Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 26 [Reprint 2021 ed.] 9783112394243, 9783112394236


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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 26 [Reprint 2021 ed.]
 9783112394243, 9783112394236

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Gotthold Ephraim Lessing-

sämmtliche Schriften.

Sech- und jwanrigsterTheil.

Berlin, 1794» In der Nteolatschen Buchhandlung.

Vorrede. Der Herr Herausgeber der siimmtltchen Schriften Leiflugs, ersuchte mich, schon vor drey Jahren, dieses berühm­ ten Schriftstellers Antheil an den Litteraturbriefen dieser Sammlung gänz­ lich einzuverleiben. Ich weigerte mich kauge> diesem Verlavgea ein Genüge zu thun. Ich bekenne offenherzig, daß ich nicht der Meinung bin, mau müsse alles, was ein Schriftsteller je geschrieben hak, ohne Auswahl in einer Sammlung wieder drucken lassen. Insonderheit scheint er, Lessings Antheil au den Brie-

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Vorrede.

fett eine Litteratur betreffend, die vor mehr als dreißig Jahren neu war, kön­ ne sich am wenigsten zu einem neuen ganz ungeänderten Abdrucke in einer Sammlung seiner sämmtlichen Werke qualificiren. Es hat sich seitdem unge­ mein viel geändert. Was damals das Verdienst der Neuheit hatte, ist jetzt alt; die Freymüthigkeit, die damals unerhört schien, und daher auch so viel beytrug, der deutschen Litteratur eine bessere Wen­ dung zu geben, ist jetzt so allgemein ge­ worden, daß sie sogar mehrmals in Ue# bermuth und Unanständigkeit ausartete. Streitigkeiten, die damals wichtig waren, sind jetzt uninteressant; Tadel langst mit Recht vergessener schlechter Schriften, kann jetzt nichts Anziehendes haben. So-

Vorrede.

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gar bas Verdienst, daß man etwa Ueberbleibftlvon Lessmgs Geiste der Vergessen­ heit entreißen wollte, welche die Einrük« fang mancher unbekannt gewordenen Auffitze entschuldigen könnte, kann hier nicht in Anschlag kommen; denn diese Lessmgifchen Briefe stehen in einer Sammlung

die genugsam bekannt, und in allen Bi­ bliotheken der Litteraturliebhgber und in allen Buchhandlungen vorhanden ist. Indeß.ward von mir der neue Ab­ druck der Leßingischen Litteraturbriefe wiederholt und sehr dringend verlange. Man führte den Grund an, es sey ein­ mahl in dieser Sammlung der Plan, al­ les was von Lessing herrühre, wieder zu drucken. Ich überlegte endlich, daß so bald dieser Plan einmahl angenommen

Vorrede.

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worden, Lessings Antheil an denLitteraturbriefen nothwendig dazu gehöre. Ich überlegte ferner, daß es vielleicht auch von mir nicht wohlgethan seyn möchte, dar­ auf zu bestehen, daß der schon meist ausgeführte Plan an einer Seite mangelhaft bliebe, ob eö gleich nicht mit meiner Ue­ berzeugung übereinstimmte. Ich gab also endlich nach, doch mit der ausdrück­ lichen Bedingung, daß nicht alles wieder gedruckt würde, sondern daß ich eine zweckmäßige Auswahl machte, womit man endlich, jedoch ungern, zufrieden war. Ich liefere also hier diesen Auszug, und habe ihn so zweckmäßig zu machen gesucht, als ich konnte. Ich habe mir in Gedanken vorgestellt, was wohl

Vorrede.

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Lessing selbst noch möchte wieder drucken lassen, und was nicht. Ob ich alles ge« troffen habe, mag der Kenner beurtheilen; int Ganzen hoffe ich aber soll dieser Aus­ zug seinem Zwecke entsprechen. Ich habe die Briefe weggelassen, worin Lesswg bloß Stellen aus Büchern anführt, welche damals als Neuigkeiten Werth hatten, jetzt aber entweder als schahbare Kunstwerke bekannt, oder, weilihrWrrth nicht dauernd war, vergessen sind; ferner solche, wo er bloß einen Auszug macht, oder wo er z. B. bloß das Resultat «• «et Streitschrift Heinzens, gegen Gott« scheds längst vergessene deutsche Gram­ matik, giebt. Bey Tadel von Schriften, besonders von schlechten Schriften, habe ich von den Beyspielen oft einige weggee 4

Vorrede.

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lassen, so wie ich überhaupt alles wegließ, wovon es mir schien, eö werde unter ver­ änderten Umständen nicht mehr interessant seyn. Dazu gehören auch Streitigkei­ ten, wobey ich wenigstens wegzulassen oder zu mildern gesucht habe, was einen lebenden Schriftsteller beleidigen könnte. Aber solche Stellen, wo Lessings Scharf­ sinn, Witz und eigenthümlicher Charak­ ter hervorleuchtet, solche Stellen, de­ nen Feinheit der Schreibart, Richtigkeit der Kritik oder brauchbare litterarische Anmerkungen noch jetzt Werth geben, habe ich sorgfältig beybehalten, wenn ich sie gleich aus andern Ursachen jetzt ungern wieder drucken lasse. Ich glaube auf diese Art erhalten zu haben, was des Erhal­ tens vorzüglich würdig ist; und vielleicht

Vorrede.

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dem Verehrer Lessings, durch die Aus» wähl und durch einige wenige erläuternde Anmerkungen, die wiederholte Lektüre noch bequemer gemacht zu haben. Den Litte« rator, der alles umfassen will, was Les­ sing je geschrieben hat, weise ich auftaS komplette Werk der Briefe die Litteratur betreffend. Zwar hat ein gewisser Herr Heinz« wann, der einen Nachdruck mit dem An­ schein einer litterarischen Unternehmung beschönigen will, in einer Kompilation, die er LeffmgS Analekren für die -Litte« rawr betittelt, auch schon Lessings Litte­ raturbriefe, so wie die Dramaturgie, ganz Wiederabdrucken lassen; aber kein achter Liebhaber der Litteratur wird diese un­ förmliche Zusammenraffung eines An« * S

X

Vorrede.

blicks würdigen. Es würde vergebene Mühe seyn, hier umständlich aus einan­ der zu setzen, wie zwecklos und ohne Sinn dieser Mann gesammelt hat, da er z. B. Lessings umständlichen Auszug aus dem Comedicn des Remond de St. Mine, ei­ nem allenthalben bekannten Buche, mit geliefert, hingegen andere eigene Stücke von Lessmg, welche eher in eine solche Sammlung gehören, weggelassen hat. Ich will hier nur anführen, daß dieser elende Kompilator Lessings Manier und Schreibart so wenig kennet, daß er Auf­ sätze von andern Verfassern als Lessrngische abdrucken laßt Unter den Recensionen, die er auö der Bibliothek der schönen Wissen­ schaften wieder abdrucken zu lassen für gut gefunden hat, ist keine einzige von Lessing.

Vorr.de.

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Der Auszug aus dem Essay Oll the Writings and Genius of Pope (Analekten

II. Theil S. 169.) ist von Moses Men» delssohn. Da der einfältige Sammler frey» lich Lessings Manier nicht zu unterscheiden

fähig war; so hätte ihm wenigstens das unterzeichnetem., das er treuherzig mit abdrucken lässet, aufmerksam machen sol­

len, und er hätte, wSnn er aus der Bibl. der schönen Wissenschaften etwas auszie­

hen wollte, wenigstens wissen und nach­ lesen müssen, daß ich in der Vorrede des Anhangs des Ulten und IVten Ban­

des dieser Bibliothek S. 10 die Zeichen erkläre, daß es Buchstaben aus Moses und meinem Namen sind.

Die Beur»

theilung von Duschs Frühlingömonateu

(Analekten Ilter Theil S. 621) ist gleich»

Vorrede.

falls nicht von Lessing, sondern von Mo« ses, und in der Bibliothek auch mit E. unterzeichnet. Die Beurtheilung der Herbstmonate (S. 632.) und über Thom­ sons Sophoniöbe (S. 644.) sind vom Hrn. Kreissteuereinnehmer Weiße. Hin« gegen die einzige Recension, die von Les­ sing in der Bibliothek der schönen Wissen­ schaften steht, die von Lieberkühns Ues Versetzung der Idyllen Theokrics rc. hat der Stümper nicht zu unterscheiden und herauszusuchen gewußt, und sie da« her auch nicht abdrucken lassen; daher habe ich sie am Ende dieses Theils ange­ hängt. Er versichert auch in seinem, dem Uten Bande der Analekten vorgesetz­ ten Verzeichnisse der Schriften LessmgS ganz keck, derselbe habe „mehrere Recen»

Vorrede.

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„sionen zur allgemeinen deutschen Biblia„thek geliefert;" da doch in diesem Werke nicht eine Zeile von Leßing ist. Doch ge­ nug hiervon. Im Jahre 17S2 ließ ein Ungenann­ ter in das von Lichtenberg und G. For­ ster hcrauSgegebene Görtingische Maga­ zin der Wissenschaften und Litteratur Ilten Jahrgangs 56 Stück, ganz unrich­ tige Nachrichten von den Briefen die Litteratur betreffend, ei'nrücken. Ich schte dieserwegen ein Schreiben an Hrn. Hofrath Lichtenberg auf, welches er im zten Stücke des Ulten Jahrgangs dieses Magazins S. 387« abdrucken ließ. Ich habe für dienlich erachtet, dieses Schrei­ ben hier beyzufügen, nicht weil ich darin mich wider Unbilligkeiten vertheidige,

XIV , .-

Vorrede.

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sondern weil darin die Entstehung und Beschaffenheit der Litteraturbriefe kürz­ lich und der Wahrheit gemäß erzählt wird. Ich habe zu diesem neuen Abdrucke jetzt noch ein Paar erläuternde Anmerkungen hinzugethan. Berlin, den z. März 1794.

Friedrich Nicolai.

Schrei-

Schreiben an den Hrn. Hofr. Lichtenberg in Göttingen. 3» finde in dem Göttingischen Magazine/ in

des Uten Jahrgangs xtem Stücke, S -59 u. f. die Briefe, die neueste Litteratur betreffend, auf eine Art erwähnt, die Berichtigung ru ver, dienen scheint. Der Derf. des Aufsatzes über die deutsche Lie, reratur sagt: (S 159.) „Lessing, Mendels„ sohn, Abbe, vereinigten sich ru den Lucera„ rurbriefen," und (S. 162.) „ wegen de„Buchhändlerprojecrs, das wie allenthalben in „ Deutschland, so auch hierbey, so viel Einfluß „ hatte, wurden die Briese von schlechter» Ar„beirern fortgesetzt, nachdem sich dre ersten „ Verfasser davon Losgesagc Abbt starb. Men, „ drlSsodn ward auf andere Arc den Litteratur, „ briefen eot;oaen," u. s w. Ich darf sagen, daß hier alles falsch vorqestellt, daß in jeder Zeile ein Fehler ist. Denn Abbe hat sich tu den Briefen mit Lessing und Moses nicht vereinigt, da er mit Le singen in keiner Derbin, dun-war; die Lirrerarurbriefe waren nie ein Buchhändlerprojecr, und nre hatte ein Buchdändlerprojeet darauf Einfluß; die ersten Versal, fer Haden sich nie davon loegefagc; sie wurden nie von schlechten Arbeitern fortgesetzt; Abbe starb lange nachdem die Lltteraturbriese geendr, gee waren; im letzten Bande stehen noch Briefe von thmr und Moses ward ihnen nie entzogen.

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Sie sind zu billig, und zu sehr mein Freund, als daß ich nicht auch eine doppelte Ungerechtigkeit rügen dürfte, welche dieser Verfasser gegen mich be# geht- Die kleinere möchte seyn, daß er meines Antheils an den Litteraturbriefen so gar nicht gedenkt, als ob er nicht da wäre. Er mag da, durch immer stillschweigend zu verstehen geben, dieser Antheil sey so unbeträchtlich, daß et nicht verdiene, erwähnt zu werden; er mag immer still, schweigend zu verstehen geben, meine Ungeschick, lichkeit sey Ursach, daß ich Meinen Freunden nicht habe gleich arbeiten können. Ich bin mir allzü wohl bewußt, wie viel DerlZugnung es mir die ganze Zeit meines Lebens über gekostet hat, das nicht thun zu können, was ich gern gethan hätte, und von dem ich wenigstens glaubte, ich könnte es. Man hat gut der Hebamme sagen: sey fruchtbarwenn sie alle Nächte ausgehen muß, die Geburten anderer zu befördern, und zum Em­ pfangen entweder aus Arbeitsamkeit nicht Zeit, oder aus Müdigkeit nicht Luft haben kann. Auch ein Ungenannter im deutschen Museum (i782 7teS St.) mißbrauchte mei? Vertrauen, in­ dem er, um sich ein gewisses Air zu geben, die Zeichen und Namen der Verfasser und andere Nach­ richten von den Litterarurbriefen, die er mir vor einigen Jahren, unter dem Versprechen, sie nicht be, sannt zu machen, abgelockt hatte, dennoch bekannt machte. Er berichtet (S- 8r.) zu gleicher Zeit dienst­ fertiger Weise, daß meineBriefe nicht an Lessings Briefe reichen, welches auch, so viel ich weiß, noch niemand zu behaupten eingefallen ist. Diel, leicht kann es dienen, etwas von diesen schiefen Anspielungen auf mich iu erklären, wenn ich Ih­ nen

lren sage, daß ich keinem Menschen die Erklärung der Zeichen, und die übrigen Nachrichten von den Litteraturbriefen, die man im Museum findet/ mitgetheilt habe, als dem Ungenannten, der im Merkur (Weinmond 1781.) einen Aufsatz über Lesfing geliefert hat, (welchen Aufsatz der Unqe, trannrr im Museum zu eiriren nicht unterließ;) daß der Ungenannte, del^LmMerkur über Lessing schrieb/ eben der Ungenannte ist, der mich wegen meines Versuchs über die Tempelherren im Merkur auf eine so unwürdige Art angriff; und daß eben dieser wahrscheinlich auch derjenige Unge, nannte ist, der im Museum über die Litteraturbriefe schrieb, um zu erweisen, „Nicolai sey „ nicht der erste und eigentliche Urheber dergedach„ ten Briefe." Wenigstens kann er die Zeichen und Nachrichten von niemand haben, als von dem Ungenannten im Merkur. WaS verächtlich ist, bleibt verächtlich, es scheine so klein rote es wolle. Doch ich komme auf den Verfasser im Göttingischen Magazin zurück. Wie gesagt, es ist nur eine kleine Ungerechtigkeit, daß er meinen Antheil un den Briefen, denen er selbst so vielen Einfluß in die deutsche Litteratur beylegt, verschweigt. Wenn etwas Gutes geschehen ist, so ist mir eben so viel nicht daran gelegen, ob die Welt genau wisse, wie viel Antheil ich daran habe. Aber daß er die Btiefe ein Buchhändlerproject nennt, daß er sagt, dieses Buchhändlerproject habe vrel Einfluß darauf gehabt, daß er noch hinzusetzt: Proben vom Einflüsse des Buchhändlers und feinet kaufmännischen projecre lese man zunt Ekel in Abbts Correspondenz, ist eine Beleidi, gung, die lich wahrlich nicht verdiene, es wird

dadurch alles, was ich bey den Litteraturbriefen gethan habe, in einem falschen Lichte ««gezeigt. Ich werde eines Eigennutzes beschuldiget, dessen ich mich niemals, am wenigsten bey den Litteraturbriefen schuldig gemacht habe. Hierzu kann ich Nicht schweigen. Habe ich jemals Buchmacherey zu befördern gesucht? Oder waren die Briefe eine Buchmacherey? welchen Einfluß hat das Projeet des Buchhändlers auf die Briefe gehabt? Welche von meinen kaufmännischen Projeeten fin­ det man in AbbtS Correfpondenz? Und Projecte, die bis zum Ekel darin sollen zu lesen seyn? Ich glaube jedes Wort, das ich in diesen Briefe« kann gesagt haben, muß zeigen, daß ich höhere Absichten hatte. Ich wollte die: Litteraturbriefe nicht untergehen lassen, ein Werk, in dem noch so viel Nützliches zu sagen war, und an dem ich selbst, so weit eS meine Lage erlaubte, mitarbei­ tete. ES ist gemächlicher, kaufmännische Projecte auszuführen, als diejenigen, dre ich in meinem Leben ausgeführt habe. Ganz sonderbar ist es, daß der Ungenannte im Museum will, ich sey nicht der Urheber der Briefe, das Projekt sey also nicht von mir; und daß der Ungenannte im Görringischeu Magazin will, das Projekt sey von mtr; es sey aber ein Buchhändlerprvject. Da bey met* nem Leben und vor meinen Augen eine Sache, die mich so nahe anqeht, von zwey Personen so fälsch­ lich vorgestellt wird, so will ich die Veranlassung und die Geschichte der Litteraturbriefe ganz kurt erzählen; ohne weiter mit den beyden Herren zu streiten, über das, was sie von diesen Briefe« wissen oder nicht wissen können. . Schon mehrere Jahre vorher war die deutsche Litteratur in zwey entgegen gesetzte Partheyen ge,

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theilt, in die Schweizerische und in die Goreschedische. Man mußte zu einer von beyden gebot ren; einen Mittelweg gab es nicht. Ich war da­ mals ein junger Mensch, der außer den gewöhn­ lichsten Schulstudien, keine gelehrte Erziehung ge, habt hatte, und nach Ausbildung begierig, aber kei­ nem Menschen bekannt war, der dazu hatte bey, tragen können Außer einem kurzen Umgänge mit Ewald und einem sparsamen Briefwechsel mit Lleist, war nichts da, wodurch ich mich hätte durch fremde Beyhülfe bilden können; ich mußte alles aus Büchern und aus mir selbst ziehen. Ich las also mit unermüdetem Eifer, und reflecttrte über das Gelesene nach meiner Art, ohne daß lch mit irgend jemand mich unterreden konnte, wel­ ches doch zur Entwickelung der Gedanken so vor, theilhaft ist. Da ich von der Welt nichts wußte/ und die menschlichen Leidenschaften nicht kannte, so schien mir der damalige Zustand der Gelehrsam­ keit ganz unbegreiflich. Die Streitfragen, wel, che damals allenthalben so wichtig traetirt wur­ den, kamen mir unwichtig vor, und die Schrift ren der Alten und der neuern Ausländer, die ich gelesen hatte, fand ich ganz anders, als die. deutschen Schriften die man damals unsterblich nannte. Weil ich niemand hatte, dem ich meine Gedanken mündlich mittheilen konnte, so mußte ich sie der Feder anvertrauen. So schrieb ich Briefe über den Zustand der schönen wissenschäften, welche 1754. herauskamen. DieseBriefe machten damals Aufsehen; denn ein junger Mensch redete aus seinem Winkel heraus, ohne irgend eft ne litterarische Verbindung, ohne irgend eine von den Rücksichten, die damals jedermann brauchte; sagte ohne Umschweif, was ihm an je*

der von bryden Partheyen mißfiel. Mit dieser mek« nrr Offenhertigkrit ging es mir, wie es mir mit meiner Offeuhertigkeit immer gegangen ist. Sie zog mir den Haß beyder Partheyen tu. Aber da­ war eint Kleinigkeit; denn durch sle ward ich iu gleicher Zeit mit Lessing, und durchtIhn mit Mo, fee bekannt, welche- ich für da» größte Glück rnei« ne- Leben- halte. Lestlng dachte über die damalige Litteratur eben so wie ich. Da wir fast täglich beysammen waren, so kamen wir immer wieder auf eben die Gedanken turück, welche stch durch beständige Erörterung immer mehr entwickelten, besonders durch unsern lieben Moses, der bey uns war, was bey den al» len Schauspielen der Chor. Er war gewöhnlich unserer lebhaften Disputen kaltblütiger Zuhörer, und sog unvermuthet, und wenn wir noch weit mim Ziele tu seyn glaubten, in wenig Worten ein treffende- Resultat, das uns alle befriedigte. Die» «ährte über ein Jahr. Fast bey jedem neuen Bu­ che, über das wir sprachen, erneuerte-ch der Der, druß über die schiefe Wendung, die alles nahm. Hierauf entstand endlich das Verlangen, diesem pebel abtuhelfen. Die damaligrnJvurnale waren fast alle frostig, seicht, partheyisch, voll Compli» mente. Die Gedanken, daß man ein bessere» schreiben sollte, worin besonders die Wahrheit geni deutsch herausgesagt würde, war sehr natür, lieb, um so Mehr, weil die Bibliothek derschi, neu Wissenschaften, wegen meiner veränderten Lage, die mir alle Muße raubte, damals aufhö« reu sollte. Oft hieß e- unter uns im Scherte; Man dürfte ja nur schreiben, was wir so oft sagen. Indessen war noch von keinem von uns ernstlich daran gedacht, dieses Vorhaben anstusühren.

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Jm November 1758 war ich einmahl nut Lessing zusammen, als auf eine damals neu her, arrSgekommene Schrift eines noch lebenden Autors die Rede kam. Wir hatten mancherley daranauszusetzen. Ich weiß nicht mehr, wer von uns bey, den zuerst wieder das zu schreibende Journal, von dem wir mehrmals gesprochen hatten, aufs Tapet brachte. Diesmal redeten wir doch ernstlicher da­ von; denn wir betrachteten die Schwierigkeiten einer solchen Arbeit, welche wenigen Verfassern bald zu beschwerlich wird, wovon ich schon bey der Bibliothek der schönen wissenjchafcen die Er, fahrung hatte. Wir kamen überein, daß wir ein solches Werk nicht auöführen konnten, und doch wünschten wir, eS möchte ausgeführt werden. Endlich fiel mir ein: Wir haben so oftgesagt, man sollte schreiben, was wir sagen. Wir wollen alsto in Briefen niederschreiben, was wir in unsern tägli, chen Unterredungen sagen, wollen uns keinen bestimmten Zweck Vorsteven, wollen anfangen, wenn eS unS gefallt, aufhvren, wenn es uns gefallt, re, den, wovon eS uns gefällt; gerade sowie wir eS machen, wenn wir zusammen olaudern. Dieser Vorschlag gefiel Lessingen, und er ward auf der Stelle näher bestimmt. Der damalige Krieg spannete alles mit Enthusiasmus an. um also doch einigermaßen etwas Vollständiges z« da, den, und flch nicht in ein zu großes Feld einzulas­ sen, ward beschlossen, die Litteratur seitdem An­ fänge deS Krieges zu übersehen, und diese Ueber­ sicht bis zum Frieden iortzusetzen, den man damals nicht wnt entfernt glaubte. Dies war kein allzuweitläuftiq 's Unternehmen; wir glaubten es aus, führen Uufc das E'de absehen zu können Freylich wurden wir dadurch nachher weiter geführt. Der

Gedanke an einen verwundeten Officier zu schrei­ ben, gehö't ganz Leffingen zu; denn, sagte er, tote leicht kann Dleist verwundet werden, so sollen die Briefe an thu gerichtet seyn Lessing kam da­ mals von L "p;ig turucF, wo er mit Kleisten eine innige Freundschaft gestiftet hatte. Daß ich an den Briefen nur wenigen Antheil nehmen konnte, *) war natürlich. Ich hatte eben damals, im Oct. 17s*, nachdem ich zwey Jahre in fldmltchcr Unabhängigkeit gelebt, nach dem ANvermuth^ten Tode meines ältesten Bruders des­ sen Buchhandlung übernehmen müssen. Ich war genörhiget, sie auf einen ganz andern Fuß einzu­ richten. Ich mußte jährlich drey Handlungsreisen machen, hatte eine Menge Sorgen und Arbeit auf mir, u. s. w. Woher hätte ich Muße zu vielen Arbeiten dieser Art nehmen sollen? Lessing hatte die meiste Muße; daher war er auch bey den ersten Bänden am meisten beschäfti­ get*'). AlS er daher nach Breslau aing, so war ich, weit entfernt, an ein kaufmännisches Projekt zu denken, wie mir sehr unbilliger Weise Schuld gegeben wird, fest entschlossen, das Werk zu endi­ gen, weil ich die Möglichkeit der Fortsetzung nicht einsahe. Daß dieses Werk ferner fortgesetzt wor•) Meine Zeichen sind Re. S. L.; außerdem ist Don mir der 6te Brief im Iren Theile «nun* rerzeichnet, desgleichen der ryrte Brief, ob­ gleich mit K. bezeichnet. Ferner im 276^0 Brief von S. 173 bis S. 179. Und im XIX. Theile S. $ die Nachricht. '*) Lessinas Zeichen sind A. E Fll. G. L 0 U. Auch ist der 43 und 44t- Brief im Uten Thei­ le von ihm.

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den, ist bloß allein meinem lieben MoseS *) zu daN, Fen. Er ermunterte nnch, es nicht fall--'» zu lassen. Er versprach mir mehr Beyhülfe, und hielt sein Derlprechen. Ich selbst trug auch mehr bey, so viel meine Zeit erlaubte. Ir-drffen merkten wir beide bald, daß für uns allein die Arbeit allzuschwer war. Ich hatte Abbten durch seinen Aufsatz vom Toi de fürs Vaterland kennen lernen. Auch hier war es Moses, welcher zuerst auf den Gedanken kam, dielen zungen Mann von Talenten zu den Briefen einzuladen, weil wir Beyhülfe nöthig hatten. 2bbr hat eigentlich in den Litteraturbriefen feine Schreibart gebildet '*). Ich weiß es am besten; denn mein Loos wer gemeiniglich seine Handschrift durchzusehen, und die Auswüchse zu beschneiden,, wovon auch in der gedruckten Corkespondenz Spu­ ren sind. Die Gelehrigkeit, mit der Abbt die of­ fenherzigen Erinnerunaen seiner Freunde annahm, ist vielleicht ohne Beyspiel, und ist seiner seltenen Wahrheitsliebe bestes Zeugniß. •) MoseS Zeichen sind D. K. M. V Z. Im XHten Theile, im 192. Briefe, S 210 f. ist von ihm Fulberti Kulmii Antwort. Im XlVten Theile ist der 233 bis 2Z6te Brief von ihm, obgleich mit Fll bezeichnet. Im XVitert Theile S. 67. 6g. der klerne ss>cste Brief; im XiXten Theile S. 41* das Orakel. •') AbbtS erster Brief ist der 14ste im iXten Theile. Seine Zeichen find B. C- Ferner find von ihm im XVHlten Bande S- 2; die Nachschrift zum 2/7tenBriefe, und imxixteu Bande S. 8. die Zweifel.

Wir drey oortetr immer mehr und mehr durch «ödere Seschäste zerstreuet, ood dir Griefe -tu, -en langsam fort. Der Krieg war nun geendigt r wir wollte« btt u«S bey der «rSea Entstehung vor» gefetzte Laufbahn vollenden, und «och einiger aäd« rend deö Kriege- erfchieaeaer beträchtlicher Werke gedenken. Aber es fehlte ua- allen an Zeit. Hier nat«S wieder Mose», welcher einen Mann vor» schlug, dessen große Verdienste jetzt allgemein am erkannt lind •). 3m gZktingischen Magazine wird von diesen Beyträge», welche daselbst seht »»eigentlich eine Lorrsetzung genennet werden, sehr ungerecht geurthrilr; denn, obgleich nicht vil« lia im Tone der vorigen Stitfe, ,stnd sie doch Nicht- weniger al- schlecht. Sie k-aaea keine Aorrseyung heißen; denn von ua» allen stehen 1» Len letzten Bänden »och Beyträge, und auch von Lessin», der so lange nicht- geliefert hatte, steht im letzten Baade em Brief. Ich machte endlich Lea Epilogn«, fo wie Lessing den Prologu-. Noch stehen in dem letzten Bande eia Paar Briefe von fremder Hand, •') und in den mittlern Bände» ei» «er vo» Sulzern •••)>

’) Den jetzige» Herrn Abt Slesewitz. Sein er» -er Brief ist der 86;le im XVilten Theile. Zeichen Q. und L«. *•) Dom Hr. Prof Trillo t» Berlin. Im XXten Bande ist der zorte Brief sein erste- Zeichen *•. *") Im xiiren Theile der >yzte Brief, »on WlnkelmaonS Anmerkungen über die Dau, kuast der Alten, mit ‘ • unterzeichnet. Außerdem ist noch der ?Mt Brief im Vren Theile von Sulzer, und mit seinem Namen »nterzrichaet. Die-

Dies ist die wahre Geschichte dieses Werf-, welche ich Ihnen erzähle, damit nicht eine falsche an die (Stelle gesetzt werde. UebrigenS mußte ich, ich gestehe es Ihnen, über den Plan lächeln, den Ihr Verfasser (S. iso) von einem guten kritischen Journale giebt. Ich sehe daraus, daß er wohlmeynend, aber jung ist. Vor ungefähr dreißig Jahren dachte ich auch so. Seitdem habe ich drey kritische Journale veranlasset und herausgegeben, welche Epoche machten, jedes in seiner Art. Näm­ lich: die Bibliothek der schönen Wissenschaften; die Briefe, die neueste Litteratur betreffend, und Die allgemeine deutsche Bibliothek. Ich weiß also aus langer Erfahrung in weiterm Umfan­ ge als jemand, alles was nöthig und was mög­ lich ist, um ein solches Werk zu veranstalten und auezuführen. Ich frage sie auf Ihr Gewissen, ob die. yörtingischen gelehrten Anzeigen, welche schon seit io langen Jahren verdienten Beyfall Ha­ den, so lange würden gedauert haben; ja ob sie überhaupt würden ruStande gekommen seyn, wenn sich die vielen Mitarbeiter derselben über jede ein­ zelne Recension hätten besprechen sollen. Was die Einheit betrifft, die der Meynung des Verfassernach, in einem solchen Werke herrschen soll, so kann sie leicht in Einseitigkeit auSarten, welcheso schlimm seyn dürfte, als irgend etwas anders. Diese Einseitigkeit zu verhüten, war ich bey der ersten Idee der allgemeinen deurschenBibliochek bemüht, Mitarbeiter aus allen deutschen Provin­ zen zusammen zu bringen, denen eS auch nicht ein­ mal nöthig ist, sich unter einander zu kennen. Wenn man so glücklich ist, gelehrte, verständige und unparthevische Männer zu einem solchen Werke zusammen zu finden; so wird sich bey der so nöthz,

gen Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit / dennoch eine vielleicht nicht erwartete Einheit finden. Was den guten Ton der feinen Welt betrifft, welchen dieser Verfasser von einem kritischen Journale for­ dert, so weiß ich Ntcht, ob die simple Schreibart des schlichten gesunden Verstandes, deutschen kri­ tischen Schritten nicht angemessener seyn dürfte, dis dieser sogenannte gute Eon. Der gute Ton in Frankreich iss eine Conventen;, die sich in Pa­ ris wie eine Mode ändert, und den niemand außer Paris haben kann und soll. Diesen guten Ton meint der Verfasser vielleicht nicht einmal, son­ dern vielleicht nur den guten Ton der Wendungen, welche in der französischen Sprache liegen, und mit welcher die fran;östschen Kritiker die dünne Suppe ihres RäsonnementS würzen. Auch dieser Vorzug mag der Annee litteraire unbeneidet ver­ bleiben. ES sollte mir aber leid thun, wenn man, diese Wendungen abgerechnet, bie Annee litteraire mit unsern besten gelehrten Zeitungen und kriti­ schen Journalen in Erne Klaffe setzen müßte. Berlin d. 29. Weinmonat-,

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Friedrich Nicolai.

Auszüge au«

Lessings Antheil an -en Litteratur-Briefen. 1759 bi-1763.

Einleitung. röer Herr von N. * *, ein verdienter Officirr, «nb jugleich ein Mann von Geschmack und Ge, lehrsamkeit, ward in der Schlacht bey Zorndorf verwundet. Er ward nach Fr *' gebracht, und seine Wundärzte empfahlen lhm nicht« eifriger, al« Ruhe und Geduld. Langewelle und ein ge, wisser militärischer Ekel vor politischen Neuig, selten, trieben ihn, bey den ungern verlassenen Musen eine angenehmere Beschäftigung zu suchen. Er schrieb an einige von seinen Freun­ den in D ", und ersuchte sie, ihm die Lücke, welche der Krieg in seiner Kenntniß der neuesten Litteratur gemacht, ausfüllen zu Helsen. Da sie ihm unter keinem Vorwande diese Gefällig­ keit abschlagen konnten, so trugen sie eö dem Herrn Fll. auf, sich der Ausführung vornehm, lich zu unterziehen. Wie mir, dem Herausgeber, die Briefe, welche daraus entstanden, in die Hände gera, A i

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Einleitung.

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then, kann dem Public» zu wissen oder nicht zu wissen, sehr gleichgültig seyn. Zch theile sie ihm mit, weil ich glaube, daß sie manchem so wohl von dem schreibenden, als lesenden Theile der so genannten Gelehrten, nützlich seyn können. Ihre Anzahl ist bereit- beträchtlich, ob sie gleich ihren Anfang nur vor drey ober vier Mo, naten können gehabt haben. Sle werden auch hoffentlich bis zur Wiederherstellung dee Herrn von N " fortgesetzt werden. Zch habe völlige Gewalt sie drucken zu lassen, wie und wenn Ich will. Der Verleger mevnte, baß es am fügiichsten wöchentlich geschehen könnte; und ich lasse ihm seinen Willen.

Erster Brief. Vtroa« werden Sie freylich nachzuholen haben; aber nicht viel. Die zwey gefährlichen mühsa» men Zahre, die Sie der Ehre, dem Kinige und dem Daterlande aufopfern müssen, sind reich genug an Wundern, nur nicht an gelehr, ten Wundern gewesen. Gegen hundert Na» men, — und hundert sind noch ju wenig — die alle erst In diesem Kriege als Namen verdienst» voller Helden bekannt geworben; gegen tausend kühne Thaten, die vor Ihren Augen geschahen, an welchen Sie Theil hatten, die zu Quellen der unerwartetsten Veränderungen wurden, — kann ich Ihnen auch nicht rin einjigeS neues Genie nennen, kann ich Ihnen nur sehr we» nige Werke schon bekannter Verfasser anführen, die mit jenen Thaten der Nachwelt ausbehailen zu werben verdienten. ES gilt dieses von uns Deutschen vor allen andern. Zwar hat der Krieg seine blutigste A 3

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Lessings Antheil

>• Bühne unter uns aufgeschlagen, und eö Ist eine alte Klage, daß das allzunahe Geräusch der Waffen, die Musen verscheucht. Verscheucht es sie nun aus einem Lande, wo sie nicht recht viele, recht feurige Freunde haben, wo sie ohne­ dies nicht die beste Aufnahme erhielten; so kön­ nen sie auf eine sehr lange Zeit verscheucht blei­ ben. Der Friede wird ohne sie wieder kom­ men; ein trauriger Friede, von dem etnzlgen melancholischen Vergnügen begleitet, über ver­ lorene Güter zu weinen. Ich rufe ihre Blicke aus dieser finstern Aus­ sicht zurück. Man muß einen Soldaten sein unentbehrliches Geschäft durch die bejammerns­ würdigen Folgen desselben nlcht verleiden. Lleber will ich Sie und mich mit dem süßen Traume unterhalten, daß in unsern gesittetem Zetten der Krieg nicht« als ein blutiger Proceß unter unabhängigen Häuptern ist, der alle übri­ gen Stände ungestöret läßt, und auf die Wissen, schasten weiter keinen Einfluß hat, als daß er neue Xenophons, neue polybe erwecket. Lieber will ich für Sie auch die leichtesten Spu,

an dm Litteratur - Briefen.

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rrn der unter uns noch wandelnden Musen auf, suchen, und ihnen bis in die glücklichern Reiche nachspüren, aus welchen sie, nicht längst, einen kürzern Weg zu uns gefunden zu haben scheinen. Die Umstände, unter welchen Sie diese Ar, beit von mir verlangen, machen sie mir zu ei, nem Vergnügen, auf welches ich stolz zu seyn Ursache habe. Kann sich derjenige weigern, Zhr« Schmerzen durch kleine Zerstreuungen zu lindern, der sie gern mit Ahnen getheilet hätte? rc.

Zweyter Brief. Ä)enigstens ist die Gelehrsamkeit, als ein Ge, werbe, unter uns noch in ganz leidlichem Gange. Die Meßverzeichniffe sind nicht viel kleiner geworden; und unsere Uebersetzer acbei, ten noch frisch von der Faust weg. Was haben sie nicht schon alles überseht, und was werden sie nicht noch übers-Heu! Cb n iht habe ich einen vor mir, der sich an einen englischen Dichter — rathen Sie einmal an A4

an dm Litteratur - Briefen.

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rrn der unter uns noch wandelnden Musen auf, suchen, und ihnen bis in die glücklichern Reiche nachspüren, aus welchen sie, nicht längst, einen kürzern Weg zu uns gefunden zu haben scheinen. Die Umstände, unter welchen Sie diese Ar, beit von mir verlangen, machen sie mir zu ei, nem Vergnügen, auf welches ich stolz zu seyn Ursache habe. Kann sich derjenige weigern, Zhr« Schmerzen durch kleine Zerstreuungen zu lindern, der sie gern mit Ahnen getheilet hätte? rc.

Zweyter Brief. Ä)enigstens ist die Gelehrsamkeit, als ein Ge, werbe, unter uns noch in ganz leidlichem Gange. Die Meßverzeichniffe sind nicht viel kleiner geworden; und unsere Uebersetzer acbei, ten noch frisch von der Faust weg. Was haben sie nicht schon alles überseht, und was werden sie nicht noch übers-Heu! Cb n iht habe ich einen vor mir, der sich an einen englischen Dichter — rathen Sie einmal an A4

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Lessings Antheil

welche«! — gemacht hat. O, S'e können je­ doch nicht errathen! — An Popen*). Und in Prosa hat ec ihn überseht. Einen Dichter, dessen großes, ich will nicht sagen größtes, Verdienst in dem war, was wir da« Mechanische in dec Poesie nennen; dessen ganz» Mühe dahin ging, den reichsten, triftigsten Sinn in die wenigsten, wohlklingendsten Wort» zu legen; dem der Reim keine Kleinigkeit war: — einen solchen Dichter in Prosa zu übersetzen, heißt ihn ärger entstellen, al« man den Eukli# des entstellen würde, wenn man ihn in Verse übersetzte. Es war auch ein bloßer Duchhindlerelnsall; wie der Ueberseher selbst gestehet. Und waö geht es diesen an, womit jener ihn Geld »er# dienen läßt, und selbst Geld zu verdienen den» ket? Freylich sollte so ein blindlings gefällige« Werkzeug eine bescheidenere Sprache führen, als unser Ueberseher des Pope führet. Er sollte nicht sagen:

*) Herrn A. Pope sämmtliche Werkere. Erster Band. Altona, i7$s. in »v».

an den Litteratur • Briefen.

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„Ich habe mir eingebildet, meinen Dichter völ, „lig iu verstehe», und mich darauf verlassen, daß „meine eigen« kleine Dichtergabe, so geringe sie „auch seyn mag1 , mir »u Hülfe kommen würde, dar „Verstandene so auezudrücke», daß der Schwung „und di« Deutlichkeit nicht zu viel verloren," — Denn je größer er sich selbst macht, best» unbarmherziger wird ihm der Leser sein thöricht tes Unternehmen aufmutzen, desto höhnischer wird er ihm jeden Fehler vorwerfen, der seinem Eigenlobe widerspricht. Z. E. Pope will die Nachahmung der Alten recht, fertigen. Man verlangt, sagt er, und erwar« tet von einem Dichter, baß er «tu gelehrter, und in den Werken der Alten belesener Mann (a Scholar) sey; und ist gleichwohl unwillig, wenn man findet, baß er wirklich so ein Mann ist. — Wa» meynen Sie wohl, daß aus dieser fei, nen Anmerkung unter der Feder des Uebersetzers geworden ist? Er hat Scholar, als ein wahrer Schüler, durch Schüler überseht und sagt: „In der That ist e- sehr unbillig, daß man „aus .uns Schüler haben will, und dennoch unwil« „lig wird, wenn man «ns als Schüler befindet." A S

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Lessngs Antheil

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Pope vergleicht den Virgil mit seinem Muster, dem Theokrit. Der Römer, sagt er. Übertrifft den Griechen an Rrgelmißlgkeit und Kürze, und Ist ihm In nichts nachzusehen, al« in der Einfalt de« eigenthümlichen Ausdrucke (simplicity ind proptiety of ßyle). Pope meynet, daß der Styl in den Dirgtltschen Eklogen uneigentlicher, verblümter sey, als in den Theokritischen; und der Dorwurf ist nicht ohne Grund. Allein wie ihn der Uebersetzer ausdrückt, ist er e« ginjlich. Er giebt nehmlich Proptiety durch Richtigkeit; und welcher Schriftsteller, selbst keinen von den Alten ausgenommen, ist dem Pirgtl in der Rich/ tigkeit des Style (Corretiness) vorzuztehen *)? Virgil, der sich den Theokrit zum Muster vorgestellt — sagt Pope, und der Uebersetzer: Virgil, der den Theokrit auoschreibt. Dieses find noch lange nicht alleFehler, aus der bloßen Vorrede und Abhandlung von der Schäferpoesie, aus den ersten und leichtksten, nehmlich prosaischen, Stücken des ersten Dan»

•) Abhandlung von der Schäferpoesie S. 7. der deutsch»« Uedersetzung.

SN den Litteratur • Briefen.

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des. Urtheilen Sie, wie es tiefer herein aus» sehen magl Was der Ueberseher zur Entschuldigung sei, ner ost undeutschen Wortfügungen anführt; wie er sich in dieser Entschuldigung verwirrt und sich unvermerkt selbst tadelt. Ist auf der i7ten Seite des Dorberichts lustig zu lesen. Er verlangt, baß man, lhn zu verstehen, die Kunst zu lesen besitze. Aber da dieseKunst so gemein nicht ist; so Hütte er die Kunst zu schreiben verstehen sol, len. Und wehe der armen Kunst zu lesen, wenn ihr vornehmstes Geschäft seyn muß, den wort, verstand deutlich zu machen! re. Dritter Brief. Wollen Sie

einen andern kennen lernen, des, sen guter Wille uns schon den zweyten englischen Dichter verdorben hat? — Verdorben klingt hart; aber halten sie immer dem Unwillen eine« getäuschten Lesers ein harte« Wort zu gute. Von des Herrn von palthen Ueberfehung der Tho.mfonfchrn Zahrszetten werden Zhnen

SN den Litteratur • Briefen.

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des. Urtheilen Sie, wie es tiefer herein aus» sehen magl Was der Ueberseher zur Entschuldigung sei, ner ost undeutschen Wortfügungen anführt; wie er sich in dieser Entschuldigung verwirrt und sich unvermerkt selbst tadelt. Ist auf der i7ten Seite des Dorberichts lustig zu lesen. Er verlangt, baß man, lhn zu verstehen, die Kunst zu lesen besitze. Aber da dieseKunst so gemein nicht ist; so Hütte er die Kunst zu schreiben verstehen sol, len. Und wehe der armen Kunst zu lesen, wenn ihr vornehmstes Geschäft seyn muß, den wort, verstand deutlich zu machen! re. Dritter Brief. Wollen Sie

einen andern kennen lernen, des, sen guter Wille uns schon den zweyten englischen Dichter verdorben hat? — Verdorben klingt hart; aber halten sie immer dem Unwillen eine« getäuschten Lesers ein harte« Wort zu gute. Von des Herrn von palthen Ueberfehung der Tho.mfonfchrn Zahrszetten werden Zhnen

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Lessings Antheil

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frühere Urtheile zu Gesichte gekommen sey». Nur «in Wort von seinen Fabeln des Gay"). Ein guter Fabeldichter ist Gay überhaupt nicht, wenn man seine Fabeln nehmlich nach den Regeln beurkhetiet, welche die Kunstrichter aus den besten Fabeln des Aesopu« abstrahiret haben. Bloß seine stark« Moral, seine feine Satire, seine übrigen poetischen Talente ma« chrn ihn, trotz jenen Regeln, zu einem guten Schriftsteller. Schade um so vielmehr, baß so manche seine Satire dem Uebersetzer unter der Arbeit verflogen istl Und es muß eine sehr eilfertige Arbeit gewesen seyn! Sehr oft hat er sich auch nicht die Zett genommen, die Worte seine« Sri, gtnals recht anzusehen. Wenn Gay in der Viten Fabel sagt: The Miser trembling lock’d bis ehest; (der Geitzhals verschloß zitternd seinen Rasten) so fleht er lockd* für look’d an, und übersetzt: der Geitzhals blickte zitternd auf seinen Rasten.

') Hamburg und reiprig, i?$t. in roo.

an den Litteratur > Briefen,

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Da« englische Cameleon rühmet sich, (Ute Fabel) e« habe eine« jeden Höfling« Lei, dtnschaft -u treffen gewußt: I knew to hit eich couttier’s pafiion.

Und da« deutsche sagt: ich vermied eines je, den Höflings Leidenschaft zu berühren. Diese« folglich ist kaum halb so geschickt al« je, nee. Verstehen etwa die deutschen Schmeichler ihr Handwerk weniger, al« dle Schmeichler rl, ner andern Nation? Gay beschreibt (in der xii. Fabel) ein um glückliche« Ehepaar. Er der Mann, sagt er, liebt da« Befehlen; und die Frau da« Wider, sprechen. Sich sklavisch zu unterwerfen, ist durchaus nicht ihre Sache. Sie will ihren Wil» len haben, oder will ihre Zufälle bekommen. — She ’ll have her will, or have her fits.

Der letzte Zug ist ungemein fein, und eine rich, tige Bemerkung. Sie werben krank, die lieben eigensinnigen Weiberchen, wenn man nicht thut was sie haben wollen. — Nun sehen Sie, wa« der Herr von paltheu daraus macht;

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Lessings Antheil

=$a>„Sie will entweder ihren Wille» habe», »der „auch umwechsrlnd die Herrschaft führen." — O dreymal Glücklicher, dessen Gattin sich mit dem lehtern begnügt! Lernen Sie nur noch aus einem einzigen Exempel, wie weit die Unverschämtheit der ge, lehrten Tagelöhner unter uns geht. Ein gewis­ ser e? derselben „Angewöhnung "

Ich weiß, baß Sie r« nicht ungern sehen «erden, wenn ich Ihnen den Anfang sebsiabschreibe. Er lautet so: Fahr pttiglich, pttiglich, halt ein mein wutir ge- G'müthe. Laß dich versicheren die kluge himmlische Güt», Daß du ui« sreselich ohngefehr fährst aufhvhea Sande, Uud schaffest ohne Bedacht dem Wisart ewige Schande. Dea« jageu tu hitziglich nach Ehr und ewigem Preise,

an den Litteratur«Briefen. >i ---

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Da- jaget ein ostermal tu sehr in spSttlich» Weise. Sintemal wir Reimenweiß underftan ein unge» pflegte» Dinge, Daß auch die Teutsche Sprach süßiglich nie Griechische springe re.

Er nennt sich unser deutscher Uebersetzer des Rabelais, Huldrich Ellopofcleros, und es ist höchstwahrscheinlich, daß Johann Fischart unter diesem Namen verborgen liegt. heißt stumm, und ist bei den griechischen Dich» lern das gewöhnliche Beywort der Fische, daher eö auch oft für sich allein einen Fisch bedeutet; und «Äo*erxA»^e»;»« da» Loos; so wie , n»v Noch natürlicher zwar würde man er von «axoiJz und rxXn^o< harr, herleiten können, daß es so viel hieße, al- Fischharr, insammengerogen, Fischarr.

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Lessings Antheil

und der deutsche Bienenkorb des Philipp von Marnix, von welchem letzter» man es gewiß weiß, daß ihn Fifchart überseht hat. Vor dem angeführten Eingänge läßt Fischart noch «ine Zueignung an die deutsche Nation vor, hergehen. Sie ist in Hexametern und Penta­ metern abgefaßt, bey welchen letztem dieses De, sondere ist, daß nlcht allein Pentameter mit Pentameter, sondern auch jedes Hemisttchton mit dem andern reimet. Zch bitte Sie, vornehmlich auf dl» letzten acht Zeilen aufmerksam zu seyn. Dapfere meine Deutschen, redlich vom Gemüt und Geblüt«, Nur ewerer Herrlichkeit ist dieses hie lubereit« Mei» Zuversicht jedrrieit ist, hilft mir göttliche Güte, Za preisen in Ewigkeit, ewere Großmütigkeit. Ihr seyd von Redlichkeit, von großer streitbarer Hande, Berümbt durch alle Laad, immerdar ohn Widerstand: So wer ti euch allesampt fürwar «in mächtige Schande, Wird »it das Vaterland in Künstlichkeit auch bekannt.

an -en Litteratur« Briefen. ..HVk

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Drumb dlrseldige sonderlich iu förderen eben: So hab ich mich unveriagt, auf jetziges gern gewagt. Und hoff solch Reymes Art wttd euch Ergötzlich, kett geben, Sintemal ein jeder fragt, nachNewerung die er sagt. O Harpffenweis Orpheus, jetzumal kompt wle« derumb Hoche Dein artige Reymenweiß 10 ihrigem ersten Preiß. Denn du ein Lracier von Geburt und teutscher Sprache, Der erst solch unterweist, frembde Völker allermeist, Dieselbige lange Zeit haben mit unsrerKünste, Allein sehr stell «glich, gepranget unbilliglfch; Jetzumal nun baß bericht, wollen wir den fälsch, lichen Dunste Ihn uemmen vom Angesicht, un-nemmenium Erbgedicht. Das heißt wahrhaftig ein fremdes Sylben, maß mit einer sehr artigen Empfehlung ein­ führen. Die Empfehlung des Herärro Ist lange

Lessings Antheil

---^-rVS-.—so sinnreich picht, wenn er zu seinem Helden s«gt: Lehrst du die Denlsche» del» Reich wie Romer verfechten. Darf ja der Deutsche« ibr Reim r-mischeu ähnlicher seyn.

Verschiedene Zahre nach Fischart hat Alt« sieb in seiner Encyklopädie wieder ein Muster von deutschen Hexametern gegeben, welche« ich lange Zelt für da« erste gehalten. Die erste Au«gabe der Encyklopädie ist von 1610 In Quart, und in dieser findet e« sich noch nicht, sondern erst In der nachherigen vollständigem Ausgabe in Folio. Von Altsteden aber bi« auf den Heräns habe ich de« deutschen Hexameter« nirgend« ge, dacht gesunden. Auch nicht einmal in den Lehr, büchern der Dichtkunst, wo doch Muster in an« dem lateinischen Shlbenmaßen, in demAleäi, scheu »um Exempel, vorkommen. — Dergleichen Kleinigkeiten ju wissen, ist deswegen gut, um bey gewissen Lesern dem Dorwurfe de» Neue, ruug vorzubauen.

an den Litteratur * Briefen. »i-r r

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............

79 ,

m. ©. Freund L. machte mir hier clht kleine Erinnerung: „Das ttmmt davon," sagte er, „wenn man dir „Gottschedischen Schriften nicht besser gelesen hat! „Schlagen Sie de- Herrn Gottscheds Sprachkunst „(S.sar)nach, so werden Sie finden, daß Lonrad „Deßoer noch vor Ihrem Fischart deutsche Hepa» „Meter gemacht hat, k." — Hierauf antworte ich, daß ich mich nicht überwinden kann, sechsfüßige Verse, die außer dem einzigen fünften Fuße aus lauter Spow däen bestehen, für wahre Hexameter- zu halten. Ein einziger solcher Der« ist zwar zur Noth eln Hexameter; aber lauter solche Verse sind keine. Neunzehnter Brief.

3ch komme auf unsern Messias zurück — und

elle, Ihnen zu entdecken, wodurch zufälliger Welse dlesk Recension de« Messia« bey welkem so unterrichtend nicht geworden ist, al« sie wohl hätte werden kinnen. Ihr Verfasser hat di« Originalausgabe birst« großen Gedicht« nicht gekannt, dle nun schon vor vlerZahren, tn der

an den Litteratur * Briefen. »i-r r

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m. ©. Freund L. machte mir hier clht kleine Erinnerung: „Das ttmmt davon," sagte er, „wenn man dir „Gottschedischen Schriften nicht besser gelesen hat! „Schlagen Sie de- Herrn Gottscheds Sprachkunst „(S.sar)nach, so werden Sie finden, daß Lonrad „Deßoer noch vor Ihrem Fischart deutsche Hepa» „Meter gemacht hat, k." — Hierauf antworte ich, daß ich mich nicht überwinden kann, sechsfüßige Verse, die außer dem einzigen fünften Fuße aus lauter Spow däen bestehen, für wahre Hexameter- zu halten. Ein einziger solcher Der« ist zwar zur Noth eln Hexameter; aber lauter solche Verse sind keine. Neunzehnter Brief.

3ch komme auf unsern Messias zurück — und

elle, Ihnen zu entdecken, wodurch zufälliger Welse dlesk Recension de« Messia« bey welkem so unterrichtend nicht geworden ist, al« sie wohl hätte werden kinnen. Ihr Verfasser hat di« Originalausgabe birst« großen Gedicht« nicht gekannt, dle nun schon vor vlerZahren, tn der

Lessings Antheil

go

G

-eacip- ***

-

Kintglichen Druckerey zu Kopenhagen*) per, Sie bestehet aus zwey präche

anstallet worden.

ttgen Bänden; aber die Pracht ist der geringste ihrer Vorzüge.

Der erste Band enthält eine

Abhandlung von der geistlichen Epopee und die ersten fünf Gesänge; der zweyte enthält die

fünf neuen Gesänge, und die schon erwähnte

Abhandlung von der Nachahmung der griechi» schen Sylbenmaße.

Zn beiden stnd die Gesänge

selbst an ungemein vielen Stellen verändert und verbessert worden. Veränderungen und Verbesserungen, die ein

Dichter,

wie Rlopstock,

in seinen Werken

macht', verdienen nicht allein angemerkt, som

dern mit allem Fleiße studiert zu werden.

Man

studiert in ihnen die feinsten Regeln der Kunst;

denn was die Meister der Kunst zu beobachten für gut befinden, das sind Regeln.

Erlauben

Sie mir, Zhnen noch eins und das andere da, von zu sagen. —

Welch einen lobenswürdtgen Fleiß hat der

Dichter auf die Sprache und den Wohlklang ver, •) 3m 3ahrr im, in groß Quart.

an den Litteratur • Briefen. _

***

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81 il.. ID

verwendet. Ans allen Seiten findet man Dey, spiele des bestimmtem Sylbenmaßeö, der reinem Wortfügung, und der Wahl des edleren Aue, drucks. Zn Ansehung der Wortfügung hat er unter andern eine Menge Participien, wo fie den Perioden zu schwerfällig, oder zu dunkel machten, aufgeliset *)• Gewisse Wörter hat der Dichter zu gemein befunden, und sie haben ausgesuchtern weichen müssen. Das Wort Be, Hausung, welcher der Dichter sonst sehr oft brauchte, hat überall seinen Abschied bekommen; und ich finde nur eine einzige Stelle, wo er stehen geblieben. Zch weiß zwar in Wahrheit nicht, was Herr Rlopstock wider dieser alte •) Ich habe geglaubt, die übrigen Beispiele, welche Lessing von den Veränderungen der damals neuen Kopenhagener Ausgabe bet Messias gab, um so viel mehr hier wrglafferr zu müssen, da in der neuesten Ausgabe vom Jahre 1710, die gewiß in de» Händen aller Leser ist, welche in unserer Litteratur nicht ganz fremd sind, abermals natürlich «och mehrere Veränderungen sich finden. N-

teffing# Scbr. xxvi. El.

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8r

Lessings Antheil ---^sh­

ehrliche Wort haben mag; er muß aber doch etwas dawider haben, und vielleicht entdecken Sie es. Andere Veränderungen betreffen Schönhei, ten des Detail. Dahin gehören besonders nicht wenige besser ausgemaite Beschreibungen. Noch hat der Dichter hier und da ganz neue Stellen eingeschaltet. Aber auch die Kunst auözustretchen verstehet Herr Rlopstock, und es sind manche Zeilen weggesaüen, die sich seine Bewunderer nimmermehr würden haben nehmen lassen, wenn er sie ihnen nicht selbst genommen hätte. Es sind meistentheils Zeilen, die ein wenig in das Tändelnde fielen. Und wären doch alle seine Verkürzungen von dieser Art! Doch so muß ich Ihnen leider sagen, daß dem Herrn Rlopstock, ich weiß nicht wel, cher Geist der Orthodoxie, oft anstatt der Kritik vorgeleuchtet hat. Aus frommen Bedenklich­ keiten hat er uns so manchen Ort verstümmelt, dessen sich ein jeder poetischer Leser gegen ihn an, nehmen muß. Was gehet es diesen an, baß einem Schwachgläubigen die wüthenden Entschließ»»,

an den Litteratur - Briefen.

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gen de« Adramelech«, zu Ende de« zweyten Gesanges, anstößig gewesen sind oder seyn kön­ nen ? Soll er sich deswegen die vortreffliche Stelle rauben lassen, wo dieser rasende Geist auch die Seele de« Messias zu tidlen sich vor« nimmt?

Und wen» der Ewige sie vor ander» Seele» erwählte, Wenn et! sie sich Itt verherrliche» schuf: st soll er »oll Jammer Um sie i» einsamer Ewigkeit klagen! Drey schreckliche Nächte Soll er um sie klagen! Wenner sich in«Dunkle verhüllt hat, Soll drey schreckliche Nächte kein Seraph sei» Angesicht sehen! Dann will ich durch die ganze Natur ein tiefe« Geheule Hören, rin tiefe« Geheule am dunkel» »erfin, fierten Throne, Und ein Gehe»! in der Seelen Gefild, ein 0ex heul in de« Sterne» D«,w» der Ewige wandelt, da« will ich höre» und Gott seyn! F a

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LessiagS Antheil

Und solcher Stellen haben mehrere welchen müssen, bk ich mit alle sorgfältig wieder tn mein Exemplar eingetragen habe. Unter an, der» ist der Charakter des Verrälhers durch die fromme Strenge des Dichters noch einmal so unbestimmt geworben, als er vorher war. Er war schon anfangs sehr schielend, und nun weiß man vollends nicht, was man daraus machen soll. Auch so gar alle die Wärter, die einen heidnischen Verstand haben können, die aber der Dichter, meinem Dedünken nach, sattsam geheiliget hatte, sind verwiesen worden; was vorher Schicksal hieß, heißt nun Vorsicht, und die Muse hat sich überall In eine Sänge, rinn Sions verwandelt. Die größte Verbesserung, wo das Genie des Dichters ohne Zweifel am wirksamsten ge» wesen, ist die, welche er mit derRede des Da, ters Im ersten Gesänge vorgenommen. Es ist der Anständigkeit gemäß, daß sich Gott so kurz als migllch ausdrückt; und jene Rede verstieß wider dir Regel viel »u fthr. Gleichwohl mußt« alles, was Gott da sagt, gesagt werden; und

an -m Litteratur. Briefen. .. ............... .

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der Dichter ist nunmehr also auf da« Mittel gr# fallen/ lhn selbst nur die ersten Zellen sagen, und da« übrige einen Seraph von dem Gesichte Gotte« lesen zu lassen. Ich bewundere diesen Einfall al« eine Veränderung, zu der lhn die Noth gebracht; an und für sich selbst aber hat er meinen Beyfall nicht.

Lin und dreyßigster Brief. ®le werden den Verdruß, den Ihnen der deutsche Theokrit *) gemacht hat, sobald nicht vergessen? — Auch nicht, wenn ich Ihnen eine bessere Uebrrsehung ankündigle ? Zwar nicht vom Theokrit; denn noch wird man sich hoffentlich eine Zeitlang vor einem Ufer scheuen, an rod# chem so schimpflich gescheitert worben. Aber F 3 •) Diblioth. der sch. SD. II. Bande«, ate« St. S. 366. Diese Recension ist von Lesilng, und die einzige, die er (außer ein Paar kurzen nicht bedeutenden Nachrichten) 10 dieser periodl# scheu Schrift lieferte. Ich werde sie auszog«# rvrise hiateu anhäagea. N.

an -m Litteratur. Briefen. .. ............... .

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der Dichter ist nunmehr also auf da« Mittel gr# fallen/ lhn selbst nur die ersten Zellen sagen, und da« übrige einen Seraph von dem Gesichte Gotte« lesen zu lassen. Ich bewundere diesen Einfall al« eine Veränderung, zu der lhn die Noth gebracht; an und für sich selbst aber hat er meinen Beyfall nicht.

Lin und dreyßigster Brief. ®le werden den Verdruß, den Ihnen der deutsche Theokrit *) gemacht hat, sobald nicht vergessen? — Auch nicht, wenn ich Ihnen eine bessere Uebrrsehung ankündigle ? Zwar nicht vom Theokrit; denn noch wird man sich hoffentlich eine Zeitlang vor einem Ufer scheuen, an rod# chem so schimpflich gescheitert worben. Aber F 3 •) Diblioth. der sch. SD. II. Bande«, ate« St. S. 366. Diese Recension ist von Lesilng, und die einzige, die er (außer ein Paar kurzen nicht bedeutenden Nachrichten) 10 dieser periodl# scheu Schrift lieferte. Ich werde sie auszog«# rvrise hiateu anhäagea. N.

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Lessing- Antheil

doch auch eine» dorischen Dichter». Und wa< rpeynten Sie zu einem deutschen pinhqr? Zch mache Zhnen keine vergebene Freude, pindar hat wirklich in der Schweiz einen jun, gen kühnen Geist erweckt/ der «n» mit den De, gelsterungen deü thebaischen Singer» bekannter machen will. Die Sache hat große Schwierig, selten; und e» ist unendlich leichter/ über den ganzen pjndgr einen gelehrten Kommentar zu schreiben/ al» eine einzige Ode schbn zu über« setzen. Doch drr junge Schweizer denkt mit seinem Dichter.: — — ’O ft$■< xiiSvles «mtXxn i

Bibliothek gefunden ward? Einem Gelehrten in Neapoll« ist «6 gelungen, eine von den grie, chischrn Handschriften derselben zu entwickeln, und da« Glück hat gewollt, daß r« die »*iyiuc des Alciphrons seyn müssen. Der Heer von Q.**, der sich itzt in Neapolis auf, hält, hat Gelegenheit gehabt, ein Stück dar, au« abzuschreiben, und hat es nach Deutschland geschickt. Hier ist es einem von unsern besten Dichtern In die Hände gefallen, der r« so vor, trefflich gefunden, daß er folgende Uedersehung davon gemacht. E« ist bas achtzehnte Eroto, paignion In der Hrdnung, und übekschrteben:

„Die Grazien. „Al« an einem FrühlingSabende sich die drey „Grazien neben einem Walde In acidalischrn „Quellen belustigten, verlor sich plötzlich Agla, „ja, die schönste der Grazien. Wie erschraken ,6k Töchter der Anmuth, als sie Aglajen ver, „mißten! Wie liefen sie durch die Bäume, und „suchten, und riefen! „Sv ängstlich bebt auf Manerhuser Saite» „Der lauste Silbertoo.

an den Litteratur. Briefen.

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„«glase! — rief der Silberttu; „Aglaia! — half der Nachhall sanft verbreit«». „Umsonst! Aglaia war entstoh». „Ach/ Pan schlich längst ihr nach! DerZrev, ler har fle schon!

„Ach, Acidalia! blick her von deinem Thron! „Soll sie nach langen Ewigkeiten, „Nur itzk nicht länger un» begleiten ? „3wev Grazien sind aller Welt zum «Kohn r „Und ach! die dritte hat er schon!

„So klagten fle. Umsonst l Aglaja war entfloh». „Nun schlichen sie an ben Büschen herum, unb „schlugen leise an die Blätter, unb flohen nach „jedem Schlage furchtsam zurück. „Senn stellte» fle sich gleich, he» Räuber anstuspäh», „So litterte» sie doch vor Furcht, ihn »nun seh». „Endlich kamen sie an »in Rosengebüsch, da« „meine Chloe versteckte — unb mich. Chloe „saß vor mir, ich hinter Chloen. „Itzt bog ich schlau an ihrem Hal« mich langsam über. „Und stahl ihr schnell ein Mäulchen ab;

Ff

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Lessings Antheil

„S6t bsg sie unvermerkt de« Hal- »u mir her» über, „Und jedes nahm den Kuß auf halbem Weg sich ab; „Dena jedes nahm und jede- gab. „In diesem Spiele überraschten uns dl« Gca> „zien, und sie lachten laut, da sie uns küssen „sahen, und hüpften fröhlich zu un- herbey. „Da ist Aglaja ! — riefen sie. Die Schalk, „haste! — Du küssest, da wir unruhig herum« „irren, und dich nicht finden können? — Und „itzt liefen sie mit meiner Chloe davon.

„Wa-t rief ich, lose Räuberinnen! „wie sollt« sie Aglaja sep»7 „Ihr irrt euch sehr, ibr Huldgöttiaaeak „Für Stassen ist da- nicht fein! „Gebt Chloen mir znrück l Detrogoe, sie ist mein! „Doch die Grazien hörten mich nicht, und lie, „fen mit meiner Chloe davon. Zornig wollte „ich ihnen Nacheilen, als plötzlich Aglaja hinter „einer Buche hervortrat, und mir winkte, und „freundlich lächelnd also zu mir sprach:

an den Litteratur» Briefen. ,

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//Warum willst du iu Chlors rtleu? //Beglückter Sterblicher/ Aglaja liebet dich. //Küß' itzt «tumal statt Chloe» mich; //Wünsch nicht dein Mädchen |u «reileu: //Ich/ eine Oittin, liebe dich. //Schüchtern sah ich die Huldgbttln an. //Auf ihn» Waage» sprach Entzücken, ,/Und Jugend und Gefühl aus de» verfchämte» Blicken. //Gefährliche Reihungen! — Aber mit dreister /Hand ergriff ich die HuldgSttin, führte ste zu „ihren Schwestern, und sprach: Hier istAgla« „ja, ihr Grazien — „0 Chlor, meine Lust, mein Glück! „Gebt meine Chloe mir turück l „Ist die« AglajeoS Mond und Blick? „Da nehmt die HuldgSttin zurück! Nun, was sagen Sie hierzu? O, Sie sind entzückt, — Welche allerliebste, kleine Erdich, tung! Nie hat ein Dichter sein Mädchen mehr erhoben! Nicht« kann feiner seyn! Nichts zärt, licher! 0 btt Griechen! die Griechen! — — Kommen Ste zurück aus ihrer Entzückungl ich habe Hie hintergangen. Der Gelehrte in

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Lessings Antheil

Neapolis hat nichts entwickelt; Alciphron hat keine geschrieben; was Sie ge< lesen, ist nicht aus dem Griechischen überseht; die Grazien sind ein ursprüngliche« Werk eine« Deutschen. Streichen Sie die Manethuser Saiten, gleich zuAnfange, nurweg, undsehen Lremoneser Satten dafür; denn so sagt der Dichter, und ich mußte diese geringe Spur de« Modernen vor Ihren Augen verbergen.

Aber, höre ich Sie fragen, warum sollte ich denn nun hintergangen werben ? Darum! Würde ich Ihre Neugier wohl rege gemacht har ben, wenn ich Ihnen gerade zu geschrieben hätte: Zn Leipzig sind vor kurzem vier kleine Dogen heraus gekommen, unter der Aufschrift, Tan, deleyen?------- Ländeleyen? Würden Sie gerufen haben. Warum thun wir Deutschen doch das so gern, wozu wir am wenigsten auf­ gelegt sind? — Vergebens hätte ich hinzu ge, seht: aber cö sind artige Tändeieyen; Stewer, den den Verfasser auf einem ganz eigenen Pfade finden; sie sind eines Greffet würdig! Sie

an den Litteratur-Briefen.

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hätten mir aus« höchste geglaubt, und — eS ba, bey bewenden lassen. Aber nun biete ich Ihnen Trotz , e« dabey bewenden zu lassen. Denn ich muß Zhnennur sagen, daß alle«, wa« die vier Dogen enthal­ ten, in dem nehmlichen Geschmacke und fast von gleichem Werthe ist. Sie werden fit ganz lesen; lassen Sie doch sehen, ob unsere Urtheile zusammen treff, n. - Nach den obigen Grazien, hat Amors Triumph, und der Geschmack eines Russe« meinen vorzüglichen Beyfall. Nächst diesen haben mich die Rriegslist de« Amors, an den Maler, die en Monaten! Ein kühner glücklicher Einfall! Aber kennt denn die Natur, möchte ich ihn fragen, diese Ein, thrtiung in Monate? Zst ein Monat von dem andern eben so unterschieden, al« eine Zahr«, zelt von der andern ? Welche Bilder, welche Scenen kommen nur diesem und keinem andern Monate zu? Und wenn eben dieselben Bilder und Scenen mehr al« einem Monate zukommen können, wa« für einen zureichenden Gmnd hat der Serlbent, sie un« lieber in diesem, al« in einem andern zu zeigen?

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Lessings Antheil

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— FF» ■lyfp.-»*»—

Zch tadle hier eben bas, was Pope bereits an den Eklogen des Spenser getadelt hae. Auch Spenser hatte einem jeden Monate eine be, sondere Ekloge gewidmet; und was sagt Pope dazu? „Diese ängstliche Cintheilung feiner Gchäsere „gedichte in Monate, hat ihn gerwunge«, die „nehmliche Beschreibung entweder in drey Mona» „teo nach einander, mit veränderten Worte«, r« „wiederholen, ober, wenn sie da-erste Mal sch«« „erschöpft war, gänrlich wegtulassen: woher «„drna kommt, daß einige von seinen Eklogen, (al„rum Exempel die sechste, achte und rehnte) sich „durch nicht- als ihre Titel unterscheide». Und „wie kann «- ander- seyn, da'da-Jahr von der „Mannigfaltigkeit nicht ist, daß e-, so wie «ine „jede Jahr-zeit, also auch «inen jeden Monat, „mit einer ihm eigenen Beschreibung versorge» „könnte')? — *) Yet the scrupulous division ofhis Pastorais into months has obliged him either to repeat the ferne defcription , in other words, for three months together; orwhcn itwas exhausted before, entirely to omit it: whence it tomes to pass, that fome of bis Eclogues (es

au den Litteratur »Briefen,

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Wenn Herr Dusch, wie man sagt, auch der ljtberseher von Popens sämmtlichen Werkt« ist, so muß es un< so viel mehrbefrem, den, daß er sich dieser Anmerkung seines Hel, den nicht erinnern wollen. Wenn er es gethan hätte, so würde es in seinen Schilderungen viel, leicht nicht von so virlenGegenständen, bis zum Ekel, mueati, mutandis, heißen r — Noch blüht die schine Rose nicht! — Nun blüht dieschSne Rose! — Nun hat die schine Rose geblüht!

Doch welche Bedenklichkeit kann Herr Dusch haben, sich selbst auszuschreiben! er, der An, dere mit der allerunglaublichsten Freyheit aus, schreibt? Zch wenigstens kann seine Schilde, rungen für nichts anders, al« einen beständigen Cento aus Pope, Thomson, Hervey, 3?oung, H f the sixth, eighth and tenth for examplc) have nothing but their eitles to diftinguish thetn. The reason is evident, becaufe the year hat not that variety in it to furnish every month wich a patticular defcriptlon, as it may every feafon.

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Lessings Antheil ' „.—MA—qpj»

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Rleist, Haller und zwanzig Andern halten. Und glauben Sie ja nicht, daß er dies, MLn, ner nur da ausschreibt, wo er sie in den Noten «nführt. Ich kenne leicht keinen Scttbrnten, der listiger anzuziehen weiß. Er bekennet mit der scheinbarsten Offenherzigkeit nicht selten ganz entkernte Nachahmungen, um die aller, plumpsten Entwendungen damit zu maektren. Zch kann ihn zehnmal aufschlagen, und ich werde siebenmal mehr eine alte Leclure zu wie« derholen, als etwa« Neues zu lesen glauben. Aber ich will mich bey solchen allgemeinen Erinnerungen nicht länger aufhalten. — Zch komme auf die Theile selbst, von welchen Sie nähere Nachricht haben wollen. Von demzwey, ten, welcher die Sommermonate enthält, will Ich wenig oder gar nichts sagen. Zch lief ihn gleich bey seiner Neuheit durch, und habe, was ich damals dabey dachte, wieder vergeffen. Zch komme also zum dritten Theile. Und dieser dritte Theil hat eine merkwürdige Vor, rede. Herr Dusch hat die Erinnerungen, die in der Bibliothek der schönen Wlffenschasten

an den Litteratur» Briefen,

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gegen seinen ersten Theil gemacht worden, ge, gründet gefunden, und sich entschlossen, ihnen genug zu thun. — Wie schwer muß ihm diese Verleugnung seiner selbst geworben seyn! Er dauert mich' — E« ist wahr, seine Schreibart ist nun nicht mehr so geschmückt; seine Prose stolpert nicht mehr so hexametrisch einher: und doch ist sein Duch darum um nichts besser ge, worden. Noch immer ist die Tautologie seine liebste Figur. Ein pathetischere« Nicht« wirb man sef* ten auf den Kanzeln hören, al« man bey ihm fast auf allen Seiten findet. Z. E. „wie widersprechend ist die Thorheit, welche „sich einmal vorgeseyr hak, einen Irrthum „;u behaupten. In was für Widersprüche „versinkt sie nicht! (6. agi)

Wie schwatzhaft ist ein Dusch, welcher sich einmal vorgesetzt hat, viel zu schreiben. Znwa« für Geschwitze versinkt er nicht! — Und so gut gerathen ihm seine Tavtologien auch nicht ein» mal allezeit. Sie werden sehr oft zu Ungereimt» Helten, die ganz etwa« .andere sagen, al« er

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Lessings Antheil ■KiLK

hat sagen wollen. Z. E. Die zärtliche Ap», strophe an seine Doris aus dem November: „MS beyde, »Doris, wird der Tod dahin füh„ren, wo unsere Väter seit der Sündfluth schla­ ffe». Wir werde» nicht gegen dieses allgemeine „Gesetz der Sterblichkeit murren, nicht zittern, „unsern Lod zu sehen. Aber wollte der Himmel „uns einen Wunsch gewähren, so sollte kein Aug« „den Verlust des andern beweinen.' Eine Stunde „sollte unser Leben schließen; zugleich sollte in „einem Seufzer unser Athem entfliehen. (S. $41.) Nun ja doch, ja; wir merken e« wohl, daß von dem lieben Paare keines das andere über­ leben will. Aber sagen dessen ungeachtet die Worte: so sollte kein Auge den Verlust des andern beweinen, nicht ganz etwas ander«? Ihnen zu Folge wünschet Herr Dusch, daß keines von ihnen einäugig werden möge; nicht aber, daß keines das andere überleben möge. Denn nur alsdann, wenn man das Unglück hat einäugig zu werden, beweinet ein Auge den Verlust des andern. Und auch vor die, fern Unglück bewahre ihn der Himmel! Denn eine einäugige Doris, und ein einäugiger Lieb-

an den Litteratur>Briefen. t ■ - -.....

12$ ,

Haber sind freylich ein trauriger Anblick. D« sonders wenn ein witziger Freund auch picht einmal sagen könnte: — Puer, lumcn quod habes concede puellae! Sic tu cecus Amor, sic erit illa Venus.

Zn ähnliche Ungereimtheiten fällt Herr Dusch auch ost, wenn er Bilder und Umstände ohne alle Wahl häuft. Z. E. „Der Landman» weiß der Kälte Arbeit entge# „gen ,u setzen, und wider Willen de« Winter» „Schweiß au« seiner Stirne |U treiben. Unter fei# „neu starken Hieben sinkt die tausendjährige Eiche, „unter der Gewalt seiner abgehärteten Hände ter# „reißt der Pstug die starre Erdscholle, und unter „seiner Sichel fallen die Aehren der Felder.^ cS. 66.) Vortrefflich! Nun wissen wir doch, wenn der Landmann sein Korn hauet. Zm Winter, um sich eine erwärmende Bewegung zu machen.— Zwar das hat nun Herr Dusch gewiß nicht sagen wollen, sondern seine Feder, die einmal aufgezogen war, hat e» wider seinen Willen hingeschrieben. Denn so viel mag er wohl-von

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Lessings Antheil

brr Natur verstehen, daß er ungefähr weiß, in welchen Monat die Ernbte fällt. — Mehr aber? — Was erwehr davon weiß, da« mag er sicherlich nur halb wissen.

Wollen Sie einen Beweis? — Wie billig! — Herr Dusch will im Anfänge seines Octobers eine Beschreibung von der herbstlichen Nacht» gleiche, ^Jquinoctium autumnale, geben, UNd falt: „Jtzo wieget die Wage Tag und Nacht iaglei, „cheu Schale», und der Stand der Sonne theilet „den Erdkrei« in Licht und Finsterniß (S-n-.)

Die erste Hälfte dieser Beschreibung ist schön, denn sie ist nach einerZeile des Virgils gemacht, die Herr Dusch selbst ansührt: Libra die fomnique pares ubi fecetit horas &c.

Allein wa« sagen Sie zu der andern Hälfte: und der Stand der Sonne theilet den Erd, kreis in Licht und Finsterniß? Der Scrt, denk muß träumen. Geschieht es denn nur bey der Nachtgleiche, daß die Sonne durch ihren Stand den Lrdkreis in Licht und Finsterniß thei,

an den Litteratur • Briefen.

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(et? Zch denke, es geschiehet immer; die Sonne Mag stehen wo sie will. Denn immer ist die «ine Hälfte der Erdkugel von ihr erleuchtet, und die andere nicht; und sie theilet sie also immer in Licht und Finsterniß. Da« ist unwiberfprech, ltch. Aber nun will ich Zhnen auch zeigen, wir er zu diesem albernen Zusahe gekommen ist. Der gleich darauf folgende Vers bey dem Vlr, gil, den Herr Dusch nicht anführt, heißt: Et medium luci atque umbris jam dividet ordern')

Und diese Zeile hüt er offenbar durch sein : der Stand der Sonne theilet den Erdkreis in Licht und Finsterniß, übersehenwollen. Wenn er ste aber doch erst hätte verstehen lernen! Orbis heißt hier gar nicht der Erdkreis; sondern so viel als orbita, die tägliche Laufbahn der Sonne um die Erbe. Und wenn diese zur Hälfte in Licht und Finsterniß grthetlet ist; wenn die Sonne eben so lange über unserm Ho» rlzonte verweilet als unter demselben: alsdann haben wir nothwendig Nachtgleiche. Virgil» Beschreibung ist also sehr richtig, da be-Herm *) Georg, lib. L v. 309.

128

Lessings Antheil

Dusch« seine sehr abgeschmackt ist. E« ent« schuldiget ihn nicht, daß orbis sehr oft so vtel heißt al« mundus, mundi orbis ; r« heißt eben so oft rin bloßer Kreis, und er hitkt wissen sol, len, welche Bedeutung sich hier schickt. Hier nimmt e« der Römer eben so, wie er e« an ei­ ner andern Stelle nimmt, wo er sagt'): Jam rapidus torrens fitientes Sirius lndos | Ardebat ccelo, & mtdium sei igneus orbtnt Hauferat.

Str hatte die Hiiste ihrer Dahn erreicht; t« war Mittag. Zch weiß zwar, daß auchRuäu« medium ordern durch medium mundum auslegt; allein ich weiß auch, baß die prosaische Paraphrasi« diese« Jesuiten erbärmlich ist, und daß man den Virgil au« ihr sehr schlecht verstehen lernt. —

Fortsetzung des ein und vierzigsten Briefes. hatte in der Bibliothek dem Herrn «Dusch unter andern auch gerathen, feine Ge­ mälde •) Georg. Nb. IV. < 425.

an den Litteratur»Briefen. 129 milde öfter mit FIcttonen zu unterbrechen. Und sehen Sie; auch diesen Rath hat der gut# herzige Scrtbenl angenommen! Er hat mrh« rere, er hat größere eingestreuet; und erver, sichert, es würde ihm angenehm seyn, wenn sie gefallen könnten.

Lassen Sie mich, Wunders halber, eine ganz flüchtig durchgehen l Ich wähle den Traum dazu, der am Ende de» Oktobers steht. Prägen Sie Sich es ja wohl ein, baß es ein Traum lst l — Herr Dusch also entschlief und träumte. „Ein unumgränzte« lachendes Thal, In einer „kaum sichtbaren Ferne, mit blauen Gebirgen „und Wildern umgeben," war der Schauplatz, worauf er sich auf einmal Im Traum befand.— Bemerken Sie doch sogleich diese» uniim# gränzte Thal, In einer kaum sichtbaren Ferne mit Bergen umgränzt. — Hier also ist er; und wann wird er au» diesem unumgränzten Thale wieder heraus kommen? Lassen Sie Sich die Zeit nicht lang werden. eekstn-r eT~W*

Leffingö Antheil " ■'

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Sieben Zeilen weiter „verfolgt er bereits „durch eine Kette von Hügeln den Fußsteig, der „ihn endlich an die schönste Ebene bringt."— Willkommen! Aber was machte der Träumer erst in dem unumgränzten Thale? Warum be, fand er sich nicht gleich in dieser Ebene? Hätte er den sauren Weg durch eine Kette von Hügeln nicht sich und dem Leser ersparen können? — Und was entdeckt er in der.Ebene? Er entdeckt in der Ferne „ein majestätisches Gebäude, das in Erstaunen und „Ehrfurcht setz». Der Mond erhellte einige Seite» „und Mauern, die sich mir im hellen Lichte entgegen „kehrten; andere verbargen sich in tiefen Finster, „nisten. Unermeßliche Schatte» fiele» auf die untim* „grämte Fläche, und malte» mit schwarre» Finster, „Nissen die Gestalt de» Tempels in erstaunlicher „Größe aufdaS Feld. Mei« Blick übermaß die Länge „derSchatten nicht, die auf derFläche lagen, und „die Zinnen des Gebäudes fchieue» an die Wolke» „iu rage». Das game Gebäude ruhte auf korin, „thifchen Säule». Alle Theile desselben waren i» „der vollkommenste» Symmetrie »nfammen gefügt; „und ihre Verbindung war f» genau und richtig,

an den Litteratur • Briefen.

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»daß fein Auge entdecken sonnte, wo der eine

„Theil aufhörte, oder der andere anfing. Kein „nöthige- Glied wurde hier vermißt, und fein „Iierath war überfiüßig. Eine bewundern-würr

„digr Einfalt herrschte in dem Ganzen, und die „Majestät de- sühnen und regelmäßigen' Gebäu»

„des setzte in Erstaunen. — Das nenn' ich eine Beschreibung! Zch führe

sie deswegen ganz an,

um Ihnen zu zeigen,

welch ein vortrefflicher Baumeister Herr Dusch ist.

Ein große« unermeßliche« Gebäude, da­

durch seine Majestät In Erstaunen und Ehrfurcht

setzt, dessen Zinnen an die Wolken ragen, dakeinen einzigen überflüßigen Zierakh hat,

in

dessen Ganzem eine bewundernswürdige Einfalt herrschr; nach welcher Ordnung würden Sie so

ein Gebäude aufführen ? Geben Sie wohl Acht,

und lernen Sie wa«! Herr Dusch führt e« nach dec korinthischen Ordnung auf. „Da- ganze Gebäude ruhete auf korinthischen „Säulen.

ES ist um ein aufgeschnapptes Kunstwort eine schöne Sache! Und noch eine schönere, um die

3 r

Lessings Antheil

edle Dreistigkeit, ein solches Kunstwort auf gut Glück zu brauchen! — Aber, damit ich weiter komme! etn ffienius begegnet dem Träumer, und sagt ihm, daß die­ ses große Gebäude der Lempel der Natur ist. Er erbietet sich ihm zum Führer, und nach verschiedenen vorläufigen Erinnerungen, treten sie mit einander In einen ungeheuren Vorhof der Tempels, wo sie eine Menge von bejahrten Männern nachsinnend, oder mit einander In Unterredung begriffen, erblicken: allein der Kleidung der alten Nationen, deren Weltwelse und Naturforscher es sind. Nun sängt der Ge« nius sein Collegium an:

„Jener Schwarm in verschiedene» Trachte», „deren Stirne» ein hohe» Alter mit greifen Haa» „ren bestreuet hat, find die Weltweisen barbarü „scher Völker. Du fiehst, sie gehe» in kleine» „Haufen zusammen, und unterreden fich zum Theil „ganz leise, zum Theil durch Räthsel. — Ihre „Lehre war nicht würdig auf die Nachwelt zu kom„men. — Nur wenig ist davon mit Gewißheit für „die Nachwelt überblieben. —

an den Litteratur»Briefen.

133

Hier besinnt sich der wachende Herr Dusch, seinem Genius mit ein paar Citationen auSzuhelfen. Er setzt in einer Note hinzu: „Man muß die Nachrichten von diese» (den „Weltweisen der barbarische» Dilker) aus ver„schiedenen Schriften, al- Bourner» Archäolog, „philos. in der Amsterdanimer Ausgabe seiner „Theorie der Erde; Reimmann» Einleitung in „die Geschichte der Gelehrsamkeit, und ander» „zusammen suche». Vortrefflich! Man muß sie auS denen zusammen suchen, die sie zusammen gesucht haben. Und wer IstBournst? Wenn hat «lnDournet Archzologias philosophicas geschrieben? Ein Durnet, weiß ich wohl; und was braucht Herr Dusch den ehrlichen Schotten In einen Franzosen zu verwandeln? „Ein bessererHaufe, fährt der Genius fort, „ist der, den du dort in griechischer Kleidung „siehst." Und hierauf fängt der erleuchtete Geniuö an. In dem wahren Tone eines frühzeitigen AdjunctS der philosophischen Facultät, so viel falsches, so viel nur halb wahres, so viel un­ verdautes Zeug von den verschiedenen griechi,

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759- IuLuart, an drey Slphabeth.

Lessings Antheil

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jener rlnjeln Begebenheit, auf die unser Der, faffer einen vorzüglichen Fleiß gewendet hat, unterhieite. Es wirr der nächste Weg, Sie zu» gleich selbst von seinem Vortrage, und von der sorgfältigen Art in seinen Untersuchungen zu Werke zu gehen, urtheilen zu lassen. — Und kenne ich nicht auch Ihren Geschmack? Kühne Unternehmungen; sonderbare Unglücksfälle, die «tuen großen Mann treffen re. — O, ich müßte mich sehr Irren, oder Sie ha, den Sich, al« Sie nun auf die Portugiesische Historie kamen, bey der Geschichte des Unglück, lichen Königs Sebastian am längsten, am liebsten verweilet. — Der junge Sebastian, wie Sie Sich erinnern werden, brannte vor Begierde, sich mit den Ungläubigen In Africa zu versuchen. Er ließ sich nicht lange bitten, dem vertriebenen Kinige von Marocco, Mu, ley Mahomet, in eigener Person beyzu, springen. Er ging mit einem ansehnlichen Heere, so sehr es ihm auch seine Freunde, so sehr es ihm auch der eben am Himmel drohende Comet zu widerrathen schienen, am Johannis,

an den Litteratur • Briefen.

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tage 157» unter Segel; sehte das Heer bey Arzilla ans Land, und ging auf l'Arache los. Auf diesem Wege kam es ln der Ebene von Ale cassarquivir mit dem feindlichen Heere des Muiey Molucro, jur Schlacht. Sebastian und feine Portugiesen erlitten die schrecklichste Niederlage, und er selbst — blieb. So ging wenigsten« die gemeine Rede. Aberwie, wenn er da nicht geblieben wäre? Wie, wenn ein weit empfindlichere« Schicksal auf ihn gewartet hätte? — Sie erinnern Sich doch noch auch, daß nach und nach vier pseudo« Sebastiane ausstanden, al« Spanien bereit« da« Königreich Portugall an sich gerissen hatte? Die ersten drey waren offenbare Betrüger, und erhielten ihren verdienten Lohn. „Der vierte hingegen, welcher im Zahr „1598 in Venedig zum Vorscheine kam," sagt unser Seribent, „wußte sein Thun so scheinbarzu „machen, daß e« wohl zweifelhaft bleiben wird, „ob er nlcht der wahre Sebastian gewesen').— *) Seite 19. de« zweyte» Theil«, kann man die Erzählung uachschlagr». n.

Leasings Antheil

Unser Verfasser stellet «Ine umständliche Um tersuchung darüber an, welche ein Meisterstück tn ihrer Art ist. Es kämmt hierbry, sagt er, auf zwey Fragen an r „ob der Tod deS König- Sebastian berge» „-alt in der Gewißheit beruhe, daß man keine „Ursache habt, daran weiter tu zweifeln r und „wenn dies« erste Frag« sollte nicht können bejahrt „werden, ob jedoch der vierte Sebastian unter „diejenigen billig gezählt «erde, welche unter „einem falschen Namen in der Welt «ine große „Rolle spielen wollen, oder ob auch die- im Zwei» „sel beruhe."

Kann man das erste mit Zuverlässigkeit er, weisen, ist Sebastian bey Alcassar gewiß ge, blieben, so ist das zweyte zugleich entschieden. Aber, leider, kann man jenes nicht, und aus allen Zeugnissen erhellet weiter nicht», als daß man den König eine Wunde In den Kopf bekonie men und von seinem Pferde Hera- sinken sehen. Die Leiche, die man für die königliche, den Tag nach der Schlacht, aufgehoben, ist viel zu zersetzt und verunstaltet gewesen, al» daß sie

an -en Litteratur» Briefen.

153

hin« kennbar seyn können. Und haben fle gleich Verschiedene von des König« Leuten, besonder« ein Sebastian«» Refendiuo, in Gegenwart des Muley Hämet wirklich dafür erkannt, so läßt sich doch mltuuserm Gebauer sehr wohl darauf antworten:

„€« war wohl nicht« natürlicher, al« dieser „Beyfall. Wer Hütte in de« barbarischen König« „Gegenwart mit dem Aesendio darüber wolle« „einen Streit anfangrn, da nachdenkliche Statt „leicht begreifen konnten, daß e« dem Könige, „wenn er sollte der Gefahr «ot-ohro, »der auch „unter den übrigen geringern Sefaageoeo aaaoch „verborge« seyn, allemal intrüglicher sey, daß „man ans Mohrischrr Seit« feinen Lod glaube, ,,al« da- ihm nachgesrtzt, ober sooft weiter nach» „gespÜhrer werde." — E« ist auch nicht ru leugnen, daß sogleich «in Ruf entstanden r der von der Wahlstatt auf, gehobene Körper sey nicht der wahre Körper de« Sebastiano, sondern dexKörper eine« Schwei» zer«. Die Mährchen übrigen«, welche,, nach dem Ferrera» und Thuanuo, die Drrmu» trffUig« vchr. xxvi. EO.

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Lessings Anth eil -Tft*

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Lessings Antheil

die sein Großvater geliebt hatte« zu hassen. Ein großer Verstand; ein in brr Familie vom Vater auf den Sohn geerbtes Sprüchelchen so zu erweitern! Dazu hat er es auch noch »er» fälscht. Denn das ist zwar wahr, daß sein Vater Ludewig xin. einfältig genug war, sich sowohl vor allem, als vor nichts zu fürchten; gleichwohl aber waren unter seiner Regierung die Hugenotten nichts weniger als gefährlich, und sie spielten die große Rolle bey weitem nicht mehr, dir sie unter dem dritten Heinrich ge, spielt hatten, von welchem sein Nachfolger mit Recht sagen konnte, daß er sie fürchten müssen.— Und wa« hindert, daß auch Johann V. diese Rede des großen Heinrichs nicht sollte gelesen haben?

Drey und fünfzigster Brief. lief das sehr ansehnliche Verzetchniß der Schriften durch, die Herr Gebauer alle bey seinem Werke gebraucht oder angezogen hat; und vermißte von ungefähr eine Kleinigkeit, von

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Lessings Antheil

die sein Großvater geliebt hatte« zu hassen. Ein großer Verstand; ein in brr Familie vom Vater auf den Sohn geerbtes Sprüchelchen so zu erweitern! Dazu hat er es auch noch »er» fälscht. Denn das ist zwar wahr, daß sein Vater Ludewig xin. einfältig genug war, sich sowohl vor allem, als vor nichts zu fürchten; gleichwohl aber waren unter seiner Regierung die Hugenotten nichts weniger als gefährlich, und sie spielten die große Rolle bey weitem nicht mehr, dir sie unter dem dritten Heinrich ge, spielt hatten, von welchem sein Nachfolger mit Recht sagen konnte, daß er sie fürchten müssen.— Und wa« hindert, daß auch Johann V. diese Rede des großen Heinrichs nicht sollte gelesen haben?

Drey und fünfzigster Brief. lief das sehr ansehnliche Verzetchniß der Schriften durch, die Herr Gebauer alle bey seinem Werke gebraucht oder angezogen hat; und vermißte von ungefähr eine Kleinigkeit, von

an den Litteratur. Briefen.

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welcher ich gleichwohl gewünscht hätte, daß sie ihm bekannt geworden wäre. — Sie wissen, welche Unruhen in Portugal auf die Nachricht von dem Tode des Sebastians folgten. Der Cardinal Heinrich «ar zu alt, war zu blödsinnig, und regierte zu kurze Zeit, als daß er das Königreich bey seinem Tode nicht tu der äußersten Verwirrung hätte lassen sollen. Unter denen, welche Ansprüche auf den erledig, ten Thron machten, war Don Antonio einer der vornehmsten, und wie Sie Sich erinnern werden, der einzige, weicher sich der Usurpation des Königs von Spanien auf eine thätliche Weise widersetzte. Diesen Herrn hat unser Historicus nun zwar nicht unter die Zahl der wirklichen Könige von Portugal gerechnet, wie es wohl die französischen und englischen Geschichtschreiber zu thun pflegen; er scheinet aber doch alles sorgfältig genug gesammelt zu haben, um uns auch diesen Durchlauchtigen Unglücklichen so kennen zu lehren, als er von der unpartheyischen Nachwelt gekannt zu wer, den verdienet. —

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Lessings Antheil Ml

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Nun hat des Don Antonio Leben unter an, bern auch die Frau (Eillot de Sainctonge beschrieben; und diese kleine Lebensbeschreibung ist es, von welcher ich mich wundere, daß sie dem Herrn Gebauer entwischen können. Der Amsterdammer Nachdruck, den ich davon vor mir habe, ist 1696 an« Licht getreten, und da« Pariser Original kann, vermuthe ich, nicht viel älter seyn. — Zch kenne diese Verfasserin sonst au« einigen mittelmäßigen Gedichten, und würde eine historische Geburt von ihr schwer, lich eine« Anblick« gewürdiget haben, wenn sie sich nicht, gleich auf dem Titel derselben, einer besondern Quelle und eine« Währmanne« rühmte, der alle Achwng verdienet. Sie ver, sichert nehmlich, sich der Memoires de« Go, rnes Vaftoncellos de Ligueredo bedienet zu haben *). Von diesem Manne ist r« bekannt, baß er und sein Bruder die allergetreusten An, •) Hittoire de Dom Antoine Roy de Portugal; tiree des Mimoires de Dom Gomes Vascon* Cellos de Figueredo par Mad. de Sainctsngc.

In Duobri.

an den Litteratur»Briefen,

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Hänger des Don Antonio gewesen sind. Den lehtern erkennet Herr Gebauer selbst dafür» Nur Wichte er vielleicht fragen: aber wie körn, men diese Memoirrs in, dl» Hände der von Sainttonge? Sie wäre nicht die erste Nouvele leaschretberin, die sich dergleichen geheimer Nach» richten fälschlich gerühmt hätte. Zch selbst würd, der bloßen Versicherung einer schreibsüchtigen Franjisin hierin wenig trauen; aber überlegen Sie diesen Umstand: eben der Gomes Vaseon, cellosdeLigueredo, auf welchen sich die Lrau, von Sainctonge beruft, war lhr Großvater. Warum soll man einer Enkelin nicht glauben, wenn sie gewisse Handschriften von ihrem Groß, vater geerbt ju haben vorgirbt? Und wenn da», was sie daraus mittheilet, an und für sich selbst nlcht unglaublich ist, noch mit andern unyrr, dLchtigen Zeugnissen streitet: was kann rin Historicus wider sie rtnwenden? Erlauben Sie mir also, Zbnen in diesem Briefe Verschiedenes daraus auSjiehen jo dürfen, was diese und jene Stelle bey unserm Gebauer berichtigen odrr tn ein grbßeres Licht setzen kaun. kchsta-S Vchr. xxvi, kh. O

Lejstngs Antheil

Vorher aber ein Wort von der Partheylich, Frau von Sainctonge. Die eheliche Geburt de« Don Antonio ist bey ihr außer Zweifel. Zhr zu Folge hatte fein Vater, der Herzog Ludewig von Beza, e« ausdrücklich in seinem Testamente bekannt, baß die Mutter de« Antonio ihm wirklich, obgleich heimlich, angetraut gkwesen sey. (S. 8 r.) Gleichwohl sagt ste an einem andern Orte, daß sich Auto, nio selbst, bis zu seiner Zurückkunft ausAfrica, bloß für einen natürlichen Sohn des Herzogs Ludwig gehalttn habe. (S. r6.) Wenn die, fes feine Richtigkeit hat, so kann jenes nicht wahr seyn. Herzog Ludwig starb tsfs, und die Zurückkunft des Antonio füllt in das Zahr 1568. Sollte Antonio ganzer dreyzehn Zahre von dem Testamente feines Vaters nichts erfahr ren haben? Kurz, dieser Umstand ist falsch. Ludwig fetzte den Autonio zwar zu seinem völligen Erben ein; aber diese Einsetzung bewel, set für seine eheliche Geburt so viel al« nicht«. Wirr In dem Testamente ihrer gedacht gewesen, so würde man keinen weitern Dewei« gefordert

ketr her

an Len Litteratur. Briefen,

an

Haien, den die Freunde de» Antonio doch hernach umständlich führen mußten. — Wae meine Geschtchtlchreiberin von dem Tode de» Cardinal» Heinrich sagt, beweiset ihre unbe, dachtsame Partheylichkeit noch mehr. Der Car, dinal starb In seinem 6zsten Zahre, und sie sagt selbst: il etoit vieox et use, c’cn devoit etre astez pour faire juger qu'il n’iroit pos loin. Warum läßt sie es also nicht dabey? Warum läßt sie une, außer dem Alter und der Krankheit, noch «ine andere Ursache seines Tode» argwohnen? Doch was argwohnen? Sie sagt mit trockenen Wor, ten: GUielques Historien« difent que Philippe trouva le leeret de l’empcchcr de languir. (S. gi. 31.) Philippus erbarmte sich des kranken Heinrichs, und ließ ihn aus der Welt schaffen. Wenn sie doch nur einen von den Geschtchtschrei, bern genennt hätte, die diese» sagen! Herr Gebauer wenigsten» führt keinen an, dem diese grausame Deschulbigung eingekommen wäre; und ich sorge, die Fr. von Sainctonge wird die unselige Urheberin delfelben bleiben. O 1

212

Lessings Antheil

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So etwa« macht ihr nun zwar keine Ehre ; doch muß sie auch darum nicht lauter Unwahr, Helten geschrieben haben. Da«, worin man ihr am sichersten trauen kann, sind obne Zwei, fei die Nachrichten, die sie une von dem Dru, der ihre« Großvater« giebt, und die Herr Ge, bauer bey folgender Stelle sehr wohl würde haben brauchen können. „Ja den Azorischen Jasela, sonderlich auf ,,Tercera, hatt» sich rinRufau-gebreitrt, König „Sebastian sey nicht erschlagen, sondern entkom, „men, und werde sich bald seinen treuen Untertha» „nra wieder «eigen. Al« hieraus Anronius de« „König« Heinrich Tod und seine Erbebung denen „aufTercera wissen ließ, waren sie dessen wohl „zufrieden r und ob sie gleich durch ihr« Abgrord« „oetea de« Anronii Niederlage bey Alcantara und „Flucht erfuhren, blieben sie doch in der Treue „gegen ihren angeborneu König befföndig, «umal „da Cyprian von Figueredo, (in ftandhaster „Diener von dem unglückseligen Anronio, sie bey „diesen Gedanken erhielt, und Perruo valde» „mit seinen Spaniern in einer kaudoag unglücklich „war — ') Seite 4.f. de« «wepten Bande«.

an den Litteratur« Briefen.

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Here Gebauer ist hier, wider feine @t# wohnhrlt, sehr conci«, und führet auch, wrl» che« er sehr selten zu thun pflegt, ganj und gar keinen Währmann an. Er würde aber ohne Zweifel die Fr. von Sainctonge hier an, geführt Haden, wenn er sie gekannt hätte. Wenigsten« würde er ihr in dem Vornamen de« Figueredo gefolget seyn, welche« eben der ob« gedachte Bruder ihre« Großvater« war. Denn diese Kleinigkeit hat fit, aller Wahrscheinlichkeit nach, richtiger wissen müssen, al« alle andere Skribenten. Sie nennet ihn Scipio Vascom cellos de Ligueredo; und nicht Cyprian. Er war, sagt sie'), Gouverneur auf Tercera, und frättt sich für den Antonio erklärt, ohne im geringsten auf die Vorschläge, die ihm der König von Spanien durch den Prinzen von Eboly, Ruy Lome, thun ließ, hören zu wollen. Philipp II. brauchte also gegen ihn Ernst, und bemächtigte sich für- erste aller Gü« ter, die er In Portugal hatte. Die Expedition aber, die er hierauf dem Petrus Valve» wider 0 r

') s. «0. uod;.

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Lessings Antheil

ihn auftrug, war nicht die rinjige, welche Figuereds durch seinen standhaften Muth fruchtlos machte. Valdes, oder wie ihn dl« Frau von Sainctonges ohne Zweifel nicht so richtig nennet, Balde, war ein von sich selbst so eingenommener Mann, daß er glaubte, der Sieg könne ihm gar nicht fehlen. Er konnte sich nicht rtnbtlden, baß man einen Augenblick gegen ihn bestehen könne, und behauptete doch, als es zur That kam, die Ehre seiner Nation sehr schlecht. Er ward gänzlich geschlagen, und kam, mit Schande und Verwirrung überhäuft, nach Portugal zurück. Philippus ließ ihn noch dazu in Verhaft nehmen, weil er Ihm zur Last legte, daß er sich ohne seinen Befehl ins Treffen eingelassen habe; und Paldes bedurfte der kräftigsten Borsprache aller seiner Freunde, um der ihm drohenden Gefahr zu entkommen.— Das Zahr darauf wurde ein zweyter Versuch auf Terror» unternommen, welcher noch um glücklicher abltef. Herr Gebauer scheinet von diesem gar nichts zu wissen; die Frau von Sainctonge aber erzählet Folgendes davon:

an den Litteratur« Driesen.

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Der Gouverneur (Ligueredo) habe sowenig Soldaten übrig gehabt, daß ei« minder uner, schrockener Mann als er, eher an «ine Vortheil« hafte Capitulation, als an die Vertheidigung würde gedacht haben. Seinen Muth aber habe nichts erschüttern können; und er sey auf eine List gefallen, die von sehr guter Wirkung gewe, sen. Er habe nehmlich eine große Anzahl Ochsen aus dem Gebirge kommen, und sie an dem Tage der Schlacht, mit brennenden Lunten auf ihren Hörnern, mitten unter dem kleinen Ha«, fen seiner Truppen forttretben lassen. Die Spanier, die einen sehr schwachen Feind vor sich zu finden geglaubt hätten, wären durch den Schein betrogen worden: sie hätten mit einer überlegenen Macht zu thun zu haben vermeynt, und daher mit so weniger Ordnung gestritten, daß auch eine gemeine Tapferkeit zureichend ge, wesen seyn würde, sie zu überwinden. DaS Metzeln sey erschrecklich gewesen; von allen spa­ nischen Soldaten wären nur zwey entkommen, die sich in ein paar hohle Weiden verkrochen ge, habt. Dies« zwey hätten loosen müssen, und O 4

Lessings Anthtll

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der, den da« glückliche Loo« getroffen/ habe die Nachricht von dieser schrecklichen Niederlage nach Portugal überbringen müssen. (S.75.76.) So glücklich nun aber Aigueredo in Ter, stehen *)? Doch anstatt diese verkleinernde Parallele weiter auszuführen, w landen Sie mit lieber, Ahnen noch den Schluß des Letbnihtschen Briefes vorzulegen.

’) Seitdem die kritischen Werke eine- Michae« lie, Griesbach, Eichhorn u. a erschienen And, ist den deutschen Gotte-gelehrten dieser Dorwurf nicht mehr zu machen. N. MlinflO Schr. xxvi, rb. S

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LefsingS Antheil

„Ich tarnt überhaupt "mit denjenigen gar nicht „zufrieden sey«, di« alle Hochachtung gegen da« „Alterthum ablegen, und von dem Plato und „Aristoteles nicht ander« al« von rin Paar elende» „Sophisten reden. Hatte» sie diese vortreffliche» „Manner aufmerksam gelesen, so würden sie ganz „ander« von ihnen urtheile». Denn die metgphy„fische und moralische Lehre deSplaro, welche die „wenigsten au« ihrer Quelle schöpfen, ist wahr und „heilig, und das, wa« er von den Ideen und „ewigen Wahrheiten sagt, verdienet Bewunderung. „Die Logik, Rhetorik und Politik de« Aristoteles „hingegen, können im gemeine» Leben von sehr „großem Nutzen seyn, wenn fieflch in einem gute» „Kopfe, der die Welt und ihre Händel kennet, „finden- So gar kann man ihm nicht genug da„für danken, daß er in seiner Physik de» wahre» „Begriff de« Stetigen gegen die scheinbaren Irr, „thümer der Platonjker gerettet hat. Und wer „endlich den Archimedes und Apollonius ver, „stehet, der wird die Erfindungen der allergrößte» „Neuern sparsamer bewundern.

Gewiß die Kritik auf dieser Seite betrach, tet, und da« Studium der Alten bi« zu dieser

«n den Litteratur• Briefen. +■1 IlliTill

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III

275 _ii.jg

Bekanntschaft getrieben, ist keine Pedanterey, sondern vielmehr das Mittel, wodurchLeibnitz der geworden ist, der er war, und der einzige Weg, durch welchen sich ein fleißiger und den, kender Mann ihm nähern kann. — Aber rvel, chen lustigen Conrrast machet mit dieser wahren Schätzung der Kritik und alten Schriftsteller, die Denkungsart dieses und jenes grundgelehr, tenWortforscherS, von welchem sich in ebendie, ser Sammlung Briese finden. E. Gisbert Lupers. Dieser Mann war unstreitig einer von den größten Amiquariis, der aber die An, tiquitäten einzig und allein um der Antiquitäten willen studierte. Er hält sich stark darüber aufr Saeculis fuperioribus plerosque eruditorum magis ftilo operam dediffe, quam riribus, nwribus, aliisque praeclaris rebus, quae veterum libriscon*

tinentur, illuftrandis. Und damit Sie ja nicht

etwa denken, daß er unter fctefen praeclaris rebus vielleicht auch die philosophischen Mrynungen der Alten verstehe, so k|eti Sie folgende Stelle duö einem andern seiner Briese: Re£le facis» quod edere constitueris Jamblichi Protrepticon, S r

r/6

Lessings Antheil

nam illius nec Graeca valent nec Latina. Ego olim illud percucurri, fed eidem inherere non poreram, quia me magis oblectabant antiqui ritus, veteris aevi rcliquiae & hiftoria; nec capiebar admodum tricis philosuphicis &c.

Unterdessen ist doch in dm Driesen dieseLupers, deren uns eine ansehnliche Folge an den vonAlmeloveen und an I.A. Fabricius mitgethetlet wird, viel Nützliches und nicht fei, ten auch Angenehmes. So macht er uhter an, dem die Anmerkung, daß dl? Wahrheit bey den Alten zwar als eine allegorische Person ein, geführet, und von einigen die Tochter des Iu, piters, von andern die Tochter des Saturnus oder der Zelt, von andern dte Stugamme deApollo genennt werde, daß sie aber doch alkeine Göttin von ihnen verehret worden, daß sie weder Tempel noch Altäre gehabt habe. Vos, (ine, sagt er, in seinem Werke de Idololatria habe zwar angemerkt, daß Anaxagoras zwey Altäre, den einen dem Verstände, uno dm andern der Wahrheit, gesetzt habe. Allein Vossius habe sich htergetrret, weil diese Altäre

an den Litteratur • Briefen.

577

nicht Anaxagoras gesetzt hübe, sondern sie dem Anaxagoras gesetzt worden, welcher durch die Aufschri ten derselben N* und selbst bezeichnet worden, indem, wie anderweitig be­ kannt sey, Anaxagoras wirklich den Beynamen Nhs geführct habe. ( Wenn Sie Rühns Aus­ gabe des Aelianus nachsehen wollen, so werden Sie finden, daß Luper den Vosstus hier nur zur Hälfte verbessert hat. Denn Rühn zeigt deut­ lich, daß Aelian nicht von zwey Altären, son­ dern nur von einem einzigen rede, welcher nach einigen die Aufschrift N« und nach Andern die Aufschrift geführt habe.) Die Betrachtung endlich, die (super über diese von den Heiden unterlassene göttliche Verehrung der Wahrheit anst ller, macht seiner Frömmig­ keit mehr Ehre, als seiner Scharfsinnigkeit: Quodli jam admifeere veilem hifee profanis rebus sanctae nostrae religionis ebristianae mysteria; an non inde conclüdere possemus, Deum veritatem genuinam suis, & primo quidem Judaeis, inde Christianis, & praecipue veris, folis revelasse; genciles eum male quaeüvisse in indagaS 3

»78 Dl.!.

Lessings Antheil n II_

-*** -- ----------------------------- 1

tione rerum n«utalium, & ita Deum volmffe, ut nec fummam hanc virtutem uti aliquod Nu« men colerent &c. Ich würde auf eine Natür,

liche Ursache gefallen seyn. Wenn die Alten die Wahrheit al» keine Göttin verehret haben, so kam es ohne Zweifel daher, weil der abstrakte Begriff der Wahrheit nur in den Köpfen ihrer Weltweisen existirte, und ihre Weltweisen die Leute nicht waren, die gern vergötterten, und die Menge der Altäre vermehrten. Wollen Sie, daß ich Sie noch ein andermal mit verschiedenen artigen Kleinigkeiten und litt terartschen Anekdoten au« dieser Sammlung von Briefen unterhalten fett, so erwarte ich nur einen Wink.

Ein und achtzigster Brief. Der Verfasser der scherzhaften Lieder, deren größter Theil Ihnen wegen seiner naiven Wendungen und feinen Sprache, so viel Ver, gnügen gemacht hat. Und von welchen bereit« eine zweyte verbesserte Auflage erschienen ist.

»78 Dl.!.

Lessings Antheil n II_

-*** -- ----------------------------- 1

tione rerum n«utalium, & ita Deum volmffe, ut nec fummam hanc virtutem uti aliquod Nu« men colerent &c. Ich würde auf eine Natür,

liche Ursache gefallen seyn. Wenn die Alten die Wahrheit al» keine Göttin verehret haben, so kam es ohne Zweifel daher, weil der abstrakte Begriff der Wahrheit nur in den Köpfen ihrer Weltweisen existirte, und ihre Weltweisen die Leute nicht waren, die gern vergötterten, und die Menge der Altäre vermehrten. Wollen Sie, daß ich Sie noch ein andermal mit verschiedenen artigen Kleinigkeiten und litt terartschen Anekdoten au« dieser Sammlung von Briefen unterhalten fett, so erwarte ich nur einen Wink.

Ein und achtzigster Brief. Der Verfasser der scherzhaften Lieder, deren größter Theil Ihnen wegen seiner naiven Wendungen und feinen Sprache, so viel Ver, gnügen gemacht hat. Und von welchen bereit« eine zweyte verbesserte Auflage erschienen ist.

an den Litteratur • Briefen.

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hat sich aufs neue in einer andern , und Häher ten Sphäre gezeigt. Zn der tragischen'). Und mit Ehren. „Was ? — wird ohne Zweifel auch hier der kritische Freund des Herrn Dusch auffahren — „Was? Ein Witzling, der den Geist der „anakreontischen Gedichte besitzet, sollte auch den „Geist der Tragidie besitzen? Der eine erschüt# „tert das Herz: Schrecken und Thränen stehen „ihm zu Gebote; der andere erregt ein kurzes „Vergnügen über einen unerwarteten Einfall; „und wenn er uns ermuntert hat, und wenn wir „lachen, so hat er alle Ehre, die er hoffen kann.— „Man sollte glauben," fährt dieser tiefsinnige Kunstrichter fort, „daß diese beyden s.hr ver# „schiedenen Eigenschaften sich nicht wohl mit ein# „ander vertragen könnten. Zch wenigstens").— Ja, Er wenigstens! •*- Er, der Freund des Herrn Dusch! — Er wird es solchergestalt S 4

') Beytrag;um deutsche» Theater- Leipzig, 175-. '*) S. Dusch vermischte Schriften S. 46.

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Lessings Antheil

glelch e priori wissen, daß die Trauerspiele um serS scherzhaften Liederdichter« nicht« taugen.— Wollen Sie e« bey dieser philosophischen Natl« »itLtstellung bewenden lassen? Oder wünschten Sie lieber, mit ihren eigenen Augen zu sehen« und nach Zhren eigenen Empfindungen zu schließen? — Zch weiß schon, was Sie thutz werden: und dieser Brief mag Sie darauf vorberetten. Zn dem Borberichte klaget Herr weiße denn warum sollte ich Bedenken tragen, Zhnen den Mann zu nennen, der Ihnen gefallen hat, «nd den Sie nun bald hoch schätzen wer, den? — über den Mangel an deutschen Trauer« spielen. Daß e« den Deutschen an tragischem Genie fehlen sollte, kann er sich nicht überreden.

»Aber ei» unglückliches Schicksal, sagt er, hat »bisher über die deutsche Schaubühne gewaltet. »Einige dieser Lieblinge der Muse» sind in der »Morgenröthe ihres Witzes verblühet, und habe» »uns durch ihre ersten Früchte gezeigt, was für »eine angenehme Hoffnung wir mit ihnen verloren »haben." —

an -en Litteratur« Briefen.

281

Dieses muß Sie an die Herren von Crw negk und von Vrawe erinnern, von welchen beyden ohne Zweifel der letztere das größere tro< zische Genie «ar. Er hat noch ein Trauerspiel In Versen völlig ausgearbeitet hinterlassen, und Freunde, die es gelesen haben, versichern mich, daß er darin mehr geleistet, als er selbst durch seinen Freygeist zu versprechen geschienen. — „Andre," fahret Herr w. fort, „lassen, fvir „wissen nicht, aus was für unglücklichen Ursachen, „die Jahre des Genies vorbey fliehe»; ste fchmei« „cheln uns mit Hoffnung, und lasse» sie uncrfül« „let, bis ste die Geschäfte des Lebens überhäufe», „oder ste stch in andere Sorgen «ertheilen " — Ich kann nicht sagen, wer diese Andere find. Sind eö aber wirklich tragische Genies, so verspreche ich mir von ihrer Verzögerung mehr Gutes als Schlimmes. Die Jahre der Jugend sind die Jahre nicht, von weichen wir tragische Meisterstücke erwarten dürfen. Alles was auch der beste Kopf in dieser Gattung, un# ter dem dreyßigsten Jahre, leisten kann, sind Versuche. Je mehr man versucht, je mehr

S f

282

Lessings Antheil

verdirbt man sich oft. Man fange nicht eher an zu arbeiten, als bis man seiner Sache zum größten Theile gewiß ist! Und wenn kann man diese« seyn? Wenn man die Natur, wenn man die Alten genugsam studiert hat. Da« aber sind lange Lehrjahre! Gnug, daß dieZahre der Melsterschafk dafür auch desto länger dauern. Sophokles schrieb Trauerspiele bis in die acht« zigsten Jahre. Und wie gut ist eö einem Tra> gicus, wenn er das wilde Feuer, die jugend­ liche Fertigkeit verloren hat, die so oft Genie heißen, und es so selten sind. „Noch Ander«, heißt «S weiter, fehlt e-«n „Aufmunterung; sie habe« niemals eine gut« „Schauspielergesellschaft gesehen, und kenne« die „dramatische Dichtkunst bloß aus dem Aristoreles ,Md Hedelin. — Da« ist ohne Zweifel ein Hauptpunkt! Wir haben kein Theater. Wir haben keine Schau­ spieler. Mr haben keine Zuhörer. — Hören Sir, was ein neuer französischer Schriftsteller ") vondiesem Punkte der Aufmunterung sagt: •) Diderot in den Unterredungen über seine« natürlichen Sohn.

an den Litteratur • Briefen,

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/,Ciq«»tlich fu «de», sagt er, giebt e« ganj „und gar keine öffentlichen Schauspiele mehr. Was „find unsere Versammlungen in dem Schauplatz^ „auch an den allerzahlreichsten Tagen, gegen die; „Versammlungen des Volks ru Athen und zu Rom r „Die alten Bühnen konnten an die achtzig tausend „Bürger eiunehmen. Die Bühne desScauru» „war mit drey hundert und sechzig Säulen, «ad „mit drey tausend Statuen gerieret. Wie viel „Gewalt aber eine große Menge von Zuschauern „habe, das kann man überhaupt aus dem Eine „drucke, den die Menschen auf einander machen, „und aus der Mittheilung der Leidenschaften abe „nehmen, die man bey Rebellionen wahrninrmt, „Ja der, dessen Empfindungen, durch die große „Anzahl derjenigen, welche daran Theil nehme», „nicht höher steigen, muß irgend ern heimliche„Laster haben: e- findet sich in fernem Charakter „etwas Einsiedlerische-, das mir nicht gefällt. „Kann nun ein großer Zulauf von Menschen die „Rührung der Zuschauer so sehr vermehren; wel­ schen Einfluß muß er nicht auf bie Verfasser und „auf die Schauspieler haben ? Welcher Unterschied, s,zwischen heut oder morgen einmal, ein Paar

»84

Lessings Antheil

„6tun6en, einige hundert Personen, an einem „finstern Otte tu unterhalten; und die Aufwerk, „semkeit eine- ganten Volke» an. seinen feyerlich, „#en tage« tu beschäftigen, im Besitz seiner präch, „tigsten Gebäude tu seyn, und diese Gebäude mit „einer «ntählbaren Menge umringt und erfüllt „tu sehen, deren Vergnügen oder Langeweile von „unfern Talenten abhangen soll? —

So redet «in Franzose! Und welcher Sprung von dem Franzosen auf den Deutschen! Der Franzose hat doch wenigsten» noch eine Bühne; da der Deutsche kaum Buden hat. Die Bühne de» Franzosen ist doch wenigsten» da» Vergnü, -en esner ganzen großen Hauptstadt; da in den Hauptstädten de» Deutschen die Bude der Spott de» Pöbels ist. Der Franzose kann sich doch wenigsten» rühmen, ost seinen Monarchen, einen ganzen prächtigen Hof, die größten und würdigsten Männer de»Reich», die feinste Welt zu.unterhalten; da der Deutsche sehr zufrieden seyn muß, wenn ihm ein paar Dutzend ehrliche Privatleute, die sich schüchtern mach der Bude geschlichen, zuhiren wollen.

an den Litteratur»Briefen.

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Doch lassen Sie un "

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295 *

Dein großer Endtweck wär, und daß man da» Geschick Der Staate» Albion», der Herrschaft schwere Bürde, De» Weisesten de» Reich» indeß vertraue» würdet Mein so bald ersah, daß Geitz nach eigner Macht, Stolt, blinde Rachbegier de» Anschlag au»# gedacht, Daß man nicht für da« Glück de« beste» Printei» so gke, Und tu der Missethat frech seinen Name» borgte, Daß man de» König nicht der Freyheit überließ, Durch Barbar» gleiche Wuth ihn in den Ker» ker stieß. Wo man vielleicht noch jetzt den Unglückselge» quälet. Wen» unaussprechlich Leid ihn nicht bereit« ent# fielet — Isabella (die ihrem Sohne dm Degen von der Seite reißen will.)

Verwegner! Rasender! entgehe meiner Wuth— EduardKühl in de» Liebling« Arm dein aufgebrachtes Blut! re.

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Lessings Antheil

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Hundert und zweyter Brief. Der zweyte Theil des Gordischen Aufsehers

ist noch nicht hier. Sie müssen Sich gedulden.— Aber hätte ich Ihnen doch nie etwa« von die, sem Werke geschrieben! Ich hätte eö voraus«

sehen sollen, wofür man meine Freymüthigkett aufnehmen würde.

Und es ist keine unbekannte

Stimme mehr, die aus der finstern Höhe befiel« ben auf mich herabdonnert. Es ist die Stimm»

eines Professors, eines berühmten Professors,

der von der Grammatik an bis auf die Phtlo, sophle, seine Lehrbücher geschrieben hat.

Hier ist der Titel dieses Ungewitters:

Ver«

gleichung der Lehren und Schreibart des Nordischen Aufsehers, und besonders des Herrn Hofprediger Lramers, mit den merk«

würdigen Beschuldigungen gegen diese!«

ben, in den Briefen, die neueste Litteratur betreffend, aufrichtig angestellt von Io,

Hann Basedow, Prof, der Rönigl. Dan.

Ritterakad. *).

Nun?

werden Sie sagen;

•) SorZe, i7z

Wirkung. Seine Großmulh will mit Fingerw gewiesen seyn. Sind es gar die Finger einet Freunde», o so wird sie vollends lächerlich! re.

Hundert und dritter Brief. Auch niest in der geringsten Kleinigkeit will

mich Herr Basedow Recht haben lassen. Lie, 6er stellt er sich unwissender als ein Kind, »er# wirret die bekanntesten Dinge, und verfälscht auf die hämischste Art meine Worte, die ich mit vielem Bedachte gewählt hatte. Ich habe grjweifelt, ob man dem Herrn Lramer ein poetisches Genie jugestehen könne. Zch habe aber mit Vergnügen bekannt, daß er der vortrefflichste Verstficateur ist. Zch nehme beyde Ausdrücke so, wie sie die feinsten Kunst» richker der Engländer und Franjosen nehmen. „Ein poetisches Genie, sagt.einer von den „ersten'), den ich eben vor mir liegen habe," ist so außerordentlich selten, that no country in the fucceflion of many ege* hu produced above •) Der Verfasser de» Essay» on theWriting» and Genius of Pope. S, m.

an den Litteratur-Briefen,

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Wirkung. Seine Großmulh will mit Fingerw gewiesen seyn. Sind es gar die Finger einet Freunde», o so wird sie vollends lächerlich! re.

Hundert und dritter Brief. Auch niest in der geringsten Kleinigkeit will

mich Herr Basedow Recht haben lassen. Lie, 6er stellt er sich unwissender als ein Kind, »er# wirret die bekanntesten Dinge, und verfälscht auf die hämischste Art meine Worte, die ich mit vielem Bedachte gewählt hatte. Ich habe grjweifelt, ob man dem Herrn Lramer ein poetisches Genie jugestehen könne. Zch habe aber mit Vergnügen bekannt, daß er der vortrefflichste Verstficateur ist. Zch nehme beyde Ausdrücke so, wie sie die feinsten Kunst» richker der Engländer und Franjosen nehmen. „Ein poetisches Genie, sagt.einer von den „ersten'), den ich eben vor mir liegen habe," ist so außerordentlich selten, that no country in the fucceflion of many ege* hu produced above •) Der Verfasser de» Essay» on theWriting» and Genius of Pope. S, m.

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Lessings Antheil

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three er sour perfons that deferve the title. The man of rhymtt may be easily found; but the ge­ nuine poet, of a lively plastic Imagination, the ttuejWdJker or Creator, isso uncommon a prodigy, that one is almost tempt to subseribe to the epinion of Sir William Temple, where he seyst „That of all the numbers of mankind, that „live within the compafs of a thoufand years, „for one man that is born capable of making a „great poet, there may be a thoufaud born ca„pable of making as great gcnerals, or minifters „of state, as the most renowned in story.“

Und ich habe ein Detbrechen begangen, baß ich gezweifelt habe, ob der Herr Hosprediqer ein solcher außerordentlicher Mensch ist? Wenn ec es rolre: er würde ganz sicherlich ein schiech, ter Hosprediger seyn. Eben dieser Engländer erkennet unter seinen Landsleuten eigentlich nur drey Männer für Poeten, den Spenser, den Shakelpear, 'den Milton. Eben derselbe

spricht Popen den Namen eines Poeten schlech, terdings ab. Popen spricht er ihn ab, der unter so vielen vottrefflichen Werken, auch eine 0de auf

an den Litteratur • Briefen.

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ans die Musik gemacht hat, die wenigsten« nicht schlechter ist, al« die beste Lramersche Ode. Und wozu macht er dafür Popen? Eben dazu, wozu ich Cramern mache: zu dem vortrefflich, strn Bersificateur. Und ich habe Cramern ge, schmäht, baß ich ihn mit Popen aufEine Dank setze? Zst denn eln Dersificateur nicht« al« rln Metmer? Kann man der vortrefflichste Ver, stficatenr seyn, ohne ein Mann von vielem Witze, von vielem Verstände, von vielem Ge, schmacke zu seyn? Diderot, der neueste, und unter den neuen unstreitig der beste, französische Kunstr>cht«r, verbindet keinen geringern Begriff Mit dem Namen eine« Verstficateurs. Quelle difference entre leVcrsificateur& lePoete! Cepen* dant ne croyn pat gut je miprise le premier: seit talent eft rare: mais si vous faires du Vcrfificateur un Apollon, le Poete fera pour inoi un Hcrcule, & vous n’en lerer pas un Apollon. Appuycz un Apollon für une massue; jener für les epaules la peau du Kon de Nemie, & vous n’en lerer pas un Hercule. Diese« seltene Talent gebe

ich dem Herrn Cramer, und gebe es ihm in tffflne« Cd)t- xxvi. ry.

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Lessing« Antheil

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dm höchsten Grade: und doch Haie Ich ihn fit« schmäht, doch habe ich ihn aus eine ungezogene Art geschmäht? Sind seine Schmeichler nicht die unverschämtesten, die unwissendsten, die un­ ter der Sonne seyn können? Wenn sie noch nicht gelernt haben, wie sehr und worin der Poet von demDersificateur unterschieden ist: so mögen sie es doch nur erst lernen, ehe sie einen ehrlichen Mann, der es zu begreifen gesucht hat, und sich diesem Begriffe gemäß ausdrückt, dar­ über chicaniren. Wäre das nicht billig? Oder suchen sie es erst aus unsern Briefen zu lernen? Zeder von uns wird ihnen sagen: ist» KOKOS K MWätTTtTÄl. Und der aufrichtige Herr Basedow! Mit aller seiner Aufrichtigkeit ist er ein offenbarer FalsariuS. Zch habe, wenn Sie meine alten Briefe nachsehen wollen, Cramern den vor# trefflichsten Versificateur genannt; und Here Basedow macht seinen Lesern weis, ich hätte ihn nur einen guten Verstficateur genanntund läßt (S. 9) diese beyden Worte mit "Schwabacher drucken, al« ob es meine eigryen

an dm Litteratur»Briefen.

307

Worte tolrett. welch eine schamlose Drei/ stigkeit! mich seines eigenen Ausdrucks zu be, bienen. 3(t denn ein guter, mit welchem Deyworte man oft eine kalte Zronie verbin, bet, eben da«, was der vortrefflichste ist, mit welchem Deyworte stch leicht nichts Zwey, heutiges, nichts Ironisches verbinden lägt? — Ich sage ferner r Cramer besitzt die betret, denswürdigste Leichtigkeit zu reimen r und Basedow läßt mich ihm nur eine beneidungs, würdige beylegen» Ich brauche nicht gern einen Superiativum ohne Ursache. Und' wo ich ihn brauche, will ich, daß mir ihn mein Gegner lasse, wenn ich an seiner Aufrichtig, kelt, mit der er so pralet, nicht sehr zwei, fein soll. Aber wie elend führt er, auch nach dieser Verfälschung, die Sache seine« Freundes. Hb, rtn Sie doch nur.

„Das poetische Genie be- Herrn HospredkgerS, „und besonders zu erhabenen und zugleich I»br» „reichen Oden, ist zu bekannt, al« daß der Jour, „naiist mit Grande hätte hoffen können, Beyfall U r

zog

Lessings Antheil

„iu finden, da er ei ihm despotisch absprach, vnb „nichts als die Vollkommenheit eines Derflfica« „tenrs lassen wollte. —

Es ist »u bekannt? Was Ist denn zu bekannt? Daß in den Cramerschen Oden (weil es doch mit aller Gewalt Oben heißen sollen) sich Ge, nie zeigt? Das habe ich nie gelLugnet. Aber Genie eines DersificateurS, und nicht Genie ek nes Poeten. Dieses spreche lch ihm ab; nicht jenes. Oder ich müßte glauben, daß man der Vortrefflichste in feinet Art seyn kinne, ohne Genie zn haben. — Hören Sie doch den gu« ten Basedow noch weiter:

„Ob desselben drey Oden, im ersten Theile des „Nordischen Aufsehers, Anlaß gebe«, ein solche« „Urtheil iu fällen, werden die Leser aus folgenden „Strophen sehen. — Au« einzeln Strophen will Herr Basedow beweisen, daß Cramer ein poetische« Genie habe? Und wenn diese Strophen auch die voll» kommensten von der Welt wären; so könnten sie da« nicht beweisen. Hier sind sie.

an den Litteratur. Briefen. -T



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Aus der «Ode über die Geburt Christi. Erk wird er niebetfnftn und streite» Der Löw au» Juda. Ewigkeiten Doll Ehre stad der Preis de« Sieg«! Er leidet. Sott uu« tu verssthnrn; Sann werde» ihm die Völker diene». Wir find die Bente seine# Krieg«. Nun werden wir wieder deuHimmel bewohnen» Uns, wen» wir nnr fimpfen, erwarten auch Kronen! Wie herrlich ist der Sieger Lohn! 0 kämpfet, 0 kämpfet, nn« krönet der Sohu!

Aus der tvde über das Leiden Jesu. Ich, ewig-ad' ich e« begehret. Ich habe, Vater, dich verkläret; Verklären will ich dich noch mehrIch hatte, rief in Qual versunken, Schon mehr al« Line» Kelch getrunken. Ach wie ist dir Hand so schwer I Allein ich will 8« ganz versühne». Laß sie in diese» Wunden ruhn! Dergied, vergieb, 0 Vater, ihnen, Sir wisse», Herr, nicht was fie thun. U,

3» auch nur erst inAthery sehen. Da sind schon etchao längere. Z. D. So sorgfältig sich auch Aeltern in derCrtkehuvg „ihrer Kinder brstrrbeu mögen, sie vou ihrer erste» »Kindheit au «or Tugend »u bilde«, uod alle« »u »verhindern, we< ihr Her» verderben, oder di« »angeboroe Unordnung desselben uutrrhaltra uod »vermehr«» kann; fr nothwendig e» auch ist, »sehr srähleitig mit denselben, alS mit vernünft „ligen Wesen omiugrhea, di« beS Nachdenkens »und der Urbrneugung fähig sind: fr ist «S den« „noch bepoaht unmöglich, diese wichtigen End« „»wecke ohne allen Gebrauch schmerzhafter Mittel „io erreichen, ob eS gleich eine eben fr uulängbare »Erfahrung bleibt, baß, nach beu von Natur sehr „vrrschiedeaen Charaktere» der Kinder, einig« der „Züchtigung mehr, und andere drrselbea wrulgrr „bedürfen." -r Oder: „So ost ich mich »urück erinnere, wie frrgfäl« „tifl mci» Datrr schon in meiner frühest«» Iugrnd Uf

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Lessings Antheil

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„den Geist der Frömmigkeit und eine lebhafte N«, „gung, aus Gehorsam und Liebe gegen da» höchste „Wesen, tugendhaft zu sey», in meine Seele zu „pflanzen suchte, und wen» mir mein Gedächtniß „sagt, vor welchen Ausschweifungen, zu denen ich, „gleich Andern, starke Reitzungen und Dersuchun„gen gehabt habe, diese Neigung mich bewahret „hat: so fühle ich mich allezeit von de» zärtlichste» „Empfindungen der Dankbarkeit durchdrungen, „ob ich sie gleich durch nicht» beweisen kann, al» „nur dadurch, daß ich da» Andenken seiner Gest», „uungen erhalte, und durch sein Beyspiel ander« „Väter aufmuntere, Kinder, die fie glücklich zu „machen wünschen, auf eine ähnliche Weis« tu „erziehe». Wie nun ? — Welcher Schwall von Wor, ten! Welche Theuerung an Gedanken! Gedan­ ken ? Daß man der schändlichen Trunken, heit (teuren müsse; daß man die Rinder auch manchmal züchtigen müsse rc. Kaun man abgedroschnere Wahrheiten mit aufgeblasenerp Backen predigen? — Mit diesen vier Perioden fangen sich vier verschiedene Stücke en. Und wenn ich Ihnen versichere, daß sich

an den Litteratur • Briefen.

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; ,,r-------- ' -------------------------------- r . , dreißig andere nicht viel erträglicher anfangen; daß in allen Mitte und Ende dem Anfänge vollkommen gemäß sind; daß der Verfasser sehr oft mitten in seiner Materie noch weit schleppender, langweiliger, verworrener wird: wer­ den Sie mir auf mein Wort glauben? Nicht? Zch begehre re auch nicht. Aber Ihr Athem soll eü empfinden. Lesen Sie; nehmen Sie dabey alle ihre Gedanken zusammen; und sagen Sie mir am Ende, was Sie gelesen haben. „Da sich," hebt da« dreißigste Stück an, „in „unsern Zeiten die Bestreitung und Verachtung „der Religion so weit au«breitet, daß sie auch „die Gespräche de« Umgänge« vergiftet; so ist e« „für diejenigen, welche sich nach ihren äußerlichen „Umständen in die Gesellschaften der größer» Welt „ringeflochten sehe«, nicht genug, mit den Wahr« „heften ihre« Glauben« bekanntru seyn, und die „Gründe einzusehen, die einen vernünftigen Bey« „fall wirken. Wer Anfälle zu befürchten hat, der „muß seine Feinde; er muß ihre Stärke, ihre „Waffen, und die Art wie sie streiten, kenne», „damit er sich zur Zeit de« Kampfe« desto glück„licher vertheidigen könne. E« scheinet zwar, daß

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Lessings Antheil ----- --- - i

„man »e» den Einwendungen wider die Wahrheit „nicht vnterrichiet «u seyn brauch«, f» bald man „sie nicht au« Dorurtheil und Gewohnheit an, „nimmt: sobald man sie bekennt, weil r< rich, „rige, überwiegende und unumstößliche Beweise „waren, hi» uns überredete», ylllein wenn man „diese Wissenschaft besitzt, und die Schwäche, die „Richtigkeit, und besonder- auch di» Strafbarkeit „der Einwürfe kennt: so hat man weniger io be, „fürchten, daß dir Ruhe uuser- Verstandes io der „Wahrheit rin« unerwartete und gewaltsame Er, „schütteroog leiden werde; unsre Vernunft ist „selbst vor einer plötzlichen Unordnung und Der, „dunklang sichrer; man ist vorbereiteter und ge, „ütter |u widerstehen, und ist der rechtschaffene „Mann, der seinen Glauben liebt, nicht vrrbun, „den, denen »u widerstehen, welchr bl« große» „Grundsätze desselben aogreifea, und entweder „durch künstliche und verblendende Schlüsse, oder „durch Einfälle, welche voll Witz tu seyn schek' „neu' ihrer Würde uad luglrich ihres Ratzens „ttt berauben suchen? Vielleicht ist seine Ueber, „leaguug so gewiß und unbeweglich, daß ihn „keinr Einwürfe irren können; aber wen» er in „irgend einem gesellschaftlichen Gespräche, durch

an den Litteratur-Briefen.

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„solch« Zadringungea aufgeforbert, welche ihn „verbinden, beleidigte Wahrheit»» 10 vtrtheidi„gtn, auf gewisse Einwürfe nicht antworten kann; „wenn er nicht fähig ist, ihnen ihren falsche» „Schimmer von Wahrheit und Vernunft t» nrh„meo, und da« Falsche in feindselige» Beschulbk« „gungea »u entdecken: so witd er wider seine» „Willen die Sollen Verächter seine« Glauben« i» „der Einbildung bestärken, daß (le diejenigen, „dir sich für verbunden achten, Religio» »o ha* „den, weit übersehen; fit werden seia Stillschwei„gen und di» Verwirrung, worein fle ihn brach, „ten, für «inen Triumph über fle selbst halten, „und den Schwächer» kinoen fle vielleicht mit „geringerer Mühe l»r Gleichgültigkeit gegen „Wahrheiten verführen, di» er nicht genug schätzet, „weil er fle aicht genug untersucht hat re. Da« plaudert der Mann? Sie werden ihn schon noch einmal lesen müssen. Und wenn Sie denn nun sein Bißchen Gedanken weghaben; wollten Sie Sich nicht getrauen, e« mit dem siebenten Theile seiner Worte eben so park und schöner vorjutragrn?

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Lessings Antheil

Hundert und fünfter Brief. Nun frage ich Sie, wenn dergleichen lab?«

rlnkhtsche Perioden, bey welchen man dreymal Athem holen muß, ehe sich der Sinn schließet; wenn dergleichen Perioden, die man, geschrieben oder gedruckt, durch alle ihre verschränkte und verschraubte Glieder und Einschiebsel, kaum mit dem Auge verfolgen kann, ohne drehend und schwindlicht tu werden; wenn dergleichen Per rtoden «ns von der bedächtlichen langsamen Aussprache eines Kanzelredners Wort für Wort zugezihlet würden: ob wohl die feurigste Auf» merkfamkeit, das beste Gedächtniß sie in ihrem ganzen Zusammenhänge fassen, und am Ende auf einmal übersehen könnte? Nimmermehr. Was habe ich denn also für ein Verbrechen be, gangen, wenn ich gesagt habe, der Styl dieses Verfassers im Nordischen Aufseher, „sey „der schlechte Kanzelstyl eine« seichten Ho« „mileten, der nur deswegen solche Pnevmata „herpredige, damit die Zuhörer, ehe sie ans „Ende derselben kommen, den Anfang schon

an den Litteratur-Briefen. t

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„mBgen vergessen haben, und ihn deutlich Hb, „ren kinnen, ohne thn Im geringsten zu ver, „stehen?" Habe Ich etwa« ander» al» die strengste Wahrheit gesagt? Frevlich Ist da» nicht brr einzige schlechte Kanzelstyl; freylich prtbb gen nicht alle selchte Homileten so: sondern nur die seichten Homileten predigen so, die In Mit» ternachts Rhetorik da« Kapitel von den zu» sammengesehten Perioden nicht ohne Nutzen studiert Haden. Welche invidlbse Wendung aber Herr Base­ dow dieser meiner Kritik giebt, da» ist ganz undegreislich. Alle» nehmlich, wa« ich wider diesen vornehmste«, Verfasser de« Nordischen Aufseher» sage, soll ich wider den Herrn Hof, Prediger Cramer gesagt haben. Don diesem, dem Herrn Hofprediger Cramer, soll ich mit schamloser Dreistigkeit, ohne den geringsten Beweis, gesagt haben: sein Styl sey der schlechte Kanzelstyl eine« seichten Homileten rc.— Träumt Herr Basedow? O, so träumt er sehr boshaft.

Lessings Antheil /m.

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Was habe ich denn mit dem Herrn Cramer zu thun? Zst Herr Cramer jener vornehmste von mit getadelte Verfasser des Nordischen Aufsehers: so sey er es Immerhin. War ich denn verbunden, eS zu wissen? — Doch nein; da« will ich nicht einmal für mich anführen. Zch will es gewußt haben. — Geht denn da« wider den Herrn Cramer überhaupt, was wider den Herrn Cramer al« Nordischen Aufseher geht? Muß die Kritik, dir einzelne Diitter von Ihm trifft, alle seine Schriften treffen? Wenn ich zum Exempel zu dem Herrn Basedow sagte r Mein Herr, in dieser Ihrer Ausdehnung meine« Tadels, Ist eben so wenig Dllligkeit, als Verstand. Habe ich damit ge, sagt: in allen Basedowschen Schriften sey eben so wenig Billigkeit als Verstand? Zch habe immer geglaubt, es sey die Pflicht des Kritikus, so oft er rin Werk zu beurtheilen vornimmt, sich nur auf dieses Werk allein ein, zuschrinken; an keinen Verfasser dabey zu den, ken; sich unbekümmert zu lassen, ob derVer, fasset noch andere Bücher, ob er noch schiech, tere.

an den Litteratur »Briefen.

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tere, ober noch bessere geschrieben habe: und nur aufrichtig »u fegAi, was für einen Begriff man sich au« diesem gegenwärtigen allein, mit Grund von Ihm machen sinne. Da«, sage ich, habe ich geglaubt, sey die Pflicht de« Kritikus. 3(1 sie e« denn nicht? Hätte ich t» verstehen geben wollen, ha­ der Vorwurf, den ich dem vornehmsten Derr fasser de« Nordischen Aufsehers, wegen sei» ner unleidlichen Schreibart mache, auch allen andern Schriften de» Herrn Hofprediger« Ctai tnet zu machen sey: so würbe ich es gewiß au-, drückiich gesagt haben; ich würde den Herrn Cramer dabey genennt haben, so wie ich es ohne die geringste Zurüähaltung bey dem allge, meinen Urtheile über seine Oben gethan habe. Aber wie konnte ich da« hier thun, da ich mir deutlich bewußt war, daß Herr Cramer In seh neu moralischen Abhandlungen, die in den Bremischen Beyträgen und den vermischten Schriften zerstreuet sind, diese Schreibart nicht habe ; daß er diese Schreibart von seinem Chrysostomus und Sofiuet nicht könne flti cefllne» «che. xxvi, ktz. £

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Lestings Antheil

lernet haben? Sb er sie In feinen predigten hak, da« weiß Ich nicht; denn diese habe Ich Nie gelesen. So viel aber weiß Ich, wenn er diese Schreibart In seinen Predigten hat, daß ich den Herrn Hofprediger bebaure; daß Ich seine Zuhörer bebaure. Aber e« kann nicht seyn: U muß In seinen Predigten mehr Licht, mehr Ordnung, mehr nachdrückliche Kürze herrschen; «der er verkennet dir geistliche Derebsamkeit ganz. Welcher Prophet, welcher Apostel, web cher Kirchenlehrer, hat |e da« Wort des Herrn in solchem Ctcerontschen Perioden verkündiget? In Perioden, die Cicero selbst nur al«dann flocht, wenn er die Ohren einer unwissenden Menge kitzeln, wenn er gerichtliche Ränke brauchen, wenn er mehr betäuben, al« über» zeugen wollte? Und im Grunde sind da« nicht« weniger, al« Cirervnische Perioden, die Arthur Iron, flde macht. Man suche mit Fleiß die aller» längsten au« den Reden de« Römer«, und ich will verloren haben, wenn man einen einzigen findet, in welchem alle Symmenie sowohl unter

an den Litteratur • Briefe». 1

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den Worten, als unter den Gedanken, fo ge, waltlg vernachläsilgt Ist. Und nur diese Sytn» metrte, von welcher Arthur gar nichts weiß, macht die langen zusammengesetzten Perioden erträglich, besonders wenn sie eben so selten eine grstrruet werden, als rs dte kurzen und ein» fachen bey ihm sind. Unterdessen muß bey dem Herrn Basedow Cicero doch derjenige seyn, dessen Beredsam, kelt noch größer» Armseligkeiten des Arthur Ironside decken, und wenn Gott will, gar in Schönheiten verwandeln muß. Sie erinnern Sich der ekelhaften Ausdehnung des Gleichnisses von einem Menschen, brr «in kurzes und blödes Gesicht hat'). Herr Basedow gesteht zwar selbst, daß dieses Gletchniß um fünf bis sechs Zeilen kürzer seyn könnt«; aber können Sle Sich «lnblldrn, was er glelchwohl davon sagt? „Ich gestehe es," sagte», „eiaige groß» Schrift, „stelln, dir mehr Demostbeaisch al« Tullianisch „stad, würde» hier «io s» ausführliches Gleich, £ --

•) Maa sehe oben S-170.

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Lessings Antheil S---O

„nlß nicht gewählt habe». Aber wer «ar größer, „TulliuS ober Demosthenes? Diele gute Schrift» „stiller würde» dies Gleichniß nicht so haben aus» „führen könne», wenn fle auch gewollt hätten. „Aber diese würde» auch dadurch gereizt habe», „daß ihnen eine gewisse Art der Größe in der „Beredsamkeit fehle, die man an einem Cramer „mit Ehrerbietung bewundert. — Da haben wir's! Nun will ich gern nicht stärker In den Herrn Basedow dringen; nun will ich ihn gern nicht auffordern, mir doch ein ähnliches so ausgerecktes Gleichniß bev demTul» lius zu zeigen. Denn wenn er gestehen müßte, daß auch bey dem Tulliu« keins anzutreffen wäre, was hätten wir nach der einsichtsvollen Frage: Aber wer war größer, Tullius oder Demosthenes? anders zu erwarten, al« die zweyte Frage: Aber wer ist größer, Lnlliu» ober Cramer? — Lieber will ich bewundern, mit Ehrerbietung bewundern und schweigen.

Hundert und sechster Brief. Wuch- verrätherische Blicke Herr Basedow in dar menschliche Herz schießt! Auch meines

an bett Litteratur• Btiefen.

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liegt so klar und aufgedeckt vor seinen Augen, baß Ich darüber erstaune. — Sie erinnern Sich, baß mir das Blatt, in welchem der Nordische Aufseher beweisen will, ein Mann ohne Religion könne kein rechtschaffener Mann seyn, mißfiel. Zch glaubte, es mißfiele mir deswegen, weil darin von einem unbestimmten Satze unbestimmt raisonniret werde. Aber nein; mein Mißfallen hat einen andern Grund. Herr Basedow weiß, daß es mir deswegen mißfallen habe, „wettin demselben Einigen, die „Ich selbst für rechtschaffene Männer halte, die, „ser beliebte Name abgesprochen wird." Zch erschrak, als ich diese Worte zum erstenmale las. Zch laö sie noch einmal, um zu sehen, ob ich wenigstens nicht ein Vielleicht dabey über^ hüpft hätte. Aber da war.kein Vielleicht. Was Herr Basedow weiß, das weiß ergänz gewiß. Allwissender Mann! rief ich aus; Sie kennen mein Herz so vollkommen, so vollkom, men, daß — baß mir das Zhrige ganz Finster« niß, ganz Räthsel ist. — Mag Ich es doch auch nicht kennen.

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Lessings Antheil

Die vornehmste Erinnerung, die ich dem Aufseher gegen seine Erhärtung eines so stren­ gen Auespruchs machte, war diese, daß er das Wort, ein Mann ohne Religion, in dem Beweise ganz etwas anders bedeuten lasse, als es in dem zu beweisenden Sahe bedeute. Und diese Zweydeutigkeit habe ich eine Sophisterey genennt. Der Text ist lustig, den mir Herr Basedow darüber liefet. Gesetzt, sagt er, daß es mit diesem Vor, würfe auch seine Richtigkeit hätte; „ist e- nicht «in menschlicher Fehler der größ„ten Philosophen, sich selbst durch eine unoet* „merkte Zweydeutigkeit der Worte »u hintergehen? „Niemand hat noch eine Metaphysik ohne Fehler „geschrieben, und ich getraue mir tu sagen, daß „die Fehler in dieser Wlffenschast mehrentheilS „aus der Zweydeutigkeit der Worte entstehen. „Wer nur solche Zweydeutigkeiten nicht mit Fleiß „braucht, um Andere ju verblende», wer in ei» „solches Versehen nicht oft verfällt, wer sich nicht, „wenn man ihm seine» Fehler entdeckt hat, durch „neue Zweydeutigkeiten hartnäckig vertheidiget: „der kann allemal ein großer und verehruugswür,

an den Litteratur»Briefen.

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SAP. -*** -- =! z,tiger Mann sey», and dem kann man, ohne Luft „an gelehrte» Scheltworten, nicht Sophiftereven „und Fechterftreiche vorwerfe». Sonst müßte kein „Leibnitz, Wolf, Mosheim, ja kein großer „Mann, von feinen Beurtheiler» mit Recht »er# „langen können, daß er mit solchen unhöflichen „Dorwürfen möchte verschont bleibe». — Ich verstehe von der Höflichkeit nichts, die Herr Sascdorv hier prediget. Er nennet ge# lehrte Scheltworts, was nichts weniger als Scheltmorte find. Wenn ein großer Mann eine Sophisterey begehet, und ich sage, daß er eine begangen hat; so habe ich das Kind bey seinem Namen genannt. Ein anderes wäre es, wenn ich ihn deswegen einen Sophisten nennte. Man kann sich einer Sophisterey schuldig ma» chen, ohne ein Sophist zu seyn: so .wie man eine Unwahrheit' kann gesagt haben, ohne darum ein Lügner zu seyn: so wie man sich de# trinken kann, ohne darum ein Trunkenbold zu seyn. Herr «Cramer ist ein großer und vereh# rungswürdiger Mann. Nun ja; und er soll es auch bleiben. Aber was verbindet mich denn, X 4

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Lesfings Antheil

»----------- -I---------------------------- e von einem großen und verehrungswürdigen Manne In dem Tone eines kriechenden Klienten zu sprechen? Und Ist bas der Ton, der einem großen und verehrungwürdigen Manne gefällt? Ein solcher Mann sieht auf die Wahrheit, und nicht auf die Art, wie sie gesagt wird; und hat er sich wo geirrt, so ist es ihm unendlich lieber, nenn' man ohne Umstände sagt: das und das dünkt mich eine Sophisterey; aiS wenn man viel von menschlichen Fehlern der größten Phi« losophen präiiminiret, und ihn um gnädige Verzeihung bittet, daß man es auch einmal so gemacht hat, wie er es macht, baß man auch einmal seinen eigenen Verstand gebraucht hat. So viel von der H-jitchkett meiner Erinne, rung. Nun hiren Sie, wie Herr Basedow beweisen will, daß mein Tadel auch ungegrün« bet und falsch sey. Er angiisiret in dieser Ab» sicht das ganze Dia«; llNd es ist nöthig, daß ich Zhnen das Skelet, weiches er davon macht, vor Augen lege. „Satz: Leine Rechtschaffenheit ist ohne Religion.

anten Litteratur-Briefen.

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„Erster Beweis- &n Rechtschaffener sacht „die Pflichten, die au« seinen DerhLltniffen ge, ,,gen Andere folgen, allesammt getreu und sorg» „fällig tn erfüllen. Und man hat auch Pflichten „gegen Sott, welche «in Mensch ohne Religion „nicht i» erfüllen trachtet. Erster Zusay. Polidor, dessen unerschöpf„licherWiy über Lehren spottet, die er niemals „untersucht hnt, und Lehren lächerlich macht, „ohne sich darum zu bekümmern, ob sie e« ver­ dienen, ist also kein rechtschaffenttMann, ober „gleich seine Zusage hält, und zuweilen mitleidig „ist, welche« vielleicht noch eineWtrkung de« in „der Jugend gelernten Katechitmu« seyn kann, „den er nunmehr verachtet. „Zweyter Zusay Der Mensch dal eine „natürlich« Neigung zu denen Handlungen, dir, „wenn sie au« dem rechten Grunde geschehen, „rechtschaffen heißen. Aber diese Neigung ist „in hohem Grade schwach und unzuverlässig. „Zweyter Beweis. Ein Rechtschaffener muß „eine gründliche Erkenntniß een den Gegenstän­ den Haden, gegen welche man rechtschaffen hau„deln muß. Indem er zu dieser Erkenntniß „kömmt, gelangt er auch zur natürlichen ErkenntX f

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Lessings Antheil

„ntß Gotte-z «nid durch diese rum Wunsche ei, „nrr Offenbarung. Alsdann hat er die Pflicht, „eint vorgegeben« Offenbarung ohne sorgfältige „Untersuchung nicht r« verwerfen, viel weniger „zu verfpotten. Thut er e-, so ist er (vermöge „de- ersten Beweise-) nicht rechtschaffen. „Dritter Beweis. Wegen der Macht der Lek, „denschaslen ist nicht zu erwarten, daß ein Mensch, „der weder geoffenbarte noch natürliche Religion „hat, die gesellschaftlichen Pflichte» zu erfülle» „geneigt sey, und also in dieser eingeschränkte» „Bedeutung «in rechtschaffener Mann seyn könnte. „Man hat aber bessern Grund e- zu hoffe», wenn „er die Religio» in seinem Verstände für wahr „hält, und sein Herz zur Ausübung derselben „gewöhnt." Was für eine kleine, unansehnliche, ge< brechliche Schöne ist der Nordische Aufseher, wenn man ihm seine rauschende Einkleidung, seinen rhetorischen Flitterstaat, seine Kothurnen nimmt. Eine solche Venus kann nicht sagen: ich bin nackend mächtiger, als gekleidet. Gegen sie darf Minerva nur ihre Eule zu Felde schik, krn. — Doch lieber keinen W«h! Herr Basedow

an den Litteratur»Briefen,

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ist ein Todfeind von allem Witze. Er erwartet Gründe; und wie können Gründe bey Witz bestehen? Erlauben Str mir also, eine ganz trockene Prüfung der drey Beweise, wie sie Herr Base, vow auSgezogen hat, anzustellen. — Vor allen Dingen muß ich wegen der Bedeutung des Worts ein Mann ohne Religion mit ihm et» nig werden. Ein Mann ohne Religion also, heißt entweder ein Mann, der kein Christ ist, der diejenige Religion nicht hat, die ein Christ vorzüglicher Weise die Religion nennet: daS ist die erste Bedeutung. Oder es heißt ein Mann, der gar keine geoffenbarte Religion zugtebt, der weder Christ, noch Jude, noch Türke, noch Chineser re. weiter als dem Na, men nach ist, der aber eine natürliche Relt, gton erkennt, und dteWahtheiten derselben auf sich wirken läßt: das ist die zweyte Bevru» tung. Oder es heißt ein Mann, der sich rot, der von einer geoffenbarten, noch von der na, türlichen Religion überzeugen kann; der alle Pflichten gegen ein höheres Wejen läugnet:

Lessings Antheil

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leit, ttun legt ihm tiefe auch Pflichten gegen den Papst auf, die Pflicht nehm, lieb, dieses Oberhaupt der Rirche für um trüglich zu halten, welche Herr Cramer nicht zu erfüllen trachtet. Der Beweis wäre lächerlich; aber könnte Herr Cramer in Ernst etwas anderes darauf antworten, als was der Mann ohne Religion in unserer dritten De, deutung, zu seiner Vertheidigung vorbringen würde? Das ist unwidersprechlich, sollte ich meynen. Also zur vierten Bedeutung. Gilt der Beweis gegen einen Mann,, der über alle Religion spottet? Hier giebt eS zu unterschei, den. Entweder er spottet darüber, weil er von der Falschheit aller Religion überzeugt ist; oder er spottet darüber, ohne diese Ueberzeugung zu haben. In dem ersten Falle trifft ihn der De, weis eben so wenig, als den Mann ohne 91,11, glon in der dritten Bedeutung. In dem an« bern Falle aber ist er ein Rasender, dem man schlechterdings dir gesunde Vernunft, und nicht bloß die Religion, absprechen muß. Gegen die, sen har Herr Cramer Recht; vollkommen

an den Litteratur»Briefen. »ii ..I 1

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Recht r ein Rasender, ein Mann ohne gesunde Vernunft, kann kein rechtschaffner Mann seyn. Und da» hat Herr Cramer mit seinem er, sten Drwetsr bewiesen! Doch dir Wahrheit ist mir zu lieb, als daß ich ihm hier nicht mthr rlnräumen sollte, als er bewiesen hat. Au« sei, nem Beweise erhellt es zwar nicht, baß berfe, tilgt, der über die Religion spottet, weil er von der Falschheit derselben überjeugt ist, kein recht, schaffner Mana sey; aber dennoch ist es wahr: tt ist keiner. Allein er ist nicht deswegen kein rechtschaffner Mann, weil er keine Religion hat, sondern weil er spottet. Wer giebt ihm baS Recht, über Dinge zu spotten, die unzLH, lige Menschen für die heiligsten auf der Welt halten? Was kann ihn entschuldigen, wenn er durch Spittereyen arme Dlüdstnnlge um ihre Ruhe, und vielleicht noch um ein mehreres bringt? Er verräth Lieblosigkeit, wenigstens Leichtsinn; und handelt unrechtschaffen an seinen Nächsten. Denn auch sogar ein Christ, der ge, gen Mahometaner über den Mahomet spotten, weiter nichts als spotten wollte, würde kein

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Lessings Antheil

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rechtschaffner Mann seyn. Er lehre, wenn er flUubt, baß seine Lehren anschlagen werden; und sey überzeugt, daß jede Unwahrheit, die er anfdkckt, sich ohne sein Zuthun von selbst ver/ spotten wird. Bey dem allen scheinet eö, als habe eS Herr Cramer selbst rmpsunden, baß er hier nicht eigentlich mit einem Manne ohne Religion, sondern mit einem Religionsspötter zu thun habe; und zwar auch nur mit diesem in so fern er spottet, und nicht in so fern er keine Religion hat. Denn was ist sein polidor, den er in dem ersten Zusatze seines Deweb ses, zu einem Exempel eine» Manne» ohne Religion macht, anders, als ein Religion?, spätrer? Und zwar noch dazu einer von den allerbümmsten, dem man unmöglich einen Fun/ ken Menschenverstand zugestehen kann; denn er spottet über Lehren, die er niemals um tersucht hat, und machtLehren lächerlich, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie es verdienen. Und das heißt ein Mann ohne Religion? L» gemahnt mich nicht anders, al» wenn

an den Litteratur»Briefen.

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wenn man einem Lahmen beschreiben wollte: ein-Lahmer sey ein Mensch ohne Flügel. Zch w'nve mich zu dem zweyten Beweise. „Ein Rechtschaffner muß eine gründliche Er» „fennmiß von den Gegenständen haben, ge» „gen welche man rechtschaffen handeln muff. „Indem er zu dieser Erkenntniß kZmmr, ge» „langt er auch zur natürlichen Erkenntniß Gor» „reo; und durch diese zum Wunsche einer Offen» „barung. Alsdann har er die Pflicht, eine vor» „gegebene Offenbarung, ohne sorgfältige Un» „rersuchung, nicht zu verwerfen, viel weniger „zu verspotten. Thue er es; so ist er (vermöge „der ersten Beweise») nicht, rechtschaffen. — Das ist ein Beweis! und rin zweyter Beweis? Wenn doch Herr Basedow so güt seyn wollte, ihn in eine syllogistische Form zu bringen. Doch er fühlt e< selbst, daß dieses Geschwäh auf den ersten Beweis hinausläuft; daß es weiter nichts ist, als der erste Beweis auf den Reli» gtonospötter näher eingeschränkt. Und in wie fern der Sah von diesem gilt, darüber habe ich mich erklärt. Er gilt von ihm, nicht in so fern er keine Religion har, sondern in so fern er spottet. keMgs Gebe. xxvi. tfo V

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Lessing- Antheil --

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Als» brr dritte ®emd (»s^iif, ),X>» in» «/ui.

„06 es wahr Ist, wa«brrDlchterphilopen „sagt, da« da« angenehmste Fleisch da« ist, „wa« nicht Fleisch ist/ und die angenehmste» „Fische die, die nicht Fische sind: da« wollen „wir denen zu entscheiden überlassen, dir, mit „dem Cato zu reden, allen ihren Verstand im „Gaumen haben. Da« aber ist unstreitig, daß „junge Leute diejenigen philosophischen Lehren „am liebsten anhbren, am willigsten befolgen, „die In keinem ernsthaften philosophischen Tone „vorgrtragrn werden." — Nun, wa« meynen Sie, daß hieran« für «ine Fabel geworden? Folgende:

Der Reitz der Zubereitung, „rinn» der Port bat Lleander den teekerlaf, ,ten Esser auf ein winhschaftliche« Mittag-rmhl^ „Eine Schüssel mit Spellen ward aufctw*

au bin Litteratur «Briefen.

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^Cltanbtr aß mit tttfleStfdmtrSOikne o«d fdg#* „das angenehmste Fleisch iß, oa# nicht Fleisch „ist. -««ach Um «Ine Schüssel mit Fischen» „dann sagte er : der angenehmste Fisch ist, der ket» „Fisch ist. Cinna gab ihm »n erkennen, da-er „diese rüthselhafte Sprache nicht verstünde. Ckan, „der versetzte: Soll ein Mann, der den Geschmack „nur in der Kehl« hat, den hierüber belehren, „der ihn in dem Verstände hat? Der Gedanke „kann dir nicht fremb seyn, daß die Menschen die, „ienige philosophische Schrift am liebsten haben, „nnb mir dem meisten Vergnügen lese», die nicht „philosophisch noch im Ernst geschrieben scheinet. „Strmollen in dem Dortrage nnb den Dorstellnn, „gen ein« schmackhaft« nnb niedliche Zubereitung „haben. Ich büchte, daß wirdieser Bettachtung „deinen Phaeton, deine Verwandlungen, und „deine Katz« In Elistum schuldig wären."

Unb das nennt Axel eine Lesflngischr ga# 6el? Wenn er uns doch nur eine einzige an, führte, wo dieser Verfasser ein so kahler AuS, schreiber ist, und eine schöne Stelle eines Eliten so jämmerlich zu seinem Nutzen verarbeitet. Was. hat Axel hier hinzu erfunden? Was hat Aa 2

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Lessings Antheil'

er anderes, was hat er mehr hinein gelegt, als nicht schon darin liegt? Wenn er, al« ein Schweizer, wenigsten« nur noch einen Schritt weiter gegangen wäre, und den leckerhafte» Esser zum dritten hätte sagen lassen: „der an, „genehmste Käse ist der, der kein Käse ist;" so wäre e« doch noch etwa« gewesen. Aber auch da« hat er'nicht gethan: und er scheinet mir ganz der Poet Linna selbst gewesen zu seyn, der hier die Ehre hat, gegen den Fresser eine sehr alberne Person zu spielen.

Nicht L., sondern Axel selbst, ist seit langer Zeit al« ein Zusammenschretber bekannt, der seine Belesenheit für Erfindungskraft zu verkam fen weiß. Z. E. Al« ihn der Verfasser der neuen kritischen Briefe sein Probestück mm chen ließ und ihm verichiedene Amgaben zg Fm dein verlegte, befand sich auch diese darunter: „Auf einen der sich rühmte, er kenne da« Gei „bickt, der Melsia«, sehr wohl, e« wäre in „Hexametern verlasset, und er hätte de» Vers „aus demselben behalten:"

dti den Litteratur »Briefen.

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Also versammelte» sich dl« Fürsten der Hölle t» Satan. Geschwind besann sich Axel auf ein andere» Schulbücheichen, und erzählte Folgendes: Der Pallast des Prinzen Eugens. „Man redete in einer Gesellschaft von de« „Pallaste de» Printen Eugen, der in dem Preu/ „ßischen Ueberfall sollte niedergeriffenwerdey Man „war sehr bemühet, sei» Ebenmaß, seine Abrhei» „lungey und ganze Form zu untersnchen. Et» „Mensch, der g»oße Reise» gethan hatte, schwieg „la^-ge stille; endlich fing er an: dieser Pallast ist „mir so gut bekannt, als irgend jemanden. Ich „war in Wien, als er gebanet ward, und ich habe „da- Glück ein Stückchen von dem Marmor iu „besitzen, woraus er gedaoet ist. Zugleich zog er „dar Stückchen aus der Lasche, und betheuerte, „daß ers von dem Marmor herunter geschlagen „hätte, von welchem der Pallast erbauet worden. Wa« ist da« anders, als das Mährchen des Hierokles von dem Scholastiker, welcher fein Hau« verkaufen wollen? »