Friedrich Carl von Savigny: Ein Beitrag zu seiner Würdigung [Sonderdruck. Reprint 2016 ed.] 9783111691701, 9783111304199


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Ein Beitrag zu seiner Würdigung
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Friedrich Carl von Savigny: Ein Beitrag zu seiner Würdigung [Sonderdruck. Reprint 2016 ed.]
 9783111691701, 9783111304199

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Friedrich Carl von Savigny.

Ein Beitrag zu seiner Würdigung

von

Dr. R. S tin h in g .

Besonder- abgedruckt aus dem neunten Bande der Preußischen Jahrbücher.

Berl i n. Druck und Verlag von G e o r g R e im e r .

1862.

^ 2y e m Wunsche des H e rrn Herausgebers gern entsprechend, habe ich fü r die „Preußischen Jahrbücher"

eine D arstellung von

S a v ig n h 's Wesen und W irken geliefert, w e il ich es fü r verdienst­ lich halte, auch den nicht-juristischen Kreisen in E rin n e ru n g zu b rin ­ gen, was w ir

an dem Verstorbenen besessen haben.

Fachgenossen werden die nachfolgenden B lä tte r

F ü r meine

vielleicht nicht viel

Neues enthalten; je getreuer dieselben aber das in ihnen lebende B ild des großen M eisters abspiegeln, desto w illkom m ner, hoffe ich, werden sie ihnen sein, trotz mancher fühlbaren Lücke. Erlangen, im J a n u a r

1862. D e r V e rfa s s e r.

3 m t Ja h re 1803 erschien: „D as Recht des Besitzes. Eine civi­ listische Abhandlung von D r. F rie d ric h C a r l von S a v ig n h ." M an wußte im juristischen Publicum von dem Verfasser nicht viel mehr, als daß er vor drei Jahren seine Doctor-Dissertation „de concursu delictorum formali“ geschrieben habe, und jetzt akademischer Lehrer zu M arburg sei. Auch dies Werk selbst gab über die Person, Stellung, Rich­ tung und Vorbildung des Verfassers keine einleitenden Nachrichten. I n nüchternster Weise begann die erste Seite mit der „Quellenkunde," an die sich ein literargeschichtlicher Abriß schloß; und das einzige W ort vorläufiger Verständigung, welches dem Leser gegönnt wurde, war im Beginn der eigentlichen Abhandlung die ironische Bemerkung: daß der Verfasser sich leicht der herkömmlichen Klagen über die Schwierigkeiten des Gegenstandes und eines Beweises derselben im Anfange des Buchs enthalte, daß es da­ gegen schwerer sein werde, in keinem folgenden Punkte der Untersuchung durch die Darstellung daran zu erinnern. Ganz gegen die herkömmliche M anier der breiten Vorerinnerungen, stellte sich also dies Buch unmittelbar dem kritischen Urtheile dar; und wer wissen wollte, mit welchem M ann er es zu thun habe, war lediglich an sein Werk selber gewiesen. E s wird wohl kaum ein zweites Beispiel geben von einer Aufnahme, wie sie dies Erstlingswerk in der juristischen Literatur fand. S ta tt aller anderen Stimmen möge hier das Urtheil stehen, welches T h ib a u t in der Allgemeinen Literaturzeitung von 1804 (N r. 41) abgab. „S eit langer Zeit hat Recensent keine juristische Schrift mit einem so lebhaften, immer wachsenden Interesse studirt, als das vorliegende geistvolle Werk. D er 1

Verfasser, welcher schon durch diesen Versuch daS Recht erworben hat, m it unseren ersten Civilisten in eine Reihe zu treten, vereinigt in sich A lles, was zur glücklichen Bearbeitung des Rechts erforderlich ist, einen seltenen, im m er gleichen, immer wachen S charfsinn, und Leichtigkeit im

eine glückliche Gewandtheit

Auffassen und Darstellen der schwierigsten B egriffe,

ächte, tief eindringende Gelehrsamkeit, verbunden m it durchgehender Eigen­ thümlichkeit, — m it Einem W orte A lle s , was der Eigensinn des Schick­ sals in seinem ganzen Umfange n u r Wenigen zu verleihen Pflegt.

Das

W erk gewährt daher einen Genuß und eine Befriedigung, deren man sich selten bei der Lectüre juristischer Schriften zu erfreuen hat." D ie s U rth e il eines M annes, welcher schon damals neben G lü c k , H a u b o ld und H u g o unbestritten zu den ersten Civilisten gerechnet wurde, der überdies im vorhergehenden J a h re in einer eignen S c h rift denselben Gegenstand behandelt hatte, zeigt uns, welche Erw artungen an das Wirken des damals vierundzwanzigjährigen VerfafferS gleich bet seinem Auftreten geknüpft wurden. In

der T h a t datiren w ir eine neue Epoche in der Jurisprudenz von

diesem Werke, dessen R uhm , wie kaum jemals ein anderes, der strengen Fachwissenschaft angehöriges, sich auch in solche Kreise, die ih r sonst fern stehen, weit verbreitet hat. die

Denn fast jeder Gebildete in Deutschland, der

glänzenden Zeiten S avigny'S aus eignem Erlebnisse oder m ittelbar

durch Erzählung kennt, w ird uns sagen können, daß sein Name sich an dies Werk anknüpft. Und doch, wenn w ir der Sache näher treten, und fragen, was denn eigentlich das Große w ar, das hier der W e lt geboten wurde; w o rin denn eigentlich die M acht dieser neuen Erscheinung begründet la g : so ergiebt sich uns die A n tw o rt nicht auf den ersten Blick von selbst.

Auch ist es

üblich geworden, die Frage m it einem H inw eis auf die Vollendung der F o rm und auf die geistreiche A r t der Behandlung abzuthun: obwohl doch diese beiden Eigenschaften a l l e i n

noch niemals

einem wissenschaftlichen

Werke einen epochemachenden E influß gesichert haben. ES w ar nicht etwa eine neue Id e e , welche m it diesem Werke weithin zündend und leuchtend in die W e lt geschleudert wurde.

Beschränkte eö sich

doch auf die Untersuchung einer einzelnen, trotz ihrer großen Wichtigkeit nicht einmal eigentlich fundamentalen Lehre des Römischen Rechts. Auch ward hier nicht mit kecker Hand ein S treit vom Zaune gebrochen, der ein verjährtes Vorurtheil über die Grundlagen der Rechtswissenschaft erschüt­ terte. Die Schrift hielt sich streng an ihren speciellen Stoff; die Pole­ mik war gemäßigt und nur ein untergeordneter Theil; und selbst die M e­ thode, welche sich in diesem Werke darlegte, war hier nicht zum ersten M ale vertreten. W ir müssen, um uns seine historische Bedeutung klar zu machen, un­ sere Blicke um ein gutes Iahrzehent rückwärts wenden. Hier treffen wir nun G u stav H ugo, geboren 1764, seit 1788 D r. jur. und Professor zu Güttingen, in einer lebhaften literarischen Fehde, welche er vorzugsweise in den Göttinger Gelehrten Anzeigen und in seinem 1790 begründeten Civilistischen Magazin führte. Indem er den Plan dieses Journals dar­ legte, sprach er sein Glaubensbekenntniß mit dürren Worten dahin aus: „S eit wenigstens fünfzig Jahren hat das civilistische Studium im Ganzen gar keine Fortschritte gemacht; es ist im Gegentheil gesunken." (Civ.Magaz. Bd. 1 S . 10.) Und diese Behauptung durfte er eine anerkannte That­ sache, der Niemand widersprechen werde, nennen; ja er konnte sich zum Zeugniß dafür, wie weit verbreitet diese Ueberzeugung sei, auf die Worte K. 8. R e in h o ld 'S berufen, der in seinem „Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens" (1789) urtheilte, daß die posi­ tive Jurisprudenz hinter den übrigen Wissenschaften in Barbarei zurück­ geblieben sei. N ur über den Grund des Uebels und seine Heilung hätten sich der Philosoph und der Jurist schwerlich ganz verständigt. Zwar konnten sie darin Übereinstimmen, daß der Einfluß der herabgekommenen Naturrechts­ lehre einen großen Theil der Schuld trage: allein der Jurist durfte nicht zugeben, daß mit der Herrschaft der kritischen Philosophie der Rechtswis­ senschaft geholfen sei. Denn von dem systematischen Erkennen der letzten Gründe des Rechts ist doch immer nur zu einer kleinen Zahl einzelner bestimmter Sätze auf synthetischem Wege zu gelangen — und die Erkennt­ niß de- positiven Rechts hat davon nur einen mittelbaren Vortheil. 1 *

Ein geistvoller Praktiker, Johann Georg Schlosser, sagte von je­ ner Zeit (1790): „die Juristen haben sich eine gewisse Concordanz von Rö­ mischen, kanonischen und statutarischen Gesetzen, und von Responsis, Consiliis, Meinungen, Thesen u. bergt, in den Kopf gebracht, die sie auf alle

Fälle anwenden, sie mögen sich hinschicken oder nicht." M it diesen Worten ist auf das Grundübel jener Zeiten hingewiesen.

Unser positives Recht

in Deutschland ist bekanntlich ein Conglomerat der heterogensten Elemente, das zwar unter dem Hammer der Zeiten zu einer A rt von Einheit zu­ sammengeschweißt, aber nicht zu einem vollen Organismus verwachsen ist. Auch ist z. B. die Herrschaft des deutschen und römischen Elements nicht etwa durch räumliche Grenzen, oder nach den Gegenständen unterschieden, sondern sie stoßen sich oft hart im Raume, und wie weit dem einen oder andern die Geltung zuzugestehen ist, das läßt sich nur entscheiden, nachdem man genau den Rechtssatz in seinen Gründen und Folgen scharf erkannt hat. Aber nicht blos, daß Deutsches und Römisches Recht einander gegen­ überstehen: zwischen beiden liegt noch mitten tone, breit hingelagert, das Corpus Juris Canonici; und was wir mit glattem und einfachem Worte

als deutsch und römisch bezeichnen, das birgt in sich selber die bunteste Mannichfaltigkeit, und ist uns selber größtentheilS als ein mehr oder min­ der zufälliges Aggregat von Resten deS Rechts verschiedener Zeiten über­ liefert.

Nur wenn es gelingt, darüber Klarheit zu erringen, was von

diesen verschiedenen Theilen noch Lebensfähigkeit hat, was abgestorben oder durch neue Rechtsgrundsätze verdrängt ist, läßt sich mit diesem Rechte le­ ben; nur dann auch ein wissenschaftliches Ganze Herstellen, dem objective Wahrheit zukommt. Die hierzu erforderliche historisch-kritische Befähigung aber war der Jurisprudenz fast gänzlich abhanden gekommen.

An umfassender Gelehr­

samkeit zwar fehlte es nicht; allein sie trug den Charakter eines todten Schatzes, von dem der Besitzer keine bessere Anwendung kennt, als sich selbst an ihm zu behagen und ihn vor Anderen glänzen zu lassen.

Sie

war ein Erbstück der kurz vorangegangene» Zeiten der B öhm er, Sen« ckenberg, HeinecciuS u. A.

Aber auch von diesen urtheilt der wür­

dige Joh. Jac. M oser in seinem 1739 erschienenen Lexicon der jetzt

lebenden Rechtsgelehrten:

„W e n n

ich alle in

bloße Gelehrsamkeit ver­

liebte deutsche Rechtsgelehrte zusammennehme, kommen sie m ir als ein prächtiges und schön unter einander spielendes Feuerwerk fü r ; gleich wie aber bei manchem einzelnen Pfund gemeiner Lichter viel mehr Gutes vor das gemeine Beste gearbeitet w ird , als ein ganzes Feuerwerk Nutzen schafft, so ist es auch m it jenen."

Ueber den E influß dieser M ä nner, welche trotz

des M ose r'fch e n U rtheils ächt wissenschaftliche Verdienste um die Quellen­ kunde haben, hatte das Heer der sogenannten Praktiker unter Führung der S t r y c k , L e y s e r, C o c c e ji, w ohl eben deshalb den S ieg davongetragen, w eil die Gelehrsamkeit jener n u r ein „b rilla n te s Feuerwerk" gewesen w ar und daher den Namen der „ e le g a n te n J u r i s p r u d e n z , " den sie sich selber gern beilegte, in einem ganz besonderen S in n e verdient hatte.

Jetzt

führte die Herrschaft in Theorie und P ra xis der sogenannte Usus mo­

dernus Pandectarum, w om it ungefähr dasjenige bezeichnet werden sollte, was man in neuester Z e it Heutiges Römisches Recht zu nennen pflegt. Es ist im Ganzen gegen diesen B e g riff nichts einzuwenden: denn in der T h a t ist das Römische Recht, wie es bei uns g ilt, zu. Justinian'S Zeiten w ar.

ein anderes, als eS

N u r w ird es sich im Einzelnen im m er erst

sehr ernstlich fragen, in welcher Weise man sich das V erhältniß zwischen uns und Ju stin ia n zurechtlegt. B o r Allem ist daher nothwendig, daß man einmal klar und scharf erkenne, was denn eigentlich Justinianisches Recht fei.

S ta tt dessen nun

aber bot der damalige Usus modernus ein Chaos von Sätzen und V o r­ stellungen, welche dem Römischen und Kanonischen Rechte, dem älteren Deutschen Rechte und neueren Landes- und Reichsgesetzen entlehnt waren; in dem somit kein einziger Rechtsbegriff in seiner ursprünglichen Gestalt zum Bewußtsein kam, und daher auch nicht hervortrat, wie und warum er seinerseits m od ificirt w ar, oder etwa auf andere modificirend wirkte.

Ueber

das Ganze w ar dann aber, um ihm den Anstrich eines Systems zu geben, ein dem Naturrecht entlehnter Schematismus geworfen.

Denn in Alles

hinein spielte der von ThomasiuS und Puffendorf auf die Jurisprudenz applicirte R ationalism us, unter Beimischung Wolf'scher A ufklärung, nach deren Anschauung sich das Beste vom Positiven von selbst verstand und

schon auS allgemeinen Vernunftgründen sich beweisen lassen mußte. Daß durch die Betrachtung unter diesen rein subjektiven, und daher willkürlichen Gesichtspunkten man sich selbst der Fähigkeit beraubte, den Eigenthümlich­ keiten des Stoffs gerecht zu werden, merkte man nicht, und hielt es jeden­ falls für keinen erheblichen Nachtheil (vergl. Hugo, Gött. Anz. von 1789. S . 1105, 1665). H ugo erkannte es in seinen Recensionen (Gött. Anz. 1789. S . 1111) bereitwillig an, „daß die historischen Untersuchungen im Staatsrecht, die freiern Begriffe im Naturrecht, die Menschlichkeit in den Bestrafungen und die möglichst gelinden Grundsätze, welche die Völker gegen einander zu beobachten angefangen haben, wohl unstreitig auch in folgenden Jahrhunderten als Verdienste des achtzehnten" gelten würden; allein, fragte er: „hat die eigentliche Rechtsgelehrsamkeit, hat der Theil, worin nicht Historiker, Philosophen und Staatsmänner ebenso viel oder noch mehr gelten als die Juristen, hat der Theil, womit von diesen letzte­ ren die bei weitem Meisten sich beschäftigen — hat das C ivilrecht seit etwa fünfzig Jahren auch in dem Verhältniß gewonnen, in dem die Nach­ welt es verlangen kann, wenn sie unsere Hülfsmittel berechnet?" Die Antwort, welche er bei einer anderen Gelegenheit auf diese Frage ertheilt, haben wir schon berichtet. Und eine Bestätigung derselben in hand­ greiflichster Art boten die damals gesuchtesten und anerkanntesten Erschei­ nungen in der civilistischen Literatur, indem sie sich ohne alles Bedenken theils an die vor sechzig Jahren geschriebenen HeinecciuS'schen Institutio­ nen, theils an das im Jahre 1764 erschienene Pandekten - Compendium von H e llfe ld anlehnten. Eine Stagnation, ähnlich, wie um die Mitte des fünfzehnten Ja h r­ hunderts, war unverkennbar. Wie aber damals die Erfrischung der Gei­ ster von der A lte rth u m s Wissenschaft ausgegangen war, dann sich den anderen Disciplinen mitgetheilt hatte, so war auch jetzt ein mächtiger An­ stoß von eben daher gekommen durch F r. A. W olf. Aus der Bewegung aber, welche seitdem die übrigen Wissenschaften ergriffen, aus der Um­ gestaltung, welche bereits die Theologie, mit der die Jurisprudenz in der Geschichte parallel zu gehen Pflegt, durchgemacht hatte, zog Hugo (Gött. Anz. 1789. S . 1105) den prophetischen Schluß: daß auch dieser

eine Revolution bevorstehe, und daß die Juristen sie beschleunigen könn­ ten, wenn sie die Quellen und die Schicksale ihrer Wissenschaft so eifrig studirten, wie die bessern Theologen Exegese und Kirchengeschichte studirt hätten. Und Hugo war der Mann, um selbst Hand an'S Werk zu legen. W ir richten indeß unser Augenmerk vorzüglich auf seine Polemik, die jetzt sich zwei hervorragende Vertreter und Träger der herrschenden Methode zum Ziele wählte: H öpfner und Glück. H öpfner, dessen Person dem nicht juristischen Publicum durch Goethe'S in „Wahrheit und Dichtung" von ihm selbst erzählten Besuch in Gie­ ßen bekannter geworden ist, war damals schon von der akademischen Laufbahn abgetreten und lebte seit 1781 als Mitglied des Ober-Appellations-GerichtS in Darmstadt. Er hatte hier im Jahre 1783 seinen theoretisch-praktischen Commentar zu HeinecciuS' Jnstitutionen-Compendium herausgegeben, wel­ cher bald zum beliebtesten Lehrbuch wurde.

Es verdiente sein Ansehen

durch verständige Darstellung und ein lesbares Deutsch, sowie durch den bedeutenden Schatz gelehrter Kenntnisse, mit denen es gearbeitet war. Und eben seines wohlbegründeten Ansehens und Einflusses wegen war dies Werk der würdigste Gegenstand einer Polemik, die gegen eine ganze Zeitrichtung gekehrt war.

Hugo griff einzelne Abschnitte heraus, in denen Ansichten

vorgetragen wurden, welche damals allgemein herrschten — an deren gründ­ licher Unrichtigkeit sich aber am besten nachweisen ließ, zu welchen Verir­ rungen eine Methode führe, die sich selbst den Einblick in die Eigenthüm­ lichkeiten ihres Stoffs verschloß.

Es zeigte sich dies am deutlichsten an

rechtsgeschichtlichen Gegenständen, die in diesem Werke nach der gewöhnli­ chen Art nebenher, als elegante Zugabe zum Praktischen, abgehandelt waren. Da wird denn z. B. berichtet, daß die „res nec mancipi weder in dominio quiritario, noch bonitario“ gewesen seien.

„Der Prätor, heißt es

ferner, habe vielen Personen ein Erbrecht gegeben, welche es nach den Civilgesetzen nicht hatten.

Weil er nun dazu wirklich nicht berechtigt war,

so habe er sich hinter ein Wort versteckt, oder auch sein gesetzwidriges Verfahren dadurch einigermaaßen zu maskiren gesucht, daß er auch solchen Personen bonorum possessio versprach, welchen ein Erbrecht nach den

Civilgesetzen zustand." (C ivilist. M agazin I . S . 2 2 4 ,2 5 7 , Höpfner, Com­ mentar lte AuSg. §. 2 8 8 .6 5 5 .6 6 3 .) G lü c k gab damals (1 7 8 9 ) den ersten Band seines Pandekten-CommentarS heraus, nachdem er sich schon durch manche literarische Arbeiten einen sehr angesehenen Namen erworben hatte. Recension (G ött. gel. Anz. 1790. S . 166 ff.):

H ugo

erklärte in einer

„e r bedaure aufrichtig, daß

ein S chriftsteller, der fü r das bessere S tu d iu m so viel thun könnte, die Heerstraße der theoretisch-praktischen Commentare über elende Compendien einschlage.

E in solches Buch werde schon längst in keiner anderen W is­

senschaft mehr geschrieben; zum Unterricht sei es viel zu w eitläuftig und unsystematisch, zum Nachlesen ganz unbequem, fü r Gelehrte zu durchwäs­ sert, fü r Anfänger viel zu gelehrt." E tw as

empfindlich antwortete hierauf G lü c k in

2ten T h e il (1 7 9 1 ) :

der Borrede zum

„Feindselig oder vielleicht n u r unüberlegt w a r zwar

der A n fa ll, m it welchem ein von dieser Seite schon bekannter Göttingischer Recensent das Werk in seinem ersten Keime zu ersticken wagte; allein der verächtliche B lick, m it welchem das entscheidende Publicum lächelnd auf diesen dem jugendlichen A lte r eines M annes von Genie leicht zu verzei­ henden S c h ritt herabsähe, ist fü r mich die ehrenvollste Genugthuung." Diese Entgegnung rie f nun eine Replik hervor, m it welcher H u g o in w eit ernsterer A r t dem Werke zu Leibe ging.

E r erklärte: das ganze

Werk tauge nichts, so lange nicht bestimmt sei, welche M aterien hineinge­ nommen werden sollten und welche nicht — und so lange ferner die T i ­ telfolge der Pandekten beibehalten werde.

D ie höchst schwankende Unbe­

stimmtheit des P la n s müsse' Jedem auffallen, der sich nicht gewöhnt habe, gar nicht mehr nach Gründen zu fragen, sobald etwas in der Methode n u r dem Herkommen gemäß sei.

Altes und neues Recht, jus publicum

und privatum seien hier in gewohnter Weise durcheinander geworfen — und der ganze P la n sei blos durch Z u fa ll und Schlendrian, gar nicht m it Absicht und Ueberlegung entstanden.

B e i dieser P la n - und Shstemlosig-

keit bezeichnete eö H u g o als wahrscheinlich, daß das auf sechs Bände an­ gelegte Werk zu mehr als zwanzig anwachsen werde (G ö tt. Anz. J a h rg . v. 1790. S . 1 6 8 .1 7 8 5 . — J a h rg . v. 1791. S . 1209).

Und wie richtig er

geurtheilt h at, zeigt der E rfo lg :

es ist unter den Händen des zweiten

Fortsetzers nach mehr als sechSzig J a h re n bis zu fünfundvierzig Bänden angewachsen und immer n u r noch zu drei V ie rte ln vollendet! Eigenthümlich genug ist eS, daß dieses W erk die Zeiten der U m wäl­ zung in der Jurisprudenz überdauert hat und fortwährend in einer gewis­ sen Achtung und G eltung geblieben ist.

Seine Autoren haben m it ruhigem

Fleiße still daran und emsig fortgearbeitet, und es ist den Praktikern ein fast unentbehrliches Buch geworden — bis in die jüngsten Zeiten.

Der

G rund ist w ohl kein anderer, als daß man allgemein anerkannte, wie die­ ses Werk, trotz aller wissenschaftlichen Schwächen, eine m it treuestem Fleiße gearbeitete S am m lung der juristischen S tre itfra g e n , eine sorgfältige Com­ pila tio n der älteren L ite ra tu r enthalte — und daher in allen Fällen, wo es praktisches oder theoretisches B edürfniß ist, ein reiches M a te ria l bequem beisammen zu haben, außerordentlich brauchbar sei. Vollkommen berechtigt w a r aber demungeachtet die Hugo'sche Pole­ mik.

W ir vermögen das Glück'sche Werk anzuerkennen und zu schätzen,

trotz seiner M ä n g e l, w eil es als ein einzelnes aus einer früheren Z e it übrig geblieben ist, während die gesammte übrige L ite ra tu r andere Bahnen eingeschlagen hat.

H u g o dagegen sah die ganze Wissenschaft um sich her

unter der Methode kranken, welche in diesem neuen, so breit angelegten und auf ehrenwerther Gelehrsamkeit ruhenden Werke eine neue Stütze zu bekommen drohte.

H ie r galt eS nUn freilich- jeder neuen Lieferung ent­

gegenzutreten und — wie H u g o einmal s a g t— Beispiele, an einem großen, ten Buche

reifen

„a n einem auffallenden

und zu längerer D auer bestimm­

eines geschätzten Schriftstellers

zu zeigen,

welche Freiheiten

sich manche H erren, im Zutrauen auf ihre einmal verjährte Methode zu güte halten" — indem sie nämlich eine Menge von halbwahren mißver­ standenen Sätzen ohne kritische Sonderung nach vorgefaßten Anschauungen und durch Vermischung fremdartiger Vorstellungen fü r R ö m is c h e s Recht ausgeben.

D em

gegenüber v e rtra t nun H u g o die vor ihm (nach dem

Vorgänge H a b e r n ic k e l's ) sogenannte „h is to ris c h -s y s te m a tis c h e M e ­ th o d e "

und verkündete zu Anfang seines Civilistischen M agazins, „daß

er von ihren Vorzügen so oft und so stark sprechen wolle, als er n u r

könne." Z u r Charakteristik seiner M ethode, w oraus w ir zugleich ihre nahe Beziehung zur Philologie erkennen, mag aber besonders angeführt werden, w as er über ihren Namen sagt. M an könnte, meint er, sie auch die exe­ getische M ethode nennen: aber dies sei schon in dem W orte „historisch" begriffen. „D er S in n von W örtern und Redensarten soll nicht mehr philosophisch bestimmt werden, wie wenn man die Sprache und die W is­ senschaft erst schaffen wollte, sondern h isto risc h nach dem, w as die Römer sich dabei dachten. W ar die römische Sprache eigensinnig, verband sie ver­ schiedene Begriffe unter ein W o rt, trennte sie sehr ähnliche unter zwei und m ehrere, so berechtigt uns dies nicht, eine runde Definition willkür­ lich oder doch nur ohngefähr zu bilden und diese da unterzuschieben, wo das W ort vorkommt." Dieser S atz enthält die Quintessenz der H ugo'schen Richtung und Thätigkeit. S ie ist überall auf eine strenge kritisch-exegetische Erforschung deö E in z e ln e n , eine klare Sonderung der Begriffe, und, im Zusammen­ hang dam it, auf eine genaue Feststellung der römischen Terminologie ge­ richtet. H ier konnten denn auch die Erfolge im Einzelnen nicht fehlen. M an sieht, wie ihm in den von ihm angegriffenen Punkten das Feld ge­ räum t wird, wie sich die Stim m en für das S tud iu m des „Reinen Römischen Rechts," wie man es nennt, mehren, wie H u g o selbst in Ansehn und Ach­ tung steigt, und sogar zu seinen literarischen Gegnern in freundliche Beziehung tritt. B ei alle D em aber blieb sein Einfluß ein beschränkter. D enn seine K raft w ar mehr geschaffen, um unm ittelbar auf das Nächstliegende und Kleine zu wirken, als G roßes neu zu gestalten. E r hatte daher Erfolge als gefürchteter und geachteter Recensent, als anregender, geistreicher Leh­ re r, als gründlicher, scharfsinniger Forscher, der m it genialem Blick in dunkle Einzelheiten der Wissenschaft schaute. Allein es w ar ihm nicht gegeben, zur Anschauung und Geltung zu bringen, daß in ihm ein w e­ se n tlic h n e u e r , t i e f e r e r G e ist wissenschaftlichen StrebenS wirke und schaffe. W er bereit w ar von den älteren G elehrten, seine Verdienste an­ zuerkennen, hielt sie doch immer nur für Leistungen, die sich m it der bis­ herigen A rt und Weise recht wohl vertrugen: denn um richtiges Verständ­ niß der Einzelheiten des Rechts w ar eS ja auch seinen ehrenwerthen Gegnern

zu thun. W as er aber Allgemeines über die Methode sagte und schrieb, das schien theils nicht abweichend von dem, was man selber wollte — denn sorgfältige Exegese achtete man ja allgemein als nothwendig; theils nicht erheblich für die eigentliche Wissenschaft, da er ja selbst seine systematische Methode nur für Lehrbücher verwerthete; theils endlich von zweifelhaftem W erth, denn sichere Erfolge waren noch nicht aufzuweisen, und die Lehr­ bücher Hugo's selber waren so dürftig ausgeführt, so sehr auf die E r­ gänzung durch seinen mündlichen Bortrag berechnet, daß sie als Bücher für Andere kaum genießbar sind. Als H ö p fn e r und H ugo ihren Frie­ den gemacht hatten und selbst in freundschaftlichen Briefwechsel getreten waren, schrieb ihm jener u. A.: „Für jetzt bin ich noch ein orthodoxer Jurist und hänge am Alten, so lange ich nicht die Nothwendigkeit einer Neuerung ganz evident vor Augen sehe. Daß man auf dem bisherigen Wege ein gründlicher Jurist werden konnte, ist nicht zu leugnen. Daß dies sich leichter oder in höherem Grade auf dem von Ihnen vorgezeich­ neten erreichen lasse, davon bin ich noch nicht überzeugt." Und später: „D u gehst zur Rechten, ich gehe zur Linken — eS soll nicht Zank zwischen uns sein. Also scheidete sich ein Bruder von dem andern. 1. B. Mos." (Civil. M ag. Bd. 3 S . 81,90.) — S o ungefähr standen die Sachen noch manches J a h r nach H öpfn e r's Tode, als S a v ig n y 'sB u c h erschien, und, um es mit Einem Worte zu sagen, in ein er v o lle n d e te n T h a t o ffe n b a rte , was bisher nur mit Worten als Ziel des StrebenS in allgemeinen Umrissen bezeichnet wor­ den war. Schon der erste, selbst nur flüchtige Blick in dieses Werk ließ erken­ nen, daß hier ein neuer, der Jurisprudenz bisher fremder Geist, Körper gewonnen habe. Denn es herrschte darin eine Feinheit und Anmuth des Ausdruckes, welche man bisher fast für unverträglich mit juristischen Fragen gehalten hatte. Nur etwa in T h ib a u t's 1798 erschienenen „Ver­ suchen" hatte man schon eine Besserung wahrnehmen können; H u g o , so gern und kräftig er den pedantischen Zopfstil seiner Collegen geißelte, hat es doch selber niemals zu einem edlen, fließenden Ausdruck der Gedanken gebracht. S a v ig n h 'S Behandlung der Sprache aber zeigte, daß auch

für die Juristen die große Umgestaltung der deutschen Rede stattgefunden habe, in welcher sie, wie F . C. S c h lo s s e r es ausdrückt, „ G ö th e sanft wie einen Hauch gemacht h at, nachdem sie durch L essin g ernst, kräftig und edel geworden w ar." E s liegt in dieser Thatsache m ehr, als auf den ersten Blick scheint. G u t schreiben und reden zu können, mag Sache der formalen Uebung sein. W er aber einen seiner N atu r nach harten und dürren S toff in edler und schöner Form behandeln kann, der hat vorher den eignen Geist m it der edelsten N ahrung zu solcher K raft und Fülle heranbilden müssen, daß er nun diesem S to ffe, ihn unbedingt beherrschend, den Stem pel der eignen Persönlichkeit aufzudrücken vermochte. D aß es hier so stand, daß man es nicht blos m it einem Ju risten ersten R anges, sondern m it einem von G rund aus durchgebildeten Geiste zu thun habe, fühlte Je d e r: und dieser Eindruck ist es offenbar, dem T h i b a u t in seiner oben erwähnten Recension W orte lieh. W ill man sich diesen Eindruck, so weit eö uns Nachgebornen überhaupt möglich ist, ganz rein und kräftig vergegenwär­ tigen, so muß man die erste Auflage des Buches zur H and nehmen, in der daS W ort noch unverändert im frischen, jugendlichen Zuge strömt. D ie M itte l, welche H u g o zur Herbeiführung der von ihm prophe­ zeiten Revolution in der Jurisprudenz forderte: S tudium der Geschichte der eignen Wissenschaft und S tud iu m der Quellen in ihrer Reinheit, wa­ ren hier in vollem Umfange verwerthet. D a s Buch wies sich gleichsam selbst seinen historischen Platz an, indem es dam it begann, die lange Kette literarischer Leistungen darzulegen, welche zwischen ihm und dem ersten Wiedererwachen des Römischen Rechts zur Z eit der Glossatoren über dasselbe Them a zu Tage gefördert w aren; zugleich aber auch bei den einzelnen wichtigeren Fragen sein inneres V erhältniß zu der bisherigen Entwicklung des D ogm a rechtfertigte. D ie Neuheit und Frische der Anschauung zeigte, daß sie nicht aus den stagnirenden Süm pfen der herrschenden L iteratur, sondern unmittelbar aus reinster, ursprünglichster Q uelle geschöpft w ar. S o verrieth sie die A rt ihrer Entstehung, von welcher S a v i g n y später (Vorrede zur 4. Aufl. 1822) selbst erzählte, daß eine unm ittelbar aus den Q uellen ausgearbei-

tete Vorlesung über die letzten zehn Bücher der Pandelten (im I . 1801) seine Aufmerksamkeit vorzüglich auf die Lehre vom Besitz gelenkt und ihm die Ueberzeugung begründet habe, daß gerade hier die herrschen­ den Begriffe und M einungen aus den Quellen sehr berichtigt werden könnten. D ah er kommt denn der Verfasser auch zu einer ganz neuen und eigenthümlichen A rt der Fragstellung. W ährend man bisher gewohnt w ar, die juristische Bedeutung des Besitzes durch Aufzählung aller erdenklichen juristischen und factischen V ortheile, die einem Besitzer zu Gute kommen können, zu erklären, fragt S a v i g n y : welches sind die rechtlichen Folgen, welche nach der Anschauung der Röm er den Besitz als Bedingung vor­ aussetzen? Diese rechtliche Bedeutung, durch welche sich der juristische B e­ sitz von seiner natürlichen G rundlage, der bloßen Jnnehabung oder Detention, unterscheidet, ist „das Recht des Besitzes," nach welchem er forscht. D ie A ntwort auf seine Frage ergiebt sich ihm, indem er die systematische Gedankenfolge der Ju riste n , des prätorischen Edictö und der kaiserlichen Gesetzgebung anö unsern fragmentarischen Ueberlieferungen zu ermitteln sucht, dahin: daß als Wirkungen des reinen Besitzes nur die Usucapion des Civilrechts und der Schutz gegen S tö ru n g durch das prätorische Rechts­ m ittel der Jnterdicte anzusehen seien. N u r da, allein auch ü b e r a l l da, wo die eine oder andere W irkung anerkannt sei, erkenne das Römische Recht daS Dasein des juristischen Besitzes an. Um dies genauer nach­ zuweisen, wird die Terminologie untersucht und der Satz begründet, daß der Besitz, insofern er zur Usucapion, dem In stitu t des Civilrechts, diene, possessio civilis; insofern er den Jnterdictenschutz begründe, possessio schlechtweg heiße. D en Gegensatz zu Beiden bilde possessio naturalis, d. h. entweder blos die Negation des Usucapionsbesitzes — oder auch Negation des juristischen Besitzes überhaupt, unter Anerkennung deö natürlichen Z u ­ standes der Detention. D ie Untersuchung wendet sich dann zu der weitern F ra g e , w as denn nun die Voraussetzungen, die Elemente des juristischen Besitzes seien; wann also derjenige Zustand, nach Ansicht der Römer, vorhanden sei, welchen sie zur Voraussetzung der angegebenen Wirkungen machen: und dies führt auf die Frage vom Erwerb und Verlust des B e-

sitzeS, an welche sich später Untersuchungen über die Unterbiete und die „jurium“ quasi possessio anreihen.

Nachdem so auf G rundlage einer fundamentalen Quellenforschung die Anschauungen des Römischen Rechts in ihrer Reinheit festgestellt sind, er« hält daS Werk seinen Abschluß durch eine Betrachtung der Modificationen, welche daS Römische Recht in der neuen Gesetzgebung und P raxis erfah­ ren. Durch diese, jenen Zeiten ungewohnte, S trenge der Scheidung des Alten und Neuen ward es allein möglich, in Beides mit voller Klarheit zu blicken. H ier nun zeigte sich aber auch, wie M anches von Dem , was man für gültiges Recht gehalten, nichts sei, als ein M ißverständniß des Römischen; während allerdings Anderes als eine wohlbegründete F o rt­ entwicklung anerkannt werden mußte. S o m it lag denn nun ein mustergültiges Beispiel jener von H u g o gepredigten „historisch-systematischen" M ethode vor. D ie von ihm pro­ phezeite Revolution hatte m it dieser T h a t begonnen, und Niemand hegte darüber wohl größere Freude als H u g o selbst, wenn er ihr auch in seiner unbeholfenen und wunderlichen Weise nur einen sehr unvollkommtnen A us­ druck zu geben wußte. (G ött. Anz. 1804 S . 289 ff.) Doch ist die eigenthümliche Bedeutung des S a v ig n y 'sc h e u Werkes nicht erschöpfend bezeichnet, wenn w ir, wie bisher, dasselbe als eine V er­ wirklichung der H ugo'schen Wünsche betrachten. E s hat eine andere, gewöhnlich weniger beachtete Eigenschaft, durch die es die Grenzen des H ugo'schen M aaßes weit überschreitet, und gewiß nicht weniger epoche­ machend gewirkt h at: — es ist dies der gesunde und klare Blick, m it welchem der Verfasser d a s G e l e h r t e m i t d e m P r a k t i s c h e n v e r ­ s ö h n t , indem er in den juristischen Gedanken das rein Natürliche erkennt und aufweist. Am bedeutendsten tritt dies hervor in der Theorie vom Erwerb und Verlust des Besitzes. D ie Vorgänge, welche das Römische Recht als E r­ w erbsarten des Besitzes behandelt, hatte man sich zum Theil nicht anders als symbolisch zu deuten gewußt. S o sollte z. B . die Uebergabe der Schlüssel eines Hauses den Besitz der darin verschlossenen Sache deshalb bei dem E m ­ pfänger begründen, weil sie die Sache selbst im S ym bol darstellten. In d em

nun aber S a v i g n h das natürliche Element in dem juristischen Begriffe des Besitzerwerbs darlegte, und dessen Vorhandensein in den Thatsachen nach­ wies, welche das positive Recht als Erwerbshandlungen anerkannte, befreite er nicht n u r die Theorie von der nebelhaften Vorstellung symbolischer T ra ­ ditionen; sondern wies dieselbe auch auf einen Weg gesunder Reflexion über die N atu r der Sache, den sie fast ganz verloren hatte. Diese A rt der Betheiligung des praktischen Verstandes an der juristischen Argumentation tr a t hier an die S telle der üblichen Deductionen aus dem sogenannten N a­ turrechte. Eben weil es selten, und selbst dann nicht immer ohne Gew alt, gelingen wollte, die aus letzterem gewonnenen abstracten Sätze in Einklang zu bringen m it den Bestimmungen des positiven Rechts, so half man sich m it s c h e in b a re n Erklärungen, wie eine solche z. B . die Annahme einer symbolischen Bedeutung von Vorgängen ist, die einen ganz reellen, nur nicht aufgedeckten, S in n haben. Unter dem Einflüsse nüchterner Betrach­ tung der r e a l e n Verhältnisse aber hat sich das Römische Recht wirklich entwickelt — nicht unter der Herrschaft naturrechtlicher Theorien: und es ist daher begreiflich, wie wesentlich das Verständniß auf jenem angedeute­ ten Wege gefördert werden mußte. Andererseits indeß liegt in dieser S eite des S a v ig n h 'sc h e n W erks auch eine A b w e n d u n g v o n d e r p h i l o s o ­ phi s ch en B e h a n d l u n g d e s R e c h t s ausgesprochen, welche die Richtung der Folgezeit ebenso sehr charakterisirt, wie S a v i g n h selber. Wo er all­ gemeinere Fragen behandelt, da geschieht es nach einer gewissen unmittel­ baren Anschauung des Thatsächlichen und positiv Rechtlichen; zu selbstän­ diger Speculation bringt er es nicht — und daher darf man wohl diejenigen Theile als mißlungen bezeichnen, in denen ohne jene nicht zum Ziel zu kommen w ar (vgl. B ru n s, Recht des Besitzes. 1848. S . 411). B on dem wichtigen Einflüsse des geschilderten Werks ist es ein sichres, äußeres Zeichen, daß schon nach drei Jah ren eine neue Auflage nothwendig geworden w ar, deren dann noch vier weitere (in den Jah ren 1818, 1822, 1826 und 183 6) gefolgt sind. Ganz richtig ist gesagt worden (B run s, S . 410), daß die vielen Streitigkeiten über das Recht des Besitzes durch S a v i g n h keineSweges zu einer Lösung und Entscheidung gebracht seien: allein der ungeheuere Einfluß, den sein Werk geübt, beruht nicht nur dar-

auf, daß ein großer Theil seiner Ansichten in Theorie und P raxis dennoch den breitesten Eingang fanden; sondern vor Allem darauf, daß der S tre it über die von ihm behandelten Fragen nun erst recht lebendig — zugleich aber in die ihm von S a v ig n y angewiesenen Bahnen gelenkt wurde, von wo aus dann seine M ethode in immer weiteren Kreisen die Herrschaft errang. M ehr als ein Decennium verstrich, bis S a v i g n y nach solchen ersten Erfolgen m it einer neuen bedeutenden Publication hervortrat. W ir benutzen diesen Ruhepunkt seiner äußeren T hätigkeit, uns etwas näher mit seiner P e r s o n bekannt zu machen. D ie S a v ig n y 's c h e Fam ilie stammt aus Lothringen und gehört wohl zu den von dem G rafen Philipp Ludwig von H anau aufgenommenen Refugies. I m Hanau'schen zählte sie zum höheren Beamtenstande und besaß den an der baherschen Grenze gelegenen Hof T r a g e s , ein schönes, in G artenanlagen und B austil von altem W ohlstand und französischem G e­ schmack zeugendes G ut. S a v i g n y 's G roßvater w ar Regierungsdirector in Zweibrücken; sein V ater lebte als V ertreter mehrerer oberrheinischer Fürsten zu Frankfurt a. SDi., allwo unser Friedrich C arl am 21. Februar 1779 geboren ward. Ueber die äußern Umstände seines ersten Jugendlebcns berichtet uns Savigny selbst in dem von ihm der M arburger Juristcnfacultät eingereich­ ten vitae curriculum. S eine Anfangsgründe lernte er im elterlichen Hause durch Privatunterricht. Nach dem Tode der E ltern in das Hauö des Assessor von N eurath in Wetzlar aufgenommen, vollendete er daselbst seine wissenschaftliche Vorbildung in derselben Weise und bezog darauf, zwei J a h re später, 1795, die Universität M arbu rg. H ier hörte er bei Erxleben und W eis Pandekten; außerdem bei Robert und B auer. Von M arburg wandte er sich nach G öttingen, um dort B itte r, Runde und M eister zu hören. Auf einen abermaligen Aufenthalt in M arbu rg folgte eine Reise, auf der er den Universitäten Jen a, Leipzig und Halle einen Besuch abstattete, und nach dieser Reise die H abilitation in M arb u rg .* ) *) Der Wortlaut des curriculum, wie wir ihn gütiger Mittheilung verdanken, ist folgender: Ego Fridericus Carolus de Savigny natus sum Francofurti anno

D ie Doctorwürde ward ihm am 31. Oktober 1800 übertragen; und bald nachher trat er als akademischer Lehrer an der Universität Marburg auf. Wiederholt hat er den Einfluß dankbar gerühmt, den in diesen Jah­ ren sein Lehrer, der Professor W e is in Marburg, auf seine wissenschaft­ liche Richtung ausgeübt habe. Dagegen stand er zu H u g o , welcher nicht, wie oft irrthümlich behauptet wird, sein Lehrer gewesen, bis nach dem Erscheinen seines „Recht des Besitzes" in keiner nähern persönlichen B e­ ziehung; „aber seine Schriften," sagt S a v ig n y selbst, „haben auf mich gewirkt, belehrend, anregend zu eignem Denken und Forschen, wie keine andern. A ls ich dann selbst als Schriftsteller auftrat, hat er mich durch die freundlichste Anerkennung meiner Leistungen ermuthigt." (Savignh, der 10. M ai 1788, Zeitschr. f. Gesch. R . W. Bd. 9 S . 431.) I m Jahre 1804 vermählte sich S a v ig n h mit K u n ig u n d e B r e n ­ ta n o , die ihm bis an seinen Tod die treueste Gefährtin geblieben ist. S e it langen Zeiten bestanden freundliche Beziehungen zwischen beiden Fa­ milien, und schon in frühen Jahren war S a v ig n h häufig bei den Brentano'S in Rödelheim, unweit Frankfurt, zu sehen. Auf die ersten Zeiten der jungen Che fällt ein anmuthiger Schimmer aus den Briefen B e t ­ tin a '« an die G ü n d e r o d e . W ir sehen S a v i g n h im fröhlichen BerMDCCLXXIX, patre Christiane Carole Ludevico de Savigny qui a nonnullis principibus ad locum eorum in conventu statuum circuli Rhenani superioris tenendum in hanc urbem raissus erat, lbi private magistro usus sum in ediscendis litteris humanioribus. Post mortem parentum in domum 111. Dom. de Neurath, supremi tribunalis quod Wetzlariae est Assessors, receptus idem discendi genus continuavi. Biennio elapso, anno MDCCXCY Marburgum me contuli, ibique praestantissimorum in jure docendo virorum praelectiones audivi. 111. Erxleben et ill. Weis Pandectas mihi tradiderunt, 111. Erxleben et 111. Robert processum communcm, ill. Bauer jus germanicum privatum: praeterea Collegium practicum ill. Roberti frequentavi. His summis viris me debere sentio gratias maximas, meritas persolvere nunquam potcro. Postea academiam Qöttingensem petii, ibique in jure publice ill. Püttei um, in jure feudali ill. Rundium, in jure criminali ill. Meistemm magistros habui. Deinde Marburgi rursus commoratus, landein in Saxoniam iter feci, pluresque academias (Je­ nensern praesertim , Lipsiensem et Haiensem) adii. Jam ex hoc itinere Mar­ burgum reversus ad facultatem juridicam me converto, ea qua decet observantia rogans, ut qui singuli tanta in me beneficia contulemnt, nunc universi summos in jure honores mihi concedere, eoque modo me rursus sibi adstringere velint.

kehr m it seiner von poetischem Uebermuth und Lebenslust sprudelnden Schwägerschaft: „ E s schleicht ein T ag nach dem andern so anmuthig vor­ über," schreibt B ettin a , „und der S a v i g n y ist so anm uthig und kin­ disch, daß wir ihn nicht verlassen können, alle Augenblicke hat eins ihm ein Geheimniß anzuvertrauen, der führt ihn in den W ald, der andere in die Laube, und die Gundel muß sich's gefallen lassen, und Gescheutsein ist gar nicht M ode. D e r Clemens hat ihm schon ein paar Wände m it abenteuerlichen Figuren vollgem alt, und Verse und Gedichte werden mit schwarzer Farbe an alle W ände groß geschrieben." — „W ie wir hier (auf T rages) leben," heißt es an einer andern S telle, „das will ich D ir er­ zählen. M orgens kommen w ir alle im Schlafzimmer von S av ig ny 's zu­ sammen. D a wird gegalert und ein bischen Krieg m it Kopfkissen und Rouleaux geführt, und im Nebenzimmer wird gefrühstückt dabei. W ir nehmen uns zwar sehr in Acht, den großen S avigny zu treffen; aber er ist gescheut, wenn's Gefecht heiß wird, zieht er sich zurück." In d e ß scheint S a v i g n y an den ausgelassenen Thorheiten seiner Schwägerin aus die Länge kein sonderliches Gefallen empfunden zu ha­ ben. A us M arburg schreibt B ettina: „E h' w ir abreisten, hatte ich noch manchen Kampf m it den Andern, man w ar nicht einig, ob ich dem S avigny nicht lästig sein würde, weil man glaubt, und gewiß weiß, daß er nichts auf mich hält. Ich halte nun eben auch nichts Besonderes von m ir; ich hab ihn immer noch wie sonst lieb, und so scheu' ich mich gar nicht, mit ihm zu leben, obschon er einen W iderwillen gegen meine N atur zu haben scheint." W underbare Gegensätze waren in der T h a t durch diese Verbindung des protestantischen und gemessenen S a v i g n y mit den katholischen und excentrischen V r e n t a n o ' s zusammengeführt. Z w ar m it seinem Schwager C l e m e n s und der Rom antik, welche dieser dam als repräsentirte, hatte S a v i g n y die ehrfürchtige Hinneigung zu den individuellen Gestaltungen der Geschichte, die Abwendung von der nivellirenden Tendenz des ver­ flossenen Jah rh u n d erts, gemein — jene erste G rundlage alles historischen S inn es. Allein während die G enialität des C l e m e n s und seiner Schwe­ ster B e t t i n a sich einem zügellosen S p iel der Laune überläßt und in ge-

staltlosen Erzeugnissen einer unbändigen Phantasie austobt: sehen w i r S a v ig n h von Jugend an mit klarem Bewußtsein auf ein bestimmtes Ziel objectiver Erkenntniß zustreben; die eigne Individualität, welche bei jenen stets der eigentliche Gegenstand ihres Denkens und Dichtens ist, in den Dienst der Arbeit zwingen, in Allem, was er treibt und sagt, die S ubjectivität zurückdrängend, um das Object der Erkenntniß in möglichster Reinheit und Einfachheit hervortreten zu lassen. Durch sein ganzes We­ sen geht ein schönes Ebenmaaß und jene anmuthige W ürde, zu welcher in grellem Gegensatze steht der ausgelassene Uebermuth des „ K in d e s," das in M a r b u r g , und später in L a n d s h u t, sein wohl nicht immer angenehmer Hausgenosse war. Nachdem S a v ig n h einige Jahre als akademischer Lehrer mit den glücklichsten Erfolgen gewirkt hatte und zum außerordentlichen Professor befördert w ar, trug ihm die badische Regierung die Professur des CivilrechtS in Heidelberg an, welches dort von dem Professor GamSjäger ver­ treten wurde, der dazumal Rechtsgeschichte und Pandekten „in tabellarischer A rt, mit Bezug auf das pfälzische Landrecht und auf die seit 1803 gnä­ digst erlassenen Verordnungen" lehrte! Eine Regeneration der Universität, insbesondere der juristischen Facultät war von der Regierung als noth­ wendige Aufgabe erkannt und kräftig begonnen. S a v ig n h konnte zwar, mit andern Plänen beschäftigt, das ihm angebotene Lehramt nicht über­ nehmen ; er hat jedoch mit Eifer und Vorliebe für die Wiedergeburt Hei­ delbergs gewirkt und ist wohl von entscheidendem Einflüsse gewesen auf die Berufung H eise'S von Göttingen und T h ib a n t's von Kiel, mit denen die glänzende Periode der Heidelberger Juristenfacultät beginnt, (v. Bippen, G. A. Heise's Leben S . 117 ff.) D er Grund, die Berufung nach Heidelberg abzulehnen, lag für S a ­ v ig n h in dem festgestellten Plane einer mehrjährigen, w issenschaftlichen R eise. Unter der Anregung und Förderung seines Lehrers, des Professor W e is , über dessen Person B e t t i n a 's Briefe einige anziehende Mitthei­ lungen enthalten, war bei ihm der P lan eines größeren literargeschichtlichen Werks gereift, welches auf einer umfassenden Benutzung der in den grö­ ßeren und kleineren Bibliotheken zerstreuten Materialien sich gründen sollte. 2*

D ie Reise erstreckte sich auf einen großen T h e il Deutschlands und führte

ihn im Jahre 1805 nach P a r is , wo er längere Z e it m it seiner

jungen F ra u und zwei Kindern lebte.

A u f seinen Wunsch w ar ihm zu

gelehrter H ülfsleistung dahin gefolgt sein treuer Schüler und jugendlicher Freund J a c o b G r im m ,

der seiner

frühen Verbindung m it S avignh

in der Vorrede zu seiner deutschen G ram m atik dankbar gedenkt. w eiß ," sagt er, „und thut stets das Beste.

„G o tt

A ls nach dem frühen Tode

des V aters und dem Absterben beinahe aller Verwandten, der liebsten fettigen M u tte r unermüdliche Sorge nicht mehr übersah, was aus uns fünf B rüdern werden sollte, und ich, m ir selbst überlassen, in Manchem verabsäumt, doch voll guten W ille n s , redlich mein vorgesetztes S tu d iu m zu betreiben, nach M a rb u rg kam; da fügte es sich, daß ich I h r Z u ­ hörer wurde und in I h r e r Lehre ahnen nnd begreifen lernte, was es heiße, etwas studieren zu w ollen, sei es die Rechtswissenschaft oder eine andere.

A u f die Erweckung folgte bald nähere Bekanntschaft m it Ih n e n ,

deren liebreichen Anfang ich niemals vergesse und woran sich mehr und mehr Fäden knüpften, die von dieser Z e it an bis jetzo auf meine Ge­ sinnung, Belehrung und Arbeitsamkeit unveränderlichen E influß behauptet haben." ES ist bekannt, daß der Anfang des Pariser Aufenthalts durch ein Unglück der seltsamsten und zugleich empfindlichsten A r t bezeichnet wurde. Nahe vor der S ta d t, oder vielleicht in den Straßen selbst, ward den R ei­ senden ein Koffer vom Wagen entwendet — und zwar gerade derjenige, welcher die Collectaneen S a v ig n h 's enthielt!

A lle Nachforschungen blie­

ben erfolglos, und die Frucht jahrelanger Studien, die Grundlage der in P a ris beabsichtigten Forschungen, w ar unwiederbringlich verloren, soweit sie nicht im Gedächtniß des Forschers selber einen sicheren Platz gefunden hatte.

M a n würde es jedem Gelehrten verzeihen, wenn ihn ein solcher

Verlust in einen der Verzweiflung ähnlichen Gemüthszustand versetzte, zumal w ir bei unsern Gelehrten am wenigsten Heldennaturen zu erwarten gewohnt sind.

B on S a v ig n h w ird uns erzählt, daß er keinen Augenblick die r u ­

hige Fassung verloren, und sogleich in freundlichster, klarster Weise bedacht und angeordnet habe, wie nun, unter den so veränderten Umständen, die

Studien wieder aufzunehmen seien. M it erneuter Anstrengung ist so der Schade ausgeglichen worden, und an dem vollendeten Werke vermag das kundigste Auge keine Lücke verlorener Bausteine zu entdecken. Im Jahre 1808 folgte S a v i g n h einer Berufung nach L an d sh u t. D ie bayrische Regierung machte damals ehrenwerthe Anstrengungen zur Hebung dieser Hochschule. Wenig Jahre nach einander wirkten an der­ selben die beiden M änner, welche wir in ihren Gebieten als die größ­ ten Rechtslehrer dieses Jahrhunderts betrachten müssen: Feuerbach und S a v ig n h . D ie Annales Ingolstadienses (fortgesetzt für Landshut und M ün­ chen von Permaneder) P. V. p. 292 berichten aus dem Jahre 1808: „ In vacuam per ejus abitiim Juris Romano-civilis cathedram perillustris F r . C ar. de S a v i g n y suffectus est. I s ------- die decimo tertio Maji hujus anni Landishutum arcessitus et cum annuo trium milium florenorum stipendio, florenis autem mille et quingentis pro transmigratione numeratis, regius Consiliarius aulicus atque Juris civilis Romani Professor p. o. designatus est, addita speciali promissione, ut post biennium, si forte Landishutum minus sibi gratum foret, aliam eligendi Academiam haberet postestatem.“

S a v ig n h 's Aufenthalt in Landshut war nur von kurzer Dauer. Schon im Frühjahr 1810 folgte er einer Berufung nach B e r lin . „De­ cimo septimo Aprilis — sagen die oben citirten Annalen p. 314 — clarissimus F r i d e r i c u s C a r o l u s de S a v i g n y , regius Consiliarius aulicus et Jurium Professor p. o. ad supplices preces suas ab Universitate Ludovico-Maximilianea clementissime dimissus est. Magnam sane per ejus abitum alma nostra Academia jacturam fecit; fuit enim vir humanissimus aeque ac doctissimus, carus Omnibus qui noverunt eum. Secunda Maji ad meridiem urbi nostrae valedixit, et per Vindobonam Berolinum profectus est, insigne inde ab hoc tem­ pore futurus illius Universitatis ornamentum.“

Aus der Zeit seines Aufenthaltes in Landshut besitzen wir ein anmuthiges Zeugniß über sein unmittelbar persönliches Wirken als akademi­ scher Lehrer, das sich dem dankbaren Bekenntnisse J a c o b G rirnm 'S er-

gänzend anschließt, und um so unverwerflicher ist, als es von seiner ihm sonst so wenig homogenen Schwägerin B e t t i n a herrührt. S ie schreibt (Briefwechsel G öthe's m it einem Kinde B d .2 ) am 21. October 1809: „ I n ­ dessen geht man an schönen Tagen hier weit spazieren m it einer liebens­ würdigen Gesellschaft, die sich an Savignh'S menschenfreundlicher N atur ebenso erquickt wie an seinem Geist." Und am 20. M a i 1810: „Lands­ hut w ar m ir ein gedeihlicher A ufenthalt, in jeder Hinsicht muß ich's prei­ sen. Heimathlich die S ta d t, freundlich die N atu r, zuthunlich die M en­ schen, und die S itten harm los und biegsam; — kurz nach Ostern reisten w ir ab, die ganze Universität w ar in und vor dem Hause versammelt, viele hatten sich zu W agen und zu Pferde eingefunden, man wollte nicht so von dem herrlichen Freund und Lehrer scheiden, eS ward Wein au s­ getheilt, unter währendem V ivatrufen zog man zum T hor hinaus, die Reiter begleiteten das Fuhrwerk, auf einem Berge, wo der Frühling eben die Augen aufthat, nahmen die Professoreu und ernsten Personen einen feierlichen Abschied, die andern fuhren noch eine S tatio n weiter, unterwegs trafen w ir alle Viertelstunden noch auf P arthien, die dahin vorausgegangen wa­ ren, um S av ig ny zum letztenmale zu sehen; ich sah schon eine Weile vor­ her die Gewitterwolken sich zusammenziehen, im Posthause drehte sich einer um den andern nach dem Fenster, um die T hränen zu verbergen." — Und weiter am 26. M a i: „Von da (S alzburg) ging die Reise nach W ien, es trennten sich die Gäste von uns, bei Sonnenaufgang fuhren w ir über die S alza, hinter der Brücke ist ein großes Pulverm agazin, hinter dem stan­ den sie alle, um S avignh ein letztes V ivat zu bringen, ein jeder rief ihm noch eine Bethenerung von Lieb' und Dank zu. Freiberg, der uns bis zur nächsten S ta tio n begleitete, sagte: wenn sie nur alle so schrieen, daß daö M agazin in die Luft sprengte, denn uns ist doch das Herz gesprengt; und nun erzählte er m ir, welch' neues Leben durch S avignh aufgeblüht w ar, wie alle S pannung und Feindschaft unter den Professoren sich gelegt oder doch sehr gemildert habe; besonders aber sei sein Einfluß wohlthätig für die Studenten gewesen, die weit mehr Freiheit und Selbstgefühl durch ihn erlangt haben. N un kann ich D ir auch nicht genug beschreiben, wie groß Savignh'S T alent ist, m it jungen Leuten umzugehen; zuvörderst fühlt

er eine wahre Begeisterung fü r ih r S treben, ihren Fleiß; eine Aufgabe, die er ihnen macht, wenn sie gut behandelt w ird , so macht sie ihn ganz glücklich, er mögte gleich sein Innerstes m it Jedem theilen, er berechnet ihre Z ukunft, ih r Geschick, und ein leuchtender E ife r der Güte erhellt ihnen den Weg, man kann von ihm wohl in dieser Hinsicht sagen, daß die Un­ schuld seiner Jugend auch der Geleitsengel seiner jetzigen Z e it ist, und das ist eigentlich sein Charakter, die Liebe zu denen, denen er m it den schönsten Kräften seines Geistes und seiner Seele dient, ja, das ist w ahr­ haft liebenswürdig, und muß Liebenswürdigkeit nicht allein Größe bestä­ tigen? — diese naive G üte, m it der er sich allen gleichstellt bei seiner ästhetischen G e l a h r t h e i t , macht ihn doppelt groß." B e t t i n a 's Schilderung zeigt uns, wie S a v ig n h

in seiner eignen

Person die edle Anschauung von dem Berufe des akademischen Lehrers verkörpert, welche er selbst wiederholt m it W orten dargelegt hat. S o schrieb er u. A . noch in späten Jahren an einen ehemaligen Schüler (B e rlin am 29. N ov. 1850; an v. S c h e u r l) :

„E s

ist ein schöner B e ru f, den uns

Beiden G o tt angewiesen hatte, der B e ru f des Universitätslehrers.

D ie

Ausbreitung der Wirksamkeit hängt dabei von vielen Zufälligkeiten ab, und in ih r liegt das Wesen der Sache nicht.

Dieses liegt vielmehr in

dem E rnst und der Liebe, w om it jener edle B e ru f ergriffen und geübt w ird , einer Liebe, die sich auf die Schüler verbreitet, und in diesen, wo sie n u r immer Empfänglichkeit findet, geistiges Leben weckt und nährt.

So

w ird in diesem B e ru f, noch mehr als in manchem anderen, die große und allgemeine W ahrheit sichtbar, daß der wahre und wesentliche E rfo lg mensch­ licher Thätigkeit vorzugsweise von sittlichen Kräften abhängt, deren R ein­ heit und Energie höher gestellt werden muß, als das oft weit mehr schein­ bare und gepriesene T a le n t." S a v ig n h 's Lehrgabe, und zwar nicht blos das, was man gewöhnlich den akademischen V o rtra g nennt, ist nach allen Zeugnissen die glänzendste gewesen.

Seine schöne, äußere Erscheinung, seine edle, fließende Sprache,

die ruhige, klare Folge und Entwickelung seiner Gedanken, sind unstreitig die äußern und formalen Eigenschaften, welche ihn zu einer idealen F ig u r auf dem Katheder erhoben. A llein die Liebe seiner Schüler zu ihm, welche

aus B e t t i n a 's Schilderungen uns so rührend anspricht, der außerordent­ liche Erfolg, welcher sich an sein Auftreten in B erlin knüpfte, erklärt sich aus diesen Eigenschaften nicht. W äre schon dam als w ahr gewesen, was aus späteren Zeiten von seinen V erträgen gesagt wird, daß zwar der Z u ­ hörer m it Bewunderung über den In h a lt und die Form ihnen aufmerksam gefolgt, aber nicht durch sie innerlich erw ärm t worden sei — schwerlich würde seine Bedeutung als Lehrer zu jener Höhe gestiegen sein. Allein S a v i g n h w ar dam als noch ganz von jenem jugendlichen Feuer der Begei­ sterung innerlichst durchglüht, die bei seinen Schülern dieselbe W ärm e für den Gegenstand und für den Lehrer selbst erweckte. Denn gewiß läßt sich nicht scheiden zwischen diesen beiden Empfindungen, wo nachhaltige, große Erfolge erzielt werden sollen. D ie Liebe zum Gegenstände erweckt Liebe zum Lehrer — und für den Gegenstand wird nur der Lehrer das jugend­ liche Gem üth entzünden, der sich m it vollem, warmem Herzen ihm selber hingiebt. Allerdings w ar S a v i g n h ' s N atu r zur Objektivität angelegt, und eS beruht hierin zum nicht geringen Theil die Clasficität seiner wissenschaft­ lichen Leistungen. Allein so leicht auch die Objektivität den Eindruck der Kälte und persönlichen Gleichgültigkeit macht, und wirklich zu ihr führt — es giebt eine A rt objectiver Behandlung wissenschaftlicher S toffe, in der wir doch den innigen, warmen Antheil durchfühlen, den das Individuum selber an seinem Gegenstände nimmt. Und eben dies Elem ent, welches dem mündlichen V ortrage niemals fehlen darf, tritt uns in S a v i g n h ' s früheren Schriften überall wohlthuend entgegen. — S o anziehend es sein würde, S a v i g n h auf die neugegründete Hoch­ schule zu B erlin zu begleiten, ihn als die schon anerkannte erste Größe in seiner Wissenschaft in den Kreis edler und ausgezeichneter Gelehrten ein­ treten zu sehen; in die wunderbar innerlich toncentritten Stim m ungen, in denen sich unter dem entsetzlichen Drucke der Verhältnisse die geistige Kraft erzeugte, der Preußen und Deutschland seine Rettung verdankt: so müssen wir uns doch die Freude näheren Eingehens versagen und die Schilderung einem späteren Biographen überlassen, dem ein reicheres M aterial zu G e­ bote steht. N u r an einige persönliche Beziehungen soll hier erinnert werden.

Im

ersten W in te r des Bestehens der B e rlin e r Hochschule eröffnete

auch N ie b u h r , „der Geschäfte entbunden, die ihn bisher der Wissenschaft allein zu leben gehindert h a lte n ,"

seine Vorlesungen über die römische

Geschichte, aus denen dann sein epochemachendes Werk hervorging. Schon aus den Herbsttagen schreibt N ie b u h r über die ersten persönlichen Be­ rührungen m it S a v ig n h : „ W ir haben S a v ig n y in diesen letzten Wochen einige M a le gesehen.

E r scheint m ir sehr gewogen und w ir werden uns

gewiß näher kommen, wenn w ir uns länger kennen.

D ie F rau ist sehr

lebhaft, und ge fä llt" (N iebuhr, Lebensnachrichten S . 480).

A ls nun die

Vorlesungen ihren Anfang nahmen, ist S a v ig n h neben Schleiermacher, A ncillon, S palding, N icolovius u. A. unter den Zuhörern.

„ S a v ig n y 's

Aufmerksamkeit," schreibt N iebuhr an die Hensler am 9. November 1810, „und seine Aeußerungen, daß ich eine neue Epoche fü r die römische Ge­ schichte anfange, giebt m ir natürlich noch mehr E ife r, Untersuchungen in ihrem ganzen Umfange zu verfolgen, welche man sonst leicht auf halbem Wege liegen lä ß t, sobald man das Z ie l bestimmt erblickt hat, und sich dann nach etwas Neuem umsieht." S o sehen w ir S a v ig n h befruchtend einwirken auf das Werden die­ ses großartigen Werks, das fü r alle Zeiten ein S to lz unserer N ation blei­ ben w ird.

Dankbar bezeugte es N ie b u h r öffentlich, als im folgenden

Ja h re der erste B and erschien, daß er sich ohne S a v ig n h , B u t t m a n n , H e in d o r f

und

den inzwischen verstorbenen S p a ld i n g

„w o h l nie zu

diesem Werk erm untert gefühlt hätte, ohne ihre liebende Theilnahme und belebende Gegenwart es schwerlich ausgeführt wäre."

Und als nach fünf­

zehn Jahren die Umarbeitung des ersten Bandes der römischen Geschichte in die Oeffentlichkeit tr a t, erklärte N ie b u h r die Verzögerung dieser A r­ beit m it folgenden W orten:

„ Ic h

lebte aber inzwischen in Ita lie n

und

lebte in Rom zu sehr im Schauen und W ahrnehmen, um m it Lust in Büchern zu arbeiten: auch glaubte ich, das einst genossene Glück nicht ent­ behren zu können, wo im Gespräch m i t S a v i g n h der entscheidende Punkt licht hervortra t, und es m ir so leicht w ar Manches zu erfragen, so be­ lebend den nur prüfen."

noch halb

erschienenen Gedanken zu vollenden und zu

F ü r das deutsche Recht w a rd im J a h re 1811 C a r l F r i e d r i c h E ic h ­ h o r n von F ra n k fu rt a. O . nach B e r lin versetzt, nachdem er schon 1808 den ersten B a n d seiner deutschen S ta a ts - und Rechtsgeschichte herausgege­ ben hatte. S o standen und w irkte n nun neben einander im regsten persön­ lichen Verkehre die dre i M ä n n e r, von denen jeder in seinem Gebiete eine neue A e rg

der Wissenschaft einzuleiten bestimmt w a r, und zwar in einer

Z e it , welche, indem sie den B lick von den tra u rig e n Zuständen der G e­ genw art zurückdrängte, recht eigentlich dazu geschaffen w a r, das Auge fü r die Zustände der Vergangenheit zu schärfen und die Gedanken m it Liebe bei dieser verweilen zu lassen.

E s ist nicht zu berechnen, wie vie l dem per­

sönlichen Austausch der Gedanken nicht n u r fü r die Erkenntniß des E in ­ zelnen, sondern m ehr noch fü r die A u sb ild u n g , A bklärung und Feststellung der allgemeinen Gesichtspunkte zu danken ist: und S a v i g n h hat später, a ls

er die F rucht la n g jä h rig e r S tu d ie n in seinem ersten B ande der G e­

schichte des Römischen Rechts im M itte la lte r veröffentlichte, rühmend und dankbar der glücklichen F örde run g gedacht, welche ihm nahme N i e b u h r ' s

und E ic h h o r n '»

durch die T h e il­

an seinen eignen Forschungen zu

T h e il geworden ist. W ir übergehen die Z eiten der Erhebung des preußischen, des deutschen V o lk s , welche auch S a v i g n y ' s

Herz m it w a rm er Begeisterung erfüllten ,

wenn er auch nicht, gleich seinem Freunde E ic h h o r n , hen der Kämpfenden e in tra t. g r iff er —

selber in die R e i­

E rs t nach dem S iege der deutschen W affen

m it einer wissenschaftlichen T h a t —

in

die Entwickelung der

D in g e ein. —

Im

J a h re 18 14 nämlich, a ls nach der E innahm e von P a r is in den

Deutschen der G laube an die Z u k u n ft des eignen V o lks wieder festen B o ­ den gewonnen, und nun die F rage n, wie diese zum H e ile zu gestalten sei, sich ge w a ltig hervordrängten, erschien die S c h rift von T h i b a u t : „ü b e r die N othw endigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs fü r D eutschland," welche fü r S a v i g n h die Veranlassung w urde, die allgemeinen, p rincip ie lle n Gedanken über Recht und Rechtswissenschaft an einer bestimmten praktischen F rage v o r der O effentlichkeit darzulegen.

„Im Ja h re 1814," — erzählt T h ib a u t selbst 1838 (im Archiv s. civilist. Praxis Bd. 21 S . 391 ff.) — „als ich viele deutsche Soldaten, welche auf P aris marfchiren wollten, mit frohen Hoffnungen im Q uartier hatte, war mein Geist sehr bewegt. Viele Freunde meines Vaterlandes lebten und webten damals mit mir in dem Gedanken an die Möglichkeit einer gründlichen Verbesserung unseres rechtlichen Zustandes, und so schrieb ich — höchstens nur in vierzehn Tagen — recht aus der vollen Wärme meines Herzens eine kleine Schrift über die Nothwendigkeit eines all­ gemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, worin ich zu zeigen suchte: unser positives Recht, namentlich das Justinianische, sei weder materiell noch formell unsern jetzigen Völkern anpassend, und den Deutschen könne nichts heilsamer sein, als ein, durch Benutzung der Kräfte der gebildetsten Rechtsgelehrten verfaßtes bürgerliches Recht für ganz Deutschland, wobei aber doch jedes Land für das Wenige, was seine Localität erfordere, seine Eigenheiten behalten möge." I n der That mit voller Wärme des Herzens war diese Schrift ver­ faßt; die tapfere, tüchtige, treue Gesinnung eines ächten Vaterlandsfreun­ des tritt uns auf jedem Blatte entgegen. M it treffenden Worten werden die Schwächen und Verkehrtheiten des Justinianischen Rechts, die Gefah­ ren des verwickelten Bestandes unseres positiven Rechts dargelegt, der na­ tionale Gewinn geschildert, den wir von einem einfachen, verständlichen, unserm Geiste und Bedürfnisse ganz entsprechenden Gesetzbuche zu hoffen haben; mit dem ernstesten Nachdruck aber auch vor aller particularistischen Spaltung in der Arbeit der Gesetzgebung gewarnt: die Verschiedenheiten der deutschen Stäm m e seien nicht erheblich genug, um solche Absonderung zu rechtfertigen, die auf der andern Seite nur dazu diene, um alle Keime des Kleinlichen und Armseligen im deutschen Charakter zu üppigster Blüthe zu entfalten. „ S a v ig n h ," schreibt N ie b u h r am 1. November 1814 an die H e n s le r , „hat eine der T hibaut'schen Schrift ganz entgegengesetzte geschrieben: er hat nach meiner Meinung sehr zart und milde gegen T h i b a u t geschrieben und mit Wärme das Verdienst seiner Opposition gegen die Einführung des Code N apoleon anerkannt. Ich wollte,

daß Jemand T h ib a u t zur Ruhe reden könnte.

M i r ist dieser S tr e it

schmerzlich." D ie erwähnte S c h rift erschien, zehn Bogen stark, unter dem T ite l: „V o m

B e ru f

unserer

Z e it

fü r

Gesetzgebung und

Rechtswissenschaft."

Schmerzlich konnte der darin angefachte S tre it wohl R ie b u h r sein, weil er zwei ihm persönlich nahe befreundete M ä n n e r, die bisher in gegensei­ tiger Anerkennung ihres wissenschasllichen Verdienstes zusammen gestanden hatte», und einander in treuer patriotischer Gesinnung nichts nachgaben, in einen scharf ausgesprochenen Gegensatz stellte, wenn ihn auch S a v ig n h in der mildesten Weise einleitete. „ E s giebt," sagt S a v i g n h

in der E inleitung, „einen zwiefachen

S tre it, einen feindlichen und einen friedlichen. Jenen führen w ir, wo w ir Z ie l und Zweck verwerflich finden, diesen, wo w ir M itte l suchen zu ge­ meinsamen löblichen Zwecken.

Jener

wäre auch je t z t --------- an seiner

S telle, wenn E in e r behaupten wollte, jetzt sei die rechte Z eit, wo alle ein­ zelne Staaten Deutschlands sich fest abschließen müßten: dazu sei auch das Recht gut zu gebrauchen, und jede Regierung müsse fü r ein recht eigen­ thümliches Gesetzbuch sorgen, um auch hierin alles Gemeinsame aufzuheben, was an den Zusammenhang der N ation erinnern könnte.

Diese Ansicht

ist nichts weniger als w illkürlich ersonnen, vielmehr sind ih r manche Re­ gierungen offenbar günstig: wohl aber hindert eine gewisse Scheu, sie jetzt laut werden zu lassen, und ich wüßte nicht, daß sie in Schriften fü r das bürgerliche Recht benutzt worden wäre.

Ganz anders ist es m it den V o r­

schlägen, die bis jetzt fü r dieses kund geworden sind, denn m it ihnen ist, wo w ir nicht überein stimmen, ein friedlicher S tre it möglich, und ein sol­ cher fü h rt, wo nicht zur Vereinigung der S treitenden, doch zu besserer Einsicht im Ganzen." Zum Schluffe faßt S avignh den Gegensatz der Ansichten m it folgen­ den W orten zusammen: „ I n dem Zweck sind w ir einig: w ir wollen G ru n d ­ lage eines sicheren Rechts, sicher gegen E in g riff der W illk ü r und ungerech­ ter Gesinnung; desgleichen Gemeinschaft der N ation ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen auf dasselbe Object.

und Concentration F ü r diesen Zweck

verlangen S ie ein Gesetzbuch, was aber die gewünschte E inheit n u r fü r die

H ä lfte von Deutschland hervorbringe», die andere H älfte dagegen schärfer als vorher absondern würde.

Ic h sehe das rechte M itte l in einer o r g a ­

nisch fo r ts c h r e ite n d e n R e c h ts w is s e n s c h a ft, die der ganzen Nation gemein sein kann.

Auch in der Beurtheilung des gegenwärtigen Zustandes

treffen w ir überein, denn w ir erkennen ihn beide fü r mangelhaft.

S ie aber

sehen den G rund des Uebels in den Rechtsquellen, und glauben durch ein Gesetzbuch zu helfen: ich finde ihn vielmehr in und, und glaube, daß w ir eben deshalb zu einem Gesetzbuch nicht berufen sind." Ausgehend von dem Gedanken, daß das Recht nicht willkürlich ge­ macht, sondern organisch vom Volke erzeugt werde, erkennt S a v ig n h die richtige Aufgabe der Gesetzgebung n ur d a rin , sammeln, zu sichten und zu fixiren.

das

gewordene Recht zu

Wenn nun aber zur würdigen Lösung

dieser Aufgabe eine tiefe historische Erkenntniß die erste Vorbedingung sei, so fe h le m i t i h r d e r g e g e n w ä r tig e n Z e i t d e r B e r u f ,

d a s W e rk

in d ie H a n d zu n e h m e n ; eine höhere E ntfaltung der Rechtswissenschaft müsse vorangehen; und da der A n la u f hierzu bereits begonnen habe, so sei alle K ra ft der N ation auf diesen Punkt gemeinsamen Strebens zu richten. D ie geschichtliche Bedeutung dieses S tre its liegt nicht in seinem un­ m ittelbar praktischen Gegenstände und E rfolge.

Z w a r hat er wohl dazu

beigetragen, ein in seiner Idee sehr schönes nationales Werk zu verhindern: allein, wenn w ir die Armseligkeit und Gemeinheit, m it welcher nach ge­ wonnener äußerer Sicherheit die inneren deutschen Angelegenheiten betrie­ ben wurden, unS vergegenwärtigen, so werden w ir wohl zugeben, daß dies große nationale Werk auch ohne jenen S tre it m it allen anderen im Sumpfe der Reaction stecken geblieben sein würde. v ig n y 'S

Z w a r bot die A u to ritä t S a -

den B ösw illigen eine sehr willkommene Schutzwehr gegen den

Andrang nationaler Forderungen.

A llein auf der anderen S eite trug sie

denn doch auch das Ih rig e dazu bei, der particularistischen Absonderung in der Gesetzgebung Hindernisse in den Weg zu stellen: denn wer sich ge­ gen das von T h ib a u t vertretene Streben auf S a v ig n h 's Gründe berief, konnte nicht gleichzeitig die armseligen Unternehmungen befördern, über de­ ren Verwerflichkeit die beiden Gegner m it gleich klaren und kräftigen W o r­ ten sich ausgesprochen hatten.

D a s geschichtlich Bedeutende des S tre its liegt vor Allem darin, daß durch ihn der Gegensatz zweier wissenschaftlichen Anschauungen über dir Entstehung des Rechts und seine S tellung zum Leben der B ö lle r zum B e­ wußtsein gebracht und ein Kam pf begonnen wurde, in dessen Führung die sogenannte h is to ris c h e S c h u le heranwuchs und erstarkte. Eben dies w ar es, was in den Gegensatz zwischen T h ib a u t und S a v ig n y , so milde er auch von Letzterem dargelegt wurde, eine B itte r­ keit mischte: daß Ersterer empfinden mußte, wie es sich hier um eine R egirung seines ganzen wissenschaftlichen Standpunktes handelte; daß eine wissenschaftliche K ra ft neben ihm erwachsen w a r, der er sich bisher im Kampfe gegen die abgeschmackten Vorgänger verbunden gefühlt hatte, die nun aber im B e g riff stand, ihm selber den Boden unter deü Füßen zu entziehen. T h i b a u t , ein M a n n voll Geist und feiner B ild u n g , voll Scharfsinn und Gelehrsamkeit, w a r eine praktische, klare, juristische N a tu r; unüber­ trefflich, wo eö die Auslegung, Anwendung, logische Gliederung und gesetz­ geberische Fragen über die zweckmäßige Fortbildung des Rechts galt. A llein, gleich F e u e rb a c h , ein ächter S ohn des achtzehnten J a h rh u n ­ derts, wurzelte seine Anschauungsweise noch ganz in den herkömmliche» V o r­ stellungen von einer nach gewissen allgemeinen Postulaten herzustellenden Vollkommenheit der menschlichen Verhältnisse, wenn er auch als kluger, w ürdiger und erfahrener M a n n nicht alle daraus zu ziehenden und wirk­ lich gezogenen Folgerungen billigte. D a s Gewordene und Bestehende hatte nach der bisher auch unter den Juristen geläufigsten Anschauungsweise, a ls sol ches, von einem höheren Standpunkte aus, keine innere Berechtigung; sondern n u r soweit auf fo rt­ dauernde Geltung einen Anspruch, als es sich vor den allgemeinen P rin c i­ pien verantworten konnte.

Auch das Recht eine« Volks w a r nach diesem

Maaße zu messen und zu wägen: und wenn man auch Montesquieu darin beistimmte, daß Z e it, O r t und Volkscharakter Verschiedenheiten des Rechtbedingten, so schienen dies doch n u r thatsächliche Momente zu sein, welche das von der Gesetzgebung zu berücksichtigende Bedürfniß bestimmten.

V on

der Vorstellung eines absoluten, fü r alle Nationen und Zeiten voükomme-

nett Rechts w a r man freilich zurückgekommen; allein das I d e a l der Rechts­ bild u n g w a r und blieb ein „w eiser Gesetzgeber," dem eS gelänge, jene be­ sonderen Bedürfnisse m it den P rin c ip ie n

des N a tu rre ch ts zu versöhnen,

so daß eS n u r a u f die M a ch t und richtige Einsicht anzukommen schien, um den jedesm al wünschenswerthen Rechtszustand herzustellen. U n te r dem E in flu ß dieser Anschauungsweise sind die Gesetzbücher der beiden größten M ä n n e r des vorigen J a h rh u n d e rts unternom m en w orden; und wenn auch die E rfa h ru n g e n ,

welche man an beiden in Deutschland

zu machen Gelegenheit gehabt h a tte , nicht die günstigsten gewesen waren, so schien der G ru n d des unvollständigen G elingens n u r in der allen mensch­ lichen D in g e n anhaftenden U nvollkom m enheit zu liegen.

H a tte doch selbst

der geistreichste und einsichtigste G egner der preußischen C o difica tion , J o h . G e o r g S c h l o s s e r , in

seinen B rie fe n über die Gesetzgebung (F ra n k fu rt

17 89 S . 8 0 ) seinen allgemeinen W iderspruch im Wesentlichen n u r d a ra u f begründet, „daß w ir noch nicht w e i s e genug seien, um ein Gesetzbuch zu verfassen." Inzw ischen aber hatte im deutschen Volke eine ganz neue geistige S t r ö ­ m ung begonnen, die von den abstracten Id e a le n des W e ltb ü rg e rth u m s zur B etrachtung des concret In d iv id u e lle n , von den Problem en der A u fklä ru n g zum liebevollen V erw eilen bei den geschichtlich gewordenen Zuständen zurück­ fü h rte .

R o m an tik und N a tu rp h ilo so p h ie wiesen jede in ih re r Weise den

Geist der N a tio n

an die rea le n, geschichtlich oder na türlich

D in g e , a ls an die würdigsten Gegenstände der Betrachtung.

gewordenen M a n suchte

nach den in ihnen wirkenden K rä fte n , nach den Ursachen ih res W erdens, und glaubte o ft sie zu finden, indem m an feine eignen Vorstellungen und B e g riffe in die D in g e h in e in tru g .

H a tte man bishe r n u r das Machen und

Gestalten nach erhabenen P rin c ip ie n des Menschen w ü rd ig gehalten, so w a r nun die B etrachtung des Gewordenen, die Beobachtung des W erdens und die E rforschung der inneren Gesetze, nach denen die Entwickelung der D in g e ohne Z u th u n des menschlichen W ollend und Verm ögens v o r sich geht, die R ichtung der Z e it, in welcher neben der Reflexion auch das G em üth seine N a h ru n g und B e frie d ig u n g fand.

I n dieser Umgestaltung der Anschauungs­

weise vollzog sich der B ru ch m it dem verflossenen J a h rh u n d e rt, an ih r e r-

stärkte innerlich der Stampf gegen den letzten unv gewaltigsten Repräsen­ tanten desselben, unter dessen Druck Deutschland seufzte. D ie Folgerungen dieser Umgestaltung, welche sich den übrigen histo­ rischen Wissenschaften schon befruchtend mitgetheilt hatten, waren in der Rechtswissenschaft bisher n ur in vereinzelten Erscheinungen zu Tage getre­ ten. D ie fundamentale Umgestaltung der Anschauungen über das Wesen und Werden des R e c h ts , zu denen sie führte, sprach jetzt S a v ig n h in seiner gegen T h i b a u t gerichteten S chrift zum ersten M ale in Anwendung auf eine praktische Frage aus. Und weil diese das Interesse der ganzen N ation auf das Empfindlichste berührte, so ergriff die N ation auch den begonnenen wissenschaftlichen Kampf mit der lebhaftesten Theilnahme. Nicht etwa eine überlegene Schärfe der Dialektik hat der S av ig n y 'sc h e n Theo­ rie den S ieg verschafft, sondern eben der Umstand, daß sie mit dem Zuge der Gedanken, mit der geistigen S tröm ung, welche durch die Zeit ging, zu­ sammenstimmte. Und eben darin liegt S a v ig n h 'S eigne historische Bedeutllng, daß in seinem Geiste sich die Beziehung der allgemeinen Gedan­ ken zur Rechtswissenschaft ausprägte. ES ist deshalb auch selbstverständlich, daß diese Gedanken, welche in ihm unter persönlichem Austausch m it N ie b u h r und E ic h h o rn zu vol­ ler Klarheit gereist w aren, nur ausgesprochen zu werden brauchten, um überall wieder zu klingen und verwandte Anschauungen zu wecken: und wer von ihnen ergriffen w ard, sei es durch schriftliches W ort oder durch die M acht der persönlichen Rede, der fühlte sich an S a v i g n h , in dessen Person sich der neue Geist der Jurisprudenz verkörperte, unwiderstehlich gefesselt. A ls er im folgenden J a h re (1815) seiner Richtung im Vereine m it E ic h h o rn und G öschen ein O rgan schuf in der „Zeitschrift für ge­ schichtliche Rechtswissenschaft," da durfte er in der Einleitung schon von einer geschichtlichen Schule unter den Juristen sprechen, die er zwar als einen uralten Gegensatz zur „ungeschichtlichen Schule" bezeichnet, die jedoch in W ahrheit erst unter seinem Wirken zu lebendigem Dasein geweckt war. D aö Recht ist der h isto risch en S c h u le kein gemachtes Product der Reflexion einer über dem Volke stehenden gesetzgebenden G ew alt, sondern ein, oft nur instinctives, Erzeugniß des Volksgeistes, gleich Sprache und

S itte in normalem Zustande des Lebens m it innerer Nothwendigkeit und naturwüchsig hervorgebracht.

D ie s aus dem ureignen Geiste des Volks

naturgemäß entsprungene Recht, nach dem es lebt und webt, wie es die Sprache braucht und in seiner S itte sich bewegt, ist zugleich das relativ vollkommenste; denn ein absolut vollkommenes giebt es so wenig, wie eine absolut vollkommene Sprache.

W ie aber im Gesammtleben der N ation

eine organische Fortentwickelung stattfindet, so auch im Rechte, das n u r einen T h e il des Volkslebens, ein Element seiner C u ltu r bildet, in der in ­ nigsten Wechselwirkung m it den übrigen Culturelementen steht und so auf jeder S tu fe seiner Entwickelung sich dem Geist und den Bedürfnissen des Volks anschmiegt.

D ie Rechtsgeschichte ist n u r eine Seite der C u ltu r­

geschichte. D ie Aufgabe des Gesetzgebers besteht demnach nicht d a rin , nach den von ihm

subjectiv fü r w ahr

gehaltenen allgemeinen Vorstellungen und

P rincipien neue Rechtssätze zu schaffen; sondern d arin, diejenigen Rechts­ sätze auszusprechen, welche bereits unausgesprochen int Volksbewußtsein lie­ gen, wenn er sich nicht gar m it der S a m m lu n g , Sichtung und F ixiru n g der überlieferten Rechtösätze begnügt.

N u r soweit der Gesetzgeber sich in

den hier bezeichneten Schranken bewegt, ist er w ahrhaft groß und weise, n u r dann von geschichtlicher, nachhaltiger W irkung.

Bedeutend kann sein

E influß deshalb sein, w eil er als G lied seines Volkes T h e il hat an dessen Geist und Wesen, zugleich aber in ihm die C u ltu r desselben die zur Z e it höchste S tu fe erreicht hat, von der auö es ihm möglich ist, die im Volke schlummernden Keime zu erkennen, zu wecken und zur vollkommenen E n t­ faltung zu bringen.

J e mehr er sich dieses V erhältniß zum Bewußtsein

bringt, desto glücklicher, desto erfolgreicher w ird seine Thätigkeit sein: da­ gegen w ird er m it seinem besten W ille n an der M acht der geschichtlichen Thatsachen und ih re r Entwickelung scheitern, wenn er sich von dem sichern Boden der Geschichte ablöst, und das Volk durch einen S p ru n g in einen von ihm ersonnenen Zustand abstracter Glückseligkeit versetzen zu können meint. S o ist denn auch die wahre Wissenschaft des Rechts nicht, wie noch T h i b a u t sagte, die p h ilo s o p h ir e n d e , sondern diejenige, welche den ge-

3

gefcenen, geschichtlich gewordenen S to ff auch geschichtlich erfaßt. Dazu ist vor Allem nothwendig das sorgfältigste und getreueste Eindringen in den überlieferten S to ff durch Sam m eln und D arlegen; daun aber zur Erklä­ rung seines W erdens, Wechselns und Entwickelns die Beobachtung der ge­ schichtlichen Thatsachen, welche auf das Recht einwirkten, das ist: die C ul­ turgeschichte des Volks selber. ES genügt daher für den Juristen nicht der Scharfsinn und das systematische Denken, sondern er bedarf vor Allem auch des historischen S in n es, um das Eigenthümliche jedes Zeitalters und jeder Rechtsform scharf aufzufassen. Indem so der S ta n d der Rechtsgelehrten das Verständniß und den historischen Zusammenhang des Rechts in sich selber zur vollsten Klarheit b rin gt, macht er sich fähig, der T räger dieser S eite der Cultur zu sein. D enn die in entwickelten Zuständen nothwendige und natürliche Theilung der geistigen Arbeit macht sich auch hier geltend. E s kann nicht mehr wie in ursprünglichen und einfachen Verhältnissen die Kenntniß des Rechts gleichmäßig im Volke verbreitet sein, sondern sie wird Eigenthum eines S ta n d e s, der nun die Gesammtheit auf diesem Gebiete repräsentirt, und so bei der Fortbildung des Rechts ein wichtiger Factor ist. Ehe aber die deutsche Rechtswissenschaft dieser S tellung vollkommen gewachsen ist, wird sie sich erst des historischen M aterials vollständiger als bisher bemächtigen müssen; und da unser Rechtszustand aus römischen und einheimischen Elementen gemischt ist, so hat sie nach diesen beiden Rich­ tungen gleichmäßig an der Hand der Geschichte ihre Forschungen zu lei­ ten; endlich aber ist zu untersuchen, welche historischen M ittelglieder zwi­ schen uns und dem römischen Volke bestehen, damit der G rund und der Umfang der Gültigkeit des Römischen Rechts bei uns verstanden werden könne. W ie nun nach jenen beiden erstgenannten Richtungen einerseits S a v ig n y m it N ie b u h r , andererseits E ic h h o rn mit J a c o b G r im m die Führung übernahm en, und eine Reihe der tüchtigsten, gleichaltrigen und jüngeren Kräfte an sich heranzogen, so übernahm S a v i g n h ganz allein die gewaltige Aufgabe, welche w ir vorhin als die dritte Richtung der hi­ storisch-juristischen Forschung bezeichneten.

S e it mehr als einem Decennium hatte S a v i g n h seine ungewöhn­ liche Arbeitskraft, soweit sie nicht durch dringlichere Pflichten in Anspruch genommen w ar, auf die S am m lung und Verarbeitung des M aterials zu einer Geschichte des Römischen Rechts im M ittelalter verwendet, als int J a h re 1815 der erste B and dieses großartigen Werks erschien. Nach dem schon in der Vorrede zu diesem B ande dargelegten P lane zerfällt dasselbe in zwei H aupttheile, von welchen der erstere die sechs Jahrhunderte vor Jrn e riu s , in denen von wissenschaftlicher Thätigkeit nur geringe S pu ren vorkommen, der andere die vier Jahrhunderte seit J rn e riu s , worin die wissenschaftliche V erarbeitung und M ittheilung durch Lehre und S chrift das Ueberwiegende ist, um faßt. D ieser zweite Theil ist somit seiner Auf­ gabe nach vorherrschend literärgeschichtlichen I n h a lts ; der erste dagegen legt d ar, wie das Römische Recht in den Reichen, welche die Erbschaft des weströmischen übernahm en, in Uebung fortbestand, getragen von den römischen Völkern, deren Fortdauer als lebendiger Elemente der neuen S taaten nachgewiesen wird. E s ist uns durch dieses Werk eine ganz neue Anschauung von der C ontinuität des geschichtlichen Lebens des Römischen Rechts eröffnet wor­ den. W ährend bis dahin die Vorstellung sehr verbreitet w ar, daß der Anfang der wissenschaftlichen Behandlung desselben durch J rn e riu s nur eine auf zufälligen G ründen beruhende Wiederbelebung eines abgestorbenen S toffes gewesen sei, zeigt uns S a v i g n h die zahlreichen Fäden lebendiger Ueberlieferung, welche die Periode des sinkenden römischen Reichs m it dem Wirken der Gloffatoren verbinden, und wie daher nicht Laune, Zufall und W illkür die Geltung des Römischen Rechts bestimmt haben, sondern ein Ergebniß geschichtlicher Entwickelung vor uns liegt. ES ist gegen dies Werk, welches in den Ja h re n 1815— 1831 in sechs Bänden vollendet wurde, zu denen sich in der zweiten Auflage noch ein siebenter gesellte, eingewendet w orden, daß eö seinem T itel nicht ent­ spreche, keine Geschichte des Rechts, sondern eine Geschichte der Literatur gebe. Allein m it einigem G runde läßt sich dies jedenfalls nur von seinem zweiten Haupttheile (welcher allerdings vier Bände ausfüllt) behaupten; der erste H aupttheil giebt uns das Recht, wie es sich im Leben der N a3*

tionen erhielt; die dürftigen Ansätze literarischer Thätigkeit kommen da­ neben kaum in Betracht.

Und was den zweiten H aupttheil b e trifft, so

muß anerkannt werden, daß, wenn das Leben eines Rechts in so eminenter Weise durch wissenschaftliche A rbeit sich bethätigt, die Geschichte desselben auch selbstverständlich die Gestalt der Literaturgeschichte annehmen darf. In

der Literatu r w ird sich aber auch naturgemäß die Entwickelung abspie­

geln, welche daS Recht außer ih r im Leben selber durchmacht.

N u r dürfte

allerdings die Frage sein, ob denn S a v ig n h 's Behandlung der Literärgeschichte das M aaß der gerechten Ansprüche e rfü llt? — Und wenn w ir hier nun den reichen Schatz des sorgfältigst zusammengestellten M a te ria ls , die ungeheure auf die S a m m lu n g , P rüfung und Anordnung verwendete A rbeit und Geisteskraft, die K la rh e it und Sicherheit der Darstellung dank­ bar bewundern: so werden w ir

doch andererseits nicht bestreiten dürfen,

daß das M om ent der E n tw ic k e lu n g nicht in dem entsprechenden Grade sein Recht erhalten hat.

D e r G rund dieses M angels liegt in gewissen

Thatsachen, von welchen noch in einem anderen Zusammenhange die Rede sein w ird. D e r providentielle Charakter großer geschichtlicher Persönlichkeiten w ird uns gewöhnlich äußerlich auch dadurch offenbar, daß besondere, scheinbar zufällige Umstände im richtigen Augenblicke ihrem W irken eine unberech­ nete Stütze geben.

Z u diesen Ereignissen rechnen w ir bei S a v ig n h in

erster Reihe die Entdeckung der ächten Institutionen des G a iu s durch N ie b u h r im J a h re 1 816, welche schon ihrer äußeren Thatsächlichkeit nach, wie sie N ie b u h r in seinem B riefe an S a v ig n h berichtet (Zeitschr. B d. 3 S . 1.30 ff.), so sehr den Eindruck des rein Z ufälligen und darum eben P ro videntiellen macht, daß der m it ih r verknüpfte große gelehrte Name kaum zur Sache zu gehören scheint.

D enn wie selbst N ie b u h r wohl den M a -

nuscripten-Schrank des Domcapitels zu Verona bei seinem flüchtigen B e­ suche hätte durchmustern mögen, ohne gerade die B lä tte r des G aius zu finden; so hätte es auch einem schlechteren M a n n begegnen können, daß ihm gerade d ie se s M anuscript in die Hände gerieth.

Aber freilich ge­

hörte dazu eine Z e it, in welcher die Aufmerksamkeit auf diese D inge ge­ richtet, daS Auge fü r sie geschärft w ar.

Und n u r eine Z e it, wie die des

Aufsteigend der historischen Schule, vermochte den Schatz als solchen zu erkennen, n u r sie besaß die K rä fte , um ihn zu heben, n ur sie die Fähig­ keit, ihn zu verwerthen.

Und so ist es denn vollkommen wahr, was H u g o ,

bei Gelegenheit der Anzeige der dritten Auflage von S avignh's Besitz 1818 äußert: „a u f mehr als Eine A r t läßt sich sagen: o h n e S a v ig n h h ä t ­ te n w i r den G a i u s n ic h t." S e it dem Aufschwung der Rechtswissenschaft vor drei Jahrhunderten, wo zuerst Zasius die Auffindung der Reste des G aius und P aulus, wie sie die westgothische S am m lung erhalten hat, der juristischen W e lt ver­ kündete, und nicht viel später die Fragmente U lpian's durch T iliu ö public irt wurden, w a r ein ähnliches Ereigniß der Rechtswissenschaft nicht be­ gegnet.

V ie l durchschlagender aber und greifbarer als in jenen Zeiten

w ar jetzt der E influß dieser neuen Entdeckung, an welche sich bald noch andere reihten, auf die Gestaltung der Wissenschaft.

D enn einem Ge­

schlechte, dem wie keinem zuvor der historische S in n , d. h. die Fähigkeit und Neigung, sich in die sittlichen, intellectuellen und materiellen Zustände anderer Zeiten und Völker zu versenken, aufgeschlossen w ar, ward hier in ursprünglichster Reinheit von der Vorsehung ein Werk in die Hände ge­ legt, welches in der Blüthezeit römischer Jurisprudenz zu dem Zwecke ver­ faßt w a r, um die erste Bekanntschaft m it dem Wesen der Rechtsinstitute zu verm itteln; ein Werk, a l t genug, um uns, bei der Zähigkeit römischer Rechtstraditionen, noch die sichersten S puren urältester Zustände zu über­ lie fe rn ; und zugleich durch seine, bis in die spätesten Zeiten reichende G e l­ tung als

gebräuchlichstes Lehrbuch und

als Grundlage

von Justinian's

In stitu tio n e n neu genug, um uns ein Schlüssel fü r die Rechtsentwickelung des sinkenden Reichs zu fein. E s ist daher keine Uebertreibung, wenn behauptet w ird , daß unsere Kenntniß des Römischen Rechts durch die Entdeckung des G aius eine fun­ damentale Umgestaltung erfahren hat.

Nicht die einzelnen Notizen, durch

welche unsere Vorstellungen bereichert und berichtigt sind, haben diesen E r ­ folg begründet; sondern einesthcils die belebende K ra ft, welche der Versen­ kung in diese reinste Quelle an und fü r sich innewohut, anderntheils und vorzugsweise aber der Umstand, daß uns erst durch Gaiuö das Verständ-

niß der römischen Rechtspflege eröffnet ist, also desjenigen In s titu ts , wel­ ches überall den Angelpunkt des praktischen Rechtslebens bildet, bei den Römern aber noch in einer ganz besonderen Weise den Stützpunkt fü r die Rechtsentwickelung selber darbot.

Und so feierte d e n n S a v ig n h den sel­

tenen T riu m p h , daß nach wenig Jahren gleichsam durch eine besondere Fügung des H im m els der Beweis handgreiflich geführt w ard, m it wie vollem Grunde er gegen T h ib a u t hatte behaupten dürfen, daß unsere h i­ storische Kenntniß des Römischen Rechts eine durchaus mangelhafte, zugleich aber unsere Wissenschaft auf dem besten Wege sei, eine reinere und tiefere Erkenntniß zu gewinnen. In

der T h a t w ar der Aufschwung, den die Jurisprudenz von jetzt

an nahm, ein ganz außerordentlicher. den w ir

Um ihn gebührend zu schildern, w ü r­

eine Literärgeschichte schreiben müssen.

Es mögen daher hier

einige Andeutungen genügen. D ie Einw irkung des neuen Geistes blieb nicht beschränkt auf die A n ­ hänger der historischen Schule, sondern auch die Fernstehenden, ja selbst die Gegner wurden, und zwar gerade durch den Gegensatz, davon angeregt. W ährend die Jurisprudenz bisher die ledernste und hausbackenste aller D isciplinen gewesen w a r, ward sie jetzt durch ihre Verbindung m it Ge­ schichte und P hilologie allmählich von einem Reichthum edlerer Gedanken und Anschauungen e rfü llt, so daß man wohl auf sie ein W o rt anwenden könnte, welches B e t t in a über S a v ig n h aussprach: daß sie nämlich zu einer „ä s th e tis c h e n G e l a h r t h e it " wurde. E in natürliches Ergebniß der Lösung des Bannes, welcher bisher auf ih r gelastet, eine natürliche Folge der veränderten Vorstellung vom Wesen des Rechts, das jetzt dem Juristen nicht mehr wie eine formlose Masse von Satzungen, die einer oft launenhaften W illk ü r ih r Dasein dankten, sondern als ein organisches Erzengniß der sittlichen Volkskraft erschien, w ar es, daß der J u ris t es jetzt freudiger als einen Gegenstand erfaßte, der es w ohl verdiene, daß man sich m it ganzer K ra ft und Liebe in ihn versenke.

Diese neu befestigte und gesteigerte Ehrfurcht vor dem Berufe

des Juristen, der thatsächliche Beweis, daß auch in seiner Wissenschaft das Edle und Schöne eine S tä tte finden könne, hat den deutschen Juristenstand

nicht n u r in der öffentlichen M einung wieder auf die ihm gebührende S tu fe der Achtung erhoben, sondern ihn auch w ahrhaft innerlich veredelt.

Und

wenn w ir bedenken, ein wie wesentliches G lied der bürgerlichen Gesellschaft er sowohl nach der Z a h l, wie nach der S tellung seiner M itg lie d e r, in Deutschland ausmacht, so müssen w ir diesen E influß S a v ig n y 's als den segensreichsten preisen.

E s mag wahr sein, daß unsere jungen Juristen

vielleicht weniger als in alten Zeiten auf die P ra xis zugespitzt, m it man­ cher überflüssig gelehrten N otiz belastet, heutzutage die Hochschule verlassen: ein Schade ist davon nicht zu fürchten, denn die P ra xis ist selber die beste Lehrmeisterin und unsere deutschen Universitäten sollen keine Beamtenschulen sein.

Dagegen w ar und ist es gewiß von unermeßlichem Segen, daß

seit der Regeneration der Rechtswissenschaft unsere künftigen Staatsbeam­ ten in ihrer Lehrzeit von einer veredelten und reichen Gedankenwelt um­ geben, nicht mehr in einen trocknen und geistlosen Schematismus einge­ spannt sind. D ie wissenschaftliche R ührigkeit trieb eine sehr bedeutende Masse lite ­ rarischer Erscheinungen hervor, unter denen der G a ttu n g nach die Z e it­ schriften die bemerkenswerthesten sind, weil ih r Entstehen und Gedeihen das sicherste Zeichen von der Bewegung in einer Wissenschaft zu sein pflegt. In n e rh a lb eines Decenniums (bis zum Jahre 1827) entstanden neben der Zeitschrift fü r geschichtliche Rechtswissenschaft, in welcher S a v i g n h seine werthvollen Abhandlungen über Fragen der Römischen Rechtsgeschichte nie­ derlegte, das Archiv fü r die civilistische P ra x is , die Zeitschrift fü r C iv il­ recht und Proceß, das Rheinische Museum, die Them is, dann die T ü b in ­ ger kritische Zeitschrift und die E rlanger Jahrbücher der juristischen Literatur. E in bedeutender T h e il der wissenschaftlichen K ra ft ward auf die E dition der neu entdeckten Quellen verwendet; einen anderen nahm die kritische Bearbeitung der längst besessenen Quellen

in Anspruch.

W a r auch daö

Interesse auf die geschichtliche Erkenntniß vorzugsweise hingezogen, so konnte sich doch die Dogm atik des Rechts nicht über Bernächlässigung beklagen. Und seltsam aber ehrwürdig neben diesem neuen jugendlichen Leben, als könne keine Z e it und keine Bewegung ihn erschüttern, wandelte der alte G lü c k , emsig und unverdrossen in die große Scheune seines CommentarS

einsammelnd, von dem er pünktlich zu jeder Messe seinen Band lieferte, bis er mitten in der A usarbeitung des 35. Bandes von dieser W elt ab­ gerufen wurde. S ein bis jetzt noch unvollendetes Werk liefert in bemerkenswerther A rt den B ew eis, welchen W erth in gelehrten Dingen der treue Fleiß des CompilatorS unter allen Umständen behauptet, und wie ihm trotz aller Einwendungen schließlich doch keine Richtung, die es mit der Wissenschaft ernst und ehrlich meint, ihre Anerkennung versagt. An Umfänglichkeit des P la n s und, soweit sie gediehen, auch der Ausführung, läßt sich dem Glück'schen Commentar nur ein anderes Werk in unserer juristi­ schen L iteratur vergleichen: die glossa ordinaria des Accursius, welche ebenso, wie es von jenem gesagt zu werden pflegt, eine ganze Bibliothek entbehrlich machte. S ie bildet den Abschluß einer wissenschaftlichen Epoche, wie der Glück'sche Commentar den Abschluß der alten theoretisch-prakti­ schen Periode bezeichnet, und vollständig darstellen würde, wenn er voll­ endet wäre. D en Kampf um die Frage der Gesetzgebung mußte inzwischen S a v ig n y und seine Schule noch manches J a h r fortführen. Z w ar die prak­ tische Bedeutung desselben offenbarte sich bald als Illusion; und schon im J a h re 1817 konnte S a v ig n y den weiteren Ausführungen T h i b a u t 's entgegnen (Zeitschr. B d. 3 S . 11): „ D a s klingt beinahe so, als ob die Stim m en, welche gegen ein allgemeines Gesetzbuch sich erhoben haben, die Abfassung desselben gehindert und dagegen eine Geneigtheit für besondere Gesetzbücher hervorgebracht hätten. Doch mag dieses blos im Ausdruck liegen, denn im Ernst wird Niemand behaupten, daß ohne jene Stim m en ein allgemeines Gesetzbuch wahrscheinlich zu S tande gekommen wäre. D a s Streben mancher Regierungen, alles Gemeinsame von sich abzuhalten, ist schwerlich durch jene Schriften erzeugt worden, ja wenn diese Schriften wirklich hätten zu ihrer Kenntniß kommen und ihren Beifall erhalten kön­ nen, w as sehr zu bezweifeln ist, so würde ihre Wirkung gerade darin be­ standen haben, das willkürliche Fixiren von Particularrechten der einzelnen S ta a te n vor allem Andern zu verhindern." U ns soll dieser S tre it nur noch insofern beschäftigen, als in ihm die

Einwendungen und Vorwürfe, welche man gegen die gesammte historische Schule erhob, zu Tage traten. Unter diesen ist am bemerlenswerthesten die gleißnerische Denunciation, welche G ö n n e r in Landshut, seinem Cha­ rakter auch darin getreu, in seiner S chrift „über Gesetzgebung und Rechts­ wissenschaft in unserer Zeit" (1815) vorbrachte. D ie Regierungen werden gewarnt vor der historischen M ethode, deren Bekenner ihnen das Recht der Gesetzgebung entziehen, und es in die Hände des Volks und der J u ­ risten als Volksrepräsentanten spielen wollen; vor einer Ansicht, die dahin führe, daß die S taaten nicht vom Regenten, sondern vom Volk und den Ju risten regiert werden. Einer Schrift wie dieser, deren Ziel in der widerwärtigsten Liebe­ dienerei für die particularistischen Gelüste derjenigen Regenten bestand, denen die Erprobung ihrer neugewonnenen souveränen M acht durch ab­ gesonderte Gesetzgebung dringend empfohlen wurde, mußte S a v i g n h m it ganzer K raft entgegentreten; und er that eö in einer Recension, welche sich ebenso sehr auszeichnete durch die schlagende Polemik, wie durch den sittlichen und patriotischen E rnst, und die ihm eigne maaßvolle W ürde, m it der er selbst der schlecht verhüllten Gemeinheit begegnet. (Zeitschrift B d .1 S . 3 7 3 — 423.) Jen er politischen D enunciation antwortet S a v i g n h durch den H in­ weis, wie er zwar gesagt habe, daß der wirkliche Einfluß der Gesetzgebung auf das bürgerliche Recht geringer sei, als man gewöhnlich glaube; daß er aber von den innerlich bildenden Kräften, nicht von der Verfassung un­ serer S taaten gesprochen, und also nicht gesagt habe, der S e n a t der J u ­ risten und die Comitien des Volks müßten das Recht eigentlich beschließen, und die Gesetzgebung des Monarchen sei ein Eingriff in jenes der wahren Verfassung gemäße Recht. V ielm ehr, wenn ein solcher S en at und solche Comitien existirten, so würde er von ihnen dasselbe behaupten, was von den Monarchen gälte, daß nämlich ihr B eruf sei, das unabhängig von ihnen seiende Recht zu erkennen und auszusprechen, und daß sie die­ sen B eruf verkennen, wenn sie die W illkür an dessen Stelle setzen. Dagegen w ird nachgewiesen, wie G ö n n e r 's In te n tio n eben dahin gehe, für die willkürliche unbeschränkte Gew alt zu streiten. „ D a ß die abso«

lute W illkür," sagt S a v i g n h , „hier nicht unter ihrem eigentlichen Namen vorkommt, sondern daß nur von Vernunft, Volksglück u. s. w. die Rede ist, versteht sich von selbst; auch erinnere ich mich nicht, daß jemals ein D espot dem Volke ausdrücklich versprochen haben sollte, es unglücklich zu machen, und die Vertheidiger des D espotism us wissen nicht genug zu rühmen, wie wohl den Völkern unter ihm w ird : vorzüglich in den neusten Zeiten haben sie ihn auf das Lieblichste m it schönen W orten, wie Auf­ klärung, H um anität, Menschenrechte u. s. w. übertüncht, von welcherlei Kunstwerken die Rezierungsgeschichte B onaparte's ganze Gallerien liefert. D ie Sache bleibt aber darum immer dieselbe, und der einfache Unterschied des D espotism us und der Freiheit wird ewig darin bestehen, daß der R e­ gent dort eigenwillig und willkürlich schaltet, hier aber N atur und G e­ schichte in den lebendigen Kräften des Volkes ehrt, daß ihm dort das Volk ein todter S toff ist, den er bearbeitet, hier aber ein O rganism us höherer A rt, zu dessen H aupt ihn G ott gesetzt hat und m it welchem er innerlich eins werden soll. Ic h wiederhole es, daß dieser Gegensatz des D espotis­ m us und der Freiheit bei den verschiedensten Formen der Verfassung ge­ dacht werden kann: eine absolute M onarchie kann durch den Geist der Regierung im edelsten S inn e frei sein, wie eine Republik des härtesten D espotism us empfänglich ist, obgleich freilich auch manche Formen den einen oder den andern dieser Zustände mehr begünstigen. — W as übrigens im Allgemeinen das V erhältniß des D espotism us zu Gesetzbüchern betrifft, so bin ich sehr weit entfernt zu behaupten, jedes Gesetzbuch gehe aus von despotischer Gesinnung. Ic h habe vielmehr schon in meiner früheren Schrift anerkannt, daß unter gewissen Bedingungen die Abfaffung eines Gesetzbuchs sehr wohlthätig sei und alle Billigung verdiene. D a s aber behaupte ich, daß das System der eben beschriebenen Freiheit durch seine Consequenz der unzeitigen Abfassung eines Gesetzbuchs widersprechen w ird, während das System des D espotism us (und besonders jenes übertünchten D espo­ tism us) nothwendig auf diese unzeitige Abfassung führt, wie denn bei un­ serm Verfasser (G önner) eben dieser Zusammenhang von G rund und Folge offen da liegt. Ebenso glaube ich auch umgekehrt, daß die unzeitige Ab­ fassung eines Gesetzbuchs durch die Willkürlichkeit der Entstehung und durch

das Zerreißen der geschichtlichen Fäden dem Despotismus in hohem Grade förderlich sein kann." Gegenüber den praktischen Vorschlägen G ö n n e r 'S , in welchen sich dessen eigentliche Tendenz e nthüllt, erinnert S a v ig n y

daran, wie jener

noch vor wenig Ja hren unter der Napoleonischen Herrschaft die Gesetz­ gebung der Einzelstaaten des Rheinbundes aus innern Gründen, die, soweit sie w ahr seien, noch jetzt fortdauerten, fü r unmöglich erklärt habe, um die allgemeine Annahme des Code zu empfehlen, gegen welche T h ib a n t ernst und warnend seine S tim m e erhoben habe. „Einheimische Gesetzbücher," fä h rt S a v i g n y ( S . 414) fo rt, „waren also unmöglich, so lange es galt, durch ihre Entfernung der fremden T yrannei in die Hände zu arbeiten, und sie sind jetzt möglich, wo in ihnen ein M itte l gefunden scheint, der innigeren Vereinigung

der Deutschen entgegenzuwirken.

Und alle diese

Proben absoluter Gleichgültigkeit gegen die W ahrheit und das Vaterland zugleich werden hier m it der größten Unbefangenheit gegeben, ohne irgend eine S p u r von Schüchternheit und Beschämung! — D a es indessen jetzt wunderliche Menschen giebt, die von einer deutschen N a tio n träum en, so werden diese zur unverdienten Schonung ihres Aberglaubens m it ein paar unschädlichen W orten befriedigt: eö werde sich nämlich so eine materielle Gleichförmigkeit der Gesetzgebung bilden, die Hauptbestimmungen des Rechts würden gleich sein, und der N a tio n a litä t unseres Rechts würden kleine Abweichungen so wenig schaden, als die verschiedenen M undarten der N a­ tio n a litä t unserer Sprache. kommen w ird ?

Ebenso gut können ja diese Gesetzbücher auf's Aeußerste

verschieden ausfallen, wahrscheinlicher.

Aber woher weiß der Verfasser, daß eö so

ja ich finde diese Verschiedenheit um sehr vieles

D em Verfasser kam es komisch v o r, daß ich unter den

Römischen Juristen Gleichartigkeit der B ild u n g und des literarischen Cha­ rakters angenommen habe: aber ich glaube, daß die Geschäftsmänner von W ien und S tu ttg a rt, von München und Hannover um sehr vieles hete­ rogener sein mögen, als es U lpian und P aulus waren.

Nicht zu geden­

ken, daß in mehreren deutschen Regierungen eine unverkennbare Neigung der Absonderung obwaltet, ohne Z w eifel weil man glaubt, daß dadurch am besten auch selbst der Schein

irgend einer Abhängigkeit vermieden

werden könne.

N im m t m an nun h in zu , daß nach unserm Verfasser das

Gesetzbuch die eigentliche G ru n d la g e alles wissenschaftlichen Rechtsstudiums sein soll, so ist die unvermeidliche F olge seines Vorschlags, und ohne Zwei« fe l auch die deutlich gedachte Absicht desselben, daß in dem Recht sowohl a ls in dem Rechtsstudium der Deutschen alles Gemeinsame aufhöre.

E in

solcher Vorschlag kann Jedem, der das deutsche V a te rla n d liebt, schon um dieser V ate rlan dslieb e w ille n nicht anders a ls sehr schmerzlich sein: er ist aber auch an sich, fü r das Recht jedes einzelnen S ta a ts verderblich.

Das

Recht nämlich ha t doch seinen G ru n d in dem geistigen D asein des V olks, zieht also seine Lebenskraft aus denselben W u rz e ln , w ie jede andere A r t geistiger T h ä tig ke it und B ild u n g .

D a es nun G o tt so gefügt ha t (so sehr

es auch zu bedauern sein m a g ),

daß es keine hannöversche, nassauische,

isenburgische u. s. w . Sprache und L ite ra tu r g ieb t, sondern eine deutsche, so w ird offenbar jeder einzelne Volksstam m in demselben M aaße an gei­ stiger K r a ft und Entwickelung ve rlie re n , a ls er sich dem allgemeinen gei­ stigen Verkehr der deutschen N a tio n entzieht.

Dasselbe g ilt aber, wie von

jeder Wissenschaft so auch von dem Recht, und m an sollte denken, dieses müßte selbst derjenige begreifen können, welcher m it unserm Verfasser das Recht lediglich aus der W illk ü r des Gesetzgebers entstehen lä ß t.

D e n n der

Verfasser, der selbst im Fach der Gesetzgebung arb eite t, weiß gewiß am besten, daß auf seiner und seiner Collegen Einsicht und B ild u n g am Ende a lle r E rfo lg

beruht.

Gesetzgebungsräthe,

Je

mehr sich nun kün ftig die ganze B ild u n g der

R ichter und Rechtslehrer p ro vin cie ll abschließt, desto

beschränkter und kleinlicher müssen sie un fehlba r werden und m it ihnen das Recht selbst, nach den verschiedenen Beziehungen, in

welchen ihnen

die E rh a ltu n g und F o rtb ild u n g desselben a n v e rtra u t is t." S o w e it S a v i g n y ,

dessen eigne W o rte w ir in

größeren Auszügen

wiedergeben zu müssen glaubten, w e il sie seine S te llu n g zu u n s e r e r p o ­ l i t i s c h e n u n d n a t i o n a l e n F r a g e charakterisiren. Es

ist der D o c trin

der historischen Schule das nicht ungewöhnliche

Schicksal begegnet, von entgegengesetzten P arte ien abwechselnd benutzt und geschmäht worden zu sein.

H ie r sehen w ir S a v i g n h

von G ö n n e r als

Demagogen verdächtigt: und so w ü rd ig und w a h r auch S a v i g n h ' s E n t-

gegnung ist, — es läßt sich doch nicht leugnen, daß ein tiefer demokratischer Gedanke in einer Lehre liegt, welche alles Recht aus dem Volksgeiste ent­ stehen und den Gesetzgeber selbst n u r fü r ein O rgan dieses Volksgeistes gelten läßt. D o c trin

Ueber die politische F o rm des S ta a ts ist zwar durch diese

nichts ausgesagt, da in ih r das V olk als ein Naturganzes er­

scheint, welches erst den S ta a t, als die höchste Rechtsordnung schafft. H ie r entsteht dann der engere, politische B e g riff des Volks, als der Gesammt­ heit aller in einem S taate gleichzeitig lebenden In d iv id u e n , und zwar bald m it Einschluß, bald im Gegensatz der Regierung.

D aß aber nicht Alles,

was von dem Volke als Naturganzen gesetzt ist, ohne Weiteres zur A n ­ wendung kommen kaun auf den engeren B e g riff, ist um deswillen selbst­ verständlich, w eil zwischen diesen beiden Begriffen bereits die rechtlichen B e­ stimmungen der S taatsordnung in der M itte liegen.

A u f der andern Seite

aber ist ebenso einleuchtend, daß die D o c trin der historischen Schule den schärfsten Gegensatz bildet zu der Hobbes'schen Theorie, welche von H a l ­ l e r auf die plumpste Weise fü r das Bedürfniß der Restaurationszeit zu­ recht gemacht w urde; und S a v ig n y hat sich über die Verwerflichkeit der­ selben unzweideutig geäußert, indem er erklärte, es sei bei der H a lle r's c h e n Bekämpfung der Theorie des C ontrat social schwer zu sagen, welches von beiden bedenklicher sei, die Krankheit oder das H e ilm itte l (System 1. S . 32). In

der fortschreitenden Entwickelung unseres nationalen Bewußtseins

müssen w ir auch die Lehre der historischen Schule als einen Factor be­ trachten, obwohl vielleicht ganz gegen den Wunsch Manches ihrer A n ­ hänger.

D enn indem sie überall auf das Volk als Naturganzes zurück­

führte, dessen Leben sie als die Basis realer Existenzen nachwies, kräftigte sie durch wissenschaftliche Anschauungen den Glauben an unsere nationale Einheit und stützte ihn in den Zeiten, wo man von anderer Seite Alles anwendete, um ihn als leeren T ra u m gefährlicher Demagogen in M iß credit zu bringen. Dagegen hat man auch nicht m it Unrecht die historische Schule als Quelle und Stütze der hhperconservativen P a rte i der Restaurationszeit und ihrer modernen A usläufer betrachtet.

Nichts ist leichter, als die D o c trin

der naturwüchsigen historischen E ntfa ltu n g gegen jede Bestrebung aufzu­ rufen, welche die Entwicklung in rascheren Fluß zu setzen versucht.

Und

eben darin liegt die Gefahr jener Lehre, daß sie allzusehr geneigt macht, gänzlich zu ig n o rire n , welch' wesentliches Element in der Geschichte auch die f r e ie T h a t des In d iv id u u m s ist, da im Leben der G attung das V e r­ hältniß der Freiheit zur Nothwendigkeit dasselbe ungelöste Räthsel bleibt, wie im Leben des In d iv id u u m s .

S ie ve rfü h rt zu der quietistischen A n ­

schauungsweise, welche das Leben der N a tio n einem blos pflanzlichen Dasein gleichstellt und selbst bei diesem beliebten V orbilde noch vergißt, daß sogar im vegetativen Leben ein plötzliches Zusammenbrechen innerlich verfaulter Gebilde, ein rasches Emporschießen der kräftigsten neuen Triebe nicht unge­ wöhnlich ist, ja daß der Naturwuchs der Pflanze sich die veredelnde Hand des Menschen gern gefallen lä ß t, und selbst den gewaltsamen E in g riff zu ihrer Rettung bisweilen fordert.

Aber in der mattherzigen, schlaffen Periode

unserer Restauration ließ sich gar bequem auf dem weichen Kissen jener Theorie ruhen, um behaglich das Schauspiel zu betrachten, wie das V olk sich „naturwüchsig" von In n e n heraus entwickele, in so gemäßigtem Fortschritt, daß Niemand dadurch in seiner Ruhe gestört ward.

B ösartiger freilich

schon zeigte sich die D o c trin , wenn sie zum Schutz der olympischen Ruhe die hohe und niedere Polizeigewalt zu H ülfe rief.

Und als man nun gar die

geschichtliche Entwickelung n ur bis zu einem bestimmten, bequemen Punkte als naturwüchsig, und darum berechtigt anerkannte, das später Geschehene als einen Bruch m it der Geschichte verwerfen, thatsächlich zerstören und m it frömmelndem E ife r die ganze angeblich von G o tt verlassene Entwicke­ lung zur Umkehr zwingen w ollte,

soweit die M acht reichte: da mögen

Wenige im deutschen Volke noch an die Ehrlichkeit solcher Gesinnungen geglaubt haben. Freuen w ir uns, daß S a v i g n y ' s Name m it diesen E r ­ lebnissen seines Greisenalters n u r lose verwebt ist: aber die Namen der Hassenpflug, Linde, S chröter, Pernice, K eller, S ta h l werden leider fü r alle Zeiten die späteren Evolutionen der historischen Schule charakterisiren. Auch ist eö leider ein in früherer und späterer Z e it gehörter und wohl nicht unbegründeter V o rw u rf, daß sich unter der Fahne der historischen Schule eine Coterie zusammen gefunden habe, welche sich an der einfluß-

reichen S tellung des H auptes w ärm te, und manchen unsauber« Gesellen in sich barg, der die vortheilhafte Protection sich durch widerwärtige Schmei­ chelei erkaufte, das „Räuspern und Spucken" des großen Meisters bestens nachahmte, und seine Fahnentreue durch plumpes Vornehmthun nach Außen zu bewähren suchte. S a v i g n h 's Name selber hat durch solche Erschei­ nungen bei unserm Volke Schaden gelitten, so daß es Z eit ist, seinem An­ denken den guten Klang wiederzugeben, durch die E rinnerung an das Große und Edle seines Wesens und W irkens. A ls im Beginn der Zwanziger Ja h re das H egel'sche System sich zur Rechtsphilosophie entwickelt hatte, mußte die Frage über das V erhält­ niß desselben zur historischen Schule, dem andern mächtigen Factor der Zeitbildung, zur Entscheidung kommen. An und für sich lag kein G rund zur Bekämpfung vor: die historische Schule konnte sich den berüchtigten, zuerst in der Rechtsphilosophie ausgesprochenen S a tz : „was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig" gern gefallen lassen. S ie mußte dankbar für die Erklärung sein, daß es die Aufgabe der Philosophie sei, das, w as ist, zu begreifen; daß die Philosophie nichts sei, als ihre Z eit in Gedanken erfaßt. E in Glied der historischen Schule sogar hätte die folgenden Sätze schreiben können, welche wir, wie die vor­ hergehenden, der Vorrede zur Rechtsphilosophie entnehmen: „E s ist ebenso thöricht zu wähnen, irgend eine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige W elt h in au s, als ein Individuum überspringe seine Zeit. Geht seine Theorie in der T h at darüber hinaus, baut es sich eine W elt, wie sie sein soll, so existirt sie wohl, aber nur in seinem M einen, — einem weichen Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden läßt." W as die beiden Schu­ len dennoch in Conflict brachte, w ar der beiderseits naturgemäß erhobene Anspruch ausschließlicher Herrschaft oder mindestens höherer Berechtigung — und zwar, was wohl zu beachten, nicht etwa blos im Gebiete der Geister, sondern ganz praktisch in dem R aum e des preußischen S ta a ts (vgl. Hahm, Hegel und seine Zeit S . 357 ff.). Z u einer direkten Collision zwischen den würdigen Häuptern der Schu­ len ist es indeß niemals gekommen. S a v ig n h schwieg dazu, daß H e g e l

(Werke B d. 8 S . 287) es für bett größten Schimpf erklärte, der einer gebildeten N ation angethan werden könnte, wenn man ihr die Fähigkeit abspreche, ein Gesetzbuch zu machen. Auch ließ man es sich gefallen, wenn H e g e l an einer andern S telle ( S . 26 ff.) sehr geringschätzig über das angeblich historische „Begreifen" eines Rechtssatzes sich aussprach und da­ bei einige Abgeschmacktheiten H u g ö 's , wie billig, zerzauste. Eine andere Gestalt aber nahm die Sache an, als H e g e l's Schüler E d u a r d G a n S m it Angriffen auf die historische Schule hervortrat, die zum T heil ganz offen, zum T heil wenigstens unverkennbar geradezu gegen S a v ig n h gerichtet toprett. M ag auch, wie behauptet w ird, unter den M otiven zu diesem Schritte die persönliche Gereiztheit und verletzte Eitelkeit eine erhebliche Rolle gespielt haben; so sind doch die Vorwürfe theilweise der A rt, daß sie wohl den Versuch einer W iderlegung verdient hätten. S ta tt dessen begingen S a v i g n h 's Anhänger mehrfach den Feh­ ler, ihnen m it höhnenden Abfertigungen entgegenzutreten, und bestätigten dadurch thatsächlich einen T heil der Beschuldigungen, welche man gegen sie erhob. E s ist nicht nöthig, die Einzelheiten dieses unerquicklichen S tre its zu verfolgen; doch muß E in V orw urf herausgehoben werden, mit welchem G a n s allerdings einen wunden Fleck der historischen Schule traf. „Aus der historischen Schule," sagt er in der Vorrede zum Erbrecht 1824 (B d. 1 S . X V ), „ist unter den Ju risten jener eingefleischte H aß gegen die P h i­ losophie, und gegen das Denken, welches nicht Ausmitteln eines Factum s ist, hervorgegangen, ein H aß , der sich in dieser S p h äre äußert, als Haß gegen das philosophische Recht, so daß von demselben nur m it Verachtung und Wegwerfung gesprochen wird — ; aus jener Schule ist ferner hervor­ gegangen die Anbetung des Aeußerlichen als des Absoluten. I n jede Notiz und in jede äußerliche Bemerkung hat man eine ganz unendliche Wichtigkeit zu legen gesucht, und so ist bei dem lärmenden Getöse dieses Gottesdienstes das Eigentliche, nämlich der Begriff, vollends verloren ge­ gangen." D aß es der historischen Schule in H aupt und Gliedern an philoso­ phischer Begabung fehlte, ist so wenig ein V orw urf, wie eö G ö th e 'S Ruhm

vermindern heißt, wenn man seine Leistungen als Naturforscher anzweifelt. Z u r E rfü llu n g

seiner geschichtlichen Aufgabe

bedurfte S a v ig n h

keiner

andern Eigenschaften, als derjenigen, welche er in vollstem Umfange be­ faß; und in richtiger Erkenntniß feines Zieles hatte er die wissenschaft­ liche Thätigkeit von der Betrachtung allgemeiner und abstracter Wahrheiten auf die E rm ittelung des Einzelnen und Thatsächlichen hingelenkt.

A lle r­

dings aber gelangte die historische Schule allgemach auf einen Punkt, wo sie G efahr lief, über die Freude am Einzelnen und Kleinen das große Ganze aus dem Bewußtsein zu verlieren.

Hatte S a v ig n h gegen G ö n ­

n e r gesagt: „nach der Methode, die ich fü r die richtige halte, w ird in dem M annichfaltigen, welches die Geschichte darbietet, die höhere E inheit aufgesucht, das Lebensprincip, woraus diese einzelnen Erscheinungen zu erklären sind und so das materiell Gegebene immer mehr vergeistigt" — so w ar dam it die höchste Aufgabe der Geschichtsforschung bezeichnet. Wenn es dagegen bei einer spätern Gelegenheit zur Abwehr des B o rw u rfs der M ikrologie (Zeitschr. B d . 3 S . 5 ) hieß: „M ikro lo g ie muß jeder vernünf­ tige Mensch gering schätzen, aber genaue und strenge Detailkenntniß ist in

aller Geschichte so wenig entbehrlich, daß sie vielmehr das Einzige

ist, was der Geschichte ihren W erth sichern kann" — so läßt sich zwar gegen diesen S a tz, wie er dasteht, an und fü r sich ebenfalls nichts ein­ wenden: allein er eignete sich auch gar sehr zur Beschönigung der Rich­ tung, welche von den höheren Aufgaben der Historie seitabwärts in die Irrw e g e der M ikrologie hineinführte. „E in e Rechtsgeschichte," fä h rt S a v ig n h an der mitgetheilten S te lle fo r t, „die nicht auf dieser gründlichen Erforschung des Einzelnen beruht, kann unter dem Namen großer und kräftiger Ansichten nichts Anderes ge­ ben, als ein allgemeines und flaches Räsonnement über halbwahre T h a t­ sachen, und ein solches Verfahren halte ich fü r so leer und fruchtlos, daß ich daneben einer ganz rohen E m pirie den Vorzug einräume."

ES ist,

als hätte dieses W o rt wie ein A lp auf der historischen Schule gelastet, ängstlich die B ru s t der Jünger m it der Sorge beklemmend, in die Klasse der flachen Räsonneurs geworfen zu werden, sobald man sich von dem sichern Boden der Detailkenntnisse entferne; und gesteigert ward diese Sorge, 4

übertrieben die einseitige Verehrung der blos philologischen Behandlung der Geschichte, durch den Gegensatz, in welchem man sich losophie der Geschichte und ihren Erfolgen wußte.

zu H e g e l'S

P h i­

Wenn auch die V o r­

w ü rfe , welche G a n S erhebt, tendenziös übertrieben sind, so hat er doch richtig auf jenen Punkt hingewiesen, aus welchem die auffallende Thatsache zu erklären ist, daß die historische Schule es zu einer Geschichte des R ö­ mischen Rechts nicht gebracht h a t, obgleich sie doch in diesem Werke die K rönung ihrer Thätigkeit hätte sehen müssen. W ir sind reich an den gründ­ lichsten und geistreichsten Untersuchungen einzelner Theile der Rechtsgeschichte: allein ein Werk, welches die Gesammtentwicklung des Rechts zur Anschauung brächte, welches, wie S a v ig n y ehemals das Problem bezeichnete, „das Lebensprincip nachwiese, aus welchem die einzelnen Erscheinungen zu er­ klären sind und so das materiell Gegebene vergeistigt" besitzen w ir nicht. N u r P u c h ta hat dazu einen bedeutenden A nfang gemacht; als aber in neuester Z e it ein Anderer das Problem in seiner eigenthümlichen Weise wieder aufnahm ,

hat diese „V e rg e istig u n g "

gerade bei den Altgesellen

der historischen Schule am wenigsten Anerkennung gefunden. W a ru m mag S a v ig n y

das W erk nicht selber in die Hand genom­

men haben? Vielleicht sind es n u r äußere Gründe, die ihn abhielten: die Ausarbeitung seiner Geschichte des Römischen Rechts int M itte la lte r und dazu das Nervenleiden, welches ihn im Anfang der Zwanziger J a h re be­ fie l, ihn auf längere Z e it seiner amtlichen Thätigkeit entzog und ihn nö­ thigte, mehrere Jahre seiner Erholung auf Reisen zu widmen. Wenn w ir aber die Fortsetzung seines eben genannten Werks, welches im J a h re 1826 m it dem 4. Bande die eigentliche Gelehrtengeschichte be­ gann, aufmerksam betrachten, so scheint sie unö noch eine andere A n tw o rt auf unsere Frage zu geben.

Es ist uns, als wäre darin nicht mehr jene

frische K ra ft historischer Production zu finden, die das zerstreute Einzelne zu einem lebendigen Ganzen zu gestalten weiß.

D ie bisherige W ärm e

und Lebendigkeit der D arstellung, die Energie des Ausdrucks, welche ge­ radezu auf das Z ie l hinstrebt, ist jener eigenthümlichen B re ite gewichen, welche m it sonderlichem Behagen bei jedem unbedeutenden Momente ver­ w e ilt und jedes geringfügige Ergebniß als D asjenige, „welches nunmehr

umständlich dargelegt werden soll," allemal im V oraus ankündigt. Allerdings träg t auch diese epische B reite in ihrem unwandelbaren Gleichmaaß, da sie sich m it vollendeter K larheit und Eleganz verbindet, den Stem pel einer gewissen Classicität. Durch sie ist die Gelehrtengeschichte, wie sie jetzt vor uns liegt, ein Gebäude von unverwüstlichem Gefüge, das für die spätesten Zeiten den reichsten Schatz des Wissens sicher bewahrt. Allein die höchste Aufgabe der Geschichtschreibung, das ist, eine E n tw ic k lu n g zu begreifen und zur Anschauung zu bringen, ist nicht erreicht, ja sie scheint kaum erstrebt zu sein. D ie uns m it Gewissenhaftigkeit aufgezählten P e r­ sonen, ja selbst die Corhphäen unter ihnen, bleiben unö Namen und blaffe Abstracta, die einander zum Verwechseln gleiche»; sie stehen isolirt, ohne lebendige Beziehung zu der Z eit und dem O rt ihres W irkens; kaum daß gelegentlich der großen Ereignisse und Id e e n , welche ihre Z eit bewegten, E rw ähnung geschieht; wie sie ans ihre eigne und die folgende Z eit be­ dingend wirkten, tritt nicht hervor. E in Werk m it diesen Eigenthümlichkeiten, das sich der historischen Schule als mustergültiges Geschichtswerk darstellte, weil es von S a v ig n y kam, konnte nicht mehr, wie seine früheren Schriften belebend und fördernd auf die Zeitgenossen wirken, sondern cd mußte den Irrth u m befestigen, daß in historischer Arbeit für den Juristen nur die W ahl sei zwischen dieser A rt der Forschung und Darstellung — oder einem oberflächlichen Räsonnement. Und diesem deprimirenden Einflüsse muß es wesentlich zu­ geschrieben werden, wenn in denselben Zeiten, in denen w ir gelernt haben, w as Geschichte der Literatur und Geschichte der Kunst sei, die Geschichte des Rechts auf den meisten Gebieten eine Notizensammlung geblieben ist; ja, daß auf dem Gebiete der juristischen Literärgeschichte (im weiteren S inne des W orts) eine S tagn ation eintrat, so daß bis in die neuesten Zeiten kaum der Eine und Andere sich daran gewagt hat, die für uns Deutsche wichtigste Periode, das ist die Zeit nach Ablauf des M ittelalters, zu be­ arbeiten. W ir müssen daher in mehr als einer Beziehung den Vorwürfen zu­ stimmen, welche von S eiten der Hegelianer gegen die historische Schule erhoben wurden. N u r liegen sie nicht begründet in dem P r i n c i p der

letzter«, sondern d a rin , daß ih r e K r a f t n ic h t a u s re ic h te , um ih r e höchsten Z ie le zu v e r f o lg e n , und sie daher diejenigen fahren ließ, welche mittelst der blos philologischen K ritik nicht zu erreichen sind.

Und wenn

w ir endlich die Sache von einem allgemeineren Standpunkt betrachten, so müssen w ir es als ein Glück bezeichnen, daß die Einseitigkeit der historischen Schule den viel gefährlicheren Ausschweifungen der Hegelianer im Construiren und Zurechtmachen der Geschichte das Gegengewicht hielt.

Jene

hat uns den sicheren Boden gerettet, der uns zum Fortbau geblieben ist, nachdem die luftigen Gebilde der Hegelianer m it der befruchtenden K ra ft anregender Visionen an uns vorübergerauscht sind.

D ie Polemik der Hegelianer gegen die historische Schule hat indeß keineswegs der nicht-historischen, oder, wie sie sich selbst gern nannte, der philosophischen Schule größere Bedeutung verschafft. Z w a r liebte es G a n s , auf T h ib a u t und F e u e rb a c h hinzuweisen: allein in der T h a t hatte er m it ihnen n u r die Abneigung gegen S a v ig n h

und seine Anhänger ge­

m ein; eine Hinneigung zur Hegel'schen Philosophie ist bei den genannten beiden Juristen nie hervorgetreten; sie blieben auf ihrem alten S ta n d ­ punkte stehen, und haben ihren E in flu ß mehr und mehr verloren. A ls T h ib a u t im J a h re 1839 starb, durfte man sagen, daß der alte Gegensatz zur historischen Schule, dessen Repräsentant er gewesen, schon längst nicht eigentlich mehr bestanden habe.

Denn ihre obersten Lehrsätze,

die Methode, welche sie in'S Leben gerufen, waren längst in das Gesammtbewußtsein der Juristen

übergegangen.

Zur

wollte sich daher kaum E in e r mehr bekennen.

u n h is to ris c h e n

Richtung

Aber freilich hatte m it dem

Kampfe auch die intensive M acht der historischen Schule selber nachge­ lassen. Dagegen w ar allgemach die große Bewegung, welche durch die H e gel'sche Philosophie ans allen Gebieten unseres geistigen Lebens angeregt w ar, auch in die Rechtswissenschaft eingedrungen. Z w a r ist die Z a h l der eigentlichen Hegelianer unter den Juristen

gering geblieben.

Doch aber

kam eine Z e it, in der bei ihnen der E influß H e g e l's mächtiger ward, als

der S a v ig n h 'S .

D ie Zeiten der historischen Schule gingen zu Ende und

eine neue Phase der Entwicklung begann, in welcher alö erstes M erkm al die überwiegende Hinneigung zum s yste m a tisch e n E rk e n n e n des Rechts h e rv o rtritt.

M a n w ill sich m it dem blos thatsächlichen Wissen und histo­

rischen Erklären nicht mehr begnügen, sondern man w ill es begreifen und hinter die D inge kommen.

Z w a r fü r die verständige, logische Anordnung

des S to ffe s , dieses erste Vehikel systematischen Verständnisses, w ar schon während der Z e it,

von welcher hier bisher die Rede w a r, Erhebliches

geleistet durch H e is e , dessen „G ru n d riß den einflußreichsten Büchern gehört.

fü r Pandektenvorlesungen" zu

A lle in m it einer bisher ungewohnten,

in philosophischer Atmosphäre erworbenen, dialektischen Schärfe begann man jetzt die B egriffe zu prüfen und zu form uliren, um sie auf principielle E inheit zurückzuführen und aus ihnen das System zu erbauen. D a s her­ vorragendste Werk dieser A r t aus dem Ende der D reißiger J a h re , ist, nächst dem auf S c h e llin g 's c h e r Grundlage ruhende» „S ystem " und „Lehr­ buch" von P u c h ta , die „Theorie des C ivilrechts" von K i e r u l f f , in wel­ chem H e g e l'S E influß ganz unverkennbar h e rvo rtritt. Indeß gerade dieses Werk zeigt in

ebenso bedeutsamer Weise das

a n d e re M e r k m a l d e r n e u e n E n tw ic k e lu n g s s tu fe : eS ist das D rä n ­ gen auf eine mehr p ra k tis c h e Jurisprudenz, welches n u r als ein S ym ptom der in dem Gesammtleben unserer N a tio n begonnenen Richtung auf prak­ tische Ziele zu betrachten ist. Nicht m it Unrecht hatte man längst den B o rw u rf erhoben, daß die Juristen in ihrem gelehrten Bestreben, in ih re r Liebe zum historischen E r ­ kennen, die Bedürfnisse des Lebens vernachlässigten, und ganz vergäßen, daß die Jurisprudenz eine wesentlich praktische D is c ip lin sei.

B on S e i­

ten der Germanisten w ard dieser B o rw u rf gegen die Romanisten gewendet m it dem Zusatze, daß das überwiegende Bestreben, in das Verständniß des reinen Römischen Rechts einzudringen, dahin geführt habe, den S in n fü r das deutsche Recht und das heutige Rechtsleben zu verschließen und jenem einen ganz ungebührlichen Umfang der G ültigkeit zu vindiciren. W ie S a v ig n y zu dieser, jetzt in den Vordergrund tretenden Frage sich verhalte, wußte man nicht.

D enn seit seiner S c h rift über den Besitz

hatte er keine Arbeiten auf dem Gebiete der Dogmatik veröffentlicht; und w as über feine Vorlesungen verlautete, berechtigte zu keinem sicheren U r­ theil. Doch w ar durch seine historischen Arbeiten die M einung sehr all­ gemein erweckt worden, daß er für die dogmatischen und praktischen F ra ­ gen wenig Interesse hege, und sich daher gegen sie mindestens ablehnend, wenn nicht gar feindlich verhalten werde. D a erschienen im Ja h re 1840 zur größten Ueberraschung des juristi­ schen PublicumS die drei ersten Bände seines „System s des heutigen R ö­ mischen Rechts," denen zwei weitere Bände unm ittelbar folgten — ein W erk, in welchem uns der sechszigjährige Verfasser eine langsam gereifte Frucht seines Lebens darlegte, aber einer S eite seines Lebens, die bisher nur W enigen bekannt gewesen, von Vielen sogar für verkümmert gehal­ ten w ar. Aber nicht das Ueberraschende dieser Erscheinung macht sie so merk­ würdig, sondern, zunächst ganz abgesehen von ihrem speciellen In h alte, der Umstand, daß derselbe M ann , welcher die historische Richtung der Juristen hervorgerufen, sie geleitet und in ihr seinen Ruhm gefunden hatte, n u n d iese P e r io d e f ü r e r f ü l l t und die Z eit für gekommen erklärte, wo die Wissenschaft eine seither vernachlässigte B ahn wieder betreten müsse. I n der V orrede, welche man einen Nekrolog der historischen Schule nennen kann, spricht er sich u. a. (95b. 1 S . X I I I ) folgendermaaßen au s: „Alles Gelingen in unserer Wissenschaft beruht ans dem Zusammenwirken verschiedener Geistesthätigkeiten. Um Eine derselben, und die aus ihr vor­ zugsweise entspringende wissenschaftliche Richtung in ihrer Eigenthümlich­ keit zu bezeichnen, w ar früher von m ir und Anderen arglos der Ausdruck der historischen Schule gebraucht worden. E s wurde dam als diese S eite der Wissenschaft besonders hervorgehoben, nicht um den W erth anderer Thätigkeiten und Richtungen zu verneinen oder auch nur zu vermindern, sondern weil jene Thätigkeit lange Z eit hindurch vor anderen versäumt worden w ar, also vorübergehend mehr als andere einer eifrigen V ertretung bedurfte, um in ihr natürliches Recht wieder einzutreten." An einer andern S telle ( S . X X I I ) heißt es weiter: „Betrachten wir nun aber den wirklichen Zustand unserer Rechtstheorie, wie sie jetzt ist,

in Vergleichung m it dem Zustand, wie er vor Fünfzig, und noch mehr, wie er vor H undert Jahren w a r, so finden w ir Vorzüge und Nachtheile sehr gemischt.

Z w a r w ird Niemand verkennen, daß jetzt Vieles möglich

geworden und wirklich geleistet ist, woran früher nicht zu denken war, ja, daß die Masse der hervorgearbeitctcn Kenntnisse in Vergleichung m it jenen früheren Zeitpunkten sehr hoch steht.

Sehen w ir aber auf den eben ge­

forderten praktischen S in n , wodurch in den einzelnen Trägern der Theorie ih r Wissen belebt werden soll, so dürfte die Vergleichung minder vortheilhaft fü r die Gegenwart ausfallen.

Dieser M angel der Gegenwart aber

steht im Zusammenhang m it der eigenthümlichen Richtung»

die in den

theoretischen Bestrebungen selbst gegenwärtig wahrzunehmen ist." „Besieht nun also," fä h rt S a v ig n y später ( S . X X V ) fo r t, „das Hauptübel unseres Rechtsznstandes in einer stets wachsenden Scheidung zwischen Theorie und P ra x is , so kann auch die Abhülfe n ur in der H er­ stellung ih re r natürlichen Einheit gesucht werden.

Gerade dazu aber kann

das Römische Recht, wenn w ir es richtig benutzen wollen, die wichtigsten Dienste leisten.

B e i den römischen Juristen erscheint jene natürliche E in ­

heit noch ungestört, und in lebendigster Wirksamkeit; es ist nicht ih r V e r­ dienst, sowie der entgegengesetzte heutige Zustand mehr durch den allgemei­ nen Gang der Entwicklung, als durch die Schuld der Einzelnen herbeigeführt worden ist." M i t bedenklichem Z w eifel werden Viele dieö Buch, das ein p r a k ­ tisches sein wollte, in die Hand genommen haben, eben w e ite s von S a v ig n h

kam.

Noch Mehrere werden erwartet haben, daß S a v i g n y in

seiner Verehrung fü r das Römische Recht darauf ausgehen werde, diesem eine möglichst weitgehende und unveränderte G ültigkeit gegen alle Angriffe zu sichern.

Und in gewissem S inne schien das Werk diese V orurtheile zu

bestätigen.

D enn außer dem unzweifelhaft gültigen Römischen Recht wa­

ren hier m it sorgfältigster Umsicht und B reite Untersuchungen dargelegt, welche über das Justinianische Recht weit hinausgingen, und recht eigent­ lich in die frühere Entwicklung

des Römischen Rechts zurückführten, so

daß man m it Erstaunen fragen konnte, wie denn diese in einem Systeme des h e u t i g e n

Römischen Rechts Platz finden könnten? Allein eine ge-

notiere Beschäftigung m it diesem Werke mußte die Verwunderung geradezu nach der entgegengesetzten S eite wenden. Am wenigsten zwar befriedigt das Buch die E rw artung, welche inan an das erste Titelw ort zu knüpfen berechtigt ist: denn ein S y s te m ist es seiner ganzen Anlage nach nicht; es fehlt dazu die principielle E inheit; und sowohl die Präcision, wie die logische Gliederung der Begriffe läßt M anches zu wünschen übrig; der M angel speculativer Begabung ist auch hier unver­ kennbar. Aber w as dieses Werk in eminenter Weise leistet, ist das intuitive Erfassen der Rechtsinstitute in Rücksicht auf ihre praktischen Functionen, ihre Zwecke im wirklichen Leben, der Gegenwart sowohl, wie der V er­ gangenheit. Ueberall nimmt S a v i g n h sie nicht alö kahle Abstracta, wie sie in der Schule nach logischen Forderungen zurecht gemacht sind und ge­ wöhnlich in unsern Lehrbüchern erscheinen: sondern sie sind ihm Gestaltun­ gen, welche aus den lebendigen Beziehungen der Menschen unter einander hervorgegangen, und nur aus diesen zu verstehen sind. I n diesen einfachen, verständigen Reflexionen, in dieser gesunden Betrachtung der N atu r der Sache, erkennen wir den nun gereiften, und daher noch weiter blickenden Verfasser des „Rechts des Besitzes" wieder, dem es gelungen ist, durch vertrauten Umgang m it den Römischen Ju risten während eines MenschenalterS, seinen Vorbildern nahe zu kommen. D enn auch in ihm haben die Rechtsinstitute Leben gewonnen; sie gestalten sich unter seinen Händen zu lebensfähigen Gebilden, zwar nicht immer nach präcisen Regeln, aber nach dem Gesetze, welches die Production des Künstlers bestimmt, das eine W ahrheit h a t, obgleich eS sich weder präcis aussprechen, noch auf streng logische Form eln reduciren läßt. Und so finden wir denn an S a v ig n y 'S Deductionen dasselbe zu rühm en, aber auch dasselbe zu tadeln, tote an den classischen Ju risten : neben jenem lebendigen Anschauen und Gestalten den M angel speculativer Begründung, eine gewisse Willkürlichkeit und J n correctheit in der Beweisführung, eine gewisse Eigenmächtigkeit in der B e­ seitigung von Schwierigkeiten. Ueberall aber begegnen wir dem ächt ju ri­ stischen T act, diesem undefinirbaren E tw as, das doch wohl auf nichts An­ derem beruht, alö auf der glücklichen Vereinigung theoretischen Wissens m it praktischer Anschauung zu einem individuellen Besitzthum. Eben darum

ist dies Werk auch ein p ra k tis c h e s Buch im höheren S in n e des W o rts , wenn auch keineswegs im S in n e des handwerksmäßigen Bedürfnisses.

In

der reinen Theorie n im m t es durch die gerühmten Eigenschaften, m it denen sich die bei S a v ig n y selbstverständlichen Vorzüge umfassendster Gelehrsam« keit und schöner Darstellung verbinden, einen so hervorragenden Platz ein, wie kein anderes ihm vergleichbares.

Es hat die darin behandelten Lehren

der M ehrzahl nach zu einem gewissen Abschlüsse gebracht, der sich freilich, wie zur Ehre und zum Segen der Wissenschaft zu hoffen w a r, immer mehr als ein n u r v o r l ä u f i g e r Abschluß und m ith in als Ausgangspunkt weiteren ForschenS, ausweist. M e h r aber noch als diejenigen, welche S a v ig n y ein solch' praktisch­ dogmatisches Buch nicht zutrauen mochten, sahen sich diejenigen beschämt, welche erwarteten, daß er bemüht sein werde, dem Römischen Rechte eine ungebührliche Herrschaft zu sichern.

D enn sie mußten zugestehen, daß der

Verfasser ganze Theile des Römischen Rechts fü r a n tiq u irt erklärte, an deren G ültigkeit bis dahin kaum E in e r von ihnen selbst theoretisch zu zweifeln gewagt hatte.

Gerade die historischen Untersuchungen waren viel­

fach n u r zu dem Zwecke hier dargelegt worden, um das Resultat zu be­ gründen, daß eine Rechtslehre in der T h a t abgestorben sei und n u r aus Mißverständniß bisher ein Scheinleben in unseren Lehrbüchern fortgeführt habe.

In

dieser Richtung hat S a v ig n y 'S „S ystem " die entschiedensten

E rfolge gehabt; denn eö hat die geschichtliche Behandlung des Rechts vor dem praktischen Bedürfniß gerechtfertigt, m it diesem versöhnt. Es ist seitdem ein unter den Juristen nicht mehr bestrittener Satz, daß das Z ie l historischer Rechtswissenschaft nicht sei, das Abgestorbene wieder zu beleben und die Gegenwart unter die Bildungen der Vergangen­ heit zu beugen: sondern daß es liege in einer klaren und sicheren A us­ einandersetzung zwischen uns und den Römern einerseits, zwischen uns und unseren V orfahren andererseits.

In

dieser Auseinandersetzung und A b­

rechnung, welche Romanisten und Germanisten vereinigt, sind w ir heutiges Tages begriffen.

D ie Befähigung dazu entstammt der historischen Schule,

und S a v ig n y 'S Beispiel selbst hat unS in dieser Richtung geleitet, deren praktisches Z ie l kein anderes sein kann, als d ie A b fa s s u n g e in e s A l l -

g e m e in e n D e u ts c h e n C iv ilg e s e tz b u c h s , in welchem die Resultate der wissenschaftlichen O peration ihren Ausdruck finden werden. S o hat nun S a v ig n h 's W irken einen herrlichen K re isla u f beschrie­ ben: indem er ein voreiliges, unzeitiges nationales Unternehmen bekämpfte und uns auf die B ahn ächter Wissenschaft m it a ll' unseren K räften lenkte, hat er uns fähig gemacht, jenes W erk m it gereifter Einsicht wieder in die Hand zu nehmen und uns selber dem Ziele entgegengeführt.

DaS „S ystem " ist S a v ig n h 's letztes, leider n u r zum kleinsten Theile vollendetes Werk.

Im

J a h re 1842 tra t er von seiner Professur zurück

und übernahm das von seinem Verehrer König Friedrich W ilhelm I V . fü r ihn gestiftete M in iste riu m

fü r die Revision der Gesetzgebung.

D ie s hohe

A m t hat zwar die M ärztage des Ja h re s 1848 n ur kurz überdauert, aber gerade sechs kostbare Jahre eines kräftigen Greisenalters der Wissenschaft geraubt, ohne dafür durch Förderung praktischer Interessen ein Aequivalent zu bieten.

D enn auch diejenigen, welche über S a v ig n h 's Leistun­

gen als M in iste r ein weniger ungünstiges U rth e il fällen, als es von an­ deren Seiten geschieht; selbst diejenigen,

welche seinen E influß auf die

Revision des Civilprocesses, der Ehegesetze, des Wechselrechts u. s. w. nicht unterschätzen — räumen bereitwilligst ein, daß alles dieses zu demjenigen, welches w ir von ihm auf dem Gebiete der Wissenschaft noch zu hoffen berechtigt w aren, in gar keinem Verhältnisse stehe.

D ie Vollendung des

„S ystem s" konnte bei ungestörter wissenschaftlicher Thätigkeit des rüstigen Sechzigers

erwartet werden.

Jetzt gerieth sie in 's Stocken.

E rst im

J a h re 1847 erschien der sechste B a n d , in den folgenden beiden der sie­ bente und achte, zugleich aber die E rklärung, daß eine Vollendung des Werks nach dem ursprünglichen Plane nicht mehr zu erwarten stehe; die bisher erschienenen Bände, welche die allgemeinen Lehren enthielten, soll­ ten daher jetzt als ein selbständiges Ganze gelten und ebenso die etwa noch erscheinenden Bearbeitungen specieller Lehren.

Noch zwei Bände,

den Anfang des Obligationen-Rechts enthaltend, sind unö in den Ja h ­ ren 1851 und 1853 zu T h e il geworden — damit schloß fü r immer S a ­ v ig n h 's schriftstellerische Thätigkeit.

E r hat seitdem das stille Leben eines Greises geführt, der an die W e lt zwar noch durch manches edlere Interesse, aber nicht mehr durch die Pflichten des W irkens geknüpft ist; getragen von der dankbaren V e r­ ehrung der gesammten juristischen W e lt, die den Tag seines fünfzigjähri­ gen D octorjubiläum s (31. October 1850) zu einem Festtage ohne Gleichen erhob. A m 25. October 1861 setzte ein sanfter Tod diesem Leben ein Ende, das w ir in jedem Betracht ein schönes und großes nennen dürfen.