitersiedlung Eisenheim in Oberhausen eine essentielle Rolle spielte, begrüßte dieses Buch geradezu euphorisch und konstatierte resümierend: „Den technischen Kulturdenkmälern wird in der Konzeption der DDR-Wiissenschaftler eine wichtige didaktische Funktion zugemessen: man versucht, sie bei der Arbeit zu zeigen, um auch die emotionale Anteilnahme der Besucher für die Arbeitsbedingungen und Leistungen der ‚Vorväter‘ zu wecken. Der Preis, den das 150 Seiten lange und vorzüglich bebilderte Buch hat,
zeigt, welche weite Verbreitung es haben soll: es kostet 6 Mark“ (Günter 1974, S. 48 f.). Dass die „Technischen Denkmale“ Breitenwirkung entfalteten, zeigt sich in den zahlreichen Nachdrucken, die auch noch nach der deutschen „Wiedervereinigung“ erschienen. Wagenbreth übernahm 1992 die Leitung des neugegründeten Instituts für Wissenschafts- und Technikgeschichte in Freiberg und die Professur für Technikgeschichte. Und damit schließt sich der Kreis hin zum UNESCO-Weltkulturerbe „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“, folgt ihm doch, nach einer interimistischen Zwischenzeit, in dieser Position Helmuth Albrecht (geb. 1955), von dem entscheidende Impulse für dieses Vorhaben ausgingen. UNESCO-Weltkulturerbe, dies ist der kulturelle Fluchtpunkt der drei Reviere. Damit stehen sie weltweit nicht allein, sind doch gut 50 ehemals vom Bergbau geprägte Stätten auf der UNESCO-Liste vertreten. Die Bestrebungen, die materiellen, aber auch immateriellen Hinterlassenschaften nobilitieren zu lassen, verbinden sich mit der Hoffnung auf strukturelle Stärkung der regionalen Tourismusindustrie. Dieser Welterbe-Tourismus hat sich in den letzten Jahren immer stärker etabliert, könnte somit problematisch werden, da er eine Übernutzung der geschützten Objekte mit sich bringen kann.
Verwendete und weiterführende Literatur (Auswahl) – Bayerl, Günter: F60 – Die Niederlausitzer Brücke. Eine Abraumförderbrücke als Wahrzeichen einer Tagebauregion, in: Blätter für Technikgeschichte 63, 2001, S. 33–59. – Bayerl, Günter/Borghorst, Hermann/Zimmerli, Walther Ch. (Hrsg.): 20 Jahre Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Münster 2011. – Farrenkopf, Michael/Meyer, Torsten (Hrsg.): Authentizität und industriekulturelles Erbe. Zugänge und Beispiele, Berlin/Boston 2020 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen BergbauMuseum Bochum, Nr. 238; = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 39). – Friedemann, Peter/Seebold, Gustav (Hrsg.): Struktureller Wandel und kulturelles Leben. Politische Kultur in Bochum 1860–1990, Essen 1992. – Graubner, Gerhard: Theaterbau. Aufgabe und Planung, München 1968. – Günter, Roland: Rezension zu: Technische Denkmale in der Deutschen Demokratischen Republik. Herausgeber: Kulturbund der DDR, Zentrale Kommission Natur und Heimat, Zentraler Fachausschuß Denkmalpflege. Autoren: Heinrich Douffet, Johannes Eichhorn, Hermann Gleisberg, Werner Heyne, Peter Kirchberg, Ulrich Krüger, Hans Nadler, Eberhard Wächtler, Otfried Wagenbreth. Berlin (Ost)
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1973, in: kritische berichte 2, Nr. 5/6, 1974, S. 46–49. Unter: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/ index.php/kb/article/view/9653/3522 (Eingesehen: 24.11.2021). Günter, Roland/Mowe, Günter/Göhre, Roland: Im Tal der Könige. Ein Reisebuch zu Emscher, Rhein und Ruhr, Essen 1994. Meyer, Torsten: Neues Bauen in Cottbus, in: Bayerl, Günter (Hrsg.): Technisch-historische Spaziergänge in Cottbus und dem Land zwischen Elster, Spree und Neiße, Cottbus 1995, S. 82–95. Mues, Antje: Cottbus. Architektur und Städtebau 1871–1918, Berlin 2007. Plumpe, Werner/Steiner, André (Hrsg.): Der Mythos von der postindustriellen Welt. Wirtschaftlicher Strukturwandel in Deutschland 1960 bis 1990, Göttingen 2016. Wagenbreth, Otfried u. a.: Die Technische Universität Bergakademie Freiberg und ihre Geschichte 1765–2008, Freiberg 2008.
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Online (Auswahl) – https://idw-online.de/en/news53040 (Eingesehen: 27.09.2021). – https://variety.com/2007/film/news/50-unmissable-film-festivals-1117971644/ (Eingesehen: 26.09.2021). – https://www.schauspielhausbochum.de/de/ haus/900/geschichte (Eingesehen: 27.09.2021). – http://www.historisches-ehrenfeld.de/geschichtestadttheater.htm (Eingesehen: 23.09.2021). – https://w w w.spiegel.de/kultur/peymannst h e a t e r - b a u s t e l l e - b o c h u m - a - e c 4 0 e a 9 70002-0001-0000-000039685946 (Eingesehen: 21.09.2021). Kohleregionen vom – Strukturstärkungsgesetz 8. August 2020, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2000, Teil 1, Nr. 37 vom 13. August 2020, S. 1795–1817. Unter: https://www.bgbl.de/xaver/ b g b l / s t a r t . x av? s t a r t b k = B u n d e s a n z e i ge r _ BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl12 0s1795. p d f % 2 7 ] # _ _ b gb l _ _ % 2 F % 2 F * % 5 B % 4 0 a t t r _ id%3D%2 7bgbl12 0s1795.pdf%2 7%5D__ 1633333781633 (Eingesehen: 01.10.2021).
Anhang
Leihgebende Altdöbern – iba-aktiv-tours Amsterdam (NL) – International Institute of Social History, Institute of the Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences Annaberg-Buchholz – Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH Aue-Bad Schlema – Kulturhaus AKTIVIST, Kulturzentrum – Siegfried Woidtke Bad Muskau – Wirtschaftsregion Lausitz GmbH, Projekt Zukunftswerkstatt Lausitz Bad Urach – Grammophonsammlung Geigle Bautzen – Marketing-Gesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien mbH – Sorbisches Kulturarchiv des Sorbischen Instituts e. V. – Serbski muzej | Sorbisches Museum Berlin – Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften – Archiv Grünes Gedächtnis, Heinrich-Böll-Stiftung – Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) – DDR Museum Berlin GmbH – Deutscher Kulturrat e. V. – Stiftung Deutsches Historisches Museum – Jörg Farys – Jung & Naiv – Dr. Torsten Meyer – Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Referat 403 – Bundesbildstelle – Robert-Havemann-Gesellschaft e. V., Archiv der DDR-Opposition – Siemens Historical Institute – Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin – Umbruch Bildarchiv e. V. Bochum – Bibliothek des Ruhrgebiets in der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets – Deutsches Bergbau-Museum Bochum – Dr. Michael Ganzelewski – Silke Ganzelewski – Ursel Hermbusche – Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum – Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte – Technische Hochschule Georg Agricola – Universitätsbibliothek der Ruhr-Universität Bochum, Verbundbibliothek GA Bonn – Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Boxberg – Landfrauenverein Boxberg/O.L. e. V. Chemnitz – Industriemuseum Chemnitz, Zweckverband Sächsisches Industriemuseum – Wismut GmbH – Wismut GmbH, Pressecenter
https://doi.org/10.1515/9783110780154-022
– Wismut GmbH, Unternehmensarchiv Cottbus – Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg – Lehrstuhl Umweltplanung – Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg – Stabsstelle Kommunikation und Marketing – FilmFestival Cottbus – Innovationsregion Lausitz GmbH – Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg (LBGR) – Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) – Prof. Markus Otto, Fakultät 6: Architektur, Bauingenieur wesen und Stadtplanung; Fachgebiet Planen in Industrie folgelandschaften, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg – Pro-Lausitzer-Braunkohle e. V. – Städtische Sammlungen Cottbus – Stadtarchiv, Stadtmuseum, Wendisches Museum Dessau-Roßlau – Umweltbundesamt Dortmund – Bezirksregierung Arnsberg – Abteilung 6: Bergbau und Energie NRW – LWL-Industriemuseum, Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur – Lars Philipp – Stadt- und Landesbibliothek Dortmund – Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur Dresden – Deutsche Fotothek in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden – Stiftung Deutsches Hygiene-Museum – Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitäts bibliothek Dresden Duderstadt – Heinz Sielmann Stiftung Düsseldorf – Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen – Uniper SE Duisburg – Archiv für alternatives Schrifttum – Haniel Archiv, Franz Haniel & Cie. GmbH Erkner – Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung e. V. Espenhain – Sabine Frisch – Irene Schramm Essen – Emschergenossenschaft/Lippeverband, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit – GbE Grundbau Essen GmbH – RAG Aktiengesellschaft – Regionalverband Ruhr (RVR) Forst – Stadt Forst (Lausitz) Freiberg – Prof. Dr. Helmuth Albrecht – Mittelsächsische Theater und Philharmonie gGmbH – Sächsisches Staatsarchiv, Abteilung 5: Bergarchiv Freiberg – TU Bergakademie Freiberg (Sammlung) Garching (bei München) – Zeppelin Baumaschinen GmbH
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Anhang
Gelsenkirchen – Institut für Stadtgeschichte, Stadtarchiv Gelsenkirchen Göttingen – Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Georg-August-Universität Göttingen Grenoble (F) – Enerdata, Global Head Office Großpösna – Bergbau-Technik-Park e. V. – Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V. Hamburg – Dr. Andrea Brinckmann – Hamburger Kunsthalle, Stiftung öffentlichen Rechts – Körber-Stiftung – Museum für Hamburgische Geschichte, Stiftung Historische Museen Hamburg – SPIEGEL TV GmbH – Spiegel-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG – Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg – Carl von Ossietzky – Stiftung Historische Museen Hamburg Hannover – Technische Informationsbibliothek Herne – Heitkamp Umwelttechnik GmbH Johanngeorgenstadt – Förderverein Pferdegöpel Johanngeorgenstadt e. V. – Stadtverwaltung Johanngeorgenstadt Kamp-Lintfort – Fördergemeinschaft für Bergmannstradition – Linker Niederrhein – e. V. Koblenz – Bundesarchiv, Referat FA 5 Königswinter – Sammlung RheinRomantik – Stiftung Naturschutzgeschichte – Stiftung Archiv, Forum und Museum zur Geschichte des Naturschutzes in Deutschland Laufen (Bayern) – Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege Leipzig – Dr. Martin Baumert – Deutsche Nationalbibliothek – Greenpeace, Leipzig – Sächsisches Staatsarchiv, Abteilung 3: Staatsarchiv Leipzig – Universitätsarchiv Leipzig – Antonia Weishaupt Lichterfeld – F60 Concept GmbH – Förderverein Besucherbergwerk F60 e. V. Ludwigshafen – BASF SE
Mannheim – TECHNOSEUM, Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim Marburg – Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg Mülheim an der Ruhr – Privat-Archiv Wilhelm Knabe München – Deutsches Museum Münster – Dr. Regina Göschl – Jessica Hornung – LWL-Medienzentrum für Westfalen, Bildarchiv für Westfalen – LWL-Museum für Naturkunde, Westfälisches Landesmuseum mit Planetarium – Universitäts- und Landesbibliothek Münster Naumburg (Saale)/Bad Kösen – Stiftung Saalecker Werkstätten Oberhausen – LVR-Industriemuseum Potsdam – Brandenburgisches Landeshauptarchiv – Deutsches Rundfunkarchiv, Potsdam-Babelsberg – Landtag Brandenburg – Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg e. V. Renthendorf – BREHMS WELT – Tiere und Menschen Sankt Petersburg (R) – Dr. Hubertus Knabe Schneeberg – Bergsicherung Schneeberg GmbH & Co. KG Schöningen – Forschungsmuseum Schöningen Senftenberg – Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) Stuttgart – Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunk anstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), Stuttgart u. a. – Haus der Geschichte Baden-Württemberg Telfs (A) – Liebherr-Werk Telfs GmbH Washington, D.C. (USA) – Library of Congress – Smithsonian Institution Archives – The White House Wien (A) – schlot.at – Industrie-Dokumentation Ohne Ort – Ende Gelände!, Bündnis
Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Andreas Berkner, Leitung Regionale Planungsstelle Leipzig Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Brüggemeier, Essen Jun.-Prof. Dr. Christian Bunnenberg, Fakultät für Geschichtswissenschaften, Historisches Institut | Didaktik der Geschichte, Ruhr-Universität Bochum Dr. Thorsten Diercks, Hauptgeschäftsführer, Vereinigung Rohstoffe und Bergbau e. V., Berlin Prof. Prof. e.h. Dr. Dr. h.c. mult. Carsten Drebenstedt, Leitung der Professur für Bergbau – Tagebau, Technische Universität Bergakademie Freiberg Dr. Hans-Werner Frohn, Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer, Stiftung Naturschutzgeschichte, Königswinter Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin, Regionalverband Ruhr, Essen Prof. Dr. Dr. sc. Rolf Kuhn, Leitung, IBA-Studierhaus Lausitzer Seenland e. V., Großräschen Dr. Andreas Ludwig, Assoziierter Wissenschaftler, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
https://doi.org/10.1515/9783110780154-023
Dr. Astrid Mignon Kirchhof, Leiterin des Forschungsprojekts „Wismut-Erbe-Zeitzeugen“, Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte, Humboldt Universität zu Berlin Dr. Nina Möllers, Leitung BIOTOPIA Lab und Events, BIOTOPIA ‒ Naturkunde museum Bayern, München Prof. Dr. Jürgen Renn, Direktor, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin Dr. Cornelia Soetbeer, Abteilungsleitung Umweltkommunikation und Kulturgüterschutz, Internationale Koordination, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Osnabrück Prof. Dr. André Steiner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Prof. Dr. Helmuth Trischler, Direktor, Rachel Carson Center for Environment and Society, Ludwig-Maximilians-Universität München, sowie Bereichsleiter Forschung, Deutsches Museum, München
Literaturverzeichnis Gedruckte Literatur Ahr, Beate: ‚Naturschutz ist Pflicht – eine strenge, männliche…‘ – Was taten Frauen im Naturschutz?, in: Frohn, Hans-Werner/ Rosebrock, Jürgen (Hrsg.): Ehrenamtliche Kartierungen für den Naturschutz. Historische Analysen, aktuelle Situation und Zukunftspotenziale, Bonn 2012, S. 173–202. Ahrberg, Edda: Erika Drees, geborene von Winterfeld. Ein politischer Lebensweg, 1935–2009, Halle 2011. Alagona, Peter u. a.: Reflections: Environmental History in the Era of COVID-19, in: Environmental History 25, 4, 2020, S. 595–684. Andersen, Arne/Ott, Rene/Schramm, Engelbert: Der Freiberger Hüttenrauch 1849–1865. Umweltauswirkungen, ihre Wahrnehmung und Verarbeitung, in: Technikgeschichte 53, 1986, S. 169–200. Armenat, Manuela: Die „vollkommene Ausbildung“ der Schwarzen Elster. Eine multidimensionale Studie zur Wasserwirtschaft und zum Kulturlandschaftswandel 1800–1945, Münster u. a. 2012 (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 39). Arndt, Melanie: Tschernobyl. Auswirkungen des Reaktorunfalls auf die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, Erfurt 2011. Bargheer, Stefan: Moral Entanglements. Conserving Birds in Britain and Germany, Chicago 2018. Barry, John M.: The great influenza. The epic story of the deadliest plague in history, New York 2004. Bartels, Christoph/Slotta, Rainer (Hrsg.): Der alteuropäische Bergbau. Von den Anfängen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Münster 2012 (= Geschichte des deutschen Bergbaus, Bd. 1). Baumert, Martin/Große-Wilde, Simon/Heinen, Ron-David/ Maier, Helmut: Umweltpolitik, Bergbau und Rekultivierung im deutsch-deutschen Vergleich. Das Lausitzer Braunkohlenrevier und das Ruhrgebiet (1949–1989/2000), in: Seibring, Anne (Hrsg.): Abschied von der Kohle. Strukturund Kulturwandel im Ruhrgebiet und in der Lausitz, Bonn 2021 (= Bundeszentrale für politische Bildung: Schriftenreihe, Nr. 10751), S. 74–87. Bayerl, Günter: F60 – Die Niederlausitzer Brücke. Eine Abraumförderbrücke als Wahrzeichen einer Tagebauregion, in: Blätter für Technikgeschichte 63, 2001, S. 33–59. Bayerl, Günter/Borghorst, Hermann/Zimmerli, Walther Ch. (Hrsg.): 20 Jahre Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Münster 2011. Beleites, Michael: Altlast Wismut. Ausnahmezustand, Umweltkatastrophe und das Sanierungsproblem im deutschen Uranbergbau, Frankfurt a. M. 1992. Bergsicherung Schneeberg GmbH & Co. KG (Hrsg.): 60 Jahre Bergsicherung Schneeberg 1957–2017. Die Bergsicherung Schneeberg 2007–2017. Ein Jahrzehnt Unternehmensgeschichte(n) in Wort und Bild, Aue 2017. Bergsveinn, Torsson: Walking through the Anthropocene. Encountering materialisations of the geological epoch in an exhibition space, in: Nordic Museology 1, 2020, S. 103–119. Bericht des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin 2011. Bertschek, Irene: Digitalisierung – der Corona-Impfstoff für die Wirtschaft, in: Wirtschaftsdienst 100, Nr. 9, 2020, S. 654–656. Boase, Tessa: Mrs Pankhurst’s Purple Feather: Fashion, Fury and Feminism – Women’s Fight for Change, London 2018.
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Autor:innen Nadine Ahlers ist Konzepterin und Planerin bei der Kommunikations- und Designagentur GfG / Gruppe für Gestaltung. Sie absolvierte ein Bachelorstudium mit dem Schwerpunkt Farbdesign an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim und machte anschließend ihren Masterabschluss in Integriertem Design an der Hochschule für Künste Bremen. Im Rahmen ihres Studiums setzte sie sich unter anderem mit den Bereichen Innenarchitektur, Ausstellungsgestaltung und Orientierungssysteme auseinander. Nebenbei sammelte sie erste Berufserfahrungen in der Abteilung Colour and Trim (Farb- und Materialgestaltung) bei Volkswagen und in der Materialagentur raumPROBE. Seit 2018 gehört Nadine Ahlers zur GfG / Gruppe für Gestaltung. Dort arbeitet sie in der Abteilung Szenografie an der Konzeption und Umsetzung von Ausstellungen, interaktiven Exponaten und Orientierungssystemen. Dr. Martin Baumert studierte Geschichte, Philosophie und ev. Theologie an der Universität Leipzig und der Universität Lyon. Er promovierte am Lehrstuhl für Deutsche und Europäische Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig zum Thema „Kontinuität im Wandel. Ein diachroner Systemvergleich anhand des Braunkohlenindustriekomplexes Böhlen-Espenhain zwischen 1933 und 1965“. Daneben hat er seit 2013 regelmäßig Ausstellungen kuratiert, wie z. B. die „Tage.Bau.Land.Schaff[t]en“ zur Braunkohlenindustrie in Mitteldeutschland. 2017 war er Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Deutsche und Europäische Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts der Universität Leipzig, eine Tätigkeit, die er seit dem Wintersemester 2021/22 wiederaufgenommen hat. Seit 2019 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum. Zu seinen Forschungsinteressen zählen unter anderem die Bergbau- und Unternehmensgeschichte des 20. Jahrhunderts sowie die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostdeutschlands im 20. Jahrhundert. Carsten Dempewolf ist Geschäftsführer der Kommunikations- und Designagentur GfG / Gruppe für Gestaltung. Nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker und Praktika im Yachtbau und im Tischlerhandwerk machte er sein Fachabitur im Bereich Bildhauerei und entwickelte ein ausgeprägtes Interesse für die Welt der kreativen Gestaltung. In seiner eigenen Werkstatt baute er Möbel, Objekte und schließlich ganze Einrichtungen, bevor er ein Architekturstudium aufnahm. Mit der Gründung der GfG / Gruppe für Gestaltung im Jahr 1994 und der engen Zusammenarbeit mit Partner:innen aus unterschiedlichen gestalterischen Disziplinen fand er den passenden Raum, um seiner Begeisterung für angewandte kreative Ausdrucksmöglichkeiten weiter zu
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folgen. Als Leiter des Fachbereichs Ausstellungs- und Innenarchitektur schöpft er immer wieder aus seiner großen Neugier, einem generalistischen Gestaltungsverständnis und der Faszination für packende Erzählungen und gut gebaute Geschichten. Projekte, die unter seiner Leitung entstanden, erhielten mehrfach Auszeichnungen, darunter den iF DESIGN AWARD, Red Dot Award, DDC Award, Deutschen Preis für Wirtschaftskommunikation, Deutschen Arbeitsschutzpreis und polis Award für Stadt- und Projektentwicklung. Seit 2021 ist Carsten Dempewolf im Vorstand des Verbands für Ausstellungsgestalter (VerA) aktiv. Dr. Thorsten Diercks studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und der Université de Lausanne. Er promovierte 1992 mit einem rundfunkrechtlichen Thema. Er war von 1991 bis 2005 für den Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein (DEBRIV), den Branchenverband der deutschen Braunkohlenindustrie mit dem Schwerpunkt Umwelt-, Arbeits- und Bergrecht tätig. 2005 wechselte er als Generalsekretär zur European Association for Coal and Lignite (EURACOAL) nach Brüssel. Seit 2010 ist er Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Rohstoffe und Bergbau e. V. (VRB) in Berlin, welche sich für den Fortbestand der mineralischen Rohstoffwirtschaft in Deutschland einsetzt. Seit 2017 ist er ebenfalls Hauptgeschäftsführer des DEBRIV. Dr. Michael Farrenkopf ist seit 2001 Leiter des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok), seit 2014 Mitglied im Direktorium des Deutschen Bergbau-Museums Bochum (DBM) und seit 2020 dessen stellvertretender Direktor. Das montan.dok umfasst das Bergbau-Archiv Bochum, die Bibliothek/Fotothek sowie die Musealen Sammlungen des DBM. Nach dem Studium der Geschichte, Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie an der Freien und Technischen Universität Berlin promovierte er über „Schlagwetter und Kohlenstaub. Das Explosionsrisiko im industriellen Ruhrbergbau (1850–1914)“. Er ist zudem Lehrbeauftragter an der Ruhr-Universität Bochum und am Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte (IWTG) der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Er hat zahlreiche, insbesondere montanhistorische Publikationen verfasst und Ausstellungsprojekte realisiert. Seit Herbst 2021 ist er Vorsitzender des Vorstands der Georg-Agricola-Gesellschaft für Technikgeschichte und Industriekultur e. V. Dr. Michael Ganzelewski studierte Geologie an der Ruhr-Universität Bochum. Er promovierte über die frühgeschichtliche Eisengewinnung in SchleswigHolstein. Danach folgten verschiedene nationale und internationale Forschungs- und Ausstellungsprojekte sowie eine Zusatzausbildung in Betriebswirtschaft und
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Marketing. Seit der Gründung des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) im Jahr 2001 leitet er die dort angesiedelten Musealen Sammlungen.
terin verantwortete. Nina Möllers ist promovierte Historikerin und arbeitet interdisziplinär zu Themen der Gender- und Umweltgeschichte und -wissenschaften sowie der Museum Studies.
Dr. Regina Göschl studierte Geschichte und Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Universität Wien. Sie promovierte am Institut für Didaktik der Geschichte Münster zum Thema „DDR-Alltag im Museum. Geschichtskulturelle Diskurse, Funktionen und Fallbeispiele im vereinten Deutschland“. Gleichzeitig war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster von 2012 bis 2017. Anschließend absolvierte sie ein wissenschaftliches Volontariat am LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und war als Kuratorin der Ausstellung „Weimar im Westen: Republik der Gegensätze“ tätig. Seit 2019 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) und in dieser Funktion Kuratorin der Sonderausstellung „Gras drüber … Bergbau und Umwelt im deutsch-deutschen Vergleich“. Ihre eigenen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der außerschulischen Geschichtskultur/Public History.
Dr. Stefan Przigoda studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Freien Universität Berlin. Seine Promotion an der Ruhr-Universität Bochum untersuchte die Geschichte der Unternehmensverbände im Ruhrbergbau. Er war als Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter unter anderem im Nordrhein-Westfälischen Staatsarchiv Münster tätig. 2003 übernahm er die Leitung von Bibliothek und Fotothek des montan.dok am Deutschen BergbauMuseum Bochum. Seit 2015 ist er zudem Lehrbeauftragter an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Seine wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen sich mit der Sozial-, Wirtschaftsund Unternehmensgeschichte des Bergbaus seit der Industrialisierung sowie der Geschichte des industriellen Verbandswesens. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Beforschung audiovisueller Überlieferungen zur Bergbaugeschichte mit Schwerpunkt Industriefilm.
Dr. Torsten Meyer studierte Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Mittlere und Neuere Geschichte und Politische Wissenschaften an der Universität Hamburg. Seit 1993 ist er kontinuierlich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg, der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich und dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM) tätig gewesen. Seit 2015 ist er am Projekt „Vom Boom zur Krise: Der deutsche Steinkohlenbergbau nach 1945“ am DBM (2015–2018) und dem Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok) des DBM (seit 2019) beteiligt. 2016 erhielt er zudem für sein Projekt „‚Ökonomie der Natur‘ und die ‚Ökonomien des Bauens‘ in der Frühen Neuzeit“ ein renommiertes Forschungsstipendium der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Forschungsstätte für Mittelalter und Frühe Neuzeit. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Umwelt- und Kulturlandschaftsgeschichte, die Wissenschafts- und Technikgeschichte, die Wissensgeschichte des Bauens sowie Authentifizierungsprozesse des UNESCO-Weltkulturerbes. Dr. Nina Möllers ist Leiterin des BIOTOPIA Lab und der Eventabteilung bei BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern, das derzeit als Erweiterung und Erneuerung des Museums Mensch und Natur in Nymphenburg geplant wird. Zuvor war sie im Forschungs- und Ausstellungsbereich des Deutschen Museums in München tätig, wo sie unter anderem die erste große Ausstellung zum Anthropozän als leitende Kuratorin und Projektlei-
Dr. Thomas Pyhel studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Wirtschaftsgeographie und promovierte 2013 am UNESCO Chair „Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung“ der Leuphana Universität Lüneburg zum Thema „Instrumente effektiver Nachhaltigkeitskommunikation – Anforderungen und Rahmenbedingungen am Beispiel von Ausstellungen“. Seit 1992 ist er Mitarbeiter bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und dort aktuell als stellvertretender Abteilungsleiter des Bereichs Umweltkommunikation tätig. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kulturamts des Landkreises Emsland, wo er Mitinitiator sowie stellvertretender Leiter (später kommissarischer Leiter) einer Erwachsenenbildungsstätte war. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Kommunikationskonzepte und -instrumente in komplexen Umwelt- und Nachhaltigkeitszusammenhängen. Zudem ist er Fachautor im Bereich der Nachhaltigkeitskommunikation und der Umweltbildung. Dr. Cornelia Soetbeer studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Germanistik und Romanistik. Nach ihrer Promotion im Bereich der Romanischen Sprachen und Literatur im Jahr 2002 – ebenfalls in Kiel – war sie als wissenschaftliche Referentin für die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in Essen für die Bereiche Wissenschaft in Forschung und Lehre und Sport zuständig. 2011 wurde sie Leiterin des Teams „Herausforderungen – für Wissenschaft und Gesellschaft“ der VolkswagenStiftung in Hannover. Seit 2019 ist sie Leiterin der Abteilung „Umweltkommunikation und Kulturgüterschutz“ der Deutschen Bundesstif-
Autor:innen
tung Umwelt (DBU). Darüber hinaus ist sie Mitglied im Beirat des Global Renewables Congress und der Maison Suger in Paris und gehört dem Lenkungskreis des Arbeitskreises Wissenschaft und Forschung des Bundesverbands Deutscher Stiftungen an. Prof. Dr. Helmuth Trischler studierte Geschichte und Germanistik an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. 1986 promovierte er dort mit seiner Arbeit „Steiger im deutschen Bergbau: Zur Sozialgeschichte der technischen Angestellten 1815–1945“. 1991 habilitierte er ebenfalls dort mit seiner Publikation „Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland 1900–1970: Politische Geschichte einer Wissenschaft“. Seit 1993 ist er Forschungsdirektor des Deutschen Museums und seit 1998 außerdem Professor für Neueste Geschichte und Technikgeschichte an der LMU München. Seit 2009 ist er Direktor des von ihm mitinitiierten Rachel Carson Center for Environment and Society in München. Er ist Mitglied der Leopoldina und von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte
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der Wissenschaft und Technik in Europa im langen 20. Jahrhundert sowie die Umweltgeschichte. Dr. Anna-Katharina Wöbse ist Umwelthistorikerin, Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biologiedidaktik der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach ihrem Studium der Geschichte, Anglistik und Germanistik an der Universität Bremen, der Durham University/Stockton-on-Tees und der Universität Bielefeld promovierte sie zur Umweltdiplomatie in Völkerbund und UN und war 2018 Fellow des Rachel Carson Centers for Environment and Society in München. Sie forscht, kuratiert und publiziert zur Geschichte der internationalen Natur- und Umweltschutzbewegung, zu historischen Mensch-TierBeziehungen und zur visuellen Geschichte. Aktuell beschäftigt sie sich mit der Umweltgeschichte europäischer Feuchtgebiete. Gemeinsam mit Patrick Kupper editierte sie das Handbuch „Greening Europe: Environmental Protection in the Long Twentieth Century“ (2022).
Abbildungsverzeichnis Grußworte Bärbel Bergerhoff-Wodopia: Jens Nieth Matthias Kleiner: Oliver Lang Michael Farrenkopf, Regina Göschl: Gras drüber … Abb. 1: DBM/montan.dok 030005947001 Abb. 2: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2018/08/0451 / Eberhard Göschel; Foto: Marlitt Schultz und Axel Tünker Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf: Blicke unter die Oberfläche Abb. 1–8: GfG / Gruppe für Gestaltung, Bremen Regina Göschl: Drei Landschaften der Gegenwart Abb. 1–2: Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) / Andreas Franke Abb. 3: Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungs gesellschaft mbH (LMBV) / Peter Radke Abb. 4: LEAG / Andreas Franke Abb. 5: LEAG / Hartmut Rauhut Abb. 6, 8: LEAG / Andreas Franke Abb. 7: LMBV Abb. 9–11: Jessica Hornung Abb. 12: LWL-Medienzentrum für Westfalen, 10_12005 / Christoph Steinweg Abb. 13: LWL-Medienzentrum für Westfalen, 10_8822 / Anna Feldmeyer Abb. 14: Jessica Hornung Abb. 15: RVR, Ludger Staudinger Abb. 16: Jessica Hornung Abb. 17: Welterbe Montanregion Erzgebirge e. V. / 360 Grad Team Abb. 18–19: Wismut GmbH / Thomas Schlegel Abb. 20: Wismut GmbH / Thomas Ackermann Michael Ganzelewski: Bergbauentwicklung und Umwelteinflüsse Abb. 1: montan.dok 030012865001 Abb. 2: montan.dok 037000108001 Abb. 3: montan.dok 037000756001 Abb. 4: LEAG / Rainer Weisflog Abb. 5: montan.dok 040016501000 Abb. 6: montan.dok 030007977001 / Westfälische Berggewerkschaftskasse, Bochum Abb. 7: montan.dok 030013786001 / Fuchs Abb. 8: montan.dok 060003742001 Abb. 9: montan.dok 030002674001 / Gewerkschaft Eisenhütte Westfalia Lünen GmbH Abb. 10: montan.dok / détective Abb. 11: Fördergemeinschaft für Bergmannstradition – Linker Niederrhein – e. V., K5 16a-12 Abb. 12–13: montan.dok 060003733001 / SDAG Wismut Abb. 14: montan.dok 030011727001 Abb. 15: montan.dok 037000681001 / Manfred Riedl Stefan Przigoda: Alltag im Bergbau Abb. 1: montan.dok 030006231001 Abb. 2–4: Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna Abb. 5: montan.dok / BBA FP 994/1 Abb. 6: montan.dok / Kürschner Abb. 7: montan.dok 037000500001 / Ecotest Abb. 8: montan.dok 025300039001 / Josef Stoffels Abb. 9: Wismut GmbH / Viktor Makejew Abb. 10: Sorbisches Kulturarchiv des Sorbischen Instituts e. V. Bautzen, XLIII/7, Neg.: 7A / Ernst Tschernik Abb. 11: Deutsche Fotothek, df_hauptkatalog_0170310 / Manfred Thonig
https://doi.org/10.1515/9783110780154-027
Torsten Meyer: Begriffe und Gesetze Abb. 1–2: Heinz Sielmann Stiftung / Ralf Donat Abb. 3: Krummsdorf, Albrecht/Grümmer, Gerhard: Landschaft vom Reißbrett, Leipzig/Jena/Berlin 1981, S. 100–103 Abb. 4: montan.dok Abb. 5: montan.dok 040002723001 / Rudolf Klostermann Abb. 6–7: montan.dok 037000506001 Abb. 8: montan.dok Abb. 9: Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS), Erkner Abb. 10: Bundesarchiv (BArch), Bild 183-L0515-033 / Werner Großmann Abb. 11: montan.dok 024900550000 / Josef Stoffels Martin Baumert: Forschung und Rekultivierung Abb. 1–2: montan.dok Abb. 3: montan.dok 040039445001 / Rudolf Heuson Abb. 4: IRS, Erkner, DP32 Abb. 5–6: Universitätsarchiv Leipzig, LaWiFak 024 Abb. 7: Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna / H. Kötter und Barbara Kollosche Abb. 8: montan.dok 040025803000 / Wilhelm Knabe Abb. 9: montan.dok 030001307000 / Beien Abb. 10–12: montan.dok 040038696001 / W. Kowlowzew Abb. 13: Robert-Havemann-Gesellschaft e. V., RHG_Fo_RSt_0306 / Rainer Steußloff Michael Ganzelewski: Industrie und Rekultivierung Abb. 1: montan.dok 037000722001 Abb. 2: BArch, Bild 183-M0823-023 / Werner Großmann Abb. 3: montan.dok 037000718001 / Goldman Sachs International Abb. 4: montan.dok 037000731001 / WSI Models B.V. Abb. 5: Private Leihgabe / Wolkenberg GmbH Abb. 6: LMBV / Peter Radke Abb. 7: montan.dok 025000080001 Abb. 8: montan.dok / Michael Ganzelewski Abb. 9: montan.dok 037000757001 / Heitkamp Umwelttechnik Abb. 10: montan.dok 037000758001 / Norscot Group Inc. Abb. 11: Wismut GmbH / Thomas Ackermann Torsten Meyer, Michael Farrenkopf: Industrielle Umweltprobleme Abb. 1: Kustodie der TU Bergakademie Freiberg Abb. 2: Deutsches Museum, München, 62028 / Konrad Rainer Abb. 3: Industriemuseum Chemnitz, W1/075 / Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik Johann Zimmermann Werke / Dirk Hanus Abb. 4: Siemens Historical Institute Abb. 5: Stiftung Historische Museen Hamburg, Museum für Hamburgische Geschichte, MK 1959,75-749a; Foto: Loos Abb. 6: Stiftung Historische Museen Hamburg, Museum für Hamburgische Geschichte, 1980,4 / Alfred Mohrbutter Abb. 7: Archiv www.schlot.at, Sammlung Markus Mraz Abb. 8: montan.dok 033304267004 Abb. 9: National Photo Company Collection, Library of Congress Prints and Photographs Division, 2016852039 Abb. 10: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, A 1995-10505 / Georg Weinhold Abb. 11–12: Umweltbundesamt Berlin, Archiv des Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene / Anno Dittmer, faceland.com
Abbildungsverzeichnis
Torsten Meyer, Michael Farrenkopf: Naturschutz vor 1945 Abb. 1: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, BBAW, Abt. Sammlungen, Gelehrtengemälde, AH-BLE-0001 / Anno Dittmer, faceland.com Abb. 2: Brehms Welt, 188 / Otto Maerker Abb. 3: Stiftung Naturschutzgeschichte / Jürgen Rosebrock Abb. 4: LVR Industriemuseum, RA 02/361 & RA 06/248 / Jürgen Hoffmann Abb. 5: Wikimedia Commons Abb. 6: Stiftung Naturschutzgeschichte Abb. 7: Universitäts- und Landesbibliothek Münster / S. Löns 7,035 Abb. 8: LWL-Museum für Naturkunde, Sammlung Reichling; Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen / Stephan Sagurna Abb. 9: Library of Congress Prints and Photographs Division Washington / 2004668436 / LC-USZ62-68394 Abb. 10: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, 1/1945/1096 / Anno Dittmer, faceland.com Abb. 11: BBN-Mitteilungen 3/2000, S. 17 / Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege Regina Göschl: Staatliche Umweltpolitik nach 1945 Abb. 1: International Institute for Social History Amsterdam, BG X1/12 / Gerard Esser Abb. 2: montan.dok / H. Naumann Abb. 3–4: montan.dok / Deutsche Gartenbau-Gesellschaft Abb. 5: DER SPIEGEL, 41/1970 Abb. 6: montan.dok / Deutsche Bundespost Abb. 7: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2018/07/0162 / Paul’s Model Art GmbH / Marlitt Schultz und Axel Tünker Abb. 8: Staatsbibliothek Berlin / Neue Zeit Abb. 9: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2018/08/0071 / PUNCTUM Bertram Kober Abb. 10: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2020/01/0115 / Klaus Leidorf Abb. 11: montan.dok / Bund für Umwelt und Naturschutz e. V. Regina Göschl: Umweltbewegung, 1945 bis 1990 Abb. 1: Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna Abb. 2: Archiv für alternatives Schrifttum, 54.III.10 / Arbeitskreis Umwelt Wuppertal Abb. 3: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2018/06/0224 / Hubert Hoffmann Abb. 4: Archiv für alternatives Schrifttum, T0082 Abb. 5: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 1996/03/0062 / Steffen Jacob Abb. 6: Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. – Archiv der DDR-Opposition, RHG_Fo_RDA_01217 / Michael Beleites Abb. 7: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2018/04/0248 Abb. 8: Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. – Archiv der DDR-Opposition, RHG_Fo_SiSch_01_051-01 / Siegbert Schefke Abb. 9: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2000/08/0305 / Marlitt Schultz und Axel Tünker Regina Göschl: Umweltbewusstsein, 1945 bis 1990 Abb. 1–2: montan.dok / Verlag für Lehrmittel Pößneck Abb. 3: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2014/08/0039.01 / Firma Horst Urbanek Jr. Abb. 4: Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna
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Abb. 5: montan.dok / WDR, Elke Heidenreich und Reinhard Schwabenitzky Abb. 6: montan.dok 030005201001 / Günter Dworak Abb. 7: montan.dok 030001656003 / Artur Cremer-Acre Abb. 8: montan.dok / Alexandra Abb. 9: montan.dok / Wolf Biermann Abb. 10: montan.dok / Herder Spiele Abb. 11: montan.dok 040013683000 Regina Göschl: Umweltpolitische Entwicklungen nach 1990 Abb. 1: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2017/11/0116 / MISEREOR / Marlitt Schultz und Axel Tünker Abb. 2: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, B 145 Bild-00119179 / Bernd Kühler Abb. 3: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1996/12/0173 Abb. 4: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2003/01/0400.00309 / Klaus Pielert Abb. 5: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, H 2018/01/0031 / TenneT TSO GmbH / PUNCTUM Bertram Kober Abb. 6: LVR-Industriemuseum, rz 17/114 / Herpa Miniaturmodelle GmbH Abb. 7: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, B 145 Bild-00460053 / Steffen Kugler Martin Baumert: Umweltproteste und soziale Konflikte, 1990 bis 2020 Abb. 1–2: Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna / Fridays for Future Abb. 3: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2011/09/0086.0509 / Walter Hanel Abb. 4: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1991/11/209 / Marlitt Schultz und Axel Tünker Abb. 5: montan.dok / Gerhard Gundermann Abb. 6–7: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1999/01/0519.2; Foto: Marlitt Schultz und Axel Tünker Abb. 8: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2016/03/0196 Abb. 9: Pro-Lausitzer-Braunkohle e. V. Abb. 10: Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V., Großpösna Abb. 11–12: Lars Philipp Abb. 13–14: Jörg Farys Torsten Meyer, Michael Farrenkopf: Zukünfte von Bergbaurevieren Abb. 1: F60 Concept GmbH – Besucherbergwerk F60 / Jürgen Vetter Abb. 2: Uniper SE / Modellbau Römer Abb. 3: montan.dok 030006216001 Abb. 4: Brandenburgische Technische Universität CottbusSenftenberg / Ralf Schuster Abb. 5: Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte TS 4 / Achim Römer Abb. 6: FilmFestival Cottbus Abb. 7: Mittelsächsische Theater und Philharmonie gGmbH / Jörg Metzner Abb. 8: montan.dok 030006764001 Abb. 9: Neuseenland-Sammlung im Soziokulturellen Zentrum KuHstall e. V. Großpösna, BRI 8 Abb. 10: Welterbe Montanregion Erzgebirge e. V. / Pawel Sosnowski
Beteiligte an der Ausstellung Stand: März 2022
Veranstalter Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Montanhistorisches Dokumentationszentrum Ausstellungsleitung Michael Farrenkopf, Regina Göschl Projektkoordination Michael Farrenkopf, Regina Göschl, Stefan Przigoda Wissenschaftliches Team Martin Baumert, Wiebke Büsch, Michael Farrenkopf, Michael Ganzelewski, Regina Göschl, Torsten Meyer, Stefan Przigoda Wissenschaftliche Hilfskräfte Jonas Bein, Chris Buchholz, Estella May Green, Rodion Lischnewski, Moritz Morsch Textredaktion Wiebke Büsch, Michael Farrenkopf, Regina Göschl Übersetzungen TE-KAAT . COM, Ratingen Ausstellungsgestaltung GfG / Gruppe für Gestaltung, Bremen: Nadine Ahlers, Maike Arnold, Carsten Dempewolf, Neele Graef, Ninja Hofmann, Carsten Koralewski, Marthe Trottnow Exponatverwaltung und Leihverkehr Martin Baumert, Philip Behrendt, Michael Ganzelewski, Regina Göschl, Brigitte Kikillus, Stefan Przigoda Medien Videobearbeitung: Birgit Borchert, Carsten Koralewski; Interviewrecherche und -schnitt: Rodion Lischnewski, Stefan Moitra Koordination Ausstellungsaufbau und Transporte Nadine Ahlers, Carsten Dempewolf, Michael Farrenkopf, Michael Ganzelewski, Regina Göschl Ausstellungsaufbau Matthias Klaus, Manfred Linden, Robin Pechtl, Heinz Schaber, Steffen Seidel, Klaus Winkler, Bernd Wiertlewski
Lichttechnik Derksen Lichttechnik GmbH, Gelsenkirchen Audioaufnahmen Selling Spot Studios GmbH & Co. KG, Bremen Medientechnik gemelo GmbH, Hamburg, Carsten Koralewski und Mitarbeitende des Deutschen Bergbau-Museums Bochum: Birgit Borchert, Marco Daniels, Rodion Lischnewski, René Schauf Transporte Beauftragte Unternehmen und Mitarbeitende des Deutschen Bergbau-Museums Bochum: Martin Baumert, Willi Fockenberg, Michael Ganzelewski, David Jaensch, Matthias Jakobi, Andy Mannchen, Reinhard Matolat, Moritz Morsch, Gerhard Radtke, Dirk Seemann, Steffen Seidel, Reiner Steinert, Nicolas Twardy Objekteinrichtung und Restaurierung Philip Behrendt, Michael Ganzelewski, Brigitte Kikillus, Stefanie Neuhoff, Steffen Seidel Kommunikationsdesign Viola Kaduk, GfG / Gruppe für Gestaltung, Bremen: Nadine Ahlers, Neele Graef, Marthe Trottnow Öffentlichkeitsarbeit, Marketing Wiebke Büsch, Nina Südfeld, Eliisa Väisänen, Clarissa Zlatkov Audioguide Cultway GmbH, Berlin Begleitprogramm Sandra Badelt, Wiebke Büsch, Michael Farrenkopf, Regina Göschl, Sandra Rehkamp, Dörte Schmidt Vermittlung und Besucherservice Sandra Badelt, Stefanie Biermann, Julia Bull, Michael Farrenkopf, Regina Göschl, Miriam Höller, Veronika Lehwark, Susanne Ronge Haustechnik Jörg Brodhage, Marco Haardt, Lothar Hengst, Stephan Hausmann, Lukas Kesper, Christopher Schulte, Ingo Wenzel
Kulissenbau raumwerk-tischlerei GmbH, Werther
Verwaltung und Controlling Michael Farrenkopf, Christian Kalinofski, Janine Kern, Stefan Przigoda, Claudia Schepers, Felix Weis
Ausstellungsgrafik afaw design GmbH, Stuhr
Konzeption Eröffnung Wiebke Büsch, Michael Farrenkopf, Regina Göschl
https://doi.org/10.1515/9783110780154-028
Register Namensregister Adenauer, Konrad 184 Agricola, Georg 101 Aitken, John 160 Albrecht, Helmuth 245f. Alexandra (Sängerin) 206 Altmeier, Peter 227 Arndt, Melanie 209 Ascher, Ludwig (Louis) 160 Bagshaw Ward, Nathanial 45 Bauch, Werner 124, 126 Beck, Ulrich 35 Beckett, Samuel 240 Berger, Hans 223f. Bernadotte, Graf Lennart 182 Bessemer, Henry 154 Biden, Joe 218 Biermann, Wolf 5, 207 Bilkenroth, Georg 239 Blüm, Norbert 224 Böhler-Baedeker, Susanne 215 Böhme, Gernot 46 Boisserée, Sulpiz 168 Bolender, Beate 241 Bonatz, Paul 240 Brandt, Willy 12, 31, 184 Bräunig, Werner 205 Brehm, Alfred Edmund 168 Brüggemeier, Franz-Josef 49, 209 Brundtland, Gro Harlem 32 Byron, George Gordon 168 Carl, Frank Erich 124 Carson, Rachel 30, 43, 193 Cartwright, Edmund 155 Conwentz, Hugo 12, 172, 174 Copien, J. H. 123, 135, 138 Cort, Henry 154 Crompton, Samuel 155 Curie, Marie 92 Curie, Pierre 92 Darby, Abraham 154 Darmer, Gerhard 128 Darré, Richard Walther 172 de Chateauneuf, Alexis 157 de Haan, Gerhard 51f. Degenhardt, Franz Josef 205 Dorn, Friedrich Ernst 92 Drees, Erika 32 Dresen, Andreas 225 Ebstein, Katja 206 Ehlers, Martin 124 Engels, Friedrich 153 Engler, Paul 240 Enss, Klara 31f. Erlemann, Clemens 240 Fleischer, Richard 205 Gardner Cottrell, Frederick 161 Genscher, Hans-Dietrich 184 Gestwa, Klaus 193 Gore, Al 213 Göring, Hermann 175 Göritz, Hermann 124 Gorman, Michael John 47 Graubner, Gerhard 240
https://doi.org/10.1515/9783110780154-029
Grillparzer, Franz 241 Grotewohl, Otto 124 Guang, Lu 7 Gundermann, Gerhard 225 Günter, Roland 246 Günther, Ruth 124 Hädicke, Wolfram 13 Hahn, Otto 93 Hähnle, Hermann 170 Hähnle, Lina 29f. Haller, Albrecht von 167 Halske, Georg 156 Hanel, Walter 221 Heidenreich, Elke 205 Heuson (Heusohn), Rudolf 10, 123–125, 135f., 138, 177f. Himmler, Heinrich 172 Hirschi, Caspar 36 Hofmann, August Wilhelm 156 Hohenheim, Theophrastus Bombastus von 101 Hohfeld, J. 161 Honecker, Erich 12, 189 Horaz, Dichter 167 Höß, Rudolf 172 Hübotter, Wilhelm 126 Huff, Tobias 182 Humboldt, Alexander von 168 Ibarrola, Agustín 74 Jänicke, Martin 185, 215 Jordan, Carlo 198f. Karliczek, Anja 59 Kelly, Petra 32 Klaproth, Martin Heinrich 92 Klose, Hans 175, 177 Knabe, Wilhelm 6, 10, 117, 124–129 Koch, Robert 156f. Kocka, Jürgen 36 Kohl, Helmut 185, 215, 221, 225 Kretschmann, Erna 181 Kretschmann, Kurt 181 Kretschmann, Winfried 216 Kretschmer, Michael 245 Krull, Wilhelm 39 Krummsdorf, Albrecht 6, 126 Kuhn, Rolf 245 Laschet, Armin 230 Lindley, William 12, 157 Lingner, Reinhold 10, 124, 182 Linné, Carl von 168 Löns, Hermann 172 Lübke, Heinrich 182 Lüttge, Gustav Max 126 Martin, Pierre-Émile 154 Marx, Karl 153 Mauch, Christof 195 Maudslay, Henry 155 McDougall, Sean 47 Meadows, Dennis 184 Meadows, Donella 32, 184 Meitner, Lise 93 Mellinghoff, Klaus 129 Merkel, Angela 14, 215f., 227 Mersmann, Florian 215 Mewes, Clara 218
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Anhang
Mitscherlich, Eilhard Alfred 125 Mittag, Günter 189 Modrow, Hans 189 Möller, Christian 186, 197 Möller, Erwin 161 Necomen, Thomas 155 Neumann, Andreas 107 Newton Foote, Eunice 193 Nicole (Sängerin) 206 Nowotny, Joachim 13, 204 Olschowy, Gerhard 126 Osterhammel, Jürgen 36 Pausewang, Gudrun 13, 205 Péligot, Eugène-Melchior 92 Penk, Edith 32 Perkins Marsh, George 44 Peymann, Claus 240 Pniower, Bela Georg 124 Polanyi, Karl 38 Prigann, Herman 74 Prometheus 4 Radkau, Joachim 209 Rammler, Erich 239 Rau, Johannes 105, 224 Reichelt, Hans 189 Renn, Jürgen 39 Rietschl, Albrecht 37 Rindt, Otto 107, 125, 132, 177 Rittel, Horst 39 Rommelspacher, Thomas 209 Rousseau, Jean-Jaques 168 Rudorff, Ernst 172f. Rühl, Wolfgang 105 Runge, Friedlieb Ferdinand 156 Sabrow, Martin 36 Sartre, Jean-Paul 240 Schalla, Hans 240 Schiller, Friedrich (von) 240 Schmitt, Saladin 240 Schröder, Gerhard 215f. Schultze-Naumburg, Paul 172
Sehring, Bernhard 241 Seifert, Alwin 12, 177 Semper, Gottfried 157 Sielmann, Heinz 111 Sielmann, Inge 111 Siemens, Friedrich 154 Siemens, Werner 156 Siemens, Wilhelm 154, 156 Sitte, Willi 3–5, 206 Söder, Markus 227 Steiner, Rudolf 170 Steinmeier, Frank-Walter 231 Stöckhardt, Julius Adolph 12, 161f. Stoppani, Antonio 43f. Straßmann, Friedrich Wilhelm 93 Süssmuth, Rita 13 Thießen, Malte 36 Thunberg, Greta 32, 193, 233 Todt, Fritz 177 Tromsdorf, Willi 101 Trump, Donald 218 Ulbricht, Walter 124, 186, 209 Unger, Charlotte 214, 218 Ungewitter, Rudolph 124 Vernadsky, Vladimir 44 Vester, Frederic 207 Wächtler, Eberhard 246 Waechter, Friedrich Karl 240 Waigel, Theo 186 Ward, Barbara 32 Watt, James 155 Webber, Melvin 39 Wendehorst, Reinhard 170 Wentzel, Karl Friedrich 182 Woidke, Dietmar 227 Wolf, Benno 175 Zadek, Peter 240 Zeus 3 Zieger, Erich 182 Zimmermann, Friedrich Walter 185
Ortsregister Aberfan 73, 90 Afrika 44f., 173 Alpen 28, 168 Altona 157 Arnsnesta 158 Asien 45 Bad Schlema 146 Bad Steben 92 Baikalsee 195 Basel 177 Bautzen 81, 83 Bayerischer Wald 181 Beerwalde 93 Berchtesgaden 181 Bergkamen 145 Berlin 13, 45, 124, 128, 139, 156, 161f., 173, 175, 177, 198, 207, 224 Berzdorf 81, 138 Beversee 145 Biosphärengebiet Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft 140 Biosphärenreservat Mittlere Elbe 182 Biosphärenreservat Rhön 182
Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin 182 Biosphärenreservat Spreewald 182 Biosphärenreservat Südost-Rügen 182 Biosphärenreservat Vessertal 182 Bischofferode 14, 221 Bochum 3–7, 35, 86–88, 101, 105, 144f., 182, 223, 235, 238, 240 Bonn 177, 189, 215, 224 Bottrop 73, 89, 91, 142, 144, 216, 224, 231, 235 Boxberg 84, 106 Brambach 92 Brandenburg 6, 71, 82, 111, 124, 139f., 175, 238 Bubenreuth 4 Chemnitz/Karl-Marx-Stadt 75 China 7, 14, 213, 236 Coalbrookdale 154 Cottbus 6, 14, 81, 84, 104, 106f., 138, 140, 225, 227, 238, 240–243 Courrières 35 Crossen 93, 95, 120, 132, 146, 149 Deckgebirge 10, 87, 125 Döbeln 243 Doberlug-Kirchhain 81, 83
Register
Domsdorf 10, 83f., 126, 135, 244 Dorsten 145 Dortmund 86f., 105, 144, 223, 231 Dreiskau-Muckern 225 Dresden 4, 92f., 126, 132, 144–149, 174 Drosen 93 Duisburg 74, 86, 91, 144f., 239f. Egestorf 181 Elbe 29, 157f., 182 Emscher 20, 73f., 87f., 91, 111, 130, 132, 141, 144f., 158, 244 England 85, 128, 153–155 Erkner 124 Erzgebirge/Krušnohoří 76, 146, 243, 245f. Espenhain 105 Essen 86–88, 140f., 144, 154, 244 Finsterwalde 83 Forst 225 Frankfurt (Oder) 104 Freiberg 12, 76, 154, 161, 243, 246 Freital 92, 95 Fukushima 14, 38, 216, 227 Gelsenkirchen 90f., 144, 222, 224, 238 Gessenhalde 95, 147 Ghetto Lodz 160 Ghetto Theresienstadt 175 Gibraltar 116 Gladbeck 141 Goslar 174 Greiz 92 Großräschen 82 Guben 81 Hambacher Forst 205, 227 Hamburg 128, 154, 156f. Hamm 86, 238 Hartenstein 93 Herne 90, 130, 238 Herten 105, 142, 145 Heuersdorf 14 Hohewardtal 142 Hoyerswerda 81 Hühnerwasser 111 Idaho 193 Jänschwalde 71, 84, 137 Japan 14, 75, 216 Johanngeorgenstadt 75, 92f., 105, 146 Kamen 87 Kamenz 81, 83, 140 Kamerun 45 Kamp-Lintfort 86 Kassel 221 Kedrograd 195 Knappenrode 197, 244 Knappensee 85, 107f. Königstein 4 Kyoto 210 Landschaftspark Duisburg-Nord 74 Laubusch 83, 135 Lauchhammer 81–84, 244 Lausitz 5, 8–11, 13f., 32, 59f., 71, 73, 76, 78, 81–85, 99f., 105f., 124, 126, 129, 132, 135–140, 216, 225, 227, 233–237 Lausitzer Braunkohlenrevier 5f., 10, 59, 99f., 105–107, 115, 154, 224, 238f., 244f. Leipzig 14, 126, 128, 161, 225, 235 Lichtenberg 76, 93, 95, 146, 149 Lippe 20, 88, 91 Lübben 82 Lübbenau 84 Luckau 81, 83, 112
Lüneburger Heide 28, 172 Lünen 15, 224, 240 Moers 86 Montana 194 Moskau 75, 195 Mühlrose/Miłoraz 14, 225 Münster 56, 87, 199f., 229, 233 Münsterland 89 Nagasaki 93 Nationalpark Hochharz 182 Nationalpark Jasmund auf Rügen 182 Nationalpark Müritz 182 Nationalpark Sächsische Schweiz 182 Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft 182 Naturpark Drömling 182 Naturpark Märkische Schweiz 182 Naturpark Schaalsee 182 Neiße 81, 140 Neukirchen-Vluyn 14, 224 Niederlausitz 9, 81, 83, 85, 124, 139, 225, 238 Niedersächsisches Wattenmeer 181 Niesky 81, 83 Nochten 71, 84f., 106 Nordrhein-Westfalen 85, 105, 129, 141, 224, 244 Oberlausitz 81 Oberschlema 92,95 Oberschlesien 85 Oer-Erkenschwick 224 Paitzdorf 93, 147 Papua-Neuguinea 45 Paris 14, 29, 173, 214, 230 Philadelphia 124 Pirna 92 Plessa 83 Pöhla 93, 148f. Pritzen 225 Proschim/Prožym 14 Recklinghausen 73, 145, 224 Reichwalde 71, 84f. Rio de Janeiro 213, 215 Ronneburg 9, 13, 91–95, 132, 146–149 Rosenthal 92 Rudolstadt 92 Russland 14, 193, 195 Särchen 84 Schleife 106 Schlema 76, 93, 148f. Schleswig-Holstein 31, 181 Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer 181 Schmirchau 93, 147 Schneeberg 131, 145f. Schwarze Elster 11, 85, 111, 138f., 154, 156–158 Schwarze Pumpe 84, 140f., 236 Schwarzenburg 92 Sedlitz 83 Seelingstädt 93, 95, 146, 149 Selenga 195 Senftenberg 82–85, 111f., 136, 238 Senftenberger Revier 124 Senftenberger See 73, 132, 135, 138f., 177 Sibirien 195 Sowjetische Besatzungszone (SBZ) 75, 93, 124 Sowjetunion 55, 75f., 93, 131f., 195, 213, 219 Spreewald 81, 112, 140, 182 Spremberg 82f. St. Joachimsthal 92 Stendal 32 Stockholm 184
271
272
Anhang
Sylt 29, 31 Tagebau Hambach 205, 230 Tagebau Lichtenberg 76, 93, 95, 146, 149 Talsperre Kriebstein 243 Tansania 45 Tätschwitz 158 Teufen 9, 88–90, 93 Thüringen 8, 71, 75, 81, 91, 124, 136, 146, 221 Thürmsdorf 92 Togo 45 Tröbitz-Domsdorf 83 Tschernobyl 13, 55f., 185, 195, 203, 205, 216 Tzschelln (Čelno) 106f. Uhyst 106 Ukraine 195 Unna 87, 128, 238 USA 29, 75f., 93, 124 Varisziden 86
Vetschau 84 Vogtland 92, 145 Wackersdorf 195, 225 Waltrop 233 Wanninchen 111f. Washington DC 53 Wattenscheid 144 Weißrussland 195 Weißwasser 106 Welzow 71, 84f., 111, 137 Westerzgebirge 9, 145, 233 Windischeschenbach 44 Witten 87 Wittenberg 198, 204 Wyoming 193 Zeißholz 83 Zittau 71, 82 Zwickau 93, 130, 145
Sachregister Abraumförderbrücke 84f., 126, 136, 245 American Veterinary Medical Association 38 Anthrazit 87, 224, 235 Anthropocene Working Group (AWG) 43 Anthropozän 7f., 38f., 43–48 Anti-Atomkraft-Bewegung 13 Antikapitalismus 12 Antisemitismus 172, 174f. Antisozialismus 174 Arbeitersiedlung 246 Arbeitslosigkeit 14, 221, 223 Arbeitsmarkt 221 Arbeitsplätze 11, 19, 60, 99ff., 146, 209, 223, 227, 236 Arbeitsplatzverlust 14, 76, 225 Artenschutz 21, 24, 168f. Artenvielfalt 22, 181 Atomenergie 14, 205, 213, 216f., 221, 225, 227 Atommülltransport 226f. Atomreaktoren 227 Atomstrom 225 Aufforstung 116, 123, 135f., 138, 141, 148 Aufrüstung 75f. Ausnahmezustand 36 Autobahn 144, 177, 185, 205, 224 Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH (AVUS) 177 Baumhaus 229 Bergarbeiterstreik 223 Bergbau-Berufsgenossenschaft 102 Bergbaufolgelandschaft 3, 5f., 10f., 15, 41, 60, 112, 115, 120, 124, 143, 178, 238 Bergbausanierung 10, 96 Bergbauunternehmen 10f., 20ff., 126, 136, 139, 224, 229 Bergbauvergangenheit 61 Bergehalden 6, 41, 90, 115, 118ff., 141ff., 209 Bergische Universität Wuppertal 5f., 128 Bergschäden 41, 73, 76, 91, 93, 105, 143, 145 Bergsenkung 90f., 130f., 144f. Bergsicherung 131, 145 Bergsicherung Schneeberg GmbH & Co. KG 146 Berliner Umweltbibliothek 198f. Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie 102 Berufskrankheit 100–103 Beteiligungsformen 28f. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) 51f. Biodiversität 22, 49
Biodiversitätskrise 32 Biodiversitätspolitik 21 BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern 40, 47 Blei 56, 76 Bodenfruchtbarkeit 113, 117 Bodenkontamination 197 Bodenschätze 19, 23f. Brandenburgische Technische Universität (BTU) CottbusSenftenberg 111, 238, 240, 243 Braunkohleindustrie 23 Braunkohlenbefürworter:innen 227 Braunkohlenkombinate 140 Braunkohlenrevier 5, 11, 60, 81, 104–107, 111, 115f., 123f., 154, 157, 224, 227, 230, 235–238, 244 Brikettfabrik 84, 99f., 103, 107, 140, 244 Brundtland-Report 32 Bund der Steuerzahler 31 Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) 189, 195 Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) 146 Bundesberggesetz (BBergG) 24, 143 Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie 181 Bundesgesundheitsamt (BGA) 163 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 5, 7 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 37 Bundesnaturschutzgesetz (BnatSchG) 21f. Bundesumweltministerium 22, 189 Bundesverband Braunkohle DEBRIV 23 Bundeswirtschaftsministerium 22 Bürgerinitiative 31, 52, 195 Castor-Transport 225f. Cholera-Epidemie 12, 154, 156 Club of Rome 13, 32, 184 Corona-Warn-App 37 COVID-19-Pandemie 35f., 39f. DDR-Kalindustrie 222 DDR-Umweltgeschichte 6, 197 DEFA 13 Demontage 83, 146 Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) 186 Deutsche Steinkohle AG 224 Deutscher Evangelischer Kirchentag 4 Deutscher Naturschutztag 173 Deutsches Bergbau-Museum Bochum, LeibnizForschungsmuseum für Georessourcen (DBM) 7
Register
Deutsches Kaiserreich 10, 167 Devastierungen 105 Die Naturfreunde 27, 172 Digitalisierung 36–38 DMT – Gesellschaft für Lehre und Bildung mbH 7 Doppelspitzkegelhalden 147 Einigungsvertrag 189 Eisgang 158 Emissionshandel 14, 22, 44, 213–216 Emschergenossenschaft 11, 141, 144 Endlager 132, 207, 225ff. Endlagersuche 227 Energie- und Klimaschutzprogramm (IEKP) 14, 22, 215 Energiesteuer 22, 215 Energieträger 23, 209, 227, 236 Energieversorgung 22, 222 Energiewerke Schwarze Pumpe Aktiengesellschaft (ESPAG) 141 Engagement 29, 31, 197, 246 Erderwärmung 14, 214 Erinnerungsort 7, 107, 147 Erlebniswelt 53f. Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) 14, 217 Erster Weltkrieg 11, 29f., 115, 170, 172, 174, 240 EU-Emissionshandel 22 EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) 20f. Evangelische Kirche 13, 197 Ewigkeitsaufgaben 11, 41, 73, 145, 238 Expo 2000 225 Fauna-Flora-Habitat (FFH-)-Gebiete 21 Federmode 29 Fischsterben 139, 158 Flöz 9, 81–85, 87, 90f., 138, 235 Flussbiographie 11, 154 Flutwelle 85 Forstakademie in Tharandt 182 Frauenfeindlichkeit 174 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 207 Fridays for Future (FFF) 193, 200f., 210 Gastarbeiter:innen 223 Gebietsschutz 19 Generalplan Ost 116, 178 Geschlechterhierarchien 29, 33 Geschlechterzuschreibungen 29 Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mbH (GRS) 146 Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) 197, 209 Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR 197 Gesetz zur Verminderung und Beendigung der Kohleverstromung (KVBG) 23 Gestaltungsprinzip 64 Gesundheitskrise 36 Gewässerschutz 20f. Green Deal 22 Greenpeace 14 Großdemonstration 225 Grube Brigitta 225 Grubenbaue 89 Grundwasserabsenkung 85, 107, 140 Grundwasseranstieg 144, 147 Grundwasserhaushalt 20 Grundwasserverordnung (GrwV) 20 Halde Prosper-Haniel 73f., 89, 142, 216, 224, 231, 235 Halde Rheinelbe 74 Haldenbegrünung 10, 129, 141 Haldenbrände 119, 129, 141 Haldenlandschaft 73, 76 Haldenproblematik 6 Hartmann AG 143 Heimat 14, 100, 118, 141, 170, 175, 178, 204, 241
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Heimatschutz 12, 170, 172–174 Heimatverlust 107, 225 Heinz Sielmann Stiftung 112 Heitkamp Bau Holding GmbH 145 Hochschornsteinpolitik 11 Hochschule für Bildende Kunst in Dresden 4 Hochwasser 158 Hochwasserschutz 11, 145 Hohlräume 91, 130f., 144 Holozän 43 Hungerstreik 221 Hüttenwerk 74, 91 Industrialisierung 11f., 27, 73, 78, 119, 153f., 160, 167, 173, 209 Industriegesellschaft 153f., 162, 170, 182 Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) 223f. Industriekultur 78, 105, 205, 238, 244f. Industriezeitalter 11, 14, 154, 161, 244 Innovationen 7, 35, 60, 153, 237 International One Health Day 38 International Panel on Climate Change (IPCC) 221 Internationale Bauausstellung (IBA) 130, 225 Internationale Bauausstellung Emscher Park 130, 141 Jungtertiär 81 Kali und Salz AG 221 Kalibergbau 197, 221 Kapitalozän 38 Karl-Marx-Universität Leipzig 129, 204 Kernenergie 22, 38, 215f. Klima-Hysterie 218 Klimacamps 227 Klimaerwärmung 14, 200, 216 Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) 213 Klimaschutz 20, 210, 214–219 Klimaschutzgesetz 22, 216 Klimawandel 32, 39f., 49, 51, 72, 201, 216, 218 Klimawandelleugner 218 Kobalterzgrube Fundgrube Weißer Hirsch 146 Kohleausstieg 23, 140, 221, 238 Kohlenkrise 73, 88, 141 Kohlepfennig 235 Kohleverstromung 22f. Kokerei Dannenbaum 145 Kokerei HKM Hüttenwerke Krupp Mannesmann 91 Kokerei Emil Emscher 145 Kokerei Lauchhammer 244 Kokerei Schwelgern 91 Kolonialismus 45 Kolonialkonflikt 173 Kolonien 170 Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) 23 Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) 142 Kommunismus 36 Königliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung 154 Konsumverhalten 66 Körber-Stiftung 55 Kraftwerk Boxberg 84 Kraftwerk Jänschwalde 84 Krater 91, 130, 144 Kreidezeit 87 Kriegswirtschaft 73, 115 Kulturgeschichte 54 Küstenökologie 38 Kyoto-Protokoll 210, 213, 215 Lancet Commission on Planetary Health 38 Landfrauenverein Boxberg/O.L. e. V. 107
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Anhang
Landschaftsanwälte 12, 124, 177ff. Landschaftsbauwerk 105, 119f., 129, 142 Landschaftsplanung 12, 30, 115, 167, 178 Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) 71, 73, 136 Lausitzer Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LBV) 136 Lausitzer Umwelt Gesellschaft mbH (LUG) 140 Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) 133 Lebensqualität 51, 103f., 129 Lebensraum 22, 141, 145 Leitobjekte 64, 206 Lernerlebnisraum 54 Lernumgebungen 50 Linksrheinische Entwässerungs-Genossenschaft 144 Lufthygiene 12, 154, 161–164 Massenmobilisierung 172, 216 Mediaschool Bayern 40 Meeresverschmutzung 30 Mensch-Natur-Beziehungen 27, 31 Mensch-Natur-Verhältnisse 27 Menschenkette 14, 224 Mergelzeche 87 Migration 7, 128 Ministerium für Staatssicherheit (MfS) 4, 13, 197–199, 204 Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (MUW) 189 Miozän 81 Mitteldeutsche Bergbau- Verwaltungsgesellschaft (MBV) 136 Mittelsächsische Theater und Philharmonie gemeinnützige GmbH 243 Mobilität 7, 27, 45, 49, 91 Mobilitätswende 49, 217 Monokulturen 27 Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) 4f., 7, 15, 131, 206 Montanlandschaften 7 Multiperspektivität 64f. Munich Science Communication Lab on Planetary Health (MSCL) 40 Musealisierung 44, 48, 203 Museumsobjekte 44f. Mythologie, griechische 3 Nachbergbau 20, 25, 85, 236, 238, 240 Nachhaltigkeit 27, 32, 37–39, 65 Nachhaltigkeitsausstellung 53 Nachhaltigkeitsbilanz 55 Nachhaltigkeitsbildung 50f. Nachhaltigkeitskommunikation 50, 52, 54 Nachkriegszeit 30, 43, 60, 126, 184 Narrativ 8, 15, 39, 53, 60, 65 Nationalismus 12 Nationalsozialismus 12, 29, 83, 115, 124, 126, 167, 174 Naturdenkmal 168, 170, 172, 177 Naturdenkmalpflege 167, 172, 174f., 177, 179 Naturerfahrungen 27 Naturlandschaft 111f. Naturschutzbewegung 12, 27, 30–32, 209 Naturschutzgebiet 21, 177, 218 Naturschutzgesellschaft 31 Naturschutzrecht 21 Naturverständnis 51 Naturwissenschaften 195 Neolithische Revolution 111 Neonazis 225 Netzausbau 22 Neue Soziale Bewegungen 31f. North Atlantic Treaty Organization (NATO) 184 NS-Ideologie 173 NSDAP 124, 170, 172
Ölpreiskrise 13, 185, 189 Ölverschmutzung 30 Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC) 185 Ost-West-Konflikt 6 Pandemie 23, 36–41, 185, 216, 243 Planungsausschuß für das Rheinische Braunkohlenrevier 116 Pleistozän 7 Poldermaßnahmen 143 Preussag Anthrazit GmbH 224 Preußische Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene (WaBoLu) 154, 162f. Privatisierungsprozess 145 Pro-Lausitzer-Braunkohle e. V. 14 Projekt-Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) 24 RAG Aktiengesellschaft 73, 132, 143f., 224, 231, 244 Rassismus 172 Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) 186 Reaktorkatastrophe 13, 205, 216 Regionalverband Ruhr (RVR) 11, 118, 141, 244 Reichsautobahn 124, 177 Reichsbund für Vogelschutz 29 Reichsbund Volkstum und Heimat 175 Reichslandbund 115 Reichsnaturschutzbuch 177 Rekultivierung 5f., 8, 10–12, 21f., 59f., 71, 78, 90, 96, 111f., 116, 120, 126, 128, 131f., 135, 138f. Rekultivierungsforschung 22, 71, 128 Renaturierung 10f., 111f., 144, 149, 158 Reparationsleistungen 83 Repression 13, 198–200 Rockefeller Foundation 38 Rohstoffgewinnung 23f., 135 Rollenmodelle 29 Rollenmuster 29 Röntgentechnik 101 Rote Armee Fraktion (RAF) 199 Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) 30 Ruhrkohle AG 73, 88, 142, 223, 235 Rüstungswettlauf 6 RWE Power 230 Salzbergwerk 226 Sanierungsbergbau 14, 136, 140 Saurer Regen 12 Schaufelradbagger 9, 84, 136 Schmelzhütte 158 Schneeberg Gebhardt & König Gesteins- und Tiefbau GmbH 145 Schottern 227 Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) 6, 73, 118, 129, 141 Social Media 46 Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut (SDAG Wismut) 6, 75, 93, 145 Sowjetische Besatzungszone (SBZ) 10, 75, 93, 106, 124 Sozialdarwinismus 175 Spanische Grippe 36 Spätmittelalter 76 Staubbelastung 104 Stauchmoräne 83 Steinzeiten 7 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 4 Stollen 87, 131f., 146, 148, 226f. Stollenzeche 87 Strahlenbelastung 101–103 Stromsteuer 22 Super-GAU 14, 185 Tagebaurestloch 146f. Tagesschächte 93, 146 Technikgeschichte 6, 37, 209, 246 Teilhabe 8, 28f., 48
Register
ThyssenKrupp Real Estate GmbH 143 Tiefbauzeche 87 Tierschutz 28, 193 Tierversuche 160 Tourismus 205, 227, 246 Transformation 7, 15, 33, 37f., 47–49, 167, 222f., 225 Treibhausgasemissionen 22, 213, 227 Treibhausgasneutralität 14, 22, 214, 216 Treuhand Gesellschaft Berlin 145 Treuhandanstalt 136, 221 Trinkwasser 91, 106, 144 TU Bergakademie Freiberg 5f., 76, 139, 239f. Umsiedlung 71, 105f., 225 Umwelt-Monitoring 10, 124, 182 Umweltbewusstsein 8, 11f., 60, 66, 104, 145, 203 Umweltbildung 51–53, 208 Umweltbundesamt (UBA) 184 Umweltfrage 3, 10, 31f., 56, 184f., 189, 195 Umweltgeschichtsschreibung 31 Umweltgesundheit 38, 41 Umwelthaftung 24 Umweltkampagne 193 Umweltmedien 20, 153, 162 Umweltrahmengesetz (URaG) 189 Umweltschutzprojekte 189 Umweltunion 11, 189 Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) 24, 142 Umweltzentrum 199f. UN-Klimakonferenzen (United Nations Framework Conventions on Climate Change, COP) 213, 215 UNESCO-Weltkulturerbe 15, 243, 246 UNICEF 38 Universität Hannover 128 Unteilbar-Demonstration 233 Unternehmensgruppe Feldhaus Schmallenberg 145 Untertagebetriebe 19f. Uranerzbergbau 5f., 13f., 75f., 101–103, 116, 131f., 146, 205, 221, 235 Uranlagerstätten 92f. Uranproduktion 93 Vattenfall Europe Mining AG 111 Verein für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung 162 Verein Jordsand 29 Verordnung zum Schutz der Oberflächengewässer (OgewV) 20 Verseuchung 30, 195
275
Versteppung 178 Vertragsarbeiter 225 Vogelschutz 170, 209 Vogelschutzbewegung 29 Vogelschutzgebiet 29 Vogelschutzgesetz 169 Vogelschutzverband 29 Völkerbund 30, 265 VolkswagenStiftung 39f. Vorflut 41, 73, 91, 140, 148, 154 Waldsterben 13, 129, 189, 195f., 203, 215, 225 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) 20 Wassermangel 85, 124 Wasserverschmutzung 158, 196 Weimarer Republik 12, 83, 167, 172f., 177, 181 Weltklimakonferenz 14, 230 Wettrüsten 93 Wiedernutzbarmachung 10f., 20, 23f., 71, 112, 116f., 120, 124, 126, 128, 136, 138, 147 Wiedernutzbarmachungsforschung 128 Wiederurbarmachung 10, 110–113, 116f., 124, 136, 145, 178 Wiedervereinigung 11, 14, 102, 132, 145, 221, 238, 246 Wiener Kongress 158 Wirtschaftskrise 83, 156 Wismut GmbH 11, 76, 93, 132f., 146, 221 Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) 37f. World Bank 38 Zeche Centrum 144 Zeche Constantin 144 Zeche Dannenbaum 145 Zeche Fürst Leopold in Dorsten 145 Zeche Hugo 224 Zeche Monopol 87 Zeche Prosper-Haniel 73, 142, 216, 224 Zeche Vereinigte Maria Anna Steinbank 91 Zeche Walsum 145 Zeche Zollverein 7, 141, 244 Zechenkokerei Prosper 91 Zechensterben 205 Zentralstelle für Naturschutz 182 Zweigstelle der Staatlichen Sowjetischen Aktiengesellschaft der Buntmetallindustrie, Wismut (SAG Wismut) 75 Zweiter Weltkrieg 7, 9, 83, 88, 93, 99, 101, 105f., 115, 120, 129, 140, 163, 167, 174, 184, 190, 205 Zwischenkriegszeit 30