Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 1/2 Gedichte und Fabeln. Minna von Barnhelm. Miß Sara Sampson. Philotas [Reprint 2022 ed.] 9783112662366, 9783112662359


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German Pages 328 [656] Year 1879

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Table of contents :
Inhalt
Eine biographische Skizze
I. Wieder
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
II. Oden
Erstes Buch
Zweites Buch
III. Sinngedichte
Erstes Buch
Zweites Buch
Epigrammata.
IV. Fragmente
V. Kabeln und Erzählungen
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Front Matter 2
Ninna von Barnhelm oder das Soldatenglück
Mis Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen
Philotas. Ein Trauerspiel.
Front Matter 3
Emilia Galotti. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen.
Nathan der Zeise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen
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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 1/2 Gedichte und Fabeln. Minna von Barnhelm. Miß Sara Sampson. Philotas [Reprint 2022 ed.]
 9783112662366, 9783112662359

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Lessing's Werke

toter Cheil.

Gedichte und Fabeln.

Ncbst

Biographie des Oichlers.

------------------------- ------------------------------

HLertin. Gustav Hempel.

Druck von G. Bernstein in Berlin.

Inhalt. ~ww' Seite Gotthold Ephraim Lessing. Eine biographische Skizze. 15 I. Wieder.

Erstes Buch. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.

An die Leyer.................................................................... 51 Die Namen.......................................................................... 51 Die Küsse.......................................................................... 52 Die Gewißheit.................................................................... 52 Die Betrübniß. Der Dichter und sein Freund . . 53 Antwort eines trunknen Dichters.................................. 53 Das aufgehobene Gebot................................................... 53 54 Die Beredsamkeit.............................................................. Die Haushaltung............................................................... 54 Der Regen.......................................................................... 54 54 Die Stärke des Weins................................................... Der Sonderling............................................................... 55 Der alte und der junge Wein........................................ Die Türken.......................................................................... Alexander............................................................................... 56 Die Schöne von hinten........................................................ 56 An eine kleine Schöne........................................................ 56 Nach der 10. Ode Anakreon's.............................................57 Das Paradies......................................................................... 57 Die Gespenster....................................... 58 Der trunkne Dichter lobt den Wein................................. 59 Lob der Faulheit................................................................... 59 Die Faulheit...............................................................................59 Die Planetenbewohner........................................................60 Der Geschmack der Alten.................................................. 60 Die lügenhafte PhylliS........................................................ 61 Die 47. Ode Anakreon's........................................................ 61 Nachahmung dieser Ode........................................................ 61 Der Wunsch...............................................................................61 Der größte Mann....................................................................62 Der Irrthum......................................................................... 63

IiihaN.

4

Seite

32. An den Wein.........................................................................63 33. Phyllis an Dämon................................................................... 63

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

Zweites Buch. Für wen ich singe.................................................................. 64 Die schlafende Laura............................................................ 65 Der Donner..............................................................................66 Der müßige Pöbel...................................................................66 Die Musik.............................................................................. 66 Au den Horaz.........................................................................67 Niklas..........................................................................................67 Die Küsse...................................................................................67 Der schwörende Liebhaber..................................................68 Trinklied.................................................................................... 68 Der Verlust..............................................................................68 Der Genuß..............................................................................68 Das Leben.............................................................................. 69 Die Biene............................................................................. 69 Die Liebe.................................................................................. 70 Der Tod...................................................................................70 Der Faule..............................................................................71 Der Flor................................................................................... 71 Die wider den Cäsarverschworncn Helden .... 72 Die Ente....................................................................................72 Die drei Reiche der Natur................................................. 73 Das Alter. Nach der 11. Ode Anakreon's. ... 74 An die Schwalbe. Die 12. Ode Anakreon's ... 74 Die Kunstrichter und der Dichter....................................... 75 An die Kunstrichter............................................................. 75

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8' 9. 10.

Die verschlimmerten Zeiten.................................................. 76 Das Bild. An Hrn. H........................................................... 76 Das Umwechseln................................................................... 77 Der Vetter und die Muhme............................................. 77 Die Mutter...............................................................................77 Die Antwort.............................................................................. 78 Der Schlaf.............................................................................. 78 Der philosophische Trinker ............................................ 78 Der Fehler....................... 79 Phylliö lobt den Wein............................. .... 80

1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8.

9.

Drittes Buch.

InhoN. Seite

11. An den Anakreon.............................................................. 80 12. Wem ich zu gefallen suche und nicht suche .... 81 13. Das Erdbeben.................................................................... 83 14. Die Einwohner des Mondes........................................ 84 15. Der Tausch. An Hrn. W...................................................85 16. Die Sparsamkeit.............................................................. 86 17. Die Abwechslung.............................................................. 86 18. Der bescheidene Wunsch................................................... 87 19. Das Schäserleben.............................................................. 87 20. Salomon................................................................................89 21. Der Fehler der Natur. An Hrn. M................................... 89 22. Die schlimmste Frau..............................................................89 23. Der Schiffbruch......................................................................... 90 24. Die Redlichkeit......................................................................... 91 25. Lied aus dem Spanischen.................................................. 91 26. Die Diebin................................................................... . 92 27. Phyllis..........................................................................................92 28. Bacchus und Helena..............................................................92 29. An Amor.................................................................................... 92 30. Heldenlied der Spartaner.........................................................93 31. Auf sich selbst......................................................................... 94 32. Der Taback............................................................................... 95 33. Der neue Weltbau............................................. 95 34. Refutatio Papatus................................................................... 96 35. Der Schlaf...............................................................................96 36. Die Wetterprophezeiung........................................................ 97 37. Der Sommer......................................................................... 97 38. Der Handel...............................................................................97 39. Die lehrende Astronomie........................................................ 98 40. Küssen und Trinken............................................................100 41. Ich............................................................................................. 100

II. Hden. Erstes Buch.

I. II. III. IV. V. VI. VII.

Der Eintritt des 1752. Jahres..................................... 103 Auf eine vornehme Vermählung..................................... 104 Abschied eines Freundes...................................................... 106 An den Herrn N**...................................................... 107 Der Tod eines Freundes................................................ 108 Der Eintritt des Jahres 1753 in Berlin .... 109 Der 24. Jenner in Berlin................................................ 110

Jnl)Die Lais brächt' ich her? das wäre dumm genung! Nein! Aerzt' und Huren — nein! die hol' ich nicht so jung!" 120. Anzwei liebenswürdige Schwestern. Reiz, Jugend, Unschuld, Freud' und Scherz Gewinnen Euch ein jedes Herz; Und kurz, Ihr brauchet Euresgleichen, Den Grazien, in nichts als an der Zahl zu weichen. 121. An den Silius. Mein Urtheil, Silius, von Deiner Ueberschrist, Dies Urtheil soll nichts gelten, Weil es die Reime nur betrifft? Was kann man sonst als Reim' an einem Reimer schelten?

122. Auf den B. Ktystill. Klpstill, der Arzt — (der Mörder sollt' ich sagen —) Will Niemands frühern Tod mehr auf der Seele tragen Und giebt aus frommer Reu' sich zum Husaren an, Um das nie mehr zu thun, was er so oft gethan. 123. Auf Muffeln. Freund Muffel schwört bei Gott und Ehre, Ich kost' ihn schon so manche Zähre. — Nun? frommer Mann, wenn das auch wäre, Was kostet Dich denn Deine Zähre?

Sinngedichte.

143

124. An ein paar arme verwaisete Mädchen. Ihr holden Kinder, daß Ihr Waisen seid, Das ist mir herzlich, herzlich leid. Auch bin ich Euch zu dienen gern erbötig Mit Gut und Blut, Euch, die Ihr, ohne Streit, Das beste Blut des besten Blutes seid. Nur, Kinder, daß Ihr arme Waisen seid, Das sei Euch selber ja nicht leid! Nun habt Ihr keines Vormunds nöthig.

125. An den dar. Du lobest Todte nur? Vax, Deines Lobes wegen Hab' ich blutwenig Lust, mich bald ins Grab zu legen.

126. Auf den Cytharist. Jahr aus, Jahr ein reimt Cytharist Zweihundert Vers' in einem Tage; Doch drucken läßt er nichts. Entscheidet mir die Frage, Ob er mehr klug, mehr unklug ist.

127. Wer beste Wurf. An ein Paar Drettspieler.

Zwei Vierer wünschest Du, und Du verlangst zwei Einer: Der beste Wurs im Brett bleibt darum dennoch — keiner.

128. Auf den Maler Klecks. Mich malte Simon Klecks so treu, so meisterlich, Daß aller Welt so gut als mir das Bildniß glich.

129. Auf einen Zweikampf. Warum zog das erzürnte Paar, Sistan, und wer fern Gegner war, Die Degen? Aller Welt zum Schrecken Sie — friedlich wieder einzustecken.

144

Sinngedichte. 130. Auf den Arsin.

Ursin ist ärgerlich und geht mir auf die Haut, Daß ich ihm jüngst mein Buch, den Phäoon, weggenommen; Gelesen hab' er iyn, allein noch nicht verdaut. Ja, ja! zu Stande wär' er bald damit gekommen: Sein Windspiel oder er hat ihn schon brav gekaut.

131. Auf den Veit. Veit ist ein witz'ger Kopf und zählet sechzig? — Mein! Er hat noch lange hin, ein kluger Kopf zu sein.

132. Die Vorspiele der Versöhnung. Korinne schwur, mich zu vergessen, Und doch kann sie mich nicht vergeffen. Wo sie mich sieht, und wo sie kann, Fängt sie aus mich zu lästern an. Doch warum thut sie das? warum erhitzt sie sich? Ich wetre was, noch liebt sie mich. Ich schwur, Korinnen zu vergessen, Und doch kann ich sie nicht vergessen. Wo ich sie seh', und wo ich kann, Fang' ich mich zu entschuld'gen an. Doch warum thu' ich das? und warum schweig' ich nie? Ich wette was, noch lieb' ich sie.

133. Auf den Pfriem. Pfriem ist nicht blos mein Freund, er ist mein andres Ich. Dies sagt er nicht allein, dies zeigt er meisterlich: Er steckt in seinen Sack ein Geld, das mir gehöret, Und thut mit Dingen groß, die ihn mein Brief gelehret.

134. Auf den Avar. Avar stirbt und vermacht dem Hospital das Seine, Damit sein Erbe nicht verstellte Thränen weine.

135. Seufzer eines Kranken. Hier lieg' ich schwach und siech, Und ach! vie siebe Sophilette

145

Sinngedichte. Weicht keinen Schritt von meinem Bette. O! daß der Himmel mich Von beiden Uebeln bald errette!

136. Auf den Laar. Daß Laar nur müßig geh', wie kann man dieses sagen? Hat er nicht schwer genug an seinem Wanst zu tragen?

137. Ihr Wille und sein Wille. Er. Nein, liebe Frau, das geht nicht an; Ich muß hier meinen Willen haben. Sie. Und ich muß meinen haben, lieber Mann. Er. Unmöglich! S i e. Was? nicht meinen Willen haben? Schon gut! so sollst Du mich in Monatsfrist begraben. Er. Den Willen kannst Du haben.

138. Grabschrist der Tochter eines Freundes, die vor der Taufe starb. Hier lieget, die Beate heißen sollte Und lieber sein als heißen wollte.

139. Auf den Marius. Dem Marius ward prophezeiet, Sein Ende sei ihm nah. Nun lebet er drauf los, verschweigt, verspielt, verstreuet: Sein End' ist wirklich da!

140. Auf den einäugigen Spieler Pfiff. Indem der Spieler Pfiff — erzürnte Götter! — Durch einen schlimmen Wurf ein Auge jüngst verlor: „Brav, Kamerade!" rief ein Spötter; „Du giebst uns Jedem nun ein Auge vor."

141. An einen Autor. Mit so bescheiden stolzem Wesen Trägst Du Dein neustes Buch — welch ein Pessing's Werke, 1.

! - mir an. 10

146

Sinngedichte. Doch, wenn ich's nehme, grundgelehrter Mann, Mit Gunst: muß ich es dann auch lesen? 142. Auf den Leg.

Der gute Mann, den Ley bei Seite dort gezogen! Was Ley ihm sagt, das ist erlogen. Wie weiß ich das? — Ich hör' ihn freilich nicht: Allein ich seh' doch, daß er spricht.

143. Die Sinngedichte über sich selbst. Weiß uns der Leser auch für unsre Kürze Dank? Wol kaum. Denn Kürze ward durch Vielheit leider! lang. 144. Abschied an den Leser.

Wenn Du von Allem dem, was diese Blätter füllt, Mein Leser, nichts des Dankes werth gesunden, So sei mir wenigstens für das verbunden, Was ich zurück behielt.

Zweites Auch. 1. An den Herrn H.

Es freuet mich, mein Herr, daß Ihr ein Dichter seid. Doch seid Ihr sonst nichts mehr, mein Herr? Das ist mir leid. 2. Aus einen bekannten Dichter.

Den nennt der Dichter Mars, und die nennt er Cythere; Hier kommen Grazien, hier Musen ihm die Quere. Apoll, Minerva, Zeus verschönern, was er spricht; Wen er zum Gott nicht macht, den lobt er lieber nicht. Ihr, die Ihr ihn der Welt Verachtungswerth gewiesen, Trotz allen Tugenden, die er verstellt gepriesen; Wenn er die Götter all' auf fert'ger Zunge trägt, Was wundert's Euch, daß er im Herzen reinen hegt?

binngedichte.

147

3. Der Zwang. Ich habe keinen Stoff zum Lachen Und soll ein Sinngedichte machen. Doch wahrlich, Stoffs genug zum Lachen, Ich soll em Sinngedichte machen.

4. Auf das Heldengedicht „Herrmann". Dem Dichter, welcher uns den Herrmann hergesungen, Ist wahrlich, G * *) sagt's, ein Meisterstück gelungen. Und ich, ich sag' es auch. Wir müssen es verstehn. Nur wünscht' ich vom Geschick, noch eins von ihm zu sehn. Und was? Ein Trauerspiel. Ein Trauerspiel? Wovon? Wenn mein Rath etwas gilt, so sei's vom Phaeton.

5. Gespräch. 3E. Soll ich vergebens flehn Und keinen Brief von Dir in Versen sehn? Du schenkst ja wol an Schlechte Deine Lieder. L. Nun wohl, das nächste Mal will ich in Versen schreiben. L. Topp! und ich schreibe Dir gewiß in Versen wieder. L. So? Großen Dank! Nun lass' ich's bleiben.

6. Turan. Die Knabenliebe log dem redlichen Turan Der ungerechte Pöbel an. Die Lügen zu bestrafen, Was konnt' er anders thun, als bei der Schwester schlafen?

7. Sertor. Sagt nicht, daß seiner Frau, dem Inventar der Zeit, Sertor den Tod gewünscht. Was sonst? Die Ewigkeit.

8. Auf den Borilas. Sagt nicht, daß Dorilas sich schämt, mit mir zu gehen. Sein Nock ist's, der sich schämt, bei meinem sich zu sehen. ♦) Unter G * * ist Gottsched gemeint.

148

Sinngedichte.

9. Auf die Pheüylis. Die schiele Thestylis hat Augen in dem Kopse, So hat ein Luchs sie nicht. Glaubt Ihr, sie steht Euch ins Gesicht, So steht sie nach dem Hosenknopfe.

10. Auf -en Sophron. Damit er einst was kann von seinen Aeltern erben, So lasten sie ihn jetzt vor Hunger weislich sterben.

11. Nachahmung des 84sten Sinngedichts im 3ten Suche des Martial. Was macht Dein Weib? Das heißt im mystischen Verstand, Wenn man es Staxen fragt: Stax, was macht Deine Hand?

12. Aus das Gedicht „die Sündfluth". Durch den ersten Regenbogen Sprach der Mund, der nie gelogen: Keine Sündfluth komme mehr Ueber Welt und Menschen her. Die Ihr dies Versprechen höret, Menschen, sündigt ungestöret! Kommt die zweite Sündfluth schon, Sie trifft nur den Helikon.

13. Auf den Arban. Er widersprach . . Was kann an ihm gemeiner sein? Uub widerlegte nicht. . Auch das ist ihm gemein.

14. Charlotte. Die jüngst ließ ihren guten Mann begraben, Charlotte wünscht, statt seiner, mich zu haben. Gewiß, Charlott' ist klug. Wir haben uns vordem schon oft gesehen, Drum glaub' ich wohl, die Sache möchte gehen, Wär' ich nur dumm genug.

Sinngedichte.

149

15. Auf -en Herrn M * *, den Erfinder der Guadralur des Zirkels.*) Der mathemat'sche Theolog, Der sich und Andre nie betrog, Saß zwischen zweimal zweien Wänden Mit archimedischer Düsternheit, Und hatte. . welche Kleinigkeit! Des Zirkels Vierung unter Händen. Kühn schmäht er auf das X + z, (Denn was ist leichter als geschmäht?) Als ihn der Hochmuth sacht und sachte Bei seinen Zahlen drehend machte. So wie auf einem Fuß der Bube Sich dreht, und dreht sich endlich dumm, So ging die tetragon'sche Stube Und Stuhl und Tisch mit ihm herum. O Wunder, schrie er, o Natur! Da hab' ich sie, des Zirkels Quadratur.

16. Auf einen elenden komischen Dichter. Ein elend jämmerliches Spiel Schrieb Koromandel's stumpfer Kiel, Als er in der Entzückung dachte, Daß er wol Plautus schamroth machte, Und daß kein Molier' Ihm zu vergleichen wär'. Er, der sie Beide kennt, Wie ich den großen Mogul kenne, Und sie zu kennen brennt, So wie ich ihn zu kennen brenne. Er, der der Feinheit keuscher Ohren, Dem Witz, den Regeln, dem Verstand Den lächerlichsten Krieg geschworen, Der je im Reich der Sittenlehr' entstand, Für ihn ein unentdecktes Land! Doch muß ich, kritisch zu verfahren, Dem Leser treulich offenbaren, Daß ich an seinem Stücke

*) Auf einen gewissen Merkel in Schwaben.

150

biiMKedicht-.—

Auch etwas Treffliches erblicke. Und was? . . Er macht damit, trotz einem kom'schen Werke Voll ungeborgter Stärke, Den dümmsten Witzling in der Welt, Den je ein Schauplatz vorgestellt, Unnachzuahmend lächerlich. Und wen denn? Welche Frage! Sich.

17. Aus. . . . Dem schlauesten Hebräer in B * *, Dem kein Betrug zu schwer, kein Kniff zu schimpflich schien, Dem Juden, der im Lügen, Im Schachern und Betrügen, Trotz Galgen und Gefahr, Mehr als ein Jude war, Dem Helden in der Kunst zu prellen, Kam's ein . . . Was giebt der Geiz nicht seinen Sklaven ein! Von Frankreichs Witzigen den Witzigsten zu schnellen. Wer kann das sonst als ... . sein? Recht, V * * wars, der von dem schrecklichen Oedip Den saubern Witz bis zu Montperniaden trieb. Schon war die Schlinge schlau geschlungen, Schon war sein Fuß den: Unglück wankend nah, Schon schien die List dem Juden als gelungen, Als der Betrüger schnell sich selbst gefangen sah. Sagt, Musen, welcher Gott stand hier dem Dichter bei Und wies ihm unverhüüt verhüllte Schelmerei? Wer sonst, als der fürs Geld den frommen Thor betrog, Wenn er vom Dreifuß selbst Orakelsprüche log? Er, der Betrug und List aus eigner Uebung kennet, Durch den 58 * * gebrannt, und jeder Dichter brennet. Ja, ja, Du wachtest selbst für Deinen braven Sohn, Apoll, und Spott und Reu' ward seines Feindes Lohn. Du selbst. . doch, wackrer Gott, Dich aus dem Spiel zu lassen, Und kurz und aut den Grund zu fassen, Warum die List Dem Juden nicht gelungen ist, So fällt die Antwort ohngesähr: Herr $ * * war ein größrer Schelm als er.

Sinngedichte.

151

18. Aus. . .

„0 käm' der große Geist bald in dies rauhe Land, Wohin aus Frankreichs Rom mich Nase's Glück verbannt, So mär' doch Einer hier noch außer mir zu finden, In desien Munde sich Geschmack und Witz verbinden. Komm Voltair'!" . . A * gnug! Der Himmel hört Dein Flehn. Er kömmt und läßt sogleich des Geistes Proben sehn. „Was?" ruft er; „21 * * hier? Wenn mich der König liebt, So weiß ich, daß er stracks dem Schurken Abschied giebt." 19. Auf des Herrn K* Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte.

K* unternimmt ein schwer Geschäfte, Der Welt zum Unterricht. Er schätzet die lebend'gen Kräfte, Nur seine schätzt er nicht. 20. Auf Uabener's Tod, als nach welchem erst feine übrigen Schriften an das Licht kommen sollten. Der Steuerrath tritt ab, dem Satyr Platz zu machen; Es weine, wer da will; ich spitze mich auf Lachen.

21. Aus den Streit des Herrn Bosens mit den WiUenbcrgischen Theologen. Er hat den Papst gelobt, und wir, zu Luther's Ehre, Wir sollten ihn nicht schelten? Den Papst, den Papst gelobt? Wenn's noch der Teufel wäre, So ließen wir es gelten.

22. Die große Welt. Die Wage gleicht der großen Welt: Das Leichte steigt, das Schwere fällt.

23. Anter das Gildniß des Königs von Preußen. Wer kennt ihn nicht? Die hohe Miene spricht

152

5tmtgcbid)fe.

Dem Denkenden. Der Denkende allein Kann Philosoph, kann Held, kann Beides sein. 24. Doppelter Nutzen einer Frau. Zweimal taugt eine Frau — für die mich Gott bewahre! — Einmal im Hochzeitbett und einmal aus der Bahre.

A. B.

25. Nutzen eines fernen Gartens. Was nutzt Dir nun Dein ferner Garten? He? Daß ich Dich dort nicht seh'!

26. Der Glinde. Niemanden kann ich sehn, auch mich sieht Niemand an: Wie viele Blinde seh' ich, armer blinder Mann.

27. Auf ein Carusfel. Freund, gestern war ich — wo? — Wo alle Menschen waren. Da sah ich für mein ba^res Geld So manchen Prinz, so manchen Held, Nach Opernart geputzt, als Führer fremder Schaaren. Da sah ich manche flinke Speere Auf mancher zugerittnen Mähre Durch eben nicht den kleinsten Ring, Der unter tausend Sonnen hing, (O schade, daß es Lampen waren!) Oft, sag' ich, durch den Ring, Und öfter noch darneben fahren. Da sah ich — ach, was sah ich nicht, Da sah ich, daß beim Licht Krystalle Diamanten waren; Da sah ich, ach, Du glaubst es nicht, Wie viele Wunder ich gesehen! Was war nicht prächtig, groß und königlich?

Sinngedichte.

153

28. Der Arme.

Sollt' einen Armen wol des Todes Furcht entfärben? Der Arme lebet nicht: so kann er auch nicht sterben. 29. Kun; und Hinz. Gevatter Hinz, rief Kunz, was trinken wir? Zuerst Wem oder Bier? Gevatter, sagte Hinz, Gevatter, folge mir, Erst Wein und dann — kein Vier.

30. Aus einen Sechzigjährigen.

Wer sechzig Jahr gelebt und noch Des Lebens sich mcht kann begeben, Dem wünsch' ich, — wünscht er's selber doch — Bis zu der Kinder Spott zu leben. 31. An den Dumm.

Wie, Eselsohren, Dümm, hätt' ich Dir beigelegt? Gewiß nicht! Ohren nur, so wie sie Midas trägt. 32. Warum ich wieder Epigramme mache.

Daß Ich, Das Das

ich mit Epigrammen wieder spiele, armer Willebald, macht, wie ich an Mehrerm fühle, macht, ich werde alt.

33. Ueber das Gildniß eines Freundes.

Der mir gefällt, Gefiel er minder gleich der Welt. 34. In ein Stammbuch, in welchem die bereits Verstorbenen mit einem f bezeichnet waren.

Hier will ich liegen! denn hier bekomm' ich doch, Wenn keinen Lerchenstein, em Kreuzchen noch.

154

Sinngedichte.

35. Auf die Äatze des Petrarch. Nach dem Lateinischen des Antonio Querci, in den Inscriptionibua agri Patavinl.

Warum der Dichter Hadrian Die Katzen so besonders leiden kann? Das läßt sich leicht ermessen! Daß seine Verse nicht die Mäuse fressen.

36. Grabschrist auf Voltaire. Hier liegt — wenn man Euch glauben wollte, Ihr frommen Herrn! — der längst hier liegen sollte. Der liebe Gott verzeih' aus Gnade Ihm seine Henriade Und seine Trauerspiele Und seiner Berschen viele; Denn was er sonst ans Licht gebracht, Das hat er ziemlich gut gemacht.

37. Die Verleumdung. Du nennst mich vom gestrigen Rausche noch trunken? Vom gestrigen Rausche? Das spricht Ein-------- Fasse Dich, schimpfe nur nicht! Ich weiß wohl, Du hast bis am Morgen getrunken.

38. In ein Stammbuch. Wer Freunde sucht, ist sie zu finden werth: Wer keinen hat, hat keinen noch begehrt.

39. Lobspruch des schönen Geschlechts. Wir Männer stecken voller Mängel; Es leugne, wer es will! Die Weiber gegen uns sind Engel. Nur taugen, rote ein Kenner will, Drei kleine Stück' — und die sind zu errathen — An diesen Engeln nicht gar viel: Gedanken, Wort' und Thaten.

binngedichie. 40.

155

31« der Herzog Ferdinand die Holte des Agamemnon, des ersten Feldherrn der Griechen, spielte. 1.

Vorstellen und auch sein Kann Ferdinand allein. 2.

Star spricht: Er spielt ihn schlecht! Auch das wär' recht; Denn seine eigne Rollen Muß man nicht spielen wollen. 3.

Mit Gunst! Als Eckhos so den Agamemnon spielte, Das, das war Kunst. Daß aber Ferdinand sich selber spielte, Hm! was für Kunst! 41.

In eines Schauspielers Stammbuch.

Kunst und Natur Sei auf der Bühne Eines nur; Wenn Kunst sich in Natur verwandelt, Dann hat Natur mit Kunst gehandelt.

42. In ein Stammbuch. Ein Kirchhof ist, Mein frommer Christ, Dies Büchelein, Wo bald kann sein Dein Leichenstein Ein Kreuzelein! 43. Sittensprüche.

Man würze, wie man will, mit Widerspruch die Rede, Wird Würze nur nicht Kost, und Widerspruch nicht Fehde. Bav selbst hat manchen guten Schauer, Wär' Eselstrab auch nur von Dauer.

156

Sinngedichte.

44. In ein Stammbuch, dessen Besitzer versicherte, daß sein Freund ohne Mängel, und sein Mädchen ein Engel sei.

Trau' keinem Freunde sonder Mängel Und lieb' ein Mädchen, keinen Engel.

45. An (Julius Heinrich) Saal. An Dir, mein Saal, als Freund und Richter Lob' ich Geschmack und Redlichkeit, Bekennst Du von mir ungescheut : Ich sei ein bessrer Freund als Dichter.

46. In Friedr. Ludw. Schröders Stammbuch. Daß Beifall Dich nicht stolz, nicht Tadel furchtsam mache! Des Künstlers Schätzung ist nicht jedes Fühlers Sache! Denn auch den Blinoen brennt das Licht, Und wer Dich fühlte, Freund, verstand Dich darum nicht.

47. Vrabschrist auf Kleist.

O Kleist! Dein Denkmal dieser Stein? Du wirst des Steines Denkmal sein.

Epigrammata. Ad Turanium.

Viventi decus atqne sentienti, Turani, tibi quod dedere amici, Rarus post cineres habet poeta, Nec tu post cineres habebis ipse. In Aristum. Nescio, dum dicit, multum, mentitur Aristua. Qui nescit multum, paucula scire potest.

Ad Gelliam. Vota tui breviter si, Gellia, noscere vatis, Dignorum juvenum publica cura, cupis: Spernit opes regum, reguni quoque spernit honores; Esse suus primuni, tune petit esse tuns. Ad Pompillam, Vir fovet amplexu, nec tu prohibebis? amicas. „Hunc ego? qui nobis Jura dedit paria.“ Ast velit amplexu qiüs te, Pompilla, fovere? Sic vir Jura dedit, nec dedit illa simul.

Ad Amicum. Laetus es et pauper: sciat hoc fortuna caveto, Ne te felicem jam putet esse nimis. Ad Ponticum. Qua tua fronte legam, mi Pontice, carmina, quaeris? Num, precor, illa legam, Pontice, quaere prius.

158

Epigramm ata < Ad * ♦. Abs te cum laudor, tibi cur laudatur et Aldus ? Dicam te laudis poenituisse meae?

In Albam. Alba mihi semper narrat sua somnia mane. Alba sibi dormit: somniat Alba mihi.

Ad Priscum. Commendare tuum dum vis mihi carmiue munus, Carmen commendas munere, Prisce, mihi. In Paulum. Carmina tentemus: num quid tentare nocebit? Paulus ait. Tenta! nil nisi fama perit. Ad Caecilianum. Garrula fama refert te, Caeciliane, disertum, Nec minus esse pium, garrula fama refert. Nil video cur haec eredaraus, Caeciliane. Credo tarnen: verum fama referre seiet. Ad Olum. In prece qui multus nimiusque est, otia dum sunt, Ille malas horas collocat, Ole, bene. In prece qui multus nimiusque est, otia nec sunt, Ille bonas horas collocat, Ole, male.

Ad Naevolam. Vis fieri sanus ? Mentiris, Naevola; non vis. Nam fieri si vis, quid tibi cum Medico ? Ad Sosibianum. Sosibiane, rogas, prodat Galathea quot annos ? Annos quot prodat nocte ? diene rogas ?

Epigrammata.

Ad Tuccam ludimagistrum. Die mihi, quis furor est ludo spectante cacare? Num gravitatem aliter frontis habere nequis? Ad eundem. Quid te, Tucca, juvat gravitatem fingere vultu, Ridetur gravitas si gravitate tua? In Canem. Nonne Canis germana Cani appellatur amica? Cur ergo incestus insimulare Canem?

Ad Posthumum. Quis melos auditu redimat, die, Posthume, sodes. Qui famam redimit, Posthume, morte sua. Ad Keaeram. Te tarn deformem qui pinxit, pulchra Neaera, Blanditus Veneri, pulchra Neaera, fuit.

In Armillum. Cui dedit, haud dedit Armillus, qui munera egeno Non sine teste dedit. Cui dedit ergo ? Sibi.

Ad Murlam. Desine, Murla monet, nunc desine scribere nugas. Tu legere ast nugas desine, Murla, prior.

159

Fragmente.

Lessing's Werke, 1.

11

Die Fragmente zu 1—6 sind unter dieser Bezeichnung gesammelt im ersten Theile der „Schrifften" (1763) und mit dem Motto versehen: — - ----- disjecti membra poetae.

Die Anmerkungen zu 7 stehen in der Zeitschrift „der Naturforscher" vom Jahre 1746, wo sie einer mit „H." unterzeichneten, gegen das Fragment zu 4 gerichteten Vertheidigung htnzugefügt sind.

Aragmente. 1. Aus einem Gedichte über die menschliche Glückseligkeit. Wie kömmt es, daß ein Geist, der nichts als Glauben haßt Und nichts als Gründe liebt, den Schatten oft umfaßt, Wenn er die Wahrheit denkt in sichern Arm zu schließen, Daß ihm zum Anstoß wird, was alle Kinder wissen? Wer lehrt mich, ob's an ihm, ob's an der Wahrheit liegt? Verführet er sich selbst? Ist sie's, die ihn betriegt? Vielleicht hat Beides Grund, und wir sind nur erschaffen, Anstatt sie einzusehn, bewundernd zu begaffen; Sie, die der Dirne gleicht, die ihre Schönheit kennt Und Jeden an sich lockt und doch vor Jedem rennt. Auch dem, der sie verfolgt und fleht und schenkt und schwöret, Wird kaum ein Blick gegönnt, und wird nur halb gehöret. Verzweifelnd und verliebt wünscht sie die Welt zu sehn; Stürmt Jeden in Gefahr, um Keinem beizustehn. Ein Zweifler male sich ihr Bild in diesen Zügen! Nein, sie betrügt uns nie! . . . Wir sind's, die uns betrügen

Ein Geist, der auf dem Pfad, den man vor ihm gegangen, Nicht weiter kommen kann, als tausend mitgelangen, Verliert sich in der Mena', die kein Verdienst besitzt. Als daß sie redlich glaubt und, was sie weiß, beschützt. Dies ist es, was ihn quält. Er will, daß man ihn merke. Zum Folgen allzu stolz, fehlt ihm der Führer Stärke. Drum springt er plötzlich ab, sucht kühn, doch ohn' Verstand, Ein neues Wahrheitsreich, ein unentdecktes öand. Ihm folgt ein leichter Schwarm noch zehnmal kleinrer Geister. Wie glücklich ist er nun; die Rotte nennt ihn Meister. Er wagt sich in die Welt mit Witz und frecher Stirn. Und was lehrt uns denn nun sein göttliches Gehirn? Dank sei dem großen Geist, der Furcht und Wahn vertrieben! Er spricht's, und Gott ist nicht zu fürchten , nicht zu lieben.

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Fragmente.

„Die Freiheit ist ein Traum; die Seele wird ein Ton, Und meint man nicht das Hirn, versteht man nichts davon. Dem Gut und Bösen setzt em blöder Weise Schranken, Und ihr beglaubtes Nichts wohnt nun in den Gedanken. Cartusch und er, der nie sein Leid und Meid vergaß, Cartusch und Epictet verdient nicht Ruhm, nicht Haß. Der stahl, weil's ihm gefiel, und weil er stehlen mußte; Der lebte tugendhaft, weil er nichts Bessers wußte; Der ward wie der regiert, und seiner Thaten Herr War, wie ein Uhrwerk nie, auch nie ein Sterblicher. Wer thut, was ihm gefällt, thut das, was er thun sollte; Nur unser Stolz erfand das leere Wort: ich wollte. Und eben die, die uns stark oder schwach erschafft, Sie, die Natur, schafft uns auch aut und lasterhaft." — Wer glaubte, daß ein Geist, um kühn und neu zu denken, Sich selber schänden kann und seine Würde kränken?

Der Menge Beifall ist zwar nie der Wahrheit Grund,

Und oft liegt ihre Lehr' in eines Weisen Mund, Der, Alles selbst zu sehn, in sich zurückgegangen, Des Zweifels Gegengift durch Zweifeln zu erlangen. Doch macht den größern Theil auch das zum Lügner nicht, Weil der und jener Narr von Gegengründen spricht. Er, der die Wahrheit sucht, darf nicht die Stimmen zählen; Doch wenn die Menge fehlt, so kann auch Einer fehlen. Ich glaub', es ist ein Gott, und glaub' es mit der Welt, Weil ich es glauben muß, nicht weil es ihr gefällt. Doch der, der sich nicht selbst zu denken will erkühnen, Der fremdes Wissen nutzt, dem Andrer Augen dienen, Folgt klüglicher der Meng' als einem Sonderling . . . G'nug, wer Gott leugnenIkann, muß sich auch leugnen können. Bin ich, so ist auch Gott. Er ist von mir zu trennen, Ich aber nicht von ihm. Er wär', wär' ich auch nicht; Und ich fühl' was in mir, das für sein Dasein spricht. Weh dem, der es nicht fühlt und doch will glücklich werden, Gott aus dem Himmel treibt und diesen sucht auf Erden!

Beklagenswürd'ge Welt, wenn Dir ein Schöpfer fehlt, Deß Weisheit nur das Wohl zum Zweck der Thaten wählt! Spielt nur ein Ungefähr mit mein und Deinem Wesen,

Fragmente.

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Ward ich nur, weil ich ward, und bist Du nicht erlesen: Was hält den feigen Arm, daß er beim kleinsten Schmerz Zu seiner Rettung sich den Dolch nicht drückt ins Herz? Stirb, weil Dein Leiden doch zu keiner Absicht zwecket, Und Dich in Freud' und Leid ein häm'scher Zufall necket, Der Dich durch kurze Lust ruckweise nur erquickt, Daß Dich der nächste Schmerz nicht unempfindlich drückt. Ein Weiser schaßt kein Spiel, wo nur der Fall regieret, Und Klugheit nichts gewinnt, und Dummheit nichts verlieret. Verlust ohn' meine Schuld ist ein zu bittres Gift, Und Glüa ergötzt mich nicht, das auch die Narren trifft. Stirb und verlaff' die Welt, das Urbild solcher Spiele, Wo ich Pein ohne Schuld und Lust mit Ekel fühle. Doch warum eifr' ich so? Gott ist, mein Glück steht fest, Das Wechsel, Schmerz und Zeit mir schmackhaft werden läßt. Hi



Hi

Die Wahrheit wird manchmal in Fabeln gern gehört; So höre, was mich einst ein frommer Mönch gelehrt: Zur gütigen Natur kroch mit Verdruß und Klage Der Gärten fleiß'ger Feind, der ird'sche Feind vom Tage. „Natur, dem Maulwurf nur warst Du stiefmütterlich? Für Alle sorgtest Du? und sorgtest nicht für mich?" „„Was klarst Du?"".. „ONatur! das solltest Du nicht wisien? Warum soll ich allein das Glück zu sehen missen? Der Mensch sieht, ich bin blind. Mein Leben hängt daran; Der Falle zu entgehn, gieb, daß ich sehen kann." „„Sei seh end, daß ich auch bei Dir entschuldigt werde!"" Er sah, und grub sich gleich in die geliebte Erde. Hier, wo kein Strahl des Lichts die Finsterniß verjagt, Was nutzt ihm hier sein Glück? daß er von Neuem klaat. „Natur/ schrie er zurück, „das sind unmöglich Augen/ „„Siesind's, nurdaß sie nicht für einen Maulwurf taugten.""

Und das, was in mir wohnt, was in mir fühlt und denket; Das, was zwar mein Gehirn, doch nicht die Welt umschränket; Das, was sich selber weiß und zu sich spricht: ich bin; Was auch die Zeit beherrscht, und was mit der will fliehn, Durch unsichtbare Macht auf heut und morgen bringet, Und Morgen, eb es wird, mit weitem Blick durchdringet; Das mich, dem die Natur die Flügel nicht verliehn,

166

Fragmente.

Vom niedern Staube hebt, die Himmel zu umziehn; Das, was die Stärk' ersetzt, die in dem Löwen wüthet, Wodurch der Mensch ein Mensch, und ihm als Mensch gebietet: Das wird des Uhrwerks Kraft, das im Gehirne geht, Und seines Körpers Theil, weil man es nicht versteht. Doch sprich, Du kluger Thor, wenn es die Körper zeuaen, Versteht man es dann eh, als wenn es Geistern eigen? Du machest Schwierigkeit durch Schwierigkeiten klar, Vertreibst die Dämmerung und bringst die Nacht uns dar. Wie jetzo meinem Licht, das in den stillen Stunden Mit meinem Fleiße wacht, der noch kein Glück gefunden, Da ich es putzen will, die unachtsame Hand Den Dacht zu knapp gekürzt, die Flamme gar verschwand rc. 2. Aus einem Gedichte an den Herrn Aaron von Sp * * Die Schule macht beii Dichter? Nein. Er, welchen die Natur zu ihrem Maler wählet Und ihn, ein Mehr als Mensch zu sein, Mit jenem Feu'r beseelet, Das leider rnir! doch nicht von Sp * * fehlet; Dem sie ein fühlend Herz und ein harmonisch Ohr Und einen Geist verlieh, dem Glück und Ehr' und Thor Nie marternd Mißvergnügen macht, Wenn nur auf ihn die holde Muse lacht, Die seinen edlern Theil von dem Vergessen sparet, Wofür kein Titel nicht, nicht Königsgunst bewahret: Ein solcher dringt hervor, wohin das Glück ihn stieß, Das gern auch Dichter plagen wollte, Ist minder das, was es ihn werden ließ, Als was er werden sollte. * * * Und schon hat man gesehen * Als zweifach Adam's Sohn ihn hinterm Pfluge gehen. Als fauler Rinder Herr wagt er ein göttlich Lred, Das Musen vom Olymp, ihn aus dem Staube zieht; Er wirft den Zepter weg, den er mit Klatschen schwang, Singt schöner ungelehrt, als.G * * mühsam sang. Noch öftrer treibet ihn, für Musen nur geschaffen, Ein neidisches Geschick zu ungeliebten Waffen Und läßt ihn, statt aus Pindus' Höh',

Fragmente.

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Im wühlenden Gelärm des wilden Lagers schlafen. Jedoch umsonst: sein rührend Rohr Schweigt bei Karthaunen nicht und tönt Trommeten vor. Sein Muth erstickt nicht seinen Witz, Sein zärtliches Gefühl nicht Gier berühmt zu sterben, Und die gefaltne Stirn, des Schreckens finstrer Sitz, Vom Einfall aufgeklärt, wird keinen Scherz verderben. Die Musen staunen sanft, bei Helden sich jtu finden, Die ihrer Lorbeern Schmuck in Mavors' Lorbeern winden.

3. Aus einem Gedichte über den jetzigen Geschmack in der Poesie. Noch rollt Dein leichter Vers auf leichten Jamben fort; Noch bringst Du gleichen Schall an den gewohnten Ort; Noch denkst Du, wie man denkt, eh man den Witz verwöhnet, Daß er sich ekel nur nach seltnen Bildern sehnet; Noch redst Du, wie man redt, eh man die Zunge bricht, Daß sie lateinisch Deutsch mit schönem Stammeln spricht, Noch hast Du nicht gewagt, ein römisch Lied zu spielen, Das von Gedanken strotzt, doch minder hat zum Fühlen; Noch tönt Dein schwacher Mund die Göttersprache nicht; Noch giebst Du jeoem Zug sein ihm gehörig Licht; Noch trägt Wort und Begriff bei Dir nicht neue Banden, Wer Dich gelesen hat, der hat Dich auch verstanden; Du bist von kalter Art, die gern vernünftig denkt Und ihrem Zweifel mehr als ihrem Witze schenkt . . . Und willst ein Dichter sein? . . Geh, lass' den schweren Namen, Zum Dichter trägst Du kaum den ungekeimten Samen. So sprachest: großer Geist, von K * * Feu'r erhitzt, Zu meiner Muse jüngst, die noch im Dunkeln sitzt. Mitleidig wollt' er mich die kühnen Wege lehren, Wo uns die Welt nicht hört, doch künft'ge Welten hören. Nein, sprach ich, jener Wahn hat mich noch nicht berauscht, Der nicht die Fesseln flieht, die Fesseln nur vertauscht, Die Ketten von dem Fuß sich an die Hände leget Und glaubt, er trägt sie nicht, weil sie der Fuß nicht träget. Du siehst, wo Opitz ging . . . Voll Zorn verließ er mich Und donnert hinten nach: kein Schweizer lobe Dich! Erschüttert von dem Fluch bis in das Mark der Glieder, Schlug ich, dem Sünder gleich, die Augen schamroth nieder.

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Fragmente.

Für den die Rache schon den Stab gebrochen hat, Bestimmt zum Prediger der Tugend auf dem Rad. Vom kalten Schau'r erlosch in mir das heilte Feuer, Das stille Dichter lehrt auch sonder einem M * *. Voll Ekel sah ich mich, und sahe mich veracht, Von Enkeln nicht gekannt, die B * * schwärmrisch macht; Ich sah voll Furcht hinaus auf Scenen künftiger Dichter; Die Wage der Kritik hielt ein gewalt'ger Richter, Der seines Beifalls Wucht mit auf die Schale legt, Die, wie sein Finger will, steigt oder überschlägt rc.

4. Aus einem Gedichte an den Herrn M * *. Der lobt die Neuern nur, und der lobt nur die Alten. Freund, der sie Beide kennt, sprich, mit wem soll ich's halten? Die Weisheit, war sie nur verfloss'ner Zeiten Ehr' ? Ist nicht des Menschen Geist der alten Größe mehr? Wie? oder ward die Welt zu unsrer Zeit nur weise? Und stieg die Kunst so spät bis zu dem höchsten Preise? Nein, nein; denn die Natur wirkt sich stets selber gleich, Im Wohlthun stets gerecht, an Gaben allzeit reich. An Geistern fehlt es nie, die aus gemeinen Schranken Des Wissens sich gewagt, voll schöpfrischer Gedanken; Nur weil ihr reger Sinn nicht allzeit Eins geliebt, Ward von der Kunst bald der, bald jener Theil geübt. Das Alter wird uns stets mit dem Homer beschämen, Und unsrer Zeiten Ruhm muß Newton auf sich nehmen; Zwei Geister, gleich an Größ' und ungleich nur im Werk, Die Wunder ihrer Zeit, des Neides Augenmerk. Wer zweifelt, daß Homer ein Newton worden wäre, Und Newton, wie Homer, der ew'gen Dichtkunst Ehre, Wenn dieser das geliebt, und dieses der gewählt, Worinne Beiden doch nichts mehr zum Engel fehlt? Vor diesem galt der Witz, und durch den Witz der Dichter, Selbst Griechen machten ihn zum Feldherrn und zum Richter. Jetzt sucht man mehr als Witz; die Zeit wird gründlicher Und macht den Weg zum Ruhm dem Weisen doppelt schwer. Nutz geht Vergnügung vor. Was nur den Geist ergehet, Den Beutel ledig läßt, verdient das, daß man's schätzet? Ihr weisen Enkel, seht der Aeltern Fehl wohl ein: sonst ward der Dichter groß, nun wird's ein Schreiber sein.

Fragmente.

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Schon recht, der nutzt dem Staat. Und müßige Poeten Hat Plato's Republik, Europa nicht vonnöthen. Was ist denn ihre Kunst, und worauf trotzen sie? Der Dummkopf, der sie schmäht, begriff ihr Vorrecht nie. Ihr Muster ist Natur, sie in belebten Bildern Mit eignen Farben uns, verschönert oft, zu schildern. Doch, Dichter, sage selbst, was schilderst Du von ihr? Der Dinge Flächen nur und Schein gefallen Dir. Wie sie das Auge steht, dem Geiste vorzumalen, Bleibst Du den Sinnen treu und machst aus Geistern Schalen. Ins Innre der Natur dringt nie Dein kurzer Blick; Dein Wissen ist zu leicht und nur des Pöbels Glück. Allein mit kühnem Aug' ins Heiligthum zu blicken, Wo die Natur im Werk, bemüht mit Meisterstücken, Bei dunkler Heimlichkeit, der ew'gen Richtschnur treu, Zu unserm Räthsel wird, und Kunst ihr kommt nicht bei; Der Himmel Kenner sein, bekannt mit Mond und Sternen, Ihr Gleis, Zeit, Größ' und Licht durch glücklich's Rathen lernen; Nrcht fremd sein auf der Welt, daß man die Wohnung kennt, Der Herrn sich mancher Thor, ohn' sie zu kennen, nennt; Bald in dem finstern Schacht, wo Graus und Reichthum thronet, Und bei dem Nutz Gefahr in hohlen Felsen wohnet, Der Steine theure Last, der Erze hart Geschlecht, Der Gänge Wunderlauf, was schimmernd und was ächt, Mit mühsamer Gefahr und fährlichen Beschwerden Neugierig auszuspähn und so ihr Herr zu werden; Bald in der lust'gen Plän', im schauernd dunkeln Wald, Auf kahler Berge Haupt, in krummer Felsen Spalt, Uno wo die Neubegier die schweren Schritte leitet, Und Frost und Wind und Weg die Lehrbegier bestreitet, Der Pflanzen grünen Zucht gelehrig nachzugehn Und mit dem Pöbel zwar, doch mehr als er zu sehn; Bald mehr Vollkommenheit in Thieren zu entdecken, Der Vögel Feind zu sein und Störer aller Hecken; Zu wissen, was dem Bär die starken Knochen füllt, Was in dem Elend zuckt, was aus dem Ochsen brüllt, Was in dem Ocean für scheußlich Unthier schwimmet, Und welche Schneckenbrut an seinem Ufer klimmet; Was jedem Thier gemein, was ihm besonders ist, Was jedes Reich verbind't, wo jedes March sich schließt; Bald mit geübtem Blick den Menschen zu ergründen,

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Fragmente.

Des Blutes Kreislauf sehn, sein festes Triebwerk finden: Dazu gehöret mehr, als wenn beim Glase Wein Der Dichter ruhig singt, besorgt nur um den Schein. O Zeit, beglückte Zeit! wo gründlich seltne Geister Gott in der Creatur, im Kunststück seinen Meister Dem Spötter aufgedeckt, der blind sich und die Welt Für eine Glücksgeburt des blinden Zufalls hält. Rühmt Eure Dichter nur, Ihr Väter alter Zeiten, Die Meister schönes Wahns und kleiner Trefflichkeiten, Durch die Gott und sein Dienst ein albern Märlein ward, Vom Pöbel nur geglaubt, der Geister kleinsten Art. Die Wahrheit kam zu uns im Glanz herabgeflogen Und hat im Newton gern die Menschheit angezogen. Uns ziert ein Aldrovand, ein Neaumur ziert uns mehr Als alle Musen Euch im einzigen Homer. Was Großes ist es nun, sich einen Held erdenken Und ihn mit eigner Kraft in schweres Unglück senken, Woraus ihn bald ein Gott, bald unbeglaubter Muth Mit großen Thaten reißt, die der Poete thut? Braucht nicht der Philosoph mehr Witz und stärkre Sinnen, Der kleine Wunder sucht, bekannt mit Wurm und Spinnen? Dem keine Raupe kriecht, der Namen er nicht nennt, Und jeden Schmetterling vom ersten Ursprung kennt; Dem Fliegen nicht zu klein, noch Käfer zu geringe, Und in der Mücke sieht den Schöpfer aller Dinge; Dem jeder Essigtrovs wird eine neue Welt, Die eben der Gott schuf, und eben der Gott hält. Da sieht er Abenteu'r, die Jener nur erfindet, Und ist des Staates kund, den Bien' und Ameis gründet. Ja, wenn ein Mokier', der Tugend muntrer Freund, Der Spötter eiteln Wahns, des Lächerlichen Feind, Auf Fehler merksam wird und lernt aus hundert Fällen Der Menschen trotzig Herz und trügrisches Verstellen; Wenn seiner Spötterei kein alter Hut entgeht, Und ihm das Laster nie zu hoch zur Strafe steht; Braucht er so viel Verstand, als wenn aus kleinen Reisen Des Schwanzsterns Dörfel uns will seine Lausbahn weisen. Wenn er aus einem Stück aufs Ganze richtig schließt Und durch den einen Bug die ganze Krümmung mißt? Braucht er so viele Kunst, die Winkel zu entdecken. In die — das scheue Heer die Laster sich verstecken,

Fragmente.

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Als Jener, der im Glas entfernte Monden sieht Und ihre Groß' und Bahn in Helle Tafeln zieht? Und als ein Andrer, der aus wenigen Minuten Die Fahrt des Lichts bestimmt und rechnet sie nach Ruthen? Wer braucht mehr Geist und Müh', der, der in sauler Lust Den Wein trinkt und erhebt, gelehnt an Phnllis Brust? Wie? oder der sein Feu'r, wie es die Sonrr erzeuget, Und wie der Saft im Stock durch enge Röhren steiget, Aus Gründen uns erklärt, und werth ist, daß der Wein Ihn einzig nur erfreu' und stärk' ihn nur allein? Der Dichtern nöth'ge Geist, der Möglichkeiten dichtet Und sie durch seinen Schwung der Wahrheit gleich entrichtet, Der schöpferische Geist, der sie beseelen muß, Sprich, 2)1***, Du weißt's, braucht den kein Physicus? Er, der zuerst die Luft aus ihrer Stelle jagte Und mehr bewies, als man je ru errathen wagte; Er, der im Sonnenstrahl den Grund der Farben fand Und ihre Aenderung in feste Regeln band; Er, der vom Erdenball die platten Pole wußte, Eh ein Maupertuis sie glücklich messen mußte; Hat die kein Schöpfergelst bei ihrer Müh' beseelt, Und ist es nur Homer, weil ihm ein Aeltrer fehlt? * * * Wird Aristoteles nicht ohne Grund gepriesen. Dem nie sich die Natur als unterm Flor gewiesen? Ein dunkler Wörterkram von Form und Qualität Ist, was er Andre lehrt und selber nicht versteht. Zu glücklich, wenn sie nicht mit spitzig seichten Grillen Die Lücken der Natur durch leere Töne füllen! Ein selbst erwählter Grund stützt keine Wahrheit fest, Als die man, statt zu sehn, sich selber träumen läßt; Und wie wir die Natur bei alten Weisen kennen, Ist sie ihr eigen Werk, nicht Gottes Werk zu nennen. Vergebens sucht man da des Schöpfers Majestät, Wo Alles nach der Schnur verkehrter Grillen geht. Wird gleich die Faulheit noch die leichten Lügen ehren, Genug, wir sehen Gott in neuern klärern Lehren. Staairens Ehr' ist jetzt den Physikern ein Kind, Wie^s unsre Dichter noch bei alten Dichtern sind rc. Anmerkung. Daß dieses Gedicht nicht ganz Ist, und daß ich eS an vielen Orten selbst nicht mehr verstehe, dieses habe ich dem verstorbnen Herrn Professor

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Fragmente.

Menz in Leipzig zu danken. Der Freund, an den eS gerichtet ist, ließ es in ein physikalisches Wochenblatt einrücken. Diese Ehre kam mir ein Wenig theuer zu stehen. Herr M e n z war Censor, und zum Unglücke einer von denen, welche vermöge dieses Amts das Recht zu haben glauben, die Schriftsteller nach Belieben zu mißhandeln. Er hat unter andern den ganzen Schluß weggestrichen, worinne man über gewisse, wenn Gott will, physikalische Kindereien lachte, in welchen der und jener Naturlehrer alle seine Geschicklichkeit bestehen läßt.

5. An den Herrn Marpurg, über die Regeln der Wissenschaften ptm Vergnügen, besonders der Poesie und Tonkunst.

Der Du für Dich und uns der Töne Kräfte kennst, Der Kunst und der Natur ihr wahres Amt ernennst, Maß, Gleichheit, Ordnung, Werth im Reich der Schalle lehrest, Denkst, wo man sonst nur fühlt, und mit der Seele hörest, Dein Ohr nicht kitzeln läßt, wenn Du nicht weißt warum? Dem schwere Schönheit nur Lust bringt und Meistern Ruhm; Freund, sprich, soll oie Musik nicht alle Welt ergötzen? Soll sie's — was darf man sie nach strengen Regeln schätzen? Die grübelnde Vernunft dringt sich in Alles ein Und will, wo sie nicht herrscht, doch nicht entbehret sein. Ihr flucht der Orthodox; denn sie will seinem Glauben, Der blinde Folger heischt, den alten Beifall rauben. Und mich erzürnt sie ost, wenn sie der Schul' entwischt Und spitz'aem Tadel hold in unsre Lust sich mischt. Gebietrifch schreibt sie vor, was unsern Sinnen tauge, Macht sich zum Ohr des Ohrs und wird des Auges Auge. Dort steigt sie allzu hoch, hier allzu tief herab, Der Sphär' nie treu, die Gott ihr zu erleuchten gab. Die ist des Menschen Herz, wo sich bei Irrthums Schatten, Nach innerlichem Krieg, mit Lastern Laster gatten, Wo neues Ungeheu'r ein jeder Tag erlebt, Und nach dem leeren Thron ein Schwarm Rebellen strebt. Hier lass, Vernunft, Dein Licht uns unsern Feind erblicken, Hier herrsche sonder Ziel, hier herrsch', uns zu beglücken. Hier findet Tadel, Rath, Gesetz und Strafe statt. Doch so ein kleines Reich macht Deinen Stolz nicht satt. Du fliehst auf Abenteu'r ins Elend zu den Sternen Und baust ein stolzes Reich in unermeff'nen Fernen, Spähst der Planeten Lauf, Zeit, Größ' und Ordnung aus, Regierst die ganze Welt, nur nicht Dein eignes Haus.

Fragmente.

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Und steigst Du dann und wann voll Schwindel aus denHöhen, Zufrieden mit Dir selbst, wie hoch Du stiegst, zu sehen, So kömmst Du, statt ins Herz, in einen Kritikus, Der, was die Sinne reizt, methodisch mustern muß, Und treibst durch Regeln, Grund, Kunstwörter, Lehrgebäude Aus Lust die Quintessenz, rectificirst die Freude Und schaffst, wo Dein Geschwätz am Schärfsten überführt, Daß viel nur halb ergetzt, und Vieles gar nicht rührt; Das Fühlen wird verlernt, und nach erkiesten Gründen Lernt auch ein Schüler schon des Meisters Fehler finden Und hält, was Körner hat, für ausgedroschnes Stroh; Denn Ekel macht nicht satt, und Eigensinn nicht froh. Ist der Vergnügen Reich nicht klein genua umschränket. Daß unser ekler Witz auf engre Märchen denket? Treibt denn der Vaum der Lust Holz so im Ueberfluß, Daß man gewaltsam ihm die Aeste rauben muß? Ist unsre Freud' ein Feu'r, das sich zu reichlich nähret, Das uns, schwächt man es nicht, anstatt erwärmt, verzehret? Ist das, was uns gefällt, denn lauter starker Wein, Den man erst wässern muß, wenn er soll heilsam sein? O nein! denn gleich entfernt vom Geiz und vom Verschwenden, Floß, was Du gabst, Natur, aus sparsam klugen Händen. Was einen Bauer reizt, macht keine Regel schlecht; Denn in ihm wirkt ihr Trieb noch unverfälschlich ächt; Und wenn die kühne Kunst zum höchsten Gipfel flieget, So schwebt sie viel zu hoch, daß ihn ihr Reiz vergnüget, So wie des Weingeists Gluth, weil er zu reinlich brennt, Kein dichtes Holz entflammt, noch seine Theile trennt. Freund, wundre Dich nur nicht, daß einst des Orpheus Saiten Die Tiger zahm gemacht und lehrten Bäume schreiten; Das ist: ein wildes Volk, den Thieren untermengt, at, wenn er spielte, sich erstaunt um ihn gedrängt, ein ungekitzelt Ohr fühlt süße Zaubereien; Ihn lehrt die Macht der Kunst die Macht der Götter scheuen, Und was der Wundermann lobt, rathet und befiehlt, Hat bei den Rauhesten den Reiz, mit dem er spielt. Die Menschlichkeit erwacht; der Tugend sanftes Feuer »die leere Brust und wird die Frucht der Leyer. ald steht sich verschmäht, man sammelt sich zu Häuf, Man herrscht, man dient, man liebt und bauet Flecken auf. So wirft ein Leyermann — und Gott weiß was für einer! —

S

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Lrngmmll.

Den Grund zum größten Staat und macht die Bürger feiner. Doch war's ein ÄZunder? Nein. Dem unverwöhnten Ohr, Das noch nichts Schönres kennt, kömmt Alles göttlich vor. Jetzt aber. . wähle selbst, nimm Hassen oder Granen, Uno sprich, ihr edler Stolz, wird er sich so viel trauen? Er bessre, wenn er kann, das ungeschliffne Land. Dem Junker und dem Bau'r fehlt noch gleich viel Verstand. Er geh', sind sie es werth, und lehr' mit Opertönen, Was sich nicht lehren läßt, den ohne Murren stöhnen, Und jenen ohne Stolz ein Bauerkönig sein. Der Priester räumt ihm gern dazu die Kirchen ein. Doch er wird zehnmal eh die Karpfen in den Teichen Als ihren dummen Bau'r und Bauerherrn erweichen. Nicht, weil er schlecht gespielt, weil er kein Orpheus ist, Deß Kunst die Billiakeit nach seinen Zeiten mißt; Nein, weil jetzt (gülone Zeit!) der Pöbel auf den Straßen Ein ekler Oyr besitzt, als Kenner sonst besaßen. Erst drängt er durch die Wach' sich toll ins Opernhaus, Urtheilt erbärmlich dann und strömt in Tadel aus. Die Wendung war zu alt, die kam zu oftmals wieder; Hier stieg er allzu hoch, hier fiel er plötzlich nieder; Der Einfall war dem Ohr zu unerwartet da, Und jener taugte nichts, weil man zuvor ihn sah; Bald wird das Traurige zum Heulen wüster Töne, Bald ist die Sprach' des Leid's zu ausaekünstelt schöne; Dem ist das Fröhliche zu schäkernd possenhaft, Und Jenem eben das ein Grablied ohne Kraft; Das m zu schwer gesetzt, und das für alle Kehlen; Und Manchem scheint es gar ein Fehler, nie au fehlen; Das Wort heißt zu gedehnt, und das nicht gmug geschleift; Die Loge weint gerührt, wo jene zischt und pfeift. Wo kömmt die Frechheit her, so unbestimmt zu richten? Wer lehrt den gröbsten Geist die Fehler sehn und dichten? Ist nicht, uneins mit sich, ein Thor des anoern Feind? Und fühlt der Künstler nur sie all' aus sich vereint? Ist nicht der Grund, weil sie erschlichne Regeln wissen Und auf gut Glück darnach vom Stock zum Winkel schließen? Er ist's. Nun tadle mich, daß ich die Regeln schmäh' Und mehr auf das GAihl als ihr Geschwätze seh'. Die Schwester der Musik hat mit ihr gleiches Glücke; Kritiken ohne Zahl und wenig Meisterstücke,

Sragnit’iife.

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Seitdem der Philosoph aus bem Parnasse streift Ilnd Regeln abstrahirt und die mit Schlüssen steift. Der Schüler hat gehört, man müsse fließend dichten. Was braucht der Schüler mehr, des Schweitzers Lied zu rieten? Grob, Lo hensteinisch, schwer giebt seinen Worten Wucht. Die Menge lobt den Wahn; das ist des Wahnes Frucht. Ja, seine Tyrannei hat leichte Besserungen, Rach langem Widerstand, ihm endlich abgedrungen. Und bersten möcht' ich oft, wenn tadelndes Geschmeiß, Das kaum mit Müh' und Roth die drei Einheiten weiß, Den Plaut und Molidr' zu übersehen alaubet; Das ist, den: Herkules im Schlaf die Keule raubet, Und brächt' ihm gern damit schimpfsvolle Wunden an; Rur schade! daß kein Zwerg sie mächtig führen kann. Kunstwörter müssen dann der Dnmmhett Blöße decken, Und ein gelehrt Citat macht Zierden selbst zu Flecken. Ach arme Poesie! anstatt Begeisterung Und Göttern in der Brust, sind Regeln jetzt genung. Roch einen Bodmer nur, so werden schöne Grillen Der jungen Dichter Hirn, statt Geist und Feuer füllen. Sein Affe schneidert schon ein ontologisch Kleid Dem zärtlichen Geschmack zur Maskarademeit. Sein kritisch Lämpchen hat die Sönne jüngst erhellet, Und Klop stock ward durch ihn, wie er schon stand, gestellet. Tonarten, Intervall, Accorde, Dissonanz, Manieren, Clauseln, Tact, Strich, Conterpunkt und Schwanz, Mit hundert Wörtern mehr, die Tausend nicht verstehen, Worauf sich Tausend doch pedantisch albern blähen, Freund, sei so gut, verbräm' mein allzudeutsch Gedicht, Damit man auch von mir als einen: Kenner spricht. Doch nein . . Es möchte mich ein Pfau zu rupfen fassen. Wobei ich nichts gedacht, mag ich nichts denken lassen. Zwar durch Bescheidenheit fliegt man nicht himmelan; Dem Mädchen steht die Scham, und Prahlerei den: Mann. Die Regeln sind dazu, daß wir nicht dürfen schweigen, Wenn Meister emsig sind und sich in Thaten zeigen. Wer hat so müß'ge Zeit und sitzet mühsam still, Daß er erst Alles lern', wovon er reden will? Ein Weiser braucht den Mund zum Richten und am Tische. Wer schweigt, ist dumm. Drum sind das dümmste Vieh die Fische.

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Fragmente.

Bei einem Glase Wein kommt Manches auf die Bahn; Da heißt es: rede hier, daß man Dich sehen kann. Und reden kann man ja. Vom Setzen, Dichten, Malen Lehrt auch das kleinste Buch, wo nichts verstehn, doch prahlen. Der Schwätzer hat den Ruhm; dem Meister bleibt die Müh'. Das ist der Regeln Schuld, und darum tadl' ich sie. Doch meinet man vielleicht, daß sie dem Meister nützen? Man irrt; das hieß' die Welt mit Elephanten stützen. Ein Adler hebet sich von selbst der Sonne zu; Sein ungelernter Flug erhält sich ohne Ruh'. Der Sperling steigt ihm nach, so weit die Dächer gehen, Ihm auf der Feuerest', wann's hoch kommt, nachzusehen. Ein Geist, den die Natur zum Musteraeist beschloß, Ist, was er ist, durch sich, wird ohne Regeln groß. Er geht, so kühn er geht, auch ohne Weiser sicher. Er schöpfet aus sich selbst. Er ist sich Schul' und Bücher. Was ihn bewegt, bewegt; was ihm gefällt, gefällt. Sein glücklicher Geschmack ist der Geschmack der Welt. Wer fastet seinen Werth? Er selbst nur kann ihn fasten. Sein Ruhm und Tadel bleibt ihm selber überlasten. Fehlt einst der Mensch in ihm, sind doch die Fehler schön, Nur seine Stärke macht, daß wir die Schwäche sehn. So kann der Astronom die fernen Sonnenflecken Durch Hilf' des Sonnenlichts, und anders nicht entdecken. Nachahmen wird er nicht, weil eines Riesen Schritt, Sich selbst gelassen, nie in Kindertavpen tritt. Nun saget mir, was dem die knecht'sche Regel nützet, Die, wenn sie fest sich stützt, sich aus sein Beispiel stützet? Vielleicht, daß Feu'r und Geist durch sie ersticket wird; Denn Mancher hat, aus Furcht zu irren, sich verirrt. Wo er schon Vorsicht braucht, verliert er seinen Adel. Er singet sonder Neid und darum ohne Tadel. Doch jedes hundert Jahr, vielleicht auch seltner noch, Kömmt so ein Geist empor und wird der Schwächeren Joch. Muß man, wenn man sich schwingt, stets adlermäßig schwingen? Soll nur die Nachtigall in unsern Wäldern singen? Der nebelhafte Stern muß auch am Himmel stehn; Bei vieler Sonnen Gluth würd' unsre Welt vergehn. Drum wird dem Mittelgeist vielleicht die Regel nützen? Die Säul' war dort zur Zier, und hier ist sie zum Stützen. Doch, Freund, belehre mich, wie den Apollo nennt,

Fragmente.

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Wenn er die Töne gleich als seine Finger kennt, Besaß' sein schwerer Geist Eukliden und Cartesen, Und Eulern könnt' er gar, wie ich Talandern lesen; Allein er wagte nichts, allein er dächte nie, Dem Führer allzu treu, und folgte wie das Vieh Und täuschte nur das Ohr mit künstlichem Geklimper: Wie nennt Apollo den? Wenn's hoch kommt: einen Stümper. Auch Dichter kenn' ich g'nug, die nur die Regel macht. Wer diesem Gott nicht dient, ist ihnen in der Acht. Wagt sich ihr netter Geist in Molierens Sphäre, So kömmt kein Monolog, kein freier Knecht die Quere; Gesetzt, er machte gleich die Augen thränenvoll, Wo man nack Sitt' und Recht sich selbst belachen soll: Was schad't das? Hat er doch die Regeln nie verletzet Und gar, o seltner Ruhm, noch neue zugesetzet. Die Richter preisen ihn und rufen: seht, da seht! Wie auch ein großer Geist mit Reiz in Fesieln geht. Allein, Freund, lachst Du nicht, daß ich von Stümpern spreche? Wer Andrer Schwäche zeigt, verberg' erst seine Schwäche. Doch ja, Du lachst nicht nur, Du gähnst auch über mich. Gut, schlafe nur nicht ein. Ich schließ' und frage Dich: Wenn der, der wenig braucht und minder noch begehret, Bei seiner Armuth lacht und Reiche lachen lehret, Der nichts verdrüßlich find't, auf Alles Zucker streut, Die Freude sich nie kaust und sich doch täglich freut: Wenn der ju preisen ist, ist der nicht auch zu preisen, Deß Ohr sich nicht empört bei mittelmäß'gen Weisen, Der bei des Hirten Flöt' und muntern Dorsschalmei'n So freudig kann, als Du in Grauens Opern, sein? Dies Glück, Freund, wünsch' ich Dir! und willst Du Dich bedanken, So wünsch' mir gleiche Lust aus Hallern und aus Hanken.

6. Vie Religion.

Erster Gesang. Vorerinnerung. Die Religion ist schon seit verschiednen Jahren die Beschäftigung meiner ernsthaftern Muse gewesen. Von den sechs Gesängen, die Lessing's Werke, 1.

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Fragmente.

ich größtenteils darüber ausgearbeitet habe, ist vor einiger Zeit der Anfang des ersten Gesanges zur Probe gedruckt worden. Ich wiederhole hier diese Probe, ohne etwas Neues hinzuzuthun, einige Verbesserungen ausgenommen. Zum Dichten braucht man Be­ quemlichkeit, und zum Ausarbeiten Zeit. Beides fehlt mir, nnd vielleicht wird es mir noch lange fehlen----- Mein Plan ist groß. Ich entwerfe ihn in den ersten achtzehn Zeilen selbst, von welchen ich im Voraus erinnern muß, daß einige von den Prädicaten daselbst auf die Religion überhaupt, nicht ans die einzige wahre Religion gehen. Der erste Gesang ist besonders den Zweifeln bestimmt, welche wider alles Göttliche aus dem innern und äußern Elende des Menschen gemacht werden sönnen. Der Dichter hat sie in ein Selbstgespräch zusammengenommen, welches er an einem einsamen Tage des Verdrusses in der Stille geführt. Man glaube nicht, daß er seinen Gegenstand aus den Augen läßt, wenn er sich in den Labyrinthen der Selbsterkenntniß zu verlieren scheint. Sie, die Selbsterkenntniß, war allezeit der nächste Weg zu der Religion, und ich füge hinzu, der sicherste. Man schieße einen Blick in sich selbst; man setze Alles, was man weiß, als wüßte man es nicht, bei Seite; auf einmal ist man in einer undurchdringlichen Nacht. Man gehe mif den ersten Tag seines Lebens zurück. Was entdeckt man? Eine mit dem Viehe gemeinschaftliche Geburt; ja, unser Stolz sage, was er wolle, eine noch elendere. Ganze Jahre ohne Geist, ohne Empfindung folgen darauf, und den ersten Beweis, daß wir Menschen sind, geben wir durch Laster, die wir in uns ge­ legt fanden, und mächtiger in uns gelegt fanden als die Tugen­ den. Die Tugenden! Vielleicht ein leerer Ton ! Die Abwechselung mit den Lastern sind unsre Besserungen, Besserungen, die die Jahre wirken, die ihren Grund in der Veränderung unsrer Säfte haben. Wer ist von diesem elenden Loose ausgenommen? Auch nicht der Weiseste. Bei ihm herrschen die Laster nur unter schönern Larven und sind wegen der Natur ihrer Gegenstände nur minder schädlich, aber ebenso stark als bei der verworfensten Seele aus dem Pöbel. Der Dichter darf die Beispiele nicht in der Ferne suchen. Alle sein Fleiß hat ihm nur die Zeit zum Uebelthun benommen, den Hang aber dazu nicht geschwächt. Unter andern Umständen würde er----- und wer muß nicht ein Gleiches von sich gestehen?------vielleicht ein Schaum der Bösewichter oder das Muster eines Thoren geworden sein. Welcher Anblick! in dem ganzen Umfange des menschlichen Herzens nichts als Laster zu finden! Und es ist von Gott? Es ist von einem allmächtigen, weisen Gott? Marternde

Fragmente.

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Zweifel!--------- Doch vielleicht ist unser Geist desto göttlicher. Vielleicht wurden wir für die Wahrheit erschaffen, da wir es für die Tugend nicht sind. Für die Wahrheit? Wie vielfach ist sie? Jeder glaubt sie zu haben, und Jeder hat sie anders. Nein, nur der Irrthum ist unser Theil, und Wahn ist unsre Wissenschaft. Fügt zu diesem erbärmlichen Bilde des edelsten Theile- von uns auch eine Abschilderung des minder edeln, des Körpers. Er ist ein Zusammenhang mechanischer Wunder, die von einem ewigen Künst­ ler zeigen. Ja, aber auch ein Zusammenhang abscheulicher Krank­ heiten, in seinem Bau gegründeter Krankheiten, welche die Hand eines Stümpers verrathen. Dieses Alles verführt den zweifelnden Dichter zu schließen: Der Mensch? wo ist er her? Zu schlecht für einen Gott, zu gut fürs Ungefähr. Man stoße sich hier an nichts. Alles dieses sind Einwürfe, die in den folgenden Gesängen widerlegt werden, wo das jetzt geschilderte Elend selbst der Wegweiser zur Religion werden muß.

Was sich der grobe Witz zum Stoff des Spottes wählt; Womit die Schwermuth sich in Probetagen quält; Wodurch der Aberglaub', in trübe Nacht verhüllet. Die leichtgetäuschte Welt mit frommen Teufeln füllet; Das göttlichste Geschenk, das aus des Schöpfers Hand Den schwachen Menschen krönt, noch über Dich, Verstand; Was Du mit Zittern glaubst und bald aus Stolz verschmähest Und bald, wenn Du Dich fühlst, vom Himmel trotzig flehest; Was Dein neugierig Wie? in fromme Fesseln schließt; Was dem zum Irrlicht wird und dem ein Leitstern ist; Was Völker knüpft und trennt und Welten ließ verwüsten, Weil nur die Schwarzen Gott, kein hölzern Kreuze grüßten; Wodurch, dem Himmel treu, allein ein Geist voll Licht In jene Dunkelheit mit sichern Schritten bricht, Die nach der grausen Gruft in unerschaffnen Zeiten Auf unsre Seelen harrt, die March der Sterblichkeiten: Dies sei mein rührend Lied! Dein Feu'r, Religion! Entflamme meinen Geist; das Herz entflammst Du schon. Dich fühl' ich, ehrsurchtsvoll, gleich stark als meine Jugend, Das thörichte Geweb' aus Laster, Fehl und Tugend. Nach Wahrheit durstiger als durstig nach der Ehr',

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Fragmente.

Auf Kluger Beifall stolz, doch aus den meinen mehr, Entfernt von Welt und Glück, in unbelauschten Stunden Hab' ich den flücht'gen Geist ost an sich selbst gebunden Und gab mir kummerlos, da, weil ich Hilfe schrie, Mich Niemand kennen mag, mich selbst zu kennen Müh'. Der ernsten erster Blick, die ich aus mich geschossen, at mein erstauntes Herz mit Schwermuth übergossen. erkoren in mir selbst, sah, hört' und fühlt' ich nicht; Ich war in lauter Nacht und hoffte lauter Licht. Nun zwanzig Jahr gelebt-------- und noch mich nicht gesehen 1 Ries ich mit Schrecken aus und blieb gleich Säulen stehen. Was ich von mir gedacht, ist falsch, ist lächerlich; Kaum glaub' ich, ich zu sein, so wenig kenn' ich mich. Verdammte Schulweisheit! Ihr Grillen weiser Thoren! Bald hätt' ich mich durch Euch, wie meine Zeit verloren. Ihr habt, da Wähnen nur der Menschheit Wissen ist, Den stolzen Sinn gelehrt, daß er mehr weiß als schließt. Dem Irrthum in dem Schooß, träumt er von Lehrgebäuden Und kann, stolz auf den Traum, kein wachsam Zweifeln leiden. Das Forschen ist sein Gift, Hartnäckigkeit sein Ruhm; Wer ihn bekehren will, raubt ihm sein Eigenthum, Ihm, der stolz von der Höh' der aufgethürmten Lügen Natur und Geist und Gott sieht unverhüllet liegen. Warum? wer? wo bin ich? Zum Glück —ein Mensch — aus Erden. Bescheide sonder Licht, die Kindern gnügen werden! Was ist der Mensch? sein Glück? die Erd', aus der er irrt? Erklärt mir, was Ihr nennt. Dann sagt auch, was er wird, Wenn schnell das Uhrwerk stockt, das in ihm denkt und fühlet? Was bleibt von ihm, wann ihn der Würmer Heer durchwühlet, Das sich von ihm ernährt und bald auf ihm verreckt? Sind Wurm und Mensch alsdann gleich hoffnungslos gestreckt? Bleibt er im Staube Staub? Wird sich ein neues Leben Aus einer Allmacht Wink aus seiner Asche heben? Hier schweigt die Weisheit selbst, den Finger auf den Mund, Und nur ihr Schüler macht mehr, als sie lehrt, uns kund. Die Einsalt hört ihm zu mit starrverwandten Blicken, Mit gierig offnem Mund und beifallsreichen Nicken. Sie glaubt, sie höre Gott; denn sie versteht ihm nichts, Und was sie halb gemerkt, stützt sie aus ein: er spricht's. Auch ich, von ihr verführt, vom Hochmuth aufgeblasen,

B

Fragmente.

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Hielt für die Wahrheit selbst ein philosophisch Rasen, Worin der irre Kopf verwegne Wunder denkt, Ein Königreich sich träumt und seinen Traum verschenkt, Die Schiff' im Hafen zählt und alle seine heißet, Bis ihn ein böser Arzt der Schwärmerei entreißet. Er wird gesund und arm; erst war er krank und reich; Elend zuvor und nun-------- Wer ist, als ich, ihm gleich? Wer kömmt und lehret mich, was ich zu wissen glaubte, Eh der einsame Tag Gott, Welt und mich mir raubte? Durchforschet, Sterbliche, des Lebens kurzen Raum! Was kommen soll, ist Nacht. Was hin ist, ist ein Traum. Der aegenwürt'ge Punkt ist allzu kurz zur Freude, Und ooch, so kurz er ist, nur allzu lang zum Leide. Schick', wer es mit mir wagt, den wohlbewehrten Blick Zum unempfindlichsten, zum ersten Tag zurück. Dort lag ich blöder Wurm! vom mütterlichen Herze Entbundne theure Last, erzeugt im Schmerz zum Schmerze! Wie war mir, als ich frei, in nie empfundner Lust, Mit ungeübtem Ton mein Schicksal ausgerust? Wo war mein junger Geist? fühlt' er die Sonnenstrahlen Das erste Bild im Aug' mit stillem Kitzel malen? Mein ungelehrtes Schrein, hat mich es auch erschreckt, Als es zuerst durchs Ohr den krummen Weg entdeckt? Die mütterliche Hand, die mich mit Zittern drückte, Ihr Auge, das mit Lust, doch thränend nach mir blickte, Des Vaters fromme Stimm', die Segen auf mich bat, Der, als ich nichts verstand, schon lehrend zu mir trat, Der sein Bild in mir sah, mi^".ernsten Liebeszeichen Mich dann der Mutter wies, ihn mit mir zu vergleichen: Ward dies von mir erkannt, und was dacht' ich dabei? Fühlt' ich, mir unbewußt, für sie schon Lieb' und Scheu? Ach! Neigung, Sinn und Witz lag noch in finstern Bandn, Und, was den Menschen macht, war ohne Spur vorhanden. Die Bildung nach der Form zum menschlichen Geschlecht Gab auf den edlern Theil mir kein untrüglich Recht. Wer sah durch Haut und Fleisch das Werkzeug rum Empfinden? Ob kein unsel'ger Fehl im innern Bau zu finden? Wer sah mein Hirn, ob es gedankenfähig war? Ob meine Mutter nicht ein menschlich Vieh gebar? Wie elend kümmerlich wuchs ich die ersten Jahre! Zum Menschen noch nicht reis, doch immer reif zur Bahre.

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Fragmente.

Wie mancher Tag verfloß, eh vom geschäft'gen Spiel Ein lächelnd heitrer Blick schief aus die Mutter fiel? Eh meine Knorpelhand so stark zu sein begonnte, Daß sie mit jauchzen ihr das Haar zerzausen konnte? Eh leichter Silben Schall ins Ohr vernehmlich stieß? Eh ich mich, Stammelnde nachäffend, loben ließ? Eh meine Wärterin die dunkeln Worte zählte, Womit den langen Tag die kleine Kehl' sich quälte? Eh, auf die Leitung kühn, mein Fuß, vom Tragen matt, Mehr Schritte durch die Luft als auf dem Boden that? Doch endlich sollt' ich auch das späte Glück genießen, Das schlechtre Thiere kaum die ersten Stunden missen, Die Lieblings der Natur, vom sichern Trieb regiert. Der unverirrlich sie zum Guten reizt und führt. Ich hörte, sah und ging, ich zürnte, weinte, lachte, Bis Zeit und Ruthe mich zum schlimmern Knaben machte. Das Blut, das jugendlich in frischen Adern rann, Trieb nun das leere Herz zu leichten Lüsten an. Mein Wunsch war Zeitvertreib, mein Amt war Müßiggehen; Ich floh vom Spiel zum Spiel, und nirgends blieb ich stehen. Nach Allem sehnt' ich mich, und Alles würd' ich satt, Der Kreisel wich dem Ball, der Ball dem Kartenblatt. Zu glücklich, wär' mein Spiel ein bloßes Spiel gewesen, Zur schlauen Larve nicht dem Laster auserlesen, Worunter unentdeckt das Herz ihm offen stand. Wer kann dem Feind entflrehn, eh er den Feind gekannt? Stolz, Rachsucht, Eigensinn hat sich in Kinderthaten Des Lehrers schärferm Blick oft männlich g'nug verrathen. Ach! warum wüthete ihr Gift in Mark und Blut Mit mich verderbender, doch angenehmer Wuth, Eh der biegsame Geist die Tugend kennen lernte, Von der ihn die Natur, nicht er sich selbst entfernte? Nein, er sich selber nicht; denn in der Seele schlief Vom Gut und Bösen noch der wankende Begriff; Und als er wache ward, und als ich wollte wühlen, War ich, ach! schon bestimmt, in meiner Wahl zu fehlen. Ich brachte meinen Feind in mir, mit mir Herfür, Doch Waffen gegen ihn, die bracht' ich nicht mit mir. Das Laster ward mein Herr, ein Herr, den ich verfluche, Den eifrig, doch umsonst, ich zu entthronen suche; Ein Wüthrich, der es ward, oamit ich sei gequält,

Fragmente.

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Nicht, weil er mich besiegt, nicht, weil ich ihn gewählt-------Himmlische Tugenden! Was hilft es, Euch zu kennen, In reiner Gluth für Euch, als unser Glück, zu brennen, Wenn auch der kühnste Schwung sich schimpflich wieder senkt, Und uns das Laster stets an kurzen Banden lenkt? Ich fühl' es, daß mein Geist, wenn er sich still betrachtet, Sich dieser Bande schämt, sich Eurer werth nur achtet, Daß, wenn von später Reu' mein Aug' in Thränen fließt, Da ich sonst nichts vermag, mein Wunsch Euch eigen ist. Du bist mir Trost und Pem, und an der Tugend Stelle, Beweinenswerther Wunsch! mein Himmel! meine Hölle! Du, nur Du bist in mir das Einz'ge reiner Art, Das Einzige, was nicht dem Laster dienstbar ward. Solch einen heißen Wunsch, solch marternd Unvermögen, Die kann ein Gott zugleich in eine Seele legen? Ein mächtig weiser Gott! Ein Wesen, ganz die Huld! Und richtet Zwang als Wahl, und Ohnmacht gleich der Schuld? Und straft die Lasterbrut, die es mir aufgedrungen, Die ich nicht müde rang, und die mich lahm gerungen. O Mensch, elend Geschöpf! Mensch! Vorwurf seiner Wuth! Und doch sind, was er schuf, Du und die Welt sind gut? So kenn' ich Gott durch Euch, Ihr Jsrael's Verwirrer, Und Eure Weisheit macht den irren Geist noch irrer. Umsonst erhebt Ihr mir des Willens freie Kraft! Ich will, ich will . . Und doch bin ich nicht tugendhaft. Umsonst erhebt Ihr mir des Urtheils streng Entscheiden. Die Laster kenn' ich all', doch kann ich alle meiden? Hier hilft kein starker Geist, von Wissenschaft genährt, Und Schlüsse haben nie das Bös' in uns zerstört. Er, der mit sicherm Blick das Wahrheitsreich durchrennet Und kühn zur Sonne steigt . . Weg, den kein Adler kennet!-------Wo er den innern Zug entfernter Welten wiegt, Der sie, zur Flucht bereit, in ew'ge Kreise schmiegt, Und aus dem Himmel dann sinkt auf verklärten Schwingen, Mit gleicher Kraft den Bauch der Erde zu durchdringen, Und m dem weiten Raum vom Himmel bis zum Schacht Nichts sieht, wovon er nicht gelehrte Worte macht; Er und der halbe Mensch, verdammt zum sauern Pflügen, Auf welchem einzig nur scheint Adam's Fluch zu liegen, Der Bauer, dem das Glück das Feld, das er durchdenkt, Und das, das er bebaut, gleich eng und karg umschränkt,

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Lragmenke.

Der sich erschaffen glaubt zum Herrn von Ochs und Pferden, Der, sinnt er über sich, sinnt, wie er satt will werden, Der seine ganze Pflicht die Hofedienste nennt, Im Reiche der Natur zur Noth das Wetter kennt; Sie, die sich himmelweit an stolzer Einsicht weichen, Sie, die sich besser nicht als Mensch und Affe gleichen, Sind sich nur allzu gleich, stiehlt, trotz dem äußern Schein, In Beider Herzen Grund ein kühner Blick sich ein. In Beiden steht der Thron des Uebels aufgethürmet, Nur daß ihn der gar nicht, und der umsonst bestürmet, Nur daß frei ohne Scham das Laster hier regiert Und dort sich dann und wann mit schönen Masken ziert. Mein Herz, eröffne Dich! Hier in dem stillen Zunmer, Das nie oer Neid besucht und spät der Sonne Schimmer; Wo mich kein Gold zerstreut, das an den Wänden blitzt, An welchen es nicht mehr als ungegraben nützt; Wo mir kein sammtner Stuhl die goldnen Arme breitet, Der nach dem vollen Tisch zum trägen Schlaf verleitet; Wo an des Hausraths Statt, was finstern Gram besiegt, Begriffner Bücher Zahl auf Tisch und Dielen liegt; Hier, Herz, entwickle treu die tiefsten Deiner Falten, Wo Laster, schlau versteckt, bei Hunderten sich halten; Hier rede frei mit mir, so wie zum Freund ein Freund, Der, was er ihm entdeckt, nur laut zu denken meint; Kein fremder Zeuge horcht, geschickt, Dich roth zu machen, Kein seichter Spötter droht ein nichtsbedeutend Lachen. Dich höret, ist ein Gott nur Gott und ich allein. Doch rede, sollte gleich oie Welt mein Zeuge sein! Seitdem Neugier und Zeit mich aus dem Schlummer weckten, Die Hände von dem Spiel sich nach den Büchern streckten, Und mir das leere Hirn ward nach und nach zur Last, Welch Bild hab' ich nicht schnell und gierig aufgefaßt? Kein Tag verstrich, der nicht mein kleines Wissen mehrte, Mit dem der junge Geist sich stopfte mehr als nährte. Der Sprachen schwer Gewirr, das Bild vergangner Welt, 8um sichern Unterricht der Nachwelt aufgestellt: 'er Alterthümer Schutt, wo in verlassnen Trümmern Des Kenners Augen noch Geschmack und Schönheit schimmern; Der Zunge Zauberkunst, die den achtsamen Geist, Wie leichte Spreu ein Nil, dem Strom nach folgsam reißt; Und sie, noch meine Lust und noch mein still Bemühen,

Fragmente.

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Für deren Blicke scheu unwürd'ge Sorgen fliehen, Die Dichtkunst, die ein Gott zum letzten Anker gab, Reißt Sturm und Nacht mein Schiff vom sichern Ufer ab:-------Die sind's, worin ich mich fern von mir selbst verirrte, Mein eigen Fach vergaß, begierig fremder Wirthe. Indessen glimmte still, am unbekanntsten Ort, Durch Nachsicht angefacht, des Lasters Zunder fort. Gern wär' er, allzu gern, in Flammen ausgeschlagen, Die in die Saat des Glücks Tod und Verwüstung tragen, Und die kein Thränenmeer mit Reu' zu löschen weiß; Doch Zeit zum Uebelthun versagte mir mein Fleiß. So schien ich, in der Still' um Todte nur bemüht, Mir tugendhaft und dem, der nicht das Innre steht. Die Thorheit, die mit Schall die stolzen Ohren nährt, Mit Lob, das, reich an Pest, aus gift'gen Schmeichlern fährt, Die Ruh' für Titel giebt und Lust für Ordensbänder, Der flücht'gen Königsgunst vergebne Unterpfänder, Die groß wird sich zur Last, uno wahres Glücke scheuet, Weil dies sich ungeputzt in stillen Thälern freuet, Weil es die Höfe flieht, sein zu gewisses Grab, Das keinen Raub zurück, gleich ihr, der Hölle, gab; Die Ruhmsucht. . hab' ich sie nicht oft mit spött'scher Miene, Die lächelnde Vernunft auf mir zu bilden schiene, Mit Gründen, frisch durch Salz, für Raserei erklärt Und unter andrer Tracht sie in mir selbst ernährt? Mein Lied, das wider sie aus kühnem Mund ertönte Und Fürsten unbesorgt in ihren Sklaven höhnte, Das, bei der Lampe reif, die Ruh' des Weisen sang, Von reicher Dürftigkeit, von sel'ger Still' erklang, Mein Lied, wann's ohngefähr ein Kreis Bekannter hörte, Und es der Kenner schalt, und es die Dummheit ehrte, Wie ward mir ? Welches Feu'r ? Was fühl? und fühlt' ich nicht ? Was malte den Verdruß im rothen Angesicht? O Ruhmsucht, schlauer Feind! als ich Dich keck verlachte, Lagst Du im Hinterhalt, den Selbstbetrug Dir machte. Der zürnt, weil man ihn nicht hoch, würdig, gnädig heißt Und ihm ein nichtig Wort aus seinem Titel reißt; Ich zürn' . . zum Mindesten, weil unversorgte Jugend Die Rennbahn mir verschließt zu Wissenschaft und Tugend? Nein . . weil man mir ein Lob, ein knechtisch Lob versagt, Daß ich . . wer schützt die Müh' ? . . die Reime schön erjagt.

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Fragmente.

Nenn' sicher, stolze Schaar, Ruhmträume zu erwischen! Der Spötter schweigt von Dir, sich selber auszuzischen! Ihr Laster, stellet Euch! Aus Eurem wilden Heere, Unzählbar wie der Sand, schlau zu des Uebels Ehre, Such' ich die schrecklichsten! Euch such' ich, Geiz und Neid, Die Ihr, flieht Wärm' und Lust, des Alters Seele seid! Doch, Jüngling, Blüth' und Feu'r, das Deine Wangen hitzet, Schließt ihren Wurm nicht aus, der tief am Kerne sitzet. Er wächst und wächst mit Dir, bis er sich auswärts frißt Und der unsel'ge Grund zu zeit'ger Reifung ist. Bav kleidet sich in Gold und trägt an Edelsteinen Auf feiner dürren Hand den Werth von Meiereien; Sein trotzig Dienerheer blüht sich am Hintern Rad, Im Feierkleid der Schmach, in ihres Herren Staat. Wer geht vor ihm vorbei und bückt sich nicht zur Erde? Er dankt, und lernt die Art von seinem stolzen Pferde ; Es schlägt das schöne Haupt zur Brust mit schielem Blick, Und schnaubend zieht es schnell der straffe Zaum zurück. SeinReichtbum giebtihmWitz; fein Reichthum schenkt ihm Sitten Und macht oas plumpe Klotz auch Weibern woylgelitten. Des Pöbels Augenmerk! Bav, bist Du meines? Nein. Sich selbst muß man ein Feind, Dich zu beneiden, sein. Doch wenn der Löwe sich an keinen (S)el waget, Hat er drum mindre Wuth, wann er nach Tigern jaget? Trifft Baven nicht mein Neid, trifft er drum Keinen? Ach! Nacheifrung, wer bist Du? Sprich, mir zur Zier? zur Schmach ? Sinnreich, zur eignen Fall', die Laster zu verkleiden; Betrogne Sterbliche, Nacheifern ist Beneiden. Nimmt mich, ans Pult gehest, der ewige Gesang, Durch den der deutsche Ton zuerst in Himmel drang . . In Himmel . . frommer Wahn! . . Gott . . Geister . . ewig Leben . . Vielleicht ein leerer Ton, den Dichter kühn zu heben!-------Nimmt mich dies neue Lied . . zu schön, um wahr zu sein, Erschüttert, nicht belehrt, mit heil'gem Schauer ein: Was wünscht der innre Schalk, erhitzt nach fremder Ehre, Und lächerlich erhitzt?-------- Wann ich der Dichter wäre! Umsonst lacht die Vernunft und spricht zum Wunsche: Thor! Ein kleiner Geist erschrickt, ein großer dringt hervor. Dem Wunsche folgt der Neid mit unbemerkten Schritten, Auch Weifen unbemerkt, und unbemerkt gelitten.

Fragmente.

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Was hilft's, daß er in mir bei Unfall sich nicht freut, Die Ruh' der Welt nicht stört?-------- Ist er drum minder Neid? Nicht er, der Gegenstand, die Neigung macht das Laster, Stets durch sich selbst verhaßt, nur durch den Stoff verhaßter. Auch Dich, o Geiz! — Doch wie? Was stößt den finstern Blick, Den redlichsten Spion, vom Grund der Brust zurück? Ich werde mir zu schwarz, mich länger anzuschauen, Und Neugier kehret sich in melancholisch Grauen. Des Uebels schwächsten Theil zog ich ans scheue Licht. Verwöhnter Weichling 1 Wie? mit stärkern wag' ich's nicht? Doch bleibt nur in dem Schacht, den Ihr stets tiefer wühlet, Je näher Ihr den Feind, die Selbsterkenntniß, fühlet. Ihr schwärzern Laster, bleibt! Was die Natur verstecket, Zieh' Unsinn an das Licht! . . . Nichts hab' ich mehr entdecket, Wenn ich auch eins vor eins die Mustrung gehen lasse. Als daß ich sündige, und doch die Sünde hasse. Doch wie? Das Alterthum, auf Wahn und Moder groß, Spricht: Dein Loos, Sterblicher, ist nicht der Menschheit Loos! Das kleine Griechenland stolzirt mit sieben Weisen Und sahe Scythen selbst nach ihrer Tugend reisen. Vergebens Alterthum! Die Zeit vergöttert nicht! Und kein Verjähren gilt vor der Vernunft Gericht! Die schöne Schale täuscht mich nicht an Deinen Helden; Und selbst vom Sokrates ist Thorheit g'nug zu melden. Wohin kein Messer dringt, das in des Arztes Hand, In Därmen wühlende, des Todes Anlaß fand, Bis dahin schick' den Blick, die Wahrheit auszuspühen! Was ich in mir gesehn, wirst Du in ihnen sehen. Großmuth ist Ruhmbegier; Keuschheit ist kaltes Blut; Treu sein ist Eigennutz, und Tapferkeit ist Wuth; Andacht ist Heuchelei, Freigebigkeit Verschwenden; Und Fertigkeit zum Tod Lust ferne Pein zu enden; Der Freundschaft schön Gespenst ist gleicher Thorheit Zug, Und seine Redlichkeit der sicherste Betrug! Mir unerkannter Feind, und Vielen unerkannter, O Herz, schwarz wie der Mohr und fleckicht wie der Panther; Pandorens Mordgefäß, woraus das Uebel flog, Und wachsend in dem Flug durch beide Welten zog! Es wäre Lästerung, Dir Gott zum Schöpfer geben! Lästrung, ist Gott ein Gott, im Tode nicht vergeben.

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Fragmente. 7. Poetische Anmerkungen $it dem Gedichte von H. Gedicht von H. Mein Freund, wirst Du mich wol für zu verwegen halten? Ich las jüngst Dein Gedicht vom Neuen und vom Alten; Und siehe, selbst Dein Freund ist'S, der Dir widerspricht. Der glaubt, die neue Welt weicht jener alten nicht. Es mag der Alten Ruhm gleich Babel's Thürmen steigen. Man mag zu Tausenden urältre Weisen zeigen, Aegyptens, Griechenlands, des stolzen Euphratstroms, Chaldäens, Persiens und deS gelehrten Rom's; Ja, man vergesse sich beim Wachsen ihrer Zahlen; Es mag der Humanist mit ihrer Weisheit prahlen; Er rede vom Thalet, vom Plato und Homer, Vom Pindar und Euklid (1) und noch von Andern mehr; Er zähle stundenlang die denkenden Lateiner, Er schätze ihre Kunst, und es entfall' ihm keiner. Ein (2) Numa, Cicero, Virgil, Horaz, Catull, Ein Plautus, Livius, Ovid, Terenz, Ti bull, Und wer sie alle sind, und suche zu beweisen. Kein Neuer sei gelehrt wie diese Zahl zu heißen. Ich kenne ihren Werth, ich schätz' auch ihren Ruhm, Doch schätz' ich uns noch mehr als alles Alterthum. Freund, den die Weisheit sucht, Du schmeichelst JenerWisien Und läßt der alten Schaar den Vorzug doch genießen! „Stagircns Ehr' ist jetzt den Physikern ein Kind, Wie's unsre Dichter noch bei alten Dichtern sind." So sprichst Du. Aber, Freund, kannst Du uns so beschämen? Die Neuern winken mir, mich ihrer anzunehmen. Ich sage, unsre Welt hat in der Wissenschaft Mit jener ältern Welt noch immer gleiche Kraft. Ich glaub' es, und man mag sich ewig darum zanken; Genung, die Wissenschaft stell' ich mir in Gedanken In diesem Bilde vor: Gott gab dem ersten Mann Ein großes Stücke Erzt (3). der sah es gierig an Und fand viel Artiges; er gab es seinem Erben, Und der entdeckt schon mehr. Nach deß erfolgtem Sterben Bekam's der dritte Mann, der fand mehr Seltenheit, Und also ging es fort bis auf die heut'ge Zeit. Man findet immer mehr und wird noch künftig finden, Es müßte denn der Fleiß und der Verstand verschwinden.

Anmerkungen Lessing's. (1) Was? Pindar und Euklid? Ein allerliebstes Paar! Das auch vom Faßmann nie so fein gewählet war. (2) Num' ? Die Verfasser, Freund, die die zwölf Tafeln schrieben, Die haben auch gedacht- wo sind denn die geblieben? (3) Ein großes Stücke Erzt soll unser Wissen sein? Ein reiches Gleichniß! Ei! So eines nimmt mich ein! Kann ein Gelehrter nun noch über Armuth klagen? Er darf sein Stücke Erzt nur in die Münze tragen.

Fragmente.

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Und stellt sich gleich an ihm stets etwas Neues dar, So bleibt eS doch das Stück, daS es im Anfang war. Wir Neuern haben denn Kraft, gleich der Alten Krästen, Und im (4) Gehirne noch Saft, gleich der Alten Säften; Denn sonst wär' unser Gott nicht, wie man ihn beschreibt, Der Gott, der allemal der weise Schöpfer bleibt. Sprichst Du, ein Töpfer kann ein guter Töpfer bleiben, Pflegt er gleich manchen Topf von schlechtem Zeug zu treiben. Ja, er verbleibe gut, doch wird sein Kram bestehn, Wollt' er mit schlechtem Zeug stets auf die Märkte gehn? Nein, Freund, es geht nicht an. Der Schöpfer jener Väter Schafft uns, wie er sie schuf. Tompackner Uhren Näder Sind wie der güldenen. Auch sind wir längst belehrt, Es sei der Wissenschaft Erkenntniß weit vermehrt. Sie gleichet jenen Fund, den Gürge ausgeeget. Der Bauer war recht froh, so wie der Bauer pfleget. Er nahm es, trug es heim und wies es seinem Schatz, Und siehe, das war Gold, ganz grün vom nassen Platz. Er trägt es zum Verkauf und macht den Handel richtig, Der Goldschmied prüft es wohl und find't den Klumpen tüchtig. Ein königlich Geschirr wird nun daraus gemacht, Und voll Champagner-Wein aufs Königs Tisch gebracht. So sah auch nur den Schein der Wissenschaft Erfinder, So wie zu unsrer Zeit der Weisheit arme Sünder. Zeit, Fleiß, Geschicklichkeit hat immer mehr gesucht. Und keines Forschers Fleiß bleibt gänzlich ohne Frucht. Ein Zufall (5) lehrete die Alten das Erfinden; Wein beweisen sie daS allemal mit Gründen? Und hieß es nicht vielmals, die Gottheit giebt eS ein, Glaubwürdiger als sonst, Beweises los zu sein? Glaubt unsre kluge Welt, und wird es uns wol nützen, Wenn wir und, statt Beweis, mit Gräter Märchen schützen ? Und da sich jene Welt hiermit betrügen ließ, War sie so klug wie wir, die Welt, die gülden hieß? (6) Und ist ihr Wissen nun die Wissenschaft zu nennen, Da sie ohn' allen Grund viel' ihrer Sachen kennen? Ihr heidnisch Auge war mit blauer Dunst umhüllt, Ihr Meistes hat nur Kunst, nicht Wissenschaft, erfüllt. Und diesem sollen wir in Wissenschaften weichen, Wir, die wir längstens schon ihr Wissen übersteigen? Ich leugne nicht, daß noch ihr großer Name grünt Und ihr Bemühen noch Bewunderung verdient. Ja, wir sind ihrem Fleiß viel Hekatomben schuldig, Da sie durch eigne Kraft, hilflos und doch geduldig, Dem menschlichen Geschlecht viel Nützliches erzeigt,

'4) Was? im Gehirne Saft? Dafür bedank' ich mich, die Weisheit, die der zeugt, ist allzu jämmerlich. r5) Allein wir Neuern, wir erfinden nur durch Schließen, das wird Dein Landsmann wol, der Dresdner Tycho, misien. 2 Die alte hieß nur das, was unsre neure ist, ) man Verdienst und Kunst aus reichen Kleidern schließt.

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Fragmente. Das aber erst durch uns zu seinem Werthe steigt, Und daS durch künft'gen Fleiß der Enkel höher steigen, Und was, dem unbewußt, der Enkel Enkel zeigen Und so durch neuen Fleiß noch höher steigen wird. Drum, Freund, verzeih es mir, Du hast Dich wol geirrt. Die alte Welt ist zwar mit Ehrfurcht zu betrachten. Doch brauchen wir uns auch in Keinem zu verachten, Und die Physik ist's nicht allein, die unserm Werth Bor ihnen, wie Du sprichst, ein höher Lob gewährt. Nein, ihre Schwester hat weit stärker Licht bekommen, Seitdem manch hoher Geist sich ihrer angenommen. Und wer, wie Du selbst sprichst, kennt wol nicht Maupertuis (7) Und Newton, und zugleich der Beiden Ruhm und Müh? Soll uns ein Philosoph des Alterthums beschämen? Kann Leibnitz und ein Wolf nicht Alle auf sich nehmen? Wo zeigt uns jene Welt dergleichen Werkzeug an, Als uns Tschirnhausen's Fleiß (8) zum Wunder zeigen kann? Wer war so stark wie wir in Wissenschaft der Sterne? Wer sah von ihnen so wie wir in alle Ferne? Wer war so groß vom Geist, als unser Euler ist, Wenn sein gewöhntes Aug' entfernte Größen mißt? Wo hat ein Muschenbroek der Alten Ruhm vermehret? Wo hat sie Einer so wie Gcsner unS gelehret? Und wo hat Aesculap Boerhaavens Kunst gehabt? Wer war mit einem Geist wie Ludewig begabt? Und selbsten das Gericht stirnrunzlichter Archonten, Die die Gerechtigkeit am Besten drehen konnten, (Wie mancher Richter noch gut durch die Finger sieht, Wenn man ein Fäßchen Wein in feinen Keller zieht;) Ist uns nicht gleich, seitdem uns ein Cocceji lebet, Der Recht und Richtcrstuhl durch Wissenschaft erhebet. Die Stützen unsrer Zeit, die Weisen jener Welt Sind, die man Jener Ruhm von uns entgegen stellt, Und unsre Zeit sieht noch so viele große Geister, Die bei der Nachwelt noch der Wissenschaften Meister Und große Weise sind. Die Dichtlunst kränkest Du, Gestehst der alten Welt vor uns den Vorzug zu; Allein, geliebter Freund, ist Glover kein Poete? Reizt Dich nicht Hagedorn, klingt Dir nicht Haller's Flöte? (9) Was war'S, das des Homer's und Maro's Lied erhob? Was schuf Anakreon's, Ovid's und Flaccus' Lob? Ein abergläubisch Lied, vermischt mit tollen Lügen,

(7) Dank sei dem lieben Reim, daß der beim Newton stehet, Und in den letzten Fuß nicht unser Euler gehet! Doch Newton hat den Ruhm und Maupertuis die Müh'. Freund, Du hast doch wol Recht, insoweit passen sie. (8) Du kennst der Alten Werth und schätzest ihren Ruhm, Und kennst den Archimed nicht aus dem Alterthum? (9) Wem danken diese denn ihr göttlich Lied? Den Alten; Drum ihnen gleich zu sein, muß man's mit Jsüen halten.

Fragmente.

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Die Nachwelt durch den Held geschicklich zu betrügen. Ein Lied voll Schmeichelei, ein Lied voll geiler Brunst, Ein Lied voll Thorheit und von sehr gemeiner Kunst. (10) So schrieb das meiste Volk der Dichter jener Zeiten; Freund, ihre Lieder sind gelehrte Kleinigkeiten. (11) Komm, zeige mir den an, der wie mein Haller singt. Wenn sein erhabner Geist sich auf die Alpen schwingt. Die Sprachen, liebster Freund, die Sprachen jener Dichter Vermehren nur ihr Lob beim unpartei'schen Richter. Und sprächen wir wie sie, so könnt' es leicht geschehn, Auch unser Lied wär' gut und gleich der Alten schön, Wie, wenn ein Lied, das sonst im Englischen ergetzet Und lauter Schönheit zeigt, ins Deutsche übersetzet, Sehr arm und mager scheint, wenn es der Deutsche zwingt Und nach dem Sprachgebrauch in reinste Schreibart bringt. Gnug, jede Zeit ist gut und immerfort die beste, Und jeder weise Mann, so lang' er lebt, der größte. Das ist der Welt ihr Brauch und Lauf, und daß es so, Belacht Herr Trivelin in seinem Marivaux. Mein Freund, lass' unsrer Zeit auch ihr Recht widerfahren, Denn die Erkenntniß wächst wie Mädchen mit den Jahren. Allein, wird man am Erzt nichts mehr Verstecktes sehn. Und hört das Finden auf, was wird alsdenn geschehn? (12)

(10) O, unsre Dichter sind wol alle keusche Seelen, Die nur das hohe Lied zu ihrem Muster wählen! (11) Doch unsre Lieder sind voll Wissenschaft und Stärke, Durch uns zeigt sich ein Gott der Weisheit Wunderwerke. (12) Dann wird, vermuthe ich, der jüngste Tag wol kommen; Dafür behüte Gott in Gnaden alle Frommen!

Fadeln und Erzählungen.

Die Fabeln der ersten drei Bücher erschienen 1759 unter dem Titel: „Gott­ hold Ephraim Lessings Fabeln.

Drey Bücher.

Nebst Abhandlungen mit dieser

Dichtungsart verwandten Inhalts, bei Christian Friedrich Voß."

Doch sind die

Fabeln des dritten Buches zu 31—34 in jener Sammlung nicht enthalten; die

zu 31—33 stehen im ersten Theile der „Schrifften" (1753), wo auch bereits die Fabeln: Buch 1, 14,17, 29, Buch II, 7, 8,10 und Buch III, 15 ausgenommen sind; die Fabel Buch III, 34 findet sich in: „Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben

und seine Werke von Th. W. Danzel." Von den Fabeln und Erzählungen des vierten Buches stehen die zu 1—6,

8—13 unter „Fabeln" im ersten Theile der „Schrifften" (1753), sowie unter „Fabeln und Erzählungen" im zweiten Theile der „vermischten Schriften"(1784),

und zwar auf denjenigen Bogen, welche noch zu des Dichters Lebzeiten gedruckt wor­ den sind, die zu 7 zwar ebenfalls in beiden Sammlungen, jedoch 1784 auf einem erst nach Lessing's Tode gedruckten Bogen ; die zu 14 und 15, welche in der Sammlung

von 1753 fehlen, hat Lessing noch selbst in die „vermischten Schriften" aus­ genommen; die zu 17—21 befinden sich in keiner der beiden Sammlungen.

1. Die Erscheinung. In der einsamsten Tiefe jenes Waldes, wo ich schon manches redende Thier belauscht, lag ich an einem sanften Wasserfalle und war bemüht, einem meiner Märchen den leichtesten poetischen Schmuck zu geben, in welchem am Liebsten^ erscheinen, Lafontaine die Fabel fast verwöhnt hat. Ich sann, ich wählte, ich verwarf, die Stirne glühte-------- Umsonst, es kam nichts auf das Blatt. Voll Unwill sprang ich auf; aber sieh! — auf einmal stand sie selbst, die fabelnde Muse, vor mir. Und sie sprach lächelnd: Schüler, wozu diese undankbare Mühe? Die Wahrheit braucht die Anmuth der Fabel; aber wozu braucht die Fabel die Anmuth der Harmonie? Du willst das Gewürze würzen. Genug, wenn die Erfindung des Dichters ist; der Vortrag sei des ungekünstelten Geschichtsschreibers, so wie der Sinn des Weltweisen. Ich wollte antworten, aber die Muse verschwand. „Sie ver­ schwand ?" höre ich einen Leser fragen. „Wenn Du uns doch nur wahrscheinlicher täuschen wolltest! Die seichten Schlüsse, auf die Dein Unvermögen Dich führte, der Muse in den Mund zu legen! Zwar ein gewöhnlicher Betrug —" Vortrefflich, mein Leser! Mir ist keine Muse erschienen. Ich erzählte eine bloße Fabel, aus der Du selbst die Lehre gezogen. Ich bin nicht der Erste und werde nicht der Letzte fern, der seine Grillen zu Orakelsprüchen einer göttlichen Erscheinung macht.

2. Der Hamster und die Ameise. Ihr armseligen Ameisen, sagte ein Hamster. Verlohnt es sich der Mühe , daß Ihr den ganzen Sommer arbeitet, um ein so Weniges einzusammeln? Wenn Ihr meinen Vorrath sehen solltet!-------Höre, antwortete eine Ameise, wenn er größer ist, als Du ihn brauchst, so ist es schon recht, daß die Menschen Dir nachgraben, 13*

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Haöeln und Erzählungen.

Deine Schemen ausleeren und Dich Deinen räubrischen Geiz mit dem Leben büßen lassen?

3. Wer Löwe und der Hase.

Aelianus de natura animalium lib. I. cap. 38. o xtqafftr]^ xqiov xai ^olqov ßory. Idem lib. III. cap. 31. AXextqvovcc (poßtiicu o Zeojv. Ein Löwe würdigte einen drolligen Hasen seiner nähern Be­ kanntschaft. Aber ist es denn wahr, fragte ihn einst der Hase, daß Euch Löwen ein elender krähender Hahn so leicht verjagen kann? Allerdings ist es wahr, antwortete der Löwe; und es ist eine allgemeine Anmerkung, daß wir große Thiere durchgängig eine gewisse kleine Schwachheit an uns haben. So wirst Du, zum Exempel, von dem Elephanten gehört haben, daß ihm das Grunzen eines Schweins Schauder und Entsetzen erwecket. — Wahrhaftig? unterbrach ihn der Hase. Ja, nun begreif' ich auch, warum wir Hasen uns so entsetzlich vor den Hunden furchten. 4. Wer Esel und das Jagdpserd.

Ein Esel vermaß sich, mit einem Jagdpferde um die Wette zu laufen. Die Probe fiel erbärmlich aus, und der Esel ward aus­ gelacht. Ich merke nun wol, sagte der Esel, woran es gelegen hat; ich trat mir vor einigen Monaten einen Dorn in den Fuß, und der schmerzt mich noch. Entschuldigen Sie mich, sagte der Kanzelredner Liederhold, wenn meine heutige Predigt so gründlich und erbaulich nicht ge­ wesen, als man sie von dem glücklichen Nachahmer eines Mos­ heim erwartet hätte; ich habe, wie Sie hören, einen heischern Hals, und den schon seit acht Tagen. 5. Zeus und das Pferd.

Ka/irflov cuf SeSoixev Innos, iyva> Kvqoq te xat Kgoiaos. Aelianus de nat. an. lib. III. cap. 7. Vater der Thiere und Menschen, so sprach das Pferd und nahte sich dem Throne des Zeus, man will, ich sei eines der schönsten Geschöpfe, womit Du die Welt gezieret, und meine Eigen-

Laßetn und Erzählungen.

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liebe heißt mich es glauben. Aber sollte gleichwol nicht noch Verschiednes an mir zu bessern sein? — Und was meinst Du denn, das an Dir zu bessern sei? Rede! ich nehme Lehre an, sprach der gute Gott und lächelte. Vielleicht, sprach das Pferd weiter, würde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine höher und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht verstellen; eine breitere Brust würde meine Stärke vermehren; und da Du mich doch einmal bestimmt hast, Deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so könnte mir ja wol der Sattel anerschaffen sein, den mir der wohl­ thätige Reiter auslegt. Gut, versetzte Zeus, gedulde Dich einen Augenblick! Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband sich organisirter Stoff; und plötzlich stand vor dem Throne — das häßliche Kameel. Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu. Hier sind höhere und schmächtigere Beine, sprach Zeus; hier ist em langer Schwanenhals; hier ist eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst Du, Pferd, daß ich Dich so umbilden soll? Das Pferd zitterte noch. Geh, fuhr Zeus fort; dieses Mal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. Dich Deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so daure Du fort, neues Geschöpf — Zeus warf einen erhaltenden Blick aus das Kameel-------- und oas Pferd erblicke Dich nie, ohne zu schaudern.

6. Der Asse und der Fuchs. Renne mir ein so geschicktes Thier, dem ich nicht nachahmen könnte! so prahlte der Affe gegen den Fuchs. Der Fuchs aber erwiderte: Und Du, nenne mir ein so geringschätziges Thier, dem es einfallen könnte, Dir nachzuahmen. Schriftsteller meiner Nation! — — Muß ich mich noch deut­ licher erklären?

7. Die Nachtigall und der Pfau. Eine gesellige Nachtigall sand unter den Sängern des Waldes Neider die Menge, aber keinen Freund. Vielleicht finde ich ihn unter einer andern Gattung, dachte sie und floh vertraulich zu hem Pfau herab,

198

Habet» und Erzählungen.

Schöner Pfau! ich bewundere Dich.-------- „Ich Dich auch, liebliche Nachtigall!" — So lass' uns Freunde sein, sprach die Nachtigall weiter; wir werden uns nicht beneiden dürfen; Du bist dem Auge so angenehm als ich dem Ohre. Die Nachtigall und der Pfau wurden Freunde. Kneller und Pope waren bessere Freunde als Pope und Addison.

8. Der Wolf und der Schäfer. Ein Schäfer hatte durch eine grausame Seuche seine ganze Herde verloren. Das erfuhr der Wolf und kam, seine Condolenz abzustatten. Schäfer, sprach er, ist es wahr , daß Dich ein so grausames Unglück betroffen? Du bist um Deine ganze Herde gekommen? Die liebe, fromme, fette Herde! Du dauerst mich, und ich möchte blutige Thränen weinen. Habe Dank, Meister Jsegrimm, versetzte der Schäfer. Ich sehe, Du hast ein sehr mitleidiges Herz. Das hat er auch wirklich, fügte des Schäfers Hylax hinzu, so oft er unter dem Unglücke seines Nächsten selbst leidet. 9. Das Uofi und der Stier.

Auf einem feurigen Rosse floh stolz ein dreister Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Rosse zu: Schande! von einem Knaben ließ' ich mich nicht regieren! Aber ich, versetzte das Roß. Denn was für Ehre könnte es mir bringen, einen Knaben abzuwerfen? 10. Die Grille und die Nachtigall.

Ich versichre Dich, sagte die Grille zu der Nachtigall, daß es meinem Gesänge gar nicht an Bewundrern fehlt. — Nenne mir sie doch, sprach die Nachtigall. — Die arbeitsamen Schnitter, versetzte die Grille, hören mich mit vielem Vergnügen, und daß dieses die nützlichsten Leute in der menschlichen Republik sind, das wirst Du doch nicht leugnen wollen? Das will ich nicht leugnen, sagte die Nachtigall; aber des­ wegen darfst Du auf ihren Beifall nicht stolz sein. Ehrlichen Leuten, die alle ihre Gedanken bei der Arbeit haben, müssen ja wol die feinern Empfindungen fehlen. Bilde Dir also ja

SrtDesn nnb Erzalssungen.

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nichts eher auf Dein Lied ein, als bis ihm der sorglose Schäfer, der selbst auf seiner Flöte sehr lieblich spielt, mit stillem Ent­ zücken lauschet. 11. Die Nachtigall und der Habicht.

Ein Habicht schoß auf eine singende Nachtigall. Da Du so lieblich singst, sprach er, wie vortrefflich wirst Du schmecken! War es höhnische Bosheit, oder war es Einfalt, was der Habicht sagte? Ich weiß nicht. Aber gestern hört' ich sagen: Dieses Frauenzimmer, das so unvergleichlich dichtet, muß es nicht ein allerliebstes Frauenzimmer sein! Und das war gewiß Einfalt!

12. Der kriegerische Wolf. Mein Vater, glorreichen Andenkens, sagte ein junger Wolf zu einem Fuchse, das war ein rechter Held! Wie fürchterlich hat er sich nicht in der ganzen Gegend gemacht! Er hat über mehr als zweihundert Feinde nach und nach triumphirt und ihre schwarzen Seelen in das Reich des Verderbens gesandt. Was Wunder also, daß er endlich doch einem unterliegen mußte! So würde sich ein Leichenredner ausdrücken, sagte der Fuchs; der trockene Geschichtsschreiber aber würde hinzusetzen: Die zwei­ hundert Feinde, über die er nach und nach triumphiret, waren Schafe und Esel, und der eine Feind, dem er unterlag, war der erste Stier, den er sich anzufallen erkühnte.

13. Der Phönir. Nach vielen Jahrhunderten gefiel es dem Phönix, sich wieder einmal sehen zu lassen. Er erschien, und alle Thiere und Vögel versammelten sich um ihn. Sie gafften, sie staunten, sie bewun­ derten und brachen in entzückendes Lob aus. Bald aber verwandten die besten und geselligsten mitleidsvoll ihre Blicke und seufzten: Der unglückliche Phönix! Ihm ward das harte Loos, weoer Geliebte noch Freund zu haben; denn er ist der Einzige seiner Art!

14. Die Eans. Die Federn einer Gans beschämten den neugebornen Schnee. Stolz auf dieses blendende Geschenk der Natur, glaubte sie eher zu einem Schwane, als zu dem, was sie war, geboren zu sem,

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Fabeln und Erzählungen.

Sie sonderte sich von Ihresgleichen ab und schwamm einsam und majestätisch auf dem Teiche herum. Bald dehnte sie ihren Hals, dessen verräterischer Kürze sie mit aller Macht abhelfen wollte. Bald suchte sie ihm die prächtige Biegung zu geben, in welcher der Schwan das würdigste Ansehen eines Vogels des Apollo hat. Doch vergebens: er war zu steif, und mit aller ihrer Be­ mühung brachte sie es nicht werter, als daß sie eine lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden.

15. Vie Eiche und das Schwein. Ein gefräßiges Schwein mästete sich unter einer hohen Eiche mit der herabgefallenen Frucht. Indem es die eine Eichel zer­ biß, verschluckte es bereits eine andere mit dem Auge. Undankbares Vieh! ries endlich der Eichbaum herab. Du nährest Dich von meinen Früchten, ohne einen einzigen dankbaren Blrck auf mich in die Höhe zu richten. Das Schwein hielt einen Augenblick inne und grunzte zur Antwort: Meine dankbaren Blicke sollten nicht außenbleiben, wenn ich nur wüßte, daß Du Deine Eicheln meinetwegen hättest fallen lassen.

16. Die Wespen.

Innos Dazu- er könnte leicht. . . wer weiß? . . ; Er könnte bei dem Sultan leicht, . . . Ihr kennt Den Sultan nicht! . . . leicht in Verlegenheit Gekommen sein. — Glaubt mir; es hat Gefahr, Wenn ich nicht geh'. Recha. Gefahr? was für Gefahr? Tempelherr. Gefahr für mich, für Euch, für ihn, wenn ich Nicht schleunig, schleunig geh'. (Ab.)

Dritter Auftritt. Recha und Daja.

Necha. Was ist das, Daja? — So schnell? — Was kommt ihm an? Was fiel ihm auf? Was jagt ihn? Daja. Lasi't nur, lafi't. Ich denk' es ist Kein schlimmes Zeichen. Uecha. Zeichen? und wovon? Daja. Daß etwas vorgeht innerhalb. Es kocht Und soll nicht überkochen. Lasi't ihn nur. Nun ist's an Euch. Necha. Was ist an mir? Du wirst, Wie er, mir unbegreiflich. Daja. Bald nun könnt Ihr ihm die Unruh' all' vergelten, die Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig. Necha. Wovon Du sprichst, das magst Du selber wissen. Daja. Und seid denn Ahr bereits so ruhig wieder? tlcdja. Das bin ich; ja, das bin ich . . . Daja. Wenigstens Gesteht, daß Ihr Euch seiner Unruh' freut Und seiner Unruh' danket, was Ihr jetzt Von Ruh' genießt. Uccha. Mir völlig unbewußt! Tenn was ich höchstens Dir gestehen könnte, Seffmg’ä Werke, 8.



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Ratlsa-n der Üleise.

s.ÄUfzUS-

Wär', daß es mich — mich selbst befremdet, wie Aus einen solchen Sturm in meinem Herzen So eine Stille plötzlich folgen können. Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Tön Hat mich . . . Daja. Gesättigt schon? Recha. Gesättigt, will Ich nun nicht sagen; nein — bei Weitem nicht —Daja. Den heißen Hunger nur gestillt. Nccha. Nun ja, Wenn Du so willst. Daja. Ich eben nicht. Recha. Er wird Mir ewia werth, mir ewig werther als Mein Leben bleiben, wenn auch schon mein Puls Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt, Nicht meyr mein Herz, so oft ich an ihn denke, Geschwinder, stärker schlägt. — Was schwatz' ich? Komm, Komm, liebe Daia, wieder an das Fenster, Das auf die Palmen steht. Daja. So ist er doch Wol noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger. Necha. Nun werd' ich auch die Palmen wieder sehn, Nicht ihn blos untern Palmen. Daja. Diese Kälte Beginnt auch wol ein neues Fieber nur. Necha. Was Kält'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.

Merter Auftritt. (Scene: ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin.) Saladin und Sittah. Saladin (im Hereintreten, gegen die Thüre).

Hier bringt den Juden her, sobald er kommt.

Er scheint sich eben nicht zu übereilen. Sittah. Er war auch wol nicht bei der Hand, nicht gleich Zu finden. Saladin. Schwester! Schwester! Sittah. Thust Du doch,

Als stünde Dir ein Treffen vor.

4. Auftritt.

Itahmii dcr Weife.

Saladin. Und das Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen. Sch soll mich stellen, soll besorgen lassen, oll Fallen legen, soll aus Glatteis führen. Wann Hütt' ich das gekonnt? Wo hätt' ich das Gelernt? — Und soll das Alles, ah, wozu? Wom? — Um Geld zu fischen! Geld! — Um Geld, Geld einem Juden abzubangen? Geld! Zu solchen kleinen Listen wär' ich endlich Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir Zu schaffen? Siltah. Jede Kleinigkeit, zu sehr Verschmäht, bie rächt sich, Bruder. Saladin. Leider wahr. — Und wenn nun dieser Jude gar der gute, Vernünst'ge Mann ist, wie de-r Derwisch Dir Ihn ehedem beschrieben? Sittah. O nun dann! Was hat es dann für Noth! Die Schlinge liegt Ja nur dem geizigen, besorglichen, Furchtsamen Juden, nicht dem guten, nicht Dem weisen Manne. Dieser ist ja so Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen, Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausred't; Mit welcher dreisten Stärk' entweder er Die Stricke kurz zerreißet, oder auch Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze' Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast. Du obendrein.

Saladin. Nun, das ist wahr. Gewiß, Ich freue mich daraus. Sittah. So kann Dich ja Auch weiter nichts verlegen machen. Denn Jst's Einer aus der Menge blos;• ist's blos Ein Jude wie ein Jude: gegen den Wirst Du Dich doch nicht schämen, so zu scheinen, Wie er die Menschen all' sich denkt? Vielmehr, Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm Als Geck, als Narr. Saladin. So muß ich ja wol gar

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Rathail der Weise.

3. Aufzug.

Schlecht handeln, daß von mir der Schlechte nicht Schlecht denke? Sittah. Traun! wenn Du schlecht handeln nennst, Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen. saladin. Was hätt' ein Weiberkopf erdacht, das er Nicht zu beschönen wüßte! Sittah. Zu beschönen! Saladin. Das seine, spitze Ding, besorg' ich nur, In meiner plumpen Hand zerbricht! — So was Will ausgesührt sein, wie's erfunden ist, Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit. — Doch, Mag's doch nur, mag's! Ich tanze, wie ich kann; Und könnt' es freilich lieber — schlechter noch Als besser. Sittah. Trau' Dir auch nur nicht zu wenig! Ich stehe Dir für Dich! Wenn Du nur willst. — Daß uns die Männer Deinesgleichen doch So gern bereden möchten, nur ihr Schwert, Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht. Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit Dem Fuchse jagt, des Fuchses, nicht der List. Saladin. Und daß die Weiber doch so gern den Mann Zu sich herunter hätten ! — Geh nur, geh! — Ich glaube meine Lection zu können. Siltah. Was? ich soll gehn? Saladin. Du wolltest doch nicht bleiben? Sittah. Wenn auch nicht bleiben.. .im Gesicht Euch bleiben— Doch hier im Nebenzimmer — Saladin. Da zu horchen? Auch das nicht, Schwester, wenn ich soll bestehn. — Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kommt! — doch daß Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach. (Indem sie sich durch die eine Thüre entfernt, tritt Nathan zu der andern her­ ein, und Saladin hat sich gesetzt.)

Künfier Auftritt. Saladin und Rathan.

Saladin. Tritt näher Jude! —Näher!—Nur ganz her!— Nur ohne Furcht! Ualhan. Die bleibe Deinem Feinde!

5. Auftritt.

luifsjiiit der Weise.

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Saladin. Du nennst Dich Nathan? Nathan. Ja. Saladin. Den weisen Nathan? Nathan. Nein. Saladin. Wohl! nennst Du Dich nicht, nennt Dich das Volk. Nathan. Kann sein, das Volk! Saladin. Du glaubst doch nicht, daß ich Verächtlich von des Volkes Stimme denke? — Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen, Den es den Weisen nennt. Nathan. Und wenn es ihn Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise Nichts weiter wär' als klug? und klug nur der, Der sich auf seinen Vortheil gut versteht? Saladin. Aus seinen wahren Vortheil, meinst Du doch? Nathan. Dann sreilich wär' der Eigennützigste Der Klügste. Dann wär' freilich klug und weise Nur Eins. Saladin. Ich höre Dich erweisen, was Du widersprechen willst. — Des Menschen wahre Vortheile, die das Volk nicht kennt, kennst Du. Hast Du zu kennen wenigstens gesucht; Hast drüber nachgedacht: das auch allein Macht schon den Weisen. Nathan. Der sich Jeder dünkt Zu sein. Saladin. Nun der Bescheidenheit genug! Denn sie nur immerdar zu hören, wo Man trockene Vernunft erwartet, ekelt. (Tr springt auf.) Lass' uns zur Sache kommen! Aber, aber Aufrichtig, Jud', aufrichtig! Nathan. Sultan, ich Will sicherlich Dich so bedienen, daß Ich Deiner fernern Kundschaft würdig bleibe. Saladin. Bedienen? wie? Nathan. Du sollst das Beste haben Von Allem; sollst es um den billigsten Preis haben. Saladin. Wovon sprichst Du? doch wol nicht Von Deinen Waaren? — Schachern wird mit Dir

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Aatlsan der weise.

S-Aufzug.

Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!) — Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu thun. Ualhan. So wirst Du ohne Zweifel wissen wollen, Was ich aus meinem Wege von dem Feinde, Der allerdings sich wieder reget, etwa Bemerkt, getroffen? — Wenn ich unverhohlen . . . Saladm. Auch darauf bin ich eben nicht mit Dir Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel Ich nöthig habe. — Kurz; — Ualhan. Gebiete, Sultan. Saladm. Ich heische Deinen Unterricht in ganz Was Anderm, ganz was Anderm. — Da Du nun So weise bist, so sage mir doch einmal — Was für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat Dir am Meisten eingeleuchtet? Nathan. Sultan, Ich bin ein Jud' Saladin. Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen uns. — Von diesen drei Religionen kann doch eine nur Die wahre sein. — Ein Mann wie Du bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt Ihn hingeworfen; oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bestem. Wolan! so theile Deine Einsicht mir Denn mit. Last' mich die Gründe hören, denen Ich selber nachzugrübeln nicht die Zeit Gehabt. Last' mich die Wahl, die diese Gründe Bestimmt, — versteht sich, im Vertrauen — misten, Damit ich sie zu meiner mache. Wie? Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? — Kann Wol sem, daß ich der erste Sultan bin, Der eine solche Grille hat, die mich Doch eines Sultans eben nicht so ganz Unwürdig dünkt. — Nicht wahr? — So rede doch! Sprich 1 — Oder willst Du einen Augenblick, Dich zu bedenken? Gut, ich geb' ihn Dir. — Mb sie wol horcht? Ich will sie doch belauschen; Will hören, ob ich's recht gemacht. —) Denk' nach! Geschwind denk' nach! Ich säume nicht, zurück Zu kommen, (6t geht in das Nebenzimmer, nach welchen sich Sittah begeben.)

s.u. 7. Auftritt.

Nathan brr weift.

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Sechster Auftritt. Nathan (allein).

Nathan. Hm! hm! — wunderlich! — Wie ist Mir denn? — Was will der Sultan? was? — Ich bin Auf Geld gefaßt, und er will — Wahrheit. Wahrheit! Und will sie so, — so bar, so blank, — als ob Die Wahrheit Münze wäre! — Ja, wenn noch Uralte Münze, die gewogen ward! — Das ginae noch! Allein so neue Münze, Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht! Wie Geld in Sack, so striche man in Kovf Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude? Ich oder er? — Doch wie? Sollt' er auch wol Die Wahrheit nicht in Wahrheit fordern? — Zwar, Zwar der Verdacht, daß er die Wahrheit nur Als Falle brauche, wär' auch gar zu klein! — Zu klein? — Was ist für einen Großen denn Zu klein? — Gewiß, gewiß, er stürzte mit Der Thüre so ins Haus! Man pocht doch, hört Doch erst, wenn man als Freund sich naht. — Ich muß Behutsam gehn! — Und wie? wie das? — So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. — Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürst' er mich nur fragen, Warum kein Muselmann? — Das war's! Das kann Mich retten! — Nicht die Kinder blos speist man Mit Mährchen ab. — Er kommt. Er komme nur!

Sieventer Auftritt. Galadin und Nathan.

Saladin. (So ist das Feld hier rein!) —Ich komm'Dir doch Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande Mit Deiner Ueberlegung. — Nun so rede! Es hört uns keine Seele. Nathan. Möcht' auch doch Die ganze Welt uns hören. Saladin. So gewiß Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn'

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Nathan der weise.

S. Aufzug.

Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu Verhehlen! für sie Alles auf das Spiel Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut! Nathan. Ja! ja! rvenn's nöthig ist und nützt. Saladin. Von nun An darf ich hoffen, einen meiner Titel, Verbesserer der Welt und des Gesetzes, Mit Recht zu führen. Nathan. Traun, ein schöner Titel! Doch, Sultan, eh' ich mich Dir ganz vertraue, Erlaubst Du wol, Dir ein Geschrchtchen zu Erzählen? Saladin. Warum das nicht? Ich bin stets Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut Erzählt. Nathan. Ja, gut erzählen, das ist nun Wol eben meine Sache nicht. Saladin. Schon wieder So stolz bescheiden? — Mach! erzähl', erzähle! Nathan. Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Werth' Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der Kundert schöne Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Daß ihn der Mann in Osten darum nie Vom Finger ließ und die Verfügung traf, Auf ewig ihn bei seinem Hause zu Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring Von seinen Söhnen dem geliebtesten Und setzte fest, daß dieser wiederum Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, Der ihm der liebste sei, und stets der liebste, Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. — Versteh' mich, Sultan. Saladin. Ich versteh' Dich. Weiter! Nathan. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drei Söhnen, Die alle drei ihm gleich gehorsam war^

7. Auftritt.

Rallen der weife.

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Die alle drei er folglich gleich zu lieben! Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Der dritte, — so wie jeder sich mit ihm Allein befand, und sein ergießend Herz Die andern zwei nicht theilten, — würdiger Des Ringes, den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Das ging nun so, so lang' es ging. — Allein Es kam zum Sterben, und der gute Vater Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort Verlassen, so zu kränken. — Was zu thun? — Er sendet in geheim zu einem Künstler, Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, Zwei andere bestellt und weder Kosten Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden insbesondre, Giebt jedem insbesondre seinen Segen — Und fernen Ring — und stirbt. — Du hörst doch, Sultan? Aaladin (der sich betroffen von ihm gewandt). Ich hör', ich höre! — Komm mit Deinem Mährchen Nur bald zu Ende. — Wird's? Nathan. Ich bin zu Ende. Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. — Kaum war der Vater todt, so kommt ein jeder Mit seinem Ring', und jeder will der Fürst Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich; — (nach einer Pause, in welcher er de- Sultan- Antwort erwartet)

Fast so unerweislick als Uns jetzt — der rechte Glaube. Saladin. Wie? das soll Die Antwort sein auf meine Frage? . . . Nathan. Soll Mich blos entschuldigen, wenn ich die Ringe

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Nathan der Weise.

Mir nicht getrau' zu unterscheiden, die Der Vater in der Absicht machen ließ, Damit sie nicht zu unterscheiden wären. Satadin. Die Ringe!—Spiele nicht mit mir! — Ich dächte, Daß die Religionen, die ich Dir Genannt, doch wol zu unterscheiden wären, Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank! Nathan. Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. — Denn gründen alle )id) nicht auf Gejchichte? Geschrieben oder überliefert! — Und Gejchichte muß doch wol allein aus Treu' Und Glauben angenommen werden? — Nicht? — Nun, wessen Treu' und Glauben zieht man denn Am Wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? Doch deren Blut wir sind? doch Deren, die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo Getäuscht zu werden uns heilsamer war? — Wie kann ich meinen Vätern weniger Als Du den Deinen glauben? Oder umgekehrt: Kann ich von Dir verlangen, daß Du Deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht Zu widersprechen? Oder umgekehrt? Das Nämliche gilt von den Christen. Nicht? —

Saladin. (Bei dem Lebendigen! Der Mann hat Recht. Ich muß verstummen.)

Nathan. Lass' auf unsre Ring' Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne Verklagten sich, und jeder schwur dem Richter, Unmittelbar aus seines Vaters Hand Den Ring zu haben — wie auch wahr, — nachdem Er von ihm lange das Versprechen schon Gehabt, des Rmges Vorrecht einmal zu Genießen — wie nicht minder wahr. — Der Vater, Betheu'rte jeder, könne gegen ihn Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses Von ihm, von einem solchen lieben Vater, Argwohnen lass': eh' muff’ er seine Brüder, So gern er sonst von ihnen nur das Beste Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels

7. Austritt.

Vathail der Weise.

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Bezeihen, und er wolle die Verräther Schon auszufinden wissen, sich schon rächen. Saladin. Und nun, der Richter? — Mich verlangt zu hören, Was Du den Richter sagen lässest. Sprich! Nathan. Der Richter sprach: Wenn Ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich Euch Von meinem Stuhle. Denkt Ihr, daß ich Räthsel Zu lösen da bin? Oder harret Ihr, Bis daß der rechte Ning den Mund eröffne? — Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen, Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß Entscheiden! Denn tue falschen Ringe werden Doch das nicht können! — Nun, wen lieben zwei Von Euch am Meisten? — Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück? und nicht Nach außen? Jeder liebt sich selber nur Am Meisten? — O, so seid Ihr alle drei Betrogene Betrüger! Eure Ringe Sind alle drei nicht ächt. Der ächte Ring Vermuthlich ging verloren. Den Verlust Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater Die drei für einen machen. Saladin. Herrlich! herrlich! Nathan. Und also, fuhr der Richter fort, wenn Ihr Nicht meinen Rath statt memes Spruches wollt: Geht nur! — Mein Rath ist aber der: Ihr nehmt Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ning von seinem Vater, So glaube jeder sicher seinen Ring Den ächten. — Möglich, daß der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger In seinem Hause dulden wollen! — Und gewiß, Daß er Euch alle drei geliebt und gleich Geliebt, indem er zwei nicht drücken mögen, Um einen zu begünstigen. — Wolan! Es eisre jeder ferner unbestochnen, Von Vorurtheilen freien Liebe nach! Es strebe von Euch jeder um ine Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sansimutt)

140

Nailfan der Weise.

S.Au^ug

Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun, Mit innigster Ergebenheit in Gott Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte Bei Euern Kindes-Kindeskindern äußern, So lad' ich über taufend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weis'rer Mann aus diesem Stuhle sitzen Als ich und sprechen. Geht! — So sagte der Bescheidne Richter. Saladin. Gott! Gott! Nathan. Saladin, Wenn Du Dich fühlest, dieser weisere Versvrochne Mann zu sein . . . Saladin (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren läßt). Ich Staub? Ich Nichts? O Gott! Nathan. Was ist Dir, Sultan? Saladin. Nathan, lieber Nathan! — Die tausend tausend Jahre Deines Richters Sind noch nicht um. — Sein Richterstuhl ist nicht Der meine. — Geh! — Geh! — Aber sei mein Freund. Nathan. Und weiter hätte Saladin mir nichts Zu sagen? Saladin. Nichts. Nathan. Nichts? Saladin. Gar nichts. — Und warum? Nathan. Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht, Dir eine Bitte vorzutragen. Saladin. Braucht's Gelegenheit zu einer Bitte? — Rede! Nathan. Ich komm' von einer weiten Reis', auf welcher Ich Schulden emgetrieben. — Fast hab' ich Des haaren Geld's zuviel. — Die Zeit beginnt Bedenklich wiederum zu werden, — und Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. — Da dacht' ich, ob md)t Du vielleicht, — weil doch Ein naher Krieg des Geldes immer mehr Erfordert, — etwas brauchen könntest. Saladin (ihm steif in die Augen sehend). Nathan! — Ich will nicht fragen, ob At-Hafi schon Hei Dir gewesen, — will nicht untersuchen.

7. Auftritt.

Aathan der Weise.

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Ob Dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses Erbieten srererdings zu thun . . . Nathan. Ein Argwohn? Saladin. Ich bin ihn werth. — Verzeih' mir! —Denn was hilft's? Ich muß Dir nur gestehen, — daß ich im Begriffe war — Nathan. Doch nicht, das Nämliche An mich zu suchen? Saladin. Allerdings. Nathan. So wär' Uns Beiden ja geholfen! Daß ich aber Dir alle meine Baarschast nicht kann schicken, Das macht der junge Tempelherr. Du kennst Ihn ja. Ihm hab' ich eine große Post Vorher noch zu bezahlen. Saladin. Tempelherr? Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht Mit Deinem Geld' auch unterstützen wollen? Nathan. Ich spreche von dem einen nur, dem Du Das Leben spartest. . . Saladin. Ah! woran erinnerst Du mich! — Hab' ich doch diesen Jüngling aanz Vergessen! — Kennst Du ihn? — Wo ist er? Nathan. Wie? So weißt Du nicht, wie viel von Deiner Gnade Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er, Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens Hat meine Tochter aus dem Feu'r gerettet. Saladin. Er? Hat er das? — Ha! darnach sah er aus. Das hätte traun mein Bruder auch gethan, Dem er so ähnelt! — Ist er denn noch hier? So bring' ihn her! — Ich habe meiner Schwester Von diesem ihrem Bruder, den sie nicht Gekannt, so viel erzählet, daß ich sie Sein Ebenbild doch auch muß sehen lasten! — Geb', hol' ihn! — Wie aus einer guten That, Gevar sie auch schon bloße Leidenschaft, Doch so viel andre gute Thaten fließen! Geh', hol' ihn!

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Nathan det Weise.

S. Aufzug.

Nathan (indem er Galadin'r Hand fahren läßt). Augenblicks! Und bei dem Andern Bleibt es doch auch? c2ibj Saiadm. Ah! daß ich meine Schwester Nicht horchen lassen! — Zu ihr! zu ihr! — Denn Wie soll ich Alles das ihr nun erzählen? (Ab von der andern Seite.)

Achter Austritt. (Die Scene: unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet.)

Tempelherr (gebt, mit sich selbst kämpfend, auf und ab, bis er losbricht). — Hier hält das Opferthier ermüdet still. — Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen, Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern, Was vorgehn wird. — Genug, ich bin umsonst Gestöhn, umsonst. — Und weiter konnt' ich doch Auch nichts als fliehn! — Nun komm', was kommen soll! — Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell Gefallen, unter den zu kommen ich So lang' und viel mich weigerte. — Sie sehn, Die ich zu sehn so wenig lüstern war, — Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus Den Augen nie zu lassen. — Was Entschluß? Entschluß ist Vorsatz, That: und ich, ich litt', Ich litte blos. Sie sehn, und das Gefühl, An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein, War Eins. — Bleibt Eins. —- Von ihr getrennt Zu leben, ist mir ganz undenkbar, wär' Mein Tod, — und wo wir immer nach dem Tode Noch sind, auch da mein Tod. — Ist das nun Liebe: So — liebt der Tempelritter freilich, — liebt Der Christ das Iudenmädchen freilich. — Hm! Was thut's? — Ich hab' in dem gelobten Lande — Und drum auch mir g e l o b t auf immerdar! — Der Vorurtheile mehr schon abgelegt. — Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr Bin todt, war von dem Augenblick' ihm todt, Der mich zu Saladin's Gefangnen nlachte.

v. Auftritt.

iiiifOiut der Weife.

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Der Kopf, den Saladin mir schenkte, mär' Mein alter? — Ist ein neuer, der von Allem Nichts weiß, was jenem eingeplaudert warb, Was jenen band, — und ist ein bess'rer, für Den väterlichen Himmel mehr gemacht. Das spur' ich ja. Denn erst mit ihm beginn' Ich so zu denken, wie mein Vater hier Gedacht muß haben, wenn man Mährchen nicht Von ihm mir voraelogen. — Mährchen? — doch Ganz glaubliche, die glaublicher mir nie Als jetzt geschienen, da ich nur Gefahr Zu straucheln lause, wo er fiel. — Er fiel? Ich will mit Männern lieber fallen, als Mit Kindern stehn. — Sein Beispiel bürget mir ftür seinen Beifall. Und an wessen Beifall Liegt mir denn sonst? — An Nathan's? — O, an dessen Ermuntrung mehr als Beifall kann es mir Noch weniger gebrechen. — Welch ein Jude! — Und der so ganz nur Jude scheinen will! Da kommt er, kommt mit Hast, glüht heitre Freude. Wer kam vom Saladin je anders? He I He, Nathan!

Neunter Auftritt. Nathan und der Tempelherr.

Nathan. Wie? seid Jhr's? Tempelherr. Ihr habt Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten. Nathan. So lange nun wol nicht. Ich ward im Hingehn Zu viel verweilt. — Äh, wahrlich, Curd, der Mann Steht feinen Ruhm, «sein Ruhm ist blos sein Schatten. — Doch lasst vor allen Dingen Euch geschwind Nur sagen . . . Tempelherr. Was? Nathan. Er will Euch sprechen, will, Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn Erst etwas Andres zu verfugen habe; Und dann, so gehn wir!

144

Itnffhui her Weife.

S.Äufzug

Tempelherr. Nathan, Euer Haus Betret' ich wieder eher nicht. . . Nathan. So seid Ihr doch indeß schon da gewesen? habt Indeß sie doch gesprochen? — Nun? — Sagt, wie Gefällt Euch Necha? Tempelherr. Ueber allen Ausdruck! Allein, — sie Wiedersehn — das werd' ich nie! Nie 1 nie! — Ihr müßtet mir zur Stelle denn Versprechen, — daß ich sie auf immer, immer — Soll können sehn. Nathan. Wie wollt Ihr, daß ich das Versteh'? Tempelherr (nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend). Mein Vater! Nathan. — Junger Mann! Tempelherr (ibn eben so plötzlich wieder lassend). Nicht Sohn? — Ich bitt' Euch, Nathan! — Natban. Lieber junger Mann! Tempelherr. Nicht Sohn? — Ich bitt' Euch, Nathan! — Ich beschwör' Euch bei den ersten Banden der Natur! — Zieht ihnen spätre Fesieln doch nicht vor! — Begnügt Euch doch, ein Mensch zu sein! — Stoßt mich Nicht von Euch! Nathan. Lieber, lieber Freund! . . . Tempelherr. Und Sohn? Sohn nicht? — Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte? Auch dann nicht einmal, wenn in Eins zu schmelzen, Auf Euern Wink nur Beide warteten? — Ihr schweigt? Nathan. Ihr überrascht mich, junger Ritter. Tempelherr. Ich überrasch' Euch ?—überrasch' Euch, Nathan, Mit Euern eigenen Gedanken? — Ihr Verkennt sie doch in meinem Munde nicht? — Ich überrasch' Euch? Nathan. Eh' ich einmal weih, Was für ein Stauffen Euer Vater denn Gewesen ist 1

».Auftritt.

Nathan der

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Tempelherr. Was sagt Ihr, Nathan? was? — tt diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts ls Neubegier? Nathan. Denn seht! Ich habe selbst Wol einen Stauffen ehedem gekannt, Der Conrad hieß. Tempelherr. Nun, — wenn mein Vater denn Nun eben so geheißen hätte? Nathan. Wahrlich? Tempelherr. Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd Ist Conrad. Natt, an. Nun — so war mein Conrad doch Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war, Was Ihr, war Tempelherr, war nie vermählt. Tempelherr. O darum! Nathan. Wie? Tempelherr. O, darum könnt' er doch Mein Vater wol gewesen sein. Nathan. Ihr scherzt. Tempelherr. Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau! —Was wär's Denn nun? So was von Bastard oder Bankert! Der Schlag ist auch nicht zu verachten. — Doch Entlass't mich immer meiner Ahnenprobe. Ich will Euch Eurer wiederum entlassen. Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte! Nr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham Hinauf belegen. Und von da so weiter Weiß ich ihn selbst, will ich ihn selbst beschwören. Nathan. Ihr werdet bitter. — Doch verdien' ich's ? — Schlug Ich denn Euch schon was ab? — Ich will Euch ja Nur bei dem Worte nicht den Augenblick So fassen. — Weiter nichts. Tempelherr. Gewiß? — Nichts weiter? O, so vergebt! . . . Nathan. Nun kommt nur, kommt! Tempelherr. Wohin? Nein! — Mit in Euer Haus? — Das nicht! das nicht! — Da brennt's! — Ick will Euck hier erwarten. Geht! — Soll ich sie wiedeyeyn, so seh* ich sie

O

Lessing'- Werke, 8.

146

Nathan der Wulst.

3. Aufzug.

Noch oft genug. Wo nicht, so sah ich sie Schon viel zuviel. . . Nathan. Ich will mich möglichst eilen. Zehnter Austritt. Der Tempelherr und bald darauf Data.

Tempelherr. Schon mehr als g'nug! — Des Menschen Hirn saßt so Unendlich viel, und ist doch manchmal auch So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit So plötzlich voll! — Taugt nichts, taugt nichts, es sei Auch voll, wovon es will. — Doch nur Geduld I Die Seele wirkt den aufgeduns'nen Stoff Bald in einander, schafft sich Raum, und Licht Und Ordnung kommen wieder. — Lieb' ich denn Zum ersten Male? — Oder war, was ich Als Liebe kenne, Liebe nicht? — Ist Liebe Nur, was ich jetzt empfinde?... Daja (die sich von der Seite herbeigeschlichen). Ritter! Ritter! Tempelherr. Wer ruft? — Ha, Daja, Ihr? Daja. Ich habe mich Bei ihm vorbei geschlichen. Aber noch Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. — Drum kommt Doch näher zu mir, hinter diesen Baum. Tempelherr. Was giebt's denn? — So geheimnißvoll? Was ist's? Daja. Ja wol betrifft es ein Geheimniß, was Mich zu Euch bringt, und zwar ein doppeltes. Das eine weiß nur ich; das andre wißt Nur Ihr. — Wie wär' es, wenn wir tauschten? Vertraut mir Euers, so vertrau' ich Euch Das meine. Tempelherr. Mit Vergnügen. — Wenn ich nur Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch Das wird aus Euerm wol erhellen. — Fangt Nur immer an. Daja. Ei, denkt doch 1 — Nein, Herr Ritter, Erst Ihr ; ich folge. — Denn versichert, mein Geheimniß kann Euch gar nichts nützen, wenn Ich nicht zuvor das Eure habe. — Nur

10. Auftritt.

Ihifljiw der Weise.

Geschwind! — Denn frag' ich's Euch erst ab, so habt Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimniß dann Bleibt mein Geheimniß, und das Eure seid Ihr los. — Doch, armer Witter! — Daß Ihr Männer Ein solch Geheimniß vor uns Weibern haben Zu können auch nur glaubt! Tempelherr. Das wir zu haben Ost selbst nicht wissen. Vaja. Kann wol sein. Drum muß Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt Zu machen, schon die Freundschaft haben. — Sagt: Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall Euch aus dem Staube machtet? daß Ihr uns So sitzen ließet? — daß Jyr nun mit Nathan Nicht wiederkommt? — Hat Recha denn so wenig Aus Euch gewirkt? wie? oder auch so viel? — So viel! so viel! — Lehrt Ihr des armen Vogels, Der an der Ruthe klebt, Geflattre mich Doch kennen! — Ku«, gesteht es mir nur gleich, Daß Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn, und Ich sag' Euch was . . . Tempelherr. Zum Unsinn? Wahrlich, Ihr Versteht Euch trefflich draus. vaja. Nun, gebt mir nur Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch Erlassen. Tempelherr. Weil er sich von selbst versteht? — Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! . . . Vaja. Scheint freilich wenig Sinn zu haben. — Doch Zuweilen ist des Sinns in einer Sache Auch mehr, als wir vermuthen; und es wäre So unerhört doch nicht, daß uns der Heiland Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge Von selbst nicht leicht betreten würde. Tempelherr. Das So feierlich? — (Und setz' ich statt des Heilands Die Vorsicht: hat sie denn nicht Recht?) Ihr macht Mick neubegieriger, als ich wol sonst Zu [ein gewohnt bin. vaja. O! das ist das Land Der Wunder 1

147

148

Kathan der Weise.

S. Aufzug.

Tempelherr. (Nun! — des Wunderbaren. Kann Es auch wol anders sein? Die ganze Welt Drängt sich ja hier zusammen.) — Liebe Daja, Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt: Daß ich sie liebe, daß ich nicht begreife, Wie ohntz sie ich leben werde, daß . . . Daja. Gewiß? gewiß? — So schwört mir, Ritter, sie ur Eurigen zu machen, sie zu retten, ie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten. Tempelherr. Und wie? — Wie kann ich? — Kann ich schwören, was In meiner Macht nicht steht? Daja. In Eurer Macht Steht es. Ich bring' es durch ein einzig Wort In Eure Macht. Tempelherr. Daß selbst der Vater nichts Dawider Hütte? Daja. Ei, was Vater! Vater! Der Vater soll schon müssen. Tempelherr. Müssen, Daja? — Noch ist er unter Räuber nicht gefallen. — Er muß nicht müssen. Daja. Nun, so muß er wollen, Muß gern am Ende wollen. Tempelherr. Muß und gern! — Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen Bereits versucht? Daja. Was? und er fiel nicht ein? Tempelherr. Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich — Beleidigte. Daja. Was saat Ihr? — Wie? Ihr hättet Den Schatten eines Wunsches nur nach Rechn Ihm blicken lassen, und er wär' vor Freuden Nlcht aufgesprungen? hätte frostig sich Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten Gemacht? Tempelherr. So ungefähr. Daja. So will ich denn Mich länger keinen Augenblick bedenken —

S

(Pause.)

10. Auftritt.

Nathan der Weise.

149

Tempelherr. Und Ihr bedenkt Euch doch? Daja. Der Mann ist sonst So gut! — Ich selber bin so viel ihm schuldig! — Daß er doch gar nicht hören will! — Gott weiß, Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen. Tempelherr. Ich bitt' Euch, Daja, setzt mich kurz und gut Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber Noch selber ungewiß. ob, was Ihr vorhabt, Gut oder böse, schändlich oder löblich Zu nennen: — schweigt! Ich will vergessen, daß Ihr etwas zu verschweigen habt. Daja. Das spornt. Anstatt zu halten. Nun, so wißt denn: Recha Ist keine Jüdin, ist — ist eine Christin. Tempelherr (falt). So? Wünsch' Euch Glück! Hat's schwer gehalten? Lass't Euch nicht die Wehen schrecken! — Fahret ja Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern, Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt! Daja. Wie, Ritter? Verdienet meine Nachricht diesen Spott? Daß Recha eine Christin ist, das freuet Euch, einen Christen, einen Tempelherrn, Der Ihr sie liebt, nicht mehr? Tempelherr. Besonders, da Sie eine Christin ist von Eurer Mache. Daja. Ah! so versteht Jhr's? So mag'S gelten! — Nein! Den will ich sehn, der die bekehren soll! Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden Verdorben ist. Tempelherr. Erklärt Euch, oder — geht! Daja. Sie ist ein Christenkind, von Cyristenältern Geboren, ist getauft. . . Tempelherr (hafttg). Und Nathan? Daja. Nicht Ihr Vater! Tempelherr. Nathan nicht ihr Vater? — Wißt Ihr, was Ihr sagt? Daja. Die Wahrheit, die so oft Mich blut'ae Thränen weinen machen. — Nein, Er ist ihr Vater nicht. . .

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liafßan der Weise.

S. Auf). 10. Auftr.

Tempelherr. Und hätte sie Als seine Tochter nur erzogen? hätte Das Christenkind als eine Jüdin sich Erzogen? Daja Ganz gewiß. Tempelherr. Sie wüßte nicht, Was sie geboren sei? — Sie hätt' es nie Von ihm erfahren, daß sie eine Christin Geboren sei, und keine Jüdin? Daja. Nie! Tempelherr. Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind Blos auferzogen? ließ das Mädchen noch In diesem Wahne? Daja. Leider! Tempelherr. Nathan — Wie? — Der weise, gute Nathan hätte sich Erlaubt, die Stimme der Natur so zu Verfälschen? — Die Ergießung eines Herzens So zu verlenken, die, sich selbst gelassen, Ganz andre Wege nehmen würde? — Daja, Ihr habt mir allerdings etwas vertraut — Von Wichtigkeit, — was Folgen haben kann, — Was mich verwirrt, — woraus ich gleich nicht weiß, Was mir zu thun. — Drum lasi't mir Zeit. — Drum geht! Er kommt hier wiederum vorbei. Er möcht' Uns überfallen. Geht! Daja. Ich wär' des Todes! Tempelherr. Ich bin ihn jetzt zu sprechen ganz und gar Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan Schon finden würden. Daja. Aber lasi't Euch ja Nichts merken gegen ihn. — Das soll nur so Den letzten Druck dem Dinge geben, soll Euch, Necha's wegen, alle öcrupel nur Benehmen! — Wenn Ihr aber dann sie nach Europa führt, so lasi't Ihr doch mich nicht Zurück? Tempelherr. Das wird sich finden. Geht nur, geht!

I.Aufz. 1. Auftr.

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Nathan der weift.

Vierter Erster Austritt.

(Scene: in den Kreuzgängen des Klosters.) Der

Klosterbruder

und bald darauf der

Tempelherr.

Klosterbruder. Ja, ja! er hat schon Recht, der Patriarch! Es hat mir freilich noch von alle dem Nicht viel gelingen wollen, was er mir So aufgetragen. — Warum trägt er mir Auch lauter solche Sachen auf? — Ich mag Nicht fein sein, mag nicht überreden, mag Mein Näschen nicht in Alles stecken, mag Mein Händchen nicht in Allem haben. — Bin Ich darum aus der Welt geschieden, ich Für mich, um mich für Andre mit der Welt Noch erst recht zu verwickeln? Tempelherr (mit Hast auf ihn zukommend). Guter Bruder! Da seid Ihr ja. Ich hab' Euch lange schon Gesucht. Klosterbruder. Mich, Herr? Tempelherr. Ihr kennt mich schon nicht mebr? Klosterbruder. Doch, doch! Ich glaubte nur, daß ich den Herrn In meinem Leben wieder nie zu sehn Bekommen würde. Denn ich hofft' es zu Dem lieben Gott. — Der liebe Gott, der weiß, Wie sauer mir der Antrag ward, den ich Dem Herrn zu thun verbunden war. Er weiß, Ob ich gewünscht, ein offnes Ohr bei Euch Zu finden, weiß, wie sehr ich mich gefreut, Im Innersten gefreut, daß Ihr so rund Das Alles, ohne viel Bedenken, von Euch wies't, was einem Ritter nicht geziemt. — Nun kommt Ihr doch; nun hat's doch nachgewirkt! Tempelherr. Ihr wißt es schon, warum ich komme? Kaum Weiß ich es selbst. Klosterbruder. Ihr habt's nun überlegt, Habt nun gesunden, daß der Patriarch

152

Nathan der Weise.

4. Auszug.

So Unrecht doch nicht hat; daß Ehr' und Geld Durch seinen Anschlag zu gewinnen; daß Ein Feind ein Feind ist, wenn er unser Engel Auch siebenmal gewesen wäre. Das, Das habt Ihr nun mit Fleisch und Blut erwogen Und kommt und tragt Euch wieder an. — Ach Gott! Tempelherr. Mein frommer, lieber Mann! Gebt Euch zu­ frieden. Deswegen komm' ich nicht; deswegen will Ich nicht den Patriarchen svrechen. Noch, Noch denk' ich über jenen Punkt, wie ich Gedacht, und wollt' um Alles in der Welt Die gute Meinung nicht verlieren, deren Mich ein so grader, frommer, lieber Mann Einmal gewürdiget. — Ich komme blos, Den Patriarchen über eine Sache Um Rath zu fragen . . . Klosterbruder. Jbr den Patriarchen? Ein Ritter einen — Pfaffen? (Sich schüchtern umsehend.) Tempelherr. Ja; — die Sach' Ist ziemlich psasfisch. Klosterbruder. Gleichwol fragt der Pfaffe Den Ritter nie, die Sache sei auch noch So ritterlich. Tempelherr. Weil er das Vorrecht hat, Sich zu vergehn, das Unsereiner ihm Nicht sehr beneidet. — Freilich, wenn ich nur Für mich zu handeln hätte; freilich, wenn Ich Rechenschaft nur mir zu geben hätte, Was braucht' ich Euers Patriarchen? Aber Gewiffe Dinge will ich lieber schlecht Nach Andrer Willen machen, als allein Nach meinem gut. — Hudem, ich seh' nun wol, Religion ist auch Partei, und wer Sich drob auch noch so unparteiisch glaubt, Hätt, ohn' es selbst zu missen, doch nur seiner Die Stange. Weil das einmal nun so ist, Wird's so wol recht sein. Klosterbruder. Dazu schweig' ich lieber. Denn ich versteh' den Herrn nicht recht. Tempelherr. Und doch! —

Nalljan der Weise.

2. Auftritt.

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(Lass' sehn, warum mir eigentlich m thun 1 Um Machtspruch oder Rath? — Um lautern oder Gelehrten Rath?) — Ich dank' Euch, Bruder, dank' Euch für den guten Wink. — Was Patriarch? — Seid Ihr mein Patriarch 1 Ich will ja doch Den Christen mehr im Patriarchen als Den Patriarchen in dem Christen fragen. — Die Sach' ist die. . . Klosterbruder. Nicht weiter, Herr, nicht weiter! Wozu? — Der Herr verkennt mich. —Wer viel weiß, Hat viel zu sorgen, und ich habe ja Mich einer Sorge nur gelobt. — O aut! Hört! seht! Dort kommt, zu meinem Glück, er selbst. Bleibt hier nur stehn. Er yat Euch schon erblickt.

Zweiter Auftritt. Patriarch,

Der

welcher mit allem geistlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkommt, und die Vorigen.

Ich wich' ihm lieber aus. — Wär' nicht mein Mann! — Ein dicker, rother, freundlicher Prälat! Und welcher Prunk! Klosterbruder. Ihr solltet ihn erst sehn Nach Hofe sich erheben. Jetzo kommt Er nur von einem Kranken. Tempelherr. Wie sich da Nicht Saladin wird schämen müssen! Patriarch (indem er näher kommt, winkt dem Bruder). Hier! — Das ist ja wol der Tempelherr. Was will Tempelherr.

Er? Klosterbruder. Patriarch (auf

Weiß nicht. ihn zugehend, indem der Bruder und da» Gefolge

zurücktreten). Nun, Herr Ritter! — Sehr erfreut, Den braven jungen Mann zu sehn! — Ei, noch So gar jung! — Nun, mit Gottes Hilfe, daraus Kann etwas werden. Tempelherr. Mehr, ebrwürd'ger Herr, Wol schwerlich, als schon ist. Und eher noch Was weniger.

154

Valhan der weise.

4. Aufzug.

Patriarch. Ich wünsche wenigstens, Daß so ein frommer Ritter lange noch Der heben Christenheit, der Sache Gottes Zu Ehr' und Frommen blühn und grünen möge! Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein Die junge Tapferkeit dem reisen Rathe Des Alters folgen will! — Womit wär' sonst Dem Herrn zu dienen? Tempelherr. Mit dem Nämlichen, Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rath. Patriarch. Recht gern! — Nur ist der Rath auch anzunehmen. Tempelherr. Doch blindlings nicht? Patriarch. Wer sagt denn das? — Ei freilich Muß Niemand die Vernunft, die Gott ihm gab, Zu brauchen unterlassen, — wo sie hin Gehört. — Gehört sie aber überall Denn hin? — O nein! — Zum Beispiel: wenn uns Gott Durch einen seiner Engel, — ist zu sagen, Durch einen Diener ferne» Worts, — ein Mittel Bekannt zu machen würdiget, das Wohl Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche Auf irgend eine ganz besondre Weise u fördern, zu befestigen: wer darf -ich da noch unterstehn, die Willkür dess', Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft Zu untersuchen? und das ewige Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre Zu prüfen? — Doch hiervon genug. — Was ist Es denn, worüber unsern Rath für jetzt Der Herr verlangt? Tempelherr. Gesetzt, ehrwürd'ger Vater, Ein Jude hätt' ein einzig Kind, — es sei Ein Mädchen, — das er mit der größten Sorgfalt Zu allem Guten auferzogen, das Er liebe mehr als seine Seele, das Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe. Und nun würd' Unsereinem hinterbracht, Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht; Er hab' es in der Kindheit aufgelesen, Gekauft, gestohlen, — was Ihr wollt; man wisse,

8

2. Auftritt.

Aatkan der Weise.

Das Mädchen sei ein Cbristenkind und sei Getauft; der Jude hat/ es nur als Jüdin Erzogen, last' es nur als Jüdin und Als seine Tochter so verharren: — sagt, Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbei wol Zu thun? Patriarch. Mich schaudert! — Doch zu allererst Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall Ein Factum oder eine Hypothes'. Das ist zu sagen: ob der Herr sich das Nur blos so dichtet, oder ob's geschehn Und sortsährt zu geschehn. Tempelherr. Ich alaubte, das Sei Eins, um Euer Hochehrwüroen Meinung Blos zu vernehmen. Patriarch. Eins? — da seh' der Herr, Wie sich die ftohe menschliche Vernunft Im Geistlichen doch irren kann. — Mit Nichten! Denn ist der vorgetragne Fall nur so Ein Sviel des Witzes, so verlohnt es sich Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken. Ich will den Lerrn damit auf das Theater Verwiesen haben, wo dergleichen pro Et contra sich mit vielem Beisall könnte Behandeln lasten. — Hat der Herr mich aber Nicht blos mit einer theatral'schen Schnurre Zum Besten; ist der Fall ein Factum; hätt' Er sich wol gar in unsrer Diöces', In unsrer lieben Stadt Jerusalem Ereignet: — ja alsdann — Tempelherr. Und was alsdann? Patriarch. Dann wäre an dem Juden fördersamst Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches Und kaiserliches Recht so einem Frevel, So einer Lasterthat bestimmen. Tempelherr. So? Patriarch. Und zwar bestimmen obbesagte Rechte Dem Juden, welcher einen Christen zur Apostasie v^rfübrt, — den Scheiterhaufen, Den Holzstoß — Tempelherr. So?

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Nathan der weise.

4. Aufzug.

Patriarch. Und wie vielmehr dem Juden, Der mit Gewalt ein armes Christenkind Dem Bunde seiner Taus' entreißt! Denn ist Nicht Altes, was man Kindern thut, Gewalt? — Zu sagen: — ausgenommen, was die Kirch' An Kindern thut. Tempelherr. Wenn aber nun das Kind, Erbarmte seiner sich der Jude nicht, Vielleicht im Elend umgekommen wäre? Patriarch. Thut nichts! der Jude wird verbrannt! — Denn bester, Es wäre hier im Elend umgekommen, Als daß zu seinem ewigen Verderben Es so gerettet ward. — Zu dem, was hat Der Jude Gott denn vorzugreisen? Gott Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten. Tempelherr. Auch ttotz ihm, sollt' ich meinen, — selig machen. Patriarch. Thut nichts! der Jude wird verbrannt. Tempelherr. Das geht Mir nah'! Besonders, da man sagt, er habe Das Mädchen nicht sowol in seinem als Vielmehr in keinem Glauben auferzogen Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger Gelehrt, als der Vernunft genügt. Patriarch. Thut nichts! Der Jude wird verbrannt. . . Ja, wär' allein Schon dieserwegen werth, dreimal verbrannt Zu werden! — Was? ein Kind ohn' allen Glauben Erwachsen lasten? — Wie? die große Pflicht, Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren? Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter, Euch selbst. . . Tempelherr. Ebrwürd'aer Herr, das Uebrige, Wenn Gott will, in der Beichte. (Will gehn.) Patriarch. Was? mir nun Nicht einmal Rede stehn? — Den Bösewicht, Den Juden mir nicht nennen? — mir ihn nicht Zur Stelle schaffen? — O, da weiß ich Rath! Ich geh' sogleich zum Sultan. — Saladin, Vermöge der Capitulation,

2. Auftritt.

Aallmn der Veije.

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Die er beschworen, muß uns, muß uns schützen, Bei allen Rechten, allen Lehren schützen, Die wir zu unsrer allerheiligsten Religion nur immer rechnen dürfen I Gottlob! wir haben das Original. Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir! — Auch mack' ich ihm gar leicht begreiflich, wie Gefährlich selber für den Staat es ist, Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn Der Menich nichts glauben darf. — Hinweg! hinweg Mit solchem Frevel! . . . Tempelherr Schade, daß ich nicht Den trefflichen Sermon mit bess'rer Muße Genießen kann 1 Ich bin zum Saladin Gerufen. Patriarch. Ja? — Nun so — Nun freilich — Dann — Tempelherr. Ich will den Sultan vorbereiten, wenn Es Eurer Hochehrwürden so gefällt. Patriarch O, oh! — Ich weiß, der Herr hat Gnade funden Vor Saladin! —Ich bitte, meiner nur Im Besten bei ihm eingedenk zu sein. — Mich treibt der Eifer Gottes lediglich. Was ich zuviel thu', thu' ich ihm. — Das wolle Doch ja der Herr erwägen! — Und nicht wahr, Herr Ritter? das vorhin Erwähnte von Dem Juden war nur ein Problem«? — ist Zu jagen — Tempelherr. Ein Problem«. (Geht ab.) Patriarch. (Dem ich tiefer Doch auf den Grund zu kommen suchen muß. Das wär' so wiederum ein Auftrag für Den Bruder Bonafides.) — Hier, mein Sohn! (Er spricht im Abgehn mit dem Klosterbruder.)

158

Vatikan der Weise.

4. Aufzug.

Dritter Kustritt. (Scene: ein Zimmer im Palaste des Saladin, in welches von Sclaven eine Menge Beutel getragen und auf dem Boden neben einander gestellt werden.) Galadin und bald darauf Sittah.

Saladin

(der dazu kommt).

Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. — Ist

Des Dings noch viel zurück? Sin Sclave. Wol noch die Hälfte. Saladin. So tragt das Uebrige zu Sittah. — Und Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll wgleich Al-Hafi zu sich nehmen. — Oder ov Jch's nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier Fällt mir es doch nur durch die Finger. — Zwar Man wird wol endlich hart, und nun gewiß Soll's Künste kosten, mir viel abznzwacken. Bis wenigstens die Gelder aus Aegypten Bur Stelle kommen, mag das Armuth sehn Wie's fertig wird! — Die Spenden bei dem Grabe, Wenn oie nur sortgehn! Wenn die Christenpilger Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen! Wenn nur— Sittah. Was soll nun das? Was soll das Geld Bei mir? Saladin. Mach' Dich davon bezahlt und leg' Aus Vorrath, wenn was übrig bleibt. Sittah. Ist Nathan Noch mit dem Tempelherrn nicht da? Saladin. Er sucht Ihn aller Orten. Sittah. Sieh doch, was ich hier, Indem mir so mein alt Geschmeide durch Die Hände geht, gefunden. (Ihm ein kleines Gemälde zeigend.) Saladin. Ha! mein Bruder! Das ist er, ist er! — War er! war er! ah! — Ah wackrer, lieber Junge, daß ich Dich So früh verlor! Was hätt' ich erst mit Dir, An Deiner Seit' erst unternommen! — Sittah, hass' mir das Bild. Auch kenn' ich's schon; er gab

4. Auftritt.

Aailian der Weise.

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Es Deiner ältern Schwester, seiner Lilla, Tie eines Morgens ihn jo ganz und gar Nicht aus den Armen (anen wollt'. Es war Der letzte, den er ausritt. — Ah, ich ließ Ihn retten, und allein 1 — Ah, Lilla starb Vor Gram und hat mir's nie vergeben, daß ch so allein ihn reiten lassen. — Er lieb weg I Sittah. Der arme Bruder! Saladin. Last' nur gut Sein! — Einmal bleiben wir doch Alle weg 1 — Zudem, — wer weiß? Der Tod ist's nicht allein, Der einem Jüngling seiner Art das Ziel Verrückt. Er hat der Feinde mehr, und oft Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. — Nun, Sei wie ihm sei! — Ich muß das Bild doch mit Dem jungen Tempelherrn vergleichen, muß Doch sehn, wie viel mich meine Phantasie Getäuscht. Sittah. Nur darum bring' ich's. Aber gieb Doch, gieb! Ich will Dir das wol sagen; das Versteht ein weiblich Aug' am Vesten. Saladin (zu einem Thürsteher, der hereintritt). Wer Ist da? — der Tempelherr? — Er komm' I Sittah. Euch nicht Zu stören, ihn mit meiner Neugier nicht Zu irren —

S

(Sie setzt sich seitwärts auf ein Sopha und läßt den Schleier fallen.)

Saladin. Gut so! gut! — (Und nun sein Ton! Wie der wol sein wird! — Assad s Ton Schläft auch wol wo in meiner Seele noch!)

Alerter Austritt. Der Tempelherr und Saladin.

Tempelherr. Ich, Dein Gefangner, Sultan . . . Saladin. Mein Gefangner? Wem ich das Leben schenke, werd' ich dem Nicht auch die Freiheit schenken? Tempelherr. Was Dir ziemt Zu thun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht

160

Aathan der Weise.

Vorauszusepen. Aber, Sultan, — Dank, Besondern Dank Dir für mein Leben zu Betheuern, stimmt mit meinem Stand' und meinem Charakter nicht. — Es steht in allen Fällen Zu Deinen Diensten wieder. Saladin. Brauch' es nur Nicht wider mkh! — Zwar ein paar Hände mehr, Die gönnt' ich meinem Feinde gern. Allein Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt Mir schwer. — Ich habe mich mit Dir in nichts Betrogen, braver junger Mann! Du bist Mit Seel' und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte Dich fragen, wo Du denn die ganze Zeit Gesteckt? in welcher Höhle Du geschlafen? In welchem Ginnistan, von welcher guten Div diese Blume fort und fort so frisch Erhalten worden? Sieh! ich könnte Dich Erinnern wollen, was wir dort und dort Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit Dir zanken, daß Du ein Geheimnis doch Vor mir gehabt! ein Abenteuer mir Doch unterschlagen: — Aa, das könnt' ich, wenn Ich Dich nur säh' und nicht auch mich. — Nun, mag's I Von dieser süßen Träumerei ist immer Doch so viel wahr, daß mir in meinem Herbst Ein Assad wieder blühen soll. — Du bist Es doch zufrieden, Ritter? Tempelherr. Alles, was Von Dir mir kommt, — sei was es will — das lag Als Wunsch in meiner Seele. Saladin. Last' uns das Sogleich versuchen. — Bliebst Du wol bei mir? Um mich? — Als Christ, als Muselmann, gleichviel! Im weißen Mantel oder Jamerlonk; Im Tulban oder Deinem Filze: wie Du willst! Gleichviel! Ich Kabe nie verlangt, Daß allen Bäumen eine Rinoe wachse. Sonst wärst Du wol auch schwerlich, der Du bist: Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.

Tempelherr.

4. Auftritt.

Nathan der Weise.

161

Saladin. Nun denn, wenn Du nicht schlechter von mir denkst, So wären wir ja halb schon richtig? Tempelherr. Ganz! Saladin (ihm die Hand bietend). Ein Wort? Tempelherr (etnschlagend). Ein Mann! — Hiermit empfange mehr, Als Du mir nehmen konntest. Ganz der Deine! Saladin Zuviel Gewinn für einen Tag! zuviel! — Kam er nicht mit? Tempelherr. Wer? Saladin. Nathan. Tempelherr (frostig). Nein. Ich kam Allein. Saladin. Welch eine That von Dir! Und welch Ein weises Glück, daß eine solche That Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug. Tempelherr. Ja, ja! Saladin. So kalt? — Nein, junger Mann! wenn Gott Was Gutes durch uns thut, muß man so kalt Nicht sein! — selbst aus Bescheidenheit so kalt Nicht scheinen wollen! Tempelherr. Daß doch in der Welt Ein jedes Ding so manche Seiten hat! — Von denen oft sich gar nicht denken läßt, Wie sie zusammenpaffen!

Saladin. Halte Dich Nur immer an die best' und preise Gott! Der weiß, wie sie zusammenpaffen. — Aber, Wenn Du so schwierig sein willst, junger Mann, So werd' auch ich ja wol auf meiner Hut Mich mit Dir halten müssen? Leider bin Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die Ost nicht so recht zu paffen scheinen mögen. Tempelherr. Das schmerzt! — Denn Argwohn ist so weni^ Mein Fehler —

Saladin. Nun, so sage doch, mit wem Du's hast? — Es schien ja gar, mit Nathan. Wie? Auf Nathan Argwohn? Du? — Erklär^ Dich! sprich! Komm, gieb mir Demes Zutrauns erste Probe. Lesstng'S Werte, 3.

11

162

Nathan der Weise.

4.9luf$ug.

Tempelherr. Ich habe wider Nathan nichts. Ich Zürn' Allein mit mir — Saladin. Und über was? Tempelherr. Daß mir Geträumt, ein Jude könn' auch wol ein Jude Zu sein verlernen; daß mir wachend so Geträumt. Saladin. Heraus mit diesem wachen Traume! Tempelherr. Du weißt von Nathan's Tochter, Sultan. Was Ich sür sie that, das that ich, — weil ich's that. Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn Nicht säete, verschmäht' ich Tag für Tag, Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater War fern; er kommt; er hört; er sucht mich auf; Er dankt; er wünscht, daß seine Tochter mir Gefallen möge, spricht von Aussicht, spricht Von heitern Fernen. — Nun, ich lasse mich Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich Ein Mädchen . . . Ah, ich muß mich schämen, Sultan! — Saladin. Dich schämen? — daß ein Judenmädchen auf Dich Eindruck machte, doch wol nimmermehr? Tempelherr. Daß diesem Eindruck, auf das liebliche Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz So wenig Widerstand entgegensetzte! — Ich Tropf! ich sprang zum zweiten Mal ins Feuer. — T)enn nun warb ich, und nun ward ich verschmäht. Saladin. Verschmäht? Tempelherr. Der weise Vater schlägt nun wol Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater Muß aber doch sich erst erkunden, erst Besinnen. Allerdings! That ich denn das Nicht auch? Erkundete, besann ich denn Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie? — Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes, So weise, so bedächtig sein! Saladin. Nus, nun! So sieh doch einem Alten etwas nach I Wie lange können seine Weigerungen Denn dauern? Wird er denn von Dir verlangen, Daß Du erst Jude werden sollst? Tempelherr. Wer weiß!

4. Auftritt.

tlflfßan der Weist

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Saladin. Wer weiß? — der diesen Nathan besser kennt. Tempelherr Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen, Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum Doch seine Macht nicht über uns. — Es sind Nicht Alle frei, die ihrer Ketten spotten. Saladin. Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan. . . Tempelherr. Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen Für den erträglichern zu halten . . . Saladin. Mag Wol sein! Doch Nathan . . . Tempelherr. Dem allein Die blöde Menschheit zu vertrauen, dis Sie Hellern Wahrheitstag gewöhne; dem Allein. . . Saladin. Gut! Aber Nathan! — Nathan's Loos Ist diese Schwachheit nicht. Tempelherr. So dacht' ich auch! . . . Wenn gleichwol dieser Ausbund aller Menschen So ein gemeiner Jude wäre, daß Er Christenkinder zu bekommen suchte. Um sie als Juden auszuziehn: — wie dann? Saladin. Wer sagt ihm so was nach? Tempelherr. Das Mädchen selbst, Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung Er gern mir zu bezahlen schiene, was Ich nicht umsonst für sie gethan soll haben: — Dies Mädchen selbst ist seine Tochter — nicht, Ist ein verzettelt Christenkind. Saladin. Das er Dem ungeachtet Dir nicht geben wollte? Tempelherr (heftig). Woll' oder wolle nicht! Er ist-entdeckt. Der tolerante Schwätzer ist entdeckt! Ich werde hinter diesen jüd'schen Wolf Im philosoph'schen Schafpelz Hunde schon Zu bnngen wissen, die ihn zausen sollen! Saladin (ernst). Sei ruhig, Christ! Tempelherr. Was? ruhig, Christ? — Wenn Jud' Und Muselmann auf Jud', aus Muselmann Bestehen, soll allein der Christ den Christen Nicht machen dürfen?

164

Aathail der Wclsk.

Saladin (noch ernster).

4 - Auszug.

Ruhig, Christ!

Tempelherr (gelassen). Ich fühle Des Vorwurfs ganze Last, — die Saladin In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte, Wie Assad, — Assad sich an meiner Stelle Hierbei genommen hätte! Saladin. Nicht viel besser! — Vermuthlich ganz so brausend! — Doch, wer hat Denn Dich auch schon gelehrt, mich so wie er Mit Einem Worte zu bestechen? Freilich, Wenn Alles sich verhält, wie Du mir sagest, Kann ich mich selber kaum in Nathan finden. — Indeß, er ist mein Freund, und meiner Freunde Muß k iner mit dem andern hadern. — Lass' Dich weisen! Geh behutsam! Gieb ihn nicht Sofort den Schwärmern Deines Pöbes preis! Verschweig', was Deine Geistlichkeit an ihm Zu rächen mir so nahe legen würde! Sei keinem Juden, keinem Muselmanne Zum Trotz ein Christ! Tempelherr. Bald wär's damit zu spät! Doch Dank der Blutbegier des Patriarchen, Dess' Werkzeug mir zu werden graute! Saladin. Wie? Du kamst zum Patriarchen eher als Zu mir? Tempelherr. Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel Der Unentschloflenheit! — Verzeih ! — Du wirst Von Deinem Assad, fürcht' ich, ferner nun Nichts mehr in mir erkennen wollen.

Saladin. Wär' Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß, Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt. Pfleg' diese ferner nur, und jene sollen Bei mir Dir wenig schaden. — Aber geh! Such' Du nun Nathan, wie er Dich gesucht, Und bring' ihn her. Ich muß Euch doch zusammen Verständigen. — Wär um das Mädchen Dir Im Ernst zu thun: sei ruhig. Sie ist Dein!

b. Auftritt.

Aathan der weise.

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Auch soll es Nathan schon empfinden, daß Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind Erziehen dürfen! — Geh 1

(Der Tempelherr geht ab, und Sittah verlaßt da- Sopha.)

Münster Auftritt. Saladtn und Sittah. Sittah. Ganz sonderbar! Satadin. Gelt, Sittah? Muß mein Asiad nicht ein braver, Ein schöner junger Mann gewesen sein? Sittah. Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde Der Tempelherr vielmehr gesessen! — Aber Wie hast Du doch vergessen können, Dich Nach seinen Aeltern zu erkundigen? Satadin. Und insbesondre wol nach seiner Mutter? Ob seine Mutter hier zu Lande nie Gewesen sei? — Nicht wahr? Sittah. Das machst Du gut! Satadin. O, möglicher wär' nichts! Denn Assad war Bei hübschen Christenoamen so willkommen, Auf hübsche Chriüendamen so erpicht, Daß einmal gar ine Rede ging — Nun, nun, Man spricht nicht gern davon. — Genug, ich hab' Ihn wieder! — will mit allen seinen Fehlern, Mit allen Launen seines weichen Herzens Ihn wieder haben! — Oh! das Mädchen muß Ihm Nathan geben. Meinst Du nicht? Sittah. Ihm geben? Ihm lasten! Satadin. Allerdings! Was hätte Nathan, Sobald er nicht ihr Vater ist, für Recht Aus sie? Wer ihr das Leben so erhielt. Tritt einzig in die Rechte Dest', der ihr Es gab. sittah. Wie also, Saladin? wenn Du Nur gleich das Mädchen ju Dir nähmst? Sie nur Dem unrechtmäßigen Besitzer gleich Entzögest? Satadin. Thäte das wol Noth? Sittah. Noth nun

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Haffjan der Weise.

4-S!u->z.

Wol eben nicht! — Die liebe Neubegier Treibt mich allein, Dir diesen Nach zu geben. Denn von gewissen Männern mag ich gar Zu gern so bald wie möglich wissen, was Sie für ein Mädchen lieben können. Saladin. Nun, So schick' und lass' sie holen. Sittah. Darf ich, Bruder? Saladin. Nur schone Nathan's! Nathan muß durchaus Nicht glauben, daß man mit Gewalt ihn von Ihr trennen wolle. Sittah. Sorge nicht. Saladin. Und ich, Ich muß schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.

Sechster Auftritt. (Scene: die offne Flur in Nathan's Hause, gegen die Palmen zu, wie im ersten Auftritte des ersten Aufzuges. Ein Theil der Waaren und Kostbarkeiten liegt auögekramt, deren ebendaselbst gedacht wird.) Nathan und Daja. Daja. O, Alles herrlich! Alles auserlesen! O, Alles —- wie nur Ihr es geben könnt. Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken Gemacht? Was kostet er? — Das nenn' ich noch Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt Es bester. Nathan. Brautkleid? Warum Brautkleid eben? Daja. Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht, Als Ihr ihn kauftet. — Aber wahrlich, Nathan, Der und kein andrer muß es sein! Er ist Zum Brautkleid wie bestellt. Der weiße Grund Ein Bild der Unschuld, und die goldnen Ströme, Die aller Orten diesen Grund durchschlängeln, Ein Bild des Reichthums. Seht Jbr? Allerliebst! Nathan. Was witzelst Du mir oa? Von wessen Brautkleid Sinnbilderst Du mir so gelehrt? — Bist Du Denn Braut? Daja. Ich?

6. Auftritt.

Nathan. Daja. Nathan.

NaLhan der weist.

167

Nun wer denn?

Ich? — lieber Gott 1 Von wessen Brautkleid sprichst Du denn? — Das Alles ist ja Dein und keiner Andern. Daja. Ist mein? Soll mein sein? — Ist für Recha nicht? Nathan. Was ich für Recha mitgebracht, das liegt In einem andern Ballen. Mach! nimm weg! Trag' Deine Siebensachen fort 1 Daja. Versucher! Nein, wären es die Kostbarkeiten auch Der ganzen Welt! Nicht rühr an! wenn Ihr mir Vorher nicht schwört, von dieser einzigen Gelegenheit, dergleichen Euch der Hunmel Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen. Nathan. Gebrauch? von was? —Gelegenheit? wozu? Daja. O stellt Euch nicht so fremd! — Mit kurzen Worten: Der Tempelherr liebt Recha ; gebt sie ihm! So hat doch einmal Eure Sünde, die Ich länger nicht verschweigen kann, ein Ende. So kommt das Mädchen wieder unter Christen, Wird wieder, was sie ist, ist wieder, was Sie war: und Ihr, Ihr habt mit all' dem Guten, Das wir Euch nicht genug verdanken können, Nicht Feuerkohlen blos auf Euer Haupt Gesammelt. Nathan. Doch die alte Leier wieder? — Mit einer neuen Saite nur bezogen, Die, fürcht' ich, weder stimmt noch hält. Daja. Wieso? Nathan. Mir wär' der Tempelherr schon recht. Ihm gönnt' Ich Recha mehr als Einem in der Welt. Allein . . . Nun, habe nur Geduld. Daja. Geduld? Geduld ist Eure alte Leier nun Wol nicht? Nathan. Nur wenig Tage noch Geduld! . . . Sieh doch! Wer kommt denn dort? Ein Klosterbruder? Geh, frag' ihn, was er will. Daja. Was wird er wollen? Wer denn?

(Sic geht auf ihn zu und fragt.)

168

Nathan der Weise.

4. Aufzug.

Nathan. So gieb! — und eh' er bittet. — (Müßt' ich nur Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne Die Ursach meiner Neugier ihm zu sagen! Denn wenn ich sie ihm sag', und der Verdacht Ist ohne Grund, so hab' ich ganz umsonst Den Vater auf das Spiel gesetzt.) — Was ist's? Daja. Er will Euch sprechen. Nathan. Nun, so last' ihn kommen, Und geh indeß.

Siebenter Austritt. Nathan und der Klosterbruder. Nathan (Ich bliebe Recha's Vater Doch gar zu gern! — Zwar kann ich's denn nicht bleiben, Auch wenn idj aufhör', es zu heißen? — Ihr, Ihr selbst werd' ich's doch immer auch noch heißen, Wenn sie erkennt, wie gern ich's wäre.) — Gey! — Was ist zu Euern Diensten, frommer Bruder? Klosterbruder. Nicht eben viel. — Ich freue mich, Herr Nathan, Euch annoch wohl zu sehn. Nathan. So kennt Ihr mich? Klosterbruder. Je nun, wer kennt Euch nicht? Ihr habt so Manchem Ja Euern Namen in die Hand gedrückt. Er steht in meiner auch seit vielen Jahren. Nathan (nach seinem Beutel langend). Kommt, Bruder, kommt; ich frisch' ihn auf. Klosterbruder. Habt Dank! Ich würd' es Aermern stehlen, nehme nichts. — Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein Wenig Euch meinen Namen aufzufrischen. Denn Ich kann mich rühmen, auch in Eure Hand Etwas gelegt zu haben, was nicht zu Verachten war. Nathan. Verzeiht! — Ich schäme mich — Sagt, was? — und nehmt zur Buße siebenfach Den Werth destelben von mir an. Klosterbruder. Hört doch Vor allen Dingen, wie ich selber nur

7. Auftritt.

Nathan der Weise.

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Erst heut an dies mein Euch vertrautes Pfand Erinnert worden. Nathan. Mir vertrautes Pfand? Klosterbruder. Vor Kurzem saß ich noch als Eremit Auf Quarantana, unweit Jericho. Da kam arabisch Raubgesindel, brach Mein Gotteshäuschen ab und meine Zelle Und schleppte mich mit fort. Zum Glück entkam Ich noch und floh hierher zum Patriarchen, Um mir ein ander Plätzchen auszubitten, Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit Bis an mein selig Ende dienen könne. Nathan. Ich steb' auf Kohlen, guter Bruder. Macht Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand! Klosterbruder. Sogleich, Herr Nathan. — Nun, der Patriarch Versprach mir eine Siedelei auf Tabor, Sobald als eine leer, und hieß inzwischen Im Kloster mich als Laienbruder bleiben. Da bin ich jetzt, Herr Nathan, und verlange Des Tags wol hundertmal auf Tabor. Benn Der Patriarch braucht mich zu Allerlei, Wovor ich großen Ekel habe. Zum Exempel: Nathan. Macht, ich bitt' Euch! Klosterbruder. Nun, es kommt! Da hat ihm Jemand heut ins Ohr gesetzt, Es lebe hier herum ein Jude, der Ein Christenkind als seine Tochter sich Erzöge. Nathan. Wie? (betroffen.) Klosterbruder. Hört mich nur aus! — Indem Er mir nun aufträgt, diesem Juden stracks, Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und Gewaltig sich ob eines solchen Frevels Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider Den heil'gen Geist bedünkt; — das ist die Sünde, Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt, Nur daß wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen, Worin sie eigentlich besteht: — da wacht Mit einmal mein Gewisien auf, und mir

170

Nathan der weise.

Fällt bei, ich könnte selber wol vor Zeiten Zu dieser unverzeihlich großen Sünde Gelegenheit gegeben haben. — Sagt: Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren Ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen? Nathan. Wie das? — Nun freilich — allerdings — Klosterbruder. Ei, seht Mich doch recht an! — Der Reitknecht, der bin ich. Nathan. Seid Ihr? Klosterbruder. Der Herr, von welchem ich's Euch brachte, War — ist mir recht — ein Herr vonFilnek. — Wolf Von Filnek! Nathan. Richtig! Klosterbruder. Weil die Mutter kurz Vorher gestorben war, und sich der Vater Nach — mein' ich — Gazza plötzlich werfen mußte, Wohm das Würmchen ihm nicht folgen konnte, So sandt' er's Euch. Und traf ich Euch damit Nicht in Darun? Nathan. Ganz recht! Klosterbruder. Es wär' kein Wunder, Wenn mein Gedächtniß mich betrüg'. Ich habe Der braven Herrn so viel gehabt, und diesem Hab' ich nur gar zu kurze Zeit gedient. Er blieb bald drauf bei Askalon und war Wol sonst ein lieber Herr. Nathan. Ja wol! ja wol! Dem ich so viel, so viel zu danken habe! Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen! Klosterbruder. O schön! So werd't Ihr seines Töchterchens Euch um so lieber angenommen haben. Nathan. Das könnt Ihr denken. Klosterbruder. Nun, wo ist es denn? Es ist doch wol nicht etwa gar gestorben? — Lass'ts lieber nicht gestorben sein! — Wenn sonst Nur Niemand um die Sache weiß, so hat Es gute Wege. Nathan. Hat es? Klosterbruder. Traut mir, Nathan! Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute»

7. Auftritt.

Aalhan der Weise.

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Das ich zu thun vermeine, gar zu nah Was gar zu Schlimmes grenzt, so thu' ich lieber Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar So ziemlich zuverlässig kennen, aber Bei Weitem nicht das Gute. — War ja wol Natürlich, wenn das Christentöchterchen Recht gut von Euch erzogen werden sollte, Daß Jhr's als Euer eigen Töchterchen Erzögt. — Das hättet Ihr mit aller Lieb' Und Treue nun gethan, und mühtet so Belohnet werden? Das will mir nicht ein. Ei freilich, klüger hättet Ihr gethan, Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand Als Christin auferziehen lassen; aber So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe, Wär's eines wilden Thieres Lieb' auch nur, In solchen Jahren mehr als Christenthum. Zum Christenthume hat's noch immer Zeit. Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm Bor Euern Augen aufgewachsen ist, So blieb's vor'Gottes Augen, was es war. Und ist denn nicht das ganze Christenthum Aufs Judenthum gebaut? Es hat mich oft Geärgert, hat mir Thränen g'nua gekostet, Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, Daß unser Herr ja selbst ein Jude war. Nathan. Ihr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach sein, Wenn Haß und Gleißnerei sich gegen mich Erheben sollten — wegen einer That — Ah, wegen einer That! — Nur Ihr, Ihr sollt Sie wissen! — Nehmt sie aber mit ins Grab! Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht, Sie Jemand Anderm zu erzählen. Euch Allein erzähl' ich sie. Der frommen Einfalt Allein erzähl' ich sie. Weil die allein Versteht, was sich der gottergebne Mensch Für Thaten abgewinnen kann. Ulostcrbrudcr. Ihr seid Gerührt, und Euer Auge steht voll Master? Nathan. Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.

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Hashmi dcr Weise.

4.Aufz. 8. Auftr.

Klosterbruder. Es sind Gebete drin. Wir nennen's ein Brevier. — Das, dacht' ich, kann ein Christenmensch Ja wol noch brauchen. — Ich nun freilich nicht — Ich kann nicht lesen — Nathan. Thut nichts! — Nur zur Sache. Klosterbruder. In diesem Büchelchen stehn vorn und hinten. Wie ich mir sagen lasten, mit des Herrn Selbsteigner Hand, die Angehörigen Von ihm und ihr geschrieben. Nathan. O erwünscht! Geht! lauft! holt mir das Büchelchen. Geschwind! Ich bin bereit, mit Gold es auszuwiegen, Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft! Klosterbruder. Recht gern! Es ist Arabisch aber, was der Herr Hineingeschneben. (Ab.) Nathan. Einerlei! Nur her! — Gott! wenn ich doch das Mädchen noch behalten Und einen solchen Eidam mir damit Erkaufen könnte! — Schwerlich wol! — Nun, fall' Es aus, wie's will! — Wer mag es aber denn Gewesen sein, der bei dem Patriarchen So etwas anaebracht? Das muß ich doch Zu fragen nicht vergessen. — Wenn es gar Von Daja käme?

Achter Auftritt. Daja und Nathan.

Daja (eilig und verlegen). Denkt doch, Nathan! Nathan. Nun? Daja. Das arme Kind erschrak wol recht darüber! Da schickt. . . Nathan. Der Patriarch? Daja. Des Sultans Schwester, Prinzessin Sittah . . . Nathan. Nicht der Patriarch? Daja. Nein, Sittah! —Hört Ihr nicht? —Prinzessin Sittah Schickt her und läßt sie zu sich holen? Nathan. Wen? Läßt Recha holen? — Sittah läßt sie holen? —

b.Aufz. I.Auftr.

Nathan der Weise.

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Nun, wenn sie Sittah holen läßt, und nicht Der Patriarch . . . Daja. Wie kommt Ihr denn auf den? Nathan. So hast Du kürzlich nichts von ihm gehört? Gewiß nicht? Auch ihm nichts gesteckt? Daja. Ich? ihm? Nathan. Wo sind die Boten? Daja. Vorn. Nathan. Ich will sie doch Aus Vorsicht selber sprechen. Komm! — Wenn nur Vom Patriarchen nichts dahinter steckt. (Ab.) Daja. Und ich — ich fürchte ganz was Andres noch. Was gilt's? die einzige vermeinte Tochter So eines reichen Juden wär' auch wol Für einen Muselmann nicht übel r — Hui, Der Tempelherr ist drum. Ist drum, wenn ich Den zweiten Schritt nicht auch noch wage, nicht Auch ihr noch selbst entdecke, wer sie ist! — Getrost! Lass' mich den ersten Augenblick, Den ich allein sie habe, dazu brauchen! Und der wird sein — vielleicht nun eben, wenn Ich sie begleite. So ein ernster Wink Kann unterwegens wenigstens nicht schaden. Ja, ja! Nur zu! Jetzt oder nie! Nur zu! (3hm nach.)

Fünfter Äuftug. Erster Auftritt.

(Scene: das Zimmer in Saladin's Palaste, in welches die Beutel mit Geld getragen worden, die noch zu sehen.) Galadin und bald darauf verschiedene Mamelucken.

Da steht das Geld nun noch! Und Niemand weiß Den Derwisch aufzufinden, der vermuthlich Ans Schachbrett irgendwo gerathen ist, Das ihn wol seiner selbst vergesien macht; — Warum nicht meiner? — Nun, Geduld! Was giebt's?

Saladin (im Herelntreten).

176 Ein Mameluck.

Nathan der Weise. Erwünschte Nachricht, Sultan!

Freude, Sultan!

Die Karavane von Kahira kommt, Ist glücklich da! mit siebenjährigem Tribut des reichen Nils. Saladin. Brav, Ibrahim! Du bist mir wahrlich ein witlkommner Bote! — a! endlich einmal! endlich! — Habe Dank er guten Zeitung. Der Mameluck (wartend). (Nun? nur her damit!) Saladin. Was wart'st Dur — Geh nur wieder. Der Mameluck. Dem Willkommnen Sonst nichts? Saiadin. Was denn noch sonst? Der Mameluck. Dem guten Boten Kein Botenbrod? — So wär' ich ja der Erste, Den Saladin mit Worten abzulohnen Doch endlich lernte! — Auch ein Ruhm! — der Erste, Mit dem er knickerte. Saladin. So nimm Dir nur Dort einen Beutel. Der Mameluck. Nein, nun nicht! Du kannst Mir sie nun alle schenken wollen. Saladin. Trotz! — Komm her! Da hast Du zwei. — Im Ernst? er geht? Thut nur's an Edelmuth zuvor? — Denn sicher Muß ihm es saurer werden, auszuschlagen, Als mir zu geben. — Ibrahim! — Was kommt Mir denn auch ein, so kurz vor meinem Abtritt Auf einmal ganz ein Andrer sein zu wollen? — Will Saladin als Saladin nicht sterben? — So mußt' er auch als Saladin nicht leben. Ein zweiter Mameluck. Nun, Sultan! . . . Saladin. Wenn Du mir zu melden kommst. . . Zweiter Mameluck. Daß aus Aegypten der Transport nun da! Saladin. Ich weiß schon. Zweiter Mameluck. Kam ich doch zu spät! Saladin. Warum Zu spät? — Da nimm für Deinen guten Willen Der Beutel einen oder zwei.

t

2. Auftritt.

Naihander weift.

177

Zweiter Mameluck. Macht drei! Saladin. Ja, wenn Du rechnen kannst! — So nimm sie nur. Zweiter Mameluck. Es roirb wol noch ein Dritter kommen, — wenn Er anders kommen kann. Saladin. Wie das? Zweiter Mameluck. Je nu, Er hat auch wol den Hals gebrochen 1 Denn Sobald wir Drei der Ankunft des Transports Versichert waren, sprengte Jeder frisch Davon. Der Vorderste, der stürzt; und so Komm' ich nun vor und bleib' auch vor bis in Die Stadt, wo aber Ibrahim, der Lecker, Die Gasten bester kennt. Saladin. O, der Gestürzte 1 Freund, der Gestürzte! — Reit' ihm doch entgegen. Zweiter Mameluck. Das werd' ich ja wol thun! — Und wenn er lebt. So ist die Hälfte dieser Beutel sein. (Geht ab.) Saladin. Sieh, welch ein guter, edler Kerl auch das I — Wer kann sich solcher Mamelucken rühmen? Und wär' mir denn zu denken nicht erlaubt, Daß sie mein Beispiel bilden helfen? — Fort Mit dem Gedanken, sie zu guter Letzt Noch an ein andres zu gewöhnen! . . . Sin dritter Mameluck. Sultan, . . . Saladin. Bist Du's, der stürzte? Dritter Mameluck. Nein. Ich melde nur, — Daß Emir Mansor, der die Karavane Geführt, vom Pferde steigt. . . Saladin. Bring' ihn! geschwind l —

Da ist er ja! —

Awetter -«stritt. Emir Mansor und Saladin.

Saladin. Willkommen, Emir! Nun, Wie ist's gegangen? — Mansor, Mansor, hast Uns lange warten lasten! Mansor. Dieser Bries Berichtet, was Dein Abulkassem erst Lessmg'S Werke, 8.

178

Raihan der Weise.

5. Auszug.

Für Unruhs in Thebais dämpfen müssen, 8h' wir es wagen dursten, avzugehen. Den Zug daraus hab' ich beschleuniget So viel, wie möglich war. Saladin. Ich glaube Dir! — Und nimm nur, guter Mansor, nimm sogleich . . . Du thust es aber doch auch gern? . . . mmm frische Bedeckung nur sogleich. Du mußt sogleich Noch weiter, muht der Gelder größern Theil Auf Libanon zum Vater bringen. Mansor. Gern! Sehr gern! Saladin. Und nimm Dir die Bedeckung ja Nur nicht zu schwach. Es ist um Libanon Nicht Alles mehr so sicher. Hast Du nicht Gehört? Die Tempelherrn sind wieder rege. Sei wol auf Deiner Hut! — Komm nur! Wo hält Der Zug? Ich will ihn sehn und Alles selbst Betreiben. — Ihr! ich bin sodann bei Sittah.

Dritter Auftritt. (Scene: die Palmen vorNathan'sHause, wo der Tempelherr auf- und niedergeht.)

Tempelherr. Ins Haus nun will ich einmal nicht. — Er wird Sich endlich doch wol sehen lassen! — Alan Bemerkte mich ja sonst so bald, so gern! — Will's noch erleben, daß er sich's verbittet, Vor seinem Hause mich so fleißig finden Zu lassen. — Hm! — ich bin doch aber auch Sehr ärgerlich. — Was hat mich denn nun so Erbittert gegen ihn? — Er sagte ja: Noch sch lüg' er mir nichts av. Und Saladin Hat's über sich genommen, ihn zu stimmen. — Wie? sollte wirklich wol in mir der Christ Noch tiefer nisten als in ihm der Jude? — Wer kennt sich recht? Wie könnt' ich ihm denn sonst Den kleinen Raub nicht gönnen wollen, den Er sich's zu solcher Angelegenheit Gemacht, den Christen abzujagen? — Freilich,

3. Auftritt.

Nathan der weise.

179

Kem kleiner Raub, ein solchGeschöpf! — Geschöpf? Und wessen? — Doch des Sclaven nicht, der auf Des Lebens öden Strand den Block geflößt Und sich davon gemacht? Des Künstlers doch Wol mehr, der in dem hingeworfnen Blocke Die göttliche Gestalt sich dachte, die Er dargestellt? — Ach! Recha's wahrer Vater Bleibt trotz dem Christen, der sie zeugte, — bleibt In Ewigkeit der Jude. — Wenn ich mir Sie lediglich als Christendirne denke, Sie sonder Alles das mir denke, was Allein ihr so ein Jude geben konnte: — Sprich, Herz, — was wär' an ihr, das Dir gefiel'? Nichts! Wenig! Selbst ihr Lächeln, wär' es nichts Als sanfte, schöne Zuckung ihrer Muskeln, Wär', was fie lächeln macht, des Reizes unwerth, In den es sich auf ihrem Munde kleidet: — Nein, selbst ihr Lächeln nicht! Ich hab' es ja Wol schöner noch an Aberwitz, an Tand, An Hühnerei, an Schmeichler und an Buhler Verschwenden sehn! — Hat's da mich auch bezaubert? Hat's da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben In seinem Sonnenscheine zu verflattern? — Ich wüßte nicht. Und bin aus den doch launisch, Der diesen höhern Werth allein ihr gab? Wie das? warum? — Wenn ich den Spott verdiente, Mit dem mich Saladin entließ! Schon schlimm Genug, daß Saladin es glauben konnte! Wie klein ich ihm da scheinen mußte! wie Verächtlich! — Und das Alles um ein Mädchen? — Curd! Curd! das geht so nicht. Lenk' ein! Wenn vollende Mir Daja nur was vorgeplaudert hätte, Was schwerlich zu erweisen stünde? — Sieh, Da tritt er endlich, im Gespräch vertieft, Aus seinem Hause! — Ha! mit wem! — Mit ihm? Mit meinem Klosterbruder? — Ha! so weiß Er sicherlich schon Alles! ist wol gar Dem Patriarchen schon verrathen! — Ha! Was hab' ich Querkops nun gestiftet! — Daß Ein einz'ger Funken dieser Leidenschaft Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann! —

180

Nathan der weise.

S. Aufzug.

Geschwind entschließ' Dich, was nunmehr zu thun! Ich will hier seitwärts ihrer warten, — ov Vielleicht der Klosterbruder ihn verläßt.

vierter Austritt. Natban und der Klosterbruder.

Nathan

Habt nochmals, guter Bruder vielen Dank! Klosterbruder. Und Ihr desgleichen! Nathan. Ich? von Euch? wofür? Mr meinen Eigensinn, Euch aufzudringen, Was Ihr nicht braucht? — Ja, wenn ihm Eurer nur Auch nachgegeben hätt', Ihr mit Gewalt Nicht wolltet reicher sein als ich. Klosterbruder. Das Buch Gehört ja ohnedem nicht mir, gehört Ja ohnedem der Tochter, ist ja so Der Tochter ganzes väterliches Erbe. — Je nun, sie hat ja Euch. —Gott gebe nur, Daß Ihr es nie bereuen dürft, so viel Für sie gethan zu haben! Nathan. Kann ich das? Das kann ich nie. Seid unbesorgt! Klosterbruder. Nu, nu! Die Patriarchen und die Tempelherren. . . Nathan. Vermögen mir des Bösen nie so viel Zu thun, daß irgend was mich reuen könnte, Geschweige, das I — Und seid Ihr denn so ganz Versichert, daß ein Tempelherr es ist, Der Euern Patriarchen hetzt? Klosterbruder. Es kann Beinah kein Andrer sein. Ein Tempelherr Sprach kurz vorher mit ihm, und was ich hörte, Das klang darnach. Nathan. Es ist doch aber nur Ein einziger jetzt in Jerusalem, Und diesen kenn' ich. Dieser ist mein Freund, Giniunaer, edler, offner Mann! Klosterbruder. Ganz recht, (im Näherkommen).

Nathan der weise.

b. Auftritt.

181

T-er Nämliche! — Doch was man ist, und was Alan sein muß in der Welt, das paßt ja wol Nicht immer. Nathan. Leider nicht. — So thue, wer's Auch immer ist, sein Schlimmstes oder Bestes! Mit Euerm Buche, Bruder, trotz' ich Allen Und gehe graden Wegs damit zum Sultan. Klosterbruder. Diel Glüas 1 Ich will Euch denn nur hier verlassen. Nathan. Und habt sie nicht einmal gesehn! — Kommt ja Doch bald, doch fleißig wieder. — Wenn nur heut Der Patriarch noch nichts erfährt! — Doch was? Sagt ihm auch heute, was Ihr wollt. Klosterbruder. Ich nicht. Lebt wohl! (Geht ab.) Nathan. Vergeßt uns ja nicht, Bruder! — Gott 1 Daß ich nicht hier gleich unter freiem Himmel Aus meine Kmee sinken kann! Wie sich Der Knoten, der so oft mir bange machte, Nun von sich selber löset! — Gott! wie leicht Mir wird, daß ich nun weiter auf der Welt Nichts zu verbergen habe! daß ich vor Den Menschen nun so frei kann wandeln als Vor Dir, der Du allein den Menschen nicht Nach seinen Thaten brauchst zu richten, die So selten seine Thaten sind, o Gott! — Münster Austritt.

Nathan

und der

Tempelherr,

der von der Seite auf ihn zukommt.

Tempelherr. He! wartet, Nathan, nehmt mich mit! Nathan. Wer ruft? — Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, daß Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen laffen? Tempelherr. Wir sind einander sehlgegangen. Nehmt's Nicht übel! Nathan. Ich nicht, aber Saladin . . . Tempelherr. Ihr wart nur eben fort. . . Nathan. Und spracht ibn doch? Nun, so ist's gut.

182

Aailsan der Weise.

b.Aufjttg

Tempelherr. Er will uns aber Beide Zusammen sprechen. Nathan. Desto bester. Kommt Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm. —Tempelherr. Ich darf ja doch wol fragen, Nathan, wer Euch da verließ? Nathan. Ihr kennt ihn doch wol nicht? Tempelherr. War's nicht die gute Haut, der Laienbruder, Dess' sich der Patriarch so gern zum Stöber Bedient? Nathan. Kann sein! Beim Patriarchen ist Er allerdings. Tempelherr. Der Pfiff ist gar nicht übel. Die Einfalt vor der Schurkerei voraus Zu schicken. Nathan. Ja, die dumme, — nicht die fromme. Tempelherr. An fromme glaubt kein Patriarch. Nathan. Für den Nun steh' ich. Der wird seinem Patriarchen Nichts Ungebührliches vollziehen helfen. Tempelherr. So stellt er wenigstens sich an. — Doch hat Er Euch von mir denn nichts gesagt? Nathan. Von Euch? Von Euch nun namentlich wol nichts. — Er weiß Ja wol auch schwerlich Euern Namen? Tempelherr. Schwerlich. Nalhan. Von einem Tempelherren freilich hat Er mir gesagt. . . Tempelherr. Und was? Nathan. Womit er Euch Doch ein- für allemal nicht meinen kann! Tempelherr. Wer weiß? Last't doch nur hören. Nathan. Daß mich einer Bei seinem Patriarchen angeklagt. . . Tempelherr. Euch angeklagt? —Das ist,mit seiner GunstErlogen. — Hört mich, Nathan! — Ich bin nicht Der Mensch, oer irgend etwas abzuleugnen Im Stande wäre. Was ich that, das that ich! Doch bin ich auch nicht der, der Alles, was Er that, als wohlgethan vertheid'gen möchte. Was sollt' ich eines Fehls mich schämen? Hab'

k. Auftritt.

Nathan der Weise.

183

Ich nicht den festen Vorsatz, ihn ju bessern? Und weiß ich etwa nicht, wie wett mit dem Es Menschen bringen können? — Hört mich, Nathan! — Ich bin des Laienbruders Tempelherr, Der Euch verklagt soll haben, allerdings. — Ar wißt ja, was mich wurmisch machte! was Mein Blut in allen Adern sieden machte! Ich Gauch! — ich kam, so ganz mit Leib und Seel' Euch in die Arme mich zu werfen. Wie Ihr mich empfingt — wie kalt — wie lau — denn lau Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen Mir auszubeugen Ihr beflissen wart; Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet: Das darf ich kaum mir jetzt noch denken, wenn Ich soll gelassen bleiben. — Hört mich, Nathan! — In dlejer Gayrung schlich mir Daja nach Und warf mir ihr Geheimniß an den Kopf, Das mir den Aufschluß Euers räthselhaften Betragens zu enthalten schien. Nathan. Wiedas? Tempelherr. Hört mich nur aus! — Ich bildete mir ein, Ihr wolltet, was Ar einmal nun den Christen So abgejagt, an einen Christen wieder Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein. Euch kurz und gut das Messer an die Kehle Zu setzen. Nathan. Kurz und gut? und gut? — Wo steckt Das Gute? Tempelherr. Hört mich, Nathan! — Allerdings, Ich that nicht recht! — Ihr seid wol gar nicht schuldig. — Die Närrin Daja weiß nicht, was sie spricht, — Ist Euch gehässig, — sucht Euch nur damit In einen bösen Handel zu verwickeln; — Kann sein! kann sein I — Ich bin ein junger Laffe, Der immer nur an beiden Enden schwärmt, Bald viel zu viel, bald viel zu wenig thut; — Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan. Nathan. Wenn Ihr so mich freilich fastet — Tempelherr. Kurz, ich ging

184

Nathan der Weise.

5. Auszug.

Zum Patriarchen! — hab' Euch aber nicht Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt! Ich hab' ihm blos den Fall ganz allgemein Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen. — Auch das hätt' unterbleiben können; ja doch! — Denn sannt’ ich nicht den Patriarchen schon Als einen Schurken? Konnt' ich Euch nicht selber Nur gleich zur Nede stellen? — Mußt' ich der Gefahr, so einen Vater zu verlieren, Das arme Mädchen opfern? — Nun, was thut's? Die Schurkerei des Patriarchen, die So ähnlich immer sich erhält, hat mich Des nächsten Weges wieoer zu mir selbst Gebracht. — Denn hört mich, Nathan, hört mich aus! — Gesetzt, er müßt' auch Euern Namen, was Nun mehr, was mehr? — Er kann Euch ja das Mädchen Nur nehmen, wenn sie Niemands ist als Euer. Er kann sie doch aus Euerm Hause nur 8ns Kloster schleppen. — Also — gebt sie mir! »ebt sie nur mir und lass't ihn kommen. Ha! Er soll's wol bleiben lassen, mir mein Weib Zu nehmen. — Gebt sie mir, geschwind! — Sie sei Nun Eure Tochter, oder sei es nicht! Sei Christin oder Jüdin oder Keines! Gleichviel! gleichviel! Ich werd' Euch weder jetzt Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben Darum befragen. Sei, wie's sei! Nathan. Ihr wähnt Wol gar, daß mir die Wahrheit zu verbergen Sehr nöthig? Tempelherr. Sei, wie's sei! Nathan. Ich hab' es ja Euch — oder wem es sonst zu wissen ziemt — Noch nicht geleugnet, daß sie eine Christin Und nichts als meine Pflegetochter ist. — Warum ich's aber ihr noch nicht entdeckt? — Darüber brauch' ich nur bei ihr mich zu Entschuldigen. Tempelherr. Das sollt Ihr auch bei ihr Nicht brauchen. — Gönnt's ihr doch, daß sie Euch nie Mit andern Augen darf betrachten! Spart

ö.Auftrltt.

VaLhan der weise.

185

Ihr die Entdeckung doch! — Noch habt Ihr ja, Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt Sie mir! Ich bitt' Euch, Nathan, gebt sie mir! Ich bin's allein, der sie zum zweiten Male Euch retten kann — und will. Uathan. Ja — konnte! konnte! Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät. Tempelherr. Wieso? zu spät? Nathan. Dank sei dem Patriarchen . . . Tempelherr. Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür? Dank hätte der bei uns verdienen wollen? Wosür? wofür? Nathan. Daß wir nun wissen, wem Sie anverwandt, nun wissen, wessen Händen Sie sicher ausgeliefert werden kann. Tempelherr. Das dank' ihm — wer für mehr ihm danken wird 1 Nathan. Aus diesen müßt Ihr sie nun auch erhalten Und nicht aus meinen. Tempelherr. Arme Recha! Was Dir Alles zustößt, arme Necha! Was Em Glück für andre Waisen wäre, wird Dein Unglück! — Nathan! — Und wo sind sie, diese Verwandte? Nathan. Wo sie sind? Tempelherr. Und wer sie sind? Nathan. Besonders hat ein Bruder sich gefunden. Bei dem Ihr um sie werben müßt. Tempelherr. Ein Bruder? Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat? Ein Geistlicher? — Lasst hören, was ich mir Versprechen darf. Nathan. Ich glaube, daß er Keines Von beiden — oder Beides ist. Ich kenn' Ihn noch nicht recht. Tempelherr. Und sonst? Nathan. Ein braver Mann! Bei dem sich Recha gar nicht übel wird Befinden. Tempelherr. Doch ein Christ! — Ich weiß zu Zeiten Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll; —

186

Nathan der Weise.

b. Aufzug.

Nehmt mir's nicht ungut, Nathan. — Wird sie nicht Die Christin spielen müssen unter Christen? Und wird sie, was sie lange g'nug gespielt, Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen, Den Ihr gesä't, das Unkraut endlich nicht Ersticken? — Und das kümmert Euch so wenig? Dem ungeachtet könnt Ihr sagen — Ihr? — Daß sie bei ihrem Bruder sich nicht übel Befinden werde? Nathan. Denk' ich! hoff' ich! —- Wenn Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat Sie Euch und mich denn nicht noch immer? — Tempelherr. Oh! Was wird bei ihm ihr mangeln können! Wird Das Brüderchen mit Effen und mit Kleidung, Mit Naschwerk und mit Putz das Schwesterchen Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht Ein Schwesterchen denn mehr? — Ei freilich: auch Noch einen Mann! — Nun, nun, auch den, auch den Wird ihr das Brüderchen zu seiner Zeit Schon schaffen, wie er immer nur zu finden! Der Christlichste der Beste! — Nathan, Nathan! Welch einen Engel hattet Ihr gebildet, Den Euch nun Andre so verhunzen werden! Nathan. Hat keine Noth! Er wird sich unsrer Liebe Noch immer werth genug behaupten. Tempelherr. Sagt Das nicht! Von meiner Liebe sagt das nicht! Denn die läßt nichts sich unterschlagen, nichts, Es sei auch noch so klein! auch keinen Namen! — Doch halt! Argwohnt sie wol bereits, was mit Ihr vorgeht? Nathan. Möglich; ob ich schon nicht wüßte, Woher? Tempelherr. Auch eben viel; sie soll — sie muß In beiden Fällen, was ihr Schicksal droht, Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke, Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen, Als bis ich sie die Meme nennen dürfe, Fällt weg. Ich eile. . . Nathan. Bleibt! wohin?

«.Austritt.

Nathan der Weise.

187

Tempelherr. Zu ihr! Zu sehn, ob diese Mädchenseele Manns genug Wol ist, den einzigen Entschluß zu fassen, Der ihrer würdig wäre! Nathan. Welchen? Tempelherr. Den: Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht Zu fragen —Nathan. Und? Tempelherr. Und mir zu folgen, — wenn Sie drüber eines Muselmannes Frau Auch werden müßte. Nathan. Bleibt! Ihr trefft sie nicht; Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester. Tempelherr. Seit wann? warum? Nathan. Und wollt Ihr da bei ihnen Zugleich den Bruder finden, kommt nur mit. Tempelherr. DenBruder? welchen? Sittah's oderRecha's? Nathan. Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt' Euch, kommt! (Er führt ihn fort.)

Sechster Auftritt. (Scene: in Sittah's Harem.) Sittah und Recha in Unterhaltung begriffen. Sittah. Was freu'ich mich nicht Deiner, süßes Mädchen! — Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schüchtern! — Seimunter! sei gesprächiger! vertrauter! Necha. Prinzessin, . . . Sittah. Nicht doch! nicht Prinzessin! Nenn' Mich Sittah, — Deine Freundin, — Deine Schwester. Nenn' mich Dein Mütterchen! — Ich könnte das Ja schier auch sein. — So jung! so klug! so fromm! Was Du nicht Alles weißt f nicht Alles mußt Gelesen haben! Necha. Ich gelesen? — Sittah, Du spottest Deiner kleinen albern Schwester. Ich kann kaum lesen. Sittah. Kannst kaum, Lügnerin! Necha. Ein Wenig meines Vaters Hand! — Ich meinte, Du sprächst von Büchern.

b. Aufzug.

Nathan der Weise.

188

Sittah. Allerdings! von Büchern. Necha. Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen! — Sittah. Im Ernst? Necha. ganzem Ernst. Mein Vater liebt Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich Mit todten Zeichen ins Gehirn nur drückt, Zu wenig. Sittah. Ei, was sagst Du! — Hat indeß Wol nicht sehr Unrecht! — Und so Manches, was Du weißt. . . ? Necha. Weiß ich allein aus seinem Munde Und könnte bei dem Meisten Dir noch sagen, Wie? wo? warum? er mich's gelehrt. Sittah. So hängt Sich freilich Alles besier an. So lernt Mit eins die ganze Seele. Necha. Sicher hat Auch Sittah wenig oder nichts gelesen! Sittah. Wie so? — Ich bin nicht stolz aufs Gegentheil. — Allein wie so? Dein Grund! Sprich dreist. Dein Grund? Necha. Sie ist so schlecht und recht, so unverkünstelt, So ganz sich selbst nur ähnlich . . . Sittah. Nun? Necha. Das sollen Die Bücher uns nur selten lasten, sagt Mein Vater. Sittah. O, was ist Dein Vater für Ein Mann! Necha. Nicht wahr? Sittah. Wie nah er immer doch Zum Ziele trifft! Necha. Nicht wahr? — Und diesen Vater — Sittah. Was ist Dir, Liebe? Necha. Diesen Vater — Sittah. Gott! Du weinst? Necha. Und diesen Vater — Ah! es muß Heraus! Mein Herz will Lust, will Luft. . .

(Wirft sich, von Thränen überwältigt, zu ihren Füßen.) Sittah. Geschieht Dir? Rechn?

Kind, was

«.Auftritt.

.Nathan der weift.

189

Necha. Diesen Vater soll — Soll ich verlieren! Sitlah. Du? verlieren? ihn? Wie das? — Sei ruhig! — Nimmermehr! — Steh aus! Recha. Du sollst vergebens Dich zu meiner Freundin, Zu meiner Schwester nicht erboten haben! Sittah. Ich bin's ja! bin's!—Steh doch nur aus! Ich muß Sonst Hilfe rufen. Rech a (die sich ermannt und auffteht). Ah! verzeih! vergieb! — Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft Will Alles über sie allein vermögen. West' Sache diese bei ihr führt, oer siegt! Sittah. Nun denn? Necha. Nein, meine Freundin, meine Schwester Giebt das nicht zu! Giebt nimmer zu, daß mir Ein andrer Vater ausgedrungen werde! Sittah. Ein andrer Vater? aufgedrungen? Dir? Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe? Uecha. Wer? Meine gute böse Daja kann Das wollen, — will das können. — Ja, Du keunst Wol diese gute böse Daja nicht? Nun, Gott vergeb' es ihr! — belohn' es ihr! Sie hat mir so viel Gutes, — so viel Böses Erwiesen! Sittah. Böses Dir? — So muß sie Gutes Doch wahrlich wenig haben. Uecha. Doch! recht viel, Recht viel! Sittah. Wer ist sie? Uecha. Eine Christin, die In meiner Kindheit mich gepflegt, mich so Gepflegt! — Du glaubst nicht! — die mich eine Mutter So wenig misien lasten! — Gott vergelt' Es ihr! — die aber mich auch so geängstet! Mich so gequält! Sittah. Und über was? warum? Wie? Necha. Ach! die arme Frau — ich sag Dir's ja — Ist eine Christin, — muß aus Liebe quälen, —

190

Naiyan der weise.

L. Auszug.

Ist eine von den Schwärmerinnen, die Den allgemeinen, einzig wahren Weg Nach Gott zu wissen wähnen! Sittah. Nun versteh' ich! Necha. Und sich gedrungen fühlen, einen Jeden, Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. — Kaum können sie auch anders. Denn ist's wahr, Daß dieser Weg allein nur richtig führt: Wie sollen sie gelassen ihre Freunde Auf einem andern wandeln sehn, — der ins Verderben stürzt, ins ewige Verderben? Es müßte möglich sein, denselben Menschen Zur selben Zett zu lieben und zu hassen. — Auch ist's das nicht, was endlich laute Klagen Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen, Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt' Ich gern noch länger ausgehalten, gern! Es brachte mich doch immer auf Gedanken, Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt's doch Im Grunde nicht, sich gar so werth und theuer, Von wem's auch sei, gehalten fühlen, daß Er den Gedanken nicht ertragen kann, Er müss' einmal auf ewig uns entbehren 1 Sittah. Sehr wahr! Uecha. Allein — allein — das geht zu weit! Dem kann ich nichts entgegensetzen, nicht Geduld, nicht Ueberlegung, nichts! Sittah. Was? wem? Necha. Was sie mir eben jetzt entdeckt will haben. Sittah. Entdeckt? und eben jetzt? Uecha. Nur eben jetzt! Wir nahten auf dem Weg' hierher uns einem Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand Sie still, schien mit sich selbst zu kämpfen, blickte Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald Aus mich. Komm, sprach sie endlich, lass' uns hier Durch diesen Tempel in die Richte gehn! Sie geht; ich folg' ihr, und mein Auge schweift Mit Graus die wankenden Ruinen durch. Nun steht sie wieder, und ich sehe mich An den versunknen Stufen emes morschen

7 Auftritt.

Nathan der Weise.

191

Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da Mit heißen Thränen, mit gerungnen Händen Zu meinen Füßen stürzte. . . Sittah. Gutes Kind! Necha. Und bei der Göttlichen, die da wol sonst So manch Gebet erhört, so manches Wunder Verrichtet habe, mich beschwor, — mit Blicken Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner Doch zu erbarmen! — wenigstens ihr zu Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse, Was ihre Kirch' auf mich für Anspruch habe. Sittah. (Unglückliche! — Es ahnte mir!) Necha. Ich sei Aus christlichem Geblüts, sei getauft, Sei Nathans Tochter nicht, er nicht mein Vater! — Gott! Gott! Er nicht mein Vater! — Sittah! Sittah! Sieh mich auss Neu' zu Deinen Füßen . . . Sittah. Necha! Nicht doch! steh aus! — Mein Bruder kommt! steh auf!

Siebenter Auftritt. Saladin und die Vorigen. Satadin. Was giebt's hier, Sittah? Sittah. Sie ist von sich! Gott! Satadin. Wer ist's? Sittah. Du weißt ja . . . Satadin. Unsers Nathan's Tochter? Was fehlt ihr? Sittah. Komm doch zu Dir, Kind! — Der Sultan . . . Necha (He sich auf den Knieen zu Saladin'S Füßen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt). Ich steh' nicht aus! nicht eher aus! — mag eher Des Sultans Antlitz nicht erblicken! — eher Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit Und Güte nicht in seinen Augen, nicht Aus seiner Stirn bewundern . . . Satadin. Steh . . . steh aus! Necha. Eh' er mir nicht verspricht . . . Satadin. Komm! ich verspreche. . . Sei was es will!

(92

Nathan der Vnst.

5. Auszug.

Hecha. Nicht mehr, nicht weniger, Als meinen Vater mir zu lasten und Mich ihm! — Noch weiß ich nicht, wer sonst mein Vater Zu sein verlangt, — verlangen kann. Wiü's auch Nicht misten. Aber macht denn nur das Blut Den Vater? nur das Blut? Saladin (der sie aufhebt). Ick merke wol! — Wer war so grausam denn, Dir selbst — Dir selbst Dergleichen in den Kops zu setzen? Ist Es denn schon völlig ausgemacht? erwiesen? Necha. Muß wol! Denn Daja will von meiner Amm' Es haben. Saladin Deiner Amme! Necha. Die es sterbend Ihr zu vertrauen sich verbunden fühlte. Saladin. Gar sterbend! — Nicht auch faselnd schon? — Und wär's Auch wahr! — Ja wol: das Blut, das Blut allein Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum Den Vater eines Thieres! giebt zum Höchsten Das erste Recht, sich diesen Namen zu Erwerben! Last' Drr doch nicht bange sein! — Und weißt Du was? Sobald der Väter zwei Sich um Dich streiten, — last' sie beide, nimm Den dritten! - Nimm dann mich zu Deinem Vater! Sittah. O thu's! o thu's! Saladin. Ich will ein guter Vater, Recht guter Vater sein! — Doch halt! mir fällt Noch viel was Beff'res bei. — Was brauchst Du denn Der Väter überhaupt? Wenn sie nun sterben? Bei Zeiten sich nach Einem umgesehn, Der mit uns um die Wette leben will! Kennst Du noch Keinen? .. . Sittah. Mach' sie nicht erröthen! Saladin. Das hab' ich allerdings mir vorgesetzt. Erröthen macht die Häßlichen so schön, Und sollte Schöne nicht noch schöner machen? — Ich habe Deinen Vater Nathan und Noch Einen — Einen noch hierher bestellt. Erräthst Du ihn? — Hierher! Du wirst mir doch Erlauben, Sittah?

Nathan der weise.

Letzter Auftritt.

193

Sittah. Bruder! Saladm. Daß Du ja Vor ihm recht sehr erröthest, liebes Mädchen! Necha. Vor wem? erröthen? . . . Saladin. Kleine Heuchlerin! Nun, so erblasse lieber! — Wie Du willst Und kannst! — (Eine Sclavin tritt herein und nahet sich Sittah.)

Sittah.

Sie sind doch etwa nicht schon da? Gut! lass' sie nur herein. — Sie sind es, Bruder!

Letzter Austritt. Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen.

Saladm. Ah, meine guten, lieben Freunde! — Dich, Dich, Nathan, muß ich nur vor allen Dingen Bedeuten, daß Du nun, sobald Du willst, Dein Geld kannst wieder holen lassen! . .. Nathan. Sultan! . .. Saladin. Nun steh' ich auch zu Deinen Diensten . . . Nathan. Sultan! . . . Saladin. Die Karavan' ist da. Ich bin so reich Nun wieder, als ich lange nicht gewesen. — Komm, sag' mir, was Du brauchst, so recht was Großes Zu unternehmen! Denn auch Ihr, auch Ihr, Ihr Handelsleute, könnt des baaren Geldes Zuviel nie haben! Nathan. Und warum zuerst Von dieser Kleinigkeit? — Ich sehe dort Ein Aug' in Thränen, das zu trocknen mir Weit angelegner ist. (Gehr auf Recha zu.) Du hast geweint? Was fehlt Dir? — bist doch meine Tochter noch? Necha. Mein Vater!. Nathan Wir verstehen uns. Genug ! — Sei heiter! Sei gefaßt 1 Wenn sonst Dein Herz Nur Dein noch ist! Wenn Deinem Herzen sonst Nur kein Verlust nicht droht! — Dem Vater ist Dir unverloren! Necha. Keiner, keiner sonst! Tempelherr. Sonst keiner ? — Nun 1 so hab' ich mich betrogen. Was man nicht zu verlieren fürchtet, hat Lesstng's Werke, 3.

13

191

Nathan der weise.

K. Aufzug

Man zu besitzen nie geglaubt und nie Gewünscht. — Recht wohl! recht wohl! — Das ändert, Nathan, Das ändert Alles! — Saladin, wir kamen Aus Dein Geheiß. Allein, ich hatte Dich Verleitet: jetzt bemüh' Dich nur nicht weiter! Saladin. Wie jach nun wieder, junger Mann!— Soll Alles Dir denn entgegen kommen? Alles Dich Errathen!? Tempelherr. Nun, Du hörst ja! siehst ja, Sultan! Saladin. Ei wahrlich! — Schlimm genug, daß Deiner Sache Du nicht gewiffer warst! Tempelherr. So bin ich's nun. Saladin. Wer so auf irgend eine Wohlthat trotzt, Nimmt sie zurück. Was Du gerettet, ist Deswegen nicht Dein Eigenthum. Sonst wär' Der Räuber, den sein Geiz ins Feuer jagt, So gut ein Held wie Du! (Auf Rechn zugchend, um sie dem Tempelherrn zuzuführen.)

Komm, liebes Mädchen, Komm! Nimm's mit ihm nicht so genau. Denn wär' Er anders, wär' er minder warm und stolz, Er hätt' es bleiben lassen, Dich zu retten. Du mußt ihm Eins fürs Andre rechnen. — Komm 1 Beschäm' ihn! thu' was ihm zu thun geziemte! Bekenn' ihm Deine Liebe! trage Dich ihm an! Und wenn er Dich verschmäht, Dir's je vergißt, Wie ungleich mehr in Diesem Schritte Du Für ihn gethan, als er für Dich . . . Was hat Er denn für Dich gethan? Ein Wenig sich Beräuchern lassen! ist was Rechts! — so hat Er meines Bruders, meines Assad, nichts! So trägt er seine Larve, nicht sein Herz. Komm, Liebe. . . Sittah. Geh! geh, Liebe, geh! Es ist Für Deine Dankbarkeit noch immer wenig, Noch immer nichts. Nathan. Halt, Saladin! halt, Sittah!

Saladin. Auch Du? Nathan. Hier hat noch Einer mit zu sprechen . .. Saladin. Wer leugnet das? — Unstreitig, Nathan, kommt So einem Pflegevater eme Stimme

Letzter Auftritt.

AaihlM der Weife.

195

Mit zu! Die erste, wenn Du willst. — Du hörst, Ich weiß der Sache ganze Lage. Nathan. Nicht so ganz! — Ich rede nicht von mir. Cs ist ein Andrer, Weit, weit ein Andrer, den ich, Saladin, Doch auch vorher zu hören bitte. Saladin. Wer? Nathan. Ihr Bruder! Saladin. Recha's Bruder? Nathan. Ja! Necha. Mein Bruder? So hab' ich einen Bruder? Tempelherr (aus seiner wilden, stummen Zerstreuung auffahrend). Wo? wo ist Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt' Ihn hier ja treffen. Nathan. Nur Geduld! Tempelherr (äußerst bitter). Er hat Ihr einen Vater ausgebunden: — wird Er keinen Bruder für sie finden? Saladin. Das Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger Verdacht wär' über Assad's Lippen nicht Gekommen. — Gut! fahr nur so fort! Nathan. Verzeih Ihm! — Ich verzeih' ihm gern. — Wer weiß, was wir An seiner Stell', ui seinem Alter dächten! (Freundschaftlich auf ihn zugehend.)

Natürlich, Ritter! — Argwohn folgt auf Mißtrau'nl — Wenn Ihr mich Eures wahren Namens gleich Gewürdigt hättet. . . Tempelherr. Wie? Nathan. Ihr seid kein Stauffen! Tempelherr. Wer bin ich oenn? Nathan. Heißt Curd von Stauffen nicht! Tempelherr. Wie heiß' ich denn? Nathan. Heißt Leu von Filnek. Tempelherr. Wie? Nathan. Ihr stutzt? Tempelherr. Mit Recht! Wer sagt das? Nathan. Ich, vermehr,

196

Aalhan ber weise.

L. Aufzug.

Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf' indeß Euch keiner Lüge. Tempelherr. Nicht? Nathan. Kann doch wol sein, Daß jener Nam' Euch ebenfalls gebührt. Tempelherr. Das sollt' ich meinen! — (Das hieß Gott ihn sprechen!) Nathan. Denn Eure Mutter — die war eine Stausfin. Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen, Dem Eure Aeltern Euch in Deutschland ließen, Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben, Sie wieder hier zu Lande kamen: — der Hieß Curd von Stauffen, mag an Kindesstatt Vielleicht Euch angenommen haben! — Seid Ihr lange schon mit ihm nun auch herüber Gekommen? Und er lebt doch noch? Tempelherr. Was soll Ich sagen? — Nathan! — Allerdings! So ist's! Er selbst ist todt. Ich kam erst mit der letzten Verstärkung unsers Ordens. — Aber, aber — Was hat mit diesem Allem Recha's Bruder Zu schaffen? Nathan. Euer Vater . . . Tempelherr. Wie? auch den Habt Ihr gekannt? Auch den? Nathan. Er war mein Freund. Tempelherr. War Euer Freund ? Jst's möglich, Nathan!... Nathan. Nannte Sich Wolf von Filnek, aber war kein Deutscher... Tempelherr. Ihr wißt auch das? Nathan. War einer Deutschen nur Vermählt, war Eurer Mutter nur nach Deutschland Auf kurze Zeit gefolgt. . . Tempelherr. Nicht mehr! Ich bitt' Euch! — Aber Recha's Bruder? Recha's Bruder . .. Nathan. Seid Ihr! Tempelherr. Ich? ich ihr Bruder? Necha. Er mein Bruder? Sittah. Geschwister! Saladin. Sie Geschwister! Necha (will auf ihn zu). Ah! mein Bruder!

RaLiM der Weise.

Letzter Auftritt.

Tempelherr (tritt Necha (hält an und

zurück).

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Ihr Bruder! Kann

Nicht sein ! nicht sein! Sein Herz Weiß nichts davon! — Wir sind Betrüger! Gott! Saladin (zum Tempelherrn). Betrüger? — wie? Das denkst Du? kannst Du denken? Betrüger selbst! Denn Alles ist erlogen An Dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts Dein! So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh! Tempelherr (sich demüthig ihm nahend). Mißdeut' auch Du nicht mein Erstaunen, Sultan! Verkenn' in einem Augenblick', in dem Du schwerlich Deinen Assad je gesehen, Nicht ihn und mich! wendet sich zu Nathan).

(Auf Nathan zuellend.)

Ihr nehmt und gebt mir, Nathan! Mit vollen Händen Beides! — Nein! Ihr gebt Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr 1 (Recha um den Hals fallend.)

Ah meine Schwester! meine Schwester! Nathan. Blanda Von Filnek. Tempelherr. Blanda? Blanda? — Recha nicht? Nicht Eure Recha mehr? — Gott! Ihr verstoßt Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder! Verstoßt sie meinetwegen! — Nathan! Nathan! Warum es sie entgelten lassen? sie! Nathan. Und was? — O meine Kinder! meine Kinder! — Denn meiner Tochter Bruder wär' mein Kind Nicht auch, — sobald er will? (Zudem er sich ihren Umarmungen überläßt, tritt Saladin mit unruhigem

Erstaunen zu seiner Schwester.)

Saladin. Was sagst Du, Schwester? Sittah. Ich bin gerührt. . . Saladin. Und ich, — ich schaudere Vor einer großem Rührung fast zurück! Bereite Dich nur draus, so gut Du kannst. Sittah. Wie? Saladin. Nathan, auf ein Wort! ein Wort! — (Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Theilnahme zu bezeigen, und Nathan und Saladin sprechen leiser.)

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titiflidit der weift.

5. Aufzug-.

Hör'! hör' doch, Nathan! Sagtest Du vorhin Nicht-? Nathan. Was? Satadin. Aus Deutschland sei ihr Vater nicht Gewesen, ein geborner Deutscher nicht. Was war er denn? Wo war er sonst denn her? Nathan. Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen. Aus seinem Munde weiß ich nichts davon. Satadin. Und war auch sonst kein Frank'? kein Abendländer? Nathan. O! daß er der nicht sei, gestand er wol. — Er sprach am Liebsten Persisch . . . Satadin. Persisch? Persisch? Was will ich mehr? — Er ist's! Er war es l Nathan. Wer? Satadin. Mein Bruder! ganz gewiß! Mein Asiad! ganz Gewiß! Nathan. Nun, wenn Du selbst darauf verfällst: — Nimm die Versichrung hier in diesem Buche! (Zhm das Brevier überreichend.)

Satadin (es begierig aufschlagend).

Ah! seine Hand! Auch die erkenn' ich wieder! Nathan. Noch wissen sie von nichts! Noch steht's bei DK' Allein, was sie davon erfahren sollen! Satadin (indeß er darin geblättert). Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen? Ich meine Neffen — meine Kinder nicht? Sie nicht erkennen? ich? Sie Dir wol lassen? (Wieder laut.)

Sie sind's! sie sind es, Sittah, sind's! Sie sind's! Sind beide meines . . . Deines Bruders Kinder! (Er rennt in ihre Umarmungen.)

Sittah (ihm folgend). Was hör' ich! — Konnt's auch anders, anders sein! — Satadin (zum Tempelherrn). Nun mußt Du doch wol, Trotzkopf, mußt mich lieben! (Zu Necha.)

Nun bin ich dock, wozu ich mich erbot? Magst wollen ooer nicht! Sittah. Ich auch! ich auch! Satadin (zum Tempelherrn zurück). Mein Sohn! mein Assad! meines Assad's Sohn 1

Letzter Austritt.

llatf)iui der Weise.

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Tempelherr. Ich Deines Bluts! — So waren jene Träume, Womit man meine Kindheit wiegte, doch — Doch mehr als Träume 1 (2hm zu Füßen fallend.) Saladin (ihn aufhebend). Seht den Bösewicht! Er wußte was davon und konnte mich Zu seinem Mörder machen wollen! Wart! (Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.