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German Pages 15 [16] Year 1848
Grabrede bei der Beerdigung des Herrn
Carl Friedrich August Fritzsche, Doctors der Philosophie und der Theologie, ordentlichen Professors der letzteren an der Ludwigsuniversität zu Gießen u. s. w.,
am
8.
December
184 6
gehalten von
Dr. A. Knobel, ordentlichem Professor der Theologie.
Gießen, 1847.
I. Ricker'sche Buchhandlung.
Unerforschlich sind die Rathschlüsse Gottes und unbegreiflich seine Wege! Diese für den mensch
lichen Geist oft so demüthigende Wahrheit, meine christliche Trauerversammtung, erprobt der Mensch
zwar jeden Tag und jede Stunde, wenn er Um schau hält im Leben und die zahlreichen Räthsel desselben
Auge faßt, bei denen er erfolglos
nach dem Grunde forscht
und vergeblich
nach
dem Zwecke frägt. Aber besonders ernst tritt sie
vor ihn,
wenn das Walten der Vorsehung ihn
selbst berührt und mit Unerwartetem ihn über
rascht; besonders lebhaft wird er sie inne, wenn durch die höhere Fügung
Güter angetastet wer
den, die seinem Herzen theuer sind;
besonders
schmerzlich wird er von ihr ergriffen, wenn die
4 Hand GotteS in die Kreise seiner Lieben greift
und ein theures Glied daraus entfernt, ehe es gewärtigte.
er
Ach dann ersaßt ihn wehmüthige
Verwunderung über die unergründlichen Rath schlüsse des Höchsten und daö gebrochene Herz
will sich nicht finden in die wunderbaren Schik-
kungen von oben; dann ist er fast nahe daran, dem Unmuthe zur Beute zu werden und möchte schier Unrecht aus den Pfaden Gottes erblicken.
Mit diesen Gefühlen,
werthe Amtsgenossen
und Freunde, vernahmen wir die Trauerkunde
vom Hintritt unsers theuren Freundes, unsers früh vollendeten Fritzsche, welcher den nahen
45sten
Geburtstag
nicht erleben,
nicht mehr
feiern sollte; mit diesen Gefühlen sind wir auch heute um sein Grab versammelt und erheben Klage ob des herben Verlustes, den unsre Hoch
schule abermals erfahren, unsre Freundschaft aber mals erlitten hat. Ach wie nahe legt sich uns an
diesem Grabe die Frage, warum die Vorsehung auch
noch diesen Amtsgenossen von uns genommen habe, den vierten in einem und demselben Jahre, welches auch ohne diesen neuen Schlag schon als düstres Trauerjahr in die Geschichte der Hochschule ein getragen war?
Wie nahe legt sich uns hier
5 die Frage, warum die Vorsehung einen Mann
dem Leben entrückt habe, welcher noch in rüstiger Manneskrast blühte, noch im vollen Siegesläufe fruchtbaren Wirkens und
Schaffens stand
und
noch weit entfernt war von den Jahren, die der
heilige Sänger als das Ziel des Menschenlebens bezeichnet hat?
Wie nahe legt sich die Frage,
warum die Vorsehung einen Mann von seinem Werke abberufen habe, welcher trefflich ausge stattet mit Geistesgaben und mit einem seltenen
an
Reichthum
Erkenntniß
nach
menschlichem
Denken und Meinen noch viel Ehre erwerben, noch viel Segen stiften und mit dem Ruhme
seines Namens noch lange Jahre unsre Hochschule
zieren sollte?
Wie nahe legt sich die Frage,
warum es doch so geordnet worden sey, daß der
greise Vater den frühen Tod des Sohnes trost
los beweinen und nicht mit der Hoffnung aus dem Leben gehen soll, daß der Sohn seinem
Scheiden Thränen frommer Kindesliebe weihen werde?
Doch es ziemt sich nicht,
daß das bewegte
Herz den Vorwitz zu Fragen treibe, welche das
heilige Dunkel des göttlichen Waltens ergründen möchten;
es
frommt auch nicht, daß der be-
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schränkte
Verstand
diesen
Fragen
nachhänge.
Denn eS gibt auf sie nur die Eine Antwort,
daß Gottes Rathschlüffe unersorschlich und seine Wege unbegreiflich sind und es gilt für sie nur die Eine Weisung, daß der Mensch im Staube
sich mit Ergebung den Schickungen des Höch
sten unterwerfen und mit frommer Demuth sie verehren soll.
Wohl aber ziemt es sich, dem
scheidenden Amtsgenossen und Freunde ein Wort des Abschieds nachzurufen und so dem zu genü gen, was Liebe und Freundschaft wollen; wohl
frommt es auch, den schönen Eigenschaften des
Heimgegangenen ein Wort der Erinnerung zu widmen, damit wir ein freundliches Bild mit
hinwegnehmen von dieser Stätte der Trauer und die Unruhe des Schmerzes dem Frieden stiller
Wehmuth weiche.
Carl Friedrich August Fritzsche wurde geboren am 16. December 1801 zu Stein
bach bei Borna im Königreiche Sachsen, woselbst sein Vater, später Superintendent in Dobrilugk
und seit 1827 ordentlicher Professor der Theologie
zu Halle, damals Prediger
war.
Von diesem
in den alten Sprachen gründlich unterrichtet und
für das Gymnasium wohl vorbereitet, begab er
7
sich Ostern 1814 nach Leipzig aus die ThomaS-
schule, welche so viele ausgezeichnete Männer der deutschen Gelehrtenwett vorgebildet hat. Nach
6 Jahren sorgfältiger, hauptsächlich aus die alten Sprachen gerichteter Schulstudien bezog er Ostern
1820 die Universität zu Leipzig und widmete sich der Theologie in Verbindung mit der Phi lologie.
Bei seinen tüchtigen Kenntnissen, seiner
Liebe zur Gelehrsamkeit und seiner ausgezeich
neten Lehrbefähigung konnte es nicht fehlen, daß
hier die Neigung in ihm erwachte, die akade mische Laufbahn zu betreten.
Fritzsche folgte
dem innern Rufe, in welchem er richtig seine
Zukunft erkannte.
Schon im Frühjahr 1823
erwarb er die philosophische Doktorwürde und
noch in demselben Jahre trat er als Lehrer an der Leipziger Hochschule aus.
Seine der Erklär
rung der heiligen Schrift gewidmeten Vorträge fanden ungeteilten Beifall und seine Leistungen wurden auch von seiner obersten Behörde 1825 durch Beförderung zum außerordentlichen Professor
bei der philosophischen Fakultät anerkannt.
Aber
schon einige Wochen daraus erging von Rostock
an den damals noch nicht 25 jährigen jungen Mann ein ehrenvoller Ruf zu einer ordentlichen
8 Professur der Theologie,
besten Aussichten folgte.
welchem
er mit den
In Rostock hat er eine
lange Reihe von Jahren erfolgreich gewirkt, bis
im Jahre 1841 ein Ruf von hier ihn an unsre Ludwigsuniversität
herüberführte.
Niemals
hat
er bereut, der Unsrige geworden zu sein. - Denn
als es sich vor einigen Jahren um seine Beru fung nach Jena handelte, war er doch nicht ge neigt,
uns zu verlassen und er würde dies auch
nicht gethan haben, wenn der Ruf nach Heidel
berg,
von welchem in diesen Tagen die Kunde
zu uns kam,
an ihn
gelangt wäre.
Denn er
kannte und würdigte die vielen Gründe vollkom
men, die ihn zum Hierbleiben bestimmen mußten. DaS Vertrauen seiner Behörden, die Liebe und
Achtung aller Amtsgenossen, welche ihn kannten, und die Zuneigung seiner Zuhörer,
von denen
viele ihm noch in seinen letzten Tagen rührende Beweise der Anhänglichkeit gegeben haben, mach ten ihm seinen hiesigen Wirkungskreis angenehm
und lieb
und er dachte nicht an einen Wechsel
desselben.
Nur unfreiwillig schied er von uns,
nachdem wir ihn bloß 5 Jahre besessen hatten. Aus dem angedeuteten Bildungsgänge unsers
scheidenden
Freundes
erklärt
sich
sein
ganzes
9 Schaffen und Leisten.
Schon in früher Jugend
von dem gelehrten Vater zu den edlen Geistern Athens und Rom's
geführt, von da an lebend
und webend in der Wissenschaft der alten Spra chen und als Mann ausgerüstet mit einer um fassenden und tiefen Sprachgelehrsamkeit, mußte
Fritzsche als Theolog sich vornämlich zur Schrift auslegung hingezogen fühlen und sie ist auch das
Gebiet, aus welchem er so Treffliches geleistet und mit so großem Erfolge gewirkt hat; sie ist
das Gebiet, wo
sein Name
glänzt und noch glänzen wird, beine
sich
bloß
wenn seine Ge
mit der Erde
werden ver
Diesen Ruhm hat
er sich nicht
längst
mischt haben.
unter den ersten
gestiftet in dem bestochenen Munde
des
Freundes ; ihn erkennen alle Kundigen einstimmig
an und auch die Widersacher leugnen ihn nicht. Mit dieser gründlichen Sprachgelehrsamkeit aber
vereinigte Fritzsche einen reichen Schatz ander
weitiger, vornämlich theologischer Kenntnisse und sie waren bei ihm ein wohlverarbeitetes und kla res Ganzes,
welches verbunden mit Gedanken
reichthum ihn zu einem ausgezeichneten Gottes
gelehrten machte.
10 Vermöge jenes Bildungsganges und dieser
unausgesetzten Forschung in der heiligen Schrift konnte Fritzsche nur zu der theologischen An
sichtsweise und
Richtung gelangen,
würdig und fruchtbringend wurde;
von
welche so
ihm vertreten
er konnte nur ein Theolog des Fort
schritts im besten Sinne des Wortes sein.
Und
er hat dieser hochheiligen Gerechtsame der Mensch
heit als Schriftsteller wie als akademischer Lebrer mit unwandelbarer Treue gedient, so lange er
gewirkt hat.
Er schloß sich nicht ab gegen das
Neue, wie es jede Zeit aus ihrem Schooße ge biert,
sondern war ihm zugänglich und immer
bereit, es mit dem Alten zu vertauschen, wenn es sich als besser erwies und sich bewährte;
er
blieb als ein ächter Vertheidiger des Lichts immer
in Einklang mit der unaufhaltsam fortschreitenden Zeit und half redlich mitarbeiten an der religiös
sittlichen Weiterführung der Menschheit.
Aber
es galt ihm freilich nicht Jedes als Fortschritt,
was
als solchen sich angibt und geltend macht
und eö war ihm nicht alles Neue auch Besseres; es galt ihm nicht als Fortschritt zum Besseren,
wenn auch die zuverlässigsten Wahrheiten, die so lange gelten werden, als es Menschen geben
11 wird,
in Zweifel gestellt
sollten;
und beseitigt werden
vielmehr was der unverworrene Men
schengeist als wahr und recht anerkennt und was
jedem gesunden Menschenherzen gewiß und heilig ist, das war auch in seinem Innern ein unan tastbares, ein unerschütterliches Heiligthum, wel
ches kein Wind der Zeit fortzuwehen und keine Kunst der Rede wegzureden vermochte.
Er war
ein Mann des Fortschrittes, welcher in der Ge
diegenheit der Kenntnisse und in der
Festigkeit
des Innern einen sichern Grund hat und sich
darum nicht in's Bodenlose verirrt. Wie groß aber- der Verlust auch ist, den die
theologische Wissenschaft und damit unsre Kirche
durch diesen Tod erleidet : größer noch ist der
Verlust, der
unsre Hochschule trifft;
liert in
einen
ihrer vorzüglichsten Lehrer
eine Lücke
erhalten, von welcher sich
und
hat
ihm
nicht absehen werden soll.
läßt, Denn
wie sie
sie ver
wieder ausgefüllt
Fritzsche besaß nicht nur
einen reichen Schatz gelehrter Kenntnisse, sondern
er hatte auch in seltenem Grade die Gabe, des
umfassenden Stoffes immer Meister zu bleiben, die Gabe, in dem weiten Umfange des Stoffes bei seiner Behandlung nicht vom Wege abzu-
12 irren und
nicht von der Masse überwältigt zu
werden, sondern das Gewußte scharf auseinander zu setzen und klar darzutegen,
die Gabe,
Gegenstand immer sicher zu beherrschen,
umfangreich er auch war.
den
wie
Hielt er bei manchen
Dingen mit kurzen Entscheidungen mehr an sich,
als die schnelle Wißbegierde und Raschheit des jugendlichen Geistes wohl wünschen mochte,
so
war der Grund davon die Ansicht, daß der Leh
rende nicht maßgebend seyn soll für den Lernen den;
ihm lag vor allem daran,
mit der Sache
nach ihren verschiedenen Seiten sorgfältig und
genau bekannt zu machen und er verlangte dann, daß auf Grund gewonnener
Sachkenntniß
jeder selbstständig seine Ansicht bildete
und
sich ge
Schon jene herrliche Gabe der Geistes
staltete.
klarheit sicherte ihm einen hohen Ehrenplatz unter
den Lehrern unsrer Hochschule.
Mit ihr aber
verband er noch die Lebendigkeit des Geistes und
das rege Interesse an der Sache,
welches seine
Vorträge ansprechend machte und für ihre Ge
genstände weckte.
in den Lernbegierigen Lust und Liebe
Fürwahr, das
Scheiden
eines solchen
Lehrers ist ein harter Verlust, der die Jünger der Wissenschaft an unsrer Hochschule trifft.
13 Gleich viel aber verlieren wir, theure Amts-
genossen, und
Entschlafene
denen der
Freund war.
bloß den
näher stand
Wir beklagen
heute
nicht
Verlust des ruhmbedeckten Gelehrten
und ausgezeichneten Lehrers, wir beklagen auch, was mehr ist, den Verlust eines edlen Menschen,
nahe stand, den Verlust eines guten
der uns
Amtsgenossen,
unser
der
Fritzsche, war
ein
Freund
guter und
war.
Ja,
edler Mensch!
Wie scharf und schonungslos er sich vernehmen
ließ, wenn es galt, einem Verdunkler des LichtS entgegen zu treten oder die Ungründlichkeit und
Oberflächlichkeit, der er von Herzen abhold war,
auszudecken :
im Umgänge konnte man in dem
zuvorkommenden,
freundlichen
und
gefälligen
Manne, in dem Manne feiner Sitte, nicht jenen Schriftsteller erkennen,
welcher es sich zur Auf
gabe gesetzt hatte, das entschieden und scharf zu bestreiten, derblich
was er als falsch, verkehrt und ver
erkannt hatte.
man dies,
Noch weniger konnte
wenn man ihm näher trat und in
die Tiefen seines Herzens und Sinnes blickte;
da erkannte man in ihm bald den Mann der
ehrenhaftesten Gesinnung zensgute und bald
und der reinsten Her
war man durch das Band
14 der Achtung und Liebe an ihn gefesselt,
ein
Band, welches immer fester wurde, je mehr er
durch freundliche Theilnahme, Verträglichkeit und
Friedfertigkeit bewies, wie hoch er Zuneigung
und Freundschaft zu halten wisse und wie lebhaft und innig er sich bewußt sei, daß unter Amtsgenossen, welche das Evangelium der Liebe und
deS Friedens zu lehren haben,
Friede herrschen soll.
auch Liebe und
Ja, er war ein GotteS-
gelehrter, welcher nicht bloß Gottes Willen kannte und lehrte, sondern ihn auch befolgte und so,
waS die Hauptsache ist, seine Wissenschaft im Leben bewährte.
Darum brauchte er auch, wie
er ein Mann deS Lichtes war, mit seinem Thun
das Licht nicht zu scheuen; denn seine Werke waren in Gott gethan.
Mit diesem Bewußtsein
beschloß er auch sein Leben.
Als ob
er noch
eine aus ihn passende Grabschrift sich auswählen
und bestimmen wollte, war sein letztes Werk aus
dieser Erde die Erklärung der schönen Stelle im Johannesevangelium :
Wer die Wahrheit
thut, der kommt an das Licht, daß seine Werke offenbar werden;
in Gott gethan.
denn sie sind
Mit der Erfassung dieser evangelischen Stelle ist der Theure nun entschlafen und hinüberge
gangen in das Land des Lichtes und der Wahr
heit, um vor Gottes Richterstuhl zu treten und,
wir hoffen es, den Ausspruch zu vernehmen, daß auch seine Werke in Gott gethan waren.
Wir
aber rufen Friede über seinem Grabe und gelo ben , daß
uns das Andenken dieses Gerechten
theuer und heilig sein soll, bis auch wir hinüber
gehen in die Wohnungen des Friedens.