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German Pages 160 Year 1973
Linguistische Arbeiten
11
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Rainer Wimmer
Der Eigenname im Deutschen Ein Beitrag zu seiner linguistischen Beschreibung
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1973
Meiner Mutter Emmi Wimmer gewidmet
ISBN 3-484-10191-1
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1973 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany
INHALT
VORWORT
5
0.
EINLEITUNG
6
1.
DER EN ALS SPRACHLICHES ZEICHEN
8
1.1
Zur Terminologie
8
1.1.1
Ausdruck, Inhalt, Bedeutung
8
1.1.2
Satz
15
1.1.3
Komrautation, Paradigma, Syntagma
17
1.1.4
Plerem ..
19
1.1.5
Langue und Parole
1.2
Der Status des EN als
1.2.1
Die These von der Bedeutungslosigkeit des EN ... 24
1.2.1.1
Die sog. etymologische Bedeutung des EN
1.2.1.2
Gegenstände statt bzw. als
1.2.1.3
Die Gegenthese: EN sind Plereme mit Bedeutun-
,.
20
Plerem
23 25
Bedeutungen des EN .. 29
gen
32
1.2.2
Die Dichotomie von Name und Wort
33
1.2.3
Kommutation und Intuition des Sprecher-Hörers .. 42
2.
DIE AUSDRÜCKSSEITE DES EN
4?
2.1
Die sog. EN-Suffixe
48
2.2
Die Arbitrarität des EN
56
2.2.1
Die Wahl von EN-Teilen durch den einzelnen Sprecher-Hörer
56
2.2.2
Das Namenfeld
6
2.3
Die Verbindung Rufname + Familienname
63
3.
DIE BEDEUTUNG DES EN
?O
3.1
Die Referenz und die
3.1.1
Der sog. Bedeutungsumfang und der sog. Bedeutungsreichtum
3.1.2
Der EN als
Bedeutung des EN
............................... 72
ein Plerem, das nur
e i n e n
Gegenstand bezeichnet 3.1.3
Die Beschreibung Referenz
71
77
des EN aufgrund der Art der 82
- 4 3.1*4 3.1.5 3.2 3*2*1 3.2.2
Die Referenz im Zusammenhang des Sprechakts .... Die Identifizierbarkeit von Namensträgern ...... Die Bedeutungsbeschreibung mit Hilfe von paradigmatischen Relationen Paradigmatische Relationen Paradigmatische Relationen bei EN
86 92 103 Io3 llo
4.
DIE SYNTAX DES EN
122
4.1 4.2
Der Artikel bei EN Der Plural von EN
125 13o
4.3
EN-Suffixe
135
4.4
Schluß: Zum Status des EN in einer linguistischen Theorie
138
LITERATURVERZEICHNIS
l4o
REGISTER
154
VORWORT
Die erste Fassung dieser Arbeit wurde im Herbst 1969 fertiggestellt. Sie wurde 1970 von der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen (Gutachter: Prof. P. v. Polenz, Prof. H.-J. Heringer; Tag der mündlichen Prüfung: 29· 6. 197O). Die vorliegende Fassung enthält gegenüber der ersten einige Ergänzungen, z.T. unter Hinweis auf in den vergangenen drei Jahren zum Thema neu erschienene Literatur. Aufbau und Konzeption sind unverändert geblieben. Für zahlreiche hilfreiche Hinweise und Vorschläge danke ich den Herren Professoren P. v. Polenz und H.-J. Heringer.
Juni 1973
Rainer Wimmer
O.
EINLEITUNG
In den vier Kapiteln der vorliegenden Arbeit wird versucht, einige neue Aspekte für die synchronische linguistische Beschreibung von Eigennamen ( E N ) darzustellen. Gegenstand der Untersuchung sind grundsätzlich nur EN der natürlichen Sprache; die Untersuchung wird am Beispiel des Deutschen durchgeführt. Das erste Kapitel
ent-
hält in seinem ersten Teil Erläuterungen zu den theoretischen Voraussetzungen der Arbeit und zur Terminologie, in seinem zweiten Teil eine kurze Einführung in Forschungsprobleme, insbesondere che, die mit der Auffassung des EN als
sol-
eines Zeichens im de Saussure-
schen Sinn zusammenhängen. Im zweiten Kapitel wird die Ausdrucksseite von EN behandelt. Dabei bleiben Fragen der phonologischen
In-
terpretation unberücksichtigt. Das dritte Kapitel handelt von der Bedeutung von EN. Im vierten Kapitel werden einige ausgewählte Fragen der EN-Syntax behandelt. Die Auswahl umfaßt Fragen, die nach der im dritten Kapitel vorgeschlagenen Beschreibung der EN-Bedeutung anders beurteilt werden müssen als
in der bisherigen Forschung. Zum
Schluß wird angedeutet, wie die Ergebnisse der Arbeit in eine
lin-
guistische Theorie inkorporiert werden können. Durch die Beschränkung auf die Synchronie bleibt in der Arbeit die in der Onomastik und Linguistik häufig behandelte Frage des Wandels von EN zu Appellativa unberücksichtigt. sche Erforschung des Wandels von EN zu Appellativa rie
des Sprachwandels voraus und ist
Die linguistisetzt eine Theo-
ohne eine vorherige synchro-
nische Beschreibung des EN nicht zu leisten. Die Arbeit will einen Beitrag zur linguistischen Beschreibung des EN liefern,
d.h.:
Probleme der EN-Beschreibung werden ausgehend
von linguistischen Ansätzen und im Hinblick auf eine linguistische Theoriebildung
beurteilt und behandelt, während philosophische und
soziolinguistische Fragen keine zentrale Rolle spielen. Allerdings
1) Vgl. Migliorini, Partridge, W.Wackernagel, E.Müller, Sang.
- 7 lassen sich Fächergrenzen im vorhinein nicht klar ziehen, und Beiträge von nicht-linguistischer Seite sind in dem Maße zu berücksichtigen, wie sie für die aufgeworfenen Probleme Lösungsvorschläge anbieten. Gerade in der EN-Theorie - und hier wieder insbesondere in der Beschreibung der Bedeutung von EN - haben sich Linguisten oft
an philosophischen Arbeiten orientiert. Im folgenden (bes. im
3. Kapitel) wird vor allem auf die Philosophie in der Frege-RussellTradition Bezug genommen, in der öfter auch der Gebrauch von EN in natürlichen Sprachen behandelt worden ist.
Soziologische Aspekte
der EN-Beschreibung sind zuweilen wenigstens angedeutet, besonders im 2. Kapitel im Zusammenhang mit der freien Wählbarkeit von ENo Teilen durch einzelne Sprecher. Die Arbeit geht nicht auf die automatische Identifizierung von EN in Texten ein.
Eine automatische Identifizierung von EN, die
für die Informationsverarbeitung
und z.B. auch für die Bibliotheks-
wissenschaft von großem Nutzen wäre, ist
bei dem gegenwärtigen
Stand der Forschung auf den Gebieten von Syntax und Semantik vor allem auf graphemische Eigenheiten von EN als tifizierung angewiesen.
Kriterien der Iden-
Die Graphematik von EN wird in der vorlie-
genden Arbeit jedoch nicht behandelt,
da sie für die Lösung
guistischer Probleme nur am Rande wichtig
lin-
ist.
2) Einen Überblick über soziolinguistische Probleme der EN-Beschreibung gibt Hertzler, 3) Vgl. Artandi, Borkowski.
S.39f.,
Io9ff.,
2?off.
1.
DER EN ALS SPRACHLICHES ZEICHEN Terminologische Probleme und Diskussion der Forschungssituation
Es wird bei der Beschreibung des EN eine bestimmte Auffassung vom sprachlichen Zeichen vorausgesetzt. Die Tradition, in der diese Auffassung steht, soll in 1.1 durch die kurze Einführung einiger wichtiger linguistischer Termini sowie mit ihnen zusammenhängender Probleme wenigstens angedeutet werden. In 1.2 werden als Voraussetzung für die weiteren Teile der Untersuchung einige Argumente vorgestellt, die für oder gegen die Auffassung vorgebracht worden sind, daß der EN ein vollständiges sprachliches Minimalzeichen
1.1
sei.
Zur Terminologie
1.1.1
Ausdruck, Inhalt, Bedeutung Seit F.de Saussure werden sprachliche Zeichen von Linguisten
Lr einer bestimmten Weise doppelseitig aufgefaßt. als in z.B.
Zeichen wie
(1) Ich besuche Köln. ( 2 ) Peter Müller steht vor der Tür. (3) Alle kennen die Müller. (a) Peter, Paul. Müller (b) der Peter, mein Paul, der Müller, die Müller, ein Hans
l) Vgl. de Saussure, 8.78. Diese Auffassung findet man allerdings schon häufig vor de Saussure. De Saussure hat aber entscheidend zu ihrer Verbreitung beigetragen. Dazu: Coseriu (1967/68),S.33ff, Vgl.
auch die Diskussion terminologischer und definitorischer
Probleme bei Stötzel, S . l ? f f .
- 9 haben zwei Seiten: a) eine Phonemsequenz als Träger des im Sprechakt mit ihr verbundenen sprachlichen Inhalts und b) den Inhalt. Im Anschluß an L.Hjelmslev werden im folgenden Ausdrucksseite Ausdruck) und Inhaltsseite (kürzer:
(kürzer:
Inhalt) als
Bezeichnungen für 2 die beiden Seiten sprachlicher Zeichen gebraucht. Die von den Termini abgeleiteten Adjektive sind ausdrucksseitig und inhaltsseitig. Ausdrucksseite und Inhaltsseite sind konstitutiv für das sprachliche Zeichen. Sie sind interdependent, d.h.
es gibt keine sprachli-
chen Zeichen, in denen die Ausdrucksseite ohne die Inhaltsseite oder die Inhaltsseite ohne die Ausdrucksseite vorkommt. Nur als
Objekte
linguistischer Untersuchung werden Ausdruck und Inhalt voneinander getrennt. "Expression and content are solidary - they necessarily presuppose each other. An expression is expression only by virtue of being an expression of a content, and a content is content only by virtue of being a content of an expression. Therefore - except by an artificial isolation - there can be no content without an expression, or expressionless content; neither can there be an ex3 pression without a content, or content-less expression." Im folgenden wird Bedeutung synonym mit Inhalt gebraucht. Das zu dem Terminus gehörende Verb ist
bedeuten. Bedeutung ist
in der
Logik, in der Psychologie und besonders auch in der Linguistik mit so verschiedenen Bedeutungen gebraucht worden, daß man gesagt der Terminus sei wissenschaftlich ersetzen ist
unbrauchbar geworden.
hat,
Ihn zu
jedoch nicht sinnvoll, da die Unsicherheit seines Ge-
brauchs von Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Bedeutungen verursacht ist
und diese Schwierigkeiten nicht durch die Wahl eines
anderen Terminus zu beheben sind. Es soll kurz angedeutet werden, welche Bedeutungstheorie in dieser Arbeit zugrundegelegt wird, weil für die Abgrenzung der EN von anderen sprachlichen Zeichen die Semantik eine ausgezeichnete Rolle spielt (vgl. K a p . 3 ) . Dabei kann die hier vertretene Bedeutungsauffassung in diesem Rahmen natürlich nicht ausführlich
2) Vgl. Hjelmslev,
be-
S.4?ff.
3) Hjelmslev, S.48/49. 4) So Ullmann, S.6. Eine Aufstellung möglicher Bedeutungen von Bedeutung findet sich bei Schaff S.225-265.
( 1 9 6 2 ) , S.227. Vgl. auch Knobloch,
-
-
gründet und gegen andere Auffassungen abgegrenzt werden;
welche
Vorteile sie jedoch speziell für die Beschreibung der Bedeutung von EN bietet, wird im 3. Kapitel deutlich werden. Ausgangspunkt ist dargelegte Auffassung,
die in der Spätphilosophie Wittgensteins die Bedeutung sprachlicher Zeichen sei
die Regel ihres Gebrauchs zu beschreiben. sich von sog.
als
Diese Auffassung setzt
realistischen Bedeutungstheorien ab, in denen die Be-
deutungen sprachlicher Zeichen mittels einer Zuordnung von außersprachlich vorgegebenen
oder außersprachlich determinierten Enti-
täten zu den Ausdrücken bestimmt werden.
In solchen Theorien kön-
nen dann Gegenstände der W e l t , Vorstellungen oder Begriffe
als Be-
deutungen angenommen werden. In linguistischen Arbeiten werden für Bedeutungsbeschreibungen besonders häufig Begriffe herangezogen, die als mentale Einheiten in einer Zwischenstellung zwischen Gegenständen der Welt und Einzelbedeutungen gedacht werden. Die Konstruktion von Begriffen soll sichern, daß Bedeutungen als bei
ver-
schiedenen Zeichenverwendungen und für verschiedene Sprachteilhaber gleich angesehen werden können und daß somit die Möglichkeit der intersubjektiven Verständigung mittels Sprache erklärt werden kann, was nicht gelingt, wenn man für
je individuelle Zeichenver-
wendungen verschiedene Gegenstände der Welt als
Bedeutungen an-
nimmt. Die Bedeutungen sprachlicher Zeichen werden dann häufig
als
Komplexe begrifflicher Merkmale beschrieben, die als Abstraktionen aus Eigenschaften von Gegenständen und Beziehungen zwischen Gegenständen aufgefaßt
werden können. Brekles dementsprechende Bedeu-
tungsdefinition mag für viele stehen: "Die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens ist
ein Komplex begrifflicher Merkmale, der mit
einer bestimmten Zeichenform in einer f e s t e n , Verbindung steht."
sozial gesicherten
Zur Bezeichnung von Bedeutungsmerkmalen haben
sich in der Linguistik verschiedene Termini eingebürgert, am häu-
5) Vgl. W i t t g e n s t e i n , ^3., S.35: "Die Bedeutung eines Wortes
ist
sein Gebrauch in der Sprache." und passim. Vgl. auch Schächter, S.2 und Leinfellner,
S.22 z i
ff.
6) Vgl. Kutschera, S.117-101; Aiston, 7) Brekle ( 1 9 7 2 ) , S.56.
S.loff.
- 11 8 9 figsten begegnen Sem und Noem . Seme und Noeme werden im Zusam-
menhang verschiedener Theorien selbstverständlich im einzelnen auch verschieden definiert, was hier nicht weiter verfolgt zu werden braucht. Es soll lediglich auf Hegers Unterscheidung von Semen als
einzelsprachlich bedingten begrifflichen Merkmalen und Noemen
als außereinzelsprachlichen Merkmalen hingewiesen werden. ° Hegers Betonung der Außereinzelsprachlichkeit zur Außersprachlichkeit
von Noemen - im Unterschied
- soll Schwierigkeiten lösen helfen,
die
bei der Bestimmung des ontologischen Status von begrifflichen Merkmalen entstehen: Noeme werden definiert als
"Einheiten im Rahmen
eines von je einzelsprachlichen Bedingtheiten unabhängigen logischen Relationensystems." Als Varianten realistischer Bedeutungstheorien können solche Theorien angesehen werden, die unter der Bedeutung die Relation zwischen Ausdruck und Begriff oder die Relation zwischen Ausdruck und Entitäten der Realität verstehen. Denn die Eigenschaften dieser Relationen können ja auch nur dadurch näher charakterisiert werden, daß man die
den sprachlichen Ausdrücken zuzuordnenden Begriffe bzw.
Entitäten der Realität beschreibt. Die Auffassung,
die Bedeutung
sei die Relation zwischen Ausdruck und Begriff, wird beispielswei12 13 se von Baidinger und Ullmann vertreten, wobei Ullmann noch eine deutlich psychologisierende Tendenz vertritt; "Wenn der Name 'Tisch' fällt, denkt man auch an einen Tisch; wenn man an einen Tisch denkt, wird man, wenn nötig, auch den Namen aussprechen."
l't
8) Vgl. Pettier ( 1 9 6 4 ) . 9) Vgl. Meier. 10) Vgl. Heger (1971), S.31. 11) Ebda., S. 12) Vgl. Baidinger,
S.l4: "Und die wechselseitige Beziehung zwi-
schen Name und Begiff nennen wir Bedeutung ( s i g n i f i c a t i o n ) . " 13) Vgl. Ullmann, S.65: "Die Bedeutung ist zwischen Name und Sinn, die wärtigung ermöglicht." Ebda., S.65.
eine Wechselbeziehung
ihnen die gegenseitige Vergegen-
- 12 -
Abbildtheorien der Bedeutung, die heute insbesondere im Zusammenhang der marxistischen Widerspiegelungstheorie vertreten werden, können als Beispiele für die Auffassung angeführt werden, daß Bedeutungen mit Hilfe von Relationen zwischen Ausdrücken und Entitäten der sog. objektiven Realität zu beschreiben seien* Nach Resnikow ist
die Bedeutung eines Zeichens "das durch ein Zeichen
repräsentierte gedankliche Abbild eines Objekts."
Stärker den
relationalen Charakter der Bedeutung betonend, schreibt er weiter: "Sie C die Bedeutung! besteht in einer Widerspiegelung der Wirklichkeit, die durch Zeichen ausgedrückt und anderen Menschen mitgeteilt werden kann." Wotjak stützt sich ebenfalls grundsätzlich auf die Widerspiegelungstheorie. Für ihn spiegelt sich die Realität zunächst in individuellen, d.h. von Sprachteilhaber zu Sprachteilhaber verschiedenen Abbildern wider, und als "Abstraktion aus den individuellen Vorstellungsgehalten" erscheint dann das Semem (als Komplex von Semen) als der "linguistisch relevante Teil der individuellen Abbilder" , der die "gesellschaftlich-kommunikative Invariante und Menge intersubjektiver Abbildelemente als Teil des ft
semantischen Systems bzw. Universums der betreffenden Sprache" darstellt. Schließlich faßt Wotjak das Semem selbst noch als "eine Art relationelle Größe" auf, die Ausdrücke mit individuellen Abbildern verbinden soll. 19 Gegen realistische Bedeutungstheorien läßt sich ein grundsätzlicher Einwand erheben, den Kutsehera wie folgt formuliert
hat:
"Unter der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks versteht man üblicherweise etwas, das allein aufgrund des Sprachverständnisses gegeben ist, unabhängig von empirischen Daten: Um zu wissen, was
15) Resnikow, S.46. 16) Ebda., S.51. 17) Wotjak, S.4?. 18) Ebda., S.49/50. 19) Vgl. ebda., S.52. Die wenigen Zitate aus Wotjak können schon andeuten, daß er im übrigen versucht, alle neueren, ihm greifbaren Bedeutungsauffassungen zu integrieren. Ein solcher Versuch soll in der vorliegenden Untersuchung nicht gewagt werden. - Die weite Verbreitung der Abbildtheorie der Bedeutung in der Namenforschung der DDR wird dokumentiert durch Autorenkollektiv, S.7f.
- 13 ein Ausdruck bedeutet, muß ich die Sprache beherrschen, der er angehört, muß im Zweifelsfall Wörterbücher und Grammatiken zu Rate ziehen, nicht aber ein Tatsachenwissen. 1 ' ° Das heißt nicht, daß die Sprache nicht in einem Zusammenhang mit der Welt stünde; aber es heißt, daß der Zusammenhang nicht so einfach ist,
wie er
in realistischen Bedeutungstheorien dargestellt wird. Theorien, in denen Bedeutungen sprachlicher Zeichen als Gegenstände der Welt, Vorstellungen oder Begriffe beschrieben werden, vernachlässigen in der Regel den Tatbestand, daß Sprache nur als dierte möglich ist
intersubjektiv
fun-
und eine soziale Institution darstellt, deren
Normen bzw. Regeln immer auch im Hinblick auf die
Gegebenheiten 21 der Kommunikationsgemeinschaft zu beschreiben sind. Die auf Wittgenstein fußende Auffassung,
Bedeutungen sprachlicher Zeichen seien
als Regeln ihres Gebrauchs zu beschreiben, ermöglicht eine sozialwissenschaftliche Fundierung der Semantik, die von dem regelgeleiteten Sprachverhalten der Sprachteilhaber in einer Kommunikationsgemeinschaft ausgeht, indem sie
fragt,
auf welche Art und Weise
sprachliche Zeichen in bestimmten Situationen verwendet werden.
In
einer solchen Theorie werden die in bestimmten Situationen gegebenen Relationen zwischen sprachlichen Zeichen und Gegenständen der Welt nicht vernachlässigt. Aber weder die Gegenstände noch die Relationen werden selbst als
Bedeutungen angesehen,
sondern mit der
Verwendungsweise der Zeichen wird auch die Möglichkeit angegeben, unter der mit ihrer Hilfe Gegenstände bezeichnet werden können. Die Unterscheidung von Bedeutungen einerseits und der Bezeichnung von Gegenständen mittels bestimmter Zeichen andererseits ist
ge-
rade auch für die Onomastik sehr wichtig, weil die Bedeutung speziell von EN häufig in ihrer Bezeichnungsfunktion Im folgenden wird - u.a.
gesehen wurde. 22 im Anschluß an Ogden und Richards
20) Kutschera, S.131. 21) Zum Status der Kommunikationsgemeinschaft als
Bedingung der
Möglichkeit von Sprache vgl. Apel. 22) Auf Ogden und Richards, S. 11 gehen die Dreiecksmodelle zur Veranschaulichung der in bestimmten Situationen bestehenden Relationen zwischen Ausdruck, Inhalt und Gegenständen zurück.
- 14 terminologisch die Regelung getroffen,
daß Referent einen mit Hil-
fe eines sprachlichen Zeichens bezeichneten Gegenstand bezeichnet und dementsprechend Referenz für das Bezeichnen und referieren
als
davon abgeleitetes Verb verwendet werden. Die Auffassung der Bedeutung als Regel des Gebrauchs entgeht der Schwierigkeit aller Merkmalssemantiken, Entitäten wie Begriffe und Vorstellungen annehmen zu müssen, deren ontologischer Status kaum befriedigend zu klären ist. deutung ist
·
^ Für die Gebrauchstheorie der Be-
der Regelbegriff zentral. Regeln werden als Muster an-
gesehen, nach denen die Sprachteilhaber handeln. Sie sind auf Interaktion gegründet, insofern anzunehmen ist, daß nicht einer allein 2k und nur einmal einer Regel folgen kann. Das gegenseitige Verstehen der Sprachteilhaber in der Kommunikation setzt ja voraus, daß die Kommunikationspartner in den Äußerungen der anderen jeweils Gleiches erkennen und annehmen können, daß die anderen den gleichen oder zumindest ähnlichen Regeln in der Sprachverwendung folgen wie sie selbst. Die Regeln für den Gebrauch sprachlicher Zeichen sind hinsichtlich ihrer Befolgung o f f e n ,
d.h.:
Zu ein und derselben Re-
gel kann es eine Vielzahl von Befolgungen geben, die je einzeln durch die Regel nicht im strikten Sinne determiniert sind. Nur aufgrund dieser Offenheit sprachlicher Regeln ist bar.
Für die Semantik von EN ist
Sprachwandel denk-
dieser Aspekt der
Gebrauchsregeln
sprachlicher Zeichen von besonderem Interesse, da Sprachteilhaber bei der Verwendung von EN in bestimmten Kontexten - z.B.
Namenge-
bungskontexten - ganz offensichtlich auch als einzelne mittels
ein-
zelner Sprechakte selbst zur Institutionalisierung und Veränderung von Gebrauchsregeln (in diesem Fall: Bezeichnungskonventionen) 25 tragen können.
23) Vgl. dazu z.B. Kutschera,
bei-
S . 2 l 9 f f . und Bolingers exemplarische
Kritik an der Semantiktheorie von Katz/Fodor. 24) Zum Regelbegriff nach Wittgenstein vgl. insbesondere Winch, Kap.I, S.36ff. und Kap.II. 25) Vgl. unten unter 3.1.4, 3.1.5 .
- 15 1.1.2
Satz Sprachliche Zeichen wie ( l ) ,
( 2 ) , (3) spielen innerhalb
einer linguistischen Beschreibung eine besondere Rolle. Sie gehören zu dem Zeichentyp,
der mit Satz bezeichnet wird. Sätze
sind in der Rede insofern relativ unabhängig, als sie in ihrem möglichen Vorkommen nicht so starken Beschränkungen unterworfen l 2 sind wie ihre Teile. O.Jespersens und L.Bloomfields Satzdefinitionen basieren auf der Feststellung der relativen Selbständigkeit und Kontextunabhängigkeit von Äußerungen von Sätzen in der Rede
und gehen damit von der kommunikativen Funktion von
Sätzen aus.
Redeabschnitte können lückenlos als
Folgen von Sät-
zen repräsentiert werden. Aus der Sonderstellung des Satzes in der Rede kann die Linguistik die Arbeitshypothese ableiten, daß die Erklärung von Sätzen das Hauptziel ihrer Untersuchungen darstellt. Teile von Sätzen werden im Hinblick auf die Frage beschrieben, welchen Beitrag sie zum Aufbau von Sätzen leisten. J.Lyons erläutert den Sinn der Bloomfieldschen Satzdefinition für linguistische Analysen dadurch, daß er mit Bezug auf geläufige Analyseverfahren hervorhebt, innerhalb von Satzgrenzen könnten Distributions- und Abhängigkeitsverhältnisse dargestellt werden, die - eben wegen der relativen kommunikativen Unabhängigkeit von Sätzen - über die Satzgrenzen
1) Jespersen (1958), S.3o?: "A sentence is a (relatively) complete and independent human utterance - the completeness and independence being shown by its
standing alone or its
capa-
bility of standing alone L . . . J " 2) L.Bloomfield, S.l?o: "It
is evident that the sentences in any
utterance are marked off by the mere fact that each sentence is an independent linguistic form, not included by virtue of any grammatical construction in any larger linguistic form." 3) Heringer (1973),
S.139ff.
- 16 hinaus nicht bestehen:
"The point of Bloomfield's definition
[satzdef initionj can be stated more concisely as follows: s e n t e n c e i s t h e l a r g e s t u n i t o f m a t i c a l
t h e g r a m -
d e s c r i p t i o n . A sentence i s a grammatical
unit between the constituent parts of which distributional limitations and dependencies can be established, but which can itself 4 be put into no distributional class." Die zentrale Rolle des Satzes als Ziel linguistischer Beschreibungen zeigt sich bei Analysen sowohl des sprachlichen Ausdrucks als auch des sprachlichen Inhalts. In dem syntaktischen Konstitutionssystem H.-J.Heringers z.B. kommt dem Symbol SF für Satzform als Ausgangssymbol des Regelsystems eine besondere Bedeutung zu.
Der Satz ist
Ausgangspunkt der
Analyse und wird durch das Regelsystem definiert. Seine Beschreibung ist damit auch letztes Ziel der Syntax, einschließlich der Inhaltssyntax, deren Ziel die Beschreibung der Satzbedeutung Ähnliches t r i f f t
ist.
für alle syntaktischen Beschreibungen zu, die
wie Heringers Konstitutionssystem in der Form ihrer Regeln der Phrasenstrukturgrammatik' bzw. den Verzweigungsregeln der Basiso komponente in der Chomskyschen Transformationsgrammatik ähneln. Die besondere Rolle des Satzes als größte zu analysierende Einheit zeigt sich auch in Untersuchungen von Grundformen bzw. Satz9 mustern bzw. Satzmodellen deutscher Sätze , die meistens von ausdrucksseitigen Kriterien ausgehen. Die inhaltliche Sonderstellung des Satzes wird in Satzdefinitionen betont, die den Satz als das "kleinste Mitteilungsganze"
oder als einen "geschlossenen Gedankenschritt"
fassen.
4) Lyons (1968), S.172/1735) Vgl. Heringer ( I 9 7 3 ) i S.99. 6) Vgl. ebda., Kap. 2.5, 2.7. 7) Vgl. Chomsky (1966), S.26ff. 8) Vgl. Chomsky (1969), S.113ff. 9) Vgl. Duden-Grammatik (1966),bes. § 5600, §5605, S.5o3ff. und Engel. 10) Kalepky, S.8: "Satz ist
das kleinste vom Sprechenden als
sich abgeschlossen dargebotene Mitteilungsstück, kürzer: Satz ist das kleinste Mitteilungsganze." 11) Duden-Grammatik (1966), § 5060, S.466.
in
oder noch
- 17 Die Satzbedeutung kann für die inhaltliche Analyse sprachlicher Zeichen in ähnlicher Weise grundlegend sein wie die Satzform für die Analyse der syntaktischen Punktionen von Zeichen. Das gilt besonders für Bedeutungsbeschreibungen, die von der logischen 12 Analyse der Wahrheitswerte assertorischer Sätze ausgehen. Assertorische Sätze sind für die philosophische Semantik deswegen besonders wichtig, weil nur ihnen Wahrheitswerte zukommen.
1.1.3
Kommutation, Paradigma, Syntagma Durch Teilung von Sätzen gelangt man zu den Zeichen
(a) und ( b ) . Die Schnitte müssen bei der Teilung so gelegt werden, (i)
daß jeder der dadurch entstehenden Teile eines Satzes
mit anderen Zeichen so ausgetauscht werden kann, daß jeweils wieder ein neuer Satz entsteht, und (ii)
daß der Austausch iden-
tischer Teile in beliebigen Sätzen eine Bedeutungsänderung dieser Sätze bewirkt.
Eine solche Teilung heißt auch Segmentierung. Der
Austausch von Zeichen in bestimmten Positionen von Sätzen in der Weise, daß durch den Austausch jeweils wieder Sätze entstehen und eine regelmäßige Bedeutungsänderung der Sätze bewirkt wird, heißt Kommutation. 2 'Peter Müller in Satz (2) kommutiert z.B. mit allen unter (k) (a) und (b) genannten Zeichen:
12) Vgl. Beeh, passim und unten unter 3.2 . 13) Vgl. Reichenbach, S. 5: "The most important unit among signs is the proposition." und S.6: "What makes a proposition the fundamental unit is the fact that only a whole proposition can be true or false - that, as we say, it has a truth-value." (Proposition ist
hier, wie sonst nicht üblich, synonym mit
Satz gebraucht. Vgl. unten unter 3·1.2). 1)
Vgl. Heringer
(1973), S.77. Zu ähnlichen Operationen vgl.:
die Ersatzprobe bei Glinz, S.89-93, 275-28o und die Verschiebeprobe, ebda., S.85-87 und Duden-Grammatik (1966), § 5o7o, S.467. 2)
Vgl. Hjelraslev, S.73 und Heringer
(1973), S.78.
- 18 Peter Müller
Der Peter
steht vor der Tür,
Mein Paul Der Müller Die Müller Ein Hans
In einem gegebenen Kontext kommutierende Zeichen stehen in paradigmatischer Relation miteinander. Sie sind Elemente einer Zei·*· chenmenge, die mit Paradigma bezeichnet wird. Alle unter ( 4 ) (a) und (b) genannten Zeichen werden Syntagmen genannt. Alle Elemente eines Paradigmas sind Syntagmen.
Die
Syntagmen stehen jeweils mit Elementen anderer Paradigmen, mit denen sie zusammen in Sätzen vorkommen können, in syntagmatischer Relation. Syntagmatische Relationen bestehen natürlich auch zwischen Teilen von Syntagmen, wenn die Syntagmen nicht Plererae (vgl. 1.1.4), d.h. nach den oben angegebenen Grundsätzen selbst nicht mehr teilbar, sind.
3) Vgl. Hjelmslev, S.39; Heringer (1973), S.?6ff.; Lyons, 4) Vgl. Heringer (1973), S.79, wo Syntagmen als syntaktischen Kategorie definiert werden.
S.?off.
Elemente einer
- 19 -
1.1.4
Plerem Nicht weiter segmentierbare Zeichen sollen Plereme
nannt werden. Satz (l)
z.B.
besteht aus fünf Pleremen:
ge-
ich,
be-,
-auch, -£, Köln. Diese Minimalzeichen werden in der Romanistik 2 meistens Moneme genannt. In der angelsächsischen Literatur findet man mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung häufig den Terminus Morphem. Die Ausdrucksseite des Plerems wird im folgenden -—