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German Pages 327 [328] Year 1998
FRÜHE N E U Z E I T Band 40 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt
Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Rüdiger Schnell
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen : Studien zu Eheschriften der frühen Neuzeit / hrsg. von Rüdiger Schnell. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Frühe Neuzeit; Bd. 40) ISBN 3-484-36540-4
ISSN 0934-5531
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Satz: Wolfram Schneider-Lastin Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Einband: Siegfried Geiger, Ammerbuch
Vorwort
Im vorliegenden Band sind die Ergebnisse eines Basler Forschungsprojekts versammelt, das geschlechtergeschichtliche Fragestellung und textwissenschaftlichen Ansatz zu verbinden suchte. Den Ausgangspunkt bildete die Frage, ob in den deutschen Eheschriften zwischen 1470 und 1580 eine Veränderung der Geschlechterprojektionen nachgewiesen werden kann. Vor der Beantwortung dieser Frage stand die Auseinandersetzung mit zahlreichen grundsätzlichen methodischen Problemen, unter denen die Vergleichbarkeit von Texten das größte Interesse beanspruchte. Denn nur ein Vergleich kommunikativ-situativ vergleichbarer Texte kann das leisten, wonach Geschlechter- und Sozialgeschichte verlangen: Veränderungen oder aber Kontinuitäten in den Geschlechterbeziehungen nachzuzeichnen. Ebenso wichtig wie die Analyse der Geschlechterkonzepte ist die Analyse der kommunikativ-situativen Situation, die auf einen Text einwirkt und dessen Aussageebene mit bestimmt. Das Forschungsprojekt (1992-1995) wurde finanziell unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds und der Freien Akademischen Gesellschaft Basel. Für diese großzügige Förderung sei herzlich gedankt. An dieser Stelle möchte ich auch den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nochmals für ihr Engagement und ihre förderliche Kritik in den verschiedenen Phasen des Projekts danken. Daß diese Studien schließlich in der Reihe »Frühe Neuzeit« erscheinen können, dafür gilt den Herausgebern Dank. Basel, im September 1997
Rüdiger Schnell
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis Rüdiger Schnell Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Probleme und Perspektiven eines Forschungsansatzes
IX
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Helmut Puff »[...] ein schul / darinn wir allerlay Christliche tugend vnd zucht lernen.« Ein Vergleich zweier ehedidaktischer Schriften des 16. Jahrhunderts
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Monika Gsell Hierarchie und Gegenseitigkeit. Überlegungen zur Geschlechterkonzeption in Heinrich Bullingers Eheschriften
89
Rüdiger Schnell Die Frau als Gefährtin (socia) des Mannes. Eine Studie zur Interdependenz von Textsorte, Adressat und Aussage
119
Detlef Roth An uxor ducenda. Zur Geschichte eines Topos von der Antike bis zur Frühen Neuzeit
171
Katrin Graf »Ut suam quisque vult esse, ita est.« Die Gelehrtenehe als Frauenerziehung. Drei Eheschriften des Erasmus von Rotterdam (1518-1526)
233
Katrin Graf Der Dialog >Conjugium< des Erasmus von Rotterdam in den deutschen Übersetzungen des 16. Jahrhunderts
259
Tobias Brandenberger / Katrin Graf / Johanna Thali Die volkssprachlichen Übersetzungen von Juan Luis Vives' >De officio mariti< in der Romania des 16. Jahrhunderts . . . . 275
VIII Register 1. Wörter und Sachen 2. Autoren und Werktitel
311 315
Abkürzungsverzeichnis
ADB AT Bl. BN CCCM CCM CCSL CSEL DTM DVjs GAG HAB Hain
Hain-Copinger LexMA MGH Mlat. Jb. MLN MTU NT PL PMLA RGL s. sq. sqq. stw TRE TTG ÜB
Allgemeine Deutsche Biographie Altes Testament Blatt Bibliotheque Nationale (Paris) Corpus Christianorum, continuatio medievalis Cahiers de civilisation medievale Corpus Christianorum, Series latina Corpus scriptorum ecclestiasticorum latinorum Deutsche Texte des Mittelalters Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Göppinger Arbeiten zur Germanistik Herzog August Bibliothek (Wolfenbüttel) L. Hain, Repertorium bibliographicum, 4 Bde., Stuttgart u.a. 1826-1838 Supplement to Hains Repertorium bibliographicum, London 1895 Lexikon des Mittelalters Monumenta Germaniae historica Mittellateinisches Jahrbuch Modern language notes Münchener Texte und Untersuchungen Neues Testament Patrologiae cursus completus, Series Latina, hg. von Migne Publications of the Modern Language Association of America Reihe Germanistische Linguistik siehe sequens (folgend) sequentes (folgende) suhrkamp taschenbuch Wissenschaft Theologische Realenzyklopädie Texte und Textgeschichte Universitätsbibliothek
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Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 2. Aufl. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe) Wirkendes Wort Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur
Rüdiger Schnell
Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Probleme und Perspektiven eines Forschungsansatzes I. Geschlechterbeziehungen in der Frühen Neuzeit: Eine diffuse Forschungssituation Wer heute danach fragt, ob sich in der Frühen Neuzeit die Geschlechterbeziehungen entscheidend verändert haben, trifft in der einschlägigen Forschung auf einen merkwürdig zwiespältigen Befund. Während die einen Studien von einem bedeutsamen Umbruch in der Geschlechterrelationierung sprechen, weisen andere Arbeiten auf die Traditionalität der Frauenbilder, Geschlechterentwürfe und Ehekonzepte hin. Ein ähnlich zwiespältiges Bild hält die Forschung auf die Frage bereit, ob der Diskurs über die Geschlechter - insbesondere über die Frau - und die soziale Realität eine für die Frauen günstige Veränderung erfahren haben. In diese, in gewisser Weise verfahrene Situation Bewegung zu bringen, ist das Ziel des vorliegenden Bandes. Dabei werden neue Einsichten von einem textwissenschaftlichen Ansatz erwartet, der weniger auf Textvergleiche als auf die Frage nach den Voraussetzungen von Textvergleichen zielt. Es geht also um die methodischen Prämissen sozial- wie literarhistorischer Aussagen zur Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit. Eine differenzierte Diskussion über mögliche Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen ist bislang nur bei der sozialgeschichtlich ausgerichteten Frauenforschung in Gang gekommen.1 Bedingt ist diese Auseinan1
Dort hat ein Aufsatz von Joan Kelly-Gadol eine heftige Debatte ausgelöst: Did women have a Renaissance?, in: Renate Bridenthal, Claudia Koonz (Hgg.): Becoming visible. Women in European history. Boston u.a. 1977, S. 137-164, wiederabgedruckt als »Gab es die Renaissance für Frauen?«, in: Barbara Schaeffer-Hegel, Barbara WatsonFranke (Hgg.): Männer, Mythos, Wissenschaft. Grundlagentexte zur feministischen Wissenschaftskritik. Pfaffenweiler 1989, S. 33-65. Kelly-Gadol zufolge ist die Freiheit der Frauen im 15./16. Jh. gegenüber dem Mittelalter eingeengt worden. Doch verzeichnet Kelly-Gadol die Ausgangsposition, das Mittelalter, wenn sie die (auch sexuelle) Freiheit der mittelalterlichen adligen Frauen mit der höfischen Minnetheorie >beweist< (Andreas' Capellanus >De amoreLancelotLivre de la Cite des Dames< und Boccaccios >De Claris mulieribusDe mulieribus clarisGanze Haus< und die alteuropäische Ökonomik, in: ders.: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. Göttingen 1958, S. 33-61 (hier S. 42 schon die These von der »Gefühlsbetontheit« in der Kleinfamilie). Die wissenschaftsund zeitgeschichtlichen Bedingtheiten von Brunners Auffassung decken auf Claudia Opitz: Neue Wege der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept des >ganzen Hausesalteuropäische Ökonomikganzen Hauses< im 17. und 18. Jh., in: Friedrich Engel-Janosi
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auch in diesem Forschungsbereich konkurrieren heute ältere und neuere Positionen und ergeben in der Konsequenz ein verwirrend widersprüchliches Bild. Daß nun allerdings alle früher für das 17./18. Jahrhundert reklamierten Veränderungen ins 16. Jahrhundert gesetzt werden, erscheint ebenfalls problematisch. Denn ob sich z. B. die neuerdings für das 157 16. Jahrhundert behauptete Abtrennung einer Privatsphäre aus der öffentlichen Welt tatsächlich zu diesem Zeitpunkt herausgebildet hat, steht keinesfalls fest. Die Forschung zu Privatheit/Öffentlichkeit im Mittelalter steht - trotz Jürgen Habermas und Lucian Hölscher - noch ganz in den Anfängen.6 Drittens verdankt sich die widersprüchliche Einschätzung des 16. Jahrhunderts der konfessionsgeschichtlichen Forschung zur Eheauffassung: Während die evangelisch-protestantische Forschung lange Zeit dem einseitig-polemischen Blick Luthers auf die mittelalterlich-päpstliche - angeblich die Institution der Ehe verteufelnde - Eheauffassung gefolgt ist und sich dafür heftige Auseinandersetzungen mit der katholischen Eheforschung eingehandelt hat, werden neuerdings die Ausführungen Luthers und anderer Reformatoren zur Ehe erheblich nüchterner gesehen.7 Daß die mitu. a. (Hgg.): Fürst, Bürger, Mensch. Untersuchungen zu politischen und soziokulturellen Wandlungsprozessen im vorrevolutionären Europa. München 1975 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 2), S. 123-186 (in dieser Studie geht Mitterauer allerdings noch von der Existenz des >Ganzen Hauses< aus); ders.: Grundtypen alteuropäischer Sozialformen. Haus und Gemeinde in vorindustriellen Gesellschaften. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, bes. S. 94-97. Vgl. auch Dorothea Rippmann, Katharina Simon-Muscheid: Weibliche Lebensformen und Arbeitszusammenhänge im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Mireille Otheuin-Girard u. a. (Hgg.): Frauen und Öffentlichkeit. Zürich 1991, S. 63-98, bes. S. 64-66 u. 76ff. Zahlreiche bibliographische Belege für diese neuere Erkenntnis der (anglo-amerikanischen) Familienforschung gibt Natalie Zemon Davis: Gesellschaft und Geschlechter. Vorschläge für eine neue Frauengeschichte [engl. 1976], in: dies.: Frauen und Gesellschaft am Beginn der Neuzeit. Berlin 1986, S. 117-132 u. 161-171, ebd., S. 123 u. 166 (die durch Dienstboten erweiterte Kernfamilie sei zumindest seit dem Spätmittelalter die überwiegende Haushaltsform gewesen); ähnlich Patrick Collinson, The birthpangs of Protestant England. Religious and cultural change in the sixteenth and seventeenth centuries, London 1988, S. 84-86. 6 Vgl. den Sammelband von Gert Melville, Peter von Moos (Hgg.): Das Öffentliche und das Private in der Vormodeme. Köln u. a. 1998. Vgl. auch Peter von Moos: »Öffentlich« und »privat« im Mittelalter. Zu einem Problem historischer Begriffsbildung. Wiesbaden [im Druck] (Schriften der Philos.-hist. Kl. der Heidelberger Akad. der Wissenschaften). 7 Heinz-Dieter Heimann: Über Alltag und Ansehen der Frau im späten Mittelalter, in: Frau und spätmittelalterlicher Alltag. Wien 1986, S. 243-282, bes. S. 253-256, 277280 kritisiert die einseitige Fixierung auf die Reformation als entscheidenden Umbruch für Frauenbild und Eheauffassung und weist bereits für das 14./15. Jahrhundert einen entscheidenden Wandel nach. »Was M. Luther im Frauen- und Familienbild formuliert, entspricht weithin dem Eheverständnis und Frauenbild des spätmittelalterlichen Stadtbürgertums« (ebd., S. 279). Heimanns Kritik wird allerdings auf methodisch fragwürdige Weise geführt. Kathleen M. Davies: Continuity and change in literary advice on marriage, in: R. B. Outhwaite (Hg.): Marriage and society. Studies in
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telalterliche Kirche keine positive Einstellung zur Ehe gehabt und erst die Reformation neue Geschlechterbeziehungen entworfen habe, wird man in Kenntnis der neuesten Forschung kaum mehr behaupten können. Dennoch beeinflussen ältere Positionen immer noch die Argumentationen von Literar- wie Sozialhistorikern und ergeben wiederum ein diffuses Bild von der Forschungssituation. Man kann sich leicht vorstellen, welche Verwirrung sich dann einstellt, wenn sich kultur-, literar-, sozial- und religionsgeschichtliche Argumentationen verbinden und dabei ältere und neuere Positionen vermengt werden.8 Angesichts der Forschungssituation empfiehlt sich, künftig zweierlei Differenzierungen nicht aus dem Auge zu verlieren: a. Ehekonzept(e) und Geschlechterrollen sollten nicht ohne weiteres vermengt, das heißt, es sollte nicht vorschnell vom einen auf das andere geschlossen werden. Daß das reformatorische Ehekonzept - auch wenn in the social history of marriage. London 1981, S. 58-80, S. 61 betont, im 16. Jahrhundert sei nicht so sehr eine Veränderung in der Auffassung von der Ehe, sondern eher eine veränderte Bildungs- und Gebrauchssituation in der Vermittlung von Texten eingetreten, was eine veränderte Redeweise nach sich gezogen habe; S. 78 stellt sie zu den Ehebüchern der Puritaner fest: »There was nothing new in such ideals«. Alan Macfarlane: Marriage and love in England. Modes of reproduction 1300-1840. Oxford 1986, S. 135f. bemerkt, hinsichtlich der Konsens-Frage bei der Eheschließung bestehe kein Unterschied zwischen vor- und nachreformatorischer Zeit; die Institution Ehe werde vor und nach der Reformation nicht anders begründet: durch procreatio, evitatio fornicationis, gegenseitige Hilfe und Rat (S. 151). Davies' und Macfarlane's kritische Position greift auf Patrick Collinson, The birthpangs of Protestant England (wie Anm. 5), S. 65-93 (ob der Protestantismus ein neues Ehekonzept bzw. Verhaltensideal für die Geschlechter geschaffen habe, sei höchst zweifelhaft; die Heirat des Klerus sei die einzige Neuerung in der sozialen Realität gewesen). Auch Walter Behrendt: Übersetzungen und Bearbeitungen des Pseudo-Bernhardus-Briefs >De cura rei familiaris< im 16. Jahrhundert (Joachim Humel, Johannes Spangenberg, Adam Walasser), in: Leuvense Bijdragen 83 (1994) 343-362, bes. S. 350-352 kommt zu dem Schluß, die beiden Konfessionen unterschieden sich im 16. Jh. nicht hinsichtlich der Ehelehren und auch nicht im ehelichen Alltag, sondern allein in der Rezeption der einschlägigen Schriften: Im Protestantismus herrschte eine große Nachfrage nach Eheschriften. ! Bezeichnend für die Verwirrung in der Beschreibung der wesentlichen Neuerungen des 16. Jahrhunderts ist der Umstand, daß Walter Haug: Zwischen Ehezucht und Minnekloster. Die Formen des Erotischen in Johann Fischarts >GeschichtklitterungObrigkeit< in den Ehediskurs spricht und behauptet, Luther setze die Familie nicht als Raum der Privatheit und Intimität gegen die Öffentlichkeit des Staates, sondern stelle eine funktionale Beziehung zwischen den beiden Institutionen her. Dieser Widerspruch läßt sich allenfalls durch die Vermutung auflösen, Bachorskis Aussage ziele allein auf die Diskursebene bzw. er meine eine andere Art von Öffentlichkeit als Haug.
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ihm eine Neubewertung der Ehe stattfindet - keineswegs veränderte Geschlechterbeziehungen anvisierte bzw. zur Folge hatte, wird neuerdings immer mehr erkannt. Es gilt zu unterscheiden zwischen Bewertung der Institution Ehe und der Normierung der Geschlechterrollen in der Ehe.9 An Beispielen für die Vermischung von (reformatorischem) Ehekonzept und Geschlechterprojektion fehlt es aber auch heute nicht.10 9
Ian Maclean: The Renaissance notion of woman. A study in the fortunes of scholasticism and medical science in European intellectual life. Cambridge u. a. 1980, S. 19f. unterscheidet zwischen neuer Bewertung der Ehe und traditioneller bzw. übereinstimmender Festschreibung der Geschlechterrollen bei antik-heidnischen und christlichen sowie bei katholischen und reformierten Autoren im 15./16. Jahrhundert. Kathleen M. Davies (wie Anm. 7), S. 77 differenziert ebenfalls: Obwohl sich die theologischen Anschauungen über den Status der Ehe geändert hätten, seien die Verhaltensvorschriften für Männer wie Frauen in der Ehe nahezu unverändert geblieben. Margaret L. King (wie Anm. 3), S. 163-166 erklärt, mit der Verurteilung der Ehelosigkeit in der Reformation sei zwar eine »neue Hochschätzung der Ehe« einhergegangen, die »Neubewertung der Ehe als eines geselligen und ehrbaren Standes« - als was sie meines Erachtens allerdings schon zuvor eingestuft wurde; gleichzeitig jedoch habe eine soziale Herabstufung der Frau in der Ehe stattgefunden: der Ehemann sei immer mehr zum Patriarchen geworden; er nehme nun auch die Funktion des Klerus ein (er besitze nun die Schlüsselgewalt; der Mann werde zum Mittler zwischen Frau und Gott). Pia Holenstein: Der Ehediskurs der Renaissance in Fischarts >Geschichtklitterunggemeines VolkSpeculum humanae salvationis< (2. Hälfte 15. Jh.); vgl. auch Nikolaus Paulus: Mittelalterliche Stimmen über den
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diskurs nur noch selten auftritt. Dort wird meist aus einer Position der Defensive, der Apologie und Rechtfertigung heraus über die Ehe gesprochen.132 Angesichts der (spätmittelalterlichen) Verheißung des Glücks einerseits, das den Menschen in einer gottgefälligen Ehe erwartet, und der düsteren (reformatorischen) Schilderung des »Kreuzes der Ehe« andererseits müßte man behaupten, daß die reformatorische Lehre die Ehe eher abwerte als aufwerte. Da aber Bullingers Ehetraktat (1540) in seiner pragmatisch-optimistischen Sicht eher den vorreformatorischen Ehetexten zu entsprechen scheint, kann der Grund für die unterschiedliche Bewertung der Ehe nicht nur in einem Unterschied der Konzeptionen zu suchen sein, sondern möglicherweise in einem Unterschied der Redefunktionen und Redeanlässe. Bei Luther steht die Vermittlung der neuen Lehre - der Abhängigkeit des Menschen von der Gnade Gottes - im Vordergrund, in den spätmittelalterlichen Ehepredigten und dann auch bei Bullinger eher der praktische Ratschlag zum Gelingen einer Ehe. An Bullingers Text läßt sich eine weitere Problematik der Relationierung von Textoberfläche und Textaussage demonstrieren. Gerade wegen der wechselseitigen Abhängigkeit von Kommunikationsfaktoren und inhaltlicher Aussage ist zwischen Eheauffassung und Ehedarstellung nicht immer klar zu trennen. Oft kann nicht schlüssig geklärt werden, ob ein bestimmtes Darstellungselement nicht schon Teil eines Konzepts ist. Weil Ehedarstellung und Ehekonzept kaum auseinanderzuhalten sind, läßt sich das Ehekonzept einer religiösen Bewegung, z. B. Reformation, Puritanismus, oder eines Autors, z. B. Luthers, oft nicht anhand eines einzigen Textes festlegen, sondern muß aus einem Ensemble von verschiedenen Texten erschlossen werden. Erst die trotz unterschiedlicher Textfunktionen identischen Positionen dürfen als Ehelehre ausgegeben werden. Daß die reformatorische Ehelehre des 16. Jahrhunderts sehr unterschiedliche Darstellungsformen finden kann, beweist etwa eine Vergleichsanalyse von Bullingers und Menius' Ehetraktaten:133 Sie repräsentieren zwei völlig unterEheorden, in: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 141 (1908) 1008-1024; Helmut Puff: The order of matrimony. A meaningful metaphor in medieval and Renaissance literature, in: C. Balavoine (Hg.): Le mariage ä la Renaissance. Tours [im Druck]. Nur wer die Vielzahl an spätmittelalterlichen Belegen für die hohe Wertschätzung der Ehe nicht kennt, kann behaupten, erst in der Reformation komme es zu einer Positivierung der Ehe. 132 Die acht Gründe, die Luther in einer Ehepredigt (WA 17,1, S. 12-29) für die Ehre des Ehestandes anführt, entstammen sämtlich der mittelalterlichen Tradition. Dasselbe gilt für Georg Spalatinus: Vierzehen vrsachen/ die billich iederman bewegen sollen/den Ehestand lieb und hoch zu haben vnd achten/ ... Zwickau: Wolfgang Meierpeck 1531 (Ratsschulbibliothek Zwickau: 1.13.22/19). Es ist bezeichnend, daß Luther dort, wo er vom Eheglück spricht (Luther, Vom ehelichen Leben, WA 10/2, S. 294), auf die Bibelstelle verweist, die bereits in spätmittelalterlichen Ehetexten hundertfach angeführt wurde: Prov 18,22; vgl. auch ebd. 12,4 und Sirach 26. 133 Obwohl Irmintraut Richarz: Oikos, Haus und Haushalt. Ursprung und Geschichte der Haushaltsökonomik. Göttingen 1991, S. 105-109 beide Texte in einem Abschnitt be-
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schiedliche Ehedarstellungen innerhalb der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und innerhalb der reformatorischen Lehre (Justus Menius war lutherischer Theologe in Thüringen und Sachsen, Heinrich Bullinger war Nachfolger des Reformators Zwingli in Zürich). Menius und Bullinger^4 Die komplexe Relation von Ehekonzept und Darstellungsform soll etwas näher betrachtet werden. Angesichts des Umstands, daß Menius als christlicher Theologe einen >ökonomischen< Traktat (d. h. einen Traktat über die Haushaltung) schreibt, drängt sich die Frage auf, wie diese zwei Stränge in einem Traktat zusammenfinden sollen: antike Ökonomielehre und christliche Ehelehre! Menius geht aus von den drei grundlegenden Personenbeziehungen der ökonomischen Literatur,135 wie sie uns bei Aristoteles in der >Politik< (und in der davon beeinflußten Literatur: Aegidius Romanus, Konrad von Megenberg) und z. T. in den >ÖkonomieHaus< läßt die Rezeption der antiken Ökonomie-Diskussion erkennen. 137 Menius (wie Anm. 134), Bl. A 7V-B 4r, B 8r-v, C 4V-C 6.
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Menius der Zweck der Arbeit nicht in der Ernährung des Menschen, sondern allein in der Erfüllung eines göttlichen Gebotes (»Ihr sollt im Schweiße eures Angesichts euer Brot essen«). Nicht die Arbeit verschafft Nahrung, sondern Gott allein! Alles Bemühen des Menschen kann vergeblich sein, wenn Gott nicht seinen Segen dazu gibt. Der eigentliche Hausvater ist nicht der Ehemann, sondern Gott.138 2. Heidnische Philosophen würden auf Verstand und Klugheit in der Ökonomie achten; dagegen begreift Menius die ganze Ökonomie-Lehre von Gott her.139 Menschlicher Einsatz ist umsonst, wo Gottes Zustimmung fehlt. 3. Trotz der Abwertung menschlichen Bemühens durch Luther und Menius werden Arbeit und Ehe als wichtige Grundpfeiler staatlicher Ordnung gesehen und in einen engen Zusammenhang gestellt: Arbeitsgebot und Ehestiftung stammen von Gott, und die Ehe wird als Institution verstanden, die dem Arbeitsgebot am ehesten nachkommt. Oeconomia und Ehestand sind fast ineinszusetzen. Ohne Ehestand gibt es keine Oeconomia und ohne Oeconomia wäre die Ehe einer ihrer Hauptfunktionen beraubt (wechselseitige Hilfe der Ehepartner).140 Oeconomia verwirklicht sich also allein im Ehestand.141 Dies führt zur Auffassung von der Heiligung der Ehe als Kern des irdischen Hauses. 4. Ehe-Ordnung (oeconomia: Haushaltung) und Landes-Ordnung (politia: Regierung des Landes) scheinen bei Luther und Menius wie in der antiken Ökonomik eng verbunden: die Politia erwächst aus der Oeconomia wie aus einer Quelle hervor. Menius' Eheauffassung läßt sich also etwa so umreißen: Gott hat zwei Reiche eingesetzt, ein geistliches und ein leiblich-äußerliches. Das leiblichäußerliche Reich ist wiederum zweigeteilt in Oeconomia und Politia. Die Ehe gehört dem leiblich-weltlichen Regiment zu, ist also eine Einrichtung dieser irdischen Welt, und deshalb wird die Überwachung der äußeren Formen von Eheschließung und Ehetrennung der weltlichen Obrigkeit übertragen. Hinsichtlich der inneren Einstellung der Eheleute jedoch und ihrer Ausrichtung auf Gott ist die Ehe eine Einrichtung des geistlichen Reiches.142 Da aber die Ehe auch hinsichtlich ihres weltlichen Charakters von Gott angeordnet ist, verfällt derjenige, der nicht heiratet, dem Teufel und damit der Hurerei.143 In der >Christiana Oeconomia< des Justus Menius 138
Menius (wie Anm. 134), Bl. B 3v^r, B 8r, C 4v-5r. Menius, ebd., Bl. B 2r. 140 Menius, ebd., Bl. B ; vgl. auch C . 141 Menius, ebd., Bl. B l v mit Hinweis auf Xenophon. 142 Zur Verbindung von weltlich-obrigkeitlicher und geistlich-religiöser Relevanz der Institution Ehe vgl. auch Bullinger (wie Anm. 134), Bl. B 2r. 143 Menius (wie Anm. 134), Bl. B 6rff. Denn Herrschaft des Teufels bedeutet gemäß dieser Auffassung Hurerei. Mit der Verdächtigung der sexuellen Energie hängt es letztlich zusammen, daß die Sexualität fast aus der Ehe hinausgedrängt wird: Sie wird lediglich wegen der nach dem Sündenfall eingetretenen Schwachheit des Menschen 139
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verbinden sich also theologischer und aristotelisch-ökonomischer Ehediskurs auf vielschichtige Weise. Daß Menius im Gegensatz zur antik-heidnischen Ökonomie-Lehre die Haushaltung und damit die Ehe unmittelbar von Gott her versteht, hat Konsequenzen: Es ergibt sich der Eindruck, daß überhaupt keine Beziehung zwischen den Ehegatten existiert, sondern daß jede Phase der Ehebeziehung und jeder Bereich des ehelichen Verhältnisses über Gott vermittelt wird. Der Ehemann steht unmittelbar zu Gott und erst über Gott steht er in einer Relation zur Frau.144 Beim Umgang mit seiner Frau soll er stets Gott vor Augen haben. Der Mann wird eher als Hausvater denn als liebender Ehemann gesehen. Folgerichtig erscheint erst an dritter Stelle der Ehemann-Pflichten die Aufforderung, die Ehefrau zu lieben.145 Für die Frau gelten dieselben Prinzipien: das rechte Eheleben der Frau ist ein Gottesdienst, nicht eine Hinwendung zum Ehemann;146 bei der Liebe, die die Frau dem Ehemann entgegenbringt, soll sie vor allem Gott vor Augen haben;147 in ihren Nöten soll die Frau vor allem bei Gott Hilfe suchen, nicht beim Ehemann;148 auch Kinder gebären und erziehen ist zunächst und vor allem ein Gottesdienst;149 wie uns Gott die Freunde gibt als Mittel, um unser Leben zu bestehen, so könnte man auch von den Eheleuten sagen, daß Gott sie einander als Mittel gibt, um ein gottgefälliges Leben führen zu können.150 Von einem unmittelbaren Verhältnis zwischen den Eheleuten kann nicht gesprochen werden.151 Bei Menius haben beide Ehepartner eher ihre Pflicht gegenüber Gott zu erfüllen, als daß sie aus eigenem Interesse und zum eigenen Wohlbefinden eine emotionale Beziehung zum Ehepartner gestalten.152 Ganz anders dagegen Heinrich Bullinger. Im Gegensatz zu Menius kommt es Bullinger u. a. auf die zwischenmenschliche Beziehung an: auf das rechte Verhalten zwischen den Eheleuten, das sich vor allem in der ehelichen Liebe und emotionalen Harmonie dokumentieren soll.153 Dieser Autor legt großen Wert auf ein emotionales Gelingen der Ehe.154 Seinen (fragilitas humana) geduldet. Das Sexuelle ist etwas Schlechtes, Böses, das in der Ehe nur zur Vermeidung von Unzucht zugelassen ist. 144 Die Ehefrau wird als Gabe Gottes entgegengenommen, die nur bestimmte Funktionen gegenüber dem Ehemann zu erfüllen hat: a. für Nachkommenschaft sorgen, b. zur Vermeidung von Unzucht, vgl. Menius (wie Anm. 134), Bl. C 2r. 145 Menius (wie Anm. 134), Bl. C -C 2r. 146 Menius, ebd., Bl. C T. 147 Menius, ebd., Bl. D 6V. 148 Menius, ebd., Bl. C 8r-D . Der Aspekt der gegenseitigen Hilfeleistung wird bei Menius kaum angesprochen. Die Zweierbeziehung scheint durch Gott geteilt zu sein. 149 Menius, ebd., Bl. C 8r. 150 Menius, ebd., Bl. G 5r. 151 Auch das Verhältnis zu den Kindern ist nicht emotional, sondern funktional bestimmt; Menius, ebd., Bl. E 2V-E 3r. 152 Ähnliches stellt Helmut Puff in seinem Beitrag zu Veit Dietrichs Ehepredigt fest. 153 Bullinger (wie Anm. 134), Bl. A 6V, B l r , D 4V-D 5V, I 4r, K 2". 154 Bullinger (wie Anm. 134), Kap. 17 und 18. Allerdings beschränkt er sich auf eine
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Ehetraktat leitet er mit einem Genesis-Zitat ein: Es sei nicht gut, daß der Mensch alleine sei.155 Die Kinderzeugung und -erziehung wird nur nebenbei als ein Ehezweck unter anderen erwähnt.156 Im 1. und 2. Kapitel werden dann mehrere Male in wechselnder Reihenfolge drei Ehezwecke genannt:157 a) gegenseitige Hilfeleistung (adiutorium), b) Vermeidung von Unzucht, c) das Zeugen und Erziehen von Kindern. Wenn Bullinger dann im 10. Kapitel die Ehezwecke zum Hauptthema macht, nennt er nach Kinderzeugung und Vermeidung von Unzucht erst an dritter Stelle den wechselseitigen Beistand. Doch mag dies damit zu erklären sein, daß er gerade über diesen Punkt bereits in den ersten Kapiteln ausführlich gehandelt hatte. Insgesamt muß man dem Autor bescheinigen, daß er die beiden Eheleute stark aufeinander bezieht, sie in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit und emotionalen Zusammengehörigkeit sieht. Bullinger hat erkannt,158 daß gerade die Anfangszeit der Ehe Gefahren in sich birgt, die eine Ehe für immer scheitern lassen können.159 Es bedürfe demnach des rechten Aufeinanderzugehens und der gegenseitigen Rücksichtnahme, damit sich ein friedliches Zusammenleben entwickeln könne. An diesen Stellen argumentiert Bullinger nicht von Gott her, bezieht die Eheleute nicht je für sich auf Gott hin, sondern macht das Gelingen der Ehe davon abhängig, daß die beiden Eheleute sich ganz auf den Partner ausrichten. Die Eheleute sollen nichts voreinander verheimlichen; sie sollen aufeinander hören, sich gegenseitig nicht verachten; sollen das achten, was der andere liebt; sich dem anderen in seinen Stimmungen und Wünschen anpassen usw. Hier scheint in Ansätzen eine rein innerweltliche Ehepsychologie durch, auch wenn an einer späteren Stelle die rechte eheliche Liebe als Spiegelung der göttlichen Liebe begriffen wird. Man hat den Eindruck, daß die beiden Eheleute es ganz allein in der Hand haben, ob ihre Ehe funktioniert oder nicht. Mit der Betonung der starken emotionalen Beziehung hängt wohl ein anderer bemerkenswerter Aspekt von Bullingers Ehelehre zusammen: Seiner Auffassung nach unterscheidet sich die Ehe vor und nach dem Sündenfall nicht wesentlich.160 Das Entscheidende sei gleich geblieben: die enge geistig-seelische Verbindung zwischen Mann und Frau.161 Im Hinblick auf die emotionale Beziehung sei keine Veränderung eingetreten. Der Mensch bedürfe des anderen, um nicht allein zu sein. Diskursivierung der Emotionalität; das Thema der Sexualität greift er nur ungern und nebenbei auf und entschuldigt sich auch noch für die Thematisierung dieses Aspekts (Bl. E 2r: Tabuisierung der Sexualität in der Volkssprache). 155 Mit Gn 2,18 beginnen zahlreiche Ehetexte des Mittelalters wie der Frühen Neuzeit. 156 Bullinger (wie Anm. 134), Kap. l, Bl. A T. 157 Bullinger (wie Anm. 134), Bl. A 7V-8V. 158 Dabei kann er sich freilich auf Vorgänger (Plutarch, Erasmus von Rotterdam) stützen. 159 Bullinger (wie Anm. 134), Bl. I 4M und K T-V. 160 Bullinger (wie Anm. 134), Bl. A 7r. 161 Hier erinnert Bullinger an Aussagen des Erasmus von Rotterdam.
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Ganz anders muß dies natürlich in solchen Schriften gesehen werden, wo die Sexualität des Menschen bzw. der Eheleute in den Vordergrund gestellt wird: bei Menius, der immer wieder davon spricht, daß die Schwachheit des Menschen danach verlange, den Sexualtrieb zu befriedigen und deshalb ein Leben außerhalb der Ehe undenkbar sei. Hier bedarf der Mensch des anderen, um nicht der Hurerei zu verfallen.162 Der Sündenfall hat den Menschen verändert, ihn moralisch geschwächt. Von diesem Standpunkt aus geraten folgerichtig andere Ehezwecke in den Vordergrund. Bei Menius werden einzig die beiden Zwecke Zeugung und Vermeidung von Unzucht genannt.163 Bullingers wichtigster Ehezweck, die enge Gemeinschaft, fehlt. Den Satz »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei« bezieht Menius - ganz anders als Bullinger - auf den Zeugungsvorgang. Die beiden Eheleute bedürfen einander nicht in geistig-emotionaler Hinsicht, sondern lediglich in sexueller Hinsicht.164 Wir haben es also mit zwei Ehetraktaten zu tun, die zur selben Zeit verfaßt, gleichermaßen dem >Protest< gegen katholische Lehren verpflichtet, beide in der Volkssprache geschrieben sind, beide dieselben Themen aufgreifen, und die doch in der Beschreibung des Phänomens eheliche Beziehung unterschiedliche Wege gehen. Wie ist diese Differenz zu erklären? Die konzeptuellen Unterschiede - die zugleich Unterschiede in der Darstellung sind - sind wahrscheinlich durch unterschiedliche Textfunktionen mit bedingt. Menius schrieb eine theologisch-apologetische Abhandlung über die Ehe, Bullinger eine pragmatische Anleitung zur Ehe. Ein Indiz für die unterschiedliche Funktion ist der Umstand, daß bei Menius direkte Anreden fehlen.165 Hingegen finden sich in Bullingers Text zahlreiche Anreden.166 Welche Ehekonzeption bzw. welche Ehedarstellung will man aber nun als >typisch< für die Reformationszeit ansehen: die des Menius oder die Bullingers? Darf man behaupten, daß beide Autoren letztlich dasselbe Ehekonzept vertreten, nur eben unterschiedliche Formen der Darstellung gewählt haben? Hier greife ich die Frage wieder auf, die Anlaß für den Vergleich von Menius' und Bullingers Eheschriften gewesen ist:167 die nach der Relation von Ehedarstellung und Ehekonzept. Diese Frage wird dort virulent, wo der Versuch unternommen wird, das Spezifische literarischer Ehedarstellungen des späten 16. Jahrhunderts - in Abgrenzung zu 162
Vgl. Menius (wie Anm. 134), Bl. B 6v-7r. Menius (wie Anm. 134), Bl. B 4r-7v. 164 Menius (wie Anm. 134), Bl. B 5V. Da der Blick des Menius vor allem auf die durch den Sündenfall verderbte Sexualität fällt, braucht er Ehezwecke, welche die sexuelle Tätigkeit entschuldigen. In der Art und Weise aber, wie er dies tut, kann man fast schon wieder von einer Entsexualisierung der Ehe sprechen. 165 Nicht einmal ein >du< begegnet. 166 Allerdings weisen die ersten 14 stark theologisch informativen Kapitel keine Anreden auf. Bei Menius herrscht im 1. Teil eine reflexiv-thetische Redeweise vor. 167 Siehe oben S. 44f. 163
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Rüdiger Schnell
früheren Texten - zu erfassen. In einem stimulierenden Aufsatz zu Fischart hat Jan-Dirk Müller das Besondere an der Ehedarstellung dieses Autors herauszuarbeiten versucht.168 Er meint erkennen zu können, daß die reformatorische Ehelehre in Johann Fischarts >Ehzuchtbüchlein< (1578) insofern eine Korrektur erfahre, als »säkulare Begründungen in den Vordergrund treten und das Verhältnis von Mann und Frau nicht über beider Beziehung auf Gott, sondern als zwischenmenschliches Verhältnis beschrieben wird; so können seine affektiven Komponenten stärker als Selbstwert herausgestellt werden, unter Einschluß der Sexualität«.169 Damit sind wichtige Differenzkategorien benannt, doch ihre frömmigkeitsgeschichtliche Zuordnung ist zu hinterfragen. Ich schlage vor, die hier behauptete Entwicklung von reformatorischer Ehelehre, die die Eheleute zu Gott in Beziehung setze, zu Fischarts säkularem Ehekonzept, das die zwischenmenschliche und emotionale Beziehung betone - differenzierter zu fassen. Denn die Darstellung der Ehe als eines zwischenmenschlichen Verhältnisses und die Akzentuierung der affektiven Komponenten der Ehe begegnet auch in der reformatorischen Eheschrift Bullingers (1540).170 Daran läßt sich allerdings die Frage anschließen, ob die Darstellung der ehelichen Beziehung - als einer Beziehung von Mann und Frau zu Gott oder aber als einer unmittelbaren Auseinandersetzung zweier Menschen - zum Kern des reformatorischen Ehekonzepts gerechnet werden darf oder nicht eher als ein variables, akzidentielles, von der jeweiligen Textfunktion abhängiges Element betrachtet werden muß.171 Die Alternative zu dieser Hypothese wäre die durchaus wahrscheinliche Einsicht, daß es innerhalb der reformatorischen Ehelehre zumindest zwei recht unterschiedliche Auffassungen gibt. Dann aber dürfte es nicht mehr so einfach sein, jede konzeptuelle Varianz in der Ehelehre als Teil einer Entwicklung bzw. Veränderung im 16. Jahrhundert auszugeben.172 Gerne würde man zwischen konstanter reformatorischer 168
Jan-Dirk Müller: Von der Subversion frühneuzeitlicher Ehelehre. Zu Fischarts >Ehzuchtbüchlin< und >GeschichtklitterungPraecepta coniugaliaWider den EhteuffelVon dem Eelichen stadt< und Bullingers Schrift. 172 Übrigens wird in einem theologischen Lexikon das genaue Gegenteil von Jan-Dirk Müllers These behauptet; vgl. Hermann Ringeling: >Ehe/Eherecht/Ehescheidung. VIII EthischSumme häuslicher Verhaltens Vorschriften < (Schwab) bestimmt werden konnte. Neue, personalistische Ansätze zeigen sich z. B. bei J. Milton. Die englische Literatur des beginnenden 18. Jh. akzentuiert dann stark das Gemüthafte in der Ehe, und seit der zweiten Jahrhunderthälfte werden bereits >Gemütsverbindung< und >Freundschaft< als Grund und Zweck der Ehe herausgestellt«. Doch auch Ringelings Entwicklungsskizze weist Mängel auf: 1. Der Verfasser >pendelt< zwischen völlig unterschiedlichen Textgattungen hin und her: mittelalterlichen moraltheologischen Texten einerseits (Albertus Magnus als Ausnahme genannt), frühneuzeitlichen poetischen Texten andererseits (Milton). Hätte Ringeling die poetischen Texte des 12. mit denen des 17./18. Jahrhunderts verglichen, hätte er festgestellt, daß schon im Mittelalter die emotionalen Gehalte einer Ehe Beachtung finden (Wolframs >ParzivalErec< und >IweinWilhelm von Wenden< u. a.). 2. Schon vor Luther findet der emotionale Aspekt einer Ehe, die sog. Innenseite, Beachtung, und zwar nicht nur in poetischen Texten (>Ackermann aus BöhmenVon dem Belieben stadtmachbare< Aufgabe; Mann und Frau werden in ein unmittelbares Verhältnis zueinander gesetzt. Beim nachreformatorischen Autor Veit Dietrich hingegen werden die Eheleute auf Gott hin, nicht aufeinander bezogen; gegenüber der >Machbarkeit< des ehelichen Miteinanders rückt das >Kreuz des Ehelebens< in den Mittelpunkt der Konzeption: also Machbarkeit versus Rigidität. Freilich betont Helmut Puff abschließend, daß damit nur Spezifika von Einzeltexten erfaßt sind, nicht aber Epochenspezifisches. Doch der pessimistisch-disziplinierende Tonfall scheint vielen lutherischen Ehetraktaten gemeinsam zu sein. Einen ganz anderen Eindruck hinterläßt die Lektüre von Heinrich Bullingers >Der Christlich Eestand< (1540), der deshalb wiederholt Gegenstand der Forschung gewesen ist. Doch der Beitrag von Monika Gsell stellt die Frage der Vergleichbarkeit auf einer neuen Ebene: einen Vergleich zwischen verschiedenen Texten Bullingers. Dieser Autor hat sich zwischen 1525 und 1540 in zahlreichen Texten über die Ehe geäußert. Läßt sich daran die Entwicklung im Denken eines Reformators nachweisen oder sind für allfällige konzeptuelle Unterschiede zwischen den Texten die jeweils unterschiedlichen Redesituationen verantwortlich zu machen? Monika Gsell arbeitet den Anteil der jeweiligen Textfunktion an der Geschlechterkonstruktion heraus: die auf Männerdidaxe verkürzte Eheanleitung im Brief an Marx Rosen; die Apologie und theologische Begründung der Ehe in dem an unverheiratete Kleriker adressierten Exkurs zum HebräerbriefKommentar; die verstärkte thematische Einbeziehung der Frauen in den an Eheleute adressierten Traktaten von 1527 und 1540. Doch während 1527 Bullingers Interesse noch ganz der Erziehung des Mannes galt, steht in der Schrift von 1540 die Erziehung von Mann und Frau im Zentrum - so daß die beiden Geschlechter auch als Adressaten auf der gleichen Ebene stehen. Doch Gegenseitigkeit hinsichtlich der Verpflichtungen in der Ehe bedeutet noch keine Gleichstellung von Mann und Frau. Symmetrie wird als mit Hierarchie vereinbar gedacht.
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Von der Hierarchisierung der Geschlechter in der Ehe handelt auch der nächste Beitrag. Rüdiger Schnell fragt, ob und inwieweit der zweite Schöpfungsbericht (Gn 2,21 f.) in Mittelalter und Früher Neuzeit in verschiedenen Textsorten und an verschiedenen diskursiven Orten unterschiedlich ausgelegt worden ist: in Sentenzenkommentaren, theologischen Summen, Bibelkommentaren und Predigten. Es zeigt sich, daß die Deutung des sog. Rippe-Topos in Sentenzenkommentaren und theologischen Summen von der Frage, weshalb Gott die Frau geschaffen hat, bestimmt ist und infolgedessen vor allem die Funktion der Frau definiert. Ehepredigten hingegen eine eher pragmatische und stark adressatenbezogene Textsorte - funktionalisieren den Rippe-Topos auf die Frage hin, wie im Ehealltag ein harmonisches Zusammenleben möglich ist. Dabei zeichnen sich je nach angesprochenem Geschlecht unterschiedliche Akzentuierungen ab. Männer werden auf eine Gleichbehandlung ihrer Frauen verpflichtet, die die Frau als socia ernstnimmt; Frauen wird eingeschärft, sich dem Mann unterzuordnen. Auf diese Weise wird eine Balance in der Ehe anvisiert, die zwischen Gleichstellung und Unterordnung der Frau sich bewegt und doch den Primat des Mannes sichert. Da aber der angestrebte Weg zur >Gleichstellung< der Frau nur über die Männer führte, sind sie es, die in Ehepredigten oft in scharfer Form zum rechten Umgang mit der Ehefrau ermähnt werden. Insgesamt kann konstatiert werden, daß dem Rippe-Topos je nach angesprochenem Geschlecht eine andere argumentative Funktion zuteil wird: Aussagen zur Hierarchie in der Ehe sind adressatenabhängig. Einen zentralen Ort in der Forschung zu Frauenbildern und Geschlechterprojektionen haben seit jeher die Texte eingenommen, die die topische Frage thematisieren, ob ein (weiser) Mann heiraten solle. Detlef Roth nähert sich diesem Textkorpus, das in exemplarischer Weise die spannungsvolle Relation von lateinischer und volkssprachlicher, von klerikaler und laikaler Ehediskussion spiegelt, mit einem diskursanalytischen Ansatz. Im Zentrum steht dabei die deutsche Literatur des 15. Jahrhunderts. Doch um eine breite Vergleichsbasis zu erhalten, wird auch auf die wichtigsten lateinischen und volkssprachlichen Schriften zum Topos von der Spätantike bis zum 14. Jahrhundert kurz eingegangen. Die einschlägigen Texte werden als je spezifische Aneignungen, Mischungen von und Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Diskursen charakterisiert (Theologie, Philosophie, Politik, Ökonomik, Ethik). Von besonderer Bedeutung scheint dabei die Unterscheidung von Texten, die den Topos der Erkenntnis (der Wahrheit) wegen thematisieren, und Texten, die mit der Erörterung des Topos auf eine Handlung abzielen (dissuasiv oder persuasiv), zu sein. Die Analyse der bekannten Ehedebatte in Wittenwilers >Ring< führt zu der Erkenntnis, daß hier rhetorisch-ethischer Diskurs (Handlungsanleitung) und dialektisch-philosophischer Diskurs (Wahrheitsfindung) in einen reizvollen Widerspruch gesetzt und somit die Protagonisten der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Zu einer Auseinandersetzung unterschiedlicher Dis-
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Rüdiger Schnell
kurse kommt es auch in der >Grisardis< des Erhart Groß: die toposhafte Frage wird zunächst unter dem Aspekt der Wahrheit betrachtet, dann aber vom Gesichtspunkt kontextadäquaten Handelns aus positiv beantwortet. Klerikale Argumentationsweise wird durch den politischen Diskurs widerlegt. An drei weiteren Textbeispielen (einer Nürnberger Weltchronik, der sechsten >Translatze< des Niklas von Wyle, des Ehetraktats Albrechts von Eyb) kann Detlef Roth zeigen, was im übrigen für alle von ihm besprochenen Texte gilt: daß deren Antwort auf die Frage An uxor ducenda weder autor- noch epochenspezifisch verstanden werden kann. Entscheidend sind die im Text inszenierten Redesituationen und der kommunikative Kontext, in dem ein Text steht. Mit Hilfe des Vergleichs der volkssprachlichen Textbeispiele mit den entsprechenden lateinischen Vorlagen gewinnen die Thesen Roths zusätzlich an Überzeugungskraft. Mit dem Beitrag von Detlef Roth ist bereits der Übergang zu den folgenden Studien geschaffen, die sich allesamt mit lateinischen Ehetexten bzw. mit deren volksprachlichen Übersetzungen befassen. In ihrem ersten Beitrag untersucht Katrin Graf anhand von drei Ehetexten des Erasmus von Rotterdam die Interdependenz von literarischer Inszenierung und Geschlechterrelationierung: In Brief, Dialog und moraltheologischem Traktat entwirft Erasmus ein recht unterschiedliches Verhältnis von Mann und Frau. Während das >Encomium matrimonii< - für einen theologisch und literarisch geschulten Männerkreis geschrieben - eine vollständige Abhängigkeit der Frau vom Mann voraussetzt und das Ehelob keineswegs ein positives Frauenbild impliziert, inszeniert Erasmus im Dialog >Coniugium< die Erziehung des Mannes bzw. der unzivilisierten männlichen Jugend durch die Frau. Dies gelingt u. a. durch die Konstruktion eines fingierten weiblichen Lesepublikums. In das >Coniugium< scheint eine Männersatire eingelassen, die auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen epikureischem und stoischem Lebensideal zu lesen ist. Radikal anders wiederum stellt sich das eheliche Verhältnis in Erasmus' umfangreichster Eheschrift >Christiani matrimonii institutio< dar. Hier fällt dem Mann die Lehrfunktion zu; er hat - wie im >Encomium< - die Aufgabe der Frauenbildung zu übernehmen. Möglicherweise hängt dies mit der Tatsache zusammen, daß sich Erasmus mit der >Christiani matrimonii institutio< an eine politische Öffentlichkeit richtet. In ihrem zweiten Beitrag befaßt sich Katrin Graf nochmals mit Erasmus' >ConiugiumText< und > sozialer Realität< - die uns freilich vorwiegend nur über Texte zugänglich ist - nicht nur auf der Ebene der inhaltlichen Konzeptionen zu suchen ist, sondern auch auf der Ebene der Gebrauchsmerkmale bzw. der die Textebene bedingenden Faktoren. Nicht allein die inhaltlichen Aussagen eines Textes sollten direkt an die Sozialgeschichte zurückgebunden werden, sondern ebenso die Textmerkmale. Denn an ihnen läßt sich die Gebrauchsfunktion eines Textes ablesen, die ihrerseits wesentlich die Textaussage mitbestimmt. Es handelt sich hier um einen textwissenschaftlichen Ansatz, der die Methoden dafür entwickeln und Erkenntnisse darüber bringen soll, inwieweit Literaturwissenschaftler die Fragestellungen und Thesen der Sozialbzw. Geistesgeschichte zu modifizieren und zu differenzieren vermögen. Dabei ist deutlich geworden, daß literaturwissenschaftliches Arbeiten ganz gewiß an einen Punkt kommt, wo es der Mithilfe der sozialgeschichtlichen Forschung bedarf. Doch sollte umgekehrt die mentalitäts- und sozialgeschichtliche Forschung die methodischen Überlegungen der Textwissenschaftler berücksichtigen.
Helmut Puff
»[...] ein schul / darinn wir allerlay Christliche tugend vnd zucht lernen.« Ein Vergleich zweier ehedidaktischer Schriften des 16. Jahrhunderts »Comparisons are odious, because they are impertinent, and lead only to the discovery of defects by making one thing the standard of another which has no relation to it.« William Hazlitt, On Thought and Action1
I. Einleitung Die ideologische Trennlinie zwischen Reformern und Bewahrern der katholischen Kirche basierte unter anderem auf dem Bewußtsein der Reformer, ein neues Eheverständnis geschaffen zu haben: Die Reformatoren waren der festen Überzeugung, mit ihrer Kirchenreform die Ehe als Institution aufzuwerten. Luther zufolge hatte die >papistische Kirche< die eheliche Verbindung von Mann und Frau herabgewürdigt, nicht nur, weil sie dem Klerus verwehrt und durch vielerlei Rechtsbestimmungen eingeschränkt gewesen war, sondern auch weil die Keuschheit höherbewertet worden sei als die eheliche Gemeinschaft. Diese dogmatischen Positionen der katholischen Kirche sah Luther nicht durch den Buchstaben der Heiligen Schrift gedeckt. Dabei ging es Luther und seinen Mitstreitern um mehr als um eine Legitimation der Ehe. Mit der Theologie der Ehe stand aus ihrer Sicht - die gesamte Sozialordnung auf dem Prüfstand. Die Reformatoren machten die vermeintliche Beschränkung von Eheschließungen für gravierende gesellschaftliche Übel verantwortlich, den Ehebruch und die Hurerei. Spätere Reformatorengenerationen wiederholten die Anwürfe Luthers und anderer früher Reformatoren gegen die katholische Kirche. Mit dem ceterum censeo katholischer Ehefeindschaft inszenierte die protestantische >Partei< lautstark die Überlegenheit des eigenen Gesellschaftsmodells gegenüber dem >anderen< Teil der Christenheit.2 1
W. Hazlitt: Table talk, in: William Hazlitt: The collected works, hg. von A. R. Waller, Arnold Glover, Bd. 6. London 1903, S. 105f. Den Hinweis auf dieses Zitat verdanke ich Paula Blank (Comparing Sappho to Philaneis. John Donne's >Homopoeticspapistische Irrlehren< könnte man als Versuch der Reformatoren verstehen, sich aus den Fängen eines theologischen Paradoxons zu befreien: ideologische Aufwertung der Ehe bei gleichzeitiger Auflösung des Sakramentalcharakters und damit einer >Verweltlichung< der Ehe.3 In Luthers Theologie zählte die Ehe nicht mehr zu den Sakramenten - sie war nicht von Christus eingesetzt worden. Außerdem wurde die Ehegesetzgebung der weltlichen Obrigkeit anheimgestellt und somit, zumindest theoretisch, dem Zugriff der Reformkirche entzogen. Eine erste, konkrete gesellschaftliche Folge des neuen Denkens in Sachen Ehe ist die Heirat von Klerikern.4 In den Städten und Gemeinden an der Schwelle zur Reform setzte die Heirat von Geistlichen - neben der öffentlichen Verletzung des Fastengebots und den Veränderungen in der Liturgie des Gottesdienstes - weithin diskutierte Zeichen für die Neuordnung der Christenheit. Die Diskussion um die Ehe wurde in den Jahren zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag (1521-1530) insgesamt von der Frage beherrscht, ob Kleriker heiraten sollten. Die Klerikerehen machten öffentlich sichtbar, daß die religiöse Reform tiefgreifende Veränderungen in der bestehenden Sozialordnung mit sich bringen würde.5 Sozial gesehen bedeutete die Aufwertung der Ehe im Sinne Luthers also zunächst einmal Ausweitung der ehelichen Lebensform auf Gruppen, die im Spätmittelalter von einer Eheschließung ausgeschlossen waren: geistliche Männer und Frauen. Zugleich revidierten Luther und andere Reformatoren die einschlägigen Bestimmungen des kanonischen Rechts. Sie beseitigten wesentliche Ehehindernisse und erweiterten damit den Kreis der eheberechtigten Personen weiter - ganz gleich, ob in einer späteren Entwicklungsphase der Reformation bzw. in der gerichtlichen Praxis das kanonische Recht wieder verstärkt rezipiert wurde.6 Mit der Abschaffung des estate pleasing to God and man. Secular and religious Reformation of marriage in the Palatinate, 1555-1619. Phil. Diss. Ann Arbor 1989, S. 48-65 u. 261-324 (jetzt als: Reordering marriage and society in Reformation Germany. Cambridge 1995); Lyndal Roper: The holy household. Women and morals in Reformation Augsburg. Oxford 1989; Jacques Ride: Martin Luther et le mariage, in: M. T. Jones-Davies (Hg.): Le mariage au temps de la Renaissance. Paris 1993, S. 236; Robert M. Kingdon: Adultery and divorce in Calvin's Geneva. Cambridge 1995. 3 Vgl. Roper (wie Anm. 2), S. 162f. 4 Vgl. zuletzt Susanna Burghartz: Das starke Geschlecht und das schwache Fleisch. Erasmus und Zwingli zur Priesterehe, in: Michael Erbe (Hg.): Querdenken. Dissens und Toleranz im Wandel der Geschichte. Mannheim 1996, S. 89-106. 5 Roland H. Bainton: Women of the Reformation in Germany and Italy. Minneapolis 1971; Ute Monika Schwob: Kulturelle Beziehungen zwischen Nürnberg und den Deutschen im Südosten im 14. bis 16. Jahrhundert (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 22). München 1969, S. 62. 6 Im einzelnen Hartwig Dieterich: Das protestantische Eherecht in Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (Jus Ecclesiasticum 10). München 1970; Thomas Max Safley: Let no man put asunder. The control of marriage in the German Southwest. A comparative study, 1550-1600 (Sixteenth Century Essays and Studies 2). Kirksville 1984; Harrington (wie Anm. 2), S. 162-215.
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Sakramentalcharakters der Ehe, der Relativierung des Kirchenrechts und der Einführung der Klerikerehe waren aus der Perspektive der Zeitgenossen ausreichend Gründe gegeben, eine völlige Neubewertung der Ehe von seilen der Reformatoren zu behaupten. Der Anbruch der neuen Zeit nach der Reform tat sich denn auch in den Zürcher, Basler und Schaffhauser Ordnungen kund, die admininistrativ-gesetzgeberische Konsequenzen aus den neuen theologischen Determinanten des Ehediskurses zogen.7 Forscher und Forscherinnen haben sich mit den Aussagen der Reformatoren zur Ehe schwergetan. Kontinuität und Wandel dieser Sozialinstitution im Zeitalter vor und nach der Reform sind heute mehr denn je umstritten, wie Rüdiger Schnell in seiner Einführung zu diesem Band gezeigt hat.8 Zum einen liegt das daran, daß die Bewertung der Reformation als eines epochalen Einschnitts generell fragwürdig geworden ist. Die Forschungen Heiko A. Obermans und anderer haben vorgeführt, daß die reformatorische Bewegung aus geistigen Strömungen und sozialgeschichtlichen Veränderungen erwächst, die weit ins 15. Jahrhundert zurückreichen.9 Von diesem gewandelten Epochenbegriff aus betrachtet mag es daher nicht verwundern, wenn die jüngere Historiographie und Literaturwissenschaft dem Bewußtsein historischen Wandels unter den Zeitgenossen von damals mit Skepsis begegnen. Zum anderen liegt die Skepsis aber auch darin begründet, daß aus sozial- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive der Verweis auf neue Rechtsformen und die veränderte theologische Grundlegung der Ehe nichts über den >Innencharakter< der Ehe aussagen: Die Frage etwa, ob die Reformation eine Stärkung patriarchaler Macht und damit eine 7
Die Basler Reformationsordnung vom I.April 1529, in: Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren 1519-1534, Bd. 3 (1937) 383-409, hier S. 396-398; Reformationsmandat für das Gebiet von Bern vom 7. Februar 1528, in: Aktensammlung zur Geschichte der Bemer Reformation 1521-1532, Bd. l (1932) 629-634 (Nr. 1513); Ernst Gerhard Rusch: Die Schaffhauser Reformationsordnung von 1529, in: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte 56 (1979) 5-27, hier S. 17-23; Das Zürcher Mandat Christenlich ansehung des gemeinen kilchgangs etc. vom 26. März 1530, in: Emil Egli (Hg.): Aktensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation in den Jahren 1519-1533 (1879) 702-711 (Nr. 1656). 8 R. Schnell (in diesem Band), S. 1-58. 9 Heiko A. Oberman: The harvest of medieval theology. Gabriel Biel and late medieval nominalism. Cambridge 1963; ders.: Forerunners of the Reformation. The shape of late medieval thought. Philadelphia 1966; ders.: Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf. Tübingen 21979; ders.: The dawn of the Reformation. Essays in late medieval and early Reformation thought. Edinburgh 1986; ders.: The Reformation. Roots and ramifications. Edinburgh 1994; Heinz-Dieter Heimann: Über Alltag und Ansehen der Frau im späten Mittelalter - oder: Vom Lob der Frau im Angesicht der Hexe, in: Frau und spätmittelalterlicher Alltag. Wien 1986, S. 279; Harrington (wie Anm. 2): Kontinuitätsthese; differenziert, aber in puncto Ehe eher zugunsten eines Wandels der intellektuellen Auffassung: Ian Maclean: The Renaissance notion of woman. Cambridge 1980, bes. S. 19f., 84f.; für die Eheliteratur: Hans-Jürgen Bachorski: Diskursfeld Ehe. Schreibweisen und thematische Setzungen, in: H.-J. Bachorski (Hg.): Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität. Trier 1991, S. 519.
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Helmut Puff
Abwertung der Frau gebracht habe, oder nicht vielmehr die Stellung der Frau verbessert habe, läßt sich mit dem Hinweis auf die grundsätzliche theologische Andersbewertung der Ehe, wie sie in den Texten auf uns gekommen ist, kaum beantworten.10 Ob die von den Reformatoren so lautstark vertretene Aufwertung der Ehe die Innerlichkeit der Paarbeziehung begünstigt hat und damit das Machtgefälle der Ehepartner entschärfte, ist nämlich von der abstrakten Diskussion über die Ehe her nicht zu beschreiben, sei diese Diskussion nun juristisch oder theologisch. In dieser Diskussion geht es schließlich nur indirekt um die Normierung von Geschlechterrollen. Vor allem steht die religiöse Grundlegung der Institution Ehe im Mittelpunkt." Vorsicht ist also geboten, will man sich nicht von der Reformrhetorik blenden lassen.12 Die Aufwertung der Ehe ist zunächst einmal propagandistische Position, hinter der Kontinuität und Wandel erst erkundet werden müssen. Das gilt indes keineswegs allein für das Verhältnis von gelebtem Leben und Literatur bzw. Theologie. Vorsicht ist vor allem auch auf der Ebene der Texte selbst angebracht. Auch hier lassen sich, wie im folgenden deutlich werden soll, hinter der Behauptung von Wandel textliche Kontinuitäten vermuten und ablesen.13 In einem grundlegenden Artikel hat Kathleen M. Davies beim Vergleich vor- und nachreformatorischer Eheschriften festgestellt, daß sich didaktische Eheschriften aus England durch eine hohe inhaltliche Kontinuität auszeichnen.14 Sozialgeschichtliche Veränderungen korrelieren, Davies zufolge, nicht notwendigerweise mit veränderten literarischen Normierungen der Ehe. Ihr Vergleich englischer Ehetraktate, vornehmlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wird an Themen durchgeführt, die in Texten zwecks 10
Vgl. Joan Kelly-Gadol: Did women have a Renaissance? [1977], in: Joan Kelly: Women, history, and theory. The essays. Chicago 1984, S. 19—50; dt.: Gab es die Renaissance für Frauen? in: Barbara Schaeffer-Hegel, Barbara Watson Franke (Hgg.): Männer Mythos Wissenschaft. Grundlagentexte zur feministischen Wissenschaftskritik (Feministische Theorie und Kritik 1). Pfaffenweiler 1989, S. 33-65; David Herlihy: Did women have a Renaissance? A reconsideration, in: Medievalia et Humanistica, n.s. 13 (1985) 1-22; Gerhard Wolf: Spiel und Norm. Zur Thematisierung der Sexualität in Liebeslyrik und Ehelehre des späten Mittelalters, in: Ordnung und Lust (wie Anm. 9), S. 502; Lyndal Roper: Was there a crisis in gender relations in sixteenth-century Germany? in: dies., Oedipus and the devil. Witchcraft, sexuality and religion in early modem Europe. London 1994, S. 37-52. " Daß diese Vorstellung von Ehe schon in sich gendered ist, auch wo sie nicht geschlechtsspezifisch formuliert ist, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. 12 Vgl. Harrington (wie Anm. 2), S. 65 u. ö. 13 Vgl. z. B. Helmut Puff: The order of matrimony. A meaningful metaphor in late medieval and Renaissance literature, in: C. Balavoine (Hg.): Le manage ä la Renaissance. Tours [im Druck]. Aus historischer Perspektive vgl. Joel F. Harrington: Hausvater und Landesvater. Paternalism and marriage reform in sixteenth-century Germany, in: Central European History 25 (1992) 52-75. 14 Kathleen M. Davies, Continuity and change in literary advice on marriage, in: R. B. Outhwaite (Hg.): Marriage and society. Studies in the social history of marriage. New York 1982, S. 58-80.
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Verhaltensnormierung in der Ehe immer wieder vorkommen: Ziele der Ehe, Gehorsamspflicht der Frau, Gebot der Rücksichtnahme für den Mann, Kindererziehung usw. Bei ihrer Analyse kommt Davies zu dem Ergebnis, daß sich dieselben Verhaltensnormen in Schriften vor und nach der Reformation nachweisen lassen. Die ältere Forschung habe, so Davies, nur deshalb zu einem anderen Ergebnis gelangen können, weil die Auswahl der Texte wie Textstellen impressionistisch und nicht systematisch angelegt war. Die Kritik an den Evaluationen der bisherigen Forschung gipfelt bei Davies in der methodisch wegweisenden Forderung, »Gleiches mit Gleichem zu vergleichen«.15 Dazu gehöre es beispielsweise, nur solche Werke zu vergleichen, die sich an ein ähnliches Publikum richten und nicht verschiedene Textsorten in einen Vergleich einzubeziehen (Davies selbst hat das Corpus der didaktischen Eheschriften untersucht). Bei einem methodisch sauberen Vergleich vor- und nachreformatorischer Eheschriften trete nämlich die monotone Beharrungskraft ehelicher Normen in den Vordergrund, nicht ihre Variabilität. »Vagheit, Generalisierung und Konventionalität« kennzeichnen ihrer Auffassung nach das Corpus der Eheschriften seit dem 15. Jahrhundert:16 »Was an den Benimmbüchem [= conduct books] interessant ist, ist eben ihre Kontinuität.«17 Damit ist die Frage nach historischen Wandlungen in der Lebenswelt noch keineswegs beantwortet. Allein die Möglichkeit, sich bei der argumentativen Herleitung sozialhistorischer Veränderungen auf literarisches Material zu stützen, wird problematisiert, und damit zugleich die Vorstellung, Literatur, selbst didaktische Literatur, sei als Widerspiegelung gelebten Lebens zu begreifen. Davies' großes Verdienst besteht darin, die Frage literarischer Veränderungen von der - selbstverständlich berechtigten - Frage nach sozialgeschichtlichen Veränderungen abgekoppelt zu haben. Indem bisher beide Fragenkomplexe - literar- und sozialhistorische Veränderungen - miteinander verknüpft worden waren, wurden die Texte nur allzu oft als bloßes Belegmaterial eingesetzt. Indes gilt es, mit Davies die Möglichkeit einer autonomen literarischen Entwicklung bzw. >Stagnation< zu bedenken. Davies' eigene Analyse greift meines Erachtens jedoch gerade auf der entscheidenden Ebene zu kurz, den Texten selbst nämlich. Denn die Frage nach textlichen Veränderungen sollte nicht allein, wie bei Davies, als Frage nach Inhalten auftauchen. Davies weist in diese Richtung, wenn sie die Akzentuierung der Häuslichkeit (»domesticity«) auf veränderte Leserkreise und Wandlungen in der Rezeption von Literatur zurückführt - ein Aspekt, der in ihrer weiteren Darstellung allerdings kaum mehr berücksichtigt 15
Ebd., S. 60, 61. Ebd., S. 62. 17 Ebd., S. 77. Natürlich ist nicht auszuschließen, daß wegen des spezifischen Charakters der englischen Reformation Davies' Ergebnisse nicht auf Material aus dem deutschsprachigen Raum übertragbar sind. Vgl. Eric Josef Carlson: Marriage and the English Reformation. Oxford 1994. 16
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wird.18 In der Tat, eine Analyse textlicher Veränderungen über größere Zeiträume hinweg muß neben inhaltlichen auch formale, rhetorische und kommunikative Parameter berücksichtigen. Der Vergleich einzelner Inhalte muß daher ergänzt werden um Beschreibungsebenen wie Publikum, Überlieferung, Textfunktion, Redeweise, Umfang usw. Vorliegender Beitrag versucht, die richtungsweisende methodische Forderung von Davies - »to compare like with like« - in eine Vergleichsstudie umzumünzen. Gerade indem hier eine ganze Anzahl von Textparametern Berücksichtigung findet, soll die Frage nach inhaltlichen Veränderungen an Substanz und das Ergebnis an Präzision gewinnen. Ein solcher IntensivVergleich ist - im Rahmen eines Artikels - nur bei sehr eingegrenztem Textmaterial möglich. Für diese exemplarische Studie wurden zwei Texte ausgewählt, der sogenannte >Sermo de matrimonio deutsch< (»Von dem Eelichen Stadt«) als vorreformatorische19 und die >Eine kurtze vermanung an die Eheleut< von Veit Dietrich (1506-1549) als nachreformatorische Eheschrift.20 Die Konzentration auf zwei Schriften ermöglicht es, einzelne inhaltliche Aussagen zur Ehe immer wieder aufs Schriftganze hin zu kontextualisieren. Ohne Berücksichtigung textlicher Zusammenhänge sollte ein dezidiert literaturwissenschaftlicher Ansatz nicht auskommen.21 Zu18
Davies (wie Anm. 14), S. 61. Gerd Brinkhus: Eine bayerische Fürstenspiegelkompilation des 15. Jahrhunderts (MTU 66). München 1978, S. 122-130 u. ö.; ders.: Sermo de matrimonio, in: Kurt Ruh u. a. (Hgg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 8. Berlin 1992, Sp. 1106f.; Michael Dallapiazza: Minne, husere und das ehlich leben. Zur Konstitution bürgerlicher Lebensmuster in spätmittelalterlichen und frühhumanistischen Didaktiken (Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Bd. 455). Frankfurt a. M. 1981, S. 143-146; Teilwiedergabe in neuhochdeutscher Übersetzung: Aus der Flugschrift >Von dem ehelichen StandSermo< abgekürzt. 20 Bernhard Klaus: Veit Dietrich. Amanuensis D. Martin Luthers und Prediger an St. Sebald in Nürnberg (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 32). Nürnberg 1958, S. 8f., 11 (mit Nachweisen für die Deutsche Staatsbibliothek Berlin und die Bayerische Staatsbibliothek München); Veit Dietrich: Etliche Schrifften für den gemeinen man / von vnterricht Christlicher lehr vnd leben / vnnd zum trost der engstigen gewissen. Durch V. Dietrich. Mit schönen Figuren. Nürmberg. M.D.XLVIH., hg. von Oskar Reichmann (Quellen und Forschungen zur Erbauungsliteratur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 5). Assen 1972, S. 3, 5, 19f.; weitere Literatur zu Veit Dietrich: Schwob (wie Anm. 5), S. 60-63, 68, 75, 91-99, 102f., 105, 109-115, 124, 128, 179, 207; M. A. van den Broek: Sprichwort und Redensart in Veit Dietrichs >Etliche Schrifften für den gemeinen manEtliche[r] SchrifftenVermanungGenres< an, sondern auch in den Sollformulierungen, die folgen: »halten sollen« - »halten [...] vnderweisen vnnd ziehen soll«. Auch über den Lebensbereich, der normiert werden soll, sprechen die Titel eine klare und durchaus ähnliche Sprache: »wie sie [= die Eheleut] sich im Ehestandt halten sollen« heißt es bei Dietrich,22 während die Eheleute im >Sermo< einzeln benannt werden und überhaupt die Aktivitäten näher umschrieben werden (»wie sich ain eeman halten / vnd sein Eefrawen vnderweisen [!] vnnd ziehen soll Auch widerumb die fraw gegen irm mann«).23 Beide Schriften wenden sich also an ein bestimmtes, wenn auch sehr weit gefaßtes Publikum: an Laien, genauer an Nichtkleriker und Verheiratete. Einfache Abbildungen unterstützen dabei die verbalen Botschaften visuell. Darüber hinaus empfehlen sich die zu behandelnden Schriften der Leserschaft durch Kürze: Bei Dietrich wird diese Überschaubarkeit im Titel angezeigt (>Ein kurtze vermanungSermo< erfolgt der Hinweis auf die brevitas erst mit Beginn des Textes.24 Diese brevitas ist alles andere als ein exordialer Topos. Mit 8 Blättern erreicht der Umfang des >Sermo< genau einen Druckbogen. Veit Dietrichs >Vermanung< umfaßt mit l 1/2 Bogen nur wenig mehr, 12 ungezählte Blätter. Hervorstechendes Merkmal beider Texte ist also ihre Kürze einerseits, ihre Handlungsorientierung andererseits. Beide wollen kurzgefaßte Lehren für eine breite Gruppe von 22
Vgl. jedoch unten, das im Text selbst konstruierte Publikum, S. 77-79. Diese Formulierung läßt den theologischen Ehediskurs anklingen: e converse (dazu R. Schnell: Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs. Frankfurt a. M., New York 1998). Auch die Titelabbildung zeigt Mann und Frau in zwei kleinen Vignetten in einem runden Rahmen und macht noch einmal visuell die Adressierung deutlich. 24 A : »HJe will ich mit kurtzen wortten [...].« 23
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Rezipienten und Rezipientinnen bieten. Eine ausgeprägte Publikumsorientierung, wie sie für didaktisches und alltagsweltlich.es Schrifttum typisch ist,25 schlägt sich schon auf den Titelblättern der fraglichen Texte nieder. Bei dieser ersten Annäherung erweist sich mithin die Vergleichbarkeit beider Schriften, und zwar auf verschiedenen Ebenen: das Thema der Ehe, die mediale Übermittlungsform als Druck, der geringe Umfang, die deutsche Sprache, eine belehrende Redeweise, die didaktische Textfunktion und schließlich ein ähnlich konzipierter Adressatenkreis. Außerdem werden sowohl der >Sermo< als auch Dietrichs >Vermanung< in Reichsstädten mit vergleichbarer Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur veröffentlicht. Lokalbezüge zu Augsburg und Nürnberg werden dennoch kaum hergestellt26 ein Indiz für fehlendes Interesse an sozialer Konkretion und an Verankerung in bestimmten, eingegrenzten Lebenssituationen. Davies nannte dieses Merkmal die »Vagheit« der Texte. Diese »Vagheit« läßt sich jedoch auch als Offenheit für eine Vielfalt von Lehr-, Gebrauchs- und Anwendungssituationen verstehen. 2. Kurzvorstellung a. >Von dem Eelichen stadt< (>Sermo de tnatrimonioSermo< ein mit Darlegungen zum göttlichen Ursprung sowie den Gründen der Ehe, Darlegungen, die in ein fast genrehaftes Bild einander zugetaner Eheleute im Kreis ihrer Kinder münden. Diese aus Albrechts von Eyb >Ob einem manne sey zunemen eyn eelichs weyb oder nicht< (für die Flugschriftenfassung) exzerpierte Passage27 bringt Anklänge an die commendatio matrimonü, eine topische Abfolge von Argumenten zum »lob der Ee« (A l v ) - ein Textbaustein, wie er häufig gerade am Anfang von Predigten oder anderen Schriften zur Ehe zu finden war.28 Der darauf folgende, gleichsam katechetisch-exegetische Teil zur Normierung des Partnerverhaltens in der Ehe wird aus neutestamentlich-biblischen Quellen gespeist (A2r-B ), der zweite (»das ander buch von der Ee«) aus der pseudo-aristotelischen Ökonomik (B 2r-B 4r). Sach25
Vgl. zur Erforschung dieses Schrifttums Michael M. Sheehan: Maritaiis Affectio revisited, in: Robert R. Edwards, Stephen Spector (Hgg.): The olde daunce. Love, friendship, sex, and marriage in the medieval world. New York 1991, S. 32-43; Nicole Beriou, David L. D'Avray (Hgg.): Modern questions about medieval sermons. Essays on marriage, death, history and sanctity (Biblioteca di Medioevo Latino 11). Spoleto 1994. 26 Vgl. Veit Dietrich: Vom ehestand, in: ders., Etliche Schrifften (wie Anm. 20), S. 144,16 (»schembart«). 27 Vgl. Albrecht von Eyb: >Ob einem manne sey zunemen ein eelichs weyb oder nichtSermo< mit äußerster Knappheit, einem Auszug aus den Bußbüchern vergleichbar, dargeboten, während andere Themen gänzlich ausgeklammert bleiben (z. B. Ehehindernisse, Ehebruch, Scheidung). Trotz des geringen Umfangs der Schrift überschneiden sich der katechetische und der Teil über das >ganze Haus< inhaltlich (Einträchtigkeit, Strafe, Haushaltung). b. Veit Dietrichs >Vermanung
Sermo< werden auch in der >Vermanung< viele Themen ausgelassen, die in anderen, ausführlicheren Texten gängig waren (Kindererziehung, Haushalt), so daß - ganz im modernen Sinn - die Beziehung zwischen Mann und Frau als das eigentliche Zentrum dieses Stückes über die Ehe erscheint. 3. Textgeschichten Während die Kurzvorstellungen noch einmal die inhaltliche wie formale Nähe beider Texte unterstrichen haben, so zeigen sich Unterschiede, wenn man die Geschichte beider Texte aufspürt. Der ältere, »Von dem Eelichen Stadt« (>SermoWiewol all menschen erstlich entsprungen aus einer wurczel AdamSermo de matrimonio< (9 Handschriften mit wechselnder Mitüberlie-
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ferung: juristischen, lebensweltlichen Schriften einerseits und moraltheologischem Schrifttum andererseits); schließlich in der hier behandelten Druckfassung. Nach zwei Sammeldrucken in einem Kontext, welcher dem der Fürstenspiegelkompilation vergleichbar ist (1472 und 1476; davon zwei handschriftliche Abschriften), wurde der Text zuerst 1481 als Separatum veröffentlicht. Diese Flugschrift hat der Augsburger Drucker Johann Schönsberger zwischen ca. 1512 und 1520 mindestens siebenmal aufgelegt.29 Ergänzt um die erwähnte, nicht als solche gekennzeichnete Partie aus Albrecht von Eyb erreichte »Von dem Eelichen Stadt« genau den Umfang eines Druckbogens. Dank neu identifizierter Textzeugen vom Anfang des 15. Jahrhunderts,30 läßt sich die nachweisbare Textgeschichte sogar noch bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts zurückverfolgen. Sie dauert also mehr als 100 Jahre an und reicht zeitlich von ca. 1400 über den ersten Sammeldruck (in Folioformat) im Jahre 1472 bis zu den Einzeldrucken aus den Jahren unmittelbar vor der Reformation. Ein Vergleich der verschiedenen Textzeugen des >Sermo< ergibt indes nur geringe Abweichungen im Wortlaut. Der bei Gerd Brinkhus edierte >Sermo de matrimonioSermo von dem Eelichen stadt< ist demnach die populärste Eheschrift vor der Reformation. Kein anderer Ehetext ist so oft überliefert wie der >SermoSermo von dem Eelichen stadt< abrupt ab. In Anbetracht der breiten Rezeption dieses Texts über mehr als einhundert Jahre hinweg ist der Endpunkt der Überlieferung signifikant. Die These liegt nahe, daß die diskursiven Verschiebungen im Gefolge der Reformation für das Abbrechen der Überlieferung verantwortlich zu machen sind.34 29
Zur Überlieferung vgl. Brinkhus (wie Anm. 19). Siehe Britta-Juliane Kruse: Neufunde zur Überlieferung der >Predigt vom ehelichen LebenSermo de matrimonio< im Zusammenhang mit einer >Predigt auf die Hochzeit zu KanaSermo< zeichnet sich die >Vermanung< Veit Dietrichs durch eine weniger verzweigte oder gar erfolgreiche Textgeschichte aus. Seine Mahnschrift ist nach gegenwärtigem Wissensstand nur selten aufgelegt worden, einmal als Einzeldruck (1544) und weitere Male als Beitrag zur Sammelausgabe von Dietrichs Erbauungsschriften (1548; 1549; 1557). Das ist um so auffälliger, als mit Ausnahme der >Vermanung< alle anderen dort versammelten Stücke mehr als eine Auflage erlebten, bevor sie in die Sammlung >Etliche[r] Schrifften< integriert wurden.35 Es wird jedoch schwerlich möglich sein, für diese geringe Resonanz Gründe namhaft zu machen. Nach der Reformation hatte ein Autor allerdings mit großer Konkurrenz auf dem Gebiet religiösen Eheschrifttums zu rechnen: Martin Luther, Johannes Bugenhagen, Erasmus Alberus und Heinrich Bullinger legten - neben anderen Reformatoren - Eheschriften vor, noch bevor Veit Dietrichs kleine Schrift käuflich zu erwerben war.36 Veit Dietrich (latinisiert Vitus Theodoricus) gehörte dabei dem engsten Schülerkreis um Luther in Wittenberg an. Als gebürtiger Nürnberger besuchte er, obwohl aus ärmlichen Verhältnissen stammend, die Lorenzschule seiner Vaterstadt. Seit 1522 studierte er an der Wittenberger Universität, wo er 1529 dank eines Stipendiums des Nürnberger Rats den Grad eines Magister artium erwerben konnte.37 Der soziale Aufstieg via Bildung brachte Dietrich in den unmittelbaren Kreis um Luther. Dort erfüllte er die Funktion eines Amanuensis, wie es in der Literatur heißt, das heißt eines Privatsekretärs. Als Eckermann Luthers begleitete Dietrich den Reformator auf Reisen, besorgte Veröffentlichungen seiner Schriften, zeichnete Predigten auf, sammelte und verfaßte Briefe. Bis zu einem Zerwürfnis mit Käthe Luther (1534) wohnte er mit der familia Luthers im Schwarzen Kloster. In diesem Kreis lernte er Lene Kaufmann kennen und hielt 1532 bei seinem Mentor, dessen Mündel die junge Frau war, um ihre Hand an. Interessantenveise stellte sich der Reformator dem Heiratsbegehren entgegen, betonte aber zugleich die Rechtmäßigkeit und Gottgewolltheit des Ehestands.38 Ende des Jahres 1535 wurde Dietrich nach Nürnberg, als Prediger an St. Sebald, berufen - der erste nichtgeweihte Priester in Nürnberg, wie er bemerkt.39 Noch im Jahr des Stellenantritts (1536) heiratete er Kunigunde 35
Vgl. O. Reichmann (wie Anm. 20), S. 3, 5, 19f. Jedoch waren es keineswegs die bekanntesten Reformatoren wie Luther oder Bugenhagen, deren Eheschriften die höchsten Auflagen hatten, sieht man einmal vom Kurztext der Haustafel Luthers ab. 37 Als Dekan der Artistenfakultät hielt er auch Vorlesungen, so 1534 über Ovids Metamorphosen, vgl. Otto Clemen: Aus einem Wittenberger Kolleg Veit Dietrichs über Ovids Metarmophosen. Sommer 1534, in: Beiträge für bayerische Kirchengeschichte 17 (1911)279-286. 38 Martin Luther: Tischreden. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 5. Weimar 1919, S. 655f. (Nr. 6424). Vgl. ebd., Bd. 2. Weimar 1913, S. 474f. (Nr. 2468b); Bd. 1. Weimar 1912, S. 83f. (Nr. 185); ebd., S. 92f. (Nr. 217); ebd., S. 98 (Nr. 233). 39 Klaus (wie Anm. 20), S. 132. 36
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Leys.40 Auf dieser bedeutenden Predigerstelle in einer der bedeutendsten Reichsstädte wurde Dietrich vom Rat mit zahlreichen Missionen betraut, visitierte Nürnberger Landgemeinden und begann eine lange Reihe von eigenen Publikationen zwecks religiöser Erbauung, zu der auch die hier besprochene Eheschrift gehört. Die jeweiligen Textgeschichten verweisen bei aller Nähe von Inhalt, Gebrauchsfunktion und konstruiertem Publikum auf Unterschiede, die bei der gewählten >Versuchsanordnung großer Ähnlichkeit Berücksichtigung finden müssen: Ist ein Kompilationstext vom Typus des >Sermo< mit dem Autortext der >Vermanung< überhaupt vergleichbar? Ermöglichte es gerade die Anonymität des >SermoVon dem Eelichen stadt< (>Sermo de matrimonioGründtlicher vnterricht vom Sacrament des Altars< (Nürnberg 1543, Bl. K), verteidigte er die Priesterehe (zitiert bei Klaus [wie Anm. 20], S. 213f.); vgl. das Gratulationsschreiben Martin Luthers, in: Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel, Bd. 7. Weimar 1937, S. 343-345 (Nr. 2284); Philipp Melanchthon, [Brief an Veit Dietrich], in: Opera (Corpus Reformatorum 3). Halle 1836, Sp. 398-400, hier 399. 41 Ein solches Vorgehen würde indes auf Veränderungen in der kommunikativen und literarischen Situation keine Rücksicht nehmen können, mithin zu einer Vergleichssituation >großer Unterschiedlichkeit führen. 42 A 2r. Es wurde der Abschnitt ausgewählt, mit dem der >Sermo< schon vor der Flugschriftenversion begann, nicht das Albrecht von Eyb-Exzerpt.
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Spruch ist - bezeichnend für eine Erbauungsschrift, die sich an Laien wendet - im Text nicht als solcher gekennzeichnet. Das Genesis-Zitat von göttlich eingesetzter und damit vom Anfang der Welt an gegebener Zweisamkeit leitet ohne Umschweife über zur Kurz-Erzählung von der Erschaffung Evas aus Adams Körpermitte. Es geht jedoch nicht darum, die biblische Geschichte auf der literalen Ebene auszukosten. Vielmehr liegt der Akzent auf einer handlungsorientierten Exegese dieser Erzählung, einer Auslegung, welche auf das Verhalten des einzelnen Mannes und der einzelnen Frau zielt: »do got Adam beschaff / do machet er Euam auß seiner rippe / das ist mitten auß seinem leichnam [= Körper] / vnd nit von dem haubt. das sy den manne nit übergieng« (A 2r). Die Körpermitte (im Unterschied zum Kopf als Zeichen der Herrschaft oder zu den Füssen als Zeichen der Untergebenheit) verweist nämlich allegorisch auf die Gehorsamspflicht der Frau wie auf die Fürsorgepflicht des Mannes. Mit anderen Worten, eine recht simple Version des sensus tropologicus oder moralis nimmt Gestalt an. Durchaus im Rahmen der Tradition entzündet sich die Mikro-Exegese an der Topographie des menschlichen Körpers. Die Stelle der Entnahme Evas, welche als Körpermitte lokalisiert wird, gibt Anlaß zu präzisierenden Erklärungen und handlungsorientierten Auslegungen.43 Mit der Schöpfungsgeschichte wie mit ihrer Auslegung, das ist den genannten Pflichten, wird das hierarchische Gefalle zwischen beiden Geschlechtern etabliert, dessen heilsgeschichtliche Dimension mit Anspielungen auf den Sündenfall untermauert wird.44 Das Verhalten beider im Titel angesprochenen Geschlechter wird normiert und das Gefalle selbst durch eben diese Nonnen entschärft (A 2r: »das sy den manne nit übergieng. Das ist das sy nit soll über den man herrschen«; A 2V: »Darumb soll ain yetlich mann sein weib mittelmeßsig haltten / nit zu waich [...] auch nit zu hert«). Mann und Frau müssen zum Gelingen des >Projekts Ehe< beitragen, indem sie bestimmten, geschlechtsspezifischen Verhaltensanweisungen Folge leisten. Das Schwergewicht der Verhaltensregulierung liegt dabei auf der Seite des Mannes, was seiner überlegenen Sozialstellung entspricht: Während die Frau allein zum Gehorsam ermahnt wird, wird der Mann auf den mittelmäßig-moderaten Umgang mit seiner Frau verpflichtet.45 Erst ein Zustand der Eintracht, der Dauer und der Treue kennzeichnet die Ehe im göttlichen Sinn. 43
Vgl. Klaus Schreiner: Si homo non pecasset ... Der Sündenfall Adams und Evas in seiner Bedeutung für die soziale, seelische und körperliche Verfaßtheit des Menschen, in: Klaus Schreiner, Norbert Schnitzler (Hgg.): Gepeinigt, begehrt, vergessen. München 1992, S. 41-84. 44 A 2r: »wann wer das weib in den eern bestanden / so het ir der man nimmer kain laid geton / vnd darumb das sy dem teüffel hat geuolgt so muß sy den mann über sy haben als ainen heim.« 45 A 2V: »Darumb soll ain yetlich mann sein weib mittelmeßig haltten / nit zu waich / das sy nit zu gail werd vnd über die gehorsam tret. auch nicht zu hert / das sy nit verzag vnd übel thu.«
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Diese gedanklich einfache Argumentationsstruktur wird durch eine kleinteilige Binnengliederung zur Entfaltung gebracht: eingestreute Erklärungen,46 persönliche Anreden,47 klar erkenntliche Gliederungssignale48 sowie Aufforderungen, die Lehre zu memorieren,49 wechseln einander auf engstem Textraum ab. Die explizierenden Partien unterbrechen dabei die biblische Erzählung. Soll-Formulierungen zielen wiederholt auf Verhaltensregulierung. Konjunktionen mit kausaler Bedeutung eröffnen die Begründungsebene.50 Literale und tropologische Ebene vermengen sich. Dieses Gemenge ist charakteristisch für einen Text, bei dem erzählendes, erklärendes, begründendes und anweisendes Sprechen in ständigem Wechsel zusammenwirken. Größere theologische Gedankengebäude sind hier auf ein Minimum reduziert worden. Anders ausgedrückt, die omnipräsente Unterweisung in konkretes Verhalten läßt eine Entfaltung theologischer Gedankengänge erst gar nicht zu. b. Veit Dietrichs >Vermanung
Vermanung< hämmert die didaktische Botschaft gleichsam im Namen Gottes ein.52 Anders als im >Sermo< bedarf das göttliche Wort jedoch keiner allegorischen Ausdeutung (wie zum Beispiel die Erschaffung Evas aus der Rippe Adams im >Sermo< eine - sehr einfache - Ausdeutung erfährt).53 Die göttliche Wahrheit muß nicht mehr enthüllt werden. Sie ist im biblischen Wort enthalten und dort auch unmittelbar abzulesen. Das Verstehen dieses Worts wird nicht problematisiert. Gott scheint direkt zu den Menschen zu reden: »Denn Got hat 46
A 2r: »das ist« (mehrfach). A T. Zunächst als Schriftzitat, später auch im Text. 48 A 2V: »Auff das will ich die leer in dreü tauen.« 49 Ebd.: »Das merk mit fleiß.« 50 A 2V: »darumb«, »hierumb«, »wann« (mehrfach). 51 Klaus (wie Anm. 20), S. 365: »Das alles sind >PredigtenSermo< aus der biblischen Geschichte abgeleitet wurde: »Die weyber sollen jren Mennern vnterthan sein. Vnterthan sein heist nicht regieren/ schaffen vnd gebieten [...]« (131,13f.). 47
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hurerey vnd vnzucht hart verbotten« (128,6). Die göttliche Wahrheit bedarf jedoch eines Katecheten, der die christliche Gemeinde an Gottes Wort und Ordnung erinnert. Mit der Eingangsfloskel des »JR wisset« (128,1) unterstellt der >Prediger< (Autor) seinen >Zuhörern< (Lesern) nicht nur, daß ihnen diese Wahrheit bereits (aus früherer Unterweisung oder eigener Kenntnis?) bekannt ist, er schließt mit dieser Formulierung an einen Dialog zwischen einem (wissenden) Sprecher und einer nicht genau umrissenen, lernenden Rezipientengruppe (den Lesern?) an - ein Gespräch, das längst begonnen hat und dessen Formen und Regeln den Ansprechpartnern vertraut ist. Inhaltlich liegt der Akzent im ersten Abschnitt auf den sogenannten Zwecken der Ehe. Der Ehestand dient »wider die sfind / vnd zur merung des reych Gottes« (128,14f.). Das katholische Modell der bona matrimonii ist unschwer zu entziffern (128,2-13). Das Ehegut proles (Nachkommenschaft) ist dabei allerdings nicht an und für sich von Interesse, sondern Nachkommen bedeuten eine Aufgabe, geradezu eine Mission - an die Adresse der Eheleute -, Kinder im Sinn der christlichen Lehre zu erziehen.54 In der >Vermanung< wie im >Sermo< geht es mithin nicht um Information, sondern um konzise Anleitung zum rechten, gottgewollten Leben der Eheleute. Unterschiede liegen in der sprachlichen Konstruktion der Unterweisung. Zum einen entfaltet sich Didaxe bei Dietrich in einem binären Feld, linguistisch wie theologisch. Theologisch hat sich die »Ordnung Gottes« (128,2) in der Unordnung der irdischen Welt zu entfalten. Der Gläubige hat sich zwischen »Sathan« (128,20) und Gott, rechtem Leben in der Ehe und Sünde »ausser dem ehestand« (128,21), zwischen gutem und »bösem gewissen« (128,21) zu entscheiden. >Du sollstDu sollst nichtrichtiges< Verhalten, Nicht-Heirat als >falsches< Verhalten: »jr vnd alle / so zum ehestandt kommen / [sollt] Gott von hertzen für dise gnade [= den Ehestand] dancken / d z [...] jr nit / wie die Gotloß weit/ zur Unzucht vnnd sönde lust habt [...]« (128,15-18). Motivation für den wahren Weg sucht der Prediger-Autor nicht allein in positiver Bestätigung >guten< Verhaltens, sondern in Mahnung und Warnung vor >falschem< Verhalten (beachte den Titel: >VermanungSermo< gänzlich ausgespart wurde. Treffend beschreibt Dietrich an anderer Stelle seinen eigenen Predigtstil: »Denn predigen heist nicht allein docere lehren, sondern auch arguere 54 55
128,9-13. 128,22-24 u. ö.
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straffen [= tadeln], und also straffen, daß man wiße, wen man meine [...]« (1547).56 Zum anderen - und das erscheint mir besonders bedeutend - ist dieses richtige Verhalten weniger eine Frage des richtigen Verhaltens der Eheleute untereinander, sondern eine Frage des richtigen Verhaltens gegenüber Gott. Die Gemeinschaft des >ihr< konstituiert sich durch den Gehorsam gegenüber Gott, der beiden - Ehemann und -frau - gemeinsam sein soll, weniger über irdische Gemeinsamkeit. Die Verhaltensnormierung zielt nicht aufs Hier und Jetzt, sondern auf Gott und die letzten Dinge. Erst über den >Umweg< der individuellen Gottesorientierung werden die irdische Ordnung und Gemeinschaft normiert.57 Die Analyse der ersten beiden Absätze der >Vermanung< zeigt eine komplexe Interaktion verschiedener textlicher Parameter, zwischen Sprecherrolle, sprachlichem Repertoire, religiöser Doktrin und ihrer theologischen Legitimierung sowie dem intendierten Publikum. Das Ergebnis dieses Zusammenspiels bewahrheitet Luthers Aussage, Dietrich predige so, »daß der gemeine Mann etwas draus lernet«.58 Das herausragende Lemziel in diesem Zusammenhang lautet wohl nicht anders, als daß der Christ den durch den Prediger und Katecheten vermittelten - Worten Gottes über die Ehe Folge zu leisten habe. Die Ehe ist »ein schul/ darinn wir allerley Christliche lügend vnd zucht lernen«.59 Laut Dietrich ist die Ehe also nicht Selbstzweck, sondern ebnet den Weg zu einer wahrhaft christlichen Lebensweise. Was hier in der Analyse weniger Zeilen ineinandergeflossen ist, soll im folgenden auf einzelne Beobachtungsebenen auseinanderdividiert und intensiver untersucht werden. Ausgehend von einem beiden Schriften gemeinsamen Kernbegriff (5.) soll der Blick auf die sprachliche Konstruktion der Didaxe (6.), die Legitimierungsformen mittels Au tori täts verweisen (7.) und schließlich auf einen Themenblock gerichtet werden, der geschlechtsspezifische Regeln für Mann und Frau formuliert (8.). Ziel dieser Auswahl ist es, unterschiedliche Textebenen in den primär inhaltsbezogenen Vergleich einzubeziehen: die sprachlich-stilistische Analyse (5., 6.), die Begründungsebene (7.) und, nicht zuletzt, die Inhaltsebene (8.).
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Klaus (wie Anm. 20), S. 268. 128,14-18: »Derhalb weil der Ehestand wider die sfind vnd zu merung der reych Gottes dienet. Soll jr vnd alle / so zum ehestand kommen / Gott von hertzen für dise gnad dancken [...] dz jr nit / wie die Gotloß weit / zur vnzucht vnnd sfinde lust habt / Sonder Gott förchtet/ vnd alle vnzucht begeret zu meyden.« 58 Kritische Gesamtausgabe. Tischreden, Bd. 4. Weimar 1916, S. 478 (Nr. 4763); vgl. ebd., S. 635 (Nr. 5047). 59 Dietrich, >Vom ehestand< (wie Anm. 20), S. 146,29. 57
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Kernbegriffe
Erstaunliche Ähnlichkeit, um nicht zu sagen Kontinuität, zeigt sich, wenn man beide Schriften auf Kernbegriffe hin befragt. Sowohl im >Sermo< als auch in der >Vermanung< erscheint die Ehe emotional nur wenig besetzt. Gefühlsregungen werden nur am Rande gestreift;60 Sexuelles bleibt fast gänzlich unerwähnt.61 Der problematischen Ordnung einer Verbindung von Ungleichen - Mann und Frau - gilt das Hauptaugenmerk beider Texte, nicht der individuellen Glückserfüllung. Die Zufriedenheit des einzelnen soll sich vielmehr über ein gelungenes Zusammenleben herstellen. Das sprachlich-begriffliche Register beider Schriften kennt für diese Soll-Erfüllung einen Kernbegriff, den der Eintracht mit ihren Synonymen (darunter die >LiebeSermo< als auch der >Vermanung< Veit Dietrichs Ausdruck: Die Eintracht von Mann und Frau erscheint als Fluchtpunkt beider Unterweisungen ins eheliche Leben. Das Bild der einträchtigen Familie wird eindrucksvoll im Albrecht von Eyb-Exzerpt beschworen, welches den >Sermo< eröffnet.62 Die Schlußpartie dieser Schrift (am Ende des ökonomischen Teils also) führt einzelne Begriffe aus dem Wortfeld nicht weniger als acht Mal an (B 3YB 4r). Mehr noch, die Eintracht erscheint prominent an denjenigen Gelenkstellen (A 2V; A 4r), an denen verheiratete Frauen und Männer gemeinsam adressiert werden. Der Begriff der Eintracht bindet damit im >Sermo< den gesamten Text zusammen. Das heißt, nicht zuletzt über den Begriff der Eintracht wird aus der Lehre für Ehemann und Ehefrau eine Lehre für Eheleute. Was aber steckt hinter der Eintracht als Richtschnur guten ehelichen Lebens? Charakterisierungen wie »freüntlich« (A 4r), »selig« (B l r ) und »aines synns« (B 3V) umreißen eine geglückte Ehe nur vage. Selbst Antonyme wie »zwitrechtigkait« (A 3V; B 4r) oder »vnfreüntlich«-keit (A 4r) profilieren das einträchtige Eheleben nur oberflächlich. Das sprachliche Register im >Sermo< kommt den Eintrachts-Paraphrasen bei Veit Dietrich sehr nahe: »ein fridsame / freuntliche / e[i]nige ehe« (129,28f.), »liebe« (130,1), »frid vnd eynigkeyt« (132,20), »lieb vnd einigkeit« (132,33), »eynigkeit/ lieb vndfreud« (130,22).63 60
Vgl. 128,33: »wie jr yetzundt lust vnd lieb gegen einander habt«; 129,19-22. >SermoBeiwohnung< ist nicht ausschließlich auf eine sexuelle Bedeutung festgelegt, wenn auch als Euphemismus für sexuellen Verkehr decodierbar. 62 A / 2. 63 Vgl. die zusätzliche Akzentuierung des Begriffs durch Marginalien in der Sammelausgabe Dietrichscher Schriften, vgl. S. 129. 61
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Unterschiede treten allerdings in der Art und Weise zutage, wie die Eintracht als höchstes Ziel ehelichen Zusammenseins zu ermöglichen sei. Bei Veit Dietrich bedeutet Einträchtigkeit der Eheleute für den Mann, daß er auf Gewalt zur Disziplinierung seiner Ehefrau verzichtet (130f.); für die Frau, daß sie ihrem Ehemann Gehorsam leistet (131). Sicher, diese zentralen geschlechtsspezifischen Verhaltensregeln fehlen auch im >Sermo< nicht. Nur gibt es eine übergeordnete Verhaltensmaxime, die den geschlechtsspezifischen Verhaltensnormen vorgeordnet ist: »Sollen sy [= Mann und Frau] nun fridlich«, das heißt einträchtig, »leben so müssen sy sich baide temperieren« (B 4r). Das Verhaltensgebot der Mäßigung - im Text als »mittelmeßikait« (B 21)64 gefaßt - gilt im >Sermo< für Ehemänner wie -frauen, wo die >Vermanung< Eintracht lediglich mittels geschlechtsspezifischer Verhaltensnormen und des - je individuellen - Gebets erreichen will. Im >Sermo< wird außerdem die soziale Umwelt in das Bild der Eintracht einbezogen: Dort, wo Eintracht unter Eheleuten herrscht, ist ihnen das Lob anderer gewiß (B 4r). Die >Vermanung< gibt sich demgegenüber pessimistischer und exklusiver: Nicht nur wird die Beziehung der Eheleute gleichsam von der Umwelt gekappt und unter Ausschluß sozialer Bindungen auf ein von Gott gefordertes Verhalten konzentriert (129); es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß einer einträchtigen Ehe Seltenheitswert zukommt. Zwar fehlt auch im >Sermo< dieser Hinweis auf die harzige Gegenwart nicht (B 4r), aber er wird nur einmal formuliert, während Veit Dietrich der negativen Profilierung breiten Raum gibt: »das sehr wenig solcher ehe sind/ da man nit hadert/ zancket/ fluchet/ raufft/ schilt/ raufft/ vnd schlegt« (129,13f.).65 Das ist um so auffälliger und bedeutsamer, als Dietrich der concordia von Mann und Frau eine zentrale Rolle als Schutzschild gegen den Hauptfeind der Eheleute, den Teufel, zuweist.66 Die Machbarkeit einer geglückten und einträchtigen Verbindung zwischen Mann und Frau erscheint dadurch in Dietrichs Eheschrift fraglich - Reflex eines generell rigiden Grundtons reformatorischen Denkens, welches den Menschen allein der Gnade Gottes ausliefert.67 Festzuhalten bleibt, daß die Ähnlichkeit beider Schriften sich auf das terminologische Register erstreckt, wie das hier am Kernbegriff der Eintracht demonstriert wurde, welcher die didaktische Vision beider Schriften 64 65
Vgl. A T (Adjektiv).
Vgl. »Wo zwey sollen beyeinander sein / vnd können doch nit bey einander sein« (129,22f.). 66 Vgl. 129,3; 130,27: »vneinigkeit«; 130,22f.: »feintschafft / haß vnd leyd«; 129,31: »vneinige leut«. 67 Im Gegensatz dazu der >SermoDer christliche Ehestand< bei Rüdiger Schnell (Einleitung) und Monika Gsell (Hierarchie und Gegenseitigkeit. Überlegungen zur Geschlechterkonzeption in Heinrich Bullingers Eheschriften) in diesem Band.
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angemessen kennzeichnet. Und das, obwohl die genauen Umrisse des Begriffs, um noch einmal die Formulierung von Davies aufzunehmen, >vage< bleiben. Hinter dieser Kontinuität der »Vagheit« läßt sich jedoch zwischen >Sermo< und >Vermanung< zugleich Diskontinuität ausmachen. Erscheint die Eintracht im >Sermo< als durchaus erreichbares Ziel ehelichen Beisammenseins (wenn die Ehepartner nur dem Gebot der Mäßigung folgen), so liest sich der protestantische Text pessimistischer: die Eintracht ist dem göttlichen Willen folgend ein hervorragendes Gut; allein, ob solche Harmonie der Geschlechter realistischerweise, selbst bei genauer Umsetzung des vorgeschriebenen ehelichen Verhaltenscodes, herbeigeführt werden kann, bleibt zweifelhaft.68 Dieser harsche Ton der >Vermanung< kommt nicht zuletzt der Persuasionsstrategie des Autors zugute, das Gewicht des Gesagten zu unterstreichen und die dogmatische Botschaft bei den Rezipienten zu verankern. 6. Unterweisung Beiden Eheschriften eignet, wie bereits mehrfach festgehalten wurde, ein präskriptiver Ton, hinter dem informative und argumentative Textfunktionen zurückstehen. In beiden Texten wird zugleich Kommunikation initiiert, indem Adressaten durch personale Anreden konstruiert (>duihrSermo< charakteristischerweise die textliche Konstruktion eines allumfassenden Publikums, das Ehemänner wie -frauen in sich einschließen würde. Bei Veit Dietrich umfaßt das >IhrVermanung< an diese Gesamtheit der Christen appelliert, führt der Autor im Mittelteil verstärkt >duEtliche[n] SchrifftenwirSermo< die Ich-Position besetzt, ja - unter Berücksichtigung der Textgeschichte mehrfach besetzt ist.72 Es ist nicht auszuschließen, daß für die Rezipienten die Ich-Positionen in verschiedenen Textteilen (Albrecht von Eyb, erstes Buch, zweites Buch) zu einem Autor-Ich zusammenschmolzen. Ich-Formulierungen kommen nämlich vor allem in exponierten Überleitungspassagen vor (z. B. »NVn will ich leeren«, B ) und implizieren damit Kohärenz. Die Autorstimme fordert Imperativisch zu Gedächtnisleistungen auf (z. B. »Hie merck dreyerlay leer«, B 2V). Die hier anklingende Frage, inwieweit zeitgenössische Rezipienten den >Sermo< als einheitlichen Text aufnahmen, ist von heute aus kaum mehr zu beantworten. Die inhaltlichen Wiederholungen, welche aufgrund der Kompilation aus unterschiedlichen Quellen Zustandekommen, konnten nämlich von der Leserschaft als Teil eines einzigen pädagogischen Programms verstanden werden. Allerdings ist die Struktur der Unterweisung sprachlich weniger konsequent gestaltet als bei Veit Dietrich. So wird das Text-Ich im >Sermo< der Konkurrenz anderer Sprecher in der dritten Person ausgesetzt. Neben dem Ich >sprechen< auch Bücher (B 2r) und Autoritäten - ein Befund, der auf mehrere, sich überlagernde Begründungsebenen schließen läßt.73 Bevor genau diese Autoritätenstruktur zum Thema gemacht werden soll, muß noch einmal der Befund herausgestellt werden, der sich aus dem Ver7()
130,20f.; 130,31-36; 131,9-11 u. ö. 128,18; 131,25; 133,11. 72 A ; A2 V ; B ; B T u. ö. 73 A 3r: »Der weiß man spricht«; »Der lieb hailig himelfürst vnd zwelfpot sanctus Paulus redt vnd spricht«; A 3V: »Das vierd capitel spricht«; B 2r: »HJe hebt an das ander buch von der Ee / vnd spricht also«; B 3r: »Zum ändern mal will aristoteles« u. ö. 71
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gleich des Anweisungscharakters beider Schriften ergibt: Trotz oder gerade wegen fehlender Ich-Position ist in der jüngeren Schrift die Autor-Rolle eindeutiger definiert und klarer umrissen. 7. Legitimations Struktur Ähnlichkeiten zwischen >Sermo< und >Vermanung< erstrecken sich auf die Verwendung von Autoritätenstellen. Aussagen und Verhaltensnormen gewinnen durch den Verweis auf autoritative Stellen der Wissensliteratur an Gewicht. In diesem Autoritätenfundus nimmt die Bibel natürlicherweise eine bevorzugte Stellung ein. Da es sich um katechetisch-didaktische Texte handelt, sind Verweise, seien sie nun biblisch, theologisch oder gar fingiert, in besonderer Weise dazu geeignet, Verhaltensregeln mit Nachdruck zu versehen und dieselben beim Publikum zu verankern. Über diese didaktisch-katechetische Funktion der Nachdrücklichkeit hinaus schaffen Autoritätsverweise eine Ebene der Legitimation, die hier näher untersucht wird. In beiden Schriften werden derartige Zitate meist ohne genaue Stellenangabe angeführt. In der Regel heißt es, »Autor XY spricht« und ein Zitat, eine Sentenz oder ein Spruch folgt. Kein einziges Zitat im >Sermo< liefert eine exakte Stellenangabe. Darüber hinaus sind Bibelzitate eingearbeitet worden, die als solche nicht gekennzeichnet wurden.74 Mehr noch, der Übergang zwischen Zitat und Kommentar bzw. Paraphrase ist im >Sermo< oft keineswegs eindeutig. Zitatenden werden nicht eindeutig gekennzeichnet. Im Unterschied zur theologisch-dogmatischen Diskussion kommt es in didaktischen Kurzschriften auf die Autorität selbst an, nicht so sehr auf deren Nachprüfbarkeit. In beiden Texten mag diese, gemessen an der wissenschaftlichen Literatur der Zeit, laxe Verweispraxis daher mit dem Zielpublikum - den Laien - zu erklären sein. Deren geringe theologische Bildung machte einen exakten Nachweis, wie er im akademischen Milieu üblich war, überflüssig. Geht man von der unterweisenden Textfunktion aus, dann mußte in Predigten, handelt es sich nun um Schriftpredigten oder um verschriftlichte Produkte aus der mündlichen Predigtpraxis, ein solcher Nachweis von der didaktischen Botschaft, die primär war, ablenken. Der >Sermo< besitzt indes Mittel der Legitimierung, die der Reformator nicht nutzt. Autoritäten können mit dem lateinischen Prädikat »sanctus« versehen werden.75 Eingestreute lateinische Elemente erhöhen den Autoritätsgehalt von Aussagen, will man sie nicht für die nichtbeseitigten Reste eines theologisch-dogmatischen Diskurses erachten.76 Demgegenüber hebt Veit Dietrich Zitate hervor, indem er an einigen wenigen Stellen Bibelzitate exakt nachweist und sie damit besonders akzentuiert;77 das Wort Gottes 74
Z. B. A 4YB V: »Ain fleissige fraw ist ain krön ires marines« (Prv 12,4). A 3V: »sanctus Jheronimus«; vgl. Dietrich (wie Anm. 20), S. 130,11: »der heilig S. Pet.« 76 A 2V: »do er sprach Crescite Jr sölt wachssen vnnd soll euch meeren«. 77 Vgl. l Cor 6,9 (128,23); l Pt 3,7 (129,33); PS 128,1 (132,23). Daß die Verszahl im 75
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spielt, wie schon zuvor beobachtet, bei Dietrich im Vergleich zum >Sermo< eine bedeutendere Rolle. Des weiteren fällt in der Strukturierung der Begründung ein gewichtiger Unterschied ins Auge. Im >Sermo< überlagern sich verschiedene Autoritätsebenen (AT, NT, Kirchenväter, Aristoteles). Nicht nur wird Aristoteles mit ähnlichem Gestus herangezogen wie Paulus (lediglich in einem anderen inhaltlichen Kontext), der >Sermo< läßt keine eindeutige Hierarchie der Verweise erkennen.78 Es ist, als käme dem antiken Philosophen des Haushalts das gleiche Gewicht zu wie dem Apostel - ein Effekt, der sicher nicht zuletzt auf den Kompilationscharakter der Schrift zurückzuführen ist. Für den >Sermo< ist also eine hohe Toleranz anzusetzen, verschiedene Quellenbereiche - und damit auch Autoritäten - miteinander zu verbinden, eine selbstverständliche Vereinbarkeit von aristotelischem Gedankengut mit christlicher Lehre oder, wie der Titel ausführt, von Streben nach irdischem »gut vnd eer« mit der »ewige [n] frod«. Bei Dietrich ist demgegenüber eine Konzentration auf die Bibel einerseits, auf das Neue Testament andererseits zu beobachten. Zwar findet die göttliche Botschaft, wie Dietrich eingangs bemerkt, ihren Ausdruck nicht nur im Text der Bibel, sondern »in allen Hysterien vnd teglicher erfarung« (128,6f.), in der weltlichen Literatur (der Antike?) also ebenso wie in der alltäglichen Umgebung der Gemeinde, aber diese Anknüpfungsmomente werden nicht ausgebaut. Das Unspezifische dieses Verweises auf andere Text- und Erfahrungsbereiche gesteht allerdings der Zuhörer- bzw. Leserschaft einen Raum der Imagination zu, dort Belege zu ergänzen, Begründungen zu suchen oder eigene Erfahrungen einzubringen, wo der Prediger sich mit der entsprechenden Bibelstelle >begnügt< hat. Der Befund einer Konzentration auf Bibelstellen verweist nicht nur auf die - gegenüber der Kompilation - stärker profilierte Autorposition bei Veit Dietrich, sondern möglicherweise auch auf eine gewandelte Legitimationsstruktur im religiös-didaktischen Ehediskurs. Gedanken, Argumente und Autoritäten werden nun, nach der Reformation, vor allem aus dem Neuen Testament als dem unmittelbaren Zeugnis von Gottes Wort gezogen. Aus den oben getroffenen Beobachtungen zu Kernbegriff, Redeweise/Autorposition und Legitimationsstruktur lassen sich mithin verschiedene Hypothesen ableiten, die forschungsleitend für zukünftige Vergleiche vorund nachreformatorischer Schriften werden könnten. Zum einen wird das Reden über die Ehe nach der Reformation, so die erste Hypothese, verstärkt theologisch-religiös aufgeladen: Das vielfach zitierte Wort Gottes, wie es vor allem im Neuen Testament überliefert ist, wird neu und das heißt stärker gewichtet (>Theologisierung des EhediskursesSermo< - ist unter den veränderten theologischen Vorzeichen eventuell nicht mehr realisierbar. Diese beiden Stränge des Ehediskurses müssen integriert und damit reformuliert werden - wie das etwa in Justus Menius' >Oeconomia christiana< (1529)79 geschehen ist - oder die Diskursstränge werden auf verschiedene Textsorten verteilt, auf katechetische Texte einerseits und Ökonomiken andererseits und fristen eine durch Genregrenzen bestimmte, getrennte Existenz.80
8. Regeln für den Mann, Regeln für die Frau Zum Abschluß des Vergleichs soll noch einmal der Blick von der sprachlichen Form auf den Inhalt gelenkt werden. Ich habe einen thematischen Block ausgewählt, der für geschlechtergeschichtliche Forschungen von besonderem Interesse sein muß und zudem in beiden Texten vorkommt, Verhaltensregeln für Mann und Frau. In diesem Regelwerk werden die beiden Geschlechter jeweils einzeln angesprochen und im normgerechten Verhalten in der Ehe unterwiesen. Die theologische Folie für diese geschlechtsspezifischen Verhaltensnormen liefert in beiden Texten der Sündenfall, der die Ungleichheit der Geschlechter auf den Anfang der Menschheitsgeschichte datiert. Ein solches Regelwerk für Ehemann und Ehefrau besitzt eine Tradition, die sich - in der Volkssprache - bis zu der mit dem Namen Dietrich Engelhus verbundenen sogenannten >Laienregel< zurückverfolgen läßt (um 1400) und - auf Latein - mindestens bis zu Robert de Sorbons Ehepredigt aus dem 13. Jahrhundert.81 Das Geschlechterverhältnis, wie es aus diesem Regelwerk ersteht, ist asymmetrisch. Pflichten von Mann und Frau entsprechen sich nicht (was >geschlechtsspezifische< Normen überhaupt bedingt). Die Konzeption der Geschlechterrollen ist daher in diesem Textbaustein, wie er in vielen Predigten und didaktischen Schriften vorkommt, grundsätzlich geprägt von asymmetrischer Komplementarität: Was dem 79
An de hochgebarne Vörstinnen / frouwe Sibilla Hertoginnen tho Sassen / Oeconomia Christiana / dat ys / van Christliker hußholdinge / Justi Menij. Wittenberg [Magdeburg?]: Hynrick Ottinger 1529. Vgl. dazu Rüdiger Schnell, Einleitung, S. 45ff. 80 Vgl. z. B. Virgil Wellendorfer: Oecologium. ex duobus Aristotelis Oeconomicorum libellus accumulatum. Leipzig 1511; Christoph Hegendorf: Oeconomica Aristotelis a Christophoro Hegendorffino & latina facta, & annotationibus illustrata. Hagenau 1535; Chrysostomus Javelli: Oeconomica; vel familiaris Christiana disciplina, in: Opera omnia, Bd. 2. Lyon 1580, S. 718-768. 81 Rudolf Langenberg (Hg.): Quellen und Forschungen zur Geschichte der deutschen Mystik. Berlin 1902, S. 107-109; B. Haureau: Notices et extraits de quelques manuscrits latines de la BN, Bd. 1. Paris 1890, S. 188-193; Puff (wie Anm. 13).
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Mann an Pflichten zukommt, kommt der Frau nicht zu und, was der Frau an Pflichten zukommt, kommt dem Mann nicht zu. Gerade auf dem Hintergrund einer breiten Überlieferung dieses Textbausteins bietet der Vergleich wiederum die Chance, spezifische Charakteristika einzelner Texte herauszupräparieren. Was der >Sermo< nach mnemonischen Gesichtspunkten klar in vier Punkte gliedert, reduziert Veit Dietrich auf zwei Hauptregeln mit >UnterregelnSermo< zeigt sich demgegenüber stärker der Tradition verhaftet, in der einzelne Pflichten für Frau und Mann aufgezählt werden. Von der Ehefrau wird verlangt, daß sie ihren Mann liebe (während die entsprechende Regel vom Mann Unterweisung der Ehefrau fordert), das >ganze Haus< beaufsichtige und sich tadellos inner- und außerhalb des Hauses benehme. Zwar streift auch Veit Dietrich den Haushalt als weiblichen Verantwortungsbereich, aber im >Sermo< nimmt die materielle Versorgung eine insgesamt bedeutendere Stellung ein, nicht nur im ökonomischen Teil, sondern schon bei den Regeln für Mann und Frau. Es wäre allerdings sicher verfehlt, in dieser ökonomischen Ausrichtung eine größere Lebensnähe zu sehen. Die Bedeutung von Haushalt und Gesinde im >Sermo< ist zunächst einmal auf die rein textliche Rezeption aristotelischer Ökonomik zurückzuführen. Eher wäre in der kompletten Reduktion auf die Zweierbeziehung bei Veit Dietrich Lebensnähe zu suchen, denn ein >ganzes Haus< mit entsprechender Haushaltung und Gesinde dürfte der Lebensrealität sicher nur eines Teils der Haushalte in damaliger Zeit entsprochen haben.85 Überhaupt werden die Regeln in der >Vermanung< von schon zuvor besprochenen theologischen Determinanten der Dietrichschen Eheauffassung durchdrungen. Sprachlich nimmt die negative Profilierung breiten Raum ein. Der 82
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>SermoVermanungSermo< wird zwar bei der Verhaltensregulierung eine Hierarchie der Geschlechter behauptet (A 2V), jedoch nicht durch Ist-Zuschreibungen abgesichert. 85 Nur an einer Stelle wird das Gesinde erwähnt (131,14).
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Ehemann soll sich »mit vemunfft/ vnd nit mit gewalt« (130,2f.) aufführen, um nicht ein »hans vnuemunft« (131,2) zu werden. Das Gebet und die Abwehr des Ehefeinds Satan werden in das Regelwerk integriert. Insgesamt ist die Verhaltensnormierung Teil eines Predigtganzen, während sie im ersten Hauptteil des >Sermo< konzeptionell wie strukturell vom Rest des Textes geschieden ist.86 Geschlechtsspezifische Normen werden dabei in beiden Texten mit der Fiktion schriftliterarischer Verbindlichkeit in Szene gesetzt. Im >Sermo< wird die Metapher der Ordensregel auf die Eheleute angewendet; die Einzelregeln erscheinen als Kapitel eines imaginären Buchs, in denen die Eheleute lesen sollen, und in beiden Texten werden Referenzen als Quellen für die Regeln angegeben: »Nun lesen ir mann ewer regel in disen vier capiteln / vnd lebt darnach / so wirt ewer leben gar loblich.«87 Dabei sind unterschiedliche Quellen für die Frauen- und die Männerregel angegeben: Das Regelwerk für männliches Verhalten in der Ehe wird auf den Apostel Paulus zurückgeführt, das für weibliches Verhalten auf »Anna die hailig fraw des Thobias swiger« (A 4r). Bei Dietrich wird die Hauptregel für den Mann wie die für die Frau beide Male auf den Apostel Petrus zurückgeführt: »Dauon leret Petrus 1. Pet. 3. Jr menner/ spricht er/ wonet bey ewren weybern/ mit vernunfft« (129,33f.; 131,12). Während also nach der Reformation männlich-neutestamentliche Autorität - an beiden Ordnungsstellen Petrus - einheitlich am Ursprung geschlechtsspezifischer Verhaltensregeln steht, kann vor der Reformation eine biblische Frau, zumindest in der textlichen Fiktion des >SermoSermo< die Regel für Mann und Frau zusammenbindet - Eheleute haben sich wie Ordensleute an bestimmte Regeln zu halten -, nach der Reformation, während der die Orden in den reformierten Territorien aufgelöst wurden, nicht mehr auftaucht. Genau das ist bei Veit Dietrich der Fall -, jedoch hat ein anderer Reformator und Autor einer populären Eheschrift, Johann Spangenberg (1484-1550), gerade diese Metapher in großem Maße wiederbelebt.89 86
Im zweiten Hauptteil (B 2r-B 4r) durchdringt der didaktische Ton allerdings dann die gesamte Kurz-Ökonomik, was wiederum auf den Kompilationscharakter zurückgeht. 87 A 4r. Vgl. Bild des Ordens (A 2\ A 4r); Kapiteleinteilung der Regel (A 2V-A 3V, A 4rB ); Urheber oder Autor der Regel (A 2V, A 4r). 88 Das erscheint mir bedeutungsvoll, auch wenn sich die Verhaltensregeln inhaltlich überschneiden. 89 Des Ehelichen Ordens / Spiegel vnd Regel / in zehen Capitel geteilet / Darinne man sihet / Wer den Ehestand gestifft / Was er sey / Vnd wie man sich darinne halten sol. Wittenberg: Peter Seitz 1573 [Vorrede datiert 1544]. Vgl. Thomas Miller: Mirror for
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Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Vergleich eines Themenblocks, die >Regeln für Mann und FrauSermo< ein friedliches Zusammenleben der Eheleute machbar erscheinen: Die Ehe wird als eine von innen, das heißt von den Eheleuten selbst, regelbare Institution konstruiert. Beide Geschlechter können dem >Sermo< zufolge, im kleinen Glück der wechselseitigen Eintracht leben (»selig«) zumindest, wenn sie sich an das Regelwerk, die »leere« des >SermoSermoSermo< ein unmittelbarer Zugang zum Partner besteht, ist bei Dietrich Gott selbst vermittelnd zwischen den Ehepartnern positioniert, die Beziehung der Ehepartner mündet erst über Gott und Gebet in ein Miteinander: »Eeleut sollen got bitten das sie einig mögen leben.«90 Dadurch aber erscheint die Ehe insgesamt in einem anderen Licht. Gegenüber der Machbarkeit des ehelichen Miteinanders im >Sermo< rückt bei Dietrich das »creutz« des Ehelebens (133,2) in den Mittelpunkt seiner Ehekonzeption.
III. Resümee Die Vorstellung, zwei >gleiche< Texte miteinander vergleichen zu können, ist illusorisch. Der methodisch wegweisenden Forderung von Kathleen M. Davies, »to compare like with like«, kann allenfalls ansatzweise entsprochen werden.91 Zwei zeitlich voneinander getrennte Repräsentanten eines Texttyps - didaktische Kurzlehren über die Ehe - verweisen in erster Linie auf Spezifika der verglichenen Texte und Autoren. In diesem Sinn sind Vergleiche »abscheulich«, wie es in dem als Motto vorangestellten Zitat des englischen Essayisten William Hazlitt (1778-1830) heißt: Sie unterstellen eine Beziehung zwischen Ungleichem und verweisen weniger auf Marriage. Lutheran views of marriage and family, 1520-1600. Phil. Diss. University of Virginia 1981; Puff (wie Anm. 13). 90 S. 129 (Marginalie). 91 Vgl. z. B. Beate Lesting-Buermann zum Textsorteninventar in Nürnberg (Reformation und literarisches Leben in Nürnberg. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte der frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der Predigten A. Osianders, V. Dietrichs und der Schriften Lazarus Sprengler. Diss. Freiburg 1982).
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die Vergleichbarkeit beider Texte als auf den Vergleichenden selbst und seine Frageinteressen. Die Ähnlichkeit beider Texte auf der Ebene kommunikativ-funktionaler Textparameter bringt es jedoch mit sich, daß zwischen den ausgewählten Texten inhaltlich-dogmatische Differenzen aufzudecken waren. Dabei wurde deutlich, daß der Problemcharakter der Ehe in der >Vermanung< Dietrichs schärfer als im >Sermo< hervorsticht. Der Tonfall des reformatorischen Ehediskurses ist, nimmt man Dietrich als Exempel, rigide. Eine solche Aussage kann natürlich für die Gesamtheit des Diskursfeldes allenfalls Hypothesencharakter beanspruchen. Leicht ließen sich Schriften wie Bullingers >Christlicher Ehestand< (1540) anführen, die, zumindest passagenweise, einen heitereren Ton anschlagen, wobei allerdings bei einem methodisch sauberen Vergleichsvorgehen die völlig andere Funktion dieses Textes in Rechnung zu stellen wäre.92 Der reformatorische Diskurs gestaltet sich, wie könnte es anders sein, differenziert und vielstimmig. Ein kursorischer Einblick in Texte von Martin Luther, Justus Menius, Erasmus Alberus und Paul Rebhun läßt Veit Dietrichs Ehepredigt jedoch keinesfalls isoliert erscheinen in ihrem pessimistisch-disziplinierenden Tonfall.93 Im typisch reformatorischen Bild des Ehekreuzes94 wird diese größere Rigidität des reformatorischen Ehetextes sinn- und augenfällig eingefangen. Die größere Rigidität des reformatorischen Textes ließ sich konzeptionell auf zwei Ebenen konkretisieren: der einzelne Christ wird stärker in die Verantwortung genommen, Gottes Auftrag in der Ehe zu erfüllen. Das Ziel einer ehelichen Verbindung scheint nur indirekt die geglückte (weil einträchtige) Verbindung von Mann und Frau. Der Versuch - in Anbetracht der vielen Gefährdungen eben nur der Versuch -, Gottes Wort zu erfüllen, steht im Zentrum des Autorinteresses. In diesem Sinn wird bei Veit Dietrich die Beziehung Einzelmensch-Gott intensiviert und der Zweierbeziehung vorgeordnet. Diese konzeptionell-theologische Differenz ist zugleich in der sprachlichen Binnengestaltung beider Texte präsent: als ein Wandel in der Autoritätenstruktur einerseits und vor allem in einer schärfer umrissenen Autorposition des reformatorischen Texts. Das aber schließt den Kreis, denn die Sprecherrolle eines mahnenden Predigerautors führt zur Rigidität des Tonfalls zurück. Mit der Formel Machbarkeit versus Rigidität läßt sich der Vergleich einer vor- und einer nachreformatorischen Eheschrift auf den - vereinfachten - Punkt bringen. 92
Heinrich Bullinger: Der christliche Ehestand, hg. von R. Christoffel. Glarus 1853, S. 79-98. Dazu Monika Gsell (Hierarchie und Gegenseitigkeit) in diesem Band. 93 Martin Luther: Vom ehlichen Leben, in: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 10,2. Weimar 1907, S. 267-304; Menius (wie Anm. 79); Erasmus Alberus: Eyn gfit buch von der Ehe. Hagenau 1536; Paul Rebhun: Haußfried. Was für Ursachen den Christlichen eheleuten zubedencken / den lieben Haußfriede in der Ehe zu erhalten. Nürnberg 1569. 94 Neben Veit Dietrich (133,2) vgl. z.B. Menius (wie Anm. 79), Titelabbildung und Schlußpassage.
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Gerd Brinkhus spricht bezüglich des >Sermo< denn auch - sehr vorsichtig - von einer »im Gegensatz zu anderen Ehepredigten hervortretende [n] humanisierende[n] Tendenz«.95 Diese Formulierung wirft meines Erachtens jedoch mehr Fragen auf, als sie zu beantworten vermag: Handelt es sich beim >Sermo< tatsächlich um eine Ehepredigt? Auf welche Vergleichstexte bezieht sich Brinkhus an dieser Stelle? Ist der im Zusammenhang des Zitats doch wohl doppelbödige Anklang an den Humanismus als geistesgeschichtliche Epoche einerseits und die Humanisierung als moralischen Qualitätsgewinn andererseits gerechtfertigt (besonders, wenn man jetzt die Textgeschichte bis ins frühe 15. Jahrhundert zurückverfolgen kann)? Michael Dallapiazza, der sich in seiner Studie >minne, hüsere und das ehlich leben< (1981) als einziger bisher umfassender zum >Sermo< geäußert hat, deutet wohl in eine ähnliche Richtung, wenn er schreibt, »das Bild der Bürgerlichkeit aus Schillers >Glocke< scheint« im >Sermo< »greifbar nahegerückt«.96 Und das, obwohl derselbe Forscher kurz zuvor von der »Rigorosität« des im >Sermo< propagierten männlichen Gewaltmonopols spricht, welches »bezeichnend« sei »für den Geist einer Flugschrift, die nichts mehr beschönigen will«.97 Bei dieser Analyse, die den >Sermo< einmal als Genrebild und dann wieder als misogyn charakterisiert, bleibt der Kompilationscharakter der Schrift dann allerdings gänzlich unberücksichtigt. Dennoch weisen beide Forschungspositionen auf ihre Weise in eine Richtung, die der hier vorgebrachten These vorreformatorischer Nachsichtigkeit bzw. nachreformatorischer Rigidität vergleichbar ist. Zugleich läßt sich an diesen Aussagen noch einmal das von Davies kritisierte, impressionistische Zustandekommen von Forschungsmeinungen und Enwicklungsthesen demonstrieren. Über eine systematisch angelegte Untersuchung lassen sich nicht nur die dort lediglich angedeuteten Ergebnisse präzisieren, sondern die sprachlich-strukturelle Gestalt von Texten kann auf diese Weise in die Analyse einbezogen werden. Man wird sich indes nicht damit zufrieden geben können, die These von der Kontinuität vor- und nachreformatorischer Eheliteratur durch die These einer Theologisierung und damit Verschärfung der Ehekonzeption nach Luther zu präzisieren. Mögliche Erklärungen dieses Wandels sind zu erkunden, und zwar solche Erklärungen, die nicht pauschal - und damit wenig aussagekräftig - die Reformation (oder den Humanismus) für Veränderungen verantwortlich machen. Zum einen ist die Reformation eine recht abstrakte historische Größe. Aufgrund ihrer vielfachen religiösen und ideologischen Schattierungen gewinnt sie Erklärungswert erst durch Ein952
VL, Bd. 8 (1992) 1107. Dallapiazza (wie Anm. 19), S. 146. Auf die Problematik des Terminus >bürgerlich< in diesem Zusammenhang kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. Jan-Dirk Müller: Rezension von Michael Dallapiazza (1981), in: Arbitrium l (1983) 263-265, bes. S. 263f. 97 Dallapiazza (wie Anm. 19), S. 144. 96
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grenzungen lokaler, zeitlicher oder ideologischer Art. Zum anderen muß der Rekurs auf außerliterarische Erklärungsfaktoren meiner Auffassung nach notwendig die Frage nach innerliterarischen Reflexen solcher historischen Variablen nach sich ziehen. Über welche Erklärungen läßt sich also an dieser Stelle spekulieren? Meine Diskussionsvorschläge beziehen sich auf die Dreiheit der Textparameter Inhalt, Publikum und Autor: 1. Die Ehe als allein verbindliche Lebensform erfordert eine größere Rigidität im reformatorischen Reden über die Ehe: In Veit Dietrichs Ehepredigt wird ganz bewußt die gesamte Gemeinde einbezogen. Die Ehe wird dort nämlich als die einzig gottgewollte Existenzform der Christen modelliert; Unverheiratete müssen daher zur Heirat motiviert werden. Im >Sermo< kam der Ehe als Institution nicht dieser Exklusivcharakter zu. Der »eeliche Stadt« implizierte vor der Reformation die Existenz anderer Stände mit je eigenen Lebensweisen.98 2. Das Dogma der Ehe als verbindlicher Lebensform findet sich auf andere Weise in einer sich wandelnden Publikumskonzeption wieder: Während der >Sermo< sich an diejenigen Rezipienten richtet, die schon verheiratet sind, appelliert Dietrich an die gesamte Christengemeinde - trotz eines Titels, der als Adressaten die bereits Verheirateten anspricht. Unter anderem bedingt das, daß die Folgen lediger Existenz schärfer beleuchtet und den Gläubigen die negativen Konsequenzen einer Nichtheirat in aller Schärfe vor Augen gestellt werden. Aus der Ehe als möglicher Lebensform neben anderen Lebensformen ist die Ehepflicht geworden. Werbung für den Ehestand wird somit überflüssig. Die Schriftpredigt dient als Medium einer Verhaltensdisziplinierung, die vor allem in ihrer sprachlichen Inszenierung faßbar ist: Sie ist >VermanungChristlichen Eestand< in besonders zugespitzter Form in Erscheinung und Mann als gleichrangige Partner ansieht, und trotz seines einleitenden Rekurses auf Paulus den Mann nicht zur Herrschaft und die Frau nicht zur Unterwerfung verpflichtet. Hielten sich die Eheleute nämlich gegenseitig die Treue, der Mann, indem er in Tat und Wort zeige, daß er nur mit seiner Ehefrau vertraut sei, die Frau, indem sie die Ehre des Mannes nicht durch unbedachtes Benehmen verletze und seine Treue nicht durch Verweigerung des ehelichen Verkehrs gefährde, seien Herrschaft und Unterwerfung überflüssig, und das Zusammenleben vollziehe sich dennoch nach dem Willen Gottes« (Hörauf-Erfle [wie Anm. 8], S. 155). - An der Stelle, die Hörauf-Erfle hier angeblich zitiert - Anmerkung 203 vermerkt das Blatt K 5 des >Christlichen Eestand< -, geht es um ein ganz anderes Thema; das Thema der gegenseitigen Treue, auf das sie sich hier bezieht, beginnt Blatt K 7, aber auch dort findet sich keine vergleichbare Aussage. 10 Dies unterstellt Kathleen M. Davies (wie Anm. 2), S. 60, den englischen Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts: »Unlike his Puritan authors, Professor Stone is well aware of the potential incompatibility of these two theories, but seventeenth-century writers took the paradox in their stride.« " Schnell: Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs (wie Anm. 6). 12 Vgl. dazu auch Heide Wunder: »Er ist die Sonn', sie ist der Mond«. Frauen in der Frühen Neuzeit. München 1992, S. 75 (in Bezug auf die reformatorische Ehekonzeption).
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tritt, wesentlich nicht als Nebeneinander, sondern als Miteinander verstanden werden muß. Hierarchie und Gegenseitigkeit sind, so meine These, zwei Konzepte, die sich gegenseitig weder ausschließen noch widersprechen, sondern im Gegenteil im Innersten zusammengehören und sich ergänzen. Besonders gut zeigen läßt sich dies im Vergleich von Bullingers >Christlichem Eestand< mit dessen 1527 verfaßten und ungedruckt gebliebenen Autograph >Volkommne underrichtung deß christenlichen EestandsVolkommne underrichtung deß christenlichen eestands, wie er möge und solle in allen stucken mitt Gott, nutz, eer und fröüd gschicktlich volfürtt werdenn.< [Datum der Vorrede:] 18. Juli 1527 (Autograph ZB Zürich, Signatur: Msc D 200, Nr. 2). Hinfort zitiert als >Volkommne UnderrichtungVolkommne(r) underrichtung deß christenlichen eestands, wie er möge und solle in allen stucken mitt Gott, nutz, eer und fröüd gschicktlich volfürtt werdennChristlichen Eestandmännliche< Themen: Arbeitsethik und das Verhalten außer Haus, in der Wirtschaft, in Gesellschaft, Pflichten als Vorstand des Haushaltes. So werden - um nur auf diesen einen, für uns besonders relevanten Punkt einzugehen - im Abschnitt über den Umgang mit der Ehefrau nur diejenigen Bibelstellen zitiert, die das männliche Verhalten betreffen, insbesondere Epheser 5,25-30 über die Liebe des Mannes zur Frau20 und l Petrus 3,7.21 Es handelt sich hier also um eine >reduzierte< Ehelehre in dem Sinn, daß nur die eine, nämlich den Mann betreffende Seite thematisiert wird. Diese Verkürzung läßt sich zunächst aus der Adressierung des Briefes erklären, Wechsel l (wie Anm. 14), S. 150-176. - Bullingers Brautwerbungsschreiben an Anna Adlischwyler vom 30. September 1527 beziehe ich nicht mit in die Untersuchung ein, da dieser Brief keine eigentliche Ehelehre enthält. Es gibt zwar einige Passagen, die isoliert betrachtet durchaus lehrhaften Charakter haben - sie sind denn auch, wie die Herausgeber zu Recht festhalten, zum großen Teil der >Volkommnen Underrichtung< entnommen (vgl. Bullinger-Briefwechsel l [wie Anm. 14], S. 126f., Anm. 1); die mit dem Werbungsschreiben verknüpfte Intention stellt diese Passagen jedoch in einen ganz neuen, mit den übrigen Schriften nicht vergleichbaren Kontext. 17 »... also das din dienst gen mir nitt umbelhonet blibend« heißt es in der Einleitung zum Brief an Marx Rosen (Bullinger-Briefwechsel l [wie Anm. 14], S. 58). - »So dann mir ouch gedienet hast, und ich ghein dienst nie unvergulten ließ, muost ouch du gewäret werden« im Brief an Anna Adlischwyler (ebd., S. 150). 18 Vgl. Bullinger-Briefwechsel l (wie Anm. 14), S. 57, Anm. 1. 19 Vgl. Bullinger-Briefwechsel l (wie Anm. 14), S. 126, Anm. 1. 20 >»Ir man, liebend üwere wyb, glych wie ouch Christus geliebet hat die gmeind und hat sich selbs für sy geben, uff das er sy helgete< etc. >Also sollend ouch die menner iren wyber lieben als ir eignen lib. Wer sin lieb liebet, der liebet sich selbs. Den jemandt hat nie sin eigen fleisch gehasset, sunder ernerets und pflegt sin, glich wie ouch der herr die gmeind< etc., Ephe.5« (zitiert nach Bullinger-Briefwechsel l [wie Anm. 14], S. 61). 21 Vgl. dazu das Zitat im nächsten Absatz.
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ist aber keineswegs selbstverständlich: möglich wäre genausogut, daß die Lehre die idealen Eigenschaften und Fähigkeiten einer (zukünftigen) Ehefrau beinhaltete, wie das etwa bei dem frühhumanistischen Traktat >De re uxoria< der Fall ist, den Francesco Barbaro seinem Freund Lorenzo di Medici gewidmet hat.22 Demgegenüber läßt sich bei Bullinger von einer Akzentuierung der >Männerdidaxe< sprechen. Wie steht es aber mit der Geschlechterkonzeption im Brief an Rosen? Obwohl bei der Kürze des Briefes von einer eigentlichen Geschlechterkonzeption nicht die Rede sein kann - die Frau kommt als Objekt der Normierung nur indirekt, über das Bibelzitat in den Blick -, finden wir hier doch eine für den Geschlechterdiskurs der Ehetraktate konstitutive Figur: Der Mann wird auf die Vernunft verpflichtet und dazu aufgefordert, die Frau als das schwache Geschlecht zu respektieren, und das heißt hier: nicht zu schlagen und Zank zu vermeiden. >Ir menner, whonend by inen mitt vernufft und gebt dem wybischen als dem schwechsten werchziig sine eer, als ouch mitterben der gnad des lebens, uff daß üwere gebet nitt verhinderet werdent.< Sichstu nu, daß es nitt muos mitt bochen, kriegen, schlahen zuogan, und des heb dich verwegen; wo zangg ist und hader, do ist ouch ghein guots.23
Typisch an dieser Wendung ist, daß der Respekt, der dem Mann abverlangt wird, mit dem Rekurs auf die weibliche Inferiorität begründet wird.
III. Der Brief, den Bullinger an seine Verlobte Anna Adlischwyler adressiert hat, enthält zwei Teile: Beim ersten Teil handelt es sich um eine eigentliche Frauenerziehungsschrift. Das Titelblatt, das dem Brief beigefügt ist, verweist darauf, daß Bullinger daran gedacht haben mochte, diesen Teil als eigenständige Schrift zu veröffentlichen.24 Es gibt denn auch lediglich ein paar wenige Stellen, die daran erinnern, daß es sich um einen persönlichen Brief handelt. Formuliert sind hier traditionelle weibliche Tugend- und Verhaltensideale (S. 155-162): Womit sich Frauen beschäftigen sollen, was sie lesen und was sie nicht lesen dürfen, wie sie zu reden und zu schweigen haben, welche Gesellschaft ihnen angemessen ist, wie sie im Haushalt mit den Gütern umzugehen haben, und daß sie das Haus mit guter Laune und Effizienz in Ordnung halten sollen und schließlich in Essen, Trinken und Kleidung mäßig zu sein haben. Normen, die das Verhalten der Frau gegenüber dem zukünftigen Ehemann betreffen, fehlen hier vollständig. Statt dessen lenkt Bullinger anläßlich der Kriterien der Gattenwahl den Blick auf 22
Francesco Barbaro: De re uxoria (1415), übersetzt von Percy Gothein. Berlin 1933. Bullinger-Briefwechsel l (wie Anm. 14), S. 61 f. 24 Die Überschrift lautet: »Von wyblicher zucht und wie ein tochter ir wäsen und laben fuerren solle, kurtze underrycht«; Bullinger-Briefwechsel l (wie Anm. 14), S. 150,a. 23
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das Verhalten des Mannes und betont insbesondere die Tugend der Freundlichkeit, denn, so fährt er mit ungewöhnlich harschen Worten fort: die ee denocht also vil müy und anxt hat, das ein fromme dochter nitt erst bedarff, daß sy über alle sorg ein unvernünfftigen fyendseligen hund imm huß habe, von dem sy ruch angeschnerzt und weder trost, fröud, noch lieb habe, ja der nitt wüsse, was einer frommen frowen zuohöre, ja ouch vermeine, er sye von imm selbs hie, und dorumb das arm wyb verdutzen und gar niener für haben solle [= und deshalb das arme Weib verächtlich behandeln und für nichts halten würde].25
Beschlossen wird dieser erste Teil des Briefes mit einer ausführlichen Exegese von Paulus l Cor 7 zur Frage, ob man besser heiraten oder im Stand der Jungfrauschaft bleiben soll. Mit dem zweiten Teil des Briefes kommt nun zu der Frauendidaxe eine vollständige, d. h. sowohl (Ehe-)Frauenpflichten als auch (Ehe-)Männerpflichten sowie die Normierung des gegenseitigen Verhaltens von Frau und Mann umfassende Ehelehre dazu. Erstaunlich ist nun allerdings, daß bei dieser Ehelehre das Gewicht wiederum eindeutig auf der >Männerdidaxe< liegt, und zwar inhaltlich sowie formal: Vier von insgesamt fünf thematischen Blöcken behandeln ausschließlich männliche Pflichten und Aufgaben. Angesprochen ist prinzipiell der Mann: Die wenigen Passagen, in denen sich der Text in direkter Anrede an einen Adressaten wendet, richten sich an ein männliches >Dugute< Ehefrau ist in dieser Perspektive einerseits Erziehungsprodukt des Mannes, andererseits göttliche Auszeichnung seiner Frömmigkeit, in jedem Fall aber Anreiz zu männlicher Selbstdisziplinierung.28 Erwartungsgemäß fehlt dieses Motiv des Lohns bei der Thematisierung weiblicher Pflichten. Die Gottesfürchtigkeit der Frau spielt denn auch keine Rolle: Sie ist dem Mann, der Mann aber Gott untenan. Das Motiv der Gegenseitigkeit klingt in dieser Ehelehre nur ganz nebenher an, wenn es im Übergang von den Männer- zu den Frauenpflichten heißt: Doch mag ein man, der rechtsinnig ist, vil ze wägen bringen und ein gehorsam gfölgig wyb vil schaffen, also daß eins dem anderen loost, volgt, hilfft, straaff annimpt. Wo aber yetlichs sin wäg wil und ghein vernunfft, >da suocht mandie guggerlen, und findt zeletzt ein leren haaffenVorlageVolkommnen UnderrichtungExkursEhelehre< sowohl formal als auch inhaltlich mit einem ganz anderen Texttyp zu tun als bei den beiden >BrieflehrenklassischenEin wyser man soll nitt ein wyb nemmen, dann vil unradts iren volgt.< [...] Wir antwurtend also: Uns christen gadt die philosophia nützid an, wo sy ist wider die gschrifft. So habend warlich die heiden, so die ee verachtet, sy nitt vergeben verachtet, sunder in große laster gefallen und damit gestraafft.35
Die Zurückweisung eines misogynen Topos hat hier rein funktionalen Charakter und ist ein typisches Element der reformatorischen Eheapologie.36 Interessant ist der Ehe-Exkurs für unsere Frage nach der Geschlechterkonzeption lediglich insofern, als Bullinger ihn in demjenigen Traktat wiederverwertet, den er kurze Zeit nach dem Ehe-Exkurs verfaßt haben muß: In der >Volkommnen Underrichtung deß christenlichen eestands< stellt Bullinger den >Exkurs< an den Anfang und paßt ihn dem neuen Publikum an. Deshalb ist hier die Möglichkeit gegeben, en detail zu beobachten, was sich sprachlich bei einer Transformation von einer Textsorte in die andere ändert.37 34
Vgl. >ExkursExkurslieben wie den eignen Leib< zitiert. 35 >ExkursVom ehelichen LebenPaarung< von Misogamie und Misogynie bzw. Eheapologie und Apologie der Frau vgl. auch Steven Ozment (wie Anm. 2), S. l und 9. 37 Um nicht allzu sehr von der Hauptthematik abzuweichen, habe ich mich im folgenden Kapitel darauf beschränkt, die allerwichtigsten Unterschiede zu nennen. Viele Details werden lediglich in den Fußnoten festgehalten. Ein hinsichtlich der Frage nach der >Emotionalisierung< des Ehediskurses eventuell interessanter Punkt ist dabei ganz verloren gegangen: Was im >Exkurs< unter dem Stichwort utilitas - Nutzen der Ehe abgehandelt wird (Vermeidung von Unzucht und insbesondere den damit verbundenen
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V. Die >Volkommne underrichtung deß christenlichen Eestands< ist Bullingers erster längerer Traktat über die Ehe. Er ist 1527, vermutlich kurz nach dem >Exkurs< entstanden und knüpft deutlich an diesen an: das Motto bildet der Vers Hbr 13,4, der Anlaß war für den >ExkursExkursesVolkommnen Underrichtung< jedoch um einen anderen Texttyp: angesprochen sind (potentielle) Eheleute,38 mithin ein breites Laienpublikum; die dominierende Intention ist Belehrung. Mit den neu hinzukommenden Kapiteln zu den Themen Hochzeit, Erstes Zusammenwohnen, Bewahren der Liebe, Erziehung der Frau durch den Mann (Haushaltskapitel) und Kindererziehung, verschiebt sich der inhaltliche Schwerpunkt vom theoretisch-begründenden Diskurs über die Institution der Ehe zum pragmatisch-handlungsanweisenden Diskurs über das konkrete Verhalten der Eheleute im ehelichen Alltag. In Korrelation mit dem neuen Publikum verändert sich auch die Redeweise: Der Ton in der >Volkommnen Underrichtung< ist streckenweise deutlich gröber, mit mahnendem und drohendem Zeigefinger moralisierend und viel öfters die Du-Anrede verwendend (>Predigt-TonEntwissenschaftlichung< feststellen: Lateinische Zitate verlieren in der >Volkommnen Underrichtung < ihren Zitatcharakter, indem sie deutsch in den fortlaufenden Text integriert und nicht mehr als Zitate gekennzeichnet werden; die sparsam eingesetzten Randglossen werden in Unannehmlichkeiten sowie Kinderaufzucht), wird in der >Volkommnen Underrichtung< als »lust der ee« verkauft und zu einer eigentlichen Ehe- und Familienidylle stilisiert (vgl. >ExkursVolkommne Underrichtung< Bl. B 4r-B 5V). 38 Daß die >Volkommne Underrichtung< sich an Männer und Frauen wendet, ist sprachlich daran erkennbar, daß einige Stellen, die aus dem >Exkurs< übernommen worden sind, jetzt auf das gemischtgeschlechtliche Publikum Rücksicht nehmen und die Perspektive der Frauen miteinbeziehen: So gesellt sich zum »kibigen wyb« des >Exkurses< in der >Volkommnen Underrichtung< ein »unlieblicher man« (vgl. >ExkursVolkommne Underrichtung< Bl. B ). Im Abschnitt >Anleitung zur Gattenwahl < formuliert die >Volkommne Underrichtung < im Gegensatz zum >Exkurs >beidgeschlechtlichVolkommne UnderrichtungExkursVolkommne UnderrichtungExkursVolkommne Underrichtung< hinzu: »Also ist es ouch umb die man«, sc. auch bei der Wahl des Mannes sollte Schönheit kein Kriterium sein (>Volkommne Underrichtung»Viri diligite uxores vestras< [Eph 5,22] et infra >Viri debent diligere uxores suas sicut corpora sua. Qui suam uxorem diligit, se ipsum diligit< [Eph 5,28].« Den Frauen wird geboten, ihre Männer zu fürchten: »Uxor autem timeat virum suum« (Eph 5,33). Auch in diesem Text über die Ehe stoßen wir auf eine komplexe Hierarchisierung der Geschlechter. Zunächst wird von den Eheleuten als pares et socii gesprochen und der Geltungsraum dieser Gleichrangigkeit offen gelassen bzw. sehr weit gefaßt. Da aber offensichtlich besonders die Gleichrangigkeit der Frau ein Problem darstellt, muß hierfür eine biblischhistorische Begründung gegeben werden. Hier leistet der Rippe-Topos gute Argumentationshilfe: Die Frau, da aus der Seite des Mannes genommen, darf den Mann nicht verachten, umgekehrt aber auch von ihm nicht gering geachtet werden. Der Blick richtet sich also nun auf den Mann: Er muß seine Frau lieben wie sich selbst. Doch am Ende des Passus scheint das Wort von den pares et socii vergessen, wenn die Frau zur Furcht gegenüber dem Ehemann ermahnt wird. Wo wir aber Widersprüche, Argumentationslücken oder Unstimmigkeiten sehen, steht für den mittelalterlichen Ehediskurs fest: All diese differierenden Positionen zusammen sind gleichermaßen zu berücksichtigen, wenn die ideale Ehe verwirklicht werden soll. Gleichstellung und Hierarchie gehören zu einer vorbildlichen Ehe. Dieser in der Alltagspraxis zu vollziehende Balanceakt spiegelt sich auf Diskursebene in dem Darstellungsprinzip des >Sowohl - als auchThe Owl and the Nightingale< (Mitte 13. Jh.), hg. und übersetzt von Hans Sauer. Stuttgart 1983 (Reclam 7992), V. 1523-1566. Weitere Parallelen in Ehepredigten: Peregrinus (wie Anm. 69) Alph. II [sie!] T—Y; Johannes Herolt: Sermones discipuli de tempore et sanctis [1418]. Mainz 1612, Sermo 25 (S. 147); Pelbartus de Themeswar (gest. 1504): Sermones. Hagenau 1498 (Hain 12551), Sermo Nr. 26 (C) und 27 (T); außerdem bei Kunz Has (ca. 1460-vor 1527): Von dem eelichen standt [um 1525?]), hg. von E.Matthias: Der Nürnberger Meistersänger Kunz Has, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 7 (1888) 169-236, hier S. 209-221 (V. 155-178). 72 Tatsächlich steht das folgende Zitat aber in l Tim 2,12. 73 In Wirklichkeit steht das Zitat in Eccli 25,30. 74 Jacques de Vitry (wie Anm. 66), Bl. 135vb. Die misogynen Passagen dieser Predigt sind ins Englische übersetzt von Alcuin Blamires (Hg.): Woman defamed and woman defended. An anthology of medieval texts. Oxford 1992, S. 145-147.
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Herrschaft - absichern. Doch dieser Versuch einer Abwehr weiblicher Bedrohung verstrickt sich immer mehr in frauenfeindliche Äußerungen. Die Predigt gleitet in eine Litanei schlimmster misogyner Sentenzen und Exempla ab.75 Die Frage, wie ein solches Monstrum Frau als gleichrangige Ehegefährtin zu akzeptieren sei, stellt sich der Autor jedoch nicht. Statt dessen verschärft die Schilderung von widerspenstigen Frauen stetig den Ruf nach männlichem Primat. Nicht unerwartet mündet deshalb die Predigt gegen Ende in die Feststellung, daß die Eheleute nur hinsichtlich der ehelichen Pflicht gleichgestellt, in allen übrigen Belangen aber der Mann das Haupt der Frau sei: Er solle sie lenken, verbessern, züchtigen. Das weibliche Geschlecht sei moralisch so anfällig, daß eine ständige Führung durch den Mann not tue.76 Die Predigt endet mit dem Fazit, daß nur eine gute, in allem folgsame Frau zu lieben und eine Hilfe (adiutorium) für den Mann sei, eine schlechte Frau aber eher ein Hindernis zum Heil. Es ist aufschlußreich, den textlichen Weg von der Verkündung einer Gleichstellung der Geschlechter in fast allen Bereichen ehelichen Zusammenlebens bis hin zur Forderung des absoluten Primats des Mannes zu verfolgen. Den Ausgang von Jacques' Ehepredigt bildete das Herrenwort »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei«, das die Beschreibung einer engen Gemeinschaft von Mann und Frau einleitet. Von einer >neutralenDiener< degradiert; keine irreale Verdammung der Frau, die den Ruf nach der Herrschaft des Mannes über die Frau verstärkt, sondern der vielschichtigere Ehediskurs entwirft Mann und Frau als pares et socii in ihren Vorzügen, Pflichten und Schwächen und setzt doch den Mann als Haupt der Frau stets voraus (vir caput muliem).78 Wer einen Textbeleg für die mittelalterliche Misogynie sucht, kann Jacques' de Vitry Ehepredigt zum Beweis anführen. Doch ebenso gut läßt sich mit diesem Text die These vertreten, >das< Mittelalter habe die Gleichstellung von Mann und Frau propagiert. Ich meine, hier wird etwas von dem sichtbar, was den theologischen Ehediskurs auszeichnet: Er stellt einen Balanceakt zwischen zwei unterschiedlichen Geschlechterrelationierungen dar. Auch wenn Jacques de Vitry gegen Ende seiner Predigt die Balance Gleichstellung und postlapsarer Unterordnung vgl. demnächst R. Schnell: »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei«. 78 Meines Erachtens hat die Geschlechtergeschichte bislang einseitig ihre Aufmerksamkeit dem Frauendiskurs gewidmet und somit ein schiefes Bild vom Gesamtdiskurs über die Geschlechter entworfen. Nur so läßt sich z. B. erklären, daß - in Unkenntnis der traditionellen Auslegung des Rippe-Topos als eines göttlichen Zeichens für eheliche Liebe (Hugo von St. Viktor, Petrus Lombardus u. a.) - Michael Dallapiazza: minne, husere und das ehlich leben. Zur Konstitution bürgerlicher Lebensmuster in spätmittelalterlichen und frühhumanistischen Didaktiken. Frankfurt a. M. 1981 (Europ. Hochschulschr. I 455), S. 152f. meint, die »von dem üblichen Bild« abweichende Frauendarstellung des Marcus von Weida (Ehetraktat 1487) zeige sich darin, daß die eheliche Liebe mit der Erschaffung Evas aus einer Rippe Adams begründet werde.
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nicht mehr zu wahren weiß und - bildlich gesprochen - mit seinen frauenfeindlichen Ausfällen abstürzt, so darf doch kein Teilelement für sich isoliert werden. Daß diese Ehepredigt in so krasser Misogynie endet - eine Ausnahme in der Ehepredigtliteratur -, ist mit dem eingeschränkten Adressatenkreis zu erklären: Es ist eine Predigt für verheiratete Männer (>Sermo ad coniugatosEr nahm eine von sehnen Rippen«. Die Gelehrten sagen hierzu einhellig, daß Gott die Frau nicht aus dem Haupt gemacht habe, damit sie nicht über den Mann herrsche, und nicht aus den Füßen, damit sie vom Mann nicht niedergetreten werde, sondern aus der Seite, damit der Mann sie liebe wie sich selbst. Die Frau ist ihm nahe vom Herzen genommen, damit er ihr in pflichtgemäßer Liebe anhänge und damit sie friedfertig zusammen leben.84 83
Berthold von Regensburg: De Communi Sanctorum Nr. 58 (Fribourg/Schweiz, Couvent des cordeliers, cod. 117, Bd. 2, Bl. 65va-67vb, hier Bl. 66ra); (Ps.-)Berthold von Regensburg: Von der e, in: Berthold von Regensburg. Vollständige Ausgabe seiner Predigten, hg. von Franz Pfeiffer, Bd. 1. Wien 1862, S. 309-338, hier S. 329,21-29; Peregrinus: Sermo >Nuptiae factae sunt< (wie Anm. 69), Alph. II X, in der Fassung der Hs. Basel, ÜB cod. A X 70, Bl. 28V32r, hier Bl. 29r; >Schwarzwälder Predigen (um 1300): Nuptiae factae sunt, in: Franz Karl Grieshaber (Hg.): Deutsche Predigten des XIII. Jhs., 2. Abtheilung. Stuttgart 1846 (Nachdruck Hildesheim, New York 1978), S. 15-22, hier S. 20 (der Ehemann wird direkt angesprochen: »Nu hore saliger man. eva diu wart niht gemachot üz ainem fuze, unde da bi son wier merchen. daz du din efrowen niht soll fersmähen, noch under din ffize soll treten noch werfen.« Die Handschrift München cgm 632, fol. 63vb, bringt sogar eine geringfügige Abweichung, die zu Lasten des Mannes geht, weil das Verhalten der Frauen als normgerecht hervorgehoben wird; vgl. dazu Hans-Jochen Schiewer: >Die Schwarzwälder Predigten«. Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Sonntags- und Heiligenpredigten. Mit einer Musteredition. Tübingen 1996 [MTU 105], S. 282); Hugo de Prato Florido (ca. 1262-1322): Sermones de tempore, o. O. o. J. (Hain 8997), Sermo 18 (>Nuptie facte suntTulit unam de costis eiusGefährtenschaft< weit gezogen (m multis), während die meisten Sentenzenkommentare die Gleichheit der Frau auf die ehelichen Pflichten einschränkten. Die eheliche Hierarchie scheint gerade durch die verordnete Gleichstellung im emotionalen Bereich aufgebrochen zu sein.85 In einer Ehepredigt des Antonius de Bitonto (gest. 1465) wird der Rippe-Topos im Zusammenhang mit dem Thema >Gegenseitigkeit der Liebe, eheliche Eintracht und Harmonie< zitiert: Der Höhere muß den Geringeren durch Züchtigung bessern; der Geringere muß dem Höheren mit Ehrfurcht gehorchen. Aber gegenseitig ist die Freundschaft zwischen Gleichem und Gleichem. Weil also die Frau nicht aus dem Haupt des Mannes, sondern aus seiner Rippe geschaffen wurde, damit sie seine Gefährtin sei, folgt daraus: zwischen diesen beiden muß gegenseitige Liebe herrschen.86
Die eheliche Gemeinschaft wird hier als Freundschaft unter Gleichen begriffen. Und die Gleichheit hat sich vor allem in der gegenseitigen Liebe zu erweisen. Damit stimmt der Text einer volkssprachlichen Ehepredigt (Überlieferung seit Anfang des 15. Jhs.) überein, die auf dieselbe Vorlage wie Antonios Text zurückgehen muß. Hier wird die Gleichstellung allerdings dadurch zurückgenommen, daß hinzugefügt wird, die Frau habe ihre ursprüngliche Gleichrangigkeit (ebenmessigkeif) durch den Sündenfall verloren. Zuvor habe der Mann nicht über die Frau herrschen dürfen, seit diesem Zeitpunkt aber stehe die Frau unter der Gewalt des Mannes.87 Mit 85
Vgl. auch die Schachallegorie von Meister Ingold: Das Goldene Spiel [1432], hg. von Edward Schröder. Straßburg 1882, der auch den Rippe-Topos aufgreift (ein Ausschnitt davon 15,10-14: »Sy [Eva] soll auch nit under im sein als ain füsstuch, aber in geleichayt, wann geleichayt ist ain sach der lieb, und lieb ist ain sach der gleichayt. Dar umb macht lieb geleich allü ding und ungeleichü ding geleich.«). 86 »Maioris enim ad minorem debet esse correctio cum disciplina. Minoris autem ad maiorem debet esse obedientia cum reverentia. equalis ad equalem amicitia mutua. Cum ergo mulier sit facta non de capite hominis sed de costa, ut sit socia, sequitur quod inter eos debet esse mutua dilectio«; Antonius de Bitonto: Sermones dominicales per totum annum. Venedig 1492 (Hain 3217), Sermo Nr. 8 (>Nuptiae factae suntherrschenGleichrangigkeitdu salt sein vnder der gewalt dynes mannesPredigt vom ehelichen Leben Sermo de matrimonio< im Zusammenhang mit einer >Predigt auf die Hochzeit zu KanaPredigt auf die Hochzeit zu KanaMarkierungsgrenze< Reformation. In seiner vierteiligen >Predigt vom Ehestand< nennt Luther zunächst ganz in mittelalterlicher Tradition stehend - acht Punkte, die die Würde und das Ansehen der Institution Ehe begründen.89 Es folgt eine Aufzählung der Vorbedingungen für eine rechte Ehe: die Ehe im Glauben beginnen; man soll Gott um den Ehegemahl bitten; mit Wissen der Eltern heiraten.90 Im dritten Teil werden den Männern und den Frauen separat Verhaltensanweisungen bzw. Aufgaben für die Ehe gegeben.91 Zuletzt wird die Frage diskutiert, ob sich Eheleute scheiden lassen können.92 Luther nennt im dritten Teil für Mann und Frau jeweils zwei Aufgaben. Der Mann muß seine Frau ernähren und sie lieben. Die Frau muß erstens ihre Leiden in der Ehe (Schwangerschaft, Geburt) geduldig ertragen (der Text vermittelt den Eindruck, als ob die einzige und wichtigste Funktion der Frau die der Gebärerin sei) und zweitens ihren Mann lieben. Der Rippe-Topos wird von Luther jeweils innerhalb des Liebesgebots-Passus eingesetzt. Es lohnt sich, gerade im Hinblick auf die bereits zitierten mittelalterlichen Parallelen, die beiden Stellen bei Luther in den Blick zu nehmen. An die Männer gerichtet sagt Luther: Da horet jr, wie fein der Apostel lehret, wie sich der Mann gegen seinem Weibe halten soll, als, das er sie nicht soll achten, als were sie ein fußtuch, wie sie denn auch nicht aus einem fusse geschaffen ist, sondern aus des Mannes riebe mitten im leib, das sie der Mann nicht soll anders halten, als sey sie sein eigen leib oder fleisch, Und wie zeitlich und freundtlich er mit seinem leibe umb gehet unnd handelt, ist der schwartz, so verwirfft oder verstosset er den nicht derhalben, ist der kranck, so pfleget und wartet er sein, und ob ers nicht allezeit gleich macht, so helt ers jm alles zu guth, also soll es der Mann mit seinem Weibe auch machen. [...] Also soll man auch die Weiber regieren, nicht mit grossen knutteln, flegeln oder ausgezogenen messem, sonder mit freuntlichen Worten, freundtlichen geberden und mit aller sanfftmuth, damit sie nicht schuchter werden, wie S. Peter j. Pet. am 3. Capitel saget, Und erschrecken, das sie hernach nicht wissen, was sie thun sollen, Darumb mus man die Weiber mit vernunfft unnd nicht mit unvernunfft regieren und dem Weibischen geschlechte als dem schwechsten werckzeuge seine ehre geben, auch als miterben der gnade des lebens.93
Bei Luther dient die Auslegung des Rippe-Topos nicht dazu, dem Mann die Gleichrangigkeit der Frau einsichtig zu machen. Von juxta se ponere, aequalitas, paritas, socii, pares, soda oder entsprechenden deutschen Termini ist nicht die Rede. Am Rippe-Topos wird lediglich der eine Aspekt 89
Martin Luther: Werke, Weimarer Ausgabe. Bd. 17/1, S. 12-29, hier S. 12-17. Luther, ebd., S. 17-22. 91 Luther, ebd., S. 22-28. 92 Luther, ebd., S. 28f. 93 Luther, ebd., S. 24,2-10 und 24,21-27. 90
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herausgearbeitet, daß die Frau vom Körper des Mannes stamme und deshalb wie dessen Leib geliebt werden müsse. Dementsprechend fallen die Verhaltensmaßregeln aus: freundlich, behutsam, sanftmütig muß der Mann mit der Frau umgehen. Doch was zunächst als Grund für den liebevollen Umgang mit der Frau angegeben war - die Herkunft aus der Rippe des Mannes -, muß zusehends einer anderen Begründung Platz machen: Der Mann müsse deshalb seiner Ehefrau mit Nachsicht, Langmut und Geduld begegnen, weil die Frauen das schwächere, unvollkommene, hilflose Geschlecht darstellten.94 Ja, sie müßten sogar gelenkt und regiert werden, weil sie selbst unfähig zu eigenem Handeln seien. Der Mann müsse seine Frau wie einen schwachen Weinstock, der nicht ohne Hilfe stehen könne, anbinden. Die Frau wird hier nicht als gleichrangige Gefährtin des Mannes gesehen: Der Ausdruck, die Frau sei »aus des Mannes riebe mitten im leib«, hat keine Auswirkung auf die Relationierung der Geschlechter. Luther vermeidet strikt eine Formulierung, die den Gedanken an eine wie auch immer geartete Gleichrangigkeit der Frau aufkommen lassen könnte. Der Rippe-Topos dient bei Luther letztlich der Zementierung weiblicher Inferiorität: liebevoller Nachsicht des Mannes gegenüber dem unvollkommenen Geschlecht.95 Die Beobachtungen, die sich bei dem an die Männer gerichteten Passus ergaben, bestätigen sich bei einem Blick auf den Abschnitt für Frauen. Während in den spätmittelalterlichen Ehepredigten und sogar den Sentenzenkommentaren der Rippe-Topos bis auf ganz wenige Ausnahmen96 stets einer Statusaufwertung der Frau dient - die Frau dürfe vom Mann nicht verachtet werden; sie habe ihren Platz nicht über oder unter, sondern neben ihm (par, aequalis, socia) -, setzt Luther den Rippe-Topos als Argument für die Behauptung ein, die Frau müsse dem Mann Untertan sein. Die Frauen würden von Natur aus gerne herrschen und regieren. Doch Paulus habe ihnen dies verwehrt: »>Die Weiber sein unterthan jren Mennern als 94
Dieselbe Begründung für dieselbe hierarchische Relationierung von Mann und Frau gibt der protestantisch-lutherische Prediger Veit Dietrich: Ein kurtze vermanung an die Eheleut/ wie sie sich im Ehestandt halten sollen. Nürnberg 1548, in: Oskar Reichmann (Hg.): Etliche Schrifften für den gemeinen man [...]. Assen 1972, S. 128-133, hier S. 129,32-130,18 (vgl. auch den Beitrag von Helmut Puff in diesem Band). Von einer soci'a-Position der Frau ist keine Rede. Gemeinsame Autorität für Luther und Veit Dietrich ist l Pt 3,7. Vgl. auch Andreas Musculus: Wider den Ehteuffel (1556), in: Rita Stambough (Hg.): Teufelbücher in Auswahl, Bd. 4. Berlin, New York 1978, S. 81-132, hier S. 119f., der aufgrund der moralischen Anfälligkeit der Frauen vor allem von den Männern Nachsicht fordert. Eine Frau zu regieren sei genau so schwer wie über ein kleines Land zu herrschen. 95 Der Einwand, daß Luthers ausformulierte Ehepredigt mit den lateinischen und volkssprachlichen Predigtentwürfen nicht zu vergleichen sei, ist ernst zu nehmen. Doch ist darauf hinzuweisen, daß wir auch aus dem Mittelalter Texte besitzen, die den tatsächlich gehaltenen Predigten sehr nahe kommen. 96 Zum Beispiel in der misogynen Passage von Jacques' de Vitry erster Ehepredigt >Ad coniugatosAufwertung< der Ehe durch Luther scheint sich auf die Bewertung der Frau nicht positiv ausgewirkt zu haben. Daß der Rippe-Topos innerhalb der an die Frauen gerichteten Ermahnungen zur Unterwerfung des weiblichen Geschlechts eingesetzt wird, gehört jedoch zum Prinzip derjenigen Predigten, die die Lehren aus der Erschaffung Evas nicht für beide Eheleute gemeinsam, sondern getrennt nach Geschlechtern formulieren. Dieses Prinzip können wir auch an Johannes Herolts Predigt (1418) über die Erschaffung des Menschen beobachten.99 97
Luther (wie Anm. 89), S. 26,39-42. Luther (wie Anm. 89), S. 26,24-28. Freilich wird auch in vorreformatorischen Texten die ursprüngliche Gleichrangigkeit der Frau mit dem Hinweis auf Evas Sündenfall als ein überholter Zustand bezeichnet. Doch volkssprachliche Belege hierfür reichen nicht weiter als ins 15. Jh. zurück. Gravierender jedoch ist der unterschiedliche diskursive Ort, an dem Evas Sündenfall in vor- und nachreformatorischen Ehetexten thematisiert wird. In protestantisch-reformatorischen Texten erscheint der Hinweis auf den Sündenfall und die dadurch bedingte Unterordnung der Frau unter den Mann ausschließlich in Abschnitten, die allein an die Frauen adressiert sind; so bei Luther, Rebhun, Musculus. Da sich überdies bei einigen dieser Belegstellen, im Gegensatz zu den vorreformatorischen Ehetexten, eine Erörterung der vielen Frauen angeborenen Widerspenstigkeit anschließt, erlangt hier der Hinweis auf den Sündenfall Evas ein viel stärkeres Gewicht. Er dient der Disziplinierung der Frau und der Sicherstellung der Hierarchie im Hause. Dagegen vermag in vorreformatorischen Texten der einschränkende Hinweis, die Frau habe durch den Sündenfall ihre Gleichstellung verloren, kaum ein Gegengewicht zur Forderung nach Gleichheit der Eheleute zu bilden. Die reformatorischen Ehetexte hingegen verstärken hiermit die Forderung nach Unterordnung und Hierarchie. Zu dem skizzierten thematischen Komplex wird in Kürze eine eigene Studie vorliegen. 99 Johannes Herolt: Sermones discipuli de tempore et de sanctis. Venedig 1603, Nr. 34 98
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Im Anschluß an den zweiten Schöpfungsbericht (Gn 2,18-24) wird die Frage aufgeworfen, warum Eva aus der Seite und nicht aus dem Haupt oder dem Fuß Adams geschaffen sei. Bei seiner Antwort lehnt sich der Prediger explizit an den Sentenzenkommentar des Petrus Lombardus an, spricht nun aber im Gegensatz zur überpersönlichen, neutralen Darstellung der Sentenzenkommentare die beiden Geschlechter einzeln auf ihre Untugenden und Aufgaben an: Gott hat Eva nicht aus dem Haupt gemacht, damit sie nicht über den Mann herrsche. Dagegen verstoßen jene Frauen, die über ihre Männer herrschen wollen. Gegen diese Herrschaft steht auch geschrieben Genesis, Kapitel 3 [Vers 16] >Du wirst unter der Gewalt des Mannes sein, und er selbst wird über dich herrschen^ Ebenso ist Eva aber auch nicht aus dem Fuß Adams geschaffen, damit sie nicht vom Mann verachtet werde. Dagegen verstoßen jene strengen und bösen Männer, die ihre eigenen Frauen verachten, sie wie Mägde halten, selten ein liebenswertes Wort verlieren, sondern ständig gestrenge und beleidigende Reden halten. Vielmehr ist die Frau aus der Seite des Mannes gemacht, damit das Band der Liebe in ihnen erkannt werde. Dabei muß der Mann seiner Frau Liebe erweisen, und umgekehrt, die Frau ihrem Mann.100
Mit dem Rippe-Topos werden in Herolts Predigt also zunächst Herrschaftsgelüste der Frauen abgewehrt und das weibliche Geschlecht auf die Unterordnung unter den Mann verpflichtet, dann die Männer zu freundlichem, liebenswertem Umgang mit den Ehefrauen ermahnt. Schließlich wird aber - im Gegensatz zu Luthers Ehepredigt - der Weg zur harmonischen Mitte beschatten:101 Die Erschaffung aus der Seite des Mannes soll die wechselseitige Liebe der Eheleute anzeigen. Aber auch hier fällt das Wort von der Gleichstellung der Frau nicht. Doch folgt man der argumentativen Abfolge, so muß das angestrebte Eheideal irgendwo zwischen Unterwerfung der Frau und Herrschaft des Mannes liegen. In dieser anzustrebenden Endstufe hat sich wechselseitige Liebe einzustellen; und durch sie scheint die strenge Hierarchisierung zwischen den Geschlechtern jedenfalls entschärft zu sein. Entscheidend bei dieser geschlechterspezifischen Funktionalisierung des Rippe-Topos ist das Bemühen, jedem Geschlecht die jeweils auszuschließende Schöpfungsvariante vor Augen zu halten. Den Frauen wird »De creatione hominis« (S. 126-129). In dieser Predigt, die z. T. an die scholastische Quästionenliteratur erinnert, werden drei Fragen erörtert: Wie hat Gott den Menschen geschaffen? Hat Eva oder Adam mehr gesündigt? Wie werden wir nun in die Welt hinein geboren? 100 »Evam non fecit de capite, ne viro dominaretur, et contra hoc faciunt illae mulieres, quae volunt dominari, super viros suos. Etiam contra hoc est, quod dicit dominus Gen. 3. >Sub potestate viri eris, et ipse dominabitur tuiHausmutterHause< begegnen und nähert den Status der Frau dem des Mannes an. Unterordnung der Frau - von den Frauen eingefordert - und Versuch einer Gleichstellung der Frau - bei den Männern angemahnt - stehen bei Osiander nebeneinander, doch auf das jeweils angesprochene Geschlecht verteilt. Keine der beiden einzelnen Positionen aber darf für das Ganze genommen werden. 104
Daß Luther zuvor von mir eine >neueHaus< herrschen und sich wie Löwen gebärden (Bl. C 4V). Nach diesen traditionellen Vorwürfen an die Männerseite wendet sich der Prediger an die Frauen. Diese würden vergessen, daß sie aus der Rippe des Mannes stammten, und würden gerne »Siemann heissen/ in allem fumemen der Haußhaltung zum Schwert greiffen« (Bl. C 4V). Auch in spätmittelalterlichen Ehepredigten wird - wie wir gesehen haben107 - der Rippe-Topos zur Abwehr weiblicher Herrschaftsgelüste eingesetzt. Doch scheint bei Neuheuser ein noch stärkeres Engagement vorzuliegen. Jedenfalls wird der Ton des reformatorischen Predigers gegenüber möglichen Herrschaftsgelüsten des weiblichen Geschlechts schärfer: Der Mann muß der Haußknecht gehalten werden [»muß Dienste des Hausknechts verrichten«] / sie aber wil Hoffmeister sein / vnd sich des Haußregiments der gstalt anmassen / also / das den Mannen auch wol von nohten were / in hohen wichtigen Sachen / welche die Weiber in dem allermeisten nie angehen / sich bey den Meisterlosen/ vnnd dreymal gescheiden Weibern bescheyds züerholen. So doch solche Xantippen in das Paradeiß hindersich / vnd an die Ripp vom Mann genommen / bildlich gedencken / vnd jne / als jr von Gott gegebnes Haupt / hoch vnd werth halten / lieben vnnd ehren solte. Welches jnen dann S. Peter auch ernstlich beuilhet/ da er spricht: Die Weiber sollen jren Männern vnderthon sein / dann also seind vor zeitten die heyligen Weiber jren Männern vnderthon gewesen (Bl. C 4V-D ).
Neuheuser kritisiert zwar Männer wie Frauen, setzt aber den Rippe-Topos nur gegen die Frauen ein: aus der Rippe des Mannes geschaffen zu sein, verpflichte zur Unterordnung unter die Männer. Dies widerspricht der spätmittelalterlichen Exegese in Sentenzenkommentaren und vielen Ehepredigten, aber nicht der zuweilen auch in spätmittelalterlichen Ehepredigten genutzten Möglichkeit, den Rippe-Topos adressaten- und geschlechterspezifisch zu verwenden. Im Unterschied zu Luther und Osiander verknüpft Neuheuser jedoch, ähnlich wie Herolt (1418) und der >Schwarzwälder Pre106
Samuel Neuheuser: Ein Christliche Hochzeit Predig / ... Gehalten zu Vlm im Munster/den 28. Tag Aprilis / Anno 1579. Tübingen 1579 (Tübingen ÜB: L XIII 25. 4°). 107 Vgl. Jacques de Vitry: Ad coniugatos sermo primus (wie Anm. 66), hier allerdings innerhalb eines an Männer gerichteten Abschnitts. Vor allem im Falle geschlechterspezifischer Adressierung wird den Frauen mit Hilfe des Rippe-Topos die Pflicht zur Unterordnung >eingetrichtertEhetexte< des Vives (Männer- und Frauenbuch) läßt sich diese komplementäre Distribution geschlechtsspezifischer Forderungen als ein elementares Darstellungsprinzip des Ehediskurses ebenso gut herausarbeiten; vgl. demnächst R. Schnell: Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs. Frankfurt a. M., New York 1998. 111 Vincent of Beauvais: De eruditione filiorum nobilium, hg. von Arpad Steiner. Cambridge (Mass.) 1938 (Reprint 1970). 112 Vincent of Beauvais, ebd., S. 147-149. 113 »Honorifice, inquam, debet illam tractare, sc. ut non habeat illam vilem quasi famulam, sed honorabilem quasi sociam. Propter hoc enim dicitur, mulier non facta esse de capite vel pedibus viri sed de latere, ut per hoc detur intelligi, quod nee domina, nee ancilla, sed socia debet esse«; Vincent of Beauvais (wie Anm. 111), S. 149,79-82.
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Im Gegensatz zu Luthers, Osianders und Neuheusers Ehepredigten insistiert Vinzenz von Beauvais innerhalb des Abschnitts, der die Männerlehre enthält, auf dem socia-Stalus der Ehefrau. Deshalb braucht er nicht - anders als der >Schwarzwälder PredigerWeg zur Mitte< zu beschreiten. Doch was in dieser an Männer gerichteten Lehre als Verhaltensnorm verkündet wird - die Frau sei als Gefährtin und nicht als Magd zu behandeln -, wird in der an Frauen adressierten Unterweisung ins Gegenteil verkehrt. Im Kapitel 48, das die Mädchen auf die Ehe vorbereitet, wird als zweite Anforderung die Liebe zum Ehemann genannt. Diese eheliche Liebe aber hat sich vor allem als Unterwerfung zu äußern, wofür Gn 3,16 zitiert wird: »Du wirst unter der Gewalt des Mannes sein und er wird über dich herrschen.« Die Unterwerfung wiederum besteht aus drei Einzelpunkten: die eheliche Pflicht leisten; den Mann fürchten; ihm dienen.114 Zum letzten Punkt wird als Beweis ein Augustinus-Zitat angeführt: subditas et pene famulas lex esse voluit uxores (»Das Gesetz bestimmte, daß die Frauen untergeordnet und fast Mägde sind.«)."5 Was den Männern untersagt wurde - nämlich ihre Frauen als Mägde zu behandeln -, wird nun von den Frauen eingefordert: Sie sollen sich ihren Männern fast wie Mägde unterwerfen. An dieser Stelle wird besonders gut sichtbar, welches Ziel der theologische Ehediskurs vor Augen hat. Wenn von den Männern Gleichbehandlung der Frau gefordert wird, die Frauen aber zur Unterordnung unter den Mann ermahnt werden, dann ergibt sich in der Addition das angestrebte eheliche Ideal, nämlich Eintracht und Respekt vor dem anderen Geschlecht auf beiden Seiten. Die Strategie des theologischen Ehediskurses - sofern er nach Geschlechtern getrennte Verhaltensanweisungen formuliert - läuft darauf hinaus, an jedes der beiden Geschlechter jeweils Extremforderungen zu stellen - Gleichstellung der Frau bzw. Unterordnung unter den Mann -, um damit dann im ehelichen Alltag ein friedvolles und beglückendes Miteinander zu erreichen."6 114
Vincent of Beauvais (wie Anm. 111), S. 197. Vincent of Beauvais (wie Anm. 111), S. 198, 21f. (Augustin: Quaestiones in Pentateuchum 5,33; PL 34, 762). 116 In ähnlicher Weise verteilt Dionysius Cartusianus in einem praktisch-seelsorgerlichen Traktat, der Verhaltensregeln für ein christliches Leben gibt, Unterordnung und Gleichstellung der Frau auf zwei Abschnitte. Den Frauen >hämmert< er mit Hilfe zahlreicher Zitate aus dem NT die Lehre ein, sie sollten sich den Männern unterwerfen. Doch unmittelbar danach belehrt er die Männer, sie sollten die Frauen eher als Gefährtinnen halten denn als Mägde. Denn sie seien nicht aus dem Fuß, sondern aus der Rippe des Mannes gemacht. Deshalb müßten die Männer gütig und freundlich (humiliterl) mit ihren Frauen umgehen. Die die Frauen begünstigende Verwendung des Rippe-Topos im >Männerteil< ist schon daran ersichtlich, daß das (meist negativ instrumentalisierte) Gegenbild der Erschaffung aus dem Haupt hier nicht erwähnt wird; vgl. Dionysius Cartusianus: De doctrina et regulis vitae Christianorum, II 8,4, in: Opera omnia, Bd. 39, S. 538f. In der Übersetzung des Luzemer Stadtschreibers 115
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Doch dieses Prinzip der komplementären Rollenverteilung verlangt auch von uns Lesern heute wie von der Forschung, die (nach Geschlechtern separaten) Verhaltensanweisungen an Mann und Frau zusammenzusehen. Wer sie auseinanderreißt, wird einerseits die These von der einseitigen Unterordnung der Frau im Mittelalter, andererseits die These von der Gleichstellung der Frau formulieren können. Doch die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte: Keine der beiden Thesen hat für sich recht, sondern nur beide zusammen. Im Versuch, Unvereinbares zu vereinen, liegt das Ziel des theologischen Ehediskurses."7 Wir haben also zwei Textgruppen mit unterschiedlichen Verwendungsweisen des Rippe-Topos zu unterscheiden: l. In Sentenzenkommentaren, theologischen Summen und Bibelkommentaren werden auf eine >neutrale< Weise stets die zwei nicht realisierten Möglichkeiten der Erschaffung Evas unmittelbar hintereinander genannt - aus dem Haupt bzw. aus den Füßen und dann der dritte (eingetretene) Fall - aus der Seite - erwähnt. Darauf folgt unmittelbar die Deutung, die Frau sei die socia des Mannes, nicht Herrin und nicht Magd."8 Daß der Rippe-Topos in Sentenzenkommentaren, theologischen Summen und Bibelkommentaren vor allem von der Frau her und auf die Frau hin ausgedeutet wird - sie soll nicht über den Mann herrschen, sie soll dem Mann Gefährtin sein -, erklärt sich aus dem diskursiven Ort: Es ist die Aufgabe gestellt, den biblischen Bericht von der Erschaffung Evas zu kommentieren. Infolgedessen steht die Frage nach der Funktion Evas im Vordergrund. 2. In Ehepredigten ist die Erörterung des Rippe-Topos in einen ganz anderen thematischen Kontext hineingestellt: Es geht nicht um die theologische Kommentierung einer Bibelstelle, sondern um pragmatische Anweisungen für den Alltag der Eheleute. Deshalb richtet sich der Blick der Prediger auf Frau und Mann. Zwar erinnert die Verwendung des Rippe-Topos in zahlreichen Ehepredigten an das Auslegungsverfahren der Sentenzenkommentare und theologischen Summen,"9 Renwart Cysat (um 1601) wird diese doppelseitige Perspektive beibehalten; Bürgerbibliothek Luzern, ms. 105 fol, Bl. 509V. 117 Wenn für beide Geschlechter gemeinsam geltende Verhaltensregeln verkündet werden, so tritt an die Stelle der Komplementarität das Prinzip der Reziprozität: Mann und Frau müssen in gleicher Weise sich gegenseitig in Liebe, Nachsicht, Geduld, Respekt, Fürsorge und Willfährigkeit begegnen. 118 Zu dieser >neutralenSecond Lucidaire< (14. Jh.), vgl. Doris Ruhe: Gelehrtes Wissen, >Aberglaube< und pastorale Praxis im französischen Spätmittelalter. Der Second Lucidaire und seine Rezeption (l4.-17. Jahrhundert). Untersuchung und Edition. Wiesbaden 1993 (Wissensliteratur im Mittelalter 8), S. 164f. (Nr. 26); als Resultat wird gefolgert, der Mann möge die Frau als Gefährtin halten (que l Omme la tint pour sä compaigne). 119 Jacques de Vitry: Ad coniugatos sermo primus (wie Anm. 66): Guibert de Tournai: Ad coniugatas sermo secundus (wie Anm. 62); Johannes Nider (wie Anm. 84), Sermo 34; Anonymus: Ehepredigt (Nürnberg, Stadtbibl. Cent. VI 44, Bl. 27V-32V, hier Bl. 3 ; bei Kruse [wie Anm. 87], S. 48); Meffret (1449): Hortulus reginae sive sermones de
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doch, bedingt durch eine andere adressaten- bzw. publikumsbezogene Funktion der Predigten, stellen sich meist zwei Änderungen ein, von denen die erstere bei fast allen Ehepredigten, die zweite in größerer Anzahl erst ab dem 15. Jahrhundert anzutreffen ist: a. die Ausdeutung des Rippe-Topos in Ehepredigten fragt nicht mehr nur danach, welche Funktion die Frau für den Mann besitzt, sondern auch danach, wie sich der Mann zu verhalten hat, um der Frau in der ihr von Gott zugedachten Rolle (als socia) gerecht zu werden. Ja, in den Ehepredigten scheint die Auslegung des Rippe-Topos vornehmlich den Männern zu gelten: Sie sollen ihre Frauen nicht wie Mägde behandeln, b. Die verschiedenen Deutungsvarianten des Rippe-Topos werden an verschiedenen Stellen eines Textes - und auf die beiden Geschlechter verteilt - erwähnt. Dabei stellt sich eine - je nach diskursivem Ort - andere, geschlechterspezifische Verwendung des Rippe-Topos ein: Sollen die Männer zu rechtem ehelichen Verhalten ermahnt werden, erwähnt der Prediger lediglich, die Frau sei nicht aus den Füssen geschaffen und deshalb dürfe der Mann die Frau nicht verachten. Sollen die Frauen belehrt werden, setzt der Prediger die andere extreme Variante ein: Die Frau sei nicht aus dem Haupt geschaffen und dürfe deshalb nicht über den Mann herrschen. Das Selektionsprinzip ist klar: Je nach angesprochenem Geschlecht wird nur eine der beiden Extremfälle (Haupt, Fuß) erwähnt, dann aber, da ja in der Genesis nicht verwirklicht, als Maßstab für eine Geschlechterrelationierung in der Ehe verworfen. Hier bleibt es bei der Abwehr der für Mann und Frau jeweils extremen Gegenmöglichkeit. Der Weg hin zur Mitte ist bei diesem Verfahren, das für jedes Geschlecht stets nur eine von drei Varianten (Kopf bzw. Fuß) ins Spiel bringt, nicht ausgeschlossen, aber nicht explizit ausgesprochen.120 Vor Luther sind mir - im Bereich der Predigtliteratur - nur zwei Textbelege (Herolt 1418, >Schwarzwälder Prediger< vom Ende 13. Jh.) für diese zuletzt skizzierte Verfahrensweise bekannt.121 Doch wird in diesen beiden Fällen - wie später bei Neuheuser 1579, aber im Gegensatz zu Luther 1525 und auch zu Osiander 1584 - am Schluß doch noch der Weg zur Mitte beschritten und die Erschaffung Evas aus der Seite erwähnt. Dies läßt drei Schlußfolgerungen zu: a. Die vorreformatorischen Ehepredigten neigen eher dazu, den sociaStatus der Frau zu akzentuieren;122 b. die vorreformatorischen Ehepredigten sprechen eher beide Eheleute zusammen an, während die reformatorisch-protestantischen Ehepredigten es vorziehen, die Verhaltensanweisuntempore, Pars hyemalis. Köln 1625, Alph. MM (S. 133b-134a, »Dominica secunda post Epiphaniam, sermo secundus«); vgl. auch Robert Holkott (wie Anm. 83), lectio 45; >Paratus< (14. Jh.): Sermones de tempore, o. O. o. J. (Hain 12400), Sermo 34. 120 Nur wenn beide geschlechterspezifischen Anweisungen zusammengesehen werden, scheint so etwas wie ein Mittelwert auf. 121 >Schwarzwälder Predigen, in: Grieshaber (wie Anm. 83), S. 20. 122 Auch die Erziehungsschrift - freilich einer anderen Textgattung zugehörig - von Vinzenz von Beauvais betont bereits innnerhalb der Männerlehre den soda-Status der Ehefrau (s. o.).
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gen separat an Mann und Frau zu richten;123 c. die beiden Aspekte - unterschiedliche Geschlechterrelationierung und unterschiedliche Art der Adressierung - bedingen sich gegenseitig. Geschlechtergeschichte und Textfunktionsgeschichte hängen zusammen.
C. Ausblick Wer dogmengeschichtlich-theologische Studien zur Auslegungsgeschichte des Sündenfalls oder der Erschaffung Evas heranzieht, wird Beobachtungen und Überlegungen, wie sie in der vorliegenden Untersuchung vorgetragen worden sind, kaum finden.124 Doch dürfte deutlich geworden sein, daß einem rein dogmengeschichtlichen Frageinteresse ein diskursanalytisches Instrumentarium an die Seite treten muß, sollen Entwicklungen oder Veränderungen der Geschlechterrelationierungen angemessen erfaßt werden. Nur der Vergleich textfunktional gleichartiger Belegstellen kann Ergebnisse über mögliche Veränderungen in der Geschichte der Geschlechterkonzepte liefern. Denn hinsichtlich der Geschlechterrelationierung sind oft größere Unterschiede innerhalb eines Textes -je nach diskursivem Ort zu konstatieren als zwischen zwei Texten aus verschiedenen Zeiträumen. Abschließend soll gefragt werden, inwieweit der Rippe-Topos nicht nur an verschiedenen diskursiven Orten eines Textes, d. h. in unserem Fall adressatenspezifisch, sondern auch in verschiedenen Textformen, d. h. textsortenspezifisch unterschiedlich eingesetzt wird. Denn die unterschiedlichen Kommunikationssituationen der verschiedenen Textsorten lassen unterschiedliche Perspektivierungen der Geschlechterbeziehungen erwarten. Als vorläufiges Ergebnis wird man festhalten dürfen: 1. Sowohl in Sentenzenkommentaren, theologischen Summen, Bibelkommentaren wie auch in Ehepredigten werden alle drei Möglichkeiten der Erschaffung Evas aus Haupt, Fuß, Mitte bzw. Rippe erwähnt, dann aber die socia-Variante betont. Hinsichtlich ihrer >dogmatischen< Position scheinen sich also die verschiedenen Textsorten nicht zu unterscheiden.125 Doch fällt 123
Dies hängt möglicherweise mit einer Ausdifferenzierung der Predigt und mit einer im 16. Jh. veränderten Relation zwischen schriftlich konzipierter und mündlich vorgetragener Predigt zusammen. 124 Vgl. etwa J. T. Motherway: The creation of Eve in Catholic tradition, in: Theological Studies 1 (1940) 97-116. Die Forschung zum mittelalterlichen Frauenbild stützt sich aber bis heute auf die Dogmengeschichte der Moraltheologie. 125 In einigen Predigten, die allerdings stark der schriftliterarischen Kommunikation verpflichtet sind, wird sogar der Wortlaut des Petrus Lombardus, 2 Sent. 18, 3 übernommen; vgl. St. Martin de Leon (gest. 1203): Sermones (PL 208, 559-608), Sermo Septimus in Septuagesima II (PL 208, 583; dazu Sister Mariella, OSB: The Parson's tale and the marriage group, in: MLN 53 [1938] 251-256); Meffret (1449): Hortulus reginae sive Sermones de tempore, Pars aestualis. München 1614, Sermo 37K (S. 456: schreibt hier die Quellenangabe seiner Vorlage [Holkott (wie Anm. 83), lectio 45] aus).
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auf, daß kein einziger Sentenzenkommentar an der einschlägigen Stelle den Verlust des socia-Status der Frau infolge des Sündenfalls erwähnt, während einige Bibelkommentare (im 12. und 16. Jh.) und Ehepredigten (15. und 16. Jh.) betonen, die Frau habe deswegen ihre Gleichrangigkeit verloren. Besonders volkssprachliche Ehetexte des 15. und 16. Jahrhunderts scheinen daran interessiert zu sein, das Dogma von der socia-Rolle der Frau durch den Hinweis auf den Sündenfall zu annullieren. Die ordnungspolitischen Interessen dieser Zeit spiegeln sich in den Ehepredigten.126 2. Ehepredigten legen zuweilen eine andere Art der Verwendung des Rippe-Topos nahe. Während in Sentenzenkommentaren, die nicht auf ein bestimmtes Geschlecht hin konzipiert sind, gleichgewichtig und >neutral< ein potentiell falsches Verhalten der Männer wie der Frauen abgewehrt und der richtige Mittelweg anempfohlen wird (weder Herrschaft der Frau noch des Mannes, sondern soc/a-Status der Frau), setzen die Predigten den Rippe-Topos vor allem an die Adresse der Männer gerichtet ein. Denn den Predigern ist klar, daß das Ideal der ehelichen societas nur dann verwirklicht werden kann, wenn das >starke< Geschlecht den soc/a-Status der Frau akzeptiert. Der Schlüssel zur kameradschaftlichem Ehe liegt beim männlichen Geschlecht. Deshalb attackieren die Ehepredigten vor allem die Untugenden und Schwächen der Männer. Infolge der stärkeren Adressatenbezogenheit der Textsorte Predigt wird die >neutrale< Darstellung der Sentenzenkommentare und theologischen Summen aufgegeben127 und vor allem das männliche Geschlecht ins Visier genommen. Sobald aber einmal - wie in einigen Ehepredigten - die Frauen mit dem Rippe-Topos konfrontiert werden, dient dieser Topos meist der Disziplinierung und Unterwerfung des weiblichen Geschlechts. Je nach angesprochenem Geschlecht wird dem Rippe-Topos ein anderes Argumentationsziel gegeben: Die Männer lehrt er die Gleichstellung der Frau, die Frauen die Unterordnung unter den Mann. Der sachbezogen-theoretische Diskurs der Sentenzenkommentare und theologischen Summen weicht dem personenbezogen-pragmatischen Diskurs der Predigten. 3. Den Geltungsbereich der soc/a-Stellung der Frau dehnen die Ehepredigten gegenüber den Sentenzenkommentaren und theologischen Sum126
Bei Heinrich Bullinger: Der Christenlich Bestand. Zürich 1540, Bl. A 5r~v ist der Rippe-Topos in einer zuvor unbekannten Weise zur Hierarchisierung genutzt. Zwar werden alle drei möglichen Varianten der Erschaffung erwähnt, aber dennoch nicht der Weg zur Mitte beschriften. Daß Eva nicht aus dem Haupt Adams geschaffen sei, erklärt der Autor damit, daß »der mann des wybs houpt vnnd meister ist«; daß sie aus der Seite gebildet wurde, soll zu verstehen geben, daß die Frau zwar neben den Mann gestellt sei, aber lediglich als Gehilfin. Das hierarchische Gefalle in der Ehe wird hier - trotz bzw. mit Hilfe des Rippe-Topos - festgeschrieben. Vgl. jedoch zu anderen Geschlechterrelationierungen in Bullingers Traktat den Beitrag von Monika Gsell in diesem Band und den einführenden Beitrag von R. Schnell. 127 In Sentenzenkommentaren wird über, in Ehepredigten - zumindest in der Vortragssituation - TM den Geschlechtern gesprochen.
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men aus, d. h. sie engen ihn nicht auf den ehelichen Verkehr ein, wie das in anderen Textsorten geschieht. 4. Dies hängt möglicherweise mit dem unterschiedlichen diskursiven Ort, an dem in Sentenzenkommentaren einerseits und Ehepredigten andererseits der Rippe-Topos >verhandelt wird, zusammen: Dort - im Kontext einer Exegese der Schöpfung - geht es um eine theologische Erklärung für die Erschaffung Evas; der Rippe-Topos bildet dabei den Ausgangspunkt für die Exegese, und die Deutung des Rippe-Topos ordnet sich einem gelehrt-wissenschaftlichen Zweck unter. Hier in den Ehepredigten geht es um seelsorgerlich-pragmatische Hilfe für die Ehepraxis. Den Ausgangspunkt bilden hier nicht der Rippe-Topos, sondern die Schwierigkeiten ehelichen Zusammenlebens. Der Rippe-Topos wird funktional eingesetzt, um die Eheleute zu einem rechten Umgang miteinander zu ermahnen. Dort steht die Erschaffung Evas im Mittelpunkt; hier ist sie nur Funktion - und wird entsprechend vielseitig genutzt. Viele Textbelege für den Rippe-Topos aus den vorgestellten oder anderen Textgattungen könnten das hier gezogene Resümee stützen bzw. noch weiter differenzieren helfen. Gerade ein Vergleich von Sentenzenkommentaren und Ehepredigten einerseits und poetischen Texten andererseits könnte den Aussagewert der Einzelstellen noch mehr erhellen. Doch würde dies hier zu weit führen. Ohnehin versteht sich diese Studie eher als ein Versuch, ein feineres methodisches Instrumentarium für die textwissenschaftlich orientierte Geschlechterforschung zu entwickeln, denn als ein Abschlußbericht. Von abschließenden Urteilen sind wir weit entfernt. Doch darf man aus dem Gesagten folgende These ableiten: Die Autoren mittelalterlicher Ehepredigten verfügen über ein bestimmtes Repertoire an Topoi,128 eine Matrix an Inhalten, aus der sie von Fall zu Fall bestimmte Themen bestreiten.129 Diese Topoi des Repertoires aber akzentuieren in sehr unterschiedlicher Weise die eheliche Beziehung, z. T. eher als Partnerschaft zweier gleichrangiger Geschöpfe Gottes, in der die Frau sogar in einzelnen Punkten den Mann übertrifft, z. T. eher als hierarchisches Gefalle vom aufsichtspflichtigen, integren Mann zur schwächlichen, haltlosen Frau. Welche Elemente dieses umfangreichen Repertoires auf welche Weise in einem Text jeweils eingesetzt werden, hängt nicht zuletzt vom jeweils angesprochenen Geschlecht ab. So können sich innerhalb eines Textes, der zu beiden Geschlechtern - aber an verschiedenen diskursiven Orten spricht, Unstimmigkeiten ergeben, die aber offensichtlich nur für uns Widersprüche darstellen. Man wird der mittelalterlichen Literatur über das Verhältnis der Geschlechter nicht mehr so sehr ein durchdachtes, widerspruchsfreies System mit absoluten Positionen unterstellen dürfen, als sie vielmehr als eine Dis128 129
Stellen aus AT, NT und Vätersentenzen. Ehre der Ehe, Ehegüter, Ehevollzugsmotive, Verbotszeiten des ehelichen Verkehrs, Ehebruch und Trennung, Kindererziehung, eheliche Hierarchie, eheliche Liebe u. a.
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kussion begreifen müssen, die ständig bemüht ist, all die vielen widersprüchlichen Bibelworte und Vätersentenzen zu integrieren und zu harmonisieren. In besonders hohem Maße gilt dies für den theologischen Ehediskurs.130 Symptomatisch für das Bestreben des Ehediskurses, zwischen konträren Positionen eine diskursive Balance herzustellen, ist die unterschiedliche Funktionalisierung des Rippe-Topos. Wenn es um die Abwehr männlicher Tyrannis in der Ehe geht, wird der Umstand betont, daß Eva nicht aus Adams Fuß, sondern aus seiner Seite geschaffen wurde. Wenn aber Herrschaftsansprüche der Frau thematisiert werden, wird darauf hingewiesen, daß Eva nicht aus dem Haupt, sondern aus der Seite Adams genommen wurde. Ein und dasselbe biblische Ereignis wird völlig unterschiedlich instrumentalisiert. In den Fällen aber, in denen keine nach Geschlechtem getrennte Belehrung erfolgt, werden die beiden Extreme (Überordnung bzw. völlige Unterordnung der Frau) ausgeschlossen und abgesetzt von der wünschenswerten, positiven socia-Rolle der Frau. Die im theologischen Ehediskurs angestrebte Balance stellt sich also nur im Umkreisen des positiven wie negativen Pols ein. Daß sich der Ehediskurs mit seinem Bemühen um eine ausgewogene Geschlechterrelationierung vom sog. Frauendiskurs abhebt, der eine einseitig idealisierende oder aber einseitig abwertende Frauendarstellung kennt, kann an einem Detail deutlich werden, das ich abschließend vorstellen möchte. Während im theologischen Ehediskurs der Umstand, daß Eva aus dem Gebein Adams und nicht aus dessen Fleisch geschaffen wurde,131 die feste Bindung zwischen den Eheleuten bzw. die Festigung der Frau durch den Mann und umgekehrt die Erweichung des Mannes durch die Frau anzeigen soll, heißt es im hier misogynen Frauendiskurs schon einmal:132 Weil die Frau aus Knochen gebildet sei, klappere ihr Mund ständig; sie sei eine »harte Schwätzerin«. 130
Ein solches >Sowohl - als auch< (»On the one hand - on the other hand«) konstatieren beispielsweise auch D'Avray, Tausche (wie Anm. 6), S. 105-107 für die Ehepredigten Jacques' de Vitry und Guiberts de Tournai. Zum >Sowohl - als auch< in puritanischen Ehetexten vgl. Hotz-Davies (wie Anm. 109). Zur Ehepredigt des Pfarrers in Chaucers >Parson's TaleAdversus Jovinianum< et son influence sur quelques ecrits latins du XIIe siecle, in: Mediaeval Studies 13 (1951) 65-86. Siehe auch die Hinweise in der folgenden Anmerkung. 3 Diese Auffassung ist zwar mittlerweile obsolet geworden, die Forschungsliteratur zu
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15. Jahrhunderts führt jedoch zur Erkenntnis, daß im Mittelalter eher verschiedene Frauen- und Ehebilder nebeneinander als nacheinander existieren4 und Veränderungen zunächst weniger in der Einstellung der Gelehrten gegenüber Frau und Ehe als vielmehr im Hinblick auf literarische Kontexte oder allgemeiner auf Gesetzmäßigkeiten des literarischen Systems hin zu erfassen sind.5 Ein erster methodischer Ansatz, dieses Phänomen zu beschreiben, besteht darin, die Aussagen über Frau und Ehe im Hinblick auf die jeweilige Textgattung zu untersuchen, d. h. in der These, daß verschiedene Gattungen auch verschiedene Frauen- und Ehebilder transportieren und das über längere Zeiträume.6 Dabei sieht man sich freilich gerade im Spätmittelalter mit einem Problem konfrontiert, auf das bereits 1939 Archer Taylor, später Hugo Kühn und neuerdings auch Hans-Jürgen Bachorski aufmerksam gemacht haben:7 Die Schriften zur Ehe, wie die Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts überhaupt, bilden ein überaus heterogenes Korpus, das erst zu ordnen ist und es im allgemeinen gar nicht erlaubt, die einzelnen Texte einer Gattung zuzuweisen. Diesen Mißstand versucht Kühn in seinem provisorischen, aber bedenkenswerten Systematisierungsversuch zu beseitigen, indem er der Gattung bzw. dem »Inszenierungstyp« als Einteilungsprinzip den Funktions- bzw. Strukturtyp zur Seite stellt. Dieser der Textlinguistik nahe Ansatz ist für viele Texte sicherlich fruchtbar, auch wenn die geläufigen Funktionsbegriffe (wie etwa >ErbauungEhedebatteDiskurs< unter anderem eine »individualisierbare Gruppe von Aussagen«11 bzw. »eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören«, wobei ein Formationssystem das Gesetz ist, das einer Serie von Aussagen ihre »besondere Existenzmodalität« zuweist.12 Leider bleibt Foucault eine detailliertere Definition der Begriffe >Aussage< und >Formationssystem< schuldig, so daß in der diskursanalytischen Praxis nur die Möglichkeiten bleiben, entweder das methodologische Konzept der archäologischen Beschreibung, das Foucault darlegt,13 anzuwenden, oder - der Präzision halber - den Diskursbegriff zu isolieren und für die eigenen Erkenntnisziele zu konkretisieren sowie eine
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Als Beispiel sei hier Albrechts von Eyb >Ehebüchlein< genannt, das bereits im Vorwort zwei Funktionen erkennen läßt: zum einen »lob vnd ere vnd sterckung« der Obrigkeit Nürnbergs, zum anderen die Unterhaltung der Leser und Hörer (Albrecht von Eyb: Ob einem manne sey zunemen ein eelichs weyb oder nicht, hg. von Helmut Weinacht. Darmstadt 1982, S. 4). Zur Gattungsvermischung s. auch Bachorski (wie Anm. 7), S. 534-536. 10 Die literaturwissenschaftliche Forschung stößt freilich auf grundsätzliche Probleme mit dem Diskursbegriff, weil Foucault keine begrifflich stimmige Theorie formuliert hat (s. Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Übers, von Ulrich Koppen. Frankfurt a. M. 61994 [franz. Original: L'archöologie du savoir. Paris 1969], S. 167; vgl. auch Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt a. M. 1983, S. 216ff.) und seine Diskursanalyse nicht als Beschreibung literarischer Texte konzipiert ist (vgl. Clemens Kammler: Historische Diskursanalyse [Michel Foucault], in: Klaus-Michael Bogdal [Hg.]: Neue Literaturtheorien. Opladen 1990, S. 31-55, hier S. 31), kann aber den Diskursbegriff und die archäologische Beschreibung dennoch nutzbar machen, s. etwa den Sammelband von Jürgen Fohrmann, Harro Müller (Hgg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt a. M. 1988. 11 Foucault (wie Anm. 10), S. 116. 12 Ebd., S. 156; ähnlich auch S. 170. 13 Ebd., Kap. IV, S. 191-279.
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damit verträgliche, abgeleitete archäologische Beschreibung der Untersuchungsgegenstände anzustreben.14 Die diskursanalytische Forschung beschreitet meist den zweiten Weg.15 Als Mischung aus der >Archäologie< und der >Ordnung des DiskursesDiskurse< meist »institutionalisierte Redeweisen, deren Regeln und Funktionsmechanismen gleichsam >positiv< zu ermitteln sind«.17 Häufig wird diese immer noch sehr allgemeine Definition weiter eingeschränkt: »[...] jeder arbeitsteilig ausdifferenzierten und auf der Basis eigener pragmatischer Rituale gesondert institutionalisierten Praxisart entspricht dann ein spezieller Wissensbereich, den wir Diskurs nennen können.«18 Demgemäß könne man mit Foucault vom juristischen, medizinischen oder politökonomischen Diskurs sprechen.19 Obwohl der Diskursbegriff mit der >Institutionalisierung< als Grundlage an sozioökonomische Bedingungen geknüpft wird, die sich im allgemeinen erst im Verlauf der Neuzeit erfüllen,20 lassen sich mit dieser Definition infolge ihrer >Institutionalisierung< an den höheren Fakultäten der Universität seit dem 13. Jahrhundert - auch im Mittelalter ein juristischer, ein medizinischer und ein theologischer Diskurs fassen.21 Es ist jedoch leicht 14
Etwas anders sieht es Kammler (wie Anm. 10), S. 44^8. Der erste Weg wäre vielleicht nur für Foucault selbst gangbar. Der zweite Weg mag dadurch gerechtfertigt werden, daß Foucault seine >Archäologie< nur an sehr begrenzten Bereichen exemplifiziert (s. Foucault [wie Anm. 10], S. 253) und sein methodologisches Programm nie wirklich in die Praxis umgesetzt hat (vgl. Hinrich Fink-Eitel: Foucault zur Einführung. Hamburg 21992, S. 61, der in der >Archäologie< sogar eher eine »radikale Kritik« der bisherigen Werke als deren Methodenreflexion sieht, S. 55). 16 Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Aus dem Französischen von Walter Seiner. Frankfurt a. M. 1993 (franz. Original: L'ordre du discours. Paris 1972), S. 11. Siehe auch Fink-Eitel (wie Anm. 15), S. 64ff. 17 Peter Schöttler: Sozialgeschichtliches Paradigma und historische Diskursanalyse, in: Fohrmann, Müller (wie Anm. 10), S. 159-199, hier S. 164. Ähnlich auch Jürgen Link: Literaturanalyse als Interdiskursanalyse, in: Fohrmann, Müller (wie Anm. 10), S. 284307, hier S. 288, Philippe Forget: Diskursanalyse versus Literaturwissenschaft?, in: Fohrmann, Müller (wie Anm. 10), S. 311-329, hier S. 311, und Gerhard Plumpe: Kunst und juristischer Diskurs. Mit einer Vorbemerkung zum Diskursbegriff, in: Fohrmann, Müller (wie Anm. 10), S. 330-345, hier S. 331. 18 Link (wie Anm. 17), S. 288, vgl. auch Forget (wie Anm. 17), S. 312. 19 Link (wie Anm. 17), S. 288. Vermutlich bezieht sich Link hier auf Foucault (wie Anm. 10), S. 94 oder S. 156. 20 Zumindest beim Institutionsbegriff nach Luhmann, auf den sich Link (wie Anm. 17), S. 288 bezieht. 21 Zur Organisation der Universität und den höheren Fakultäten s. Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa, Bd. l: Mittelalter. München 1993 und darin die Aufsätze von Aleksander Gieysztor, S. 109-138, Nancy Siraisi, S. 321-342, Antonio Garcia y Garcia, S. 343-358, und Monika Asztalos, S. 359-386. Ursula Link-Heer: Weltbilder, Epistemai, Epochenschwelle, in: Hans-Jürgen Bachorski, Werner Röcke (Hgg.): Weltbildwandel. Selbstdeutung und Fremderfahrung im Epochenübergang 15
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einzusehen, daß sich innerhalb der vormodernen literarischen Systeme immer wieder Wissensbereiche und Redeweisen ausgebildet haben, denen keine arbeitsteilig ausdifferenzierten Praxisarten entsprechen müssen, die aber dennoch als meist leicht isolierbare Einheiten einer Diskursanalyse zugänglich sind. Das trifft auf die genannten Diskurse vor ihrer universitären Institutionalisierung ebenso zu wie auf die einzelnen Wissensbereiche der Philosophie (als Oberbegriff der Wissenschaft), die sich zwar nicht eigentlich institutionell, wohl aber literarisch ausdifferenziert haben:22 Nach den zwei wichtigsten aus der Antike stammenden und im ganzen Mittelalter weitertradierten Wissenschaftseinteilungen wird die Philosophie entweder nach Platon bzw. der Stoa in Physik, Logik und Ethik oder - seit dem 12. Jahrhundert vorwiegend - nach Aristoteles in die theoretische und die praktische Philosophie gegliedert.23 Letztere setzt sich wiederum aus Politik, Ökonomik und Monastik/Ethik zusammen, d. h. der Lehre von Staat, Haus (bzw. Familie) und Individuum.24 Dieses System liegt meist auch den Accessus und den Kommentaren zu allen Arten von Texten zugrunde,25 so daß die Möglichkeit besteht, die mittelalterliche Literatur in vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Trier 1995, S. 19-56, hier S. 29, versucht auf ähnliche Weise, auch die artes liberales als Diskurse bzw. >Spezialdiskurse< zu erfassen; dazu und zur Arfes-Fakultät vgl. die folgende Anmerkung. 22 Die philosophischen Disziplinen wurden im Spätmittelalter üblicherweise an der Artistenfakultät gelehrt, die zuerst aus dem System der artes liberales besteht und im Verlaufe des 13. Jahrhunderts durch das aristotelische Korpus ausgeweitet und wesentlich umgeformt wird; vgl. dazu Gordon Leff: Das trivium und die drei Philosophien, in: Rüegg (wie Anm. 21), S. 279-302. Daß solche Veränderungen jedoch nicht synchron mit institutionellen Veränderungen einhergehen müssen, betont Rolf Köhn: Schulbildung und Trivium im lateinischen Hochmittelalter und ihr möglicher praktischer Nutzen, in: Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Sigmaringen 1986, S. 203-284, v. a. S. 283. 23 Dieses System wird zwar häufig ergänzt (etwa durch die mechanischen Künste und die Logik) oder geht in noch umfassendere Systematisierungsversuche ein, die auch alle Fakultätswissenschaften und die artes liberales enthalten, wird in der Grundstruktur aber bis ins 16. Jahrhundert kaum abgeändert; vgl. dazu Ludwig Baur: Dominicus Gundissalinus. De Divisione philosophia. Münster 1903, v. a. S. 349-397, Martin Grabmann: Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2. Basel, Stuttgart 1961 (Nachdruck der Ausgabe Freiburg i. Br. 1911), S. 28-54, und James A. Weisheipl: Classification of the sciences in medieval thought, in: Mediaeval Studies 27 (1965)54-90. 24 Zur eudemischen Dreiteilung der praktischen Philosophie vgl. Baur (wie Anm. 23), S. 197, 200 und 309-311. Die platonische, von Isidor überlieferte Gliederung der Ethik in die vier Kardinaltugenden dient zwar in moraldidaktischen Werken häufig als Strukturierungsprinzip (s. etwa Richard Hazelton: The christianisation of »Cato«: The >Disticha Catonis« in the light of late mediaeval commentaries, in: Mediaeval Studies 19 [1957] 157-173, hier S. 167), ist jedoch für die mittelalterliche Einteilungsliteratur von geringer Bedeutung, vgl. Weisheipl (wie Anm. 23), S. 64ff. Sie ist im übrigen in der Monastik, der Ethik der Einzelperson, enthalten, die sich u. a. mit den Leidenschaften, den Freundschaften sowie den Tugenden und Lastern befaßt. 25 Unter der Frage cui parti philosophiae supponitur werden seit dem 11. Jahrhundert die kommentierten Texte in das philosophische System eingegliedert; vgl. dazu etwa Ala-
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relativ breitem Umfang mit den Kriterien der damaligen Zeit zu beschreiben und zu ordnen.26 Das philosophisch-literarische System und die Kommentierungspraxis erlauben es somit, in Analogie zu den universitären Diskursen auch die theoretische und praktische Philosophie und insbesondere die Politik, die Ökonomik und die Ethik/Monastik als Wissensbereiche mit ihren je spezifischen Diskursen zu analysieren.27 Ein Diskurs, d. h. ein spezifisches Reden innerhalb eines Wissensbereiches, hat sich zwar im allgemeinen an einem bestimmten Gegenstand entwickelt, kann jedoch auch beliebige weitere Gegenstände erfassen. Das wird besonders deutlich beim juristischen Diskurs, der immer neue Lebensbereiche einbezieht.28 Betrachtet man nun den thematischen Bereich der Ehe, so kann man die verschiedenen Diskurse, insofern sie über die Ehe sprechen, und ihr Verhältnis zueinander als >diskursives Feld< der Ehe bezeichnen.29 Dieses >diskursive Feld< historisch-genealogisch zu beschreiben, d. h. inhaltliche Veränderungen und Brüche der einzelnen Diskurse und deren Beziehungen untereinander, aber auch das Auftauchen neuer und das Verschwinden bestehender Diskurse zu erfassen, ist dann das umfassende Ziel, das sich eine diskursanalytische Forschung der Eheliteratur stecken wird.30 stair J. Minnis: Medieval theory of authorship. Scholastic literary attitudes in the later Middle Ages. London 1984, S. 15ff., und Judson Boyce Allen: The ethical poetic of the later Middle Ages: A decorum of convenient distinction. Toronto 1982, S. 5ff. Zum Accessus s. auch Paul Klopsch: Einführung in die Dichtungslehren des lateinischen Mittelalters. Darmstadt 1980, S. 48ff. und die dort angegebene Literatur. 26 Auch diejenigen Texte, zu denen keine Kommentare verfaßt worden sind, lassen sich oft unschwer mit den Mitteln der Kommentarliteratur erfassen, s. unten Abschnitte II bis IV, S. 179ff. und Detlef Roth: Mittelalterliche Misogynie - ein Mythos? Die antiken molestiae nuptlarum im >Adversus Iovinianum< und ihre Rezeption in der lateinischen Literatur des 12. Jahrhunderts, in: Archiv für Kulturgeschichte 80.1 (1998) [im Druck], v. a. Abschnitt III. 27 Foucault selbst hat die Einschränkung der diskursiven Formationen auf streng wissenschaftliche Disziplinen - die in etwa der Institutionalisierungsform bei Link entsprechen - ohnehin abgelehnt, vgl. Foucault (wie Anm. 10), S. 255ff. 28 Die Themenbereiche, über die ein Diskurs spricht, können durchaus typisch für eine Zeit sein. Für den heutigen ökonomischen Diskurs ist es u. a. charakteristisch, daß er zwischenmenschliche Beziehungen, die jahrhundertelang Gegenstand der Ökonomie waren, weitgehend anderen Diskursen überläßt. Zur Geschichte der Ökonomie vgl. zusammenfassend die Artikel zur Rubrik >WirtschaftHomogenität< und >Kontinuität< als auf die >Heterogenität< und die >Brüche< mittelalterlicher Diskurse über die Ehe aufmerksam gemacht wird, so des-
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Zu den Gegenständen des diskursiven Feldes der Ehe gehört auch die topische Frage, ob ein Mann heiraten solle oder nicht, und die molestiae nuptiamm, eine Gruppe von Aussagen über die Beschwernisse des Hausstandes für den Mann, die das ganze Mittelalter hindurch Teil dieses Topos ist - meist in Gestalt des Theophrast-Fragments.31 Der diskursanalytische Ansatz fragt nun nicht danach, welche Eheauffassung ein Autor vertritt, der auf diesen Topos zurückgreift, oder inwiefern diese Auffassung sozialgeschichtlich bedingt oder epochenspezifisch ist, sondern vielmehr, ob es Regeln dafür gibt, unter welchen Bedingungen diese Gruppe von Aussagen in einem Text auftaucht, z. B. ob sie nur in ganz bestimmten Kontexten oder Redesituationen vorkommt,32 welche Funktion ihr zugewiesen wird und wie das Verhältnis zu anderen Aussagen oder Aussagegruppen innerhalb eines Textes ist (ergänzend, widersprüchlich etc.), kurz: in welchem Rahmen der Topos steht. Implizit wird damit auch die Frage beantwortet, ob er einen eigenständigen, als Diskurs beschreibbaren Gegenstand darhalb, weil die Forschung bis heute vor allem die Widersprüchlichkeit bzw. die chronologische Aufeinanderfolge der verschiedenen Eheauffassungen hervorgehoben hat, dabei jedoch entweder nur inhaltlich-autorbezogen argumentiert oder viele Literaturbereiche außer acht gelassen hat. 31 Das Theophrast-Fragment besteht aus einer Reihe von Ehebeschwemissen und liefert sozusagen den Prototyp der molestiae nuptiarum (vgl. auch unten S. 180). - >Topos< ist hier - historisch durchaus vertretbar - sowohl als inventionelle Kategorie zu verstehen (die Frage An uxor ducenda und die molestiae nuptiarum als wenn auch bereits konkretisierte Topoi zum Gegenstand >EheSpigell des ehlichen ordens< als »ein spezifisches Gegenmodell sowohl zu der traditionellen katholischen Sexualfeindlichkeit als auch zu ihrer erneuerten und effektivierten Fassung in der protestantischen Ethik«. Nun ist der >Spigell< jedoch einem Laien, dem Kurfürsten von Sachsen, gewidmet, und ein Vergleich mit Ehetexten für Laien, etwa Ehepredigten oder Fürstenspiegel (vgl. unten S. 201, Anm. 146), zeigt, daß die fehlende Abwertung der Ehe gegenüber der Jungfräulichkeit adressatenbedingt ist und nicht als »Gegenmodell« zur »traditionellen« Sexualfeindlichkeit beschrieben werden kann.
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stellt, oder ob er Teil anderer Diskurse ist, etwa eines theologischen, politischen oder ethischen Diskurses. Von einem Diskurs im engeren Sinne wird man jedenfalls erst dann sprechen können, wenn eine Aussagegruppe bzw. ein Topos wie die molestiae nuptiarum in mehreren Texten denselben oder zumindest einen vergleichbaren Rahmen aufweist.33 Die Frage nach dem Rahmen von Texten an sich ist freilich keineswegs modern, sondern hat in der Ermittlung der circumstantiae eines Textes (locus, tempus, negotiant, persona, causa u. a.) ihr mittelalterliches Analogon.34 Die vorliegende Studie versucht also im Grunde, einen mittelalterlichen >Interpretationsansatz< mit einem modernen zu verknüpfen, auf eine ganz bestimmte Aussagegruppe anzuwenden und die Resultate zu systematisieren. Derart läßt sich die Geschichte des Topos An uxor ducenda bzw. der molestiae nuptiarum als >Wanderung< zwischen verschiedenen Diskursen der mittelalterlichen Literatur mit ihren spezifischen Aussagebedingungen beschreiben, die nicht direkt von sozialgeschichtlichen Veränderungen abhängen.35 Ein erkenntniskritischer Versuch, Zusammenhänge
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Zu dem in der modernen Literaturwissenschaft bekannten Begriff des Rahmens, der den Begriff des Kontexts ablöst, vgl. zusammenfassend Jeremy Hawthorn: Grundbegriffe moderner Literaturtheorie. Tübingen, Basel 1994, S. 263-265. Zu einer möglichen Verbindung der Topik-Forschung mit Foucoults >ArchäologieExemplumHeroidesPoetikSpeculum virginum< aus der Mitte des 12. Jahrhunderts: »Vxor placendi uiro studiosa aureae suppellectilis, gemmarum, ue-
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emplum innerhalb der Diskussion einer klerikalen Moralphilosophie, die sich als Fortsetzung oder Überbietung der antiken Ethik versteht, oder innerhalb von Briefen mit dem Ziel der Ermahnung oder der dissuasio eines Freundes von der Ehe.59 Es geht hier also stets um ein bonum, um die gute Handlung im Hinblick auf einen keuschen, kontemplativen modus vivendi für Kleriker.60 Die Rezeption des Theophrast-Fragments gehört also der Accessus- und Kommentarliteratur gemäß nicht einem Erkenntnisdiskurs an, der etwa disputativ durch Pro- und Kontra-Argumente die Wahrheit zu erschließen sucht,61 sondern dem Diskurs einer klerikalen Ethik, der nicht zuletzt der Selbstdefinition und der Abgrenzung des gebildeten, männlichen Klerus gegenüber anderen Ständen dient.62 So erstaunt es kaum, daß die Gelehrten im selben Zeitraum auch ganz andere Ehebilder entwickeln oder weitertradieren, etwa im theologischen, im kanonistischen oder später im aristotelisch-ökonomischen Diskurs.63 Seit dem 12. Jahrhundert entsteht in stium preciosarum diuersorumque ornatuum appetitu estuat, ne magis alia uiro suo placeat, semper anxia suspitione laborat; hinc rei familiaris inextricabili nodo constringitur, quomodo familia ordinate disponatur, quomodo soboles auitae digna lines nutriatur, cura maxima ne impregnata facial abortiuum [...]«; Spec. virg. VII, hg. von J. Seyfarth. Turnhout 1990 (CCCM 5), S. 192,76-85. Ähnlich schreibt Hildebert von Lavardin in einem Brief zum Lob der virginitas an eine Nonne: »Nesciunt virgines quid ex maritali licentia mulieris sustineat infirmitas. Nesciunt, inquam, quibus uxor subjiciatur injuriis, quanta fecundam sauciet anxietas, quo sterilis moerore crucietur. [...] Quae igitur quies est animae, cui'vel maritus est pro supplicio, vel conscientia pro flagello?« (Ep. 21, PL 171,194B-C). Peter von Moos: Hildebert von Lavardin. Stuttgart 1965, S. 208ff., bes. S. 218ff., betont denn auch mit Nachdruck die Gattungs- und Adressatenabhängigkeit der verschiedenen Aussagen über Frau und Ehe im Werk Hildeberts. 59 Zur ersten Gruppe gehören Abaelards >Theologia christiana< und Johannes' von Salisbury >PolicraticusHistoria calamitatumDissuasio ValeriiLamentationes Matheoluli< (Kommentierte und kritische Edition der beiden ersten Bücher), Diss. Bonn 1974, zur Datierung vgl. ebd., S. 19-21. 80 Wobei >Matheolus< die Beschwernisse, die dem Mann durch die Frau erwachsen, zu einer breit angelegten >Frauenschelte< ausbaut, während er die Kinder und anderes als Belastung nur am Rande erwähnt (für einen Überblick vgl. Schmitt [wie Anm. 79], S. 40—42). Auch für die drei >Engel< in >De coniuge non ducenda< sprechen vor allem die den Frauen zugeschriebenen Eigenschaften gegen die Ehe: »{P. de Corbelio) vxorem fragilem / Probat, Laurencius stultam et labilem; / Johannes asserit hanc nunquam humilem/ Sed superbissimam et irascibilem«; De coniuge 1,9 (wie Anm. 78), S. 70. Vgl. dazu auch Wilson, Makowski (wie Anm. 1), S. 127-132 bzw. S. 140-142. 81 Vgl. etwa Paul Klopsch: Prosa und Vers in der mittellateinischen Literatur, in: Mlat. Jb. 3 (1966) 9-24, bes. S. 15ff. Das >platonische< Mißtrauen gegenüber der Poesie als Schein oder gar Lüge, das insbesondere die Versdichtung betrifft, hat im Mittelalter insgesamt jedoch kaum überwogen, vgl. Klopsch (wie Anm. 25), S. 74. Der Vorwurf der Lügenhaftigkeit im Zusammenhang mit der Versform scheint in erster Linie ein Phänomen der volkssprachlichen >Geschichtsliteratur< des Spätmittelalters zu sein, vgl. Walter Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Darmstadt 21992, S. 241258.
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Ehe ermahnt worden zu sein,82 um dann jedoch von drei >EngelnLamentationes< handelt es sich um die Klagen eines bigamistischen Klerikers woraus eine parodistische Umformung der Gattung Klage und eine gewisse >Subjektivierung< entsteht.84 Durch die Umkehrung der Redesituation im Vergleich zu den literarischen Vorläufern wird aber der klerikal-gelehrte Bezugsrahmen mit dem Ideal der Ehelosigkeit nicht etwa verwischt, sondern eher noch deutlicher greifbar. Die misogamen Äußerungen sind damit wiederum als >ethische< mit der Funktion der Warnung oder Ermahnung an Kleriker markiert. Dies wird für die Schrift >De coniuge non ducenda< rezeptionsgeschichtlich bestätigt, da sie vor allem zur Unterhaltung in universitären Kreisen zirkuliert hat,85 während die >Lamentationes< zunächst nur für den Bischof und den höheren Klerus von Therouanne bestimmt waren und überhaupt erst durch die französische Übersetzung Jehan Le Fevres einem breiteren Publikum bekannt wurden.86 Insgesamt sind die misogamen oder misogynen Aussagen der beiden Dichtungen jedenfalls in einen Rahmen eingebettet, der es nicht erlaubt, die Texte einer »general misogamy« zuzuordnen,87 sondern eher einer universitären bzw. klerikalen Unterhaltungsliteratur, die sich im weitesten Sinne einer Gelehrten-Ethik eingliedern läßt. Neben den Texten, die den Topos der molestiae nuptiarum aktualisieren und erweitern, ist jedoch auch die weitere Überlieferung des TheophrastFragments von Bedeutung, weil es bis Ende des 14. Jahrhunderts der einzige Text bleibt, in dem die Frage, ob ein (weiser) Mann heiraten solle oder nicht, explizit gestellt wird. Nebst der Überlieferung des Fragments in Sammelhandschriften88 und im >Adversus Iovinianum< sorgt vor allem seine Aufnahme in das > Speculum maius< des Vinzenz von Beauvais, genauer 82
De coniuge 1,3-4 (wie Anm. 78), S. 67. Zu den >Engeln< vgl. Rigg (wie Anm. 78), S. 7f., aber auch Wilson, Makowski (wie Anm. 1), S. 125, die hinter Johannes, dem dritten Engel, nicht Johannes Chrysostomus, sondern den Evangelisten vermuten. - Das keusche Leben in Ehelosigkeit wird häufig mit der Lebensweise der Engel verglichen, vgl. etwa Aegidius Romanus: De reg. princ. 1,1,4 (wie Anm. 54), S. 11. 84 Zur >Subjektivierung< vgl. Nancy A. Jones: The medieval female lyric: The poetics of gender and genre, Ph. D. Brown University. Ann Arbor 1988, S. 175. 85 Siehe Rigg (wie Anm. 78), S. l u. 12. 86 Siehe Schmitt (wie Anm. 79), S. 7. Zur französischen Übersetzung vgl. unten in diesem Kapitel. Die lateinischen Handschriften aus London und Erfurt aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (s. Schmitt, S. 23-27) deuten freilich darauf hin, daß die >Lamentationes< nicht allzu lange bei den eigentlichen Adressaten geblieben sind. 87 So Wilson, Makowski (wie Anm. 1), S. 124ff. 88 Für einen ersten Überblick s. Charles B. Schmitt: Theophrastus, in: Paul O. Kristeller (Hg.): Catalogue Translationum et Commentariorum. Medieval and Renaissance latin translations and commentaries, Bd. 2. Washington 1971, S. 239-322, hier S. 313f. 83
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das >Speculum doctrinale< und das >Speculum historialeSpeculum historiale< steht Theophrasts >Liber de nuptiis< an der chronologisch richtigen Stelle gleich im Anschluß an die Alexander-Geschichte, was ganz dem Verfahren des Kompilators entspricht, seinen Lesern neben historiographischen Quellen auch eine ausführliche Blütenlese mittelalterlicher und antiker Autoren darzubieten;91 im > Speculum doctrinale< hingegen ist er einer Ökonomik eingelagert, die als »scientia, quae familiaris officij curam [...] distribuit«,92 eigentlich in den Bereich der Laienethik gehört. Freilich ist das >Speculum doctrinale< wie das >Speculum maius< insgesamt nicht für eine direkte Laienunterweisung, sondern als Handbuch für die predigenden Dominikaner oder allgemeiner »ad predicandum, ad legendum, ad disputandum, ad solvendum« in gelehrten Kreisen bestimmt,93 so daß das Theophrast-Fragment hier nicht die Funktion hat, von der Ehe abzuraten, sondern lediglich die negativen Seiten der Ehe zu beleuchten. Auch der Kontext mit weiteren Exempla von Philosophen und der Übergang zur Unterweisung der Eheleute schränken die Anwendbarkeit des >Liber de nuptiis< so ein, daß die Ehe für Laien nicht in Frage gestellt wird. Das Theophrast-Fragment gelangt auch in die wissenschaftliche, sogar in die eher seltene volkssprachliche Kommentarliteratur, so z. B. in den Kommentar Boccaccios zur >Commedia< Dantes, den er in den siebziger 89
Vinzenz von Beauvais: Speculum doctrinale VI,4—6. Graz 1965 (Nachdruck der Ausgabe Douai 1624), Sp. 484B^185C, bzw. Speculum historiale V,2-4. Graz 1965 (Nachdruck der Ausgabe Douai 1624), S. 138. Zur Verbreitung des >Speculum historiale< (bekannt sind bis heute 242 Handschriften) vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais. Scholastische Universalchronistik als Quelle volkssprachlicher Geschichtsschreibung. Hildesheim u. a. 1991, S. 46. 90 Zur weiteren Verbreitung des Theophrast-Fragments in der lateinischen Literatur s. Charles B. Schmitt: Theophrastus in the Middle Ages, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 2 (1971) 251-270, hier S. 263ff. Die Überlieferungslage macht es äußerst schwierig zu bestimmen, auf welchen Wegen der >Liber de nuptiis< jeweils in die Literatur des 14. und 15. Jahrhunderts, etwa in Wittenwilers >Ring< oder die >Grisardis< des Erhalt Groß (s. Abschnitt IV. l u. 4), gelangt. Meistens dürfte er aus der Enzyklopädik und nicht direkt aus dem >Adversus Iovinianum< zitiert worden sein. Freilich ist zu bemerken, daß auch Vinzenz nicht auf Hieronymus, sondern über Helinand von Froidmont auf den >Policraticus< des Johannes von Salisbury zurückgreift, den er vermutlich nicht einmal gekannt hat (vgl. dazu Peter von Moos: Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im >PoIicraticus< Johanns von Salisbury. Hildesheim u. a. 1988, S. 138-140). 91 Vgl. Weigand (wie Anm. 89), S. 69ff. 92 Spec, doctr. VI, l (wie Anm. 89), Sp. 481 B. 93 Apologia totius opens, c. 4, kritisch ediert im Anhang von Anna-Dorothee von den Blinken: Geschichtsbetrachtung bei Vincenz von Beauvais. Die Apologia Actoris zum Speculum Maius, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 34 (1978) 410-499, hier S. 469; zu Anlaß und Zweck vgl. auch ebd., S. 417-419, und Johannes B. Voorbij: Het >Speculum Historiale< van Vincent van Beauvais: een Studie van zijn ontstaansgeschiedenis. Groningen 1991, S. 82-84.
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Jahren des 14. Jahrhunderts für die »signori fiorentini« abgefaßt hat.94 Zum Vers »E certo la fiera moglie, piü ch'altro, mi nuoce«, den Dante Jacopo Rusticucci sprechen läßt,95 referiert Boccaccio zuerst dessen eheliche Verhältnisse,96 mahnt zur Bedachtsamkeit vor der Eheschließung und fügt als warnendes Beispiel den >Liber de nuptiis< Theophrasts in voller Länge an.97 Die molestiae nuptiarum bilden demzufolge einen Teil einer moralischen Auslegung oder Kommentierung nach dem mehrfachen Schriftsinn,98 haben hier jedoch im Gegensatz zur lateinischen Literatur des 12. Jahrhunderts nicht die Funktion der dissuasio, sondern der Mahnung zur Vorsicht im Rahmen eines gelehrten Kommentars für (gebildete) Laien. Wohl primär aus historischem Interesse ist hingegen die Aufnahme des Theophrast-Fragments in einen französischen Kommentar zu den >Facta et dicta memorabilia< des Valerius Maximus erfolgt, den Simon de Hesdin 1375 begonnen und Karl V. zugeeignet hat.99 Den alten Brauch der Römer, 94
Giovanni Boccaccio: Esposizioni sopra la comedia di Dante, hg. von Giorgio Padoan (Tutte le opere, hg. von Vittore Branca, Bd. 6). Verona 1965, S. 1,3. Zur Datierung und Entstehung s. die Einleitung, S. XVff.; zur Überlieferung und Echtheitsfrage immer noch am ausführlichsten Domenico Guerri: II comento del Boccaccio a Dante. Bari 1926. 95 Dante Alighieri: La divina commedia, hg. von Natalino Sapegno. Milano, Napoli 1957, S. 187 (Inf. 16,44-45). 96 Boccaccio (wie Anm. 94), S. 692,25-693,25: »Dicono alcuni ehe costui ebbe per moglie una donna tanto ritrosa e tanto perversa [...], ehe in alcuno atto con lei non si poteva ne stare ne vivere«. 97 Ebd., S. 693,27-696,44. Guerri (wie Anm. 94), S. 161, bezweifelt zwar, daß Boccaccio der Autor dieses Abschnitts ist. Im >Trattatello in laude di Dante< kritisiert Boccaccio jedoch sogar Dante selbst, weil dieser sich statt um seine Arbeit immer auch um seine Frau gekümmert habe, und greift dabei ausführlich auf den Topos der molestiae nuptiarum zurück (s. Opere in versi. Corbaccio. Trattatello in laude di Dante. Prose latine. Epistole, hg. von Pier Giorgio Ricci. Milano, Napoli 1965, S. 581-586; dazu und zu Leonardo Brunis Kritik an dieser Passage vgl. John K. Yost: Changing attitudes towards married life in civic and Christian humanism, in: Occasional Papers of the American Society for Reformation Research 1 [1977] 151-166, hier S. 152154). Er betont dabei freilich, er lehne die Ehe keineswegs im allgemeinen ab, sondern nur für Philosophen: »Lascino i filosofanti lo sposarsi a' ricchi stolti, a' signori e a' lavoratori« (Opere in versi, wie oben S. 586). Zwar bezieht sich der gebildete Laie Boccaccio hier zweifellos auf ein antik-philosophisches Ideal, schließt aber im Grunde nahtlos an die klerikalen Vorgaben des 12. und 13. Jahrhunderts an. In vergleichbarer Weise übernimmt auch Petrarca das mittelalterliche Ideal der vita contemplativa, vgl. etwa Paul O. Kristeller: The active and the contemplative life in Renaissance humanism, in: Brian Vickers (Hg.): Arbeit, Muße, Meditation. Betrachtungen zur Vita activa und Vita contemplativa. Zürich 1985, S. 133-152, hier S. 139f. 98 Dante selbst (oder ein ihm Nahestehender) hat in seinem Brief an Cangrande die Übertragbarkeit des Auslegungssystems nach dem mehrfachen Schriftsinn, das an sich primär, wenn auch nicht ausschließlich in der Bibelexegese angewandt wurde, auf die >Commedia< postuliert (vgl. Dante Alighieri: Das Schreiben an Cangrande della Scala, hg. von Thomas Ricklin. Hamburg 1993, S. 8-10, § 20-25). Boccaccio nimmt diese Stelle in seinen Kommentar auf (vgl. Esposizioni, Acc. 7f. und I (ii) 19f. [wie Anm. 94], S. 2 und S. 57) und verfährt auch entsprechend. 99 Vgl. Marjorie A. Berlincourt: The relationship of some fourteenth century com-
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Vogelschauer als Brautzeugen an den Eheschließungen teilnehmen zu lassen (Facta et dicta 11,1,1), ergänzt Simon mit der Bemerkung, einige heidnische Weise seien der Meinung gewesen, die Ehe sei etwas Schlechtes.100 Als Hauptexempel dafür fügt er Theophrasts >Liber de nuptiis< nach Hieronymus an, den er freilich selbst wieder in aufschlußreicher Weise kommentiert:101 Hieronymus habe nicht die Ehe tadeln, sondern nur zur höherwertigen Jungfräulichkeit ermuntern wollen. Außerdem hätten sowohl Hieronymus als auch Theophrast nur von der Ehe gewöhnlicher Leute, nicht aber von Fürsten und adligen Herren gesprochen, deren herrschaftliches Gut durch natürliche Erben regiert werden solle.102 Damit steckt Simon den Funktionsbereich des >Liber de nuptiis< präzis ab: Als historisches Exemplum und zur Ermahnung einfacher Leute ist er verwendbar, im politischen Diskurs hat er hingegen keine Bedeutung.103 In der französischen Literatur sind das Theophrast-Fragment und die molestiae nuptiarum allerdings bereits mehr als hundert Jahre vor Simons Kommentar präsent und zwar im zweiten Teil des >Roman de la RoseLamentationes MatheoluliRosenroman< vermutlich als Vorlage gedient hat, handelt es sich bei der betreffenden Passage um die Klagen eines Ehemannes, die unter anderem eine Paraphrase des TheophrastFragments, Sprüche aus der >Dissuasio Valerii< Walter Maps und der sechsten Satire Juvenals sowie eine Reihe von Exempla enthalten, darunter mentaries on Valerius Maximus, in: Mediaeval Studies 34 (1972) 361-387, hier S. 370. Die entsprechende Passage aus Paris, Bibl. Nat., fr. 9749, Bl. 77*-78* ist abgedruckt in Marcel Lecourt: Une source d'Antoine de la Sale: Simon de Hesdin, in: Romania 76 (1955) 39-83, hier S. 73-75. 100 Lecourt (wie Anm. 99), S. 73: »II est assavoir que plusieurs anciens sages de la science mondaine orent oppinion que ce estoit male chose de manage.« 101 Das Theophrast-Fragment, das Lecourt nicht abdruckt, befindet sich in der Handschrift (wie Anm. 99) auf Bl. 77^-78". Diese Passage fehlt übrigens in einer der Hauptquellen Simons, den >Commentarii in Valerium Maximum< des Dionysius de Burgo Sancti Sepulcri. Dort heißt es nach einer längeren Erörterung über die Vogelschau nur: »Notabiliter autem ponit autor consuetudinem illam eciam tempore suo in nupciis seruari. quia antiquo tempore romani valde erant solicit! de vxore ducenda deliberare tanquam de re valde dubia«; Commentarii in Valerium Maximum 11,1,1 [Straßburg: Adolph Rusch, vor 1475], unpaginiert (Bl. 65r). 102 Lecourt (wie Anm. 99), S. 74: »Et n'est pas l'entente de saint Jerome ne la moye de blasmer mariage comme chose male [...]. Mais saint Jerome en parle ainsi pour enorter a virginite qui est plus grande perfection. Et aussi est a entendre que saint Jerome ne Theofrastus ne parlent que de mariage de communes gens et non pas de mariages de princes et de seigneurs lesquelz ont grant seignouries a gouverner et lesquels doivent miex estre gouvemes par raison par hoirs natureuls que par estranges [...]«. 103 Ähnlich wird rund sechzig Jahre später auch in der >Grisardis< des Erhart Groß argumentiert, s. unten S. 203f. 104 Guillaume de Lorris, Jean de Meun: Der Rosenroman, Bd. 2, hg. von Karl August Ott. München 1978, V. 8467-9360. Zur Datierung vgl. Karl August Ott: Der Rosenroman. Darmstadt 1980 (Erträge der Forschung 145), S. 14f.
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auch die Geschichte Abaelards und Heloisas.105 Die misogame Rede im >Rosenroman< stellt jedoch im Gegensatz zu den >Lamentationes< oder >De coniuge non ducenda< keinen selbständigen Text dar, sondern wird durch ihren Kontext relativiert, ja abgewertet: Amis, der dem Erzähler-Ich die Klagen des Mannes mitteilt, bezeichnet diesen als »fos vilains jalous«106 und bettet die Rede als abschreckendes Beispiel in die Diskussion des goldenen Zeitalters und einer ovidisch geprägten Liebeslehre ein. Auch Jean de Meun übernimmt also den Topos der molestiae nuptiarwn und setzt ihn in einen neuen Rahmen, der ihn der beliebigen Deutbarkeit entzieht. Die Rezeption des Romans im 14. Jahrhundert und insbesondere der Streit, der sich um 1400 an ihm entfacht, vor allem zwischen Christine de Pizan sowie Jean Gerson auf der einen und Jean de Montreuil sowie Pierre Col auf der anderen Seite, zeigt jedoch die literaturtheoretischen Probleme, die dieser volkssprachliche Text aufwirft.107 In diesem Streit stehen sich nämlich keineswegs Frauen- bzw. Ehefreunde und -feinde gegenüber; das Zentrum der Debatte bildet vielmehr die Diskussion der literarischen Mittel, ihrer Verwendung und ihrer Wirkung.108 Der Zweck der poetischen Literatur: die moralische Unterweisung, wird hingegen von keiner Partei bestritten.109 105
Vgl. dazu Wilson, Makowski (wie Anm. 1), S. 132-139. Jean de Meun hat ja den Briefwechsel der beiden erst wiederentdeckt (oder sogar selbst verfaßt) und ins Französische übersetzt; vgl. dazu Hubert Silvestre: Die Liebesgeschichte zwischen Abaelard und Heloise, in: Fälschungen im Mittelalter, Bd. V: Fingierte Briefe, Frömmigkeit und Fälschung, Realienfälschung. Hannover 1988 (MGH, Schriften 33,V), S. 121-165, hier S. 161-163. 106 J. de Meun: Rosenroman (wie Anm. 104), V. 9421. 107 Am umfassendsten informieren hierüber Peter Potansky: Der Streit um den Rosenroman. München 1972; Pierre-Yves Badel: Le >Roman de la Rose< au XIVe siecle: Etüde de la reception de l'OEuvre. Genf 1980, und Sylvia Huot: The >Romance of the Rose< and its medieval readers: interpretation, reception, manuscript transmission. Cambridge 1993. Die wichtigsten Quellen des Streits um den >Rosenroman< sind ediert von Eric Hicks: Le debat sur le Roman de la Rose (Christine de Pisan, Jean Gerson, Jean de Montreuil, Gontier et Pierre Col). Paris 1977 (jetzt auch als Nachdruck Genf 1996). 108 Mehr inhaltlich orientiert ist die Zusammenfassung von Potansky (wie Anm. 107), S. 189-191. Eine der diskutierten Fragen: ob man die secret membres beim Namen nennen dürfe, böte interessante Vergleichsmöglichkeiten mit den heutigen Diskussionen über Pornographie in Literatur und Film. Allerdings ist der Streitpunkt der Obszönität in der >Querelle de la Rose< selbst noch zu wenig erforscht (vgl. Margarete Zimmermann: Wirres Zeug und übles Geschwätz. Christine de Pizan über den Rosenroman. Bad Nauheim: Rosenmuseum Steinfurth 1993, S. 43f.). 109 Siehe zusammenfassend Ott (wie Anm. 104), S. 35f.; ähnlich auch Potansky (wie Anm. 107), S. 204 u. 218. Obwohl in der Debatte um den >Rosenroman< nicht um die Frage gestritten wird, ob die Frauen gut oder schlecht seien, kann man jedoch Christines CEuvre insgesamt als den Beginn der >Querelle des femmes< bezeichnen, vgl. dazu etwa Joan Kelly: Early feminist theory and the >Querelle des FemmesRosenroman< akzeptieren letztlich nur solche Mittel, die eine kontextunabhängige Wahrheit repräsentieren; so liest Christine de Pizan die Äußerungen des Jalous wörtlich als Meinung des Autors,110 hält sie für moralisch verwerflich und klagt Jean de Meun dafür an, »qui si loing de verite dit la menqonge qui n'est mie creable«."1 Die andere Partei hingegen beurteilt nicht die Mittel an sich, sondern ihr Verhältnis zum Kontext, der zu erkennen gebe, daß die Anschuldigungen gegen die Frauen nicht die Meinung des Autors repräsentierten, sondern lediglich die Figur, die sie ausspreche.112 Dies mißachtet zu haben, wirft denn Jean de Montreuil seinen Gegnern auch vor, »qui de personatuum varietate non discernunt, seu notant quibus passionibus moveantur aut induantur affectibus, et quem ad finem quave dependentia aut quamobrem sint loquuti, nee quod demum satirici is instructor fungitur officio.«"3 Unter der Berücksichtigung des Kontexts leiten die >Rhodophilen< ihre positive Beurteilung des Romans ab. ken Frauen. Regentinnen, Amazonen, Salondamen. München, Berlin 1995, S. 14-33 (mit weiterführender Literatur). "° So schreibt sie u. a.: Jean de Meun, »tant et excessivement, blasme la vie que il dist estre en manage«; Hicks (wie Anm. 107), S. 144,934f. Vgl. dazu auch Badel (wie Anm. 107), S. 427. 111 Hicks (wie Anm. 107), S. 18,227-8; vgl. dazu auch Badel (wie Anm. 107), S. 427. Glenda McLeod: Poetics and antimisogynist polemics in Christine de Pizan's >Le Livre de la Cite des DamesRosenroman< (vor allem im >Livre de la Cite des DamesEpistres sur le Roman de la Rose< keine detaillierte Kenntnis der Kommentarliteratur vorauszusetzen und ihre Anklage des Autors scheint dies zu bestätigen. Gerson hingegen hält den Autor - wenn auch nicht ganz konsequent - aus der Diskussion fern (»Rien je ne conclus contre la personne de l'auteur«; Hicks, wie oben S. 86,674-5) und schließt mit seinem >Traite contre le Roman de la Rose< direkt an den Roman an, indem er dessen Figuren bzw. ihre Reden in einer allegorischen Gerichtsszene anklagt. Allerdings führt dabei Justice Canonique, begleitet von Verite, den Vorsitz und Eloquance Theologienne die Anklage, so daß die Reden der Figuren unter dem Aspekt der (theologischen) Wahrheit beurteilt und nicht zuletzt deshalb als häretisch bezeichnet werden (s. ebd., S. 77,465-6 u. S. 83,592-3, vgl. dazu auch Badel [wie Anm. 107], S. 447-461; zum möglichen zeitgeschichtlichen Hintergrund des Häresievorwurfs s. Margarete Zimmermann: Vom Hausbuch zur Novelle. Didaktische und erzählende Prosa im Frankreich des späten Mittelalters. Düsseldorf 1989, S. 120-123). Während Pierre Col darauf hinweist, daß es nicht die Aufgabe von Eloquance Theologienne sei, sich in diesen Streit einzumischen (s. Hicks, wie oben S. 111,782-9), betont Gerson, es handle sich um eine theologische Materie (vgl. Badel, wie oben S. 461). 112 Zu Pierre Col s. Hicks (wie Anm. 107), v. a. S. 99f.; vgl. auch Ott (wie Anm. 104), S. 37f. Ähnlich hat bereits hundert Jahre früher Gui de Mori argumentiert. Die Rezeption des Romans war zwar immer schon pluralistisch (vgl. Huot [wie Anm. 107], bes. S. 103f.), aber zu einer ernsthaften Ablehnung kam es erst in der >Querelle de la RoseRoman de la Rose< before 1400, in: Romance Philology 18 (1964/65) 430-435. 113 Hicks (wie Anm. 107), S. 42,23-27.
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Das Aufeinanderstoßen einer wörtlich-direkten und einer kontextbezogenen Lesart als Konflikt zwischen einem mittelalterlichen und einem humanistischen Interpretationsmodell zu beschreiben,114 muß freilich als verfehlt gelten, da die Kontextanalyse das ganze Mittelalter hindurch für das Verständnis des Literalsinns bzw. der intentio auctoris als methodisch unerläßlich betrachtet wird."5 Die beiden Lesarten sind vielmehr auf eine unterschiedliche Berücksichtigung des Lesepublikums bzw. auf unterschiedliche Leserinnenpositionen zurückzuführen: Während Pierre Col und Jean de Montreuil den Roman aus einer gelehrt-elitären Position heraus verteidigen und meist die Rolle des >impliziten< Lesers einnehmen,116 liest Christine de Pizan denselben Text als Vertreterin einer breiten literarischen Öffentlichkeit, insbesondere der Frauen, und verlangt - ähnlich wie Gerson - ein auf dieses Publikum zugeschnittenes, eindeutiges ethisches Sprechen."7 So fordert sie etwa, daß Frauentadel sich explizit nur an schlechte 114
Noch jüngst schildert Zimmermann (wie Anm. 111), S. 118f., den Streit der beiden Parteien als »Nebeneinander von eher traditionell-mittelalterlichen Positionen und solchen, in denen neuzeitlich-humanistische Momente zum Tragen kommen«. Ott (wie Anm. 104), S. 33f., hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß die Zuordnung einer Partei zu einer Epoche kaum sinnvoll sei. 115 Das gilt für alle Texte, auch die biblischen. Zusammengefaßt finden sich diese methodischen Überlegungen bei einem unbekannten Kommentator (spätestens 14. Jahrhundert): »Studiosus inquisitor sensus Scripturae sacrae litteralis debet primo considerare quae praecedunt et quae sequuntur, et ad invicem conferre similiter circumstantiis: videlicet locum, tempus, negotium, personas et causas circumstantiarum [...] Tertio, debet considerare modum loquendi Scripturae grammaticalem, utrum sit planus vel transumtivus seu figurativus«; Ad Rabanum Maurum, in: Spicilegium solesmense III, hg. von J. B. Pitra. Paris 1855, S. 439; vgl. dazu auch Ohly (wie Anm. 34), S. 3. Die Trennung von Autor und eingeführten Charakteren gilt für das genus dramaticon, »in quo personae loquentes introducuntur sine poetae interlocutione«, und das genus mixtum, »in quo poeta ipse loquitur et personae loquentes introducuntur«, als selbstverständlich (Beda: De arte metrica, in: Grammatici latini, Bd. 7, hg. von H. Keil. Leipzig 1880, S. 259); vgl. dazu Peter von Moos: Gespräch, Dialogform und Dialog nach älterer Theorie, in: B. Frank u. a. (Hgg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen 1997 (ScriptOralia 99), S. 235-259. Die Kommentarliteratur setzt dabei die Namen der Figuren üblicherweise mit deren Handlungsweise in Beziehung (s. Hennig Brinkmann: Mittelalterliche Hermeneutik. Tübingen 1980, S. 365). Die Argumentation Pierre Cols und Jeans de Montreuil steht daher ganz in der mittelalterlichen Kommentar-Tradition. 116 D. h., sie versuchen zuerst die Reden einer Figur kontextuell zu analysieren und allfällige >Leerstellen< zu ergänzen, um daraus entsprechende Erkenntnisse oder Verhaltensweisen abzuleiten. Das wird u. a. deutlich in Pierre Cols psychologischen Bemerkungen zur Figur des Jalous (vgl. Hicks [wie Anm. 107], S. 100,402-101,450), die nicht nur auf Buch-, sondern auch auf Erfahrungswissen rekurrieren (Zimmermann [wie Anm. 108], S. 44-47, weist hingegen nur auf die »experience« als Argumentationskategorie Christines hin). Diese Auslegungs- und Kommentierungsweise kommt dem, was heute in der Rezeptionsästhetik mit den Begriffen des informiertem oder >impliziten Lesers< erfaßt wird, stellenweise sehr nahe (zu den Begriffen vgl. Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. München 41994, S. 56ff.). 117 Siehe etwa Hicks (wie Anm. 107), S. 20,268-74; zu Gerson vgl. Badel (wie Anm. 107), S. 459^61, und Potansky (wie Anm. 107), S. 194, der bemerkt, daß Ger-
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Frauen richten dürfe: »Et se seulement eust blasme les femmes ou sont les grans et honteux vices, comme les dissolues, et celles conseilli a non suir, bon ensaingnement seroit.«"8 Die Forderung nach klarer Anweisung für ein breiteres Lesepublikum betrifft naheliegenderweise in erster Linie die volkssprachliche Literatur, und es zeigt sich, daß diese Forderung in den meisten deutschen Texten des 15. Jahrhunderts zum Topos An uxor ducenda berücksichtigt wird.119 Unter ähnlichen Voraussetzungen sind auch Eustache Deschamps' zwischen 1381 und 1396 entstandener >Miroir de MariageLamentationes Matheoluli< durch Jehan Le Fevre von 1370/71 zu analysieren.121 Während Deschamps Personifikationen als Ehegegner und -befürworter offen gegeneinander argumentieren läßt, distanziert sich Le Fevre ausdrücklich von den >LamentationesLivre de LeesceMiroir de MariageLamentationes< relativiert oder widerlegt.124 Durch den neuen Rahmen, die Widmung an Frauen und den Rekurs auf die Wahrheit, transformiert Le Fevre die dissuasive oder exhortative, kontextbezogene und daher nur beschränkte Gültigkeit beanspruchende Argumentation der >Lamentationes Matheoluli< in ein allgemein frauen- und ehefeindliches Reden und kennzeichnet dieses zugleich als für Frauen und Laien insgesamt unpassend.125 Ähnliche Verfahren der Textgestaltung wie dasjenige im >Livre de leesce< erlauben es aber auch, das ehefeindliche Sprechen in einen neuen Kontext zu integrieren und ihm neue Funktionen zuzuweisen, wie es etwa in der deutschen Literatur des 15. Jahrhunderts geschieht. Die Vielfalt an Texten, welche die molestiae nuptiarum überliefern, anwenden oder erweitem, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser Topos weiterhin nur in ganz spezifischen Kontexten und Redesituationen benutzt wird. So findet bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts keine eigentliche Disputation der topischen Frage, ob ein Mann heiraten solle oder nicht, in utramque partem statt,126 sondern lediglich ein dissuasives Reden gegen die Ehe in gelehrten Kreisen bzw. eine Verbreitung des TheophrastFragments als Exemplum in der Enzyklopädik, der moralphilosophischen und der Kommentarliteratur. Nach wie vor existieren verschiedene Teildiskurse über die Ehe, die zweckgebunden eingesetzt werden und daher keinen allgemeinen, sondern einen je spezifischen Geltungsanspruch erheben. Vermochte sich indes die Ausdifferenzierung der einzelnen Diskurse für verschiedene Zwecke im 12. Jahrhundert durch das Monopol des Klerus auf die lateinische Sprache rasch zu stabilisieren, so wird das Nebeneinander der Diskurse dadurch langsam aufgelöst, daß vermehrt gebildete Laien Zugang zur lateinischen Literatur erhalten und diese in großem Ausmaß excuser cy/ de ce que sans vostre licence/ j'ai parle de la grant dissence/ et des tourmens de mariage. / Se j'ay mesdit par mon oultrage, /je puis bien dire sans fiater / que je n'ay fait que translater/ ce que j'ay en latin trouve.« 123 Vgl. ebd., V. 43-80: »Or me doint Dieu prosperite, / que je soustiengne verite, [...] Verite vainct contre mencoingne, / verite est noble besoingne [...].« Dabei erwähnt er sogar den Sieg der Alilhie über Pseuti aus der >Ecloga Theoduli< (V. 45ff.), der stets als Sieg der christlichen Wahrheit über die heidnische Lüge aufgefaßt wurde (vgl. etwa den >Accessus TheoduliLivre de leesce< vgl. jetzt ausführlich Renate Blumenfeld-Kosinski: Jean le Fevre's >Livre de leesceEhedebatte< in Wittenwilers >RingRing< von 1408/10129 die topische Frage, ob ein Mann heiraten solle oder nicht, als Streitgespräch in utramque partem.130 In der >EhedebatteRing< noch keinen Konsens gefunden, vgl. Ortrun Riha: Die Forschung zu Heinrich Wittenwilers >Ring< 1851-1988. Würzburg 1990, S. 33-44 u. passim. 130 Das erste Streitgespräch zum Thema bietet der >Miroir de mariage< (vgl. oben S. 195 u. Anm. 120). Bereits Johannes von Salisbury in seinem >Policraticus< und Vinzenz von Beauvais im >Speculum doctrinale< weisen neben den molestiae nuptiarum auch auf die positiven Seiten der Ehe hin, aber nicht in Form einer Debatte, während Engelberts von Admont Schrift als scholastischer Traktat bezeichnet werden kann, der beide Seiten der Frage An uxor ducenda auslotet (vgl. dazu Roth [wie Anm. 40], passim). Jehan Le Fevre hingegen konzipiert sein >Livre de leesce< explizit als Gegenschrift zu den >Lamentations< und läßt aufgrund der langen Zitate aus den >Lamentations< im >Livre de leesce< eine Art Debatte entstehen, die am Ende nicht einmal eindeutig entschieden ist; vgl. Blumenfeld-Kosinski (wie Anm. 124), S. 715ff. 131 Wittenwilers Ring (wie Anm. 129), V. 2623-3524.
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Heirat erforderlich wären und über die die Bauern und Bäuerinnen hätten diskutieren sollen. Bertschi faßt Nabelreibers Urteil allerdings als Befürwortung der Ehe auf und leitet alles weitere zur Hochzeit ein. Die germanistische Forschung hat häufig versucht, in dieser Partie eine (humanistische) Ehefreundlichkeit Wittenwilers herauszulesen132 - aber weder die Heirat Bertschis mit Mätzli Rüerenzumpf noch das Urteil Nabelreibers noch der Verlauf der Debatte lassen Rückschlüsse auf die Haltung Wittenwilers zur Ehe im allgemeinen zu. Denn die Debatte ist in krassem Gegensatz zur traditionellen Rahmung des Topos An uxor ducenda in der klerikalen Literatur in ein bäuerlich-laikales Milieu eingebettet, in dem eine Ablehnung der Ehe wenig Sinn ergibt; das Urteil Nabelreibers enthält die traditionelle kirchliche Ehelehre; und keiner der beiden Seiten gelingt es, die Debatte argumentativ für sich zu entscheiden. So hat man sich zunächst auf das Mißlingen des Streitgesprächs zu konzentrieren, auf das auch Nabelreiber aufmerksam macht. Bereits der Anfang der Debatte steht in einem Mißverhältnis zu ihrem Rahmen: Bertschi hat sich bereits zur Heirat entschlossen, weshalb eigentlich über allfällige Probleme in der Ehe zu diskutieren wäre. Doch auch der Streitpunkt selbst hat kaum Bezug zum Kontext: Die Kontrahenten debattieren weitgehend über die allgemeine Frage, ob ein Mann heiraten solle, und nicht darüber, ob Bertschi und Mätzli füreinander geeignet seien. Mit den Worten des damaligen Wissenschaftssystems:133 Die Debatte wird dem Konkretheitsgrad nach in Form einer quaestio bzw. thesis geführt, die sich um allgemeingültige Erkenntnisse bemüht, und nicht in Form einer causa bzw. hypothesis, die sich mit konkreten, kontextbezogenen Problemen auseinandersetzt; d. h. sie findet im Rahmen der Dialektik statt, die den Philosophen vorbehalten ist und der Wahrheitsfindung dient, und nicht im Rahmen der Rhetorik mit dem Ziel der (guten) Handlung.134 Die Argu132
Vgl. etwa Michael Dallapiazza: Minne, hüsere und das ehlich leben. Frankfurt a. M., Bern 1981, S. 113. 133 Etwa in Vinzenz von Beauvais: Speculum doctrinale 111,4 u. 111,99 (wie Anm. 89), Sp. 214B u. 281 B, der sich bei der wissenschaftlichen Einordnung von quaestio und causa auf Boethius: De differentiis topicis IV (PL 64,1205C) beruft. Obwohl Boethius mit seiner Schrift eine für das ganze Mittelalter grundlegende Systematik zu den Unterschieden und Aufgaben der Rhetorik und Dialektik verfaßt hat, ist in den verschiedenen Wissenschaften das Verhältnis von Rhetorik und Dialektik im Verlauf des Mittelalters einigen Schwankungen unterworfen, vgl. etwa McKeon (wie Anm. 52), v. a. S. 3ff. sowie die folgende Anmerkung. 134 Bereits Cicero macht in seiner im Mittelalter breit rezipierten Schrift >De inventione< I 6,8 die quaestio zur Sache der Philosophen. In Ciceros >De oratore< III 8,30 und in Quintilians >Institutio oratoria< III 5,12-15 wird die quaestio sowie die mit ihr eng zusammenhängende disputatio in utramque partem jedoch in die Rhetorik eingebunden - allerdings werden beide Schriften und ihr rhetorisches Konzept (mit Ausnahmen vor allem im 12. Jahrhundert) erst wieder von den Humanisten des 15. Jahrhunderts ausgiebig rezipiert (vgl. James J. Murphy: Rhetoric in the Middle Ages. Berkeley u. a. 1974, S. 89ff. und S. 357ff.). Im Mittelalter hingegen zählt die quaestio üblicherweise zu den Gattungen der Dialektik, die zunächst als Teildisziplin des Triviums zur Grund-
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mente selbst, die molestiae nuptiarum auf der einen und die Aussagen aus der ökonomischen Literatur auf der anderen Seite, erfüllen jedoch alle Bedingungen des rhetorischen bzw. ethisch-handlungsbezogenen Diskurses: Sie befassen sich mit einzelnen Aspekten der Ehe oder Eigenschaften der Frau, stellen ihren Gegenstand jeweils einseitig als tadelns- bzw. lobenswert dar und dienen im traditionellen Kontext nicht der Wahrheitsfindung, sondern der Ermahnung oder der dissuasio a nuptiis in klerikalen Kreisen bzw. der Handlungsanweisung an Laien in der Ökonomik. Die Debatte scheitert also deshalb, weil die Bauern eine Argumentationsweise benutzen, die dem formalen Rahmen inadäquat ist, oder umgekehrt: sie setzen sich einen formalen Rahmen, der nicht zu ihrer Argumentationsweise paßt.135 Neu an Wittenwilers Ehedebatte sind also nicht die Argumente, sondern deren Rahmen, aus dem verschiedene Probleme entstehen: Zum einen ergibt sich ein Mißverhältnis zwischen der konkreten Ausgangssituation im bäuerlichen Milieu und der weitgehend allgemeinen Fragestellung der Debatte; zum anderen verwenden die Bauern zur Lösung der allgemeinen ausbildung gehört, seit dem 12. Jahrhundert jedoch zur umfassenden Grundlage aller Wissenschaften aufgewertet wird (die terminologische Unscharfe und der nicht eindeutig festgelegte wissenschaftssystematische Ort in der mittelalterlichen Literatur machen freilich die Begriffe >Dialektik< bzw. >Logik< nicht leicht handhabbar; vgl. dazu etwa Klaus Jacobi: Diale(c)tica est ars artium, scientia scientiarum, in: Ingrid Craemer-Ruegenberg, Andreas Speer [Hgg.]: Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter. Berlin, New York 1994, S. 307-328). Mit diesem >Übergang< der quaestio (tnßnita) zur Dialektik stehen auch nicht mehr Fragen des zivilen Lebens im Vordergrund, sondern abstraktere Fragen aus allen Bereichen der Philosophie, also auch der ethica docens (vgl. dazu oben Anm. 54). Die Humanisten verbinden die quaestio (infinita) wieder vermehrt mit praktischen Fragen und >rhetorisieren< sie zusammen mit der dialektischen Methode (vgl. dazu zusammenfassend Thomas O. Sloane: Rhetorical education and two-sided argument, in: Heinrich F. Plett [Hg.]: RenaissanceRhetorik. Berlin, New York 1993, S. 163-178, hier S. 166-169; s. auch David Marsh: The Quattrocento dialogue. Classical tradition and Humanist innovation. Cambridge/ Massachusetts 1980, S. Iff., der die mittelalterliche Dialogliteratur allerdings zu pauschal beurteilt). Dennoch ist die Trennung von Dialektik und Rhetorik nur graduell zu verstehen, da zum einen in jedem Text dialektische und rhetorische Elemente vorhanden, zum ändern auch im Mittelalter die Grenzen beider Disziplinen nicht immer streng gezogen sind; vgl. dazu etwa Peter von Moos: Rhetorik, Dialektik und c/'v/Vf's scientia im Hochmittelalter, in: Johannes Fried (Hg.): Dialektik und Rhetorik im frühen und hohen Mittelalter. München 1997, S. 133-155, v. a. S. 136ff. 135 Die >Gefahr< des Scheiterns besteht freilich zwangsläufig, wenn die infinite Frage An uxor ducenda als Streitgespräch ausgetragen wird, weil es sich dabei in der Regel weder für >mittelalterliche< noch >humanistische< Gelehrte um eine Frage handelt, die man allgemeingültig beantworten könnte (vgl. etwa den Traktat Engelberts von Admont und dazu Roth [wie Anm. 40] sowie unten den Abschnitt zu Poggio Bracciolini, S. 210-213; bereits Quintilian: Institutio oratoria III 5,12 diskutiert kurz den Nutzen, den die infinite Frage An uxor ducenda überhaupt haben kann). Doch während diese Problematik in den anderen Streitgesprächen reflektiert wird (s. unten), charakterisiert Wittenwiler die Bauern als nicht in der Lage, das Problem zu erkennen, weshalb sie sich beleidigen, ja schlagen.
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quaestio den Topos der molestiae nuptiarum sowie Aussagen aus der Ökonomik und vermischen dadurch den rhetorischen, ethisch-handlungsanweisenden Diskurs mit dem dialektischen Diskurs, wodurch sich die einzelnen Aussagen, die nur bedingt zur Wahrheitsfindung taugen, gegenseitig neutralisieren. Wittenwiler integriert also die molestiae nuptiarum und die ökonomischen Aussagen nicht als direkte, inhaltliche, sondern eher als erkenntniskritische Unterweisung in die volkssprachliche Literatur für gebildete Laien, indem er auf spielerisch-witzige Weise den Zusammenhang von Aussage, Aussagekontext und Gesprächsrahmen problematisiert und zeigt, was geschieht, wenn dieser Zusammenhang mißachtet wird. 2. Die >Grisardis< des Erhart Groß Die 1432 entstandene >Grisardis< des Nürnberger Kartäusers Erhart Groß136 ist die früheste Übertragung der letzten Novelle aus Boccaccios >Decamerone< ins Deutsche,137 die bis zum Druck der auf Petrarcas Fassung beruhenden Übersetzung Heinrich Steinhöwels von 1471 ausgiebig rezipiert wurde.138 Außer der Namengebung, die üblicherweise >Griseldis< lautet, liegt das Besondere der Großschen Übertragung vor allem darin, daß sie am Anfang der Novelle ein längeres Streitgespräch zum Topos An uxor ducenda enthält, das rund ein Drittel des ganzen Textes ausmacht.139 Der kurzen Vorrede sind Anlaß, Zweck und Zielpublikum der Schrift zu entnehmen. Groß erklärt, er habe »geacht [...] in dieser zeit cristenleut sytten, besundern der die in der e sitzen und halten nicht den glauben noch getrawen der man dem weibe und daz weib dem manne«. Dieser Zustand habe ihn dazu veranlaßt, eine Geschichte zu schreiben »den eleuten und 136
Die Grisardis des Erhart Grosz. Nach der Breslauer Handschrift hg. von Philipp Strauch. Halle 1931. Zur Datierung s. Friedrich Eichler: Studien über den Nürnberger Kartäuser Erhart Groß. Diss. Greifswald 1935, S. 31. Die älteste Handschrift, die Strauch benutzte, stammt aus dem Jahre 1436. Das Jahr 1432 als Abfassungsjahr entnimmt Eichler der Strauch nicht bekannten Nürnberger Handschrift aus dem Jahre 1442 (ebd., S. 15). Strauch nahm bei der ersten Edition an, die >Grisardis< sei ein Werk Albrechts von Eyb (Deutsche Prosanovellen des 15. Jahrhunderts II: Grisardis von Albrecht von Eyb, in: ZfdA 29 [ 1885] 373-443), hat sich dann aber noch vor der Kritik Max Herrmanns: Albrecht von Eyb und die Frühzeit des deutschen Humanismus. Berlin 1893, S. 301-312, korrigiert und Groß als Verfasser erkannt (Die >Grisardis< des Erhart Grosz, in: ZfdA 36 [1892] 241-254). Noch 1979 glaubte aber John Christian Weber in einer unveröffentlichten amerikanischen Dissertation eine bisher unbekannte >Grisardis< Albrecht von Eyb zuschreiben zu können - allerdings handelt es sich dabei lediglich um eine weitere Abschrift des Großschen Textes, wie HansHugo Steinhoff: Kein Albrecht von Eyb: Eine >GrisardisGrisardis< wie Wittenwilers >Ring< von vornherein von den misogamen Texten des 12. bis 14. Jahrhunderts, die sich fast ausschließlich an Kleriker bzw. Gelehrte richten. Die Situation, die zum Streitgespräch führt, besteht im Wunsch einer Gemeinschaft, ihr unverheirateter Markgraf möge sich eine Frau nehmen, damit ein Nachfolger aus seinem Geschlecht erwachse.142 Der Markgraf besteht jedoch in einem ersten Gespräch mit den Boten der Gemeinschaft darauf, keusch zu bleiben, und bedient sich dabei traditioneller Argumente: Die Kinder folgten nicht immer ihren Eltern, wie die Beispiele Moses, Salomon etc. zeigten, und die Jungfräulichkeit sei eine Blume, die, einmal gepflückt, nicht mehr nachwachse.143 Die Boten antworten mit ebenso bekannten Argumenten: Im Himmel finde man nicht nur Jungfrauen oder Mönche, sondern auch Eheleute und Witwen. Außerdem gehe es hier um den »nucz der gemeyne«, und der Markgraf könne sich in der Ehe größere Seligkeit erwerben, als wenn er ein Mönch bliebe, schließlich sei er »gemein der gemein«.144 Beide Argumente sind in der volkssprachlichen und der lateinischen Literatur längst etabliert: das erste kommt unter anderem auch im >Ring< vor, läßt sich jedoch bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen,145 das zweite findet sich vor allem in der Fürstenspiegel-Literatur, die als selbstverständlich voraussetzt, daß ein Fürst heiraten soll.146 Damit verdeutlichen die Boten, daß ein Fürst ganz 140
Ebd., S. 1,5-15. Man wird wohl auch mit der Annahme nicht fehlgehen, daß Groß beim Zielpublikum der >Grisardis< ein Bildungsinteresse voraussetzt. Dafür spricht textintem die gelehrte Debatte zur Heiratsfrage und textextern der Umstand, daß er sein Opusculum auch in lateinischer Sprache abgefaßt hat (s. Eichler [wie Anm. 136], S. 43), was zwar auch nur zur leichteren Verarbeitung der Quellen geschehen sein kann. 142 Grisardis (wie Anm. 136), S. 2,19ff. 143 Ebd., S. 3,24-4,21. Das zweite Argument gehört allerdings nicht zu den molestiae nuptiarum, ist aber etwa in Ermahnungen zur virginitas an Frauen verbreitet, so etwa in der dissuasio des Nereus und Achilleus an Domitilla, vgl. Acta Sanctorum, Mai, Bd. 3, S. 7 E u. F. 144 Grisardis (wie Anm. 136), S. 4,24-5,11. 145 Vgl. Roth (wie Anm. 3), Anm. 58. 146 Was ja auch ganz dem Interesse der Adligen entspricht. Vgl. dazu etwa Aegidius Romanus: De reg. princ. 11,1,7 (wie Anm. 54), S. 237-240. Die Boten argumentieren hier jedoch umgekehrt aus der Sicht der Gemeinschaft, genauer: des bonum commune, das in der spätmittelalterlichen politischen Literatur häufig diskutiert wurde (vgl. etwa Peter Hibst: Utilitas Publica - Gemeiner Nutz - Gemeinwohl. Untersuchungen zur Idee eines politischen Leitbegriffs von der Antike bis zum späten Mittelalter. Frankfurt a. M. u. a. 1991, v. a. S. 178ff., sowie James M. Blythe: Ideal government and the mixed constitution in the Middle Ages. Princeton 1992, passim). Daß der Fürst jedoch sogar »gemein der gemein« sein soll, bedeutet eine Zuspitzung des bonum commune. 141
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anderen gesellschaftlichen Bedingungen unterworfen ist als ein Kleriker oder Universitätsgelehrter. Mit anderen Worten: Die Frage, ob ein Fürst heiraten solle, gehört nicht in die Monastik, sondern in die Politik. Dies wird noch deutlicher im eigentlichen Streitgespräch zwischen dem Markgrafen und einem »meister« namens Marcus, den die Gemeinde als »weißen philozopfum« zu ihm schickt,147 weil er sich durch die ersten Boten nicht zur Heirat bewegen ließ. Im ersten Teil des Disputs führt der Markgraf zunächst alle seine Argumente gegen die Ehe an. Er beginnt mit einigen Gefahren, die bei einer Frau zu fürchten seien, nämlich Unbeständigkeit, Unfruchtbarkeit, böse Sitten und Hoffärtigkeit.148 Viele Männer seien durch zu hitzige Liebe vom rechten Weg abgekommen, so etwa Adam, Samson und sogar der weise Salomon. Mit Hilfe der uxorisödw/ter-Sentenz149 lehnt er schließlich die Liebe überhaupt ab.150 Diese Argumente stammen alle aus dem >Adversus Iovinianum< oder einer seiner Bearbeitungen und können zum Topos der molestiae nuptiarum gezählt werden.151 Das nächste Beispiel des Fürsten, eine pseudo-augustinische Anekdote, in der Augustin seiner Vernunft erklärt, ein weiser Mann solle auf jeden Fall die Frauen fliehen, stammt wohl ebenfalls aus einer solchen Bearbeitung oder einer Florilegiensammlung.152 Hierauf führt er weitere Exempla und Dikta gegen das Heiraten aus dem >Adversus Iovinianum< an, u. a. auch das Cicero-Wort, man könne nicht der Frau und dem Studium gleichzeitig dienen.153 Nach der Aufforderung, er solle zuerst alle seine Argumente vorbringen, stellt der Markgraf klar, daß er nicht »die e wil vordammen, die do heilig ist und von god geschaffen«, sondern gegen diejenigen rede, die sich unrecht in der Ehe verhielten. Anschließend präsentiert Groß in den Worten des Fürsten die erste vollständige, fast wortgetreue deutsche Übersetzung des Theophrast-Fragments.154 Mit dem anschließenden kurzen Kommentar des Hieronymus beendet der Markgraf seine gelehrten Äußerungen. Die Reaktion des Meisters kommentiert in aufschlußreicher Weise den Stellenwert und die Bedeutung der fürstlichen Rede: Zunächst erwägt Marcus etwas niedergeschlagen, »waz er zu solcher Weisheit schölte antworten«. Schließlich bekennt er sogar: »hyr umb alles daz ir habt vor legt, daz die im Spätmittelalter eher selten anzutreffen ist (ein Beispiel bespricht Wilhelm Kölmel: Regimen christianum. Weg und Ergebnisse des Gewaltenverhältnisses und des Gewaltenverständnisses. Berlin 1970, S. 426). 147 So nennt ihn der Fürst, vgl. Grisardis (wie Anm. 136), S. 7,33^. 148 Ebd., S. 7,35-8,12. 149 Hieronymus: Adversus lovinianum 1,49, PL 23,281 A: »Adulter est, inquit [sc. Xystus bzw. Sextus], in suam uxorem amator ardentior.« 150 Grisardis (wie Anm. 136), S. 8,16-9,20. 151 Vgl. die Anmerkungen von Strauch, ebd., S. 63ff. 152 Grisardis (wie Anm. 136), S. 9,33-10,23, und die Anmerkungen auf S. 64. 151 Ebd., S. 10,26-12,3, und die Anmerkungen auf S. 64-66. 154 Ebd., S. 12,6-19 bzw. S. 12,19-15,26.
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ist wirdikeit vol und durchleuchtit mit der warheit.«155 Er kennzeichnet die Aussagen des Markgrafen demnach als anerkannt, ja sogar als wahr. Doch sogleich betont Marcus auch die Relativität dieser Wahrheit: All dies treffe zwar auf die bösen und törichten Frauen zu, »aber daz ist nicht zimlich alwege. wen in aller maße alzo vil seint zorniger und hoffertiger frawen, alzo thur ich sprechen, daz man auch vind gütige, zuchtige und tregliche frawen.«156 Im Gegensatz zur Tradition in der lateinischen Literatur, welche die molestiae nuptiarwn gewöhnlich im Hinblick auf ein Gut innerhalb der klerikalen Ethik benutzt, wird der Topos hier ähnlich wie im >Livre de leesce< Jehan Le Fevres und in Wittenwilers >Ehedebatte< zunächst unter dem Aspekt der Wahrheit bzw. des Geltungsbereichs bewertet, aber nicht, um ihn als lügenhaft, sondern als einseitig und nicht beliebig verwendbar zu entlarven. Der Hinweis auf die Kontextabhängigkeit korrekten Argumentierens wird konkretisiert, indem Marcus sogleich klarstellt, für wen die Ehe gedacht sei und für wen nicht. Der Ehestand sei nämlich für »vil leute und volckes« durchaus geeignet. Alle Stände, Jungfrauen, Witwen, Eheleute und andere keusche Menschen, gehörten zur göttlichen Ordnung, und jeder solle seinem Stand und Orden gemäß leben. Für einen Fürsten bedeutet dies, daß »es zimlich in allem gemerg [ist], daz ir volget dem pet der gemein, besundern so die pet ist in erlichen dingen und ist nicht wyder der sei selikeit.«157 Marcus weist den Fürsten also auf ein standesgemäßes Handeln hin. Dieser Gedanke wird am Ende der eigentlichen Antwort auf die misogamen Argumente nochmals aufgenommen: Wenn der Fürst »eyn eygener man« wäre, so sollte er keusch bleiben, denn nach Paulus habe in der Ehe die Frau die Macht über den Leib des Mannes und umgekehrt. Er habe jedoch Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft und deshalb rate er ihm, eine Frau zu nehmen.158 Daraufhin fügt sich der Markgraf und die eigentliche Erzählung wird fortgesetzt. Marcus weist damit auf die Kontextabhängigkeit richtigen Argumentierens hin: Ein Fürst hat sich nicht einer klerikalen Argumentationsweise zu bedienen, vielmehr untersteht er dem politischen bzw. ökonomischen Diskurs, wie ihn etwa die Fürstenspiegel-Literatur benutzt. Zwischen den beiden Aufforderungen zu standesgemäßem Handeln, welche die misogame Argumentation des Fürsten als situationsinadäquat kennzeichnen, stellt Marcus den exempla in malo die Namen tugendhafter Frauen aus dem Alten und Neuen Testament sowie aus der christlichen (Heils-)Geschichte gegenüber und zählt danach eine Reihe heidnischer Ex155
Ebd., S. 15,34-16,1. Ebd., S. 16,21-27. 157 Ebd., S. 16,30-17,27. 158 Ebd., S. 23,8-35. Marcus macht den Fürsten also erneut auf das bonum commune aufmerksam (vgl. oben Anm. 146). Es wäre durchaus lohnenswert, das politische Konzept der >Grisardis< auf dem Hintergrund zeitgenössischer Diskussionen um den idealen Fürsten detaillierter zu analysieren. 156
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empla züchtiger, treuer Ehefrauen von Dido bis Martia aus dem letzten Teil des >Adversus Iovinianum< auf.159 Dort haben sie lediglich die Funktion, von der Zweitehe abzuraten und den christlichen Frauen ein Vorbild an Keuschheit zu geben160 - Groß verwendet sie statt dessen in einem ganz anderen Kontext als Gegenposition zu den molestiae nuptiarum, die ja auf dieselbe Quelle zurückgehen, aber in der Zwischenzeit in getrennten Anwendungsbereichen benutzt wurden. Ähnlich wie in Wittenwilers >Ring< erfolgt also die Integration der molestiae nuptiarum in der >Grisardis< auf zwei Ebenen: Auf der einen wird der Topos im Rahmen einer Debatte mit entgegengesetzten, aber ebenso traditionellen Aussagen konfrontiert; d. h. zwei in der lateinischen Literatur weitgehend getrennte und in unterschiedlichen Kontexten benutzte Aussagegruppen werden im neuen Kontext aufeinander bezogen und dadurch dem Aspekt der Wahrheit, genauer: der Gültigkeit ausgesetzt, so daß ihr Geltungsbereich eingeschränkt wird. Diese Einschränkung wird auf einer zweiten Ebene ergänzt durch den kritischen Hinweis auf den Zusammenhang von Aussage und Kontext, den im Fall des >Ring< der Dorfschreiber, im Fall der >Grisardis< die Boten und der Philosoph Marcus geben. Scheitert jedoch die >Ehedebatte< daran, daß beide Parteien diesen Zusammenhang mißachten, so führt das Streitgespräch zwischen Marcus und dem Fürsten zu einem adäquaten Ergebnis, weil es dem Philosophen gelingt, sein Gegenüber von dessen unpassender Argumentation zu überzeugen, und daher nicht mehr die Frage, ob ein weiser Mann, sondern ob ein weiser Fürst heiraten solle, zur Debatte steht, die wie üblich bejaht wird.161 Groß gelingt es damit, ähnlich wie Simon de Hesdin in seinem Kommentar zu Valerius Maximus,162 die molestiae nuptiarum erfolgreich zu neutralisieren, indem er sie in den politischen bzw. ökonomischen Diskurs einfügt und zur Unterweisung für Eheleute verwendet.163 159
Grisardis (wie Anm. 136), S. 17,33-22,19, und die Anmerkungen auf S. 70-74. Vgl. oben Abschnitt II. 161 Dies übersieht Joachim Knape: De oboedientia et fide uxoris. Petrarcas humanistischmoralisches Exempel >Griseldis< und seine frühe deutsche Rezeption. Göttingen 1978, S. 26, wenn er die aus dem Theophrast-Fragment übersetzte und vom Markgrafen als Teil seiner Argumentation übernommene Frage, »ab eyn weiser man schol eyn weip nemen« (12,21-2), als das eigentliche Disputationsthema annimmt. Die >Grisardis< hingegen als »Lob der Ehe als Orden des Bürgertums« zu bezeichnen (Paul G. Völker: Art. Groß, Erhart, in: Neue deutsche Biographie 7 [1966] 139), entbehrt sowohl der textlichen als auch der historischen Grundlage. 162 Vgl. oben S. 190f. 163 Wie sehr Groß in der >Grisardis< kontext- und adressatenbezogen schreibt, bestätigt das rund zehn Jahre später entstandene >WitwenbuchGrisardis< den Markgrafen zur Heirat bewegen sollen, gegen die Zweitehe und für die Keuschheit ein (S. 49ff. u. 94ff.). Interessant sind auch die Bemerkungen, die Groß in seinem Lehrgespräch den »Cartheuser« zu den antiken Vorbildern der Keuschheit anführen läßt: »[...] das vnglaubige volk ist nur dor ümmb blyben in keuscheit, das es wolt eyn rawm erkryge, das es 160
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Der Topos An uxor ducenda und mit ihm die molestiae nuptiarum werden also in verschiedenen Kontexten und Redesituationen unterschiedlich behandelt. Gerade weil der >Ring< und die >Grisardis< den Topos in eine laikale Gesprächssituation einbetten und sich an ein laikales Zielpublikum richten, kann ein Vergleich mit Texten des 12. bis 14. Jahrhunderts für Kleriker und Gelehrte im Hinblick auf die Eheauffassung der Autoren nicht statthaft sein, und es ist unbegründet, den >Ring< oder die >Grisardis< als frauen- und ehefreundlich und daraus folgernd als typisch mittelalterlich oder humanistisch zu bezeichnen.164 Das gilt auch für den nächsten Text, eine volkssprachliche Chronik, die zwar nicht auf der Gattungs-, wohl aber auf der diskursiven Ebene einen Vergleich mit den anderen deutschsprachigen Texten erlaubt. 3. Das Theophrast-Fragment
in den >Excerpta chronicarum
Excerpta chronicarum< sind eine im Jahre 1459 von den beiden Nürnberger Kanzleischreibern Johann Platterberger und Theoderich Truchsess fertiggestellte deutsche Weltchronik.165 Ihr erster Band, von dem drei Handschriften erhalten sind,166 gehört zur schmalen deutschsprachigen Rezeption des >Speculum historialeSpeculum< richten sich die >Excerpta< jedoch nicht an Kleriker, sondern an historisch interessierte, lateinunkundige Laien: Wann nu fruchtper, nutze vnd loblichen ist, die tat vnd zeytung alter geschieht vnd regirer [...], Vnd nu etlich solichs zu lesen vnd zu hören begirlich genaigt, Vnd doch des in lateinischer schlifft vnd sprach nit gnüglich vernemend sind, Darümb voran got hett in menlicher sterck des leybes lust überwunden. [...] so seyn sie doch dorvmmb verschriben bleyben zu eym ebenpilt dem glaubigen volk, dor vmmb das sie schüln betrachten, das das haben volbracht die heyden iuncfrawen vnd witwen vmmb eytler ere willen, das sie das auch volbrengen vmmb das ewige leben« (S. 62,25-63,10). Hier argumentiert Groß im Sinne der kirchlichen Witwen-Ethik. 164 Die Bezeichnung >mittelalterlich< wird zwar bei der >Grisardis< nie auf die Heiratsdebatte, dafür aber regelmäßig auf den Text als Ganzen angewandt, s. etwa Eichler (wie Anm. 136), S. 83, oder Völker (wie Anm. 161), S. 139. 165 Vgl. dazu Rüdiger Schnell: Zur volkssprachlichen Rezeption des >Speculum Historiale< in Deutschland. Die Alexander-Geschichte in den >Excerpta ChronicarumExcerpta< abgefaßt worden. Die Verfasser ordnen damit ihr Werk der Laienethik zu und gestalten den >SpeculumExcerpta< zeigt deutliche Veränderungen gegenüber dem >SpeculumNoctes atticaeGrisardis< auf den Aspekt der Gültigkeit der Aussagen aufmerksam, relativieren die molesüae nuptiarum als einseitig und legen ihren Geltungsbereich neu fest. Dadurch ergänzen Platterberger und Truchsess den Topos im Hinblick auf ihr Zielpublikum und integrieren ihn in den Diskurs einer Laienethik. Des weiteren fügen sie an: »Salomon Auch sand Pauls sprechen, Das einem weysen man ein eelich weib zimpt, yedoch das sie biderbe vnd frumm sey [.. .]«.174 Zur Verteidigung der Ehe und der Frau verwenden die Verfasser nun nicht wie der Philosoph Marcus in der >Grisardis< eine Exemplareihe tugendhafter Frauen, sondern eine zunächst recht erstaunliche Aussage über die größere Würde der Frau gegenüber dem Mann: [...] wenn ein weib yst edeler wenn der man von der stat, Wenn das weib ist in dem Paradiß, Aber der man ist In dem kote auff dem felde Damasco gemacht worden, Auch ist das weib edeler von der materi denn der man, wenn das weib ist gemacht aus einem rybe, so ist der man gemacht von laym [...]. 175
Allerdings ist diese Aussage keine Erfindung der beiden Autoren, sondern steht bereits in einem der verbreitetsten Bücher des Spätmittelalters überhaupt: dem vermutlich zwischen 1310 und 1324 entstandenen >Speculum humanae Salvationist das freilich auf noch älteren Quellen basiert.176 In dieser versifizierten Heilsgeschichte heißt es im ersten Kapitel: Notandum autem quod vir in agro Damasceno est formatus / Et a Domino in paradisum voluptatis est translatus; / Mulier autem in paradiso est formata / Et a costa viri dormientis parata. / Deus quoddammodo ipsam supra virum honoravit, / Quia earn in loco voluptatis plasmavit. / Non fecit earn sicut virum de limo terrae, / Sed de osse nobilis viri Adae et de ejus carne.177 174
Excerpta chronicarum (wie Anm. 166), Bl. 315rb. Ebd. 176 Aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind in ganz Europa über 400 Handschriften, davon über 280 lateinische, überliefert; vgl. dazu, zur Datierung und zu den Quellen HansWalter Stock, Burghart Wachinger: Art. Speculum humanae salvationis, in: 2VL, Bd. 9 (1995), Sp. 52-65, hier Sp. 53f. u. 56-58, und die dort angegebene Literatur. 177 Speculum humanae salvationis. Krit. Ausgabe, Bd. l, hg.von J. Lutz u. P. Perdrizet. Mülhausen 1907, S. 4, V. 23-30. Die ersten vier Verse stammen wohl direkt oder indirekt aus Petrus von Poitiers: Compendium historiae in genealogia Christi, vgl. die Edition des Anfangs dieser Schrift bei Philip S. Moore: The works of Peter of Poitiers. Notre Dame (Indiana) 1936, S. 188; zu den verschiedenen Titeln dieser Schrift s. ebd., S. 98f. In den deutschen Übertragungen lautet diese Stelle recht unterschiedlich. In der Kremsmünsterer Reimparaphrase heißt es etwa: »Von Got diu frowe geschaffen wart / Und für den man gewirdet hart, / nämlich an drin dingen, / Die ich für wil bringen / Mit der geschrift, als ich sol: / Diu frowe wart geschaffen wol / Indem paradyse und von Adamen, / Von dem wir alle kamen. / Got wart och von ir geborn, / Wir warin anders all verlorn. / Got het Ademan geschaffen vor / von der erde und von dem hör, / Daz vor dem paradyse waz«; Manuela Niesner: Das Speculum humanae salvationis der Stiftsbibliothek Kremsmünster. Edition der mittelhochdeutschen Versübersetzung und Studien zum Verhältnis von Bild und Text. Köln u. a. 1995, S. 40,25-41,37. Näher an der lateinischen Fassung ist die Prosabearbeitung >Spiegel menschlicher Behalt175
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Während jedoch das >Speculum humanae salvationis< die Ehrung der Frau sogleich wieder durch den Sündenfall, den die Frau verursacht habe, relativiert, verwenden sie die Verfasser der >Excerpta< ohne weiteren Kommentar als Argument für die Ehe, das allerdings aufgrund der vorhergehenden Kritik auch nicht isoliert dasteht. Es wird schließlich durch zwei weitere Argumente ergänzt, so daß die Schlußsequenz eine eigentümliche Mischung von topischer Theophrast-Frage, christlicher Geschlechtertypisierung und theologischer Ehegüterlehre (proles und fides) präsentiert: Seinnd denn das weib edeler ist wenn der man an zweyerlai Sachen, als vor gesprochen ist, vnd ein beheltnüs ist der gesiecht, vnd man nyndert parmhertzikeit vindet wenn In eins weibes hertz, So zimpt wol dem weysen, das er durch seiner sele selikeit vnd behaltnüs seines namens, vnd durch wäre trew ein elich weib süll nemen.178
Erstaunen mag zunächst der historisch unkritische Umgang der Verfasser mit ihrer Vorlage, die sie einfach kürzen und durch Aussagen biblischheilsgeschichtlicher und theologischer Provenienz so ergänzen und abändern, daß der Eindruck entsteht, Theophrast selbst rate dem weisen Mann zu heiraten. Dies ist möglich, weil Platterberger und Truchsess keine Übersetzung des >Speculum historiale< mit wissenschaftlichem Anspruch anfertigen, sondern aus verschiedenen Quellen eine Chronik zusammenstellen, die in erster Linie der Belehrung und Erbauung eines (gebildeten) städtischen Laienpublikums dient, d. h. dem Diskurs der laikalen Ethik zugehört. Daß die Verfasser selbst ebenfalls dieser Bevölkerungsgruppe, für welche die Ehe als die übliche Lebensform vorausgesetzt werden kann, angehören, mag zwar die Transformation und Integration eines antiken Textes, der von der Ehe abrät, in einen Text, der zur Ehe rät, auch von der Autorseite her erklären - allerdings läßt sich daraus genausowenig eine allgemeine Ehefreundlichkeit ableiten wie bei den Klerikern des 12. Jahrhunderts eine allgemeine Ehefeindlichkeit. Das konstruktive Verfahren Platterbergers und Truchsess' ist dem Großschen insgesamt nahe verwandt: Zunächst präsentieren die beiden Verfasser kommentarlos die Argumente gegen die Ehe, danach legen sie deren Geltungsbereich fest und stellen ihnen Aussagen aus anderen Texten und damit auch anderen Kontexten gegenüber und funktionalisieren diese Aussagen derart argumentativ um, daß sich die Frage An uxor ducenda positiv beantworten läßt. Wieder ist weder das konstruktive Verfahren noch die resultierende Befürwortung der Ehe typischer Ausdruck einer Epoche, sondern einer bestimmten Redesituation: der Laienunterweisung, zu der eine positive Einnissec »Man sol nun wissen das adam wart geschaffen in eime acker der heisset damascenus Vß wendig des paradises. Vnd wart von got in das paradis gefürt. Aber daz wip wart in dem paradise geschaffen vs des mannes rippe die wile das er slieff«; Basel: Bernhart Richel 1476, Bl. l*-va. Anschließend folgt der Rippe-Topos, vgl. dazu den Beitrag von Rüdiger Schnell zur Frau als Gefährtin des Mannes in diesem Band. 178 Excerpta chronicarum (wie Anm. 166), Bl. 315 .
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Schätzung der Ehe seit langem gehört. Die Frage wäre allenfalls, weshalb gerade im 15. Jahrhundert die topische Frage An uxor ducenda in die deutsche Literatur aufgenommen wird, obwohl die sozial- und bildungsgeschichtlichen Voraussetzungen dafür bereits rund hundert Jahre früher erfüllt sein dürften.179 Bedenkt man, wie eng der Topos überlieferungsgeschichtlich mit dem dissuasiven Theophrast-Fragment und den molestiae nuptiarum zusammenhängt, so scheint einiges dafür zu sprechen, daß diese Materie unter anderem auch deshalb so spät in der volkssprachliche Literatur Aufnahme gefunden hat,180 weil sie sich für ein laikales Zielpublikum nicht eignet, jetzt aber, im Zuge einer zunehmenden Aufnahme und Verbreitung des tradierten Wissensgutes in die volkssprachliche Literatur ein Vorgang, der durchaus eine Eigendynamik entwickelt und einseitigkausal mit einem größeren literarischen Interesse und Selbstverständnis der Laienwelt kaum hinreichend zu erklären ist -, auch in die Literatur für Laien integriert wird. 4. Die sechste >Translatze< des Niklas von Wyle und die lateinische Vorlage Poggio Bracciolinis Mit der sechsten >Translatze< des Niklas von Wyle, die dieser 1463 dem Zürcher Ratsherrn Heinrich Effinger gewidmet hat,181 folgt der chronologisch nächste deutschsprachige Text, der auf den Topos An uxor ducenda zurückgreift. Diese Schrift ist allerdings keine eigenständige Bearbeitung des Topos, sondern eine fast wortgetreue Übersetzung des 1436 entstandenen >Dialogus an seni sit uxor ducenda< Poggio Bracciolinis. Es ist daher sinnvoll, zunächst den >Dialogus< zu beschreiben und danach zu zeigen, wie Niklas ihn trotz seiner Erklärung, »dise translaciones vf das genewest dem latin nach gesetzet« zu haben,182 verändert hat.
179
Vgl. etwa Ursula Peters: Literatur in der Stadt. Studien zu den sozialen Voraussetzungen und kulturellen Organisationsformen städtischer Literatur im 13. und 14. Jahrhundert. Tübingen 1983, S. 227ff. Entsprechend wird übrigens auch die in der klerikalen und monastischen Literatur vorherrschende, graduelle Höherwertigkeit der vita contemplativa gegenüber der vita activa erst im 15. Jahrhundert so richtig literarisch in Frage gestellt, vgl. etwa Kristeller (wie Anm. 97), bes. S. 138ff. Das tätige christliche Leben wurde freilich auch im Mittelalter stets hoch geschätzt und zumal von den neuen Mendikantenorden im 13. Jahrhundert klar favorisiert, vgl. Alois Haas: Die Beurteilung der Vita contemplativa und activa in der Dominikanermystik des 14. Jahrhunderts, in: Arbeit, Muße, Meditation (wie Anm. 97), S. 109-131, v. a. S. 112ff. 180 Die frühe Aufnahme der molestiae in den >Rosenroman< scheint eine Ausnahme zu sein, da der Topos auch in der französischen Literatur erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts breiter rezipiert wurde. 181 Translationen von Niclas von Wyle, hg. von Adelbert von Keller. Stuttgart 1861 (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 57), S. 123-144. Zu Widmung und Datierung s. ebd., S. 123,1-2 u. 127,31-32. 182 Translationen (wie Anm. 181), S. 8,20-21.
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Der >Dialogus an seni sit uxor ducendaAn vxor viro sapienti sit ducendaRing< oder dem Streitgespräch in der >Grisardis< als mit den klerikal-misogamen Texten des 12. bis 14. Jahrhunderts anbietet. Poggio widmet seinen >Dialogus< Cosimo de' Medici, hat ihn aber wohl in erster Linie pro domo verfaßt, denn die Titelfrage ist ganz auf den Verfasser selbst gemünzt, der kurz vor der Niederschrift als Sechsundfünfzigjähriger eine achtzehnjährige Frau geheiratet hat.186 Dennoch läßt Poggio die Frage im Grunde offen. Im Prolog erklärt er nämlich, er habe den Dialog zwischen Nicolaus Nicolus, dem Gegner, und Carolus Aretinus, dem Befürworter einer Heirat im Alter, niedergeschrieben, »turn propter hominum dignitatem, turn quia in sententiam meam conferre videbantur«.187 Der Dialog als Ganzes, nicht die Argumente eines einzelnen Redners, repräsentiert demnach Poggios Haltung.188 Er lehnt freilich die einseitige Auffassung jener ab,189 die glaubten, es sei unrecht, in hohem Alter noch zu heiraten - obwohl doch gerade alten Männern die »gubernandae domesticae rei prudentia« fehle und daher gewöhnlich die Hilfe der Frau nötig sei. Er habe zwar die Rede des Carolus nicht in voller Länge wiedergegeben, 183
Poggius Bracciolini: Opera omnia, Bd. 2, hg. von Riccardo Fubini. Turin 1966 (Nachdruck der Ausgabe Florenz 1823), S. 683-705. 184 Siehe unten Abschnitt V. 5., S. 216ff. 185 Seit Herrmann (wie Anm. 136), S. 314, wird immer wieder behauptet, die italienischen Humanisten hätten ein besonderes Interesse am Thema Ehe gehabt. Seltsamerweise kennt die Forschung außer einer Reihe von Hochzeitsreden lediglich Francesco Barbaras >De re uxoriaDella famiglia< und Poggios Dialog (Yost [wie Anm. 97], S. 153-155, erwähnt zwar auch noch Cino Rinuccini, Coluccio Salutati, Leonardo Bruni und Marsilio Ficino, doch haben sich diese nur am Rande zur Eheproblematik geäußert). Das Interesse der Humanisten an der Ehe scheint daher kaum größer als dasjenige früherer Gelehrter gewesen zu sein, vielmehr setzen die Humanisten lediglich andere Schwerpunkte. 185 Vgl. dazu Ernst Waiser: Poggius Florentinus. Leben und Werke. Leipzig, Berlin 1914, S. 160. 187 Dialogue (wie Anm. 183), S. 683. 188 Dies zeigt sich übrigens auch in dem drei Jahre älteren Briefwechsel mit Gasparino Barzizza (abgedruckt in Waiser [wie Anm. 186], S. 430-432), der Poggio eifrig und ganz nach dem Muster Theophrasts vor einer Heirat warnt (S. 430), worauf Poggio antwortet: »Non nego quippe dissuasiones tue mihi summopere placebant. Veras illas esse minime dubito, sed quam ob causam nuptam ducere voluerim accipe« (S. 432). Obwohl Poggio die Ehe verteidigt (unter der Voraussetzung freilich, daß man die richtige Frau auswählt), hält er auch die andere Sicht für bedenkenswert. 189 Poggio spielt dabei vermutlich auf seine Freunde an, die ihm prophezeit haben, er werde seine Heirat innerhalb eines Jahres bereuen; vgl. Waiser (wie Anm. 186), S. 164.
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glaube aber, dem Urteil des Nicolaus aliqua ex parte genug entgegengehalten zu haben.190 Poggio setzt sich also aus ökonomischen Gründen für das Heiraten im Alter und seine eigene Heirat ein, hat jedoch den >Dialogus< nicht als suasoria, sondern als argumentativ offenes Streitgespräch konzipiert. So überläßt er es denn im Prolog auch - gewiß nicht ohne Ironie - Cosimo zu entscheiden, welche von beiden Fähigkeiten ihn mehr überzeuge, die vis disputandi des Nicolaus oder die eloquenüa des Carolus.191 Der eigentliche Dialog ist ganz auf die Frage An seni uxor ducenda konzentriert, was sich schon darin zeigt, daß sich der Kontra-Redner Nicolaus nirgends grundsätzlich gegen die Ehe ausspricht. Ja, er lobt sogar Carolus als »novum maritum«, weil dieser sich in dem von Aristoteles dafür vorgesehenen Alter befinde.192 Nicolaus beginnt ganz ähnlich wie Petrus von Blois in seiner >Epistola ad R. amicum suum< mit dem Vorwurf an Poggio, es sei eine Torheit, so lange auf eine Ehefrau zu verzichten und frei zu sein und sich dann plötzlich in Unfreiheit zu begeben.193 Daraus ergibt sich ein höchst aufschlußreiches, kurzes Zwiegespräch zwischen Poggio und Nicolaus, in dem sich beide gegenseitig eine subjektive Argumentation vorwerfen. Zuerst bemerkt Poggio, Nicolaus beurteile die Menschen nach seiner eigenen Natur, fügt an, eine Ehefrau sei »maxime senibus perjucanda«, unter der Voraussetzung freilich, daß sie »dulcis« sei, und bekräftigt dies durch sein eigenes Beispiel. Daraufhin erwidert Nicolaus, Poggio habe ganz einfach Glück gehabt, eine »adolescentem optimis educatam moribus, tibi morigeram atque obsequentem« bekommen zu haben. Wir haben es hier sozusagen mit dem Ausnahmefall zu tun, für den sogar Theophrast eine Heirat empfiehlt. Doch sogleich bemerkt Nicolaus, er lobe zwar Poggios Heirat, wie es die Situation verlange, aber hier gehe es nicht um ihn, sondern darum, »quid tibi id aetatis dignum erat«, also um die nur altersmäßig spezifizierte quaestio infmita, nicht um die quaestio finita.194 Mit diesem Einschub gelingt es Poggio nicht nur, seine eigene Heirat zu loben, sondern auch auf die Relativität seiner eigenen Argumentation hinzuweisen ""Dialogus (wie Anm. 183), S. 683f. 191 Ebd., S. 684. Die Geste, die Beurteilung der unterschiedlichen Argumentationen dem Adressaten oder Leser zu überlassen, ist typisch für >humanistische< Dialoge, vgl. John F. Tinkler: Humanism and dialogue, in: Parergon 6 (1988) 197-214, hier S. 207. 192 Dialogus (wie Anm. 183), S. 686. Diesen Satz läßt Niklas von Wyle übrigens weg, weil - so wird man vermuten dürfen - sein Adressat diesem Alter nicht entspricht, s. unten. 193 Dialogus (wie Anm. 183), S. 686; vgl. Petrus von Blois: Epistola 79, PL 207,234B-C. 194 Dialogus (wie Anm. 183), S. 686f. Im >Ring< war es genau umgekehrt: Dort forderte die Ausgangssituation eine quaestio finita und nicht eine quaestio infmita. Die Begriffe quaestio finita und infmita benutzt vor allem Quintilian in der Institutio oratoria III 5,5-8, die erst von Poggio vollumfänglich wiederentdeckt wurde (vgl. oben Anm. 40). Im Mittelalter üblicher sind die Termini causa oder hypothesis für den finiten, quaestio oder thesis für den infiniten Fall (vgl. oben S. 198f. und Anm. I33f.).
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und dadurch zugleich die allgemeine Frage argumentativ offen zu halten. Ähnlich wie der >Ring< und die >Grisardis< problematisiert auch der >Dialogus< in spielerischer Weise das Verhältnis von Fragestellung, Redesituation und Argumentations weise. Die Unmöglichkeit einer allgemeingültigen Antwort ist bereits hier angedeutet. In seiner weiteren Rede benützt Nicolaus weitgehend die Aussagen des Theophrast oder äquivalente über die Sorgen des Mannes mit Frau, Kindern, Krankheit usw., nur daß er sie meist auf die Situation des Alters hin ausrichtet, etwa wenn er erörtert, weshalb zu einem alten Mann weder eine Jungfrau noch eine junge Witwe noch eine alte Witwe passe.195 Carolus argumentiert dagegen aristotelisch-naturphilosophisch und moraltheologisch, entsprechend etwa der Fürstenspiegel-Literatur: »Etenim maris et faeminae [sie!] conjunctionem ad conservationem orbis necessariam, natura ipsa instituit« oder »homo animal sit sociabile ad procreationem natum.«196 Er vertritt sogar als eine Art Zuspitzung des Ehezweckes der evitatio fornicationis die Ansicht, wer nicht heirate, »vel adulter vel fornicator evadet, aut alteri vitio detestabiliori involvetur«.197 So biete die Ehe die größte Freiheit, weil man in ihr befehle und frei von Sünden lebe.198 Den weitaus größten Teil seiner Rede setzt Carolus jedoch dafür ein, die Vorzüge des Alters vor der Jugend darzulegen und gegen Nicolaus nachzuweisen, daß sowohl eine Jungfrau als auch eine Witwe, egal welchen Alters, zu einem alten Mann passe.199 Wie Wittenwiler und Groß läßt auch Poggio zwei Aussagegruppen aus unterschiedlichen Traditionen und Kontexten im Rahmen einer allgemeinen Fragestellung aufeinanderstoßen: die molestiae nuptiarum aus der klerikalen Ethik und Gründe für die Ehe aus einer aristotelisch und moraltheologisch geprägten Laienethik. Doch wie im >Ring< folgt im >Dialogus< am Ende ironischerweise kein allgemeines (positives) Urteil, obwohl die Rede des Carolus für die Ehe diejenige seines Gegners an Länge weit übertrifft vielmehr erklärt Nicolaus eine Entscheidung für oder gegen die Ehe als individuell bedingt und weist auf den situationsgebundenen Charakter der Rede seines Kontrahenten hin: »Quilibet, inquit Nicolaus, suum appetitum sequatur, sua cuique sententia est. Haec vero a te arbitror dicta ut huic 195
Dialogus (wie Anm. 183), S. 688-690. Ebd., S. 691. Zu dieser Argumentation vgl. etwa Aegidius Romanus: De reg. princ. 11,1,7 (wie Anm. 54), S. 237-240: »Quod homo est naturaliter animal conjugale«. 197 Dialogus (wie Anm. 183), S. 692. Ähnlich sehen es später auch die Reformatoren, vgl. dazu den Beitrag von Helmut Puff in diesem Band. Zu den Ehezwecken s. Rudolf Weigand: Die Lehre der Kanonisten des 12. und 13. Jahrhunderts von den Ehezwekken, in: ders.: Liebe und Ehe im Mittelalter. Goldbach 1993, S. 3-36, oder zusammenfassend Hans-Günter Gruber: Christliches Eheverständnis im 15. Jahrhundert. Eine moraltheologische Untersuchung zur Ehelehre Dionysius' des Kartäusers. Regensburg 1989, S. 103ff. '"Dialogue (wie Anm. 183), S. 692. 199 Ebd., S. 693-704. 196
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nostro satisfacias. Voluisti, ut opinior, pro cibis verba reddere, ne illi aliquid deberes. Sed jam satis confabulati sumus.«200 Nicolaus' Schlußworte verleihen dem Streitgespräch einen ähnlichen Ausgang wie das Urteil Henritzens in Wittenwilers Ehedebatte: Die quaestio infinita, im Fall des >DialogusDialogusRing< resultiert indes aus dem >Dialogus< ein positives Ergebnis: Da Nicolaus die Rede des Carolus als situationsgebundenes Lob auf Poggio interpretiert, wird niemand anders als dieser selbst zum Spezialfall erklärt, der die scheinbare Regel der molestiae nuptiarum durchbricht. Der >Dialogus< erscheint so als witziger rhetorischargumentativer Text, in dem sich Poggio selbst Lob zusprechen kann, gerade weil er die Ausgangsfrage als im allgemeinen unbeantwortbar darstellt. Diese spielerische >AutorreferenzDialogus< eine ganz andere Funktion, indem er ihr eine längere Widmung an den eben verwitweten, sechzigjährigen Vetter Heinrich Effinger vorausschickt. Sie besteht zur Hauptsache aus einer typischen consolatio, die Niklas »nit von mir selbs, sunder des meren tails in geschriften etlicher hochgelerten mannen funden«. Mit der anschließenden Bemerkung: »Was aber nu fürohin lieber vetter dir zetun syg? dich in witwelichem stände zebelyben, oder dich ander werb [= ein weiteres Mal] zeuermecheln? das waisz ich nit«,202 macht er die rhetorisch-argumentative Frage Poggios zu einer konkreten Entscheidungsfrage für seinen Vetter. Niklas unterstreicht dies zusätzlich, indem er den >Dialogus< direkt auf Heinrich Effinger bezieht und folgendermaßen charakterisiert: 200
Ebd., S. 705. Mögen die Humanisten auch die quaestio infinita und mithin die dialektische Methode wieder vermehrt für moralphilosophische Bereiche des zivilen Lebens zugänglich gemacht haben (s. oben Anm. 134), so geschieht dies doch mit der eben beschriebenen Spannung, die zwischen der infiniten Fragestellung (ohne Kontext) und ihrer rhetorischen Bearbeitung (auf den Kontext hin) entsteht. Humanistische Disputationen können deshalb leicht zum bloßen Spiel der inventio werden - was durchaus nicht negativ verstanden sein will; vgl. dazu auch Tinkler (wie Anm. 191), S. 210f. 202 Translatze (wie Anm. 181), S. 126,20-22 bzw. 126,28-30. 201
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Ob aber dir alten numer zu sechtzig jären körnen gebürr zenemen ain eewyb vnd ob ain Jungfröwen oder ain witwen, oder ob ain alte glych dinen jären. oder ob dir bas in sölichem alter gebürr diser dingen zefyrren. ouch wie ain Junges eewybe von aim alten man gezogen vnd vnderwysen werden mug, vnd was liebe, gemachs vnd nutzes vsz der ee entspriesse vnd was laids vnd vngemachs ouch vnderwylen darvon erwachse vnd vil ander hocher sinnen von dem lobsamen hochgelerten man poggio florentino in costlichem latine vf form ainer rede vnd Widerrede gesetzet, Vnd von mir vmb diner liebe willen getütschet.203
Wyle reduziert somit den >Dialogus< weitgehend auf seinen Inhalt und transformiert allein durch die neue Redesituation ein argumentatives Streitgespräch in eine Art moraldidaktische Lehr- und Erbauungsschrift.204 Er scheint sogar dem Vetter die Möglichkeit einer neuen Heirat - wenn auch in erster Linie als Trost - nahelegen zu wollen. Dafür spricht nicht nur seine Bitte im Prolog, Heinrich möge ihn bei einer erneuten Hochzeit nicht übergehen,205 sondern auch zwei Änderungen am >Dialogus< selbst: Zum einen gibt er Poggios Ansicht, beide Redner »in sententiam meam conferre videbantur«, mit »danne die wort karols mine sine vnd mainung vf jnen trögent« wieder,206 d. h., er stellt Poggio auf die Seite des Ehebefürworters; zum anderen läßt er Nicolaus' Hinweis auf das von Aristoteles festgelegte, passende Heiratsalter einfach weg.207 Diese Änderungen geben dem >Dialogus< eine deutliche Richtung auf eine positive Antwort hin und dienen ebenfalls der neuen Redesituation, in die Wyle seine Übersetzung stellt. Man kann die sechste >Translatze< jedenfalls insgesamt als einen Versuch charakterisieren, einen spielerisch-argumentativen Text durch kontextuelle und kleine inhaltliche Veränderungen in eine moraldidaktische Trostund Erbauungsschrift umzuformen. In dieser Hinsicht ist sie dem >Ehebüchlein< Albrechts von Eyb verwandt, auch wenn Eyb anders verfährt als Wyle. 5. Das >Ehebüchlein< Albrechts von Eyb und seine lateinischen Vorlagen Mit dem >Ehebüchlein< Albrechts von Eyb treten wir nun scheinbar endgültig in den Bereich der (früh-)humanistischen Eheliteratur Deutschlands, für den es - sieht man von der eben besprochenen >Translatze< Wyles ab zugleich der einzige Vertreter ist. Diese seit Max Herrmann gängige geistesgeschichtliche Einordnung208 hätte spätestens mit der Studie von Joseph 203
Ebd., S. 127,10-20. Dennoch hat Dallapiazza (wie Anm. 132), S. 148, nicht ganz recht, wenn er feststellt, das eigentliche Thema des Dialogs sei »die Belehrung über die Ehe, das Haus und die Pflichten der Frau«. Für den lateinischen Text gilt dies gar nicht und für den deutschen nur insofern, als Wyle die lehrhaft-erbauliche Seite des Dialogs hervorhebt. 205 Translatze (wie Anm. 181), S. 127,23-25. 206 Ebd., S. 128,3-4. 207 Ebd., S. 129,12, und oben Anm. 192. 208 Siehe Herrmann (wie Anm. 136), passim. 204
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A. Hiller, die Eyb bereits im Titel provokativ als »medieval moralist« bezeichnet,209 zu eingehenderen Diskussionen über das >Ehebüchlein< und zu einem tieferen Verständnis dieses allerdings einzigartigen Werkes führen können. Die Forschung ist der Konfrontation mit Hiller und einer gründlicheren Auseinandersetzung mit Eybs Werk allerdings weitgehend ausgewichen.210 Bereits die Etikettierungen >mittelalterlich< und >humanistisch< kranken allerdings an der meist schwammigen Bedeutung der Begriffe in der EybForschung211 ebenso wie daran, daß eine klare Unterscheidung von Mittelalter und Renaissance/Humanismus ohnehin in vielen kulturellen Bereichen problematisch ist.212 Daher ist die Frage nach der literarhistorischen 209
Joseph Anthony Hiller: Albrecht von Eyb. Medieval moralist. Washington 1939, zum >Ehebüchlein< S. 112-156. 210 Weinacht (wie Anm. 9), S. Xf., scheint sich zwar dessen durchaus bewußt zu sein, umso bezeichnender ist sein kurzer, Beweisführung und Rezeption vermischender Kommentar zu Hiller (S. X): »Der Beweisführung Hillers ist in vielen Einzelaspekten zuzustimmen; im Gesamturteil blieb sie ohne Nachwirkung.« So faßt die Eyb-Forschung meist Leben und Werk des Autors zusammen, ohne sich mit dem »Gesamturteil« Hillers auseinanderzusetzen. In der Handbuchliteratur und den Vor- und Nachworten zu den Textausgaben mag dies zwar noch angehen; s. etwa Gerlinde Weber: Albrecht von Eyb. Ehebüchlein, in: Eberhard Dünninger, Dorothee Kiesselbach (Hgg.): Bayerische Literaturgeschichte in ausgewählten Beispielen. Mittelalter. München 1965, S. 384-396; Elisabeth Geck: Nachwort zu Albrecht von Eyb: Ehebüchlein. Faksimile der Originalausgabe von Anton Koberger, Nürnberg 1472. Wiesbaden 1966, S. 127-137; Gerhard Klecha: Art. Albrecht von Eyb, in: 2VL, Bd. l (1978), Sp. 180-186, sowie Eckhard Bernstein: Albrecht von Eyb, in: Stephan Fussel (Hg.): Deutsche Dichter der frühen Neuzeit. Berlin 1993, S. 96-110. Daß indes auch die wenigen Aufsätze zu Eyb kaum anderes enthalten, muß doch etwas nachdenklich stimmen: s. etwa William Melczer: Albrecht von Eyb (1420-1475) et les racines italiennes du premier humanisme allemand, in: L'humanisme allemand (1480-1540). Paris 1979, S. 31^14, sowie Werner Oehme: Zum Leben und Werk Albrechts von Eyb, in: Danielle Buschinger (Hg.): Sammlung - Deutung - Wertung. Stuttgart 1988, S. 271-280; detaillierter und ausgewogener Monika Fink-Lang: Das Ehebüchlein des Albrecht von Eyb, in: Volker Kapp, Frank-Rutger Hausmann (Hgg.): Nürnberg und Italien. Bewegungen, Einflüsse und Ideen. Tübingen 1991, S. 169-180. Auch die Arbeiten Dallapiazzas (wie Anm. 132), S. 131-143, und ders.: Spätmittelalterliche Ehedidaktik, in: Xenja von Ertzdorff, Marianne Wynn (Hgg.): Liebe, Ehe, Ehebruch in der Literatur des Mittelalters. Gießen 1984, S. 161-172, schließen die Lücke nicht. 211 So etwa bei Dallapiazza (wie Anm. 132), S. 132; vgl. dazu bestätigend Fink-Lang (wie Anm. 210), S. 176. Gerade die Haltung der Gelehrten gegenüber der Ehe eignet sich denkbar schlecht für eine geistesgeschichtliche Einordnung, wie die vorliegende Studie immer wieder zu zeigen versucht. 212 Vgl. etwa Paul Oskar Kristeller: Humanismus und Renaissance, Bd. 1. München 1973, S. 69ff., S. 87ff. und S. 112ff. Zum Epochenproblem s. auch Rüdiger Schnell: Mittelalter oder Neuzeit? Medizingeschichte und Literaturhistorie, in: ders. (Hg.): Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Heinz Rupp. Bern, Stuttgart 1989, 240ff. Dezidiert für die epistemologische Eigenständigkeit der Renaissance gegenüber >Mittelalter< und >Moderne< argumentiert dagegen Klaus W. Hempfer: Probleme traditioneller Bestimmungen des Renaissancebegriffs und die epistemologische >WendeEhebüchlein< vorerst der Beschreibung der diskursiven Struktur hintanzustellen. Zunächst seien jedoch die drei lateinischen Schriften Eybs zum Thema Frau und Ehe beschrieben, auf die er neben dem Material seiner >Margarita poetica< von 1459 im >Ehebüchlein< zurückgreift. Die erste dieser Schriften, die >Clarissimarum feminarum laudacio< von 1459,213 ist eine Bearbeitung und Erweiterung der in der >Margarita poetica< eingefügten siebzehnten oratio, die zu den Haupttugenden jeweils eine Reihe weiblicher Exempla anführt.214 Die >Laudacio< selbst widmet Albrecht seinem Vetter Sigismund, einem Eichstätter Domherren, und zwar offensichtlich nicht auf einen konkreten Anlaß hin, sondern ganz als rhetorische Übung, als Demonstration seiner in Italien erworbenen literarischen Kenntnisse und Fähigkeiten.215 So hat Eyb denn auch drei Tage später auf Wunsch der Eichstätter Domherren eine >Invectiva in lenam< verfaßt, die mit dem Tadel der unwürdigen Frauen das Gegenstück zur >Laudacio< darstellt.216 Beide Texte entsprechen ganz der mittelalterlichen Tradition von laudatio und vituperatio als den rhetorischen Grundmodi der moraldidaktischen Literatur und Poesie.217 Wieder nur wenig später, Anfang 1460, beendet Eyb schließlich das dritte der genannten Opuscula: >An vxor viro sapienti sit ducendaGrisardisExcerpta chronicarum< und Eybs >Ehebüchlein< definieren den Rahmen ihrer Streitgespräche oder Texte statt dessen ausdrücklich als politischen, historiographisch-laienethischen bzw. ökonomischen7·^1 und beantworten die Frage An uxor ducenda 291
Wobei das >Ehebüchlein< auch monastische (im Sinne von >individualethischeRosenromanquerelle des femmesEncomium Matrimonii< s. auch den Aufsatz von Katrin Graf: Ut suam quisque vult esse, im est in diesem Band. In der deutschen Literatur ist vor allem Hans Sachs zu nennen, dessen kleines Versgedicht >Ob einem weisen mann ein weib zu nemen sey oder nit< (Hans Sachs, Bd. 20, hg. von Adelbert von Keller u. Edmund Goetze. Stuttgart 1892, S. 526-531; die Folioausgabe: >Sehr Herzliche Schöne newe stück artlicher / gebundener / künstlicher ReimenCatalogus lucubrationum< von 1523 nachträglich zu beheben, indem er erklärt, er habe die Schrift für seinen Rhetorikschüler Guilhelmus Montovius verfaßt. ASD 1-5, S. 337. 9 Vgl. Thomas O. Sloane: Rhetorical education and two-sided argument, in: H. P. Plett (Hg.): Renaissance-Rhetorik. Berlin, New York 1993, S. 172. 10 Vgl. dazu den Aufsatz von Detlef Roth in diesem Band. " Dies zeigt auch die Rezeptionsgeschichte, vgl. Anm. 6, 8 und 18. 12 Auch in diesem Punkt versucht Erasmus später, das Neue in seiner Schrift zu relativieren. In der Anleitung zum Briefeschreiben fügt er dem Ehelob eine epistola dissuasoria an, in der Gegenargumente aufgeführt werden. ASD 1-2, S. 429^32. 8
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Kunstgriff ermöglicht wird: Dem Adressaten wird nämlich von seinen Freunden eine Braut vorgeschlagen, die alle weiblichen Vorzüge in sich vereinigt: »amicos summo consensu tibi puellam summo genere natam, forma praestanti, optime moratam, postremo tui amatissimam, summa cum dote obtulisse [.. .]«.13 Nicht einmal der Philosoph Theophrast, der berühmteste Ehefeind der Antike, hätte unter diesen idealen Voraussetzungen die Heirat eines Weisen abgelehnt. Das von Hieronymus überlieferte und in der mittelalterlichen mysogamen Literatur häufig rezipierte Theophrast-Fragment beginnt nämlich folgendermaßen: »Et cum defmisset, si pulchra esset, si bene morata, si honestis parentibus, si ipse sanus ac dives, sic sapientem aliquando inire matrimonium [...]«.'4 Theophrasts ehefeindlichen Argumente, die daran anschließen, gründen sich allein auf die Bemerkung, daß die erwähnten Vorzüge zu selten seien und deshalb der Weise nicht heiraten solle.15 Da aber alle diese Voraussetzungen in dem von Erasmus inszenierten Fall vorhanden sind, wird die Weigerung seines Adressaten zu heiraten von vornherein als die eines Weisen unwürdige Haltung diskreditiert. Deshalb sucht der besorgte Freund nach Gründen für dieses unphilosophische Verhalten: »nescio qua seu doloris impotentia, seu religione, ita celibatum decrevisse [...]« 16 und berührt dabei den Kern seiner Argumentation: Neben der übermäßigen Hingabe an den persönlichen Schmerz, die eventuell bei den schwächeren Frauen noch zu entschuldigen wäre,17 ist die religiöse Begründung der Ehelosigkeit eines weisen Mannes unwürdig. Damit wird der berühmteste Ehefeind der Antike, Theophrast, als ehefreundlicher als die >ReligionEncomium< polemisch gegen die christliche Ehefeindlichkeit eingesetzt, um dieser ihre philosophische Begründung zu entziehen. Das Lob der Lebensweise der Stoiker, die im >Encomium< als Verteidiger der Gelehrtenehe fungieren, ist für Erasmus untypisch. ASD 1-5, S. 392, Z. 116f.: »Nam si, ut Stoici homines acutissimi disputant, recte vivere, est naturae ductum sequi, quid tarn naturae consentaneum quam matrimonium?« Dagegen wird die Haltung des Hieronymus als unorthodox dargestellt. ASD 1-5, S. 404, Z. 236ff.: »Neque vero mini clam est, magnis volumnibus priscorum patrum decantatas virginitates laudes, quorum Hieronymus adeo miratur eam, ut non multum absit a contumelia matrimonii et ab episcopis orthodoxis ad palinodiam invitaretur.« Ironischerweise ist Erasmus von seilen der Theologischen Fakultät in Paris das gleiche zugestoßen wie Hieronymus von seilen der »orthodoxen Bischöfe«! Der Satz wurde folgendermaßen kommenliert: »Haec proposilio in sanclum Hieronymum iniuriam esl.« Ibidem, S. 405. Zur theologischen Kontroverse um das >Encomium< vgl. Jean Claude Margolins Einteilung in: ASD 1-5, S. 370ff. Für eine detailliertere Diskussion vgl. Emile V. Teile: Erasme et le T sacrement. Genf 1954, S. 127ff.; ders.: Le Chevalier de 14
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Bei der zweiten Stelle handelt es sich um die Zurückweisung eines fingierten Einwands des Rezipienten, der innerhalb des Ehelobs die traditionelle misogyne Argumentation vermißt: At minime me fugit quid inter haec obmurmures. Beata res est coniugium, si omnia secunda eveniant, sed quid si morosa contingat uxor? quid si impudica? quid si liberi impii proveniant? Occurrent animo tuo exempla eorum quibus coniugium exitium attulerit?19
Dieser Einwand folgt auf das Lob der ehelichen Liebe, die einzige Stelle, an der über die Ehefrau gesprochen wird. Die Ehe wird hier als die intensivste emotionale menschliche Gemeinschaft gepriesen. Die Ehefrau wird sich im Glück mit ihrem Mann freuen und ihm im Unglück tröstend und helfend zur Seite stehen. Sie ist auch während der Abwesenheit des Mannes völlig auf ihn bezogen und sehnt sich nach ihm. Frau und Kinder bringen Liebe und vertreiben dem Mann die unmenschliche Einsamkeit. Im Alter wird der Ehemann in seinen Nachkommen verjüngt weiterleben.20 Die auf Genesis 2,18 zurückgehende Charakterisierung der Frau als socia und adiutorium des Mannes stellt die Gemeinschaft der Eheleute der paradiesischen Urgesellschaft zur Seite, in der die Frau um des Mannes willen geschaffen wurde. Der Einwand des fiktiven Zuhörers, es gebe auch widerspenstige Frauen und respektlose Kinder, wird damit beantwortet, daß der Mann für die Wahl und die Erziehung der Frau die Verantwortung trage, und um diese Aufgabe nicht zu schwer erscheinen zu lassen, folgt eine Aufzählung vorbildlicher Ehefrauen der Antike. Eine perfekte Ehefrau wird also als das Produkt männlicher Anstrengungen bezeichnet. Während die traditionelle Argumentation für und gegen die Ehe bei der Frau vom Mann unabhängige Eigenschaften und Verhaltensweisen angenommen hatte,21 setzt Erasmus eine weit größere Kontrolle des Ehemanns über seine Familie voraus, denn das hier entworfene Familienidyll basiert auf der vollständigen Abhängigkeit der Frau vom Mann. Erasmus' Ehelob konstruiert somit kein positiveres Frauenbild als die klerikale Tradition, die die Frage An viro sapienti uxor sit ducenda negativ beantwortet hat, sondern einen Perspektivenwechsel, indem er die Frage für eine naturrechtlich-theologisch argumentierende Polemik gegen den Berquin: Declamation des louenges de manage [1525]. Genf 1976, S. I sqq. Dagegen nimmt Erasmus in den späteren Schriften über die Ehe, in denen die Zölibatsdiskussion nicht mehr im Zentrum steht, eine epikureische Haltung ein. Vgl. Katrin Graf: Eine epikureische Affektenlehre in Erasmus' von Rotterdam Chrisüani Matrimonii Institutio von 1526, in: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 20/2 (1996) 57-73. Vgl. auch das Colloquium >Epicuraeus< von 1533, in dem der Epikureer Hedonius die christliche Ehe lobt. ASD 1-3, S. 731, Z. 407ff. l9 ASDI-5, S.410, Z. 320ff. 20 ASD 1-5, S. 406, Z. 270ff. 21 So entwirft das ganze Theophrast-Fragment das (schreckliche!) Bild einer unabhängigen Ehefrau, die sich von ihrem Mann nichts vorschreiben läßt und nur das tut, was ihr paßt. Das gleiche gilt für viele mysogame Argumente seiner Nachfolger.
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Zölibat benutzt, der als unmoralisch, nämlich als das Laster des Geizes (avaritia), beschrieben wird: »Quid enim eo nomine odiosius, qui tanquam sibi uni natus, sibi vivat, sibi quaereat, sibi parcat, sibi sumptum facial, neminem amet, ametur a nemine?«22 Unter dem Deckmantel einer vertrauten Spielerei wird hier Politik unter Männern gemacht; dabei wird die Funktion der Frauen auf die in Genesis 2,18 genannte eingeschränkt. Der weise Ehemann - denn kein anderer wird in diesem Text thematisiert23 - soll es als Garant der göttlichen Ordnung übernehmen, die Frau nach seinen Sitten zu formen und damit die paradiesische Urgesellschaft wiederherzustellen.
Das >ConjugiumEncomium< entworfene Eheideal nur in einer ganz bestimmten idealen Situation, die im >Encomium< gegeben ist, zu verwirklichen ist, stellt Erasmus im Colloquium >Conjugium< dar. Mit diesem Gespräch zwischen zwei Ehefrauen, der >wohlredenden< Eulalia und Xanthippe, knüpft er sozusagen an den Einwand seines heiratsunwilligen Freundes an, es gebe auch schlechte Frauen, indem er die zänkische Xanthippe auftreten läßt, deren Name das abschreckendste Beispiel einer Gelehrtenehe evoziert. Das >Conjugium< erschien bei Proben zum ersten Mal im August 1523 in den >Familiarium colloquiorum formulaeProci et puellaeVirgo misogamosVirgo poenitens< und >ConjugiumEncomium matrimoniiColloquia< tre22
ASD 1-5, S. 408, Z. 285ff. Nur ein einziges Mal, bei der Aufzählung tugendhafter Ehefrauen der Antike, wird ein unvollkommener Ehemann erwähnt; der Erzähler fragt, warum sein Adressat nur an schlechte Frauen denkt und nicht z. B. an die Ehefrau des Alcestis: »Cur non Alcestis non optimi mariti coniunx optima?« 24 Während das erste das richtige Verhalten von Mann und Frau bei der Brautwerbung illustriert, geht es im zweiten und dritten darum, daß es für ein junges Mädchen besser sei zu heiraten als Nonne zu werden. Das vierte, ein Gespräch zweier Ehefrauen, illustriert innereheliche Konflikte und ihre mögliche Lösung. 25 »[...] ad linguam puerilem expoliendam utiles, verum etiam ad vitam instituendam [...].« Eine solche Verwendung ist mehrfach belegt. 1526 erschien sogar ein Kommentar für den Schulgebrauch. Franz Bierlaire: Un livre du maitre au 16e siecle: Erasme explique par Hegendorf, in: Quaerendo II/3 (1972) 200-220. 23
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ten hier aus der Sphäre des Schülerlebens heraus, eine Tendenz, die 1523 noch verstärkt wird, u. a. durch das Hinzufügen der vier Gespräche über Probleme der Ehe.26 Als ob er diese neue Tendenz der >ColloquiaColloquia< betont. Diese erste Widmung wird ein Jahr später noch durch eine zweite, erweiterte ersetzt, in der der Autor den großen Erfolg betont, den sein Buch im Lateinunterricht gehabt habe, und Erasmius noch eindringlicher ermahnt, die schönen Erwartungen, die seine Erzieher in ihn setzen, nicht zu enttäuschen. Es erstaunt nicht, daß Erasmius Proben sich nicht sonderlich für die >Colloquia< zu interessieren schien. Nicht nur er, sondern auch die Theologen der Sorbonne waren der Meinung, die >Colloquia< seien keine geeignete Kinderlektüre. Gleicher Meinung waren die Protestanten: Martin Luther wollte sie in der Schule verbieten lassen, und sämtliche zeitgenössischen Übersetzer wandten sich ausschließlich an ein erwachsenes Publikum.27 Aber Erasmus ließ sich nicht beirren: In der Schrift >De utilitate colloquiarum< von 1526 verteidigt er gegenüber der Zensur hartnäckig den pädagogischen Nutzen der >Colloquia< als Schullektüre; dabei sagt er über das >ConjugiumMempsigamos< quam multa surrt philosophica, de celandis maritorum vitiis, de non interrumpenda coniugium benevolentia, de sarciendis offensis, de corrigendis maritorum moribus, de obsequiis erga maritos [...].28
Aus der Formulierung geht allerdings hervor, daß es sich bei den hier angesprochenen Schülern um Ehefrauen handeln muß. Erasmus scheint sich hier selbst zu widersprechen. Ähnlich wie bei der nachträglichen Einbindung des >Encomium Matrimonii< in einen explizit schulrhetorischen Zusammenhang- er hatte es als Exemplum in seine Anleitung zum B rief schreiben eingefügt29 - scheint es sich bei der Bezeichnung der >Colloquia< als Schullektüre um eine literarische Fiktion zu handeln, die zum Inhalt der Texte nicht recht paßt. Auch 26
Vgl. Aloys Bömer: Die lateinischen Schülergespräche der Humanisten. Erster Teil. Amsterdam 1966 (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1897), S. 87-89. 27 Martin Luther: »Die weil man auch jtzt den Kindern jnn den Schulen pfleget die Colloquia Erasmi, jnn welchen viel ist, das die junge und unberichte gemüet Gottlos wesen unterweiset, Der wegen soll man verbieten daßelbige Buch und andere der gleichen jnn Schulen zulesen.«; in: Vorrede zum »Ratschlag eines Ausschusses etlicher Kardinale an Papst Paulo III.« 1538. WA, Bd. 50, S. 304, Z. 7-11. Zu den deutschen Übersetzungen der >Colloquia< vgl. meinen folgenden Aufsatz in diesem Sammelband. 28 ASD 1-3, De utilitate colloquiorum ad lectorem, S. 745, Z. 151 ff. 29 Vgl. Anm. 6.
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können zahlreiche Anspielungen auf berühmte Zeitgenossen, aktuelle politische und religiöse Fragen von Kindern gar nicht verstanden werden. Das gleiche gilt für die kunstvollen Sprachwitze. Schon der Titel, der die Gespräche als familiaria bezeichnet, spricht ein Lesepublikum an, das über den traditionellen Schulunterricht für Knaben hinausgeht.30 Auch im >Encomium< hatte Erasmus einen familiären Ton angeschlagen. Bedingungen dafür waren Freundschaft, gleiche Bildung und gleiches Geschlecht der Briefpartner, dazu kam noch die Vertrautheit mit den verwandtschaftlichen Verhältnissen. Dagegen inzseniert Erasmus in den >Colloquia< eine familiaritas zwischen Ungleichen, indem er die Dialoge als Schullektüre propagiert. Daß diese familiaritas nicht nur im den Knaben vorbehaltenen Schulraum, sondern auch in der Gelehrtenfamilie herrschen soll, legen nicht nur >Colloquia< wie >Abbas et eruditaEpithalanium Petri Aegidii< nahe,32 sondern läßt sich auch im >Conjugium< nachweisen, wo Eulalia, >die wohlredendeConjugium< erscheint.34 Der erfolgreiche Kultivierungsprozeß einer >wildenEncomium Moriae< an Morus. 34 Zu den Männerlastern vgl. unten S. 243. 35 Vgl. dagegen Pia Holenstein: Der Ehediskurs der Renaissance in Fischarts Geschichtklitterung. Bern 1991, S. 236. Holenstein beschreibt die Erziehungsmethode des Thomas Morus als »grobe Übertragung der Utopie (d. h. der Erziehungslehren von Xenophon und Alberti) in die Realität« und die Widerspenstigkeit seiner Frau als Reaktion auf den brutalen Druck, unter den ihr Mann sie setzt. Holenstein vernachlässigt
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Stellung einer ehelichen Auseinandersetzung im >ConjugiumEncomiurru vom Ehemann verlangt hatte. Die Idee der Frauenbildung hatte Erasmus von Moms übernommen, dem es gelungen war, Schule und Familie zu vereinigen, und der den in seinem Haus lebenden männlichen und weiblichen Familien- und Freundeskreis brieflich mit tota schola anredete. Die familiäre Schule des Morus, die den pädagogischen Ruhm des Hausherrn und Lehrers speziell für die Förderung der Töchter begründete, verwirklichte ein Lebens- und Bildungsideal, das in seiner Vorbildlichkeit eigentlich am Fürstenhof von einem gebildeten Herrscherpaar hätte vorgelebt werden müssen.36 In den >Colloquia< erweitert Erasmus den gelehrten Freundeskreis in diesem Sinne, indem er Frauen und Kinder, nämlich die unter einem Dach zusammenlebenden familiäres, miteinbezieht.37 Erasmus' Übernahme des Ideals dieser neuen, von Morus vorgelebten Einheit von Schule und Familie erklärt die oben aufgezeigte scheinbare Diskrepanz zwischen Inhalt und Verwendungszweck der >Colloquia FamiliariaColloquia< ist. Setzt man die Verwendung der >Colloquia< im Rahmen des traditionellen Lateinunterrichts voraus, so können die beiden Ehefrauen Eulalia und Xanthippe jungen, männlichen Lateinschülern nicht als Exempel für vorbildliches Verhalten in der Ehe vorgeführt werden. Der pädagogische Nutdabei, daß es sich bei der Beschreibung des wilden, selbstzerstörerischen Verhaltens der jungen Frau, die weint und mit dem Kopf gegen den Fußboden schlägt, nicht um einen Erfahrungsbericht handelt, sondern um eine künstlerische Inszenierung der Frauenerziehung, die den Erfolg der Gelehrtenehe beweisen soll, indem die beiden Partner möglichst gegensätzlich geschildert werden. Solch ein wilder Widerstand gegen das Studium wäre bei einem männlichen Schüler normalerweise mit Schlägen geahndet worden. Wie J. Ong (wie Anm. 30) dargestellt hat, haben die meisten Humanisten Schulbildung und Abhärtung zu >männlichem< Verhalten als eine Einheit aufgefaßt. Unter dieser Perspektive erscheint das Verhalten des Morus als ungewöhnlich menschlich, umso mehr als die Lektüre zeitgenössischer Ehetraktate zeigt, daß die Meinung, der Mann dürfe seine Frau schlagen, nicht selten war. 36 Berthold Hinz: Holbeins Schola Thomae Mori von 1527, in: Heide Wunder, Christina Vanja (Hgg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Frankfurt a. M. 1991, S. 84-87. Heinrich VIII. und Katharina von Aragon hätten von der Bildung her diese Voraussetzungen erfüllt, und in seiner Widmungsvorrede der >Institutio Matrimonii< betont Erasmus die Vorbildfunktion Katharinas für Ehefrauen. Erasmus von Rotterdam: Opera omnia, Bd. 5. Leiden 1704, Nachdruck Hildesheim 1962 [LB V], Sp. 614f. 37 Hinz (wie Anm. 36), S. 74f„ 77f. und 85, Anm. 30. 18 ASD 1-3, S. 307, Z. 228: »Talium maritorum non minus rara est copia, quam alborum corvorum.«
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zen des Dialogs liegt vielmehr in dem, was die Schüler über die Ehemänner zu hören bekommen, und das ist in der Tat wenig Schmeichelhaftes. Erasmus' Inszenierung erinnert an den Ausspruch Luthers, der sich in seinem >Sermon vom ehelichen Leben< gegen ehefeindliche Literatur >blinder Heiden < folgendermaßen äußert: Ich halt auch, wenn die Weiber sollten Bücher schreiben, so würden sie von Männern auch dergleichen schreiben. Was sie aber nicht geschrieben haben, das richten sie doch aus mit Klagen und Klaffen, wenn sie beieinander sind.39
Der Reiz des >Conjugium< für Lateinschüler liegt also darin, daß hier eine Perspektive auf die Männer thematisiert wird, die beim Studium klassischer Literatur traditionellerweise nicht berücksichtigt wird. >Was die Weiber schreiben würdenPsychomachia< sehr beliebte Darstellung moralischer Konflikte der Seele. Daß Erasmus die Beschreibung seelischer Konflikte auf eheliche Auseinandersetzungen überträgt, entspricht der traditionellen Definition der ehelichen Gemeinschaft als »eine Seele und ein Körper«.43 Aber während bei Prudentius der Kampf der christlichen Tugenden gegen die Laster als militärische Auseinandersetzung zwischen Allegorien geschildert wird, bei der die Laster von den jungfräulichen Tugenden aufs grausamste massakriert werden,44 lehnt Eulalia diese stoische, militante Tugend ausdrücklich ab. Als Xanthippe ihr beschreibt, wie sie sich gegen Schläge von seilen ihres betrunkenen Mannes wehrt: »Imo vicissim ego corripebam tripodem; si contigisset me digito, sensisset mihi non deesse manus«, macht Eulalia sie lächerlich, da sie die Rollen der Geschlechter nicht respektiert: »Novum clypei genus. Deerat colus lanceae vice.«45 Xanthippe dagegen bezeichnet ihr kämpferisches Verhalten als dasjenige einer virago, einer Frau mit männlicher Tugend. Hier stoßen zwei verschiedene Tu42
Zum Epikureismus in der Ehelehre des Erasmus vgl. Katrin Graf (wie Anm. 18). Vgl. Erasmus von Rotterdam: Christiani Matrimonii Institutio, LB V (wie Anm. 36), Sp. 617C. 44 Die Pudicitia durchbohrt die Kehle der Libido mit blossem Schwert (Z. 44ff.); die schwergepanzerte Patientia treibt Ira in den Selbstmord (Z. 149ff.); Humilitas köpft die Vanitas (Z. 278ff.), usw. Prudentius: Psychomachia. Lat.-franz., hg. von Maurice Lavarenne. Paris 1948. 45 ASD 1-3, S. 302, Z. 48ff. 43
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gendideale aufeinander; für Xanthippe ist virtus, entsprechend der mittelalterlichen Etymologie des Wortes, an männliches Verhalten gebunden, Eulalias Vorschläge für Konfliktlösungen dagegen stützen sich nicht auf die stoische Tradition der >PsychomachiaAbbas et erudita< dargestellt, dessen Ziel es ist, den unkultivierten Abt lächerlich zu machen. 63 ASD 1-3, S. 303, Z. 83f. Erasmus selbst hat die Ehescheidung sowohl in den >Annotationes< zu l Cor 7 als auch in der >Institutio< befürwortet; Erasmus' Annotations in the New Testament. Acts, Romans, I and II Corinthians: Facsimile of the final Latin text with all earlier variants, hg. von Anne Reeve, Michael Andrew Screech. Leiden 1990 (Reprint der Ausgabe von Basel: Proben 1535), S. 467ff. LB V (wie Anm. 36), Sp. 651. Eine detaillierte Darstellung von Erasmus' Haltung in der Frage der Ehescheidung findet sich bei E. V. Teile (1954) (wie Anm. 18), S. 349ff. 64 ASD 1-3, S. 311, Z. 371 f. 62
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te.65 Betrachtet man die Lebensweise dieses berühmten Ehemannes und Philosophen, der sich Tag und Nacht in einer reinen Männergesellschaft herumtrieb, für die neben der Philosophie Wein und Gesang keine seltenen Vergnügungen waren, so können Xanthippes Invektiven als Kritik an einem philosophisch begründeten Lebensideal interpretiert werden, für das Ehe und Familie keine Rolle spielen.66 In diesem Fall gewinnt die Aufforderung Eulalias an Xanthippe, ihren Mann zusammen mit seinen Kumpanen in ihrem Haus gastfreundlich aufzunehmen und sich am geselligen Zusammensein zu beteiligen, eine unerwartete Konnotation; denn auch hier könnte es sich um das Ideal der philosophischen familiarilas im Sinne des Thomas Morus handeln. Statt sich auf dem Marktplatz herumzutreiben, soll Sokrates seine philosophischen Gespräche im Familienkreise führen! Und wenn er zur Laute greift, soll Xanthippe mitsingen. Die anzustrebende Eintracht der Eheleute wird nicht als Dialog dargestellt, sondern als musikalische Harmonie, ein traditionelles Bild für vollkommene Liebe.67 Daß dabei die musikalische Rollenverteilung kein Zufall ist und die weibliche Singstimme als die stärker erotisch konnotierte sich der männlichen, rationaleren Instrumentalmusik anzupassen hat,68 steht im >Conjugium< in komischem Gegensatz zu Xanthippes Einschätzung der musikalischen Fähigkeiten ihres Mannes: »Aliquot arripit testudinem, in qua vix tres habet fides; earn quantum potest pulsans, mihi vociferanti 65
Ähnlich drastisch wie Erasmus hier die Laster des Sokrates schildert, wird mit Aristoteles in der zeitgenössischen Druckgraphik verfahren, in der das Aristoteles-Phyllis-Motiv sich einer überaus großen Beliebtheit erfreut. Dabei ist auffällig, daß in der deutschen Graphik die Bestialität des Philosophen besonders drastisch geschildert wird. Vgl. Lucien Braun: Iconographie et Philosophie. Straßburg 1994, S. 387-396. Im >Conjugium< wird die Identifikation von Xanthippes Ehemann mit Sokrates allerdings dadurch etwas abgeschwächt, daß Xanthippe ihn ganz am Anfang des Gesprächs einmal »Nicolaus« nennt. ASD 1-5, S. 301, Z. 16. 66 Auch in der >Institutio matrimonii< kommt der Ehemann Sokrates nicht gut weg. LB V (wie Anm. 36), Sp. 660A: »Stultissimum autem fuerit, studio male moratam uxorem domum ducere, quae tuam patientiam exerceat: quemadmodum a Socrate fectum legimus, qui, cum duas haberet uxores morosas et intractabiles, demirantibus amicis quamobrem eas ferret, more suo respondit, se domi discere tolerantiam, quae foris esset utendum. Et fortasse Socrates non in hoc duxerat: illud tarnen mirandum, hominem Philosophum vel non delegisse sibi dociles, vel non instituisse quemadmodum opportuit [...]«. Erasmus hat die Schrift Katharina von Aragon gewidmet, der ersten Gemahlin Heinrichs VIII. Die Ermahnung zur Einehe war gegenüber Heinrich VIII. nicht ganz fehl am Platz. 67 Nancy Ann Jones: The medieval female lyric: The poetics of gender and genre. Ph.D. Brown University 1984 (University Microfilms International 1986), S. 70. 68 In der >Institutio Matrimonii< braucht Erasmus das Bild der musikalischen Harmonie, bei der der Frau die Singstimme zufällt, um die Ehefrau zur Anpassung an ihren Mann zu ermahnen: »Triste jugum est, non conjugium, ubi dissidium est animorum: et inamabilis cantio est, quae non habet harmoniam.« LB V (wie Anm. 36), Sp. 654E. Zur zunehmenden Erotisierung und Verdächtigung der weiblichen Singstimme in der Musiktheorie des Mittelalters vgl. Jones (wie Anm. 67), S. 63ff.
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obstrepit.«69 Ähnlich wie bei der oben dargestellten weiblichen persuasio im Bild des Venusgürtels, wird hier ein literarischer Topos, der die Hierarchie der Geschlechter festgelegt hat, auf eine überraschende Weise relativen, denn offensichtlich ist die Qualität der musikalischen Darbietung ihres Ehemanns von derjenigen Xanthippes abhängig. Ähnlich wie bei der Venusgürtelstelle wird hier der weiblichen, erotisch konnotierten Stimme eine kultivierende Kraft zugeschrieben.
Die >Institutio matrimoniiConjugium< Ehefrauen als Erzieherinnen und Ehemänner als zu Erziehende im Vordergrund, so dreht sich dieses Verhältnis in Erasmus' umfangreichster Eheschrift, der >Christiani matrimonii institutio< radikal um. Mit dieser Schrift, die er 1526 der englischen Königin Katharina von Aragon widmet, wendet Erasmus sich explizit an eine politische Öffentlichkeit. In der Widmung betont er, daß es sich um ein Auftragswerk handle. Er habe die Schrift auf Drängen des Hofpräfekten Guilbertus Montovius verfaßt, den die Königin offensichtlich beauftragt hatte, eine Eheschrift bei Erasmus zu bestellen. Erasmus' ehemaliger Lateinschüler Montovius, dem dieser das >Encomium Matrimonii< gewidmet hat, hatte Erasmus bei seinem ersten Englandaufenthalt am englischen Hof eingeführt. Montovius war Prinzenerzieher Heinrichs VIII. gewesen.70 Die Schrift wurde 1526 dreimal gedruckt.71 Erasmus ordnete sie später in den 5. Band der Gesamtausgabe seiner Schriften ein, der die adpietatem pertinentes enthält, nämlich pastorale, moraldidaktische Literatur. Erasmus schreibt hier als Theologe, der zu einer christlichen Lebensweise anleitet. Die >Institutio< befindet sich ungefähr in der Mitte des Bands zwischen zwei Schriften, die den Jungfrauenstand betreffen (Wirginis et martyris comparatioEpistola consolatoria ad virgines sacrasDe viduaInstitutioEncomium< und beim >Conjugium< haben wir es hier mit einer offensichtlichen Diskrepanz zwischen der Präsentation der Schrift durch den Autor und ihrem tatsächlichen Inhalt zu tun. Während Einordnung ins Gesamtwerk und Widmung die >Institutio< als moraltheologischen Traktat kennzeichnen, der sich an Frauen richtet, behandelt der Inhalt zu einem großen Teil juristisch und theologisch brisante Themen, die sich an eine politisch handelnde Oberschicht, also an Männer wenden. Außer der Widmung enthält die Schrift nur sehr selten direkte Anreden an Frauen. Im Gegensatz zu den Männern werden sie nicht als politisch Handelnde angesprochen, sondern fungieren lediglich als Mitleserinnen. Trotzdem illustriert die >InstitutioConjugium< dargestellt wurde, wird somit von vornherein ausgeschlossen; es wird hier ein eindeutig hierarchisches Lehrverhältnis zwischen einem gebildeten Ehemann und seiner völlig ungebildeten Frau inszeniert, die anhand von Predigten die Grundbegriffe der Rhetorik und der christlichen Philosophie lernen soll. Alle Faktoren, die eine solche Hierarchie in Frage stellen könnten, werden heruntergespielt. So rät der Autor wohlhabenden Familien zwar, junge Mädchen griechische und lateinische Literatur studieren zu lassen,76 aber eine ausführliche 73
LB V, Sp. 690F: »Jam institutio conjugis ut plurimum adfert momenti ad conglutinandam caritatem, ita magna ex parte viris in manu est.« 74 LB V, Sp. 690F. 75 LB V, Sp. 690F. 76 LB V, Sp. 691 A, 716D.
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Schilderung des Schulunterrichts und der Lehrerwahl, wie dies für die Knabenerziehung der Fall ist, gibt es in der >Institutio< nicht. Denn ein zu starkes Insistieren auf der Mädchenbildung würde ja den Unterricht durch den Ehemann als überflüssig erscheinen lassen und seine geistige Überlegenheit eventuell sogar in Frage stellen. Als nächstes wird Frauenbildung ohne männliche Kontrolle als minderwertig diffamiert, indem sie mit der Unfähigkeit der Frau verglichen wird, ohne den Samen des Mannes zu gebären: Muliebre corpus nihil praeclari gignit, nisi maritus semen generosum indiderit: et si quid gignit, informe quiddam est, e corruptis humoribus concretum, medici molas vocant. Id multo periculosius accidit in animis foeminarum, nisi vir saluberrimas opiniones, veluti semen efficax instillarit, unde mox pullulabit honestissimus virtutum proventus, pietatis, sobrietatis, pudicitiae, modestiae.77
Die Körpermetaphorik wird nicht umgekehrt, die Zeugungsunfähigkeit des Mannes ohne die Frau wird nicht thematisiert. Die Metaphern des Zeugens und des Gebarens spielen aber bei der Formulierung des Ziels der Frauenbildung eine entscheidende Rolle. Dieses besteht nämlich darin, daß die Eheleute miteinander über religiöse Themen sprechen können, wodurch nach Erasmus die eheliche Liebe gefestigt wird und was zugleich das Zeugen von geistigen Kindern bewirkt. Eine solche Liebe bezeichnet der Autor als »neuer Cupido«. Die geistliche Mutterschaft der Frau - das Werk ihres Ehemannes - die im Gegensatz zur körperlichen mit dem Alter zunimmt, wird über die körperliche Mutterschaft der trojanischen Königin Hecuba gestellt, die ihre zahlreichen Kinder im Krieg verlor.78 Erasmus verwischt im folgenden den Eindruck, daß diese Art von ehelicher Liebe (caritas) mit einer Beziehung zwischen Gleichen etwas zu tun haben könnte, im Gegenteil, er preist sie dem Ehemann als Garantie für seine absolute Herrschaft über die Frau an, indem er die Liebe der Frau zu ihrem Erzieher folgendermaßen beschreibt: »Jamque incipet non solum diligere ut Maritum, sed suscipere ut Praeceptorem, revereri ut Patrem: aut ut Christianius dicam, Deum in marito venerari.« Und um die Dankbarkeit der Frau noch überzeugender darzustellen, legt er ihr Lobpreisungen ihres Mannes in den Mund: »O me felicem quae in talem maritum inciderim! Qualis eram futura bellua, nisi hie institutor obtigisset?«79 Wir sind hier meilenweit von der widerspenstigen Reaktion der jungen Frau des Thomas 77
LB V, Sp. 691D-E. LB V, Sp. 691 D: »[...] ut uxor quod audivit, viro communicet, vir vicissim uxori. Hoc pacto fructus cognitionis duplicabitur non absque sancta confabulationis voluptate.« Ibidem, 691 f.: »Hie novo Cupidini cedet ille vulgaris amor, neque in magna felicitate ponet, quod opera mariti mater facta sit. Agnoscet se debere conjugi longe meliorem foecunditatem, quae non consenescit aetate, sed annorum accessione magis efflorescit. Inter fortunatas numeratur Hecuba, Regina erat Ilii, complurium ac praestantium liberorum parens. Haec omnia debebat marito Priamo. Sed quid? fortuna in diversum commutata, prae doloris impotentia versa dicitur in canem.« 79 LB V, Sp. 691 E. 78
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Morus entfernt! Etwas weiter fingiert der Autor eine noch überschwenglichere Verehrung der gelehrigen Ehefrau, in der sie dem Mann die Rolle eines Priesters zuschreibt, der sie vom Aberglauben, laut Erasmus ein typisches Frauenlaster,80 geheilt hat: Tuis monitis ex bestia facta sum homo, ex imbecilli fortis & intrepida, ex Pharasaea vere Christiana. Rideo magnorum praestigias, non examinor ad Solis defectus, tonitrua seu terrae motus, docta haec naturalibus causis proficisci. Pro secundis pariter atque adversis gratias ago Deo, sciens ab illo immittit ille. Sedulo quidem adnitor ut omnibus bene faciam, nee patior Dei gratiam in me vacuam esse. Caeterum, nee in factis, nee in meritis meis pono spem salutis, sed in immensa misericordia Domini Jesu, qui sibi toto pectore fidentes non destituet. Itaque ne vitae me taedet, et alacris supremum exspecto diem. Haec qui me docuit, an non Numinis habendus est loco?81
Die Vorteile, die einen Ehemann erwarten, der seine Frau erzieht, sind also immens: Er kommt in den Genuß einer quasi göttlichen Verehrung von Seiten seiner Frau. Aber auch rein praktische Erwägungen läßt Erasmus nicht außer acht, wenn es um die Motivation des Mannes geht, seine Frau zu unterrichten! Als ein weiterer Vorteil häuslicher Lektüre wird dem Ehemann geschildert, daß seine Frau durch das Studieren jegliches Interesse an sozialem Kontakt verlieren und somit auch dem schädlichen Einfluß anderer Frauen entzogen wird: »[...] ut dulcius judicet immussare libris, quam itare ad choreas, ad licentiosa tumultuosaque convivia: cursitare ad conciliabula loquacium muliercularum, unde nulla quantumvis proba matrona non redit deterior domum.«82 Erasmus propagiert hier Frauenbildung als das genaue Gegenteil von Frauenemanzipation, nämlich als die völlige Ausgrenzung der Frau aus der Gesellschaft und ihre vollständige Unterwerfung unter die gottähnliche Autorität ihres Mannes.83 Der humanistisch gebildete Ehemann entzieht sie allen anderen Gesellschaftskreisen, in denen seine Autorität nicht unbeschränkt ist. Die Frage, was eine gebildete Frau außer in den Gesprächen mit ihrem Mann mit ihrem Wissen konkret anfangen könnte, stellt Erasmus nirgends. Ihre Bildung scheint weder eine literarische noch eine soziale Tätigkeit zur Folge zu haben. In der ganzen >Institutio< werden nur Tätigkeiten der Frau innerhalb des Haushalts thematisiert und selbst bei der Beschreibung ihrer Pflichten als Hausherrin wird ihr keinerlei Selbständigkeit eingeräumt. In seiner Interpretation des Bildes des Phidias von der Venus auf der Schildkröte, behauptet Erasmus, daß es für eine Hausfrau löblich sei zu schwei80
Vgl. LB V, Sp. 659C. LB V, Sp. 692A-B. 82 LB V, Sp. 692C. 83 Das gleiche Resultat der Ehefrauenerziehung, allerdings weniger ausführlich formuliert, beschreibt Erasmus bereits in seinem Brief an Guillaume Bude von 1521, der die Bildung der Töchter des Thomas Morus schildert; Opus Epistolarum Des. Erasmi Roterodami, hg. von P. Allen u.a., Bd. 4. Oxford 1906-1958, Ep. 1233, S. 579, Z. 126f.: »Magisque veretur maritum uxor quem agnoscit et praeceptorem.« 81
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gen und das Haus zu verwalten.84 Die Aufforderung zu schweigen wird im folgenden präzisiert, indem er das Schweigegebot als die sprachliche Unterwerfung unter die Autorität ihres Mannes definiert: Non vox adimitur uxori, sed clamor, sed loquacitas: et si qua seria sunt, rectius ea praecipiet uxor voce mariti quam sua. Sie enim majore cum auctoritate loquetur: quemadmodum faciunt, qui per praeconem graviere sono loquuntur quam si loquerentur ipsi.85
Das hier geforderte Sprachverhalten der Frau entspricht demjenigen, das als weibliche Reaktion auf den männlichen Schulunterricht vorgeführt wird. Hier wie dort soll die Sprache der Ehefrau dazu dienen, die Autorität ihres Mannes zu festigen. Die einseitige Lehrfunktion des Mannes, die die eheliche Hierarchie zementiert, zieht sich durch den ganzen Text. Erasmus wird nicht müde, die eheliche Hierarchie unter dem Hinweis auf die Autorität des Paulus immer und immer wieder zu betonen.86 An einem einzigen Beispiel soll belegt werden, auf welche Weise Erasmus die einseitige eheliche Hierarchie in der >Institutio< dennoch problematisiert: Bei der Behandlung der Frage, ob eine Ehefrau auch einem gottlosen Ehemann gehorchen soll, betont Erasmus ausdrücklich, daß sie auch in diesem Fall ihren Mann nicht belehren soll, nicht etwa mit der Begründung, dies sei unrecht, sondern mit dem pragmatischen Hinweis, daß dies nutzlos sei, da der Mann es nicht dulden würde.87 Daß es die Gottlosigkeit des Mannes ist, die ihn der Rede seiner Frau gegenüber taub macht, verdeutlicht Erasmus im folgenden: »Quod uxor praestat Ethnico Marito, idem praestandum iis qui nihil habent Christianitatis praeter Baptismum.« Die Sitten der Frau seien eine wirkungsvollere Rede. Den Erfolg einer solchen Erziehung stellt der Autor aber sogleich in Frage: Novi ipse tales aliquot viros, qui professi sunt se salutem animarum suarum debere conjugibus. Et rursus novi, quos uxores nullis obsequiis, nulla tolerantia, nullis lacrymis ab impura vita revocare potuerunt.88
Während Erasmus den Erfolg der Männererziehung vom Einzelfall abhängig macht, stellt er den Erfolg der Frauenbildung nie in Frage. Im Gegensatz zu der problematisierenden Darstellung der Erziehung des Mannes durch die Frau, wirkt die viel ausführlichere der Frauenbildung vereinfachend und übertrieben typisiert. Es geht Erasmus hier offensichtlich um die Propagierung eines Ideals, nämlich die Frauenerziehung als oberste christliche Pflicht des Ehemannes darzustellen, d. h., sie theologisch zu fundieren. Dabei kann ihm die Autorität des Paulus nicht genügen, der zwar die 84
LB V, Sp. 695D: »Significabat autern ille vir prudens, duabus in rebus potissimum esse sitam laudem matrisfamilias, in silentio & cura rei domesticae.« 85 LB V, Sp. 695E-F. 86 So z. B. LB V, Sp. 672CD, 673E, 675D, 685F, 688B, 694F, 701D-F, usw. 87 LB V, Sp. 704E: »Non ferret Markus Uxorem docentem, sed hujus vita sermo est efficacior.« 88 LB V, Sp. 704E.
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Unterwerfung der Ehefrau unter ihren Mann als Vertreter Gottes fordert, vom Mann aber nicht verlangt, daß diese Hierarchie durch die Bildung der Frau hergestellt wird. Diesen Aspekt hat Erasmus aus Lorenzo Vallas Dialog >De voluptate ac de vero bono< übernommen, in dessen drittem Buch der epikureische Christ die Schöpfungsgeschichte auf eine ungewöhnliche Weise erzählt. Sie fängt nämlich mit der Erschaffung Evas an: Ut in libris Moysi dicit Deus: »Non est bonum hominem esse solum, faciamus ei adiutorium simile sibi.« In quo, licet de femina dictum sit, tarnen de viro quoque accipiendum est. Ut enim marito uxor, ita maritus uxori adiutorium est. Et item ceteri homines inter se, in quibus constat ratio caritatis.89
Die Erschaffung des Menschen wird hier erst im Augenblick der Erschaffung der Urgesellschaft thematisiert. Diese Urgesellschaft ist die Ehe, Archetyp aller affektiven zwischenmenschlichen Beziehungen (caritas). Das Exempel des Architas illustriert im folgenden die Trostlosigkeit des Alleineseins für den Mann: Wenn jemand in den Himmel aufsteigen und die Schönheit der Natur und der Sterne wahrnehmen könnte und niemanden hätte, dem er diese Dinge erzählen könnte, wäre ihm die Bewunderung der Schöpfung kein Vergnügen (insuavitas).90 Bona Dei renarrare und communicare werden als die ursprünglichsten männlichen Bedürfnisse dargestellt, und erst durch die Sprache nimmt der Mann vollen Anteil an den göttlichen Gütern der Natur. Seine Bewunderung der Schöpfung ist zugleich der Ursprung der Kommunikation und des Gottesdienstes. Beides wurde am Anfang der Welt in der Ehe zwischen Adam und Eva zum ersten Mal realisiert. Der Christ wandelt hier eine Stelle aus der >Metaphysik< des Aristoteles ab. Es geht dort um die Einteilung und Hierarchie der Künste, unter denen die Metaphysik den ersten Rang einnimmt. Sie allein ist göttliches Wissen und hat ihren Ursprung in der Bewunderung der Natur und der Entstehung des Universums.91 Aus der Perspektive des Christen bei Valla wird die >göttliche Wissenschaft also in der Ehe realisiert. Adam war zugleich Theologe und Ehemann. Erasmus hat die Auffassung des epikureischen Christen von der Ehe als Ort der göttlichen Wissenschaft übernommen. Durch seinen Vergleich des religiösen Lehrgesprächs zwischen Mann und Frau mit einer sexuellen Metaphorik, die dem Mann allein die Zeugungskraft zuschreibt, hält er an der geistigen Vorherrschaft des Mannes auf eine ähnliche Weise fest wie Valla in seinem Architas-Exempel. Neu bei beiden ist die Auffassung der religiösen Unvollkommenheit des Mannes ohne die Ehefrau. 89
Lorenzo Valla: De voluptate ac de vero bono, hg. von Maristella de Panizza Lorch. Bari 1970, lib. III. cap. XVII, S. 118, Z. 38^2. 90 Valla (wie Anm. 89), S. 118f. 91 Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 21954 ( 947), S. 224f.
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Schlußfolgerung Die Darstellung der innerehelichen Erziehung in Erasmus' Eheschriften ist von der jeweils literarisch inszenierten Situation und von dem angesprochenen Publikum abhängig. Wenn es sich, wie im >Encomium MatrimoniiConjugiumEncomium< wird auch hier die Erziehbarkeit der Frau nicht in Frage gestellt, dafür diejenige des Mannes. Dies war im >EncomiumConjugium< ist es möglich, weil eine weibliche Perspektive fingiert wird und weil das angesprochene Publikum nicht aus einer literarisch gebildeten Elite besteht. Anders als im >Encomium< läßt sich aus dem Dialog eine Geschlechterkonstruktion ableiten, die gleiche Tugenden bei Mann und Frau voraussetzt. Wird die Sexualität im >Encomium< nur aus der Sicht des Mannes thematisiert, so schreibt das >Conjugium< der erotischen Anziehungskraft der Frau eine der männlichen Erziehungsfunktion gleichwertige kultivierende Bedeutung zu. Was die Inszenierung einer weiblichen Perspektive und eines inoffiziellen, vertraulichen Rahmens im >Conjugium< möglich gemacht hat, nämlich die schonungslose Darstellung der Schwächen der Ehemänner, ist in der >Institutio matrimonii< unmöglich. Hier handelt es sich um eine offizielle politische Stellungnahme zur Ehe, d. h. Erasmus richtet sich nicht an Gleichgestellte oder Unterlegene, sondern an die männlich dominierte Öffentlichkeit der Mächtigen, deren Überlegenheit der Autor nicht in Frage zu stellen hat. Um die erzieherische Aufgabe des Ehemannes möglichst unproblematisch darzustellen, wählt Erasmus deshalb eine stark typisierte Situation, diejenige eines gebildeten Ehemannes, der ein vollkommen ungebildetes junges Mädchen heiratet. Daß die gewählte Situation keine allgemeine Gültigkeit hat, deutet der Autor ironisch an, und die emphatische Schilderung des Erfolgs der vorgeschlagenen Erziehungsmethode überläßt er einer fiktiven Frauenstimme. Die Ehefrau, die ihren Ehemann in alle Himmel hebt, bedankt sich für dessen theologische Erziehung. Auf den ersten Blick scheint sie somit eine völlig andere Funktion zu erfüllen als Eulalia, die sich über die lasterhaften Seiten der Männer keine Illusionen macht. Erst die Berücksichtigung der epikureischen Begründung von Erasmus' Ehelehre macht deutlich, daß bei-
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de Ehefrauen ein von Lorenzo Valla inspiriertes Lebensideal vertreten, in dem die Erotik und der religiöse Dialog zwischen den Eheleuten zur voluptas, dem wahren Gut gehören. Erasmus verzichtet nie auf den männlichen Überlegenheitsgestus, wenn er sich direkt an Ehemänner wendet, er schildert ihnen die Frauen als formbar und anpassungsfähig; es handelt sich um seine Methode der persuasio zur Frauenerziehung.92 Aber diese Analyse hat gezeigt, daß Erasmus Frauen als Vertreterinnen seines epikureischen Eheideals einsetzt.
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Vgl. Sherry B. Ortner: Is female to male as nature is to culture?, in: Michelle Zimbalist Rosaldo, Louise Lamphene (Hgg.): Women, culture and society. Stanford/California 1974, S. 67-87. Ortners Ansatz, die Unterordnung der Frau unter den Mann, die sie als universales Phänomen auffaßt, als die Auffassung von der Minderwertigkeit der Natur gegenüber der Kultur zu interpretieren, geht von einem modernen Naturbegriff aus, der für die Theologie des 16. Jahrhunderts nicht relevant ist. Für Erasmus bedeutet Natur entweder Unzivilisiertheit, was auf beide Geschlechter zutreffen kann, oder aber die göttliche, vollkommene Schöpfung, die durch die männliche Zeugungskraft nachgeahmt werden soll. Die Überlegenheit des Mannes wird bei Erasmus also mit der göttlichen Natur begründet, nicht mit der Dichotomic von weiblicher Natur und männlicher Kultur.
Katrin Graf
Der Dialog >Conjugium< des Erasmus von Rotterdam in den deutschen Übersetzungen des 16. Jahrhunderts
Von allen Schriften des Erasmus, die sich mit der Ehe befassen, hat das >Conjugium< die größte Verbreitung in deutscher Sprache erfahren; ja es handelt sich um das meistübersetzte Colloquium des Erasmus im 16. Jahrhundert.1 In ihrem Aufsatz über die Übersetzung des >Conjugium< von Michael Huter hat Irmgard Bezzel die bis 1549 erschienenen deutschen Übersetzungen vorgestellt und einige davon kurz charakterisiert.2 Dabei hat sie die in Leipzig bei Michael Blum gedruckte Übersetzung, die undatiert und anonym erschienen ist, nicht berücksichtigt. Sie muß zwischen 1529 und 1539 entstanden sein.3 Außerdem wurde die Übernahme von Huters Übersetzung in Fischarts >Ehzuchtbüchlin< von 1578 bisher nicht besprochen. Bezzel hat die frauenfeindliche Tendenz der Übersetzungen Michael Huters und Erasmus Alberus' hervorgehoben.4 Eine vergleichende Darstellung des Geschlechterverhältnisses in den verschiedenen Übersetzungen, wie sie im folgenden unternommen werden soll, ist jedoch bisher ausgeblieben.5 Im Dialog >Conjugium< wird der Ehefrau eine erzieherische Funktion zugeschrieben, die in den beiden anderen Eheschriften des Erasmus, dem >Encomium< und der >Christiani matrimonii institution nicht behandelt wird: Im >Conjugium< kann die weise Ehefrau ihren Mann aufgrund ihrer erotischen Anziehungskraft erziehen, die das Pendant bildet zur männlichen persuasio. Die weibliche Erziehung durch Verführung steht somit der männlichen durch das Wort gegenüber.6 Daß eine solche Darstellung, die ' Vgl. Heinz Holeczek: Erasmus von Rotterdam und die volkssprachliche Rezeption seiner Schriften, in: Zeitschrift für historische Forschung 11 (1984) 129-163; ders.: Erasmus von Rotterdam, in: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 3, hg. von Walter Killy. München 1989, S. 279. 2 Irmgard Bezzel: Das Colloquium >Uxor mempsigamos sive conjugium< des Erasmus von Rotterdam in der deutschen Übersetzung Michael Huters von 1536, in: Gutenberg-Jahrbuch 64 (1989) 142-148. 3 Vgl. unten S. 261. Vgl. Holeczek (wie Anm. 1), S. 148, Anm. 48: »Als Erscheinungsjahr der vier Gespräche wurde das Jahr 1535 erschlossen.« 4 Bezzel (wie Anm. 2), S. 146f. 5 Meine Untersuchung stützt sich auf die von Prof. Heinz Holeczek gesammelten Übersetzungen, die er mir für diese Arbeit, die ohne seine freundliche Hilfe nicht zustande gekommen wäre, großzügig zur Verfügung gestellt hat. 6 Vgl. dazu meinen Aufsatz in diesem Band: Ut suam quisque vult esse, ita est. Die
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die Hierarchie der Geschlechter zwar nicht aufhebt, den Frauen aber eine bedeutende Rolle in der Kultivierung der Männer einräumt, vom angesprochenden Publikum abhängt, habe ich anderswo erläutert.7 Denn im Gegensatz zum >Encomium< und der >InstitutioColloquia< auch Frauen und Kinder in seinen Leserkreis mit ein. Dagegen richten sich eine Reihe der deutschen Übersetzungen des Dialogs ausschließlich an die Ehefrauen; nur die Hälfte der insgesamt acht Übersetzungen sprechen auch die Ehemänner als Lesepublikum an. Diese Interpretation des >Conjugium< als Frauenerziehungsschrift - eine Auffassung, die Erasmus fremd war, in dessen Eheschriften die Frauen nie direkt angesprochen werden8 - führt uns zur Frage, inwiefern das Geschlechterverhältnis in den deutschen Fassungen verändert wird, wenn Männer aus dem Leserkreis ausgeschlossen werden, und ob sich die Darstellung des Geschlechterverhältnisses in diesen Übersetzungen unterscheiden läßt von denjenigen, in denen sich der Text an beide Eheleute richtet.
Das >Conjugium< als Frauenlektüre 1523 hat Erasmus das >Conjugium< zusammen mit anderen Dialogen zum Thema der Ehe erstmals in die >Colloquia< aufgenommen. Ein Jahr später wurde es bereits zweimal übersetzt. 1524 erschien der Dialog als Einzeldruck bei Heinrich Steiner in Augsburg unter dem Titel: Wie ain weib Iren man ir freundtlich soll machen, gesprech: Eulalia und Xantippen. Durch Herr Erasmum von Rotterdam neulich jn Latein außgangen. Der gleiche Text erschien in demselben Jahr, mit leichten Anpassungen an die lokalen Dialekte, bei Jakob Schmidt in Speyer und bei Schürers Erben in Straßburg.9 Der anonyme Übersetzer hat sich genau an das lateinische Original gehalten: Es geht ihm um die Vermittlung von Erasmus' Werk, das er im Titel als praktische Lebenslehre für Ehefrauen bezeichnet. Diese werden hier als Trägerinnen eines optimistischen, innerweltlichen Erziehungs- und Lebensideals angesprochen. Der Begriff der Freundlichkeit, der bereits im Titel fällt, drückt die anzustrebende Lebenshaltung der Eheleute aus. So wird der bei Erasmus als humanissimus bezeichnete ideale Ehemann Thomas Morus mit »gantz freuntsälig« übersetzt, eine Interpretation, die Gelehrtenehe als Frauenerziehung. Drei Eheschriften des Erasmus von Rotterdam (1518-1526). 7 Graf (wie Anm. 6). 8 Eine Ausnahme bildet die kurze Widmungsvorrede der >Christiani matrimonii institutio< an Katharina von England, wo Erasmus allerdings nicht auf das Ehethema zu sprechen kommt. Erasmus von Rotterdam: Opera omnia, Bd. 5. Leiden 1704, Nachdruck Hildesheim 1962 [LB V], Sp. 613ff. 9 Bezzel (wie Anm. 2), S. 143.
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Erasmus' Auffassung entspricht, der seinen Gegnern häufig Mangel an Freundlichkeit vorgeworfen hat. Weder der religiöse noch der politische Aspekt der Ehe werden hervorgehoben. Die einzige Kürzung in der Übersetzung betrifft Xanthippes erste >Liebesnacht< mit ihrem Gatten, deren Schilderung der Übersetzer offensichtlich als unschicklich erachtet: »Er überkam mich allain / und fieng an mit mir zu scherzen / wayß nit was weiter gsach.« Bei Erasmus weiß Xanthippe das besser: »Forte solam nactus coepit alludere titillans anxillas ac latera, quo me pervocaret ad risum. Ego non ferens titillationem me resupinabam in lectum, ille incumbens figebat oscula [...].«'° Die Tendenz, das offene Sprechen über Sexualität in diesem Gespräch durch Euphemismen zu ersetzen oder ganz auszulassen, verstärkt sich in der Folgezeit, vor allem in den Schriften, die sich an Frauen richten. Eine spätere anonyme Übersetzung erscheint bei Michael Blum in Leipzig unter dem Titel: Aus des hochlobüchen Herren D. Erasmen von Rotterdam Colloquijs / vier gesprech/ Als nemlich / Ein Freyer und ein Meydlein/Ein unehliche Ee / Ein böses Weyb / und eyn Evangelitreger / gedeutschet. '' Der anonyme Übersetzer präsentiert Erasmus als den »gelehrtesten und klügsten Mann Deutschlands« und verschweigt dessen religiöse Position. Vorreden, erklärende Randglossen und belehrende Einführungen machen auf den Bildungswert der Gespräche aufmerksam, deren Autor als »hochloblich« oder »hochgelehrt und weytberömpt« gepriesen wird. Der Abschnitt aus >De utilitate colloquiorumEvangeliphorusColloquium< in dieser Ausgabe, das nichts mit dem Ehethema zu tun hat, aber dessen antilutheranische Tendenz unschwer zu erkennen ist. Daraus läßt sich schließen, daß das Büchlein sicher vor 1539, als Leipzig protestantisch wurde, erschienen ist. Als terminus post quern ist das Jahr 1529 anzusetzen, da der Drucker Michael Blum 1527 Leipzig wegen des Druckes von Luthers Schrift >Von der neuen Wandlung eynes Christlichen lebens< verlassen mußte und erst Ende 1529 wieder zurückkehrte. Darauf war er für die >katholische Richtung< tätig,12 wofür die vier >Colloquia< ein Beispiel sind. Die Anonymität der Übersetzung deutet darauf hin, daß die Präsentation von Erasmus' Eheschriften in Leipzig nicht ungefährlich gewesen sein muß. Im Gegensatz zu den drei anderen Gesprächen, die sich an ein männliches Lesepublikum richten, werden in der gereimten >SummaConjugium< um eine Lektüre für »fromme Eheweiber« handle. Die Namen der Protagonistinnen werden in Barbara und Agatha umgewandelt. Die Männer verschwinden hier ganz aus dem Blickfeld, was sich daran zeigt, daß von den außerehelichen sexuellen Beziehungen der Männer kaum mehr die Rede ist. So ist Barbaras Mann zwar lasterhaft, aber kein Ehebrecher: »Aber nichts desto weniger schlemmet vnd prast/ der fromme und karge Mann / gegen seinem Weibe / weidlich auff das meine / bringet es durch mit Doppeln / Spielen / schlemmen / vnd temmen.«27 Bei Meynert hat Barbara zwar Kinder, daß ihr Mann sie aber vor der Ehe sozusagen vergewaltigt hat, wird ausgelassen.28 Dafür erhält der Schluß des Dialogs Anweisungen Agathas an Barbara, wie sie den Haushalt zu führen habe: »Jetzt hab ichs gesaget / sine / das es daheime alles reiniglich stehe / damit nicht etwas sey / das jn aus dem Hause jagen konte [.. .].«29 Aber nicht nur die männliche, sondern auch die weibliche Sexualität wird tabuisiert. So unterdrückt Meynert die Anweisung Eulalias an Xanthippe, ihre erotische Anziehungskraft als Heilmittel einzusetzen, die aus den >Praecepta< des Plutarch stammt:
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Meynert, Bl. J 2v-3r. Bei Erasmus, S. 302, Z. 29, heißt es: »[...] vino, scortis, alea«. ASDI-3, S. 311, Z. 354ff. 29 Meynert, Bl. K &\ 28
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Sed ut ad rem redeam: qui versantur in priscis fabulis poetarum, narrant Venerem (earn faciunt deam praesidem) habere cestum arte Vulcani confectum. In eo intextum esse quicquid est amatorii medicamenti. Eo se cingit, quoties congressura est cum marito.30
Eulalias ausführliche Beschreibung weiblicher Verführungskunst als wirksames pädagogisches Mittel wird bei Meynert auf einen einzigen Satz reduziert: »Es ist kein ding dadurch der Mann mehr zu lieb vnd gunst gereitzet wird/ dann feine hofliche Geberde/ freundligkeit vnd frommigkeit.«31 Das Ideal der Frömmigkeit ersetzt bei Meynert dasjenige der Bildung. Die Leserinnen werden auf eine einzige Funktion reduziert, nämlich auf ihre Rolle als Ehefrau. Es wird kein anderes Bedürfnis bei ihnen vorausgesetzt. Alle Passagen, die eine antike Herkunft verraten und deshalb nicht mit der alltäglichen Realität übereinstimmen, werden eliminiert, so z. B. auch Naturvergleiche, die aus Plutarch stammen. Meynerts Übersetzung steht somit in deutlichem Kontrast zu Draches Ehetafel, in der gerade die Popularisierung antiker Quellen vorherrscht. Es könnte sein, daß die Zusammenstellung des >Conjugium< und der >Ehetafel< auf die Initiative des Pollicarius zurückzuführen ist, der, vielleicht ähnlich wie Fischart, die beiden Werke unter dem Aspekt der christlichen Plutarchrezeption ausgewählt hat.
Das >Conjugium< als Lektüre für beide Eheleute 1524 erscheint bei Joseph Klug in Wittenberg die Übersetzung Stephan Rodts unter dem Titel: Eyn gesprech zwayer Ehelicher weyber/ die eyne der ändern vber den man klagt/ von Erasmo Roterodamo lateynisch beschrieben / allen eheleutten / zu mercklichem nutz vnd frommen / gedeutschet. Sie enthält eine an den Bürgermeister von Zwickau, Hermann Mühlpfordt, adressierte Vorrede des Übersetzers.32 Der ehemalige Zwickauer Schulleiter Rodt, der nach dem Besuch von Theologievorlesungen in Wittenberg ab 1524 als lutheranischer Hilfsprediger tätig war und im gleichen Jahr geheiratet hatte, wendet sich in seiner Vorrede ausdrücklich an die Ehemänner und -frauen. Der Dialog zeige »wie vngeschlyffene / grobe menner / darzu ungezogene / halstorrige weyber / zu eym friedlichem leben zu bringen sind«.33 Die Behandlung des Ehethemas begründet er mit seiner eigenen Erfahrung, »wie der Teufel viel Unglücks und hertzenleydt / vnder 30
ASDI-3, S. 310, Z. 307ff. Meynert, Bl. K 4V. 32 Es existieren eine weitere Ausgabe von 1525 bei Martin Landsberg in Leipzig und eine niederdeutsche Übersetzung von 1527 bei Hans Arndes in Lübeck, vgl. Holeczek (wie Anm. 1), S. 148. 33 Vorrede, Bl. A . 31
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den ehelichen anrieht«.34 Er befürwortet die Heirat der Geistlichen und lehnt die sexuelle Begierde als Motiv für eine Eheschließung ab, die er als typisch für die (katholischen) Geistlichen und die Adligen bezeichnet: Es sind ettliche / auch vnter den Fürsten / Herrn vnd grossen bansen / die doch vorstendiger / weyser / kluger seyn sollten / denn der gemäyne man / den nichts so vbel gefeit (das sie yhe ettwas an Gottes wercken zu taddeln vnd zu lestem haben) denn das Mönche/ Pfaffen vnd Nonnen/ ehelich werden/ geben für/ sie thuens aus lautier furwitz vnd fleyschlicher lust halben / die armen / blinden / tollen leutte.35
Er stellt die Ehe, »Gottes werck«, als Alternative zu Klosterleben und Hurerei dar, die er, lutherischen Positionen entsprechend, als negative Gegenbilder zum Eheleben charakterisiert.36 Die Ehe wird als Mühsal des gemeinen Mannes geschildert, das >Conjugium< als Hilfe zur innerehelichen Konfliktlösung angeboten. Der Betrachtung der Ehe als religiöse und politische Einrichtung entspricht die Einbeziehung nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer als Leser. Rodts Übersetzung ist genau, ohne Auslassungen und Zusätze. Oft übersetzt er ein lateinisches Wort mit zwei deutschen. 1539 erscheint das >Ehbüchlin< des lutheranischen Theologen Erasmus Alberus: Ein gesprech zweyer weiber/ mit namen Agatha vnd Barbara/ vnd sunst mancherley vom Ehestand / Eheleuten / vnnd jederman nützlich zulesen / An die Durchleuchtige Hochgeborne Fürstin / Fraw Catharina geborne Hertzogin von Braunschweig / Marggraffin zu Brandenburg, etc., das eine weite Verbreitung erfuhr. Dem Dialog ist Alberus' Übersetzung eines Auszugs aus der Schrift des venezianischen Humanisten Francesco Barbara >De re uxoria< angehängt.37 Der Übersetzer richtet sich in seiner Vorrede in belehrendem Predigerton an die Adressatin und faßt die lutheranische Ehelehre kurz zusammen. Dabei betont er nicht den politischen Aspekt der Ehe, sondern ausschließlich den theologischen: Der Eheteufel, worunter er vor allem den Ehebruch versteht, ist sein Hauptthema. Obwohl die Schrift an eine Frau adressiert ist, bezeichnet Alberus sowohl im Titel als auch in der Vorrede die »Eheleute« und »jederman« als Lesepublikum, auch empfiehlt er sich am Schluß der Vorrede dem Ehemann der Adressatin: Es hat wol mein G. Herr und Fürst / Herr Johans Marggraff zu Brandenburg etc. E. F. G. gemahl / vnnd E. F. G. vmb mich verdient / das ich seine oder E. F. G. mit einem grosseren verehret / Weil ich aber vff diß mal nichts bessere hab / so versehe ich mich untertheniglich gegen M. G. H. und E. F. G. [...].38 34
Vorrede, Bl. A . Zu Stephan Rodt vgl. ADB, Bd. 53. Leipzig 1907, S. 567ff. Rodt, Bl. A T. 36 Die gleiche Polemik ist in Erasmus Alberus' Vorrede zum >Ehbüchlin< vorhanden, vgl. Bl. D 3V. 37 Frankfurt (Christian Egenolff). Zu den zahlreichen Ausgaben des 16. Jahrhunderts vgl. Bezzel (wie Anm. 2), S. 147. 38 Alberus, Bl. A 3V. 35
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In seiner Vorrede beschreibt Alberus sein Übersetzungskonzept: Es hats ein Hochgelerter man mit namen Erasmus vonn Roterdam zu latein geschriben / welchs ich verteutscht hab / aber nit aller dingen wie es vonn jhm geschriben ist / sonder den Eheleuten zu gut / Vnterweiln etwas außgelassen / vnterweilen etwas darzu gesetzt/ dann das Ehleut vnsern Herrn Gott sollen anruffen etc. das steht nicht im lateinischen Dialogo / Widerumb hab ich etwas außgelassen / das für züchtige ohm vnd sonnderlich für Jungfrawen nicht all zu wol klingen wolt.39
Von allen Übersetzern hat Erasmus Alberus das >Conjugium< am stärksten verändert. In seinen zum Teil recht umfangreichen Zusätzen fügt er christliche Quellen über die Ehe in den Dialog ein, so z. B. das Exempel von Augustins Mutter40 als Vorbild für eine geduldige Ehefrau. Neben den Zusätzen, die sich nur an Frauen richten, stehen auch solche, die beide Eheleute betreffen. Wo die Eulalia des >Conjugium< sagt, Christus habe die Ehescheidung befürwortet,41 ersetzt Alberus die Stelle durch eine Moralpredigt, die beide Eheleute zu gegenseitiger Nachsicht aufruft und von Mt 19,6 ausgeht: Nun es sei dir lieb oder leyd / so hats Gott selbst also geordenet / wie dann der Priester auch für der Kirchen spricht / Was Gott zusamen fügt / das sol niemand scheyden / Weil dem nun also ist / vnd nit anders sein kan / so ists freilich ein erbärmlich sach / das zwey ewiglich bei einander seinn / vnnd stets miteinander im hadder ligen sollen / vnd ist warlich solich leben / nichts anders dann ein hell vff erden / vnnd ein vorlauff der ewigenn verdamnis / vnnd zubesorgen / es werde mit jnen nach disem leben nit besser / sonder erger werden. Derhalben ists vonn noten / das sich eyns mit deß ändern Sitten vnd weiß vergleich / eyns dem ander übersehe.42
Neben Gott tritt auch der Teufel, der Erzfeind des Ehestandes, auf den Plan. Er wird häufig erwähnt, und schon in der Vorrede wird seine Ehefeindlichkeit ausführlich geschildert. Sowohl Eva als auch der König David sind seinen Verführungskünsten zum Opfer gefallen.43 Der Teufel, der bei Erasmus von Rotterdam inexistent ist, ist auch für Stephan Rodt der gemeinsame Hauptfeind der Eheleute. Er versinnbildlicht zweierlei: Zum einen kommt der Einigkeit in der Ehe die Funktion eines gerechten Kampfes gegen das Böse zu, zum zweiten wird die Herrschaft des Mannes über die Frau als angemessene Strafe für den Sündenfall Evas ausgelegt. Ein Beispiel möge hier genügen: Barbara: Es lert mich ein alt weib (ich wil sie nit nennen) ich solt dem man im anfang bei leib den zäum nit zu lang lassen / es würde mir sunst nimmer gut thun. Agathe: Die ist gewiß vom Teuffei außgesandt dich zuuerfüm / gleich wie er die arme Eva / vnser liebe Eitermutter im Paradeis verfürt / vnnd jhr das ewig leben verghünnet hat / also ghünnet er dir / ja allen Eheleuten nit / das sie ein stunde vnter einander eins 39
Alberus, Bl. A 3r. Alberus, Bl. B 3r. 41 ASD 1-3, S. 303, Z. 83ff.: »Xanthippe: Superi male faxint, qui ius hoc [d. h. das Recht auf Scheidung] nobis ademerunt. Eulalia: Bona verba. Sie visum est Christo.« 42 Alberus, Bl. B 2V. 43 Alberus, Bl. A 1'-\ 40
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seien / Er ist wol allen Stenden nit hold / aber dem Ehestand ist er sonderlich feind / Gott geh dem alten weib ein bessern sinn / die dir also gerathen hat / hat doch Gott zum weib gesagt / du soll dich für deinem man tücken / vnnd er sol dein Herr sein / Sihe / wie reimpt sich der alten veteln rath mit vnsers Herrn Gotts wort / das ist der alten schlangenn weiß.44
Alberus hat außerdem den Schluß des Dialogs (d. h. fast ein Viertel des ganzen Texts), in dem Eulalia über die Erziehung des Mannes durch die erotische Anziehungskraft der Frau spricht und Xanthippes voreheliche Schwangerschaft thematisiert wird, weggelassen und durch Haushaltsregeln ersetzt.45 Denn - so schreibt er in der Vorrede - diese Diskussion sei für jungfräuliche Ohren ungeeignet. Alberus ist auch der erste, der das >Conjugium< mit einer Eheschrift eines anderen Autors kompiliert hat. All dies zeigt, daß es ihm überhaupt nicht um die Stellungnahme des Erasmus von Rotterdam zur Ehe geht - dieser wird auch im Titel nicht erwähnt -, sondern um die Kompilation und Bearbeitung vorhandener Eheschriften im Dienste der eigenen reformatorischen Interessen. Anders verhält es sich bei der 1546 in Augsburg erschienenen umfangreichsten und aufwendigsten Übersetzung der >ColloquiaDe ingenorum adolescentum ac Puellarum Institutione Libri duoAngesichts dessen, wie nützlich und sogar notwendig dieses Werk ist, erlauchteste Königin und Herrin, nahm ich mir vor, es in diese Sprache zu übersetzen, da ich sah, welchen Gewinn ganz Spanien aus einer so guten Lektüre ziehen könnte. Ich tat das umso lieber, als dieses Werk Spanien vor jedem anderen Land zukommt, weil sein Autor von Herkunft her Spanier ist, und auch weil ich sah, daß fremde Länder es benutzen und sich daran erfreuen: tatsächlich ist es durch den Oberschatzmeister des Königs von England, auf Veranlassung der Königin selbst, ins Englische übertragen worden; und ich habe vernommen, daß es auch ins Französische übersetzt ist.< Ob letzteres den Tatsachen entspricht, ist freilich zu bezweifeln. Die erste datierte englische Übersetzung stammt von 1540; zu den französischen Fassungen s. oben S. 277f.
Die volkssprachlichen Übersetzungen von Juan Luis Vives' Eheschriften
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zwei neue auf: das sechste (De virginitate) wird neu zu Capitulo. vj de la virginidad und Capitulo. vij del cuydado dela virginidad; aus dem neunten (De solitudine virginis) entstehen Capitulo. dela soledad/ o retraymiento dela virgen und Capitulo. xj delas oraciones y limosnas, und das elfte (Quomodo foris aget) erfährt eine Aufteilung in Capitulo .xiiij de como se ha de hauer fuera de casa und Capitulo. xv delas fiestas y combites. Im zweiten Buch wird das Kapitel 12, De bis nuptis, et nouercis, um den von den Stiefkindern handelnden zweiten Teil gekürzt;37 das ganze Kapitel 13 (Quomodo se geret cum consanguineis & affinibus) bleibt unübersetzt.38 Demgegenüber bleibt die Kapiteleinteilung im 3. Buch, dem Witwenbuch, unangetastet. Diese Strukturveränderungen könnten einerseits in Zusammenhang mit dem von Vives selbst in seiner Vorrede erhobenen Postulat der brevitas39 gesehen werden; sie entsprechen andererseits dem Vorgehen des von Justiniano als so vorbildlich gepriesenen Vives-Vorgängers Francesc Eiximenis; dieser splittert seine frauendidaktische Schrift >Llibre de les dones< in kleine und kleinste Einheiten auf (insgesamt 396 Kapitel), deren Kürze zwar die Lesbarkeit erleichtert, deren Zersplitterung aber der Überblickbarkeit und Textkohärenz entgegenläuft. Neben diesen Eingriffen in die Grobstruktur des Textes zeichnet sich Justinianos >Instrucion< auch im Kleineren in erster Linie durch eine starke Tendenz zum Kürzen aus. Insbesondere der oft überbordenden Zitierfreudigkeit und dem Anhäufen von Exempla, die dem Originaltext eignen, werden hier Riegel geschoben: Justiniano offeriert dem volkssprachlichen Publikum einen gestrafften Text, in dem antike und kirchliche Autoritäten ein geringeres Gewicht erhalten als im lateinischen Original.40 Daneben betreffen die Kürzungen der Übersetzung aber auch andere weitschweifige oder redundante Passagen, etwa wo Kombinationen mehrerer synonymer
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Dies trotz der Kapitelüberschrift »Delas que han sido casadas dos vezes / y de las madrastras« (Bl. 86V). 38 Eine Konzession des Übersetzers an die familiären Verhältnisse der Widmungsträgerin? Germana de Foix lebte nach dem Tode ihres Mannes Fernando V. im Streit mit den Kindern und den Verwandten ihres Gatten. 39 Vgl. Vives: De institutione foeminae christianae. Antwerpen 1524, Bl. A 2V: »In quibus [sc. den Büchern] breuiores fortitam fuimus quam nonnulli voluissent, sed si quis intentius consilij viri rationem consideravit, non sine causa factum a nobis intelliget. Nam in praecipiendo non in postremis esse debet ratio breuitatis, ne verbositate legentium aios obruas potius, quam edoceas, & ea esse praecepta decet, quae etiam memoriter quisquis facillime comprehensa teneat.« 40 Auf einen besonderen Fall eines entfernten Exemplums hat Joan Fuster (Joan Lluis Vives i Valencia, 1528, in: Joan Fuster [Hg.]: Llibres i problemes del Renaixement. Valencia, Abadia de Montserrat 1989, S. 9-42) hingewiesen: Justiniano ließ eine Passage unübersetzt, in der Vives seine eigenen Eltern als Vorbilder für die concordia coniugum präsentierte. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, daß gerade in Valencia der Inquisitionsprozeß von 1524 gegen Vives' Vater den potentiellen Lesern und Leserinnen der >Instrucion< noch in lebhafter Erinnerung sein mußte.
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oder aus dem gleichen semantischen Feld stammender Begriffe reduziert werden.41 Gleichsam als Gegengewicht zu der Entfernung gelehrter Exempla und Zitate ist hingegen auch festzustellen, daß bisweilen neue, nicht von Vives stammende Erweiterungen in den Text eingefügt werden, die ein gewisses Lokalkolorit, das schon im lateinischen Text vorhanden ist, noch verstärken. So findet sich beispielsweise in der Übersetzung des fünfzehnten Kapitels des Jungfrauenteils (das in der Fassung von Justiniano zum neunzehnten wird) nach dem Epitaph der von ihrem Ehemann ermordeten Römerin Justina ein bei Vives nicht vorhandener Parallelfall aus Valencia: porque no faltan exemplos de miserias domesticas / estos anos passados / en Valencia vn cauallero mato asu muger / siendo muy honesta y virtuosa / solo porque no le dexaua jugar su dote / del quäl ya auia consumido buena / y gran parte en juegos / y en otros sus aferes semejantes.42 Wenig später findet sich eine andere Stelle, die, wie schon der Verweis auf Francesc Eiximenis im Vorwort, eine gewisse Verflechtung der spanischen Vives-Übersetzungen mit anderen volkssprachlichen Eheschriften der Iberoromania belegt. In einem Abschnitt über Schwiegertöchter und -söhne, der bei Vives noch nicht zu finden war, liest man: [...] algunos casando asus hijas / o hijos houieron en lugar de yemos infiernos y por nueras culebras y / buscando hijos hallaron basiliscos / y comprando sangre dieronles podre / y buscando amigos hallaron enemigos / y pidiendo honra dieronles infamia; y finalmente casando sus hijas los tristes padres / pensando ya tener buena vida houieron ruyn vida y peor muerte.43 - eine Beschreibung, deren nahezu wortwörtliche Übereinstimmung mit einer entsprechenden Passage des seit 1524 handschriftlich zirkulierenden, ebenfalls 1528 gedruckten >Libro äureo de Marco Aurelio< von Antonio de Guevara weitere Kommentare erübrigt.44 41
Wo der lateinische Text etwa De festis, & celebritatibus, et conuiuijs, nescio quid preecipiam Christianis (Bl. I 2V-I 3r) schreibt, kürzt Justiniano zu De las fiestas y combites no se que tengo de dezir ala muger cristiana (Instrucion 1528, Bl. 32'). 42 Instrucion 1528 (wie Anm. 12), Bl. 42V. >Und weil es nicht an Beispielen für einheimische Unglücksfälle fehlt, die sich in diesen vergangenen Jahren zugetragen haben, tötete in Valencia ein Ritter seine Frau, die doch sehr ehrbar und tugendhaft war, nur weil sie ihn nicht ihre Mitgift verspielen lassen wollte, von der er schon einen guten und großen Teil beim Spiel und in anderen Angelegenheiten aufgebraucht hatte.< Drei weitere Beispiele finden sich bei Fuster (wie Anm. 40), S. 30-35. 43 Instrucion 1528 (wie Anm. 12), Bl. 43r: >[...] einige erhielten, als sie ihre Töchter oder Söhne verheirateten, statt Schwiegersöhnen Höllen und statt Schwiegertöchtern Schlangen. Auf der Suche nach Kindern fanden sie Basilisken, und als sie Blut erwerben wollten, gab man ihnen Eiter. Als sie Freunde suchten, fanden sie Feinde; und als sie nach Ehre verlangten, gab man ihnen Schande; und als schließlich die unglücklichen Eltern ihre Töchter verheirateten und dachten, sie hätten jetzt ein gutes Leben, bekamen sie ein unseliges Leben und einen noch schlimmeren Tod.< 44 »[...] pensando llevar a su casa yernos, llevaron infiernos; y en lugar de nueras cobraron culebras; y buscando hijos hallaron basiliscos; y comprando sangre, dieron-
Die volkssprachlichen Übersetzungen von Juan Luis Vives' Eheschriften
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Das Weglassen gelehrter Abschnitte und die gleichzeitigen Einschübe von Verweisen auf aktuelle Begebenheiten und von nicht deklarierten Zitaten zeitgenössischer Autoren deuten auf die Absicht hin, den dargebotenen Stoff einem breiten Publikum in besser lesbarer und einfacher zugänglicher Form zu vermitteln. Auch die häufig bei Justiniano anzutreffende Straffung des oft redundanten Stil Vives' und die Tendenz zu einer lebendigen Metaphorisierung45 lassen meines Erachtens darauf schließen, daß Justiniano nicht bloß übersetzen, sondern bewußt neu bearbeiten wollte, und dies im Sinne einer Neuausrichtung auf ein weniger gelehrtes Publikum.
Die anonyme Bearbeitung der Justiniano-Übersetzung, 1529 Bevor wir überhaupt Juan Justinianos >Instrucion dela muger Christiana< mit ihrer im folgenden Jahr erschienenen anonymen Neubearbeitung konfrontieren, stellt sich die Frage, welches die Gründe dafür waren, daß unmittelbar nach einer ersten Übertragung von Vives >De institutione foeminae christianae< gleich noch eine zweite Fassung auf den Markt gelangte. Der anonyme Übersetzer gibt hierzu in seinem eigenen Vorwort Ala serenissima v muy esclarescida Reyna Germana Un sieruo y criado de. v.al. besä sus reales manos einige Hinweise. Nachdem auch er die Notwendigkeit von Vives' Buch und ähnlichen Texten in der Volkssprache beteuert hat, versichert er: contentandome tanto la materia delos dias passados tuue proposito delo traduzir en lengua Castellana: y al tiempo que quise comengar y poner mano enello supe cotno estaua traduzido por Juan Justiniano contino de vuestra real casa: y luego procure hauer ala mano el mesmo tratado en Castellano.46
les podre; y buscando amigos, hallaron enemigos; y pidiendo honra, dieronles infamia; y finalmente, casados sus hijos, pensando ya tener buena vida, los tristes padres huvieron mala vida y peor muerte.« Antonio de Guevara: Obras completas, I: Libro äureo de Marco Aurelio. Decada de Cesares, hg. von Emilio Blanco. Madrid 1994, S. 64f. 45 So führt etwa der spanische Text von 1528, ausgehend von einer kurzen Bemerkung der lateinischen Version (Bl. B 2r: »hoc crebrius si sint mala [sc. verba aut gesticulationes quae assueuerunt], vt est eorum tenacior humanus animus.«) aus (Instrucion 1528 [wie Anm, 12], Bl. 2r): »Y muchas vezes acontece hazer abito en vna cosa que despues no la podemos mas echar de nosotros que la tortuga asu caxco y mucho mas si la cosa es mala / como sea el animo humano mas tenaz de lo malo que de bueno / tal que despues a cada descuydo caemos sin que dello tengamos sentimiento. Quando pica la arana: paresce que no se siente / asi no se conosce el vicio quando entra enla persona / hasta que rompe la malicia [...].« 46 Instruction 1529 (wie Anm. 14), Bl. + : >Ich hatte die Absicht, es in die kastilische [i. e. spanische] Sprache zu übersetzen; und als ich anfangen und Hand daran legen wollte, erfuhr ich, daß es von Juan Justiniano, einem Getreuen Eures königlichen Hauses, übersetzt worden sei und versuchte gleich, ebendiesen Traktat in Spanisch in die Hände zu bekommen.
Des joies du Paradis< angehängt ist, das von den Paradiesfreuden handelt, die eine tugendhafte Ehefrau nach ihrem Tod erwarten. Den Schluß des Buches bildet ein Brief des »Messre Jacques de Changy, escuyer, docteur en droictz, advocat a Dijon« an »ma damoyselle de Villesablon, sä seur«, in dem der mit mehreren Titeln geschmückte monte en quelque degre de dignite entre les magistrals parlat melheur Francois qu'un Bourguignon, qui auroit tout le tems de sä vie manie les armes.« 55 Palau y Dulcet (wie Anm. 1), Nr. 371605-07.
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Bruder seine Schwester Marguerite ermahnt, ein auf Gott gerichtetes, einfaches Leben zu führen. In diesen beiden zusätzlichen Kapiteln am Schluß des Buchs ist vom Ehemann nicht mehr die Rede, sondern die Beziehung der Adressatin zu Gott löst diejenige zum Ehemann ab und steht hier im Mittelpunkt. In diesen zwei letzten Teilen wird der Unterschied zwischen einer Ehefrau und einer Jungfrau vollständig aufgehoben. Wir haben in dieser Ausgabe also zwei Männer, Vater und Bruder, die als Erzieher der unverheirateten Marguerite auftreten. Dabei schlagen sie ihr gegenüber einen seelsorgerischen Ton an, und in der Vorrede zum Frauenbuch wendet sich der Vater an die »heilige Frau [...], die wünscht, in Frieden, Ruhe und Liebe mit Gott und ihrem Ehemann zu leben [.. .]«.56 Gott und der Ehemann sind die zentralen Figuren für »die guten katholischen Ehefrauen« (les bonnes mariees et catholiques).51 Der Ausdruck ersetzt die ecclesia Dei in Vives' Text, und wo Vives das Verhältnis des Ehepaars zueinander mit demjenigen zwischen Christus und der Kirche vergleicht, schreibt Changy: »der Geistliche und Christ, der seinen Willen in die Hand seines Vorgesetzten legt«.58 Was bei Vives als allgemein christliche Lebensweise beschrieben wird, wird bei Changy zu einer explizit katholischen umgeformt, und führt dazu, daß die klösterliche, weitabgewandte Lebensweise einer Nonne mit derjenigen der Ehefrau verglichen werden kann und dieser als Lohn dafür - wie den Jungfrauen - eine Krone im Paradies versprochen wird. Während das weibliche Publikum in der Vorrede Changys ausführlich charakterisiert wird, hängt er das Männerbuch ohne Vorwort oder Widmung einfach an das Frauenbuch an. Sogar die Widmung des Vives an Juan de Borja läßt er weg, während er diejenige des Frauenbuchs an Catarina von England beibehalten hat. Dies erweckt den Eindruck, das Männerbuch sei vor allem als Frauenlektüre gedacht. In der Ausgabe von 1542 wird dieser Eindruck korrigiert, denn in der Widmung an Blaise, Changys Sohn, wird der Adressatenkreis äußerst vorsichtig als »die einfachen Leute« (les gens simples) bezeichnet. Daß es sich dabei um Männer handelt, läßt nur der Inhalt dessen, was folgt, erkennen. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wird hier auf eine vollkommen andere Weise inszeniert als das seelsorgerische, erzieherische zwischen den männlichen Familienmitgliedern und Marguerite. Die Ehe spielt in dieser Vorrede überhaupt keine Rolle, sondern Changys Sohn Blaise, ein Geistlicher, wird als Initiator für die Entstehung des Buchs angesprochen. Außerdem legitimiert seine Stellung als Geistlicher das Unternehmen des Vaters, sich mit der Männererziehung zu beschäftigen.59 Alle drei Männer 56
Delboulle (wie Anm. 18), S. 144: »saincte femme [...] desirant vivre en paix, tranquilitd et amour avec Dieu et son mary [...]«. 57 Delboulle (wie Anm. 18), S. 152. 58 Delboulle (wie Anm. 18), S. 150: »le religieux et chritien qui met sa volonte en la main de son superieur«. 59 Vgl. unten S. 293f.
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werden hier als Erzieher und Textproduzenten dargestellt, als Ehemänner aber treten sie nicht in Erscheinung. Nicht nur hier, sondern auch in den fünf lateinischen und dem einen französischen Gedicht, die dieser Ausgabe vorangestellt sind, thematisieren Männer aus dem Familien- und Freundeskreis männliche Produktivität. Alle Gedichte sind an Männer gerichtet. Ad lectorem carmen, das vermutlich von einem Freund stammt, der älter ist als die Söhne des Autors, eröffnet die Reihe und präsentiert das Buch als Alterswerk, das Pierre de Changy trotz großer Schwäche vollendet habe.60 Changy ist also inzwischen gestorben, was seinem Werk den Charakter eines letzten Willens verleiht. Dies wird in dem nachfolgenden Epigramm von Blaise deutlich, der sich an seinen Bruder Jacques richtet und diesen ermahnt, das Buch zu lesen und den Willen des Vaters bei der Wahl einer Ehefrau zu befolgen.61 Hier nimmt Jacques eine neue Position ein, denn durch den Tod seines Vaters ist das Fortbestehen der Familie von einer Eheschließung seinerseits abhängig.62 Erst in einer solchen >Notsituation< ist es also möglich, daß ein männliches Familienmitglied als Rezipient der Ehelehren inszeniert wird! Daß dies in kunstvollen lateinischen Versen und nicht in französischer Prosa geschieht, macht den ungeheuren Abstand nur noch deutlicher, der zwischen männlichen und weiblichen Lesern innerhalb der gleichen Familie vorausgesetzt wird. Denn in den Texten, in denen Männer sich gegenseitig ansprechen, ist die Ehe normalerweise kein Thema, und ihre Thematisierung als Problem des Mannes setzt eine ganz bestimmte familiäre Situation voraus, die in den das Buch einleitenden Gedichten evoziert wird (4. und 5. Gedicht). Das sechste und letzte Gedicht, ein französischer dixain, richtet sich an Blaise und tröstet diesen über den Tod seines Vaters hinweg. Ein weiteres Mitglied der Familie, Fransoise de Changy, tritt in der dritten Ausgabe von 1545 in Erscheinung. Jacques de Changy, der sich als französischsprachiger Mitautor in den vorangegangenen Ausgaben als Präzeptor seiner Schwester Marguerite bereits zu Wort gemeldet hatte, fügt dem Werk eine weitere Unterweisung hinzu, die folgenden Titel trägt: »Briefve instruction envoyee par le diet de Changy. A soeur francoyse de changy la fille Religieuse a saincte Ciaire de Bourges.« Es handelt sich bei Fran9oise offensichtlich um eine weitere Schwester von Jacques.63 Inhalt60
In der I.Ausgabe steht es als einziges Gedicht am Schluß (vgl. oben S. 277 und Anm. 17). 61 >Ad lectorem exasticon< steht an zweiter, >Ad Fratrem Epigramma< an dritter Stelle. 62 Ähnlich verhält es sich z. B. im >Encomium matrimonii< des Erasmus von Rotterdam von 1518, wo der Umstand, daß der Adressat nach dem Tod von Vater und Mutter und nach dem Keuschheitsgelübde der Schwester allein für den Fortbestand der Familie verantwortlich ist, als Ausgangssituation und Rechtfertigung dafür angeführt wird, daß der Autor ihn zum Heiraten überredet (Erasmus von Rotterdam: Opera omnia, 1-5. Amsterdam, Oxford 1975, S. 385f.). 63 Über die Familienverhältnisse der Changy ist, außer den aus der Übersetzung er-
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lieh gleichen sich die beiden Schriften, in denen Jacques sich an seine Schwestern wendet, stark. Der Autor erwartet von der Nonne Fransoise, ebenso wie er es von der zukünftigen Ehefrau Marguerite getan hatte, humilite (Unterwerfung und Demut). Der Hauptunterschied zwischen den beiden Tugendlehren besteht darin, daß in der zweiten die Jungfräulichkeit als Ideal thematisiert wird. Die >Instruction< endet mit dem Satz: »Gott gebe Ihnen die Gnade, ihm so zu folgen wie Ihre selige Mutter, und ich bitte Sie, sie in Ihren täglichen Gebeten nicht zu vergessen.«64 War der Anlaß für die Erweiterungen der zweiten Ausgabe der Tod des Vaters gewesen, so hat der Tod der Mutter diese neue Zugabe motiviert. Wurde Jacques nach dem Tod des Vaters als Garant des Fortbestehens der Familie angesprochen, so wird die klösterliche Lebensweise der Schwester in dem Moment thematisiert, als sie durch ihre Fürbitten dem Seelenheil der verstorbenen Mutter förderlich sein kann und somit eine Funktion innerhalb der Familie erfüllt. Auffällig an der Struktur des ganzen Buches ist die Tatsache, daß sowohl weltliche als auch geistliche Frauenerziehung als Aufgabe (potentieller) Ehemänner dargestellt ist. Nicht etwa Blaise, der Pfarrer, sondern Jacques, der Jurist, belehrt seine Schwestern, und wie sein Vater übernimmt Jacques eine Funktion, die traditionellerweise einem Seelsorger zukommen würde. Blaise dagegen scheint sich um die Frauen seiner Familie überhaupt nicht zu kümmern; er tritt ausschließlich als Initiator der Übersetzung des Männerbuches in Erscheinung und richtet sich mit der Ermahnung zu heiraten in dem Moment an seinen Bruder, wo er den verstorbenen Vater vertritt. Außerdem scheint die französische Sprache unter seinem Bildungsniveau zu liegen. Eine letzte Erweiterung in dieser Ausgabe stellt ein Brief an den Hausvater dar: »Lepistre sainct Bernard Abbe de Clerevaulx, de latin translatee en francois. Au vertueulx chevalier Raymond seigneur de Chastel ambrois, le Bernard devenu en vieillesse le donne Salut.«65 Der Name des Übersetzers ist nicht erwähnt, aber die Übersetzung könnte auf die Initiative von Blaise zurückgehen, der innerhalb des Buches, wie wir gesehen haben, für die Beratung der Ehemänner zuständig ist. War bei Vives die Männererziehung eine Angelegenheit unter Gleichen, von Ehemann zu Ehemann, so wird die Fiktion dieser Gleichheit bei Chanschließbaren, kaum etwas bekannt. Vgl. Dictionnaire de biographic frangaise, Bd. 8. Paris 1959, S. 377. 64 »Dieu vous doint grace le suyure en tel estime que vostre feu mere, laquelle ie vous prye ne mettre en obly en vos oraisons quotidiennes« (Bibliotheque Nationale Paris: Res. D 61286, Bl. 134V). 65 Wie Anm. 64, Bl. 114r. Der Brief ist in den modernen Briefausgaben nicht vorhanden. Vgl. Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke, lateinisch-deutsch, hg. von G. B. Winkler, A. Altermatt. Innsbruck 1990. Bernard de Clairvaux: CEuvres completes, hg. von P. Y. Emery. Paris 1990. Der lateinische Text findet sich in C. D. M. Cossar (Hg.): The German translations of the Pseudo-Bernhardine >Epistola de cura rei familiarise Göppingen 1975 (GAG 166), S. 97-102.
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gy aufgehoben; er schreibt seine Übersetzung für einfache Leute, von denen die Männer seiner Familie sich deutlich abheben. Mit dem zusätzlichen Brief in der dritten Ausgabe wird nun zum ersten Mal ein Adressat thematisiert, der zum Profil eines Familienvaters der Changy paßt. Bezeichnenderweise wird aber auch hier ein Changy nicht direkt angesprochen; und um den Erziehungsgestus zu rechtfertigen, wird als Lehrer eine der berühmtesten geistlichen Autoritäten Frankreichs bemüht: Bernhard von Clairvaux. Die Erwartung des Lesers, es handle sich hier um eine geistliche Anweisung an den Ehemann, wird allerdings enttäuscht, denn der Autor präzisiert gleich zu Beginn, Familien- und Haushaltsfragen seien weltliche Dinge (choses accidentaulx). Darauf spricht er über die Verwendung des Haushaltsgeldes, über den Unterhalt der Familie, der Diener und der Tiere, den Umgang mit den Nachbarn, über die strenge Zucht von Frau und Kindern und das Verhalten des Mannes bei Trunkenheit. Der Brief schließt mit Anweisungen an den Mann, wenn er sich dem Tod nähert. Anders als in Vives' Männerbuch und in Changy s Übersetzung, wo konkreten Haushaltsfragen von dreizehn nur vier sehr kurze Kapitel (Kap. 5-8) gewidmet werden, stehen diese hier im Zentrum. Bilden Wahl und Erziehung der Ehefrau und die Beziehung zwischen den Eheleuten den Schwerpunkt bei Vives und Changy, so wird das Verhältnis zwischen den Eheleuten in dem Brief von Pseudo-Bernhard völlig am Rand behandelt und einseitig repressiv formuliert. Dem Ehemann wird lediglich gesagt, was er seiner Frau alles verbieten soll und die nur negativ formulierten Verhaltensanweisungen werden von misogynen Ausfällen gegen »sinnliche Frauen« (femmes luxurieuses) unterbrochen. Das Ehebild, das uns hier entgegentritt, ist dasjenige eines fast unerträglichen Übels für den Ehemann und steht im krassesten Gegensatz zu demjenigen des Männerbuchs, das mit einem Ehelob beginnt: De l'origine et utilite de manage. Während bei Pseudo-Bernhard der Ehemann in seiner sozialen Machtposition als Hausherr angesprochen wird, wird bei Vives und Changy sein Verhalten durchwegs in bezug auf seine Frau thematisiert. Die Beschreibung der drei ersten französischen Ausgaben von Vives' Eheschriften hat gezeigt, daß die Übersetzung des Frauenbuchs weit unproblematischer inszeniert wird als diejenige des Männerbuchs. Französisch schreibende heiratsfähige oder verheiratete Männer sind zwar bereit, den Theologen die Aufgabe der Erbauung und Erziehung der Frauen abzunehmen, ganz wie Vives es gefordert hatte;66 die Belehrung des Ehemannes aber, so wie Vives sie ursprünglich inszeniert hatte, nämlich als Erziehung zwischen Gleichen, bereitet den männlichen Autoren der Familie Changy Probleme. Handelt es sich im ersten Fall um eine Stärkung der männlichen Autorposition, so verlangt das zweite eine Relativierung derselben. Um die Erziehung des Ehemannes zu rechtfertigen, muß eine 66
Vives: De Officio (wie Anm. 9 und 83): De disciplina foeminae, Bl. 94ff.
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geistliche Autorität herbeigezogen werden, eine Funktion, die der Pfarrer Blaise und der hl. Bernhard erfüllen. Ohne kirchliche Legitimation kann der katholische Ehemann nicht erzogen werden. Bei Vives dagegen fehlt diese Instanz; der Ehemann bildet bei ihm, nach Gott, die oberste Autorität. Die drei Ausgaben konstruieren eine geistliche Hierarchie innerhalb der Familie, die auf der Männerseite den Priester über den Ehemann und diesen über den unverheirateten stellt, auf der Frauenseite aber sowohl geistliche als auch weltliche Frauen unter die Vormundschaft des untersten Mannes, des unverheirateten, stellt. Während Männer als produktive Autoren in Erscheinung treten, sind Frauen ausschließlich Objekte der Darstellung; eine Einflußnahme auf die Männer wird ihnen nicht zugestanden. Nur ein einziges Mal wird von einer Frau verlangt, sich für ein anderes Familienmitglied einzusetzen: Jacques de Changy fordert die Nonne Franc.oise auf, für das Seelenheil ihrer Mutter zu beten. Dagegen wurde sie nicht bemüht, dasselbe für ihren ein paar Jahre zuvor verstorbenen Vater zu tun. Die einzige Frau in der Familie, unter deren Einfluß die Autoren standen, nämlich die Frau von Pierre de Changy und Mutter von Blaise und Jacques, wird erst nach ihrem Tod überhaupt erwähnt. Interessanterweise ist von der ehelichen Beziehung, dem eigentlichen Thema der Bücher von Vives, in der Präsentation des Buches nur ganz am Rand die Rede. Pierre de Changy als Übersetzer und Bearbeiter Die Frage, auf welche Vives-Ausgabe Changy sich für seine Übersetzung gestützt hat, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten, da seine sehr freie französische Übersetzung sich außerordentlich stark vom lateinischen Text unterscheidet. Wie aus seinen Widmungen des Frauen- und des Männertraktats hervorgeht, hat Changy zuerst das Frauenbuch von seinem Sohn Jacques erhalten, und erst als er mit der Übersetzung bereits fertig war, hat sein zweiter Sohn Blaise ihm den Männertraktat aus Paris zugeschickt. Changy hat also zwei getrennt erschienene Ausgaben benutzt, die vor 1540 und sehr wahrscheinlich in Frankreich erschienen sind.67 Die auffälligste Veränderung, die Changy an Vives' Texten vorgenommen hat, sind die zahlreichen, starken Kürzungen. Die meisten von ihnen verändern aber die inhaltliche Aussage nur sehr beschränkt. Changy streicht vor allem viele redundante Stellen, Exempla und Autoritätenzitate. Bestehen bleiben dabei die konkreten Verhaltensanweisungen in kurzer, prägnanter Form. Es handelt sich bei Changy um eine völlig andere Art der Pädagogik als bei Vives, der überreden will, während bei Changy die Klar67
Der Vergleich für das Frauenbuch basiert auf der Erstausgabe von 1524 (wie Anm. 2). Für das Männerbuch habe ich, da uns der Erstdruck von Brügge 1529 nicht greifbar war, auf den Basler Druck von 1540 (wie Anm. 9 und 83) zurückgegriffen. Darin liegt, zugegebenermaßen, eine methodische Schwäche, die allerdings bis zum Auffinden der direkten Übersetzungsvorlage nicht behoben sein wird.
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heit der Aussage im Vordergrund steht. Changy betont, seine Anweisungen seien kurz, damit man sie leichter von neuem lesen, verstehen und rezitieren könne. Vives' Text dagegen, und derjenige des Frauenbuchs noch stärker als der des Männerbuchs, ist redundant. Vives scheint sein Buch für eine einmalige Lektüre konzipiert zu haben. Deshalb wiederholt er das Gleiche immer wieder mit anderen Worten und häuft die Exempla und Autoritäten, die eine einzige Verhaltensanweisung illustrieren sollen. Er begründet seinen Stil damit, daß der Text von jedem leicht verstanden und behalten werden solle, und vergleicht ihn mit einem gemalten Bild, das den schlechten Frauen ihre Laster vor Augen führt, während die guten sich freuen können, daß diese ihnen fremd sind. Changy dagegen nennt sein Werk einen Spiegel und stellt es somit als traditionelles pädagogisches Genre vor.68 Die beiden unterschiedlichen Bezeichnungen entsprechen den stilistischen Unterschieden der beiden Werke: Bei Vives haben die Exempla, nämlich die gemalten Bilder,69 eine zentrale pädagogische Funktion. Diese wird bei Changy abgeschwächt; er faßt sie zusammen und formt sie zu direkten Anweisungen um. Wie wir gesehen haben, ist die Präsentation der Übersetzung von Changy zumindest seit der zweiten Ausgabe nicht auf die Initiative des Übersetzers selbst zurückzuführen, und interessanterweise steht seine Darstellung der Beziehung zwischen Mann und Frau in der Ehe in genau entgegengesetzter Tendenz zu dem, was man aus der Hierarchisierung der Geschlechter in den Rahmentexten erwarten könnte. Changy setzt die Ehemänner als Mitleser des Frauenbuchs voraus. Wo Vives sich in dem an die Ehefrauen gerichteten Teil fast ausschließlich an Frauen wendet, bezieht Changy die Männer in seine Anweisungen mit ein. Um diesen erzieherischen Gestus zu rechtfertigen und die männliche Überlegenheit nicht in Frage zu stellen, argumentiert er dabei immer mit der Schwäche der Frauen: Im ersten Kapitel des Ehefrauentraktats z. B. wird der angehenden Braut eingetrichtert, daß die Ehe aus zwei Menschen bestehe, die zu einer ganz engen Gemeinschaft zusammenwachsen.70 Es folgt die paulinische Aufforderung, den Mann zu lieben. Hier fügt Changy folgende Ermahnung an die Männer an: »Ich sage dies ebenso zu den
68
Delboulle (wie Anm. 18), S. 19: »Aux autres [femmes] parle plus avant, affin qu'elles voyent comme en ung miroir les inconveniens esquelz elles peuvent lumber pour en avoir houte & s'en retirer.« 69 Dieser Vergleich taucht z. B. auch in Luthers Vorrede zu Justus Menius' >Oeconomia Christiana< Wittenberg 1529 auf (Universitätsbibliothek Basel: Falk 2973), Bl. -2 (ohne Foliierung): »Er / Just / Menius / hab darjnne ewers hertzen ein groß stück wol getroffen / und ewer notturfft (wie wol blintzling) fein und eben abgemalet / das ich hoff/ gott soll gnad verleyhen/ das jr auch ein mal disem büchlin ein bild und exempel geben werdet Amen.« 70 »Quid cogitare debeat, quae nubit.f...] erunt duo in hominem unum, cardo est coniugij, vinculum sanctissimae societatis«; Vives: De institutione (wie Anm. 2), Bl. N l r .
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Männern wie zu den Frauen, denn der Mann muß Zurückhaltung üben und die Unwissenheit derjenigen ertragen, die sich bemüht, ihm zu gefallen.«71 Im vierten Kapitel, das von der ehelichen Eintracht handelt, wird wiederum der Mann miteinbezogen: »Deshalb soll zwischen Verheirateten einer des anderen Fehler entschuldigen.«72 Ein paar Seiten weiter, wo es um die Verantwortung der Frau bei der Schlichtung von Streit geht, fügt Changy folgenden Satz ein: »Je tugendhafter der Mann ist, desto mehr erträgt er die Schwäche der Frau.«73 Anpassung und Unterordnung der Frau, die von Vives mit großer Härte gefordert werden, interpretiert Changy häufig milder. So beschreibt er die Erziehung des Mannes durch die Frau etwas expliziter und konkreter als Vives: »In deiner Hand und Macht liegt es, durch Keuschheit, Sittsamkeit, Tugend, Anmut und Liebe den Ehemann so zu behandeln, daß du ihn, seinem Temperament entsprechend, für dich gewinnst, um ihn den Umständen entsprechend zu beeinflussen und glücklich mit ihm zu leben.«74 Bei Vives heißt es hier: »Denn ein großer Teil dieser Sache liegt in deiner Hand, daß du ihn durch Sittsamkeit und Bescheidenheit entsprechend behandelst und glücklich handelst [...].«75 Noch deutlicher wird Changys Tendenz in seiner Übertragung des vierten Kapitels. Dort läßt er einen ganzen Abschnitt aus, in dem die Frau angewiesen wird, Eintracht durch Unterwerfung und Schmeichelei zu erreichen. Die anschließende Passage, die den Unterschied zwischen wahrer Liebe und Heuchelei kommentiert, wird dementsprechend stark gekürzt.76 Ein paar Seiten weiter läßt er eine Stelle weg, in der gesagt wird, die Frau solle sich den Stimmungen des Mannes anpassen.77 Aussagen über die Minderwertigkeit der Frau und Invektiven gegen Frauen werden häufig übergangen oder abgeschwächt.78 71
Chap. 1: »Que doit penser la femme qui se marye.« Delboulle (wie Anm. 18), S. 149: »Autant j'en dis aux hommes, comme aux femmes, car le masle doit user de discretion, & supporter ignorance de celle qui meet peine a luy complaire.« 72 Delboulle (wie Anm. 18), S. 182: »Pour ce entre gens maryez, l'ung regrette la faulte & coulpe de l'aultre.« 73 Delboulle (wie Anm. 18), S. 184: »Tant plus est l'homme vertueux, tant plus supportera l'imbecilite de la femme.« 74 Delboulle (wie Anm. 18), S. 147: »En ta main & puissance est tel affaire par pudicite, meurs, vertu, grace & amour: user de mary commode pour le gaigner par moyen, suyvant ses complexions, pour le reduire peu a peu selon l'exigence du cas, & vivre joyeusement avec luy [...]«. 75 »Nam magna pars huiusce rei in tua manu sita est, ut vel pudicitia, et modicitia, et mors gestione commodo utaris marito, et foeliciter agas [...]«; Vives: De institutione (wie Anm. 2), Bl. 3 . 76 Delboulle (wie Anm. 18), S. 184f. 77 Delboulle (wie Anm. 18), S. 187. 78 Einige Beispiele sollen dies illustrieren. Delboulle (wie Anm. 18), S. 188: Changy kürzt eine Invektive gegen reiche und hochmütige Frauen; S. 191: Er läßt eine Stelle weg, die den Gehorsam der Frau mit ihrer körperlichen und geistigen Minderwertigkeit begründet. Die letzten drei Seiten des Kapitels hat Changy nicht übersetzt;. sie behandeln die Aufgaben der Frau im Haushalt und die Exempel von den sizilianischen
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Die gemeinsame Adressierung des Textes an Frau und Mann führt offensichtlich zu einer Abschwächung der hierarchischen Positionen. Ähnliches läßt sich im Männerbuch nachweisen. So wird z. B. das vierte Kapitel, De la discipline de lafemme, wo Vives eine eindeutige Hierarchie der Geschlechter konstruiert, von Changy auf einen Viertel seines Umfangs gekürzt.79 Dabei fallen die bei Vives behandelten Themen nicht einfach weg, sondern werden jeweils auf ein bis drei Sätze zusammengestrichen.80 Changy sagt im großen und ganzen dasselbe in Form einfacher Merksätze, was Vives mit Hilfe von Wiederholungen und Exempla ausschmückt. Obwohl Changy sich in diesem Kapitel nicht direkt an die Frauen wendet, strebt er in seiner Darstellung eine größere Gleichheit der Geschlechter an als Vives. Dies liegt einerseits daran, daß er beim Ehemann viel weniger Bildung voraussetzt als Vives, was zur Folge hat, daß theoretische Diskussionen, sei es über Literatur oder Sexualität, wegfallen und die Erziehung der Frau auf die religiöse Erbauung beschränkt wird. Andererseits fügt er einen Abschnitt hinzu, der eine Verteidigung des weiblichen Geschlechts enthält und die Gleichheit der Geschlechter proklamiert: »Die Frau ist wie der Mann als vernünftiges Wesen erschaffen, mit einem Geist, der zwischen Gut und Böse schwankt, formbar und beweglich durch Gewohnheit und Rat. Daß es lasterhafte Frauen gibt, ist kein Beweis für die Verdorbenheit ihrer Natur, nicht mehr als bei den Männern, unter denen es etliche Spitzbuben, Mörder, Lügner und Verräter gibt. Von ihnen haben einige aus Vorwitz Invektiven gegen das weibliche Geschlecht geschrieben, die auf beide [Geschlechter] zutreffen. Wenn die Männer weiser sind, so ist es wegen ihrer literarischen Bildung.«81 Die hier aufgezeigte Tendenz Pierres de Changy, Frauen- und Männerbuch, die sich bei Vives stilistisch und inhaltlich stark voneinander unterund den belgischen Frauen. In der Vorrede an Catarina von Aragon polemisiert Vives gegen Männer, die das einzige Gut der Frauen, die Keuschheit, beschädigen. Das sei, wie wenn man einem Einäugigen das einzige Auge ausschlage. Changy läßt den Vergleich der Frauen mit Einäugigen weg und wandelt ihn um; bei ihm heißt es, die Keuschheit sei kostbar wie die Augenlider (Delboulle, S. 17; Vives: De institutione [wie Anm. 2], Bl. A 3r). 79 Delboulle (wie Anm. 18), S. 333-341; Vives: De officio (wie Anm. 9), S. 94-130. 80 Dabei entstehen nur selten Inkongruenzen, wie z. B. Delboulle (wie Anm. 18), S. 337 unten und S. 340 oben. 81 »La femme est cree raisonnable comme rhomme, ayant l'esperit doubteux a bien & a mal, flexible & muable par usage & conseil. Si plusieurs en y a de perverses, cela n'argue ny monstre la malice de la nature, non plus que des hommes, entre lesquelz plusieurs sont larrons, meurtriers, faulx & desloyaulx. Entre iceulx aucuns ont escript par leur curiosite invectives contre le sexe feminin, qui les devoient attribuer a tous les deux. Si les hommes sont plus sfavans, c'est par science des lettres«; Delboulle (wie Anm. 18), S. 334. Eine weitere Stelle, wo Changy auf der Gleichheit der Geschlechter insistiert, befindet sich auf S. 335: »Pour ce voyez par experience les femmes advisees a religion & martyre, comme capables de sapience haultaine, aussi bien que les hommes.« (>Dazu sieht man aus Erfahrung, daß die Frauen, was Religion und Märtyrertum angeht, zu großer Weisheit fähig sind, ebenso wie die Mannen).
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scheiden, einander anzugleichen, scheint darauf hinzuweisen, daß er die Ehe als ein Zusammenleben zwischen Gleichen darstellt und seine ganze Übersetzung für beide Eheleute geschrieben hat. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zu den von seinen Söhnen inszenierten familiären Geschlechterbeziehungen in den Vor- und Nachreden, die allerdings die Ehe selbst nicht thematisieren.
III. Die italienischen Übersetzungen Die Übersetzung von Pietro Lauro, Venedig 1546 (J.T.) Der Übersetzer der ersten italienischen Ausgabe von 1546 nennt sich namentlich in der Widmung: Pietro Lauro, mit Zunamen Modonese, nach dem Herkunftsort Modena.82 Seine Übersetzung beruht mit großer Wahrscheinlichkeit auf einem der Basler Drucke. Das legt nicht nur die weitgehende Übereinstimmung mit der Basler Version nahe, die sich insbesondere umfangmäßig von der Erstausgabe unterscheidet,83 sondern auch der Umstand, daß die Venezianer Ausgabe die Ehetraktate zusammen mit der Abhandlung über die Ausbildung der Kinder bzw. der Knaben abdruckt, eine Zusammenstellung, die nur die Basler Drucke aufweisen.84 Pietro Lau82
Lauro: Widmung (Venedig 1546), 1. Seite. - Benutztes Exemplar s. Anm. 25. - Zur Person von Pietro Lauro s. Archivio biografico italiano [Mikrofilm], a cura di Tommaso Nappo. München 1987, Fiche 556, S. 95-103. 83 Die italienische Übersetzung von Pietro Lauro weist nicht nur den erweiterten Bestand an Exempla der Basler Drucke auf, sondern es fehlt auch der dort gestrichene Abschnitt De coniugio; s. o. S. 275 Anm. 5. Für den Vergleich der italienischen Übersetzung mit dem lateinischen Text wurde deswegen die Basler Ausgabe bei Robert Winter von 1540 benutzt: >Ioannis Ludovici Vivis Valentin) De officio mariti Liber Vnus. De institvtione foeminas Christians Libri tres. De ingenorum Adolescentum ac Puellarum Institutione Libri duo. Omnes ab autore ipso recogniti, aucti ac reconcinnati, unä cum rerum ac uerborum locupletißimo Indice. Basileae [Schlußblatt:] Basileae in officina Roberti Winter anno M.D.XXXX. mense Septembri.< (Universitätsbibliothek Basel: Aleph D VIII 6 8° [1]) (Palau y Dulcet [wie Anm. 1], Nr. 371581). Die verschiedenen Basler Drucke sind weitgehend identisch, vgl. die Ausgabe des Frauentraktats bei Robert Winter von 1538 (Universitätsbibliothek Basel: Aleph D VII 31 8° [5]) (Palau y Dulcet, Nr. 371579), die Ausgabe der beiden Ehetraktate bei Robert Winter von 1540 (wie Anm. 26), die Ausgabe der Ehetraktate bei Johannes Oporin [o. J.] (wie Anm. 26) und die Gesamtausgabe von 1555 bei Niclaus Episcopius (Universitätsbibliothek Basel: D.F.I 7/8 2°, Bd. 2) (Palau y Dulcet, Nr. 371464). - Die folgenden Ausführungen zur Übersetzung von Pietro Lauro beschränken sich auf den Frauentraktat. 84 Nach Palau y Dulcet (wie Anm. l) weisen die folgenden Basler Drucke des 16. Jahrhunderts die Erweiterung durch >De ratione studii puerilis< auf: Nr. 371581- 371584, sowie auch die Gesamtausgabe bei Niclaus Episcopius iunior von 1555 (Nr. 371464f.), wo allerdings Kindertraktate (im ersten Band) und Ehetraktate (im zweiten Band) nicht unmittelbar aufeinander folgen. Einzig in den beiden frühen Einzelausgaben des Männertraktats (Nr. 371580) bzw. des Frauentraktats (Nr. 371579) bei Robert Winter fehlen die Traktate zur Ausbildung der Kinder.
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ro widmet die Übersetzung Eleonora de Toledo, der Gattin von Cosimo de Medici und Herzogin von Florenz.85 Ähnlich hatte auch Vives den Frauentraktat einer Herrschaftsträgerin zugeeignet, nämlich Catarina von Aragon, zu jener Zeit Königin Englands. Die Widmung an eine Herrscherin unterstreicht hier wie dort den öffentlichen Charakter und die ordnungspolitische Bedeutung, die der Ehe innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft zugemessen wird. Wie Vives preist denn auch Pietro Lauro die Widmungsempfängerin für die aufrichtige Liebe, die ihre Ehe auszeichne: Eleonora habe mit ihrer vollkommenen Tugendhaftigkeit die Vorschriften des Ehetraktats verwirklicht, bevor diese geschrieben worden seien, und stehe so den Leseunkundigen als lebendiges Beispiel vor Augen.86 Auf der Titelseite wird das Werk als »Opera ueramente non pur diletteuole: ma ancho utilissima ä ciascuna maniera di persone«87 charakterisiert. Die Materie wird hier unter der Perspektive von utilitas und delectatio präsentiert, gemäß der Horazischen Formel des miscere utile dulci. Auch in der Widmung des Übersetzers an Eleonora de Toledo wird der Stoff unter diese beiden Begriffe gestellt: Die delectatio wird einerseits an der novitas des Stoffes festgemacht, andererseits aber auch an der lehrhaften Thematik, der gottgewollten ehelichen Bindung.88 Pietro Lauro versteht 85
»A la illvstrissima, et eccelentissima Signora, la Signora Lionora di Toledo, Duchessa di Firenze, Pietro Lauro Modonese«; Lauro: Widmung (Venedig 1546), 1. Seite. - Die Widmung steht am Anfang der ganzen Sammlung, d. h., sie folgt unmittelbar auf das Titelblatt und befindet sich vor dem Männertraktat, dessen Widmung Vives' an Juan de Borja damit wegfällt; die Widmungen des Frauen- und des Knabentraktats werden hingegen beibehalten. 86 »Opera tanto piu degna ehe sia dedicata ä Vostra Eccellentia, quanto piu e per uoce di tutti manifesto, ehe quel uerace et sincero amore, ehe tra marito et moglie si ricerca, e con ogni sua qualita espresso tra lei et il suo illustrissimo consorte.«; Lauro: Widmung (Venedig 1546), 1. Seite; >ein Werk, das umso würdiger ist, Eurer Exzellenz gewidmet zu werden, als daß es durch aller Stimme bekannt ist, daß diese aufrichtige und ehrliche Liebe, die man zwischen Ehemann und Ehefrau sucht, mit all ihren Qualitäten zwischen Ihr und Ihrem verehrtesten Gatten zum Ausdruck kommt. < - Eleonora de Toledo und Cosimo de Medici sollen tatsächlich eine überaus glückliche Ehe geführt haben, vgl. V(anna) Arrighi: >Eleonora de ToledoEin wirklich nicht nur unterhaltsames, sondern auch ausgesprochen nützliches Werk für jede Art von Personen.< 88 »Leggerä adunque Vostra Eccellentia quest'opra utilißima quando le sara ä grado, bench'io m'auiso ehe gustatone il frutto, le sara giocondißima, si per esser nuova materia, et da niuno prima di Lodouico Viues posta in luce, si perche ui si tratta di quel nodo matrimoniale, tanto da Dio stimato ä l'humana natura necessario, ehe uolle egli stesso da prencipio esserne l'autore«; Lauro: Widmung (Venedig 1546), 2. und 3. Seite; vgl. auch »et (come e Fingegno di tant'huomo di scientia, et d'historie copiosamente fornito) tutta questa lettione e utile, et diletteuole«; ebd., 3. Seite (Hervorhebungen J. T.): >Möge also Eure Exzellenz dieses außerordentlich nützliche Werk lesen, wann es Ihr beliebt, obwohl ich denke, daß, wenn Sie die Frucht genossen hat, sie Ihr sehr ergötzlich sein wird, sei es, weil die Materie neu ist und von niemandem vor Ludovicus Vives herausgegeben worden ist, sei es, weil es sich um jenes eheliche Band handelt, das Gott als der menschlichen Natur so sehr notwendig erachtet hat, daß
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seine Übersetzungsarbeit als Vermittlung des Inhalts an ein lateinunkundiges Publikum, bei dem er aber doch viel Verstand voraussetzt: »la tradottione fatta da me, per giouare ä molti, i quai, come ehe non leggano Latinamente, per non hauersi ä caso dato ad imparare Latino, sono perö di eccellente et eleuato ingegno.«89 Bei der Venezianer Ausgabe handelt es sich um eine getreue Übersetzung. Pietro Lauro verzichtet auf einschneidende Änderungen. Er kürzt den Text nur leicht, so daß wesentliche Inhalte nicht tangiert werden. So werden Wiederholungen getilgt,90 lateinische Begriffsdoppelungen (Synonyme und Antonyme) zu einem Begriff zusammengezogen.91 Attribute wie beispielsweise Diuus werden zuweilen gestrichen.92 Bei kürzeren und längeren Aufzählungen können einzelne Ausdrücke fehlen,93 sehr ausführliche er selbst von Anfang an der Urheber davon sein wollte. [...] und da der Verstand eines so bedeutenden Mannes [Vives', J. T.] reichlich über Wissen und Geschichten verfügt, ist diese ganze Lektion nützlich und unterhaltsam. < 89 Lauro: Widmung (Venedig 1546), 2. Seite: >Die Übersetzung, die ich gemacht habe, um den vielen zu nützen, die kein Latein lesen, weil sie sich umständehalber nicht dem Erlernen des Lateins gewidmet haben, die aber einen hervorragenden und gehobenen Verstand besitzen. < 90 Im Frauentraktat wird ein Exempel weggelassen, das bereits im Jungfrauentraktat erzählt worden ist; Vives: De institutione (Basel 1540 [wie Anm. 83]), S. 385, vgl. ebd., S. 290; Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 133V, vgl. ebd., Bl. 100r. 91 Die Ausdrücke fascinis, et incantationibus (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 276), werden nur mit incantesimi (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 95r) wiedergegeben, nee in communes uirtulum aut uiciorum locos egressus sum (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 190) mit ne mi ho slargato per lo spazioso campo de le vertu (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 65r), ad lasciuiam et libidinem (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 276) mit lussuria (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 94V), quis ferat in muliere impotentem iram et crudelitatem? (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 286) mit chi sopportera ne la femina la crudeltä (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 98V). - Es gibt allerdings auch den umgekehrten Fall, daß nämlich ein lateinischer Ausdruck mit zwei italienischen Begriffen wiedergegeben wird, wenn es in der Volkssprache offensichtlich keine präzise Entsprechung gibt: malefica (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 571) wird mit incantatrice ö maluagia (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 193V) übersetzt. 92 Chrisostomo (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 166r) statt Diuus loannes Chrysostomus (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 480); Catharina da Siena (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 74V) statt Catharina Senensis uirgo (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 218); li Filosofi (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 174r statt Stoici Philosophi (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 507). 93 inuidua et curiositä (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 98r) statt inuidia, et cemulatio, et curiositas (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 285). Solche Streichungen scheinen meist ohne Bedeutung zu sein. Um gewollte Kürzungen könnte es sich handeln, wenn in einer Aufzählung von weiblichen Heiligen Margareta und Dorothea weggelassen werden (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 10 , vgl. Vives: De institutione [Basel 1540], S. 293). Aber auch hier könnten willkürliche Streichungen vorliegen: So wird Catarina einmal aufgeführt (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 10 , vgl. Vives: De institutione [Basel 1540], S. 293), ein andermal wiederum kann sie fehlen (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 10 , vgl. Vives: De institutione [Basel 1540], S. 294).
Die volkssprachlichen Übersetzungen von Juan Luis Vives' Eheschriften
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Beschreibungen werden gelegentlich gekürzt.94 Manchmal entsteht der Eindruck, daß durch diese Kürzungen die Brutalität der Darstellung und die Polemik von Vives gemildert werden soll. So wird das Ohrstechen bei kleinen Mädchen in der Übersetzung etwas weniger brutal geschildert;95 in einer Aufzählung verschiedener Laster werden die schlimmsten weggelassen: inter aleas, scoria, delicias, uoluptates wird kürzer mit a giuochi et a solazzi wiedergegeben.96 Es finden sich kaum Beispiele für Anpassungen an den unterschiedlichen kulturellen oder politischen Kontext. Es mag erstaunen, daß offensichtlich keine Notwendigkeit und kein Bedürfnis bestand, die Übertragung in die Volkssprache an regionale Gepflogenheiten oder Rechtssysteme anzupassen. So wird beispielsweise das empfohlene Heiratsalter von 17 Jahren beibehalten.97 Welche Funktion kann einem solchen Text im 94
Bei der Beschreibung der Bindung der Tochter an eine Mutter, die das Kind selbst stillt und pflegt, wird in einer längeren Aufzählung der Passus prima balbutiem conanüs fari audiuit Iceta, atque adiuuit weggelassen (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 200, vgl. Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 67"). - Eine detaillierte Beschreibung des Essens Tu domi exquisitißimis ad saturitatem utens cibis, ructans capos, perdices, phasianos, delicalas placentulas, pulmenta, condimenta, offulas, otnnia magno conquisita, et comparata inter tot enectos fame? (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 260) wird kurz mit Tu pascendoti in casa defagiani, starne, et d'altri delicati et can cibi, ti godi tra tanti affamati (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 89r) zusammengefaßt. - Weniger detaillierte Beschreibungen finden sich auch beim Thema Schönheitspflege: con alcuno colore (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], 88r) statt adhibito flauo colore, uel nigro poluere, uel rubore, aut quolibet denique (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 256) oder habiti preciosi (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 90V) statt aurum, argentum, byßina et serica amicula (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 263). "Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 87", vgl. Vives: De institutione (Basel 1540), S. 256; ebenso wird die Folter von Epicari weniger detailliert beschrieben als im lateinischen Original, vgl. Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 107r, und Vives: De institutione (Basel 1540), S. 311. 96 Vives: De institutione (Basel 1540), S. 513; Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 176r. "Vives: De institutione (Basel 1540), S. 532; Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 182r; auch in der Mailänder Bearbeitung von 1561 wird das gleiche Heiratsalter beibehalten, s. Bl. 156V. - Beispiele für Anpassungen finden sich nur in Einzelfällen und sind kaum von Bedeutung, so etwa die Ersetzung von Europae ciuitatibus durch alcune cittä d'Italia (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 16 , vgl. Vives: De institutione [Basel 1540], S. 464): Wo sich Vives über die Unsitte in einigen Städten Europas empört (daß nämlich die Frauen das Kopftuch so tragen, daß sie die ändern zwar sehen, sie selbst aber unerkannt bleiben), da spricht Pietro Lauro von einer Unsitte in einigen Städten Italiens. - Bei der Weisung, die Mutter solle den Kindern nicht wünschen, reicher als Kroesus, Crassus, Cosimo de Medici oder die Fugger zu werden, streicht Pietro Lauro alle Namen bis auf Crassus (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 506; Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 174r). Bei Cosimo de Medici dachte Vives wohl an den >Vecchio< (1389-1464). Pietro Lauro wollte hier vermutlich nicht nur die Nennung der Familie der Medici vermeiden, sondern auch ausschließen, daß sein Publikum Cosimo de Medici auf den gleichnamigen Gatten seiner Widmungsempfängerin (1519-1574) beziehen könnte. - Henrici octaui coniu-
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Kontext der italienischen Kultur und Literatur zukommen? Offensichtlich ist der - in lateinischer Sprache geschriebene - Text von Vives ohne besondere Anpassungen in vielfältige Kulturbereiche übertragbar. In der Übersetzung werden hie und da Quellennachweise - Autoritäten oder Bibelstellen - weggelassen,98 was wohl damit zusammenhängt, daß sich die volkssprachliche Fassung an ein nicht wissenschaftlich interessiertes Publikum richtet. Der Übersetzer tendiert zu einer einfacheren Ausdrucksweise. Allzu Gelehrtes wird übergangen.99 Mythologische Personifikationen werden durch die entsprechenden konkreten Ausdrücke ersetzt: Sine Cerere et Libero friget Venus wird mit senza pane et uino si raffredda la lussuria wiedergegeben,100 oder quia proximus ä Libero patre intemperantice gradus, ad in concessam Venerem esse consueuit mit Perche dal uino a la lussuria glie un corto passaggio',m Sapientem uirum wird durch Salamone102 ersetzt, was kein Vorwissen des Publikums voraussetzt. Im Einzelfall kann auch ein wohl wenig geläufiges Fremdwort erklärt werden: gern sanctißimam (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 209) wird mit moglie d'Henrico ottauo Re di quell'isola [Inghilterra, J. T.] (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 7 ) übersetzt; hier wird die Reverenz Vives' an die - inzwischen verstorbene - Adressatin der Widmung weggelassen; ergänzt wird hingegen die Information, daß Heinrich König von England ist, weil dies vielleicht beim italienischen Publikum von 1546 nicht ohne weiteres als bekannt vorausgesetzt werden kann. 98 Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 170r, vgl. Vives: De institutione (Basel 1540), S. 493 (ut ab Aristotele prceceptum est); Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 165", vgl. Vives: De institutione (Basel 1540), S. 480 (in Psalmo dicitur): Der getragene Ton des Psalms kommt in der Übersetzung unvermittelt, da die Quellenangabe gestrichen wurde (in diesem Falle ergänzt der Bearbeiter der Mailänder Ausgabe die Quelle wieder, vgl. Vives: Dell'istitutione [Mailand 1561], Bl. 143V); als weiteres Beispiel Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 183r, vgl. Vives: De institutione (Basel 1540) S. 536 (ut Gorgias dicebat). - Gelegentlich kann der Text unverständlich werden, wenn die Ankündigung der direkten Rede weggelassen wird: Quelle ehe dimandano in questo modo, ricevono tai figliuoli. Tu sei sterile, ma partorirai uno figliuolo, non bere uino, ne ceruosia [...] (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 172V) statt Tales accipiunt, quce sie petunt. Verba angeli ad Sampsonis matrem sunt haec: Sterilis es, et absque liberis, sed concipies, et paries filium. Caue ergo ne bibas uinum, ac siceram [...] (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 500; Hervorhebung J. T.). 99 So übersetzt Pietro Lauro Quod si de priore uxore sobolem Habens domum te introduxerit, etiamsi clementißima fueris, omnes Comcedi et Mimographi et communes Rhetorum loci in nouercam sceuißimam declamabunt (Vives: De institutione [Basel 1540], S. 571) einfach mit Se trouerai figliuoli di un'altra moglie, non puotrai usare uerso quellt tanta pieta, ehe tu non sij riputata matrigna (Vives: De l'istitvtione [Venedig 1546], Bl. 193V; >Wenn du Kinder einer ändern Frau vorfindest, so wirst du diesen gegenüber nicht soviel Liebe üben können, daß du nicht doch für eine Stiefmutter gehalten wirstDenn vom Wein zur Unzucht ist nur ein kleiner Schrittdie Cheironomie, das heißt die geordnete Bewegung der Handkeine Keuschheit halten Hieronimus[...] wo man, um sich zu vergnügen, das Tanzen hinzufügt), vgl. Vives: De institutione (Basel 1540), S. 319: [...] ubi comes deliciarum est extrema saltatio. 126 Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 193r; Vives: Dell'istitutione (Mailand 1561), Bl. 167r. 127 Vives: Dell'istitutione (Mailand 1561), Bl. 100V; Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 11(7. 128 >Soviel von den Mägden, kommen wir zu den Hausfrauen zurückVon ihrer unglaublichen Selbstbeherrschung werden wir im nächsten Buch Sprechern; Vives: De l'istitvtione (Venedig 1546), Bl. 74V; vgl. Vives: Dell'istitutione (Mailand 1561), Bl. 66V. 130 >Im obigen Buch haben wir gezeigt, wie die Töchter zu erziehen sind.Das sagt Chrisostomusdas wird bei Lukan in Versen erzählt